Probleme der Weltwirtschaft Schriften des Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der Universität Kiel Herausgegeben von Prof. Dr. Bernhard Harms 33 V Die agrarische Exportwirtschaft Argentiniens Ihre Entwicklung und Bedeutung Von Dl sc. pol. Ernst Wilhelm Schmidt Assistent am Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft in Kiel Jena Verlag von Gustav Fischer 1920 ^ N« S3 Alle Rechte vorbehalten. Redaktions-Sekretär : r. Hans Goldschmidt. 33 Vorwort. Die Kriegsereignisse haben es mit sich gebracht, daß die vor- liegende Arbeit erst jetzt der Öffentlichkeit übergeben werden kann. Sie wurde bereits im Jahre 191 2 in der damaligen „Abteilung für Seeverkehr und Weltwirtschaft" des staatswissenschaftlichen Instituts an der Universität Kiel in Angriff genommen. Im Laufe der Aus- arbeitung erwies es sich bald als notwendig, zur Ergänzung der Materialbeschaffung wie zur Erlangung persönlicher Informationen und Vermittlung unmittelbarer Eindrücke von dem Wirtschafts- zustande des mächtig aufstrebenden Neulandes die Studien an Ort und Stelle zu ergänzen und zu vertiefen. Zu diesem Zwecke brachte der Verfasser von Ende 1912 bis Ende 191 3 nahezu ein Jahr in Argentinien zu. Längere Aufenthalte in den Städten Buenos Aires, Rosario und Bahia Bianca, den bedeutendsten Häfen und Handelszentren des Landes, ausgedehnte Reisen durch alle Pro- vinzen des mittelargentinischen Produktionsgebietes wie durch die wirtschaftlich wichtigsten Gebiete der nördlichen und der patago- nischen Landesteile, Besichtigungen einer großen Zahl von Acker- bau- und Viehzuchtbetrieben sowie IndustrieuntCrnehmungen, Unter- redungen mit führenden Männern des argentinischen Wirtschafts- lebens, Landwirten, Kaufleuten, Beamten und Gelehrten ermög- lichten es dem Verfasser, in die wirtschaftlichen Tagesfragen Argen- tiniens näheren Einblick zu gewinnen und wertvolle Anregung und Belehrung zu empfangen. Nach der Rückkehr nach Deutschland wurde die Arbeit durch den Ausbruch des Krieges unterbrochen und konnte erst im Februar 19 19 wieder aufgenommen werden. Sie wurde dann im Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft vollendet. Zur Fort- führung der Untersuchungen auf den gegenwärtigen Stand boten T* — IV — die deutsche und fremdsprachliche Buchliteratur der Bibliothek des Kieler Instituts und die Sammlungen seines „Wirtschaftsarchivs" reichliches Material. Es ist dem Verfasser eine angenehme Pflicht, auch an dieser Stelle allen denen, die ihn in seinem Vorhaben mit Rat und Tat freundlichst unterstützt haben, zu danken. Herrn Prof. Dr. Bernhard Harms ist er vor allem für die Anregung zu der Arbeit, wissenschaftliche Beratung sowie für die -mannigfachen Bemühungen, durch die er ihm die Durchführung der Reise nach Argentinien erleichterte, zu Dank verpflichtet. Ferner hat Verfasser der Hamburg-Südameri- kanischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft für die ihm gewährten Ver- günstigungen zu danken. Besonders fühlt er sich Seiner Exzellenz, dem damaligen argentinischen Landwirtschaftsminister Herrn Dr. Adolf o Mujica verpflichtet, durch dessen großzügiges Entgegenkommen ihm durch Bereitstellen von Mitteln des argentinischen Ackerbau- ministeriums seine Aufgabe wesentlich erleichtert und eine erheb- liche Ausdehnung des Umfangs seiner Studienreise ermöglicht wurde. Durch das argentinische Ackerbauministerium sowohl wie das Ministerium der öffentlichen Arbeiten wurde er in denkbar ent- gegenkommender Weise mit amtlichem Material aller Art versehen. Aus der großen Zahl von Privatpersonen, vornehmlich deutscher Herren, welche die Durchführung der Studien in Argentinien förderten und erleichterten, seien an dieser Stelle besonders ge- nannt die Herren F. Classon (im Kriege gefallen), M. Förster (Cördoba), Gietz (Santa Catalina), Dr. C. C. Hosseus (Buenos Aires), D. Meyer (Bahia Bianca), Seemann (Los Leones), Wyß (Tucumän). Kiel, im Januar 1920. Ernst Wilhelm Schmidt. Inhaltsverzeichnis. Seite Vorwort III Inhaltsverzeichnis V Tabellenverzeichnis VII Literaturverzeichnis XI Einleitung: Die agrarische Ausfuhr und die landwirtschaftliche Konkurrenz Argentiniens i I. Abteilung. Grundlagen der Agrarproduktion. Vorbemerkung: Physikalische Gestaltung und Klimaverhältnisse .... 9 1. Abschnitt. Einwanderung und Kolonisation. 1. Kapitel: Einwanderung und Bevölkerungsstand 11 2. Kapitel: Einwanderungs- und Bevölkerungspolitik 37 3. Kapitel: Kolonisation und nationale Siedlungspolitik a) Historische Entwicklung 46 b) Das Kolonisationsproblem der Gegenwart 60 2. Abschnitt. Das Verkehrswesen. 1. Kapitel: Der verkehrsgeographische Aufbau und die Ausfuhrhäfen . . 71 2. Kapitel: Die Eisenbahnen a) Entwicklung der Eisenbahnen und ihr Einfluß auf die Ausdehnung des Ackerbaus 76 b) Staatliche Eisenbahnpolitik - 86 c) Das Tarif wesen 94 d) Die wichtigsten Eisenbahnlinien 104 1. Die Staatsbahnen 104 2. Die Privatbahnen 109 3. Abschnitt. Die Agrarverfassung. 1. Kapitel: Grundbesitzverteilung und Latifundienwesen 119 2. Kapitel: Das Pachtwesen — VI — Seite a) DieUrsachen für das Vorherrschen des Pachtsystems im Getreideanbau 130 b) Wanderpachtbau, Anteilpacht und Folgen des Pachtwesens für die argentinische Landwirtschaft 141 4. Abschnitt. Das ländliche Kreditwesen. 1 . Kapitel : Der Hypothekarkredit 1 56 2. Kapitel: Der landwirtschaftliche Betriebskredit 164 3. Kapitel; Das Genossenschaftswesen 173 II. Abteilung. Die Agrarproduktion und die landwirtschaftlichen Industrien« 1. Abschnitt. Der Ackerbau und seine Erzeugnisse. 1. Kapitel: Das extensive System in der Getreideproduktion 179 2. Kapitel: Die einseitige Einstellung des Ackerbaus auf den Getreide- export 190 3. Kapitel: Die Bedeutung der einzelnen Nutzpflanzen a) Der Weizen 203 b) Der Mais 220 c) Die Leinsaat 230 d) Hafer und sonstige Kulturgewächse 235 2. Abschnitt. Die Viehzucht und ihre Erzeugnisse. 1. Kapitel: Die Großbetriebsform der Viehzucht 239 2. Kapitel: Die Teilgebiete der tierischen Produktion a) Die Rindviehzucht 252 b) Die Schafzucht 263 c) Pferde- und Schweinezucht 268 3. Abschnitt. Die landwirtschaftlichen Exportindustrien. Vorbemerkung: Zur Frage der industriellen Entwicklung Argentiniens. . 272 a) Die Gefrierfleischindustrie 275 b) Die Mühlenindustrie 288 c) Die Milchverarbeitungsindustrie 293 Tabellenverzeichnis. Seite Tab. i. Entwicklung der Ausfuhr der wichtigsten Agrarprodukte, von 1895— 1915 2 2. Die Ausfuhr von Ackerbau- und Viehzuchterzeugnissen und deren Anteil an der Gesamtausfuhr 3 3. Die argentinische Einwanderung, nach ihren wichtigsten Nationalitäten gegliedert, von 1857 — 191 5 I4 4. Italienische Einwanderung und Rückwanderung und deren Verhältnis zueinander, 1894 — 191 3 17 5. Spanische Einwanderung und Rückwanderung und deren Verhältnis zueinander, 1904 — 13 21 o. Einwanderung, Rückwanderung und Wanderungsbilanz seit 1886 25 7. Anteil der einzelnen Nationen an der Fremdenbevölkerung im Jahre 1914 30 8. Geographische Verteilung der Bevölkerung und Bevölkerungs- dichte im Jahre 191 4 33 9. Bestand und geographische Verteilung der Staatsländereien im Jahre 191 4 53 10. Anteil der Hauptackerbauzone an den Gesamtanbauflächen des Landes im Erntejahr 1 916/17 61 11. Anteil der Eigentumsbetriebe an der Gesamtzahl der körner- bauenden Ackerbaubetriebe im Jahre 1910 62 12. Eigentumsbildung am Grund und Boden im Ackerbau der Hauptland Wirtschaftszone, 1904/05 — 191 5/1 6 63 13. Anteil der Ausfuhrhäfen an der Ausfuhr der wichtigsten Agrar- produkte im Jahre 1916 74 14. Entwicklung von Eisenbahn, Ackerbau, Bevölkerung und Ausfuhr 1872 — 1915 78 15. Die Ausdehnung des Eisenbahnnetzes und der Anbauflächen, von 1888 — 1916 82 16. Verhältnis von Eisenbahnen zu Fläche und Einwohnerzahl in verschiedenen Ländern Ende des Jahres 191 3 85 1 7. Unterschied zwischen buchmäßigem und gesetzlich anerkanntem Kapital der acht bedeutendsten Eisenbahngesellschaften . . 91 — VIII Seite Tab. 18. Reingewinne der vier bedeutendsten Bahngesellschaften in Prozent ihres anerkannten Kapitals 92 ig. Einnahmen aus dem Personenverkehr und ihr Anteil an den Totaleinnahmen der vier bedeutendsten Linien 95 20. Prozentualer Anteil der Ackerbauerzeugnisse an dem Gesamt- frachtverkehr aller argentinischen Bahnen 96 21. Typen von Getreidefrachttarifsätzen für das Jahr 1915 . . . 100 22. Übersicht über sämtliche im Betrieb befindlichen Eisen- bahnlinien und ihren Verkehr im Jahre 1915 105 23. Mengen der von den Eisenbahnen beförderten landwirtschaft- lichen Produkte und Anteil der vier bedeutendsten englischen Linien, 191 1 — 16 in 24. Bruttoeinnahmen der Pazifikbahn aus ihrem Güterverkehr 1913 — 16 in Pfd. Sterling 115 25. Frachtverkehr der vier bedeutendsten englischen Linien und ihr Anteil am gesamten argentinischen Eisenbahngüterverkehr 117 26. Bruttoeinnahmen der Zentralargentinischen Bahn aus ihrem Güterverkehr 1913 — 16 in Pfd. Sterling . 117 27. Zahl der ländlichen Besitztümer im Jahre 1908 121 28. Veränderungen in der Grundbesitzverteilung 1901 — 191 1 . . 124 29. Entwicklung der Besitzverhältnisse der Ackerbaubetriebe in der Hauptanbauzone in den Jahren 1904 — 16 132 30. Stand des Pachtwesens in den verschiedenen Landesteilen im Ackerbaujahr 1915/16 133 31. Landverkäufe des Jahres 1917 139 32. Hektardurchschnittspreise in der Getreidezone in Pesos . . . 139 33. Steigerung der Pachtsätze von 1906 — 1910 148 34. Differenzierung der Pachtsätze in der Provinz Buenos Aires 148 35. Umrechnung einer Anteilpacht in Geldpacht, für verschiedene Getreidearten und Erträge 150 36. Landverkäufe und Hypothekeneintragungen 1901 — 191 7 . . 158 37. Entwicklung des ländlichen Genossenschaftswesens 1913 — 1915 176 38. Prozentualer Anteil der verschiedenen Betriebsgrößenklassen an der Gesamtzahl der körnerbauenden Betriebe 1910, 191 2 und 1916 180 39. Verteilung der landwirtschaftlichen Betriebe des Deutschen Reiches auf die Größenklassen 181 40. Zahl der Ackerbaubetriebe im Erntejahr 1915/16, nach Größen- klassen und Provinzen 182 41. Betriebsgrößen in der Weizenproduktion der Provinz Buenos Aires im Jahre 1908 184 42. Einfuhr landwirtschaftlicher Maschinen im Jahre 1913 . . . 187 43. Durchschnittsexportpreis und Anbaufläche von Leinsaat . . 192 44. Anteil der verschiedenen Kulturgewächse an der gesamten bebauten Fläche der Hauptackerbauzone 195 45. Anteil der Nahrungsmitteleinfuhr an der Gesamteinfuhr, 1910— 17 197 — IX — Seite Tab. 4(1. Die Einfuhr von Nahrungsmitteln im Jahre 191 7 197 „ 47. Anbaufläche, Erzeugung, Inlandverbrauch und Ausfuhr von Weizen seit 1890 205 ,, 48. Verteilung der Weizenanbaufläche in Hektar auf die ver- schiedenen Landesteile, 1895 und 191 6 208 „ 49. Weizenhektarerträge in 100 kg, 1906 — 15 211 ,, 50. Weizenerntefläche und Erträge des Erntejahres 1915/16 . . 212 • ,, 51. Weizenhektarerträge der Hauptackerbauzone nach ver- schiedenen Ertragsklassen 212 ,, 52. Weizenerzeugung und -ausfuhr der wichtigsten Ausfuhr- länder im Jahresdurchschnitt des Jahrzehnts 1905 — 14 . . . 216 » 53- Wert der Ausfuhr von Ackerbauerzeugnissen und Anteil der einzelnen Getreidearten 219 ,, 54. Anbaufläche, Erzeugung und Ausfuhr von Mais seit 1900 221 >> 55- Verteilung der Maisanbaufläche in Hektar auf die verschiedenen Landesteile, 1895 und 1916/17 223 56. Argentinische Exportpreise für Mais und Weizen 1905 — 14 . 225 >> 57- Verkaufspreise für Weizen, Mais und Leinsaat auf den Bahn- stationen der Provinz Buenos Aires, 1906/07 — 1915/16 . . . 226 ,, 58. Maiserzeugung und -ausfuhr der wichtigsten Ausfuhrländer im Jahresdurchschnitt des Jahrzehnts 1905 — 14 228 „ 59. Maisausfuhr aus Argentinien und den Vereinigten Staaten von Amerika 1905 — 1914 229 ,, 60. Anbaufläche, Erzeugung und Ausfuhr von Leinsaat seit 1902/03 231 ,, 61. Verteilung der Leinsaatanbaufläche in Hektar auf die ver- schiedenen Landesteile, 1895 und 1916 232 „ 62. Leinsaaterzeugung und -ausfuhr der wichtigsten Ausfuhr- länder im Jahresdurchschnitt des Jahrzehnts 1905 — 14 . . . 233 „ 63. Anbaufläche, Erzeugung und Ausfuhr von Hafer seit 1906/07 236 „ 64. Betriebsgrößen in der Viehzucht und Anteil der verschiedenen Größenklassen am Gesamtviehbestand 241 ,, 65. Verteilung des Viehbestandes Deutschlands auf die landwirt- schaftlichen Betriebsgrößenklassen im Jahre 1907 245 ,, 66. Zahl der in der Viehzucht beschäftigten Personen 246 ,, 67. Alfalf a-An bauflächen, 1895 und 1916 248 ,, 68. Stand der Veredelung des Rindviehbestandes, 1895 und 1908 254 ,, 09. Ausfuhr lebenden Rindviehs seit 1896 257 ,, 70. Rindviehbestände der verschiedenen Landesteile, 1908 und 191 4 258 „ 71. Dichtigkeit des Rinderbestandes auf den Kopf der Bevölkerung in verschiedenen Ländern 259 ,, 72. Zahl der Rindviehschlachtungen 1912 — 1916 260 ,, 73. Argentinischer Fleischkonsum auf den Kopf der Bevölkerung, 1911 — 16 261 „ 74. Wollausfuhr seit 1891 265 » 75- Verteilung der Schafbestände auf die Landesteile, 1908 und 1914 266 — X — Seite Tab. 76. Die Fleischausfuhr seit 1901 278 „ 7J. Stand der Gefrierfleischindustrie im Jahre 1916 283 „ 78. Preisbildung des argentinischen Fleisches in Argentinien und England während des Krieges 285 „ 79. Ausfuhr von gefrorenem Rindfleisch in den Jahren 191 6 und 1917 286 „ 80. Zahl und Produktionsmengen der argentinischen Mühlen und Ausfuhr von Erzeugnissen der Mühlenindustrie 289 „ 81. Geographische Verteilung der Mühlenindustrie im Jahre 191 5 290 ,, 82. Stand der Milchverarbeitungsindustrie im Jahre 1918 . . . 294 Literaturverzeichnis, Amtliche argentinische Veröffentlichungen. Anuario de la Direcciön General de Estadistica, Buenos Aires, Jahrg. 1908 ff. Boletin Mensual de Estadistica Agricola, Buenos Aires. Boletin del Ministerio de Agricultura, Buenos Aires. 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Es liegt im Rahmen der schnellen und oft recht gedankenlosen Gewöhnung an die Tatsachen der internationalen Verkehrsgemeinschaft, daß wir heute den Anteil, welchen Argentinien an der Versorgung des Weltmarktes mit Lebensmitteln und agrarischen Rohstoffen hat, als eine lange bestehende und selbstverständlich gewordene Tatsache hinnehmen. Und doch ist kaum mehr als ein Vierteljahrhundert ver- flossen, seit dieses Land ziemlich unvermittelt aus seiner bisherigen Abgeschlossenheit in weltwirtschaftliche Zusammenhänge eintrat und durch seine wachsende Ausfuhr ein entscheidender Faktor in der Versorgung Westeuropas mit agrarischen Erzeugnissen wurde. Ein paar Zahlen vermögen das Tempo, in dem sich die Einbeziehung des jungen Agrarlandes in die Weltwirtschaft entwickelte, am deutlichsten zu illustrieren. 1890 belief sich der argentinische Gesamtaußenhandel auf 243 Mill. Goldpesos1). Bis zu diesem Jahre war die Handelsbilanz - mit Ausnahme weniger Jahre — stets eine passive gewesen. Die Einfuhr bestand im wesentlichen aus europäischen Industrieerzeug- nissen, die (wie z. B. Eisenbahnmaterial) unmittelbar oder mittelbar erst zur Schaffung der notwendigen Produktionsgrundlagen und als L'nterbau für die landwirtschaftliche Entwicklung zu dienen hatten. Der Wert dieser Einfuhr, die zum großen Teil die Anlage ausländischen Kapitals in Verkehrs- und landwirtschaftlichen Industrieunter- nehmungen darstellte, überstieg bis zu Beginn der 90er Jahre regel- mäßig den Ausfuhrwert der Landeserzeugnisse. Zu dieser Zeit setzte neben der steigenden Ausfuhr viehzüchterischer Erzeugnisse in größerem Umfang die Ausfuhr des argentinischen Getreides ein. Die Handelsbilanz des Landes, das über keinerlei Guthaben im Aus- l) Ein Goldpeso nach Parikurs = 4,05 M. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. S c h m id t , Die agrar. Exportvvirtschaft Argentiniens. l lande verfügte, welche seine passive Handelsbilanz zu einer aktiven Zahlungsbilanz machen konnten, blieb seitdem — mit alleiniger Ausnahme des Jahres 1893 — stets aktiv. Die agrarische Ausfuhr überstieg seit 1893 an Wert die Einfuhr erheblich, in vielen Jahren um 50 — 60%. 1893 erreichte die Weizenausfuhr erstmalig 1 Mill. t. Der Gesamtwert von Ein- und Ausfuhr stieg 1913 auf rund 1 Milliarde Goldpesos. Der Außenhandel erfuhr in 25 Jahren eine Steigerung um das Vierfache seines Wertes. Die Ausfuhr, die 1890 erst rund 100 Mill. Goldpesos betragen hatte, stellte 1913 einen Wert von 520 Mill. Goldpesos dar. Diese Zahlen geben von einer jugendlichen Expansionskraft der agrarischen Exportwirtschaft Argentiniens Zeugnis, welcher die Geschichte der modernen Weltwirtschaft nur auf dem nördlichen amerikanischen Kontinent in den Vereinigten Staaten Ähnliches an die Seite zu stellen vermag. Argentinischer Weizen, argentinischer Mais, argentinisches Gefrierfleisch sind heute Größen auf dem Weltmarkt, deren Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Es wird Aufgabe der ersten Abschnitte der vorliegenden Schrift sein, darzulegen, wie Besiedlung und Verkehrserschließung die Basis der landwirtschaftlichen Exportproduktion ständig verbreitern. Am deutlichsten tritt dies in der Vermehrung der Anbauflächen in die Erscheinung. Die in den Bereich der Bodenbearbeitung einbezogene Fläche wuchs von 1888 bis 1916 von 2% auf mehr als 23 Mill. Hektar. In welchem Maße der Umfang der agrarischen Ausfuhr zunahm, veranschaulicht die folgende Zusammenstellung. Tabelle I. Entwicklung der Ausfuhr der wichtigsten Agrarprodukte von 1895— 1915. 1000 Tonnen Jahr Weizen Mais Leinsaat Hafer 1895 1010 772 276 iS 1905 2868 2222 655 17 1915 2512 433i 98i 593 1000 Tonnen Jahr Häute Wolle Gefrierfleisch 1895 109 201 43 1905 100 191 231 1915 115 118 386 Die sieben in der obenstehenden Tabelle aufgeführten landwirt- schaftlichen Erzeugnisse bilden die wichtigsten Exportprodukte Argentiniens. Auf sie entfielen 1915 : 82,5 % des Wertes der gesamten Ausfuhr. Die argentinische Ausfuhr ist auch heute noch eine rein agrarische. Ackerbau und Viehzucht liefern 95% des Gesamt- exports, die restlichen 5% entfallen auf Erzeugnisse der Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei und des Bergbaus. Der Anteil, welchen die beiden großen Produktionszweige der argentinischen Volkswirtschaft, Acker- bau und Viehzucht, an der Gesamtausfuhr haben, ist jeweils der Aus- druck ihres Entwicklungsstandes gewesen, da beide, der Ackerbau in noch viel ausgesprochenerer Weise als die Viehzucht, für die Ausfuhr produzieren. Tabelle 21). Die Ausfuhr von Ackerbau und deren Anteil an der Gesamtausfuhr und Viehzuchterzeugnissen Wert der Ausfuhrerzeugnisse ! Anteil an der Gesamt- Jahr in 1000 Goldpesos ausfuhr in % des Ackerbaus 1 der Viehzucht Ackerbau Viehzucht Jahres- 189S— 1902 65 009 93 874 39,* 57,2 durchschnitt 1903 — 1907 M9 512 120 709 53,3 43,5 1908 241 077 115 118 66,0 3i,4 1909 23° 5°4 153 548 58,0 38,6 1910 196 91 0 i77 2 53 50,6 45,5 191 1 139 828 1 80 1 70 40,8 54,4 1912 278 401 209 464 55<5 4i,7 1913 301 832 200 S78 58,1 38,7 1914 191 294 198695 47,4 49,3 1915 319409 234 848 54,8 40,3 1916 246 122 295 578 42,9 5i,6 1917 I44483 37(j°35 2(),3 68,3 Der Ackerbau konnte sich in dem menschenleeren Lande erst in dem Maße entwickeln, wie durch die Einwanderung eine dichtere Besiedlung geschaffen und wirtschaftliches Leben in bislang toten Räumen erweckt wurde. Vorher bestand der einzige Reichtum des Landes in seinen ungezählten Viehherden, und die Ausfuhr beschränkte sich auf geringe Mengen von Häuten, Wolle und getrocknetem Fleisch. Noch bis zum Jahre 1900 war der Anteil der viehzüchterischen Er- J) El Comercio Exterior Argentino en 1916 y 1917, Boletin Xo. 170, Buenos Aires 191 8, S. 422. — 4 — Zeugnisse an der Gesamtausfuhr weit größer als der des Getreides, er betrug 1899 noch 62,3%. Inzwischen war die ackerbauliche Ent- wicklung soweit fortgeschritten, daß seit Beginn des neuen Jahr- hunderts Ackerbau und Viehzucht zu fast gleichen Teilen zur Ausfuhr beitragen. Im Durchschnitt des Jahrzehnts 1904 — 13 waren Acker- bauprodukte mit 54% am Gesamtexport beteiligt. Die Tendenz, nach welcher der Ackerbau sich zu dem ausfuhrwichtigeren Zweig der Agrarproduktion entwickelte und die in den letzten Jahren vor dem Kriege immer mehr hervorgetreten war, erfuhr durch den Krieg eine Unterbrechung. Die starke Nachfrage nach Fleisch seitens der Entente- länder und der Mangel an Schiffsraum für die Getreidemassengüter gaben wiederum den Erzeugnissen der Viehzucht ein größeres Über- gewicht in der Ausfuhr. Mit dem Wiedereintreten normaler Welt- marktverhältnisse ist nach der gegenwärtigen Struktur der argen- tinischen Landwirtschaft die Rückkehr zu dem Ausfuhrverhältnis der Vorkriegszeit zu erwarten. Man war lange geneigt, an das Aufkommen bedeutender übersee- ischer Agrarländer die schwersten Befürchtungen zu knüpfen und glaubte die heimische Landwirtschaft durch die amerikanische Kon- kurrenz auf das stärkste gefährdet. Die neuere Zeit hat gelehrt — auch ganz abgesehen von den durch den Krieg verursachten anormalen Verhältnissen in der deutschen Ernährungslage — , daß eher von einer Gefahr, die durch die Knappheit an Agrarprodukten droht, als von einer solchen übermäßiger agrarischer Produktionssteigerung am Weltmarkt die Rede sein kann. Sering kam schon 1887 zu dem Er- gebnis, daß die damalige Überfüllung der Weizenmärkte eine ganz vorübergehende Erscheinung sein müsse und daß es schon eines sehr rasch steigenden Angebotes von Nahrungsmitteln bedürfe, wenn dasselbe mit der rapide zunehmenden Nachfrage der wachsenden Be- völkerung in den europäischen und amerikanischen Ländern überhaupt Schritt halten solle1). In der Tat haben die Vereinigten Staaten von Amerika bis in die 80er Jahre den Weltmarkt mit ihren Brotfrüchten geradezu überschwemmt. Im Laufe der weiteren Entwicklung der nordamerikanischen Landwirtschaft stellte sich aber dann heraus, daß diese zwar 19 10 doppelt soviel Nahrungsmittel lieferte als 25 Jahre vorher, daß aber ihr Export, weit davon entfernt, diese Steigerung mitzumachen, stark zurückging, weil der inländische Bedarf noch viel *) M. Sering, Die landwirtschaftliche Konkurrenz Nordamerikas in Gegenwart und Zukunft, Leipzig 1887, S. 571. stärker gestiegen war1). Eine Fortführung der Seringschen Unter- suchungen gelangte neuerdings zu dem Ergebnis, „daß es wahr- scheinlich auch bei einer weitgehenden Produktionssteigerung der nordamerikanischen Landwirtschaft kaum möglich sein wird, die erheblich gesunkenen Exportziffern wieder zur alten Höhe zu bringen ; als unbedingt sicher muß es aber gelten, daß niemals wieder durch die Konkurrenz der Vereinigten Staaten ein Druck auf die Vieh- und Getreidepreise des Weltmarktes ausgeübt werden kann, wie in jenen Zeiten, als innerhalb weniger Jahre ungeheure Flächen besten jung- fräulichen Bodens durch extensive Kultur fast kostenlos erschlossen wurden"2). In Argentinien liegen die Dinge nun allerdings wesentlich anders als in den Vereinigten Staaten. Auch hier bewirkte die außerordent- lich starke Werterhöhung des Bodens in Verbindung mit erheblich igerten Löhnen und erhöhten Anschaffungskosten für Maschinen und Säcke wie für alle Gegenstände des täglichen Bedarfs eine ganz beträchtliche Vermehrung der Produktionskosten. Die prozentuale Erhöhung der Bevölkerungszahl ist in dem dünnbevölkerten Lande bedeutend größer als in Nordamerika. Sie betrug von 190 1 — 16 nicht weniger als 82 %, während die Bevölkerungszahl der Union im Jahrzehnt 1901 — 10 nur um 21% stieg. Aus der starken prozentualen Steigerung könnte für Argentinien auf ein rapides Anwachsen des Inlandbedarfs an Lebensmitteln geschlossen werden, das eine Einschränkung der Ausfuhr zur Folge haben würde. Demgegenüber vergegenwärtige man sich die absoluten Bevölkerungsziffern des Landes: 1901 : 4,74 Mill., 1916: 8,60 Mill. Menschen. Die gesamte Produktion ist eine rein agrarische. Fabrikindustrie ist erst in den Anfängen und im wesent- lichen nur in der Hauptstadt Buenos Aires vorhanden. Die argen- tinische Landwirtschaft hat nicht gleich der nordamerikanischen ein von Jahr zu Jahr mächtiger anwachsendes Heer von Industrie- arbeitern zu ernähren. Auch die Einwanderung trägt vorwiegend agrarischen Charakter. Die Mehrzahl der Einwanderer geht in land- wirtschaftliche oder verwandte Berufe. Das noch dünn besiedelte Land braucht die Einwandernden zur Vermehrung seiner ländlichen Arbeiterschaft, zur Ausdehnung der Anbauflächen und zur Inten- sivierung seiner Wirtschaftsmethoden. Dagegen fällt die aus der *) Der Weizenexport betrug 1901: 6397000 t, 1910 nur noch 1382000 t. *) M. Augstin, Die Entwicklung der Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 141. Bd., 2. Teil, München und Leipzig 1914, S. 127. — 6 — Vermehrung der Bevölkerungszahl sich ergebende Steigerung des Inlandkonsums einstweilen noch gar nicht ins Gewicht. Der Be- völkerungszuwachs bedeutet eben in Wirklichkeit regelmäßig zu seinem weitaus größeren Teile nur einen Zuwachs der für die agrarische Produktion oder deren Hilfsgewerbe und -Industrien verfügbaren menschlichen Arbeitskräfte. Die Möglichkeit des Entstehens einer zahlreichen industriellen Bevölkerung, die erhebliche Teile der agrarischen Produktion kon- sumieren und so den Ausfuhrüberschuß des Landes an Lebensmitteln reduzieren würde, ist in Argentinien auf absehbare Zeit nicht gegeben. Der Entstehung einer eigenen Industrie steht als entscheidendes Hemmnis vor allem das Fehlen jeglicher Kohlen- und Erzgrundlage entgegen. Schon daran muß, soweit bis heute vorauszusehen, jeder Versuch einer Industrialisierung scheitern, selbst wenn die Arbeiter- frage in einem der Industrie günstigeren Sinne gelöst werden sollte, als dies bisher der Fall ist. So ist es möglich gewesen, daß nicht trotz, sondern gerade dank der (in ihren absoluten Zahlen doch nur mit einer jährlichen Zuwachs- ziffer von einer Viertelmillion) wachsenden Bevölkerung des Landes eine ständig zunehmende Menge agrarischer Produkte zur Ausfuhr gelangte. Der Inland verbrauch an Weizen beträgt gegenwärtig etwa 1,25 Mill. t. Der Anteil der Ausfuhr an der Erzeugung beträgt für Weizen etwa 65%, für die übrigen Getreidearten 75 — 80%. Aus diesen Zahlen erhellt, wie sehr das Exportinteresse für den gesamten argentinischen Ackerbau ausschlaggebend ist. Das gleiche gilt von der Viehzucht der mittelargentinischen Provinzen. 1893 und 1894 erschien Argentinien zum erstenmal mit größeren Weizenmengen auf dem Weltmarkt. In dem letzteren Jahre erreichte die Weizenausfuhr die für damalige Verhältnisse gewaltige Summe von i,6 Mill. t. Damals schien für die Landwirtschaft in europäischen Staaten die „argentinische Gefahr" selbst die nordamerikanische zu überbieten. Die Weizenausfuhr aus Argentinien sank freilich in den folgenden Jahren infolge einer Reihe landwirtschaftlicher Fehl- schläge und wirtschaftlicher Depressionen. Seit 1903 aber ist sie nur noch einmal — im Jahre 1914 — unter 1% Mill. t gesunken. Sie betrug im Durchschnitt des Jahrfünfts: 1896 — 1900 984 OOO 1901— 1905 1 681 000 1906 — 1910 2 593 000 IQII— 1915 2 243 000 Lassen wir aus dem Jahrfünft 191 1 — 15 das Jahr 1914, welches eine Fehlernte zu verzeichnen hatte, heraus, so erhalten wir für denge- samten zwanzigjährigen Zeitraum ein konstantes Wachsen der Ausfuhr. Für den Mais, die zweitwichtigste Exportkörnerfrucht, gestaltete sich die Ausfuhrsteigerung noch lebhafter (vgl. 220 ff.). Der bisherige Gang der Entwicklung gibt der Voraussage größte Wahrscheinlichkeit, daß weiterhin der Zunahme der Bevölkerung und der durch sie er- höhten Produktionskraft des Landes eine Steigerung der Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse entsprechen wird. Daß diese jemals zu einer gefährlichen Konkurrenz für die deutsche Landwirtschaft werden könne, ist nicht zu erwarten. Der Preis des argentinischen ides auf den europäischen Märkten erreicht mit der Erhöhung der Gestehungskosten in Argentinien und mit der Verteuerung der \\ r-ehiffungskosten eine solche Höhe, daß eine Unterbietung kaum möglich ist. Außerdem aber haben gerade die Erfahrungen des Krieges zu der dem deutschen Volke schmerzlich fühlbar gewordenen Er- kenntnis geführt, daß die deutsche Landwirtschaft nicht imstande ist, den Anforderungen des Inlandes an Brotgetreide ausreichend zu genügen. Für die Tatsache des unbedingten Angewiesenseins auf überseeische Bezugsquellen von Lebensmitteln braucht wohl der eis nicht mehr besonders erbracht zu werden. Das Vorwiegen der landwirtschaftlichen Ausf uhrinter- n prägt der gesamten argentinischen Volkswirtschaft den ent- scheidenden Stempel auf. Wir haben das Bild eines Agrarlandes vor uns, in dessen Außenhandel der rein agrarischen Ausfuhr eine Einfuhr i übersteht, die zu 75 — 80% aus industriellen Fertigerzeugnissen iit. Den Bedürfnissen der agrarischen Export Wirtschaft ent- spricht die gesamte Wirtschaf tsverfassung des Landes. Aufgabe der vorliegenden Untersuchung soll es sein zu zeigen, wie unter der Ein- stellung auf die Ausfuhr die argentinische Landwirtschaft groß ge- worden ist, welche charakteristischen Züge sich aus dieser extensiven Exportlandwirtschaft herausentwickelt haben, welche Probleme in ihrem heutigen Stadium der Lösung harren und welche Tendenzen zukünftiger Entwicklung sich aufzeigen lassen. In den Entwicklungslinien von Ackerbau und Viehzucht liegt die große Zukunft der argentinischen Republik. Die Fabrikindustrie, der die Absperrung von den europäischen Bezugsländern während des ges einen gewissen künstlichen Aufschwung verliehen hat, wird zwar im Lauf der Zeit an Wert und Mannigfaltigkeit zunehmen, aber immer nur einen verhältnismäßig geringen Anteil am Nationalreichtum haben. Die Natur des Landes hat hier feste Grenzen gesteckt. Das Fehlen von Brennstoffen wie von verwertbaren Wasserkräften im zentralen Produktionsgebiet wird die Entwicklungsfähigkeit nationaler Industrien dauernd einschränken. Am wenigsteh gilt dies für die In- dustrien, welche in ihrer Rohstoffversorgung auf der heimischen Land- wirtschaft basieren und z. T. nur dazu dienen, die landwirtschaftlichen Produkte in veredelte Formen überzuführen oder überhaupt erst aus- fuhrfähig zu machen. Durch seine wirtschaftsgeographische Situation ist Argentinien dazu bestimmt, auf absehbare Zeit hinaus eine der großen Brot- und Fleischkammern der Welt zu bleiben, einen bedeut- samen Teil dessen zu bilden, was Gerhard Hildebrand die „inter- nationale Bauerngrundlage" genannt hat, auf die sich der „industrielle Überbau" Westeuropas weiter wird stützen können. I. Abteilung. Grundlagen der Agrarproduktion. Vorbemerkung. Physikalische Gestaltung und Klimaverhältnisse. Die Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines ausge- sprochen agrarischen Landes hat von einer Schilderung der natürlichen Grundlage der Produktion, ,,der physikalischen Basis" auszugehen. Die physikalischen Bedingungen sind in einem Lande, das sich über 34 Breitegrade erstreckt, außerordentlich mannigfaltig. Mit seinen nördlichen Provinzen und Territorien reicht Argentinien über den Wendekreis des Steinbocks hinaus in subtropische Gegenden, in denen die Kultur des Kaffee und der Banane möglich ist, während im äußersten Süden des Landes ein unwirtlich kaltes Klima herrscht und im Innern des Territoriums Feuerland sogar während der Sommermonate bis- weilen in geringen Mengen Schnee fällt. Für die Zwecke unserer U n t ersuchung können wir die Betrachtung auf die mittelargentinische Ebene beschränken. Die argentinische Ackerbaustatistik teilt das ganze Land in vier Regionen ein. Die erste dieser Regionen umfaßt die mittlere Pampaebene, die zweite die westlichen, den Kordilleren vorgelagerten Provinzen Mendoza, San Juan, San Luis, La Rio ja und Catamarca, die dritte alle Provinzen und Territorien des Nordens und Nordostens, die vierte endlich ganz Patagonien. Die erste Region bezeichnen wir in der folgenden Darstellung häufig als die Haupt- land Wirtschaftszone. Sie enthält, wie im einzelnen zu zeigen sein wird, den größten Teil der Bevölkerung, der Eisenbahnen und die gesamte für die Ausfuhr produzierende Landwirtschaft. Es sind die Provinzen Buenos Aires, Santa Fe, Cördoba, Entre Rios und das Territorium Pampa Central mit einer Gesamtfläche von 831500 qkm. Das zentrale Produktionsgebiet umfaßt den größten Teil des Tieflandgebietes westlich und östlich des Paranä, das eine fast voll- — 10 — kommenc, von Osten nach Westen gegen die Anden unmerklich an- steigende Ebene darstellt. Für die Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht bot es die günstigsten Bedingungen. Das Fehlen jeglichen Baumbestandes, welches der Pampa ihren monotonen Charakter ver- leiht, und die Tatsache, daß in der obersten Bodenschicht fast gar keine Steine enthalten sind, erleichtern die Urbarmachung außerordentlich. Zu diesen günstigen Faktoren kommt die große Fruchtbarkeit des Bodens. Während der Südwesten der Provinz Buenos Aires und die Pampa Central einen leichteren Sandboden aufweisen, bedeckt die Oberfläche des größeren Teiles der Zentralebene ein schwerer, fester Löß. Die Strenge der stark tonhaltigen Böden wird durch einen vielfach sehr hohen Humusgehalt gemildert1). Ähnlich günstig wie die Bodenstruktur sind auch die klimatischen Verhältnisse. Das Fluß- und Küstengebiet mit den Provinzen Buenos Aires, Entre Rios und Santa Fe bildet eine ziemlich einheitliche Klima- zone. Die La Plata-Ebene hat ein mild gemäßigtes Klima und reich- liche Niederschläge. Die Temperatur schwankt im Jahresmittel etwa zwischen 14 und 180 C. Im Hochsommer werden absolute Maxima von 40 und 42 ° Wärme erreicht, in den Wintermonaten Mai — August sind Temperaturen bis zu — 50 allgemein, im westlichen und mittleren Teil der Provinz Buenos Aires treten sie fast alljährlich bis in den September und Oktober auf. Hier bilden die Spätfröste für ver- schiedene Kulturen eine Gefahr, die in manchen Jahren größere Ernteausfälle zur Folge hat. Die mittlere Temperatur beträgt in der Küstenzone auch für die Wintermonate immer noch etwa -f 120. Von besonderer Bedeutung sind die hohen winterlichen Bodentemperaturen, auf Grund deren auch in den Wintermonaten eine relativ starke Vegetationskraft erhalten bleibt. Die Niederschlagsverhältnisse sind schwankend. Dürren bilden eine der größten Gefahren für den argen- tinischen Getreidebau. Für den größeren Teil der Provinzen Buenos Aires, Santa Fe und Cördoba schwankt die jährliche Niederschlags- menge zwischen 600 und 800 mm, in der Bahia Bianca-Zone und im Nordosten der Pampa Central sinkt sie auf 400 bis 600 mm. Nach Davis2) genügt für den Anbau von Weizen eine gleichmäßig verteilte jährliche Regenmenge von 500 mm. Im allgemeinen ist die Verteilung *) A. Hermes und H. Holtmeier-Schomberg, Zur Kenntnis der argentinischen Landwirtschaft, Berichte über Landwirtschaft, hrsg. im Reichs- amt des Innern, Heft 29, Berlin 1913, S. 30. 2) G. Davis, Clima de la Repüblica Argentina. Censo Agropecuario National 1908, III. Bd., Buenos Aires 1909, S. 615. — II — der Niederschläge im Zentralgebiet ziemlich regelmäßig. Die sommer- liche Jahreshälfte, d. h. die Monate Oktober bis März sind etwa- regenreicher als der Winter. In der Stadt Buenos Aires entfallen auf sil' 56% der Jahresmenge, weiter nördlich steigt dieser Anteil be- trächtlich. Es ist zu betonen, daß der Regen unter allen klimatischen Faktoren des Landes bei weitem der unsicherste ist und die Nieder- schlagsvcrhältnisse Schwankungen unterworfen sind, welche eine -tändige Bedrohung der extensiven Landwirtschaft darstellen. Der argentinische Getreidebau wird sich auf die Dauer gezwungen sehen, dem in seinen Anbaumethoden Rechnung zu tragen. Für Einzelheiten muß auf das Werk von Hermes und Holt- meier-Schomberg verwiesen werden, das auf Grund der Angaben des Nationalzensuswerks von 1908 die orographischen, geologischen und klimatischen Verhältnisse ausführlich schildert. Der verkehrs- geographische Aufbau des zentralen Landwirtschaftsgebiets wird in der Einleitung zu der Darstellung der Verkehrsverhältnisse (siehe S. 71 ff.) einer näheren Betrachtung unterzogen. 1. Abschnitt. Einwanderung und Kolonisation. 1. Kapitel. Einwanderung und Bevölkerungsstand. Selten ist ein Land zur Erschließung seiner wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten in so entscheidendem Maße von dem Produktionsfaktor der menschlichen Arbeitskraft abhängig gewesen wie gerade Argentinien. Hier lagen die riesigen ebenen Steppen, vom »stfuße der Kordilleren bis zum Atlantischen Ozean sich hindehnend, mit ihrem unendlichen Reichtum an natürlichen Bodenschätzen, mit der Gunst ihres Klimas und ihrer Verkehrsbedingungen, kurz von der Natur mit alledem ausgestattet, das sie befähigte, eine der großen Korn- und Fleischkammern für die ganze Welt zu werden, und harrten des Menschen. So ist auch die ganze wirtschaftliche Entwicklung des Landes stets Hand in Hand gegangen mit der Bevölkerungsbewegung. Je mehr Menschen ins Land kamen, die dem Boden reiche Ernten abgewannen, um so größer wurden die Anbauflächen, um so weiter ■dehnte sich das Netz der Eisenbahnen aus, um so höher stieg die Aus- und Einfuhr in Menge und Wert, und um so wertvoller wurde der — 12 — Boden. Die Entwicklung der argentinischen Landwirtschaft ist eine Menschenfrage gewesen und wird es auch weiter bleiben. Betrug noch im Jahre 1896 bei einer Bevölkerung von rund 4 Millionen Menschen die Gesamtanbaufläche etwa 5550000 ha, so entsprachen 1913 einer Bevölkerungsziffer von 7 Millionen über 20 Millionen ha bebauten Bodens. Wir sehen zwar bei der bloßen Gegenüberstellung dieser wenigen Zahlen sofort, daß die Vermehrung der Anbaufläche sehr bald ein erheblich schärferes Tempo eingeschlagen hat als das Wachstum der Bevölkerung. Ermöglicht wurde diese rapide Aus- dehnung der Ackerbauflächen nur durch die Anwendung eines äußerst extensiven landwirtschaftlichen Systems. Andererseits ist jedoch bei den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen des argentinischen Acker- baues festzustellen, daß eine an sich durchaus erstrebenswerte Inten- sivierung der Ackerbaumethoden durch den Mangel an Menschen erschwert, wo nicht unmöglich gemacht wird. Eine Betrachtung der argentinischen Bevölkerungsbewegung muß ausgehen von der Einwanderung. Einzig und allein der Einwanderer- strom, der sich, von Jahr zu Jahr breiter werdend, in das Land ergoß, hat seinen erstaunlich raschen wirtschaftlichen Aufschwung ermöglicht. Die Einwanderung ist eine Lebensfrage der argentinischen Volks- wirtschaft. Eine Einwanderungsstatistik besteht seit dem Jahre 1857. V°n diesem Zeitpunkt bis heute hat das Land über 4 Millionen europäischer Einwanderer aufgenommen. Die Einwanderung schwankte von 1870 bis 1885 mit unregelmäßigen Rückschlägen zwischen 40 und 70 Tausend, überschritt im letztgenannten Jahr erstmalig 100 000 und fiel von 1906 bis zum Ausbruch des Krieges nicht mehr unter einen Jahres- durchschnitt von einer Viertelmillion. Wie alle Massenwanderungen sind auch die nach Argentinien neben einer mehr oder minder stark durchschlagenden Abstoßungs- kraft, welche die südeuropäischen Auswanderungsländer durch wirt- schaftliche und soziale Mißstände entfalten, in erster Linie von der Anziehungskraft des Einwanderungslandes abhängig1). Die letztere entwickelte sich in Argentinien ständig in dem Maße, wie Produktions- aufschwung und Ausdehnung des Ackerbaues die Erwerbsmöglich- keiten und Gewinnaussichten vermehrten. Bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts bestand die argentinische Landwirtschaft ganz *) Vgl.M. Schippel, Argentinische Einwanderung. (Sozialistische Monats- hefte, Berlin 1913, 1. Bd. S. 277 ff.) - 13 — ausschließlich in der rohextensiven Rinder- und Pferdezucht des spanischen Großgrundbesitzes. Der geringe Bedarf an menschlichen Arbeitskräften wird in ihr noch heute fast allein durch die ein- heimischen „Gauchos" gedeckt. Sobald durch die ersten aus Europa herbeigeholten Einwanderer der Anfang der Ackerbaukolonisation gemacht war, entwickelten sich sehr bald enge Wechselbeziehungen zwischen Ackerbau und Einwanderung. Der Ackerbau wurde für die Einwanderung die ausschlaggebende Anziehungskraft. Für die Um- wandlung der Grassteppen der mittelargentinischen Ebene in Pflug- land wurden immer zahlreichere Hände nötig. Sie waren weder aus der dünnen altspanischen Oberschicht noch aus der indianischen Urbevölkerung in ausreichender Zahl zu gewinnen. So zog die Ackerbauexpansion immer neue Menschenscharen herbei, dem Lande solcherweise den Charakter eines europäischen Koloniallandes ver- leihend. Je mehr dann mit Hilfe der eingewanderten Kolonisten die Basis des Ackerbaues verbreitert wurde, um so deutlicher bildete sich ein Parallelismus zwischen Ackerbaukonjunktur und Einwanderung heraus. Gute Ernten, die reichliche Arbeitsgelegenheit und lockende Yerdienstmöglichkeiten bedeuten, lassen im folgenden Jahr den Ein- wandererstrom über das normale Durchschnittsmaß der betreffenden Epoche anschwellen, schlechte Ernten bewirken ein Abflauen. Analog dem Vorwiegen der Landwirtschaft in der argentinischen Volkswirt- schaft ist die Einwanderung bis in die Gegenwart im wesentlichen agrarischen Charakters; so zu verstehen, daß zwar nicht der weitaus größte Teil der Einwandernden im Mutterlande bereits in landwirt- schaftlichen Berufen tätig war, daß aber bei wreitem die Mehrzahl in Argentinien sich dem landwirtschaftlichen Gewerbe zuwendet. Von 1857, dem Beginn der statistischen Erfassung ihres Umfangs, bis 1915 hat Argentinien eine überseeische Totaleinwanderung von 4 711 013 Menschen aufgenommen. Diese gliedert sich in ihrer zeit- lichen und nationalen Verteilung folgendermaßen: (Siehe Tabelle 3 S. 14.) Wie ohne weiteres ersichtlich, stammt der weitaus größte Teil der Einwanderer aus Italien und Spanien. Von den 4,7 Millionen Menschen, die von 1857 bis 1915 eingewandert sind, entfällt fast die Hälfte, 48,6%, auf die Italiener. Die Spanier stehen mit 31,7% Einwanderungsanteil an zweiter Stelle. Die großen Massen ein- wandernder Italiener lieferten die zur Erschließung des jungen Landes erforderlichen physischen Arbeitskräfte, sie stellten das Bauernkontingent, welches dem Boden die Ernten abgewann, die 14 Tabelle 3. Die argentinische Einwanderung, nach ihren wichtigsten Nationalitäten1) gegliedert, von 1857 bis 19152). Italiener Spanier Franzosen Russen Türken Deutsche Ein- wanderung 1857— 1915 2 289 933 1 492 848 225049 161 422 136447 62 329 Jahresdurchschnitt 1857 — 1860 3 089 842 276 — — 60 i8<)i — 1865 6 733 1 2S0 337 — — 85 1866— 1870 15 978 3 245 1337 — — 1/4 1871— 1875 16570 5692 4462 — — 393 1876 — 1880 13862 3 214 2 082 — — 371 1881— 1885 36524 4627 4 153 24 — 1 183 1886— 1890 62 633 27 142 14818 807 570 1 574 1891— 1895 32 048 7290 2 439 2 205 135 881 1896 — 1900 52 891 19053 2881 1 291 1 697 1901 — 1905 56 855 28359 2807 3 948 3 118 1 170 1900 127 348 79 517 3 698 17424 7 177 2 [78 1907 90 282 82 606 4125 9 530 7 436 23^2 1908 93 479 125 497 3823 8560 9 in 2 469 1909 93 52 8 86 798 4 120 16475 11 765 3 201 1910 102 019 131 .{()<) 4 38o 12 765 15 478 3282 1911 58185 118 723 4916 9 713 13605 3 593 1912 80 583 165 662 5180 20 832 19 792 4 337 1913 114 252 122 271 4696 18626 19 542 4 620 1914 36 122 52 186 2 590 5 387 5 142 2 318 1915 11 309 25250 1253 75o 368 323 Argentinien reich machten. Damit ist die entscheidende Bedeutung der italienischen Einwanderung für die wirtschaftliche, besonders die ackerbauliche Entwicklung Argentiniens gekennzeichnet. So not- wendig und erwünscht das Kommen der Italiener war, die Kolonisten wurden, das Land unter den Pflug nahmen und Ausfuhrgetreide x) Unter dem Begriff Nationalität ist die bisherige Staatsangehörigkeit des Einwandernden zu verstehen. 2) Nach Memoria de la Direcciön General de Inmigraciön, Jahrg. 1913 und 1914 — 15. Die Zahlen enthalten nur die von Übersee gekommenen Einwanderer (Zwischendecker), nicht^ den Verkehr mit Montevideo, der als lokaler Reiseverkehr anzusprechen ist. — Die russische und türkische Ein- wanderung wird erst seit 1881 bzw. 1887 gesondert erfaßt, sie hielt sich bis dahin in sehr bescheidenen Grenzen. — 15 — produzierten, stand doch diese italienische Einwanderung der Quali- tät nach nicht auf dem für ein junges Land, das vor der Aufgabe steht, eigene Kultur und Rasse herauszubilden, wünschenswerten Niveau. 1914 waren z. B. von 36122 einwandernden Italienern 14886 oder 41,2% des Lesens und Schreibens unkundig. Inwieweit der Analphabetismus des italienischen Bauern und Pachtkolonisten für die Weiterentwicklung der argentinischen Landwirtschaft eine bedenk- liehe Hemmung und Gefahr bedeutet, werden wir an späterer Stelle auszuführen haben. Jedenfalls ist unter dem angeführten Gesichts- punkt die Frage berechtigt, ob die Vorteile, welche der wirtschaftlichen Entwicklung aus dem reinen Zuwachs physischer Arbeitskraft erstehen, nicht sehr erheblich durch die Hemmnisse zunichte gemacht werden, welche sich für den allgemeinen Fortschritt des Landes aus dem geringen Bildungsdurchschnitt der Einwandernden ergeben1). Der italienische Zensus von 191 1 wies 47% der Bevölkerung als Analphabeten aus. Die nördlichen Provinzen bleiben erheblich unter diesem Landesdurchschnitt, so hatten die industrialisierten Provinzen Piemont und Lombardei nur 11 bzw. 13% Analphabeten. In den reinen Ag rargebieten des Südens überstieg dagegen das Analphabetentum den Landesdurchschnitt, erreichte in Campanien 53,7, in Sizilien 55. in Ca- labrien gar 69,6%! Während nun der Norden Italiens seine teilweise der Industriearbeiterschaft entstammenden Auswanderermassen vorzugs- weise nach den Vereinigten Staaten von Amerika entsendet, wo diese wiederum Gelegenheit haben, ihre Kenntnisse in industrieller Arbeit zu verwerten, rekrutiert sich die argentinische Einwanderung besonders aus der analphabetischen Landarbeiterschaft der südlichen italienischen Provinzen. Die italienischen Auswanderer treibt die Armut hinaus. Es ist ein genügsames, arbeitsgewohntes Geschlecht, das sich in Argentinien mit zähem Fleiß und Sparsamkeit »u Besitz zu bringen sucht. Diese Einwanderer kennen keinen Luxus, sind an primitive Wohnung ge- wöhnt und eignen sich darum gut für das entbehrungsreiche Leben des Ackerbaukolonisten in der menschenleeren Pampa. Auch der länger in Argentinien ansässige Italiener pflegt sich nicht an den Fleischgenuß zu gewöhnen, wie ihm der Einheimische in so starkem Maße huldigt. Ebensowenig ißt er aus Weizenmehl hergestelltes Brot, sondern bleibt bei der billigeren, aus Mais hergestellten Polentaspeise. x) Dieser Mangel ist auch bei den nichtitalienischen Einwanderernationali- täten in gleicher Weise vorhanden. So betrug 1914 der Anteil der Analphabeten 38,3% der spanischen, 58, S% der russischen und 63,5% der türkischen Ein- wanderung (vgl. Memoria de la Direcciön General de Inmigraciön, Jahrg. 1914—15, S. 14). — i6 — Dem italienischen Einwanderer ist eine große Anhänglichkeit an seine Familie und sein Vaterland eigen. Diese treibt ihn dazu, Ersparnisse zu machen, die er in die Heimat sendet, sie läßt ihn dem Lande, in dem er ein kleines Vermögen erworben hat, ohne Bedauern den Rücken kehren, sobald er sein Ziel erreicht hat. Es ist hier nicht der Ort, den psychologischen Grundlagen dieser ausgesprochenen Heimatliebe des Italieners nachzugehen, die in einem neueren Werk über Italien trefflich wie folgt charakterisiert wird: "For badly as his native country may have treated him, the Italian emigrant never shakes her dust off his feet, and he longs for nothing so much as to return to her after his long years of toil.in some far-off land in which he has never ceased to be a stranger"1). So geht Argentinien denn auch von der starken italienischen Einwanderung ein erheblicher Teil wieder durch Rückwanderung ver- loren. Die Rückwanderungen erklären sich ferner aus dem Charakter der italienischen Wanderbewegung als überseeischer Sachse n - ganger ei. Diesen Charakter hat die italienische Einwanderung nicht immer getragen. Seit Beginn der 90er Jahre hat er sich in zunehmen- dem Maße ausgeprägt. Wohl der deutlichste Beweis für den Wander- arbeiter- und Saisoncharakter der italienischen Einwanderung ist die Tatsache, daß im Laufe der 20 Jahre 1891 bis 1910, mit Ausnahme zweier Jahre die Höchstziffer der monatlichen Einwanderung regelmäßig auf den November fällt, d. h. auf den Beginn der argen- tinischen Erntekampagne, die Ende November bis Anfang Dezember mit der Weizenernte ihren Anfang nimmt. Nächst dem Monat November fallen innerhalb jeden Jahres auf den Oktober und den Dezember, also auf den unmittelbar vor Beginn der Ernte und den im ersten Abschnitt der Ernte liegenden Monat die höchsten monat- lichen Einwanderungszahlen des Jahres. In ähnlich markanter Weise trifft dies in den letzten 15 Jahren auch auf die spanische Ein- wanderung zu. Nach der Rückwanderungsstatistik läßt sich nicht feststellen, wieviele unter den Rückwandernden der Kategorie der Wander- arbeiter zuzurechnen sind, da sie nicht erfaßt, wie lange der Rück- wandernde in Argentinien sich aufgehalten, noch welchen Beruf er in dieser Zeit ausgeübt hat. Immerhin läßt sie einen Schluß zu, in welchem Ausmaß die argentinische Landwirtschaft mit dem jähr- lichen Zuströmen italienischer Erntearbeiter rechnen kann, wenn l) H. Zimmern and A. Agresti, New Italy, London 1918, S. 113. — I man annimmt, daß mindestens 75% der jährlichen Auswanderung aus Argentinien als in ihre Heimat zurückkehrende Wanderarbeiter anzusehen sind. Für die 20 Jahre 1894 bis 1913 gestaltete sich das Verhältnis der italienischen Rückwanderung zur Einwanderung wie folgt : Tabelle 4. Italienische Einwanderung und Rückwanderung und deren Verhältnis zueinander, 1894 bis 19131). Die Rück- Italienische Italienische wanderung be- Jahr Einwanderung Rückwanderung trägt von der Einwanderung % Jahres- 1S94— 1S98 47 5&« 13 «34 29,1 durchschnitt 1S99 — 1903 47 685 25 7M 54-1 1904 67 598 23970 35,5 1905 88 950 20 122 29,4 1906 "7348 [ 37 534 29,5 1907 90282 57686 f>3,9 1908 93 479 48 065 51,4 1909 93 528 51 °42 55.-J 1910 102 019 4893« 48,0 1911 58I851) 60 329 io3.7 1912 So 583 48 065 59,6 191 3 11425a 59 920 5^.4 In dem Jahrzehnt 1904 — 13 betrug die Rückwanderung im Durch- schnitt rund 53% der Einwanderung. Man wird etwa 40% der *) Memoria de la Direccion General de 1 nm ig raciön, verschiedene Jahrgänge. — Hier sei betont, daß die Zahlen der argentinischen Statistik stets größer sind als die der italienischen, welche ihre Auswanderer nach Bestimmungs- ländern registriert. Die italienische Statistik (Statistica della emigrazione italiana per l'estero negli anni 1912 e 1913, Roma 1915, S. XVI) gibt für 191 2: 72134 und für 1913: 1 1 1 500 Auswanderer mit dem Reiseziel Argentinien an. Da mit der argentinischen Statistik immer eine gewisse Propagandaabsicht gegenüber dem Ausland verbunden zu sein pflegt, besteht die Tendenz, zu möglichst großen Ziffern zu gelangen, in ihr allgemein. 2) Die niedrige Ziffer für 191 1 findet ihre Erklärung durch das Dekret des italienischen Ministers des Äußern vom 30. Juli 191 1, durch das die Aus- wanderung nach Argentinien vorübergehend verboten wurde. Das Dekret wurde erst am 24. August 191 2 aufgehoben, infolgedessen zeigt auch das Jahr 191 2 noch eine ziemlich niedrige Einwanderungsziffer. 1913 wurde dann wieder ein Rekordjahr der italienischen Einwanderung. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. 2 — i8 — Einwandernden als „Sachsengänger" ansehen können. Der argen- tinische Ackerbau konnte also bis zum Kriege zur Ernte mit dem Zuströmen von 30 — 50000 Wanderarbeitern aus Italien mit Be- stimmtheit rechnen. Mit »dem Eintritt Italiens in den europäischen Krieg hörten naturgemäß diese Wanderbeziehungen völlig auf, viel- mehr überstieg die Zahl der italienischen Rückwanderer, die zur Fahne einberufen wurden, die der nach Argentinien Einwandernden be- trächtlich. Die Folge war für das Land ein starker Wanderungsverlust, wie ihn Tab. 6, S. 25 ausweist. Natürlich gibt es unter den Einwandernden manchen, der infolge günstiger Arbeits- und Lebensbedingungen, die er gefunden hat, seine ursprüngliche Absicht, nach Beendigung der Ernte in die Heimat zurück- zukehren, aufgibt und sich ansiedelt. Der feste Stamm jährlich hin und her Wandernder wird dadurch nicht wesentlich verringert. Während der Ernte kann man im argentinischen Kamp alte „Sachsengänger" antreffen, die schon ein dutzendmal und öfter die Reise von Genua nach Buenos Aires und zurück gemacht haben, häufig sogar in Argentinien immer wieder an dieselbe Arbeitsstätte zurückkehren.1) Hillcr2) weist darauf hin, wie vortrefflich sich dieses Wandersystem den klimatischen Bedingungen beider Länder anpaßt. Die Arbeiter verlassen im italieni- schen Winter, wo der Verdienst nur gering ist, die Heimat und wenden sich einem Lande zu, das, auf der südlichen Halbkugel gelegen, gerade in den Sommermonaten steht und reichlich Beschäftigung bietet. So- bald in Argentinien nach Beendigung der Ernte der landwirtschaftliche und damit der Gesamtarbeitsmarkt weniger günstig wird, kehren sie nach Italien zurück, wo sie dann gerade zur rechten Zeit ankommen, um in der italienischen Landwirtschaft erneut Verdienst zu finden. Auch in den Angaben des Berufs der Einwandernden spiegelt sich der ausgesprochen landwirtschaftliche Charakter der italienischen Einwanderung wieder. Betrachten wir das Jahr 1^13. In ihm wanderten 114 252 Italiener ein. Diese machten bezüglich ihres Berufs folgende Angaben: J) Beispielsweise waren unter den 93528 Italienern, die im Jahi-e 1909 einwanderten, 16099 oder 17% bereits früher in Argentinien gewesen. — Über die gesamte neuere Auswanderung aus Italien geben die Artikel im Weltwirt- schaftlichen Archiv, Jena 1914, 3. Bd., Heft 2, S. 374ff. und 4. Bd., Heft i> S. i4off. Auskunft. 1913 wanderten insgesamt 428484 Personen aus Italien aus, die höchste Auswanderungsziffer, welche Italien jemals erreicht hatte. Davon gingen nach der italienischen Statistik 305205 oder 71,2$% in die Vereinigten Staaten von Amerika, 992^9 oder 23,15% in die La Plata-Staaten und 21303 oder 4,97% nach Brasilien. 2) Georg Hiller, Einwanderung und Kolonisation in Argentinien, Bd. I, Einwanderung und Einwanderungspolitik, Berlin 191 2, S. 101. — 19 — Ackerbauer 36625 Tagelöhner -21102 Dienstboten 7521 Maurer 4451 Verschiedene Berufe -5473 Berufslose Frauen und Kinder . 19080 Unter der Kategorie Tagelöhner sind fast ausschließlich land- wirtschaftliche Arbeiter zu verstehen, sie umfaßt die Wanderarbeiter, von denen ein weiterer Teil auch in der Kategorie der Ackerbauer enthalten ist. Bringen wir die berufslosen Frauen und Kinder, von denen tatsächlich später ein großer Teil landwirtschaftliche Hilfs- arbeiten verrichtet, von der Gesamteinwanderung in Abzug, so ge- hörten 1913 von 95172 berufstätigen Einwanderern 57727 gleich 60% dem landwirtschaftlichen Berufe an. Von 1876 bis 1913 hat die italienische Einwanderung Argentinien mindestens 1200000 Land- wirte gebracht. Das ist der Stamm der Ackerbaupioniere, die den argentinischen Getreidebau geschaffen haben und auf denen er noch gegenwärtig vornehmlich beruht. Die spanische Einwanderung, die lange hinter der italie- nischen an zweiter Stelle stand, hat diese neuerdings erheblich und dauernd überflügelt. Sie betrug von 1857 bis 1915 anderthalb Millionen Menschen, fast 32% der Totaleinwanderung in dem angegebenen Zeitraum. ,, Schlechte Ernten, Überschwemmungen und Hungersnöte, starke Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne in Spanien waren bei hoher Blüte des argentinischen Wirtschaftslebens die entscheidenden Gründe" für die spanische Auswanderung1). Daß sich diese vorzugsweise nach Argentinien wandte, erklärt sich neben der Anziehungskraft, die dieses Land auf Grund seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten ausübte, leicht aus den alten Beziehungen des Mutterlandes zu seiner einstigen Kolonie. Ferner muß schon die Gemeinsamkeit der Sprache, die dem nach Argentinien einwandernden Spanier sein Fortkommen wesentlich er- leichtert, die Richtung der spanischen Auswanderung stark beeinflußt haben. Während der einwandernde Italiener die Landwirtschaft als be- vorzugtes Arbeitsfeld aufsucht, wendet sich der Spanier mehr der städtischen Arbeit zu. Der Gallego (aus der spanischen Provinz Galicia) wird Kellner, Koch, Transportarbeiter, während die Basken, die man auch in allen Handwerkerberufen findet, vor allem das Arbeitsfeld J) Hiller a. a. O. S. in. — 20 — der Milchwirtschaften und Molkereien stark beherrschen. Freilich trifft die Annahme, daß die Landarbeit bei den Spaniern eine so völlig untergeordnete Rolle spiele, heute nicht mehr in dem Maße zu wie vor 10 bis 15 Jahren. Auch bei der spanischen Einwanderung fallen die höchsten Monatsziffern auf die Monate November-Dezember, eine Tatsache, die Hiller als besonderes Argument für den landwirtschaft- lichen Charakter allein der italienischen Einwanderung in Anspruch nimmt. Allerdings hatten von 827816 Spaniern, die von 1876 — 1909 einwanderten, nur 254916 den Beruf des Landwirts, während 232259 Tagelöhner, 85956 Handwerker, 31057 Kaufleute und der Rest von verschiedenem Beruf waren1). In der spanischen Einwanderung von 1913 finden sich unter 95120 Berufstätigen nur 14329 Landwirte, dagegen 46 734 Tagelöhner, von denen allerdings der größere Teil nicht - landwirtschaftliche Beschäftigung aufgesucht haben wird. Nun gibt die Registrierung der Berufe insofern ein nichtssagendes Bild, als sie nur angibt, welche Tätigkeit die Ankommenden in ihrer alten Heimat ausgeübt haben. Die Einwanderungsbehörde fragt nicht, welchen Beruf der Einwandernde nunmehr auszuüben gedenkt. Oft weiß das der Landende auch noch gar nicht, die Zufälligkeiten der Arbeits- vermittlung bestimmen die neue Tätigkeit. Wertvoller wären die Angaben der Rückwanderer, welchen Beruf sie während ihres Aufent- haltes im Lande ausgeübt haben2). Seit Anfang des Jahrhunderts begannen auch die Spanier in ständig zunehmendem Maße sich an der argentinischen Rückwanderung zu beteiligen, wie die folgenden Zahlen für das Jahrzehnt 1904 — 13 zeigen (siehe Tabelle 5 S. 21). Die Rückwanderung betrug im Durchschnitt des Jahrzehnts 27 % der Einwanderung. Die Rückwanderungstendenz ist demnach bei den Spaniern nur halb so stark ausgeprägt wie bei den Italienern. Der absoluten Zahl nach erreichte allerdings 1913 die spanische Rückwanderung die Höhe der italienischen. Keinesfalls sind diese spanischen Rückwanderungszahlen so aufzufassen, als ob sich auch hier eine überseeische Wanderarbeiterbewegung analog der italienischen herausbilden wolle. Es handelt sich um Rückwanderer, die nach längerem Aufenthalt in Argentinien und Tätigkeit in allen J) Memoria de la Direcciön de Inmigraciön corresp. al afio 190g. Buenos Aires 1910, S. 118. 2) Vgl. hierzu die Ausführungen des Verf. in dem 'Art.: „Die neuere deutsche Literatur über Argentinien" im Weltwirtschaftlichen Archiv, Jena 1914, 4. Bd., Heft 1, S. 181 ff. — 21 Tabelle 5. Spanische Einwanderung und Rückwanderung und deren Verhältnis zueinander, 1904 — 131). Jahr Spanische Einwanderung Spanische Rückwanderung ' Die Rückwanderung beträgt von der Ein- wanderung % 1904 39 S51 9020 «,? 1905 53 °29 9 533 18,0 190O 79 517 1 2 556 15,8 1 907 82 OoO 18486 22,4 1908 "5 497 23 7°i 19,0 1909 -98 2 J 464 3i»6 1910 131 466 3°7J9 23,5 1911 118 723 39 801 ?>?>,i 1912 K>5 6Ö2 41 118 24,8 191 3 1 22 271 59 133 48,4 möglichen, meist nichtlandwirtschaftlichen Berufen wieder ihre Heimat aufsuchen. Als drittwichtigste Einwanderernation traten im letzten Frie- densjahrzehnt neben die Italiener und Spanier die Russen , die bis dahin nur in geringer Zahl Argentinien aufgesucht hatten. Ihre Einwanderung vermehrt in willkommener Weise die Zahl der Acker- bauer des Landes. Das erhebliche Anschwellen der russischen Ein- wanderung erklärt sich teilweise so, daß viele Russen, die infolge einer äußerst intensiven Propagandatätigkeit der brasilianischen Regierung nach Südbrasilien gelockt worden waren, von dort nach Argentinien weiterwanderten2). Sie entstammen zum großen Teil den deutschen Agrarkolonien Südrußlands und halten auch in Süd- amerika noch in späteren Generationen zäh an deutscher Sprache und Sitte fest. Ihren landwirtschaftlichen Beruf geben sie nie auf. Soweit es sich bei der russischen Einwanderung um Juden handelt3), werden diese in großer Zahl durch die Ansiedlungstätigkeit der von dem Pariser Finanzmann Baron Hirsch gegründeten ,,Jewish Coloni- zation Association" zu Bauern herangebildet. l) Memoria de la Direcciön General de lnmigraciön corresp. al afio 1913, Buenos Aires 1915, S. $j u. 58. *) Hiller a. a. O., S. 114. 3) Die Statistik macht bei der Aufzählung der russischen Einwanderung seit 1905 regelmäßig den Zusatz: „in der Mehrzahl Juden". — 22 — Die sonst dem Juden in aller Herren Länder eigentümliche Handelstätigkeit haben in Argentinien, besonders was den Klein- und Krämerhandel anbetrifft, die S yrer inne. Die türkische Einwanderung, die ähnlich der russischen im letzten Friedensjahrzehnt ständig wuchs, setzt sich vorwiegend aus Syrern zusammen. Die argentinische Statistik verzeichnet seit 1887 den regelmäßig wachsenden Zufluß syrischer Einwanderer, deren Gesamtzahl sich bis 1915 auf 136447 belief. Die Auswanderung geschieht vornehmlich aus dem Libanon- gebiet, in dem starke Übervölkerung herrscht. Auch soll die Furcht vor dem Militärdienst einen großen Teil der syrischen christlichen Bevölkerung (nur um diese handelt es sich) aus der Heimat getrieben haben. Die katholische Universität in Beirut hat sogar besondere Sprachkurse für Auswanderer eingerichtet, und in den Schulen wird vielfach spanischer Unterricht erteilt1). Ein großer Teil der syrischen Einwanderer bleibt in Buenos Aires (1915: 44000). Sie schließen sich eng zusammen und unterhalten ihre eigenen Schulen und Zeitungen. Ihr Hauptberufszweig ist Handel und Gewerbe. In den großen Städten des Landes gibt es bereits namhafte syrische Geschäftshäuser. Die meisten ankommenden Syrer widmen sich dagegen dem Hausier- handel, ziehen im Kamp von Ansiedlung zu Ansiedlung und haben als Pioniere des Handels für entlegene Landesteile sich zweifellos gewisse Verdienste um das Land erworben. Auch als Pächter kleiner Farmen sind sie in den Provinzen Buenos Aires und Santa Fe sowie im Weingebiet von Mendoza ansässig. Sogar die Entwicklung der türkisch-argentinischen Handelsbeziehungen hat durch die starke Auswanderung eine deutlich erkennbare Förderung erfahren. Die Zahl der Österreicher und Ungarn in Argentinien betrug 1914: 38000. Es handelt sich meist um Angehörige slawischer Stämme Österreichs. In ihrer Mehrzahl sind die Österreicher als Eigentümer kleiner Landlose von 50 — 100 ha landwirtschaftlich tätig. Qualitativ steht die österreichische Einwanderung im Durchschnitt nicht sehr hoch. Sie entstammt größtenteils den Karpathenländern und süd- lichen Karstländern, wo ,,von der Auswanderungsbewegung am ehesten die kulturell niedriger stehenden Elemente erfaßt werden"2). x) Deutsche Levante-Zeitung vom 1. 9. 1917. 2) Statistische Mitteilungen der k. und k. Statistischen Zentralkommission, Wien 1917, S. 74. — Welch eigenartigen Ursachen Argentinien manchmal einen vergrößerten Einwandererzustrom verdankt, lehrt die Erklärung der besonders hohen österreichischen Einwandererzahl von 1905. Die auffallende Zunahme in diesem Jahr war nämlich darauf zurück- — 23 — Was die übrigen westeuropäischen Rassen, besonders die Deutschen und die Engländer betrifft, so haben sie in der Einwanderung nach Argentinien durch Qualität ersetzen müssen, was ihnen an Zahl abging. Sowohl Deutsche wie Engländer stellten 1914 nur je 0,3% der Gesamtbevölkerung. Die englische Einwanderung ist durch die Anlage englischen Kapitals im Lande, die allein im Eisenbahn- wesen über 4 Milliarden M. beträgt, nachhaltig beeinflußt worden. Haben die Italiener die Menschen geschickt, welche die Arbeit leisteten, so lieferten die Engländer den anderen Produktionsfaktor, das Kapital ; das Land selber gab den dritten hinzu, mit dem es die Natur über- reichlich ausgestattet hatte, den Boden. Die englische Einwanderung war so stets eine rein intellektuelle und umfaßte fast nur Kaufleute. Engländer nehmen die leitenden Stellen in den argentinischen Eisen- bahngesellschaften und den großen englischen Handelshäusern und Betrieben ein oder sind die Leiter großer Viehzuchtbetriebe, durch welche englische Landgesellschaften ihre umfangreichen Liegen- schaften ausnutzen. Im übrigen hat der Engländer innerhalb der Grenzen des riesigen englischen Kolonialreiches soviel Gelegenheit, exotische Landwirtschaft zu treiben, daß Argentinien daneben nie ernstlich in Frage kam. Auch das Deutschtum hat es, wie wir sahen, in der argen- tinischen Einwanderung nie zu bedeutenden Ziffern gebracht. Die Einwanderung bewegte sich in Zahlen unter und über ein Tausend und erreichte nur im Hochkonjunktur jähre 1889 die Höhe von 2599. Seit 1906 setzte ein langsames Steigen der Zahlen mit stetiger Tendenz ein, das dann durch den Krieg jäh abgebrochen wurde. Betrug die deutsche Einwanderung von 1876 bis 1913 insgesamt 56104 Köpfe, die vorhandene Zahl von Deutschen 1914 aber nur 26995, so ist das ein Beweis für die Tatsache, daß bei den Deutschen die Neigung zum Rückwandern stets sehr ausgeprägt vorhanden war. Ein großer Teil, besonders junge Kaufleute, kam von vornherein mit der festen Absicht herüber, die oft in schon in der Heimat eingegangenen Kontrakten festgelegt ist, nach wenigen Jahren nach I)eutschland zurückzukehren. Landwirtschaftliche Arbeiter hat das Deutschtum Argentinien nicht zuführen, daß viele österreichische und ungarische Auswanderer, die nach Nord- amerika gehen wollten, sich in Bremen von einer Auswanderungsagentur — unter Hinweis auf die in den Vereinigten Staaten häufiger vorgekommenen Zurückweisungen — zur Abänderung ihres ursprünglichen Reiseziels und zur Reise nach Argentinien bestimmen ließen. (Bericht des k. u. k. Generalkonsuls in Buenos Aires über das Jahr 1905, S. 40.) — 24 — gestellt. ,,Zu Zeiten, als der Grund und Boden billig zu erwerben war, ist die damals sehr günstige Gelegenheit leider verpaßt worden, denn in geschlossenem Gemeinwesen hätten tüchtige deutsche Ackerbauer noch vor 10 Jahren ein ausgezeichnetes Fortkommen gefunden. Es fehlte jedoch an geeigneter Führung, denn von dem romanischen Volkstume wurde der Deutsche erdrückt. Auch sagten ihm weder die Lebensgewohnheiten, noch das Arbeitssystem der Landwirtschaft zu"1). Ferner sind für die geringe deutsche Einwanderung vornehm- lich zwei Gründe geltend: einmal der traditionelle Zug nach den Vereinigten Staaten von Amerika, der den größten Teil des in den letzten Jahrzehnten überhaupt nur spärlich fließenden deutschen Auswandererstroms absorbierte, und sodann die geringe Kenntnis der wirtschaftlichen Bedingungen des Landes. Argentinien hatte lange Zeit in der gewöhnlichen Anschauung des deutschen Volkes keine sehr glänzende Stellung, zumal nachdem durch politische Miß- wirtschaft und durch diese verursachte finanzielle Krisen auch be- trächtliche deutsche Werte verloren gegangen waren2). So hat auch der argentinische Markt auf das Anlage suchende deutsche Kapital nicht die Anziehungskraft ausgeübt, welche vielleicht im Interesse der Intensivierung der deutsch-argentinischen Wirtschaftsbeziehungen wünschenswert gewesen wäre. Die Deutschen in Argentinien sind vorwiegend in kaufmännischen, technischen und gelehrten3) Berufen tätig, weniger als Landwirte. Ein buntscheckiger Menschenstrom aus aller Herren Länder fließt Jahr für Jahr der argentinischen Republik zu. Der Rasse nach hat die Einwanderung ihren überwiegend romanischen Cha- rakter stets beibehalten. Für den Zeitraum von 1876 — 1913 stellen zu der Gesamteinwanderung von 4222210 Köpfen die Italiener mit 2033752: 48,2%, die Spanier mit 1361947: 32,2%, die Franzosen mit 188822: 4,5%, die Portugiesen mit 24997: 0,6%. Damit entfallen auf die romanische Rasse 85,5% der gesamten Einwanderung. Es ist *) E. Pfannen schmidt, Die landwirtschaftlichen Produktionsverhält- nisse Argentiniens. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 141. Bd., München und Leipzig 1913, S. 11. 2) A. Funke, Die Besiedelung des östlichen Südamerika, Halle 1903, S. V. 3) Deutsche Akademiker befinden sich als Geologen, Statistiker usw. im nationalen Ackerbauministerium wie in den Ackerbaudepartements der Pro- vinzen. Das Instituto Nacional del Profesorado Secundario in Buenos Aires, dem die Ausbildung der argentinischen Oberlehrer obliegt, ist eine deutsche Schöpfung und beschäftigt viele deutsche Lehrkräfte. — 25 — einleuchtend, daß diese im romanischen Sirine sehr rassereine Zu- sammensetzung der Einwanderungsmassen für die Entwicklung einer homogenen argentinischen Bevölkerung äußerst nützlich gewesen ist. Um festzustellen, welchen positiven Bevölkerungszuwachs das Land durch Einwanderung erhalten hat, sind die Rückwanderer- zahlen in Abrechnung zu setzen. In gewissem Sinne fällt die ganze Kategorie der Wanderarbeiter, die nur vorübergehend zur Erntezeit I and aufsuchen, gar nicht unter den Einwandererbegriff. Bis zum Jahre 1890 hat Rückwanderung in nennenswertem Umfange nicht stattgefunden. Seit 1886 gestaltete sich die Wanderungsbilanz zugunsten Argentiniens folgendermaßen1): Tabelle 6. Einwanderung, Rückwanderung und Wanderungsbilanz seit 1886. Überschuß der Die Rückwande- Jahr Ein- Rück- Einwanderung rung betrug von wanderung wanderung über die der Einwanderung Rückwanderung n 1886 — 1890 59i 383 76863 5M520 13,0 1 891— 1895 236 252 169 312 •66 940 7i,7 1 896 — 1 900 412074 15914° 252 934 38,6 1901 — 1905 526030 215700 310330 41,0 1900 252 536 65124 1 92 41 2 25,8 1907 209 103 90 190 11S913 43,i 1908 255 7IQ 85412 1 70 298 33,4 1909 231 084 94 644 136440 40,9 1910 289 640 97854 191 786 33,8 1911 225 772 120 709 1 05 063 5^,5 1912 323 4°3 120 260 203 143 ?>7^ 1913 302 047 156829 145218 5i,9 191 4 115321 178684 — °3 3()3 i55,o 1915 45 290 in 459 — 66 169 246,0 191O 32 990 73 348 —4° 353 222,3 191 7 18064 5° 995 —32 93i 281,7 Die Rückwanderung schwankte seit 1900 zwischen 30 und 50% der Einwanderung. Ein Vergleich mit den oben angeführten italie- nischen Wanderungsziffern zeigt, in wie erheblichem Maße gerade die ]) Nach Memoria de la Direcciön Genera] de lnmigraciön, Jahrg. 1913 "• 1917. — 26 — Italiener zur Masse der Rückwandernden, die dem bevölkerungs- bedürftigen Lande für immer wieder verloren gehen, beitrugen. Besonders stark steigerte sich das im Kriege. Während der vier ersten Kriegs]' ahre überstieg die Rückwanderung die Einwanderung um 202821, der absolute Wanderungsverlust betrug 414486 Personen. Man darf der Erwartung Ausdruck geben, daß dieser Verlust durch die lebhafte Auswanderung aus westeuropäischen Ländern, die infolge der durch den Krieg in ihnen verursachten wirtschaftlichen Depression in naher Zukunft einsetzen wird, sehr bald mehr als ausgeglichen werden wird. Gerade für die zu erwartende, starke deutsche Aus- wanderung wird Argentinien besonders in Betracht kommen, das berufen scheint, in dieser Beziehung das Erbe der Vereinigten Staaten von Amerika anzutreten. Hat schon die Wanderarbeit den großen Nachteil für das Land, daß auf diese Weise große Summen, welche die Erntearbeiter bei denk- barster Kräfteanspannung einerseits, niedriger Lebenshaltung und Ein- schränkung persönlicher Bedürfnisse andererseits ersparen, ins Ausland abwandern und nicht mehr zum Ausbau der heimischen Volkswirtschaft verwandt werden können, so ist das in verschärftem Maße bei denjenigen der Fall, die eine ganze Reihe von Jahren als Kolonisten gearbeitet haben und dann mit einem ersparten Kapital in ihre alte Heimat zurückkehren. Dieses Streben ist in den Kreisen der italienischen Kolonisten so aus- geprägt und traditionell, daß ihr Sprachgebrauch eine besondere Formel dafür gefunden hat. ,,Hacer la America", Amerika machen, das soll heißen: eine Reihe von Jahren in Argentinien als Pächter arbeiten, an- gestrengt arbeiten und. zugleich die Ausgaben für persönliche Bedürf- nisse und Komfort auf ein Minimum zurückschrauben, vom gütigen Himmel mit etlichen guten Ernten beschert werden und dann möglichst bald mit einem kleinen Vermögen in der Tasche nach Italien zurück- wandern. In diesem Zusammenhang wird der Ackerbau als Lotterie betrieben, in der solange gespielt wird, bis ein Hauptgewinn in Gestalt einer Rekordernte die Heimkehr ermöglicht. Dennoch darf der bedeut- same Anteil gerade der italienischen Landarbeiter an der großartigen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes nicht verkannt werden. Ein Hauptgrund für die starke Rückwanderung ist die zunehmende Er- schwerung der Ansiedlungsmöglichkeit in der Ackerbauzone, die in erster Linie sich aus der herrschenden Agrarverfassung ergibt (vgl. S. 119 ff.). Wie die Rückwanderer den größeren Teil der verdienten Löhne mit hinausnehmen, schicken auch die im Lande ansässigen einge- wanderten Fremden einen großen Teil ihrer Ersparnisse nach Europa. Die Summe dieser Beträge ist naturgemäß schwer zu erfassen. Einen Anhalt gibt die Enquete des argentinischen Finanzministers Lobos betr. den Umfang der im Jahre 1906 von sämtlichen Banken des Landes — 27 - verkauften kleinen Rimessen von iooo Goldpesos und weniger auf Europa. Sie ergab als Gesamtsumme rund 170 Mill. M.1), davon rechnet Hill er2) 76 Mill. auf die Italiener. Die offizielle Berechnung der argentinischen Zahlungsbilanz nimmt 20 Goldpesos als den durch- schnittlichen Betrag an, den jeder Ausländer jährlich herausschickt und kommt demnach bei einer Fremdenbevölkerung von 2,2 Mill. auf die Jahressumme von 44 Mill. Goldpesos. Während des Krieges ist diese Summe naturgemäß infolge des Rückwanderns in Argentinien wohnhafter Italiener wie des Ausbleibens der Wanderarbeiter sehr zurückgegangen. Sie wird für 1916 auf 33, für 1917 nur noch auf 16,5 Mill. Goldpesos geschätzt3). Überblicken wir kurz die Zusammensetzung der heutigen Bevölkerung des Landes, wie sie sich als Ergebnis der historischen Entwicklung gebildet hat. Der Nationalzensus von 1895 ergab eine Gesamtbevölkerung von 3954911 Personen, davon waren 2950384 Argentinier. Dieser nationalargentinische Bevölkerungsstamm, der als argentinische Rasse bezeichnet werden kann, hatte sich aus ein- gewanderten, vorwiegend spanischen Elementen und einem an der Küste geringen, im Landesinnern dagegen vielfach erheblich stärkeren Einschlag indianischen Blutes gebildet. Eine Vermischung mit Negern, die nur in geringer Zahl importiert wurden, da in Argentinien kein Plantagenbau existierte, hat nicht stattgefunden. Die Blutmischung mit den indianischen Eingeborenen hat gleich mit der Ankunft der ersten spanischen Entdecker und Eroberer zu Beginn des 16. Jahr- hunderts begonnen. Wir stehen somit vor einer in ihren ersten An- fängen fast vierhundertjährigen Entwicklung, die zur Heraus- bildung einer argentinischen Rasse geführt hat, welche als solche heute der Einwanderermasse verschiedenster Rassenangehörig- keit mit ihren eigenen psychologischen und Rassemerkmalen gegen- übersteht und gegenüber der Einwanderung eine starke Absorbierungs- fähigkeit beweist. Unter dem Einfluß der Einwanderung des 19. Jahr- hunderts entstand in Argentinien eine moderne Nation, deren Cha?- rakterzüge vielleicht noch in der einen oder anderen Weise im Lauf *) Buenos Aires-Handelszeitung, Nr. 1006 vom 28. September 1907. Die dort angegebenen verschiedenen Landeswährungen sind in deutsche Reichs- währung umgerechnet auf Grund der Sätze des Statist. Jahrbuchs für das Deutsche Reich 191 5, S. 63*. 2) Hiller a. a. O., S. 108. 3) Intercambio Econömico de la Repüblica 1910 — 17, Boletin Nr. 176, Buenos Aires 191 8, S. 59. — 28 — des nächsten Jahrhunderts verändert werden mögen, aber doch schon deutlich zu erkennen sind. „Vom alten Spaniertum erhielt sie den Stolz, die Verschlossenheit, eine gewisse Selbstzufriedenheit und Nonchalance, die Härte, die durch die Beimischung indianischen Blutes noch ausgesprochener wurde, einen glühenden Patriotismus . . . ; von Italien die aufbrausende Leidenschaftlichkeit; vom Franzosen die leichte Lebensauffassung, Intelligenz und guten Geschmack; vom Briten und Deutschen empfing sie kühlen Geschäftsgeist, Verwaltungs- talent, vom Yankee schließlich einen gesunden Egoismus1)." Besonders sticht im argentinischen Nationalcharakter das ausgeprägte National- bewußtsein hervor, der Stolz auf die Größe und Reichtümer des heimatlichen Bodens und der Glaube an die großartige wirtschaftliche und kulturelle Zukunft des Landes. Dieser Glaube prägt auch dem ganzen Wirtschaftsleben den Stempel unaufhörlichen Vorwärts- drängens auf, den Geist der Spekulation und eines auf die jugendlichen Wirtschaftskräfte des Landes gegründeten Optimismus. Auf den gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes haben zweifellos die Engländer und die Italiener den wesentlichsten Einfluß ausgeübt. Englisches Kapital und englische Tatkraft gaben den Anstoß dazu, daß der argentinische Grundherr aus seiner Ruhe aufgerüttelt wurde und den Weg erkannte, auf dem er zu Wohlstand gelangen und die Kultur seines Landes heben konnte. Durch die Arbeit der Engländer wurde Argentinien der Weltwirtschaft angeschlossen. Die Italiener lieferten die dazu nötigen menschlichen Arbeitskräfte, sie sind ,,die manuellen Schöpfer des argentinischen Reichstums". — „Nicht vergessen dürfen wir die spanische Rasse, die den Kern abgab, an den sich alles übrige ankristallisierte, jene stolze, zähe Rasse, die, sich selbst überlassen, stagniert, weil sie zu konservativ ist, aber doch, wo sie mit modernen Elementen in den Kampf treten muß, sich auf sich selbst besinnt"2). In seiner sozialen Oberschicht steht der moderne argentinische Volkstyp, besonders soweit er gänzlich frei von indianischer Blut- beimischung geblieben ist, natürlich dem romanisch-spanischen sehr nahe. Er bedarf zu seiner weiteren Fortentwicklung ständig des Zustroms europäischen Blutes, das Rasseproblem geht Hand in 1) v. Colditz, Der Einfluß der Volksrassen auf die Entwicklung der Ver- einigten Staaten von Nordamerika und der Argentinischen Republik. (Mit- teilungen des Deutsch-Südamerikanischen Instistuts, Berlin 1914, Heft 3, S. 212.) 2) v. Colditz a. a. O., S. 221. — 29 — Hand mit dem demographischen1). Aus eigener Kraft allein ist die neue Rasse noch lange nicht imstande, die großen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufgaben zu lösen, welche die Zukunft stellen wird. Sodann sind die einwandernden Rassen der argentinischen an Fruchtbarkeit überlegen. 1904 gaben 1000 argentinische Frauen 85 Kindern das Leben, 1000 spanische Frauen 123, 1000 italienische Frauen 175 2). Nach argentinischer Landesverfassung sind alle Kinder, die auf argentinischem Boden geboren werden, Argentinier. Die Nachkommen- schaft gemischter Ehen in den verschiedensten Graden der Rassever- wandtschaft nach ihrer Nationalitätszugehörigkeit zu klassifizieren, ist unmöglich. Gewisse Einflüsse, die von dem Klima, der Umgebung, der ganzen Lebenshaltung in Argentinien ausgehen, haften allen im Lande Aufgewachsenen an, unbeschadet der Nationalität ihrer nächsten oder entfernteren Vorfahren. Die Nachkommen der Einwanderer fremder Rassen, ganz besonders der lateinischen, pflegen bereits in der zweiten Generation überzeugte Argentinier zu sein, mit einem glühenden süd- amerikanischen Patriotismus. Die assimilierende Kraft der amerika- nischen Umgebung wirkt ebenso schnell wie durchschlagend. Die Bestimmung des argentinischen Gesetzes, nach dem jeder auf dem Boden der Republik Geborene deren Staatsbürger ist, unbeschadet der Nationalität seiner Eltern, ist zweifellos vom argentinisch-nationalen Standpunkt aus sehr geeignet, argentinisches Nationalbewußtsein in dem völkischen Nachwuchs fremden Blutes groß zu ziehen und hat auch im beabsichtigten Sinne unverkennbare Wirkungen gezeitigt. Besonders wirksam ist sie insofern, als nun jeder in Argentinien geborene Sohn eines ausländischen Vaters verpflichtet ist, im argentinischen Heere seiner Dienstpflicht zu genügen, Gerade aus letzterem Zusammenhang haben sich gelegentliche Meinungsverschiedenheiten mit fremden Staaten ergeben. So erhob 1886 die britische Regierung in Buenos Aires Vorstellungen dagegen, daß die argentinische Republik auf ihrem Boden geborene Söhne britischer Untertanen zwang, in ihrem Heer zu dienen. Um- gekehrt versuchte z. B. die spanische Regierung, junge Leute, die zwar in Argentinien geboren, kurz nach der Geburt aber bereits mit ihren spanischen Eltern nach Spanien gekommen waren, zum Heeresdienst heranzuziehen. Argentinien hat in diesem Streit des ,,jus soli" gegen das „jus sanguinis" stets die Oberhand behalten. Einer der bedeutend - *) Ausführliche Betrachtungen über südamerikanische und speziell argen- tinische Rassefragen finden sich in dem Buch des Peruaners F. Garcia Cal- derön: „Latin America, itsRise and Progress", London 1912, ferner bei Gordon Ross, Argentina and Uruguay, London 191 7, Kap. IV. 2) Gonnard, R., L'Emigration europeenne au XIXe siede, Paris 1906, S. 228. — 30 — sten Argentinier italienischer Abstammung, der Schriftsteller Ambro - zetti, sprach es auf dem ersten „Kongreß der Italiener im Ausland" deutlich aus: „Ich behaupte, daß die in Argentinien geborenen Kinder italienischer Eltern sich in ihrer großen Mehrzahl als Argentinier fühlen1)." Über den neuesten Bevölkerungsstand gibt der im Juni 1914 aufgenommene Zensus Auskunft. Danach hatte Argentinien eine Gesamtbevölkerung von 7885237 Seelen, eine Zunahme von 3930126 gegen 1895, die einer Verdoppelung der Einwohnerzahl in 20 Jahren gleichkommt. Davon waren 5527285 geborene oder naturalisierte Argentinier und 2357952 Fremde2). Der Charakter des Einwande- rungslandes drückt sich in dem hohen Anteil des Fremdenelementes von rund 30% der Gesamtbevölkerung deutlich aus. Die Fremdenbevölkerung verteilte sich 1914 auf die einzelnen Nationalitäten wie folgt: Tabelle 7. Anteil der einzelnen Nationen an der Fremdenbevölkerung im Jahre 19143). männlich weiblich % der Gesamt- insgesamt /0 bevölkerung Italiener Spanier Küssen Uruguayer Franzosen Türken (Syrier) .... Österreicher und Ungarn Brasilianer Chilenen Paraguayer Engländer Deutsche 587 497 512742 54 956 46 01 6 44021 52194 24 943 18939 21 092 16 160 1 S 945 17 407 342 366 316959 38678 40 412 35 47° 12 175 13 180 17503 15125 n 889 8 747 9 588 929 863 829 701 93°34 86428 79 491 64369 38123 36442 36 217 28049 27 692 26995 11,8 10,5 1,2 1,1 1,0 0,8 o,5 o,5 0,5 o,3 o,3 o,3 Im ganzen finden sich nicht weniger als 58 Nationalitäten ver- treten, davon allerdings 31 mit nur unter 1000 Personen. Man könnte :) La Prensa, Buenos Aires, 24. 2. 1918. 2) Extracto Estadistico de la Repniblica Argentina, corresp. al afio 1915, Buenos Aires 1916, S. XV. — Die Ergebnisse des Census von 1914 wurden erst 1916 der Öffentlichkeit übergeben. 3) Extracto Estadistico de la Repüblica Argen tina, Buenos Aires 1916, S. XXX. — 51 — die Frage aufwerfen, warum nie durch die Gesetzgebung der Versuch einer Massennaturalisation der Ausländer unternommen worden ist1). r ist aus verschiedenen Gründen bislang unterblieben und der Anteil derer, die durch Naturalisierung argentinische Staatsbürger werden, auf wenige Tausend, 1914: 33000 gleich i,4°/ö der Ausländer beschränkt geblieben. Es liegt auch bis heute kein Anlaß vor, mecha- nisch in den Lauf der Entwicklung einzugreifen, die ihrerseits nie Veranlassung zu einer nativistischen Politik des Argentiniertums gegeben hat. Eine nähere Prüfung der geographischen Verteilung des Fremdenelements ergibt naturgemäß, daß dieses in den wirtschaft- lich am weitesten fortgeschrittenen Teilen des Landes wiederum am stärksten vertreten ist. Es betrug 1914 in der Bundeshaupt- stadt rund 50% (797969 Argentinier und 777845 Fremde)2), in der Provinz Buenos Aires rund 35% (1362234 Argentinier und 703931 Fremde), in Santa Fe 35% (583699 Argentinier und 315 941 Fremde), Cc3rdoba 20% (585052 Argentinier und 150420 Fremde). In Händen von Ausländern sind die großen Handelshäuser in Buenos Aires und den übrigen städtischen Zentren des Landes, in Händen fremd- stämmiger Bauern liegt der Getreideanbau in der Hauptackerbau- zone. ,, Nirgends wo anders finden sich die Ausländer so eng und untrennbar mit dem Lande verknüpft, in dem sie ihren Wohnsitz 4) Vgl. hierzu Wolff, Julius, Die Bedeutung des Fremdenelements für die wirtschaftliche Entwicklung Argentiniens. (Schmollers Jahrb. f. Gesetz- gebung, Bd. XXX, S. 1477 ff.) 2) Unter diesen 777845 Fremden waren 199000 Analphabeten und 212000 Berufslose. Die erdrückend große Zahl von Analphabeten in der Hauptstadt ist darum um so bedenklicher, weil diese dem in einer Millionenstadt in brutaleren Formen erscheinenden Kampf ums Dasein um so schlechter gerüstet gegen- überstehen, während sie auf dem Lande unter den Bedingungen des extensiven landwirtschaftlichen Systems leichter ihr Fortkommen finden würden. — Für das ganze Land gibt der Census etwa eine Million Analphabeten oder Halb- analphabeten (d. h. solche, die nur lesen, aber nicht schreiben können) an. Diese Zahl ist unter Vorbehalt wiederzugeben und dürfte in Wirklichkeit eher er- heblich höher als niedriger sein. Tatsache ist, daß das Analphabetentum des. Landes zum allergrößten Teil sich aus italienischen und spanischen Einwanderer- elementen rekrutiert. Eine derartig zusammengesetzte Einwanderung ist nicht geeignet, das Kulturniveau des Landes zu heben, und entspricht wenig dem Sinn des Artikels 25 der argentinischen Verfassung: ,,Die Bundesregierung soll die europäische Einwanderung fördern, kann sie nicht hemmen, begrenzen oder irgendeine Steuer legen auf den Eintritt der Fremden, welche die Aufgabe haben, das Land zu bebauen, die Industrien zu verbessern und Wissenschaften und Künste einzuführen und zu lehren." haben, und nirgends sonst findet es sich, daß die Ausländer wie in Argentinien ohne jede politische. Betätigung nur durch ihre wirt- schaftlichen Leistungen einen so großen Einfluß auf die politische Stellung des Landes ausüben1)." Die Übersicht auf Seite 30 zeigt, daß zwar heute Italiener und Spanier fast den gleichen Anteil zu der Fremdenbevölkerung im staatsrechtlichen Sinne des Wortes stellen. Tatsächlich führt die Bestimmung des argen- tinischen Gesetzes, das jeden im Lande Geborenen zum argentinischen Staatsbürger macht, für die Frage der Zugehörigkeit zu einem be- stimmten Volksstamm zu falschen Bildern. Das in Argentinien geborene Kind italienischer Eltern, welches in der Bevölkerungsstatistik als Argen- tinier erscheint, ist seinem Blute nach ebensogut Angehöriger des italie- nischen Yolksstammes wie der Einwanderer, der seine italienische Staats- angehörigkeit mitbringt. Eine zahlenmäßige Erfassung des Italiener tums in diesem Sinne der völkischen Zugehörigkeit ist nicht möglich. Bei der Fruchtbarkeit der italienischen Rasse ist trotz des ungünstigen Verhält- nisses der Geschlechter zueinander — auf 100 Männer kommen nur 58 Frauen — mit einer starken Vermehrung der argentinischen Italiener zu rechnen, und dementsprechend ist ihre tatsächliche Zahl auf über 2 Millionen geschätzt worden. So ist es begreiflich, daß z. B. Gonnard Argentinien die schönste Kolonie Italiens nennt2). In Italien selbst ist noch heute die Bezeichnung Argentiniens als ,,Nuova Italia" gebräuch- lich. Auch Caro3) spricht von Argentinien als ,, einer friedlichen Er- oberung Italiens" und von der beneidenswerten Stellung, die sich die italienische Sprache in diesem Staate erobert habe. Tatsächlich liegen die Verhältnisse heute nicht mehr so. Die Italiener in Argentinien haben es nur in sehr bescheidenem Umfang zu einem gesonderten nationalen Zusammenschluß gebracht, auf denselben vielmehr vielfach bewußt verzichtet. Italienische Schulen sind nur wenig vorhanden. Gegenüber der vorherrschenden Stellung des Spanischen als Landessprache kann von einer beneidenswerten Stellung der italienischen Sprache keine Rede sein,, vielmehr lehrt die Erfahrung, daß bereits die Kinder der Ein- gewanderten nur noch spanisch sprechen4). Würde ein italienisches *) Wolff a. a. O., S. 1476. 