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DIE

ATTISCHEN NÄCHTE

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ZUM ERSTEN MALE VOLLSTÄNDIG ÜBERSETZT UND MIT AJJMERKÜNOEN VERSEHEN

t VON

FRITZ WEISS.

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DIE

ATTISCHEN NÄCHTE

DES

AILIS GELLIUS

ZUM ERbTEN MALE VOLLSTÄNDIG ÜBERSETZT UNÜ MIT ANMERKUNGEN VEUHEHEN

FRITZ WEISS.

ERSTER BAND.

' rt-VIIl. BUCH)

LEIPZIG,

PUESS VERLAG (R. REISLAND). 1875.

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SEINER MAJESTÄT

ALBERT

KÖNIG VON SACHSEN

DEM RUHMGEKRÖNTEN FELDHERRN DEM HOCHHERZIGEN BESCHÜTZER KÜNSTLERISCHER UND ^VISSENSCHAFTLI( HER BESTREBUNGEN

ALLERUNTERTHÄNIGST GEWIDMET

VERFASSER.

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Vorwort.

oeit einer Reihe von Jahren habe ich an einer Ueber- tragung des AulusGellius gearbeitet und ich zögerte nur deshalb mit der Veröffentlichung, weil ich immer erwartete, es würde eine geübtere und würdigere Hand an die Lösung dieser durchaus nicht unschwierigen Aufgabe herantreten. Gibt es doch für das Ausland bereits seit lange schon Ueber- ti-agungen (z. 6. französische, eine englische, eine russische). Zwar auch bei uns erschien ein Dritttheil des Werkes 1785 von A. H. W. von W(alterstem) stellenweise nicht ganz ohne Geschick verdeutscht zu Lemgo im Meyerschen Verlage und wurde mehimals, später auch zu Wien und Prag merk- würdiger Weise aber gewissenlos mit allen oberflächlichen Fehlem der ersten Auflage wieder abgedruckt; eine voll- ständige Uebersetzung jedoch ist bis jetzt noch nicht vorhan- den. Und doch wird Niemand eine solche für überflüssig er- achten, zumal wenn in Betracht gezogen wird, welche Wich- tigkeit das Werk des Gellius für die Kenntniss des Alterthums, insonderheit für die Culturgeschichte hat. Nach meiner Ueber- zeugung kann kein Schriftsteller über Alterthumskunde das Werk des Gellius entbehren.

Der Grund f&r das Fehlen einer vollständigen deutschen Uebersetzung ist nicht schwer einzusehen, er liegt zweifels- ohne in der stellenweise nicht unerheblichen Schwierigkeit des Originaltextes.

Erst neuerdings hat derselbe durch sorgfältige hand- schriftliche Vergleichungen, so wie durch die durchgreifendste,

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IV Vorwort

höchst geistvolle, reinigende Kritik von Martin Hertz eine wunderbare Klärung erlangt und gerade diese letztere Arbeit ist es gewesen , die mich zur Beendigung der von mir unter- nommenen Arbeit ganz besonders angeregt hat. Ich habe diese Ausgabe, wie sich von selbst versteht, meiner üeber- setzung zu Grunde gelegt. Freilich würde die wünschens- werthe Vollendung der versprochenen, heissersehnten und vielvei-sprechenden grossem Ausgabe dieses Meisters mir sicher noch manche wenrentliche Erleichterung, wichtige Auf- klärung und viele nützliche Winke gewährt haben, allein ich habe mich in die Sachlage fügen müssen. Was nun meine Uebersetzung selbst anlaugt, so erlaube ich mir, darüber noch Folgendes anzumerken.

Bekanntlich stehen einem Uebecsetzer zwei Wege ofi'en, er kann sich entweder pedantisch an den Verbalausdruck des Originals binden, oder er kann sich in freierer Weise zum Original stellen und bei der Uebertragung der Muttersprache ein grösseres Recht einräumen. Der erstere Weg wird immer nur dann einzuschlagen sein, wenn auf die wortgetreue Wie- dergabe des Textes viel ankommt.

So hat der Lehrer in der Schule unbedingt die Aufgabe, von seinen Schülern eine wörtliche Uebertragung zu fordeni. Ganz anders steht es dagegen, wenn ein alter und zumal nachklassiscber Schriftsteller einem gebildeten Publicum zu- gänglich gemacht werden soll.

Ich habe daher den zweiten Weg einzuschlagen versucht; bin jedoch bei der Uebertragung nicht so frei verfahren, das& ich das Werk meines Autors nur zu einer obei-flächlichen^ zerstreuenden Unterhaltungslectüre umgestaltet hätte ; im Gegentheil, ich bin mir bewusst, trotzdem, dass eine leben- dige, lesbare Neudarstellung mein Ziel und Ausgangspunkt war, die wörtliche Treue des Originaltextes keineswegs ver- nachlässigt zu haben.

Meine Uebertragung dürfte deshalb schon aus diesem Grunde, obwohl sie an erster Stelle für ein gebildetes Publi- cum berechnet ist, auch für den eigentlichen Fachgelehrten nicht ganz ohne Interesse sein. Ja, ich bin sogar der Mei- nung, dass, sowie beim Anblick der Copie von einem alten Kunstwerke die Sehnsucht nach dem Original rege gemacht

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Vorwort. V

¥rird und sowie Atlanten, Geographieen und Reisebeschrei- bungen nur die Lust nach dem Anschauen der Wunder und ^Jaturerhabenheiten in der Wirklichkeit erwecken, durch^meine üebersetzung die gelehrten Fachmänner eine Veranlassung finden möchten , dem Originaltext nach seinen verschiedenen Seiten hin fort und fort noch mehr Aufmerksamkeit, als es bisher der Fall gewesen, zuzuwenden.

Uebrigens will ich, um etwaigen Missverständnissen sei- tens der der lateinischen Sprache unkundigen Leser vorzu- beugen, doch mit einigen Worten noch darlegen, worin eigent- lich der fe-eiere Charakter meiner Uebersetzung besteht.

Ich habe mir nämlich immer nur dann kleine Zusätze und Einschaltungen erlaubt, wo es sich um Klarlegung und Verdeutlichung dunkler W^örter und Stellen handelte. Ich glaubte dies namentlich den Laien gegenüber deshalb thun zu müssen, damit sie ohne Schwierigkeit und mit*eijiem ge- wissen Genüsse alle Partien meiner Arbeit lesen möchten.

Aus gleichem Zwecke sind auch die Anmerkungen, von denen ich mehrere Lübkers voniüglichem , prägnantem Real- lexicon entlehnt habe, entsprungen.

Wenn ich bei den poetischen Fragmenten nicht immer mich streng an das Metrum gehalten habe, so muss ich dafür allerdings um Nachsicht der philologisch gebildeten Leser ersuchen, ich verweise aber dabei auf Gesners launige Ent- schuldigung: claudicare in podagra versus, quam sententiam maluimus. Bei Citaten und Stellen aus Homer, Cicero, Plau- sus, Vergil u. s. w. habe ich nicht Anstand genommen, Werke und Hilfsmittel, welche mir gerade zugänglich waren, zu be- nutzen und vorhandene Uebertragungen, z. B. von gelehrten Autoritäten, wie von Mommsen, Droysen, Voss, Zumpt, Jacobs Düntzer, Wiedasch u. s. w. zu verwenden, zumal wenn sie mir besser als meine eigene erschienen. Dass ich femer auch einige meiner übertragenen Stellen aus Gato's Bruch- stückschatz nachträglich durch Einfügung Ribbeckscher Au- torität zu ersetzen und verbessern bemüht gewesen bin, bedarf wohl nicht erst der Angabe von Gründen, da mir wenn auch unverdienter Weise dafür der Leser sicherlich danken, der gelehrte Autor hoffentlich nachträglich Erlaub- niss und Verzeihung ertheilen wird.

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YI Vorwort

Was die äussere Einrichtung meiner Uebersetzung an- langt, so enthält nach jetzt gebräuchlicher Annahme der Kri- tiker^ das in viereckige [Winkel-] Klammem Eingeschlossene theils nöthige, im Originaltext ausgebliebene, theils weg- gelassene Zusätze; das in runden (Halbmond-) Klatnmem Eingeschlossene enthält dagegen wieder theils von mir eigen- mächtig der Erklärung halber Hinzugefügtes, was sich im lateinischen Urtext nicht findet, theils füglich daraus zu Ent- fernendes und zu Tilgendes.

Statt einer Classification der Materien, wie sie einigen Herausgebern des A. Gellius beliebte, habe ich es mit Hinweglassung der unmittelbar nach des Gellius VoiTode folgenden Inhaltsangaben (Ueberschriften) zur Ersparung des Raumes für wichtiger erachtet, mich der zwar bei Weitem mühsameren, aber auch zweckentsprechenderen und mehr nutz- bringendeli Mühe, zu unterziehen, ein ziemlich reichhaltiges Inhaltsverzeichniss, mit Unterlage des Hertzischen, ohne je- doch dessen für gelehrte Fachmänner nothwendige, hier bei meiner Uebersetzung wohl nicht streng gebotene Dreitheilung beizubehalten.

Schliesslich sei noch bemerkt, dass mich zum grössten Danke Derjenige verpflichten wird, welcher mich auf be- gangene Sünden und Versehen meines Buches aufmerksam macht, da ich mir der Wahrheit in jener Stelle bei Cicero (Philipp. Xn, 2, 5): „cujusvis hominis est errare: nullius nisi insipientis in errore perseverare. Posteriores enim cogitationes, Mi ajunt, sapientiores solent esse", sehr wohl bewusst bin.

So ' übergebe ich denn diese Uebersetzung des Aulus Gellius als ei-sten Versuch meiner schriftstellerischen Thätig- keit der Oeffentlichkeit mit dem herzlichen Wunsche, dass der gebildete Leser den behandelten Materien einigen Reiz abgewinnen möge, in welchem Falle ich mich für meinen aufgewendeten Fleiss reichlich belohnt sehen werde. Sollte sich sogar meine Arbeit einigen Beifall erringen, so würde ich nicht Anstand nehmen, darin für mich eine AufFordemng zu erkennen, auch eine vollständige Uebertragung des Macrobius und Appulejus folgen zu lassen.

Dresden, d. 23. April 1875.

Fritz Weiss.

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Einleitimg.

Aulus Gellius, oder Agellius, wie er durch Ver- schmelzung von dem Anfangsbuchstaben des Vornamens mit dem Familiennamen in einigen altera Handschriften fälschlicher Weise genannt wird, ist der Verfasser einer literarisch histo- rischen Notizensammlung aus 20 Büchera bestehend (Vorrede des A. Gellius § 22), denen er die Ueberschrift gab : Attische Nächte.

Der einem samnitischen Geschlechte angehörende Name „Gellius'* hat in der Geschichte einen guten Klang und findet sich in vorliegendem Werke (VIII, 14, L; XUI, 23 (22), 13; XVIII, 12, 6.) der Annalenschriftsteller Cn. Gellius und (V, 6, 15) der Censogr L. Gellius erwähnt. Da über die Lebensum- stände des Aulus Gellius etwas Näheres nicht bekannt ist, als was er selbst in seiner Sammlung angibt, so muss man es dahin gestellt sein lassen, ob er zu diesem angesehenen, patricischen Geschlechte der Gellier in verwandtschaftlichem Verhältnisse steht, oder ob es etwa nur Bescheidenheit war, dass er sich nicht erst ostensiv auf seine Abstammung berief.

Sicher war er nicht von unedler Abkunft, da er nach eigener Angabe die toga praetexta, d. h. die mit Purpur ver- brämte Toga, welche die Kinder der Vornehmen zu Rom ohn- gefähr bis zu ihrem 17. Jahre trugen, mit dem römischen Jünglingskleide, mit der toga virilis vertauschte (XVIII, 4, 1).

Für die Annahme einer nicht mittellosen Abstammung sprechen seine weiten kostspieligen Reisen, und dass es ihm möghch wurde, den Unterricht vorzüglicher, hervorragender

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Vin Einleitung.

Lehrer zu gemessen und sich werthvolle Bücher anzukaufen, üeber seinen Geburtsort, über sein Geburts- und Todesjahr sind keine sichere Daten aufzufinden.

Seine Geburt fällt wahrscheinlich in das Regierungsende Trajans (f 117 n. Chr.), seine Jugend in die Regierung Ha- drians (117 - 138), welcher aber, als Gellius seine Noctes Atti- cae vollendete, wahrscheinlich schon todt war, denn er nennt ihn „divus" (in, 16, 12; XI, 15, 3; XHI, 22 (21), 1; XVI, 13,4; vergl. Dio Cass. 70, 1; Aurel. Vict. Kaisergeschichte. 14.), der stehende Ausdruck für einen nach seinem Tode Ver- götterten. Seine Blüthezeit fällt unter Antoninus Pius (138—161) und sein Ende unter den Regierungsanfang des Marcus Aurelius Antoninus Philosophus (161—180) und des Lucius Verus (f 169) und zwar schon vor dem Jahre 165 n. Chr., weil er nichts von dem merkwürdigen Ende des Peregrinus Proteus erwähnt, der die Thorheit beging, theils um Aufsehn zu erregen, theils um den Hercules nachzuahmen, sich bei der olympischen Festfeier ums Jahr 165 n. Chr. (in der 236. Olympiade) öffentlich zu verbrennen.

Wäre Gellius kurz vorher gestorben und etwa 50 Jahre alt geworden, so würde er unter Trajan (98—117) ohngefähr im Jahre 115 geboren und im Todesjahre Hadrians etwa 25 Jahre alt gewesen sein. Auf diese Zeit weist auch die Er- wähnung einer Unterredung hin, die er mit einem Gelehrten, einem persönlichen Freunde und Schüler des (bis ohngefähr 88 n. Chr. lebenden) Valerius Probus hatte (I, 15, 18; XIII, 10, 1; vergl. UI, 1, 5; VI (VII), 7, 3.). Nehmen wir also ohngefähr an:

als Valerius Probus starb, 88 n. Chr., war dessen Schüler

25 Jahre altund Gellius (geb.113)

zur Zeit der Unterredung mit diesem nun auch 25 Jahre alt, dieser Schüler aber

nun ein Fünfziger, so käme heraus ~ 138 n. Chr., das Todesjahr des

(divus) Hadrianus ; wäre nun Gellius ^7 Jahre später vor dem selbstge-

wählten Ende des Peregrinus 165 n. Chr. gestorben: so würde

er noch nicht ganz 52 Jahre alt geworden und,

wie oben bemerkt wurde, 113 geboren sein.

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Einleitung. IX

Als Lehrer in der Sprachkunst hatte er den Sulpicius Apollinaris (VH (VI), 6, 12; XH, 13; Xin, 17, 3.), in der Redekunst den bei Hadrian wegen seines Charaktei-s und seiner Gelehrsamkeit in hoher Achtung und Ansehn stehen- den (in mores atque literas spectatus) Rhetor Titus Castricius (Xin, 22 (21), 1), zwei hervon-agende Geister, welche Beide unter den Kaisem Hadrian und Antoninus Pius blühten.

Als ganz junger Mann, bevor er noch zu seiner weiteren Ausbildung nach Athen gieng, stand er in vertrautem Um- gange mit älteren Hochgestellten und feingebildeten Denkern (V, IS, 1.), wie z. .B. mit dem Lehrer des AntoninuS Philoso- phus, mit Cornelius Fronto, dessen Unterredungen er fleissig besuchte (II, 26, 1; XIU, 28; XIX, 8; XIX, 10; XIX, 13; vergl. Antoninus Selbstbetrachtungen 1, 11.).

Nach damaliger Gewohnheit junger Leute von Stande (I, 2, 1.) begab sich auch A. Gellius nach Athen, um sich an dieser berühmten, den Musen geweihten Stätte in der Philosophie und den schönen Wissenschaften zu vervollkomm- nen. Hier bewies er sich als ein Feind aller unnützen Zer- streuungen und niederen Ausschweifungen und brachte selbst seine Erholungsstunden nur im Umgänge mit tugendhaften, dabei aber geistig aufgeweckten, witzigen Freunden unter fröhlichem Scherz und wissenschaftlichen Unterhaltungen zu. Bei dieser seiner (ersten) Anwesenheit in Athen, wo er sein Werk zu schreiben begann, legte er eine ganz besondere Verehrung für den berühmten Redner Tiberius Claudius Herodes Atticus an den Tag, welcher ein unermessliches Ver- mögen besass, durch seine Beredtsamkeit die grössten Er- folge erzielte, später nach Rom kam, bei seinem Aufenthalte daselbst Lehrer des L. Verus (f 169) und des (v. ICl 180) regierenden Marcus Aurelius Antoninus Philosophus wurde und sogar mehrere hohe Staatsämter, wie z. B. in des Anto- ninus Pius sechsten Regierungsjahre (896 d. St., 143^ n. Chr.) das Consulat*) mit Gajus Bellicus Torquatus bekleidete,

*) A. Gellius war also vor li3 n. Chr. mit dem Herodes Atticus in Athen bekannt geworden, vielleicht vor 138, obgleich er merkwürdiger Weise nichts von einer Fortsetzung dieser Bekanntschaft während des Aufenthaltes des Tiberius Herodes Atticus in Rom erwähnt, da beide Männer einander doch sicher daselbst wieder begegnen mussten, Herodes

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X Einleitung.

hernach aber, zur ruhigen Pflege der Wissenschaften wieder nach Athen in seine Heimath zurückging und daselbst 180 n. Chr. starb. In Athen genoss A. Gellius den Unterricht des berühmten Weltweisen Taurus, ebenso hörte er den aus dem Lucian bekannten cynischen Philosophen Peregrinus Proteus (VIII, 3, L. ; XII, 11 ; cfr. Lucian über den Tod des Peregrinus). Anfänglich beschäftigte er sich vorzugsweise mit der Rede- kunst, weshalb Taurus (XVU, 20, 3) gelegentlich in Athen ihn rhetoriscum OuDg^n Redner) nennt, später jedoch, wie er (XI, 3, 1 ff.) selbst bekennt, legte er sich mehr auf die Sprachwissenschaft. Von Athen nach Rom zuiUck gekehrt, ergab er sich nicht dem Müssiggange, sondern, sobald ihm seine Geschäfte einige Muse Hessen (s. seine VoiTcde §. 12), beschäftigte er sich fort und fort mit den Wissenschaften (Xn, 13, 1 ; Xm, 13, 1 ; XVI, 10, 1 ; vergL I, 22, 1.6.^. Dabei vernachlässigte er nie den Umgang mit gelehrten und recht- schaffenen Männern und widmete besonders seine Aufmerk- samkeit, so oft sich Zeit und Gelegenheit bot, den Vorträgen und Reden des ausgezeichneten, unter Hadrian in höchster Blüthe und Ansehn stehenden und mit diesem Fürsten eng befreundeten Philosophen Favorin (s. Spartian. Leben Hadri- ans 14), für welchen Letzteren er eine ganz besondere Liebe und Hochachtung an den Tag legte und aus dessen Munde er eine Menge schöner und nützlicher Bemerkungen uns auf- gezeichnet hinterlassen hat, wie den Vortrag: XI, 1. Dass er überhaupt nimmer müde wurde, seine Kenntnisse zu berei- chern, dies ergibt sich deutlich aus seinem Werke, worin fast alle Zweige des Wissens vertreten sind, wie: Philosophie, Ge- schichte, Jurisprudenz, Grammatik, Dialektik, Geometrie,

Atticus als Lehrer der beiden Prinzen L. Yerus and des Antoninus Marcus Aurelius und Aulus Gellius als angesehener Privatrichter??! Da der Raum zu dieser Einleitung för weitere Auslassung bei der Menge des Stoffes ein nur beschränkter und knapp zugemessener ist, so muss ich mir weitere Vermuthungen für andere Zeit und andere Zwecke au&paren, ver- weise jedoch geehrte Fachmänner ganz besonders noch auf folgende zwei ausfuhrlichere und vollständigere gelehrte Abhandlungen:

De A. Gellii vita, studiis, scriptis narratio et Judicium v. Theodor Vogel (Zittau 1860); und

De A. Gellii fontibus. Part I, de auctoribus A. Gellii grammaticis dissertatio inaug. philolog. v. Julius Eretzschmer (Posen 1860).

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Einleitung. XI

Arithmetik, Astrologie, Medicin, Musik. Desgleichen enthält das Werk schätzenswerthe Bemerkungen über Pontifical-, Sacral- und Kriegs-Wesen. Kura die Arbeit des Gellius besteht aus Collectaneen und Miscellaneen des mannigfaltigsten und interessantesten Inhalts. Ganz besonders suchte sich Gellius aber (XIV, 2, 1) mit allem Eifer und Ernst über die Pflichten eines Richters zu unterrichten , weil ihm bei seiner Heimkehr nach Rom von dem Prätor eine Stelle unter den Richtern über Privatsachen übertragen worden war.

Wie gewissenhaft er in dieser Stellung seinen Amts- pflichten nachkam, geht aus dem eben erwähnten Abschnitt zur Genüge hervor.*) Ob und wann, wie allerdings wohl höchst wahrscheinlich anzunehmen ist, Aulus Gellius ein zweites Mal in Athen war, lässt sich nicht mit Bestimmtheit eimitteln, kann auch nicht mit Sicherheit aus der zweimaligen Erwäh- nung des immer mehrere Tage dauernden Festes der Satur- nalien während seiner Anwesenheit in Athen erschlossen wer- den (XVIII, 2 und mit nur wenigen dazwischenliegenden Ab- schnitten; XVin, 13).

Diess ist ohngefilhr Alles, was sich mit Gewissheit von den äussern Lebensumständen unseres Schriftstellers angeben lässt.

Ehe ich mich nun noch weiter in einigen kurzen, aber unumgänglich nothwendigen Betrachtungen über A. Gellius als Mensch und als Schriftsteller selbst ergehe, dürfte es wohl am Platze sein, das wenn auch ziemlich strenge Urtheil des bedeutenden Literarhistorikers A. W. Teuffei vorauszuschicken, der über Gellius sich also vernehmen lässt:

„Gellius ist eine Famulusnatur: das Bewundem, Schlepp- tragen, Applaudieren ist ihm ein Bedüi-fniss, und er übt es gegenüber von dem Entgegengesetztesten, gleichzeitig gegen Fronte und Cicero (vergl. XVII, 1, 1 ff ). Seine Anhänglich- keit an die von ihm Erkorenen hat etwas Rührendes, ausser wo sie sich in Geringschätzung Derer ausspricht, die zu einer

*) Eines besonderen Umstandes ist hier nebenbei noch zu gedenken. Gellius sagt XIV, 2, 1 : dass ihm zum ersten Male als ganz junger Mensch das Privatrichteramt übertragen worden sei, und doch hat er XII, 13, 1 bereits Yon einer ähnlichen V\rahl gesprochen, die auf ihn gefallen war. FäUt sein voriges Richteramt in eine spätere Zeit? Geht daraus der Be- weis eines besonderen Arrangements seines Stoffes hervor?

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XII Einleitung.

anderen Schule gehören. In seiner ebenso gutherzigen wie beschränkten Mittelmässigkeit spiegelt er den Charakter seiner Zeit treulich wieder, ihre wichtigthuende Geschäftigkeit ohne ernstes Ziel, ihre Verranntheit in Nichtigkeiten, ihren völligen Mangel an eigenem Geiste, an Productionskraft, ürtheil und Verstand, ihre Gelehi-samkeit wie ihre Pedanterie. Es gelingt ihm oft, recht anschauliche und (unfreiwillig) ergötzliche Bil- der von dem Treiben in seiner Zeit zu geben. Ausserdem ist für uns seine Anhäufung von Excerpten aus verlorenen alten Werken von um so grösserem Werthe, weil der Ver- fasser mit seiner ängstlichen Gewissenhaftigkeit da, wo er wirklich selbst gesehen hat, vollen Glauben verdient. Frei- lich ist er auch von der Sucht seiner Zeit ergriflfen, gelehrter zu erscheinen als er ist, und hat wohl Manches aus secun- dären Büchern entnommen, was er aus den Quellen selbst geschöpft zu haben behauptet. Vergl. Mercklin S. 641 if., Kretzschmer p. 13 if."

Ich für meinen Theil bin aus Voreingenommenheit für Gellius, durch meine lange eingehende Beschäftigung mit diesem Schriftsteller, nicht im Stande, das Urtheil dieses her- voiTagenden Gelehrten, zumal er ja selbst auch dem A. Gellius bessere und rühmlichere Eigenschaften durchaus nicht abspricht, in allen seinen Theilen zu unterschreiben. Vor allen Dingen lässt sich nach meinem Dafürhalten, wie ich glaube besondei-s betonen zu müssen, aus dem hinter- lassenen Werke dem Charakter des Gellius nur Hochachtung zollen, denn man ereieht daraus nur zu deutlich seine Be- scheidenheit, Ehrlichkeit, RechtschaflTenheit, Gewissenhaftigkeit, seinen Eifer für Tugend, seine Liebe zu den Wissenschaften, sein unaufhörliches redliches Streben, seinen Geschmack zu bilden und sich unter dem sittlichen Einflüsse und unter An- führung geistig hervon-agender Lehrer durch wissenschaftlichen Unterricht Aufklärung zu verschaffen. Diese ehrenhaften Be- strebungen seiner Jugend verlor Gellius auch später nicht aus den Augen. Er blieb bei allen Geschäften , die ihm die edle Sorge um die Erziehung seiner Kinder auferlegte, den schönen Wissenschaften immer zugethan. Zwar hat man einen Fall herausgegriffen und ihm Unbescheidenheit, Anmassung und Herzlosigkeit vorgeworfen, weil er (12, 2.) über Annaeus

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Einleitung. XIII

Seneca ein etwas strenges und vielleicht zu hartes Urtheil fällt Allein alle Vorwürfe und alle Zweifel über seine fromme Denkungsart können leicht und vollständig durch folgende andere Stellen widerlegt werden: IV, 9, 9; XVÜ, 1, 1; XVUI, 10,7; Vonede § 14; speciell über die bescheidene Zurückhaltung in seinem Urtheile ist zu vergleichen: I, 18, 6; X, 22, 3; XI, 13, 10 und über sein Billigkeitsgefühl gerade in Bezug auf Seneca: XII, 2, 13. Ausserdem dürften sich aber auch bezüglich dieses Falles wohl noch einige Entschuldigungsgründe anführen lassen. Sollte nämlich nicht vielleicht die Möglichkeit einer gewissen Parteilichkeit dadurch hervorgenifen worden sein, dass Se- neca der stoischen Schule angehörte und Gellius sich zu der platonischen Lehre bekannte ? Sollte in dieser Beziehung nicht gerade so recht eigentlich hierher passen, was Gellius (XIV, 3) selbst über die Eifersüchtelei der Jünger des Xenophon und des Plato in Erinnerung gebracht hat? Sollte ihm vielleicht nicht etwa gar die Liebe und Verehrung für Ennius und Cicero deshalb so in Ekstase versetzt haben, weil Seneca nicht bean- standet hatte, diesen beiden grossen, von Gellius hochgeschätz- ten Geistesgi'össen tadelnd zu nahe zu treten? Gerathen nicht auch wir ausser uns, wenn heute Jemand, und sei es selbst eine Dichtergrösse , uns unseren Schiller verunglimpft, oder unseren Göthe antastet? Sollte ferner dieses unmild scheinende Urtheil nicht gar etwa dadurch mit veranlasst worden sein, weil Gellius nicht beschönigen wollte, dass Se- neca's strenge Moralpredigten mit seinem, den niedrigen Lüsten und Leidenschaften ergebenen Leben, wie allgemein bekannt war, in offenem Widerspruche stand? Ausserdem stellt Gel- lius ja doch durchaus nicht in Abrede, dass Seneca ein talent- voller und geistreicher Mann war. Auch der Umstand ist endlich noch in die Wagschale zu legen, dass Seneca's Schreib- weise sich „dem allzu Spitzen, Scharfen, Gedrängten und schwer Verständlichen" zuwandte.

Was nun die Sammlung des A. Gellius betrifft, so hat er dieselbe „attische Nächte" betitelt, weil er die Notizen dazu sich aus den besten griechischen und lateinischen Schrift- steilem während seines Aufenthaltes zu Athen in den langen Winteraächten gesammelt hatte (Vorrede § 4). Das Ganze besteht aus 20 Büchern, wie er (Vorrede § 22) selbst angibt.

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XIV Einleitang.

Leider ist aber durch die Ungunst des Geschickes das achte Buch bis auf die Inhalstangaben (Ueberschriften der Buch- abschnitte) , welche der Autor nach dem Vorgange des Pli- nius in dessen Naturgeschichte seinem Werke vorausgeschickt hatte, für uns gänzlich verloren gegangen.

Das Werk enthalt aber für Forscher und Kritiker eine Menge natzlicher, höchst interessanter und amüsant unter- haltender Aufzeichnungen von merkwürdigen Stellen aus allerlei alten griechischen und lateinischen Schriftstellern, Geschichts- schreibern, Grammatikern, Rednern, Philosophen, Juristen u. s. w., welche für den Gelehrten von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit sind, weil sich darin allerhand Antiquitäten und eine grosse Anzahl schöner Ueberreste aus solchen Werken aufbewahrt vorfinden , die zum Theil ganz verloren sind und denen heutigen Tages unsere bedeutendsten Philologen gerade eine besondere Aufmerksamkeit zugewendet haben. Finden sich doch in dem Werke, ausser anderen Quellen, nicht we- niger als 275 Schriftsteller angeführt (S. Th. Vogel: de A. Gellii vita etc.). Ausser den schriftlichen Quellen bringt aber Gellius auch noch mancherlei Erinnerungen aus mündlichen Unterredungen mit gelehrten Männern, was keinesfalls zu übersehen ist, und weshalb wir alle Ursache haben, dem Autor ftir diese Aufzeichnungen dankbar zu sein, da dieselben sonst bei keinem andern Schriftsteller vorkommen. Wenn man nun zwar auch zugestehen muss, dass in dem Werke nicht Alles von gleich hohem Werthe ist, dass manche Notizen von uns geringer veranschlagt werden, als diess einst von einem Römer geschah, so giebt die Sammlung nichtsdesto- weniger doch vielfache Auf kläning über römische Gesetze und Alteilhümer und es laufen ausserdem so «anziehende Biiich- stücke aus der Geschichte und Philosophie mitunter, dass sie jeden Gebildeten nicht ohne Interesse lassen können. Das Ideal des Gellius war eben, nach dem trefflichen Ausspruch Ludwigeines Mercklin, „eine Encyclopädie der freiesten Art nach Form und Umfang; ein Kaleidoskop, das, wo man auch hinsah, stets Nutzen und Vergnügen gewährte/'

Athmet der Stil defe Gellius auch nicht mehr die Feinheit eines Cicero oder Plinius denn er ist bisweilen dunkel und voll ungewöhnlicher harter und veralteter Wörter und

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Einleitung. XV

Ausdrücke, so dass man darin das goldene Zeitalter der la- teinischen Sprache merklich vermisst, so sind als Ent- schuldigung dafür des Autors eigene Worte anzuführen (XX, 1, 4), und der Vorwurf trifft mehr seine Zeit, als ihn selbst; theils dürfte auch (nach Von-ede § 18) nicht unerheblich er- scheinen, welchen Quellen er seine Notiz gerade entlehnte.

Alles zusammengefasst ist die Schreibweise des Gellius abgesehen von einigen Tautologieen im Ganzen und Grossen doch ziemlich einfach, fasslich und oft sogar nicht ohne treffende, witzige Wendungen: ja wenn man überhaupt mehr auf die Menge des werthvollen Stoffes, als auf den Stil allein sieht, ist Gellius vielleicht den ersten und besten römi- schen Schriftstellem getrost zur Seite zu setzen (s. Th. Vogel : de A. Gellii vita etc.). Daher haben auch der Kirchenlehrer Augustin*) und der grosse Erasmus**) ihn in den unten angemerkten Stellen nicht mit Unrecht rühmlich anerkannt. Nonius Marcellus und besonders Macrobius haben sich kein Gewissen daraus gemacht, das Werk des Gellius, ohne aber jemals ihre Quelle anzugeben, wörtlich abzuschreiben und auszubeuten.

Was endlich die planlose Ordnung der Materien betrifft, so dürfte diese wohl mit Becht den grössten Tadel verdienen, denn das Werk besteht, wie es scheint, aus allerdings viel- leicht nur absichtlich zerstreuten und erst später besonders inscenirten Bemerkungen, welche eben durch ihre gesuchte Abwechslung zur Unterhaltung und Spannung beitragen sollen. Von den Ausgaben des A. Gellius sind folgende zu erwähnen:

1469 Editio princeps v. Bomana I. fol. 1472 edit. Bom. IL fol.

1472 Veneta I. fol. 1477 IP» 1500 XH»».

1503 Bononiensis s. Beroaldiana I. fol.

1509 Veneta nova Feretrii. fol.

1515 Aldina. Parisina I. Connelli. 4.

1519 Parisina V cum scholiis Jodoci Badii Ascensii. (Des gelehrten Buchdruckers Jobst Braun oder Kästner.)

*) Augustin. de civit dei 1. IX c. 4: A, Gellius vir elegantissimi elo- quii et multae ac facundae scientiae.

**) Erasm. Adag. Chil. I. cent. 4 p. m. 143: Gellii commentariis, quibus nihil fieri potest neque tersius, neque eruditius.

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XVI Einleitung.

1526 Coloniensis L fol. 1526 II cum annott. Petri Mosellani.

1585 Parisina ed. L. Carrionis et H. Stephani.

1666 ed. Ant. Thysii, IC. et Jac. Oiselii, IC.

1706 Hauptausgabe von Job. Fried. Gronov und Jacob Gro-

nov. Lugd. B. 4., 1762 zu Leipzig neu herausgegeben

V. J. L. Conradi. 2 Bde. 1741 von Paul Daniel Longolius (Longueil) Curiae Regni-

tianae (Hof in Baiern). 8. 1824 ed. Alberti Lion. Gotting. 2 Bde. 1853 ex recens. Martini Hertz. Lips. (Teubner).

Uebersetzungen : 1789 erste französische. Paris. 3 Bde. 1820 neue franz. Uebers. von Victor Verges, mit beigegebenem Original- text. Paris. 3 Bde., später eine von Jacquinet et Favre ; dann eine von M. Charpentier et Blanchet. 1795 eine englische Uebersetzung von W. Beloe. London.

3 Bde. 1820 nach Seebod. Krit. Bibl. 1820 p. 255 soll es auch eine russische geben. Das sind in Kurzem ohngefähr die Notizen, die ich über das Leben des Aulus Gellius einleitend vorauszuschicken hatte. Mit dankerfülltem Herzen mache ich die geehrten Leser nur noch auf folgende vorzügliche, von mir verwerthete Mono- graphieen ganz besonders aufmerksam: Dirksen, Die Auszüge aus den Schriften der römischen

Rechtsgelehrten im Gellius (Berlin 1851); Fleckeisen, Zur Kritik der altlateinischen Dichterfrag- mente bei Gellius (Leipzig 1854); Mercklin, Die Citirmethode und Quellenbenutzung des

Aulus Gellius (Leipzig 1860). Ferner: Otto Ribbeck, M, Porcius Cato Censorius als Schrift- steller (Bern, Schweizer Museum. 1861). F. Ritschi, Die Schriftstellerei des M. Terentius VaiTO (Rheinisches Museum. Besonderer Abdruck. Bonn. 1847).

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VORREDE.

1. [. . . .] Andere anziehendere Schriften wird man finden können; allein der Zweck, den ich bei Abfassung dieses Werkes verfolgte, war kein anderer, als dass meine Kinder in den Freistunden, wenn sie von ihren Arbeiten geistig ausruhen und ihrem eigenen Vergnügen nachhängen können, auch sofort eine angemessene Erholungslectüre vorfinden sollten. 2. Wie ich nun die Gegenstände beim Ausziehen mir angemerkt, in derselben zufälligen Reihenfolge habe ich sie auch gleich stehen lassen. Wenn ich nun also gerade einen griechischen oder lateinischen Schriftsteller las, oder irgend etwas Wissens- werthes hörte, so zeichnete ich mir nach (eignem) Gutdünken Alles nur Mögliche (d. h. Gelesenes und Gehörtes) ohne Ord- nung und Unterschied auf und speicherte mir zur Unterstützung des Gedächtnisses eine Art Wissensvorrath in der Absicht auf, damit, wenn ich irgend einmal einen Gegenstand oder ein Wort brauchen sollte, was meinem Gedächtnisse nicht gleich gegenwärtig und die Bücher, aus denen ich schöpfte, nicht gleich zur Hand sein sollten, ich doch das Nöthige sofort auf- finden und hervorholen könnte. 3. Da ich nun die ursprüng- lichen Bemerkungen, welche den verschiedenartigen Bildungs- und Unterrichtsmitteln ihr Entstehen verdanken, kurz und ohne ordentlichen Zusammenhang verfasst hatte, so musste natürlich auch bei vorliegenden Aufsätzen eine Buntscheckig- keit der Notizen entstehen. 4. Weil ich diese Abhandlungen bereits während der langen Wintemächte auf dem attischen Landgute, wie schon erwähnt, zu meinem Zeitvertreib zu schreiben begonnen hatte, gab ich ihnen den Namen „attische Nächte", keineswegs aus (absichtlicher) Nachahmung von jenen pikanten und prunkvoll auftretenden Ueberschriften, welche viele andere Schriftsteller in beiden Sprachen ihren ähnlichen Werken

Praef. § 4. Vergl. PHn. H. N. praefat.

G e U i n s « Attische NAchte. 1

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(2) Vorrede. § 5—10.

vorsetzten. 5. Denn weil sie sich allerhand bunten und mannigfaltig untermischten Unterrichtsstoff zusammengesucht hatten, glaubten sie ebenso ausgesuchte Ueberschriften vor- setzen zu müssen. 6. Einige nun gaben ihren Schriften den Namen „der Musen (musarum)", andere den „der Wälder (silvarum)" ; Dieser überschrieb sfein Werk „das Gewand (TteftlovY, Jener seines „das Füllhorn (l^fdald^eiag -/.igagY ; dieser nannte sein Buch „Waben {yiriqiaY, ein Anderer „Wiesen (Act jucSfvcg)" ; unter dem Titel „eigner L^sefrucht (lectionis suae)" oder (Sammlung und Erläuterung) „alter Ausdrücke (antiquarum lectionum)", dann unter dem Namen „der Blüthen {avd^qüvy ^ femer auch „der Erfindungen {evqTqiiaxoivY kündigten Schriftsteller ihre Werke an. 7. Einige wählten die Aufschriften „Fackeln {lv%voiY ; ferner „Teppiche {oTQwiAaxBigY -> dann auch „Alles umfassende Schriftsammlung {navdi%%aiYi dann „Saiteninstrument (lAixcJy)", weiter noch „schwierige Aufgaben oder Fragen zur Beantwortung und Er- örterung (TCQoßlrjfAOTaY^ oder „Handbücher {BYxBiqidtaY und „Dolche {7taqa^iq>iäegY ' 8. Dann braucht Einer die Auf- schrift: „Denkwürdigkeiten (memoriales)" ; „Hauptsächliches {nqay^(niyLaY\ „Nebensächliches {TtaqeqyaY \ „Wissenswerthes (<Ji^a<ncaXfxa)" ; ferner kündigt Einer (sein W^erk mit dem Titel) an : „Naturgeschichte (historia naturalis)" ; dann Einer „allgemeine Weltgeschichte (TtavTodaTti] Icrroptai"; ferner „Wiese (pratum)", oder „Fruchtallerlei (TtayxaqTtogY und „Be- weisstellen (tottoO". 9. Viele nannten ihre Schriften: „Noti- zensammlung (conjectanea)", Einige gaben ihnen den Titel „moralische Briefe (epistulae moralicae)", oder „Untersuchun- gen in Briefform (epistulicae quaestiones)", oder auch „zer- streute (oder vermischte) Untersuchungen (confusa^)", und so finden sich noch weit drolligere Ueberschriften, denen man geradezu das Ausgeklügelte anriecht. 10. Im Gefühl meiner bescheidenen Fähigkeit gab ich diesem Buche die ungesuchte,

Gell, praef. § 6—10. S. Citiennethode und Quellenbenutzung des Gellius von Ludwig Mercklin. Leipzig 1860.

„unter den von Grellius zusammengestellten 30 Büchertiteln lassen Bicb etwa nur die Hälfte der Verfasser ermitteln, von denen er selbst nicht yiel- mehr als 10 in seinem Werke citiert''. Alphabetisch geordnet sind es folgende : Id/jaX&eiag x^qae (FüUhom) pr. § 6 nannte Sotion s. Buch,

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Vorrede. § 10. (3)

pranklose, ländlich einfache Ueberschrift „attische Nächte,^ nach der Zeit und dem Orte meiner Studien während der Winternächte, und gerade so wie ich allen andern Schrift-

GeD. I, 8, 1. vergl. 18, 6, L; 14, 6, 2. idfr^ij^o (Blüthen) pr. 6 ist bei Gellius nicht nachzuweisen, vergl. Flin. XXI, 9, wo es heisst: bei uns gaben Einige ihren Büchern den Titel Blumenlese (avdoXoytxtjv^ d. h. Auswahl nützlicher Sprache und schöner Gedanken). Conjectanea (Notizen- Sammlung) pr. 9 dtiert GelL n, 24, 2 von Atg'us Capito und YU, 5, 1 ?on Alfenus Varus. /fi^aaxaiixa (scenische Winke) pr. 8, eine Schrift des lateinischen Dichters L. A. Accius, wahrscheinlich m, 11, 4. *Eyx€tQ^^ta (Handbücher) pr. 7 jedenfalls des Epiktetos. 'EXixmv (Saiteninstrument) pr. 7 bleibt herrenlos. Epistulae morales (mora- lische Briefe) pr. 9 von Seneca, Gell. XII, 2. 3. EvQrifiara (Erfin- dungen) praef. 6 schrieb Aristoteles, Theophrast und der von Gellius IX, 4^ 3 ohne Buch dtierte Philostephanus [und Ephorus]. Historia naturalis (Naturgeschichte) pr. 8 des Plinius ist eine der von Gellius direct benutzten Quellen Die nnvro^anii iarogfa (allgemeine 'Weltgeschichte) praef. 8 von Favorinus, welche Diogenes Laertius oftmals nennt, hat Gellius ohne Zweifel gekannt und stark benutzt KriQCa (Waben, Honigscheiben) pr. 6 unbestimmt. Lectiones antiquae (Sammlung und Erläuterungen alter Ausdrücke) pr. 6 lassen sich zurück- fähren auf Caesellius n, 16, 5 und auf Yelius Longus XYHI, 9, 4 (in commentario de usu antiquae lectionis). Herrenlos bleiben die Bücher lectionis suae (eigner Lesefrucht) pr. 6. A^i^uivis (Wiesen) pr. 6, ein Buch, welches mancherlei angenehme Sachen enthält, wie die Wiese viel Kräuter und Blumen. Unter diesem Titel hatte der Aristarcheer Pamphilus eine Schrift verfasst, desgleichen auch Cicero eine in Yersen, literarhistorischen Inhalts, endlich soll auch noch ein Werk des Gellius diesen Namen geführt haben. Avxvoi, (Leuchten) pr. 7 unbekannt Libri memoriales (Denkschriften) pr. 8 zurückzufiihren auf Masurius- Sabinus Y, 6, 13 und YU, 7, 8, auf den vielleicht auch die vetus memoria XY, 4, 1 (vergL Plin. H. N. YH, 135) und die veteres memoriae lY, 6, 1 zurückgehen. Musae (die Musen) pr. 6, bei denen man nicht an lierodot, noch an den Hhetor Bion (s. Diog. Laert im Bion) wird denken woUen, fuhren auf Aurelius Opilius I, 25, 17, der diesen Titel und die Zahl der 9 Bücher daher ableitete, weil seiner Meinung nach Schriftsteller und Dichter unter dem Schutze der Musen stehen. Yergl. Suet de gramm. 6. llayxaQTiog (Fruchtallerlei) pr. 9 von unbekanntem Yerfasser. Tltev^^xTtti (Sammlung, die Alles enthält) pr. 7. Ein Schriftwerk des Tullius Tiro. Gell. XHI, 9, 3. naQn^i.if((5is (Dolche) pr. 7. Die Zu- sammenstellung mit (yxHQtSia lässt vermuthen, dass dies Wort in der- selben Bedeutung zu fersen sei, wie bei Simplic. comm. in Epicteti Enchir. prooem: „es fuhrt den Titel Handbuch, weil es denen, die tugendhaft zu leben begehren, stets zur Hand und in Bereitschaft sein soll, wie ein Soldat allezeit seinen Dolch zur Hand haben muss'^. ^^ JlttQiQya (Ne-

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(4) Vorrede. § 10. 11.

stellern, was Sorgfalt und Feinheit anbetriflft, in dieser meiner Schrift nachstehe, eben so sehr stehe ich ihnen auch nach in dem Ruhm und Verdienst um diese meine Aufschrift. 11. Bei meinen Bemerkungen und Auszügen (von Gegenständen) bin ich auch nach einem ganz andern Plane verfahren, als. alle meine Vorgänger. Denn da sie Alle, vorzüglich aber die Griechen, sehr viel und das Verschiedenste lasen und jedweden Gegenstand, der ihnen zufällig in die Hände kam, unbesorgt und so zusagen ohne Wahl und Unterschie*d (aufrafften und) verwendeten, weil es ihnen vorzüglich nur um die Menge (des Stoffes) zu thun war, so wird bei ihrer Leetüre die geistige Aufmerksamkeit durch Abspannung und Langeweile schon vorhßr ermüdet, ehe man das eine oder andere gefun- den haben dürfte, woran man sich beim Lesen ergötzen, oder

bensächliches) pr. 8 herrenlos. II in log (Gewand) pr. 6 des Aristoteles vom öellius nicht genannt, aber vielleicht benutzt III, 11, 6. JTQay- jLiaTixa (Geschäftliches) pr. 8 des Dichters L. Accius, dtiert XX, 3, 3, seine ^i^aexaXixa sind wahrscheinlich III, 3, 1 gemeint. Pratum (Wiese) pr. 8, lateinische Nachbildung des griechischen Titels htfjtov^ ein Werk des Suetonius. IlQoßlrifxaTtt (Aufgaben) pr. 7 gründliche Erörterung und Auflösung zweifelhafter, schwieriger Fragen von Aristoteles, welche GeUius öfter benutzt hat. Quaestiones confusae (vermischte, zer- streute Untersuchungen) pr. 9 von Julius Modestus, dem griechischen Titel -entsprechend: uiqiato^ivog iv tois anoQd6riv Diog. Laert. I, 9, 2. Quaestiones epistulicae (Untersuchungen in Briefform) pr. 9 von Varro (vulgo Catonis) Vi, 10, 2 und XIV, 8, 2 (vergl. II, 10), von Valgius Rufus (de rebus per epistulam quaesitis) XII, 3, 1 (von Sulpicius Apolli- naris Xni, 8, 3; s. Unger de Valgio S. 163 und L. Mercklins Abhandlung über die isagog. Schriften der Römer im Philol. IV, S. 422 ff.). Silvae gehören vielleicht Valerius Probus (Suet. de gramm. 24) oder Atejus Philologus (Suet de gramm. 10), Gellius verschweigt die Namen. Eine Defi- nition der Silva gibt Quinct. X, 3, 17. Der spätere epische Dichter Publius Papinius Statins, der Liebling Domitians hatte auch ein Werk unter diesem Titel verfasst (s. Teuffels röm. L. G. 316). ZxqtafiaTiig (Tischdecken, Teppiche) praef. 7 höchst wahrscheinlich die von Caesellius Vindex, nach Lersch (Z. f. d. AW. 1843, S. 1103), wiewohl es deren auch von Plutarch gab. Denselben Titel verwerthete auch der spätere Clemens Alexandrinus. To TT ot (Beweisstellen, Gemeinplätze) pr. 8, unter diesem Titel schrieb nach Diogenes Laettius eine Schrift Chrysippus und Strato von Lampsakus.^ praef. § 11. alba linea (sine cura discriminis) convertere (auf weisser Tafel) mit weissem Strich verwenden und anmerken. Vergl, Lucil. bei Non, 282, 28, und Plutarch „über die Geschwätzigkeit" 22 Xivxn ora&fiTf i. e. nachlässig, undeutlich.

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Vorrede. § 11—13. (5)

nach dessen Lecttire man sich geistig bereichert fühlen, oder dessen Eenntniss Jemandem überhaupt irgend wie vom Nutzen sein könnte. 12. Da mir aber jenes in der That (wahre) Wort des höchst berühmten Heraclit von Ephesus" am Herzen lag, das da heisst: {jtoXviia&iri voov ov didaa-^ei, d. i.) „Viel- wisserei lehrt (erzeugt) nicht Vernunft (höchste Intelligenz)," so habe ich bei jeder nur vorkommenden Geschäftsunter- brechung, wobei es möglich wurde, mir einige freie Augenblicke abzustehlen, mich durch Mühe und Anstrengung wahrUch nicht abhalten lassen, eine nicht geringe Anzahl von Werken nach- zuschlagen und durchzusehen. Daraus entnahm ich aber wenige und gerade nur solche Gegenstände, die rasch zugäng- lich und unabhängigen Köpfen auf leichtem und kürzestem Wege Anregung zum Verlangen nach anständiger schicklicher Bildung und zum Geschmack an nützUchen Kenntnissen. ge- währen könnten, oder Leuten, die im Leben durch ander- weitige Berufsgeschäfte in Anspruch genommen sind, eine Gelegenheit böten, sich wenigstens vor dem gerechten Vorwurf schimpllicher, roher Unwissenheit zu bewahren. 13. Weil nun aber in dieser Aufsatzsammlnng einige wenige zweifelhafte Stelleli und kleinlich genaue Bemerkungen, entweder aus der Grammatik, oder aus der Dialektik, oder endlich auch aus der Geometrie mit unterlaufen, und weil auch wenige, noch mehr fern hegende Erläuterungen über die Rechte der Wahrsager und Oberpriester vorkommen werden, so braucht man (des- wegen) diesen Bemerkungen doch noch lange nicht (ängstlich) auszuweichen, gleich als sei ihre Kenntniss von keinem Nutzen, oder gar das Begriffsvermögen übersteigend. Denn ich habe mich bei diesen Gegenständen nicht in die verborgensten Tiefen der Untersuchungen verstiegen, sondern mich nur darauf beschränkt, einen ersten Versuch und gleichsam einen Vorgeschmack von den freien Künsten und Wissenschaften zu

praef. §. 12. lieber Herakleitos {axoTuvog) der Dunkle hat Schleier- macher in F. A. Wolfs Museum der Alterthumswissenschaft geeignet und ausfilhrlich geschrieben I, 3, pag. 322 326. Desgl. Schleiennacher in Wolf und Buttm. Museum der Alt. W. I, 3, p. 452. S. ausserdem Lassalle's Herakleitos, Bd. II, p. 308. Ein Fragment des Aeschylos lautet

o j^Qijoifi iMtug, oifX o nolX* «Mw? aoipogy d. h. Rechtwissen, nicht Vielwissen macht den Weisen aus. Vergl. Senec. de brev. vit 13, 3; epp. 88, BS.

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(6) Vorrede. § 13—17.

geben, von denen weder Eenntniss genommen, noch sich je- mals mit ihnen befasst zu haben, einem nur leidlich unter- richteten Mann, wenn auch nicht gerade Schaden bringen kann, so doch ganz gewiss nicht zum Ruhm gereicht. 14. Sollte Einen oder den Andern, wenn es seine Zeit erlaubt, vielleicht die Lust anwandeln, diese meine anspruchslosen Nachtgedan- ken sich einmal näher bei Lichte zu betrachten, an solche nun möchte ich die dringende Bitte stellen, das, was ihnen beim Lesen als längst nicht mehr fremd vorkommt, nicht gleich als Gewöhnliches ui^d allgemein Bekanntes unbeachtet zu übergehen. 15. Denn (zwei Dinge wird man hier in Anschlag bringen müssen): was steht wohl einerseits so vereinzelt in den Wissenschaften da, dass es nicht schon geistiges Gemein- gut Mehrerer sei? Andererseits dürfte es (für mich) schon ein schmeichelhaftes Zugeständniss sein (wenn es von meinem Buphe heisst), dass es doch nicht lauter solche Bemerkungen sind, die weder in den Schulen abgedroschen noch inl(ander- weitigen) Abhandlungen bereits breit getreten sind. 16. Sollte man femer gar auf etwas Neues und noch wenig Bekanntes stossen, so darf ich billigermassen wohl verlangen, dass man ohne sdle weitere Missgimst erst \^ohl prüfe, ob diese wenigen und kurzen Bemerkungen doch keineswegs entweder zu dürftig sind, um das wissenschaftliche Streben unterhalten, oder zu frostig, um den Geist ergötzen und erwärmen zu können, sondem ob sie am Ende doch den Samen und die Art in sich tragen, um eine Pflanzstätte zu werden zur grossem Entwickelung persön- licher Anlagen, zu kräftiger Unterstützung des Gedächtnisses, zur grossem Fertigkeit im Sprechen, zur Reinigung (und Vervollkommnung) der Ausdmcksweise, oder zum edleren Er- götzen in der gewöhnlichen Unterhaltung, wie bei wissen- schaftlichem Austausch. 17. Bei den Gegenständen aber, die etwa weniger verständlich zu sein scheinen, oder überhaupt gar eine giündliche TJnterweisung vermissen lassen, muss ich die Bitte wiederholen und zu bedenken geben, dass ich sie ebensowenig in der Absicht einer gründlichen Belehmng, als einer Zurechtweisung veriasst habe, und dass dem freien Willen derer, die schon mit der Angabe der Quellen zufrieden sind> es ganz überlassen bleibt, ob sie sich hernach noch darüber entweder aus Büchern oder von Lehrern Raths erholen wollen.

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Vorrede. § 18—20. (7)

18. Die vermeintlichen Fehler aber mag man, sollte ja Einer den Math haben, denen zur Last legen, woraus ich sie ent- lehnte; auch mag man nicht gleich so ohne Weiteres darüber aufgebracht werden, wenn man bei einem andern Schriftsteller Widersprechendes liest, sondern man möge auf der einen Seite die Gründe für die Gegenstände und andererseits das An- sehen der Schriftsteller genau abwägen, die sich Andere, oder die ich mir zur Richtschnur wählte. 19. Wer aber beim Lesen, Schreiben, Nachdenken nie weder den Eindruck der Freude oder der Mühe empfunden hat, wer nie unermüdlich manche Nacht ähnlich zugebracht, noch sich irgend wie durch Wetteifer, durch Meinungsaustausch unter geistigen Gesin- nungsgenossen gehörig ausgebildet hat, sondern sich stets von der Unruhe der Berufsgeschäfte ganz hat in Anspruch nehmen lassen, für den wird es das Allerbeste sein, dass er alles Nachdenken und Schreiben unterlässt, diesen Nachtarbeiten fem bleibt und sich andere Beizmittel aussucht. Ein altes Sprüchwort sagt: Die Krähe weiss nichts vom Lautenschlag, das Schwein weiss nichts von Majoranpomade. 20. Um aber den Zorn von einigen albernen und neidischen Menschen, denen kein wissenschaftliches Urtheil zusteht, noch mehr zu erregen, will ich aus einem aristophaneischen Chor einige wenige aus Anapästen bestehende Verse entlehnen und die Bedingung, welche jener höchst launige, geistvolle Mensch denen stellte, die sein Stück mit anzusehen beabsichtigten; dieselbe Bedingung mache ich mir bei denen aus, welche die Absicht hegen, diese Aufsätze zu lesen, damit jener Menschen- schlag, dem nichts heilig und geweiht erscheint und der (jedem

r-

praeü § 19. vigUare (^mit homogenem Object) vigüias, cfr. Gell. 1, 1, L und 17, 19, 6 vivere vitam; 1, 12, 5 servire servitutem; 2, 6, 18 nominare nomen; 2, 11, 4 triomphare triumphos; 9, 9, 15 gaudere gaudiam; 9, 11, 10 statuere statuam; (9, 15, 9 involvere voIumina): 10, S, 19 pugnare pugnam; (10, ;i6, L. errati errores); (10, 18, L. de certamine decertatum est); 10, 19, L. peccare (peccata); 18, 13, 4 ludere lusum; (18, 15, L. observare rem— -coriosae obseryationis).

prae£ § 19. nihil cum fidibus graculo, nihil cum amaracino sui d. h. der Gimpel gehört nicht ans Ciavier; die Sau gehört nicht ans Spinn- rad (oder nicht an den Putztisch), oder was nützt der Kuh Muskatennnss.

praef. § 19. qjusdem Musae aemuli d. h. die nach gleichem Bildungs- ziele ringen, oder unser: die in eine Schule gegangen sind.

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(8) Vorrede. § 20—25.

geistigen Austausch,) jedem wissenschaftlichen Zeitvertreib den Bücken kehrt, dieselben (Aufsätze) weder berührt noch gar hineinsieht. 21. Die Zeilen, welche diese gestellte Bedingung enthalten, lauten also:

Ohn' Störung, schweigend soll weichen hinweg von der Feier unseres Festes, Wer solcher Erheitrung zugänglich nicht ist und nicht unverdorbenen

Herzens, Nie beigewohnet der Feier geistgen Ergötzens, noch je sie voUziehn half. Ihnen ruf' ich's und wieder zuruf ' es und wieder zum dritten vernehmlich

zuruf ich's: Zu entweichen vom heiligen Reigen hinweg. Ihr aber nun schickt euch

zum Spiel an, Auf beginnet die nächtliche Feier, wie schicklich das heutige Fest sie uns

vorschreibt

22. Bis heute habe ich von diesen Aufsätzen 20 Bücher voll- endet. 23. Aber so lange mir der Götter Wille noch das Leben schenkt und so viel Zeit mir die Verwaltung meines Haus- wesens und die Sorge für Pflege und Erziehung meiner Kinder übrig lässt, alle diese Augenblicke, welche so nebenher von meinen Berufsgeschäften abfallen, will ich dazu verwenden, mehr dergleichen kurze und ergötzliche Erinnerungblätter zu sammeln. 24. Es wird also die Zahl der Bücher, unter der Götter gnädigem Beistand, mit der Anzahl der^ Lebensjahre, wie viele es auch sein mögen, gleichen Schritt halten, und ich wünsche nicht, däss mir ein längeres Lebensziel gesteckt sein möge, als ich mich noch im Besitze der vollen Kraft zu schrift- lichen Entwürfen fühlen werde. 25. Das Inhaltsverzeichniss, worin die Hauptpunkte jedes Aufsatzes angegeben sind,- füge ich hier insgesammt der Reihe nach bei, damit man schon hier gleich klar und deutlich erkennen kann, in welchem Buche irgend ein betreffender Gegenstand zu suchen und zu finden sei. (Diese Inhaltsangaben der Abschnitte hier zu wiederholen, können wir uns deshalb ersparen, weil sie schon vor jedem einzelnen Abschnitt angegeben sind.)*

praef. § 21. Aristoph. Ran. 354 etc. Vergl. Priscian.s ed. Krehl. 18, 21, 175 und 18, 25, 213; Plut. mor. „ob die Athener berühmter durch Krieg oder Gelehrsamk." p. 348.

praef. § 25. * Da diese Vorrede hier an der richtigen SteUe, d. h. zu Anfang des GeUius steht und nicht, wie in einigen Ausgaben, am Schluss, so fallen die eingeklammerten Worte weg.

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1. BUCH.

I, 1, L. Angabe des Plutarch, nach welcher Verhältnissgleichung und

4iirch welche Berechnungen der Philosoph Pythagoras zum Schluss kam,

um herauszubringen, wieyiel die Körpergrösse des Hercules betrug, als er

noch unter den Menschen lebte.

I, 1. Cap. 1. In dem Buche, worin über die geistigen und körperlichen Anlagen und Vorzüge des Hercules, so lange er sich unter den Menschen befand, uns Plutarch ausführ- lich. Bericht erstattet, macht er uns mit der sinnig feinen Axt und Weise bekannt, deren sich der Philosoph Pythagoras bediente, um durch Ausmessung die Grösse aufzufinden, die diesen Helden (vor Andern) auszeichnete. 2. Da es nämlich

I, 1, L. Plutarch von Chaeronea in Boeotien, griechischer Schrift- steller, Geschichtsschreiber, Kunstrichter, geboren 50 n. Chr., studirte eine Zeit lang in Athen und bezeichnet selbst den Ammonios als seinen Lehrer in der Philosophie, dessen Lebensbeschreibung er auch verfiässt hat. Er unternahm mehrere Reisen, vens^eilte dann in Rom, wo er Hadrians Lehrer wurde. Unter Tn^an und Hadrian erhielt er Staatsämter. Er soll auch eine Lebensbeschreibung des Homeros verfasst haben. S. Gell. II, 8, 1. Sein Tod fallt in die ersten Regierungsjahre Hadrians um 120 n. Chr. Er schrieb Biographieen und unter dem Titel : Moralia, eine Aufsatzsammlung sehr mannichfaltigen Inhalts.

I, 1, L Der Philosoph Pythagoras von Samos, des Pherecydes Schüler, geb. 584 und gest. 504 v. Chr., war ein Mann von ausserordent- licher Tiefe des Geistes und ausgezeichneter Beobachtungsgabe. Er hielt sich 22 Jahre in Aeg}'pten auf und entnahm daher aus den orientalischen Culten und Geheimlehren seine Weisheit. Bei seiner Rückkunft fand er sein Vaterland unter der Herrschaft des Polykrates und ging deshalb nach Eroton im untern Italien, dem heutigen Calabrien, woselbst er eine eigene Schule errichtete, welche daher die italische heisst. Er lebte zur Zeit des letzten römischen Königs Tarquinius (s. Gell. 17, 21, 6), erfand den wich- tigen Lehrsatz von dem Quadrat der Hypotenuse. Ueber seine Lehrart s, GelL I, 9.

I, 1, 2. Pisa, alte Hauptstadt von Elis, dem Reiche des Pelops, welches dieser dem König Oenomaos im Wettrennen durch Myrtilos Bei- hülfe abgenommen. Von den Spartanern zerstört, erwuchs aus den Ruinen

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(10) I. Buch, 1. Cap., § 2. 3. 2. Cap. L.

für ausgemacht galt, dass die zu Pisa beim olympischen Jupiter sich befindliche Laufbahn, deren Länge 600 Fuss betrug, Hercules mit seinen eignen Füssen (Schritten) aus- gemessen, femer (bekannt war, dass) auch die übrigen, in Griechenland später von Andeni enichteten Laufbahnen, zwar ebenfalls die gleiche Zahl von 600 Fuss betragen haben, nur dass sie etwas kürzer waren, so fand Pythagoras durch Zu- sammenstellung des gleichen Verhältnisses sehr leicht folgen- des Ergebniss heraus, dass, um wie viel (verhältnissmässig) die olympische Rennbahn länger als alle andern gewesen sei, um so viel gi-össer müsste auch die Fusslänge des Hercules gewesen sein, als die andern. 3. Da nun nach einem natür- lichen Gesetze die Glieder des menschlichen Körpers in einem Verhältniss der Uebereinstimmung zu einander stehen, und Pythagoras bereits das Maass vom Fusse des Hercules aus- findig gemacht hatte, so konnte er auch genau angeben, wie viel nach diesem Maasse die Körperlänge betragen haben müsse, und so gelangte er zu dem folgerichtigen Schluss, dass, um wie viel die olympische Rennbahn, bei gleicher Anzahl Schritte, doch gi-össer als alle übrigen gewesen sei, um so viel sei Hercules an Körpergestalt stattlicher als Andere gewesen.

I, 2, L. Der höchst berühmte (durch die consularische Würde aus- gezeichnete) Herodes Atticos führt einen jungen, grossprahlerischen und ruhmredigen Menschen, nur dem Scheine nach ein Anhänger der Philo- sophie dadurch ab, dass er (mit Beziehung auf den albernen Menschen) gelegentlich des Stoikers Epictet eigne Worte zum Besten geben lässt, worin auf eine launige Art der Unterschied angegeben ist; der zwischen einem wahren Stoiker und zwischen der Masse der geschwätzigen Dunst- macher stattfindet, die sich nur den Namen der Stoiker anmassen.

I, 2. Cap. 1. Herodes Atticus, ein Mann mit der Gabe gidechischer Wohlredenheit ausgestattet und betraut gewesen

der Ort Olympia, wo aller 4 Jahre zu Ehren Jupiters die berühmten Spiele abgehalten wurden. Cfr. Paus an. V, 7, 7.

I, 1, 3. Nach Annahme der Bildhauer betrügt die ganze Höhe des menschlichen Körpers 6 mal soviel, als die Länge unter dem Fusse. Nach Tansanias war Hercules 4 Ellen und 1 Fuss lang; nach ApoUodor soll er 4 Ellen hoch gewesen sein und f&rchterlich ausgesehen haben, nie ver- gebens einen Pfeil abgeschossen oder seinen Wurfspiess gebraucht haben. Er galt als das höchste Ideal griechischer HeldenkrafL

I, 2, L. C. V. entweder darissimus vir (wie in § 1) oder Consularis vir.

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L Buch, 2. Cap., § 1—3. (H)

mit der Consulswürde, pflegte uns sehr oft, als ich zu Athen Unterricht genoss^ auf seine in der Nähe dieser Stadt gelegenen Landhäuser einzuladen, mich und den sehr berühmten Servilian und mehrere andere meiner Landsleute, die (gleich mir) zum Zweck der Vervollkommnung ihrer geistigen Ausbildung von Born nach Griechenland gegangen waren. 2. Gerade zu der- selben Zeit nun, als wir sowohl während des heissen Sommers als auch zur Erntezeit^ während der grössten Hundstagsgluth, bei ihm auf seinem Landgute, welches in einer quellenreichen Aue lag und Cephisia hiess, verkehrten, machten wir uns die lästige Gluth vergessen durch lange, behagliche Spaziergänge in den weiten, sdiattenreichen Wäldeni, durch den Gebrauch von den krystallreinen, tibervollen und spiegelhellen Bädern in der erquickenden Lage des Hauses, durch den Liebreiz des ganzen Landgutes, der laut für sich selber sprach in dem Wohlklang, welchen das Rauschen der Wasserfälle und der Vögel Gesang verursachte. 3. Wir trafen ebendaselbst oft mit einem jungen Menschen zusammen, einem Anhänger der Philosophie und zwar, wie er selbst angab, der stoischen Schule,

I, 2, 1. Tiberias Claudius Herodes Atticus von Marathon, jenem durch die Schlacht des Miltiades berähmten griechischen Ort Er lebte im 2. Jahrh. «nd seine Lehrer waren Favorin und Secundus von Athen. Er besass nnermessliche Beichthümer, welche er nach dem Wortlaut seines Bio- graphen (Philostratus) so zweckmässig anzuwenden wusste, dass der blinde Gott Pluttts bei ihm gleichsam sehend wurde. Der Kaiser Titus Antonius übertrug ihm die Erziehung der zu seinen Nachfolgern bestimmten Prinzen, des Marcus Aurelius und Lucius Yerus. Wegen seiner grossen Redner- gabe hiess er „Zunge der Hellenen'', König der Beredtsamkeit S. Pausan. I, 19, 6; Philostr. vit. soph. ü, 1, cap. 5 und 6. Gell. 9, 2; 19, 12. Yergl. Lucian im Leben des Demonax.

1,2, 1. Clarissimus vir ohngefähr unser „erlaucht'', stehender Titel hoher Staatspersonen.

I, 2, 2. cfr. GeU. 18, 10.

I, 2, 3. Auf den Grund der cynischen Philosophie baute Zeno von Citinm auf der Insel Cypem, Schüler des Stilpo, Krates und Xenokrates, 340 Y. Chr. das System der stoischen Philosophie, welches nach der (aroa noucUti, Gemälde-) Halle, wo er lehrte, seinen Namen erhielt. Er lebte gleichzeitig mit Epicur, stand in hoher sittlicher Achtung und starb in hohem Alter. Seine Schriften sind nebst den Werken der ersten Stoiker verloren gegangen.

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(12) I. Buch, 2. Cap., § 3. 4.

aber entsetzlich geschwätzig und aufdringlich. 4. Dieser hatte die Gewohnheit beiln Mahle in der Unterhaltung, die gewöhn- lich nach dem Essen geführt wurde, entsetzlich viel über die Lehren und Grundsätze der Philosophie auf unpassende und ungeschickte Art auszukramen und erklärte ganz unverhohlen, alle Andern, die Muster attischer Beredtsamkeit, das ganze römische Volk und Alles, was lateinisch heisst (also alle Grie- chen und Römer zusammengenommen,) seien, ausser ihm allein, unwissende und ungebildete Menschen, und dabei machte er sich gewaltig breit mit ziemlich unbekannten Ausdrücken, mit dialektischen, verfänglichen Vemupft- und Trug-Schlüssen und erklärte ganz offen, alle Arten Räthsel, sie möchten heissen, wie sie wollten, die gewaltigen (TcvQievovzeg)^ die ruhigen (rjovxatovzeg) und die Kettenschlüsse (awQeizat) könne Nie- mand (so gut) als nur er allein lösen. Die Sittenlehre, das Wesen und der Entwickelungsgang des menschlichen Geistes, der Urquell der Tugenden und die mit ihnen im Zusammen- hang stehenden, oder ihnen entgegenlaufenden Verpflichtungen, ferner die Nachtheile durch Krankheiten, die Berückungen durch Laster, sowie die Makel der Seele, Alles das seien Dinge, worüber Niemand gründlicher nachgedacht und worin, wie er allen Enistes behauptete, Niemand mehr zu Hause

I, 2, 4. Vielen war es nicht darum zu thun, sich deshalb mit Philo- sophie zu beschäftigen, um weiser und sittlicher zu werden, sondern nur um sichjelnen äusseren Schliff und die Fertigkeit anzueignen, durch geist- reiches Geschwätz und durch den Schein von Gelehrsamkeit Andere zu verblüffen. Vergl. Geü. I, 9, 10; Plutarch mor. Schrift „vom Hören" 7, 8; über den Fortschritt in der Tugend 8; Epictet. diss. I, 26, 9. 16; II, 21, 8 23. KvQi€v(ov (Kyrieuon) d. h. „der gewaltige, herrschende, ge- bietende", eine syUogistische Trug-Schlussart^ über die Näheres nicht be- kannt. S. Diog. Laert. I, 108; Luc. vitar. auct. 22; Gesundheitsvor- schriften 20; Plut. über die gemeinen Begriffe, wider d. Stoiker, 24. fjavx^Cf^v (Hesychäzon), „der ruhige (schrittweise) Schluss", von ^ai'/al«*»', sich ruhig verhalten. Die Anhänger des Chrysippus brauchten dafür auch die Ausdrücke laraa^ai und in^x^tv' S. Sext. Emp. adv. mathem. YII, 416; Pyrch. \iy^: lü, 80. Vergl. Hör. Ep. II, 1, 45 ff. Pers. Sat. 6, 79. ooiQiiTfig (Sorites von oojqos, Haufe), di^enige Art des Sophisma, in welchem aus dem, was ohne Widerspruch wahr ist, durch Fragen etwas Falsches und Ungereimtes abgeleitet wird. Ihn verwerthet Hör. Ep. U, 45-47 und Persius VI, 79. S. Cic. Acad. II, 40. 49; de Div. 4. (Jacobs).

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L Buch, 2. Cap., § 5. 6. . (13)

sei, als er. 5. Die Ruhe und der Genuss des Lebensglückes, in dessen vollem Besitz er sich zu befinden meinte, könne^ nach seiner Ansicht, durch Martern, durch körperliche Leiden, selbst durch drohende Todesgefahren weder unangenehm be- rührt, noch vermindert werden, und es wäre kein Kummer (und keine Sorge) im Stande, bei einem ächten Stoiker die Heiterkeit in Miene und Blick zu umwölken. 6. Da dieser (aufgeblasene) Mensch nun mit solch eitlem Geprahle unauf- hörlich sich breit machte (so dass Niemand zu Worte kommen konnte) und Alle, seines ermüdenden Geschwätzes herzlich überdrüssig, schon sehnlich auf ein Ende harrten, so fing Herodes (Atticus), wie es grösstentheils seine Art war, an griechisch zu sprechen und sagte (zu ihm): Da du, der Philosophen Hochansehnlichster, uns ganz unumwunden für unerfahrene Laien erklärst und wir dir als solche folglich nicht mit einer passenden Erwiederung dienen können, so

I, 2, 6. Epictet wurde etwa 50 Jahre nach Chr. zu Hierapolis in Fhrygien, körperlich schwach, aber geistig tüchtig, im Sklavenstande gehören. TergL Gell. II, 18, 12. In seiner Jugend wurde er auf einem Beine durch dn schlecht geheiltes Geschwur hinkend. Epaphroditus, ein Freigelassener Keros, wollte Spasses halher sehen, wie sein hinkender Knecht Epictet bei Schlägen springen würde. Er schlug ihn derb aufs Bein; Epictet erinnerte ihn höchst ruhig, er I würde ihm das Bein zerbrechen. Die Schläge wurden verdoppelt und das Bein zerbrach wirklich. Mit grösster Fassung sagte Epictet: habe ich es euch nicht gesagt, dass es zerbrechen würde. Diese Standhaftigkeit brachte ihm die Freiheit. Sein Herr liess ihn zu Bom durch Musonius Rufus (Gell. V, 1, 1. NB.) unterrichten. Ganz eingenommen für die stoische Lehre, suchte er dieselbe in Rom zu verbreiten, doch ohne besonderen Erfolg. Als 94 n. Chr. auf Befehl Domitians (Gell. 15, 11, 5) alle Philosophen Rom verlassen mussten, ging er nach Nicopolis in Epirus, kam aber nach dessen Tode nach Rom zu- rück und starb in hohem Alter. Seine Lehre war einfach wie sein Cha- rakter, sie hiess: naturgemäss leben und dem Gewissen als höchstem Gesetze gehorchen, und gipfelte sich in den kurzen Worten: av^^^v xal an^X^Vj leide und meide also in der Aufforderung der Duldung und Ent- haltsamkeit. Cfr. Gell. 17, 19, 6.

I, 2^, 6. Flavius Arrianus, ohngefähr 100 Jahre n. Chr. zu Nicomedien in Bithynien geboren, war Historiker, Philosoph, Geograph und Taktiker und der LieblingssQhüler Epictets, dessen Handbuch er herausgab, wie auch 8 Bücher über die mündlichen Vorträge seines Lehrers unter dem Titel: Epictets philosophische Unterredungen, von denen nur noch 4 übrig sind.

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(14) I. Buch, 2. Cap., § 6—9.

erlaubst du uns wohl, dir aus einem Buche Epictets das an- zuführen, was dieser grösste aller Stoiker über eure Gross- sprecherei gedacht und oifen ausgesprochen hat, und sogleich liess er das (erste, oder vielmehr das) zweite Buch der von Aman gesammelten und geordneten Vorträge des Epictet herbeiholen, worin dieser ehrwürdige Greis allen den jungen Leuten mit wohlverdientem Tadel scharf auf den Leib rückt, die, ohne dass weder ihre Tugend noch ihr Eifer stichhaltig ist, sich doch den Namen der Stoiker anmassen, obgleich sie weiter nichts thun^ als nur in kleinlich unnützen Grübeleien und im Kinderschulkram ihr (Mund- und) Plapperwerk üben. 7. Es wurde also aus dem herbeigeholten Buche die von mir hier beigefügte Stelle sofort vorgelesen. In deren Wortlaut entwickelt Epictet mit höchster Strenge, aber nicht ohne Laune, das Bild von einem wahren, ächten stoischen Weisen, der ohne Zweifel (allein nur) für unerschrocken {a7C(üXvtog\ stand- haft und unbezwinglich (avavdyKaarog), für vollkommen unbe- fangen (aTtagaTtodiazog), für fi'ei und unabhängig (ilev&e^g\ für wahrhaft reich (evnoQwv) und für wahrhaft glücklich (evdaifiovwv) gehalten werden kann, trennt und unterscheidet nun aber von diesem die ganze andere Sippe von Dunst- machern und Windbeuteln, die sich ja nur Stoiker benamsen und die durch Herumwerfen mit Phrasen und Spitzfindigkeiten, wovon es ihren Zuhörern ganz schwarz vor den Augen wird, das Glaubensbekennt'niss zu dieser heiligen Lehre nur erlügen und erheucheln. 8. „Steh' mir Rede und Antwort (was du für Begriffe hast) über das Gute und Böse. Höre mich also :

Gleich von Ilion fort trug der Wind mich zur Stadt der Eikonen. 9. Von allen vorhandenen Dingen (in der Welt) sind einige gut, andere böse, andere aber sind (gleichgültige, unwichtige) Mitteldinge {adidfOQo). Gut sind nun die Tugenden und Alles, was mit ihnen in Verbindung steht; böse aber sind die Laster und Alles, was ins Bereich des Lastei*s gehört; (gleich-

I. 2, 8. Hom. IX, 39.

I, 2, 9. S. Zeller, Phil. d. Gr. Dia, S. 150 f. Die aS^atpoQa (gleich- gültige Dinge) theilen sich in 1) TTQorjyfi^va (Wünschenswerthes , Mit- nehmliches), wie z. B. Beichthum etc., 2) dnoTtgorjy/n^va (Verwerfliches), wie z. B. Schande, Armuth etc., 3) aSiatpoQa (ganz Gleichgültiges) im engsten Sinne. S. Gell. Xu, 5, 7.

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L Buch, 2. Cap., § 9-11. (15)

gültige) Mitteldinge sind die, welche zwischen beiden liegen, z. B. Reichthum und Gesundheit, Leben und Tod, Vergnügen und Plage. 10. Woher weisst du das ? (Einun) Hella nikus thut diese Aeusserung in seiner ägyptischen Geschichte. Ei was kümmert es mich, diese Aeusserung des Hellanikus zu erfahren, oder dass sie (meinetwegen auch) Diogenes in seiner Sittenlehre, oder Chrysippus, oder Kleanthes gethan? Doch (weiter!) du bist nun doch wohl sicher prüfend bei diesen Sätzen zu Werke gegangen und hast dir (dabei gleich) einen bestimmten Lehrbegriff gebildet. 11. Lass' mich also gleich einmal (eineü Beweis deiner moralischen Stärke) sehen, wie du dich z. B. wohl benehmen willst, wenn du auf dem Schiff von einem Sturm überfallen wirst? Da denkst du doch wohl auch sicher noch an die von dir gemachte Einthei- lung, wenn die (Segel-)Masten krachen und du anfängst in lautes Klagen auszubrechen? (Nunwundre dich dann ja nicht), wenn da ein muthwilliger Spassvogel sich vor dich hinstellt

I, 2, 10. Hellanikus aas Mitylene, blühend 460 y. Chr., schrieb mit Benutzung der Vorarbeiten des Hekatäus und Hippys über die meisten damals bekannten Länder und soll noch vor Herodot gelebt haben.

I, 2, 10. Der Cyniker Diogenes von Sinope übertrieb die Grund- sätze seines geachteten Lehrers Antisthenes und setzte alle herkömmlichen Begriffe von Scham und Schicklichkeit aus den Augen. Nicht zu ver- wechseln mit dem (Gell. VI [VII], 14, 9) erwähnten Stoiker Diogenes, genannt der Babylonier, weil er zu Seleucia jenseit des Tigris geboren war. Er hörte den Chrysippus und den Zeno von Tarsus. Er ging mit Eritolaos und Eameades als Gesandter nach Rom. Nach ihm besteht das höchste Gut in einer weisen Wahl des Naturgemässen; er unterscheidet das Gute vom Nützlichen, sofern letzteres eine zufällige Folge des Guten wäre. Cfr. Cic fin. bon. HI, 10.

1,2, 10. Chrysippus von Soli, Nachfolger des Kleanthes, einer der geistvollsten Stoiker und grössten DisJektiker, deren Kunst sich vorzüglich auf die Lehre von den Schlüssen bezog. Er hatte auch ein besonderes Werk über die Auflösung der Syllogismen geschrieben.. S. Diog. Laert.

vn, 7.

I, 2, 10. Kleanthes von Assus in Troas, 18 Jahre lang Schüler des Zeno, wurde 264 v. Chr. sein Nachfolger und war Lehrer des Chrysippus. Arm und massig erwarb er sich seinen Lebensbedarf dadurch, dass er Nachts die Gärten um Athen zu begiessen pflegte, daher man seinen Namen verdrehte in 'PQfavrXris (Wasserschöpfer oder Wasserträger). Seine vielen Schriften sind bis auf wenige Bruchstücke verloren gegangen, bis auf einen von Stobäus erhaltenen, in Hexametern gedichteten Hymnus an Jupiter.

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(16) I. Buch, 2. Cap., § 11—14.

und zu dir spricht : um des Himmels willen, Mann, erkläre mir doch, wie stimmt dies (jetzige) Benehmen zu deinem Ausspruch von neulich? Das Schiflfbruehleiden ist doch kein Laster? steht auch zum Laster in gar keiner Beziehung? Ei, ei! Da wirst du doch (wegen dieser unschuldigen Bemerkung) nicht gleich den Knüttel nach ihm hinsausen lassen und ihm zuherrschen: Kerl, was habe ich mit dir gemein? Du siehst (offenbar jetzt) unsem Untergang vor Augen und kannst an mir auch noch deinen Spott auslassen ? 12. (Noch einen Fall.) Gesetzt nun der Kaiser lässt dich vorladen, weil du angeklagt bist. [Da denkst du dann doch gewiss noch an deine Einthei- lung. Wenn du nun aber bei deinem Erscheinen blass aus- siehst und zitterst, und es tritt da Einer an dich heran und fragt: Menschenkind, was zitterst du? Was geht denn nur mit dir vor? Da drinnen verleiht der Kaiser denen, die Zu- tritt haben, doch nicht so etwas wie Tugend, oder Laster? (Hast du da auch keine bessere Entgegnung, als :) Wie kannst du dich auch nur noch über mich und mein Elend lustig machen? (Das ist ja gar nicht meine Absicht, wird er dir versichern, aber) nun so erkläre mir wenigstens das Eine, du weiser Mann, warum zitterst du? Nicht der Tod ist es ja, wie du früher behauptetest, der dir Furcht einzuflössen vermag, oder das Gefängniss, oder ein Körperleiden, oder Verbannung oder Entehrung? Was nun Andres (setzt dich so in Furcht)? Doch nicht etwa ein Laster? Auch durchaus nicht, was mit dem Laster in Verbindung steht? Denn wie gesagt (pvv) in Beziehung der Dinge lautete doch dein Aus- spruch ähnlich? (Auch darauf hast du keine andere Erwie- derung, als:) Kerl, was habe ich mit dir zu schaffen? Hebe dich weg (und lasse mich mit deinen albernen Fragen zufrieden), ich habe an meinem jetzigen Elend vollständig genug. 13. Das war ein schönes Geständniss von dir. Du hast allerdings an deinem eignen Elend vollauf genug, welches zusammengesetzt ist aus Gesinnungslosigkeit, Feigheit und Selbstüberhebung, die dir für voll ausgingen, so lange du (ruhig und aufgeblasen) in deiner Schule sassest. 14. Warum schmückst du dich also mit fremdem Schmucke? Was nennst du dich selbst einen Stoiker? Höre also meinen Rath (oJrrwg). Beobachtet euch nur selbst einmal so recht in eurem Thun und Treiben und

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L Buch, 2. Cap., § 14. 15. 8. Cap„ L, § 1—3. (17)

ihr werdet sofort finden, zu welcher Schule ihr gehört. Die Meisten von euch werden erkennen, dass sie nur (wollüstige) Epikuräer, und nur Wenige,. dass sie Peripathetiker und zwar ganz und gar verweichlichte, kraftlose und verzärtelte Peri- pathetiker sind.] 13 (15). Nach dem Vortrage dieser Stelle verhielt sich dieser anmassende, junge Mensch ganz still, (denn ihn leitete das richtige Gefühl), als ob dieser Vortrag picht von Epictet mit Bezug auf andere abgezielt gewesen sei, son- dern von Herodes mit Bezug auf ihn.

ly 3, L. Welchen doppelsinnigen Entschlass der Lacedämonier Chilo znr Bettung eines Frenndes fasste; ferner, wie es gar wohl sorgfältig und reiflich zn überlegen sei, ob man zum Schutz und Vortheil des Freundes sich einer Ungesetzlichkeit schuldig machen dürfe und endlich, die daselbst enthaltenen Bemerkungen und Ansichten, welche über diesen Gegenstand sowohl in des Theophrastus, als in des M. (Tullius) Cicero Schriften sich befinden.

I, 3. Cap. 1. In den Werken der Schriftsteller, welche das Leben und die Thaten berühmter Männer unserm An- denken überliefert haben, findet sich über einen (Mann), der unter die wohlbekannte Zahl der (7) Weisen gerechnet wird, über den Lacedämonier Chilo, die Nachricht, dass dieser Chilo bei seinem Lebensende, in eben dem Augenblicke, als bereits schon der Tod seine Hand nach ihm ausstreckte, zu seinen umstehenden Freunden folgendermassen gesprochen habe. 2. Dass ich, sprach er, meist Alles, was ich auf meinem langen Lebenswege gesagt und gethan habe, nicht zu bereuen brauche, könnt auch ihr mir möglicher Weise noch bezeugen. 3. Ja, ich habe sogar in diesem Augenblicke die feste Ueber- zeugung, durchaus keine That vollbracht zu haben, deren Bewusstsein (mein Gewissen beunruhigen und) mir Kummer

I, 2, 15. Die eingeklammerten §§ 12 14 fallen bei Hertz ans.

I, 3, 1. S. Diog. Laert I, 3, 3.

I, 3, 1. Chi Ion von Lacedämonien, einer der 7 "Weisen Griechen- lands, lebte 600 v. Chr. Er starb aus Uebermass der Freude, als sein Sohn sieggekrönt aus den olympischen Spielen zurückkehrte. Diog. Laert. I, 3, 3. Er Hess an den delphischen Tempel die Worte setzen: Erkenne dich selbst

J, S, 3. Das gute Bewusstsein (Gewissen) ist nach Pindar der beste Trost in unsrer letzten Stunde. Vergl. Plat. de repbl. p. 330 D. bis 331 A.

Oallin., Attl.che Nächte. jigitize?by GoOglC

(18) I. Buch, 3. Cap., § 3—8.

und Vojrwürfe zuziehen könnte, wenn nicht etwa gar jener einzige Fall in Betracht kommen soll, der einzige Fall, bei welchem ich selbst noch nicht ganz im Haren bin, ob ich recht oder unrecht gehandelt habe. 4. Ich hatte (einst) mit noch zwei Anderen durch richterliches Erkenntniss über das Leben eines Freundes zu entscheiden. Nach Fug und Recht stand die Sache so, dass dieser Aermste schlechterdings und ohne Gnade eigentlich hätte verurtheilt werden müssen. (Was war zu thun? Ich hatte nur unter zwei Fällen die Wahl.) Entweder musste ich den Freund dem Tode Preis geben, oder es musste zur Abwendung der Gesetzesstrenge ein Ausweg gefunden werden. 5. Lange ging ich im Geiste mit mir zu Rathe, wie ich in diesem bedenklichen Falle mir aus der Verlegenheit helfen könnte. Da schien mir, im Vergleich mit andern (Ausfluchtsmitteln), der Ausweg, den ich wählte, (das geringste Leid im Gefolge zu haben, d. h. für mich, für meinen Freund und für das Gesetz, und also noch) der leichter er- trägliche zu sein. 6. Ich fällte, also insgeheim (in meinem Geiste) für mich das Urtheil, wonach ich ihn für schuldig des Todes erklärte (, dadurch, sagte ich mir, bist du nun deiner Rechtspflicht vor deinem Gewissen und dem Gesetze pünktlich nachgekommen); sie aber, die zugleich mit mir die Entschei- dung hatten, bestimmte ich durch Ueberredung, dass sie ihn «freisprachen. 7. So hatte ich, in meinen Augen, bei einer so wichtigen Entscheidung, meiner Pflicht sowohl als Richter, wie als Freund vollständig Genüge geleistet. Jetzt aber mache ich mir nun noch wegen dieser Handlungsweise Gewissensbisse, weil ich fürchte, dass ich doch wohl nicht so ganz frei bin vom Voi-wurfe der Ungerechtigkeit und Pflichtvergessenheit, des- halb, weil ich in einer uiid derselben Sache, in demselben Augenblicke, in einem allgemeinen (unzweifelhaften) Rechts- falle die andeiTi (Richter) gerade zur entgegengesetzten Ent- scheidung dieser Angelegenheit durch UebeiTedung veranlasst habe, trotzdem dass ich sehr wohl wusste, wie mein unpar- teiisches Urtheil eigentlich hätte lauten müssen. 8. Also sogar auch dieser Chile, ein Mann so hervorragend an Einsicht und Lebensweisheit, schwankte noch in Uugewissheit, wie weit man gehen könne bei Umgehung des Rechtes und Gesetzes zum Schutz und Vortheil des Freundes, und dieser Umstand

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I. Buch, 3. Cap., § &— 12. (19)

angstigte sein Gewissen daher auch selbst noch bei seinem Lebensende. 9. Es haben nachher aber femerweitig noch viele andere Anhänger der Philosophie, wie in ihren Werken za lesen ist, recht eingehend und recht sorgfältig d^p Frage, 4ie ich wohl gleich wörtlich aus ihren Schriften anführen darf, zu erörtern sich bemüht, „ob man dem Freunde auch bei- springen dürfe dem Rechte zuwider und bis zu welchem Grade und in welchem Falle dies geboten «ei". Der Sinn dieser (griechischen) Worte ist also, dass man sich mit Erörterung der Frage beschäftigt habe, ob man bisweilen, selbst auch gegen Fug und Recht, Nachsicht für den Freund üben dürfe und unter welchen Umständen und bis zu welchem Umfange (dies zulässig sei). 10. Ueber diesen fraglichen Fall hat sich ausser vielen Andern, wie ich bereits bemerkt, auch besonders Theophrastus mit der höchsten Sorgfalt verbreitet, ein Mann, dem, was Bescheidenheit und Gelehrsamkeit betrifft, unter den peripathetischen Philosophen sicher die* grösste Hochachtung gebührt. Und die Abhandlung über diesen Gegenstand steht, wenn ich mich recht erinnere, im ersten Buche seines Werkes „über die Freundschaft". 11. Dieses Werk scheint M. (Tullius) Cicero bei Abfassung seiner eignen Schrift „über die Freund- schaft" gekannt (und benutzt) zu haben. Nun hat er zwar, wie es von seinem Geiste und seiner Ausdrucksgewandtheit wohl zu erwarten stand, Alles, was er vom Theophrastus glaubte entlehnen zu dürfen, mit grösstem Geschick auszuwählen und mit richtigem Geschmack anzubringen gewusst; 12. allein den von mir erwähnten Fall, über den oft und viel hin und her gestritten worden ist, diesen unter allen Umständen alier- schwierigsten Fall hat er vorübergehend kurz und flüchtig berührt und Alles, was Theophrastus in seiner Schrift genau und gründlich ausführte , hat Cicero nicht weiter be- achtet, sondern die sonst an ihm bei seinen Untersuchungen gewohnte ängstliche Genauigkeit, ja man könnte sagen, die ihm eigne peinliche Strenge in diesem Falle ganz unterlassen, und diesen Hauptgegenstand selbst nur mit kurzen Rissen

I, 3, 11 und XVII, 5, 1. S. Teuffels Geschichte der röm. Literatur § 183, 14), 1.

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(20) I. Buch, 3. Cap., § 18—15.

hingezeichnet. 13. Für den, welcher Lust verspüren sollte, seine Betrachtungen darüber weiter anzustellen, lasse ich Cicero» eigne Worte folgen, sie lauten: „Man hat sich also (bei der Freundschaft), nach meiner Meinung, an folgende Bestim- mungen zu halten, nur unter der Voraussetzung, dass die Charaktereigenschaften der Freunde untadelig sind (d. h. das Verfolgen sittlich reiner Zwecke voraussetzen lassen), sodann aber (unter ihnen) auch ohne alle Ausnahme unbedingt ein: gemeinschaftliches Zusammengehen in allen ihren Bestrebungen,. Plänen und Wünschen stattfindet, so dass, selbst auch wen» irgend wie der Fall eintreten sollte, dass weniger berechtigte Zumuthungen der Freunde unterstützt werden sollten, wobei es sich entweder um ihren Kopf, oder um ihren (guten) Ruf handelte, man wohl von dem Wege (des strengen Rechts- etwas) abweichen dürfe, vorausgesetzt, .dass man sich dabei nicht allzu grosse Schande (d. h. den völligen Verlust seiner Ehre) zuzieht: denn bis auf einen gewissen Punkt kann man der Freundschaft Einiges zu Gute halten." Wenn also das Leben oder der gute Ruf eines Freundes auf dem Spiele steht^ soll es, nach Ciceros Ansicht, uns erlaubt sein, vom Wege (unsrer strengen Rechtsgrundsätze) etwas abzuweichen, sa dass mt den Absichten und Wünschen des Freundes, selbst wenn diese uns auch nicht so ganz gerechtfertigt erscheinen, doch unsre Hülfe und Unterstützung nicht versagen dürfen.

14. In welchem Falle man aber eine Verpflichtung habe, das Gesetz zu umgehen, oder von welcher Beschaffenheit beispiels- weise eine Rechtsverdrehung zur Hülfe für den Freund gestattet sei und bis zu welchem Grade der Freund seine unbilligea Wünsche ausdehnen dürfe, darüber schweigt Cicero vollständig.

15. Wenn also, wie gesagt, der Freund in der höchsten Notk schwebt, soll mir erlaubt sein, vom (strengen) Rechtswege abzuweichen, wenn nicht zu besorgen steht, dass dadurch ein

I, 3, 13. Cic. Lael. 17, 61. Plutarch, „über Bruderliebe" 20, p. 490 Ej Phot p. 174, 12 etc.

I, 3, 13. inter (amicos) omnium communitas. räiv (ptltov xoivd. Eur. Orest. 725; Plut Mor. p. 490 E. Phot. p. 174, 12 etc. Terent, Adelpb. y, 3, 18. Gemeinschaftlich ist AUes unter Freunden. Cic. de ojffic. I, 17, 56; de finib. m, 2, 8. Plutarch, tkqI nolvq>aCag cap. 8. cfr. Aristot. Nie. eth. 8, 11.

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I. Buch, 3. Cap., § 15—19. (21)

2u grosser Nachtheil für meine eigne Ehre entspringt. Was kann mir nun aber daran liegen, dies zu erfahren, wenn ich mcht auch von ihm zugleich Aufklärung darüber erhalte, was er unter einer grossen Ehrenverletzung versteht, und fllr den Fall, dass ich die Absicht und den Muth haben sollte, einmal •den Rechtsweg zu umgehen, wie weit ich dieses Abweichen vom Wege des Rechtes ausdehnen dürfe. Denn Cicero sagt nur ganz einfach: „(In gewissen Fällen, unter gewissen Um- ständen), bis auf einen gewissen Funkt Kann man der Freund- schaft Einiges zu Gute halten (und ihr Nachsicht und Hülfe angedeihen lassen)." 16. Das will nun aber doch nichts sagen, denn anstatt uns vielmehr anzugeben, in welt^hem Falle und bis zu welcher Grenze die Nachsicht für die Freundschaft auszudehnen sei, über diese grosse Hauptsache, die wir aller- dings vor Allem zu wissen verlangen können, darüber erhalten wir durchaus keine Aufkläning von (Allen) denen, die doch unsere Lehrmeister sein sollen und wollen. 17. Jener Welt- weise Chilo, von dem ich kurz vorher sprach, wich auch, um seinen Freund zu retten, vom Wege des strengen Rechtes ab. Dabei sehe ich aber wenigstens, wie weit er gegangen ist: er gab nämlich zur Rettung des Freundes einen trügerischen Rath. 18. Allein am Ende seines Lebens war er doch auch noch mit sich im Zweifel, ob ihm diese Handlungsweise nicht doch zum Vorwurf gemacht, oder gar als Verbrechen dürfte angerechnet werden können. Cicero sagt: „Unter keiner Be- dingung darf man sich unterfangen, dem Freund zu Liebe die WaflFen gegen das Vaterland zu ergreifen." 19. Wahrlich, „das hat wohl schon Jeder gewusst, ehe noch Theognis auf

I, 3, 19. Theognis, elegischer Dichter aus dem attischen Megara, lebte ohngefähr 550 y. Chr. Er gehörte zu dem reichen dorischen Adel dieser Stadt. Als in Megara die Tyrannenherrschaft des Theagenes durch 4^mokratiBche Umwälzung gestürzt worden war, tobte die zügellose Menge in blinder Wuth gegen die Vornehmen. Die meisten Edlen wurden ver- bannt und kamen um ihre Güter. Theognis, der auch unter den Geächteten sieh befand, erlitt grosse Verluste durch diese Revolution. Nach dem Sturz der Pöbelherrschaft kehrte er in seine Vaterstadt zurück. Alles dies flösste ihm Hass gegen das Volk ein, der überall in seinen Gedichten hervorbricht. Es giebt unter seinem Namen eine Sammlung von Distichen, aus 1389 Versen bestehend, worunter sich auch Verse von andern Dichtem befinden. Das hier angeführte Sprüchwort findet sich auch bei Plutarch:

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(22) I. Buch, 3. Cap., § 19—21.

die Welt kam", wie es nach (einem Spruch wort des) Lucihus heisst. Wenn es nun also, ohne natürlich die Freiheit des Vaterlandes, ohne den allgemeinen Frieden und die öffentliche Ruhe zu gefährten, geboten ist, auch gegen Recht und Er- laubniss (Gerechtigkeit) für den Freund einzustehen und wie Cicero selbst sagt, (es geboien ist,) vom Wege des Rechtes abzuweichen, so ist doch sicher das Verlangen nach Aufklärung darüber gerechtfertigt, in welchen wichtigen Fällen, unter welchen Umständen und in wie weit ein solcher Freundschafts- dienst geboten sei.

20. Jener berühmte Athenienser Perikles, ein mit vor- züglichen Geistesgaben und mit allen sonstigen trefflichen Kenntnissen ausgestatteter Mann, hat zwar nur in einem ein- zigen Falle, aber doch sehr klar und deutlich offen seine Meinung ausgesprochen. Denn als ein Freund ihm das An- sinnen stellte, er solle dessen Rechtshandel zu Gunsten einen falschen Eid ablegen, diente er ihm mit folgender Antwort:

Beistehen dem Freund ist Pflicht, nur nicht wider gött- liches Gebot.

21. Um nun aber wieder auf Theophrastus zurückzu- kommen, so hat dieser sich in der von mir bereits erwähnten

„Warum Pythia ihre Orakel nicht mehr in Versen ertheile". 3. „Der Philosoph muss mit Regenten sich unterhalten.^ 2.

I, 3, 19. C. Lucilius war römischer Ritter, geb. 148 v. Chr. zu Suessa in Eampanien. Er gestaltete die Form der Satire völlig um und wurde so deren Schöpfer. Vergl. Bemhardy r. L. p. 201 etc. und 547 etc. und die Geschichte der röm. Literatur v. W. S. Teuffei § 132 (11. Aufl. 1872).

I, 3, 20. Vergl. Cic. de offic. m, 10, 43; „Bis an den Altar bin ich dein Freund^, sagt Pericles bei Plut nt^l 6vaton(ag (Blödigkeit, falsche Scham) cap. 6, p. 581. „Denksprüche von Königen und Feldherren. Per. 3. „Politische Vorschriften". 13.

I, 3, 20. Pericles, gen. Olympios (der Göttliche), einer der talent- vollsten, geistreichsten und kunstsinnigsten, beredtesten und ausschweifen- sten Athener, nach Cimons Tode der eigentliche Regent. Er besiegte Sikyon, Samos, Euböa, begann den peloponnesischen Krieg und plünderte, seiner geliebten Aspasia zu gefallen, Arkadien. Sein Zeitalter war für die Kunst und Wissenschaft zu Athen das glänzendste. Er starb 429 v. Chr. an der Pest Vergl. GeU. XV, 17, 1 NB.

I, 3, 21. Theophrast von Eresus auf Lesbos, eines Walkers Sohn, geb. 392, gest. 286 v. Chr., hiess ursprünglich Tyrtamus. Sein Lehrer Aristoteles, von dem WohUaute seiner Sprache eingenommen, nannte ihn

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I. Buch, 3. Cap., § 21—25. (23)

Schrift zwar mehr noch als Cicero eine genaue und bestimmte Erörterung über diesen Gegenstand angelegen sein lassen; 22. allein auch er umgeht es in seiner belehrenden Abhand- lung über einzelne Fälle ein Urtheil abzugeben und lässt sich nicht erst auf bestimmte, ausführliche Nachweise durch Bei- bringen von Beispielen ein, sondern fertigt alle die in der Hauptsache möglichen Umstände und Verhältnisse kurz» und nur im Allgemeinen ohngefähr auf folgende Weise ab : 23. „We- gen eines leichten Tadels, (den man sich zuzieht,) oder wegen einer unbeträchtlichen Gefahr für unsern guten Ruf darf man sich durchaus nicht abhalten lassen, für den Freund einzustehen, wenn ihm dadurch ein grosser und nützlicher Dienst kann er- wiesen werden. Der geringfügige Nachtheil in der Schmälerung unseres Ansehens oder unserer Ehre wird reichlich aufge- hoben und ausgeglichen durch ein anderes Ehrenzeugniss, welches hoch anzuschlagen und sehr ins Gewicht fällt, durch den verdienstvollen Antrieb, den Freund in der Noth nicht verlassen zu haben und der unbedeutende Makel, oder, wenn ich so sagen darf, die Scharte, die dadurch etwa meine Ehre erlitten, wird durch das bessere Bewusstsein, dem Freunde einen nicht unerheblichen Dienst erwiesen zu haben, vollstän- dig verdeckt." 24. Femer soll man, fährt Theophrastus fort, sich nicht durch Einwendungen umstimmen lassen, deren nichtiger Grund etwa ist, dass ja die Ehre meines Namens und des beklagten Freundes eigener Vortheil überhaupt durch- aus in keinem gleichen Verhältniss zu einander ständen. (Solche Einwendungen dtlrfen uns nicht beirren.) Das ent- scheidende Uilheil (darüber, was wir zu thun oder zu lassen haben), darf man (gelegentlich) nur von der Gewichtigkeit der gebotenen Umstände und vom Drange der Nothwendigkeit abhängig machen, nicht aber vom äusserlichen Wortkram und von dessen angepriesenem Hauptwerth. 25. Wenn also in

erst den Wohlredenden (Euphrast) und später gar den Göttlichredenden (Theophrast). cfr. GelL XIH, 5, 11. Er war Nachfolger des Aristoteles und Btarb im hohen Alter. Seine Sittengemälde in 31 Capiteln schrieb er am Ende seines Lebens. Die hier angeführte Schrift#von der Freundschaft ist nicht auf uns gekommen, cfr. Gell. IV, 13, 2 NB.; Diog. Laert V, 2, 3. L 3, 25. Cfr. Plutarch. Phokion. 5. Wie die Münzen am meisten gelten, die bei dem kleinsten Umfange den grössten innem Werth haben,

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(24) I. Buch, 3. Cap., § 25-27.

gleichen oder ganz ähnlichen Lebenslagen es sich um die Entscheidung handelt zwischen dem Vortheil eines FreUndes, (d. h. zwischen einem Liebesdienst gegen denselben,) oder zwischen der Erhaltung unseres ehrlichen Namens, so steht wohl ausser allem Zweifel fest, dass der Vorzug der Sorge für unsere Ehre gebührt. Wenn nun aber der Vortheil unseres Freundes von grösserem Belang ist, der Nachtheil für unsere Ehre bei einer unbedeutenden Sache aber nur unerheblich ist, dann wird der Vortheil des Freundes im Vergleich zu (dem Bedenken einer Gefährdung an) unserer Ehre das Ueberge- wicht erringen, gerade so wie eine grosse Masse Erz einen höheren Werth hat, als ein Plättchen Gold (parva lamna auri). Ich lasse nun sogar noch Theophrast's eigene Worte über diesen betreflfenden Fall folgen: 26. „Wenn frei- lich eine Sache an sich im Allgemeinen auch sehr werthvoU sein kann, so braucht doch ein Theil von dieser selbst, mit dem Theile einer andern Sache zusammengehalten, dem Werthe nach noch lange nicht vorzüglicher zu sein. Ist z. B. Gold an und für sich nicht werthvoUer als Erz, und wird es wohl Jemandem einfallen zu behaupten, ein Stückchen Gold, mit einer grossen Menge Erz verglichen, sei werthvoUer? Den Ausschlag muss da wohl die Menge und die Grösse geben. 27. Auch der Philosoph Favorinus, nachdem er bei

80 pflegt man auch die Starke der Beredtsamkeit darin zu setzen, dass sie mit Wenigem viel sagt und andeutet.

I, 3, 27. „Unter den vielen hochgebildeten Männern, die in den gol- denen Zeiten des Trajan und Hadrian in der römischen Welt durch Wort und Schrift för Yerallgemeinerung philosophischer und geschichtlicher Bildung wirkten, nimmt Favorinus von Arelate in Gallien neben dem tiefer angelegten, phantasiereicheren, weniger skeptischen und daher posi- tiver in die geistige Bewegung seiner Zeit eingreifenden Plutarch eine der ersten Stellen ein. Obgleich als Androgyn (Zwitter) geboren (Suidas, Philostr. V. Sophist I, 8, der seine eigenen, jene Thatsache bestätigenden Worte anfuhrt) war er ein männlicher, starker Geist, der namentlich der orientalischen Astrologie, wie später Plotin, und anderen falschen Zeit- richtungen, wie der affectirten Alterthümelei, kräftig entgegen trat. Favorins treffliche Polemik gegen den Aberglauben und gegen die Umtriebe der Astrologen theilt Geliius XIV, 1 ausführlich mit Obgleich Gallier, schrieb er nicht lateinisch, sondern griechisch gleich einem geborenen Griechen und war durchaus griechisch gebildet. (Gell. XIII, 25; XIV, 1, 32, wo ihm Graecae facundiae copia simul et venustas zugeschrieben wird), dabei aber

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L Buch, 3. Cap., § 27. 28. (25)

gründlicher Prüfung und Rechtfertigung der Gesetzesstrenge doch (einige) Milderungsgründe zur rechten Zeit (tempestive) zulässig findet, sucht (aus diesem Gesichtspunkte) die nach- sichtige Beurtheilung einer derartigen Gefälligkeit gegen einen Freund durch folgende Worte zu rechtfertigen : „Die von den Menschen sogenannte Gnadenbezeigung ist (nichts Anderes, als) das Mildem der Gesetzesstrenge zur rechten Zeit {h iiovri = tempestive). 28. Bald nachher kommt derselbe Theophrastus (in seinem Aufsatze) beinahe auf den ähnlichen Gedanken und sagt (in ausführlicher Besprechung): Verschie- dene, bisweilen ausser aller Berechnung liegende Veranlas- sungen, verschiedene mit Pei-sonen, Zeit und Verhältnissen in wesentlicher Verbindung stehende Zufälligkeiten und jedes

doch ein grundlicher Kenner der römischen Sprache und des römischen Alterthums. Mit Plutarch, der ihn in den Tischgesprächen (avfjnoaiitxd) 8, 10 als Gesprächsgenossen auftreten lässt, war er befreundet; der Neid, den er nach Suidas gegen diesen wegen dessen literarischer Productivität empfunden haben soll, ist etwas problematisch, da er selbst productiy genug war. Gelehrter, Philosoph und Rhetor zugleich (avtiQ noXvfju&fj^, xarä näöuv nui^eiaVf ifn^XoOotfCag fitarog, (iriTOQixij <J^ fiuXlov inid-^fievog, Suid. memoriae veteris exsequentisimus Gell. X, 12, 9) umfasste er in seinen zwei Hauptwerken, den dtnofjLvtifjLovtv^nxa in 24 Büchern und der navioSanri linog(a das ganze Gebiet der griechischen Geschichte und Philosophie; auch besonderer Schriften über Socrates und dessen erotische Kunst und über Platoif erwähnt Suidas, die vielleicht nur Abschnitte eines jener grösseren Werke waren. Was indessen Diogenes aus denselben anfuhrt, zeigt, dass er auf dem historischen Gebiete nicht nur weniger Skeptiker war als auf dem philosophischen, sondern, dass ihm auch, gleich dem Plutarch, der rechte Sinn für Kritik fehlte. Namentlich von dem, was er über Piaton sagt, besteht, wie aus Steinharts Leben des Piaton zu ersehen ist, fast nichts vor der Kritik. lieber seine Philosophie handelt Zeller, Phü. der Gr. 5, 50 54. Die Bruchstücke seiner historischen Schriften bei C. Müller fragm. bist. gr. 3, 577 folg." Einige Gespräche von ihm finden sich bei Gell. XÜ, 1; XIV, 1 und 2; XVII, 10. Als er bei Hadrian in Ungnade gefallen, stürzten die Athener seine Statuen, um, aber der Kaiser selbst liess ihn seinen Hass durchaus nicht empfinden. Favorinus soll daher gesagt haben, seine Lebensgeschichte enthalte 3 Wunder : dass er ein Gallier sei und griechisch rede; dass. er ein Eunuche sei und wegen Ehe- bruch processire und endlich, dass er mit dem Kaiser im 'Streit liege und noch lebe. Vergl. GelL X, 5, 6 NB. Plutarch (Tischreden Vm, 10, 2) nennt ihn den begeistertsten Anhänger des Aristoteles. Vergl. Geschichte der röm. Literatur von W. S. Teuffei 346, 5 (IL Auflage 1872).

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(26) I. Buch, 3. Cap., § 28—31.

andere unvermeidliche ZusammentreflFen von Umständen, alles das sind Möglichkeiten, die einzeln anzuführen schwierig (und unausführbar) sein dürfte, die aber alle bedeutenden Ereignisse, femer den Werth unserer Verpflichtungen bedingen, leiten und behen-schen und die alle unsere Schritte einmal billig, das anderemal unbillig ei'scheinen lassen. 29. Solche und ähnliche Betrachtungen hat Theophrastus mit aller Vorsicht, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit (in seinem Werke) niederge- schrieben, mehr in der löblichen Absicht, gewisse Grenzlinien zu ziehen und sein Gutachten (darüber) abzugeben, als in der zuversichtlichen Meinung, ein (erschöpfendes) Endurtheil zu fällen, weil ja wahrhaftig alle die verschiedenen, den Ver- hältnissen und der Zeit unterworfenen Zufälligkeiten, femer die oft nur durch den geringsten Umstand bedingten, unter- schiedlichen Abweichungen, welche Niemand zu durchschauen und vorherzusehen vermag, es ausschliessen (und geradezu Jedem unmöglich machen), eine bestimmte, allzeit gültige und auf jeden einzigen Fall passende, klare Vorschrift festzustellen, die, wie ich schon zu Anfang dieses Aufsatzes bemerkte, man (bei einer so bedenklichen und wichtigen Angelegenheit) aller- dings schmerzlich vermisst. 30. Von demselben Chile aber, der uns zu dieser kurzen Abhandlung die Veranlassung gab, findet sich, unter seinen verschiedenen andern nützlichen und lebensklugen Aussprüchen, auch noch ein Gmndsatz vor, der für uns besonders deshalb von bewährtem Nutzten ist, weil er uns, bei bedachtsamer Mässigung und gehöriger Vorsicht, die zwei heftigsten Leidenschaften (des Lebens), die des Hasses und die der Liebe, zügeln hilft. Er sagt: Liebe so, als ob zufällig der Fall eintreten könnte, dass du (denselben Gegen- stand) einmal wieder hassen müsstest und hasse gerade eben- so, als ob du vielleicht einmal wieder lieben müsstest. 31. Der Philosoph Plutarch hat in seinem ersten Buche „über die

I, 3, 30. Dieser Ausspruch, „man müsse so lieben, als ob man einst hassen würde", wird von Mehreren auch dem Weltweisen Bias beigelegt, cfr. Cic. Lael. 16, 59. Aristot. Rhetoric. II, 13; Diog. Laert. I, 5, 5; Val. Max. VU, 3. ext 3.

I, 3, 31. Plutarch „wie man von seinen Freunden Nutzen ziehen könne." 1. „über die Menge Freunde," 6.

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L Buch, -3. Cap., §81.-4. Cap., L, § 1-3. (27)

Seele** von demselben Chilo noch folgenden Ausspruch ange- führt. „Als Chilo, schon bei Jahren, hörte, wie Jemand äusserte, dass er keinen Feind habe, fragte er ihn, ob er (nun) wohl auch keinen Freund besitze." Denn er war der festen Ueber- zeugung, dass nothwendiger Weise Hass neben der Freund- schaft seinen Platz habe und beide eng mit einander ver- knüpft seien.

I, 4, L. Wie Antonius Julianns durch seine feine und scharfsinnige

Untersuchung in einer Kede des M. Tullius (Cicero^ einen von diesem

durch eine Wortabänderung entstandenen spitzfindigen Trugschluss

deutlich nachwies.

I, 4. Cap. 1. Der Rhetor Antonius Julianus, ein Mann von höchst ehrenhafter und gewinnender Gemüthsart, auch im Besitz von Kenntnissen, die er zum grössten Nutzen und zur Freude Anderer verwendete, zeichnete sich durch seine grosse Sorgfalt und Erinnerungsfähigkeit für die Feinheiten der Alten aus. Zu dem unterbreitete er alle Werke älterer Schriftlsteller einer so scharfen Beurtheilung und machte ent- weder auf den Werth ihrer Vorzüge aufmerksam, oder spürte deren Fehler aus, so dass man (bei seinem Urtheil stets sich) gestehen musste, es sei nach der Richtschnur gefällt. 2. In der Rede, die M. Cicero für den Cn. Plancius hielt, beiSndet sich ein Vemunftschluss (ivi^viurjfxa)^ worüber derselbe Julianus folgendes Urtheil abgegeben hat. 3. Doch will ich Ciceros

I, 4, 1. Cfr. Gell. XIX, 9, 2. Antonius Julianus war ein gebor- ner Spaniar, Zeitgenosse des Gellius und Bedner. S. die Geschichte der röm. Literatur yon W. S. Teuflfel § 346, 1. 2. 5. (IT. Auflage 1872).

1,4,2. ^Evd^vfjLTifjLa heisst eigentlich blos Bemerkung, dann Meinung, Satz; im engem Sinne rhetorischer Schluss und Folgerung aus Gegen- sätzen, ein durch Schliessen herausgebrachter Gedanke, wobei einer ^der Satze fehlt und in Gedanken behalten wird (ivd^v^^ofim).

I, 4, 3. Cic. pro Plane. 28, 68. Der Gedanke ist: Wer das schuldige Geld bezahlt, hat sogleich das fremde Geld nicht mehr, wenn er es be- zahlt; der aber hat das fremde Geld noch, der es noch schuldig ist, d. h. der Geldschuldner kann nicht zugleich (behalten) haben und bezahlen; der Dankschuldner dagegen kann zugleich (behalten) haben und be- zahlen. Vergl. Cic ad Quir. post redt. 6; de offic. II, 20, 69; Sen. 81, 8

I, 4, 3. Allein Dankbarkeit hat (d. h. behält) nicht blos, wer sie abträgt, sondern wer sie hat (qui habet » debet), trägt sie auch eben

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(28) L Buch, 4. Cap., § 3—5.

Worte selbst, worüber Julianus sein Urtheil abgegeben hat, hier vorher anfllhren ; „Eine Geldschuld, heisst es bei Cicero, ist freilich von der Schuld der Dankbarkeit verschieden. Denn wer das Geld zurückbezahlt hat, hat das von nun an nicht mehr, was er zurückgegeben; wer es aber noch schuldet (qui autem debet, also = habet) behält fremdes Gut zurück. Allein (bei der Dankbarkeit tritt ein ganz anderes Yerhältniss ein. Denn) sowohl der, welcher die dankbare Gesinnung (durch die That) abgetragen hat, hat sie doch noch (d. h. im Herzen), als auch der, welcher (sie noch nicht abgetragen, also) sie noch im Herzen hat (qui habet = debet), fühlt sich eben deshalb, weil er sie noch hat, zu der Abstattung (durch die That) verpflichtet. Eben so bilde ich mir jetzt durchaus nicht ein, aller Verbindlichkeit gegen Plancius enthoben zu sein, wenn ich auch jetzt meine Schuld (durch die öffentliche That oder Gefälligkeit) werde abgetragen haben, und nicht weniger würde ich ihm durch meine Gesinnung selbst ent- richten, wenn mir dies traurige Geschick nicht zugefallen wäre." 4. Julianus giebt nun vollständig zu, dass d*er Zug der Rede kunstgeregelt und geläufig sei, auch ausserdem der Reiz dem Wohllaut der Satzgliederung nicht abgesprochen werden könne, allein (nebenbei) werde doch immer auf die Nachsicht des Lesers gerechnet bezüglich des Fehlers, dass das Wort debere in habere umgeändert wurde in der Absicht, nur um den Erfolg des Gedankens nicht verloren gehen zu lassen. 5. Denn das vergleichsweise Zusammenstellen der Schuld des Dankes mit der des Geldes erheischt beidemal die Beibehaltung desselben Ausdrucks, des Wortes „Schuld" (debitio). Nur so nämlich können die Begriffe der Dankes- und der Geld -Schuld als sich einander richtig gegenüberge- stellt gelten, insofern man ja doch sagen darf, „sowohl Gdd, als' auch Dank schuldig sein." Allein» es soll erörtert werden.

gerade dadurch ab, dass er sie (noch in sich) hat; und ich würde mich durch meine Gesinnung selbst nicht weniger zur Entrichtung von Dank verpflichtet fühlen, wenn auch sein gegenwärtiger Verdruss mir keine Ge- legenheit dazu geboten hätte.

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L Buch, 4. Cap., § 5—8. (29)

was geschieht, wenn die Rede ist von schuldigem oder be- zahltem Gelde, oder was geschieht, wenn im Gegensatz dazu von schuldigem oder abgestattetem Danke die Rede ist, wenn nämlich in beiden Fällen (der Begiiff und) das Wort „Schuld" (debitio) beibehalten wird. 6. Da nun aber doch Cicero, fährt Julian fort, gesagt hatte, dass zwischen der Schuld des Dankes und des Geldes ein Unterschied stattfinde, und er nun den Grund seiner Behauptung beibringt, bedient er sich beim Gelde des Wortes „debet" (schuldet) und beim Danke schiebt er für debet ein andres Wort unter, nämlich „habet" (hat noch, folglich = debet, d. h. schuldet noch). 7. Denn seine eignen Worte lauten : „Allein sowohl der, welcher Dank abträgt, hat ihn noch , als auch der, welcher ihn hat (habet = debet), ist eben dadurch, dass er das Schuldgefühl noch (im Herzen habet) hat, zur (thätlichen) Abstattung dieser Verpflichtung bereit (refert)."

Allein das Wort habet (anstatt des vorausgegangenen debet gesetzt) entspricht nicht vollständig dem vorherge- gangenen Vergleich. Denn das Schulden (debitio) des Dankes, nicht das Haben (habitio) desselben wird mit der Geldschuld verglichen.

Es wäre also eigentlich veniunftgemäss gewesen, sich (nach dem Vorausgegangenen) so auszudrücken: „Auch wer ihn schuldet (den Dank), trägt ihn ab, eben deshalb, weil er ihn noch schuldet." .Allein es würde abgeschmackt und höchst gesucht sein, wenn er gesagt hätte, die Schuld des Dankes, w^elche noch nicht abgetragen ist, soll deshalb für entrichtet gelten, weil man diese Schuld noch hat. 8. Cicero änderte also, fuhr Julian foit, das Wort debere und setzte, an die Stelle des weggelassenen ein anderes, entsprechendes Wort, das Wort habere, so dass es den Anschein nahm, als habe er den Begriff einer Vergleichung zwischen der Geld- und der Dankes-Schuld nicht nur nicht aufgegeben, sondern auch der kunstgerechten Form des Gedankens vollständig Genüge geleistet. Auf solche Weise entwirrte und unterwarf Julian (beachtenswerthe) Aussprüche aus alten Schriftwerken, welche junge Leute unter seiner Aufsicht lasen, einer strengen und gründlichen Beurtheilung.

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(30) I. Buch, 5. Cap., L, § 1. 2.

I, 5, L. Wie der Redner Demostbenes wegen zu grosser änaserlicher Pflege seines Körpers und seiner Kleidung Vorwürfen ausgesetzt und wegen eitler Putzsucht verschrieen war, und wie ebenfalls der Redner Hortensius wegen gleicher Putzsucht und wegen der unpassenden Nachahmung des Geberdenspiels der Schauspieler bei seinem Vortrag mit dem Spottnamen der Tänzerin Dionjsia belegt wurde.

I; 5. Cap. 1. Man erzählt sich, dass Demosthenes in seiner Kleidung und übrigen äussern Erscheinung glänzend, auffällig und allzu gesucht gewesen »ei. Und daher wurden ihm, sowohl wegen seiner geschniegelten Oberkleider (ra xo/dipa xkavlayLia), als auch wegen seiner weichlichen Unterkleider {fLaXavioi XtTioviavLOi) von seinen Nebenbuhlern und Widersachern Vor- würfe gemacht. Daher man auch mit schimpflichen und ent- ehrenden Ausdrücken gegen ihn so wenig zurückhaltend war, dass man ihn nicht nur „zu wenig Mann (parum vir)", sondeni sogar ünzuchtsmaul fore poUuto)" nannte. 2. Eben so ist auch Hortensius, der doch, nur etwa Cicero ausgenommen, sicherlich hervoiragender war, als alle Redner seiner Zeit, mit Vorwürfen und harten Bezüchtigungen überschüttet w^or- den, weil er aus übertriebener Putzsucht nicht nur gesucht gekleidet ging, sondern auch planmässig und künstlich drappirt (gewandet) war, und weil er während seines Vortrags die Hände zu lebhaft und gar zu oft bewegte, so musste er, selbst während der öffentlichen Prozess- und Gerichts-Verhandlung allerlei Angriffe ertragen und sich wohl gar einen Komö-

I, 5, 1. Demosthenes aus Paeanium in Attika, der grösste und berdlimteste Redner des Alterthums, 385 v. Chr. geboren, wurde Schüler des Isocrates, Plato und Isaeus. Er suchte durch seine philippischen Eeden die Athenienser gegen die anwachsende Macht des Königs Philipp von Macedonien aufeubringen. Als der macedonische Feldherr Antipater die Griechen besiegt hatte, bestand er auf Auslieferung des Demosthenes. Diese erfolgte und er selbst machte seinem Leben, 62 Jahre alt, durch Gift ein Ende. Sein erbitterter Gegner, über den er jedoch den Sieg davon trug, war Aeschines. Siehe Gell. IX, 3, 1 NB. und Plutarch vit Demosth.

I, 5, 2. Val. Max. Vm, 10, 2; Macrob. Sat m, 13.

I, 5, 2. Quintus Hortensius Hortalus, geb. 114 v. Chr., ein vorzüglicher Redner, 8 Jahre älter als sein berühmter Zeitgenosse Cicero. Er schrieb auch Gedichte, welche Ovid (trist 2, 441) schlüpfrig nennt imd Gellius (XIX, 9, 7) invenuste (indecent) und wegen welcher poetischen Schmiererei er schonungslos von Freund CatuU (95, 3) verspottet wird. S. Teuffels Gesch. der röm. Lit 168.

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I. Buch, 5. Cap., §3.-6. Cap., L, § 1. (31)

dianten neimen hören. 3. (Allein es ging noch weiter.) Als der Prozess des Sulla öflfentlich verhandelt wurde und L. Tor- quatus, ein Mensch von etwas rohem und rücksichtslosem Wesen, in Gegenwart des sehr angesehenen und strengen Gerichtshofes nicht aUein die Aeusserung gethan, Hortensius sei ein Kommödiant, sondern ihn auch noch Gauklerin nannte und Dionysia, welches der Name einer damals allbekannten Tänzerin war, so erwiederte ihm Hortensius in gelassenem und ruhigem Tone: Dionysia, ja wahrlich, Dionysia will ich lieber sein, als so ein dummer (a^ovoog)^ roher {avacpQ6diTog\ plumper {aTt^oadiormaog) Geselle wie du, Torquatus, (d. h. als so ein Mensch, der kdnen Sinn für Bildung hat und von Sachen spricht, die gar nicht hieher gehören).

I, 6, L. Eine SteUe aus des Metellus Numidicas Rede, welche derselbe während seines Sittenrichteramtes an das Volk hielt, in der Absicht, das- selbe znm Heirathen aufzumuntern. Betrachtungen, aus welchem Grunde diese Rede angefochten, und wie sie dagegen auch wieder gerechtfertigt wurde.

I, 6. Cap. 1. Vor einer grossen, aus gebildeten Männern bestehenden Zuhörerschaft wurde des Metellus Numidicus. eines eben so ernsthaften, als beredten Mannes Rede vorge- lesen, welche er während seines Sittenrichteramtes öffentlich an das Volk über die Wichtigkeit und Nothwendigkeit der Ehebündnisse gehalten hatte, in der löblichen Absicht, das römische Volk aufzumuntern, es ja nicht zu verabsäumen sich

I, 5, 3. Cfr. Luther: Wer nicht liebt Wein (an goa^iovva.), Weib (dyatfQÖSiT,) und Sang {auova.), der bleibt ein Narr sein Leben lang.

1, 6, L. Vielmehr Q. Caecilius Metellas Macedonicus, welcher 623/131 mit Q. Pompcgus Censor war. S. Liv. ep. 59; Suet. Aug. 89; Lange, röm. Alterthümer in, § 137, p. 24.

I, 6, 1. Cfr. Dio Cass. 56, p. 576; Festus voce „uxorium" p. 478; Plut Camill. p. 129; Val. Max. IJ, 9, 1. Sueton Aug. 89. Liv. 45, 15.

I, 6, 1. Q. Caecilius Metellus, weil er den König Jugurtha von Numidien besiegt hatte, Numidicus genannt, Sohn des Calvus und Bruder des Dalmaticus, ergangte ^inen Triumph. Darauf wurde seinem Legaten Marius, der schon lange gegen ihn intriguirt hatte, der Oberbefehl über- tragen. Er ging freiwillig ins Exil, kehrte bald im Jahre 99 zurück (auf Verwendung seiner Verwandten und besonders seines Sohnes Q. Caecilius Metellus Pius (vergl. Gell. XV, 28, 3), starb aber gleich darauf wahr- scheinlich an Gift, Cfr. Valerius Maximus V, 1, 5; Gell. VII (VI), 11 und XVn, 2, 7 NB. und Teuffels r. L. 145, 3.

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(32) I. Buch, 6. Cap., § 2. 3.

zu verheirathen. 2. In dieser Rede lautet eine Stelle wie folgt: „Ihr edlen Römer (Quirites), wenn wir ganz unbeweibt leben könnten, würden wohl Alle sich dem (Ehejoch-) Unge- mach gern entziehen. Weil nun aber die Natui- es einmal so eingerichtet (und die allgemeine Nothwendigkeit es so gebietet), dass man weder (mit den Schönen) in aller Ruh' und Be- quemlichkeit leben kann, wenn man mit ihnen verheirathet ist, noch auch wiederum ohne sie überhaupt an eine Lebens- fortdauer (der Familie und des Staates) zu denken ist, so ist es schlechterdings geboten, mehr Rücksicht auf das fortdauernde Staatswohl, als auf unser kurzes irdisches Vergnügen zu nehmen." 8. Da der Censor Metellus doch (zweifellos) die Absicht gehabt hatte, durch seine Ermahnung das Volk zu bewegen, sich zu verheirathen, so waren Einige der Ansicht, dass er (eigentlich) durchaus nicht so ganz frei und oflfen von der Beschwerlichkeit und dem unvermeidlichen Ungemach im Ehestand hätte sprechen sollen; denn (so etwas gleich einzu- gestehen,) das heisse gerade eben nicht zum Heirathen Lust machen, sondern vielmehr widerrathen und Abneigung ein- flössen. Seine Rede, sagten sie, hätte im Gegentheil gerade erst recht von der Annahme der Behauptung ausgehen (und sich dahin gipfeln) sollen, dass er versichern könne, es gebe einestheils im Ehestande gewöhnlich keine Verdriesslichkeiten, sollten sich aber anderatheils doch bisweilen solche einzustellen scheinen, so könne er doch dagegen erklären, dass sie nur unbedeutend, vorübergehend und leicht zu ertragen wären, dass sie aber dagegen durch weit grössere Vortheile und Annehmlichkeiten leicht vergessen würden, und dass alle diese Unannehmlichkeiten durchaus nicht in jederEhe vorkommen, noch gar ein wesentlicher Fehler dieses Standes seien, sondern es sei ihr Ursprung nur von der Pfiichtvergessenheit und

.^ I, 6, 2. Quirites s. Gell. I, 23, 4 NB.

I, 6, 3. Die jßhescheuen Hagestolze (caelibes) zogen sich Rügen zu von Seiten der Censoren; so über strenge Rüge der Ehelosigkeit: Liv. Epit 59; Cic. de leg. 3, 3, 7; Dio Cass. 52, 21; Plut Camill. 2; Cat nw«. 16, cfr. Gell. IV, 20. Verheirathete und mit Kindern Gesegnete wurden bevorzugt und belohnt, s. Liv. 45, 15; Suet Caes. 20; Oct. U; Tacit. Ann. 2, 51; 15, 19; Plin. ep. 7, 16, 2; Dio CaßS. 38, 1—7; 43, 25; 60, 24; Mart 5, 41; Appian. b. dv. 2, 10; Dig. 4, 4, 2; cfr. Gell. II, 15, 4; V, 19.

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I. Buch, 6. Cap., § 4-6. (33)

Ungebühr gewisser Ehegatten herzuleiten. 4. Titus Castricius aber war der Ansicht, dass Metellus ganz recht, und nur seiner würdig gesprochen habe und liess sich so vernehmen: „Anders muss ein Sittenrichter, anders ein Rhetor sprechen. Ein Rhetor darf nach eignem Belieben seine Zuflucht nehmen zu falschen, kühnen, schlauen,*) trügerischen, verfänglichen Beweisführungen, wenn sie sonst nur einigen Schein der Wahrheit an sich tragen und wenn er es nur versteht, durch irgend welche Redefinten die Gemüther seiner Zuhörer für sich zu gewinnen und zu überrumpeln. Ausserdem, setzte er hinzu, würde es einem Rhetor durchaus nicht zum Ruhm gereichen, wenn er, selbst in einer ungerechten Sache, irgend wie einen Umstand ausser Acht lassen und ohne Kampf seinem Gegner das Feld räumen wollte. 5. Aber für einen so tugendreichen Mann, wie Metellus, der wegen seines sittlichen Ernstes und wegen seiner Wahrheitsliebe hinlänglich bekannt war, der durch seine Ehrenstellung und durch seinen Lebens- wandel die grösste Hochachtung sich erworben hatte, für diesen, fuhr Castricius weiter fort, schickt es sich durchaus nicht, in einer öffentlichen Ansprache an das römische Volk etwas Anderes vorzubringen, als was nur für ihn und alle Andern als die reinste Wahrheit gelten musste, zumal er über eine solche Thatsache sprach, die durch die tägliche Erfahrung und überhaupt durch den allgemeinen Verkehr im Leben Jedem bekannt geworden sein musste". 6. Da nun also Metellus gleich von vornherein kein Hehl daraus machte, dass, wie Allen ja vollständig bekannt war, es in der Ehe allerdings (wohl bisweilen) Verdruss und Unannehmlichkeiten gebe, und da er durch dieses offene Zugeständniss bei seinen Zuhörern den vollen Glauben an seinen Wahrheitseifer sich errang , so musste er zu dem Ende doch dahin gelangen, was unter allen Umständen von höchster Wichtigkeit und zugleich

I, 6, 4. Cfr. GeU. VI, (VII), 3, 17 (Cato).

I, 6, 4, Titus Castricius, ein lateinischer Rhetor unter Hadrian und Lehrer des Gellius.

I, 6, 4. *j Vergl. Gell. XV, 11 ; Sueton-Domitian 10; Id. de cU. rhet 1; Philost in Apoll. VII, 4; Ammian. Marceil. lih. XXX, 4 nennt Epicur die Gewerbs-Beredtsamkeit: xaxortxvia d. h. Kunst zu täuschen oder kurzweg : Bchlechte Kunst Sext. Empir. adv. Math. 2: MaxiuL Tyrius in Orat. 12.

Galliaa, Attische N&chte. 3

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(34) I. Buch, 6. Cap., § 6—8. 7. Cap., L., & 1.

die reinste Wahrheit war, seine Zuhörer ohne Mühe und un- vermerkt zu der Ueberzeugung zu bringen, dass ein kräftig gedeihliches Fortbestehen des Staates ohne häufige Ehebünd- nisse unmöglich denkbar sei. 7. Es giebt auch noch eine andere SteUe aus dieser Rede des Metellus, die nach unsrer Meinung wahrhaftig eben so oft gelesen zu werden verdient, als die Schriftstücke der* angesehensten Philosophen. 8. Des Metellus eigene Worte lauten so: „Die unsterblichen Götter haben die höchste Macht, allein sie sind uns nicht zu grösserer Liebe und Wohlwollen verpflichtet, als unsere Aeltern. Ent- ziehen nun aber selbst Aeltern den Besitz und Genuss der Erbschaft solchen Kindern, welche vom Pfad des Lasters nicht abzubringen sind, warum sollten wir also von den unsterblichen Göttern eine grössere Langmuth erwarten dürfen, im Fall wir nicht von unsern bösen Grundsätzen ablassen wollen? Denn recht und billig ist es, dass sie nur denen gnädig sind, die nicht gegen ihre Gebote handeln. Den unsterblichen GötteiTi gebührt es, Tugend zu belohnen, nicht aber sie zu vertheilen (auf dem Präsentirteller hinhalten)."

I, T, L. Dass iii folgenden Worten des Cicero aus seiner fünften Rede gegen Verres „hanc sibi rem praesidio sperant futurum" (d. h. dass ihnen diese Eigenschaft [des Bürgcrthums] zum Schutze dienen werde) das Wort „futurum'^ weder für einen Schreibfehler noch für einen Sprachfehler gelten könne, und dass die besonders Unrecht haben, welche die richtigen ^Text-) Ausgaben mit Gewalt verbessern und „futuram" schreiben (wollen); weitere Erwähnung eines anderen ciceronianischen Ausdrucks, der, weil er aus mustergiltiger Feder geflossen, nur mit Unrecht verändert wird; endlich Betrachtungen über einige Unregelmässigkeiten, die sich bei Cicero vor- finden, der doch stets die eitrigste Sorgfalt auf Wohlklang und Schönheit des Styles (der Satzgliederung) verwendete.

I, 7. Cap. 1. In der fünften Rede des Cicero gegen Verres (Cap. 65, § 167), in einer Ausgabe, die man zuverlässig

I, 7, L. Futuram (esse) als Infinitivns futuri activi war früher unveränderlich (wie der aus dem Supinum in „um" und dem Verbum „eo" entstandene Infinitivus futuri passivi nie verändert werden kann). Gfr. Gell. X, 14. Quinctil. IX, 2, 88. Spero iri (ich hoffe, dass man gehen wird) perditum (um zu verderben) urbem (als Object: die Stadt).

I, 7, 1. M. Tullius Tiro, Ciceros Freigelassener, war in Ciceros Hause von klein auf erzogen und wegen seiner Anlagen und seines Fleisses in den Wissenschaften von seinem Patronus zu einem Gelehrten herangebildet

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I. Buch, 7. Cap., § 1-4. (35)

für fehlerfrei halten darf, da sie durch die Hand des sorgfältig gewissenhaften und kenntnissreichen Tiro gegangen war, stand ^

Folgendes geschrieben: 2. ^Leute niederen Standes und von unbekannter Familie gehen in See und gelangen an Orte, die sie nie vorher betreten haben. Da können sie nun freilich nicht überall denen bekannt sein, zu denen sie gekommen, noch immer Leute vorfinden, die gerichtlich bezeugen, dass sie die inrklich sind, (für die sie sich ausgeben). Jedoch im festen Vertrauen auf ihr (römisches) Bürgerthum geben sie sich vollständig dem Glauben hin, dass sie nicht nur bei unsern (auswärtigen) obrigkeitlichen Behörden, die ja aus Furcht sowohl vor den Gesetzen, als vor der öflFentlichen Meinung zu ihrer Pflicht angehalten sind, dass sie auch nicht allein bei römischen Bürgern, welche sowohl durch eine (gemeinsame, Sprache, durch ein (gemeinsames) Recht, als auch durch eine Menge gemeinsamer Interessen (Vorthelle) verbunden sind, sichern Schutz und Hülfe finden werden; sondeni sie erwarten, dass, wohin sie auch immer kommen mögen, ihnen diese Eigenschaft (des römischen Bürgerthums) Schutz und Sicher- heit gewähren werde (hanc sibi rem praesidio sperant futu- rum)". 3. Viele glaubten im letzten Worte „futurum" einen Schnitzer (des Cicero) zu sehen, denn sie meinten, es hätte nicht geschrieben werden müssen „futurum", sondern „fiituram" und glaubten, dass man zweifelsohne die Stelle in der Schrift verbessern müsse, damit nicht, wie der Ehebrecher in dem Stück des Plautus, so nämlich spöttelte man über diesen Fehler, dieser Sprachverbindungsirrthum (soloecisrous) in der Rede des Cicero sich den Vorwurf zuziehe, „ein offenbarer (manifestarius)" zu sein. 4. Zufälliger Weise war ein Freund

worden. Vergl. GelL VI (VII), 3, 8 und XIII, 9, 1. Wie er von Cicero geschätzt nnd geliebt wurde, ergiebt sich aus dem im 16. Buche ad Fami- liäres enthaltenen, an Tiro gerichteten Briefen. Ihm verdanken wir die Sammlung von Ciceros Briefen. Er war in jeder wissenschaftlichen, wie geschäftlichen Beziehung das Factotum seines Herrn und lohnte dessen Vertrauen durch tadellose und unwandelbare Treue. Nach Gellius (lY, 10) beschrieb er das Leben seines Herrn. Vergl. Flut Cic. 41. 49.

I, 7, 8. Soloecismus s. Gell. V, 20, 1. Grammatisch unrichtige Verbindung der Wörter, Sprach verbindungsfehler , Verstoss gegen die Construction. S. Diog. Laert. in vita Solonis I, 2, 4.

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(36) 1 Buch, 7. Cap., § 4—9.

von mir da, ein höchst belesener Mann, der fast den grössten Theil der alten Literaturwerke durchforscht und selbst auf Kosten des Schlafes durchstudirt hatte. 5. Als dieser die Schrift eingesehen, sagte er, dass bei diesem Worte weder die Rede von einem Schreibfehler, noch von einem Sprachfehler sein könne, sondern Cicero habe sich nur einer mustergiltigen und echt altklassischen Aüsdrucksweise bedient. 6. Denn futurum, sagte er, ist nicht geradezu (auf den Accusativ des foeminini) auf „rem" zurück zu beziehen, wie es solchen, die ohne Ueber- legung und ohne Nachdenken lesen, wohl scheinen kann, auch darf es nicht als paiticipium angesehen werden, sondern es- ist als reiner Infinitiv zu betrachten, was die Griechen mit dem Worte anaqifAfparcov (beziehungslos) bezeichneten, weder von Zahl, noch Geschlecht abhängig, sondern ganz frei und ohne Beziehung. 7. Derselben Ausdrucksweise hat sich auch G. Gracchus bedient in der Rede, welche die Aufschrift führt : „Ueber P. Popilius in Ansehung der Versammlungsorte", wo sich folgende Stelle vorfindet: „Credo ego inimicos meos hoc dicturum d. h. ich glaube, dass meine Feinde dies sagen wer- den." Er sagt: amicos dicturum und nicht dicturos. 8. Ist hier nicht offenbar „dicturum" beim Gracchus nach derselben Regel gesetzt, wonach bei Cicero „futui-um" steht? Ganz so wie im Griechischen, ohne etwa als Fehler zu gelten, der- artige Wortformen, wie eQeiv (sagen werden), yronjaeiv (Ühun werden), taeöd^ai (sein werden), U^eiv (sagen werden) und andere ähnliche ohne geringste Veränderung (der Wortendungs- biegung) allen Zahl- und Geschlechtsformen beigesellt werden^ 9. Nach der Angabe (meines Freundes) soll auch im 3. Buche

I, 7, 7. G%j. SemproniuB Gracchus, der 9 Jahre jüngere, heissblütigere- Broder des Tiberius, ausgezeichnet durch Geist und Beredtsamkeit, ris& durch die Kraft und Gewalt seiner Rede Alles hin. Er diente unter seinem Schwager Scipio vor Numantia, war Quaestor in Sardinien, wurde darauf Yolkstribun, nahm die Pläne seines Bruders, die Beantragung eines Ge- setzes über eine neue Ackervertheilung wieder auf, zog sich den Hass der Aristokraten zu und fand dadurch seinen Untergang 121 v. Chr. Yergl.. Gell. XV, 12, 1 NB.

I, 7, 9. Q. Claudius Quadrigarius verfasste ein Geschichtswerk von grösserem Umfange, welches bald Annales, bald historiae, bald rerum Komanorum libri genannt wird. Von ihm heisst es bei Bemh. (A. L. 101 ^ 487): Er schrieb in grosser Schlichtheit mit der Symmetrie der alter-

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I. Buch, 7. Cap., § 9—13. (37)

der Jahrbücher des Claudius Quadrigarius folgende Stelle vorkommen: „Während (dort) diese |niedergehauen würden, würden die feindlichen Truppen hiei-selbst überfallen werden (können) (hostium copias ibi occupatas futunim)." Nach seiner Aussage lautete im 22. Buche der Jahrbücher von demselben Quadrigarius der Anfang so: „Wenn deiner Herzensgüte und unserm Herzenswunsche gemäss dir hinlängliches Wohlbefinden zu Theil wird, so können wir mit Sicherheit hoffen, dass es stete Absicht der Götter ist, den Guten gnädig und huldvoll zu sein (deos bonis bene facturum)." 10. So fände sich auch in des Valerius Antias 24. Buche eine ähnliche Stelle: „Wenn diese heiligen Gebräuche beobachtet und die Opfer ungestört wären vollzogen worden, sollen nach Erklärung der Opfer- schauer (anispices) alle Folgen nach Wunsch ausfallen (omnia ex sententia processurum esse)." 11. So setzt auch Plautus in seiner Casina (III, 5, 50), da er von einem Mädchen redet, occisurum und nicht occisuram und sagt wörtlich so: „Hat die Casina ein Schwerdt? Sie hat zwei. Warum zwei? Sie sagt, mit dem einen werde sie dich, mit dem andern den Meier tödten (occisuinim)." 12. So heisst es auch bei Laberius in den „Zwillingen" : „Ich glaube nicht, dass sie dies thun werde (hoc eam facturum)." 13. Es wussten also alle diese

th&melnden Rhetorik (Gell. XV, 1, 7), mit nicht geringen Archaismen und breitem Detail (Gell. II, 2, 13; IX, 13, 7) die Geschichten vom gallischen Brande bis auf seine Zeiten, und es wird bei GeU. X, 13, 4 sogar das 28. Buch seines Jahrbuchs oder seiner Staatschronik (annalis) angeführt» Nach Livius 25, 39 soll er die griechisch geschriebenen Jahrbücher des Acilius ühersetzt und bis auf den suHanischen Krieg fortgesetzt haben. S. Senec. de benefic. III, 23.

I, 7, 10. Q. Valerius Antias schrieb ein umfängliches Geschichts- werk von der Gründung Roms bis auf Sulla; erlaubte sich Uebertrei- bungen und war nicht ohne Schmähsucht Cfr. Gell. VI (VII), 19, 8; VII (VI), 8, 6; Liv. 37, 48; desgl. Beruh. R. L. 101, 487.

I, 7, 10. Ueber die Aruspices s. GeU. VI (VII), 1, 3 NB.

I, 7, 12. Decimus Laberius, 107 v. Chr. geb. und 44 gest., war römischer Ritter und von ausgezeichnetem Talente. Obgleich er seinen Nebenbuhlern Publius Sirus und Cn. Mattius überlegen war, wurde er wegen seines Freimuths denselben doch vom Caesar nachgesetzt Cfr. NB. Gell. VIII, 15. Vergl. Bemhardy R. L. 78, 356; desgl. Macrob. Sat H, 7. S. Teuffels röm. Lit 189, 7 und C. J. Grysar „der römische Mimus« (1854) aber Laberius.

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(88) I- Buch, 7. Cap., § IB— 17.

angeführten Schriftsteller doch sicher recht gut, was eia Sprachverbindungsfehler (soloecismus) ist, allein trotzdem sagten in dieser unbestimmten Nennform (als unveränderlicher Infinitivform) sowohl Gracchus: dicturum (anstatt dicturos), als auch Quadrigarius: futurum (für futuros) und facturum (für facturos), desgleichen Antias: processurum (für omnia-pro- cessura), feiner Plautus: occisurum (für occisuram), endlich Laberius: facturum (für facturam). 14. Und so steht diese BegrifiFsform (unverändert) ohne jede Beziehung weder auf die Verhältnisse der Zahl, noch der Personen, noch der Zeit, noch des Geschlechts, sondern schliesst alle diese Verhältnisse durch eine und dieselbe Endungsform ein. 15. So will Marcus Cicero das Wort futurum weder als männliche, noch als sächliche Form angesehen wissen, (denn dies würde unbedingt einen Sprachverbindungsfehler abgeben,) sondern er hat des Wortes sich bedient, frei von Berücksichtigung jeder weiteren Ge- schlechtsbeziehung (als blosse Infinitivform). 16. Eben dieser mein Freund behauptete auch noch, dass eine Stelle in des M. TuUius Rede, welche über den Oberbefehl des Pompejus handelt (Cic. pro leg. Manil. cap. 12, § 33), wörtlich ganz so gelautet habe, wie er sie uns gerade vortrug, nämlich: „Da, wie ihr wisst, eure eignen Häfen, ja diese Häfen, durch welche ihr lebt und athmet, den Seeräubern zur Verfügung standen (in praedonum fuisse potestatem)". 17. Er sagte, es sei diese Ausdrucks weise: in potestatem fuisse durchaus nicht etwa als ein Sprachverbindungsfehler zu betrachten, wie die halbge- bildete Menge vielleicht glauben könnte, sondern er versicherte, dass diese Redensart nach einem bestimmten und richtigen Sprachgesetz entstanden sei, welches auch bei den Griechen Sprachgebrauch sei, und auch Plautus, dem man im latei- nischen Ausdruck doch den feinsten Geschmack zuerkennt, sagte : „Zur rechten Stunde just noch fällt mir ein (numero mi in mentem fuit)." Er sagt (in mentem fuit und) nicht: in mente, wie man doch gewöhnlich sich auszudrücken pflegt.

I, 7, 16. üeber die Wahl des. Pompejus zum Oberfeldherm gegen Mithridates und Tigraues durch die lex Manilia.

I, 7, 17. Plautus verbonim Latinorum elegantissimus. Vergl. QeU« YI (YII), 17, 4 F. homo linguae atque elegantiae in verbis latinae princeps.

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I. Buch, 7. Cap., § 18-20. 8. Cap., L., § 1. (39)

18. Allein noch ganz abgesehen von Plautus, von dem mein Freund soeben ein Beispiel als Beleg anführte, auf eine be- deutende Masse ähnlicher auffallender Redensarten bei alten Schriftstellern bin auch ich gestossen und habe sie wie gewöhnlich allenthalben meinen Anmerkungen eingestreut.

19. Um aber vor der Hand von dieser Regel und den ferneren Beweisstellen ganz abzusehen, wird doch aus dem Klange und der Stellung der Worte vollständig ersichtlich, dass dem Tullius bei seiner bewährten Kunst im Ausdruck {iTvi^eleia vtüv Xi^ecov) und bei seinem anerkannten Rede -Wohlklang gerade diese Ausdrucksweise so ungemein muss zugesagt haben, dass, da es ganz in seiner Macht stand, von beiden als richtig anerkannten lateinischen Ausdrücken einen sich aus- zuwählen, er es doch vorzog, lieber „in potestatem" zu sagen und nicht „in potestate". 20. Denn eben jene Ausdrucksart (in potestatem) ist wohllautender und volltönender fürs Ohr, die andere Ausdrucksweise ist weniger voll und weniger kräftig, vorausgesetzt, dass Jemand ein feines Ohr hat und nicht etwa taub und unempfindlich für diesen Unterschied ist. Gerade ebenso verhält es sich mit der Stelle, wo er lieber die Form „explicavit" anwendete, für die damals schon gebräuchhcher gewordene „explicuit". Ciceros eigne Worte aus derselben Rede, welche er über den Oberbefehl des Pompejus hielt, lauten (cap. 11, § 30) also: „Zeuge ist Sicilien, welches Pompejus, da es von allen Seiten von Gefahren um- garnt war, nicht durch das Schreckniss des Krieges, sondern durch seinen schnellen Enfschluss befreite (explicavit)." Hätte er explicuit •" gesagt, würde der Wort- Wohlklang durch saft- und kraftlosen Rhythmus erlahmen.

I, 8, L. Erzählung, welche sich in den ßüchcrn des Sotion vorfindet,

über «lie (Forderung der) Buhlerin Lais und über (einen heimlichen

Besuch des Redners) Demosthenes (bei ihr).

I, 8. Cap. 1. Sotion, aus der peripathetischen Schule, ein Mann gewiss nicht ohne Ruhm und Verdienst, hat ein

I, 7, 20. Nach Sicilien war Pompcgos 671 im Alter von 25 Jahi'en in Folge eines Senatsbeschlusses gesendet worden, wo er den Perpenna ver- trieb, den Carbo gefangen nahm und tödten liess.

I, 8, 1. Ein Sotion war Schüler des Plato und Xenocrates, lebte

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(40) I. Buch, 8. Cap., § 1—5.

Werk verfasst, voll von bedeutendem und mannigfaltigem Geschichtsstoff und dieses Werk „Hörn der Amalthea (ycegag lifialO^eiagY genannt. 2. Dieser Ausdruck ist ohngefähr damit synonym (gleichbedeutend), was man lateinisch „comu copiae (Füllhorn)" nennt. 3. In diesem Buche findet sich über den Redner Demosthenes und die Buhlerin ' Lais folgende Geschichte. Diese Lais verdiente sich zu Corinth in Folge der Anmuth und des Liebreizes in ihrem ganzen Wesen be- deutende Schätze und hatte häufig (Liebhaber-)Besuche bei sich von den reichsten Männern (und Anbetern) aus ganz Griechenland. Doch wurde nie Einer (zu Gnaden) angenom- men, der nicht die von ihr geforderte Summe Geld sofort erlegen konnte. Der Preis aber, den sie für ihre Gunstbe- bezeigung forderte, war sehr bedeutend. 4. Daher soll jenes bei den Griechen ganz gewöhnliche Sprüchwort entstanden sein :

„Nicht Jedem ist vergönnt zu schiffen nach Corinth," weil Jeder, der zur Lais nach Corinth reiste und nicht die geforderte Summe erlegen konnte, unverrichteter Sache wieder abziehen musste. 5. Zu ihr unternahm denn auch der be- rühmte Redner Demosthenes ganz heimlich eine Reise. (Nach seiner Ankunft in Corinth begab er sich zu ihr) und stellte

IVdO V. Chr., wandte sich von der Philosophie zur Beredtsarakeit und wird auch Phocion genannt. Ein anderer S o ti o n war von Alexandrien. Er hiess der Aeltere, blühte unter Ptolemaeus VI, Philometor (181 145 v. Chr.), und war der erste Verfasser einer Geschichte der Philosophie. Athen. 4. 162, E); 8, 336, E); 1^3, C; 11, 505, B; Stob, florileg, 84, 6. 17. Der dritte Sotion von Alexandrien, der Jüngere, peripathetischer Philosoph, Bruder des Peripathetikers ApoUonios aus Alexandrien, lebte im 1. Jahrh. n. Chr. unter Kaiser Tiberius, war Lehrer des Seneca und Verfasser eines Sammelwerkes (x^Qug l4fjaX&tt(cg), worin wahrscheinlich fabelhafte Er- zählungen über Indien standen. Plutarch de fratem. amor. 16; Plut. Alex. 61; Phot cod. 167. 189; Tzetz. Chiliad. 7, 645; zu Lycophr. 1021; Ben. epist. 49. 108; Hieron. ad Ol. 198, 1; vergl. Sext Emp. adv. math. 7, 15 j). 373; Müll, fragm. historic. graec. t. III, 168, a. Dieser Sotion soll nach Stobaeus auch ein Werk über den Zorn verfasst haben. Amalthea, eine Nymphe, welche den Jupiter in seiner Blindheit mit Ziegenmilch und Honig ernährte; nach Anderen die Ziege selbst, deren Hom das nie ver- siegende Füllhorn ward. Amalthea ward vom Jupiter aus Dankbarkeit unter die Sterne versetzt und erhielt das Hörn des Ueberflusses, woraus sie nehmen konnte, was sie wollte. S. Diodor. Sicul. HI, 67.

I, 8, 3. lieber Lais s. Cic. Epist ad Farn. IX, 26, 6; Diogen. Laert. unter Aristipp. II, 8, 4. üeber ihre Liebhaber s. Athenaeus XlII.

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I. Buch, 8. Cap., § 5. 6. 9. Cap., L., § 1—4. (41)

ihr das Ansuchen, sie möchte ihm doch Gelegenheit geben, mit ihr in nähere Berührung kommen zu können. Allein da forderte Lais von ihm die ungeheuere Summe von 10,000 Drachmen oder von einem Talent. Dies beträgt nach unserm (römischen) Gelde 10,000 Denare = 5Va Sgr. = 1800 Thlr.). 6. Demosthenes, von einer solchen frechen Forderung des Weibes betroffen und über die Grösse der Summe sich ent- setzend, dreht ihr den Rücken und sagt im Weggehen: Ich bezahle die Reue nicht so theuer. Die griechischen Worte, -welche er gesagt haben soll, lauten weit niedlicher: Für Reue zahle ich nicht 10,000 Drachmen.

I, 9, L. Bemerkungen, welche Bestimmung und welchen Lehrgang in der

pythagoreischen Schale man beim Unterricht festhielt und wie viel Zeit

festgestellt und innegehalten wurde, während welcher man (nur) lernen

und schweigen musste.

I, 9. Cap. 1. Pythagoras und später auch seine Anhänger und Nachfolger sollen bei der Aufiiahme und Unterweisung von Schülern folgende Einrichtung und Verfahrungsart fest- gehalten haben. 2. Wenn sich junge Leute in der Absicht bei ihm meldeten, sich unterrichten zu lassen, so pflegte er zu allererst ihr Aeusseres zu prüfen und sich daraus ein Ur- theil über sie zu bilden {icfvöioyvM^ovet). Der Ausdruck „q^vaioyviofiovelv^ bedeutet: durch eine Art von Veriputhung das Wesen und die Anlagen der Menschen nach der natür- lichen Bildung und dem Ausdinick des Gesichts und nach der Gestalt und dem Aussehen der ganzen äussern Erscheinung (im Gesammteindruck^ zu erforschen suchen. 3. Wenn nun nach vorhergegangener Prüfung Einer von ihm für tüchtig erachtet wurde, so Hess er ihn sofort in die Schule aufnehmen und setzte ihm eine bestimmte Zeit fest, während welcher er das unverbrüchlichste Stillschweigen beobachten musste. Diese Zeit (des Slillschweigens) war aber nicht für Alle gleich, sondern für Verschiedene vei*schieden, je nach dem Ermessen der (Fähigkeit und geistigen) Anschlägigkeit des Einzelnen überhaupt. 4. Der Neuaufgenommene durfte, wenn er auch schweigen musste, doch mit anhören, was von Andern ge- sprochen wurde, doch war es für ihn strenges, heiliges Gebot, weder Fragen zu stellen über das, was er noch nicht recht

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(42) I. Buch, 9. Cap., § 4S,

verstanden hatte, noch seine Bemerkungen zu machen über das, was er mit angehört. Zwei Jahre wenigstens musste Jeder schweigen. Alle zusammen, welche diese erste Prüfung des Schweigens und Zuhörens noch zu bestehen hatten, wur- den „ccyLovoTiKol (Zuhörer)" genannt. 5. Nachdem sie diese schwierigste unter allen Aufgaben gelöst und schweigen, wie zuhören gelernt und durch Schweigsamkeit, wie Aufmerksam- keit ihren Geist und Verstand zu entwickeln angefangen hatten, (welche Prüfungszeit mit dem Worte ixefivO^ia d. h. Enthaltsamkeit im Reden benannt wurde), durften sie dann sprechen und fragen, Alles aufschreiben, was sie etwa gehört hatten und bekamen die Erlaubniss, mit ihren eignen An- sichten hervorzutreten. 6. Während dieser Periode wurden sie Mathematiker {fia&rjfiorixol), d.h. Lernende oder Studirende genannt, nämlich nach den Wissenschaftszweigen, welche sie kennen zu lernen imd worin sie sich zu üben angefangen hatten, weil die alten Griechen die Geometrie, die Gnomik und Musik und alle andern hohem Kenntnisse mit dem all- gemeinen Namen fia^r^fioza (Wissenschaften) bezeichneten. Der gewöhnliche Haufe freilich bezeichnet mit dem Begriff Mathematiker (fälschlich) diejenigen, welche (sich mit Wahr- sagerei und Stemdeuterei beschäftigen und die) man nach ihrem Landes- und Volksnamen eigentlich Chaldäer nennen sollte. 7. Ausgerüstet mit diesen erforderlichen wissenschaftlichen Kenntnissen nahmen sie einen weitem Anlauf, um über die Werke und Wunder der Schöpfung und über die Grundbe- stimmungen der Natur (ihre) Betrachtungen anzustellen und erhielten dann endlich den Namen q^vaixoi (Naturforscher, Naturphilosophen).