2) a. a. O., S. 219: „L'Argentine est, peut on dire, la plus belle colonie de l'Italie, colonie ,sans drapeau', mais prospere, et dont le developpement interesse au plus haut point l'opinion publique italienne." 3) Caro, Leopold, Auswanderung und Auswanderungspolitik in Österreich, Leipzig 1909, S. 225. 4) Bis 191 6 war das Italienische ständiges Unterrichtsfach in den höheren Schulen des Landes. April 191O wurde der italienische Unterricht aufgegeben. Die ,,ldea Nazionale" in Mailand gab zur Erklärung an, der Beamtenapparat der Regierung sei zu sehr mit Deutschen besetzt. Jedenfalls erreichten es die Vorstellungen von italienischer Seite, wo man in der Verfügung des argentinischen Kultusministers eine empfindliche Schädigung des Prestige Italiens erblickte, Nationalbewußtsein im Adoptivvaterlande ausgeprägt vorhanden sein, so würde es zweifellos in einer Bevorzugung italienischer Waren und damit in einer begünstigteren Stellung Italiens im argentinischen Außenhandel Ausdruck finden. In letzterem steht Italien hinter England, Deutschland, den Vereinigten Staaten und Frankreich an 5. Stelle, in der Ausfuhr sogar an 6. Stelle. Es trug 1913 nur 8,8% zur argentinischen Gesamt- einfuhr bei und wurde von Frankreich mit einem Anteil von 14,3% am amtaußenhandel noch um 4% übertroffen. Die geographische Verteilung der Bevölkerung auf die einzelnen Landesteile zeigt folgende Tabelle: Tabelle 8. Geographische Verteilung der Bevölkerung und Be völkerungsdichte im Jahre 1914. Größe in Quadrat- kilometern Bevölke- rung 1914 Zunahme gegen 1 895 in % Bevölke- rungsdichte auf 1 qkm Hauptstadt Buenos Aires Provinz Buenos Aires . . . Santa Fe Cördoba Entre Rios .... Corrientes Tucuman Mendoza Santiago del Estero Salta San Juan San Luis La Rioja Catamarca .... Jujuy Territorium Pampa Central . 186 305 121 131 382 173 349 75 754 86879 27 000 146378 143484 125 134 98 096 75 219 98030 95 337 38 347 M5 907 1 575 814 2 066 165 899 640 735 472 425 373 347 °55 332 933 277 535 261 678 140927 119252 116 266 79 754 100 391 76631 101 338 137,3 J24»3 126,5 109,4 45,6 44,8 54,3 138,9 68,2 19,8 4i,5 42,7 14,7 n,7 54,i 250,5 8472,12 6,77 6,85 4,24 5,62 3,99 12,33 1,89 1,82 1,13 1,22 i,55 0,81 1,06 2,00 0,69 Für die in der Tabelle fehlenden übrigen Nationalterritorien, die nördlichen: Misiones, Formosa und Chaco, das Kordillerengebiet Los Andes und die patagonischen : Neuquen, Rio Negro, Chubut, Santa Cruz und Tierra del Fuego bleibt mit einer Gesamtfläche von 1 221 753 qkm eine Bevölkerung von 178613 übrig oder 0,14 Bevölke- rungsdichte auf den Quadratkilometer. daß dieselbe August 1918 wieder aufgehoben wurde. (Economista d'Italia, Rom, 27. 8. 1918.) Probl, d. Weltwirtschaft- 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. 3 — 34 — Zum Vergleich seien die entsprechenden Zahlen für einige der dünn- besiedeltsten Gebiete des Deutschen Reiches mit fast rein agrarischer Bevölkerung angeführt (nach dem Stande von 1910) : Mecklenburg- Strelitz 36,3, Mecklenburg-Schwerin 48,8, Ostpreußen 55,8. Abgesehen von dem verhältnismäßig großen Anteil von 20% der Gesamtbevölkerung, den die Bundeshauptstadt Buenos Aires fortnimmt und der naturgemäß eine Menge unproduktiven Groß- stadtgesindels enthält, entfallen auf die 5 Provinzen des mittel- argentinischen Produktionsgebietes, die fast die gesamten agrarischen Ausfuhrmengen erzeugen, mehr als 70% der gesamten ländlichen Bevölkerung der Republik. Daraus erhellt, daß die wirtschaftliche Erschließung des Landes, die gleichbedeutend ist mit Besied elung, im wesentlichen über diese 5 Provinzen noch nicht hinausgegangen ist. Allein die Provinz Tucumän, die mit ihrer Bevölkerungsdichte von 12,33 an erster Stelle steht gegenüber einer Durchschnittsdichte des Landes von 2,i1), macht eine Ausnahme. Diese Provinz verdankt ihre relativ dichte Besiedelung abgesehen davon, daß sie schon in der spanischen Kolonialzeit ein bedeutendes Kultur- und Siedelungs- zentrum war, dem Anbau und der Industrie des. Zuckerrohrs, das einen wesentlich größeren Aufwand menschlicher Arbeitskraft verlangt als der extensive Getreideanbau in den mittleren Provinzen. Bemerkens- wert ist durch seine besonders schnell fortschreitende Bevölkerungs- vermehrung in jüngster Zeit das Gebiet der Pampa Central, das 1895 erst 25 914 Einwohner zählte. Billige Bodenpreise und die „Ent- deckung" ausgedehnter weizenfähiger Böden waren hier der Anlaß für ein beschleunigtes Tempo der Kolonisation. Der allgemeine Eindruck, den das Bild des heutigen Bevölkerungs- standes Argentiniens hervorruft, ist der eines noch äußerst dünn besiedelten Landes mit einigen wenigen Bevölkerungszentren, denen durch die geographische Gestaltung des Landes und den Ausbau des Verkehrsnetzes ihre Lage angewiesen wurde2). Man darf nicht ver- gessen, daß ein großer Teil der Bodenfläche des Landes infolge seiner 2) Diese Zahl ist berechnet auf Grund der Totalbevölkerung abzüglich der Einwohnerzahl von Buenos Aires, das ganz aus dem Rahmen der normalen Bevölkerungsverhältnisse des Landes herausfällt. 2) Abgesehen von Buenos Aires, dem „Wasserkopf" Argentiniens, gab es. 191 4 noch 4 Städte mit über 100 000 Einwohnern und zwar: Rosario, den zweit- bedeutendsten Hafen des Landes, mit 269459 Einwohnern, La Plata, die Haupt- stadt der Provinz Buenos Aires, mit 137 413 Einwohnern, Cördoba, Provinz- hauptstadt, mit 134935 und Tucumän, Provinzhauptstadt, mit 100080 Ein- wohnern. — 35 — geologischen und klimatischen Verhältnisse zudauernderUnfrucht- barkeit verurteilt ist oder doch auch bei entwickelterer Technik (Bewässerung) und intensiveren Anbaumethoden immer nur für eine äußerst dünne Besiedelung in Frage kommen wird. Die weiten Territorien des Südens. Rio Negro, Chubut und Santa Cruz, die nur eine jährliche Niederschlagsmenge von 200 — 400 mm aufzuweisen haben, werden, von den Talgebieten des Rio Negro und Rio Colorado sowie einigen Tälern am Ostfuß der Kordilleren abgesehen, wo der fohlende Regen durch künstliche Bewässerung ersetzbar ist, stets nur durch eine äußerst extensive Schafzucht nutzbar gemacht werden und nur wenig Menschen ernähren können. Die Bevölkerungsdichte der mittleren Ackerbauprovinzen dagegen, die 1914 für die fünf Provinzen Buenos Aires, Santa Fe, Cördoba, Entre Rios und Cor- rientes im Mittel 5,5 auf den Quadratkilometer betrug, ist ohne allen Zweifel einer ganz gewaltigen Steigerung fähig. Abhängig ist diese zu erwartende Volkszunahme in entscheidendem Maße von dem weiteren Fortschreiten der inneren Kolonisation. Sobald durch den Ausbau derselben für eine größere Menschenzahl die Möglichkeit geschaffen wird, sich anzusiedeln, Land zu erwerben und das Pro- duzierte unter lohnenden Bedingungen abzusetzen, wird die nie ver- siegende Einwanderung automatisch für das Zuströmen der Menschen- massen sorgen. Bisher ist die Entwicklung den Weg gegangen, daß durch die allgemein als günstig bekannte Wirtschaftslage des Landes und die Annahme, erleichtertes Fortkommen zu finden, große Ein- wanderermassen herbeigezogen wurden, von diesen aber ein großer Teil das Land wieder verlassen mußte, weil die Agrarverfassung den Erwerb eigener Scholle zu sehr erschwerte. Hier liegt der Schwer- punkt für alle argentinische Bevölkerungspolitik, deren integrierender Bestandteil stets die Kolonisation sein muß. Durch eigene Bevölkerungsvermehrung hat Argentinien im Durch- schnitt des letzten Jahrzehnts etwa 150000 Menschen jährlichen Bevölkerungszuwachses erhalten. 19 14 betrug die Zahl der Geburten 291887, die der Sterbefälle 124744, das ergibt einen Überschuß von 167 143 x). Es kann nicht der Zweck dieser Abhandlung sein, eingehen- dere bevölkerungsstatistische Untersuchungen anzustellen. Fassen wir die beiden Zuwachskomponenten, Überschuß der Einwanderung über die Rückwanderung (vgl. S. 15 ff.) einerseits, Überschuß der Ge- l) Extracto Estadfstico de la Repüblica Argentina, Buenos Aires 1916, S. 602. 3* - 36 - , burten über die Sterbefälle andererseits, zusammen, so ergibt sich für den Zeitraum der 10 letzten Friedensjahre 1904 — 13 ein jährlicher Gesamtbevölkerungszuwachs von rund 300000 Menschen. Trotz dieser an sich gewaltigen Zahl hält der Volkszuwachs bei weitem nicht Schritt mit der wirtschaftlichen Expansion, wie sie sich bei dem rein agrarischen Charakter des Landes am deutlichsten ausprägt in der Ausdehnung der Anbauflächen. Auf die Gründe, welche zur rapiden Vermehrung derselben führten, kommen wir in anderem Zusammen- hang eingehend zurück. Es waren vornehmlich die folgenden: 1. Aus- bau des Eisenbahnnetzes, durch den immer neue Landesteile der Bodenbearbeitung zugänglich wurden; 2. Anwendung eines besonderen Frachttarifsystems, durch das die Entfernungsunterschiede zu den Verladehäfen teilweise ausgeglichen wurden; 3. wachsende Kredit- erleichterungen, durch die es einer immer größeren Zahl von Personen ermöglicht wurde, landwirtschaftliche Betriebe anzufangen; 4. zu- nehmende Einfuhr und Verwendung landwirtschaftlicher Maschinen, durch die der Aktionsradius der einzelnen Bauern sehr beträchtlich erweitert wurde. Wenn die dauernd neugeschaffenen Anbauflächen sich den vor- handenen angliedern sollten, ohne schwere volkswirtschaftliche Stö- rungen zu verursachen, so hätte die Bevölkerung, die für diese neuen Arbeitsgebiete die menschliche Arbeitskraft zu stellen hatte, in gleichem Maße an Zahl wachsen müssen. In der Tat bilden die Kurven für das Wachstum von Volkszahl und Anbaufläche allmählich steigende parallel laufende Linien bis zum Jahre 1905, laufen aber von diesem Jahre ab ganz scharf auseinander. Es betrug: 1872 bei 2231049 Einw. die Anbaufläche 580008 ha = 0,26 ha pro Kopi 1895 „ 3 954 9ii „ ,, „ 4892004 „ = 1,24,, „ „ 1910 „ 7 171 910 „ „ ,, 20367082 „ =2,84,, „ „ 1914 „ 7885237 „ „ „ 243171991) „ = 3,°9 „ „ „ Für den gleichen Zeitraum steht der 3% fachen Vermehrung der Volkszahl eine 42 fache der Anbaufläche gegenüber. Lopez Man an sagt2): „Ich sehe in diesem Mißverhältnis zwischen Bevölkerung und bebautem Lande den ursprünglichsten Grund für das Entstehen der Faktoren, die gegenwärtig die schlechte Lage der Landwirtschaft *■) Diese Zahl umfaßt die folgenden Kulturpflanzen: Weizen, Lein, Mais, Hafer, Gerste, Luzerne, Tabak, Zuckerrohr, Baumwolle, Weinreben. Maninüsse, Kartoffeln, Fruchtbäume und andere Kulturen. 2) Julio Lopez Mafian, El actual problema Agrario, Buenos Aires 1912, S. 7. — 3/ — bedingen." Die hohen Löhne während der Erntezeit, die der Acker- bauer zahlen muß, um sich die nötigen Arbeitskräfte zu sichern und die andererseits auch eine Voraussetzung für das Herbeiströmen von Wanderarbeitern sind, bedeuten einen Hemmschuh für die wirtschaft- liche Entwicklung des Landes. Der Mangel an Arbeitskräften ist ferner ein Hauptgrund für die unentwickelte Technik des Getreidebaues, deren Fortentwicklung für gewisse Teile des Landes schon in nächster Zukunft eine unabweisbare Notwendigkeit sein wird. Aus dem Gesagten erhellt, von welch ausschlaggebender Be- deutung für alle Fragen der argentinischen Volkswirtschaft das Ein- wanderungsmoment ist. Wie nur durch das regelmäßige Kommen von Einwanderergruppen einigermaßen das Gleichgewicht der Arbeits- verhältnisse sich herstellen läßt, so ist überhaupt die gesamte weitere Entwicklung des Landes, wirtschaftliche sowie kulturelle, davon ab- hängig, in welchem Maße Argentinien auch fernerhin großen Menschen- massen in europäischen Bevölkerungszentren als ideales Auswande- rungsziel erscheinen wird. Maßgebend hierfür wird in erster Reihe natürlich der allgemeine Stand des argentinischen Wirtschaftslebens sein. Inwieweit der Staat außerdem durch positive auf Vermehrung der Einwanderung gerichtete Maßnahmen diese direkt zu fördern sucht, sollen die Ausführungen des folgenden Kapitels zeigen. 2. Kapitel. Einwanderungs- und Bevölkerungspolitik. Erst seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist in nennenswertem Umfang eine Einwanderung nach Argentinien erfolgt. Um dieselbe Zeit etwa setzen auch die eisten systematischen Bemühungen der staatlichen Behörden, die auf eine Förderung der Einwanderung abzielen, ein. Ihren wichtigsten und grundlegenden Niederschlag fanden sie schon in der am i. Mai 1853 proklamierten Verfassungs- urkunde, deren Artikel 25 es der Bundesregierung ein für allemal zur vornehmsten Pflicht macht, die europäische Einwanderung zu fördern und alle sie hemmenden Maßnahmen zu unterlassen. In der Aufnahme einer derartigen Vorschrift in das Grundgesetz der Republik spricht sich die schon damals wie heute vorhandene klare Erkenntnis aus, daß alles Gedeihen des Staates unlöslich mit einer günstigen Lösung der Einwandererfrage verknüpft ist. In Übereinstimmung mit dieser Vorschrift der Verfassung ist die Haltung der argentinischen Regierung - 3» - bis auf den heutigen Tag stets eine durchaus einwanderungsfreundliche gewesen. Von einer Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Ein- wanderungspolitik in ihren verschiedenen Phasen, von den ersten Anfängen selbständiger Staatenbildung am La Plata an, sei hier abgesehen und auf die bereits erwähnte Arbeit von Hiller ausdrücklich verwiesen. Dort ist die argentinische Einwanderungspolitik von der Zeit der Befreiungs- und Verfassungskämpfe bis zur Konstituierung der Republik im Jahre 1862, sowie die nationale Einwanderungspolitik seit dieser Zeit erschöpfend dargestellt. Von entscheidender Bedeutung sind letzten Endes die für die letzten 4 Jahrzehnte gültigen Vor- schriften, während deren dem Lande die großen Menschenscharen zuströmten, denen es seine erstaunliche Entwicklung verdankt. Schon 1869 wurde von der Nationalregierung eine ,, Einwanderungszentral- kommission" geschaffen, die eine einheitliche Zusammenfassung aller vorhandenen auf Förderung der Einwanderung gerichteten Insti- tutionen, der Provinzen sowohl wie einzelner Gemeinden und Privater, bezweckte. Es wurde ferner 1872 ein nationales Arbeitsamt begründet mit der Aufgabe, besonders den Einwanderern unentgeltlich Arbeits- gelegenheit zu vermitteln. Alle diese Bestrebungen fanden eine feste, zusammengefaßte Form in dem heute noch in Gültigkeit befindlichen Einwanderungsgesetz vom 19. Oktober 1876 (Ley de Inmi- graciön y Colonizaciön). Dieses Gesetz gab gleichzeitig auch neue Normen für die innere Kolonisation. An dieser Stelle sei hervorgehoben, daß einwanderungspolitische Einzelmaßnahmen argentinischer Be- hörden wie Privatgesellschaften sehr häufig mit kolonisatorischen Zwecken zusammenfallen. Erschließung und Bereitstellung von Land zu Siedlungszwecken mußte in dem dünnbevölkerten Neulande meist mit Maßnahmen Hand in Hand gehen, welche die dazu erforderlichen Menschen ins Land brachten. Da der Kolonisation Bevölkerungs- überschuß im eigenen Lande nicht zur Verfügung stand, mußte sie sich das Menschenmaterial aus überseeischen Auswanderungsgebieten herbeiholen. Soweit die Einwanderungspolitik Maßnahmen trifft, die direkt auf Kolonisationsziele hinauslaufen, soll sie daher in anderem Zusammenhang erörtert werden. Das Gesetz von 1876 schuf als wichtigstes staatliches Organ das Einwanderungsdepartement. Ursprünglich dem Minister des Innern zugeteilt, wurde es 1898 dem Ackerbau ministerium unterstellt und führt heute die Bezeichnung ,,Direcciön General de Inmigraciön". Auch diese neuerliche Unterstellung unter das Ackerbauministerium — 39 — weist darauf hin, daß die Einwanderung vorwiegend den landwirtschaft- lichen Bedürfnissen des Landes dient. Die Generaldirektion der Einwanderung ist oberste Instanz für das gesamte Einwandererwesen. Ihr unterstehen die Einwanderungskommissionen in den Häfen, die Arbeitsämter, die Einwandererherbergen wie die Einwanderungs- agenten im Auslande. Einwanderungskommissionen, die ihrerseits wieder für die mehr lokale Verteilung und Versorgung der Einwanderer sorgen sollen, sind heute in Buenos Aires, Rosario und Bahia Bianca vorhanden. Ihre Schaffung auch in den übrigen wichtigeren Städten des Landes wäre sehr erwünscht. Sozialpolitisch enthält das Gesetz eine Reihe von Schutzmaß- nahmen für den Einwanderer in Form von technischen und hygienischen Vorschriften, denen die Einwandererschiffe genügen müssen1). Wich- tiger sind die Bestimmungen, die es den Einwanderern unmittelbar nach ihrer Ankunft erleichtern sollen, sich dem Wirtschaftsleben des Landes einzufügen. Sie werden 5 Tage lang in der Einwandererherberge auf Staatskosten untergebracht und verpflegt, werden ferner un- entgeltlich nach dem Punkt des Landes befördert, an dem sie sich niederlassen wollen und erhalten durch die Arbeitsämter nach Mög- lichkeit Beschäftigung in demjenigen Erwerbszweige nachgewiesen, dem sie sich widmen wollen. WTährend die Anregungen, welche das Gesetz zur Bildung von Einwanderungsfonds gab, deren Mittel gleichfalls zur Unterstützung der Einwanderer in mannigfachster Form verwendet werden sollten, praktisch nie wirksam geworden sind, hat die Pro- pagandatätigkeit der staatlich bestellten ftuslandsagenten zeitweise zur Erhöhung der Einwandererziffern merkbar beigetragen. Freilich ist es zweifelhaft, ob die auf diese WTeise gewonnenen Menschen dem Lande gerade von besonderem Nutzen gewesen sind. Die Vorschrift, nach der sich die Agenten über Führung und Arbeitsfähigkeit eines jeden, der nach Argentinien auswandern will, zu vergewissern haben, ist ziemlich illusorisch. Führungszeugnisse reichen nicht aus, das Betreten des Landes Personen, die keine einwandsfreie Vergangenheit hinter sich haben, unmöglich zu machen2). Vor allem haben die *) Hiller hat sich in seinem Buche der dankenswerten Aufgabe unter- zogen, eine deutsche Übersetzung des spanischen Gesetzestextes zu geben. Dabei ist ihm leider ein sinnstörender Übersetzungsfehler unterlaufen. Artikel 23 bestimmt, daß die Betten im Zwischendeck innen eine Länge von mindestens 1,83 m haben sollen. Hiller übersetzt: ,,die für die Passagiere bestimmten Betten haben sich im Innern zu befinden und müssen mindestens 1,83 m lang . . . sein." 2) Hiller a. a. O., S. 69. — 4o - Agenten in dem Bestreben, möglichst große Massen zu gewinnen, das Einwanderungsmaterial kritiklos genommen, wo sie es fanden. Die schlechten Resultate der Passagesubsidien, die von 1880 — 1890 gewährt wurden, waren nicht dem Gesetz zuzuschreiben, sondern der gänzlich falsch orientierten Tätigkeit der Auslandsagenten, welche die Einwanderer in den notleidenden Klassen der Städte suchten, anstatt auf dem flachen Lande, und so viele arbeitsungewohnte, moralisch nicht einwandfreie Elemente ins Land brachten x) . Die Gewährung der Passagesubventionen hatte allerdings der Einwandererzahl nach besonders in den Jahren 1897 — 99 hervorragende Wirkung und brachte Rekordziffern, die in den nächsten 15 Jahren nicht wieder erreicht wurden. Argentinien befand sich aber damals in seiner ,, Gründer- periode", erlebte eine Hochkonjunktur auf allen Gebieten seines Wirt- schaftslebens wie nie zuvor, erhielt in großem Umfange den Zufluß europäischen Kapitals und stand in einer so riesigen Expansion seiner Landwirtschaft, daß der Ruf nach Menschen auf jede Weise erfüllt werden mußte, ohne daß man sich lange um deren moralische oder sonstige Qualitäten gekümmert hätte. Man brauchte einfach „brazos", Arme, Muskelkraft. Andererseits ist schwer zu scheiden, inwieweit der Anreiz, welcher von den Passageunterstützungen ausging, entscheidend gewesen ist oder die günstige Wirtschaftslage des Landes überhaupt die mächtig anschwellenden Einwandererzahlen bedingt hat. Für letztere Annahme spricht vor allem auch die Tatsache, daß mit den hohen Einwandererziffern außerordentlich geringe Rückwanderer- ziffern zusammenfielen. Sie betrugen 1897 : 11,3%, 1898: 10,8% und 1899: 15,6% der Einwanderung. Derartig niedrige, also günstige Rück- wandererziffern hat die argentinische Wanderbewegung bis heute nie wieder aufzuweisen gehabt. Dieselbe Gunst der wirtschaftlichen Verhältnisse, welche die Menschen herbeizog, hielt sie auch im Lande fest. Der einwanderungsfreundliche Charakter des Gesetzes von 1876 prägt sich besonders darin aus, daß Vorschriften, die unerwünschten Elementen den Eintritt ins Land verwehren, fast gänzlich fehlen. Die Landung ist nicht, wie in den Vereinigten Staaten, an den Besitz einer bestimmten . Geldsumme gebunden. Jedem einigermaßen Gesunden und Arbeitsfähigen steht das Land offen. Artikel 32 schloß in seiner ursprünglichen Fassung nur von der Einwanderung aus: Menschen mit ansteckenden Krankheiten, Menschen mit organischen Fehlern, die Bettler und Verbrecher, 2) Florencio T. Molinas, La Colonizaciön Argentina y las industrias agropecuarias 1810 — 1910, Buenos Aires 1910, S. 263. — 41 — endlich über 60 Jahre alte. Ganz allgemein wurde die einwanderungs- . freundliche Tendenz noch verstärkt durch die laue Behandlung der so schon kaum vorhandenen Prohibitivvorschriften. Seit einer Reihe von Jahren ist die Frage einer Reform des Ge- setzes von 1876 in Presse und Volksvertretung erörtert worden. Man fand, daß die Bestimmungen des 40 Jahre alten Gesetzes doch zu milde in den physischen und moralischen Anforderungen waren, die 1 - an den Einwanderer stellte, und daß die allzu liberale Auffassung nicht mehr den wahren Interessen des Landes diene. Es wird auch betont, daß es nicht genüge, strengere Vorschriften zu erlassen, sondern auch eine ordnungsmäßige Durchführung derselben seitens der Ein- Wanderungsbehörden gewährleistet sein müsse. Anzeichen für eine vielleicht bevorstehende durchgreifende Reform sind in den Ver- schärfungsbestimmungen zu dem oben erwähnten Artikel 32 enthalten, die während des Krieges erlassen wurden1). Der Bedarf des Landes an Arbeitskräften und Ansiedlern ist einstweilen noch so groß, daß scharfe Gesetze als verfrüht zu bezeichnen wären. An den Erlaß eines Gesetzes wie die ,, Burnett bnT' in den Vereinigten Staaten, von Mai 1917, nach der Einwanderer, die nicht lesen und schreiben können, vom Betreten des nordamerikanischen Bodens ausgeschlossen sind, kann Argentinien noch lange nicht denken. Es wird auch in Zukunft sehr auf die italienische Einwanderung angewiesen sein; in Italien sind aber unter der Bevölkerung derjenigen Gebiete, aus denen sich die Auswanderung nach Amerika hauptsächlich rekrutiert, noch an- nähernd 60% Analphabeten. Argentinien gibt sich geradezu der Hoffnung hin, daß die Italiener, denen durch das neue nordamerika- nische Gesetz der Zugang nach den Vereinigten Staaten verschlossen ist, in Zukunft den argentinischen Einwandererstrom verstärken x) Dekret vom 16. 4. 191O. Danach sind von der Einwanderung ausge- schlossen: Mit organischen Fehlern Behaftete, d. h. Blinde, Taubstumme, Lahme, solche, denen beide Arme oder der rechte oder beide Beine fehlen, überhaupt mit Schäden, welche die Arbeitsfähigkeit mindern. Behaftete; Idioten, Schwach- sinnige, Epileptiker und alle, die an irgendeiner Form von Geisteskrankheit leiden ; Bettler, die in ihrer Heimat vom Betteln gelebt haben ; einzelne Frauen mit Kindern unter 10 Jahren; Zigeuner und andere Personen, die unter Um- ständen der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fallen werden. Jeder Ein- wanderer hat nunmehr ein Zeugnis seiner heimatlichen Behörde vorzulegen darüber, daß er in den letzten 10 Jahren vor seiner Ankunft nicht für Verbrechen bestraft worden ist, keine die öffentliche Meinung beleidigende Handlung be- gangen hat, nicht an Geisteskrankheit leidet und nicht gebettelt hat. (Memoria de la Direcciön General de Inmigraciön, Buenos Aires 1916, S. 112). — 42 — werden1). Für den Menschenhunger der argentinischen Republik sind derartige Einwanderer noch lange nicht „undesirable", wie sie das amerikanische Gesetz bezeichnet. Im wesentlichen steht die argentinische Einwanderungspolitik bis heute noch unter der einwanderungsfreundlichen Tendenz der Ley de Inmigraciön von 1876. Es sind lediglich einzelne Bestimmungen des Gesetzes weiter ausgebaut worden. Von der Verschärfung des Artikels 32 war bereits die Rede. Durch ein Dekret vom 17. Juli 1916 wurde bestimmt, daß an Stelle der im Gesetz vorgesehenen staatlichen Einwanderungskommissionen, zu deren Unterstützung dem Staat die nötigen Mittel fehlen, ehrenamtliche ,,Comisiones Populäres" im Innern des Landes gebildet werden sollen2). Diese sollen sich aus Bankdirektoren, Richtern, Polizeibeamten, Kaufleuten, Ärzten, An- wälten, Konsularagenten und Großgrundbesitzern zusammensetzen. Den Vorsitz soll der Leiter der an dem betreffenden Ort vorhandenen Zweigstelle der Nationalbank führen. Aufgabe der Kommissionen ist, die örtliche Verteilung der Einwanderung zu beeinflussen und die An- siedlung zu fördern. Wieweit dieser Plan praktische Bedeutung ge- winnt, muß die Zukunft lehren. Die schnelle und zweckmäßige, der jeweiligen Wirtschaftslage entsprechende Verteilung der Einwanderung über das ganze Land ist in der Tat ein Problem, dessen Lösung in befriedigender Weise bis heute nicht gelungen ist. Es fehlt an zweckmäßigen Maßnahmen für die Unterbringung der geeigneten Elemente im Lande. Die Arbeits- ämter erfüllen in dieser Beziehung ihre Aufgabe nicht. Freilich ist zuzugeben, daß die Organisation eines landwirtschaftlichen Arbeits- nachweises für ein 3 Mill. qkm großes, äußerst dünn bevölkertes Gebiet ihre besonderen Schwierigkeiten hat. In den Monaten Januar und Februar jeden Jahres steigt in Buenos Aires die Zahl der Beschäfti- gungslosen ins Ungemessene, und das staatliche Arbeitsamt wie die sonstigen Vermittlungsstellen stehen der Armee von Arbeitslosen machtlos gegenüber3). Der Grund für diese Erscheinung liegt daiin, daß nach Beendigung der Weizenernte die Landarbeiter wieder in die Hauptstadt zurückströmen, um sich für die im März beginnende 2) La Prensa, Buenos Aires, 30. 7. 1918. — Die Vereinigten Staaten nahmen von 1904 — 13: 2106442 italienische Einwanderer auf. 2) Memoria de la Direccion General de Inmigraciön, Bueno Aires 1916, S. 122 ff. 3) Mitteilungen des Deutsch-Argentinischen Zentralverbandes. 3. Heft 1914, S. 90. — 43 — Maisernte neu zu verdingen. Zu dieser Zeit sinken in Buenos Aires die Löhne für ungelernte Arbeiter auf ein Minimum herab. Er- schwerend wirkt, daß zur selben Zeit die fortlaufende Einwanderung der Hauptstadt immer neue Massen Arbeitsuchender zuführt. Der Beginn der Maisernte führt erst wieder die normale Gestaltung des Arbeitsmarktes herbei, die dann für den Rest des Jahres nicht mehr gestört zu werden pflegt, da nach Beendigung der Maisernte die über- schüssigen Arbeitskräfte in Gestalt der Wanderarbeiter nach Europa zurückfluten. Dem Übel der ziellosen Einwanderung läßt sich nur durch den Ausbau eines Nachrichtendienstes steuern, der die Länder, aus denen die Einwanderung herrührt, vornehmlich also Italien und Spanien umfaßt. In diesen Ländern müßte durch Pressenachrichten und Berichte, weit mehr als bisher geschieht, Aufklärung über die jeweilige Lage des argentinischen Arbeitsmarktes geschaffen werden. Heute verursacht das häufig eintretende Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt soziale Störungen, deren Be- seitigung große Aufmerksamkeit verdient1). Gründlicher als durch Regelung der vorübergehenden Einwanderung läßt sich die Land- arbeiterfrage durch kolonisatorische Maßnahmen lösen, die so viele Einwanderer zu festen Ansiedlern machen und damit dem Lande soviel bodenständige Arbeitskräfte schaffen, daß es auf die fluk- tuierenden Wanderarbeiterscharen nicht mehr angewiesen ist. Heute ist letzteres noch in weitgehendem Maße der Fall. Ein Bericht des argentinischen Ackerbauministeriums von 191 1 berechnete auf Grund der damaligen Anbauflächen die Anzahl der zur Bewerkstelligung der Ernte notwendigen Tagewerke auf 9554000 2). Das ergibt für 90 Arbeitstage einen Bedarf von 106000 Erntearbeitern. Von diesen steht schätzungsweise die Hälfte an bodenständigen Ar- beitern zur Verfügung. An sich wird die Zahl der notwendigen x) Zu ganz ähnlichen Mißständen führen die „stoßweisen Anhäufungen von Menschen in der Einwanderungssaison" auch in dem nordamerikanischen Agrarneulande Kanada. Vgl. hierüber A. Fleck, Kanada, Volkswirtschaft- liche Grundlagen und weltwirtschaftliche Beziehungen, Bd. 10 der „Probleme der Weltwirtschaft", Jena 1912, S. 62. 2) Bericht des Direktors des Statistik- und Landwirtschafts- Amtes: „Die bevorstehende Ernte." Buenos Aires 191 1. — Derartige Berichte werden regelmäßig für Auslandspropaganda und besonders zwecks Förderung der Einwanderung in spanischer, italienischer, französischer, englischer und deutscher Sprache herausgegeben. — 44 — Erntearbeiter in Argentinien dadurch verringert, daß die gesamte Erntezeit für Weizen, Leinsaat und Mais für das ganze Land einen verhältnismäßig großen Zeitraum, die Monate November bis März einschließlich umfaßt, und so eine größere Saisonarbeits- leistung des einzelnen Arbeiters möglich ist. Der erwähnte Bericht spricht von einer mittleren Durchschnittszeit von 140 Arbeitstagen, die aber zweifellos zu hoch angenommen ist. Jedenfalls ist die lange Dauer der argentinischen Erntesaison, die einmal von den verschiedenen klimatischen Wachstumsbedingungen in den einzelnen Landesteilen abhängt und ferner von der späteren Reifezeit des Mais, dessen Ernte erst nach Beendigung der Weizenernte beginnt, ausschlag- gebend gewesen für die Herausbildung der überseeischen Sachsen- gängerei. Andererseits erschweren es die Binnenwanderungen der Wanderarbeiter während der Erntemonate sehr, Angebot und Nach- frage auf dem Arbeitsmarkt zu übersehen, und machen es den staat- lichen Behörden fast unmöglich, die nötige Zahl von Arbeitern für einen gewissen Zeitraum vorherzubestimmen und dementsprechend auf die Einwanderung einzuwirken. Die Geschichte der argentinischen Einwanderungsentwicklung liefert eigentlich den Beweis für den sehr bedingten Wert aller immi- grationspolitischen Maßnahmen. Die Versuche, die Einwanderung qualitativ zu beeinflussen, sind gänzlich ergebnislos gewesen. Gerade die Länder, welche Argentinien die größten Einwandererkontingente stellten, schickten Menschen, die durchschnittlich auf sehr geringer Bildungsstufe standen. Die Analphabetenzahlen reden eine deutliche Sprache. Ihrer Zahl nach hat sich die Einwanderung — unabhängig von tinwanderungsfreundlichen Vorschriften und positiven Förderungs- maßnahmen — entscheidend stets nach der allgemeinen Wirtschafts- lage des Landes gerichtet. Schlechte Ernten und wirtschaftliche Krisen drückten immer die Ziffern dar nächsten Jahre herab. Wolf führt das für die italienische Einwanderung sehr treffend aus: ,, Nicht die Saatenstandsberichte des argentinischen Ackerbauministeriums, nicht die Veröffentlichungen der italienischen Auswanderungsbehörden sind es, welche die Massen der italienischen Wanderarbeiter veran- lassen, die Fahrt nach dem La Plata zu unternehmen oder zu unter- lassen, sondern die Briefe der Ausgewanderten und vor allem die Berichte der Heimgekehrten. Wissen diese von reichlicher Arbeits- gelegenheit und hohen Löhnen zu erzählen, so schwillt im Herbst der Strom der Wanderarbeiter an, haben sie von ungünstigen Erfahrungen — 45 — zu berichten, so fließt er sofort spärlicher1)." Würde man jeden Einwanderer bei seiner Ankunft befragen, welche Gründe ihn ver- anlaßt haben, gerade Argentinien aufzusuchen, so würden vielleicht bei der Mehrzahl verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehun- geH zu im Lande bereits ansässigen Volksgenossen ausschläggebend gewesen sein. Für die italienische und spanische Einwanderung wird das ohne große Einschränkung gelten. Diese persönlichen Beziehungen sind als einwanderungsförderndes Moment nicht hoch genug anzu- schlagen. Das Einwanderungsland kann sie dadurch seinen Zwecken nutzbar machen, daß es für die in Europa zurückgebliebenen Familien- angehörigen der Eingewanderten Passagevorschüsse gewährt. Argen- tinien hat denn auch in dieser Richtung gehende Versuche unter- nommen, die aber nie zu größerer praktischer Bedeutung gelangt sind2). Die argentinische Wanderungsbewegung krankt vor allem an den hohen Rückwandererziffern. Diese lassen sich aber nicht durch ein- wanderungspolitische, sondern einzig und allein durch kolonisations- politische Maßnahmen herabdrücken. Die Ansiedlungsmöglich- keiten müssen verbessert werden. Unter den heutigen Agrarverhält- nissen kann aber von einer Verbesserung derselben keine Rede sein. Der Großgrundbesitzer, in dessen Händen der größte Teil des land- wirtschaftlich nutzbaren Bodens ist, begünstigt aus später auszu- führenden Gründen das Pachtsystem und ist einer Parzellierung so abhold, daß er die Umwandlung des Einwandererkolonisten in einen Bauern mit eigenem Grund und Boden sehr erheblich erschwert. Sein Verhalten läuft vielmehr direkt auf eine Verminderung der relativen Dichte der ländlichen Bevölkerung hinaus. Darum ist es unnütz, durch einwanderungspolitische Maßnahmen eine starke agrarische Einwanderung fördern und im Lande festhalten zu wollen, wenn man ihr nicht die nötigen sicheren Existenzmittel bieten kann. Die von Jahr zu Jahr wachsende Erschwerung des Landerwerbs in kleinen Parzellen erklärt zum großen Teil das sehr verbreitete Bestreben der Kolonisten, nach möglichst kurzer Zeit mit möglichst viel erspartem Gelde in die Heimat zurückzukehren, und die daraus resultierende *) Julius Wolf, Die Einwanderung in Argentinien im Jahre 1907, „Süd- und Mittelamerika", Jahrg. 1908, S. 123. 2) Der von Hiller (a. a. O. S. 73) erwähnte, im Jahre 1908 gemachte Vor- schlag, nach dem die Nationalbank den Kolonisten kleine Darlehen bis zu 300 Pesos geben sollte, damit sie Angehörige und Freunde aus Europa kommen lassen könnten, ist nie verwirklicht worden. - 46 - Rückwanderung, soweit diese sich nicht rein als internationale Wander- arbeiterbewegung darstellt. Die Einwanderungspolitik kann nur dann den wahren Interessen der argentinischen Volkswirtschaft dienen, wenn sie in einer ziel- sicheren* Kolonisationspolitik ihre Ergänzung findet. j. Kapitel. Kolonisation und nationale Siedlungspolitik. a) Historische Entwicklung. Die Bemühungen Argentiniens, seine Bevölkerungszahl wesentlich zu erhöhen, haben nicht die Wirkung gehabt, die man auf Grund der natürlichen Reichtümer des Landes und seiner begünstigten Welt- verkehrslage hätte erwarten können. Es könnte heute fast scheinen, als ob die gewaltige Ausdehnung von Ackerbau und Viehzucht, das ständige Wachsen der Ausfuhrmengen bald einen Höhepunkt erreicht hätte, über den hinaus es nicht fortschreiten könnte — wegen des Fehlens der Menschenhände. Zwar zeigt ein Vergleich mit den übrigen amerikanischen Ländern die relativ günstige Stellung Argentiniens als Einwanderungsland. Es betrug in den letzten 10 Friedensjahren, 1904 — 1913, die Summe der Einwanderung nach den Vereinigten Staaten 9716335 Köpfe, Argentinien . . . 2391979 Kanada 1478970 ,, Brasilien 1035 415 Kuba 367232 Uruguay 83582 „ l) Während aber z. B. Kanada durch eine liberale Siedlungspolitik (Heimstättengesetz) die Einwanderer im Lande festhält, muß Argen- tinien zusehen, wie alljährlich große Menschenmassen, die es für den Ausbau seiner Volkswirtschaft so notwendig braucht, seine Küsten wieder verlassen. Ein Hauptgrund dafür, daß es bisher nicht gelungen ist, eine dem Umfang der landwirtschaftlichen Expansion entsprechende, festansässige ländliche Bevölkerung zu schaffen, ist in dem Versagen der Kolonisationspolitik zu suchen. Man kann nicht sagen, daß der Staat nicht früh genug seine Aufmerksamkeit kolonisatorischen *) Memoria de la Direcciön General de Inmigraciön, Buenos Aires 1915, S. 49. — 47 — Fragen zugewandt hätte. Wollte das menschenleere Land überhaupt irgendwie in eine ökonomische und kulturelle Entwicklung eintreten, so ergab sich ohne weiteres als erste Notwendigkeit, Menschen herbei- zuholen und anzusiedeln. Für die nationale Siedlungspolitik standen zwei Wege zur Verfügung: entweder der Staat konnte selber kolo- nisieren, oder er überließ das Siedlungswerk privaten Kolonisations- unternehmern und beschränkte sich darauf, fördernde und regelnde Vorschriften zu geben. Beide Wege sind in Argentinien betreten worden. Der erste hat zu keinem nennenswerten Erfolge geführt,' weil man sich zu spät zu einer großzügigen staatlichen Kolonisation entschloß. Zu spät insofern, als der Staat mit seinen eigenen Lände- reien äußerst freigebig verfuhr, die in riesigen Komplexen an Staats- männer, Soldaten und Leute, die sich irgendwie um das Allgemein- wohl „verdient" gemacht oder der herrschenden Partei gute Dienste geleistet hatten, verschenkt oder zu geschenkartigen Preisen vergeben wurden, und dann in dem Augenblick, in dem eine eigentliche Koloni- sation hätte einsetzen müssen, in den Ackerbauprovinzen nicht mehr über geeignetes fiskalisches Land' verfügte. Die x\ngaben über Ursprung und Gründung der ersten Ackerbau- kolonien gehen auseinander. Nach den einen ist die erste Kolonie im Jahre 1853 von einem französischen Arzt, Dr. Brougues, in San Juan in der Provinz Corrientes gegründet worden, nach den anderen ist die älteste Kolonie des Landes das 1856 in der Provinz Santa Fe begründete Esperanza1). Jedenfalls ist diese letztere Gründung in mancher Beziehung grundlegend gewesen für die spätere Entwicklung und ihre Form charakteristisch für die Art, in der man das Kolonisationsproblem zunächst zu lösen suchte. Darum sei an dieser Stelle ausführlicher darauf eingegangen2). Es handelt sich um eine Vereinigung staatlicher und privater Ini- tiative. Die Regierung von Santa Fe schloß mit einem Aaron Castellanos einen Vertrag ab, durch den dieser sich verpflichtete, im Laufe von 10 Jahren 1000 Familien aus Europa heranzuziehen, in Gruppen von 200 Familien, die durchschnittlich je 5 Personen umfassen sollten. Die Kolonisten erhielten von der Regierung 20 cuadras3) Land, das nach 5 Jahren ihr Eigentum wurde. Material zum Bau einer Hütte, Saatgut,. x) G. Wilcken, Las Colonias, informe sobre el estado actual de las colonias agricolas de la Repüblica Argentina, Buenos Aires 1873. 2) Das Folgende ist dargestellt nach E. Rebuelto, Historia del desarollo de los ferrocarriles argentinos im Boletin deObras Püblicas, Bd.V, Buenos Aires. 1911, S. 22ff. 3) Eine cuadra — 1,08 ha. - 4« - 2 Pferde, 2 Ochsen, 7 Kühe und ein Zuchtstier wurden zu dem billigen Preise von 200 Pesos geliefert, die nach 2 Jahren zurückgezahlt werden sollten. Außerdem schloß der Unternehmer mit seinen Kolonisten Ver- träge ab, nach denen sie die Vorschüsse, die ihnen für Reisekosten, Trans- port zum Ansiedlungsort und Lebensunterhalt gewährt wurden, in i, 2 oder 3 Jahren mit io%iger Verzinsung zurückzahlen, ferner 5 Jahre lang ein Drittel der Ernte in exportfähigem Zustande an den Unter- nehmer abliefern sollten. — Das Unternehmen schlug zunächst fehl. Mißernten brachten die Kolonisten, denen zudem jede Kenntnis der an- zuwendenden landwirtschaftlichen Methode fehlte, in die größte Notlage. Die Regierung mußte helfend eingreifen und die Verpflichtungen der Kolonisten gegen den Unternehmer in Höhe von 200000 bolivianischen Pesos übernehmen. Die Provinzialregierung von Santa Fe unterhielt dann die Kolonie weiter mit Zuschüssen an Lebensmitteln und Saatgut, bi£ gute Ernten und hohe Preise für alle Erzeugnisse eine Gesundung herbeiführten. Heute ist Esperanza ein bedeutendes Kolonisationszentruni und eins der blühendsten Produktionsgebiete des Landes. Die Kolonisation der Provinz Santa Fe entwickelte sich von zwei Mittelpunkten aus; der nördliche lag in der Provinzialhaupt- stadt Santa Fe, der südliche in Rosario1). Beides waren Hafenstädte. am Paranäfluß. Dasselbe Bild wiederholt sich immer wieder in der späteren Entwicklung des Landes: die Kolonisation schreitet von den schiffbaren Flüssen aus in das Landesinnere vor. Bis zum Jahre 1870 wraren etwa 30 Ackerbaukolonien im ganzen Lande gegründet, fast alle in der Provinz Santa Fe. Sie umfaßten rund 400000 Hektar und 3000 Familien. Eine bedeutende Kolonisationstätigkeit entfaltete im südlichen Santa Fe die Zentralargentinische Bahn, der zu beiden Seiten ihrer Linie ein Streifen von je 5 km Regierungsland überlassen wurde2). Das Land wurde in Losen von 20 — 40 cuadras unter ähnlichen Bedingungen und Beihilfen wie vorher geschildert, den Kolonisten angeboten. Die bedeutendste Gründung der Bahn- gesellschaft war die schweizerische Kolonie Bernstadt bei Rosario, die auf 10800 ha 394 Konzessionen umfaßte. Die Bahn schuf sich, in völliger Erkenntnis des innigen Zu- sammenhanges zwischen Ansiedlungsfortschritt und der eigenen Weiterentwicklung, ein eigenes Kolonisationsorgan in einer ihr an- gegliederten ,, Landkompagnie", die über ihre eigene Organisation x) Karl Kaerger, Landwirtschaft und Kolonisation im Spanischen Amerika, Leipzig 1901, I. Bd, Die La Plata- Staaten, S. 17. 2) Bei Durchführung dieser Maßnahme zeigten sich schon die Folgen der unbesonnenen staatlichen Bodenpolitik. Die Regierung besaß nicht mehr die genügenden Besitztitel für alles Land , das in die Konzession der Bahn fiel, und mußte es teilweise auf dem Wege der Enteignung wiederervverben. — 49 — und eigenes Kapital verfügte. Diese unterhielt Agenten in Europa, welche die nötigen Kolonisten zu verpflichten hatten. Die Erfolge waren gut. Der weitaus größte Teil der Kolonisten verfügte nur über das Kapital, das ihnen die Landkompagnie zur Verfügung stellte, dennoch brachten es die meisten bald zu Selbständigkeit und Vermögen. Beispiel der zentralargentinischen Landkompagnie wurde denn auch in der Provinz von zahlreichen Privaten nachgeahmt. Die Provinz Santa Fe ist gegenwärtig zu den in der inneren Kolonisation am weitesten fortgeschrittenen Teilen der argentinischen Republik zu zählen. Schon 1900 betrug die Zahl der vorhandenen Ackerbaukolonien über 400. In den Provinzen Cördoba und Buenos Aires setzte erst gegen 1880 die Kolonisation in größerem Umfang ein. In Cördoba wurden 1875 die ersten Kolonien von der Nationalregierung gegründet, die Landlose von 37 ha zum Preise von 2 Goldpesos pro ha vergab. 1890 waren erst 62 Ackerbaukolonien in ganz Cördoba vorhanden. Die kolonisatorische Entwicklung in der Provinz wurde erschwert durch ihre Binnenlandlage, die großen Entfernungen zu den Häfen ver- hinderten umfangreiche Siedlungen, solange in der Nähe der Flüsse noch Land genug zur Verfügung war. Die Provinz Buenos Aires war durch ihre verkehrsgeographischen und physikalischen Bedingungen darauf angewiesen, sehr lange sich auf Viehzucht zu beschränken und gab der Kolonisation daher auch erst später Raum. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, den vielverschlungenen Pfaden, auf denen die Kolonisation langsam im Lande vordrang, im einzelnen nachzugehen. Fördernd haben vielfach die Provinzial- regierungen eingegriffen, an erster Stelle die von Santa Fe1). Liest man die Berichte über Entstehung und Entwicklung der einzelnen Gründungen nach, so findet man, daß nur verhältnismäßig wenigen der Kolonien von Anfang an eine gedeihliche Entwicklung beschieden war. Die tieferen Ursachen waren immer dieselben. Die Siedlungen waren an Ort und Stelle nie genügend vorbereitet ; die Verkehrsmittel nicht ausreichend entwickelt. Vor allem fehlte das nötige Kapital, um Betriebseinrichtungen zu schaffen, mit denen die ankommenden Kolonisten hätten wirtschaften können. Diese wurden immer wieder einfach auf den flachen Kamp gesetzt und waren dann, noch dazu ohne jede Erfahrung in den Besonderheiten des Landes, natürlich J) In Corrientes wurde 1869 ein Landgesetz, in Oordoba 1871 ein Kolo- nisationsgesetz erlassen. Beide erlangten keine große praktische Bedeutung. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. 4 nicht in der Lage, aus dem Nichts heraus einen rentablen Landwirt- schaftsbetrieb ins Leben zu rufen. Vielfach war auch das Menschen- material nicht geeignet. Die Methoden, mit denen die Auswanderer in Europa angeworben wurden, waren oft nicht einwandfrei, und nicht alle Versprechungen der Kolonisationsunternehmer wurden gehalten. Auch die argentinische Bundesregierung war häufig nicht in der Lage, die in Aussicht gestellten oder gesetzlich zugesicherten Unterstützungen zu leisten, und gerade die daraus entstehende Mutlosigkeit nahm dann den Ansiedlern die letzte Widerstandskraft gegenüber den unüber- windlich erscheinenden Anfangsschwierigkeiten. Der ganze erste Abschnitt der Kolonisation wird charakterisiert durch gemeinsame Tätigkeit von Staat und Privaten. Daß sich Ein- wanderer spontan, ohne Vermittlung von Unternehmern, irgendwo als Kolonisten ansiedelten, kam fast nie vor. Das Kolonisieren wurde auf Regierungsland mit staatlicher Hilfe von Unternehmern betrieben, nicht um der Kolonisation und der Kolonisten willen, sondern als Geschäft. Ein festes System ist in dem Vorgehen des Staates eigentlich nirgends zu erkennen, und vielfach macht die Kolonisationstätigkeit stark den Eindruck des Experimentierens. Für die Weltmarktstellung Argentiniens erhält seine innere Kolonisation erst Bedeutung von dem Augenblick an, da der Ackerbau, der durch die Kolonisation und mit ihr an Ausdehnung gewann, namhafte Exportüberschüsse erzeugte. Bis zum Jahre 1880 beschränkte sich die Ausfuhr fast ausschließlich auf viehzüchterische Produkte. Auf letztere entfielen noch 1880 von einem Gesamtausfuhrwert von 56258897 Goldpesos allein 52352196 = 93% und nur 791000 == 1,5% auf Ackerbauerzeugnisse1). Für den Bereich der ganzen Republik wurde im Jahre 1876 zusammen mit dem im vorigen Abschnitt besprochenen Einwande- rungsgesetz von der Nationalregierung ein neues Kolonisations- gesetz geschaffen. Der Grundgedanke dieses Gesetzes war, den Erwerb öffentlicher Ländereien auf jede Weise zu erleichtern, um möglichst viele Einwanderer auf eigener Scholle anzusiedeln und damit das Kolonisationswerk auf breitere Grundlage zu stellen. Das Gesetz schuf eine neue Behörde, die ,,oficina central de tierras y colonias", die auf Rechnung der Nationalregierung die Kolonisation durchführen sollte. Das Regierungsland wurde in Sektionen von 400 qkm eingeteilt und diese wiederum in 400 Lose von je 100 ha. In jeder Sektion sind 4 in der Mitte gelegene Lose für dörfliche Siedlung bestimmt. Die J) Estadfstica Agrfcola, 1910, S. 23. - 5i — ioo ersten Kolonisten (innerhalb jeder Sektion) erhalten ein Los geschenkt, die übrigen 300 werden für 2 Goldpesos pro ha verkauft. Der Verkaufspreis wird in 10 Jahresraten zerlegt, von denen die erste jedoch erst 2 Jahre nach Inbesitznahme zu erlegen ist. Mehr als 4 Lose, also 400 ha dürfen nicht in einer Hand vereinigt werden. Die Xationalkolonicn sind auf 10 Jahre frei von allen Abgaben. Die großen Erwartungen, die an dieses Gesetz geknüpft wurden., hat es in keiner Weise erfüllt. Zwar ist es die direkte Veranlassung zur Gründung einiger Kolonien gewesen, damit aber ist seine Wirkung erschöpft geblieben. Vielfach wurde vielmehr gerade das Gegenteil dessen erreicht, was die Gesetzgeber bezweckten. Unter Umgehung der gesetzlichen Beschränkungsvorschrift wurden auf Grund der er- leichterten Erwerbsbedingungen große Landstrecken in der Hand Einzelner vereinigt und statt Aufteilung und Besiedlung nur eine Vermehrung des unproduktiven privaten Großgrundbesitzes erreicht. Die Provinz Buenos Aires hatte von jeher ihre besondere, man kann nicht sagen besonders glückliche Bodenpolitik verfolgt. Schon früher war durch Provinzialgesetz Besitzern von Staatsland ein Vorkaufsrecht auf weiteres öffentliches Land gegeben worden, wenn sie das schon in ihrem Besitz befindliche mit einer gewissen Menge Vieh besetzt hatten. Durch die 1878 erlassene ,,ley general de tierras" wurde dieses Vorkaufsrecht auf 8000 ha erweitert und anderer- seits die verlangte Besetzung mit Vieh vermindert. Diese Bestim- mungen mußten natürlich einer Kolonisierung gerade entgegengesetzt wirken. ,,Der Maximalumfang, den eine Person in jeder Sektion von 50000 ha erwerben konnte, wurde auf 30000 ha erhöht und noch dazu gestattet, daß jemand als Bevollmächtigter eines Anderen Land er- werben d*ürfe, so daß damit tatsächlich dem spekulativen Landerwerb wieder Tür und Tor geöffnet wurde . . .(<1). Das im Vergleich zu den übrigen Provinzen besonders langsame Fortschreiten der ackerbau- lichen Entwicklung führte dann in der Provinz Buenos Aires zu einem besonderen großzügigen Kolonisationsgesetz in der ,,ley de Centros Agricolas" von 1887 2). Ein Grundgedanke dieses Gesetzes war, gegenüber dem übermächtigen Vorherrschen der Viehzucht, die mit wenig Arbeit und minimalen Erträgen riesige Flächen innehatte, be- stimmtes Land von Gesetzes wegen dem Körnerbau vorzubehalten. Zu diesem Zweck wurde das an den Bahnlinien gelegene Land in *) Kaerger a. a. O., S. 490. 2) Vgl. Kaerger a. a. O., S. 507U. — 52 — Größe von 2500 ha bei jeder Bahnstation als ,,tierra de pan llevar" erklärt. Auf diesem ,, Brotland" sollten die Centros Agricolas errichtet werden, den Schienenwegen entlang Oasen des Ackerbaues in der Viehzuchtsteppe. Wenn die Besitzer von ,,tierra de pan llevar" nicht selber kolonisieren wollten, konnte die Regierung expropriieren und staatliche Kolonien anlegen. Die private Gründung von Centros Agricolas sollte durch weitestgehende Kreditgewährung seitens der Provinzhypothekenbank angeregt werden, die dem Besitzer oder Kolonisationsunternehmer über Beträge bis zu drei Viertel des wirk- lichen Landwertes Pfandbriefe ausstellte. Natürlich knüpfte sich an diesen Kredit als Gegenleistung die Bedingung, das Land wirk- lich in kleinere Grundstücke aufzuteilen, zum Verkauf bereitzustellen und die angesiedelten Bauern mit Vorschüssen verschiedenster Art zu unterstützen. Als Maximalgröße für die Bauerngüter waren 100 ha festgesetzt. Außer langfristigen Zahlungsterminen — bei staat- licher Kolonisation war ' 10 jährige Amortisation der Provinzbank- darlehen vorgesehen — hatten die Kolonisten 25 %igen Frachtnachlaß für ihre Produkte auf den Staatsbahnen und das Recht der Steuer- freiheit auf 3 Jahre. Wäre dieses Gesetz seinen Bestimmungen gemäß durchgeführt worden, so würde es von außerordentlichem Einfluß auf die Aus- dehnung des Ackerbaues in der Provinz gewesen sein. In der Tat ist die Unfähigkeit der Regierung, ihre gesetzlichen Bestimmungen wirklich zur Durchführung zu bringen, entscheidend für die schlechten Ergebnisse der Siedlungspolitik gewesen. Es wurde sämtliches noch vorhandene öffentliche Land auf Grund der erleichterten Bedingungen des Gesetzes von Privaten erworben, es wurde vor allem der einge- räumte Hypothekarkredit in riesigem Umfange in Anspruch genommen, aber an Kolonisieren dachte man nur in den wenigsten Fällen. Tat- sächlich lief die Wirkung des Gesetzes mehr auf eine Vermehrung des in den Händen von Bodenspekulanten und Großgrundbesitzern befindlichen Landes hinaus als auf kolonisatorische Entwicklung. Von 222 im Gesetz vorgesehenen ,, Centros" wurden nur 40 begründet, in denen Ende der 90er Jahre 1700 Bauernst eilen vorhanden waren. Die Nationalregierung hat durch das im Jahre 1903 erlassene Landgesetz endgültige Verfügung über die Verteilung der Fiskal- ländereien getroffen. Das Gesetz ist heute noch in Gültigkeit. Es ist in ausgeprägter Weise für die Bekämpfung der Latifundien- wirtschaft geschaffen und steht damit in scharfem Gegensatz zu einem Gesetz von 1882, nach dem Staatsland nur auf dem Wege öffentlicher Versteigerung in einer Minimalfläche von 2500 ha ver- äußert werden konnte. Heute kann Fiskalland nur an solche Be- werber direkt abgegeben werden, welche die nötigen Garantien dafür bieten, daß das Land nicht zu Spekulationszwecken erworben wird, sondern in wirklich produktiven Zustand gebracht werden soll. Die Größe der einzelnen Lose darf 100 ha für Ackerbau und 2500 ha für Viehzucht nicht überschreiten. Öffentliche Versteigerung darf über- haupt allein noch bei Ländereien, die ihrer Natur nach für Anlage von Ackerbaukolonien ungeeignet sind, vorgenommen werden. Leider verfugt die Bundesregierung über solche nur noch in beschränktem Maße. Die südlichen Nationalterritorien eignen sich nicht ohne weiteres für Massensiedlungen. Hier muß durch kostspielige Ver- kehrs- und Bewässerungsanlagen erst eine Basis, auf der kolonisiert werden kann, geschaffen werden. Nach Angaben der Direktion für landwirtschaftliche Statistik waren von einem ehemaligen Umfang der Staatsländereien von zusammen 120675750 ha bis zum 31. De- zember 1913: 36438614ha veräußert, worden, so daß noch 84237136ha oder 70% der Staatsländereien Nationaleigentum verblieben waren. Auf die einzelnen Landesteile verteilen sich diese folgendermaßen: Tabelle 9. Bestand und geographische Verteilung der Staatslände reien im Jahre 19141). Nationalterritorium Bestand in 1000 ha % des einstigen Nationalbesitzes Santa Cruz 20293 18 109 14 J34 7892 7888 5 749 5096 1 662 1 547 1 271 35,4 80,7 7i,i 76,1 83,8 59,6 Chubut Kio Negro Chaco ' Formosa . . Neuquen Los Andes Feuerland Pampa Central Misiones 78,0 10,7 43,1 J) Nach Internationale Agrarökonomische Rundschau, September- heft 191 4, S. 113. — Diese Zahlen sind mit großem Vorbehalt aufzunehmen, da vielfach noch keine genauere Vermessung stattgefunden hat. Die Estadistica Agricola (Buenos Aires 1910, S. 30) gab 1910 das nationale Fiskalland auf - 54 — Diese Zahlen geben an sich ein nichtssagendes Bild. Es gehören dazu riesige Flächen des patagonischen Hochplateaus, wo kein Wasser vorhanden ist und schon die Tag und Nacht unaufhörlich wehenden starken Winde jeden Ackerbau unmöglich machen. Ferner ist über die Größe der Gebirgsflächen, der Lagunen, Salinen und Sanddünen nichts bekannt, die als gänzlich wertlos von der Gesamt- fläche abzuziehen sind. Andererseits ist der hohe Kultur wert großer Flächen in den Talgebieten des Rio Negro, Rio Colorado, Rio Neuquen, Rio Limay usw. heute für bewiesen zu erachten. Wenn im Terri- torium Los Andes heute noch 100% der einstigen Nationalländereien im Staatsbesitz sind, so bedeutet das natürlich, daß es sich dort um gänzlich wertloses Land handelt. Andererseits ist es charakteristisch, daß der Verkauf von Regierungsland gerade in der Pampa Central am weitesten gediehen ist, demjenigen Territorium, das landwirt- schaftlich von allen bei weitem am meisten erschlossen und für weitere Kolonisation geeignet ist. In den Ackerbauprovinzen des mittleren Argentinien besitzt die Nationalregierung kein eigenes Land mehr. Damit sind den Zukunftsmöglichkeiten staatlicher Kolonisation auf Regierungsland sehr enge Grenzen gezogen. Gegenwärtig stellt der Staat bei öffentlichen Landverkäufen folgende Bedingungen: Der Käufer muß in 2 Jahren mindestens 2000 Pesos in Vieh und 500 Pesos in Gebäuden auf jede Quadratlegua angelegt haben. Der Kaufpreis ist zu einem Zehntel .sofort zahlbar, der Rest in 5 Jahren mit 6%iger Verzinsung. Soll das Land nur der Viehzucht dienen, was in den Territorien meistens der Fall ist, so ist jede Quadratlegua in den ersten 2 Jahren mit mindestens 500 Schafen oder 80 Stück Rindvieh zu besetzen, außerdem müssen 100 Bäume angepflanzt werden1). Die 83679915 ha an. Vermessungen scheinen inzwischen den Nationalbesitz ver- größert zu haben. Außerdem waren 1910 noch 820000 ha Eigentum der ver- schiedenen Provinzregierungen, davon gehörte rund die Hälfte der Provinz Buenos Aires. Die ungenauen Landvermessungen sind noch heute Gegenstand allgemeiner Klage und geben zu zahlreichen Prozessen Anlaß. Auch in den mittleren Provinzen läßt die Zuverlässigkeit des Bodenkatasters noch sehr zu wünschen übrig. Llanos schlägt für die Provinz Buenos Aires eine allgemeine Katasterrevision vor, deren Ergebnis seiner Meinung nach unzweideutig sein würde, daß große Landstrecken, die sich heute unrechtmäßig in Privathandel! befinden, wieder in den öffentlichen Besitz übergeführt würden. (Julio Llanos, La Cuestiön Agraria, La Plata 191 1, S. 367.) *) Die weite mittelargentinische Ebene ist fast ganz ohne Baumbestand. Die 420000 qm Wald, die das Land aufzuweisen hat, liegen in geschlossenen Komplexen außerhalb der ersteren in den nördlicheren und südlicheren Landes- teilen. Die Unbeständigkeit und Launenhaftigkeit des Klimas, seine plötzlichen Temperaturschwankungen, seine krassen Gegensätze von häufigen langanhalten- — 55 — Verpachtung von Staatsländcreien ist durch Dekret vom 7. Februar [917 neugeregelt worden1). Danach darf Staatsland nur zu Weidezwecken verpachtet werden, alles fiskalische Land, das sich für den Ackerbau eignet, ist der Aufteilung zu Kolonisationszwecken vorbehalten. Der Pachtzins wird nach der Ertragsfähigkeit vom Landwirtschaftsministerium festgesetzt, darf jedoch nicht unter 200 Pesos für 2500 ha betragen. Die Maximalfläche, welche an eine Person oder Gesellschaft abgegeben werden •darf, beträgt in den Territorien Pampa Central, Rio Negro, Neuquen, Chaco und Formosa 10 000 ha. Die Pachtfrist beträgt, unter Vorbehalt jederzeitiger Kündigung. 5 Jahre. Nach Ablauf derselben hat der Pächter das Vorkaufsrecht auf die Hälfte seines Pachtlandes. Er ist verpflichtet, das Land selber zu bewirtschaften und ein niedrig bemessenes Minimum an Kapital zu investieren. Die Ausführung aller dieser Bestimmungen ist in der Praxis äußerst ungewiß. Nicht zur Förderung der Kolonisation trägt auch die Tatsache bei, daß die Regierung vielfach die Ausgabe der endgültigen Besitztitel hinauszögert2). Hierfür dürfte ein nicht unberechtigtes Mißtrauen des Staates den Landerwerbern gegenüber' maßgebend sein, das in folgender Erscheinung seinen Grund hat: Spekulative Elemente haben aus dem ,, Kolonisieren" auf Regierungsland ein lohnendes Landgeschäft gemacht. Sobald sie nach 5 jährigem Pachtbesitz das Eigentum erworben haben, veräußern sie das Land zu lohnendem Preise an einen Großgrundbesitzer und nehmen selber wieder neues Staatsland in Pacht. Auf diese Weise dient das Land, dessen sich der Staat zu kolonisatorischen Zwecken begeben hat, wiederum nur einer Vermehrung des Großgrundbesitzes, auf dessen Flächen bei extensivster Viehzucht nur wenig Menschen Raum haben. Ein zusammenfassendes Urteil kann alle staatlichen Versuche der Lösung der Kolonisationsfrage nur als gänzlich mißlungen be- zeichnen. In der verwirrenden Fülle der Gesetze und Verordnungen von Bundesregierung wie Provinzialregierungen, aus der hier nur einige der wichtigsten herausgehoben werden konnten, vermißt man den Dürren und überreichen Regenfällen und Überschwemmungen, all das ist eine natürliche Folge des Fehlens von Baum- und Waldbeständen, die auf Temperatur, Wind und Regen als meteorologische Ausgleichsfaktoren wirken. Darum ist die Anpflanzung größerer Baumbestände so wichtig. Seit 1900 wird alljährlich nach dem Beispiel der Vereinigten Staaten in allen argentinischen Schulen das „Baumfest" begangen, bei dem unter Zeremonien das Pflanzen von Bäumen als patriotische Handlung vorgenommen wird. (Vgl. „La Fiesta del Arbol" von H. Miatello in „Agronomia", Buenos Aires, Heft Februar- März 191 3, S. 3 4 ff.) *) Boletin oficial de la Repüblica Argentina, Nr. 6916, 12. 2. 1917 2) Verslagen en Mededeelingen van de Directie van den Land- bouw, Nr. 1, De Landbouw in Argentinie, s'Gravenhage 1914, S. 23. völlig einen einheitlichen Zug und eine durchgreifende Regelung. Mit einer gewissen Sorglosigkeit wurden die riesigen Landflächen, die den Indianern abgewonnen worden waren, dem Großgrundbesitz in die Hände gespielt. Statt kleiner Bauernbetriebe entstanden riesige Latifundien. Das Spekulationselement erhielt zu großen Ein- fluß auf die Landverteilung, und das Großkapital machte sich zum Herrn des Landes, das für Kolonisten bestimmt war. Darum blieben auch alle Versuche, das Land seinem gewaltigen Umfang entsprechend zu bevölkern, ohne durchschlagenden Erfolg. Hat somit die staatliche Kolonisation den Fortschritt der Be- siedelung des Landes nur sehr wenig gefördert, so sind alle Errungen- schaften, die Argentinien bis heute überhaupt auf dem Gebiete der inneren Kolonisation zu verzeichnen hat, der Tätigkeit von Privat- unternehmern und Gesellschaften zuzuschreiben. Die schon oben hervorgehobene besonders günstige Entwicklung der Provinz Santa Fe hatte — von den verkehrsgeographischen Vorzügen abgesehen — zum Teil ihren Grund in dem frühzeitigen Einsetzen privater Kolonisierung. Bereits seit 1870 entstandhier eine Anzahl von Kolonien dadurch, daß Grundbesitzer selbständig einen Teil ihres Bodens zu Ackerbaulosen aufteilten. In allzu großem Umfang dürfte dies freilich nicht geschehen sein. Etwa seit Beginn des neuen Jahr- hunderts treten in immer größerer Zahl Firmen auf, die sich ge- schäftsmäßig mit der Gründung von Ackerbaukolonien befassen. Sie haben heute in ihrer Mehrzahl ihren Sitz in Buenos Aires und arbeiten mit beträchtlichem Kapital. Sie kaufen von der Regierung oder von Privaten Land, um es sofort mit entsprechendem Preis- aufschlag wieder zu verkaufen. Das eigentliche „Kolonisieren" be- steht lediglich im Vermessen der Parzellen, Propagandatätigkeit und Einwirkung auf die Behörden zwecks Verbesserung der Verkehrs- mittel. Das Bedenken, welches dieser ganzen Einrichtung vom Stand- punkt der argentinischen Volkswirtschaft entgegenzubringen ist, liegt darin, daß die Kolonisationstätigkeit unter rein privatwirt- schaftlichen Gesichtspunkten zur Erzielung kaufmännischer Gewinne erfolgt. Darin liegen naturgemäß gewisse Gefahren. Die Koloni- sationsgesellschaften lassen vor allem dem Kolonisten keinerlei wirt- schaftliche Förderung angedeihen. Sobald er auf seinemL andstück sitzt, bleibt er sich selbst überlassen. Zwar sind die Zahlungsbe- dingungen im allgemeinen günstig, meist werden bei geringer An- zahlung fünf- und mehrjährige Teilzahlungen vereinbart, doch sind letzten Endes diese Bedingungen notwendigerweise der Kapital- armut der Kolonisten und Einwanderer angepaßt. Muß ein Kolonist vor Bezahlung des letzten Teilbetrages von seinem Vertrage ab- stehen, wozu ihn eine Mißernte leicht zwingen kann, so fällt die ganze bisher geleistete Zahlung an die Gesellschaft. Nach Aussagen von Kennern des Landes soll dieser Fall nicht selten eintreten. Natürlich können sich die einzelnen Gesellschaften in ihren Geschäftsgebräuchen sehr voneinander unterscheiden. Jedenfalls aber ist die wachsende Zahl der Kolonisationsunternehmen ein Beweis für die Rentabilität ihres Geschäftes. Amtliche Zahlen über den Umfang ihrer Tätigkeit liegen nicht vor. Doch sei nochmals betont, daß die überwiegende Mehrzahl aller gegenwärtig in der Getreidezone vorhandenen Acker- baukolonien aus ihrer Initiative hervorgegangen ist. Eine der be- deutendsten Gesellschaften, das deutsche Unternehmen „Coloni- zaciön Stroeder", hatte allein bis zum Kriege über eine Million Hektar aufgeteilt. Es gibt außerdem einige Kolonisationsgesellschaften, die nach gemeinnützigen Grundsätzen arbeiten. Unter ihnen steht an erster Stelle die ,,Jewish Colonization Association". Diese Ge- sellschaft verdankt ihre Erfolge besonders dem Grundsatz, daß sie nur solchen Leuten Kolonielose gibt, die durch längere Arbeit bei einem bereits ansässigen Kolonisten die Wirtschaftsweise des Landes kennen gelernt und ihre Eignung zum Ansiedler bewiesen haben. Die Bestimmung, daß der Kolonist erst nach 20 Jahren das Eigen- tum an seinem Land erwirbt, ist eine Vorsichtsmaßregel gegenüber dem ausgeprägten Wandertrieb des Juden, die sein Seßhaftwerden zwangsweise beeinflussen soll. Die bisher behandelten Methoden staatlicher und privater Kolo- nisation haben die Schaffung eines selbständigen, auf eigener Scholle tätigen Bauernstandes zur Aufgabe. In diesem Zusammenhang seien ein paar Bemerkungen über das argentinische Pachtwesen vorweggenommen. Wie wir später im einzelnen ausführen werden, wird der größte Teil des argentinischen Getreidebaus auf gepachtetem Boden betrieben. Die Großgrundbesitzer halten es für vorteilhafter, statt sich ihres Landes für immer zu entäußern, „Kolonien" von Pächtern und Halbpächtern auf demselben anzulegen. Diese Siede- lungen landwirtschaftlich tätiger Bevölkerung auf gepachtetem Boden entbehren der vornehmsten Vorbedingungen gesunden wirt- schaftlichen Fortschreitens. Fehlt dem Landarbeiter der Ansporn, den das erhöhte Interesse am eigenen Grund und Boden erweckt, so bleiben seine Anbaumethoden primitiv und die Bodenerträge niedrig und unsicher. auf eine gruppenweise Ansiedlung von Bauern, die Landeigentümer sind, anwenden. In der argentinischen Literatur und Presse wird, meist auch die auf dem Pachtwege erfolgende Ansiedlung zur ,, Kolonisation" gerechnet1). Es liegt hier eine Verwechslung von landwirtschaftlicher Erschließung des Landes durch pachtweise Bodenbearbeitung und tat- sächlicher innerer Kolonisation, die bodenbesitzende Ansiedler schafft, vor. Das Falsche dieser Auffassung liegt vor allem darin, daß der argen- tinische Pachtackerbau in seiner typischen Erscheinungsform fast nirgends dauernd auf derselben Stelle bleibt, sondern wandert, immer neue Flächen unter Kultur nimmt. Der Großgrundbesitzer verpachtet auf wenige Jahre einen Teil seines Landes zum Getreidebau, um ihn dann in ver- bessertem Zustande, als „gebrochenen Kamp", wieder seiner ursprüng- lichen Bestimmung, der Viehzucht, zurückzugeben. In den stets sehr kurz befristeten Pachtverträgen findet sich z. B. häufig die Klausel, daß am Ende der Pachtzeit die etwa errichteten Gebäude niederzulegen, Brunnen zuzuschütten, Einzäunungen zu entfernen sind. Also absolute Vernichtung aller Spuren einer ehemaligen Siedlung . Darin spricht sich wohl am deutlichsten aus, wie wenig identisch diese sporadischen Pachtansiedlungen mit wirklicher Kolonisation sind. Die ausschlag- gebende Bedeutung des argentinischen nomadisierenden Pachtsystems für die stets weiter vordringende ackerbauliche Erschließung des Landes, Vergrößerung der Ackerbauflächen und Vermehrung der Exportmengen, wird dadurch nicht herabgemindert. Von innerer Kolonisation aber im Sinne der Schaffung eines bodenständigen Bauerntums kann bei diesem ganzen Prozeß nicht die Rede sein. Gerade die außerordentlich schwierige Lage eines großen Teils der Pachtbauern rückte das Problem der inneren Kolonisation in den letzten Jahren vor dem Kriege erneut in den Vordergrund des öffentlichen Interesses. Die 1912 und dann in größerem Umfang 1913 ausbrechenden Pächterstreiks in den mittleren Provinzen, deren Beilegung zwar schließlich durch Vermittlung einer Regierungs- kommission gelang, waren der mittelbare Anlaß für eine ganze Reihe von Gesetzesentwürfen, die auf einen beschleunigten Fortschritt in der inneren Kolonisation und auf die Umwandlung der Pachtkolonisten in grundbesitzende Bauern abzielten. Bis zum Kriege ist von diesen Entwürfen, die zum Teil sehr bemerkenswerte Gedanken enthalten, keiner zum Gesetz erhoben worden. Hervorgehoben sei der Entwurf des Nationaldeputierten Frers, der die Bildung einer nationalen Kolonisationsbank mit einem Kapital von 100 Mill. Pesos vorsieht, die als Zentralinstitut die Aufteilung von 25 Mill. ha Fiskalland vor- J) Auch Pfannenschmidt (a. a. O., S. 19) rechnet die Verpachtung von Land an Unternehmer zum Zweck der Weiterverpachtung zur privaten Koloni- sation. — 59 — nehmen soll1), ferner ein Entwurf aus dem Jahre 1913, der an ein bereits vorhandenes Kreditinstitut, die nationale Hypothekenbank, anknüpft2). Diese soll auf günstig gelegene Ländereien von guter Bodenbeschaffenheit, die von ihren Eigentümern zu Kolonisations- zwecken zur Verfügung gestellt werden, Darlehn bis zu 80% des Taxwertes geben, die dem Kolonisten als Betriebskapital dienen. Damit wird der Zweck, die private Kolonisationstätigkeit anzuregen, zu gewissem Grade erreicht. Die Ausstattung des Kolonisten mit staatlichem Darlehn erleichtert dem Grundbesitzer den Entschluß, Land zu Kolonisationszwecken herzugeben, da er kein eigenes Kapital zum Kolonisieren braucht und das Risiko, das mit jedem Kolonisations- geschäft verbunden ist, teilweise vom Staat übernommen wird. Im Jahre 19 17 hat sich endlich die Regierung zum Erlaß eines Heimstätte ngesetzes nach nordamerikanischem Vorbild ent- schlossen3). Es bestimmt die kostenlose Landüberweisung an Antrag- steller durch den Staat. Der Staat überläßt In- und Ausländern geschenkweise Landparzellen in_ Größe von 20 — 200 ha und gibt Vorschüsse zur Beschaffung der nötigen Betriebseinrichtung. Für die Landverteilung sind zunächst bestimmt: 15 Mill. ha4) im Gran Chaco, zu beiden Seiten der schon bestehenden Bahn, mit Anschluß an die Häfen des Paranä und Rio Uruguay, etwa 1 Mill. ha in Misiones zwischen dem Alto Paranä und Alto Uruguay und 3 Mill. ha im Territorium Chubut am gleichnamigen Flusse, in der Nähe von Hafen und Eisenbahn. Während sich der Chaco und Misiones besonders für den Anbau von Reis, Baumwolle und anderen subtropischen Gewächsen eignen, kommt Chubut für Getreide- und Luzernebau sowie Schafzucht in Frage. Da es sich bei dieser Heimstättenkoloni- sation nur um Fiskalländereien in den nördlichen und südlichen Xationalterritorien handelt, kann das Gesetz zur Lösung der Koloni- sationsfrage im Hauptproduktionsgebiet der mittleren Ackerbau- zone nicht beitragen. Zudem ist es gegenwärtig noch eine „lex imperfecta", d. h. es hat zwar die Sanktion des argentinischen x) Wortlaut des Gesetzentwurfes in den Mitteilungen des Deutsch-Argen- tinischen Zentralverbandes, 1912, 5. Heft, S. 213 ff. ^Mitteilungen des Deutsch-Argentinischen Zentralverbandes. 191 3, 6. Heft, S. 233 ff. 3) Wirtschaftlicher Nachrichtendienst, herausg. v. Deutschen Überseedienst G. m. b. H., Berlin 1918, Nr. 459, S. 354. 4) Diese Zahl ist zu hoch angegeben, da der Staat im Territorium Chaco nach amtlicher Angabe 191 4 nur noch 7892000 ha Land besaß. — 6o — Nationalkongresses erhalten, ist aber noch nicht in Kraft gesetzt worden. Die Ausführungsbestimmungen, ohne die das Gesetz un- wirksam ist, sind noch nicht erlassen. b) Das Kolonisationsproblem der Gegenwart. Eine zahlenmäßige Darstellung des gegenwärtigen Standes der inneren Kolonisation in Argentinien ist nicht möglich. Es mangelt an ausreichenden statistischen Unterlagen, um den interessanten Prozeß der Aufteilung des Landes in seinen Entwicklungsstufen verfolgen zu können. Da die staatliche Kolonisation nur unbedeutende Erfolge zu verzeichnen hatte, andererseits aber die Tätigkeit privater Koloni- sationsunternehmer nicht statistisch erfaßt wird, liegen über Zahl und Umfang der bisher geschaffenen Ackerbaukolonien sowie Zahl und Größe der in ihnen vorhandenen Eigentumsbetriebe keine An- gaben vor. Man kann daher nur aus der ländlichen Besitzverteilung ein ungefähres Bild des derzeitigen Standes der inneren Kolonisation gewinnen1). Nach dem Zensus von 1895 wurden von einer Gesamt- zahl von 180495 vorhandener Ackerbaubetriebe 60,7% durch Eigen- tümer bewirtschaftet. Dieser Anteil zeigte an sich einen nicht un- günstigen Stand der Ausbildung des Eigentums am Boden. Obwohl nicht die gleichen Erhebungsmethoden zugrunde liegen, seien dem die Ergebnisse des Zensus von 1908 gegenübergestellt. 1908 wurde die Zahl der ,,Höfe, Gärten, Ackerlose", die dem Getreidebau oblagen, auf 136 819 festgestellt, die Gesamtzahl aller ländlichen viehhaltenden Betriebe dagegen auf 222 174. Diese Zahlen umfassen die ganze Republik. Unter den 222 174 viehhaltenden Betrieben sind zunächst eine große Zahl solcher enthalten, die gar nicht als landwirtschaftliche bezeichnet werden können. Ferner fallen darunter die Spezialkulturen in den nördlichen und westlicHen Landesteilen außerhalb der Getreide- zone, die nur für den Inlandkonsum produzieren, so der Zucker- rohranbau der Provinz Tucumän und der Weinbau der Provinz Mendoza. Um ein richtiges Bild des Ergebnisses der Kolonisations- tätigkeit zu gewinnen, ist die Beschränkung auf die reinen Acker- baubetriebe der Getreidezone notwendig, also der Provinzen *) Als Unterlage kommt hier die von der Abteilung „Estadistica Agri- cola y Economia Rural" des Landwirtschaftsministeriums jährlich heraus- gegebene landwirtschaftliche Statistik in Betracht. Der letzte große landwirt- schaftliche Zensus von 1908 gibt wohl sehr eingehende Daten über Anbau- flächen und Betriebsgrößen der einzelnen Körnerarten, enthält aber keine An- gaben über Eigentumsverhältnisse. — 6i — Buenos Aires, Santa Fe, Cördoba, Entre Rios und des Territoriums Pampa Central. Daß diese 5 Gebiete die gesamte argentinische Exportlandwirtsehaft umfassen und daneben die übrigen Teile des Landes kaum eine Rolle spielen, möge die folgende Tabelle zeigen, welche die Anbauflächen für das Jahr 1916 angibt. Tabelle 10. Anteil der Hauptackerbauzone an den Gesamtanbau- flächen des Landes im Erntejahr 1916 — 171). Provinz Anbaufläche in looo ha Weizen Leinsaat Hafer Mais Buenos Aires Santa Fe Cördoba Entre Rios Territorium Pampa Central Gesamte Hauptackerbauzone . Übrige Provinzen u. Territorien Eine Darstellung der Verhältnisse in den aufgeführten 5 Landes- teilen umfaßt demnach ziemlich erschöpfend die Lage des gesamten für den Export produzierenden Ackerbaus. Beim Mais, der von allen Körnerarten die größte Anbaufläche außerhalb der Haupt- zone aufweist, entfielen nur 9% auf übrige Provinzen und Terri- torien. Merkwürdigerweise umfaßt die argentinische Statistik bei Feststellung der Eigentumsverhältnisse nur diejenigen Betriebe, die Weizen, Leinsaat, Hafer, Gerste, Kanariensaat und Roggen anbauen, läßt also den Maisbau fort2). Unter dieser Einschränkung sind die folgenden Zahlen zu bewerten. x) Nach Estadistica Agricola 1916 — 17. 2) Es liegt dabei nicht, wie manchmal angenommen wird, ein Vergessen des Maises beim Aufzählen der verschiedenen Fruchtarten vor, jedoch war ein Grund für das Ausscheiden des Maisanbaus nicht zu ermitteln. Im übrigen würden durch das Hinzurechnen der Maiskulturen sich zwar die absoluten Zahlen ändern, die Tendenz in dem Verhältnis von Eigentumsbetrieben zur Gesamtzahl der Betriebe aber ungefähr die gleiche bleiben. Tabelle n. Anteil der Eigentumsbetriebe an der Gesamtzahl der körnerbauenden Ackerbaubetriebe im Jahre 19101). Provinz Gesamtzahl der Betriebe Eigentümer Von der Gesamt- zahl entfielen auf Eigentumsbetriebe % Buenos Aires 27 701 8011 28,9 Santa Fe 16 595 5 914 35,6 Cördoba 13 109 3 757 28,6 Entre Rios . 7289 3°95 42,4 Pampa Central 2 202 560 25,4 Zusammen O6896 21337 3i,9 Ihrer Größe entsprechend stand im Jahre 1910 die Provinz Buenos Aires mit über 8000 Eigentumsbetrieben der absoluten Zahl nach an der Spitze. Innerhalb der Provinz verteilen sich dieselben ziemlich gleich- mäßig auf die verschiedenen Bezirke. Am günstigsten liegen die Dinge im östlichen Teil der Provinz, wo die Bezirke Chacabuco und Chi- vilcoy mit 533 bzw. 319 Eigentümern hervorzuheben sind. Auf die Gesamtzahl der Betriebe bezogen ist dagegen der Eigentumserwerb am Grund und Boden in den Provinzen Entre Rios und Santa Fe am weitesten fortgeschritten. Es sind die Gebiete, in denen, wie wir sahen, am frühesten eine zielbewußte Kolonisationstätigkeit eingesetzt hatte, deren Wirkungen heute noch erkennbar sind. Besonders in der Provinz Santa Fe heben sich einzelne Bezirke, Castellanos mit 1217 und Las Colonias mit 1174 Eigentumsbetrieben, deutlich als bedeutende Koloni- sationszentren ab. Es ist kein Zufall, daß diese Departements — Caste- llanos erhielt seinen Namen von dem ersten Kolonisationsunternehmer des Landes, und im Departement Las Colonias liegt die älteste argentinische Ackerbaukolonie, Esperanza — noch heute unter allen in der ganzen Republik die größten Eigentümerzahlen aufzuweisen haben. Auch in der Provinz Entre Rios weisen die günstigen Zahlen, Departement Paranä mit 686 und Colon mit 490 Eigentümern, auf ältere Koloniegründungen hin. Diese Tatsachen, die ein Beweis dafür sind, daß die in der älteren Kolonisationsperiode geschaffenen Schwerpunkte bis in die Gegenwart ihre Bedeutung behalten haben, charakterisieren zugleich die neuere Siedelungspolitik als viel weniger erfolgreich, da ihr die Bildung solcher Zentren nicht im gleichen Maße gelungen ist. Auch wenn man die Durch- schnittsgrößen der in Tabelle 1 1 aufgeführten Betriebe berechnet, ergeben sich wiederum für die Provinzen Entre Rios und Santa Fe die günstigsten Verhältnisse. Santa Fe steht mit einem durchschnittlichen Betriebs- *) Nach Estadistica Agricola 191 1, S. 28ff. - 63 - umfang von 85 ha, Entre Rios mit einem solchen von 59 ha sogar recht erheblich unter dem Gesamtdurchschnitt für die ganze Zone von 106 ha, es folgen die Provinz Buenos Aires mit 97, Cördoba mit 165 und das Territorium Pampa Central mit 186 ha. Es ist eine besondere Schwäche in der allgemeinen Struktur des argentinischen Ackerbaues, daß die einzelnen Betriebe zu umfangreich sind, selbst wenn man die Notwendig- keit und Berechtigung extensiver Anbaumethoden bedingt anerkennt. In der mit der Vermehrung der Eigentumsbetriebe Hand in Hand gehen- den Verkleinerung der Betriebsgrößen wird damit eine sehr bedeutsame Wirkimg des Fortschreitens der inneren Kolonisation liegen. Untersuchen wir das Tempo, in dem in der neueren Zeit die Zahl der Eigentumsbetriebe in den einzelnen Landesteilen sich vermehrt hat, so ändert sich allerdings die Entwicklungstendenz teilweise zu Ungunsten der alten Kolonisationsprovinzen. Tabelle 12. Eigentumsbildung am Grund und Boden im Ackerbau der Hauptlandwirtschaftszone, 1904/05 bis 1915/16. a = Gesamtzahl der Betriebe, in denen Weizen, Leinsaat, Hafer, Gerste, Kanariensaat und Roggen angebaut wurde, b = Zahl der Eigentumsbetriebe. Jahr Buenos Aires Santa Fe Cördoba Entre Rios Pampa Central a b a * a b a b a b 1904/05 16 003 438i 18094 6948 8i35 2616 (>577 3210 230 67 1 905/06 18 680 4841 16 154 5896 8512 2420 7^57 3109 418 93 1 900/07 22 9S2 61 73 10955 6021 9 349 2736 7 275 34°i 495 145 1907 08 26 912 7°5° 19 183 6708 11 300 3868 8729 3726 916 239 1908/09 27 306 7574 18585 6945 11 255 3246 7681 34°4 1222 262 1909/10 27 701 801 1 16595 5914 13 109 3757 7289 3°95 2202 560 1910/11 29 116 9257 14265 5523 11 388 3183 7968 3022 2374 56i 1911 12 29 359 9410 18077 6387 13362 3850 8689 3654 3974 1007 1912/13 33 35o 9973 19429 6964 14 513 4175 12 420 5100 43°4 1216 »9I3/M 20 699 7948 20557 7172 14 55° 3977 1 2 000 5109 2406 452 19MI5 25828 7493 21844 7196 14 578 3854 11 335 4124 3370 879 1915,10 23 298 6854 21 336 7110 14 010 3712 7 303 2547 5284 1321 Die Zahlen für die Jahre 1914 — 16 sind nur hierher gesetzt worden, um anzudeuten, wie die Entwicklung während des Krieges weiter ver- laufen ist. Es ist erklärlich, daß mit Beginn des Krieges ein teilweise erhebliches Sinken der Zahl der Eigentumsbetriebe in allen Provinzen - 64 - sich bemerkbar macht, da viele Eigentümer — vornehmlich Italiener — ihren Besitz verkauften und nach Europa zurückkehrten. Außer- dem hat die Zahl der Ackerbaubetriebe überhaupt durch den Krieg einen starken Rückgang erfahren (sie sank von 84 076 im Jahre 1912 — 13 auf 71297 im Jahre 1915 — 16), was natürlich auch auf den Bestand an Eigentumsbetrieben ungünstig einwirkte. Lassen wir die anormalen Veränderungen, die durch den bis in die Struktur der argentinischen Landwirtschaft eingreifenden Weltkrieg verur- sacht wurden, beiseite und untersuchen die Entwicklung bis 1913. Es muß betont werden, daß die Entwicklung der Eigentumsbildung am Grund und Boden mit der des Ackerbaus überhaupt in Ver- bindung steht, daß also die Zahl der Eigentumsbetriebe jeweils im Vergleich zu der Gesamtzahl der Ackerbaubetriebe zu betrachten ist. Was diese Gesamtzahl betrifft, welche die ackerbauliche Erschließung der betreffenden Landesteile überhaupt kennzeichnet, so fällt zu- nächst auf, daß sie allein in der Provinz Santa Fe so gut wie keine Vermehrung erfahren hat. Dementsprechend ist in Santa Fe auch die Zahl der Eigentümer konstant geblieben. Ähnliches gilt für Entre Rios, wo jedenfalls die Zunahme des Ackerbaus und der Besiedelung nicht in einer entsprechenden Vermehrung der Zahl von grund- besitzenden Bauern zum Ausdruck kam. Die Zahlen für diese beiden Provinzen scheinen darauf hinzudeuten, daß neuerdings in ihnen eine der Kolonisation direkt entgegenwirkende Entwicklung sich bemerkbar macht. Wenn die Zahlen auch mit großer Vorsicht, zu bewerten sind und durch die Einbeziehung auch der maisbauenden Betriebe, die aber tatsächlich ebenfalls überwiegend in Händen von Pächtern sind, eine Verschiebung eintreten mag, so. ist zum mindesten eine Stagnation in der kolonisatorischen Entwicklung dieser Ge- biete unbedingt vorhanden. Für bestimmte Teile von Santa Fe ist die Weizenmüdigkeit des Bodens, die vielfach dazu gezwungen hat, in größerem Umfang wieder zur Viehzucht zurückzukehren, und damit zu einer Zusammenlegung der Betriebe geführt hat, alsErklärung für diese Erscheinung anzusprechen. Ganz allgemein ist bei beiden Provinzen das außerordentlich unregelmäßige Schwanken der Zahlen von Jahr zu Jahr, die Unstetigkeit der Entwicklung bemerkenswert. In scharfem Gegensatz dazu steht die stetige Tendenz der Zunahme sowohl der Ackerbaubetriebe insgesamt wie der Eigen- tumsbetriebe im besonderen in der Provinz Buenos Aires und dem Territorium Pampa Central. In der ersteren hat sich die Eigentümer- zahl in 10 Jahren verdoppelt, in der Pampa gar um das i8fache - 65 - vermehrt. Die Pampa Central war noch bis 1900 das Gebiet der Riesen- latifundien, die nur viehzüchterisch ausgenutzt wurden. Mit dem neuen Jahrhundert setzte die Kolonisation hier lebhaft ein, und alles deutet auf eine ständige Fortentwicklung derselben hin. Sie wird begünstigt durch die niedrigeren Bodenpreise dieses Getreideneu- landes und seine leichteren Böden, die das Territorium für die nächste Zukunft auch den Kolonisationsgesellschaften als bevorzugtes Arbeits- gebiet zuweisen. Ähnliches gilt auch für die Provinz Buenos Aires. Für die gesamte Getreidezone entfielen 1912/13 auf 84 076 Betriebe 27428 Eigentümer. In dem Jahrzehnt 1902 — 12 schwankt der An- teil der Eigentumsbetriebe an der Gesamtzahl zwischen 32 und 35%. In diesen knappen Zahlen liegt das unbefriedigende Ergebnis der bisherigen Kolonisationsbestrebungen klar zutage. Im vorstehenden ist mit voller Absicht die innere Kolonisation nur soweit gewertet worden, als sie zur Entstehung von Eigentums- wirtschaften geführt hat. Nur der vom Eigentümer betriebene Ackerbau ist in Argentinien absolut seßhaft. Alle Pachtwirtschaften dagegen, die Getreide anbauen, tragen zum größten Teil Wander- charakter und nehmen nur für eine kurze Frist von Jahren Land unter den Pflug, das sie dann wieder räumen müssen. Wenn also heute erst ein Drittel der kornbauenden Wirtschaften in Eigen- besitz ist, so bedeutet das, daß auch von der Ackerbau treibenden Bevölkerung erst ein Drittel zu wirklich fester Ansiedelung ge- langt ist. Verstehen wir mit Sering unter innerer Kolonisation die ,, planmäßige Begründung neuer Ansiedelungen im Heimatsbereich des kolonisierenden Volkes",1) so ist damit deutlich genug ausge- sprochen, welch weites Arbeitsfeld der nationalen Siedelungspolitik in Argentinien noch offensteht. Im Laufe ihrer Geschichte ist die argentinische Kolonisation naturgemäß in den Zielen, denen sie jeweils zustreben mußte, Wand- lungen unterworfen gewesen. Ein Staat kann aus verschiedenen Gründen innere Kolonisation treiben, und innerhalb der einzelnen Epochen seiner wirtschaftlichen Entwicklung können voneinander verschiedene Gesichtspunkte besonders in den Vordergrund treten. Für Argentinien kamen in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahr- hunderts zunächst rein militärische Rücksichten in Betracht. Zur Sicherung der damaligen Grenzen des okkupierten Landes gegen x) Max Sering, Artikel „Innere Kolonisation" im Wörterbuch der Volks- Wirtschaft, 3. Aufl., Jena 1911, S. 1361. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agTar. Exportwirtschaft Argentiniens. 5 — 66 — die kriegerischen Indianerstämme wurden Militärkolonien an- gelegt, in denen die Soldaten des Indianergrenzschutzes in geringem Umfang Ackerbau betrieben. Ihre Zahl und ihr Umfang waren gering. Sie haben es nie zu irgendwelcher wirtschaftlichen Bedeutung ge- bracht und sind später ausnahmslos verschwunden. Dagegen hat sich im Anschluß an diese Kämpfe gegen die Indianer die Gewohnheit der Regierung gebildet, Offizieren und Soldaten, die an denselben teilgenommen hatten, zur Belohnung Landschenkungen zu machen, und dieses System hat zur Latifundienbildung wesentlich beige- tragen. — In den Anfängen der eigentlichen inneren Kolonisation, von der Mitte des 19. Jahrhunderts beginnend, war es deren erste Aufgabe, Kolonisten zur Urbarmachung des bis dahin öden Landes heranzuziehen und die gänzlich unbevölkerten Landstrecken mit Menschen zu füllen. Nachdem dies bis zu einem gewissen Grade ge- schehen ist, weite Flächen unter den Pflug genommen worden sind und die gesamte Volkswirtschaft des Landes auf eine entwickeltere, modernere Stufe gelangt ist, fallen der Kolonisation auch andere Hauptaufgaben zu. Sie muß sich nunmehr in erster Linie auf Ver- änderung der überkommenen Grundbesitzverhältnisse und auf Ver- mehrung der Volkszahl einstellen. Durch Aufteilung der Lati- fundien und vermehrte Schaffung von Eigentumstellen (Umwandlung der Pächter in Eigentümer) muß ein seßhafter Bauern- stand geschaffen werden, der mehr als ein vorübergehendes Geschäfts- interesse an der Scholle hat, welche er pflügt. Verminderung der Rückwanderungen und Vermehrung der Bevölkerungszahl wird dann die bald eintretende Folge der verbesserten Möglichkeiten des Seß- haft- und Selbständigwerdens sein. Der Entwicklungsabschnitt, in dem in Argentinien der Boden in unbegrenzter Menge und Fruchtbarkeit zur Verfügung stand, ist in gewissem Sinne abgeschlossen. Durch die wenn auch unge- nügende, so doch immerhin vorhandene Vermehrung der Bevölke- rung, durch Verkehrsentwicklung, Kapitalzufluß und Spekulation ist der Wert des Grund und Bodens riesig gestiegen. Damit ist seine rationellere Ausnutzung zur Notwendigkeit geworden. Dieselbe hat einmal durch vermehrten Arbeitsaufwand zu geschehen. Dieser setzt seinerseits eine an Zahl vermehrte ländliche Bevölkerung voraus. Die argentinische Kolonisation kann für die Entwicklung des Grund- eigentums und damit zugleich für die Intensivierung der landwirtschaft- lichen Arbeit nicht auf eine ausreichende Zahl im Lande vorhandener Landarbeiter und Bauern zurückgreifen. Die landeingesessenen - 6; - Kreolen sind, von ihrer geringen Zahl abgesehen, vorzugsweise Vieh- züchter. 