8. Als (mein Freund und Lehrer) Taurus sich über den

I, 9, 5. iyj^vii^fa {fx^iv Und fiXfihig^ Rede, eig.» Maulhalten. Plut. TiiQl nokv/TQnyfi, (Neugierde) cap. 9.

1, 9, 6. Ueber die Chaldäer GeU. XIV, 1; Tafcit Hist 1, 22; Suet. Domit. 15 (vergl. mit Tih. 69); Jnven. 14, 248; Spartian. Hadrian. 2; Tertull. Apol. 43.

1, 9, 7. (f.vaixol, Naturphilosophen werden die alten Philosophen vor Socrates genannt, weil sie den Anfang aller Dinge von der Natur ((fvan) ahleiteten, wie vom Feuer, Wasser.

I, 9, 8. Vergl. Beruh, r. L. 16, 61). Taurus Calvisius aus Berytus in Phönizien, Freund und Lehrer des Gellius, war ein Plato-

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I. Buch, 9. Cap., § 8. 9. (43)

Pythagoras und seine Schule so umständlich ausgelassen hatte, fuhr er in seinem (heiligen) Eifer weiter fort: Heutzutage geht es sogar so weit, dass diejenigen, welchen es plötzlich einfällt, ungewaschenen Fusses (d. h. ohne gehöiige Sorgfalt und Vorbereitung) sich zu den Philosophen zu wenden, in jeder Hinsicht ohne Ziel und Plan {a&ecoQijvoLX ohne wissenschaft- liche Vorbildung (afÄovaoi) und ohne jegliche Kenntniss in der Geometrie {ayeiofihQrjToi) sind, sondern auch noch (die Frechheit besitzen und) die Methode vorschreiben, wie sie in der Philosophie unterrichtet sein wollen. 9. Der Eine schreibt vor: „Zuerst unterrichte mich darin." Ein Anderer wieder: -Das will ich kennen lernen, jenes aber nicht." Dieser wieder trägt heftiges Verlangen mit dem Gastmahl des Plato zu be- ginnen, wegen des (fröhlichen Umzuges und) Nachtschmausses vom Aldbiades; noch ein Anderer will mit der Lecttire des

nischer PMiosoph, Schüler des Plutarch und lebte unter Antonius Plus. NachjSnidas hat er über den Unterschied der platonischen und aristote- lischen Philosophie geschrieben. Nach Gell. VII (VI), 14, 5 war er auch Verfasser eines Commentars über den Qorgias des Plato (vergL Gell. I, 26, 3); Plat. Timaeus 953, 18 ed. Tur; Euseb. Chron. ad a. Chr. 14.5. S. GeU. VII (VI), 10, 1 NB.

I, 9, 9. Comisatio. Von den Tafelfreuden hinweg zogenf üppig aus- gelassene junge Leute mit Gesang über die Strassen und überfielen noch irgend einen guten Freund (oder Bekannten, um bei ihm von Neuem zu schmaussen und zu zechen.

I, 9, 9. Alcibiades, berühmter griechischer Feldherr, geb. zu Athen 450 V. Chr, wurde, nachdem sein Vater in der Schlacht bei Chaeronea gefallen war, im Hause des reichen Pericles (s. Gell, XV, 17, 1 NB), seines mütterlichen Grossvaters und Vormundes erzogen und war Schüler des Socrates. Ausgezeichnet durch Geburt, Schönheit, Reichthum, hegte er auch grossen Hang zur Ausschweifung. 420 an der Spitze des Staates bewog er die Athener, mitten im Kriege mit Sparta, Sidlien zu erobern. Wegen Religionsfrevel vor Gericht gefordert, wird er in Folge seines Nichterscheinens zum Tode verurtheilt. Er flieht zu den Lacedämoniem und fuhrt diese siegreich gegen sein Vaterland. Später persischer Be- stechung angeklagt und abgesetzt, flieht er zum Artaxerxes nach Bithynien. Während seiner Anwesenheit auf einem Schlosse in Phrygien lässt der persische Statthalter Phamabazes, dem die Ermordung des Alcibiades übertragen worden war, bei Nacht das Schloss anzünden und den Alcibiades, der sich glücklich noch aus dem Ii euer rettete, ohngefähr 45 Jahre alt, mit Pfeilen erschiessen, 404 v. Chr. Comel und Plutarch haben sein Leben beschrieben.

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(44) I. Buch, 9. Cap., § 10—12. 10. Cap., L., § 1.

Phaedms beginnen, wegen der Rede des Lysais. 10. Ja, Gott seis geklagt, fuhr er fort, es giebt sogar Manchen, der den Plato zu lesen verlangt, nicht etwa um seinen (eignen) Le- benswandel zu verbessern, sondern nur um Sprache und Aus- druck zu schniegeln und nicht in der Absicht, um sich in der Tugend der Bescheidenheit zu vervollkommnen, sondern nur um ergötzlicher und unterhaltender zu werden". 11. Solche Betrachtungen pflegte Taurus anzustellen, wenn er die neuen PhilosojAen-Anhänger mit den älteren Pythagoräern verglich. 12. Allein zu Obigem muss ich nachträglich noch ergänzend hinzufügen, dass alle diejenigen, welche in jenen Wissen- schaftsverband der Pythagoräer aufgenommen worden waren, ihr ganzes eignes Hab und Gut der (Bruder-)Vereinigung zu gemeinschaftlichem Gebrauch überliessen (Communismus). Und so wurde ein ähnliches, unzertrennliches Bruderbündniss ge- schlossen, wie ohngefähr jenes alte berühmte Gütergemein- schaftsverhältniss gewesen sein mag, welches nach römischem Recht und Ausdruck „herctum non citum (ungetheiltes Erb- gut)" heisst.

I, 10, L. Mit welchen Worten der Philosoph Favorin einem' jungen Menschen einen Verweis gab, der sich altvätrischer und urweltlicher Aus- drücke bediente.

I, 10. Cap. 1. Der Philosoph Favorin sagte zu einem jungen Manne, der begierig nach veralteten Ausdrücken

I, 9, 10. Selbst Jupiter würde, nach der Meinung der Alten, wenn er hätte griechisch reden wollen, sich nur der Ausdrucksweise Piatos bedient haben.

I, 9, 12. herctum (elQxrov »«= fl^xtrj, eigentlich das eingeschlossene Gehöft, von (Yq- to, dann tropisch) das darin enthaltene Erbgut, die Erb- schaft. Vergl. Paulus S. 82 (L. Mercklin).

I, 9y 12. Quod quisque familiae pecuniaeque habebat, von seinem Besitzthum und seinem Hauswesen, was Jeder an (Sklaven und) Viehstand besass. S. Lange, röm. Alterthümer § 30 (a5) 97.

I, 10, L. Cfr Gell. XI, 7. üeber Favorin s. Gell. I, 8, 27 NB.

I, 10, 1. Manius Curius Dentatus aus plebejischem Geschlecht, ein Muster der seltensten Einfachheit und Uneigennützigkeit, besiegte die Samniter'und Sabiner, sowie den Pyrrhus in der Schlacht bei Benevent (cfr. Gell. X, 16, 16; XIV, 1, 24); Cic. Sen. 16, 55; Apul. de mag. 17; Val. Max. 4, 3, 5 und 6; Aur. Vict. vir. ill. 38; Plin. 7, 16; Flor. I, 15;

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I. Buch, 10. Cap., § 1--4. (45)

haschte und selbst bei alltäglichen und gewöhnlichen Ge- sprächen viele sehr altmodische und fremdartige Wörter aus» kramte: „Unsere Ältesten Männer der Republik, Curius und Fabricius und Coruncianus und jenes grosse (Brüder-)Drei- gestim, die Horatier, noch älter als die Vorgenannten, unter- hielten sich klar, deutlich und verständlich mit den Ihrigen und entlehnten ihre Ausdrucksweise nicht von den ersten und ältesten Einwohnern Italiens, von den Amnciern, Sicanern oder Pelasgern, sondern bedienten sich der zu ihrer Zeit gebräuch- lichen Sprache. 2. Du aber, gerade als sprächst du mit der Mutter Evanders (eines italischen Königs, der noch vor der Eroberung Trojas und vor Erbauung Roms lebte), du bedienst dich einer Ausdrucksweise, die nun schon seit vielen Jahren abgestanden, nur um des willen, weil du beabsichtigst, dass Niemand wissen und verstehen soll, was du sprichst. Ja, du närrischer Kautz, wenn du denn doch deinen Wunsch so recht vollständig erfüllt haben willst, warum schweigst du da nicht lieber ganz? 3. Du führst deshalb zu deiner Entschuldigung an, dass du Gefallen hast an jener alten Zeit, weil da noch Ehrbarkeit, RechtschaflFenheit, Mässigung und Bescheidenheit in Ansehen stand. (Da muss ich dir nun freilich den guten Rath geben:) 4. Lebe den ehemaligen Sitten gemäss, allein

Lucan. 7, 358; Juv. 11, 78; Hör. carm. I, 12, 41; Verg. Cul. 365; Macrob. I, 5; Cic Süll. 7.

C. Fabricius Luscinus, Gegner des Pyrrhus um 279 v. Chr. s. Cic Tusc. 3, 23; Id. Brut 14; Juv. 2, 154; Flor. I, 18* Hör. carm. I, 12, 10; Aurel. Vict. vir. ill. 35; Eutrop. 2, 7; Val. Max. 4, 3, 6; Quint. 7, 2, 38; Just 18, 2, 6; Claud. cons. Honor. 4, 413; Pacat pan. Theod. Aug. 9, 5; GeU. I, 14, 1 NB.

Coruncanius, Cic. Plane. 8, 20; Sen. ep. 114; Liv. 1, 38; Tac. A. 11, 24.

I, 10, 1. Aurunci, gleichbedeutend mit (Ausuni) Ausones, Urein- wohner von Mittel- und Unter-Italien in Campanien.

Sic an i,. ein aus Spanien eingewanderter, iberischer Stamm, der*längs der Westküste Italiens wohnte und von da nach Sicilien zog.

Pelasgi, die ältesten Einwohner Griechenlands, welche von Herodot für die Ureinwohner gehalten werden (Gell. V, 21, 7 Aborigenes). Vergl. Bernhard. R. L. 27, 103.

I, 10, 2. Euander (Gutmann), Sohn der Carmenta und des Mercur. s. Ammian. MarceUin. SO, 4. Vergl. Gell. XVI, 16, 1 NB.

I, 10, 4. Cfr. Gell. U, 25. Caesar de analogia ad M. Ciceronem, die

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(46) I. Buch, 10. Cap., § 4. 11. Cap., L., § 1.

rede in den jetzt üblichen Ausdrücken und behalte jenen Ausspruch Caesars, dieses Mannes; ausgezeichnet von Geist und Klugheit, stets vor Augen und im Herzen, einen Aus- spi-uch, den dieser im ersten Buche seiner Schrift „über die Analogie" niedergelegt hat und welcher den Rath enthält, dass man ein abgekommenes, ungewöhnliches Wort wie einen Felsenriflf vermeiden müsse.

1, 11, L. Des berühmten Geschichtsschreibers Thucydides Erzählung, dass die Lacedämonicr sich nicht der Trompete, sondern der Flöten beim TreiTen bedient haben und seine wörtlichen Bemerkungen über diese That- sache; sodann, dass nach der Angabe Herodots der König (H) Alyattes Pfeifer und Flötenspieler um sich gehabt habe; endlich folgen hier auch noch einige Bemerkungen über die (iistula contionaria d. h.) Flöte, vorauf sich Gracchus, wenn er zum Volke sprach, den Ton soll haben

angeben lassen.

I, 11. Cap. 1. Thucydides, dieser glaubwürdigste griechische Geschichtsschreiber erzählt uns, dass ^e höchst kriegerischen Lacedämonier bei ihren Treffen sich nicht der Hörn- oder Trompeten-Hiefe (Signale) bedient habeii, sondern nur Flötenklänge eitönen Hessen, durchaus nicht etwa kraft irgend welcher hergebrachten religiösen Obliegenheiten, noch wegen gottesdienstlicher Handlung , noch um das Herz der Krieger anzureizen und zur Aufregung zu steigern, was durch Homer und Zinken als rauschenden Instrumenten leicht hätte bewirkt werden können, sondern damit im GegenÖieil die Ge- müther der Soldaten leidenschaftsloser und ruhiger gestimmt würden, weil man durch die Weisen des Flötenspiels (eher) ruhig

erste Formenlehre der lateinischen Grammatik, eine Theorie der Grammatik in einem wissenschaftlichen System. Vergl. Bernhardy R. L. 103, 491; desgl. Gell. IV, 16, 9; EX, 14, 25; XV, 9, 1. 4 :- aequabititas und II, 25, 2 =8 proportio; XIX, 8, 3. 7; Cic. Brut. 72, 253 de ratione loquendi; Quinctil. I, 6, 1; 1, 5, 13; I, 6, 3 etc. cl. Cic. Att 6, 2; Suet. Caes. 61 (56) und Teuffels Gesch. d. röm. L. 192, 4.

I, 11, L. Thucydides, berühmter griechischer Geschichtsschreiber aus Athen, geb. 470 v. Chr., wurde verwiesen, weil er als Offizier Amphipolis in Thrakien nicht entsetzt hatte. Er schrieb die Geschichte des pelopon- nesischen Krieges, welche hernach von Xenophon fortgesetzt wurde.

I, 11, 1. Cfr. Val. Max. II, 6, 2. Ammian. Marceil. 24, 6 im ana- pästischen Takt und Versmass rückten besonders die Spartaner vor. Plutarch mor. „Bezähmung des Zorns« 12. und „über die Musik** 26.

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I. Buch, 11. Cap., § 2—7. (47)

stimmt wird. 2. Sie waren der Meinung, beim Losgehen auf den Feind und beim Beginn der Schlacht sei nichts geeigneter, die Sicherheit des Gefühls und den Muth der Krieger zu erhöhen, als wenn sie durch mildere Weisen besänftigt, nicht gleich ohne die nöthige Ruhe und Ordnung drauf losstürmten. 3. Wenn das Heer zum Kampf gerüstet und die Schlachtreihen geordnet waren und man eben auf den Feind loszugehen im Begriff stand, begannen die unter den Tnippen vertheilten Pfeifer aufzuspielen. 4. Durch diese vor Beginn des Treffens angestimmten, ruhigen und feierlichen Kh^nge hielt man, gleichsam wie nach dem System einer Kriegsmusik, das heftige Ungestüm der Soldaten in Schranken, dass sie nicht in zerstreuten und ungeschlossenen Reihen vorstürmten. 5. Es ist wohl erlaubt, dieses ausgezeichneten Schriftstellers eigne Worte anzuführen, welche sowohl ihrer Erhabenheit, als auch ihrer Glaubwürdigkeit wegen besonders werthvoll sind (Thucyd. V, 70): „Hierauf nun folgte der Angriff. Die Archiver und ihre Bundesgenossen rückten nun rasch und hitzig vor, die Lacedämonier aber langsam und unter Klängen vieler in ihren Reihen vorschriftsmässig vertheilter Flötenbläser. Öies geschah nicht der Gottheit zu Ehren, sondeni damit die Soldaten nach dem Takte gleichmässig , in festgeschlossenen Gliedern mit ihrem ganzen Gewicht auf den Feind herfallen möchten, wel- ches immer die beste Art ist, einen Feind anzugreifen."* 6. Nach vorhandenen Berichten sollen auch die Gretenser die Gewohnheit gehabt haben, bei Beginn der Schlacht nach dem Klang und Takt der Harfe zu marschiren. 7. (H) Alyattes aber, Lydiens König, der sich durch seine ungewöhnliche Lebensweise und Verschwendung(slust) auszeichnete, führte,

I, 11, 3. procincta classis, das römische Volk der Centuriat-Comitien cfr. Gell. XV, 27, 8. Veiigl. Veget m, 14. Lange röm. Alterthüm. § 59, p. (342) 402 erklärt: „classis (griechisches Lehnwort für xXrjaig, dorisch xlaai^, Dion. 4, 18) wörtlich die Ladung, bedeutet das aufgebotene Heer, classis procincta z. B. das in Schlachtordnung stehende, kampfbereite Heer (Gell. X, 15^ 4; cfr. XV, 27, 3; Fest 189. 249; Paul. 56. 225; vcrgULiv. 4, 34), der Plural classes ajso die einzelnen Abtheilungen des Heeres, wie sie der Reihe nach zum Kampfe gerufen werden."

I, 11, 7. (H) Alyattes, König von Lydien, Vater des Groesus, starb 400 V. Chr. S. Plin. H. N. ü, 12 (9), 53.

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(48) I. Buch, 11. Cap. § 7—12.

als er die Milesier bekriegte wie Herodot in seiner Geschichte erzählt (Herod. I, 17), ein Chor(-Orchester) von Pfeifern und Saitenschlägem mit sich und hielt in seinem kampfgerüsteten Heere auch noch weibliche Flötenspielerinnen zur Lust der zügellosen Tischgesellschaft. 8. Nach dem Zeugniss Homei*8 haben die Achaeer nicht nach Saiten- und Flöten-Schall, son- dern voll Muth und Vertrauen in stiller, | tiefer Uebereinstim- mung ihrer Gedanken und Herzen das Treffen begonnen. (Hom. B. HI, 8. 9.)

Lautlos zogen sie dort, die muthdurchglahten Achäer, YoU Verlangen im Herzen, im Kampfe einander zu helfen.

9. Was will jenes abscheuliche Geschrei der römischen Sol- daten, welches nach Berichten der GeschiC^htsschreiber jedes- mal beim Anfange des Kampfes erhoben zu werden pflegte? War es nicht ein Verstoss gegen die höchst löbliche Einrich- tung einer alten, langjährigen Bestimmung? Oder sollte das Heer dem kaum mit Augen sichtbaren, noch in weiter Ent- fernung stehenden Feinde sich nicht lieber langsam und st'liweigend nähern ? Aber im Augenblicke, wo es zum Hand- gemenge kommt, soll sich dann der Soldat muthig auf den nahen Feind stürzen und ihn durch lautes Geschrei erschrecken?

10. Doch halt, bei Veranlassung des obenerwähnten, bei den liaeedämonieni gebräuchlichen Flötenspielens erinnere ich mich nachträglich noch an die Flöte, deren sich Gracchus soll bedient haben, und womit er sich begleiten und die Tonfälle habe angeben lassen, wenn er zum Volke sprach. 11. Allein die Sache verhält sich keineswegs so, wie sie meist erzählt wird, dass Gracchus gewöhnlich sich einen Flötenspieler hielt, der hinter ihm stand, während er sprach, und den er sich deshalb hielt, um durch verschiedentliche Tonweisen seine Leidenschaft und Vortragsweise bald zu dämpfen, bald anzu- fachen. 12. Was wäre wohl thörichter als dies, wenn man

I, 11, 8. Plutaich „wie soll der Jüngling die Dichter lesen" cap. 10.

I, 11, 9. S. Ammian. 16, 11; Frontin. Strategem. HI, 9.

I, 11, 10. Cfr. Val. Max.yin, 10, 1; Plutarch „über Bezälimung des Zorns" 6. Cic. de orat III, 60, 225. üeber G. Gracchus s. Teuffels Gesch. d. röm. Lit. 140, 5; GelL XI, 13, 1.

I, 11, 12. Barfussiger Tänzer, planipes saltans («* fjifjios, vergl. Juv. 8, 189; Macr. Sat II, 1 p. 331; Quint. 5, 11, 24; Aus. Ep. 11; Diomed.

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I. Buch, II. Cap., § 12—17. (49)

sich denken wollte, dass ein' Flötenbläser durch sein Spiel, wie etwa einem barfüssigen Tänzer, gerade so dem Gracchus zu seinen Reden, die er ans Volk hielt, Schwung, Wohlklang und mannigfaltige Abwechslung eingehaucht haben sollte ? 13. Allein wie man aus ganz sichrer Quelle berichtet, soll Gracchus einen, den Umstehenden vollständig verborgenen Musiker mit kurzer Flöte hinter sich gehabt haben, von dem er sich einen etwas tiefen Ton leise anblasen liess, um seiner Stimme Donnerton zu massigen und zu hemmen. 14. Denn nach meiner Meinung darf man sicher nicht annehmen, dass jene angebome Heftigkeit des Gracchus noch eines äusseren Antriebes und einer besondem Anregung zur Leidenschaft und zur Begeisterung bedurft habe. 15. Marcus Cicero ist in- dessen doch der Ansicht, dass dieser Flötenbläser zu doppeltem Zweck vom (Gajus) Gracchus verwendet worden sei, um sich bald durch sanfte, bald durch starke, heftige Töne ein Zeichen geben zu lassen, entweder den schwachen und schleppenden Redeton zu beleben, oder den zu zügellosen und zu leiden- schaftlichen Redestrom zu bändigen. 16. Ich lasse gleich Ciceros eigne Worte folgen (de Orat. III, 60, 225): „WoW wusste dies der obenerwähnte Gracchus, wie du mein lieber Catulus von deinem Schutzbefohlenen Licinius, einem wissen- schaftlich gebildeten Manne, der damals als Sklave sein Schreiber war, vernehmen kannst. So oft er nämlich eine Rede an das Volk hielt, liess er insgeheim gewöhnlich einen kunstverständigen Mann mit einer elfenbeinernen Flöte hinter sich treten, welcher ihm schnell den rechten Ton anblasen musste, um ihn anzuregen, wenn er zu schlafiF redete, oder znrückzuinifen , wenn er in allzugrosse Heftigkeit (Ekstase) gerieth." 17. Jene oben erwähnte Sitte, nach den (Marsch-) Klängen, welche die Flötisten anstimmten, in den Kampf zu gehen, ist, wie uns Aristoteles in den Büchern „seiner Streit-

m, 480, 487 P; Fest p. 181, 28 M.; Sen. ep. 8, 8), der keine caicei anhatte (excalceatus, vergl. Donat Fragm. de com.) s. Teuffel, röm. Lit § 8, 10 und Gell, m, 12, 4 NB. über Mimus, und GeU. XII, 10, 7 NB. über Atellanae fabulae.

I, 11, 17. Chorgesänge (im anapästischen Marschrhythmus gedichtet) unter Flötenbegleitung, des zum Angriff vorschreitenden Heeres. Aristot Problem.? S. NB. § 1.»

Gellitts, AtÜdche N&chto. * 4

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(50) I. Buch, 11. Cap., § 17—19. 12. Cap., L, § 1.

fragen (problematon)" berichtet, von den Lacedämoniern ein- geführt worden, damit die Furchtlosigkeit (securitas) und Kampfeslust (alacritas) der Soldaten in ihrer vollen Grösse deutlicher und bestimmter zu Tag treten könnte. 18. Denn Mangel an Selbstvertrauen (dif&dentia) und Zaghaftigkeit, sagte er, entsprechen keineswegs dieser Art in den Kampf zu gehen, und ein sichrer, stattlich taktmässiger Gang ist bei den Feigen und Furchtsamen nicht zu erwarten. 19. Des Aristoteles kurze Bemerkung über diesen Gegenstand lautet wie folgt: „Warum gehen die Krieger nach dem Klange der Flöten zum Kampf? Um die feigen haltungslosen Memmen zu erkennen."

I, 12, L. Wie alt eine Jungfrau der Vesta und welcher Abstammung sie sein muss; dann unter welcher Förmlichkeit, feierlichen Gebrauchen und religiösen Handlungen und mit welchem Namen sie vom Oberpriester gewählt wurde; dann welche Rechtsbefugniss ihr, sobald sie einmal gewählt war, zustand, und dass sie, nach dem Bericht des Labeo, nie Einen beerben kann, der ohne Testament gestorben ist, nocli dass ebensowenig Jemand sie gesetzlich beerben kann, falls sie kein Testament hinterlässt.

I, 12. Cap. 1. Alle Diejenigen, welche über die Wahl einer (vestalischen) Jungfrau und deren Aufnahme als Priesterin

I, 11, 19. S. Plutarch „Lakonische Denksprüche AgesUaos'' 36, und „über Bezähmung des Zorns'' 10; über Musik 26.

1, 12, 1. lieber Labeo Antistius s. Teuffels Gesch. d. röm. Lit. § 260, 1. 2.

I, 12, 1. Q. Mucius Scaevola (s. Gell. III, 2, 12 NB. und VI (VII), 15, 2) und Servius Sulpicius Bufus (Gell. II, 10, 1) hatten durch ihre systematische Behandlung des Rechtes die Rechtskunde als wahre Wissen- schaft (ars) eingeführt Unter Augustus stieg der Einfluss der Juristen noch mehr, als die responsa derselben durch seinen Machtspnich bei Rechtsfragen vor Gericht Gesetzeskraft erhielten. Die bedeutendsten Juristen waren bis zu Augustus, ausser den zwei genannten C. Aquilius GaUus (GeU. XV, 28, 3), C. Aelius Gallus (GelU XVI, 5, 3), P. Alfenus Varus, der Schüler des Servius Sulpicius (Gell. VII (VI), 5, 1), C. Trebatius Testa (GeU. IV, 2, 10) und A. Cascellius.. Dadurch, dass diese Rechtsgelehrten ihre Meinungen in Schriften bekannt machten und schriftlich und mündlich ihre Ansichten vertheidigten und aus mancherlei Ursachen in ihren Meinungen sehr oft verschieden waren, wurde Anlass gegeben, dass länger als ein Jahrhundert fast alle Rechtsgelebrten in zwei grosse Parteien (Schulen) getrennt und nur wenige neutral oder eklektisch waren. Vor AUen war es nun Q. Antistius Labeo, dieser berühmte und gelehrte Jurist unter

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L Buch, 12. Cap., § 1-3. (51)

in den Orden der Vesta geschrieben haben, wie z. B, Labeo Antistius, dessen schriftliche Berichte mit der höchsten Sorg- falt abgefasst sind, Alle stimmen in der Versicherung ttberein, dass nach heiligem Gebote eine solche Jungfi*au nicht unter 6 und nicht Ober 10 Jahre alt sein durfte (also zwischen dem 6. und 10. Lebensjahre gewählt werden musste). 2. Inglei- chen musste sie noch Mutter und Vater am Leben haben. 8. Dann musste sie frei von jedem Sprachgebrechen sein, durfte das Gehör nicht verloren haben, noch gar durch ein

AngustuB, der genaue sprachliche Forschungen angestellt hatte und Vieles aus dem Schatze seiner Gelehrsamkeit auf das Recht anwendete. Vergl. Gell. Xni, 10; Xlü, 12; XIH, 13; desgl. Bemh. R. L. 40, 149, und 47, 185). Er war Eiferer für die freiere Verfassung und wurde der Gründer der proculejanischen Rechtsschule, den Cassianem entgegengesetzt, deren Ausgangspunkt At^us Capito (Gell. I, 12, 8 NB.). Die Procul^aner gingen Ton schärferer Begrifisbestimmung aus, suchten die Interpretation der Ge- setze aus philosophischen Prinzipien herzuleiten und zu begründen und führten, wie Labeo selbst, eine mehr philosophische Behandlung des Rechts «in. Diese beiden Rechtsschulen hielten sich bis Hadrian.

Zu den Proculcganem oder Pegasianem gehören folgende: ,

Q. Antistius Labeo,

Cocc^us Nerva, der Vater,

Sempronius Proculus unter Otto und Vitellius,

Cocc^us Nerva, der Sohn,

Pegasus zur Zeit Vespasians,

P. Juventius Celsus, der Vater,

Celsus, der Sohn,

Neratius Prisrus (Gell. IV, 4, 4) von Tn^jan und Hadrian sehr geachtet Die Sabinianer oder Cassianer sind folgende:

Atcgus Capito,

Masurius Sabinus, unter Tiber (s. Gell. HI, 16, 23 NB.; XIV, 2, 1).

Gaius Cassitts Longinus, unter Tiber und Nero.

Gaelius Sabinus,

Jabolenus Priscus, zur Zeit Antonius des Frommen,

Abumus Valens,

Tusdus Fuscianus,

Salvius Julianus.

Alle diese aber wurden später durch fünf folgende Männer verdunkelt: Gaius, Aemilius Papianus, Jul. Paullus, Domitius, Ulpianus und Herennius Modestinüs, deren Auctorität nach Verordnung von Theodosius 11. und Talentinian III. 426 n. Chr. allein massgebend und geltend wurde.

I, 12, 2. Patrima et matrima vergl. Festus p. 245.

I, 12, a. ?. Phitarch, römische Forschungen {(eh. IK) 53.

4*

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(52) I. Buch, 12. Cap., § 4-8.

Körpergebrechen gekennzeichnet sein, 4. Ferner durfte weder sie selbst, noch ihr Vater freigelassen sein, selbst wenn sie bei Lebzeiten unter der Obmacht ihres Grossvaters gewesen. 5. Weiter durfte weder Eins ihrer Aeltern, noch gar Beide Sklavendienste gethan haben, noch mit verächtlichen Ge-» werbszweigen im Zusammenhang gestanden haben. 6. Allein Eine, deren Schwester schon zu diesem priesterlichen Amt gewählt und aufgenommen war, konnte dies, wie es heisst, als^ Entschuldigungsgrund gebrauchen und Anspruch machen auf Befreiung (von Aushebung zu diesem Dienst); desgleichen Eine, deren Vater ein Flamen (Oberpriester), oder Augur (Wahrsager) war, oder einer von den 15 Männern für gottesdienstliche Verrichtungen, oder einer von den 7 Be-^ so r gern der Göttermahlzeiten, oder gar salischer Priester (des Mars). 7, Auch der Braut eines Priesters und der Tochter eines Opfermusikers pflegte Befreiung von diesem Priesteramt ertheilt und zugestanden zu werden. 8. Ausser- dem ist in des Atejus Capito Schriften eine Verordnung auf- bewahrt, wonach auch die Tochter desjenigen nicht gewählt werden darf, der seinen Wohnsitz nicht in Italien hat, und auch die Tochter eines Vaters von drei Kindern frei zu geben

I, 12, 6. Quindecimyiri (Fünfzehmnänner), bis auf diese Zahl von Sulla gebracht, ein PriestercoUegium, welches die sybillinischen Bücher, die in dem Tempel des Jupiter Capitolinus verwahrt wurden, nachschlug und auslegte und dabei die üblichen Opfer zu yerrichten hatte. Zu dieser Würde konnten nur Patricier oder Plebejer aus den edelsten Familien gelangen (cfr. Gell. I, 19, 11).

I, 12, 6. Septemviri epulonum (auch epulones). Diese sieben Männer hatten die den Göttern zu Ehren veranstalteten, feierlichen Gast- mahle zu besorgen. Bei solchen Gelegenheiten wurden die Bildsäulen der Gottheiten auf kostbare Polster gesetzt und diese Feierlichkeit hiess lectistemium. Die Salier (von salire, tanzen, springen, s. Dionysius II,. 70) waren Priester des Mars i|nd mussten bei gewissen Gelegenheiten heilige Tänze aufführen und Lobgesänge zu Ehren des Kriegsgottes singen.

J, 12, 8. VergL Gell. 1, 12, 1, C. Atejus Capito, welcher zu Rom die (andere) berühmte Bechtsschule gründete und ein Gegner des Q. Antistius Labeo war, hielt mehr auf die Auctorität seiner Vorgänger, als auf das Hergebrachte und Herkömmliche und war ein Schmeichler des Augustus und Tiberius. Sein Schüler war Masurius Sabinus (s. Gell. IH,. 16, 23 NB.), nach dem die andere Bechtsschule ihren Namen erhielt

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L Buch, 12. Cap., § 9—12. (53)

ist 9. Sobald eine solche vestÄlische Jungfrau gewählt, in den Vorhof des Vestatempels abgeführt und den Priesterinnen fibergeben worden war, sogleich von diesem Augenblicke an, ohne dass sie erst brauchte mündig gesprochen zu werden <sine emancipatione) und ohne dass sie ihrer Familienrechte "verlustig ging (sine capitis minutione), hatte alle väterliche Oewalt über sie ein Ende (e partis potestate exit) und sie erlangte sofort das Eecht, frei über ihr Eigenthum zu ver- fügen (jus testamenti faciundi). (Denn sie war nun aus der väterlichen Gewalt in die der Göttin übergegangen.) 10. üeber die Art und die Förmlichkeit bei der Wahl und Aufnahme einer Jungfrau sind nun ausser der Nachricht, dass die erste, welche gewählt wurde, vom König Numa gewählt worden sei, eigentlich weiter keine älteren schriftlichen Nachweise vor- handen. 11. Allein es findet sich noch das papische Gesetz vor, wonach die Verordnung vorgesehen ist, dass nach dem Gut- dünken des Oberpriesters zwanzig Jungfrauen aus dem Volke gewählt werden und dass von dieser Anzahl eine Auslosung in öffentlicher Versammlung stattfinden, und dass diejenige Jungfrau, deren Loos gezogen worden, der Oberpriester sofort ergreifen und sie dUr Vesta weihen soll. 12. Allein diese nach dem papischen Gesetz angeordnete Auslosung wird jetzt nicht mehr für nöthig erachtet. Denn wenn jetzt Jemand, der ehrbarem Stande angehört, zum Oberpriester geht und ihm seine Tochter zum Priesteramte anbietet, und sein Antrag unter strenger Beobachtung und Erfüllung der sonstigen durch die Religion gebotenen Pflichten und Bedingungen, berück- sichtigt werden kann, so findet die Erlassung der Vorschrift nach dem papischen Gesetz durch die gefällige Genehmigung des Senats statt (d. h. so wird diese durch die Gunst des Senats eben so zugelassen, wie eine, die nach dem papischen

I, 12, 9. S. Savigny, röm. Recht II, 505. Die Vestalin trat aus der väterlichen Gewalt aas und aus der Agnation. Es fand also zwar bei ihr eine Veränderung (mutatio) Status statt, doch erlitt sie dabei keine capitis deminutio. Diese capitis deminutio hatte drei Grade: 1) maxima, Verlust der Freiheit, 2) media, des Bürgerrechts und 3) minima, des Rechts, ein Mitglied einer bestimmten Familie zu sein, in der man geboren war, ohne dass dabei Bürgerrecht oder Freiheit verloren ging, so z. B. bei Adoption, oder bei Frauen durch ihre Verheirathung.

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(54) I. Buch, 12. Cap., § 13. 14.

Gesetz ausgelost und gewählt worden ist). 13. Es scheint, als habe man sich deshalb für die Wahl des Ausdrucks „capi'' bedient, zur Bezeichnung, dass die Jungfrau ergriffen werde, weil sie von dem Vater, in dessen Gewalt sie war, durch die Hand des Oberpriesters in Besitz genommen und gleich wie eine Kriegsgefangene abgeführt wurde. 14. In dem ersten Buche des Fabius Pictor finden sich die für diesen Fall vor- geschriebenen und durch den Gebrauch eingeführten Worte vor, die der Oberpriester sagen muss, wenn er die Jungfrau ergreift (d. h. wählt oder erkürt). Die Worte lauten so: „Zur heiligen Priesterin, deren Aufgabe es ist, die der Vesta geweihten Dienste zu versehen (zu wachen und zu beten), der als heilige Jungfrau das Recht zusteht, eine vestalische Priesterin (für den Dienst) einzurichten (und geschickt zu machen, quae jus siet sacerdotem Vestalem facere) für das Wohl des römischen Volkes und des ganzen Staates, wie es nach bestem Fug und Recht gehalten wurde, gerade so Amata

I, 12, 14 und 19. Nicht unwahrscheinlich ist die Behaaptong, dass das Wort Amata 14 und § 19) altem und%och über Numa hinaus- reichenden pelasgischen oder griechischen Ursprungs und eigentlich dem bei den Priestern üblichen Ausdruck: a^fAttta (=» a^fjarog, d^afjarog, noch unverbunden, unverheirathet, ledig, keusch) entlehnt ist. Als man die griechische Abstammung vergessen hatte, wurde Admata in Amata umgewandelt So hiess auch die Gemahlin des Latinus, Königs von Latium, vielleicht weil sie vor ihrer Yerheirathung eine auserwählte Vesta- lische Jungfrau war, Amata.

I, 12, 14. üeber Fabius Pictor s. GeU. X, 15, 1 NB. u. Teuffei röm. Lit. 189, 3.

I, 12, 14. Die Wichtigkeit dieses Priesteramtes zeigte sich besonders in der Länge der Zeit, die zur Vorbereitung auf dasselbe erforderlich war. Die zur Yestalin Gewählte durfte 1) nicht über zehn und nicht unter sechs Jahren alt sein. Die Gewählte musste die ersten zehn Jahre den Dienst lernen, das zweite Decennium war sie diehstthuende Priesterin, die letzten zehn Jahre wies sie die vestalischen Priester-Novizen zum Dienst an (quae jus siet sacerdotem Vest. facere) ; nach diesen dreissig Jahren war sie von ihrer Priesterwürde'" entbunden, konnte heirathen (cfr. Gell. Vn (VI), 7, 4), welches man eben nicht für Glück bringend erachtete (cfr. Dionys. II, 67), weshalb auch die meisten Vestalinnen für ihr ganzes Leben im Dienst Jblieben. Die Aelteste der Yirgines Vestales hiess Virgo Maxima (Suet. Caes. 83), bei welcher Caesar sein Testament niedergelegt hatte. Vergl. Plutarch: Ob ein Greis Staatsgeschäfte treiben soll, 24!

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I. Buch, 12. Cap,, § 15—18. (55)

ei^*eife ich dich (als die Erwählte)." 15. Sehr viele sind der Meinung, dass dieser Ausdruck (capi) nur dürfe gebraucht werden, wenn von der Wahl und Aufnahme einer Jungfrau als Priesterin die Rede ist. (Das ist aber ein Lnlhum, denn) man sagte auch, dass die Priester des Jupiter, femer die Pontifices und Auguren gewählt worden seien (capi). 16. L. Sulla schreibt im zweiten Buche seiner „Kriegsthaten" so: „P. Cor- nelius, der zuei-st den Beinamen Sulla erhielt,- wurde zum Priester des Jupiter erwählt (Flamen Dialis captus)."" 17. Als Marcus Cato den Serv. Galba wegen der Lusitanier anklagte, bediente er sich desselben Ausdrucks in folgender Stelle: ^Doch man sagt, dass die Lusitanier die Absicht gehabt hätten, abtrünnig zu werden. (Absicht gehabt!) Wenn ich nun sagen wollte, es ist meine Absicht, das Pontificalrecht gründlich zu lernen, werde icli nun deshalb gleich aus diesem Grunde (auserkoren und) zum Pontifex maximus erwählt (capiar)? (Oder) wenn ich beabsichtige, die Wahrsagerkunst aus dem Grunde zu verstehen, wird man mich deshalb nun gleich (ergreifen und) zum Augur ausersehen (ecquis me augurem capiat)?" 18. Ausserdem kommt in den Abhand- lungen des Labeo, die er zum Verständniss der XII Tafelge-

I, 12, 15. Flamines diales werden vom Pontifex maximus gewählt, vergl. Liv. 27, 8; Val. Max. VI, 9, 8; Tac. Annal. IV, 16. üeber den Flamen dialis s. Gell. X, 15.

I, 12, 16. Luc. Cornelius Sulla. Ueber sein „rerum gestarum über" s. Teuifels Gesch. der röm. Lit. § 154, 2.

I, 12, 17. Mit dem Pontifical- und Auguren-, sowie mit dem bürger- lichen Bechte beschäftigte sich M. Cato gerade zu dieser Zeit Vergl. Cic de senect. 11, 38; femer s. GeU. I, 23, 1 NB. und XHI, 25, 15 NB. über Galba.

I, 12. 18. S. Savigny röm. Becht II, 503. Nach der Weihe zur yestaUschen Jungfrau war die Agnation zwischen dieser und ihren ange- bomen Verwandten aufgehoben 9), woher sich die Aufhebung des wechselseitigen Intestat- Erbrechts erklärt Die Vestalin war so wenig vermögenlos, dass sie sogar testiren konnte. Die Frage des Labeo am Schluss: id quo jure fiat, quaeritur, ist entweder als Zusatz des Gellius zu nehmen, oder bezieht sich auf den unmittelbar vorhergehenden Satz, den Heimfall an den Staatsschatz, da nach uraltem Becht, wovon Labeo offenbar redet, das erblose Vermögen in allen andern Fällen herrenlos wurde und der Heimfall an den Staat erst durch die lex Julia caducaria allgemein eingeführt wurde. S. Cic. de leg. U, 19. Vergl. Ulpian X, 5;

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(56) I. Buch, 12. Cap., § 18. 19. 13. Cap., L., § 1—8.

setze verfasst hat, folgende Stelle vor : „Eine vestalische Jung- frau kann Keinen beerben, der ohne Testament verstorben, ebenso kann auch Keiner sie beerben, wenn sie kein Testament hinterlassen, sondern ihr Hab und Gut soll in den Staats- schatz fliessen." Nach welchem Eechte dies geschieht, ist eine (noch unentschiedene) Frage. 19. Während der Oberpriester die Jungfrau ergreift,^ nennt er sie Amata, weil nach der Ueberlieferung dies der Name derjenigen gewesen sein soll, die zuerst (ergriffen und) gewählt wurde.

I, 13, L. lieber die in der Philosophie aufgeworfene Frage, was bei einem übernommenen Auftrag wohl richtiger sei, ob man das, was man aufgetragen bekommt, ganz genau vollziehen soll, oder im Gegentheil bis> weilen davon abweichen dürfe, wenn zu erwarten steht, dass dem Auf- traggeber dadurch ein grösserer Vortheil erwachsen werde. Entwicklung der verschiedenen Ansichten über diese Frage.

I, 13. Cap. 1. Beziehendlich der verschiedenartigen Auf- fassung, Abwägung und Beuitheilung der Verpflichtungen, welche die Griechen mit dem Worte xa^r/xovra bezeichneä, ist oft die Frage aufgeworfen worden: Wenn du nun einen Auftrag empfangen, und dir genau vorgezeichnet ist, was du thun sollst, darfst du dann dagegen handeln, wenn es den Anschein nehmen kann, dass durch deine Eigenmächtigkeit die Angelegenheit sich dem Erfolge nach günstiger gestalten und nur dem zum Voi-theil ausschlagen werde, der dir diesen Auftrag ertheilt hat. 2. Die Ansichten über diese Frage waren stets getheilt und das für und dawider ist von gelehrten Männern reiflich in Ei-wägung gezogen worden. 3. Gar Viele hielten sich bei ihrer Meinungsäusserung an die einfache, un- abänderliche Bestimmung und waren der Ansicht, dass wenn von demjenigen, welchem über einen Auftrag allein die freie Wahl zusteht, eine Angelegenheit einmal reiflich überlegt und festgestellt worden ist, dass man dann durchaus nichts gegen dessen gegebene Instruction untemehmen dürfe, selbst wenn irgend ein unvermutheter Zufall möglicher Weise einen zweck-

Gajus 1, 130, die Yestalin trat aus der unumschränkten (xewalt des Vaters, Vormundes etc.

I, 12, 18. üeber den Commentator Antistius Labeo s. Teuffels röm. Literaturgeschichte § 84, 6. Vergl. Gell. VI (YO), 15, 1; XX, 1, 18.

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I. Buch, 13. Cap., § 3-8. (57)

entsprechendem Ausgang für diese Angelegenheit in Aussicht stellen sollte; denn würde etwa gar unsre Erwartung getäuscht, so dürfen wir uns auch nicht beklagen, wenn wir den Vor- wurf des Ungehorsams und die dafür selbst durch Bitten nicht abzuwendende, wohlverdiente Strafe über uns ergehen lassen müssen. 4. Denn selbst wenn die Sache zum Guten ausgegangen wäre, sei man zwar den Göttern dafür Dank schuldig, allein das würde nichts an der Meinung ändern, die Veranlassung zu einem bösen Beispiele gewesen zu sein, wodurch wohl und reiflich überlegte Pläne vernichtet und zu Schanden gemacht werden können, wenn man sich an die pünktliche und gewissenhafte Vollziehung eines Auftrags nicht mehr gebunden erachtet (religione mandati soluta). 5. Wieder Andere meinten, dass, wenn ein Auftrag anders ausgeführt werden sollte, als der Befehl lautet, vor allen Dingen etwaige Nachtheile, die man deshalb zu fürchten habe, genau abzuwägen seien mit dem gehofFten Vortheil und wenn nun der Nachtheil unerheblich und geling, der Nutzen aber, wie man höchst zuversichtlich erwarten dürfe, als bedeutender und beträchtlicher sich in Aussicht stelle, dann könne man, ihrer festen Ueberzeugung nach, gegen die bestimmte Anordnung handeln, um zur glück- lichen Durchführung einer Angelegenheit die günstige, durch göttliche Fügung gebotene Gelegenheit nicht unbenutzt ver- streichen zu lassen. 6. Und man war der Meinung, dass ein solches Beispiel von Ungehoi-sam kein Bedenken zu erwecken brauche, insofern nämlich nur derartige (edle) Beweggründe dazu die wirkliche Veranlassung bildeten. 7. Vor Allem aber müsse man, wie sie sagten, genaue Rücksicht nehmen auf die Gemüthsart und den Charakter desjenigen, von dem der Auftrag oder Befehl ausgeht, damit man nicht etwa auf einen Charakter stosse, der unbändig, stair, hitzig und unerbittlich ist, wie die strenge Kriegszucht des Postumius und des Manlius uns davon Beispiele aufweist. 8. Denn wenn man einem

I, 13, 7. Yergl. Plutarch Paralleleii gr. und röm. Geschichten 13. Der Consnl T. Manlius Torquatos liess seinen eignen Sohn, weil er sich gegen des Vaters ausdrücklichen Befehl in einen Zweikampf mit einem Feinde eingelassen und ihn getödtet hatte, selbst hinrichten, daher er den Beinamen Imperiosus (der Herrschgewaitige) erhielt Yal. Max. U, 7, 6; VI, 9, Ij IX, 8, 4. Liv. IV, 29; VIII, 7; GeU. K, 13, 20; XVÜ, 21, 17.

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(58) l. Buch, 13. Cap., § 8-11.

solchen Oehieter Rechenschaft abzulegen habe, so geben sie den emstliclu^n Rath, dass man ja nicht seinem Befehl zuwider Iiandeln Bolle, 9. Nach meiner Meinung düi-fte diese kurze Betraclitun^ über gewissenhafte Befolgung derartiger Befehle lehrreicher ausfallen und mehr beherzigt werden, wenn man uns erlaubt, auch noch den Charakterzug eines bekannten und berühmten Mannes, des P. Crassus Mucianus beizubringen. 10. Nach der Ueberlieferung des Sempronius Asellio und noch \ieler anderer Verfasser römischer Geschichte soll dieser Crasäus fünf der höchsten und vorzüglichsten Erdengüter be- sessen haben. Er war im Besitz gi-ossen Reichthums, war von vornehmer Oeburt, zeichnete sich durch die herrliche Gabe der Beredtsamkeit, dann durch seine grosse Kenntniss des Rechtes aus, und erlangte endlich auch noch die Würde und (las Amt eines Hohenpriestei-s. 11. Als dieser vom Glück so hegrüiLsti^e Mann wähi*end seines Gonsulats die Provinz Asien verwaltete und eben damit umging, die Stadt Leucas zu um- zingeln und zu berennen und zum Zweck eines Mauerbrechers nolln\ endigerweise einen festen und hohen Balken brauchte, um damit die Mauer dieser Stadt einstossen zu lassen, schrieb er an den Oberbaumeister der Elatenser, welche

If 13, 9. P. Licinius Crassus Mucianus, ein Sohn des P. Mucius Seaevola, aber von P. Crassus adoptirt, wegen seines Reichthums, seiner Beredtstimküit imd seiner Rechtskenntoiss gepriesen, war Pontifex mazimus. S, Cicero ncsid. 2, 5, 13; de rep. 1, 19, 31; Plut Tib. Gr. 9; vergl. Cic. Phil. 11, Ö, 18- Brut. 26, 98; de orat 1, 37, 170; 1, 50, 216; 1, 56, 239; Dig, 1, % % 40. S. Teuflfels Gesch. d. röm. Lit 139, 5.! Vergl. § 149, 3 Ij. Liciniiis Crassus. Lange röm. Alterth. § 136 S. 7 erklärt den P. Licinius Crassiiä Mucianus für den Bruder des rechtskundigen P. Mucius Sca^vola.

I, 1^, 10. P. Sempronius Asellio, Zeitgenosse der Gracchen, beschrieb in einer römischen Geschichte auch den- Krieg der Römer gegen Nomatitia (v. 14*3 133 v. Chr.), in welchem er unter dem jungem Scipio AfricaiTus selb fit mitgefochten hatte. Er entfernte sich von der Weise der Annaüsten und schrieb schon mehr als Historiker, wovon die 2 Fragmente bei Gell, y, 18, 9 Zeugniss ablegen. Vergl. Bemhardus R L. 101, 487.

Lf 13, IL Leucae {AhvvLal)^ Stadt an der ionischen Küste unweit PhocaefL auf steiler Höhe, oft Gegenstand des Streites zwischen den SmvTTiiiem und Klazomeniem. Im Jahre 131 v. Chr. fiel hier eine Schlacht zwisciien dem Consul Licinius Crassus und Aristonikos vor.

I, 1-3, IL scripsit ad -f- mag. G. mole attenisium.

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I. Buch, 13. Cap., § 11—13. 14. Cap., L., § 1. (59)

Freunde und Bundesgenossen der Römer waren, dass er ihm doch den grössten von den beiden Mastbäumen schicken möchte, welche er bei ihnen gesehen hätte. 12. Als der Oberbaumeister erfahren hatte, wozu jener den Mast haben wollte, schickte er nun aber nicht, wie ihm befohlen war, den grossem, sondeiii den kleinem, weil er, nach seiner Meinung, zui* Verwendung als Mauerbrecher mehr geeignet und passen- der, zudem auch um vieles leichter zu transportiren war. 18. Crassus liess den Baumeister zu sich rufen und als er ihn gefragt, warum er nicht den Mast geschickt hätte, welchen er sich ausdrücklich ausgebeten, liess er keine Entschuldigung gelten, noch gab er den Gründen, welche jener für sich an- führte. Gehör, sondem befahl ihm, sofoit die Kleider auszu- ziehen und liess ihn gehörig mit Ruthen peitschen, da nach seiner Ueberzeugung aller schuldige Gehorsam gegen den Befehlshaber zu nichte gemacht, seine Geltung verlieren würde, wenn einer dem aufgetragenen Befehl nicht durch schuldigen Gehorsam entsprechende Folge leisten, sondem, ohne dass es verlangt worden, ihn nach eignem Gutdünken auslegen (und abändern) wolle.

I, 14, L. Ueber die Antwort und das edle Verhalten des C. Fabricius

(liuscinias) , eines Mannes reich an Ruhm und Heldenthaten , aber arm

an Hab und Gut, als ihm die Samniter, weil er es so zu sagen höchst

bedürftig sei, ein bedeutendes Geschenk anboten.

I, 14. Cap. 1. In seinem 6. Buche „über Leben und Thaten berühmter Männer" erzählt Julius Hyginus von

I, 14, L. S. VaL Max. IV, 3, 7.

I, 14, 1. Cf Julius Hyginus aus Hispanien, Schüler des griechischen Grammatikers Cornelius Alexander, ein Freigelassener des Augustus, Vor- steher der palatinischen Bibliothek u&d sehr gelehrter Grammatiker. Von seinen mannigfiedtigen und yerschiedenen Werken ist fast nichts mehr vorhanden. Seine Schrift „de vita rebusque illastrium virorum^ enthielt Schilderangen des öffentlichen Lebens und der öffentlichen Thaten (Kriegs- thaten) berühmter M&nner zur Erinnerung an die Tugenden der Vorfahren. Cfr. GeD. X, 18, 7. Er war Freund des Ovid und durch Jul. Caesar nach Rom gebracht worden ; Einige behaupten aus Spanien, Andre aus Alexandrien. Ausser seinem Astronomicon po^ticon (vier Bücher astronomisch-mathe- matischen Inhalts) und seinem „fabularum liber" (in 244 Fabeln) besitzen wir nichts weiter von ihm, wenn überhaupt anzunehmen ist, dass diese

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(60) I. Buch, 14. Cap., § 1. 2. 15. Cap., L., § 1.

den Samniteni, dass sie zum Feldherm des römischen Volkes, zum C. Fabricius (Luscinius) gekommen seien und nachdem sie seiner vielen und wichtigen Dienste gedacht hatten und wie gut und gnädig er mit den Samnitem nach zugestandnem Frieden verfahren sei, hätten sie ihm eine grosse Geldsumme angeboten, mit dem dringenden Ersuchen, dieselbe anzuneh- men und zu seinem Nutzen zu verwenden, und die Samniter hätten dabei die Erklärung beigefügt, dass sie dies nur thäten, weil sie sähen, wie viel ihm zum wohlverdienten Glanz seines Hausstandes und seines Lebensunterhaltes abgehe, und wie er seiner Würde und seinem Ansehen gemäss durchaus nicht anständig genug eingerichtet sei. 2. Hierauf soll Fabricius die flachen Hände von den Ohren an über die Augen haben hingleiten lassen, dann weiter herunter über Nase, über Mund und Kehle und dann bis über den Unterleib herab und darauf den Gesandten Folgendes zur Antwort gegeben haben: So lange er allen diesen Gliedmassen, welche er eben berühil hätte, widerstehen und gebieten könne, werde er nie an Etwas Mangel leiden; daher könne er das Geld, das für ihn kein Bedüifniss sei und ihm nichts nütze, von denen nicht an- nehmen, von welchen er wüsste, dass sie es mehr nöthig hätten und besser brauchen könnten.

I, 15, L. Welch ein lästiger und äuBserst hässlicher Fehler die eitle und gehaltlose Schwatzhaftigkeit sei und wie diese üble Gewohnheit verschie- dentlich von Roms und Athens schriftstellerischen Grössen, von den bedeutendsten Männern beider Sprachen mit wohlverdienter Zurechtweisung sei gemissbilligt worden.

I, 15. Cap. 1. Nach einem richtigen Urtheile entspringt nur dem Munde und nicht dem Herzen die Rede derjenigen, welche wir als unbedeutende, eitle und lästige Schwätzer

Schriften von ihm selbst herrühren. S. Sueton de illustr. grammat 20. u. Teuffels Gesch. der röm. Lit 257, 2.

I, 14. 1. Fabricius Luscinus (vergl. Gell. I, 10, 1 NB.), dem seine Redlichkeit nie gestattet hatte, Reichthümer zu erwerben, der lieber selbst arm über Reiche herrschen, als selbst reich über Arme befehlen wollte, starb hochgeehrt. 8. Val. Max. 4, 4, 10; GeU. IV, 8, 1 NB.

I, 15, 1. Bei Plutarch „wie soll der Jüngling die Dichter lesen" und „Politische Lehren" 5 heisst es (aus Menander): Das Herz des Redners, nicht das Wort isf s, was uns rührt.

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I. Buch, 15. Cap., § 1-^. (61)

kennen und die, weil sie jedes wirklich tiefern Gehaltes ent- behren, in wässerigen und ausdmckslos hingeplapperten Worten zerfiiessen; da doch die Zunge anerkanntermassen nicht un- eingeschränkt und sich selbst überlassen bleiben soll, sondern durch Zügel müsse geleitet und gewissermassen beherrscht werden, welche mit der innersten Seele und dem Herzen im (genauen) Zusammenhang stehen. 2. Allein da sieht msca gewisse Leute unaufhörlich,*) ohne alle nöthige Ueber- legung und mit der grössten und bodenlosen Sorglosigkeit in den Tag hineinschwatzen, dass man zu der Ansicht gelangt, dass diese Schwätzer selbst nicht vei*stehen, was sie sagen. 3. Dagegen sagt Homer von Ulysses, einem durch weisheits- volle Beredt«amkeit ausgezeichneten Manne, dass er seine Rede nicht aus dem Munde, sondeni aus dem Herzen ent- sende, was sich selbstverständlich weniger auf den Klang und auf die Beschaffenheit seines (ergreifenden) Tonklanges, als auf die Erhabenheit der seinem Innern entspiamgenen Geistes- blitze bezieht, und es ist eine höchst treffliche Bemerkung, wenn er sagt, dass die Zähneverschanzung (d. h. das Lippen- paar) voiTihin gestellt sei zur Beschränkung voreiliger, un-* überlegter Worte, damit nicht nur durch die Tag- und Nacht -Wache des (Geistes und) Herzens das unbedachtsame Geschwätz im Zaum gehalten, sondem auch gleichsam noch durch die am Mimde aufgestellten Wächter (der Zähne) um- hegt werde. 4. Die obenerwähnten Worte Homers lauten also :

I, 15, 2. *) sine uUo judicii negotio. Ueber Liebende lässt sich AchiUes Tatius im 6. Buche seines Liebesromans also aus: (Thersander) setzte sich zu ihr (zu Leucippe), fing an zu reden dies und das, Alles unter einander, ohne Zusammenhang und Verstand. So geht es meistens den Verliebten, wenn sie mit der Geliebten reden wollen. Ohne zu über- legen, was sie reden, die ganze Aufmerksamkeit des Geistes nur auf die Geliebte gerichtet, läuft die Zunge davon, ohne sich yon dem Verstände leiten zu lassen.

I, 15, 3. Plutarch „über Geschwätzigkeit^ 3 heisst es; „Unter allen Gliedern hat die Natur an uns Menschen nichts so gut verwahrt und so wohl verpaUisadirt, als unsere Zunge, indem sie die Zähne als Wachtposten vor dieselbe setzte, damit, wenn sie der Vernunft, welche inwendig die Zügel des Schweigens regiert, nicht gehörig pariren, noch sich zurückziehen will, wir durch blutige Bisse ihrer Ausgelassenheit Einhalt thun können.

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(62) I- Böch, 15. Cap., § 4--9.

Aber sobald aus der Brust die ergreifende Stimin' er entsandte (D. m, 221) und

welch ein Wort entfloh deiner Zähne ümschanznng

(d. h. über die Lippen, Odyss. I, 64 und XXIII, 70),

5. Ich lasse hier auch noch Ciceros eigne Worte folgen, durch die er den albernen und gehaltlosen Wortübei-fluss mit Recht ernstlich und auftichtig tadelt (de orat. III, 35, 142): 6. „(Icli habe nichts dagegen,) wenn das nur als unbestrittne Wahrheit feststeht, dass weder dem Lohn gebühre, der zwar Sachkenntniss besitzt, dieselbe aber, wegen seiner Unfähigkeit im Sprechen, nicht mit Worten deutlich erörtern kann, noch gar der lühmlich erwähnt zu werden verdient, dem zwar alle Sachkenntniss abgeht, der aber doch gleich mit Woiten aufzuwarten weiss (denn Sachkenntniss und Sprachvermögen müssen beisammen sein). Wenn mir nun aber die Wahl zwischen Einem von diesen Beiden übrig bleibt, so wäre wenigstens mir unberedte Klugheit lieber als alberne Schwatzhaftigkeit (d. h. beredte Thorheit)/ 7. Weiter kann man auch im ersten Buche desselben Werkes „vom Redner" folgende Worte finden (Cic. de Orat. I, 12, 51): „Denn was ist so wahnwitzig, als der leere Schall auch der ausgesuchtesten imd schmuckreich- sten Worte, wenn ihm kein Sinn und Verstand zu Grunde liegt?" 8. Vor Allen aber war M. Cato der erbittertste Feind und Verfolger dieses Fehlers unnützer Schwatzhaftigkeit. 9. Denn in der Rede, welche die Ueberschrift trägt: „si se Coelius tribunus plebis appellasset (d. h. Im Fall ihn (sc. den Cato) der Volkszuiiftmeister aufgerufen (und vorgefordert) haben würde)", sagt er: „Niemals schweigt, wen die Krank- heit zu schwatzen befangen hält, wie den Wassersüchtigen die i Krankheit) zu trinken und zu schlafen. (Ja, es geht noch weiter.) Denn wenn ihr nicht (gutwillig) kämet, sobald

I, 15, 9. Drollig genag, sagt Ribbeck, aber durchaus nicht harmlos klingt folgende, mit wahrhaft satirischer Laune gewürzte Abfertigung des unbequemen, der vulgären Demagogie beflissenen Tribunen Coelius. Die Stelle bei Macrob. Sat III, 14, welche in fast allen Ausgaben bei Gellius citirt ist, findet sich über Coelius nicht vor, doch wird ein Senator dieses Namens Macr. Sat I, 5 erwähnt. Prise XIII, 3, 12. üeber die Wen- dungen bei der Berufung der Contionen, die weniger förmlich als die der Comitien war s. Lange röm. Alterth. § 134, S. (603) 664.

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I. Buch, 15. Cap., § 9—14. (63)

er euch berufen lässt (cum convocari jubet), so würde er aus (lauter) Redegier sich einen Zuhörer (für Geld) miethen. So leiht ihr ihm die Ohren (auditis), aber kein Gehör (non auscul- tatis), wie einem Quacksalber; denn dessen Worte hört man sieh wohl mit an, aber Niemand vertraut sich in Krankheits- fallen ihm an." 10. Weiter noch wirft Cato in derselben Rede diesem Volkstribun M. Coelius nicht nur die Feilheit und Käuflichkeit zum Reden, sondern auch zum Schweigen vor und sagt: „Für einen Bissen Brod kann man ihn bald zum Schweigen, bald zum Schwatzen sich dingen," 11. Mit völligem Recht nennt Homer unter Allen nur allein den Thersites „ewigen Schwätzer {a^erQoeTtrjY und „unüberlegten (Schwätzer aTLqixofjLv^ovY und sagt, dass dessen ungeziemen- der Wortschwall (aTtoofna) dem imgeregelten und unharmo- nischen Krähen-Gekreische ähnle. Denn was sollte wohl das Wort 67ioh^a andres bedeuten (als: er kreischte)? 12. Auch des Eupolis Vers sagt auf deutlich ausgeprägte und höchst bezeichnende Art von diesem Menschenschlag {^aXeiv aQiarog advvcciwxaxoq Xayeiv d. h.): „Zum Schwatzen sehr geschickt, unfähig ganz zum Reden." 13. Wohl in der Absicht dies nachzuahmen, setzt unser Sallust die Worte hinzu und sagt „(loquax magis, quam facundus): Mehr redselig als beredt." 14. Deshalb der so höchst weise Dichter Hesiod sagt, dass man, ganz so wie einen Schatz, die Zunge nicht öäentlich

I, 15, 10. Die Fortsetzung unserer Stelle 10) lautet nach Kibbeck weiter: „Wahrhaftig, nicht einmal tür eine Colonie möcht' ich, wenn ich im Attsschuss sässe, einschreiben lassen einen Bummler und Hanswurst. . . Er steigt vom Esel, giebt dann ein Menuett zum Besten, wirft mit Narrens- poBsen um sich Ausserdem singt er, wenn er gerade Lust hat; bis- weilen tragirt er griechische Verse, reisst Witze, spricht in wechselnden Stimmen, tanzt Menuett . . . Was soll ich gegen einen Menschen noch weiter Worte verlieren, der zu guter Letzt einmal, glaub' ich, bei dem Au&uge an Festen vor dem Hampelmann (citeria) einherfahren und mit den Zuschauem Unterhaltung machen wird!" Cfr. Paul. Diac. p. 79, 20.

I, 15, 12. Eupolis, ein vorzüglicher Dichter der älteren attischen Komödie, Zeitgenosse des Eratinos und Aristophanes. Man warf ihm Hang zur SchmiUisucht und Sinnlichkeit vor. S. Hör. Sat. I, 4, 1. QnintiL X, 1, 66. Als er in einer Seeschlacht zwischen den Atheniensem und Lacedftmoniem umgekommen, that dies den Atheniensem so Leid, dass sie durch ein öffentliches Edict die Dichter hinfort vom Kriegsdienst freigaben.

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(64) L Buch, 15. Cap., § 14—17.

(zur Schau stellen und) preis» geben dürfe, sondern wohl verwahren müsse und dass sie dem dankenswerthesten Zweck nur in dem (Aeusserungs-)falle wirksam diene, wenn man sie in Wirklichkeit (wie einen Schatz zur rechten Zeit, auf die richtige Weise und am rechten Orte) besonnen, sparsam und nach richtigem Masse gebrauche (Hesiod. opp. et. d. 719 etc.):

Traun, ein herrlicher Schatz, den die Zung hat unter den Menschen, Wenn sie spart und gross die GrefäUigkeit geht sie nach Zeitmass.

15. Auch jener bekannte Ausspruch des Epicharmus ist gar nicht unverständig:

„Im Sprechen bist du allerdings nicht stark, doch Schweigen wird dir

ganz unmöglich.^

16. Woher höchst wahrscheinlich folgender Gedanke ent- lehnt ist:

„Der, da er reden nicht kunnt', zu schweigen auch nicht verstund**

17. Als Favorin gelegentlich folgende von Euripides (Bacchid. 365) verfassten Verse anführte:

„Ungezähmt nie sei die Zunge, Nie gesetzlos die Begier, Denn es harrt Leiden am Ziel,"

hörte ich ihn sagen, dass diese Verse nicht nur auf solche dürften bezogen werden, welche gottlose und unerlaubte Reden führen, sondern vielmehr auf solche könnten angewendet wer- den, die dummes und massloses Zeug plappern; denn deren Mundwerk sei so verschwenderisch und ungezügelt, dass es von unflätigem Wortmischmasch in Strömen überwalle, welcher Menschenschlag von den Griechen mit dem höchst bezeich- nenden Ausdruck yLoxayltjaaoi (Zungendrescher und Schwätzer)

I, 15, 15. £picharmos aus Kos gehürtig, kam in früher Kindheit nach SicUien und lehrte am Hofe Hierons I. ohngefähr 470 v. Chr. die Pythagoräische Philosophie und wird als Schöpfer der sidlischen Komödie betrachtet. Nach Horatius (epist U, 1, 58) bildete sich Plautus nach Epicharmus. Er hat 52 Komödien in Versen verfasst, worin er die Lehren des Pythagoros vortrug. Er erfand die beiden Buchstaben : ^ und x* Ausser- dem soU auf der vaticanischen Bibliothek zu Rom ein Werk im Manu- script Uegen: Commentarii de rerum natura et medicina. Er starb 97 Jahre alt auf der Insel Kos.

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I. Bach, 15. Cap., § 18-20. (65)

genannt werde. 18. Der beiühmte Grammatiker Valerius Pi-obus, wie ich von einem seiner Verwandten, einem ge- lehrten Manne erfuhr, soU. jenen Ausspiiich des Sallust: „satis eloquentiae, sapientiae parum (genug Beredtsamkeit, wenijj: Weisheit)'' kurz vor Ende\ seines Lebens und wie er auch versicheiL, nach Sallust's ausdrücklichem letzten Willen zu ändern und so zu lesen angefangen haben: „satis loquentiae, sapientiae parum (viel Wortschwall, wenig Sinn)", weil dem Sallust*), demEmeuerfri- der Wörter (in ihrer ursprünglichen alten Bedeutung), das Wort loquentia (Wortschwall, Sprech- fertigkeit) deshalb weit angemessener erscheinen musste, da sich der Begriff des Wortes Beredtsamkeit (eloquentia) durchaus nicht mit dem Begriff Unverstand (insipientia oder sapientiae parum) in Zusammenhang bringen und ver- binden lässt. 19. Und diesen durch seine hohle Weit- läufigkeit entsetzlichen Wortschwall hat der höchst launige, feinfühlige Dichter Aristophanes durch auffallende, lebhafte Ausdrücke aufgestochen und in folgenden Versen geschildert: (Ran. v. 887):

„(Ich kenne) einen Menschen wild aufregend und hoffiürtgen Mauls, Dess' Zung' unbändig, zügeUoe, unverschlossen bleibt, Den unüberschreibar Prunkwortschwall aufhäufenden.^ 20. Kicht minder nachdrücklich und treffend haben auch unsere Vorfahren diesen in Worten unmässigen Menschenschlag mit folgenden Ausdrücken näher bezeichnet, als: Plauderer

I, 15, 18. Valerius Probus lebte unter Nero, war erst Soldat, legte sich dann auf die Grammatik und beschäftigte sich mit kritischen Studien. Wahrscheinlich ist er der Verfasser mehrerer grammatischer Schriften. Er wird der lateinische Aristarch genannt. Cfr. Martial-III, 2. Sein Gell. XVn, 9, 5 erw&hnter Commentar ist von dem noch vorhandenen Buche „de interpretandis notis Romanorum^ verschieden, da darin nur die Bachstaben-Zeichen Erklärung finden, deren sich die Römer bei ihren dffentlichen Schriften bedienten, z. B. bei Gesetzen, Edicten etc.

I, 15, 18. ♦) S. Sen. ep. 114, 16; Quintü. II, 5, 19.

I, 15, 19. Aristophanes, der berühmte einzige Dichter der altern attischen Komödie, von dem wir noch 11 Dramen besitzen, lebte mit und nach Socrates und Euripides und scheint zu den beiden Schauspielern Philonides und Kallistratos in näherem Verhältniss gestanden zu haben. & war mit Plato bekannt und befreiudet, und man fand nach dessen Tode die Komödien des Aristophanes in seinem Bette. Chrysostomns nahm dieselben stets mit zu Bette und las früh und Abends darin.

Ü e l H Q s . Attiflcbe N&cht^. 5

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I. Buch, 16. Cap., § 1—6,

aflix^tulejos) und Plappermäuler (blaterones) und Zungen- -äsescher (linguaces).

X 16, L. Es finden sich folgende Worte in einer Stelle aus dem 3. Buche

'oes von Quadrigarius verfassten ,,Jahrbuch8^^ : „ibi mille hominum occiditur

4hier kommt Eintausend von Menschen um)", {wo mille als substantiver

« iEinheitsbegrifT mit dem Genitiv verbanden ist). Dass diese Ausdrucksweise

nicht willkürlich, noch nach freier dichterischer Wendung, sondern nach

einer bestimmten und richtigen '^egci der Grammatik gebildet ist.

I, 16. Cap. 1. Quadrigarius schrieb im 3. Buche seiner Jahrbücher: „ibi occiditur mille hominum, d.h. hier kam Ein- tausend von Menschen ums Leben"". In Bezug auf das als Substantiv im Nominativ Singularis stehende Zahlwort mille lässt er den Begriff der Menge von 1000 Personen fallen und braucht das Verbum im Singular und sagt: occiditur und nicht occiduntur. 2. Ebenso heisst es bei Lucilius im 3. Buche seiner „Satiren (Spottgedichte, Mischgedichte)"

„ad portam; mille a porta est exinde Salemum,^ d. h. bis zum Thor; doch tausend vom Thor ist's von da nach Salernum, Er sagt: es ist (est) tausend Schritte, nicht es sind (sunt) tausend Schritte. 3. M. Varro im 17. Buche seiner „mensch- lichen Begebenheiten" sagt: ad Romuli initium plus mille et centum annorum est, d. h. bis zur Geburt des Romulus ist (ein Zeitraum von) mehr als Eintausend und Hundert von Jahren verstrichen (anstatt sind mehr als 1100 Jahre verstrichen). 4. M. Cato im I.Buche seiner „Urgeschichte" sagt: inde est ferme mille passum, d. b. von da ist fast (noch) Eintausend von Schritten (anstatt sind fast noch 1000 Schritte). 5. M. Cicero in seiner VI. Rede gegen Antonius (cap. 5, § 15) sagt: „So steht wohl der mittlere Jauus (eine Stelle auf dem Forum, wo sich die Wechslerbuden befanden) unter dem Schutze des Antonius. Hat sich nun wohl bei jenem Janustempel je einer gefunden, der dem L. Antonius auch nur Eintausend Sesterzien geborgt hätte (qui L. Antonio mille nummum ferret expensum)?" 6. In diesen und vielen andern Stellen steht mille (sub-

I, 16, L. miUe (im Nom. oder Acc.) substantivisch vergl. Nonius p. 501, 26.

I, 16, 2. Ueber Satire vergl. G«schichte der röm. Literatur von W. S. Teuffei (IL Aufl. 1872) § 6, 2 und Gell I, 22, 4 NB.

I, ,W;sA, c'Ueber Terentius Varro s. die Bemerkung zu Gell. I, 18, 1.

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L Buch, 16. Cap., §6—13. (67)

stantiviseh) im Singulax (als Einheitßbegriff) gesagt. .7. Und dieses: ist, wie Euiige (fälschlicher Weise wohl) meinen, nicht etwa ein Zugeständniss, welches [man (aus . Liebe zu), einer idthergebraehten .Ausdrucksweise machte noch, hat man sich diese Wendung etwa gar wegen grösserer Zierlichkeit in der Rede gestattet, sondern es scheint eine grammatische Vorschrift und Regel diese .Wortverbindung zu. erheischen.. 8. Denn das Zahlwort niiUe (Eintausend) gilt nicht als Bezeichnung für das im Plural stehende griechische Wort yjlioi (Tausende), sondern für das die Anzahl und den. Inbegriff einer (im Ganzen genomoienen) Menge, von Tausend besthnmende und im Sin- gular stehende Substantiv y^x^liag (das Tausend)'', und so wie man. im Griechischen ein Tausend (una. x^AtosO «md zwd Tausende. (duae.xiAfadcg) sagt, so sagt man im Lateinischen auch nach einer ebenso richtigen und bestimmten Regel: uiviim mille und duo millia. 9. Deshalb pflegt man sich auch richtig und tadellos auszudrücken, wenn man sagt: „mille denarium in arca est, d. h. in der Casse ist Eintausend Denare, oder: mille equitum in exercitu est, d. h, im Heere befindet sich Eintausend Kri^er." 10. Lucilius aber zeigt ausser der von mir oben bereits angeführten Stelle dies auch noch an einer andern sehr augenscheinlich; 11. Denn im 15. Buche drllckt er. sich so aus:

Der ihn im Lauf auf ein oder zwei taasend' Schritte besieget, (niilli

^ passum -^ atque -düobas) So dn campani^d^er Gaul, ao ein ^ohiittler; auf einec grossem . Strecke, da folgt er ihm nicht; dann scheint's, dass anders er gehe^

12. Femer an einer andern Stelle im 9. Buche :

Kannst hundert Tausend, mit einem einzigen Tausend erwerben (milU

nummum uno).

13. Er hat sich der Ausdrucksweise bedient: milli passum (durch Eintausend von Schritten) anstatt mille passibus und dann wieder uno milli nummum (mit einem einzigen Tausend von Sesterzien) filr unis mille 'nummis und dadjurch deutlich gezeigt, dass das Zahlwort mille substantivisch stehe (d. h. als Hauptwort gebiiaucht werden kOnne), im Singular gesagt

I, 16, 11. . S. Macrob. Sat. I, 5;. Nonios Marc. I, p. 16, 32 ed. Gerlach un4. BoUu

5*

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(68) 1. Buch, 16. Cap., § 14. 15. 17. Cap. § 1-3.

werde, in der Mehrheit millia heisst, und endlich im Ablat^sr stehen kann. 14. Es ist keine Nothwendigkeit vorhanden, dass auch die übrigen Beugefälle vorkommen, da es noch viele andere Hauptwörter giebt, welche nur in einzelnen Beuge- fällen vorkommen und wieder- andere, die gar nicht declinirt (abgebeugt) werden. 15. Deshalb ist es ganz zweifellos, dass M. Cicero in seiner Rede, welche er für Milo veifasste, (cap. 20, § 53) wörtlich so geschrieben hat: „Auf dem Gnmdstück des Clodius, auf welchem Grundstücke sich wegen der so un- sinnigen Bauten leicht Eintausend kräftiger Leute authalten konnte (mille hominum versabatur valentium)'*. Es stand also das Verbum nicht im Pluralis (versabantur) , wie man (aller- dings wohl) in weniger genauen Ausgaben geschrieben findet. Denn in anderm Sinne ist millc hominum und in anderm mille homines zu sagen,

I, 17, L. Mit wie grosser Geduld und Langmnth Socrates das ungefüge

und störrische Wesen seiner Frau ertrug; ferner auch (Erwähnung), was

M. Varro in einem gewissen Spottgedicht über die Verpflichtung eines

Ehegatten geschrieben hat.

I, 17. Cap. 1. Xan tippe, die Frau des Socrates, soll sehr launisch und zänkisch gewesen sein, ja ihre weibischen Zornes- ausbrüche und Unerträglichkeiten , womit sie ihn Tag und Nacht plagte, gingen in's Unendliche (irarum scatebat). 2. Als nun Alcibiades über diesen ihren Mangel an Mässigung einmal gegen den Socrates ihren Mann seine Verwunderung zu er- kennen gab und ihn fragte, was er wohl für einen Grund habe, dass er dieses zänkische Weib nicht aus dem Hause jage, 3. sagte Socrates: Weil, wenn ich in meinem Hause sie gerade

I, 16, 15. mille hominum mit dem Plural des Verbi s. Nodius Marcell. fragm. Cic. de repbl. p. 501.

I, 17, 3. S. Plut. „wie man vop seinen Feinden Nutzen ziehe" 8.

I, 17, 3. Welche Stellung dem Weibe speciell in der Ehe zukomme, welches Verhalten ihm gegenüber dem Gemahle gezieme, erhellt am deut- lichsten ans dem Ausspruche des Socrates : „Der Mann hat sich nach den Gesetzen des Staates, das Weib nach der Geraüthsart des Mannes zu richten.'' Bei solcher Auff^ssungsweise des weiblichen Charakters von dem gefeierten Philosophen dürfen wir uns nicht wundem, wenn sein Weib Xantippe als äusserst zänkisch und tobsüchtig geschildert wird.

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I. Buch, 17. Cap., §3—6. (69)

SO, wie sie ist, ertrage, ich durch diese Gewohnheit in der Uebimg bleibe, dass ich ausser dem Hause auch fremde An- massung, Frechheit und Ungerechtigkeit leicliter ertragen lerne. 4. Dieses Gedankens gewiss eingedenk hat auch Varro in seinem dem Menippischen nachgebildeten Spottgedicht, welches über die Verpflichtung eines Ehegatten handelt, sich so ausgedrückt: „Untugend nmss man an seinem Weibe aus- zutreiben oder zu ertragen suchen. Wer die Fehler seiner Frau beseitigt, (bessert dieselbe und) macht sie sich pei'sönlich gefügiger, wer dieselben aber erduldet, trägt zu seiner eignen Besserung bei. 5. Das Zusammenstellen der beiden Aus- drücke „tollere" (beseitigen, autheben) und „ferre" (ertragen, erduld^en) in Varros Ausspruch ist zwar unstreitig allerliebst, doch ist es ei*sichtlich, dass er das Wort tollere in dem Sinne von corrigere (heilen, bessern) gesetzt hat (um mit dem Be- griflF des Beseitigens zugleich den der vollständigen Heilung von ihrem Fehler zu verbinden). 6. Auch findet VaiTo nach seiner Meinung es höchst bewährt, dass man einen derartigen Fehler an seiner Frau, wenn er sich nun durchaus nicht be- seitigen und verbessern lässt, ganz geduldig ertragen soll, natürlich ist nur von einem solchen Fehler die Rede, welcher vom Gatten, als einem Manne von Ehre, d. h. unbeschadet seiner Ehre, geduldet und ertragen werden kann; denn Fehler sind erträglicher (und haben weniger auf sich) als Laster.

Wenn das Selbstbewusstsein von der weiblichen Würde in ihr nicht gänz- lich erloschen war, so mnsste es sie schmerzen, wenn sie sah, dass ihr Eheherr den grössten Theil des Tages im Kreise seiner Schüler zubrachte, för sie aber so gat wie keine Zeit hatte, lieber die Stellung des Weibes im Alterthum vergl. den ersten Abschnitt des Schriftchens : „Jesus in seiner Stellung zu den Frauen," von Dr. Aug. Wünsche. Berlin 1872. Wenn nun auch Xantippe etwas ungestüm und mürrisch gewesen sein mag, so ist sie doch sicher nur mit Unrecht so übel berüchtigt Denn sie war (nach Xenoph. Mem. n, 2) eine sehr rechtschaffene Mutter gegen ihre Kinder, und einen Beweis ihrer zärtlichen Liebe gegen ihren Mann hat sie abgegeben, als sie denselben im Ge&ngniss besuchte und in Thränen schwamm und untröstlich über sein Unglück war. Plat. Phaed. 60, A.; vergl. Gell. I, 6 und V, 11. U^er die Ehrenrettung der Xantippe vergleiche man ganz besonders noch Zeller, Vorträge und Abhandlungen geschichtlichen Inhalts, Aufsatz III; desgl. Diog. LaerL II,« 5, 17; VII, 2, ext. 1; Epist I ad Corinth. VII, 9. 27. 38 und Chrysostomus Homil. in epist. prim. ad Corinth.

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(70) I. Buch, 18. Cap., § 1.

I, 18, L. Dass M. Varro im 14. Boche über ^^menschliche Begebenheiten"

seinen Lehrer L. Aelius bei Angabe einer falschen 'Wortableitang tadelt;

dänri, dass derselbe M. Värro iri' demselben Werke Selbst (falsnm Itvfiöv^

d. h.) eine fadsche Abioitang des Wortes „for^ (der Dieb) angiebu

I, 18. Cap. 1. im 14. Buche seiner Abbandlungen über „menschliche ßegebenheiten" zeigt uns M. Varro, wie sich

I, 18, L. Luc. Aelius Stilo aus Lanuvium, geb. ungefJÖir (600 ü. c.) 154 Ti Clor., war wohlbewandert in den Wis&ensrchaften seines eigenen wie des griechischen Volkes, glänzte als gelehrter Grammatiker, unenHüdlicher Schriftsteller und, Alterthumsforsf^^er und war der Lehrer des in Literatur- und AlterthumSkenntniss ausgezeichneten Varro, wie auch des Cicero, dessen Auftreten er nocb erlebte. Mit dem Metellus Numidicus ging er im Jahre 100 v. Chr. in's Exil: Die gelehrtesten Mftnner seiner Zeit waren ihm befreundet und der Dichter Lueilius widmete ihm ein Buch seiaer Ss^toren. s. Cic. Herenn. 4, 12> Aelius schrieb, über Etymologie und Gram- matik, dessen StudiuI^ ihm .in Kom seine BlQthe verdank,t. Seinß schrift- stellerische Thätigkeit erstreckte sich auf die ältesten römischen Sprach- denkmäler; so verfasste er eine Ei-klärung der XII Tafelgesetze (Cic. de Orat. I, 48, 193)' und der saliarischen Lieder und Bacher der Oberpriester; ferner (nach Gell. III, 3, 1) Titelangaben ttber die sogenannten zweifel- haften Stücke des Plautus» S. Doergens Suet. de ill. gr. 3; Quintil. X, 1, 99. Jndices-TT^vawf cfr. QeU. IE, 3, 1. S. Teuffels Gesch. der röm. Lit. 147, 1 und 2; GeU. X, 21, 2.

I, 18, 1. Marcus Terentius Varro, geb. 116 v. Chr. (658 d. St) zu Eeate im Sabinerlande, siedelte frühzeitig nach Rom über, genoss hier den anregenden Unterricht des Lucius Aelius Stilo (Cic Brut 56), dessen Untersuchungen über die saliarischen Lieder, über die Xn Tafelgesetze und über Plautus ganz besonders geeignet waren, den gelehrigen Schüler eben- sowohl in sachlicher, wie sprachlicher Hinsicht in die Anschauungen des frühen Alterthums etnzufilhren; 3lit bewundernswürdiger Gelehrsamkeit umfasste Varro alle Gebiete des Wisaenä, und seine grammatischen, poe- tischen, philosophischen, encyclopädischen , Uterar-liistorischeB und be- deutenden geschichtUchen Schriften haben ihm den wohlverdienten Ruf des gelehrtesten ^ler Römer uad eines der fruchtbarsten Schriftsteller des ge- sammten Alterthums erworben. Quintil. X, 1, 95; August Civ. D. VI, 2. Bis auf unbedeutende Bruchstücke hat man den Untergang setser Werke ou beklagen^ z. B. der „Annate»^; „Gebräuche der VorzMt in göttlichen und mjenschUchen Ding^" ; „Ueber die Abstammung des röm. Volks^; „Selbst- biographle'^ ; einen Theil der Werke „Ueber die. lat. Sprache*^; Ganz be* sitzen wir nur noch sein Werk über den Landbau. Vergl. Bernhard. R. L. 131, 587 und vor Allem F. Ritschi „Die SchriflsteUerei. des M. Te- rentius Varro ^, nach dtem umgedruckten Kataloge des Hieronymus im Rheinisch-Museum von Welker nnd Ritschl. Neue Folge. 6. Jahrgang p. 481 e560. 1848.

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L Buch, 18. Cap., § 1. 2. (71)

(sein gewesener Lehrer) L. Aelius, der damals gelehrteste Mann im (ganzen) römischen Staat, daduixh eines Irrthums schuldig gemacht hat, dass er ein altes, aus dem Griechischen in die lateinische Sprache übergegangenes Wort, gerade als ob es zuei-st aus dem Lateinischen hergenommen sei, nach einer falschen Ableitungstheorie in (zwei) lateinische Wörter auflöste (und zerlegte). 2. Wir lassen (über diesen von Aelius aufgestochenen Fehler gleich) VaiTos eigne Worte folgen: „Darin bat sich der zu meiner Zeit wissenschaftlich höchst gebildete L. Aelius mehr als einmal geirrt. Er bat uns nämlich von einigen altem, aus dem Griechischen ent- lehnten Wörtern falsche Erklärungen angegeben, in der Mei- nung, als ob sie unserer lateinischen Sprache entlehnt sei€n. So verstehen wir z. B. das Wort lepus (lepöris, Haase) durch- aus nicht in dem Sinne, als ob es, wie er glaubte, so viel bedeute, wie levi-pes (leicht-füssig), sondern es ist unbedingt von einem alten griechischen Worte abzuleiten. Es sind viele alte, aus dem Griechischen entlehnte Ausdrücke für uns der Vergessenheit anheimgefallen, weil man sich jetzt anderer (neuerer) Wörter bedient. So dürfte es vielleicht wohl Manche geben, die nicht wissen, dass unter die früher gebräuchlichen Wolter auch das Wort Graecus (griechisch) gehört, wofür man jetzt den Ausdnick "Ekkr^v braucht; ebenso das Wort puteus (Gnibe, Schacht) wofür man jetzt (pQiag (Brunnen)

I, 18, 2. X^noQLg als Epitheton des Hasen: krumm-stumpf-nasig.' S. Varro r. r. lü, 12, 9 und Varro 1. 1. (i\) V, 101.

I, 18, § 2. päteus, L m. (Stamm Pnt, verwandt mit BO€f), wovon ßo^ifog ^Cisteme), noch jetzt ital. pozzo. »■ §2. Verwandlung des k- Lautes in den p-Lant, z. B. luytts =^ lepus; (Xvxog lupus; Xnnog «» equus). =" § 2. successum enim fortuna, experientia laus sequitur, das bedeutet: bei einem glücklichen Ausgange und Erfolg ist man gleich mit einer Lobpreisung zur Hand, warum sollte man einem löblichen Ver- such, selbst wenn er missglückte, nicht auch schon billige Anerkennung zu Theil werd^ lassen. Wenn also Aelius auch das Kichtige gerade nicht getroffen hat, so ist doch sein Fleiss und guter Wille zu loben. Also: das Glück hat immer den (Ruhmes-) Erfolg im Geleite, dem Versuch aber gebührt schlechterdings auch Lob und Anerkennung. Diodor. Sicul. XI, 11. „Man rnnss brave Mtoner nicht nach dem Aasgange "beurtheilen , sondern nach dem Vorsatz, denn jener hängt vom Glück ab, dieser vom freieo Wülen."

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(72) I. Buch, 18. Cap., § 2—6.

sagt ; femer das Wort lepus (Haase), was jetzt layanx; heisst. Ich kann in diesem. Falle dem Scharfisinn des Aelius nicht nur keinen Tadel widerfahren lassen, sondern moss sogar seinem beharrlichen Fleiss noch Lob ertheilen. Denn dem Erfolg geht das Glück, dem Versuch die Aiuerkennung nach."* 3. Diese schriftHche Bemerkung des Varro zu Anfang seines Buches, welches über die Abstammung der Wörter handelt, legt deutlich Zeugniss ab von seinem feinen Geschmack, von seiner innersten Ueberzeugung in Bezug auf (die Nothwendig- keit und) den Nutzen der Kenntniss beider Sprachen und von seinem unendlichen Zartgefühl beim ürtheil über seinen Lehrer Aelius. 4. Allein (wir werden gleich sehen, dass er selbst einen ähnlichen Irrthum sich zu Schulden kommen lässt, denn) am Ende desselben Buches sagt Varro, dass das Wort „für** (Dieb) daher entstanden und seine. Bedeutung erhalten habe, weil die alten Römer den Begriff von „ater" (schwarz) mit dem Wort „furvus** (dunkelfarbig) bezeichnet hätten und weil ja die Diebe (fures) während der Nacht, die schwarz sei, am leichtesten ihr Diebshandwerk treiben könnten. 5. Erscheint also hier Varro in Bezug auf das Wort „für" nicht ganz in demselben Falle (des Irrthums und der Pedanterie sich zu befinden, wenn er für von furvus ableitete) ganz ebenso, wie Aelius in Bezug auf das Wort „lepus" ? Denn was die Griechen jetzt imter dem Ausdruck liXi'/rvfjg (Dieb) verstehen, wurde in der altern griechischen Sprache mit dem Worte (fioQ be- zeichnet. Daher entstand nach einem offenbaren Buchstaben- ähnlichkeitsklang aus dem Griechischen q>ioQ das lateinische für. 6. Allein ob dieser Umstand damals dem Varro nicht gleich einfiel, oder ob er im Gegentheil es (absichtlich) für passender und vernunftentsprechender gehalten hat, den Begriff von für aus dem Worte furvus, was so viel als „niger** (schwarz) heisst, abzuleiten und zu entwickeln, in dieser Angelegenheit halte ich mich nicht für berufen, über einen Mann von so ausser- gewöhnlicher Gelehrsamkeit ein endgültiges ürtheil abzugeben.

I, 18, 4. furvus (eig. fusvus vom Stamme Fus, wovon auch fusctis, erweitert aus fti, wovon fumus, ftdigo) verw. mit dem Stamme oQifvos, oder nach DoederL VI, 142 mit ffvQtOy noQtpvQot, dunkelfarbig schwarz.

I, 18, 5. fiir v. ffdSQ oder mit ferre zusammenhängend s. Doederl. YI,141.

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I. Buch, 19.Cap., 8 1 10. (73)

I, 19, L. Erzählung aber die sibyllinischen Bücher und über den König Tarqniiüas Snperbus (den Hoffärtigen).

I, 19. Cap. 1. In den alten Jahrbüchern ist uns im Be- treff der sibyllinischen Bücher folgende geschichtliche Nach- richt aufbewahrt erhalten worden. 2. Eine fremde und von Niemandem gekannte alte Frau kam einst zum König Tar- quinius Superbus. Neun Bücher, die nach ihrer Angabe göttliche Orakel enthalten sollten, trug sie bei sich und erklärte, dass sie dieselben zu verkaufen beabsichtige. 3. Tarquinius er- kundigte sich nach dem Preis. Das Weib forderte einen sehr hohen und übermässigen. 4. Der König Iftchelte, weil es den Anschein nahm, als ob die Alte aus Altersschwäche kindisch geworden (und daher nicht wohl wisse, was sie -verlange). 5. Drauf stellte die Alte einen kleinen Heerd mit Feuer gerade vor ihn hin, verbrennt von den neun Büchern drei und fragt abermals den König, ob er nun vielleicht wohl die übrigen sechs um denselben Preis kaufen wolle. 6. Allein dies findet Tarquinius noch weit mehr zum Lachen und äussert ganz laut, die Alte müsse zweifelsohne doch wohl nicht recht bei Ver- stände sein. 7. Das Weib wirft daselbst abermals sofort drei von den noch übrigen Büchern ins Feuer und stellt nun in aller Ruhe abermals ganz dieselbe Frage, ob er nun die letz- ten drei übrig gebliebenen nicht doch noch um ebendenselben (hohen) Preis kaufen wolle. 8. Jetzt wird des Tarquinius Miene ernst, sein (ieist nachdenkender. Er fühlt es deutlich heraus, dass hinter solcher Ruhe und Zuversichtlichkeit etwas von Bedeutung verborgen sein müsse (confidentiani-non insuper habendam) und lässt ihr für die noch übrigen (letzten) drei Bücher sofort den vollen Preis auszahlen, welchen sie für alle neun zusammen gefordert hatte. 9. Allgemein bekannt ist nur noch, dass das Weib, nachdem sie sich dort vom Tarquinius wegbegeben hatte, hernach nirgends mehr gesehen wurde. 10. Diese drei Bücher aber wurden in's Allerheiligste (des

I, 19, 8. Solinus 8; Ammian. Marc. 23; Servius ad Verg. Aen. VI, 72; Dionys. Halle, alte röm. Gesch. IV, 62; Plin. 4, 18; 18, 18. Lactant. DiYin. institat I, 6. Nach dem Lactantios kaufte Tarquinius Priscus die Bftcher und 8oU nach seiner Angabe die von dem Wabe geforderte Summe in 800 Philippd'or (trecentis philippeis) bestanden haben.

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(74) I- Buch, 19. Cap., § 10. 11. 20. Cap. 1—3.

Jiinotempels) gebracht und daselbst aufbewahrt und die si- byllinischen genannt. 11. Zu ihnen nehmen, wie zu einem Götterspruch, die fünfzehn Männer ihre Zuflucht , wenn sie für das öffentliche Wohl des Staats die unsterblichen Götter befragen müssen.

I, 20, L. Was bei den Gcometern das Wort infntSov (Fläche) bedeutet, was

OTfgeov (Körper), was xvßog (Kubus, Würfel^, was yfiafifjiTi (Linie) und

welch entsprechende Ausdrücke man dafür wohl im Lateinischen hat.

I, 20. Cap. 1. Von den Figuren, welche die Geometer axij^crca (Gebilde) nennen, giebt es zwei Arten: Flächen und Körper. 2. Sie gebrauchen dafür die Ausdrücke: imTiedov (eben = Fläche) und avBqeov (fest = Körper). Fläche nennt man; was nur nach zwei Richtungen (Seiten) hin d. h. nur eine doppelte Ausdehnung hat, insofern dabei Breite und Länge in Betracht kommt, wie z. B. die auf einer Ebene gezogenen Dreiecke und Vierecke, ohne Berücksichtigung der Dicke. 3. Köii)er heisst ein Gebilde, wenn die Anzahl der Aus- dehnungen, wie bei den Ebenen, nicht nur auf Länge und

I, 19, 11. Sibylla (Gottrath). Diesen Namen trugen weissagerische, gottbegeisterte Frauen. Man nennt vorzüglich zehn. Besonders berühmt war die cumaenische in Italien, eigentlich Glauke genannt. Diese brachte auch die Bücher zu Tarquinius IL (Superbus). Die (ersten) sibylUnischen Bücher sind mit dem Capitol verbrannt, die nachherige Sammlung genoss lange nicht dasselbe hohe Ansehn. Erstere im capitolinischen Tempel niedergelegte Sammlung alter, hauptsächlich aus Kleinasien heiTührender Weissagungen war in griechischen Hexametern abgefasst Durch sie wur- den mehrere neue asiatische griechische Gottheiten dem Kreise der alt- römischen Götter beigeseUt S. Tertull. Apol. 25; ad nat II, 9; Augustin. C. D. II, 14; m, 12; cfr. Festus 237, 7 ff.; Gell. XHI, 23 (22).

I, 19 § 11. Quindecimviri cfr. Gell. I, 12, 6 NB.; Dion. Hai, 4, 62; Dio Cass. 54, 17; Tac. Anal. 11, 11; Cic. de Div. 1, 2, 4; Lactant. Inst I, 6, 13. Das schon mit der Aufnahme der sibylUnischen Bücher zugleich entstandene Collegium der Quindecimviri (früher blos Duumviri, dann Decemviri) hatte das Geschäft, jene Schicksalsbücher zu hüten, um Rath KU fragen und auszulegen. S. Tac. Ann. XV, 44, 1; Liv. 37, 3; 38, 36; 40, 19; 41, 17; Dion. Hai. IV, 62; Cic. de Div. I, 2, 4.

I, 20, 1. axnfJidt (von ax^Tv, ix^iv), Haltung, Gestaltung, Gebilde. S. Plutarch, Physikalische Lehrsätze dar Philosophen I, 14; Platonische Fragen 5.

I, 20, 2. Triquetra s. Colnmella V, 2.

I, 20, 3. Körper, dreifache Ausdehnung, s. Gell. V, 15, 5; Plutarch, Pfaysikml. Lehrsätze I, 12.

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I. Buch, 20. Cap., § 3—9. (75)

Breite sich beschränkt, sondem wenn die Ausdehnung auch noch auf die Höhe (Dicke) sich erstreckt, wie dies beispiels- weise ohngefähr der Fall ist bei den dreiseitigen Spitzsäuleu, d. h. bei Körpera, welche von Dreiecken als Seitenflächen begrenzt sind, welche man Pyramiden nennt, oder wie bei den Körpera, welche nur von Quadratflächen begrenzt sind, welche die Griechen Cubus, wir Lateiner Quadrantalia (Würfel) nennen. 4. Cubus ist ein auf jeder Seite von regelmässigen Viei-ecken begrenzter Körper. Derartig beschaffen, sagt M. Yarro, sind die Würfel im Bretspiel, woher sie auch yuvßot (Würfel) genannt worden sind. 5. Bei den Zahlengrössen braucht man den Ausdioick Cubus in ähnlicher Weise für Cubikzahl, wenn jeder der (3) Factoren des Products bei der Auflösung dieselbe Grösse ist, wie dies stattfindet, wenn man 3 mal 3 berechnet (multiplicirt) und das daraus entstandene Product noch einmal durch 3 vervielfältigt. 6. Nach Angabe des Pythagoras bildet die Cubikzahl von 3 die Zeit der Voll- endung des Umlaufs für den Mond, der bis zu seiner Wieder- kehr 27 Tage braucht. Diese Zahl 27 (des siderischen Ura- laufs) ist nun aber die Cubikzahl von der Zahl (oder Cubik- wurzel) 3, von den Griechen Trias genannt. 7. Wir nennen linea, was von den Griechen y^ajujwij genannt wird. 8. Davon pibt M. VaiTO folgende Begriffserläuterung r Er sagt: Linie ist eine Länge ohne Breite und Höhe (Dicke). 9. Euklid drückt sich weit kürzer aus. Er lässt den Begriff der Höhe

I, 20, 3. Pyramiden s. Ammian. MarceUin. 22.

I, 20, 4. Cubus 8. Vitrav. V, praefiit.

I, 20, 6. Mondumlauf in 28 Tagen s. Gell, m, 10, G; PUn. II, 9; Macrob. in somn. Scipion I, 6; Yitruv. 9, 4; Flut, moral. „über die Ent- stehung der Seele im Timaeos^, desgl. Chalcidius in Piaton. Timareum u. Cleomedes Meteor*. 1. 4.

I, 20, 9. Euklides, das Haupt der alexandrinischen Schule, lehrte 480 y. Chr. in der Hauptstadt Aepyptens die Mathematik vor einer grossen Zuhörerzahl, unter denen sich auch der König Ptolemäus I selbst befand. Er verfasste arot/fhi (Elemente der reinen Mathematik), dann Sidou^ra (data, geometrische Sätze) und (fmro/aiva, entfaltend die Grund- Züge der Astronomie. Er ist wohl zu unterscheiden von dem (GeU. YU [VI], 10, 1) erwähnten Stifter der megärischen Schule Euklides, einem Schüler des Socrates. Diese Schule verband die dialektische Kunst der Eleaten mit soeratischer Weisheit.

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(76) I. Buch, 20. Cap., §9—21. Cap. § 1—3.

(Dicke) ganz fallen und sagt: eine Linie ist eine Länge ohne Breite (y^a/ifii} fi^ycog a7t)Mveg\ was sich durch ein einziges lateinisches Wort nicht gut wiedergeben lässt, man mttsste denn (für den Ausdruck arrkazig) das Wort illatabilis (breite- entbehrend, umfanglos) zu bilden wagen.

I. 21, L. Dass Julius Hyginns mit höchster Bestimmtheit behauptet von des P. Vergilius Werken eine Ausgabe, die dessen Familie bcsass, eingesehen zu habett, wo folgende Stelle also geschrieben stand: et ora Tristia tem- ptantum sensu torquebit amaror (d. h und die) Bitterkeit (des Wassers) wird durch die Geschmacksempfindung das Gesicht derer, die kosten^ grämlich verzerren, nicht, wie mau sonst gewöhnlich diese Stelle zu lesen pflegte: sensu torquebit amaro, wird durch die bittere (Geschmacks-) Empfindung verzerren.

I, 21. Cap. 1. Sehr Viele lesen folgende Zeilen aus Vergils Gedicht vom Ackerbau (II, 246 und 247) folgender-

massen :

At sapor indicium faciet manifestus et ora Tristia temptantum sensu torquebit amaro, d. h. der Geschmack wird nun deutlich (sich) anzeigen und wird (unverkennbar) durch die bittre (Geschmacks-) Em- pfindung die Lippen der Kostenden widerlich verzerren. 2. Hyginus aber, ein Grammatiker wahrhaftig nicht von ge- ringem Verdienste, versichert und behauptet in seinen Er- lÄuterungen, welche er zu Vergils Werken verfasst hat, dass diese Lesart nicht von Vergil selbst henlihre, sondern dass eine andere dafür hinzusetzen sei, welche er selbst in einem Exemplar vorfand, das im Besitz der Familie des Vergil war, wo die Stelle so lautete: et ora Tristia temptantum sensu

torquebit amaror, d. h. grämlich die Lippen wird die

Bitterkeit itlmpfen, wenn man durch Kosten es prüfet, oder und empfindlich zent die bittere Schärfe des Kostenden mürrisches Antlitz. (Voss.) 3. Diese letztere Lesart

I, 21, 2. Von des Hyginus Schriften über die Werke Vergils s. Teuffels Gesch. der röm. Literatur 257, 3; vergl. GeU. VII (VI) 6, 2; X, 16; XVI, 6, 14.

I, 21, 8. Jovem lapidem-paratus ego jurare suin. Alb. Forbiger sagt (in seinem Hellas und Rom I. Abth. 2. Bd. p. 50): Ehe die ältesten Be- wohner Italiens mit den Griechen ih nähere Berührung kamen, war ihre Götteriehre noch sehr färb- und poesielos ^ da sie nur die abstrakten Naturkräfte in ihren verschiedensten Ersokeinungen als Gottheiten ver-

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I. Buch, 21. Cap., § 3. 4. (77)

hat aber nicht allein dem Hyginus, sondern auch noch einigen andern gelehrten Männern gefallen, weil der Gedanke ab- geschmackt sein würde, wenn man sagen wollte: „Der Ge- schmack quält (und verzent des Kostenden Antlitz) durch seine bittere Geschmacksempfindung" ,• da ja doch (wie ganz richtig bemerkt worden ist,) der (ieschmack selbst eine Em- pfindung ist, so kann er nicht selbst eine andere Empfindung wahrnehmen (d. h. so kann er zwar selbst empftmden werden, aber nicht selbst empfinden), gerade als ob man (die Ver- kehrtheit begehen und) sagen wollte: Die Empfindung ijuält mich durch eine bittere Empfindung (da doch nicht die Em- pfindung, sondern von etwas Unangenehmem, wie hier von der scharfen Bitterkeit, ich durch die Empfindung gequält werde). 4. Als ich nun einmal dem Favorin die vom Hygin zu dieser Stelle verfasste Erklärung vorlas und das Auffallende und Änrauthslose jener Stelle (durch Umändeiiing des Wortes amaror in amaro, also durch die Lesart) sensu torquebit amaro sofort sein Missfallen erregt hatte, konnte er sich des Lachens nicht enthalten und rief laut: bei dem Stein- gebilde des Jupiter (eine Statue auf dem Capitol) hin

ehrten, die sie durch ein blosses Symbol z. B. den Jupiter durch einen Kieselstein (s. Serv. zu Verg. Aen. 8, 64, daher aucli der Schwur: per Jovem lapidem, vergl. Tolyb. III, 25; Cicad Div. 7, 12; Plut. SaU. 10; Paul. Diac. p. 92, 2 und 115, 4. M. Appulqj. de Deo Socr. 5, p. 132 Qud.), den Mars durch einen Speer (Plut. Rom. 29; Justin. 43, 3 etc.), die Vesta durch eine Feuerflamme (Plut Camill. 20) bezeichneten, ohne dieselben durch ein, sei es auch noch so rohes, plastisches Bild vor Augen zu föhren. Die Zahl ihrer Götter und Göttinnen aber müsste wahrhaft in Erstaunen setzen, wenn man die Hunderte von Namen anfuhren und in Betracht ziehen wollte,* unter welchen sich die Schutzgötter für jedes nur denkbar menschliche Yerhältniss, fiir die fortschreitende Entwicklung, für jede Verrichtung und Beschäftigung des Menschen von seiner 2ieugnng und Geburt an (s. Gell. XVI, 16 und 17) bis zu seinem Tode aufgezeichnet finden, oder die in ihren einzelnen Functionen mit besonderen Namen bezeichnet und in bezüglichen Fällen angerufen wurden (s. GeU. XIII, 23 [22] ). Nach und nach vergrösserte sich die Anzahl der Götter so ins Un- endliche, dass sie alle zu kennen unmöglich war, weshalb es auch Sitte wurde, in Gebeten nach Anrufung eines bestimmten Gottes noch eine all- gemeine aller Uebrigen folgen zu lassen, um bei Keinem zu Verstössen, odei bei der grossen Verschiedenheit der Namen auch den Zusatz : „oder wie Du sonst heissen magst" in die Gebetformel aufzunehmen. Vergl. GeU. II. 28.

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(78) I. Buch, 21. Cap., § 4—7.-22. Cap., § 1. 2.

ich ZU schwören bereit und diesen Schwur hält Jeder gewiss wohl für den höchsten und heiligsten, ja bei ihm bin ich be- reit zu beschwören, dass Vergil niemals so geschrieben, und es ist meine feste Ueberzeugung, dass Hygin die volle Wahr- heit gesagt hat. 5. Denn Vergil war nicht der erste, welcher den Ausdruck amaror (Bitterkeit) auf so ungewöhnliche Weise brauchte, sondern da er dasselbe Wort in den Gedichten des Lucretius vorfand, so glaubte er sich kein Bedenken machen zu dürfen, es auch anzuwenden, gestützt (auf diesen Vorgänger "und) auf das Beispiel dieses an Geist und Wohlredenheit so hochbegabten Dichters. 6. Des Lucretius eigne Worte aus dem IV. Buche (von 223 und 224) lauten also:

dilutaque contra

Cum tuimur misceri absinthia, tangit amaror, d. h. (uns ja) berahrt oft

bitterer Duft, wenn Wermuthstrank wir sehen bereiten.

7. Bei aufmerksamer Beobachtung finden wir aber, dass Vergil nicht nur einzelne Wörter, sondern sogar Zeilen und Stellen des Lucretius fast ganz eifrig nachgeahmt hat.

I, 22, L. Ob der, welcher als Vertheidiger von Rechtssachen auftritt, sich sprachrichtig und echt lateinisch ausdrückt, wenn er sich der Redensart bedient: snperesse se is, quos defendit, d. h. dass er beistehe oder durch seine Gegenwart denen diene, welche er zu vertheidigen hat; ferner was die eigentliche Bedeutung dieses ; Wortes „superesse** sei.

I, 22. Cap. 1. Bei der Redensart: hie illi superest, hat sich durch langjährigen Gebrauch eine nicht ganz richtige und uneigentliche Bedeutung dieser Ausdrucksweise ein- gewurzelt und ist längst gäng und gebe geworden, indem man damit den Sinn verbindet: dieser dient jenem, während man sagen sollte, dass Einer Jemandem als Rechtsanwalt diene und dessen Rechtssache vertheidige. 2. Und man darf nicht etwa glauben, dass diese Ausdrucksweise nur (an gewöhnlichen Orten) auf Kreuzwegen oder im Munde des gemeinen Volkes gebräuchlich ist, nein, man hört sie auch im Geschäftsverkehr auf dem Markt, vor Gericht, in öffentlichen Versammlungen,

I, 21, 7. S. Cic ep. ad Quint. Fratr. II, 11; X, 1, 87; XII, 11, 27; Ovid. Amor. I, 15, 23; Stat Sylv. II, 7, 76; Macrob. Sat. VI, 1—2. S, Teuffels Gesch. der röm. Lit. 224, 6.

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I. Buch, 22. Cap., §8—6. (79)

ja bei allen nur möglichen Gerichtsverhandlungen. 3. Alle, denen an einer sprachrichtigen Ausdrucksweise etwas gelegen ist, brauchen grösstentheils „superesse" nur in dem Sinne, um damit das Ueberfliessen, das Ueberfiüf sigsein und ein Hinaus- gehen über das nöthige Maass zu bezeichnen. 4. Und in dieser Weise hat M. Varro in seiner (menippischen) Satire, welche die üeberschrift führt „Du weisst nicht, was die späte Stunde mit sich führt" das Wort superfiiisse in der Bedeutung genommen, wie: übertrieben, d. h. ohne Maass und Ziel und unzeitig ge- wesen sein. 5. Die betreflFenden Worte aus diesem Werke sind folgende: „Bei gesellschaftlichen Mahlen •eignet sich durchaus nicht Alles zum Vortrag, und man soll vor Allem das auswählen, was zugleich für das Leben von Nutzen ist (ßuoq)eX^} und noch lieber das, was ergötzlich ist, so dass es dabei immer das An- sehen gewinnt, es habe an Vergnügen nicht gefehlt, vielmehr es sei Ueberfluss daran gewesen." 6. (Bei Erwähnung von der Bedeutung und Anwendung des Wortes superesse filllt mir das scherzhafte und gi-osse Heiterkeit erregende Schlägwort eines gelehrten Prätors ein.) Ich erinnere mich nämlich ganz lebhaft, dass ich zufälliger Weise einer Gerichtsverhandlung beiwohnte, und dass daselbst ein ebenfalls nicht unbedeutender Rechtsanwalt beschäftigt war, der das Ansinnen stellte, man solle ihn sprechen lassen, was gar nicht zur Sache gehörte, so dass er die betreffende Rechtsangelegenheit, um die es sich handelte (und die er zu vertreten hatte), gar nicht weiter zu berühren brauche. Darauf Hess der Prätor (über ein solches Ansinnen erstaunt) gegen die betheiligte Partei, deren Sache verhandelt wurde, die Bemerkung fallen, dass sie wohl keinen Vertheidiger hätte. Als nun der (Anwalt), welcher vorher

I, 22, 4. Man weiss nicht, was der Abend bringt. Dadurch soUen wir erinnert werden, uns vor Ungeduld und Voreiligkeit des Urtbeils zu hüten. Vergl. Gell Xm, 11, 1 und n, 8, 7 NB. Ueber die Ableitung und den Begriff des Wortes satira, nachMommsen „der Mummenschanz der vollen Lorte*^, „das beim Yolkscameval gesungene Lied", (vergl. im Ital. &rsa, Fallsel, Gemengsei), s. Geschichte der rdm. Literatur von Teuffei § 6, 2.

I, 22, 5. Bei Mahlen soU man sehen auf das Ntttzliche, dann auf das Angenehme und auf das „nicht zu viel**. Vergl. Beruh, röm. Lit. 14, 48; desgL GeU. VII (VI), 18; XVU, 8; XVUI, 2; XIX, 9, 1 NB.

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(80) L Buch, 22. Cap., §6-a

ein Langes und Breites überflüssig geschwätzt hatte, (aus Aerger über solche Aeusserung des Richters sich erhob und) mit lauter Stimme und in gereiztem Tone rief: „Würdigster Richter! ego illi supersum" was nach Bedeutung des Wortes theils heissen kann: (ich hier,) ich diene jener Partei (oder: mir liegt deren Vertheidigung ob), aber auch: ich bin für sie überflüssig; so fasste der Prätor das Wort in der letzten Bedeutung auf und gab dem Anwalt schnell die schlagende und grosse Heiterkeit hervorrufende Antwort: (das merk' ich dehn nun wohl,) fürwahr Du bist hier ganz überflüssig und bist so gut wie nicht da (tu plane superes, non ades). 7. In seiner Abhandlung: „Versuch, das bürgerliche Recht in einen wissenschaftlichen Zusammenhang zu bringen^, bedient sich aber auch M. Cicero folgender Worte: „Q. Aelius Tubero stand hinter seinen Vorfahren in der Rechtskenntniss durch- aus nicht zurück (non defuit), allein an Gelehrsamkeit (und wissenschaftlicher Bildung) übertraf er sie sogar noch (super- füit)/ An dieser Stelle scheint superfuit in der Bedeutung gesagt zu sein, wie supra fuit, d. h. er ist vorzüglicher darin gewesen und that sich darin sogar vor ihnen noch hervor (praestitit) und übertraf überhaupt seine Vorfahren durch sein überströmendes und höchst umfangreiches Wissen, denn dieser Tubero hatte sich durch und durch vertraut gemacht mit den Lehren der Stoiker und Dialektiker. 8. Auch im II. Buche (oder vielmehr im III., Cap. 21, 32) seines Werkes ^über den

I, 22, 7. de juve civili in artem redigendo, oder wie es bei Sueton. Caes. 44 heisBt: jus civile ad certam modum redigere, das bürgerliche Rech^ auf einen gewissen Umfang einzuschränken. Aus Cic. selbst (de orat 1, 42) ersieht man, dass diese Schrift ein kurzes System des römischen Rechts (Institutiones) vorstellte und nicht etwa ein Gesetzbuch, eine Sammlung römischer Gesetze war. VergL Bemh. röm. Lit. 118, 555 und Teuffels Gesch. der röm. Lit. 184, 2.

I, 22, 8. C. L aelius, der Freund des älteren Scipio AMcanus, wurde 190 y. Chr. Gonsul. Er war ein Mann von grosser Beredtsamkeit und Liebenswürdigkeit und auch befreundet mit Polyli|0. Sein Sohn C. Laelius, Freund des jüngeren Scipio, von seinem Studiuai der Philo- sophie Sapiens genannt, besass ebenfalls grosse Beredtsamkeit' Lndlius, TerenÜQS und Caelius Antipater erfreuten sich seines ßmgßxxfgts, Cicero benannte sein Buch von der Freundschaft nach ihm. Dieser wurde 140 v. Chr. Consul.

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I. Buch, 22. Cap., § 8 11. (81)

Staat (de repüblica)" braucht Cicero dieses Wort was wir wohl nicht so ohne Weiteres übergehen dürfen. Die Stelle aus diesem Buche lautet folgendennassen: „Es würde mir (spricht Scipio) nicht einfallen Dich zu belästigen, lieber Laelius, wenn ich nicht glauben müsste, dass auch die Wünsche [aller unserer Freunde in diesem meinen (einzgen) innigen Verlangen sich vereinigten, dass Du uns doch die Freude machen möchtest, einen Theil unserer Unterhaltung (über die Gerechtigkeit) zu übernehmen, besonders da Dir gestern (scherzhafter Weise) die Aeusserung entschlüpfte, (te nobis etiam superfuturum) dass Du uns wohl noch übertreffen wolltest, (womit Du doch nicht etwa gesagt haben willst, dass Du uns vielleicht einmal zu viel sprechen würdest). Da ein solcher Fall nie eintreten kann, so bitten wir Dich Alle, ja von Deinem Vorhaben (auch mit zu [sprechen) nicht ab- zustehen." 9. Daher ein zu meiner Zeit [höchst gelehrter Mann, Julius Paulus, die feine und gründliche Erklärung gab, dass das Wort „superesse" sowie im Lateinischen, also auch im Griechischen nicht in einfacher (sondern in verschiedener) Beziehung gebraucht werden könne, denn auch die Griechen wendeten ihr y^Ttegiaaov^ in doppelter Bedeutung an, entweder wenn sie sagen wollten, dass etwas überflüssig und daher unnütz, oder dass etwas allzu voll, überfiiessend und allzu- reichlich sei. 10. jDass auch unsere alten römischen Schrift- steller ebenso das Wort „superesse" gebraucht haben, theils in dem Sinne von weitläufig, kraftlos und ganz unnöthig, wie ich schon oben durch ein Beispiel dargethan^ dass Varro es in dieser Bedeutung anbringt, theils in dem Sinne, wie es bei Cicero steht, für das, was andere zwar an Fülle und Kraft übertrifft, jedoch über lalle Massen umfänglicher und weitläufiger sich ausbreitet, als wohl recht und dienlich wäre. 11. Kommen wir aber nun wieder auf unseren Fall zurück, so ist doch wohl gewiss, dass ein Vei-theidiger diesen Ausdruck sicher in keiner von diesen Bedeutungen will verstanden

I, 22, 9. Julius Paulus, ein Dichter, welchen Gellius noch V, 4, 1; XYI, itf; 9 und "^TT^ 7, 1 anfährt, von dem sonst nichts bekannt ist und der nicht darf verwechselt werden mit dem erst später mit Papinian unter Sepünnns Severus lebenden römischen Juristen gleichen Namens.

Gellius, Attisohe N&cfat«. 6

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(82) I. Böch, 22. Cap., § 11 16.

wissen, wenn er von seinem Rechtsschützling, den er ver- theidigen soll, spricht und dabei die Erklärung abgiebt: superesse se ei (dass er also entweder nach Varro unnöthig, oder nach Cicero überflüssig seiner Partei sei). Nun aber weiss ich wahrhaftig nicht, welch andere ungewöhnliche und unbekannte Bedeutung er dem Worte hat beilegen wollen, 12f. und es wird ihm nicht viel Nutzen bringen, wenn er etwa gar auf Yergil als Gewährsmann sich glaubt stützen zu können^ der in seinem Gedicht vom Ackerbau (III, 10) so schreibt:

Primus ego in patriam mecum, modo vita supersit d. h.

(heimkehrend führen die Musen will) zuerst ich ins Vaterland mit mir, so das Leben mir ausreicht

An dieser Stelle scheint Vergil dieses Wort in einem un- eigentlichen Sinne (oxvQoreQov) gebraucht zu haben, weil er „supersit" in der Bedeutung sagt, wie: wenn mir das Leben dauernder und länger erhalten bleibt, 13. und ich muss da- gegen einer andern Stelle desselben Vergil weit mehr Beifall zollen, die da (Verg. v. Ackerbau III, 126) heisst: Florentisque secant herbas flnviosque mioistrant Farraque, ne blande nequeat superesse labori d. h. (dem Gatten der Heerde) Schneid' ihm saftiges Kraut und reich' ihm Frische des Baches, Spelt auch, dass seinem Liebes-Dienst er vollkommen gewachsen.

Hier bedeutet (blando) superesse (labori) nämlich: die An- strengung (der Begattung) aushalten und der Mühe nicht unterliegen. 14. Ich habe mich schon oft gefragt, ob unsere Alten wohl das Wort superesse in dem Sinne gesagt haben für: (zu thun) übrig bleiben und der Vollziehung einer An- gelegenheit sich entschlagen (müssen). 15. Sallust hat näm- lich in dieser Bedeutung nicht „superesse", sondern das Wort „superare" gebraucht. Seine eignen Worte in Jugurtha lauten so: „Dieser (Bomilkar, der Vertraute des Jugurtha) pflegte meistentheils ein vom Könige abgesondeites Heer zu befehligen und überhaupt alle weiteren Geschäfte zu erledigen, welche dem Jugurtha, wenn er zu ermüdet, oder durch wichtigere Angelegenheiten ganz in Anspruch genommen wurde, (selbst auszuführen) zu viel gewesen waren (oder über den Hals wuchsen: res, quae Jugurthae-superaverant)." 16. In folgen- dem Verse aus des Ennius IH. Buche seiner Jahrbücher: „Drauf nun gemahnt's ihn, dass ja noch dn Werk übrig ihm bleibe,**

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I. Buch, 22. Cap., § 16—20. (88)

finden wir „superesse** in der Bedeutung: übrig sein und zu thun übrig bleiben, daher dies Wort auch, weil es diese Be- deutung hat, getrennt auszusprechen ist, nämlich super esse, damit es nicht ein Redetheil zu sein scheint, sondern zwei. 17. Cicero hat an einer Stelle seiner n. philippisehen Rede (Cap. 29, § 71) in dem Sinne von „es ist übrig" sich nicht des Wortes „superesse", sondern dafür sich des Wortes „restare" bedient. 18. Ausserdem finden wir superesse noch in der Bedeutung für: superstitem esse d. h. überleben. 19, In die- sem Sinne gebraucht steht es im X. .Buche (cap. 33, § 5) der Briefe Cicero's anL. Plauens und in dem Briefe des Asinius Pollio an Cicero, und die Stelle lautet wörtlich: „Denn ich will die Republik weder im Stich lassen, noch viel weniger sie überleben", womit er sagen will, dass, wenn erst die Re- publik aufgehört habe zu bestehn und untergegangen sei, er dann auch nicht mehr leben möge. 20. In dem Plau- tinischen Stück „Die Eselsgeschichte (Asinaria I, 1, 1 [16])" findet man eine noch schlagendere Stelle in folgenden Zeilen, welche den Anfang des Lustspiels bilden: SicQt taam vis unicum gnatiim tuae Superesse yitae sospitem et superstitem d. h.

So wie Du selber wünschest, dass Dein einz'ger Spross

Dein eignes Dasein überdaure wohl und lang.

I, 22, 16. Q. EnniuB, geb. 239 v. Chr. (515 d. St.) in Rudiae, einer oskischen Stadt Calabsiens, zog als Soldat in Sardinien die Aufinerksam- keit des Quästors M. Cato auf sich, der ihn 204 mit nach Rom brachte. Seine Eenntniss der griechischen Sprache und Literatur und seine bei- fällig aufgenommenen Gedichte erwarben ihm die Freundschaft der römi- schen Grossen, so z. B. der Scipionen und des Consuls M. Fulvius Nobilior^ der ihn 189 auf seinem Zuge mit sich nach Aetolien nahm. Ennius, der sich (nach GeU. XYII, 17, 1) riihmte, einen dreifachen Geist zu besitzen (tria corda habere sese), weil er perfect griechisch, oscisch und lateinisch verstand, wurde besonders berühmt durch sein grosses historisches, in Hexametern abgefasstes GecGcht: Annales, worin er chronologisch die ganze römische Geschichte bis zu seiner Zeit behandelte.

I, 22, 17. Cic. Philipp. II, .29, 71 : cum praesertim beUi pars tanta restaret.

I, 22, 19. G. Asinius Pollio, geb. 76 v. Chr., ein feingebildeter Staatsmann und Redner, widmete sich in seinen späteren Jahren ganz der Wissenschaft. Er stiftete die erste öffentliche Bibliothek (Plin. 7, 30). Berühmt ist sein grösseres Werk über den Bürgc-krieg. Es sind nur

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(84) I. Buch, 22. Cap., § 21.-28. Cap., § 1—3.

21. Wie man nun aber nicht allein vor der Anwendung dieses Wortes in der uneigentlichen Bedeutung glaubt zur Vorsicht auffordern zu müssen, so würde es ausserdem auch schon wegen der schlimmen Vorbedeutung zu vermeiden sein, wenn ein älterer Rechtsanwalt einem jungen Manne gegenüber sagen wollte: „se superesse ei" (weil man dabei leicht auf dieVer- niuthung fallen könnte, er wolle nicht etwa andeuten, dass er ihn zu übertreffen und zu besiegen, [sondern dass er, der Alte, den Jüngling zu überleben gedenke).

I, 23, L. Wer Papirios (Fraetextatos gewesen; was die Veranlassung |zu

diesem Beinamen gegeben; dann im Betreff desselben Papirius vollständig

ansführliche Erzählong, die zu erfahren höchst ergötzlich sein dürfte.)

I, 23. Cap. 1. Wir verdanken der Feder des M. Cato eine ausführliche Erzählung über den Papirius Praetextatus, welche gar anmuthig, anschaulich und in zierlichen Worten verfasst ist und sich in der Rede vorfindet, welche Cato „vor den Soldaten gegen den Galba" gehalten hat. 2. Ich würde Cato's eigne, herrliche Worte gern dieser Abhandlung ein- verleiben, hätte ich nur gerade .gleich, als ich diese Erzählung aufzeichnen Hess, die (Original-) Schrift zur Hand gehabt. 3. Wenn Pu also, lieber Leser, nicht (gerade eigensinnig) darauf bestehst, durchaus nur die Vorzüge und das Würde- volle seiner Ausdrucksweise durch Wiedergabe seiner eignen Worte zu vernehmen, sondern (Dich mit meinen Worten be- gnügst und) nur die (ganz schlichte) Thatsache zu erfahren

Bruchfitücke von ihm auf uns gekommen. Er war Beschützer und Freund des Vergü und des Horaz, Cfr. Gell. X, 26, 1; vergl. Bemh. r. L. 46, 182 und 117, 050. Sein WiderwiUe gegen den Ciceronianismus ging auch auf seinen Sohn über, cfr. Grell XYII, 1, 1. S. Teuifels Geschichte der röm. LiU 218, 1—7.

I. 23, 1. S. Otto Ribbeck' s M. Porcius Cato Censorius als Schrift- steller p. 18,

I, ^3, 1. Servius Sulpicius Galba suchte, aber ohne Erfolg , den von ihm gehassten Schwiegervater von Cato's Sohn, den Aemilius PauUus, um seinen Triumph über Perseus zu bringen (Liv. 45, 37 etc.) und hatte später die Lusitanier, die sich ihm mit Vertrauen übergeben hatten, wider sein gegebenes Wort grausam hinrichten lassen. Der Yolkszuuftmeister L. Scribonius Libo trug daher (149) auf ein Gesetz ihn zu bestrafen an (Cic Brut. 23, 89\ welches Cato mit all seiner Beredtsamkeit lyiterstützte. Oell. I, 12, 17; Xm, 25, 15 NB.

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I. Buch, 23. Cap., § 3—8. (85)

verlangst, so will ich Dir den einfachen Inhalt dieser Ge- schichte mittheilen, die sich ohngefähr folgendennassen ver- hält. 4. Früher hatten zu Rom die Senatoren die Gewohnheit, ihre (unter 17 Jahre alten) Söhne, die noch das verbrämte Oberkleid trugen, mit in die Rathsversammlung zu nehmen. 5. Als nun einst daselbst in der Versammlung eine etwas wichtigere Angelegenheit war verhandelt worden, ihre voll- ständige Austragung und Erledigung aber noch auf den fol- genden Tag musste verschoben werden und man nun deshalb übereingekommen war, dass über diese wenn auch schon ziemlich erledigte Angelegenheit Niemand eher etwavS verlauten lassen sollte, bis darin ein bestimmter Entschluss gefasst sein ' würde, so suchte die Mutter des jungen Papirius, da sie wusste, dass er mit seinem Vater auf dem Rathhause gewesen war, diesen ihren Sohn darüber auszuhorchen, was wohl die Väter in der Rathssitzung verhandelt hätten. 6. Der Knabe ant- wortete, dass dieses noch ein Geheimniss bleiben solle und müsse und man darüber (nach getroifener Verabredung) noch nichts dürfe verlauten lassen. 7. Die Frau wird immer be- gieriger etwas von dem Sohne herauszubekommen, denn die Heimlichkeit an der Sache und die Verschwiegenheit an dem Knaben reizen ihre Leidenschaft und Neugier, ihn noch weiter auszufoi-schen, erst recht. Daher bestürmt sie ihn noch drin- gender und ungestümer mit ihren Fragen. 8. Als nun seine Mutter immer noch nicht nachlässt ihn zu drängen (und er sich nicht mehr anders zu helfen weiss), nimmt der Knabe

I, 23, 4. Curia (i. e. locus, ubi senatus curat res publicas). Man hat den Ursprung des Wortes curia verschiedentlich zu erklären gesucht. So leitet man es von curare ab, oder von der Stadt Cures, oder von xvQiog (Herr); natürlicher erscheint die Ableitung von quiris (curis), welches „Lanze** bedeutet (Dionys. II, 48; Plut. Hom. 41); so wäre diese Bezeichnung gleichbedeutend mit der des Mittelalters, wo „Lanze^ einen Ritter mit einem jQefolge von 6 bis S^BewaÖneten bezeichnete. Da nun der Haupt- zweck der Bildung der Curie darin bestand, eine gewisse Anzahl be- waffneter Bürger zu stellen, so ist es möglich, dass man dem Ganzen den Namen des Theiles gegeben hat. Vergl. Ovid Fast. 11^ 477 480. Die Curie war die |Grundlage der politischen und militärischen Organisation und daher stammt filr das römische Volk der Name Quirites. Vergl. Macrob. Sat. I, 6; Pol. 3, 20.

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(86) L Bu«h, 23. Cap., § 8— 13.

endlich zu einer feinen und allerliebsten Unwahrheit seine Zuflucht. (Jetzt fällt mir's ein, sagt er:) Verhandelt wurde im Senat die Frage, ob es nicht zuträglicher und mehr zum Nutzen und Vortheil des Staates sei, dass Einer sich lieber zwei Frauen nehme, oder dass eine Frau an zwei Männer verheirathet fürde. 9. Kaum hat sie dies vernommen, wird ihre Seele mit Ei^tsetzen erfüllt. 10. Sie verlässt in des Schreckens Hast das Haus und hinterbringt diese Nachricht sofort allen übrigen (verheiratheten) Frauen. Tags darauf begiebt sich nun der ganze Hausfrauen - Schwann nach dem Rathssitzungs-Local. Sie zerfliessen in Thränen und flehen um des Himmels Willen, dass man doch lieber gestatten möchte, dass eine Frau zwei Männer, als dass ein Mann zwei Weiber heirathen dürfe. 11. Bei ihrem Eintritt zur Rathssitzung waren -die Senatoren erstaunt (und konnten gar nicht begi-eifen), was dieses seltsame, un- gestüme Betragen und was dieses Fordern und Bitten zu be- deuten habe. Nun trat der junge Papirius mitten vor unter die Senatsversammlung und erzählte ganz offen und unum- wunden den Sachverhalt, wie sehr ihm die Mutter zugesetzt habe, um Etwas aus ihm herauszubringen und dann, was er selbst (in der Verlegenheit und um nicht gegen die Ver- schwiegenheit zu Verstössen) sich erlaubt habe seiner Mutter zu sagen. 13. Der Senat ertheilte dem Knaben für seine Zu- verlässigkeit, wie für seine Geistesgegenwart (und den glück- lichen Einfall) das schmeichelhafteste Lob, erlässt aber alsbald auch die Verordnung, dass künftighin Knaben nie mehr ihren Vätern in die (Senats-) Sitzung folgen durften, mit Ausnahme dieses Einzigen , des. jungen Papirius. Dieser Knabe aber bekam Ehren halber nachher den Namen Praetextatus bei- gelegt, weil er, obgleich noch im Jugendkleide, doch einen Beweis von seiner Vorsicht und Klugheit beim Schweigen, wie beim Sprechen gegeben hatte.

I, 23, 18. Toga praet ext a, ein mit Purpur gesäumtes Oberkleid, wie es theils die Vornehmsten, theils die noch nicht mannbaren Bürger- kinder bis zum 17. Jahre trugen, dann aber mit dem schlichten männlichen Rock vertauschten, der toga virilis, oder pura oder libera hiess. So fiel auch der Anfang des Militärdienstes in das 17. Jahr. S. Suet Tib. 54; vergl Oct 26 und Caligul. 10 Über toga virilis.

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I. Buch, 24. Cap., § 1. 2. (87)

I, 24, Lt. Drei von den (berühmten) drei alten Dichtern Naevius, Plautus

und Pacurius selbstverfasste und auf ihren Grabmälem eingegrabene

Inschriften (Aufschriften).

I, 24. Cap. 1. Die von den berühmten drei Dichtern Cn. Naevius, (Maccius) Plautus und M. Pacuvius hinterlassenen, selbst verfassten und zur Inschrift auf ihr Grabmal bestimmten Gedenksprüche glaubte ich ihrer Feinheit und Anmuth halber in diesen Abhandlungen aufzeichnen zu müssen. 2. Die Grab- schrift des Naevius schmeckt stark nach c am panisch er Hoffarth, denn sein Inhalt würde dann nur als ein wohl- verdientes Zeugniss für ihn haben gelten können, wäre das Gedicht nicht von ihm selbst verfasst und ausgegangen. Es lautet:

Ziemet UnsterbUchen jemals Sterbliche noch mit Thränen zu ehren, 0 dami netzen die heiligen Musen des Naevius Rulistatt sicher mit

Thränen; Doch da in's Reich des Tod's er geleitet, der unvergessliche Dichter, Ward ganz vergessen zu Rom die Reinheit lateinischen Ausdrucks;

I, 24, 1. Gn. Naevius, ein Grieche aus Campanien, der im 2. pu- nischen Kriege als Soldat diente (GeU. XVII, 21, 46), erwarb sich durch seine Gomödien grossen Ruhm. Da er nach Weise der griechischen Dichter in seinen Stücken die ersten Männer des Staates, die Meteller und Sci- pionen mit rücksichtslosem Freimuthe angegriffen, musste er deshalb ins Gefangniss wandern (vergl. Gell. III, 3, 15 NB.) und, aus diesem endlich erlöst, ins Exil nach Utica in Africa, wo er 204 v. Chr. starb. Uebrig sind von ihm nur unbedeutende Fragmente und die hier angeführte Grrabschritit. Des Naevius verdienstlichstes Werk war sein im historischen Ton von Annalen geschriebenes beUum punicum, ein in altitalischem (satumiscbem) Yersmasse abgeiasstes Heldengedicht, welches mit den Reimchroniken des deutschen Mittelalters Aehnlichkeit gehabt zu haben scheint Sein stilistisches Talent erschien grösser und verdienstlicher in seinen Gomödien, als im Epos.' VergL Bernh. r. L. NB. 138, wo Naevius als Dichter der plebejischen Interessen und Manieren erblickt wird und Ennius als aristo- kratischer Dichter. S. Teuffels röm. Lit. § 93, 1. Sein Name wurde oft mit Novius und Laevius verwechselt

I, 24, 2. Die „Einwohner Gampaniens" waren theils ihres Luxus halber, theils wegen ihres Hochmuths zu Rom sehr berüchtigt. lieber das Wesen des satumischen (altitalischen) Yersmasses vergl. Teuffels röm. Lit § 60. Der Grundrhythmus desselben theilt sich in zwei Hälften, die erste gewöhnlich ansteigend, die zweite in der Regel fallend, also:

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(88) L Buch, 24. Ci^., § 2—4.

(Oder nach Mommsens Uebertragung in Saturniern der

Urschrift :

Wenn Göttern um den Menschen Todtentrauer ziemte, Den Dichter Naevins weinten göttliche Gamenen; Dieweil, seit er hinunter zu den Schatten abschied, Verschollen ist in Rom der Ruhm der römischen Rede.)

3. Die Grabschrift des Plautus, worüber wir Zweifel erheben würden, ob sie wirklich von ihm selbst herrühre, fänden wir sie nicht als solche vom (gewissenhaften, zuverlässigen) Varro im 1. Buche seines Werkes „von den Dichtem" .auf- gezeichnet, lautet also in heroischen Hexametern:

Seit dem Tode verfaUen Plautus, trauert das Lustspiel,

Einsam stehet der Schauplatz, Spiel, Scherz, Lachen verstummten;

Zahllos all' Melodien sie weinen vereint um den Dichter.

4. Die Grabschrift des Pacuvius aber athmet .unverfälschte Bescheidenheit und reinste Einfachheit und entspricht voll- ständig dem erhabenen Ernst des Dichters, hier folgt sie (in jambischen Senaren):

Hast Du Eil auch junger Wandrer, der Fels hier bittet doch,

Ihn anzusehn, zu lesen dann die Inschrift drauf;

Hier liegt des Dichters Marcus Pacuvius Gebein«

Dass dies nicht fremd Dir bleibe, var mein Wunsch. Leb wohll

J, 24, 3. T. Maccius Plautus aus Sarsina in ümbrien, älterer Zeitgenosse des Ennius, hatte sich als Dichter und Schauspieler ein kleii:ea Vermögen erworben, dasselbe aber durch Handelsspeculationen viedLi verloren. Wegen seiner Armuth sah er sich nun genöthigt bei einem Bäcker die Handmühle zu drehen« Trotzdem dichtete er dabei weiter (Gell. III, 8, 14). Sein hohes poetisches Talent, seine geistige Frische verdient die höchste Bewunderung. Er dichtete nach griechischen Vor- bildem. üeber die 2^1 seiner Gedichte handelt Gellius im eben erwähnten Abschnitt Er starb 184 v. Chr. (570 d. St.) in hohem Alter. S. Teuffels röm. Lit 94 und 114, 2.

1, 24, 8. Vergl. GeU. XVÜ, 21, 45: Varro in Ubris de poetisj 8. Teuffels röm. Lit 93, 2.

I, 24, 4. Marcus Pacuvius, geb. 219 v. Chr. (585 d. St) in Brundusium, war ein Schwestersohn des Q. Ennius. Thätig zugleich aU Dichter, wie als Maler, zeichnete er sich durch Kraft und Erhabenheit in der Sprache, durch grosse Gelehrsamkeit und durch grössere Selbstständig- keit, als alle seine Vorgänger besessen hatten, in der Behandlung aus. Er zog sich gegen das Ende seines Lebens von Rom nach Tarent zurück, wo er mit dem um 50 Jahre jüngeren Accius verkehrte (s. GeU« XIII, 2) und starb als Greis von 90 Jahren. Wir besitzen nur noch Bruchstücke von ihm. S. PUn. 35, 7 (4), 1 und Teuffels röm. Lit § 104.

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L Buch, 24. Cap., §4.-25. Cap., § 1—6. (89)

oder vieDeicht: Jüngling, hast Da auch Eile, verweil doch, Dich bittet dies Felsstück, Daas einen Blick Du ihm sdienkest und lesest die wenigen Worte: Marcus' Pacuvius' des Dichters Gebeine, sie ruhn hier. Dies nur wollt' ich Dir sagen. Nimm Dank und Gruss noch beim Gehen.

I, 25, L. Durch welche Worte M. (Terentius) Varro den Ausdruck : indntiae

(WaffenstillstaiDd) näher erklärt. Anbei höchst sorgfältige Untersuchung

über die Entstehung und Abstanunnng desselben Wortes.

I, 25. Cap. 1. M. (Terentius) Varro in seiner Sammlung „menschlicher •Vorkommnisse", wo vom Krieg und Frieden die Rede ist, erklärt das Wort indutiae (Waflfenstillstand) auf zwei Arten und sagt: indutiaQ bedeutet Frieden im Feldlager für einige wenige Tage (gültig, pax castrensis paucorum die- rum). 2. Ebenso sagt er an einer andern Stelle: indutiae sind Rastfristen im Kriege (belli feriae). 3. Allein es scheint jede von diesen beiden Erklärungen (des Wortes indutiae) nicht eben klar und zufriedenstellend zu sein, da es bei dieser Erklärung wohl mehr auf eine zierliche und angenehme Bün- digkeit und Kürze abgesehen war. 4. Denn der Begriff des WortÄ indutiae bezeichnet weder das, was man Frieden nennt, denn der Kriegszustand bleibt ja und nur der Kampf wird einstweilen eingestellt; noch bezieht sich das Wort allein auf den Waffenstillstand im Feldlager, noch kann man behaupten, dass ein solcher Waffenstillstand sich nur auf einige Tage beschränkt. 5. Wie sollen wir nun z. B. dann denjenigen Zustand bezeichnen, wenn ein Waffenstillstand gleich auf einige Monate abgeschlossen worden und man aus dem Feld- lager in die festen Plätze zurückweicht? Soll man da nicht auch dieses Ausdrucks sich bedienen und nicht auch sagen dürfen, es findet ein Waffenstillstand (indutiae) statt? 6. Oder hinwiederum, was sollen wir sagen, was wohl die Stelle zu

I, 25, L. indutiae. Die zwei Ableitungen, nvelche Gellius grebt: inde uti jam und quasi initus, welche, so wenig sie zu billigen sind, doch bewe'>.ii, 4ass er das Wort nur mit t geschrieben kennt Fleckeisen, der diese Fxage über Bechtscbreibung besonders gründlich behandelt hat, leitet es Ton indu-ireab. Vergleicht man in-«dia (fasten), so ist induciae (^cfr. dox, ile.zog) die Zeit, in der gegen den Feind nicht ausgezogen wird. Zu bjdenkcn bleibt wohl die Auslegung: tempus indutum « inseptum, S' üaltzeit, also indutia (wie indutilis, einfügbar, yon induo).

I, 25, 6. Ein Dictator wurde nur bei ausserordentlichen Gelegenheiten

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^90) I- ßttch, 25. Cap., § 6—12.

bedeuten hat, die sich im 1. Buche des Quadrigarius befindet, wo es heisst: ,,dass der Samniter G. Pontius vom römischen Dictator um einen Waffenstillstand für 6 Stunden gebeten habe'', wenn man sich dieses Ausdinicks nur bedienen darf, im Fcdl von einem Waffenstillstände fttr nur wenige Tage die Rede ist? 7. Des Varro Ausdruck belli feriae (Rastfrist im Krieg) als Erklärung für das Wort indutiae, kann mehr für geistreich, als für eine deutliche, bestimmte und erschöpfende Erkläining gelten. 8. Allein die Griechen haben mit einer verständlich und deutlich ausgeprägten Wortbezeichnung dieses (beiderseitig) verabredete Aufhören des (feindlichen) Kampfes mit dem Worte ixexBiQia (d. h, Einstellung des Handgemein- werdens oder der Waffenthätigkeit) bezeichnet, welches Wort sie aus den beiden „l/w" und „x«/^" derartig gebildet haben, dass sie die erste Aspirate, das x, ihres rauhen Klanges halber wegen der gleich drauffolgenden andern Aspirate (x) ausfallen lassen, oder vielmehr (wie es die fast allgemeine Regel er- heischt) für das erste x (die weicher klingende Tennis) x setzen. 9. Weil nun also während dieser Zeit nicht g^ämpft wurde und man sich des Handgemenges enthielt, bildete man (aus den beiden Wörtern t'xeiv [d. h. zurückhalten] und x«'^ [d. h. die Hand] das Wort und) den Begriff eyiexetQia. 10. Nun war es dem Van-o aber ganz sicher nicht darum zu thun, mit kleinlicher Genauigkeit (superstitiose) das Wort indutiae zu erklären und dabei mit allen Regeln und Vorschriften jedmöglicher Erklärungsarten aufzuwarten. 11. Denn es schien ihm vollständig genügend zu sein, von dem Worte nur eine oberflächliche, etwa derartige Begriffsandeutung zu geben, wofür man bei den Griechen die Ausdrücke braucht: Umriss (Umschreibungen tvtvoi), oder ei-ste flüchtige Bezeichnung (v7coyQag)ai), keineswegs aber eine so (Alles erschöpfende) Erklärung, welche die Griechen oQiafxoig (Definitionen d. h. unumstössliche Begriffsbegrenzungen) nennen. 12. Schon seit langer Zeit gebe (auch) ich mir Mühe zu erforschen, auf welche Art das Wort indutiae wohl entstanden sein mag.

und höchst bedenklichen Umständen der Republik erwählt, seine fast un- umschränkte Gewalt dauerte 6 Monate, nach deren Verlauf er aber auch Hechenschaft abzulegen hatte.

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L Buch, 25. Cap^ § 13—17. (91)

13. Allein von allen den vielen Muthmassungea, die ich dar- über gehört und gelesen, scheint mir die noch die leidlich wahrscheinlichste, welche ich eben anzuführen gedenke. 14. Ich bin nämlich der Meinung, dass indutiae in dem Sinne gesagt worden ist, als ob es heissen sollte : inde uti jam (von da an, dass nun dann ). 15. Das Uebereinkommen bei einem Waffenstillstand ist derartig, dass man sich bis zu einem festgesetzten Tage des Kampfes enthält und sich in keiner Weise belästigt, jedoch von dem Tage an nachher, dass nun dann (ex eo die postea, uti jam) Alles nach dem Kriegsrecht seinen Fortgang nimmt. 16. Weil nun aber ein bestimmter Tag festgesetzt und die Verabredung getroffen, dass man vor diesem Tage alle Feindseligkeiten einstellen will und wenn dann dieser Tag gekommen ist, von da an, dass nun dann {inde uti jam) der Kampf von Neuem beginnen soll , deshalb ist aus den von mir namhaft gemachten Wörtern „inde uti jam", wie es meine Meinung ist, durch eine Art Vereinigung und Verbindung (dieser drei Wörter) das Wort und der Be- griff von indutiae zusammengefügt und gebildet worden. 17. Aurelius Opilius hingegen schreibt im 1. Buche seiner Abhandlungen „Die Musen" genannt: „Mit dem Namen indutiae wird der Kriegszustand bezeichnet, wenn die (gegenseitigen, feindlichen) Krieger hier und dort auf beiden Seiten, die Einen zu den Andern, ohne Furcht vor Verdriesslichkeiten, (impune) und ohne Streit gehen können" ; dann fährt er weiter fort: „es scheint der Ausdruck sogar daher entlehnt zu sein und gleichsam für indu (archaistisch = in) und itiae (d. h. das ins Feldlager Hinein -gehen) zu stehn und Hesse sich dann erklären durch die Wörter: initus (das Hineingehn) und

I, 25, 17. indu (archaistisch »» in) itiae, ganz ähnlich wird gebildet sed («» se, abseits) - itio, Zi^ietracht. Cfr. Gellius XII, 4, 4.

I, 25, 17. Aurelius Opilius ein Freigelassener, welcher zu Rom Philosophie, Ehetorik und Grammatik lehKe, später aber seine Schule aufgab und dem ungerecht verurtheilten Staatsmann und Philosophen Butilius Rufus (im J. 92 y. Chr.) nach Smyma folgte, wo er auch sein Leben beschloss. Er yerfasste mehrere philosophische und rhetorische Schriften, unter denen sich auch eine in neun Büchern befand, nach den neun Musen benannt, wie des Herodot Geschichtsbücher, und „Vermischtes (variae eruditionis)" enthaltend. (Vergl. Suetons Grammatiker [I], 6.) Seine Schriften sind verloren gegangen. S. Teuffels röm. Lit. 156, 4.

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(92) I- Buch, 25. Cap., § 18. 26. Cap. § 1—5.

introitus (der Besuch)". 18. Diese von Aurelius herrührende schriftliche Bemerkung durfte ich deshalb nicht mit Still- schweigen übergehn und unerwähnt lassen, damit ein Be- krittler dieser meiner Nachtgedanken sich nicht darf einfallen lassen, diese Erklärung nur etwa um deswillen feiner zu finden (weil ich sie übergangen und er dadurch auf die Ver- muthung kommen könnte), als ob mir diese Auslegung des Wortes indutiae bei meiner Nachforschung über seinen Ur- sprung entgangen, oder wohl gar gänzlich unbekannt ge- blieben sei.

I, 26, L. Aof welche Weise mir der Philosoph Tauros diese meine Frage beantwortete, ob ein Weiser sich vom Zorn dürfe hinreissen lassen.

I, 26. Cap. 1. Ich richtete einst in der Philosophen- Schule an Taurus die Frage, ob ein Weiser wohl sich der Eingebung des Zornes überlassen dürfe. 2. Er ertheilte nämlich oft nach den beendigten täglichen Unterrichtsstunden (seinen Schülern und Zuhörern) die Erlaubniss, beliebige Fragen an ihn zu stellen. 3. Als er nun auf diese meine Veranlassung eindringlich und ausführlich sich über das Uebel und die Leidenschaft des Zornes mit seiner gewohnten Deut- lichkeit und Klarheit verbreitet hatte und mit Erschöpfung aller der Gründe, welche sich sowohl in den Büchern der alten Weltweisen, als auch in seinen eignen Abhandlungen vorfinden, wendet er sich nach mir Wn, der ich diese Streitfrage angeregt hatte und sagte: „Alles das (was ich soeben vorgebracht) ist meine eigne Meinung im BetreflF des Zornes (und ich habe selbst nichts weiter hinzuzufügen). 4. Trotzdem aber dürfte es nicht überflüssig und unzweck- mässig sein, wenn Du Dir auch das ruhig mit anhörst, was mein (Lehrer) Plutarch, dieser überaus gelehrte und kluge Mann (über diesen Gegenstand) gedacht und empfunden hat (und nun erzählte er uns folgende anziehende Geschichte, die ich hier wiedergeben will). 5. Plutarch besas^ijien Sklaven, der zwar ein nichtsnutziger, störrischer Mensch war, aber theils aus Büchern, theils durch stilles und aufoierksames Zuhören bei unseren Unterredungen über die Philosophie sich doch einige Kenntnisse angeeignet hatte. Diesem Hess er eines

I, 26, 1. U«ber Taurus s. Gell. I, 9, 8 NB.

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L Buch, 26. Cap., § 5—10. (93)

Tages den Rock abziehn und wegen eines mir unbekannt gebliebenen Vergehens mit der Carbatsche gehörig durch- prügeln. 6. Dieser Mensch wand sich bereits unter den Peitschenhieben und brach dabei in folgende Klagen aus, er habe die Schläge nicht verdient, er habe sich nichts Unrechtes, nichts Strafbares zu Schulden kommen lassen. 7. Endlich unter den fortgesetzten Streichen (und heftigen Schmerzen) wiurde seine Stimme lauter und vernehmlicher und man hörte nun nicht mehr die Ausdrücke des Schmerzes, oder nur sein Stöhnen und Wehklagen, sondern folgende, im höchsten Ernst gesprochenen Worte des Vorwurfs: Plutarch benehme sich durchaus nicht so, wie sichs für ihn als einen Philosophen 2ieme, denn sich zu erzürnen sei unwürdig, er habe oft über den Fehler des Zorns ausführliche Reden gehalten, habe auch €in hen'liches wunderbares Buch {tvsqI aogyrjoiag) über die Bezähmung des Zornes veifasst, allein diese seine Handlungs- weise stimme doch wohl sicher nicht mit all' den in jenem Buche enthaltenen Lehren überein, dass jetzt, von masslosem Zoi-n hingerissen, er (einen armen Menschen, wie) ihn mit so viel heftigen Schlägen strafen lasse. 8, Darauf entgegnete Plutarch gelassen und ruhig: „Woraus schliessest du Galgen- strick denn nun, dass ich deinethalb in Zorn gerathen sei? Merkst du vielleicht etwa aus meinen Blicken, oder an meiner Stimme, oder an meiner Gesichtsfarbe, oder auch aus meinen Reden, dass ich vom Zorn ergriffen bin? Ich wenigstens glaube, dass weder mein Blick grimmig, noch meine Miene Zorn verräth; auch schreie ich nicht etwa unmässig, noch Wn ich so leidenschaftlich en-egt, dass mir Schaum vor den Mund tritt, oder das Blut ins Gesicht steigt; femer sage ich kein Wort, worüber ich mich schämen, oder was mich gereuen müsste, noch zittre ich etwa gar vor Aufregung und Zorn und geberde mich leidenschaftlich. 9. Denn dies Alles, wenn Du's etwa noch nicht wissen solltest, sind gewöhnlich die un- gefähren Anzeichen von Zomesausbrüchen. Dabei wandte er sich nun zugleich nach dem Prügelmeister hin und sagte: Während wir, ich und dieser (Freund) hier fortfahren uns zu Tinterhalten, lasse Du Dich in Deinem Geschäfte nur auch nicht stören (und fahre auch Du immer fort ihn zu züchtigen). 10. Dieser ganzen Rede Sinn aber sollte nun sein, dass Taurus

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(94) I. Buch, 26. Cap^ § 10. 11.

der Ansicht war, Zornlosigkeit (aoQyrjoia) und Empfindungs- losigkeit (avaXyriaia) seien zwei ganz verschiedene Dinge und es sei etwas ganz anderes, einen zomfreien Charakter zu be- sitzen und etwas anderes, einen unempfindlichen {avaXytjfcov} und gefühllosen {avaiad7p;ov\ d. h. auf lateinisch „hebetem" (einen gleichgültigen) und „stupentem*" (stumpfsinnigen). 11» Denn dasVerhältniss, welches nach seiner Meinung bei allen den andern Gemüthsbewegungen stattfindet, welche die lateinischen Philosophen affectus vel affectiones (d. h. Leidenschaften oder Erregungen), die, Griechen aber Tcadtj (Eindrücke) nennen, dasselbe Verhältniss findet auch bei diesem Zustande der Gemüthsbewegung statt, welcher dann, wenn er aus Verlangen nach Rache gewaltiger auftritt, Zorn genannt wird. Und nun (fasste er alle die möglichen, bei leidenschaftlichen Erregungen YOrkommenden Verhältnisse zusammen und) begründete seine Meinung durch folgenden Schlusssatz und sagte: „Nicht der gänzliche Mangel, welchen die Griechen aveQrjaiv (Wegfall oder Beraubung) nennen, alsQ nicht der Mangel dieser Leiden- schaft des Zornes und auch aller der andern Leidenschaften ist von Nutzen und Belang, sondern nur aller, dieser Leiden- schaften Beherrschung (mediocritas, Mittelstrasse), welche die Griechen mit dem Ausdruck ^ergiorrig (Mässigung) bezeichnen.**

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IL BUCH,

II, 1, L. Auf welche besondere Art und Weise der Philosoph Socrate»

sich gewöhnt habe, seine Geduld und körperliche Ausdauer in beständiger

Uebnng zu erhalten (exercere patientiam corporis); femer über die Massig-

(keit dieses Mannes.

II, 1. Cap. 1. Unter den freiwillig sich auferlegten Be- schwerden und Uebungen, wodurch Socrates seinen Körper gegen alle möglichen Fälle von Ungemach zu stäMen und abzuhärten pflegte, erfuhr ich auch folgende von ihm ange- nommene Gewohnheit. 2. Socrates, wie man berichtet, stand sehr oft beharrlich in ein und derselben Stellung den ganzen Tag und die ganze" Nacht hindurch , vom frühsten Sonnen- aufgang bis zum Anbi-uch des andern Tages, nicht die Augen schliessend, unbeweglich auf einem und demselben Fleck, Antlitz und Blicke nach einer und derselben Stelle gerichtet^ sich (wie in Verzückung) seinen Gedanken ganz hingebend, als befinde Seele und Geist sich in völliger Trennung vom Körper. 3. Bei Berührung dieses Umstandes sagte Favorinus eines Tages, da er gerade wieder einmal, wie dies öfters der Fall war, über die Geistes- und Willens-Stärke dieses weisen Mannes seine Gedanken entwickelte: „Oft stand dieser Mann von einem Sonnenaufgang bis zum nächsten Sonnenaufgang (i| rjXlov elg ijhov) da, fester und unerschütterlicher als (alle) Baumstämme." 4. Fernerem Berichte nach soll er sich auch stets einer so grossen Massigkeit und Einfachheit befleissigt haben, so dass er fast seine ganze Lebenszeit hindurch in ununterbrochener Gesundheit verlebte. 5. Selbst zur Zeit

n, 1, 2. Gfr. Plat Symp. 174, D und 175, B; Aristophan. V^olken 418 £; Diog. Laeil II, 5, 11.

n, 1, 4. S. Xenophon memorabil. I.

n, 1, 5. S. über die Eriegspest in Attica: Thucydid. II. J^ucretlVI, 1126 »q.; Diodor. Sic. XII; Plutarch Pericles; Aelian vermischte Er- sUJoDg 18) 27; Diog. Laert n, 5, 9.

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(96) n. Bach, 1. Cap., §5.-2. Cap., § 1—7.

jener furchtbar verheerenden Pest , welche zu Anfang des peloponnesischen Krieges den Staat der Athenienser durch diese entsetzlich tödtliche Art der Krankheit entvölkerte, soll er durch seine strenge Regelmässigkeit in der Mässigung und Selbstbeherrschung sich nicht nur vor dem verderblichen Ein- fluss leidenschaftlicher Ausschweifung gehütet, sondern auch den ungetrübtesten (k6i*perlichen) Gesundheitszustand sich bewahrt haben, so dass er dieser allgemeinen, für Alle so gefährlichen Ansteckung und Verheerung nie im Genngsten ausgesetzt war.

II, 2, L. Welche Regel und Beobachtnng von pflichtschuldigeii Bücksichten zwischen Vätern nnd Söhnen bei Tische und beim Sitzen stattfinden muss und von ähnlichen Fällen in der Familie und im öfTentlichen Leben , im Fall die Söhne höhere Staats- Aemter und Würden bekleiden, die Väter aber (ohne Amt nnd nur) Privatleute sind. Gründliche Erörterung im Betreff dieser Angelegenheit vom Philosophen Taurus und Erwähnung eines (Hir diesen besondem Fall) ans der römischen Geschichte entlehnten

Beispiels.

II, 2. Cap. 1 . Nach Athen kam der sehr erlauchte Statt- halter der Provinz Greta und zugleich mit ihm der Vater dieses hohen Staatsbeamten zum Philosophen Taurus, um diesem ihren Besuch abzustatten und bei dieser Gelegenheit zugleich seine Bekanntsehaft zu machen. 2. Taurus, der eben seine Schüler und Anhänger entlassen hatte, sass bereits vor der Thür seines Wohnzimmers und unterhielt sich mit uns den Umstehenden. 3. Da trat also gerade der eben genannte Statthalter der Provinz mit seinem Vater herzu. 4. Wie's der Anstand erforderte (placide), erhob sich Taurus sofort und nach Austausch gegenseitiger (schicklicher) Begrüssung nahm er wieder Platz.. 5. Man brachte alsbald einen Stuhl, der leer stand, herbei und während gleich Anstalt gemacht wurde noch andere herzuholen, stellte man vor der Hand diesen hin. Taurus ersuchte sodann den Vater des Statt- halters darauf Platz zu nehmen. 6. Allein dieser (lehnte die Aufforderung ab und) sagte: (Entschuldige freundlichst und) erlaube, dass gebührendermassen der hohe römische Staats- beamtete hier diesen Platz einnehme (der ihm von Rechts wegen gebührt nach seinem Bang und seiner Würde, die ihm das römische Volk verliehen). 7. Ohne etwa, die Absicht zu haben, erwiderte Taurus, dieser hohen Würde irgendwie

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n. Buch, 2. Cap., § 7—11. (97)

¥Antrag zu thim, lass' Dich immerhin doch jetzt nur nieder, während wir (diesen Fall) genau in Erwägung ziehn und die Frage zu erörtern suchen wollen, ob es wohl schicklicher sei, dass vielmehr Du diesen Platz einnimmst, der Du ja der Vater bist, oder vielmehr Dein Sohn, well er gerade (zufälliger Weise) eine hohe Staats- Würde bekleidet. 8. Als der Vater sich nun gesetzt hatte und unterdessen ein anderer Sessel auch seinem Sohne hingestellt worden war, ergriff Tftui-us das Wort und äusserte sich, wie ich bei Gott gestehen muss, über diese Angelegenheit mit (höchster Offenheit, Schaiisichtigkeit und) sorgfältigster Erwägung Alles dessen, was Ehrerbietung und Pflichtschuld erheischen. 9. Der Hauptinhalt seiner Worte war folgender: „Vor der Würde und Amtsgewalt der Söhne, die eine hohe Staatsstellung einnehmen, müssen, wenn wir die Rechtsverhältnisse zwischen Vater und Sohn ins Auge fassen, an öffentlichen Orten, bei Verwaltungsangelegenheiten, bei wichtigen Verhandlungen, die Rechte der Väter auf einige Zeit schweigen und in den Hintergrund treten; allein ausser der Zeit der öffentUchen Amtsverpflichtung (extra rempublicam), wo man im Familienkreise (in re domestica), oder im ge- wöhnUchen Lebensverkehr (vita) zusammensitzt, sich ergeht, ferner am Tische des Familienmahles : da freilich müssen alle Unterschiede, oder sonst gebräuchliche Rücksichten auf die (zufällige) Ehrenstellung zwischen dem Sohn als obrigkeitUche Person und zwischen dem Vater als Privatmann weichen und es treten da nur die Rechte (des Alters) der Natur und der Geburt in Kraft. 10; Dieser Fall jetzt nun/ fuhr er fort, „wo ihr zu mir auf Besuch gekommen seid, wo wir uns ganz freund- schafthch unterhalten wollen, wo wir über ganz allgemeine Verpflichtungen unsere Gedanken austauschen, dieser Fall (sagte er, schliesst jede öffentliche Beziehung aus und) betriflft nur eine Handlung des Privatlebens. Daher bleibe immerhin hier in meiner Behausung auch im Besitze aller Deiner väterlichen Ehrenrechte, welche ja ebenfalls in Deinem eignen Hause Dir als dem Aelteren schicklicher Weise zukommen." 11. Solche und andere Gegenstände ähnlichen Inhalts berührte er bei ruhiger Auseinandersetzung unter einem steten Gemisch

ü, 2, 9. Cfr. GeU. n, 2, 13 NB.

>i e I n u 8 , Attische Nacht«. 7

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(98) ' n. Buch, 2. Cap., § 12. 13.

von Ernst und heiterer Laune. 12. Hier scheint es mir nun auch nicht unzweckmässig angebracht, noch eines besonderen Beispiels gleich mit zu gedenken, welches ich beim Claudius (Quadrigarius) über eine ähnliche Rücksichtnahme (bezüglich des Rangunterschiedes) zwischen Vater und Sohn verzeichnet' gefunden. 13. Ich schreibe die betreffende Stelle des Qua- drigarius aus dem 6. Buche seiner Staafechronik wörtlich ab und lasse sie hier folgen: „Hierauf wurden zu Consuln gewählt Sempronius Gracchus gleich wieder, und Quintus Fabius Maximus, der Sohn des vorjährigen Consuls. Diesem wirklichen Consul begegnet einst zu Pferde sitzend sein Vater, der flüher gewesene Consul und stellte sich, als wolle er nicht absteigen (wie es doch die Sitte und Achtung vor dieser hohen Staatsperson erheischte). Weil es nun aber des jetzigen (amtirenden) Consuls eigner Vater war und man wusste, dass zwischen beiden, zwischen Vater und Sohn die herzlichste Eintracht bestehe, so getrauten sich die (den Consul stets begleitenden Gerichtsdiener, genannt) Lictoren nicht, ihn (den Vater) absteigen zu heissen (um dadurch die einem Consul zukommenden und gebührenden Ehrenbezeigungen zu er- weisen). Wie nun (der Vater) immer näher kommt (und noch keine Anstalt zum Absteigen macht), da sagt (sein Sohn) der Consul- (zum Gerichtsdiener): „„Was (geschieht nun wohl) weiter?"" Der Gerichtsdiener, welcher gerade den Dienst hatte (qui apparebat), bemerkte sofort (seinen Fehler) und (indem er sich an seine Obliegenheit erinnert) fordert nun mit aller (ihm zu Gebote stehenden) Strenge den Proconsul Maximus auf, (unverzüglich) abzusteigen. Fabius, der Vater, gehorcht sofort dem Befehl und ertheilt seinem Sohn deshalb volles Lob, weil er das Ansehn und die Würde, womit er die Majestät des (römischen) Volkes vertrete, so (treu und ge- wissenhaft zu bewahren und) zu behaupten verstände."

n, 2, 13. S. Plutarch. Denksprttche der Römer 7.

n, 2, 13. Proconsul, der nach Verwaltung des Consulats in einer Provinz füngirende Statthalter.

U, 2, 13. Savigny röm. Rt II, 53. Im Privatrecht ist ein Kind un- fähig, irgend welche Macht und Herrschaft zu haben, nicht aber im öffent- lichen Rechte. Der Sohn konnte gleich dem Vater in der Volksversammlung stimmen, ja die höchsten Ehrenstellen bekleiden. Liv. 24, 44; Val. Max. II, 2, 4. Cfr. GeU. V, 19, 16.

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a Buch, 3. Cap-, § 1—5. (99)

n, 3, L. Nach welcher Regel die Alten einigen Zeit- und Nenn-Wörtern den als Hauch ausgesprochenen Buchstaben <,V zusetzen.

n, 3. Cap. 1. Damit der Klang mancher Buchstaben frischer und lebhafter hervortreten sollte, setzten unsere Alten zur nachdrucksvollen Verstärkung einiger Wortlaute den Buch- staben „h" zu, der vielleicht lieber Hauchlaut, als Buchstabe genannt werden sollte, und man scheint dies geflissentlich und nach dem Beispiel der attischen Mundart gethan zu haben. 2. Es ist nämlich hinlänglich bekannt, dass die Attiker, ganz gegen die Gewohnheit der übrigen Stämme Griechenlands, die Wörter Ix^Q (Fisch) und Iqqoq (heilig) und, wie bekannt, noch viele andere Wörter am Anfangsbuchstaben (oder vor dem Vocal) mit dem (hörbaren) Hauchlaut (spiritus asper) ausgesprochen haben. 3. So sprechen sie: lachrimas (wie lakrimas, Thränen), so sepulchrum (wie sepulkrum, Grab), so abenum (für aenum, ehern), so vehemens (für vemens, heftig), so incohare (für inchoare, anfangen), so helluari (schwelgen, prassen), so halucinari (faseln, träumen), so honera (für onera, Lasten), so honustum (für onustum, belastet). 4. Bei allen diesen Wörtern dürfte wohl für den Zusatz dieses Buchstabens, d. h. Hauchlautes, kein anderer Grund vorgelegen haben, als dass gleichsam durch die Vermehrung gewisser Spannkrafts- mittel die Stärke, (Dauer) und Lebhaftigkeit des Wortlautes gesteigert werden sollte, (ut firmitas et vigor vocis, quasi quibusdam nervis additis, indenteretur). 5. Allein da ich nun beispielsweise auch das Wort ahenus (ehern) mit angeführt habe, fällt mir eben ein, dass Fidius Optatus, ein Gram- matiker zu Rom von bedeutendem Namen, mir einst eine Ausgabe des 2. Buches der Aeneide gewiesen, von staunens-

n, 3, 1. Vergl. Diomedes II; Priscian I, 4, 12. 13.

n, 3, 5. Ueber FidiusOptatuss. Teuflfels röm. Lit. Gesch. § 353, 6.

n^ 3, 5. Sigillaria, ein Ort in Rom, wo Bilderchen (Statuetten, sigilla), B&cher u. s. w. verkauft wurden. Gell. V, 4, 1; Suet. Claud. 16. Eigentlich hieas der siebente Tag der Satumalien (s. Gell. II, 24, 3 NB.) das Bildchenfest (sigillaria), wobei man einander unter andern Geschenken, besonders (auch den Kindern) kleine Figfirchen aus Wachs oder Thon schenkte. S. Macrob. I, 10, 24; I, 11, 46 sqq.; Suet. Claud. 5; Spartian in Hadrian. 16 und Caracall. 1.

7*

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(100) n. Buch, 3. Cap., §5.-4. Cap., § 1-3.

werthem Alter, auf dem Kunst- und Bildermarkt (in sigilla- riis) für 20 Goldstücke gekauft, eine Ausgabe, welche nach (allgemeiner) Annahme vom Vergil selbst herrühren sollte. Da darin die beiden hierher bezüglichen Verse (Verg. Aen. 11^ 469 und 470) auf folgende Weise geschrieben waren :

Vestibulum ante ipsum primoque in limine Pyrrhus

Exultat, telis et luce coruscus aena, d. ^. Grad' an der Flor des Palastes erscheint, an der Schwelle des Eingang» Pyrrhus voll Trotz, von Geschossen und ehernem Schimmer umleuchtet,

SO sah ich über das Wort „aena" den Hauchlaut (-buchstaben) h gesetzt und so dasselbe Wort in „ahena" umgebildet. 6. So findet man auch in den besten Ausgaben jenen Vers Vergils (Georg. I, 296) folgendermassen geschrieben:

Aut foliis undam trepidi despumat aheni, d. h. oder mit Laub die Wallung abschäumend des zitternden (Metall-) Kessels,

II, 4, L. Des Gavins Bassus schriftliche Bemerkung, warum eine gewisse Art von Hechtsgutachten seine nähere Bezeichnung gefunden hat in dem Worte: divinatio (Ansfindigmachung des Klägers); und Erklärung anderer Rcchtsgelehrtcn y was die Veranlassung zu diesem Ausdruck (divinatio)

gegeben.

n, 4. Cap. 1. Wenn die Verhandlung beginnt über die Wahl und Bestimmung des Klägers und man die gerichtliche Voruntersuchung über diese Angelegenheit anstellt, (um zu erkennen und zu bestimmen) wem hauptsächlich von zwei oder mehreren Mitbewerbern die (Uebernahme der) Anklage oder Mitklage gegen den Beklagten (am geeignetsten in einer Sache) zugestanden werden soll, so bezeichnet man diese Verhandlung und das Erkenntniss der Richter mit dem Worte: divinatio (d.h. also: Ansfindigmachung des Klägers). 2. Man wirft oft die Frage auf, durch welche Veranlassung dieses Wort in dieser Bedeutung sich gebildet (und eingebürgert) habe. 3. Gavius Bassus sagt selbst im 3. Buche seiner wissenschaft-

II, 4, L. Cfr. Gen. IV, 9, 7; XIII, 25, 9. Divinatio ist die Bezeich- nung einer Rede, welche weder anklagt, noch vertheidigt, sondern die ein Elagverfahren vorbereitet, oder eine Rede, worin der Anspruch, als Kläger auftreten zu dürfen, gegen mehrere Mitbewerber geltend gemacht wird.

n, 4, 3. Gavius (Gabius) Bassus nach Macrobius, unter Trigan

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n. Buch, 4. Cap., §3—6. (101)

liehen Abhandlungen „über den Ursprung und die Bedeutung der Wörter" Folgendes: „Diese richterliche Entscheidung wird „divinatio"^ genannt (das soll heissen : vorgeahnte Errathung und Erkennung \ weil der Richter gewissermassen vorahnend er- kennen und errathen muss, welche Entscheidung er zu treffen hat, wenn er jedem Anspruch auf das BilligkeitsgefQhl der Betheiligten genügen will". 4. Der in. des Gavius Worten^an- gegebene Grund ist nun aber doch ziemlich unvollständig, oder besser gesagt, unzureichend und nüchtern. 5. Gavius scheint allerdings damit haben bezeichnen zu wollen, dass man sich deshalb dieses Ausdrucks „divinatio" (als vor- ahnendes Erkennen und Errathen) bedient habe, weil zwar bei jeder andern Rechtssache der Richter sich an das halten muss, was er erfahren, und was er durch Beweise oder Zeugen herausgebracht hat, allein bei einer dergestalteten Rechts- angelegenheit, wo er den Anklilger erst selbst auszuwählen (und näher zu bezeichnen) hat, sind nur sehr schwache und geringe Anhaltepunkte vorhanden, die dem Richter als Be- weggründe dienen können und deshalb muss er hier in die- sem Falle gleichsam vorahnend errathen, wer wohl der ge- eignetste Bewerber sei, dem das Recht der Anklage zukomme. 6. So viel über die Meinung des Bassus. Da Kläger und Beklagter zwei gleichsam innig verbundene, zusammengehörige und unzertrennliche Begiiffe sind und keine der beiden Par- teien sich ohne die andere denken lässt, es nun aber bei dieser Prozes^attung zwar hinsichtlich des Beklagten keinen Zweifel giebt, nur dass der Kläger noch nicht festgestellt ist, so hat nach der Meinung anderer Rechtsgelehrten der Ausdruck „divinatio" deshalb seine Verwendung gefunden, weil das, was bisher noch fehlt, oder nur noch verborgen ist, auf dem Wege des vorahnenden En-athens ergänzt werden muss, (nämlich die Bestimmung), wer nun eigentlich das Recht des Klägers erlangen und erhalten soll.

Statthalter von Pontiis, war sehr angesehen wegen seiner Kenntnisse in Geschichte and Literatur. Er yerfasste ein Werk über die Grötter. Macrob. I, 9; m, 6; Plin. ep. X, 22. 8. Teuffels röm. Lit. IX, 207, 6; rergl. OeU. m, 19, 1.

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(102) n. Buch, 5. Cap., §1.-6. Cap., § 1.

II, 5, .L. Welch allerliebstes and bezeichnendes Urtheil der Philosoph

Favorinus gefallt hat, was zwischen der Ausdrucksweise des Plato und des

Lysias far ein Unterschied stattfinde.

II, 5. Cap. 1. Favorin pflegte über Lysias und Plato folgendes ürtheil abzugeben: „Wenn man," sagt er, „aus dem Gedankenausdruck Plato's irgend ein Wort weglässt oder verändert, und sollte man dies auch noch so vorsichtig thun, so wird dadurch zwar immer dem Wohllaut Abbruch gethan werden, lässt man aber beim Lysias etwas weg, so wird man dadurch den Sinn vollständig verändern.

II, 6, L. Behauptung, dass Vergil beim Gebrauch einiger Ausdrücke un- sorgfältig und nachlässig (ignaviter et abjecte) verfiihren sei und sich da- durch die Hauptwirknng habe entgehen lassen; ferner, welche Antwort man darauf denen, die dieses ungerechte Urtheil fallen, als Entgegnung und Widerlegung geben kann.

n, 6. Cap. 1. Einige Grammatiker früherer Zeit und unter ihnen ftuch Gornutus Annaeus, Männer durchaus nicht ohne Kenntniss und keineswegs des Verdienstes bar, welche Erklärungen zum Vergil abgefasst haben, tadeln, dass in folgenden Versen (Verg. Bucol. VI, 75, 76 und 77) ein Aus- druck vorkomme, der von Unsorgfältigkeit und Nachlässigkeit (incuriose et abjecte) zeuge:

(SoU ich wohl von der Scylla erzählen) Wie sie, mit Hundegebell, die glänzenden Hüften nmgOrtet Barken Dolich'sche gekränkt (vezasse), wie man sagt, und im tiefen

Gestrudel Ach! Die verzagenden Schiffer mit Meerscheusalen zerrissen?

n, 5, 1. Dionysius Longinus über das Erhabene sagt im 34. Abschnitt: „Lysias bleibt nicht nur im Betreff der erhabenen SteUen, sondern auch bezüglich der Menge von guten Gedanken weit hinter Plato zurück.** Auch im Phaedrus des Plato ist der Unterschied dieser Beiden deutlich gemacht, wo die Rede ist von des Lysias Declainationen , welche mit un- nützem Wortkram und Schnörkeleien , worin ein und dasselbe mehrmals, nur aUemal mit andern Worten gesagt wird, ausgeputzt waren. Cic. Orat 9; QuinL X, 1, 78; Plutarch „Vom Hören« 9 und 18; „üeber die Geschwätzi^eit" 5; „Leben der zehn Redner** unter Lysias 3.

n, 6, 1. AnnaeusCornutuss. GeU. IX, 10, L.NB.;Macrob.yi,8. Vergl. Teuffels Gesch. d. röm. Lit. 293, 2.

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IL Buch, 6. Cap., § 2—4. (103)

2. Man ist der Meinung, dass der Begriff des gebrauchten Wortes (vexasse) „gekränkt haben", ein viel zu schwacher sei und nur zur Bezeichnung eines unbedeutenden und geringen Schadens dienen köune, daher auch durchaus nicht der un- geheuren Wildheit einer solchen Bestie (wie der Scylla) ent- spräche, von welcher Menschen plötzlich auf die ungeheuer- lichste Weise hinweggerafft und zerfleischt worden seien. 3. Ebenso tadelte man auch noch eine andere derailige Stelle (Verg. Georg. EI, 4):

Wer kennt nicht längst des Eurystheus Härte, wer nicht die Altäre des angelobten (inlaudati) Basiris?

Der Ausdruck „inlaudati" sei wenig geeignet und sogar un- genügend, um den Abscheu vor solch einem verruchten Men- schen ^auszudrücken und) zu erwecken, von dem, weil es seine Gewohnheit war, unschuldige Fremdlinge aller Nationen grau- sam zu opfern, es doch zu wenig gesagt sei, ihn nur als des Lobes nicht würdig zu bezeichnen, da er doch vielmehr voll- ständig verdient habe, dass ihm nicht nur jedes Lob verweigert werde, sondern dass ihm überhaupt die Verwünschung und der Fluch des gesammten Menschengeschlechts treffen müsse. 4. Femer traf auch noch ein anderes Wort (Verg. Aen. X, 314) ein ähnlicher Vorwurf:

Per tanicam sqaalentem auro latas haarit apertum, d. h.

Und darch den Rock, der Strotzte von Gold, durchbohrte er ihm die geöffiiete Seite,

als sei es unpassend die beiden Ausdrücke zusammenzustellen und zu sagen: squalentem auro (starrend von Gold), weil ja die mit dem Worte „squalor" verbundene Bedeutung von Unrath, ja sogar von übermässig strotzendem Unrath zu dem Begriff von den Eigenheiten des Glanzes und Schimmers am Golde (nitoribus splendoribusque auri) in vollständigem Widerspi-uche

II, 6, 2. £urystheus, Enkel des Perseus, des Sthenelus auf Ver- anstaltang der Jano vorzeitig gebomer Sohn, um die eigentlich dem Her- coles zugedachte Herrschaft über Argos ihm zuzuwenden, legte dem Hercules die zwölf Arbeiten auf. S. Hygin. f. 31. Busiris, ein alter König Aegyptens, Sohn des Poseidon (Neptun), der die Fremden, welche sein Land betraten, opferte. S. Diodor. I, 67 u. 88; IV, 10.

n, 6, 3. Als Busiris vom Hercules getödtet worden war, hörten end- lich die Menschenopfer auf.

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(104) 11. Buch, 6. Cap., § 5-7.

Stehe. 5. Allein im Betreff des Wortes „vexasse" glaube ich diesen Bekrittlem folgende Erwiderung entgegen halten zu können: vexasse ist ein nachdi-ucksvoll verstärkter Ausdruck und offenbar von dem bekannten Wort „vehere" (ent- führen) gebildet, worin auch schon gewissermassen der BegriflF (und die Bedeutung) einer fremden, unfreiwilligen Einwirkung ent- halten ist; denn wer fortgerissen (also gleichsam entfuhil) wird (qui vehitur), ist nicht von sich selbst abhängig. Allein das davon abgeleitete (frequentativum) vexare schliesst un- bedingt noch die Nebenbedeutung ein: mit ungeheurer Kraft und Gewalt (bewegen und beunruhigen). Denn wer getragen und fortgerissen, bald hierhin, bald dorthin gezerrt wird, auf den wendet man so recht eigentlich das Wort: „vexari" au (d. h. mit Gewalt bewegt und ganz wider Wunsch und Willen beunruhigt werden). Ebenso findet sich von „tangere" (an- rühren) abgeleitet: taxare und verbindet nur noch den Begriff: genauer, nachdrücklicher, schärfer anrühren (also dadurch abwägen) ; von Jacc^re" ist abgeleitet das Wort jactare , mit Einschluss der Bedeutung: weiter und heftiger, wiederholt oder mit Hast werfen und wie „quatere" nur den einfachen BegiiflF „schütteln" enthält, so bedeutet das davon abgeleitete „quassare** heftiger und stärker schütteln oder erschüttern. 6. Weil man nun aber im gewöhnlichen Leben (ausdrucksweise) von diesem oder jenem zu sagen pflegt „vexatum esse", d. h. dass er belästigt und geplagt worden sei z. B. vom Feuer, oder vom Winde, oder vom Staube, deswegen dürfte es noch lange nicht gerechtfertigt erscheinen, die wahre Bedeutung und den Ursprung, wie die Eigenthümlichkeit dieses Wortes fallen oder gar verloren gehen zu lassen, die wahre Bedeutung, sage ich, welche mit Fug und Recht uns erhalten und auf- bewahrt worden ist von denjenigen alten Schriftstellern, die, wie es ihnen wohl anstand, auf die ursprüngliche, charakte- ristische Ausdrucksweise stets einen hohen Werth legten. 7. So lauten z. B. des M. Cato eigne Worte aus der Rede,

II, 6, 7. Bei M. Porcius Cato weise ich auf zwei hier einschlagende, sehr interessante Schriften hin: M. Porcius Cato der C^nsor von Prof. F. D. Gerlach (Stuttgart, 1869) und: die punischen Kriege, 3. Bändchen, „M. Porcius Cato" von Ose. Jäger (1871), woraus ich Einiges hier in den Noten entnommen.

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n. Buch, 6. Cap., §7—11. (105)

welche er „im Betreff der Achäer" schrieb, wo es heisst: „Als Hannibal Italien verwüstete und (mit Feuer und Schwert) schwer heimsuchte (vexaret)''. Von Hannibal schwer heim- gesucht („vexatam" Italiam) oder hart mitgenommen nennt Cato Italien, weil man sich keine Art von Ungemach, Grau- samkeit und Unmenschlichkeit denken kann, die während dieser Zeit Italien nicht hätte erdulden müssen. 8. Marcus Tullius sagt in seiner IV. Rede *(cap. 55, § 122) gegen Verres: „(Der Minerventempel zu Syracus, worin der grosse Marcellus nicht das Geringste angerührt) dieser wurde von Verres so geplündert und ausgeraubt, dass er nicht etwa wie von einem Feinde, der doch auch gewiss noch im Kriege die Religion und die Rechte des Herkommens achten (und anerkennen) würde, sondern wie von barbarischen Seeräubern heimgesucht worden zu sein schien (vexata)." 9. In Bezug auf die Ver- theidigung von der Anwendung des Wortes: „inlaudatus" in der angeführten (ausdrucksvolleren) Bedeutung können offenbar zwei Entschuldigungs- und Rechtfertigungs-Gründe angegeben werden. Der erste in der Weise : Niemand ist wohl überhaupt 80 gründlich sittlich verdorben, dass er doch nicht bisweilen noch etwas thue oder sage, was gelobt werden könnte. Daher jener alte bekannte griechische, sprüch wörtlich gewordene Vers: Oft hat ein schlichter Gärtner (in seiner Einfidt) das Rechte getroffen.

10. Allein Einer, der in jeder Hinsicht, zu jeder Zeit, bei jedem Lobe leer auszugehen verdient, von dem kann man mit Recht sagen, er ist „inlaudatus'', d. h. jeden Lobes bar, und ein solcher ist unter Allen der Schlechteste und Entartetste, gleich wie Ermangelung aller Schuld Jemanden zum unbeschol- tenen (und untadelhaften) Menschen (ineulpatum) stempelt. Der Unbescholtene aber ist das Muster und Abbild (unbedingter) yoUkommener Tugendhaftigkeit, also ist auch der, welcher jeden Lobes bar ist, der „inlaudatus'', der Ausbund (und Abschaum) äusserster Nichtswürdigkeit. IL So pflegt Homer das (Ruhmes-) Lob seiner Helden nicht dadurch,. dass er ihre

II, 6, 9. Ein blindes Schwein findet auch eine Eiche], oder: Ein schlichter Mann redet manchmal auch etwas Gutes, oder:

Was der Verstand der Yerständ'gen nicht sieht, Sieht oft in Einfielt ein kindlich Gemüth.

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(106) n. Buch, 6. Cap., § 11 17.

Tugenden aufeählt, zu erweitern (und in ein glänzendes Licht zu stellen), sondeni dadurch, dass er ihnen ihre Fehler nahm. Dies mag folgendes Beispiel zeigen (Hom. S. I, 92):

^i/cTa fidvTis ajLivfjitüV, d. h. da sprach der unbescholtene Seher; femer) (Hom. IL V, 336):

TW (f' ovx (ixorre mr^aO^r^ d. h. nicht unwillig flogen die beiden Rosse dahin; und ebenfalls jenes (Hom. D. IV, 223):

Da nicht hättest du schläfrig gesehn Agamemnon, den edlen, Weder zagend in Furcht, noch sich weigernd zu kämpfen.

12. Auf ähnliche Weise hat auch Epicur die grösste Lust, das höchste Gut, die Abwesenheit und Befreiung von allem Schmerz (d. h. Schmerzlosigkeit) durch folgende Worte erklärt : „Das Endziel der höchsten Wonnen ist die Befreiung (d. h. Abwesenheit) von allem Schmerz." 13. Auf gleiche Art hat der oben erwähnte Vergil den stygischen Pfuhl (in der Unter- welt „inamabilem") unfreundlich genannt (d. h. der nichts weiss von Liebe uad Mitleid und deshalb jedem verhasst sein rouss). 14. Denn so wie er den Begriff des Abscheues hat ausdrücken wollen (detestatus est) in Bezug auf den, welchen er, wegen Ermangelung eines Anspruchs auf Lob (xara OTiqriaiv laudis), mit dem Ausdruck: inlaudatum (ungelobten) belegte, ganz eben so in Bezug auf den, welchen er, wegen vollständiger Abwesenheit von Liebe (und Mitleid, -^aTct amoris (neqriaiv), einen inamabilem (unfreundlichen) nannte. 15. Der Ausdruck „inlaudatus" kann aber auch noch auf eine andere Art ver- theidigt und gerechtfertigt werden. 16. In unserer alten Sprache braucht man das Wort „laudare" in dem Sinne von: nennen, erwähnen und anfahren. So bedient man sich bei bürgerlichen Rechtshändeln des Ausdrucks und sagt: auctor laudari (d. h. als Gewährsmann, Zeuge oder Bürge) aufgerufen und namhaft gemacht werden (nominari). 17. Ein inlaudatus, d. h. ein ungenannter (unaufgerüfener), ist gleichsam einer, der nicht verdient genannt zu werden , der überhaupt weder der Erwähnung noch der Erinnerung würdig und eigentlich

n, 6, 12. S. Diog. Laßrt. ü, 7, 8; Cic. de fin. 1, 11 ; II, 13; Gell. II, 9, 2; n, 6, 16. S. Macrob. Sat VI, 7.

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n. Buch, 6. Cap., §18—23. (107)

nie genannt werden darf, 18. wie dies einst der Fall war bei dem Beschluss, welcher von der Nationalversammlung der kleinasiatischen Griechen gefasst wurde, dass den Namen des Frevlers, der den Dianentempel zu Ephesus in Brand gesteckt hatte, nie Jemand sollte nennen dürfen. 19. Unter den weiter noch aufgeworfenen Bedenken über die Richtigkeit im Aus- druck bleibt uns noch übrig, den über eine dritte Stelle aus- gesprochenen Tadel zu entkräften: er betriiit die vom Vergil gebrauchten Worte „tunicam squalentem auro (der Rock, welcher von Gold strotzte)". 20. Mit diesem Worte „squa- lentem*' soll aber nichts anderes bezeichnet werden, als die Menge und Gedrängtheit der schuppenai-tigen Goldwirkerei (auri intexti). Squalere (beschuppt sein, von Schuppen strotzen) wird gesagt von der Dichtheit und Starrheit (Aufbauschimg und Struppigkeit) der Schuppen, wie man sie auf den Häuten der Schlangen und Fische sieht. 21. Den Nachweis für diese Erklärung liefern uns sowohl Andere, als auch wieder der eben genannte Dichter (Vergil) an verschiedenen Stellen, z. B. an dieser, wo steht (Verg. Aen. XI, 770):

quem peius ahenis In plumam squamis auro conserta tegebat, d. h.

(den Gaul,) den ein starrendes Fell, mit des Erzes Schnppengeflecht aufbauschend und maschichtem Golde, bedeckt;

22. Dann an einer andern Stelle (Verg. Aen. XI, 487) heisst es :

lamque adeo rutilum thoraca indutus ahenis

Horrebat squamis. In ruthulischen Harnisch gehallt (der wüthende Turnus) Starrt er Yon ehernen Schuppen (-geflechten).

23. Bei Accius in seinen Pelopiden findet sich folgende Stelle:

Ejus serp^ntis squamae squilido auro et purpura

Perteztae, d. h.

Hochaufgebauscht Erglänzten purpurn und goldig des Drachen Schuppen.

II, 6, 18. S. Val. Max. Ym, 14, ext 5; Aelian. nat anim. VI, 40; VitruY. praef. VH, 12, 16; Strabo 14, 640; PUn. 16. 79.

n, 6, 20. Vergl. Paulus S. 828. (Ludw. Mercklin.)

n, 6, 21. (Er lenkte den Gaul,) den ein FeU deckte, welches (flau- men-) federartig durchwebt war Yon erzenem Schuppengeflecht und mit Gold durchweht (oder mit Goldspange befestigt), üeber solchen Platt- . Schuppenpanzer vergL Claudian in Rufin. II, 358—361; Veget III, 22.

n, 6, 28. Lucius Accius (Attius), der Sohn eines Freigelassenen,

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(108) n. Buch, 6. Cap., § 24. 25.-7. Cap., § 1—3.

24. Was also dicht bedeckt und so recht übersät von irgend einer Sache war, so dass es durch sein ungewöhnliches und vielwechselndes Aussehn Allen, die den Blick darauf richteten, Schrecken einflösste, dies wurde mit 4em Ausdruck „squalere (starren, strotzen)" belegt. 25. So wurde mit diesem ein- zigen Worte „squalor" an roh verwilderten ^ rauchschuppigen Leibem die hohe Anhäufung von Schmutz (d. h. die Schmutz- fülle) bezeichnet Durch den häufigen und beständigen Ge- brauch dieses Ausdrucks in fast nur dieser Bedeutung ist das Wort so begrififsversudelt worden, dass man nun „squalor" gewöhnlich in keiner andern Bedeutung und Beziehung an- wendet, als allein nur, wenn von Schmutz und Unflath die Bede ist.

11, 7, L. Von der (schuldigen) Verpflichtung der Kinder gegen die Aeltern;

ferner Betrachtungen über diesen Gegenstand, entlehnt philosophischen

Werken, worlif die Frage schriftliche Erörterung findet, ob man allen

väterlichen Befehlen nachzukommen sich für verpflichtet halten müsse.

n, 7. Cap. 1. Unter den Fragen, welche den Philosophen vielfache Gelegenheit (zu Nachforschung und) Streit gegeben haben, ist sehr oft auch die aufgestellt worden, ob man immer und in allen Fällen den väterlichen Befehlen zu gehorchen schuldig sei. 2. Sowohl griechische, wie lateinische Schrift- steller haben in ihren schriftlichen [Abhandlungen ttber die VeiTpflichtungen der bestehenden Ansichten drei angegeben, die sie glaubten der Betrachtung und Ueberlegung anheim- geben zu müssen und die sie 'deshalb auch einer höchst scharfen Beurtheilung unterzogen. 3. Die ei-^te dieser An- sichten lautet dahin.* dass man unter allen Verhältnissen und

geh. 584 d. St (170 v. Chr.), war der jüngere Zeitgenosse des Pacaviiis (cfr. GeU. Xin, 2). Lebendige, kraftvoUe geistige Darstellung, weniger Sorg^tigkeit in der formellen YoUendung sagte man ihm nach. Auch Archaismen und uncorrecte Wortfügung warf man ihm vor. Doch galt er filr den yorzaglichsten Tragiker seiner Zeit. €fr. Hör. Ep. U, 1, 55 und 56. Dass er ein geistvoller Mensch war beweist seine Schrift : didascalica, eine Geschichte der dramatischen Redner (GeU. IH, 11, 4). S. praefat § 6 NB. TTQayfjuTtxa, Decimus Brutus schätzte diesen Dichter so hoch, dass er Eingänge der Tempel, die er von dem feindlichen Beuteerlös hatte bauen lassen, mit den Versen und Gredichten zieren liess, welche Accius ihm zu Ehren vertest hatte.

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IL. Buch, 7. Gap., § 3—13. (109)

Umständen dem väterlichen Befehl zu gehorchen verpflichtet sei. 4. Die zweite Ansicht ist die, dass man zwar in gewissen Fällen zu gehorchen, in einigen andern aber sich nicht danach zu richten habe. 5. Die dritte Ansicht ist, dass es durchaus gar nicht nöthig sei, dem väterlichen Befehl nachzukommen und zu gehorchen. 6. Wir wollen hier zuerst gleich die Gründe über die zuletzt angeführte Meinung in Betracht ziehen, weil gerade sie, dem ei-sten Anschein nach, gewiss (bei Vielen) den höchsten Anstoss erregt. 7. Da heisst es also: Was ein Vater befiehlt, ist entweder gerecht oder ungerecht. Wenn nun also sein Befehl ein gerechter ist, so wird die Nothwendigkeit unserer Entschliessung zum Handeln nicht durch den Gehorsam erst bestimmt, den wir dem väterlichen Befehl schulden, sondern schon ganz allein durch das all- gemein gültige Gebot des Rechtes und der Pflicht, wonach sich überhaupt unser Denken und Handeln zu richten hat; wenn nun aber sein Befehl ein ungerechter ist, so hat, wie sich von selbst versteht, dieser Befehl auf uüser Handeln durchaus in keiner Weise bindende Kraft, weil man Unrecht überhaupt nicht thun darf. 8. Hieraus zieht man nun fol- genden Schluss: Dem väterlichen Befehle ist man überhaupt nie verpflichtet Gehorsam zu leisten. 9. Allein wir konnten uns weder zur Billigung gerade dieser letzten, dritten Ansicht verstehen, welche ja, wie wir gleich nachher darthun wollen doch nur auf leichtsinnige, abgeschmackte Spitzfindelei hinaus- läuft; 10. noch können wir auch jener, von uns zuerst an- geführten Ansicht einen Schein von Recht und Wahrheit zu- erkennen, (die vorschreibt,) dass man den väterlichen Befehlen in jeder Hinsicht unbedingt Gehorsam zu leisten verpflichtet sei. 11. Wie ist das nun wohl zu verstehen (und was giebt es dagegen einzuwenden)? Wenn man von Dir z. B. einen Vaterlandsverrath, wenn man einen Muttermord, wenn man dei^leichen andre Schändlichkeiten .und Ruchlosigkeiten von Dir verlangen sollte? 12. Aus diesem Grunde (kann es wohl nicht in Zweifel gestellt werden, es) ist die zweite, mittlere Ansicht oifenbar die beste und richtigste, (die dahin geht,) dass in gewissen Fällen unbedingter Gehorsam ganz am Platze ist, unter andern Umständen aber eine Verpflichtung zum Gehorsam durchaus nicht geboten erscheint. 13. Allein in

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(110) IL Buch, 7. Cap., § 13—18.

allen den Fällen, wo Gehorsam nicht unbedingt geboten er- scheint, soll man doch in sanftem und bescheidenem Tone, ohne seinem Unwillen und Abscheu (gegen einen ungerechten Befehl) zu sehr Ausdruck zu geben und ohne in bittre Vorwürfe, oder vorrückenden Tadel auszubrechen, eine etwaige Aufforderung (zum Gehorsam) für den Augenblick ausweichend ablehnen und so sie (lieber) abzuwehren suchen, als sich roher Widersetzlichkeit (gegen Aeltem) schuldig machen. 14. Die eben erwähnte Schlussfolgerung aber, nach der bewiesen werden soll, dass man seinem Vater nicht un- bedingten Gehorsam schulde, ist unvollständig und lässt sich folgendermassen zurückweisen und entkräften: 15. Nach An- sicht der Gelehrten ist Alles, was im menschlichen Leben ge- schieht, entweder (ehrenhaft und) anständig, oder unanständig. 16. Was nun an sich, seinem Begriff und Wesen nach, ent- weder anständig ist, wie z. B. sein Wort treu halten, femer das Vaterland vertheidigen , sowie die Freunde lieben und ehren, das Alles sind Handlungen, zu denen man sich un- bedingt verpflichtet fühlen muss, mag sie nun der Vater be- fehlen oder nicht befehlen. 17. Allein zu den Gegensätzen von dem Genannten und zu Allem, was entehrend ist und unserm Billigkeitsgefühl (als unpassend) widerspricht, braucht man sich auch dann nicht einmal für verpflichtet zu halten, selbst wenn er's befehlen sollte. 18. Alles, was nun aber zwischen beiden in der Mitte liegt und was von den Griechen bald mit dem Namen der Mitteldinge (j-ieaa), bald mit dem der gleichgültigen Dinge (adid(poQa) bezeichnet wird, wie z. B. unter den Soldatenstand (in den Kriegsdienst) gehen; das Land bebauen, Ehrenstellen übernehmen, Rechtsfälle ver- theidigen, ein Weib nehmen, femer auf Befehl reisen, dann z. B. nach einer ergangenen Aufforderung ei-scheinen, weil sowohl diese, als dergleichen ähnliche Dinge weder etwas Ehrenhaftes, noch etwas Schimpfliches enthalten, sondern gerade so, wie sie*) von uns vollzogen werden, ebenso erst durch unsre Handlungsweise sich als lobenswerth oder tadelns- werth herausstellen : deshalb ist man der festen Ueberzeugung, dass man bei derartig (allgemeinen) Bestimmungen dem Vater

n, 7, 15. Cfr. GeU. I, 2, 9; IX, 5, 5. n, 7, 18. *) Cfr. GeU. XVII, 20, 3.

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n. Buch, 7. Cap., § 18—23. (Hl)

unbedingten Gehorsam schuldig sei, wie dies z. B. der Fall ist, wenn er eben befehlen sollte ein Weib zu nehmen, oder Rechtsfälle für Angeklagte auszuf echten. 19. Weil nun in diesen beiden Fällen , auf diese Art an und für sich nichts geschieht, was zur Ehre oder Schande gereicht, deshalb ist hierin unbedingter Gehorsam geboten, im Fall der Vater einen Befehl ertheilen sollte. 20. Allein ein anderer Fall wäre der, wenn er befehlen sollte, ein übel berüchtigtes, höchst scham- loses (propudiosam), schuldbeflecktes Weib zu nehmen, oder für eine solche Sorte von Bösewichten!, wie für einen Cati- lina, oder für einen Tibulus, oder für einen P. Clodius die Vertheidigung zu führen. Da brauchte er, wie sich von selbst versteht, durchaus nicht zu gehorchen, weil unter sol- chen Umständen, in solchem Falle unsre Handlungen aufhören unerheblich und gleichgültig zu sein, wenn dabei die ge- wichtige Eigenschaft von Unehrenhaftigkeit und Schande in Betracht kommt. 21. Nicht so unantastbar ist der Schluss- satz derer, die behaupten: „Was ein Vater. befiehlt, ist ent- weder anständig und gerechtfertigt, oder imehrenhaft imd ungerechtfertigt," 22. und es kann daher dieser disjunctive (d. h. offenbare Gegensätze enthaltende) Satz nicht für un- tadelhaft wahr und richtig gelten (neque vyteg et v6/iLfiov dutevyiÄivov videri potest). Denn es ist bei diesem Disjunctiv- Satz der dritte Möglichkeitsfall (das dritte Satzglied) ver- gessen oder weggelassen worden: „Was ein Vater befiehlt, ist weder ehrenhaft, noch unrecht". 28. Fügt man diesen Satz hinzu, so kann auch die Schlussfolgerung nicht lauten: „In keinem Falle braucht man also dem Vater zu gehorchen".

n, 7, 20, Vergl. Paulus 227, propudium. L. Sergius Catilina, bekannt durch seine Verschwörung gegen den Staat und seinen durch Cicero hintertriebenen Anschlag Rom in Brand zu stecken. L. Hosti- liusTubulus, ein ausschweifender, ungerechter Praetor, dessen Name zu Rom mit dem des Lasters selbst für identisch galt. P. Clodius Pul eher hatte sich zur Befriedigung frevelhafter Gelüste in weiblicher Kleidung beim Gottesdienst in das Heiligthum der Bona Dea eingeschlichen und entging nur durch Bestechimg der Strafe. Er wurde Cicero's heftigster G^ner, der seine Schandthat entdeckt hatte, brachte es dann als Yolks- tribun dahin, dass Cicero in die Verbannung musste und wurde endlich von Milo umgebracht

n, 7, 22. Vergl. Gell. XVI, 8, 12: disjunctum.

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(112) n. Bach, 8. Cap., § 1.

II, 8> L. Das von P)utarch ein nicht ganz bilh'ger Tadel über Epicar

erhoben worden, in Bezug auf (^unrichtige) Anordnung eines Vemunfts-

Schlusses (syllogismi).

II, 8. Cap. 1. Plutarch im zweiten Buche seiner Schrift,

n, 8, L. Die Beziehung des Allgemeinen zum Besonderen hat ihren eiofachsten -sprachlichen Ausdi*uck im ürtheil, wo das Subject das Be- sondere, das Praedicat das Allgemeine repräsentirt. Zu jedem Besonderen giebt es aber sehr viele Allgemeine, die alle in ihm enthalten sind, darum kann jedes Subject mit Recht viele Praedicate annehmen; welches aber gerade passt, das hängt nur von dem Ziele des Gedankenganges ab; es kommt also auch beim ürtheilen wieder darauf an, dass Einem gerade die rechte Vorstellung einfällt, ebenso wenn man zum Subject das Prae- dicat, als wenn man zum Praedicat das Subject sucht, denn von einem Allgemeinen sind ja auch wieder viele Besondere umfasst. Besondere Wichtigkeit für das Denken hat noch die Beziehung von Grund und Folge. Dieselbe wird stets durch deu Syllogismus vermittelt, welcher in seiner einfachen Form, wenn er vollzogen wird, immer richtig vollzogen werden muss, und durch den Satz vom Widerspruch bewiesen werden kann. Nun zeigt sich aber sehr bald, dass der Syllogismus durchaus nichts Neues bietet, wie von John Stuart Mill u. A. dargethan worden ist, denn der allgemeine Obersatz enthält imphcite den besondem Fall schon in sich, der im Schlüsse nur explicirt wird; da nun von dem Obersatze als All- gemeinem Jedermann nur dadurch tiberzeugt sein kann, dass er von allen seinen besondem Fällen überzeugt ist, so muss er auch von dem Schluss- satze schon überzeugt sein, oder er ist es auch nicht vom Obersatze; und hat der Obersatz keine gewisse, sondern nur wahrscheinliche Geltung, so muss auch der Schlusssatz denselben Wahrscheinlichkeitscoefficienten, wie der Obersatz tragen. Hiermit ist dargethan, dass der Syllogismus die Erkenntniss auf keine Weise vermehrt, wenn einmal die Prämissen ge- geben sind, was damit völlig Übereinstimmt, dass kein vernünftiger Mensch sich bei einem Syllogismus aufhält, sondern mit dem Denken der Prä- missen eo ipso schon den Schlusssatz mitgedacht hat, so dass der Syllo- gismus als besonderes Glied des Denkens niemals ins Bewusstsein tritt Demnach kann der Syllogismus für die Erkenntniss keine unmittelbare, sondern nur mittelbare Bedeutung haben. In Wahrheit handelt es sich in allen besonderen Fällen (wo also der Untersatz gegeben ist) um das Auffinden des passenden Obersatzes; ist dieser gefunden, so ist auch so- fort der Schlusssatz im Bewusstsein, ja sogar der Obersatz bleibt oft un- bewusstes Glied des Prozesses. Fragen wir aber, wie wir (mit Ausnahme der Mathematik) zu den allgemeinen Obersätzen kommen, so zeigt die Untersuchung, dass es auf dem Wege der Induction geschieht, indem aus einer grösseren oder geringeren Anzahl wahrgenommener besonderer Fälle die allgemeine Regel mit grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit abgeleitet wird. Diese Wahrscheinlichkeit steht wirklich implicite in dem Wissen vom Obersatze darin. S. Philos. d. U. von E. Hartmann. Vü, S. 255.

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II. Buch, 8. Cap., § 1—7. (113)

welche er über Homer verfasst hat, behauptet, dass Epicur sieh eines Vernunftschlusses bedient habe, der für unvollkom- men, vefkehrt und ungeschickt gehalten werden müsse und führt Epicurs eigne Worte an: „Der Tod kann für uns nur etwas Gleichgültiges sein; denn nach einer einmal erfolgten Auflösung giebt es keine Empfindung mehr für uns: was wir also nicht mehr empfinden, das kann und muss uns auch (höchst) gleichgültig sein." 2. Um den (über diesen Schluss Epicurs ausgesprochenen) Tadel zu rechtfertigen, sagtPlutarch: „Der ausgelassene Vordersatz (propositio major) hätte un- bedingt gesetzt werden müssen und würde so lauten: dass der Tod (die Trennung und) Auflösung zwischen Seele und Körper sei. 3. Dafür aber nun baut er auf diesen aus- gelassenen Satz, als wäre er gestellt und zugestanden worden, weiter und verwerthet ihn beim weiteren Verlauf zur Be- kräftigung seines Schlusses. 4. Allein der ganze Vernunft- schluss kann eigentlich nicht vorwärts schreiten und zum Ende gelangen, wenn der Vordersatz vorher nicht aufgestellt worden ist. 5. Nun ist allerdings diese schriftliche Bemerkung Plutarchs über den Bau und d^e Anordnung dieses Vernunft- schlusses richtig. Denn wenn man einen umfassenden, voll- ständig regelrechten Schluss, wie er in den Unterrichtsanstalten pflegt gelehrt zu werden, ziehen will, so muss man sich fol- gendeimassen ausdrücken: „Der Tod ist eine Auflösung zwi- schen Geist und Köi-per; bei einer solchen Auflösung kann für uns von keiner Empfindung mehr die Rede sein; wenn wir also nichts mehr empfinden, so kann uns das auch nicht bekümmern. 6. Ganz abgesehen von diesem (speciellen) Fall mag Epicur immerhin sein, wie er will, das (wenigstens) darf man doch wohl zu seiner Ehrenrettung voraussetzen , dass er jenen wesentlichen Theil des Schlusssatzes sicher nicht aus Unkenntniss und Unwissenheit übergangen hat. 7. Denn hier war es ihm nicht gerade darum zu thun, etwa wie es in den Philosophenschulen zu geschehen pflegte, einen Vemunftschluss

n, 8, 1. Vergl. Plutarch: wie soll der Jüngling die Dichter lesen cap. 14; Tro8t8chrift an ApoUonius: 12 nnd 15; Diog. Laert X, 2 und 62; Sext, Emp. Hypotyp. III, 24. advers. Matthem. p. 59; Stobaeus Serm. 115; A]exand. Aphrodis. in Aristot. Topic I; Ambros. Epist. HI, 25; Ter- tnUlan de anima; Lactant. div. insütation. m, 17; Muret. var. 1. XI, 16.

öelliiM, Attische Nächte. 8 ^

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(114) II. Buch, 8. Gap., § 7— 9. 9. Cap., §. 1.

ZU bieten mit all seiner folgerichtig abgemessenen Gliedeiiuig und mit dem ganzen vollständigen Erklitruugszubehör, sondern weil ja die Trennung der Seele vom Körper im Tode eine ausgemachte, ganz bekannte Sache ist, hielt er selbstvei*ständ- lieh die Erwähnung dieses Vordersatzes nicht erst fttr nöthig, weil überhaupt die Erfahrung dieser Wahrheit Jedem an allen Ecken und Enden begegnet. 8. So auch weiter noch, weil er den mit dem Vordersatze im innigen Zusammenhange stehenden Schlusssatz nicht am Ende gebracht, sondern gleich zu Anfang damit hervortritt, dass auch dies nicht aus Un- wissenheit geschehen ist, wer sollte das wohl nicht einsehn? 9. Auch bei Plato kann man an verschiedenen Stellen Ver- nunftschlüsse vorfinden, worin die Reihenfolge der Sätze, wie sie in den Schulen gelehrt wird, bei Seite gesetzt und ver- ändert worden ist, nicht ohne eine gewisse leichthinnige (cum eleganti-contemptione) Nichtbeachtung etwaigen Tadels.

I(, 9, L. Wie derselbe Plutarch mit offenbar gesuchter, tadelsüchtiger

Kleinlichkeitskrämerei (abermals noch) einen vom Epicur gebraucht(>n

Aasdruck angreift

II, 9. Cap. 1. In derselben Schrift tadelt ebenderselbe Plutarch auch ebendenselben Epicur wieder, dass er sich eines

II, 8, 9. Plato von Athen, geb. 428 und gest. 347 v. Chr., Stifter der academischen Philosophenschule, nachdem er durch Socrates, durch Keisen u. s. w. sich trefflich gebildet hatte. Sein Vater Ariston war ein Nachkomme des Codrus, seine Mutter leitete ihr Geschlecht von Solon ab. Aristoteles war sein Schuler und Nebenbuhler. Seine Lehre zerfiel in Dialectik (Kunde vom End- Zweck), Physik (Naturwissenschaft und Theo- logie) and Ethik, wozu er auch die Psychologie rechnete. Die Seele, ein Theil des aUgemeinen Weltgeistes, stellte er zuerst als unsterblich dar. Seine zahlreichen Schüler breiteten seine Lehre weit aus, und die von ihm gestiftete (sogen, ältere) Academie hielt sich sehr lange. Fortgesetzt wurde sie nach seinem Tode durch Speussippus (Gell. IIl, 17, 3 NB.); von ihm ging sie auf Xenocrates über, dann auf Polemo von Athen, dann auf Erates von Tarsos und Krantor von Soli. Arkesilaus (GeU. lU, 5, 1 NB.) vertrat die mittlere Academie und Cameades (Gell. VI [VII], 14, 9 NB.) die neue. Zu ihnen kam noch eine vierte des Philon von Larissa und eine fünfte des Antiochus von Ascalon hinzu.

II, 8, 9. cum eleganti quadam reprehensionis contemptione. Elegans wohl in ähnlichem Sinne gesagt, wie Gell. XI, 2, also „ausgesucht, ab- sichtlich , oder leichthinnig*^. Ijeichthin-nig nach des Anastasius Grün „schlechthin -nig*^ gebildet. Sit venia verbo.

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IL Buch, 9. Cap,, §1—5.-10. Cap., § 1. 2. (115)

wenig zutreffenden Wortes bedient habe und zwar dazu noch in einer unrichtigen, uneigentlichen Bedeutung. 2. Diese Stelle Epicurs lautet: „Das Endziel der höchsten Wollust ist die Befreiung von Allem, was schmerzt (ij nawog tov al- yovi^og vne^aigeaig),"^ Plutarch meinte nun aber, Epicur hätte nicht sagen sollen : Ttawog tov akyovwog, d. h. Alles dessen, was Schmerzen verursacht, sondern Ttavxhg tov äXyeivov, d. h. von allem Schmerz (und Uebel). 3. Denn, setzt er hinzu, es war doch nur hervorzuheben und zu betonen die Befreiung von der Schmerzempfindung, nicht von der Schmerzensursache (detractatio doloris, non dolentis). 4. Bei dem Vorwurf, der hier den Epicur treffen soll, ist die Silbenstecherei des Plu- tarch doch gar zu kleinlich, ja man ist versucht zu sagen, läppisch. 5. Denn eine zierliche Wahl in Worten und Aus- drücken sucht Epicur nicht nur nie zu erjagen, sondern sogar zu verschmähen.

II, in, L. Was man unter der Bezeichnung versteht: favisao Capitolinad (d. h. unterirdische Behältnisse im Capitol) und welche schriftliche Er- klärung M. Varro dem Senrins Snlpicius g^eben, der sich bei ihm über das Wort (favisae) Auskunft holen wollte.

II, 10. Cap. 1. Servius Sulpicius, ein anerkannter Kenner und Ei-foi-scher des bürgerlichen Rechts und ein wissenschaft- lich höchst gebildeter Mann, wendete sich (einst) schriftlich mit der Bitte an M. VaiTO, er möchte ihm doch eine Antwort zukommen lassen über die Bedeutung eines Wortes, welcheif in den Büchern der Censoren zu lesen sei. 2. Dies betraf den Ausdruck: favisae Capitolinae. Varro schrieb

II, 9, 2. Vergl. GeU. D, 6, 12.

n, 10, 1. Ueber Servius Sulpicius Rufus s. Gell. I, 12, 1 NB. Libri censorii, genauer: tabulae censoriae, waren Listen über den römischen Vermögensstand Ton Privaten, wie Uebersichten über das Staatsvermögen. S. Teuffels röm. Lit. § 76, 2 und 171, 2 u. 4; desgl. Gell. Xm, 25 (24), 15.

II, 10, 2. Q. Catulus s. Sueton. Jnl. Gaes. 20 (15). S. Lange röm. Altertb. § 152 S. 256. JuL Caes. promulgirte gleich \m seinem Antritt der Praetur 692/62 den Antrag, dass diesem Gatulus, seinem Feinde, dem Haupte der Optimatenpartei die cura restituendi Gapitolii abgenommen und dem Pomp^jus übertragen werden solle. Liv. ep. 98; Cassiodor. S. 622 Mommsen; vergl. PUn. 19, 1, 6, 23; 33, 3, 18, 57; 34, 8, 16, 77; Tac. hißt 3, 72; Val. Max. 6, 9, 5; Suet. Aug. 94; Galb. 2; Plut. Popl. 15; Mommsen J. L. A. S. 170 f.

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(116) II. Buch, 10. Cap., § 2—4.

sofort zurück, dass er sehr ^Yohl sich dessen noch erinnere^ was Q. Catulus, der mit der Ausbesserung des Capitols be- traut gewesen, einmal gegen ihn geäussert habe. Es habe nämlich dieser (Q. Catulus bei der Ausbesserung) die Absicht gehabt, den freien Platz um das Gapitol herum (aream Capi- tolinam) tiefer zu legen, so dass man erst auf mehreren Stufen zu diesem Gebäude aufsteigen müsse imd dass dadurch der Unterbau mit seinem Aufgang, im Verhältniss zur (Grösse und) Höhe deS (Vorder-) Giebels mehr herausgehoben würde: dass er aber diese seine Absicht nicht habe ausführen können, weil die (von alten, einstigen Steinbrüchen übrig gebliebenen und nur überdeckten („favisae" d. h. Cistemen oder) Stollen ihn daran gehindert hätten. 3. Dies seien nämlich eine Art Be- hälter, welche sich in der unterirdischen Grundfläche befänden, worin alte (zerfallene und unbrauchbar gewordene) Götter- bilder, die man aus dem Tempel weggenommen und bei Seite gesetzt habe, und ferner auch noch einige andere (Heiligthümer und) geweihte Gegenstände, von Opfergeschenken herrührend, pflegten aufbewahrt zu werden. Weiter sagt er noch in die- sem Brief, dass er zwar in keiner (einzigen) Schrift einen Nachweis habe finden können, warum diese (unterirdischen Tempelbehältnisse) „favisae" genannt worden wären; allein er habe den Q. Valerius Soranus mehr als einmal sagen hören^ dass das, was wir mit dem giiechischen Ausdruck „thesauri" (Schatzgewölbe) zu bezeichnen pflegen, die alten Lateiner .,favisae" genannt hätten , weil darin nicht das rohe Erz und Silber, sondern das geschmolzene und in baare Münze um- geschlagene Geld (flata signataque pecunia) verborgen und aufbewahrt würde. 4. Er sprach daher die Vermuthung aus, dass aus dem eigentlichen Urworte der zweite Buchstabe weggelassen worden sei (und aus dem ursprünglichen Ausdruck ^flavisae" sich nachträglich „favisae" gebildet habe). Dieses Wort bezeichne aber nun eine Art von Behältnissen und Höhlen (Stollen), welche die Küster des Capitols dazu benutzten, da- selbst gewisse alte Heiligthümer*) aufzubewahren (ad custo- diendas res veteres religiosas).

II, 10, 3. S. Paul. S. 88 (L. Mercklin) Favissae. II, 10, 4. *) Alte vorzeitliche Raritäten. S. Lucret. V, 309; JuvenaL in, 218; Tacit. bist. IV, 53.

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II. Buch, 11. Cap., § 1 4. 12. Cap., § 1. (U?)

U, 11, L. Höchst merkwünÜge Xachrichten über den ausgezeichneten Kriegshe]<len Sicinins Dentatu«.

II, 11. Cap. 1. In den Jahrbttchem kann man es be- stätigt finden, dass L. Sicinius Dentatus, der unter den beiden Consuln Spurius Tarpejus und A. Atemius Volkszunftmeister war, fast unglaubliche Beweise von Muth und Entschlossenheit im Kriege abgelegt und dass man ihm wegen seiner ausser- ordentlichen Tapferkeit einen besonderen Namen beigelegt und ihn den römischen Achilles genannt habe. 2. Man erzählt von ihm, dass er in 120 Schlachten gegen den Feind gekämpft, keine einzige Narbe auf dem Rttcken (wie etwa feige Flüchtlinge) davon getragen habe, vorn aber auf der Brust 45. Er soll deshalb auch für seine Tapferkeit be- schenkt worden sein mit 8 Kronen von Gold, mit einem Belagerungskranze*) (fftr Tapferkeit bei Entsetzung), mit 3 Mauerkränzen (die denen ertheilt wurden, welche zuei'St die Mauer erklommen), mit 14 Bürgerkronen (aus Eichen- kränzen bestehend), dann noch mit 83 Halsketten , mit mehr als 160 Armspangen**), mit 18 Ehrenspeeren (aus blossem Holz ohne Eisen); ebenso erhielt er 25 mal Pferdebrust- schmuck zum Geschenk. 3. Kriegsbeute empfing er mannig- fache, darunter meistens Belohnungen und Geschenke für herausgeforderte (und getödtete) Feinde. 4. Neun Einzugs- feierlichkeiten theilte er mit seinen Oberbefehlshabern.

II, 12, L. Ein reiflich überlegtes nnd genau abgewogenes Gesetz Solons, welches zwar beim ersten Anblick den Anschein einer unbilligen und un- gerechten Bestimmnug an sich trägt, «bei genauerer Ueberlegung) aber ganz und gar nur als zum Nutzen und Vortheil heilsamer Rettung erfunilen

werden muss.

II, 12. Cap. 1, Unter jenen (bei-ühmten und) ältesten,

il, 11, 1. Plin. VII, 29, 1; XXII, 5; Valer. Max. UI, 2, 25; Fulgen- tius de prisc. serm. 5.

II, 11, 1. Der griechische Held Achilles durch die unsterbliche Iliade Homers bekannt und berühmt geworden.

II, 11, 2. *) VergL Gell. V, 6, 8. 9; mit Festus S. 190 b. Corona obsidionalis.

II, 11, 2. **) Vergl. Festus 8. 25 Armillae.

II, 12, 1. Auch der grosse Milton hegte einen solonischen Hass ge- gen die kalte Gleichg&ltigkeit und gegen den Indifferentismus, der sich aus dem Kampfe der Parteien zurückzieht

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(118) n. Buch, 12. Cap., § 1 3.

von Solon erlassenen Gesetzen, welche zu Athen auf hölzernen (Brettern) Tafeln eingegraben waren und welche die Athe- nienser, damit sie fortdauernd gewahrt bleiben sollten, durch Androhung von Strafen und durch feierliche, heilige Eide als unverbrüchlich verordneten, soll nach des Aristoteles Mit- theilung sich auch ein in folgendem Sinne abgefasstes Gesetz befunden haben: „Wenn der Fall eintreten sollte, dass wegen Uneinigkeit und Zwietracht ein Aufstand ausbricht, wovon eine Theilung (Spaltung) des Volkes in zwei Theile die Folge ist, und man aus dieser Ursache von den beiderseitig erbitterten Gemüthem zu den Waffen seine Zuflucht nehmen und es so- gar bis zum Kampfe kommen lassen sollte, dann soll jeder, welcher in dieser Zeit und in diesem Falle bürgerlicher Un- einigkeit sich nicht an einen dieser beiden Theile anzuschliessen bequemt, sondern zurückgezogen und abgesondert von der allgemeinen Drangsal des Staates sich fem hält: der soll vom Haus und Hof und vom Vaterlande verjagt sein und aller seiner Glücksgüter verlustig gehen, er sei verbannt und aus- gewiesen (exul extorrisque esto)." 2. Als wir dieses Gesetz des mit so seltener Weisheit begabten Solon gelesen hatten, ei-fuUte uns (tenuit nos) anfänglich eine gewisse heftige Ver- wunderung, da ich mich fragen musste (requirens), was wohl die Veranlassung gewesen sein könnte, weshalb er gerade die, welche sich von der Theilnahme am Aufstande und am innern Zwist fern gehalten hatten, einer (so strengen) Bestrafung für würdig befunden habe. 3. Darauf äusseiien sich nun Einige, welche einen gründlichen und tiefen Einblick zur Durchschauung des Nutzens und der Bedeutung von dem Gesetze gethan hatten,

n, 12, 1. Solon, ein Abkömmling der atheniensiscben Könige und seiner Zeit der berühmteste Reisende und Weise, geb. etwa 6d9 v. Chr., gab der Republik ihre Constitution, entwich aber bald, da jeder Schuster und Schneider an seiner Verfassung auszusetzen fand, reiste weit umher, 4 fand nach seiner Rückkehr noch das alte Unwesen vor, liess sich aus Verdruss darüber zu Soloe auf Kypros nieder Uud starb hier etwa 559. Sein Wahlspruch war: „Vor seinem Tode ist Niemand selig zu preisen.*^ Vergl. Plutarch. Solon p. 89; cap. 20: politische Lehren p. 82:3, cap. 32; ob Landthiere oder Wasserthiere klüger p. 965, cap. 9; von dem lang- samen Vollzug des göttlichen Strafgerichts p. 550, ci^). 4; Cicero ad Attic. X, 1, 2; Job. Cantacuzen. bist. IV, 18; Nicephorus Gregoras IX.

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U. Buch, 12. Cap., § 3— (5. (119)

dahin, dass dieses Gesetz dazu angethan sei, die Zwistig- keit nicht etwa zu veimehren, sondern sie beendigen (und unterdrücken) zu helfen. 4. Es kommen dabei allerdings fol- gende Umstände in Betracht: Wenn nämlich alle Gutgesinnten, die der Unterdi-ückung des Aufstandes im Anfang noch nicht orewaclisen gewesen sein und das gereizte imd sinnlose Volk nicht im Stich gelassen haben sollten, wenn diese sich ab- sondeiii, zu einem der beiden Theile sich wenden wUi'den, dann könnte nicht ausbleiben, wenn sie erst selbst Genossen der einen, oder andern Partei geworden sind, und diese Par- teien nun anfangen, sich von ihnen, als wie von Männern mit höherem Ansehn und grösserem Einfluss massigen und lenken zu lassen: dann also könnte nicht ausbleiben, dass die Ein- tracht gerade durch sie (sehr bald) wieder hergestellt und veiinittelt werden muss, indem sie gleichzeitig sowohl ihre Parteigänger, mit denen sie es halten, leiten und besänftigen, als endlich auch besonders danach trachten, selbst ihre Gegner vielmehr zur Vernunft zu bringen, als sie etwa dem Untergang und Verderben zu weihen. 5. Derselbe Fall, meinte der Philosoph Favorin, müsste auch zwischen Brüdern und Freun- den, im Fall sie in Uneinigkeit geriethen, seine Anwendung finden. Diejenigen, welche Freunde sind zwischen beiden streitenden Theilen, wenn sie, in dem Bemühen die Eintracht wieder herzustellen, nqch nicht genug Einfluss besitzen sollten (weil sie es noch mit keiner Partei verderben wollten [quasi ambigui]), diese müssen sich entschliessen, auf die Seite der einen oder andern Partei zu treten und durch diese verdienst- volle Handlung zur Versöhnung beider Parteien sich Bahn zu brechen. 6. Jetzt aber, setzte er hinzu, giebt es Viele, die, weil sie mit beiden Theilen befreundet sind , sich jeder Einmischung enthalten, die beiden streitenden Parteien ihrem Schicksal überlassen, als wäre dies das Richtigste, was sie thun könnten und auf diese Weise lassen sie dieselben (lieber) böswilligen und habsüchtigen Anwalten in die Hände fallen, denen es nur darum zu thun ist, die Uneinigkeit und Leiden- schaft ihrer Parfeien noch mehr anzufachen, entweder aus Lust am Hass und Streit, oder aus Sucht nach Gewinn und Vortheil.

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(120) n. Buch, 13. Gap., § 1— 5.

II, 13, L. Dass die alten (Redner, Geschichteschreibcr oder Dichter) das

Wort liberi (Kinder) in der Mehrzahl anch für nur ein Kind, Sohn oder

Tochter gesagt haben.

II, 13. .Cap. 1. Die alten Redner, ferner die Verfasser von Geschichte, oder Verfertiger von Gedichten, brauchten den Ausdruck liberi (Nachkommen, Kinder) in der Mehrzahl, wenn auch nur von einem Sohne, oder einer Tochter die Rede war. 2. Diese Ausdrucksweise, der wir oftmals in den Werken der meisten alten Schriftsteller begegneten, stiess uns nun auch in des Sempronius Asellio 5. Buche seines Werkes „der Kriegsthaten" auf, worin dies Wort ebenfalls vorkommt. 3. Bei der Belagei-ung von Numantia unter dem Oberbefehl (und der persönlichen Leitung) des P. Scipio Africanus, war dieser Asellio Volkstribun und erstattete von den Vorfällen, bei deren Hergange er Augenzeuge war, schriftlich Bericht ab. 4. Beziehentlich des Volkstribuns Tib. Gracchus, zur Zeit und bei Gelegenheit seiner Ennordung auf dem Gapitol, lauten de^ Asellio Worte folgendennassen: „Wenn Gracchus aus seiner Wohnung fortging, folgten ihm nie weniger als 3—4000 An- hänger." 5. Und hierauf fügt er weiterhin, wie folgt, hinzu: „Nur dies eine sucht er von ihnen durch Bitten zu erreichen.

II, 18, 2. Ueber AseUio Gell I, 13, 10 NB., Priscian V, 12, 65 er- wähnt das 8. Buch der Geschichte (historiarum , wahrscheinlich gleich- bedeutend mit dem hier citirten Werke: rerum gestarum).

II, 18, 3. Ueber P. Sempronius AseUio s. Teuffels Gesch. der röm. Lit 142, 5: desgl. Gell. I, 18, 10 NB.; V, 18, 8; Xm, 22 (21), 8.

n, 18, 4. Vergi. Gell. XDI, 29, 1. Den Metellus begleitete die Menge ebenfiüls nach Hause.

II, 18, 5. Als bei Gelegenheit der zur Abstimmung auf dem Gapitol versammelten Tribus dem Tribun Tiberius Gracchus vom Senator Fulvius Flaccus mitgetheilt worden war, dass die Reichen in der Senatsversammluns^ seinen Tod beschlossen hätten, brachte diese Nachricht unter der Um- gebung der Tribunen grosse Aufregung hervor. Als nun die entfernter Stehenden allgemein nach der Ursache des Lärmens fragten, legte Tiberius, um ^ie ilm bedrohende Gefahr zu bezeichnen, die Hand an sein Haupt. Sofort liefen nun, zur feindlichen Auslegung dieser Geberde, einige semer Feinde in den Senat und klagten ihn an, dass er nach der Königskrone strebe. Unter Anftihrung des Oberpontifex Scipio Nasica begab sich der Senat sofort aufs Gapitol und Tiberius mit 800 der Semigen verfielen dem Tode. Alle seine Parteigenossen, darunter auch der Rhetor Diophanea

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IL Buch, 13. Cap., § 5. 15. Cap., § 1. (121)

dass sie ihn und seine Kinder schützen möchten. Den einen männlichen Spross, welchen er zu dieser Zeit hatte, liess er herbeibringen und empfahl ihn dem Wohlwollen des Volkes, wobei er kaum der Thrftnen sich erwehren konnte."

II, 14, Li. Dass Cato in seinem Buche, welches die Ueberschrift führt: f,gegen den verbannten Tiberios*', an einer Stelle sich nicht der Wortform „stetisses'' bedient habe, sondern i gebraucht und geschrieben hatte: yadimonium stitisses (d h. Dn würdest Dich zum gerichtlichen Termin gestellt^ haben). Weiter erhält man noch Aufschlnss über die (Recht- fertigung und) Richtigkeit dieser Wortform.

II, 14. Cap. 1. In einer alten Schrift des M. Cato, welche überschrieben ist: „gegen den verbannten Tiberius", fand sich folgende Stelle: „Wie? wenn Du nun mit verhülltem Haupte Dich zum gerichtlichen Termin gestellt hättest." 2. Ganz richtig hat Cato da „stitisses" geschrieben. Falsch aber und vermessen ist die Veränderung, welche sich die Verbesserer erlaubt haben, die ein e für das i setzten und nun „stetisses" daraus machten, als ob „stitisses" eine albeme und ab- geschmackte Wortform sei. 3. Nein, im Gegentheil diese selbst nur sind albern und abgeschmackt, die das vom Cato richtig gesagte stitisses sich nicht zu erklären verstanden, da man wohl (das verbum activum : stellen) sistere im Passivo brauchen und vadimonium sisteretur (Bürgschaft würde gestellt) sagen darf, aber (vom verbum neutinim stehen d. h. stare) nicht „vadimonium staretur" passive sich sagen lässt.

II, 15, L Inwieweit ehemals dem Grcisenalter zumeist hohe Ehron- bezeugungen bewiesen wurden, und weshalb nachher dieselbe Ehrcn- anszeichnung auf Ehemänner und Familienvater übertragen wurde, und endlich einige beiläufige Bemerkungen über den 7. Abschnitt des julischen

Gesetzes.

II, 15- Cap. 1. Bei den alten Römern wurde gewöhnlich weder dem Gebuits - Adel , noch dem Reichthum eine höhere

aus Mytilene erfuluren dasselbe Schicksal. Plut Tib. Gracchus 16. 22; vergl. Appian. bell. civ. I, 2, 14. S. Lange röm. Alterth. § 186, S. 16. Tib. Gracchus hatte vertrauten Umgang mit dem Philosophen C. Blossius aus Cumae. S. Plut. Tib. Gr. 8. 17; vergl. Cic. Brut. 27, 104; Lael. 11, 37 VaL Max. IV^ 7, 1.

H 15, L. Vergl. Val. Max IT, 1, 9; Ovid. Fast. V, 57 u. 58.

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(122) n. Buch, 15. Cap., § 1—4.

Ehrerbietung zu Theil, als dem Alter, und die der Geburt nach Aelteren genossen von den Jüngeren eine Hochachtung gleich den Göttern und gleich den eignen Aeltem, und an jedem beliebigen Orte und bei jeder anscheinen^ gebotenen Gelegenheit zu ehrenvoller Auszeichnung galten alte Leute als bevorzugter und berechtigter. 2. Aeltere Leute wurden auch, ^ie in den alten Denkschiiften steht, von den jüngeren nach Hause begleitet, und diesem Gebrauch soll man von den Lacedämoniem angenommen haben, bei welchen nach Lykurgs Gebot dem Alter bei allen Vorkommnissen die höchste Ehre erwiesen wurde. 3. Nachdem man aber zu der Ueberzeugung gelangt war, dass für den Staat als einzig sicherstes Mittel zu seiner Macht in der nöthigen Bevölkerung zu suchen und man deshalb, durch ausgesetzte Belohnungen und sonstige Mittel zur Aufmunteiiing, Alles aui'bot, um einen zaldreichen Nachwuchs in der Bevölkerung zu erzielen, wurden in gewissen Fällen diejenigen, welche beweibt waren und die, welche Kinder hatten, denen vorgezogen, die älter waren und weder Frau noch Kinder hatten. 4. Gleichwie nach dem 7. Abschnitt des julischen Gesetzes das Vorrecht, die Amtsgewalt zuerst

II, 15, 2. Cfr. Gell. II, 13, 4; XIII, 29, 1.

II, 15, 4. Lex Julia (und Papia Poppaea; de maiitandis ordinibus), erlassen 9 n- Chr. (762 d. St.) unter Augustus, verbot das ehelose Leben lind belegte dieses* sowohl, als die Kinderlosigkeit mit mehreren erbrecht- lichen Nachtheilen.

II, 15, 4. In früheren Zeiten trug der König als Ehrenzeichen eine Krone von Gold, ein Gewand von Purpur und hatte als Wache 24 Lictoren (Amtsdiener), welche (fasces, d. h.) zu einem Theile mit Ruthen urabundene Beile (als symbolisches Zeichen der Gewalt übei' Leben und Tod), zum andern Theile einfache Ruthenbündel trugen. Nach Yeijagung der Könige setzten die jährlichen Consuln diese Sitte fort, durften sich jedoch nur dieser beiden Ehrenzeichen bedienen, wenn der Senat ihnen nach einem Siege die Ehren des Triumphes zuerkannte. Dionys. III, 62. Die Lictoren (sonel als Ligatores, s. Gell. XII, 3) gingen , die fksces auf den Schultern tragend, einzeln hinter einander vor gewissen obrigkeitUchen Personen her und machten diesen Platz mit den Worten: si vobis videtur, discedite Quirites, Wenn's euch beliebt, ihr edlen Römer, tretet bei Seite (Piatz zu machen). Liv. 8, 13. Diese Handlung hiess man submovere plebem. Sie hatten Sorge zu tragen, dass den Magistraten der nöthige Respect bewiesen wurde, welche Handlung der I^ictoren animadvertere hiess, so dass die Sitzenden aufstehen, die Reitenden absteigen mussten fclr. Gell. II, 2. 18).

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IL Buch, 15. Cap., § 4—8. (123)

zu übernehmen (potestas fasces sumendi), nicht dem von den beiden Consuln zuerkannt wurde, der einige Jahre früher geboren wai-, sondern dem, der mehr Kinder als sein Amts- genosse hatte, mochte er diese nun entweder noch in seiner väterlichen Gewalt, oder schon im Kriege verloren haben. 5. Hatten beide . Consuln aber eine gleiche Anzahl Kinder, dann wui-de dem der Vorzug eingeräumt, welcher noch Ehe- mann war, oder bei dem die Möglichkeit zum Ehestand noch nicht ausgeschlossen war. 6. Waren nun aber alle Beide sowohl Ehemänner, wie auch zugleich Väter einer gleichen Anzahl von Kindern, dann erlangte jene ehrenvolle Altersauszeichnung wieder Gültigkeit, und der Aeltere trat zuerst die Amtsgewalt an (prior fasces sumit). 7. Wenn nun aber Beide unverhei- rathet, oder im Besitz einer gleichen Anzahl von Kindern, oder zwar Ehemänner, aber kinderlos: darüber findet sich in dem Gesetz keine weitere schriftliche Bestimmung bezüglich des Altersunterschiedes vor. 8. In den Fällen, wo Einige wohl berechtigter waren, die Amtsgewalt zuei*st anzutreten, höre ich, dajss diese stets die Sitte beobachtet haben, diese Obmacht denjenigen Amtsgenossen zuerst einzuräumen, die entweder älter an Jahren, oder viel edlerer Abkunft, oder schon ihr zweites Consulat anzutreten im Begriff standen.

Dies Geschäft der sabmotio (Platzmachung) und der animadversio (Auf- forderung zur Höflichkeit) kam dem zuerst gehenden (primus) Lictor zu, (Cic. Qu. fr. I, 1, 7), hingegen der letzte (ultimus, proximus) war deijenige, welcher zunächst vor der Magistratsperson ging und deren Vertrauen er vorzüglich hesass. Der ohrigkeiüiche Befehl an den Lictor lautete : I Lictor, adde rirgas reo et in eum lege age, d. h. Geh', Lictor, peitsche den Schuldigen und strafe ihn nach den Gesetzen. Darauf erfolgte die Stäupung des Yerhrechers und seine Enthauptung mit dem Beile. Die Consuln hatten 12 Lictoren zur Aufwartung und zinar jeder der beiden Consuln eine Woche um die andere; ein Dictator hatte 24; die Praetoren und Propraetoren ausser Rom hatten 6; die kaiserlichen Legaten nur 5; der flamen Dialis und die Yestalinnen hatten auch je einen Lictor. Plutarch in Romains (26) sagt, die Lictores hätten erst litores (XtrtoQH^ letToi'ftyol von kfhcs, Volk, Gemeinde und foyovy also = Stadtdiener) geheissen, woraus, durch Einschaltung eines k, das Wort lictores ent- standen sei. S. Rein, Lictores, in Paulv's Realencykl. Bd. 4. Stuttg. 1846. S. 1082.

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(124) n. Buch, 16. Cap., § 1—8.

II, 16, L. Wie Caesellius Vindex vom Sulpiciiis Apollinaris Vorwürfe erhält wegen (faUcher) Erklärung einer Stelle ans Vergil.

II, 16. Cap. 1. Folgende Verse sind dem 6. Buche Ver- gils entlehnt (Verg. Aen. VI, 760 sq.):

nie, vides, pura juvenis qui nititur hasta, Proxima Sorte tenet lucis loca. Primus ad' auras Aetherias Italo commixtus sanguine surget Silvias, Albanum nomen, tua postama proles, Quem tibi longaevo serum Laviuia coiquiix Educet silvis regem regumque parentem: ünde genus Longa nostnim dominabitur Alba, d. h.

Jener, siehst Du, (j^^^^^) Jüngling, der auf den lautern (un- beschlagenen) Speer sich stützt, hat nach dem Loos die nächste (Anwartschaft auf die) Stätte des Tageslichts. Zuerst wird er in die ätherischen Lüfte sich heben, [vermischt mit ita- lischem Blute, Silvius, ein Name von Alba, Dein letztgebomer Sprössling, den Dir Hochbetagten spät noch Lavinia, Deine Gemahlin, auferziehen wird in den Wäldern, ihn einen König und von Königen Vater, woher unser Geschlecht in dem langen Alba wird herrschen.

Jener, Du schaust, der Jüngling, vom lauteren Schafte gestützet,

Wandelt zunächst dem Lichte durch Loos und zuerst in des Aethers

Anhauch steigt er empor, versippt mit italischem Blute,

Silvius, Dein nachsprossender Sohn, ein Name von Alba:

Den Dir Hochbetagten Lavinia spät, die Gemahlin,

Auferzieht im Gehölz, den König und Königerzeuger.

Woher unser Geschlecht obherrscht in der langen Alba.

2. In dieser Stelle schienen die Worte: tua postuma proles (Dein Spätling oder Dein nachsprossender Sohn) mit den gleich darauf folgenden: quem tibi longaevo serum Lavinia conjunx educet regem (in welchem [Sohn] spät noch Lavinia Dein Gemahl einen König erziehen wird Dir, dem Hoch- betagten [Longaevo]) ganz und gar nicht zusammen zu stimmen (wegen eines scheinbar in dieser ganzen Stelle enthaltenen Widerspruchs). 3. Denn wenn der hier gemeinte (spätere König) Silvius, wie diese Annahme fast in allen Jahrbüchern

II, 16, 1. Anchises zeigte seinem Sohne Aeneas in der Unterwelt die Seelen seiner Nachkommen in Alba und Rom bis zu Augustus und Marcellus.

II, 16, 3. postumus ■- oi/'/yoyoff, vergl. Doederlein L. Syn. IV p. 880.

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IL Buch, 16. Cap., § 3—8. (125)

der Geschichte verzeichnet steht, ei-st nach dem Tode (seines Vaters) des Aeneas geboren wurde: (nach Auffassung des Wortes) postumus d. h. der Nachsprossende, in dem Sinne, als das zuletzt und zwar nach dem Tode des Vaters geborene Kind, wie kann (wenn der Vater bereits todt ist) dann noch der weitere Zusatz passend erscheinen: es wird Deine Ge- mahlin Lavinia spät noch ihn (den nach Deinem Tode Ge- borenen, postumum) Dir, dem hochbejahrten Vater, gi-ossziehen. 4. Dieser letzte Zusatz scheint gerade die Auslegung zulassen zu können, dass Silvius geboren und erzogen wurde, als Aeneas noch lebte und nun schon ein Greis war. 5. Und deshalb ist aufh Caesellius, in seiner „Sammlung von Erläuterungen alter Ausdrücke**, der Meinung gewesen, dass der Sinn jener Stelle (aus Vergil) folgender sei: „mit den Worten postuma proles (d. h. Dein nachsprossender Sohn), sagt Caeselhus, ist nicht einer gemeint, der nach des Vaters Tode, sondern nui^ der ihm zuletzt oder spät geboren wurde, wie Silvius, deiv als sein Vater Aeneas schon ein Greis war, nachträglich und spät noch zur Welt kam (also ein Spätling)." 6. Allein Cae- sellius nennt für diese geschichtliche Angabe keinen sichern und zuverlässigen Gewähi-smann. 7. Nach vielfachen (andern) Ueberlieferungen aber ist Silvius, wie schon erwähnt, erst nach seines Vaters Aeneas Tode geboren worden. 8. Deshalb also (gestützt auf diese geschichtlichen Nachrichten) hat ApoUinaris Sulpicius unter den vielen Rügen, welche er dem Caesellius ertheilt, auch diesen vermeintlichen Missgriff ia dessen Auslegung (von Vergils Worten) nicht ohne Bemerkung voiHbergehen lassen und die Erklämng hinzugefügt, dass dem Caesellius zum Missverstehen (der Worte postuma proles) wahrscheinlich nur der darauf folgende Zusatz („quem tibi longaevo") Veranlassung gegeben habe. Allein diese Auslegung widei-spricht der geschichtlichen Ueberlieferung (wonach Aeneas bei der Geburt seines Sohnes Silvius bereits gestorben war). Longaerus heisst hier also nicht soviel, als „Greis", sondern

II, 16, 5. S. GeU. VI (VII), 2, 1 NB.

II, 16, 8. Sulpitius ApoUinaris, unter den Antoninen, geboren zu Carthago, war Lehrer des spätem Kaisers Pertinax (f 193) und be- schäftigte sich mit gelehrten grammatischen Studien, namentlich über Vergilius. Sein Schüler war Alfenus Varus. S. Gell. VU (VI), 5, 1 NB.

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(126) n. Buch, 16. Cap., § 8— 10.— 17. Cap., § 1. 2.

Einer, der für die lange Zeitdauer und zum ewigen Angeden- ken erhalten bleibt und unsterblich geworden ist. 9. Der (verstorbene) Anchises aber richtet diese Worte an den (zu ihm in die Unterwelt hinabgestiegenen Sohn) Aeneas, von dem er sehr wohl wusste, dass, wenn auch dieser einst aus dem menschlichen Leben geschieden sein würde, er ebenfalls unter die Unsterblichen versetzt werden , göttliche Ehre ge- niessen (immortalera atque indigetem futurum) und (durch den wohlverdienten Nachruhm) einer langen und fortdauern- den. Unvergänglichkeit theilhaftig werden würde. 10. Diese Bemerkung des ApoUinaris enthält allerdings etwas Geist- reiches : allein es ist doch noch ein himmelweiter Unt^schied zwischen einem langen, hochbejahrten Leben und zwischen einem ewigen, und man braucht bei Götteni wohl den Aus- druck „unsterbliche" aber nie „hochbejahrte" Götter.

11, 17, L. Welcher Art die Bemerkungea seien, die Cicero über die Eigenthiimlichkeit einiger Praepositioneu gemacht hat und dabei Be- trachtungen über Cicero's Beobachtung.

II, 17. Cap. 1. Von einer aufmerksamen Beobachtungs- gabe legt Cicero Zeugniss ab in seiner Bemerkung, dass die Praeposition in und con (als Vorsilben), in der Zusammen- setzung von Wörtern und Zeitwörtern, dann lang und gedehnt ausgesprochen werden, wenii der darauf folgende Anfangs- buchstabe (des mit ihnen unmittelbar verbundene^ Wortes) ein f oder ein s ist, wie dies z. B. der Fall ist in den Wörtern: sapiens (weise) und felix (glücklich). In allen andern Fällen werden sie kurz ausgesprochen. 2. Cicero's Worte (Or. 48, 159) lauten wie folgt: „Was kann es nun aber Einschmeichelnderes geben, als das Folgende, was sich nicht nach der Natur (d. h. nach der gewöhnlichen Sprachregel), sondern nach einer ge- wissen (Geschmacks-) üebereinkunft und Vorschrift richtet?

II, 16, 9. Man unterschied einheimische (indigetes) Götter und fremd hinzugekommene (novensiles). Vergl. Liv. 8, 9; Verg. G. I, 49^^; Lucan. I, 556; Silius 9, 290: Qaud. b. Gild. 83; Arnob. I, 39; Ser>'. zu Verg. Aen. 7, 678; 12, 794; Paulus p. 106, 10; Tibull. II, o, 43. Der Name indigetes ist unstreitig identisch mit indigenae und nicht von indi- gitare (oder indigetare, anrufen, beten) abzuleiten, wie Serv. zu Verg. Aen.

12, 794 annimmt.

II, 17, 2, Con vor f und s gedehnt ausgesprochen, daher auch im Griechischen geschrieben: xonirovl.

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U. Buch, 17. Cap., § 2 6. (127)

Bei indoctus (ungelehrt) und inhumanus (ungebildet) sprechen wir die erste Silbe kurz aus und bei den Wörtern insanus (unsinnig) und infelix (unglücklieh) wird sie lang ausgesprochen, und um mich ganz kurz zu fassen, bei Zusammensetzung mit allen solchen Wörtern, wo, wie in sapiens und felix der Anfangsbuchstabe ein f oder s ist, werden die Yocale in den Praepositionen con und in lang ausgesprochen, bei allen andern Wörtern aber kurz. Dasselbe Gesetz gilt auch bei den Wörtern: composuit, cönsuevit, concrepuit, cönfecit. Wirst Du in diesem Falle also bei den Regeln der Grammatik an- fragen, so magst Du Dich nur gefasst machen, von ihnen deshalb Tadel zu erfahren. Nun frage (aber einmal) die Ohren, so wirst Du ihren Beifall vernehmen. Frage Dich weiter, wie das kommt (dass sie nicht auch sich tadelnd äussern) und Du wirst ihre Antwort vernehmen, es thue ihnen eben wohl. (Deshalb merke Dir,) dem Befragen und Wohl- gefallen der Ohren muss die Rede stets zu Willen sein und Rechnung tragen." 3. Cicero macht bei dieser seiner An- deutung der von ihm beispielsweise angeführten Wörter offen- bar den Wohllaut zu einer Hauptbedingung. Ueber die Prae- position pro, die oft lang, oft kurz ausgesprochen wird, hat M. Tullius eine ähnliche Beobachtung anzustellen unterlassen, sollen wir uns da nicht ins Mittel schlagen und Aufschluss darüber geben? 4. Diese Praeposition pro wird nicht immer lang gebraucht, wenn die Anfangsbuchstaben des darauf- folgenden Wortes, wie z. B. im Worte fecit, der Buchstabe f ist, der ja nach Gicero's Andeutung den Einfluss ausübte, dass dadurch die beiden Praepositionen in und con lang aus- gesprochen werden sollten. 5. Denn wir sprechen ja das pro kurz auch in proficisci, profugere, profundere, profanum, pro- festum, aber lang in den Wörteni: proferre, profligare, pro- ficere. 6. Warum behauptet nun dieser Anfangsbuchstabe, der nach Cicero's Bemerkung der Giiind der Verlängerung der Vorsilben con und in bildete, nicht denselben Einfluss bei allen mit dem ganz gleichen Anfangsbuchstaben f be- ginnenden Wörtern, sei es nach einer bestimmten Regel der Grammatik*, oder nach dem Gesetze des Wohllautes, sondern gestattet, dass die Vorsilbe pro einmal lang, das andere mal

II, 17, 6. S. Diomedes U über con.

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(128) n. Buch, 17. Cap., § 6—11. 18. Cap., § 1 4.

kurz ausgesprochen wird? Doch auch das Wörtchen con ist nicht allein lang, wenn einer der von Cicero angeführten Buchstaben folgt, wie f oder s. 7. Denn sowohl Cato , als Sallust sagen: foenoribus cöpertus est (er ist mit Schulden bedeckt). 8. Ausserdem werden auch cojugatus und conexus lang gebraucht. 9. Doch kann es den Anschein haben, dass in den beiden von mir angeführten Beispielen die Partikel con deshalb verlängert wird, weil davon der Buchstabe n weggelassen worden, denn das Ausfallen eines Buchstabens wird durch die Verlängerung der Silbe ausgeglichen. 10. Diese Bemerkung bezieht sich nun aber auch auf cogo (r=^ coago). 11. Und es ist durchaus nicht als ein Widerspruch anzusehen, weil wir die Silbe cO in coegi kui*z aussprechen, denn es ist das Perfectum nicht ganz regelmässig von cogo gebildet.

LI, 18, L. Dass der Socratiker Phaedon ein gc borner Sklave war, and das» ebenfalls viele andere (berühmte Männer) das Joch der Sklaverei getragen.

II, 18. Cap. 1. Phaedo, aus Elis gebürtig, von der Schüler- Schaar des Socrates, war sowohl seinem Lehrer Socrates als auch dem Plato ein sehr vertrauter Freund. 2. Seinem Namen widerfuhr sogar vom Plato die Ehre, als Aufschrift seines be- rühmten, göttlichen Werkes über die Unsterblichkeit der Seele vorangesetzt zu werdeti. 3. Dieser Phaedo, von Geburt zwar ein Sklave, aber edel von Gestalt und Naturanlagen, war, wenn man andei*s dem Berichte und der Versicherung gewisser Schriftsteller Glauben schenken darf, als Knabe von seinem Herrn, einem Kuppler, gezwungen worden, aus schändlichem Missbrauch an seiner Person einen Erwerb zu machen. 4. Ihn soll Cebes,

n, 17, 7. Sallust Catil. 23, 1; cfr. Gell. IV, 17, U.

n, 18, L. Vergl. Lactant. div. Institut. III, 25; Origenes contra Celsum I.

II, 18, 1. Phaedon von Elis, der berühmte Schüler des Megarikers Euklides, Stifter der elischen Schule, wurde durch das mit seinem Namen bezeichnete platonische Gespräch berühmter, als durch seine Philosophen- schule. S. Hesychius III und Suidas unter Phaedon; Diogen. Laert. II, 9, 1; Macrob. Sat. I, 11; Strabo X, p. 602.

n, 18, 4. Cebes aus Theben, Schüler des Socrates und Zeuge seines Todes. Sein philosophisches Gespräch, nfm^ (Gemftlde) genannt^ enthält eine Schilderung des menschlichen Lebens und des Zustandes der menschlichen Seele vor Vereinigung mit dem Körper.

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n. Buch, 18. Cäp., § 4—12. (129)

der Schüler des Socrates, auf Zureden dieses seines Lehrei*s gekauft und an dem philosophischen Untemcht haben theil- nehmen lassen. 5. Es wurde aus ihm nachher auch wirklieh ein berühmter Philosoph und seine höchst geschmackvollen Abhandlungen über Socrates hört man noch immer gern vor- lesen. 6. Auch nicht wenig Andere, die später als berühmte Philosophen auftauchten, sind erst Sklaven gewesen. 7. Unter ihnen befindet sich jener berühmte Menippus, dessen Satiren M. Varro nachgeahmt hat, die er selbst menippische, andere cj nische nennen. 8. Nicht ruhmlos lebte auch Pompylus, der Sklave des Peripathetikers Theophrast; dann der Sklave des Stoikers Zeno, Perseus genannt, und der des Epicur, mit Namen Mys. 9. Auch der Cyniker Diogenes musste das Joch der Kneditschaft fühlen. Zwar war er aus freiem Stande, wurde aber (von Seeräubern) in die Knechtschaft verkauft. Als (er nun öffentlich zum Kauf ausgeboten wurde und) Xe- niades aus Korinth, der ihn zu kaufen beabsichtigte, ihn ausfrug, was er wohl für eine Kunst verstehe, antwortete Diogenes: „Ich verstehe freien Menschen zu gebieten".^ 10. Xeniades, erstaunt über diese Antwort, kauft ihn aber trotzdem, lässt ihn sogleich frei und übergiebt ihm sofort seine Kinder mit den Worten: „Hier, nimm diese Freien, meine Kinder, damit Du ihnen gebietest (bei ihrer Erziehung zu braven, guten Menschen).'' 11. Zu erwähnen, dass auch jener be- rühmte Weltweise Epictet ein Sklave gewesen ist, dazu ist wohl das Andenken an ihn noch zu frisch, als dass man erst nöthig hätte, über ihn zu schreiben, wie ohngefähr über einen, der schon vergessen sein könnte. 12. Zwei über ihn noch vorhandene Verse sollen von Epictet selbst herrühren und aus ihnen kann man schliessen, dass nicht immer alle die-

n, 18, 7. Menippus aus Sinope, anfangs Sklave, später der cynischen Philosophie zugewendet S. Diogen. Laert. VI, 8, 1; Macrob. Satom. I, 11. Er war dem niedrigsten Wucher ergeben, und nahm sich, als er einst eine bedeutende Summe eingebüsst hatte, selbst das Leben. Varro hat seinen beissenden Stil in seinen Satiren nachgeahmt, daher sie auch menippische genannt werden. S. Teuffels röm. Lit § 28, 3.

II, 18, 9. Ueber Diogenes s. GeU. 1, 2, 10 NB.; vergl. Diog. Laert. VI, 2, 8.

n, 18, 12. In der Anthologie des Planudes werden die Verse nicht ^dem Epictet, sondern dem viel älteren Leonidas zugeschrieben, weshalb

G e 1 1 i tt 8 , Attische Nachte. 9

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(130) II. Buch, 18. Cap., § 12. 19. Cap., § 1—5.

jenigen den Göttern verhasst sein müssen, die in diesem Leben mit allerhand Kummer und Elend zu kämpfen haben; dass dieses (menschliche Ungemach) vielmehr seine geheime Ursache habe, worein die Neugierde nur Weniger dringen könne. (Die betreifenden Verse lauten:)

Ich Epictet, zwar niedrig geboren und schwächlichen Körpers; Arm wie ein Bettler, ich bin doch der Unsterblichen Freund, oder:

Ich Epictet von niederem Stand und am Körper verkrappelt, Femer wie Irus so arm, bin doch Unsterblichen lieb.

II, 19, L. Was man wohl mit dem Worte „rescire^* bezeichnen will und welche wahre und eigentliche Bedeutung das Wort hat.

II, 19. Cap. 1. Bei dem Worte „rescire" haben wir die Bemerkung gemacht, dass es in einem ganz andern Sinne gesagt wird, nicht kraft des gemeinschaftlichen Einflusses der Bedeutung, der bei andern Wörtern stattfindet, wo diese Praeposition „re" vorgesetzt ist, und dass wir den besondern Nebenbegriflf, der andern Wörtern, wie z. B. rescribere, rele- gere, restituere, durch diese Vorsilbe zuerkannt wird, nur bei demSVorte „rescire" ausschliessen (non dicimus). 2. Von Einem z. B., der zu der Erkenntniss gelangt, dass Etwas (hinter seinem Rücken) ziemlich heimlich versteckt, oder wider Ver- muthen und Erwarten (abgemacht und) ausgeführt worden sei, von dem braucht man so recht eigentlich den Ausdruck „rescire" (dahinter kommen, entdecken, erfahren, erkunden). 3. Wamm nun in diesem einen Worte die Partikel „re" diese ausdrückliche Bedeutung hat, darüber suche ich bis jetzt selbst noch nach Aufklärung. 4. Denn bei Allen denen, die ihre Worte sorgfältig auswählen, haben wir noch nicht ent- decken können, dass „rescivi" oder „rescire" in einer andern Bedeutung gebraucht worden sei, als in dem Sinne des sich Klarwerdens über solche Vorkommnisse, welche mit überlegter Klugheit verborgen gehalten wurden, oder ganz gegen Hoffen undVermuthen sich zutmgen. 5. Obgleich das einfache Wort „scire" (in Erfahrung bringen) selbst gesagt wird, wenn sich's um allgemeine Angabe von Dingen handelt, mögen sie ent-

die Stelle im Gellius für untergeschoben gehalten wird und bei Martin Hertz ausgelassen ist Die griechischen Verse lauten:

Kai nevfrjv ^fQog, xal (p{lo$ df^avaroig.

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n. Buch, 19. Cap., § 6—9. (131)

weder ins Bereich der unangenehmen oder angenehmen, oder der unverhofften oder der unerwarteten gehören. 6. In seinem Triphallus schreibt Naevius also:

Komm' ich dahinter Je (si rescivero), dass mein Sohn geborgt Zu Liebesh&ndeln Geld, bring' ich Dich gleich dahin, Wo dem (gekappten) Mund Ausspucken soll vergehn.

7. Claudius Quadrigarius im ersten Theil seiner Jahrbücher (schreibt): „Nachdem die Lukaner dahinter gekommen (re- sciverunt und erkannt hatten), dass man ihnen durch trü- gerische Vorspiegelungen ein Schnippchen geschlagen hatte. ^

8. Derselbe Quadrigarius bedient sich dieses Ausdrucks in diesem Buche (auch) bei einem traurigen und unverhofften Vorfall: „Als die Verwandten von den Geiseln, velche nach unserer obigen Angabe dem Pontius überliefert worden waren, dies plötzlich inne wurden (resdverunt), kamen Aeltem sammt den Anverwandten mit aufgelöstem Haar auf die Strasse gestürzt." 9. Cato im 4. Buche seiner „Ui-geschichte" sagt:

n, 19, 6. Ein Vater droht einem Sklaven mit der Strafe in der Walkmühle, wenn er sich je unterfangen sollte, seinem Sohne Geld zu Liebeshandehi aufznborgen. Die Mahlenden trugen aus Reinlichkeits- gründen Maulkörbe, um nicht ausspucken zu können.

II, 19, 9. lieber M. Pordus Cato s. Geschichte der röm. Lit von W. S. Teuffei § 117 ff.; femer: Marcus Porcius Cato der Censor v. F. D. Gerlach (Stuttgart 1869); Ose. Jäger: Die punischön Kriege 3. Bdchen. (HaUe 1870.)

II, 19, 9. Diese Stelle aus Cato's Urgeschichte ist die Fortsetzung von GeU. X, 24, 7. Die berühmtesten Catonen sind:

1) Der hier genannte Marcus Porcius Cato, der Aeltere (miyor, superior, priscus), geb. 234 zu Tusculum (j. Frascati), ein nicht bloss durch seine hohen Ehrenämter, denn er war I&iegstribun, Qnaestor, Yolksädil, Praetor, Consul und Censor und erhielt von seiner altrömischen Strenge in dem letztgenannten Amte vorzugsweise den Bei-, namen Censorius, sondern auch durch seine ausgebreiteten Kenntnisse vor seinen Zeitgenossen . ausgezeichneter Mann. Er beschäftigte sich in seiner Jugend auf den Gatern seines Vaters im Sabinischen mit Land- wlrthschaft. 195 Consul und 184 Censor, übte er als solcher grosse Strenge aus und suchte dem Luxus zu steuern, was ihm viel Feinde zuzog, so dass er 84 mal angeklagt wurde. 17 J&hre alt, kämpfte er unter Fabius Maximus vor Tarent gegen Hannibal, nahm Theil an Scipio's Zuge na^h Afrika. Aus Furcht vor Beeinträchtigung alter Zucht stiess er sich an dem Erscheinen der atheniensischen Gesandtschaft des Kameades, Dio- genes und Kritolaos (Gell. VI [YII], 14, 9). Sein steter Spruch war: Cetemm, censeo, Carthaginem esse delendam. Er erlebte die Befolgung

9*

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(132)

II. Buch, 19. Cap., §9.-20. Cap., § 1. 2.

^Tags darauf entbietet der Dictator den Befehlshaber der Reiterei zu sich, (sagt ihm) ich entsende Dich jetzt, wenn Du (noch) willst, mit Reiterei (gegen sie). Der Reiteroberst er- widerte ihm: „Es ist (nun schon) zu spät, denn sie haben (uns unsere Absichten) schon abgemerkt (jam rescivere)."

II, 20, L. Was man jeört gewöhnlich mit dem Worte „vivaria'* (Thiergärten> bezeichnet, dieses Ansdrucks hätten sich die Alten nicht bedient; femer welchen Ausdruck in diesem Sinne P. Scipio dafitr in seiner Rede an& Volk gebraucht hat und welches .Wort dafür M. Varro in seinen Büchera „ober die Landwirthschaft'^

II, 20. Cap. 1. Gewisse umfriedigte (oder umzäunte) Orte, worin wilde Thiere Ptitterung erhalten, welche man jetzt mit dem Ausdi-uck „vivaria" (Thiergärten) belegt, sagtM. Varro im 3. Buche über die Landwirthschaft, dass sie mit dem Ausdruck „leporaria"" (Hasenhaiden) bezeichnet wQrden. 2. Ich

seines Rathes nicht, da er 149 starb, wo der 3. punische Krieg begann,, der 146 mit Zerstöning Carthagos endigte. Das hier erwähnte Buch, seine. Annalen, ein Werk über vaterländische Geschichte (origenes, Ursprungs- geschichten) in 7 Bachern, enthielt die Ereignisse der Republik von ihrem sagenhaften Ursprung bis herab auf seine Zeit und ist bis auf wenige Bruchstücke verloren gegangen. Sein Werk über den Ackerbau (de re rustica) besitzen wir noch. (Vergl. Bernh. R. L. 101, 486.)

2) Der jüngere M. Porcius Cato, des Vorigen Urenkel, einer der edelsten und reinsten Charaktere der sinkenden römischen Republik, der es in dem Bürgerkriege des Caesar und Pomp^us mit der Partei des Letzteren hielt und nach gänzlicher Niederlage derselben, da er das Ende der Republik nicht erleben und sich Caesars Gnade nicht unterwerfen wollte, sich zu Utica, einer Stadt Africa's, drei Stunden von Carthago^ selbst erstach, daher auch der Uticenser genannt. Ich begehe wohl keinen Fehler , wenn ich schon hier die eigentlich erst zu Gell. XIII, 20 (19), 12 gehörige Stammtafel der Catonen folgen lasse.

(Marcus Porcins Cato mit /Marc. Pore. C.

^ {l. LlditU nad /- ~ . -

{M. Cato» praetor design. XUf, 90 (19), 9, tüchtiger Jarist „de juris disoiplina". Aemilia, Tochter des Aemilius Paulos. /— '>^^—— ^

M. Porcius Cato Mepoa, icrosser Redner.

Cato Aedüis.

U. Salon ia.

{Cato Salonianns. Plutarch. Cat Maj. 351. Tertia, Tochter des Paulus und Schwester des tjüngeni) Scipio. Plutarch. Cato- Msj. 20.

. Cato, Volks- IM. Cato, Yolkstrihon.

trihnn. iLivia, Tochter des Drnsus, hei- I rathete ep&ter den Quaestor

l Q. Serritius.

iCato Uticensis (Crenkel) (Porcia, Oemahlin des 1. Lepida, 2. Attilia, /L. Domltius Aheno- 8. Hortens'a. ^ barbus.

|M. Porcius Cato fiel in der jporciaj. Bibnius

^ Schlacht bei Philipp!. U. M. Brutus.

fQ. Servilius.

Caepio,

'Bruder des

Cato Utic,

von einer

Mutter.

M. Porcius Cato, unter dem Kaiser Tiberiuif Praetor.

Servilia, Schwester des Cato ütjc. von Caeaar geliebt^ 1. Brutus vom Pompcgus ge- mordet. 2. BrU' tus des Caesars M6rder.

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IL Buch, 20. Cap., § 2—6. (133)

füge gleich Varro's eigne Worte bei: „Es giebt auf den Meiergehöften dreierlei Arten von Räumlichkeiten für Thier- fÜtteruDg und Yiehmasten: die Vogelhäuser (omithones), die Tbiergärten (leporaria) und die Fischteiche (piscinae). Hier verstehe ich nun unter Vogelhäusern die Behältnisse für alles Geflügel, welches man sich innerhalb des Vorwerksraumes zu halten pflegt Wenn ich mich hier des Ausdmcks „leporaria'' bediene, so hast Du darunter nicht allein eine Umh^ung in dem Sinne zu verstehen, wie unsere Alten sie nannten, wo nur Hasen sich befanden, sondem die ganze zur Meierei gehörige Orundstücksumpferchung, wo die Thiere abgesperrt und in Füttei-ung gehalten wurden.'' Auch schrieb derselbe in diesem Werke weiter unten wie folgt: 3. „Als Du im Tuskulanischen das Landgut vom M. Piso gekauft hattest, befanden sich in dem Thieiigarten (leporario) viele Eber." 4. Das jetzt allgemein gebräuchliche Woi*t „vivaria" (Thierparkanlagen) , was die Griechen durch naqadeiaoi (Park) ausdrücken (und Varro leporaria nennt), erinnei*e ich mich nie irgendwo bei den Alten geschrieben gefunden 'zu haben. 5. Aber beiScipio, dei* unter allen seinen Zeitgenossen das reinste Latein sprach, las ich das Wort „roboraria" (Eichenbretverschläge), und ich hörte zu Rom einige gelehrte MäiAier versichern, dies Wort bezeichne dasselbe, was wir jetzt „vivaria'' nennen, und sei dieser Ausdruck nach der Steineiche (robur) benannt, von deren Brettern man die Umhegungen zusammensetzt. Und diese Art der Umzäunung kann man in Italien an vielen Orten sehen. 6. Scipio's eigne Worte aus seiner 5. Rede gegen Claudius

II, 20, 4. naqaditaoi (Thiergarten-) Par^^«- Xenoph. Hellen. lY, 1,15; Cyr. I, 4, 11; Philostr. vit Apoll. Tyan. I, 38.

II, 20, 5. Der jOngere P. Sdpio Africanas pflegte Umgang mit Pa- naetios, Polybios, €. Laelins, C. Sulpicius Gallus, Q. Aelius Tubero, Lncilius, P. Terentios. S. Bernh. R. L. 39 nnd ÜTB. 146 und ebendaselbst 115, 536.

II, 20, 5. Vivarium, WUdpark, S. Plin. 8, 32, 50. § 116 und 8, 52, 78. § 211. Darin wurden besonders wilde Schweine, aber auch Rehe nnd Hasen gehegt, daher leporarium genannt, s. Yarro r. r. IE, 3, 1, 2; in, 12, 1. Yarro nennt es auch glirarinm, von den Haselmäusen (glires), welche als Leckerbissen galten und ebenfalls darin gehegt wurden. Yarro r. r. m, 15, cfr. Plin. 8, 57, 82. § 223 und 224. J

n, 20,' 6. Vergl. Gell. YI (YII), 11, 9 NB.; lY, 17, 1 NB.

(

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(134) n. Buch, 20. Cap., §6 9.-21. Cap., § 1—3.

Asellus lauten so: „Als er die herrlich gepflegten Felder und die ausserordentlich sanbern Meiereien erblickt hatte, gab er sofort die feste Absicht zu erkennen, in diesem Bereiche an der höchsten Stelle eine Mauer aufführen, von da aus eine Wegverbesserung einrichten zu lassen, veimittelst Anlegung von Gängen, deren einige mitten durch die Weingärten führen sollten, andere durch die Thiergärten (per roboarium) und längs der Weiher, andere auf dem LandgrundstUck umher. ^ 7. Seen und besonders aber Teiche (und Bassins), die als Verschluss für lebende, immer frische Fische eingedämmt werden, nannte man mit einem für sie ganz eigenen und be- zeichnenden Ausdmck „piscinae^ (Fisch-weiher, Fischbehälter, Fischteiche). 8. Das Wort „apiaria", womit man gewöhnlich die Orte bezeichnet, wo die Bienenkörbe liegen, erinnere ich mich nie von einem Andern weder gelesen, noch gehört zu haben, der sich nur irgend einer unverdorbenen Sprechweise befleissigte. 9. Allein M. Varro sagt in seinem 3. Buche „der Landwirthschaft" : „Einen Bienenstand (ßehaativ), welchen Viele mit dem lateinischen Ausdruck „mellarium" belegen, muss man so einrichten." Dies von VaiTO gebrauchte Wort ^Itieliaaiiv** ist ein griechisches und bedeutet: Bienenhaus und wird in dem Sinne gesagt, wie (alle anderen Worte auf dvj welche einen Ort bezeichnen, wo gewisse Gegenstände in Wahrheit vorhanden sind, wie) z. B. af^nekoip (Weinberg), datpviiv (Lorbeerhain).

II, 21, L. Ueber das Sternbild, welches bei den Griechen „«^«|«" (Wagen

am Himmel i. e. grosser Bär) heisst, bei den Kömern „septentriones" (die

7 Pflug-Ochsen, Siebengestim), and aber die Bedeutang und Entstehung

beider Ausdrücke.

n, 21. Gap. 1. Ich befand mich in Gesellschaft von mehreren Griechen und Römern, alle Anhänger derselben Schule (und ihrer Lehren), auf einem und demselben Scliiffe und wir Hessen uns ^ eben zusammen von Aegina nach dem Pyräus übersetzen. 2. Nacht war's und ruhig das Meer, und die Sommerjahreszeit gewährte uns den Anblick eines klaren, heitern (Sternen-) Himmels. So sassen wir nun am Hinter- tlieil des Schiffes alle beisammen, versunken in der Betraeh- tuug der glänzenden Gestirne (am Himmelsgezelt). 3. Unter dieser zahlreichen Versammlung selbst befanden 'sich nun

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U. Buch, 21. Cap., § 3—8. (135)

Einige, die im Griechischen sehr bewandert waren. Diese schickten sich denn auch sofort an, Alles, was sie gelernt und erfahren hatten, gegen einander ruhig auszutauschen, nicht nur, was man unter Bootes versteht, was unter „a^uofa"', dann welches der „gi'osse Bär** und welches der „kleine" und woher diese Benennung; femer nach welcher Seite im Zeitraum der verlaufenden Nacht sie sich bew^en und warum Homer sagen kann, dass dies Sternbild des Bären allein nicht untergeht, sondern auch noch einige andere (Namen der Himmelsgestirne). 4. Hier nun (unterbrach ich das Gespräch und) wandte ich mich an meine jungen Landsleute und fragte: „Nun, ihr Maul- faulen (opici), was gebt ihr mir denn nun zum Besten? Wainim nennen wir das Sternbild „Septentriones", welches die Griechen a^ia^a nennen? 5. Wenn ihr mir ganz einfach erwidert, das kommt daher, weil wir ja deutlich die sieben Steine sehen, aus denen das Sternbild besteht, so genügt mir diese Antwort durchaus nicht, ich will vielmehr durch eine ausführliche Er- klilnmg erfahren, was der ganze Begriif, den wir mit dem Worte „Septentriones" aussprechen, bedeuten soll." 6. Darauf ergriff Einer das Wort, der viel Fleiss auf Wissenschalt und Alterthümer verwendet hatte und sagte: „Die grosse Menge der Grammatiker versteht den Ausdruck „Septentriones" nur in dem Sinne, als solle damit nichts anderes ausgedrückt werden als nur allein die Anzahl der (sieben) Sterne. 7. Denn sie sagen, das nach „Septem" folgende Wort „triones" bedeute an und füi* sich weiter nichts, sondeni sei nur ein einfacher Schluss- zusatz (Endanhängsel, supplementum) zu Septem, gerade so wie in dem von uns gebräuchlichen Worte quin qua trus*), wo quinque (fünf) die Anzahl der Tage, von den Idus an gerechnet, angiebt, atrus aber nichts weiter bedeutet und nur als Wortanhang von quinque anzusehen ist. 8. Allein was

II, 21, 7. *) Ein Fest, welches der Minerva zu Ehren gefeiert wurde und seinen Namen daher erhielt, dass es fünf Tage nach den Idus des März (also den 19. März) gefeiert wurde. Varr. 1. 1. VI, 14, 16; Festus S. 254; Ovid. fast. III, 809; Juvenal. Sat. II, 12, 1 und X, 25, 1; Cic epist ad Farn. Xn, 25, 1; Paul. Diac. 255, 10; vergl. Festus p. 149, 21; Ovid. Trist IV, 10, 18.

II, 21, 8. Lucius Aelius Stilo. S. Gell. I, l^<, L. NB.

II, 21, 8. Cfr. Gell. III, 10, 2. Septentriones. S. Cic. de nat. D. II, 41; Festus S. 3:39; Servius ad Verg. Acn. I. 744: III, 516.

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(136) n. Buch, 21. Cap., §8 11.-22. Cap., § 1. 2.

mich betrifft, ich bin mit L. Aelius und M. Varro ganz einverstanden, bei denen man geschrieben findet, dass mit dem (alten lateinischen) übrigens bäurischen Ausdruck „triones" man Ochsen (Rinder) habe bezeichnen wollen, gleich- sam für „teriones" (Pflug- oder Dresch-Ochsen), d. h. solche, die dazu bestimmt und geeignet sind, den Acker zu pflügen und zu bestellen. 9. Dieses Himmelszeichen also, welches die alten Griechen in Bezug auf seine Gestalt und seine Stellung^ weil es äusserlich einem Wagen ähnlich zu sein schien, afia^a (Wagen) genannt haben, belegten deshalb auch (nicht so ganz mit Unrecht) unsere Alten von dem Ochsen- (Sieben-) Gespann her mit dem Ausdruck Septem -triones, d. h. von den sieben Sternen, in denen gleichsam ein Gespann Pflugochsen bildlich dargestellt wird. 10. Ausser dieser Ansicht fügte Varro auch noch die Bemerkung hinzu, dass er selbst noch im Zweifel sei, ob diese sieben Sterne vielmehr etwa deshalb mit dem Beisatz „triones" belegt worden seien, weil sie so gestellt sind, dass die je drei nächsten Sterne unter sich (trigona) Dreiecke bilden, d. h. dreieckige Figuren (triquetras figuras). 11. Von diesen zwei von ihm angefühlten Ansichten schien uns die letztere feiner und gewählter. Indem wir unser Augenmerk nun auf das eben besprochene Stembüd richteten, kam es uns gerade so vor, als scheine es seiner Gestalt nach aus Dreiecken zu bestehen.

II, 22, L. Uebcr den WTind Japyx (Nord- West Wind) und über die Aus- drucke und Richtungen noch anderer Winde. Bemerkungen aus des Favorin gelehrter Unterredung entnommen.

II, 22. Cap. 1. Im vertraulichen Zusammensein bei Favorin wurde über Tisch entweder ein altes Gedicht von einem lyrischen Dichter gelesen, oder sonst wohl auch ein Abschnitt, oft in griechischer, oft in lateinischer Sprache. 2. So kam nun auch einmal bei Vorlesung eines lateinischen Gedichtes*) der Wind Japyx vor, und es wurde die Frage

II, 22, 1. Nach Mercklins Ansicht ist dieser Vortrag Favorins aus dem erst § 31 genannten Werke des Nigidius entlehnt S. Citiermeth etc. V. Mercklin p. 677. Vei^l. Varro R. R. 8, 5; Aristot Meteorol. II, 6 und Aristot Metaph. IT, 6.

n, 22, 2. *) Gronov vermuthet, dass hier unter dem lateinischen Gedicht vielleicht Horat. Od. I, 3 gemeint sei.

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n. Buch, 22. Cap., § 2. 3.

(137)

aufgeworfen, was das wohl für ein Wind sei, aus welchen Gegenden er wehe, und was wohl der Ui^sprung und die Be- deutung dieses so seltenen Weites sei. Deshalb wendeten wir uns gleich an Favorin mit dem Ersuchen, dass er selbst sieh herbeilassen möchte, uns über die Namen der noch Qbrigen Winde und über ihre Richtungen Aufklärung zu geben, weil man gewöhnlich weder über ihre Benennung, noch über deren Richtungen (und Ausgangspunkte), noch über die Anzalil derselben klar und einig sei. 3. Darauf hin ergriff FavoTin also das Wort und sagte: es ist hinlänglich bekannt, dass (im Allgemeinen) vier Grenzlinien oder Himmelsgegenden

n, 22, 8. Yergl. PliiL II, 46 u. 47; Ampel. Liber. memor. 5; Hyginas de Hmit. p. 177; Apaligus de mando; Strabo I, p. 19; Vitrur. I, 6; Senec. quaest nat Y, 16, 2 und V, 17, 1.

II, 22, 3. Nach der Windrose der Homer sind die Kamen der Winde folgende:

*8iia«T08dac ^*

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(138) n. Buch, 22. Cap., § 8—10.

angenommen werden: Morgen, Abend, Mittag, Mittemacht. 4. Aufgang und Untergang verändern sich und sind daher verschieden. Mittag und Mittemacht stehen unveiTttckt und verbleiben in ihrer beständigen Stellung und Lage. 5. Denn die Sonne geht nicht immer an einer und derselben Stelle auf. (Daher die verschiedenen Namen des Aufgangs.) Es wird nun der Aufgang entweder „aequinoctialis^ genannt^ wenn er (den Raum oder) die Kreisbahn durchläuft, welche man auf griechisch larj^eQivog (der Tag- und Nachtgleiche angehörig) nennt, oder „solstitialis" (in der Zeit der längsten TageS wie sie bei der Sommersonnenwende stattfindet (quae sunt O^BQivai), oder „brumalis" (in der Zeit der kürzesten Tage), wie dies bei der Wintersonnenwende der Fall ist (quae sunt XiifiBQivai TQOTtat). 6. Ebenso geht die Sonne auch nicht immer an derselben Stelle unter. Daher heisst der ebenso verschiedenartige Untergang der Sonne nun auch entweder „aequinoctialis", oder „solstitialis", oder „bramalis". 7. Der Wind nun, welcher von der Seite des Frühlingssonnenaufgangs kommt, d. h. zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche, wird Eurus genannt, ein Wort, welches, wie die Etymologen sagen, zu- sammengezogen und gebildet worden ist aus : 6 ano tr^ ijovg ^i(üv (der vom Morgen oder aus Osten herströmend weht). 8. Dieser wird auch noch mit einem andern Namen benannt, bei den Griechen äfptjXiiizr^g (d. h. vom Sonnenaufgang' her, oder der Morgenwind), bei den römischen Matrosen subsolanus (Ostwind). 9. Allein derjenige Wind, der von der Gegend aus weht, welche der Aufgangspunkt der Sonne zur Sommer- sonnenwende ist, dieser Wind wird im Lateinischen aquilo, im Griechischen ßoQiag (Nordwind) genannt. Wegen der Art seines Wesens, sagen Einige, sei er von Homer ali^Qtjyeiicrjg (d. h. im Aether unter dem Himmel eraeugt) genannt worden. Man ist der Meinung, dass er den Namen ßoqiag erhalten hat cmo xr^g ßor;g (von dem Tosen), also wegen seines heftigen, heulenden Wehens. 10. Der dritte Wind ist der, welcher zur Zeit der Wintersonnenwende vom Sonnenaufgang her weht. Die Römer nennen ihn „Volturnus". Diesen nun be- zeichneten die Griechen später meist mit einem zusammen- gesetzten Ausdrack und nannten ihn , weil er zwischen dem Notus und dem Eurus weht, EvQovotog (wandelten ihn also

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n. Buch, 22. Cap., § 11 17. (139)

genauer in Sttd-Ost-Wind um). 11. Es giebt also drei morgen- ländische Winde: den Aquilo, den Vultumus und den Eurus, deren mittelster der Eurus ist. 12. Diesen entg^engesetzt und gegenüberliegend giebt es drei andere abendländische Winde. Der erste, Caurus (Nord-West- Wind), den die Grie- chen gewöhnlich aqyiarrjg nennen. Derselbe weht dem Aquilo entgegen; denn der andere Favonius, im Griechischen Zifpvqog (West-Wind) genannt, weht dem Eurus (Ost- Wind) entgegen- gesetzt. Der dritte, der Africus, griechisch „Xii/;'* (Regenwind) genannt, weht dem Voltumus entgegen. 13. Es scheinen also für diese beiden (einander entgegengesetzten) Himmels- gegenden des Osten (Morgens) und des Westen (Abends) im Ganzen unter einander sechs Winde angenommen zu werden. 14. Hingegen die Mittags- (Süd-) Seite, welche stets ihre feste, bestimmte Grenzlinie beibehält, hat nur einen Wind, den mittägigen. Dieser heisst lateinisch Auster (Südwind) und griechisch „yorocj", weil er viel Nebel (Nässe) und Regen {vmig) bringt. Feuchtigkeit (umor) heisst nämlich auf grie- chisch vorig. 15. Die mitternächtigen Gegendei^ aber haben aus demselben Grunde auch nur einen einzigen Wind (wie die mittägigen). Dieser weht in entgegengesetzter Richtung von dem Auster und wird lateinisch „septentrionarius" (sc. ven- tus, Nordwind) genannt, griechisch aTtaqyLxiag (von der Nord- seite des \av^T:og'\ Bären her stürmend). 16. Von diesen acht Winden ziehen Einige vier ab (und lassen nur vier gelten), mit der (entschuldigenden) Angabe, dass sie dies nach dem Beispiele Homers (mit vollem Rechte) thun, der auch nur vier Winde gekannt und angenommen hat, den Euinis (Ost- Wind), den Auster (Süd- Wind), den Aquilo (Nord- Wind) und den Favonius (West- Wind). Die darauf bezüglichen Homer'- schen Verse (Odyss. V, 295 und 296) lauten:

Eurus entstürmte mit Notes, mit Zephyros stürmte, dem Brauser Aethergeboren der Nord, der mächtige Wogen herantrieb.

17. Diese angegebenen vier Hauptwindrichtungen entlehnte er also von den schon obenerwähnten vier Himmelsgegenden, indem er für die ganze Ausdehnung des Ostens ganz einfach

II, 22, 16. Homer Odvss. V, 295, cfr. Aristot. pol. IV, 4; Veget. de re miL V, 8. S. Gell. II, 30, 8.

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(140) n. Buch, 22. Cap., §17—24,

nur einen Wind annahm, desgleichen auch nur einen fbr den Westen, ohne (von diesen beiden) erst noch drei Seitenwinde anzunehmen. 18. Nun giebt es auch noch Mehrere, welche statt dieser acht Winde , gar zwölf annehmen , indem sie die dritten vier um Mittag und Mittemacht herum mitten hinein- schalten, auf eben dieselbe Weise, wie die zweiten vier zwi- schen die ei*sten zwei bei Morgen und Mittag eingefügt wurden. 19. Ausserdem giebt es noch eine andere eigenihttmliche Art von Winden, deren Namen dadurch entstanden sind, dass sie von Bewohnern der verschiedensten Weltgegenden gebildet wurden, oder nach den Namen der Orte, welche man be- wohnte, oder aus irgend einem Grunde, der bei der zufälligen Namensbildung seinen Einfluss geltend gemacht hatte. 20. So nennen z. B. unsere (narbonischen) Gallier den Wind, der aus ihrem Lande her weht, und der ihnen selbst als der strengste und empfindlichste vorkommt, mit Namen cercius, wahr- scheinlich nach seinen Drehungen und Wirbeln (mit denen er auftritt). 21. Den von Japygiens Gebirgszunge (am Ende Apuliens) siiJh erhebenden Wind benennen die Apulier mit ihren eigenen Landesnamen den japygischen. 22. Ich glaube, dass erohngefihr dei-selbe ist, den wirCaurus (Nord- West) nennen, denn es ist ein abendländischer Wind und scheint dem Eurus gegenüber zu wehen. 23. Daher lässt Vergil (Aen. XI, 678) die aus dem Seetreffen (bei Atticum, 30 v. Chr.) nach Aegypten fliehende Königin Cleopatra vom japygischen Winde getrieben werden ; auch benennt er (Verg. Aen. XI, 678) ein Pferd nach dem Namen des Landes, woher es gekommen, das japygische. 24. Nun giebt es auch noch einen Wind, Namens „Caecias", der nach Angabe des Aristoteles so weht,

II, .22, 18. S. Senec quaest nat V, 16 nennt zwölf Winde.

n, 22. 20. Cercius, Nord-West-Nord, Vitruv. I, 6, 10; Pün. II, 47 (46); XVII, 2, (2); Sen. quaest nat 5, 17; Suet Claud. 17. Der Name kommt vielleicht von dem griechischen xfgxos i. e. gyrus, quia se in gyrnm convertit Caurus, Nordwestwind. Gaes. b. g. 5, 7; Vitruv. I, 6, 5; Lucr. 6, 135; Col. r. r. 10, 75; Sen. quaest nat 5, 16; 17, 5; Plin. II, 47 (46), 119. Nach der gewöhnlichen Mundart Corus. Caecias {xaixfag\ Nordostwind, genauer: Nord-Drittel-Ostwind. Sen. qu. n. 5, 16; Plin. n, 47 (46); XVUI, 34 (77), 334; App. mund. 14.

II, 22, 24. Flut politische Lehren cap. 31, p. 823; wie man von seinen Feinden Nutzen zieht, cap. 4.

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n. Buch, 22. Cap., § 24—29. (141)

dass er die Wolken nicht etwa vor sich hei-treibt, sondeni zu sich zusammenbläst, daher jener Vers sprüchwörtlich ge- worden: „An sich ziehend, so wie der Nordost die Wolken". 25. Ausser den von mir bereits angeführten giebt es noch vielfach andere, neu erfundene Namen von Winden und jeder mit seiner Gegend verwachsen, wie dies auch der Fall ist bei den horatianischen (Sat. I, 5, 78) Atabulus (der in Appu- lien im Frühling und Herbst einige Wochen laug wehende, glühend heisse Südostwind, jetzt Sirocco genannt); und ich war eigentlich gesonnen, alle noch übrigen selbst der Beihe nach durchzugehen und zu beschreiben, würde wohl auch noch die geiTi hinzugefügt haben, welche „etesiae" und die, welche „prodromi" genannt werden, die zu einer gewissen Jahreszeit, wenn der Hundstem am Himmel erscheint, einmal aus dieser und dann wieder aus einer andern Himmelsgegend wehen; würde wohl auch besonders noch über die Bedeutung aller dieser Ausdrücke, weil ich nun einmal so recht im Redezuge bin (quoniam plus paulo adbibi), meinen Mund haben über- fliessen lassen, wenn ich nicht deutlich fühlte, eigentlich schon viel zu viel, während ihr Alle im Schweigen verhan-tet, ge- sprochen zu haben (und wenn ich nicht glaubte, mich dem Vorwurfe auszusetzen), als Jiätte ich mit einer pinnk vollen Vorlesung {axQoaaig imderÄrrKi^) aufwarten wollen. 26. Denn, setzte er hinzu, weder ist es schicklich, noch der Höflichkeit angemessen, dass bei einem zahlreich besuchten Gastmahle mu- Einer das Wort führt. 27. Diese (bis ins Kleinste sich verzweigende) " Erörterung gab Favorin, in der von mir er- wähnten Zeit uns über Tisch bei sich mit seiner Feinheit im Ausdi-uck und mit der ihm geläufigen Artigkeit und Ver- bindlichkeit in seiner ganzen Unterhaltung. 28. Was aber seine Bemerkung über den Wind betrifft, der aus Gallien her wehen soll und der Circius heisst, so sagt M. Cato in den Büchern seiner „Urgeschichte", dass dieser Wind Cercius und nicht Circius g^annt werde. 29. Denn als er über die Spa- nier schrieb, die diesseits des Ebro wohnen, machte er fol- gende wörtliche Bemerkung: „Es giebt in diesen Gegenden

n, 22, 25. Atabnlas {aTrjV ßiUXd L e. der Schaden anrichtet). Plin. XVn, 24 (87), 232; Quint VIU, 2, 13; Sen. qu, n. 5, 17; Hör. Sat. 1, 10, 46.

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(142) n. Buch, 22. Cap., § 29— 81.— 23. Cap., § 1.

die herrlichsten Eisenbergwerke und Silbergruben, einen gi-ossen Berg von lauter Salz, der nur grösser zu werden scheint, je mehr man davon wegnimmt. Der Wind Cercius bläst, wenn man spricht, die Backen auf, wirft einen be- waffneten Mann und einen belasteten Wagen um.^ 30. Indem ich bei meiner obigen Bemerkung über die Etesiae der all- gemeinen Ansicht gefolgt bin, dass sie iLus verschiedenen Himmelsgegenden wehen, weiss ich wahrhaftig nicht, ob ich gar etwas Unüberlegtes gesagt habe. 31. Im 2. Buche der Schriften des P. Nigidius, welche er über „die Winde" verfasst hat, finden sich folgende Worte: „Die Windstrom- richtungen der Etesiae und der alljährigen Austri (Süd-Winde) gehen mit der Sonne (secundo sole flaut)." Es ist daher nur zu bedenken, was die Bezeichnung heissen soll: secundo sole (mit der Sonne gehen).

II, 23, L. Angestellte Untersuchung und Beurtheilung von einigen gegen einander gehaltenen Stellen ans dem gleichnamigen Lustspiel des Menander und des Caecilius, „Plocium (nXoxtov, collare, Halsband)" überschrieben.

n, 23. Cap. 1. Ich lese oft und gern die Lustspiele unserer Dichter, welche sie von griechischen Dichtem entlehnt und übertragen haben, wie z. B. von Menander oder Posi- dippos, oder Apollodoros, oder Alexis, oder auch von einigen

n, 22, 31. P. Nigidius schrieb auch über Naturwissenschaftliches. S. Teuffels Gesch. der röm. Lit. 196, 8.

n, 23, 1. S. Geschichte der röm. Literatur von W. S. Teuffei § 15, 2, über die Uebertragung der neuen attischen Komödie auf römischen Boden.

n, 23, 1. Menander, der vorzüglichste unter den griechischen Dichtem der neuem Komödie, geb. 342 v. Chr., Schüler des Theophiast, verfasste über hundert Lustspiele, wovon nur noch Brachstücke übrig sind. Er ertränkte sich aus Neid über den grösseren Beifall seines Nebenbuhlers PhUemon im pyräischen Hafen. (Cfr. Gell XVn, 4, 1.) Das Halsband (ttXoxiov) war ein von Caecilius durch Nachahmung verbreitetes Drama.

IT, 23, 1. Posidippus aus Kassandreia in Makedonien, einer der besten Dichter der neuen griechischen Komödie, trat 288 v. Chr. (466 iL c.) auf und sehrieb gegen 40 Stücke.

n, 23, 1. Apollodor, ein komischer Dichter aus Athen^ der nach Suidas 47 Stücke gedichtet und fünfinal den Preis davongetragen hat

II, 23, 1. Alexis aus Thurii soll nach Suidas 245 Komödien ge- dichtet haben. Athenaeus giebt ihm den Seinamen des Anmuthigen (/«()'<»;)• Die zahlreichen Brachstücke zeigen ihn als einen Dichter von Geist und

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n. Buch, 23. Cap., §2—7. (143)

andern Lustspieldichtem, 2. und muss offen gestehen, dass ich beim jedesmaligen Lesen dieser Nachbildungen durchaus kein Missfallen empfinde, dass sie mir im Gegentheil sogar fein und anmuthig geschrieben scheinen, so dass man sich einbildet, es könne überhaupt nichts Besseres geben. 3. Allein sobald man sie mit dem griechischen Urtext, welchem sie entlehnt sind, vergleicht und zusammenstellt, und nun be- sonders gar erst die einzelnen (dem Sinn nach in näherer Beziehung zum Original stehenden, ähnlichen) übersetzten Stelleu hernimmt und sie ununterbrochen hinter einander durchliest und vergleichsweise mit Ueberlegung und zweck- entsprechend zusammenhält, so beginnt die lateinische Nach- bildung sofort matt und schwunglos ztt erscheinen (jacere et sordere) und muss, da sie gegen die griechischen Geistesblitze und Lichtfunken zu sehr absticht, an eignem Glanz (und An- sehen) verlieren. 4. Ein derartiger Fall gerade kam uns auch neulich vor. 5. Wir lasen nämlich das caecilische „Halsband (Plocium)" und es missfiel mir und den Anwesenden durchaus nicht. 6. Nun hegte man aber das Verlangen, auch das gleichnamige (Original-) Lustspiel Menanders kennen zu lernen, von welchem Gaedlius das seinige entlehnt und übersetzt hatte. 7. Als wir nun aber das menandrische Original auf- geschlagen und nur kaum den Anfang gelesen, du lieber Himmel, wie erstaunlich kalt und frostig kam uns Caecilius vor, und welcher gewaltige Unterschied schien nun zwischen

guter Beobachtung. Er erreichte ein Alter von 106 Jahren, blühte 360 V. Chr. und war der Oheim Menanders. GeU. lY, 11, 8; Piutarch: ^e soll man die Dichter lesen, 4.

n, 28, 5. Caecilius Statins, ein sehr gebildeter Isubrier, der als Sklave nach Kom gekommen (gest 168 v. Chr.), bearbeitete mit grossem Beifall griechische Komödien von Menander. Nur noch Bruchst&cke sind übrig. Cicero nennt seine Sprache hart. Cic. ad Attic. 7, 8. S. Gell.

IV, 20, 18 NB.

n, 28, 7. Menander besass mehr feine Mimik und Charakter- zeichnung mit geläufigem Dialog, Caecilius viel Rhetorik und derbere Staffage. (VergL Bemhardy R. L. NB. 845.)

n, 23, 7. S. Hom. D. VI, 286; Hör. Sat I, 7, 16 f.; Aristot Ethic.

V, 11; Plin. 88, 8; Piutarch: „von den allgemeinen VorsteUungen gegen die Stoiker«, p. 1068 cap. 11; Marüal. IX, 95, 8 u. 4; Plin. ep. V, 2, 2; § 2 Inst de emt et vend.

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(144) ' Buch, 23. Cap., § 7—9.

ihm und Menander zu sein. Denn ihrem Werthe nach kann bei Gott zwischen des Diomedes und des Glaukos Waffen keine abstechendere Ungleichheit gedacht werden. 8. Hierauf war man beim Vorlesen an einer Stelle angekommen, worin der verheirathete Greis über sein reiches und missgestaltetes Weib sich beklagt, weil sie ihm nicht eher Ruhe gelassen, bis er sich endlich genöthigt erachtet, seine Aufwärterin, ein Mädchen, die sich bei keinem Dienst ungeschickt benahm und auch kein ungefälUges Aussehen hatte, zu verkaufen, nur weil sie bei seiner Frau im Verdacht stand, sein Kebsweib zu sein. Ich unterfange mich nicht ein eigenes Urtheil abzugeben, welch grosser Unterschied sich zwischen Beiden findet, sondern Hess die bezüglichen Verse beider Dichter heraus- nehmen und vor Augen legen, damit Jeder sich sein eigenes Urtheil bilden kann. 9. Menanders Stelle lautet so:

Auf beiden Ohren kann mein reiches Weib nun rah'n, Ihr herrliches Werk, sie hat es endlich durchgesetzt, Sie warf aus dem Hause die Aermste, wie es längst ihr Plan, Dass Jeder anschaue KrÖbylens Antlitz einzig nur. 5. Ja, nun besitzt das wohlbekannte W^eib mich ganz Und alle nun sehn den Affenfratzen-Ausbund nur, Wie man so sagt. Ach, schweigen muss ich von der Nacht, Die wahrlich mir Urheberin alles Uebels war. 10. Weshalb nahm ich Thor Krobylen auch mit ihrem Geld; Das dürre Weibsbild, dieses Schneiderellenmass, Erträglich kaum, voller Aufgeblasenheit beim Zeus Und bei Athene. Verscheucht mein dienstbeflissenes Kind, Das schneller noch war als Gedanken; o brächt' mir's wer zurück!

n, 23, 9 V. 4. Dass Jeder sich weid' an Erobylens Antlitz u. s. w. 11^ 23, 9 V. 5. Eine SteUe bei Menander heisst:

Wer mit dem Weibe kriegt des Weibes Geld ins Haas, Der nimmt die Frau nicht, nein, er giebt sich selber hin. Eine Stelle aus dem verloren gegangenen Trauerspiel des Euripides „Phaeton« lautet:

Und ob auch frei, der ist ein Sklav des Ehgemahls, Der um die Mitgift hingegeben hat den Leib (Nauck 772). II, 23, 9 V. 8. oros f^ Tiil^rixoig, d. h. der Esel unter den Affen, das soll wohl heissen der Ausbund von Dummheit, Hässlichkeit und Fratzenhaftigkeit. Vielleicht dürfte jene ähnliche, launige Bemerkung aus dem bekannten münchener Witzblatt „Fliegende Blätter*' hier am Platze sein, wo einmal gesagt war: „Unter den Thieren ist der Esel der grösste Ochse.«

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n. Buch, 23. Cap., § 10—12. (US)

10. Bei Gaecilius lautet die betreffende Stelle folgendennassen:

Erbännlich, wer vor der Welt seinen Kummer zu bergen nimmer die

Macht hat, Meines Weibes Gestalt, ihr Benehmen machet, dass solch ein Loos

ich ertrage. Kein Wort verlier* ich darob, offenkundig ja isf s. Nimmst aus du

die Mitgift, Du bei ihr nur findest, was nimmer du suchst Doch wer klug ist,

lernet durch mich jetzt, 5. Der in Feindes Hand, als Freier, Sklavendienst

Verrichten muss, ist Stadt und Burg auch frei noch. Nun heisst's, man beraubte mich nur meiner Lust zur Erhaltung

meiner Gesundheit Indess ihren Tod ich ersehn', erschein' ich mir selbst ein Todter

im Leben. Ihr Vorwurf lautet, ich hätte es heimlich mit meiner Sklavin ge- halten;

10. Mit Thr&nen und Bitten und Drängen und Schelten ganz unaufhörlich

betäubet Musst' ich diese verkaufen. Nun hör' ich im Geiste, Wie mein Weib bei ihren Klatschen, ihren Basen jetzt sich rühmet : W^er unter Euch hat wohl in üpp'ger Jugend So vieles schon erwirket vom Ehegemahl sich, 15. Wie ich als alte Frau mir erzwang, zu entlassen heute sein Kebsweib? So im Klatschkranz jetzo gewiss es hetsst und ich Aermster bilde das Stichblatt

11. Allein ausser der äussern und innern Anmuth (ausser dem Reiz im Ausdruck der Schreibweise, wie in der Gedanken- fülle), welche in beiden Werken durchaus nicht im Vergleich zu einander steht, will ich die Aufmerksamkeit nur auf den Umstand hinlenken, dass Gaecilius vor Allem die einfach hübschen, geeigneten, witzigen Stellen und Gedanken, die er im Menander vorfand, nicht einmal, wie es ihm doch ein Leichtes hätte sein können, versucht hat, ganz wörtlich wie- derzugeben, 12. sondern sie gleichsam, als durchaus nicht seines Beifalls würdig, übergangen und dafj^r unbegreiflicher Weise allerhand possenhafte Uebertreibungen eingeflickt hat. So begreife icfi auch nicht, warum er jene so berühmte, ein-

II, 28, 12. 8. Mommsen R. G. I, p. 898. "EnUktiQogy Erbtochter, hiess das ftltemlose M&dchen in Athen, welches keine Brüder hatte, so dass ihr allein das Vermögen der Aeltem zufiel. Vergl. Schollen zu Aristoph. Wespen. 588.

Cell ins, Attidohe Nficlit«, 10 ^ j

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(146) n. Buch, 23. Cap., § 12—18.

fach wahre, feine und ei-götzliche , mitten aus dem mensch- liehen Leben herausgegriflfene Schilderung Menanders sich hat entgehen lassen können. Derselbe verehelichte Greis nämlich, im Zwiegespräch mit seinem Nachbar, einem andern alten Manne, (klagt diesem seine bittere Noth und) bricht in Verwünschungen aus über den Hochmuth seines stolzen, auf ihre grosse Mitgift pochenden Weibes und sagt da:

A. Ich freite die reiche Erbin Lamia, Du weisst Es doch? B. Ja freilich. A. Sie, der dieses Haus gehört Und die Felder und alles Andre hier umher, sie dünkt, Gott weiss es! von allem Ungemach das ärgste uns; Zur Last ist sie AU' und Jedem, nicht blos mir allein.

Dem Sohn auch und gar der Tochter. B. Allerdings, ich weiss, So ist es (und lässt leider sich nicht ändern mehr).

13. Dem Caecilius war es bei üebertragung derselben Stelle mehr ums Possenhafte und Lächerliche zu thun, als um eine Behandlung und Darstellung, wie sie der Rolle des Betreffen- den schicklich angemessen war. Aus dieser einfachen me- nander'schen, von jihm vollständig vergriflFenen Stelle ist bei ihm folgender „Flegeldialog^ entstanden:

B, Deine Frau ist also zänkisch, nicht? A. Ei schweig' davon! B. Wie so ? A. Ich mag nichts davon hören. Komm' ich Dir etwa Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie mir Einen nUchtemen Kuss. B. Ei nun mit dem Kusse triftt sie's schon; Ausspeien sollst Du, meint sie, was Du auswärts trankst.

14. Darüber ist wohl Niemand im Unklaren, was man weiter noch von jener Stelle, die ebenfalls in beiden Lustspielen vorkommt, zu halten habe und deren Sinn folgender ist:

15. Die Tochter eines armen Mannes wurde bei einer Kacht- feierlichkeit verführt und entehrt. 16. Diese Angelegenheit blieb dem Vater verborgen und die Tochter wurde (nach wie vor) für eine reine Jungfrau gehalten. 17. In Folge dieser Entehrung schwanger geworden, erschien endlich nach Ablauf der bestimmten Monate die Zeit der Niederkunft. 18. Ein gutmüthig treuherziger Diener, als er draussen vor dem Hause stand, und keine Ahnung hatte, dass der Tochter vom Hause eine Niederkunft bevorstehe, oder überhaupt nicht an die Möglichkeit dachte, dass ihr eine Entehrung könne angethan worden sein, hört das Stöhnen und Jammern des in den höchsten (heftigsten) Wehen liegenden Mädchens. In seiner

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n. Buch, 23. Cap., § 18—22. 24. Cap., § 1. (147)

Seele wechseln Gefühle von Furcht, Zorn, Verdacht, Mitleid und Bedauern. 19. Alle diese Innern Bewegungen und Er- regungen sind nun zwai* in dem griechischen Lustspiele be- wundernswürdig und mit den lebhaftesten Farben geschildert ; bei Gaecilius aber klingt die Stelle matt und entbehrt voll- ständig aller Würde und Anmuth im Ausdruck. 20. Als dieser Diener nach vielem Hin- und Herfragen endlich hinter den wahren Sachverhalt gekommen war, bricht er bei Menander in folgende Worte aus:

0 dreifach unglückselig ist, wer mittellos

Noch Kinder zeugt, ohne Eückenhalt vor Dürftigkeit,

Vor Ungemach bei dieses Seins ZufUli^eit

Ist der, vermag durch Geld dies auszugleichen nicht;

Des Lebens Stürmen, dem Elend immer blos gestellt

Lebt er bedrängt, allerhand Betr&bniss im Geleit,

Sein einzig Theil; allen Glückseinflusses stets nur bar.

um Einen besorgt, seien alle Andern mit verwarnt.

21. Wir wollen nun einmal Betrachtungen anstellen, ob Gae- cilius sich hat begeistern lassen und jenem natürlichen und wahren Gedankenaustausch wohl nahe gekommen sein mag. Es folgen hier die bezüglichen Verse des Gaecilius, der die menander'schen Gedanken eigentlich nur verstümmelt wieder- giebt und uns ein Wortflickwerk von wahrer TrauAspiel- schwOlstigkeit liefert:

Ein Armer ist nun gar ein unbeglückter Mann,

Der in Entbehrung seine Kinder auferziehc,

Bei dem es zu Tag liegt, wie's um Glück und Gut bestellt.

Dem Reichen deckt sein Anhang bald die Nachred' zu.

22. Jedoch, wie ich schon oben bemerkte, wenn ich des Gae- cUius Worte ohne Beziehung und Vergleichung durchgehe, erscheinen sie mir keineswegs unangenehm und kraftlos, wenn ich aber das griechische Original zum Vergleich dagegen halte, bin ich der Ansicht, dass Gaecilius. bei dem Gefühl der Unmöglichkeit es erreichen zu können, eine Nachahmung überhaupt hätte unterlassen sollen.

II, 24, L. Ueber die (Massigkeit und) Sparsamkeit der Alten und über die darauf bezäglichen alten Aufwandsgesetze.

n, 24. Gap. 1. Das Einhalten der Sparsamkeit und Einfachheit bei der Nahrungsweise und bei den Tafelfreuden

n, 24, 1. S. Val. Maxim. IT, 5 und lU, 3 u. 4.

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(148) IL Buch, 24. Cap., § 1 3.

wurde bei den alten Römern nicht allein im häuslichen Fa- milienkreise durch eine regelmässige Beobachtung überwacht, sondeiTi auch durch Achtsamkeit und durch besondere ver- schärfte Verordnungen mehrerer gesetzlicher Bestimmungen in Bezug auf .das öffentliche Leben streng beaufeichtigt. 2. Ich las gerade neulich in des Capito Atejus „allerlei ge- sammelten Bemerkungen (conjectaneis)" einen alten Senats- beschluss, unter dem Cousulat des Gn. Fannius und M. Valerius Messala (159 v. Chr;) abgefasst, worin an die Vor- nehmsten der Stadt, welche bei den megalensischen Spielen nach altem Herkommen abwechselnde Kränzchen geben, d. h. durch Abhalten und Veranstaltung von Schmausse- reien sich gegenseitig bewirtheten, der strenge Befehl ergeht, dass sie vor den Consuln einen Eid , nach einer feierlichen, eigens dazu abgefassten Vorschrift, ablegen mussten, sich nicht einfallen lassen zu wollen, auf jede einzelne Mahlzeit mehr Kosten zu verwenden, als 100 Asse, ausser dem Gemüse, Brod und Wein und dass sie nicht einen fremden (Wein), sondern einheimischen auf die Tafel bringen lassen, und dem Gewicht nach, nie mehr als 100 Pfund Silbergeschirr bei den Tafelfreuden verwenden wollten. 3. Allein nach diesem Senats- beschluss wurde noch die fannische Verordnung erlassen,

II, 24, 2. 100 Pfund Sübergeschirr; vergl. Gell. IV, 8, 7: XVII, 21, 39 argentum factum.

II, 24, 2 und 15. Ueber die Schriften des Capito vergl. Teuffels Gesch. der röm. Lit. 260, 4.

II, 24, 2. C. Fannius Strabo, war ein Schüler des Stoikers Pa- naetius, schrieb historische Jahrbücher. Cic. de Or. II, 67, 270. Ueber die megalensischen Spiele siehe Anmerkung von § 3 dieses Capitels. Cfr. Athenaeus VI, 274 C; Plin. 10, 50; Macrob. Sat. H, 9 u, H, 18.

n, 24, 3. Der Luxus, der seit den Eroberungen in Asien überhaupt in allen Lebensverhältnissen Eingang gefunden hatte, war auch durch Un- geheuern Aufwand in der Ausschmückung der Speisesäle, durch die Pracht der Geräthschaften, durch die Mannigfedtigkeit, Kostbarkeit und Seltenheit der Speisen hervorgetreten. Eine Reihe von Gesetzen (leges sumptua- riae) gegen das üebermass des Aufwandes konnte dem Uebel ebensowenig steuern, als die Strenge der Censoren oder der Aedilen. Am ältesten sind die Gesetze, welche den Aufwand bei Leichenbegängnissen verboten, wie die Lex Numae und viele andere Verordnungen in den XII Tafeln, Cic. legg. n, 23; die erste eigentliche lex sumptuaria war die lex Oppia, (539) 215 v. Chr., gegen den Luxus der Frauen gerichtet. Liv. 34, 1 8,

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U. Buch, 24 Cap., § 3. (149)

welche gestattete, dass an den römischen Spielen, eben- so an den plebejischen, an den saturnalischen und auch noch an einigen andern Festtagen für jeden einzelnen

Tac Ann. 3, 88. Die andern beschränken fast ausschliesslich den Tafel- luxns, wie die lex Orchia, 183 v. Chr., über .die Zahl der Gäste, cfr. Macrob. 8, 17; dann die £hmeuerung dieses Gesetzes durch die lex Fannia, 161 v. Chr., das Verbot gewisser Speisen und Bestimmung einer Norm für Tafelaufwand an Festtagen. Cfr. Gell. XX, 1, 23; Suet Jul. Caes. 43; Plin. 10, 50; Athen, deipn. VI, extr. p. 274. Die lex Didia, 148 V. Chr., dehnte das Torige Gesetz auf alle römischen Bürger in Italien aus, und die lexLicinia, 100 v. Chr., war eine wesentliche Wiederholung der lex Fannia und bestimmte die Ausgaben bei Hochzeitsmahlen, (hier Gell. II, 24, 7). Darauf folgte die lex Cornelia SuUa's, 81 v. Chr., als Verschärfung der früheren Gesetze ; sie gab zugleich eine sehr billige Taxe der gewöhnlichen Lebensmittel. Cic ad Fam. VII, 26, 5; IX, 15, 14; Macrob. 2, 18. Darauf folgte die lex Aemilia, von dem Consul M. Aemilius Lepidus gegeben« Am umfassendsten war die Lex Julia, von Caesar gegeben, eine Beschränkung von allem unnützen Luxus. Es folgte noch eine zweite lex Julia von Augustus, welche die alte Ein- fachheit zurückführen sollte, aber natürlich ohne Erfolg. Cfr. Tac. Ann. 8, 52 u. s. w.

n, 24, 3. Ludi megalenses, wurden zu Ehren der Cybele, der grossen Mutter der Götter (fjuirriQ, fttyiilrj t^^n) im April einige Tage vor den Cereaüen (s. Gell. XVIII, 2, 11) abgehalten, wobei die Vornehmen sich beschenkten und zu Gaste luden. Wie die megalesischen Festtage den Vornehmem zu Schmaussereien dienten, so gaben die sechstägigen cereali sehen Feste, welche man 'ebenficdls im April nach den "me- galesischen veranstaltete zur Verehrung der Ceres, der ländlichen Gottheit, als der Beschützerin der Früchte, den niederen Ständen auch Gelegenheit zu festlichen Gastereien. Ludi plebeji waren eingesetzt worden ent- weder nach Vertreibung der Könige, oder nach Wiederherstellung der Eintracht zwischen den Patriciem, als das Volk auf den heiligen (aven- tinischen) Berg ausgezogen war. Ludi Romani oder magni, die römi- schen, grossen Spiele wurden vom 4.— 14. September im Circus zu Ehren der grossen Götter Jupiter, Juno und Miherva zum Heil des ganzen Volks feierlich begangen. Saturn alia (bei den Griechen Kronia) wurden im Monat December mehrere Tage lang in Rom nach vollendeter Ernte ge- feiert, zu Ehren des goldenen S^eitalters unter der Regierung des Saturnus {K(}6rog von xquvm, xQafviü^ zeitige, ursprünglich wahrscheinlich ein Gott des Feldbaues). An diesem Tage Hess man jede Arbeit ruhen, gab sich der ausgelassensten Lust hin, um sich so die goldenen Tage jener Zeit zu vergegenwärtigen. Man schmausste, spielte, beschenkte sich und bewirthete sogar die Sklaven bei Tische, zum Zeichen, dass unter der Regienmg des Saturnus keine Standesunterschiede stattfanden.

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(150) n. Buch, 24. Cap., § 3—9.