'Die Einwanderung muß also helfen. In ihrer bisherigen Zu- sammensetzung, die auch für die nächste Zukunft als gleichbleibend anzusehen ist, hatte diese den großen Nachteil, daß sie zwar arbeits- freudige, anspruchslose und sparsinnige Elemente ins Land brachte, daß diese aber andererseits durchweg auf einer sehr niedrigen Bil- dungsstufe stehen und aus Gebieten mit gering entwickelter Acker- bautechnik kommen. Mit diesem Kolonistenmaterial, dessen Durch- schnittsintellekt den wirtschaftlichen Anforderungen der Gegen- wart, wie sie der argentinische Ackerbau stellt, nicht immer voll zu entsprechen scheint, muß die argentinische Kolonisation rechnen. Die Kolonisationspolitik muß hier durch eine umfassende Schul- und Unterrichtspolitik ergänzt werden. Der argentinische Staat läßt sich denn auch die möglichste Ausdehnung des landwirtschaft- lichen Unterrichts in festen wie in Wand er schulen sowie die Verbrei- tung fach wirtschaftlicher Kenntnisse betr. günstigste Anbaume- thoden, Saatgutauswahl, Maschinenverwendung usw. durch zahlreiche staatlich angestellte Ackerbauingenieure angelegen sein. Die zu- nehmende Aufklärung macht sich in manchen Landstrichen heute bereits sehr günstig bemerkbar, für das ganze Land ist man hingegen über Anfänge noch nicht hinaus gelangt. Die rationellere Bodenausnutzung, welche Voraussetzung für die erfolgreiche Weiterentwicklung in der inneren Kolonisation ist, hängt sodann in immer entscheidenderem Maße von einer Änderung der gegenwärtigen Betriebsform ab. Die Eigenarten des extensiven argentinischen Betriebssystems werden an anderer Stelle geschildert (vgl. S. 179 ff.). Hier heben wir nur hervor, daß der argentinische Ackerbau — so eigenartig dies bei seinem einmal gegebenen exten- siven Charakter klingen mag — an dem zu großen Umfang seiner einzelnen Betriebe leidet. Die wirtschaftlichen Folgen für den einzelnen Ackerbauer sind nachteiligster Art. Der meist mittellose Kolonist, welcher für seinen umfangreichen Betrieb ein relativ großes Betriebs- kapital nötig hat, gerät sehr leicht in drückende Abhängigkeit von seinem Kreditgeber. Vor allem aber führt die extensive Bestellung großer Flächen zu unsicheren und niedrigen Erträgen. Demgegen- über ist es Aufgabe der inneren Kolonisation, Eigengüter zu schaffen, die von dem Kolonisten und seinen Familienmitgliedern allein und mit genügender Intensität bestellt werden können. Das landwirt- schaftliche Erfordernis einer Verkleinerung der Betriebsgrößen be- gegnet damit zugleich dem kolonisatorischen, das wegen des Kapital- 5* — 68 — mangels ohnehin auf eine Beschränkung des Fläch enumfangs der Bauerngüter und damit auf eine Herabminderung des erforderlichen Kauf Schillings drängt. Eine Verkleinerung der einzelnen Betriebe macht es außerdem allein möglich, innerhalb der gegebenen Getreide- zone, die durch Eisenbahnen erschlossen und durch Boden- wie Klimä- verhältnisse für den Körnerbau prädestiniert ist, eine wesentlich zahlreichere ländliche Bevölkerung als gegenwärtig unterzubringen. Noch ein kurzes Wort über die Bedeutung der Siedelungs- f orm. Als solche ist gegenwärtig bei den spanischen und italienischen Kolonisten1) das Einzelgehöft vorherrschend. Möglichst in der Mitte der gepachteten Landfläche wird die armselige Lehmhütte aufgerichtet. Erster Grundsatz bei der Auswahl des Wohnplatzes ist — allenfalls von der Wasserversorgung abgesehen — möglichste Ersparnis unnötiger Wege, die Zeitverlust und höhere Transportkosten verursachen. Das Haus des Pachtkolonisten ist primitiv. ,,Er hat weder Scheune noch Stall. Er hat keine Gehege für sein Vieh und Geflügel. Er hat keinen Garten. Er hat keinen einzigen Baum, der ihn vor der Sonne schützt. Auf Boden, der sich für jede Form von Viehzucht und Feldbau eignet, ist er der Sklave der tödlichen Mo- notonie des Weizenbaues2)." Diese Monotonie des Weizenbaus wird verstärkt durch die landschaftliche Monotonie der Pampaebene; die Einsamkeit und das Fehlen nachbarlichen Verkehrs erschweren zugleich die Herausbildung eines Gemeinschaftsgefühls. Diese psy- chologischen Einflüsse, die in dem Kolonisten kein rechtes Heimisch- werden aufkommen lassen und den WTunsch in ihm wachhalten, baldigst mit erspartem Kapital in die Heimat zurückzukehren, sind in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Pfannenschmidt3) führt nicht zu Unrecht auf das Einzelsiedlungssystem, das eine Be- lehrung der Bauern sehr erschwert, auch den Tiefstand in der Technik des Ackerbaus zurück. Der Schwerpunkt der inneren Kolonisation in Argentinien wird in Zukunft in einer Änderung der gegenwärtig herrschenden Agrar- verfassung liegen müssen. Bisher sah sich der Großgrundbesitz bei allen Kolonisationsbestrebungen in seinen Interessen bedroht und *) Wir folgen hier und an anderer Stelle dem allgemeinen argentinischen Sprachgebrauch, der auch den Pachtbauer, welcher nicht fest angesiedelt ist, als „Kolonisten" und das vorübergehende Ansetzen von Pächtern auf Naturkamp, als „Kolonisieren" bezeichnet. 2) Gordon Ross, Argentina and Uruguay, London 1917, S. 230. 3) a. a. O., S. 24. - 69 - lehnte sich gegen Maßnahmen auf, die unter sozialen Gesichtspunkten geschaffen wurden, ohne zu erkennen, daß durch die Kolonisierung, bei der ein Teil des Grund und Bodens abgegeben wird, für den ver- bleibenden Rest eine gewaltige Wertsteigerung eintritt. Die Er- fahrung lehrt, daß Argentinien nicht darauf rechnen kann, mit dem System freier Kolonisation, die lediglich auf dem freiwilligen Angebot von Privatgrundbesitz beruht, etwas zu erreichen. Die Schaffung einer großen Zahl neuer kleiner Land stellen scheint ohne Enteignungs- maßregeln gegen die Latifundienbesitzer kaum noch möglich. In geringem Umfange sind solche auch schon von einzelnen Provinzial- regierungen angewendet worden, um sich geeignetes Land für staat- liche Kolonisation zu verschaffen. ■ Tatsächlich ist die landwirtschaftliche Gesetzgebung hinter den Bedürfnissen des Landes zurückgeblieben. Der Staat hat versucht, den Bevölkerungszuwachs durch Einwanderung zu fördern, die Kolonisation dagegen als wesentlicher Bevölkerungsfaktor blieb der Entscheidung des Privatinteresses überlassen. Es geschah nur etwas für Aufnahme und Verteilung der allerärmsten Schichten der Ein- wanderung, die froh sind, durch Arbeit gleich welcher Art zu einem Verdienst zu kommen. Demgegenüber muß es dem Kolonisten, der mit einem kleinen Kapital ins Land kommt, das er in einer Heim- stätte für sich und seine Familie anlegen will, nach Möglichkeit er- leichtert werden, zu eigenem Land zu kommen. Den Einwanderer mit dem argentinischen Boden zu verwurzeln, ist die vornehmste Auf- gabe der nationalen Siedelungspolitik. Von dem Augenblick an, in welchem er Eigentümer der Scholle ist, die er selber bebaut, knüpft ihn ein dauerhaftes Band an seine neue Heimat. Ist aber erst die große Masse der heutigen Pächter und besitzlosen Landarbeiter in festsässige Eigentümer verwandelt, so wird ihnen auch der Betrieb der Landwirtschaft nicht mehr nur ein Mittel sein, in kurzer Frist große Gewinne einzuheimsen, sondern ein Selbstzweck. Dadurch wird eine Stabilisierung der gesamten landwirtschaftlichen Verhält- nisse eintreten, die auch in weniger schwankenden und höheren Bodenerträgen, sichereren und größeren Ernten ihren Ausdruck finden und dadurch die Weltmarktstellung des Landes in seiner Getreideausfuhr wesentlich stärken wird. Die Kolonisationsfrage ist gerade nach dem Kriege von so un- geheurer Wichtigkeit für Argentinien, als es sich nicht allein um die Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen einer großen Zahl heute über das Land verstreuter Bauern, sondern auch um die — yo — Sicherung der Zukunft für die Einwand erermassen handelt, die nach dem Kriege in neuen Scharen dem Lande zuströmen werden. Um- gekehrt müssen die verbesserten Existenzmöglichkeiten, welche die innere Kolonisation schafft, ein neuer wirksamer Anreiz für die Ein- wanderung sein, auf die das Land nach wie vor angewiesen ist. Wie ein Argentinier über die Bedeutung des Problems für sein Land denkt, zeigen die folgenden Zeilen: ,, . . . wenn die Kolonisation ganz allein das Vermögen unseres Landes erneuern und steigern kann, lohnt es die Mühe, ihr unter jedem Gesichtspunkte die Wege zu bereiten . . . wir müssen die Kolonisation Argentiniens in derselben Weise vor- bereiten, wie andere Völker sich zum Kriege gerüstet haben, durch die beständige Anstrengung aller, durch die Benutzung aller lebendigen Kräfte des Landes und Volkes. Unsere Kolonisation ist genau ge- nommen unser Krieg1)." *) R. Campolieti, Grundsätzliches über die Kolonisation von Argentinien. (Mitteilungen des Deutsch- Südamerikanischen Instituts, Berlin 1917, Heft 1/2, S. 83.) 2. Abschnitt. Das Verkehrswesen. i. Kapitel. Der verkehrsgeographische Aufbau und die Ausfuhrhäfen. Die vitale Bedeutung modern er Verkehrsmittel für die Er- schließung und Entwicklung vorher gänzlich wertloser Landstrecken hat sich in Argentinien mit besonderer Deutlichkeit erwiesen. Ver- gegenwärtigen wir uns die verkehrsgeographische Struktur der mittel- argentinischen Ebene, soweit sie durch schiffbare Flußsysteme von Natur gegeben war. Für die Aufschließung der Pampa kamen als natürliche Wasserwege nur die in das La Plata-Ästuar einmündenden Flüsse in Frage, der Rio Paranä und der Rio Uruguay. Der Uruguay, die politische Grenze zu dem gleichnamigen östlichen Nachbarstaate bildend, kommt als Verkehrsvermittler nur für den östlichen Streifen der Provinzen Entre Rfos und Corrientes in Be- tracht. Seine Verkehrsbedeutung wird durch einige rechte Neben- flüsse, besonders den Gualeguaychü, verstärkt. Viel wichtiger ist die mächtige Wasserader des in seinem ganzen Verlauf auf argen- tinischem Boden, d. h. über die Vereinigung mit dem Rio Paraguay hinaus das ganze Jahr hindurch schiffbaren Paranä. Der Paranä, in nord südlich er, etwa von Rosario ab in südöstlicher Richtung fließend, erschließt den Ostteil der Provinz Santa Fe und den Nord- ostzipfel der Provinz Buenos Aires. In seinem ganzen Lauf durch die fruchtbare Pampaebene entbehrt er völlig schiffbarer Neben- flüsse, die als Verkehrszubringer wirksam sein könnten. Damit bleibt die ganze Provinz Cördoba wie auch der weite Südwesten von Santa Fe ohne Wasserverbindung. Das gleiche gilt, von dem Nordostzipfel abgesehen, von der gesamten 300000 qkm umspannen- den Fläche der Provinz Buenos Aires. Zwischen Buenos Aires und — J2 — Bahia Bianca mündet nicht ein einziger größerer, schiffbarer Fluß in den Atlantischen Ozean. Auch die „Weiße Bucht" selber, die das Ausfallstor zum Weltmarkt für den Süden und Westen der Provinz Buenos Aires wie für die ganze Centralpampa darstellt, nimmt keinen größeren Wasserlauf auf. Erst südlich Bahia Bianca münden zwei in westöstlicher Richtung fließende schiffbare Ströme, der Rio Colo- rado und der Rio Negro, die aber bereits der patagonischen Stein- wüste zugehörendes Land von geringem wirtschaftlichem Wert durch- strömen und nur in ihren schmalen Flußtälern landwirtschaftliche Produktionsgebiete erschließen, denen allerdings durch den Ausbau großer Bewässerungsanlagen eine erhebliche Ausdehnung in naher Zukunft vorbehalten ist. Damit ist der außerordentlich einfache verkehrswirtschaftliche Aufbau der mittelargentinischen Land Wirtschaftszone gegeben. „Die Landschaften ordnen sich nach einer einzigen nordsüdlich ver- laufenden Weltverkehrslinie . . ., der Atlantic-La Plata-Linie1)." In ihr liegen die Haupt Verkehrszentren, Bahia Bianca allein südwärts herausfallend, am La Plata-Paranäsystem: die Häfen Buenos Aires, Rosario, Santa Fe-Paranä. ,,. . . Natürlich bevorzugte Zu- führungswege zu dieser Nord-Süd Weltverkehrslinie (von Patagonien, das außer Betracht bleiben kann, abgesehen), Täler oder gar schiff- bare Flüsse gibt es nicht2)." Die von Norden nach Süden laufende Groß Wasserstraße des Paranä-La Plata ist die mächtige Zentral- arterie des argentinischen Wirtschaftskörpers. Am Paranä aufwärts drang die erste Besiedelung und landwirtschaftliche Erschließung vor. An seinen Ufern wurden in der Provinz Santa Fe die ersten Ackerbaukolonien gegründet. Von den Flußgestäden ausgehend — das ist der natürliche Grundzug in der ganzen wirtschaftlichen Ent- wicklung des Landes — schritten Siedelung und Landwirtschaft in das Innere vor. Die Verkehrsmittel aber für diese letztere Ent- wicklung, die west-östlich streichenden Zuführungswege zu der be- fruchtenden zentralen Wasser verkehrsstraße, die zum Weltmarkt hinausführt, mußte die Kunst des Menschen schaffen. So entstanden die Eisenbahnen; von ihrem Vordringen hing alle Erweckung wirt- schaftlichen Lebens in den weiten Gebieten, die fern der natürlichen Hochverkehrsstraße lagen, entscheidend ab. Ein Blick auf die Karte des heutigen argentinischen Eisenbahnnetzes zeigt sogleich in mar- 1) H. Lufft, Geschichte Südamerikas, Bd. I, Das spanische Amerika, Berlin und Leipzig 191 2, S. 33. 2) Ebenda. — 73 - kanten Zügen den Charakter des verkehrswirtschaftlichen Aufbaus auf. Wie die Strahlen eines Kreises laufen die Schienenwege, von Westen, Südwesten und Nordwesten gen Osten strebend in dem mächtigen Sammelbecken des La Plata und des Paranä zusammen. Darin liegt die ganze Bedeutung der argentinischen Eisenbahnen beschlossen: die Exportmassen der landwirtschaftlichen Produktion aus der weiten von der Natur unaufgeschlossenen Ebene des Landesinnern der fast (das Zwischenstromland der Provinzen Entre Rios und Corrientes ausgenommen) an der Ostgrenze des Produktionsgebietes entlang- strömenden internationalen Wasserstraße zuzuführen, die zum Atlan- tischen "Ozean hinausgeht. Entsprechend der geringen Zahl schiffbarer Flüsse und dem Fehlen künstlicher Wasserstraßen spielt die Binnenschiffahrt in der argentinischen Verkehrswirtschaft eine sehr untergeordnete Rolle. Für den Abtransport der Agrarprodukte der Zentrallandwirtschafts- zone vollends kommen Binnenwasserstraßen überhaupt nicht in Betracht. Der Schiffahrtsverkehr auf dem La Plata-Paranä ist bis Santa Fe aufwärts nicht als Binnenwasserverkehr anzusehen, da bis zu diesem Hafen Seeschiffe auf dem seeartig verbreiterten Strome vordringen können und die Ausfuhrgüter in allen am Paranä gelegenen Häfen bis Santa Fe aufwärts, vor allem in Rosario, unmittelbar in die Seeschiffe verladen werden. Aus dem von uns kurz umschriebenen verkehrsgeographischen Aufbau ergibt sich mit Notwendigkeit die Lage der großen Aus- fuhrhäfen des Landes. Seiner ausgezeichneten Lage an der La Plata - mündung — im Zentrum des landwirtschaftlichen Hauptproduktions- gebietes gelegen und zugleich den Durchgangspunkt für die binnen- ländischen Verkehrszentren am Paranä: Rosario, Santa Fe-Paranä bildend — verdankt Buenos Aires seine dominierende Stellung als Ein- und Ausfuhrhafen. An der natürlichen Eingangspforte, die vom Atlantik in das Land hineinführt, liegend, strömen über diesen Hafen 75 — 80% aller Güter ein, die Argentinien überhaupt aus dem Ausland, auf dem Wasser- wie dem Landwege bezieht. Im Jahre 1912 wurden von einer Gesamteinfuhr im Werte von 384,8 Mill. Goldpesos 280,9 Mill. über den Hafen Buenos Aires importiert. In der Ausfuhr nimmt dagegen Buenos Aires nicht die gleiche Vormachtstellung ein. Für sie haben sich, der Entwicklung der igsten Wirtschaft und der geographischen Verteilung ihrer wichtLand- Produktionsgebiete folgend, eine Reihe weiterer Sammelpunkte herausgebildet, in denen ein erheblicher Teil der zur Ausfuhr be- — 74 — stimmten Güter zusammenfließt. Von ihnen liegt allein Bahia Bianca unmittelbar am Meere, sein Hinterland wird von dem Süd- westen der Provinz Buenos Aires und der Pampa Central gebildet. Über den Hafen La Plata, dicht südlich Buenos Aires am gleich- namigen Flußmündungsbecken gelegen, wird ein geringer Teil der Agrarproduktion der westlichen Provinz Buenos Aires exportiert. Die wichtigste Stelle nimmt jedoch neben Buenos Aires Rosario am Paranä ein. Als Kopfstation 6 großer Bahnlinien bildet dieser Hafen das natürliche Sammelbecken für die Ausfuhrprodukte des südlichen Santa Fe und des mittleren und nördlichen Cördoba und wird so zum zweitwichtigsten Ausfuhrhafen des Landes. Neben den vier auf- geführten Häfen ist für den getreideproduzierenden Norden der Provinz Santa Fe der am Paranä gelegene Hafen gleichen Namens von Bedeutung. Neuerdings gewinnen endlich einige Paranähäfen zwischen Buenos Aires und Rosario für die Ausfuhr steigende Bedeutung: San Nicolas, Campana, Zärate und Villa Constituciön. Welcher Zweig der landwirtschaftlichen Exportproduktion in dem Hinterland der einzelnen Häfen vorherrscht, tritt in den Zahlen der folgenden Tabelle anschaulich hervor: Tab. 13. Anteil der Ausfuhrhäfen an der Ausfuhr der wichtigsten Agrarprodukte im Jahre 19161). Ausfuhrhafen Aus Weizen fuhrmengen Leinsaat in 1000 Tc Mais >nnen Hafer Buenos Aires Rosario 891 455 95 744 2 2 106 214 197 4 5i 25 118 1341 1164 37 6 129 1 100 *95 179 3 56 566 La Plata Bahia Bianca Santa Fe San Nicolas Campana Zarate V. Constituciön Übrige Häfen — Gesamtausfuhr j 2295 640 2874 804 Nach der Estadistica Agrfcola 1916 — 17. 75 — Ausfuhrhafen Ausfuhrmengen Weizen- Kühl" u' mehl Gefrier' fleisch in 1000 Tonnen Rinds- WolIe Mute Buenos Aires Rosario 135 2 2 5 135 190 4 85 54 11 IO3 6 9 78 La Plata 1 Bahia Bianca Santa Fe 1 San Nicolas Campana 6 Zarate 4 V. Constituciön Übrige Häfen 9 Gesamtausfuhr 144 479 118 99 Für den Hafen Buenos Aires sind die Zahlen bei aller aufgeführten Exportprodukten gleich hoch. Sein Anteil an der Gesamtausfuhr beträgt bei Weizen 39%, bei Leinsaat 33%, bei Mais 46%, bei Weizen- mehl und Wolle rund 90%. In der Gefrierfleischausfuhr steht La Plata als Standort zweier großer, in nordamerikanischen Händen be- findlicher Fabriken, der ,,La Plata Cold Storage Co." und des „Fri- gorifico Armour La Plata", an der Spitze. Während Rosarios Mais- export auf der umfangreichen Produktion dieses Korns im südlichen und mittleren Santa Fe beruht, verdankt Bahia Bianca seine be- deutende Stellung in der Weizen- wie vor allem auch in der Hafer- ausfuhr dem Reichtum des Südwestens des Hauptackerbaugebietes an diesen Getreidearten. Die Überseeschiffahrt bedeutet für Argentinien die einzige Verbindung mit seinen wichtigsten Absatzmärkten. Aus dieser Tatsache ergibt sich ohne weiteres, wie die Lage des Frachtenmarktes auf die gesamte Land- und Volkswirtschaft von Einfluß sein muß. Bis zum Kriege: war diese den argentinischen Verfrachtungen durch- weg günstig, da das Angebot — besonders durch die englischen Kohlendampfer, die „Tramps", welche zu jedem Preise Rückladung zu nehmen suchten, stark vermehrt — die Nachfrage nach Schiffs- raum oft überstieg. Während des Krieges stieg die Kohlenfracht- rate Cardiff-Buenos Aires pro Tonne von 15 Schilling im Jahre 1914 auf 150 — 170 Schilling. Argentinien erhielt überhaupt nur deshalb noch geringe Ladungen von Kohle, weil den Kohlendampfern die riesig gestiegenen Rückfrachtsätze in Aussicht standen. Die Fracht- - ;6 - raumnot führte, je länger der Krieg währte, zu krisenhaften Zu- ständen1). Die Fracht für eine Tonne trockene Rindshäute betrug 1917 Buenos Aires- Genua 45 Pfd. SterL, für Getreide Buenos Aires- Cette 300 Fr.2). Die Entente stellte zwar den zum Abholen der ihr unentbehrlichen Lebensmittel nötigen Schiffsraum, vernachlässigte aber die Einfuhr. Die argentinische Handelsflotte, die 1914: 230000 Reg.-To. betragen hatte, ging während des Krieges durch Verkäufe an das Ausland stark zurück. Gleichzeitig setzten lebhafte Bestrebungen der Regierung ein, die auf Förderung des heimischen Schiffsbaus hinausgingen. 1918 wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, nach welchem Schiffsbauunternehmungen Gelände für Werftanlagen bis 193 1 un- entgeltlich zur Verfügung gestellt, Zollfreiheit für alle einzuführenden Materialien und Befreiung von allen Staatssteuern gewährt werden soll3). Bereits 19 17 wurden in den Vereinigten Staaten Dampfer in Bau gegeben, die den Grundstock der Flotte einer neugegründeten staatlichen Dampfschiffahrtsgesellschaft bilden. Bei der Fülle von Schwierigkeiten, die der Schaffung einer argentinischen Handels- flotte entgegenstehen, ist mit größeren Erfolgen der eingeleiteten Politik jedoch einstweilen nicht zu rechnen. 2. Kapitel. ! Die Eisenbahnen. a) Entwicklung der Eisenbahnen und ihr Einfluß auf die Ausdehnung des Ackerbaus! Die Eisenbahn hat die argentinische Pampa dem Weltmarkt erobert. Von dem Vordringen der Bahnen hing die gesamte land- wirtschaftliche Erschließung der mittelargentinischen Ebene ab. Solange diese noch keine Schienenstränge durchzogen, war nur eine äußerst extensive Nutzung des Bodens durch Verwertung der wilden Viehherden möglich. Lebendes Vieh, für dessen Transport keine künstlichen Verkehrsmittel nötig waren, wurde den Flußufern zu- getrieben, wo es in den „Saladeros" zu Pökel- und Trockenfleisch 2) Vgl. O. A. Krause, Argentiniens Wirtschaft während des Weltkrieges, Berlin 1919, S. 90. 2) La Prensa, Buenos Aires, 22. 5. 1917. 3) Schiffahrtszeitung, Hamburg, 30. 11. 1918. — 77 — verarbeitet wurde, Wolle und Häute konnten auf nicht allzuweite Entfernungen durch Karrentransport an die Häfen herangeführt werden. Ackerbau für Exportzwecke war nur in unmittelbarer Nähe der Fluß- und Seehäfen möglich, und die Getreideproduktion war im wesentlichen auf die Deckung des geringen Inlandsbedarfs der 1880 erst 2% Millionen zählenden Bevölkerung beschränkt. In diesem Jahre mußte Argentinien noch Getreide einführen. Von dem Gesamt- export des Jahres 1880 (in dem die Länge des Schienennetzes 2313 km betrug) im Werte von 53143055 Pesos Gold entfielen noch 52352196 auf tierische und nur 790859 auf Ackerbauprodukte, der Ackerbau war mit anderthalb Prozent an der Ausfuhr beteiligt. Die Anbau- flächen nahmen wenig mehr denn eine halbe Million Hektar ein. Unter den Faktoren, die in kurzen Jahrzehnten einen welt- mark tent scheid enden Exportgetreidebau schufen und immer neue Flächen fruchtbaren Bodens dem Ackerbau dienstbar gemacht haben und noch ständig weiter dienstbar machen, ist die Eisenbahn der wichtigste. Durch den Eisenbahnbau erhielten auch Einwanderung und Besiedelung, das andere entscheidende Moment in der ökono- mischen Entwicklung des Neulandes, ihre stärksten Impulse. ,,Jede Eisenbahnlinie, jede Zweigstrecke, jede Station und jeder Zufahrtsweg haben den Umfang des der Bearbeitung zugänglichen Landes um hunderte und tausende von Hektaren vermehrt, die bis dahin dem Ackerbau entzogen waren1)." Für alle übrigen Faktoren, die auf die Vermehrung der Ackerbauflächen und der Getreideproduktion hinwirken, Menschenzustrom, Ausbildung des Wanderpachtbaus, Verwendung zahlreicher landwirtschaftlicher Maschinen usw., hat der Ausbau des Eisenbahnnetzes letzten Endes erst die grundsätz- lichen Voraussetzungen geschaffen. Für die Mängel der geographischen Struktur, welche dem Hauptteil der Pampaebene die Ausstattung mit natürlichen Wasserverkehrsstraßen versagte, bot dabei einen ge- wissen Ausgleich die absolut ebene und steinlose Bodengestaltung, welche die Ausgestaltung des Eisenbahnnetzes sehr wesentlich begünstigte. Die Natur des Landes unterstützte das Vordringen von Pflug und Schiene gleichermaßen. Die folgende Tabelle gibt in großen Zügen ein Bild von dem wechselseitigen Einfluß in der Entwicklung von Eisenbahnen,. Ackerbau, Besiedelung und Weltmarktgeltung: ]) Julio Lopez Mafian a. a. O. S. 4. Tab. 14. Entwicklung von Eisenbahn, Ackerbau, Bevölkerung und Ausfuhr 1872 — 19151). Jahr Schienenlänge in km Anbaufläche in ha Einwohner- zahl Wert der Gesamt- ausfuhr in Goldpesos 1872 864 580 008 2231 049 47 267 965 1888 7645 2459 120 3 158 434 100 in 903 1895 14462 4 892 004 3 954 9ii 120 067 790 1900 16767 7311 048 4607341 154 600 412 1905 196S2 13 081 461 5 289 948 322 843 841 1910 29413 20367 082 6 586 022 372626055 1915 35 432 24 361 980 8 198 006 558 293 335 Die wechselseitige Einwirkung der in der Tabelle aufgeführten Faktoren tritt unverkennbar hervor. Für die einzelnen Etappen der in der gewaltigen Zunahme von Eisenbahnen und Anbauflächen zum Ausdruck gelangenden volkswirtschaftlichen Entwicklung ist die Entscheidung oft schwierig, ob in jedem Falle immer der Aus- bau der Verkehrsmittel das primäre Moment war, dem dann die Besiedelung und das Entstehen neuer Ackerbaubetriebe in dem er- schlossenen Gebiet folgte. In ihren ersten Stadien ist die Entwick- lung zweifellos regelmäßig in der angedeuteten Kausalfolge ver- laufen. Der Verdoppelung der Länge des Eisenbahnnetzes in der Zeit von 1888 — 1895 entspricht eine Verdoppelung des Umfangs der Anbauflächen. Man hat sich den Gang der Entwicklung dieser Epoche normalerweise so vorzustellen, daß Bahnlinien in menschen- leeres ödes Land hineingebaut wurden. Sie sollten nicht einer schon vorhandenen agrarischen Produktion den Absatz ermöglichen, sondern eine solche überhaupt erst neu schaffen. Diese Bahnen wurden in dem Glauben an die landwirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit des Landes gebaut, sie wollten den Ackerbau in noch nie vom Pflug berührten Gebieten erwecken und lebensfähig machen, indem sie ihm durch die Absatzmöglichkeit, durch die Verbindung mit dem Weltmarkt erst seine vitalste Existenzbedingung schufen. Es ist das unbestreitbare Verdienst des englischen Kapitals, diesen Glauben a) Nach: Resümenes Estadisticos Retrospectivos, Buenos Aires 1914, S. 165, versch. Jahrgänge der Estadistica Agricola, Extracto Estadistico 1916, S. 3. — 79 — an die wirtschaftliche Zukunft des Landes bewiesen und Eisenbahnen zu einer Zeit gebaut zu haben, als die Betriebseinnahmen kaum zur Deckung der Unkosten ausreichten. Nachdem erst einmal durch das Vorhandensein eines größeren Schienennetzes eine bestimmte verkehrswirtschaftliche Grundlage gegeben und ein gewisser Grad der Saturiertheit der Hauptland- wirtschaftszone mit Eisenbahnen erreicht war, konnte sich die Kausal- folge: Bahnbau als Ursache, Entstehung von Ackerbau und Siede- lungen als Wirkung vielfach verkehren. Es konnten Gebiete der besonderen Vorzüge ihrer Boden- oder Wasserverhältnisse wegen dem Ackerbau dienstbar gemacht werden, es konnten durch die Entwicklung von Handels- und Verkehrsbeziehungen in dem all- mählich dichter besiedelten Lande Bevölkerungssammelpunkte ent- stehen, kurz es bildeten sich — nunmehr zunächst auch unabhängig von schon bestehenden Eisenbahnlinien — landwirtschaftliche Pro- duktions- und Siedelungszentren heraus, die dann erst durch den Bau neuer Zweig- und Nebenstrecken ihren Anschluß an das Hauptnetz erhielten. Die Bahn erschloß derartige Gebiete nicht von Grund auf neu, sondern machte sich bereits vorhandene Wirtschaftsgrundlagen zunutze und schuf die Voraussetzung für ihren Weiterausbau. So- bald die großen geradlinigen Schienenverbindungen aus dem Innern zu den Hafenplätzen einmal gelegt waren — was bis 1895 schon in weitgehendem Maße geschehen war — , mußte der Bau jeder Quer- verbindung und Zweigstrecke jedesmal die Einflußzone der be- treffenden Linie in viel größerem Maßstabe erweitern. Der arithme- tischen Progression der Ausdehnung des Schienennetzes entspricht nun eine geometrische Progressionstendenz in der Vermehrung der Anbauflächen. Die Zahlen von 1895 und 1910 verhalten sich für die Schienenlänge wie 1:2, für die Zunahme des Ackerbaus wie 1:4. Für die Zunahme der Bevölkerung gilt in ähnlicher Weise eine arith- metische, für die Steigerung der Ausfuhr dagegen der Ausbreitung des Ackerbaus entsprechend eine geometrische Entwicklungstendenz. Immer aber, ob es sich um „Pionierbahnen", die absolutes Neuland erschließen, oder um lokal begrenztere Querverbindungen oder Stichbahnen handelt, ist die innige Wechselwirkung von Eisenbahn- und Ackerbauexpansion gleich mächtig. Der Bau solcher Pionierbahnen kommt heute in erster Linie noch für die patagonischen Territorien in Frage, wo es gilt, die frucht- baren Täler der östlichen Vorkordilleren mit der atlantischen Küste zu verbinden. In diesen noch menschenleeren Gebieten wird die Bahn der — 8o — entscheidende Triebfaktor zukünftiger Entwicklung sein. In der Acker- bauzone ist dieses Entwicklungsstadiuni bereits überholt. Noch 1895 beschränkte sich das Bahnnetz größerer Dichtigkeit vornehmlich auf den Nordosten der Provinz Buenos Aires und das mittlere Santa Fe. In diesem Räume war das Ostufer des Parana von Buenos Aires bis weit nördlich der Stadt Santa Fe in einem Streifen, der im Mittel etwa 200 km landeinwärts reichte, durch eine Reihe von Bahnlinien erschlossen. Darüber hinaus liefen nur einige wenige Hauptstrecken ins Innere des Landes, die ältere Kultur- und Siedelungszentren der spanischen Kolonial- zeit mit der Küste verbanden. Es waren dies besonders eine nördliche Auf Schließungslinie, die über Cördoba die nördlichen Provinzen Santiago del Estero und das schon früh dichter besiedelte Tucumän erreichte, sowie eine westliche Aufschließungslinie, welche, die Städte Mercedes und San Luis berührend, Mendoza und San Juan mit Buenos Aires ver- band. Außerdem waren in der Provinz Buenos Aires vier weiterreichende Linien vorhanden, die, vom Hafen Buenos Aires aus strahlenförmig nach Süden und Südwesten bis Mar del Plata, Tres Arroyos, Bahia Bianca (das damals als Ausfuhrhafen erst eine ganz untergeordnete Rolle spielte) und Trenque Lauquen vordrangen. Auf die vier Provinzen Buenos Aires, Santa Fe, Cördoba und Entre Rios entfielen 1895: 73% der vorhandenen Bahnen und 85% der Anbauflächen des ganzen Landes. Entsprechend der oben ge- schilderten dichtesten Konzentrierung des Schienennetzes stand nach dem Umfang seiner Anbauflächen Santa Fe an erster, Buenos Aires an zweiter Stelle. Von den gesamten Anbauflächen des Landes von 4892004 ha kamen auf die Provinz Santa Fe 1 684937 ha oder 34%, auf die Provinz Buenos Aires 1395 129 ha oder 29%. Gerade in Santa Fe war es die kolonisatorische Tätigkeit der F. C. Central Argentino, welche die ackerbauliche Entwicklung beschleunigte (vgl. S. 48). Zu dem Einfluß des bloßen Vorhandenseins der Verkehrsmittel,, welche die Produktionsmöglichkeiten des Landes realisierbar machten , kam die bewußte Förderung der Besiedelung und des Ackerbaus durch die Verkehrsunternehmungen. Allgemein läßt sich die kolo- nisatorische Rolle der Bahnen in zweifacher Richtung charak- terisieren1). Einmal haben sie dem Boden des weiten Landesinnern Brauchbarkeit verliehen und seinen Wert erhöht, indem sie ihn den Städten und überseeischen Häfen naherückten, in denen erst die Bedingungen für eine erhöhte Wertbildung seiner Produkte gegeben waren. Ferner aber haben alle privaten Bahngesellschaften die innere Kolonisation praktisch gefördert, indem sie die großen Landstrecken y J) Vgl. Florencio T. Molinas a. a. O., S. i23ff. Das den Eisenbahnen gewidmete Kapitel trägt die "Überschrift: Los ferrocarriles colonizadores. — Si — über welche sie durch ihre Konzessionen die Verfügung erhielten, an Ackerbauer aufteilten. Wurde dieses Vorgehen zunächst auch nur von dem rein privatwirtschaftlichen Interesse der Erhöhung der Einnahmen und der Rentabilität als Folge vermehrter agrarischer Produktion im Einflußgebiet diktiert, so war doch seine allgemeine volkswirtschaftliche Rückwirkung unendlich segensreich. Tabelle 15 (S. 82) veranschaulicht nochmals den Zusammenhang zwischen Ausdehnung des Bahnnetzes und Zunahme des Ackerbaus, getrennt nach den einzelnen Landesteilen. Beachtenswert ist, wie die Konzentrierung der Bahnen in dem Räume der eigentlichen Ackerbau - zone in dem Maße eine Abschwächung erfährt, wie die Verkehrser- schließung der letzteren sich steigert und einen gewissen Sättigungs- grad erreicht. Dieser ist natürlich nichts absolut Feststehendes, sondern ändert sich mit dem jeweiligen Stande von Besiedelung und Landwirtschaft. Auf die vier Provinzen Buenos Aires, Santa Fe, Cördoba und Entre Rios sowie die Pampa Central entfielen 1888 % 1895 0/ /o 1910 % 1916 0/ /o 8, ! 78 74 85 72 90 71 90 von den gesamten Eisenbahnen des Landes von den gesamten Anbauflächen des Landes Ein geradezu klassisches Beispiel dafür, wie der Bahnbau den Ackerbau in einem vorher fast unbesiedelten Gebiet entwickelt hat, bietet das Territorium Pampa Central. Es hatte 1895 erst 160 km Schienenwege aufzuweisen, bei einer Ackerbaufläche von stark 10 000 ha, deren Erträge gerade zur Versorgung der geringen vieh- züchtenden Bevölkerung ausreichen mochten. Dann aber sehen wir eine ungestüme Aufwärtsbewegung einsetzen. In 20 Jahren steigt der Körneranbau von wenigen Tausend auf fast 2 Mill. ha, und das Territorium rückt, die Provinz Entre Rios weit überflügelnd, an die vierte Stelle neben die großen Getreideprovinzen. Im Mittel der Jahre 1912 — 15 trug es 15% zu der gesamten Weizenerzeugung des Landes bei. Diese kräftige Ausdehnung des Ackerbaus in der Pampa ist einzig und allein auf die durch die Eisenbahnen geschaffenen Absatzmöglichkeiten zurückzuführen. Äußerlich drückt sich das in dem in 20 Jahren um das Neunfache gesteigerten Umfang des Schienennetzes auf fast 1500 km aus. Probl. d. Weltwirtschaft 33. Schmidt, Die agrar. Export\virt«chaft Argentiniens. " — 82 o P* o> Ig g w 13 «3 D. « rt £ !> w C o I P » o OQ O I« er M rt 3 £T 3 ■-J < 0 *i J. 2. 5' =1 7C P- :.-: 2 rt p r* 00 0 3 P9 p» t/i n> g K ■=- o rt -i m' m 3 <~t m m BD 3 Q — gq rt 3 S3 3 - w Bi £ M -• vO -1 = O 0 9q a — o rr 0 et- - P - ►rj c*> o # s P — . r+ rt rt 3 0 CTO 3 ►Ö O »3J er o c 2 0 o r p » !» p o 3 p' p H w: xr. c p p O P 3 3 p' W O 3 O- IT p- rt o M w a a Spp 2. 2 p H O (n hrl w "* o > p 3' P I I L, I I I I I I I S I I »0 M UJ KJ c W U c +■ O W O O Oi u> o o O vO «O 4* 4- 4- tO Ui 1 I U I 1 0 M W H Ül U U u o vi »o u> OJ Ol 00 V} VI 4» OJ 4* O OJ 4» VJ vO W tn O OJ O w Oi O »0 vj O oj O oo vc »o oj vi 1 1 M O M 0 UJ O O o w 4* U> 4* » m 00 vj UJ 00 00 vO »h OJ 4«. m O VO 00 M 00 SO »0 »0 V» »0 oa oi o O O Ol M O O O K> O O O 4» I 1 KJ OJ 00 h 4i Üi 00 o O VO MW O OJ 10 K> Ui vO KJ Ol v£> Ol OJ 00 VI o O O OJ U üi Ol 4». Ui O »0 Oi o KJ o o oi oi M 4>. Ol 00 10 4»- »0 4». 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In Mendoza ist es, wie schon früher hervorgehoben wurde, besonders der Weinbau, der die wirtschaftliche Entwicklung dieses Ge- biets und damit auch seinen Bahnbau stark gefördert hat. 19 15 betrug seine Weinanbaufläche 73000 ha, während der Körnerbau nur 48000 ha umfaßte. Hier sei daran erinnert, daß über Mendoza der einzige den süd- amerikanischen Kontinent durchquerende Schienenstrang läuft, die pazi- fische Bahn (F. C. Buenos Aires al Pacifico), die durch ihre von der Stadt Mendoza ausgehende transandinische Teilstrecke die Verbindung zwischen Buenos Aires und Santiago de Chile, zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ozean herstellt. — Die Provinz Santiago del Estero ihrerseits verdankt ihr engmaschiges Schienennetz in erster Linie ihrem Holz- reichtum, besonders den reichen Quebrachobeständen ihrer nördlichen und östlichen Gebietsteile. Während des Krieges wurden keine neuen Linien in Angriff genommen, sondern nur begonnene fertig gebaut. Eine ganze Reihe bereits erteilter Konzessionen, die nicht einem wirklich vorhandenen Verkehrsbedürfnis entsprachen, verfielen und wurden für nichtig erklärt. In mancher Beziehung ist die Hemmung, welche durch den europäischen Krieg in der Eisenbahnentwicklung eintrat, günstig für das Land gewesen. Es bleibt die Frage zu untersuchen, wieweit die Dichtigkeit des vorhandenen Bahnnetzes für den gegenwärtigen Stand der landwirtschaftlichen Entwicklung ausreicht. Als äußerste Entfernung, bis zu der das Getreide die Karrentransportkosten bis zur Bahnstation tragen kann, nimmt man allgemein etwa 5 Leguas oder 25 km an1). Wird diese Entfernung überschritten, so ist meist die Rentabilität stark gefährdet. Tatsächlich wird Ackerbau zu Export- zwecken auf Ländereien, die weiter als höchstens 25 km von der nächst erreichbaren Bahnverfrachtungsstation entfernt liegen, nur in seltenen Ausnahmefällen betrieben. Es ist dabei zu bedenken, daß in der mittelargentinischen Schwemmlandebene ausgebaute Straßen, vor allem Zufahrtswege zu den Eisenbahnstationen, kaum vorhanden sind und daß bei regnerischem Wetter durch Grundloswerden der Wege die Kosten für den Wagentransport der Ernte sich ganz erheblich steigern. Unter Zugrundelegen obiger Grenze ergibt sich ein zahlen- mäßiger Ausdruck für das Ackerbaueinflußgebiet der vorhandenen Bahnen, wenn man ihre Kilometerlänge mit 50 multipliziert. Danach wären im Jahre 1915 durch 35432 km vorhandener Eisenbahnen rund 1,75 Mill. qkm für den Ackerbau erschlossen gewesen. Für die *) Vgl. Lopez Mafian a. a. O., S. 11. 6* - 84 - eigentliche Ackerbauzone ergibt sich auf Grund gleicher Berechnungs- weise eine bahnerschlossene Fläche, die größer ist als die wirkliche Oberfläche des Gebiets. Wenn die angeführte Berechnung auch sehr roh ist, so bringt sie doch zum Ausdruck, daß unter den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen in dem weitaus größten Teil des Hauptackerbaugebiets eine genügende Verkehrserschließung durch Schienenwege erreicht ist. Wir sahen bereits, daß die extensive argentinische Landwirt- schaft mit einer sehr geringen Zahl menschlicher Arbeitskräfte aus- kommt. Dasselbe Mißverhältnis, das sich zwischen dem Zuwachs von Bevölkerung auf der einen, Anbauflächen auf der anderen Seite herausgebildet hat, kommt auch, auf den gleichen Ursachen fußend, in einem Vergleich von Bevölkerung und Eisenbahnen zum Ausdruck. Gegenüber der geringen Bevölkerungszahl erscheint der Reichtum an Eisenbahnen besonders groß. Die Ausstattung des Landes mit menschlicher Arbeitskraft erwies sich längst nicht in dem Maße steige- rungsfähig wie die übrigen Wirtschaftsfaktoren, denen die weltwirt- schaftliche Orientierung ein so gewaltiges Wachstum verlieh. In der Entwicklung des Verkehrswesens wie der gesamten Land- und Volkswirtschaft sind die starken Triebkräfte der Weltwirtschafts- beziehungen denjenigen überlegen geblieben, die auf die Vermehrung der Bevölkerungszahl hinwirkten. Ein Vergleich Argentiniens mit wichtigen Agrar- und Industrieländern Amerikas und Europas läßt die Eigenart seiner verkehrswirtschaftlichen Struktur besonders erkennen. (Siehe Tabelle 16 S. 85.) Vergleichen wir Argentinien mit dem industriellen England. Beide Länder haben ungefähr den gleichen absoluten Bestand an Bahnen; auf die Landesfläche bezogen zeigt sich England zehnfach überlegen, auf den Kopf der Bevölkerung dagegen ist Argentinien fünfmal reicher. Während die Landesfläche Argentiniens und Rußlands, beides Agrar- länder, die gleiche Bahnlänge aufweisen, erscheint Argentinien wiederum sehr erheblich überlegen, wenn man die Bevölkerungszahlen vergleicht. Diese Vergleiche ließen sich beliebig fortsetzen. Es sei nur auf den Unterschied gegen Belgien hingewiesen, das unter allen Ländern der Welt das dichteste Bahnnetz besitzt. Die flächenmäßige Dichte des Eisenbahnnetzes eines Landes ist neben der Häufigkeit des Verkehrs ein entscheidender Grad- messer für seine wirtschaftliche Entwicklung. Argentinien steht als Ganzes genommen in dieser Beziehung noch sehr unentwickelt da. Für das Haupt ackergebiet allein ergibt sich allerdings für 1910 eine - 85 - Tabelle 16. Verhältnis von Eisenbahnen zu Fläche und Einwohner- zahl in verschiedenen Ländern Ende des Jahres 19131). Länder Länge der im Betrieb befindl. Eisenbahnen Es entfielen km Bahnlänge auf je 100 qkm 10 000 Einwohner Argentinien2) Brasilien Chile 34 534 24985 6370 410 918 47J5o 03 730 51 188 8814 37 717 62 198 1,2 43,8 0,3 10,0 ö,8 1Q.2 Vereinigte Staaten .... Kanada Deutschland Frankreich Belgien 4,4 o,5 11,8 9,5 29,9 1.2,0 1,2 42,3 60,8 9,5 13,0 ">9 England Rußland 8,3 4,8 Dichte von 2,5 km Bahnen auf 100 qkm, für 1916 eine solche von 3,2 km. Damit nähern sich die mittleren Provinzen schon erheblich dem Durchschnitt der Vereinigten Staaten. Mit Bezug auf die Be- völkerung ist dagegen das agrarische Neuland Argentinien eins der eisenbahnreichsten Länder der Erde und wird nur von Kanada und Australien (60,8 bzw. 59,1 km Bahnen auf 10000 Einwohner) über- troffen. ,,In unentwickelten Ländern, die noch ganz überwiegend extensiv-landwirtschaftlich benutzt werden und die Menschen- anhäufungen der Industriegegenden und großen Städte nicht kennen, ist das Verhältnis der Eisenbahnlänge zur Bevölkerungszahl als maßgebend zu betrachten. . . . Nur besiedelte oder doch besiedelbare Gegenden können zur Beurteilung der Eisenbahn ausstattung heran- gezogen werden3)." Beschränkt man also wiederum die Betrachtung J) Nach Archiv für Eisenbahnwesen, Jahrg. 1915, S. 5i2ff. 2) Für Argentinien sind die Zahlen für 191 4 eingesetzt. Die in der Statistik der angeführten Quelle enthaltene Verhältniszahl 67,9 km, die Argentinien als das im Verhältnis zur Einwohnerzahl am reichsten mit Eisenbahnen aus- gestattete Land der Erde erscheinen läßt, ist falsch. Ihr ist eine Bevölkerung von knapp 5 Millionen zugrunde gelegt, während sie nach dem Zensus von 1914: 7885237 betrug. 3) K. Wiedenfeld, „Bedeutung der internationalen Eisenbahnstatistik" im Artikel „Eisenbahnen" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl., 1909, 3. Bd., S. 896. — 86 — auf die Hauptlandwirtschaftszone, die fast 75% der Gesamt- bevölkerung des Landes enthält, so hatte diese im Jahre 1916 auf 10000 Einwohner 54,2 km Eisenbahnen aufzuweisen. Mit dieser Ziffer stellt sich die mittelargentinische Hauptlandwirtschaftszone als ein Gebiet dar, dessen Versorgung mit Schienenwegen bereits einen hohen Grad der Intensität erreicht hat. b) Staatliche Eisenbahnpolitik. Der weitaus größte Teil des argentinischen Eisenbahnnetzes befindet sich in Händen privater Gesellschaften. Am 1. Januar 1918 entfielen von 35256 km vorhandener Bahnen 6126 km auf staat- liche Linien, damit betrug der Anteil der Staatsbahnen am Gesamt- netz nur 17%. Die Staatsbahnen liegen sämtlich außerhalb der Hauptanbauzone in den wirtschaftlich erst in den Anfängen ihrer Entwicklung stehenden nördlichen und südlichen Territorien. In dem mittelargentinischen Landwirtschaftsgebiet blieb dagegen der Ausbau des Verkehrsnetzes von Anfang an der Initiative des Privat- kapitals überlassen. Der leitende Gesichtspunkt war dabei der, eine möglichst schnelle und umfangreiche Ausstattung des Landes mit Schienenwegen, gleichviel unter welchen äußeren Formen, zu er- reichen. Die Eisenbahnpolitik des argentinischen Staates beschränkt sich also im wesentlichen auf die Gestaltung des Verhältnisses des Staates zu den privaten Bahngesellschaften und die Mittel staatlicher Förderung des privaten Bahnbaus. Von einer Eisenbahnpolitik im obigen Sinne kann man in Argen- tinien seit 1872 reden. Bis zu diesem Jahre, in dem freilich erst 865 km Bahnen im ganzen Lande vorhanden waren, hatte die Staatsregierung keinerlei Kontrolle über die Bahngesellschaften ausgeübt. 1872 wurden in einem ersten Eisenbahngesetz die notwendigen technischen und sicherheitspolizeilichen Vorschriften erlassen1). Die staatliche Kontrolle machte sich dann zunächst schon deshalb notwendig, weil der Staat für das in den Eisenbahnen angelegte Kapital eine ge- wisse Zinsgarantie übernommen hatte. Letztere ging fast stets mit großen Landschenkungen bei Erteilung der Konzessionen Hand in Hand. Die erste wirklich bedeutende Bahnlinie in Argentinien baute der Nordamerikaner Wheelwright. Sie verband den Hafen Rosario mit der Stadt Cördoba, wurde 1863 begonnen und 1870 x) Ley Nr. 531 del 18 de Septiembre de 1872 — Ley de Ferrocarriles. - 87 - vollendet1). Sie gehört heute zum Netz der ,, Zentralargentinischen Bahn". Wheelwright wurde in seiner Konzession von 1863 nicht nur eine 7% ige Verzinsung des 1,6 Mill. Pfd. betragenden Anlage- kapitals verbürgt, sondern zudem ein Gebietsstreifen von 5 km Breite zu beiden Seiten der Bahnlinie in ihrer gesamten Längenausdehnung abgetreten2). Zinsgarantie und Landabtretungen sind dann lange die vornehmsten Mittel gewesen, durch welche der Staat ausländisches Kapital für den Bahnbau heranzuziehen suchte. Die Nutzbarmachung der durch die Konzessionen gratis erworbenen Ländereien zu Kolo- nisationsunternehmungen stellte im Anfang, als der Verkehr noch gering war, einen sehr wesentlichen Bestandteil der Einnahmen der Bahngesellschaften dar. Durch ein Gesetz von 1888 3) wurde in der ,,Direcciön General de Ferrocarriles" ein besonderes staatliches Eisenbahnamt innerhalb des Ministeriums der Öffentlichen Arbeiten geschaffen, dem die ständige Überwachung und gesetzliche Normierung der Eisenbahnverhältnisse obliegt, und das zugleich die Aufgabe hat, dafür zu sorgen, daß über dem privatwirtschaftlichen Gewinnstreben der Bahngesellschaften nicht die allgemein volkswirtschaftlichen Interessen zu kurz kommen, sondern ein gerechter Ausgleich erreicht wird. Der Staat konnte sich der Verpflichtung nicht entziehen, dafür zu sorgen, daß durch das Monopol, das die Bahnen tatsächlich aus- übten, die Interessen der Allgemeinheit nicht geschädigt wurden. Das im Jahre 1891 erlassene Eisenbahngesetz4) wirkte nicht sehr fördernd auf den weiteren Bahnbau, da es die rechtliche Stellung der Gesellschaften in mancher Beziehung unsicher gestaltete und die zollfreie Einfuhr von Baumaterial aufhob. So macht sich in den 1891 folgenden Jahren eine gewisse Stockung im Bahnbau bemerkbar. Die gesamte Bahnlänge stieg z. B. von 1893 — 97 nur um 200 km jährlich, während in dem Jahrfünft 1887 — 91 der durchschnittliche Jahreszuwachs fast 1000 km betragen hatte. Da in den allgemeinen Wirtschaftsverhältnissen des Landes keine Gründe für diese Stockung vorlagen, ist sie im wesentlichen auf das erwähnte Gesetz zurück- zuführen. Das Verhältnis des Staates zu den privaten Eisenbahngesell- *) F. M. Halsey, Railway Expansion in Latin America, New York 1916, 11. 2) Vgl. The Argentine Year Book 1915/16, S. 254ff. 3) Ley Nr. 2274 creando la Direcciön de Ferrocarriles. 4) Ley General de Ferrocarriles Nr. 2873. — 88 — Schäften wurde dann endgültig neu geregelt durch das im Jahre 1907 erlassene sogenannte Mitre- Gesetz. Die Anregungen, die dieses Gesetz auf den Bahnbau ausübte, waren außerordentlich. In den folgenden Jahren 1908 — 13 betrug das jährliche Wachstum des Schienennetzes im Durchschnitt 1900 km, ein Tempo der Zu- nahme, wie es in keiner früheren Periode erreicht worden war. Die wesentlichsten Bestimmungen des Gesetzes sind die folgenden1): Eisenbahnbau- und Betriebsmaterial ist bis zum Jahre 1947 frei von Einfuhrzöllen. Die Bahngesellschaften sind von allen National-, Provinzial- und Munizipalabgaben befreit und haben lediglich eine Abgabe von 3% ihres Reingewinns zu entrichten. Dieser wird be- rechnet, indem die Höhe der Betriebsunkosten mit 60% der Brutto- einnahmen angenommen wird. Die Abgabe von 3% des Reingewinns fließt in einen besonderen ,,fondo de caminos", Wegebaufonds, und wird zum Bau und Unterhalt von Wegen und Brücken in dem von der betreffenden Bahnlinie durchkreuzten Gebiet, besonders zur Anlage von Zufahrtswegen zu den einzelnen Bahnstationen verwendet2). 1) Ley Nr. 5315 sobre Concesiones de Ferrocarriles. Publicaciön Oficial. Ministerio de Obras Publicas. 2) Diese Bestimmung ist für den Ausbau des argentinischen Wegenetzes von weittragender Bedeutung. Es besteht die dringende Notwendigkeit, mehr Wege zu bauen. Argentinien hat — ganz ähnlich wie Nordamerika — die Periode des Kunststraßenbaus gewissermaßen übersprungen. Schon 1857 wurde die erste Eisenbahn gebaut. Der gesamte wirtschaftliche Aufschwung des Landes, von gänzlicher volkswirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit bis zu seiner gegen- wärtigen Weltmarktgeltung, fällt also in das Zeitalter der Eisenbahn. An Stelle von großen Kunstlandstraßen wurden gleich Schienenwege gebaut. Mit dem Ausbau der letzteren hat dann der des Straßennetzes, vor allem der Bau von Zufahrtswegen zu den schnell entstehenden Bahnstationen nicht Schritt ge- halten. In den meisten Gebieten der Acker bauzone sind die Wegeverhältnisse noch derart, daß ein Temperaturwechsel in der Nacherntezeit, der die Wege in Schlammbäche verwandelt, alle Erwartungen, die sich an einen guten Ernte- ausfall knüpften, über den Haufen werfen kann. Hinzu kommt das Fehlen von Getreidespeichern und Elevatoren. Natürlich kommt das Getreide, das längere Zeit unter freiem Himmel gelagert hat und der Feuchtigkeit aus- gesetzt war, im Zustande starker Entwertung auf den europäischen Markt. In der angedeuteten, für den Umfang der Getreideproduktion gänzlich un- zureichenden verkehrstechnischen Ausstattung der landwirtschaftlichen Pro- duktionsgebiete prägen sich charakteristische Züge der unter dem Zeichen der Weltmarktversorgung stehenden überstürzten Entwicklung des Agrar- neulandes aus. Zuzugeben ist, daß der Straßenbau durch das gänzliche Fehlen von Steinen in der argentinischen Pampa erschwert wird. Jedenfalls aber be- deutet der Mangel an Zufuhrwegen zu den Eisenbahnen eine erhebliche Begren- -89- Der Staat hat das Recht, in die Festsetzung der Fracht- und Personentarife einer Gesellschaft einzugreifen, sobald der Durchschnitt ihrer Bruttoeinnahmen innerhalb drei aufeinander folgender Jahre 17% ihres anerkannten Kapitals überschreitet. Der Kapitalsbetrag wird zu diesem Zweck bei Eröffnung jeder Linie festgelegt und darf ohne staatliche Genehmigung nicht erhöht werden. Weitere Bestim- mungen des Gesetzes beziehen sich auf Ermäßigung der Tarifsätze für die Beförderung von Materialien für öffentliche Bauten sowie für Einwanderer- und Militärtransporte. Artikel 19 des Gesetzes ließ den bereits bestehenden Bahngesell- schaften die Wahl offen, sich seinen Bestimmungen zu unterwerfen oder nicht, es haben aber dann fast alle Gesellschaften sich dem Gesetz unterstellt. Das Gesetz regelte vornehmlich die aus der Kon- zessionserteilung an eine Gesellschaft sich ergebenden Rechte und Pflichten derselben, daneben blieben die allgemeinen Bestimmungen der früher erlassenen Gesetze bestehen, soweit sie nicht in einzelnen Punkten besonders abgeändert wurden. Das Endergebnis der Ent- wicklung in der Eisenbahngesetzgebung ist eine gewisse Unklarheit und Unübersichtlichkeit der gesetzlichen Regelung, die zu häufigen Konflikten zwischen dem Staat und den Gesellschaften führte. Die Entwicklung des Eisenbahnwesens ist in einem solchen Tempo fort- geschritten, daß die Gesetzesbestimmungen, die zum Teil schon vor 40 Jahren erlassen wurden, als diese Entwicklung noch in ihren ersten Anfängen stand, gegenwärtig nicht mehr genügen. Es ist ein förmlicher Streit darüber entbrannt, wieweit der Staat das Recht hat, in die Verwaltung der Bahnen einzugreifen. Eine ältere Gesetzesvorschrift gesagt z. B., daß die staatliche Generaldirektion der Bahnen den Bau neuer Linien und Stationen vorschlagen kann, wenn sie diese im öffentlichen Interesse für dringend notwendig hält. Auf Grund dieser Bestimmung ist von der argentinischen Regierung den Bahngesellschaften verschiedentlich die Anlage von Zweigstrecken und Stationen vorgeschrieben worden, wogegen diese sich dann oft energisch gesträubt haben. Erklärlicherweise waren die von der Regierung vertretenen öffentlichen Interessen des Landes, seiner Landwirtschaft und Industrie nicht immer ohne weiteres mit den privatkapitalistischen der Eisenbahngesellschaften und ihrer Aktionäre vereinbar. Während zung der Anbauzonen . (Vgl. Hermes und Holtmeier a. a. O., S. 91.) Die Einnahmen aus der dreiprozentigen Gewinnsteuer der Bahnen können allein nur einen langsamen Ausbau des Wegenetzes sicherstellen. Für das Betriebs- jahr 1913/14 betrugen sie 3108000 Pesos, während die Provinz Buenos Aires allein für notwendige Wegebauten schätzungsweise 70 Millionen braucht. (La Prensa, Buenos Aires, 26. 12. 1912.) — 90 — der letzten Jahre hatten die Gesellschaften erbitterte Kämpfe um das Privileg ihrer gänzlichen Steuerfreiheit zu führen. Vom obersten Ge- richtshof wurden einige Fälle zugunsten von Gemeinden entschieden, welche die Bahngesellschaften zu gewissen Munizipalabgaben, wie Unter- haltungskosten der vor den Bahnstationen liegenden Plätze oder Zu- gangstraßen herangezogen hatten1). Von besonderer Bedeutung ist sodann die Frage der gesetz- lichen Anerkennung des verwendeten Kapitals. Da der Staat für den Fall, daß durch drei aufeinanderfolgende Jahre die Bruttoeinnahmen 17% des gesetzlich anerkannten Kapitals übersteigen und die Un- kosten nicht mehr als 60% der Einnahmen betragen, das Recht hat, die Tarife herabzusetzen, so haben die Privatbahnen ihrerseits bei gutem Geschäftsgang ein Interesse daran, den Betrag des in- vestierten Kapitals möglichst hoch anzugeben. Die Eisenbahn- behörde dagegen verfolgt ein entgegengesetztes Interesse. Sie an- erkennt daher z. B. nicht die Emissionen für Zinsenzahlung oder Dividendenverteilung oder die Neuausgabe von Aktien, die sich auf Werterhöhung vorhandener Titel begründet. Bei Neuanschaffungen und Erweiterungsbauten bewertet sie den Kapitalzuwachs oft niedriger, als er von der betreffenden Gesellschaft angegeben wird, oder läßt ihn bei Fusionierungen als privaten Kapitalverschiebungen nicht zur Aufnahme in die Kapitalsverrechnung zu2). Dem gesetzlichen Kapital werden nur die Summen zugerechnet, die tatsächlich für Material und Arbeitslöhne in Neuanlagen als werbendes Kapital investiert worden sind oder zum Ankauf von Linien anderer Gesellschaften verwandt wurden3). Durch ein Dekret des Ministers der öffentlichen Arbeiten, das eine erneuerte Interpretation der gesetzlichen Be- stimmungen von 1907, welche von den Bahngesellsfhaften bereits 1915 in einer Eingabe an den Kongreß verlangt worden war4), darstellte, wurde im Jahre 1917 bestimmt, daß nur das wirklich eingezahlte Kapital der Gesellschaften offiziell als bestehend anzuerkennen sei. Das Nominalkapital der englischen und französischen Gesellschaften erfuhr auf diese Weise eine Herabsetzung von insgesamt etwa J) Vgl. The Argentine Year Book 1915/16, S. 261. 2) Handelsbericht des k. u. k. Generalkonsulats in Buenos Aires für das Jahr 1914. (Berichte der k. u. k. Österr.-Ung. Konsularämter, Wien, Dezember 191 5, S. 74.) 3) Artikel 4 des ,,Decreto Reglamentario" vom 30. April 190S. *) Supplement to Commerce Reports, Washington, Nr. 38a, 13. Juli 1916, S. 15. — 91 — ioo Mill. Pesos.1) Es besteht also für die argentinischen Eisenbahn- gesellschaften ein Unterschied zwischen ihrem buchmäßigen und gesetzlich anerkannten Kapital. Für die Summe des Kapitals der acht bedeutendsten Linien, auf die 1917: 93% des gesamten argen- tinischen Privateisenbahnkapitals entfielen, nämlich die Linien: F. C. Sud de Buenos Aires, Oeste de Buenos Aires, Central Argentino, Buenos Aires al Pacifico, Central Cördoba, Provincia de Santa Fe, Compania General de la Provincia de Buenos Aires, Rosario ä Puerto Belgrano, gestaltete sich dieser Unterschied recht beträcht- lich, wie die folgende Tabelle erkennen läßt: Tabelle 17. Unterschied zwischen a = buchmäßigem und b = gesetz- lich anerkanntem Kapital der acht bedeutendsten Eisen- bahngesellschaften2). Jahr 1912 1913 1914 1915 1916 a b Pesos Gold Pesos Gold 1056 471 118 924006795 1 130 008 192 987414627 1 193 237 813 1 033 828 160 1 236 977 589 1 074 976 120 1 242 061 699 1 099 364 391 Die gesetzlichen Bestimmungen über die Grenze der staatlich erlaubten Verzinsung des Kapitals machen es begreiflich, daß die Bahngesellschaften das Bestreben haben, ihre eigentlichen Rein- gewinne nicht das zugelassene Maß übersteigen zu lassen, und zu diesem Zweck starke Rückstellungen und Abschreibungen vornehmen oder beträchtliche Summen in Landerwerb und permanenten Anlagen festlegen3). Darum geben die in den Berichten der Gesellschaften erscheinenden Gewinnziffern ein ungünstigeres Bild von den Ge- schäftsergebnissen, als der Wirklichkeit entspricht, wenn auch das für die Gewinnberechnung maßgebende anerkannte Kapital in allen Fällen niedriger ist als das wirklich vorhandene Aktien- und Obli- *) Hamburger Fremdenblatt v. 9. 5. 1917. 2) Nach Revista Argentina de Ciencias Politicas, Buenos Aires, 12. 5. 1918. 3)Martinez und Lewandowski, The Argentinein the Twentieth Century, London 191 1, S. 98. — 92 gationenkapital. Tatsächlich haben die offiziellen Gewinne der großen Gesellschaften die gesetzlich erlaubte Grenze von 6,8% nie erreicht, und der. Staat hat nie Veranlassung gehabt, auf Grund des Artikel 9 des Mitre-Gesetzes in die Tarif gestaltung einzugreifen. Tabelle 18. Reingewinne der vier bedeutendsten Bahngesellschaften in Prozent ihres anerkannten Kapitals1). Zentral- Jahr Südbahn Westbahn argentinische Bahn Pazifikbahn 1909/10 4,9i 5,4i 5,i4 4,x4 1910/11 5,i8 5,84 5,56 4,36 1911/12 5,oo 5,oo 5,55 3,9o 1912/13 5,97 5,4° 5,3° 4,55 1913/M 3,98 4,o5 4,72 3,76 I9I4A5 3,75 3,76 4,29 3,52 1915/1Ö 4,47 4,46 3,74 3,89 Zusammenfassend läßt sich über die argentinische Eisenbahn- politik das Folgende sagen. Das Staat hat es nie als seine Aufgabe betrachtet, den Ausbau des Eisenbahnnetzes und dessen geographische Anordnung in bestimmter Richtung zu beeinflussen. Die Folge war, daß die Bahnen nicht nach einem einheitlichen Plane entstanden, der festgelegt hätte, was Rumpf- und was Seitenlinien sein sollten, sondern unter privatwirtschaftlichen Interessen, die allerdings häufig mit denen des Landes zusammenfielen, unter dem Gesichtspunkt möglichst schnell zu erreichender Ergiebigkeit dort gebaut wurden, wo eine größere Bevölkerungsdichtigkeit oder besonders günstige natürliche Voraussetzungen es ratsam erscheinen ließen2). Der privatwirtschaftliche Konkurrenzkampf der verschiedenen Linien hat dann im Laufe der Zeit ganz von selbst dazu geführt, daß die Ausgestaltung des Schienennetzes sich sowohl der besonderen verkehrsgeographischen Struktur des Landes anpaßte als auch den eben durch ihre Einwirkung mächtig gesteigerten Verkehrs- bedürfnissen besonders der argentinischen Landwirtschaft Rech- nung trug und gerecht wurde. Hatte der Staat in dem ersten Ab- *) Aus The Economist, London, 2. 12. 1916. 2) Vgl. Mitteilungen der Ibero-amerikanischen Gesellschaft, i. Jahrg., Heft 11, S. 388 ff. — 93 — schnitt der Eisenbahnentwicklung in Form umfangreicher Land- schenkungen erhebliche Opfer gebracht, um das ausländische Kapital zum Bahnbau heranzuziehen, so konnte er sich in dem zweiten Ab- schnitt — der etwa 1890 begann, als mit rund 10 000 km Bahnen bereits ein breiter Grundstock für die weitere Entwicklung gelegt war — dieses weitgehenden Entgegenkommens enthalten. Die aller- dings nach wie vor unter dem Zeichen ausgesprochener Förderung des Bahnbaus stehende Politik beschränkte sich auf Zinsgarantien, Erteilung von Steuer- und Zollfreiheiten und allenfalls unentgeltliche Überlassung des für die Bahnstrecke nötigen Bodens. In dem dritten und letzten Abschnitt endlich, dessen Charakter durch die Bestim- mungen des Gesetzes von 1907 gekennzeichnet wird, ist deutlich die Tendenz vorhanden, nicht mehr um jeden Preis eine Vermehrung der vorhandenen Schienenwege erreichen zu wollen, sondern daneben in der Einschränkung der bis dahin unbegrenzten Gewinnmöglich- keiten der Privatgesellschaften und damit im Schutz allgemein volks- wirtschaftlicher Interessen eine wichtige Aufgabe der Gesetzgebung zu erblicken. Zwar drückt sich in der Zoll- und Abgabenfreiheit weiter das Prinzip der Förderung aus, welches in einem Lande, für dessen Fortentwicklung immer noch so unendlich viel von dem Weiterausbau und der Verdichtung des Eisenbahnnetzes abhängt, seine volle Berechtigung hat. Daneben aber weist die Heranziehung der Bahngesellschaften zu Abgaben, die allerdings durch ihre Ver- wendung für den Wegebau und damit durch die Erweiterung "ihrer Einflußzonen ihnen selber wieder zugute kommen, sowie die indirekte Beschränkung der freien Tarif gestaltung auf eine veränderte Orien- tierung in der argentinischen Eisenbahnpolitik hin. So ist die argentinische Eisenbahnpolitik in ihren verschiedenen Etappen jeweils der Ausdruck des Maßes, in dem der argentinische Staat zur Entfaltung seiner Produktivkräfte auf den Ausbau des Verkehrswesens durch ausländisches Kapital angewiesen war. Je mehr die Ausstattung der wirtschaftlich wichtigsten Landesteile mit Bahnen sich der Vollendung nähert, verstärkt sich eine gewisse Prohibitivtendenz. Im Anschluß an die Schwierigkeiten, welche den Bahnen während des Krieges bei der mit erheblicher Verteuerung ihrer Betriebsunkosten begründeten Erhöhung der Tarife gemacht wurden, finden sich in der englischen und angloargentinischen Presse häufige Klagen, das in argentinischen Bahnen investierte englische Kapital finde keine genügende Verzinsung mehr. Der argentinischen Regierung wird der Vorwurf einer fast feindseligen Haltung gegen- — 94 — über den englischen Gesellschaften gemacht, die sich mit der Zunahme staatssozialistischer Ideen nur noch verstärkt habe. Neuerdings wird von argentinischen Kreisen, die eine nationale Politik unter der Parole „Argentinien den Argentiniern" treiben wollen, der Ge- danke einer Verstaatlichung sämtlicher Bahnen lebhaft erörtert. Der argentinische Staat hat sich im Artikel 16 des Mitre- Gesetzes das Recht vorbehalten, die Enteignung der Bahnen zu dem um 20% vermehrten Betrage ihres anerkannten Kapitals jederzeit vornehmen zu können. Der Verwirklichung dieser rechtlich vorhandenen Mög- lichkeit stehen vor allem die Schwierigkeiten der für die Ablösung notwendigen Kapitalsbeschaffung entgegen1). Zudem empfehlen die mit den bisherigen staatlichen Linien gemachten Erfahrungen den argentinischen Fiskus als Eisenbahnunternehmer nicht, da Klagen über die auf ihnen herrschenden Unregelmäßigkeiten des Verkehrs, welche die Folge mangelhafter Betriebsorganisation sind, an der Tagesordnung sind. c) Das Tarifwesen. Bevor wir in die Betrachtung des Tarifwesens der argentini- schen Bahnen eintreten, ist es notwendig, die Eigenarten und be- sonderen Schwierigkeiten hervorzuheben, die sich aus dem rein agrarischen Charakter des Landes für den Eisenbahnverkehr und die wirtschaftliche Lage der Bahngesellschaften ergeben. Nach seinen Objekten ist der Verkehr auf den argentinischen Bahnen in Personen-,. Güter- und Viehtransport zu scheiden. Der Personenverkehr spielt entsprechend der geringen Dichte der Bevölkerung eine unter- geordnete Rolle. Er trägt bei der Mehrzahl der argentinischen Bahnen mit etwa 25% im Mittel zur Gesamtsumme ihrer Bruttoeinnahmen bei. Für die großen Linien machte sich in den letzten Jahren geradezu die Tendenz bemerkbar, daß der Anteil der Einnahmen aus dem Personenverkehr an den Totaleinnahmen eher ab- als zunimmt. Auch absolut genommen weisen seine Ziffern kaum eine Steigerung auf, die ständige Vermehrung der Einwohnerzahl kat keine wesent- liche Zunahme des Personenverkehrs zur Folge gehabt. Die neben- stehende Tabelle möge diese Tatsache, die in dem überwiegend länd- lichen Charakter, dem relativ niedrigen Kulturniveau und der lokalen Zersplitterung der Bevölkerung ihre Erklärung findet, belegen: x) In einem Bericht des Comite Nacional del Comercio an den Minister der öffentlichen Arbeiten (La Prensa, 11. II. 191 7) Vird die Ablösungssumme auf rund 7 Milliarden M. berechnet. — 95 — Tabelle 19. Einnahmen aus dem Personenverkehr und ihr Anteil an den Totaleinnahmen der vier bedeutendsten Linien1). 1909 — 10 1915— 16 Einnahmen aus | Prozent der Einnahmen aus Prozent der demPersonenver- Total- demPersonenver- Total- kehr in £ Sterling | einnahmen kehr in £ Sterling einnahmen Pazifikbahn . 889 257 20,7 864 277 18,6 Südbahn . . 1 478 820 32,1 1 645 497 29,7 Westbahn . . 603 396 26,2 634 865 23,4 Zentralargent. Bahn . . 1 432 400 30,2 1 572 217 27,4 Die Einnahmen aus dem Transport lebenden Viehs sind dem- gegenüber noch bedeutend geringer. Sie betragen 7 — 9% der Gesamt- einnahmen und erreichten 1915/16 nur bei der Westbahn, die be- sonders viehreiche Bezirke versorgt, den hohen Anteil von 17 %2). Lebendes Vieh wird im übrigen vielfach getrieben oder benutzt den billigeren Wasserweg. Das Schwergewicht des Eisenbahnverkehrs liegt also in der Beförderung von Gütern und unter diesen wiederum von landwirtschaftlichen Massengütern. Im Güterverkehr lassen sich drei Arten unterscheiden: 1. die Beförderung von Waren von den Einfuhrhäfen in das Innere des Landes, 2. der interlokale Transportverkehr, 3. die Beförderung der agrarischen Exportprodukte aus dem Landesinnern zu den Verschiffungshäfen. Für die geringe Intensität des Verkehrs der beiden erstgenannten Arten ist wiederum die geringe Dichtigkeit, sowie die Bedürfnis- losigkeit der ländlichen Bevölkerung maßgebend. Außer Gegenständen des täglichen Bedarfs kommen hier vor allem landwirtschaftliche Bedarfsartikel und Maschinen in Frage. Auch für im Lande selber erzeugte Waren ist die Richtung dieses Verkehrs wesentlich die gleiche wie für aus dem Ausland eingeführte, da die Einfuhrhäfen zugleich die wichtigsten industriellen Produktionsorte sind. Es sei 1) Nach The Economist, London, 18. 11. 1916. 2) Die von den Bahnen zu befördernden Mengen lebenden Viehs erfuhren eine starke Vermehrung durch die erhöhte Ausfuhr von Pferden als Folge des, europäischen Krieges. 96 nur auf die überragende Stellung von Buenos Aires auch bezüglich seiner Industrie hingewiesen. Den weitaus größten Anteil an dem gesamten Eisenbahnverkehr des Landes hat der Transport der Getreidemassen aus dem Landesinnern an die Küste. Wie er der ursprüngliche Zweck und Anstoß des Eisenbahnbaus überhaupt war, hat er sich diese dominierende Stellung bis in die Gegenwart bewahrt. Der Transport der Ernte zu den Häfen macht in normalen Jahren rund ein Drittel des gesamten Frachtverkehrs aus. Tabelle 20. Prozentualer Anteil der Ackerbauerzeugnisse an dem Gesamtfrachtverkehr aller argentinischen Bahnen. a b Jahr Getreide Sonstige Anbau- erzeugnisse a + b % % 0/ /o 1904 34,8 4,7 39,5 1905 33,2 5,o 38,2 1906 29,9 4,6 34,5 1907 26,1 4,6 30,7 1908 30,5 4,7 35,2 1909 27,5 5,3 32,8 1910 26,6 5,3 3i,9 1911 19,7 5,6 25,3 1912 33,i 4,9 38,0 1913 3i,i 4>2 35,3 Für das Jahrzehnt 1904 — 13 ergibt sich ein Durchschnitts- anteil der Ackerbauerzeugnisse am Gesamtfrachtverkehr von 34,1%. Rechnet man das lebende Vieh hinzu, dessen Durchschnittsanteil für die gleiche Zeit 8,9% betrug, so bestehen 43 v. H. aller von den argentinischen Bahnen beförderten Güter aus landwirtschaftlichen Produkten. Aus dem starken Vorherrschen der agrarischen Erzeug- nisse im Frachtverkehr ergibt sich die Abhängigkeit der argentinischen Eisenbahnen von der landwirtschaftlichen Konjunktur und besonders vom Ernteausfall. Diese geht soweit, daß Saatenstandsberichte und Ernteschätzungen aus Argentinien stark auf die Gestaltung der argentinischen Eisenbahnkurse am Londoner Markt einwirken. War die Weizenernte mäßig, so hoffen die Bahngesellschaften, daß die Einnahmen aus dem Transport einer guten Maisernte am Ende des Wirtschaftsjahres einen Ausgleich schaffen werden. Ist die Mais- ernte ihrerseits mißraten, so wirken günstige Witterungs Verhältnisse, die auf einen guten Ausfall der kommenden Weizenernte hoffen lassen, wiederum belebend. So schwanken Furcht und Hoffnung der Eisenbahninteressenten mit denen der argentinischen Landwirte selber, beide sind gleicherweise auf die Gunst des Himmels gestellt. Die Erträgnisse der Linien weichen auch deshalb oft sehr voneinander ab, weil sie verschiedene landwirtschaftliche Gebiete mit jeweils verschiedenen Wachstumsbedingungen bedienen. Wenn die eine Linie aus einer guten Weizenernte der Provinz Buenos Aires Nutzen zieht, mag die andere unter einer Maismißernte in Santa Fe oder einer Zuckerrohrmißernte in Tucumän leiden. Das Vorherrschen des Getreides als Hauptverkehrsgut hat zum anderen den Saisoncharakter des argentinischen Eisenbahnbetriebs zur Folge. Die gewaltigen Getreidemengen , von denen 80% zum Export bestimmt sind, müssen unmittelbar nach der Ernte den Verschiffungshäfen zugeführt werden. Auf diese Weise drängt sich ihre Verfrachtung auf die ersten Monate des Jahres zusammen. Von Januar bis April findet gleichzeitig der Abtransport der Weizen- und Leinsaaternte statt. Die zu befördernden Mengen dieser beiden Körnerarten umfassen bei normalen Ernten zusammen rund 4000000 t jährlich. Außerdem betragen die Maisfrachten, die besonders während der Monate Mai bis August erfolgen, 3 — 3 y2 Mill. t. Die erste Jahres- hälfte ist also die bei weitem verkehrsüberlastetere, während die Monate September bis Dezember die ruhige Zeit bedeuten. In ihr finden in größerem Maße nur noch Verfrachtungen von Mais, Heu und Wolle statt. Der Transport der letzteren geschieht vorzugs- weise in den unmittelbar der Schur folgenden Monaten November und Dezember, seine jährlichen Mengen belaufen sich auf 160 bis 180000 t. Aus dem Saisonbetrieb ergibt sich die Notwendigkeit, für eine einige Monate währende Zeit der Hochkonjunktur eine große Zahl von Betriebsmitteln bereitzuhalten, die während der übrigen Zeit des Jahres nicht genügend ausgenutzt werden können. Dies bedeutet naturgemäß eine starke Erhöhung der Unkosten. Die natür- liche Folge des Saisoncharakters des Verkehrs ist andererseits, daß bei guten Ernten das vorhandene rollende Material nicht ausreicht und dann die Klagen über Wagenmangel und ungebührliche Ver- zögerung der Transporte kein Ende nehmen1). Den Bahnen ist es *) Vgl. La Prensa, Buenos Aires, 6. 1. 1913. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. 7 - 98 - unmöglich, sich auf die Bewältigung von Rekordernten ständig einzurichten. So tritt in den unmittelbar der Erntezeit folgenden Monaten eine allgemeine Verstopfung aller Linien ein, während in der übrigen Zeit des Jahres die Einnahmen aus dem Frachtverkehr vielfach kaum die Betriebsunkosten decken. Abhilfe kann hier allein durch genügende Ausstattung aller Bahnlinien mit Elevatoren und Speichern geschaffen werden1). Erst wenn diese erreicht ist, wird sich der Frachtverkehr gleichmäßiger über das ganze Jahr verteilen lassen. Damit wäre den Bahnen eine stetige Beschäftigung gesichert und zugleich die Möglichkeit einer Herabsetzung ihrer Tarife ge- geben2). Charakteristisch für den argentinischen Eisenbahnfrachtverkehr ist ferner seine stark einseitige Richtung. Die 7 — 8000000 t Ge- treide, welche die Bahnen jährlich zu befördern haben, laufen alle in derselben Richtung: aus dem Innern an die Küste. Die Hauptmasse des Verkehrs geht seewärts. Der Zug zum Weltmarkt drückt dem Verkehr den entscheidenden Stempel auf. Die Wagen laufen oft von den Hafenplätzen leer ins Landesinnere zurück, die Rückfracht fehlt. „Das Ergebnis des wachsenden Exports und stationären Im- ports ist jener Frachtbetrieb, der auf einem Wege doppelt soviel zu befördern hat als auf dem anderen. Dadurch entstehen leere Schienenstränge und erhöhte Betriebskosten3)." Zu diesen aus der besonderen Natur der argentinischen Produktion sich ergebenden Faktoren treten weitere, die ebenfalls in der Richtung einer anormalen Erhöhung der Betriebskosten wirken. Es ist einmal der hohe Preis der Heizstoffe, die von weither herbeigeschafft werden müssen. In Argentinien sind bis heute noch keine abbaufähigen Steinkohlen- lager entdeckt worden. Die Bahnen sind völlig auf die Einfuhr fremder, vornehmlich englischer Kohle angewiesen, deren Preis bereits vor dem Kriege im Steigen begriffen war und während desselben eine geradezu exorbitante Höhe erreichte4). Wieweit sich die in zunehmendem Maße *) Über den gegenwärtigen Mangel an Elevatoren vgl. S. 172. 2) J. F. Baldassarre, Los elevadores de granos. — Primer Congreso Nacional de Ingenieria, Subsecciön Instalaciones Rurales. Buenos Aires 191 7. — B. berechnet, daß infolge des Fehlens von Kornspeichern jährlich mehr als 10%. der Ernte verloren gehen. Ein weiterer Vorteil der Elevatoren würde darin be- stehen, daß durch die in ihnen erfolgende Reinigung und Trocknung des Ge- treides eine bedeutende Frachtersparnis erzielt würde. Gegenwärtig erreichen die Beimischungen (Unkraut und Erde) beim Weizen bis zu 6%. 3) Hermes und Holtmeier-Schomberg a. a. O., S. 95. 4) Einfuhr und Preisbewegung der Steinkohle gestaltete sich von 1910 — 17 folgendermaßen (nach El Comercio Exterior Argen tino, Boletin Nr. 176): — 99 — ausgebeuteten Petroleumvorkommen Patagoniens für die Betriebsstoff- versorgung der argentinischen Bahnen nutzbar machen lassen werden, ist eine offene Frage1). Endlich tragen hohe Materialpreise und Arbeitslöhne zur Erhöhung der Betriebskosten bei. Bezüglich der Gehälter und Löhne hat die Kriegs- zeit den Gesellschaften eine neue dauernde Belastung gebracht, indem sie nunmehr auch zu sozialen Lasten herangezogen werden. Das Pensions- gesetz von 1915 verpflichtet sie, gemeinsam mit Staat und Angestellten Beiträge in eine vom Staat verwaltete Pensionskasse zu entrichten2). Die oben aufgeführten Momente, welche sämtlich eine Verteuerung der Betriebskosten dei argentinischen Eisenbahnen zur Folge haben, sind bei der Beurteilung der Tarifsätze in Rechnung zu setzen. Als praktisches Beispiel für die Gestaltung der letzteren seien zu- nächst die Sätze für verschiedene Punkte der Hinterlandszone der Häfen Buenos Aires und Rosario angeführt. (Siehe Tabelle 21 S. 100.) Die Tarife sind nach der verschiedenartigen Behandlung der einzelnen Getreidearten als Werttarife zu bezeichnen. Es ist dem Prinzip Rechnung getragen, daß das höherwertige Produkt belastungs- fähiger ist als das geringerwertige. Unter diesem Gesichtspunkt er- fahren Weizen und Hafer die gleiche tarifarische Behandlung, während Einfuhr Preis pro t in in t Buenos Aires 1910 3326355 7,92 Pesos Gold 1911 3 7J7 026 8,90 » ,, 1912 3 7°7 956 9,i4 , , 1913 4 046 278 8,18 , , 1914 3 421 526 8,54 > , 1915 2 543 887 13,39 » , 1916 1 884 781 22,35 , , 1917 707 712 29,10 , , Auch der Preis des während des Krieges an Stelle der ausbleibenden Kohle verwendeten Holzes aus den nördlichen Landesteilen belief sich an den Küsten- plätzen auf das Doppelte des Vorkriegspreises der Cardiffkohle. a) Das in Commodore Rivadavia an der Küste des Territoriums Chubut gewonnene Petroleum soll an kalorischen Werten der Steinkohle überlegen sein. Im Betrieb der patagonischen Staatsbahnen wird es bereits allgemein verwendet. Die Ausbeute stieg von 40530 t im Jahre 1914 auf rund 200000 t im Jahre 1918. (Vgl. B. Stichel, Argentinien, Hamburg 1919, S. I29ff.) *) Die Bahnen verweigern einstweilen die Zahlung dieser Beiträge, da sie das im Mitre-Gesetz garantierte Prinzip der Abgabefreiheit durchbrechen, und verlangen vom obersten Gerichtshof die Ungültigkeitserklärung des Pensions- gesetzes. (Commerce Reports, Washington, 38a, 21. 6. 1917, S. 15.) 7* IOO — Tabelle 21. Typen von Getreidefrachttarifsätzen für das Jahr 19151). Entfernung bis zum Hafen in km Frachtsatz in Pesos f. d . Tonne Weizen u. Hafer Leinsaat Mais Zone des Hafens Buenos Aires Bahnstation J. Darac .... 655 9,63 11,56 8,19 „ Banderalö . . . 481 7,55 7,55 6,42 „ America .... 45i 7>36 7,36 6,26 ,, Pehuajö .... 364 6,72 6,72 5,7i ,, Mosconi 255 5,9o 7,38 4,9i „ Canuelas .... 62 2,90 3,64 Mi Zone des Hafens Rosario Bahnstation Rio Cuarto . . . 386 7,36 8,82 6,14 „ La Carlo ta . . . 315 6,74 8,06 5,63 „ Ledesma .... 249 5,95 7,12 4,98 ,, Morrison .... 210 5,44 6,51 4,54 „ Firmat 113 4,19 5,oi 3,49 „ Villa Casilda . . 58 2,93 3,5o 2,45 Leinsaat stärker, Mais dagegen erheblich geringer belastet wird. Die verschiedene Belastungsfähigkeit ergibt sich aus der Preisgestal- tung der einzelnen Produkte. Z. B. betrugen die Notierungen auf der Getreidebörse zu Buenos Aires im Durchschnitt des Jahres 1916: Minimum Maximum für Weizen .... 7,00 Pesos 15,20 Pesos „ Leinsaat . . . 10,20 „ 25,70 „ „ Mais ..... 3,70 „ 11,20 „ 2) Der gegenwärtigen Preisgestaltung scheint die Tarif abstuf ung nach dem Werte nicht mehr voll zu entsprechen, vor allem erscheint der Mais, dessen Preis auf den Bahnstationen des Innern nur 3,50 bis 4 Pesos pro Tonne beträgt, zu hoch belastet. Während Einfuhr- artikel, die ins Landesinnere befördert werden, einem einfachen kilo- metrischen Tarif unterliegen, sind die Tarife für Exportgetreide durchweg reine Staffeltarife. Art und Maß der Staffelung sind buntscheckig wie das ganze Tarifwesen, und allgemein geltende Normen *) Estadistica Agricola 1916 — 17, S. 210. 8) Estadistica Agricola 1916 — 17, S. 72 — 73. — 101 — lassen sich schwer herausheben. Es werden staffelweise, von einer geringen Anfangsentfernung anfangend, die häufig noch unter ioo oder 50 km liegt, progressiv niedrigere Einheitssätze in Anrechnung gebracht. Bei der Zentralargentinischen Bahn, die in jedem Jahre etwa die Hälfte der ganzen argentinischen Maisernte zu den Häfen befördert, betragen die Maisfrachtsätze für den Tonnenkilometer: auf eine Entfernung bis zu 150 km 0,020 Pesos ,, von 150 — 200 km 0,0175 Pesos „ ,, ,, von über 200 km 0,010 Pesos1). Die Berechnung des Tonnenkilometersatzes aus den in der Tab. 21 aufgeführten Tarifbeispielen der amtlichen Statistik ergibt, daß z. B. für Weizen der Einheitssatz bei einer Transportentfernung von 655 km nur 1,47 centavos, bei 255 km bereits 2,31 centavos beträgt, um bei 44 km auf 5,41 centavos zu steigen. Die weitgehende Tarifstaffelung entspricht dem Streben der Bahngesellschaften, ihre Einflußzone möglichst tief in das Landesinnere auszudehnen. Mit Hilfe der Staffelung kommen noch sehr weit von der Küste entfernte Gebiete zum Export, deren Produktion im anderen Falle für den Weltmarkt nicht mehr in Betracht käme, in denen also Ackerbau in größerem Umfange unmöglich wäre. Die Tarifstaffelung vergrößert das für den Weltmarkt lieferungsfähige Ackerbauareal des Landes und tritt so als wichtiger ergänzender Faktor zu anderen, die wie sie für den Fortschritt der wirtschaftlichen und kultürlichen Er- schließung wirken. Das Interesse der Bahngesellschaften, möglichst weite Gebiete in ihren Verkehrsbereich einzubeziehen, deckt sich mit dem allgemein volkswirtschaftlichen an der weitmöglichsten Ausdehnung der Ackerbau- und Siedelungszone. Daß auf die in der Nähe der Ausfuhrhäfen liegenden Böden, d. h. auf die Produktions- gebiete günstiger Verkehrslage ein Teil der höheren Frachtkosten entfernt liegender Gebiete, die noch in die Ausfuhrproduktion ein- bezogen werden sollen, in Gestalt höherer Frachtsätze abgewälzt wird, ist ein Prinzip, das den Gesamtinteressen der argentinischen Volkswirtschaft durchaus entspricht. Tatsächlich wird die nur relativ höhere Transportkostenbelastung der küstennahen Gebiete, in denen allerdings auch höhere Boden- und Pachtpreise zu gelten pflegen, durch die absolute Ersparnis an Frachtkosten aufgewogen. Die Urteile über die Wirkung der herrschenden Tarifpolitik bei l) Estadfstica de los Ferrocarriles en Explotaciön, Tomo XVII, Ano 1908, S. 298. — 102 — den meisten argentinischen Bahnen gehen weit auseinander. Ein bedeutender argentinischer Nationalökonom, Lopez Mafian1), ist der Ansicht, daß der sogenannte „parabolische Tarif" volkswirt- schaftlich nachteilig wirke, indem er die natürlichen Vorzüge der besseren Lage illusorisch mache, eine ungesunde Ausdehnung der Anbauflächen und zugleich damit eine anormale Bevölkerungsver- teilung und eine unnatürliche Gestaltung der Boden- und Pachtpreise zur Folge habe. ,,In seiner Wirkung auf die Gesamtproduktion be- trachtet legt der parabolische Tarif dem größeren Teile der nationalen Produktion, der in den der Küste nahe gelegenen Ackerbaugebieten erzeugt wird, eine Steuer unter dem Vorwand auf, den Anreiz für den sporadischen Ackerbau in entlegeneren Regionen zu geben2)." Man an meint offenbar, durch das Heranziehen entfernter Gebiete mit höheren Transportkosten einerseits und durch das Abwälzen eines Teiles der letzteren auf die verkehrsgünstig gelegenen Produktions- gebiete andererseits entstehe ein höherer Gesamtpreis für das argen- tinische Getreide, der seine weltwirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit nachteilig beeinflusse. Ihm schwebt als Ideal eine Organisation der argentinischen Landwirtschaft vor, wie wir sie in den Thünenschen Kreisen formuliert finden, wo die Kultur des Bodens, ,,wenn die Wirtschaft auf Korn verkauf begründet ist", in einer gewissen Ent- fernung von der Zentralstadt (die in unserem Falle mit dem Ausfuhr- hafen identisch ist) aufzuhören hat, um der Viehzucht Platz zu machen, deren Produkte im Verhältnis zu ihrem Werte geringere Transport- kosten erfordern als das Getreide oder aber weitgehend den Transport entbehren können, indem das lebende Vieh getrieben wird. Er über- sieht aber in diesem Zusammenhang völlig, wie sehr es im Interesse der argentinischen Volkswirtschaft und der kulturellen Weiter- entwicklung des Landes überhaupt liegt, daß das natürliche Monopol der küstennahen Landesteile auf Bodenkultur und Getreideproduktion durch die differentielle Frachttarif ierung künstlich durchbrochen wird. Denn nur der Ackerbau ermöglicht dichtere Besiedelung und intensivere Bodennutzung, nur auf der Basis des Ackerbaus ist die Ausdehnung innerer Kolonisation mit all ihren günstigen Nach- wirkungen auch auf meeresferne Landesteile möglich. Die natürliche Gunst der Lage zum Absatzmarkt wird auch durch die weitgehende Tarifstaffelung und die sich daraus ergebende relativ höhere Belastung x) a. a. O., S. 23 ff. a) Man an a. a. O., S. 25. — 103 — •der Mengeneinheit an Getreide, das auf Land in der Nähe des Meeres gewonnen ist, nicht ausgeschaltet. Der Besitzer von Boden günstiger Yerkehrslage wird stets aus der Tatsache der absoluten Transport- ersparnis, die ihn für sein Getreide am Produktionsort einen höheren Preis erzielen läßt, Gewinn ziehen. Der Preisbildung seiner Produkte kommt das allgemein gültige Gesetz zugute, nach dem der Getreide- preis stets so hoch ist, „daß die Landrente desjenigen Gutes, welchem die Produktion und Lieferung des Getreides nach dem Markt am kost- spieligsten wird, dessen Anbau aber zur Befriedigung des Getreide- bedarfs noch notwendig ist, nicht unter Null herabsinkt1)." Voraussetzung für unsere bisherige Betrachtung war, daß nur die Transportkosten ein variabler Faktor sind, während die Pro- duktionskosten in meeresnahen wie meeresfernen Gebieten annähernd die gleichen bleiben. Allerdings können die letzteren auf Böden günstiger Verkehrslage sich durch höhere Boden- bzw. Pachtpreise erheblich steigern und so den Gewinn aus der Transportkosten- ersparnis bis zu einem gewissen Grade kompensieren. Dem steht gegenüber, daß im Innern des Landes die Preise für Einfuhrartikel aller Art, Gegenstände des täglichen Bedarfs wie landwirtschaftliche Geräte, Saatgut oder Säcke, da sie nicht der Staffelung der Getreide- ausfuhrtarife unterliegen, höher sind als in der Nähe der Einfuhr- häfen2). Das bedeutet für die Binnenlandgebiete ihrerseits die Er- höhung eines wesentlichen Anteils der Gestehungskosten und damit wieder die teilweise Aufhebung des Vorteils billigerer Boden- bzw. Pachtpreise. Da der Getreidepreis dem entfernteren Produzenten, dessen Korn noch zur Ausfuhr gelangt, mindestens die Produktions- und Transportkosten vergüten muß, kann der Vorteil der besseren Verkehrslage nur dann völlig kompensiert werden, wenn die infolge der höheren Bodenpreise eintretende Verteuerung der Produktions- kosten den absoluten Betrag der Transportersparnisse erreicht oder gar übersteigt. Würde dies auf die Dauer der Fall sein und nicht durch *) Joh. Heinr. von Thünen, Der isolierte Staat in Beziehung auf Land- wirtschaft und Nationalökonomie, 3. Aufl., Berlin 1875, S. 225. 2) Die Abhängigkeit von den Hafenplätzen — es handelt sich vor allem um Buenos Aires selber — die zugleich die einzigen Industriezentren sind, er- streckt sich sogar teilweise auf dem inneren Konsum dienende agrarische Pro- dukte des Inlandes. Der Weizen wandert aus den Ackerbaugebieten in die Mühlen der Hauptstadt, von hier das Mehl in die inneren Provinzen, oft in die- selben Gegenden, wo es als Korn geerntet wurde (vgl. E. Lahitte, Los trans- portes y la produccion, im Boletin del Ministerio de Agricultura, Bd XV, Buenos Aires 1913, S. 2 52 ff.). — 104 — Senkung der Boden- oder Pachtpreise ein Ausgleich eintreten, so müßte ein Abwandern der Ackerbauer und Pächter in entferntere Gebiete des Innern die unbedingte Folge sein. Während des Krieges fand zweimal eine allgemeine Erhöhung der Eisenbahntarife statt. Sie machte sich durch die Steigerung der Betriebskosten, die außer durch bedeutend erhöhte Heizstoff- und Materialpreise auch durch Mehrausgaben an Löhnen infolge durch Streiks erzwungener Verkürzung der Arbeitszeit verursacht wurde, notwendig. Die Bahngesellschaften glaubten eine Tariferhöhung selbständig vor- nehmen zu können, während die Regierung sich auf den Standpunkt stellte, daß eine solche von ihrer vorherigen Genehmigung abhängig sei1). Nachdem die Bahnen bereits zum i. November 19 15 ihre Tarife um 10% erhöht hatten, erhielten sie nach langwierigen Verhandlungen November 191 7 die Genehmigung zu einer erneuten Erhöhung um 22 %2). Naturgemäß traf diese Belastung des gesamten argentinischen Wirtschafts- lebens in den Kreisen der Landwirtschaft und des Handels auf lebhaftesten Widerstand. Der Versuch einer nochmaligen 10% igen Tariferhöhung im Jahre 19 18 scheiterte dann auch endgültig am Widerstand der Re- gierung. d) Die wichtigsten Eisenbahnlinien. Um aus dem Anteil der im einzelnen näher zu behandelnden wichtigsten Eisenbahnlinien an dem Gesamtnetz und Gesamtverkehr der argentinischen Eisenbahnen ein Bild von ihrer Bedeutung zu gewinnen, sei in der nachstehenden Tabelle eine Übersicht über sämt- liche im Betrieb befindlichen Eisenbahnlinien des Landes gegeben. Es ist zweckmäßig, diese nicht nach Staats- und Privatbahnen zu scheiden, sondern die Scheidung der amtlichen Statistik nach ver- schiedenen Spurweiten beizubehalten. (Siehe Tabelle 22 S. 105.) 1. Die Staatsbahnen. Unter den argentinischen Bahnen nehmen die staatlichen Linien nur eine untergeordnete Stellung ein. Knapp ein Fünftel des gesamten Bahnnetzes ist in Händen des Staates, auf das aber weniger als 10% des Eisenbahngüterverkehrs des Landes entfallen. Das staatliche Bahn- system teilt sich in zwei völlig voneinander getrennte Gruppen. Von ihnen ist die nördliche die weitaus wichtigere. Sie umfaßt außer einer noch im Bau begriffenen Linie von Formosa nach Embarca- *) Das Gesetz von 1907 enthält eine derartige Bestimmung nicht. 2) La Prensa, Buenos Aires, 11. 11. 1917. — 105 J 8 u o u V m o 0 *J r! u n o n - U PL, In -<£ crJ in W * N "^ o~ o" d OO w o O O IN o Oi «t- t}- 00 ^- o o II Ol M Tj- 00 W tN -*■ oi io m n o ■<*• 00 o N <* ix m IN O IT) »O W tN ■>*■ PO tN 00 PO PO m w PO in •H O tN O 00 M IX Ol N PO 0 00 vO O 00 N in in PO co c* m o\ inoo oi "O O O PO in o» n * in po N 00 tN N 00 tN IN N 00 PO O 0 00 OO 00 N M Tj- CO N 00 Oi O T PO -*■ O Oi m — » vO — m 0* m o ~~ in er« K in — tN o ix r^ 0 — 00 r^ vc tN o 00 Ol Oi N o X •n M « N rrj N D Q o r> rs >n •: '• o Oi Ol -1 o O c 0 m |_, K 00 "i o o «* 0 m m in 0 o 1 ro c in N O JN m 1 M DO o N o o IS. 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Ferner mußten Schienenstränge, die an nördlichere Punkte der chilenischen Grenze sowie an die bolivianische Südgrenze heranreichten, strategisch wertvoll sein. Es war natürlich, daß der Bau dieser Bahnen in außer- halb der Hauptlandwirtschaftszone gelegenen, dünn besiedelten und wirtschaftlich kaum nennenswert entwickelten Provinzen dem Staate überlassen blieb. Die Central Norte-Linie von Tucumän nach La Quiaca an der bolivianischen Grenze wäre zweifellos bis heute vom Privatkapital nicht gebaut worden. In der Tat ist sie aber ein unentbehrliches Glied in dem südamerikanischen Transkontinental- system, und ihr Verkehr wird beträchtlich steigen, sobald die boli- vianische Anschlußlinie fertiggestellt ist. Aus diesem besonderen Charakter der nördlichen Staatsbahnen erklärt sich auch, wenigstens zum Teil, daß bisher regelmäßig ihre Betriebskosten die Einnahmen überstiegen haben. Im Jahre 1914 betrug der Verlust bei der „Central Norte" 1625565 Goldpesos, bei der „Argentino del Norte" 242935 Goldpesos1). Die Summe des in beiden Bahnen investierten Kapitals betrug im gleichen Jahre 120 Mill. Goldpesos. Im Hinblick darauf, daß die Bahnen in den von ihnen erschlossenen Gebieten, denen für die Kultur subtropischer Nutzpflanzen mannigfachste Entwicklung s- möglichkeiten offenstehen,, das absolute Verkehrsmonopol inne- haben, ist eine positivere Gestaltung ihrer Betriebsergebnisse für die. Zukunft wohl zu erwarten. Die während des Krieges erfolgte Reorganisation ihrer Verwaltung wird dazu entscheidend beitragen. Völlig getrennt von dieser nördlichen Gruppe von Staatsbahneii ist die südliche, welche die patagonischen Bahnen umfaßt. Es sind von verschiedenen Häfen der patagonischen Küste ins Innere führende Stichbahnen, die, jede vollkommen isoliert, ohne Verbin- dung untereinander oder mit dem mittelargentinischen Bahnnetz, *) Estadistica de los Ferrocarriles en Explotaciön, Tomo XXIII, Afvo 1914. — loj — wirtschaftlich fast völlig unentwickelte Trockengebiete durchqueren. Der Zweck dieser Bahnen ist die Verbindung einer Anzahl landwirt- schaftlich sehr entwicklungsfähiger Kordillerentäler mit der atlan- tischen Küste, während in der zwischen beiden zu durchquerenden Landregion die natürlichen Vorbedingungen für den Ackerbau fehlen. Die längste dieser Bahnen ist die vom Hafen San Antonio am Golf San Matias ausgehende, deren Ziel der Lago Nahuel Huapi ist. Die Gesamtlänge dieser Bahn wird 640 km betragen, davon waren Anfang 1918 : 450 km fertiggestellt. Die spätere Fortführung der Bahn über das Gebirge nach Chile ist geplant. Die Verwirklichung dieses Projektes würde dadurch erleichtert, daß hier die Pässe nicht so hoch sind und darum nicht so unter Schnee leiden wie in den nörd- lichen Teilen der Anden (z. B. der Uspallatapaß, den die von Mendoza ausgehende transandinische Strecke der Pazifikbahn benutzt). Die Bahn würde unweit Puerto Montt, das den südlichen Endpunkt der chilenischen Längsbahn bildet, aus dem Gebirge heraustreten und dort Anschluß an das chilenische Bahnnetz finden1). Die den Petroleumhafen Commodore Rivadavia mit dem Tal des Rio Senguerr verbindende Linie wurde 1916 in einer Länge von 200 km bis Colon ia Sarmiento fertiggestellt. Sie dient der Erschließung neuen Siedlungslandes in der bewässerbaren Niederung des Senguerr- flusses und des Lago Musters und wird das Tal von Sarmiento zum bedeutendsten Produktionszentrum des Territoriums Chubut machen. Die Bahn hat den Vorzug, in dem Petroleum von Commodore Rivadavia über billigen Betriebsstoff zu verfügen2). Die dritte pata- gonische Bahn endlich durchquert das Territorium Santa Cruz in westöstlicher Richtung. Sie verbindet den an der Mündung des gleichnamigen Flusses gelegenen Hafen Puerto Deseado in einer 320 km langen Linie mit dem von der argentinisch-chilenischen Grenze durchschnittenen Lago Buenos Aires. Zu der Erschließung und Besiedelung der diesem benachbarten Kordillerentäler wird sie durch Schaffung der Verbindung mit der Küste als entscheidender Faktor beitragen3). Eine Verbindung zwischen den he*ute noch völlig voneinander *) Art. „A new way to cross the Andes", Bulletin of the Pan American Union, Washington 1913, S. 333 ff. * 2) Vgl. Boletin de Obras Püblicas de la Repüblica Argentina, Bd. VII, Buenos Aires 1912. 3) Die Bahn, von der Anfang 1918: 280 km gebaut waren, wird inzwischen vollendet sein. — io8 — getrennten nördlichen und südlichen Gruppen der Staatsbahnen würde einen sehr großen Fortschritt in der Verkehrsentwicklung Argentiniens bedeuten. Die argentinischen Bahnen sind sämtlich unter dem Gesichtspunkt gebaut, den Weg aus dem Innern zu den Häfen, Buenos Aires in erster, Rosario, Santa Fe und Bahia Bianca in zweiter Linie, zu bahnen. Auf diese Weise bilden sie eine Art ge- waltigen, offenen Fächers, der seinen Scheitelpunkt in der Haupt- stadt des Landes hat. Innerhalb dieses ganz auf den La Plata kon- zentrierten Systems fehlen die Querverbindungen, es fehlen vor allem große von Norden nach Süden durchlaufende Linien, weiche die südlicheren Landesteile dem mittelargentinischen Zentralwirt- schaftsgebiet verkehrswirtschaftlich angliederten. Es wird Aufgabe des Staates sein, dem abzuhelfen. Es besteht denn auch der Plan, das staatliche Eisenbahnnetz auf das ganze Land auszudehnen und durch staatliche Schmalspurlinien sämtliche Provinzhauptstädte und bedeutenderen Städte des Innern unter sich und mit der Küste zu verbinden1). Für einen derartigen Plan sind sowohl innerpolitische und militärische wie wirtschaftliche Erwägungen maßgebend. In seinem Jahresbericht an den Verkehrsminister vom Jahre 19152) schlägt der Generaldirektor der Staatsbahnen den Bau einer großen längenmeridionalen Bahn vor, die von einem Punkt der nordargentinischen Staatsbahn in der Provinz La Rio ja ausgehend in südlicher Richtung über San Luis und durch das Zentrum der Pampa Central und der Terri- torien Rio Negro, Chubut und Santa Cruz auf Punta Arenas an der Magelhaesstraße vordringen soll. Beiderseits dieser Hauptstrecke wären Nebenlinien, westwärts in die Kordillerentäler, ostwärts zu den atlan- tischen Häfen zu bauen. Die Großzügigkeit dieses Projektes ist bestechend, doch sind die Schwierigkeiten, die sich für seine Durchführung vor allem aus der unwirtlichen Natur der patagonischen Sandsteppen ergeben, nicht zu unterschätzen. Eine besondere, technische Schwierigkeit besteht darin, daß die staatlichen Nordbahnen die Einmeterspur haben, während die in Patagonien vorhandenen Stichbahnen alle die Breitspur der großen Privatbahnen von 1,676 m aufweisen. Für die Annahme der letzteren war wohl die Erwägung maßgebend, den Anschluß an das Netz der großen Südbahn, die ebenfalls die Spur von 1,676 m hat, leichter zu gestalten3). .*) Vgl. Primer Congreso Nacional de Ingenierfa ■ — Relaciön general del funcionamiento del Congreso, Buenos Aires 1917, S. 1461! 2) The Review of the River Plate, Buenos Aires, 7. 4. 1916. 3) Die Südbahn plant den Bau einer Linie, die ihre Rio Negro-Linie mit Puerto San Antonio verbinden soll. Damit würde der Anschluß der größten patagonischen Bahn an das mittelargentinische Bahnnetz erreicht sein. io9 2. Privatbahnen. Nach der im „Intercambio Econömico de la Repüblica 1910 — 1917" aufgestellten Zahlungsbilanz Argentiniens für das Jahr 19 17 war deren Passivseite für die Verzinsung in Eisenbahnen angelegter aus- ländischer Kapitalien mit einer Summe von 38523690 Goldpesos belastet. Dieser Zinstribut an das Ausland entsprach einem Gesamt- kapital der in ausländischem Besitz befindlichen argentinischen Privatbahnen von 1254795900 Goldpesos. Von dieser gewaltigen (fünf Milliarden Mark übersteigenden) Summe entfallen 90% auf eng- lisches, der Rest auf französisches und belgisches Kapital. Die Na- tionalität des Kapitals ist allerdings nicht vollkommen identisch mit der der verschiedenen Gesellschaften. In den englischen Ge- sellschaften ist auch französisches und deutsches, in den französischen beträchtliches belgisches Kapital vertreten1). Die Engländer haben sehr früh die Führung in der kapitalisti- schen Erschließung Argentiniens übernommen. Neben seinem natür- lichen Bodenreichtum und der Gunst seines Klimas verdankt das Land seine Entwicklung gleicherweise dem Zustrom englischen Kapitals wie dem Zustrom romanischer Einwandererscharen. Die Engländer gründeten die ersten Banken, sie bauten Häfen und Ge- frierfleischfabriken, und sie waren vor allem die Pioniere des Eisen - bahnbaus. Nachdem schon 1857 die erste 10 km lange Strecke der West bahn dem Verkehr übergeben worden war, folgte 1862 die Gründung der Zentralargentinischen Bahn, 1865 die der großen Südbahn und 1888 die der Pazifikbahn2). Somit blicken die vier großen englischen Linien heute alle schon auf eine 30 — 50jährige Entwicklungsgeschichte zurück. Die Franzosen folgten erst später. Die „Compagnie francaise des chemins de fer de la pro- vince de Santa Fe" wurde 1888 als erste französische Bahn begründet, die beiden anderen französischen Gesellschaften, die „Compagnie generale de chemins de fer dans la province de Buenos Aires", und die „Compagnie du chemin de fer de Rosario ä Puerto Belgrano" dagegen erst 1900 bzw. 1911. Kleinere Bahn- unternehmungen, die unter argentinischer Leitung mit inländischem Kapital begründet wurden, sind später ausnahmslos in den Besitz der großen ausländischen Gesellschaften übergegangen. Besonders den vier großen englischen Bahnen ist es gelungen, auf Grund einer x) Vgl. Deutscher Überseedienst, Nr. 23 vom 10. 8. 1916. 2) Vgl. The Argentine Year Book 1914, S. 270. — HO — weitausschauenden Expansionspolitik ein weites Netz von Anschluß- linien unter ihre Kortrolle zu bekommen, so daß jede der „big four lines" in ihrem Gebiete verkehrswirtschaftlich eine ziemlich unein- geschränkte Monopolstellung einnimmt1). Im Jahre 1912 unternahmen die Nordamerikaner einen groß- angelegten Versuch, eine beherrschende Stellung auch im argen- tinischen Eisenbahnwesen zu gewinnen. In diesem Jahre wurde in Maine (Vereinigte Staaten von Amerika) das sogenannte Farquhar- Syndikat mit einem Kapital von zunächst 45 Mill. Doli. gegründet.2) Sein Zweck sollte der Erwerb von Grundbesitz und die Vertrustung des gesamten Eisenbahnwesens in einem möglichst großen Teil von Südamerika sein. Dieses gewaltige Unternehmen entwickelte sich in verhältnismäßig wenigen Jahren zu einer Wirt- schafts- und Kapitalsmacht von geradezu ungeheuerlichen Dimensionen. Nach südamerikanischen Berichten kontrollierte das Syndikat bereits 1913 ein Bahnnetz von insgesamt 21400 km Länge, davon stark n 000 km in Brasilien und etwa 6000 km in Argentinien und ver- fügte außerdem über Grundbesitz und Landkonzessionen von rund 1 00000 qkm Gesamtfläche3). In Argentinien wurden in der ,, Argen t ine Railway Company" die Linien der Gruppe Central Cördoba, der Santa Fe-Provinzialbahn, der Nordostbahn sowie der Bahnen von Entre Rios und Corrientes vereinigt. Der Ausbruch des Krieges *) Abgesehen davon, daß dem englischen Kapital durch seine dominierende Stellung im argentinischen Verkehrswesen ein bedeutsamer wirtschaftspoli- tischer Einfluß auf die gesamte argentinische Volkswirtschaft gesichert ist, zieht auch die englische Eisenindustrie ihren Vorteil aus der englischen Kapital- anlage in argentinischen Bahnen, indem diese vorzugsweise aus England ihr Bau- und Betriebsmaterial beziehen. Der Wert der Einfuhr von Eisenbahn- material nach Argentinien betrug im Jahrfünft 1909 — 13 im Jahresdurch- schnitt rund 23 Mill. Goldpesos. Hauptlieferant für Schienen wie Lokomotiven und Waggons ist naturgemäß England, das z. B. im Jahre 1910 an einer Stahl- schieneneinfuhr im Werte von 11 012 249 Goldpesos einen Anteil von 46% hatte, während der Anteil Deutschlands nur 19% betrug. Deutschland und die Ver- einigten Staaten wurden offenbar nur soweit zu Lieferungen herangezogen, als die englische Industrie den argentinischen Bedarf nicht selber zu decken im- stande war. — Dazu kommt die Bedeutung der argentinischen Bahnen als Ab- nehmer englischer Kohle. (Vgl. hierzu W. Meißner, Argentiniens Handels- beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika, Cöthen 191 9, S. 334 ff.) 2) Vgl. F. M. Halsey a. a. O ., S. 28.' — Nach den Mitteilungen des Deutsch- Argentinischen Zentralverbandes (Jahrg. 1912, S. 119) war an diesem Konzern auch die Deutsche Bank beteiligt. 3) „Das Farquhar Syndikat", in den Mitteilungen des Deutsch- Südamerikanischen Instituts, 1913, Heft 2, S. iy2Ü. III bereitete weiteren Fusionierungen ein Ende. Das Syndikat geriet in finanzielle Schwierigkeiten und wurde nach brasilianischen Mel- dungen 1916 mit einem Defizit von 400'Mill. Doli, liquidiert1). Im folgenden seien von den etwa 20 verschiedenen Privatbahn- linien nur die vier bedeutendsten englischen Gesellschaften, die Süd- bahn, die Pazifikbahn, die Zentralargentinische Bahn und die West- bahn näher betrachtet. Auf diese vier Linien entfielen 1915: 56% de& argentinischen Schienennetzes und 71,9% des gesamten Frachtver- kehrs. Die nachstehende Tabelle zeigt, wie sehr die vier Linien im Transport aller Exportprodukte die führende Rolle spielen. Tabelle 23. Mengen der von den Eisenbahnen beförderten landwirt- schaftlichen Produkte und Anteil der vier bedeutendsten- englischen Linien, 1911 — 162). Südbahn Pazifik- bahn Zentral- argentini- sche Bahn Westbahn Alle argen- tinischen B.ahnen Weizen, Tonnen Durchschn. 1911/15 1916 641 539 815 5ii 873 943 814344 685 399 654 519 666 295 612 752 3388819 3 611 877 Leinsaat, Tonnen Durchschn. 1911/15 1916 15 192 13 400 78213 57 639 279710 246 980 22 570 22381 657 064 581 937 Mais, Tonnen Durchschn. 1911/15 1916 192 011 131 327 285215 206 728 1 885 364 1 608 402 364 548 253 446 3672 187 3070173 Hafer, Tonnen Durchschn. 1911/15 191O 514205 562 316 59 795 74267 6873 6811 105 333 105 675 778634 865 395 Rindvieh Stückzahl «1915 981 770 617 400 814 990 1 261 496 5070878 Schafe Stückzahl 191 5 2 485 027 796421 139 821 2 062 103 6 110 902 1) Vgl. R. Hennig, Die Fortschritte des amerikanischen und australischen- Eisenbahnwesens im Jahre 1914 (Weltwirtschaftliches Archiv, 7. Bd., Jena. 1916, Chronik und Archivalien S. 32). 2) Estadistica Agrfcola, Jahrg. 1916 — 17. — 112 — Die Südbahn (Buenos Aires Great Southern R. C.) ist nach der Länge ihrer Schienenwege die bedeutendste Bahn des Landes. Ihr Einflußgebiet umfaßt den ganzen Süden und Südosten der Pro- vinz Buenos Aires, wo sie eine fast uneingeschränkte Monopolstellung einnimmt. Ihre Hauptlinie verbindet die beiden Häfen Buenos Aires und Bahia Bianca, daneben laufen zahlreiche Parallelrouten durch alle wichtigeren Agrargebiete des Südens und Ostens der Provinz. Nur in seinem westlichsten Teil wird ihr System in nord-südlicher Richtung von der Konkurrenzlinie der französischen Rosario-Puerto- Belgrano-Bahn durchkreuzt, die von Norden kommend auf den öst- lich von Bahia Bianca an der gleichen Bucht gelegenen Hafen Belgrano zuläuft. Abgesondert von dem zusammenhängenden Hauptverkehrs- gebiet der Bahn erstreckt sich von Bahia Bianca ausgehend eine Nebenlinie westwärts in die Talgebiete des Rio Colorado und Rio Negro, welche für die wirtschaftliche Entwicklung der Territorien Rio Negro und Neuquen von entscheidender Bedeutung sein wird. Die Bahngesellschaft führt am oberen Rio Negro wie am Neuquenflusse im Auftrag der Regierung umfangreiche Bewässerungsanlagen aus, denen bereits heute eine Anzahl von Ackerbaukolonien ihr Gedeihen verdanken1). Die Südbahn kontrolliert allein die zwischen Buenos Aires und Bahia Bianca gelegenen Häfen der atlantischen Küste: La Plata, Mar del Plata und Necochea. Ihr Einfluß auf den Hafen Buenos Aires, vor allem aber auf Bahia Bianca ist sehr bedeutend. Hirst.2) charakterisiert ihre Stellung folgendermaßen: „It has the great advantage over all competitors in serving nothing but rieh country, and practically all its points are within 200 miles of the ports of Buenos Aires or Bahia Bianca." Bei Bahia Bianca hat sich die Bahn in dem Hafen „Ingeniero White" umfangreiche eigene Dock-, Kai- und Elevatorenanlagen geschaffen, hier ist der Um- schlagplatz der gesamten Getreideernte der südlichen Provinz Buenos *) Erwähnenswert ist unter diesen vor allem die am oberen Rio Negro gelegene ,,Colonia General Roca" mit einer bewässerbaren Anbaufläche von 24380 ha. Mit Hilfe künstlicher Bewässerung werden dem Sande des Rio Negro- tales jährlich reicher werdende Ernten an Weizen, Wein, Klee und Früchten aller Art abgewonnen. Die Entwicklungsmöglichkeiten der nordpatagonischen Talgebiete können nicht hoch genug angeschlagen werden. Das bewässerungs- fähige Land des Rio Negrotales wird allein auf 3400000 ha veranschlagt. Damit ergeben sich auch für die zukünftige Entwicklung des Verkehrs der Rio Negro- talbahn die günstigsten Perspektiven. (Vgl. hierzu M. Alemann, Am Rio Negro, Berlin 1907.) 2) W. A. Hirst, Argentina, London 1911, S. 183. - ii3 — Aires1). Auch in Bueros Aires und La Plata verfügt die Süd bahn über eigene Elevatoren anlagen. Für ihren Frachtverkehr spielen Weizen und Hafer die wichtigste Rolle. Daneben verdankt sie dem Viehreichtum ihres Gebietes hohe Einnahmen aus dem Transport von Rindvieh und Schafen. Auch Schafwolle bildet für sie ein be- sonders wichtiges Transportgut, z. B. entfielen 1916 von einer Gesamt- menge der auf allen argentinischen Bahnen transportierten Schaf- wolle von 159 070 t auf die Südbahn allein 91627 t. Die Entwicklung der Bahn im Jahrzehnt 1904 13 kennzeichnen folgende Zahlen2): Kapital 1904 136 345 967 Goldpesos I9X3 247221485 Schienenlänge 1904 4 000 km 1913 5 998 » Bruttoeinnahmen 1904 12 051 560 Goldpesos 1913 30627992 Der jährliche Reingewinn betrug im Jahrzehnt 1906/15 durch- schnittlich 2140500 Pfd. Sterl. An das System der Südbahn schließt sich nördlich das der West- bahn (Buenos Aires Western R. C.) an. Nach Umfang ihres Schienen- netzes wie ihres Verkehrs steht die Westbahn unter den vier großen Bahnen an letzter Stelle. Ihre Linien durchqueren in mehreren parallel zueinander gen Westen laufenden Strängen den Westen der Provinz Buenos Aires und reichen weit in den Norden des Territoriums Pampa Central hinein. Sie ist die älteste Eisenbahnunternehmung des Landes. Nachdem sie anfangs schlechte Ergebnisse erzielt hatte, wurde sie vorübergehend Staatseigentum, ging aber 1890 wieder in britische Hände über. Seit dieser Zeit hat sie sich stetig weiterentwickelt. Ent- x) Zwei 41 m hohe Elevatorengebäude in Ingeniero White gestatten die stündliche Verladung von 1500 t Getreide. Teilweise wird das Getreide auch aus den Bahnwagen auf pneumatischem Wege unmittelbar in die Schiffsräume gepumpt. Durch die Elevatoren der Südbahn, die ein Gesamt fassungs vermögen von 21000 t haben, gingen im Jahre t Getreide 191 1 215 408 1912 56o743 1913 439179 1914 206579 1915 462422 Die Summe für 1915 bedeutet 6% der gesamten Getreideausfuhr Argentiniens im gleichen Jahre. (J. F. Baldassarre a. a. O., S. 28.) 2) Estadistica de los Ferrocarriles en Explotacion, verschiedene Jahrgänge. Probl. d. Welt Wirtschaft,' 3-,. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. ° — 114 — sprechend dem größeren Viehreichtum der südlichen Hälfte der Haupt- landwirtschaftszone überwiegen in ihrem Frachtverkehr, wie bei der Südbahn, neben der Weizen- und Maisbeförderung vor allem die Trans- porte von lebendem Vieh . Die Bahn arbeitete im Durchschnitt des Jahr- zehnts 1906/15 mit einem jährlichen Reingewinn v^n 1323000 Pfd. Sterl. Die Hauptlinie der Pazifikbahn (Buenos Aires and Pacific R. C.) durchquert in westlicher Richtung die ganze mittelargentinische Zentralebene von Buenos Aires bis Mendoza in einer Strecke von 1035 km. Diese Hauptlinie ist wiederum von einer Anzahl Parallel- linien beiderseits begleitet, die der Bahn eine eigene gürtelförmige Verkehrszone schaffen, deren Durchmesser sich außerhalb der eigent- lichen Landwirtschaftszone, in den Provinzen San Luis und Mendoza ständig verbreitert. Gerade die Pazifikbahn hat es verstanden, in großzügiger Weise durch Angliederung von Anschlußbahnen ihre Einflußzone zu erweitern und abzurunden. Dies geschah besonders durch den Ankauf der ,,Bahia Bianca y Nor-Oeste"-Bahn im Jahre 1904, sowie durch die 1907 erfolgte Angliederung der ,, Großen Argen- tinischen Westbahn". Durch die letztere bekam die Pazifikbahn alle in den westlichen Weinprovinzen vorhandenen Strecken in ihre Hand, durch die erstere sicherte sie sich einen festen Einfluß auch auf den wichtigen Getreideausfuhrhafen des Südens, Bahia Bianca. Wie die Südbahn hat sich auch die Pazifikbahn bei Bahia Bianca einen eigenen Hafen geschaffen, Puerto Galvan, der lediglich der Ver- schiffung der von ihr herbeigeschafften Getreidemassen dient und mit modernsten technischen Mitteln ausgestattet ist. Neuerdings hat die Bahn ihr Netz durch den Bau einer Linie von Bahia Bianca nach Carmen de Patagones, einem Hafen am unteren Rio Negro, südwärts ausgedehnt. Die Pazifikbahn dient in ausgesprochener Weise der Erschließung und Küsten Verbindung der westlichen Provinzen Mendoza und San Juan. Da in diesen Gebieten der Weinanbau den bedeutendsten Teil der Bodenbearbeitung ausmacht1), zieht auch die Bahn neben dem Weizen- und Viehtransport aus der Beförderung von Weinbauerzeug- nissen ihre Haupteinnahme. x) Die mit Wein bebaute Fläche betrug im Jahre 1915 in der Provinz Mendoza 73000 ha, in der Provinz San Juan 22000 ha, daneben waren in Mendoza nur 48000 ha mit Körnerfrüchten bestellt. Die gesamte Weinerzeugung Argen- tiniens betrug 191 6: 4 51 5 2 16 hl, davon wurden in Mendoza 3607809, in San Juan 741866 hl gewonnen. (Estadistica Agricola 1916/17, S. 99.) Tabelle 24. Bruttoeinnahmen der Pazifikbahn aus ihrem Güter- verkehr 1913 — 16 in Pfd. Sterling. Jahr Wein, Wein- trauben Weizen | Mais Leinsaat, Hafer, Gerste Lebend- vieh Holz Güter aller Art 1913/M 19* 4^5 1915/16 1 214 092 1 215 604 1 322 444 347 222 562 229 418567 181 892 170217 163 586 97 434 115 134 122 603 309 500 318549 370 989 75258 71 630 97643 632 897 460 273 560 296 Ein hochbedeutsames Glied im argentinischen Bahnsystem wie in dem ganz Südamerikas bildet die von Mendoza ausgehende transandinische Linie der Pazifikbahn. Sie ist die bisher einzige südamerikanische Trans- kontinentalbahn und stellt eine fast gradlinige Verbindung zwischen Buenos Aires und Valparaiso her. Die Bahn war bereits 1903 bis Las Cuevas, der letzten Station auf argentinischer Seite, vollendet. Erst Ende 1909 erfolgte der Tunneldurchstich und Mai 1910 konnte der Durch- gangsverkehr nach Chile eröffnet werden. Infolge der außergewöhnlichen Höhe, welche die Bahn erreicht — Las Cuevas liegt 3152 m über dem Meeres- spiegel— , wird ihr Betrieb bisher noch regelmäßig in den Wintermonaten durch Schneeverwehungen unterbrochen1). Die Erwartung, daß die Bahn die Ausfuhr argentinischen Viehs nach der gegenüberliegenden Gebirgsseite verstärken werde2), hat sich nicht erfüllt. Ihr gesamter Viehtransport betrug im Jahre 1915: 661 Stück. Die Viehtransporte, welche die hohen Frachtsätze der Bahn, die ihrerseits infolge der Kost- spieligkeit ihres Baus (408000 M. auf den Kilometer) hohe Verzinsung beansprucht, nicht tragen können, benutzen nach wie vor den mühseligen und gefahrvollen Weg über die Uspallata-Paßstraße. Für die Bahn kommt neben dem Passagierverkehr im wesentlichen nur der Transport wert- voller Stückgüter, verderblicher Waren und des Postgutes in Betracht. Ihre internationale Bedeutung „liegt ganz vornehmlich in der Wege- abkürzung des Personen- und Postverkehrs, vor allem des englischen Post- verkehrs nach Australien"3). 1) 1914 war die Strecke von Juni bis Dezember, 1915 von Mai bis September für den Verkehr gesperrt. Als Ursache wird angegeben, daß die Bahn auf der chilenischen Seite noch nicht genügend mit Schutzbauten gegen den Schnee versehen ist. Die argentinische Pazifikbahn hat ihre Strecke mit den genügenden Schutz bauten ausgestattet, so daß hier die Aufrechterhaltung des Betriebs den ganzen WTinter hindurch sichergestellt ist. (Supplement to Commerce Reports, Department of Commerce, Washington, Nr. 38a, 13. 7. 1916, S. 14.) 2) E. Biedermann, Die Transandinische Eisenbahn. (Archiv für Eisen- bahnwesen, 34. Jahrg., Berlin 191 1, S. 387.) 3) Biedermann a. a. O., S. 391. 8* — n6 — Die Zentralargentinische Bahn (Central Argentine R. C.) ist für die Erschließung Nordargentiniens entscheidend gewesen. Sie wurde 1864 mit der Linie Rosario-Cördoba begonnen. Ihre früh einsetzende erfolgreiche Kolonisationstätigkeit ist in anderem Zu- sammenhang geschildert worden. In den alten Kolonisationsgebieten, dem nördlichen Santa Fe und Cördoba liegt auch heute noch der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit, an den Zufuhren des Hafens Rosario ist sie mif mehr als 50% beteiligt. Ihre Hauptlinie läuft gegen- wärtig von Buenos Aires über Rosario nordwärts bis Tucumän, eine Strecke von 1150 km. In Tucumän findet sie Anschluß an das staat- liche System der ,, Central Norte", die bis zur bolivianischen Grenze hinaufreicht. Die Bahn hatte lange unter Konkurrenzkämpfen mit der parallel laufenden „Buenos Aires and Rosario Railway Company" zu leiden, bis im Jahre 1902 die Verschmelzung der beiden Linien stattfand1). Die argentinische Regierung verlangte allerdings zunächst, daß beide Linien getrennt weiter arbeiten sollten und sanktionierte die Fusion erst 1909. Gerade in den südlich der Linie Rosario-Villa Maria gelegenen Teilen der Provinzen Santa Fe und Cördoba hat die Zentralargentinische Bahn mit einer Reihe anderer Bahnen zu konkurrieren, besonders der „Central Cördoba" -Linie und der Santa Fe-Provinzbahn. Da sie vorwiegend schon länger und dichter be- siedelte Landesteile durchquert, wird sie auch nicht damit rechnen können, ihren Verkehr in naher Zukunft in so mächtigem Ausmaß zu steigern wie manche der sogenannten ,, Pionierbahnen". Gegen- wärtig ist sie nach der Menge des von ihr bewältigten Frachtverkehrs die bedeutendste Linie des Landes, sie schafft allein ein Viertel der jährlichen Ernte an die Verladehäfen. Wie erheblich ihr Anteil am Gesamtfrachtverkehr neben der Südbahn den der anderen Linien übersteigt, zeigt die folgende Übersicht. (Siehe Tabelle 25 S. 117.) Die von der Zentralbahn bedienten Häfen sind Rosario und Buenos Aires. In beiden verfügt die Bahn über umfangreiche Kai- und Elevatorerjanlagen. Ihre Silos und Speicher am ,,Dique 2" des Hafens Buenos Aires haben ein Gesamtfassungsvermögen von 54000 t Getreide2). 14 Elevatoren ermöglichen die stündliche Verladung '*) Hirst a. a. O., S. 186. 2) Durch die Speicher, die 1904 dem Verkehr übergeben wurden, waren bis 1915 einschl. 5,24 Mill. t Getreide gegangen. Der Jahresumsatz beträgt eine halbe Million t, davon waren 1913: 326762, 1914: 250615 t Mais. (J. F. Baldassarre a. a. O., S. 25.) ii7 Tabelle 25. Frachtverkehr der vier bedeutendsten englischen Linien und ihr Anteil am gesamten argentinischen Eisenbahn- güterverkehr1). • Gesamter Jahr Zentralargen- tin. Bahn Südbahn Pazifik- bahn Westbahn Eisenbahn- Güterverkehr des Landes 1000 t 0/ /o 1000 t % 1000 t 0/ /O 1000t 1 % t 1909 6999 22,4 7°i3 22,5 5221 16,7 3462 II, I 31 200075 1910 7 221 21,8 6817 20,6 57°9 17,2 3392 lo,3 33 073 9I8 1911 6631 19,0 7460 21,3 6237 17,9 3950 n,3 34 960 601 1912 8862 21,5 9273 22,5 7400 17,9 3726 9,0 41 312 489 1913 10 140 23,6 9906 23,0 7196 16,8 3857 9,0 42 916 636 1914 8442 24,7 7138 20,8 5664 16,5 3328 9,7 34 274 °93 1915 8570 23,6 7684 21,2 6338 17,4 3525 9,7 36 346 829 von je 150 t. Außerdem hat sich die Bahn neuerdings in Villa Con- stitution einen Hafen geschaffen, der in erster Linie der Verschiffung von Mais dient. Mais ist das wichtigste Transportgut der Bahn, vom Ausfall der Maisernte hängt ihre Rentabilität entscheidend ab. Wie aus Tabelle 23 (S. in) ersichtlich, befördert sie allein die Hälfte der gesamten Maisernte, soweit sie zur Ausfuhr gelangt. Die Ein- nahmen aus dem Maistransport bilden daher auch einen wesentlichen Posten unter ihren Gesamteinnahmen, wie das die untenstehende Tabelle deutlich ausweist. Tabelle 26. Bruttoeinnahmen der Zentralargentinischen Bahn aus ihrem Güterverkehr 1913 — 16 in Pfd. Sterl.2). Jahr Mais Weizen Lein- saat Wein Sonstige Anbau- produkte Lebend- vieh Güter aller Art 1913/M I9M/I5 191 5/1 6 679 546 701 004 742 975 317231 429 145 253 397 184835 181 000 160 346 194 169 200948 196868 265 524 195 108 244526 294215 308 850 414598 958 696 795 117 772 979 *) Estadistica de la Direcciön General de Ferrocarriles, versch . Jahrgänge. 8) Nach The Economist, London, 18. 11. 1916. — nS — Die Rentabilität der argentinischen Bahnen ist eng mit dem Gedeihen der Landwirtschaft verknüpft. Es liegt in dem unmittel- baren Interesse der Bahngesellschaften, daß Besiedelung und land- wirtschaftliche Produktion in den von ihren Linien durchkreuzten Gebieten ständig zunehmen. So ist es erklärlich, daß die Bahn- linien auch zu positiven Maßnahmen zur Förderung der Land- wirtschaft übergegangen sind. Diese umfassen sowohl auf die Besiedelung bisher noch nicht landwirtschaftlich benutzten Landes gerichtete, also rein kolonisatorische Bestrebungen, als auch solche, die eine ergiebigere Bewirtschaftung schon dem Ackerbau dienenden Landes bezwecken1). Was die ersteren Maßnahmen anbetrifft, so ist bereits der Kolonisationstätigkeit besonders der Zentralargentini- schen Bahn Erwähnung getan worden. In der Gegenwart wird das Kolonisationsgeschäft von allen großen Linien eifrig betrieben. Die Bahnen verfügen alle über umfangreiche Ländereien, für die sie neue Ansiedler zu gewinnen suchen. Die Vorzüge der Eisenbahn- ländereien werden reklamemäßig angepriesen, Wanderausstellungen der auf ihnen erzeugten Produkte veranstaltet. Daneben arbeiten die Bahnen mit den staatlichen Behörden in der Beratung und Unter- richtung der Landwirte zusammen. Dem Ackerbauministerium werden von diesem ausgestattete Unterrichtszüge, die von staatlichen Ackerbauingenieuren begleitet sind, zu ermäßigten Sätzen zur Ver- fügung gestellt. Die Bahnen sorgen durch ihre Beamten mit für die Benachrichtigung der in den von diesen Zügen berührten Gegenden ansässigen Kolonisten. Auch betreiben manche Gesellschaften eigene Versuchs- und Mustergüter. Für die Erschließung neuer Produktioi^sgebiete kommt endlich die Anlage großer Bewässerungsanlagen in Betracht. Außer umfangreichen Anlagen, welche die Zentralargentinische Bahn im Tal des Rfo Primero in der Provinz Cördoba ausgeführt hat, sind in neuerer Zeit vor allem die Bewässerungswerke der Südbahn im Rio Negrotal bemerkenswert. Durch diese werden neue landwirtschaft- liche Produktionsmöglichkeiten in einem entwicklungsfähigen Gebiet geschaffen, das sich wegen seines Klimas ganz besonders zur An- siedlung germanischer Einwanderer eignet. ■*) Die ganz ähnlichen Bestrebungen und Maßnahmen der nordamerikani- schen Eisenbahngesellschaften schildert Wem ecke, Die amerikanischen Eisen- bahnen als Förderer der Landwirtschaft. (Jahrbuch für Verkehrswissenschaften, 1913, S. 449ff.) 3. Abschnitt. Die Agrarverfassung. i. Kapitel. Grundbesitzverteilung und Latifundienwesen. Im ersten Abschnitt war bereits mehrfach die Rede davon, daß der Fortschritt in der inneren Kolonisation Argentiniens in ent- scheidender Weise durch die fehlerhafte Grundbesitzverteilung er- schwert wird. Es waren einmal geschichtliche Ereignisse, die dazu geführt haben, daß sich das Eigentum am Grund und Boden in den Händen eines kleinen Personenkreises zusammenballte. Einige der Latifundien, die im Besitz alter spanisch-argentinischer Familien sind, lassen noch ihren Ursprung aus der Zeit der Länderverleihung spanischer Könige herleiten1). Viel Latifundienbesitz entstand vor allem zur Zeit der Feldzüge gegen die Indianer. Weite Strecken des den Indianern abgewonnenen Bodens, die zunächst Staatseigen- tum wurden, verschenkte der Staat an Soldaten und Beamte oder bot sie in beliebigen Größen zu Verkaufspreisen, die Geschenken gleichkamen, an. Später hat eine falsche Bodenpolitik, die Land- spekulationen in riesigen Ausmaßen ermöglichte oder gar mittelbar be- günstigte, zur Entstehung der Latifundien beigetragen. Es gibt gegen- wärtig einzelne Personen und Gesellschaften, die ioo bis 200 Tausend, in den südlichen Territorien bis zu einer halben Million Hektar zu eigen haben. Während die großen Estancien vorwiegend zur Vieh- zucht benutzt, teilweise auch pachtweise dem Ackerbau zur Verfügung gestellt werden, sind weite Flächen dieses Großgrundbesitzes bis heute noch in gänzlich unproduktivem Zustand geblieben und werden von a) Vgl. Senfft von Pilsach, Landwirtschaftliche Verhältnisse in Argen- tiniens Ackerbauzone, Berlin-Friedenau, 1913, S. n. — 120 — ihren Besitzern — in Erwartung künftiger Wertsteigerung, vor- nehmlich durch Eisenbahnbau — weiterhin darin belassen, sehr zum Nachteil der argentinischen Volkswirtschaft und einer Förderung der Besied elung. Eine genaue zahlenmäßige Darstellung der tatsächlichen Eigen- tumsverhältnisse am Grund und Boden ist an Hand der amtlichen Statistik nicht möglich. Diese enthält in ihren Zensuswerken nur eine Zählung der landwirtschaftlichen Betriebe und Erfassung der ein- zelnen Betriebsgrößenklassen, besonders in ihrer Verteilung auf die verschiedenen Fruchtarten. In den jährlichen Zusammenstellungen ist die Verteilung des ländlichen Eigentums nach der Zahl der länd- lichen Besitze, getrennt nach Größenklassen, angegeben, dagegen nicht der Umfang der in diese verschiedenen Größenklassen ent- fallenden Bodenflächen. Erst der Anteil der einzelnen Eigentums- größenklassen an der Gesamtfläche, und zwar der landwirtschaftlich genutzten sowohl wie der Landesoberfläche überhaupt, würde ein wirkliches Bild davon geben, wie stark eine Zusammenballung von Großgrundbesitz in wenigen Händen vorhanden ist. Der Zensus von 1888 wie der von 1895 gehen auf die Grund- besitzverteilung überhaupt nicht ein, und ihre Resultate sind zu Vergleichen für die neuere Entwicklung nicht heranzuziehen. 1895 waren 172000 Landgüter mit einer Gesamtfläche von 8299930 ha vorhanden, während der Census von 1908: 222174 Besitztümer mit 1 16795 516 ha aufweist. Was bei einer Gegenüberstellung dieser Zahlen vor allem auffällt, ist die im Verhältnis zu dem riesigen An- wachsen der landwirtschaftlich genutzten Fläche außerordentlich geringe Zunahme der Betriebe. Dies gilt mit der Einschränkung, daß der Zensus von 1908 große Flächen, die der Viehzucht dienen, zur landwirtschaftlich genutzten Fläche zählt, die 1895 noch gänzlich unberücksichtigt geblieben waren. Immerhin ist die Tendenz der zunehmenden Entwicklung zum landwirtschaftlichen Großbetrieb erkennbar. Die angeführten Zahlen ergeben für 1908 eine Durch- schnittsgröße der ländlichen Besitztümer von 525 ha. (Siehe Tabelle 27 S. 121.) Diese Zahlen sind durch eine Zählung aller viehhaltenden Betriebe gewonnen worden. Jeder Besitzer von Rindvieh, Pferden, Eseln, Schweinen usw. ist als Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebs gezählt. Auf diese Weise erscheinen von 222 174 Betrieben 102277 oder 46% in Größen- klassen bis zu 50 ha, und es wird der Anschein erweckt, als ob das länd- liche Eigentum weitgehend zerstückelt sei und nicht die Großbetriebe in Ackerbau und Viehzucht überwögen. Tatsächlich gibt es in Argen- Tabelle 27. Zahl der ländlichen Besitztümer im Jahre 19081). Gr ößenklasse Anzahl 10 ha unc weniger 48 323 11 , , bis 50 ha 53 954 5i , 1 » 100 „ 29 626 101 , > >> 300 ,, 46553 301 , > a 500 „ 12 992 • 501 , > >i 1 000 „ 11 104 1 001 , y >> 2 500 „ 10 284 2 501 , > >> 3 750 „ 2 968 3 75i , > >> 5000 „ 2 052 5001 , > j> 7 500 » 1 620 7 50i , > >> 10 000 ,, 1 157 10 001 , > »> 12 500 „ 423 12 501 , , » 25000 „ 781 25 001 , > »J 37 500 „ * 168 37 5oi , > » 50 000 ,, 65 50 001 , , und mehr 104 tinien Viehzuchtbetriebe von unter 10, oder 20, 30, selbst 50 ha überhaupt nicht. Der Zensusherausgeber sagt denn auch selber, daß landwirtschaft- liche Betriebe bis zu 50 ha Größe in Wirklichkeit den großen Anteil von 46% an der Gesamtzahl unmöglich erreichen könnten2). Bei den reinen Ackerbaugütern ist zwar der Besitz viel weitgehender gestückelt, aber auch sie erreichen nicht diesen hohen Prozentsatz, sondern der Groß- betrieb herrscht vor. Dies tritt schon sehr deutlich hervor, wenn man zwischen Betrieben von unter und über 100 ha unterscheidet und ihre Verteilung auf. den Anbau der verschiedenen Körnerarten betrachtet3). Es entfielen dann auf: Betriebe von weniger als 100 ha Betriebe von mehr als 100 ha 0/ im Weizenanbau . , im Lein saatenan bau im Haferanbau . . im Maisanbau . . 11 23 15 36 89 77 85 64 J) Censo Agropecuario 1908, Bd. I, S. 133. 2) Censo Agropecuario 1908, Bd. I, S. XVI 3) Daselbst Bd. II, S. XI. — 122 — Die Zahlen der Tab. 27 weisen, auch von den vorher gemachten Einschränkungen abgesehen, noch deutlich genug auf das Überwiegen des Großgrundbesitzes hin. Man wolle sich vergegenwärtigen, was allein die Tatsache des Vorhandenseins von 104 Besitztümern von über 500 qkm Ausdehnung bedeutet. Ist somit die bisherige Entwicklung der Grundbesitzverhältnisse auf Ausbildung und Erhaltung des Latifundienwesens hinausgelaufen, so hat andererseits der Prozeß der Latifundienbildung in der Gegen- wart endgültig sein Ende erreicht. Durch die in Gültigkeit befind- liche Landgesetzgebung ist das Zusammenkaufen großer Boden- strecken einigermaßen erschwert. Vor allem ist die Neuentstehung von Latifundien aus fiskalischem Eigentum nicht mehr möglich. Aber mehr als dies. Die Ansätze zu einer Aufteilung des Groß- grundbesitzes sind deutlich vorhanden. Zunächst ist im Auge zu behalten, daß alle Fortschritte, die in der inneren Kolonisation ge- schehen, nur auf diesem. Wege verwirklicht werden können. Die Um- wandlung der Pächter in Eigentümer kann nur auf Kosten des Groß- grundbesitzes geschehen. Seine Zerteilung wird ferner begünstigt durch das geltende Zivilrecht. Argentinien als junges, demokratisches Gemeinwesen ist gänzlich frei von allen feudalen Bindungen. Das Erbrecht kennt keine Primogenitur, sondern teilt den Besitz zu gleichen Teilen unter alle Erben; Verwandtschaften werden dabei unter Um- ständen bis zum 6. Grade berücksichtigt. Darin liegt schon eine automatische, wenn auch außerordentlich langsam fortschreitende Aufteilung des ländlichen Grundbesitzes begründet. Endlich macht sich in der Getreideanbau zone eine allmählich • Zerstückelung infolge der Zunahme von Landhandelsgeschäften bemerkbar. Der argentinische Boden ist in ständig steigendem Maße zu einem ausgesprochenen Handelsobjekt geworden. In dem Jahr- fünft 1901 — 05 wurden zusammen 45699564 ha im Werte von 643 185 117 Papierpesos, in dem Jahrfünft 1906 — 10: 47954030 ha im Werte von 1 222 316 912 Papierpesos verkauft1). Das bedeutet, daß in dem Jahrzehnt 1901 — 10 fast 94 Mill. ha, ein Drittel der Gesamt- oberfläche der argentinischen Republik oder, auf die landwirtschaftlich benutzte Fläche bezogen, ein Landkomplex, der */5 der letzteren entspricht, den Eigentümer gewechselt hat. 1910 umfaßten die Verkäufe allein 13,7 Mill. ha im Werte von 359 Mill. Pesos. Offen- sichtlich ist diese außerordentlich lebhafte Eigentumsverschiebung J) Estadistica Agricola 1911, S. 69. — 123 — nur zu einem kleinen Teile durch wirkliche wirtschaftliche Bedürf- nisse bedingt, vielmehr eine Folge der sehr eifrig betriebenen Land- spekulation. Diese ist auch der Hauptfaktor, der die Bodenpreise weit über den durch Meliorationen und Verkehrserschließung ge- schaffenen wirklichen Wertzuwachs hinaus in die Höhe treibt, die Produktionskosten des Ackerbaus in ungesunder Weise verteuert und zugleich die Landaufteilung so unendlich erschwert. Die aus- geprägte Beweglichkeit im Eigentum am Grund und Boden, wie sie sich in der Summe der jährlichen Landverkäufe ausdrückt, beweist schon das Fehlen eines grundbesitzenden mittleren Bauernstandes, beweist auch, wie wenig noch die Bevölkerung dieses jungen Landes mit dem Boden verwachsen ist, und wie der Acker ebenso vom Ge- schäftsstandpunkt betrachtet wird wie die Ernten, die er hervor- bringt. In der Tabelle auf S. 124 ist die Entwicklung in der Grund besitz- verteilung der Hauptackerbauzone für das Jahrzehnt 1901 — 11 darge- stellt. Danach hat die absolute Zahl der ländlichen Besitztümer in allen Landesteilen verhältnismäßig stark zugenommen. Sie erreichte in der Provinz Buenos Aires die Höchstzahl mit 62 119 Besitzen, während die prozentuale Zunahme in der Pampa Central mit rund 100% die größte war. Diese absolute Zunahme ist vornehmlich auf Kosten der Besitz- tümer von über 5000 ha erfolgt. In den Größenklassen 5000 — 10 000 und über 10 000 ha hat die Zahl der Besitze überall abgenommen, am stärksten wieder in dem Territorium Pampa Central, wo sogar noch in der Größenklasse 2500 — 5000 ha eine Abnahme um 40% zu verzeichnen war. Die zahlenmäßige Vermehrung der Besitze verteilt sich im übrigen ziemlich gleichmäßig auf alle Größenklassen. Naturgemäß haben die kleinen Besitztümer von 10 — 100 ha ihrer Zahl nach überall den größten Bestand; wäre es aber möglich, die Bodenfläche, die auf sie entfällt, festzustellen, so würde der geringe Anteil an der Gesamtbodenf lache ihre relative Bedeutungslosigkeit nachweisen. Außerdem kommen für die landwirtschaftliche Produktion Besitzgrößen bis zu 25 ha nur in be- schränktem Umfang in Betracht1) , da das herrschende extensive Betriebs- system größere Anbauflächen braucht, während die Viehzucht, wie schon hervorgehoben, im Kleinbetrieb überhaupt nicht erfolgt. Gegenüber der vergleichsweise hohen Zahl von Kleinbesitzen ist nun hervorzuheben, daß sich die Besitze der dem mittleren Grundbesitz angehörenden Größen- klassen bis hinauf zum Großbesitz von über 1250 ha prozentual fast noch ebenso stark vermehrt haben wie die Kleinbesitze. Z. B. hat sich die Zahl in der Besitzklasse 650 — 1250 ha in Santa Fe mehr als verdoppelt, die der Besitzklasse 1250 — 2500 ha in der Pampa Central verdreifacht. Solange die Verminderung der Zahl der *) Im Erntejahr 19 16/17 entfielen in der Hauptgetreidezone von der Ge- samtzahl der körnerbauenden Betriebe auf solche bis zu 25 ha 23%. — 1 24 — Tabelle 28. Veränderungen in der Grundbesitzverteilung 1901 — 19111). Zahl der ländlichen Besitze Größenklasse Prov Buenos Aires Unter- Prov. Santa Fe Unter- 1901 1911 schied in % 1901 1911 schied in % 10 bis 25 ha 8366 14 001 + 67 4 200 6876 + 64 26 „ 50 „ 8856 14 191 + 61 3154 6830 + 117 51 » 100 ,, 5 703 9248 4- 62 3 358 7 276 + 117 101 „ 200 „ 4 593 7466 + 62 4583 7 875 + 72 201 „ 300 „ 1794 3850 + 115 1 641 3020 + 84 301 „ 650 >, 2 949 4940 -f- 68 1395 2 545 + 83 651 »1 1 250 „ 2 161 3256 + 5i 589 1 263 + H5 1251 >, 2 500 „ 2079 2 53° 4- 22 442 768 + 74 2501 „ 5000 „ 1581 1 649 + 4 422 566 + 34 5001 >, 10 000 ,, 964 682 — 29 292 208 — 29 über 10 000 „ 486 306 - 37 180 136 — 24 Summe .... 39 532 62 119 + 57 20256 37 363 + 84 Zahl der ländlichen Besitze Größenklasse Pr ov. Cördo ba Unter- Territo r. Pampa Central Unter- • 1901 1911 schied in % 1901 1911 schied in % 10 bis 25 ha 3 93° 5671 + 44 — 583 — 26 „ 50 „ 2 718 5045 4-86 114 423 4- 271 51 „ 10° „ 2919 5280 + 81 129 2174 + 1585 101 ,, 200 ,, 3 4i° 5 732 + 69 64 401 + 527 201 „ 300 „ 1874 2658 + 42 54 87 + 63 301 „ 650 „ 2328 3872 + 66 68 330 + 385 651 „ 1 250 „ 1 108 1685 + 52 99 512 + 4i7 1251 „ 2 500 „ 721 992 + 38 489 1412 + 189 2501 „ 5 000 „ 489 619 + 27 741 445 — 40 5001 ,, 10 000 ,, 314 268 —15 1 114 43i — 62 über 100 000 ,, 215 147 —3i 624 172 — 72 Summe ... 20 026 31 969 4-6o 3 496 6970 4- 99 l) Nach der „Estadistica Agricola". Eines der bedeutenden zentralen Ackerbaugebiete, die Provinz Entre Rfos, ist in dieser Tabelle nicht enthalten, da seit 1906 anscheinend in dieser Provinz keine neueren Erhebungen über die - 125 — Besitze nicht auch die Größenklassen bis zu mindestens 500 — 400 ha herunter oder noch tiefer umfaßt, kann der Kleinbesitz gegenüber dem Großgrundbesitz nicht zu wirk- licher volkswirtschaftlicher Bedeutung gelangen. Auch die neueren statistischen Ergebnisse lassen eine nur lang- sam fortschreitende Aufteilung des ländlichen Grundbesitzes erkennen. In dem Jahrfünft 1911 — 15 hat sich die Zahl der ländlichen Besitz- tümer in der Provinz Buenos Aires nur um 7,9%, in Santa Fe nur um 6,6% vermehrt. Das Tempo, in dem die Bodenaufteilung weiter schreitet, hat sich also gegenüber dem des Jahrzehnts 1902— n er- heblich verlangsamt, allerdings sind hier die ungünstigen Einflüsse, die der Krieg hervorrief, mit in Rechnung zu setzen. In der Provinz Buenos Aires hat sogar eine Neubildung von Großgrundbesitz statt- gefunden, indem die Zahl der mehr als 5000 ha umfassenden Besitz- tümer eine Zunahme von 24% erfuhr. Am günstigsten ist die Ent- wicklung auch neuerdings in der Pampa Central verlaufen, wo die Gesamtzahl der ländlichen Eigentümer in 5 Jahren von 7000 auf 12000 stieg. Allgemein betrachtet schreitet die Aufteilung des Bodens nicht in demselben Maße fort, wie die an Ausdehnung ständig ge- winnende Bodenkultur zur Entstehung neuer landwirtschaftlicher Betriebe führt. Diese Tendenz läßt sich für die Hauptlandwirtschafts- zone zahlenmäßig nachweisen. Hier erfuhr die Zahl der getreide- anbauenden Betriebe von 19 n — 1915 eine Zunahme von 18,2%, während durch die Aufteilung der Latifundien die Zahl der länd- lichen Besitze in der gleichen Zeit nur um 15% vermehrt wurde. Die Änderungen in der herrschenden Grundbesitzverteiiung voll- ziehen sich also nicht in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen von Ackerbau und Kolonisation, die auf schnelle Neubildung zahl- reicher kleiner und mittlerer Bauernstellen drängen. Bei einer Einteilung des argentinischen ländlichen Besitzes nach Größenklassen ist den besonderen Verhältnissen des Landes Rechnung zu tragen. Um die Betriebe nach ihrem Umfange dem extensiven Charakter der argentinischen Landwirtschaft und den Eigenarten der Betriebsweise in Getreidebau und Viehzucht ent- sprechend zu klassifizieren, dürfte eine Unterscheidung der Besitz- kategorien nach folgenden Gesichtspunkten am zweckmäßigsten sein: Besitzverteilung gemacht worden waren. Die statistische Abteilung des Acker- bauministeriums in Buenos Aires macht ihre Zusammenstellungen nach den Daten, die sie von den Provinzialregierungen erhält, letztere aber arbeiten un- gleichmäßig, und darunter leidet öfters die Einheitlichkeit der Gesamtstatistik der Republik. — 126 — a) Parzellen besitz bis zu 10 ha; er nimmt, landwirtschaftlich genutzt, weder die Arbeitskraft des Besitzers voll in An- spruch, noch reicht er in seinen Erträgnissen zur Ernährung einer Familie aus. Der Besitzer wird also normalerweise ein nichtlandwirtschaftliches Gewerbe im Haupt- oder Neben- berufe ausüben. b) Kleinbesitz von 10 — ioo ha; seine Bearbeitung ist von dem Besitzer und seiner Familie zu bewältigen. c) Mittelbesitz von ioo — 650 ha; seine Bewirtschaftung ist ohne Heranziehung fremder Arbeitskräfte, vornehmlich in der Ernte, nicht mehr möglich. Der Besitzer hat bereits gewisse Unternehmerfunktionen zu erfüllen. d) Großbesitz von 650 — 2500 ha; er umfaßt im Getreidebau nur in Ausnahmefällen mehr als 1000 ha und arbeitet in der Bestell- wie Erntezeit mit einer größeren Zahl bezahlter Kräfte. e) Latifundienbesitz über 2500 ha1); er findet sich im Acker- bau überhaupt nicht, nimmt dagegen in der Viehzucht einen sehr breiten Raum ein. Wenn diese Größen kategorien natürlich auch nicht überall verwendbar sind und innerhalb derselben noch mannigfache Ab- stufungen, vor allem nach dem Stande von Kolonisation und Ver- kehrsentwicklung der einzelnen Gebiete, vorhanden sind, so dürften sie doch im großen und ganzen den wirklichen Verhältnissen des Landes gerecht werden. Anschließend an diese Klassifizierung läßt sich die Entwicklungstendenz in den allmählich sich durch- setzenden Verschiebungen in der Grundbesitzverteilung folgendermaßen charakterisieren : Die Neigung zu einer gewissen Zerteilung des Grundbesitzes ist in deutlichem Umfang vorhanden, und die Landzerstückelung scheint in einem, zwar nur langsam steigenden Tempo fortzuschreiten. Im Verhältnis zu der riesigen Flächenausdehnung sind jedoch die bisher erreichten Ziffern der Besitzaufteilung und der durch sie ent- standenen Einzelbetriebe noch sehr unbefriedigend zu nennen. Ein entscheidendes retardierendes Moment bildete letzten Endes immer l) Bei dieser Einteilung ist auf die landläufige argentinische Berechnung nach Quadratleguas = 2500 ha Rücksicht genommen. Dieser entsprechend teilt auch die amtliche Statistik die Größenklassen nach Bruchteil und Viel- fachem von 2500 ein (vgl. Tab. 28 S. 124). - 12/ — die geringe Bevölkerungszahl1). Sie zwingt zur Beibehaltung eines extensiven Arbeitssystems im Großbetrieb, in dem die Verwendung menschlicher Arbeitskraft möglichst eingeschränkt ist. Noch 1908 kam die argentinische Landwirtschaft mit der geringen Zahl von nur stark 2 Millionen landwirtschaftlich tätigen Einwohnern aus. Trotz des langsam zunehmenden kleinen und mittleren Grundbesitzes ruht der Schwerpunkt der argentinischen Landwirtschaft nach wie vor im Großgrundbesitz. Auf einen breiten besitzenden, agrarischen Mittelstand kann sich die weitere Entwicklung zunächst nicht stützen. Des weiteren spielt bei der Grundbesitzverteilung die in reinlicher Trennung vorhandene Arbeitsteilung der argentinischen Agrar Produktion in Ackerbau und Viehzucht eine bedeutsame Rolle. „Diese beiden großen Gebiete der landwirtschaftlichen Kultur unter- halten ganz im Gegensatz zu der intensiven Landwirtschaft euro- päischer Länder nur geringe Beziehungen zueinander. Sie vereinen sich nicht zu einem einheitlichen organischen Gesamtbetrieb, sondern stehen ziemlich unvermittelt nebeneinander, haben jeder seinen besonderen Aktionsradius und seine * besonderen Betriebsmittel2)." Das entscheidende Merkmal dieser gradlinigen Arbeitsteilung ist nun, daß der Getreidebau nur im Klein- und Mittelbesitz, die Vieh- zucht nur im Groß- und Latifundienbesitz betrieben wird. Darum ist eine durchgreifende Änderung in den Grundbesitzverhältnissen letzten Endes eine Frage der Änderung der Betriebsmethoden und einer Änderung in der Einstellung der argentinischen Landwirtschaft auf die Exportbedürfnisse. Die Viehzucht, welche die größten Flächen einnimmt, wird nach der Natur der Dinge auf absehbare Zeit nach derselben Methode betrieben werden, wie sie gegenwärtig üblich ist. Ihre besonderen Merkmale sind: ewiger Weidegang, keine Ställe, keine Verwendung von Futtermitteln. Eine solche Methode braucht große Weideflächen, rechnet man doch auf den großen Vieh- zuchtestancien unter Benutzung von Luzerneweiden höchstens ein Stück Vieh auf den Hektar, dagegen erheblich weniger, wenn nur Naturkamp mit Hartgräsern zur Verfügung steht. Solange also die Weltmarktpreise für Fleisch einen Anreiz für Vermehrung der Vieh- x) 1910 kamen in Argentinien auf den Kopf der Bevölkerung 2,84 ha land- wirtschaftlich benutzter Fläche, in Deutschland 0,49 ha. 2) Hermes und Holtmeier-Schomberg, Zur Kenntnis der argen- tinischen Landwirtschaft. Berichte über Landwirtschaft, hersg. im Reichsamt des Innern, Heft 29, Berlin 1913, S. 96. — 128 — bestände und erhöhte Fleischmassenproduktion, wie sie während des Krieges vorherrschte, bieten, wird die Großestancia für Tierzucht erhalten bleiben. Während im Getreidebau die Entwicklung auf Verkleinerung der Besitzgrößen als Vorbedingung für bessere Anbau - methoden drängt, besteht für die argentinische Viehzucht nicht die Notwendigkeit, ihre großbetriebliche Organisation zu ändern. Von allen sonstigen Einflüssen abgesehen wird die Viehzucht erhaltend auf den Bestand der Latifundien wirken. Das Latifundien wesen hat seinerseits die allgemeine Verbreitung des ,,Absentismus" in Aigentinien zur Folge. Die Großgrund- besitzer wohnen vielfach nicht auf ihren Gütern, sondern ziehen den Aufenthalt in Buenos Aires oder Paris mit seinen großstädtischen Vergnügungen der Eintönigkeit des Landlebens vor. Die Verwaltung und Bewirtschaftung bleibt Administratoren und Pächtern über- lassen, und es fehlen alle persönlichen Beziehungen des Eigentümers zum Boden und seinen Bebauern1). Die Grundeigentümer sind ledig- lich Rentenempfänger. Um die Grundrente möglichst bequem und sicher beziehen zu können, wprden vielfach Pachtunternehmer als Zwischenpächter eingeschoben, die dem Grundherrn -den Geschäfts- verkehr mit den Pächtern sowohl wie das Risiko des Pachtgeschäfts abnehmen. Wir sahen, wie das Latifundienwesen die Umwandlung des Kolonisten in einen Bauern mit eigenem Grund und Boden erschwert. Trotz der oben festgestellten langsam zunehmenden Zerteilung des Großgrundbesitzes darf die neuere Entwicklung in der Agrarver- fassung nicht als sonderlich günstig angesehen, noch in ihren Grund- zügen überschätzt werden. Vielmehr läßt sich vielfach in der Orien- tierung der argentinischen Grundbesitzer ein Wechsel feststellen, der geeignet ist, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung bedenklich zu hemmen. Vor 2 und 3 Jahrzehnten gaben die großen Eigentümer noch mit Bereitwilligkeit Teile ihres Landes in größeren und kleineren Stücken ab, um es in produktiven Zustand zu versetzen. Der Zweck war die Durchführung einer dichteren Besiedelung, die das einzige x) Im Zusammenhang hiermit sei erwähnt, daß sich sehr viel Land in Händen juristischer Personen, teilweise ausländischer Gesellschaften befindet. Der Zensus von 1908 enthält Angaben über die Werte der Landgüter, deren Eigentümer im Ausland wohnen. Darnach war Land im Werte von 344536098 Papierpesos Eigentum im Ausland wohnender Personen (natürlicher und juri- stischer), und zwar entfielen davon auf England 182, auf Frankreich 51 und auf Deutschland 33 Mill. Pesos. — 129 — und sicherste Mittel war, um das Eigentum des Einzelnen wertvoller zu machen. In der Tat ist die Kolonisation denn auch weit mehr der privaten Initiative als staatlichen Maßnahmen zu verdanken. Diese Neigung zum Kolonisieren und Parzellieren ist bei den großen Besitzern gegenwärtig längst nicht mehr in gleichem Maße wie früher vorhanden. Die Großgrundbesitzer, die Ländereien von ungeheuerem Umfang besitzen, weigern sich heute, Teile davon zu verkaufen, sondern ziehen es vor, zu verpachten. Teils hält sie die Erwartung weiterer Wertsteigerung des Bodens davon ab, sich des Eigentums für immer zu begeben und damit ein für allemal auf weiteren Wert- zuwachs zu verzichten, nachdem die Preise des Ackerlandes in den letzten 15 Jahren um das Zehnfache gestiegen sind, teils führt die außerordentliche Höhe der Pachtsätze dazu, am Pachtsystem als der für den Giundeigentümer rentabelsten Bewirtschaftungsform festzuhalten. Stellenweise läßt man das' Land lieber unbebaut, anstatt es unter den früheren Bedingungen mit Menschen zu besetzen. Damit wird der Wert des Bodens imaginär, weil die Arbeitskräfte fehlen, welche die Rente produzieren. Die Haltung der Grundbesitzer führt dahin, daß es vielfach sehr schwer ist, unbebautes Land in Produktions- zustand zu bringen. Die kurzsichtige Bodenpolitik der Großgrund- besitzer, welche die unumgänglich notwendige innere Kolonisation so außerordentlich hindert und erschwert, bedeutet für die gesamte landwirtschaftliche 'Entwicklung des Landes in jeder Beziehung ein schweres Hemmnis. Sie wirkt abschreckend auf die Einwanderung, die wieder aus dem Lande getrieben wird, weil ihr keine wohlfeilen Ansiedelungsmöglichkeiten geboten werden. Sie vermindert die Dichtigkeit der ländlichen Bevölkerung und verursacht den empfind- lichen Mangel an ländlichen Arbeitern. Durch das hieraus entstehende Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem landwirt- schaftlichen Arbeitsmarkt, besonders zur Erntezeit, führt sie zu den abnorm hohen Löhnen, die eine unverhältnismäßige Belastung der Produktionskosten des Ackerbaues bedeuten. Sie bedingt die ständig zunehmende Verbreitung des Pachtwesens, das für die große Masse der Bauern keine günstigen wirtschaftlichen Daseinsbedingungen begründet. Sagten wir eingangs unserer Untersuchungen, daß die Ent- wicklung der argentinischen Landwirtschaft im wesentlichen eine Menschenfrage sei, so können wir hier hinzufügen, daß die Grund- besitzverteilung einstweilen noch Haupthindernis einer schnelleren und rationelleren Besiedlung ist. Eine Reformierung der Grundbesitz- Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. 9 — 1 30 — Verhältnisse in der Richtung möglichster Beseitigung des Latifundien- wesens müßte die Lösung aller für das argentinische Wirtschaftsleben entscheidenden Fragen in sich bergen. Das gegenwärtig noch vor- herrschende System der Grundbesitzverteilung, unter dem die argen- tinische Landwirtschaft arbeitet, enthält große Gefahren für die soziale und ökonomische Entwicklung. Es macht vor allem auch die Steigerung der Durchschnittserträge in der Körnerproduktion un- möglich, ohne die Argentinien auf die Dauer nicht auskommen kann, wenn es seine Stellung auf dem Getreideweltmarkt aufrecht- erhalten will. 2. Kapitel. Das Pachtwesen. a) Die Ursachen für das Vorherrschen des Pachtsystems im Getreideanbau. Eine Folge der besonderen Grundbesitzverhältnisse in Argen- tinien ist die allgemeine Verbreitung des Pachtwesens. Es entstand mit dem Augenblick, als in größerem Umfang Land zwecks Getreideanbaus unter den Pflug genommen wurde und hat seitdem eine ständig wachsende Ausdehnung erfahren. Die Grundbesitzer, die von jeher ausschließlich Viehzüchter gewesen waren, konnten sich, als der Getreidebau zu Exportzwecken immer mehr Raum gewann, nicht dazu entschließen, der veränderten Sachlage Rechnung zu tragen und selber Getreidebauer zu werden. Um nicht große Teile ihres Landes veräußern zu müssen, überließen sie dasselbe Pächtern zum vorübergehenden Getreideanbau, von vornherein mit der Absicht, dies Land nach mehrjähriger pa cht weisen Beackerung als Weide wieder der Viehzucht zuzuführen. So ent- standen in Argentinien nicht wie in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Kanada große Weizenfarmen, die von den Grund- eigentümern selber bewirtschaftet werden, sondern der Getreidebau geschieht in kleinen und mittleren Pachtbetrieben. Mit der zunehmenden Verbreitung des Ackerbaus ist auch die Zahl der Pachtwirtschaften ständig gestiegen. Nach dem Census von 1895 wurden von insgesamt 180495 landwirtschaftlichen Be- trieben 60,7% von Eigentümern, 30,6% von Pächtern und 8,j% von Medieros (Pächtern auf halben Ertragsanteil) bewirtschaftet. Betrug damals der Anteil der Pächter also erst rund 40%, so hat — 131 — sich dies Verhältnis in der Entwicklung der letzten Jahre immer mehr zuungunsten der Eigentümer verschoben. Nur wenige Bauern sind heute im Besitz ihres Landes. 1910 war der Anteil der Eigen- tümer in der Hauptanbauzone auf 31,8% gesunken, derjenige der Pächter dagegen auf 56,1%, der Medieros auf 12,1% gestiegen. Die Tendenz des argentinischen Ackerbaus, nicht vom Eigentümer, sondern im Pachtverhältnis betrieben zu werden, hat sich dauernd verstärkt. Die argentinische Statistik gibt lediglich die absolute Zahl der Eigentümer und Pächter an, gestattet aber keinen Vergleich des Anteils beider an den verschiedenen Beüiebsgrößenklassen, der ja die wirtschaftliche Bedeutung des Pachtwesens erst in das rechte Licht rücken würde. Bedenkt man, daß die ganz kleinen Betriebe, die einen erheblichen Prozentsatz ausmachen1) , aber für die Ge- treideproduktion keine so große Bedeutung haben, in der Regel Eigentum sind, so \>iid die Tatsache, daß der weitaus größte Teil der argentinischen Getreideausfuhrmengen von Bauern im Pacht- verhältnis produziert wird, noch verallgemeinert. Für die Jahre 1904 — 16 sei die Entwicklung des Pachtwesens nach der Estadistica Agricola dargestellt. Die Zahlen beziehen sich wiederum nur auf die landwirtschaftlichen Betriebe, welche Weizen, Lein, Hafer, Gerste und Roggen angebaut haben und gelten nur für die Provinzen Buenos Aires, Santa Fe, Cördoba, Entre Rios und Pampa Central2). In dem von Tabelle29 (S. 132) umfaßten Zeitraum hat sich die Zahl der Eigentumsbetriebe, nachdem sie im Jahre 1912/13 ihren höchsten Stand erreicht hatte, nur um 4322, die der Pachtbetriebe dagegen, Voll- und Halbpächter zusammengerechnet, um 17936 vermehrt. Die Ausdehnung der Anbauflächen hat erneut in einer Zunahme der Pachtungen ihren deutlichsten Ausdruck gefunden. Die Gesamt- vermehrung der Ackerbaubetriebe in dem genannten Zeitraum um mehr als 22000, die eine Zunahme um fast 50% bedeutet, hat nichts an dem ungünstigen Verhältnis von zwei Dritteln Pachtwirtschaften auf ein Drittel Eigentumswirtschaften zu ändern vermocht. Die ständig weitergreifende Ausbreitung des Ackerbaus, die zunehmende landwirtschaftliche Erschließung aller anbaufähigen Teile der Ge- treidezone hat nicht das Entstehen einer breiten Schicht grund- besitzender Bauern zur Folge gehabt, sondern stets nur die Zahl der J) 1908 hatten von 222174 landwirtschaftlichen Betrieben 48323 oder 21% eine Größe von 10 ha und weniger. Vgl. Tab. 27, S. 121. 2) Vgl. die Tab. 10 und n, S. 61 und 62 und das dort über diese Einschrän- kung Gesagte. 9* — I ^2 — Tabelle 29. Entwicklung der Besitzverhältnisse der Ackerbaubetriebe in der Hauptanbauzone in den Jahren 1904 — 161). Jahr Eigentums- betriebe /o Pacht betriebe 0/ /o Mediero- betriebe 0/ /o Insgesamt 1904/05 17 222 34,7 24853 51,0 6 964 14,3 49039 1905/06 16 359 34,7 26643 51,0 8425 14,3 5M27 1906/07 18 476 32,4 31 029 54,4 7 55i 13,2 57056 1907/08 21 591 32,8 37 052 54,7 8 397 12,5 67 040 1908/09 21 491 3i,8 36389 54,5 8 169 T-3,7 66 049 1909/10 21337 3i,8 37 469 56,i 8 090 12,1 66 896 1910/11 21546 33,i 36458 56,o 7107 10,9 65 in 1911/12 24308 33,i 41063 55,9 8 090 11,0 73 46i 1912/13 27 428 32,6 46325 55,i 10323 12,3 84 076 I9I3/I4 24658 32,4 42239 55,4 9 315 12,2 76 212 I9HA5 23 546 3°,6 43968 57,i 9441 12,3 76 955 1915/16 21 544 3°,2 40949 57,4 8804 12,4 71 297 Pachtkolonisten vermehrt. Damit sind zugleich die relativ geringen Erfolge aller bisherigen Bestrebungen und Maßnahmen auf dem Ge- biete der inneren Kolonisation sowohl, wie das kurzsichtige Verhalten der Grundbesitzer bedeutsam gekennzeichnet. Das Jahr 1915/16 stellte für das Überwiegen der Pachtbetriebe über die Eigentumsbetriebe geradezu einen Rekord dar, indem der Anteil der Pachtwirtschaften an der Gesamtzahl der Ackerbaubetriebe bis auf 70% stieg. Das Überwiegen der Pachtwirtschaften über die Eigen- tumsbetriebe ist in den verschiedenen Provinzen ziemlich gleichmäßig stark vorhanden. Für das Landwirtschaftsjahr 1915/16 ergibt sich in dieser Beziehung für die fünf Gebiete der Hauptlandwirtschafts- zone folgendes Bild : (Siehe Tabelle 30 S. 133.) Für die ganze Getreidebauzone beträgt der durchschnittliche Anteil der Pachtwirtschaften an der Gesamtzahl der Getreidebau- betriebe 69,8%. Nur die Provinzen Entre Rios und Santa Fe stehen etwas unter diesem Durchschnitt. Hier handelt es sich um die ältesten argentinischen Kolonisationsgebiete, in denen sich naturgemäß das Eigentum der Kolonisten am Grund und Boden bereits zahlreicher herausgebildet hat. Das Departement Castellanos in der Provinz x) Estadistica Agricola, verschiedene Jahrgänge. 33 — Tabelle 30. Stand des Pachtwesens in den verschiedenen Landes teilen im Ackerbaujahr 1915/161). Gesamt- Prozentualer Anteil der Provinz oder Territorium Eigentums- betriebe Pacht- betriebe Mediero- betriebe zahl der l Getreide- bau- i betriebe Pacht- betriebe an der Gesamt- zahl der Betriebe Buenos Aires . . 6854 12693 3751 23298 • 70,6 Santa Fe . . . 7110 12 843 1383 21336 66,7 Cördoba .... 3712 8883 1421 14 016 73,5 Entre Eios . . . 2547 3 35Ö 1460 7363 65,4 Territor. Pampa Central . . . 1321 3 174 789 5284 75 Santa Fe, das älteste Kolonisation- und Ackerbauzentrum des Landes2), ist zugleich das einzige, in dem die Zahl der Eigentümer die der Pächter absolut übersteigt (1426 Eigentümer auf 1206 Pächter im Jahre 1915/16). Den höchsten prozentualen Anteil weist dagegen das jüngste Ackerbaugebiet, das Territorium Pampa Central auf. Dort ist die Entwicklung besonders typisch verlaufen. 1904 gab es in der Pampa Central überhaupt erst 230 getreidebauende Betriebe, von denen 163 Pachtbetriebe waren. 1910 war die Zahl der Ackerbau- betriebe auf 2202, die der Pachtbetriebe auf 1642 gestiegen. Die viehzüchtenden Großgrundbesitzer der Pampa haben sich demnach nur in Ausnahmefällen dazu entschließen können, Stücke ihrer Land- güter auf dem Wege des Parzellenverkaufs an Kolonisten abzugeben. Die große Mehrzahl gab das Land nur pachtweise zum Getreide- anbau her, und so ist in erster Linie durch Pachtbauern die land- wirtschaftliche Erschließung geschehen, die in einer gewaltigen Aus- dehnung der Anbauflächen zum Ausbruch kam und das Territorium in wenigen Jahren unter die für die Getreideproduktion Argentiniens wichtigsten Landesteile einreihte. In der Zeit von 1905 — 1910 hat sich die Zahl der Pachtbetriebe in der Provinz Buenos Aires um 31,2%, in Cördoba um 38,3%, in der Pampa Central um 315%, a) Estadistica Agricola 191 2) Vgl. S. 47. 6—17, S. 45. — 134 — dagegen in Santa Fe nur um 2,6% vermehrt, in Entre Rios sogar um 4,6% vermindert. Wo liegen die Ursachen für diese fortschreitende Zu- nahme der Pachtungen? Inwieweit der dem Parzellen verkauf durchweg abgeneigte Großgrundbesitz, der die vorhandene Grund - besitzvert eilung zu erhalten bestrebt ist, die ständige Zunahme der Pachtwirtschaft begünstigt, ist bereits mehrfach betont worden. Was den argentinischen Kolonisten, insbesondere den Italiener angeht, so mögen bei diesem vielfach die psychologischen Voraus- setzungen, die ihm den Erwerb des Eigentums an der beackerten Scholle unter allen Umständen als erstrebenswertestes Ziel erscheinen lassen müssen, gar nicht gegeben sein. Die große Mehrzahl der ein- wandernden Italiener und neuerdings auch der Spanier ist von vorn- herein auf vorübergehenden Aufenthalt im Lande eingestellt, dessen Dauer sich nach der Zeit richtet, in welcher der Einzelne es zu größeren Ersparnissen bringt. Die Rückwanderungsbewegung liefert den Beweis für diese Tatsachen. Diesen Einwanderern, die nur gekommen sind, um in wenigen Jahren in der argentinischen Landwirtschaft ihr Glück zu machen, bietet gerade das Pachtsystem die geeignetste Wirt- schaftsform. Erlaubt dem Einwanderer unmittelbar nach seiner Ankunft im Lande zunächst seine Mittellosigkeit nicht, Land zu erwerben, so ist auch, falls er wirklich nach einigen Jahren ein kleines Kapital erübrigt hat, der Wunsch, sich mit Hilfe desselben in der alten Heimat eine neue Existenz zu gründen, lebhafter als das Bestreben, das Erworbene in Argentinien in Landeigentum anzulegen. Aber auch die italienischen Pachtkolonisten, die nicht, sobald sie in den Besitz einiger Barmittel gelangt sind, sofort dem Lande den Rücken kehren, ziehen es oft vor, weiter Pächter zu bleiben und spekulationsmäßig eine möglichst große Fläche mit einer einzigen Fruchtart in Teil- oder fester Geldpacht zu bewirtschaften. Der extensive Ackerbaubetrieb auf Pachtland, ohne Fruchtwechsel, ohne Düngung und ohne eine sorgfältigere Bodenbearbeitung er- scheint ihnen rationeller als die Möglichkeit, mit demselben Kapital ein kleineres Eigentum zu erwerben, auf dem sie in mancher Be- ziehung intensiver und überlegter wirtschaften müßten. Der italie- nische Kolonist ist Ackerbauunternehmer, nicht Bauer im eigent- lichen Sinne. Für ihn hat die Landwirtschaft einen lotteriemäßigen Charakter, die Gewinnchancen sind um so größer, je ausgedehnter die Fläche ist, die er bebaut hat. Darum verwendet er vergrößertes Betriebskapital anstatt zur Intensivierurg der Anbaumethode und — '35 — damit zur Steigerung der Erträge auf die Flächeneinheit lieber zur Vergrößerung seiner Anbaufläche. Dazu aber braucht er wiederum Pachtland, denn die hohen Bodenpreise gestatten es ihm normaler- weise nicht, so viel Land käuflich zu erwerben. So besteht eine enge Wechselwirkung zwischen dem Festhalten an extensiver Be- triebsweise und der Tendenz weiterer Zunahme der Pachtwirtschaften. Durch das vorstehend Gesagte soll nicht die Bedeutung gerade des italienischen Kolonistenelements für Argentinien in ein schiefes Licht gerückt werden. Selbstverständlich gibt es auch eine Menge Italiener., die nur so lange Pächter bleiben, bis ihre Mittel es ihnen gestatten, zum selbständigen Eigentümer aufzurücken und ,,die 800 — 900000 Italiener, welche jetzt in Argentinien ansässig sind, beweisen zur Genüge, wie wenig ihr Sinn darauf gerichtet gewesen ist, möglichst schnell wieder mit den errungenen Mitteln nach Hause zurückzukehren" 1). Zweifellos ist aber die Tatsache, daß es bei wi item nicht das Ziel aller Italiener ist, in Argentinien Landeigentümer zu werden, mit Recht zur Erklärung der zunehmenden Verbreitung des Pachtwesens heranzuziehen. Es wird auch sehr häufig darauf hingewiesen, daß der italienische Pachtkolonist, so außerordentlich fleißig er in der Sommerzeit ist und so sehr er während der Ernte- monate das Äußerste seiner Arbeitskraft hergibt, im Wirter, zu Zeiten der toten landwirtschaftlichen Saison, um so ausgiebiger sich dem ,,dolce far niente" zu ergeben pflegt. Das muß sich ändern, sobald er ein kleineres Eigentum zu bewirtschaften hat, dessen Ren- tabilität möglichst günstig gestaltet werden muß. Die Beschäftigung mit Obst- und Gemüsebau, Milchwirtschaft, Kleinvieh und Ge- flügelzucht usw., die auf dem argentinischen Pachthof niemals zu finden ist, bewirkt und verlangt im Eigentumsbetrieb eine gleich- mäßigere Verteilung der Arbeitsleistung über das ganze Jahr. Die Erziehung des Kolonisten zu einer derartigen gemischtwirtschaft- lichen Betriebsweise, die vor allem gegenüber der einseitigen Ein- fruchtkultur die Betriebsergebnisse wesentlich stabilisiert, sollte darum auch eine der vornehmsten Aufgaben für die argentinische Siedelungspolitik und das landwirtschaftliche Unterrichtswesen sein. Ein maßgebender Grund für die ständige Zunahme der Pacht- betriebe ist ein rein agrartechnischer, bedingt durch die spezifischen Eigenarten südamerikanischer Landwirtschaftsweise. Die eingehen- dere Untersuchung deckt hier eigenartige Zusammenhänge auf. ') Hiller a. a. O., S. 107. — 136 — Ein großer Teil des argentinischen Getreideanbaus findet auf Land- flächen statt, die nicht dauernd für den Ackerbau bestimmt sind, sondern nach kurzer Bestellungsperiode wieder ihrem ursprüng- lichen Nutzungszweck, der Viehzucht anheim gegeben werden. Dieser Vorgang erklärt sich aus dem Bestreben der Großgrundbesitzer, ihren Naturkamp durch eine mehrjährige Bearbeitung mit dem Pflug für ihre viehzüchterischen Zwecke zu verbessern und in Oualitäts- -weiden umzuwandeln. Zur Herstellung von Fettweiden wird aus- schließlich eine perennierende Luzerneart, Alfalfa genannt, verwandt. Diese Alfalfa ist für Argentinien neben dem Weizen die wichtigste Anbaupflanze. Sie verfügt über ideale Eigenschaften. Auf dem jungfräulichen Boden der argentinischem Alluvialebene erreicht sie eine Vegetationsdauer von 10, 15, ja 20 Jahren, — abschließende Erfahrungen liegen in dieser Beziehung noch nicht für alle Landes- teile vor — ohne erneute Bearbeitung zu verlangen und ohne anderer- seits in ihrer Ertragfähigkeit als Futterpflanze wesentlich nachzu- lassen. Ferner bereichert sie als Leguminose den Boden ständig mit Stickstoff und ei reicht mit ihren außerordentlich starken und tief- dringenden Wurzeln das Grundwasser noch in erheblichen Tiefen, ist somit in hohem Grade von den Regenfällen unabhängig. Der Großgrundbesitzer führt nun diese Umwandlung der natür- lichen Steppengrasflächen in Alfaifaweiden, die erst die Züchtung hochwertiger Viehrassen und damit die Produktion erstklassigen Fleisches für die Ausfuhr in Gestalt von Gefrierfleisch ermöglichten, nicht selbst durch, sondern überträgt sie auf dem Wege des Pacht- vertrages dem Kolonisten. Die Neuschaffung, von 7% Mill. ha Luzerneweiden in den letzten 20 Jahren, die gegenwärtig eine ganz unentbehrliche Grundlage der argentinischen Viehzucht und der Fleischausfuhr bilden, ist also dem Verdienst des Pachtkolonisten zuzuschreiben, und nicht dem des Grundbesitzers und Viehzüchters selbst. Praktisch wird nun dieses Ziel erreicht, indem in den Pacht- vertrag die Bestimmung aufgenommen wird, daß der Pächter am Ende der Vertragszeit, welche in der Regel 2 — 3 Jahre dauert, in die letzte Aussaat von Weizen oder Leinsaat Alfalfa mit eindrillen muß, wozu ihm das nötige Saatgut vom Grundbesitzer geliefert wird. In derartigen Pachtverträgen ist meistens auch bestimmt, daß die provisorische Behausung, in welcher der Kolonist während der kurzen Vertragszeit gewohnt hat, wieder dem Erdboden gleich ge- macht, überhaupt alles beseitigt wird, was dem vollen Wiedereinsetzen Viehzuchtbetriebes hinderlich sein könnte1). Daß bei diesem System sich kein Anhänglichkeitsgefühl des Pachtbauern an seinen Acker entwickeln kann, ist selbstverständlich. Er hat kein Interesse daran, sein Fi aus und dessen Umgebung wohnlicher zu gestalten, wenn er weiß, daß er nach 3 Jahren weiterziehen muß. Darum pflanzt er keine Bäume, wenn er nicht durch den Pachtvertrag dazu gezwungen wird, darum baut er keinen Schuppen, sondern läßt seine Maschinen das ganze Jahr im Freien liegen, darum legt er keinen Garten an usw. Sein einziges Streben ist nur darauf gerichtet, mit möglichst ge- ringem Kostenaufwand raubbaumäßig Erntegewinne zu erzielen. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß diese Pachtbetriebe, die auf nur vorübergehend dem Ackerbau gewidmeten Flächen Ge- treide bauen — zwecks Verfeinerung des Bodens, Herstellung von Alfaifaweiden und zur Neubestellung erschöpfter Luzerneflächen — sich in Zukunft noch weiter vermehren werden. Dieser Prozeß hört, soweit es sich um die erste Anlage von künstlichen Weiden handelt, erst auf, wenn die gesamte alfalfaanbaufällige Zone mit Luzerne besetzt ist. Die Schätzungen über den Umfang derselben gehen sehr auseinander, doch ist wahrscheinlich, daß die vorhandenen 72/2 Mill. ha höchstens die Hälfte der Alfalfazone ausmachen2). Es ist also zur weiteren Ausdehnung Raum genug vorhanden, anderer- seits aber bestimmt zu erwarten, daß die Grundbesitzer für ihre ständig verbesserten Viehrassen in zunehmendem Maße die Verfeine- rung ihrer Kämpe auf dem geschilderten Pachtwege vornehmen werden. Die Viehzucht und ihre Bedürfnisse geben den Anstoß zu einer weiteren Vermehrung der interimistischen Getreideanbau- flächen, welche die unumstrittene Domäne des Pächtertums sind. Ein letzter und wichtiger Grund endlich, der neuerdings in immer ausgedehnterem Maße den Übergang zum Pachtsystem ver- 1) 191 3 wurde im Kongreß ein Gesetzantrag eingebracht, nach dem es dem Pächter grundsätzlich erlaubt sein soll, auf seiner Landstelle ein Haus bis zu 6 Zimmern, Brunnen, Schuppen und ähnliche Anlagen zu bauen, während der Grundeigentümer verpflichtet sein soll, bei Ablauf der Pachtzeit dem Kolo- nisten den Wert der Gebäude und Anlagen zu vergüten. Die durch ein der- artiges Gesetz bewirkte Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der Pächter würde zweifellos für die Konsolidierung des argentinischen Bauernstandes von weittragender Bedeutung sein. Gegenwärtig kommen die meisten Pächter- wohnungen über ein Provisorium, das teilweise nur infolge des durchweg milden Klimas möglich ist, nicht hinaus. (Mitteilungen des Deutsch- Argen- tinischen Zentralverbandes, IQ13, S. 237.) 2) Nach privaten Mitteilungen. — 1-3» — anlaßt hat, sind die riesigen Steigerungen, welche die Preise für anbaufähiges Land guter Verkehrslage in der Hauptanbauzone erfahren haben. Die rasche Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion hat eine vielfach stark übertriebene Wertsteigerung des Bodens zur Folge gehabt. Diese wird, abgesehen von natürlich wirkenden Steigerungsfaktoren, besonders durch die allgemein be- triebene Landspekulation verschärft, an der sich Privatkapital wie Banken, Handel wie freie Berufe gleichermaßen beteiligen. Die oben geschilderte Abneigung der Großgrundbesitzer gegen Verkleine rung ihres Besitzes durch Verkauf mußte das Verhältnis von An gebot und Nachfrage auf dem Gütermarkt zuungunsten der Land suchenden verschieben. Kaerger1) nahm noch 1896 als mittleren Bodenpreis für die Provinz Santa Fe 60 Pesos, für die Provinz Cördoba 30 Pesos pro Cuadra (1,68 ha) an. Für 19 10 gibt Pfannenschmidt2) folgende Preise für Ackerbauland an : Provinz Buenos Aires 85 — 1200 Pesos, Provinz Santa Fe 80 — 660 Pesos, Provinz Cördoba 50 — 230 Pesos, Provinz Entre Rios 70 — 200 Pesos, Territorium Pampa Central 80 — 160 Pesos. Diese Zahlen schwanken in so weiten Grenzen, daß sich zunächst kein klares Bild der Preisgestal- tung daraus gewinnen läßt. In der Tat variieren die Preise nach Boden- beschaffenheit, Bewässerungsmöglichkeit und Verkehrslage, d. h. Ent- fernung bis zur nächsten Bahnstation und zum Verschiffungshafen außer- ordentlich. Für die ganze Republik — einschließlich der zum Teil noch ganz unerschlossenen Gebiete der nördlichsten Territorien sowie der auf weiten Strecken fast wertlosen Böden Patagoniens — ergeben sich natürlich auch heute noch wesentlich niedrigere Durchschnittspreise, wie Tabelle 31 S. 139 zeigt. Neben den vier großen Ackerbauprovinzen haben die Gebiete der Spezialkulturen, die Weinprovinzen Mendoza und San Juan sowie die Zuckerprovinz Tucumän die höchsten Landpreise aufzuweisen. Der erhöhte Wert des Bodens beruht dort vornehmlich in den umfangreichen Bewässerungsanlagen. Bleiben wir jedoch bei der eigentlichen Land Wirtschaftszone. Ergibt sich schon für die ganze Republik gegenüber einem Hektar- durchschnittspreis von 14,07 Pesos im Jahrfünft 1901 — 05 ein solcher von 25,49 Pesos für das Jahrfünft 1906 — 10, also eine Steigerung von 81%, so tritt diese Aufwärtsbewegung in der Getreidezone in noch viel stärkerem Maße auf (siehe Tabelle 32 S. 139). x) Kaerger a. a. O., S. 155. 2) a. a. O., S. 38. 1 39 — Tabelle 31. Landverkäufe des Jahres 19171). Provinz oder Territorium ha Werte in Pesos Durchschnitts- preis pro ha Buenos Aires . . . Santa Fe Cördoba Entre Rios . . . . San Luis Corrientes Tucumän Mendoza San Juan Santiago del Estero La Rioja Salta Jujuy Catamarca . . . . La Pampa Rio Xegro . . . . Neuquen Chubut Santa Cruz . . . . Chaco Misiones Formosa 515 589 691 043 891 352 138 299 204 159 20 851 29 592 471 161 29 514 440 969 158 124 262 050 30638 239 875 43i 424 I46 759 86 174 512 368 187 802 160 023 8508 230 74 °74 093 51 775 868 65 622 825 8 866 029 5 227 756 798 434 1 903 055 19636370 2 481 080 4 776 665 218 144 4 184 513 282 590 836 142 9 912 212 2349019 640 626 3 492 515 2 577 857 3 308 263 107 096 2 950 143,7° 74,9o 73,6o 64,10 25,70 38,30 64,30 41,70 84,10 10,80 1,40 16,00 9,20 3,5o 23,00 16,00 7,4° 6,80 13,70 20,70 12,60 12,80 Tabelle 32. Hektardurchschnittspreise in der Getreidezone in Pesos2). x) Nach der Estadistica Agricola 1918. *) Estadistica Agricola, verschiedene Jahrgänge. Steigerung von Provinz 1901—05 1906 — 10 1917 1901 — 17 % Buenos Aires . . . 42,10 88,40 i43,7o 241 Santa Fe 19,10 44,9o 74,9o 292 Cördoba 19,70 39,5o 73,6o 274 Entre Rios . . . . 22,30 44,5° 64,10 187 — 140 — Nach dem Bericht der bedeutendsten Grundstücksmaklerfirma in Buenos Aires, Bravo Barros y Cia für das Jahr 1913 wurden bei den von derselben vermittelten Landverkäufen in der Provinz Buenos Aires 100 Pesos pe»ha in einem Ausnahmefall als niedrigster Preis bezahlt, bei der Mehrzahl der Verkäufe schwankten die Preise zwischen 1200 — 1800 Pesos. In der Provinz Santa Fe betrugen die Durch- schnittspreise 150 — 700 Pesos, in Cördoba 170 — 370, in der Pampa Central schwankte der Wert des Kampes zwischen 10 und 320 Pesos. Vergleicht man diese Zahlen mit denen von Pfannenschmidt, so tritt die Tendenz weiterer Valorisation des Bodens überall zutage. Die letzterwähnten Preise scheinen allerdings besonders für die Provinz Buenos Aires reichlich hoch. Ein Preis von 200 Pesos für den Hektar anbaufähigen Landes dürfte dem heutigen mittleren Durchschnitt am meisten entsprechen, wobei entsprechende Preis- steigerungen eintreten, je näher das Land den Bahnstationen und Häfen liegt1). Während des Krieges hat die Preissteigerung etwas nachgelassen, da die schwierigen Absatzverhältnisse, vornehmlich für das argentinische Getreide, wenig Anreiz für neue Kapitalinve- stierungen in landwirtschaftlichem Boden boten und sich eine all- gemeine wirtschaftliche Depression bemerkbar machte. Unzweifelhaft ist die Bodenbewertung weit über die Grenze hinausgegangen, bis zu der sie durch Verkehrsanlagen, Boden- meliorationen, Bevölkerungswachstum und erhöhte Rentabilität gerechtfertigt war. Auf den mit ihr zusammenhängenden Komplex von Tatsachen und Folgeerscheinungen wird an anderer Stelle zurück- zukommen sein. Für das Pachtwesen hat sie zwei bedeutsame Folgen : einmal sind den Bodenpreisen entsprechend die Pachtpreise bedeutend gestiegen, zum anderen erschweren die hohen Landpreise dem mittel- losen Pächter das Aufsteigen zum Eigentümer auf das Bedenklichste und tragen so mit zur Erhaltung und Verbreitung des Pachtwesens bei. In der Getreidezone dürfte es dem Bauern fast unmöglich ge- worden sein, Land in guter Verkehrslage und von guter Boden- beschaffenheit zu einem Preise zu erwerben, bei dem er bei der gegen- wärtigen extensiven Betriebsweise mit pekuniärem Erfolg wirt- schaften könnte2). *) Vgl. Mitteilungen des Deutsch-Argentinischen Zentral- verbandes, 1914, S. 141. 2) Pfannenschmidt a. a. O., S. 39. — I4i — b) Wanderpachtbau, Anteilpacht und Folgen des Pacht- wesens für die argentinische Landwirtschaft. Grundsätzlich ist im argentinischen Pachtwesen zu unterscheiden zwischen seßhaftem Getreidebau, bei dem* dieselbe Landfläche in ununterbrochener Folge vom Pächter bestellt wird, und nomadi- sierenden Pachtbetrieben. Bodenständige Pachtwirtschaften finden sich nur in den eigentlichen Ackerbaukolonien, sind aber in diesen stets gegenüber den Eigentumsbetrieben in der Minderzahl, da hier das Eigentum die Grundlage der Wirtschaftsorganisation ist. Ferner sind bodenständig alle auf Staatsland vorhandenen Pacht- betriebe, die Getreide bauen, da die Pacht nur als Übergang zu späterem Eigentumserwerb anzusehen ist. Freilich handelt es sich heute bei der Mehrzahl der verpachteten Staatsländereien um minder- wertige Böden, vornehmlich in den patagonischen Territorien, auf denen kein Getreide gebaut, sondern vielfach nur Schafe gezüchtet werden können. — Diesem bodenständigen Pachtbau steht der nomadi- sierende, sporadische gegenüber. Es ist bereits geschildert worden, wie der letztere sich besonders daraus erklärt, daß die Großgrund- besitzer durch mehrjähriges Beackern eine Verfeinerung ihrer Weide- flächen erstreben. Daneben ist natürlich der arbeitslose Gewinn einer Grundrente, die für die Dauer der Verpachtung nicht in Vieh- zuchtprodukten, sondern im Pachtschilling (der seinerseits meist in natura, also in Ackerbau produkten geleistet wird) realisiert wird, ebenfalls für die Entscheidung des Grundeigentümers von Bedeutung. Er steht aber hinter dem durch die viehzüchterischen Interessen diktierten Gesichtspunkte absolut zurück. Der Grundbesitzer sieht das Ansetzen von Pacht kolonisten und den von ihnen betriebenen Getreidebau in der Regel nur als Mittel zum Zweck, vielfach gar direkt als ein notwendiges Übel an. Außer der ersten Anlage von Alf alfa weiden auf Naturkamp ist auch deren regelmäßige Erneuerung notwendig. Man rechnet bei normaler Viehbestockung mit einer durchschnittlichen Nutzungs- dauer der Alfaifaweiden von 10 — 12 Jahren. Die in diesem Zeit- abstand regelmäßig notwendig werdende Erneuerung erschöpfter Weideflächen pflegt regelmäßig mit einer 2- oder 3 jährigen Ackerbau- periode verbunden zu werden. Manche Grundbesitzer ziehen es neuerdings vor, dieses sogenannte „Alfalfieren" ihrer Weiden selber vorzunehmen, indem sie nach einmaligem Umpflügen Luzerne ohne eine Deckfrucht einsäen. Veranlassung hierzu boten die schlechten — 142 — Erfahrungen, die sie mit ihren Pachtkolonisten gemacht haben. Daß letztere die übliche Klausel des Pachtvertrages, in die letzte Getreidesaat der Kontraktzeit Alfalfa mit einzusäen, als höchst lästige Verpflichtung betrachten, deren sie sich nicht gerade mit besonderer Sorgfalt entledigen, ist wohl verständlich. Stellenweise sind die Grundeigentümer denn auch bereits dazu übergegangen, diese Tätigkeit besonders zu vergüten, wobei sie sicherlich ihren eigenen Vorteil am besten wahren. Es ist daran festzuhalten, daß der wandernde Körnerbau in der Unternehmungsform der Pachtung durch die Erfordernisse der Viehzucht immer neuen Anstoß erhält. Die Konjunktur des Welt- marktes kann letzten Endes angesichts der Einstellung der gesamten argentinischen Landwirtschaft auf den Export allein auf diesen Prozeß entscheidenden Einfluß ausüben. Günstige Getreidewelt- marktspreise mögen vorübergehend auch dem pachtweisen Getreide- anbau auf ,, Interimsackerbauflächen" mehr den Charakter des Selbst- zwecks geben. Seit dem Kriege haben die hohen Fleischpreise mit ihrer Tendenz, schneller zu steigen als die Weizenpreise, die Grund- besitzer erneut dazu geführt, den Schwerpunkt ihres Wirtschafts- interesses auf die Viehzucht zu verlegen. Zudem entsprechen bei den hohen Bodenpreisen die gezahlten Pachtsätze trotz ihrer relativen Höhe häufig nicht einer angemessenen Verzinsung des im Boden investierten Kapitals, vorausgesetzt, daß der Grundeigentümer sein Land erst in neuerer Zeit erworben hat. Freilich pflegt der so entstehende Verlust nur ein scheinbarer zu sein, da er durch den eintretenden Wertzuwachs des Bodens reichlich ausgeglichen wird. In all solchen Fällen wird der Ackerbau nur betrieben, um den Handels- wert des Bodens zu erhöhen. Die Verpachtung dient mittelbar der Land Spekulation ! Das Interesse des Grundbesitzers an der Erhaltung des nomadi- sierenden Pachtgetreidebaus geht in erster Linie dahin, daß der- selbe es ihm ermöglicht, mit möglichst geringem Kapitalaufwand große Flächen unter den Pflug zu bekommen und durch Alfalfa - einsaat in Kunstweiden zu verwandeln. Eine Einfruchtkultur im großen, die auch dem Pächter am meisten zusagt, gibt dem Eigen- tümer dabei gleichzeitig die leichteste Kontrolle über den Betrieb. An der Schaffung eines fest angesiedelten Pächterstandes liege ihm nichts. Der Pachtkolonist seinerseits, besonders der Italiener, hat vielfach kein Interesse daran, eine längere Reihe von Jahren hindurch dieselbe Fläche zu bestellen, sondern zieht es vor, ,,jung- — »43 — fraulichen Kamp zu brechen, dessen außergewöhnliche Erträge während weniger Jahre zu ernten, danach die gleiche Arbeit an anderer Stelle wieder aufzunehmen und dann in vielen Fällen mit den er- arbeiteten Geldern in die Heimat zurückzukehren"1). Hier berühren sich also die Interessen einer der Zahl nach sehr umfangreichen Kate- gorie von Pachtkolonisten mit denen der Grundeigentümer. Zahlen- mäßige Unterlagen zur Beurteilung der Frage, wie groß durchschnitt- lich der Anteil der wandernden Pachtwirtschaften an der Gesamtzahl der Pachtbetriebe ist, sind nicht vorhanden. Sicher beträgt ihre Zahl weit mehr als die Hälfte aller getreidebauenden Betriebe der Haupt- ackerbauzone überhaupt. Daß diese Zahl, trotz aller möglichen Er- folge der inneren Kolonisation und sonstiger Einflüsse nicht nur erhalten bleibt, sondern noch eine gewisse Zunahme erfahren wird, dafür sorgen zwei Tatsachen. Einmal sind noch Millionen Hektar jungfräulichen Landes vorhanden, die durch mehrjährigen Körner- anbau, hauptsächlich Weizen, verfeinert werden müssen; zum anderen wird immer wieder auf ,, luzernemüden" Böden, die aber dadurch ihrer Dauerbestimmung zur Viehzucht nur vorübergehend entzogen werden, von neuem Weizen, Leinsaat und Mais gebaut werden. Damit eröffnet sich zugleich die Aussicht, daß dem Weltmarkt auf eine Reihe von Jahren hinaus noch vergrößerte Mengen argentinischen Getreides, die Produktion dieser auf Interimsackerbauland arbeitenden Wander- pächter, zufließen werden. Hinsichtlich der vertraglichen Bedingungen der Pacht findet sich in Argentinien sowohl das System der festen Geldpacht wie das der Anteilpacht vertreten. Doch ist das letztere bei weitem das vorherrschende, besonders im nomadisierenden Pacht bau. Die argentinische Statistik ermöglicht auch hier keinen genaueren Einblick. Sie scheidet zwischen „arrendatarios" und „medieros", Pächtern und Halbpächtern (vgl. Tab. 29 S. 132). Unter die Kategorie Pächter fallen dabei außer denjenigen Kolonisten, die einen festen Pachtschilling in Geld für den Hektar bezahlen, auch solche, die einen bestimmten Bruchteil des Naturalertrages entrichten. Halb- pächter müssen dagegen die volle Hälfte des Ernteertrages als Pacht- summe abgeben, erhalten dafür aber vom Grundbesitzer gewisse Beihilfen. Es sind also in der Kategorie „Pächter" der Statistik eine große Zahl Anteilpächter enthalten. Bei dem gesamten nomadi- sierenden Getreidebau liegt stets das Anteilpachtverhältnis vor. J) Senfft von Pilsach a. a. O., S. 58. — 144 — Bei der außerordentlichen Bedeutung, die das System der Anteil- pacht (das in dem Augenblick vorhanden war, als mit dem Einströmen umfangreicher Einwanderermassen Getreidebau in größerem Um- fang einsetzte) für die argentinische Landwirtschaft hat, lohnt es sich, ihren besonderen wirtschaftlichen Wirkungen nachzugehen. Die Naturalabgabe, in der die Pachtsumme besteht, ist keine absolute Größe, sonäern stellt einen prozentualen Anteil des Reinertrages in der natürlichen Form, in der er aus der Wirtschaft herauswächst, dar. Ist der Ertrag niedrig, so fällt mit der geringeren Pachteinkunft des Grundeigentümers auch das Wirtschaftseinkommen des Pächters, steigt er dagegen, so steigt zugleich mit dem erhöhten Gewinn des Pachtbauern auch der Gewinnanteil des Eigentümers, der das Plus des Bauern verringert. Dieses Prinzip wirkt nach den argentinischen Erfahrungen und Beobachtungen hemmend auf den Produzenten und die agrarische Weiterentwicklung. Für den Pachtbauern fehlt der Anreiz, über ein bestimmtes, niedrig bleibendes Maß hinaus durch erhöhten Arbeits- oder Kapitalsaufwand eine Ertragssteigerung zu erstreben, weil sich seine Produktionskosten — unter deren Faktoren die Pachtsumme der bedeutendste ist — gleichzeitig mit den ge- steigerten Erträgen automatisch erhöhen. Auf das besondere Beispiel der extensiven argentinischen Landwirtschaft übertragen bedeutet dies, daß der Kolonist durch das Anteilpachtsystem wiederum nur dazu veranlaßt wird, an seiner extensiven Betriebsweise festzuhalten und wohl durch Vergrößerung der Fläche, die er unter den Pflug nimmt, nicht aber durch intensivierte Kulturmethoden eine Ertrags- steigerung zu versuchen. Bringen günstige Witterungsverhältnisse eine besonders gute Ernte hervor, so ist es der Kolonist zufrieden und überläßt dem Grundeigentümer dessen vergrößerten Gewinn- anteil, den er natürlichen Einflüssen, rechtzeitigen Regenfällen und der jungfräulichen Fruchtbarkeit des Bodens verdankt. Vernichten Dürre oder Heuschreckenschwärme die Ernte, so teilen wiederum Bauer und Grundbesitzer den Ausfall, und der erstere hat nicht zu s:iner vergeblichen Arbeit noch einen verlorenen Pachtaufwand aufzubringen. Gerade unter der Voraussetzung dieser jährlich drohenden Verlustmöglichkeiten ist der Pachtkolonist der Dialektik des Grundbesitzers am meisten zugänglich, der ihm die Anteilpacht als die Risikoverteilung auf zwei Schultern darstellt, ihm aber ver- schweigt, wie unverhältnismäßig mit gutem Ernteausfall die Gewinn- aussichten des Grundbesitzers in die Höhe gehen. Die geringe Beständigkeit der Ernten von einem Jahr zum — 145 — anderen wird als ein Hauptgrund für die allgemeine Verbreitung der Anteilwirtschaft in Argentinien anzusehen sein. Neben den klima- tischen bedingen dann soziale und wirtschaftliche Faktoren den Standort derselben im Lande: die Eigenarten der Grundbesitzver- teilung und das vollkommene Fehlen eines wohlarrondierten Bauern- standes, die Schwierigkeiten in der Beschaffung genügender Arbeits- kräfte für den Ackerbau (auch bezüglich der Qualität), das Vor- herrschen gewohnheitsmäßig extensiv betriebenen Ackerbaus1). Der gänzlich mittellose Einwanderer, der als einziges Kapital seine Arbeitskraft mitbringt, beginnt als Halbpächter. Als solcher arbeitet er ohne eigenes Inventar. Arbeitstiere, Maschinen und Saat- gut stellt ihm der Estanciero zur Verfügung, gibt ihm häufig sogar Kleidung und Lebensunterhalt bis zur kommenden Ernte auf Kredit. Neuerdings werden die Medieroverträge fast durchweg mündlich und nur für ein Jahr abgeschlossen. Sie enthalten regelmäßig folgende Bestimmungen: Die Estancia2) stellt das gesamte Inventar und Saatgut. Bestellung und Ernte gehen völlig auf Kosten des Mediero. Bei der Teilung des Ernteertrages zwischen Besitzer und Mediero wird letzterem das Saatgut abgezogen. Dreschlohn und Kosten für Säcke werden gemeinsam getragen. Die Teilung des Ernteertrages erfolgt zu gleichen Hälften nach dem Erdrusch. Der Mediero besorgt den Transport zur Bahnstation auch für die auf den Grundbesitzer entfallende Erntehälfte. Er hat für die nötigen Arbeitskräfte für Ernte und Dreschen zu sorgen. Den Verkauf des Getreides besorgt regel- mäßig der Grundbesitzer auf gemeinsame Rechnung. Da es sich gerade bei diesen Medieroverträgen meist um das erste Aufbrechen von Naturkamp handelt, findet sich häufig die Vereinbarung, daß mehrmaliges Pflügen besonders vergütet wird. Die Verträge sind mehr oder minder deutlich auf den einseitigen Zweck der Grund- besitzer, Verbesserung des Bodens für die Viehweide, zugeschnitten3). Dem mittellosen Halbpächter steht der Vollpächter gegenüber, der sich im Besitz von Betriebskapital befindet und mit eigenem J) Vgl. E. Jenny, Der Teilbau nebst Monographie eines Teilbaugroß- betriebes in Rußland aus der Zeit von 1891 — 1900. Heft 171 der Staats- und sozialwissenschaftlichen Forschungen, München und Leipzig 1913. Dort eine ganze Standortstheorie der Anteilpacht. 