Tag 100 As duiften aufgewendet werden, dann an 10 andern Tagen jedes einzelnen Monats 30, an allen übrigen Tagen aber nur 10. 4. Auf dieses Gesetz spielt der Dichter Lucilius an, wenn er (scherzhafter Weise) sagt: „(Fanni centussis misellus, d. h.) des Fannius ärmlich elende Hundertasse. "^ 5. Durch diese Stelle veranlasst, liessen sich einige Verfasser von Erklärungsschriften zu des Lucilius Werken zu der irrigen Ansicht verleiten, nach dem fannischen Gesetze seien über- haupt im Allgemeinen auf jeden Tag 100 As zur Ausgabe bestimmt gewesen, 6. während doch Fannius, wie ich schon oben einmal erwähnte, diese Summe von 100 As nur für ge- wisse Feiertage bestimmte, wobei er diese Tage ausdrückUch in seinem Gesetze namhaft gemacht hatte, während er die Ausgaben an allen andern (Werk-) Tagen für jeden einzelnen Tag, einmal auf 80, ein andermal auf nur 20 einschränkte. 7. Späterhin kam auch noch das licinische Gesetz zum Austrag, welches, obgleich es wie das fannische Gesetz, für gewisse bestimmte Tage einen Aufwand von 100 As zuliess, bei einer Hochzeitsfeierlichkeit 200 bewilligte, an den übrigen Tagen 30 As zur Verausgabung festsetzte. Obgleich dies Gesetz nun das bestimmte Gewicht des zu verbrauchenden rohen (ge- räucherten) Fleisches oder des Eingesalzenen bestimmt angabt gestand es ohne Unterschied und ohne jede nähere Bestimmung den willkürlichen Gebrauch aller der Erzeugnisse vom eigenen Boden (e terra, Acker), vom Stock (e vite, Weinberg) und Baum (e arbore, Obstgarten) zu (d. h. von allen Früchten der Erde). 8. Der Dichter Laevius gedenkt dieser Verordnung in seinen Liebesscherzen (Erotopaegniis). 9. Die Stelle des Laevius, worin er darauf hindeutet, dass man den Bock wieder zurückschickte und freigab , der für die Tafel bestimmt und herbeigebi-acht worden war, so dass die ausgerichtete Mahl-

n, 24, 4. Centussis s. Varro 1. 1. V, 36, 169 L; IX, 49, 84; Pers. V, 191; Macrob. 8. ü, 17, 5 p. 337. Jan.; cfr. GeU. XV, 19, 2.

n, 24, 7. S. Festus p. 54 unier Centenariae.

IT, 24, <S. Ton der Person des Laevius weiss man nichts« üeber seine seltsamen Wörter spricht GeU. XIX, 7, 2. Man ist ausserdem be- züglich des Namens in stetem Zweifel wegen der Variante mit dem Namen Naevius. Vergl. Bemh. röm. Lit. 43, 167 uud 9?, 431.

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II. Bach, 24. Cap., §9—14. (151)

zeit, nach der stiengen Anordnung des ]icinischeu Gesetzes, nur aus Obst und Gemüse bestanden habe, lautet also: Lex Licini introdacitur: Lux liquida haedo redditur. Lidn's Gesetz wird eingeführt: das heitre Rettung bringt dem Bock.

10. Lucilius gedenkt auch dieses Gesetzes in folgender Stelle :

Legem vitemns Licini, d. h. Lasst aus mich mit Licin's Gesetz.

11. Später als diese gesetzlichen Bestimmungen als vermodert und veraltet in Vergessenheit gerathen waren und viele (lie- derliche Männer) bei ihren beträchtlichen Erbvermögensver- hältnissen sich der Schwelgerei ergaben und durch verschwen- derische Abend- und Mittags-Schmaussereien ohne Ende all' ihr Hab und Gut verprassten, stellte der Dictator L. Sulla einen Antrag ans Volk , wodurch vorgesehen wurde, dass es recht und erlaubt sein sollte, an den ersten Tagen des Monats, an den Iden, an den Nonen, an den Spieltagen, an geweihten feierlichen Festtagen 300 Sesterzien auf eine Mahlzeit zu ver- wenden, an allen übrigen Tagen aber nicht mehr als 30.

12. Ausser diesen Verordnungen findet sich auch noch des Aemilius Gesetz vor, wonach nicht sowohl die Aufwandssumme beim Gastmahl, sondern nur die Art und Menge der Speisen festgestellt wurde. 13. Femer brachte das antische Gesetz (680 u. c. von Antius Restio gegeben) ausser der Bestimmung des Geldkostenpunktes auch noch eine strenge Verordnung, dass eine Magistratsperson, oder überhaupt eine Person, die Aussicht auf ein solches Amt hatte, nur zu gewissen Personen zu Tische gehen durfte. 14. Endlich kam unter der Regierung des Caesar Augustus auch noch dasjulischc Gesetz beim

II, 24, 11. S. Macrob. Sat. ID, 17, 11. [ü, 13, 11].

II, 24, 12. Die consularische lex Aemilia sumptuaria des M. Ae- milius Scaurus (639; 115) enthielt genauere Vorschriften Über die Speisen. Plin. 8, 57, 82, 223; Aurel. Vict vir. ill. 72. Lange röm. Alterth. § 132 S. (570) 624.

n, 24, 13. S. Macrob. II, 13 III, 17 ed. Jan. Lex Antia, wenige Jahre gleich nach der aemilischen vom Antius Restio gegeben, der, selbst aus Furcht sein eigenes Gesetz zu übertreten, hernach niemals ausser Hause zu speisen pflegte^

II, 24, 14. Repotia, das nach der Hochzeitsfeier am folgenden Abend von den Neuvermählten gegebene Gastmahl. S. Festus 281, 3;

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(152) n. Buch, 24. Cap^ § 14. 15. 25. Cap., § 1. 2.

Volke zum Austrag, wonach nun zwar an den gewöhnlichen Werktagen 200 Sesterzien festgesetzt wurden, an den Monats- ersten (Kaienden), an den Iden, an den Nonen und an einigen andern Festtagen 300, an Hochzeitsfesten und deren Nach- feier (repotiis) aber 1000 Sesterzien. 15. Femer sagtCapito Atejus, dasses auch noch eine (zweite juli sehe) Verordnung gebe, bei der ich mich nicht ganz genau erinnern kann, ob sie vom erhabenen Augustus, oder vom Tiberius Caesar her- rührt. Nach dieser Verordnung nun aber wurde der Aufwand fär die Mahlzeiten an feierlichen Tagen von 300 Sesterzien bis zu 2000 erweitei-t, um wenigstens durch diese (etwas er- weiterte Aufwands-) Bestimmung die übertolle Verschwen- dungswuth in Schranken zu halten.

II» 25, L. Was die Griechen verstanden unter dem Begriff dvaXoyta (Analogia) und was sie dagegen verstanden unter drtouaKa (Anomalia).

II, 25. Gap. 1. Einige waren der Ansicht, man müsse im Lateinischen, wie im Giiechischen bei der Veränderung und Abbeagung der Wörter nach der avaloyia sich richten (d. h. nach einem bei der Woi-tabbeugung vorgeschriebenen, massgebenden, sich immer gleichbleibenden Gesetze). Andere hingegen meinten, man habe sich nach der avofxaXia zu richten (d. h. nach dem Ausnahmeverhältniss von der gegebenen Vorschrift). 2. avaloyia nennt man die durch Zusammen- stellung gleichartiger Wörter aufgefundene und für diese auf-

Horat. Sat. II, 2, 60; Auson. Epist 9, 50; Symmach. Ep. 7, 19. Festus erklärt den Ausdruck durch: quia quasi reficitur potatio. lieber lex Julia (sumptuaria) vergl. Sueton Aug. 34, 40; Flor. IV, 12, 65.

II, 2'>, L. Merklinus totam hanc disputationem ex Nigidio § 31 demum laudato sumptam esse censet p. 677; cfr. Becker zu Isidorus de nat rerum S. XVUI f.

II, 25, 1. Analogia, d. h. gleichartige Uebereinstimmung eines Wortes mit gleichartigen andern Wörtern in Betracht ihrer Veränderung und Ab- leitung nach gewöhnlich gegebenen Regeln und Vorschriften (paradig- matibus), also: stilistische Einheit Anomalia d. h. Abweichung von den gegebenen Vorschriften, also : subjective Syntax. Aufs Recht bezüglich sagt Savigny r. R. I, 291: Das Verhältniss gewisser gefundener Rechtssätze zu dem positiven Recht nennen wir Analogie (Normalrecht, Naturrecht). In diesem Sinne nahmen die Römer den Ausdruck. Vairo de 1. 1. 10 (9), 3—6; Quinct. I, 6; Isidor. I, 27. Vorzüglich erklärt das eigentliche Wesen der Analogie sehr gut Stahl, Philosophie des Rechts II, 1 p. 166.

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IL Buch, 25. Cap., §2-6. (153)

gestellte gleichmässige Abbeugungsvorschrift. Diese mass- gebende Bestimmung bei Zusammenstellung von Gleichartigem bezeichnet man mit dem lateinischen Ausdruck: proportio (Gleicliförmigkeit). 3. avco/naXia heisst die Ungleichformigkeit in Abbeugung der Wörter, welche (ohne alle weitere Prüfung) sich nur nach dem Herkommen richtet. 4. Von den beiden berühmten griechischen Grammatikern hat der Eine, Aristarch, mit höchstem Eifer die avaloyicc (Gleichmässigkeit) vertheidi^t, der Andere, Krates, die avioiiaXia (das Ausnahmeverhältniss oder die Unregelmässigkeit). 5. Im 8. Buche seines an Cicero gerichteten Werkes über die lateinische Sprache lehrt uns M. Varro, dass man von der Beobachtung einer Regel bei gleichaiijgen Wörtern ganz abzusehn habe und zeigt uns klar und deutlich, dass er nur die unbedingte Herrschaft des Sprachgebrauchs (mit allen Willkürlichkeiten und Zufällig- keiten) anerkannt wissen will. . 6. Dazu führt er beispielsweise folgende, bei uns in Gebrauch stehende Wörter an und zeigt uns, wie wir zwar lupus (Wolf) in lupi, probus (rechtschaifen) in probi abbeugen, allein bei lepus (Hase) lep(5ris sagen; so auch von paro (bereite, das Perfectum) paravi, aber von lavo (wasche), lavi, so von pungo (steche), pupugi und von tundo

II, 25, 4. Aristarchos von Samothrake, berühmt als Gramma- tiker und Kritiker, lehrte und lebte (um 170) zu Alexandrien unter Ptole- maeoB Philopator und erkl&rte griechische Dichter, wie Homer, Pindar, Aristophanes, die Tragiker u. s. w., wozu er nach Suidas gegen 800 Com- mentare veriasst hat. Das grösste Verdienst hat er um die Erklärung des Homer, dem er die gegenwärtig gültige Textgestalt verlieh. Gegen ihn erhob sich Krates von Mallos, von der pergamenischen Schule. Die Namen des Aristarchos und Krates, welche Gellius dem Varro verdankt, lesen wir noch bei Varro L. L. VIII, 63 u. 68. Merklin.

II, 25, 4. Kr a t c s a u s M a 1 1 o 8 , Zeitgenosse und Gegner des berühmten Aristarch, Stifter einer Schule der Grammatik zu Pergamus, stand im Betreff natürlicher Anlagen, des feinen Geschmacks und der kritischen Schärfe unter seinem Gegner Aristarch. Als Gesandter des Königs Attalus erwarb sich Krates den Ruhm, das Studium der griechischen Literatur und Grammatik in Rom eingeführt zu haben. Seine Reden, welche er an eine grosse Zahl von Zuhörern richtete, die sicu um sein Bett zu versammeln pflegten, an das ihn ein Beinbruch fesselte, weckten den Geschmack der Römer für die Literatur.

II, 25, 5. Varro schrieb de lingua latina ad Ciceronem und de ser- mone latino ad Marcel I um.

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(154) II. Buch, 25. Cap., § 7—11. 26. Cap., § 1.

(stosse) tutudi, allein von pingo (male), pinxi bilden. 7. Und er fährt fort: dasselbe gilt, wenn wir non coeno (ich speise zu Mittag), prandeo (frfthstücke) und poto (trinke), im Per- fectum eine Passivform annehmen und sagen coenatus sum, pransus sum und potus sum (ich habe mich gesättigt mit Speise und Trank) und doch auch von destringor (abstreifen), extergeor (abwischen), lavor (waschen) sagen : destrinxi, extersi und lavi. 8. Ebenso, wenn wir von den Wörtern: Oscus, Tuscus, Graecus die Adverbia bilden, sagen wir: Osce, Tusce, Graece, hingegen von Gallus und Maurus lassen wir die Ad- verbia: Gallice, Maurice lauten. Ebenso von probus, probe, von doctus, docte, allein von rarus (selten) wird als Adverbial- form nicht rare gebraucht, sondern Einige sagen: raro, Andere rarenter. 9. Femer, fährt Varro in demselben Werke fort, gebraucht man nie die Form sentior, die an und fQr sich nichts bedeuten würde, und dennoch sagen fast Alle in der Zusammensetzung f assentier (ich stimme bei). Sisenna war der Einzige, der sich in einer SenatsversammluDg des Aus- drucks assentio bediente und ihm folgten nachher hierin Viele nach (die das Wort wieder anzubringen und einzuführen suchten), konnten aber mit dem besten Willen keine Ab- änderung des herkömmlichen Gebrauchs von der Form „assen- tier" durchsetzen. 10. Derselbe Varro nun aber hat in andern Werken vieles zum Schutz und zur Vertheidigung der ava- Xoyla geschrieben. 11. Im Bausch und Bogen sind also die von ihm angeführten und abgehandelten Stellen gleichsam als ganz allgemein gehalten zu betrachten, die bald für und bald auch gegen die avaXoyia sprechen.

II, 26, L. Unterhaltung des Fronto mit dem Philosophen Favorin über die verschiedenen Arten der Farben und deren Benennnngen bei Römern und Griechen, und ferner, welcher Art die mit dem Namen „spadix** bezeichnete

Farbe sei«

II, 26. Cap. 1. Als der Philosoph Favorinus sich (eines

II, 25, 9. L. Cornelias Sisenna capricirte sich auf archaistische Ausdrücke. S. Teuffels Gesch. der röm. Lit. 158, 8; cfr. Gell. XII, 15, 2.

n, 26, L. Stieglitz, über die Malerfarben der Griechen, Leipzig 1817. Vergl. Böttgers Archaeologie der Malerei S. 81 f., 88 f.; auch Aristot. schrieb „über die Farben^.

n, 26, 1. M. Cornelius Fronto, miter Doniitian und Nerva zu

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IL Buch, 26. Gap., § 1—5. (155)

Tages) auf dem Wege befand, dem früheren Consul M. Fronto, der eben an einem Fussgicht-Anüall (Podagra) krank daiiüeder lag, einen Besuch abzustatten, wünschte er, dass (auch) ich mit (zu dem Kranken) hingehen möchte; 2. und da nun hier in Gegenwart vieler Gelehrten eine Untersuchung über Farben und deren Benennungen stattfand (und dabei zufällig die Be- merkung fiel), dass die Erscheinung der Farben (-Abstufungen zwar) eine sehr mannigfaltige sei, die Anzahl ihrer Bezeichnungen aber unbestimmt, dürftig und unzureichend wären, 3. sagte Favorin: „Für die Empfindungen der Augen (d. h. für den Gesichtssinn) giebt es weit mehr Unterschiede der Farben, als wir in der Sprache Ausdrücke und Bezeichnungen dafür haben. 4. Denn um andere feine (harmonisch kunstgerechte) Farbenmischungen (concinnitates) unerwähnt zu lassen, so haben (beispielsweise) jene (beiden) einfachen Farben Roth und Grün, nur diesen einen Namen, aber viele verschiedene (Abstufungen und) Töne. 5. Und diesen Mangel an besonderen

Cirta in Africa geboren, nennt er unter seinen Lehrern die Rhetoren AthenodotoB and Dionysius Tenuior. Als Lehrer der Beredtsamkeit and als Sachwalter gewann er zu Rom grosses Ansehen und die besondere Gunst Hadrians und des Antoninus Plus, so dass ihm die Erziehung der kaiserlichen Prinzen des M. Aurel und des L. Verus anvertraut wurde. Er erwarb sich durch rhetorischen Unterricht grosse Schätze, so dasa er «den Park des Maecenas kaufen konnte. Seine Kränklichkeit und viele Unglücksfälle in der Familie, da er bis auf eine Tochter, beine noch an- dern fünf Kinder durch den Tod einbüsste, verbitterten ihm seine besten Lebensjahre. Er starb ohngefähr gegen 170 n. Chr. Geb. und genoss bei seinen Zeitgenossen einen grossen Ruf, dem jedoch die im Jahre 1815 in Mailand durch Cardinal Meius entdeckten Schriften dieses Mannes nicht entsprechen, welche sowohl Dürftigkeit des Gehalts, wie Beschränktheit des ürtheils bekunden. Die Schrift „exempla elocutionum*' oder „de differentiis vocabularum^ gehört dem späteren Grammatiker Arusianus Messius an. Vergl. Teuffels röm. Lit. 9, 851 u. 352.

II, 26, 1. Für eine nachträgliche Vertheilung, Anordnung und In- Bcenirung des Materials in diesem Werke des Gellius spricht dieser Ab- schnitt recht deutlich, da hier offenbar die 2^itreihenfolge ganz ausser Acht gelassen wurde, und Gellius aber einen Vortrag des Fronto Bericht erstattet, dem er im reiferen Alter mit beiwohnte; hingegen später in seinem Werke (XX, 6) aber einen Vortrag des Sulpicius Apollinaris spricht, den er noch als junger Mensch mit anhörte. S. Theod. Vogel: de AuL Gellii vita, studiis, scriptis narratio et Judicium, p. 9.

II, 26, «. Ebenso Göthe in beifolgendem Citate.

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(156) n. Buch, 26. Cap., § 5-8.

Benennungen dafür fühle ich mehr in der lateinischen, als in der griechischen Sprache hervortreten. So hat zwar die rothe Farbe ihren Namen von der Eöthe (rubus color a nibore), allein obgleich nun die Röthe eine verschiedene ist beim Feuer, beim Blute, beim Purpur, beim Safran, so deutet trotzdem die lateinische Sprache diese einzelnen Vei-schieden- heiten (des Rothen und der Röthe) nicht durch einzelne und besondere Ausdrücke an, sondern bezeichnet alle nur mit dem einen Namen: „Röthe (ruber)*', während sie allerdings zur näheren Bezeichnung der (Unterschiedsstufen bei den) Farben von den einzelnen Gegenständen Eigenschaftswörter entlehnt und von feuer-, gluth-, blut-, safran-, purpur- und gold- farbigen Dingen spricht. 6. Denn die Farbennamen „rusus'^ und „ruber" unterscheiden sich nicht (sehr) von dem Worte „rufus"* (in der Angabe des Farbentons) und erklären auch nicht alle Eigenheiten (und Einzelheiten) des Rothen er- schöpfend; dagegen scheinen die (griechischen) Ausdrücke ^avi^bg (flavus, goldgelb), iQv&Qog (ruber, dunkelroth), Trv^^bg (igneus, feuerroth), m^^og (gelb) und (polri^ (purpurroth) einige Abstufungen der rothen Farbe (mehr) zu enthalten, indem sie dieselbe (intensiv) entweder erhöhen und verstärken, oder mildem und abschwächen, oder überhaupt in irgend einem Mischverhältniss erscheinen lassen. 7. Darauf sagte^ Fronte zu Favorin: Ich will nicht in Abrede stellen, dass die* griechische Sprache, die Du Dir (aus besonderer Vorliebe als Lieblingssprache) auserkoren zu haben scheinst, ausdrucks- reicher und umfassender sei , als die unsrige ; trotzdem aber sind wir an Benennungen gerade für eben die von Dir er- wähnten (beiden) Farben doch nicht ganz so arm, wie Du glaubst. 8. Denn die von Dir angeführten Wörter rusus und ruber sind keineswegs die einzigen,, womit wir das Roth (die Röthe) bezeichnen, ja wir haben sogar noch mehrere, als die von Dir angeführten griechischen; denn fulvus (rothgelb), flavus (goldgelb), rubidus .dunkelroth), poeniceus (purpurroth),

II, 26, 7. S. Gell. XIII, 25, 4: Favorin sprach und schrieb griechisch; Gell. XIV, 1, 82 : Es hatte Favorin, wie er pflegte, griechisch gesprochen, üeber Favorin s. Gell. I, 3, 27 NB.; Gell. XVI, 3, 2: Als er Vielerlei in griechischer Sprache gesagt liatte.

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IL Buch, 26. Cap., § 8—11. (157)

rutilus (feueiTOth), luteus (orangen-safran-gelb oder rosenroth), spadix (roth-castanien- braun) sind Bezeichnungen (für be- sondere Töne) in der rothen Farbe, welche dieselbe entweder steigern (und gleichsam feuriger, lebendiger erscheinen lassen), oder sie mit Grün vermischen, oder ihr durch Schwarz einen bräunlichen, oder durch frischglänzendes Weiss nach Ermessen und Massnahme (sensim) einen helleren Ton geben. 9. Unser Ausdruck poeniceus, der Deinem griechischen rpoin^ entspricht, begreift sowohl unser rutilus, als unser dem poeniceus gleich- bedeutendes und (allerdings ebenfalls) aus dem Griechischen entlehntes (und bei uns im Lateinischen ganz einheimisch gewordenes) spadix und bezeichnen beide Ausdrücke ein (volles, üppiges,) gesättigtes und ein blendendes (prächtig glänzendes) Roth, wie es die von der Sonne noch nicht ganz gereiften Früchte des Palmbaumes zeigen, von denen spadix und poeniceus ihre Namen erhielten. 10. Denn spadix ((XTrcf- (fi^ heisst in dorischer Mundart ein mit der (röthlichen) Frucht abgebrochener Palmzweig. 11. Der Ausdruck fulvus aber, eine Mischung von Roth und Grün bezeichnend, scheint an einigen Gegenständen mehr die grüne, an andern mehr die rothe Farbe vorherrschen zu lassen (habere). So nennt der in der Wahl der Wörter so h&chst genaue Dichter (Vergil) den Adler fulvus (rothgold, dunkelgelb Verg. Aen. XI, 751) und ebenso den Quarzstein (Jaspis Verg. Aen. IV, 261), die Pelzmützen (galeri Verg. Aen. VII, 688), femer das Gold

n, 26, 9. Bei Plutarch, Tischreden VIU, 4, 8 steht, dass Thesens bei Gelegenheit eines Kamp&pieles auf Delos einen von der heiligen Palme abgerissenen Zweig erhalten habe, welcher ebendaher den Namen Spadix erhielt (von ajitco), abreissen). Auch Pausanias VIII, 48 leitet daher die Gewohnheit ab, die Sieger mit Palmenzweigen zu schmücken.

II, 26, 11. Galerus s. Gell. X, 15, 32. Der Pontifex Maximus und der Jupiterpriester (flamen dialis) trugen einen, aus zottigem Schaffelle gefertigten weissen Hut (albogalerus), an dessen Spitze ein Oelzweig und ein woüener Faden befestigt war. Gfr. Serv. zu Verg. Aen. ü, 683; X, 270 und Orelli 558. (A. Forbiger.)

II, 26, 11. Durch aer (»■ nfJQ) fulva (vielleicht unser Halbdunkel) will Ennius das Homerische (II. 20, 446; Odyss. 9, 144) rj^Qn ßic&iiav aus- drucken, wie anch bei Gell. XHI, 21 (20), 14, wo sich dies wiederholt. Des Q. Ennius Annalen waren eine epische Darstellung der Geschichte Roms.

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(158) n. Buch, 26. Cap., § 11—19.

(Verg. Aen. VU, 279), dann den Sand (Verg. Aen. V, 374), endlich den Löwen (Verg. Aen. IV, 159) und so auch Q. Ennius in seinen Annalen den Dunstkreis (aer). 12. Die durch „flavus"' bezeichnete Farbe dagegen, scheint aus Grün, Roth und Weiss zusammengemischt. So werden vom Vergil die Haare (Aen. IV, 590 flaventes comae, goldgelbe Locken> und was Einige Wunder nimmt, wie ich sehe , das Laub der Oelbäume „frondes flavae** (gilblich oder Aen. V, 809, flava oliva [blass-] gelblicher Oelzweig) genannt. 13. So nannte schon frQher Pacuvius das Wasser „flava*' (aqua), den Staub aber „fulvus** (pulvis). Da seine Verse höchst anmuthig sind, vergegenwärtige ich sie mir hier sehr gern:

C^do tuum pedem mi, limphis flavis Mvum ut pulverem M4nibus Isdem, quibus Ulixi saepe pennulsi, 4bluam, Lassitudinemque minoam manuum moUitudine, d. h.

Reich' mir her Deinen Fass, dass mit gelblicher Fluth den gelben Staub

ich kann Dir abspalen mit selbigen Händen, die den Ulyss gestreichelt einst, Dass ich Erschlaffung schnell durch milde HandberQhrung lindre Dir.

14. Rubidus aber ist das dunklere, mit vielem Schwarz ge- bräunte (nachgedunkelte! Roth, 15. luteus dagegen eine mattere (dilutior, verwaschenere) rothe Farbe, wovon ihr auch ihr Name scheint zu Theil geworden zu sein. 16. Es finden sich demnach, lieber Favorin, bei den Griechen durchaus nicht mehr Namen für die Abstufungen in der rothen Farbe vor, als bei uns. 17. Doch selbst auch nicht einmal die grüne Farbe hat bei Euch mehr Bezeichnungen aufisuweisen, 18. und Vergil konnte recht wohl, als er die grünliche Farbe eines Pferdes andeuten wollte, es eher ein caeruleum (himmelblaues), als ein glaucum (graublaues) nennen; er wollte jedoch lieber ein bekannteres griechisches Wort, als ein ungewöhnliches lateinisches brauchen. 19. Unsere alten Vorfahren nannten die yXavKahtig der Griechen caecia, wie Nigidius (Figulus)

n, 26, 12. VergilB flava oliva « Aeschyl. Pers. 617. f«y*>7f niitt,- xagnog, i. e. des goldhellen Oelbaumes Frucht.

n, 26, 15. Lnteus eigentlich von lutum Gilbkraut. Allein den Worten nach scheint es fast, als ob Oellius eine Verwandtschaft zwischen lutum und dilutus annehme.

II, 26, 19. üeber P. Nigidius Figulus siehe Gell. IV, 9, 1 NB.

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II. Buch, 26. Cap., § 19—2:3 ii. Anmerk. zu Cap. ?6. (159)

sagt, von der Farbe des Himmels, als ob es gleichbedeutend wäre mit „caelia'' (die himmlische)/ 20. Als Fronte so gesprochen hatte ; überhäufte ihn Favorinus mit Lobsprüchen über eine so umfassende Sachkenntniss und so ausgewählte Äusdrucksweise und sagte (ich könnte Dir vor Freude um den Hals fallen [exosculatus], denn) „ohne Dich, ohne Dich aUein, hätte (in meinen Augen) die griechische Sprache viel- leicht einen grossen Vorsprung gehabt (vor der lateinischen); Du aber, mein verehrter Fronte, machst das (wahr), wie es in jenem Verse Homers (II. 23, 382 ohngefähr) heisst:

Und nun wärst Du voraus oder wenigstens gleich ihm gekommen. 21. (Und Favorin fuhr fort:) „Wie ich nun zwar Alles, was Du so ausserordentlich kenntnissreich vortrugst, mit Wohl- gefallen angehört habe, so aber noch ganz besonders das, was Du so ausführlich über die Mannigfaltigkeit der gelben Farbe sagtest und wodurch Du bewirktest, dass ich jetzt jene überaus reizende Stelle aus dem 14. Buche der Annalen des Ennius vollkommen verstehe , die. ich früher gar nicht verstand:

Yermnt extemplo placide mare marmore flavo, Gaemlenm spumat mare conterta rate pulsum, d. h. Alsbald fegen sie sanft das Meer anf der gelblichen Fläche, ^

BlaugrQn schäumet das Meer von unzähligen Schiffen durchrudert

22. Mir schien nämlich das blau (-grüne) Meer mit der gelben Spiegelfläche nicht recht zusammen zu passen. 23. Da aber, nach der von Dir gegebenen Erklärung, die gelbe Farbe ans Grün und Weiss gemischt ist, so hat er den Schaum des grünlichen Meeres sehr schön eine gelbliche Spiegelfläche genannt.*"

Anmerkung zu II, 20. Göthe spricht in der Gesch. der Farben- lehre (Sämmtl. Werke, Stuttgart 1840, Bd. 39, S. 45 u. ff.) aber die Namen der Farben, ihre Entstehung und Uehergänge in einander folgendermassen -. »Die Alten lassen alle Farbe aus Weiss und Schwarz, aus Licht imd Finstemiss entstehen. Sie sagen, alle Farben faUen zwischen Weiss und

II, 26, 20. Bei Homer 11. 23, 382 wird erzählt, dass, hätte nicht der zumoide Apollo dem Tyddden Diomedes beim Bosse- und Wagen-Rennen die Geisel aus der Hand geschlagen, dieser beinahe dem Pheretiaden Enmelos, dem Sohne Admets, den Vorrang abgelaufen und ihn im Preis- rennen aberholt haben wurde.

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(160) II. Buch, 26. Cap., Anmerkung.

Schwarz und seien aus diesen gemischt.*' (Ueber die Farbentheorie der Alten siehe Göthe ebendas. Bd. 99, S. 14.) „Man muss aber nicht wähnen, dass sie hierunter eine bios atomistische Mischung verstanden, ob sie sich gleich an schicklichen Orten des Wortes ^t${g bedienen, dagegen sie an den bedeutenden Stellen, wo sie eine Art Wechselwirkung beider Gegen- sätze ausdrücken wollen, das Wort xQuaig, avyxQiaig gebrauchen; so wie Fie denn überhaupt sowohl Licht imd Finstemiss, als die Farben unter einander sich temperiren lassen, wofür das Wort xtQtlvwad-iu vorkommt; wie man sich davon aus den bisher übersetzten und mitgetheUten Stellen überzeugen kann. Sie geben die Farbengeschlechter verschieden. Einige zu sieben. Andre zu zwölfen, doch ohne sie vollständig aufzuzählen. Aus der Betrachtung ihres Sprachgebrauchs, sowohl des griechischen als römischen, ergiebt sich, dass sie generelle Benennungen der Farben statt der speciellen und umgekehrt diese statt jener setzen. Ihre Farbenbenennungen sind nicht fix und genau bestimmt, sondern beweglich und schwankend, indem sie nach beiden Seiten auch von angrenzenden Farben gebraucht werden. Ihr Gelbes neigt sich einerseits ins Rothe, andererseits ins Blaue; das Blaue theils ins Grüne, theils ins Rothe; das Rothe bald ins Gelbe, bald ins Blaue; der Purpur schwebt auf der Grenze zwischen Roth und Blau und neigt sich bald zum Scharlach, bald zum Violetten. Indem die Alten auf diese Weise die Farbe als ein nicht nur an sich Bewegliches und Flüchtiges ansehen, sondern auch ein Vorgefühl der Steigerung und des Rückganges haben, so bedienen sie sich, wenn sie von den Farben reden, auch solcher Ausdrücke, welche diese Anschauung andeuten. Sie lassen das Gelbe rötheln, weil es in seiner Steigerung zum Rothen führt; oder das Rothe gelbeln, indem es sich oft zu diesem seinem Ursprünge zurück neigt. Die so specificirten Farben lassen sich nun wiederum ramificiren. Die in der Steigerung begriffene Farbe kann, auf welchem Punkte man sie festhalten will, durch ein stärkeres Licht diluirt, durch einen Schatten verfihstert, ja in sich selbst vermehrt und zusammengedrängt werden. Für die dadurch entstehenden Nuancen werden oft nur die Namen der Species, auch wohl nur das Genus überhaupt, angewendet Die gesättigten,' in sich gedrängten und noch dazu schattigen Farben werden zur Bezeich- nung des Dunkeln, Finstem, Schwarzen überhaupt gebraucht, so wie im Fall dass sie ein gedrängtes Licht zurückwerfen, für leuchtend, glänzend, weiss oder hell. Jede Farbe, welcher Art sie auch sei, kann von sich selbst eingenommen, in sich selbst vermehrt, überdrängt, gesättigt sein und wird in diesem Falle mehr oder weniger dunkel erscheinen. Die Alten nennen sie dann suasum, ntTntafi^voVj in se consumptum, plenum, satumm, xnraxog^g, meracum, axQaiov, pressum, ßaQv, adscrictum, triste, austerum, avarri^ovj amarum, nixQov^ nubilum, ttftavQov, profundum, ßal^v. Sie kann femer diluirt un4 in einer gewissen Blässe erscheinen, insofern nennt man sie dilntum, liquidum rJa^^f, pallidum ixlevxov. Bei aller Sättigung kann die Farbe dennoch von vielem Lichte strahlen und dasselbe zurückwerfen; dann nennt man sie darum, Xa/ußQov^ candidum, acutum, o{o, ezcitatnm, laetum, hilare, vegetum, floridum, tvav&^s, aySri^.

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IL Buch, 26. Cap., Anmerkong. (161)

Sämmtliche Benennungen geben die besonderen Anschauungen durch an- 4ere symbolische vermittehid wieder. Wir haben nunmehr noch die generellen Benennungen der Farbe, sammt den specifischen, die ihre Sphäre ausmachen, anzugeben. Fangen wir von der untersten Stufe an, wo das licht so alterirt erscheint, dass es die besondere Empfindung dessen, was wir Farbe nennen, erregt; so treffen wir daselbst zuerst loxifovt dami ^v&ovj femer nv^^v, dann iQv^Qov, sodann (poiVixovw, zuletzt noQfpv- ^uv an. Im gemeinen, wie im poetischen Sprachgebrauch finden wir herauf- und herabwfirts öfter ein Genus filr das andere gesetzt. Das noQfpvQovff steigt abwSrts in das dXovQyigf xvavovv, caeruleum, ylavxaVf caesinm, und echliesst sich durch dieses an das n^a^vov, porraceum, now^tff herbidum, und zuletzt an das /iliv^oy, Tiride an, das sowohl ein mit Blau vermischtes Gelb, d. i. ein Grünes, als das reine Gelb anzeigt und so das Ende des Farbenkreises mit dem Anfange verbindet und zu- schliesst Die Farbenbenennungen, welche die weiteste Sphäre haben, sind vorzüglich folgende : $av&6v geht vom Strohgelben und Hellblonden durch das Goldgelbe, Braungelbe bis ins Rothgelbe, Gelbrothe, sogar in den Scharlach. Darunter gehören als Species: cu/^oy, ^aifßivovy ar»(^^V, xir^vov, xTfivoVf fifilirovt fi^^Mip, a^TÖxqoWy ^i/^oy, nv^^ov, ;)f^t'ffO£ftJ^jr, ^UtSdig, ifXoyoiidig^ otvdidtg, xQoxoH^ig etc. Im Lateinischen: buxeum, melleum, cereum, flavum, fulvum, helvum, galbinum, aureum, croceum, igneum, luteum, melinum, gilvum, rubeum, adnstum, russum, mfum. 'EQv^qor^ rufum, welches nach Gellius das Geschlechtswort aUer rothen Farbe ist, begreift unter sich, von iav&op, nv^^ an, alles was roth ist und braun, welches zum Gelben oder Rothen neigt, bis zum Purpur. Im Lateinischen ruium, russum, rubrum, rutilum, rubicundum, spadiz, badium, ifoivixovv^ puniceum (ponceau, coquelicot, cacarat), coccineum, Scharlach, vay^vov, welches nach Plinius zwischen purpureum und coccineum liegt und wahr- scheinlich cramoisi, Garmesin ist; zuletzt purpureum noQiftvQovP, das vom Rosenrothen an durchs Blut- und Braunrothe bis ins Blaurothe alov^ii und Violette übergeht Kvaveov geht vom Hinmielblauen bis ins Dunkel- und Schwarzblaue, Violette und Violettpurpurne. Ebenso caeruleum, das sogar ins Dunkelgrüne und Blaugrüne yXavxov^ wie in das caesium, Katzengcüne übergeht Darunter Men: a€Q([ov, deQoei^^f aärium, coe- linum ovQttvoet^^gj vaxtv^ivov, femigineum, oivfonoVy hfiid^varwov^ tha- lassinum, vitreum, venetum, yXavxov, das auf dem Blaugrünen und Katzen- grünen ins blosse Grane übergeht und noch das /aooTroi^ und ravum unter sich begreift, x^^ fS^^^ &^ ^^ ^^^^^ ^^^^ ^ Gelbe, aus der andern ins Grüne. Ebenso viride, das nicht nur ins Gelbe, sondern auch ins Blaue geht Darunter &llen no^ÖBg, herbidum, nQccaivov, porraceum, aerugineum tiSJtg, tifjaQnydtvov, vitreum taarä^is^ venetum. Aus der Mischung von Schwarz und Weiss gehen nach Aristoteles und Piaton hervor: das (f^tov, welches auch fivirov erklärt wird, also Gran. Femer ntXXli^ n^Xioi, noXiog^ pullus, sowohl schwärzlich als weissUch, je nach- dem die Anforderung an das Weisse oder Schwarze gemacht wird. Femer rfif^y aschfEurben, und anoSwv, welches isabellen&rben erklilrt wird,

0 e 1 1 i a 8 , AUUche N&chte. 1 1

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(162) n. Buch, 26. Cap., Anmerkung 27. Cap., § 1. 2.

wahrscheinlich gris cendre, drückt aher auch Eselsfarbe aus, welche an den Spitzen der Haare in ein nv^^oVj mehr oder weniger Gelbbraunes^ ausläuft. Aus verbranntem Purpur und Schwarz entsteht, nach eben diesen beiden, das oQtfvtvov^ die Farbe des Rauchtopases, welches wie im La- teinischen das verwandte furvum, oft nur in der allgemeineren Bedeutung dea Schwarzen und Dunkeln gebraucht wird. In dieses, nach unsem theo- retischen Einsichten, nunmehr im Allgemeinen aufgestellte Schema lassen sich die übrigen allenfalls noch vorzufindenden Ausdrücke leicht einordnen, wobei sich mehr und melir ergeben wird, wie klar und richtig die Alten das Ausser ihnen gewahr geworden, und wie sehr, als naturgemäss, ihr Aussprechen des Erfahrenen und ihre Behandlung des Gewussten zu schätzen sei." (Vergl. auch noch Bd. 40, S. 65 ff.)

II, 27, I«. Wie Titus i^astricius über die Beschreibung urtheilt, welche Dcmosthencs von dem König Philipp und Sallast von dem Sertorius

geliefert.

II, 27. Cap. 1. Die dem Demosthenes (de cor. 67, 247) entnommene, bedeutende, merkwürdige Stelle über den (mace- donischen) König Philipp lautet so: „Ich sah nun auch, dass dieser Philipp , mit dem uns der Streit um die Gewalt und Oberherrschaft galt, sich schon hatte müssen ein Auge aus- schlagen, das Schlüsselbein brechen, eine Hand und ein Bein verstümmeln lassen, sicher auch fest entschlossen sein würde, jedes andere Glied seines Körpers, was das Schicksal ihm sonst noch zu nehmen verlangte, gern und wiUig Preis zu geben, nur um mit dem, was ihm Übrig blieb, in Ehren und Ansehn zu leben. "" 2. In der offenbar absichtlichen Nach- ahmung dieser Stelle hatSallust in seinen „Geschichtsbüchern'' über den Feldherm Sertorius folgendes Bild entworfen: „(Sertorius) wegen des grossen (wohlverdienten) Ruhmes,

n, 27, 2. Sertorius, römischer Feldherr, der dem Sulla in Spanien grossen Widerstand leistete, plebejischen Geschlechts aus Nursia im Sabiner- land, kämpfte unter Marius (102 v. Chr.) in der Schlacht bei Aquae Sextiae, wiurde 72 von einem seiner eignen Leute, dem Ueberläufer Porsenna, der sich von Pompejus hatte erkaufen lassen, verrathen und fiel bei einem Gastmahl zu Osca durch Meuchelmord. In ihm starb einer der edelsten und grössten Männer, die Rom hervorgebracht. Vergl. Gell. X, 26, 2; XV, 22; desgl. Plutarch. Sertorius; Pomp. 17; Appian. b. c. 1, 97. 107 ff.; Vell. 2, 80; Sallust. bist. 1, 55 D. Q. Sertorius hatte als Quaestor Gallicus im Anfange des Bundesgenossenkriegs dem Staat durch Aushebung von Truppen, durch Lieferung (Anfertigung) von Waffen wesentliche Dienste geleistet S. Lange röm. Alterth. § 144 p. 125.

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II. Buch, 27. Cap^ § 2—5. (163)

(welchen er als gewöhnlicher Soldat unter dem Oberbefehl des Titas Didius in Spanien durch seine, im Dienst be- wiesene, unermüdliche Thütigkeit und durch seine äusserst bedeutenden Erfolge sich erworben hatte), endlich zu einem Soldaten-Obersten erhoben, bewährte als solcher im marsischen Kriege seine Nützlichkeit und Brauchbarkeit durch Truppeii- anwerbung und Waffenankauf, und die vielen Errungenschaften, welche man seiner Führung und seinem Befehle zu verdanken hatte, wurden später erstlich wegen seiner nur niedern Herkunft, hernach durch neidische Schriftsteller verheimlicht, während er, als sein eignes lebendes Denkmal, die (stummen Munde als) beredten Zeugnisse seiner Verdienste, in den vielen Nar- ben auf der Bimst und durch den Verlust des einen Auges. an seinem Könner und seinem Gesichte offen zur Schau trug. Alle diese Verunstaltungen seines Körpers machten seinen höchsten Stolz aus und er war keineswegs darüber betrübt^ weil er das ihm Uebriggebliebene nur zu seinem hohem Ruhm sich erhalten sah." 3. Als Castricius über diese beiden Stellen sein XJrtheil abgiebt, sagt er: Ueberschreitet es nicht da^ Maass menschlicher Vernunft (und Zurechnungsfähigkeit), sich über seine körperliche Verunstaltung auch noch zu freuen? Da man doch mit dem Begrifl' «Freude" das gewisse geistige Frohlocken ausdiücken will, welches nur noch mehr vor Ent- zücken freudiger aufjauchzt nach ersehnter glücklicher Er- füllung unserer Unteniehmungen. 4. Wie viel einfacher und dem mensclilichen Denken und Empfinden angemessener sind die Worte des Demosthenes, der sich so ausdrückt: „stets bereit hinzugeben auch jedes andere Glied seines Körpers,, welches das Schicksal ihm sonst noch zu entreissen verlangeu sollte." 5. Denn durch diese Worte wird uns, wie Castricius. sagt, Philippus, nicht wie Sertorius, als ein Mann Jiingestellt^ der noch höchlichst erifreut ist über die Verstümmelung seines^ Körpers, denn so etwas ist ja, sagt er^ unwahrscheinlich und übertrieben; sondern (als ein Held) der nach Eifer undl^uhm alle Verwundungen und Verletzungen an seinem Körper ver- achtet und gering anschlägt, wenn er nur für jedes Theil

n, 27, 2. Narben, stummen Munde. Shakespeare's Jul. Caes« 111, 2^ Antomns.

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(164) n. Buch, 27. Cap., §5.-28. Cap., § 1. 2.

seines Körpers, welches er etwa dem Schicksal noch zum Opfer zu bringen haben sollte, sich nützlichen Ruhmesgewinn eintauschen kann.

lU 28, L. Das8 es noch nicht entschieden ausgemacht sei, welcher Gott- heit man bei einem Erdbeben Opfer bringen soU.

n, 28. Gap. 1. £s ist bis jetzt nicht nur für die all- gemeinen Begriffe und Vermuthungen der gewöhnlichen Leute unbekannt geblieben, was wohl die Ursache von dem Entstehen der Erdbeben sein dürfte, sondern selbst unter den philo- sophischen Zünften, die sich (doch gerade ausschliesslich nur) mit Naturkunde beschäftigen, ist man noch nicht einmal darüber ganz einig, ob die Erdbeben von den gewaltigen Windströmungen herrühren, die in den Höhlen und Klüften der Erde sich (ansammeln und), erheben, oder nach der ähn- lichen Ansicht der ältesten griechischen Schriftsteller, welche Neptun den Erderschütterer {hvoaiyaiov und aeiaix^ova) nennen , also von dem Anprall und den Strömungen der in den Erdhöhleu aufbrausenden Wasserströmung, oder ob die Ursache davon in irgend einem andern Umstand zu suchen sei, oder auf irgend eines andern Gottes Macht und Wink geschehe: das AUes ist, wie schon gesagt, selbst bis auf den heutigen Tag noch nicht so ganz unzweifelhaft ausgemacht. 2. Die alten Itömer, welche überhaupt, sowohl in allen Obliegenheiten, die das äussere Leben gebietet, als auch an <Ier Anordnung frommer Gebräuche und der aufmerksamen Verehrung der unsterblichen Götter stets mit heiligster (un- verbrüchlichster) Bedachtsamkeit festhielten, haben nun zwar auch, sobald man ein Erdbeben verspürt, oder Meldung davon erhalten hatte, deshalb sogleich die Abhaltung feierlicher (Bet- und) Fest-Tage für geboten erachtet, allein es wurde wegen der Ungewissheit der Name des Gottes, dem die Feier dieser Tage zugedacht sein sollte, bestimmt und ausdi-ücklich zu nennen, wie es sonst gewöhnlich war, wegen der Un- gewissheit unterlassen, um das Volk durch eine falsche ^^^ottesdienstliche Feier nicht schuldfällig zu machen, indem man so ja leicht die unrechte ftlr die rechte Gottheit hätte

II, 2^, 1. Sen. Quaest. nat. V, 6, 7. 8.

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n. Buch, 28. Cap., § 2—6. (165)

anfliehen (und diese letzte durch eine solche Vernachlässigung hätte erzürnen) können. 8. Hatte diese Festtage nun irgend Einer entheiligt, so dass deshalb ein Sühnopfer nöthig wurde, so brachte man das Opfer ausdrücklich mit den Worten: si deo. si deae (d. h. sei^s einem Gotte, sei's einer Göttin). Und auf die Beobachtung dieses Gebrauchs soll man in Folge einer Verordnung der Priestergilde (streng) gehalten haben, wie uns M. Varro mittheilt, weil's doch immer unentschieden blieb, theils durch welche Veranlassung, theils auf welches Geheiss dieses Gottes oder jener^ Göttin die Erderschütterung erfolgt sei. 4. Auch in Ausfindigmachung der Ursache von den Mond- und Sonnen -Finsternissen hat man sich nicht minder abgemüht. 5. M. Cato, ein Mann uns doch bekannt als ein höchst eifriger, scharfeinniger Forscher, hat über diesen Tunkt doch nur unbestimmte Begriffe gehabt und ihn nur flüchtig erwähnt. 6. Cato's eigne Worte aus dem 4. Buche seiner

n, 28, 3. Vergl. Gell I, 21, 3 NB. Unbekannte Gottheiten wurden mit der Formel angerufen: sive deus sive dea, sive femina sive mas, oder quisquis es. Vergl. Cato r. r. 139; Liv. 7, 26; Macrob. III, 9, 7. 10; Verg. IV, 577 und Serv. zu dieser Stelle; Amob. III, 8; Orelli 213ö. 218^. 2137; Macrob. UI, 8, 3; Serv. zu Verg. Aen. II, 351.

n, 28, 3. S. Plutarch, Fragen über römische Gebräuche, 61.

II, 28, 4. Schon Thaies hat die wahre Ursache der Sonnen- und Mondfinstemisse ganz richtig erkannt, und jene der Bedeckung der Sonnen- scheibe durch den Mond, wenn derselbe gerade zwischen Sonne und Erde tritt und die MQndfmsterniss der Bedeckung des Mondes durch die Erde, wenn sie sich zwischen Mond und Sonne befindet, zugeschrieben.

n, 28, 6. Vergl. Bemh. röm. Lit 33, 126 und Ribbecks Abhandluupr über „M. Porcius Cato Censorius als Schriftsteller" p. 25. Veher tabula apud pontificem maximum s. Teuffels röm. Lit § 74, 4.

n, 28, 6. In yeteribus memoriis (i. e.?) in den Annalen der Pontifices. welche als noch vorhanden erw&hnt werden von Varro V, 10 und 20 }>. 79 u. 103. Speng. und Cic de orat. II, 12, 52; de repnbl. I, 16, 25; de leg. I, 2, 6. Als vorhanden gewesen gedenken ihrer nur noch vom histo- rischen Standpunkt aus: Quinctil. X, 2; Gell. IV, 5, 6; Macrob. Sat. in, 2, extr.; Serv. zu Verg. Aen. I, 377; Paul. Diac. 126, 16; Vopisc. Tac. 1; AureL Vict de orig. g. R. 17; Diomed. p. 480 P. u. s. w. Nach der an- gegebenen SteUe des Servius bestanden diese Annalen aus 80 Büchern. Ausser dem Pontifex maximus lieferten zu |den Annalen wohl auch die übrigen Mitglieder des CoHegiums Beiträge, die dann seiner besonderen Redaction anheimgestellt waren. 8. Cic. de orat. II, 12, 51 ; de leg. 1, 2, 6 : vei^. Macrob. Sat. III, 2, 17 und Diomed. p. 480. P.

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(16Ö) ". Buch, 28. Cap., § 6. 7.-29. Gap., § 1. 2.

^Urgeschichte" lauten: „Ich mag mich nicht erst weiter schriftlich darüber verbreiten, was in dem Verzeichniss bei dem Oberpriester (in veteribus memoriis) zu lesen ist, wie oft . eine Theuerung , wie oft am Licht des Mondes oder der Sonne eine Verfinsterung, oder ein Umstand hindernd eintrat." 7. Es hat ihn offenbar nur sehr wenig gekümmert, einestheils seine Kenntnisse und Erfahrungen (scire), andern- theils seine Meinung (dicere) über die wahren Ursachen von <len Verfinsterungen der Sonne und des Mondes uns zu er- schliessen.

II, 29, L. Denkwürdige Gleichnissrede des Phrygicrs Aesop (worin Klage

über die Unzuverlüssigkeit der Menschen geführt und Jedem der Rath

ertheilt wird, sich nur auf sich selber zu verlassen).

II, 29. Cap. 1. Mit höchstem Rechte galt jener berühmte Fabeldichter Aesop ausPhrygien für einen Weisen. Weil alle seine Lehren, die nur nützMchen Rath und (freundliche) Er- mahnung bezweckten, nicht Bestimmungen und Verordnungen enthielten, die nach der gewöhnlichen Art der Philosophen in. einem strengen und gebieterischem Tone Jverfasst waren, sondern nach seiner eigenen Erfindung nur aus gefälligen und ergötzlichen Gleichnissreden bestanden, so verschaffte dadurch Aesop seinen so heilsamen und vorsorglichen Betrachtungen mit ihrem so unverkennbaren Zauberreiz Reicht Eingang in der Menschen Herzen und Gemüther. 2. Wie z. B. sein Mährchen von dem Brutnestchen eines Vögelchens uns auf eine allerliebste und angenehme Art durch einen rechtzeitigen Wink die Mahnung ans Herz legt, dass Jeder bei Betreibung (und Vollziehung) seiner Unternehmungen und Geschäfte

11,29, 1. Aesopus, der eigentliche Begründer der Fabel, lebte, nach Herodot, ohngefähr 570 v. Chr. Geb., stammte aus Phrygien, diente in seiner Jugend als Sklave, anfangs dem Athener Demarchus, dann dem Samier Xanthus und endlich dem Philosophen Jadmon, der ihm die Freiheit schenkte. £r ward von Groesus, der sich gern mit ihm unterhielt, nach Delphi geschickt] und, von den Bewohnern dieser Stadt dei' Gottes- lästerung angeschuldigt, von dem Felsen Hyampe gestürzt. S. Plutarch: Warum die Pythia ihre Orakel nicht mehr in Versen ertheile, cap. 14; über den späten Vollzug der göttlichen Strafe, cap. 12.

II, 29, 2. Vergl. Geschichte der röm. Literatur von W, S. Teuffel, § 27, 1. über Fabel.

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n. Buch, 29. Cap., § 2—10. (167)

möglichst gut thut, all seine Hoflnung und Zuversicht niemals auf eines Ändern Beistand, sondern nur allein auf sich selbst zu setzen. 3. Er beginnt sein Mährchen so: Es giebt ein kleines Vögelchen, das man insgemein Haubenlerche (cas^sita) nennt. 4. Dieses hält sich in den Saatfeldern auf, nistet daselbst fast zu eben der Zeit, zu welcher, während die Jungen schon flügge werden, die Ernte naht. 5. Eben eine solche Hauben- lerche hatte zufällig in einem schon ziemlich reifen Saatfeld genistet. Während nun also die Aehren bereits sich goldgelb färbten, waren die Jungen immer noch unbefiedeit (und daher noch nicht flügge). 6. So oft die Mutter also im Begriff stand auszufliegen, um Futter für ihre Jungen zu suchen, entfernte sie sich nie ohne vorhergegangene Mahnung, ja recht Aclit zu geben, um bei ihrer Rückkehr Alles genau berichten zu können, im Fall (während ihrer Abwesenheit) bei ihnen irgend etwas Ungewöhnliches gethan oder gesprochen werden sollte. {Sie flog aus.) 7. Darauf erscheint der Herr des Saatfeldes und sagt im lauten Gespräch zu einem (ihn begleitenden) Jüngling, seinem Sohne: Siehst Du wohl, wie Alles in herr- licher Reife steht und nichts als nur noch (fieissige) Hände (zum Abmähen) beansprucht? Deshalb mache Dich auf, so- bald morgen der Tag heraufdämmert, gehe zu unsern Freun- den, bitte sie zu kommen, uns ihre Dienste zu leihen und uns bei dem Einernten behülttich sein zu wollen. 8. Nach diesen Worten erilfemte er sich sofort wieder. Als nun die Hauben- lerche zurückkam, umlärmen die Jungen unter Zittern und Beben die Mutter und bitten sie inständig, ja doch sofoii; sich zu beeilen und sie schleunigst Alle an einen andern Aufenthalt zu bringen, denn der Herr, so erzählen sie, hat seine Freunde bitten lassen, dass sie bei Sonnenaufgang kom- men und ihm bei der Ernte behülflich sein möchten. 9. Die Mutter hiess die Jungen unbesorgt sein. Denn wenn, fuhr sie fort, der Herr seinen Freunden die Erntearbeit zuschiebt, da (hat es gute Weile und da) bleibt das Kornfeld sicher ungemäht und deshalb ist es nicht nöthig euch heute schon wegzubringen. 10. Am folgenden Tage, heisst es in der Fabel weiter, fliegt die Lerchenmutter abermals nach Futter aus. Der Herr kommt und erwartet Diejenigen, welche er hatte bitten lassen. Die Sonne brennt heiss und es geschieht nichts;

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(168) n. Buch, 29. Cap., § 10—16.

der Tag geht hin und es Hessen sich keine Freunde sehen. 11. Nun wendet sich jener abermals mit den Worten zu seinem Sohne : Diese Freunde sind Alle zusammen genommen saum- selige Menschen (rechnen wir nicht mehr auf sie). Wjr wollen daher lieber hingehen und unsere Verwandten und Verschwägerten bitten, sich morgen zu unserer Emtearbeit zeitig einzustellen. 12. Dies melden nun die erschrockenem Jungen ebenfalls gleich der Mutter (nach ihrer Zurückkunft). Allein die Mutter giebt ihnen abermals die tröstUche Antwort,, dass sie auch femer noch ohne Furcht und Soi-ge sein dürften^ denn in der Regel seien, wie gesagt, auch Verwandte und Verschwägerte nicht gleich so willfährig, dass sie ungesäumt zum Besten ihres Nächsten sich einer Arbeit unterzögen und iner an sie ergangenen Aufford erung auch gleich (gewissen- haft) nachkämen. Jetzt aber befolgt meinen Rath und merkt euch genau, was der Herr nun wohl etwa wieder sagen wird. 13. Mit Anbruch des neuen Morgens flog die Mutter wieder auf die Weide (nach Futter) aus. Die Verwandten und Ver- schwägerten erachteten sich trotz der an sie ergangenen Bitte und Einladung nicht zur Betheiligung an der Arbeit für ge- bunden. 14. Nun endlich sagte also der Vater zum Sohne: Mögen unsre Freunde sammt den Verwandten davon bleiben (valeant). Komm' (morgen) mit Tagesanbruch wieder her und bringe zwei Sicheln mit. Die eine für mich, die andre für dich und dann wollen wir morgen ganz allein mit unsem eigenen Händen das Getreide abmähen. 15. Kaum hatte die Mutter von ihren Jungen diese letzte Aeusserung des Herrn vernommen, so sagte sie: Jetzt ist es die rechte Zeit, uns nach einem andern Platze umzusehen und wegzuziehen, denn jetzt wird, nach meiner festen Ueberzeugung, zweifelsohne das vorgenommene Werk sicher ausgeführt. Denn die (pünkt- liche und gewissenhafte) Besorgung seiner Geschäfte darf man doch nur von sich selbst abhängig machen, nicht aber von der erbetenen Beihülfe Anderer erwarten. 16. Und als- bald verlegte die Haubenlerche das Nest, das Saatfeld aber

n, 29, 15. Vergl. SchiUer „Wallensteins Lager": Es tritt kein and'rer die ihn ein, Auf sich selber steht er da ganz allein.

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U. Buch, 29. Gap., § 16— 20.— 30. Cap., § 1-4. (169)

wurde von dem Herrn (nun auch wirklich) abgemäht. sl7. So aho kraitet Aesops Gleichnissrede von dem haltlosen und un- siehem Verlass auf (gute) Freunde und Verwandte. 18. Allein was bezwecken die in den so erhabenen Schriften der Philo- M^hen enthaltenen Ermahnungen und Fingerzeige weiter, als dass wir uns nur auf uns selbst verlassen sollen. 19. Alle andern Dinge aber (alle Hofihungen und Wünsche), die ausser unserer Macht und Willkür liegen, Alles das sollen wir weder als uns eigen (d. h. also nur für etwas Fremdes), noch als uns Zugehörendes (d. h. nicht für uns Bestimmtes und Be- gehrenswerthes) betrachten. 20. Diese aesopische Gleichniss* rede hat Q. Ennius in seinen Satiren sehr geschmackvoll und allerliebst in achtfbssigen Versen erzählt. Die beiden Schluss- zeilen davon, deren Wahrheit, wie ich meine, wohl verdient, dem Heiden und Gedächtniss eingeprägt zu werden, lauten also:

Eingedenk der Lehre sei, die immer dir vor Augen schweb': Nie mit dem bemühe Andre, was du selbst zu thun im Stand.

II, 30, L. Ueber die Beobachtungen von den verschiedenen Wirkungen des Siid- und Nord -Windes auf die Bewegung der Mecreswellen.

II, 30. Cap. 1. [Gelegenheit zur Beobachtung eines Unterschiedes] findet sich sehr oft bei Bewegung der Meeres- wellen, nftrolich zwischen denen , welche die Nordwinde , oder jeder aus der Himmelsgegend kommende Windstrom ver- ursachen, oder zwischen denen, welche die Süd- und Süd- Westwinde hervorbringen. 2. Denn die Fluthen, welche bei Nordwind hoch und wild sich erheben, beinihigen sich sofort und lassen nach, sobald der Wind sich gelegt, und der Wogendrang verwandelt sich in Spiegelglätte. 3. Ganz anders aber ist es, wenn die Windströmung aus Süden oder Africa kommt. Denn haben diese Winde ihr Wehen auch schon eingestellt, so beruhigen sich die aufgeschwollenen Wellen doch nicht gleich und sind sie vom Sturme auch längst un- belästigt, das Meer schlägt doch fort und fort noch seine Wellen. 4. Den Grund dieser (sonderbaren) Erscheinung

n, 30, L. Dieser Abschnitt scheint ebenfalls wie der II, 22 aus Ni- gidins entlelmt za sein. S. Mercklin p. 677.

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^170) n. Buch, 80. Cap., §4—10.

vermuthet man darin, weil die aus einem höheren Himmels- strich von Norden her wehenden Winde auf das Meer los- stürzen und gleichsam Hals über Kopf auf die bodenlose Wassertiefe loswühlen und so die Wasserfläche nicht gerade hin und her treiben, sondern sie ganz von Grund aus in Bewegung setzen, die (dann also auch nur) so lange im Wogengewühl aufwirbelt, als die Macht jener von oben her losgelassenen (und hereinbrechenden) Luftströmung anhält. 5. Hingegen die Süd- und africanischen Winde, deren Strö- mung niedriger und tiefer ist, weil sie platt von der Gegend der Mittagslinie und der Richtung der untern Erdachse her- kommen, diese Winde stossen die über den Meeresspiegel hinstreichenden Wogen mehr vorwärts, als dass sie dieselben von unten aufwühlen, und da deshalb der Wind seinen Druck auf das Wasser nicht von oben her, sondern dasselbe nur auf die entgegengesetzte Seite treibt, so dauert von den vorher- gegangenen Windstössen die Wirkung auf die Bewegung des Wassers trotzdem noch eine Weile fort, selbst wenn der Wind sich auch schon gelegt hat.*" 6. Ein nicht ganz flüchtiger Leser kann aus folgenden homerischen Stellen für unsere Behauptung ^Bestätigung finden. 7. So lautet z. B. die eine Stelle über das Wehen des Südwindes (Hom. Odyss. HI, 295) folgendermassen :

Hier treibt mächtige Wogen zum linken Geklippe der Süd hin. 8. Ueber den Boreas, den wir Aquilo (Nordwind) nennen, drückt er sich (Hom. Odyss. V, 296) dagegen anders so aus:

Aethergeboren der Nord, der mächtige Wogen herantreibt. ^. Nach seiner Ansicht werden also die en-egten Fluten wie durch einen jähen Absturz (der Luftmassen) emporgetrieben von den nördlichen Winden, die hoch vom Himmel her- kommen; von den tiefer wehenden Südwinden aber mit noch weit grösserer Gewalt aufgeregt und emporgetrieben. 10. Nämlich der griechische Ausdi-uck cjO^el bedeutet: empor- treiben und findet sich auch an einer andern Stelle (Hom. Odyss. XI, 596 = Gell. VI, 20, 5); angewendet, wo es (von Sisyphos) heisst:

W&lzet den Stein er hinauf zu der Berghöh'.

n, 30, 8. Cfr. Gell, n, 22, 16 bei Hertz gestrichen.

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IL Buch, 80. Cap., § 11. 12. (171)

11. Auch ist dies eine Bemerkung von den höchst vielseitig gebildeten Gelehrten, dass das Meer beim Wehen des West- windes graublau (glaucum et caeruleum) erscheint, bei Nord- vfind mehr dunkel und schwarz (obscurius atriusque). Und den Grund von diesem Umstand habe ich mir angemerkt, als ich einen Auszug machte aus den Büchern des Aristoteles „über schwierige und zweifelhafte Fragen" (problematls; Sect. 26, 40 = 193, wo es heisst: 12. „Warum wohl das Meer beim Wehen des Südwindes (grau-) bläulich und beim Nordvrtnd dunkel und schwarz wird? Vielleicht etwa deshalb, weil der Nordwind das Meer weniger beunruhigt? Alles aber, was ruhiger ist, scheint schwarz zu sein'').

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m. BUGE

lUy 1, L. Untersuchung der Frage, weshalb Sallnst behaupten konnte^

dass Qeiz und Habsucht nicht nur den echten Mannessinn, sondern auch

selbst den Körper entnerve.

ni, 1. Cap. 1. Wir gingen, als sich der Winter schon seinem Ende nahte, auf dem freien Platze bei den titischen Bädern im lieben wannen Sonnenschein mit dem Philosophen Favorin spazieren und weil dieser die AuflForderung hatte er- gehen lassen, den Catilina des Sallust vorzutragen, den er gerade in der Hand eines Freundes erblickt, hatte, so wurde auch sofort während des Spazierengehens daraus vorgelesen. 2. Als man beim Vortrag dieses Schriftwerks an die Stelle gekommen war, die da heisst (Sali. Cat. 11, 3): „Die Hab- sucht besteht in Gier nach Geld, wonach (vernünftiger Weise) keinen Weisen zu gelüsten pflegt; sie, wie von zerstörenden Stoffen durchdrungen, entneiTt Körper und (echten) Mannes- sinn, kennt niemals eine Grenze, bleibt immer unersättlich und fühlt sich gerade so wenig beim Uebei-fluss, wie beim Mangel befriedigt," 3. da ergriff Favorin das Wort und sagte, den Blick nach mir hingewendet: auf welche Weise soll man sich nun erklären, dass der Geiz auch den Körper eines Menschen entnerve? 4. Auch ich hatte, sagte ich nun zu ihm, selbst schon lange die Absicht, mir darüber eine Er- klärung von Dir auszubitten, und würde deshalb, hättest Du das Gespräch auch nicht darauf gebracht, ohne Deine Ver- anlassung Dich darüber befragt haben. 5. Kaum hatte ich diese unter schicklicher und bescheidener ZuiUckhaltung gethane Aeusserung laut werden lassen, so ergriff auch sofort einer von des Favorin Anhängern das Wort, einer, der in dem Ansehen stand, in der Beschäftigung mit der Literatur

m, 1, L. Cfr. 4, 15; 10, 26 über die EigenthOmlichkeiten SaUusfs. Vergl. TeufFels Gesch. der röro. Lit. 204, 7.

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m. Buch, L Cap., § 5-11. (173)

ergraut zu seiu und dieser sagte also: Ich (für meinen Theil) hörte den Grammatiker Valerius Probus die Erklärung ab- geben, dass Sallust sich (in diesem Falle) einer Art von poe- tischer Umschreibung bedient habe und bei der Absicht, den allgemeinen Gedanken auszusprechen, dass der Mensch durch Geiz verdorben werde, er 4afbr gleich Leib und Seele, die zwei wesentlichen Bestandtheile , welche den Menschen kenn- zeichnen, genannt habe, denn der Mensch besteht ja aus Leib und Seele. 6. Niemals, entgegnete Favorin, niemals hat unser Probus, soweit ich ihn kenne, zu einer solchen plumpen und so dreisten Ausrede (und Spitzfindigkeit) seine Zuflucht ge- nommen, dass er (in der Verl^enheit um eine bessere Er- klärung) sich hätte können einfallen lassen, zu sagen, Sallust, dieser sicher wohl allerschlichteste und vollendetste Meister in der KQrze des Ausdrucks, habe sich nach Dichterart ein- mal einer (weitläufigeren) Umschreibung bedient. 7. Nun befand sich aber auf diesem Spaziergange bei uns auch ge- rade ein sehr gelehrter Mann. 8. Dieser, ebenfalls vom Fa- vorin aufgefordert, ob er wohl über die besprochene Stelle etwas zu sagen wisse, Hess sich also vernehmen. 9. Alle die, sagte er, welche von der (verzehrenden und) verderblichen Leidenschaft des Geizes ergriffen sind, deren ganzes Sinnen und Trachten nur dahin geht, überall Geld zusammen zu scharren, diese sieht man meist nur einer solchen Lebensweise nachhängen, dass, wie bei ihnen ausser dem Gelde alles An- dere (für werthlos gilt), so auch jede anstrengende, männliche Beschäftigung und jede Lust an einer Leibesttbung von ihnen gänzlich vernachlässigt und. hintenangesetzt wird. 10. Mit ihren Geschäften meist in ihre dunkeln Krämerstuben ver- graben und an ihren Erwerbsschemeln festgeklebt, brüten sie nur auf Gewinnst: dabei muss nun allerdings alle ihre geistige und körperliche Spannkraft erschlaffen und, wie Sallust sich ausdrückt, in Verzärtlichung ausarten. 11. Hierauf liess Favorin die sallust'sche Stelle noch einmal laut vorlesen und sagte dann nach dem Vortrage: „Wie soll man sich nun aber den Umstand erklären, dass wir Viele von der Geldgier beherrscht

ill, 1, 6. Ueber die Kürze Saliust^s s. Teuffels Gesch. der [röm* Lit 204, 4.

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(174) in. Buch, 1. Cap., § 11 14. 2. Cap., § 1.

sehen, die doch trotzdem auch körperlich gesund und kräftig sind?** 12. Darauf erwiderte der Vorige: „Das war von Dir in der That eine sehr folgerichtige Bemerkung, Daher sehe ich mich deshalb noch zu dem Zusätze veranlasst : Bei Jedem, der nun zwar nach Geld giert und dabei doch gesunden und kräftigen Leibes ist, bei einem- solchen setzt man unbedingt voraus, dass er auch noch Lust und Freude an fleissiger Be- schäftigung mit andern Dingen empfinde und unbedingt auch die Pflege seiner Gesundheit nicht ganz vernachlässige. 13. Denn wenn der Geiz, diese höchste Leidenschaft allein das ganze Wesen eines Menschen und seine Neigungen mit Be- schlag belegt und ein solcher Mensch es bis zur vollständigen körperlichen Vernachlässigung kommen lässt, so dass ihm wegen dieser einzigen Leidenschaft weder der Sinn für Recht- schaffenheit, noch die Erhaltung seiner Kräfte, noch die Sorge fQr sein (ganzes) geistiges und leibliches Wohl am Herzen liegt: dann kann man auch von einem solchen Menschen so ganz mit Recht behaupten, er leide geistig und leiblich an weibischer Verweichlichung, da er weder für sich selbst, noch für etwas Anderes weiter Sinn hat, als nur fürs Geld." 14. Darauf erwiderte Favorin zum Schluss: „Entweder muss man dieser Deiner wahrscheinlichen Erklärung beipflichten, oder man muss denken , dass Sallust die Macht der Habsucht, aus Hass gegen dieses Laster (und zur Verwarnung), so über- trieben schwarz, als nur immer möglich, geschildert habe."

III, 2, L. Welcher Tag nach M. Van*o*s Aussprach als Geburtstag an- zunehmen ^ei für solche Kinder, die vor, oder die nach der sechsten Mittemachtsstunde zur Welt gekommen sind; dann dabei noch Be- merkungen über die Dauer und die Abgrenznngsbestimmungen der so- genannten bürgerlichen Tage, die allezeit bei den (verschiedenen) Völkern verschieden cingetheilt wurden; ferner die schriftliche Auslassung des Q. Mncius (Scaevola) über den Fall, wo eine Frau, weil sie (in Bezug auf die Unterbrechung der Yerjährung) die Bestimmung des bürgerlichen Rechts ausser Acht gelassen, sich gesetzmässig vor dem Manne ihre Rechts- ansprüche (und freie Selbstständigkeit) nicht gewahrt haben würde (quae a marito non jure se usurpavisset).

in, 2. Cap. 1. Es ist sehr oft die Fi-age aufgeworfen worden, welcher von beiden Tagen für den Geburtstag ge- balten und angenommen werden müsse bei solchen Kindern^

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m. Buch, 2. Cap., § 1—7. (175)

welche in der dritten oder vierten, oder einer andeni Nacht- stunde geboren wurden; ob der der Nacht vorausgehende^ Tag, oder ob der der Nacht folgende Tag. 2. M. Yarro« schreibt in seinem Werke „von den menschlichen Dingen'' bei seiner Abhandlung über die Tage, wie folgt: „Für alle- Erdgeboi-ne, welche innerhalb der 24 Stunden, von einer Mittemacht bis zur andern, geboren worden sind, wird eia und derselbe Geburtstag angenommen. 3. Nach dieser schrift- fichen Erklärung also scheint er bei Eintheilung der Tage angenommen zu haben, dass Jeder, der zwar nach Untergang der Sonne, aber noch in den darauffolgenden Stunden der Vormittemacht geboren wurde, den Tag fllr seinen Geburts- tag zu halten Imbe, von dem die Nacht nur als Fortsetzung (und Schluss) der vorhergehenden Tageszeit angesehen wird, dass hingegen Jeder, der während des Verlaufs der sechs Stunden nach Mitternacht geboren wird, den Tag für seinen Geburtstag halten soll, von dem das aufgehende Tageslicht nur als Fortsetzung des nach Mittemacht schon begonnenen Tages gilt." 4. Vano schreibt in derselben Abhandlung weiter, dass die Athenienser eine andere Eintheilung annehmen und die ganze, zwischen «inem Sonnenuntergang bis zum andern liegende Zeit als Tagesdauer festsetzen. 5. Ferner sei die Zeitrechnung der Babylonier wieder eine andere, weil sie die ganze zwischen einem Sonnenaufgang bis zum andem liegende Zeitspanne unter der Bezeichnung des Tages verstehn. 6. Im Lande ümbrien wird allgemein als die Dauer eines und des- selben Tages die Zeit von einem Mittag bis zum andern an- genommen. Das ist nach Varro's Meinung aber doch sehr abgeschmackt. Denn dann fällt ja der GTeburtstag Eines, der z. B. bei den Umbriem um die sechste Mittagsstunde (unseres Monatsersten) zur Welt kommt, theils zur Hälfte auf die Zeit des ersten Tages im Monat, theils auf die Zeit bis zur sechsten Mittagsstunde 'des zweiten Tages im Monat. 7. Dass nach

in, 2, 2. S. Macrob. 8at I, 3.

m, 2, 85 Vergl. Plin. h. n. U, 79 (77).

m, 2, 3, 7 u. 16. Savigny, röm. Recht IV, p; 861. Die Mittemacht, also die Grenze eines Kalendertages, ist stets als joristischer Endpunkt anzusehen.

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(176) HL Buch, 2. Cap, § 7—11.

Varro's Bemerkung das römische Volk unter dem Begriff ^Tag*" die Zeit von einer Mittei-nacht zur andern angenommen habe, ist durch thatsächliche Beweise vielfach belegt 8. Bei den Römern finden Opferverrichtungen theils bei Nacht theils bei Tage statt. Die Opfer aber, welche während der Nacht verrichtet wurden, zählte man nicht zu der Nacht, sondern allemal zum folgenden Tag; 9. fällt also die Opferfeierlichkeit auf die sechs späteren Nachtstunden (nach Mittemacht), so gehören sie zu dem folgenden, nach dieser Nacht anbrechenden Tage. 10. Dieser festangenommene Zeitmassstab findet seine klare Bestätigung auch noch in den feierlichen Grebräuchen bei Auspicien. Denn wenn z. B. Magistratspersonen eine eintägige Vogelschau vorzunehmen und die betreffenden Be- obachtungen während dieser Frist anzustellen hatten', so be- gannen sie mit ihrem Werke nach Mittemacht und endigten es oft erst nach der Mittagszeit, so lange die Sonne noch hoch oben am Himmel steht: trotzdem aber ward angenom- men, als ob sie ihre Beobachtungen im Zeitraum eines und desselben Tages begonnen und vollendet hätten. 11. Ausser- dem noch ein Beispiel. Es durften die Volkszunftmeister sich keinen ganzen Tag lang von Rom entfemen. Wenn sie nun doch nach Mittemacht eine Reise antraten (aber bei Beginn der folgenden Nacht) und zur Zeit des Lichtanbrennens, also noch vor der darauf folgenden Nachmittemachtszeit zurflck-

III, 2, 7. S. Plutarch: Fragen über röm. Gebräuche 84. AnÜEmg des Tages von ^ttemacht an bei den Römern, L. 8. n. de feriis; L. 5. n, <qui fest fac poss.; L. 1 de manumiss.

m, 2, 7. Savigny röm. Recht IV, d25. Der Tag ist der Zeitraum, in welchem eine voUstAadige Umdrehung der Erde um ihre eigene Achse stattfindet Der Anfiingspunkt des Tages ist bei verschiedenen Völkern ganz abweichend angenommen worden. Die Römer haben ihn auf Mittei> nacht gesetzt und wir haben diese Bestimmung beibehalten. Der ganze Zeitraum von Mittemacht zu Mittemacht heisst: dies civilis (GelLII,2, 16). Censorinus c 23; Macrob. I, 3; cfr. Plin. R N. II, 79. Bei Varro de r. r. I, 28 scheint „dies civiles*^ die Tage nach der Eintheilung und Be- zeichnung des römischen Kalenders zu bedeuten*

III, 2, 11. Die Volkszunftmeister durften Rom nie, ausser an den feriae latinae auf einen vollen Tag verlassen. Vergl. GelL Xm, 12, 9. Jus abnoctandi (tribunis) ademptum. Dionys. Halic Vlll, 87; Dio €assius 37, 43; 45, 27; Appian Bürgerkrieg II, p. 736.

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m. Buch, 2. Cap., § 11. 12. (177)

gekehrt sind, heisst's nicht, dass sie einen Tag abwesend waren (und sie galten deshalb nicht für Uebertretei der ge- setzlichen Bestimmung), weil sie noch vor Ablauf der sechsten Nachtstunde (d. h. noch vor der Mittemachtstunde) zurück- gekehii sind und sich also noch einen kleinen Theil vor der Mittemachtstunde innerhalb Roms Weichbild befinden. 12. Auch habe ich gelesen, dass der Rechtsgelehrte Q. Mucius (Scaevolä) zu sagen pflegte : eine Frau sei nicht, mit der gesetzlichen Wir- kung ihre volle P^eiheit und Selbstständigkeit zu bewahren vom Manne gegangen {lege non isse usurpatum mulierem), welche, nachdem sie vom 1. Januar bei dem Manne zum Zweck der Ehe gewesen, (erst) am 29. December vom ihm zum Zwecke der Erhaltung ihrer freien Selbstständigkeit

ni, 2, 12. Mucius Scaevola, gewöhnlich Pontifex Maximus ge- nannt, streng rechüicher und uneigennütziger Charakter, behandelte als Statthalter Asiens die betrügerischen, wucherischen ZoUpächter mit unnachgiebiger Strenge. Er zeichnete sich durch gründliche Kenntniss der Rechtswissenschaft aus, die gleichsam ein Erbgut in der mucischen Familie war. Im Jahre 95 erhielt er das Consulat mit Crassus, überwarf sich jedoch mit diesem, der mit unübertrefflichem Witz g^en ihn auftrat (Cic. de orat I, 57.) Im Jahre 82 fiel er durch Meuchelmord auf Befehl des jüngeren Marius. Er war ein Nachkomme de^enigen Helden, der sich vor Porsenna die Hand absengte und deshalb den Kamen Scaevola (Linkhand) erhielt Vergl. Gell. I, 12, 1 NB. und VI (VII), 15, 2. üeber Scaevola s. Teuffels röm. Lit 144, P.

m, 2, 12. Isse usurpatum sc. jus suum s. libertatem, d. h. um ihr Recht, ihre Freiheit und Selbstständigkeit zu bewahren vom Manne fort- gehen, also die Veijährung unterbrechen und so die gesetzmässige Ehe verhindert haben. L. 2. D. de usup. et us. 41, 3. definit: I usurpatio est usucapionis interruptio; oratores autem H usurpationem frequentem usum vocant Usurpare sc sensu jur. est interrumpere possessionem (alterius) e. q. 1. 5 Dig. de usurp. (41, 3.) Dirksen Man. sub verb. usurpare § 1 A.

HI, 2, 12 und 13. Locum describit Macrob. Sat. I, 3, errante librario et confundente „usurpatum isset*' et „usurpatum esset''. Illustrat rem G&j. Com. I, 111. qui ita habet: Usu in manum conveniebat, quae anno continuo nupta perseverabat Quae enim velut annua possessione usu- capiebatiur, in familiam viri transibat liliaeque locum obtinebat Itaquo lege XH tabularum cautum est Proinde si qua nollet eo modo in manum viri convenire, oportebal, ut quotannis trinoctio abesset atque ita usum ci\jusque anni intemimperet Gell. XVIH, t), 8 u. 9; Dionys. Halic. 11,25. Durch Veijährung conventio in manum s. G%j. I, 111; Manrob. I, 3, 9. p. 208 Bip.; Serv. zu Verg, G. I, 31.

üellms Attische N&chte. 12

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(178) ni. Buch, 2. Cap., § 13.

fortgegangen sei. 13. Es könne nämlich das Trinoctiuni, während welchem sie, um sich nach den zwölf Tafelgesetzen ihre Freiheit zu bewahren^ vom Manne sich hätte fernhalten sollen,

III, 2, 18. Die Yerheirathangen der Bömer konnten auf dreierlei Weise voUzogen werden, entweder : 1) confarreatione, durch ein feier- Hohes Opfer, wobei man getrocknetes D&nkeUcom (fiär) mit Salz vermischt (mola Salsa) opferte; oder 2) coeniptione, durch einen Scheinkauf, welcher den Mann in alle Rechte der confarreatio einsetzte, ohne dabei viele Kosten zu verursachen. Hierdurch bekam die Frau das Recht einer Tochter und der Mann das Recht eines Vaters , so dass Eins das Andere beerben konnte; 3) usu, durch ununterbrochene Beiwohnung während eines vollen Jahres. Da durch die einfache Art ehelicher Verbindung die manus (Herrschaft) so erleichtert war, so hatten die leges XII tabular. eine Beschränkung festgesetzt, dass, wenn die Frau drei Nächte hinter- einander vom Manne sich entfernt hielt (usurpatum isset sc. jus suum s. libertatem suam, also vielleicht mit Bewilligung ihres Vaters oder Tutors, zu welchen sie zurückkehrte), dann die Unterbrechung der Vexjährung verhindert wurde, und sie nicht in manum, d. h. nicht in die Gewalt des Mannes kam. Sie blieb dann in der patria potestas, oder sui juris, oder unter dem Schutze ihres Vormundes (tutoris), oder ihrer Verwandten. Der Mann war nun weder Besitzer der dos, noch die Frau Erbin des Mannes. Cir. Savigny röm. Recht IV. p. 365, wo es heisst: Nach den zwölf Tafeln sollte durch jede gewöhnlidie Ehe, wenn sie ein Jahr lang ununterbrochen fortdauerte, die Frau in die manus des Mannes kommen, nach dem Grundsatz der eirvjährigen Fsucapion beweglicher Sachen. Eine Unterbrechung dieser Usucapion soUte nur dann angenommen werden, wenn die Frau wenigstens drei vollständige Nächte jedes Jahres ausser dem Hause des Mannes zubrächte. Scaevola beurtheilt einen Rechtsfall, der durch folgende Tafel anschaulich werden wird:

28. Dcbr. V. Kai. 1 29. Dcbr. IT. Kai. I 90. Dcbr. m. Kai. 1 81. pridie Kai. [I 1. Jan. Kai. Jan. Nacht | Jan. Nacht _| Jan. Nacht | Jan. Nacht || Jan.

Tag I Tag | Tag | Tag ||

Die Frau war an einem 1. Januar in die Ehe getreten imd am 29. Dcbr. desselben Jahres aus dem Hause gegangen, in der Meinung, dadurch das Trinoctium zu beobachten und die Entstehung der manus zu verhindern. Darin irrt sie, sagt Scaevola, denn das Usucapionsrecht ist schon vollendet < mit der Mittemacht, womit der nachfolgende 1. Januar anfängt, also ge- hört die zweite Hälfte der dritten Nacht nicht mehr dem ersten Jahr der Ehe an, so dass sie nur drittehalb Nächte desselben abwesend war, welches nach dem Gesetz nicht hinreicht. Sie hätte also (wiU Scaevola sagen) schon den 28. Dcbr. ausziehen müssen, um ihren Zweck zu erreichen. Allerdings hatte Scaevola das ältere Jahr von 855 Tagen Uhd einen De- cember von 29 Tagen (Macrob. Sat. I, 13. 14) vor Augen, so dass fo ihn der rv. Kai. Jan. nicht wie bei uns der 29., sondern der 27. war. Trotz- dem bleibt aber die Sache imverändert dieselbe.

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IIL Buch, 2. Cap., § 13— 16. 3. Cap., § 1. (179)

dies Trinoctium könne unter solchen Umständen nicht für voll gerechnet werden, weil die letzten sechs (Nachmitter-) Nacht- stunden der dritten Nacht (bereits schon zum 1. Januar, d. h.) zu demjenigen (neuen) J^e gehörten, welches mit dem ersten Januar beginne (so dass sie zwar drei Tage, aber noch nicht drei Nächte ausser dem Hause des Mannes zugebracht hätte). 14. Beim Begegnen aller dieser einzelnen, in den Büchern der Alten vorgefundenen Bemerkungen über die festbestimmte Zeiteintheilung der Tage, in wesentlicher wich- tiger Beziehung zui* gewissenhaften Auslegung und Kenntniss der alten Rechtsgrundsätze, war ich nun ausser allem Zweifel, dass auch Vergil auf diesen* Fall hat hinweisen wollen , zwar nicht deutlich und oifen, sondern, wie es ihm die dichterische Freiheit wohl erlaubte, iiur durch eine versteckte und gleich- sam verwebte Andeutung auf diese allgemeine, althergebrachte Annahme. An der betreffenden Stelle (Verg. Aen. V, 738 f.), wo der grausame Morgen den Anchises zwingt, sich von seinem Sohne Aeneas zu trennen und in die Unterwelt zurück zu kehren) heisst es wörtlich: 15.

um die Mitte der Laufbahn wendet die thauende Nacht sich

(d. h. die Nacht hat die Hftlfte zurückgelegt), GrauBam trennt mich von Dir schon das Schnauben des Morgengespannes.

16. Denn, wie gesagt, durch diese Zeilen wollte Vergil ver- blümt andeuten, dass der von den Römern sogenannte „bür- gerliche Tag" mit Ablauf der sechsten Nachtstunde (also mit Eintritt der Mittemachtstunde) beginne.

m, 3, L. Untersuchung der Merkmale, woran man die Aechtheit der- jenigen Lnstspiele erkennt, die wirklich von Flaatns herrühren, da unter Beines Namens Ueberschrift ächte und unächte untermengt sein sollen; femer noch die Mittheilung, dass Plautus mehrere Stücke in einer Mühle und Naevius im Gefängniss verfasst habe.

in, 3. Cap. 1. Ich habe mich vollständig überzeugt von der Wahrheit der Behauptung, die ich von einigen in der

m, 2, 15. Vergil legt diese Worte dem Anchises in den Mund, dessen Schatten seinem Sohne Aeneas in der Nacht erschien, um ihn zu bewegen, sich in die Hölle zu begeben. Der Schatten beklagt sich über den anbrechenden Tag, der ihn zu Yerschwinden nöthige.

III, 3, 1. Verzeichnisse (indices) von den (ächten) plautinischen

12*

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(180) in. Buch, 3. Cap., § 1—4.

Literatur sehr bewanderten Männern aufstellen hörte, von Männern, welche die meisten Stücke des Plautus mehrmals genau und aufmerksam durchgelesen hatten und es gansL un- verhohlen aussprechen, dass man sich ja nicht verlassen soll 3 auf die Titelangaben (indices) eines Aelius, noch des Sedigitus, noch des Claudius, noch des AureUus, noch des Accius, noch des Manilius über die sogenannten zweifelhaften Stücke, son- dern dass man nur den Plautus selbst zu Rathe ziehen müsse, nur ihn selbst und seine Eigenthümlichkeiten in geistiger Auffassung und Sprachweise. 2. Dieser Richtschnur bei Be- urtheilung bediente sich nämlich auch Varro, wie wir sehen. 3. Denn ausser den von Vanx) alS acht bezeichneten 21 Lust- spielen, die er deshalb ganz besonders von den übrigen ab- sondert, weil man über ihre Aechtheit durchaus nicht im Zweifel war, sondern weil sie unter allgemeiner Ueberein- stimmung für wirkliche Erzeugnisse des Plautus gehalten wurden, ausser diesen 21 also, wies er auch noch bei einigen andeiii die Aechtheit nach, bewogen durch den eigenartigen Zug und den feinen Witz (filo atque facetia), der auch in diesen Stücken so ganz mit dem Wesen des Plautus ver- wachsenen Ausdrucksweise, und rettete so die schon von an- dei-n Namen mit Beschlag belegte Urheberschaft mit Recht für den Plautus, wie z. B. das unter dem Namen „Böotierin" bekannte Lustspiel, welches wir erst neulich lasen. 4. Denn obgleich dieses Stück sich nicht unter den genannten 21 Stücken befindet und, nebenbei bemerkt, noch für ein Er- zeugniss des Aquilius ausgegeben wird, so nahm doch Varro nicht den geringsten Anstand, den Plautus für den Dichter desselben zu halten, und jeder andere fleissige Leser des Plautus wird diese Behauptung ebenfalls ausser allem Zweifel halten, sollte er auch nur folgende einzigen Zeilen aus dem Stücke zu Gesicht bekommen, die, weil sie, um nach seiner Art zu reden, die acht „plautinistischen" sind, wir uns des-

Stückcn verfassten: Aelius Stilo, L. Accius, Aurelius Opilius, Serv. Claudius, Manilius, Varro und Volcatius Sedigitus. S. Teuffels röm. Lit § 98, 3; über Servius Clodius Teuffels r. L. 156, 9; Gell. XIII, 23 (22), 19. m. 3. 3 f. üeber die Boeotia ß. Teuffels röm. Lit. § 106, 3.

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m. Buch, 3. Cap., § 5-9. (181)

halb auch gemerkt und aufgeschriebeu haben. 5. Plautus lässt daselbst den hungerleidigen Schmarotzer sagen:

Den Teufel hole, wer die Stunden aolgebraclit

Und aufgestellt zoerst hier eine Sonnenuhr,

Die mir zu Leid den Tag zerbröckelt gliederweis!

Als Knaben war der Magen mir die Sonnenuhr,

Die richtiger mir als alle hies'gen ging;

Der rief zu Tisch stets, falls es was zu schmaussen gab;

Jetzt, hat man's auch, man isst nicht, eh's die Sonne viU.

Seit unsre Stadt mit Sonnenuhren angeftUt,

Nagt leer der grösste Theil des Volks am Hungertuch.

6. Auch unser Favorin, als ich des Plautus „Nervolaria" las, welche ebenfalls unter die zweifelhaften Stücke gerechnet wurde, und er nur folgende wenigen Ausdrücke aus diesem Lustspiele vernommen hatte:

Strattae, scrupipedae, strittiyiUae, sordidae, (Strassenwälzer, Humpelbeine, Kahlbäuche, Schmutzlappen,)

wurde höchlichst ergötzt durch diese witzigen , aber nur aus der Mode gekommenen Ausdrücke, welche Anspielungen ent- halten auf die Laster und Gebrechen vonLustdirnen, und er rief aus: „Bei Gott, dieser Vers allein schon kann uns voll- ständig in dem Glauben bestärken, dass dies ein Stück des Plautus sein muss!^ 7. Ich selbst, als ich neulich erst „die Meerenge (fretum)" las, welches der Name eines Schauspiels ist, das Einige zwar dem Plautus absprechen wollen, ich war doch keinen Augenblick im Zweifel, dass es ein Kunstwerk dieses Meisters und zwar ein wirklich ganz unverfälschtes sei.

8. Als ich neulich zufällig der Entstehimgsursache über daK Orakel des Widdei*s (i. e. Jupiter Ammon) nachspürte, habe ich diir aus dieser Komödie folgende Verse entnommen:

So lautet nun der doppelsinnige Spruch Des Widders, der sich bei den grossen Spielen immer wiederholt: Verloren bin ich, thu' ichs nicht und thu' Ichs, kriege Schläge ich.

9. M. Van-0 fuhrt nun aber in seinem ersten Buche „über die plautinischen Lustspiele" des Accius eigne Worte an:

m, 8, 6. Lnstdime, meretrix, wegen ihrer Feilheit von „merere, verdienen", also eigentlich Lohnhuren. Vergl. Isidor X, 182; Nonius p. 423, 11; Varr. 1. 1. VH, 64. 65.

in, 3, 9. T. Maccins (Plautus): der Name staU des früheren M. Accius Yon F. Ritschi gewonnen s. Teuffels röm. Lit. § 94, 1.

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(182) ni. Buch, 8. Cap., § 9 14.

„Denn weder jenes Stück „das Kupplerpaar (Gemini lenones)*^, noch „der Sklavenring (Condalium)", noch „das alte Brumm- eisen (Anus)" rühren vom Maccius Titus (Plautus) her, noch „die zweimal Geängstete (Bis compreBsa)"*, noch „die Böotierin (Boeotia)", ja selbst nicht „der Bauemtölpel (*^y^ixog)", noch „der Gesellschaftstodt (Commorientes)" haben ihn zum Verfasser (sondern diese Stücke sind sämmtlich von M. Aquilius)." 10. In demselben Buche des M. Varro liest man auch noch folgende Nachricht: Es habe auch einen Lust- spieldichter Plautius gegeben und weil nun auf den Theater- stücken dieses Plautius als Titel -Name stand: des Plaut! Lustspiele, so habe man darunter plautinische verstanden, da sie doch, weil sie nicht vom Plautus. herrührten, dann auch nicht plautinische heissen konnten, sondern, als Stücke von Plautius, nur plautianische genannt werden mussten. 11. Man nimmt aber allgemein an, dass ohngefähr 130 Lustspiele von Plautus im Umlauf seien. 12. Allein der ausserordentliche Gelehrte M. Aelius hält davon nur 25 fttr acht. 13. Es ist jedoch ausser allem Zweifel, dass (alle) diese Stücke, die zwar den Plautus nicht zum Verfasser zu haben scheinen, seiner Person aber doch zugeschrieben werden, Stücke älterer Dichter gewesen sind und nur von ihm neu umgearbeitet und ausgefeilt wurden und deshalb auch nach plautinischer Schreibweise schmecken. 14. Allein Varro berichtet und mit ihm einige Andere, dass er den „Saturio" und den „Schuld- gefangenen (Addictus)"" und noch ein drittes Stück, dessen Name meinem Gedächtnisse nicht gleich zu Gebote steht, in einer Mühle niedergeschrieben habe, als er den ganzen aus seinen Schauspielwerken gezogenen Geldgewinn im Waaren- handel wieder zugesetzt und ganz mittellos nach Rom zuiiick- gekehrt, sich, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, bei einem Müller vermiethet hatte, wo er das Mahlzeug von einer sogenannten Handmühle (trusatilis) im Betrieb halten musste.

III, 3, 11. Yergl. Teoffels röm. Lit § H, 4.

m, 8, 18. VergL Teuffels röm. Lit § 94, 5.

m, 8, 14. Vergl. Teuffels röm. Lit 94, 3. Tnwatiles, Stunpf- und StossmOhlen, s. Cato r. r. 10, 4; 11, 4; und noch Beckmann Gesch. der Erf. ü, S. 3.

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m. Buch, 3. Cap., § 15. 4. Cap., § 1. (188)

15. So haben wir uns auch sagen lassen, dass Naevius zwei seiner Stücke im Gefängniss vei-fertigt habe, den „(Zigeuner oder) Wahrsager (Hariolus)'' und den „Leon'', als er nach Art der griechischen Lustspieldichter seine Tadelsucht und seine Vorwürfe mit rücksichtslosem Freimuth ununterbrochen gegen die ersten Männer im Staat (gegen die Meteller und Scipionen) hatte laut werden lassen und dafür zu Rom von den TriumviiTi mit Gefilngnissstrafe belegt worden war. Dai-aus wurde er nachher durch Hülfe der Yolkstribunen befreit, als er sich endlich herbeigelassen hatte, in den beiden obenerwähnten Stücken Abbitte zu leisten für seine Ver- gehungen und muthwilligen Schmähungen, wodurch so Viele sich gekränkt und beleidigt gefühlt hatten.

III, 4, L. Dass P. Africanns und andere yornehme Männer seiner Zeit den von ihren Vorältern geerbten Gebrauch beibehielten', schon vor dem eintretenden Greiscnalter Kinn- und Backen-Bart sich abscheeren zu lassen.

III, 4. Cap. 1. Bei der Leetüre in den über das Leben des P. Scipio Africanus verfassten Büchern fand ich die Mit- theilung aufgezeichnet, dass dem P. Scipio, dem Sohn des Paulus, nach seinem Triumph über die Carthaginienser und nach seiner Verwaltung des Sittenrichteramtes eine gericht- liche Vorladung vor das Volk anberaumt wurde auf Anstiften des gegen ihn erzüi-nten Volkszunftmeisters Claudius Asellus, welchem jener während seines obenerwähnten Sittenrichter- amtes zur Strafe das Pferd weggenommen hatte, dass aber Scipio, trotzdem er in Anklagestand vei-setzt war, weder ver- absäumte sich den Bait scheeren zu lassen, noch sich ein- fallen liess ein schlechtes, schmutziges Kleid*) zu tragen,

m, 3, 15. Yergl. Gell. I, 24, 1 NB. Mit gewaltig logischen Gründen bestreitet Zumpt in Cic Yerr. p. 72 die Geschichte von dem ZerwürMss des Naerins mit den Metellem, da die Bluthezeit derselben in eine jüngere Zeit ftUt Yergl. Teoffels röm. Lit d3, 3.

m, 4, 1. *) Es pflegten zu Rom die Angeklagten, sowie deren Freunde und Angehörigen, so lange die Klage dauerte, in schlechten, schmutzigen Kleidern mit herunterbangendem Haar und unrasirt zu er- scheinen, um dadurch das Yolk zum Mitleid gegen den Yerklagten zu be- wegen. Suet Caes. 25. 67; Oct. 23; Caes. b. g. 5, 24 ff.; Plut. Cat min. 58; Liv. 27, 34, 5; Mart II, 36, 3. Nur junge Leute unter 40 Jahren trugen einen zierlich gestutzten Bart Jut. 6, 105. 214. (A. Forbiger.)

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(184) UI. Buch, 4. Cap., § 1—8. 5. Cap., § 1.

noch überhaupt (nach der Gewohnheit Anderer) in seinem Wesen und äussern Erscheinen sich als Angeklagten venieth. 2. Doch ich konnte dabei wegen der schriftlichen Bemerkung in Bezug auf das Abscheeren seines Bartes meine Ver- wunderung nicht unterdrücken, da ja bekannt war, dass Scipio zu jener Zeit noch nicht 40 Jahre alt war. 3. Allein man gab mir die Versicherung, dass in jenen Zeiten auch noch viele andere hochansehnliche Männer sich in einem gleichen Alter den Bart scheeren liessen. Und deshalb finden wir auch noch viele Bildnisse der Alten, wo man nicht nur ganz alte Leute, sondern auch Männer von mittleren Jahren so (ohne Bart) vorgestellt sehen kann.

III, 5i L. Scharf und launig zugleich rügt der Philosoph Arkesilaos an Einem das Laster der Gefallsucht und Unmännlichkeit in seinen Blicken

und Wesen.

in, 5. Cap. 1. Der Philosoph Arkesilaos bediente sich nach Plutarch's Bericht (vyieiva Ttagayy. Gesundheitsregeln p. 126 und Tischpespr. VII, 5, 3) eines harten, verletzenden Ausdrucks über einen übertrieben gefallsüchtigen Reichen, trotzdem derselbe allgemein im Rufe stand, unverdorben und

m, 4, 1. Ueber P. Scipio AemiHanus s. Gell. U, 26, 6; IV, 17, 1 NB.;

VI, 11, 9.

m, 4, 3. Nach Liv. V, 41 liessen die alten Römer ihren Bart wachsen und Plin. H. N. VII, 59 schreibt, dass sie erst gegen (454 u. c.j 200 v. Chr. sich haben die Barte scheeren lassen, als P. Ticinius Meno eine Anzahl Barbiere mit aus Sicilien nach Rom brachte, und dass Scipio AMcanus der Erste gewesen sei, der die Mode aufgebracht habe, sich alle Tage barbieren zu lassen. Cfr. Varro de r. r. II, 11. Die alten PhUosophen trugen lange Barte (Gell. IX, 2) um sich ein ehrwürdiges Ansehen zu geben. Im Schmerz und in der Trauer liessen die Römer Haare und Bart wachsen. Liv. VI, 16.

m, 5, 1. Vergl. Piutarch, GesundheitSTorschriften cap. 7 und Tischreden

VII, 5, 8. Arkesilaos aus PitSne in Aeolien (800 v.Chr.) wurde der Stifter der mittlerenAcademie. Für keine der streitenden Parteien der Peripatetiker, Pyrrhoniker und Stoiker eingenommen, behauptete er be- sonders im Gegensatze gegen die stoische Lehre, deren Stifter Zeno, sein Mitschdler, in der Academie gewesen war, dass es das Beste sei, sich jeder bestimmten Meinung zu enthalten. So näherte er sich dem Pyrrhonismus, und die Alten wissen nicht, ob sie ihn nicht zu den Skeptikern zählen sollen. Cic. de or. 8, 18; Acad. post. 1, 12; Sext. Emp. adv. m. 7, 1.58.

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ÜL Buch, 5. Cap., §2.-6. Cap. lu 7. Cap., § 1. (185)

sittenrein zu sein. 2. Denn als ihm an demselben das pie- pige Gastraten-Organ aufgefallen war und die geschni^elte und gestriegelte Haarfrisur, sagte er: ,»£s ist durchaus kein Unterschied, ob Einer ein schamloser Wollüstling (d. h. un- keusch und unzüchtig) von vorne oder hinten (von aussen oder innen) sei.^

ni, 6, L. Ueber die cigenthUmliche Kraft des Palmbaumes, dass das Hol/.

an diesem Baumstamm, wenn man es mit Lasten beschwert (dem Druck

widersteht und) von selbst wieder nach oben wächst.

in, 6. Cap. 1. Eine wahrhaftig höchst merkwürdige Thatsache erzählt uns Aristoteles im 7. Buche seiner „schwie- rigen Streitfragen (in septimo problematorum)" und Plutarch im 8. Buche (4, 5) seiner „Tischreden". 2. Da heisst es: „Wenn man das Palmbaumholz mit gi'ossen Lasten belegt und es so bedeutend beladet und beschwert, dass die Grösse der Last (von ihm) nicht ausgehalten werden kann, so wächst die Palme trotzdem nicht nach unten, noch biegt sie sich inwendig (abwärts), sondeni strebt wieder (bogenförmig) um und gegen die Last herum nach oben zu und krümmt sich wieder auf- wärts. 3. Daher wurde, sagt Plutarch, die Palme bei Kampf- spielen als Siegeszeichen ausersehen, weil die Eigenschaft dieses Holzes derartig ist, dass sie jeden Drang und Dmck standhaft aushält und ihm widersteht''

Illy 7, Eine aus den Jahrbüchern entlehnte Erzählung über den (tapfern

£nt8chlu88 de«) Kriegsobersten Q. Qaedicins, nebst Zusatz einer Stelle

aus M. Catos „Urgeschichte*^, worin er die Tapferkeit (und Selbstaufopferung)

dieses Cacdicius mit der des spartanischen Königs Leonidas vergleicht.

in, 7. Cap. 1. 0 ihr gi-undgttt'gen Götter, welch eine herrliche That, würdig der erhabenen Lobpreisung durch

in, 6, 2. Fun. H. N. XVI, 81 (42), 1, und Strabo XV, p. 1063: Dass das Palmenholz geradezu sich aufwärts krümmt, wenn es gedrückt und belastet wird, ist nicht buchstäblich zu nehmen, sondern nur auf seine grosse SchneUkraiffc zu beziehen. Doch zeugen viele Alten för diese Wun- derkraft des PaJImenholzes. Xen. Cyrop. VII, 5; Theophr. bist, plaut. V, 6: „Das Palmenholz ist auch sehr fest; denn es bi^ sich auf ent- gegengesetzte Art, wie die andern Hölzer, nicht nach unten, sondern nach oben. VergL Plutarch Tischreden VIII, 4, 5.

III, 7, 1. S. LiT. 22, 60, 10; Epit. XVH; Plin. 22, 6; Frontin. Strata- gem. IV, 5, 10; Luc. Ampelius, über memoria!. 20.

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(186) HL Buch, 7. Cap., § 1 11.

griechische Beredtsamkeit, hat uns M. Cato in den Büchern seiner „Urgeschichte" über die Beherztheit, Geistesgegenwart und Todesverachtung des Soldatenobersten Q. Caedicius schriftlich hinterlassen. 2. Diese Schilderung ist nun wort- getreu folgenden Inhalts : 8. „Der carthaginiensische Feldhen* (Hanno) dringt in Sicilien während des ersten punischen Krieges gegen das römische Heer vor und bemächtigt sich dabei zuerst der Anhöhen und der günstigen Plätze und Stellungen. 4. Das römische Kriegsheer geräth nach Vollzug und Wahmehmung dieses Umstandes in eine Lage, wo es der Noth und dem Verderben gänzlich preisgegeben. 5. In dieser Bedrängniss kommt der Kriegsoberste zum Consul, macht ihn wegen ihrer ungünstigen Stellung und wegen der Umzingelung durch den Feind auf die nahe, höchste Gefahr aufmerksam und sagt: 6. Nach meiner festen Ueberzeugung bleibt, wenn Du unser ganzes Heer vor Untergang bewahren willst, nichts anderes zu thun übrig, als dass Du augen- blicklich ohngefähr 400 tapfem Streiteni den Befehl ertheilst, dort nach jenem Erdhöcker (nach jener Warze, Verruca), so nennt M. Cato eine betreffende Felsenanhöhe, sofort vor- zurücken und ihn auf Dein Geheiss einnehmen und besetzen zu lassen. Sobald der Feind diese Absicht bemerkt, wird er sicher die tapfersten und entschlossensten Truppen gegen die Unseren entsenden, um durch Widei*stand und Kampf ihr Vorhaben zu vereiteln, und so wird er auf dieses einzige Un- ternehmen seine ganze Aufmerksamkeit beschränken und es werden zweifellos jene .400 sämmtlich mit Stumpf und Stiel verachtet werden. 7. Allein während der Feind sich an der Arbeit dieses Blutbades ergötzt, wirst Du Zeit gewinnen unser Heer aus der verhängnissvollen Stellung abziehen zu lassen. 8. Es giebt keinen andern Ausweg zur Rettung, als nur diesen. Dieser Rath, erwidert nun der Consul dem Obersten, scheine zwar auch ihm ganz so vorsorglich, aber, fuhr er fort, wei* wird diese 400 Tapfem zu jenem Orte hin, mitten in den Rachen des Feindes führen? 9. Wenn Du dazu, sagt der Oberste, keinen Andern (Bessern) findest, so bitte ich, nimm mich zu diesem Wagniss, Dir und dem Staate weih' ich gerne mein Leben. 10. Dank und Lob ertheilt deshalb nun der Consul dem Obersten. 11. So ziehen denn (freiwillig)

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ni. Buch, 7. Cap., § 11-19. (187)

400 (tapfere Streiter) mit diesem Kriegsobersten in den sichern Tod. 12. Der Feind, erstaunt über die Kühnheit dieser geringen Schaar, steht voller Erwartung, wohin sie sich wohl wenden werde. 13. Als man jedoch gewahr wird, dass es bei diesem kühnen Marsch auf Besetzung des besagten Erdhöckers abgesehen ist, so entsendet der carthaginiensische Feldherr aus seinem Heere sofort gegen sie von seinem Fuss- Volke und seiner Reiterei die tapfersten und untemehmensten Streiter. 14. Die römischen Soldaten werden sofort umzingelt, leisten aber in dieser Lage den tapfersten Widerstand. 15. Lange bleibt das Treffen unentschieden, endlich siegt die Uebermacht 16. Durchbohrt vom Schwerdt, oder ganz von Geschossen bedeckt, fallen alle 400 mit ihrem Führer ge- meinsam. 17. Während dieses Gemetzels aber findet der römische Gonsul Zeit und Gelegenheit sich (unvenfierkt mit der ganzen Heeresmacht aus der gefährlichen Stellung) nach einem sichern und gedeckten Platz zurückzuziehen. 18. Wie es aber wunderbarer Weise durch göttliche Schickung jenen Obersten, dem tapferen Anführer der 400, endlich erging, will ich nicht mit meinen schwachen Woi*ten weiter schildern, sondern mit Catos eigenen. 19. „Die unsterblichen Götter,*^ schreibt er, „bescheerten dem Kriegsobersten ganz seiner Tapferkeit und seinem Verdienste gemäss einen willkommnen Erfolg. Es begab sich nämlich also : Obgleich bei dem Unter- nehmen an verschiedenen Stellen (verwundet und) zerfetzt, trug er doch (glücklicher Weise) am Kopfe keine einzige ge-

rn, 7, 19. S. Herodot VII, 220 ff.; Cic. de fin. ü, 19, 30; Tubc I, 42; Strabo I, p. 80; Vm, p. 656; Justinus II, 11; Paasan. Beschreibang Griechenl 1, 18; III, 4. 14; YU, 6; YIII, 52; Cornel. Nepos Themistocl. 8; FrontiiL Stratagem. IV, 5, 13j Diodor. Sic. XI, p. 4 ff ; Plutarch. Lace- dftmon. Aussprüche cap. 6; Parallelen griech. und röm. Geschichten cap. 4; Val Max. HI, 2. ext 8. Aelian vermischte Nachrichten m, 25; Stobaeus sennon. 7; Florus II, 2, 14; Ampelins 14. 20; Eutrop. II, 8, 8. 4; Am- mian. Marcellin. 80, 1; Snidas unter anonrvyovvTtc; Zonaras AnnaL I; Clandian. de beU. Gild. 270 ff.; Tac Annal. II, 88, 2. Leonidas, König ▼on Sparta, Tertheidigte mit 800 auserlesenen tapfem Helden den Engpass bd Thermopylft gegen das ungeheure Kriegsheer des Xences (480 t. Chr.) und blieb mit allen seinen Braven auf dem Platze. Kurz vor der Schlacht sagte er zu seinen Treuen, die er ani&hrte, lasst uns jetzt so frahstücken, dass wir am Abend im Todtenreiche unser Mahl halten können.

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(188) ni. Buch, 7. Cap., § 19—21. 8. Cap., § 1.

fährliclie Verletzung davon und so fand man ihn voller Wun- den und vom Blutverlust gänzlich erschöpft (unter den Ge- fallenen) heraus. Man trug ihn fort (vom Kamp^latz) und er genas wieder und gah nach dieser That dem Staate oft noch manchen Beweis seiner Tüchtigkeit und Tapferkeit. Durch sein (kühnes) Wagniss aber, dass er jene (tapfere) Schaar (furchtlos) mitten in den Rachen des Feindes fühlte, rettete er die ganze übrige Heeresmacht. Aber dasselbe Verdienst hier oder dorthin gestellt, wie anders sieht es sich an. So legte z. B. der Lacedämonier Leonidas in den (Eng- pässen der) Thermopylen ein ähnliches Beispiel (von Ent- schlossenheit und Todesverachtung) ab. Wegen (der Beweise) seines Muthes und seiner Tapferkeit hat sich deshalb ganz Griechenland beeifert durch Denkmäler, durch Gemälde, durch Standbilder, durch Inschriften, Erzählungen und auf ver- schiedene andere Art den Ruhm dieses Helden und die be- sondere Erinnerung an den uuvergesslichen Glanz seines Namens feierlich zu verherrlichen und (man hat Alles auf- geboten, um) auf jede mögliche Ait die höchste Anerkennung und Bewunderung für diese muthige That zu erkennen zu geben. Allein unser wackerer Kriegsoberst, der doch eine eben so hen-liche That vollbrachte, der (durch Selbstaufopferung) die ganze römische Heeresmacht vor Untergang rettete, dieser hat für seine (eben so grossen) Verdienste kaum ein Wort der Anerkennung gefunden.*^ 20. Durch dieses ehrenvolle Zeugniss verherrlicht M. Cato den Heldenmuth dieses Obersten Q. Cae- dicius. 21. Claudius (^uadrigarius aber sagt im 3. Buche seiner „Zeitgeschichte (annalis),*^ dass dieser Held nicht Caedicius, sondern Laberius geheissen habe.

in, 8, L. WerthvoUes Schreiben von den beiden Consuln C, Fabricitis

und Q. Aemilius an den König Pyrrhus, Welches der Geschichtosch reiber

Q. Claudias (Qaadrigarius) dem Andenken aufbewahrt hat.

UI, 8. Cap. 1. Als der König Pyrrhus bei seinem Aufent- halte in Italien mehr als einen Kamp^i-eis mit Glück erkämpft

m, 8, 1. Vai. Max. M, 5, 1; Plutarcb: Denkspr&che von Römern, Cai. Fabridus 4: Cicer. de offic III, 22; Plutarch. Pyrrh. p. 396 cap. 21 ; Flonis I, 18, 21; Liy. 89, 51, 11; Epit. 13; Frontin. Str. IV, 4, 2; Aelian verm. Gesch. XII, 33; Senec ep.420, 5—6; Gell. I, 10, 1; I, 14, 1 NB.; IV, 8, 1 NB.

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m. Buch, 8. Cap., § 1—8. (189)

hatte, die Römer aber schon anfingen besorgt zu werden und fast ganz Italien Miene machte, zum Pyrrhus überzugehen, loun ein gewisser Timochares, ein Anibracienser und Freund des Königs Pyrrhus, ganz verstohlen zum Consul C. Fabricius und bat sich eine Belohnung aus und versprach, wenn man sich mit ihm über seine Fordeiiing geeinigt haben würde« den König durch Gift zu tödten; denn dies sei sehr leicht zu bewerkstelligen, sagte er, weil sein Sohn als Mundschenk dem König beim Mahle den Becher zu reichen habe. 2. Diese Angelegenheit berichtete Fabricius sofort an den Senat. 3. Der Senat schickte Gesandte an den König mit dem Auftrage, dass sie zwar von dem geheimen Antrag des Timochares nichts verrathen, aber den König doch warnen sollten, recht vorsichtig zu sein und sein Leben vor Nachstellungen seiner nächsten Umgebung zu sichern. 4. Diese Nachricht fanden wir, wie gesagt, in der Geschichte des Valerius Antias ver- zeichnet. 5. Quadrigarius aber in seinem 8. Buche meldet, dass nicht Timochares, sondern Nikias mit einem solchen An- trage sich an den Consul soll gewendet haben; auch sollen die Gesandten nicht vom Senat, sondern von den Consuln selbst abgesandt worden sein, und soll Pyn*hus darauf dem römischen Volke schriftlich sein Lob und seinen Dank aus- gedrückt haben und (für diese grossmüthige Handlung) alle römischen Gefangenen, die er zur Zeit in seiner Gewalt hatte, bekleidet und entlassen*) haben. 6. Es waren damals C. Fabricius und Q. Aemilius Consuln. 7. Claudius Qua- drigarius schreibt, dass der Brief, welchen man wegen dieser Angelegenheit an den König PyiThus schickte, folgenden In- halts (hoc exemplo) gewesen sei: 8. „Die römischen Consuln entbieten ihren Gruss dem König Pyrrhus. Wir, in Folge

ni, 8, 5. *) Die Römer waren zu stolz, so ganz ohne Entgelt sie anzanebmen, sondern schickten dem König Pyrrhus eben so viele gefangene Tarentiner und Samiiiter znr&ck.

III, 8, 7. Mercklin sagt p. 684 : Bei der Mittheilung von Urkunden und Originalbriefen bedient sich Gellins des Ausdrucks exemplum; IV, 6, 2; XV, 7, 3; XX, 5, 10. Vergl. Jan. zu Macrob. Sat ffl, 7, 8 exemplum i. e, „ipsa verba".

III, 8, 8. Bei dieser Gelegenheit soll Pyrrhus vor dem römischen Consul die merkwürdige Aeusserung gethan haben ^ es würde eher möglich sein.

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(190) ni. Buch, 8. Cap., §8.-9. Cap., § 1.

Deiner unaufhörlichen Beleidigungen tiefinnerst zum Hass und zur Feindschaft gereizt, gedenken keineswegs abzulassen, uns im Kampf mit Dir zu messen. Allein es schien uns nun die heilige Pflicht des öffentlichen Beispiels und der Recht- schaffenheit zu gebieten, Dich am Leben zu erhalten, um uns nicht die Gelegenheit zu entziehen, im gerechten Kampf Dich überwinden zu können. (Daher thun wir Dir kund.) Zu uns kam Nikias, einer Deiner Vertrauten, der sich von uns eine Belohnung dafür ausbedingen wollte, wenn er Dich heimlich ums Leben gebracht haben würde. Unsere Antwort lautet, dass wir uns zu so etwas nie verstehen werden, dass er aber von uns am allerwenigsten noch einen Lohn für eine solche abscheuliche That zu erwarten habe. ]Nun dünkte es uns aber auch zugleich am Orte zu sein. Dich von diesem Um- stände zu benachrichtigen, damit die Völker, sollte die ver- ruchte Absicht ausgeführt werden, sich nicht etwa könnten einfallen lassen zu glauben, es sei (dies Verbrechen) auf unser Anstiften geschehen. Auch kann es uns nicht gleichgültig sein (uns nachsagen lassen zu müssen), dass wir (bestechende Lockmittel, als) Geld, oder Belohnung, oder Heimtücke zu unseiii Kampfgenossen wählen. Bedenk es also wohl, wenn Du Vorsicht ausser Acht lassest , wird Dein Fall nicht aus- bleiben."

III, 9, L. Was man unter dem sprüchtvörtlich gewordenen Ausdruck ver- stand: ,,equU8 Sejanns (das sejanische Pferd)^' und von was fiir Farbe die sogenannten purpurnen (spadices) Pferde waren; endlich fiber die Bedeutung und den Ursprung des Wortes: spadiz.

III, 9. Cap. 1. In den „Erklärungsschriflen" des Ga- vius Bassus, desgleichen bei Julius Modestus im 2.

die Sonne in ihrem Lauf aufzuhalten, als den Fabricios von seiner Recht- schaffenheit abzubringen. Bemerkenswerth ist auch Ciceros Lobspruch über diesen berahmten König von Epirus im Laelios 8, 28 : Mit zwei Heer- flüirem ist in Italien über die Oberherrschaft ein entscheidender Kampf gefCkhrt worden, mit Pyrrhus und Hannibal; gegen^den Einen sind wir wegen seiner Rechtschaffenheit nicht allzu feindlich gesinnt, den Andern aber werden die Burger unseres Staates wegen seiner Grausamkeit stets hassen.

in, 9, L. Cfr. Gell, n, 26, 9.

m, 9, 1. Ueber Garius Bassus s. Gell. H, 4, 3 NB.; über Julius Modestus Teuffels röm. Lit Gesch. 277, L

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in. Buch, 9. Cap., § 1—4. (191)

Buche seiner „vermischten Fragen" findet man eine ebenso erwähnenswerthe, als bewundernswürdige Erzählung vom Se- janischen Pferde aufgezeichnet. 2. Dort also steht, dass es emen gewissen Gneus Sejus, der Secretär war, gegeben habe, in dessen Besitz sich ein Pferd befunden, zu Argos in Grie- chenland geboren, von dem die einstimmige Sage sich ver- breitet hatte, als stamme es von der Race der berühmten Pferde*) ab, welche dem Thracier Diomedes gehörten, die Hercules, nachdem er den Diomedes getödtet, aus Thracien nach Argos übergeführt hätte. 8. Dieses Pferd soll von einer ganz ungewöhnlichen Grösse gewesen sein, den Nacken hoch- getragen haben, durch seine purpurne (phönicische) Farbe und durch seine glänzende, buschige Mähne und noch durch sehr viele löbliche Eigenschaften vor allen andern Pferden sich besonders ausgezeichnet haben; allein mit dem Besitz dieses Pferdes soll der verhängnissvolle Umstand verknüpft gewesen sein, dass es seinem jedesmaligen Besitzer, mit sammt seinem Haus, seiner Familie und allen seinen sonstigen Glücks- gütem, Tod und völligen Untergang brachte. 4. Daher auch sein erster Besitzer, eben jener Gneus Sejus, von einem der Drei -Männer, von dem zur Wiederheratellung der Ordnung im Staat berufenen Gewalthaber M. Antonius zum Tode ver- urtheilt wurde und ein klägliches Ende Erdulden musste. Zu der Zeit war es gerade, dass der Consul Cornelius Dola- bella auf der Reise nach Syrien begriffen war. Alles, was der Ruf von diesem Pferde sagte, bestimmte ihn, sofort einen Abstecher nach Argos zu unternehmen. Er (sah das edle Thier und) entbrannte so von Begier dasselbe zu besitzen,

in, 9, 2. *) Nach der Fabel vurden diese Pferde nur mit Menschen- fleisch geföttert

m, 9, 4. P. Cornelius Dolabella, ein ausschweifender Wollüst- ling, Schwiegersohn Giceros, mit dessen Tochter TuUia er sich ohne des Vaters Genehmigung verlobt hatte. Im BOrgerkriege anfangs auf der Seite des Pomp^us, ging er dann zu Caesar über, nach dessen Tode er das GouTemement von Syrien erhielt und Smyma eroberte. Er Hess den Trebonius, einen von Caesars Mördern, zu Ephesus umbringen und wurde wegen dieses Verbrechens in die Acht erklärt Als er darauf von Cassius in Laodicea, seinem Aufenthalte, angegriffen und überrumpelt worden war, Hess er sich yon seinem Sklaven umbringen, der sich nach dem Tode seines Herrn ebenfalls das Leben nahm.

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(192) in. Bach, 9. Cap., §4—9.

dass er es sogleich für 100,000 Sesterzien kaufte. Allein auch dieser Dolabella wurde während der Stürme des Bürger- krieges in Syrien belagert und fand seinen Untergang. Aus dem Besitz des Dolabella ging es in die Hände seines Ueber- winders C. Cassius über. 5. Auch dieser Cassius hat nachher, wie hinlänglich bekannt ist, elend sterben müssen, nachdem seine Anhänger unterlagen und sein Heer geschlagen worden war. Nach dem Untergange des Cassius erlangte Antonius den Sieg und setzte sich so in den Besitz von diesem edlen, berühmten Pferde des Cassius. Allein kaum hatte er dasselbe in seine Gewalt bekommen, als auch er bald darauf (vom Octavius) besiegt und im Stich gelassen, sein Leben durch das abscheuliche Verbrechen des Selbstmordes endete. 6. Daher ist das Sprüchwort von (namenlos) unglücklichen Leuten hergenommen und zur allgemeinen Redensart geworden: ille homo habet equum Seianum (dieser Mensch besitzt das se- janische Pferd , d. h. das Unglück folgt ihm auf der Ferse).

7. Einen ähnlichen Sinn hat auch jenes alte Sprüchwort, was wir ebenso anwenden hörten aurum Tolosanum (tolosanisches Gold, d. h. unrecht erworbenes Gut). Denn als der Consul Q. (Servilius) Caepio die Stadt Tolosa in (dem marbonischen) Gallien hatte plündern lassen und man in den Tempeln dieser Stadt viel Gold vorfand, so kam Jeder, der bei der Plün- derung dieses Goldes seine Hände nicht fleckenlos gehalten hatte, auf eine elende und martervolle Weise ums Leben.

8. Gavius Bassus will in Argos dieses Pferd selbst noch ge- sehen haben und sagt, dass es von kaum glaublicher und wunderbarer Schönheit und von üppigster Farbe gewesen sei (colore exsuperantissimo). 9. Diese eigenthümliche Farbe nennen wir, wie ich schon 3) erwähnte, die phönizische (colorem poeniceum), die Griechen aber theils die phönizische {(foivr/,a\ theils die purpurne (a7tddixa\ weil ein mit der

III, 9, 7. Justiniis 32, 5, 9 ff.; Strabo IV, p. 286; Cic de nat deor. III, 20. Tolosa im Lande der Tectosagen. Q. Servilius Caepio scheint wegen seiner verübten Gewaltthätigkeiten im dmbrischen Kriege gegen die Bewohner von Tolosa durch Einsetzung einer quaestio extraordinaria (649/105) verurtheilt worden zu sein. Lange röm. Altertb. § 133 S. (589) 648; und § 140 S. 67; Oros. 5, 15; Dio C. Fr. 90 B.; Justin. 32, 3, 11; Strabo 4, 1, 13; Aur. Vict 73.

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m. Bnch, 10. Cap., § 1—3. (193)

Frucht abgerissener Palmzweig „spadix** genannt wird (vergl. Gell. U, 26, 9).

UI, 10, L. Beiberknng, das« sich b«i vielen Eraclieinangen in der Welt der EinfloM und die Kraft der Siebenzahl nachweisen lassen und das« man über die Beobachtong dieser Eigenthümlichkeit eine sehr aosführlichc Erörterung bei M. Yarro finden kann in dessen (Werke, genannt: die)

„Wochen".

III, 10. Cap. 1. M. Varro hat im ersten Buche seines ^die Wochen" oder „über Charakterköpfe (Lebensbilder, heb- domates vel de imaginibus)" benannten Schriftwerkes viele und verschiedene Betrachtungen angestellt in Bezug auf den besondem Vorzug und mächtigen Einfluss der Siebenzahl, von den Römern „numerus septenarius", von den Griechen „hß- Sofias'' genannt. 2. In diesem Werke des Varro heisst es nun wörtlich: „Eine Anzahl von (sieben) Sternen bildet am Himmel der kleine und der giosse Bär, genannt die sieben Pflug- oder Dresch - Ochsen (septentriones), femer das (am Ende des Frühlings aufgehende Büschelgestim, oder) Sieben- gestirn (vergiliae), von den Griechen Plejaden (jcleiadeg) ge- nannt; ferner begreift man ipter der Sterngnippe ebenfalls die (sieben Sterne an der Zahl), welche nach Einigen „erra- ticae", nach P. Nigidius „eiTones", d. h. Wandelsterne, genannt werden. 3. Dann fügt er weiter noch hinzu, dass man auch

m, 10,^. S. Teuffels röm. Lit. 164, 5. „Imagines 1. e. biographisches Bilderbuch."

in, 10, 1. DesM. Yarro Schrift: Hebdomades oder de Imaginibus, Wochen oder Charakterköpfe, so genannt von der der Eintheiluiig zu Grunde liegenden Siebenzahl, enthielt eine interessante Portrait-Galerie, 700 Bildnisse von griechischen und römischen Dichtem, Schriftsteilem, Gelehrten, Künstlern, Staatsmännern, Feldherren. Plin. H. N. 85, 2, 11.

III, 10, 2. Cfr. Gell. 11, 21, § 8. T(e)riones. Die Pl^des, die sieben Sterne am Halse des Stiers, wurden auch vergiliae genannt, weil ihrem Aufgang (22. April bis 10. Mai) der Frühling (ver) und die freundUche Jahreszeit folgte, ihrem Untergang aber (20. October bis 11. November) die Winterzeit Den Schiffern war dieses Gestim von Wichtigkeit, weil mit ihrem Aufgange die Schiffahrt begann und mit ihrem Untergang ein- gestellt wurde, daher ihr Name nach Servius ilno ror nXüiv. Vergl. Gell. Xni, 9, 6; Macrob. in Somn. Scipion. I, 6; Cic. Somn. Scipion. 5; Hippocrat Aphorism. U, 22.

m, 10, 2. Ueber Nigidius s. Gell. IV, 9, 1 NB.

ü eil ins, AtÜKhe Nächte. 13

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(194) III. Buch, 10. Cap., § 3—6.

sieben Himmelskreise annehme und sie def Ausdehnung (Länge) nach um die (den Mittelpunkt bildende) Achse herum sich zu denken habe (also unsere [geographischen] Breiten- grade). Von ihnen werden die beiden kleinsten (kürzesten), die äussei-ste Erdachse begrenzenden (schlechtweg) mit dem Begriffe „Pole" bezeichnet, die aber auf der Himmelskugel welche von den Griechen Ringkugel (x^ixwri; sc. acpalga) ge- nannt wird, wegen ihrer Kürze (ausdrücklich) in Wegfall kommen (in sphaera-propter brevitatem non inesse). 4. Aber auch selbst der Thierkreis (mit seinen Sternbildern) steht nicht ausser Verbindung mit der Siebenzahl, denn im 7. Zeichen von der Winterwende, dem Zeichen des Krebses an gerechnet, findet die Sommerwende statt, und im 7. Zeichen von der Sommerwende, dem Zeichen des Steinbocks an, tritt die Winterwende ein; ebenso nimmt man 7 Zeichen von einer Nachtgleiche zur andern an. .5. Ferner sollen in (den ruhigen Tagen) der Winterjahreszeit die Eisvögel (alcyones) auch 7 Tage brauchen, um (im atlantischen Meere) sich ihr Nest zu bauen. 6. Weiter noch macht Varro die schi-iftliche Be- merkung, dass der Mondumlauf in 4 mal 7 Tagen sich voll- ständig vollzieht, denn am 28. Tage, heisst es wörtlich, koumit

III, 10, 3. Dazu von Macrobius (somn. Scip. I, 6) noch vier, die beiden Coluri, der Meridian und Horizont, und Zodiacus und die Milch- Strasse, welche schon in alten Zeiten als Circuli gelten. Cic de nat. deor. II, 41.

m, 10, 3. Errones. Deren giebt es jetzt bereits ohngefähr nach neuerer Entdeckung 140, es sind Planeten.

m, 10, 4. Frtthlingszeichen: Widder, Stier, Zwillinge; Sommerzeichen: Krebs, Löwe, Jungfirau; Herbstzeichen: Waage, Scorpion, Schütze; Winter- zeichen: Steinbock, Wassermann, Fische; oder in zwei Hexametern: Suntaries, taurus, gemini, cancer, leo, virgo, Libraque, scorpius, arctitenens, caper, amphora, pisces.

HI, 10, 5. Von dem Eisvogel, Meerhuhn («Ixiiar^ alcedo), erzählen die Alten, er lege seine Eier sieben Tage vor dem kürzesten Tage und brüte bis zum siebenten Tage nach diesem, also im Ganzen vierzehn Tage. Diese vierzehn Tage seien durchaus sturmlos, weshalb man sie auch die „alcedonischen Tage" nannte und diesen Ausdruck bildlich auf die so- genannte „ruhige Zeit" übertrug, wo wenig oder keine Geschäfte gemacht wurden. Plin. H. N. 10, 32; Plutarch: über den Verstand der Land- und Wasserthiere, 35; Nonius Marceil. H, 145, 5; Varro 1. 1. 6, 5.

III, 10, 6. Die Siebenzahl ist rdeatpogog (zur Reife und Voli-

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m. Buch, 10. Cap., § 6. (195)

der Mond wieder an seiner vorigen Ausgangsstelle an und kehrt so zu seiner (früheren) Constellation zurück. Zugleich wird der Samier Aristides [vielmehr Aristarchus] als Be- endung brinc^ehd) in geometrischer Hinsicht, weil sie die Eigenschaft jedes Körpers in sich trägt.

1) 8 Dimensionen: Länge, Breite, Höhe.

2} 4 tennini (oftot): Punkt, Linie, Fläche, Festigkeit. Die Siebenzahl zeigt die Gleichheiten an:

1) die mit der Fläche nach ihrer Verwandtschaft mit 3 und

2) die mit dem Körper nach ihrer Verwandtschaft mit 4.

Die Siebenzahl geht durch das ganze klassische Alterthum. Wie § 10 angegeben, nahm man in Griechenland 7 Weise an; es kämpften 7 Helden Tor Theben (tmd diese Stadt hatte 7 Thore); femer erzählte man sich Ton 7 Weltwundem; 7 Saiten klangen an der Lyra; 7 Städte stritten sich um Homers Geburt; 7 Perser wetteten um eine Königskrone. Das mäch- tige Rom erhob sich auf 7 Hügeln, und als das Joch der Tarquinier ab- geschüttelt wurde, hatten 7 Könige Rom beherrscht In 7 Mündungen strömte der Nil ins Meer. Gleich die Schöpfung beginnt mit der Sieben- zahl, denn in 6 Tagen schuf Gott Himmel und Erde und am 7. rahte er; 7fältig sollte Kain gerochen werden; 7 Jahre diente Jacob um die schöne Rahel, 7 Seelen gebar ihm deren Magd Bilha, und 7 Tagereisen jagte ihm Laban nach; Pharao träumte von 7 fetten und 7 magei'en Kühen, von 7 vollen und 7 dürren Aehren. In Aegypten verwandelte der Herr 7 Tage lang die Ströme in Blut, er schlug das Land mit 7 Plagen, und 7 Tage vor ihrem Auszuge assen die Kinder Israels ungesäuertes Brod. Auf dem Leuchter in der Stiftshütte brannten 7 Lampen mit ihren Lichtschneuzen und Löschnäpfen. Noah nahm 7 Paar reines Vieh und 7 Paar Vögel mit in seine Arche und erst nach 7 Tagen kam das Gewässef der Sündflut auf Erden. Der weise Salomo hatte 700 Weiber und 7 Jahre dauerte der Bau seines Tempels; 7 Enkel hatte der fromme Tobias; 7 Löwen waren bei Daniel in der Grabe und am 7. Tage kam der König, ihn zu beklagen. Die Offenbarang Johannes spricht von 7 Sternen, von 7 goldnen Leuchtern, von dem Buche mit 7 Siegeln, von dem Lamme mit 7 Hörnern und 7 Augen, von 7 Engeln mit 7 Posaunen und von dem Thiere mit 7 Häuptern. Der Apostel empfiehlt 7 Almosenpfleger. Mit 5 Broden und 2 Fischen, zusammen mit 7 Stücken speisete der Herr 5000 Menschen. In dem 7. Gebot ist Diebstahl verboten; und in der 7. Bitte wird um Erlösung vom Uebel gebeten. Auch steht geschrieben: Aus 6 Trübsalen will ich Dich erretten und in der 7. soll Dich kein Uebel rühren. Allein man begnügte sich nicht, die 7 auf Erden zu vervielfältigen; auch am Himmel leuchteten sie vorwiegend, als 7gestim. Und so waltet diese deutungsreiche Zahl bis in die neueste Zeit herein und erscheint in den mannigfaltigsten For- men und Beziehungen. Mit 7 Farben erfreut uns in den Regionen der Luft der Regenbogen; im Thierreiche verschläft der 7 schläfer den rauhen Winter; die Erdbeschreibung kennt am Rhein ein 7 gebirg und hinter

13*

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(196) ID. Buch, 10. Cap., § 6. 7.

gründer dieser Annahme genannt und dabei hinzugefQgt, man solle sein Augenmerk nicht nur auf den Umstand richten, dass die Mondviertel in je 7 Tagen sich vollenden, d. h. in 28 Tagen der Mondumlauf sich vollendet, sondern (man dürfe auch noch eine andere Eigenthümlicbkeit nicht Obersehen), dass durch das Zusammenzählen (Addiren) aller auf einander folgenden Zahlen von 1 bis 7, die 7 mit eingerechnet (also 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + 7), dadurch die Summe von 28 herauskommt, gerade so. viel (Tage), als der Mond zu seinem Umlauf braucht. (Vergl. Gell. I, 20, 6.) 7. Weiter noch sagt er, dass der Einfluss dieser Zahl auch noch auf die Gebuit der Menschen sich erstreckt und Beziehung habe: denn sobald im Mutterleibe durch Beischlaf die Befruchtung erfolgt ist, geht in den nächsten 7 ersten Tagen die Frucht- gestaltung vor sich und fängt an zur Vollziehung seiner Be- stimmung eine Gestalt anzunehmen (d. h. sich zum Embryo

Ungarn liegt ein 7 bürgen; daher der Kaiser von Oesterreich unter den Potentaten aUen deijenige ist, dem man am siebersten Geld leiben kann, weil er 7 Bürgen bat In der Gescbicbte lebt ein Gregor VIl und 7 Kur- fürsten wählten sonst den deutschen Kaiser. Der 7jfthrige Krieg machte Friedrich n. von Preussen unsterblich, und von den 77 Dingen aus der Herrschaft Napoleons besteht seine 7 Insehi-Republik bis auf den heutigen Tag. Für Literatur, Unterricht^ Geselligkeit ist die Zahl 7 unentbehrlich. Mit 7 freien Künsten beschäftigt sich noch jetzt, wie ehedem, der gebildete Mann. 7 Tragödien sind von Aeschylos auf uns gekommen und 7 noch von Sophocles übrig. In der beliebten Oper „Freischütz** ruft Samiel: 6 treffen, 7 fiffen; 7 Stiche verschaffen im Whist den Trick xmd im Boston gehen sie bekanntlich Über petite-misäre und über 6 Stiche. Der Fürst fährt mit Sechsen, der Höllenfürst mit 7. Cfr. Vitruv. IX, 4; Gell. I, 20, 6.

lU, 10, 6. Nach Lübbert comm. pontif. S. 196 ist nicht Arisddes Samius, sondern die noch erhaltene Schrift des Aristarchus Samius nfQi fÄiyei^oiv xal dnoarrj/iaTiov 'qXfov xal aeliivrig (von den Grössen und Abständen der Sonne und des Mondes) die Quelle. Dieser Aristarchos lebte 260 v. Chr. und soll die Bewegung der Erde um die Sonne und ihre eigene Achse gelehrt haben. Durch ihn und seinen Schüler Hipparch aus Xicaea erhielt die Astronomie eine selbst von den Neueren bewunderte Vollkommenheit. Er wurde wegen seiner Lehre von dem Stoiker Kleanthes der Irreligiosität angeklagt (Mercklin und Lübker.)

III, 10, 7. Hippocrates über das Siebenmonatsldnd. Von der Diät; Aphorismen I; Gell. III, 16, 1; Plinius VII, 4 (5); Aristotel. Thiergesch. IV, 4; Tertullian de anim. 19; Censorinus de die nat. 8; Plutarch Phy- sikalische Lehrsätze der Philosophen V, 18.

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m. Buch, 10. Cap., §7—12. (197)

zu bflden). Endlich in der 4. Woche (nach 4 mal 7, d. h. 28 Tagen), wenn der lebensföhige Spross zum Austrag kom- men soll, bildet sich der Kopf nebst der mit dem Rücken verbundenen Wirbelsäule. Nach der siebenten Woche, d. h. nach 49 Tagen, fährt Varro fort, ist dann der neue Welt- bQrger unter der Mutter Brust bereits vollständig seiner menschlichen Gestalt nach ausgebildet. 8. Ferner sei die Beobachtung von dem Einfluss dieser Zahl auch noch deshalb nicht zu bezweifeln, weil weder ein männlicher noch weib- licher Spross vor dem 7. Monate schon kräftig und natur- gemäss lebensfähig könne ausgetragen sein, und weil nacli dem gehörigen und richtigen Verlauf der Schwangerschaft die Kinder nach 273 Tagen, die 7 ersten Tage von der Em- pfängniss an nicht mit eingerechnet, also zusammen endlich nach der 40. Woche (d. h. nach 280 Tagen) zur Welt kommen. 9. Femer stellt er die Behauptung auf, dass in den Zeit- abschnitten, welche die Ghaldäer climacteras (die Stufenjahre) nennen, die Siebenzahl ebenfalls eine wichtige Rolle spiele, weil (nach solchen Abschnitten) für das Leben und die Glücks- umstände des Menschen leicht allerhand verhängnissvolle Fälle eintreten können (vergl. Gell. XIV, 1). 10. Ausserdem, setzt er hinzu, ist es auch bekannt, dass das (höchste) Mass von einem vollständig ausgewachsenen menschlichen Leib 7 Fuss betrage. 11. Diese Angabe dünkt uns doch mehr Wahr- scheinlichkeit für sich zu haben, als die Nachricht des Volks- mährchen- Schriftstellers Herodot, in dessen erstem Buche seiner „Geschichten^ (cap. 68) man liest, dass der Leib des Orestes unter der Erde sei aufgefunden worden, der 7 Ellen lang war, was 12 Vi Fuss beträgt; man müsste denn die An- sicht Homers theilen wollen, dass in älteren Zeiten die mensch- lichen Leiber ungeheurer und stämmiger waren, jetzt aber, wo die schöpferische ürkraft der Welt bereits nachlässt, auch eine Abnahme an den geschaffenen Menschen und den Er- zeugnissen merkbar wird. 12. Weiter folgt bei VaiTO die

m, 10, 9. Stufeigahre S. Plinius VIT, 50 (49), 2; GelL XV, 7, 2 NB.

in, 10, 11. S. Plin. Vn, 16, 1; Lucret. D, 1150 ff.; Juyenal. XV, 69 f.: GolumeU. r. r. n, 1.

m, 10, 12. S. PUnius XI, 6, 8; Gensorinus de die natal. 14; Philo Jnd. de opif. mund. 14.

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(198) III. Buch, 10. Cap., § 12—14.

Angabe, dass man in den ersten 7 Lebensmonaten die (Milch-) Zähne bekomme und zwar auf jeder Seite 7, welche man in den nächsten 7 Jahren wieder verliert, dass aber die Backen- zähne in 2 mal 7, d. h. 14 Jahren, dazu wachsen. 13. Nach dem Gesetze der Siebenzahl (durch Anwendung der 7 saitigen Lyra) sollen bei den Menschen auch die Blutadern oder viel- mehr die Schlagadern in Bew^ung gesetzt werden und zwAr nach dem Ausspruch der Aerzte, welche der Musik sich als Heilmittel bedienen, und dieses Heilmittel nennen sie: rijv Sia teaadgiov avfiqxoviav (den Tonwohlklang durch das An- schlagen von vier unterschiedlichen Saiten, oder die Zu- sammenstimmung, welche durch die Vereinigung der Yierzahl hergestellt wird, d. h. durch vier zusammenklingende (con- sonirende) Töne im vollen Accord. 14. In den Tagen, die von der Siebenzahl gebildet werden, soll nach der Meinung

III, 10, 13. Die Yierzahl enthält die Gesetze oder Zahlenverhält- nisse (Xayoi) der musikalischen Zusanunenstimmung (Gonsonanz, avgjtifwfla).

I. Geometrische Vorzüge der Yierzahl. Die Yierzahl begründet die Körperlichkeit. Sie giebt 1) den Punkt, 2) die Linie, 8) die Fl&che, 4) die drei&die Ausdehnung : Höhe, Lftnge, Breite oder die Körperlichkeit Grundlage der Gestalten ist das Dreieck; Grundlage der Körper die Pyramide des Dreiecks. Bis zum dritten o^c (terminus) gi^t es blos ein Dreieck, der vierte noch hinzugesetzte (ro InM^lv) macht in den Zahlen die Yierzahl, in der Gestalt die Pyramide.

U. Arithmetischer Yorzug der Yierzahl. Erste, ftlteste und einzige Quadratzahl, die aus ihrer Wurzel nicht blos durch MultipUcation, sondern auch durch Addition entsteht, iaaxn töo^y gleichvielmal gleich:

2X2 = 4

« 4. III. Physische Yorzüge der Yierzahl:

4 Elemente: die Wurzeln der Wdt (des Alls), 4 Jahreszeiten: die Wurzehi der Dinge. Die Yierzahl bei den Pythagoräem: die Zahl, weil, durch Zusammen- zählen aUer einzehien Ziffern bis 4, die 10 entsteht Die Ziffern 1—4 addirt (1 + 2 + S + 4) giebt 10; geht man über 4 hinaus, so kommt man über 10. Die Yierheit bei den Pythagorftem als Schwur gebraucht Die Zehnzahl (S^xag) ist in der Unendlichkeit der 2^1en der S^os (ter- minus), welcher in die unendliche Zahlenmasse Gliederung bringt. (De- cimalsystem.) S. Plut Physikal. Lehrs&tze der Philosophen I, S.

III, 10, 14. S. Alezander Aphrodis. II, 47; Hippocr. Aphorism. II, 28. 24; Celsus medic ÜI, 4; Hippocr, von den Fleischarten {Tre^'i aa^x).

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ni. Buch, 10. Cap., § 14—17.— 11. Cap., § 1. 2. (199)

Varro's auch die Gefahr des Verlaufs bei Krankheitsfällen sich vermehren und vor Allem sollen gerade diese Tage nach einer ärztlichen Bezeichnung (beim Krankheitsverlauf) als ge- fährlich und entscheidend {yiqiai^oi) gelten, nämlich der 7. Tag nach der ersten Woche, der 14. nach der zweiten und der 21. nach der dritten Woche. 15. Auch verschweigt Varro den Umstand nicht, der ebenfalls Beleg liefert zu weiterer und grösserer Bestätigung der Kraft und des Einflusses der Siebenzahl, dass nämlich die, welche durch den Hungertod zu sterben beschlossen haben, schliesslich (immer) am 7. Tage den Tod erleiden. 16. Für die angegebenen, so kostbaren Bemerkungen über die Siebenzahl darf man dem VaiTo nun allerdings eine wohlverdiente Anerkennung sicher nicht ver- sagen, allein er fügt nun eben daselbst auch noch mehrere andere, aber (nicht eben so anziehende, sondern) mehr un- bedeutende Bemerkungen hinzu, z. B. dass es 7 Wunderwerke der Welt gebe; dass das Alterthum 7 Weise besessen; dass man beim Wettfahren im Circus gewöhnlich 7 Umläufe zu machen habe; dass es bei der Belagerung von Theben 7 auserwählte Führer gegeben. 17. Findlich folgt auch (vom Varro noch der Zusatz, dass er bereits schon das 84. Jahr angetreten und bis auf diesen Tag siebenmal 70 (d, h. 490) Schriften verfasst habe, von denen freilich, während seiner Aechtung, bei der Plünderung (der Bücherschränke) seiner Bibliothek sehr Vieles verschleppt worden und abhanden ge- kommen sei.

III, 11, L. Welch abgeschmackter Beweismittel Accins in seinen „sce-

nischen Winken (in didascalicis)'* sich bedient, wodurch er nachzuweisen

sich bemüht, dass Hesiod iUter gewesen sei, als Homer.

III, 11. Cap. 1. lieber das Zeitalter des Homer und des Hesiod ist man im Widerspruch. 2. Einige, wie z. B. Philo-

m, 10, 16. S. Hygin. Fab. 228; Strabo XIV, p. 965; Ampel, über memorial. 8; Gassiodor. Var. VII, 15; Gic de Fin. n, 3; de offic. m, 4; de amidt 2, 7; Valer. Max. VIII, 7 ext 2; Auson. lud. sept aap.; Lactant. div. inst IV, 1; Saeton. Domit 4; Propert II, 19, 65. 66.

m, 10, 17. 8. Hygin. Fab. 70. Femer über M. Terentius Varro 8. Tenffels Gesch. der röm. Lit. 163, 1—3.

m, 11, L. Ueber Lndos Acdns s. GeU. II, 6, 28 NB.

m, 11, 1. S. Sen. ep. 88, .5.

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(200) ni. Buch, 11. Cap., § 2—5.

chorys und Xenophanes berichten, dass Homer älter sei. als Hesiod; Andere wieder, dass er jünger sei, wie z. B. der Dichter L. Accius und Ephorus, der Geschichtsschreiber. 3. Marcus VaiTO aber sagt in seinem ersten Buche „aber Gharakterköpfe (oder Lebensbilder, de imaginibus)", dass es nicht ganz fest stehe, wer von den Beiden eher geboren sei, allein soviel sei unzweifelhaft, dass sie wohl so ziemlich zu einer und derselben Zeit zusammen gelebt hätten, und dass dies deutlich aus einem Gedenkspruch zu ersehen sei, welcher auf einem Dreifuss geschrieben stehe, den Hesiod auf dem Berg Helicon als Weihgeschenk dargebracht haben soll. 4. Allein Accius bringt im ersten Buche seiner „scenischen "Winke" sehr schwache Beweismittel bei, wodurch er das höhere Alter des Hesiod meint nachweisen zu können. 5. Er (sucht den Beweis folgendermassen zu fuhren und) giebt als Grund dafür an: weil Homer, obschon er im Anfang seines Heldengedichts erwähnt, dass Achilles ein Sohn des Peleus

in, 11, 2. Philochorus von Athen schrieb ein Geschichtswerk, Ur&fg oder lirrixal latogtai genannt, Athens Geschichte von der ältesten Zeit an bis in die Zeit des Antiochus Dens (246 v. Chr.), aus 17 Büchern bestehend. Er gehörte zu den Gegnern des Demetrios Poliorketes, der ihn, weil er die Partei des ägyptischen Königs Ptolemaeos genommen hatte, nach der Besetzung von Athen tödten Hess. Mehr als 200 Frag- mente sind noch von ihm da. Er war ein gründlicher Forscher, lleissiger Sammler und vielgelesener Schriftsteller.

in, 11,2. Xenophanes aus Kolophon, lebte ohngeföhr zwischen 580 bis 480 v. Chr., verliess seine damals von den Persem beherrschte Vaterstadt und führte ein Wanderleben in Hellas, Sicilien, Unteritalien, und scheint sich an der Gründung der Colonie Elea (Velia) betheiligt zu haben. Er war der Gründer der eleatischen Philosophenschule. Die Speculation der ionischen Schule (Thaies) über den Ursprung der Welt verwerfend, ward er Begründer des Pantheismus und der Idealphiiosophie- Er lehrte das Universum sei Eines (IV ro nar). Dieser speculative Hang nach einer höchsten Einheit machte ihn zum ausgesprochenen Feind der homerischen ^Poesie und Mythologie, an welcher er die Yermenschlichung des Göttlichen förmlich hasst, daher er gegen Homer und Hesiod jambische Verse verfasste.

ni, 1 1, 2. Ephorus aus K u m a e , mit Theopompus zugleich Schüler des Isokrates, entwarf nach Polybius (V, 88) zuerst den Plan einer Universalgeschichte. Sein vielumfassendes, methodisch geordnetes und in rhetorischem Geiste geschriebenes Werk begriff einen Zeitraum von 750 Jahren in sich. Das Werk ist durch l^nutzung des Diodor bekannt.

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IIL Buch, 11. Cap., § 5—7. 12. Cap. § 1—4. (201)

sei, doch uns mitzutheilen unterliess, wer dieser Peleus ge- wesen, welcher Umstand nach seiner Meinung (vom Homer) ganz sicher nicht mit Stillschweigen hätte übergangen werden dürfen, wenn er nicht in Betracht gezogen hatte, dass des- selben ja schon von Hesiod sei Erwähnung gethan worden. Ebenso, fahrt er fort, würde doch auch ganz gewiss eine so wichtige Bemerkung wie über den Gyclopen, dass ^r nämlich einäugig war, nicht haben ausbleiben dürfen, wenn dies nicht ebenfalls aus den Gedichten des älteren Hesiod als bekannt vorausgesetzt worden wäre. 6. Am allermeisten aber weicht man in der Angabe von Homers Vaterland ab. Einige stem- peln ihn zum Colophonier, Andere zum Smyrnäer, dann wieder Einige zum Athenienser, es finden sich wohl auch Einige^ die ihn für einen Aegyptier ausgeben, Aristoteles aber Vässt ihn von der Insel Jos stammen. 7. M. Varro setzt in seinem ersten Buche „über Charakterköpfe" folgenden Gedenkspruch bei:

Dies weisse (Marmor-) Zicklein zeigt: hier ruhet Homers Gebein.

So ehrten Jeten diesen Todten durch Opfergab.

(Um die Geburt des Homer sich streiten sieben der Städte: Smyma, Rhodos, Golophon, Salamis, Jos, Argos, Athene.)

III, 12, L. Dass der sehr gelehrte P. Nigidios Einen, der sehr viel und

gern trinkt, mit einer neuen, aber ziemlich unpassenden Wortform benannt

habe, mit dem Wort: bibosus (trunksüchtig).

III, 12. Cap. 1. P. Nigidius gebraucht von einem, dem Trünke Ergebenen die Ausdrücke „bibax" (trunkgierig) und „bibosus" (trunksüchtig). 2. Das Wort bibax, gleich dem Worte edax (essgierig, geirässig) nachgebildet, fand ich von Vielen gebraucht, das Wort bibosus habe ich aber noch nirgends weiter, als bei Laberius gefunden und man wird schwerlich ein anderes Beispiel einer ähnlichen (Wort-) Abbeugungs- endung finden. 3. Es lassen sich durchaus nicht etwa ver- gleichsweise die Ausdrücke anführen, wie : vinosus (dem Wein ergeben) oder vitiosus (dem Laster ergeben) u. s. w., die njlerdings allgemein im Gebrauch sind, weil diese (letzteren) durch Abbeugung vom Hauptwort und nicht etwa vom Zeit- wort gebildet sind. 4. So bedient sich Laberius in seinem

111, 12, 4. Ueber den Mimns s. Geschichte der röm. Literatur von

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(202) ni. Buch, 12. Cap., § 4. 13. Cap., § 1 5.

Geberdenspiel (in mimo), welches „der Salzhändler*^ über- schrieben ist, des Wortes bibosus. Da heisst es nämlich: „Sie ist

nön mammosa, non annosa, non bibosa, non procax, d. h. Hochbebus't nichts hochb^ahrt nicht, nicht tronksOchtig, wnnschfrech nicht

III, 13, L. Dass nemosthenes noch in seiner Jagend , als er ein Schüler des Philosophen Plato war und zurdlliger Weise in einer VolksTersammlung den Rhetor Callistratns gehurt hatte, (von diesem so begeistert worden sei, dass er) sofort von Plato wegblieb nnd ein Anhänger des Callistratns wurde.

III; 13. Gap. 1. Hermippus hat uns die schriftliche Be- merkung über den Demosthenes hinterlassen ; dass er noch sehr jung häufig in die Academie gekommen sei und öfters den Vorträgen Plato's beigewohnt habe. 2. Er erzählt uns nun Folgendes: „ÄJs einst Demosthenes seine Wohnung verlassen hatte und nun wie gewöhnlich auf dem Wege zum Plato sich befand, sah er eine Masse Volk zusammenlaufen. Er er- kundigte sich sofort nach der Ursache des Zusammenlaufs und ei-fähit, dass Alle sich beeilen den Gallistratus zu hören. Dieser Gallistratus gehörte zu Athen unter die Redner, 3. welche man dort allgemein mit dem Namen „VolksanfQhrer {drjiaayioyoiy bezeichnete. 4. Demosthenes glaubte (nach dieser erhaltenen Auskunft) ei'st einen kleinen Umweg machen zu dürfen, um sich zu überzeugen, ob die Vorlesung (des Gallistratos) wohl die geflissentliche Eile der zusammenströ- menden Menge gerechtfertigt erscheinen lasse. 5. Er kommt hin, heisst's weiter, und hört den Gallistratus, wie er eben seine berühmte Rede vorträgt: „(r^ Tcegl '£2Q(07tov dUtjv) die

W. S. Teuffei § 7. Possenhaft, niedrigkomische DarsteUimg von Cha- rakteren und Leidenschaften durch Declamation und Geberden, vorgeführt, das Zwergfell der Zuschauer zu erschüttern.

m, 18, 2. Callistratns, berühmter, atheniensischer Redner aus Aphidna, dessen Rede über Oropos, jenem Zanki^fel zwischen Athen ond Theben (cfir. Gell. VI [YII], 14, 9 NB.), den Demosthenes mit Liebe f&r die Redekunst erfüllte. Er befehligte mit Chabrias nnd Iphikrates 378 das Heer. Von der atheniensischen Pöbelherrschaft zum Tode verurtheilt, verliess er die Stadt Ohne ErUubniss heimgekehrt, wurde er 368 hin- gerichtet Als Jemand den Demosthenes fragte, wer ein grösserer Redner sei, antwortete er nach Ulpian: „Ich, wenn man mich liest, Callistratas, wenn man ihn hört."

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m. Buch, 13. Cap., § 5. U. Cap., § 1-4. (203)

Rede über Oropos" (eine Hafenstadt am Euripus, welche steter Gegenstand des Streites zwischen Theben [Böotem] und Athen war) und ward so hingerissen, so (mit Liebe und Bewunderung für die Redekunst) eingenommen, und so ergrififeU; dass er von nun an dem Gallisti-atus folgte und der Academie mit ihrem Plato den Rücken kehrte."

III, 14, L. Dass der sich einer fehlerhaften Ausdrncksweise schuldig mache, der da sagt: dimidinm libnim legi (ich habe das Buch halb gelesen) oder dimidiam fabulam audivi (ich habe das Stück halb gehört), oder über- haupt ähnlicher Redensarten sich bedient. Gründlicher Nachweis Yarro's ober einen solchen (Sprach-) Schnitzer; endlich, dass kein alter Schrift- steller sich einer solchen Ansdrucksweise bedient habe.

III, 14. Cap. 1. Dunidium librum legi (ich habe das Buch halb gelesen), oder dimidiam fabulam audivi (ich habe das Stack halb angehört), oder ähnliche Redensarten sind nach der Meinung des Varro falsch und fehlerhaft. 2. Denn, sagt er, in diesem Falle muss es heissen : dimidiatum libi-um, nicht dimidium und dimidiatam fabulam, nicht dimidiam. Wenn dagegen in ein Schoppengefäss (sextarius) die Hälfte (hemina) voll Flüssigkeit gegossen worden ist, so darf man von dem halb vollgegossenen Schoppen nicht sagen: „dimidiatus sextarius fusus"^, und wenn Jemand von einer ausstehenden Schuld, die 1000 Drachmen beträgt, 500 zurückempfing, so werden wir nicht sagen, er habe „dimidiatum'', sondern er habe „dimidium'' (die Hälfte der Schuld) zurückerhalten. 3. Allein, fährt Varro beispielsweise weiter fort, wenn ein Silberbecher (scyphus argenteus), den ich mit einem Andern gemeinsam besitze, in zwei gleiche Theile getheilt worden ist, so darf ich nicht sagen: „dimidius'*, sondern „dimidiatus scyphus**, ist aber die Rede von dem Silberwerth des Bechers, so kann ich nur sagen, dass mir „dimidium argenti**, d. h. die Hälfte von dem Silber gehört und nicht „dimidiatum argen- tum**, 4. und so erörtert und unterscheidet er aufs feinste den Unterschied zwischen den beiden Woltern „dimidium"

III, 14, 3. Seyphus ein unten abgerundeter Pocal, mit und ohne Henkel. S. Nonius aus Vergil p. 545, 18; Dig. VI, 1, 28 § 2; Suet Ner. 47; Plin. 38, 12, 55 § 155; 87, 2, 7 § 19; Mart 8, 6, 11.

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(204) ^U. Buch, 14. Cap., §5—11.

und ^dimidiatum^ 5. und sagt, dass Q. Ennius in seinen Annalen sich wohlweislich so ausgedrückt habe:

Sicuti si qois ferat vas vini dimidiatom, d. h. Wie, wenn einer brächt ein Gef&ss nur halb mit Wein gefüllt,

und gesagt habe „vas dimidiatum''; denn wenn die Rede von dem fehlenden Theile sein würde, so müsste es nicht heissen : „pars dimidiata'', sondern „dimidia''. 6. Die zwar sehr feine, aber nichts desto weniger immer etwas dunkle Darlegung seiner Untersuchung lässt sich mit folgenden Worten zu- sammenfassen: dimidiatum (halbiit) ist fast gleichbedeutend mit dismediatum (mitten auseinander) und in zwei gleiche Theile getheilt; 7. dimidiatum darf daher einzig und allein nur von einem getheilten (halbirten) Gegenstand gesagt wer* den, der dann (vom Ganzen) als (Hälfte) abgetheilt (und ge- trennt) zu denken ist. 8. Dimidium (die Hälfte) versteht man nicht von dem, was halbirt worden ist, sondeiii was speciell den einen Theil des getheilten Ganzen bildet. 9. Wenn wir also ausdrücken wollen, den halben Theil (die Hftlfte) eines Buches gelesen, oder die Hälfte einer Erzählung (eines Stückes) gehört zu haben, so begehen wir unbedingt einen Fehler, wenn wir dies ausdrücken durch: dimidiam fabulam, oder dimidium librum (das halbirte Stück, das halbirte Buch); denn nur bei dem Inbegriff der einen Hälfte von einem hal- birten und getheilten Ganzen sagt man dimidium und nicht dimidiatum. 10. Diesem Unterschiede scheint daher Lucilius in folgender Stelle gefolgt zu sein, wo es heisst:

Uno oculo, pedibusque duobus dimidiatus üt porcus, d. h.

Nur ein Auge, dazu an beiden Füssen gespalten, Wie das Schwein;

und an einer andern Stelle:

Quidni? et scruta quidem ut vendat scrutarius Uudat, Praefractam strigilem, soleam inprobus dimidiatam, d. h.

Preiset ja selbst alten Trödel mit Frechheit der Trödler zum Kauf an : Eine zerbrochene Bürste und eine zerlappte Sandale.

11. Im 20. Buche vermeidet er offenbar sorgfältig zu sagen:

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in. Buch, U. C»p^ § 11 19. (205)

^dimidiam horam'', sondern setzt dafür in folgender Weise: „dimidium horae**:

Tempestate sua atque eodem uno tempore et horae Dimidio et tribns confectis dumtuat eandem Ad quartam, d. L

Ganz zu derselbigen Frist, in derselbigen Zeit, in der halben Stunde, nachdem drei rolle vergangen, beinah' auch die vierte.

12. Denn da es zur Hand und ganz nahe lag zu sagen: di- midia (sc. bora in der halben Stunde) et tribus confectis (und nach Verlauf von drei Stunden), vermied er doch mit Sorgfalt und Achtsamkeit eine unrichtige Ausdrucksweise. 13. Deshalb leuchtet es deutlich ein, dass es nicht einmal richtig sei zu sagen: „dimidia hora'', sondern entweder „dimidiata hora" oder „dimidia pars horae*". 14. Deshalb sagt auch Plautus in seinen Bacchides iV, 2, 7 [1189]): dimidium auri (die Hälfte von dem Gold) und nicht dimidiatum aurum. 15. Ebenso in seiner Aulularia (Topfkomödie U, 4, 12 [287]) nicht dimidiatum obsonium, sondern dimidium obsoni (die Hälfte vom Mundvorrath), wie aus der betreifenden Stelle zu ersehen ist, wo es heisst:

Ei adeo obsoni hie juBsit dimidium dari, d. h. Der soll die Hälft' erhalten von dem Mundvorrath.

16. In folgender Stelle aus den Menaechmen (I, 2, 45 [156]) sagt er nicht dimidium, sondern dimidiatum diem:

Di^ quidam jam ad umbilicum dimidiatus mortuust, d. h. Ist der Tag doch bis zum Nabel halbtodt abgestorben schon.

17. Auch schreibt M. Cato in seinem Buche „über Ackerbau" (151, 3), wie folgt: „Du musst Cypressensamen dicht säen, gerade so, wie man Leinsamen zu säen pflegt, lieber die Saat siebe in einem Sieb Finger (hoch) Erde; d'rauf ebne Alles sauber mit einem Holzbret, oder mit dem Finger, oder mit den Händen.^ 18. Er sagt: dimidiatum digitum (Vg Finger hoch), nicht dimidium. ' Denn man kann wohl digiti dimidium (von der Höhe einer Fingerhälfte) sagen, aber dem Wort digitus kann nur dimidiatus beigesetzt werden. 19. Ebenso hat M. Cato (in seinen Nachrichten) über die Carthager so geschrieben: „Sie gruben Leute bis zur

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(206) lU. Buch, 14. Cap., § 19. 20. 15. Cap., § 1—3.

Leibeshälfte (homines-dimidiatos) in die Erde ein und legten ringsum Feuer an und brachten diese so um's Leben.'' 20. Nie aber hat unter allen Schriftstellern Einer^ der irgend Werth auf eine richtige Ausdrucksweise legte, diese Ausdillcke anders als in der angegebenen Weise gebraucht.

III, 15, L. Dass sich in Geschichtswerken Beispiele verzeichnet finden und auch anderweitig selbst noch durch mündliche Ueberlieferuugen nach- gewiesen seien, wie eine grosse, unerwartete Freude Vielen einen plötz- lichen Tod dadurch zuzog, dass die Ueberraschung ihnen die Sinne benahm, und ihr geistiges Wesen der heftigen Wirkung einer grossen und un- gewöhnlichen Gemüthsbeweguug unterlag.

in, 15. Cap. 1. Der Philosoph Aristoteles berichtet, dass Polycrita, eine vornehme Frau von der Insel Naxos, über eine unverhoffte freudige Nachricht sofort gestorben sei. 2. Auch Philippides, ein nicht unberühmter Lustspieldichter, als er schon hoch bei Jahren wider Erwarten im dichterischen Wettkampf den Preis eirungen und dadurch höchst freudig überrascht wurde, starb plötzlich mitten in seinem grossen Freudenrausch. 3. Auch ist die Erzählung von dem Khodier Diagoras allgemein bekannt. Dieser Diagoras hatte drei blühende Söhne, von denen der Eine Faustkämpfer (pugil), der Zweite Doppelringer (pancratiastes), der Dritte Ringer (luctator) war. Diese drei Söhne zusammen sah der Vater zu Olympia an einem und demselben Tage sieggekrönt, und als ihn nun daselbst die drei Jünglinge umschlungen hielten, ihm mit ihren Siegeskränzen sein väterliches Haupt schmück- ten, ihn mit Küssen bedeckten, und als zugleich das Volk unter freudigem Jubelruf und Glückwunsch von allen Seiten Blumen über ihn ausstreute, da hauchte der überglückliche

III, 15, 1. S. Plut von grossen Eigenschaften der Frauen {nein yifVtttx. aQCT.) cap. 17, p. 254.

m, 15, 2. Philippides, ein griechischer Dichter der neueren Ko- mödie, lehte 336 v. Chr. Bei Plutarch, Athenaeus u. s. w. finden sich noch einige Fragmente von ihm vor. S. Suidas: f4axg6v noici,

III, 15, 3. S. Cic. Tusc. I, 46. Pancratiastae hiessen Fechter, welche in beiden Arten des Kampfes geabt waren, sowohl im Ringen Xlucta), als auch im Faustkampf, d. h. im Balgen und Schlagen mit Keulen oder dicken Lederhandschuhen (caestibus). S. Gell. XIII, 27, 3; Sen. ben. V, 8; Vn, 1; Quintil. II, 8, 13, = dem gr. Namen athletae. Cic. orat 68, 228; de Sen. 9, 27.

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m. Buch, 15. Cap., § 8. 4. -^ 16. Cap., § 1. (207)

Vater seine Seele aus, ebendaselbst im Kampfplatz vor den Augen des Volkes und unter den Küssen und Umarmungen seiner Söhne. 4. Ebenso kann man in unsem Jahrbüchern au%ezeichnet lesen, dass in der (Unglücks-) Zeit, als (216 v, Chr.) das Heer des römischen Volkes bei Cannae eine völlige Niederlage erlitten hatte,' ein altes Mütterchen bei der em- pfangenen Nachricht von dem Tod ihres Sohnes von tiefer Betrübniss und Wehmuth sei ergriffen worden. Allein die Nachricht erwies sich als falsch und der (todtgesagte) Jüng- ling kehrte nicht lange darauf aus der Schlacht nach der Stadt zurück. Das alte Mütterchen beim unerwarteten An- blick des Sohnes wurde von der Macht und dem Uebermass und gleichsam von der Wucht der hereinbrechenden, un- verhofften Freude so betäubt, dass sie (in ihrer Bestürzung) den Geist aufgab.

m, 16, li. Wie mannigfaltig ron Aerzten und Philosophen der Zeitpunkt der Niederkunft bei Franen angenommen worden sei; weiter noch auch Ansichten der alten Dichter über diesen Gegenstand und viele andere be- merkenswerthe und denkwürdige Einzelheiten ; endlich eine darauf bezügliche Stelle des Arztes Hippocrates aus dessen Schrift entlehnt, welche betitelt ist: r,niQ\ TQofpiis^^ d. h. „von der Nahrung'^

ni, 16. Cap. 1. Sowohl Aerzte, als auch berühmte Philo- sophen haben sich mit der Frage über den richtigen Zeit- punkt der Entbindung von einem Kinde beschäftigt (d. h. wie viel Zeit nöthig sei zum völligen Austrag eines menschlichen Wesens). Als allgemein verbreitet und fast für völlig fest- stehend angenommen gilt die Ansicht, dass, nach einem beim Weibe mit Erfolg vollzogenen Beischlaf, die menschliche Frucht selten schon im 7. Monate zum Austrag komme, nie im 8., oft im 9., aber noch weit öfter im 10., und sei überhaupt dieser (zehnte Monat) als längste Frist zum vollständigen Austrag eines Kindes anzunehmen: nicht aber etwa der An-

m, 15, 4. Plinius VD, 54, 1; Liv. XXII, 7, 18; Val. Max. IX, 12, 2.

m, 16, 1. S. Herodot VI, 69; Plutarch: Physik. Lehrmeinungen der Phüosophen V, 18; Gell. III, 10, 8; PUn. MI, 4 (5). Vergl. Savigny röm. R. U, 388. 402. Die 10 Monate gründen sich auf die XII Tafeln, wie weit zorückgerechnet werden dürfe, um die eheliche Gehurt an- zanehmen. So nahm den Ausdruck Vacro 1. 1. 10 (9), 3^6; Quinct. I, 6; Isidor. I, 27; Stahl Philos. des Rechts II, 1 p. 166. ,

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(208) ni. Buch, 16. Cap., § 1 7.

fang, sondern das Ende des 10. Monats. 2. Dies ersehen wir aus einer Stelle unseres alten Dichters Plautus, bei dem es in seinem Lustspiel „Cistellaria, das Kästchen'' (I, 3, 14 [161] ) wörtlich heisst:

Jene nun, die er geschwächt, gebar Nach Verlauf des zehnten Monats eine Tochter drau£

8. Eine ähnliche Aeusseining findet sich bei dem noch älteren Lustspieldichter Menander, der sich um die im menschlichen Leben gebräuchlichen Meinungen und Ansichten doch wohl sehr (bekümmert und) unterrichtet hatte. Ich lasse die darauf bezügliche Stelle aus seinem Lustspiel, „Plocium, das Hals- band" betitelt, folgen:

rwri xvei <f6f« fi^vas; d. h. Ein Weib zehn Monat' schwanger geht?

4. Unser Gaecilius aber, der da ein Lustspiel gleichen Namens und Inhalts verfasste und das Meiste vom Menander entlehnte, hat, bei Herzählung der Schwangerschaftsmonate, in denen die Geburt eines Kindes möglich ist, den vom Menander aber- gangenen achten Monat nicht übergangen. Des Gaecilius Verse lauten adso:

A. Ein Weib doch wohl im zehnten Monat zu empfangen pflegt? B. Gewiss. Sodann im neunten, auch im siebenten und achten.

5. Dass Gaecilius diesen Fall nicht ohne (Absicht und) Ueber- legung namhaft gemacht hat, und dass er nicht ohne Grund vom Menander und von den Ansichten vieler Anderer ab- gewichen ist, zu diesem Glauben giebt uns M. Varro ganz besonders Veranlassung. 6. Denn im 14. Buche seines Werkes über „göttliche Dinge" findet sich eine Stelle, wo er schreibt, dass bisweilen auch im 8. Monat eine Leibesfrucht zur Welt gekommen sei. In demselben Buche sagt er auch noch, dass ein Mensch bisweilen auch im 11. Monat könne geboren wer- den und nennt den Aristoteles als Gewährsmann dieser An- sicht, also sowohl von der Möglichkeit einer Entbindung im 8., wie im 11. Monat. 7. Den Gnind aber für diese Meinungs- verschiedenheit im Bezug auf eine mögliche Niederkunft im

III, 16, 6. S. Hippokrates: über das 8. Monatskind; Aristot von der Erzeugung der Thiere IV, 4; Problem. X, 40.

III, 16, 7. Hippokrates aus Kos, der berahmteste Arzt des Alter- thums und der Erste, der die Heilkunst wissenschaftlich begründete, geb.

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in.Bach, 16. Cap., § 7—11. (209)

achten Monat, kann man in dem Werke des Hippocrate8, welches die Ueberschrift trägt: „von der Nahrung (ttbqi ^Qoq)f]sy erklärt finden, daraus sind folgende Worte: ,»£s giebt Geburten im achten Monat und auch wieder nicht/ 8. Diese unverständliche und kurz abgebrochene (gleichsam sich selbst widersprechende) Bemerkung findet eine wörtliche Auslegung von dem Arzt Sabinus, dem trefflichen, geistvollen Erklärer des Hippocrates. Er sagt in seiner Auslegung (be- sagter Stelle): „Die Kinder, welche durch eine Frühgeburt 2ur Welt kommen, scheinen zwar lebensfähig zu sein, sind es aber nicht, weil sie gleich darauf sterben; so giebt es deren also und auch wieder nicht: nämlich dem Scheine nach sind sie augenblicklich zwar als entstandene Wesen anzusehen, der Lebensfähigkeit nach aber durchaus nicht. "^ 9. Nach Varro's Ausspruch haben die alten Römer derartige Geburten nicht gerade für widernatürliche Seltenheiten betrachtet, sind aber im Allgemeinen der Ansicht gewesen, dass nur die Entbindung einer Frau im 9. und 10. Monat, ausserdem nicht aber in andern Monaten für naturgemäss gelten könne. Daher habe man den drei Schicksalsgöttinnen (fatis tribus) auch ihre Namen gegeben, (der Einen) von pario, d. h. also von dem (allgemeinen) Begriff des Gebarens (also: Parca, den beiden Andern von der Zeit der Geburt), von dem 9. und 10. Monat (Nona und Dedma). 10. Denn durch Umänderung eines ein- zigen Buchstaben in dem Wort partus entstand Parca; ebenso entstanden die Ausdrücke Nona und Decima (wie schon ge- sagt) von der Zeit der gewöhnlich im neunten oder zehnten Monat eintretenden Geburt. 11. Allein Gaesellius Vindex sagt in seiner Sammlung „alter Ausdrücke (in lectionibus

ohogefthr 460 t. Chr., gest. 377. Sdne Heilmethode war schonend, mild imd vorwiegend diätetisch, mehr zuwartend als eingreifend. Er stützte sich aof Beobachtong der Natur, folgte der heilenden Lebenskraft und Hess sich nicht auf Theorien ein. Dabei hüllte er seine Entdeckungen nicht in den Schleier des Geheimnisses, wie die sogenannten Asklepiaden, ans deren Geschlechte er entstammte, sondern machte sie zum Gemeingut der Menschheit Sechs seiner Schriften werden für acht angenommen, worunter die AphorismL

m, 16, 10. Tertttllian. de anima.

m, 16, 11. Oensorinus de die nataL 8; Julius Firmicus Matemus de astrologia ü, 4.

Oellias, Atfebohe NichU. 14

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(210) III. B^ch, 16. C^)., § 11. 12.

antiquis)"*: .,Es giebt drei Namen der Schicksalsgöttinnen: Nona, Decuma, Morta, und zur B^^ründung seiner Bemerkung führt er einen Vers aus der Odyssee des Livius (An- dronicus), unseres iUtesten (lateinischen) Dichters an:

Wann wird der Tag erscheinen, den vorher bestimmt hat Morta? Caesellius, ein Mann keineswegs ohne Verstand und Ueber- legung, hat aber (merkwürdiger Weise) das Wort Morta al& Eigennamen aufgefasst, während er es für die gleiche (grie- chische) Bezeichnung der Schicksalsgöttin, Moera {Möiga} hätte nehmen sollen. 12. Ausser diesen, über die menschliche Leibesfrucht (und die Dauer der Schwangerschaft vor- gefundenen schriftlichen Nachweisen habe ich auch noch fol- genden in Rom vorgekommenen (eigenthümlichen) Fall in Erfahrung gebracht: dass eine ehrbare und sittsame Frau^ deren (Tugendhaftigkeit und] Keuschheit durchaus nicht in Zweifel gezogen werden konnte, im 11. Monat nach ihres Mannes Tode niedergekommen war. Weil nun die Zehnmänner (in den XII Tafelgesetzen) die Geburt eines Menschen zwar im 10. Monat, aber nicht (mehr) im 11. für rechtmässig er- klärt hatten, so entstand dieser (Frau aus dem Umstand einer so späten Geburt) wegen der Berechnung des (Ent- bindungs-) Zeitraums eine grosse Verlegenheit (und gab der Vermuthung Raum), als hätte sie erst nach ihres Mannes Tod empfangen (und müsse, als sie bereits schon Wittwe war, nachträglich unerlaubten, männlichen Umgang gepflogen haben). Allein der erhabene*) Hadrian entschied nach

III, 16, 11. Livius An dronicus, der älteste römische Dichter aus Tarent. Bei der Eroberung seiner Vaterstadt kam er als Kriegs« gefangener nach Rom, wurde als Sklave von Livius Salinator freigelassen und erhielt den Namen Livius. Im Jahre 240 (514 u. c.) flxhrte er in Born das erste , nach griechischem Master gedichtete Drama auf und gab dadurch Veranlassung zur Entwickelung der dramatischen Literatur. Ausser einer Anzahl von Trauerspielen und Komödien verfasste er auch noch eine Uebersetzung der Odyssee im satumischen Versmass. Das erste Schulbuch der Römer, an dem noch Uoraz (Epist. II, 169) sich versuchen musste. Es sind von ihm nur wenige Bruchstücke erhalten. S. Bemh. r. L. 37, 136 u. 137.

III, 16, 12. S. Gell. XIV, 1. 19; Ovid. Fast. I, 30 ff.; L. 29 pr. n, de über, et post L. 3 § 11, ;r. de suis et legit

III, 16, 12. '•) Cfr. Gell. II, 24, 15; ES, 11, 10; X, 2, 2; X, 11, 5;

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III. Buch, hl Cap., § 12-15. (211)

genauer üntersuchuDg dieses (merkwürdigen) Falles dahin, dass eine Entbindung wohl auoli erst im 11. Monat eintreten könne, und dieses darauf bezügliche (kaiserliche) Erkenntnis^ habe ich selbst eingesehen. In diesem Krkenntniss sagt Hadrian ausdrücklich, dass er diese Entscheidung treffe, nicht ohne erst vorher die Ansichten der ältesten und eilahrensteii Weltweisen und Aerzte eingeholt zu haben. 13. Heute noch kann man beispielsweise in einer Satire des M. Varro, welche ^die Nachlassbestimmung (testamentum)" überschrieben ist. folgende Worte lesen: ^Wenn mir ein Sohn oder mehrere im zehnten, rechtmässigen und gesetzlichen (Niederkunfts-) Monat geboren würden, so sollen sie trotzdem von der Erbschaft ausgeschlossen werden, im Fall sie (so albern und eintllltig> sind, 'Wie die Esel beim Laut^nschlag (Dudelsack). Ist mir aber, welchen Fall Aristoteles allerdings auch für möglich hält, einer im elften Monat zur Welt gekommen (und er zeichnet sich durch geistige Anlagen aus): so sollen ihm von mir ohne Unterschied dieselben (Rechts- un<l Erb-) Ansprüche zugestanden sein und es mir gleichviel gelten, ob er ein Accius*), oder ein Titius/ 14. Varro will durch An- wendung dieser alten, sprüchwöitlichen Redensart, die man oft und allgemein zur Bezeichnung von Dingen gebraucht die sich durch nichts von einander unterscheiden und deren Bedeutung ist: dasselbe gilt für den Accius, was für deu Titius, dadurch also will Varro (überhaupt) zu vei-stehen ge- ben, dass die im 10., wie im 11. Monat Oeborenen dieselben gleichen Rechtsansprüche haben sollen. 15. Wenn es sich nun aber dergestalt verhält und die Niederkunft bei Frauen (überhaupt) nicht über den 10. Monat soll hinausgeschoben werden können, so muss mau die Frage aufwerfen, warum wohl Homer in seiner Dichtung (Odyss. XI, 248 etc.) den

Xin, 12, 2 und mein Vorwort Den v€i*storbeneü und heilig gesprochenen Kaisem wurde der Titel „Divus (der Vergötterte, unsterblich Erhabene)"* ertheüt Ueber die dabei stattfindende Ceremonie s. Herodian IT, 2. Ueber die plastische Darstellung der Kaiser als Divi s. Adolf Stahr^i Torso Th. II, S. 412 u. 413.

111, 16, 13. *) Accius oder Titius. Bezeichnung aligemeiner Vor- sönlichkeiten, wie vielleicht bei uns: Müller und Schulze.

14*

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(212) ni. Buch, 16. Cap., § 15—20.

Neptun ZU einem eben erst von ihm geschwängerten Mädchen habe sagen lassen:

Freu' Dich des Liebesgenusses, o Weib, im Verlaufe des Jahres Bringest Du herrliche Kinder zur Welt; denn unsterblicher Götter Beischlaf bleibt nimmer fruchtlos.

It). Als ich diese Stelle mehi-eren Sprachforschem gezeigt hatte, äusserten sich Einige dahin, dass das Jahr zu Homers, wie zu Romulus Zeiten nicht aus 12, sondern nur aus 10 Monaten bestanden habe ; Andere wieder meinten, es sei ganz <l«r Würde und dem Ansehen Neptuns angemessen; dass ein Spross von einem Gott in einem längeren Zeitraum zum Aus-* wachs gelange; Andere fahrten noch andere läppische Gründe Hu. 17. AberFavorin sagte mir, dass unter (dem homerischen Ausdruck) ^BQiTtXofjiivov evtawov (im Verlaufe des Jahres) nicht das vollendete (confectus annus), sondern das zur Neige gehende (adfectus) zu verstehen sei. 18. Bei dieser Aus- l^ung brauchte er den Ausdruck : adfectus (dem Ende nahe) in einer niciit ganz gewöhnlichen Bedeutung. 19. Dieses Wort (adfectus) sagte man nach der Sprachweise des Marcus Ci- 4.'ero und überhaupt nach der der besten, ältesten Wohl- redner ganz eigentlich von Dingen, die noch nicht ganz ihrem Ende zugeführt waren, sondern deren Ziel man sich als ganz nahe ans Ende vorgerückt und fortgeführt zu denken hatte. In diesem Sinne hat Cicero dieses Wort in der Rede angewendet, welche er, „im Betreflf der Consularprovinzen^ hielt (cap. 8 § 19 und cap. 12 § 29). 20. lAllein als Hippocrates in dem oben von mir erwähnten Buche (tibqI TQoq)r]g) die Zahl der Tage, in denen die Empfängniss im Mutterleibe zur Wesenheit sich gestaltet, besprach und die Zeit der Niederkunft selbst

in, 16, 16. S. Plutarch. Numa. 32; Ovid. Fast I, 27 £; Macrob. Sat I, 12; Censorinus de die natal. I; Solinus I; Florus I, 2, 2.

m, 16, 19. Cic. de prov. consular. cap. 8 § 19; GelL XV, |5, 4 u. s. w. Adfectum, confectum.

m, 16, 20. Bei Hippocrates heisst es vorher: Zur Bildung (der Leibes- frucht) werden gerechnet 35 Tage, zur Bewegung 70, zur Vollendung 210; Andere nehmen an ztu* Bildung 45, zur Bewegung 76 und zur Vollendung 210; Andere zur Bildung 50, zur ersten Bewegung 100 und zur VoUendungSOO; Andere zur Bildung 40, zur Bewegung 80 und zur Vollendung 240, und es ist dies bald recht, bald nicht (d. h. die Berechnung der Geburtszeit ist verschieden anzunehmen). Nun folgt die Fortsetzung bei GelliuB.

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HL Buch, 16. Cap., § 20—22. (213)

im 9. oder 10. Monat als bestimmt annahm, olme jedoch zu behaupten, dass die Entbindung immer in einer bestimmten Frist stattfinden müsse, sondern einmal früher, das andere mal später vor sich gehe, sagt er zum Schluss wörtlich, wie folgt:- „Es kommen aber in den angegebenen Entbindungs- epochen {iv TovToiQ sc '^elioig [= XQ^^^^o] i* ^* diebus) beziehentlich der lebensfähigen Geburten (xrij/iaicr, ^c3a, yivrj)^ sowohl im Einzelnen, wie im Ganzen genommen, (verhältniss- massig, zu Zeiten) bald einmal mehrere, bald einmal weniger zur Welt; aber (wenn ich einestheik sage) mehr, (meine ich) nicht viel mehr und nicht viel weniger (wenn ich andeni- theils behaupte) weniger. Durch diese Worte hat er (wie gesagt) ausdrücken wollen, dass, wenn die Entbindung auch bisweilen früher erfolge, dies doch nicht um sehr viel früher der Fall sei und wenn auch (einmal) etwas später, so doch nicht viel später. 21. Ich erinnere mich, dass zu Rom, al& dies ein Rechtsfall von nicht geringer Wichtigkeit erheischt^v eine eingehende und sorgfältige Untersuchung <lai1lber an- gestellt wurde, ob ein Kind, welches im 8. Monat zur Welt gekommen und aus dem Mutterleibe lebendig hervorgegangen war, aber gleich nach der Geburt, gestorben sei, ob ein sol- ches Kind mitgezählt werden dürfe und ob es die Aeltenu im Fall sie sich auf das Vorzugsrecht dreier Kinder (jus frium liberorum) berufen sollten, zu diesem Vorrechte be- vollmächtige, da Viele der Meinung waren, dass das (früh- zeitige und daher auch) unzeitige Gebären im 8. Monat nur fiir eine Fehlgeburt, nicht aber fQr ein wirkliches Kind könnt* angesehen werden. 22. Weil ich nun meine gesammelten

III, I^), 20. Bas soll wohl heissen: völlig lebensfähig ausgetragen werden theils nicht viel frtther die früheren Geburten, .theils nicht viel spätei* die späteren.

DI,' 16,. 21. Dieser [Rechtsstreit wird sich nicht auf eine Strafabweii- düng für die Matter bezogen haben, denn dabei wurden selbst monstra mitgerechnet, also gewiss auch todtgebome Kinder , sondern auf die Be- rechtigung einer an dieses jus trium liberorum geknöpften Belohnung. Ein Vater von drei Kindern genoss zu Rom verschiedene Yorrechte, sa war er z. B. frei von Staatsdiensten, brauchte keine Vormundschaft zu übernehmen, bekam eine ihm vermachte Erbschaft ganz und ohne Abzuj^^ u. s. w. Durch dieses Mittel suchte Augustus besonders Heirathen zu befbrdem.

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(214) ni. Buch, 16.^Cap., § 22— 24. 17. Cap., § 1.

Eiiahmugen in Bezug auf eine (zwölfmonatliche oder Jahres-) Geburt nach Homer, ebenso wie über eine elfmonatliche mit- getheilt habe, glaube ich nun auch noch einen (seltenen) Fall nicht (mit Stillschweigen) übergehen zu dürfen, den ich bei Plinius im 7. Buche (cap. 4, [5] 3.) seiner Naturgeschichte ge- lesen habe. 28. Weil aber dieses Beispiel (der Wahrschein- lichkeit nach) unglaublich klingen kann, lasse ich des Plinius eigne Worte folgen, die so lauten: „Als ein Erbe zweiten Ranges gesetzliche Erbanspiüche erhob, habe der Praetor L. Papirius, so verbürgt uns Masurius, ungeachtet der Ansprüche <lieses nachgesetzten Erben, die Befugniss zur Besitznahme der Erbschaft dem Andern zugesprochen, obgleich seine Mutter bei der Aussage verharrte, sie habe die Geburt 13 Monate lang getragen: weil Papirius den Umstand in Erwägung zog, dass (damals noch) keine gewisse Zeit der Geburt in den Gesetzen als bestimmt angenommen war." 24. In demselben Buche (VII, cap. 5, [6] 2.) hat Plinius Secundus auch noch fol- gende Bemerkung niedergeschrieben: „Das Gähnen während <les Kreissens (einer Frau) ist lebensgefährlich, sowie das Niesen nach dem Beischlaf eine unzeitige Geburt zur Folsre hat."

III, ]7y L. Dass, uacli einer Mittheiluug von höchst augesehenen Schrift- :?tellera, Plato drei Bücher des Pythagoräers Philolaus und Ariatotele» ^inii^e wenige Schriften des Philosophen Spensippus für einen kaum glaub- lichen Preis an sich gebracht haben.

III, 17. Cap. 1. Berichten zufolge soll der Philosoph Plato von Haus aus zwar nicht sehr reich gewesen sein und

m, 16, 23. Masarius Sabinus, römischer Jurist, Schüler des At^us Capito (s. GeU. I, 12, 8 NB.) und Gründer der nach ihm genannten Schule der Sabinianer, lehrte unter Tiberius und den folgenden Kaisem bis in die Regierung Nero's. Er hatte in seiner Schrift: „tres libri juris civilis'' das bürgerliche Recht systematisch behandelt. Dieses Werk fand viele Erklärer. Es ist von ihm nichts auf uns gekommen. Cfr. Gell. IV, 1, 21; XIV, 2, 1.

m, 17, 1. GelliuB und der gleich Aelian auf pikante Anecdoten jagende Valerius Maximus bleiben in dem, was sie über Plato's Leben berichten, in dem ausgefahrenen Gleise der bereits sehr verdunkelten Ueberlieferung. Denn es ist durchaus kein Grund vorhanden, den aus einem edlen und gewiss nicht unbegüterten Geschlechte stammenden Philo- sophen zu den Aermeren zu zählen, wenn man sein ganzes, zwischen

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m. Buch, 17. Cap., § 1-6. (215)

doch drei Bücher des Pythagoräera Philo laus für 10,000 Denare (nach unserm Gelde ohngefähr für 1200 Thlr.) käuflich an sich gebracht haben. 2. Diese Summe erhielt er, nach Angabe Einiger, von seinem Freunde Dio, dem Henscher von Syracus geschenkt. 3. Nach Ueberlieferung soll auch Aristo- teles einige wenige Bücher des Philosophen Speusippus, Dach dessen Tode, für drei attische Talente käuflich an sich gebracht haben. Dieser Kauljpreis beträgt im Ganzen ge- nommen nach unserer Berechnung 72,000 Sesterzien (= 2250 Thlr.). 4. Der (grobe) bissige Timon hat eine höchst im- pertinente Schmähschrift verfasst, die den Titel „Sillus((j/AP-og)" führt. 5. In dieser Schrift nimmt er den Philosophen Plato <von dem wir bereits erwähnten, dass sein eigenes Yeimögen nur sehr klein gewesen sei) schmählich mit (und setzt ihn darüber zur Rede), dass er das Lehrbuch der pythagoräischen Philosophie um einen Ungeheuern Preis gekauft (und daraus die ganze Weisheit zu seinem berühmten Dialog „Timaeus''

-weiten Reisen und behaglicher Muse wechselndes Leben in Betracht zieht. 8. Plato's Leben von Karl Steinhart Vergl. GelL II, 8, 9 NB.; Diog. Laert. DI, 11.

III, 17, 1. Philo laus, der Pythagoräer, nach Diog. Laert. ein Krotoniate, nach Jamblichus ein Tarentiner, nach Plato (Phaedr. p. 61 D.) <ein Zeitgenosse des Socrates, war der erste, welcher die bisher nur mündlich fortgepflanzten Lehren des Pythagoras niederschrieb. Er war wahrscheinlich kein unmittelbarer Schfder des Pythagoras, sondern des Arebas. Von seinen Schriften sind nur wenige Bruchstacke vorhanden.

m, 17, 3. Speusippus, der Sohn einer Schwester des Plato, geb. um 395. Für seine Erziehung sorgte Plato, sein Oheim. Er war der «rste Nachfolger auf Plato's academischem Lehrstuhle, den er dann wegen Kränklichkeit dem Xenokrates (339 v. Chr.) überiiess. 0fr. Gell. 11, 8, 9 NB.

III, 17, 4. Timon von Phlius, Skeptiker, Schüler des Stilpo und dramatischer Dichter. In seinen hexametrischen Sillen, sarkastischen ISpottgedichten (Parodieen) in drei Büchern verhöhnt er die Philosophen, mit Ausnahme des Pyrrhon imd der übrigen Skeptiker, zu welchen er sich selbst bekannte.

ni, 17, 5. Timaeus, ein Dialog des Plato, bei dessen Abfassung sich Plato der Schrift seines Lehrers, des Pythagoräers Timaeus von Lokri „von der Weltseele** bedient haben soll. Das Werk des Timaeus r,rr €f}i xpf^ag xog^ov xal (fvatog*^ (de anima mundi et natura, d. h. von der Weltseele) hat Proclus erhalten und seinem Coramentar über des Plato Timaeus vorgesetzt

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(216) ni. Buch, 17. Cap., § 6. 18. Cap., § 1—4.

zusammengestöppelt habe. 6. Die darauf bezüglichen Verse des Timon sind folgende:

Dich auch Plato ergrüF die Begier ein Weiser zu werden,

und für grosse Sommen erstandest Du ein Buch Dir, ein kleines;

Nun auf einmal kamen zum Schreiben auch Dir die Gedanken.

III, 18, L. Was man jonter solchen Senatoren verstand, welche pedarii (Mitläufer, Ja-Herren) genannt wurden und woher dieser Ausdruck stammt. Femer was die Veranlassung war zu der Auflbrdernng, welche nach einer alten hergebrachten, rechtskräftigen Verordnung der Consuln also lautete; „Senatoren und (ihr) denen im Senat die Berechtigung zusteht, ihr eigenes Votum abzulegen.*'

in, 18. Cap. 1. Es giebt nicht Wenige, welche in dem Wahne leben, dass unter den Rathsherren, die man pedarii (Mitläufer, Ja -Herren) nannte, diejenigen zu verstehen seien, welche im Senat noch nicht selbst ein eigenes Votum ablegen durften (und nicht mit zur Abstimmung aufgerufen wurden)^ sondern nur solche, welche der Meinung eines andern, wirk- lichen Senators (gleichsam mit den Füssen) beitretend sich anschlössen. 2. Wie ist das zu verstehen? Wenn abgestimmt wurde durch Uebertritt der Senatsmitglieder zu einer, oder der andern Partei, standen denn dann nicht sämmtliche Raths- herren auf und traten auf die Seite ihrer Partei ? 8. Man giebt auch von dem Wort „pedarius" folgende Erklärung, welche uns Gavius Bassus in seinen „erklärenden Abhandlungen (in cx>mmentarii8)^ schriftlich aufbewahrt hat. 4. Da heisst es nämlich: „Dass in alten Zeiten alle die Rathsherren, welche ein curulisches Amt bekleidet hätten, die Auszeichnung ge- nossen, stets zu Wagen nach dem Rathhause fahren zu düifen. Auf diesem Wagen befand sich ein Sessel, auf dem sie sassen, der deshalb auch sella curulis (Wagen-) Sessel genannt

III, 18, 1. S. Festus S. 210b (L. Mercklin) pedarius Senator, vergU Liv. 9, 8; 7, 36.

m, 18, 2. Alle diejenigen, welche zu den eigentlichen, wiikHch stinun- herechtigten Senatoren gehörten, blieben sitzen und erklärten so ihre Zu- i'tiramung. Cfr. Gell. XIV, 7, 12; Liv. 27, 34.

III, 18, 4. S. Festus S. 49 currules magistratus; bidorus Orig. XX, 11 ; Liv. I, 8, 4; Florus I, 5, 6; Serv. ad Verg. Aen, XI, 334; Pün. Vü, 49; Macrob. Sat I, 6; Horat. epist I, 6, 62; Ovid. ex Pont. IV, 9, 27; Silias Italic Vm, 88.

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in. Bach, 18. Cap., § 4—6. (217)

wurde. AUein diejenigen Senatoren, welche noch keine hohe curulische Magistratswürde bekleidet hatten, mussten stets zu Fusse aufs Rathhaus gehen. Daher also die Rathsherren^ die noch keine höheren Ehrenämter verwaltet hatten, mit dem Namen „pedarii (gleichsam als Fussgänger)'' wären be- zeichnet worden. 5. Allein bei M. Varro in seiner menippi- sehen Satire, welche den Titel führt: „das Pferdehündchen (iftnoKvatvy sagt, dass gewisse Ritter „pedarii'' genannt worden seien, und er scheint darunter solche zu verstehen, die, weil sie von den Censoren noch nicht in die Liste der Senatoren waren eingetragen und verlesen worden, nun zwar auch noch nicht wirkliche Rathsherren waren, aber doch, weil sie Volksämter bekleidet hatten, aufs Rathhaus kommen durften: Sitz und Zutritt in den Senat hatten und daher auch ein (gewisses) Stimmrecht genossen. 6. Denn sowohl die, welche zwar curulische Aemter bekleidet hatten (womit zu- gleich die Berechtigung des Eintrittes in den Senat verbunden war), wenn sie noch nicht von den Censoren in die Liste der Rathsherren eingetragen und verlesen worden waren, waren nicht wirkliche Senatoren (durften also deshalb kein eigenes Votum ablegen), und wurden, weil sie zuletzt eingeschrie- ben waren, auch nicht (besonders) um ihre Stimmen be- fragt, sondern schlössen sich beitretend der Meinung an, welche die höheren, stimmberechtigten Magistrate abgegeben hatten. (NB. Dies geschah dadurch, dass sie von ihren Sitzen

III, 18, 6. Der Consul that im versammelten Senat den Vortrag des abzuhandelnden Gegenstandes (referebat); darauf hielt er Umfrage nach eines Jeden Meinung. Um nun nicht viel Zeit zu verlieren, trug der Con- sul die verschiedenen Meinunges vor und Hess die ihm Beipflichtenden sich in seine Nähe begeben (ibant in sententiam ^us); die aber, welche anderer Meinung waren, sonderten sich von diesen ab (discessionem fa- debant), und so war die Stimmenmehrheit sehr deutlich zu erkennen, .^ach Plin. epist. VllI, 18 brauchte der Consul dabei folgende Formel: „Die, welche dieser Meinung sind, treten auf diese Seite; die aber, welche irgend einer andern Meinung sind, treten auf die Seite hin, mit der sie es zu halten gedenken.** S. Cic ad Quint fr. 2, 1, 3; Plin. ep. 2, 11, 21. 22; Vopisc AureL 20.

III, 18, 6. S. Fest 210; vergl. Orelli insc. 3721 « Mommsen I. N. 635; vergl. Cic ad Attic. I, 19, 9; Tac. ann. 3, 65; s. Lange röm. Alterth. § 112 p. (327) 350 ff.

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(218) ni. Buch, 18. Cap., § 6—10. 19. Cap., § 1. 2.

aufstanden und sich den wirklichen Rathsherren zur Seite stellten.) 7. Dies findet Beziehung und Bestätigung in einem alten Edict, dessen sich gewöhnlich auch heute noch zur Aufrechthaltung einer Gewohnheit die Consuln [ ] be- dienen, wenn sie die Vater in die Versammlung und Be- rathung des Senats berufen. 8. Die Aufforderung in dieser Verordnung lautet wörtlich: „Alle Senatoren und alle die, welchen im Senat ein (eigenes) Votum •abzulegen erlaubt ist."

9. Ich habe auch noch die Aufzeichnung eines Verses von Laberius besorgen lassen, worin dieser Ausdruck vorkommt. Den Vers las ich in dessen Geberdenspiel, welches den Titef führt „Stricturae (Streckerze)** und er lautet:

Caput sine lingua pedari sententia est, d. h. Ein Kopf ohne Sprach' ist die Stimme eines Ja -Herrn.

10. Diesen Ausdruck fand ich von Vielen falsch abgeändert. Denn statt des Wortes pedarii bedienen sie sich des Aus- drucks pedanei (gleichsam: Nachtreter).

III. 19, L. Auf Velche Art, nach des Gavius Bassus schriftlicher Er- klärung, einem Menschen der Name „parcus (sparsam)" beigelegt werden Ivonnte und woher, nach seiner Ansicht, dies Wort entstanden sei, und endlich, auf welche Art und durch welche Ausdrucke dagegen Favorin sich über diese Annahme (des Gavius Bassus) lustig machte.

III, 19. Cap. 1. Jedesmal, wenn man sich beim Favoriu zu Tische niedergelassen hatte und die ei*sten Gänge der Mahlzeit aufgetragen waren, hatte ein Diener, dem die Auf- wartung bei Tische oblag, die Bestimmung, entweder etwas aus der griechischen, oder aus der lateinischen Literatur vor- zutragen. So liess man sich auch eines Tages, wo ich selbst mit zugegen war, aus dem Werke des kenntnissreichen Ga- vius Bassus vorlesen, welches „über Ursprung und Ent- stehung von Ausdrücken und Namen" handelt. 2. Darin kam nun folgende Stelle vor: „Der Ausdruck „parcus" ist durch «ine Wortzusammensetzung gebildet und bedeutet gleichsam ^par arcae", d. h. „ähnlich einer Kiste", weil, wie (etwa

ni, 18, 8. S. Festus S. 389 n (L. Mercldin).

III, 18, 10. Tit C. de pedan. judic.

m, 19, 1. Ueher Gavius Bassus s. Gell. II, 4, 3 NB.

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m. Buch, 19. Cap., § 2-5. (219)

ohngefähr) in einer Kiste Alles verborgen gehalten und unter solchem Gewahrsam aufgespart und zusammengehalten Tdrd; so auch ein spareamer und mit Wenigem zufriedener Mensch alle seine Habe und sein Gut bewacht und verborgen hält, wie eine Eiste. Deshalb ist die verkürzte Zusammenziehung des Wortes parcus in dem Sinne von pararcus gesagt worden." 3. Nach Anhörung beregter Stelle sagte Favorin: „Dieser Gavius Bassus, anstatt uns eine (stichhaltig) sprachliche Er- klärung zu geben, hat vielmehr nur wunderlich und ausser- ordentlich schwerfällig und widerlich an dem Ursprung des Wortes „parcus" herumgebaut und herumgearbeitet. 4. Denn wenn es einmal erlaubt ist, seiner Vennuthung Ausdruck zu geben, warum sollte es (dann) nicht wahrscheinlicher sein, uns zu der Vermuthung veranlasst zu fühlen, dass nach obiger Erklärung das Wort parcus (zwar) durch Abkürzung ent- standen sei, (aber) aus pecuniam arcere (Geld verschliessen), also eigentlich (unabgekürzt und vollständig) pecuniarcus heissen müsse, weil es die Eigenheit eipes (knickrigen, knau- serigen) sparsamen Menschen ist, zu verhindern und vor- zubeugen, dass ihm sein Gold durch Verprassung und Auf- wand ausgehe. 5. Warum sollten wir also nicht vielmehr diese Erklärung fllr die einfachere und richtigere halten? Allein meiner Ansicht nach verdankt das Wort parcus seinen Namen und seine Entstehung weder dem Worte „arca", noch hängt es mit dem Begriff arcere (verschliessen) zusammen, sondern ist (ganz natürlich) von dem Begiiflf hergenommen, der uns in (der Form und Bedeutung von) den Wörtern parum (wenig) und parvus (gering) vorliegt."

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IV. BUCH.

IV, 1, L. £me Unterredung, welche auf socratische Weise vom Welt- weisen Favorin mit einem sehr aufgeblasenen Grammatiker gepflogen wurde. Dabei wird im Verlauf der Unterredung angeführt, durch welche Ausdrücke Q. Scaevola das Wort „penus" erklärt hat und wie diese Erklärung getadelt und angefeindet wurde.

IV, 1. Cap. 1. Im Vorhof (am Eingang) des kaiserlichen Palastes hatte sich eine grosse Anzahl von Leuten fast aus allen Ständen eingefunden, die des Augenblicks harrten, beim Kaiser ihre Aufwartung machen zu dürfen. Daselbst, mitten unter einer Versammlung von Gelehrten, worunter auch der "Weltweise Favorin sich gegenwärtig befand, kramte ein Mensch^ der sich ziemlich viel auf seine Kenntniss in der Grammatik einbildete, höchst auffällig allerlei Schul- (possen-) Kleinig- keiten aus. So erging er sich ein Langes und Breites in Betrachtungen über die (wechselnden) Geschlechts- und Ab- beugungs-Arten von (manchen) Hauptwörteni und geberdete sich dabei mit (stolz-) erhobenen Augenbrauen und mit über- triebener Wichtigkeit in Wort und Miene, gleich wie ein Ausleger und Schiedsrichter sibyllischer Orakelsprüche. 2. Plötzlich redete er den Favorin, obgleich er gar noch nicht näher mit ihm bekannt war, also an : „Auch das Wort „penus*^ wird seiivem Geschlecht nach verschiedentlich gebraucht und auch verschiedentlich abgebeugt. Denn die Alten pflegten zu sagen, sowohl (im Neutro) : hoc penus (nach der 3. Declination), als auch (hn Feminino) haec penus (nach der 4. Declination) und ausserdem gab es vom Neutrum auch zwei Formen, eine: penum, peni (nach der 2. Declination) und die* andere penus, penoris (nach der genannten 3. Declination). 3. Auch das Wort „mundus'* ia der Bedeutung von weiblichem Schmuck

IV, 1, 2. penus. S- Prißc. V, 6, 84; V, 8, 44: TI, U, 76. ed. Krehl; ChariBius; Non. Marcel! . III, 143»

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IV. Buch, 1. Cap., § 3—9. (221)

und Putz, fuhr (der Schwätzer) fort, hat Lucilius im 16. Buche seiner vermischten Gedichte, nicht wie alle Andern im männ- lichen Geschlecht, sondeni in folgender Stelle im Neutro gebraucht: £iner vermachte den Schmuck und den Yorrath Bämmtiich der Gattin

(mundum omne penumqne). Doch was nennt man wohl Schmnck, was nicht? Wer mag es entscheiden?

4. Und so Hess er (der Lästige) nicht nach mit seinem Ge- ):reische über allerhand Beweise und Beispiele, und als nun sein Geplapper allzu widerlich wurde, schlug sich Favorin ins Mittel und sagt^in freundlichem Tone zu ihm: „Schon gut, Schulmeister, wie Du auch inmier heissen magst, mehr als zuviel hast Du Dich bereits über Vieles ausgesprochen, was uns zwar unbekannt ist, was wir aber wahrhaftig auch gar nicht zu wisden verlangten. 5. Denn was kümmert es mich und den, mit dem ich r-ede, in welchem Geschlecht ich das Wort „penus* gebraucht, oder nach welcher Art ich das Wort abbeuge, wenn wir dabei nur nicht sprachwidrig verfahren? 6. Aber rund heraus, das verlangt mich zu erfahren, was man unter „penus*' vereteht und inwiefern man das Wort sagt, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, einen Gegenstaud üus dem alltäglichen Gebrauch mit einem andern (unpassenden) Namen geradeso zu belegen, wie fremde Sklaven zu thun pflegen, die sich Mühe geben beim Verkauf lateinisch zu spre- chen." 7. „Diese Frage ist leicht zu beantworten," erwiderte der Grammatiker, „da es sich (hier) um eine keineswegs un- bekannte Sache handelt. Denn wer sollte wohl nicht wissen, dass penus soviel bedeute als Wein, Weizen, Oel, Linsen, Bohnen und ähnliches Derartiges mehi-?" 8. „Ist etwa," fragte Favorin weiter, „unter dem Worte penus nun auch noch Hirse, flaidekom, Eicheln und Gerste mit einbegriffon? Denn das ist doch dem von Dir Genannten beinahe etwas ganz Aehn- liches;" und als jener schwieg und verlegen war, 9. fuhr Fa- vorin fort: „Ich möchte nicht, dass Dich das bekümmert, ob das von mir Genannte auch mif dem Wort penus bezeichnet wird; allein (das möchte ich doch wissen) ist es Dir über- haupt wohl möglich, mir nicht etwa nur einen einzelnen Be- standtheil von dem Begriff (penus) Vorrath anzugeben, son- dern mir vielmehr eine (umfassende und bestimmte) ErkUlrung

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(222) rv^ Buch, 1. Cap., § 9 13.

von penus zu liefern, durch Angabe seines allgemeinen Be- f?riffö und durch Hinzufügung derUntei-scheidungsmerkmale?" „Ich begieife wahrlich nicht," antwortete jener (Unwissende), „was Du mit Deiner allgemeinen Begriffsbestimmung und was Du mit den Unterscheidungsmerkmalen meinst." 10. Darauf sagte Favorin: „Du stellst daiin ein absonderlich schwieriges Verlangen, eine deutlich gehaltene Erklärung von mir noch deutlicher erklärt zu wünschen. Denn das ist doch wohl als sehi- bekannt vorauszusetzen, dass jede vollständige, nähere Beschreibung (oder jede Begriffsbestimmung) eben auf der Angabe allgemeiner und besonderer (abweichender) Momente beruhe. 11. Wenn Du nun also verlangst, dass ich Dir, so zu sagen, die Sache vorkauen (und noch klarer machen) soll, wohlan, so will ich dies auch thun, nur um Dir eine (ehren- volle) Aufinerksamkeit zu erweisen." 12. und d'rauf hub er also zu reden an: „Wenn ich nun (z. B.) an Dich die Bitte richten würde ; mir doch zu sagen und gleichsam eine wört- liche Beschreibung zu geben, was man wohl unter einem Menschen zu vei-stehen habe, so würdest Du, glaub' ich wohl nicht, mir die Antwort darauf geben: ein Mensch sei ich und Du. Denn das hiesse ja nur auf Einen oder den Andern aufmerksam, machen, der ein Mensch ist, nicht aber die Merk- male angeben, die ihn zum Menschen stempeln. Wenn ich Dich nun also, wie gesagt, bäte, mir durch Begriffe näher zu erklären, was Du unter einem Menschen verstehst, dann wür- dest Du mir sicher antworten : ein Mensch sei ein sterbliches, mit Verstand und Vernunft begabtes lebendes Wesen , oder Du würdest auf eine andere Art Dich ausdrücken, um den Unterschied zwischen ihm und allen andern lebenden Wesen anzugeben. Demnach bitte ich Dich also jetzt, dass Du mir eine Erklärung giebst, was man unter dem Begriff penus versteht, nicht aber, dass Du mir die einzelnen Theile her- nennst von Allem, was man dazu rechnet." 13. Darauf ent- gegnete nun jener Grossprahler in einem zahmen und herab- gestimmten Tone : „Diese Weisheitslehren sind mir fremd ge- blieben, auch habe ich durchaus kein Verlangen gehegt, sie kennen zu lernen und wenn ich auch nicht zu sagen weiss,

IV, 1, la S. 2. 3, § 8 de penu legata.

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IV. Bach, 1. Cap., § 13—17. (223)

ob Gerste als ein Theil aus dem in dem Worte penus ent- haltenen Gesammtbegriff anzusehen sei , oder wie überhaupt das Wort penus wörtlich sich erklären lasse, so bin ich doch deshalb noch lange nicht ohne jede andere wissenschaftliehe Bildung."- 14. Darauf sagte Favorin lächelnd: „Zu wissen, was unter dem Begriff penus zu verstehen sei, gehört weniger in das Bereich meiner Philosophie, als vielmehr in das Bereich Deiner Grammatik. 15. Denn Du wirst Dich doch wohl erinnern, wie ich meinen sollte, dass man vielfach die Frage aufgeworfen hat, was wohl Vergil mit den Worten hat sagen wollen (Aen. I, 703) : penum instruere, entweder longam ordine (d. h. lang- anhaltenden Lebensvorrath aufschichten), oder longo ordine (d. h. in langer Reihe sc. Lebensvorrath aufhäufen), denn sicher weisst Du doch wohl, dass man beide Lesaiien zu fin- den pflegt. 16. Aber nun muss ich schon dazuthun, Dich ganz (über diese Deine ünkenntniss) zu beruhigen, (denn wisse) es sollen nicht einmal jene berühmten, sogenannten weisen Aus- leger des alten Rechts ganz richtig zu erklären gewusst haben, was unter dem Ausdiaick penus zu veratehen sei. 17. Denn wie ich höre, hat Q. Scaevola zur Erklärung dieses Ausdrucks sich wörtlich also vernehmen lassen: „penus (Lebensmittel- von-ath) bedeutet Alles, was essbar oder trinkbar ist (quod eseulentum aut poculentum est)." „Nach dem weiteren Aus- spruch des Mucius soll nun Alles das unter penus zu ver- stehen sein, was von Bedürfnissen durch Anschaffung in Be-

IV, 1, 16. Cic. de amicit. 2; L. 2 § 37 tt. de orig. jur.

IV, 1, 17, L. 3 7t. de penu legata; Serv. ad Verg. Aen. I, 704; Festus S. 250: penu8.

IV, 1, 17. Von der Auseinandefsetzusg des Favorin aber penas hat Dirksen S. 49 nachgewiesen, dass nicht der vom Gellius selbst hier ge» nannte M. Scaevola, sondern der erst nachträglich 21) erwähnte Ma- enrius Sabinus als Quelle anzusehen ist. Mercklin.

IV, 1, 17. Die alte Genitiv-Endung auf as ist noch erhalten in Zu- sammensetzungen : paterfamilias, Hausvater und materfamilias, Hausmutter. Die alte Genitiv -Form war a-is. Daraus entstand durch Abschwächung des i ein aes (Inschriften noch Octavlaes), oder durch Zusammenziehung äs, dann durch AbfaU des s ward a-i und daraus ae. Varro missbiUigte beim Ploral diese alterthümliche Form und sagte, man dürfe nicht patres- femflias, sondern müsse patres familiarum sagen. Corssen sagt, ai sei oskischer Dativ und e ombrischer. Vielleicht sind intervias (unterwegs) und alias noch alte Genitive.

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(224) IV. Buch, 1. Ci^., § 17—20.

reitschaft gehalten wird Ibr den Haosherrn selbst, oder für die Hausfrau, oder fbr seine Kinder und den ihn und die Kinder umgebenden und nicht arbeitenden (oder fQr Alle arbeitenden) Haus (-Oesinde) stand. Denn was von Speise und Trank zum täglichen Gebrauch für das Mittags- oder Abend -Mahl angeschaflit und zubereitet wird, gilt nicht als penus, sondern vielmehr nur alles Derartige, was zum Unter- halt auf längere Zeit gesammelt und verschlossen wird und was daher nicht f&r den täglichen Gebrauch (so zu sagen von der Hand in den Mund) da ist, sondern was im Innersten des Hauses aufbewahrt gehalten wird, das Alles nennt man penus (Vorrath)." 18. „Obgleich ich mich,** fuhr Favorin fort, „ausschliesslich nur mit Philosophie beschäftigte, habe ich es doch nicht verschmäht, nebenbei mir auch noch diese (ander- weitigen, nöthigen und nfitzlichen) Kenntnisse anzueignen, weil es (nach meiner Ansicht) für einen römischen Büiger, der lateinisch spricht, eine ebenso grosse Schande sein wttrde, eine Sache nicht mit dem richtigen Ausdruck bezeichnen, wie einen Andern nicht bei seinem (richtigen) Namen nennen zu können. 19. So überhaupt vei-stand es Favorin im Allgemeinen seine Rede von derartigen unbedeutenden und gleichgültigen Dingen auf das überzuleiten, was höchst nützlich zu hören und zu lernen war, nicht (berechnet) auf unwesentliche Be- merkungen, nicht auf Prahlerei, sondern allein auf Wahr- nehmungen, die dem Wesen und den Umständen des Gegen- standes entnommen und angepasst waren. 20. Ausserdem glaube ich, bei Gelegenheit der näheren Bestimmung des Woi-tes penus, zur vollständigen Erläuterung dieses Begrifis (schliesslich) auch noch die Bemerkung beifügen zu müssen.

IV, 1, 20. S. iL. 3 § 9 \n. de pena legata; L. 8 § ult n. de penn legata; L. 8 § 7, n, de pen. legata; L. 4 n. de pen. leg.; L. 60, § 2 de Legat 2.

IV, 1, 20. Gatas Aelias. Die Familien der Aelien hal zwei Jahr* handerte hindmcli eine Anxahl ausgezeichneter Mftnner her?orgebracht| nicht weniger gross im Leben, als in der W^issenschaft. Seztus Aelius Paetus Catns, 189 v. Chr. (556 u. c) Gonsol; dann 194 (560) Censor, gründlicher Jurist und edler Mensch, schrieb conmientarii de jure dvili nnd erhielt wegen [seiner ausgezeichneten Eenntniss in der Rechtswissen- schaft vom Ennius den Beinamen Catus (sabinisches Wort»» sollers, gnaruSi

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IV. Buch, 1. Cap., § 20. 21. (225)

welche Servius Sulpicius bei der scharfen Beurtheilung der Hauptabschnitte des Scaevola niedergeschrieben hat. Da heisst es nun, des Catus Aelius Meinung sei dahin gegangen, dass man bei dem Begrifif „penus'' nicht allein das sich zu den- ken habe, was zum Essen und Trinken dienen könnte, sondern auch Dinge, die ohngefähr zu ähnlichem Zwecke angeschafft wonlen ^eien, wie z. B. Weihrauch und Wachs. 21. Masurius

acQtos, klug, schlau). Er kommt bei Cicero oft in einem aus dem X. Buche der Annalen des Ennius entlehnten Verse vor:

„Trefflich verst&idiger und sehr kundiger Aelius Sextus.*' „Egregie cordatus homo, Catus Aeliu' Sextus."

Cic Tußc. I, 9, 18; Brut. 20; de orat I, 45, 198; r. p. I, 18, 30; Varro 1. 1. 7, 46. 108 Jahre nach Herausgabe des jus Flavianum, d. h. der Prozessfonneln durch Cn. Flavius, 804 t. Chr. (449 u. c, vergl. Gell. VIl [YI], 9) hatten die Patricier neue Formulare (notas) entworfen, so dass ohne Hülfe der Adligen wieder kein Prozess konnte geführt werden. Da gab Sextus Aelius Paetus Catus 200 y. Chr. (552 u. c.) eine Erklärung der neuen Rechtsformeln, das sogenannte jus Aelianum heraus. Sein Sohn Quintus Aelius Tubero war nicht minder ber&hmt, besonders wegen seiner Genügsamkeit (Yal. Max. lY, 8, 7). Seine Unbestechlichkeit, welche ihn einem Fabricius (Gell. 1, 14) und einem Curius Dentatus (Plut. Cat. mig. 2. Cic. Cat. m. 16, 55) gleichstellte, hatte wohl auch den berühmten Aemilius Paulus bestimmt, ihn zu seinem Schwiegersohn zu nehmen (Yal. Max. lY, 4, 8). Der Sohn dieses Quintus war der Stoiker Aemilius Tu- bero, Schüler des Panaetius, Neffe des Scipio Aemilianus (Gell.IY, 18, 8) und Yetter der beiden Gracchen, welche er entschieden bekämpfte. Sein Zeit- genosse war der schwerlich mit ihm verwandte, tiefe Kenner der römischen Sprache und Alterthüyier und gelehrte Lucius Aelius ^ilo Prae- conius, der Lehrer des Yarro und Cieero (s. Gell. I, 18, L. NB. und XYI, 8, 2; vergl. Bemh. R. L. 180, 586). Der Sohn des Stoikers war Lucius Aelius Tubero, Freund und Studiengenosse Ciceros, mit wel- chem er, weil er Ciceros Schwester ehelichte, sogar verschwägert wurde. Dieser Aelius hat sich nach dem Zeugniss des Cicero (epp. ad ' Quint fr. I, 1, 10) unzweifelhaft mit Geschichte beschäftigt. Der Sohn dieses Lucius wieder war der bekannte Ankläger des Ligarius, QuintusAellus Tubero, der auch von Cicero als grosser Rechtsgelehrter gerühmt wird. Es liegt die Yermuthung nicht fem, dass dieser Quintus, welcher mit Dionysius von Halicamass befreundet war (Dionys. Hai. Ep. II ad Amm. 1. 2 und Jttdic. de Thuc), die von seinem Yater begonnene Geschichte fortgesetzt und beendigt, oder auch nur herausgegeben hat Livius hat das Werk benutzt und vorzugsweise zur Rechtfertigung abweichender An- sichten angeföhrt Yergl. Fr. Dor. Gerlach, röm. Geschichteschreiber. 1855. p. 113 etc.

Gellins, Attbche N&chte. 15 ^^ ,

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(226) rv. Buch, 1. Cap., § 21—23. 2. Cap., § 1.

Sabinus will im 2. Buche seines Bürgerrechts unter „penus" sogar noch das einbegiiffen wissen, was zur Nahrung der Zugthiere halber angeschafft worden ist, die zu Diensten des Herrn stehen. 22. Auch Holz, Reissig und Kohlen, wodurch das penus (d. h. der Vorrath und Bedarf von Lebensmitteln) zubereitet wird, sagt er, scheine Einigen bei dem (allgemeinen) Begriff „penus^ einbegriffen zu sein. 23. Allein von allen diesen Gegenständen, welche als Waare für den Handel und für den Verbrauch in ihren bestimmten Niederlagen sich befinden, können nach seiner Meinung nur allein Diejenigen mit dem Begriff „penus** bezeichnet werden, deren Massenanhäufung zum Gebrauch für ein ganzes Jahr hinlänglich ausreicht.

IV, 2, L. Inwiefern die Wörter morbus (Krankheit) und Vitium (Gebrechen) sich von einander unterscheiden ; ferner welche Bedeutung diese Ausdrücke in einem Erlass der Aedilen haben; und ferner, ob ein Verschnittener und unfruchtbare Weiber (vom Käufer) zurückgegeben werden können und noch verschiedene andere Ansichten über diesen Gegenstand.

IV, 2. Cap. 1. In dem Erlass der curulischen Aedilen, an der Stelle, welche Bezug auf eine Vorsichtsmassregel beim Verkauf von Sklaven hat, steht also geschrieben: „Man soll Sorge tragen, dass das Verzeichniss von jedem einzelnen (Sclaven) so (ausführlich) angefertigt sei, dass man daraus genau ersehen könne, an welcher Krankheit, oder an welchem

rv, 1, 21. Cfr. GeU. IH, 16, 23 NB. und Teuffels röm. Lit Gesch. 276, 1. ^

rV, 2, 1. Aedilen, obrigkeitliche Personen in Rom, zuerst 493 vor Chr. aus den Pteb^em als Geholfen der Volkstribunen gewählt Ihre Geschäfte waren: Au&icht über Tempel und andere öffentliche Gebäude (aedes, woher diese Magistratur ursprünglich wohl auch den Namen er- halten zu haben scheint), dann über die Preise der Lebensmittel und Be- sorgung der öffentlichen Spiele. Es gab dreierlei Aedilen : plebejische, anfänglich in den comitiis curiatis (cfr. Gell. XV, 27, 5) gewählt, von 282 u. c an, seit dem publischen Gesetze, in den comitüs tributis; dann: curulische, aus den Patriciem erwählt im Jahre 368 v. Chr. (387 u. c) nach Wiederherstellung der Einigkeit zwischen Plebqjem und Patriciem in den comitiis tributis. Ihnen waren ausser den Lictoren aUe Ehren- zeichen der höheren Magistrate bewilligt, die toga praetexta, das jus ima- ginis und die sella curulis, wovon sie den Namen hatten (vergl. Gell. VII [VI], 9, 2); endlich cerealische, wegen der Aufeicht über das Ge- treide (von Ceres, der Göttin der Feldfrüchte,) benannt.

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IV. Buch, 2. Cap., § 1—4. (227)

Oebrechen (quid morbi vitiive cuique sit) einer leide, ob einer ein Ausreisser (fügitivus), oder ein Landstreicher (erro) sei, oder überhaupt noch mit einer Strafe in Rest stehe/ 2. Deshalb haben die alten Rechtsgelehrten eine Untersuchungr angestellt, was man so recht eigentlich unter einem kranken ICaufsklaven (mancipium morbosum) zu verstehen habe und was unter einem fehlerhaften (gebrechlichen, mancipium vitio- «um), und inwiefern sich wiederum die Wörter: morbus (Krank- heit) und Vitium (Fehler, Gebrechen) von einander unter- scheiden. 3. Caelius Sabinus berichtet in seinem Buche, worin er über eine Verordnung der curulischen Aedilen handelt, dass Labeo durch folgende Worte ericlärt habe, was er unter <lem Worte morbus (Krankheit) verstanden wissen wollte. Er sagt: „morbus ist der unregelmässige Zustand eines {lebendigen) Körpers, wodurch seine Leistungsfähigkeit ge- schwächt (und seine Verwendung, wie seine Brauchbarkeit verringert) wird.** 4. Nun folgt aber der Zusatz: dass eine ^Krankheit** sich mitunter auf den ganzen Körper erstrecke, mitunter nur auf einen Theil des Körpers. Der ganze Körper sei von der Krankheit eingenommen, wie dies der Fall sei bei Schwindsucht oder bei Fieber; ein Theil desselben sei

lY, 2, 2. Mancipia (Cic. parad. V, 1) nannte man Knechte, die durch Verkauf oder auf andere rechtmässige Art Leibeigene ihrer Herren geworden waren. Alle Kriegsgefangene waren Leiheigene Des- jenigen, dem sie sich ergaben. Diese mancipia (Sklaven) wurden zum Verkauf auf einer hölzernen Bühne, oder auf einem Stein (lapis man- <cipiorum) ausgestellt und mussten sich nackt ausziehen und besehen lassen. Daher die Redensart: de lapide emtus (vom Stein gekauft). Vielleicht kommt dieser Ausdruck aber auch daher, weil der praeco (Ausrufer) auf einem «rhöhten Platze von Stein stand. Plaut Bacchid. IV, 7, 17; Colum. III, 3, 8. Man setzte ihnen einen Kranz von Laub oder Blumen auf, (Varro T. r. II, 10, § 5) hing ihnen ein Täfelchen an den Hals, auf welchem über ihren Namen, ihr Vaterland, ihre Geschicklichkeiten, aber auch über ihre Fehler und Gebrechen Nachricht gegeben wurde. Prop. 4, 5, 51. Sklaven, itlr welche der Mango (Sklavenhändler) keine Bürgschaft leistete, trugen Hüte. S. Gell. VI (VII), 4, 2. Der Mango musste für ihreiFehler einstehen (praestare) Cic. de offic. 3, 17, 28. S. Paulus S. 189 (L. Mercklin). Tergl. Cic. Tuscul. IV, 18 über morbus und vitium.

rV, 2, 3. Caelius Sabinus, ein Rechtsgelehrter, von Ulpian (1. I, § 7 ff. de aedilitio edicto) angeführt, lebte unter Vespasian. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 311, 11.

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(228) IV. Buch, 2. Cap., §4—10.

nur davon eingenommen, wie dies bei der Blindheit, bei dem Zipperlein (einer Fusslähmung) der Fall ist. 5. Weiter heisst es: „Diejenigen, von denen einer stammelt und einer kaulei-t (lallt), sind mehr unter die mit einem Fehler Behafte- ten als unter die mit einer Krankheit Behafteten zu zählen; femer ein Pferd, welches beisst oder ausschlägt, ist ein nicht fehlerfreies, aber (durchaus noch) nicht krankhaftes. (Da nua also morbosus den allgemeinen Begriff bezeichnet, vitiosuni aber nur den besonderen) so kann man allerdings von einem mit einer Krankheit Behafteten auch nicht behaupten, dass er zugleich fehlerfiiei sei. Umgekehrt ist dieser Fall aber nicht denkbar, denn wer nicht fehlei*fi*ei ist, ist deswegen doch noch nicht mit Krankheit behaftet. Deshalb kann man nach seiner (des Gaelius Sabinus) Meinung, wenn es sich um einen krankhaften Menschen (de homine morboso) handelt, von diesem ebensowohl mit vollem Rechte (aeque) auch sagen: um wieviel er: „ob id Vitium" (wegen dieses Gebrechens und Fehlers) weniger wei*th sein wird." 6. In Betreff eines Ver- schnittenen ist nun die Frage aufgestellt worden, ob es wohl den Anschein gewinnen könnte, dass dieser gegen die Vor- schrift der Aedilen verkauft worden sei, wenn man den Käufer darüber in Unkenntniss gelassen hätte, dass der Sklave eia Verschnittener sei. 7. Man sagt, Labeo habe diese Frage dahin entschieden, dass ein solcher Sklave gleichsam als eia krankhafter könne zurückgegeben werden. 8. In Bezug aber auf weibliche Sauen (Bachen) soll Labeo die schriftliche Erklärung abgegeben haben, dass ihretwegen, wenn sie sich als unfruchtbar herausstellten, aber trotzdem verkauft wurden,, auf Grund des aedilischen Erlasses hin eine Klage erhoben werden könnte. 9. In Betreff einer unfruchtbaren Frau, wo« fern sie von Geburt mit diesem Fehler behaftet war, soll Trebatius sich gegen die Ansicht des Labeo ausgesprochen haben. 10. Denn da Labeo der Ansicht huldigte, dass eine solche Frau gleichsam als nicht ganz gesund könne zurück- gegeben werden, soll Trebatius geradezu auf der Be-

IV, 2, 8. S. Panlus S. 316 (L. M.) SteriUs (ar«/^«). IV, 2, 10. S. Festus S. 1^70 b (L. M.) Redibitur etc. IV, 2, 10. G. Trebatius Testa, aus Yelia in Lucanien, genoss io

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IV. Buch, 2. Cap., § 10—13. (229)

liauptung bestanden haben, dass deshalb eine Klage auf iji-und jenes (ädilischen) Erlasses hin (durchaus) nicht erhoben werden könne, im Fall, wie er meinte, das Weib von vom- lierein unfruchtbar geboren war. Hingegen wenn ihre Ge- sundheit (zu Schaden gekommen oder) eine Störung erlitten habe und aus dieser (Gesundheits-) Störung erst das Uebel sich entwickelt haben sollte, so dass dadurch die Empfängniss •(und das Austragen) eines Kindes zur Unmöglichkeit geworden wäre, dann könne eine solche Frau nicht für gesund gehalten werden, und in diesem Fall sei der Grund zu einer Rückgabe Am Platz. 11. Auch in Bezug auf einen Blödsüchtigen {}iiio\p\ den man im Lateinischen „luscitiosus'' nennt (und über einen Zahnlosen) sind die Meinungen getheilt. Denn Einige sind der Ansicht, dass ein solcher jedesmal zurückgenommen wer- den müsse, Andere behaupten im Gegentheil nur dann, wenn dies Gebrechen erst durch Krankheit veranlasst wurde. 12. Servius begutachtet, dass ein Zahnloser wieder könne zurück- :gegeben werden. Labeo aber gestand nicht zu, dass dies ein (hinreichender) Gmnd für Zurücknahme einer verkauften, mangelhaften Sache sei: „denn nach seiner Annahme lässt sich erstlich darauf erwiedem, dass bei einem grossen Theile von Menschen Zahnlücken nichts Ungewöhnliches sind, und doch gelten alle solche noch lange nicht für kranke Menschen. Dann wäre es ja auch sehr verkehil zu behaupten, die Men- schen kämen nicht gesund zur Welt, weil die jungen Welt- bürger nicht gleich das Gebiss mitbringen/ 13. Ein Umstand, der sich in den Schriften der alten Rechtsgelehrten vorfindet, ,ist nicht zu übersehen, wo steht, dass zwischen morbus und Vitium (Krankheit und Fehler) ein Unterschied stattfinde, der darin bestehe, dass ein Gebrechen (vitium) bleibend sei, eine Krankheit (morbus) aber komme und gehe (cum accessu de-

Bom als Janger Mensch Gicero's Schutz und erwarb sich durch seine juristischen Kenntnisse Caesar'B Gunst, gewann auch Horazens Freund- schaft (Sat 2, 1), und selbst Augustus schätzte ihn als Rechtsgelehrten. Er schrieb viele juristische Werke. Cfr. Gell. VII (VI), 12, 4.

IV, 2, 11. v(o^6g, entweder von vri oJoi;?, d. h. zahnlos, auch von Gesicht blind, oder von rri nrJi}, d. h. sprachlos, besinnungslos. S. Paulus S. 120 (L. M,).

IV, 2, 13. S. L. 101 § 2 TT. de v. s. Nonius MarcelL V, 440.

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(230) IV. Buch, 2. Cap., § 14. 15. 3. Cap., § 1. 2.

cessuque sit). 14. Wenn dies nun aber als der richtige (entscheidende) Fall angenommen werden soll, so kann, im Widerspruch mit der oben angefühlten Meinung des Labeo,. weder ein Blinder, noch ein Verschnittener für kmnk gelten^ 15. Ich lasse hier noch eine Stelle von Masurius Sabiuus aus- seinem zweiten Buche „des bürgerlichen Rechts" folgen, wo» es heisst: „Für krankhaft werden angesehen ein Rasender^ oder ein Stummer; einer, der an Verstümmelung oder Ver- letzung irgend eines Gliedes leidet, oder dem irgend ein Ge- brechen oder ein Leibesfehler ein Hindemiss bietet, so das& er dadurch weniger tauglich wird. Einer aber, der nun von Geburt auf ziemlich kurasichtig ist, gilt trotzdem für eben so^ gesund, wie einer, der sehr langsam läuft" (d. h. der sieb beim Gehen Zeit nimmt, in seinem Wesen langsam ist und bei seinen Besoi*gungen sich nicht sehr beeilt).

IVi 3, L. Dm8 vor der canrilianiBchen Ehescheidung in der Stadt Rom

keine Streitigkeiten wegen des Brautschatzes vorgekommen; weiter findet

sich hierin eine bestimmte Erklärung des Begriffes „pelex (Kehsweib)'V

und über die Abstammung dieses Ausdrucks.

IV, 3. Gap. 1. Hinterlassenen Berichten zufolge gab es,, in einem fast 500jährigen Zeitraum nach Roms Erbauung, in der Stadt Rom selbst, oder überhaupt im ganzen Latium weder Streitigkeiten noch Bürgschaftsvei'sicheiiingen des Brautschatzes wegen, weil ja Vorsichtsmassregeln in keiner Weise in Frage kommen konnten, da bis *dahin Fälle von Ehescheidungen noch nicht vorlagen. 2. {Auch nach einer schriftlichen Auslassung des Servius Sulpicius in seinem Buche, welches „vom Brautschatz** handelt, erfahren wir, dass erst damals (sichere) Gewährleistungen wegen des Brautschatzes

lY, 3, 1. TertoU. de monogam, apologet

IV, 8, 2. Cfr. Val. Max. II, 1, 4; GeU. XVII, 21, 44; Dionys. Hai, II, 25; Liv. Epit XX; Plutarch Romul. p. 39; Num. p. 77. Fragen über röm. Gebräuche 14 u. 61. lieber diesen Sp. Carvilius s. Teuffels Gesch» d. röm. Lit 127, 1; Ritschi. Parerga p. 08—70. W. Rein in Pauly's IL E. II, S. 1188. Hinsichtlich der Zeit kommt eine merkwürdige Ver- schiedenheit bei Plut Comp. Thes. et Rom. 6, und Comp. Lyc. et Numae 3 vor, und beruht der Grund dazu wohl nur auf einem Irrthume, indem man die erste willkürliche Scheidung für die absolut erste ansah (A. Forbiger). S. Lange röm. Alterthümer § 81 p. (92) 104.

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IV. Buch, 8. Cap., § 2. 8. 4. Cap., § 1. (231)

für nöthig erachtet wurden, als im Jahre (231 v. Chr.) 523 nach Roms Erbauung (unter dem Consulate des M. Atilius und P. Valerius) ein vornehmer und angesehener Bürger, Spurius Carvilius, welcher den Beinamen Ruga führte, eine Trennung von seinem Eheweibe deshalb herbeifühite , weil aus der Ehe mit ihr, wegen eines körperlichen Fehlers (der Unfruchtbarkeit, vergl. Gell. XVII, 21, 44) ihm nicht Kinder entsprossen seien. Berichten nach soll dieser Carvilius auch sein Weib, von der er sich trennte, ausserordentlich geliebt und ihrer Sittenhaftigkeit halber hoch und weith gehalten haben, allein er soll angegeben haben, dass ihm die heilige Scheu vor dem (geleisteten) Eid doch noch über seine zärtliche Zu- neigung und Liebe gehe, weil er (wie das bei allen Ver- heirathungen der Fall war) vor den Sittenrichtern den (ge- bräuchlichen) Eid hatte ablegen müssen, dass er nur in der Absicht sich ein Weib nehme, um (eheliche) Nachkommen- schaft zu ei*zielen. 8. Nach dem Wortlaut des folgenden, sehr alten Gesetzes, das noch vom König Numa hen*ühren soll, erhalten wir auch Au&chluss dai-über, dass ein Frauenzimmer mit dem (schimpflichen) Namen pelex (Kebsfrau) belegt und für ehrlos gehalten worden sei, welche in einem nahen und vertrauten Umgänge mit einem Manne zusammenlebte, in dessen eigner Gewalt schon eine andere Frau zum Vollzug rechtmässigen Ehebundes sich befand. In diesem Gesetz heisst es wörtlich: „Eine Kebsfrau (pelex) soll den Tempel (und Altar) der Juno nicht betreten; wenn sie ihn aber doch betritt, soll sie mit aufgelösten (herabhängenden) Haaren der (Göttin) Juno ein weibliches Lamm zum Opfer bringen." Der Ausdinck „pelex" selbst aber ist, gerade so wie viele an- dere Wöiiier, aus dem Griechischen entlehnt und nachgebildet und gilt als gleichbedeutend mit den beiden griechischen Ausdrücken: VraAAa^ und TtaXXaxig (Beischläferin).

IV, 4, L. Welche Bemerkungen Senrins Snlpicins in seinem „von dem Brantschatz** handelnden Bache über die Rechtsvorschriften und gewöhn- lichen Bräuche bei den Verlöbnissen der alten Römer aufgezeichnet hat.

IV, 4. Cap. 1. Wie Servius Sulpicius in seinem (vorhin eben erst angeführten) schriftlichen Werke „über den Braut-

IV, 3, 8. S. Paulus S. 222 (L. M.). Pellex. L. 144 n. de v. s.

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(232) IV. Buch, 4. Cap., § 1. 2.

schätz" bemerkt hat, sollen in dem Theile von Italien, welche man Latium nannte, Verlobungen gewöhnlich nach folgender Sitte und Rechtsvorschrift vollzogen worden sein. 2. „Der- jenige, ieisst es dort, welcher die Absicht hegte, ein Weib zu nehmen, liess sich von dem, woher er sie sich holen sollte, foimlich angeloben, dass er Willens sei, sie ihm zu ^ver- heirathen; dagegen verpflichtete sich nun hinwiederum der, welcher um eine Frau für sich nachsuchte, dass diese nun auch von ihm werde zum Eheweib genommen werden. Dieser (gegenseitig eingegangene) Vertrag von dem (abverlangten) Versprechen (die Braut zu geben) und von der daraus ent- springenden Verpflichtung (sie zu nehmen) wurde mit dem Ausdruck sponsalia (Eheverlöbniss , Verlobung) bezeichnet. Femer hiess die Versprochene nun sponsa (Braut oder Ver- lobte) und der sie heimzuführen versprochen hiess sponsus

IV, 4, 2. Verlobung, sponsalia s. Dig. XXIU, 1, 2. 7. 14. 17; Liv. 38, 57; Suet. Oct 53; Juven. 6, 25; Plin. 9, 35, 58 § 117; Sen. de ben.

I, 9; L. 1. 2 und 3 de sponsal.; Arnob. adv. gent X p. 140; Varro L 1. VI, 69. 70.

IV, 4, ?, Savigny röm. R. V, 641. Vor dem Jahre 664 d. St., in welchem die lex Julia der lateinischen Nation das römische 'B&rgerrecht verlieh, wurde in Rom das Eheverlöbniss vermittelst einer Sponsion ge- schlossen, aus welcher, im Fall der willkarlichen Aufkündigung, auf Ent- schädigung geklagt werden konnte. (Incerti condictio, Klage über un- bestimmten Sachwerth.) Judices cognoscebant. Die ganze richtec^ liehe Thätigkeit l&sst sich auf zwei Hauptstücke zurückführen : Sammlung des Stoffes und Bildung des Urtheils. In erster Instanz nimmt jenes erste Stück vorzugsweise Zeit und Arbeit in Anspruch, und dazu gebrauchte der Praetor eine grosse Anzahl von Privatrichtem als Gehülfen, denen er das Urtheil hypothetisch vorschrieb. Die hohem Instanzen dagegen benutzen den in erster Instanz gesammelten Stoff und was in ihnen zu dessen Er- gänzung vielleicht geschehen muss, ist verh&ltnissmftssig von geringer Be- deutung. Daher war hier der Judex entbehrlich. Savigny r. R. VI, IIb.

II, cap. 4 § 285 p. 295. Zur Zeit der Republik hatten zwei Prfttoren die höchste richterliche Gewalt in Civilsachen, und unter den obrigkeitlichen Gewalten war keine, in deren Amtskreis eine richterliche Gewalt, we- nigstens für die Stadt Rom, unmittelbar enthalten gewesen wäre. Diese Gewalten waren: tribunitia potestas, proconsularis potestas, Imperium, praefectura momm , die Würde des Pontifex maximus. Nur in der pro- consularis potestas lag unmittelbar eine Gerichtsbarkeit, aber mit geo- graphischer Beschränkung und zunächst nicht als höheres Richteramt mit Unterordnung anderer Obrigkeiten.

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IV. Buch, 4. Cap., § 2-4. (233)

(Bräutigam oder Verlobter). Wenn nun aber nach solchen (gegenseitigen, feierlichen) Versprechungen die als Gattin Versprochene (von der einen Seite) nicht ausgeliefert, oder (von der andern Seite) nicht heimgeführt wurde, so strengte dann Derjenige, welcher sich auf das Recht der Erfüllung berufen zu können wähnte (wegen der veittbredeten Zusage, qui stipulabatur), auf Grund des (verletzten) Gelöbnisses (oder des gleichsam gebrochenen Vertrags) eine Klage an (ex sponsu agebat). Die Sache kam zum Erkenntniss an den Gerichtshof (judices cognoscebant). Der betreffende Richter stellte nun die Untei-suchung an, weshalb die Aushändigung oder (aber auch) die Entgegennahme der besagten Frau nicht erfolgt sei. Wenn sich nun kein triftiger Entschuldigungs- grund (fQr den Beklagten) herausstellte, so schätzte der Richter den angestifteten Schaden verhältnissmässig durch eine Entschädigungssumme ab, und verurtheilte wie hoch er den Werth anschlug, der sich dadurch herausgestellt hatte, wenn besagte Frau genommen, oder aber gegeben worden wäre, -:r- zur Zahlung dieser Summe den (eum condemnabat). der das Versprechen gegeben an den Andern, der nun auf ErfQllung des Versprechens (und der Zusage) bestand. 3. Ser- vius setzt hinzu, dass dieses Verlobungsrecht bis zu der Zeit (beobachtet und) aufrecht erhalten worden sei, wo in' Folge des julischen Gesetzes das Bürgerrecht dem ganzen Latium sei ertheilt worden. 4. Dieselbe Angelegenheit hat auch Neratins in seinem Buche behandelt, welches er „über die Hochzeiten** verfasste.

IV, 4, 8. Es verdient diese bekannte Thatsache ausdraddiche Er- wähnung, dass das eigenthQmliche Eherecht der lateinischen Städte unter- ging, als dieselben das römische Bürgerrecht erhielten. Savigny r. R. Bd. Vni, 3, 16 p. 81. In Folge der Ermordung des Tribunen M. Livius Drusns 6(33/91 war seine lex Livia de civitate danda nicht zur Abstimmung gekommen (cfr. XYII, 15, 6 NB.). In Folge des hierauf ausgebrochenen Bnndesgenossenkriegs gab die consularische lex Julia des L. Julius Caesar 664 90 den socii und Latini die civitas, wenn sie dieselbe annehmen zu wollen erklärten. S. Gic Balb. 8, 21; VeU. 2, 16; App. b. c 1, 49; Lange, r. A. § 133 S. (579) 637; cfr. Gell. XVI, 13, 6 NB.

IV, 4, 4. Keratins Priscus, ein von Tnyan und Hadrian sehr geachteter, bedeutender röm. Jurist, im corpore juris dvilis hin und wieder angezogen.

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(234) IV. Buch, 5. Cap., § 1—4.

IV, 5, L. Erwähnimg einer Begebenheit von der Unredlichkeit etmskischer Zeich endeater; femer das« dieses Vorfalls halber auf allen Strassen Roms von den Knaben folgender (darauf bezüglicher) Denkspruch abgesungen wurde:

Ein böser Rath dem Rathgeber selbst meist geschadet nur hat.

IV, 5. Cap. 1. Das den tapfern Helden. Horatius Codes vorstellende und ihm zu Ehren in dem Comitium zu Rom errichtete Standbild wai- (einst) vom Blitze getroffen worden, 2. Um nun des Himmels Zorn durch (die nach solchen Vorfallen üblichen) Reinigungsopfer zu besänftigen, liess man Zeichen- deuter aus Etrurien kommen. Diese waren nun aber aus feind- licher Gesinnung und aus Nationalhass gegen die Römer (unter sich selbst) dahin überein gekommen, bei besagtem Sühnopfer ganz zweckwidrige Feierlichkeiten (und Cereraonien) zu ver- anstalten. 3. Dazu gaben sie noch den (abscheulich boshaften) Rath, jenes Standbild nach einer tiefer liegenden Stelle über- zuführen, wohin nie ein Sonnenstrahl dringen konnte, wegen der vielen ringsherum überall vorstehenden (hohen) Häuser. 4. Als ihrer Ueberredung der Entschluss zur Ausführung dieser That (beinahe) schon gelungen war, wurden sie beim Volke (noch rechtzeitig) angezeigt, und (ihre bösen Absichten) ver- rathen, und sie mussten, als sie über ihre Unredlichkeit ein offenes (reumüthiges) Bekenntniss abgelegt hatten, den (wohl- verdienten) Tod erleiden, und nun war man endlich, in Ge-

IV, 5, L. Wir hahen dafür die Sprüchwörter: Wer Andern eine Grube gräbt, f&llt selbst hinein; Untreu schlaget gern ihren eigenen Herrn; wer Andre mit Yerrath bedroht, fällt selber oft in Koth und Tod; Yer- druss zieht sich zu, wer Andern zu schaden strebt; wer Andre jagt, wird selber müde; wer einen Stein in die Höhe wirft, dem ftllt er gern auf den Kopf.

IV, 5, 1. Horatius Cooles, der 507 v. Chr. ganz allein die Tiber- brücke gegen die Etrusker vertheidigte, bis sie gänzlich demolirt war und er dann zu den Seinigen hinüberschwamm, wofür ihm eine eherne BUdsäule errichtet wurde. S. Liv. H, 10; Sen. ep. 120, 7. Plutarch, Parallelen gr. und röm. Geschichten 8.

IV, 5, 1. S. Festus S. 290 b (L. M.).

IV, 5, 2. Aruspices EtruscivergL K. Ottfr. Müller, DieElrusker, n, 8, 134; Gell. VI (VII), 1, 3 NB. Sie verstanden sich, nach ihrer Angabe, am besten auf die Kunst des Opferbeschauens, Zeichendeutens u. s. w. Die Wiege dieser Künste war Etrurien (das jetzige Florenz).

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IV. Buch, 5. Cap., § 4—7. (235)

mässheit der Eingebung von den nachher auch al^ ganz richtig befundenen Gründen, allgemein darüber einverstanden, dass dieses Standbild (vielmehr) nach einem hochgelegenen Orte überzuführen und also (dort) an einer höher befindlichen Stelle auf dem freien Platze (Esplanade) beim Tempel des Yulcan aufzustellen sei; und seit dieser Zeit schlugen dem römischen Volke alle Unternehmungen zum Guten und Yor- theil aus. 5. Zur Erinnerung an die Entdeckung und Be- strafung von der (verrätherischen) Falschheit dieser etrus- kischen Zeichendeuter soll darauf nun folgender Sinnspruch verfasst und von den Buben durch die ganze Stadt abgesungen worden sein:

Ein böser Rath dem Rathgeber selbst meist geschadet nur hat 6. Diese Erzählung von den (pflichtvergessenen) Wahrsagern und diesem jambischen Senar steht im 11. Buche der „Staats- chronik (in annalibus maximis)" und (dann auch noch) im 1. Buche der „merkwürdigen Begebenheiten" von Ver- rius Fl accus. 7. Es scheint aber dieser Vers eine Nachahmung jenes allbekannten, griechischen Verses aus Hesiod('s Werken und tagen, v. 266) zu sein:

Dem am verderblichsten wird ein böser Eath, der ihn üasste. *//" <f^ xttXTi ßovXri Ttfi ßovXevaaVTi xnxtaxri.

lY, 5, 5. S. Platarcb: wie soU der JOngling die Dichter lesen, 14; über den langsamen Vollzug des göttlichen Strafgerichts, 9; wie soU der Jfingl. etc. cap. 6 den Vers des Eoripides: über den schlechten Bath. Vergl. Tenffels röm. Lit § 11, 2. Lieder bei Einderspielen.

lY, 5, 6. Unter die ältesten geschichtlichen ürkonden gehören die Annales maximi (grosseib Jahrbücher). Sie waren die eigentlichen Staatschroniken (verg^. Senr. ad Verg. Aen. I, 878), von denen Gic de orat. n, 12, 52 sagt, dass der Oberpriester diese Tafeln in seinem Hause aufgestellt habe. Man hat ihnen also nur eine geringe Oeffenüichkeit gegeben, und swar aus Politik, weil sie die ganze äussere und innere, bürgerliöhe und religiöse Staatsgeschichte enthielten; demnach wohl auch manche Verhältnisse und Vorkommnisse, die man doch nicht so gern aUgemein wollte bekannt werden lassen. Yergl. Gell, n, 28, 6Nß. und Teuffels röm. Lit Gesch. § 74, 2. lieber Verrius Flaccus s. Gell. V, 17, 1 NB.

rV, 5, 7. S. Plutarch, wie der Jüngling die Dichter lesen müsse, p. 86, cap. 6. Hesiod gehört unter die berühmtesten griechischen Dichter und lebte wahrscheinlich 900 v. Chr. Aus Kumae in Aeolis ge- bürtig, jedoch zu Askra in Boeotien erzogen, daher Askraeer genannt, wurde er von zwei Brüdern in Lokris ermordet Vergl. Gell. I, 15 .14; m, 11, 1.

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(236) IV. Buch, 6. Cap., § 1. 2.

IV, 6, L. Betreffender Wörtlaut eines alten Senatsbeschlusses, wodurch angeordnet wurde, dass man durch grössere Opferthiere (den göttlichen Zorn) sühnen mfisse, wenn die dem Mars geweihten und in dessen Heilig- thum aufgestellten Schilde sich bewegt hätten; ferner weitere Erzählung, was man unter „hostiae succidaneae'*, und was unter „porca praecidanea'*^ zu verstehen habe, und endlich, dass Capito Atejus einige Feste „ferias praecidaneas** benannt habe.

rv, 6. Cap. 1. Sobald man gewöhnlich von einem statt- gehabten Erdbeben Kunde erhalten und deshalb die Ver- anstaltung eines Sühnopfers geboten erscheint, so habe ich in den alten Geschichtsbüchern aufgezeichnet gelesen, dass sofort dem Senat Anzeige gemacht wurde, es hätten sich im Heiligthum des Tempels die dem Mars geweihten Schilde bewegt. 2. Für solchen Fall ist unter den Consuln M. An- tonius und A. Postumius ein Kathsbeschluss abgefasst worden, dessen Wortlaut folgender ist: „Da der Oberpriester Cajus Julius, der Sohn des Lucius, Meldung gethan, dass an ge- weihter Stätte im Tempel die dem Mars geheiligten Schilde sich bewegt haben , hat man deshalb folgenden Beschluss ge- fasst, dass der Consul M. Antonius durch gi'össere Opferthiere dem Zeus und dem Mars und den (betreffenden) übrigen Göttern allen, zur Besänftigung (ihres Zornes) ein Sühnopfer

lY, 6, L. Zur Zeit des zweiten röm. Königs Numa Pompilios sollte ein Schild (andle) vom Himmel gefallen sein. Die Aruspices erklärten, dass der ßesitz dieses Schildes den Römern die Herrschaft über die ganze Welt erhalten werde. Numa liess 11 ähnliche anfertigen, damit der wahre nicht erkannt werden könne. Die 12 ancilia trugen auf Kuma's Anordnung alljährlich im März die 12 Priester des Eriegsgottes Mars, die Salii in Procession feierlich durch die Stadt Diese Salii (von salio), eigentlich Hüpfende, trugen bei dem Aufzuge seltsam buntschedrige Westen, die mit einem Gürtel umgürtet waren, hatten Schwerter an der Seite, Speere in der Hand und die besiegten heiligen Schilde am Arme. Sie sangen unter Hüpfen und Tanzen carmina salinaria, d. h. Lieder, welche man schon zu Cicero's Zeit nicht mehr verstand. Diesen Priestern wurde nach be- endigtem Au&uge auf Staatskosten ein prächtiger Schmauss im Tempel des Mars gegeben, wo sie die heiligen Schilde wieder niederlegten und ver- wahrten. Da es bei dieser Mahlzeit später sehr üppig herging, so wurde es sprttchwörtlich: salinarem in modum epulari, um scherzhafter Weise eine übermässige Schmausserei damit zu bezeichnen.

IV, 6, 1. Vergl. GeU. U, 28.

IV, 6, 2. S. Paul. 264 (L. M.) S. Robus. Cfr. Juven. VIII, 165.

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IV. Buch, 6. Cap., § 2—8. (237)

bringen soll. Wenn er diesen das Sohnopfer gebracht haben würde, soll es beschlossener Massen genug sein; im Fall aber noch andere Opferthiere mehr nöthig würden, soll er von den Brandrothen (Thiereu) Nachopfer halten.'' 3. Ueber die Be- deutung des Ausdrucks succidaneae (sc. hostlae, d. h. stell- vertretende Opfer), womit gewisse Opfeithiere vom Senat be- zeichnet wurden, hat man vielfach Erörterungen angestellt.

4. Ich höre, dass auch in dem Lustspiele des Plautus, welches den Namen Epidicus führt (I, 2, 36), ebendasselbe Wort in folgender Stelle Veranlassung zu Untersuchungen gegeben hat :

Nun BoU für Deine Thorheit ich als Opferthier wohl Men,

DasB meinen R&cken als Ersatzmann (sucddaneum) Da noch unterschiebst?

5. Diese hostiae (Opferthiere) werden „succidaneae^ genannt, weil nach der gewöhnlichen Art aller ähnlich zusammen- gesetzten Wörter (der Diphthong) „ae" in den Buchstaben „i^ verwandelt worden; 6. denn eigentlich wurden sie ursprünglich succaedaneae*) genannt, weil, wenn man von den ersten Opfei-ihi^ren kein günstiges Anzeigen erhielt, nach diesen noch andere Opferthiere herbeigebraeht und geschlachtet wurden. Weil nun diese Opferthiere den andern, schon vorher ge- tödteten, die jedoch keine glückUchen Anzeigen gegeben hatten, zur VeiTollständigung des Sühnopfers pflegten zu- gegeben und nachgeopfert zu werden, so wurden sie succi- daneae (nachgeschlachtete) genannt, indem der (umgewandelte) Vocal „i" dadurch, wie sich von selbst versteht, gedehnt aus- zusprechen ist. Es fällt mir nämlich oft auf, dass es Leute giebt, von denen ich den Vocal „i" in diesem Worte fehler- hafter Weise kurz aussprechen höre. 7. Nach derselben bei diesem Worte angegebenen Regel werden wieder andere Opfer- thiere auch praecidaneae**) (hostiae, Vorbereitungsopfer) genannt, d. h. die, welche Tags vor den öffentlichen Opfer- feierlichkeiten geschlachtet werden. 8. „Porca praecidanea" hiess ein weibliches Opferschwein, welches als Sühnmittel dem Herkommen gemäss vor der Einerntung der neuen Früchte, der Ceres zu Ehren, dann geopfert wurde, wenn man, bei einer

IV, 6, 6. ♦) Festus S, 302 a und Paul. S. 303 (L. M.) Serv. ad Verg. Aen. Vm, 641.

IV, 6, 7. **) Paul. S. 218. 223 (L. M.); Cato r. r. I, 34, 1.

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(238) IV. Buch, 6. Cap., §8—10.-7. Cap., § 1—4.

wegen eines Todesfalles in Ti*auer versetzten Familie, entweder die gewöhnlichen Beinigungsopfer gar noch nicht gebracht hatte, oder die Sühnopfer zwar gebracht, aber anders als sichs gebührte. 9. Allein nun ist es wohl allgemein bekannt, dass eine Opferbache (porca) und gewisse (andere) Opferthiere, wie ich bereits bemerkte, praecidaneae benannt werden, dass aber auch (gewisse) Feiertage mit diesem Worte näher bezeichnet werden und man sagt: feriae praecidaneae, diese Ausdrucks- weise düi-fte wohl, wie ich meine, dem Yerständniss des grossen Haufens (etwas) unerklärlich scheinen. 10. Deshalb führe ich hier eine Stelle des Atejus Capito aus dem 5. Buche seiner über „das Pontificalrecht** verfassten Schrift an. Da heisst es wörtlich: „Von dem Oberpriester Tib. Coruncanius sind feriae praecidaneae (Festvorfeierlichkeiten) auf einen Unglückstag angesagt worden. '^ (Gegen diese unrichtige feierliche Anordnung des Oberpriesters hatten sich tadelnde Stimmen erhoben.) „Allein das gesammte PriestercoUegium gab eine bestimmte Entscheidung in dem Sinne ab, dass man sich durchaus kein Gewissen daraus zu machen brauche, an diesem (verhängnissvollen) Tage trotzdem die Festvorfeierlich- keiten (feriae praecidaneae) abzuhalten."

IV, 7, L. Ueber einen vom Grammatiker Valerius ProbuB an Marcellus geschriebenen Brief, die Betonung gewisser phönizischer Namen betreffend.

IV, 7. Cap. 1. Der Grammatiker Valerius Probus that sich zu seiner Zeit durch ausgezeichnete wissenschaftliche Kenntniss hervor. 2. Dieser sprach die Wörter: Hanuibftlem, Hasdrubälem und Hamilcärem so aus, dass er die vorletzte Silbe (stets) mit dem Dehnungszeichen versah, wie sein an den Marcellus verfasster Brief bezeugt, worin er versichert, dass Plautus und Ennius und alle andern Schriftsteller diese Wörter auf dieselbe Weise betont hätten. 3. Doch führt er uns (zur Begründung seiner Aussage, leider) nur allein vom Ennius einen Vers an, aus dessen Werke entlehnt, welches Scipio betitelt ist. 4. Diesen im (griechischen) viergliedrigen Silbenmasse verfassten Vei-s habe ich beigefügt und es würde

IV, 7, 3. Trochäischer Septenar (Eatalekt Tetram.) s. Teuffels röm. Lit. 101, 4.

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IV. Buch, 7. Cap., § 4. 5. 8. Cap., § 1—5. (239)

(wie jeder sogleich erkennt) darin der (rhythmische) Takt ins Hinken gerathen, wenn die dritte Silbe in dem Namen Hanni- til nicht gedehnt ausgesprochen wird. 5. Der angefühlte, besagte Vers des Ennius lautet:

Qu&que propter HAnnibalis cöpias considerat, d. h. Und die Truppen Hannibfils betrachtet er aus diesem Grund.

IV, 8, L. Wie sich C. Fabricins über den Cornelioa Bnfinas, einen gei- zigen Menschen äusserte, den er, obgleich von Hass und Abneigung gegen ihn erfüllt, trotzdem zum Consul gewählt wissen wollte.

IV, 8. Cap. 1. Fabricius Luscinius war ein rühm- und thatenreicher Mann. 2. P. Cornelius Rufinus aber war zwar ein tapferer, vorzüglicher Kriegsheld und ausserordentlich erfahren in der Kriegskunst, aber dabei doch ein Mensch mit Diebsgelüsten und scharf ausgeprägter Habgier. 3. Diesem sprach (deshalb auch stets der unbescholtene) Fabricius un- Terhohlen seine Unzufriedenheit darüber aus ; vermied deshalb jeden freundschaftlichen Umgang mit ihm und hatte wegen dieser (schlechten) sittlichen Eigenschaften einen tödtlichen Hass gegen ihn gefasst. 4. Allein als es (einst) galt in einem für den Staat höchst misslichen (und bedenklichen) Zeitpunkt (thatkräfüge und durchgreifende Männer als) Consuln zu er- wählen und dieser Bufinus auch mit um die Consulwürde nachsuchte, (alle) seine Mitbewerber aber ganz und gar schwache und unzuverlässige Männer waren, bot Fabricius (als ein ächter Yaterlandsfreund trotzdem) all seine Macht und all sein Ansehen auf, es^ dahin zu bringen, dass dem Rufinus die Consulwürde übertragen wurde. 5. Da nun Viele über dieses (unbegreifliche) Benehmen (und den scheinbaren Widei-spruch des Fabricius) ihre Verwunderung laut werden liessen, wie er (bei seiner wohlbekannten Sittenstrenge) nur das Gesuch habe unterstützen können, dass ein so habsüchtiger Mensch, gegen den er (noch überdiess) von der höchsten Ab-

IV, 8, 1. ücber Fabricius Luscinius vergL Gell. I, 10, 1; I, 14, 1 NB. und III, 8, 1. Dieser redliche und uneigennatzige, grosse Römer bekleidete dreimal die Consulwürde und hinterliess so wenig Vermögen, dass seinen Töchtern aus dem öffentlichen Staatsschatz die Ausstattung gewährt wurde.

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(240) IV. Buch, 8. Cap., § 5—9.

neigung ei-fullt sei, zum Consiü hätte erwählt werden dürfen, 6. erwiderte er: „Ich will lieber (dulden), dass mich mein Mitbürger beraube, als dass ein Feind mich (in Sklaverei) verkaufe (wenn ich in seine Hände falle)/ 7. Dei-selbe Fabri- cius stiess während seiner Würde als Sittenrichter einige Zeit nachher denselben Bufinus, wegen Missfallen an dessen Verschwendung, aus dem Senate, weil er 10 Pfund schweres SilbergeschiiT hatte (zum Werthe von 3360 Sesterzien, oder nach unserm Gelde 240 Thlr.). 8. Allein jene oben von mir niedergeschriebene Aeusserung des Fabricius in Bezug auf den Consul Bufinus, wie sie in den meisten Geschichtswerken geschrieben steht, soll nach Angabe Cicero's in seinem 2. Buche, wo er „vom Bedner" handelt, nicht vom Fabricius zu fi-emden Personen, sondern dem Bufinus gerade selbst ins Gesicht gesagt worden sein, bei Gelegenheit, als dieser Letz- tere dem Fabricius seinen Dank ausdrücken wollte, dass durch den Beistand desselben seine Wahl (als Consul) durch- gegangen sei. 9. (Die betreffende Stelle lautet bei Cicero de orat. II, 66, 267 wie folgt: „Auch, ist es eine sinnreiche An- deutung, wenn eine dunkle und rathselhafte Sache durch einen geringfügigen Umstand, ja oft nur durch ein einziges [treffen- des] Wort in ihr rechtes Licht gestellt wird. Als z. B. P. Cornelius, welcher [allgemein] für einen habgierigen und raubsüchtigen Menschen, zugleich aber auch für einen vor- züglich tapfem und tüchtigen Feldherm gehalten wurde, den C. Fabricius dafür Dank sagte, dass er ihn trotz seiner Feind- schaft doch zum Consul gewählt hätte, zumal in einem so wichtigen und schweren Kriege [wider den Pyrrhus], so ant- wortete dieser [ganz gelassen] : dafür brauchst Du Dich nicht bei mir zu bedanken, wenn ich mich lieber ausplündein, als verkaufen lassen wollte.")

IV, 8, 7. Quod decem pondolibras argenti facti haberet, d. h. 10 Pfund verarbeitetes, geprägtes (Tisch-) Geschirr. Cfr. Val. Max. II, 9, 4 und Gell. XVII, 21, 39; Ovids. Fast I, 208; Senec. de vita beat 21, 8; ep. 98, 12; 120, 5; Plin. 18, 8, 1; 33, 15, 2; Tertullian. Apolog.6.

rV, 8, 9. S. Quintil. 12, 1, 43. In „compilari« liegt ein feiner ffieb auf den Geiz des Cornelius und sollte sagen, dass es besser sei, von einem Mitbürger beraubt und geplündert, als vom Freunde in die Sklaverei ver- kauft zu werden.

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IV. Buch, 9. Cap., § 1. 2. (241)

IV, 9, L. Wm die eigentliche Bedeutang Ton f^religiosus" sei; dann wie

Tiehieitige Abweichung die Bedeutung dieses Wort erfahren hat; endlich

«ine Ober diesen Gegenstand entlehnte Stelle ans den ,,Abhand]angen*'

des Kigidius Fignlus.

IV, 9. Cap. 1. Nigidiüs Figulus, der nächst dem M. Varro nach meiner Meinung gelehrteste Mann, führt im 11. Buche seiner ^Abhandlungen über Grammatik ** aus einem alten Gedichte eine wahrhaft denkwürdige Stelle an:

Religentem esse oportet^ at religiosomBt Defias, d. h.

Dass Du fromm seist heischt die Pflicht, Unrecht isf s ein Frömmler sein, (worin religiosum esse offenbar nichts anderes heissen soll, als übertrieben fromm sein). Von wem dieser Spruch (carmen) herrührt, davon schreibt er nichts. 2. Am nämlichen Orte heisst es weiter bei Nigidiüs: „Bei der Ableitungsendung ähn- licher Wörter (auf -osus), wie vinosus (dem Wein ergeben, Yom Weine voll), muleriosus (weibertoll) und religiosus (frömm- lerisch) bezeichnet die Endung auf -osus das bedeutende Uebermass des Begriffs, um den es sich in dem jedesmaligen

IV, 9, 1. P. Nigidiüs Figulus, Zeitgenosse und Freund des Cicero, der ihn im Eingange seines Timaens (cap. 1) als Wiederhersteller der pythagoräischen Philosophie feiert. Wegen seiner ausgedehnten Ge- lehrsamkeit wurde er dem Varro häufig an die Seite gestellt und bei Gel- lius häufig mit demselben zusammengestellt, z. fi. XIX, 14, 1, wie hier an dieser Stelle. Er verrieth grossen Hang zu spitzfindigen Grübeleien und entlegener, geheimer Weisheit. Seine genaue Kenntniss der Astrologie und der gesammten Wahrsagerei bethätigte er in seinen Schriften „de extis** (Eingeweide der Opferthiere) und „de auguriis". In seinem ausfilhrlichen Werke „de diis^ von mindestens 19 B&chem legte er seine theologischen Untersuchungen nieder. Seine commentarii grammatici waren eine Samm- lung umfangreicher, gelehrter grammatischer Beobachtungen von wenigstens 28 Büchern, jedoch ohne systematische Ordnung, weshalb sie wenig Ein- gang fanden. Wenig Verbreitung scheinen auch seine Bücher de animalibus und die astronomische Schrift de sphaera gefunden zu haben. Nach Cic. ad Quint. fir. I, 2, 5 gelangte er bis zur Praetnr. Als Anhänger der Partei des Pomp^us musste er nach dessen Besiegung ins Exil, wo er 44 v. Chr. (710 d. St) starb. Die aus seinen Schriften noch übriggebliebenen Bruch- stücke hat nach J. Rutgers Varr. lect. in, 16, am vollständigsten ge- sammelt: A. E. Egger in Lat Serm. ret. Reliqu« select. p. 50 58. Vergl. Plutarch: ob ein Greis Staatsgeschäfte etc. 28; Cic. pr. Sulla 14, 42; Cic. ad Fam. IV, 13.

IV, 9, 2. S. Macrob. Sat. IIT, 3; Festus p. 278; 289 religiosus; Nonius Marc IV, p. 479.

Gell 1 ni, AtliBche Nächte. 16 r^^^M/>

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(242) IV. Buch, 9. Cap., § 2—6.

Worte handelt. Daher wird derjenige mit dem Worte reli- giosus bezeichnet, der übermässiger und abergläubischer Frömmigkeit nachhängt, und deshalb wurde ein solches über- triebenes Zurschautragen von Frömmigkeit als ein Fehler (und als Frömmelei) bezeichnet/ 3. Allein ausser dieser von Nigidius gegebenen (besonderen ^ nicht ganz erschöpften) Er- klärung wurde das Wort „religiosus" gewöhnlich auch noch mit einer andern Abweichung in seiner Bedeutung gesagt von Einem, der rein und keusch war und pflichtgetreu sich nur von bestimmten, streng begrenzten Gesetzen beherrschen Vässt. 4. Allein auf ganz ähnliche Weise scheint jenes von demselben Stamme abgeleitete Wort (in folgenden zwei besonderen Fällen) auch noch in einer entgegengesetzten, verschiedenen Bedeutung gebraucht zu sein, nämlich in der Ausdrucksweise „religiosi dies'' und „religiosa delubra^. 5. Mit dem Beisatz religiosi werden nämlich Tage bezeichnet, welche wegen ihrer traurigen Vorbedeutung übelberüchtigt sind und für misslich gehalten werden ; an ihnen soll man sich hüten zu opfem und irgend ein neues Geschäft zu beginnen und diese Tage benennt die unerfahrene Menge falsch und unrichtig „dies nefasti** (unheilige, verbotene, geschlossene Tage). 6. Deshalb schreibt

lY, 9, 3. Ueber Nigidius Figalus 8. Teuffels Gesch. der röm. Lit 196, 3; vergL GeU. IV, 16, 1; X, 11, 2; XI, 11, 1; Xffl, 26, 1. 5; XV, 3, 5; XVII, 7, 4.

IV, 9, 5. Dies religiosi s. Liv. 6, 1; Cic ad Attic. 9, 5, 2; Festus 278, 12. Fälschlich heissen sie auch nefiEisti. (Hör. Od. II, 13, 1 ; Suet Tib. 53.) Vergl. GelL V, 17, 1.

rV, 9, 5. Dies ne^uti, Tage, an denen es verboten ist, gerichtliche Handlungen vorzunehmen, weil auf ihnen gleichsam der Fluch der Religion ruhte. Vergl. Gell. V, 17, 1. In den Kaiendarien waren die dies nefiuti mit N bezeichnet Im vorcäsarischen Kalender gab es gegen 50 Tage mit dem Zeichen N* bezeichnet Da an solchen Tagen Volksversamm- lungen nicht gehalten werden durften (App. b. c I, 55; Varro 1. 1. 6, 29), auch Proc«S8e nicht gestattet waren (Cic. de leg. 2, 8, 19; de div. 1, 45, 102; Ovid. Fast I, 73, 165), weil das litibus et jurgiis se abstinere an diesen Tagen geboten war, so stimmt Lange (röm. Alterthüm., § 51 p. [263] 309) der Vermuthung Mommsens bei, dass auch diese N'-Tage in ihrem ganzen Verlaufe nefasti gewesen und nur als nefasti hilares von den nefasti tristes durch eine graphische Verschiedenheit des N unterschiedep worden sei, wie ohngefähr M' neben M zur Unterscheidung von Manius und Marcus benutzt wurde.

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IV. Buch, 9. Cap., § 6—10. (243)

M. Cicero im 9. Buche (im 5.) seiner Briefe an den Atticus wie folgt: „Unsere Vorfahren wollten den Tag des (unglück- lichen) Treffens an der Allia (am 16. Juli 365 u. c. gegen die Gallier) für unheilvoller angesehen wissen, als den, an welchem die Stadt eingenommen worden, weil dies letztere Unglück nur erst eine Folge von jenem (ersteren) war. Daher denn jener eine Tag noch heute als ein allgemeiner Trauer- tag abgehalten wird, während von dem andern das Volk nichts mehr weiss. 7. Derselbe M. Tullius Ihat jedoch in seiner Rede (gegen Q. Gaecilius) im Betreff der (Bestimmung und) Wahl des Klägers (de accusatore constituendo , cap. 1 § 3) bei den Tempelgebäuden (delubra) sich des Ausdrucks „religiosa^ bedient und versteht das Wort durchaus nicht in dem Sinne wie unheilverkündende, unglückbringende, sondern ehi-furchtgebietende und mit höchster Andacht erfüllende» 8. Allein Masurius Sabinus sagt in seinen Abhandlungen^ welche er „über Urwörter" verfasst hat, Folgendes: „Gleichwie das Wort caeremoniae von carere gebildet und hergenommen worden ist, so ist das Wort religiosus von relinquere (zurück- lassen, meiden) abgeleitet und in der Bedeutung von einem Gegenstand gesagt, der, so zu sagen, wegen seiner Heiligkeit sich von uns entfernt und abgelegen befindet." 9. [Höchst verehrungswürdig werden genannt] nach des Sabinus Aus- legung die Tempel und geweihten Stätten, weil (bei dem Gedanken an sie) ein Uebermass (von heiligen und frommen Empfindungen) sicher keinem Tadel anheimfällt, gerade so wie (im entgegengesetzten Falle) in anderer Hinsicht bei manchen andern Dingen wieder das Masshalten für lobens- werth gehalten wird. Denn diese frommen Anstalten heiliger Pflege sollen von Seiten ihrer Besucher nicht mit roher Frech- heit, sondern mit Züchtigkeit und frommer Andacht (im Herzen) betreten werden ''und müssen daher mehr als Zu- fluchtsstätten für die Empfindungen der Gottesfurcht und der Scheu vor dem Heiligen gelten, (und nicht) wie als Tummel- plätze für das gewöhnliche Volk ; 10. hingegen werden gewisse Tage religiosi (bedenkliche) genannt, weil wir an ihnen aus entgegengesetztem Grunde, wegen ihrer unheilvollen Vor-

IV, 9, 10, Vergl. oben § 5 und Gell. V, 17, 1.

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(244) IV. Buch, 9. Cap., §11 13.

bedeutung jedes Unternehmen vermeiden. 11. Und Terenz (in seinem Selbstquäler II, 1, 16) sagt:

Was ich ihr schenk*? Nur ein „recht gern";

Denn ich trage Scheu (religio est) ihr zu gestehn, dass ich nichts hab'.

12. Wenn nun also nach des Nigidius Behauptung alle der- gleichen Wortendungen auf -osus einen Ueberfluss oder ein Uebermass andeuten und deshalb Gedanken des Tadels ein- schliessen, wie z. B. die Wörter: vinosus (vom Weine voll), mulierosus (weibstoll), morosus (launenvoll), verbosus (wort- reich), famosus (voll von Nachrede, in aller Mund, anrüchig), warum ist dies nicht auch bei den Wörtern der Fall, welche z. B. von ingenium (Geist), foiTna (Gestalt), officium (Pflicht) abgeleitet sind, also ingeniosus (geistvoll), formosus (wohl- gestaltet), officiosus (diensteifrig) und speciosus (auifallend schön von Gestalt); warum femer nicht auch bei den von M. Cato ebenso gebildeten Wörtern, als da sind: disciplinosus (kenntnissreich, lehn-eich), consiliosus (einsichtsvoll), victoriosus (siegreich); warum findet dasselbe Verhältniss nicht auch statt bei dem Worte: facundiosus (voll natürlicher Suada, Beredtsamkeit), welches letztere Sempronius Asellio im 13. Buche seines Werkes „über Heldenthaten", wie folgt, ge- schrieben hat: „Wenn seine Reden weniger schwungvoll sein sollten (dicta- minus facundiosa), so müsse man (vor allen Dingen) mehr auf sein thatenreiches Leben sehen (nicht auf seine Worte)." Warum nun aber alle diese (eben angeführten) Wörter zusammengenommen niemals in dem Sinne gebraucht sind, um einen Tadel, sondern nur um ein Lob damit zu be- zeichnen, obgleich sie eigentlich doch (wegen ihrer Endung auf -osus) auch ein Uebermass oder einen Ueberfluss von ihrer Begriffisbedeutung anzeigen (und aussagen) ? Oder viel- leicht deshalb, weil bei den vorher von mir angeführten Bei- spielen und Wortbegriffen das Einhalten eines bestimmten Masses geboten erscheint? 13. Denn sowohl Gunst, wenn nie übertrieben und masslos auftritt, desgleichen Sitten und Eigenheiten, insofern sie uns wegen Uebertreibung und Un- beständigkeit zuwider werden, ferner Wortgeplärre, sobald es ununterbrochen und endlos, (weitläufig und nichtssagend), betäubend und langweilig ist, oder auch ein Ruf, wenn er ein veit übertriebener und deshalb entweder ruheraubend oder

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rV. Buch, 9. Cap., § 13. 14. 10. Cap., § 1—4. (245)

neiderweckend wirken sollte, alle diese Dinge können (in einem gewissen Uebermasse gedacht) weder für lobensweilh, noeh fbr nützlich gelten; 14. allein (alle die Begriffe, wie) ingenium (Geist) , officium (Pflichtgefühl) , forma (Gestalt), disciplina (Kenntniss), consilium (Einsicht), victoria (Sieg) und facundia (Beredtsamkeit), sowie überhaupt jede Erweiterung aller und jeder andein ähnlichen trelf liehen Eigenschaften sind durch keinerlei Beschränkungen auf irgend eine Be- einträchtigung angewiesen, sondem um wie viel ansehnlicher und um wie viel hervorragender sie sich herausstellen, auf desto mehr Lob (und Verherrlichung) dürfen sie rechnen.

lY, lu, L. Bestimmung in Betreff des Stimmensammelns im Senat; ferner Wortstreitigkeiten in der Senatsversammlnng zwischen dem Ck>n8iü C. Caesar nnd dem M. Cato, weil dieser (letztere) die Zeit durch (langes) weitläufiges und unnützes Reden wegnahm (nur um dadurch wegen des Tagesschlussea eine Abstimmung zu vereiteln und unmöglich zu machen .

IV, 10. Cap. 1. Vor Einführung der gesetzlichen Be- stimmung, welche jetzt bei Abhaltung der Senatsversammlung beobachtet wird , war die Reihenfolge beim Stimmensammeln eine mannigfaltige. 2. Bald wurde der zuerst um seine Meinung gefragt, der gleich zuerst von den Sittenrichtern (Censoren) in den Senat war verlesen und aufgenommen worden (qui princeps a censoribus in senatum lectus fuerat);

3. bald widerfuhr diese Ehre auch wohl denjenigen, welche bereits zu Consuln bestimmt waren ; manche von den Consuln pflegten wohl auch, bewogen von irgend einer Zuneigung, oder aus freundschaftlicher Rücksichtsnahme, irgend ein ihnen beliebtes Mitglied, ehrenhalber ganz ausser aller Reihenfolge zuerst (aufzurufen und) um seine Meinung zu befragen.

4. Wenn nun aber ja (einmal) die Beobachtung der gewöhn- liehen Reihenfolge bei Seite gesetzt wurde, so behielt man

IV, 10, 2. princeps in senatu wurde der genannt, der bei Ablesung der Namen der Senatoren von dem Censor ehrenhalber als der Würdigst» zuerst in censu verlesen worden war, wodurch ihm ein Vorzug vor den Andern verliehen wurde. Vergl. GeU. III, 18, 5 u. 6; XIV, 7, 9. Die Censoren hatten aber auch die Macht, bei Ablesung der Namen der Sena- toren, einen solchen, wider dessen Aufführung etwas einzuwenden war^ auszulassen. Dies hatte die Folge, dass ein solcher dann dadurch seine Stelle unter den Senatoren verlor. Cfr. IV, 8, 7.

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(246) IV. Buch, 10. Cap., § 4—8.

im Ganzen doch immer das Eine im Auge, dass dieser Vor- zug, zuerst um seine Stimme befragt (und zur Abstimmung veranlasst) zu werden, keinem Andeni zu Theil wurde, als Einem vom Range eines Consuls. 5. C. Caesar soll während seines Consulats, welches er mit dem M. Bibulus verwaltete, nur vier Senatoren die Ehre und Auszeichnung erwiesen haben, sie ausser der Reihenfolge um ihre Stimme zu fragen. Unter diesen Vieren befand sich vor Allem M. Crassus, den er (meist immer) zuerst aufforderte, seine Meinung zu sagen ; allein als er bereits dem Cn. Pompejus seine Tochter ver- lobt hatte, fing er an, zuerst (diesen seinen zukünftigen Schwiegersohn) Pompejus zu fragen. 6. Dass .er den Grund dieses seines Verfahrens und seiner Handlungsweise vor dem Senat dargelegt und auseinandergesetzt habe, berichtet uns Tiro Tullius,^der Freigelassene des M. TuUius, mit; dem schriftlichen Zusatz, diese Thatsache mit eignen Ohren aus dem Munde seines Herrn und Patrons vernommen zu haben. 7. Derselbe Vorfall findet sich auch noch bei' Gapito Atejus aufgezeichnet vor, in dem Buche, welches er „über die Pflicht eines Rathsherrn" verfasst hat. 8. In diesem Buche des Capito findet sich auch noch ein weiterer (interessanter) Zu- satz verzeichnet. Da wird wörtlich erzählt: „Der Consul Cajus Caesar fragte (einst) den M. Cato um seine Meinung. Cato (aber) wollte nicht, dass die betreffende Angelegenheit, deren Berathung es galt, durchgesetzt werden sollte, weil sie ihm nicht zum Nutzen und Vortheil des Staats zu sein schien. Um diese Angelegenheit nun in die Länge zu ziehen, sprach er (absichtlich) in Einem fort, und suchte so die (anberaumte Tages-) Zeit durch (langes, unnützes) Reden wegzunehmen, (nur um dadurch wegen Tagesablaufs die Abstimmung zu vereiteln). Es stand nämlich jedem Senator das Recht zu, dass, wenn er um seine Meinung befragt worden war (und er nun also nach Fug und Recht das Wort hatte.) er vorher

IV, 10, 5. S. Sueton. Caes. 26 (21) ed. Doergens.

IV, 10, 6. lieber Tiro's vita Ciceronis (ßiog Kr^i'^tavos) s. Teuffels röm. Lit. Gesch. 188, 1; vergl. Gell. XIII, 21 (20), 16.

IV, 10, 8. S. Val. Maxim, ü, 10, 7; Suet. Caes. 25 (20); Plutarch. Caes. p. 714; Dio Cass. 37, princ; Appian: Bürgerkrieg II, p. 718; Tacit Annal. XIII. 49; Plutarch, Politische Lehren, 9.

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IV. Buch, 10. Cap., § 8. 11. Cap. § 1—3. (247)

über jeden andern beliebigen Gegenstand sprechen duifte und zwar so lange, als es ihm beliebte. Caesar (ungeduldig darüber) rief nun in seiner Eigenschaft als Consul den Ge- richtsboten und liess jenen, da er trotzdem (des Redens immer noch) kein Ende machte und (unbekümmert) weiter sprach, ergreifen und in das Gefängniss abführen. Sofort erhob sich der gesammte Senat und begleitete den Cato in's Gefängniss. Durch diesen offenbaren Beweis von Missfallen, heisst es weiter, fühlte sich Caesar veranlasst nachzugeben und hiess den Cato (wieder) fi-eigeben,

IV, 11, L. Welch eine (von der gewöhnlichen Ansicht zwar abweichende, aber fast) weit wahrscheinlichere Angabe Aristoxenus uns über (die Lebens- weise des) Pjthagoras hinterlassen; ferner welche ähnliche schriftliche Bemerkung aber denselben Pythagoras (uns) Flutarch beigebracht hat.

IV, 11. Cap. 1. Es hat eine alte, irrige Ansicht um sich gegriffen und Wurzel gefasst, dass der Philosoph Pytha- goras Fleisch von Thieren nicht gegessen habe ; ebenso dass er sich des Bohnengemüses, wofür die Griechen den Ausdnick ^xtafAüg"^ brauchen, enthalten habe. 2. Auf diese Ansicht anspielend, sang der Dichter Calliraachos:

Weisen auch stets von der Hand die beschwerende Speise der Bohnen Lehr' ich gerad' so, als einst solches Pythagoras rieth.

3. In Folge dieser (irrigen) Ansicht hat auch M. Cicero in seinem 1. Buche (cap. 30, § 62) „über die Weissagung**

lY, 11, 2. Gallimachus, dem berühmten Geschlechte der Bat- tiaden zu Kyrene entsprossen, in Alexandrien lebend, eröffnete daselbst eine Schule der Grammatik, d. b. der schönen und humanistischen Wissenschaften, zählte den Apollonius Rhodius, den Eratosthenes , den Aristophanes von Byzanz zu seinen Zuhörern und wurde von Ptolemäus Philadelphtts zum Vorsteher der königlichen Bibliothek berufen, die er bis zu seinem Tode verwaltete, 240 230 v. Chr. Ein Mann von um- fassendster Gelehrsamkeit und schriftstellerischer Fruchtbarkeit Berühmt sind sein von Catull nachgeahmtes Gedftht auf das Haupthaar der (Ge- mahlin des Königs Ptolemäus III. Euergetes) Berenice; seine Elegie „Kydippe" von Ovid in seiner 20. Heroide nachgeahmt und seine »Ibis", ein ebenfalls von Ovid nachgeahmtes Schmähgedicht. Zu seinen verloren gegangenen Gedichten gehören die afnit (Ursachen) und 'Exälrj^ ein Heldengedicht.

IV, 11, 3. Plat. de republ. IX. 571 heisst es: „Der thierische Theü, überbiden von Speise und Trank, sucht den Schlaf zu verdrängen". Vergl.

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(248) IV. Buch, 11. Cap., § 8-7.

folgende Bemerkung niedergeschiieben : „Plato verlangt also^ dass man sich dem Schlafe in einer solchen Yei-fassung des Körpers überlassen soll, dass (von ihm aus) nichts eintrete, was in der Seele Irrthum und Verwirrung erzeugen kann. Deshalb glaubt man auch, dass den Pythagoräem der Genusa der Bohnen untersagt war; denn ihr Genuss erzeugt ein starkes Aufblähen, was AUen denen störend sein muss, die nach der (wahren) Ruhe ftlr die Seele trachten (oder die nach ruhiger ; geistiger Betrachtung der Wahrheit ringen).^ 4. So also Cicero. Allein der (Philosoph und) Musiker Aristoxenus, ein in den alten Wissenschaften höchst be- wanderter Mann, zugleich (Schüler und) Zuhörer des Phi- losophen Aristoteles, sagt in seinem hinterlassenen Werke, welches über den Pythagoras handelt, dass Pythagoras öfters gar kein Gemüse zu sich genommen habe als (nui*) Bohnen: weil diese Speise nicht allein die Ausleerung allmählich (leicht) abführe, sondern auch schlüpfrig mache. 5. Ich lasse hier des Aristoxenus bezügliche Stelle gleich wörtlich folgen, sie lautet: „Pythagoras erachtete von den Gemüsen am meisten die Bohnen für nützlich (und gesund), weil sie theils gar sehr die Verdauung befördern, als auch den Leib offen halten; deshalb genoss er sehr oft davon." 6. Derselbe Aristoxenus erzählt ferner, dass Jener auch noch ganz junge Ferkel und recht zarte Böckchen verspeist habe. 7. Diese näheren Mittheilungen scheint er von seinem vertrauten Freunde, dem Pythagoräer Xenophilus, erfahren zu haben, wie auch wohl von einigen älteren Leuten, die aus der Zeit des Py-

Strabo VIT, 457; Philostr. vit ApoUon. I, 1; Aelian vemiischte Gesch. IV, 17; Porphyrius von der Entbehrung der Fleischspeisen 11; Diog. Laert. VIII, 1, 18. 19; Flut. Symp. VllI, 7.

IV, 11, 4. Aristoxenus, Philosoph und Musiker aus Tarent, um 318 V. Chr., Sch&ler des Aristo tj^les , Verfasser zahlreicher Schriften, von denen wir noch seine „Elemente der Harmonie^ in 3 Büchern und Bruch- stücke seines Werkes „über den Rhythmus" besitzen, die älteste Ab- handlung über Musik.

IV, 11, 5. S. Athenaeus X, 418.

IV, 11, 7. Xenophilus, ein Pythagoräer, Lehrer des Aristoxenus,

wahrscheinlich derselbe, welcher nach Lucian (Macrob. 18) 105 Jahre alt wurde.

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ly. Buch, 11. Cap., § 8-10. (249)

thagoras [ ]. 8. Dass er feiner auch Fleisch von den

Thieren genossen, lehrt der Dichter Alexis in seinem Lust- spiel, welches die Ueberschrift führt: „Leben (und Treiben) des Pythagoras." 9. Der Grund zu dieser irrigen Annahme in Bezug auf Entsagung des Genusses der Bohnen scheint daher entsprungen zu sein, weil in einem Gedichte des Em- pedocles, welcher den Grundsätzen des Pythagoras ergeben war, sich folgender Vers findet:

Arme, b^ammernswerthe entfernt von den Bohnen die H&nde. 10. Es waren nämlich sehr Viele in dem Wahn, dass man unter dem griechischen Ausdruck „xva^ot^^ nichts andres zu yerstehen sei , als was man im gewöhnlichen Leben Bohnen- gemüse heisst. Allein Jeder, der die Dichtung des Empe- docles nur irgend etwas genauer und gewissenhafter in Erwägung gezogen, wird gestehen müsseu, dass das Wort „xi;ajuoi"an dieser Stelle, „die Hoden*' bedeutet, und diese also nach der -Sitte des Pythagoras auf eine versteckte und ver- blümte Art mit dem Ausdruck „xmiwot'* benannt wurden, weil sie ja die Ursache der Zeugung (aYtioi rov xveiv) und der Möglichkeit zur menschlichen Fortpflanzung bilden; des- halb also habe es in der Absicht des Empedocles gelegen, bei diesem, seinem Verse darauf hinzuweisen, die Menschen nicht vom Genüsse der Bohnen, sondern von der Lust an unztich-

IV, 11, 8. üeber Alexis s. Gell. II, 23, 1 NB.

lY, 11, 10. Empedocles aus Agrigent in Sicilien, griechischer Philosoph um 490 v. Chr., wurde als Arzt, Beschwörer der Natur und Prophet verehrt. . Er behauptete neben den vier Elementen, Feuer, Wasser, Luft und Erde noch zwei wirkende Kräfte als ein vereinigendes und trennendes Princip {(piUa^ Freundschaft, Liebe und veixog^ Feindschaft, Streit). Indem der Streit in die durch Liebe verbundene Einheit eindrang und Sonderung bewirkte, so entstand nach ihm die Welt. Sein System . der vier Elemente ist erst durch die im 19. Jahrhundert gemachten Fort- schritte der Chemie umgestossen worden. Die Agrigentiner boten ihm die Herrscherkrone an; er schlug sie aber aus. Von dem Lehrgedichte, worin er sein ganzes philosophisches System darstellte, sind nur noch Fragmente vorhanden. Hör. art. poet. 465 467.

IV, 11, 10. Daher das Sprüchwort: IlvOayoftixovg xvduovg firj ^aS-Hj d. b. sündige nicht Bei Plutarch: über Kindererziehung, cap. 17, heisst es: „enthalte dich der Bohnen, d. i. befasse dich nicht mit Regierungs- ar.gelegenheiten, weil früher bei der Wahl der Obrigkeiten mit Bohnen abgestimmt wurde.'' Plutarch Fragen über röm. Gebräuche 95.

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(250) IV. Buch, 11. Cap^ § 11—14.

tiger (Geschlechts-) Ausschweifung abzuhalten. 11. Auch Plutarch, ein Mann in wissenschaftlicher Beziehung von ge- wichtiger Glaubwürdigkeit, ftthi-t im ersten seiner über Homer veifassten Bücher an, dass bei dem Philosophen Aristoteles dieselbe schriftliche Bemerkung über die Pythagoräer sich vorfinde, dass sie, mit Ausnahme einiger weniger Fleisch- theile, sich (im Allgemeinen) des Genusses vom Fleische der Thiere nicht ganz enthielten. 12. Ich schreibe Plutarchs eigene^ Worte her, weil die Sache doch wohl nicht so ganz bekannt sein dürfte: „Aristoteles berichtet ^ dass die Pytha- goräer das Fleisch von der weiblichen Schaam, dann vom Herzen der Thiere, femer von der Meerqualle, desgleichen von einigen andern Thieren nicht anrühren, dass sie aber von allen übrigen (Fleisch-) Arten gemessen." 13. Der griechische Ausdruck aTcaXrjqit} (Meerqualle) bedeutet einen Seefisch, der im Lateinischen uftica (Nessel) genannt wird. Allein Plu- tarch (hinwiederum) berichtet in seinen Tischgesprächen (VIII, 8), dass die Pythagoräer sich auch noch der Fische (Meerbarben) enthielten. 14. Endlich ist aber noch die (wunderbare) Sage verbreitet, dass Pythagoras zu sagen pflegte, er habe das erstemal als Euphorbus auf der Welt gelebt. Das nun ist allgemein bekannt. (Unbekannter und) weiter hergeholt dürfte wohl eine (andere) Nachricht sein, welche Clearch und Dicaearch mitgetheilt haben, dass Pytha- goras später noch als Pyrrhus Pyranthius, hernach als

IV, 11, 13. S. Athenaeus II, 61.

lY, 11, 14. Clearch US aus Soli in CUicien, einer der gelehrtesten und tüchtigsten Schüler des Aristoteles, verüasste zahlreiche philosophische und, wie es scheint^ auch historische Schriften, namentlich: ßtoi (Lehens- beschreibungen). Von ihm sind nur noch Bruchstücke übrig.

rv, 11, 14. Dicaearchus, peripathetischer Philosoph aus Messana in Sicilien, Schüler des Aristoteles, Geograph, Mathematiker und Bedner, SSO V. Chr., hielt die Seele für sterblich, das Menschengeschlecht aber für unsterblich. Lieferte eine historisch-geographische Beschreibung Grie- chenlands, wovon nur 2 Fragmente übrig sind.

IT, 11, 14. Pyranthius, einer, dessen Seele in Pythagoras überging, oder Pyrrandrus, ein Sykophant, von dem es wegen seiner schlechten Streiche sprüchwörtlich wurde zu sagen: ITvQgavJQOv ftrixnvfifia (eine [wahrhafte] Nichtswürdigkeit).

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IV. Buch, 11. Cap., § 14; 12. Cap. 13. Cap., § 1. (251)

Aethalides, endlich gar als eine weibliche Buhldirne von schönem Aeussem, Namens Alco auf der Welt gewesen sei.

IV, 12, L. Merkwürdige, in den alten Urkunden aufgefundene (Nach- richten fiber) strenge Rügen und Ahndungen von Seiten der (römischen) Sittenrichter (cfr. Gell. IV, 20).

IV, 12. Cap. 1. W^enn Einer seinen Acker hatte ver- wildem lassen, oder ihn nachlässig bestellt, oder ihn weder bebaut noch vom Unkraut gereinigt, oder wenn Jemand seinen Baumgarten und seinen W^einberg vernachlässigt hatte, so blieb dies nicht ungestraft, sondern war der Ahndung*) durch den Sittenrichter unterworfen, und diese Sitten- richter konnten ihn (zur Strafe) zum Aerarier**) machen (d. h. ihn in die niedrigste Volksklasse stossen). 2. Ebenso zog ein Ritter, welcher ein mageres oder wenig gepflegtes Pferd hatte, sich den (beschimpfenden) Vermerk der schlech- ten Wartung zu. Das Wort inpolitia (schlechte Wartung oder Unterlassung des Putzens) steht hier in der Bedeutung des Wortes ineuria (Vernachlässigung). 3. Für diese beiden Bemerkungen findet man massgebende Beispiele vor und hat solches besonders M. Cato sehr oft bestätigt.

IV, 13, L. Dass das nach einer gewissen Tonweise (dnreh phrygische Harmonie) angestimmte Flötenspiel Hüftschmerzen heilen (und lindem) kann.

IV, 13. Cap. 1. Es ist von den Meisten geglaubt und dem Andenken überliefert worden, dass wenn Hüftgelenke am

IV, 11, 14. Eaphorbus, einer der tapfersten Troer, verwundete den Patroklos und wurde von Menelaos getödtet. Hom. IL 16, 806 u. s. w.; 17, 59. Pythagoras behauptete, er sei einst dieser Euphorbus gewesen, yergl. Diog. Laert. 8, 1, 4; Tyrius Max. 28; Hygin. Fab. 112. Alles dies bezieht sich auf die von Pythagoras angenommene Seelenwanderung, welche Lehre er aus Aegypten mitgebracht haben solL

IV, 12, 1. Die Censoren /Sittenrichter) überwachten die Reinheit der Ehen, die Erziehung der Kinder, die Behandlung der Sklaven und der dienten, die Bestellung der Aecker. S. Plut Cat. Cens. 23; *) Suet. Caes. 46 (41) opus censorium. •*) S. Gell. IV, 20, 11.

IV, 12, 2. Paul. S. 108 (L. M.) impolitias facere. Vergl. Gell. VI (VII), 22. Bestrafung eines Ritters wegen seiner Dickheit. „Notare" ist der stehende Ausdruck ftlr den beschimpfenden Vermerk von Seiten der Sittenrichter. Vergl. Gell. IV, 20, L. Notati.

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(252) IV. Buch, 18. Cap., § 1—4.

meisten schmerzen, deren Schmerzen dann gemindert werden, wenn ein Flötenspieler in sanften Weisen bläst (d. h. das» bisweilen heftige Körperschmerzen durch Musik gelindert werden). 2. Ich habe ganz kürzlich in einer Schrift dea Theophrast die Bemerkung gefunden, dass Vipembisse (nicht ärztlicher Beistand, sondern) ein weise und massig ange- wandtes Flötenspiel heile. Eine Schrift Democrits, welche die Ueberschrift führt: „Anleitung über Rhythmus und Harmonie („TTc^i ^vofÄÜv IQ Xoyiniov xavwv"), enthält auch noch Mit- theilungen; 3. darin belehrt uns dieser Philosoph, dass bei vielen Krankheitsfällen der Menschen Flötenspiel als (wirk- sames) Heilmittel gedient habe. 4. In so völlig enger Ver- bindung stehen überhaupt Körper und Geist zu einander, und es liegen daher auch für Geist und Körper die Krank- heitsursachen und Heilmittel ganz nahe bei einander.

IV, 13, 2. Theophrast schrieb ein Werk über die Tonkünstler, Diog. Laert Y, 47 u. 48 und eins über die Tonkunst Dahin gehört wohl auch die Monographie über Metrik und Harmonik und femer noch die Schrift über den Enthusiasmus aus Diog. Laert. V, 43; Athen. 14 p. 624 A., worin wahrscheinlich von der Wirkung der Musik auf die menschlichen Sinneswerkzeuge und Vorstellungen und von der Kraft derselben, selbst Kranke zu heilen die Rede war. Aus dieser Schrift stammt vermuthlich der Bericht unsers Gellius hier, der sich auch noch findet bei Plin. H. N. 28, 4 Fin. u. ApoUon. Alex. Histor. comm. 49; cfir. GeU. I, 3, 21 NB.

IV, 13, 2. Demokritos, gebürtig aus Abdera in Thrakien, um 470 V. Chr. Sein reicher Vater soll den Xerxes auf seinem Zuge nach Griechenland bewirthet haben. Nach des Vat«rs Tode verwandte Demo- Igritos das ansehnliche Vermögen zu Reisen nach Aegypten und in das innere Morgenland. Als die letzte elementare Grundlage der Natur sah er, wie sein Lehrer Leukippos, die Atome (eine unendliche Menge untheilbarer Urbestandtheile) an, woraus Alles entstanden ist, das sinnliche wie geistige Leben erklärte er aus den Aus- und Einströmungen höchst feiner Atome und ebenso waren ihm die Götter Aggregate solcher Atome (Atomismus). Von seiner Selbstblendung s. Cic. Fin. 5, 29, 87 und GeU. X, 17. Nach ihm besteht das he^chste Gut des Menschen in der Ge- müthlichkeit (ev&vfifa), in einer gleichmüthigen , durch Furcht und Hoff- nung nicht gestörten Seelenstimmung; in einer überlegten Wahl zwischen den angenehmen und unangenehmen Empfindungen. Daher er vielleicht zu dem stets lachenden (yelaaivos), Heraklit aber zu den stets weinenden gemacht wird.

IV, 13, 3. Vergl. Aristot. vom Staate VIÜ, o; Quintil. IX, 4, 10; Athenaeus XIV, 5, 6.

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IV. Bach, 14. Cap. 15. Cap., § 1. (253)

IV, 14, L. Erzählung einer geschichtlichen Begebenheit, die sich zu- getragen zwischen dem Aedilen Hostilius Mancinus und der öfTentlichen Bnhlerin Manilia; ferner das (darauf bezügliche) wörtliche Gutachten der Tribunen, an welche die Manilia appellirto.

IV, 14. Cap. 1. Als ich das 8. Buch von des Atejus Capito „Notizensammlung" las, welches die (besondere) Ueber- schrift führt „von den öffentlichen Gutachten^, fiel mir be- sonders ein Beschluss der Tribunen auf, der das volle Gepräge altbiederer, strenger Gerechtigkeitsliebe an sich trägt. 2. Des- halb erwähne ich (hier) denselben; desgleichen warum und in welchem Sinne er verfasst worden ist. (Die Sache verhält sich so:) Aulus HostiUus Mancinus (also) war curulischer Aedil. 3. Dieser liess die öffentliche Buhlerin Manilia be- langen und ihr vor dem Volke deshalb einen öffentlichen Termin ansetzen, weil sie es gewagt hatte, aus ihrem Stock- werke bei Nacht einen Stein nach ihm zu werfen, wovon er die durch den Steinwurf erhaltene Wunde öffentlich vorzeigte. 4. Manilia erhob Einspruch bei den Volkszunftmeistern. 5. Vor ihnen sagte sie aus, dass der Nachtschwärmer Mancinus an ihre Behausung gekommen sei, dass es ihr aber wohl nicht zum Nutzen gewesen sein würde, hätte sie ihn (in seinem Zustande) aufgenommen; nun habe sie aber (deshalb), als er mit Gewalt einzudringen versuchte, sich nicht anders zu helfen gewusst, als ihn mit Steinen zu vertreiben. 6. Die Tri- bunen (als sie den wahren Sachverhalt erfahren hatten) gaben die bestimmte Erklärung ab, dass der Aedil mit vollem Rechte von einem solchen (verrufenen) Orte sei ver- jagt worden, wohin (noch dazu) mit bekränztem Haupte (cum coroUario) sich zu begeben ganz unschicklich gewesen sei. Deshalb widersetzten sie sich der Absicht der Aedilen, vor dem Volke klagbar (gegen das Weib) zu werden.

IV, 15, L. Versuch zur Rechtfertigung eines angefochtenen, ans den

Geschichuwerken des Sallnst entlehnten Gedankens, welchen dessen (Neider

und) Feinde mit gehiUsiger Heftigkeit tadelnd angriffen.

IV, 15. Cap. 1. Die Feinheit der AusdrucksweiÖe Sal- lusts und seine Neigung neue Wörter zu bilden und aufzu-

IV, 15, li. Cfr. Gell, m, 1, L. NB. IV, 15, 1. Cfr. GeU. I, 15, 18.

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(254) IV. Buch, 15. Cap., § 1—5.

bringen (und einzuf&hren), hat offenbar Veranlassung zu Neid und Vorwürfen gegeben, und viele Männer von nicht ge- ringem Geist haben (deshalb) vielerlei (in seinen Schriften) auszusetzen und zu verkleinem gesucht. Da läuft nun freilich wohl auch Manches mit unter, was man aus reiner Ungeschick- lichkeit und Böswilligkeit durchgehechelt hat. Hingegen dürfte wohl manches Andere nicht unverdienter Tadel treffen, wie z. B. jene bekannte Stelle „aus seiner Beschreibung (von der Verschwörung) des Catilina" besonders herausgenommen worden ist, weil es das Ansehen hat, als sei sie mit wenig Ueberlegung gesagt. Sallusts Stelle (Cat. 3, 2) lautet wört- lich so: 2. „Obgleich nun keineswegs gleicher Ruhm dem Ei-zähler (seiner Geschichte), wie dem (Helden und) Voll- bringer seiner (Gross-) Thaten zu Theil wird, so ist es doch, dünkt mich, ganz besonders schwierig, Geschichte zu schreiben, zuerst, weil die (Wort-) Schilderung den Thaten entsprechen muss ; femer, weil die Meisten im Fall Du Fehler rügst, (von Deiner Seite nichts weiter, als) nur die Sprache der Miss- gunst und des Neides zu hören glauben. In dem Falle aber, wo Du etwas verlauten lassest von hohem Verdienst und vom Ruhme edler Männer, nimmt es Jedermann gleichgültig auf, weil er meint, so etwas selbst leicht nachthun zu können; was darüber hinaus geht, hält er fllr Unwahrheit." 3. Sal- lusts Vorsatz war doch, sagt man nun, die Gründe anzugeben, weshalb die Geschichtsschreibung eine höchst schwierige Aufgabe zu sein scheine; und als man nun daselbst vor Allem den Gmnd (zu erfahren wünscht), lässt er uns nicht Gründe, sondem nur Klagen hören. 4. Denn das darf doch wohl nicht als (ein Haupt-) Gmnd angegeben werden, wes- halb die Ausgabe eines (zu schreibenden) Geschichtswerkes eine so höchst schwierige sei, weil die Leser das Geschriebene entweder nicht mit der nöthigen Theilnahme aufnehmen, oder es nicht für wahr halten. 5. Sie sagen also ganz richtig, man dürfe von einem solchen Unternehmen wohl (eher) behaupten, dass es falschen Beui*theilungen ausgesetzt und unterworfen sei, als dass dies eine sehr schwierige Aufgabe sei; weil jedes schwierige Unternehmen wohl durch die Schwierig-

IV, 15, 2. S. Cicw Orat 36, 123; Liv. 6, 20; Plin. Ep. 8, 4, 3.

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ly. Buch, 15. Cap., § 5. 6. - 16. Cap., § 1—8. (255)

keit seiner Aufgabe zu hoher Mühwaltung Veranlassung geben kann, aber nicht anderweitig durch etwaige falsche Beurtheilungen. 6. Das ist die Sprache, welche jene bös- willigen Tadler führen. Allein Sallust gebraucht das Wort „arduus** nicht in dem gewöhnlichen Sinne für dif&cUis (schwer), sondern setzt es ganz im Sinne des griechischen Ausdrucks y^x^XsTtog*^ , welches sowohl die Bedeutung hat: schwierig, als auch beschwerlich und unbequem und unge- fügig. Die Bedeutung dieser, Ausdrücke widerspricht aber dem oben angeführten Gedanken Sallusts durchaus nicht

IV, 16, L. Ueber einige Hauptwörter (der 4. Declination) von Varro und

Kigidins gegen den alltäglichen Sprachgebranch abgebengt; dann nebenbei

noch Anfuhrnng einiger derartiger Wörter durch Beispiele ans alten

Schriftstellern belegt.

IV, 16. Cap. 1. Wir wissen ganz genau, dass M. VaiTO und P. Nigidius, die gelehrtesten Männer des ganzen Römer- thums, von den Nominativen (der 4 Declination), wie von senatus, domus und fluctus, den Genitiv nicht anders ge- sprochen und geschrieben haben, als: senatuis (des Senats), domuis (des Hauses) und fluctuis (der fluth), und ebendaher auch den Dativ: senatui, domui, fluctui und überhaupt also alle andern (nach derselben Declination auf us auslauten- den Wörter) auf dieselbe gleiche Weise abgebeugt haben. 2. So findet sich auch beim Lustspieldichter Terenz in fol- gendem Verse, nach den ältesten Ausgaben, ebenfalls diese Genitivform vor (im Selbstquäler n, 3, 46):

l^us anois, opinor, causa, quae est mortoa, d. h. Wohl ihrer Alten, glaub' ich, wegen, die verstarb.

8. Die mustergültige Sprechweise dieser Gewährsmänner woll- ten Einige' von den alten Sprachforschern dadurch als regel-

IV, 16, 1. Ueber Nigidius s. Gell. IV, 9, 1 NB.

IV, 16, 2. Ter. Heautontim. II, 8, 36 heisst es: Wir trafen sie (spinnend und) in Trauerkleidem an, weil, wie ich glaube, die Alte är gestorben war.

IV, 16, 8. Bei den Neutris ist der Genitiv der Einheit gleich dem Dativ in der Einheit, weil da alle Casus unverändert bleiben. Offenbar ist die 4. Dedination {aus u und den Endungen der 8. Declination zu- sannnengezogen. Die Stammsilbe «idigte sich auf u und nahm im No- minativ nur ein s an; Genitiv uis und zusammengezogen ns; Dativ ui

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(256) IV. Buch, 16. Cap., § 3—8.

recht nachweisen, weil ja jeder sich auf i endigende Dativ in der Einheit, im Fall er nicht mit dem Einheits - Genitiv gleichlautet, durch Hinzufügung des Buchstaben s den Ge- nitiv der Einheit ergiebt, wie (von den Genitiven) patri patris, von duci ducis, von caedi caedis. 4. „Wenn man nun aber im Dativ sagen muss huic senatui," fahren sie weiter fort, „dann muss nach derselben Regel auch der Genitiv in der Einheit nicht senatus, ßondem senatuis lauten. "" 5. Allein nicht Alle geben zu , dass der Dativ senatui lauten müsse, sondern vielmehr senatu. 6. So braucht in folgenden Versen Lucilius in der Dativform victu und anu, nicht aber victui und anui:

Qaod somptum atqae epnlas victu praeponis honesto, d. h.

Weil ja VerBchwendung, Und ein Gelag* ehrbarer Lebensweise du vorziehst

Und an einer andem Stelle heisst es: anu noceo, d. h. ich schade der Alten (oder bin ihr im Wege). 7. Auch Vergil sagt (Aen. VI, 465) im Dativ aspectu und nicht aspectui:

Teque aspectu ne snbtrahe nostaro, d. h.

Und entziehe Dich nicht unserm Anblick.

Und in seinem Gedicht über den Landbau (Georg. IV, 198)

steht :

Quod nee concubitu indulgent, d. h.

und dass sie (die Bienen) nicht der Begattung fröhnen. 8. Auch C. Caesar, dieser wichtige Gewährsmann und muster-

oder zusammengezogen n; Accusativ uem, dafür um; Ablativ ue, dafür u; Nom. plur. ues, dafür us; Gen. pL blieb uum; Dat uibus, dafür ubus oder ibus.

IV, 16, 8. S. Lange, röm. Alterth. § 147 8. 180: C. -Julius Caesar begründete seinen rednerischen Ruf, als er 677 den Cn. Cornelius Dola- bella anklagte, wenngleich derselbe durch die Vertheidigung des C. Au- relius Cotta und Q. Hortensius freigesprochen war. Suet Caes. 4, 49; Plut Caes. 4; Ascon. p. 26; Tac. dial 34; Vellq. 2, 43.

IV, 16, 8. Ueber Caesars Reden s. Teuffels R. L. 192, 2; cfr. Gell. V, 13, 6; Xm, 8, 5.

IV, 16, 8. Cicero hatte auf J. Caesars heftigsten Gegner, auf den Cato von Utica, eine Lobrede geschrieben, darauf schrieb G. Caesar als Entgegnung einen Anticato in zwei Büchern. Vergl. Plntarch, JuL Caesar cap. 54; Suet. Caesar. 61 (56); Dio Cassius 43, 13; Cic Top. 25, 94; Quint. 3, 7, 28; GeU. Xin, 20, 3 NB.

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IV. Buch, 16. Cap., § 8. 9. 17. Cap., § 1—2. (257)

gültige Schriftsteller der lateinischen Ausdrucksweise, sagt in seinem Anticato: „Der Anmassung und dem Hochmuth und (dominato) der HeiTSchsucht eines Einzigen." Ebenso im 1. Buche seiner 1. Klagrede gegen Dolabella: „Diese, in deren Wohnungen und Weiheorten man aufgestellt hat zum Ruhme und zum Schmuck (ornatu erg. alle die geplünderten und geraubten Gegenstände). 9. Auch in seinen ' Büchern über die Analogie billigte Caesar (bei der Dativform) die Weglassung des i (und empfahl die aus ui in u zusammen- gezogene).

IV, 17, L. Ueber das Wesen einiger Praepositionen , bei denen es be- fremdlich und unverständig erscheint, sie bei Zusammensetzung mit Zeit- wörtern zu dehnen und lang auszusprechen. Beleg durch mehrere Beispiele und Gründe.

IV, 17. Cap. 1. Folgende Verse sind aus dem 11. Buche des Lucilius:

Scipiadae magno improbus öbiciebat Asellus Lustrum, illo censore, malum infelixque fuisse, d. h.

Scipio's mächtiger Kraft warf vor der gemeine Asellus, Dass hei seiner Gensur unglücklich gewesen das Lustriim.

Auffälliger Weise lesen Viele das „o" in dem Worte öbiciebat lang und sagen, dass sie dies deshalb thun, um dem Vers- mass gerecht zu werden. 2. Und weiterhin Jiieisst's bei dem- selben Lucilius:

Gonicere in versus dictum praeconis volebam Grrani, d. h.

Und schon wollte Ich in den Vers das Wort des Ausrufers Granius setzen.

Auch in diesem Worte (conicere) sprachen sie aus dem eben angegebenen (metrischen) Grunde die erste mit dem Zeitwort

IV, 16, 9. Gaesar in analogicis sc. libris. Gaesar in seiner Schrift über die Einheit und Gleichförmigkeit der stilistischen Darstellung. Mithin waren diese Bücher „de analogia*' eine Grammatik der Muttersprache und bandelten (s. Mommsen röm. Gesch. III, S. 568) von den Gesetzen dei* Sprachbildung und des Sprachgebrauchs. Yergl. Gdl. I, 10, 4 NB.

IV, 17, 1. Der tückische Asellus warf dem grossen Scipionen vor, dass die Zeit während seines fün^ährigen Gensorenamtes eine böse und unheüvolle gewesen sei. S. Gell, n, 20, 6; III, 4, 1; VI (VII), 11, 9; Cic. de orat. II, 64, 258; II, 66, 268.

G e 1 1 i a 8 , Attische Nächte. 17

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(258) IV. Bttoh, 17. Cfcp., § 8-a

zusammengeKistzte Proeposition ^con^ lang aus. 3. Auch im 15. Buche ((teBBelben Lucilius):

Sabidt huic humilem et suffercitus posteriorem, d. h. Schiebt yollnehmend den Mund einen Schlechtem und Niedem ihm unter,

liest Hian das u in subicit; lang, weil die Anfangssilbe in einem heroischen Hexameter nicht kurz sein darf. 4. Auch bei Plautus in seinem Epidicus (II, 2, 11) liest man die Silbe „con" lang:

Age nunc jam, oma te, Epidice, et palliolum in coUum cönice, Jetzt heisst es aufgepasst, £pidicu8, staffier' Pich auf, und das Mäntelchen

wirf Dir zurück zur Schulter.