2) das Viehzuchtgut, auf dessen Fläche der Pächter sitzt. 3) Das Halbpachtsystem, das auch in Frankreich als „metayage" bekannt ist, ist vor allem in Italien gegenwärtig noch als „mezzeria" allgemein ver- breitet. Es liegt die Vermutung nahe, daß es durch die italienische Einwanderung nach Argentinien eingeführt worden ist. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. IO — 146 — Inventar wirtschaftet. Auch ei zieht es vor, die Pacht nicht in einem festen Geldsatz, sondern in einem Erntebruchteil zu entrichten. Der Vertrag läuft in der Regel auf 3, seltener auf 4 und 5 Jahre. Er enthält in seiner typischen Form ebenfalls stets eine Reihe von Vor- schriften, die einseitig die Interessen des Grundeigentümers vertreten. Letzterer erhält z. B. das Recht, die Qualität des zu verwendenden Saatguts zu prüfen. Er schreibt vor, der wievielte Teil der Pacht- fläche als Weide für die Arbeitstiere des Pächters liegen bleiben darf, ohne unter den Pflug genommen werden zu müssen. Hat der Pächter die übrige Fläche nicht voll bestellt, so hat er auch für den unbebaut gebliebenen Acker nach Maßgabe des auf dem bestellten geeernteten Ertrages den Pachtanteil zu entrichten. Häufig wird vorgeschrieben, welche Fruchtart, ob Weizen, Leinsaat oder Mais angebaut werden soll1). Die wirtschaftliche Entschlußfreiheit und Initiative des Anteil - Pächters ist auf Schritt und Tritt gehemmt und der dauernden Be- vormundung des Eigentümers unterstellt. In noch viel ausgeprägterem x) Das „Argentinische Wochenblatt" vom 15. März 1919 (S. 58) bringt ein sehr krasses Beispiel eines derartigen Vertrages, dessen Einzelbestim- mungen unglaubliche Härten enthalten. Es handelt sich um einen gedruckten Pachtvertrag, der den Ansiedlern der Pächterkolonie ,,Cotita" in Hucal (Ferro- carril Pacifico) zur Unterschrift vorgelegt wird. Die Dauer des Vertrages ist 3 Jahre. Der Pachtzins besteht aus 20% des Ernteertrages, der in neue Säcke verpackt in die Lagerschuppen abgeliefert werden muß. Das Land ist mit Weizen zu bestellen, und zwar vom ersten Jahre ab in seiner ganzen Ausdehnung. Weiter- verpachtung ist verboten. Der Grundherr hat das Recht, zur Beaufsichtigung der Ernte Inspektoren zu ernennen, die der Pächter unterbringen und beköstigen muß. Für jeden nicht bestellten Hektar zahlt der Pächter 10 Pesos Strafe, außerdem den auf das nichtbestellte Land entfallenden Ernteertragsteil. Der Pächter muß sein Land bei einer vom Grundherrn zu bezeichnenden Gesell- schaft gegen Hagel versichern. Geht die Ernte durch Hagel verloren, so hat er 15% der Versicherungssumme an den Grundbesitzer abzuführen. Der Pächter darf 6 Kühe und für je 5 ha ein Pferd halten, für jede weitere Kuh hat er 10 Pesos jährlich zu zahlen. Ackergerät und Vieh gelten als Pfand für die Verwaltung und dürfen nicht vor Ablauf des Kontraktes entfernt oder veräußert werden. In der Erntezeit darf der Pächter von dem Wasser der auf seinem Land stehen- den Mühlen (Windmotore, die Wasser pumpen) für sich und sein Vieh erst Ge- brauch machen, nachdem der Bedarf der landwirtschaftlichen Maschinen ge- deckt ist. Der Pächter hat das in der Nähe weidende Vieh des Grundherrn zu überwachen. Wird eine der Vertragsklauseln nicht erfüllt, so kann der Grundherr den Vertrag für gelöst erklären oder auf eine genaue Erfüllung dringen. Im ersteren Falle hat der Pächter das Land binnen 10 Tagen zu räumen und auf die noch stehende Ernte und alle von ihm eingeführten Verbesserungen ohne Entschädigung zu verzichten . — 147 — Maße ist dies der Fall, wenn sich zwischen Grundeigentümer und Kolonist ein Generalpächter einschiebt, der mächtige Flächen auf feste Vorschußraten mietet und dieselben dann in kleineren Stücken mit einem entsprechenden Aufschlag weiterverpachtet. Die Zahl dieser nicht selber Landwirtschaft treibenden Großpachtunternehmer, denen häufig eine bedeutsame kolonisatorische Rolle zugeschrieben wird1), vermehrt sich ständig. Das Verfahren, das die Verfügung über ein größeres Kapital zur Voraussetzung hat, wirft durchweg große Gewinne ab. Von der wichtigen Stellung dieser Pachtunter- nehmer als ländliche Kreditgeber wird bei Erörterung des Kredit- wesens zu handeln sein. Ungeachtet der wirtschaftlichen Bedeutung ihrer Vermittlertätigkeit bedeutet diese für den Pachtkolonisten meist eine unerwünschte Verteuerung seiner Produktionskosten. Neben den mannigfachen Verschiedenheiten der Pachtbedingungen stehen noch erheblich größere Schwankungen in den Pachtpreisen. Bei der Anteilpacht bewegen sich die Sätze gegenwärtig durchschnitt- lich zwischen 20 und 30% der Ernte. Sie pflegen bei Mais- und Lein- saatbau stets etwas höher zu sein als bei Weizenbau. Der Grund hierfür besteht darin, daß Mais und Leinsaat größere Anforderungen an die Kraft des Bodens stellen und auf jungfräulichem Kamp höhere Erträge abwerfen als der Weizen. Die amtliche Statistik gab für 1910 als höchsten Pachtsatz 35% Ernteanteil an, als niedrigsten 9% in entlegenen Teilen der Provinz Entre Rios2). Im mittleren Durchschnitt betrugen die Sätze im nördlichen und mittleren Teil der Provinz Santa Fe 20, im südlichen Teil 30%, in Cördoba 15 — 20%, in Entre Rios 20 und in der Pampa Central 15%. Für die Provinz Buenos Aires betrugen die Geldpachten durchschnittlich für den Norden der Provinz 30, Mitte und Süden 10 und 15, Osten 20 Pesos pro Hektar. Der Süden der Provinz Santa Fe und der Norden der Provinz Buenos Aires weisen die höchsten Sätze auf. Es ist dies das eigentliche Zentrum der Ackerbauzone mit den ältesten Ackerbau- kolonien und der günstigsten Weltverkehrslage. Mit dem Steigen der Bodenpreise ist auch eine allmähliche Steige- rung der Pachtabgaben erfolgt. Sie läßt sich z. B. für das Jahrfünft 1905 — 10 — ältere amtliche Zahlen sind nicht vorhanden — be- merkbar verfolgen. *) Vgl. Pfannenschmidt a. a. O., S. 19 u. 20. 2) Estadistica Agrfcola 1911, S. 54/55. 148 Tabelle 33. Steigerung der Pachtsätze von 1906 — 19101). Buenos Aires Santa Fe Cördoba Entre Rfos Pampa Central 1905/06 1906/07 1907/08 1908/09 1909/10 15 Pesos 16 „ 16 „ 18 „ 18% 15 Pesos 20% 25% 20% 13% 9 Pesos 15% 16% 20% 13% 7 Pesos 6 „ 20% 20% 3,50 Pesos 5 M 15% Eine bedeutende weitere Steigerung ist dann allerdings in den letzten 6 — 7 Jahren nicht mehr erfolgt, stellenweise ist es den Pächtern sogar gelungen, so 1913 in Santa Fe, eine Herabsetzung der Pacht- raten durch Arbeitseinstellung zu erzwingen. Es seien zum Vergleich die Ergebnisse einer Enquete der „Prensa" aus dem Jahre 1917 hierhergestellt2). Danach ergibt sich für die Provinz Buenos Aires ein Durchschnittssatz von 18 Pesos pro Hektar für Geldpacht und 23 — 24% für Anteilpacht. Die Abweichungen in der Höhe der Pacht- sätze korrespondieren deutlich mit den größeren oder geringeren Entfernungen zum nächsten Hafen. Tabelle 34. Differenzierung der Pachtsätze in der Provinz Buenos Aires. Entfernung vom Ver- Bezirk Pachtsatz pro ha schiffungshafen 3) (Schienenweg) Pellegrini 8 — 10 Pesos "1 Mini- > mal- ' sätze 494 km von Buenos Aires Trenque Lauquen 8—12 >> 443 „ Coronel Dorego 8—12 ,, 605 „ Florencio Varela 25—35 >> "\ Maxi- , mal- > sätze 30 „ Pergamino 20—35 >> 73 ,, ,, San Nicolas General Rodriguez 30 52 ,, ,, Buenos Aires 5, 6. 5., 7. 5., 10. 5 1917. J) Estadistica Agricola 1911, S. 56/57. *) La Prensa, Buenos Aires, 28. 4., 30. 4., 3) Die Zahlen für die Entfernungen vom Verschiffungshafen sind ent- nommen: J. Marrazzo, Diccionario Geogräfico de la Repüblica Argentina, Buenos Aires 1910. — 149 — Die niedrigsten Sätze der ganzen Provinz finden sich in den Bezirken, die 500 — 600 km vom Hafen entfernt liegen, während in der unmittelbaren Nähe des letzteren die höchsten Sätze bezahlt werden. Für den Pachtpreis ist nicht in erster Linie die Güte und Ergiebigkeit des Bodens maßgebend, sondern die Gunst der Lage ist der entscheidende Faktor. Für die Provinz Cördoba tritt das weniger deutlich hervor, da infolge ihrer geographischen Lage zu den Paranä- häfen Rosario und Santa Fe nicht so große Entfernungsunterschiede im Schienenwege auftreten. Hier schwanken die Anteilpachtsätze zwischen 20 und 25%, stellenweise werden 30% erreicht, z. B. im Bezirk Oliva, dessen Entfernung vom Hafen Rosario 305 km beträgt. Natürlich kann dieser entscheidende Einfluß der Verkehrs- lage auf die Höhe der Pachtpreise unter Umständen an Orten, die aus bestimmten Gründen von der Siedelung besonders bevorzugt oder gemieden werden, durch erhöhte oder verminderte lokale Nach- frage nach landwirtschaftlichem Boden stark kompensiert werden. Im Prinzip ist er jedoch in allen Gebieten der Ackerbauzone deutlich erkennbar. Auch in der Abstufung der Sätze innerhalb der einzelnen örtlichen Distrikte ist er ausschlaggebend. Die Entfernung von der Bahnstation, welcher die Produkte zugeführt werden müssen, ist für die lokalen Differenzen in der Höhe der Pachtsumme das ent- scheidende Moment. Die Pachtverträge schreiben regelmäßig vor, daß der Pacht- anteil des Getreides in trockenem, gesundem und reinem Zustande, in neue Säcke verpackt, auf der Bahnstation abzuliefern ist. Hat der Grundbesitzer nach dem Vertrage das Recht, sich aus der ge- samten Ernte des Pächters Getreide bester Qualität auszusuchen, für das er unter Umständen einen erheblich höheren Preis erzielt als der Kolonist für die ihm verbleibenden geringwertigeren Mengen, so bedeutet das naturgemäß für den letzteren eine besondere wirt- schaftliche Benachteiligung, für den Grundbesitzer dagegen eine versteckte Erhöhung des Pachtzinses. Pfannenschmidt1) hat sehr lehrreiche Berechnungen angestellt, indem er die prozentualen Pachtanteile bei verschiedenem Hektarertrag in feste Geldwerte umrechnet und diese mit deutschen Geldpachtsätzen vergleicht. Ein Vergleich mit den deutschen Verhältnissen ist schon deshalb nicht ohne weiteres verwendbar, weil die deutsche Landwirt- schaft auf völlig anderer Produktionsgrundlage beruht und mit wesent- lich höheren Produktionskosten zu rechnen hat; es sei nur daran er- J) a. a. O., S. 44. — i5o innert, wie unendlich hoch die Lebenshaltung des deutschen Bauern über der des argentinischen Kampkolonisten steht. Pfannenschmidt kommt zu dem Ergebnis, daß ,,bei dem System der Anteilpacht die Pachtpreise in Argentinien eine enorme Höhe erreichen, sofern die Er- träge nicht gar zu gering sind"1). In der Tat ist der letztere Gesichts- punkt der entscheidende. Legt man die normalen Durchschnittserträge und -Verkaufspreise2) des letzten Jahrzehnts vor dem Kriege zugrunde, so ergibt ein mittlerer Pachtsatz von 25% Ernteanteil folgende Werte: Tabelle 35. Umrechnung einer Anteilpacht in Geldpacht, für ver- schiedene Getreidearten und Erträge. Weizen Verkaufspreis pro 100 kg 8 Pesos 9 Pesos Ertrag pro ha 700 kg 14,00 800 kg 16,00 700 kg l5>75 800 kg Geldpachtwert in Pesos pro ha . . 18,00 Leinsaat Verkaufspreis pro 100 kg 10 Pesos 12 Pesos Ertrag pro ha Geldpachtwert in Pesos pro ha . . 600 kg 15,00 700 kg i7oO 600 kg 18,00 700 kg 21,00 Mais Verkaufspreis pro 100 kg 4 Pesos 6 Pesos Ertrag pro ha Geldpachtwert in Pesos pro ha . . 1 500 kg 15,00 1 800 kg 18,00 1 500 kg 22,50 1 800 kg 27,00 Rechnet man für Weizen einen Ertrag von 10 dz pro ha, der bei jungfräulichem Boden in normalen Jahren als gute Durchschnittsernte angesehen werden kann, während er für älteres Kulturland bereits ein hervorragend günstiges Ergebnis darstellt, so erhöhen sich die Pacht- sätze auf Grund obiger Berechnung auf 20 bzw. 22,50 Pesos. Bei Durch- schnittsernten wird — wenigstens für Weizenbau — die Anteilpacht die Gestehungskosten nicht wesentlich höher belasten als feste Geldpacht. Beim Maisbau liegen die Dinge für den Kolonisten insofern erheblich ungünstiger, als hier Sätze von über 30% die Regel sein sollen. Bei einem Pachtanteil von 35%, einem Verkaufspreis von 6 Pesos und einem Ertrag x) Pfannenschmidt a. a. O., S. 44. 2) d. h. die Preise, welche der Kolonist für sein Getreide frei Bahnstation vom Aufkäufer erhält. Die Preise im Exporthafen sind höher. - 151 — von 2000 kg, der auf ausgeruhten Böden bei normaler Witterung häufig erreicht wird1), steigt der Geldwert der Pachtabgabe für den ha auf 42 Pesos. Daß die Pachtabgaben vielfach eine drückende Höhe erreicht haben, geht daraus hervor, daß die Pachtkolonisten durch seit 191 2 sich fast jährlich wiederholende Streiks eine Herabsetzung derselben zu erreichen suchen. Auch während des Krieges fanden derartige Pächterstreiks der Kolonisten, die sich inzwischen in der „Federaciön Agraria" organisiert haben, statt, so 1917 in der Provinz Santa Fe2). Eine Reihe schlechter Jahre hat die Kolonisten, die sich vielfach in drückender Abhängigkeit von den Großgrundbesitzern befinden, die ihnen bis zu 35 % der Ernte als Pacht abnehmen, zur Verzweiflung gebracht. Außer Herabsetzung der Pachten wird vor allem auch Verlängerung der bisher üblichen kurzen Pachtfristen verlangt, sowie Beseitigung einer Reihe von drückenden Vorschriften, die sich in den heute üblichen Verträgen regelmäßig finden. Z. B. be- deutet es zweifellos eine Ungerechtigkeit, den Pächter zur Ablieferung gesunden, reinen und trockenen Getreides zu verpflichten und ihm bei Nichtinnehalten dieser Vorschrift erhebliche Abzüge zu machen, wenn das gänzliche Fehlen von Schuppen und Speichern auf der Pachtung wie auf der Bahnstation, wie es in weiten Gebieten der Ackerbauzone noch allgemein der Fall ist, es ihm zur Unmöglichkeit macht, die Ernte den schädigenden Einflüssen der Witterung zu entziehen. Er muß dieselbe, um seiner Vertragspflicht nachzukommen, häufig besonders trocknen, ein Verfahren, das seine Gestehungskosten beträchtlich belastet. Die wirtschaftliche Lage der argentinischen Pächter ist durchweg eine sehr gedrückte. Der verhältnismäßig geringe Bruchteil derjenigen, denen es gelingt, Ersparnisse zu machen und zu Eigentümern auf- zusteigen, beweist nicht das Gegenteil. Schuld an der schlechten Lage der Pachtkolonisten sind in erster Linie ihre zu hohen Produktions- kosten. Diese werden nicht allein durch die hohen Pachtabgaben J) 1914/15 betrug der Durchsclmittsertrag für Mais 2044, igci/12 sogar 2196 kg pro ha. Hier ist zu bedenken, daß diese Erträge für das ganze Land gelten und daß innerhalb des gesamten Anbaugebiets regelmäßig Bezirke vor- handen sind, die einen mehr oder minder völligen Ernteverlust zu verzeichnen haben (z. B. durch lokalen Heuschreckenfraß) und die so die dem normalen Ernteausfall entsprechende Durchschnittsertragsziffer stark herabdrücken. 2) Fairplay vom 21. 6. 1917. Die englische Zeitung bemerkt dazu: „Mög- licherweise werden die Kolonisten in ihrem Widerstand durch deutsches Gold unterstützt". (!) — 152 — verursacht. Die Steigerung der Produktionskosten entspringt viel- mehr auch der Erhöhung der Lebensmittelpreise, Löhne, Sack- und Transportpreise, der die Getreidepreise nicht im gleichen Maße ge- folgt sind. So ist die Tatsache, daß die Kolonisten es nicht verstanden haben, die ständig sich erhöhenden Gestehungskosten, die nicht in einer Steigerung der Verkaufspreise ihrer Produkte einen Ausgleich fanden, durch Ertragssteigerung wettzumachen, ein Hauptgrund für das bedenkliche Sinken ihrer durchschnittlich erzielten Gewinne. Seine schwierige wirtschaftliche Lage pflegt der Pächter durch eine Reihe stets sich wiederholender fundamentaler Fehler in der Einrichtung und Führung seines Betriebes zu verschärfen. Sie er- klären sich aus der mangelhaften Vorbildung und Schulung sowie dem geringen Maß landwirtschaftlicher Fachkenntnisse, über das der große Durchschnitt der in Argentinien Ackerbautreibenden ver- fügt1). Der mittellos ins Land gekommene Einwanderer, welcher sich als Landarbeiter ein geringes Kapital erübrigt hat, übernimmt — in dem begreiflichen Streben, möglichst schnell selbständig zu werden und größere Gewinne zu erzielen — eine eigene Pachtung, ohne die nötige praktische Erfahrung gesammelt zu haben. Er ist gar nicht in der Lage, zu prüfen, ob der verlangte Pachtzins den Ertragsmöglich- keiten des Landes entspricht, noch ob die Fläche, die zu bestellen er unternimmt, mit seinen Betriebsmitteln und seiner Arbeitskraft in Einklang steht. Der Fall ist häufig, daß die ersten Einrichtungs- kosten sein ganzes Kapital aufzehren und er schon auf Kredit an- gewiesen ist, ehe er die erste Furche gezogen hat. Da der Pacht- vertrag ihn zwingt, eine bestimmte Fläche des gepachteten Landes unter den Pflug zu nehmen, ist er, besonders in der Ernte, darauf angewiesen, teure Arbeitskräfte zu mieten, die seinen Gewinn un- verhältnismäßig stark vermindern. Hat er wirklich eine gute Ernte eingebracht, so unterliegt er, der in 65 von 100 Fällen Analphabet ist und von Marktpreisen nichts weiß, der geistigen Überlegenheit des Händlers. ,,Der Ackerbau liegt in unerfahrenen Händen, und die wirtschaftlichen Anforderungen, die er stellt, können von der landwirt- schaftlichen Bevölkerung, wie wir sie haben, nicht erfüllt werden2)." *) Vgl. den Bericht der zur Untersuchung der Ursachen des großen Pächter- streiks von 1913 eingesetzten staatlichen Kommission: ,,Conflictos Agrarios". Investigaciones Agricolas Nr. 4, Direcciön General de Agricultura y Defensa Agricola, Buenos Aires 1913, S. yü. 2) „Conflictos Agrarios." Investigaciones Agricolas Nr. 4, S. 13. — 153 — Das Pachtwesen hat unstreitig seinen bedeutsamen Anteil an der landwirtschaftlichen Entwicklung des Landes, ja hat diese zum Teil überhaupt erst möglich gemacht. Unter seinem Zeichen ist die ackerbauliche Erschließung der argentinischen Pampa geschehen. Auf dem Wege der kurzfristigen Verpachtung wurden und werden fortlaufend die gewaltigen Kunstweideflächen geschaffen, welche die Basis der modernen argentinischen Fleischgroßproduktion bilden. Auf dem Wege des Pachtsystems entstanden die Millionen Hektar von Weizen- und Maisfeldern, die Argentinien zu einem der ersten Kornländer der Welt machten. Vielleicht war das Pachtsystem das allein geeignete Wirtschaftsinstrument, um eine solche sprung- hafte agrarische Expansion zu verwirklichen. Eine allmählich fort- schreitende innere Kolonisation und Entstehung eines seßhaften Bauernstandes hätte naturnotwendig das agrarische Entwicklungs- tempo erheblich langsamer gestaltet, freilich auch gesundere Grund- lagen für die wirtschaftliche und soziale Zukunft des Landes gelegt. Die Teilpacht gibt dem mittellosen Einwanderer die Möglich- keit, sich im Ackerbau heraufzuarbeiten und selbständig zu werden. Vergegenwärtigen wir uns kurz den Entwicklungsgang. Der normale Weg des Aufstiegs, den der Einwanderer durchlaufen muß, führt über die drei Etappen Lohnarbeiter, Halbpächter, Pächter zum Eigentümer. Der Einwanderer beginnt als Erntearbeiter. Als solcher wird er bei den hohen Saisonlöhnen nach kurzer Zeit so viel erübrigt haben, daß er eine eigene Wirtschaft beginnen kann. Hier kommt ihm das Halbpachtsystem zu Hilfe. Als Mediero muß er zunächst nur über so viel Geld verfügen, wie er für seinen und seiner Familie Lebensunterhalt auf ein Jahr, d. h. bis zur kommenden Ernte gebraucht. Alle Produktionsmittel werden ihm geliefert. Er steht gewissermaßen auf der gehobeneren Stufe eines Landarbeiters, der auf eigene Rechnung wirtschaftet. Haben ihm einige gute Ernten so viel Überschuß ge- bracht, daß er sich selber Pferde, Maschinen und Saatgut kaufen kann, so rückt er zum Vollpächter auf, der mit eigenem Inventar arbeitet, aber auch wieder ganz überwiegend das Anteilpa^ htsystem bevorzugt. Der Übergang vom Pächter zum Eigentümer bedeutet endlich die Erklimmung der höchsten Sprosse der sozialen Stufen- leiter, die aber nur einem Bruchteil gelingt. Diesen allgemein fördernden Einwirkungen des Pachtwesens auf die Volkswirtschaft steht eine Reihe schwerer Nachteile ent- gegen, die das argentinische System gezeitigt hat. Das Anteilpacht- system hat dazu geführt, daß die Pacht die Produktionskosten des - 154 - Getreidebaus unverhältnismäßig belastet. Es gewährt dem Kolonisten vielfach keine angemessene Entlohnung seiner Arbeit. Es hat sich nicht als Abhilfsmittel gegen die schädlichen Folgen der fehler- haften Grundbesitzverteilung — Zwischenpacht, Landwucher, Ab- sentismus — erwiesen. Der argentinische Wanderpächter verfügt nie über die nötige Freiheit in der Einrichtung seiner Betriebsweise. Der kurzfristige Pachtvertrag verbietet ihm, Verbesserungen irgend- welcher Art auf seinem Lande vorzunehmen und neben dem Acker- bau auch etwas Viehzucht zu treiben. Die Besonderheit der Pacht- verhältnisse zwingt den Kolonisten zu extensiver Wirtschaftsweise, zu Monokultur und Raubbau. Sie bedingt, daß er sich nicht um Fruchtwechsel kümmert, jede landwirtschaftliche Nebenproduktion vernachlässigt und sich auf den Anbau einer Körnerart beschränkt. Sie bedingt damit zugleich die niedrigen und unsicheren Erträge. Zu alledem kommt die gänzlich mangelhafte Organisation des länd- lichen Kreditwesens, die nur zu leicht zur Entstehung drückender Abhängigkeitsverhältnisse führt. Damit sind die wichtigsten Gründe für die ungünstige wirtschaftliche Lage, in der sich der argentinische Pächterstand befindet, aufgezählt1). In der argentinischen Presse und Literatur ist schon seit länger als einem Jahrzehnt ständig von dem „Agrarproblem" und der ,, Agrar- krise" die Rede, wobei man in erster Linie die schlechte Lage der Pachtkolonisten im Auge hat. Es hat denn auch an Vorschlägen für Abhilfe und Reformen nicht gefehlt. Man drängt auf den Ausbau des ländlichen Kredit- und Genossenschaftswesens und verlangt weitere Ausdehnung des landwirtschaftlichen Versuchs- und Unter- richtswesens. Die Grundbesitzer werden aufgefordert, die Verpach- tungsfristen zu verlängern, die Kolonisten auf die Notwendigkeit hingewiesen, ihre Betriebsgrößen einzuschränken und von der schäd- lichen Monokultur zur gemischten Wirtschaft und zum Frucht- J) Die bedeutendste Zeitung Argentiniens, „La Prensa" (vom 12. 12. 191 8) schildert die Lage des Pachtkolonisten und seine wirtschaftliche Unfreiheit: ,,.... die Haltung (der Grundbesitzer) macht aus dem Pächter eine Art Paria, ohne höheres Streben und ohne den Mut, sich zu wehren. Sie macht, daß er keinen Glauben an die Menschen und die öffentlichen Einrichtungen hat, da für ihn der Friedensrichter (die höchste lokale Instanz — Anmerkung des Verf.) nur der Interessenvertreter der Kauf leute und der Verpächter ist, welcher ihm mit Beschlagnahme seiner Ernte, seines Hauses und Viehs droht, ihn zwingt, zu einem Preise zu verkaufen, den seine Gläubiger zahlen wollen, mit der Maschine zu dreschen, die sie ihm bezeichnen und dafür einen besonders hohen Preis zu zahlen und alle möglichen Übergriffe zu erdulden." - [55 — Wechsel, vom extensiven zum intensiven System überzugehen. Alle diese Dinge sind nötig und nützlich, berühren aber nicht den Kern des Problems. Im Wandergetreideanbau, den die Interessen der Grundbesitzer aufrechterhalten, ist aus naheliegenden Gründen weder eine Änderung der gegenwärtigen Betriebsmethode noch eine Verlängerung der Pachtfristen möglich. Eine wirklich durchgreifende Reform des Pacht wesens, die eine Umorganisierun g des gesamten Ackerbaus bedeutet, kann nur mit einer Änderung der gegenwärtigen Grundbesitzverteilung und mit dem Fortschritt der inneren Kolo- nisation erfolgen. Das fast völlige Fehlen eines Kleinbauernstandes ist die größte Schwäche in der Organisation der argentinischen Landwirt- schaft. Die Grundbesitz Verteilung hat das Pachtsystem in seinen besonderen und eigenartigen Erscheinungsformen herausgebildet. Dieses Pachtsystem nötigt den Bauer zu einer falschen und un- rationellen Produktionsmethode, die auf die Dauer die Konkurrenz- fähigkeit der argentinischen Getreideproduktion auf dem Weltmarkt schwer erschüttern muß. Das System mag sich noch aufrechterhalten lassen, solange große Einwanderermassen ins Land strömen und noch viel jungfräulicher Boden zur Verfügung steht. Mit dem allmählichen* inneren Ausbau der argentinischen Landwirtschaft und der Kon- solidierung der gesamten Produktionsverhältnisse wird es von selbst verschwinden. 4- Abschnitt. Das ländliche Kreditwesen. i. Kapitel. Der Hypothekarkredit. Ein agrarisches Neuland wie x\rgentinien entwickelte natur- gemäß sehr bald ein riesiges Kreditbedürfnis. Ebenso wie es not- wendig war, daß zum Anbau eines immer weiter spannenden Eisen- bahnnetzes, das einzig und allein der landwirtschaftlichen Expansion zu dienen hatte, Kapital aus dem Auslande hereinströmte, war auch für die Landwirtschaft selber das ausländische Gold nicht zu ent- behren, um die im Boden schlummernden reichen Naturschätze heben zu helfen, die als gewaltige Mengen von Nahrungsmitteln dem Weltmarkt nutzbar gemacht werden sollten. Argentinien selber war vor seiner Ein flechtung in weltwirtschaftliche Beziehungen ein gänzlich kapitalarmes Land. Sobald aber die Landwirtschaft durch ihren Export Überschüsse erzielte und die Bildung einheimischen Kapitals begann, beteiligte sich dieses wiederum an der weiteren andwirtschaftlichen Erschließung des Landes. Man hat mit Recht den Boden die Sparkasse des Argentiniers genannt. In einem Lande, in dem der Boden auch heute noch den fast alleinigen Anlagewert bietet, muß eine allgemeine Immobilisierung sowohl der herein- strömenden wie der im Inland flüssig werdenden Kapitalien statt- finden. So hat vor allem der Hypothekarkredit, dem sich in- und ausländisches Kapital gleicherweise zur Verfügung stellen, eine frühzeitige und an Bedeutung ständig zunehmende Verwendung gefunden. Die Form der hypothekarischen Kreditgewährung ist in Argentinien im Einklang mit der fortschreitenden Erschließung des Landes dem Geldgeber deshalb erwünscht, weil sich der Wert - 157 - der Ländereien, auch ohne die Einwirkung der Spekulation, durch fortschreitende Besiedelung, Nutzbarmachung für den Ackerbau und die Viehzucht ständig befestigt und hebt. Die Landwirtschaft und die von ihr abhängigen Industrien bevorzugen ihrerseits diese Kreditart, weil sie ihnen leichte Rückzahlungsbedingungen bietet. Für die kleinen Eigentümer ist die Möglichkeit, leicht Hypothekar- kredit zu erhalten, beim Ankauf von Land wichtig, der Grundkredit erleichtert das Selbständigwerden der Bauern und dient damit der inneren Kolonisation. Dagegen kommt der Hypothekarkredit für die viehzüchtenden Grundbesitzer in erster Linie als Meliorations- kredit in Frage, zur Anschaffung äußerst wertvoller ausländischer Rassetiere, die der Veredelung der einheimischen Viehbestände dienen, und zur Anlage kostspieliger Umzäunungen und Tränkvorrichtungen, die erst die Durchführung einer rationellen Zucht ermöglichen, weniger dagegen zur Errichtung neuer Bauten oder Bewässerungsanlagen. Die argentinische Viehzucht kennt keine Stallhaltung und braucht daher nur sehr wenige Gebäude, während Bewässerungsanlagen bei dem großen Umfang, in dem ihre Durchführung erst möglich und wirklich rationell ist, meist derartig hohe Aufwendungen be- anspruchen, daß sie nur vom Staat oder äußerst kapitalkräftigen Gesellschaften errichtet werden können. Die Kosten für die wichtigste Bodenmelioration endlich, die Umwandlung der natürlichen Gras- steppe in Luzerne weiden, pflegt der Grundbesitzer durch den Pacht- vertrag auf den Kolonisten abzuwälzen. Der Gesamtwert des hypothekarisch belasteten Grundbesitzes wurde 1915 auf 18 Milliarden Pesos geschätzt, die darauf ruhende Hypothekenlast betrug 2989 Mill. Pesos. Davon entfielen allein 910MÜI. auf die Hauptstadt und 918 Mill. auf die Provinz Buenos Aires1). Betrachtet man nur die l.ändlichen Hypotheken, so zeigt sich, daß sich dieselben der Zahl nach ziemlich gleichmäßig auf die ein- zelnen Besitzgrößenklassen verteilen2). Von 5338 im Jahre 1917 neu eingetragenen Hypotheken entfallen 1288 auf Besitze von 1 — 25 ha, 648 auf Besitze von 25 — 50 ha, 1709 auf Besitze von 50 — 300 ha und 1693 auf Besitze von über 300 ha. Dies beweist nicht, daß der Hypo- thekarkredit von Klein-, Mittel- und Großgrundbesitz gleichmäßig J) Vgl. den Bericht der zur Erforschung der Hypothekenverhältnissc eingesetzten Kommission in ,,L' Information", Paris vom 22. 1. 1916. *) Die folgenden Zahlen nach dem Bericht der Direccion de Estadistica Agricoia y Economia Rural vom 30. 10. 191 8. (In The Review of the River Plate, Buenos Aires, 13. 12. 1918, S. i49iff.) i58 - in Anspruch genommen wird. Nach ihren Wertbeträgen klassifiziert entfallen von den 170981614 Pesos im Jahre 1917 neu eingetragener Hypotheken nur 35742904 Pesos auf Beträge bis zu 30000 Pesos. Es ist sehr wohl angängig, hier die Grenze zu ziehen und Besitztümer, auf die Hypotheken bis zu diesem Betrage gegeben wurden, als Klein - und Mittelbesitz anzusprechen. Demnach hat der letztere 1917 nur 20% der gewährten Hypotheken auf sich genommen. Die Zahlen von 1917 stellen den Durchschnitt der Verhältnisse des letzten Jahr- zehnts dar. Der Hypothekarkredit kommt in überwiegendem Maße dem Großgrundbesitz, oder landwirtschaftlich gesprochen, der Vieh- zucht zu Hilfe. Nächstdem dient der Hypothekarkredit in erheblichem Maße der Bodenspekulation. Die folgende Tabelle zjgt das Verhältnis der Landkäufe zu den aufgenommenen ländlichen Hypotheken in 5 jährigen Abschnitten. Tabelle 36. Landverkäufe und Hypothekeneintragungen 1901 — 17. Werte in Pesos Verkäufe Hypotheken % 1901—05 643 185 147 332 160 811 52 1906 — 10 1 222 316 912 752941 122 62 1911— 15 1 518743423 1 334 4r3 998 88 1916 305 877 186 170342 317 56 1917 263 100 652 170 981 614 65 Von 1900 — 1915 ist entsprechend der riesigen Steigerung des Umfangs der Transaktionen in Grund und Boden der Betrag der Hypotheken rapide gestiegen, bis er in dem Jahrfünft 191 1 — 15 88% des Gesamt weites der im gleichen Zeitraum erfolgten Land- verkäufe erreichte. Der Schluß ist naheliegend, daß die ausgedehnten Landhandelsgeschäfte wesentlich auf dem Hypothekarkredit beruhen. Der Anreiz, mit seiner Hilfe trotz der sehr hohen Zinssätze, welche die Rentabilität erheblich herabsetzen, Land zu erwerben, liegt imrru r wieder in den Gewinnaussichten, die in zukünftiger Wertsteigeiung des Bodens liegen. Es ist überaus charakteristisch für die Volks- wirtschaft dieses immer noch in einer sprunghaften Entwicklung begriffenen Agrarlandes mit seiner gewaltigen kultivierbaren Boden- fläche und seiner Fülle unerschlossener Reichtümer, daß man unbe- - i59 ~ dcnklich Wechsel auf die zukünftige Entwicklung zieht. Man traut dem Boden, dem wichtigsten Faktor der nationalen Produktion, jede Belastung zu in der sicheren Erwartung, daß die mit dem ständigen Zustrom von Menschen und Kapital aus dem Auslande und mit ständig vermehrter Ausfuhr sich einstellende Wertsteigerung den Ausgleich bringen wird. Tatsächlich dient auch die Bodenspekulation in gewisser Weise positiv der landwirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Der Boden- spekulant läßt sein Land, ganz abgesehen von gewissen gesetzlichen Bestimmungen, die ihn, wenn es sich um Fiskalland handelt, zur Nutzung des Bodens zwingen, nicht brach liegen, sondern wird das Bestreben haben, solange er Eigentümer ist, sich die Ertragsfähigkeit seines Bodens nutzbar zu machen1). Ob er dies in mehr oder weniger intensiver Form tut, durch Viehzucht oder durch Ackerbau, ist in diesem Zusammenhange gleichgültig. Häufig wird er sein Land auf einige Jahre an Pächter aufteilen, um es durch sie Urbarmachen und bestellen zu lassen. Sein Interesse geht dabei weniger dahin, die Rentabilität günstiger zu gestalten, als auf Verbesserung und damit Wertsteigerung des Bodens, die er beim Wiederverkauf sich nutzbar machen will. Auf diese Weise wird auf dem Wege der länd- lichen Bodenspekulation neuer Boden urbar gemacht und immer neues Land in den Bereich der Bearbeitung einbezogen. Der für die Spekulation in Anspruch genommene Hypothekarkredit trägt so dazu bei, neue Gebiete landwirtschaftlich zu erschließen und die Grundlagen für die W7eltmarktproduktion zu verbreitern. Von der Gesamtsumme der im Jahre 1915 vorhandenen städtischen und ländlichen Hypotheken entfielen auf2): die nationale Hypothekenbank .... 583 Millionen Pesos andere Hypothekenbanken ..:... 866 Darlehns- und Diskontgesellschaften . . 198 „ ,, Versicherungsgesellschaften 32 „ „ private Darlehnsgeber 1285 Das Bedürfnis nach Hypothekarkredit wird also überwiegend durch Privatkapital befriedigt, 1915 betrug sein Anteil 43%. Dies gilt gleicherweise für die städtischen wie die ländlichen Hypotheken,. a) Vgl. W. D. Schwabacher, Der Hypothekarkredit in Argentinien, Berlin 1910, S. 13 ff. 2) The Argentine Year Book 1915/16, Buenos Aires und London,, 19x6, S. 297. — i6o — die Verteilung auf diese beiden Kategorien läßt sich im einzelnen nicht zahlenmäßig feststellen. Die Tatsache ist volkswirtschaftlich insofern bedeutsam, als der von Privatleuten gewährte Kredit eine wesentlich höhere Verzinsung verlangt als der bankmäßige. Die im Jahre 1886 gegründete nationale Hypothekenbank ist das bedeutendste unter den öffentlichen Immobilkreditinstituten des Landes. Die Bank gibt ihre Darlehn in Form 6%iger Pfand- briefe, Cedulas, die an der Börse von Buenos Aires sowie einer Reihe von europäischen Börsen gehandelt werden. Der Darlehn snehmer veräußert die ihm übergeben en Cedulas, deren Nominalbetrag als Hypothek auf sein Grundstück eingetragen wird, an der Börse, wobei er natürlich meist einen gewissen Kuisveilust zu tragen hat. Der Kurs der Pfandbriefe betrug im Durchschnitt der Jahre 1908 — 12 97,17, der Durchschnittskurs des Jahres 1915 : 90,37. Der im Statut der Bank vorgesehene Höchstumlauf swert von 500 Mill. Pesos Pfandbriefen wurde durch eine Reihe größerer schnell einander folgender Emissionen bereits 19 13 erreicht. Diese überstürzte Ausdehnung des staatlichen Immobiliarkredits wurde nicht mit Unrecht als ein Moment angesehen, das zu dem ungesunden Überhandnehmen der Bodenspekulation bei- trug1). Auf der Antwerpener Börse, die bis zum Kriege den wichtigsten Absatzmarkt der argentinischen Pfandbriefe darstellte und von der der argentinische Hypothekarkredit zum guten Teil abhängig war, er- regte damals das rasche Anschwellen der Cedulas große Bedenken und führte zu ihrer vorübergehenden Sperre2). Dennoch wurde das Pfand- briefkontingent der Bank erhöht, und 1915 betrug der Umlauf an Cedulas 583 142645 Pesos3). Während des Krieges hat sich die Bank als ein äußerst wohlfundiertes Institut bewährt. Sie befolgte eine vorsichtige Finanz- und Kreditpolitik, und ihre Obligationen behielten das allgemeine Ver- trauen des In- und Auslandes. Die nationale Hypothekenbank hat sowohl der Erschließung des Landes wie der Anregung der städtischen Bautätigkeit zu dienen. Ihre Darlehn verteilen sich dementsprechend ziemlich gleichmäßig auf städtische und ländliche Besitzt, 1917 z. B. betrugen die länd- lichen 57% der in diesem Jahre erteilten Gesamtkredite. Betrachtet man den Anteil der Bank an dem gesamten landwirtschaftlichen Hypothekarkredit des Landes, so tritt ihre Bedeutung noch stark zurück. Auf ländliche Grundstücke wurden Hypotheken neu ein- getragen : x) Vgl. Mitteilungen des Deutsch-Argentinischen Zentral- verbandes, 1913, 7. Heft, S. 258. 2) ebenda, 1914, 2. Heft, S. 65. 3) El Comercio Exterior Argentino, Boletin Nr. 176, Direcciön General de Estadistica de la Naciön, 191 8, S. 56. — i6i insgesamt Werte in Pesos davon von der nationalen Hypothekenbank 908 136772302 917 170 981 614 13 695 300 == 10% 28168509 = 16% Im Durchschnitt des angegebenen Jahrzehnts hat die Bank nur mit einem Sechstel zu der Gesamtbeleihung des ländüchen Grund- besitzes beigetragen. Es sind vorwiegend die großen Viehzucht- betriebe, denen ihr billiger Hypothekarkredit zugute kommt. Immer- hin beweist die allmähliche Zunahme der kleinen und mittleren Dar- lehn, daß die Bank sich in steigendem Maße in den Dienst der Klein- bauern zu stellen sucht1). Die privaten Hypothekenbanken des Landes sind, von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, ausländisch. Soweit sie in größerem Umfange landwirtschaftlichen Boden beleihen, sind vor allem zwei französische Institute hervorzuheben. Die „Franko- argentinische Hypothekenbank" arbeitet fast ausschließlich für die Landwirtschaft. Ihr Hypothekenbestand betrug am 30. 6. 1916 234756550 Fr., davon entfielen 218456600 Fr. oder 93% auf länd- liche Grundstücke. Von insgesamt 191314267 Fr. Darlehn des ,, Credit Foncier Argentin" entfielen zur gleichen Zeit 129844434 Fr. auf ländlichen Grund und Boden2). Von den englischen Unter- nehmungen seien erwähnt die ,, River Plate Trust, Loan and Agency Company'* und die „New Zealand and River Plate Land Mortgage Company". Eine wichtigere Stellung als diese nehmen die belgischen Unternehmungen ein, die sich besonders der Finanzierung großer Viehzuchtbetriebe gewidmet haben. Daneben gibt es schweizerische und holländische Hypothekenbanken; deutsches Kapital ist nicht vertreten. Unter den argentinischen Instituten ist die „Caja de Credito Hipotecario" erwähnenswert, deren Hypothekenguthaben 19 14 etwa 30 Mill. M. betrugen3). l) Vgl. Internationale Agrarökonomische Kundschau, 1914, Heft 1, S. 50. *) L'Information, Paris, 27. 12. 1916. 3) The Argentine Year Book 1915/16, S. 356. Vgl. hierzu Paul E. Smets, L'organisation du credit foncier dans la Republique Argentine, Ant- werpen 191 1, S. 6jü.y wo sich ausführliche Angaben über die ausländischen Hypothekeninstitute, im besonderen die belgischen, finden. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. * r — 162 — Untersuchen wir kurz die Frage, wie hoch die argentinische Volks- wirtschaft dem Auslande durch seine Hypothekarschuld tributpflichtig ist1). Von den Pfandbriefen der Nationalhypothekenbank befanden sich 1915 fast 50% im Betrage von rund 300 Mill. Pesos im Ausland. Das sonstige ausländische Kapital in Hypotheken betrug abzüglich der Til- gungen 768219000 Pesos. Setzen wir für die ersteren die 6%ige Ver- zinsung ein, für das letztere eine solche von 6,1 %2), so ergibt sich eine an das Ausland zu zahlende Gesamtzinssumme von 18 -f- 46,9 = 64,9 Mill. Pesos als Verzinsung einer Schuld von mehr denn einer Milliarde. Der Zinsfuß der argentinischen Hypotheken ist ein relativ hoher. Die nationale Hypothekenbank, die als staatliches Institut nicht nach dem kaufmännischen Erwerbsprinzip der privaten Kredit- institute arbeitet, sondern allgemein volkswirtschaftlichen Interessen und dem Fortschritt des Landes dienen soll, stellt mit ihrer 6% igen Verzinsung eine Ausnahme dar. Den Vorteil dieses niedrigen Zins- satzes genießt, wie wir sahen, nur gut ein Fünftel der argentinischen Hypotheken. Vor allem der private Darlehnsgeber verlangt eine weit höhere Verzinsung. Der landesübliche Satz beträgt 9 — 12%. Im Innern des Landes sind Sätze über 12% nichts Ungewöhnliches. Diese im Vergleich zu alten Kulturländern außerordentlich hohen Zinssätze erklären sich nur zum geringen Teil daraus, daß ,,der starke Geldkreditbedarf wesentlich über die Verdienste, die der Ausfuhr- überschuß dem Lande einbringt, und die ins Land geführten fremden Kapitalien hinausgeht"3), wenn auch zuzugeben ist, daß im allgemeinen sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Geldmarkt durch die Zinssätze ausdrückt. Ausschlaggebend ist für deren Höhe vielmehr die ganze wirtschaftliche Struktur des agrarischen Neu- landes, sind eine Reihe von Tatsachen und Imponderabilien, die hohe Zinssätze zu einer für wirtschaftliche Neuländer typischen Erscheinung machen. Die fortschreitende landwirtschaftliche Ent- wicklung verlangt immer neue Kapitalanlagen im Grund und Boden. Die ständige Wertsteigerung gestattet andererseits eine stärkere Belastung des letzteren. Der Geldgeber macht sich diese Entwicklung zunutze, indem er einen Teil des auch durch die Mitwirkung seines Darlehns sich erhöhenden Bodenwertes in Form eines hohen Zins- satzes in die eigene Tasche ableitet. *) Nach El Intercambio Econömico, Boletin Nr. 176, Direcciön General de Estadistica de la Nacion, 191 8, S. 56—57. 2) Die amtliche Statistik errechnet einen Durchschnittszinsfuß von 8,1% und zieht davon 2% ab, die in Gestalt von Verwaltungsunkosten usw. im Lande bleiben. 8) Schwabacher a. a. O., S. 12. - I63 - Ferner trägt die Unsicherheit der landwirtschaftlichen Verhält- nisse zur Erhöhung des Hypothekenzinssatzes bei. Besonders für die Beleihung von dem Getreideanbau gewidmeten Ländereien ist eine gewisse Risiko prämie angesichts der kolossalen Schwankungen im Ernteausfall nicht ungerechtfertigt. Allerdings gilt hier die Ein- schränkung, daß die argentinische Viehzucht mit ziemlich stabilen Erträgnissen rechnen kann, und, da der größere Teil der Hypotheken auf Viehzuchtgroßbetriebe • ntfällt, ist eine Risikoprärnie, im Gegen- satz zu den Verhältnissen beim Personalkredit, beim gesamten im- mobilen Realkredit durch die tatsächlichen Verhältnisse eigentlich weniger begründet. Der Hypothekengläubiger kann seine Ausfälle, die ihm durch zeitweilige Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners entstehen, im Notfall immer aus dem Verkauf des betreffenden Landes decken. Da Hypotheken an zweiter Stelle so gut wie unbekannt sind, andererseits die durchschnittlichen Beleihungen über die Grenze von 40% des geschätzten Wertes selten hinausgehen dürften1), so pflegen bei derartigen Verkäufen dem Gläubiger keine Verluste zu entstehen. Verträgt sich die hohe Verzinsung mit der Rentabilität der auf dem beliehenen Boden beLiebenen Landwirtschaft ? Was die großen Viehzuchtbetriebe betrifft, die in ihrer großen Mehrzahl schon längere Zeit in der Hand ihrer Eigentümer sind und diesen billig zu Buche stehen, so ist diese Frage ohne weiteres zu bejahen. Anders ist es bei den kleineren Acker wirtschaften, die von ihren Eigentümern erst in jüngster Zeit zu hohen Preisen erworben wurden. Hier machen ungünstige Ernteausfälle es dem Besitzer sehr leicht unmöglich, seinen Zinsverbindlichkeiten nachzukommen. Bei dem hypothe- karisch belasteten Kleinbesitz vermindern zweifellos die hohen Zins- sätze angesichts der gesteigerten Produktionskosten vielfach die Rentabilität in bedenklichem Maße. Darum ist gerade der ackerbau- treibende Klein- und Mittelbesitz besonders auf den billigen Kredit der staatlichen Hypothekenbank angewiesen. Daß'1 im übrigen eine 10% ige Hypotheken Verzinsung die Produktionskosten des Acker- baus nicht stärker belastet als der Durchschnitt spachtsatz, den der nicht grundbesitzende Bauer zu entrichten hat, möge folgende Be- rechnung nachweisen. Die eingesetzten Zahlenwerte sind normale Durchschnittswerte, zu denen wir im Verlauf unserer Betrachtungen bereits gelangt sind2). Wir legen eine Betriebsgröße von 200 ha zu- grunde. Für diese beträgt der Kaufschilling bei einem Preis von *) Schwabacher a. a. O., S. 5. 2) Vgl. S. 140 u. 150. — i$4 — 200 Pesos für den Hektar 40000 Pesos. Deren io%ige Verzinsung ergibt einen jährlichen Zu sauf wand von 4000 Pesos. Bei einem Pachtsatz von 20 Pesos für den Hektar ergibt sich für die gleiche Betriebsgröße ein Pachtzinsaufwand von ebenfalls 4000 Pesos. Die Belastung ist also in beiden Fällen gleich hoch. Dieselben Tatsachen, welche die durchschnittlichen Geld- und Anteilpachtsätze als zu hoch erscheinen lassen, sprechen auch gegen die Fähigkeit des Ackerbaus, die hohen Grundzinsen auf die Dauer zu tragen, ohne in seiner Produktionstätigkeit ernstlich behindert zu sein1). 2. Kapitel Der landwirtschaftliche Betriebskredit. Gegenüber der fortgeschrittenen Organisation des Bodenkredits hat die fast gewaltsam zu nennende Evolution des argentinischen Ackerbaus zur Ausbildung eines organisierten landwirtschaftlichen Betriebskredits keine Zeit gelassen. Für ein agrarisches Neuland, in dem es sich darum handelt, einer großen Menge mittelloser Ein- wanderer, Kolonisten und Pächter die Betriebsmittel in die Hand zu geben, mit deren Hilfe sie die weiten Flächen verfügbaren Bodens in Produktionszustand versetzen können, ist der Betriebskredit von eminenter Wichtigkeit. Von der Möglichkeit, Betriebskredit zu erhalten, hängt die Zahl der Personen, die selbständig Ackerbau treiben können, d. h. die Zahl der Betriebe und damit zugleich die Ausdehnung der Anbauflächen sehr wesentlich ab. Anders aus- gedrückt: Umfang des zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Betriebskredits und Umfang der (für die Ausfuhr verfügbaren) Ge- treideproduktion stehen in sehr enger Wechselbeziehung zueinander. Für die Gesamtheit der argentinischen für den Export produ- zierenden Getrei'debauern und insbesondere für die große Masse der besitzlosen Pacht kolonisten ist die Beschaffung billigen Betriebs- kredits von ausschlaggebendem Einfluß auf ihre Wirtschaftsführung, ja ihre Produktions- und Konkurrenzmöglichkeit überhaupt. Gerade der durch ein fehlerhaftes Kreditsystem verursachte Mangel an Betriebskapital ist eine wesentliche Ursache für die allgemeine *) Sehr oberflächlich ist das Urteil von P. Emm. Smets, a. a. O., S. 47: „. . . . il est certain que la fertilite de la terre permet au eultivateur de payer un interet tres eleve, qui constitue en somme pour ainsi dire la seule depense effective qu'il ait ä faire." - i65 - Notlage der argentinischen Pächter. Diese konnten bisher einen eigentlichen, direkt gewährten Betriebskredit kaum erhalten. Die Banken, deren Kapital durch die Bedürfnisse des Handelskredits völlig in Anspruch genommen ist, wollen ihre Gelder nicht in un- sicherem ländlichem Personalkredit anlegen und sind durchweg ganz deutlich abgeneigt, sich auf Kreditgeschäfte mit Pächtern und Klein- bauern einzulassen. So ist der kreditsuchende Bauer auf eine andere Geldquelle angewiesen. Er findet sie in dem in allen kleinen Städtchen und Dörfern des Inneren ansässigen Händler — Almacenero — , dem Dorfkrämer. Das ist der Mann, der Kredit gibt, der Saatgut, Kleider und Mähmaschinen vorschießt und so dem Kolonisten hilft, die reichen Schätze des Bodens nutzbar zu machen. Er ist der eigent- liche Angelpunkt, um den die Wirtschaft der Pachtkolonie kreist, die er versorgt. Kein Vordringen von Banken und Genossenschafts- wesen wird seine Stellung so bald erschüttern können. Seine Langmut im Gewähren immer neuer Vorschüsse pflegt ebenso unerschöpf- lich zu sein, wie die Vorräte und Waren mannigfaltig sind, die sein Lager enthält, aus dem er alle Lebensbedürfnisse des Kolonisten befriedigen kann. Er gibt dem Kolonisten nach mißratener Ernte neue Vorschüsse, die es ihm ermöglichen, überhaupt seinen Betrieb fort- zuführen und eine neue Bestellung vorzunehmen. Er wartet geduldig auf die gute Ernte, weiche ihm die Deckung seiner Guthaben mit Zins und Zinseszins bringen wird. Ausfälle, die ihm durch Zahlungsunfähig- keit oder heimliches Verschwinden schuldenüberlasteter Kolonisten ent- stehen, weiß er auszugleichen, indem er den zahlungsfähig bleibenden Schuldnern um so höhere Zinsen abnimmt. Nach einer Reihe von Jahren pflegt er sich als reicher Mann in die Stadt zurückzuziehen. Sehr häufig ist die Person dieses kreditgebenden Dorfkrämers identisch mit der des Pachtunternehmers, der große Flächen pacht- weise übernimmt, um sie an Pachtkolonisten aufzuteilen. Er ver- bindet mit seinem Pacht- (,, Kolonisation" -) geschärt meist das Halten eines Kaufladens (almacen), in dem der Kolonist alles zum Leben Nötige erhalten kann. Da ein großer Teil der Kolonisten ohne größeres Betriebskapital ist, der Generalpächter aber unbedingt Pachtkolo- nisten braucht, die eine Rente produzieren, so wird diesen ein Handels- kredit, der als versteckter Betriebskredit bezeichnet werden kann, eröffnet. Er erstreckt sich auf Lebensmittel und Bekleidung sowohl wie auf Saatgut und landwirtschaftliche Maschinen. Mitunter wird sogar unmittelbar vor der Ernte Barkredit zur Entlohnung ange- nommener Arbeiter gewährt. So gerät gerade der Pächter allzu häufig — i66 — von Anfang an in drückende Abhängigkeit vom Almacenero, bei dem er alle Waren und täglichen Bedarfsartikel kaufen muß, selbst- verständlich zu entsprechend erhöhten Preisen, dem er schließlich seine Ernte verkaufen muß, um seine Verbindlichkeiten zu erfüllen. Vielerorts herrscht ein geradezu klassisches Trucksystem. Die Ver- zinsung der Bardarlehn wie der gelieferten Waren ist eine sehr hohe. Dieses Kreditsystem bildet für den Gläubiger allzu häufig eine Schraube ohne Ende, mittels deren er aus dem zum frohndenden Lohnarbeiter gewordenen Kolonisten soviel wie nur irgend möglich herausholt; mit dem Gewinn deckt er reichlich die Ausfälle, die entstehen, wenn zahlungsunfähige Kolonisten am Ende ihrer ökono- mischen Kraft sind oder gar das Weite suchen, ein Fall, der nicht allzu selten ist. Damit übt das gegenwärtig noch vorherrschende Kreditsystem zugleich auf Anbautechnik und Ernteausfall einen ungünstigen Einfluß aus. Es nimmt dem Bauern die Lust, sich um Ertragssteige- rung zu mühen, wenn er voraussieht, daß der in der Ernte realisierte Lohn seiner Arbeit vielleicht kaum ausreichen wird, um seine durch ausbeuterische Zinsen vermehrten Schulden zu begleichen. Zum anderen aber ist äußerst bedenklich, daß der relativ leicht erreichbare Kredit eine große Zahl von Leuten dazu verführt, den Beruf des im Pachtverhältnis arbeitenden Landwirts zu ergreifen, obwohl sie für denselben nicht die geringsten Voraussetzungen und Kenntnisse mitbringen. Hierin ist meines Erachten s ein wesentlicher Grund dafür zu erblicken, daß sich überwiegend ungelernte Landwirte im landwirtschaftlichen Beruf befinden und daß die Technik des argen- tinischen Ackerbaus heute noch eine so tiefstehende ist. Gewöhnlich wird die Schuld an diesem Tiefstand allein dem Pachtsystem mit seinen kurzen Vertragsfristen und seinem Raubbaucharakter zugeschrieben, das keine technische Entwicklung des Ackerbaus aufkommen läßt. In seiner Gesamtwirkung betrachtet führt das geschilderte Kreditsystem durch die Erweiterung des für die Bewirtschaftung eigener Ackerbaubetriebe in Betracht kommenden Personenkreises zu einer Vermehrung der für den Export produzierten Getreide- mengen. Diesem Weltmarktvorteil stehen die bereits angedeuteten volkswirtschaftlichen Nachteile gegenüber, die in der wirtschaftlichen Lage der Getreideproduzenten in Erscheinung treten. Letzten Endes tritt auch hier wieder die der argentinischen Landwirtschaft eigene Tendenz hervor, die Weltmarktinteressen vor die der inländischen Erzeuger zu stellen. - i67 - Sehr treffend charakterisiert Pfannenschmidt1) die Bedeutung des kreditgewährenden Pachtunternehmers bzw. Almaceneros für den Ackerbau nach ihrer positiven wie negativen Seite folgendermaßen: ,,. . . der Kolonisator entwickelt sich gleichzeitig zum Bankier und Ver- trauensmann des Chacareros, Darlehn gebend und bisweilen nach guten Ernten Einlagen empfangend. Durch dieses System wird die Ansiedlung wenig bemittelter Leute wesentlich gefördert, und Arbeiter, die als fleißig, sparsam und solide sich eines guten Rufes erfreuen, sollen mit sehr ge- ringen Ersparnissen als Teilpächter beginnen können, da ihnen Pferde, Ochsen, Wagen, landwirtschaftliche Maschinen usw. von dem Almacenero verabfolgt werden, sofern der Kolonisator nicht die erforderliche Zahl von Leuten mit eigenem Kapital auftreiben kann. In dieser Beziehung ist dem Kolonisator die Rolle des Kulturträgers nicht abzuerkennen, obwohl seine Fürsorge für den Kolonisten altruistischen Ideen nicht ent- stammt und immer und immer wieder Klage darüber geführt wird, daß die Kolonisten unter der Last der Almaceneroverpflichtungen schwer zu leiden haben, und ein gedeihliches Vorwärtskommen nur in selten günstigen Jahren erreicht wird." Der eben betrachtete Betriebskredit ist ein reiner Personal- kredit. Normalerweise wird für dessen Gewährung das Vertrauen zu der Persönlichkeit und den wirtschaftlichen Fähigkeiten der Person des Kreditnehmers ausschlaggebend sein. Im argentinischen Ackerbau tritt nun aber das für den Personalkredit so wichtige Moment der Tüchtigkeit und des beruflichen Fleißes unter Umständen er- heblich zurück. Der Ertrag wird nicht in erster Linie und ausschließ- lich durch die landwirtschaftliche Tüchtigkeit des Kolonisten be- stimmt. Die Ernteergebnisse sind zu sehr von Zufallsfaktoren ab- hängig, die durch Arbeit und Fleiß nicht beeinflußt werden können. Tritt während der Haupt Wachstumsperiode monatelange Dürre ein, schlagen Hagelwetter die Frucht entzwei oder vernichten sie Millionen von Heuschrecken noch kurz vor der Ernte, so nützen weder Fleiß noch landwirtschaftliches Können dem Betroffenen. Die Folge der großen Ernteschwankungen ist, daß das kreditierte Betriebskapital oft über die Betriebsperiode eines Ernte Jahres hinaus festgehalten wird. In dieser häufigen Prolongierung des Personalkredits, der seiner Natur nach kurzfristig ist, liegt das besondere Risiko für den Almacenero. Die Gefahr, welche für den Kreditgeber in der Unsicherheit der Ernteerträge und häufigen Unzuverlässigkeit der Kolonisten liegt, rechtfertigt unbedingt eine gewisse Risikoprämie, die sich in gesteigerten Zinssätzen ausdrückt. Die Verzinsung bewegt sich zwischen *) a. a. O., S. 20. — iöö — io und 15%. Andererseits ist der Geschäftsbereich dieser privaten Kreditgeber auf einen viel zu kleinen Bezirk beschränkt, als daß ein Ausgleich der Risiken stattfinden könnte, durch den allein eine Ermäßigung des Zinsfußes möglich ist. Ein letzter Grund endlich für die Höhe der Zinssätze scheint darin zu liegen, daß mit der Aus- dehnung der Anbauflächen und der vermehrten Zahl der Kredit- suchenden die der Kreditgeber und ihrer Kapitalien nicht im gleichen Umfang zugenommen hat und die Nachfrage nach Kredit das Angebot erheblich übersteigt1). Ein großes öffentliches Betriebskreditinstitut für die Landwirtschaft ist noch nicht vorhanden. Das Projekt des ,,Banco Agricola", eines staatlichen Zentralinstituts für landwirt- schaftlichen Kredit, hat trotz lebhafter Bemühungen einsichtiger Kreise und mehrfacher Wiedereinbringung im argentinischen Par- lament bisher nicht die genügende Stimmenmehrheit gefunden. Der von der Nationalbank an Landwirte gewährte Personalkredit hält sich in bescheidenen Grenzen. Freilich kommt auch der von der Staatsbank dem auf dem Lande ansässigen Kaufmann, der ja stets der Kommanditär des Bauern ist, gewährte Kredit indirekt der Landwirtschaft zugute. Gerade für den kleinen Landwirt war es bisher im allgemeinen sehr schwierig, Personalkredit bei der National- bank zu erhalten. Nach ihrem Jahresbericht für 1917 2) gab die Bank in diesem Jahre Darlehn an Ackerbauer im Betrage von 50065810 Pesos, an Viehzüchter im Betrage von 186293557 Pesos. Bank- mäßiger Kredit steht, wie bereits betont, den großgrundbesitzenden Viehzüchtern reichlich zur Verfügung, dem Kleinbauern und Pächter ist er schwer zugänglich. Der erwähnte Jahresbericht betont zwar, daß gerade kleinen Landwirten für Bestellung und Ernte Darlehn zu liberalen Bedingungen gewährt wurden und die Bank vielen Bauern half, bessere Preise für ihr Getreide zu erzielen und nicht Opfer der Spekulanten zu werden. Nach der Mißernte 1916/17 machte sich für die notleidenden Kolonisten die Einleitung einer umfangreichen staatlichen Hilfsaktion notwendig, die von der Nationalbank finanziert wurde. Der Staat kaufte für rund 20 Mill. M. Saatgut auf und gab es zum Selbstkostenpreis an Kolonisten ab, die mittellos waren und ohne diese Hilfe ihren Betrieb nicht hätten fortsetzen können. Mit diesem staatlichen Saatgut, dessen Bezahlung bis zur nächsten Ernte a) Vgl. Internationale Agrarökonomische Rundschau, 1913, Heft 7, S. 93 ff.: „Die Frage des landwirtschaftlichen Betriebskredits auf dem zweiten argentinischen Landeskongreß für Handel und Industrie." 2) in The Standard, Buenos Aires, 13. 6. 1918. — 1 69 — gestundet wurde, wurden fast 20% der gesamten Anbaufläche von Weizen und Leinsaat bestellt1). Für die Einbringung der Ernte wurden den Bauern erneut Vorschüsse gegeben, die entsprechend den tatsächlichen Unkosten für Mähen, Dreschen und Säcke sowie Transport der Ernte zur Bahnstation festgesetzt waren und bis zu 24 Pesos pro Hektar betragen konnten2). Dieses aus der Notlage eines großen Teils der Getreideproduzenten geborene Vorgehen der Nationalbank auf dem Gebiete landwirtschaftlichen Betriebskredits ist in seiner Bedeutung nicht hoch genug anzuschlagen3). Auf eine besondere Art hat man in Argentinien das Problem des landwirtschaftlichen Betriebskredits durch die im Oktober 1914 erlassenen Gesetze über landwirtschaftliche Lagerscheine und über die Verpfändung landwirtschaftlichen Inventars zu lösen versucht4). Diese Gesetze sind der Niederschlag des Bestrebens,, einerseits ohne die Schaffung eines staatlichen Betriebskreditinstituts auszukommen, andererseits an die Stelle des unsicheren Personal- kredits einen auf handgreiflichen Sicherungen beruhenden Realkredit zu setzen und so das Heranströmen privaten Kapitals zu begünstigen. Die Beleihung von Feldfrüchten und Erzeugnissen der Viehzucht erfolgt durch Warrants, Urkunden, in denen ein Lagerhalter „den Empfang eines näher bezeichneten Gutes zur Einlagerung bescheinigt und zugleich die Verpflichtung übernimmt, das Gut gegen Rück- gabe des Scheines an den Einlagerer oder an einen Dritten nach Bezahlung der Lagerkosten und sonstigen Spesen auszuliefern5)." 1) Supplement to Commerce Reports, Nr. 38a, 27. 2. 1919, S. 7. 2) Vgl. La Prensa vom 15. 6. 1918. 3) 1918 betrugen die Darlehn der Nationalbank an Ackerbauer 60,47 Mill., an Viehzüchter 108,4 Mill. Pesos. Im einzelnen wurden folgende Betriebskredite gewährt : Für die Ernte von Weizen, Leinsaat, Mais 17 579 716 Pesos auf Weizen, Leinsaat, Mais in Korn ,, Wein . . a u J7 923 553 durch v 677 45o Ver- , 330 706 PfändunS 38 000 ,, Zuckerrohr „ Reis und Erdnüsse Die gesamten Diskonte der Bank betrugen 1918: 508,85 Mill. Pesos, davon ent- fielen auf die Landwirtschaft 168,91 Mill. oder rund 33%. (Geschäftsbericht der Nationalbank für das Jahr 191 8 in „Buenos Aires Handelszeitung" Nr. 1602, 15. 3. 1919, S. 2.) 4) Leyes 9643 y 9644 sobre Warrants y Prenda Agraria y sus de- cretos reglementarios. Boletin Oficial, Buenos Aires, 20. 11. 1914. 6) A. Adler, Art. „Lagerhäuser" im Handwörterbuch der Staatswissen- schaften, 3. Aufl., VI. Bd., S. 314. — i;o — Derartige indossable Lagerscheine können von allen Lagerhausunter- nehmungen — es handelt sich in Argentinien nur um private Unter- nehmungen, in erster Linie die Eisenbahngesellschaften — ausge- stellt werden, die den im Gesetz gestellten Anforderungen betreffend Sichei heit gegen Feuer- und sonstige Schäden, Überwachung und Klassifikation der hinterlegten Waren, Tarife für die Lagerungs- gebühren usw. genügen. Die Lagerscheine werden auf den Namen des Berechtigten ausgestellt, und die erste Indossierung wird in die Bücher der die Urkunde ausstellenden Unternehmung eingetragen. Wird der Inhaber des Warrant am Zahlungstermin nicht befriedigt, so kann er die öffentliche Versteigerung der verpfändeten Ware binnen 6 Tagen verlangen und aus dem Erlös sein Guthaben decken. Das Gesetz bietet für den Darlehr) sgeber ausreichende Garantien, die notwendig sind, um das Privatkapital anzulocken und die zugleich dadurch, daß die Berechtigung einer besonderen Risikoentschädigung, welche das bisherige Kreditsystem charakterisierte, entfällt, im Sinne einer Ermäßigung des Zinssatzes wirksam werden können. Dieser Lagerscheinkredit kann nach der Natur der Sache von dem Landwirt erst benutzt werden, nachdem er seine Ernte eingebracht und aufgespeichert hat, also erst am Ende des landwirtschaftlichen Betriebsjahres. Es fehlte noch ein Kredit, mit dessen Hilfe die Be- stellung der Felder und die Erntearbeiten selber durchgeführt werden konnten. Gerade die Unkosten für letztere sind während des Krieges durch die gesteigerten Löhne, vor allem aber auch durch die riesige Preissteigerung für Jutesäcke und Sisalhanf außerordentlich in die Höhe getrieben worden1). Um diesem vor der Ernte besonders not- wendigen Betriebskredit eine reale Grundlage zu geben, ist durch das Gesetz Nr. 9644 den Landwirten auch die Aufnahme von Anleihen gegen Verpfändung von landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen, Haustieren aller Art sowie sonstigem landwirtschaftlichen Inventar, endlich auch der aus dem Jahre des Darlehnsvertrages stammenden noch auf dem Halm oder an dem Baum befindlichen Feldfrüchte J) Grade zur Erntezeit werden die Preise für Säcke und Bindegarn durch den Sacktrust und durch Spekulanten häufig um das Doppelte und mehr ihres normalen Standes gesteigert. Als Hilfsaktion der Regierung für die Kolonisten wird in vielen Jahren der Ankauf von Getreidesäcken und Bindegarn von Staats- wegen und deren Verkauf an die Bauern zum Selbstkostenpreis angeordnet. ■(Vgl. Mitteilungen des Deutsch-Argentinischen Zentralverbandes, 1913, S. 261.) — '7' — sowie Wälder ermöglicht1). Die Bestellung eines derartigen landwirt- schaftlichen Pfandrechts zur Sicherung einer Darlehnsforderung kann durch öffentlichen Rechtsakt oder privaten Vertrag erfolgen. Dritten gegenüber wird sie erst wirksam, sobald sie in ein öffent- liches Register eingetragen ist. Hierzu dienen die landwirtschaft- lichen Register (registro agricola ganadero), die in allen größeren Orten des Landes von der lokalen Zivilverwaltungsbehörde geführt werden. Der Pfandschein über die landwirtschaftlichen Inventar- stücke ist ebenso wie der Lagerschein durch Indossierung übertrag- bar, die Indossierung wird in die erwähnten Register eingetragen. Diese „Prestamos agrarios" können naturgemäß ganz unabhängig von der Person und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Kreditnehmers gewährt werden, es genügt ein Zeugnis, welches das Vorhandensein und die Verfügungsberechtigung über das zu verpfändende tote oder lebende Inventar oder Getreide nachweist. Das aus den Bedürfnissen der argentinischen Landwirtschaft erwachsene Agrarpfandrecht stellt eine eigenartige Vereinigung von Bestimmungen des Wechselrechts mit hypothekarrechtlichen Grundsätzen dar2). Es hat in der kurzen Zeit seines Bestehens bereits segensreich gewirkt und bedeutet für die Kreditversorgung des argen- tinischen Kolonisten einen entscheidenden Fortschritt. Im Jahre 1915 wurden 7954 Pfandverträge im Gesamtbetrag von 72 Mill. Pesos abgeschlossen. Nach Art der verpfändeten Erzeugnisse entfielen 40 % auf eigentliche Ackerbauprodukte, 50 % auf Vieh und 10 % auf totes Inventar3). Von der Zahl der Pfanddarlehn entfielen 65% auf Darlehnsbeträge von 500 — 10 000 Pesos, d. h. also auf kleine und mittlere Betriebe. Von Begründung des Gesetzes bis zum 31. 12. 1917 wurden insgesamt 32915 Darlehn ,,de prenda", also 11 000 im Jahresdurchschnitt, im Gesamtwert von 318 Mill. Pesos eingetragen. Da von diesem Betrage je die Hälfte auf Viehzüchter und Acker- bauer entfielen, hat das Gesetz den Getreidebauern einen Betriebs- kredit von rund 50 Mill. Pesos jährlich zugänglich gemacht4). Der ^ 2) Internationale Agrarökonomische Rundschau, 1915, Heft 6, S. 07 ff. 2) Vgl. Weitwirtschaftliches Archiv, n. Bd. Jena 1917, Chronik und Archivalien S. 68. 3) Internationale Agrarökonomische Rundschau, 1916, Heft 9, S. 54. 4) Nach dem Bericht des Director del Registro Agricola Ganadero im „Buenos Aires-Herald", Buenos Aires, 16. 6. 1918. — i;2 — Zinsfuß, zu dem die Nationalbank nach den Bestimmungen d;s Gesetzes Pfanddarlehn gibt, beträgt 7%. Die Beleihungssätze sind verschieden. Anfang 1918 wurden z. B. wegen der damals sehr niedrigen Maispreise die Vorschüsse auf Mais bis 1,20 Pesos pro Quintal (45,9 kg) der auf dem Felde stehenden Ernte und auf 2,00 Pesos pro Quintal der entkörnten und aufgespeicherten Ware erhöht1). Der besondere Wert des Warrantkredits liegt daiin, daß er den Getreideproduzenten die Möglichkeit gibt, nach der Ernte ihre Ver- bindlichkeiten erfüllen zu können, ohne zum sofortigen Verkauf der Ernte gezwungen zu sein. Der Bauer kann auf diese Weise die niedrigen Prdse umgehen, welche dadurch entstehen , daß alle gleichzeitig anbieten. Der Kolonist, der infolge von Gddnot seine Ernte sofort verkaufen muß, erleidet beträchtlichen Schaden dadurch, daß er sein Getreide unverzüglich dem Verladepiatz zuführen muß, oft mit einer Beschleunigung, die ihm besondere Unkosten verursacht2). Die Möglichkeit, mit Hilfe des Warrant den Verkauf aufschieben zu können, wird, wenn von ihr allgemeiner Gebrauch gemacht wird, regulierend auf den 'gesamten Getreidetransport einwirken und die schweren Unzuträglichkeiten beseitigen helfen, die durch die Über- lastung der Bahnen unmittelbar nach der Ernte entstehen. Eine allgemeinere Benutzung des Warrantkredits mußte bisher daran scheitern, daß nicht die genügende Zahl von Getreide- speichern vorhanden ist, die natürlich eine unerläßliche Voraus- setzung für die Anwendung dieses Kreditsystems sind. Während in den großen Hafenplätzen Buenos Aires, Rosario und Bahia Bianca gewaltige Elevatoren und Siloanlagen aufgeführt worden sind, fehlt es auf dem Lande, auf den Gütern sowohl wie auf den Bahnstationen noch sehr an dem notwendigen Lagerraum. Es ist wiederum überaus charakteristisch für die wirtschaftlichen Verhältnisse Argentiniens und für das Tempo seiner agrarischen Entwicklung, daß in dem ganz auf den Getreideexport eingestellten Lande nicht der vermehrten Produktion entsprechend die nötigen Lagerräume geschaffen wurden, welche die ständig wachsenden Getreidemengen fassen konnten. In den Monaten Januar, Februar und März bietet sich dem Reisenden im Innern des Landes auf jeder Bahnstation dasselbe Bild: Gewal^je, im Freien aufgestapelte häuserhohe Pyramiden von Weizensäcken, allen Unbilden der Witterung ausgesetzt, höchstens durch Planen mangelhaft geschützt. Natürlich ist eine vielfach eintretende erhebliche Entwertung J) La Prensa, 24. 5. 1918. 2) P. E. Smets a. a. O., S. 36. - «73 — der Ernte durch Feuchtigkeit die Folge. Auf Grund einer Erhebung des Ackerbauministeriums wurde z. B. im Jahre 1914 der infolge anormaler Regenfälle in den Monaten April und Mai an der bereits eingebrachten Maisernte eingetretene Verlust auf 20% bewertet und dieser Verlust ausschließlich auf den Mangel an soliden Schuppen und sonstigen gegen die Feuchtigkeit Schutz bietenden Wirtschaftsgebäuden zurückgeführt1). Sollte die Warrantgesetzgebung auf den Bau von Getreide- speichern anregenden Einfluß ausüben, so würde das neben der Krediterleichterung einen weiteren bedeutsamen wirtschaftlichen Erfolg darstellen. Die auf den Bahnstationen vorhandenen Lagerräume gehören entweder den Getreidehandelsfirmen oder den Eisenbahngesell- schaften, die sie ebenfalls häufig an Händler fest vermietet haben. Dem Kolonisten, welchem kein Lagerraum zur Verfügung steht, ist damit auch die Möglichkeit genommen, sich des Warrantkredits zu bedienen. Worden, wie geplant, im Laufe der Zeit an einzelnen Verkehrsknoten- punkten des Inneren, die zentral zu wichtigen Ackerbaugebieten liegen, große Speicher gebaut, die dem Warrantverkehr dienen sollen, so ist es auch notwendig, daß die Bahnen gewisse Tariferleichterungen für das in diese Depots zu schaffende Getreide gewähren. Andern- falls besteht die Gefahr, daß Transport- und Lagerungsunkosten den Kolonisten den größten Teil des durch die ganze Kreditorgani- sation erlangten Vorteils wieder entziehen. 3. Kapitel. Das Genossenschaftswesen. Die Organisation und Technik der argentinischen Landwirtschaft machen es begreiflich, daß sich das Genossenschaftswesen noch nicht in dem Maße hat entwickeln können, wie es gerade in diesem Lande notwendig und am Platze wäre. Die Bildung ländlicher Genossen- schaften stößt auf die natürlichen Schwierigkeiten, die sich aus der *) Österreichisch-Ungarische Konsularkorrespondenz, Wien, 25. 7. 1914. Die landesüblichen „trojes", in denen der Mais aufgespeichert wird, Behälter aus eingerammten Pfählen und Strohwänden, in welche die Maiskolben lose hineingeschüttet werden, sind teils gut gedeckt und bieten dann wenigstens einen gewissen Schutz gegen das Regenwasser, so daß der Mais nur am Boden und an den Seiten keimen kann. Vielfach sind sie aber nur pro- visorisch mit Stroh gedeckt und die eindringende Feuchtigkeit verursacht er- hebliche Verluste. Das Gesetz der „Prenda Agraria" schreibt ausdrücklich vor, daß die „trojes", deren Inhalt verpfändet wird, mit wasserdichtem Zelttuch abzudecken sind. — 174 — weiten räumlichen Ausdehnung des Landes und der geringen Be- völkerungsdichte ergeben. Zwischen den einzelnen Zentren dichterer ländlicher Siedelungen liegen stets weite Entfernungen, welche die Herausbildung intensiver und dauernder Beziehungen und Geschäfts- verbindungen sehr erschweren. Auf diese geographischen Schwierig- keiten stützen sich denn auch die Hauptargumente der Gegner ge- nossenschaftlichen Zusammenschlusses. Dazu kommt der hemmende Einfluß des Einzelsiedelungsystems, der die Vereinigung der räum- lich weit voneinander getrennt wohnenden Kolonisten zu genossen- schaftlicher Arbeit erschwert. Endlich sind auch starke psycholo- gische Hemmungen wirksam. Die Kolonisten, die ja zum größten Teil Einwanderer aus den verschiedensten überseeischen Ländern sind, bilden eine zu heterogene Masse und sind zudem von einem starken Unabhängigkeitsgefühl beseelt, das sie jede straffere Organi- sation als lästigen Zwang empfinden läßt. Aus dem argentinischen Landwirtschaftsministerium heraus sind viele Versuche unternommen worden, durch Anregung zu ge- nossenschaftlichem Zusammenschluß die Bauern der Ausbeutung, der sie infolge der herrschenden Pacht- und Kreditverhältnisse überall ausgesetzt sind, zu entziehen. Es wird eine reguläre Genossenschafts« Propaganda betrieben. Hier ist besonders der Direktor der „Ab- teilung für Statistik und landwirtschaftliche Ökonomie" des Acker- bauministeriums, Emilio Lahitte, rühmend zu erwähnen, der in einer Reihe von Schriften immer wieder auf die dringende Notwendig- keit der Bildung von Genossenschaften hingewiesen hat.1) Wo sich Genossenschaften bildeten, war natürlich der Widerstand der Zwischen- händler und Almaceneros, denen damit der Boden für ihre gewinn- bringenden Geschäfte entzogen wurde, sehr stark. Andererseits fehlte es auf Seiten der Gründer an Ausdauer und Schulung. Lahitte kommt zu dem Schluß: „Die Lage der argentinischen Landwirtschaft ist in jeder Richtung, und zwar sowohl in wirtschaftlicher wie in moralischer Hinsicht eine für das Gedeihen der Genossenschaften ungünstige, und aus diesen Gründen haben sich zahlreiche Genossen- schaften wieder auflösen müssen2)." Die bestehenden Genossen- *) E. Lahitte, La Situation agricola, Sociedades cooperativas 1907. — El credito agricola, Sociedades cooperativas 1907. — La Cooperation rural, credito agricola 191 2. — Sämtlich herausgegeben von der Direcciön de Estadistica Agricola y Economia Rural, Buenos Aires. 2) Internationale Agrarökonomische Rundschau, 1913, Heft 12,, S. 20. / 5 Schäften haben die Form von Aktiengesellschaften, bei denen die Haftpflicht des Genossenschafters auf das von ihm übernommene Aktienkapital beschränkt ist. An eine unbeschränkte Haftpflicht ist angesichts der durchschnittlichen Wirtschaftslage der argentinischen Kolonisten nicht zu denken. Ein besonderes Genossenschaftsgesetz ist bisher nicht erlassen worden, befindet sich aber in Vorbereitung. Die vorhandenen Genossenschaften sind größtenteils solche mit gemischten Zielen. Darin scheint gerade ein Hauptfehler der ge- nossenschaftlichen Entwicklung zu liegen, daß sie es nicht verstanden hat, sich im Stecken ihrer Ziele eine weise Beschränkung aufzuerlegen. N* ben dem gemeinsamen Ankauf von Saatgut und landwirtschaft- lichen Maschinen sowie der Errichtung genossenschaftlicher Lager- häuser wird die Kreditbeschaffung eine der wichtigsten genossen- schaftlichen Aufgaben sein müssen, und darum muß in erster Linie, die Gründung von Kreditgenossenschaften betrieben werden. Diese ist ihrerseits entscheidend abhängig von dem Vorhandensein eines staatlichen zentralen Bankinstituts für die Landwirtschaft. Die Zahl der Gesetzentwürfe zur Schaffung einer solchen Ackerbaubank ist fast unübersehbar1). Es ha*t den Anschein, als ob sich die Re- gierung zu ihrer Begründung erst entschließen wird, wenn bereits ein Netz von Genossenschaften und ländlichen Darlehn skassen über das Land verbreitet sein wird. Das Problem würde auf dem umge- kehrten Wege schneller und besser zu lösen sein2). Eine offizielle statistische Registrierung der ländlichen Ge- nossenschaften erfolgt erst seit 1912/13. Seit diesem Jahre hat sich das Genossenschaftswesen wie folgt entwickelt: (Siehe Tabelle 37 S. 176.) In diesen wenigen Zahlen drückt sich unzweifelhaft der Anfang einer vielversprechenden Entwicklung aus. In 2 Jahren hat sich die Zahl der genossenschaftlichen Organisationen um mehr als das Doppelte vermehrt, ihr Kapital ebenfalls fast verdoppelt, während der Umfang ihrer Geschäfte eine noch erheblich stärkere Ausdehnung erfahren hat. Wichtiger und erfreulicher als der absolute Betrag dieser an sich noch geringen Zahlen ist die stark ausgeprägte Wachs- tumstendenz, die in ihnen enthalten ist. Sie beweist nicht rur, wie 1) Vgl. den Art. „Die landwirtschaftliche Nationalbank von Argentinien", Internationale Agrarökonomische Rundschau, 1915, Heft 10, S. 67ff. und die daselbst angegebenen Quellen. 2) Vgl. den Gesetzentwurf von 191 1 des damaligen Landwirtschafts- ministers Lobos. (Intern. Agrarökon. Rundschau, 1913, Heft 12, S. 28.) - i76 - Tabelle 37. Entwicklung des ländlichen Genossenschaftswesens 1913— 19151). 1912/13 1913/M I9M/I5 34 13 37i 3 257 796 4 905 764 1 369 681 56 19 53i 5079177 8 143 497 935 666 73 22351 6 099 501 11 955 216 1 398 303 Zahl der Genossenschaften Mitgliederzahl Effektivkapital in Pesos Gesamtwertbetrag der Einkaufs-, Verkaufs- und Kreditoperationen in Pesos .... Gegen Hagel versicherte Anbauflächen in ha sehr die Genossenschaftsbildung einem stark empfundenen Bedürfnis der argentinischen Bauernschaft entgegenkommt, sondern läßt zu- gleich die Erwartung zu, daß die auf genossenschaftlichen Zusammen- schluß gerichteten Bestrebungen allen Hemmungen zum Trotz ständig weiter an Boden gewinnen werden. Unter den 73 Genossenschaften des Jahres 1914/15 sind der Zahl nach die Genossenschaften auf Aktien mit gemischten Zielen (Cooperativas agricolas mixtas) am stärksten, nämlich mit 39 vertreten. Die Zahl ihrer Mitglieder betrug 6928, ihr Kapital 1 618698 Pesos. Ihr Gesamtumsatz in Höhe von 7 703 869 Pesos verteilte sich folgendermaßen : Kollektiveinkäufe von Maschinen, Säcken und sonstigen Bedarfsartikeln 4772281 Pesos, Kollektiwerkäufe von Getreide, Tabak, Wein usw. 2005394 Pesos, Warenkredite 823569 Pesos, Barkredite 97625 Pesos, sonstige Geschäfte 5000 Pesos. Nach der Zahl der Mitglieder standen im gleichen Jahre die Versicherungs- und Kreditgenossenschaften, 10 an der Zahl, mit 11 194 Genossen an erster Stelle, sie vereinigten 50% aller genossenschaftlich organisierten Personen. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt auf dem Gebiet der Hagelversicherung. Es liegt nahe, gerade für die Verteilung des Risikos, das sich für die argentinische Land- wirtschaft aus der Hagelgefahr ergibt, das genossenschaftliche Prinzip in ausgiebiger Weise zu verwenden2). Die gegen Hagel versicherte Anbau- fläche umfaßte 1369630 ha = 10% der Körneranbaufläche des Landes. Der Versicherungswert belief sich auf 10,5 Mill. Pesos, der Gesamtbetrag der Prämien auf 1985 138 Pesos. Erwähnenswert sind sodann 5 in den Ackerbaukolonien der ,,Jewish Colonization Association" vorhandene Gegenseitigkeitsvereine mit 1967 Mitgliedern. Ihr Jahresumsatz betrug 3315657 Pesos, davon kamen stark 2 Mill. auf gemeinsamen *) Die in der Tabelle und dem folgenden Text enthaltenen Zahlen sind der Estadistica Agricola 1916/17, S. 228 — 30 entnommen. *) In der Provinz Santa Fe und im Osten der Provinz Buenos Aires ist mit 3 — 4 größeren Hagelschlägen im Jahr zu rechnen. (Vgl. G. Davis, Clima de la Repüblica Argentina. Censo Agropecuario Nacional 190S, III. Bd., S. 650.) — 177 — Absatz landwirtschaftlicher Produkte, 857829 auf Barkredite. Auch das Raiffeisensystem ist durch 11 von der „Liga. Social Argentina" ge- gründete Darlehnskassen vertreten, die freilich erst 377 Mitglieder zählten. An ihrem Gesamtumsatz von 1 107598 Pesos hatte das Darlehns- geschäft mit 149500 Pesos nur geringen Anteil, während der Wert der gemeinsam abgesetzten Produkte fast 800000 Pesos erreichte. Außer 4 Bewässerungsgenossenschaften weist die Statistik endlich noch 3 Obst- und Weinbaugenossenschaften auf, die als reine Absatz- genossenschaften organisiert sind. Ihre Kollektivverkäufe beliefen sich auf eine Viertelmillion Pesos. Die gesamten auf genossenschaftlichem Wege vermittelten Barkredite betrugen 1914/15 erst 1,37 Mill. Pesos. Halten wir da- gegen, daß im gleichen Jahr durch die nach den gesetzlichen Be- stimmungen der ,,Prenda Agraria" abgeschlossenen Pfandkredit- verträge 72 Millionen flüssig gemacht wurden1), so wird deutlich, wie wenig bisher das genossenschaftliche Prinzip für die Lösung der Agrarkreditfrage nutzbar gemacht worden ist. Seine stärkste Verbreitung hat das Genossenschaftswesen bisher in der Provinz Entre Rios gefunden. Der Grund dafür besteht darin, daß in dieser Provinz der Grundbesitz weitgehend zerstückelt ist und eine relativ große Zahl von Bauern Eigentümer sind2), beides eine segensreiche Folge der weitsichtigen Kolonisationspolitik der Provinz- regierung. 1917 waren in dieser Provinz allein 17 Genossenschaften vorhanden3). Nachdem ist das Genossenschaftswesen am stärksten in rjer Provinz Santa Fe vertreten. Das allgemeine Vorherrschen des Pachtwesens, das den Bauern in seiner wirtschaftlichen Freiheit so sehr beengt, erschwert die Genossenschaftsentwicklung sehr er- heblich. Einstweilen ist das argentinische Genossenschaftswesen über mehr oder minder verheißungsvolle Ansätze nicht hinaus- gekommen. Werden den Kolonisten erst durch unaufhörliche Auf- klärung und Propaganda, wie sie vor allem durch die staatlichen Ackerbauingenieure ausgeübt wird, die Vorteile der Zusammen- fassung ihrer zersplitterten Einzelkräfte klar, so wird sich die Zahl der Genossenschaften bald mehren und damit den Bauern die Mög- lichkeit gegeben sein, ihre Maschinen und Bedarfsartikel billiger einzukaufen, ihre Ernte zu günstigeren Bedingungen zu verkaufen, ») Vgl. S. 171. 2) Vgl. Tab. 30 S. 133. 3) Informe dei Director de Agricultura en la Provincia de Entre Rios, Paranä, 3. 12. 1917- Frobl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. I2 - i78 - ihre Reinerträge zu erhöhen und sich aus der vielfach so drückenden Abhängigkeit von ihren heutigen Kreditgebern zu befreien. Neben dieser inneren Umstellung des Bauern wird die Ver- minderung der Pachtbetriebe und die Schaffung einer staatlichen Zentralbank für Landwirtschaft und innere Kolonisation für die Ausbildung des Genossenschaftswesens entscheidend sein. Auf eine wichtige Seite der Frage sei noch besonders hinge- wiesen, die Möglichkeit der Verbreitung landwirtschaftlicher Kennt- nisse auf genossenschaftlichem Wege. Wir haben bereits eine Reihe von Gründen dafür, daß unter der argentinischen Bauernschaft so viele ungelernte Landwirte sind, kennen gelernt. Nicht allein diese gilt es auszubilden, auch der mit europäischer Land Wirtschaftsweise vertraute Ackerbauer muß die den besonderen Boden- und Klima- verhältnissen Argentiniens angepaßte Anbautechnik und rationellste Wirtschaftsmethode erlernen. Tatsächlich ist ein sehr großer Bruch- teil besonders der Pachtkolonisten nicht im Besitz ausreichender landwirtschaftlicher Fachkenntnisse. Daher die niederen Erträge und das Beharren bei extensiver Wirtschaft. Eine allein auf ge- nossenschaftlicher Basis durchgreifend mögliche landwirtschaftliche Unterweisung und Erziehung wird neben der Verbesserung der wirt- schaftlichen Lage der Kolonisten in e^ner vermehrten und ausge- glicheneren agrarischen Gesamtproduktion ihren Ausdruck finden. Das Genossenschaftsprinzip erscheint gerade für ein Agrarland wie Argentinien berufen, zur Lösung der wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Fragen entscheidend beizutragen. II. Abteilung. Die Agrarproduktion und die landwirt- schaftlichen Industrien. i. Abschnitt. Der Ackerbau und seine Erzeugnisse. i. Kapitel. Das extensive System in der Getreideproduktion. Das extensive System des argentinischen Ackerbaus ist auf einer Reihe von Faktoren begründet, die alle in gleicher Richtung gewirkt haben und noch fortwirken. Es wird zunächst von der natür- lichen Fruchtbarkeit des Bodens begünstigt. Solange diese nicht merklich nachläßt, und solange noch weite Räume jungfräulichen Landes zur Verfügung stehen, hat der Ackerbauer keinen Anlaß, zu Düngung und intensiverer Bodenbearbeitung überzugehen. Es wird ferner durch die geringe Zahl für den Ackerbau verfügbarer menschlicher Arbeitskräfte bedingt. Wir sahen, wie das Wachsen der Bevölkerung bei weitem nicht mit der sprunghaften Vermehrung der Anbaufläche Schritt hielt, die sich ihrerseits aus der einseitigen Einstellung der Getreideproduktion auf die Weltmarktversorgung ergab. Entscheidende Gründe für das Festhalten an extensiver Wirtschaft liegen endlich in der Agrarverfassung des Landes. Wir können ups an dieser Stelle mit einer kurzen Zusammenfassung von früher Gesagtem begnügen. Auf eigener Scholle sitzende Bauern gibt es nur in geringer Zahl. Weitaus der größere Teil des land- wirtschaftlich benutzten Bodens ist in der Hand des Großgrund- besitzes. Den Grundherrn gehen die Interessen der Viehzucht weit über die des Ackerbaus. Da ihnen der Ackerbau nur zur Ver- besserung ihrer Weideflächen dient, genügt ihnen seine gegenwärtige Methode vollauf. Der Pachtbauer dagegen, zumal der Wanderpächter, — 1S0 — hat nur für eine möglichst billige Wirtschaftsweise Sinn, mit der er in kurzer Zeit aus dem Boden dennoch möglichst viel herausholen kann. Das Streben der Pachtbauern, durch oberflächliche Bestellung einer großen Fläche ihre Erntegewinnchancen zu erweitern, hat in erster Linie zur Entstehung der großen Betriebe beigetragen, die für den extensiven argentinischen Getreidebau charakteristisch sind. Diesem Streben kamen das Pachtsystem wie die Möglichkeit, relativ leicht Betriebskredit zu erhalten, entgegen. Um ein Bild von dem Umfang der Betriebsgrößen zu geben, die der extensive Getreide- bau bevorzugt, sei für eine Reihe von Jahren wiedergegeben, wie sich die Gesamtzahl der körnerbauenden Betriebe der Hauptland Wirt- schaftszone prozentual auf die verschiedenen Größenklassen verteilt. Tabelle 38. Prozentualer Anteil der verschiedenen Betriebsgrößen- klassen an der Gesamtzahl der körnerbauenden Betriebe 1910, 1912 und 19161). Ernte- Betriebsgrößen in ha jahr unter 10 10 — 25 26 — 50 51—100 101 — 200 1909/10 5*62 17,24 i8,39 23,02 22,71 1911/12 5," i6,54 17,35 22,91 24,62 1915/16 5,53 17,48 i8,59 20,99 22,47 Ernte- Betriebsgrößen in ha jahr 201 — 300 301—650 651 — 1000 über 1000 Summe 1909/10 8,52 4,20 0,22 0,08 100 % 1911/12 8,63 4,34 o,33 0,17 100 % 1915/16 9,26 5,H 0,36 0,18 100 % Nach dieser Verteilung ergibt sich ein sehr deutlich hervor- tretendes Überwiegen der Betriebsgrößen von 50 — 100 und von 100 — 200 ha. Auf diese beiden Kategorien entfallen zusammen rund 45 — 50% der Gesamtzahl der Betriebe. Gerade für die Vollpacht- wirtschaften wird ein Umfang von 100 — 200 ha sowohl von den Pächtern wie von den Grundbesitzern bevorzugt, er ist als die typische l) Nach der Estadistica Agricola, versch. Jahrg. — i8i — Wirtschaftsgröße des für den Export produzierenden Getreide- baus der Hauptackerbauzone zu bezeichnen. Auffallend ist, daß in dem von Tab. 38 umfaßten Zeitraum in allen Betriebsgrößen über 200 ha ein wenn auch geringes Steigen ihres prozentualen Anteils sich bemerkbar macht, doch wird man daraus noch nicht auf eine allgemeine Tendenz zur Vergrößerung des Betriebsumfanges im Acker- bau schließen dürfen. Sehr instruktiv ist an dieser Stelle ein Vergleich mit der deutschen landwirtschaftlichen Betriebsstatistik. Er beleuchtet grell den krassen Gegensatz zwischen der Struktur der intensiven deutschen Landwirt- schaft und dem extensiven argentinischen System. Die Zahlen der unten- stehenden Tabelle sind mit den argentinischen allerdings insofern nur bedingt vergleichbar, als sie alle landwirtschaftlichen Betriebe umfassen, während sich die argentinischen auf die körnerbauenden Betriebe der Hauptackerbauzone beschränken, also die reinen Viehzuchtbetriebe fortlassen. Würde man die letzteren hinzunehmen, wozu aber die statisti- schen Unterlagen fehlen, so würde die Tendenz zum Großbetrieb in der argentinischen Landwirtschaft gegenüber der deutschen noch viel krasser zutage treten, als dies in den vorliegenden Zahlen der Fall ist. Nach der Betriebszählung von 1907 verteilten sich die 5736082 landwirtschaft- lichen Betriebe des Deutschen Reiches, auf 6 Größenklassen zusammen- gezogen, wie folgt: Tabelle 39. Verteilung der landwirtschaftlichen Betriebe des Deutschen Reiches auf die Größenklassen1). bis 0,5 ha 0,5 ha 2 ha 5 ha 20 ha 100 ha bis unter bis unter bis unter bis unter und Summe 2 ha 5 ha 20 ha 100 ha darüber Zahl der Betriebe 2 084 060 1 294 449 1 006 277 1 065 539 262 191 23 566 5 736 082 Prozent der Gesamtzahl der Be- triebe 3^,3 22,6 17,5 18,6 4,6 0,4 100,0 Vergleichen wir die Ergebnisse der deutschen Zählung von 1907 mit der argentinischen Betriebsstatistik von 1909/10, so entfallen auf Betriebe bis zu 20 ha in Deutschland 95% der Gesamtzahl, auf Betriebe bis zu 25 ha in Argentinien 21,6% der Gesamtzahl. Aus dieser Verteilung ergibt sich auch ohne weiteres, daß eine der deutschen l) Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 212, ia. 182 — Landwirtschaft entsprechende Einteilung in bäuerliche Besitz- und Betriebskategorien auf die argentinischen Verhältnisse nicht anwendbar ist. Unter den deutschen Verhältnissen lassen sich unterscheiden: i. der Großbauer mit einem Besitz von etwa 20 — 100 ha, 2. der mittlere spann- fähige Bauer von 5 — 20 ha, 3. der Kleinbauer von 2 — 5 ha1). In Argentinien fällt dagegen die angegebene obere Grenze des deutschen großbäuerlichen Betriebs etwa mit der oberen Grenze des Kleinbetriebs zusammen, während als Großbetriebe im Ackerbau erst Wirtschaftsgrößen von über 5 — 600 ha zu bezeichnen sind2). In den verschiedenen Gebieten der Hauptackerbauzone sind bezüglich der Betriebsform ihres Getreidebaus nur geringe Unter- schiede vorhanden. Wir geben im folgenden die Verteilung der bäuer- lichen Betriebe auf die einzelnen Provinzen in absoluten Zahlen wieder. Tabelle 40. Zahl der Ackerbaubetriebe im Erntejahr 1915 — 16, nach Größenklassen und Provinzen3). Provinz oder Territorium Betriebe Buenos Aires Santa Fe Cördoba Entre Rios Pampa Central Summe unter 10 ha 1343 1685 190 655 69 3 942 10— 25 „ 5 439 4 938 690 1163 242 12472 26— 50 „ 4863 4856 1077 2043 415 13254 51— 100 „ 4229 5 17° 2 416 2275 878 14968 101 — 200 ,, 3 897 3 942 5669 1065 1446 16 019 201 — 300 ,, 1 819 600 2 744 132 1294 6589 301— 650 „ 1 420 131 1 196 26 894 3667 651 — 1000 „ 182 9 28 3 38 260 über 1000 ,, 106 5 6 1 8 126 Summe . . 23298 21 336 14 016 73<>3 5284 71297 Die Provinz Buenos Aires macht insofern eine Ausnahme, als sie die absolut größte Zahl von Betrieben in der Größenklasse 10 — 25 ha aufweist; auch in Santa Fe ist diese ziemlich hoch. Ein großer Teil dieser Kleinbetriebe dient nicht so sehr dem von uns vor allem ins Auge gefaßten Exportgetreidebau als vielmehr irländischem, rein *) J. Conrad, Grundriß zum Studium der Politischen Ökonomie, 5. Aufl., Jena 1908, II. Teil, S. 66. a) Vgl. S. 126. 3) Estadistica Agricola 1916 — 17, S. 47. — 183 - lokalem Bedarf. Für die Provinz Santa Fe wird man den hohen Bestand an Parzellenbetrieben unter 10 ha wie an Kleinbetrieben bis zu 25 ha aus ihrem Reichtum an bäuerlichen Eigenstellen erklären müssen, für die bereits eine etwas intensivere 'Wirtschaftsweise an- gewendet werden muß. Der für die Ausfuhr produzierende Getreide- bau arbeitet vorzugsweise mit Betriebsgrößen zwischen 50 und 200 ha, und dementsprechend zeigen diese Kategorien in allen Provinzen die höchsten Ziffern. Bemerkenswert ist, daß auf die Provinz Buenos Aires allein 42 % aller Betriebe über 300 ha und 75 % aller Betriebe über 650 ha entfallen. In dieser Provinz, vor allem in ihrer weiten südlichen Ebene, liegen die riesigen Weizenfarmen, deren Felder in Quadratkilometer umfassenden Flächen der Massenproduktion dieses wichtigsten Ausfuhrgetreides dienen. Um endlich auf das Gebiet der Pampa Central hinzuweisen, so hat sich auch dort mit der Zunahme des Getreidebaus die Tendenz, große Anbauflächen in einem Betrieb zu umfassen, sofort durchgesetzt. Von der Gesamtzahl der im Terri- torium vorhandenen Betriebe entfallen allein 52% auf solche von 100 — 300 ha. Ein Vergleich der Anzahl der Betriebe mit der Größe der ge- samten Anbaufläche der Hauptlandwirtschaftszone ergibt als mittlere Durchschnittsgröße im Ernte jähr 1905 — 06 131 ha 1909 — 10 118 „ 1915—16 134 „ Wenn sich diese Zahl im Laufe der letzten Jahre auch nicht so erheblich vergrößert hat, wie Pfannenschmidt1) irrtümlich an- nimmt, so zeigt doch ihre geringe Zunahme keinesfalls eine Entwick- lungstendenz an, welche auf die erwünschte Herabminderung der Be- triebsgrößen hinausginge, sondern sie ist ein Beweis für das Beharren bei der extensiven Betriebsweise. Für die innere Kolonisation bedeutet dies das unveränderte Bestehenbleiben eines ihren Fort- schritt wesentlich hemmenden Faktors. Zu einem auch unter dem Gesichtspunkt der Kolonisation noch viel ungünstigeren Ergebnis führt jedoch die Untersuchung der Frage, in welcher Betriebsgrößen- klasse tatsächlich der größere Teil des Bodens bearbeitet wird, d. h. wie groß der Anteil der einzelnen Größenklassen an der Gesamt- anbaufläche ist. An dem Beispiel des Weizenanbaus in seinem wich- l) A. a. O., S. 31. Die auf jeden Ackerbauer entfallende Durchschnitts- fläche betrug 191 2 nicht, wie Pf. berechnet, 193, sondern nur 130 ha. — 184 — tigsten Gebiet, der Provinz Buenos Aires, tritt scharf hervor, in wie weitgehendem Maße der größere Teil des Ackerbodens dem Regime extensiven Großbetriebs unterworfen ist: Tabelle 41. Betriebsgrößen in der Weizenproduktion der Provinz Buenos Aires im Jahre 19081). Größenklassen Weizenanbaufläche in ha Prozent der gesamten Fläche 10 ha und weniger bis 25 ha 1 981 6 232 0,1 °,3 26 „ >, 50 „ 24324 1,2 5i „ ,, 100 ,, 103 239 5,3 101 „ 201 „ 3°i » „ 200 „ » 300 „ M 500 „ 374 473 323 983 360 152 19,3 16,7 18,5 501 „ 75i » ,1 750 M und mehr 174 420 577 829 8,9 29,7 Insgesamt . . 1 946 633 100,0 Es entfielen also im Weizenbau der Provinz Buenos Aires von der Gesamtfläche von 1946633 ha nicht weniger als 1436384 ha oder 74 % auf Größenklassen von über 200 ha. Für die übrigen Körner- arten der Provinz gilt Ähnliches. Dieser vorherrschende große Umfang der Ackerbaubetriebe hat nun seine besonderen Nachteile und Gefahren. Der Pächter, der außer seiner Arbeitskraft und der seiner Familie meist kaum über eigenes Kapital verfügt, arbeitet mit einem Kapitalumsatz, dessen Höhe zu seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage und seinen Kenntnissen in gar keinem Verhältnis steht. Für einen Betrieb von 300 ha wird der Gesamtumsatz von Kapital im Jahre auf 113 000 Pesos berechnet2). Sodann zwingt die Größe des Betriebs den Pächter !) Nach Censo Agropecuario 1908, Bd. II. Da die jährliche Anbau- statistik den Anteil der Größenklassen an der bestellten Fläche nicht unter- sucht, liegen keine neueren Zahlen vor. Es ist aber anzunehmen, daß sich die in der Tab. 41 zum Ausdruck gelangende Tatsache nicht geändert hat und die hinzugekommenen Anbauflächen — das Weizenareal der Provinz ist inzwischen um 300 — 400 Tausend ha vergrößert worden — unter den gleichen Betriebsformen bearbeitet werden. *) Campolieti a. a. O., S. 67. i85 - zu einer oberflächlichen Bodenbearbeitung und zur Verwendung gemieteter Arbeitskräfte in der Erntezeit. Die erstere bedingt niedrige und unsichere Erträge, die letztere infolge der außerordentlich er- höhten Erntearbeitslöhne eine beträchtliche Steigerung der Pro- duktionskosten. Nur die Anwendung seines extensiven Systems ermöglicht es dem argentinischen Getreidebau, mit einer so geringen Zahl menschlicher Arbeitskräfte auszukommen. Dauert die Dis- proportion zwischen Bevölkerung und dem Ackerbau unterworfener Fläche in der bisherigen Weise an, so ist schon aus diesem Grunde ein Übergehen zu intensiveren Methoden nicht möglich, wenn es nicht mit einem Zurückgehen im Umfang der Ackerbauflächen ver- bunden sein soll. Über die Zahl der im Ackerbau beschäftigten Per- sonen liegen die letzten Angaben in dem bereits öfter von uns heran- gezogenen Census von 1908 vor. Danach betrug sie während des ganzen Jahres 578055, während der Ernte 724870 Personen. Diese Zahlen, in denen Frauen und Kinder mitenthalten sind, sind nur als Annäherungswerte zu betrachten und von Jahr zu Jahr je nach Ausfall der Ernten und dem unregelmäßigen Zustrom überseeischer Erntearbeiter starken Schwankungen unterworfen. Sie werden inzwischen eine nicht unbeträchtliche Vermehrung erfahren haben, gleichzeitig aber ist die dem Ackerbau dienstbar gemachte Fläche um 4 Mill. ha größer geworden. Die monatlichen Löhne, die den während des ganzen Jahres beschäftigten landwirtschaftlichen Arbeitern gezahlt werden, be- trugen 1915 — 16: 40 Pesos1). Dagegen werden während der Ernte erheblich höhere Sätze bezahlt: für Vorarbeiter 6 — 7, für Mäh- maschinenführer 6, für gewöhnliche Erntearbeiter 3 — 4 Pesos täglich. Die Erntelöhne übersteigen demnach den normalen Jahreslohn um das Dreifache. Trotzdem wird es den Ackerbauern zur Erntezeit oft schwer, sich die notwendige Zahl von Arbeitskräften zu sichern. In erhöhtem Maße war dies während des Krieges infolge Ausbleibens der italienischen „Schwalben" der Fall. Der Italiener ist ein leistungs- fähiger und geübter Erntearbeiter, zumal der größere Teil der land- wirtschaftlichen Berufsschicht entstammt. „Für die Ernte sind jedoch nicht Arbeiter bestimmter Berufe erforderlich. Die extensive Landwirtschaft mit all ihren Maschinen braucht weiter nichts als l) Dieser und die folgenden Sätze nach der Estadistica Agricola 1916/17. Die realen Erntetagelöhne erhöhen sich um den Wert der gewährten Ver- köstigung. — i86 ,— Arbeitskräfte . . Z'1). Zur Lösung der ländlichen Arbeiterfrage hat man die Arbeitslosen der großen Städte, an denen besonders Buenos Aires zu allen Jahreszeiten sehr reich ist, heranzuziehen versucht, doch machte man die allgemein gültige Erfahrung, daß es sehr schwer ist, das städtische Proletariat zum Aufsuchen ländlicher Arbeits- gelegenheiten zu bewegen. Die Lösung der Landarbeiterfrage wird, wenn nicht eine stark anwachsende Einwanderung in der nächsten Zukunft hierin Wandel schafft, immer eine große Schwierigkeit bilden, da das Land dünn besiedelt ist und obendrein bei der einge- borenen Bevölkerung der Zug nach der Stadt und die Neigung, durch spekulative Geschäfte zu mühelosem Gewinn zu gelangen, sehr stark entwickelt ist. Der große Umfang der argentinischen Getreidebauwirtschaften hat den Vorteil, daß durch ihn die Anwendung von Maschinen erleichtert wird, da diese auf einer größeren Fläche eine rationellere Ausnützung erfahren können. Es ist das gleiche Prinzip, das auch für die menschliche Arbeitskraft gilt. Im Großbetrieb, besonders bei extensiverem Wirtschaftssystem können Arbeitskräfte erspart werden, weil jede einzelne vollständiger ausgenutzt werden kann2). Gerade diese Tatsache ist für den argentinischen Ackerbau ein wesent- licher Grund, die Großbetriebsform zu bevorzugen. Die zahlreiche Verwendung von Maschinen mannigfaltigster Art dient in ausge- sprochenster Form dem Zweck, die fehlenden menschlichen Arbeits- kräfte zu ersetzen und zugleich den Aktionsradius des einzelnen Landwirts zu vervielfachen. Die verwendeten Maschinen sind ihrer Aufgabe, Bestellung wie Aberntung großer Flächen in kurzer Zeit zu erledigen, besonders angepaßt. Typische Beispiele dafür sind die Ährenköpfmaschine, die kombinierte Köpf- und Bindemaschine und die kombinierte Köpf- und Dreschmaschine3). Derartige Maschinen weisen tägliche Erntearbeitsleistungen bis zu 12 ha auf. Auf die Schnelligkeit der Arbeitsleistung wird mehr Wert gelegt, als auf die restlose Einbringung aller gewachsenen Frucht. Es ist ein deutliches Zeichen für das Vorwiegen extensiven Großbetriebs, daß von den 68486 Mähmaschinen, die nach dem Census von 1908 in Argentinien verwendet wurden, 32582 sogenannte Köpfmaschinen waren, d. h. *) Bericht „Die bevorstehende Ernte" des Direktors des Statistik- und Landwirtschaftsamts, Buenos Aires, August 191 1. a) Vgl. J. Conrad a. a. O., S. 67. 3) Vgl. Pfannenschmidt a. a. O., S. 51. i37 - solche, die unter allen verwendeten Systemen die größte Tagesleistung aufweisen. Die Maschinenverwendung hat besonders in den letzten 15 Jahren eine sehr starke Zunahme erfahren. Über den gegenwärtigen Stand liegen keine zahlenmäßigen Angaben vor, doch sei die zunehmende Verwendung durch die Einfuhrliste des letzten Friedens] ah res illu- striert. Tabelle 42. Einfuhr landwirtschaftlicher Maschinen im Jahre 19131). Wert in Goldpesos Mähmaschinen aller Art Ährenköpfmaschinen Pflüge Sämaschinen Dreschmaschinen Maisentkörnungsmaschinen Sonstige landwirtschaftliche Maschinen und Geräte Gesamteinfuhr 2 050 187 65950 1 296 922 309 092 1 427 100 289325 I 247 308 6 685 884 Zweifellos bedeutet die allgemeine Verwendung von Maschinen eine bedeutende Ersparnis menschlicher Arbeitskraft und damit zugleich eine Verbilligung der Produktionskosten. Doch sind die Anschaffungskosten für Maschinen und Geräte in den letzten Jahren derartig gestiegen, daß die erwähnten, mit ihrer Anwendung ver- knüpften Vorteile für den Landwirt zu einem erheblichen Teil wieder J) Betr. Einzelheiten in der Einfuhr landwirtschaftlicher Maschinen vgl. F. v. Motz, Markets for Agricultural Implements and Machinery in Argentina, Department of Commerce, Special Agents Series Nr. 125, Washington 1916. In der Einfuhr landwirtschaftlicher Maschinen haben etwa seit 19 10 die Ver- einigten Staaten die Führung übernommen. Besonders Sä- und Erntemaschinen kommen fast ausschließlich von dort. Bei der in vieler Beziehung verwandten Natur der nordamerikanischen und argentinischen Landwirtschaft war es der hochentwickelten Industrie landwirtschaftlicher Maschinen in den Vereinigten Staaten mit ihrer besonderen technischen Einstellung ein Leichtes, gerade auf diesem Gebiet sich den argentinischen Markt zu erobern, der dieselben Spezial- anforderungen stellte wie der heimische. Eine Mähmaschine wie die „espi- gadora", die nur die Ähren vom Halm schneidet und das Stroh auf dem Felde zurückläßt, konnte nur in Nordamerika konstruiert werden, und so sehen wir in der Tat die Vereinigten Staaten als einziges Herkunftsland dieser kompli- zierten Maschine. — i88 — aufgehoben werden dürften, zumal die große Mehrzahl der Pachtbauern zu ihrer Anschaffung auf hochverzinslichen Kredit angewiesen ist. Nehmen wir die hohen Arbeitslöhne, die gesteigerten Preise für Säcke, Bindegarn und sonstige Bedarfsartikel hinzu, so ergibt sich eine Steigerung der gesamten Gestehungskosten, zu der die niedrige Höhe der mit dem extensiven System erzielten Erträge in gar keinem Ver- hältnis steht. Die argentinischen Weizenerträge sind um das 2 % — 3 fache geringer als die in der deutschen Landwirtschaft erzielten Durch- schnittserträge1). Die notwendige Ertragssteigerung ist in erster Linie durch intensivere Bodenbestellung, die wiederum nur bei ver- kleinerten Betriebsgrößen möglich ist, sodann durch systematische Auslese des zu verwendenden Saatgutes erreichbar. Die Mehrzahl der argentinischen Ackerbauer stammt aus Gebieten Europas, in denen sehr wenig von der Tendenz besteht, das altüberkommene, rückständige Arbeitssystem zu ändern. Die Einwanderer, die in Europa bescheidene Landarbeiter waren — soweit sie überhaupt landwirt- schaftlich tätig waren — sehen sich in Argentinien im Besitz weiter Landstrecken. Über dem Streben, eine möglichst große Fläche zu bestellen, nehmen sie die Bestellung im einzelnen nicht mit der nötigen Sorgfalt vor, pflügen schlecht und verwenden schlechtes Saatgut. Die argentinischen Weizensaaten sind zum großen Teil Kombinationen einer Unzahl verschiedener Sorten, die in ihrer Gesamtheit ein Produkt ergeben, das bei gleicher Qualität bezüglich Reinheit und Reife wie die Ernten der übrigen Exportländer doch einen geringeren Welt- marktpreis erzielt. Der argentinische Kolonist ist schwer zu der Er- kenntnis zu erziehen, daß intensivere, wenn auch kostspieligere Beackerung sowie Verwendung erstklassigen, reinen und gleich- artigen Saatgutes sehr viel ökonomischer für ihn ist als das Festhalten an dem herrschenden System. Die aufklärende und anspornende Tätigkeit des Ackerbauministeriums, das in Wort und Schrift für die Steigerung des Bodenertrages eintritt, auch gutes Saatgut zu SJbstkosten an die Kolonisten abgibt und Prämien auf gute Ertrags- leistungen aussetzt, ist in dieser Richtung nicht genug anzuerkennen. Eindringlicher noch als Broschüren und Wandervorträge wirken auf die Kolonisten, unter denen jeder zweite Analphabet ist, die auf Mustergütern und staatlichen Versuchsfeldern erzielten Resultate. 2) Auf die Erträge ist eingebend bei Behandlung der verschiedenen Frucht- arten (S. 203 ff.) eingegangen. — iS9 — Die erzieherische Arbeit der Regierung ist auch darum um so not- wendiger, als ein großer Teil der Einwanderer, wie schon früher be- tont wurde, in Europa einen nichtlandwirtschaftlichen Beruf ausgeübt hat und häufig in den elementarsten Grundfragen landwirtschaft- licher Technik von schädlichster Unkenntnis ist. Diese Ungelerntheit des argentinischen Getreidebauern ist denn auch zu ihrem Teil an der primitiven Anbautechnik schuld, deren Folge die niedrigen Er- träge sind. Die Lehrzeit, die jeder Landwirt in Argentinien durch- machen sollte, um sich mit den Besonderheiten der Boden- und Klimaverhältnisse, die eine spezielle Technik erfordern, vertraut zu machen, wird in vielen Fällen durch die eigenartigen Pacht- und Kreditverhältnisse über Gebühr und zum Nachteil des allzufrüh selbständig Wirtschaftenden verkürzt. Das extensive System Argentiniens hat in jüngster Zeit — darin stimmen die Urteile aller Berufenen überein — einen völligen Miß- erfolg zu verzeichnen gehabt. Niedrige und unsichere Erträge haben den Pachtbauern in die ungünstige wirtschaftliche Lage gebracht, in der er sich durchweg befindet und die während der Kriegsjahre erneut in einem Rückgang der Zahl der Ackerbaubetriebe zum Aus- druck gekommen ist. Das extensive System läßt die argentinische Agrarproduktion stark von den Zufälligkeiten schwankender meteorolo- gischer Einflüsse abhängig bleiben. Die Folge ist ein von Jahr zu Jahr außerordentlich schwankender Umfang der Gesamternte und des Ausfuhrüberschusses. Zum Vorteil des auf den Export seiner Agrarprodukte angewiesenen Landes macht sich allerdings die Tendenz bemerkbar, daß die durch steigende Nachfrage nach Getreide auf dem Weltmarkt erhöhten Preise die Ausfälle ausgleichen, welche durch den schwankenden und in manchen Jahren auf ein Mindest- maß herabsinkenden Umfang der Exportmengen (1901, 1902, 1910, 191 1, 1917) entstehen. Zudem wirkt die Viehzucht mit ihren viel konstanteren Erträgnissen regulierend auf die Zahlungsbilanz des Landes. Immerhin: Je eher der argentinische Bauer, die Forderung des Tages erkennend, zu einem intensiveren Wirtschaftssystem übergeht, um so besser für ihn und die ganze argentinische Volks- wirtschaft. — 190 — 2. Kapitel. Die einseitige Einstellung des Ackerbaus auf den Getreideexport. Ackerbau bedeutet in Argentinien die Massenerzeugung von Körnerfrüchten für den überseeischen Export. Weizen, Mais und Leinsaat bringen die großen Ernten ein, von deren Erlös die argen- tinische Volkswirtschaft lebt, für sie ist der Markt organisiert. Der typische argentinische Ackerbaubetrieb ist ganz einseitig auf die Produktion meist nur einer der marktgängigen Getreidearten einge- stellt. Der Pächter, welcher eine Fläche von 200 ha zu bewirtschaften unternimmt, bestellt diese ganze Fläche in der Regel nur mit einer Fruchtart. Der Zweck seiner Unternehmung ist allein die Erzeugung einer möglichst großen Menge von ein- und derselben Körnerart, für die er auf dem Markt die günstigsten Absatzbedingungen erwartet. Da für die Gestaltung der Verhältnisse auf dem Inlandmarkt die Weltmarktlage des Getreides entscheidend ist, sind zwischen den Weltmarktpreisen der Ware Weizen oder Mais und dem Umfang ihrer Produktion in Argentinien, d. h. der Ausdehnung der Anbau- fläche der betreffenden Körnerart bestimmte Einflußbeziehungen vor- handen. Es ist allerdings schwer, die Einwirkung oder den Anreiz, den hohe Weizenpreise in Europa auf die Ausdehnung der argen- tinischen Weizenanbaufläche ausüben, im einzelnen zahlenmäßig nachzuweisen. Es liegt im Wesen der landwirtschaftlichen Produktion, daß bei ihr derartige Beziehungen sich nicht so schnell auswirken können und auch nicht so leicht erkennbar sind wie in der industriellen Produktion, vor allem auch deshalb, weil der Produktionserfolg in der Landwirtschaft, besonders in der extensiven Landwirtschaft Argentiniens, zu sehr von einer Reihe unbeeinflußbarer Faktoren abhängt. Zudem wird der Einfluß der Weltmarktpreise auf die Größe der Anbauflächen in Argentinien dadurch stark abgeschwächt, daß der größere Teil der Ackerbaubetriebe infolge der Agrarverfassung außerhalb dieser Einflußbeziehungen steht. Dem Pächter, welchem auf 3 oder gar 5 Jahre im voraus der Fruchtwechsel vorgeschrieben ist,, den er innezuhalten hat, ist die Möglichkeit genommen, die günstige Preiskonjunktur einer Fruchtart durch ihren vermehrten Anbau auszunutzen. Endlich kann eine solche Konjunktur nur derjenige sich zunutze machen, dem sie bekannt ist. Von den auch in dieser Beziehung mangelnden Unternehmerqualitäten des Durchschnitts — igi — der argentinischen Ackerbauer wurde schon an früherer Stelle ge- handelt1). „The almost complete ignorance of the majority of argentine vvheat producers of world conditions of wheat prices"2) ist eine auch heute noch gültige Tatsache. In den Vereinigten Staaten haben die Weizenexportpreise lange Jahre hindurch einen bestimmenden Einfluß auf die Anbaufläche des Weizens ausgeübt, vor allem machte sich ein Rückgang der Preise in früheren Jahren in einer Einschränkung der Weizenfläche be- merkbar. Neuerdings scheint auch hier der von einer im wesentlichen steigenden Preistendenz ausgehende Anreiz durch entgegenwirkende Faktoren erheblich abgeschwächt zu werden3). Unter letzteren steht an erster Stelle der Zwang zur Innehaltung einer geregelten Frucht- folge, der sich in dem Augenolick einstellt, wo nicht mehr beliebig viel fruchtbares Neuland zur Verfügung steht. Während dieses Mo- ment für Argentinien vorläufig noch nicht in Frage kommt, sind es, wie wir sahen, andere Einwirkungen, die den Anreiz hoher oder die abschreckende Wirkung niedriger Exportpreise nicht so zur Geltung kommen lassen. Im allgemeinen wächst in Argentinien die Anbau- fläche fast ohne erkennbare Relation zum Getreidepreis in ziemlich gleichförmigem Tempo. Dies gut vor allem vom Weizen. Man wird in einem noch jungen Agrarexportland wie Argentinien, in dem die Entwicklung auf ständige Ausdehnung der Kulturflächen um jeden Preis drängt — eine Ausdehnung, die schon wegen ihres ungestümen Tempos nur in grobdifferenzierten Formen vor sich gehen kann — r schon in der in jedem Jahr gleichmäßig stark vorhandenen Bevor- zugung des Weizens als Anbaufrucht4) eine Wirkung der für Weizen besonders gleichmäßig günstigen Weltmarktpreisbildung in den letzten beiden Jahrzehnten erkennen können. Die natürliche Ge- eignetheit sogenannter ,, Weizenböden", die den Anbau gerade dieser Fruchtart zu dem rentabelsten macht, ist jedenfalls nicht der ent- scheidende oder doch allein entscheidende Gesichtspunkt bei der Auswahl der Fruchtart. Jahr für Jahr wird in Gegenden und auf Böden ») Vgl. S. I52. 2) W. P. Rutter, Wheat- Grovving in Canada, the Ui.ited States and the Argentine, London 191 1, S. 240. 3) Vgl. M. Augstin, Die Entwicklung der Landwirtschaft in den Ver- einigten Staaten von Nordamerika und ihr Einfluß auf die Preisbildung land- wirtschaftlicher Erzeugnisse, München und Leipzig 1914, S. 95ff. *) Die gesamte Körneranbaufläche verteilte sich z. B. 1915/16 auf die einzelnen Fruchtarten wie folgt: Weizen 50%, Mais 30%, Leinsaat 12 %, Hafer 8%. — 192 — Weizen gebaut, die sich nach den Vorbedingungen der klimatischen und bodenchemischen Ausstattung genau so gut für den Anbau von Mais, Leinsaat oder Hafer eignen würden. Am ehesten ist die in Frage stehende Wechselwirkung bei der Leinsaat nachweisbar. Bei dieser Fruchtart erklärt sich die stärkere Beeinflussung ihrer Anbaufläche durch die Preisbildung aus ihrer Höherwertigkeit gegenüber Weizen und Mais. Die folgende Tabelle stellt dem Exportpreis eines Jahres den Umfang der Leinsaatanbau- fiäche des folgenden Erntejahres gegenüber: Tabelle 43. Durchschnittsexportpreis und Anbaufläche von saat.1) Lein Jahresdurchschnittspreis Anbaufläche im Erntejahr für 100 kg in Pesos in ha 1899 8,04 1899/ 1900 355 329 1900 n,5o 1900/01 607 352 1901 12,22 1901/02 782 880 1902 12,52 1902/03 1 307 196 1903 8,57 1903/04 1 487 000 1904 8,21 1904/05 1 0S2 890 1905 9,26 1905/06 1 022 782 1906 10,84 1906/07 1 190 647 1907 11,06 1907/08 1 391 467 1908 10,76 1908/09 1 534 300 1909 !2,25 1909/10 1 455 600 1910 16,75 1910/11 1 503 820 1911 i8,34 1911/12 1 630 000 1912 15,09 1912/13 1 733 33° 1913 11,16 1913/14 1 779 35o 1914 n,59 I9H/I5 1 723 000 Dem Anziehen der Preise von 1899 — 1902 entspricht eine starke Vermehrung der Anbaufläche. Die besonders günstigen Preise von 1901 und 1902 wirken noch auf die folgenden Erntejahre 1902/03 und 1903/04 deutlich nach, der Anreiz tritt im letztgenannten Jahre in einer Ver- doppelung der Fläche gegenüber 1901/02 in Erscheinung. Die Preis- senkung von 1903 und 1904 hat eine erhebliche Produktionseinschränkung 1904/05 und 1905/06 zur Folge. Der starken Preissteigerung von 1910 und 191 1 folgt wiederum die Ausdehnung des Anbaus in den übernächsten J) Nach Estadistica Agricola 1916/17, S. 53. — 193 ~ Erntejahren. Das erneute Sinken der Preise in den Jahren 191 3 und 1914 bewirkt eine geringe Produktionseinschränkung in 1914/15, die sich 1915/16 in der Verminderung der Anbaufläche auf 1,6 Mill. ha fortsetzte. In dieser kurz skizzierten 15jährigen Entwicklung ist die Anpassung der Produktion an die schwankenden Preisbedingungen nicht zu ver- kennen. Angesichts der Bestimmung des größten Teils der Getreide- produktion für den Export werden sich Schwankungen in der Größe der Anbauflächen als eindeutige Reaktion auf Veränderungen in der Weltmarktpreislage im Laufe der weiteren Entwicklung sicherlich in erhöhtem Maße einstellen. Die auf solche Weise zum Ausdruck gelangende Sensitivität des argentinischen Ackerbaus wird vornehm- lich von der intellektuellen Höherbildung des Durchschnitts der Ackerbaukolonisten und von dem Maße, in dem es diesen gelingt, wirtschaftlich selbständiger zu werden, abhängig sein. Neuerdings ist auch das Ackerbauministerium dazu übergegangen, die Getreide- produzenten darauf hinzuweisen, wenn der Preisstand für eine be- stimmte Frucbtart besonders günstig ist, und dann für die Aus- dehnung ihres Anbaus Propaganda zu machen. Die Spezialisierung für den Export führt den argentinischen Ackerbauer zu ausgeprägtester Monokultur. Sie läßt ihn wichtige Zweige der agrarischen Produktion, die den landwirtschaftlichen Betrieb ergänzen und seine Erträgnisse stabiler gestalten müßten, vernachlässigen. Der Kolonist kennt nur den Anbau der drei großen marktgängigen Getreidearten, um anderes kümmert er sich nicht. Ein Beispiel dafür gibt die Gerste. Gerste ist erwiesenermaßen eine für die Bodenbeschaffenheit und das Klima der argentinischen Pampa ausgezeichnet geeignete Kulturpflanze. Sie verlangt wenig gepflegten Boden und kann spät gesät und früh geerntet werden. Bei gleichem Bearbeitungsaufwand gibt sie durchweg höhere Erträge als der Weizen, nach Ansicht kundiger Fachleute das Doppelte. Tatsächlich wurden 1913/14: 170000 ha Gerste gegenüber 6V2 Mill. ha Weizen und über 4 Mill. ha Mais angebaut; ihre Ausfuhr belief sich 1914 auf nur 25091 t. Aus demselben Grunde, aus dem der Kolonist keine Gerste baut, unterläßt er die Gewinnung jeglicher landwirtschaftlicher Nebenerzeugnisse. Er hält kein Nutzvieh für die Verwertung von Abfallprodukten und betreibt nur in Ausnahmefällen Gartenbau. Der Getreidebauer muß häufig das Futter für sein Arbeitsvieh auf- kaufen, da er sein Land vom ersten bis zum letzten Hektar mit Weizen bestellt hat. Ein Land, dessen Produktion rein agrarischer Natur Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. *3 — 194 — ist, hat nicht so viel Geflügelzucht entwickeln können, um seine städtische Bevölkerung mit Eiern ausreichend zu versorgen. 1913 mußten 3 Mill. kg frische Eier im Werte von 607464 Goldpesos ein- geführt werden, für die Italien der Hauptlieferant war. Die einfache Lebenshaltung des Bauern, besonders des italienischen Kolonisten, der mit primitiver Wohnung und einförmiger Nahrung zufrieden ist,, läßt in ihm nicht den Wunsch aufkommen, etwa mit Hilfe von Schweinezucht, Obst- und Gemüsebau eine Differenzierung seiner Ernährungsweise vorzunehmen. Sein einziges Ziel bleibt der Geld- erwerb auf dem Wege der Exportgetreideproduktion. Die Nachteile einer derartig einseitigen Orientierung der Produktion liegen auf der Hand. Solange die gegenwärtige Einstellung auf den Export, die den Bauern dazu veranlaßt, eine größere Fläche zu bestellen, als ihm rationell möglich ist, vorherrscht, ist der Übergang zu intensiverer Wirtschaft unmöglich. Unterlassen jeglichen Frucht- wechsels und oberflächliche Bodenbearbeitung sind natürliche Folge- erscheinungen der ausschließlichen Großproduktion von Export- getreide. Gerade der Anbau nur einiger weniger Arten von Kultur- gewächsen, deren Herstellung in größtem Umfang bei möglichst geringem Kapital- und Arbeitsaufwand geschieht, ist charakteristisch für eine extensive Betriebsrichtung, während intensive Landwirt- schaft mit einer großen Mannigfaltigkeit in der Produktion und dem Anbau landwirtschaftlicher Kulturgewächse gleichbedeutend ist1). Wie gering die Mannigfaltigkeit der argentinischen Agrarproduktion bisher geblieben ist, zeigt die beschränkte Verbreitung aller Kultur- gewächse außer den ausfuhrwLhtigen Getreidearten im mittel- argentinischen Hauptlandwirtschaftsgebiet. (Siehe Tabelle 44 S. 195.) Obst- und Gemüsebau finden sich vorwiegend nur in der Nähe größerer Städte, wo leichte Absatzmöglichkeiten gegeben sind, da- gegen gar nicht in den Getreidegebieten des Innern. Der getreide- bauende Kolonist und Pächter zieht es vor, soweit er überhaupt Obst und Gemüse genießt, dies in Form ausländischer Konserven beim Dorfjaämer zu kaufen. Kartoffeln werden in größerem Um- fange nur in den Provinzen Buenos Aires und Santa Fe angebaut. 1916 entfallen von der Gesamtanbaufläche von 133835 ha 78000 bzw. 32000 ha auf die genannten Provinzen. Ihre Produktion dient der Versorgung der Großstädte. In der Ernährung des Eingeborenen l) Vgl. M. Augstin a. a. O., S. 81. 195 Tabelle 44. Anteil der verschiedenen Kulturgewächse an der ge samten bebauten Fläche der Hauptackerbauzone1). 1888 1000 ha 1895 1000 ha 19 1000 ha 16 Prozent der Anbaufläche Weizen '. . 772 1984 6 331 29,8 Leinsaat * . . 387 1278 6,0 Mais 708 1026 3 34° 15,8 Hafer. . . ; 39 992 4,7 Gerste 24 46 137 0,6 Roggen — — 69 o,3 Kanariensamen — — 14 — Alfalfa 208 5i6 6840 32,2 Tabak 1,4 2,7 1,6 0,6 0,4 Zuckerrohr Wein 5,3 6,7 7,7 Erdnüsse 4,8 11, 1 18 16,3 118 Kartoffeln 1,0 Bohnen 33 12,7 18 125 16,2 46 520 Gemüse Baumpflanzungen 2,5 206 3i 1 490 7,i Summe 1965 4223 21 216 100,0 l) Nach Estadistica Agricola 1916/17, S. 16 — 25. Das in der Überschrift obenstehender Tabelle Hauptackerbauzone genannte Gebiet umfaßt die „primera regiön" der Statistik, d. h. die Provinzen Buenos Aires, Santa Fe, Cördoba, Entre Rios und das Territorium Pampa Central. Auf dieses Gebiet entfielen 1916: 90% der gesamten 23379407ha umfassenden bebauten Fläche des Landes. Die mit Alfalfa bestockten künstlichen Viehweiden sind dabei der „bebauten Fläche" zugerechnet. Einige Kulturgewächse, deren wichtigstes Verbreitungs- gebiet außerhalb der Hauptanbauzone liegt, erscheinen infolge der vorgenommenen Beschränkung mit sehr niedrigen Ziffern. Die Zuckerrohranbaufläche des Landes, welche zu 76% in der Provinz TucumÄn liegt, umfaßt insgesamt 85700 ha, während in der Tabelle nur 400 erscheinen. Andere Kulturen, die, wie Reis und Baumwolle, wärmeres Klima als das der mittelargentinischen Ebene beanspruchen und daher nur im Norden des Landes angebaut werden, fehlen völlig. In der Tabelle handelt es sich nur darum, zu veranschaulichen, wie wenig in der Land- wirtschaft der eigentlichen Ackerbauzone, die für den Export produziert, neben den dominierenden Körnerfrüchten für andere Kulturgewächse Raum ist. 13* — 196 — wie des romanischen Einwanderers spielt die Kartoffel nur eine unter- geordnete Rolle. Dennoch reicht ihre Erzeugung nicht in allen Jahren zur Deckung des inländischen Bedarfs aus. Dasselbe ist beispiels- weise bei Tomaten der Fall, die in nennenswertem Umfang auf den Inseln des Paranädeltas gebaut werden. Überhaupt hat das Paranä- delta dank der Nähe der Millionenstadt Buenos Aires als Abnehmerin sich wie kein anderes Gebiet im Lande zu einem Zentrum der Obst- und Gemüseerzeugung entwickelt. Boden und Klima Mittelargentiniens sind für die Erzeugung aller europäischen Gemüse- und Obstarten wohl geeignet. Die Apfel- sinen, die aus Paraguay importiert werden, die Zitronen aus Italien, die Nüsse aus Chile, die Rosinen und Zwiebeln aus Spanien, die Bananen aus Brasilien, die Oliven aus dem europäischen Süden, alles könnte auf die wirtschaftlichste Weise im Inlande erzeugt werden. Dem kapitalbedürftigen Lande blieben damit beträchtliche Geldsummen erhalten, die gegenwärtig jährlich für den Ankauf dieser Lebensmittel ins Ausland abfließen1). Damit kommen wir bereits zu einer weiteren Folge der einseitigen Orientierung der argen- tinischen Agrarproduktion. Die geringe Differenziertheit der. agra- rischen Produktion macht für dieses rein landwirtschaftliche Land, das bei einer Erstreckung über mehr denn 30 Breitegrade die Mög- lichkeit der Kultur aller Nutzgewächse der gemäßigten wie der sub- tropischen Zone hat, die Einfuhr von Nahrungs- und Genuß- mitteln in relativ erheblichem Umfange notwendig. Daß die Nach- frage und der Konsum von Nahrungs- und Genußmitteln mannig- faltigster Art in ständigem Steigen begriffen ist, erklärt sich aus der mit zunehmender Wohlhabenheit weiter Bevölkerungskreise, in erster Linie der städtischen, sich entwickelnden Differenzierung des Geschmacks und der Bedürfnisse. Wie der Anteil der Nahrungs- mitteleinfuhr an der Gesamteinfuhr ständig zunimmt, zeigen die folgenden Zahlen (siehe Tabelle 45 S. 197). Im Gegensatz zu der durch den Krieg verursachten stark rück- läufigen Bewegung der Gesamteinfuhr weist die Einfuhr tierischer und pflanzlicher Nahrungsmittel eine beständige Wachstumstendenz auf und steigert 1917 ihren Anteil auf ein Fünftel der gesamten Ein- fuhr. Daß diese Einfuhr nicht durch inländische Produktion ersetzt wird, liegt freilich außer in der einseitigen Einstellung des Ackerbaus *) Vgl. Anuario de la Direcciön General de Estadistica, corresp. al ano 1912, Buenos Aires 1914, II. Bd., Einleitung S. I9ff. '97 Tabelle 45. Anteil der Nahrungsmitteleinfuhr an der Gesamteinfuhr 1910 — 19171). Jahr Gesamteinfuhr Wert in Goldpesos Einfuhr von Nahrungsmitteln Wert in Goldpesos Prozent der Gesamteinfuhr 1910 1913 1917 379 352 515 496 227 094 380321 178 43 617 794 57 486 893 73 650 029 n,5 11,6 19,4 auf Getreidemassenproduktion auch in anderen Umständen begründet. Die wichtigsten sind die noch mangelhafte Verkehrserschließung des Nordens und die Schwierigkeit der Arbeiterbeschaffung für die dort ins Leben zu rufenden subtropischen Kulturen. Nach ihren wichtigsten Posten setzte sich die Nahrungsmitteleinfuhr des Jahres 1917 wie folgt zusammen: Tabelle 46. Die Einfuhr von Nahrungsmitteln im Jahre 19172). Wert in Goldpesos Zucker Tee3) Speiseöl , Reis Kaffee Malz Tomatenpaste Früchte (frisch und konserviert) Gemüse, Kartoffeln, Erbsen . , Tierische Nahrungsmittel . . . . Sonstige Nahrungsmittel . . . . Summe 31 578 261 10 460 326 6 548 855 5 860 813 4 136 601 2 054 372 1 988 983 1 587 791 638 199 3 219 563 5 576 265 73 650 029 J) Nach El Comercio Exterior Argentino en 1916 y 1917, Boletin Nr. 176. Buenos Aires 191 8. Die hier eingesetzten Werte sind Realwerte, die dem tatsächlichen Preis der Waren am Einfuhrplatz entsprechen. Sie weichen daher für die Jahre vor 191 7 von den in älteren Statistiken enthaltenen Nominal- werten ab. (Vgl. Boletin Nr. 176, S. I73ff.) 2) El Comercio Exterior Argentino en 1916V1917. Boletin Nr. 176. 3) Darunter fällt neben chinesischem und japanischem Tee vor allem die — I9& — Unter dem Einfluß der während des Krieges eingetretenen Preiserhöhungen und Schiffahrtschwierigkeiten ist allerdings die Einfuhr einiger der in obiger Tabelle enthaltenen Artikel geringer geworden. Ein Vergleich der Jahre 1912 und 1917 ergibt, daß die Einfuhr von frischen Eiern um 84%, von Früchten um 75%, von Konservengemüse um 87%, von Bohnen um 92% zurückgegangen ist. Die Veröffentlichung der statistischen Generaldirektion „El Comercio Exterior Argentino en 1916 y 1917" enthält eine Liste von 44 Einfuhrartikeln, „die leicht durch nationale Produkte er- setzt werden könnten". (S. 108.) Bei diesen Artikeln, von denen 20 in die Kategorie der Bodenkulturerzeugnisse entfallen, hat in dem genannten Zeitraum 1912 — 17 eine Einfuhreinschränkung von durch- schnittlich 78,7% stattgefunden. Während die Erschwerung der Einfuhr im Kriege auf gewisse vorher gering entwickelte Industrie- zweige belebend gewirkt hat, ist ein ähnlicher Anreiz zur Vermehrung der inländischen Produktion 'von bisher vernachlässigten Kultur- gewächsen nicht merklich erfolgt. Abgesehen davon, daß solche Änderungen in der Produktionsart, die regelmäßig auch eine neue Anbautechnik verlangen, sich bei dem besonderen Charakter des landwirtschaftlichen Gewerbes nur sehr langsam und schwerfällig vollziehen, werden sie in Argentinien durch die ausgeprägte Speziali- sierung des Ackerbaus für die Produktion von Exportgetr^ide und die mit ihr innerlich stark korrespondierende psychologische Ein- stellung der landwirtschaftlichen Bevölkerung hintangehalten. Von den in der Tabelle 46 enthaltenen Hauptposten der Nahrungs- und Genußmitteleinfuhr zählen zwar Zucker, Tee, Kaffee und Reis zu den subtropischen Gewächsen, d. h. ihre Kultur ist in der eigentlichen Getreidezone nicht möglich. Vom Zucker, der in dieser Einfuhr weit an erster Stelle steht, gilt letzteres nicht mehr uneingeschränkt. Die Tat- sache, daß der Zuckerrohrbau des Nordens, der etwa 130000 ha umfaßt und dessen Rentabilität nur durch einen hohen Zuckerschutzzoll gesichert ist, für die Nachfrage auf dem inländischen Markt nicht ausreicht, hat zu Anbauversuchen von Zuckerrüben in der Ackerbauzone geführt. Diese in der Provinz Buenos Aires angestellten Anbauversuche zeitigten sehr ermutigende Ergebnisse, trotzdem sie ohne ausreichende Kenntnis der Rübenkultur unternommen wurden1). Die sachgemäße Kultur der Zuckerrübe verspricht in Argentinien Erträge, die den auf besten deutschen und französischen Rübenböden erzielten an die Seite gestellt werden aus Brasilien und Paraguay importierte Yerba-Mate, die auch in den nörd- lichen argentinischen Territorien angebaut wird. ^Mitteilungen des Deutsch-Argentinischen Zentralverbandes, 1913, Heft 6, S. 239. — 199 ~ können. Das argentinische Ackerbauministerium läßt neuerdings durch die Provinzbehörden die für den Rübenbau geeigneten Böden untersuchen und auswählen und dementsprechend Eigentümer und Pächter zum Rübenbau auffordern, um auf diese Weise die Zuckereinfuhr durch aus- reichende Inlanderzeugung für die Zukunft entbehrlich zu machen1). Sollten diese Bemühungen von Erfolg begleitet sein, so würde damit zugleich eine wertvolle Bereicherung des mittelargentinischen Acker- baus und eine Abschwächung seiner einseitigen Einstellung erreicht. Wieweit die Möglichkeit besteht, den Anbau der übrigen sub- tropischen Kulturgewächse in Nordargentinien soweit auszudehnen, daß der Inlandbedarf der aus ihnen gewonnenen Produkte gedeckt oder gar darüber hinaus ein Exportüberschuß erzielt werden könnte, ist eine für die einzelnen Kulturen verschieden zu beantwortende Frage. Für Kaffee ist sie rundweg zu verneinen. Der Anbau der Yerba-Mate, eines dem Argentinier unentbehrlichen Genußmittels, kann in den Territorien Chaco und Misiones sowie im Norden der Provinz Corrientes erfolgreich betrieben werden. Bisher beschränkt man sich auf ihre Gewinnung aus wilden Beständen der Waldungen der nordöstlichen Landesteile. Die bisher im Reis- und Baumwoll- anbau erzielten Fortschritte stellen einstweilen nur mehr oder weniger verheißungsvolle Ansätze da:. Vergegenwärtigen wir uns endlich noch, wie die einseitige Ein- stellung des argentinischen Ackerbaus auf den Getreideexport auf den einzelnen Betrieb wirkt. Hier hat sie in weitgehendem Maße dazu geführt, daß die gesamte Fläche eines Ackerbaubetriebs mit einer einzigen Frucht bestellt wird. Es findet sich wohl hier und da der Anbau von Weizen und Leinsaat in einer Wirtschaft vereinigt, seltener auch der von Weizen und Mais — die Regel ist ausgeprägte Monokultur. Der Eigentümer oder Pachtkolonist, der nur eine Frucht- art anbaut, hat mit einer Reihe sich hieraus ergebender betriebs- technischer Schwierigkeiten zu kämpfen. Seine wichtigsten land- wirtschaftlichen Arbeiten, Aussaat und Ernte, drängen sich auf eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne zusammen, während für den Rest des Jahres seine Arbeitskraft brach liegt. Daraus ergibt sich ohne weiteres die Gefahr, oft geradezu der Zwang zur Flüchtigkeit in den x) Vgl. B. Stichel a. a. O., S. 94. 1918 soll in der Provinz Buenos Aires der Bau einer großen Rüben verarbeitenden Zuckerfabrik begonnen worden sein. Übrigens besteht für den Norden die Möglichkeit einer Produktionsvermehrung darin, daß die bisher angebauten einheimischen Rohrarten durch Javarohr ersetzt werden, das größere Erträge abwirft. Das argentinische Rohr hat nur einen Zuckergehalt von etwa 6% gegenüber 18 — 22% des indischen. — 200 — Bestellungsarbeiten, die in der Tat ein wesentlicher Grund für die niedrigen Ertrage ist. Eine weitere Folge ist die, daß der Kolonist in der über Gebühr zusammengedrängten Arbeitszeit mit seiner und .seiner Familie Arbeitskraft nicht ausreicht, zumal die vom einzelnen bewirtschaftete Fläche unverhältnismäßig groß zu sein pflegt. Er ist dann gezwungen, teure fremde Arbeitskraft zu ver- wenden, und sieht sich unversehens in die Rolle eines Arbeitgebers und Unternehmers versetzt, die ihm durchschnittlich weder nach seinem Kapitalvermögen noch nach seinen wirtschaftlichen Fähigkeiten zukommt. Der Anbau nur einer Fruchtart, der nicht die genügende Fläche zum Anbau einer Futterpflanze und zur Weide für die Arbeits- tiere freiläßt, macht den unwirtschaftlichen Zukauf von Futter not- wendig. Er macht ferner den Ertragsausgleich unmöglich, der in Betrieben, die mehrere Kulturgewächse anbauen, dadurch eintritt, daß Ausfälle in der einen Fruchtart durch bessere Erträgnisse in einer anderen wettgemacht werden können. Haben mangelnde Nieder- schläge und Spätfröste zum Ausfall der Weizenernte geführt, so steht der Nurweizenproduzent vor einem totalen Negativergebnis des betreffenden Betriebsjahres, da ihm Einnahmen aus irgendwelchen Nebenbetrieben nicht zu Hilfe kommen. Gerade weil der argentinische Ackerbau von einer Reihe typischer Plagen, wie Dürre, Spätfröste, Hagel, Heuschrecken und Regen- güsse, so stark bedroht ist, wäre es angezeigt, in der gemischten Wirt- schaft, in der Vereinigung verschiedener landwirtschaftlicher Zweige die beste Selbstversicherung zu suchen. Dazu gehörte auch die Ver- bindung des Getreidebaus mit der Weideviehzucht. Träte dazu ein geregelter Fruchtwechsel, wie er heute für die älteren Weizen- gebiete in Santa Fe bereits eine unabweisbare Notwendigkeit ge- worden ist, so wäre ein Wirtschaftssystem erreicht, das allen An- forderungen entspräche, die man in Argentinien an eine Frucht- wechselwirtschaft zu stellen berechtigt ist. „Während man in Deutsch- land durch die Fruchtfolge eine einseitige Entziehung der Nähr- werte des Bodens vermeiden will, also in ihrer primitivsten Form auf einen Stickstoffzehrer einen Stickstoffmehrer folgen läßt, können für die argentinische Landwirtschaft derartige Erwägungen für die Aufeinanderfolge der einzelnen Früchte einstweilen nicht maßgebend sein. Sie muß vielmehr solche Pflanzen anbauen, deren Erträge auf dem Weltmarkt leicht abgesetzt werden können1)." Dies brauchen *) M. Becker, Der argentinische Weizen im Weltmarkte. Abhandlungen — 201 — aber keineswegs nur die heute ausschließlich kultivierten Getreide- gräser zu sein. Die mittelargentinische Ebene eignet sich für den Anbau einer großen Zahl von Kulturgewächsen, die alle absatzfähig sind und Weltmarktpreis haben. Eine Schrift von A. Dumas aus dem Jahre 1902, „La Crisis Agrioola", zählt als solche auf: 8 Arten von Getreidepflanzen, 8 Arten von Wurzel- und Knollengewächsen, 7 Arten von ölgewächsen, 9 Arten von Gespinstpflanzen, 5 Arten von Hülsenfrüchten und 5 Arten von Gräsern und Futterpflanzen1). Nehmen wir dazu eine Reihe von Obst- und Gemüsekulturen, für welche die Konsumfähigkeit ihrer Produkte schon durch die gegen- wärtig noch notwendig werdende Einfuhr bewiesen ist, so steht dem argentinischen Bauern eine reiche Auswahl von Kulturgewächsen zur Verfügung, die er mit Nutzen heranziehen kann, um aus seiner nachteiligen Monokultur herauszukommen. Wir sahen bereits, wie die gesamte argentinische Landwirtschaft von der großen Teilung in Getreidebau einerseits, Viehzucht anderer- seits beherrscht wird. Selbst wo beide Zweige innerhalb eines Groß- betriebs nebeneinander vorkommen (im Klein- und Mittelbetrieb ist das fast nie der Fall), stehen sie betriebstechnisch vollkommen getrennt ohne organische Verbindung nebeneinander. Diese groß- linige Arbeitsfeilung ist eine Wirkung der Großbetriebsorganisation der Weideviehzucht, die vorläufig nur in dieser extensiven Form exportfähig ist, ist also letzten Endes neben natürlichen richtung- gebenden Vorbedingungen des Landes und Klimas, deren Einfluß nicht unterschätzt werden soll, auch eine Folge des Vorwiegens der Ausfuhrinteressen. Im Ackerbau setzt sich diese Arbeitsteilung fort: Spezialisierung einer großen Anzahl von Betrieben, ja ganzer Landesteile für eine Getreidetype. Hier nur Weizen, dort nur Mais. Jede landwirtschaftliche Nebenarbeit ist zu einem besonderen Ge- werbe gemacht. Der Bauer drischt sein Korn nicht selber, sondern überläßt das dem Unternehmer, der mit seiner Maschine nach der Ernte von Acker zu Acker fährt. Der Bauer ist nur Getreideproduzent, sonst nichts. Es gibt Kolonisten, die nur den Anbau von Weizen kennen, dagegen die Maiskultur scheuen, weil sie mit ihrer anbau- technischen Eigenart nicht vertraut sind. Die mangelhafte Kennt- nis der verschiedenen Anbauarten als Folge der Spezialisierung für eine Körnerart mag für viele der Anlaß sein, unter allen Umständen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Jena, hersg. von J. Pierstorff, Jena 1903, S. 41. *) Zitiert nach M. Becker a. a. O., S. 42. — 202 — an dieser einen Fruchtart festzuhalten. Der Wanderpachtbau er- leichtert dies; hat der Wanderpächter irgendwo 3 Jahre Weizen gebaut, so zieht er weiter — um anderswo wieder Weizen zu bauen. Viele Kolonisten, die vor ihrer Einwanderung einen nichtlandwirt- schaftlichen Beruf hatten oder wenigstens nicht selbständige Unter- nehmer eines landwirtschaftlichen Betriebs waren, erlernen einfach nur den Anbau einer Körnerart, sie sind nicht ,, Bauern", sondern ,, Spezialisten für Weizen- und Maisproduktion". Die reine Ausfuhrorientierung hat, das ist das Ergebnis unserer Untersuchung, den argentinischen Ackerbau sich übertrieben arbeitsteilig entwickeln lassen. Eine solche Arbeitsteilung wider- spricht dem innersten Wesen des landwirtschaftlichen Gewerbes und kann sich auf die Dauer nicht ohne ernste Schädigung aufrecht- erhalten lassen. Das argentinische Landwirtschaftsministerium weist in seinem Bemühen, die Agrarproduktion in die richtigen Wege zu leiten, un- aufhörlich auf die Notwendigkeit hin, die Monokultur aufzugeben und die körnerbauenden Betriebe gemischtwirtschaftlich umzuge- stalten. Durch Verteilung von Saatgut und Aussetzung von Prämien versucht man, den Anbau von Hülsenfrüchten, Gemüse und Obst anzuregen. Dem gleichen Ziele wird auch die Arbeit der landwirt- schaftlichen Versuchs- und Lehrstationen, die dem Ackerbaumini- sterium unterstehen, nutzbar gemacht. In ihnen wird neben der Akklimatisierung, Züchtung und Schaffung neuer Anbausorten von Getreide das Studium der den Verhältnissen der verschiedenen Gebiete am besten angepaßten Kulturpflanzen und ihrer Anbausysteme betrieben. Auf Grund der Versuchsergebnisse wird der Anbau be- stimmter Kulturgewächse dann den Landwirten als besonders rationell empfohlen. Staatliche Ackerbauingenieure bereisen das Land in Sonderzügen, die als fahrbare Schulen eingerichtet und mit Aus- stellungsabteilungen ausgestattet sind, halten Wandervorträge über den Nutzen neuer bisher nicht angebauter Pflanzen (Sorghum, Topinambur, Mandioca usw.) und erteilen Ratschläge. Ein umfang- reicher und kostspieliger Aufklärungs- und Unter Weisungsapparat, dem sich auch die Tagespresse eingliedert, ist in ständiger Tätig- keit mit dem Ziele, eine Umstellung des Ackerbaus vorzubereiten und den Kreis der Kulturpflanzen zu erweitern. Alle diese Bestrebungen und Versuche scheitern im wesentlichen an zwei Widerständen. Der eine besteht in der Indolenz und geringen Bildungsstufe des Durchschnitts der ländlichen Bevölkerung, die — 203 ihrerseits aus der Geringwertigkeit des Einwandererelements resul- tiert. Auch macht sich ein gewisser konservativer Zug, welcher der agrarischen Bevölkerung aller Länder weitgehend eigen ist, bereits in dieser jungen, erst zum geringen Teil festansässigen Landbevölke- rung bemerkbar. Er läßt an dem, was sich als Typus extensiven Exportgetreidebaus herausentwickelt hat, mit großer Zähigkeit festhalten und macht den Einzelnen der Überzeugung von der Un- z weckmäßigkeit desselben schwer zugänglich. Der andere und noch viel entscheidender wirkende Widerstand hegt in der Agrarverfassung. Wir können hier auf bereits Gesagtes verweisen. Der überwiegende Teil der Ackerbauer steht im Pacht- verhältnis und ist durch Vertragsvorschriften in seiner wirtschaft- lichen Entschließungsfreiheit behindert. Der grundbesitzende Vieh- züchter aber hat an der Abänderung des herrschenden Systems und an der Abkehr von dem Prinzip der einseitigen Exportgetreideproduktion kein Interesse. Damit hängt die Lösung auch dieses Problems wie die der übrigen vitalen Fragen der argentinischen Landwirtschaft — Erhaltung der Einwanderung, Schaffung eines selbständigen Bauernstandes, Übergang zu intensiveren Wirtschaftsmethoden und Erzielung höherer Durchschnittserträge — von der Verwirklichung der Grundreform der argentinischen Agrarwirtschaft ab: der Ände- rung der herrschenden Agrarverfassung und der Beseitigung des Lati- fundienwesens. 3. Kapitel. Die Bedeutung der einzelnen Nutzpflanzen. a) Der Weizen. Der Boden der Argentinischen Republik enthält nach seiner Zusammensetzung wie nach den herrschenden klimatischen Be- dingungen die Möglichkeit des Anbaus fast aller Kulturgewächse der gemäßigten und subtropischen Zone. In der vegetativen Frucht- barkeit der weiten Ackerflächen und der ergiebigen Nährfähigkeit der riesigen Weideflächen sehen die Argentinier mit Recht die Grund- lagen für die wirtschaftliche Zukunftsgröße ihres Landes. Eine auch nur annähernd genaue Bestimmung der anbaufähigen Oberfläche des Landes ist darum schwierig, weil die Flächen, welche Gebirge, Seen, Wüsten, Sanddünen und Salzsteppen einnehmen, in ihrer Ausdehnung unbekannt sind. Das gilt vor allem von den patagonischen „mesetas", jenen wasserlosen kahlen Hochebenen, in die nur relativ — 204 — kleine Vegetation sinseln eingesprengt sind. Nach offizieller Schätzung ist die Hälfte alles argentinischen Bodens kultivierbar, d. h. rund 150 Mill. ha1). Von dieser Fläche sind zwei Drittel als der Viehzucht vorbehalten in Abrechnung zu bringen, so daß dem eigen tlichen Ackerbau etwa 50 Mill. ha verbleiben. 1916 verteilte sich die gesamte bebaute Fläche folgendermaßen2): Körnerfrüchte 12 703 990 ha Alfalfa 7619000 „ Sonstige Kulturen 3056417 ,, insgesamt 23 379 407 ha Der Getreidebau nimmt also gegenwärtig erst ein Viertel der schätzungsweise anbaufähigen Fläche ein, und auch, wenn wir die übrigen Kulturen außer der Alfalfa, deren Flächen ja der Viehzucht dienen, hinzunehmen, so verbleibt dem eigentlichen Ackerbau in dem Rahmen der nach heutiger Berechnung anbaufähigen Boden- flächen noch eine Ausdehnungsmöglichkeit um mehr als das Drei- fache seines gegenwärtigen Bestandes. Die wichtigste Anbaufrucht des argentinischen Ackerbaus ist der Weizen. Seine schnelle und umfassende Ausbreitung hat, von den günstigen natürlichen Wachstumsbedingungen abgesehen, in der vorteilhaften Weltverkehrslage seines Hauptanbaugebietes ihren wichtigsten Grund. Über die ältere Entwicklung des Weizenanbaus gibt das Werk von Max Becker in erschöpfender Weise Auskunft, welches die Entwicklung bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts darstellt. 1872 betrug nach Becker3) bei einer gesamten Kulturfläche von 850000 ha das Weizenareal 130000 ha. Um die Mitte dei 80 er Jahre begann sich Argentinien zum Weizenexportland zu entwickeln. Der Aufschwung, den der Weizenbau sit dieser Zeit nahm, ist beispiellos. Setzen wir die Anbaufläche des Jahres 1875/76 (84500 ha) gleich 100, so ergibt sich folgende Reihe von Indexziffern: 1875/76 100 . 1884/85 810 1894/95 2426 1904/05 5803 1914/15 7409 a) Anuario de la Direcciön General de Estadfstica corresp. afio 1912, Bd. II, Buenos Aires 1914, S. 14. 2) Estadistica Agricola 1916/17. 3) Becker a. a. O., S. 28. — 205 — Das Weizenareal hat sich seit Beginn der Weizenexportfähigkeit Argentiniens bis 1915 in 40 Jahren um das 74 fache vermehrt. Die folgende Übersicht gibt über Entwicklung von Anbau, Erzeugung und Ausfuhr seit Beginn des Jahrhunderts Aufschluß; Tabelle 47. Anbaufläche, Erzeugung, Inlandverbrauch und Ausfuhr von Weizen seit 18901). Inlandverbrauch Ernte- Anbaufläche Erzeugung Ausfuhr2) jahr in 1000 ha in 1000 t Saatgut 1000 t Verzehr 1000 t t 1890/91 1202 845 70 37° 395 555 1895/96 2260 1263 140 500 532 001 1900.01 338o 2034 ' 231 665 904 289 1901/02 3296 1534 259 668 644 908 1902/03 3695 2824 300 689 1 681 327 1903/04 4320 3529 33o 700 2 304 724 1904/05 4903 4io3 365 710 2 868 281 1905/06 5675 3672 410 740 2 247 988 1906/07 5692 4245 415 810 2 680 802 1907/08 5760 5239 43° 900 3 636 294 1908/09 6063 4250 480 980 2 514 130 1909/10 5837 3566 500 1000 1 883 592 1910/11 6253 3973 500 1000 2 285 951 1911/12 6897 4523 55o 1100 2 629 056 1912/13 6918 5100 600 1200 2 812 149 1913/M 6574 2850 5io 1250 980 525 I9I4A5 6261 4604 530 1200 2 511 514 1915/16 6645 4600 540 1200 2 294 876 1916/17 651 1 2180 55o 1172 935 828 191 7/1 8 7234 6086 — — — 1918/19 6870 5015 — — — Seit 1900 hat eine Verdoppelung der Weizenanbaufläche statt- gefunden. Der Weizenanbau erreichte 1917/18 seinen Höhepunkt mit einer Fläche von über 7 MilL.ha. Allgemein ist die Wachstums- *) Estadfstica Agricola 1916/17, S. 53. Für die Jahre 1916/17, 1917/18 und 1918/19 ergänzt nach Commerce Reports, Washington, Nr. 58 vom 11. 3. 1919. Die Zahlen für 1918/19 beruhen auf Schätzung. 2) Die unter der Rubrik des Erntejahres 1890/91 angegebene Ausfuhr- menge gibt die Ausfuhr für das Kalenderjahr 1891 an und so fort. Die Ausfuhr an Weizenmehl ist hierin nicht enthalten, vgl. für diese Tab. 80, S. 289. — 20Ö — tendenz der Weizenfläche im letzten Jahrzehnt schwächer geworden. Auf Anläufe zu energischer erneuter Ausdehnung folgen immer wieder willkürliche Rückgänge. Diese charakteristische Sprunghaftigkeit findet in der Betriebsverfassung des Weizenbaus ihre vornehmliche Erklärung. Der Wanderpachtbau, auf den der größere Teil der Weizenproduktion entfällt, schwankt in seinem Umfang von Jahr zu Jahr. Der Wanderpächter, welcher Großgrundbesitzern gehöriges Land unter den Pflug nimmt, baut den Weizen auf Neuland um der nachfolgenden Alfalfa willen. So wird der Umfang eines erheblichen Teils des Weizenareals durch die Interessen der Viehzüchter bestimmt, die ihre natürlichen Grassteppen in Kunstweiden umwandeln wollen. Es leuchtet ein, daß für den Umfang auf solche Weise zur Weizen- produktion herangezogenen Landes keine festen Regeln bestimmend sein können. Wo es sich nicht um nomadischen Anbau handelt, sondern dasselbe Land längere Zeit von Pächtern oder Eigentümern bestellt wird, wird im allgemeinen noch der Weizen ohne Zwischen- frucht eine lange Reihe von Jahren hintereinander auf demselben Boden gebaut. Die Dauer der ununterbrochenen Weizenfähigkeit ist nach Bodenbeschaffenheit und Klimabedingungen verschieden. In den schweizerischen Kolonien in der Gegend von Esperanza in Santa Fe soll nach Kaerger an manchen Orten 40 Jahre nach- einander auf demselben Felde Weizen gebaut worden sein, ohne daß der Boden eine Erschöpfung gezeigt habe. Die Fruchtbarkeit des jungfräulichen Bodens hat diese falsche Wirtschaftsart solange er- tragen können. Neuerdings hat man sich in den alten Kolonialgebieten von Santa Fe doch gezwungen gesehen, eine gewisse Fruchtfolge von Weizen, Mais und Leinsaat anzunehmen und zwischendurch dem Boden als Weideland Ruhe zu gönnen. Nach neueren Erfahrungen ist es nur auf den besten noch verfügbaren Böden möglich, 10 bis 15 Jahre nacheinander Weizen zu bauen1). Tatsächlich wird auf den typischen Weizenbauchacras solange Weizen gebaut, als die Boden- verhältnisse es zulassen. Es ist daran festzuhalten, daß auf die eben betrachteten Weizen- betriebe, die als ziemlich konstanter Faktor zur Gesamtgröße der mit Weizen bestellten Fläche beitragen, nur der geringere Teil der letzteren entfällt, während ihr größerer Teil den wandernden Pacht - betrieben angehört, die dem Weizenareal in seinem Totalumfang seine schwankende Größe verleihen. Daß die Weltmarktpreisbildung ') Pfannenschmidt a. a. O., S. 33. — 2o; — für Weizen auf das argentinische Weizenareal einen minder ent- scheidenden Einfluß ausübt, wurde bereits hervorgehoben. Aller- dings scheinen die hohen Anbauziffern besonders des Erntejahres 1917/18 wie auch des folgenden Jahres als Ausnutzung der durch den Krieg verursachten Getreidehochkonjunktur zu deuten zu sein. Die Weizenpreise erreichten im Kriege eine bis dahin unbekannte Höhe. 1917 stiegen sie in Buenos Aires bis auf 19 Pesos für 100 kg fob. Die Regierung tat alles, um die Landwirte auf die Ausnützung dieser günstigen Situation hinzuweisen. Überaus charakteristisch für ihre Propagandatätigkeit, der in der Tat der Erfolg nicht versagt blieb, war folgendes im Jahre 191 7 in Massen über das Land verteilte und an die Ackerbauer der Republik gerichtete Flugblatt, aus dessen Wortlaut das Folgende wiedergegeben sei1): ,,Die Lage des Weltweizenmarktes ist außerordentlich günstig für diese Frucht. Der Fehlbetrag in der Welt- weizenerzeugung erreichte 1916: 25 Mill. Tonnen, die im neuen Erntejahr ersetzt werden müssen2) . Infolge dieses Mangels haben sich die europäischen Länder und die Vereinigten Staaten von Amerika gezwungen gesehen, ihre Weizenbestände für den eigenen Konsum zurückzubehalten und die Ausfuhr zu verbieten . . . Die argentinische Erzeugung des kommenden Erntej ahres wird zum günstigsten Zeitpunkt für die Deckung des Weizen- bedarfs des Weltmarkts zur Verfügung stehen. Die Landwirte, die den Weizenanbau in größtmöglichstem Maße ausdehnen, dienen am besten ihren eigenen Interessen und unterstützen zugleich den nationalen Fort- schritt. . . Jeder Landwirt, der gegenwärtig Weizen sät, tut ein patrioti- sches und menschliches Werk." In der geographischen Verteilung des Weizenanbaus. innerhalb der argentinischen Republik sind im Laufe der letzten 20 Jahre wesentliche Verschiebungen eingetreten, wie sie die folgende Gegenüberstellung der Jahre 1895 und 1916 veranschaulicht. (Siehe Tabelle 48 S. 208.) 1895 war der Weizenanbau vor allem in der Provinz Santa Fe konzentriert, auf w eiche die Hälfte des Gesamtareals entfiel. Auf die Provinz Buenos Aires entfielen dagegen erst 18%. Diese Verteilung war im wesentlichen die Folge des damaligen Standes des Eisen- bahnbaus wie der Hand in Hand mit ihm gehenden Ackerbaukoloni- sation und Besiedelung. Die in größerer Nähe des Paranä westlich und östlich dieses Flusses liegenden Gebiete der Provinz Santa Fe und Entre Rios galter als das Weizenland der Republik. Seit 1900 etwa beginnt der Weizenbau in Santa Fe abzunehmen. Alte Weizen- *) La Prensa, Buenos Aires, 8. 5. 1917. 2) Zum Entstehen dieses Fehlbettages trug Argentinien selber durch seine - Mißernte von 1916/17 erheblich bei. — 208 — Tabelle 48. Verteilung der Weizenanbaufläche in Hektar auf die verschiedenen Landesteile 1895 und 19161). Landesteil 1895 1916 Provinz Buenos Aires ,, Santa Fe 367 446 1 030 898 293 700 292 108 37o 65 161 2 305 OOO 800 OOO „ Cördoba ,, Entre Rios 1 860 OOO 340 OOO Territorium Pampa Central Übrige Landesteile 1 026 OOO 180 OOO Argentinische Republik 2 049 683 6 511 000 gebiete mußten hier zu Fruchtwechsel übergehen oder zur Vieh- haltung zurückkehren, weil der Boden völlig weizenmüde geworden war. Dem durch Anwendung künstlichen Düngers zu begegnen, ist im Rahmen des extensiven Betriebssystems einstweilen nicht möglich. Solange noch genügend Neuland zur Weizenproduktion zur Ver- fügung steht, sind diesem gegenüber ältere Kulturböden, die, ihrer jungfräulichen Vegetationskraft beraubt, durch Düngung erhöhte Erzeugungskosten verursachen würden, nicht konkurrenzfähig. So wandert der Weizenbau seit etwa J900 zunächst nach Norden. Es stellte sich aber bald heraus, daß den Weizenbauern hier durch die Witterungsverhältnisse eine Grenze gezogen war, die nicht so weit nördlich reichte, als fiüher angenommen worden war. Diese nörd- liche Grenze der eigentlichen Weizenzone, die sich etwa mit der Jahres- isotherme von 19 ° deckt, verläuft in einer Linie, welche die Provinz Santa Fe ziemlich genau in der Mitte von Osten nach Westen durch- schneidet und etwa 100 km nördlich der Stadt Cördoba weiterläuft, so den größten Teil der Provinz Cördoba mit umfassend. In der letzteren Provinz nahm denn auch das Weizenareal mächtig zu, so daß sie heute unter den Weizengebieten an zweiter Stelle steht. Während die Größe der Weizenanbaufläche in der Provinz Entre Rios ziemlich konstant blieb, strebt die Ausdehnung des Weizen - baus neuerdings stark gen Süden und Südwesten von dem Gebiet, das bisher als das eigentliche Weizenland galt. Vor allem wurde der weite Süden der Provinz Buenos Aires dem Weizen erschlossen. Die Anbaustatistik teilt die Provinz in 3 Sektionen: Norden, Westen, x) Estadistica Agricola 1916/17, S. 1; — 209 — Mitte und Süden. Auf die letztere entfielen 1916/17 von der Gesamt- weizenfläche der Provinz in Höhe von 2305000 ha allein 1560000 ha gleich 25% der Totalweizenfläche des Landes. Erfahrungen und Versuche zeigten, daß die Aussichten für die Ausdehnung des Weizen- baus in südlicher Richtung in der Provinz Buenos Aires und den Territorien Pampa Central, Rio Negro, ja Chubut viel verheißungs- voller sind als für eine nördlich gerichtete Ausdehnung in Santa Fe, Entre Rios und Santiago del Estero. Vor allem ist die Pampa Central in den jüngsten Jahren in die Reihe der wichtigsten Weizengebiete des Landes getreten. Noch 191 1 betrug ihre Weizenfläche 450000 ha, um 1916 mit 1026000 ha ein Sechstel der Totalweizenfläche des Landes zu umfassen. Bisher nie von der Pflugschar berührtes Land wurde hier in von Jahr zu Jahr wachsenden Flächen durch italienische Kolonisten der Weizenerzeugung dienstbar gemacht. Relativ niedrige Boden- und Pachtpreise beschleunigten die Entwicklung. Neben dem Hauptweizengebiet der mittleren Provinzen ver- schwinden die geringen Weizenflächen in den übrigen Landesteilen. Hervorzuheben ist unter ihnen nur die Provinz San Luis mit 65 500 ha Weizen im Jahre 1916. Die patagonischen Territorien Neuquen, Rio Negro und Chubut steuern mit einer Fläche von 22500 ha zum Gesamtareal bei. Allerdings wird diesem Weizen südlichster Pro- venienz, besonders dem von Chubut, eine ganz besonders hoch- stehende Qualität nachgerühmt. Er ist zur Verbesserung geringerer Sorten gesucht und erzielt höhere Preise. Auf künstlich bewässerten Feldern sind seine Durchschnittserträge weit höher als in der zentralen Weizenzone. Die Zukunft der Weizen Produktion Patagoniens ist eine Frage der Besiedelung und der Verkehrserschließung. Immerhin können diese Gebiete nie in dem Maße wie das mittlere Argentinien für den Weizen weitmarkt wichtig werden, da der Umfang ihres anbau- fähigen Bodens auch bei großzügiger Erweiterung der hier und dort begonnenen Bewässerungsanlagen beschränkt bleibt. In ihrer heutigen Ausdehnung erstreckt sich die argentinische Weizenzone über reichlich 10 Breitengrade. Durch diese weite Ver- breitung ist dem Lande ein wesentlicher Vorteil erstanden: die Mög- lichkeit desAusgleichs partieller Mißernten, Finden in einzelnen Teilen der Weizenzone Mißernten statt, so sind die übrigen Weizen- gegenden in der Lage, durch gute oder mittlere Erträge auf das Ge- samtergebnis der Landesweizenernte ausgleichend zu wirken, und so wird die Exportkraft stabiler gehalten. 1895/96 noch hatten Santa Fe und Entre Rios allein zwei Drittel des Weizenareals inne. Prob], d. Weltwirtschaft. 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. *4 — 2IO — Die Folge war, daß eine Mißernte in diesem relativ engbegrenzten Gebiet sich in geringer Gesamternte und sehr niedriger Ausfuhr bemerkbar machte, da die südlicheren Anbaugebiete, obwohl sie eine gute Ernte gehabt hatten, nicht die genügenden Mengen aufbrachten, um den Ausfall zu kompensieren1). Diese Ausgleichsfähigkeit der erweiterten Anbauzone wurde zum erstenmal im Erntejahr 1900/01 bewiesen, noch deutlicher im folgenden Jahre. In beiden Jahren hatten Santa Fe und Entre Rios schlechte Ernten, dennoch ermög- lichten die in der Provinz Buenos Aires geernteten Mengen es dem Lande, überhaupt mit einer wenn auch bescheidenen Weizenausfuhr auf den Weltmarkt zu kommen. Vor gelegentlichen Totalkatastrophen kann allerdings die argentinische Weizenernte trotz der durch die Erweiterung der Anbaufläche erreichten größeren Stetigkeit im Ernteausfall nicht bewahrt werden. Den Beweis dafür liefert das Jahr 1913/14, das mit einer Anbaufläche von 61/2 Mill. ha nur eine Ernte brachte, die der von 1902/03 gleichkam, als die Anbaufläche erst halb so groß war, in noch krasserer Form aber das Jahr 1916/17, in dem infolge der in allen Weizengebieten gleichmäßig eintretenden Mißernte die Ausfuhr auf nur 936000 t herabsank. Der Weizenbau arbeitet mit sehr niedrigen Hektarerträgen. Für die Periode 1891 — 1902 errechnet Becker einen durchschnitt- lichen Hektarertrag von 747,4 kg, v/as dem n % fachen einer Aussaat von 65 kg entspricht2). Die neuere Entwicklung hat eher eine Ver- schlechterung denn eine Verbesserung dieses Standes herbeigeführt3). !) Vgl. Becker a. a. O., S. 3711. 2) Becker a. a. O., S. 39. 3) An dieser Stelle seien bezüglich der statistischen Erfassung der Mengen geernteten Getreides einige grundsätzliche Bemerkungen über die argentinische Erntestatistik eingeschaltet. Die statistische Zusammenstellung der Ernte- ergebnisse geschieht auf Grund der Eintragungen, die jeder Dreschmaschinen- besitzer in ein Heft, die libreta de estadistica nacional zu machen hat. Zu diesen Eintragungen ist er gesetzlich verpflichtet. Die libretas werden von der statistischen Abteilung des Ackerbauministeriums jährlich an die Leiter aller Postämter im Lande versandt. Letztere händigen sie den Dreschmaschinen- besitzern ihres Bezirkes gegen eine Empfangsbescheinigung aus, die ihnen bei Rückgabe des ausgefüllten Heftes nach Beendigung der Dreschkampagne zurück- gegeben wird. Sämtliche Dreschmaschinen sind, auch aus steuertechnischen Gründen, in ein amtliches Register eingetragen. (Für jede Maschine ist eine Patentsteuer an die Provinzialregierung zu entrichten, sie betrug z. B. 191 7 in der Provinz Cördoba 375 Pesos.) Auf diese Weise ist es möglich, genau zu kontrollieren, ob alle Dreschmaschinenbesitzer ihrer Verpflichtung, die von ihrer Maschine erdroschen en Getreidemengen in die libreta einzutragen und — 211 — Tabelle 49. Weizenhektarerträge in 100 kg, 1906 — 151). Jahr Hektarertrag Jahr Hektarertrag 1905 — 06 6,5 1910 — 11 6,4 1906 — 07 7,5 1911 — 12 6,6 1907—08 9,1 1912— 13 7,4 1908—09 7,0 1913— 14 4,7 1909—10 6,1 1914— 15 7,3 Durchschnitt 1906 — 15 6,9 Mit diesem Durchschnittsertrag von 6,9 Doppelzentnern steht Argentinien für den zugrunde gelegten Zeitraum unter 39 Weizen - produktionsländern der Welt an 35. Stelle. Nur Algerien, Rußland, Uruguay und Tunis weisen im Verhältnis zur Fläche noch geringere Erträge auf. Ein Vergleich mit der deutschen Landwirtschaft ergibt, daß in dieser der Weizenbau um das Dreifache höhere Erträgnisse erzielt. Hier belief sich der Durchschnittsertrag des Jahrzehnts I9°3 — !2 auf 20,3 dz, 1913 stieg er auf 23,6 dz. Einzelne deutsche Landesteile erzielten noch weit höhere Erträge, so die Provinz Pom- mern 29,0 dz, die Provinz Schleswig-Holstein 32,4 dz2). Auch in Argentinien erreichten einzelne Gebiete beträchtlich über dem Landes- durchschnitt stehende Erträge, wie die Zusammenstellung (Tabelle 50 S. 212) nachweist. Lassen wir den außerordentlich niedrigen Ertragswert für die Provinz San Luis heraus, so ergibt sich für die 5 Gebiete der Haupt- ackerbauzone ein Hektarertrag von 752 kg. Selbst mit diesem ver- besserten Wert steht Argentinien noch weit hinter den nordamerika- nischen Weizenausfuhrländern zurück. Es betrugen im Durchschnitt des Jahrzehnts 1905 — 14 die Hektarerträge in: diese abzuliefern, nachkommen. Letzteres ist fast immer der Fall, andererseits auch anzunehmen, daß die von den 5700 Dreschmaschinen des amtlichen Re- gisters erdroschenen Mengen ziemlich restlos die gesamten überhaupt zur Ernte gelangten Getreidemengen umfassen. Das Dreschen wird von Unternehmern, die es als besonderes Gewerbe betreiben, vorgenommen, und außer den von ihnen betriebenen, im amtlichen Register enthaltenen Maschinen gibt es in der Hand der Landwirte nur kombinierte Mäh- und Dreschmaschinen in geringer Zahl, deren Druschmengen aber ebenfalls erfaßt werden. Die auf dem geschilderten Wege gewonnenen Resultate der Erntestatistik sind als hochwertig zu be- zeichnen. J) Nach Annuaire International de Statistique Agricole, 1913 et 1914, Rom 1915. 2) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1914, S. 44. 14* 212 Kanada 12,8 dz. den Vei einigten Staaten 9,9 dz. Tabelle 50. Weizenerntefläche und Erträge des Erntejahres 1915/161). Landesteile Abgeerntete Fläche in ha Produktion in t Hektarertrag in kg Buenos Aires 2 197 358 726 373 1 884 910 381 611 957 891 86 000 94 000 1 873 000 580 000 1 140 000 347 °°° 570 000 20 000 70 000 852 Santa Fe 799 605 909 Cördoba Entre Rios Pampa Central San Luis 595 233 Übrige Prov. und Territorien. . . 745 Argentinische Republik . . 6328 143 2) 4 600 000 727 Würde es Argentinien gelingen, die Erträge der Vereinigten Staaten zu erreichen, deren extensive Landwirtschaft unter ganz ähnlichen Bedingungen arbeitet, so wäre ohne Vermehrung der gegen- wärtigen Anbaufläche, also auf einer Fläche von rund 7 Mill. ha die Produktion von ebensoviel Tonnen Weizen möglich. Eine derartige Ertrag Steigerung Hegt durchaus im Bereich des Möglichen. In einer größeren Zahl von Betrieben werden schon heute Hektarerträge von weit über 10 dz erreicht. Tabelle 51. Weizenhektarerträge der Hauptackerbauzone nach ver- schiedenen Ertragsklassen3). Hektarerträge Gesamt- Überhaupt zahl der erreichter Ernte- bis zu 10—15 15—20 20 — 25 1 als 25 dz Weizen Maximal- jahr 10 dz dz dz dz bauenden ertrag Zahl der Betriebe Betriebe in dz I9M/I5 42097 8766 I37i 248 14 52496 35,2 1915/16 35 935 13885 3265 619 129 53 833 38,0 J) Estadistica Agricola 1916/17, S. 30. 2) Die hier angegebene Gesamterntefläche ist kleiner als die in Tab. 48 S. 208 auftretende Anbaufläche. Dies erklärt sich offenbar so, daß ein kleiner Teil der mit Weizen besäten Fläche nicht zur Ernte gelangte infolge totalen Mißwachses oder Verwendung der jungen Saat als Viehweide. 3) Nach Estadistica Agricola 1916/17, S. 34. — 213 — Von der Gesamtzahl der Weizen bauenden Betriebe haben 1915/16: 33% Hektarerträge von mehr als 10 dz zu verzeichnen, die übrigen zwei Drittel aber drücken das Gesamtergebnis für die Hauptland Wirtschaftszone auf 7,5 dz herab. Da Bodenqualität und Klima dem Weizen Wachstum unbedingt günstig sind, lassen sich die geringen Durchschnittserträge nur aus der ungenügenden Boden- bearbeitung erklären. Es wird durchweg nur einmal und sehr flach gepflügt. Der Boden fällt auf diese Weise sehr stark der Verunkrautung anheim, und der Weizenpflanze steht zu ihrer Ernährung nur eine schwache Ackerkrume zur Verfügung. Dazu kommt, daß das Saat- gut von minderwertiger Qualität ist, da es immer wieder der Ernte desselben Bodens entnommen und nur mangelhaft gereinigt wird. Eine weitere Erklärung für die geringe Höhe der Erträge im Ver- hältnis zur Fläche gibt die Tatsache, daß, wie schon in anderem Zusammenhange erörtert, vielfach der Weizenbau nicht als Selbst- zweck betrieben wird1). Häufig lassen die Grundbesitzer große Kamp- flächen umpflügen, um das Unkraut zu zerstören, das der Viehweide nachteilig ist, und um den Boden zu verbessern. Sie benutzen diese Gelegenheit, Weizen oder eine andere Körnerart aussäen zu lassen, in der Hoffnung, auf diese Weise die Kosten für die vorgenommene Meliorationsarbeit zu decken und darüber hinaus einen Erntegewinn zu erzielen. Ein anderer Fall ist der, daß Kolonisten noch in sehr vorgeschrittener Jahreszeit die Aussaat vornehmen und dann in Anbetracht des fraglichen Ernteausfalls nur eine ganz oberflächliche Bodenbearbeitung aufwenden. In diesen und ähnlichen Fällen er- scheint die Zahl der auf solche Art zur Bestellung gelangten Hektare in der Statistik der Anbaufläche, die als Grundlage für die Berech- nung der Gesamterträge dient, und drückt die durchschnittliche Ertragshöhe herunter. Damit mag zugegeben sein, daß der Standard der Anbautechnik des eigentlichen zünftigen argentinischen Weizen- baus höher steht als die Ertragsziffern der offiziellen Statistik, welche die Gesamtheit der überhaupt mit Weizen besäten Flächen umfaßt, erkennen lassen. Die Tatsache, daß ein ansehnlicher Bruchteil der Weizen bauenden Betriebe über den Landesdurchschnitt des Hektar- ertrages hinausgelangt, liefert dafür den besten Beweis. Für die gesamte argentinische Weizenproduktionsmenge und damit für die Exportkraft des Landes verbleibt aber als wichtigstes Gesamtresultat, *) Vgl. den Abschnitt „Berechnung des Hektarertrages" in der Estadistica Agricola 1909/10, S. 21. — 214 — daß das Überwiegen der geringere Erträge erzielenden Betriebe1) das Verhältnis von Produktionsmenge und Anbaufläche im Vergleich zu anderen Exportländern sehr ungünstig gestaltet. Vielfach wünscht der argentinische Weizenbauer gar keine Er- höhung der Produktivität seines Landes, weil er selber für vermehrten Arbeitsaufwand keinen entsprechend höheren Gewinn erzielen würde. Die Kolonisten sind in ihrer Mehrzahl landwirtschaftliche Arbeiter ohne Kapital, die in ihrem Lebensunterhalt wie in der Beschaffung ihrer Produktionsmittel von Zwischenpersonen abhängen. Letztere, Händler, Dorfkrämer oder Zwischenpächter würden den weitaus größeren Teil des Mehrgewinns, der sich mit verbesserter Produktions- methode einstellen würde, einstreichen. Wie ferner das System der Anteilpacht hemmend auf den Fortschritt der Ackerbautechnik wirkt, sahen wir bei Erörterung des Pachtwesers. Solange nicht neben rein technischen Verbesserungen im Anbau und seiner Methode auch die sozialen Verhältnisse des argentinischen Ackerbaukolonisten eine an die Wurzel des Übels herangehende Reform erfahren, ist auch nicht mit einer irgendwie entscheidenden Verbesserung der Ein- heitserträge des Getreidebaus zu rechnen. Diese soziale Seite des Problems wird bei der Diskussion über die Frage, wie eine Steige- rung der Einheitserträge zu erzielen sei, auch in Argentinien vielfach übersehen. Freilich pflegen auch die aus dem Pächterstande hervor- gegangenen, selbständig gewordenen Eigentümer die primitive An- bautechnik des Wanderpächters nicht aufzugeben. Dies läßt sich nur als gedankenloses Festhalten am extensiven Betriebssystem, das zu sehr Allgemeingut aller in Argentinien Ackerbau Treibenden ge- worden ist, charakterisieren. Der argentinische Weizenbau steht noch auf einem so tiefen Stadium der Anbautechnik, daß die Witterungsverhältnisse die allergrößten Schwankungen im Ernteausfall hervorrufen können. Die primitive Anbautechnik trägt neben Schäden, die durch höhere Gewalt entstehen, wie Hagelschlag, Überschwemmungen oder Heu- schreckenfraß, die Hauptschuld an dem von Jahr zu Jahr so außer- ordentlich großen Schwanken der Gesamterzeugung des Landes, a) Es ist schwer zu entscheiden, wie weit zu diesen der größere Teil der auf Interimsackerbauland (vgl. S. 141 ff.) arbeitenden Betriebe gehört, da für deren Ertragsgestaltung zwei entgegengesetzt wirkende Momente von Ein- fluß sind, die unerschöpfte Kraft ihres meist vorher noch nie bebaut gewesenen Bodens auf der einen, die besonders oberflächliche Bodenbearbeitung gerade in diesen Wanderpachtwirtschaften auf der anderen Seite. — 215 — 0 wie es in der Tabelle 47 zutage tritt. Den gleichen Schwankungen ist naturgemäß auch die Weizenausfuhr unterworfen. Wenn auch durch die Ausbreitung der Weizenfläche über einen größeren geographi- schen Raum der Weizenertrag Argentiniens eine größere Stetigkeit bekommen hat, ist doch Argentinien immer noch als ein Land zu bezeichnen, auf das im internationalen Handel kein Verlaß ist1). Für das letzte Jahrzehnt beweisen das die Ausfuhrziffern der Jahre 1910, 191 1, 1914 und 1917. Die Kurve der Ausfuhr läuft mit ganz geringen Abweichungen der Produktionskurve genau parallel. Der Inlandverbrauch an Weizen bildet eine sehr konstante Größe, er belief sich im Durchschnitt des Jahrfünfts 1912 — 16 auf rund i3/4 Mill. t jährlich. Die Aussaat betrug nach der Estadistica Agricola im gleichen Zeitraum durchschnittlich 82 kg auf den Hektar. Pfannenschmidt2) gibt viel geringere Saatmengen an, durchschnitt- lich 60 kg bei Drillsaat (die vorherrscht) und 75 kg bei Breitsaat. Die gesamte Saatmenge ist keine feststehende Größe, da oft eine zweite Aussaat nötig wird und außerdem die landwirtschaftlich schlecht vorgebildeten Kolonisten nicht nach einheitlicher Praxis verfahren. Jedenfalls ist die Aussaatmenge weit geringer, als beispiels- weise im deutschen Weizenbau, der mit etwa 200 kg Saatgut auf den Hektar rechnet. Der zweite Faktor im inländischen Verbrauch ist der Konsum der Bevölkerung an Weizenmehl. Auch er ist relativ niedrig, einmal infolge der geringen Zahl der Bevölkerung, zum anderen auch infolge der Tatsache, daß der Lebensstandard des argentinischen Bauern niedrig steht. Italiener wie Argentinier ge- nießen wenig Weizenbrot. Die Bezeichnung des letzteren als ,,pan ingles" oder „frances" deutet daraufhin, daß den Einheimischen von Hause aus der Weizengenuß fremd war. Rechnet man den Ver- brauch an Weizenmehl auf der Grundlage des Ausbeuteverhältnisses der argentinischen Mühlen, die aus 100 Teilen Weizen 68 Teile Mehl produzieren, um, so ergibt sich für 1914 bei einer Bevölkerung von 7885000 Menschen und einem Mehlkonsum von 841036 t ein Weizen- verbrauch von 157 kg auf den Kopf der Bevölkerung. Verwendung von Weizen für gewerbliche Zwecke oder tierische Ernährung findet in Argentinien im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika, wo alljährlich größere Mengen geringwertigen Weizens an das Vieh verfüttert werden, nicht statt. Von den aufgeführten Mo- *) Vgl. E. Fridrichowicz, Die Technik des internationalen Getreide- handels, Berlin 1908, S. 260. 2) a. a. O., S. 36. 216 menten ist der Umstand, daß die Einwohnerzahl des Landes klein und der Anteil der städtischen an der Gesamtbevölkerung gering ist, ausschlaggebend für das im Sinne der Ausfuhr so überaus günstige Verhältnis von Produktion und Export. Letzteres verschafft Argen- tinien seine bedeutsame Stellung unter den Weizenausfuhrländern der Welt. Tabelle 52. Weizenerzeugung und -ausfuhr der wichtigsten Ausfuhr- länder im Jahresdurchschnitt des Jahrzehnts 1905 — 14 x). Ausfuhrland Weizen - erzeugung t Ausfuhr von Weizen und Weizenmehl 2) t Rußland Vereinigte Staaten von Amerika Argentinien Kanada Australien Indien 1 8 670 765 19 191 069 4224953 4 344 661 1 958 458 8 761 839 3 723 39i 3 438 053 2 623 690 2 004 373 1 178 581 1 116 154 In der Reihe der sechs wichtigsten Versorger des Weizenwelt- markts steht Argentinien in der Ausfuhr an dritter, in der Erzeugung dagegen erst an fünfter Stelle. Besonders instruktiv ist das Beispiel Indiens, das zwar eine mehr als doppelt so große Erzeugung aufzu- weisen hat als Argentinien, dessen Ausfuhr aber noch nicht die Hälfte der argentinischen erreicht, da sieben Achtel seiner Weizenproduktion mit zur Ernährung seiner dichten Bevölkerung dienen müssen. In dem Jahrzehnt 1905 — 14 gelangten 62% der argentinischen Er- zeugung zur Ausfuhr. Kanada und Australien, dünnbesiedelte Agrar- neuländer wie Argentinien, weisen gleichfalls ein stark ausfuhrgüns- tiges Verhältnis auf. Während das Verhältnis zwischen Erntemengen und Ausfuhrmengen in den übrigen Ländern von Jahr zu Jahr be- trächtlich schwankt, ist es in Argentinien ein sehr konstantes, wiederum ein Beweis für die ausschließliche Einstellung der Weizenproduktion x) Nach Annuaire International de Statistique Agricole 1913 et 191 4, Rom 191 5. Für die Länder der südlichen Halbkugel ist der Zeitraum zwischen den Erntejahren 1905/06 und 191 4/ 15 zugrunde gelegt. Die Zahlen für Rußland umfassen ganz Europäisch- und Asiatisch-Rußland außer Finnland. 2) Die Mehlausfuhrmengen wurden in Weizen umgerechnet auf der Basis 70 : 100. — 217 — auf den Export. Gliedert man die aufgeführten Ausfuhrländer nach diesem Verhältnis einer Rangordnung ein, so steht darin Argentinien an erster Stelle. Crookes1) berechnet, daß im Durchschnitt der Jahre 1911 — 14 Argentinien 57%, Kanada 46%, die Vereinigten Staaten 16% und Indien 14% seiner Weizenernte exportierte. Der Ausdehnung des Weizenbaus stehen in Argentinien noch weite Flächen zur Verfügung. Es sind in der Vergangenheit eine Reihe von Versuchen gemacht worden, zu einer scharfen Umgrenzung der argentinischen Wreizenzone zu gelangen. Noch Becker2) grenzt sie in der Provinz Cördoba durch eine Linie ab, die diese Provinz in der Richtung von Nordost nach Südwest durchschneidet und annähernd halbiert. Im wesentlichen hat diese Grenze bis in die Gegenwart ihre Gültigkeit behalten, immerhin wurden 19 16/17 bereits 22000 ha Weizen in den nordwestlichen Departements gezählt, die außerhalb der nur die 9 Departements von Ostcördoba einbe- ziehenden obigen Umgrenzung liegen. In ähnlicher Weise sind auch in den übrigen Provinzen, besonders im südlichen Buenos Aires, künstlich gezogene Grenzen durch die tatsächliche Entwicklung immer weiter hinausgeschoben worden3). Vor allem wird dies in den südlichen Trockengebieten durch Anlage von Rieselfeldern weiterhin geschehen. Das System des „Dry-farming" hat bisher in Argentinien nur ganz vereinzelt Anwendung gefunden. Eine Steigerung der argentinischen Weizenproduktion ist also, wie wir sehen, sowohl durch Ausdehnung der Anbaufläche wie durch Erhöhung der Durchschnittserträge auf die Flächeneinheit möglich. Nach dem augenblicklichen Stand der Dinge ist sie für die nächste Zukunft eher auf dem ersteren als dem letzteren Wege zu erwarten. Die Erhöhung der Einheitserträge ist außer durch verbesserte Boden- bestellung und Saatgutauswahl auch durch größere Sorgfalt in der Behandlung des Getreides während der Erntemanipulationen zu erreichen. Unter den Arbeitsmethoden des extensiven Systems geht viel Frucht während der Ernte verloren, z. B. durch die An- wendung der Köpfmaschine, welche die etwa 1 m über dem Erd- boden abgeschnittenen losen Halme automatisch in nebenherfahrende WTagen entladet. Der Verlust, den der argentinische Weizenbauer durch mangelnde Sorgfalt in der Behandlung der Ernte erleidet, 2) W. Crookes, The Wheat Problem, London 191 7, S. 89. 2) a. a. O., S. 19. 3) Vgl. Hermes und Holtmeier-Schomberg a. a. O., S. in. — 218 — wird auf ioo kg pro Hektar geschätzt1). Auf eine Fläche von 7 Mill. ha bezogen bedeutet das ein Minus von 700000 t. Diese Zahl gibt ein Bild davon, wie sehr die Erziehung des Ackerbaukolonisten zu inten- sivierten Ernte- und Anbaumethoden zur Erhöhung des Gesamt- betrages der argentinischen Weizenernte beitragen kann. Für den Weizenweltmarkt wird die Bedeutung Argentiniens in absehbarer Zukunft ständig zunehmen. Während der letzten 30 Jahre waren die Vereinigten Staaten der beherrschende Faktor in der europäischen Weizeneinfuhr. Seit Beginn dieses Jahrhunderts weist der Weizenexport der Union, als Folge der dortigen landwirt- schaftlichen Entwicklung, im großen und ganzen entschieden eine rückgängige Tendenz auf2). 