5. Auch bei Vergil höre ich von sehr Vielen die erste Silbe in dem Worte subicit lang aussprechen:

Etiam Pamasia laurus Parva sub ingenti matris se subicit umbra. Selbst der pamasische Lorbeer Hebt sich, ein kleines Reis, im gewaltigen Schatten der Mutter.

6. Allein weder die Präposition „ob", noch „sub" sind von Natur lang, noch auch „con"; ausgenommen wenn, wie in den Wörtern „constituit" und „confecit", unmittelbar auf die Präposition Consonanten folgen, oder wenn bei der Präposition con das n ausfällt, wie Sallust (Cat. 23, 1; cfr. Gell. II, 17, 7) sagt: (facinoribus oder) faenoribus copertus, d. h. mit (Schandthaten oder) Schulden bedeckt oder in Schuldenlast versunken. In den oben angeführten Beispielen kann immer- hin nicht nur das Versmass als gewahrt gelten , sondern man braucht die (genannten) Präpositionen (des Versmasses wegen) nicht erst willkürlich falsch (zu betonen und) lang auszu- sprechen: denn eigentlich muss man die zweite Silbe in den bezeichneten Woitbeispielen nicht mit einem i, sondeiii mit zweien schreiben. 8. Das betreffende Wort selbst nämlich, dem die obengenannten Partikeln vorausgehen, heisst nicht icio, sonder iacio und hat im Perfectum nicht icit, sondern iecit. Bei Zusammensetzungen wird (im Zeitwort iacio) der

IV, 17, 8. Der Buchstabe i wird nicht blos als Vocal, sondern auch als CoDsonant gebraucht und mit dem Namen Jod bezeichnet. Dieses Zeichen j ist erst etwa vor einem Jahrhundert erfanden. Vor mehreren Jahrhunderten erfand man das v für u als Consonant. S. Gell. XIY, 5, 2.

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IV. Buch, 17. Gap., § 8—11. (259)

Buchstabe a in i verwandelt, wie das auch der Fall ist in den Wörtern insilio (von in und salio) und incfpio (von in und capio), und dies i nimmt nun die Giltigkeit eines Gon* sonanten an (d. h. wird als (Konsonant angesehen) und des- halb gestattet diese etwas breiter und gedehnter ausge- sprochene Silbe nicht, dass die vorhergehende Silbe kurz sein kann, sondern bewirkt, dass sie durch die Position (d. h. durch ihre Stellung vor einem Consonanten) lang wird; und deshalb bleibt hinsichtlich der Betonung sowohl das Silben- mass im Verse, als auch die (Accent-) Regel gewahrt. 9. Die von mir abgegebene Erklärung bildet auch die Veranlassung, dass ich ausser allem Zweifel bin, in der bei Vergil im 6. Buche (seiner Aeneide, v. 365) befindlichen Stelle :

Eripe me his, inyicte, maus aut ta mihi terram

Inioe, d. h. Finge diesem Leid, ünbesi^^, entreiss' mich, Erde entweder Sirene anf mich,

müsse man, wie schon erwähnt, iniice schreiben und lesen, wenn nicht etwa Einer aus Unwissenheit behaupten will, dass auch bei diesem Worte für die Länge der Präposition „in" nur das Versmass den Ausschlag gebe. 10. Nun wird man aber die Frage aufwerfen, nach welchem Grundsatz der Vocal 0 in dem Worte obicibus lang ausgesprochen wird, da dies Wort doch (offenbar) von dem Zeitwort obicio gebildet wurde und doch keineswegs Aehnlichkeit hat mit dem lang auszu- sprechenden 0 in motus, was von moveo abstammt 11. Nun erinnere ich mich aber sehr wohl, dass Sulpicius Apolli- naris, ein Mann von ausserordentlichen, wissenschaftlichen Kenntnissen, den Vocal o in obicis und obicibus immer kurz aussprach und (ihn) auch (an einer Stelle) Vergils (Georg. II, 479) so las:

Qna vi maria alta tnmescant

obicibus ruptis, d. h.

Was fluthende Meere

Allgewaltig Dämme durchbrechend anschwellt.

IV, 17, 9. Vergl. Gell. X, 16, 2.

IV, 17, 10. Bei zweisilbigen Supinen ist die vorletzte Silbe lang, und OB wird die kurze Stammsilbe des Präsens verlängert, z. B. möveo, mötum ; jÖTO, jtUom.

IV, 17, 11. Ueber C. Sulpicius Apollinaris s. Teuffels röm. L. G. 853, 2.

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(260) IV. Buch, 17. Cap., § 12—16. 18. Cap., § 1—3.

12. Dagegen sprach er, wie ich schon bemerkte den Vocal i, den man sicli in dem Worte (obicibirs) ja auch doppelt vor- stellen muss, etwas breiter und stärker, länger und derber aus. 13. Verhältnissmässig müsste nun eigentlich das u in subices, was gerade so zusammengesetzt ist, wie obices, auch kurz ausgesprochen werden. 14. Ennius setzt in seinem Trauerspiele, welches den Titel „Achilles" führt, das Wort „subices" in der Bedeutung von (den Wolken oder)' der hohen Luftschicht, welche unter dem Hinunelsäther liegt in folgen- den Zeilen:

per ego deüm sublimas Bübices Umidas, unde öritur imber sönitu saevo et spiritu, d. h.

Bei der Götter hohem, thauigem Fussgestell, Von welchem grimmer Regenschauer niederrauscht, beschwör' ich Dich,

doch hört man meist Alle das u lang aussprechen. 15. Das- selbe Zeitwort gebraucht M. Cato in Verbindung mit noch einer andern Präposition, in seiner Rede, welche er über sein Consulat hielt. Da sagt er *: „Diese treibt der Wind bis vor an die Pyrenäen , wo er sie auf die hohe See hinausjagt (quo pix)iicit in altum)." 16. Ebenso sagt auch Pacuvius in seinem

Chryses :

Id promünturium ciiyus lingua in altum pröiicit Dies Vorgebirge, dessen Zunge hinausragt weit ins Meer.

IV, 18> L. Einige aus den Jahrbüchern entlehnte, merkwürdige Begeben- heiten von dem älteren P. Africanus.

IV; 18. Cap. 1. Wie sehr sich der ältere Scipio Africa- nus durch seine glänzenden Tugenden auszeichnete, wie er- haben und hochherzig seine Gesinnung, ja wie er (sogar selbst) einen (grossen) Werth auf das Selbstbewusstsein (seiner Redlichkeit) legte, tritt durch viele seiner Aeusse- ningen und durch seine Handlungsweise klar zu Tage. 2. Unter andern dienen folgende zwei Beispiele zum Beweis für sein unerschütterliches Selbstvertrauen und für die eigene Ueberzeugung von seiner Vorzüglichkeit. 3. Als der Volks- zunftmeister M. Naevius ihn vor dem Volke verklagte und

IV, 18, 3. S. Liv. 38, 50, 5; 38, 56, 2. 5 ff.; Appian, syrische Ge- schichte, p. 181 f. cap. 40; Aurel. Victor. III, 49, 17; Val. Max. HI, 7, 1. Die wilden fehdelustigen Aetolier schlössen, weil sie den Römern feind

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IV. Buch, 18. Cap., § 3. 4. (261)

mit der Beschuldigung gegen ihn heraustrat, dass er von dem (syrischen) Könige Antiochus Geld angenommen habe, um (dafür) unter höchst annehmbaren und glimpflichen Be- dingungen im Namen des römischen Volkes einen Frieden mit ihm abzuschliessen , dabei (einem solchen Manne wie) ihm aber auch noch einige andere Dinge zum Vorwurf machte : da erhob sich nun endlich Scipio, und nachdem er einige kurze Bemerkungen vorausgeschickt hatte, wie sie die Ehre seiner .Vergangenheit und sein persönlicher Ruf erheischte, hub er also an: „Eben jetzt, ihr hier versammelten Bürger, eben jetzt fällt mir ein, dass gerade heute der Jahrestag (des Siege: bei Zama) ist, wo ich unsern grössten Beichsfeind, den Carthager Hannibal in einem verzweifelten Treffen auf afHcanIschem Boden besiegte und euch sowohl ausgezeichnete Friedensbedingungen , als auch einen rühmlichen Sreg errang. Darum dürfen wir uns auch wohl nicht undankbar gegen die Götter beweisen, und desshalb, glaub' ich, lassen wir diesen Dunstmacher ruhig hier stehen und machen uns jetzt sofort auf den Weg, dem stets guten und wahrhaft erhabenen Jupiter freudigen Herzens unsern Dank zu bringen." 4. Nach diesen Worten kehrte er sich ab nnd machte sich sofort auf

waren, einen ähnlichen Bund, wie die Achäer und suchten den syrischen König Antiochus in. den Grossen zur Bekämpfung der Römer aufzureizen. Antiochus wurde dazu um so leichter beredet, als erstlich Hannibal zu dem Kriege rieth und dann auch, weil der römische Senat seinen Stolz beleidigt hatte, indem er von ihm forderte, dass er die griechischen Staaten Kleinasiens freigeben und seinen Eroberungen in Thrakien entsagen sollte. Leider zögerte Antiochus zu lange, beleidigte auch noch seinen Bundes- genossen, den macedonischen König Philippos. Antiochus wurde besiegt, zum schleunigen Rückzug nach Kleinasien genöthigt, wohin ihm ein römisches Heer folgte unter dem Oberbefehl des Luc. Cornelius Scipio, dem sein Bruder, der ältere Africaner als Rathgeber zur Seite stand, auf dem Fusse folgte. An einem trüben Regentage (190) wurde bei Magnesia, am Berge Sipylos in Lydien, eine mörderische Schlacht geliefert, die wider Antiochus entschied und den flüchtigen König zwang, durch Abtretung seiner sämmtlichen europäischen Besitzungen und aller Länder Vorder- asiens diesseit des Taurus nnd durch eine unermessliche Entschädigungs- summe den Frieden zu erkaufen. Die Zahl der Gefallenen soU im sy- rischen Heere 50,000, im römischen nicht über 800 Mann betragen haben. Noch nie ist eine Grossmacht so rasch und so schmählich zu Grunde gegangen.

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(262) rv. Buch, 18. Cap^ § 5—12.

den Weg zum Capitol. 5. Es Hess nuu auch die ganze Ver- sammlung, welche sich eigentlich zur Aburtheilung über den Scipio eingefunden hatte, den Zunftmeister (allein) stehen und folgte dem Scipio nach zum Capitol und gab ihm endlich (auch nach vernchtetem Dankgebet) von da unter Frohlocken und feierlichem Jubelzuruf bis nadi seiner Wohnung das Geleite. 6. Es ist auch eine Rede in Umlauf, welche Scipio am besagten Tage gehalten zu haben scheint und wovon selbst die, welche nicht zugestehen wollen, dass die Rede selbst acht sei, doch durchaus nicht in Abrede stellen können, dass wenigstens die eben von mir angeführten Worte Scipio's eigene gewesen seien. 7. So ist auch noch folgender Vorfall von ihm (sehr bekannt und) einzig in seiner Art. Gewisse (2) Volkszunftmeister, die Pötilier-, vom M. Cato, dem Feinde des Scipio, wie man meint, gegen ihn angestellt und aufge- hetzt, verlangten mit grösster Heftigkeit im Senat, dass er Rechnung ablegen sollte über das Geld und die Beute, welche im Krieg gegen Antiochus erobert worden war. 8. Bei diesem Unternehmen (gegen Antiochus) hatte er nämlich seinem Bruder, dem Oberbefehlshaber Luc. Gornel. Scipio Asiaticus, als (Rathgeber und) Beigeordneter zur Seite ge- standen. 9. Darauf erhob sich Scipio (der an ihn ergangenen Aufforderung zu Folge) von seinem Sitze, holte ein Buch aus der Brusttasche seines Ueberwurfs hervor und sagte, dass dieses Buch die geschriebenen Berechnungsnachweise aller eroberten Schätze und der sämmtlichen eiTungenen Beute enthalte, 10. dass er das Buch auch nur in der Absicht mitgebracht habe, um es öffentlich vorlesen und in's Staats- archiv überweisen zu lassen. 11. „Aber nun", erklärteer sich weiter, „werde ich dies wohl bleiben lassen und gedenke mir diesen Schimpf zu ersparen (und selbst nicht anzuthun, den mir Misstrauen und Verläumdung zufügen will)," 12. und

IV, 18, 7. Vergl. Val. Max. HI, 7, 1 und über Cato GeU. U, 19, 9 NB. Platarch: Denksprikshe der Römer; Scipio der Aelt. 10; und: wie man, ohne anzustossen, sich selbst lobt, 4. S. Liv. 88, 54 über die Pötilier; Diod. 29, 24; Plutarch. Cato maj, 15. Es war im Jabre 187 v. Chr. (567 d. St), in welchem auch der grosse Scipio auf seinem Landgate bei I.itemum, in der Nabe von Neapel, starb. Plut reg. et imperat apopht Scipio 9; Polyb. 24, 9.

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lY. Buch, 18. Cap., StaHimbaum der Scipionen.

(268)

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(264) IV. Buch, 18. Cap., § 12; 19. Cap. 20. Cap., § 1.

sofort zerriss er öffentlich das Buch eigenhändig und zerfetzte es, weil es ihn offenbar schwer beleidigen musste, dass man (niedjiger Weise) von ihm einen Rechenschaftsbericht über das Beutegeld abforderte , von ihm , der sich doch (mit völli- gem Bechte) einbilden durfte, dass man ihm noch Ansprüche an der Bettung des Beiches und der Freiheit schulde.

IV, 19, L. Welche schriftliche Bemerkung sich in M. Varro's „Intelligenz- blatt (in logistorico)" über Beschränkung der Nahrung bei noch ganz kleinen Kindern findet.

IV, 19. Cap. 1. Es gilt für ausgemacht, dass noch ganz kleine Kinder, wenn man sie zu viel essen oder zu lange schlafen lässt, dann in eine gewisse Stumpfsinnigkeit ver- fallen, deren Zustand sich bis zur trägen Unbeholfenheit eines schlafisüchtigen (verträumten) und übernächtigen Wesens steigert, und dass in Folge davon die Leibesgestalt solcher Wesen verkümmert (klein bleibt) und sich nicht eben sehr entwickelt. 2. Diese Ansicht findet sich nicht nur in den Schriften sehr vieler Aerzte und Philosophen (vertreten), als auch besonders bei M. Varro in seinem „Intelligenzblatt", welches den Titel führt: Catus oder über Kinder-Erziehung (cfr. Gell. XX, 11, 4).

IV, 20, L. Strenge Verweise von Seiten der Sittenrichter für solche,

welche sich beim Verhör unzeitige Spasse erlaubt hatten. Femer Boschlass-

nähme über das Straferkenntniss auch für Einen, der vor demselben

Richterstuhl (der Censoren) stand und zu gähnen gewagt hatte.

IV, 20. Cap. 1. Unter den Straferkenntnissen der Sitten- richter finden sich folgende drei Beispiele strengster Zucht auf-

IV, 19, 2. M. Varro in logistorico. üeber libri loyiarogixtSv 8. Teuffels Rom. Lit Gesch. 164, 2, „sie waren Erörterungen philosophischen Inhalts {Xoyot) mit reichem Beiwerk geschichtlicher Belege (larofjfai), aus Mythus und Historie."

IV, 20, L. Eine Vornahme des Census (der Schätzung) nahm tribus- weise ihren Lauf. Nach den von den Vorständen der einzelnen Tribus zuvor eingereichten Listen wurden die Familienväter au^erufen und mit Hilfe beeidigter Taxatoren ihr Vermögensstand und ihre persönlichen Verhältnisse constatirt. Die bezüglichen Fragen wurden den nach der Keihe Vorgerufenen mit der Aufforderung vorgelegt, sie „nach ihres Her- zens rechter Meinung" zu beantworten, und wehe dem, der hier zur Unzeit spassen wollte.

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IV. Buch, 20. Cap., § 2— & (265)

gezeichnet. 2. Das erste Beispiel davon war (ohngefähr) folgendes: 3. Der Sittenrichter liess sich nämlich nach dem Herkommen (von jedem Manne) in Betreff der Ehegattinnen einen feierlichen Eid ablegen. Die Eidesformel war so abge- fasst: „So wahr Dir Gott helfe (sage und erkläre Dich auf- richtig und gewissenhaft darüber), ist Deine Frau nach Deinem Herzenswunsch? (üt tu ex animi tui sententia uxorem habes?)" Nun hatte einst ein Unbekannter diesen Schwur zu leisten, der ein Silbenstecher, ein beissender Witzbold, ein unzeitiger Possenreisser war. 4. Dieser wähnte, es sei für ihn (eben) eine günstige Gelegenheit gekommen, sein Witzchen anzu- bringen^ als der Sittenrichter ihn mit der gesetzlichen Eides- formel abgefragt hatte: „So wahr Dir Gott helfe, ist Deine Frau 'nach Deinem Herzenswunsch ?" 5. so antwortete jener (im Scherz darauf): Wohl bin ich mit einem Weibe ver- heirathet, aber wahrhaftig nicht nach meinem Herzenswunsch (sed non hercle ex animi mei sententia). 6. Für diesen muth- willigen, unzeitigen Scherz verstiess ihn darauf der Censor unter die sogenannten Aerarier (d. h. in die unterste Bürger- klasse) und vermerkte (in den Acten) den Grund zu diesem Straferkenntniss für einen possenhaften Witz in seiner (rich- terlichen) Gegenwart 7. Der zweite strenge Urtheilsspruch legt (ebenfalls) Zeugniss ab von einer ähnlichen Verfahrungs- weise und Zucht. 8. Einst wurde nämlich ßath gepflogen wegen des Straferkenntnisses über einen Bürger, der von einem seiner Freunde (als Zeuge) vor den Sittenrichter ge- fordert worden war und sich daselbst hatte einfallen lassen, vor den Schranken des Gerichts sehr auffällig und laut anhaltend zu gähnen, und da war es nahe daran, dass er

IV, 20, 4. Cicero erz&hlt in de „Oratore." II, 64, 260 von einem ge- wissen Luc. Nasica, der vom Gato gefragt worden war: ex tui animi sententia tu uxorem habes? erkläre Dich „gewissenhaft^ darüber, ob Du wirkUch auch verheirathet bist? Nasica, dieser Spottvogel, nahm den Doppelsinn der Worte so, als ob es sich um die Frage handle, ob er ein Weib nach seines Herzens Wunsch (nicht nach bestem Wissen und Ge- wissen) habe und antwortete im Scherz darauf, dass dies nicht der Fall, sondern dass er mit einem bösen Weibe, die nicht nach seines Herzens Wunsch, heimgesucht sei. Cfr. Quint. 8, 5, Anfang; YeU^. I, 10, 6; D, 10, 1; Liv. 41, 27, 2j Plin. 18, 3, 2; 18, 7 (6), 1; GelL IV, 8, 7; IV, 12, 1. 2.

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(266) IV. Buch, 20. Cap., §8—11.

(deshalb) beinahe Streiche erhalten hätte, weil ihm dies als Beweis von seiner leichtfertigen und gedankenlosen Gesinnung und als ein Zeichen von seiner ungebundenen und frechen Sorglosigkeit ausgelegt wurde. 9. Allein erst nur als je&er hoch und Üieuer versichei-t hatte, dass er ganz wider seinen Willen und trotz allen Widerstrebens sich des Gähnens nicht habe enthalten können und überhaupt mit dem sogmannten (unüberwindlichen Naturfehler dem) Uebel der Gähnsucht (oscedo) behaftet sei, erst dann entging er der bereits über ihn verhängten Sittenstrafe. 10. Beide Beispide hat P. Scipio des Paulus Sohn, in seiner Rede angebracht, welche er wäli- rend seines Sittenrichteramtes hielt, als er das Volk zur Nachahmung der (zwar strengen, aber) alten guten Sitten der Vorfahren aufmunterte. 11. Auch findet sich noch ein anderes (drittes) Beispiel solcher Sittenstrenge beim Masurius Sabinus im 7. Buche seiner „Denkschrift^, wo es heisst: „Als die beiden Sittenrichter P. Scipio Nasica und M. Poppilius die gebräuchliche Musterung der Ritter*) abhielten, be- merkten sie (bei dem Aufzuge) ein sehr mageres und schlecht genährtes Pferd, auf welchem ein sehr dicker und wohlg^ nährter Ritter sass. Sie fragen ihn also, wie kommt es doch, dass Du (so stattlich genährt bist und) sorgfältiger abgewartet aussiehst, als Dein Pferd? Das ist sehr einfach, antwoi-tete dieser, weil ich die Sorge für mich sdbsteigen übernommen habe, für mein Pfei*d aber ein Schlingel von Knecht, der Statins. Diese Antwort schien den Sittenricfatem nicht ehrerbietig genug zu sein, deshalb wurde der Ritter, wie es (wegen Ungebtthrlichkeiten) herkömmlidi war. In die Aerarier**) (d. h. niedrigste Bürgerklasse) degradirt

lY, 20, 10. Ermahnung des YoUces tob Seiten des P. Scipio Ae- miliaans eut Bewahrung der Sitten der Vorfiüuren. Gfr. Gell. V, 19, 15.

IV, 20, 11. *) Vergl. Non. Marc. 115, G.; 16S, M. Nach Veriaof eines Zeitnuims Yon 5 Jahren (lustnun) wurde Yon den Gensoren eine Mastening gehalten, wobei sie oft ihre Gewalt sehen iiessen. Lustrom wurde es genannt yon luere =^ solvere, weil bei dieser Gelegenheit Ton den Genendpftchtem aUe Pachtungen an die Censeren gesahlt wurden. Yairo L 1. YI, 11. Ausserdem wurde jähriich auch ein öffentlicher Anfiefig (transvectio) der Ritter vor den Gensoren gehalten.

lY, 20, 11. **) Die Aerarier machten die niedrigste Klasse des

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IV. Buch, 20. Cap., § 12. 13. (267)

12. Der Name Statins aber war ein (aUgemeiner) Sklavenname. Sehr viele Sklaven führten bei den Alten diesen Namen.

13. Auch jener höchst berühmte Lustspieldichter Lucilius war vormals ein Sklave und führte deshalb den Namen Statins, der aber nachträglich für ihn, so zu sagen, in einen Bei- namen umgewandelt wurde und er deshalb Caecilius Statins genannt zu werden pflegte.

römischen Volkes aus, hatten nur ihr Kopfgeld zu bezahlen und nicht, wie die andern, die Berechtigung zu stimmen.

IV, 20, 13. üeber Caecilius Statins s. Gell. II, 23,5NB. Vergl. TeufTel röm. Lit. Gesch. § 105, 1.

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V. BUCH.

V, I, L. Wie dejr Philosoph Mußoniu8 die Gewohnheit tadelt und verwirft,

das8 einem Weltweisen während seines Vortrag» von seinen durch laute

Zurufe und Beifallsausdrücke sich ganz leidenschaftlich geberdenden

Zuhörern Zeichen der Anerkennung ertheilt werden.

IV, 1. Cap. 1. [Folgende Aeusserung that] der Philosoph Musonius sehr oft. Er sagte: „Wenn ein Weltweiser sich in Ermahnungen, in Warnungen, in Bathschlägen , in Tadel ergeht, oder wenn er irgend einen andern Gegenstand aus dem Bereich der Wissenschaften erörtert, und es können dann seine (Schüler oder) Zuhörer unüberlegt und aus vollem Halse die alten, gewöhnlichen und abgedroschenen Beifalls- zeichen ausstossen, wenn sie dann laut brüllen, sich leiden- schaftlich geberden, sich durch den flunkerhaften Aufputz seiner Ausdrucksweise, durch sein Satzgeklingel, durch seine ggwissermassen immer wiederkehrenden Wortschwallhäufungen gerührt, aufgeregt und verzückt stellen: dann kannst Du überzeugt sein, dass sowohl für den Vortragenden, wie für den Zuhörer Zeit und Mühe verloren sind, und (es wird Dir den Eindruck machen,) dass da nicht ein Philosoph spricht, sondern ein (virtuoser) Flötenspieler sich hören lässt. % Denn wenn des Lehrers Unterhaltungen nur irgend wie nützlich

y, 1, 1. Gajus Musonias Rafas, ein römischer Ritter aas Tuscien, stoischer Philosoph und besonders durch seinen Schüler Epictet berühmt geworden. Unter Nero wurde er verdächtigt und musste in die Verbannung gehen. Unter Vespasian wieder nach Rom zurückgekehrt» blieb er, wegen seines rechtschaffenen Charakters (vergl. Tac bist 4, 10), ganz allein ausgenommen von der Ausweisung, welche die dort lebenden Philosophen traf (cfr.XY, 11; Tac bist 3, 81), so sehr stand er bei Vespa- sian in Achtung. Einen andern Musonius, der zur Zeit des Kaisers Julianus lebte, erwähnt Eunapius. S. Teuffels röm. L.-G. 2H, a

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V. Buch, 1. Cap., § 2—6. 2. Cap., § 1. (269)

und heilsam sind und (wirksame) Heilmittel bieten für Irr- thümer und Laster, dann wird die Seele des Hörers (durch den Vortrag des Weisen von tiefster Rührung erfüllt,) weder Zeit, noch Gelegenheit finden, um in weitläufige und mass- lose Lobeserhebungen auszubrechen. 3. Jeder Zuhörer, sei er, wer er wolle, muss unbedingt, wenn er sittlich nicht ganz verkommen ist, während des (ei^eifenden) Vortrags des Lehrei*s sich erschüttert fühlen , mit Zurückhaltung jedes eigenen Urtheils von Scham und Reue erfüllt und von Freude und Bewunderung durchdrungen werden, 4. ja er wird sogar die Veränderungen in seinem Antlitz und die Wandlung in seinen Empfindungen nicht bergen können, je nach dem Verhältniss, wie der Vortrag des Lehrers bei der Schilderung der beiden (sich entgegengesetzten) gesunden oder kranken Seelenzustände den Hörer und sein Gewissen ergriffen haben wird." 5. Feiner sagte er, dass von einem hohen Grade von Verwunderung bis zur Bewunderung kein grosser Abstand statt finde ; der höchste Grad von Bewunde- rung aber offenbar nie in Worten, sondern durch Schweigen sich offenbare. 6. Deshalb, fährt er fort, lässt auch der weiseste (und erfahrenste) aller Dichter (Homer) die aufmerk- samen Zuhörer des seine (Reise-) Drangsale mit lebhaften Farben schildernden Ulyxes, wie er seine Erzählurfg beendet hat, nicht aujgauchzen, noch Beifall klatschen, noch in lauten Zurufen sich ergehen, sondern sagt (Odyss. XUI, 1 und 2), dass Alle eine lautlose Stille beobachtet, gleichsam starr und stumm dagesessen hätten, da die bestrickende Bezaubemng der Ohren (d h. der Reiz deg Gehörten) ihnen bis zu den innersten Redequellen (des Herzens) drang:

Sprach's, und alles umher war still, und es waltete Schweigen, Und sie waren entzückt in der schattengewährenden Halle.

V, 2, L. Ueber das (berühmte) Pferd des Königs Alexander, Bacepbalas (Ochsenkopf) genannt.

V, 2. Cap. 1. Das Pferd des Königs Alexander erhielt

y, 1, 6. Zuhörer j. e. alle Phäaken, die im Palaste des Alkinoos anwesend waren und dem Ulyxes aufinerksam zuhörten, wie er seine Reise- abenteuer erzählte.

V, 2, 1. S. Strabo XV, p. 1023; Arrians Feldzüge Alexand. V, 19;

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(270) V. Budi, 2. Caps § 1-5.

wegen der Gestalt seineß Kopfes den Namen Bucephalas. (Ochsenkopf.) 2. Chares schreibt, dass es 13 Talente geko- stet nnd (einst) dem König Philipp (von Macedonien, Alexan^ ders Vater) zum Geschenk gemacht worden sei. Nach «nsarm (römischen) Gelde beträgt diese Summe 312,000 Sestenden.

3. Besonders merkwürdig war an diesem Pferde, dass, wenn es zur Schlacht ausgerastet und geschmückt war, es ach nie von einem Andern, als nur vom König besteigen Hess.

4. Auch wird über dieses Thier noch folgende Merkwürdig- keit berichtet: Alexander der dieses Pferd im Feldzuge gegen Indien ritt und Wunder der Tapferkeit verrichtete, hatte sich, nicht vorsichtig genug, zu weit vorgewagt und war plötzlidi von Feinden ganz eingekeilt. Jetzt nun regnete es von allen Seiten Pfeile auf den König Alexander. Das Pferd, am Hals und an den Seiten aus tiefen Wunden blutend, obgleich verwundet bis zum Tode und beinahe schon ganz entkräftet, trug doch im raschen Laufe, mitten aus der Menge der Feinde, den königlichen Herrn noch heraus und sobald es ihn dem Bereich der tödüichen Geschosse entführt, brach's auf der Stelle zusammen und hauchte, beruhigt durch die Rettung seines Herrn, fast wie mit tröstlichem Gefühl einer sonst nur menschlichen Rührung, sein Leben aus. 5. Später liess der könig Alexander nach Beendigung dieses Kri^es auf jenen Schlachtfeldern eine Stadt gründen und nannte sie (aus dankbarer Erinnerung) zu Ehren seines Sti*eitro8ses : Bucephalon.

Diodor. Sic. XVII p. 549. 564; Platarch, Alezandr. p. 667. 690. 699; über das Glück und Verdienst Alezanders I. p. 328; über den Verstand der Land- und Wasserthiere caip. 14 p. 970; ob ein Greis Staatsgeschftfte etc. cap. 19; Justin. XII, 8, 8; Curtius VI, 5, 18. 19; Vni, 14, 34; IX, 3, 23; Plin. VI, 20, 23; VHI, 64 (42); Solinus 47; Tzetzes Chü. I, 28.

V, 2, 2. Chares von Mytilene beschrieb das Leben Alexanders, wovon Athenaeus sehr rühmend spricht. Er lebte unter dem ägyptischen König Ptolemaeos Soter, etwa 300 y. Chr.

V, 2, 4. Ein ähnliches merkwürdiges Pferd soll anch Caesar gehabt haben, dessen Vorderfüsse merkwürdiger Weise ganz wie bei einem Men- schen gespalten waren, was von Caesars Schmeichlern dahin gedeutet wurde, dass er einst die ganze Welt beherrschen werde.

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V. Buch, a Cap., § 1-5. (271)

y, 3, L. Was dem Protagons die Ursache und erste Yeraolassing ge*

geben haben 8oN, sich den wissenschaftlichen Beschäftigangen mit der

Philosophie zusawenden.

V, 3. Cap. 1. Man sagt, dass Protagoras, ein durch seine wissenschaftliche Bildung hervorragender Mann, nach dessen Namen Plato eine seiner berOhmtesten Schriften be- nannt hat, in seiner Jugend Tagelöhnerdienste verrichtet und oft schwere Frachten auf den Schultern fortgetragen habe, nur um sich seinen Unterhalt zu beschaffen. 2. Dergleichen Lastträger werden bei den Griechen ax^oq>6Qot genannt, auf lateinisch heissen sie „bajuli". 3. Dieser (Protagoras) trug (einst) vom nahen Lande nach seiner Vaterstadt Abdera, wo er heimathsberechtigt war, ein grosses und schweres Bund^Iolzklötze, die alle zusammen mit einem nur kurzen Strickchen zusammengebunden waren. 4. Als nun einst Democrit, Bürger derselben Stadt, ein vor allen andern wegen seiner Tugend und Weisheit h&chst verehrungswttrdiger Mann, vor (den Mauern) der Stadt sich erging, begegnete er da zufilllig dem Protagoras und es fiel ihm (sofort) auf, wie leicht und behende dieser eine so schwerfällige, unbeholfene und unhandliche Last dahintrug und deshalb machte er sich sogleich nahe an ihn heran, und betrachtete aufmerksam, wie künstlich das Holz zusammengebunden und gelegt war und ersuchte ihn, sich doch ein wenig (zu verweilen und) auszu- ruhen. 5. Protagoras erfüllt die Bitte und nun hat Democrit

y, 8, 1. Protagoras, griechischer Philosoph aas Abdera, Schüler Democrits, lebte von 480 410 v. Chr. Wahr ist nach ihm nur, was Jedem so scheint, weshalb es nur eine sabjective, aber keine objective Wahrheit giebt Er muBste als Atheist auf einem kleinen Fahrzeuge aus Athen fliehen und soll unterwegs in den Wellen seinen Tod gefunden haben. Er sammelte zuerst sogenannte Gemeinplätze, d. h. allgemeine Sätze, deren sich die Redner bedienen, theils zur Vermehrung der Beweise, theils um mit leichterer Mühe über Alles reden zu können. (Cfc. Gic. Brut 12, 45.) Ueber seine Lehrsätze vergl. besonders Plato's Protagoras und Cic acad. 2, 46, 142 und Qat deor. I, 2, 12. 29; Plat Theaet p. 152. 156. 160; Diogen. Laert IX, 8, 4; Athenaeus VHI, 18; X, 4; Suidas s. Protagons und Phormophoros.

V, 8, 4. üeber Democrit, der, wie später Epicur , Alles aus den Atomen herleitete s. Gell. IV, 18, 2 NB.

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(272) V. Buch, 3. Cap., § 5—7.

weiter noch Gelegenheit zu bemerken, dass jener (schwere) Holzhaufen, jene gleichsam kreisförmig zusammengelegte Menge von Klötzen mit einem nur ganz kurzen Bande zusammen- s^ebunden und so zu sagen nach einem gewissen Gesetz der Geometrie gleichmässig vertheilt sind und fest zusammen- gehalten werden. Er erkundigt sich also, wer das Holz wohl in solcher Ordnung zusammengelegt habe, und als Jener erklärte, dass es von ihm selbst so zusammengelegt worden sei, bittet er ihn, es noch einmal zu lösen und wieder auf dieselbe Art zurechtzulegen. 6. Als Jener es nun aber ge- löst und auf gleiche (geschickte) Weise wieder zusammen- geschichtet hatte, war Democrit über die Geistesschärfe und Anschlägigkeit dieses doch durchaus noch nicht ausgebildeten Menschen höchst erstaunt und sagte zu ihm : Höre, mein bester, junger Bursche, da Du mit so natüi-lichen Anlagen zur Lösung tüchtiger Aufgaben ausgestattet bist, so sind es wohl grössere und bessere Aufgaben, die Dir obliegen, mit mir zu lösen. Sofort nahm er ihn mit sich, behielt ihn bei sich, sorgte für seinen Unterhalt, unterrichtete ihn in der Philosophie und war die Veranlassung, dass er später ein so bedeutender Mann wurde. 7. Nun war jedoch eben dieser Protagoras gerade nicht ein so ganz lauterer Philosoph, allein der scharf- sinnigste unter den Sophisten. Freilich liess er sich von seinen Schülern einen bedeutenden Jahrgehalt (im Voraus) entrichten, wofür er (nach seiner öffentlichen Bekannt- machung in anmasscnder Weise) ausdrücklich versprach, durch seinen Unterricht (bei seinen Schülern) es dahin zu bringen,

y, 3, 7. Cic. Brut 8. de dar. orat. 8; Sen. ep. 88, 37; Aristoph. nub. Y. 1081. Die gerechte Lehre, unverstellt und kunstlos, wie die alte Zeit, ist vermöge des Rechtes selbst, das sie behauptet, stark, es streitet mit offener Gewalt für sie. Die Lehre oder die Sprache des Un- rechts ist an sich ohnmächtiger, weil sie die schwache, schlechte Sache, das Ungerechte und Frivole verficht und die Menschen im Voraus gegen sie eingenommen sind. Durch Reden, durch die Kunst bekommt sie erst Kräfte. Eur. Phoen. r. r. 488—486 heisst es:

Einfach geartet ist der Wahrheit Sprache stets Und künstliches Erklären thut dem Recht nicht Noth, Denn es hat selber Wirkung; ungerechtes Wort Ist krank in sich, bedarf geschickter Arzeneien. Vergl. Gell. V, 10.

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V. Buch, 3. Cap., §7.-4. Cap., § 1—4. (273)

wie durch eine Kunstfertigkeit im Reden (vorsätzlich) ein schwächerer, unsicherer Rechtsfall in einen stärkeren, sieg- reicheren umgewandelt werden könnte, was er griechisch mit folgenden Worten ausdruckte: tov iJTTO) Xoyov xgeitTO) Ttoieiv^ d. h. eine schlechtere Sache zur stärkeren und bessern machen (oder: dem Schlechten den Schein des Guten geben, oder kurz: unrecht zu Recht machen).

V, 4, L. Bemerkungen über den Ausdruck: duo et Ticesimns (der ein

und zwanzigste), der dem gewöhnlichen Manne (vieUeicht wohl) unbekannt

blieb, sich aber von gelehrten Männern an verschiedenen Stellen in den

Schriften gebraucht findet.

V, 4. Cap. 1. Der zu meiner Zeit gelehrteste Mann, der Dichter Julius Paulus und ich, wir verweilten zufällig auf dem Kunst- (und Bilder-) Markt in einem Bücherladen; und daselbst waren die Jahrbücher des Fabius in einer, wegen ihres Alters für vorzüglich und unverfälscht gehaltenen Ausgabe ausgestellt, über die beiläufig der (Buch-) Händler noch die Versicherung gab, dass sie ganz fehlerfrei sei. 2. Nun war aber auch ein sehr berühmter Grammatiker da, weleher von dem Käufer zur Besichtigung (und Begutachtung) der Ausgabe zu Rathe gezogen wurde und dieser behauptete, trotzdem einen Fehler in der Ausgabe gefunden zu haben, wogten nun aber der Buchhändler zu jedem (beliebigen) Wettbetrag herausforderte, wenn sich (in dieser Handschrift) auch nur in irgend einem Buchstaben ein Fehler vorfinden sollte. 3. Nun zeigte uns der Grammatiker eine Stelle im 4. Buche, wo also geschrieben stand : „Deshalb wurde darauf zum erstenmale der Eine der beiden Consuln aus dem Volke gewählt (duo et vicesimo anno) im 21. Jahre nach Roms Einnahme durch die Gallier.^ 4. Er sagte nun: nicht (duo

V, 4, 1. lieber Fabius Pictor s. GeU. X, 15, 1 NB. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 115, 5.

y, 4, 2. Dass Bacher nicht immer fehlerfrei waren, zeigt Martial. n, 8; cfr. Strab. XÜI, 1, 54 p. 609; Cic. ad Q. fr. UI, 5, -6; Symmach. Ep. I, 24; GeU. VI, 20.

Y, 4, 3. Ins Jahr 890 v. Chr. (am 18. Juli) fiel die Schlacht an der AUia und der gallische Brand Roms unter Anfiihrung des Brennus. Cfr. Gell Y, 17, 2. (884 u. c.) 866 v. Chr. war L. Sextius erster pleb^ischer ConsuL Cfr. GeU. XVU, 21, 27. '

Gellins, Attisohe Nichte. ^^ i<^

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(274) V. Buch, 4. Cap., § 4. 5.-5. Cap, § 1 5.

et Yicesimo, d. h.) im 21. (Jahre) muss geschrieben stehen, sondern (duo de vicesimo) im 18. (Jahre). 5. Denn was be- deutet der Ausdruck: duo et vicesimo? [Das ersieht man aus Varro's 16. Buche seiner „menschlichen Dinge", wo das Wort vorkommt], der also schrieb: „Er starb im 21. Jahre (duo et vicesimo)". Er war also zwanzig und ein Jahr (re- gierender) König.

y, 5. L. Beissende Antwort, welche der Panier Hannibal eehenweise dem König Antiochas gegeben.

V, 5. Cap. 1. In den „Sammlungen alter merkwürdiger Nachrichten" kann man lesen, wie einst der Carthager Hannibal durch eine witzige und geistreiche Wendung beim König Antiochus ein beissendes Spottwort angebracht. 2. Dieses beissende Scherzwort fand bei folgender Ver- anlassung statt. Antiochus zeigte dem Hannibal seine auf weiter Ebene aufgestellten , ungeheueren Truppenmassen, welche er in der Absicht zusammengebracht, damit gegen das römische Volk zu Felde zu ziehen. Er Hess deshalb das mit Silber- und Gold -Schmuck glänzend ausgestattete Heer allerlei Schwenkungen (und Wendungen) ausführen; 3. dann Hess er noch die Sichelwagen in Parade aufziehen und die Elephanten mit ihren (hohen) Thürmen, dann die Reiterei, die besonders durch ihr Zaum- und Sattelzeug, durch ihren Hals- und Bnistschmuck hervorstrahlte. 4. Und nun sah der König endlich den Hannibal an und vom Anblick seiner so grossen und herrlich ausgerüsteten Kriegsmacht ganz aufgebla- sen, sagte er (in höchst prahlerischem Tone) : „Glaubst Du wohl, dass man sich messen kann und dass die Römer daran genug haben werden?" 5. „Ei, ganz gewiss", erwiderte der Punier und mit einer (feinen und versteckten) Anspielung auf die ünbeherztheit und Kampfuntauglichkeit dieser so kostbar ausgerüsteten Soldaten setzte er hinzu: „Ganz gewiss glaube ich, dass die Römer an dem Allen genug haben werden,

V, 4, 5. Paul. S. 67.

y, 5, 1. S. Macrob. Sat U, 2. Ueber Antiochus s. GelL lY, 18, 8 NB. und Xn, 13, 26 NB.

y, 5, 3. Sattelzeug (ephippia) bestand aus blossen Decken oder Schabracken. Caes. b. g. 4, 2; Yarr. R. R. 11, 7; Gic de fin. 3, 4, 15.

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V. Buch, 5. Cap., § 6. 7. 6. Cap., § 1— & (275)

selbst wenn sie auch noch so geizig sind.** 6. Es kann aber wahrhaftig nicht leicht eine ebenso witzige, als beissende Ant- wort gegeben werden. 7. Der König nämlich hatte in seiner Frage Bezug genommen auf seine grosse Heeresmacht und auf zustimmende Anerkennung in Bezug auf eine Vergleichung (mit dem römischen Heere) , Hannibäi hingegen bezog sich in seiner Antwort (nur) auf die Beute (mit der die Römer sicher zufrieden gestellt sein würden, wenn all der Reichthum in ihre Hände fallen sollte).

V, 6, L. Ueber die (verschiedenartigea) Kronen nnd Kränze als Kriegs- belohnuQgen ; femer deren Erklärong, was man z. B. anter einer (grossen) Triumphkrone (triamphalis) versteht, was unter einer Blokaden (obsidionalis)-, Bürger (civica)-, Mauer (mnralis)-, Lager (castrensis)-, Schiffs (navalis)-, Ovations (oder kleinen Trinmph, ovaIis)-Krone, was unter einem Oelzweigkranze (oleaginea). ^

V, 6. Cap. 1. Es giebt vielerlei Kronen (und Kränze als Ehrenzeichen) fttr geleistete Kriegsdienste. 2. Von allen denen, die wir hier in Betracht ziehen wollen, sind die vor- züglichsten ohngefähr folgende: die (grosse) Triumphkrone (triumphalis), die Blokaden- (oder Belagerüngs-) Krone (obsi- dionalis), die Bürger (civica)-, Mauer (muralis)-, Lager (castren- sis)-, Schiffe (navalis)- Krone; 3. dann giebt es auch noch eine, welche (die kleine Triumph- oder) Ovations (ovalis)- Krone genannt wird ; 4. und zuletzt endlich auch noch eine aus Oel- zweigen (oleaginea), welche meist Denen zu Theil wurde, die zwar der Schlacht nicht beigewohnt, aber doch die (Zu- rüstungen und Vorbereitungen und Empfangs-) Feierlichkeiten beim Siegeseinzug zu besorgen hatten. 5. Die grossen Triumphkronen (triumphales) sind von Gold und wurden dem Feldherrn zu Ehren des feierlichen Siegeseinzugs zugesendet. 6. Man nennt dies gewöhnlich auch: aurum coronarium

V, 6, 1. S. Plin. XVI, 3 (4); XXII, 4 (3); Gell. H, 11, 2; Dionys. Hai. ürgesch. der Rom. X, 37^ Plutarch. Coriol. p. 214; Gic pro Planco 30; Sery. ad Verg. Aen. VI, 772; Festos S. 190 b unter obsidionalis Corona.

V, 6, 4. S. Paöl. 192 oleagin. coron.

V, 6, 5. Die Armee Hess ihrem Feldherm, als Beweis ihres ürtheils tiber ihn, diese Corona triumphalis übergeben. S. Paul. S.367; Liy.34, 52; 39, 29; Plut Aem. P. 34.

, V, 6, 6. Das aur. coronarium als förmliche Zwangssteuer anstatt der Krftoze s. Liv. 88, 37; 39, 7; Cic Agr. ü, 22, 59; in Pis. 37, 90.

18*

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(276) V. Buch, 6. Cap., § 7-14.

(Kronengold). 7. In ganz alten Zeiten waren diese aus Lor- beei-zweigen, später aber fing man an, sie aus Gold anzufer- tigen. 8. Die Blokaden- (oder Belagerungs [obsidionalis])- Krone schenkten Die, welche von einer Belagerung oder Einschliessung befreit worden waren, demjenigen Feldhemi, der sie befreit hatte. 9. Diese war von Gras und man pflegte besonders darauf zu sehen, dass sie aus solchem Grase angefertigt wurde, welches in demselben Bezirke gewachsen war, innerhalb wel- ches die Belagerten waren eingeschlossen gewesen. 10. Einen solchen Kranz von Gras erkannte der römische Senat mit dem Volke im zweiten punischen Kriege dem Q. Fabius Maximus zu, -weil er die Stadt Rom aus der feindlichen Be- lagerung erlöst hatte. 11. Bürger (civica)- .Krone wird die- jenige genannt, die ein Bürger dem andern, von welchem er in der Schlacht gerettet wurde, als sprechenden Beweis für geleistete Lebensrettung schenkte. 12. Sie bestand aus Eichenlaub - Zweigen (wovon Eicheln herabhingen), weil in den ältesten Zeiten die Frucht dieses Baumes als Speise- und Nahrungsmittel pflegte verwendet zu, werden; wohl pflegten auch Zweige von der Steineiche, weil diese Baumgattung der andern sehr nahe kam, zu einer solchen Kranzkrone verwen- det zu werden, wie in einem gewissen Lustspiele des Caecilius geschrieben steht: „Advehitur cum iligna coi*ona et chlamyde: di vestram Fidem, d. h. So kommt er an, heisst es dort, mit einem Kranze von der Steineiche und einem (griechischen, golddurchwebten) Kriegsmantel. Getreue Götter!" 13. Masurius Sabinus aber sagt im 11. Buche seiner „Denkwürdigkeiten*^, dass diese Bürgerkrone gewöhnlich nur dann verliehen wor- den' sei , wenn Der, welcher seinem Mitbürger das Leben ge- rettet, gleichzeitig auch dessen feindlichen Angi-eifer erlegt und bei diesem Streit (zugleich) den Kampfplatz behauptet hatte, widrigenfalls, wie er sagte, die Berechtigung zu der Auszeichnung durch eine Bürgerkrone nicht zugestanden worden sei. 14. Doch lässt er noch den Zusatz folgen, der Kaiser Tiberius sei (einst) befragt worden, ob wohl Jemand diese Bürgerkrone beanspruchen könne, der zwar im Treffen

V, 6, 8. S. Fest. S. 190b obsidional. coron. V, 6, 11. S. Paul. S. 42 civica Corona.

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V. Buch, 6. Cap., § U— 20. (277)

einem Mitbürger das Leben gerettet, auch dabei zwei feind- liche Angi'eifer erlegt, allein seinen Kampfplatz nicht hätte behaupten (und halten) können, vielmehr die Feinde sich dann des Platzes bemächtigt hätten, da sei nun von kaiser- licher Seite die schriftliche Erklärung erfolgt, dass ein solcher immerhin auch einer solchen Bttrgerkrone würdig erscheinen müsse, da es sich ja herausgestellt hätte, dass .er seinen Mit- bürger selbst an einem so höchst ungünstigen Terrain ge- rettet habe, dass es auch selbst von den tapfersten Streitern nicht hätte behauptet werden können. 15. L. Gellius, der Censor gewesen war, trug im Senat darauf an, dass der Con- sul Cicero von der Republik mit dieser Bürgerkrone beschenkt wurde, weil durch sein Bemühen jene schrecklichste aller Ver- schwörungen, die des Catilina, entdeckt und geahndet wurde. 16. Die Mauerkrone (muralis) ist diejenige, womit einer vom Feldherm beschenkt wurde, der zuerst die feindliche Mauer erstiegen hatte und mit Gewalt in die Feindesstadt einbrach ; deshalb war sie mit einer Nachbildung von Mauerzinnen ge- ziert, 17. Mit der Lager (castrensis)- Krone beschenkte der Feldherr Denjenigen, der zuerst kämpfend in das (feindliche) Lager eingedrungen war. Diese Krone hat das Aussehen eines Schanz walles. 18. Mit der Schiffskrone (navalis) pflegt Derjenige beschenkt zu werden, der in einem Seetreffen zu- erst mit Gewalt und mit den Waffen in der Hand ins feind- liche Schiff hinübergesprungen war. Diese war durch eine Nachahmung von Schiffsschnäbeln gekennzeichnet. 19. Die drei letztgenannten, die Mauer-, Lager- und Schiffs -Krone, waren meist von Gold angefertigt. 20. Der Ovations- (oder kleine Triumph-) Kranz bestand aus einem Myrthenkranz.

V, 6, 15. üeber L. Gellius, Befehlshaber der Flotte, cfr. Florus III, 6. Cic. po8t redit I, 7; ad Attic X, 21; Orat ad Pison. 8.

V, 6, 16. Cor. muralis s. Suet August. 25; Sil. Italic. Xm, 366.

V, 6, 17. S. Paulus S. 57 (L. M.) Cor. castrensis.

V, 6, 18. Fest. S. 162, a (L. M.) 0. navalis.

V, 6, 20. Der ovirende Feldherr zu Fuss s. Dion. Hai. V, 47; VIU, 86; IX, 36; Plut. Marc. 22. Später zu Pferde s. Dio Cass. 54, 8; 55, 2; Symmach. Ep. 10, 29. Serv. zu Verg. Aen. 4,548. lieber Myrthen- kranz 8. Dion. H. 5, 47 und Plin. 15, 29, 88 § 125.

V, 6, 20. Ovatio siehe Plut Marceil. 22. Corona ovalis i. e. ad ovationem pertinens, war der Kranz, den der Feldherr bei der Ovation

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(278) V. Buch, 6. Cap., § 21—24.

21. Desselben bedienten sich die Feldherrn, wenn sie bei einem kleinen Triumph, Ovation genannt, einen festlichen Einzug in die Stadt hielten. Grund zu einer solchen klei- neren und nicht ganz grossartigen (vollständigen) Einzugs- feierlichkeit gab es, wenn entweder ein Krieg nicht feierlich und vorschriftsmässig war angekündigt, noch mit einem eben- bürtigen Feinde war geführt worden, oder wenn man es mit einer Feindesmacht zu thun gehabt hatte, die der römischen Waffenehre zu niedrig (nicht ebenbürtig) und nicht edel genug war, wie die der Sklaven und Seeräuber, oder wenn der Feind sich sofort ergeben hatte, und der Sieg (nicht wichtig oder) mühelos, ohne sich, wie es gewöhnlich heisst, den Fuss zu be- stäuben und ohne alles Blutvergiessen vor sich ging. 22. Man glaubte, dass dann ein Zweig von dem der Venus geheiligten Baume (von der Myrthe) zur Belohnung eines so mühelosen, leichten Unternehmens hinreichend sei, weil man das feier- liche Einzugsfest nicht mit Beihilfe des Kriegsgottes Mars, sondern gleichsam der (alles versöhnenden) Venus zu danken habe. 23. Weiter ist noch zu bemerken, dass M. Crassus, als er nach Beendigung des Krieges mit den flüchtigen Sklaven siegprangend zurückkehrte , er stolz diese Myrthenkrone aus- schlug und alle Macht und Ansehen aufbot, dass, durch Aus- wirkung eines Senatsbeschlusses, er aus besonderer Gunst mit einer Krone von Lorbeeren und nicht von Myrthen geschmückt wurde. 24. So warf Marcus Cato (einst) dem M. Fulvius Nobilior vor, dass er seine Soldaten aus keiner andern Ver-

aufisetzte. Ovation war nui- ein kleiner Triumph, wenn der Feldherr nach errungenem Siege, nicht wie beim grossen Triumphe auf einem Wagen, sondern nur zu Pferde oder zu Fusse seinen siegreichen Einzug mit einem Myrthenkranze auf dem Kopfe hielt Die Myrthe ist die geheiligte Pflanze der Venus, welche unter allen Gottheiten am meisten Krieg und Gewalt verabscheut S. Paulus S. 195, 7.

V, 6, 23. S. Paul. S. 144.

y, 6, 24. Dem Fulvius Nobilior sagte Cato oft bittere Dinige. So verwandelte er gelegentlich den stolzen Beinamen Nobilior wegen lockerer Sitten in Mobilior, hielt ihm öffentlich vor, dass er als Consul loses Poetenvolk (nämlich den Ennius) mit sich in die Provinz genommen habe und tadelt (hier § 25) die leichtsinnige Verleihung militärischer Deco- rationen bei dem Feldzuge in Aetolien. (Ribbeck.) Vergl. Teuffels Gesch. der röm. Lit 125.

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V. Buch, 6. Cap., § 24—27.-7. Cap., § 1. 2. (279)

anlassuDg, als nur zur Erschleichung ihrer Gunst (aus leidiger Eitelkeit und Ruhmsucht) schon um ganz leichter Dienste willen mit Auszeichnungen von Kronen beschenkt hätte. 25. Ich führe hier gleich Gato's eigene auf diesen Fall be- zügliche Wolle an: „Hat man wohl je (erlebt und) gesehen, dass gleich zu Anfange (eines Krieges) Kränze ausgetheilt wurden, oder Jemand mit einer Krone beschenkt wurde, noch ehe eine Stadt erobert, oder ehe noch das feindliche Lager in Brand gesteckt worden war?'' Fulvius aber, auf den sich die betreifenden Worte Cato's beziehen, hatte die Soldaten schon deshalb mit Kronen beschenkt, weil sie bei der Schanz- arbeit ihren Fleiss bethätigt, oder beim Laufgrabenziehen mit Ausdauer hatten graben helfen. 27. Bei dieser Gelegenheit, in Betreff der Feierlichkeiten beim kleinen Triumph, darf ich auch noch einen (anderen) Umstand nicht unerwähnt lassen, worüber selbst die alten Schriftsteller, wie ich in Erfahrung gebracht, nicht ganz einig waren. Bei Einigen findet man nämlich angegeben, dass Derjenige, dem die Ehre des klei- nen Triumphes zugestanden war, seinen Einzug gewöhnlich zu Pferde gehalten habe; allein Masurius Sabinus sagt, dass Die, welche der Ehre des kleinen Triumphes theilhaftig wur- den, ihren Siegeseinzug zu Fusse gehalten hätten und dass ihnen nicht diß Aimee gefolgt sei, sondem nur der ganze Senat.

y, 7, L. Wie geistvoll Gavius Bassus das Wort persona (Larve, Maske) . auslegt und wie er die Entstehung dieses Wortes erklärt.

V, 7. Cap. 1. In seinem über den „Ursprung der Wörter" verfassten Werke giebt Gavius Bassus eine wahrlich ebenso geistvolle, wie sinnige Erklärung von dem Ausdruck persona (Larve, Maske). Er vermuthet nämlich, dass es von dem Worte pei-sonare (durchtönen, durchschmettera hergenommen und) gebildet sei. 2. „Denn", sagt er, „Kopf und ,Mund sind durch den üeberzug mit einer Larve von allen Seiten bedeckt. Eine Oeflfnung und Erweitei-ung (der Larve am Mund) zur Entsendung (und Verlautbarung) der Stimme, nur wegsam auf diesem einzigen Ausgang, der ja doch nicht frei und breit ist, hilft die Stimme nur nach einem einzigen Aus- gangsziel befördern und erzeugt einen (concentrirten , vollen,

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(280) V. Buch, 7. Cap., §2.-8, Cap. § 1—3.

lauten) runden und (klaren, weittragenden) spitzen Tonstrahl (collectam coactamque vocem) und fördert so weit ausgiebige und weittragende Schallwirkungen. Weil nun also diese (schallochartige) Verkleidung des Mundes den Stimmklang vei-schärfen und volltöniger machen hilft, deshalb ist der Ausdruck pei*sona entstanden, das o aber wegen der Bildung des Woi-tes (dui-ch Ableitung) verlängert worden.

V, 8, L. Rechtfertigung einer Stelle bei Vergil, worin der Grammatiker

Julias Hyginns einen (unstatthaften) Sprachfehler ansgeklögelt hatte; femer

Erklärung des Wortes „Utnas** und endlich (Auskunft) über die Abstammung

dieses Ausdrucks.

V, 8. Cap. 1. (Vergil in seiner Aeneide Vn, 187 und 188 sagt vom Rossebändiger Picus:)

Ipse*) Quirinali litao parraqae sedebat Sabdnctus trabea laevaqae ancile gerebat, d. h.

Er auch sass mit dem quirinalischen Stab and im kurzen Staatsgewande geschürzt und trog an der Linken die Tartsche.

Hyginus schreibt nun, Vergil habe sich in diesen Zeilen einen Fehler zu Schulden kommen lassen, als wäre es ihm selbst nicht aufgefallen, dass diese seine Ausdrucksweise : ipse Quiri- nali lituo unvollständig sei. 2. Denn, sagt Hyginus, im Fall es auffallender Weise auch uns so vorgekommen sein sollte, dass (in dem ausgesprochenen Redesatz von Vergil) nichts ausgelassen worden sei, so muss ofifenbar folgender Gedanke entstehen: lituo et trabea subcinctus, d. h. umgürtet mit dem Krummstab und dem Staatsgewand, was, wie Hyginus sagt, doch sehr widersinnig sein würde; denn da dieser Krummstab aus einem kurzen Stabe besteht, der am stärkeren Ende ge- bogen ist und dessen sich die Auguren bedienten: wie kann man sich dann nur von Jemandem denken, dass er (succinctus

V, 8, 1. *) 8. Macrob. Sat. VI, 8.

y, 8, 2. Li tu US, ein krummer und von oben an sanft gebogener Stab, der von seiner Aehnlichkeit mit einem Erummhorn, auf dem man bläst, seinen Namen erhalten hat WeU dies nicht mit den Fingern oder mit der blossen Hand geschehen durfte, so bezeichnet der Augur durch sdn Insigne, durch den Krummstab den Baum der Himmelsgegend, wo die Beobachtungen angestellt werden sollten und die Zeichen erscheinen mussten. Cic. Div. I, 17, in; Liv. I, 18; Appul^. Apol. 22 p. 442 Oud.

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V. Buch, 8. Cap., § 3-5. (381)

lituo) mit einem Krummstab umgürtet erscheint? 3. Im Gegentheil hat vielmehr 4er (gute) Hyginus auffälliger Weise selbst nicht gemerkt, dass diese Redeweise (elliptisch d. h.) gerade so gebraucht ist, wie man sich gewöhnlich vieler an- derer mit Auslassung (der Copula) zu bedienen pflegt. 4. Ge- rade so, wie man sagt: „M. Cicero homo magna eloquentia, d. h. M. Cicero (war) ein Mann von grosser Beredsamkeit", und „Q. Roscius histrio summa venustate, d. h. Q. Roscius (war) ein Schauspieler von höchster Anmuth". Hier sind beide Sätze (grammatikalisch) nicht ganz und vollständig und doch wird man (auch ohne die Copula „war") den ganzen und vollen Sinn sogleich heraushören. 5. So Vergil an einer andern Stelle (Aen. V, 372):

Yictorem Buten immani corpore, d. h. Dem Sieger Butes mit gewaltigem Gliederbau,

das soll nichts anderes heissen als: der eine uneimessliche Körpergrösse hatte; und ebenso auch noch an einer andern SteUe (Aen. V, 401):

^ In medium geminos immani pondere caestus

Projecit, d. h. Vor in die Mitte warf er zwei (durcliflochtene) Eampfriemen von

ungeheurer Schwere; dem ganz ähnlich noch (Aen. III, 618):

Domus sanie dapibusque cruentis, Intus opaca, ingens, d. h. Sein (des Cyclopen Polyphemus) Haus (ist) voll von Verwesung und blutiger Speisen, inwendig schattig und gross.

y, 8, 4. Roscius und Aesopus waren zwei der erfiihrensten Schau- spieler. Des Roscius Fach war die Gomödie und des Aesopus Fach die Tragödie. Sie waren beide Zeitgenossen des Cicero. Nach Macrob. Sat n, 10 p. 864. Bip. erhielt Roscius täglich 1000 Denare (etwa » 260 Thh-.), nach Plm. h. n. VII, 89, 40 § 129 nahm er jährlich 500,000 Sesterzien (= 27,600 Thlr.) ein und nach Cicero pr. Rose Comm. 8, 23 konnte er in 10 Jahren 6 Millionen Sesterzien (etwa 880,000 Thlr.) verdienen. Aesopus hinterliess, obgleich er bedeutenden Aufwand machte (Pliu. X, 51, 72 § 141) seinem Sohne ein ungeheures Vermögen von 20 Millionen Sesterzien (Macrob. U, 10 p. 864. Bip.), welches dieser bald verschwendete (Plin. IV, 85, 59 § 122; Hör. Sat II, 8, 239; Martial IX, 1, 2), Roscius aber, der sich ebenfalls ein bedeutendes Vermögen erworben hatte, nahm später für sein Spiel kein Honorar mehr an. (Cic. pr. Rose Comoed. 8, 28.) Beide genossen die Achtung und den Umgang der vornehmsten Staats- männer. Macrob. E, 10 p. 868; Plut Sulla 86; Cic. 5; Cic de Div. I, 36, 79; de leg. I, 4, 11. (A. Forbiger.) Cfr. Gell. XI, 9, 2 NB.

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(282) V. Buch, 8. Cap., § 6— 11. 9, Cap., § 1.

6. Man mu8S also offenbar mit gerade so viel Recht sagen können : Picus Quirinali lituo erat, d. h. Picus war (versehen) mit quirinalischem Augurstab, wie man sagt: Fatua grandi capite erat, d. h. Fatua hatte ein bedeutungsvolles Haupt. 7. Allein sowohl „est", als „erat", als „fiiit" bleiben sehr oft weg mit (absichtlicher, gewählter) Feinheit ohne Beeinträchtigung des Gedankens. 8. Doch da nun gerade des Wortes „lituus" Erwähnung geschehen ist, so darf die Beachtung folgender möglichen Frage nicht unberührt tibergangen werden, ob der (lituus) Augurstab von der Kriegstrommete, die ebenüalls „lituus" genannt wurde, oder die Kriegstrommete von dem Augurstab benannt worden ist. 9. Beide sind nämlich von gleicher "äusserer Aehnlichkeit und beide auch (an der einen Stelle) gleich krumm gebogen. 10. Wenn aber, wie es die Ansicht Einiger ist , die Kriegstrommete von dem Klange den Namen „lituus" erhalten hat, nach jenem bekannten home- rischen Wort: Xiy^e ßibg (grell) schwirrte der Bogen; dann muss man allerdings annehmen, dass der Augurstab von seiner Aehnlichkeit mit der Kriegstrommete benannt wurde. 11. Auch Vergilius bediente sich des Ausdrucks lituus zur Be- zeichnung einer Kilegstrommete (Aen. VI, 167): Et lituo pognas insignis obibat et liasta, d. h. Und (Misenus , der Sohn des Aeolus und steter Begleiter des Hector)

wandelte in die Schlacht, ausgezeichnet durch seine Kriegstrommete

und Lanze.

(cfr. Verg. Aen. III, 239. Misenus dann Trompeter auf dem Schiffe des Aeneas.)

V, 9, L. Eine aus den Werken Herodots über den (erst stnmmen) Sohn des Croesus entlehnte (merkwürdige) Begebenheit.

V, 9. Cap. 1. Als der Sohn des Königs Croesus schon in dem Alter war, dass er (bereits) hätte sollen sprechen können, hatte noch Niemand ein Wort aus seinem Munde

y, 8, 6. Fatua oder Fauna oder Luperca war ein weibliches Wesen, welches dem Faunus zur Seite stand. Faunus (von faveo] der Gute» Günstige, war ein Feld- und Wald-Gott und Beschützer derWald-Heerden; daher auch dem Silvanus verwandt (griechisch Pan). Fatuus hiess er von der Gabe der Weissagung (fari) und den Beinamen Lupercus (Wolfe- abwehrer) führte er als Heerdengott.

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V. Buch, 9. Ci^)., § 1—6. (283)

vernommen (infans erat) und auch dann, als er beinahe schon zum Jüngling herangereift, konnte er ebenfalls noch nichts sprechen. 2. Deshalb wurde er auch lange für stumm und sprachlos gehalten. Sein Vater (der König Croesus) war (vom persischen König Cyrus) in einem gewaltigen Treffen völlig geschlagen und (sogar Sardes) seine Haupt- und Besidenz- Stadt, worin er sich noch befand, bereits (von feindlichen Truppen) erobert worden. Als nun (bei dieser Gelegenheit) ein feindlicher Soldat auf des stummen Prinzen Vater mit gezücktem Schwerte losstürzte, weil er keine Ahnung hatte, dass dies der König sei, öffnete der junge Prinz weit seinen Mimd und bot alle seine Kräfte auf zu schreien. Durch diese heftige Kraftanstrengung zersprengte er (plötzlich) gewaltsam das Sprachhemmniss, die Zungenfessel und fing ganz deutlich und vernehmlich an zu reden, indem er ganz laut dem feind- lichen Soldaten zuiief, einzuhalten, dass der Iftnig Croesus nicht von ihm getödtet würde. 3. Alsbald zog der Feind seine Mordwaffe zurück; der König kam dadurch glücklich mit dem Leben davon und der junge Prinz fing ohne Wei- teres von der Zeit an (richtig) zu sprechen. 4. Herodot, in seinen „geschichtlichen Erzählungen" (I, 84) ist der Bericht- erstatter dieser (merkwürdigen) Begebenheit und führt uns sogar die Worte an, die des Croesus Sohn zuerst gesprochen haben soll, sie heissen: „(halt ein) Mensch! Morde den Croe- sus nicht." 5. Wegen eines ähnlichen Vorfalls soll (einst) auch noch ein samischer Fechter, mit Namen Echeklöus, da er vorher (stumm und) nicht fähig zum Sprechen war, (plötzlich) zu sprechen angefangen haben. 6. Als nämlich bei Gelegen- heit eines heiligen Wettstreites die Bestimmung zwischen den freundlichen und feindlichen Strettern durch das Loosen nicht (gewissenhaft und) ehrlich vor sich ging und der stumme Samier deutlich bemerkt hatte, dass ein falsches Namensloos untergeschoben wurde, rief er plötzlich Dem, der sich diese (Unehrlichkeit) erlaubte, ganz gewaltig laut zu, dass er gar wohl sähe, was Jener sich da vorzunehmen erlaube. Von dieser Zeit an war Diesem ebenfalls die Fessel der Sprache

V, 9, 2. S. Valer. Max. V, 4, ext 6.

V, 9, 5. Nach Valerius Max. 8oU er Aiglea geheissen haben. S. VaL Max. I, 8, ext. 4.

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(284) V. Buch, 9. Gap., § 6. 10. Cap., § 1—7.

gelöst und er sprach sein ganzes Leben lang ruhig und flies- send (ohne Anstoss).

y, 10, L. Ueber die (logischen) Schiassarten, welche man auf griechisch. ävTKTTQiifovra (umkehrende), bei uns (auf lateinisch): reciproca (zurück- wirkende) nennt.

V, 10. Cap. 1. Unter den fehlerhaften Beweisführungs- arten scheint die bei weitem fehlerhafteste diejenige zu sein^ welche die Griechen avTiatgecpov nennen. 2. Diese Gattung haben einige der Unsrigen, wahrlich ganz und gar nicht unpassend, (auf lateinisch) reciproca sc. argumenta d. h. zu- rückbezügliche Schlussarten genannt. 3. Das Fehlerhafte eines solchen (logischen) Schlusses besteht darin, dass der voraus- gegangene Beweissatz zurückgegeben und (umgekehrt) nach der andern Seite gegen Den gewendet werden kann, von dem er vorgebradit wurde und also nach beiden Seiten hin Gel- tung und Bedeutung erhält. Derartig ist jener sehr bekannte (logische) Schlusssatz, dessen sich Protagoras (unter den Philo- sophen) der spitzfindigste aller Sophisten, gegen seinen eigenen Schüler Euathlus bedient haben soll. 4. Beide geriethen näm- lich in Zank und Streit mit einander über das verabredete und versprochene (Unterrichts-) Honorar. 5. Euathlus, ein höchst wohlhabender Jüngling, dessen eifrigster Wunsch es war, die Redekunst zu erlernen und sich die Fertigkeit an- zueignen, (Processe und) - gerichtliche Sachen zu verhandeln 6. begab sich in dieser Absicht zum Protagoras in die Schule und versprach dafür, die als Stundengeld von diesem Lehr- meister geforderte, sehr bedeutende Schulgeldsumme (pünkt- lich) zu entrichten, bezahlte aber schon sogleich, noch vor dem Beginn des Unterrichtes, die Hälfte des ganzen Betrags und einigte sich mit ihm dahin, dass er die noch übrige, an- dere Hälfte erst an dem Tage zu entrichten haben solle, wenn er seinen ersten Process vor Gericht geführt und ge- wonnen haben würde. 7. Später, als er bereits schon ziemhch

Y, 10, L. avTtaT(}^(pov ist eine fehlerhafte Beweisführung, bei der man den Beweis auch umkehren kann, eigentlich „zuruckbezügliche Schlussart«. Cfr. GeU. IX, 16, 7.

V, 10, 5: causarum orandi cupienscfr. IV, 15, 1: verborum fingendi et novandi Studium; XVI, 8, 8: sui magis admonendi, quam aliorum döcendi gratia. S. Diog. Laert IX, 8, 8; Appulq. Florid. IV, 18

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V. Buch, 10. Cap., § 7-13. (285)

lange Zuhörer und Anhänger des Protagoras gewesen war und wohl auch besonders auffallende Fortschritte in der Kunst der Beredsamkeit gemacht, nur aber keine Anstalt sehen Hess, Processe anzunehmen und dabei nun eine lange Zeit verlief und es fast den Anschein nahm, dass dies (von Euath- lus) mit Absicht geschehe, damit er den Best des Honorars nicht zu entrichten brauche, fasst Protagoras einen, seiner Meinung nach, höchst schlauen Entschluss: 8. er beschliesst, auf Bezahlung des vertragsmässigen Schulgeldrestes ernstlich zu dringen und macht deshalb einen Process gegen den Euathlus vor Gericht anhängig. 9. Und als sie nun Beide (zum vollständigen Ausgleich des Rechtsstreites) der gericht- lichen Verhandlung halber vor den Richtern erschienen waren, da ergriff zuerst Protagoras das Wort und Hess sich also vernehmen: „Ei^ahre (denn jetzt), mein gar zu thörichtes Bürschchen, dass Du nach beiden Seiten hin gezwungen sein wirst, mir die verlangte Schuldforderung zukommen zu lassen, mag nun die (richterliche) Entscheidung gegen Dich oder auch für Dicl^ ausfsülen. 10. Denn im Fall der Rechtsspruch gegen Dich entschieden werden sollte, wirst Du schuldig sein, mir Stundengeld zu entiichten (und zwar) dem Rechtsspinich ge- mäss, weil ich (den Process) gewonnen habe; sollte aber (wider Erwarten) das Urtheil zu Deinem Gunsten ausfallen, wii*st du (ebenfalls) schuldig sein, mir das Honorar zu ent- richten (und zwar) unserem Vertrage gemäss, weil Du dann (Deinen ersten Process) gewonnen haben wii-st 11. Darauf antwortete Euathlus mit folgender Einwendung: Ich würde dieser Deiner mir gestellten (zweideutigen) trügerischen So- phistenfalle (sehr leicht dadurch) haben ausweichen können, ich hätte nur nicht selbst das Wort zu ergreifen und mich nur eines andern Sachwalters zu bedienen brauchen. 12. Nun aber behalte ich mir ein noch weit grösseres Vergnügen hin- sichtlich des (für mich) siegreichen Ausganges vor, wenn ich nicht nur in Ansehung des Rechtsstreites, sondern auch in Ansehung dieser Deiner (gegen mich gebrauchten) Beweis- führung (trotzdem) als Sieger hervorgehe. 13. Erfahre (denn also auch Du jetzt), mein gar zu weiser Schulmeister, dass ich nach beiden Seiten hin nicht werde gezwungen werden können. Dir die verlangte Schuldforderung zukommen zu lassen.

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(286) V. Buch, 10. Cap., § 13—16. 11. C^)., § 1.

mag nun die (richterliche) Entscheidung gegen mich aus- fallen oder zu meinem Gunsten. 14. Denn im Fall die Bichter zu meinem Gunsten entscheiden sollten, dann bin ich Dir ja nichts schuldig zu entrichten, dem Rechtsspruch gemäss, weil ich (meinen Frocess) gewonnen habe; sollten sie nun aber (wider Erwarten) gegen mich entscheiden, dann bin ich auch erst recht wieder nichts zu entrichten schuldig, unserem Ver- trage gemäss, weil ich (ja dann meinen ersten Pi-ocess) nicht gewonnen habe. 15. Da nun meinten die Richter freilich, dass dieser Rechtsfall, wegen der auf beiden Seiten angeführ- ten Gründe, zweifelhaft und unauflösbar sich erweise und um nicht einen Rechtsspruch zu thun, der sich gar etwa, auf welche von beiden Seiten er sich auch immer hinneigen sollte, selbst (widerspredien und deshalb) wieder aufheben möchte: wussten sie (die Richter) sich keinen andern Rath, als die Sache unentschieden zu lassen und die Entscheidung auf den Nimmermehrtag (weit) hinauszuschieben. 16. So wurde also dieser in der Ueben-edungskunst so berühmte (Schul-) Lehrer durch sein eigenes Beweismittel von seinem jugendlichen Schüler gefangen und durch die Ait dieses listig ausgeklügel- ten Kunstkniffs hingehalten.

y, 11. L. DaM bei folgendem Schlassata des Biat, in Betreff der Ver*

heirathnng mit einem Weibe, durchaus nicht an diese Art der Znrück-

beziehnng (aTiaTQ^iptiv) gedacht werden kann (wie dies bei dem eben erst

erwähnten Schlnsssatz des Protagoras der Fall war).

V, 11. Cap. 1. Es traten (einst) Einige mit der Ansicht heraus, dass auch jener Ausspruch des berühmten und weisen Bias ein ganz ähnlicher sei, wie die bekannte, so eben von

V, 11, 1. S. Diog. Laert IV, 7, 8; VI, 1, 4. Blas, einer der sieben Weisen, geb. zn Priene in Jonien gegen 570 Y. Chr., wandte seine Gesetz« kenntniss zu Natz tlnd Frommen seiner Freunde an. Als des Gyrua Feldherr Mäzares Priene belagerte und seine Mitbürger mit ihren Kost- barkeiten sich flQchteten, antwortete er Einem, der sich wunderte, dass er nicht Anstalt zur Flacht machte: „Ich trage Alles bei mir^. Er starb in seinem Vaterlande in hohem Alter, geehrt und geachtet V, 11, 2. Nimmst Du Dir eine Schöne,

Hast Du sie nicht allein.

Nimmst Du Dir eine HAssIiche,

So ist sie Dir zur Pein.

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V. Buch, 11. Cap., § 1-8. (287)

mir besprochene, eine Rückbeziehung einschliessende- Schluss- Satzart des Prota^oras. 2. Als nämlich von Jemandem an den Bias die Frage gestellt worden war, ob man sich eine Frau nehmen solle, oder (lieber) ehelos bleiben, antwortete er: Entweder wirst Du Dir doch nur eine Schöne nehmen, oder eine Hässliche; und wenn Du Dir nun eine Schöne nimmst, so wirst Du sie mit Andern gemein haben ; wenn Du Dir aber eine Hässliche nimmst, schafifist Du Dir (nur) eine Pein; Beides aber kannst Du nicht brauchen; also darfst Du auch (gar) nicht heirathen. 3. Diesen Ausspruch hat man nun auch wieder so umgedreht: Im Fall ich mir (nun aber) eine Schöne nehmen werde, wird sie mir keine Pein sein ; im Fall ich mir eine Hässliche zulege, werde ich sie nicht mit Andern gemein (also allein) haben; folglich muss ich heirathen;

4. Allein dieser Satz kann durchaus nicht (als ein otv^ciüXQe- {pov) unter jene Art der rückbezüglichen Schlusssätze gezählt werden, weil hier die ümkehrung (des Gedankens) nach der andern Seite hin ziemlich fade und wenig stichhaltig ausfällt.

5. Denn Bias behauptete, man dürfe keine Frau nehmen wegen seines angegebenen doppelten, unangenehmen Möglichkeits- falls, dem sich unbedingt Jeder aussetzen wird, der sich zum Heirathen verführen lässt. 6. Dreht man nun aber die auf- gestellten Sätze um, so schützt man sich trotzdem immer noch nicht vor der einen noch bleibenden unangenehmen Möglichkeit, sondern man redet sich nur ein, der einen nun abgeänderten Möglichkeit ausgewichen zu sein. 7. Zur Ver- theidigung und Aufi*echthaltung des vom Bias aufgestellten Gedankens reicht die Bemerkung als Entgegnung vollständig aus, dass der, welcher sich eine Frau nimmt, sich unbedingt einer von den zwei unangenehmen Möglichkeitsfällen aussetzt, entweder, dass er eine, nimmt, die es (möglicher Weise) mit Andern hält, oder eine, die ihm zur Last wird. 8. Als nun (einmal) zufälliger Weise dieser von Bias gebrauchte Schluss-

y, 11, 6. Wenn ich eine Schöne nehme, so weiche ich 2wiir der nnangtaehmen Möglichkeit ans, dass sie mir eine Last ist, aUein es ist dabei eine andere mögliche Unannehmlichkeit nicht ausgeschlossen, dass ich sie mit Andern gemein habe, d. h. dass sie mir untreu sein kann.

T, 11, 8. d. h. dass in diesem Satze des Bias die Gegensätze nicht ganz streng und richtig begrtkndet seien.

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(288) V. Buch, 11. Cap., § 8-14. - 12. Cap., § 1.

Satz, dessen Vordersatz heisst : entweder nimmst Du Dir eine Schöne, oder eine Hässliche, als dieser Scblusssatz zufällig (einmal) angeführt wurde, sagte unser (Freund) Favorin, dass dies kein eigentlich zutreffender und begründeter Disjunctiv- satz sei, weil es nicht unbedingt nötbig ist, dass eine, oder die andere von diesen beiden Behauptungen wahr und richtig zu sein brauche. 9. Eine Bedingung, die doch in einem regelrechten Disjunctivsatz unbedingt erfüllt sein müsse. In gegenwärtigem Falle wäre offenbar vorzugsweise nur von den beiden (sich entgegengesetzten) aussergewöhnlich hervor- stechenden äussern Eigenschaften der Hässlichkeit und der Schönheit die Rede. 10. Neben diesen beiden sich entgegen- gesetzten Möglichkeitsfällen giebt es aber auch, setzte er hinzu, noch einen dritten, wekhen Bias allerdings nicht vorgesehen und berücksichtigt hat. 11. Denn es giebt zwischen einem Ausbund von weiblicher Schönheit und Häss- lichkeit noch eine gewisse mittlere Gattung von Erscheinun- gen, bei denen allerdings eine Versuchung wegen ihrer hin- reissenden Schönheit, oder eine Abneigung wegen etwaiger, auffallender Hässlichkeit ganz ausser Spiel bleibt, 12. welche Ennius in seinem Trauei*spiele Melanippa mit einem höchst gewählten Ausdruck bezeichnet und stata (d. h. mittlere, be- scheidene, proportionirte Erscheinung) von ihm genannt wird, bei der dann nicht die Rede davon sein kann , dass sie sich (später) als eine unkeusche Vettel, oder als ein böser, häss- licher Drache entpuppen wird. 13. Ein solches gemessenes, bescheidenes, anspmchsloses Wesen bezeichnet Favorin mit einem wahrlich nicht unpassenden Ausdruck: „uxoria*', d. h. eine (ächte) Weiblichkeit (d. h. eine, welche die Mitte zwischen einer sehr schönen und zwischen einer sehr häss- lichen Erscheinung hält.) 14. Ennius aber, in dem von mir angeführten Trauei-spiel, sagt, dass fast alle diejenigen Frauen durch unwandelbare Treue , Züchtigkeit und Keuschheit sich auszeichneten, welche eine verhältnissmässige (proportionirte) Gestelt hätten (stata forma).

y, 12, L. Ueber die Namen zweier von den Römern verehrten Götter, des Dijoyis (Lichtspender) und des Ve-dijovis (schlimmer, gefürchteter Gott).

V, 12. Cap. 1. In den alten (Sehersprüchen und) Ge- betsformeln sind mir folgende (zwei) daselbst vorkommende

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V. Bach, 12. Cap., § 1-8. (289)

Namen von zwei Gottheiten aufgefallen, nämlich: des Dijovis und des Ved\jovis, 2.^ allein es giebt in Rom auch noch zwischen der Burg und dem Capitole einen Tempel des Vedi- jovis. 3. Mit der Entstehungsursache dieser Namen soll es, wie ich erfahren habe, folgende Bewandniss haben. 4. Die alten Lateiner leiteten den Namen Jovis" vom Worte „juvare** (,schützen, helfen) ab und verbanden diesen Namen mit dem darangesetzten Woile „pater". 5. Denn was man (gewöhn- lich), mit Auslassung und Veränderung einiger Buchstaben, Juppiter nennt, das sollte eigentlich vollständig und ohne Aus- lassung heissen: Jovispater (Helfer, Helfender, Hülfe -Vater). In dieser Weise braucht man auch folgende Zusammensetzun- gen: Neptunuspater, ferner Saturnuspater, desgleichen Janus- pater, dann Marspater (oder gewöhnlich : Marspiter) und end- lich ist Jovis auch Diespater genannt worden, d. h. (Licht- vater Gott) Vater (und Schöpfer) des Tags und des Lichts. 6. Und deshalb ist er auch mit einem ähnlichen, von Jovis gebildeten Namen: Dijovis (Lichtbringer, Lebensspendei;) ge- nannt worden und auch „Lucetius", weil er uns ans Tageslicht bringt, uns Licht spendet, uns das Leben giebt und uns Hülle leistet. 7. Mit dem Namen Lucetius benennt Cn. Naevius in seinem Werke „vom punischen Kriege" den Jovis. 8. Da man nun von juvare die Namen Jovis und Dijovis (als Schutzgötterbegriffe) gebildet hatte, so erfand man auch als Gegensatz dazu einen Gott, dem man zwar nicht die Macht zu nützen beilegte, aber doch die Gewalt zu schaden. Es war überhaupt gebräuchlich, dass man gewisse Götter feierte, damit sie (Hülfe spendeten und) nützten, gewisse andere Götter aber (durch Feierlichkeiten) versöhnlich zu stimmen suchte, damit sie nicht schaden möchten. Da man nun

V, 12, 2. Der Tempel des Vedvjovis lag auf dem Capitol am Asylum, d. h. an der von zwei Hainen umgebenen Freistätte und in dem zwischen den beiden Spitzen des capitoliniEchen Hügels befindlichen Thale (inter arcem et Capitolium). In diesem Tempel sah man seine Statue mit einem Bändel Pfeile, dem Symbol der Sonnenstrahlen, in der Hand und neben derselben eine Ziege (nach § 12). (Vergl. -Overbeck. Zeus p. 200 d.) S, Vitruv. IV, 8, 4; Ovid. Fast III, 430.

V, 12, 5. In Dies piter (Licht -Vater -Gott) scheint dies Genitiv zu sein; cfr. IX, 14, 5 und NB. zu § 6.

V, 12, 6. S. Appul^us de mundo : Jupiter a juvando.

GelKna. AttiitcUe N&clite. ' 19

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(290) V. Buch, 12. Gap,, §8—12.

(als Schutzgötter) von juvare die Namen: Jovis (Helfer) und Dijovis (Licht- und Lebensspender) gebildet hatte, so ei-fand man auch als Gegensatz dazu einen Gott, dem man zwar nicht die Macht zu nützen beilegte, aber doch die Gewalt zu schaden (zutraute) und bildete nun (zur Bezeichnung dieses Gottes) das Wort: Vedijovis, nach Ausschliessung und Ent- ziehung der Möglichkeit zu nützen. 9. Denn das (unti-enn- bare) Vorsetzwörtchen „ve", welches in (Zusammensetzung mit) verschiedenen Woltern verschieden, bald mit nur zwei Buch- staben, bald mit einem zwischen beide Buchstaben einge- schobenen a (also vae) geschrieben wird, nimmt eine doppelte und zwar unter sich ganz entgegengesetzte Bedeutung an. 10. Denn bald bewirkt es eine Vergrösserung (an seinem Wortbegriff), bald eine Verminderung, wie dies auch noch bei sehr vielen anderen Paitikeln der Fall ist. Daher kommt es, dass einige Wörter, wenn diese Pailikel vorgesetzt ist, in ihrer Bedeutung schwankend sind und in doppeltem Sinne gesagt werden, wie z, B. die Wörter: vescus, vemens und vegrandis, worüber ich an einer andeni Stelle in weiter aus- geführter Abhandlung aufmerksam gemacht habe, hingegen (andere Wörter, wie) vesanus oder vecors werden nur in dem «inen Sinne gesagt, welcher eine beraubende (oder ver- neinende) Kraft ausdiUckt, was die Griechen xora atiQtjaiv nennen, d. h. vermittelst Beraubung. 11. Das Bild dieses Vedijovis , (schlimmen , schädlichen , bösen , gefürchteten Oottes), welches sich in dem oben bereits von mir erwähnten Tempel Befindet, hält (einige) Pfeile, die ihm, wie leicht •erklärlich, beigegeben sind als Werkzeuge, womit er Schaden anrichten kann. 12. Deshalb wollte man unter diesem Gott

V, 12, 12. Ve hat einen privativen, oder etwas Verächtliches, Geringes andeutenden Begriff, wie z. B. in ve-mens, d. b. ohne gehörige Ueberlegung. S. Lachmann zu Lucr. II, 1024 p. 183, gerade wie vecors, vegrandis vesanus (vepallidus, Hör. Sat I, 2, 129). Etymologisch schwerer ist vescus n erlautem. Vergl. Gell. XVI, 5, 6. Jedenfalls ist es von ve und esca herzuleiten. Verg. G. in, 175; IV, 131 stehen vescae frondes und vescum papaver in der Bedeutung: tennis, exilis, was schlecht zu speisen ist, wenig Appetit macht, also: dOrftig, gering, aus-zehrend; Plinius Vn, 20: ▼escum corpus, sed eximiis viribus, schmächtig von Körper, aber von ausserordentlichen (Körper-) Kräften; Lucret. I, 326 (vesco sale saxa

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V. Buch. 12. Cap., § 12—14. (291)

häufig den Apollo verstanden wissen, und man opfert ihm nach der hergebrachten Art (ihn zu ehren und zu versöhnen) eine Ziege, und das Abbild dieses Thieres steht neben der Bildsäule (dieser Gottheit). 13. Aus keinem anderen Grunde soll deshalb auch Yergil, ohne irgend welche absichtliche, hassenswerthe Prahlerei (mit seinen Kenntnissen), doch seine Vertrautheit mit den frommen und ehrwürdigen Gebräuchen der ältesten Zeiten zu erkennen gegeben haben, auch die numina laeva (die ungünstigen und schädlichen Gottheiten) anzuflehen, weil er damit nur habe andeuten wollen, dass es mehr in der Macht dergleichen Götter stehe, zu schaden, als zu nützen. Die darauf bezügliche Stelle Vergils (Georg IV, 6) lautet also:

In tenui labor, at t«nais non gloria, si quem NumiiLa laeva sinant auditque vocatus Apollo.

Geht schon die Arbeit ins Kleine, nicht klein ist die Ehre, wenn einen

Widrige Götter nicht hindern, Apollo Gebete erhöret

14. Unter die Götter aber, die man nöthig hatte (um Yer-

peresa) kommt es auch vor in der Bedeutung edax, d. h. was den Steinen . etwas an ihrer Stärke, ihrem Gewichte nimmt Auf gleiche Weise hat auch das untrennbare „so" oder „se" eine privative Bedeutung, z. B. sobrius, secors etc. Im Gegensatz von Jupiter, oder D\jovi8y diel et lucis pater (Licht-Yater-Gott) oder juvans pater ist nach Einigen Yejovis oder Y^u* puter ein Gott, der nicht die Macht zu helfen', sondern zu schaden hat So gedacht wSre er vieUeicht, wie Einige annehmen Eins mit Yedius, aus ve und dies oder diu entstanden, mit der Bedeutung: nicht die rechte, ausreichende Art von Tag, Glanz, Himmel und dergleichen, und wäre also der Gott des trftben Wetters: Jupiter humidus, hibemus, pluvius, oder gar der Jupiter niger, malus, nozius, laevus. Siehe Horat Od. I, 22, 19; Stat Theb. X, 368. Im Gegensatz zum Jupiter Olympius (dem eigentlichen Jupiter) und vom Jup. aequoreus (dem Neptun) heisst übrigens auch der Gott der Unterwelt Jup. : Stygius, Tartareus, Tertius (d. h. Pluto) zuweilen «benfails kurzweg Yedius oder Dis oder Yejovis. So sagt Martian. Capeila 11,40: Yedius L e. Pluton, quem etiam Ditem Y^ovemque dixere. YergU Macr. Sat I, 17.

Y, 12, 18 oder: „Gering ist, was ich (zu singen) unternehme, aber durchaus nicht gering wird der Ruhm för mich, wenn nur widrige Götter mich gewähren lassen und der angerufene Apollo mich erhört^

Y, 12, 14. Averruncus ](ßc. deus, ajtorqonatog) wird von Gott gesagt, der Etwas abwendet, z. B. das Böse. Yarro L. L. YI, 5 extr. Müller YII, 102. Robigus, die Gottheit der Röm^, die man um Ab» Wendung des Mehlthaues anrief. Yarr. L. L. 6, 8, § 16 und R. R. 1, 1,6.

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(292) V. Budi, 12. Cap., § 14. 13. Cap., § 1-4.

söhnung) anzuflehen, damit sie alles Unglück von uns und dem Gedeihen der Saat (-Felder) abwenden möchten, wird auch Averruncus und Robigus gerechnet.

V, 13, Ij.'* Ueber die nach alter liomersitte genau eingehaltene Hangonlnun^ bei (gesellschaftlichen, gegenseitigen) Verpflichtungen.

V, Cap. 13. 1. Unter einem Kreise von schon älterett und hochgestellten Männern, die sich alle durch eine viel- seitige, genaue Kenntniss althergebrachter Sitten und Ge- wohnheiten auszeichneten, war ich zu Rom bei einer (ge* lehrten und anziehenden) Unterhaltung als Zuhörer gegen- wärtig, die sich über die (Bestimmung und) Rangordnung bezüglich unserer (gesellschaftlichen , gegenseitigen) Ver- pflichtungen drehte. Da trat nun die Frage in den Vorder- grund, welchen Personen man nun wohl (beziehendlich unserer Vei-pflichtungen) den Vorzug einräumen müsse, im Fall die Nothwendigkeit eintreten sollte, bei unseren Dienst- leistungen und bei Beobachtung der (gesellschaftlichen) Ver- pflichtungen, die Einen den Andern vorziehen zu müssen, 2. Man einigte sich nun sehr bald, und es gewann nur die eine Ansicht Geltung, dass nach (alter) guter Römersitte gleich nach den Aeltevn der erste Platz den unsenn unverbrüch- lichen Schutze anvertrauten Pflegebefohlenen (pupilli) ge- bühre; nach ihnen seien die Nächsten die Schutzbefohlenen (die Hörigen, clientes), die sich ebenfalls unserer treuen Vertretung (und Vertheidigung) anvertrauten ; drittens kämen dann die Gastfreunde (hospites) und endlich (überhaupt) alle Blutsverwandten (cognati) und hierauf die nahen Angehörigen (die Verschwägerten, aifmesque). 3. Von der strengen Beobach- tung dieser Sitte finden sich in den alten Geschichtsurkunden eine Menge (belehrender) Zeugnisse und Belege auigezeichnet, woraus ich indess nur den einen Beleg über die Hörigen (clientes) und über die nächsten Anverwandten (cognati) an- ziehen will, weil idi ihn gerade unter den Händen habe. 4. M. Cato schreibt in seiner vor den Sittenrichtern gegen Lentulus gehaltenen Rede wörtlich so: „Das ist wohl eine ausgemachte Sache, unsere Vorfahren hielten die Verpflich- tung, ihre Pflegebefohlenen (pupillos) mit aller Macht zu vertheidigen , für eine noch weit heiligere, als die, unsere

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V. Buch, 13. Cap., § 4-6. (293)

Hörigen (Schutzbefohlenen, clientes) nicht zu hintergehen. Man zeugt wohl gegen Blutsverwandte (cognatos) zu Gunsten seines Hörigen (cliens), aber Niemand darf gegen seinen Hörigen (Schutzbefohlenen) zeugen. (Daher stellte sich folgen- des Yerhältniss heraus:) Vor allen Dingen hatte man zu allererst die grösste Ehrfurcht vor seinem Vater; dann aber zunächst vor seinem Schutzherren (Vormund, patronus)." 5. Allein Masurius Sabinus räumt hn dritten Buche seines „bürgerlichen Rechtes" dem Gastfreunde eine bevorzugtere Stelle ein, als dem Hörigen. Die daher entlehnte Stelle lautet so: „In Bezug auf die gesellschaftlichen Verpflichtun- gen (welche die Menschen gegen einander haben), wurde bei unseren Vorfahren an folgender Rangordnung festgehalten: „Den ersten Platz räumte man den Pflegebefohlenen (tutelae) «in, darauf folgte der Gastfreund; dann kam der Hörige (cliens), demnächst die Verwandtensippe (cognatus überhaupt) und endlich noch jeder nahe Angehörige (aflinis insbesondere). Deshalb wurde den Frauen der Vorzug vor den Männern zu- gestanden und eine unmündige Waise (pupillaris tutela) ^urde als Pflegebefohlene sogar selbst der eigenen Ehefrau vorgezogen. Männer (der guten, alten Zeit), sollten sie auch vorher die (bittersten Feinde) und Gegner von einem (An- deren) gewesen sein, sobald sie von ihm (im Falle seines Ablebens) als Vormünder für seine Kinder eingesetzt worden waren, diese Männer traten alsdann in derselben Angelegen- heit (mit grösster Bereitwilligkeit und Gewissenhaftigkeit) stets für ihre Mündel ein." 6. Ein gewichtiges und deut- liches Zeugniss für unsere Behauptung bietet uns ein be-

Y, 13, 5. Clientes (von cluo, audio, Hörige) in Abhängigkeit yon dem Herrenstande. Die Patrone hatten ein natarliches Schutzrecht gegen ihre dlienten, dagegen die dienten für diesen Beistand dem Patron zu Dank und Vergeltung verpflichtet waren. Kein Patron trat gegen seinen Clienten als Zeuge auf, wohl aber flir ihn, sogar gegen beine Blutsverwandten (cognati). Dieses väterliche Yerhältniss, welches durch Gebrauch geheiligt war, schützte die Clienten, dass sie nicht zu einer Art von Heloten wurden. Dionys. II, 10. Dem weiblichen (schwächeren) Geschlecht wurde mehr Recht eingeräumt als den Männern. Ein unmündiges Wesen aber wurde wieder (als noch weit hülfsbedürftiger) einem Weibe vorgezogen. Gell. XX, 1, 40.

Y, 13, 64 Cfr. Bernh. B. L. 115, 540 und Gell. lY, 16, 8 NB; XÜI,

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(294) V. Buch, 13. Cap., § 6. 14. Cap., § 1.

merkenswerther Aussprach des Oberpriesters C. Caesar, der in seiner Rede, die er zu Gunsten der Bithynier hielt, mit folgenden Worten anfing: „Theils in Folge meiner gastfreund- lichen Beziehung zum König Nicomedes, theils wegen meiner freimdschaftlichen Verbindlichkeit gegen die, deren Ange- legenheit eben verhandelt werden soll, konnte ich nicht wagen 9 lieber M. Junius, die Abtragung einer Ehrenschuld (nämlich der Rechtsbeistand der Bithynier zu sein, als pflicht- schuldigen Gegendienst) abzuschlagen. Denn so wie ein dank- bares Angedenken an Veratorbene nicht sofort erlöschen darf, von ihren allernächsten Angehörigen aber ganz besonders be- wahrt werden soll; eben so kann man, ohne sich dem höch- sten, schmachvollsten Vorwurf auszusetzen, auch seine Hörigen nicht verlassen^ denen sogar noch vor {oder doch unmittelbar nach) den Anverwandten (propinqui) beizustehen, unsere (stete) Aufgabe sein muss/

V, 14, L. Von einer gegenseitigen Wiedererkennangsscene zwischen einem

Menschen nnd einem Löwen in Folge einer alten Bekanntschaft mit einander,

war der gelehrte Apion, mit dem Beinamen Plistonices, wie er schreibt,

selbst zu Rom ' Augenzeuge.

V, Cap. 14. 1. Apion, mit dem Beinamen Plistonices,

8, 5. Die Ernennung des Caesar znm Oberpriesterthum fand Tor der Verschwörung des Oatüina statt S. Vellg*. Paterc. n, 43.

y, 18, 6. Die Anwesenheit des Caesar am Hofe des Nikomedes gab Anlass zu seiner Yerläumdung und zu Angriffen auf seine Sittlichkeit S. Sueton. Caes. 54 (49) u. 55 (50).

Y, 14, 1. Apion, mit dem Beinamen Pleistonikes , war aus Oasis in Aeg^ten gebürtig. Er machte Beisen in Oriechenland, liess sich in Rom nieder und lehrte zur Zeit des Tiberius und Claudius Grammatik nnd Bhetorik. Von Tiberius wurde er „Cymbalum mundi" genannt, wegen seiner WiehtigthuereL S. Plin. H. N. praef. § 25 cl. Mart 9, 69. Er verband allerdings mit bedeutender Gelehrsamkeit grosse Prahlerei. Er stand an der Spitze der Abgeordneten, durch welche die Alexandriner bei Calignla um Vertreibung der Juden anhielten. Der berühmt^ jüdische GeschiditsBchreiber Josephus hat ihn deshalb in einer besonderen Schrift widerlegt Er schrieb, wie Tatian bezeugt (orat ad gentes) ein Werk „Über Aegypten^ in 5 Büchern, worin er von den Merkwürdigkeiten dieses Landes handelte und woraus Gellius hier die berühmte Geschiclite vom Sklaven Androklus und seinem Löwen und VI (VII), 8 die von der Liebe des Delphins zum Hyakinthos entlehnte. Cfr. Gell. Vn (VI), 8, 1; 12, 2; Sen. ep. 88, 84; Plin. 80, 2 (6), 8; 37, 5 (19), 75 etci

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V. Buch, 14. Cap., § 2-11. (295)

war in vielen Zweigen des Wissens bewandert und besonders mit ausserordentlichen und mannigfaltigen Kenntnissen über die griechische Geschichte ausgestattet. 2. In seinen Schrif- ten, die als sehr werthvoU anerkannt werden, liefert er uns eine ausführliche Beschreibung fast aller merkwürdigen Wun- derdinge, die in Aegypten zu sehen und zu hören sind. 3. Mag er nun auch vielleicht in mancher Hinsicht bei einigen Dingen, die er entweder gehört oder gelesen haben will , aus dem' fehlerhaften Bestreben Wunderdinge aufzutischen, oft etwas zu redselig werden, denn er bedient sich bisweilen allerdings eines ungemein marktschreierischen Tones, um seine * Kenntnisse an den Mann zu bringen, 4. aber eine Begeben- heit ist es besonders, die unsere Aufmerksamkeit verdient, weil, wie er im fünften Buche seiner „Aegyptens Merkwürdig- keiten" betreffenden Schriften aufgezeichnet hat, er behauptet, sie nicht durch Hörensagen, oder aus Büchern zu wissen, sondern in Rom mit seinen eigenen Augen gesehen zu haben»

5. „Einst wurde", so erzählt er, „im Circus Maximus das Kampfspiel einer höchst glänzenden, zu jener Zeit sehr ge- wöhnliche]^ Thierhetze zur Belustigung des Volkes veranstaltet.

6. Da ich mich zufälliger Weise gerade zu Rom befand, wurde ich Zuschauer (dieser grausamen Art von Wettkämpfen). 7- Es waren daselbst viele wilde Thiere, ganz ausserordentliche Riesenexemplare (herbeigeschafft worden), und alle ausge- zeichnet entweder durch ihre ungewöhnliche Gestalt, oder durch ihre Wildheit. 8. Allein vor allen erregte besonders, die wilde Wuth der Löwen Erstaunen und Bewunderung und unter diesen allen (besonders) wieder ein (gewaltiger) Löwe, d. Einzig in seiner Art, zog dieser durch seine Leibesstärke, durch seine (furchtbare) Grösse, durch sein entsetzliches, durchdringendes Gebrüll, durch seinen Muskelbau, durch seine über den Nacken herabwallenden Mähnen die Aufmerksam- keit und die Blicke Aller auf sich. 10. Unter vielen anderen Unglücklichen wurde auch ein Sklave, das Geschenk eines gewesenen Consuls, zum Zweck des Kampfes mit diesen wilden Thieren verdammt, vorgeführt. IL Der Name dieses Sklaven war Androclus. Sobald der Löwe diesen von ferne

V, U, 10. Aelian yermischte Geschichten VIT, 48.

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(296) V. Buch, 14. Cap., § 11-19.

erblickte, blieb er plötzlich, gleichsam voller Verwunderung stehen, dann näherte er sich langsam und bedächtig diesem Menschen, (als wolle er ihn gern erkennen, d. h.) als wolle er sich genau überzeugen, ob er auch recht sehe. 12. Dann wedelt er nach Gewohnheit und Art schmeichelnder Hunde freundlich, liebkosend und schön thuend mit dem Schweife, schmiegt sich an des Menschen Seite an und leckt sanft mit der Zunge dem beinah schon vor Furcht Entseelten Hände und Beine. 13. Unter diesen Liebkosungen von Sei- ten des wilden Thieres gewinnt dieser Androclus seine (fast) verlorene Besinnung wieder, wendet seine Blicke allmählig auf den Löwen, um sich ihn genauer zu betrachten. 14. Nun* aber, fuhr er fort, hättest Du, gleichsam nach wechselseitig erfolgter Wiedererkennung, sie beide sehen sollen, den Men- schen und den Löwen, wie sie erfreut waren und in Glück- wünschen sich ergingen (d. h. diese Freude sich gegenseitig auszudrücken eifi;ig bemüht waren)." 15. Ueber diesen höchst wunderbaren Vorfall erhebt sich in der Volksmenge ein ge- waltiges Geschrei, wie er weiter sagt, und nun ruft der Kaiser fliesen Androclus zu sich heran und erkundigt sjch bei ihm selbst nach der Ursache, woher es komme, dass dieser höchst wilde, grimmige Löwe ihn allein verschont habe. 16. Darauf erzählt Androclus folgende ausserordentlich seltsame und wunderbare Geschichte. 17. „Als mein Herr, sagte er, die Provinz Afrika als Proconsul verwaltete, da sah ich mich durch die harten Schläge, welche ich täglich und (noch dazu) ungerechter Weise zu erdulden hatte, endlich zur Flucht ge- nöthigt und um einen Schlupfwinkel zu finden, wo ich vor meinem Herrn, dem Befehlshaber des Landes, desto sicherer wäre, entwich ich in die weit ausgedehnten Sandwüsteneien und war fest entschlossen , wenn es mir an Unterhalt fehlen sollte, auf die eine oder andere Art meinem (elenden) Dasein ein Ende zu machen.. 18. Hierauf traf ich, sagte er, eines Mittags, als die Sonne brennend heiss schien, eine entlegene und zu einem Verstecke sich vortrefiFlich eignende (schattige) Höhle an; in diese begab ich mich und verbarg mich da- selbst. 19. Nicht lange nachher kommt dieser Löwe hier zu derselbigen Höhle, an einem Fusse hinkend und blutend und liess bei seinem Eintritt ein jammervolles Aechzen und Brum-

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V. Buch, 14. Cap., §19 29. (297)

men vernehmen, wodurch er den Schmerz und die Qual von einer Wunde kläglich zu erkennen gab. 20. Da sei er nun, wie er versicherte, natürlicher Weise beim Anblick dieses herannahenden (auf ihn zukommenden) Löwen gewaltig er- schrocken und habe für sein Leben gebangt. 21. Als nun dieser Löwe in diesen, wie es mir völlig klar wurde, seinen Aufenthaltsort eingetreten war und mich in der Ferne in meinem Verstecke gewahr wurde, näherte er sich mir ganz sanft und zahm und schien mir seinen aufgehobenen Fuss zu zeigen und hinzuhalten, gleich als ob er mich um Hülfe bitten wollte. 22. Darauf zog ich ihm nun einen grossen Holz- splitter, der ihm in der Fusssohle steckte, heraus, drückte den im Innersten der Wunde angesammelten blutigen Eiter aus, trocknete, nun schon ohne gi-osse Angst, ganz und gar sorgfältig (die Schramme) aus und wischte endlich das ge- ronnene Blut ab. 23. Wie der Löwe nun durch diesen meinen ärztlichen Beistand Linderung verspürte, Hess er seinen Fuss in meinen Händen liegen, lagerte sich neben mich und schlief sanft ein. 24. Von jenem Tage an lebte ich mit dem Löwen drei Jahre lang in derselben Höhle und von einerlei Kost. 25. Denn von allen den Thieren, welche er auf der Jagd erbeutet, brachte er mir stets die fetteren und besseren Stücke nach der Höhle, welche ich dann, da ich kein Feuer haben konnte, mir an der Mittagssonne briet und dann verzehrte. 26. Allein als mir endlich dieses wilde Leben zuwider wurde, verliess ich, als der Löwe einmal auf die Jagd ausgegangen war, die Höhle und als ich ohngefähr einen Weg 'von fast drei Tagen zurückgelegt hatte (und allerwäits herumgestreift war), wurde ich von Soldaten erblickt, er- gi-iflfen und aus Afrika zu meinem Herrn nach" Rom gebracht. 27. Dieser Hess mich sogleich zum Tode verurtheilen und zwar so, dass ich den wilden Thieren vorgeworfen werden sollte. 28. Jetzt fange ich nun aber an zu merken, dass auch dieser Löwe, nach meiner Entfernung von ihm, in Ge- fangenschaft muss gerathen sein und nun auch jetzt noch sich mir für meine (einstige) ärztliche Hülfe und Pflege dankbar beweist." 29. Dies Erlebniss soll, nach Apions Ueberliefeiimg Androclus selbst erzählt haben, dann aber soll es aufgezeichnet, in Umlauf gebracht und auf einer Tafel dem

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(298) V. Buch, 14. Cap., § 29. 80. - 15. Cap., § 1 -5.

Volke deutlich erklärt worden sein, und soll Androclus so- dann deshalb auf allgemeines Bitten freigelassen und von der Strafe losgesprochen worden und ihm ausserdem nach des Volkes Wunsch der Löwe geschenkt worden sein. 30. „Hier- auf sahen wir, erzählt Apion weiter, den Androclus mit seinem Löwen, an einem dünnen Riemen befestigt, auf allen Strassen der Stadt durch die Budenreihen gehen ; femer Überall , wo- hin er kam, sahen wir, dass Androclus mit Geld beschenkt, sein Löwe aber mit Blumen bestreut wurde, und Alle, die ihnen begegneten, riefen unwillkührlich: dies ist der Löwe, der sich als ein Gastfreund dieses Menschen und diess der Mensch, der sich als Arzt dieses Löwen bewies."

y, ]5y L. Dass die Ansichten der Philosophen darin auseinander gehen, ob die Stimme ein Körper sei, oder |ob Bie nicht zn den Körpern gehöre

(aawfjiaTov),

V, Cap. 15. 1. Unter den angesehensten Philosophen ist von Alters her und ununterbrochen die Frage Gegenstand der Besprechung gewesen, ob die Stimme ein Körper sei, oder ein unkörperliches Etwas (incorporeum). 2. Das Wort (incorporeum , unkörperlich) ist nämlich von Einigen ganz dem gleichbedeutenden, griechischen Ausdruck aadfiotov nachgebildet worden. 3. Unter einem Körper aber versteht man das, was entweder wirkt, oder leidet, was im Griechi- schen ebenso erklärt wird: Alles was handelt oder leidet.

4. Und auf diese BegrifiFsbestimmung wollte der Dichter Lucretius (I, 304) sicherlich anspielen, als er so schrieb:

Einzig ein Körper nur eignet dazu sich, Selbst zu berühren sowohl, als fremdes Berühren zu dulden«

5. Auf eine noch andere Weise erklären die Griechen den Begriff „Köi-per" (als dreifaches Grössenverhältniss seiner Länge, Höhe, Breite nach), und nennen ihn deshalb eine drei*

y, 15, 4. Lucretius Garus, geb. 95 v.Chr., gest. 32 durch einen Liebestrank, ein epicurcischer Philosoph und berühmter Verfasser eines philosophisdien Lehrgedichtes „de rerum natura^ in 6 Büchern. V, 15, 4. Siehe Lucr. IV, 426 bis 429 (cfr. GeU. X, 26, 8): Denn vir müssen gestehn, dass Leib auch habe die Stimme Gleichwie der Schall, dieweil sie den Sinn zu bewegen vermögen. Dazu kratzt auch öfter die Stimme die Kehle, so wie auch Rauher das Schreien den Schlund uns macht, indem es herausgeht V, 15, 5. S. GeU. I, 20, 2. Desgl. Plut. Physikal. Lchrstee I, 12,

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V. Buch, 15. Cap., §6—9. (299)

&che Ausdehnung. 6. Allein die Stoiker behaupten, dass die Stimme ein Körper sei und nennen sie geradezu eine ange* schlagene Luft (oder einen Schlag der Luft). 7. Plato aber meint, dass die Luft kein Körper sei und setzt hinzu : nicht die geschlagene Luft nennt man Stimme, sondern den (An-) Schlag selbst imd den (durch die Luft sich weiter verbreiten- den und durchs Ohr ftlr uns) wahmehmbaren Eindruck. (Er sagt wörtlich: Der Luftschlag an und für sich selbst ergiebt noch nicht den (Klang-) Laut. Denn mag man immerhin mit aller Gewalt des Fingers nach der Luft schlagen, so giebt das noch lange keinen (Ton-) Laut, sondern der (An-) Schlag selbst muss, seiner Beschaffenheit nach, so gross, heftig und so gewaltig sein, dass er gehört werden kann.) 8. Democrit und nach ihm Epicur sagen, dass die Stimme aus (wesentlich) untrennbaren Bestandtheilen bestehe und nennen sie, um mich gleich ihres Ausdrucks zu bedienen, einen Aus- fluss von Ui-stofftheilchen (Atomen, ^ev^ia ccioiäuv). 9. So oft ich nun diese oder ähnliche Spitzfindigkeiten, die man doch nur iXa Ausgeburten von selbstgefälliger Redseligkeit und von Mangel an zweckmässigerer Beschäftigung halten muss, so oft ich auch dergleichen hörte oder las und in diesen ängstlichen, minutiösen Grübeleien entweder irgend einen wahrhaften Vortheil, der auf die praktischen Lebensverhält- nisse von Einfluss hätte sein können, oder irgend einen Zweck, welcher der Untersuchung werth gewesen wäre, ein fttr alle- mal durchaus nicht zu entdecken vermochte, sah ich mich zur (völligen) Billigung jenes Ausspruches beim Ennius ver- anlasst, wo Neoptolemos mit Rechtjsich also äussert:

Philosophiren ist mitunter ein Bedür&iss, aber nur ein wenig; Doch immer nur zu philosophiren wird leicht eine Last

y, 15, 6. Plut Physikalische Lehrmeinungen der Philosophen lY, 20. Die Stoiker behaupten, die Stimme sei ein Körper. Denn, sagen sie, Alles was handelt und wirkt, ist ein [Körper; nun aber handelt und wirkt die Stimme, indem wir sie hören und emp^den, wemi sie an unser Ohr dringt. Cfr. Lucret. IV, v. 526 und 527 :

Denn mm: müssen gestehn, dass Leib auch habe die Stimme,

Gleichwie der Schall, dieweil sie den Sinn zu bewegen vermögen. Vergl. Aristot von der Seele II, 8,

V, 15, ?• Vergl. Plutarch: über Musik cap. 2.;

V, 15, 9. S. Gell. X, 22, 4 etc. aus Piatos Gorgias.

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(300) V. Buch, 16. Cap., § 1.

V, 16, L Ueber die Gesichtswerkzeuge und über Grund und Ursache

des Sehens.

V, 10. Cap. 1. Auffälliger Weise sind die Ansichten der Philosophen über den Grund und die Ui-sache des Sehens

y, 16, 1. Die Irrthümer dieser von den Philosophen aufgestellten Theorien beruhen darauf, dass man weder das Licht und seine Eigen- schaften, noch das Auge hinlänglich kannte. Erst den vereinigten und vielseitigen Bemühungen neuerer Gelehrter, namentlich aber Newtons und Herschels ist es gelungen, zu grösserer Erkenntniss in diesem Gebiete zu gelangen. Siehe Herschel (vom Licht, übers, von E. Schmidt, Stuttg. 1831) Theorie des Sehens, S. 145 ff. und Brewster (populäres, vollständiges Handbuch der Optik. Ins Deutsche übers, v. Hartmann. Quedlinburg, 1825. U.) S. 72 ff. Als Ursache zum normalen Sehen und dessen Bestand sind folgende wichtige Bedingungen nöthig: 1) besondere Nervenstränge gehen vom Gehirn aus, welche so beschaffen sind, dass jeder sie treffirade Reiz im Gehirn als Lichtempfindung percipirt wird; 2) sie endigen in einer eigenthümlich gebauten, sehr empfindlichen Nervenhaut (Retina); 3) unmittelbar vor derselben befinden sich Apparate, welche die Licht- schwingungen verschiedener Geschwindigkeit in di^enigen Nervenschwin- gungen umsetzen, welche als Farbenempfinduggen percipirt werden ; 4) vor derselben steht eine Camera obscura; 5) die Brennweite dieser Camera ist im Allgemeinen für das Berechnungsverhältniss von Luft und Augenkörper passend (ausser bei Wasserthieren) ; 6) die Brennweite ist durch ver- schiedenartige Contractionen für Sehweiten von einigen Zollen bis unendlich zu ändern; 7) die Linse ist durch eigenthümlich concentri^che Schichtung so construirt, dass sie ein achromatisches Bild ohne erhebliche Fehler der Sphäricität giebt; 8) die einzulassende Lichtquantität wird durch Ver- engung und Erweiterung der Iris regulirt und dadurch zugleich bei deut- lichem Sehen im Hellen die peripherischen Strahlen abgeblendet; 9) die Endglieder der an die Nervenendungen sich anschliessenden Stäbchen oder Zapfen haben eine derartig geschichtete Construction , dass jedes solches Endglied Lichtwellen von bestiihmter Wellenlänge (Farbe) in stehende Wellen verwandelt und so in der zugehörigen Nervenprimitivfaser die physiologischen Farbenschwingungen erzeugt; 10) die Duplicität der Augen veranlasst das stereokopische Sehen mit der dritten Dimension; 11) beide Augen können durch besondere Nervenströmungen und Muskeln zugleich nur nach derselben Seite, also' unsymmetrisch in Bezug auf die Muskeln bewegt werden ; 12) die von der Peripherie nach dem Centrum tunehmende Deutlichkeit des Gesichtsbildes verhindert die sonst unvermeidliche Zer- streuung der Aufmerksamkeit; 13) das reflectorische Hinwenden des deut- lichen Sehpunkts nach dem hellsten Pnnkte des Gesichtsfeldes erleichtert das Sehenlernen und das Entstehen der Raumvorstellungen in Verbindung mit dem vorigen; 14) die stets herabrinnende Thränenfeuchtigkeit erhält

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V. Buch, 16. Cap., § 1—5. (301)

und über die Art und die Möglichkeit (äussere Gegenstände von einander) zu unterscheiden, sehr getheilt. 2. Nach An- nahme der Stoiker soll die Ursache des Sehens bestehen in einer den Augen entspringenden und auf die erkennbaren^ äusseren Gegenstände fallenden Strahlenausströmung und aus der damit verbundenen (gleichzeitigen Durchdringung und) Ausdehnung der Luft. 3. Epicur aber ist der Ansicht, dass von allen körperlichen Gegenständen gewisse Abbildungen dieser körperlichen Gec^enstände (von der Oberfläche) aus- strömen, dass dann diese (Abbildungen oder sinnbildlichen Abdrücke) in unsere Augen eindringen und dass so die Wahr- nehmung durch Hülfe des Gesichtssinns bewirkt werde. 4. Piatos Meinung ist, dass eine gewisse Art von Feuer oder Lichtkraft von den Augen ausgehe ((ro ^evfia r^g oxfje(og^ die Strömung des Sehstrahles)), diese nun in Verbindung (Be- gegnung) und Vei-schmelzung, entweder mit dem Sonnenlichte oder mit der Leuchtkraft eines anderen Feuers, unterstützt durch die vereinigte, gegenseitige Kraft, bringe es zu Stande, dass alle äusseren Gegenstände uns sichtbar erscheinen^ worauf diese (durch das Zusammentreffen des Sehstrahls mit den von dem Körper ausgehenden, objectiven Lichtstrahlen erfolgte) Lichtvereinigung zusammentrifft (durch deren Ver- einigung das Sehen bewirkt wird und dessen ganzer Vor- gang nach Plato eben owavyeia heisst). 5. Auch hier dürfte es wohl rathsam erscheinen, mit diesen Betrachtungen die Zeit nicht länger zu vertändeln, sondern vielmehr jenen, oben schon aus^ Ennius wörtlich angeführten, weisen Rath des Neoptolemus zu befolgen, der es für (gut und) zweckdienlich hält, (mitunter) aus dem Born der Philosophie (einmal) zu nippen, nicht aber sich (in sie zu versenken und übermässig) zu berauschen.

die Oberfläche der Hornhaut durchsichtig und führt den Staub ab; 15) die hinter Knochen zurückgezogene Lage, die reflectorisch bei jeder Gefahr sich schliessenden Lider, die W^impem und Brauen schützen vor schnellem Unbranchbarwerden der Organe durch äussere Einwirkungen.

V, 16, 3. Cfr. Quint. 10, 2, 15; Lucret. 4, 48 f.; Plut. Mor. IV, la .ifQl T(Sv dQ€ox, Lehrmeiiiungen der Philosoph Diogen. Laert. VII, 86. Zenon.

V, 16, 4. cfvvavyefK (StrahleuTereinigung). S. Plutarch: über den Verfall der Orakel 47; Physikal. Lehrsätze der Philosoph. IV, 13.

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(302) V. Buch, 17. Cap., § 1.

V, 17, L. Weshalb die ersten Tage nach den Kaienden, Nonen und Iden für (atri) unheilbringende und unglückliche gehalten wurden und weshalb Viele sich auch vor jedem vierten Tag hüten, der den Kaienden, Nonen and Iden vorausgeht, gleichsam als vor einem (fär wichtige Unternehmungen) bedenklichen und von böser Vorbedeutung. (Veigl. Fest 8. 178, *.)

V, 17. 1 Cap. 1. Verrius Flaccus schreibt im vierten Buche seines Werkes „über die Bedeutung der Wörter**: dass alle die Tage, die gleich zunächst auf die Ealenden»

V, 17, 1. Verrius Flaccus, Grammatiker, lebte im Jahre l'nach Chr., IprOndete nach seiner Freilassung eine Schule zu Rom, die er, nachdem er 2um Erzieher der Enkel des Augustus ernannt worden war, in den Palast des Kaisers verlegte. Er schrieb 'mehrere uns nicht bekannt gewordene geschichtliche Werke: Renim memoria [dignarum libri und de verborum significatione. Dieses „lateinische Wörterbuch" in 20 Bachern, das älteste, so yiel wir wissen, ist verloren gegangen. S. Pomp. Festus (120 n. Chr.) hat davon einen alphabetisch geordneten, leider aber nur allzukurz ge- &ssten Auszug angefertigt Ausserdem verfertigte Flaccus auch noch einen Kalender, wovon man einige Bruchstacke bei Praeneste aufgefunden hat und als pränestiniBcher Kalender bekannt und mehrmals herausgegeben worden ist Flaccus starb in einem hohen Alter unter der Regierung des Kaisers Tiberius. Vergl. Macrob; Sat I, 16; Gell. IV, 5, 6; V, 18, 2 und Teuffels Gesch. der röm. Lit 256, 2. 3.

V, 17, 1. VergL Liv. 6, 1; Macrob. I, 16, 24; Varro L l. VI, 29 (4 p. 210 8p.) Ovid. Fast I, 55; Flut Qu. R. 22 Vol. VII, p. 92 Reisk. Dies atri (oder religiosi) waren solche, wo wegen der Erinnerung an ein allgemeines Unglück keine wichtigen Handlungen vorgenommen werden durften, wie an dem dies Alliensis. S. Gell. IV, 9, 6 und. Fest, oder solche, an denen wegen einer ungünstigen Vorbedeutung keine öffentliche Verhandlung vorgenommen werden durfte. Der Aberglaube der Römer schied n&mlich die Tage in glückliche und in unglückliche (atri) und an den letzteren durfte der Praetor nicht zu Gericht sitzen und Redit sprechen. Derselbe eröffiiete das Gericht jedesmal mit den Worten : do, dico, addico und gab dadurch zu verstehen, dass in diesen Worten seine ganze Gewalt lag, indem er nämlich (gab (dabat): Erlaubniss zur Klage, dann: das ürtheil aussprach (dicebat) und endlich dem Gläubiger das ihm Zukom- mende überwies (addicebat). Weil er nun an unglückbringenden Tagen diese drei Eröffiiungsworte nicht zu sprechen (fari) pflegte, d. h.| nicht zu Gericht sitzen dürft«, so hiessen sie: dies nefasti, jene aber dies fasti. An welchen Recht gesprochen werden durfte. Romulus hatte das Jahr (304 Tage enthaltend) in zehn Monate eingetheilt und Hess es (mit unserm dritten Jahresmonat) beginnen, mit dem Martins, entwederlzu Ehren seines vermeintlichen Vaters Mars, oder weil das Glück des jungen Staates vor-

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y. Buch, 17. Ci^., § 1. 2. (303)

Nonen und Iden folgen und die der ungebildete Haufe fälschlicher Weise „nefasti" (d. h. für Unternehmungen und gerichtliche Handlungen geschlossene) nennt, deshalb für „atri (schwarze und unheilvolle) gehalten und bezeichnet worden seien. 2. Er sagt wörtlich: „Als die Stadt (Rom) von. den sennonischen Galliern (unter Anfflhiung des Brennus, 389 v. Chr.) war zurückerobert worden, that L. Attilius im Senat folgende Aeusserung, dass, als der Eriegsoberste Q. Sulpicius die Absicht gehabt habe, den Galliern bei dem (im Sabini- schen gelegenen) Flüsschen Allia (den 16. Juli 365) eine Schlacht zu liefern, er des Kampfes wegen vorher (den Göt- tern) ein Opfer dargebracht habe (und zwar unmittelbar)

.zfi^ch auf der Gunst dieses Eriegsgottes beruhte. Nach seiner Be> Stimmung soUte jeder Monat mit dem Neumond beginnen und er liess den Tag; an welchem dieser eintrat, stets ausrufen (xaXelv^ daher Ealendae). Numa fbgte dem Jahre des Komulus noch zwei Monate hinzu, den Januar und Februar; das Jahr zu 855 Tagen. Eine neue Reform nahm 767 Julius Caesar Tor (julische Kalender) und im.l6. Jahrhundert verbesserte diesen wieder Gregor XIII. (gregorianischer Kalender). Die Kalendae (die Monats-Iihnten), die den Neumond andeuteten, waren der Mutter des Mars heilig, der Juno, welche man jedoch sehr oft mit der Luna yerwechselte, 4a man nach den Erscheinungen des Mondes die Monate bestimmte» Die Idus, welche den Monat theilten, waren dem Jupiter geweiht Dies Wort wird nach Macrob. I, 15, 17 abgeleitet von videre (Stamm YID, gr. IJ, EU^ idiiv) ^^ yiduus, weil dann der (VoU-) Mond die Nftchte erleuchtete; oder Ton dem etruskischen iduare (ID, ^ID, YED) b. dividere, weil dieser Tag den Monat theilt (im März, Mai, Juli, October der 15., in den abrigen Monaten der 13.). Die Nonen, wahrscheinlich so genannt, weil sie aUemal der Neunte Tor den Idus waren, d. h. diese stets mit eingerechnet. Man {bezeichnete damit den 5. Tag in allen Monaten und nur im M&rz, Mai, Juli und October den 7. Sie gehörten gerade so wie die auf die Kaienden, Nonen und Iden folgenden Tage unter die dies nefiistos, weil jm ihnen wahrscheinlich die Römer in verschiedenen Jahren von ver» schiedenen Unglücksfällen waren betroffen worden. 'Eine andere Ein- theilung der Tage des Jahres war die in „dies festi^, die zum Dienste einer Gottheit bestimmt waren und die „feriae" hiessen, wenn sie mehrere Tage nach einander umfassten, ]und in „dies profesti^, die zu den ge- wöhnlichen Geschäften des Lebens verwendet wurden.

y, 17, 2. Pontifices decreverunt. Dem Pontifices stand das Recht zu, über alle und jede sacrahrechtlichen Yerhältnisse [Gutachten [abzugeben. S. ac. de har. resp. 6, 12; 7, 13; pro domo 53, '136; Macrob. I, 16, 24; m, 8, 1; Liv. 5, 23; 22, 9; 27, 37; 29, 9, 20; 30, 8; 32, 1; 33, 44; Tac. JLnnal. 11, 15.

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(304) V. Buch, 17. Cap., § 2—5. 18. Cap., § 1.

gleich am Tage nach den Idus; die Folge davon sei nun ge- wesen, dass das Heer des römischen Volkes im (furchtbaren) Gemetzel niedergemetzelt worden und mit Ausnahme des Capitols drei Tage nachher die Stadt (Rom) selbst vom Feinde (unt^ dem gallischen Anführer Brennus) sei erobert worden; und sofort erhoben sich viele andere Senatoren und ver- sicherten, wie weit sie auch zurückdenken könnten, dass, so oft auch immer, unmittelbar den Tag nach den Kaienden, Nonen oder Iden, eines kriegerischen Unternehmens wegen (den Göttern) ein Opfer von der hohen Obrigkeit des römischen Volkes angeordnet wurde, ebenso oft sei nachher auch das nächste Treffen in demselben Kriege zum Nachtheil der Republik ausgefallen. Darauf verwies der Senat die ganze Angelegen- heit an die. Priester, damit diese nach ihrem Gutachten bestimmen sollten. Die priesterliche Entscheidung fiel dahin aus, dass (den Göttern) an einem dieser Tage nie ein Opfer angenehm gewesen sein werde." 3. Meistentheils hütet man sich auch (Etwas zu unternehmen) vor jedem vierten Tage, welcher den Kaienden oder Nonen oder Iden vorausgeht, gleichsam als vor einem Unglückstag. 4. Man lässt es heute noch nicht an Nachforschung fehlen, ob etwa eine alte heilige Verpflichtung sich an Einhaltung dieser Be- stimmung knüpft. 5. Ich habe weiter keine Bemerkung über diese Bestimmungen in Büchern ausfindig machen können, ausser derjenigen, die sich im fünften Buche der Jahrbücher des Quintus Claudius befindet, der daselbst meldet, dass (538 u. C. [216 V. Chr.]) die entsetzliche Niederlage (der Römer durch Hannibal) in der Schlacht bei Cannae (in Apulien) am vierten Tage vor den Nonen des August stattgefunden habe.

V, 18, L. Inwiefern der Begriff der Geschichte von dem der Jahrbücher

zn unterscheiden ist. Anführung einer auf diesen Unterschied bezüglichen

Schriftstelle aus dem ersten Buche der (ausführlichen) Geschichte des

Sempronins Asellio.

V, 18. Cap. 1. Einige sind der Meinung, es unter- scheide sich der Begi-iflf des Wortes historia (Geschichte) von dem der annales (Jahrbücher) dadurch, dass, obgleich beide Bezeichnungen die Erzählung von Thatsachen (und Vorkomm- nissen) betreffen, mit dem Ausdrucke „historia" jedoch nur

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V. Buch, 18. Cap., § 1-6. (305)

ganz eigentlich die Erzählung saleher Begebenheiten gemeint sei, bei deren Vorgang der Erzähler selbst gegenwärtig ge- wesen sei; 2. und dass dies, wie Verrius Flaccus im viei-ten Buche (seines Wörterbuches oder) seines Werkes „über die Bedeutung der Wörter" meldet, die Ansicht einiger Schrift- steller sei. Auch setzt er hinzu, dass er zwar selbst noch nicht im Klaren sei über diese Erklärung (des Unterschiedes zwischen den beiden Bezeichnungen), dass es jedoch auch nach seiner Meinung den Anschein gewinnen könne, dass diese Ansicht sich deswegen einiger Massen rechtfertigen lasse, weil man im Griechischen mit dem Worte iazogia eine (nähere, giUndliche) Bekanntschaft von gegenwärtigen (d. h. persönlich erlebten) Vorgängen bezeichnet. 3. Ich habe aber auch oft äussern hören, dass überhaupt der BegiiflF des Woites annales (geschichtliche Darstellungen) als ein all- gemeiner zu betrachten sei und den besonderen Begiiff in dem Worte „historia" schon mit einschliesse, 4. dass hingegen der Begiiif „historiae" nicht im allgemeinen Sinne zu ver- stehen sei und daher auch den Begriff der „annales" nicht mit einschliesse. 5. Gerade so wie alles das, was Mensch heisst,. nothwendiger Weise den Begiiff eines lebenden Wesens in sich schliessen muss: allein was man unter einem lebenden Wesen versteht, durchaus nicht auch ein Mensch sein muss. 6. So sagt man, dass Geschichte (historiae) zwar entweder die Darlegung oder anschauliche Schilderung vollbrachter Thatsachen sei, oder mit welchem andem Ausdruck es sonst immerhin noch zu erklären sein mag: allein geschichtliche Darstellungen, heissen eigentlich dann (nur) Jahrbücher (annales), wenn die Begebenheiten und Ereignisse mehrerer

V, 18, 2. laroQ(a von laro^^w, d. h. wissen, durch eigene Anschauung, und Erfahrung lernen und erkennen. S. Servius ad Verg. Aen. I, 378.

V, 18, 8. annales, Jahrbücher oder Geschieh ts werke, in denen der Stoff, d. h. die Hauptbegebenheiten oder die That^n und Ereignisse der Römer zu Hause und im Krieg, zu Land und zu Wasser nach den ein- zehien Jahren und also mit Berücksichtigung der Zeitfolge (Chronologie) abgehandelt und verzeichnet stehn. Solche glatte, einfache Jahresberichte (annales) können weder zur Aufinunterung, noch zur Warnung dienen^ wie im § 9 von Sempronius richtig bemerkt wird. S. Teuffels röm. Lit. § 87, 4.

G e 1 1 i u s , Attische NÄcht^». 20^

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(306) V. Buch, 18. Cap., § Ö-9.

Jahre, mit (strenger) Beobachtung der Reihenfolge jedes ein- zelnen Jahresabschnittes nach einander zusammengestellt (und schriftlich abgefasst) werden. 7. Wenn nun aber die Vorgänge nicht allein den Jahren nach geschildert werden, sondern die Beschreibung sogar auf jeden einzelnen Tag sich erstreckt, dann wird eine solche geschichtliche Schilderung mit einem griechischen Ausdruck iq^rjinsQig (Tagebuch, Journal) belegt, wofür sich eine lateinische Erklärung im ersten Buche des Geschichtswerkes von Sempronius Asellio vorfindet., aus dessen Werke ich hier einige Stellen beifüge, um nebenbei daran gleich deutlich zu zeigen, welchen Unterschied dieser selbst zwischen den beiden Begriffen gemacht hat, zwischen dem einer Schilderung von Heldenthaten und dem einer Zu- rechtlegung von Ereignissen nach Jahresvorgängen. 8. Da sagt er: „Zwischen denen, die nur Annalen hätten liefern wollen und denen, die es unternommen hätten die Thaten der Eömer zu beschreiben, war vor Allem folgender Unterschied : Die Annalen bildeten eine genaue Angabe Alles dessen, was geschah und in welchem Jahre es vorfiel, d. h. gerade so, wie wenn man ein Tagebuch, oder wie es bei den Griechen heisst: eine Ephemeride (ein Journal) schreibt. Nach meinem Dafürhalten aber dari ich mir (durchaus) noch nicht genügen lassen nur die nackte Thatsache zu berichten, sondern auch (näher und ausführlicher) anzugeben, in welcher Absicht und nach welchem Plane Alles vollbracht wurde." 9. Kurz darauf- fährt derselbe Asellio in demselben Buche so fort: ^Denn solche sogenannte Jahrbücher sind durchaus nicht von so bedeutendem Einfluss, dass deshalb entweder Einer auf irgend eine Weise zu grösserem Eifer für Vertheidigung des Staates angespornt, noch irgend ein Anderer mit grösserem Abscheu gegen 'VoUbringung eines Unrechts erfüllt werden könnte. Allein eine Beschreibung liefern, unter welchem

V, 18, 7. Sempronius AseUio vergl. GeU. 1, 13, 10 NB. und 8. Teuffels röm. Lit. § 37, 8.

V, 18, 9. Rogatio (vergl. Gell. X, 20, 7; V, 19, 8), Vorlesung des (Frag-) Antrags (durch den Magistrat). Die Fassung war der Form nach verschieden : 1) bei wählenden (tribunos rogare), 2) bei legislativen G^e°^ rogare), 3) bei richtenden (irrogare multam) Comitien. üeber lex s. Gell. X, 20, 2 NB.

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V. Buch, 18. Cap., § 9. 19. Cap., § 1—3. (307)

Consul ein Krie^ begonnen und unter welchem er zu Ende geführt wurde, und wer unter feierlichstem Gepränge seinen Einzug gehalten; und in dem Werke Alles herzuzählen, was in einem solchen Kriege vorgefallen ist, dabei -aber zugleich nicht auch ausdrücklich hervorzuheben, entweder was (wäh- rend dessen) der Senat beschlossen, oder welches Gesetz (lex), oder welcher Antrag (rogatio) gestellt wurde, noch unter welchen (verhältnissmässigen) Absichten dies Alles vor sich ging: das Alles würde heissen Knaben Erzählungen auftischen, nicht aber ein Geschichtswerk schreiben."

T, 19, L. Ueber die doppelte Art der Annahme an |Kindesstatt, wenn sie ^,adoptio", oder wenn sie „arrogatio** heisst, und inwiefern sich diese*beiden Arten von einander unterscheiden. Ferner genaue, nähere Angabe, wie •das [Gesuch wörtlich lauten musste, wenn einer bei der Ankindung (von Mundigen und Selbständigen) 'in Betreff des Ansuchens zur Bestätigung dieses Arrogations - Actes die nöthige Anfrage [an das Volk (durch den Pontifex Maximus) stellen lässt.

V, 19. Cap. 1. Wenn neue Mitglieder in einer anderen Tamilie an Kindesstatt angenommen werden sollen, so kann dieser Act nur durch den Praetor, oder durch das Volk voll- zogen werden. 2. Geschieht dies durch Yermittelung des Praetors, so heisst diese Annahme an Kindesstatt adoptio, wenn sie aber mit Einwilligung des Volkes geschah, so hiess £ie arrogatio. 3. Als durch Adoption an Kindesstatt an- genommen gelten aber (noch nicht selbständige Familien- glieder) dann erst, wenn sie von ihrem rechten Erzeuger, in dessen (väterlicher) Gewalt sie stehen, durch die zu rechtbe- stehende Handlung eines dreimaligen (Schein-) Verkaufs ab-

y, 19, L. Die Pontifices spielten eine wichtige Rolle bei allen Be- scbliessmigen heiliger und weltlicher <Art, und es kam bei allen Ehe- Adoptlons-, Erbschafts- und B^äbnissangelegenheiten viel auf ihr Gut- achten an. Vergl. Gell. Vn (VI), 12, 1; XV, 27, 1. 3 und hier § 8 u. 9.

V, 19, 1. (xesetzlich ist eine Ankindung (adoptio) nur dann, wenn sie unter öffentlicher Auctorit&t, durch die [obri^dtliche Behörde geschah, Wenn ich einen Menschen nur privatim [an Eindesstatt annehme, so hat diese Handlung die Rechte der Adoption nicht, und das angenommene Sind heisst nicht adoptiYus, sondern ein Pflegekind, alumnus.

V, 19, 8. Auf solche Weise: per aes et libram (adoptirte Augustus den Cajus und Lucius. S. Suet Aug. 64.

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(308) V. Buch, 19. Cap., § 3—7.

getreten werden und dann von dem (neuen oder) ankinden- den Vater rechtmässig beansprucht und angenommen werden und zwar vor der betreffenden Behörde, vor welcher diese Rechtshandlung immer erst zum Austrag kommen muss. 4* Als durch AiTOgation an Kindesstatt angenommen gelten die, welche als eigene, selbständige Herren sich in fremde Ge- walt (ihres Adoptiv- Vaters) begeben und (wegen ihrer Selbständigkeit und Mündigkeit durch ihre eigene Einwilli- gung selbst) erst die eigenen Bestätiger des Vollzugs werden müssen. 5. Dergleichen Annahmen an Kindesstatt durch Arrogation dürfen aber nicht ohne reifliche Ueberlegung und nicht ohne genaue Untersuchung der rechtlichen Gr(\nde stattfinden: 6. nach vorausgegangener Anzeige bei dem Prie- stercoUegium und nach Einholung dessen Begutachtung werden nämlich zu diesem Zwecke der anogatio erst sogenannte Curiät-Comitien abgehalten, woselbst reiflich erwogen wird, ob der Adoptiv-Vater in demjenigen Alter sich befinde, wo er vielmehr selbst noch vermögend sei, Kinder zu zeugen; ob nicht List und Betrug obwaltet und es nur auf die Güter und Reichthtimer dessen, der durch arrogatio an Kindesstatt angenommen werden soll, abgesehen ist. Auch soll von dem Pontifex maximus Q. Mucius eine feierliche Eidesformel abgefasst worden sein, die bei dem Vorgange der arrogatio gesetzlich abgelegt werden musste. 7. Allein Nie- mand konnte durch die arrogatio an Kindesstatt angenommen

y, 19, 4. Nehme ich einen patrem familias, einen hominem sui juris zu meinem Kinde an, so ist es eine arrogatio. Der Arrogirte verlor seine Selbständigkeit und |kam unter die väterliche Gewalt seines Adoptiv- vaters, erlitt also dadurch eine capitis deminutio , weshalb auch seine eigene Einwilligung dazu erforderlich war. Nehme ich aber einen filium familias an Kindesstatt an und bringe ibja. aus seines Vaters Gewalt in die meinige, so heisst dies adoptio in engerer Bedeutung. Eine Frau ist ziur wahren Adoption unfähig, weil sie keine väterliche Gewalt haben kann.

V, 19, 6. Curiat-Comitien s. Gell. XV, 27. -= V, 19, 6: ob der Ankindende selbst vielmehr noch zum Kinderzeugen tauglich sei, oder ob man nicht etwa gar nur das Vermögen des Angelandeten durch List und Betrug zu erhaschen suche. S. Cic. pro dom. 10 u. 13; Ulpian 15 § ?. 3. und 17 princ. D. de adopt.

19, 7. SavigD. B. R, Bd. III p. 62. Es werden bei Juristen und Nichtjuristen die Ausdrücke praetextatus (oder investis) und impubes.

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V. Buch, 19. Cap, § 7-10. (309)

werden, der nicht vesticeps, d. h. noch nicht völlig mannbar irar. 8. Weil diese Art der Vornahme eines solchen Ueber- tritts eines (mündigen, selbständigen) Mitgliedes in eine andere Familie vermittelst der Anfrage (des Pontifex maximus) beim Volke (per populi rogationem) geschah (und zwar öffent- lich in den Curiat-Comitien) , so hiess diese Art der Ankin- dung „adrogatio". 9. Der Wortlaut der dabei gebräuchlichen Anfrageformel ist folgender: „Nach eurer Genehmigung uud Verordnung werde nun Lucius Valerius dem Recht und dem Gesetze nach gerade so Sohn des Lucius Titius, als ob er väterlicher- und mütterlicherseits dessen leiblicher Familien- spross sei, und dass in Folge davon der Ankindende (Adoptiv- vater) die volle Gewalt über dessen Leben und Tod (jus vitae necisque) erhalte und ganz so in dasselbe Recht ein- trete, wie es dem leiblichen Vater am eigenen Sohne zusteht. Um Erfüllung des so eben von mir Ausgesprochenen bitte ich Euch, ihr edlen römischen Bürger, Alle." 10. Allein weder Unmündige noch Frauen, die ja nicht unter väterlicher Ge-

fiowie vesticeps und pubes als ganz gleichbedeutend angenommen. Festus : yesticeps puer, qui jam vestitus est pubertate: et contra investis, qui necdum pubertate vestitus est Auch war es die alte Rechtsregel, dass nur puberes arrogirt werden durften. G^j. I § 102; Ulpian VIII § 5. Diese Regel wird hier also bei Gellius durch: sed arrogari non potest, nisi jam vesticeps (erste Bekleidung des Kinns, mannbar) ausgedrückt. Yergl Appul. Apolog. 98; Paulus 368, 9 M; Tertull. de an. 56.

y, 19, 8. Man nannte also die Aufiiahme eines andern Familiengliedes in seine Familie deswegen arrogatio, weil bei diesem Geschäfte der Praetor und die Betheiligten sich beständig durch Fragen und Antworten gleichsam unteiTedetei'. Daher unser deutsches Wort „Anfrage" das lateinische arrogatio sehr gut ausdruckt. Plaut Rud. Y, 2, 25. Niemand aber konnte ohne Genehmigung des Volkes seinen Stand und seine heiligen Gebräuche verändern, weswegen diese Rechtshandlung der arrogatio in den comitiis curiatis, d. h. wo nach Curien abgestimmt wurde, durch eine Anfrage bei dem Volke (per populi* rogationem) von dem Pontifex maximus in der § 9 erwähnten Formel geschehen musste.

V, 19, 9. S. Cic pro dorn. 29, 77; Dion. Hai. D, 26. 27; VID, 79. Ein Vater konnte auf eigene Hand ein Gericht über seine Söhne halten und sie zum Tpde verurtheilen , oder in die Sklaverei verkaufen. Ueber das dabei zu berufende Familiengericht vergl. Val. Max. V, 8, 2. 8; Dion. Hai. 8, 79; Liv. 2, 41; epit 54; Plin. 34, 4, 9 § 15; Sen. de dem. I, lö. (A. Forbiger.)

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(810) ^ V. Buch, 19. Cap., § 10—15.

walt stehen, können arrogirt werden, theils weil (diese feier* liehe Handlung in den Gomitien vor sich gehen musste und) Frauen (die ja, als nicht selbständig, ihren Willen auch deshalb nicht vor dem Volke erklären konnten), durchaus auch in keiner gemeinschaftlichen Rechtsbeziehung zu den Gomitien standen, theils weil das Recht und die Macht der Vormünder (tutores) sich nicht so weit über ihre (zu ver- tretenden) Mündel erstreckte, dass ein freier, unabhängiger Mensch, der ihrer Treue und ihrem Schutze anvertraut worden war, einer anderen Macht und Gewalt unterthänig gemacht werden durfte. 11. Dass aber Einer aus dem Stande der Freigelassenen von einem fremden Manne durch Adoption ge- setzlich an Kindesstatt angenommen werden könne, schreibt Masurius Sabinus. 12. Weiter aber setzt er noch hinzu, das» es durchaus nicht gestattet sei, noch seiner Ansicht nach ge- stattet werden dürfe, dass Leute aus dem Freigelassenstande durch eine solche Annahme an Kindesstatt jemals ganz in die Rechte derer eintreten , die von freien Aeltem geboren sind. 13. „Wenn übrigens", sagt er, „diese gute alte Rechts- sitte nicht verletzt wird, kann auch ein Sklave von seinem Henii unter Beisein und Zuthun des Praetors zur adoptia entlassen werden (dari in adoptionem)." 14. Nach seiner Behauptung findet sich die Möglichkeit dieses Rechtsfalles sogar bei vielen Erforschem der alten Rechtsgebräuche schriftlich verzeichnet. 15. In der Rede des P. Scipio, welche er als] Sittenrichter vor dem [Volke „über (gute, alte) Sitte und Zucht" gehalten hat, ist uns auch noch die Andeutung im Gedächtniss geblieben, dass Scipio unter den vielen Verstössen und Unzuträglichkeiten, welche er eben deshalb besonders seinem Tadel unterzog, weil sie den An- ordnungen der Vorfahren zuwiderlaufen, auch gerade über diesen besonderen, möglichen Fall seine Missbilligung laut zu erkennen gegeben, dass ein Adoptiv-Sohn bei den Vor- rechten zwischen den (beiden) Vätern (und bei den Gefühlen und Verpflichtungen zur kindlichen Dankbarkeit gegen beide) sehr oft

y, 19, 15. Vergl. Heinecc. antiq. Rom. p. 220 § 58; desgl. p. 170 § 8; Ammian MarceU. hist 19, 11: professio (censualis).

y, 19, 15. yergl. ly, 20, 10. Publ. Scipio Aemilianos ermahnt das \o\k in eindringlicher Rede zur Bewahrung von den Sitten der yorfahren.

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V. Buch, 19. Cap., § 15. 16. - 20. Cap., § 1-3. (31 1>

dem Adoptiv- Vater (vor dem leiblichen Vater) den Vorzug einräume. 16. Diese Aeusserung lautet in der (besprochenen) Rede wörtlich also: „(Es scheine ihm unbedingt höchst tadelnswerth), dass ein Vater in einer anderen Tribus seine Stimme abgebe und dessen leiblicher Sohn wieder in einer anderen; [femer (rügt er die eingerissene Gewohnheit), dass der Adoptiv -Sohn sehr oft gerade so zum Nutzen seines Stiefvaters auftrete, als ob [er sich für den wirklichen (leib- lichen) Sohn desselben ansähe; endlich (tadle er auch noch) die Zulässigkeit (und stillschweigende Genehmigung) der Ein- schätzung von den Nichterscheinenden , so dass das persön- liche Erscheinen vor dem Census fast gar nicht {erst Imehr für nothwendig erachtet wui-de." (sc. weil das Ifichtei-scheinen doch Niemanden von seiner Verpflichtung befreien und der- selben überheben könne).

V, 20, L. Welchen lateinischen Ausdruck Capito Sinnius zur Bezeichnung^

des Wortes „'soloecismus** gebraucht hat, welche Bezeichnung aber die

alten Lateiner dafür 'gehabt [hätten; wie endlich derselbe Capito ßinnia»

das Wort „soloecismus'^ wörtlich erklärte.

V, 20. Cäp. 1. Von Sinnius Capito und einigen Anderen seiner Zeitgenossisn wurde der Ausdruck „soloecismus*' durch das Wort „imparilitas" (Ungleichheit, Unverhältnissmässigkeit) erklärt; von den älteren lateinischen Schriftstellern aber mit dem Worte stribiligo " bezeichnet, offenbar von der ver- drehten (ungeschickten) Wendung einer verworrenen (und verkrümmten) Ausdrucksweise, gleichsam als eine Art voft Geschraubtheit: strobiligo. 2. Von diesem Sprachfehler giebt Sinnius Capito in seinen an den Clodius Tuscus gerichteten Briefen folgende wörtliche Erklärung : „Das Wort „soloecismus" bedeutet eine (grammatisch) unrichtige und unpassende Zu- sammenfdgung der Redetheile (d. h. einen Schnitzer wider die Syntax). 3. Da dieses Wort „soloecismus** offenbar ein

V, 19, 16. Vergl. Gell, ü, 8, 13 NB. Savigny. Lange röm. Alterth. § 84 p. (580) 677 : In späterer Zeit konnte man sich , wie aus der Be- mfungsformel (Varro 1. 1. 6, 86) hervorgeht, heim Census durch einen Andern vertreten lassen, also absens censerL

V, 20, 1. axQoßikog, Kreisel. üeber Sinnius Cq)ito s. TeufFcla Oesch. der röm. Lit 255, 2.

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(3ia) V. Buch, 20. Cap., § 3—7. 21. Cap., § 1—4.

griechischer Ausdruck ist, so hat man schon oft die Frage aufgeworfen,' ob dieser Ausdruck bei den wegen ihrer grösseren Sprachreinheit bekannten Attikern in Gebrauch gewesen sei. 4. Allein weder den Ausdruck „soloecismus" noch der andere (gleichbedeutende) „barbarismus'* hat mir bis jetzt gelingen wollen, bei irgend einem der griechischen Mustei*schriftstelier ausfindig zu machen; 5. wiewohl die Griechen zur Bezeich- nung dessen, der ausländisch d. h. schlecht oder fehlerhaft griechisch sprach, ebensogut das Wort ßdqßaQog^ als auch coXomog (verdreht) gebrauchten. 6. Vielleicht bedienten sich unsere älteren Schriftsteller auch wohl (öfters) des Ausdrucks „soloecus'', ob sie aber auch „soloecismus** sagten, weiss ich nicht. 7. Demnach kann weder in der griechischen noch in der lateinischen Sprache das Wort „soloecismus** für einen richtigen Ausdruck gelten.

V, 2], L. Dass die, welche sich der Wortformen: „pluria" |uiid y^com-

pluria" und „compluriens*' bedienen, sieh nicht fehlerhaft ausdrücken,

sondern echt lateinisch.

V, 21. Cap. 1. Ein ausserordentlich gelehrter Freund von mir bediente sich zufälliger Weise in der Unterhaltung der Wortform: pluria, wahrlich nicht (in der Hitze des Gefechts oder) im lei<lenschaftlichen Eifer, Auffallen zu erregen und auch nicht, als ob er damit hätte andeuten wollen, dass (die andere Form) plura nicht dürfe gesagt werden.* 2. Derselbe ist näm- lich ein Mann, dessen ganze Unterrichtsthätigkeit nur den Ernst des Lebens mit (all) seinen Verpflichtungen streng im Auge behält und nicht mit blossen Wortklaubereien sich ab- müht. Wahrscheinlich aber war gerade dieser, einer älteren Sprechweise angehörende Ausdruck (zufällig in meines ge- lehiten Freundes Gedächtnisse) hängen geblieben, da er ihn, bei seiner beständigen Beschäftigung mit alten Schriftsteilem, in deren Werken sicher oft gelesen hatte. 4. An dem Tage jedoch, wo mein Freund diese Wortform zufällig gebrauchte» war gerade auch ein vorlauter Silbenstecher zugegen, der sich einige sehr geringe und ganz gewöhnlich verbrauchte Kenntnisse zusammengesucht hatte und bisweilen auch wohl von seinen aufgeschnappten, unbedeutenden Bemerkungen über grammaticalische Regeln einige Ohrenschmäuschen zum

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V. Buch, 21. Cap., § 4-7. (313)

Besten zu geben pflegte and, so oft er sich etwa (gelegentlich) hatte an Einen heranmachen können, einem Solchen mit diesen seinen theils unverdauten und mangelhaften, als auch meist unrichtigen Brocken Sand in die Augen zu streuen {und gleichsam am hellen Tage blind zu machen) suchte. 5. So wie nun darauf dieser (oberflilchliche Mensch in yor- wurfsvollem Tone) zu meinem Freunde zu sagen wagte: „Du hast Dich des fehlerhaften Ausdrucks „pluria" bedient: denn diese Wortform hat weder das (grammaticalische) Sprach- gesetz, noch (irgendwelche) entscheidende Beispiele (aus Schriftstellern) für sieh"; 6. so erwiderte ihm alsbald mein Freund dai*auf ganz freundlich: „Lieber Mann, da ich eben jetzt von weit ernsteren Dingen nicht abgehalten bin, so werde ich mich unendlich über dich freuen (amabo te), wenn mir jetzt der Wunsch erfüllt würde, von Dir eine Erklärung (darüber) zu erhaJten, wainim die beideij) Wortformen pluria oder compluria, denn im Grunde genommen ist doch zwi- schen ihnen kein grosser Unterschied, als nicht gut la- teinisch , sondern fehlerhaft gebraucht worden sein sollen von Männern wie M. Cato, Q. Claudius (Quadrigarius), Va- lerius Antias, L. Aelius, P. Nigidius, M. Varro, die ich Dir alle als Begünstiger und Billiger dieser Wortform aufweisen kann, ohne noch der (anderweitigen) grossen Anzahl alter Dichter und Redner zu gedenken." 7. Bei seiner grossen Anmassung liess sich nun jener (Laffe) noch zu folgender weiterer Aeussening hinreissen : „Behalte sie immer für Dich (Deine Masse von Beispielen) und lasse Dich begraben mit all Deinen Musterschriftstellern aus den Uraeiten der Wald- götter und Stammahnen (ex Faunorum et Aborigenum saeculo)

y, 21. 7. Faunus, uralter lateinischer König, Enkel des Satumus, Sohn des Picos und Vater des Latinus ; später eine Gottheit, von der man im Haine bei Albunea Orakel einholte. Aborigines (gr. (WTo^Oort^^ y die Ureinwohner, theils überhaupt jedes Landes, theils die ältesten Völker Italiens, die höchst wahrscheinlich aus Phönizien dahin kamen, und einen Theil der Künste weit früher mitbrachten, als sie selbst den Griechen bei ihrer ersten Einwanderung (der Pelasger) bekannt waren und die wir noch an den Ueberbleibseln etraskischer Künstler bewundem. Der Name wird abgeleitet theils von Origo (Ursprung), oder von erro, ich irre, ich schweife herum, daher sie also eigentlich Aberrigines heissen sollten. (Cfr. Gell. I, 10, 1 NB.)

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(314) V. Buch, 21. Cap., § 7—15.

hervorgeholt (und mit Haaren herbeigezogen) und wende mir etwas gegen folgende (feststehende) Regel ein: 8. Kein im Comparativ stehendes Beiwort hat vor dem a im Neutrum de& Nominativus Pluralis eini (d. h. keins endigt sich auf ia), wie dies schon beispielsweise bei den Wörtem: meliora, majora, graviora zu sehen ist. Daher darf auch nur plura und nicht pluria gesagt werden, damit nicht gegen die gewöhnliche Regel Verstössen wird, wenn man vor dem End-a ein i einschaltet**

9. Darauf erwiderte nun mein Freund, da er diesen un- verschämten Menschen jeder weiteren Erwiderung für un- würdig erachtete, (im Allgemeinen Folgendes): ,.Von dem höchst gelehrten Sinnius Capito sind; wie ich meine (dass es- Jedem bekannt sein muss), viele Briefe im Heiligthum dea Friedenstempels in einem (grossen) Bande niedergelegt.