1901 betrug er noch 41,4% der Gesamt- ernte, 1912 nur 12,8%. In Argentinien stieg dieser Exportanteil in der gleichen Zeit von 44,5% auf 58,2%. Was Rußland, den im Jahrzehnt 1905 — 14 wichtigsten Weizenversorger Europas anbetrifft, so ist zu bedenken, daß, abgesehen von den Wirkungen der politischen Vorgänge auf die landwirtschaftliche Erzeugung, die Bevölkerungs- vermehrung, die bei der russischen Landbevölkerung stärker ist als bei irgendeiner anderen Europas, den Ausfuhrüberschuß je länger je mehr herabdrücken wird. Anders in Argentinien. Aus Mangel an Menschen und Kapital ist hier noch längst nicht die Besitznahme- alles anbaufähigen Bodens erfolgt. Wanderpachtbau und fort- schreitende innere Kolonisation erschließen ständig weizenfähige Neuländereien der Kultur. Auch wenn durch zukünftige starke Einwanderung die Bevölkerungszahl und damit die zu ihrer Er- nährung nötige Weizenmenge wesentlich vergrößert werden sollte, so wird der erhöhte Inlandskonsum durch vermehrte Erzeugung (als Folge der durch die Einwanderung beschafften landwirtschaft- lichen Arbeitskräfte) ausgeglichen werden und der Ausfuhrüberschuß keine Verringerung erfahren. Die folgende Übersicht soll zum Schluß ein Bild von der Be- deutung des Weizens innerhalb der Gesamtausfuhr des Landes an Ackerbauerzeugnissen geben. Nach ihrem Werte betrachtet steht hier die Weizenausfuhr mit Ausnahme weniger Jahre, in denen die Weizenernte unter dem Normaldurchschnitt blieb, durchaus an erster Stelle. x) Carlos Girola in ,,La Argentina", Buenos Aires, 16. 5. 1917. 2) Vgl. Augstin a.'a. O., S. 94. — 219 — Tabelle 53. Wert der Ausfuhr von Ackerbauerzeugnissen und Anteil der einzelnen Getreidearten1). Werte in Goldpesos Gesamt- ausfuhr von Ackerbau- Weizen 2) Mais Leinsaat Hafer produkten Jahres-] durch- > schnitt J 901 — 05 113 116 501 47 795 952 32 993 261 22037577 38S239 906 — 10 198 168 717 91 274548 48 642 353 39 863 908 6533207 1911 139 827 794 85414487 2 766 597 33 579 99o 11 666 291 1912 278 400 627 104 751 454 108 908 193 34213565 21 858 517 1913 301 831 645 109 855 172 112 292 394 49 910 201 20447 278 1914 191 293 774 41 646 500 yy 704018 42 948 375 8862021 1915 319408570 142704033 93 475 45o 46 100 866 19065704 1916 246 122 234 106 459 297 73 844 793 37727429 17 626 590 1917 144 483 271 73824376 39 262 221 12 928 966 10 589 801 Die Tabelle schließt mit einem Mißerntejahr. Die Weizen- ausfuhr betrug 1917 nur 935828 t gegen 2294876 t im Jahre 1916. Wendet man auf beide Jahre den Weizenpreis für 1916 an, so würde der Ausfuhrverlust 57 Mill. Goldpesos betragen haben. In der Tat wurde er durch die starke Preissteigerung bedeutend geringer. Der Weizenpreis stieg in Buenos Aires von 42,10 Goldpesos pro Tonne (1916) auf 64,79 Goldpesos (1917). Die günstige Preisgestaltung für den von den europäischen Industrieländern so begehrten Brot- stoff wird der argentinische Ackerbau zweifellos in den kommenden Jahren nach Möglichkeit durch vermehrte Produktion auszunutzen suchen. Anzeichen für eine solche Tendenz sind in der starken Aus- dehnung der Anbauflächen der beiden letzten Jahre zu erblicken. Unter dem Gesichtspunkt der Versorgung Deutschlands mit Brotstoffen ist neuerdings die Frage aufgeworfen worden, ob der Ausfuhrüberschuß Argentiniens an Brotgetreide noch der gleiche 1) Nach „El Comercio Exterior Argentino en 1916 y 1917". Von 1910 ab beziehen sich die Zahlen auf wirkliche, nicht auf nominelle Werte. Vor diesem Jahr unterscheiden sich beide Werte sehr wenig. 2) Einschließlich des Wertes der Weizenmehlausfuhr. Bei den übrigen Getreidearten findet eine Weiterverarbeitung für Ausfuhrzwecke fast nicht statt, die Werte für die geringen Ausfuhrmengen von Lein- und Maisöl konnten als unbedeutend fortgelassen werden. . — 220 — sein werde wie in der Vorkriegszeit. Quessel1) glaubt sie verneinen zu sollen, aus der Erwägung, „daß der Zustrom von landwirtschaft- lichen Arbeitern aus Europa während der Kriegszeit fast aufgehört hat, so daß aller Wahrscheinlichkeit nach eine wesentliche Ver- ringerung der Anbauflächen oder ein extensiverer Anbau in Argen- tinien eingetreten sein werde". Das Unrichtige einer derartigen Anschauung haben unsere Untersuchungen bereits dargetan. Die Methoden des Anbaus noch extensiver zu gestalten, ist nach Lage der Dinge wohl nicht möglich. Trotz des Fehlens der südeuropäischen Wanderarbeiter erreichte die Anbaufläche während des Erntejahres 1917/18 eine bis dahin überhaupt noch nicht erreichte Größe. Die fehlenden überseeischen Arbeitskräfte wurden durch Heranziehen von Arbeitern aus den Nachbarländern sowie aus der städtischen oder in der Viehzucht tätigen Bevölkerung ersetzt. War unter dem Zeichen des Arbeitermangels während des Krieges eine derartige Steigerung des Weizenproduktionsumfangs möglich, so sind an die künftige Entwicklung, der eine verstärkte Einwanderung zu Hilfe kommen wird, die günstigsten Erwartungen zu knüpfen. b) Der Mais. Der Maisbau nimmt sowohl hinsichtlich seiner Ausdehnung wie nach der Höhe des von ihm geschaffenen Ausfuhrwertes unter den landwirtschaftlichen Kulturpflanzen Argentiniens nächst dem Weizen die wichtigste Stelle ein. Etwa seit 1890 beginnt der argen- tinische Mais regelmäßig in größeren Mengen auf dem Weltmarkt zu erscheinen. 1895 betrug die Anbaufläche 1244 184 ha, die Er- zeugung überstieg in diesem Jahre bereits 2 Mill. t. Die nächsten Jahre brachten einen Rückschlag, so daß die Ausfuhr, die 1896 schon 1 V2 Mill. t betragen hatte, 1898 auf 717 105 t zurückging. Mit Beginn des Jahrhunderts setzt eine stetige Aufwärtsentwicklung ein, wie sie in der folgenden Anbaustatistik zum Ausdruck gelangt. (Siehe Tabelle 54 S. 221.) Im Gegensatz zum Weizen hat beim Mais die Ausdehnung der Anbaufläche ein sehr regelmäßiges Tempo innegehalten. Bis zum Kriege vermehrte sich das Maisareal um 2 — 300000 ha jährlich. Seit 1916 hat eine Verminderung stattgefunden, die mit der unbe- friedigenden Preisbildung des Maises in Verbindung zu bringen ist. 1) L. Quessel, Deutschlands Versorgung mit Brotstoffen in Gegenwart und Zukunft. (Sozialistische Monatshefte 191 9, I, S. 3 13 ff.) — 221 Tabelle 54- Anbaufläche, Erzeugung und Ausfuhr von Mais seit 19001). Anbaufläche Erzeugung Ausfuhr Ernte jähr 1000 ha 1000 t t 1900/01 1255 2511 1 112 290 1901/02 1406 2134 1 192 829 1902/03 1802 3783 2 104 384 1903/04 2100 445o 2 469 548 1904/05 2287 3574 2 222 289 1905/06 2717 495i 2 693 739 1906/07 2851 1823 1 276 732 1907/08 2719 3456 1 711 804 1908/09 2974 4500 2273 412 1909/10 3°°5 445o 2 660 225 ioio/ii 3215 7°3 125 185 1011/12 3422 7515 4835237 1912/13 3830 4995 4806951 1913/14 4J52 6684 3 542 280 I9I4A5 4203 8260 4 330 594 1915/16 4018 4°93 2 873 910 1916/17 3630 1495 893 939 1917/18 3527 7335 — Die Stetigkeit in der Entwicklung des Maisbaus erklärt sich zum Teil daraus, daß der Mais die von den auf eigenem Grund und Boden sitzenden Bauern bevorzugte Anbaufrucht ist, daß also seine Anbau- fläche nicht so sehr den wechselnden Einflüssen unterliegt, die sich für die übrigen Getreidearten aus dem Wanderpachtbau mit seiner schwankenden Nutzungsfläche ergeben. In der Statistik tritt dies insofern in die Erscheinung, als ein im Vergleich zu den übrigen Getreidearten beträchtlicher Anteil der Maisanbaufläche auf Be- triebe von unter 100 ha Größe entfällt, 1908 z. B. 36% der Anbau- fläche. In diesen Betrieben aber ist die große Mehrzahl der Eigen- tümer unter den Getreidebauern enthalten. Greift man die Klein- betriebe von 10 ha und weniger heraus, die ausschließlich als in der Hand von Eigentümern befindlich anzusehen sind, so zeigt sich, daß allein beim Mais ein bedeutenderer Teil der Anbaufläche auf sie entfällt. Nach dem Census von 1908 entfielen auf Betriebe bis zu *) Estadistica Agricola 1916/17, S. 54. — 222 — io ha 100899 ha Mais gegen 20538 ha Weizen und 2485 ha Leinsaat1). Die Gründe dafür, daß der grundbesitzende Kleinbauer den Mais als Anbaufrucht besonders gerne wählt, sind technischer Natur. Der Boden erfordert zur Vorbereitung auf die Maissaat vermehrte Bearbeitung. Die jungen Maispflanzen müssen in ihren weiteren Entwicklungsstadien erneut bearbeitet werden. Die Ernte endlich kann nur mit der Hand geschehen. Der Mais eignet sich also für den extensiven Großbetrieb nicht in dem Maße als Kulturpflanze wie der Weizen. Der Maisanbau verbreitet sich in Argentinien vom Rio Negro hinauf bis an die nördliche Landesgrenze, d. h. über ein Gebiet von mehr als 15 Breitegraden. Dieselben klimatischen und verkehrs- geographischen Gründe, die den Weizenanbau sich auf die vier mittel- argentinischen Provinzen konzentrieren lassen, gelten aber auch für den Mais. Sein wichtigstes Anbaugebiet war von jeher die Provinz Buenos Aires. Auf sie entfielen im Erntejahr 1916/17: 38,7% der Gesamtanbaufläche. Die Pampa Central, welche für den Weizenbau so wichtig geworden ist, spielt für die Maiskultur nur eine ganz unter- geordnete Rolle. Dieses Gebiet hat in der regenreichen Hälfte des Jahres, d. i. von Oktober bis März, die mit der Gesamtvegetationszeit des Maises zusammenfällt, in seinem nördlichen und östlichen Teil nur eine Niederschlagsmenge von 300 — 500 mm aufzuweisen, welche dem Wasserbedürfnis der Maispflanze nicht genügt. In den südlicheren Trockengebieten ist die Kultur nur auf bewässerten Feldern möglich. Mit dem großen Bedürfnis der Maispflanze nach Feuchtigkeit hängt es auch zusammen, daß ihr wichtigstes Anbaugebiet außerhalb der Hauptackerbauzone die Provinz Corrientes ist, wo die jährliche Niederschlagsmenge 1200 — 1400 mm beträgt. Hier waren 1916/17 65000 ha mit Mais bestellt. Die folgende Übersicht gibt die geogra- phische Verteilung des Maisanbaues und deren Veränderung gegen- über dem Jahre 1895 im einzelnen wieder. (Siehe Tabelle 55 S. 223.) Die Tabelle zeigt, wie der zunehmende Maisanbau sich zum größten Teil auf die Provinzen Buenos Aires und Santa Fe zusammen- drängt, auf die zusammen rund Dreiviertel der Anbaufläche entfallen. Innerhalb dieses engeren Gebietes ist es wiederum in der Provinz Buenos Aires der Norden und Osten, der vom Mais bevorzugt wird, während im Süden die Gefahr der Spätfröste einschränkend wirkt. a) Censo Agropecuario 1908, Bd. II, S. 320. Tabelle 55. Verteilung der Maisanbaufläche in Hektar auf die ver- schiedenen Landesteile, 1895 und 1916 — 171). Landesteil 1895 1916/17 Provinz Buenos Aires ,, Santa Fe 009 112 185898 95217 72 721 2 765 21S471 1 405 470 1 250 500 570 000 84 000 29 600 290 000 ,, Cördoba „ Entre Rios Territorium Pampa Central Übrige Landesteile Summe " 1 244 184 3 629 570 In Santa Fe entfallen allein auf die sechs südlichen Departements fast eine Million Hektar. Damit ist die gegenwärtige Maiszone in ihren wichtigsten Teilen auf einen Raum beschränkt, der westlich des Paranä über eine Entfernung von durchschnittlich etwa 300 km von den Ausfuhrhäfen Buenos Aires und Rosario nicht hinausgeht. Für den größeren Teil der argentinischen Maisproduktion bedeutet das geringe Frachtkosten für den Transport zum Verschiffungs- hafen und günstige Konkurrenzbedingungen auf dem Weltmarkt. Die im argentinischen Maisbau erzielten Hektarerträge be- wegen sich zwischen 13 und 20 dz. Für das Jahrzehnt 1905/06 bis 1914/15 ergibt sich ein Durchschnittswert von 14,1 dz2). Für die Vereinigten Staaten, den größten Maisproduzenten der Welt, lautet der gleiche Wert 16,8, für Ungarn 16,1 dz. Unter den in größeren Mengen Mais produzierenden Ländern der Erde steht Argentinien hinsichtlich der erreichten Einheitserträge bedeutend besser als im Weizenbau, es nimmt hier unter 23 Ländern die 12. Stelle ein. All- gemein sind denn auch die Anbaumethoden für Mais als höherstehend zu bezeichnen wie die bei den übrigen Getreidearten üblichen. Außer gründlicherer Bodenbearbeitung als bei der Weizenkultur ist das verwendete Saatgut von besserer Qualität. Wie aus der Umgrenzung des Maisanbaugebietes ersichtlich, fällt dieses im wesentlichen mit der Weizenzone zusammen. Daraus ergeben sich gewisse Folgerungen für die Zukunft der argentinischen Maisproduktion, im Zusammenhang auch mit der Tatsache, daß,. *) Estadistica Agricola 1916/17. 2) Annuaire International de Statistique Agricole 1913 et 1914,. Rom 1915, S. 74/75. — 224 — wie wir bei unseren Untersuchungen über die Viehzucht noch sehen werden, die gleiche Hauptackerbauzone auch das wichtigste Weide- gebiet der argentinischen Viehzucht darstellt. Das gegenwärtige Hauptverbreitungsgebiet der Maiskultur, Süd-Santa Fe und Nord- Buenos Aires, ist der dichtbesiedelte Teil des Landes, dessen Boden- fläche ziemlich restlos landwirtschaftlich benutzt wird. Eine Ver- mehrung des Maisanbaus kann darum hier nur auf Kosten anderer Kulturen oder durch Einschränkung der für die Viehzucht verfüg- baren Weideflächen vor sich gehen. Daß der letztere Fall eintritt, ist nicht zu erwarten1). Abgesehen von den auf Eigentumsbetriebe entfallenden Maisanbauflächen wird in diesem Gebiet der Maisbau auf die Flächen angewiesen bleiben, welche die Viehzucht vorüber- gehend zwecks Verbesserung ihrer Weidegründe abgibt. In diese Flächen hat sich der Mais mit anderen Kulturarten zu teilen. Wie- weit der Ackerbau dabei der einen oder der anderen Anbaupflanze den Vorzug gibt, hängt von verschiedenen Erwägungen ab. Einmal wird die geringere Widerstandsfähigkeit des Maises gegen die Heu- schreckenplage, die sich daraus ergibt, daß der Mais zur Zeit ihres Auftretens noch in wenig entwickeltem Wachstumstadium ist und darum seine grünen Blätter die bevorzugte Nahrung der Heuschrecken bilden, manchen Kolonisten veranlassen, auf seinen Anbau zu ver- zichten. Andererseits werden die hohen Hektarerträge, welche gegen- über dem Weizen erzielt werden, stets anlockend wirken. Sodann werden die Grundbesitzer in vielen Fällen an der Maiskultur festhalten und den Maisanbau von ihren Pächtern fordern, weil die Maispflanze den Boden in besonderer Weise auf die nachfolgende Alfalfakultur vorbereitet. Soweit darüber hinaus mit der Preisgestaltung des Produkts zusammenhängende wirtschaftliche Erwägungen maß- gebend sind, wird die Zukunft der argentinischen Maisproduktion neben der Preisbüdung des Maises auf dem Weltmarkte wesentlich von der Erweiterung des Maisverbrauchs im Lande abhängen. Im Durchschnitt des Jahrzehnts 1907/16 betrug die jährliche Maiserzeugung 4647900 t, die jährliche Ausfuhr 2843600 t. Daraus ergibt sich ein Inlandverbrauch von 1,8 Mill. t. Hiervon sind für eine Anbaufläche von 3 l/2 Mill. ha 120000 t für Saatgut abzurechnen2), so daß für die Verwendung zu menschlicher und tierischer Nahrung wie zu gewerblichen Zwecken immer noch mehr als anderthalb Millionen !) Vgl. S. 263. 2) Nach Hermes (a. a. O., S. 115) beträgt die Saatmenge pro Hektar im allgemeinen 30 — 35 kg. 22; — Tonnen verbleiben. Wie sich diese Menge auf die aufgezählten Ver- wendungsarten verteilt, ist nicht zahlenmäßig festzustellen. Die gegenüber dem Weizen beschränkte Aufnahmefähigkeit des Weltmarktes für Mais findet in einem Vergleich zwischen den durchschnittlichen argentinischen Exportpreisen für Mais und Weizen einen deutlichen Ausdruck. Tabelle 56. Argentinische Exportpreise für Mais und Weizen 1905— 141). Jahr Preise in Fr. für den dz Mais Weizen 1905 10,45 M,95 1906 9,9o 14,80 1907 11,60 15,45 * 1908 12,15 17,70 1909 12,85 21,10 1910 13,35 I9,i5 1911 11,05 17.65 1912 11,26 18,61 1913 11,68 Jk,25 1914 10,97 i8,95 Während des Krieges ist die ganze Aufwärtsbewegung der Preise wiederum dem Weizen und der Leinsaat mehr zugute gekommen als dem Mais. Letzterer erreichte allerdings 1917 den außerordentlich hohen Durchschnittspreis von 43,92 Goldpesos pro Tonne, doch war dieser Preis lediglich die Folge der Mißernte dieses Jahres2). Wichtiger als diese unter dem unmittelbaren Einfluß der Weltmarktbeziehungen stehenden Exportpreise in Buenos Aires sind für den Landwirt die ihm auf den Eisenbahnstationen des Landesinneren bei der Ab- lieferung des Getreides bezahlten Preise. Für letztere läßt sich nach den Angaben der Estadistica Agricola 1916/17 folgende Entwicklung feststellen, die nur für die Provinz Buenos Aires wiedergegeben sei. J) Nach Annuaire International de Statistique Agricole 1913 et 1914. 2) Im Juni 1919 notierte die Getreidebörse Buenos Aires den Maispreis mit 4,90 und 5,00 Pesos, das entspricht ungefähr dem durchschnittlichen Preis stand des Jahres 191 4. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. L 5 — 226 — In den übrigen Provinzen ist sie ähnlich verlaufen. Die Preise für Weizen und Leinsaat sind vergleichsweise hinzugenommen. Tabelle 57. Verkaufspreise für Weizen, Mais und Leinsaat auf den Bahnstationen der Provinz Buenos Aires, 1906/07 — 1915/16. (Durchschnittspreise für den dz in Pesos.) Erntejahr Weizen Mais Leinsaat 1906/07 5öo 4,5o 8,00 1907/08 7,00 4,50 9,00 1908/09 8,00 5>°° 9,00 1909/10 8,50 5,oo 12,00 1910/11 7,00 0,00 15,00 1911/12 6,00 4,00 13,00 1912/13 7,00 4,5o 9,00 1913/M 7,00 4,00 10,00 1914/15 10,00 4,00 9,00 1915/16 7,00 3>8o 10,00 Gerade bei den Maispreisen hat im Gegensatz zu den anderen Körnerarten in dem betrachteten Jahrzehnt eine Preissteigerung nicht stattgefunden, vielmehr stehen die Sätze 1916 niedriger als 10 Jahre vorher. Dabei gilt natürlich für den Maisbau die gleiche, durch Erhöhung der Arbeitslöhne wie der Materialpreise für Jute- säcke usw. eingetretene Verteuerung der Produktionskosten wie für die übrigen Kulturen. Angesichts dieser gedrückten und den Produzenten nicht hinreichend entschädigenden Preise für Mais1) wird schon seit einer Reihe von Jahren in Argentinien lebhaft die Frage erörtert, wie eine gesteigerte Verwendung des Maises im Inlande zu erreichen sei. Das Streben geht dahin, die Maisproduktion — unter Beibehaltung oder gar Steigerung ihres bisherigen Umfangs — durch Umwandlung des Maises in andere Produkte von der Weltmarktpreisbildung für Rohmais unabhängig zu machen. Bisher ist in dieser Hinsicht fast nichts erreicht worden. In Frage kommt die Umwandlung in Mehl oder Destillationsprodukte sowie die Verwendung als Viehfutter. 1) Nach der sehr gut ausgefallenen Maisernte von 191 7/1 8 bestand vielfach die Ansicht, daß die Aberntung angesichts des Preisstandes wegen der Verteuerung der Arbeitslöhne, Säcke und Bahnfrachten nicht lohne und es vorteilhafter sei, Vieh in die Felder zu treiben. (Vgl. Frankfurter Zeitung vom 13. 7. 1918.) — 227 — In den von der amtlichen Statistik kontrollierten Mühlen wurden 1916: 28826 t, 1917: 21759 t Mais vermählen und daraus 21765 bzw. 15896 t Maismehl gewonnen1). An Maisöl wurden 1917: 185 t exportiert. Bedeutender ist die Verwendung von Mais zur Fabrikation von Alkohol. Aus etwa 70000 t werden jährlich 200000 hl hergestellt. Die Ausfuhr von Alkohol ist während des Krieges gestiegen und erreichte 1916: 160000 hl. Alles in allem wurden zu industrieller Weiterverarbeitung höchstens 3% der Erzeugung benutzt. Diese geringe Menge hat naturgemäß auf den Maismarkt keinen Einfluß. Als Merkwürdigkeit sei hier der während des Krieges erfolgten Ver- wendung von Mais als Feuerungsmittel für Lokomotiven und elek- trische Kraftzentralen Erwähnung getan. Sie geschah unter dem Druck der infolge Ausbleibens der Kohlenzufuhren aus England aufs höchste gestiegenen Kohlennot einerseits, wie aus Mangel an für die Maisausfuhr verfügbarem Schiffsraum andererseits. Diese Verwendungsart wurde als entwertend und preisdrückend von den Landwirten für durchaus unerwünscht gehalten und zu ihrer Einschränkung eine Steuer auf jede zu Feuerungszwecken benutzte Tonne Mais vorgeschlagen2). Zur Rindviehmast wird Mais bisher nur in unbedeutenden Mengen verwendet. Die argentinischen Großgrundbesitzer und Rind Vieh- züchter halten an der Ansicht fest, daß bei der extensiven Zucht- methode die Verfütterung von Mais nicht lohne und bleiben bei dem reinen Weidebetrieb. Die rationellste Verwertung für den Überschuß an Mais würde zweifellos seine Verwendung zur Schweine- zucht sein. Die Schweinezucht als solche wird an späterer Stelle ausführlicher behandelt3), hier möge im Zusammenhang mit dem Maisverwertungsproblem über sie folgendes gesagt sein. Der argen- tinische Ackerbaukolonist, der, wie wir sahen, nur Getreideproduzent ist, zeigt bisher wenig Interesse für die Schweinezucht. Von 70000 Bauern der Hauptackerbauzone sind 50000 Pächter, davon wiederum ein großer Teil Wanderpächter, die höchstens 3 Jahre an einer Stelle sitzen. Dem Wanderpächter ist es technisch unmöglich, einen „ge- mischten" Landwirtschaftsbetrieb, das ,,mixed farming" einzurichten und Maisbau und Schweinezucht organisch miteinander zu verbinden, wie das in weitestgehendem Maße in Nordamerika der Fall ist. Der 1) Diese Zahlen geben nur die industriemäßig hergestellten Mengen von Maismehl wieder, nicht die tatsächlich erzeugten und konsumierten Mengen. Der größte Teil der zur Bereitung von Maisspeisen und Maisbrot verwendeten Mehlerzeugung entzieht sich der statistischen Erfassung, da sie innerhalb der einzelnen Wirtschaften erfolgt. 2) La Prensa, Buenos Aires, 24. 6. 1918. 3) Vgl. S. 269 ff. 15* — 22$ — Grundherr seinerseits hat nur Interesse daran, daß der Kolonist seine volle Arbeitskraft auf die Bodenbearbeitung verwendet und eine möglichst große Fläche mit Korn bestellt. In der Änderung der herrschenden Agrarverfassung liegt auch hier, wie fast bei allen großen landwirtschaftlichen Fragen Argentiniens, die Ent- scheidung. In dem Maße, wie die Schaffung selbständiger und fest- sässiger Bauernstellen gelingt, wird in diesen an die Stelle der Mono- kultur der gemischte Betrieb treten und damit auch die erweiterte Möglichkeit für Schweinezucht und Maisverwertung geschaffen sein. Voraussetzung ist, daß das gezüchtete Schwein einen Typ darstellt, der von den Gefrierfleischfabriken für Exportzwecke verwendet werden kann. Die Aussichten für erhöhte Verwendung von Mais im Inland sind einstweilen noch gering, und das Land ist nach wie vor darauf angewiesen, 60 — 70% seiner Ernte zu exportieren. Aus dieser Tat- sache ergibt sich, wie beim Weizen, die bedeutsame Stellung Argen- tiniens unter den Mais ausführenden Ländern, wie sie durch folgende Tabelle veranschaulicht wird: Tabelle 58. Maiserzeugung und -ausfuhr der wichtigsten Ausfuhr- länder im Jahresdurchschnitt des Jahrzehnts 1905 — 141). Ausfuhrland Maiserzeugung t Maisausfuhr t 4 766 864 68 864 287 2 528 782 2073 231 4 532 994 2 614 785 1 44° °53 842 442 611 797 315 385 Argentinien Vereinigte Staaten von Amerika Rumänien Rußland Ungarn In der Maiserzeugung stehen die Vereinigten Staaten an über- ragender Stelle. Auf sie entfielen im angegebenen Zeitraum durch- schnittlich 73% der 94,12 Mill. t betragenden Welterzeugung. Dem- gegenüber beträgt der argentinische Anteil an der Welterzeugung nur ein Zwanzigstel, vielmehr tragen andere Länder viel bedeutender zu dieser bei, die aber in der vorstehenden Tabelle nicht erscheinen, da ihre Maisausfuhr ganz unbedeutend ist. Zu nennen sind vor allem Mexiko mit einer Erzeugung von 3 Mill. t und Italien mit 2,5 Mill. t. x) Vgl. hierzu das in der Anmerkung zu Tab. 52 S. 216 Gesagte. 229 — Auch Ungarn nimmt, obwohl sein Produktionsumfang dem argen- tinischen gleichkommt, in der Reihe der exportierenden Länder nur eine sehr untergeordnete Stellung ein. Gerade in den Vereinigten Staaten hat die Verwendung des Maises im Inllnde, vornehmlich zur Schweinemast, ständig zugenommen und den zur Ausfuhr zur Verfügung stehenden Überschuß an Rohmais trotz auf gleicher Höhe bleibenden Umfangs der Maiserzeugung immer mehr beschränkt, während in Argentinien die Ausdehnung der Maisanbauflächen der Ausfuhr steigende Tendenz gab. So ergibt sich für die Ausfuhr beider Länder folgende Entwicklung: Tabelle 59. Maisausfuhr aus Argentinien und den Vereinigten Staaten von Amerika 1905 — 14. Jahr Argentinien 1000 t Ver. Staaten 1000 t 1905 1906 2222 2694 2826 2604 1907 1908 1277 1712 2113 954 1909 1910 2273 2660 920 1084 1911 1912 1913 125 4835 4807 1564 787 1150 1914 3542 397 Die Ausfuhr aus den Vereinigten Staaten zeigt, von geringen Schwankungen abgesehen, eine abnehmende Tendenz. Nachdem bereits 1906 Argentinien eine um weniges größere Ausfuhr zu ver- zeichnen hatte, überwiegen seit 1908 seine Exportziffern endgültig die nordamerikanischen und sinken nur noch einmal, 191 1, als infolge der völligen Maismißernte von 1910/11 fast gar kein Ausfuhrüberschuß vor- handen war, unter dieselben. Damit hat Argentinien seit 1908 die seitdem unumstrittene Führung unter den den Weltmarkt ver- sorgenden Maisausfuhrländern. Sein Anteil an der Maisversorgung Englands, das zugleich sein wichtigster Absatzmarkt ist, stieg ständig und erreichte für das Jahrfünft 1910 — 14 : 58 % der englischen Mais- einfuhr. Das zweitwichtigste Absatzgebiet war vor dem Kriege Deutschland, während umgekehrt Deutschland aus Argentinien mehr — 230 — als die Hälfte (1913: 562342 t) seiner im Jahre 1913: 918655 t be- tragenden Maiseinfuhr bezog. Inwieweit das Fortfallen des wichtigen deutschen Absatzmarktes die Exportpreise für Mais in Argentinien un- günstig beeinflußt nat, sei dahingestellt. Jedenfalls liegt die Wiederge- winnung des deutschen Marktes durchaus im Interesse der Absatzsiche- rung dieses wichtigen Teilgebietes der argentinischen Agrarproduktion. Die Verwendung eines größeren Teiles der argentinischen Mais- produktion im Inlande durch Verwandlung des Maises in Fleisch und industrielle Erzeugnisse wird je länger je mehr eine unabweis- bare Notwendigkeit werden. Erreichen in Jahren, die dem Mais- wachstum besonders günstig, d. h. an Regenfällen reich sind, die Erträge Höhen von 30, ja 50 dz auf den Hektar, wie es 1912 im Süden von Santa Fe der Fall war, so bringen die ausgedehnten Anbauflächen Ernten auf, deren Ausfuhrüberschuß schwer unterzubringen ist. Dabei ist eher mit einer Vermehrung als mit einer Verminderung des Umfangs der Anbaufläche zu rechnen. Auch außerhalb der eigentlichen Getreidezone bieten sich der Maisproduktion noch weite Ausdehnungsmöglichkeiten, besonders in den Provinzen des Nordens, Santiago del Estero, Salta und Jujuy, sowie in Corrientes. In diesen Gebieten läßt die geringe Bevölkerung und der mangelhafte Verkehrs- anschluß an das Zentralgebiet bislang noch nicht die Ausnutzung der vorteilhaften Boden- und Klimabedingungen zu. Der Vermehrung der Maisanbaufläche stehen innerhalb der Grenzen der argentinischen Republik noch so weite Räume offen, daß selbst bei erheblich ge- steigerter Inlandverwendung von Mais, für welche aber noch keinerlei Anzeichen vorliegen, durch Erhöhung der Gesamterzeugung der Ausfuhrüberschuß zum mindesten auf der bisherigen Höhe gehalten werden wird. c) Die Leinsaat. Hinsichtlich ihrer Bedeutung unter den Kulturgewächsen Argen- tiniens wie des Anteils an der Ausfuhr von Ackerbauprodukten folgt dem Weizen und Mais an dritter Stelle die Leinsaat. Ihre Kultur in größerem Umfange ist noch verhältnismäßig jungen Datums im Lande. Die Anbaufläche betrug 1899/1900 erst 355000 ha, die Aus- fuhr 1900: 223257 t, nachdem sie 1895 bereits 276443 t erreicht hatte. Im Ernte jähr 1902/03 überstieg die Anbaufläche erstmalig eine Million Hektar. Die folgenden Zahlen geben die Entwicklung seit diesem Jahre wieder : — 231 — Tabelle 60. Anbaufläche, Erzeugung und Ausfuhr von Leinsaat seit 1902/031). Anbaufläche Erzeugung Ausfuhr Erntejahr 1000 ha 1000 t t 1 902/03 i3°7 711 593 6or 1903/04 1487 938 880 541 1904/05 1083 740 654 792 1905/06 1023 592 538 496 1906/07 1191 826 763 736 1907/08 I39i IIOI 1 055 650 1 908/09 1534 1049 887 222 1909/10 1456 717 604 877 1910/11 1504 595 4i5 815 1911/12 1630 572 515 399 19x2/13 1733 1130 1 016 732 1913/M 1779 938 841 590 I9I4A5 1723 1143 981 192 191 5/1 6 1619 895 639914 1916/17 1298 102 141 308 1917/18 1309 498 — 1918/19 1383 2) 705 — Wie die Tabelle zeigt, fehlt dem Leinsaatanbau die ausgesprochene Wachstumstendenz, welche dem Weizen- und Maisbau eigen ist. Seit 1902 hat die Anbaufläche keine wesentliche Zunahme mehr er- fahren und ist während des Krieges wieder auf ihren schon 1907/08 erreichten Umfang zurückgegangen. Der Hauptgrund für das gegen- über den anderen großen Kulturen auffallende Stagnieren der Leinsaatproduktion wird neben der beschränkten Aufnahme- fähigkeit für dieses Produkt seitens der nordwesteuropäischen Einfuhr- länder (England, Belgien, Holland) auch darin zu suchen sein, daß für die Kultur der Leinpflanze, die sehr viel Bodennährstoffe bean- sprucht, sich nicht alle Bodenarten eignen. Diese Hemmung wirkt stärker als der Anreiz, der sich für den Leinsaatbau aus dem hohen Preisstande des Produktes ergibt. Leinsaat ist das hochwertigste Produkt des argentinischen Exportkörnerbaus. Seine Exportpreise sind doppelt so hoch wie die für Mais. Sie betrugen im Durchschnitt *) Estadistica Agricola 1916/17, S. 53, und Commerce Reports, Washington, Nr. 58 vom 11. 3. 1919. 2) Schätzung. des Jahres 1917 für Leinsaat 91,49 Goldpesos, für Mais 43,92 Gold- pesos pro Tonne. Dementsprechend erhält auch der Landwirt selber für Leinsaat weit höhere Preise als für die anderen Fruchtarten. Sie schwankten z. B. 1915 zwischen 8,00 und 8,50 Pesos je nach Ent- fernung der Farm von der Bahnstation und dieser letzteren vom Ausfuhrhafen. Allerdings sind andererseits die Hektarerträge für Lein nicht so hoch wie bei Weizen und Mais. Sie erreichen 5,8 — 6 dz, stehen damit aber auf gleicher Höhe wie die in hochentwickelten europäischen Landwirtschaften. So hat Holland einen Durchschnittsertrag von 6,5, Frankreich von 5,3 dz. Jedenfalls ist bei den hohen Verkaufs- preisen, welche die Leinsaat in den letzten Jahren erzielt, ihr Anbau lohnend, wenn die Erträge nicht erheblich unter dem Landesdurch- schnitt zurückbleiben. Tabelle 61. Verteilung der Leinsaatanbaufläche in Hektar auf die verschiedenen Landesteile, 1895 und 1916. Landesteil 1895 1916 Provinz Buenos Aires ,, Santa Fe 64 756 266 606 35 877 19 665 420 170 000 528 000 „ Cördoba 350 000 „ Entre Rios ... 200 000 Territorium Pampa Central Übrige Landesteile 30 000 20 000 Summe 387324 1 298 000 Wichtigstes Verbreitungsgebiet der Leinkultur ist die Provinz Santa Fe. Auf sie kamen 1895: 70%, 1916: 40% der Gesamtfläche. An zweiter Stelle steht die Provinz Cördoba, wo sich die Anbaufläche in 20 Jahren verzehnfacht hat. Außerhalb der eigentlichen Ge- treidezone fehlen der Leinpflanze für weitere Ausdehnung die natür- lichen Bedingungen. Eine Ausnahme davon macht höchstens die Provinz San Luis, in der in den letzten Jahren ihr Anbau an Aus- dehnung gewonnen hat. Im Süden der Provinz Buenos Aires und in der Pampa Central wird Leinsaat wegen der Gefahr häufiger Frost- schäden nur in ganz geringen Mengen gebaut. Die Exportbestimmung der Produktion ist bei der Leinsaat noch viel ausgeprägter als bei den übrigen Körnerarten vorhanden. 233 — Während des Jahrzehnts 1905 — 14 wurden durchschnittlich 83,5% der Erzeugung exportiert. Der Inlandverbrauch beläuft sich auf nur 110 — 130000 t. Von der Ausfuhr werden fast nur die Mengen aus- geschlossen, die als Saatgut benutzt werden sollen. Daneben findet eine ganz unbedeutende Weiterverarbeitung zu Leinöl statt, von dem wiederum ein großer Teil ausgeführt wird. Die Leinölausfuhr > die 1914 erst 13 t betrug, stieg 1917 auf 1525 t1). Im gleichen Jahre wurden 17 168 t Ölkuchen exportiert. Es machen sich hier, wie bei der Alkoholherstellung aus Mais und ähnlichen Industrien, schwache Ansätze zur Entwicklung von Verarbeitungsindustrien der landwirt- schaftlichen Erzeugnisse bemerkbar. Die riesig gesteigerten Fracht- sätze und der Schiffsraummangel des Krieges mußten den Gedanken und Wunsch besonders lebhaft werden lassen, die agrarischen Produkte in veredeltem Zustande, mit erhöhtem Wert und verringertem Volumen zu exportieren. Kohlen- und Arbeitermangel hielten die Verwirk- lichung stark zurück. Wieweit sich Exportindustrien auf der Grund- lage der Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse bisher herausgebildet haben, wird im 3. Abschnitt (S. 275 ff.) im einzelnen ausgeführt. In der Versorgung des Weltmarktes mit Leinsaat nimmt Argen- tinien den ersten Platz ein. Die folgende Tabelle gibt ein Bild von seiner Stellung unter den wichtigsten Ausfuhrländern: Tabelle 62. Leinsaaterzeugung und -ausfuhr der wichtigsten Ausfuhr- länder im Jahresdurchschnitt des Jahrzehnts 1905 — 142). Ausfuhrland Leinsaat- erzeugung t Leinsaat- ausfuhr t Argentinien 870 182 420 308 579 286 249932 726 729 327183 124 321 115 295 Indien Rußland3) . . Kanada . . . l) Im ersten Halbjahr 191 8 betrug die Ausfuhr 1459 t. Der argentinischen Leinsaat wird ein besonders hoher Ölgehalt nachgerühmt, er betrug bei der Ernte 1917/18: 34,6%. (Nachrichten der Auslandspresse, Berlin, 19. 1. 1918.) !) Vgl. hierzu die Anmerkung zu Tab. 52, S. 216. s) Die Zahlen geben den Durchschnitt der Jahre 1905 — 13 wieder. — 234 — An der jährlichen Welterzeugung von Leinsaat in Höhe von 2,76 Mill. t ist Argentinien mit stark 30% beteiligt1). Weit höher ist sein Anteil an der Weltmarktversorgung. Dieser erreichte im Jahre 1915, das eine sehr gute Leinernte brachte, 84%, sinkt jedoch auch in normalen Jahren nicht unter 50 — 60%. Unter den Erzeugungs- ländern stehen nach Argentinien die Vereinigten Staaten an zweiter Stelle mit einer Jahresproduktion von über einer halben Million Tonnen. Noch 1906 waren die Anbauflächen in beiden Ländern gleich groß. Damals exportierte die Union noch 250000 t. Seit 1909 begann sie jedoch aus der Reihe der Ausfuhrländer auszuscheiden. Heute ver- braucht in den Vereinigten Staaten die Industrie die gesamte Lein- saatproduktion, und die Ausfuhr beläuft sich nur noch auf wenige Tonnen. So wiederholt sich hier bei der Leinsaat dasselbe wie beim Mais. Bei beiden Fruchtarten ist mit dem Jahre 1908 bzw. 1909 eine deutliche Abnahme in der Ausfuhr der Vereinigten Staaten festzustellen, deren abnehmende Tendenz sich dann von Jahr zu Jahr steigert. Die Folge ist, daß Argentiniens Bedeutung, für Mais ver- stärkt durch die eigene Produktionsvermehrung, ständig zunimmt und die europäischen Märkte immer mehr von seinen Verschiffungen abhängig werden. Aber selbst die Vereinigten Staaten beginnen ihren durch die Inlandproduktion nicht mehr voll gedeckten Bedarf an Leinsaat aus der argentinischen Ernte zu decken. Sie waren sogar 1916 Hauptabnehmer Argentiniens. Die argentinische Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten betrug: 1916 1917 an Leinsaat 206 592 t 71 785 t an Mais 64921 t 48021 t In der Versorgung des Weltmarktes mit diesen wichtigen Agrar- produkten sind, wie wir sehen, Verschiebungen eingetreten durch welche die Bedeutung Argentiniens eine wesentliche Verstärkung erfahren mußte. Der Leinanbau dient in Argentinien bisher ausschließlich der Ölsamengewinnung. Eine Verwertung der Faser findet bislang nicht statt. An einer Reihe von Versuchen, sie Textilzwecken nutzbar zu machen, hat es nicht gefehlt. Schon vor dem Kriege beschäftigten sich französische Webereien mit dem Plane, argentinisches Leinstroh zu verwenden. In zahlreichen Webereien wurden 1913 Versuche gemacht, welche die Brauchbarkeit des argentinischen Produkts r) Im Durchschnitt des Jahrzehnts 1905/14. - 235 — dartaten1). Durch den Krieg wurden weitere Versuche, der Leinfaser als TextiJrohstoff Absatz zu schaffen, unterbunden. Für eine all- gemeinere Verwendung der Faser zu Spinnzwecken müßte natur- gemäß mehr Wert auf die Bildung kräftigen Strohs und dessen Be- handlung gelegt werden. Bisher wird darauf nicht geachtet, da das Stroh auf dem Felde verbrannt wird bzw. zum Heizen der Dresch- maschinen dient. Sollte sich seine praktische Verwendungsmöglichkeit als Textilstoff einwandfrei ergeben,2) so würde das nicht nur den Leinsaatanbau stark beleben, sondern es wäre zugleich die Rohstoff- basis geschaffen, auf der sich Argentinien vom Jutebezug aus Indien freimachen könnte. Argentinien hat als Exportland landwirtschaft- licher Massengüter einen gewaltigen Verbrauch an gewebtem Ver- packungsmaterial und ist dem Ausland jährlich mit hohen Summen für die Einfuhr von Sackleinwand und Jutesäcken tributpflichtig. Die Sackleinwand stand z. B. 1916 mit einem Werte von 16,3 Mill. Goldpesos unter den Einfuhrartikeln an dritter Stelle. Da die argen- tinische Textilindustrie durch den Krieg einen lebhaften Aufschwung erfahren hat, dürfte bei Sicherstellung der Rohstoffdeckung durch inländische Erzeugung die Emanzipation vom Ausland in der ange- deuteten Richtung nicht unerreichbar bleiben. d) Hafer und sonstige Kulturgewächse. Unter den übrigen Kulturgewächsen ist der Hafer von größter Bedeutung. Seit 1906 werden größere Flächen mit dieser Fruchtart bestellt und die Anbaufläche zeigt eine wachsende Tendenz. (Siehe Tabelle 63 S. 236.) Fast alleiniges Anbaugebiet des Hafers ist die Provinz Buenos Aires. Dort stieg die Anbaufläche von 36000 ha im Jahre 1895 auf 804000 ha im Jahre 1916. Innerhalb der Provinz sind es wieder der Süden und Osten, auf die fast der gesamte Anbau entfällt. In der Pampa Central waren 1916/17: 91000 ha mit Hafer bestellt. Das Haferanbaugebiet geht nach Norden über den 35. Breitegrad im wesent- lichen nicht hinaus. Die Besonderheiten ihrer Kulturbedingungen verweisen diese Fruchtart auf die Ausdehnung nach Süden. In den patagonischen Territorien umfaßte der Anbau 1916/17 erst 3700 ha, wovon 2300 ha auf das Rio Negro-Tal entfielen. Sobald in diesen J) Mitteilungen des Deutsch-Argentinischen Zentralverbandes, 1913, S. 208. 2) Vgl. Stichel a. a. O., S. 59. — 236 — Tabelle 63. Anbaufläche, Erzeugung und Ausfuhr von Hafer seit 1906/07. Erntejahr Anbaufläche Erzeugung Ausfuhr 1000 ha 1000 t * 1906/07 146 180 143 566 1907/08 386 493 440 041 1908/09 633 464 421 352 1909/10 574 53o 370948 1910/11 801 685 5H389 1911/12 1031 1004 896 032 1912/13 1192 IIOO 889 744 1913/M 1249 618 353 7°° 1914/15 1161 717 592 797 191 5/1 6 1038 1093 804 443 1916/17 1022 102 271 713 191 7/1 8 1295 498 • — 1918/19 12061) 7051) — Gebieten mit zunehmender Besiedelung der Ackerbau an Bedeutung gewinnt, dürfte der Hafer eine seiner bevorzugten Kulturpflanzen werden. Zum Gesamtwert der Ausfuhr von Ackerbauprodukten trägt der Hafer nur mit einem recht bescheidenen Anteil bei (vgl. Tab. 53 S. 219). Das quantitative Ausmaß der Ausfuhr ist zwar gleich dem der Leinsaat, doch übersteigt deren spezifischer Wert den des Hafers um mehr als das Doppelte. Die argentinischen Exportpreise für Hafer schwanken zwischen 5 und 6 Pesos. Das Verhältnis zwischen Erzeugung und Ausfuhr ist dasselbe wie bei der Leinsaat. Im Durchschnitt des Jahrzehnts 1908 — 17 wurden 555000 t gleich 82% der Erzeugung exportiert. Aus diesem Verhältnis ist ersichtlich, daß der Hafer als Futtermittel in Argentinien keine Verwendung findet, sondern ledig- lich zur Ausfuhr produziert wird. Neuerdings wird zwar Hafer in größerem Umfang als Grünfutterpflanze in der Viehzucht verwendet ; doch erscheinen die zu diesem Zweck mit Hafer bestellten Flächen nicht in der Anbaustatistik, wenn nicht neben der Weidenutzung, die dann im August aufhören muß, auch eine Körnerernte erzielt wird. Der Hektarertrag beläuft sich auf 9 — 10 dz und steht weit unter *) Schätzung. 237 - dem in intensiveren Landwirtschaften erreichten Stand1). Ruß- land, nächst den Vereinigten Staaten der größte Haferproduzent der Welt, erzielt gleiche Erträge wie Argentinien. Unter den Hafer ausführenden Ländern steht Argentinien nach Rußland an zweiter Stelle. Die Ausfuhr betrug für das Jahrzehnt 1905 — 14 im Jahresdurchschnitt: aus Rußland 985021 t, aus Argentinien 409560 t. Die Union und Kanada verbrauchen den weitaus größten Teil ihrer Haferproduktion im Lande, die Ausfuhrziffern betrugen im obigen Zeitraum nur 193 bzw. 150000 t. Wie bei allen übrigen Ackerbau- produkten verdankt Argentinien auch für Hafer seinen bedeutsamen Anteil an der Weltmarktversorgung weniger dem Umfang seiner Pro- duktion als der Tatsache, daß deren größerer Bruchteil für die Ausfuhr zur Verfügung steht. Der Anteil der Ausfuhr an der Erzeugung ist am niedrigsten beim Weizen mit stark 60%, für die übrigen Körner- arten beträgt er 75 — 80%. Neben den bisher behandelten Nutzpflanzen treten die übrigen gänzlich zurück. An Körnerfrüchten bedürfen noch Gerste und Roggen einer kurzen Erwähnung. Die Gersteanbaufläche ist noch gering, hat sich aber in den letzten Jahren stark vergrößert. Sie betrug 1911/12: 67703 ha, 1916/17: I57°50 ha. 1916 gelangten 67580 t zur Ausfuhr, deren Wert 1,73 Mill. Goldpesos ausmachte. Mit Roggen waren 1916/17: 72760 ha bestellt. Der größte Teil des erzeugten Roggens dient dem inländischen Konsum. Die Ausfuhr erreichte 1913 mit 22000 t ihren bisherigen Höhepunkt, während des Krieges ging sie stark zurück. Zur Versorgung Europas mit Gerste und Roggen trägt also Argentinien so gut wie gar nicht bei. Daß die natürlichen Vorbedingungen der Gerstekultur in Argentinien günstig sind, haben wir bereits in anderem Zusammenhang betont2). Der durchschnitt- liche Hektarertrag ist höher als der Rußlands3), das den europäischen Gerstemarkt beherrscht. Das wichtigste Verbreitungsgebiet des Gerstenbaus ist gegenwärtig die Provinz Buenos Aires. Nach dem Flächenumfang der einzelnen Kulturen entfielen 1916/17 von einer landwirtschaftlich benutzten Fläche von 15760000 ha (ohne Alfalfa): x) In Deutschland 1913: 21,9 dz. ") Vgl. S. 193. 2) Er betrug im Jahresdurchschnitt 1910 — 14 in Argentinien 9,2 dz, in Rußland 8,4 dz, in Deutschland 20,5 dz. — 238 — . auf den Weizen 41 ,3 % „ Mais 23,0% die Leinsaat 8,2 % den Hafer 6,5 % die Gerste 1,0 % den Roggen 0,5 %. Auf die für den Export angebauten Körnerfrüchte kamen dem- nach 80,5% der gesamten in Kultur stehenden Fläche. Die übrigen 19,5% verteilen sich auf Gartenland, Baumpflanzungen, Weinberge, Zuckerrohrfelder und andere Kulturen, deren Erzeugnisse lediglich der Befriedigung des inländischen Bedarfs dienen. Zuckerrohr und Wein nahmen im genannten Jahr eine Fläche von 200000 ha ein, Kartoffeln 134000 ha. Endlich haben die Bemühungen der Regierung, dem Lande die günstige Konjunktur des Weltmarktes in vegetabilischen Ölen zunutze zu machen, zu vermehrtem Anbau ölhaltiger Früchte, besonders der Mani-Nüsse geführt, die seit einigen Jahren mit ge- ringfügigen Mengen in der Reihe der Ausfuhrprodukte erscheinen. 2. Abschnitt. Die Viehzucht und ihre Erzeugnisse. i. Kapitel. Die Großbetriebsform der Viehzucht. Die mittelargentinische Ebene ist von der Natur mit allen für die Viehzucht günstigen Bedingungen hervorragend ausgestattet. Die weiten grasreichen Ebenen der Provinzen Buenos Aires, Santa Fe, Cördoba wie die wasserreichen Gebiete des „Zwischenstromlandes" von Entre Rios und Corrientes sind wie wenig andere Gebiete der Erde als Weidegründe zahlreicher Viehherden geeignet. Ihr Boden weist einen großen natürlichen Reichtum an harten und weichen Gräserarten auf, der die Haltung aller Nutzvieharten ermöglicht. Das milde Klima gestattet es, die Herden das ganze Jahr hindurch unter freiem Himmel zu belassen, wodurch eine erhebliche Herab- minderung der Betriebskosten in der Viehzucht eintritt. Es erhält zugleich dem Boden eine Vegetationsdecke, die eine wenn auch im Winter oft sehr spärlich werdende, so doch meist ausreichende Er- nährung des Viehs für das ganze Jahr gewährleistet. Nimmt man hinzu, daß die extensive Haltung großer Viehherden nur wenig mensch- liche Arbeitskräfte beansprucht, das Land aber vor Einsetzen der europäischen Einwanderung so dünn besiedelt war, daß der spärlich betriebene Ackerbau kaum zur Deckung des Inlandbedarfs an Brot- getreide ausreichte, so erklärt es sich, warum die Viehzucht so lange die einzige Quelle des nationalen Reichtums geblieben ist. Der ur- sprüngliche Charakter des Landes als reinen Viehzuchtlandes hat der Psyche der Einwohner so sehr seinen Stempel aufgedrückt, daß noch im heutigen Stadium der Entwicklung, die den Ackerbau gleich- wertig neben die Viehzucht gestellt hat, der Argentinier den Beruf des Viehzüchters allen anderen bei weitem vorzieht. Wie es fast — 240 — selbstverständlich ist, daß der Angehörige der großgrundbesitzenden alteingesessenen Landaristokratie ausschließlich Viehzüchter ist und die Bearbeitung des Bodens dem mittellosen, eingewanderten Pächter überläßt, gilt das gleiche auch für den „Gaucho", den Nachkommen der eingeborenen Viehhirten vergangener Jahrhunderte. Nach dem Umfang seiner Wiesen- und Weidenf lachen ist Argen- tinien das erste Weideland der Welt1). Nimmt man den gesamten fruchtbaren Boden des Landes mit 217 Mill. ha an, so entfallen davon 156,7 Mill. gleich 72% auf Wiesen und Weiden. Einen noch höheren Anteil an der fruchtbaren Bodenfläche nehmen die Weideflächen nur in Uruguay ein, wo sie 92,4% erreichen. Der Fläche nach folgt auf Argen- tinien als zweitgrößtes Weideland der Welt in weitem Abstände die nordamerikanische Union mit 71,4 Mill. ha Wiesen und Weiden. Infolge zunehmender Besiedlung und Ausbreitung des Ackerbaus ist dort der Anteil der Weideflächen an der Gesamtfläche fruchtbaren Bodens bereits auf 20,1 % zurückgegangen. Legt man diesen Anteil als Vergleichsmerkmal zugrunde, so werden außer Neuseeland (57,9% Wiesen und Weiden) nur Großbritannien und Irland in ähnlich markanter Weise wie Argen- tinien als Weideländer gekennzeichnet. Dort kommt auf Wiesen und Weiden der hohe Anteil von 63 bzw. 74% der Kulturfläche. Diesen Zahlen entsprechen natürlich hohe Viehbestandsziffern in allen aufge- führten Ländern. Nach dem landwirtschaftlichen Zensus von 1908 entfiel auf 222174 damals vorhandene Viehzuchtbetriebe eine Fläche von 116 795 500 ha. Es wurden also reichlich zwei Drittel der Weide- flächen des Landes von der Viehzucht tatsächlich benutzt. Die aufgeführten Zensusziffern geben bereits die Tatsache der großbetrieblichen Organisation der argentinischen Viehzucht wieder. Die Durchschnittsgröße der viehzüchtenden Betriebe beläuft sich nach ihnen auf 525 ha. Wie stark das Vorherrschen der Großbetriebe ausgeprägt ist, wird jedoch erst deutlich, wenn man die auf die ver- schiedenen Größenklassen entfallenden Viehbestände ins Auge faßt. Bei Beurteilung der in der Tab. 64 (S. 241) wiedergegebenen Ziffern ist zu bedenken, daß die argentinische Landwirtschaft in ihrer vor- herrschenden Form eine organische Verbindung von Ackerbau und Viehzucht innerhalb desselben Betriebes nicht kennt. Wir sahen bereits, wie der getreidebauende Eigentümer, der über volle Ent- J) Vgl. Annuaire International de Statistique Agricole 1913 et 1914, S. 14/15. Bei Henningsen („Produktion und Konsum der wichtigsten Welthandelsgüter" im Weltwirtschaf tl. Archiv, 7. Bd., Chronik und Archivalien S. 70) steht Brasilien mit 200 Mill. ha Wiesen und Weiden an der Spitze der Weideländer, doch scheint diese Zahl reichlich hoch gegriffen. — 241 Tabelle 64. Betriebsgrößen in der Viehzucht und Anteil der ver- schiedenen Größenklassen am Gesamtviehbestand1). Betriebsgrößen - Zahl der Viehbestand in 1000 Stück k lasse Betriebe Rindvieh Schafe Pferde Schweine Stadt. Wirtschaften — 204 103 296 31 Ländl. Wirtschaften: unter 10 ha 48 323 249 228 236 115 10 bis 50 ha 53 954 877 1225 57° 202 50 tK 100 „ 29 626 929 1 392 5ii 160 100 „ 300 ,, 46 553 2854 5107 1411 • 337 300 ,, 500 „ 12 992 1 620 4065 593 H9 500 „ 1 000 „ 11 104 2623 6724 7M 116 1 000 ,, 2 500 ,, 10 284 4807 12 855 956 107 2 500 „ 3 750 „ 2968 2236 5 396 400 48 3 750 „ 5 000 „ 2052 1 901 5i89 337 . 25 5 000 ,, 7 500 ,, 1 620 2 366 5 295 34i 35 7 500 ,, 10 000 ,, 1 157 1 849 4 952 303 19 10 000 ,, 12 500 „ 423 1 249 2 535 164 27 12 500 „ 25 000 ,, 781 2951 6589 399 45 25000 „ 37500 „ 168 917 1465. 105 8 37 500 ,, 50 000^,, 65 337 1039 50 4 50 000 und mehr ha 104 1 149 3 053 145 4 Gesamtzahl .... 222 174 29117 67 212 7 531 1404 Schlußfreiheit in seiner Wirtschaftsführung verfügt, ebenso an der Monokultur festhält ' wie der Pächter, dem sie durch seine ganze wirtschaftliche Lage und häufig durch vertragliche Bedingungen aufgezwungen ist. Für die Betriebsorganisation der Viehzucht er- geben sich daraus natürliche Folgen. Die Agrarverfassung auf der einen, die einseitige Einstellung des Ackerbaus auf den Getreide- export auf der anderen Seite halten das Entstehen gemischtwirt- schaftlicher Betriebe hintenan. Die Viehzucht bleibt dem Groß- besitz vorbehalten. Selbst die Aufzucht der für seinen Getreidebau notwendigen Arbeitstiere besorgt der Ackerbaukolonist nicht selber, sondern überläßt sie der „estancia". Auch das ergibt sich als un- mittelbare Folge des herrschenden Pachtwesens. Der auf halben l) Censo Agropecuario 1908, Bd. I, S. 133. In der Tabelle ist die Ver- teilung von 3945086 Ziegen, 285088 Eseln und 465037 Maultieren als für die Exportviehzucht unwichtig unberücksichtigt geblieben. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. I" — 242 — Ernteanteil arbeitende Mediero erhält von der „estancia", von deren Land er ein Stück beackert, die Arbeitstiere zur Verfügung ge- stellt1). Auch dor Vollpächter, der mit eigenem Inventar wirtschaftet, ist in der Regel durch Vertrag oder die tatsächlichen Verhältnisse gezwungen, das notwendige Arbeits- und Nutzvieh von dem vieh- züchtenden Grundherrn zu kaufen. Unter den geschilderten Gesichtspunkten erfährt die Zahl der in der Tab. 64 aufgeführten 222174 Viehzuchtbetriebe eine erheb- liche Einschränkung. Nur der geringere Teil derselben sind als eigent- liche Viehzucht treibende Wirtschaften anzusehen. In den Betrieben bis zu 500 ha überwiegt durchaus der Getreidebau als alleiniger Wirt- schaftszweck. Die Viehbestände, die auf Betriebsgrößenklassen bis zu 500 ha entfallen, stellen daher, wenigstens was den Bestand an Pferden und Rindvieh betrifft, in der Hauptsache für die Zwecke des Ackerbaus verwendetes Arbeitsvieh dar. Dies beweist schon der Umstand, daß gerade auf die Betriebsgrößenklasse von 100 — 300 ha, die im Getreidebau durchaus vorherrscht, die absolute Höchstzahl von Pferden mit 19 % des gesamten Pferdebestandes entfällt. Gerade die Pferdezucht wird von Großestancien, die mit großem Betriebs- kapital arbeiten können, betrieben. Die große Mehrzahl der Pferde stammt aus Großbetrieben und geht erst später, wenn die Tiere arbeitsverwendungsfähig geworden sind, in die kleineren Ackerbau treibenden Betriebe über. Unter den Rindvieh haltenden Betrieben von Größen unter 500 ha werden allerdings solche in größerer Zahl enthalten sein, welche die Rindviehzucht als gesonderten Wirtschafts- zweig betreiben und Fleisch für den Verkauf produzieren. Der große Bestand von 4 y2 Mill. Stück Rindvieh in Betrieben von 100 — 500 ha legt diese Vermutung nahe. Es handelt sich in diesem Falle häufig um kleinere Betriebe, vornehmlich in der Provinz Buenos Aires, in der Nähe größerer Städte in günstiger Verkehrslage gelegen, die Vieh auf künstlichen Weiden züchten und ein intensiveres Betriebs- system befolgen. Endlich bilden einen großen Anteil der vieh- halt enden Betriebe unter 500 ha Größe die Milchwirtschaften, deren Zahl in jüngster Zeit ständig zunimmt. Diese weiden mit Vorliebe von Spaniern betrieben und sind wie die Getreidebau- betriebe in der Regel als Pachtwirtschaften organisiert, wobei dem Pächter neben dem Boden auch das Milchvieh vom Grundherrn zur Verfügung gestellt wird. Eine Ausnahme von dem Prinzip a) Vgl. S. 145- — 243 — des Großbetriebs in der Viehzucht bildet lediglich die Schweine- zucht. Es ist eine für extensive wie intensive Landwirtschaften gleicherweise gültige Tatsache, daß das Schwein das bevorzugte Nutztier des Kleinbetriebs ist. Dies gilt auch für Argentinien, ob- wohl die Schweinezucht dort in wesentlich anderen Formen betrieben wird als in den europäischen Ländern der gemäßigten Zone. 1908 entfielen auf Wirtschaftsgrößen bis zu 300 ha 58% des gesamten Schweinebestandes des Landes. Wieviele von den 222000 im Zensus von 1908 aufgeführten viehhaltenden Betrieben reine Viehzuchtbetriebe sind, läßt sich auf statistischer Grundlage nicht genau entscheiden. Zur Be- antwortung der Frage ist die Anbaustatistik vergleichend heran- zuziehen. Nach dieser entfallen von der Gesamtzahl aller körner- bauenden Betriebe der Hauptland Wirtschaftszone nur 0,3% auf Wirtschaftsgrößen von mehr als 650 ha1). Dieser geringe Prozentsatz beweist, daß in landwirtschaftlichen Betrieben von über 650 ha Größe Getreidebau nur in seltenen Ausnahmefällen vorgenommen wird. Die Schwierigkeit für eine- vergleichende Feststellung der Zahl der reinen Viehzuchtbetriebe ergibt sich nun daraus, daß Ackerbau- und Viehzuchtstatistik in der Einteilung ihrer Größenklassen von- einander abweichen. Doch ist in beiden Statistiken eine Scheidung bei der Größenklasse von 1000 ha vorgenommen. Auf Betriebe von mehr als 1000 ha entfallen im Ackerbau nur 0,08% der Gesamtzahl. Lassen wir diesen verschwindend kleinen Anteil, der nur 56 Betriebe umfaßt, unberücksichtigt, so stellen wir als Ergebnis unserer bisherigen Untersuchung fest, daß alle landwirtschaftlichen Betriebe von mehr als 1000 ha als reine Viehzuchtbetriebe zu gelten haben. Untersuchen wir unter Zugrundelegung dieser Grenzlinie die Tab. 64, so tritt das starke Vorherrschen der Großbetriebsform in der argentinischen Viehzucht stark hervor. Die Zahl der Betriebe über 1000 ha beträgt nur 19622 gleich 8,8% der Gesamtzahl aller viehhaltenden Wirtschaften. Auf diese entfällt folgender Viehbestand : 19 762 000 Stück Rindvieh oder 68% des Rindviehbestandes des Landes 48 368 000 ,, Schafe ,, 72% ,, Schaf bestandes des Landes 3200000 ,, Pferde ,, 43% ,, Pferdebestandes des Landes. J) Die Zahl gilt für das Erntejahr 1909/10. Die weitere Entwicklung hat an der Tendenz des Ackerbaus, die Betriebsgröße von 650 ha nicht zu über- schreiten, fast nichts geändert. 1915 — 16 betrug die Zahl der körnerbauenden Betriebe über 650 ha 386 = 0,54% der Gesamtzahl (vgl. S. 182). 16* — . 244 — Beziehen wir die Zahl der über iooo ha großen Betriebe allein auf die Größe ihrer Rindviehbestände, so kommen auf jeden Betrieb im Durchschnitt rund iooo Stück. Für die Schafzucht erhöht sich diese Zahl auf 2450 Stück. Nach der absoluten Zahl der auf sie ent- fallenden Tiere ist eine Wirtschaftsgröße zwischen iooo und 2500 ha die sowohl von der Rind Viehzucht wie der Schafzucht bevorzugte Betriebsgröße. Auf sie entfallen allein 16,5% der Rindviehbestände und 19,1% der Schaf bestände des Landes. Betriebe von 2500 ha — einer argentinischen Quadratlegua — können als Durchschnittstyp einer kleineren Zuchtestancia, die Fleisch für den Export produziert, gelten1). In der Provinz Buenos Aires fallen von einem Gesamt- rindviehbestand von 10,3 Mill. Stück auf die Größenklasse iooo — 2500 ha etwa 20%. Betriebe von 1 — 3 Quadratleguas Größe herrschen in der Viehzucht des gesamten mittelargentinischen Produktions- gebiets vor. In den südlichen Nationalterritorien, besonders in Santa Cruz, wird die Schafzucht vorwiegend in Riesenbetrieben von 250 — 500 qkm Umfang vorgenommen. Doch finden sich Vieh- zuchtlatifundien in ähnlichen Ausmaßen in allen Teilen des Landes. Für die Provinz Buenos Aires führt der Census von 1908: 9 Latifundien von mehr als 500 qkm Umfang mit einem Bestand von 187 000 Stück Rindvieh und 430000 Schafen auf. Natürlich kann in diesen Riesen- betrieben von einer eigentlichen Viehzucht nicht mehr die Rede sein. Es handelt sich bei ihnen um die Haltung großer Viehherden auf natürlichen Weideflächen, bei der jeder züchterische Einfluß aus- geschlossen ist und die Tätigkeit des „Viehzüchters" lediglich in einer Okkupation des natürlich Gewordenen besteht. Die angeführten Ziffern gewinnen die rechte Anschaulichkeit und geben ein eindeutiges Bild von dem großbetrieblichen Charakter der argentinischen Viehzucht erst dann, wenn man europäische Ver- hältnisse zum Vergleich daneben stellt. Greifen wir auch hier die deutsche Landwirtschaft heraus und vergleichen die Betriebsorgani- sation ihrer Viehzucht mit der argentinischen. (Siehe Tabelle 65 S. 245.) In der intensiven deutschen Landwirtschaft sind die Verhältnisse so völlig anders geartet, daß sich für einen Vergleich kaum gemeinsame Grundlagen finden lassen. Immerhin sei folgendes einander gegenüber- gestellt: In Deutschland liegt das Schwergewicht der Viehzucht im Klein- x) Vgl. bei Hermes, Zur Kenntnis der argentinischen Landwirtschaft, die Beschreibung typischer Viehzuchtwirtschaften, S. 268ff., die einen guten Einblick in die technische Betriebsorganisation derselben gewährt. - 245 ~ Tabelle 65. Verteilung des Viehbestandes Deutschlands auf die land- wirtschaftlichen Betriebsgrößenklassen im Jahre 19071). Anzahl der Viehbestand in 1000 Stück ' Grö Penklassen viehhaltenden Betriebe Rindvieh Schweine Schafe Pferde unter ioha 3 9<38 555 8219 10 649 1313 841 10 bis 50 ,, 634310 8210 6086 2539 1698 50 ,, 100 ,, 36 080 1 220 744 698 300 100 ,, 200 „ 10476 635 360 506 161 200 „ 500 „ 9 269 1 022 628 1890 274 500 ,, 1000 ,, 3 096 55o 34° 1598 175 1000 und darüber 366 121 59 3,7b 42 Gesamtzahl . . . 4 662 152 19976 18866 S92.2. 349i und Mittelbetrieb bis zu 50 ha Größe, in Argentinien im Großbetrieb von über 1000 ha. Auf Betriebe unter 10 ha entfallen in Deutschland 41% des Rindviehbestandes und 56% des Schweinebestandes, in Argen- tinien beträgt deren Anteil in der Rindviehzucht noch nicht ein Prozent. Selbst in der Schweinezucht, die in anderen Ländern in allerkleinsten, oft gar nicht rein landwirtschaftlichen Betrieben ausgeübt zu werden pflegt, sind in Argentinien die Betriebe unter 10 ha nur mit 8 % des Gesamt- schweinebestandes beteiligt. Die Vernachlässigung der Schweinezucht ist ein Merkmal der extensiven Landwirtschaft. Die Zahl der auf die Flächeneinheit entfallenden Tiere ist, der Natur des extensiven Großbetriebs entsprechend, nur gering. Die allgemeine Durchführung des Prinzips des ewigen Weidegangs wird nur in einer geringen Anzahl modernisierter Betriebe durchbrochen, in denen hochwertiges importiertes Rassevieh unter Verwendung besonderer Futtermittel in Ställen gehalten wird. Die herrschende Wirtschaftsmethode verlangt ganz von selber große Weideflächen und eine schwache Besetzung derselben mit Vieh. Auf den großen Estancien rechnet man unter Benutzung künstlich angelegter Alfalfa- weiden im Durchschnitt etwa ein Stück Vieh auf den Hektar, da- gegen erheblich weniger, wenn nur sog. Naturkamp zur Verfügung steht. An der Peripherie der Hauptlandwirtschaftszone finden sich Viehzuchtlatifundien von 30 — 50000 ha, auf deren natürlichen Hart- grasflächen (pasto fuerte) nur auf je 5 — 6 ha ein Stück Rindvieh *) Zusammengestellt nach der Landwirtschaftlichen Betriebs- statistik, Statistik des Deutschen Reiches Bd. 212, 2a. 246 gehalten wird. Selbst bei dieser geringen Bestückung ist das ge- legentliche Eintreten von Katastrophen, welche die Folge anormaler Witterungsverhältnisse sind, nicht ausgeschlossen. Die Geschichte der argentinischen Viehzucht verzeichnet Jahre, in denen nach drei- viertel] ähriger Dürre Hunderttausende von Tieren infolge Futter- mangels eingingen. Erst eine geringe Zahl der Viehzüchter hat aus derartigen Ereignissen die Lehre gezogen, daß es notwendig sei, unter dauernder Beobachtung des Vegetationsstandes die Zahl des zu haltenden Viehs nach der Menge des zur Verfügung stehenden Futters zu beschränken und durch Herstellung von Heu- und Stroh- futterschobern eine Reserve für futterarme Zeiten zu erhalten. Ein weiteres Merkmal für die extensive Methode der Viehzucht im Großbetrieb ist die außerordentlich geringe Zahl der in ihr beschäftigten Personen. Das Vieh bleibt, wo nicht bereits Milch- wirtschaft begonnen hat, während des größeren Teiles des Jahres völlig sich selbst überlassen und wird nur zu bestimmten Anlässen, wie Aufnahme des Bestandes, Versehen mit Brandzeichen oder Aus- wahl schlachtreifer Tiere zusammengetrieben. Darüber hinaus be- schränken sich die laufenden Arbeiten in der Großzüchterei auf die Überwachung der Tränkstellen und die Instandhaltung der die einzelnen Herden voneinander trennenden Drahtzäune. Auf Betrieben von 2500 ha mit 2 oder 3000 Stück Großvieh sind meist nur 6 — 8 Arbeiter ständig beschäftigt. Im einzelnen ergibt sich für die Gesamtzahl aller in der Viehzucht beschäftigten Personen nach dem Census von 1908 folgendes Bild: Tabelle 66. Zahl der in der Viehzucht beschäftigten Personen1). Anzahl der Beschäftigten während des ganzen Jahres in der Schafschur mit sonstigen Viehzucht- arbeiten insgesamt Männer . . . 301 614 236 610 63 042 601 266 Frauen . . . 162345 21 306 10 113 193 764 Kinder . . . 170859 13 804 10853 195 5i6 Summe . . . 634818 271 720 84008 990 546 *) Censo Agropecuario 1908, Bd. I, S. 391. — 247 — Die Gesamtzahl von 990546 in der Viehzucht beschäftigten Personen ist in Anbetracht der tatsächlichen Verhältnisse als sehr hoch gegriffen zu bezeichnen, da die Tätigkeit der Frauen und Kinder nur eine zeitweilige, auf Hilfsarbeiten beschränkte ist. Vergleicht man dennoch die Zahl aller während des ganzen Jahres beschäftigten Personen (also einschließlich Frauen und Kinder) mit der Zahl des auf die reinen Viehzuchtbetriebe von über 1000 ha Umfang ent- fallenden Viehstandes, so entfallen auf den Kopf der Beschäftigten 36 Stück Großvieh und 76 Schafe. In ihrer gegenwärtig noch vorherrschenden Betriebsform stellt die argentinische Viehzüchter ei eine äußerst extensive Boden- nutzung dar. Ein großer Teil der Grassteppen, auch innerhalb der Hauptlandwirtschaftszone, befindet sich noch im Zustande des sog. Naturkamps, dessen Beackerung der gegenwärtige Stand von Be- sied elung und Verkehrserschließung noch nicht möglich gemacht hat. Für diese Weideflächen kommt eine andere Nutzung als die des extensiven Großbetriebs gai nicht in Betracht. Zwar ist der Nutzungs- wert des Naturkamps nach der Art der Futtergräser sehr verschieden. Für die Pampazone der mittel argentinischen Provinzen sind allein 78 verschiedene Graminaceenarten festgestellt worden, die sich als Futterpflanzen eignen. In ihrem Wert weichen sie sehr von- einander ab. Man unterscheidet harte, halbweiche und weiche Gläser- arten, von denen die letzteren die wertvollsten sind. Die mit ihnen bestandenen Kampflächen vertragen daher in der Regel eine stärkere Viehbestockung. Der Alluvialboden der Nordzone der Provinz Buenos Aires ist fast ausschließlich mit weichen Gräsern, „pasto tierno" bestanden, welche besonders für die Ernährung von Schafen geeignet sind. Ebenso ist der Kamp des südlichen Santa Fe vorwiegend mit Weichgräsern bedeckt und gilt darum als bestes Weideland, während im nördlichen Teil der Provinz Hartgräser überwiegen. Entre Rios weist in seinem größeren Teil Hartgrasbestand auf, der nach Süden in der Nähe der Flußufer allmählich in Weichgräser übergeht. Die Schafhaltung in den südlichen Territorien stützt sich in der Hauptsache auf eine spärliche Busch- undHartgräservegetation, die nur stellenweise in den Sommermonaten an Mannigfaltigkeit und Reichtum gewinnt. Für die Beurteilung der Frage, wieweit eine Steigerung der Produktionsfähigkeit und Intensivierung der Zuchtmethode im Großbetrieb möglich und zu erwarten sei, ist entscheidend, in welchem Maße die Verwandlung der oben geschilderten natürlichen Weide- flächen in Kunstweiden fortschreitet. Die Untersuchung der Pacht- — 248 — Verhältnisse hat bereits dargetan, auf welchem Wege diese Verwandlung vor sich geht und wie die Bedürfnisse der Viehzucht nach verbesserten Weideflächen die ständige Weitervermehrung der interimistischen Ge- treideanbauflächen veranlassen. Dort ist auch bereits auf die über- ragende Bedeutung der Alfalfa als Futterpflanze hingewiesen worden. Auf der Alfaifakultur basiert die moderne argentinische Viehzucht. Der Anbau dieser Futterpflanze wurde erst in dem Augenblick so wichtig, als die Entwicklung der Gefriertechnik dem argentinischen Fleisch über- seeische Absatzmärkte eröffnete. Bevor die Herstellung und Verschiffung von Gefrierfleisch möglich war, bestanden die Ausfuhrprodukte der Vieh- zucht in der Hauptsache aus Häuten, Dörr- und Salzfleisch. Für die Gewinnung dieser Produkte war die Qualität der minderwertigen ein- heimischen Viehrassen, die sich auf den natürlichen Grasflächen der Pampa ernährten, ausreichend. Die neu entstehenden Gefrierfleisch- fabriken, die sich in ihrer Produktion der Geschmacksrichtung und den besonderen Anforderungen ihrer Abnehmer, in erster Linie des englischen Marktes, anpassen mußten, brauchten jedoch einen ganz bestimmten, auf starke Fett- und Fleischbildung gezüchteten Rindviehtyp. In dem Maße, wie durch die zur Erreichung eines höherwertigen exportfähigen Viehbestandes vorgenommene Einfuhr europäischer Zuchttiere hoch- wertige Viehrassen in größerer Zahl im Lande entstanden, wurde es notwendig, für diese in immer größerem Umfange künstliche Weiden anzulegen, da die heimischen natürlichen Gräserarten den erhöhten Futteransprüchen nicht genügen konnten. So entstand die Alfaifakultur. Ihre ständige Zunahme hat jedoch, wenn sie auch, auf die Flächeneinheit bezogen, die Haltung einer größeren Viehzahl ermöglichte, an der Groß- betriebsform der Viehzucht nichts geändert. Die Zunahme der unter Alfalfa stehenden Flächen gestaltete sich folgendermaßen: Tabelle 67. Alfalfa-Anbauflächen, 1895 und 19161). Provinz 1000 ha 1895 1916 Buenos Aires 162 134 198 17 5 82 13 102 2600 Santa Fe Cördoba 1320 2100 Entre Rios 220 Pampa Central Mendoza 600 120 San Luis 39° Übrige Landesteile 269 Summe 713 7619 *) Estadfstica Agricola 1916/17, S. 20. — 249 — Gegenüber einer von der argentinischen Viehzucht benutzten Ge- samtfläche von weit über ioo Mill. ha will eine Alfaifafläche von 7,6 Mill. ha nicht allzuviel besagen. Schon an dem geringen Anteil an der Gesamt- weidefläche ergibt sich, daß die Kultur dieser wichtigen Futterpflanze für die Gesamtheit der Viehzucht des Landes keine entscheidende Ände- rung in der Wirtschaftsweise hat herbeiführen können1). Wie im Viehbestande des Landes noch die anspruchslosere, geringwertige einheimische Rasse überwiegt, so unter den Weide- flächen der unbearbeitete Naturkamp mit seiner natürlichen Vege- tationsdecke. Solange dieser Zustand noch andauert, ist die Viehzucht zur Beibehaltung ihrer extensiven Großbetriebsform gezwungen. In bevorzugten Lagen der Hauptland Wirtschaftszone, mit guten Böden und hohen Bodenpreisen, beginnen neuerdings in größerer Zahl nach europäischen Grundsätzen geleitete Zuchtbetriebe zu kleineren Wirtschaftsgrößen und intensiverer Methode — Stall- haltung, Bereitstellung von Futtermitteln, Verwendung hochwertiger Zuchttiere — überzugehen. Die Erzeugung der großen Masse der zur Ausfuhr kommenden tierischen Produkte geschieht nach wie vor im Großbetrieb extensivster Art. Immerhin weist die Vermehrung der Alfaifakulturen, die überhaupt erst die Möglichkeit intensiver Bodennutzung und einer Verkleinerung der viehzüchtenden Betriebe geben, ein ständig zunehmendes Tempo auf. Ihre Fläche hat sich von 1895 — 1916 um das Elffache vermehrt, die jährliche Zunahme beläuft sich gegenwärtig auf 4 — 500000 ha. Den größten Reichtum an Alfaifaweiden weist die viehreichste Provinz des Landes, Buenos Aires, auf. Die extensive Großbetriebsform ermöglicht es Argentinien, trotz der geringen Bevölkerungszahl einer der bedeutendsten Versorger des Weltmarktes mit tierischen Produkten zu sein. Es ist nächst Indien, den Vereinigten Staaten und Rußland eines der rindviehreichsten, neben Australien das schafreichste Land der Welt. Wie bei der Getreideproduktion beruht auch seine Stellung als fleischexportierendes Land weniger auf seinem Viehreichtum — der Rindviehbestand ist gar nicht sehr viel größer als der Deutschlands vor dem Kriege — denn auf dem geringen Inlandskonsum. Auch in der Viehzucht ist Argen- tinien das Gegenstück zur nord amerikanischen Union. Dort macht sich immer mehr der Einfluß bemerkbar, welchen die starke Vermehrung J) Auch dient nicht die gesamte mit Alfalfa bestandene Fläche der Vieh- weide, sondern teilweise auch der Produktion des hochwertigen Heus, das zu- gleich einen nicht unwichtigen Ausfuhrartikel bildet. 191 4 betrug die Ausfuhr 21 912 t im Werte von 235481 Goldpesos. — 250 — der Bevölkerung und die Besitzergreifung alles leicht kultivierbaren Landes auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ausübt1). Die Ver- einigten Staaten begannen vor dem Kriege in immer stärkerem Maße aus der Reihe der fleischexportierenden Länder auszuscheiden und statt dessen ein fleischimportierendes Land zu werden. Außer dem vergrößerten inländischen Konsum hat dort der Übergang zu in- tensiverem Landbau die ganze Situation geändert. Der Getreidebauer hat den Viehzüchter immer weiter zurückgedrängt, bis dieser heute nur noch auf solchem Grund und Boden sitzt, dessen Beschaffenheit es ausschließt, ihn durch Bewässerungsanlagen und andere ver- besserte Anbaumethoden in Farmland zu verwandeln. Infolge der landwirtschaftlichen Umwälzung in Nordamerika und der enormen Verteuerung der Produktionskosten ist die Konkurrenz nordameri- kanischen Fleisches auf dem Weltmarkt sehr erheblich ausgeschaltet. Die unmittelbare Folge dieser veränderten Situation sind die lebhaften und erfolgreichen Bemühungen der nordamerikanischen Fleisch- trusts, in der australischen und südamerikanischen Fleischindustrie, vor allem derjenigen Argentiniens Fuß zu fassen2). Während des Krieges ist allerdings die Fleisch- und Viehausfuhr aus den Ver- einigten Staaten wieder erheblich in die Höhe gegangen. Dies war jedoch nur eine Folge der anormal veränderten WTeltmarktbedingungen, und mit dem Eintreten normaler Verhältnisse wird sich die stark sinkende Tendenz des nordamerikanischen Vieh- und Fleischexports, wie sie bis 1914 bestand, als eine nicht nur vorübergehende Erscheinung wieder einstellen. Der Vergleich mit den Vereinigten Staaten ist sehr instruktiv und interessant. In Argentinien liegen die Dinge zUm Teil umgekehrt. Hier hat stellenweise, so in großen Teilen der Provinz Santa Fe, wo sich die Weizenmüdigkeit des Bodens allzusehr bemerkbar machte, der Kornbauer, der jahrzehntelang geherrscht hat, von neuem dem Viehzüchter Platz gemacht. Im Wanderpachtbau wiederholt sich derselbe Vorgang, auf den Kreislauf von 2 oder 3 Jahren eingeschränkt, dauernd in der ganzen Ackerbauzone. Solange der Ackerbau zum großen Teil dazu dient, den Boden für die Alfalfakultur vorzubereiten, oder doch da, wo die Alfalfa nicht gedeihen kann, eine Verfeinerung der natürlichen Kampweideflächen zu erreichen, also nur Mittel zum Zweck der Viehzucht ist, wird mit der Vermehrung der vor- J) Vgl. Augstin a. a. O., S. 108. *) Vgl. hierzu Meißner a. a. O., S. 73ff., ferner A. Manes, Der Einzug des amerikanischen Fleischtrusts in Australien, in „Der Tag", Berlin 26. 6. 1914- — 251 — bereiteten Weideflächen eine Produktionssteigerung der Viehzucht Hand in Hand gehen. Auf die Dauer wird dieser Prozeß für die Vieh- zucht ganz von selber zu intensiveren Methoden und im Zusammen- hang mit fortschreitender Besitzaufteilung auch zu kleineren Betriebs- größen führen müssen. Es wird vielfach die Anschauung vertreten, die heutige argen- tinische Landwirtschaft zeige die Entwicklungstendenz, ihren Acker- bauzweig dauernd auf Kosten des Viehzuchtzweiges auszudehnen. Argentinien soll sich also in der Umwandlung aus einem Viehzucht- in ein Ackerbauland befinden. Diese Auffassung hat nur sehr bedingte Gültigkeit. Sie stützt sich vor allem auf die Tatsache, daß die Ge- treideanbauflächen sich in stärkerem Maße vermehrt haben als die künstlichen Weideflächen, sowie daß in den letzten Jahren vor dem Kriege der Ackerbau die weitaus größeren Exportwerte produzierte. Demgegenüber ist darauf zu verweisen, daß einmal die größere Zahl der argentinischen Herden noch auf natürlichen Weideflächen lebt, dann aber auch ein großer Teil des Landes, auf dem heute Getreide angebaut wird, binnen kurzem wieder mit Vieh besetzt sein wird. Letzten Endes wird für die Entwicklung nach der einen oder anderen Seite hin der Fortschritt in der inneren Kolonisation entscheidend sein. Die außerordentlich hohen Fleischpreise während des Krieges veranlaßten viele argentinische Grundbesitzer, gegenüber der höhere Gewinne einbringenden Viehzucht den Getreidebau gänzlich zurück- treten zu lassen. In ausgesprochener Form war das z. B. im äußersten Süden der Provinz Buenos Aires der Fall. Dort mußten in der Bahia Biancazone die Ackerbaukolonisten den großen Viehzuchtsyndikaten weichen. Die Grundbesitzer weigerten sich, die Pachtkontrakte mit den Kolonisten zu erneuern, da die Viehzuchtgesellschaften wesentlich höhere Preise bieten konnten, als die Ackerbauer zu zahlen in der Lage waren. So wurden in der Zone südlich Bahia Bianca 60% der Kolonisten von ihrem Lande verdrängt und mußten der Großviehzucht Raum geben1). Dieser Vorgang, der zugleich die Auffassung widerlegt, daß ein Zurückdrängen der Viehzucht durch den Ackerbau stattfinde, gibt zugleich ein treffendes Beispiel dafür, wie die auf den Export angewiesene argentinische Landwirtschaft sich auf eine veränderte Weltmarktlage einstellt. *) Public Ledger, Philadelphia, 17. n. 191; 252 2. Kapitel. Die Teilgebiete der tierischen Produktion. a) Die Rindviehzucht. Wichtigster Zweck der argentinischen Rindviehzucht ist die Erzeugung eines hochwertigen Fleisches für die Ausfuhr. Es kann nicht die Aufgabe dieser Abhandlung sein, die verschiedenen Etappen, welche die Rinderzucht bis zur Erreichung dieses Zieles durchlaufen hat, im einzelnen zu schildern. Das Werk von Hermes und Holt- meier-Schomberg gibt darüber in einem Abschnitt, der die ge- schichtliche Entwicklung der argentinischen Tierzucht darstellt, er- schöpfend Auskunft. Im Gegensatz zu dem noch jungen Ackerbau Argentiniens hat seine Viehzucht bereits eine mehrhundertjährige Entwicklung hinter sich. Nachdem im 16. Jahrhundert die ersten Rinder aus Peru und Spanien in das Land gebracht worden waren, vermehrten sich diese schnell und bevölkerten bald in großen wilden Herden die Pampa- ebene. Lange Zeit bestand die einzige Nutzung dieser Herden in der Verwertung ihrer Häute, die schon im 17. Jahrhundert durch Portugiesen und Engländer im Schmuggelhandel gegen europäische Fabrikate eingetauscht wurden. Eine gewisse Förderung erfuhr die heimische Viehzucht dann zunächst durch die Gründung des Vize- königreichs Rio de la Plata im Jahre 1776 und die im Anschluß daran 1795 von Spanien erteilte Erlaubnis, direkten Handel mit dem Mutter- lande und den übrigen spanischen Kolonien zu treiben. Immerhin bildeten auch dann noch Ochsenhäute lange Zeit den wichtigsten Ausfuhrartikel des Landes. Erst nachdem Argentinien sich in der Mairevolution des Jahres 1810 von Spanien unabhängig gemacht hatte, erhielt mit dem allmählichen Entstehen selbständiger Handels- beziehungen auch die Viehzucht, die einstweilen alleiniger Pro- duktionszweig blieb, kräftigen Antrieb. Die Entstehung einer größeren Anzahl von sogenannten Saladeros, Schlachthäusern, in denen Salz- fleisch und Fett hergestellt wurden, machte seit 1820 neben der Häuteausfuhr den Export von Salzfleisch, Fett und Talg möglich. Freilich handelt es sich, mit den heutigen Exportziffern verglichen, damals noch um verschwindend geringe Mengen. Die ganze Fleisch - und Fettausfuhr belief sich z. B. 1837 auf rund 10 000 t. Einen in seiner Bedeutung nicht hoch genug zu schätzenden Fortschritt in der Viehzucht bedeutete die im Jahre 1844 zum ersten — 253 — Male angewendete Einfriedigung der Weiden durch Zäune aus Eisen- draht1). Man hat behauptet, daß auf der Verwendung des Draht- zauns die ganze moderne und rationelle argentinische Viehzucht beruhe. In der Tat bedeutete sie die Lösung eines der wichtigsten viehzüchterischen Probleme. Durch die Schaffung abgetrennter Weideflächen wurde es erst möglich, die einzelnen Herden voneinander getrennt zu halten, bestimmte Zuchtmethoden durchzuführen und einzelne Weideflächen der Mast schlachtreifer Tiere vorzubehalten. Für die Anlage von Hunderttausenden von Kilometern derartiger Abzäunungen wurde in der Folge Eisendraht in wachsenden Mengen aus Europa eingeführt. Die von den Spaniern zu Beginn ihrer Eroberung eingeführten, andalusischer Rasse entstammenden Rinder entwickelten unter dem Einfluß der klimatischen Bedingungen bestimmte Merkmale und Formen. Es entstand als Endprodukt einer 300 jährigen Entwicklung die heutige einheimische „Criollo" -Rasse, ein gegen Witterung, Durst und Hunger außerordentlich widerstandsfähiger, aber auch knochiger und fleischarmer Typ. Solange der Bedarf und die Ansprüche des lokalen Marktes gering blieben und die Ausfuhr sich auf Häute, Salzfleisch und Talg beschränkte, leistete diese Rasse, zumal der Ernährung des Viehs künstlich verbesserte Weiden noch nicht zur Verfügung standen, gute Dienste und machte sich die Notwendigkeit, sie zu verbessern, noch nicht geltend. Dies wurde jedoch anders, als mit der intensiveren Ausgestaltung der argentinischen Handels- beziehungen die Ausfuhr von lebendem Vieh und später die von Gefrierfleisch einsetzte. Für die Herstellung des Salzfleisches war das einheimische Vieh gut geeignet, ,,weil der verhältnismäßig geringe Fettdurchzug der Muskeln die Herstellung dieses Erzeugnisses er- leichterte"*2). Als in den 60 er Jahren die Ausfuhr lebenden Viehs nach England steigenden Umfang annahm, machte sich die Forderung immer dringender geltend, ein höherqualifiziertes Produkt zu er- reichen, das dem Geschmack der neuen Verbraucher besser entsprach und zugleich durch Erzielung höherer Preise der Viehzucht größere Rentabilität sicherte. So setzt etwa mit den 70 er Jahren eine neue Epoche der argen- tinischen Viehzucht ein, die durch die ständig zunehmende Einfuhr J) Vgl. H. Gibson, La evoluciön ganadera. Censo Agropecuario 1908, Bd. III, S. 70. 2) G. Marti noli, Der gegenwärtige Stand der Rinderzucht in Argentinien. (Internationale Agrartechnische Rundschau 191 7, S. 680.) 254 europäischer Zuchttiere, vornehmlich englischer Rinderrassen, gekennzeichnet wird. Die Einfuhr betrug bis 1900: 600 — 700 Tiere jährlich und stieg in den letzten Jahren vor dem Kriege auf 900 — 1000. Von 1880 — 1914 wurden rund 25000 Zuchttiere eingeführt, davon gehörten 85% der englischen Shorthornrasse an. Die importierten Tiere und ihre Nachkommen werden in Argentinien teils rein weiter- gezüchtet, teils in steigendem Maße zur Kreuzung mit der einhei- mischen Rasse benutzt. Die auf diese Weise erzielte Verbesserung der Rindviehbestände des Landes macht sich in einem dauernden Rückgang des Anteils der minderwertigen Criollorasse an dem Ge- samtviehbestand bemerkbar. Da diese zunehmende Veredelung des Rindviehbestandes die moderne Entwicklungsrichtung der argen- tinischen Viehzucht stark charakterisiert, seien die Ergebnisse der Censen von 1895 und 1908 hier einander gegenübergestellt. Tabelle 68. Stand der Veredelung des Rindviehbestandes, 1895 und 1908. Einheimische Tiere Kreuzungstiere Reinrassige Tiere Diese Verfeinerung und Veredelung seines Viehstandes hat Argentinien zum großen Teil überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, mit seinem Fleisch auf dem europäischen Markt in Wettbewerb zu treten. Andererseits — das ist immer wieder zu betonen — war das Halten feiner Viehrassen erst möglich mit dem Vorhandensein großer künstlicher Weideflächen, wie sie durch die Ackerbau entwicklung entstanden. Die enge Wechselwirkung zwischen den beiden großen landwirtschaftlichen Zweigen tritt immer wieder hervor. Unter den Viehzuchtgebieten des Landes zeichnet sich die Provinz Buenos Aires durch besonders weitgehende Veredelung ihrer Bestände aus. An der Gesamtzahl ihres Rindviehbestandes war das einheimische Vieh 1895 mit 50,2%, 1908 nur noch mit 8,7% beteiligt, und es ist anzunehmen, daß gegenwärtig in dieser Provinz reines Criollovieh überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Die Zahl reinrassiger Tiere — 255 — stieg gleichzeitig auf 6,2% des Gesamtbestandes. Bei der außer- ordentlichen Wichtigkeit, die der Bestand an reinstämmigen, sog. Pedigreetieren für die Produktionssteigerung der Viehzucht hat, wird seiner Vermehrung und Überwachung die größte Aufmerk- samkeit zugewendet. Das von der argentinischen Land Wirtschafts- gesellschaft, der Vereinigung aller namhaften Züchter des Landes geführte Rinderherdbuch wies bis zum Jahre 1916: 126200 Ein- tragungen auf. Die Zahl der lebenden Pedigreetiere betrug 53940, davon entfielen wiederum 43900 auf die Provinz Buenos Aires. Diese Zahlen sind darum so wichtig, weil von ihnen außerordentlich viel für die Höherzüchtung der geringwertigen Bestände und damit für die Erhöhung der für Gefrierfleischzwecke verwendbaren Herdenzahl abhängt. In dieser Richtung wirkt die Tätigkeit der erwähnten Landwirtschaftsgesellschaft, die sich besonders auf das Stamm- buch- und das Ausstellungswesen erstreckt, überaus fördernd. Das einheimische Rind ist aus der eigentlichen Landwirtschafts- .zonc heute fast völlig durch reinrassige und Kreuzungstiere ver- drängt worden. Man kann als die südliche Grenze seines Verbrei- tungsgebietes eine Linie annehmen, die sich etwa mit der nördlichen Grenze der Weizenzone deckt, die also den ganzen Norden von Santa Fe und den größeren Teil des nördlichen Cördoba umfaßt. Der Ver- besserung der einheimischen Viehbestände der Republik — ein Problem, das für die Viehzucht des nördlichen Argentinien von entscheidender Bedeutung ist — steht außer den Schwierigkeiten des heißen Klimas die im Norden herrschende Rindermalaria1) als unüberwindliches Hemmnis entgegen. Während die einheimischen Tiere gegen diese Krankheit eine gewisse Immunität zeigen, werden eingeführte Tiere sehr leicht von ihr befallen und sterben ab. Die den Krankheits- keim verbreitende Zecke ist gerade in den heißen Gebieten und ihren aus Hartgräsern bestehenden Weideflächen heimisch2). Diese Zecke mindert auch die Qualität der aus den nördlichen Landesteilen stam- menden Häute stark herab. Auf Grund dieser Verhältnisse hat in der Rindviehzucht des Landes in neuerer Zeit eine gewisse Scheidung Platz gegriffen. Während der Süden, d. h. die Provinz Buenos Aires sowie das südliche Santa Fe und Cördoba das hochwertige Fleisch produzieren, das zu Kühl- 1) Die Krankheit, in Argentinien „Tristeza" genannt, wird durch einen in den roten Blutkörperchen lebenden Schmarotzer, Piroplasma bigeminum, hervorgerufen. 2) Vgl. Martinoli a. a. O., S. 685. - 256 - und Gefrierfleisch verarbeitet und exportiert wird, liefert der Norden das geringwertige Fleisch für die Pökel- und Fleischextraktfabriken sowie für den lokalen Konsum. Auf den unveredelten oder doch wenig veredelten Criolloherden der nördlichen Landesteile und der Provinz Entre Rios beruht die heutige Saladeroindustrie, die einst die alleinige Verwertung der tierischen Produkte in Argentinien bildete. Die günstigsten Bedingungen bietet dieser Industrie gegen- wärtig die Provinz Entre Rios, deren Viehbestand 1908 noch zu 60% aus unveredelten Tieren sich zusammensetzte. Hauptsitz der Salzfleisch- und Konservenfabrikation sind hier die Städte Colon, Concordia, Gualeguaychü und La Paz. Als Rückwirkung des züchte- rischen Entwicklungsprozesses in der Rind Viehzucht hat die Salz- fleischfabrikation jedoch in Argentinien im allgemeinen einen starken Rückgang genommen. Die Zahl ihrer Schlachtungen, die 1910 noch stark 400000 Tiere be- tragen hatte, ging bis 1916 auf 201700 zurück. In Übereinstimmung damit zeigt die Ausfuhr von Salz- und Dörrfleisch die gleiche rück- gängige Bewegung. Während sie im Durchschnitt des Jahrfünfts 190 1 — 1905 rund 20000 t jährlich betragen hatte, sank sie 1912 auf 8800 t, 19 13 auf 3900 t. Der Export richtet sich nach Brasilien und Cuba, Europa kommt als Absatzmarkt für das in seiner Qualität nicht sehr hoch stehende Produkt nicht in Frage. Gegenüber der an Umfang und Ausfuhrbedeutung ständig zunehmenden Gefrierfleischindustrie kommt der Saladeroindustrie heute nur noch eine sehr geringe Bedeutung zu. Das einheimische Vieh der nördlicheren und westlichen Landesteile stellt außer für die Saladero- industrie das Hauptkontingent zur Ausfuhr lebenden Rindviehs. Die wichtigsten Abnehmer dieser Ausfuhr sind die 3 Nachbarländer Uruguay, Brasilien und Chile. Salzfleischfabriken in Uruguay und Südbrasilien verwenden in größeren Mengen Vieh aus den argentinischen Provinzen Entre Rios und Corrientes. Aus der letzteren Provinz soll ein lebhafter Schmuggelhandel mit Vieh über die brasilianische Grenze stattfinden, der die Erklärung für die starke Verminderung ihrer Bestände gibt1). Aus den der Kordillere vorgelagerten Provinzen Mendoza und San Juan wird Vieh in größeren Herden über die Pässe nach Chile getrieben. Die Ausfuhr lebenden Rindviehs stand in der Mitte der 90 er Jahre auf ihrem Höhepunkt. Seit dieser Zeit nahm sie die folgende Entwicklung: (siehe Tabelle 69 S. 257) Die Ausfuhr zeigt bis 1910 eine stark sinkende Tendenz, nimmt dann allerdings wieder zu, um seit dem Kriege erneut abzunehmen. Die Gefrierfleischausfuhr zeigt dagegen im gleichen Zeitabschnitt eine ununterbrochene aufwärtssteigende Kurve. Da es sich, wie wir *) La Prensa, Buenos Aires, 19. 4. 1917. 257 Tabelle 69. Ausfuhr lebenden Rindviehs seit 18961). Stückzahl Wert in Goldpesas Jahresdurchschnitt 1896 — 1900 288531 5 950 876 ,, 1901— 1905 162 262 3 455 9o8 ,, 1906 — 1910 85809 2 75i 925 1911 184 112 8 202 750 1912 261 416 9 140 080 1913 224 911 6 848 830 1914 115 556 3 482 990 1915 103 207 3 100 830 sahen, bei der Lebendviehausfuhr ganz überwiegend um unveredeltes einheimisches Vieh handelt, ist ihr Rückgang (in den 20 Jahren des betrachteten Zeitabschnitts fast auf ein Drittel ihres früheren Umfangs) neben anderen Einflüssen in erster Linie als Rückwirkung des Fort- schritts in der tierzüchterischen Entwicklung des Landes zu deuten. Der gesamte Rindviehbestand des Landes belief sich 1888 auf 21962000, 1895 auf 21702000 Stück. Die mit Beginn des neuen Jahrhunderts einsetzende kräftige Entwicklung der Gefrierfleisch- industrie, die in dem Maße, wie sie die Veredelung der Bestände veranlaßte, zugleich der Viehzuchtproduktion ganz neue Entwick- lungs- und Absatzmöglichkeiten schuf, führte zu einer starken Ver- mehrung der Rindviehhaltung. Der Census von 1908 weist ein An- steigen der Zahl auf fast 30 Mill. Tiere auf. Damit scheint allerdings bis auf weiteres der Höhepunkt im Umfang der Viehproduktion überschritten zu sein. Die Zahlen der letzten Bestandsaufnahme vom Juni 1914 zeigen einen erheblichen Rückgang, wie aus der folgen- den Zusammenstellung ersichtlich ist. (Siehe Tabelle 70 S. 258.) Die Verringerung des Rindviehbestandes betrug in 6 Jahren 3250000 Tiere. Der Rückgang wurde vornehmlich den großen durch die Dürren der Jahre 1908 und 1909 hervorgerufenen Sterben zugeschrieben. Auch entstanden zahlreiche Ausfälle durch Seuchen, besonders durch die Maul- und Klauenseuche, die viele Opfer forderte. Daneben dürfte das häufige Abschlachten von Mutter- tieren das Seinige dazu beigetragen haben, daß die entstandenen x) Nach Extracto Estadistico de la Rep. Argentina, corresp. al afio 1915. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. 