10. Dem ersten, anPacuvjiusLabeo gerichteten Briefe ist die Au&chrift vorgesetzt: „„dass man pluria, nicht plura sagen müsse."'' In diesem Briefe hat er zugleich grammatische Sprachgesetze aufgestellt, nach welchen er darlegt, dass die Wortform „„pluria**" gut lateinisch sei, plura aber fehlerhaft. 12. Deshalb verweise ich Dich (in, diesem Falle) geradezu an Capito selbst 13. Wenn nun aber Dein Begriffsvermögen überhaupt so weit reichen sollte, so will ich (in diesem gün- stigen Falle) Dich auch noch auf jene schriftliche Bemerkung aufinerksam gemacht haben, dass pluria oder wie Du willst plura ein ganz einfacher Positiv und durchaus nicht ein Com- parativ ist, wie Du doch anzunehmen scheinst. 14. Diese Ansicht des Sinnius findet auch noch in dem Umstand eine Unterstützung, weil, wenn wir das Wort complures (mehrere) brauchen, wir es nie mit der Bedeutung eines Comparativ» sagen (sondern in dem Sinne für: Einige). 15. Aus dem von complures abgeleiteten compluria ist nun wieder das Adver-

y, 21, 9. Pacis templum, Friedenstempel. Dieser TonVespasian erbaute, mit goldenen und sübemen Weibgeschenken und mit vielen Statuen und Gemälden geschmückte reichste aller Tempel wurde unter dem (von 180—192 regierenden) Kaiser L. Aurelius Commodus ein Raub der Flammen. 8. Herodian 1, 14. In diesem Tempel der Friedensgöttin (Fax) be&nd sich eine Bibliothek. Cfr. Gell. XVI, 8, 2; Treb. Pollio 80 Tyrann. 81.

y, 21, 10. Pacuvius Antistius Labeo, Vater des berühmten Juristea Antistius Labeo, selbst auch Jurist, s. Teuffels röm. Lit. Gesch. 199, 6.

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V. Buch, 21. Cap., § 16. 17. (315)

bium compluriens gebildet worden. 16. Weil dieses Adverbium aber seltener im Gebrauch ist, setze ich gleich einen Vers (als Beleg) bei aus des Plautus Lustspiel, welches die Auf* schiift führt: „Der Perser" (Plaut. Pers. IV, 3, 65 (534):

T. quid metolB? D. Metuo hercle yero; sensi ego jam compIurieDS.

T. Hast Da Ge&hr?4*D. Gefahr genug beim Hercules; ich habe erfahren

mehrmalB schon.

17. [Auch M.*Cato hat im 4. Buche seiner „Urgeschichte"^ an einer und derselben Stelle das Wort compluriens dreimal gesetzt : „Oftmals (compluriens) brachten sich viele ihrer Mieth- Soldaten gegenseitig unter einander um ; oftmals (compluriens) liefen viele zugleich zu den Feinden über; oftmals (compluriens) lehnten sie sich (auch' wohl) gegen ihren Feldherm auf.^

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VL (vn.) Bücn.

VI (VII), 1, L. Einige ans den Jahrbüchern entlehnte, merkwürdige Be«

gebenheiten über den älteren P. Scipio Africanus (iind Bericht über ein

Wnnderzeichen vor seiner Gebnrt).

VI (VII), 1. Cap. 1. Eine ebenso Iherkwürdige Begeben- heit, wie sich über die Olympias, die Gemahlin d^s Königs Philipp und Mutter des Alexander, in der giiechischen Ge- schichte verzeichnet findet, ist auch die, welche man sich von der Mutter des P. (Conielius) Scipio erzählt, der zuerst mit dem Beinamen der AMkaner genannt wurde. 2. Denn sowohl C. Oppius als auch Julius Hyginus und desgleichen noch Andere, welche das Leben und die Thaten dieses AM- kanus beschrieben haben, berichten, dass seine Mutter lange für unfruchtbar gehalten wurde und auch selbst P. Scipio, mit dem sie vermählt war, alle Hoffnung aufgegeben hatte, von ihr Kinder zu bekommen. 3. Als sie nun aber in der Folge, während der Abwesenheit ihres Mannes, einmal in dem Schlafgemach auf ihrer eheweiblichen Lagerstatt so ganz

VI (VII), 1, L. Stammbaum der Gomelier siehe GeU. IV, 18, 12 NB.

VI (Vn), 1, 1. S. Plutarch: Alexander p. 665; Ludan: Der fidsche Prophet p. 751 ; Aurel. Victor. 41, 17.

VI (VII), 1. 1. Gajus Oppius war ein Freund Caesars und wird für den Verfasser der Bücher über den alexandrinischen , hispanischen, afrikanischen Krieg gehalten (Suet Gaes. 56), welche Andere dem Hirtius zuschreiben. VergL Teuffels röm. Lit. 194, 2 über Oppius. Ueber Hyginus 8. GeU. I, 14, 1.

VI (VII), 1, 3. Haruspices (Etrusci). Die Weissager (Priester) Etruriens waren berühmt. Sie weissagten aus den Eingeweiden der Opfer- thiere. Ihre Aussprüche waren meist immer zweideutig, denn Zweideutig- keit ist und bleibt zu allen Zeiten eine der besten Stützen der Wahrsager und religiösen Jongleurs. Gell. IV, 5, 2; XIV, 1, 38. S. Aurel. Vict. 49, 1; Liv. epit 26; Plin. 16, 85.

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VL (Vn.) Buch, 1. Cap., § 3—7. (317)

allein lag und dabei eingeschlafen war, sei eine grosse Schlange, die unvennuthet neben ihr gelegen, bemerkt wor- den. Dieselbe sei aber auf das Geschrei Derer, die sie zuerst erblickt hattep und darüber erschrocken waren, un- vermerkt entwischt, ohne dass man sie je wieder habe ent- decken können. Diesen Umstand habe nun P. Scipio den Opferpriestem mitgetheilt und diese hätten nach vollbrachtem Opfer den Ausspruch gethan und ihm die Versicherung ge- geben, er solle sich darauf gefasst machen, dass er noch Kinder bekommen werde, 4. und nicht viele Tage nachher, als diese (merkwürdige Erscheinung der) Schlange im Bette war gesehen worden, habe seine Frau auch wirklich deutliche Anzeichen und das Vorgefühl einer Fruchtempfängniss ge- spürt; sie sei später nach 10 Monaten niedergekommen und habe eben unsern P. (Cornelius Scipio) Africanus geboren, der den Hannibal und die Garthaginienser im 2. punischen Kriege besiegte. 5. Im Allgemeinen war man aber doch der Meinung, dass dieser (Scipio Afiicanus) bei weitem mehr wegen seiner Thaten, als wegen des (bei seiner Geburt voraus-, gegangenen) Wunderzeichens, als ein Mann von so himm- lischer Tugendhaftigkeit sei geschätzt worden. 6. Ohne gi*osses Bedenken füge ich auch noch folgende Mittheilung hinzu, welche jene, oben von mir eben namhaft gemachten (zwei) Schriftsteller verzeichnet haben, dass nämlich benannter Scipio Africanus die Gewohnheit gehabt habe, gegen Ende der Nacht, vor dem Morgengrauen, häufig ins Capitol zu kommen und sich das Heiligthum (der Kapelle im Tempel) des Jupiter auf- schliessen zu lassen und daselbst eine geraume Zeit vei*weilte, als ob er über das Wohl der Staatsangelegenheiten mit (dem grossen, allmächtigen) Jupiter zu BAthe ginge, und dass die Hüter dieses heiligen Tempels stets darüber ganz wunderbar erstaunt gewesen , dass , wenn er um diese Zeit oft so allein in das Capitol eintrat, die Hunde, die sonst gegen jeden an- dern (fremden Eindringling) wütheten und tobten , nur ihn weder anbellten noch gar anfielen. 7. Uebefhaupt schieu

VI (YII), 1, 6. cella JoyIb, die Kapelle im Tempel des Jupiter, wo das Bild dieses Gottes stand. JPlutarchs L. Paullus Aemilius p. 257 ; Liv. opitom. "0; Aurel, Victor. 49, 2; Val. Max. I, 2, 2; Quintil. 11, 4, 19.

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<318) VL (Vn.) Buch, 1. Cap., § 7—11. 2. Cap., § 1,

«ein ganzes Reden und Thun, das Jeden mit Bewunderung -erfüllen musste, die im Volke über den Scipio (allgemein) verbreitete (ausserordentliche) Meinung nur zu bestätigen und zu beweisen. 8. Davon will ich nur noch ein zur Bekräftigung <des Gesagten) geeignetes Beispiel beibringen. Einst be- lagei*te und berannte er eine Stadt in Spanien, die durch ihre (vortheilhafte) Lage, durch (ihre vorzüglichen) Festungs- werke, durch (ihre tapfere) Vertheidigung noch vollständig widei'standsfähig und stark befestigt, ausserdem auch mit dem nöthigen Lebensbedarf noch sehi- reichlich versehen war und deshalb durchaus keine Hoffnung zur (Uebergabe oder) Ein- nahme bpt. Und so sass er eines Tages im Lager an einem Platze, wo man von Weitem diese Stadt übei-sehen konnte, auf dem Bichterstuhl , um Becht zu sprechen. 9. Da nun «teilte einer von den Soldaten, die bei ihm vor Gericht stan- den, die gewöhnlich gebräuchliche Frage, welchen Tag und Ort er wohl dazu anberaume , dass die zur gegenseitigen Verständigung und zum völligen Austrag nöthige Gerichts- verhandlung abgehalten werden solle. 10. Da nun streckte Scipio die Hand aus, in der Richtung nach dem Zwingschloss von der belagerten Stadt hin und sagte (in aller Ruhe): üebei-morgen mag man sich dort drüben zum Tennin vor Oericht einstellen. 11. Und so geschah's auch: am dritten Tage, auf welchen der Gerichtstag anberaumt war, wurde die Stadt erobert, und an demselben Tage sass er auch noch auf dem Schlosse dieser Stadt zu Gericht und sprach Recht.

YI (VII), 2, L* Ueber einen schmählichen ^ Irrthom des Caesellias Vindex,

den ich in seiner Schrift fand, welche er unter dem Titel verfasste:

Sammlang und Erläuterung 9,von alten^Ausdrucksweisen".

VI (VII), 2. Gap. 1. In der ausserordentlich berühmten Sammlung und Erläutei-ung „von alten Ausdrücken*, deren

VI (YII), i; 8. Nach des Yalerias Maximns Angabe IIb. UI, 7, 1. soU Badla in Lu£itanien Qjetzt Bad^joz),^ zwischen Portugal und Neu-Gastilien in Spanien diese Stadt gewesen sein.

VI (Vn), 1, 11 vergL YaL Max. UI, 7, 1; Plutarch: Deoksprüche der Römers.

VI (VU), 2, 1. üeber Caesellius Vindex „commentarii lectionum anti«

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VI. (VU.) Buch, 2. Cap., § 1—9. (319)

Verfasser Caesellius Vindex ist, ein Mann, der sonst wahrhaftig (gewissenhaft) auf Alles achtet, fand ich ein häss- liebes Versehen. 2. Dieses Versehen ist nun Vielen ent- gangen, obgleich man sonst, oft auch nur aus reiner Bös- willigkeit (und Ghikane) Allerlei ausstöberte, was sich bei Caesellius etwa Tadelnswerthes fand. 3. Caesellius schrieb nun aber, dass Q. Ennius im 13. Buche seiner „Annalen (Jahrbücher)" das Wort „cor" (fehlerhafter Weise) im männ- lichen Geschlecht gebraucht habe. 4. Es folgt (hier von mir) die Anführung von des Caesellius eigenen Worten: „Ennius gebrauchte den Ausdruck cor und noch viele andere, als ob sie männlichen Geschlechts seien: denn im 13. Buche seiner Jahrbücher sagte er: quem „cor" (was für ein Herz, welche Gesinnung)." 5. Gleich darauf schreibt er zum Beleg die beiden (darauf bezüglichen) Verse des Ennius bei :

Hannibal audaci com pectoro de me hortator, Ne bellom faciam: quem credidit esse rneom cor?

Hannibal, sonst doch voll Muth, er mahnt von des Kriegs Unternehmung Jetzo offen mich ab: was nur hält er von meiner G^innung?

6. Der Sprecher hier ist der asiatische Herrscher Antiochus, welcher ganz erstaunt und ausser sich vor Erregung darüber ist, dass der Garthager Hannibal ihn von! der Absicht, die Römer mit Krieg zu überziehen, ernstlich abzurathen sich unterfängt. 7. Caesellius aber fasst die Verae in dem Sinne auf, als ob Antiochus damit Folgendes hätte sagen wollen: Hannibal dringt in mich, ich soll keinen Krieg an- fangen. Nach dieser seiner Handlungsweise (zu schliessen,) meint er, dass ich, (eben solche) gleiche Gesinnung hege und ist wohl gar in dem Glauben, dass ich wirklich gar so ein- fältig bin, weil er mich dazu überreden will? 8. So lautet nun allerdings die Auslegung des Caesellius, aber der Sinn der Worte ist bei Ennius bei Weitem ein anderer. 9. Denn bei Ennius sind es nicht zwei Verse, sondern drei, die zur

quarum,« s. Teuffels röm. Lit Gesch, 338, 4; Gell. II, 16, 5 ff.; III, 16, 11; XI, 15, '^ ff; XX^ 2, 2 und vielleicht auch auf dieselbe Schrift be- züglich IX, 14, 6; XVra, 11.

VI (VII), 2, 6. S. über^Antiochus GeU. IV, 18, 3 NB.

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(320) VI. (VII.) Buch, 2. Cap., § 9-12.

Vervollständigung des Gedankens gehören, von denen Cae- sellius freilich den dritten gar nicht in Betracht gezogen:

Hannibal aadad cum pectore, de me hortatur, Ne bellum faciam, quem credidit eese meum cor Suasorera summum et studiosum robore belli.

(Dadurch kommt nun folgender andre Sinn der Worte zu Tage :)

Hanaibal sonst doch voU Muth, er mahnt von des Kriegs Unternehmung Plötzlich mich ab nun: er, den mein Herz als ärgsten Anrather Immer zu finden geglaubt und voller Vertrauen auf die Kriegsmacht

10. Folgendes also ist, wie ich meine, der Sinn und Ge- dankengang dieser (drei) Zeilen: Hannibal, er sonst der wag- halsigste und muthvollste, von dem ich glaubte, denn das sollten doch wohl die Worte heissen : quem cor meum credidit, von dem mein Herz glaubte, gerade so als ob er sagte: von dem ich thörichter Mensch glaubte, dass er (mir) der heftigste, eifrigste Anrather zum Kampfesuntemehmen sein würde; dieser mahnt mich ab und widerräth mir das Unter- nehmen des Krieges. 11. Gaesellius aber, in zufälliger An- wandlung einer geringeren Aufmerksamkeit (foite ^axhjfiozei^v) auf die Oogisch richtige) Verbindung dieser Worte, meinte, dass die beiden Wörter „quem cor" (was für eine Gesinnung doch) als zusammengehörige Ausdrücke daständen und las das „quem" mit besonderer scharfer Betonung (was für ein, und in dem Sinne), als ob es sich auf „cor" beziehe, nicht aber auf den Hannibal. 12. Ich konnte diese Bemerkung nun aber doch unmöglich unerwähnt lassen, im Fall Einer auf den ab- sonderlichen Gedanken kommen sollte, es könne das vom Gaesellius als masculinum gebrauchte cor (durch folgende wahrscheinliche Annahme) doch immerhin noch vertheidigt werden , dass der dritte Vers dann als für sich selbst be- stehend und von den übrigen getrennt müsste gelesen werden, als wenn Antiochus, nach seinen mitten in der Rede ab- gebrochenen Worten, in den Ausruf ausbreche: „0 über den vortreflFlichsten Rathgeber." Allein solchen (überspannten und gesuchten) Behauptungen und Auslegungen gegenüber verlohnt sich nicht ei-st eine Entgegnung.

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VI. (Vn.) Buch, 3. Cap., § 1. (321)

VI (VII), 3, L. Was Tullius Tiro, der Freigelassene des Cicero an der

Rede aaszosetzen hatte, welche M. Cato zu Gunsten der Rhodier im Senat

hielt; ferner Bescheid auf diesen Tadel.

VI (VII), 3. Cap. 1. Der rhodische Staat ist lilhmlich bekannt, sowohl durch die günstige Lage der Insel, als durch

VI (VII), 8, 1. Eine lange Reihe von Jahren waren den Römern alle Angelegenheiten zum 6U\cke ausgeschlagen. 202 hatten sie unter dem altern Scipio Africanus bej Zama an den Carthagimensem und Hannibal Vergeltung geübt, für die 14 Jahre vorher erlittene schreckliche Nieder- lage bei Cannae (Gell. VI (VII), 18, 2). 197 überwand T. Quinct Flami- ninus bei Kinoskephalae den macedonischen König Philipp III, der in den Frieden willigen und der eigenmächtigen Kriegführung entsagen musste. 190 wurde der syrische König Antiochus bei Magnesia besiegt (GeU. IV, 18, 3. NB. Die Rhodier aber und Eumenes von Pergamum wurden für ihre treuen Dienste und Anhänglichkeit ausgezeichnet und belohnt (Jaeger). 183 unterwarf Fulvius Nobilior die Aetoler (Gell. V, 6, 26 NB). Hannibal brachte sich durch Gift um, und um eben diese Zeit starb aber auch sein grosser Gegner, der ältere Africanus, aus Rom verbannt, auf seinem Land- gut (Gell. IV, 18). 179 war Philipp III. von Macedonien gestorben und hatte seinen Groll und Hass, aber auch sein Königreich seinem Nachfolger in einem blühenden Zustande hinterlassen. Dieser Nachfolger war der ältere, aus ungleicher Ehe erzeugte Sohn Perseus, welcher den andern, jungem, näher berechtigten, aus ebenbürtiger Ehe stammenden Demetrius, (181) bei Seite zu schaffen gewusst hatte. Perseus, mit des Vaters Fluch beladen, wegen des Verrathes an Demetrius, ausserdem zügellos und grau- sam, war deshalb wenig beliebt. Zu gleicher Zeit war die Schirmherrschaft der Römer in Griechenland unpopulär geworden. Daselbst stand den Be- sitzenden überall ein verarmtes, gieriges, durch Revolution abgenutztes, durch demokratische Rhetorik verwöhntes Volk gegenüber. Der alte Gegensatz zwischen Oligarchie und Demokratie nahm durch eine zügellose Masse bankrotter Bummler jene widerlichste und gefährlichste Gestalt einer Feindschaft zwischen Besitzenden und Besitzlosen an. Die ehrenhaften Führer verschwanden und jüngere, cynische Politiker und Verführer reizten in schamloser Rede die Gegenpartei. Durch diese Parteigegensätze wurde das ganze Leben bis ins Innerste der Familie hinein vergiftet und unheil- voll zerrüttet. Auf dem ganzen Boden des europäischen Griechenlands, so bei Aetolem, wie Achäem nahmen liederliche, verlumpte, von Schulden gepeinigte Häuptlinge den politischen Gegensatz nur zum Vorwand ihrer wüsten Gräuel, allenthalben in dem, von einer den Römern feindlichen Demokratenpartei aufgehetzten Boeotien, in Epirus, in Thessalien. Von dieser Seite her wurde nun Perseus zum Kriege gegen die Römer gedrängt. Eumenes von Pergamum, der auch verdächtigt wurde, die Hand mit im Spiele zu haben, |fng (172) nach Rom, wurde in geheimer Senatssitzung ehrenvoll empfangen und gab Notizen über die griechische Stimmung.

Gelliue, Attiache NÄchte. 21 r^^^^T^

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(322) VI. (VU.) Buch, 3. Cap., § 1. 2.

die Pracht seiner Bauwerke, ferner durch seine ausgebreitete Schiffahrt, wie seinen Handelsverkehr, endlich durch seine glücklichen Siege zur See. 2. Obgleich dieser Staat Freund und

Bei seiner Rückkehr nach Pergamum wurde ein Mordversuch auf ihn in Scene gesetzt und der Verdacht fiel auf Perseas. Dieser hatte mittelst seiner ungeheuren Reichthümer grosse Rüstungen angestellt, warb Bundes- genossen und nahm kriegerische Haltung gegen Rom. Allein Geiz, Mangel an Energie und verkehrte Massregeln Ehrten, nach einigen vorüber- gehenden, durch die Fehler der römischen Feldherm herbeigeführten Vor- theile, seinen Sturz herbei. Nach dem Siege des durch Kriegskunst, Bil- dung und Geburt ausgezeichneten Aemilius Paulus bei Pydna (168) ergab sich Perseus und starb bald nachher in der Gefangenschaft zu Alba. Auch das zerklüftete Griechenland reifte seinem Ende zu. Tausend edle Achaeer, darunter 46r grosse Geschichtschreiber Polybius, wurden wegen geheimen Einverständnisses mit Perseus zur gerichtlichen Verantwortung nach Rom geladen und 17 Jahre lang als Geiseln in italischen Landstädten zurück* behalten, bis der Tod ihre Zahl auf 300 gemindert hatte; der reiche Handelsstaat Rhodos, der sich zur ungeschickten Friedensvermittlung hatte gebrauchen lassen, wurde nach vielen Demüthigungen aus derselben Ur- sache gezwungen, sich der römischen Oberherrlichkeit zu fügen; in allen griechischen Städten wurde die macedonische Partei verfolgt, und an Freiheit, Gut oder Leben bestraft. Selbst Eumenes von Pergamum konnte bereits den nahen Uebergang von der Bundesgenossenschaft zur Unter- thänigkeit errathen. Mit dem Tage von Pydna war die Weltherrschaft Roms entschieden. Als nach der Schlacht 168 und 167 eine Menge Ge- sandtschaften in Rom sich einfänden und sich die Vasallenkönige und ihre Bevollmächtigten durch Schmeichelreden gegenseitig den Rang abzulaufen suchten, kam wohl jenes Wort voll unsäglicher Verachtung dieser Vasallen : „regulus" im Umlauf. Von allen Seiten wurde dem Senat und dem Volke wie einem gefurchteten Tyrannen geschmeichelt : daher nicht zu verwundem ist, dass bei den regierenden Männern die Tyrannenlaunen nicht ausbleiben konnten. Also auch die Rhodier, welche sich während des Krieges gegen Perseus durch Handelsinteressen und macedonische Wühlereien zu einer bedenklichen Hinneigung nach der Seite des Königs, ja sogar zu sehi' kopflosen und wenig zeitgemässen Interventionsgelüsten hatten hinreissen lassen, kamen und baten nun nach Beendigung des Krieges (168) de- und wehmüthig durch eine Gesandtschaft in Rom um Verzeihung oder wenigstens um gnädige Strafe. Der 71jährige Cato, sonst nichts weniger als ein Mann der Nachsicht und Vermittlung, ergriff den ehrgeizigen und unfähigen Junkern gegenüber, die in dem Kriege gegen Perseus einer nach dem andern sich blamirt hatten und jetzt nach glücklicher Beendigung des Handels desto kriegslustiger der widerstandslos sich ergebenden Insel gegenüber declamirten, die Partei der Schwächeren. Gellius nimmt diese Rede gegen die etwas schulmeisterlich vornehm von ^er Höhe ciceronia- nischer Kunst herabsehende Kritik des Tiro in Schutz. (Otto Ribbeck.)

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VI. (Vn.) Buch, 3. Cap., § 2—5. (323)

Bundesgenosse des römischen, Volkes war, so unterhielt er trotzdem eine freundliche Beziehung zu dem inacedonischen Könige Perseus, dem (aus ungleicher Ehe erzeugten) Sohne Philipps (III), mit dem das römische Volk Krieg fllhrte, und waren die Rhodier eifrig bemüht, die Feindseligkeit zwischen den beiden Betheiligten beizulegen, weshalb sie unaufhörlich Gesandtschaften nach Rom entsendeten. 3. Allein da diese Friedensvermittelung nicht zu Stande gebracht werden konnte, wurde von mehreren Rhodiem in ihren Volksversammlungen dem Volke der Vorschlag gemacht, dass, wenn das Friedens- werk nicht zu Stande käme, man alsdann von rhodischer Seite dem Könige gegen das römische Volk beistehen solle. 4. Es kam jedoch darüber kein allgemeiner Beschluss zu Stande. 5. Allein als Perseus besiegt und gefangen worden war, ge- riethen die Rhodier doch höchlichst in Furcht wegen dieser Angelegenheit, die öfters in den Volksversammlungen ver- handelt und zur Sprache gebracht worden war und beeilten sich daher Gesandte nach Rom zu schicken, mit dem Auftrag, die Unbesonnenheit einiger ihrer volksverführenden (und volks- aufwiegelnden und verliederlichten) Freiheitseiferer zu ent- schuldigen und ihre bewiesene Pflichttreue, ihre allgemeinen, öffentlichen Absichten (und Gesinnungen von jedem Vorwurf

Auch Livius (45, 25) fällt über Catos Betheiligung an der Angelegenheit der Rhodier das harte Urtheil, dass er, sonst ein Mann von herber Sinnes- art, diesmal sich darin gefallen habe, den gelinden und nachsichtigen Senator zu spielen: indess fand Gato einige Jahre später noch einmal die Gelegenheit, zu beweisen, dass er, obgleich das griechische Wesen seüier innersten Natur widersagte, doch auch den Griechen gegenüber kein Feind nutzloser und muthwilliger Grausamkeit war, da er ganz allein es war, der den Ausschlag gab, dass (151) die Rückkehr der 17 Jahre lang als Geiseln in italischen Landstädten zurückbehaltenen achäischen Deportirten gestattet ward. Die Bitte der Achaeer kam im Senate zur Verhandlung. Lange wurde gestritten, da erhob sich Cato: „Es ist als hätten wir nichts „Wichtiges auf der Welt zu thun, so sitzen wir schon den ganzen Tag „imd berathen.über die Frage, ob einige achaeische Greise von unsem „oder von ihren Todtengräbern bestattet werden sollen" : ein kluges Wort, um einer widerwilligen Versammlung einen milden, günstigen Bescheid zu entreissen. Sein Wort siegte und die Entlassung der Geiseln wurde be- liebt. (Jaeger.) Vergl. über die rhod. Gesandtschaft: Nissen, Quellen und Unters, der 5. und 6. Dekate des Livius.

VI (VII), 3, 3. S. Liv. 44, 14, 5 ff; 45, 20 ff.; Polyb. 28, 2; 29, 4.7; 80, 4 ff ^ T

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(324) ^- (Vn.) Buch, 3. Cap., §6 11.

und Verdacht) zu rechtfertigen und zu reinigen. 6. Nach Ankunft der Gesandten in Rom erfolgte ihre Vorlassung im Senat und als sie daselbst demüthig und fussfallig für ihre Angelegenheit gesprochen hatten, entfernten sie sich wieder aus der Rathsversammlung und es begann die Berathung (und der Meinungsaustausch). 7. Als nun ein Theil der Rathsherren ihre Klagen über die Rhodier laut werden liessen und behaupteten, dass dieselben (den Römern nur) schlecht gesinnt gewesen seien und schliesslich gar bei ihnen die Meinung Platz ergriff, man müsse ihnen unbedingt den Krieg erklären, da erhob sich M. Cato und hört nicht auf, sie als die besten und treuesten Bundesgenossen, auf deren Be- raubung und Aneignung ihrer Schätze (allerdings wohl) nicht Wenige, selbst von den höchsten und vornehmsten Männern, voller Erbitterung und Neid lauern, zu vertheidigen und für ihre (Begnadigung und) En-ettung sich zu verwenden; und nun hielt er jene höchst berühmte Rede, welche auch beson- ders im Umlauf ist, welche die Ueberschrift trägt: „für die Rhodier" und die im fünften Buche seiner „Urgeschichte" geschrieben steht. 8. Des M. Cicero Freigelassener, Tiro Tullius, war allerdings wohl ein Mann von ausgebildetem Geist und Verstand, auch durchaus nicht ohne gründliche Kenntniss in der alten Geschichte und Literatur, dessen sich Cicero ja auch, da er ihn von dessen frühester Jugfend, ganz wie einen Freien, wohlanständig hatte ausbilden lassen, bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten als Unterstützer und Mit- arbeiter bediente. 9. Trotz dieses Zugeständnisses hat er sich aber doch wahrlich mehr herausgenommen (bei Abur- theilung über Catos Rede), als man ertragen oder gar ver- zeihen kann. 10. Dieser (Tiro) hat nämlich mit grosser Selbstgefälligkeit und ziemlich starker Voreiligkeit einen Brief an den Q. Axius, den Freund seines Beschützers abge- fasst, woriil er glaubte diese genannte Rede Catos für die Rhodier mit (Wunder was für) scharfeinniger und gründ- licher Ui-theilskraft kritisirt (und beleuchtet) zu haben. IL Es mag uns daher wohl erlaubt sein, einigen seiner Vorwürfe aus diesem Briefe näher auf den Leib zu rücken, zumal wir

VI (VU), 3, 8. üeber Tiro s. Teuffels röm. L. 188, 7.

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VI. (Vn.) Buch, 8. Cap., § 11— 14. (325)

glauben mit mehr Recht den Tiro tadeln zu dürfen, als er (einst) den Gato tadeln zu dürfen glaubte. 12. Als ersten Grund zur Missbilligung giebt er folgenden an: dass Gato auf eine ungeschickte und, wie er sich ausdrückt, „dyayftJywg" d. h. auf eine ganz geradezu ungezogene Weise seine Rede er- Mnet, nämlich mit einem überaus kecken und über alle Massen beissenden scheltenden Tadel, wenn er gleich von vornherein mit der Erklärung heraustritt, er lebe in Furcht, dass die Väter aus (zu übertriebener) Freude und Vergnüg- lichkeit über den so glücklichen Ausgang der Ereignisse ihrer geistigen Fassung beraubt (scheinen müssten) und deshalb auch nicht in der geeigneten Stimmung wären, (in vorliegen- der Angelegenheit) den Thatbestand richtig zu erkennen und darnach ihre EntSchliessung zu fassen. 13. (Tiros Tadel lautet wörtlich so:) „Allein bei Beginn (ihrer Vertheidigun- gen) müssen Sachwalter, denen das Wohl ihrer angeklagten Schützlinge am Herzen liegt, vor allen Dingen sich die Rich- ter günstig und geneigt zu stimmen suchen und Alles an- wenden, deren Gesinnungen, die bei der Spannung auf den Vortrag des Rechtsfalles noch schwankend, starr und theil- nahmslos sind, durch ehrerbietige, bescheidene Ueberredungs- künste (und Herzensergiessungen) zu rühren, nicht aber gar noch durch beleidigende Wahrheiten und stolze Drohungen niederzuhalten (und zu unterdrücken)." 14. Tiro lässt darauf auch gleich den Anfang (aus der catonischen Rede) wörtlich folgen, der also lautet: „„Ich weiss recht wohl, dass den meisten Menschen unter günstigen und behaglichen und glück- lichen Verhältnissen der Sinn hoch fährt (und der Kamm schwillt) und ihr Uebermuth und ihr Trotz zuzunehmen und zu wachsen pflegt. Deshalb erfüllt* auch jetzt nur der eine Ge- danke mich mit grosser Sorge, dass, weil (uns) dieser Handel so günstig verlaufen, bei der bevorstehenden Berathung nun, nicht noch einmal etwas in die Quere komme, was dieses Glück wieder niederhalten (und stören) könnte, oder dass überhaupt unsere Freude in (Zügellosigkeit und) Uebeiinuth ausschweife. Denn Widerwärtigkeiten stimmen zahm (und mild) und lehren uns, was Noth sei zu thun. Das Glück aber pflegt (Jeden gern) abseits zu drängen vom Pfade rich- tiger Berathung und Erkenntniss. Mit um so grösserem Nach-

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(826) VI. (YII.) Buch, 8. Cap., § 14—16.

druck muss ich euch sagen und rathen, dass dieser Handel um einige Tage hinausgeschoben werden möge, bis wir uns aus unserm grossen Freudentaumel wieder (zum Selbstbe- wusstsein und) zur Gewalt über uns zurückgefunden/** 15. Die weitere Auslassung Tiros lautet: „Die gleich unmittelbar darauf folgenden Worte Catos bilden aber wohl eher ein Zu- geständniss, durchaus aber keine Bechtfertigung und ent- halten keine Abwehr oder Entkrftftung der Beschuldigung, sondern verrathen vielmehr eine vielfach weiter verzweigte (allgemeine) Theilhaftmachung, was doch sicher nicht dazu beiträgt, die Rhodier von der Schuld fi^eizusprechen. Ueber- dies, fährt Tiro fort, sagt es Cato auch noch ganz frei und offen von den Bhodiem heraus, denen man vorwarf, dass sie den Willen des römischen Volkes zuwider dem König (Perseus) mehr (als den Römern angenehm hätte sein können) geneigt und gewogen sich gezeigt hätten, dass (er dabei durchaus nichts Unrechtes entdecken könne, weil) diese ihre Geneigtheit und Gewogenheit (gegen Perseus) nur in ihrem eigenen Vortheil gelegen habe, damit die Römer, wenn end- lich auch die Macht des Perseus gebrochen sein würde, nicht gar noch zu grösserem Stolz und Zügellosigkeit und zu immer mehr um sich greifender Ueberschreitung ausarten (und sich hinreissen lassen) möchten." 16. Und dabei führt Tiro abermals gleich die von Cato ' im weiteren Verlaufe seiner Rede selbst gebrauchten Worte an, welche lauten: ^„Auch ich allerdings glaube nun, die Rhodier mögen (viel- leicht wohl) nicht gewünscht haben, dass wir so vollständig siegen, wie vollständig der Sieg wirklich (für uns) ausgefallen ist, auch nicht (eigentlich so recht von Herzen gewünscht haben), dass der König Perseus besiegt werde; allein ich glaube (zugleich auch), dass nicht die Rhodier nur es waren, die uns dies nicht gönnten und wünschten, sondern dass noch viele andere Völker und Stämme uns eben auch nicht der- gleichen gewünscht haben. Nun weiss ich allerdings nicht zu sagen, ob es Einige unter ihnen gegeben, denen, wenn auch nicht gerade unserer Schande (und Demüthigung) willen ein solcher Ausgang unerwünscht war, sondern weil sie eine (ganz natürliche) Besorgniss erfüllte, dass, wenn kein Neben- buhler mehr für uns da sein würde, den wir zu furchten

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VI. (Vn.) Buch, 3. Cap., § 16-18. (327)

hätten, wir uns dann leicht versucht fühlen könnten, Alles zu thun, wozu wir Lust hätten; dass sie dann (ferner in die Lage gerietben), unter dieser unserer alleinigen Oberherr- schaft (sehr bald) in unserer Knechtschaft zu leben. Also nur aus Besorgniss für ihre eigene Freiheit (nahmen sie diesen Standpunkt ein und) hegten diese Gesinnung, meine ich. Und trotzdem haben die Rhodier (als Staat d. h.) officiell den Perseus niemals untei-stützt. Nun tiberlegt euch aber doch einmal recht, um wieviel vorsichtiger wir in unseren Privatangelegenheiten verfahren: ein Jeder von uns, wenn er nur irgendwie meint, dass etwas seinem Interesse Zuwider- laufendes geschehe, wird sich mit aller Macht dagegen stemmen, damit nichts diesem (seinen Interesse) zuwider ge- schehe : in diesem (ähnlichen) Falle haben jedoch die Rhodier (nicht das GeKngste unternommen) Alles geduldig und stand- haft ertragen (und abgewartet)."" 17. Allein was nun den auf den Eingang von Catos Rede bezüglichen Tadel betiitft, so hätte Tiro doch einsehen müssen, dass die Rhodier von Cato zwar veitheidigt worden seien, allein ^loch nur (in einer solchen Weise), wie es sich mit seiner Würde als Senator und Consular und (wie es sich mit seinen strengen Grund- sätzen) als einstigem Sittenrichter vertrug, d. h. wie von einem Manne, der zu nichts Anderem rieth, als was seiner Meinung nach dem Staate nur zum höchsten Vortheil gereicht, nicht aber wie von einem (gewöhnlichen) Anwalt, der einen Process für Angeklagte führt. 18. Denn andere Gefühle dienen dem zur Richtschnur, der Angeklagte vor Gericht vertheidigt und überall nur die (richterliche) Milde und Barmherzigkeit ausspürt und andere (Empfindungen) wieder dem Manne, der, wenn der Senat über das Wohl und Wehe des Staats zu Rathe gezogen wird, dann sein ausserordent- liches Ansehen geltend macht; seine Aufregung (und Ent- rüstuiig) über ungerechte Meinung und Vorschläge (Anders- gesinnter) zu erkennen giebt und nur für das allgemeine Staatswohl und für das Heil der Bundesgenossen (besorgt), mit höchstem Ernst und ohne allen Rückhalt, unumwunden

VI (VII), 3, 17 if. Charakteristik der Redeweise des Cato; vergl. § 62 ff. S. Teuffels röm. Lit 118, 4.

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(328) VI. (VIL) Buch, 8. Cap., § 18—22.

seinen Unwillen äussert und seine Betrübniss darüber an den Tag legt. 19. Allerdings wird in den Rhetorenschulen der Grundsatz als lichtig und nützlich aufgestellt, dass, wenn die Richter ihr Urtheil abgeben sollen über das Schicksal eines Anderen und über einen sie selbst gar nicht betreffenden Process (d. h. über eine Angelegenheit), wo ausser der Er- ledigung ihrer Richterpflicht auf ihrer Seite nichts zu er- wägen steht entweder von Gefahr, oder Vortheil: man dann vor allen Dingen durch eine besänftigende (einschmeichelnde und) gelassene Weise sich erst die Richter müsse geneigt und gnädig stimmen zu vei-söhnlicher Nachsicht und gnädiger Beurtheilung des bei ihnen Angeklagten. 20. Ein ganz anderer Fall aber ist es, wenn es sich im Allgemeinen um die Würde, die Ehre und den Nutzen des ganzen Staates (und seiner Angehörigen) handelt und es deshalb unbedingt gilt mit seiner ehrlichen Meinung (frei) herauszutreten, was geschehen soll, oder was, wenn es schon im Gange sein sollte, (vorsichtiger Weise) aufgehoben werden muss: dann wird ein solcher (Redner), der gleich zu Anfang (weiter nichts thut, als) sich alle erdenkliche Mühe giebt, die Zuhörer sich günstig und geneigt zu stimmen, durch diesen unnützen Wortkram (zur Gunsterschleichung) nur Zeit und Mühe zwecklos und nutzlos verschwenden. 21. Denn die vorausgegangenen Ereignisse und Gefahren des Staats ver- setzten die (Richter oder) Zuhörer (im Voraus) schon von selbst bei gebotenen EntSchliessungen in die nöthige Stimmung (und Verfassung) und die Zuhörer sind es hier nun vielmehr selbst, die das Wohlwollen (Offenheit, Redlichkeit und Ergeben- heit) des rathertheilenden Redners dringend für sich verlan- gen. 22. Allein Tiro sagt, Cato habe zugestanden, dass es nicht in dem Wunsche und der Absicht der Rhodier ge- legen, es möge der Kampf sich (für die Römer) so verlaufen, wie er sich wirklich verlief und es möge der König Perseus nicht vom römischen Volke besiegt werden; femer (wenn Tiro behauptet) , Cato habe (überflüssiger und unvoi-sichtiger

VI (VII), 3, 20. Der Redner wird seinen Zweck verfehlen, wenn er zu weitläufig wird und nicht gleich ohne Weiteres den Thatbestand un- geschminkt und wahrheitsgetreu hinsteUt.

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VI. (Vn.) Buch, 3. Cap., § 22-27. (329)

"Weise) hinzugefügt, nicht allein die Rhodier, sondern auch noch viele andere Völkerstämme hätten nichts dergleichen gewünscht; dass dies (Alles) aber (nach Tiros Behauptung) nichts vermöge zur Rechtfertigung und Vermindening von der Beschuldigung (gegen die Rhodier) beizutragen: so enthält schon dieser erste Vorwurf Tiros eine ganz ungerechtfertigte, schändliche Entstellung der Wahrheit. 23. Er führt Catos eigene Worte an und trotzdem verdreht er dessen Gedanken und legt sie mit anderen (falschen) Worten aus. 24. Denn durchaus nicht unbedingt gesteht Cato zu, dass die Rhodier dem römischen Volke den Sieg missgegönnt hätten , sondern er sagt nur, dass es nur seine eigene (subjective) Ansicht sei, dass dies nicht (so ganz) ihren Wünschen entsprochen haben möge, was zweifelsohne nur als seine eigene Meinungs- ansicht gelten, aber durchaus nicht als ein Zugeständniss des Schuldbekenntnisses bezüglich der Rhodier angesehen werden sollte. 25. In diesem Punkte aber, wie. ich wenigstens glaube, fällt für Cato nicht nur jeder Tadel weg, sondern er ist so- gar noch des Lobes und der Bewundei-ung würdig, weil er so fi'eimüthig als gewissenhaft, selbst scheinbar zum Nachtheil gegen die Rhodier, seinen Empfindungen Ausdruck gab und, nachdem er sich (durch diese seine Offenherzigkeit) das volle Zutrauen in seine Rechtlichkeit und Unparteilichkeit erworben hatte, nun doch selbst das, was gegen sie zu sprechen schien, noch ablenkte und dahin wendete, dass sie deshalb billiger Weise dem römischen Volke gerade erst recht werth und theuer werden mussten, weil, obgleich sie einestheils auf des Königs Nutzen bedacht waren, andemtheils ihm auch (wie man sich erzählt) wohl wollten und ihm wirklich alles Gute wünschten, sie trotzdem (in Wahrheit) nichts zu seiner Unter- stützung unternommen hätten. 26. Später führt er noch folgende Worte aus dereelben Rede an: „„Und "nun sollen wir auf einmal plötzlich alle diese vielen, so hoch anzuschla- genden Dienste, die sie uns bald hier, ,bald dort erwiesen haben, diese wichtige Preundschaftsbeziehung aufgeben? Was jene zu thun nur gewollt haben, wie wir behaupten, das vor ihnen zu thun, wollen wir uns nun mit aller Gewalt beeilen?"" 27. „Diese Schlussfolge, fährt Tiro fort, ist fehlerhaft und verwerflich. Denn es konnte darauf ganz einfach erwidert

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(330) ' ^. (Vn.) Buch, 3. Cap., § 27—32.

werden : freilich wollen wir (lieber ihnen) zuvorkommen : Denn im Fall wir ihnen nicht zuvorkommen, könnten wir (Gefahr laufen) von ihnen überfallen (und tiberwältigt) zu werden und dadurch unausbleiblich in den Hinterhalt gerathen, vor dem wir uns vorher nicht gehütet haben. 28. Und aus dem- selben Grunde, sagt er, hat Lucilius ganz recht, wenn er dem Dichter Euripides über eine ähnliche (nach seiner Ansicht verkehrte) Antwort einen Vorwurf macht, welcher darin be- steht, dass, als der König Polyphontes sich damit entschuldigt, er habe seinen Bruder nur deshalb getödtet, weil dieser mit dem Vorsatz umgegangen ihn umzubringen, Euripides von des ermordeten Bruders Gattin Meropa ihn den Binidermörder gerade mit folgender (ähnlicher) Antwort abfertigen lässt:

Wenn mein Gemahl, so wie Du sagst, sich vorgesetzt zu tödten Dich, Musst's Vorsatz bleiben auch bei Dir so lang, bis diese Zeit erschien.

29. „Allein eine solche Antwort, sagt Tiro weiter, zeugt doch geradezu von völliger Albernheit (wenn man den Rath giebt,) in der Absicht und zu dem Zwecke einen Vorsatz zu fassen, nur um den Vorsatz niemals auszuführen." 30. Allein (der gute) Tiro hat sich zweifelsohne (den Umstand) entgehen lassen, dass nicht (immer) dasselbe Mittel Sicherheit und Gewähr bietet für alle (möglichen) Vorkommnissei, und dass alle die vielfach im menschlichen Leben vorkommenden Be- rufsgeschäfte, Werkthätigkeiten und Verpflichtungen, mag es betreffen entweder ihre Beschleunigung, oder ihren Aufschub, oder eine Vergeltung, oder eine Vorsichtsmassregel, so dass sie einem Kampf und zwar einem Fechterkampf (durchaus) nicht zu vergleichen sind. 31. Denn einem zum Zweikampf gerüsteten Fechter ist nur dies eine Kampfesloos gesetzt, ent- weder (seinen Gegner) zw tödten, wenn er (ihm) zuvorkommen kann, oder selbst zu unterliegen, wenn er (dies ver-) säumt. 32. Allein das menschliche Leben ist nicht an so harte, noch an so grausam strenge Nothwendigkeitsbedingungen gebunden, als dass dir unbedingt die Pflicht auferlegt sei, deshalb lieber eher (an einem Anderen) ein Unrecht zu begehen, weil dies

dir (sonst möglicher Weise) im Unterlassungsfalle selbst

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YI (VII), 3, 32. Also durch ein vorheriges Unrecht an Andern dein eigenes abzuwenden suchen.

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VI. (Vn.) Buch, 3. Cap., §33—36. (381)

widerfahren könnte. 83. Denn (sonst wenigstens) lief eine solche Handlungsweise stets der milden und gerechten An- schauungsweise des römischen Volkes ganz und gar zuwider (und es liegen Beweise genug vor), dass es selbst schon öfter sogar ihm angethanes Unrecht zu rächen unterliess. 34» Weiterbin sagt Tiro, dass Cato in derselben Rede sieh einiger nur wenig anständiger, ja sogar eigentlich höchst vermessener Beweismittel und ausserdem einiger verschmitzter und be- trQgerischer, nicht wie aus dem Herzen eines Mannes seines Gleichen, sondern gleichsam wie aus griechischem Sophisten- Munde herrührender Spitzfindigkeiten bedient habe. 35. „Denn,^ sagt Tiro, „als den Bbodiem vorgeworfen wurde, sie hätten beabsichtigt mit dem römischen Volke Krieg anzufangen, leugnet Cato dies (zuerst) fast ganz ab, bittet aber (gleich unmittelbar darauf) nichtsdestoweniger für sie um Verzeihung^ weil sie dies ja nicht wirklich gethan, obwohl sie es am liebsten gewollt hätten;" femer sagt er, „dass Cato eine sehr hinterlistige und spitzfindige Beweisführung verwendet habe, welche die Dialektiker mit dem Ausdruck: Epagoge (eWaywyiJ) bezeichnen, eine Beweisführung ersonnen weniger zur (Ent- deckung und Enthüllung der) Wahrheit, als zur Bemäntelung des (Be-) Ti-ugs, da er durch täuschende Beispiele zu folgern und dai-zuthun wagte, dass billiger Weise Keiner, der nur den Vorsatz zu einer schlechten That gehabt hat, im Voraus könne bestraft werden, bevor er noch seinen (bösen) Vorsatz nicht auch (wirklich) ausgeführt hätte. Catos eigene Worte aus derselben Rede lauten folgendennassen: 36. „„Wer sich nun aber auch noch so heftig gegen die Rhodier ausspricht, kann (im Ganzen genommen) doch nur sagen, dass sie unsere Feinde haben werden wollen. Nun wohlan denn, giebt es endlich unter euch wohl Einen, der, wenn es ihn selbst angeht, Strafverhängnisse (auch dann noch) deshalb für recht und billig erachtet, weil er (nur) des Willens zum Uebelthun be- schuldigt wird? Ich meine, Niemand (würde das billig finden); Ich meinestheils , was mich betrifft, (wenn ich ehrlich und aufrichtig) sein soll, ich wünschte es wenigstens nicht (und

VI (VII), 8, 35. Epagoge ist eine Art der Beweisführung darch In- dnction, wobei man durch Anf&hrung einzelner, ähnlicher Fälle und Bei- spiele auf die Allgemeinheit folgert.

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(332) VI. (Vn.) Buch, S. Cap., § 37—40.

würde mich bedanken)."" 37. Ein wenig weiter unten fährt Cato also fort: „„Wenn Einer diess oder das hat thun wollen, soll er die Hälfte seines Vermögens, weniger 1000- Sesterzien als Geldstrafe zahlen; (oder) sollte Einer auch nur gewollt haben, mehr als 500 Morgen Landes zu besitzen, dem soll es so und so viel Strafe kosten; (femer) wenn Jemand auch nur einen grösseren Viehstand zu besitzen den Willen gehabt hat, (als das Gesetz erlaubt), soll er so und so viel Geldbusse erleiden. Und (— gesteht es euch nur einmal ganz ehrlich ein ) wir Alle wollen von Allem mehr haben und trotzdem geht uns das so ungestraft hin?"" Weiterhin sagt er: 38. „„Allein wenn es nicht recht und billig erscheint, da§s Einem ehrenvolle Auszeichnungen des- halb schon erwiesen werden, wenn er erklärt, er habe Gutes thun (oder wohlthätig) sein wollen, aber doch (in Wirk- lichkeit) nichts dergleichen gethan hat: soll es nun den Rhodiem nicht auch so hingehen, dass sie nichts übel gethan haben, sondern nur beschuldigt werden, den (Voi-satz und) Willen zur That gehabt zu haben?"" 39. Durch diese Be- weisführungsmittel, sagt Tiro Tullius, mühe sich M. Cato ab, zu beweisen und ausführlich darzuthun, dass den Bhodiem auch ungestraft hingehen müsse, dass sie zwar Feinde des römischen Volkes hätten sein wollten, dass sie aber der Hauptsache nach es doch nie geworden wären. 40. Allein es könne, setzt Tiro hinzu, doch- nicht ganz übersehen werden, dass diese (angegebenen zwei) Fälle sich durchaus nicht gleich und ähnlich seien , nämlich : mehr als 500 Morgen sich wünschen, was nach Stolo's (beantragten und durchgesetzten) Volksbe- schluss verboten war und (dann der zweite Fall:) gegen das

VI (VII), 8, 87. Geldstrafe durfte nicht über die Hälfte desVennögens ansteigen. S. Festas p. 246, 11, M.

VI (VII), 8, 40. L. Licinius Calvus Stolo, 376 v. Chr. war VoUtstribun mit L. Sextius und brachte mit diesem drei Anträge ein: über die Schulden- tilgung der Plebejer; über ein Ackergesetz und über die Theilnahme der Pleb^er am Consulate. Liv. 6, 35—41; Plut Cam. 39. Im Jahre 861 V. Chr. (das zweitemal Gonsul) besiegte er die Hemiker. Wegen Ueber- tretung seines von ihm herrührenden Ackergesetzes verklagten ihn die Patricier und da er statt nur 500 Morgen Landes 1000 besass, also mehr als erlaubt war, so wurde er mit einer Geldstrafe belegt Liv. 7, 16; cfr. Gell. IX, 12, 10 NB.

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VI. (YH.) Buch, 3. Cap., § 40-45. (333)

römische Volk einen ungerechten und frevelhaften Krieg untemehmen wollen. „Femer", sagte Tiro, „könne auch nicht geleugnet werden, dass der Beweggrund zu Belohnungen ein anderer ist und ein anderer wieder der zur Bestrafung. 41. Denn versprochene Wohlthaten, sagt er, müssen erst ab- gewartet werden und werden natürlich auch nur nach erst vorausgegangener Gewährung belohnt, allein drohende (Ge- fahren und) Ungerechtigkeiten eher abgewendet (und ver- hütet) , als abgewartet zu haben , ist (sicher vollkommen) ge- rechtfertigt. 42. Denn es würde doch", sagt Tiro weiter, „geradezu ein offenes Geständniss des höchsten Grades von Unbesonnenheit (und Unüberlegtheit) verrathen, ruchlos er- sonnenen Plänen (und Absichten) nicht entgegentreten zu wollen, sondern sich dabei ganz müssig zu verhalten und ruhig abzuwarten, um dann erst die Strafe eintreten zu lassen, wenn man die Vollziehung des Frevels bereits zugelassen, wo das Geschehene nun nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann." 43. Alle diese dem Cato vom Tiro gemachten Vor- wüi*fe sind nicht so völlig abgestanden und aus der Luft ge- griffen. 44. (Allein man muss doch entgegenhalten:) Cato stellt diese Beweisführung nicht so bloss, so abgesondei-t und ungedeckt hin, sondern unterstützt sie kräftig durch alle Arten (von Rechtsfällen) und umpanzert sie mit verschiedenen Beweismitteln und weil er, (wie er fest überzeugt war, da- mit) nicht allein den Rhodiem, sondern ganz besonders dem Staate einen höchst nützlichen Rath zu ertheilen bemüht war, glaubte er, dass bei dieser Angelegenheit weder in seinem Reden, noch in seinem Handeln es ihm zum Schimpf könne angerechnet werden, dass er nicht Alles daran setzen sollte, um auf jedem nur möglichen Wege der UebeiTedungskünste (und Herzensergiessungen eine Umstimmung der Gemüther herbeizuführen, und so) die Bundesgenossen (zu retten und) zu erhalten zu suchen. 45. Und nun hat er sich zuerst sehr klugerweise Beispiele von solchen Fällen zum Beweis ausgesucht, wo weder nach dem Naturrecht, noch nach dem allgemeinen VölkeiTecht ein Verbot vorliegt, sondern' nach landesüblichen gesetzlichen Vorschriften, nach Vorschriften, die geboten (d. h. nöthig) sind, um gewissen eingerisseneu Missbräuchen abzuhelfen, oder um gewissen Zeitverhältnissen

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(334) VI. (Vn.) Buch, 3. Cap., § 45-47.

Rechnung zu tragen; wie die Verordnung über zu grossen Viehstand und über die Beschränkung zu grosser Landbesitz- ausdehnung. 46. In den eben angeführten Fällen darf nun zwar, den (landesüblichen) Gesetzen nach, das Verbot nicht übertreten werden, jedoch etwas nur (im Geiste) zu beabsich- tigen, wenn anders nur (ein Wunsch überhaupt) dem Er- messen freigestellt sein sollte, kann nicht unehrenhaft sein. 47. Und diese (angeführten, allgemeinen) Sätze stellt Cato nach einander auf und mischt sie dann mit der Hinweisung auf das, was anstandshalber an und für sich überhaupt weder zu thun, noch zu wollen erlaubt ist Darauf nun, damit die (himmelweite) Verschiedenartigkeit der Zusammenstellung nicht zu augenscheinlich hervortrete, vertheidigt er diese seine Ansicht durch verschiedene kräftige Beweise und legt nicht erst grossen Werth auf diese seine einfache, schmuck- lose Auslassung seines Tadels über die Veririiingen mensch- licher Wünsche (Neigungen und Gelüste) bei unerlaubten Dingen (und bestimmt ausgesprochenen Verboten), wie der- gleichen wohl beim Unterhaltungszeitvertreib der Philosophen verhandelt werden, sondern strebt bei all seinem eifrigen Bemühen nur das an, die (fragliche Prozess-) Angelegenheit der Rhodier, deren Freundschaft sich zu erhalten nur zum grössten Nutzen und Vortheil des Staates sein musste, ent- weder einer billigen Beurtheilung anheim zu geben, oder doch wenigstens unstreitig als verzeihlich hinzustellen. Bald also giebt Cato an, die Rhodier hätten ja doch weder Krieg an- gefangen, noch beabsichtigt; bald tritt er wieder mit der Aufforderung heraus (vor jedem etwaigen weiteren Beschluss), müsse die Thatsache erat ganz allein (noch einmal recht ein- gehend) in Erwägung gezogen und der (richterlichen) Be- urtheilung unterbreitet werden ; kommt aber endlich zu dem Schlüsse, dass blosse, unausgeführte Wünsche (und Absichten) weder von Gesetzen, noch von Strafen abhängig gemacht werden könnten; bald jedoch, sollte er auch zugestehen müssen, dass sie gefehlt hätten, bittet er schliesslich doch noch" für sie um Verzeihung und fügt die schöne Lehre hinzu, dass nach menschlicher Erfahmng Verzeihung immer Segen im Geleite mit sich führe. Sollten sie aber trotzdem noch nicht zur Verzeihung gestimmt sein, so fordere wenigstens

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VI. (VII.) Buch, 8. Cäp.. § 47—52. (335)

die Besorgniss vor künftigen Zufälligkeiten in der Republik sie dazu auf; würden sie hingegen Verzeihung gewähren, so stellt er in Aussicht, dass auf diesem Wege die Grösse des römischen Volkes nur könne aufrecht erhalten werden. 48. Auch vom Vorwurf des Stolzes, welcher zu gleicher Zeit neben anderen Beschwerden im Senat den Rhodiern war vor- gerückt worden, reinigt er sie spielend durch eine bewun- demswerthe, fast unvergleichliche Art des Einwurfs. 49. Wir glauben uns zur wörtlichen Anfühining der betreflfenden Stelle Catos gerade ei-st recht verpflichtet, weil sie Tiro übergangen. 50. „„So sagt man (auch), dass die Rhodier stolz sind und rückt ihnen das vor, was ich am allerwenigsten wünsche, dass es mir oder meinen Kindern nachgesagt (oder vorgeworfen) werden möge. Mögen sie doch immerhin stolz sein. Was verschlägt dies euch? (Oder) seid ihr (vielleicht) darüber auf- gebracht, wenn Jemand noch stolzer und übermüthiger ist, als ihr selbst?"" 51. Es könnte aber in derThat kein nach- drücklicherer Vertheidigungsgrund und kein geeigneteres Ver- wahningsmittel angegeben werden, als (dieser harte Vorwurf, der) hier den überstolzesten Menschen gemacht wird, welche die Liebe (und Neigung) zum Stolz an sich entschuldigen, an Andern aber tadeln (und verwerflich finden). 52. Ausser- dem kann man wohl auch deutlich erkennen, dass in dieser ganzen Rede Catos alle Waffen und Hülfsmittel (aus dem Rüsthause) der Redekünste in Bewegung gesetzt worden sind, aber nicht auf eine Weise, wie man sie bei scherzhaften Ver- führungen von Waffenkampfspielen (Paradeaufzügen, Attaquen und Maneuvres), oder bei belustigenden Scheingefechten vor sich gehen sieht, denn hier verläuft sich, wie gesagt, die ganze Handlung nicht so, wie ein (ängstlich) abgemessenes, (regelrechtes, oder wie ein) sauber ausgeführtes und tact-

VI (VII), 3, 50. Mir und meinen Kindern sc. denn die Rechtfertigung und Reinigung von diesem Vorwurf würde mir vor meinem Gewissen schwer fallen. Ein wohlbegründeter Seitenhieb auf die Römer selbst, diese allerabermathigsten Menschen gemünzt, die Uebermuth an sich lieben, an Andern tadeln. Die unschuldige Sophistik in einigen Absätzen von Catos Reden , die nur unter bedeutenderen Argumenten zu einiger Erheiterung der gestrengen Väter bisweilen mit unterliefen, wird Niemand mit Tiro einer pedantischen Widerlegung unterziehen wollen. Otto Ribbeck.

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(336) VI. (VII.) Buch, 3. Cap., § 52—55.

massig eingelerntes (präcises) SpieJ, sondern hier sieht man gleichsam deutlich (das ganze Kampfbild sich entrollen), wie wenn in bedenklichen Streitwirren, nachdem die Schlachtreihe zei-sprengt (und ausgebreitet) ist und an verschiedenen Stel- len unter abwechselndem Kriegsglück gekämpft wird. So z. B. (an der Kampfstelle), wo die Rhodier wegen ihres (höchst berüchtigten) Stolzes von dem allgemeinen Feuereifer des Hasses und des Neides so viel zu leiden hatten, lässt Cato (bald) ohne Unterschied alle (nur möglichen, ihm zu Gebote stehenden) Schutz- und Veitheidigungsmittel los und bald tritt er mit seiner Empfehlung für sie ein, als solche, die sich sehr verdient gemacht; bald rechtfertigt er sie als Opfer der Unschuld, lässt sich (sogar) zu dem Scheltworte fortreissen, dass man noch nichts weiter, als nur nach ihren Gütern und Reichthümem verlange; bald bittet er für sie, als hätten sie (was ja doch allen Menschen widerfahren könne), nur aus Irrthum gefehlt; bald beweist er ihnen klar und deutlich, dass sie dem Staate unentbehrlich; bald führt er ihnen die Gnade, bald die milde und gerechte Anschauungs- weise nach dem Beispiele der Vorfahren, bald die öffentliche Wohlfahrt zu Gemüthe. 53. Und nun hätte vielleicht diese seine Vertheidigungsrede geordneter und wohlklingender aus- fallen können, aber offenbar hätte das Alles nicht nachdrück- licher, lebendiger (und mit frischeren Farben) geschildert werden können. 54. Es ist also eine Unbilligkeit von Tiro Tullius, dass er aus dem ganz folgerichtigen und in sich selbst zusammenhängenden Kunstvorrath einer (an gewaltigen Gründen so reichen) glanzvollen Rede nur gewisse abgerissene Brocken entnahm und sie ganz nackt (ohne jegliche Ver- bindung und Zusammenhang) hinstellte, woraus er den Vor- wurf sich zusammenstoppelte, als ob es sich nicht mit Catos Würde und Ehre vertrage, dass er die blossen Absichten von noch (lange) nicht begangenen Vergehungen nicht bestraft wissen wollte. 55. Ueber diese meine weitere Auslassung, die ich nur als einfache Entgegnung auf des Tullius Tiio

VI (YII), 3, 55 (und vergl. auch § 49). Otto Ribbeck sagt: dass GeUius die Rede selbst vollständig vor sich hatte und gelesen hat, ist nach diesen Worten durchaus unzweifelhaft.

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VI. (VIL) Buch, 3. Cap., §55.-4. Cap., § 1-3. (337)

Tadel betrachte, wird man aber zweckmässiger und frei- müthiger urtheilen und sich selbst eine Meinung zu bilden vermögen, wenn man nicht nur die vollständige Rede Cato's selbst zur Hand nimmt, als auch besonders den von Tiro an Axius gerichteten Brief (ober diese Angelegenheit) nachsieht und sich die Mühe nicht verdriessen lässt, ihn aufmerksam durchzulesen; denn dann nur wird man erst im Stande sein, unsere Ansicht entweder zu verwerfen, oder als die richtigere und genauere zu billigen.

VI (VIT), 4, L. Welche Art von Sklaven, wie der juristische SchriftsteUer i^elius Sabinns schreibt, bei ihrem Verkaufe gewöhnlich einen Hut trugen (pileatos venundari) und aus welcher Ursache (dies geschah) ; femer welche Sklaven, nach althergebrachter Weise, unterm Kranze zum Verkauf kamen (d. h. mit einem Kranz auf dem Kopfe, snb Corona venire); endlich was der Ausdruck: sub Corona (unterm Kranze) bedeuten soll.

VI (Vn), 4. Cap. 1. Nach einer hinterlassenen Aufzeich- nung des Rechtsgelehrten Caelius Sabinus pflegten die- jenigen zum Verkauf ausgestellten Sklaven einen Hut aufzu- haben, um deren willen der Verkäufer keine Gewähr leistete. 2. Als Gmnd für diesen Gebrauch giebt er an, weil es (ge- setzHch) geboten sei, derartig bedeckte (und also ohne Ge- währleistung feilgebotene) Sklaven beim Verkauf (im Voraus stets) kenntlich zu machen, damit etwaige Käufer sich nicht irren oder betrogen werden könnten , auch überhaupt die Verkaufsbedingung gar nicht erst abzuwarten hätten, sondern sofort auf den ersten Blick vorherwüssten , mit welcher Art von Sklaven sie es (hier) zu thun hätten. 3. Seine eignen

VI (VII), 4, 1. Cfr. Gellius IV, 2, 3 über Caelius Sabinus.

VI (VII), 4, 3. Den im Kriege erbeuteten Sklaven wurde bei ihrem Verkauf ein Kranz aufgesetzt, weil diese zum Verkauf ausgestellten Ge- fangenen gleichsam als Opferthiere bekränzt wurden. Das am Halse eines auf dem Markte ausgestellten, käuflichen Sklaven hangende Täielchen (ti- tulus) bezeichnete das Vaterland des Sklaven und enthielt die Versicherung, dass er gesund sei und sich noch keines Verbrechens schuldig gemacht habe, wofür der Käufer einstehen, wollte er dies nicht, dem Sklaven einen Hut aufsetzen musste. Weissgetünchte Füsse aber waren ein Zeichen, dass der Sklave aus fremdem Lande übers Meer hergekommen. Cfr. Prop. rV (V), 5, 51; Sen. ep. 47, 7; Plin. V, 19, 3; Dig. 21, 1, 1; Varro r. r. 2, 10, 5; Cic. oflT. 3, 17, 71; Horat ep. 2, 10, 5; Forb. H. u. R. I, pag. 28.

0 e 11 i a 8 , AtliBche Nfichte. 22

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(338) VL (Vn.) Buch. 4. Cap., §3-5.-5. Cap,, § 1. 2.

Worte lauten: „Gerade so kamen in alten Zeiten kriegs- rechtlich gefangen genommene Sklaven, mit Kränzen ge- schmückt, zum Verkauf, und daher kam für solche (über- haupt) der Ausdruck in Gebrauch: sub Corona venire, d. h. unterm Kranze zum Verkauf kommen. Denn so wie ein Kranz als Abzeichen für verkäufliche (Kriegs-) Gefangene galt, so sollte (hinwiederum) ein (den Sklaven) aufgesetzter Hut (das Publikum) darauf hinweisen, dass es sich um den Verkauf solcher Leibeigner handle, um derenwillen dem Käufer der Verkäufer für nichts Gewähr leistete (oder sich verantwort- lich machte)." 4. Es giebt aber auch noch eine andere Aus- legung für dies Verfahren, warum man sich des Ausdrucks zu bedienen pflegte: „captivos sub Corona venundari, d. h. Verkauf von kriegsgefangenen Sklaven unter dem Kranze", weil die Soldaten zur Bewachung um die Schaaren der feil- gebotenen (zum Verkauf ausgestellten Kriegs-) Gefaijgenen herumstanden und diese Umstellung durch Soldaten eben: Corona, d. h. Zirkel oder Kreis genannt worden sei. 5. Allein dass die oben von mir angegebene Meinung (des Gaelius Sa- binus) mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat, findet auch von Cato Bestätigung in seinem Buche, worin er „über das Kriegswesen" handelt. Da lauten Cato's Worte also: „dass das Volk lieber nach glücklich verlaufenem Kampf duich eigne Kraft mit dem Kranz zu Dankgebeten gehe (ut-coronatus silpplicatum eat), statt geschlagen unter dem Kranze (gleich Besiegten oder Leibeigenen) in den Kauf zu gehen (corona- tüs veniat)."

VI (VII), 5, L. liöchst merkwärdige Erzählung von dem berühmten Schauspieler Polus.

VI (VII), 5. Cap. 1. Es gab in Griechenland einen Schau- spieler von ausserordentlichem Ruf, der durch seine (aus- drucksvolle, plastische) Dai-stellung und durch die Deutlichkeit und den Wohllaut seiner Stimme alle Anderen weit übertraf. 2. Sein Name soll Polus gewesen sein. Seine Rollen aus den

VI (Vü), 4, 5. S. Festus S. 306b (L. M.) Bei feierlichen Aufzügen erschien das Volk bekränzt, mit Lorbeerzweigen in der Hand. S. Liv. 34, 55. 36, 35; 40, 37.

VI (VII), 5, 1. S. Nonius II p. 129.

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VI. (VII.) Buch, 5. Cap., §2-8.-6. Cap., § 1. (339)

Trauerspielen der hervorragendsten Dichter hatte er bis aufs Feinste durchdacht und ausgeai'beitet und stellte sie mit strengster Wahrheitstreue dar. 3. Dieser Polus verlor (zu seinem Unglücke) seinen einzig geliebten Sohn durch den Tod. 4. Als er nun (deshalb längere Zeit seine Thätigkeit ein- gestellt hatte, endlich aber) glaubte, dieses betrübende Ereig- niss genugsam betrauert zu haben, kehrte er zum Erwerbs- zweig seiner Kunst wieder zurück. 5. Zu dieser Zeit eben fiel ihm die Aufgabe anheim, in Athen die Electra (in dem gleich?iamigen Stücke) des Sophocles zu spielen und er musste (wie es diese Rolle mit sich brachte) den Aschenkrug mit den vermeintlichen Gebeinen des Orestes (ihres Bruders mit auf die Bühne) bringen. 6. Der Inhalt des Stückes ist nämlich so abgefasst, dass die Electra (bei ihrem Auftritt also) die ver- meintlichen Ueberreste ihres (geliebten) Bruders herbeibringt, dabei die heissesten Thränen vergiesst und in die herzzer- reissendsten Klagen ausbricht über den Untergang des Theuren, [der auf gewaltsame Weise umgekommen,] wie man meint.

7. Polus (bei seinem Auftritt) also, angethan mit dem Trauer- gewand der Electra, hält den aus der Gruft entnommenen Aschenkrug mit theuem Gebeinen seines unvergesslichen Sohnes in den Händen, drückt sie so, als ob es die des Ore- stes seien, an seine Brust, erfüllt die Herzen aller Zuschauer (mit inniger Theilnahme) für die Schilderung seines Seelen- schmerzes, der fem ist aller eingebildeten, ei-zwungenen Nach- ahmung und nichts athmet, als nur die wahre, natürliche Betrübniss und die liihrendste, herzzerreissendste Wehklage.

8. Während also Polus nur die Rolle des Stücks zu spielen schien, wurde von ihm (treu und lebendig) sein eignes See- lendrama abgespielt.

VI (VII), 6, L. Schriftliche Bemerkung des Aristoteles über den (bei einigen lebenden Wesen) von Natur bestimknten Ausfall einiger Sinneswerkzeuge.

VI (VII), 6. Cap. 1. Von den fünf Sinnen, welche die Natur den lebenden Wesen verlieh: das Gesicht, das Gehör, der Geschmack, das Gefühl, der Geruch, welche (zusammen- genommen) die Griechen aladi^aeig (Sinneswerkzeuge) nennen, entbehren einige Thiere bald des einen oder andern Sinnes^

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(340) VI. (Vn.) Buch, 6. Cap., §1—8.-7. Cap., §1-4.

und so werden einige von Natur entweder blind geboren, oder ohne Gei-uchsinn, oder ohne Gehörsinn. 2. Kein Thier aber,, sagt Aristoteles, wurde je geboren, dem entweder der Ge- schmacksinn oder der Gefühlsinn abgeht. 8. Seine eignen Worte aus seinem Werke „über das Gedächtniss** lauten also: ;;Allein das Gefühl, und den Geschmack haben alle Thiere, ausser wenn ein Thier unvollkommen ist."

VI (VII), 7, L. Ob man bei den Wörtern: „äffatim" (zur Genüge, hin- länglich), gleichwie „^dmodum** (nach dem gehörigen Masse) die erste Silbe scharf betont aosznsprechen habe; iemer auch noch einige anziehende, eingehende Erörterungen über die Betonungen noch (einiger) nnderer Wörter.

VI (VII), 7. Cap. 1. Der Dichter Annian war, zu- nächst einmal ganz abgesehn von seinen liebreizendsten Cha- raktereigenschaften, auch noch sprachlich (und literarisch) überaus bewandert in alten Wörtem und ihren Gebrauchs- weisen und sprach bei seinen Unterredungen mit einer ge- wissen wunderbaren und feinen Anmuth. 2. Dieser nun be- tonte stets die erste Silbe in den Wörtern äifatim und 4d- modum und nicht die mittlere, weil nach seiner Behauptung die Alten so gesprochen hätten. 3. Demgemäss habe er mit eignen Ohren, wie er sagt, folgende in des Plautus „Kästchen (Cistellaria)" vorkommenden Vei-se von dem Grammatiker Probus (auch nach dieser Weise betonen und) vortragen hören :

Pötine tu homo f&cinus facere str^nuum? AUonim äffiitim est Qui üaciant: sane ^go me nolo förtem perhiberi virom, d. h.

Kannst Da wohl eine tapfre That vollbringen, Mensch? 6'nug Andre

giebts, Sie mögen's thun. Gar nimmer ich gelten will für einen tapfem Mann;

4. und als Grund für diese Art der Betonung''gab er an, weil afifatim ja nicht zwei besondere Redetheilo darstelle, sondern beide Wörter in einander verschmolzen nur eins bilden soll- ten, wie diess auch bei der Aussprache des Worts exddver-

VI (YII), 6, 2. Weil diese beiden Sinne zur Erhaltung jeden Thierea unbedingt nothwendig sind.

VI (Vü), 7, 1. Litcrarum quoque veterum et rationum in literis op- pido quam poritus. Ueber Annian s. Teuffels Gesch. d. röm. Lit. 349, 3.

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VL (Vn.) Buch, 7. Cap., § 4—9. (341)

«um (gegenüber) der Fall sei, wo nach seiner Meinung die zweite Silbe betont werden müsse, weil man sich das Wort nur als einen Redetheil zu denken habe, nicht als zwei. Und so betont, sagte er, müsse auch in folgender Stelle bei Terenz das Wort gelesen werden (Phorm. I, 2, 38):

In qao ha^c discebat Uido, exadversiim loco Tostrina erat quaedam, d. h.

Der Schale, wo sie lernte, gegenüber just Lag eine Baderstube.

5. Er fügte auch noch die Bemerkung hinzu, dass die Präpo- sition „ad" (bei Verschmelzung mit einem Wort) fast immer scharf betont würde, weil es eine Vergrösserung bedeute, auf griechisch enhaaig, auf lateinisch intentio, wie man z. B. aus folgenden Wörteni ei-sehen könne: adfabre (kunstvoll) und admodum (nach dem gehörigen Masse, sehr) und adprobe (ganz gut und vollkommen). 6. Nun mag Annian in Bezug auf alles Uebrige vollständig Recht haben, aber wenn er meint, dass das Wörtchen („ad^) immer, sobald es einen Zu- wachs bedeutet, mit einem schai-fen Accent betont werde, so scheint dies doch nicht allemal der Fall zu sein; 7. denn so- wohl wenn wir das Wort adpotus (angetrunken) anwenden, lils auch adprimus (d. h. zu den Ersten gehörig, vorzüglich) und adprime (gar sehr), so wird zwar in allen diesen (an- geführten) Wörteni offenbar eine Vergrössenmg (ein Zuwachs) angedeutet, und doch wird die Präposition „ad'' nicht ganz zutreffend mit besonders scharfer Betonung ausgesprochen. 8. Jedoch bei dem Worte adprobus, was (offenbar) so viel bedeuten soll als valde probus (gar brav und redlich), stelle ich durchaus nicht in Abrede, dass seine erste Silbe stark betont werden muss. 9. Caecilius bedient sich dieses Wortes

VI (Vn), 7, 7. Dass adpotus soviel wie valde potus heisse und „ad'' «ehr bedeute, ist wohl nur eine grammatische Grille, was sich leicht aus Plaut. Amph. I, 1, 26 nachweisen lässt, wo es heisst:

Solem dormire atque adpotum probe, d. h.

Noch schläft die Sonn', weil sie zu derb sich angetrunken hat Denn bedeutete „ad'' sehr, so hätte Plautus sicher nicht noch probe zur Verstärkung dazugesetzt.

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<342) VI. (Vn.) Buch, 7. Cap., §9—12.-8. Cap., § 1—3.

in dem Lustspiel, welches überschrieben ist: „der Triumpf (oder: der feierliche Einzug)":

Hi^rodes hospes ^t mi adulescens ädprobos. Hierocles ist Gastfreond mir ein Jüngling gar redlich und brav.

10. Dass bei den eben vorher genannten Ausdrücken (ad- potus, adprimus, adprime) die scharfe Betonung nicht auf die erste Silbe fällt, sollte davon der Grund wohl darin liegen, weil eine von Natur schon lange Silbe darauf folgt, die ins- gemein nicht gut zulässt, dass in mehr als zweisilbigen Wör- tern die vorhergehende Silbe scharf betont wird, 11. Livius (Andronicus) sagt in folgenden Versen seiner Odyssöe das Wort adprimus im Sinne von longo primus (bei Weitem der Ersteh :

Ibid^mque vir siimmus adprimus Patröclus d. h. Nun auch daselbst der berühmte Patröclus, bei Weitem der Erste.TI

12. Derselbe Dichter Livius braucht in seiner Odyssee das Wort praemodum [in dem Sinne von admodum (über alle Massen). Er sagt: parcentes praemodum, d. h. sie verfuhren ausserordentlich schonend, was so viel heisst als „supra modum^', über die Massen (über alle} Schilderung) hinaus, oder praeter modum, übermässig. Jn diesem Wort wird selbst verständlich die erste Silbe scharf betont werden müssen.

Vt (VII), 8, L. Eine fast ungleablicho Erzählnng fiber die Liebe einea Delphins für einen Knaben, als Gegenstand seiner Znneignng.

VI (VII), 8. Cap. 1. Nicht nur nach altern geschicht- lichen Berichten, sondern auch nach neuern Nachrichten wird uns die Versicherung, dass Delphine geil und verliebt sind. 2. Denn im puteolanischen Meer, sowohl unter den Kaisern nach hinterlassenen Berichten des Apion, als auch einige Jahrhunderte vorher bei l^^aupactus, nach einer Ueberlieferung des Theophrast, will man Beispiele von einer höchst leiden- schaftlichen Liebe (und beständigen Anhänglichkeit) solcher Delphine erkannt und befunden haben. 3. Sonderbarer Weise

VI (Vn), 8, 1. S. Aristot, Thiergeschichte 9, 48; Herodot I, 28; Plin. ep. 9, d^ Aelian: Thiergeschichte 6, 5; Plutarch: über den Verstand der Land- und Wasserthiere cap. 86; Athenaeus VIT, 7; VUI p. -666.

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VI. (VIL) Buch, 8. Cap., § 8-7. (343)

machten sie aber nicht nur Wesen von ihrem eignen Ge- schlechte zum Gegenstand ihrer Zuneigung, sondern ent- brannten erstaunlicher Weise von (fast) menschlicher Liebe fOr Knaben von edler Gestalt, die sie etwa zufällig in Gon- delchen (und Kähnchen), oder an seichten Küstenufem ge- sehn hatten. 4. Ich führe (füglich) hier gleich eine Stelle aus des gelehrten Apion fünftem Buche seiner „ägyptischen Geschichte" wörtlich an, wo er ein Beispiel beibringt von Zuneigung und liebenswürdiger Zuthunlichkeit eines Delphins gegen einen Knaben , der deshalb furchtlos sich an ihn ge- wöhnte, mit ihm schäkerte, (auf seinem Rücken sitzend) allerlei Lustfahrten mit ihm unternahm und ihn (im Wasser) aller- hand Wendungen vornehmen Hess ; und Apion versichert, dass er und noch mehrere Andere diesem Schauspiele mit eignen Augen zugesehn. 5. „Ich selbst, erzählt er, sah bei Dikae- archia (Puteoli in Campanien) einen Delphin, von Gefühlen der Zuneigung gegen einen Knaben, Hyakinthos genannt, lei- denschaftlich eingenommen. Auf des (geliebten) Knaben Ruf hielt er sich sofort gern segelfertig und zog die Stacheln ein. Alles vermeidend, damit er nicht im Geringsten den gelieb- ten Leib verletze und trug ihn, der wie auf einem Pferde- rücken ausgebreitet sass, wohl zwanzig Stadien weit (auf dem Wasser herum). Ganz Rom , ja ganz Italien strömte herbei, weil Alle den Fisch sehen wollten, der durch (das Steuerruder der) Liebe gelenkt wurde." 6. Daran knüpft er noch einen höchst wunderbaren Zusatz. Später, fährt er fort, fiel der- selbe vom Delphin so geliebte Knabe in eine schwere Krank- heit und starb. 7. Als nun jener treue Delphin oft an das Ufer, d. h. an den Anfang der Furt, wo sein Eintreffen ge- wöhnlich von dem Knaben abgewartet wurde , geschwommen kam und der Knabe (sein Liebling) nie wieder ei-schien, ver- zehrte er sich aus Sehnsucht nach ihm und hauchte eben- falls sein Leben aus. Von Denen nun , welche ihn am Ufer liegend fanden und den Sachverhalt kannten, wurde er in der Gruft bei seinem geliebten Knaben beerdigt.

VI (VII), 8, 4. S. Plin. h. n. 9, 8.

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(344) VL (Vn.) Buch, 9. Cap., § 1—8.

VI (VII), 9, L. Daes viele alte Schriftsteller nicht, wie es nachher der Sprachgebrauch in Aofnahme brachte, gewisse Perfect- Formen durch Ein- schaltung eines o oder u in die erste (Reduplications-) Silbe, sondern (darch ein c gebildet und) gesagt haben: peposci (ich habe gefordert), memordi (ich habe gebissen), pepugi (ich habe gestochen), spepondi (ich habe gelobt), cecurri (ich bin gelaufen) und dass sie diese Perfect-Form ganz nach Art und Weise der griechischen Vorschrift gebildet haben. Ausserdem noch die Bemerkung, dass sehr berähmte Gelehrte von dem Zeitwort descendo (ich steige herab) im Ferfecto nicht descendi, sondern descendidi sagten.

VI (VII), 9. Cap. 1. Man scheint poposci, momordi, pu- pugi, cucuni allgemein als richtig gebildete Perfect-Formen anzusehen, und deshalb bedient sich jetzt auch fast die ganze gebildete Welt dieser Wortformen. 2. Allein Q. Ennius hat (bei diesen Reduplicationsformen ein e gebraucht und) me- morderit gesagt, nicht momorderit. Seine Worte lauten : „Das ist nicht meine Art, gleich als wenn mich der Hund gebissen hätte (memorderit)". 3. So auch Laberius in seinem Stück „Galli" : „Von meinem ganzen Erbtheil habe 100,000 Sesterzien ich schon verzehrt (memordi)". 4. So auch derselbe Laberius wieder in seinem „Färber (colorator)" :

„So kam ich unter leichtem Kohlenfeuer (pruna) gar gekocht

Bald unter dieses Weibes Zähne, die mich zweimal, dreimal biss (memordit)*'.

5. Eben so heisst es bei P. Nigidius im zweiten Buche seines Werkes „über die Thiere": „Wenn eine Schlange (uns) ge- bissen (memordit d. h. gegen den Schlangenbiss) nimmt man eine Henne und legt sie auf (die Bisswunde)". 6. So auch Plautus in seiner „Topfgeschichte (Aulularia)": „Als er den Menschen angebissen (admemordit d. h. um sein Geld ge- rupft)." 7. Ebenso sagt aber Plautus in seinen „Drillingen (Trigemini)" (weder praemordisse) noch praemomordisse, son- dern praemorsisse:

„War' ich nicht geflohen, ich glauh', sie h&tt' inmittelst mich gebissen

(promorsisset)**.

8. Auch Atta hat in seiner „Vennittlerin (Conciliatrix)" : „Er behauptet, ihn habe ein Bär gebissen (memordisse)^.

VI (VII), 9, 5. Nigidius über Zoologisches s. Teuffels röm. Lit. 196, 8.

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VI. (Vn.) Buch, 9. Cap., § 9-13. (345)

9. Auch bei Valerius Antias finden wir im 45. Buche seiner Jahrbücher „peposci" geschrieben und nicht poposci. Da heisst es: „Endlich hat der Volkstribun ihm wegen des pein- lichen (Staats-) Verbrechens einen Termin angekündigt und vom Praetor M. Marcius verlangt (peposcit), einen Tag für die (Abhaltung der Centuriat-) Comitien zu bestimmen."

10. Eben so sagt Atta in seinem „Aedilenlustspiel": „Allein wenn ich (ihn) gestochen haben werde (pepugero), so wird er (fortan) Furcht haben". 11. Dem Probus verdanken wir die Bemerkung, dass auch Aelius Tubero in seinem an C. Oppius gerichteten Buche „occecun-it (begegnet sein sollte)" gesagt habe und er führt dabei auch gleich die betreffende Stelle desselben an: „Wenn die allgemeine (Begriffs-) Föhn vorge- kommen sein sollte (occecun-erit)". 12. Weiter noch bemerkt derselbe Probus, dass bei Valerius von Antium im 22. Buche seiner Geschichte speponderant (sie hatten versprochen) ge- schrieben steht, und wir finden dabei auch hier gleich die be- zügliche Stelle angeführt: „Tib. Gracchus, der in Spanien dem G. Mancinus als Quaestor beigegeben war, und alle Andern, die den Frieden gelobt hatten (speponderant)." 13. Es kann aber den Anschein gewinnen, dass der Grund und Ursprung für (alle) diese Ausdinicksarten darin zu suchen, weil die Griechen bei einer besondern Form des Perfects, von ihnen TtaQayMfÄevog sc. XQ^^OQ (d. h. vergangene Zeit oder Ver- gangenheit) genannt, den zweiten Buchstaben (vom Stamme in der Reduplicationssilbe) in e verwandeln, z. B. y^ayw (schreibe), yiygaqHx', Ttouo (thue), TtenoiTjyia; laXco (spreche),

VI (VII), 9. 9. In Bezug auf die Anstrengung (Ansteliung) eines Per- duellions- (Mijestätsbeleidigungs-) Processes von Seiten des Tribuns Lici- nius, wozu er sich vom Praetor den Gomitialtag erbat, s. Lange r. A. § 126 S. (483) 52a

VI (VII), 9, IQ. T. QuinctiuB Atta, Lustspieldichter f 676 u. c. S. Teuffels röm. L. 6. § 180.

VI (VII), 9, 12. C. Hostilius Mandnus (Cons. 617/137, Nachfolger des M. Poppüios Laenas) erlitt eine derartige Niederlage von den Numan- tinem, dass er zur Rettung des Heeres einen schimpflichen Vertrag ein- gehen musste, den die Numantiner nur erst nach Verbürgung des jungen Quaestors Tib. Sempronius Gracchus eingingen, der sich für die Annahme beim Volk verantwortlich machte. Plut T. Gracch. 5. 6: Aur. Vict vir. ilL 59; Dio C. fr. Peir. 86.

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(346) VI. (Vn.) Buch, 9. Cap., § 13—18. - 10. Cap., § 1. 2.

XeldXtpia; y,QaT(o (herrsche), xr/c^crTiy)ta; lovio (wasche), Id- Xov/xx; 14. geradeso bildet man (im Lateinischen) von mordeo (beisse), memordi (im Perfecto), von posco (fordre), peposci; von tendeo (spanne), tetendi ; von tango (berühre), tetigi ; von pungo (steche), p^ugi; von curro (laufe), cecurri; von tollo (tulo, trage), tetuli; endlich von spondeo (gelobe), spepondi. 15. So sagten auch M. Tullius und C. Caesar mordeo, me- mordi; pugo, pepugi und spondeo, spepondi. Ausserdem fand ich, dass auch vom Zeitwort scindo (zei'schneide, spalte) auf eine ähnliche Weise (das Perfectum) nicht seiderat, sondern sciciderat gesagt wurde. 16. L. Accius im ersten Buche sei- ner „sotadischen Verse" sagt sciciderat Seine Worte lau- ten : „NJ^ht also so, wie sie sagen, hatte ein Adler (ihm) die Brust zenissen (sciciderat).** 17. Auch Ennius sagt in seiner

Melanippe: „Als er den Fels gespalten (sciciderat).** [ ]

Valerius Antias im fUnfundsiebzigsten Buche seiner Geschichte schreibt Folgendes: „Als er hierauf die Leichenfeierlichkeit bestellt, stieg er aufs Forum herab (descendidit).** 18. Auch Laberius schreibt in seinem „Schoosshtindchen (Catularius)** also: „Ich war verwundert, wie mir die Brüste [herabfielen (descendiderant) ].**

VI (VII), 1 0, L. Dass man das Wort : nsncapio (Eigenthnmsrechtergreifnng

im Nominativ) als ein einziges Wort zusammengezogen braucht; ebenso

sei in derselben Wortformation: pignoriscapio (Pfandnehm ung, Pfündung)

verbunden als ein Wort betrachtet worden.

VI (VII), 10. Cap. 1. So wie man das Wort usucapio (Eigenthumsrechtergreifung) als einen zusammengezogenen (in ein Wort vereinigten Rechts -)' Begriff gebraucht, wobei der Vokal a lang ausgesprochen wird, ebenso spricht man auch pignoriscapio (Pfandnehmung , Pfändung) ungetrennt als ein Wort (und darin das a ebenfalls lang) aus. 2. Im ersten

VI (VII), 9, 16. Sotadiscbe Verse, die einen versteckten, sihlimmen Sinn hatten (versus cancrini), benannt nach dem griechischen Dichter So- tades aus Maroneia in Thracien, welcher solche unzüchtige Verse verfasste, die, rückwärts gelesen, entweder obscön wurden oder die Grossen an- griffen, weshalb er zur Strafe im Meer ertränkt wurde.' Ueber L. Accius 8. Gell, n, 6, 23 NB.

VI (VII), 10, 2 ist für verba Catonis etc. zu schreiben Varronis mit

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VI. (Vn.) Buch, 10. Cap., § 2. 8. 11. Cap., § 1—4. (347)

Buche der „in Briefform abgefassten Untersuchungen" lauten (darüber) Cato's [vieiraehr Varro's] eigne Worte: „Als ein be- sonderes (apartes) Wort ist der Ausdruck gäng und gebe: pignoriscapio, (Pfandnehmung) wegen (rückständiger) Soldaten- löhnung, welchen Sold jeder einzelne Soldat vom öffentlichen Schatzmeister erhalten musste.^ 3. Daher es vollständig klar vor Augen liegt ^ dass das Hauptwort capio, ganz wie captio (das Nehmen, die Ergreifung) sowohl hinsichtlich des (facti- schen) Besitzes (in usu), als hinsichtlich des Pfandes (in pignore) gesagt werden kann.

VI (TII), 1 1 , L. UMS weder „levitos", noch „nequitia" eigentlich diejenige

Bedentang haben, in der sie in der gewöhnlichen Umgangssprache

gebraucht werden.

VI (VII), 11. Cap. 1. Ich höre sehr oft das Woi-t „levitas'^ in der Bedeutung von Unbeständigkeit und Veränderlichkeit anwenden, und das Wort „nequitia" im Sinne von List und Verschlagenheit. 2. Allein unter den Alten haben Alle, die sich eines reinen imd unverfälschten Ausdrucks befleissigten, mit dem Worte „leves" Menschen bezeichnet, welche wir jetzt gewöhnlich verworfen und unehrenwerth nennen, und man brauchte also das Wort „levitas'' in dem Sinne, wie Verworfen- heit (Niederträchtigkeit, Erbärmlichkeit, Nichtswürdigkeit); und mit dem Ausdinick „nequam" bezeichnet man einen heil- losen Menschen, einen, der weder etwas werth ist (einen Taugenichts), noch zu etwas nütze ist (einen Nichtsnutz) : der- gleichen Gesindel die Griechen fast ähnlich bezeichneten durch die Ausdrücke: aacoTog (verdorben, heillos), oder a^o- XaOTog (zügellos, frech), (oder axe^^og^ unnütz, oder axgrjüTog^ unbrauchbar, oder ^lagog, verrucht). 3. Wer Beispiele für diese (Behauptung und Beleg für diese) Wortbedeutung ver- langt, braucht sie nicht erst aus schwer zugänglichen Werken weit herzuholen, sondern wird solche in der zweiten von M. Ciceros philippischen Reden finden (M. Gicer. in Anton. II, 31, 77). 4. Denn als eben Cicero die gewissermassen höchst schmutzige Art des Treibens und der Lebensweise von M.

Lipsius var. lect. III, 21 S. 103 (vergl. Meyer or. Rom. fragm. S. 125). Mercklin.

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(348) VL (Vn.) Buch, 11. Cap., § 4—6.

Antonius zu schildern im Begriff stand, dass er sich in einer Kneipe versteckte ; dass er bis spät sich dem Tiinken ergab ; dass er mit verhülltem Gesicht reiste , um ja nicht erkannt zu werden, als er eben damit umging, dies und vieles An- dere der Alt gegen ihn vorzubringen, sagte er: „Seht doch nur die Nichtswürdigkeit (levitatem) dieses Menschen", als ob alle seine Schandflecken durch diesen einzigen Fehler (und Vorwurf) an dem Menschen hinlänglich bezeichnet wären. 5. Aber nachher, als er allerhand andere spöttische und garstige Schimpfreden gegen ihn ausgestossen , fügt er zum Schluss noch Folgendes hinzu: „o hominem nequam! d. h. o über diesen nichtswürdigen Menschen! Denn ich kann wahrhaftig keinen bezeichnenderen Ausdruck finden." 6. Aber es will mir zweckmässig erscheinen, aus dieser Stelle des M. Cicero nicht nur diese wenigen Worte allein anzuführen: „Aber so seht doch nur (heisst es also) die Nichtswürdigkeit (levitatem) dieses Menschen! Als er etwa um die zehnte Tagesstunde

VI, (YII), 11, 4. Marcus Antonius, der Tnupivir, aus einem der ältesten Patriciergeschlecliter, Sohn des Praetors und Enkel des Redners, 'geb. 68 y. Chr., durch seine Mutter Julia mit Caesar verwandt, der ihn zum Befehlshaber der Reiterei und Statthalter von Italien machte. Nach Caesars Ermordung herrschte er in Rom unumschränkt, weshalb Cicero seine berühmten (antonischen oder philippischen) Reden gegen ihn hielt Octavian, Caesars Erbe, schlug ihn bei Mutina, er floh über die Alpen zu Lepidus. Octavius zieht gegen Beide und bei einer Zusammenkunft kam das Triumvirat zwischen Octavianus,. Antonius und Lepidus zu Stande. Verfolgung der Republikaner. Antonius rächte sich an Cicero, den er ermorden liess. Schlacht bei Philippi, wo die geschlagenen Häupter der Republikaner, Brutus und Cassius, sich selbst tödteten. Nach dem Tode seiner Gemahlin Fulvia (der Wittwe des Glodius) heirathete er Octavia, die Schwester des Octavius. Hierauf verletzte er zu Gunsten seiner Geliebten Kleopatra, der Königin von Aegypten, das Interesse des Staates. Krieg zwischen ihm und Octavian, von dessen Schwester er sich trennte. In der Schlacht bei Actium (31) geschlagen, floh er nach Aegypten, wo er bei Alexandria geschlagen, sich selbst tödtet und in den Armen der Kleopatra (80 v. Chr.) starb.

VI (VII), 11,. 6. Saza rubra, dieser Ort mit vielen Steinbrüchen lag an der fiaminischen Strasse zwischen Rom und Yqji, nahe bei Cremera in Etrurien. Catamitus (verdorben aus Ganymedes), ein Lustknabe, Buhle (pathicusi konnte Antonius sehr wohl genannt werden als leiden- schaftlicher Anbeter der Fulvia, die erst Gemahlin des berüchtigten Glo- dius, dann des Marcus Antonius war.

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VI. (Vn.) Buch, 11. Cap., § 6—9. (349)

nach (dem etrurischen Orte) Saxa rubra gekommen war, ver- kroch er sich in ein Kneipchen und trank daselbst, sich ver- steckt haltend, bis zum Abend; dann fuhr er in einem Ca- briolet (cisium, d. h. in einem leichten, zweirädrigen Reise- wagen) schnell nach der Stadt und kam mit verhülltem Gesichte nach Hause. Der Thürhüter fragt : Wer bist du ? Von Marcus ein Briefbote. Sogleich wird er zu ihr, um der zu Liebe er gekommen, geführt und überreicht ihr den Brief. Da sie denselben nun unter Thränen las, er war nämlich in verliebtem Tone geschrieben, der Hauptinhalt des Briefes aber war: er werde fortan mit jener Schauspielerin nichts mehr zu thun haben, er habe all seine Liebe von jener abgewandt und habe sie nun (allein) ihr zugewandt, da nun die Frau noch heftiger zu weinen anfing, konnte dies der mitleidige Mann nicht länger ertragen, enthüllte sein Haupt, fiel ihr um den Hals. 0 über den nichtswürdigen Menschen (o hominem nequam)! Denn ich kann wahrhaftig keinen bezeichnenderen Ausdruck finden. Damit Dich, Wol- lüstling (catamitum), wenn Du Dich wider Vermuthen offen zeigen würdest, Deine Gattin unverhofft sehen möchte, des- halb hast Du die Stadt durch mächtigen Schrecken, Italien durch vieltägige Angst beunruhigt?" 7. Aehnlich bezeichnet mit* dem Ausdruck nequitiä auch Q. Claudius (Quadrigarius) im ersten Buche seiner „Jahrbücher" die ausschweifende und übertriebene Verschwendungssucht im Leben in folgender Stelle: „Auf Ueberredung von einem gewissen lucanischen jungen Manne, der von höchster Abkunft war, aber durch Ausschweifung und Liederlichkeit (nequitiä) ein unermessliches Vermögen verprasst hatte." 8. M. Varro in seinem Schrift- werke „über die lateinische Sprache" sagt: „Wie aus „non" und „volo" das Wort nolo entsteht, so entsteht aus Zusammensetzung von ne und quidquam mit Auslassung der mittelsten Silbe das Wort nequam." 9. Der jüngere P. Scipio Africanus in seiner Selbstvertheidigung gegen den Tiberius Asellus, der ihn

VI (VII), 11, 9. An dieses Beispiel sokratischer Ironie reibt sich ein andres von dem Sarkasmus desselben Publius Scipio Africanus, des Aemilius Paulos Sobn, im nächsten Capitel des Gellius VI (VII), 12, 5. Ueber sei- nen Hang, interessante Histörchen einzuflechten, vergl. Gell. 4, 20. Publius

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(350) VI. (Vn.) Buch, 11. Cap., § 9.

zu einer Geldstrafe verurtheilt wissen wollte, sprach vor dem Volke also: „Alle Schlechtigkeiten, Schändlichkeiten und Ehr- losigkeiten, welche die Menschen begehen, lassen sich in zwei Worten zusammenfassen: Schlechtigkeit und Liederlichkeit (malitia et nequitia). Welche von den beiden er nun wohl als Vertheidigungsgi-und anfuhren wird, ob die Schlechtigkeit, oder die Liederlichkeit, oder beide zugleich? Wenn Du Deine Liederlichkeit voi-schieben willst, mag es sein. Wenn Du nun aber an einem Hurenfell weit mehr Geld verprasst hast, als wie hoch Du den ganzen Inbegriff Deines sabinischen Grund- stücks bei Gelegenheit der Abschätzung angegeben, wenn dies (unbestreitbar) der Fall ist, wem wird es nun da noch einfallen, (für Deine Ehre und für Deine Unschuld) tausend Se- sterzien zu verwetten (d. h. um von Dir den Vorwurf der Liederlichkeit abzuwälzen)? Ferner: wenn Du mehr als den dritten Theil Deines väterlichen Vermögens durdi Dein Schand- leben verschwendet und vergeudet hast, wenn dies (unbe- streitbar) der Fall ist, wem wird es da nun noch einfallen, tausend

Cornelius Scipio Afiicanos der Jüngere (vergl. KB zu Gell IV, 18. Stamm- baum), der, weil er aus der ämiUschen Familie in die comelische war adoptirt worden, den Beinamen Aemilianus führte. Er wurde im Jahr d. St. von dem römischen Rath nach Syrien und Aegypten geschickt, um von dem Zustand dieser Länder Nachricfit einzuziehen und die unter den Königen daselbst entstandenen Streitigkeiten zu schlichten. Bei dieser Ge- legenheit wählte er zu seinem einzigen Begleiter den stoischen Philosophen Panaetius aus Rhodus, der sein Lehrmeister gewesen war und damals in dem grössten Kuhme stand. Auf den Feldzügen gegen Carthago und Numantia in Spanien begleitete diesen jüngeren Africanus der bekannte Geschichtsschreiber Polybius aus Megalopolis in Arkadien. Scipio hatte gegen Numantia ein Heer von Freiwilligen aufgeboten, um ihn selbst hatten sich 500 seiner näheren Bekannten gesammelt, die er „die befreundete Schaar'^ nannte. Laelius, mit Recht der Weise genannt, wurde yom Scipio wie ein Vater geehrt Dieser und Scipio genossen den Ruf der höchsten Reinheit in Betreff des Ausdrucks in ihrer Muttersprache, um deren wei- tere Entwickelung und Durchbildung sie eifrig besorgt waren. S. Gell. II, 20, 5 und VI (VII), 12, 4. üeber Panaetius s. GeU. XVII, 21, 1 NB. lieber P. Scipio Aemilianus s. Teuffels Gesch. der röm. Lit 137, 1. Macrob. (II, 10 ==) III, 14, 7 findet sich ein Ueberrest seiner Rede gegen die lex judiciaria des Tib. Gracchus. Qui spondet mille nummum? Wetten, obgleich in Bezug auf rein zufällige Dinge verboten (Dig. XI, 5, S), waren trotzdem in Rom nichts Seltenes. Vergl. Plaut Epid. V, 2, 84; CatuU. 44, 4; Orid. a. a. I, 168.

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VL (Vn.) Buch, 11. Cap., § 9. 12. Cap., § 1—4. (351)

Sesterzien zu verwetten (sc. um Dich von dem Vorwurf der Liederlichkeit rein zu waschen)? Deine Liederlichkeit aber willst Du zwar nicht ableugnen? Nun wohlan! so mache wenigstens Anstalt, Dich von dem Vorwurf der Schlechtigkeit zu reinigen. Wenn Du nach vorausgegangener, feierlicher, förmlicher Vereidigung (der Andern) wissentlich und nach Deinem Wissen und Gewissen (falsch) nachgeschworen hast, wenn dies der Fall ist, wem wird es dann noch einfallen, tausend Sesterzien zu verwetten (sc. um nun endlich doch den Vorwurf der Schlechtigkeit von Dir abzuwälzen)?"

VI (VIIX 12, L. lieber die mit langen (bis über die Hände reichenden) Acnneln yersehenen Toniken (d. h. Unterkleider, Schosswesten). Wie P. Africanus dem Sulpicins Gallas die Benutzung solcher Kleidungsstücke zum

Vorwurf macht.

VI (VII), 12. Cap. 1. Zu Rom und im ganzen Latium galt es für unziemlich, wenn ein Mann sich solcher Unter- kleider (oder Schosswesten) bediente, deren Aennel über den Unterarm hinauslangten und vor über die Hände bis an die Finger reichten. 2. Diese Art von Unterkleidern bezeichneten die Unsrigen mit einem ginechischen Ausdruck: yiiqidcoTol (Beärmelte) und waren der Ansicht, dass nur Frauen ein langes und weit ausgebreitetes Kleidungsstück wohl anstehe, um Arme und Beine (sittsam) vor den Blicken (der Welt) zu bedecken. 3. Anfangs ging nun zwar Roms männliche Be- völkerung ohne alle Unterkleider (sine tunicis), nur mit einem Rocke (toga) bekleidet, später aber hatte man knapp anlie- gende und kurze Schosswesten (tunicae), die an der Schulter aufhörten, im Gebrauch, eine Kleidungsart, welche die Grie- chen (mit dem Ausdruck) i^ioi-iig (Männerkleid mit einem ein- zigen Aennel) nannten. 4^ Fussend auf dieser alten, guten Sitte, fühlte sich P. (Scipio) Africanus, des (Aemilius) Paulus Sohn, ein Mann, betraut mit allen schönen Künsten und mit jedem sittig tugendhaften Anstand, gedrungen, dem P. Sul- picius (Jallus, einem sinnlich üppigen Menschen, unter ver- schiedenen andern Aussetzungen, auch noch besonders diess (als etwas Unsittliches) zum Vorwurf zu machen, dass er (der neumodischen Eleganz in der Kleidung huldige und) Schoss- westen trüge, die (mit ihren Aermeln) die Hände ganz be-

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(352) VI. (VH) Buch, 12. Cap., § 5—7. - 13. Cap., § 1—3.

deckten. 5. Scipio's eigne Worte lauten also: „Ein Mensch, der sieh täglich (pomadisirt und) einsalbt und sich vor dem Spiegel anputzt; der sich seine Augenbrauen scheeren lässt; der mit ausgezogenem Barthaar und unter glattgerupftem WeibsVolk einherwandelt; der bei Gastgelagen schon als noch ganz junger Mensch unten (am Ehrenplatz der Tafel) in einer Schossweste mit langen Aeimeln (neben seinem Liehhaber) gelagert ist; der nicht nur gern Weines voll, sondern auch mannstoll ist: wer wird nun wohl daran zweifeln, dass ein solcher Mensch nicht Alles das begangen hat, was wider- natürUche Wollüstlinge zu thun gewohnt sind?" 6. Auch Vergil ergeht sich in solch vorwurfsvollem Tadel über der- gleichen Schosswesten (der Trojaner), wie über eine be- schimpfende (Weiber-) Kleidung (Verg. Aen. IX, 616):

Et tunicae manicas et habent redimicula mitrae, d. h. Auch hat Aermel der Rock, aach prangt mit Binden die Haube.

7. Ebenso scheint auch Q. Ennius nicht ohne (eine versteckte Absicht zum) Tadel die jungen Carthager „tunicata Juventus, d. h. die Jugend im (Hemd, Hauskleid) Negligö" genannt zu haben.

VI (VII), 13, li. Welcher Bürger von .Cato „classicus** genannt warde, und wer unter der Bezeichnung „infra classem" verstanden wurde.

VI (VH), 13. Cap. 1. Mit dem Ausdruck „classici" (sc. cives) bezeichnet man nicht alle Bürger (zusammengenommen), die (nach der getroffenen Eintheilung) zu den fünf Klassen gehörten, sondern nur die Bürger der ersten (reichsten) Ab- theilung, die mit 125,000 Asses oder mehr sich hatten ab- schätzen lassen. 2. Mit der Bezeichnung „infra classem^ wurden aber belegt: die Bürger der zweiten und aller noch übrigen Abtheilungen, die also mit weniger Vennögensbesitz abgeschätzt wurden , als die oben von mir genannten (der ersten, reichsten Klasse). 3. Diese kurze Bemerkung habe ich darum aufgezeichnet, weil in der Rede des M. Cato,

VI (VII). 13, 3. Lex Voconia, Plebiscit vom Volkstribun Q. Voconius Saxa (585/169. s. Liv. ep. 41) verbot die Erbeinsetzung der Frauen, um eine Quelle der Keichthümer zu verstopfen, durch welche die Frauen am meisten ziu- Verschwendung geführt würden, gestattete aber, den Frauen

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VI. (VIL) Buch, 13. Cap., § 8. - 14. Cap., § 1-5. (353)

worin er das voconische Gesetz anräth, man sich gewöhnlich fragt, was unter den (darin vorkommenden) Ausdrücken „classicus** und „infra classem" zu verstehen sei. '

VI (VII), 14, L. Ueber die (allgemein angenommenen) drei Stilarten nnd

über die drei Philosophen, welche von den Athenern an den römischen

Senat abgesandt wurden.

VI (VII), 14. Cap. l. Sowohl in gebundener, wie in un- gebundener Rede werden (allgemein) drei Stilarten als zu- lässig angenommen, welche von den Griechen mit dem Aus- druck: xß^öXT^^fig (Stileigenthümlichkeiten) belegt und durch folgende besondere Bezeichnungen eingetheilt (classificirt) wur- den: der volle Stil (adQog), der einfache {laxvog) und der (zwischen beiden) in d^r Mitte stehende (jiiaog). 2. Auch wir Römer (machen dieselbe Eintheilung und) belegen den Stil, welchen wir als den ersten (vorzüglichsten) ansehen, mit dem Ausdi-uck: über (der reiche, volle, erhabene Stil), den zweiten: gracilis (der schlichte, einfache, einnehmende, sanfte, bescheidene), den dritten: mediocris (der die Mitte zwischen beiden hält). 3. Der gedankenreiche, erhabene, volle Stil (über) zeichnet sich durch seinen würdigen Gehalt und durch den erhabenen Schwung (amplitudo, Reichthum in Gedanken und Worten) aus; der einfache, bescheidene Stil (giacilis) durch seine Anmuth und seine Schlichtheit (sub- tilitas) und endlich der zwischen diesen beiden in der Mitte stehende, an sie angrenzende theilt die (guten) Eigenschaften mit beiden. 4. Jeder .dieser drei vorzüglichen Stilarten sind die gleiche Anzahl fehlerhafter Ausdrucksweisen nahe ent- sprechend, welche (sich dadurch von den andern abheben, dass sie) ihre Art und Eigenthümlichkeit in unwahren Ab- bildungen sich erlügen. 5. So halten sich fälschlicher Weise

Legate zu vermachen, sobald diese Vermächtnisse die Hälfte der Erb- schaft nicht aberschritten. Diese lex Voc de mulierum hereditatibus wurde von Cato unterstützt. Cic. r. p. 3, 10; Verr. I, 41 ff.; Phil. III, 6; s. GeU. XVU, 6, 1; XX, 1, 23; vergl. Paul S, 113. (L. M.) Festus 282; Cat or. 32.

VI (VII), 14, 1. Vergl. Beruh. R L. NB. 142.

VI (VII), 14, 2. ubertas, W^ortfÜUe mit breiter Exposition. S. Beruh. R. L. NB 311.

G ellit» 8, Attiwhe Nächte. 28 r^^/^^T^

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(354) VI, (VII.) Bucb, 14. Cap., § 5-9.

meist schwülstige Redner schon wegen ihrer Ueberladung (iui Wortausdruck) für gedankenreiche; so gilt trockne, saft- und kraftlose Schwätzerei für schlichte Einfachheit; so gewinnt Unverständlichkeit und Vieldeutigkeit den Schein und das Ansehen von (beabsichtigter) Mässigung. 6. Als wahre und ächte Muster-Beispiele aber aller derartigen (idealen, charak- teristischen) Ausdrucksweisen in der lateinischen Sprache führt . M. Varro den Pacuvius als Vertreter der Hoheit und Gedankenfülle (ubeitatis), den Lucilius als Vorbild ein- nehmender Einfachheit (gracilitatis) und den Terentius als solchen an, der die (goldne) Mittelstrasse einhält (mediocri- tatem)w 7. Jedoch für diese schon von Alters her angenom- mopen drei Mustei-stilarten findet sich schon bei Homer eine genaue und scharfe Zeichnung an folgenden drei Männern hinterlassen: an dem Ulysses die Erhabenheit und Reich- haltigkeit in seiner Ausdrucksweise (genus ubertum), an dem Menelaos die Schlichtheit (subtile) und Bescheidenheit, an dem Nestor die besonnene Mässigung (moderatum) mit Ver- einigung aller Vorzüge der beiden Andern. 8. Diese drei- fache Stilverschiedenheit findet sich auch bei den drei Philosophen angenommen, welche die Athener nach Rom an den Senat in der Absicht entsendet hatten, einen Erlass der ihnen wegen Verwüstung der Stadt Oropos auferlegten Geld- busse auszuwirken. Diese Geldbusse betrug ohngefähr 500 Talente (= 1 Million Gulden oder 640,625 Thlr.). 9. Diese (drei) Philosophen waren : Gameades, ein academischer Philo»'

VI (Vn), 14, 6. lieber die Eigenthümlichkeit des Terenz s. Teuffels röm. Lit § 110 und Qber C. Lucilius § 182, 8 bei Teuffei.

VI (VU), 14, 8. Die Jugend strömte in Masse herzu, die drei Philo- sophen zu hören; selbst der Senat billigte die Huldigung, welche diesen Männern dargebracht wurde, nur der alte Cato behauptete, dass sie die römische Jugend verderben wOrde. S. Plut Gat Gens. 84.

VI (VII), 14, 9. G. Acilius Glabrio, Verfasser einer römischen G^ schichte in griechischer Sprache, welche Glaudius Quadrigarius ins Latei- nische übersetzte (Gic off. 8, 82, 115.), diente den im Senate auftretenden drei Gesandten als Dolmetscher. Die Veranlassung zu dieser Gesandtschaft, welche ins Jahr 899 u. c. (155 ▼. Chr.) fiel, unter dem Gonsulate des P. Gomelius Scipio Nasica und des Marc Glaudius Marcellus, also 52 Jahre nach dem zweiten punischen Kriege, war nach Angabe des Pausanias (VII, 10.) folgende: Die Athener hatten, blos aus Noth und Dürftigkeit,

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VI. (VII.) Buch, 14. Cap., § 9. (355)

soph, Diogenes, ein stoischer und Critolaos, ein peripathe- tischer. Sie erhielten nun zwar auch Zutritt in -den römischen Senat und bedienten sich des Senatoi*s G. Acilius als Dol-

worein sie durch die Folgen des Krieges der Kömer mit dem letzten macedonischen König Perseus gerathen waren, die an ihren Grenzen liegende Stadt Oropos ausgeplündert Die Einwohner dieser Stadt wen- deten sich deshalb mit einer Klage an den römischen Senat Dieser trug nun seinen Verbündeten, den Sikyoniem auf, die Sache zu untersuchen und die Athener zur Ersetzung des Schadens anzuhalten. Als die Athener auf Vorladung der Sikyonier nicht erschienen, wurden sie von diesen zu einer Geldstrafe yon 500 attischen Talenten (ohugefähr 1 MiUion Gulden) verurtheilt Diese Summe war für das arme Athen unerschwinglich , de.s- halb wurde eine Gesandtschaft nach Rom entsendet, um den Erlass dieser Strafe zu bewirken. Diese Gesandtschaft bestand nun aber eben aus den drei grössten Kednem (welche zugleich auch Vorsteher ihrer drei vor- nehmsten Rednerschulen waren), aus dem Akademiker Gameades, dem Stoiker Diogenes und dem Peripathetiker Critolaus. Diese Gesandtschaft, besonders aber des gewaltigen Dialektikers Cameades, erregten durch ihre grossen Rednergaben ungeheures Aufsehen und verschafften sich durch ihre unerschöpflichen Redekünste einen ausserordentlichen Anhang, be- sonders unter der römischen Jugend. Daher schreibt sich auch die seit dieser Zeit unter den Römern zunehmende Liebe zur griechischen Sprache, Literatur und Philosophie. Weil nun das Ansehen dieser Philosophen in der Stadt immer höher stieg und ihre Reden so verführerisch wirkten, so gab Gato den Rath, die besagte Summe auf den fünften Theil herab- zusetzen und die Gesandten schnell wieder nach Athen zu schicken, damit sie, wie Plutarch ihn sagen lässt, in ihrer Heimath mit hellenischen Jungen weiter disputiren könnten. Sie besassen die Kunst der Worte und des Scheins, jene gefährliche Fähigkeit, die Lüge so aufzuputzen, dass sie der Wahrheit glich, wobei sie sich noch rühmten, die innerlich faule und ver- lorene Sache zur siegreichen zu machen. Gegen diesen Lügengeist empörte sich der geradej tugendhafte Sinn Cato's. Da die gemeine Prellerei unter den Enkeln der Sieger von Marathon und Salamis an der Tagesordnung war, so entrichteten die Athener nun aber trotzdem auch diese niedrigere Summe nicht und so entstanden daraus neue Händel, die zuletzt mit der Erstürmung und Zerstörung des reichen Korinth, „des schönen Sterns von Hellas, des letzten köstlichen Schmuckes dieses einst so städtereichen griechischen Landes", durch den für literarisch -künstlerische Bildung un- emp&nglichen Mummius endigten. Cfr. Pausan. 7, 11; Liv. 47,24; Aelian. ▼ar. h. 8, 17; Macrob. Sat I, 15; Cic acad. prior, ü, 45, ia7; Cic. de erat U, 37, 155; Cic Att 12, 23; Plut Gat m%j. 22; Gic. de orat H, 3S, 161; Plin. h. n. VU, 81 (80), 3. Vergl. Teuffels Gesch. der röm. Literatur über G. Acilius, § 120, 1. Garneades von Gyrene, 160 v. Chr., Grün- der der neuen Akademie. Seine vernichtende Beredtsamkeit hat ihn be- rühmt gemacht; was er mit derselben angriff, musste ihr weichen. Seine

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(356) VI. (VII.) Buch, 14. Cap., § 9-11. - 15. Cap., § 1.

metscher, vorher aber hielt jeder (von den Dreien) noch für sich, unter grossem Zulauf der Menge, Vorträge, um ihre Redekünste zu zeigen. 10. Rutilius und Polybius ver- sichern, dass diese drei philosophischen Gesandten alle, jeder in seiner Art, durch ihre (ausserordentliche) Gabe der Be* redtsamkeit Bewunderung und Staunen erregten. Nach weiterer Angabe (dieser beiden Schriftsteller) war die Be- redtsarokeit des Carneades hinreissend und übersprudelnd; die des Critolaus kunstgerecht und gedrechselt ; die des Dia- goras massvoll und besonnen. 11. Jede dieser drei Stilarten an und für sich tritt nur noch in ein um so glänzenderes Licht, wenn er, wie ich schon bemerkte, mit (bescheidener) Züchtigkeit und Sittsamkeit geschmückt auftritt, muss aber stets als ein überflüssiges Blendwerk erscheinen, wenn er sich nur als aufgeschminkt und angestrichen herausstellt.

VI (VII), 15, L. Mit wie strenger Ahndung man nach gesetzlichem Her- kommen nnserer Vorfahren gegen Diebe verfuhr; femer welches schriftliche Gutachten sich bei Mucius Scacvola findet über die Benutzung einer Sache, die unter der Voraussetzung ihrer (guten) Instandhaltung überlassen oder geliehen worden war.

VI (VII), 15. Cap. 1. Labeo schreibt im 2. Buche seines

Lehre war der Moral yerderblich, denn er verwarf jeden festen Grundsatz über Recht und Unrecht Er stand also an der Spitze der Gesandtschaft, welche die Athener nach Rom schickten, und welche zweifelsohne för die Bildung Roms von höchster Wichtigkeit war. Am meisten wirkte die glänzende Rede des Gameades. Er brachte den Censor Gato deshalb gegen sich auf, als er an einem Tage mit siegender Beredtsamkeit die Gerechtigkeit vertheidigte, am folgenden mit demselben Feuer die Un- gerechtigkeit Deshalb rieth Gato, die Fremden eiligst zurückzusenden. Plin. Vn, 31. Gameades selbst war, wie Quinctilian (instit. orat 12, 1, 35) bemerkt, darum keineswegs selbst von schlechtem Charakter. Er starb 126 v. Ghr., vergl. Gell. XVII, 15, 1. Ueber* den Stoiker Diogenes s. Gell. I, 2, 10 NB. Der Peripathetike^ Critolaus von Phaseiis in Lydien, Nachfolger des Ariston, blieb in seinem philosophi- schen Systeme dem Aristoteles treu ; war aber, wenngleich mit Redner- talent begabt, kein Freund der Rhetorik. Qninct inst orat 11, 17. Ci- cero in seinem Werke vom höchsten Gute schenkt seinen Ansichten viel Berücksichtigung. Plut Pericl. 7; exü. 14; Polyb. 38, 1; Ael. v.h. 3, 17; Cic. fin. 5, 5; Tusc. 5, 17; orat I, 11; Quinct 2, 15, 17; Gell. XI, 9.

VI (Vn), 14, 10. Ueber P. Rutilius Rufus s. Teuflfels röm. Lit § 146, 2 u. 3.

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VL (yn) Buch, 15. Cap., § 1. 2. 16. Cap.,"! 1. 2. (357)

Werkes über „die 12 Tafelgesetze", dass man bei den Alten aber. Diebstähle sehr scharf und streng abgeurtheilt habe, und nach seinem weiteren Bericht hat Brutus den Fall sehr oft besprochen, dass auch Derjenige schon wegen Diebstahls sei vei-urtheilt worden, der (weiter nichts gethan, als) ein Lastthier (in andrer Weise und) anderswohin nahm (alioraum duxerat), als wohin es ihm (nach getroffener Verabredung) gebrauchsweise tiberlassen worden war; so wie auch Der, welcher es für eine weitere Strecke verwendet hatte, als bis wohin er es sich (ausdrücklich) erbeten. 2. Und so finden wir auch bei M. Scaevola im 16. Buche seines über „das büi-gerliche Recht" geschriebenen Werkes folgende wörtliche Bemerkung: „Auch Der machte sich eines Diebstahls schuldig, der eine ihm anvertraute Sache (ohne besondere Erlaubniss für seine Zwecke) gebrauchte, oder eine Sache, die ihm zwar zum Gebrauch geliehen worden war, zu etwas Anderem ver- wendete, als wozu er sie (dem üebereinkommen gemäss) empfangen."

VI (VII), 16, L. AuBzog einer Stelle aas des M. Vanro Satire, welche die Aufschrift fuhrt: „über Esswaaren^S mit besonderer Berücksichtigung ausländischer Leckerbissen. Ferner Beigabe einer Stelle des Euripides, worin der Dichter die aasschweifende G^umenlast schwelgerischer Lecker- mäaler in die (nöthigen) Schranken zurückweist.

VI (VII), 16. Cap. 1. M. VaiTO hat eine Satire verfasst mit der Ueberschrift: „Von den Esswaaren (Ttegl idEafiaviovy . . Darin erzählt er uns in sehr witzvollen und geistig abgefass- ten Vei-sen die bei (besonderen) Schmausereien vorkommenden, ausgesuchten Genüsse her. 2. Er beschreibt da also ausführ- lich alle dergleichen Leckereien, welche sich die sogenannten Tafelschwelger zu Land und zu Meere aufzusuchen wissen und hat das Alles in (jambischen) Sechsfüsslern abgefasst.

VI (VII), 15, 1. üeber Antistius Labeo s. Gell. 1, 12, 1 u. 18 NB. üeber M. Junius Brutus s. Teuffels röm. Lit. 139, 2.

VI (VU), 15, 1 aliorsum ducere, z. B. wenn er ritt, anstatt zu fsthren. Juristisch nannte man dies: furtum usus.

VI (Vn), 15, 2. L. 40. 54 u. 76 n. de fürt; L. 7. C. eod. 1. 5 § 7 tt. commodati § 6. Institut de obligat, quae ex delicto nascuntur.

' VI (VII), 15, 2. Q. Mucius Scaevola, vergl. Gell. IV, 1, 17. 20; XV, 27, 1. 4 u. Teuffels röm. Lit. 151, 2.

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(358) VI. (VII.) Buch, 16. Cap., § 3-7.

3. Nun mag immerhin Der, dessen Zeit es erlaubt, die von mir angeführten, in dem Gedichte befindlichen Verse selbst nachlesen, 4. ich aber will mich darauf beschränken, nut ohngefähr, so weit ich mich noch erinnere, folgende Arten und Namen von Esswaaren und die vor allen andern sich auszeichnenden Heimathsstätten von Leckereien anzuführen« welche bodenlose Genussgier ausgespürt hat und welche Varro mit unverhaltenem Tadel (namentlich) durchgeht. Es sind folgende: 5. der Pfau (pavus) aus Samos, die Haselhühner (attagena) aus Phrygien, die Kraniche (grües) aus Medien, das Böcklein (haedus) aus Ambracia, der Thunfisch (pelamis) aus Chalcedon (in Bithynien), die Bricken (Neunaugen, Lam- preten, muraena) aus Tartesia (in Spanien), die Schellfische (Lachse, aselli) aus Pessinuntium (in Phrygien), die Austern (ostrea) von Tarent, die Kammmuscheln (pectunculus) von (der Insel) Chius, der Schwertfisch (helops) von (der Insel) Rhodus, die Meerbrechen (Papageifische, scari) aus Cilicien (im südlichen Asien),' die Nüsse (nuces) von (der Insel) Tasus, die Datteln (palma) aus Aegypten, die Eichdn (Kastanien, glans) aus Iberien (Spanien). 6. Solche Gier eines (verwöhn- ten) Gaumens, der überall, weit aus fremden Ländern herbei- geholte, seltne Leckereien aufsucht und solches Ausspüren von Näschereien wird man um so mehr verabscheuungswürdig finden, wenn man einiger Verse des Euripides eingedenk ist, deren sich Chrysippus sehr oft bediente, (und die andeuten,) dass gewisse Gaumenreizmittel nur erfunden seien, nicht aus Noth wendigkeit für den Lebensbedarf, sondern nur zur sinn- lichen Ueberreizung, die alles leicht Zubereitete verschmäht," und aus übertriebener Ueppigkeit in der Genusssucht. 7. Ich glaube des Euripides Vei-se hier folgen lassen zu müssen:

Was sonst noch braucht der Mensch, hat er d^es Beides nur: Der holden Ceres Frucht und Wasser im Pokal, Die beide Yon Natur zur Nahrung uns bestimmt? Sie wecken Ekel nie; allein Verschwendungssucht Lässt Jagd uns machen noch auf weitre Tafellust

VI (VII), 16, 5. muraenae, Bricken, Neunaugen wurden von den Rö- mern sehr hoch geschätzt und auch in den siciUanischen Strudeln h&ofig gefangen.^ S. Juv. Sat. V, 109; Pün. IX, 28, 89; IX, 55, 81 ; Macrob. II, 9.

VI (VII), 16, 7. S. Plut. Physikalische Lehrs&tze der Philosoph. I, 3

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VI. (VII.) Buch, 17. Cap., § 1-4. (359)

VI (VII), 17, L. Unterhaltung gepflogen mit einem Grammatiker, der voll

Selbstüberhebung und Unwissenheit, in Betreflf der Bedeutung des Wortes

„obnoxius" und über den Ursprung dieses Ausdrucks.

VI (VII), 17. Cap. 1. Ich fragte zu Rom einen Gramma- tiker, eine wegen seines Unterrichts erste (hochgefeierte) Be- rühmtheit, wahrlich nicht um seine Gelehrsamkeit zu prüfen, oder auf die Probe zu stellen, sondern vielmehr aus Eifer und Begierde, von ihm zu lernen, was das Wort „obnoxius" bedeute und was überhaupt der Ursprung und die Bedeutung dieses Wortes sei. 2. Und Jener sah mich mit einem, die Geringfügigkeit und Unbedeutendheit meiner Frage verspot- tenden Blick an und sagte: Ei, da fragst Du mich ja nach einer verwettert schwierigen Sache, deren Lösung (mir) schrecklich viele schlaflose Nächte machen muss. (Und in einem geringschätzenden Tone fuhr er fort:) 3. Wer ist wohl gar so unwissend in der lateinischen Sprache, dass ihm sollte unbekannt geblieben sein, dass der Ausdruck „obnoxius^ von einem Solchen gesagt wird, dem leicht ein Verdruss oder Schaden durch Den verursacht werden kann, dem er so zu sagen, verfallen und (von dem er deshalb abhängig „obnoxius" ist,) weil er (an ihm) einen Mitwisser (seiner „noxae'', woher ja das Wort entstanden, also) seines Vergehens, d. h. so viel als: seiner Schuld (culpae) hat? Nein, fuhr er fort, solche Lappalien musst Du mir erst weiter gar nicht auftischen und (mir) nur Gegenstände vorbringen, die der Untersuchung und Erörterung würdig sind. 4. Durch diese Antwort allerdings empfindlich berührt, glaubte ich nun (ein Recht zu haben,) mit versteckter Ironie gegen ihn verfahren zu dürfen, so wie mit einem albernen Menschen und erwiderte: Höchst weiser

( Anaxagoras) ; wie soU der Jüngling die Dichter lesen, 14; der holden Demeter (Ceres) Gabe, d. h. Brod. Plut über die Widersprüche der Stoiker, 20 u. 21; Athen. IV p. 158 E.; Muson in Stob. flor. 40, 9; Sex. Emp. p. 661, 1; Eust IL p. 868, 33; Stob. flor. 5, 7; Teles in Stob. flor. 108, 82: Eur. fragm. ed. Nauck. 884.

VI (VII), 17. S. Paul. S. 191.

VI (VII), 17, 3. S. Festus p. 191 obnoxius.

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(360) VI. (Vn.) Buch, 17. Cap., § 4-8.

Mann, sollte ich bei andern weitergreifenden und wichtigeren Fragen nöthig haben, mich gelegentlich (von Dir) belehren zu lassen und meine Kenntnisse bereichern zu müssen, dann erlaube ich mir wohl, Dich (wieder) zu fragen und Deine Belehrung in Anspruch zu nehmen, allein weil ich mich oft des Ausdrucks „obnoxius** bediente und etwas sagte, was ich nicht verstand, so lernte ich jetzt von Dir und fange nun an mich zu überzeugen, dass Deiner Ansicht nach nicht allein nur ich unter Allen mich dabei in Unwissenheit befand, son- dern, wie die Sache nun steht, auch Plautus, das höchste Vorbild des lateinischen Sprachgeschmacks im Ausdruck, in völliger Unkenntniss war über die Bedeutung von obnoxius, denn in seinem Stichus (III, 2, 41 [497]) steht folgender- massen geschrieben:

Nunc hercle ego perii plane, non obnoxie, d.h. Greschehen wahrlich ist es ganz um mich, ohn' alle Schuld,

was doch keineswegs mit der Bedeutung, die Du mich eben kennen gelehrt hast, übereinstimmt; denn Plautus setzte die beiden Wörter: plane (gänzlich) und obnoxie (unverschuldet) neben einander, gleichsam als zwei sich ganz entgegengesetzte BegriflFe, was doch mit der von Dir angegebenen Bedeutung (von obnoxius) ganz und gar nichts zu thun hat. 5. Darauf erwidei-te mir jener Grammatiker so recht lächerlich, als ob „obnoxius" und „obnoxie" nicht nur der (äussern) Abwandlungs- form nach, sondern auch der Sache und dem Inhalt nach ganz verschieden von einander wären: „Ich habe ja nur die Bedeutung von obnoxius angegeben, aber nicht die von ob- noxie." 6. Voller Verwunderung über eine solche Unwissen- heit dieses anmassenden Menschen fuhr ich fort: „Uebergehen wir, auf Deinen Wunsch, was Plautus unter obnoxie verstand, wenn Du meinst, dies Beispiel sei zu weit hergeholt, 7. und lassen wir auch jenes unberührt, was bei Sallust im Catilina (23, 3) geschrieben steht, wo es heisst: 8, „(coepit- minari etiam ferro, ni sibi obnoxia foret, d. h. (pflegte wohl auch) zu drohen mit dem Dolch, wenn sie ihm nicht zu Willen sein würde", und gib mir nur deutliche Auskunft über ein Beispiel, das offenbar viel neuer und weit bekannter ist.

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VL (Vn.) Buch, 17. Cap., § 8-11. (361)

Denn des Vergils Verse (aus Georg..!, 395 etc.) sind doch wohl aller Welt bekannt:

Nam neque tunc astris ades obtunsa videri, Nee fratris radiis obnoxia Boi^gere luna, d. h.

Denn nicht scheint den Sternen nunmehr ihr Schimmer verdunkelt» Koch die Luna im Aufgang des Bruders Strahlen bedürftig (verpflichtet),

9. oder meint Du das nun etwa auch (zu erklären mit:) „cul- pae suae conscium, Mitwisser seiner Schuld*^ ? Auch noch an einer andern Stelle bedient sich Vergil (m Georg. 11, 438 etc.) dieses Wortes in einer, von Deiner Meinung völlig abweichen- den Bedeutung, in folgenden Versen:

Juvat arva videre Non rastris, hominum non uUi obnoxia curae, d. h.

Angenehm ist es, die Fluren zu schauen, Die nicht des Karstes, die ksiner Pfleg[e der Menschen bedürftig,

denn Pflege kann den Aeckern (Fluren) nur nützen, aber durchaus nicht Schaden verursachen, welche Bedeutung Du doch dem Worte „obnoxius" beigelegt. 10. Nun aber auch noch jenes Beispiel aus Ennius, auf welche Art stimmt das mit Deiner Erklärung überein, wo er in seinem Phönix in folgenden Versen also schreibt: _

Sed virum virtute vera vivere animatum addecet, Fortiterque f innoxium vocarc adversum adversarios. Ea libertas ^st, qui pectus purum et firmum g^stitat, Aliae res obnoxiae nocte in obscura latent

Zeigen soll in echter Manneskraft sich mit edlem Muth der Mann, Soll sich seinem Gegner stellen wohlbewehrt mit Heldenkraft, Das ist Freiheit; festen Busens schaun ins Leben, rein von Schuld; Andre Güter sind bedenklich, glanzlos liegen sie in Nacht

(Oder nadi Mommsen R. G. IL p. 915):

Doch dem Mann' mit Muthe miichtig ziemts zu wirken in der Welt Und den Schuldigen zu laden tapfer vor den Richterstuhl. Das ist Freiheit, wo im Busen rein und fest wem schlägt das Herz; Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt die frevelhafte That

11. Allein Jener stand da mit aufgesperrtem Munde, gleich einem gedankenlosen Träumer und Hess sich endlich so ver- nehmen : Jetzt ist es mir nicht gelegen ; wenn es Zeit sein

VI (VII), 17, 10. Ennius Bearbeitung des euripideischen Phönix.

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(362) VI. (VII.) Buch, 17. Cap., § 11-13. 18. Cap., § 1. 2.

wird, darfst Du mich wieder aufsuchen und dann sollst Du erfahren, was sowohl Vergil, als Sallust und Plautus, und Ennius unter dem besagten Worte verstanden haben. 12. Nach diesen Worten jedoch ging dieser Tropf ab. Sollte nun aber doch Einer Lust verspüren, nicht nur den Urspining dieses Wortes, sondern auch seine mannigfaltige Bedeutung sich näher zu betrachten, für Den setzen wir, damit er auch noch folgendes Beispiel aus Plautus seiner Piüfung unter- ziehen kann, die bezüglichen Verse aus (des Dichtei-s) Esels- geschichte (Asinar. II, 2, 16 [282]) her:

Zugleich mit mir der Fi*eud' und Herrlichkeit vollauf Schafft er den beiden Herrn, dem Vater wie dem Sohn, So dass sie uns ihr Leben lang verpflichtet sind (obnoxii), Durch unsem Liebesdienst gefesselt.

13. Es scheint aber jener Grammatiker bei seiner (ein- seitigen) Erklärung, die er von dem so vieldeutigen Worte gab, nur dessen eine Gebrauchsanwendung im Auge behalten zu haben, welche unbestritten mit der Bedeutung überein- stimmt, in der Caecilius (Statius) in seinem „Chrysium (Gold- schätzchen)" das Wort in folgender Stelle gebraucht hat:

. . . quamquam ego mercede huc conductus tua

Advenio, ne tibi me esse ob eam rem obnoxium

Reare, audibis male, si maledicis mihi, d. h.

Obschon hieher ich kam, bewogen durch Dein Sündengeld, Bild' Dir nicht ein, dass ich nun deshalb Dir verfallen sei; Denn nimmer lob' ich Dich, sobald von mir Du Schlechtes sprichst

VI (Vin, 18, L. Ucber die (gewissenhafte) Beobachtung und Ueberwachang

in der Heilighaltung des Eides bei den Römern; nnd nebenbei über die

zehn Gefangenen, die Uannibal nach Rom sendete, nachdem von ihnen

(vorher) ein Eid war geleistet worden, (wieder zurückkehren zu wollen),

VI (VII), 18. Cap. 1. Bei den Römern wurde ein Eidschwur für unverletzlich und heilig gehalten und beobachtet. Dies er- hellt deutlich aus vielen Gebräuchen und Gesetzen, und kann besonders der Fall, den ich jetzt anzuführen beabsichtige, für meine Behauptung eine durchaus nicht geringe, thatsächliche Besätigung abgeben. 2. Nach der Schlacht bei Gannae suchte

VI (VII), 18, 2. S. Polyb. 6, 56; Cit offic 1, 18; 3, 32; Val. Max. 5>, 9, 8; Liv. 22, 58; 24, 18.

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VL (Vn.) Buch, 18. Cap., § 2 - 10. (363)

sich der carthagische Feldherr Hannibal zehn von unsern Gefangenen aus und schickte sie mit dem Auftrag nach Rom, wenn es dem römischen Volke genehm sein sollte, eine Aus- wechselung der Gefangenen zu veranlassen, und unter dem Ausbeding, dass für jeden Mann, den man auf beiden Seiten etwa mehr ausgeliefert bekäme, ein Loskaufgeld (Lösegeld) von anderthalb Pfund in Silber zu entrichten sein sollte. 3. Vor ihrer Abreise Hess er sie noch den heiligen Eid ab- legen, dass sie in das punische Lager wieder zurückkehren wollten, falls die Römer den Austausch der Gefangenen nicht belieben sollten. 4. Die zehn (abgeschickten) Gefangenen kommen nach Rom. 5. Sie richten den Auftrag des punischen Feldherm im Senate aus. 6. Die Auswechslung (und Los- kaufung) wurde aber nicht beliebt. 7. Die Aeltern, Freunde und Verwandten der Gefangenen suchten diesen unter Lieb- kosungen einzureden, dass sie nun, durch diese Rückkehr aus der Gefangenschaft in ihr Vaterland, die Befugnis« erlangt hätten, in den Besitz ihrer ehemaligen Gerechtsame (als rö- mische Bürger) wieder einzutreten, und der (alte, vorige) Be- stand (ihrer Unabhängigkeit und Freiheitsrechte) unverletzt und unversehrt weitem Fortgang nehmen könne und hörten nicht auf, sie mit Bitten zu bestürmen, dass sie nicht wieder zu. den Feinden zurückkehren möchten. 8. Acht (von den Gefangenen) erwiderten dann darauf, dass ihnen der Wieder- eintritt in ihre früheren Gerechtsame (durch diese Heimkehr noch lange) nicht zustehe, weil sie sich durch (heiligen) Eid noch gebunden erachteten und reisten auch sofort wieder zum Hannibal ab, eben weil sie sich eidlich dazu verbindlich gemacht hatten. 9. Die noch übrigen Zwei blieben in Rom zurück und hielten sich (deshalb) ihres Eides für entbunden und jedes weiteren Gewissenszwanges entledigt, weil sie, nachdem sie das feindliche (punische) Lager verlassen hatten, unter erlogenem Vorwand (erst noch einmal) ebendahin zurück- gekehrt waren, gleich als ob sie nun (zum zweitenmale) wegen irgend einer beliebigen Ursache sich auf den Weg gemacht hätten und so, nachdem man dem Eideswort Genüge geleistet habe, sie unbeeidigt, d. h. ohne eine weitere Eidesverbindlich- keit wieder fortgegangen seien. 10. Allein dieses hinterlistige Schelmenstück wurde für so unehrenhaft erachtet, dass sie

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(364) '^n. (VL) Buch, 18. Cap., 10. 11. 19. Cap., ^ 1.

sich die allgemeine Verachtung zuzogen und deshalb ge- schmäht wurden und die Sittenrichter sie hernach mit Strafen und Entehrungen aller nur möglichen Beschimpfungen beleg- ten, weil sie nicht hielten, was sie zu halten versprochen hatten. 11. Es hat auch noch Cornelius Nepos im 5. Buche seiner „Beispiele"" folgende Thatsache aufgezeichnet und uns mitgetheilt, dass mehrere Mitglieder des Senats darauf an* getragen hätten, dass Diejenigen, die sich zurückzukehren geweigert, unter Bedeckung dem Hannibal wieder zugeführt werden sollten; dieser Vorschlag sei jedoch durch die Stimmen- mehrheit Derer, die nicht dafür gewesen, überwogen worden. Indessen seien die (Beiden), welche nicht zum Hannibal zurückgekehrt wären, in einem solchen Grade verabscheut •und verhasst gewesen, dass sie, des Lebens überdrüssig, (es nicht mehr hatten unter ihren Mitbürgern aushalten können und) sich selbst umgebracht hätten.

VI (VII), 19, L. Eine den Annalen entlehnte Erzählung über die Hoch- herzigkeit des Volkszunf'tmeisters Tiberias (Sempronius) Gracchus, de» Vaters der (beiden) Gracchen (der dem allgemeinen Besten seine Privat- feindschaft opferte); nebst Mittheilung des Wortlauts von den (beiden) Gutachten der Volkszunftmeister.

VI (VII), 19. Cap. 1. Unter den (nachahraungsweithen) Beispielen und Charakterzügen (grosser Männer) wird des Tiberius Sempronius Gracchus herrliche und edle und gross-

VI (VII), 18, 11. Die „Beispiele (exempla)** gehören unter Comels verloren gegangene Schriften. (S. Teuffei röm. Lit. 195, 4, 8).

VI (VII), 19, 1. Tiberius Sempronius Gracchus (cfr. Gell. NB. V, 18, 12), durch seine Mutter Cornelia trefflich erzogen, trat er im J. 133 als Keformator für die verarmten untern Volksklassen in die Schranken, brachte ein Gesetz über eine Ackervertheilung in Vorschlag, zog sich da- durch die Wuth und den Hass der Aristokraten zu. Nach Ahlauf seines Tribunals bewarb sich Tiberius gleich wieder gegen die Sitte. Am Tage der Wahl erschien Gracchus mit seinen Anhängern auf dem Gapitol. Ais er die Hand nach der Stirn bewegte, zum Zeichen für das Volk, sein. Kopf sei in Gefahr, legte man dies ihm so aus, als ob er nach der Königs- krone trachte. Die Senatoren drangen mit Knütteln und Stuhlbeinen auf das Volk ein, Viele flohen, Andere wurden erschlagen, und Gracchus selbst fiel am Abhänge des Capitols vor den Thttren des Jupiter-Tempels. In der folgenden Nacht warf man seine Leiche in die Tiber. Plat. Tib. Gr. 16-20. App. b. c. I, 9-17. Vergl. Liv. 38, 58; Val. Max. 4, 1, 8.

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VI. (Vn.) Buch, 19. Cap., § 2—4. (365)

müthige Handlungsweise wiederholt angefühi-t. 2. Es betrifft folgenden speciellen Vorgang: Der Volkszunftmeister C. Mi- nucius Aufrurinus hatte dem L. (Cornelius) Scipio Asiaticus, dem Bruder des älteren P. Scipio Africanus, eine Geldstrafe auferlegt und verlangte deswegen eine Bürgschaft von ihm. 3. Scipio Afiicanus erhob deshalb im Namen seines Bruders Einsprache (provocabat) an die Gesammtheit der Zunftmeister und legte ihnen ans Herz, dass sie einen Mann, der die Consulwürde bekleidet habe und mit der Ehre eines feier- lichen Einzugs ausgezeichnet worden sei, vor der Vergewal- tigung ihres Amtsgenossen in Schutz nehmen möchten. 4. Acht Zunftmeister untersuchten den Fall und gaben danach ihr

VI (VII), 19, 4. Gegen die Bedrückungen vom Senat und Adel er- trotzte sich 260 u. c (492 v. Chr.) das von seinen Glftuhigem hart be- drängte Volk durch seinen Auszug auf den heiligen Berg, unter Anführung des herzhaften Sicinius die ^Bewilligung eigner obrigkeitlicher Personen aus ihrer Mitte, welche tribuni plebis (plebel, plebi) genannt wurden (Gell. XIII, 12, 9; XVII, 21, 19). Erst gab es deren nur zwei (Liv. II, 33.); später aber, als ^an sie nach der gesetzlichen Verordnung des Volero Publilius Philo in den Comitiis tributis (also unter Ausschiusa der patres) und nicht mehr in Com. curiatis zu wählen pflegte, wurden sie bis auf fünf vermehrt (Liv. II, 56. <58.) und endlich bestand ihre höchste Zahl aus zehn (Liv. HI, 30). Anfangs war es kein wichtiges Amt (Liv. II, 16; Gell. XIII, 12, 6; Val. Max. II, 2, 7) und . erst das Plebiscit des Atinius verknüpfte damit den Senatorrang (Gell. XIV, 8, 2). Anfänglich also waren ihre Amtsgeschäfte nur eingeschränkt auf die Bestimmung, das Volk vor Bedruckung durch die Vornehmen zu sichern, und um dies ohne Furcht thun zu können, wurde verordnet, dass ihre Personen heilig und unverletzlich sein sollten. Tag und Nacht standen ihre Häuser offen für Klagende und Schutz- suchende. Da jedoch ihre Macht nur in den Ringmauern Roms ein- geschränkt war, so durften sie sich auch nicht auf einen ganzen Tag dar- aus entfernen (Gell. III, 2, 11), ausser an den lateinischen Ferien (Macrob. I, 3). Später mischten sie sich auch in Staatssachen (Cic. Vat 14; Phil, n, 2), Hessen Vornehme verhaften (Cic. legg. 3, 9). Durch ihr „Veto, d. h. ich erhebe Einspruch", übten sie das Widersetzungsrecht aus, hemmten Amtsgeschäfte der Magistrate, hoben Gesetze auf und Senatsbeschlüsse wurden nur dann rechtskräftig, wenn sie* ein T, d. h. Tribunus plebis, darunter gesetzt hatten. Die Unverletzlichkeit ihrer Person verleitete z. B. den Satuminus, den Sulpicius, den Clodlus u. s. w. zu grossen Aus- schreitungen. Endlich errangen sie sich auch noch das Recht, den Senat berofen zu dürfen (Gell. XIV, 7, 4). Als die plebs später auch noch Con- snlat-fähig zu werden forderte, und dass auch Consuln aus ihrer Mitte ge- wählt werden möchten, umging der Adel dies dadurch, dass 310 u. c (443

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(366) VI. (Vn.) Buch, 19. Cap., § 5.

Gutachten ab. 5. Der Wortlaut dieses von mir hier bei- gefügten Gutachtens wurde aus den Jahrbüchern der Ge- schichte ausgeschrieben und lautet: „In Erwägung, dass P. (Cornelius) Scipio Africanus von uns Schutz verlangt für seinen Bruder L. Scipio Asiaticus, da der Volkszunftmeister ungesetzlicher Weise und gegen das Herkommen der Vor- fahren eine Volksversammlung mit Gewalt zusammenberufen, und ohne vorher angestellte Auspicien einen Urtheilsspruch über ihn verfügt, ihm eine beispiellose Geldstrafe auferlegt, ihn ausserdem zwingen will, deshalb Bürgschaft zu leisten, oder, im Fall er diese nicht leistet, ihn ins Gefängniss ab- führen zu lassen; wir ihn nun also .vor der Gewaltthätigkeit unseres Amtsgenossen schützen sollen; femer: in Erwägung des Verlangens unseres Amtsgenossen von der anderen Seite, dass wir ihm kein Hinderniss in den Weg legen sollen, damit er seine Amtsgewalt kann in Kraft treten lassen; über diesen vorliegenden Fall geht unser aller Meinung dahin: im Fall L. Cornelius Scipio Asiaticus nach dem Gutachten unseres Amtsgenossen Bürgschaft leisten will, sind wir Willens zu verhindern, dass unser Amtsgenosse ihn nicht binden, noch

y, Chr.) statt der Consuln: tribuni militum consulari protestate, d. h. Kriegsobersten mit gleichem Ansehn and gleicher Gewalt wie die Consuln, ;gew&hlt wurden, deren Zahl bald 3, bald 4, bald 6 war (cfr. GeU. XIV, 7, 4; XVI, 4, 2; XVII, 21, 19.). Endlich 366 v. Chr. Hess die Lex Licinia Sestia auch Plebq'er zum Consulat zu (Gell. XVn, 21, 27). Nach <?ellius (XIII, 12, 4, 6; XIII, 18, 4) hatten die Tribunen zwar das Ver- haftungsreoht, aber nicht das Vorladungsrecht (vergleiche hier VI [VII], 19, 5 contra leges-hom. accitis).

VI (VII), 19, 4. Scipio ad coUegium tribunorum provocabatcfr. Geil. IV, 14, 4. Mamilia ad tribunos pl. provocavit Noch bei Livius (III, 33. 84. 86; III, 56. 57) wurden die Ausdrucke provocatio und appellatio in ihrer alten, ursprünglichen, eigenthümlichen Bedeutung streng aus- einander gehalten. Bald aber verschwand diese Unterscheidung und es wurden beide Ausdrücke als gleichbedeutende Bezeichnungen einer jeden Be- rufung auf eine höhere Instanz gebraucht. Plin. H. N VI, 22 (von einem indischen Volke): sie quoque appellationem esse ad populum. L. 1 § 1. qnae sent (49. 8) : nee appeUare necesse est, et citra provocationem cor- rigitur. L. 1 § la quib. app. (49, 2): Et quidem stultum est, aliud ad- monere, a principe appellare fas non esse, quum ipse sit qui provocatur. Savigny röm. Rt. Bd. VI p. 499.

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VI. (VII.) Buch, 19. Cap., § 5-8. (367)

abführen lassen darf, im Fall er aber die nach dem Gut- achten festgesetzte und verlangte Bürgschaft verweigern wird, so sind wir Willens, uns dem Gebrauch der Amtsgewalt un- seres (Jollegen auch nicht zu widersetzen." 6. Als nach die- sem Gutachten Augurinus der Volkstribun verordnete, den L. Scipio, weil er die Bürgschaft (immer noch hartnäckig) verweigerte, zu ergreifen und ins Gefängniss abzuführen, da erhob sich der Volkszunftmeister Tiberius Sempronius Gracchus, der Vater der beiden Gracchen, des Tiberius und des Gajus,- und, weil er wegen mehrerer Meinungsverschiedenheiten, die den Staat betrafen, des P. Scipio Africanus heftiger Feind war, betheuerte er nochmals öffentlich, dass er sich mit dem P. Africanus weder freundschaftlich geeinigt, noch gar sich ausgesöhnt habe, las darauf aber von seiner Tafel folgenden Beschluss ab, 7. dessen Wortlaut folgender ist: „Da der ruhmgekrönte Triumphator L. Cornelius Scipio Asiaticus die (besiegten) feindlichen Anführer hat ins Gefängniss werfen lassen, so scheint es mir der Würde unseres Staates zuwider- laufend, ihn, den (siegreichen) Feldhen-n des römischen Volkes, nun selbst auch nach demselben Orte bringen zu lassen, wohin er vorher die (besiegten) feindlichen Anführer werfen liess: und deshalb schütze ich durch meinen Einspiiich den L. Cor- nelius Scipio Asiaticus vor der Gewaltthätigkeit meines Amts- genoss^." 8. Allein Valerius Antias behauptet, entgegen der Ueberlieferung dieser uns noch erhaltenen (beiden) Be- schlüsse und trotz des Ansehens und der Glaubwürdigkeit der alten Jahrbücher, dass erst nach dem Todie des Africanus diese Einsprache zu Gunsten des Scipio Asiaticus von Seiten des Tiberius Gracchus sei erhoben worden,- und dass es sich dabei nicht um eine dem Scipio auferlegte Strafe gehandelt habe, sondern um sein Verdammungsurtheil wegen Unter- schleif des vom Antiochus erbeuteien Geldes, weil er deshalb keine Bürgschaft hätte stellen wollen, man auch schon An- stalt machte, ihn ins Gefängniss abzuführen, und nun erst sei er durch das Einschreiten des Gracchus wieder befreit worden.

VI (VI% 19, 6. Vergl. Val. Max. IV , 1,8; ferner über Valerius Antias GeU. VII (VI), 8, 6 NB.

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(368) VI. (VII.) Buch, 20. Cap., § 1-3.

VI (VII), 20, L. Dass Vergil an einer Stelle in seinem Gedicht über den Ackerban (Verg. Georg. II, 224 den Ortsnamen) ,,Nola** aasstrich und dafiir (das Wort) „ora'^ einschaltete, aus Aerger, dass ihm von den Nolanern der Niessbrauch ihres Wasser (-Regals) versagt worden war; dann nebenbei noch einige andere Bemerkangen über den wolilthuenden Zusammenklang von (zwei) Vocalen.

VI (VII), 20. Cap. 1. Ich fand in einem gewissen Er- Jäuteiningswerke die schriftliche Bemerkung vor, dass die bei- folgenden (zwei) Verse vom Vergil zuerst so vorgelesen und herausgegeben worden seien (Verg. Georg, n, 224, 225):

Talem dives arat Gi^ua et vicina Vesevo Nola jugo, d, h.'

Solches bepflügt das begüterte Gapua; nah des Vesuves Höhen auch Nola;

dass aber später Vergil von den Nolanera sich erbeten habe, etwas Wasser auf sein angrenzendes Landbesitzthum ableiten zu dürfen, die Nolaner ihm nun aber diese erbetene Ver- günstigung (die Ableitung eines Armes von ihrem Wasser- regal) ausgeschlagen, dafür habe (aus Rache) der gekränkte Dichter den Namen ihrer Stadt so aus seinem (unsterblichen) Gedichte, gleichsam wie aus menschlichem Gedächtniss, aus- gestrichen und das Wort „Nola" in „ora" umgeändejt und nun so (der Nachwelt) hinterlassen:

et vicina Vesevo

Ora jugo ; d. h.

und des Vesuves Nachbarlich (üppige) Flur.

2. Ob diese Nachricht wahr oder falsch sei, kümmert mich nicht ; doch ist es ausser allem Zweifel, dass „ora" angenehmer und lieblicher für's Ohr klingt, als Nola. 3. Denn da der erste Vers mit dem Vocal *„o" schliesst, und die folgende Verszeile mit demselben Vocal beginnt, so findet durch die nothwendige Abhebung des volltönenden und angenehmen Zusammenstossens dieser zwei gleichen Vocale ein Hiatus, d. h. ein (wirkungsvolles) langsames Ausklingen (des Tones)

VI (VII), 20, 1. d. h. Solches Feld bebaut das reiche Oapoa und das dem Berg Vesuv benachbarte nahe Nola.

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VI. (Vn.) Buch, 20. Cap., § 4—6. *(369)

statt 4. Es finden sich sogar bei den besten Dichtern viele offenbar absichtlich gesuchte und nicht nur zufällige Beispiele derartiger lieblicher Klangwirkung, ausser allen Andern aber die meisten bei Homer. 5. An der folgenden einen Stelle bringt er durch eine Vocalhäufung, d. h. durch unmittelbar neben einander stehende Selbstlauter, sogar mehrmals solche ahnliche Klaffrede - Zieirathen an (z. B. Hom. 11. 22, 151 und 152):

*ff X^ov$ ^IfvxQJ fi i^ L^ttTog xfwaraXltp d. h.

Aber die andere (Quelle) strömt auch selbst im Sommer wie Hagel, Oder wie schauriger Schnee und glitzernde Schollen des Eises.

Ebenso an einer andern Stelle (Hom. Odyss. XI, 595 = Gell. II, 30, 10):

^äav avtü äd-iaxe tiotI lotpov WftlEte den Stein zum Gipfel hinauf.

6. Auch der lieblichste aller Dichter, CatuU, hat in folgenden Zeilen eine ähnliche Klangwirkung (durch Anwendung eines Klafflautes) nicht verschmäht (im 27. Gedicht, an einen Mundschenken) :

Minister vetuli puer Falemi

Inger ml calices amariores

Ut lex Pöstumiae jubet magistrae

Ebriösa acina ebriosioris, d. h.

Füll' yom alten Falemer Kellnerknabe, Muf mit herberem Tranke meinen Becher, Wie Po8tumia*8 Zechgebot es vorschreibt, Die noch durstiger, als ein Traubenkem ist

Obgleich er also nur das Neutnim „acinum", was sogar ge- bräuchlicher war (als das Femininum „acina"), hatte an- jzuwenden brauchen und dann ebrioso (-acino) sagen konnte^

VI, (Yll), 20, 4. Das Zusammenstossen zweier Yocale in verschiedenen Wörtern, Hiatus genannt, wodurch eigentlich ein Missklang verursacht wird, findet man bei Homer auffallend häufig zugelassen.

VI (VII), 20, 6. Acina (entweder die Weintraubenbeere, die bis zum Platzen voll ist, oder) der Weinbeerenkem, der mitten im Wein schwimmt, womit Postumia, die Königin des Festgelags, verglichen wird. Das Vers- mass besteht aus Hendekasyllaben (elfisilbigen Versen):

KJ \jy^ Vy W *w/»

6 el 1 i 11 s , Attiiche N&ehte. 24

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(370) VI. (VII.) Buch, 20. Cap., § 6. 7. u. 21. Cap.

SO zog er trotzdem vor, den Wohlklang jeuer homerischen Klaffredeweise (bestehend im [ge'botenen] Auseinanderhalten v zwei zusammenstossender Vocale, am Ende des einen und Anfang des andern Woi-tes, d. b. den Hiatus) anzubiingen und sagte: ebriosa wegen des (beabsichtigten) Einklanges mit dem wieder mit dem Yocal „a*' anfangenden nächsten Weites („acina*"). 7. Die der Ansicht huldigen, dass GatuU ebrios geschrieben, oder gar ebriosos denn auch diese Lesart findet sich ohne jede Begründung vor , diese hatten na- türlich Ausgaben vor sich, welche von bereits verdorbenen Textabschriften entlehnt waren.

VI (VII), 21, L. Waram man mit den beiden Redensarten: „qooad vivet*'

und y.quoad morietnr*^ ganz eine und dieselbe Zeit bezeichnen kann, da sie

doch ans zwei ganz entgegengesetzten BegrifTen gebildet sind.