1 7 — 258 — Tabelle 70. Rindviehbestände der verschiedenen Landesteile, 1908 und 1914. Provinz oder Territorium 1908 1914 1000 Stück 1000 Stück Buenos Aires Santa Fe Cördoba Entre Rios Corrientes San Luis Santiago del Estero Salta Tucumän Chaco ... Pampa Central .... Übrige Landesteile . . Argentinische Republik 10356 9103 3413 3 179 2639 2 54° 314b 2 334 4276 3 543 579 603 629 757 560 616 404 359 265 456 4°5 561 2385 1 816 29 117 25867 Ausfälle nicht genügend ausgeglichen wurden. Jedenfalls wäre es falsch, wenn man aus dem allerdings sehr beträchtlichen Rückgang der Rindviehzahl, der mehr als eine halbe Million jährlich betrug, auf ein allgemeines Zurückdrängen der Viehzucht durch den Ackerbau schließen wollte. Gerade für die Rindviehzucht trifft das keines- falls zu. Nach neueren Feststellungen weist denn auch der Bestand in der Provinz Buenos Aires, der viehreichsten des Landes, eine sehr starke Zunahmeziffer auf und soll 1916 bereits wieder n 336 500 Stück betragen haben1). In der Rindviehzucht stehen, wie im Getreidebau, die mittleren Provinzen den übrigen Landesteilen weit voran. Auf die Provinz Buenos Aires entfallen allein 35 % des Gesamtbestandes der Republik. Die übrigen Provinzen der Hauptlandwirtschaftszone werden jedoch von Corrientes übertroffen, das auch in der Dichtigkeit des Vieh- bestandes auf den Kopf der Bevölkerung mit 10,2 Rindern (1908 mit 13,4) weit an der Spitze steht und Buenos Aires mit einer Dichtig- keit von 4,4 auf den Kopf der Bevölkerung um mehr als das Doppelte übertrifft. Legen wir für die Provinz Buenos Aires den erhöhten Be- stand des Jahres 1916 zugrunde, so ergibt sich bei einer Bevölkerung J) Review of the River Plate, Buenos Aires, 12. 5. 1916. — 259 — von 2,32 Mill. im gleichen Jahre ein Pro-Kopfbestand von 4,9 gegen- über einem solchen von 6,3 im Jahre 1908 und von 8,4 im Jahre 1895. In ähnlicher Weise ist der Viehreichtum im Verhältnis zur Bevölkerung in der ganzen Ackerbauzone zurückgegangen, eine Tatsache, die in der durch Einwanderung und Kolonisation stark vermehrten Be- völkerungszahl ihre Erklärung findet. Für ganz Argentinien kamen auf jeden Einwohner: 1895 5,4 Rinder 1908 4>5 I9X4 33 „ Der trotz der reduzierten Zahl für 1914 in diesen Verhältnis- ziffern zum Ausdruck gelangende Rinderreichtum des Landes erfährt seine rechte Beleuchtung durch einen Vergleich mit anderen be- deutenden Viehzuchtländern. Tabelle 71. Dichtigkeit des Rinderbestandes auf den Kopf der Be- völkerung in verschiedenen Ländern. Land Rindvieh Bevölkerung Dichtigkeit auf den Kopf d. Bevölkerung Brit. Indien1) Vereinigte Staaten Argentinien4) _ Deutschland in 714 190 56 527 000 2) 25 866 736 20 182 021 &) 244221377 91 972 2Ö63) 7 885 237 64 925 993 3) 0,46 0,61 3,28 o,3i Im Verhältnis zu seiner Bevölkerung ist Argentinien neben seinen beiden Nachbarländern Uruguay und Paraguay eines der rinder- reichsten Länder der Welt. Die in der angeführten Verhältniszahl zum Ausdruck gelangenden Exportmöglichkeiten des Landes an tierischen Produkten erfahren eine gewisse Abschwächung durch den außerordentlich hohen Inlandkonsum an Fleisch. Fleisch ist auch heute noch die Hauptnahrung der Argentinier, besonders der länd- lichen Bevölkerung. In der Hauptstadt Buenos Aires hat allerdings die Nachfrage der Gefrierfleischfabriken zu einer ständig zunehmenden Fleischknappheit und Teurung geführt. Die Preise standen schon vor dem Kriege hier so hoch, daß Klage darüber geführt wurde, l) 1911 2) 1913- 910. 4) 1914- ;) 1912. 17* 26o — das Fleisch sei in dem viehreichen Lande für die minderbemittelten städtischen Bevölkerungsklassen zu einem nicht mehr erschwinglichen Luxusnahrungsmittel geworden1). Besonders hoch sind dagegen die von der in der Viehzucht beschäftigten Bevölkerung verzehrten Fleischmengen. Auf den großen Estancien rechnet man mit einem durchschnittlichen täglichen Verbrauch von i % — 2 kg auf den Kopf, die Arbeitsverträge weisen regelmäßig derartige Sätze als Höhe der Naturalverpflegung auf. Natürlich entzieht sich die Zahl der in den landwirtschaftlichen Betrieben zum eigenen Konsum geschlachteten Tiere der statistischen Erfassung. Unter Beiseitelassen dieser sicher- lich sehr beträchtlichen Zahl ergibt sich ein Teil des Umfangs des heimischen Verbrauchs aus der Zahl von Schlachtungen, die in den offiziell kontrollierten Fleischfabriken aller Art vorgenommen werden. Die folgende Tabelle gibt über diese für die Jahre 1912 — 1916 Auskunft : Tabelle 72. Zahl der Rindviehschlachtungen 1912 — 19162). Für die Ausfuhr Für den Inlandkonsum Jahr Zahl der Gewonnenes Zahl der Gewonnenes geschlachteten Fleisch geschlachteten Fleisch Tiere in t Tiere in t 1912 1 472 525 494 671 300 364 70 954 1913 1 318 152 447 674 290831 71 959 1914 1 317 697 444 533 271 181 66763 1915 1 399 921 45o 955 240925 71 602 1916 1 854 969 584 599 246 582 55 549 Die in obenstehender Tabelle enthaltenen Zahlen geben nur die in den Gefrierfleischfabriken, Saladeros und Konservenfleischfabriken vorgenommenen Schlachtungen wieder, nicht die der städtischen und privaten Schlachthäuser. Während also die Tabelle 72 die Zahl der für die Ausfuhr erfolgenden Schlachtungen ziemlich restlos wieder- gibt, enthält sie die für den heimischen Konsum erfolgenden nur zum geringen Teil. Zieht man von der Gesamtzahl der von der Statistik erfaßten Rinderschlachtungen des ganzen Landes3) die Ausfuhr- schlachtungen der Fleischindustrie ab, so umfaßt der Inlandverbrauch x) Vgl. La Naciön, Buenos Aires, 6. 5. 1913. 2) Estadistica Agricola 1916/17, S. 164. 3) Einschließlich der in Tabelle 72 nicht enthaltenen Schlachtungen in Schlachthäusern ieder Art. — 26l — folgende Zahlen: 1912: 2038267 Tiere, 1914: 1893422 Tiere, 1916: 1724409 Tiere. Hiernach ergibt sich, daß durchschnittlich die Er- nährung der Bevölkerung größere Mengen von Rindvieh beansprucht als zur Ausfuhr gelangen. Luf f t1) nimmt sogar an, daß der heimische Verbrauch an Schlachtvieh die Ausfuhr um das Dreifache überträfe. Zieht man die außerordentlich großen Fleischmengen in Betracht, die, wie jeder Beobachter weiß, von der Landbevölkerung des Innern regelmäßig verzehrt werden, so dürfte diese Annahme in der Tat kaum übertrieben scheinen, obwohl sie in der offiziellen Statistik nicht begründet erscheint. Argentinien befindet sich also hinsichtlich seiner viehzüchterischen Produktion in einer völlig anderen Lage als in seiner Getreide- erzeugung. Während hier die geringe Dichtigkeit der Bevölkerung einen Export möglich macht, der den Anteil des heimischen Ver- brauchs an der Gesamt er zeugung bedeutend übersteigt, reduziert bei der Fleischproduktion der relativ starke Konsum den Ausfuhr- überschuß erheblich. Neuerdings macht sich allerdings, soweit dies nach der Natur der Dinge zahlenmäßig nachweisbar ist, die Tendenz der Einschränkung des heimischen Konsums sehr deutlich bemerkbar. Wir geben dessen Entwicklung — der Vollständigkeit wegen nicht nur für Rindfleisch, sondern auch für die übrigen Fleischarten — nach der Estadistica Agricola für die Jahre 191 1 — 16 wieder. Tabelle 73. Argentinischer Fleischkonsum auf den Kopf der Be- völkerung, 1911 — 16. Verbrauch in kg auf den Kopf Gesamtfleisch- Rindfleisch Schaffleisch Schweine- fleisch verbrauch 1911 125,3 23,9 7,° 156,2 1912 115,8 17,2 6,4 139,4 1913 105,4 n,9 7,2 124,5 1914 84,4 n,7 9,o 105,1 1915 85,8 10,2 9,9 105,9 1916 73,6 n,7 n,3 96,6 l) H. A. L. Lufft, Die nordamerikanischen Interessen in Südamerika vor dem Kriege. Kriegswirtschaftliche Untersuchungen aus dem Institut für Seeverkehr nnd Weltwirtschaft an der Universität Kiel, herausgegeben von B. Harms, Jena 1916, S. 25. — 2Ö2 — Der Rückgang ist besonders bei Rindfleisch sehr hoch, im Ge- samtfleischverbrauch beträgt er in 6 Jahren 38%. Vergleichen wir damit die Fleischausfuhrzahlen des gleichen Zeitabschnitts, so ergibt sich für gefrorenes Rindfleisch eine Exportsteigerung um 38%, für Konservenfleisch eine solche um 189%. Je weiter die Ausfuhrziffern steigen, um so mehr geht der inländische Fleischverbrauch, wenigstens derjenige der städtischen Bevölkerung, die aus Fleischfabriken und Schlachthäusern versorgt wird, zurück. Die vermehrten Ausfuhren sind, da ihnen eine Steigerung der Produktion nicht entsprach, durch eine von Jahr zu Jahr größer werdende Einschränkung des heimischen Verbrauchs möglich gemacht worden. Wenn diese Tatsache auch zum Teil auf vorübergehenden Erscheinungen, vornehmlich der durch höhere Gewalt verursachten starken Verminderung der Herden in dem zwischen den Jahren 1908. und 1914 liegenden Zeitraum, beruht, so ist sie doch für die gegenwärtige Lage der argentinischen Vieh- zuchtproduktion überaus bedeutsam. Im Jahre 1917 erreichte die Zahl der für die Ausfuhr geschlachteten Rinder 2 161 725, die Menge des von diesen Tieren gewonnenen Fleisches 619698 t. Vergleichen wir diese Ausfuhrschlachtungen mit denen des Jahres 1913 (Tab. 72), so entspricht der um 64% gesteigerten Zahl der Schlachtungen nur eine Vermehrung der Fleischausbeute von 38%. Dies führt zu dem Schluß, daß man 1917 zur Erreichung einer Rekordausfuhrziffer sehr stark auf jüngere und im Gewicht minderwertige Tiere hat zurück- greifen müssen. Die geschilderten Erscheinungen deuten darauf hin, daß ein — wenn auch vorübergehender — Mangel an Exportvieh einge-> treten ist. Damit ist nicht gesagt, daß Argentinien bereits den Höhe- punkt seiner Fleischproduktion erreicht oder überschritten hat. Einer Ausdehnung derselben stehen immer noch weite Entwicklungs- möglichkeiten zur Verfügung. Mit der zunehmenden -Besiedelung und verkehrswirtschaftlichen Erschließung der nördlichen Landes- teile wird es möglich sein, deren reiche Bestände an einheimischem Vieh stärker als bisher heranzuziehen und der inländischen Ernährung, deren starker Fleischbedarf als konstanter Faktor anzusehen ist, nutzbar zu machen. Vor allem aber ist der Bestand der Hauptland- wirtschaftszone an veredeltem Vieh noch sehr steigerungsfähig. Die Ausdehnung der Ackerbauflächen schafft der Viehzucht immer neue verbesserte Weideflächen, auf denen die Haltung einer größeren Zahl wie einer ständig veredelten und darum in ihrem Fleisch ertrag höherstehenden Rasse von Rindvieh möglich wird. — 263 — Vor allem wird die günstige Weltmarktlage für Fleisch den argentinischen Züchtern ein Anreiz sein, durch Einbeziehung immer größerer Flächen in den Bereich intensiverer Viehzucht ihre Pro- duktion zu steigern. Der Krieg hat unter den Viehbeständen der euro- päischen Länder beträchtliche Verheerungen angerichtet. Frankreich hat als Kriegsschauplatz in seinem Viehbestand am meisten gelitten und ist auf eine Reihe von Jahren darauf angewiesen, einen Teil seines Fleischbedarfs aus dem Auslande zu decken. In verstärktem Maße sind England und Belgien auf überseeische Fleischzufuhren angewiesen. Auch Deutschland wird, soweit es in der Lage sein wird, größere Mengen Fleisch im Auslande zu kaufen, auf die argen- tinischen Lieferungen angewiesen sein. Somit eröffnet sich der argen- tinischen Viehzucht ein durchaus gesicherter und lohnender Ab- satzmarkt, der geeignet ist, ihrer Produktion ssteigerung, für welche die natürlichen Voraussetzungen nicht fehlen, kräftigsten Anreiz zu verleihen. b) Die Schafzucht. Bis an das Ende des 18. Jahrhunderts hatte die argentinische Schafzucht keinerlei Bedeutung. Eine Verwertung der an Zahl geringen Bestände fand für Wollgewinnung kaum statt, die wichtigste Ver- wertung bestand in der Benutzung der getrockneten Kadaver als Heizmaterial für die Feldziegelöfen1). Wie in der Rindviehzucht machten sich auch in der Schafzucht die Wirkungen der politischen Umgestaltung des 19. Jahrhunderts bemerkbar. Mit der Erlangung der Handelsselbständigkeit, die eine allmählich steigende landwirt- schaftliche Ausfuhr zur Folge hatte, erhielt vor allem die Wolle er- höhten Wert. Derselbe Entwicklungsprozeß, wie wir ihn bei der Rindviehzucht verfolgt haben, wiederholt sich nun auch in der Schaf- zucht. Das einheimische Schaf, der Nachkomme der von den Spaniern bei der Eroberung aus dem Mutterlande mitgebrachten Tiere, trug eine kurze grobe Wolle von geringem Handelswert. Das Streben der Züchter ging darum zunächst auf Verbesserung der Wollqualität. Zu diesem Zwecke fanden umfangreiche Einfuhren europäischer Zuchttiere statt. Schon in den Jahren 1836 — 1838 wurden mehr als 4300 Merinoschafe aus Sachsen importiert. Unter dem Einfluß der auf diese Weise durchgeführten Veredelung der heimischen Schaf- herden nahm die Wollausfuhr bedeutend zu. Sie bildete lange Zeit den wesentlichsten Posten der Gesamtausfuhr und übertraf Anfang *) Hermes und Holtmeier-Schomberg a. a. O., S. 178. — 264 — der 70 er Jahre den Wert der anderen Ausfuhrprodukte der Viehzucht um mehr als die Hälfte. Die Ausfuhr stieg von in 976 t im Jahrfünft 1858 — 62 auf 685165 t im Jahrfünft 1888 — 92. Eine der ersten statistischen Aufnahmen der Viehbestände aus dem Jahre 1875 weist bereits gegenüber einem Rindviehbestand von 13,3 Mill. einen Schafbestand von 57,5 Mill. auf. Auch für die Schafzucht wurde sodann das Aufkommen der Kühl- und Gefrierindustrie von größter Wichtigkeit. Die neuen Absatzmöglichkeiten machten es notwendig, einen Typ zu züchten, der in gleichem Maße der Woll- wie der Fleischerzeugung dienen konnte. Dies wurde vor allem durch Einfuhr englischer Lincoln- schafe erreicht, die um das Jahr 1885 begann. Von 1900 — 1915 betrug diese Einfuhr 28677 Tiere. Der Anteil der unveredelten kreolischen Schafe, der 1885 noch 36,5% des Gesamtbestandes betragen hatte, sank bis 1908 auf 15,7 %x). Die Schafzucht nur zu dem Zwecke der Wollproduktion beschränkt sich heute auf die Gebiete, in denen noch keine Gefrieranlagen ihren Einfluß geltend machen, während in der Hauptlandwirtschaftszone und neuerdings auch im Süden, durch Errichtung von Gefrierfabriken in Santa Cruz, auf WToll- wie Fleischgewinnung gleichmäßig stark Wert gelegt wird. Die Schaf- bestände Argentiniens setzen sich heute aus etwa 70 — 75 % Kreuzungen mit grobhaariger Wolle, 10 — 15% Merinos und 10 — 15% Lincolns zusammen. Innerhalb dieser verschiedenen Kategorien gibt es eine Reihe von Abstufungen und Übergängen. Jedenfalls hat die Ent- wicklung dahin geführt, daß mit der Zunahme der Bedeutung des Schafs als Fleischtier die Qualität der argentinischen Wolle ge- sunken ist. Im Zusammenhang damit seien über die neuere Entwicklung der Wollausfuhr einige kurze Angaben gemacht. (Siehe Tabelle 74 S. 265.) Der Wert der Wollausfuhr hat infolge der aufsteigenden Preis- bewegung keine Verringerung erfahren, ihre Menge zeigt dagegen bereits vor dem Kriege eine sinkende Tendenz. War dies zum Teil auch eine Folge der veränderten, mehr auf Fleisch- als auf Woll- gewinnung eingestellten Zuchtrichtung, so ist doch der Hauptgrund der starke Rückgang in der Gesamtzahl der Schafbestände des Landes. Letztere hatte 1895 mit etwa 75 Mill. Tieren ihren Höhe- x) Vgl. G. Martinoli, Der gegenwärtige Stand der Schaf- und Schweine- zucht in Argentinien. (Internationale Agrartechnische Rundschau 191 7, Heft 9, S. 771.) — 265 — Tabelle 74. Wollausfuhr seit 1891.1) Ausfuhr Wert in in t Goldpesos Jahresdurchschnitt 1891 — 1895 155 946 33 o69 676 „ 1896— 1900 190 538 43 164 015 1901— 1905 195 77% 50 713 866 1906— 1910 181 348 56 734 270 1911 132036 50494027 1912 164 964 58 148 664 1913 120 080 45 270016 1914 117 270 46 967 658 1915 117 670 55 579 000 punkt erreicht. Von da ab ging die Zahl ständig zurück, die Abnahme betrug bis 1914 rund anderthalb Millionen im Jahre. Auch in Argen- tinien wiederholte sich also die fast in allen Ländern der Welt auf- tretende Erscheinung einer starken Verringerung der Schafhaltung. Die Schafzucht verlangt besonders umfangreiche Weideflächen, die nur eine äußerst extensive Nutzung erfahren können. Wo intensive Bodennutzung einsetzt, ist für die Schafhaltung im großen kein Raum mehr. Der schlimmste Feind des Schafes bleibt überall der Ackerbau2). Dieser Satz wird durch die Veränderungen, die inner- halb weniger Jahre in der geographischen Verteilung der Schaf- bestände innerhalb des Landes stattgefunden haben, deutlich illustriert. (Siehe Tabelle 75 S. 266.) Die stärkste Abnahme hat in der Provinz Buenos Aires und im Territorium Pampa Central stattgefunden, beides Gebiete, in denen der Getreidebau in dem gleichen Zeitraum am meisten Boden gewonnen hat. Die alte Kolonisationsprovinz Santa Fe hat für die Schafzucht nur noch wenig Raum, ähnliches gilt für Cördoba. Es macht sich ein ausgeprägter Zug der Abwanderung nach dem Sjiden des Landes bemerkbar. Die Territorien Neuquen und Santa Cruz sind die einzigen, deren Bestände eine Zunahme erfahren haben. Der Anteil der patagonischen Territorien am Gesamtbestande des Landes beträgt 22%. Die starke Vermehrung der Schaf bestände • J) Nach Estadistica Agricola 1916/17, S. 221. 2) G. Daireaux, La Estancia Argentina, Censo Agropecuario 1908, Bd. III, S. 31. — 266 Tabelle 75. Verteilung der Schafbestände auf die Landesteile, 1908 und 1914. Prov. oder Territorium Ab- oder Zunahme in % Buenos Aires Santa Fe Entre Rios Corrientes vCördoba Pampa Central .... .Neuquen Rio Negro Chubut Santa Cruz -Übrige Landesteile . . . Argentinische Republik . in Santa Cruz wird vor allem auch auf die verbesserten Absatz- möglichkeiten zurückzuführen sein, die sich durch die Errichtung der Gefrierfleischfabriken in Rio Gallegos und San Julian ergaben. Von der New Patagonia Meat Preserving and Cold Storage Co. in Ro Gallegos wurden 1916: 276000 Schafe geschlachtet. Die pata- gonischen Territorien mit ihrem unwirtlichen Klima und dürftigen Vegetationsverhältnissen sind für die Schafzucht geradezu prädestiniert und werden sich zu deren besonderem Zufluchtsgebiet herausbilden, je mehr sie durch Ackerbau und Kolonisation aus den mittleren Provinzen verdrängt wird. Besonders auffällig ist der starke Rückgang der Bestände in der Provinz Buenos Aires. Hier hatten die Bodenpreise eine solche Höhe erreicht, daß die Schafzucht nicht mehr lohnend erschien. Viele Grundbesitzer gingen deshalb zur Großviehzucht über und verkauften zum Teil ihre Schafbestände an die Gefrierfleischanstalten. Auch allerlei Krankheiten, teilweise durch ungünstige Witterungsverhältnisse hervorgerufen, trugen zu der starken Verminderung bei. Nach neueren Nachrichten ist indessen auch die Schafzucht in Argentinien, be- sonders in der Provinz Buenos Aires, wieder mehr in Aufnahme ge- kommen, eine unmittelbare Folge der gesunkenen Bodenpreise .einer- — 267 — seits und der hohen Wollpreise andererseits1). Auch die beim Ge- treideanbau unvermeidlichen mannigfaltigen Enttäuschungen mögen hierzu beigetragen haben. Da der Weltmarktpreis für Wolle auf Grund der starken Nachfrage der rohstoffentblößten europäischen Textilindustrie auf absehbare Zeit sehr hoch bleiben wird, ist anzu- nehmen, daß sich die Verminderung der argentinischen Schafbestände einstweilen nicht weiter fortsetzen, sondern eher einer erneuten Ver- mehrung Platz machen wird. Doch sei nochmals betont, daß für eine solche in größerem Maßstab nur die patagonischen Territorien in Frage kommen. Die Häfen der patagonischen Küste sind bereits heute wichtige Wollstapelplätze. Die von Puerto Deseado nach Westen gehende Bahn erschließt ein weites für Schafzucht wohlgeeignetes Gebiet. Rund 90% der Wollproduktion gelangen zur Ausfuhr, für die einheimische Industrie werden etwa 10 — 12000 t jährlich zurück- behalten. Die in Argentinien verbleibenden, verhältnismäßig geringen Mengen werden zum Teil zur Herstellung von Matratzen verwendet, zum anderen Teil von der in den letzten Jahren unter dem Schutz hoher Einfuhrzölle erstarkten Industrie zu Decken. Flanellen und Tuchen verarbeitet. Die Textilindustrie hat sich während des Krieges soweit entwickelt, daß sie in der Lage ist, den inländischen Bedarf zu decken, soweit er sich auf gröbere Wollstoffe, wie sie von der minderbemittelten Bevölkerung getragen werden, erstreckt. Auch die Garne für diese Stoffe werden jetzt zum Teil in Argentinien selbst gesponnen. Die Einiuhr wollener und halbwollener Tuche ist von 4 289 t im Jahre 1913 auf 2 146 t im Jahre 1918 zurück- gegangen. Der Industriezensus von 1914 bezifferte das Kapital der Wollwebereien auf 7J/2 Mill. Pesos und ihre Produktion auf stark 8 Mill. Pesos. Dagegen „beträgt nach privaten Angaben heute das Kapital der hiesigen Wollwebereien mit ihren eigenen Garnspinnereien 50 Mill., ihre Produktion 80 Mill. Pesos, und ihr Personal, das vor dem Krieg nur 2700 Köpfe stark war, erreicht heute 15000 Ar- beiter".2) Die Baumwollgarn verarbeitende Industrie hat sich, dem Fehlen ihrer Rohstoffbasis entsprechend, längst nicht so kräftig entwickelt wie die^ Wollweberei. Allerdings ist charakteristisch, daß 1) Vgl. Österr.-Ungarische Konsular-Korrespondenz, Wien, 25. 11. 1916. 2) Einwirkungen des Weltkrieges auf die Volkswirtschaft Argentiniens. Studie der Deutschen Handelskammer in Buenos Aires, Buenos Aires 1^20, S. 103. — 268 — auch die Wolle verarbeitende Textilindustrie trotz ihrer breiten Wollproduktionsbasis im Inlande während des Krieges an Rohstoff- mangel zu leiden hatte. Der Grund dafür liegt darin, daß die nötigen Aufbereitungsindustrien, Kardieranstalten und Kämmereien, fehlen. Die wenigen vorhandenen Spinnereien liefern nur etwa 1/5 des Bedarfs der Webereien. Trotz der reichen Wollvorräte des Landes, die sich während der Kriegsjahre infolge fehlender Ver- frachtungsmöglichkeit anhäuften, mußten daher große Aufträge der Ententeländer auf Decken und Militärtuche ausgeschlagen werden. Bei dem gegenwärtigen Stand der Textilindustrie, vor allem auch bei dem Mangel an gelernten Arbeitein für dieselbe ist Argentinien nach wie vor darauf angewiesen, den größten Teil sdner Woll- produktion unverarbeitet zu exportieren. Deutschland bezog im Jahre 1913: 49741 t argentinische Merino- und Kreuzzuchtwolle im Werte von 90,1 Mill. M. Für die zukünftige Entwicklung der argentinischen Schafzucht ist im Hauptlandwirtschaftsgebiet, vor allem in den Provinzen Santa Fe und Cördoba ein weiteres Verdrängen durch Ackerbau und Rindviehzucht zu erwarten. In der Provinz Buenos Aires ist eine Wiederzunahme der wenn auch kleinere, so doch sicherere Erträge abwerfenden Schafzucht möglich, die wesentlich von dem Stande des Weltmarktpreises für Wolle abhängig sein wird. Der letztere Faktor wird auch für die Zunahme der Schafhaltung in den südlichen Terri- torien von Bedeutung sein, sobald sich dort die allgemeinen Wirt- schaftsmöglichkeiten durch Besiedelung und Eisenbahnbau erweitern. c) Pferde- und Schweinezucht. Während die bisher behandelten Zweige der Tierzucht in höchstem Maße exportwichtig sind, gilt dies von der Pferde- wie von der Schweine- zucht weniger. Die Pferdezucht hat an Ausdehnung ständig zuge nommen, die Zahl stieg von 4,4 Mill. i. J. 1895 auf 8,3 Mill. i. J. 1914. Die Zunahme erklärt sich leicht aus der Ausdehnung des Acker- baus, dem die heimische Pferdezucht eine immer größer werdende Zahl von Arbeitstieren zur Verfügung zu stellen hatte. Auch in der Viehzucht werden viele Pferde zur Beaufsichtigung der weitläufigen Weidebetriebe als Reittiere benutzt. In den argentinischen Städten, besonders in der Hauptstadt, wird das Pferd in zunehmendem Maße durch das Automobil verdrängt, eine für den wachsenden Reichtum des Landes charakteristische Erscheinung. Daß dagegen im Acker- — 269 — bau an die Stelle des Pferdes das mechanische Zugmittel treten werde, ist einstweilen nicht zu erwarten. Die große Mehrzahl der getreidebauenden Pächter besitzt nicht das zur Anschaffung von Motorpflügen nötige Kapital, ist vielmehr auf die Gestellung der Arbeitstiere durch den Grundherrn angewiesen. Dieser hat seinerseits ein Interesse daran, in dem Ackerbauer einen Ab- nehmer der Produkte seiner Pferdezucht zu behalten. Bei dem hohen Preise der Betriebsstoffe, die fast ausschließlich aus dem Aus- lande importiert werden müssen, ist ferner der Motorpflug oder Traktor im allgemeinen der tierischen Zugkraft gegenüber nicht konkurrenzfähig, solange noch ausgedehnte Weideflächen die relativ billigere Unterhaltung der Tiere ermöglichen. Die Ver- wendung derartiger Maschinen beschränkt sich auf die wenigen ganz großen Ackerbaubetriebe, vor allem der Provinz Buenos Aires, ihre Einfuhr ist entsprechend gering. Die argentinische Pferdezucht bleibt im wesentlichen auf die Versorgung des Inlandmarktes beschränkt. Überseeische Absatzgebiete sich zu schaffen, ist ihr in nennenswertem Umfang nicht gelungen. Dies wird besonders darauf zurückgeführt, daß die im ganzen Lande stark ausgeprägte Vorliebe für Pferderennen der Zucht eine Richtung gegeben hat, die nicht zur Bildung eines wirt- schaftlich mit Vorteil zu verwendenden Arbeitstieres führte. Die Ausfuhr betrug im Jahrzehnt 1904 — 13 durchschnittlich 13000 Pferde jährlich. Die wichtigsten Absatzgebiete waren die Nachbarländer Uruguay, Paraguay und Chile sowie Südafrika. Ihre höchsten Ziffern erreichte die argentinische Pferdeausfuhr jeweils duMp kriegerische Ereignisse im Auslande. So stieg die Ausfuhr 1900 irrolge des süd- afrikanischen Burenkrieges auf 33000, 1904 infolge des Bedarfs der deutschen Schutztruppe im südwestafrikanischen Aufstande auf 46000. Im Jahre 1915 erreichte die Ausfuhr durch umfangreiche Verschiffungen nach England und Frankreich eine bis dahin noch nicht erreichte Höhe von 52160 Tieren. Die wenigen aufgeführten Zahlen zeigen, daß das Ausland im Falle anormal gesteigerten Pferdebedarfs auf Argentinien zurückgreift. Die Schweinezucht zeigt unter allen Zweigen der argentinischen Tierzucht die kräftigste Wachstumstendenz. Der Schweinebestand betrug: im Jahre 1895 652 766 1908 1 404 269 „ I9X4 2900585. — 270 — Dennoch beweisen diese im Vergleich zu dem Bestände an Rind- vieh und Schafen niedrigen Zahlen, daß die Schweinezucht noch in den Anfängen steht. Da sie größere Sorgfalt und erhöhten Arbeits- aufwand verlangt, paßt sie sich der vorherrschenden extensiven Großbetriebsform der Viehzucht schwer an, während der kleine und mittlere gemischtlandwirtschaftliche Betrieb, welcher der Schweine- haltung am günstigsten ist, nur wenig vertreten ist. Die geringe Entwicklung der Schweinezucht erklärt sich sodann daraus, daß bei der an den Genuß von Rind- und Schafflei seh gewöhnten Be- völkerung stets nur eine sehr geringe Nachfrage nach Schweinefleisch vorhanden war. Der beschränkte inländische Konsum konnte nicht die für die Förderung der Zucht unerläßliche günstige Preisentwick- lung aufkommen lassen. Als 1913 infolge einer sehr lebhaften Propa- ganda, vor allem seitens des auf eine Verwertung des Maisüberschusses bedachten Ackerbauministeriums1), die Produktion von Schweine- fleisch stark gesteigert worden war, sanken die Preise in kurzer Zeit um die Hälfte, da die geringe Nachfrage auf dem inländischen Markt dem vermehrten Angebot nicht entsprach2). Der Inlandverbrauch beschränkt sich auf etwa 150000 Tiere jährlich. Die Schweinezucht ist demnach zu ihrer Entwicklung auf den Export angewiesen. Erst wenn die Schweinefleischpreise wie die für Rind- und Schaffleisch den Weltmarktpreisgesetzen unterliegen, kann sich die Zucht lohnender gestalten. Es ist zu diesem Zweck notwendig, daß die Züchter sich nach den von den Gefrierfleischfabriken gestellten Anforderungen richten. Zuchttiere sind bisher erst in geringen Mengen eingeführt worden. Die Einfuhr begann 1904 und hatte bis 1916 die Gesamt- zahl von 3139 Tieren erreicht. Im argentinischen Kamp wurde das Schwein bisher vielfach nur mit Fleischabfällen gefüttert, zum Nach- teil der Qualität des so gewonnenen Produktes. Die Gefrierfleisch- fabriken brauchen einen ganz bestimmten Typ. Um diesen zu er- reichen, werden neuerdings von den nordamerikanischen Unterneh- mungen in größerer Zahl Zuchttiere aus den Vereinigten Staaten importiert. Diese werden an Züchter des Landes verteilt, mit denen feste Li eferungs vertrage abgeschlossen werden. Den Anfang mit diesem Verfahren machte im Dezember 1917 der Frigorifico Armour de la Plata mit der Einfuhr und Verteilung von 50 Duroc Jerseys *) Vgl. hierzu Boletin del Ministerio de Agricultura, Bd. XV, Buenos Aires 1913, S. 336. 2) Commerce Reports, Washington, Nr. 163, 13. 7. 1918. — 271 - aus Nordamerika1). Die genannte Fabrik hat sich neuerdings auf die Verarbeitung von einer Million Schweinen jährlich eingerichtet. Bisher ist die Zahl der Schweineschlachtungen in den Gefrier- fleischfabriken noch sehr gering, hat jedoch seit dem Kriege eine beträchtliche Zunahme» erfahren. Die Zahl der Ausfuhrschlachtungen stieg von 6947 im Jahre 1914 auf 52374 im Jahre 1916. Die Schweine- fleischausfuhr betrug 1917: 1660 t gleich 0,3% der Gesamtfleisch- ausfuhr2). Lebende Schweine, für die eine Zeitlang Brasilien ein guter Absatzmarkt war, werden gegenwärtig kaum noch exportiert. Es hat den Anschein, als ob die Bemühungen vornehmlich der in nordamerikanischen Händen befindlichen Gefrierfleischfabriken, die auf eine Hebung der argentinischen Schweinezucht "abzielen, von gutem Erfolge begleitet sein werden. Sollte, durch die Nachfrage der Gefrieranstalten begünstigt, die Schweinezucht einen größeren Aufschwung nehmen, so würde zugleich damit die Möglichkeit ge- geben sein, die ihren Umfang noch ständig vergrößernde Maispro- duktion des Landes durch Verfütterung an die Schweine lohnender zu verwerten. Da die extensive Schweinezucht mit Weidegang und Maisfütterung, wie sie in Argentinien betrieben wird, die Produktion leicht und billig macht, zum anderen die Gründung neuer Kühl- anlagen und sonstiger für die Schweinefleischindustrie bestimmter Einrichtungen die Preise hebt und der Produktion einen guten und ständigen Absatz sichert, so sind — nehmen wir -zu all dem noch vdie verstärkte Nachfrage der europäischen Märkte — für die argen- tinische Schweinezucht die günstigsten Entwicklungsbedingungen vorhanden. *) Commerce Reports, Washington, Nr. 38, 27. 2. 1919. 2) Im Gegensatz dazu bestand die im gleichen Jahre 675000 t betragende Flcischausfuhr derVereinigten Staaten von Amerika zu 75% aus Schweinefleisch.. 3- Abschnitt. Die landwirtschaftlichen Exportindustrien. Vorbemerkung. Zur Frage der industriellen Entwicklung Argentiniens. Für die Entwicklung einer Fabrikindustrie fehlen in Argentinien die natürlichen Grundlagen. Schon wegen des Mangels an eigenen Kohlen ist es kein Industrieland im eigentlichen Sinne1). Soweit bisher festgestellt worden ist, sind abbaufähige Kohlenlager nur in geringen Vorkommen in den östlichen Vorgebirgen der Anden, 1500 km vom Meere entfernt und ohne Fluß Verbindungen, vorhanden2). Die völlig ebene Gestaltung des mittelargentinischen Produktionsgebietes macht es ferner unmöglich, Wasserkräfte zum Ersatz für die fehlende Kohle heranzuziehen. Aus den Gebirgsflüssen der Provinzen Cördoba und Tucumän läßt sich nicht mehr Kraft gewinnen, als zur Ver- sorgung der naheliegenden Städte mit Licht und Kraft, sowie für/ den Betrieb einiger kleinerer industriellen Anlagen ausreicht. Allerdings besitzt Argentinien in den Fällen des Iguazü eine natür- liche Kraftquelle, welche an Mächtigkeit der des Niagara um ein Mehr- faches überlegen ist. Ihre ungünstige geographische Lage im äußersten nordöstlichen Zipfel der Republik — der Iguazü bildet die nördliche Grenze des Territoriums Misiones, und die Fälle liegen zur einen Hälfte auf argentinischem, zur anderen auf brasilianischem Gebiet — hat jedoch bis heute die Nutzbarmachung dieser reichen Energiequelle unmöglich gemacht. Die Überwindung der Entfernung, welche bis Buenos Aires in Luftlinie mehr als 1000 km beträgt, bietet denn auch der Verwirklichung der seit 1918 ernsthaft vorbereiteten Pläne zur Gewinnung elektrischer Kraft aus den Fällen die größten Schwierigkeiten3). Auch die seit 10 Jahren x) Vgl. H. Waetge, Argentinien und seine Stellung in der Weltwirtschaft. Meereskunde, Heft 145, Berlin 1919, S. 24. 8) Vgl. O. A. Krause, Argentiniens Wirtschaft während des Weltkrieges, Berlin 1919, S. 109. 3) Bulletin of the Pan American Union, Washington, Februar 1919, S. 229. — 2/3 — erfolgende Ausbeute der Petroleumvorkommen von Commodore Riva- davia im Territorium Chubut macht das Land nur zum kleinsten Teile von den ausländischen Brennstoffzufuhren unabhängig. Eine weitere Schwierigkeit für die industrielle Entwicklung liegt sodann immer noch in der Arbeiterfrage. Die einheimische Bevölkerung reicht nicht für den steigenden Bedarf an landwirt- schaftlichen Arbeitern aus. Der größere Teil der Einwanderer geht in landwirtschaftliche Berufe. Die neuere Entwicklung hat zwar dahin geführt, daß eine bedenkliche Zusammenballung großer Be- völkerungsteile, Einheimischer wie Eingewanderter, in einigen wenigen Städten erfolgte. Sie war im wesentlichen eine Folge der herrschenden Agrarverfassung und der sich aus dieser ergebenden wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. In den großen Städten mit günstiger Verkehrslage, die vor allem als Standorte von Industrien in Frage kommen, ist eine zahlreiche Arbeiterbevölkerung vorhanden, die bereits heute ein umfangreiches Kontingent industrieller Arbeits- kräfte stellt. Nach einem Zensus von 1917 betrug die Gesamtzahl der in industriellen Unternehmungen beschäftigten Arbeiter 841 2371). Davon bestand der größere Teil, 468082, aus Argentiniern, und nur 44 °o waren Ausländer. Es hat sich also bereits eine im Vergleich zu der Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen sehr umfangreiche argentinische Industriearbeiterschaft herausgebildet. Qualitativ- st eht diese, wie schon die hohen Analphabetenziffern nahelegen, nicht auf sehr hoher Stufe. Die große Mehrzahl sind ungelernte Arbeiter. Die Regierung bemüht sich eifrig, durch Errichtung von Fachschulen Arbeiter für Industrien, die höhere Anforderungen an die Ausbildung ihrer Arbeitskräfte stellen, heranzubilden. Ein weit wichtigeres Problem als die Ausbildung industrieller Fertigkeiten stellt die Bekämpfung des Analphabetentums der ländlichen Be- völkerung und deren Erziehung zu intensiveren Arbeitsmethoden dar, die eine gründlichere Ausnutzung der reichen natürlichen Hilfs- quellen des Landes, die seine größten zukünftigen Entwicklungs- möglichkeiten enthalten, sicherstellt. Der erwähnte Zensus von 1917 stellt fest, daß die Mehrzahl der industriellen Unternehmungen des Landes in Händen von Aus- ländern ist. Von 48779 Eigentümern industrieller Betriebe waren 31483 Ausländer. Das in argentinischen Händen sich bildende Kapital, das als Überschuß der Verkaufssummen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse entsteht, wird wiederum vorzugsweise in landwirtschaft- l) Handelsberichten vom 10. 4. 1919. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. — 274 — liehen und Bodenwerten investiert. Industrieller Anlage wird es nur in selteneren Fällen zugeführt. Die einheimischen Kapitalkreise sind rein landwirtschaftlich orientiert. Hat dies für die argentinische Volkswirtschaft den großen Nachteil, daß die in der ,, nationalen" Industrie erzielten Gewinne zum größeren Teil außer Landes gehen, so bedeutet es andererseits für eine industrielle Entwicklung natur- gemäß ein wenig förderliches Moment, wenn diese völlig auf fremdes Kapital und ausländische Unternehmer angewiesen ist. Die ziel- bewußten Fortschritte, die vo^ allem in der argentinischen Viehzucht, in geringerem Maße auch im Ackerbau erzielt worden sind, beweisen zwar, daß es der kreolischen Bevölkerung an Unternehmungsgeist nicht fehlt. Der Argentinier zieht aber den müheloseren Gewinn aus der Landwirtschaft der Tatkraft und besondere Erfahrung er- fordernden Betätigung in der Industrie vor, ,,und es scheint, daß an dieser Rasseeigentümlichkeit jede kräftige nationale Entwicklung auf industriellem Gebiet scheitern wird"1). Zusammenfassend ist zu sagen, daß für die Herausbildung einer auf eigenen Füßen stehenden argentinischen Industrie, vor allem einer exportfähigen Industrie, eine Reihe wichtiger Voraussetzungen fehlen. Es fehlt fast völlig die Kohlen- und Eisenerzgrundlage, es fehlen qualifizierte Arbeitskräfte in ausreichender Zahl, so daß die vorhandenen gelernten Arbeiter unverhältnismäßig hoch entlohnt werden müssen, es fehlt inländisches Kapital, das, zwar in zunehmen- dem Maße sich bildend, fast restlos für den Ausbau der landwirtschaft- lichen Produktionskraft des Landes verwendet wird, es fehlt endlich ein tatkräftiges und erfahrenes industrielles Unternehmertum, das sich bisher fast nur aus Ausländern rekrutiert. Es fehlen auch völlig die zahlreichen Hilfsgewerbe, ohne die eine größere Industriewirt- schaft nicht auskommen kann. Der Krieg hat wohl infolge der verringerten Einfahr europäischer Industrieerzeugnisse die Entwicklung der argentinischen Industrie er- kennbar gefördert, doch gilt dies nur für sehr beschränkte Gebiete der industriellen Erzeugung. Für eine Reihe von Fabrikaten geringerer Sorten, für welche die heimische Landwirtschaft die Rohstoffe hergibt, wie Schuh- und Lederwaren, Seifen, Fette und Öle, Woll- und neuerdings auch in geringem Umfange Baum wo 11 waren ist eine gewisse Unabhängigkeit vom Auslande erreicht. Fraglich ist allerdings, ob diese zum Teil durch außerordentlich hohe Prohibitivzölle geschützten2) a) M. Frhr. v. Gemmingen, Die Entwicklung der Fabrikindustrie im lateinischen Amerika, Frankfurt a. M., 1910, S. 182. 2) Der Zoll auf Lederwaren und Textilerzeugnisse beträgt bis zu 50% des Wertes. — 275 - und künstlich gehaltenen Industrien nach dem Wiedereintritt einer normalen Weltmarktlage sich halten können. Zu diesen künstlich lebens- fähig gehaltenen Industrien zählt auch die Zuckerindustrie der Provinz Tucumän, deren Erzeugung dabei nicht für den Inlandbedarf ausreicht. Unendlich wichtiger und auf gesunderer, natürlicher Entwick- lungsbasis aufgebaut sind diejenigen Industrien, deren Aufgabe es ist, die von der Landwirtschaft erzeugten Rohstoffe in einem technisch nicht sehr komplizierten Verarbeitungsprozeß ausfuhrfähig oder für den relativ beschränkten heimischen Verbrauch brauchbar zu machen. Die Mehrzahl dieser teilweise erst im Entstehen begriffenen In- dustrien ist noch von geringer Bedeutung und teilweise bereits in anderem Zusammenhang gestreift worden, so daß wir uns hier auf eine kurze Aufzählung beschränken können. Der letzte Industrie- zensus zählt auf: 10 Alkohol- und Spiritusfabriken, 33 Fettfabriken. 25 Ölmühlen. Ausfuhrüberschüsse werden bisher in keiner dieser Industrien in nennenswertem Umfang erzeugt. Es ist erst einigen wenigen der auf der Verarbeitung landwirtschaftlicher Rohstoffe beruhenden Industriezweige gelungen, zu der Bedeutung von Export- industrien emporzusteigen. Sie sollen im folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden. a) Die Gefrierfleischindustrie. Die Gefrierfleischindustrie ist weitaus die wichtigste unter allen lardwirtschaftlichen Industrien und arbeitet fast nur für den Export. Der Gedanke, die reichen Schätze des Landes an Vieh in einer höher- wertigeren Form als der des Dörr- und Salzfleisches für den Export nutzbar zu machen, tauchte in Argentinien auf, sobald durch die ersten Einfuhren europäischer Zuchttiere der Grund zu einer Ver- edelung der einheimischen Rindviehrassen gelegt worden war. 1866 wurden die ersten Shorthornzuchttiere aus England importiert. Bereits 1868 setzte die argentinische Regierung eine Prämie von 8000 Pesos aus für die Erfindung eines praktisch verwendbaren Verfahrens für das Frischhalten von Fleisch. Ein erster Versuch, Fleisch durch Gefrieren exportfähig zu machen, war schon in Australien gemacht worden. Im Jahre 1861 gründete der Engländer Thomas Mort in Sidney die ersten Gefrierwerke1). Es vergingen noch eine *) Vgl. I. T. Critchell and I. Kaymond, A History of the Frozen Meat Trade, London 191 2, S. 19. 18* — 2/6 — Reihe von Jahren, ehe Argentinien nachfolgte. Wie in allen ent- scheidenden Fortschritten, welche die argentinische Agrarproduktion auf technischem und wirtschaftlichem Gebiet gemacht hat, kam auch hier die Anregung und Hilfe aus dem Ausland. 1876 wurde in Frankreich eine Gesellschaft gegründet zur Ausnutzung eines von dem Ingenieur Charles Tellier erfundenen Verfahrens, frisches Fleisch in Kühlkammern zu konservieren. Die Gesellschaft sandte den Dampfer ,,Le Frigorifique" nach Buenos Aires, der im Jahre 1877 eine erste Ladung von rund 21 t Kühlfleisch nach Rouen brachte. Wenn auch dieser erste Versuch infolge von Fehlern, die in der Be- handlung des Fleisches gemacht wurden, nicht völlig glückte, so war doch der Anfang gemacht worden. Während nach dem System Tellier nur die Herstellung von Kühlfleisch, ,,chilled beef", mög- lich war, wurde im gleichen Jahre 1877, wiederum von Frankreich ausgehend, ein zweiter Versuch mit der Verschiffung wirklichen Gefrierfleisches gemacht. Der Dampfer ,,Le Paraguay", mit Gefrier- maschinen zur Erzeugung von Temperaturen bis zu — 31 ° versehen, brachte, obwohl er unterwegs eine Havarie erlitt, welche die Reise um 2 Monate verzögerte, seine Ladung von 80 t Gefrierfleisch in tadellosem Zustande nach Le Havre1). Die Franzosen setzten jedoch diese, obwohl sehr ermutigend verlaufenen Versuche nicht fort. Inzwischen hatten die Engländer die Einfuhr von Gefrierfleisch aus ihren australischen Kolonien bereits in größerem Maßstabe aufgenommen und technische Er- fahrungen gesammelt. Sie erkannten bald, welch außerordentliche Reichtümer an Fleisch in Argentinien der Ernährung des ständig mehr auf ausländische Zufuhren angewiesenen England dienstbar gemacht werden konnten. 1883 wurde die ,, River Plate Fresh Meat Co." als erste englische Gefrierfleischfabrik des Landes ge- gründet. Im selben Jahre fand in Avellaneda, einem Vorort von Buenos Aires, die Gründung einer Fabrik statt, die heute noch unter dem Namen Compania Sansinena ,,La Negra" als einziges argen- tinisches Unternehmen besteht. Weitere englische Gründungen er- folgten 1892, 1902 und 1905. Zur schnellen Entwicklung der In- dustrie trugen die fördernden Maßnahmen der argentinischen Re- gierung, die deren entscheidenden Einfluß auf die Viehzucht des Landes und auf die Steigerung der Ausfuhr und ihres Wertes wohl erkannte, wesentlich bei. 1884 wurden alle Fleischausfuhrzölle auf- x) Ricardo Pillado, El comercio de carnes en la Republica Argentina. Censo Agropecuario 1908, Bd. III, S. 380. - 277 — gehoben, 1887 für 3 Jahre Prämien auf die Förderung des Exports ausgesetzt. Die 1888 auf 10 Jahre zugesicherte Zinsgarantie von 5% für das in Gefrieranlagen investierte Privatkapital erwies sich bereits als eine für die weitere Entwicklung der Industrie nicht mehr not- wendige Maßnahme. Seit 1900 beschränkt sich die staatliche Förde- rung auf die auf Antrag regelmäßig gewährte Zollfreiheit für die Einfuhr der zur Fabrikation notwendigen Maschinen. Die Ausfuhr von Gefrierfleisch beschränkte sich bis 1900 in der Hauptsache auf Hammelfleisch. Die Herstellung von ge- frorenem Rindfleisch nahm nur langsam zu, und die Ausfuhr betrug 1898 erst 71500 Tierkörper. In der Rindviehausfuhr überwog einst- weilen noch das lebende Vieh. Dagegen nahm die Ausfuhr von Hammel- gefrierfleisch außerordentlich schnell zu, betrug 1886 bereits eine halbe Million, 1892: 1,2 Mill. und 1898: 2,5 Mill. Hammelkörper. Ein entscheidender Umschwung trat dann in dem Jahre 1900 ein. In diesem Jahre sperrte England, das ein immer wichtigerer Abnehmer für die argentinischen lebenden Rinder geworden war, wegen des Ausbruchs der Maul- und Klauenseuche in Argentinien seine Häfen der Einfuhr von Lebend vi eh. Diese Maßnahme führte, da die argen- tinische Fleischproduktion keinesfalls auf den wichtigen englischen Absatzmarkt verzichten konnte, zu einem kräftigen Aufschwung in der Gefrierfleischindustrie. Die Ausfuhr der in Form von Gefrier- fleisch exportierten Rinderkörper, die 1900 erst 66500 betragen hatte, stieg 1901 sofort auf das Doppelte, nahm dann von Jahr zu Jahr konstant zu und erreichte 1912 erstmalig über eine Million Tiere. Damit war das Gefrierfleisch neben dem Getreide das wich- tigste Ausfuhrprodukt des Landes geworden. Die Rückwirkung auf die argentinische Viehzucht wurde schon betont. Die Verbesse- rung der Qualität des gezüchteten Viehs, der Fortschritt in den züchte- rischen Methoden, der Anreiz, den Boden zu verbessern und künst- liche Weideflächen in wachsendem Umfang zu schaffen, all dies waren die vorteilhaftesten Folgen der gesteigerten Nachfrage des Gefrierfleischhandels, waren Fortschritte, die erst durch die erhöhten Gewinne dieses Handels möglich gemacht wurden. Es bildeten sich sehr bald bestimmte Handelsmarken heraus. Der argentinische Züchter sah sich auf diese Weise veranlaßt, seinerseits durch syste- matische Rassenzüchtung bestimmte Typen, besonders für Mast- ochsen, herauszubilden. So hat die Entwicklung der Gefrierfleisch- industrie gewissermaßen zu einer Standardisierung der modernen argentinischen Viehzucht geführt. Die großen Viehzuchtbetriebe — 278 — in den mittleren Provinzen züchten heute einen besonderen ,,tipo frigorifico" mit bestimmten Gewichts- und Größen Verhältnissen, für den sie in den Gefrierfleischfabriken ihren festen und gesicherten Absatzmarkt haben. Wichtigster Zweck der Gefrierfleischproduktion ist, das vieh- züchterische Produkt ausfuhrfähig zu machen, während daneben die Erzielung von Raum- und Frachtkostenersparnis sowie die Ge- winnung unbedeutender im Lande verbleibender Nebenprodukte nur eine untergeordnete Rolle spielen. Da die gesamte Produktion exportiert wird, 'geben die Fleischausfuhrziffern ein deutliches Bild von der Entwicklung der Industrie: Tabelle 76. Die Fleischausfuhr seit 1901. Rindfleisch gefroren und gekühlt Hammelfleisch gefroren Konservenfleisch Jahr 1 Wert in ■ Wert in Wert in 1000 t i 1000 1000 t 1000 1000 t 1000 Goldpesos Goldpesos Goldpesos 1901 45 4 49o 63 5041 o,9 95 1902 70 7002 80 6406 1,6 164 1903 82 8152 78 6252 3,7 374 1904 98 9 774 89 7089 2,4 243 1905 153 15286 78 6268 2,5 249 1906 J54 15 381 67 5391 1,2 126 1907 138 13 822 7° 5583 1,6 159 1908 181 18 081 79 6308 • J,7 173 1909 211 21 066 66 532o 6,4 639 1910 254 25 371 75 6008 12,0 1 20S 1911 313 31283 86 6873 !5,4 1541 1912 343 34 285 7° 5614 17,7 1 770 1913 366 36 623 46 3<>74 12,6 1 257 1914 369 36 897 59 4^5 13,0 1 309 1915 363 76 175 35 6306 3i,9 3 194 191 6 428 96 660 51 9468 44,r> 4 457 1917 395 86 256 40 7834 100,8 36 681 In der gesamten Produktion und Fleischausfuhr steht das Rinder- gefrierfleisch weitaus an erster Stelle. Daneben sind seit 1908 in der Rindfleischausfuhr größere Mengen von Kühlfleisch enthalten. Während das Gefrierfleisch hergestellt wird, indem die in Viertel zer- legten Tierkörper in Kammern, in denen eine Temperatur von 10 — 20 ° — 279 — unter Null herrscht, einem 80 — 100 stündigen Gefrierprozeß unter- worfen werden, wird das Kühlfleisch lediglich dadurch konser- viert, daß es dauernd in einer Temperatur von etwa — 20 bis -f i° gehalten wird1). Die Herstellung dieses Produktes verlangt viel größere Sorgfalt und erfordert allerbeste Fleischqualität. Hammelfleisch wird nur in gefrorenem Zustande exportiert. Neben diesen wichtigsten Erzeugnissen der Gefrierfleischfabriken hat, besonders durch die Einwirkung des Krieges, die Erzeugung von Konservenfleisch stark an Umfang gewonnen. In geringen Mengen war Konserven- fleisch schon früher in den Dörr- und Pökelfleischfabriken hergestellt worden. Die Ausfuhr nahm seit 1910 größeren Umfang an. Im Kriege begannen sich auf Grund umfangreicher Bestellungen der Entente- länder die Frigorificos diesem Herst eil ungszweige zu widmen. Die Ausfuhr stieg daraufhin von 1915 — 1917 um mehr als das Dreifache. Zur Herstellung von Konservenfleisch wird auch in den Gefrierfleisch- fabriken, die sonst nur veredeltes Vieh schlachten, in größerem Um- fange Criollovieh verwendet. Eine Reihe von Konservenfabriken, die sich ausschließlich mit diesem Produktionszweige beschäftigen, sind in den letzten Jahren entstanden2). Daneben gelangen noch eine Reihe von Abfallprodukten der Gefrierfleischherstellung zur Ausfuhr, die mit ansehnlichen Ziffern zur Gesamtausfuhrsumme der viehzüchterischen Produkte beitragen. Die Ausfuhrstatistik führt für das Jahr 1916, um die wichtigsten Produkte herauszugreifen, folgende auf: 48685 t Fett und Talg im Werte von 9,32 Mill. Goldpesos, 2880 t Haare und Borsten im Werte von 1,65 Mill. Goldpesos, 17 871 c gefrorenes Geschlinge im Werte von 1,16 Mill. Goldpesos, ferner Knochen, getrocknetes Blut, trockene und gesalzene Gedärme, Olein, Fleischmehl, gefrorene Zungen und andere Abfallprodukte in einem Gesamtwerte von 9,5 Mill. Gold- pesos. Wenn die aufgeführten Mengen auch zum Teil Nebenerzeug- nisse der Saladeros und Fleischextraktfabriken enthalten, so ent- fällt doch der weitaus größere Teil auf die Gefrierfleischfabriken. Dies ergibt sich ohne weiteres aus deren hohem Anteil an der Gesamt- zahl der Schlachtungen. Von der Gesamtsumme der im Jahre 1916 in Gefrierfleischfabriken, Saladeros und Fleischkonservenfabriken a) Hermes und Holtmeier-Schomberg a. a. O., S. 253. 2) Mit Beendigung des Krieges, die ein Aufhören der starken Nachfrage nach Büchsenfleisch brachte, haben die Fabriken die Herstellung von Kon- servenfleisch wieder eingeschränkt. (Review of the River Plate, Buenos Aires, 17. 10. 1919.) — 28o — für Ausland- und Irlandkonsum erfolgten Rinderschlachtungen in Höhe von 2101551 Tieren entfielen auf die Gefrieranstalten allein 90%. Die Geschichte der neueren Entwicklung der argentinischen Gefrierfleischindustrie weist eine Reihe interessanter Phasen auf und beweist zugleich, daß die Industrie in Verfolgung ihrer Gewinn- absichten häufig gegen die Interessen der argentinischen Viehzüchter sowohl wie der ausländischen Verbraucher handelte. 1898 bestanden drei anglo-argentinische Gesellschaften im Lande, die ,, River Plate Fresh Meat Co.", die ,,Cia. Sansinena de Carnes Congeladas" und die „Las Palmas Produce Co." Um den Markt völlig beherrschen zu können, mieteten diese drei Gesellschaften die vierte damals noch be- stehende Gefrieranstalt in San Nicolas und legten ihren Betrieb still. So wurde der natürlichen Weiterentwicklung der Industrie künstlich ein Riegel vorgeschoben, und die genannten Gesellschaften verfügten bis 1903 unumschränkt über den Markt. Die Folge war, daß Gewinne erzielt wurden, welche die Ausschüttung von Dividenden von 68% möglich machten1). Die niedrigen Viehpreise, welche die Gesellschaften zahlten, veranlaßten dann eine Reihe argentinischer Züchter, sich zur Gründung der Fabrik ,,La Bianca" zusammen- zutun, die im Jahre 1903 zu arbeiten anfing. 1903 und 1905 erfolgte außerdem die Gründung von drei neuen englischen Fabriken. Dies war der Stand der Dinge, als 1907 die Nordamerikaner in den argentinischen Fleischmarkt eindrangen. Der erste Vertreter des nordamerikanischen Beeftrusts in Argentinien war die Swift Packing Co. aus Chicago. Diese erwarb 1907 und 1909 zwei der größten Unternehmungen. Auch in die in Patagonien neu entstehende Fleisch- industrie drangen sofort die Nordamerikaner ein. Die Swift Co. erwarb 1912 die erst wenige Jahre bestehende Gefrieranstalt in Rio Gallegos und erbaute selber eine neue Fabrik in San Julian. Während des Krieges wurde der nordamerikanische Einfluß erneut verstärkt durch eine gewaltige Anlage, welche die Firma Armour and Co. unter dem Namen „Armour de La Plata" in La Plata errichtete. Diese Anstalt ist auf eine tägliche Verarbeitung von . 1200 Rindern und 2500 Hammeln eingerichtet und stellt in erster Linie Gefrier- fleisch und Fleischkonserven für den Export nach den Vereinigten Staaten her. Der gewaltige Ausbau dieses Unternehmens in relativ kurzer Zeit ist ein markantes Beispiel für die Entwicklungsmöglich- a) Vgl. hierzu Mitteilungen des Deutsch-Argentinischen Zentral- verbandes, 1913, S. 287ff. — 28 1 — keiten in der argentinischen Fleischindustrie. Dem Frigorifico Armour gebührt besonders das Verdienst, durch umfangreiche Verarbeitung des bisher in der Gefrierindustrie vernachlässigten Schweinefleisches die argentinische Schweinezucht gefördert zu haben. Gerade die auf Grund seiner starken Nachfrage steigenden Preise veranlaßten viele Züchter, sich der Schweinezucht zu widmen. Nach Fertigstellung der Erweiterungsanlagen für Schafschlachtungen in Santa Cruz wird die Armour- Gesellschaft der bedeutendste Fleischverwertungsbetrieb des Landes sein1). Zwischen den nordamerikanischen und englischen Gesellschaften entbrannte sehr bald ein äußerst heftiger Konkurrenzkampf. Da der englische Markt die gesteigerte Produktion nicht sofort aufnehmen konnte, boten die Nordamerikaner ihr Fleisch zu sehr niedrigen Preisen an, so daß sich auch die englischen Gesellschaften gezwungen sahen, billiger zu verkaufen. Die Folge war ein erheblicher Preissturz des argentinischen Fleisches auf dem englischen Markt. 191 1 kam ein Abkommen zwischen sämtlichen Fabriken zustande, durch das die Herstellung von Kühlfleisch, der sich die Nordamerikaner vorzugs- weise gewidmet hatten, kontingentiert wurde. Es wurde nach Ab- lauf zu Beginn des Jahres 1913 nicht erneuert, und es begann ein neuer, ungehemmter Wettbewerb, der allerdings für Argentinien den großen Vorteil hatte, daß die Fleischexportpreise durchweg sehr hoch blieben und der Wert der Ausfuhr ständig stieg. Das nordamerikanische Übergewicht in der argentinischen Fleisch- industrie hat sich dann ständig verstärkt. 1916 kamen von 4593880 Gesamtschlachtungen (Rinder-, Schaf- und Schweineschlachtungen) aller Gefrierfleischfabriken auf die nordamerikanischen 2687662. 10 Jahre nach ihrem ersten Auftreten auf dem argentinischen Markt kontrollierten die Nordamerikaner bereits 60% der Erzeugung. Aus dem Vorgehen der nordamerikanischen Gesellschaften kann mit Sicherheit geschlossen werden, daß ihr Ziel die völlige Monopolisierung der argentinischen Fleischindustrie ist. Ergänzt wird ihr Vorgehen durch den Erwerb umfangreicher Ländereien, der es ihnen ermög- lichen soll, auch an der viehzüchterischen Produktion selber in größerem Umfange teilzuhaben. 19 18 wurde durch den Swift-Gefrierfleisch- Konzern mit einem Kapital von 22,5 Mill. Pesos eine Bankgesellschaft mit der Aufgabe gegiündet, große Viehzuchtbetriebe zu finanzieren2). J) Mitteilungen der Ibero - amerikanischen Gesellschaft, 1918, S. 586. *) The South American Journal, London, 1. 2. 1919. — 2^2 — Fleischdampfer unter amerikanischer Flagge verkehren in wachsender Zahl nach englischen und nordamerikanischen Häfen. Gerade die Kriegsjahre haben mit besonderer Deutlichkeit die grundlegende Bedeutung der Gefrierfleischindustrie für das argentinische Wirt- schaftsleben hervortreten lassen. Damit ist zugleich die Erkenntnis der Gefahr, die aus der sich ständig verstärkenden Monopolstellung der nordamerikanischen und englischen Gefrierfleischanstalten droht, in argentinischen Kreisen geweckt worden1). Um ihr zu begegnen, ist neuerdings die Errichtung einer großen Gefrieranstalt mit rein argentinischem Kapital beschlossen worden2). Diese will einen eigenen Schiffspark unterhalten und den Absatz ihrer Produkte in den über- seeischen Verbrauehsländern selber organisieren. Der letztere Versuch. dem auf dem englischen Markt große Schwierigkeiten entgegenstehen, dürfte in den übrigen Verbrauchsländern, Frankreich, Italien und der Schweiz Aussicht auf Erfolg haben. Daneben soll die Neugründung der Versorgung des einheimischen Marktes und der Verbflligung des Konsumpreises in Argentinien dienen. Die außerordentlich gesteigerten Exporte der Kriegsjahre haben zu einer bedenklichen Fleischknapp- heit auf dem argentinischen Inlandmarkt und zu erheblichen Preis- steigerungen geführt. Setzt man die Preise für das Jahr 1910 gleich 100, so betrugen nach Berechnungen der Prensa3) im Jahre 19 iS die Preise für Brot 137, für sonstige Nahrungsmittel 140, für Fleisch dagegen 158. Das argentinische Volk leidet unter der übertrieben hohen Ausfuhr, deren vermehrte Gewinne zum größeren Teil nicht der heimischen Volkswirtschaft, sondern den Aktionären fremd- ländischer Gesellschaften zufließen. Die Zahl der Gefrierfleisch fabriken beläuft sich gegenwärtig auf 12. Über den Standort und die ]) Im Juli 1919 wurde aus der Mitte der Deputierten kammer eine Kom- mission mit der Aufgabe gebildet, zu untersuchen, ob die Industrien von Mehl, Zucker, Wein, Petroleum, Fleisch und anderen Konsumartikeln trustmäßig organisiert seien. Bezüglich der Ideischindustrie kam sie zu dem Ergebnis, daß der Fleischausfuhrhandel in Händen großer Gesellschaften liege, die von noch mächtigeren ausländischen Unternehmungen abhängen und nach dem kapitalistischen Monopol streben. Dem sich ständig ausdehnenden Ein- fluß dieser Gesellschaften könne nur auf dem Wege öffentlicher Fleisch Versorgung durch städtische und regionale Gefrieranstaltcn begegnet werden, sowie durch die Gründung von rein argentinischen Unternehmungen, die in direkt« bindung mit den großen ausländischen Absatzmärkten zu treten hätten. (Vgl. den Bericht der Kommission in der Buenos A i res Handelszeit ung . Buenos Aires, 25. 10. 1919.) *) La Xaciön, Buenos Aires, 19. S. 191 9. 3) La Prensa, Buenos Aires, 15. 5. 1919. — 283 Bedeutung der einzelnen Unternehmungen gibt die folgende Über- sicht Auskunft: Tabelle 77. Stand der Gefrierfleischindustrie im Jahre 19K). Name und Sitz des Nationalität des Zahl der Schla in iooc chtungen Unternehmens Unternehmens Rinder Schaf. Schweine Prov, Buenos Aires Avellaneda ,,La Bianca" nordamerikanisch 279 357 12 „La Negra" argentinisch 264 490 38 ..Argentino" nordamerikanisch 105 236 La Plata „Armour de La Plata". . nordamerikanisch 227 287 -3 „Swift de La Plata" . . nordamerikanisch 4>- o»3 Campana ..Las Palmas Produce Co." englisch *5° /i-1 o,3 Zurate ,,Las Palmas Produce Co." englisch L5i — — „The Smithfield and Argen- ,,tinc Co." englisch 157 7- — ,,The Anglo South Ameri- can Meat Co." .... englisch -\ 19 — Bahia Bianca .,Cuatreros" englisch T7 123 0,8 Terr. San ta Cruz ..Rio Gallegos" nordamerikanisch — „San Julian" nordamerikanisch 6 4" Die Gesamtzahl der in der Industrie beschäftigten Arbeiter und Angestellten beträgt gegenwärtig etwa 15000. Über die Höhe des investierten Kapitals waren neuere Angaben nicht zu erlangen. 1910 wurde das in der Gefrierfleischindustrie arbeitende ausländische Kapital auf S391500 Goldpesos geschätzt. Es hat inzwischen durch die nordamerikanischen Neuanlagen sowohl wie durch Erweiterungen und Verbesserungen in den vorhandenen Fabriken eine ganz er- hebliche V rmehrung erfahren. Lufft1) gibt das Kapital der ameri- kanischen Gesellschaften mit 5,4, das der englisch-argentinischen mit 10,0 Mill. Doli. an. Standort der Industrie ist, von den Neuanlagen in Patagonien, die nur Schaf Schlachtungen vornehmen, abgesehen, die Provinz ') H. A. L. Luflt a. a. ()., - — 284 — Buenos Aires. In ihr liegen alle großen Betriebe unmittelbar an der La Plata-Mündung. Die in der Tab. yy aufgeführten Orte liegen sämtlich — außer Bahia Bianca — in der Nähe von Buenos Aires. Der Standort der Industrie ist ausschließlich nach der günstigsten Lage für die Verschiffung des Produktes orientiert. Ein langer Eisen- bahntransport des Gefrierfleisches aus dem Landesinnern an die Küsten würde nicht nur sehr hohe Kosten verursachen, sondern auch angesichts des heißen Klimas auf schwer zu überwindende technische Schwierigkeiten stoßen. Die vorhandenen Fabriken liegen darum sämtlich am Wasser, so daß eine leichte und schnelle Verladung, meist unmittelbar aus den Gefrierräumen in die Übersee- schiffe, möglich ist. Dieser Vorteil wiegt die Mehrkosten auf, die sich aus dem Bahntransport des lebenden Viehs aus dem Innern an die Küste ergeben. Zudem stammt auch ein großer Teil des in den Frigonficos verarbeiteten Tiermaterials aus den dem Meere näher liegenden Gebieten der Hauptlandwirtschaftszone, vor allem der viehreichen Provinz Buenos Aires. Hinzu kommt, daß die Fabriken mit einem geringen Teil ihrer Erzeugung auch der Versorgung der Provinz Buenos Aires, vor allem der anderthalb Millionen zählenden Bevölkerung der Hauptstadt und ihrer Vororte mit frischem Fleisch zu dienen haben, und darum die Nähe ihres lokalen Absatzgebietes aufsuchen. 1916 waren von den in den Gefrieranstalten erfolgten Schlachtungen von Rindern 17%, von Schafen 9% und von Schweinen 29% für den inländischen Konsum bestimmt. Der Anteil der Erzeugnisse der Gefrierfleischindustrie an dem Gesamtwert der Ausfuhr tierischer Produkte ist ständig gestiegen. Er betrug 190c mit 7,34 Mill. Goldpesos erst knapp 10% des Ausfuhr- wertes aller Erzeugnisse der Viehzucht. 1905 betrug der Anteil bereits 16%, stieg 1910 auf 22%, 1915 auf 39% und 1916 auf 40%. An der Gesamtausfuhr des Jahres 1917 im Werte von 550 Mill. Gold- pesos war die Gefrierfleischindustrie mit einem vollen Fünftel be- teiligt. Aus diesem starken Anteil am Gesamtexport des Landes erhellt die Bedeutung der Industrie für die gesamte argentinische Volkswirtschaft, erscheint aber zugleich die Tatsache um so bedenk- licher, daß ein so großer Teil des Außenhandels der fast einem Monopol gleichkommenden Kontrolle ausländischer Gesellschaften unter- worfen ist. Die Folge war, daß die während des Krieges gerade im Fleischhandel erzielten hohen Gewinne nur zum geringsten Teil den argentinischen Produzenten zuflössen. Die gewaltige Preissteige- rung des Gefrierfleisches auf dem englischen Markt hatte eine nur — 285 — geringe und vorübergehende Erhöhung der Lebend viehpreise in Argentinien zur Folge, wie dies durch den in der folgenden Tabelle angestellten Vergleich deutlich wird: Tabelle 78. Preisbildung des argentinischen Fleisches in Argentinien und England während des Krieges.1) Preise in Buenos Aires Preise in London Mastochsen Gefrierfleisch ,,tipo frigorifico" Pesos Index- ziffern Preis pro kg in Mark Index- ziffern 1. Halbjahr 191 4 158 100 0,41 100 2. Halbjahr 191 4 162 102 0,58 141 Jahr 1915 170 108 0,67 163 Jahr 1916 178 112 0,87 212 1. Halbjahr 191 7 158 100 1,26 307 Gegenüber einer fast dreifachen Erhöhung der Preise für argen- tinisches Gefrierfleisch in England stehen die argentinischen Lebend- viehpreise 1917 auf derselben Höhe wie vor dem Kriege. Die er- höhten Londoner Preise sind nur zum geringeren Teile der Verteuerung der Seefrachten und -Versicherungen zuzuschreiben, sie bedeuten vielmehr eine außerordentliche Erhöhung der Handelsgewinne. Als Gefrierfleischausfuhrland nahmen bis zum Jahre 1909 die Vereinigten Staaten von Amerika die erste Stelle ein. Da die nordamerikanische Viehzucht infolge steigender Bevölkerungszahl und Einschränkung ihrer Weideflächen den Inlandkonsum nicht mehr decken konnte, ging die Ausfuhr rapide zurück, und 1913 wurden die nordamerikanischen Grenzen der freien Einfuhr von Gefrier- und Kühlfleisch geöffnet. An die Stelle der Vereinigten Staaten trat Argentinien als Fleisch versorger des Weltmarktes, vornehmlich Englands. Die Einfuhr von gefrorenem Rindfleisch aus den Ver- einigten Staaten nach England, die sich 1900 auf 143400 t belaufen hatte, ging seit 1908 stark zurück und war 1913 auf 82 t gesunken. Die argentinische Einfuhr begann für England vor allem seit den Jahren 1904 — 05 wichtig zu werden. Im Jahrfünft 1909 — 13 betrug sie im Jahresdurchschnitt: J) Nach El Intercambio Economico de la Repüblica, 1910 — 17 und The Economist, Nr. 3863. Die Mark werte sind nach dem Parikurs des Schilling umgerechnet. — 286 — an gefrorenem und gekühltem Rindfleisch 289800 t gleich 80% der englischen Einfuhr, an gefrorenem Hammelfleisch 72500 t gleich 28% der englischen Einfuhr. England deckte also seinen Einfuhrbedarf an Rindfleisch vor dem Kriege zum größten Teil aus Argentinien, während es seine Schaffleischzufuhren vor allem aus seinen australischen Kolonien bezog. Die Bedeutung dieser überseeischen Fleischversorgung Eng- lands ist viel erörtert worden. Als Beweis dafür, wieweit einseitige Argumentation gehen kann, möge hier die Ansicht von Man es Er- wähnung finden : ,,Es ist fraglich, ob Englands Erfolge auf industriellem Gebiet möglich gewesen wären, wenn man nicht auf diese Weise dem Arbeiter eine ausreichende Fleischnahrung zugeführt hätte"1). Bis zum Kriege gingen 90 — 95% der argentinischen Rindfleisch- ausfuhr nach England. Während des Krieges traten Frankreich und Italien in stärkerem Maße als Abnehmer auf. Tabelle 79. Ausfuhr von gefrorenem Rindfleisch in den Jahren 1916 und 19172). Bestimmungsland 1916 t 1917 t England 342 245 38269 16 123 14-910 245 005 Frankreich Italien 68297 34 125 Übrige Länder 8415 Insgesamt . . 4" 547 355 842 Italien führte schon seit 1904 argentinisches Fleisch ein. Die Haupt- schwierigkeit bestand hier zu Anfang in dem Mangel an geeigneten Lager- räumen für das aus den Schiffen kommende Fleisch. Ferner fehlte es an Kühlwagen für den Transport ins Landinnere. Besonders in Genua wurden dann Kühlräume hergerichtet, und die Einfuhr gewann an Be- deutung. Gegen die Einfuhr argentinischen Fleisches nach Deutschland wurden vor dem Kriege eine Reihe agrarpolitischer und veterinär- *) A. Manes, Vom Gefrierfleischmarkt. 10. Bd., Jena 1917, S. 472.) 2) Nach El Comercio Exterior Argentino en 1916 y Aires 1918, S. 415. (Weltwirtschaftliches Archiv, 1917, Buenos - 28; - polizeilicher Bedenken geltend gemacht. Es ist bekannt, daß der § X2 des Fleischbeschaugesetzes praktisch fast einem Einfuhrverbot gleichkam. Bei der gegenwärtigen Ernährungslage des deutschen Volkes dürfen die Einwände der Vorkriegszeit unbegründet erscheinen, vor allem auch das früher geltend gemachte Bedenken, daß das argen- tinische Gefrierfleisch der Geschmacksrichtung des deutschen Kon- sumenten nicht zusagen würde. Doch ist darauf hinzuweisen, daß, von anderen die Einfuhr in größerem Umfange hindernden Faktoren ganz abgesehen, an eine solche nicht zu denken ist, ehe nicht in den Hafenplätzen sowohl wie den großen städtischen Konsumzentren des Landes Gefrierräume eingerichtet und die nötige Zahl von Kühl- wagen für den Bahntransport bereitgestellt wären. Die Einfuhr von Konservenfleisch, dessen Herstellung während der Kriegsjahre ge- waltig zunahm, ist allerdings ohne derartige Vorbereitungsmaßnahmen möglich. Andererseits erscheint es fraglich, ob Argentinien, wenn es die Konservenfleischherstellung im bisherigen Umfange beibehält, für diese in den Ententeländern, nachdem die Bedürfnisse der Heeres- versorgung weggefallen sind, noch einen genügend aufnahmefähigen Markt findet. Werfen wir zum Schluß einen Blick auf den Anteil Argentiniens an der Weltmarktsversorgung mit Fleisch überhaupt. Vor dem Kriege stand Argentinien als xAusfuhrland für Fleisch weitaus an erster Stelle. Sein Gesamtfleischexport betrug 1914 mit 462000 t weit mehr als das Doppelte des zweitwichtigsten Ausfuhrlandes, der Vereinigten Staaten. Während des Krieges wurde es von der Union überholt. Im Jahre 19 17 waren an der Gesamtfleisch Ver- schiffung aller exportierenden Länder im Betrage von 1,63 Mill. t die Vereinigten Staaten mit 41%, Argentinien mit 34% beteiligt. Wir haben in anderem Zusammenhang die Gründe erörtert, warum dieser starke Fleischexport der Union nicht als eine Dauererscheinung angesehen werden kann. In Argentinien steht der Ausdehnung der Viehzucht noch viel Raum zur Verfügung. Die Vermehrung der Weideflächen ist möglich, ohne dem Getreidebau Abbruch zu tun. Einer erhöhten viehzüchterischen Produktion steht eine Fleisch- verarbeitungsindustrie zur Verfügung, die, mit den besten technischen Hilfsmitteln ausgestattet, die Ausfuhr noch erheblich größerer Fleisch- mengen, als Argentinien gegenwärtig dem Weltmarkt liefert, er- möglicht. Von der argentinischen Ausfuhr des Jahres 1917 in Höhe von 550 Mill. Goldpesos entfielen auf Gefrier-, Kühl- und Konserven- — 288 — fleisch rund 23%. Entgegen diesem hohen Anteil am Gesamtausfuhr- wert beansprucht der Fleischexport nur 7 — 8% der Ausfuhrtonnage! Fleisch ist bei weitem das spezifisch wertvollste unter allen Export- massengütern des Landes. 20 t Fleisch haben den Nährwert von 100 t Getreide. Diese Tatsache, die zu ihrem Teil die gewaltige Steigerung gerade der Fleischverschiffungen während der an Schiffsraum armen Kriegsjahre erklärt, sichert dem Fleisch auch weiterhin eine bevor- zugte Stellung unter den Ausfuhrerzeugnissen des Landes. b) Die Mühlenindustrie. Zu der Gefrierfleischindustrie gesellt sich als zweitwichtigste der auf Agrarprodukte als Verarbeitungsstoffe begründeten Export- industrien die Mühlenindustrie. Als Exportindustrie ist auch sie noch jungen Datums. Die erste argentinische Weizenmühle ist zwar schon im Jahre 1585 in der Stadt Cördoba nachweisbar1). Ent- sprechend der lange Zeit nur geringen Ausdehnung des Getreidebaus war aber Argentinien noch bis an das Ende der 80 er Jahre auf die Einfuhr von Mehl angewiesen. Die Versorgung erfolgte vornehmlich aus dem in seinem Ackerbau vorzeitiger entwickelten Nachbarlande Chile. 1880 noch betrug die Einfuhr 18500 t Weizen und 4600 t Mehl. 1887 wurde zum erstenmal ein Ausfuhrüberschuß an Weizenmehl von 5400 t erzielt, 1889 hielt sich die Ein- und Ausfuhr von Mehl mit je 3300 t das Gleichgewicht. Seit dem Jahre 1891, in dem die Weizenproduktion ihren endgültigen Aufschwung nahm, war auch die Mühlenindustrie in der Lage, den einheimischen Markt aus- reichend zu versorgen. Eine statistische Erfassung der Jahresproduk- tion der argentinischen Mühlen geschieht erst seit 1906. Für das Jahrzehnt 1891 — 1900 berechnet sie Lahitte auf Grund eines Jahres- verbrauchs von 130 — 140 kg Weizen pro Kopf der Bevölkerung auf etwa 400000 t. Von einer Bedeutung der Mühlenindustrie für den Export kann man etwa seit 1895 sprechen. Der in diesem Jahr aufgenommene Zensus gibt die Menge des vermahlenen Weizens auf 600935 t, die des daraus gewonnenen Mehls auf 383147 t an. Davon wurden 53 935 t exportiert. Die Ausfuhr schwankt dann bis 1903 zwischen 40 und 70000 t, um 1904 erstmalig 100 000 t zu überschreiten. Seit *) Für die folgende Darstellung ist benutzt: E. Lahitte, La Industria Harinera, Censo Agropecuario Nacional 1908, III. Bd., Buenos Aires 1909. S. 451—463. 289 1906 entwickelte sich die Industrie und die Ausfuhr von Mühlen- fabrikaten aus Weizen folgendermaßen: Tabelle 80. Zahl und Produktionsmengen der argentinischen Mühlen und Ausfuhr von Erzeugnissen der Mühlenindustrie1). Zahl der arbeitenden Mühlen Produktion von Weizenmehl in t Ausfuhr von Weizenmehl in t Ausfuhr von Kleie in t (1895) (603) (383 147) (53 935) 1900 25* 699 000 128998 178 517 1907 290 697 863 127499 209 125 1908 276 695 627 113 500 208 309 1909 246 708 290 1 16 487 207238 1910 241 751 218 115 408 250 777 1911 223 840 118 118 486 — 1912 283 897 532 131 580 325 226 1913 270 848338 124649 274058 1914 291 908 361 <>7 325 243918 1915 286 937 77° 116 049 177 661 Wie aus der Tabelle ersichtlich, dient die Müllerei auch heute noch in erster Linie dem heimischen Konsum. Von der gesamten Mehlproduktion gelangen nur etwa 13 — 15 % zur Ausfuhr. Weit günstiger ist das Verhältnis zwischen Erzeugung und Ausfuhr für letztere bei den Nebenprodukten. Die Ausfuhr von Kleie betrug im Durchschnitt des Jahrzehnts 1906 — 15 rund 60% der Produktion. Die extensive argentinische Weideviehzucht hat für dieses wertvolle Futtermittel einstweilen noch wenig Verwendung und überläßt es daher zum größeren Teil dem Ausland. Die Weizenmehlerzeugung ist allmählich mit dem Anwachsen der Bevölkerung gestiegen. In dem gleichen Jahrzehnt 1906 — 15, in dem sie von 700000 t auf 937000 t gesteigert wurde, bewegte sich die Mehlausfuhr ungefähr auf derselben Höhe. Während die Mehlproduktion, unabhängig vom Ernteaus- fall, eine stetige Wachstumtendenz aufweist, die der Bevölkerungszu- nahme entspricht, machen sich schlechte Ernten in einer Einschränkung des Mehlexports bemerkbar. Nach der Mißernte 1913/14, die nur 2850000 t brachte, sinkt die Mehlausfuhr auf die Hälfte ihres normalen Umfangs herab. Aus dem Gesagten geht deutlich hervor, daß die ]) Nach verschiedenen Jahrgängen der Estadistica Agricola. Probl. d. Weltwirtschaft, 33. Schmidt, Die agrar. Exportwirtschaft Argentiniens. T9 — 290 — argentinische Mühlenindustrie bis heute nur insoweit als Export- industrie bezeichnet werden kann, als sie einen ziemlich konstanten Produktionsüberschuß, den sie auf dem heimischen Markt nicht absetzen kann, zur Ausfuhr bringt, im übrigen aber den Umfang ihrer Produktion dem des inländischen Konsums anpaßt. Im Jahre 1915 betrug die Mehlerzeugung 937770 t. Ziehen wir davon den Ausfuhrbetrag in Höhe von 116 049 t ab, so verbleiben 821 721 t dem heimischen Verbrauch. Auf den Kopf der Bevölkerung ergibt das einen Verbrauch von 95,5 kg Weizenmehl oder, da der Ertrag an Mehl in den argentinischen Mühlen rund 70% des ver- mählen en Weizens beträgt, von 136,4 kg Weizen. Entsprechend der ausschlaggebenden Bedeutung dieses Inlandkonsums für die Mühlenindustrie ergeben sich als deren bevorzugter Standort die Bevölkerungssammelzentren der Hauptackerbauzone, die wichtigstes Absatzgebiet und alleiniger Rohstofflieferant zugleich ist. Die folgende Tabelle gibt über die geographische Verteilung Auskunft: Tabelle 81. Geographische Verteilung der Mühlenindustrie im Jahre I9I5-1) Jährliche Provinz Zahl der arbeiten- den Mühlen Zahl der nicht arbeiten- den Mühlen An- triebs- kraft in PS. Leistungs- fähigkeit der vor- handenen Maschinen Mehl in t Vermah- lener Weizen in t Mehl- :r Zeu- gung in t B undeshauptstadt 9 1 6365 706 942 416 129 292 400 Buenos Aires 58 20 7 411 613 73i 321 183 217 348 Santa Fe . . . 32 17 5252 376 764 232 988 153 747 Cördoba .... 15 7 3 726 277 256 235 366 164 650 Entre Rios . . 35 7 2341 171 217 77 857 52 040 Mendoza . . . 9 5 847 70 410 39909 27 201 Pampa Central . 4 1 260 35208 10 in 6947 Übrige Prov. u. . Territor. . . 124 33 2 272 101 154 34812 23 437 Summe .... 286 9. 28474 2 352 682 1 368355 937 77° Hauptsitz der Industrie sind Stadt und Provinz Buenos Aires. Auf die 9 Mühlen der Hauptstadt entfällt allein fast ein Drittel der x) Nach Estadistica Agricola 1916/17, S. 90/91. — 291 — mten Mehlerzeugung, auf Stadt und Provinz Buenos Aires 55% der Gesamtproduktion. Die Tendenz zu großbetrieblicher Kon- zentration ist stark ausgeprägt. Noch 1906 arbeiteten in Buenos Aires 19 Mühlen. Von 1895 — 1915 hat sich die Gesamtzähl der Mühlen des Landes um die Hälfte verringert. Nach der Leistungsfähigkeit ihrer technischen Einrichtungen wären die Mühlen der Hauptstadt allein in der Lage, eine für den inneren Konsum ausreichende Menge Weizenmehl zu produzieren. Das Exportmehl wird nur hier hergestellt. In Buenos Aires, am Puerto Madero, liegt auch der größte Betrieb des Landes, die Mühltnwerke „Rio de la Plata", die über eine An- triebskraft von 3500 P.S. verfügen und mit einem Kapital von über 3 Mill. Goldpesos arbeiten. Außerhalb der Ackerbauzone wird nur in Mendoza und der Pampa Central das für den Konsum nötige Mehl vorwiegend an Ort und Stelle gewonnen, die übrigen Gebiete werden aus den großen Betrieben der Zentralprovinzen versorgt. Wie die Tab. 81 zeigt, übersteigt die auf Grund ihrer technischen Einrichtungen mögliche Leistungsfähigkeit der argentinischen Mühlen ihre tatsächliche Beanspruchung um mehr als das Doppelte. Ferner sind von den vorhandenen 377 Mühlen nur 286 in Tätigkeit. Es bestehen demnach in Argentinien viel mehr Mühlen, und ihre Betriebe sind auf eine viel größere Erzeugung eingerichtet als der Eigen- verbrauch des Landes und die überhaupt mögliche Mehlausfuhr zurzeit erfordern. Die Folge ist eine scharfe Konkurrenz im Mühlen- gewerbe1). Die Regierung bemüht sich, gleichzeitig mit der Schaffung großer Getreidespeicher den Elevatoren- und Mühlenbetrieb als zwei sich ergänzende Industrien auszubauen. Die Verwirklichung des naheliegenden Gedankens, den größeren Teil der Weizenpro- duktion in Form von Mehl zu exportieren und so dem Lande durch Veredelung des Ausfuhrproduktes erhöhte Gewinne zu sichern, scheiterte bisher an der Unmöglichkeit, die Erzeugung in genügenden Mengen im Auslande, besonders in dem Hauptabsatzgebiet Brasilien unterbringen zu können. Aus diesem Grunde und infolge der größeren technischen Überlegenheit der im Hafen von Buenos Aires gelegenen modernen Mühlen werke und ihrer günstigen Verkehrslage, mußten viele Mühlen in den Provinzen den Betrieb einstellen. Hinzu kam, daß in verschiedenen Gegenden des Landesinnern der Getreideanbau in weitgehendem Maße wieder durch Viehzucht ersetzt wurde, so l) Vgl. Mitteilungen der Ibero-amerikanischen Gesellschaft, 1918, S. 427. 19* — 292 — daß Mühlen, die früher "inmitten reicher Weizengebiete lagen, jetzt von Weideflächen umschlossen sind. Hauptabsatzgebiet des argentinischen Weizenmehls ist Bra- silien. Es nahm bis zum Kriege regelmäßig 90% der Ausfuhr und darüber auf (1901: 95%, 1907: 93%). In den letzten Jahren war es nicht mehr mög- lich, der argentinischen Mühlenindustrie diesen Absatz nach Brasilien in der gleichen Höhe zu erhalten. Die Getreidemühlenindustrie hat neuer- dings in den südbrasilianischen Staaten große Fortschritte gemacht, so daß diese bald ihren Bedarf im Lande decken werden1), während die nord brasilianischen Staaten wohl noch lange auf Weizenmehleinfuhr an- gewiesen sind. Die brasilianische Regierung ist bestrebt, ihre eigene Mühlenindustrie, die sich ihrerseits sehr stark auf die Einfuhr argentinischen Weizens stützt2), durch Einfuhrzölle zu schützen. Außerdem aber gewährt sie der Einfuhr nordamerikanischen Weizenmehls besondere Vorteile zum Schaden der argentinischen Ausfuhr, so daß letztere an Boden ver- lieren mußte. 191 3 war Brasilien noch zu 80%, 19 15 nur noch zu 48% Abnehmer des argentinischen Mehls. 1916 gingen von einer Gesamt- ausfuhr von 144290 t 47% nach Brasilien, 40% nach Frankreich. In diesem Jahre kam der mit erheblichen durch den Krieg verursachten Schwierigkeiten kämpfenden Mühlenindustrie ein Ankauf der französischen Regierung von 70000 t Weizenmehl zugute. 19 17 wurden die Absatz- schwierigkeiten durch das von der Regierung infolge der Mißernte des Jahres 1916/17 erlassene Ausfuhrverbot erneut verschärft. Die argentinischen Exportmühlen stehen auf der höchsten Stufe der Technik und erzeugen so aus vorzüglichem Weizen das vorzüg- lichste Mehl. Weizen ist im Überfluß zur Verfügung, seine physischen und chemischen Eigenschaften sind die besten. Der argentinische Weizen enthält mehr Protein als der Durchschnitt der auf dem Welt- markt erscheinenden Weizensorten. Hoher Klebergehalt verleiht dem aus ihm gewonnenen Mehl besonders günstige Backeigenschaften. Die Industrie verfügt, wie wir sahen, bereits heute über die nötigen Einrichtungen, welche eine ganz beträchtliche Vermehrung der Pro- duktion zulassen. Die ganze zukünftige Entwicklung der argentinischen Exportmüllerei ist also lediglich eine Frage der Gewinnung neuer Ab- satzmärkte. 1916 stand der Weizenmehlausfuhr von 144290 t noch eine Ausfuhrmenge von 2294876 t Weizen gegenüber, die Mehlausfuhr betrug erst 6,3% der Menge unverarbeitet exportierten Weizen- korns. Auch so stand die Mehlausfuhr mit einem Werte von 9,8 Mill. Goldpesos bereits an achter Stelle unter den agrarischen Ausfuhr- produkten des Landes. Die geringe Ausdehnungsfähigkeit des Ab- 1) Meißner a. a. O., S. 50. 2) 1916 gingen von der argentinischen Weizenausfuhr in Höhe von 229487G t, 424554 t nach Brasilien. — 293 — satzes argentinischen Mehls im Ausland und die darin zum Ausdruck kommende mangelnde Konkurrenzfähigkeit der argentinischen Export- mühlen auf dem Weltmarkt wird zum größten Teile auf ihre hohen Produktionskosten zurückzuführen sein. Es ist das eine Kardinal- schwäche aller argentinischen Industrien, die sich aus hohen Löhnen und der durch den Kohlenmangel des Landes bedingten Teuerung der Betriebsstoffe ergibt. Diese Faktoren erschweren jeder mit ihren Erzeugnissen auf dem Weltmarkt auftretenden argentinischen In- dustrie die Wettbewerbsmöglichkeit, sobald es sich nicht, wie bei dem Gefrierfleisch, um Waren handelt, denen ein gewisser Monopol- charakter anhaftet. Wieweit es der argentinischen Mühlenindustrie gelingen wird, gegenüber diesen Schwierigkeiten die natürlichen Vorzüge ihres Standorts als Folge ihrer ausgezeichneten Situation in der Rohstoffversorgung zur Geltung zu bringen, muß dahingestellt bleiben. c) Die Milchverarbeitungsindustrie. Eine intensiv betriebene Milchwirtschaft etwa im Sinne der deutschen Landwirtschaft besteht in Argentinien noch nicht. ,,Die extensive Weidewirtschaft mit Ausschluß von Stallungen, die Schwierig- keiten in der Beschaffung eines geeigneten Arbeitermaterials, sowie schließlich die Zerstreutheit der dünnen Bevölkerung auf weite Flächen sind die Hauptursachen für die bisherige geringe Entwick- lung der Milchwirtschaft1)." Das einheimische argentinische Rind ist in bezug auf Milchertrag wenig ergiebig, und in der Ernährung der kreolischen Bevölkerung spielte die Milch von jeher gegenüber dem Fleischgenuß eine sehr untergeordnete Rolle. Als die Einfuhr europäischer Zuchttiere begann, war wiederum der einzige Zweck die Verbesserung der Viehrassen für eine höher qualifizierte und ergiebigere Fleischproduktion. Auf diese ist die argentinische Rind- viehzucht auch heute noch fast ausschließlich eingestellt, und milch- wirtschaftliche Betriebe, die viel menschliche Arbeitskraft fordern, fügen sich in das vorherrschende extensive System der Großvieh- zucht nur schwer ein. Entsprechend der Einstellung der letzteren auf den Fleischexport ist die Zahl der Milchkühe verhältnis- mäßig gering." Für das Jahr 1914 wird sie auf 2246000 angegeben. Ein weit größeres Hemmnis als die geringe Zahl für die Milchproduktion geeigneter Tiere bietet aber vor allem die Arbeiterfrage. Einheimische *) Hermes und Holtmeier-Schomberg a. a. O., S. 261. — 294 — sind als Arbeiter für Milchwirtschaften nicht zu gewinnen, letztere rekrutieren sich vielmehr ausschließlich aus der Einwanderung. In den Sommermonaten Oktober bis März, bei Wärme und Futter- reichtum ist die Milchergiebigkeit der Tiere am größten. Gerade in diesen Monaten sind alle auf dem Lande verfügbaren Arbeits- kräfte durch die Erntearbeiten in Anspruch genommen, und Melker sind nur zu außerordentlich hohen Löhnen zu bekommen. Zudem bestehen gerade in dieser Zeit größter Milchproduktion infolge der hohen Temperatur für das gegen Wärme sehr empfindliche Produkt auch die größten Transportschwierigkeiten, für deren Überwindung es an technischen Einrichtungen noch durchaus fehlt. Die Entwicklung des Molkereiwesens datiert etwa s it dem Jahre 1902. Seit dieser Zeit entstanden in größerer Zahl, vor allem in der Provinz Buenos Aires, sog. „tambos", das sind pachtweise betriebene Milchgewinnungswirtschaften, deren Pächter Weide und Milchvieh von dem Grundbesitzer zur Verfügung gestellt erhalten. Für diese sind dieselben Schwierigkeiten, wie wir sie bei den Getreidebau- pachtwirtschaften kennen lernten,- vorhanden. Auch in ihnen be-f stehen die Tendenz zum Großbetrieb — ein „tambo" von 200 Milch- kühen ist als Normaltyp zu bezeichnen — und die sich daraus er- gebenden technischen und wirtschaftlichen Nachteile, und auch hier wird über die Höhe der Pachtsätze lebhafte Klage geführt. Auf Grund der aufgeführten Schwierigkeiten hat sich die Meiereiindustrie nur langsam entwickelt. Die Zahl aller Milch verarbeitenden Be- triebe umfaßte 1903 erst 324, nahm dann von Jahr zu Jahr ziemlich regelmäßig um 100 — 200 Betriebe zu und hatte 1915: 1876 erreicht. Über Einzelheiten ihres gegenwärtigen Standes gibt die folgende Übersicht Auskunft: Tabelle 82. Stand der Milchverarbeitungsindustrie im Jahre 19181). Rahm- Butter- Käse- Gemischte Provinz fabriken fabriken fabriken Betriebe Insgesamt Buenos Aires .... 644 82 158 309 1193 Santa Fe 252 48 42 63 4°5 Cordoba 66 20 50 54 190 Entre Rios 26 25 60 52 163 Übrige Landesteile . . 21 26 97 55 199 Argentin. Republik. . I009 201 407 533 2150 J) Nach Boletin Mensual de Estadistica Agricola igi9> S. 223. — 295 — Die Gesamterzeugung betrug 1915 an Butter 10 146 t, an Käse 6779 * und an Kasein 4623 t. Der größere Teil der Buttererzeugung diente bis dahin noch der Versorgung der einheimischen Bevölkerung. Die Ausfuhr, die sich 1903 bereits auf über 5000 t belaufen hatte, sank bis 191 1 dauernd, trat aber seit diesem Jahre in eine stetige Aufwärtsbewegung ein. Sie nahm vor allem im Kriege sehr stark zu und stieg von 3784 t im Jahre 1913 auf 18970 t im Jahre 1918. In diesem Jahre war bereits die Erzeugung von Butter auf 24460 t, von Käse auf 20445 t und von Kasein auf 7819 t gesteigert worden. Die Käseproduktion deckte vor dem Kriege noch nicht den Bedarf des Landes. Es fehlten vor allem die nötigen technischen Erfahrungen und die gelernten Arbeitskräfte, die für die Fabrikation unentbehr- lich sind. Noch 1913 stand einem Käseverbrauch von über 10 000 t nur eine Erzeugung von 5700 t gegenüber, so daß erhebliche Ein- fuhren notwendig waren. Durch den Zwang der Kriegsverhältnisse entwickelte sich auch die Käseherstellung zur Exportindustrie. Die Einfuhr war 1918 auf wenige Tonnen gesunken, gleichzeitig aber die Ausfuhr, die 1915 erst 6 t betragen hatte, auf 6431 t gestiegen. Hierzu kommt eine Kaseinausfuhr von 3600 t. Diese Zahlen sprechen für eine derartig kräftige Entwicklung der Meiereiindustrie, daß diese, auch wenn die anormalen Kriegsverhältnisse fortgefallen sind, ihre im Kriege errungene Bedeutung unbedingt behalten wird, zumal dann die Arbeiterverhältnisse sich mit dem Wiedereinsetzen der Ein- wanderung wesentlich bessern werden. Schon heute ist die Milch- verarbeitungsindustrie mit etwa 30000 in ihr beschäftigten Arbeitern eine der größten Industrien des Landes. Der Gesamtwert ihrer Ausfuhr- produkte belief sich 1918 auf 19 Mill. Goldpesos und entsprach damit etwa dem Wert der Haferausfuhr. Neuerdings scheint sich in Regierungs- wie in Viehzüchter- kreisen die Erkenntnis immer mehr durchzusetzen, daß dieser land- wirtschaftliche Industriezweig ganz besonderer Förderung wert ist, da er zu einer erstrebenswerten Differenzierung der Ausfuhrerzeugung wie zu einer Intensivierung der Viehzuchtmethoden beiträgt. Die Provinz Cördoba hat als erste im Jahre 1915 ein Gesetz zur Förderung der Milchverarbeitungsindustrie erlassen, das den Butter-, Käse- und Kaseinfabriken Befreiung von gewissen Steuerabgaben gewährt1). Wichtig sind neuere Maßnahmen, durch welche die Bundesregierung die Güte der in der Industrie hergestellten Produkte zu beeinflussen x) Revista de la Sociedad Rural de Cördoba, Nr. 311/12, 1915. — 296 — sucht. Um sicherzustellen, daß zur Erhaltung des guten Rufs der argentinischen Erzeugnisse im Auslande nur einwandfreie Ware zur Verschiffung gelangt, sind sämtliche Betriebe, die Meiereiprodukte herstellen, der ,,Direcciön General de Ganaderia" zur Aufsicht unter- stellt. Es werden eine Reihe hygienischer Mindestforderungen ge- stellt (das gleiche ist in der Gefrierfleischindustrie der Fall) und die Ausfuhrerlaubnis wird nur dann erteilt, wenn die einwandfreie Art der Herstellung des Fiu&rxts garantiert ist. Alle am Ausfuhrhandel mit Molkereiprodukten beteiligten Firmen werden in einer amtlichen Liste geführt. Fast alleiniger Abnehmer der argentinischen But.terausfuhr (1915: 96%) war bisher England. Man hofft in Argentinien, daß Brasilien, welches vor dem Kriege Butter in größeren Mengen ausDäne- mark und Frankreich bezog, sich zu einem guten Absatzgebiet ent- wickeln wird. Jedenfalls ist das Molkereiwesen schon heute ein überaus wichtiges Glied in der Reihe der agrarischen Ausfuhrgewerbe des Landes. Für seine Entwicklung wird vor allem die Zunahme genossen- schaftlichen Zusammenschlusses der argentinischen Landwirte von Bedeutung sein. Bisher ist das genossenschaftliche Prinzip für diesen Zweck noch gar nicht verwendet worden. Daneben aber ist auch für diesen Zweig der Land- und Volkswirtschaft die Frage entscheidend, die das Kernproblem des ganzen argentinischen Wirtschaftslebens bildet: die Bevölkerungsfrage. W G. Pätz'sche Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY HD Schmidt, Ernst Wilhelm Die agrarische Export- S3 Wirtschaft Argentiniens ■