VI (VII), 21. Cap. 1. Wenn man sich des Ausdrucks: quoad vivet (so lange man am Leben bleibt) und des Aus- drucks: quoad morietur (bis man todt sein wird) bedient, so scheint man damit zwar zwei ganz entgegengesetzte Begriffe auszusprechen, bezeichnet aber trotzdem mit beiden Aus- drücken nur ein und dieselbe Zeit. 2. Ebeaso, wenn man sagt: so lange als die Senatsversammlung wird abgehalten werden, und bis die Senatsversammlung wird (aufgehoben und) entlassen werden, hat man, obgleich beide Begriffe haberi (gehalten werden) und dimitti (entlassen werden) sich entgegengesetzt sind, doch bei beiden Ausdrücken nur einen und denselben Zeit-Begriff im Auge (was bei GeUius VII [VI], 13, 11 f] i^airpvr^g (fiaig^ d. h. der entscheidende Augenblick heisst). 3. Denn wenn zwei Zeitmomente sich entgegen- ' gesetzt und nur insofern in Zusammenhang zu bringen sind, dass der Ausgangspunkt des einen sich an den Anfang des andern unmittelbar eng anschliesst, dann ist es gleichgültig, ob durch den Endbegriff eines Vorhergehenden (der Ver- gangenheit) oder durch den Anfangsbegriff eines Folgenden (der nächsten Zukunft) die nähere Bezeichnung eines nachbarlich gemeinschaftlichen Punktes und Zieles stattfindet (wie hier das Zusammentreffen vom Eintritt des Lebensendes mit dem Anfang des Todes).

VI (Vn), 21, 3; cfr. GeU. VU (VI), 1, 6.

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VI. (Vn.) Buch, 22. Cap. (371)

VI (VII), 22, L. Wie die Sittenrichter allzubeleibten (dicken) und über-

fctten ^ Richtern ihr Pferd wegzanehmen pflegten, und Unter«achung der

J'rage, ob diese Wegnahme des Pferdes mit einem Schimpf verbanden war,

oder an Einem, unbeschadet seiner Ritterehro, vollzogen wurde.

VI (VII), 22, Cap. 1. Die Sittenrichter pfl^en einem allzufetten und dickleibigen Manne sein Pferd wegzunehmen, in der Meinung (und richtigen Voraussetzung), dass ein sol- cher von so bedeutendem Körpergewicht zur Verrichtung von Keiterdiensten weniger tauglich sei. 2. Nach der Ansicht Ei- niger galt dies nicht für eine Bestrafung, sondern die Ent- lassung aus dem Dienste hatte keine Beschimpfung im Gefolge. 3. Cato jedoch in seiner Rede, welche er über die »Opfer- verrichtung" geschrieben hat, fasst die ' Sache in einem durchaus nicht vorwurfsfreien Sinne auf, dass es mehr schei- nen kann, es sei eine schimpfliche Strafe gewesen. 4. Wenn man diesen Vorgang in dem Sinne auffassen will, so muss man allerdings annehmen, dass Derjenige im Ganzen ge- nommen nicht so ganz untadelig und (mehi-) für untüchtig angesehen wurde, dessen Leib (durch seinen übermässigen Umfang) unföimig fett geworden und aus der Art geschlagen war. (Vergl. Gell, III, 4, 1; IV, 12, 2; IV, 20, 11.)

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Vn. (VI.) BUCH

VII (VI), 1, Ij. Wie Chrjsippas denen antwortete, welche das Bestehen einer Vorsehang leugneten.

VII (VI), 1. Cap. 1. Alle Diejenigen, welchen es nicht einleuchten will, dass die (hen-liche, schöne) Welt nur Gottes und der Menschen halber geschaffen worden und dass der Menschen Schicksale nicht durch die (Hand der) Vorsehung geleitet werdLen, Alle diese glauben Wunder was für einen wuchtigen Beweis anzuführen, wenn sie sich so aussprechen: Wenn es eine Vorsehung gäbe, so würde es keine Uebel ge- ben. Denn nichts, sagen sie, laufe dem Glauben an eine (weise) Vorsehung gerade mehr entg^en, als die Erfahrung, dass gerade eben in dei-selben Welt, die, wie es heisst, zur Freude der Menschen geschaffen sein soll, der Einfluss von Leid (Trübsal) und Unglück ein so gewaltiger ist. 2. Chry- sippus nun, bei der ausführlichen Entwicklung seiner Gedan- ken im 4. Buche seines Werkes „über die Vorsehung" giebt auf diese Einwurfe (eine passende) Antwort und sagt: Es kann doch wahrlich nichts Einfältigeres und Ungereimteres geben, als die Annahme gewisser Leute, dass das Gute be- stehen könne, wenn nebenbei nicht auch das Böse vorhanden wäre. 3. Denn da das Gute nur im Gegensatz zum Bösen denkbar ist, so können nothwendiger Weise beide Gegensätze auch nur beziehendlich unter einander bestehen und werden (bedungen und) gestützt auf ihre , so zu sagen , (eigne) bei- derseitig entgegengesetzte Wechselwirkung; denn der Begriff Gegensatz ist ohne einen andern (gegebenen) Gegensatz eben durchaus nicht denkbar. 4. Denn wodurch wäre die Mög- lichkeit des Gerechtigkeitsbegriffes gegeben , bestände nicht

vn (VI), 1, 2. Ueber Chrysippus 8. Öell. I, 2, 10 NB.

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Vn. (VI.) Buch, 1. Cap^ § 4—9. (373)

der einer Ungerechtigkeit? Oder was bedeutet Gerechtigkeit anderes, als den Wegfall der Ungerechtigkeit? Inwiefern hätte sich ebenso dann die Voi-stellüng von der Tapferkeit bilden können, wenn nicht in Folge des Gegensatzes zur Feigheit? Wie Hesse sich Mässigung denken ohne Zügel- losigkeit? Wie stände es um die Klugheit, wusste man nichts vom Gegentheil, von der Thorheit? 5. Warum stellt dem- nach der menschliche Unverstand nicht da3 Verlangen, dass man nur die Wahrheit beibehalte und die Lüge und Unwahr- heit abschaffe? Denn eben so müssen (ewig) bestehen Gutes und Böses, Glückseligkeit und Missgeschick, .Schmerz und Fi'eude. 6. Denn Eins folgt aus dem Andem und ist, nach Plato's Ausdruck, mit dem Andern zusammenhängend^ wie zwei an ihren Enden zusammengeknüpfte Gegensätze; wenn man das Eine (erlangt und) nimmt, ist man gezwungen (auch das Andere, also) Beide zusammen zu nehmen. 7. In demsel- ben Werke zieht selbiger Chrysippus in Betracht und Er- wägung, dass nach seiner Meinung die Frage wohl der Unter- suchung werth sei: ob die menschlichen Krankheiten nach dem Naturgesetz bestehen, d. h. ob die Weltschöpfungskraft selbst, oder die (ewige) Vorsehung, welche dieses (ganze) Weltgefüge und Menschengeschlecht hervorbrachte, auch die Krankheiten und alle körperlichen Gebrochen (Misshelligkei- ten) und Bekümmernisse, zu deren Erdulden das Menschen- geschlecht verurtheilt ist, (zugleich mit) erzeugt habe. 8. Chry- sippus ist der Ansicht, dass dies nicht die ui*sprüngliche Absicht der Schöpfungskraft gewesen, die Menschen zu schaffen und sie mit Leid, Elend (und Krankheiten heimzu- suchen und) zu plagen, denn dies stimme nicht mit der Ab- sicht des Weltschöpfei-s überein, des Vaters (und Urhebei-s) von allem Guten. 9. Allein, fährt er fort, da diese (Schöpf- ungsmacht) Vieles und Grosses schuf, das HeiTlichste und Nützlichste zeugte, gesellte sie (zur Prüfung der Menschheit) Mängel und UnvoUkommenheiten bei, in -enger Verknotigung

YU (VI), 1, 5. Seneca sagt: Rerom aeternitatem contrariis constare, d. h. die Ewigkeit aller Vorgänge sowohl im Geistigen, als wie in der Natur ist im Gebiete der Gegensätze begründet.

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(374) VIL (VI.) Buch, 1. Cap., § 9-13.

mit den Erzeugnissen selbst , und dies sei , nach seinem Aus- spiiich, nicht das Werk der Natur, sondern das Erzeugnis» gewisser nothwendiger Folgen (und Ausbedingungen), wie er sich ausdrückt, und wofür er die Bezeichnung braucht: xorror TcaQaxoXovd^rjoiv^ das will sagen : aus Folgerichtigkeit. 10. Denn als z. B. die Natur (diese Urschöpfungskraft) mit der Ge- staltung der menschlichen Körper sich beschäftigte, erheischte die höhere Absicht und der nützliche Zweck bei dem Schöpf- ungswerke selbst eine Zusamraenfügung des Kopfes aus den zartesten und feinsten Knochentheilchen. 11. Allein diese zwar (weise und) nützliche Einrichtung eines so wichtigen Theiles (am menschlichen Körper) schliesst für äussere Zu- fälligkeiten und Einflüsse aber auch zugleich wieder einen andern Nachtheil in sich, der darin besteht, dass der Kopf deshalb nur schwach verwahrt und bei oft nur geringen Er- schütterungen und Unfällen leicht zerstörenden Einwirkungen ausgesetzt blieb. 12. Während also eine zärtliche Fürsorge (im Walten der Schöpfung für das Wohl der Menschheit) sich offenbart , ist demnach gleichzeitig darin auch der Grund ge- legt zu allen nur möglichen zufälligen Krankheiten und Be- trübnissen. 13. Und bei Gott, setzte er hinzu, so wie dem Menschengeschlecht nach (weisem) Ermessen der Natur die (Liebe zur) Tugend angeboren wird, so ist ihm durch eine nahe Verwandtschaft zum Gegentheil auch der Keim zur Laster- haftigkeit (in die Brust) eingepflanzt.

Vn (VI), 2, 1. Auf die, aus der unveränderlichen Natur Gottes ent- springende Nothwendigkeit {ilfAtt^ivti^ fiitum) stützt sich das grosse Naturgesetz, die Weltalls -Kegel {vofiog^ xoivos v6/tog) und, weil es vernünftig ist, wird es {loyog, xo^vog Xoyog) Vernunft, Weisheit; und weil es zum Besten des Ganzen wirkt, wird es {nQovoutf S(xri) Recht und Vor- sehung genannt Und dennoch ist die Vorsehung nichts, als eine eigen- mächtige Bewegung der Natur, eine bewegliche Kette, die in sich selbst wieder zurückkehrt und die ganze Folge und den ganzen Inbegriff aller Wesen, welche unwiderstehlich mit jedem Gliede derselben verbunden sind, mit sich fortschleppt Anfang und Ende stehen also seit Ewigkeit (/^ ttid(ov) fortwährend in Wechselwirkung durch gegenseitigen Anschluss und feste Verknüpfting. Und *so denken sich die Stoiker die Vorsehung als einen erleuchteten Willen, der Alles nach seinem Getallen ordnet Vergl. Lact I, 5, 20. 21.

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VIL (VI.) Buch, 2. Cap., § 1-5. (375)

VII (VI), 2, L. Wie (Chrysippus) zwar die Macht und XJnverxneidlichkeit des Schicksals bestimmt anerkannte, jedoch aber anch bekräftig^, dass ans (stets) eine freie Wahl in allen unsern Entschliessangen und Urtfaeilen

zustehe.

VII (VI), 2. Cap. 1. Von dem Worte fatum (Schicksal), was die Griechen [neTtQWfttvr^v ^ Bestimmung, oder] eipLaQ^u- vrp^y VerhÄngniss nennen, gab der Hauptphilosoph der stoi- schen Sekte, Chrysippus, eine Erklärung in folgendem Sinne ab : Das Schicksal , sagt er also , ist eine ewige und unver- änderliche Reihenfolge eintretender Umstände und eine Ring- kette, fortwährend begriflfen im Umsichselbstrollen und in schmiegsamer Verschlingung durch ein ununterbrochenes , in- einandergreifendes GliedergefQge , dessen Enden durch enge ' Verbindung und festen Anschluss in steter Wechselwirkung bleiben. 2. So weit ich mich erinnere, schreibe ich des Chr}'- sippus eigne Worte gleich mit hen damit, wenn Einem diese meine Uebei-setzung etwas unklar sein sollte, er die Worte jenes Philosophen gleich selbst vor Augen hat. 3. In dem vierten Buche seiner Schrift „über die Vorsehung {negl TtQo- voiagY sagt er: „Das Schicksal (eiinaQuirrj, diese in der un- veränderlichen Natur Gottes begründete Nothwendigkeit) sei eine geordnete, aus der Weltallsvorschrift entspringende Rei- henfolge aller (irdischen) von Ewigkeit an unter einander zu- sammenhängender (und fortlaufender Dinge und) Vorgänge und ihre beständig unwandelbare Selbstverkettung. " 4. Gegen diese Erklärung haben Bekenner anderer Meinungen und Lehrweisen (Schulen) allerhand Einwendungen laut werden lassen. 5. So hört man sagen: Wenn Chrysippus behauptet. Alles (in der Welt) werde durch das Schicksal bewegt und gelenkt und es sei unmöglich , die Züge und Windungen des Schicksals abzuwenden und zu umgehen, so werden auch die Sünden und Laster des Menschengeschlechts ihren Willens- antrieben weder zum Vorwurf gemacht, noch gar angerechnet werden können, sondern immer nur der aus dem Verhängniss entspringenden Unvermeidlichkeit und harten Nothwendigkeit, die Ober Alles zu gebieten hat und auch Alles (selbst) zu vertreten hat, auf deren Machtwort Alles geschehen muss, was geschehen soll; deshalb ist ferner auch die Einführung

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(376) Vn. (VL) Buch, 2. Cap., § 5-11.

von Strafbestimmungen für üebelthäter den Gesetzen nach durchaus nicht gerechtfertigt und billig, wenn die Menschen nicht aus eignem freien Willen dem Verbrechen (und der Lasterhaftigkeit) anheimfallen, sondern von der starken Hand des Schicksals unaufhaltsam hingerissen werden. 6. Ueber diesen Einwurf hat sich Ghrysippus mit grosser Klarheit und Scharfeinnigkeit verbreitet, aber Alles, was er darüber ge- schrieben hat, läuft kurz zusammengefasst ohngefähr auf fol- genden Gedanken hinaus: 7. Mag nun zugestandener Massen, sagt er, auch immerhin Alles einem (nothwendig) unvermeid- lichen Grundgesetz unterworfen und deshalb (bedingungsweise) mit einer Vorherbestimmung des Schicksals eng verknüpft sein, so sind doch die (Schwingen von den) Charakter- eigenthümlichkeiten unseres Geistes und Herzens selbst im- merhin je nach ihrer Individualität und Beschaffenheit dem Schicksale unterworfen. 8. Denn im Fall die Gharakterseiten (der Menschen) ihrem Wesen und ihrem Beschaffensein nach von vornherein zum Heil und Nutzen Anderer angelegt sind, werden sie damit jenen ganz gewaltigen Einfluss, der ihnen von aussen her wie ein schweres Wetter seitens des Schick- sals droht, ohne viel Widerstand und mit weniger Anstrengung zu überstehen und zu vermeiden wissen. Sind dagegen diese Charakterseiten ungefüg, plump und roh (angelegt), auf keine Beihülfe irgend eines Bildungsmittels gestützt, so werden solche Menschen durch ihre Ungefügigkeit und auf eigene innere Anreizung, selbst wenn sie sich auch nur von der kleinsten und unansehnlichsten Noth (oder Plage) einer vom Zufall über sie verhängten Unbequemlichkeit bedrängt fühlen, sich (ohne alle Ueberlegung) beständig in Laster und Täuschung stürzen. 9. Dass diese Vorgänge selbst auf solche Weise (und nach solchem Gesetze) sich vollziehen müssen, wird veranlasst durch jenes (uralte, seit Anbeginn der Welt) bestehende Ineinandergreifen und durch jene unabänderliche Verkettung aller (irdischen) Dinge, was man eben unter dem Begriff Schicksal versteht. 10. „Es ist nämlich im Allgemeinen eine (vorherbestimmte) Urnothwendigkeit und Folgerichtigkeit, dass Menschen mit angebornen bösen Nei- gungen dem Laster und dem Irrthum verfallen müssen." 11. Zum Beweise dieser seiner Behauptung bedient er sich

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Vn..(VI.) Buch, 2. Cap., § 11 - 13. (377)

eines wahrlich ganz aus dem Leben gegriffenen; passenden und recht geistvollen Gleichnisses und sagt: „Wenn du z. B. einen walzenförmigen Stein über eine schräge und abschüssige Erdebene hin fortstössest, so wirst du zwar die erste, allge- meine Ui-sache seines Herabrollens gewesen sein, bald jedoch rollt jener eiligst (von selbst) weiter, nun nicht allein mehr auf Grund deines Anstosses, sondern auf Giiind der Eigenart und wegen der Rollfähigkeit seiner eignen Form (und Ge- stalt): so gilt zwar die (gewöhnliche) Anordnung, das Gesetz und die Nothwendigkeit des Schicksals im Allgemeinen und von vom herein als die Ursache der Bewegung, allein den weiteren Austrag unserer Beschlüsse imd Gesinnungen, selbst unsere Handlungsweisen bedingt und entscheidet erst eines Jeden eigner Wille und seine angebomen seelischen (Sinnes-) Neigungen." 12. Hierauf fügt er noch folgenden, mit dem von mir Gesagten ganz übereinstimmenden Zusatz hinzu: „Deshalb wird von den Pythagoräem der Ausspruch gethan: Wirst sehn leiden die Menschen an selbstverschuldeten Uebeln;

(denn) sie Alle stürzen sich in ihr Verderben durch sich selbst (und durch ihre eigne Unbesonnenheit und eigne Schud) ; durch ihr (sündiges) Begehren fehlen sie und fallen in ihr Verderben aus eigner Wahl und Vorsätelichkeit." 13. Des- halb, sagte er, dürfe man auch die Entschuldigungen feiger Schelme oder frecher Missethäter weder anhören, noch gelten lassen, die, selbst wenn sie ihrer Schuld und ihres Ver- brechens schon völlig überwiesen (geständig und sich bewusst) sind, immer doch noch Ausflüchte machen und ihre Zuflucht nehmen zur (Entschuldigung durch) Unabänderlichkeit des Schicksals, wie zur heiligen Zufluchtsstätte eines Tempels und die also ihre bösen, schlechten Handlungen nicht ihrer Unbe- sonnenheit in Anrechnung bringen, sondern sie, ihrer Ausrede nach, nur dem (leidigen) Schicksale beimessen (und unter die Schuhe schieben). 14. Jener weiseste und älteste aller Dich- ter (Homer) hat zuerst diesen wahren) Gedanken in folgen- den Zeilen Ausdruck gegeben (Hom. Odyss. I, 32 34) :

Himmel, wie sehr doch klagen die Sterblichen über die Götter! Kor YÖn uns sei Böses, vermeinen sie; aber sie selbst auch Schaffen sich Leid, dem Geschicke zum Trotz, durch eigenen Frevel

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(378) VII. (VI.) Buch, 2. Cap., § 15. - 3. Cap., § 1.

15. Als M. Cicero in dem von ihm „über das Schicksal** ver- fassten Buche schliesslich das Geständniss ablegt, dass er die Lösung der Frage über diesen Gegenstand fOr höchst dunkel und verwickelt halte, erfahren wir von ihm, dass auch der Philosoph Chrysippus sich nicht habe herauswickeln können, denn er schreibt wörtlich, wie folgt: „(Selbst) Chry- sippus geräth trotz des angestrengtesten Nachdenkens in die giösste Verlegenheit und verwickelt sich immer tiefer, wie er den (Doppel-) Fall entwirren soll, theils dass Alles nur nach Schicksalsschluss geschehe, theils dass auch etwas in uns selbst sei (d. h. dass auch der freie Wille in uns zum Ent- schliessen und Handeln uns berechtige).**

VII (VI), 3, L. Eine aus den Geschichtsbuchern des Tubero entlehnte Stelle von einer ganz ungeheuer langen Schlange.

VII (VI), 3. Cap. 1. Tube^ro*) hat uns in seinen ge- schichtlichen Aufzeichnungen auch Bericht über einen Fall geliefert; dass, als der Consul Atilius Regulus im ersten puhi- schen Kriege in Africa sein Lager an den Ufern des Flusses Bagrada aufgeschlagen hatte, er ein hartnäckiges und schar- fes Gefecht zu bestehen hatte gegen ein ausserordentlich seltenes Schlangenungeheuer, das sich dort auihielt und die Gegend unsicher machte; dass es eines langen und grossen feindlichen Angriffs von Seiten des ganzen Heeres mit allen Kriegsmaschinen und Wurfgeschossen bedurfte, und dass man

VII (VI), 3, 1. Aus „Geschichtschreiber der Römer" von Franz Do- rotb. Gerlach.

Sextus Aelius Catus, vergl. GeH. IV, 1, 20 NB.; Val. Max. IV, 8, 7;

I IV, 4, 8. rOuiDtus Aelius Tubero s. Val. Max. IV, 8, 9. iTochterdes 1 Aemilius Paulus.

Der Stoiker Aelius Tubero, Schüler des Panaetios. Sein wahrscheinlich

I nicht mit ihm verwandter Zeitgenosse war der ffelehrte Lucius Aelius Stilo Praeconius, s. GeU. L 18, L. NB.; XVI, 8, 2. t^Lucius Aelius Tubero. Cicero's Freund. I Schwester | Cicero's, s. Gell VII (VI), 3, 2; X, 28, 1. Cic. epp. ad

1 Quint fratr. I, 1, 10: pro Lig. 7, 21 ; pro Plane 41. Quintus Aehus Tubero (? s. Gell. I, 22, 7), Ankläger des Ligarius.

Vor Allem siehe Teuffels Gesch. der röm. Lit. über Q. Aelius Tubero § 144, 2 u. 169, 8; desgl. 205, 1. Vergl. Val. Max. I, 8 ext. 19; Liv Epit. 18; Plin. 8, 14; Senec ep. 82, 25; Orosius 4, 8.

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VIL (VI.) Buch, 3. Cap., §1.-4. Cap., §1-3. (379)

nach endlicher Erlegung dieses Ungeheuers die abgestreifte, 120 Fuss lange Haut desselben nach Rom geschickt habe.

VII (VI), 4, L. Welche nngewöhnliche Enählimg über den von den

Carthagern gefangenen Atilius Begolos wir der Außbeichnnng desselben

Tubero yerdanken; desgleichen auch, was Tnditanus über denselben Regnlas

schriftlich berichtet hat.

VII (VI), 4. Cap. 1. Ich las neulich die in den Werken des Tuditanus enthaltene, allgemein bekannte Geschichte über den Atilius Regulus: dass (dieser) Regulas als Ge- fangener (der Carthager) in seiner vor dem Senat zu Rom gehaltenen Rede von der gegenseitigen Auswechslung der Gefangenen abrieth, auch die Bemerkung hinzufügte, dass die Carthager ihm Gift beigebracht hätten, zwar nicht schnell wirkendes, sopdem solches, *was seinen Tod einige Zeit hinausschöbe, in der allgemeinen Absicht, dass er (nur) noch so lange am Leben bleibe, bis die Auswechslung der Gefangenen erfolgt sein würde, hernach aber von der Wirkung dieses schleichenden Giftes verzehrt (und aufgerieben) werde. 2. Weiter aber erzählt Tubero in seinem Geschichtswerke, dass dieser Regulus (auf seinen eigenen Rath hin, unver- richteter Sache) wieder nach Carthago zurückgekehrt, von den Puniern mit allen (unerdeuklichen) neuen und unerhörten Arten von Maliern (zu Tode) gefoltert worden sei. So er- zählte er selbst weiter: 3. „Man schloss ihn in ein schwarzes, finsteres, unterirdisches Loch und lange nachher, wenn die Sonne am glühendsten schien, führte man ihn plötzlich heraus,

VII (VI), 4,1. G. SemproniuB Tuditanus soUte als Consul in den Strei- tigkeiten um des Tib. Gracchus Ackergesetz Schiedsrichter sein, wusste sich indess diesem Ansinnen zu entziehen. Er errang 129 in Illyrien einen Sieg, zeichnete sich (nach Cic. Brut. 15, 95) durch Beredtsamkeit aus und ver- &88te (nach Plinius 18, 13) eis Geschichtswerk. Vergl. Polyh. I, 84; Cic. in Pison. 19; de offic I, 18; ni, 26. 27; desgL Tenffels Gesch. der röm. Lit 148, 1; VaL Max. I, 1, 14; Flonu 11, 2, 28 ff.; Appian, libysche Gesch., S. 4 f.

Vn (VI), 4, 2. Vergl. Val. Maat. ES, 2, ext 1.

Vn (VI), 4, 3. Hör. Od. DI, 5, 31 ff.; Cic. de fin. V, 27; Senec. de prov. 3, 5; Aurel. Vict 40, 4; Sil. Ital. 6, 529 ff.

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(380) Vn. (VL) Buch, 4. Cap., § 3. 4. - 5. Cj^)., § 1.

hielt ihn (mit dem Gesichte) gegen die stechenden Sonnen- strahlen gewendet und zwang ihn, seine Augen in ^ die Hirn- melsgluth zu richten. Damit er aber seine Augenlider nicht etwa schliessen könnte, zog man sie auseinander und nähte sie nach oben und unten Test." 4. Tuditanus hingegen be- richtet, dass man durch unaufhörliches Entziehen des Schlafes den Regulus des Lebens beraubt habe und als man in Rom Kunde (von dieser Grausamkeit) erhalten, seien auf Befehl des römischen Senats die Vornehmsten von den punischen Gefangenen den . Kindern des Regulus überliefert worden, diese hätten die Gefangenen in einem inwendig mit spitzen Stacheln versehenen Kasten verschlossen, so dass sie auch durch Entziehung des Schlafes martervoll hätten umkommen müssen.

VII (VI), 5, L. Wie der Rechtsgelehrte Alfenas bei Anslegnng einiger alter Ausdrücke sich irrte.

vn (VI), 5. Cap. 1. Des Servius Sulpicius Schüler, der in der Alterthumskunde sehr bewanderte Rechtsgelehite Alfenus (Varus) sagt im 34. Buche seiner „zusammenge- tragenen Rechtserörterungen" und im 2. Buche seiner „Sam- melschriften": „In einem zwischen dem römischen Volke und den Carthagem festgesetzten Staatsvertrag findet sich ein schriftlicher Vorbehalt, worin es wörtlich heisst, dass die Garthager gehalten sein sollten, alle Jahre dem römischen Volke eine bestimmte Masse (pondus argenti puri puti, d. h.) reinen, lauteren Silbers zu entrichten; und es wurde deshalb die Frage aufgeworfen , was man unter „purum putum" zu verstehen habe. Meine Antwort, fährt er fort, lautete: Das Wort „putum" heisst soviel als ; valde purum (d. h. sehr rein), gerade so wie wir sagen novum „novicium" und proprium „propicium", wenn wir die Absicht haben, den in den Wör- tern novum und proprium enthaltenen Begriff zu erweitem

yn (VI), 5, 1. Publ. Alfenas Varus aus Gremona, anftnglich in sei* ner Vaterstadt Schuster, ging dann nach Rom, wurde SchOler des gefeiert ten Serv. Sulpicius Rufiis (s. GeU. n, 16, 8 NB), war (755 u. c) Enatz- consul, erlangte als Jurist grossen Ruf und trat auch als Schriftsteller aufl Horaz scheint auf den Emporkömmling anzuspielen: sat. I, 9, 80 ff. S. Teuffels röm. Lit. 205, 3.

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VIL (VL) Buch, 5. Cap., §2—10. (381)

und zu vergi-össern." 2. Als ich diese Stelle las, war ich erstaunt, wie Alfenus dieselbe Aebnlichkeit zwischen (den beiden Wörtern) purum und putum herausfinden konnte, wie zwischen den beispielsweise zugleich mit angeführten novum und novicium; 3. denn wenn das Wort puricium lautete, dann konnte es wohl scheinen, als sei es gerade so wie novi- cium gesagt. 4. Dabei kam mir auch noch wunderbar vor, dass er der Meinung war, als bezwecke diese Form, gerade so wie novicium, eine Vergrössei-ung des in dem Worte ent- haltenen Begriffes, da „novicium" nicht soviel bedeutet, als: „noch neuer", sondern nur wie eine von „novum" (als gleich- bedeutend) hergenommene und abgeleitete Form zu betrachten ist 5. Wir theilen die Ansicht Derer, die sagen, dass putum von putare gebildet sei und die deshalb auch die erste Silbe kurz aussprechen, aber nicht lang, wie Alfenus geglaubt zu haben scheint, der da schreibt, dass es von purum abge- leitet sei. 6. Die Alten aber sagten putare in dem Sinne wie: Alles an einer Sache üeberflüssige und Unnöthige oder auch Hindernde und Fremdartige entfernen und abschneiden, und nur was nützlich und unschädlich schien, übrig lassen.

, 7. So z B. sagt man putare arbores et vites (Bäume und Weinstöcke beschneiden, ausputzen), so auch putare rationes (Rechnungen ins Reine bringen). 8. So wollen wir mit dem Worte puto selbst, wenn wir uns dessen zur Erklärung unserer Meinung bedienen, in der That nichts Anderes aus- drücken, als dass wir in einem zweifelhaften, dimklen Falle es uns angelegen sein lassen, nach Loslösung und Ausschei- dung (iniger und) falscher Meinungsauswüchse nur immer das zurückzubehalten suchen, was wahr, rein und unverfälscht erscheint. 9. Es soll also in dem besagten carthagischen Staatsvertrag das Wort putum als Beiwort zu argentum so viel heissen, als exputatum (d. h. ohngefähr: durch Aus- waschung) gereinigtes Silber und (durch Schmelzung) ent- schlacktes, frei von jedem fremden Beisatz, durch Entziehung aller seiner falschen Zusätze gereinigt und gekläi-t. 10. Diese Ausdrucksweise purum putum findet sich nicht nur in dem

* carthagischen Staatsvertrag geschrieben vor , sondern auch

VII (VI), 5, 10. S. Festus S. 217 b.

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(S82) Vn. (VI.) Buch, 5. Cap., § 10. 6. Cap., § 1—5.

theilweise in anderen Schriften, als besonders auch in des M. Varro Satire, welche überschrieben ist: „Greise zweimal Kinder (oder alte Leute werden wieder Kinder)".

VII (VI), 6, L. Dass dem Vergil, weil er mit den Worten: Daedali pennae (des Daedalos Schwingen) das Beiwort „praepetes*' in Verbindung brachte, ein (nur) ungerechter und unpassender Vorwurf von Seiten des Julius Uyginus gemacht worden sei; dabei auch die Bemerkung, was man unter „aves praepetes** verstehe, und endlich , welche Vögel von Kigidius (Figulus) „infe'rae** genannt wurden.

VII (VI), 6. Cap. 1. Vergil (Aen. VI, 14, 15) findet sich folgende Stelle:

Daedalus, ut fsuna est, fiigiens Minoia regna, Praepetibus pennis ausus se credere caelo, d. h.

DaedaluB, wie man erzählt, da er floh aus dem Reiche des Minos Kühn auf hartigen Schwingen sich anzuvertrauen dem Himmel

[sc Schwamm in der seltsamen Fahrt zu den frostigen Bären aufwärts.]

2. In diesen Vei-sen tadelt (Julius) Hyginus die Wortzu- sammenstellung „praepetibus pennis'', als eine unpassende und ungeschickte Ausdrucksweise. 3. Denn, sagt er, mit dem Ausdruck „praepetes aves" werden von den (priesterlichen) Vogeldeutem die (Vögel) benannt, welche entweder einen günstigen Voranflug nehmen , oder auf glückbedeutende Stät- ten sich niederlassen. 4. Seiner Meinung nach war also dieser Wahrsagerausdruck nicht ganz passend angebracht bei dem Fluge des Daedalus, dessen Flug ja zur Wahrsagekunst in gar keiner Beziehung stand. 5. Aber es war doch wirklich vom Hyginus sehr anmassend, wenn er sich einbildete, ganz allein verstehen zu wollen, was die Bedeutung von „praepetes*' sei; dem Vergil aber Unwissenheit vorwerfen zu dürfen und ebenso dem gelehrten Cn, Matius, der im 2. Buche seiner

Vn (VI), 6, 3. S. Fest. S. 245 b (L. M.}.

VU (VI), 6, 5. Cn. Matius. S. Bernh. R. L. 78, 355 u. 79, 358 u. Teuffels Gesch. d. r. L. 148, 4. Cn. Matius, ans dem Ritterstande, geb. 84 y. Chr., ein geistvoller Mann, grosser Kenner der Sprache und Freund^ des Julius Caesar. Seine vielleicht nicht fllr die Bohne bestimmten Mimen nannte man Mimgamben. Er soll auch eine Uebersetzung der Iliade ver- fertigt haben.

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Vn. (VI.) Bach, 6. Cap., § 5~i0. (383)

Iliade die geflügelte Siegesgöttin mit dem Beiwort „praepes'* belegt, in folgendem Verse:

Dum dat vincendi praepes Victoria palmam, d; h. Wenn überraschend die Göttin des Siegs dem Sieger die Pabn' reicht

6. Wai-um tadelt Hyginus nicht auch den Q. Ennius, der in seinen Jahrbüchern es nicht von den Fittichen eines Daeda- lus braucht, sondern es noch weit verschiedener verwendet bei folgendem Fall:

Bnindisium pulcro praecinctum praepete portust, d. h. Herrlich umschanzt Brundisinm liegt im (sicheren) günstigen Hafen.

(Cfr. GelL IX, 4, 1.)

7. Hätte Hyginus vielmehr die Bedeutung und den Gebrauch des Wortes etwas genauer in Erwägung gezogen und es nicht nur für einen bei Auguren gebräuchlichen Ausdruck angesehen, so würde er es unbedingt den Dichtem erlaubt haben, welche (nach einer ihnen allgemein zugestandenen Freiheit) ja auch andere Wörter in ähnlicher, übertragener Bedeutung gebrauchen und nicht immer nur in einer einzigen eigenthümlichen Bedeutung. 8. Denn weil selbst nicht allein nur die Vögel, die einen glückverkündenden Flug nehmen, mit .dem Ausdruck „praepetes^* belegt werden, sondern auch (alle) die Plätze, die sie (nach glücklich vollbrachtem Fluge) einnehmen, und die deshalb für geeignete und glückbringende gelten, deshalb durfte auch Vergil die (wächsernen) Fittiche des Daedalus „praepetes" nennen, weil er (durch ihre Bei- hülfe) von dem Orte, wo er Gefahr fürchten musste, nach einem sichern Ort gelangt war. 9. Die Auguren (Vogeldeuter, Wahrsager) bringen ferner das Wort „praepetes'' auch mit Oi-tsbezeichnungen in Verbindung und so heisst es bei Ennius im 1. Buche seiner Jahrbücher:

.... Praepetibus sese pulcrisque locis dant, d. h. (Gerne) vertrauen sie glücklichen, herrlichen Wohnungen an sich.

10. Dass man im Gegensatz zu den Vögeln, die „praepetes" ge- nannt werden, andere auch wieder mit dem Ausdrucke „inferae*' belegt, erfährt man aus des Nigidius (Figulus) erstem Buche

VII (VI), 6, 10. Vergl. GeU. XVI, 6, 12 in libro „de extis«. Teuffels röm. Lit. 196, ö.

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(384) '^. (VL) Buch, 6. Cap., § 10—12. 7. Cap., § 1. 2.

seiner „Privat-Weissagung (augurii privati d. h. pei*sönlichen Ahnung und Vorbedeutung)**, wo es heisst: „Discrepat dextra sinistrae, praepes inferae d.i. „der zur Rechten liegt im Streite mit dem zur Linken", der sogenannte praepes (der voranflie- gende) mit dem, welcher infera (avis d. i. erdwärtsfliegende) genannt wird," 11. Aus dieser (kurzen) Bemerkung kann man den SchluRS ziehen, dass unter „praepetes*' Vögel gemeint sind, die (in hurtigem, günstigem Voranflug) höher und mehr himmel- wärts fliegen, während Nigidius zum Untei-schied die „inferas" (die tieffliegenden, als nachstehenden und unterliegenden) den „praepetibus" entgegengesetzt hat 12. Wie ich mich als junger Mensch zu Rom aufhielt, besuchte ich die Grammatiker häufig. Eines Mannes Vortrag aber zog mich damals ganz beson- ders an, der des Apollinaris Sulpicius. Als man sich nun eines Tages bei ihm über das Augural-Recht unterhielt, und zufällig der „praepetum avium" Erwähnung geschah, hörte ich ihn gegen den Stadtpräfecten Erucius Clarus folgende Aeusserung thun: man scheine unter den sogenannten „prae- petes" die Vögel zu verstehen, welche Homer „breitgeflügelte, breitschwingige (rawmiQVYaL d. i. schnellfliegende)" genannt hätte, weil die Auguren gerade diese zu beobachten pflegten, die schon wegen ihrer ungeheuren Schwingen ausgebreiteter und gestreckter fliegen: und dabei führte er die bezüglichen Verse Homers (H. XH, 237 und 238) an:

Da nun willst mich bereden, dem Flug* weitschwingiger Aare

Mehr zu vertrau'n. Ich achte sie nicht, noch soU es mich kümmern.

VII (Vr, 7, L. Ueber die Acca Larentia und die Gaja Taracia und dann noch über den Ursprung von dem Priesterbnnd der Arralbrüder.

VII (VI), 7. Cap. 1. Die Namen Acca Larentia und Gaja Taracia oder Fufetia sind nach den alten Jahrbüchern berühmte Namen von zwei Frauenspersonen, von denen der einen nach ihrem Tode, der andern aber, der Taracia, schon bei Leb- zeiten die höchsten Ehrenbezeigungen vom römischen Volke erwiesen wurden. 2. Das horazische Gesetz, das ihretwegen

Vn (VI), 6, 12. lieber Erucius Clarus s. Teuftels Gesch. der röm. Lit 353, 5; vergl. GeU. XIII, 18, 2.

YII (VI), 7, 2. Plutarch. Poplic. p. 101; Dionys. Halic. II.

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Vn. (VI.) Buch, 7. Cap., § 2-8. (385)

dem Volke vorgeschlagen wurde, liefert uns den Beleg, dass diese Taracia eine vestalische Jungfrau war. Denn in diesem (Gesetz) werden ihr viele ausdrückliche Berechtigungen zuge- standen, worunter ihr vorzüglich auch das Recht Zeugniss ab- legen zu dürfen ertheilt und ihr als der Einzigen unter allen Frauen erlaubt wurde: „zeugenschaftsfähig (testabilis)" zu sein, wie es der Wortausdruck des horazischen Gesetzes besagt. 3. In den 12 Tafelgesetzen fini^et sich eine (in Bezug auf die Frauen) entgegengesetzte Verordnung vor, wo es wörtlich heisst : „improbus intestabilisque esto (ehrlos und zeugenschafts- unfähig soll sein)". 4. Ausserdem, wenn sie 40 Jahre alt ge- worden und die Absicht haben sollte, aus dem Bunde der (vestalischen) Priesterinnen auszutreten und sich zu verhei- rathen , so wurde ihr das Recht und die Erlaubniss ertheilt, aus dem Ordensbund auszuscheiden und sich zu vermählen, wegen ihrer ausserordentlichen Freigebigkeit und Wohlthätig- keit, weil sie dem römischen Volke mit dem an der Tiber ge- legenen und dem Mars geheiligten Feldgrundstück ein gross- müthiges Geschenk gemacht hatte. 5. Die Acca Larentia aber gab, der Sage nach, ihren Körper jedermann preis und hatte sich durch dieses (einträgliche) Gewerbe grosse Schätze erworben. 6. Diese setzte nach einer hinterlassenen, gesetz- lichen, letzten Willensbestimmung, wie Antias in seiner Ge- schichte schreibt, den König Romulus, oder wie auch einige Andere berichtet haben, das gesammte römische Volk zum Erben von allen ihren (unermesslichen) Reichthümern ein. 7. Dieser verdienstlichen Handlungsweise halber wird ihr (jähr- lich) von dem Mars-Priester (flamen Quirinalis) ein öflfentliches Opfer dargebracht, und ist zugleich ein Tag unter ihrem Namen in den römischen Kalender eingetragen worden. 8. Der Angabe einiger Geschichtschreiber zufolge behauptet aber

VII (VI), 7, 4. Da die Vestalinnen nach den im Axpte vollbrachten 80 Jahren heirathen durften, so muss hier nach § 4 in den ältesten Zeiten ihnen das Gelübde einer ewigen Jungfrauschaft obgelegen haben, wovon man ausnahmsweise die Taracia dispensirte.

VII (VI), 7, 5. S. Macrob. Sat. I, 10; Plut. Fragen über röm. Ge- bräuche 35.

VII (VI), 7, 7. S. Dio Cass. 43, 24; Macrob. Sat. I, 10, 15; Ovid. Fast IV, 910; TertuU. de spect 5.

Gell las. AUiscbe N&chte. 25 *

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(386) Vn. (VI.) Buch, 7. Cap., §8.-8. Cap., § 1-3.

Masurius Sabinus im ei-sten Buche seiner „Denkschriften*', dass diese Acca Larentia die Amme des Romulus gewesen sei, und sagt: „Diese Frau verlor einen von den 12 mit ihrem Gatten erzeugten männlichßn Sprossen durch den Tod. An dieses (Sohnes) Stelle trat Romulus, als Sohn der Acca Laren- tia ein und legte sich und ihren übrigen Söhnen den Namen „Arval-Brüder" bei. Seit dieser Zeit hielt diese (Priester-) Gilde der Arval-Brüder an der Zahl 12 fest. Die Abzeich- nung dieses Priesteramtes war ein Komährenkranz und eine weisse Inful ([Bischofs-] Mütze)".

VII iVI), 8, L. Einige erwähnenswerthe Aufzeichnungen (edler Züge) aus dem Leben des Königs Alexander und des F. (Cornelius) Scipio (Africanus

des A eiteren)..

VII (VI), 8. Cap. 1. (Der Grammatiker) Apion, ein ge- borener Grieche, mit dem Beinamen Pleistonices (der Viel- besieger), besass eine geläufige und lebendige Darstellungs- weise. 2. Als dieser über die löblichen Eigenschaften des Königs Alexander schrieb, ei-zählt er uns einen edlen und herrlichen Zug des Königs, der nicht 2ugab, dass (des Darius,) seines besiegten Feindes Gattin, ein Weib von vielgerühmter Schönheit, ihm vor Augen geführt werden durfte, damit die- selbe auch selbst von seinen Blicken unberührt bleiben "sollte. 3. Hier liesse sich schei'zhafter Weise die Frage aufwerfen,

Vn (VI), 7, 8. Die Acca Larentia, Frau des Hirten Faustahis und Amme des Komulus und Remus, opferte mit ihren zwölf Söhnen jährlich einmal för die Fruchtbarkeit der Felder (ar?a). Daher r&hrt die Ein- setzung dieses Priesterthums. Die Feierlichkeit fand jährlich an drei Tagen des Iiiai statt Unter den vielfachen dabei vorkommenden Gere- monien wird besonders ein Tanz erwähnt, den die Arval-Brader unter Absingung eines alterthfimlichen Liedes in satumischem Yersmasse in dem Innern des Tempels aufführten, welcher in dem f&nf Meilen von der Stadt entfernten Haine (lucus Deae Diae, d. h. der Ops) stand..— Sie waren also vom Romulus als Flur^ und Ackerpriester eingesetzt worden. S. PUn. 18, 2, 2 § 6; Fulgentius 9 p. X Lersch; cfr. Yarro L 1. 5, 15 p. 89. Spengel.

VU (VI), 8, 1. Apion. S. Gell. V, 14, 1.

vn (VI), 8, 2. S. Plutarch vom ZufaU. 1.

vn (VI), 8, 3. S. Val. Max. IV, 3, 1; Polyb. X, 19; Frontin. Stratag. U, 11, 5; Liv. 26, 50; Ammian. MarceU. 24, 4.

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vn. (VL) Buch, 8. Cap., §8—6. (387)

welcher von beiden Männem für den enthaltsamsten gehalten werden müsse, ob der ältere Publius (Cornelius Scipio) Africa- nus, welcher nach der Eroberung (Neu-) Cai-thago's, der be- deutendsten Stadt in Spanien, eine mannbare Jungfrau vom einnehmendsten Aeusseren, die Tochter eines edlen Spaniers, welche gefangen und ihm zugeführt worden war, (sofoit) ihrem Vater unversehrt wieder zustellen Hess; oder der König Alexander, der die bei einer grossen Schlacht in seine Ge- fangenschaft gerathene Schwester und zugleich Gattin des Kö- nigs Darius, die ihm als eine vorzügliche Schönheit war ge- schildert worden, gar nicht sehen wollte und verbot, dass sie ihm zugefülii-t würde. 4. Alle, die nun mehr Scharfsinn, mehr Zeit und mehr Darstellungsgabe haben (als ich), mögen diese Züge aus dem Leben des Alexander und des Scipio zu ein Paar Uebungsredchen verwenden, 5. ich will es vor der Hand dabei bewenden lassen, nur noch folgende, aus geschichtlicher Quelle geschöpfte Begebenheit anzuführen, obgleich es nicht verbürgt ist, ob sie auf Wahrheit oder Unwahrheit beruht. Danach soll jedoch derselbe Scipio in seiner Jugend durch- aus nicht in einem so ganz unbescholtenen Rufe gestanden haben, und es beinahe ausgemacht sein, dass man beifolgende Verse des Dichters Cn. Naevius geradezu auf ihn beziehen will :

Jener selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende föhrte, Dessen Thaten lebendig leben, der bei den Völkern allen allein gilt, Den hat nach Hans' der eigne Vater von dem Liebchen geholt im Hemde.

C. Durch diese Verse, glaube ich aber, hat sich auch Va- lerius Antias erst veranlasst gefühlt, wider die Annahme aller anderen Schriftsteller, über die Sittenhaftigkeit des Scipio anders zu urtheilen und desshalb auch anders, als ich oben an- gegeben, zu berichten, dass er nämlich die gefangene Jungfrau ihrem Vater nicht zurückgegeben, sondern sie für sich zu er- götzlichem Liebesspiel bei sich behalten habe.

VU (VI), 8, 4, cfr. Val. Max. VI, 9, 2 u. VI, 7, 1.

VII (VI), 8, 5. VergLBernh.IlL. 87, 138 über dies komische Frag- ment des Naevius; desgL s. Teuffels röm. Lit § 89.

VII (VI), 8, 6. Vergl. VI (VII), 19, 8 u. Teuffels röm. Lit Gesch. § 152, 8 aber Val^rius Antias.

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(388) Vn. (VI.) Buch, 9. Cap., § 1-4.

VII (VI), 9, L. Eine ans den Jahrbüchern des L. Piso entlehnte Stelle^ betreifend eine ganz reizende, geschichtliche Erzählung.

VII (VI), 9. Cap. 1. Es schien uns ein Vorfall erwähnens- werth, den, wie L. Piso im dritten Buche seiner Jahrbücher schreibt, der curulische Aedil Cn. Flavius, ein Sohn de& Annius, veranlasste. Dieser Vorfall ist nun von Piso auf eine ganz ungeschminkte und artige Weise erzählt worden, des- halb schreibe ich diese ganze Stelle aus des Piso Werk hier wörtlich her. 2. Da steht: „Cneus Flavius war der Sohn eines Freigelassenen und seinem Berufe nach Schreiber. Als solcher stellte er sich gerade zu der Zeit dem cumlischen Aedil zur Verfügung, zu welcher Zeit eine Neuwahl der Aedi- len stattfindet, und in der Wahlabtheilung ernannte man ihn zum curulischen Aedil. 3. Der die Wahlversammlung ab- haltende Aedil weigert sich, die Wahl anzuerkennen und spricht sein Missfallen darüber aus, dass Einer, der Schreiber- dienste versehen, zum Aedil ausersehen sei. 4. Cn. Flavius^

vn (VI), 9, 1. L. Calpumius Piso Frugi, Volkstribun 149 v. Chr., erhielt wegen seiner Rechtschaffenheit den Beinamen Frugi, ein Mann von grösster Uneigennfitzigkeit, der zuerst ein Gesetz über die Gelderpressung (de repetundis) beantragte. Er besiegte als Consul 1^ die empörten sicilischen Sklaven, war Gegner des G. Gracchus und schrieb Annalen* welche Livius benutzte. Val. Max. 2, 7, 9. Vergl Bemh. R. L. 101, 485. Seine Reden waren schon zu Cücero's Zeiten nicht mehr vorhanden, s. Gell. XI, 14, 1 u. Teuffels röm. Lit Gesch. 138, 4.

VII (VI), 9, 1. Gn. Flavius, eines Freigelassenen Sohn, hatte al» Schreiber bei dem Pontifez Appius Claudius Gelegenheit gehabt, die damals von den Oberpriestem aufbewahrten und geheimgehaltenen Rechtsformeln abzuschreiben. Da bisher nur die Pontifices in deren Besitz waren, so konnten auch sie nur Aufschluss geben und standen wegen ihrer Con- sultationen in grossem Ansehen. Diese Processformeln nun und den juristischen Kalender, d. h. das Verzeichniss der gerichtlichen und un- gerichtlichen Tage machte Flavius als Aedilis Curulis im Jahre 449 u. c (304 V. Chr.) aus Rache gegen den Adel bekannt, weil ihm derselbe bei der Wahl zum curulischen Amte entgegen gewesen war. Diese Sammlung hiess „jus Flavianum". S. Liv. 9, 46; Plin. H. N. 23, 1; Cic ep. ad Attic. VI, 1; pro Muren. 11; Val. Max. II, 5, 2; cfr. GelL NB. IV, 1, 20, wo bemerkt steht, dass 103 Jahre später das „jus Aelianum^ heraus kam.

VII (VI) 9, 2. Renuntiaverunt Das Resultat der Abstimmung des principium wurde in den Comitien selbst sofort öffentlich bekannt gemacht. S. Liv. 9, 46; Lange r. A. § 122.

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Vn. (VI.) Buch, 9. Cap., §4-6.-10. Ca^., § 1. 2. (389)

<les AnniuB Sohn, soll nun (sofort) das Schreibzeug bei Seite geschoben und den Schreiberdienst niedergelegt haben und so wurde er curulischer Aedil. 5. Derselbe Cn. Flavius, des Annius Sohn, soll (einst) einen kranken Collegen besucht haben. Als er bei diesem in das Zimmer eingetreten war, Sassen daselbst schon mehrere vornehme junge Leute (versam- melt). Diese behandelten ihn mit Geringschätzung und Keiner zeigte eine Absicht, sich vor ihm zu erheben. 6. Gn. Flavius, des Annius Sohn, lächelte dazu, liess sich seinen curulischen Stuhl bringen, setzte ihn so an die Thttrschwelle, dass Keiner von Jenen hinausgehen konnte und alle Diese ihn gegen ihren AVillen auf dem curulischen Stuhle sitzen sehen mussten."

YII (VI), 10, L. Erzählung von der ansserordentlichen Lembegierde des l^ocratikers Eudides, durch dessen Beispiel Tauras seine jugendlichen Schüler immer zum eifrigen, emsigen Streben nach Weisheit aufzumuntern

pflegte.

vn (VI), 10. Cap. 1, Taurus, ein noch zu meiner Zeit ganz berühmter platonischer Weltweisei-, pflegte nicht nur durch Vorführung vieler anderer guter und nützlicher Bei- spiele dringend zur Beschäftigung mit der Philosophie au£cu- muntem, als auch besonders die Herzen der Jünglinge zu gleicher Ausdauer zu entflammen; welche, wie er sagte, Euclides, der Schüler des Socrates, bethätigt hatte. 2. Er

vn (VI). 9, 8, Lange röm. Alterth. § 120 S. (401) 432 erklärt das Wort Aedilis vor qui comitia habebat für ein Glossem. Vergl. Mommsen K. F. S. 159.

VII (VI), 9, 4. S. Val. Max. II, 5, 2; IX, 3, 3; cfr. Plin. 33, 1, 17—19; Dion. 4, 18; 7,. 59; 9, 25.

vn (VI), 10, 1. lieber Taurus ö. Teuffela röm. Lit G. 9. 348, 2.

VII (VI) 10, 1. Euclides, Stifter der megarischen Schule, lehrte, dass es nur ein Wahres gebe, welches das Gute seii aber auch mit anderem Namen Gott, Vernunft u. s. w. heissen könne, wobei die Mannig&ltigkeit und das Werden der Dinge geleugnet wurde. Die Megariker können als die Vorläufer der Skeptiker angesehen werden, wegen ihrer vorherrschenden Beschäftigung mit der Dialectik und Disputirknnst, sowie wogen der Er- findung und Auflösung von Trugschl&ssen f^nnixol , späterhin auch Dia- lectiker genannt Ein andrer Euclides ist der Mathematiker, der Stifter der alexandrinischen Schule (Gell. I, 20, 9 NB), der aber erst 90 Jahre später unter dem Ptolemaeus Lagides lebte.

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(390) ^^. (VI.) Buch, 10. Cap., § 2 - 5. 11. Cap., § 1.

sagte: Die Athener hatten durch eine öffentlich^ Verordnung verboten, dass jeder Bürger von Megara, wenn er einen Fuss auf athenisches Gebiet setzen und dabei ergriffen würde, die Uebertretung dieses Verbotes einem solchen Frevler das Leben kosten sollte. 3. Einen solchen wüthenden Hass hatten die Athener gegen die Magarenser, ihre Grenznachbarn. 4. Euclides, der ebenfalls aus Megara gebürtig war und vor Erlass dieses (strengen) Verbotes nicht nur oft in Athen sich aufgehalten, sondern auch des Socrates gewöhnlicher Zuhörer gewesen, nachdem mm diese Verordnung bereits in Kraft ge- treten war, Hess sich nicht abhalten, sondern begab sich gegen Abend, wenn es anfing zu dunkeln, bekleidet mit einem langen Weiberrock und in einen bunten Mantel gehüllt, das Haupt mit einem Schleier bedeckt, aus seinem Hause von Megara nach Athen zum Socrates, um wenigstens des Nachts eine Zeit lang iseines Käthes und seiner Belehrung theilhaftig zu werden, und eilte, sobald der Tag anbrach, durch diese Ver- kleidung verdeckt, auf demselben Wege, der mehr als 20,000 Schritte betrug, wieder nach Hause. 5. Daran knüpfte Tau- rus nun die Bemerkung: (wie ist das aber doch heut zu Tage ganz anders geworden) jetzt sieht man unerhöi1;er Weise (nitro) die Philosophen selbst, um ihre Weisheit an den Mann zu bringen (ut doceant), nach den Häusern der reichen, jungen Leute laufen und fast bis Mittag harren, bis ihre Schüler den (über-) nächtigen (Wein-) Rausch erst ganz ausgeschlafen haben.

VII (VI), 11, L. Eine Stelle aus der Rede des Q. Metellus Kumidicus, deren Erwähnung ich deshalb fdr zweckmässig halte, well sie auf die Ver- pflichtung hinweist, sich im Leben (eine gewisse Mässigung und Kalt- blütigkeit und dadurch) seine (sittliche) Würde und sein Ansehen zu

bewahren.

Vn (VI), 11. Cap. 1. Nicht allein aus einer Rede des Q. Metellus Numidicus, sondern auch aus den Werken und

vn (VI), 10, 2. Vergl. PhUostr. d. Aelt Lebensbeschreibung der Sophisten I, 8; Plutarch. Pericl. 80.

vn (VI), 10, 5. Ueber diese Schmarotzer and aufdringlichen Schein- philosophen yergl. Gell. XDI, 8, 5 und Teuffels r. Lit (jesch. 49, 2.

vn (VI), 11, 1. Q. CaeciUus Metellus Num. s. GeU. I, 5, 1 NB; XVH, 2, 7 NB.

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m. (VL) Buch, 11. Cap., §1-^3.-12. Cap., § 1. 2. (891)

Lehren der Philosophen kann man zu der üeberzeugung ge- langen, dass es nicht gerathen sei, weder mit verächtlichen, schändlichen Menschen sich in Zänkerei einzulassen, noch gegen schamlose und boshafte Menschen in Schmähungen aus- zuai*ten, weil, insofern man ihnen nachahmt und sich mit ihnen herumstreitet, oder ihnen Gehör schenkt, man sich ihnen ein Weilchen gleichstellt (und sich eigentlich dadurch zu ihnen erniedrigt). 2. Die Worte des Metellus gegen den Volkstribun Cn. Manlius, von dem er in öffentlicher Volksversammlung gereizt und durch freche und muthwillige Aeusserungen an- gegriffen worden war, sind folgende: „3. Was diesen Men- schen anlangt, ihr edlen Römer, der dadurch, dass er sich immer und ewig meinen Feind nennt, sich einbildet, (bei euch) im Ansehen zu steigen, ohngeachtet ich ihm weder ein Recht auf meine Freundschaft einräume, noch mich auch nur im Geringsten um seine Feindschaft scheere, so will ich seinet- wegen nicht erst viel Worte verschwenden. Denn ich halte ihn fbr gänzlich unwürdig des mindesten Lobes rechtschaffener Leute, wie auch für einen Solchen, der selbst nicht einmal von ehrlichen Leuten auch nur beschimpft zu werden verdient. Denn (wahrlich) den Namen eines solchen Menschendingleins während der Zeit in den Mund zu nehmen, wo man ihn nicht bestrafen kann, hiesse doch nur mehr ihm Ehre, als Schimpf anthun." (Weil er nämlich Volkszunftmeister und eine seines Amtes wegen geheiligte Person war.)

YII iVI), 12, L. Dass weder das Wort „testamentum", wie Servius Sulpicius

meint, noch „sacellum'*, wie C. Trebatias will, zusammengesetzte (Doppel-)

Wörter, sondern dass das eine nichts ist, als eine Stamm Wortverlängerung

von „testado^S das andere Wort aber der Verkleinernngsbegriff von

„sacrom" ist.

VII (VI), 12. Cap. 1. Ich kann mir nicht erklären, wel- cher Grund den Servius Sulpicius, einen seiner Zeit höchst angesehenen Bechtsgelehrten, bestimmt hat, im zweiten Buche seines Werkes : „Ueber die feierliche Lossagung und Ablösung der Familienopferverpflichtungen" (de sacris detestandis) zu schreiben, dass das Wort testamentum (Nachlassverfügung) ein aus zwei Wörtera zusammengesetzter Ausdruck sei. 2. Denn er behauptete , dass es aus (den zwei Wörtern) mentis con- testatio (d. h. eine nach Herz und Gewissen getroffene, letzt-

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(392) Vn. (VI.) Buch, 12. Cap., § 8-6. - 13. Cap., § 1.

willige Bestimmung) entstanden sei. 8. Wie steht.es nach dieser Erklärung nun aber mit den Ausdrücken: calciamen- tum (Fussbekleidung , Schuhwerk), paludamentum (Mantel), pavimentum (Estrichboden), vestimentum (Kleidung), wie mit tausend anderen, deraiüg verlängerten Ausdrucksformen, wir da bei allen (den anderen) auch eine Zusammensetzung an- nehmen? 4. Diese Auslegung (des Wortes testamentum), scheint sie nun dem Sulpicius entschlüpft zu sein, ohne dass er es so recht mit Bedacht überlegt hat, oder mag auch schon ein Anderer vorher diesen Gedanken ausgesprochen haben, ist unrichtig, allein der in dem Worte vermeintlich enthaltene Begriff einer Genugthuung für das Gewissen ist durchaus nicht unpassend und ungereimt hinzugedacht, ebenso wie wahrlich auch Trebatius sich von dem Gedanken einer ähnlichen kunstgerechten Wortzusammenfügung hat überschleichen ,(und verleiten) lassen. 5. Denn im zweiten Buche seines Wer- kes: „über Glaubensangelegenheiten und Gottes Verehrung (de religionibus)" sagt er: „Mit dem Ausdrucke „sacellum" wird jeder kleine (dem Gottesdienste, oder) einem Gotte geheiligte, mit einem Altare versehene Ort bezeichnet." Weiterhin fügt er noch die Worte hinzu: „Meiner Ansicht nach ist das Wort sacelluni aus den zwei Wörtern zusammengesetzt, aus sacer und cella, gleichsam sacra cella, d. h. ein heilig (verstecktes) Plätzchen." 6. Dieses nun schrieb Trebatius. Allein wem ist es wohl unbekannt, dass „sacellum" sowohl nur ein einfaches Wort ist, als auch, dass es nicht aus den beiden Wörtern sacra und cella zusammengesetzt, sondern nur ein von^sacer" gebildetes Deminutivum ist.

VII (VI), 13, L. Ueber kurze (absonderliche) Fragen, welche (gewöhnlich) während des Gastmahles beim Weltweisen Taurufe verhandelt wurden, und denen man den Namen „Tiscbunterhaltung (quaestiunculae symposiacae)^* gab.

VII (VI), 13. Cap. 1. Wir Alle, welche dem Philosophen Taurus näher standen, hatten es uns ein für allemal zum Ge- setz gemacht, auf dessen Beobachtung streng gehalten wurde.

Vn (VI), 12, 4. Vergl. Gell. IV, 2, 9; b. Teuffels Gesch. der röm. Lit 199, 3.

VII (VI), 12, 5. Vergl. Gell. XIII, 10, 4 NB. u. Gell.XM, 16, 1 Agrippus.

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VII. (VI.) Buch, 13. Cap., § 2-8. (393)

dass, 2. wenn er uns zu Athen in sein Haus einlud, ja Keiner, i¥ie man so gewöhnlich sagt, mit leeren Händen und ohne Beitrag (immunes et asymboli) erscheinen durfte, deshalb kamen wir stets bepackt, nicht mit ausgesuchten Leckerbissen, sondern mit pikantem Untenedungsstoff zum Gelage. 3. Jeder von uns machte sich also auf den Weg dahin, vorbereitet und ausgerüstet mit den Fragen, die er etwa einer näheren Be- sprechung zu unterbreiten sich voiigenommen hatte , und so bildete (denn immer) der Beginn der Unterredung das Ende der Mahlzeit. 4. Dabei war es aber nicht auf schwierige, noch ernsthafte Untersuchungen abgesehen, sondern es wurden meist nur (sogenannte ivdvfxtjfxatia, d. h.) lustige und gering- fügige Unterhaltungsscherzchen verhandelt, welche die fröh- liche Weinlaune herausforderten, wovon ich hier sogleich ein Beispiel solcher kurzweiligen Spitzfindigkeit anführen will.

5. So warf man z. B. die Frage auf, wann man wohl von einem im Sterben Liegenden sagen könne, er sterbe? Ob dann erst, wenn er den Todeskampf bereits überstanden, oder auch schon, wenn er noch in den letzten Zügen liege; ferner: wann man wohl von einem Aufstehenden sagen dürfe, er sei aufgestanden, ob dann ei-st, wenn er schon steht, oder aber auch dann schon, wenn er noch sitzt; femer: wann Einer, der eine Kunst (oder ein Gewerbe) erlernt , wohl ein Künstler (oder » Meister) wui'de? ob während er schon ausgelernt, oder während dies noch nicht der Fall ist, und er noch lernte.

6. Welchen von den beiden (entgegengesetzten) Fällen Du- auch annehmen magst. Deine Antwort wird immer abgeschmackt und lächerlich ausfallen, und man wird es noch für weit sinn- loser halten, wenn Du entweder beide Fälle annimmst, oder gar keinen (von beiden). 7. Da man nun dabei die Aeusserung laut werden liess, dass solche verfängliche Fragen unnütz und albern seien, schlug sich Taurus ins Mittel und sagte: Ich ratiie euch Allen, diese Fragen ja nicht als ein läppisches Possenspiel zu verachten. 8. Denn die bedeutendsten Philo- sophen haben darüber ernsthafte Untersuchungen angestellt, von denen der eine Theil behauptete, der Begriff des Ster-

VII (VI), 13, 2. Ueber Tischunterhaltung vergl. GeU.I, 22, 5; XVÜ, 8; XVni, 2; XIX, 9, 1 NB.

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(394) Vn. (VI.) Buch, 13. C^., § 8-12.

bens und der Todesstunde lasse sich ganz wohl bezeichnen und mit dem Zeitbegriff in Beziehung bringen, wo Jemand noch am Leben sich befinde; Andere hingegen wollten den Begriff des Todes durchaus ganz von dem Zeitbegiiff des Lebens trennen und bezogen den Zustand des Sterbens ganz allein nur auf den Tod. 9. Ebenso gingen auch bei den An- deren, ausserdem oben noch erwähnten Streitfragen die Par- teien in Betreff der Zeitverschiedenheit und des Meinungs- gegensatzes aus einander. 10. Allein unser Plato, fuhr er fort, räumte weder dem Leben noch dem Tode den (letzten, end- lichen) Zeitabschnitt (unseres Seins ausschliesslich) ein, und verfuhr ebenso bei jeder andem Entscheidung ähnlicher Un- tersuchungen. 11. Denn da er dabei immer den doppelten Widerspruch herausfühlte und einsah, dass von zwei entgegen- gesetzten Fällen (und Zuständen) der eine nicht bestimmt angenommen werden kann, so lange der andere noch besteht, und dass (unbedingt) ein Widerspruch hervorgenifen werde durch die Zusammenstellung von den einander ganz entgegen- gesetzten Grenzbestimmungen des Todes und des Lebens: so erfand er deshalb auch zur Ausdrucksverdeutlichung noch einen gewissen andern, neuen Zeitbegriff, der an jene beiden angrenzte und den er, durch die unvermischte, ganz beson- ders dafür gewählte Ausdrucksweise, wörtlich bezeichnete als : „T^v i§aiq>vrjg tpiöLv , d. h. die plötzliche Entscheidung, den Augenblick der (unveimutheten) plötzlichen Entscheidung.** Den Nachweis f(lr (diese) meine Angabe, sagte er, könnt ihr in seiner Schrift, Parmenides genannt (p. 156,, D), nachlesen. (Die betreffende Stelle lautet: „Denn das Unveimuthete [der entscheidende Augenblick] scheint so etwas anzuzeigen, wel- ches man sich zum Mittel des Uebergangs von dem einen Zustand zum andern denken muss.**) 12. So beschaffen also waren die Picknicke beim Taurus, so das Knapperwerk des Nachtisches (mensarum secundarum, TqayiqfAcna)^ wie er sich selbst auszudrücken pflegte.

Vn (VI), 18, 11, vergl. Gell. VI (VU), 21, 2.

VII (VI), 13, 12. xQnyrifAata, abgeleitet von T^«yiü, dorisch, statt jQtoyto^ nagen; auf Lateinisch : belhria (Naschwerk), cfr. Gell. XIII, 11, 6. 7.

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Vn, (VI.) Buch, 14. Cap., § 1-4. (395)

VII (VI), 14, L. Dass Ton den Philosophen bei Bestrafung von Ver- gehongen drei (yerschiedcne) Verfahmngsarten angegeben worden sind; dann weshalb Plato nur zwei Ton ihnen ansdrucUich namhaft gemacht hat

und nicht drei«

VII (VI), 14. Cap. 1. Man ist der Ansicht, dass bei Bestrafung von Vergehungen man einen dreifachen Bew^- grund im Auge behalten müsse. 2. Der ei*ste Beweggrund heisst: nolaaig (Bestrafung), auch v(m9eaia (Zurechtweisung, oder auch wohl noQaiveaig^ Ermahnung) und tritt ein, wenn eine Strafe der Züchtigung oder Besserung halber nöthig wird, damit Einer, der zufälliger Weise in seiner Pflicht fehlt, (in Zukunft) mehr zur Vorsicht gemahnt und zu vortheil- hafter Umwandlung seines Selbst angehalten wird. 3. Nun giebt es aber auch noch einen andern Beweggrund zur Be- strafung, der von Denen, welche diese Ausdrücke (und Be- zeichnungen für die Strafverfahrungsarten) noch sorgfältiger unterschieden haben (wollen), mit dem Worte tifitaQia (Un- rechtsahndung, eigentlich: Bacheact) bezeichnet wird. Diese Veranlassung zur Bestrafung findet statt, wenn es gilt die Wtlrde und das Ansehen Dessen, gegen den man sich ver- gangen hat, zu vertheidigen, damit die unterlassene Ahndung ihm (dem Beleidigten) nicht die Geringschätzung (seiner Mit- menschten) zuzieht und so (seinem Ansehen und) seiner Ehre Abbruch thut, und deshalb ist dafür, wie man meint, dies Wort von Erhaltung der Ehre (rifJiTJg) hergenommen und ge- bildet worden. 4. Der dritte Beweggrund zum Einschreiten durch Strafe, zu dessen Bezeichnung man bei den Griechen den Ausdruck: Tta^ddßiyjua (waniendes Vorbild) braucht, findet statt, wenn eine Bestrafung als (abschreckendes) Beispiel nöthig wird , damit jeder Andere vor ähnlichen Vergehungen, weil deren Verhinderung von Staats wegen von Wichtigkeit ist, aus Furcht vor der bestimmten (unausbleiblichen) Strafe abgeschreckt werde. Daher bedienten unsere Vorfahren zur Bezeichnung der grössten und härtesten Strafen sich des (ganz einfachen) Wortes „exempla (Beispiele)". Jedoch, wenn man glaubt, mit Zuversicht dai*auf rechnen zu dürfen, dass

vn (VI), 14, 8. Siehe Aristot. Rhetor. I, 10, 17.

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(396) VIL (VI.) Buch, 14. Cap., § 4—8.

Der, welcher sich verging, auch ohne Bestrafung sich selbst aus freien Stücken bessert; oder (auch im entgegengesetzten Falle), wenn nicht die geringste Hoffnung vorhanden sein sollte, dass ein Solcher gebessert und auf gute Wege gebracht werden kann; oder, wenn man femer nicht die geringste Einbusse an der Würde Dessen zu befürchten braucht, gegen welchen «das Vergehen verschuldet wurde; oder endlich, wenn das Vergehen überhaupt kein derartiges ist, dass dessen Be- strafung zum (abschreckenden) Beispiel aus dringender Furcht uns am Herzen liegen muss: dann scheint, bei allen den an- gegebenen Vergehungen, Eifer und Eile eine Strafe zu ver- hängen, doch ganz gewiss unnöthig und überflüssig. 5. Die allgemeine Annahme dieser drei Strafai*ten findet ihre schrift- liche Aufbewahrung nicht nur bei mehreren anderen Philo- sophen an vielen Stellen, sondem auch bei unsei*m Taurus im ersten Buche seiner Erläuterungen, die er zu Plato's Gor- gias verfasst hat. 6. Plato selbst aber macht mit klaren, deutlichen Worten ausdrücklich nur zwei Beweggründe zum Strafen namhaft: es ist der eine von mir an erster Stelle ge- nannte {xokaaigy vovxheala^ Ttagalveoig) als Besserungsmittel (des Sünders), der andere von mir an dritter Stelle angegebene {rtagadeiyfAa , als W^mungs- und Abschreckungsmittel) aus Furcht vor (harter) Strafe. 7. Des Plato eigne Worte im Gorgias ip. 523. B.) sind folgende: „Es muss aber Jeder, der Strafe leidet, sofern er nur von einem Andern auf die rechte Art gestraft wird, entweder besser werden und Nutzen davon ziehen, oder den Uebrigen zum (warnenden) Beispiel dienen, damit, wenn Andere ihn das leiden sehen ^ was er leidet (d. h. beim Anblick und Gedanken an seine Leiden), Furcht bekommen und besser werden.^ 8. Aus dieser Stelle lässt sich leicht ersehen, dass Plato das Wort tifiwgia nicht, wie ich oben angab, nach der Annahme Einiger (in engerer, ein- geschränkterer Bedeutung als Strafmittel zur Ehrenrettung eines Andern) gebraucht hat, sondern (im ganz allgemeinen

YII (VI), 14, 5. S. Senec de dem. I, 22, 1. Bei Bestrafung hat man einen dreifachen Zweck im Auge: entweder um Den, welchen man straft, zu bessern; oder durch seine Bestrafung Andere zu bessern; oder durch Unschädlichmachung gefährlicher Subjecte das Leben (und die Wohlfahrt) der Andern mehr sicher zu stellen.

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VH (VI.) Buch, 14. Cap., § 9. 15. Cap., § 1—5. (397)

Sinne) als Strafe und Bestrafung überhaupt. 9. Ob er nun aber (den von uns oben angeführten, zweiten) Beweggrund zu einer Strafanwendung, in Absicht die Würde eines Be- leidigten (zu seiner Ehrenrettung) in Schutz zu nehmen, gleichsam im Ganzen für zu geringfügig und gar zu unerheblich gehalten, oder ob er vielmehr die Nothwendigkeit nicht ein- sah, weiter davon Kenntniss zu nehmen, weil er nicht von den in diesem Leben (vorkommenden), noch von den unter den Menschen zu erwartenden Strafen schrieb, sondern von denen nach dieser Lebenszeit, das will ich (unentschieden) dahin gestellt sein lassen.

VII (VI), 13, L. Ob in dem Worte „quiesco" der Vocal „e" kurz oder lang ausgesprochen werden mnss.

VII (VI), 15. Cap. 1. Einer meiner Freunde, ein geistig strebsamer Mann, von grosser VSTissbegierde und Kunstsinn, hatte den Vocal „e" in dem Worte „quiesco", wie es gewöhnlich geschieht, kurz ausgesprochen. 2. Ingleichen hatte ich auch einen Freund, von bewundeniswürdigen, man könnte fast sagen, blendenden Kenntnissen, der vor gewöhnlichen Aus- drücken über die Massen Abneigung und Ekel empfand, dessen Meinung war, dass Jener sich einer fehlerhaften , fal- schen Betonung schuldig gemacht habe, da er das „e" eigent- lich hätte lang und nicht kurz aussprechen sollen. 3. Dabei hob er nämlich besonders hervor, dass „quiescit" gerade so ausgesprochen werden müsse, wie calescit (es wird wann, erglüht), nitescit (es erscheint glänzend, prangt) und stupescit (geräth in Staunen, stutzt) und noch viele andere dergleichen. 4. Auch fügte er noch die Bemerkung hinzu, dass „quies" mit langem „e** und nicht mit kurzem ausgesprochen würde. 5. Darauf entgegnete nun mein ei-stgenannter Freund, in seiner übrigens in jeder Hinsicht bescheidenen Anspruchslosigkeit, dass er, selbst wenn auch Männer wie Aelius, Cincius und S antra eine solche Aussprache für richtig gehalten haben würden, dem durchgängig angenommenen, lateinischen Sprachgebrauche zuwider, sich nicht danach würde gerichtet

VII (VI), 15, 5. lieber Aelius, Cincius, Santra s. Teuffels röm. Lit Gesch. 116, 4; 207, 2.

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(398) Vn. (VL) Buch, 15. Cap., § 5. 6. 16. Cap., § 1. 2.

und so aussergewöhnlich gesprochen haben, etwa nur aus Laune für eine (trotzdem unbedingt) missklingende und ungereimte Ausdrucksweise. 6. Unter seinen mannigfaltigen, zu seiner Unterhaltung und Kurzweil verfassten Uebungs- arbeiten schrieb er jedoch auch einen Brief, worin er nach- zuweisen suchte, dass „quiesco^ vergleichsweise nicht den obengenannten Wörtern an die Seite zu stellen, und nicht von „qoies'' abgeleitet sei, sondern dass „quies" vielmehr von „quiesco^ herkommt und seine Messung und Abstammung von einem giiechischen Ausdruck herleite. Durch diese wahrhaftig nicht so ganz abgeschmackten Gründe wollte er nun auch beweisen, dass es ungehörig sei, das „e^ in „quiesco" lang auszuspi'echen.

VII (VI), 16, L. (Bemerkung,) dass das Wort „deprecor'^ vom Dichter

Catull zwar nngewöhnlich, aber trotzdem passend ond zweckentsprechend

angewendet wnrde ; dann über die Bedeutnng dieses Wortes nach Beispielen

aus alten Schriftwerken.

VII (VI), 16. Cap. 1. Als wir eines Abends zufallig im Lyceum lustwandelten, diente uns daselbst als Zielscheibe des Spasses ein Mensch, der sich durch seine oberflächlichen und verwoiTenen Sprachvei-suche auf den Ruf der Beredt- samkeit Hoffnung machte, trotzdem dass er nicht einmal die gewöhnlichen Regeln oder Bedeutungen im lateinischen Sprach- ausdruck gelernt hatte. 2. Denn weil das Woi-t „deprecor" im (92.) Gedichte vom Catull in einer etwas gelehrteren Be-

Yn (VI), 1.5, 6. Wenig Glaaben verdient, der gelehrte Freund des (jellius, der, um seinen gleichfalls gelehrten Gegner zu widerlegen und zu beweisen, dass quiesco nicht von quies herkommt, auf eine so übergelehrte als erzwungene Art quiesco von dem ionischen Ij^oi, iaxta herholt Seyfert, Lat Gr. § 1598, U.

VII (VI), 16, 2. Q. Valerius Catullus, berühmter römischer Dichter von Geist und Geschmack, geb. 86 v. Chr. im Veronesischen, der Erste, der allerlei griechische Versarten nach griechischen Regeln be- handelte (Hendekasyllaben und Gholiamben), erfreute sich der Freund- schaft geistvoller Männer, des Cicero, des Cornelius Nepos, des Prätors L. Memmius Gemellus, des Bedners Hortensius, des C. Licinius Calvus u. s. V. Er stand in einem sehr leidenschaftlichen Liebesverhältnisse zur Clodia, der Gattin des Metellus Celer und Schwester des berüchtigten Volkstribunen P. Clodius, die er in seinen Gedichten Lesbia nennt Die lyrischen Gedichte sind griechischen Mustern nachgebildet, z. B. das Hoch-

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VIL (VI.) Buch, 16. Cap., § 2—7. (399)

deutung angewendet steht, und Jenem die weitere Bedeutung des Wortes unbekannt geblieben war, so behauptete er, die Verse seien matt und abgeschmackt, obgleich sie nach allge- meinem Urtheil für die schönsten (dieses Dichters) gehalten werden, weshalb ich sie hier wörtlich anfahre:

Lesbia schmäht mich best&ndig und führt mich beständig im Munde: Ich will sterben darauf, dass mich die Lesbia liebt.

„Deine Beweise?' Mir gehts ganz gleich: ich verwOnsche (deprecor) sie

rastlos. Aber ich sterbe darauf, dass ich für Lesbia glQh'.

3. Der gute Mensch war nämlich in dem Wahne, dass „depre- cor" an dieser Stelle in dem Sinne gebraucht sei, wie es meist im gewöhnlichen Leben angewendet wird und die Bedeutung hat: „valde precor (ich bitte sehr)" und „oro et obsecro (ich bitte inständig)", wobei die Praeposition „de" noch zur Verstärkung und Erhöhung des (in dem einfachen Worte precor) enthaltenen BegrilBFes beiträgt. 4. Verhielte sich dies so, so wären die Verse in der That matt und abge- schmackt. 5. Nun findet aber Oberhaupt das Gegentheil statt, denn die Praeposition „de", weil sie doppelter Be- deutung fähig, kann in Zusammensetzung mit einem und demselben Worte eine verschiedene (entgegengesetzte) Be- deutung annehmen. So z. B. ist „deprecor" von Catull in der Bedeutung gesagt, wie: detestor (verwünsche), exsecror (ver- fluche), depello (zu vergessen suche), abominor (verabscheue) ; 6. dagegen hat dies Wort die entgegengesetzte Bedeutung, wenn Cicero in seiner Rede für den P. Sulla (26, 72) also sagt: „Für wie Viele erflehte dieser (Publius Sulla, est depre- catus) die Schonung ihres Lebens (durch seine Fürbitte) bei dem (Dictator Lucius) Sulla." 7. Desgleichen in (Cicero's zweiter Rede vor dem Volke gegen den Publ. Servilius Rullus bei der) „Widerrathung des Ackergesetzes (II, 36, 100), wo es heisst: „Sollte ich mich in irgend einer Hinsicht vergangen haben, so habe ich freilich keine Ahnenbilder (aufzuweisen),

zeitsgedicht des Peleus und der Thetis ; dann die Elegie auf das Haar der Berenike, dem Kallimachus nachgedichtet. Sein Tode^ahr ist unbekannt, wahrscheinlich starb er sehr jung und überschritt wohl kaum das 40. Jahr. S. Teuffels röm. Lit. Gjesch. 211.

VU (VI), 16, 6. Cir. Gell. I, 5, 3 de causa SuUae.

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(400) '^. (VI.) Buch, 16. Cap., § 7—13.

die mich von Euch losbitten (quae me deprecentur), d. h. die mir durch ihre Fürsprache Eure Nachsicht auswirken könnten/ 8. Jedoch nicht etwa CatuU allein hat dieses Wort in dem entgegengesetzten Sinne gebraucht. Vielmehr sind sogar die Schriften (der Alten) voll von Beispielen, wo dies Wort in ähnlicher Bedeutung steht, und ich setze deren einige , die mir gerade einfallen , hieher. 9. Q. Ennius ge- braucht das Wort in seinem Erechtheus nicht viel anders, als CatuU, wo.es heisst:

Quibus nunc aerumpna med libertatem paro,

Quibus Bervitatem mea miseria deprecor; d. h.

Wem schaffet jetzt noch Rettung meine Qual,

Wen wohl erlöst mein Leiden von der Knechtschaft?

Hier bedeutet das Wort: ich suche zu entfernen und abzu- wenden, entweder unter Anwendung von Fürbitte, oder auf irgend eine andere Ait. 10. Desgleichen Ennius auch in seinem Cresphontes:

Ego meae cum vitae parcam, letum inimico deprecer, d. h.

Wenn ich mein eignes Leben zu erhalten suche, wehr' ich auch ab

Von meinem Feind den Tod.

11. So schreibt auch Cicero im sechsten Buche seines Wer- kes „über den Staat" (VI, 2, 2): „Was um so auffallender war, weil, obgleich beide Collegen einerlei Sache hatten, sie doch nicht gleich verhasst waren, sondern sogar die Gunst, in der Gracchus stand, von seinem Amtsgenossen Claudius den Hass (der Bürger) abwendete (deprecabatur)**. Also auch hier heisst das Wort nicht soviel als : (er bat sehr) , sondern bedeutet gleichsam: er wendete und wehrte (den Hass) ab, wofür die Griechen in ganz ähnlicher Bedeutung das Wort „nagaizelaS-ac (losbitten, durch Bitten abwenden)** sagen.

12. Ebenso bedient sich Cicero dieses Ausdrucks auf eine ganz ähnliche Weise in seiner Rede für A. Caecina (11, 31), da sagt er: „Was will man mit diesem Menschen anfangen? Muss man nicht zuweilen geschehen lassen, dass er den Hass, den eine so arge Ruchlosigkeit verdient, durch die Beschul- digung eines so hohen Grades von Einfalt versöhne (depre- cetur)?" 13. -Ebenso in der ersten [vielmehr zweiten] Ab- theilung seiner zweiten Anklagerede gegen Verres (also: II, n, 78, 192): „Was aber soll Hortensius in diesem Falle

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Vn. (VI.) Buch, 16. Cap., § 13. 17. Cap., § 1. 2. (401)

than? Soll er die Anschuldigung der Habsucht durch das Lob der Enthaltsamkeit zurückweisen (deprecetur) ? aber er ver- theidigt den schändlichsten, den ausschweifendsten und nichts- wardtgsten Menschen/ So also sagt Gatull, dass er es gerade so mache , wie Lesbia , dass er zwar öfifentlich über sie her- zog, sie zu verschmähen und von sich zu weisen schien, sie beständig verwünschte, aber trotzdem zum Sterben in sie verliebt war.

vn (VI), 17, L. Wer überhaupt inerst eine Lcse>Bil liothek gründete nnd sie znr öffentlichen Benutzang frei gab ; wie hoc}> sich, vor der Nieder- lage durch die Perser, zu Athen die Anzahl der Bücher in den Öffentlichen Bibliotheken belief.

VII (VI), 17. Cap. 1. Es wird behauptet, dass in Athen der Tyrann Pisistratus zuerst eine Lesebibliothek für alle Zweige der Künste und Wissenschaften gegründet und zur öffentlichen Benutzung freigegeben. Für die Vermehrung dieser Büchersammlung haben nachher die Athener selbst mit Fleiss und Sorgfalt beigetragen. Allein diese so reich- haltige Büchersammlung liess Xei*xes «ach der Erobeiiing von Athen , nachdem , ausser der Burg (wo die Sammlung aufbewahrt lag), die Stadt selbst eingeäschert war, entfuhren und nach Persien schaffen. 2. Diese ganze grosse Bücher-

VII (VI), 17, L. Anlegung einer Bibliothek. S. Athen, p. 8. A.; Tertull. Apolog. 18; Sidon. Apoll. Ep. U, 9; IV, 11; VIII, 4. Disdplinae liberales i. e. Wissenschaften, die sich für einen freigehomen Menschen schicken : Dichtkunst, Beredtsamkeit, Geschichte, Sprachkunde, Philosophie.

VII (VI), 17, 1. Pisistratus, ein reicher, geistvoller, berühmter Athener aus königlichem Gehlüt, Verwandter Solons, half Salamis er- obern und erlistete sich die Erlaubniss einer Leibwache. Er bemächtigte sich während der freiwilligen Verbannung Solons (Gell. XVII, 21, 5) der Herrschaft 561 v. Chr. Bei einem Parteikampf, wobei Lykurgus als Vertreter des Adels und Megakles, der Eidam des Klysthenes von Sikyon, als Oberhaupt der Reichen an der Spitze der Bewegung standen, wurde Pisistratus zur Auswanderung genöthigt. Lykurgus und Megakles ent- zweiten sich. Der Letztere gab dem Pisistratus seine Tochter zum Weibe und verhalf ihm wieder zur Herrschaft. Pisistratus musste noch einmal fi&chten, bemächtigte sich aber von Neuem Athens. Er machte sich ver- dient um die Sammlung der homerischen Gesänge und starb 427 v. Chr. (cfr. Pausan. VII, 21).

VU (VI), 17, 1. S. Isidor. Orig. VIII, 3; Hieronymus ad Marceil. 14, 1.

0 e 1 1 i u 8 , AUische Kächte. 26

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(402) VIL (VL) Buch, 17. Cap., § 2. 3.

Sammlung liess lange Zeit nachher (nach mancherlei Zeit- stürmen) der König Seleucus, Nicanor genannt, wieder nach Athen zurückbringen. 3. Eine ansehnliche grosse Menge Bücher wurde von den Ptolemaeem, Königen in Aeg^pten, mit Sorgfalt ausgewählt und zusammengebracht und belief sich fast auf 700,000 Rollen (Bände); allein diese ganze (herrliche) Sammlung ist im früheren Alexandrinischen Kriege, bei der Plünderung und Zerstörung der Stadt (Alexandrien) zwar nicht atif einen ausdrücklichen Befehl, oder mit Ab- 'Sicht, sondern nur durch einen (unglücklichen) Zufall von den Hülfetruppen in Brand gesteckt und eingeäschert worden.

VII (VI), 17, 8. Vitrav. VII praef; Galen in Hippocrat de nat hum.; Plutarch. Marc Anton p. 948; Senec. de tranq; an. 9, 4, 7; Ammian. Marcellin. 22, 16; Joseph. Jüdische Alterthümer XII, 2; Grosios VI, 18; Strabo XIII p. 906; Petron. 48; Mart VH, 17; Paul. Sent IH. 6, 51.

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(Das) vm. BUCH

(ist verloren gegangen und sind davon nur noch die Üeber- schriften von dem Inhalt der einzelnen Capitel ttbrig).

vm, 1, L. Ob es richtig sei, zo sagen: hesterna noetn (in der gestrigen Nacht), oder falsch; was die Meinung der Sprachlnindigen über diese Ansdmcksweise nach sprachgebräachlicher Ueberliefenmg ; desgleichen, dass die Decemvim (Zehnmänner) in dem Zwölftafelgeseu sich des Aasdmcks noz für noctu bedienten. [Siehe Macrob. Sat. I. 4.] Da sagt Avienns: Das Ansehen des Caecina flösst mir zwar Achtung ein und ich erkenne sehr wohl, dass man einem Manne von seiner grossen Gelehrsam- keit kein (Sprach*) Versehen zutrauen kann, doch hat (vorhin) diese ungewöhnliche Ausdrucks weise «desselben) mein Ohr gewaltig überraticht, da es ihm gefiel ^ noctu fntura und die crastino zu sagen, anstatt den Gesetzen (der Grammatik) gemäss noctc futura und die crastino. Denn noctu ist nicht als Substantiv (»»Ablativ) anzusehen, sondern nur als Adverbium '(d. h. als adverbialiter gebrauchter Ablativ). Allein mit dem Adverbium lässt sich das Adjectivum nicht vereinigen. Und es ist ausser Zweifel, dass sich noctu zu nocte ebenso verhält, wie diu zu die. Und wiederum stehen dann auch die und crastini nicht in demselben Beugefall und diese beiden Wörtef (Substantiv mit Adjectiv) können im Ausdruck der Rede nur im gleichen Casus sich verbinden. Ennius, wenn anders nicht etwa gegenüber unsrer jetzigen verfeinerten Zierlichkeit (im Ausdruck) ihn deshalb Einer meint tadeln zu müssen, hat sich in folgen- den Versen des Ausdrucks: noctu concubia \zut Zeit des ersten, tiefen Schla&) bedient:

qua Galli furtim noctu summa arcis adorti Moenia concubia, vigilesque rcpente cruentant, d. h. Tief in der Nacht, verstohlener Weise, da standen die Gallier Hoch auf den Zinnen der Burg und ermordeten plötzlich die Wachen.

An diestr Stelle ist nicht nur der Ausdruck noctu concubia bemerkens- werth, sondern auch, dass er sagte: qua noctu. Und die Stelle, wo diese Endform angewendet, befindet sich im siebenten Buche seiner Annalen. Diese Ausdrucksweise tritt noch anfiallender in einer andern Stelle des dritten Buchs hervor, wo es heisst: * Hac noctu filo pendebit Etruria tota, d. h.

Hängen werden in dieser Nacht die Geschicke Etruriens

An einem (dünnen Faden (d. h. sie werden in der äussersten Gefahr sein).

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(404) VIII- Buch, Ueberschriften vom 1—6. Cap.

Auch Claudius Quadrigarius sagt im dritten Buche seiner Annaleu : „Der Senat kam (oft noch) in der Nacht (de noctu) zusammen und wurde oft erst tief in der Nacht (noctu multa) nach Hause entlassen/* Ich glaube, dass es nicht nnzweckmassig ist, hier auch daran zu erinnern, dass die Zehnmänner im Zwolftafelgesetz ungewöhnlich: nox für noctu gesagt haben: „Wenn bei Nacht (nox) ein Diebstahl verübt wurde und Einer ihn (den Dieb) getödtet hat, soll er (ebenfalls) nach Recht und Gerechtigkeit den Tod erleiden.**

VIII, 2f L. Ueber zehn Ausdrücke, die mir Favorinus angab, welche von den Griechen zwar gebraucht wurden, aber (eigenilich) doch falsch und sprachwidrig seien; wie ich ihm ebenfalls eine gleiche Anzahl Wörter namhaft machte, welche man im öffentlichen, gewöhnlichen Verkehr von Solchen, die lateinisch sprechen (d. h. von echten , gebomen Römern täglich), hört, obgleich es durchaus nicht gut lateinische Ausdrücke sind, ja selbst nicht einmal in den Schriften der Alten sich nachweisen lassen.

VIII, 3, L. Wie ich Ohrenzeuge war, als der Weltweise Peregrinus einen römischen Jüngling aus dem Hitterstande hart anliess, weil er thcilnahms- los neben ihm stand und beständig gähnte. Und sein Blick fiel auf Einen der beständig gähnte und auf die überaus entartete Verschwommenheit seines (ganzen) geistigen und körperlichen Lesens. Siehe Non. Marc, unter d. W. halucinari p. 121 M.

VIII, 4, L. Dass der höchst berühmte Geschichtsschreiber Herodot (II, 22 und VI, 37) eine nicht ganz zutreffende Behauptung aufstellt, wenn er sagt, dass unter allen Bäumen nur allein die Fichte, wenn sie beschnitten worden, nie wieder neue Schösslinge treibe (und absterbe); desgleichen eine nicht genug von ihm geprüfte, aber doch für ausgemacht an- genommene Beobachtung über (das) Regen (wasser) 'und über den Schnee.

VIII, 5, L. Was Veigil (Aen. XII, 407) wohl mit den Worten sagen will : coelum starie pulvere (sc. vident, d. h. sie sehen) den Himmel stehen in Staub) und was Lucilius mit den Worten meint: pectus sentibus stare (die Brust von Domen strotzen). [Siehe Non. Marc, unter d. W. stare p. 31)1 u. f. M.)

VIII, 6, L. Dass es keineswegs rathsam sei, wenn man nach einem ge- ringen Zwiespalt sich wieder ausgesöhnt hat, durch gegenseitige Aus-

VIII, 8, L. Der talentvolle, aber überspannte Cyniker Peregrinus von Parium am Hellespont, mit dem Beinamen Proteus, von Luldan be- rahmt gemacht durch seine Erzählung von dem seltsamen Schauspiel, welches dieser Proteus bei den olympischen Spielen im Jahre 166 oder 168 gab, indem er sich vor den Augen der versammelten Griechen lebendig verbrannte.

Vin, 6, L. Gfr. GeU. I, 3, 10.

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Vni. Buch, Ueberschriften vom 6. 14. Cap. (405)

elnandersetzungen Rechenschaft zu verlangen; ausfuhrlicher Vortrag des Taums über diesen Punkt, wie auch Auszug einer Stelle aus dem Werke des Theophrast {tkqI 7^g tptXi«g, über die Freundschaft); endlich Em- pfindungen (und Gedanken) des M*. Cicero über das Gefühl der Freund- schaft, mit Beifügung dessen eigner Worte.

VIII, 7, L. Betrachtungen und Wahrnehmungen über das Wesen und die Erscheinung des Gedächtnisses, entlehnt einem Buche des Aristoteles, welches die Aufschrift trägt: „n*^) fiv^/jrig (über das Gedächtniss)" ; desgleichen hier auch noch anderweitige theils ans Büchern, theils vom Hörensagen angemerkte Beobachtungen und Mittheilungen über (vor- kommende,) überströmende Fülle, oder Verlust dieses (geistigen Vermögens). [Siehe Non. Marc, unter d. W. memiuisse p. 441. M.]

VIII, 8, L. Was mir zufälliger Weise begegnete, als ich den Versuch wagte, einige Stellen Plato*s ins Lateinische zu übersetzen.

VIII, 9, L. Dass der Philosoph Theophrast, der beredteste seines ganzen Zeitalters (plötzlich) von einer (namenlosen) Aengstlichkeit ergriffen wurde, und , als er im Begriff stand , einige Worte an das atheniensische Volk zu richten, stecken blieb; ferner, dass ganz dasselbe (Missgeschick) dem Demosthenes begegnete, als er vor dem König Philipp den Sprecher machen sollte.

VIII, 10, L. Mittheilung eines Streites, den ich in einer eleusinischen Stadt hatte mit einem (protzigen,) geckenhaft aufgeblasenen Grammatiker, der von den Waudelzeiten der Zeitwörter (in der Sprachlehre) und von (den Anfangsgründen und ) der Kindheit angehörenden Uebungen nicht die geringste Kenntniss hatte, trotzdem aber durch den Dunst unverstandlicher Sätze und durch andere Popanzereien (und Mummenschanz, formidinea) die Herzen unwissender J^Jörer berückte und verblüfiHe. [?] halophantem (Schurke, Halunke) mendacem velit. {S. Non. Marc, unter d. W. halophantam p. 120. M.]

VIII, 11, L. Welch launige Antwort Socrates seinem Weibe Xantippe er- theilte, als sie ihn mit Bitten bestürmte, für die Tafel fireuden während des Bacchusfestes doch (einnuil) einen reichlicheren Aufwand zu gestatten.

VIII, 12, L. Was die in den Schriften der Alten häufig vorkommende Ausdrucksweise ,.plerique omnes (meist alle)'^ bedeutet und dass dieselbe von den Griechen entlehnt scheint,

vm, 13, L. Dass der bei den Afrikanern gebräuchliche Ausdruck „cupsones*' nicht ein phönizisches, sondern ein griechisches Wort sei.

VIII, 14, L. Drolliger Wortwechsel des Philosophen Favorin gegen einen lästigen, vorlauten Menschen, der (ein Langes und Breites) über den Doppelsinn einiger Wörter sprach; femer über einige aus dem Dichter Kaevius und Cn. Gell ins ungebräuchlich angebrachte Ausdrücke; endlich noch Kachforschungen von Seiten des P. Nigidius (Figulus) über Ab- leitung einiger Wörter.

vm, 14, L. üeber Cn. GeUius s. Gell. XHI, 23 (22), 13 NB.

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(406) Vni. Buch, Ueberechrift vom 15. Cap.

VIII, 15, L. Wie schimpflich der Dichter Lnberins (wegen seines Frei- mathes, vergl. QeW. XVII, 14, 'J) Tom C. Caesar behandelt wurde, mit Beifügung der auf die schimpfliche Behandlung bezüglichen Verse des- selben Laberins. [Siehe Macrob. II, 7.] (Es dürfte wohl nicht unpassend erscheinen, hier einige Bemerkungen über den Laberins und seine auf diesen Fall bezüglichen, von Macrobius aufbewahrten Verse einzuschalten. Julius Caesar liess, nach Beendigung des pompejischen Bürgerkrieges, in allen Gegenden der Stadt Rom auf seine Kosten scenische Spiele auf- führen. Laberins, geboren 107 v. Chr. und gestorben 44 v. Chr., zehn Monate nach dem Tode des Julius Caesar, war römischer Ritter nnd ein Mann von ausgezeichnetem Talente, den aber weder Ehrgeiz noch Habsucht plagte. Er, der die Künste der Musen nur zu seinem Ver- gnügen Übte, hatte verschiedene Mimen •monodramatische Stücke) ge- schrieben und sie von Schauspielern anfluhren lassen. Obgleich er in Bezug auf Geist, dramatische Kunst nnd reichen Witz seinen beiden Nebenbuhlern Fnblius Syrus und Cn. Matius ohne Zweifel überlegen war, so wurde er doch vom Dictator Julius Caesar, der ein Gönner der mimischen Poesie war, seinen beiden Rivalen sicher nur deshalb nach- gesetzt, weil er sie an edler Freimiithigkeit fibertraf und sich also dadurch Caesars Zuneigung verscherzt hatte Der allgewaltige Julius Caesar, der sich Alles erlauben zu dürfen glaubte, vermochte durch Bitten, die aus seinem Munde die Kraft eines Befehles hatten, den bereits flojährigen Liberins in einem von dessen (mimischen) Stücken mit dem dazu nÖthigen Geberdenspiel (als histrio) vor dem Volke^ öffentlich aufzutreten und noch dazu im Wettstreit mit seinem jungem und allgemein beliebten Rivalen Publius Syrus. Durch dieses Auftreten als Schauspieler verlor Laberins nicht nur seine Ritterwürde, sondern auch sein Bürgerrecht. Er war beschimpft nnd sah sich genöthigt, in ei nemv Prolog deshalb vor dem Publikum sich zu entschuldigen und zu rechtfertigen. Auf wie geistreiche, freimüthige und feine Weise dies von ihm geschah, ist aus dem noch erhaltenen und von Macrobius an oben angegebener Stelle aufbewahrten Theil dieses Prologs zu ersehen, dessen Ueberrest schon danach ang^than ist, uns zugleich einen Begriff von diesem einst so berühmten Mimen- dichter zu geben. Er lautet (nach Wielands Uebertragung):

Nothwendigkeit, die Strömung, welche durch Entgegenschwimmen

zu über^vinden Viele suchten, Wenige

vermochten; ach wie weit hat sie beinahe mich

in meinen letzten Lebenstagen noch gebracht?

Mich, den nicht Ehrgeiz, noch Gewinnsucht, keine

Gewalt, kein Ansehn, keine Furcht in meiner Jugend

aus meinem Stande heben konnte; seht,

wie leicht der grosso Mann, durch gnädige

zn sanften Bitten herzgewinnend sich

herunterlassende Beredungen,

mich alten Mann aus meiner Stellung rückte 1

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Vni. Buch, üeberschrift vom 15. Cap. (407)

Doch ihm, dem seihst die Götter nichts versagen konnten,

wie h&tt' ich blosser Mensch ihm etwas abzuschlagen

Verzeihung finden können? . So geschah es denn,

Dass nun, nach zweimal dreissig ohne Tadel

verlebten Jahren, ich, der meinen Heerd

als römscher Ritter eben erst verliess,

nach Haus als Mimus wiederkehren werde.

Um diesen einz'gen Tag hab* also ich

zu lang gelebt! O du, im Bösen, wie im Guten

unmässige Fortuna, wenn es ja

dein Wille war, des Ruhmes Tlumenkrone, die

die Musen mir erwarben, abzuknicken,

warum nicht lieber damals, als ich noch

in frischen Jahren grünte, noch die Kräfte hatte,

dem Volk und einem solchen Mann' genug zu thun?

Ol warum beugtost du nicht lieber damals mich,

da ich noch biegsam war, um meine Zweige

zu schneiden ? Jetzt, wozu so tief herab mich drücken ?

Was bring* ich auf den Schauplatz? etwa Schönheit, Anstand,

muthroUe Kraft des Geistes, Reiz der Stimme?

Ach! wie dem Baum der Epheu durch Umarmen

Das Leben raubt, so hat das Alter langsam mich

umschlingend ausgesogen; und gleich einem Grabe

behielt ich ron mir selbst nichts, als den Namen,

Ans dieser kleinen Probe sieht man, dass es dem alten Ritter Laberins, seiner gerechten Wehklage ungeachtet, weder an Geist, noch au Witz gebrach; aber in der Wahl des Stückes selbst zeigte er, dass es ihm auch nicht an Muth fehle; denn da es ihm freigestellt war, welches von seinen Mimen er darstellen wollte, so wühlte er gewiss nicht ohne Absicht und vielleicht gar mit einer Anspielung auf seinen Rivalen Pnblius Sjrus ein solches mimisches Stück, worin einige Verse vor- kamen , die von allen Zuhörern als Anspielungen auf den allgewaltigen Caesar aufgenommen wurden. So suchte er z. B. bei seiner Darstellung für das ihm angethane Unrecht auf alle nur mögliche Weise sich zu rächen und schadlos zu halten und stellte z. B. einen gepeitschten, vor weiterer Züchtigung fliehenden syrischen Sciaven vor, wobei er sich mit dem Ausruf ans Volk wandte: Porro, Qnirites, libertatem perdimus, d. i.

O weh! ihr edlen Römer, nnsre Freiheit ist dahin!

und bald darauf setzte er noch hinzu: Necesse est multos timeat, quem mnlti timent, d. i.

Wen Viele ftirchten, fürchten muss der Viele wohl,

bei welchen Worten das ganze Volk wie mit einem Blicke nach Caesar hingesehen haben soll. Caesar beschämt, fühlte den Stich, war aber klug genug, sich nicht beleidigt zu stellen. Er sah sofort das Unwürdige

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(408) Vm. Buch, Ueberschr. v. 15. Cap. u. UeberscLr.-Bruchstück.

dos Scherzes ein, den er sich mit dem alten Manne erlaubt hatte nnd obwohl er dem mimischen Stucke des Pnblius Syrus den Preis zu- erkannte, so beschenkte er nichtsdestoweniger den alten Laberins mit einem goldnen Ring und mit 500,000 8e8ter2ien, um ihn dadurch wieder in seine ritterliche Würde einzusetzen, die er durch die Gefälligkeit ver- wirkt hatte, als Schauspieler öfTentlich in einem Mimus aufgetreten zu sein. Darauf hiess Caesar den Laberias wieder unter den Rittern im Amphitheater Platz zu nehmen. Aber das Unrecht war nur halb wieder gut gemacht. Der ganze Ritterstand , dessen Ehre vom Caesar in der Person des Laberius war gekränkt worden, zeigte, dass er die Beleidigung gefiihlt habe und dass sie noch nicht Sklaven genug seien, um es nur auf die Laune des Dictators ankommen zu lassen, nach seinem Belieben einen römischen Ritter zum Mimen und deii Mimen wieder zum römischen Ritter zu machen : denn in dem Augenblicke, als Laberius Platz nehmen wollte, dehnten sich die Ritter in den vierzehn Bankreihen i die ihrem Orden in den Theatern angewiesen waren, so weit auseinander, dass Laberins nirgends einen Sitzplatz fand. Bei dieser Gelegenheit «oll er ein sehr beissendes Witz- und Stichelwort (scomma) ausgesprochen haben. Cicero, der sich auf eine Gabe, in scharf gesalzenen Scherzen auszufüllen, viel zu Gute that, sagte zum Laberius, wie er ihn in der Verlegenheit, einen Sitz zu finden, herumirren sah : ich möchte Dir gerne bei mir Platz machen, wenn ich nur selbst nicht so eng sässe. Und damit wollte er eigentlich einen Seitenhieb auf Caesar fuhren, der den Senat mit so vielen seiner Creaturen (hominibus novis) überfüllt hatte. In seiner Gereiztheit und seinem A erger antwortete ihm aber Laberius sofort mit einer Anspielung auf Cicero's zweideutigen Character : Wunder- bar genug, dass Du enge sitzen sollst, da Du doch immer auf zwei Stühlen zu sitzen pflegest. Gell. XVI, 7 spricht über des Laberius selt- sam fabricirte Wörter und Redensarten. Siehe Wielands Horaz Satir. I 10, 6 und Cic. epist. ad div. XII, 18; Senec. contr. III, 18, extr. Sucton Caes. 39.)

[Ueb6rsehiiits-(TIII)Biiiehstaek eines nnbestimmteii Absehnitts.]

Merkwürdig hübsche und wunderbare Erzählung aus den Schriften des Heraclides aus Pontus. [Prise, instructiou. grammatic. VI, 11, 61 p. 705 P.] NB. Heraclides (o Ilovrixos) aus Heraklea war ein Schüler des Plato. Plut. Sol. 1—32; Them. 27; Cam. 22; Per. 27. 35. glor. Ath. 3; plac. phil 2, 13, S; 4, 9, 3; adv. Epic. 12; Colot. 14; mus. 3; Strab. 2, 98 - 13, (504.

rierer*KUe Hofl»uohdnickerei. Stephan Ooibcl A Co. ia Alteubarir«

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DIE

ATTISCHEN NÄCHTE

DES

AULUS GELLIUS

ZUM ERSTEN MALE VOLLSTÄNDIG ÜBERSETZT UND MIT ANMERKUNGEN VERSEHEN

VON

FRITZ WEISS.

ZWEITER BAND.

LEIPZIG. FUES'S VERLAG (R. REISLAND).

1876.

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DIE

ATTISCHEN NÄCHTE

DES

AULUS GELLIÜS

ZUir KBOTEN MALE YOLLSTÄNDia ÜBEBSRneT UND MIT ANMERKUNGEN VEB8EHEN

FRITZ WEISS.

ZWEITER BAND.

(IX.-XX. RUCH.)

LEIPZIG, FXJES'S VERLAG (R. REISLAND).

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IX. BUCH.

IX, 1, L. Schriftliche Mittheilunp des Q. Claudius Quadrigarius im 19. Buche seiner „Jahrbücher" in Bezug auf den Grund, weshalb jeder auf- wärts entsendete Wurf (oder Schuss) richtiger und sicherer bewirkt werde und (ein solcher Kichtungsstoss leichter) ausführbar sei. als der abwärts

gesendete.

IX, h Cap. 1. Bei Gelegenheit, wo Q. Claudius (Qua- drigarius) uns im 19. Buche seiner „Jahrbücher" eine Be- schreibung lieferte, wie einerseits eine Stadt vom Proconsul Metellus belagert, andrerseits durch die Einwohner der Stadt von den Mauern herab (tapfer) vertheidigt wurde, diiickt er sich wörtlich also aus: „Unablässig auf beiden Seiten schössen die Pfeilschtitzen und Schleuderer höchst wacker. Aber es ist ein Unterschied, ob ein Pfeil oder ^in Stein abwärts, oder aufwäils entsendet wird, denn keins von den beiden Ge- schossen kann abwärts ganz bestimmt entsendet werden, während dies aufwärts bei beiden ausgezeichnet geht. Des- halb wurden des Metellus Soldaten (von der Stadt aus) weit weniger verwundet und, was besonders von grösster Wichtig- keit war, sie hielten durch die Schleuderer die Feinde mit Leichtigkeit von der Vertheidigung der Zinnen fern." 2. Ich bat also deshalb den Rhetor Antonius Julianus darüber um Auskunft, warum es, nach der Angabe des Quadrigarius, ge- boten sein sollte, dass ein Wurf (oder Schuss) mit mehr Treff- fähigkeit abgegeben werde, und gerader gehe, wenn man einen Stein oder Pfeil in die Höhe, als wenn man ihn von oben

IX, 1, 2. lieber Antonius Julianus s. Gell. I, 4, 1 NB.

Gellina, AttLscbo Nächte. II. 1

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(2) IX. Buch, 1. Oap., §2-9.

herab schleudre, da die Schwungkraft eine raschere und weniger schwierige von oben nach unten sein müsse, als von unten nach oben. 3. Julianus fand nun die Art und Weise meiner Frage ganz in der Ordnung und eitheilte folgende Antwort: „Was (Quadrigarius) bezüglich der Pfeile und der Steine behauptet hat, lässt sich im Allgemeinen fast auf jedes andere (beliebige) Wurfgeschoss anwenden. 4. Es ist nun aber, wie Du (ganz richtig) bemerkt hast, jeder Wurf von oben mit weniger Schwierigkeiten verbunden, wenn dabei nur die Absicht des Werfens und nicht auch die des Treffens in Frage kommt. . 5. Aber wenn es gilt, das Ziel (zu bemessen) und den Schwung des Wurfs in die gehörige Tragweite zu bringen und ihm die gehörige (Ziels-) Richtung zu geben, dann kann bei einem Wurf nach der Tiefe das berechnete Ziel sehr leicht (durchkreuzt und) verfehlt werden, theils durch die beliebige Schnellkraft des Zielenden, theils durch das Gewicht des geworfenen (im Falle begriffenen) Geschosses. 6. Gilt es nun aber einen Wurf nach der Höhe, und Du rich- test Hand und Auge nach etwas, um es nach oben zu treffen, dann wird das von Dir geschleuderte Geschoss dahin gehen, wohin es die von Dir abgegebene Richtung fortgeschleudert haben wird." 7. In diesem Sinne ungefähr unterhielt sich Julianus mit mir über die angegebene Stelle des Q. Claudius. 8. In Betreff der von Q. Claudius gebrauchten Worte: „a pinnis hostis defendebant facillime", d. h. „sie hielten die Feinde mit grösster Leichtigkeit von der Vertheidigung der Zinnen fem", muss ich noch die Bemerkung beifügen, dass Claudius den Ausdruck „defendebant, sie wehrten ab" nicht nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch verwendete, sondern so recht eigentlich ganz echt lateinisch. 9. Denn die Wörter „defendere und offendere, abwehren und angreifen" haben eine einander ganz entgegengesetzte Bedeutung, von denen das eine Wort „offendere" ganz gleichbedeutend ist mit der giie- chischen Redensart ifUTcodcov l'x^iv, d. h. losrennen, anstürmen gegen etwas, der andere Ausdruck aber bedeutet soviel wie das griechische ixTtoöiov Ttoieivy d. h. abwehren, vertreiben, in welchem Sinne hier also „defendere" von Claudius ge- braucht wird.

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IX. Buch, 2. Cap., § 1—7. (3)

IX, 2, L. Mit welcherlei Ausdrücken Herodes Atticus einem Menschen eine Rüge ertheilte, welcher darch sein angenommenes (fiüsches) Wesen und Kleidnng sich den Namen nnd das Aussehen eines Philosophen frech

anmasste.

IX, 2. Cap. 1. Herodes Atticus, ein Mann, der die Würde eines Consuls bekleidet und sich durch sein einnehmendes (gefälliges) Wesen, sowie durch seine griechische Beredtsam- keit einen bedeutenden Ruf erworben hatte, wurde in meiner Gegenwart von einem Menschen angegangen, der einen (Philo- sophen-) Mantel, langes Haar und einen bis über den Bauch hinabreichenden Bart trug und sich eine Geldgabe zu Brod erbettelte (petit, aes sibi dari eig a^ovg), 2. Herodes (da ihm dieser Mensch völlig unbekannt war) frug ihn (selbstvei-ständ- lich), wer er wäre. 3. Dieser aber antwortete mit Entrüstung im Blick und im Ton der Stimme, dass er ein Philosoph sei und fügte noch hinzu, dass er sich (höchlichst) verwundern müsse, warum er ei-st für nöthig erachtet, ihn nach etwas zu fragen, was er ihm doch gleich habe ansehen müssen. 4. „Ich sehe Bart und Mantel wohl," sagte (der stets schlagfertige, witzige) Herodes, „aber den Philosophen seh' ich (noch) nicht. 5. Deshalb bitte ich Dich, mit Deiner (gütigen) Erlaubniss, mir (deutlicher) zu erklären, an welchen Kennzeichen wir nach Deiner Meinung es abnehmen sollen, um Dich sofort für einen Philosophen zu erkennen?" 6. Unterdessen erklärten Einige aus der Gesellschaft des Herodes, dass dies ein ganz gewöhnlicher Bummler sei, ^in Nichtsnutz, ein Stammgast alles Kneipenauswurfs , der, wenn er das Erbetene nicht er- halte, mit niederträchtigen Schimpfreden loszuziehen pflege. Da sagte Herodes: Es ist ganz gleichgültig, wer er ist, wir wollen ihm trotzdem etwas Geld geben, wir gewissermassen als Menschen, wenn auch ihm, gewissermassen als keinem Menschen (d. h. damit wir doch wenigstens beweisen, dass wir auf den Namen Menschen Anspruch machen können, wenn er sich auch nicht gerade wie ein Mensch benimmt). 7. Darauf

IX, 2, L. S. Apulej. Florid. I, 7.

IX, 2, 1. Vergl. Gell. XIX, 12, 1; Herodem-disserentem audivi Graeca oratione.

IX, 2, 2. üeber Herodes s. Gell. I, 2, 1 NB.

1*

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(4) IX. Buch, 2. Cap., §7 11.

liess ihm Herodes ein (Geld-) Geschenk verabreichen zu Brod auf 30 Tage. 8. Dann wendete er sich nach uns hin, die wir ihn begleiteten und sagte : Musonius liess einem solchen Land- streicher und aufgeblasenen Afterphilosophen 1000 Pfennige einhändigen, und als Mehrere äusserten, dass er ein Dunst- macher, ein (gemeiner) schlechter, schurkischer Kerl und solcher Wohlthat ganz und gar nicht würdig sei, soll Musonius unter Lächeln gesagt haben: a'§iog ovv iaxiv aQyvQiov (d. h. Ei nun, da ist er ja erst recht würdig des [unwürdigen, ge- meinen] Geldes). 9. Das aber, fuhr er fort, verursacht mir vor Allem Schmerz und Kummer, dass derartiges unflätiges und schändliches Ungeziefer den heiligsten Namen (raiss-) braucht und sich Philosophen nennen lässt. 10. Meine Vorfahren, die Athener, setzten durch einen öffentlichen Beschluss die heilige Bestimmung fest, dass die Namen der beiden helden- müthigen Jünglinge, des Harmodius und des Aristogiton, welche zur Wiedererlangung der Freiheit (ihres Vaterlandes) es unternahmen, den Tyrannen Hippias [vielmehr Hipparchus, cfr. Gell. XVII, 21, 7] umzubringen, niemals Sklaven beigelegt werden durften, weil sie es für Frevel erachteten, der Freiheit des Vaterlandes geweihte Namen durch irgend welche Ge- meinschaft mit niederen Sklaven zu beflecken (und zu ent- heiligen). 11. Warum sollen wir nun also zugeben, dass der ehrwürdigste Name der Philosophie durch die geringste Be- ziehung zu solchem schofeln Gesindel besudelt werde? So ist mir auch ein Beispiel entgegengesetzter Art nicht unbekannt geblieben, wonach die Römer die Verordnung erlassen hatten, dass die Vornamen*) einiger Patricier, die sich schwer gegen den Staat vergangen hatten und deshalb zum Tode verurtheilt worden waren, nie einem Patricier von demselben Geschlechte durften beigelegt werden, damit mit ihnen zu- gleich auch ihr Name möchte vertilgt und ausgelöscht scheinen.

IX, 2, 8. Ueber Musonius s. Gell. Y, 1, 1 NB; und XVI, 1, 1 f.; desgl. Teuffels röm. Lit. 294, 3.

IX, 2, 10. Hippias nicht, sondern sein Bruder Hipparchos, der Tyrann, fiel durch die Dolche der beiden athenischen Jünglinge Harmodios und Aristogiton. Herod. 5, 55 etc.; Thuc. I, 20; VI, 54 59; Gell. XVII, 21, 7.

IX, 2, 11. *) z. B. M. Manlius s. Liv. 0, 20.

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IX. Buch, 8. Cap., § 1 5. (5)

IX, 3, L. (Berufungs-) Brief des Königs Philippus, in Betreff seines neu- gebornen Sohnes Alexander, an den Philosophen Aristoteles.

IX, 3. Cap. 1. Philippus, des Amyiitas Sohn, war König von Macedonien. Durch seine Tapferkeit und sein Feldherrn- talent, durch seine Unerniüdlichkeit und Staatsklugheit hatten die Macedonier ihre Hen*schaft bedeutend vergrössert und bereichert und ihre Macht über viele Völker und Nationen auszudehnen begonnen, und (in Folge dessen) schilderte De- raosthenes in seinen berühmten Vorträgen und Reden laut und öiTentlich die Waffengewalt dieses (Königs) als höchst gefährlich und fürchterlich für ganz Griechenland. 2. Dieser Philipp, obgleich fast während seiner ganzen Lebenszeit nur mit Unternehmungen des Kriegs beschäftigt und nur auf Siege (und Eroberungen) bedacht, ward trotzdem (unter dem Ge- räusche der Waffen) der edlen Wissenschaft, sowie der Neigung und Vorliebe für höhere, feinere Bildung nie abhold , dass sowohl seine Thaten, wie seine Reden hinlängliche Beweise liefern für seine Liebenswürdigkeit und Menschenfreundlichkeit. 3. Es ist sogar eine Briefsammlung von ihm im Umlauf, voll von Zierlichkeit, Anmuth und Lebensklugheit, wie z. B. auch jene berühmten Zeilen, worin er dem Philosophen Aristoteles die Geburt seines Sohnes Alexander anzeigt. 4. Weil dieser Brief (beispielsweise) als Aufmunterung ziu: Verwendung von Sorgfalt und zu fleissiger Achtsamkeit bei der Erziehung und dem Unterricht der Kinder dienen kann, so schien es mir angemessen, ihn (zu übersetzen und) niederzuschreiben, um ihn als Mahnung den Aeltem zu Gemüthe zu führen. 5. Der Sinn lässt sich etwa so wiedergeben: „Philippus entbietet dem Aristoteles seinen Gruss. Erfahre (hierdurch), dass mir ein Sohn geboren ward. Dafür sage ich den Göttern meinen Dank, nicht (allein) dass er mir geboren ward, als vielmehr auch dafür, dass ein gütiges Geschick ihn bei Deinen Leb-

IX, 3, 1. Demoathenes (vergl. Gell. I, 5, 1 NB.) hielt seine berühmten philippischen Reden, um die Athener zu bewegen, ihre Kräfte mit den übrigen Griechen vereinigt aufzubieten zum Widerstand gegen den macedonischen König Philipp, welcher allen griechischen Staaten, nach Bezwingung der Illyrier und Eroberung verschiedener attischer Städte, den Umsturz drohte.

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•(6) IX. Buch, 3. Cap., § 5. 6. 4. Cap., § 1—3.

Zeiten das Licht der Welt erblicken liess. Denn ich hoffe, dass er unter Deiner Führung und Anleitung dereinst meiner und der Uebemahme der ihm bestimmten Gewalt würdig er- funden wird." 6. DesPhilippus (eigene) Worte sind (im Grie- chischen mit dieser Uebersetzung) gleichlautend.

IX, 4, L. Ueber ungeheuerliche Wunderdinge bei (fremden) wilden Völkern ;

desgleichen über unheilvolle, verderbenbringende Behexungen; endlich noch

von Weibern, die plötzlich in Männer verwandelt worden.

IX, 4. Cap. 1. Als ich bei meiner Rückkehr aus Grie- chenland nach Italien zu Brundusium anlangte und aus dem Schiffe ans Land gestiegen, mich ein wenig in jenem berühmten Hafenplatz erging, den Q. Ennius (wie schon hier bei Gell. VU [VI], 6, 6 bemerkt wurde) mit einem zwar etwas seltneren, aber doch höchst passenden Ausdruck „prae- petem" (d. h. den sichern, günstigen, glücklichen) genannt hat, da sah ich einige Bündel Bücherpackete zum Verkauf aus- liegen. 2. Sogleich gehe ich begierig auf die Bücher zu. 3. Es waren lauter griechische Werke, voll von Wundern und Mährchen, unerhörte, unglaubliche Geschichten, deren Ver-

IX, 4, 1. Vergl. Gell. II, 21, 1; XV, 6, 1; XIX, 1, 1. 12. Die Re- ferate hier von § 1—15 sind Auszüge aus Plin. H. N. VE, 2, 16-26.

IX, 4, 1. Brundusium (jetzt Brindisi), Stadt in Calahrien, an einer kleinen Bucht des adriatischen Meeres mit trefflichem Hafen. Die Römer nahmen die Stadt 245 v. Chr. weg und colonisirten sie. Hier mündete die appische Strasse aus, von wo man gewöhnlich nach Griechenland hinüherfuhr. 19 v. Chr. starb hier Vergilius auf seiner Rückkehr aus Griechenland.

IX, 4, 3. Aristeas, aus Proconnesus, lebte unter der Regierung des Croesus, ohngef^hr um 550 v. Chr., unternahm bedeutende Reisen zu den Völkern an den nördlichen Gestaden des schwarzen Meeres bis zum Ural hin, und schrieb darübet ein Gedicht: ra ^AQiixaajiHa^ über die Arimaspen 6), worin Wahres mit Sagenhaftem vermischt war. Nach Herod. IV, 18 hielten seine Landsleute ihn für nicht ganz zuverlässig. Is ig onus von Nicaea, griechischer Geschichtsschreiber: de fabulis miraculis, rebusque incredibilibus et inauditis. Etesias, griechischer Geschichtsschreiber und Arzt, Zeitgenosse Xenophons, geboren zu Enidos in Karlen; kam ohngefähr 416 v. Chr. an den persischen Hof; begleitete als Leibarzt den Artaxerxes Mnemon auf seinem Feldzuge gegen Eyros; erwarb sich grosse Kenntnisse über die Verhältnisse Persiens und legte sie in seinem, aus 23 Büchern bestehenden Werke „ITeQatxd'^ betitelt, nieder. Dieses Ge-

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IX. Buch, 4. Cap., § 4. 5. (7)

fasser alte Schriftsteller von nicht geringem Ansehen, z. B. Aristeas von Proconnesus, Isigonus von Nicaea, Ktesias, Onesikritus , Polystephanus (Philostephanus) und Hegesias. 4. Allerdings strotzten diese verlegenen (Scai-teken-) Bücher von langem Moder und Schmutz und hatten dem Aeusseren und Aussehen nach durchaus nichts Einladendes. 5. Trotz- dem trat ich näher, erkundigte mich nach ihrem Preis und wurde durch die wunderbare und unverhoffte Billigkeit be- wogen, die meisten Werke um ein Spottgeld an mich zu bringen. In den zwei darauf folgenden Nächten (machte ich mich sofort darüber her und) las sie rasch durch. Beim Durchlesen habe ich mir Einiges daraus ausgewählt und einige bewundernswürdige und von unseren Schriftstellern fast ganz unberühit gelassene Bemerkungen dieser (meiner) Aufsatz- sammlung einverleibt, damit keiner meiner (geneigten) Leser bei etwaiger Erwähnung derartiger (Wunder-) Dinge gänzlich unerfahren und ununterrichtet (ayjjxooc) erfunden werden

schicbtswerk war reich an orientalisch üppigen Ausschmückungen und an weit von der Wahrscheinlichkeit abschweifenden Auswüchsen. Die alten Schriftsteller haben das Werk vielfach benutzt, werfen ihm aber Mangel an Wahrheit vor. Von seinem zweiten Werke: 'Iv^ixa^ besitzen wir, wie von dem ersten, nur Bruchstücke, meist naturhistorischen Inhalts. OnesikrTtos (auch Onesikr^tes), Schüler des Gynikers Diogenes und Begleiter Alexanders d. Gr. auf seinem Zuge nach Asien, über dessen Feldzug er ein nicht sehr glaubwürdiges Werk verfasste. S. Lucian: wie soll man Geschichte schreiben, 40; Plutarch. Alex. 46; auch der Geograph Strabo nimmt ihn wegen seiner indischen Wundergeschichten scharf mit. Polystephanus, ein Paradozograph. (Philostephanus von Cyrene, Schüler und Freund des Dichters Kallimachus, ein geachteter griechischer Geschichtsschreiber zur Zeit der Regierung des Königs Ptolemaeus ü^ Philadelphus* Unter Anderem schrieb er: über Erfindungen {iregl cvQri- fittTtov), dann über die Städte Asiens u. s. w. Doch ist nichts von ihm auf uns gekommen). Hegesias ist entweder der Anhänger der von Aristipp gestifteten cyrenaischen Schule, welcher das Lebenselend so lebhaft zu schildern verstand, dass sich viele seiner Schüler (Hegesiaci) das Leben nahmen; oder der um 300 v. Chr. lebende Sophist imd Rhetor Hegesias aus Magnesia, welcher wegen des hochtrab^den, malenden, s. g. asiatischen Stils, den er (nach Cic. or. 67. 69) an Stelle der attischen Beredtsamkeit einführte, für den Urheber des schlechten Geschmacks in der Literatur gut Er hat verschiedene schwülstige und übertreibende Darstellungen von den Thaten Alexanders d. Gr. geschrieben, wie aus den Fragmenten beim Dionysius von Halicamass hervorgeht.

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{ß) IX. Buch, 4. Cap., § 6. 7.

möchte- 6. In j^Den Werken standen also folgende (merk- Avürdige) Dinge verzeichnet: Jene entferntesten Völker, die Scythen, welche tief im Norden wohnen, sollen Menschenfleisch gemessen und vom Genüsse dieser Nahrung (förmlich) ihr Leben ü-isten, daher sie auch (Anthropophagi , d. h.) Men- schenfresser genannt werden. So soll es unter demselben Himmelsstrich auch Wesen geben, die mitten auf der Stirn (nur) ein Auge haben, die Arimaspi genannt werden und gerade so aussehen, wie die Cyclopen nach Beschreibung der Dichter; unter derselben Himmelsgegend soll es ferner noch Menschen geben, die sich durch eine ausserordentliche Schnel- ligkeit im Laufen auszeichnen, die rückwärtsgekehrte Fusssohlen haben, nicht wie die der übrigen Menschen vorwärtsstrebende und entgegengesetzt schauende (d. h. nicht vorwärtsgekehrte oder vorwärtsgehende); ausserdem fand sich ein überlieferter Bericht vor, dass in einem Lande, am Ende der Erde, Albanien genannt, menschliche Geschöpfe leben, die schon in ihrer Kindheit grau werden und bei Nacht mehr und besser sehen, als am Tage; auch könne als ganz gewiss versichert und ge- glaubt werden, dass die weit über den Fluss Borysthenes hinaus (am Nordpol) wohnenden Sarmaten nur aller drei Tage Speise zu sich nehmen, den Tag dazwischen aber immer fasten. 7. Auch fand ich in jenem Werke eine Nachricht verzeichnet,

IX, 4, 6. Menschen mit Fassen nach hinten gekehrt S. Plin. YII, 2, 8; Augufitin. de civit. Dei 26, 8. Die FOsse eines Schnellläufers von hinten gesehen, scheinen verkehrt zu stehen.

IX, 4, 6. Im Scythischen hiess agif^Uj eins und anov^ das Auge (Herod. 4, 27. 32). Daher glaubt Strabo (I p. 21, C « 40, A), vielleicht habe Homer seine Cyclopen nach der scythischen Arimaspensage gebildet Aeschylus (Prometh. 807) erwähnt die Arimaspen als gute Reiter.

IX, 4, 6. Savigny röm. Rcht IV, p. 606. Die Sarmaten wechselten also ab von einem Tage zum andern mit Essen imd Fasten, und indem die Speisetage „tertii" genannt werden, muss der jedem vorhergehende Speisetag mitgezählt werden. Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeit- räumen, wo diese als Bezeichnung angewendeten Ordinalzahlen so zu ver- stehen sind, dass der Zeitraum, wovon die Zählung ausgeht (wie hier der erste Tag) ^nitgezählt wird; cfr. Gell. XVII, 12, 2 quam febrim quartis diebus recurrentem laudavit, d. h. das aller 4 Tage wiederkehrende, und XYII, 12, 5 haec biduo medio intervallata febris, das Fieber, welches zwei Tage aussetzt.

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IX. Buch, 4. Cap., § 7—10. (9)

die ich später beim Plinius Secundus im 7. Buche seiner Naturgeschichte auch wieder (?) las, dass es in Afrika gewisse Stämme von Menschen gäbe, die durch ihre Stimme und Sprache (Andere) verhexen, 8. wie z. B. wenn sie zufäUig schöne Bilume, ergiebigere Saaten, liebliche Kinder, herrliche Pferde, fette, gut geweidete und gepflegte Heerden über die Massen lobten, dann stürbe das Alles plötzlich ab, in Folge einer, sonst durch keinen weiteren Grund erklärliche Ein- wirkung- In denselben Büchern steht, dass auch schon eine verderbenbringende Verhexung durch die Augen (und durch den Blick) möglich sei und es wird berichtet, dass es unter den Illyriern Menschen gebe, die durch ihren Blick Alle tödten, die sie längere Zeit scharf und zornig anblicken, und alle solche mit so bösem und schädlichem Blicke behaftete Milnner oder Frauen hätten in jedem Auge eine doppelte Schliesse (Pupille, Augapfel). 9. So soll es auch auf Indiens Bergen Menschen geben, die Hundsköpfe haben und bellen, und die sich von den auf der Jagd erlegten Vögeln, oder wilden Thieren eniähren; auch soll es in den äussersten Ge- genden des Morgenlandes Wundermenschen geben, die Mono- coli (Einschenklige , Einftissler) genannt werden und mit raschester Behendigkeit sprungweise auf einem Beine sich fort- schnellen; auch sollen einige ganz ohne Nacken (und Kopf) sein und die Augen an den Schultern sitzen haben. 10. Aber Eins übertrifft selbst noch die Möglichkeit des Wunderbaren, das

IX, 4, 7. Gajus Plinius Secundus (Major), einer der gebildetsten und vielseitigsten Gelehrten Roms, verwaltete unter Vespasian mehrere öffentliche Aemter im Kriege und Frieden. Als Befehlshaber der Flotte von Misenum wollte er 79 n. Chr. einen Ausbruch des Vesuvs in der Nähe beobachten und kam dabei um. Noch ist seine „Historia naturalis'^, ein umfEuigreiches encyklopädisches Werk in 37 Büchern, von ihm übrig. Sein Schwestersohn Gajus Plinius Secundus (Minor), geb. 62 n. Chr. zu Comum im transpadanischen Gallien, wurde Praetor und später Consul zu Bx>m, zuletzt Proconsul zu Bithynien und Pontus und starb 110 n. Chr. Von ihm ist noch eine Sanunlung von Briefen in 10 Büchern in feiner Umgangssprache vorhanden, woselbst IIb. VI, 16 sich die Beschreibung von dem traukigen Ende seines Oheims findet. Weniger anziehend ist sein Panegyricus auf Trjgan. IX, 4, 7 (fascinatio). S. Plin. VII, 2, 2, § 16. 18; Plut Symp. V, 7.

IX, 4, 9. Cfr. Spartan. vit. Commodi 10.

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(10) IX. Buch, 4. Cap., § 10—14.

ist die Erzählung derselben Schriftsteller über einen Menschen- schlag am äussersten Ende Indiens, die am Leibe ganz struppig seien und nach Art der Vögel Fedeni bekämen, die keinerlei Speise zu sich nähmen, sondern sich nur vom Schlürfen des Blumenduftes ernährten (den sie durch die Nase einsögen). Nicht weit von diesen sollen auch noch die Pygmäen (eine Zwergart) leben, von denen die längsten nicht grösser seien als 2\/4 Fuss. 11. Diese und viele ähnliche derartige (wunder- bare) Nachrichten waren in den Werken zu lesen. 12. Allein beim Niederschreiben dieser Dinge ergiiflf mich doch ein ge- wisser Ekel über solch unnützes, überflüssiges Geschreibsel, das nicht den geringsten Einfluss äussert in Bezug auf Er- hebung und Ergötzung im Lebensverkehr. 13. Da hier aber der Wunderdinge so viele Platz fanden, wird es wohl auch gestattet sein, noch eines (merkwürdigen) Falles zu gedenken, von dem uns ein Mann, der zu seiner Lebenszeit wegen seines Geistes und seiner Ehrenhaftigkeit in hohem Ansehen stand, Plinius Secundus, nämlich im 7. Buche seiner Naturgeschichte die schriftliche Versicherung giebt, ihn nicht nur gehört oder gelesen zu haben, sondern (selbst) in Erfahiaing gebracht und sich mit eigenen Augen davon überzeugt zu haben. 14. Die weiter unten von mir angeführten Worte sind seine eigenen,

IX, 4, 10. Im November 1873 hielt der AMkareisende Dr. Geoxg Schweinfurth einen öflfentlichen Vortrag über die Zwerg-Negervölker, die er im Innern Afrikas gefunden. Schon AriBtoteles glaubte an die Pygmäen, die er in Aegypten lebend wähnte. Dr. Schweinfurth erzählt, dass diese Leutchen höchstens IVi Meter lang werden, grosse Barte und kurzwolliges Haar haben und dass ihre Hautfarbe der der Buschmänner gleiche. Sie gehen einwärts gebogen und haben sehr lange Arme. Ihre Augen und ihr Minenspiel sind lebendig, oft feurig. Sie sollen Elfenbein in den Handel bringen und sich trotz ihrer Kleinheit und ihrer Miniatur- waffen recht wohl der Elephanten zu bemächtigen verstehen. Als Haus- thiere besitzen sie nur das Huhn. Dr. Schweinfurth hatte einen dieser kleinen Neger lange Zeit bei sich, dessen einziger Charakterzug war, dass er gern auf Hunde schoss. Nur einmal sah Dr. Schweinfurth eine grössere Menge beisammen und hielt sie für Kinder; später aber, als er* erfahren, dass es Männer und Frauen gewesen und er sie wieder aufsuchte und sehen wollte, waren sie bereits weiter nach dem tiefsten Innern Afrikas gezogen.

IX, 4, 14. Caeneus. S. Ovid. Met 12, 189. 459 u. s. f.; 507 u. ß. fc; Hygin. Fab. 14. In umgekehrtem Verhältnisse Vergil Aen. 6, 448. Cae-

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IX. Buch, 4. Cap., § 14- 16. - 5. Cap., § 1. (H)

aus dem benannten Werke entlehnten, deren Anführung wahrlich nur den Zweck hat, dass jenes allbekannte (im Volksmund lebende) Mährlein der alten Dichter über ein Mädchen mit Namen Caenis, später nach seiner Verwandlung in einen Knaben, Caeneus genannt, weder widersinnig, noch lächerlich sei. 15. Da heisst es: „Dass Weiber in Männer vei-wandelt worden sind, ist keine Fabel. Wir finden in den Jahrbüchern angemerkt, dass unter dem Consulate des P. Licinius Crassus und des Gajus Cassius Longinus (583 u. c.) zu Casinum aus einer Jungfrau unter den Augen ihrer Aeltem ein Knabe geworden und auf Anrathen der Wahi-sager auf 6ine wüste Insel ausgesetzt worden sei. Licinius Mucianus erzählt, er habe zu Argos einen gewissen Arescon gesehen, der früher den Namen Arescusa geführt und als solche sich sogar verheiiathet habe; bald darauf aber sei der Bart und die Mannheit bei dieser Person zum Vorschein gekommen und «ie habe sich eine Frau genommen. Von derselben Beschaifen- heit will er auch einen Knaben zu Smyma gesehen haben. Ich selbst habe in Afrika den Lucius Cossitius, einen thjs- dritanischen Bürger gesehen, der an seinem Hochzeltstage in einen Mann verwandelt wurde und noch lebte, da ich dieses niederschrieb." 16. Derselbe Plinius schreibt in demselben (angeführten) Buche wörtlich weiter: „Es giebt Menschen, die von der Geburt an beide Geschlechter an sich haben, die man Hermaphroditen (Zwitter) nennt; sonst führten sie den Namen Androgyni (Mannweiber) und sie wurden für Wunder- bildungen (oder Missgeburten) angesehen, müssen jetzt hin- gegen zur Wollust dienen.

IX, 5, L. Verschiedene Ausichten der liervorrageudsten Philosophen über

die Art und das Wesen der WoHust; Ausspruch des Philosophen Hierocles,

wodurch er die Lehrsätze Epicnrs einem scharfen Tadel unterzog.

IX, 5. Cap. 1. Ueber die Wollust haben die alten Philo- sophen verschiedene Ansichten (gefasst und) ausgesprochen.

neuB, von Elatus gezeugt, anfangs Mädchen mit Namen Caenis, später in einen Knaben verwandelt, mit Namen Caeneus.

IX, 4, 15 u. 16; Plin. H. N. VII, ID, 4, 36 und Vü, 4 § 34 u. 86.

IX, 5, 1. S. Diog. Laert. X, 3; Cic. Tusc. III, 4; de fin. 1, 15; II, 14j-

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(12) IX. Buch, 5. Cap., § 2—5.

2. Epicur setzt das höchste Gut in die Wollust und erklärt sie als „den gleichmässig (behaglichen) ruhigen Zustand des Körpers, aaQ/.6g evavaO^i^ xöraari^jjwa". 3. Antisthenes, der Schüler des Socrates, erklärt sie fürs höchste Uebel und sein Ausspruch lautete: Ich möchte lieber vom Wahnsinn als von der Wollust ergriffen sein. 4. Speusippus und die ganze alte Academie behaupten, dass die Wollust und der Schmerz zwei einander ganz entgegengesetzte Uebel seien und dass nur das zwischen diesen Beiden in der Mitte Stehende gut sei. 5. Zenos Meinung war, dass die Wollust etwas ganz Gleich-

de offic. III, 33; Senec. de benefic. IV, 2, 10 ff.; de vit. beat; Stob. serm. XV. XVII; Porphyr, von der Entbehrung der Fleischspeisen I; Athen VU, 5.

IX, 5, 2. Epicur US von Gargettus, einem Flecken in Attica, geb. 341 V. Chr., Sohn des Neokles aus dem Geschlechte der Philaiden, Hess sich nach seinem 30. Jahre in Athen nieder, wo er in einem von ihm an- gekauften Garten mit seinen drei Brüdern, Aristo bulus, Chaeredemus und Neokles und mit den zahlreich ihm zuströmenden Schülern sich über philosophische Gegenstände zu unterhalten pflegte. Kindliche Verehrung seiner Aeltern, edle Unterstützung seiner Brüder, Milde gegen Untergebene und allgemeine Menschenliebe charakterisirten ihn. Seine Lehre bildete den Gegensatz zu der stoischen. Nach ihm war der Endzweck des Lebens behagliche Ruhe und Genuss ohne Thätigkeit, während die Stoiker den Endzweck des Lebens in Unempfindlichkeit gegen Schmerz und Freude, also auf niu- andere Weise ebenfalls Ruhe des Gemüthes suchten. S. Diog. Laert. X, 1.

IX, 5, 3. Antisthenes von Athen, Stifter der cynischen Schule (die Mutter der stoischen), wurde aus einem Anhänger des Gorgias ein eifriger Schüler des Socrates. Die cynische Schule bekam ihren Namen von dem Gymnasiuih Gynosarges, in dem Antisthenes lehrte. Von der Uebertreibung seiner Grundsätze durch seine Schüler leitete man später die Benennung von xvm'j Hund ab. Ammonius, ein alter Commentator des Aristoteles, sagt: „Die Cyniker haben ihren Namen von der Frei- müthigkeit ihrer Rede und von ihrer Wahrheitsliebe erhalten; denn so wie die Hunde instinctiv etwas Philosophisches haben, welches sie lehrt, die Personen zu unterscheiden, die Fremden anzubellen und den Haus- bewohnern zu schmeicheln, so lieben die Cyniker die Tugend, und die- jenigen, die sich ihrer befleissigen, und rügen die Thorheiten und Leiden- schaften der Menschen, wenn sie auch auf dem Throne sässen.^ S. Diog. Laert. VI, 1, 4. Der berühmte Diogenes (Gell. I, 2, 10 NB) war sein Schüler.

IX, 5, 4. Ueber Speusippus s. Gell. HI, 17, 3 NB; Diog. Laert. IV, 1, 4.

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IX. Buch, 5. Cap., §5-8.-6. Cap., § 1. 2. (13)

gültiges (indiflferens) , d. h. ein Mittelding, also weder etwas Gutes, noch etwas Böses sei und brauchte dafür den Ausdruck ^adidcpoQov'^ . 6. Der peripathetische Weltweise Critolaus sagt, dass die Wollust nicht nur etwas Böses sei, sondern auch die eigentliche Erzeugerin vieler anderen Uebel, der Ungerechtig- keiten, des Müssiggangs, der Vergesslichkeit und des Mangels an Thatkraft sei. 7. Plato hat sich vor allen den genannten Philosophen verschiedentlich und mannigfach über die Wollust ausgesprochen, dass es fast den Anschein gewinnt, als seien alle vorher von mir darüber angeführten Meinungen dem (Weisheits-) Bronnen seiner (philosophischen Gespräche, Dia- loge) Unterredungen entströmt, denn bei ihm findet die Ver- werthung der einen oder anderen (dieser seiner Ansichten) demgemäss statt, wie es theils das Wesen der Wollust in seiner vielfachen Erscheinung, mit sich bringt, theils wie es das Verhältniss der Gesichtspunkte verlangt, die er berührt und die (Verschiedenheit der obwaltenden Neben-) Umstände, denen er Rechnung tragen will. 8. So oft aber des Epicur Erwähnung gethan wurde, hatte unser Taurus stets die Worte des Hie- rokles, jenes tugendhaften und strengen Mannes im Mund und auf den Lippen: Die Wollust zum Lebenszweck machen, heisst Lustdirnensatzung, (allein) nicht an eine Vorsehung glauben, heisst nicht einmal Lustdirnensatzung (TvoQvrjg doy/na).

IX, 6, L. Wie die erste Silbe des von (seinem Stammwort) „ago** hergeleiteten Frequentativnm rhythmisch auszusprechen sei.

IX, 6. Cap. 1. Von dem Zeitwort „ago, egi" (ich betreibe, habe betrieben) hat man die Woilformen „actito, actitavi" (ich betreibe oft, habe oft betrieben) gebildet, welche die Gramma- tiker Frequentativa nennen. 2. Da habe ich nun schon oft hören müssen, wie einige durchaus nicht ungebildete Männer diese angeführten Wörter so betonen, dass sie die erste Silbe

IX, 5, 5. Cic. Luculi. s. akademische Untersuchungen II, 43; de finib. III, 20; Diog. Laert. VII, 1, 00; Gell. I, 2, 9 f.; Xn, 5.

IX, 5, 6. Ueber Critolaus s. Gell. VI (VII), 14, 9 NB.

IX, 5, 7. Ueber Plato s. Gell. II, 8, 9.

IX, 5, 8. Hierokles, stoischer Philosoph aus Hyllarima in Karien. Stob. 8, 19-85, 21 ; ed. Meineke.

IX, 6, 1. Verba frequentativa sind Zeitwörter, welche eine oft wieder- holte, oder mit Anstrengung geschehene Handlung anzeigen.

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(14) IX. Buch, 6. Cap., § 2. 3. 7. Cap., § 1. 2.

kurz aussprechen, und sie geben als Grund dafür an, weil ja in dem Stammwort „ago" die erste Silbe auch kurz ausgesprochen werde. 8. Da in den Wörtern edo (ich esse) und ungo (ich salbe) die erste Silbe kurz ausgesprochen wird, warum hebt man in den davon abgeleiteten Frequentativformen : esito (ich esse oft) und unctito (ich salbe oft) die erste Silbe als lang hervor und spricht hingegen in dem von seinem Stamm- wort dieo abgeleiteten (Frequentativum) dictito (ich sage oft) diese Silbe kurz aus? Es müsste nun' also doch die erste Silbe in actito und actitavi vielmehr (auch) lang ausgesprochen werden; weil ja doch fast alle aus dem Participium perfecti passivi ihrer Stammverben abgeleiteten Frequentativa in der ersten Silbe ebenso (d. h. lang) gebraucht werden, wie z, B. lego, lectus bildet Cdas Frequentativum oder Intensivum) lectito; ungo, unctus bildet unctito; scribo, scriptus giebt scriptito; moveo, motus bildet motito; pendeo, pensus hat pensito; edo, esus hat esito; hingegen spräche man, wie ich schon oben bemerkte, die erste Silbe in dem von dico, dictus abgeleiteten Frequentativum dictito (ausnahmsweise) kurz aus ; so wieder lang in gestito (ich vollbringe oft) von gero, gestus ; vectito (ich fahre oft) von veho, vectus ; raptito (ich entreisse oft) von rapio, raptus; captito (ich hasche oft) von capio, captus; factito (ich thue oft) von facio, factus. So ist dem- nach die erste Silbe in actito (unbedingt) auch lang aus- zusprechen, weil es von ago, actus (ganz auf eben dieselbe Art) abgeleitet ist.

IX, 7, L. lieber das Sichumdreheu der Blätter am Olivenbaam zur

Winter- und Sommer-Sonnenwende nnd über das Mitklingen einiger (nicht

berührter) Saiten beim Anschlag anderer.

IX, ^ 7. Cap. 1. Es ist allenthalben sowohl schriftlich ausgesprochen, als auch für wahr angenommen worden, dass die Blätter der Olivenbäume am Tage der Winter- und Sommersonnenwende sich umwenden und der Theil, welcher an den Blättern der untere und verborgenere war, (zu der- selben Zeit) nun oben (aufgeschossen) sich entfaltet und un- seren Augen und der Sonne oifen gelegt erscheint, 2. eine

IX, 7, 1. Theophr. Naturgesch. der Pflanzen I, 16.

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IX. Buch, 7. Cap., § 2. 8. 8. Cap., §1-3. (15)

Beobachtung, die auch mir selbst bei absichtlicher (näherer) Untei*suchung mehr als einmal fast ganz ebenso vorgekommen ist. 3. Was man sich jedoch ei-zählt über die Saiten (auf einem Instrumente), ist weniger bekannt, aber um so wunder- barer. Nach der Versicherung vieler gelehrter Männer, wie auch besonders des Suetonius Tranquillus im ersten Buche seines „kurzweiligen Unterhaltungsstoffes (ludicra historia)", weiss man ganz gewiss und ist darüber ganz einig, dass, wenn man zur Zeit der Wintersonnenwende einige Saiten (auf einem Instinimente) anschlägt, andere (die gar nicht be- rührt wurden, mit-) tönen.

IX, 8| L. Dass es nnumstosslich wahr sei, dass der, welcher viel hat,

auch am so mehr brauche; femer knrzgefcisster feiner Gedanke des

Philosophen Favorin üher diese Ansicht.

IX, 8. Cap. 1. Wahi'lich, ewig wahr wird er bleiben, der auf genaue Beobachtung und auf praktische Erfahrung gestützte Ausspruch weiser Männer, dass Einer viel bedarf, der viel hat und dass ein unersättliches Bedürfniss nicht aus giossem Mangel, sondern nur aus grossem Ueberfluss ent- springe. 2. Denn viele (neue) Wünsche werden in Dir rege, wenn Du das Bedürfniss hast, einen grossen Besitz zu be- haupten (oder gar noch zu vermehren). 3. Jeder also, der viel besitzt, hat (vielmehr) eine Verringerung (seiner Wünsche und seiner Besitzeslust), nicht aber eine Vergrösserung (an- zustreben) nöthig, wenn es (überhaupt) in seiner Absicht liegt, sich vorzusehen und Sorge zu tragen, dass es ihm an nichts mangeln, oder ihm nichts abgehen soll, und er muss sich be- streben, weniger zu besitzen, um desto weniger zu vermissen.

IX, 7, B. Suetonias Tranquillus, röm. Geschichtsschreiber 70—121 n. Chr., zur Zeit des Domitian, Trojan und Hadrian, stand mit dem jüngeren Plinius in vielfacher Verbindung. Beschrieb das Leben von Julius Caesar und der elf ersten Kaiser, über die er eine Menge der anziehendsten und lehrreichsten Nachrichten mittheilt. Ausserdem ver- fasste er vier Bücher von berühmten Römern, Grammatikern, Rhetoren, Staatsmännern und Dichtem. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 342, 2.

IX, 8, 1. Vergl. Gell. XII, 2, 13 und Plutarch: über Bezähmung des Zorns 13, wo es heisst: wer wenig bedarf, dem schlägt selten etwas fehl; Senec. ep. 110, 16.

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(16) IX. Buch, 8. Cap., §4.-9. Cap.. § 1—3.

4. Ich erinnere mich (lebhaft), dass dieser (heirliche) Gnind- satz von Favorin (eines Tages) unter einem Ungeheuern, all- gemeinen Beifallssturm schön abgerundet und in folgenden, ganz kurzen Worten zusammengedrängt (ausgesprochen) wurde : „Denn wer 500 Kleider bedarf, für den ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass er nicht auch noch mehr bedürfen sollte; wenn ich nun die abrechne, nach denen mein Ver- langen steht, von denen, die ich besitze, fühle ich mich be- friedigt mit denen (wenigen), die ich brauche."

IX, 9, L. Welches Verfahren stattfinden soll in Ansehung einer Ueber-

setzung von Stellen, die ganz echt griechisch gedacht sind; ferner über

einige Verse Homers, die Vergil theils gut und passend, theils ungeschickt

übersetzt haben soll.

IX, 9. Cap. 1. Wenn man sich die Aufgabe stellt, aus griechischen Dichtei'weiken ausgezeichnete Gedanken zu über- setzen oder nachzubilden, soll unser Bestreben nicht immer darauf gerichtet sein, dass wir überhaupt das griechische Original ganz (kleinlich und) wörtlich übertragen. 2* Denn die meisten Stellen verlieren ihre Anmuth (und natürliche Lieblichkeit), wenn man sich gleichsam abquält und es zu erzwingen sucht, sie mit aller Gewalt (wörtlich) wiederzugeben (sie also eigentlich nur zu übersetzen, aber nicht zugleich auch nachzudichten). 3. Sehr klug und überlegt ist daher Vergil verfahren bei der Nachbildung von Stellen entweder aus Homer , oder aus Hesiod, oder aus Apollonius , oder Par- thenius, oder Theocrit, oder endlich noch aus einigen andern

IX, 9, 8. Apollonios von Ehodos genoss den Unterricht des Callimachos, Terliess aber die gelehrte, gezwungene, grossartig prunkhafte Darstellungsweise seines Lehrers und betrat die von Homer gebahnte Strasse der Einfachheit, was ihm den Hass seines Lehrers zuzog. Er dichtete das Epos : Argonautika. Der einflussreiche Callimachos bewirkte, dass dies Werk durchfiel, als es Apollonios zu Alexandrien vorlas. Aerger- lich darüber begab ^r sich nach Rhodos, lehrte daselbst die Rhetorik und wurde mit dem Bürgerrecht beschenkt. Späterhin kehrte er nach Alexan- drien zurück, um unter Ptolemaeus V. Epiphanes (196 v. Chr.) den durch Alter geschwächten Eratosthenes in der Aufsicht über die Bibliothek zu ersetzen. Ausserdem schrieb er noch xriaeig (Gründung von mehreren StMten) und Epigramme, die besonders gegen Callimachos gerichtet waren.

IX, 9, 3. Cfr. Gell. XIII, 27, 1 f.; Teufiels röm. Lit. Gesch. 222, 2.

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IX. Buch, 9. Cap., § 3—8. (17)

(alten Schriftstellern), dass er einige Satztheile wegliess, an- dere zum Ausdruck brachte. 4. So machten wir z. B. neulich erst die Bemerkung, als bei Tische gleichzeitig die beiden Hirtengedichte des Theocrit sowohl, wie des Vergil gelesen wurden, dass Vergil einen im Griechischen zwar in seiner Art lieblichen Gedanken ausliess, der aber (von ihm) entweder nicht übersetzt werden sollte, oder nicht übersetzt werden konnte. 5. Allein der Ei*satz far die ausgelassene SteUe (Idee) möchte beinahe noch angenehmer und zierlicher sein. Bei Theocrit (V, 88, 89) heisst es:

BaXXei xal fiuloia$ rov ainoXov a KUa^ima

Tä^ atyag naQilSvra xai dSv ti nonnvliaCHy d. h.

Mich den Geishirt wirft mit Aepfeln auch Klearista,

Treib' ich die Heerden vorbei und ÜQstert mir lieblichen Gross zu.

6. (Bei Vergil Buc. III, 64. 65 lautet der Gedanke:)

Mi^o me Galatea petit, lasdca pueUa

Et fugit ad salices et se cupit ante videri, d. h.

Aepfel wirft Galatea nach mir, das schelmische Mägdlein

Flieht dann in Weidengesträuch und wünscht suvor sich gesehen.

7. Auch eine andere, im griechischen (Original-) Verse höchst angenehme Wendung fanden wir an einer andern Stelle wohl- weislich (von Vergil) übergangen. Theocrit (HI, 3—5) singt:

TiJVQ, ffilv 70 xakov ne(ftXafiiv€, ßcaxe rag alyug Kai nori tuv xgdvav aye TItvqv xal rov ivog^av Tov Aißvxov xvdxtova (pvXäaaio^ ^r^ rv xoQv^ri, d. h.

Tityros, huldvoU geliebet von uns, Du weide die Ziegen, Führe sie dann zum Quell, o Tityros, doch vor dem Geisbock Hüte Dich, vor dem Libyer dort, dem weissen, der stösst sonst.

8. Denn wie hätte er die Stelle wiedergeben sollen : to tuxXov fteipilafAeve (o Du, das so huldvoll geliebte Wesen), wahrlich

IX, 9, 5. Voss singt: Kommt die schöne Binderin Euch denn gar nicht in den Sinn? Die mich wirft mit Haselnüssen und dann schreit: ich wiU Dich küssen.

IX, 9, 5. adv Tt d. h. etwas in seiner Art einzig Süsses.

IX, 9, 7. To xaXov ntq, Theocrit verbindet öfters das adverbialiter gebrauchte Neutrum, yorzüglich von den Ac^ectivis auf -os, mit dem Neu- trum des Artikels.

Gellin«, Attiscbe Nicht«. H. ^ i<^ T

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(18) K. Buch, 9. Cap., §8 12.

unübersetzbare Worte, aber von einer gewissen ursprünglichen Lieblichkeit? 9. Diese Stelle liess er also weg, das Uebrige aber hat er ganz artig nachgedichtet, mit Ausnahme eines Ausdrucks, da er für die Bezeichnung des Bocks das Wort „caper" setzte, während Theocrit dafür den Ausdruck ivoQxv^ (von oQXig, d. h. Hode, also Einer dem Hoden sind) brauchte. 10. Nach Angabe des M. Varro versteht man vomehpulich unter dem lateinischen Ausdruck „caper" den entmannten (gerissenen) Bock. 11. (Die von Vergil Buc. IX, 23. 24. 25 nachgeahmte Stelle lautet:)

Tityre, dum redeo, brevis est via, pasce capellas £t potum pastas age, Tityre, et inter agendum Occursare capro, comu ferit ille, caveto, d. h.

Tityrus, kurz ist der Weg und ich spute mich, weide die Ziegen, Treibe sie dann zur Tränk*, o Tityrus; und wenn Du treibest, Hüte Dich, jenem Bock, er stösst mit dem Hom, zu begegnen.

12. Und da ich nun eben von der Uebertragung bemerkens- werther (poetischer) Gedanken spreche, fällt mir gerade eine Mittheilung ein, die ich den Schülern des Valerius Probus verdanke, jenes gelehrten Mannes, jenes feinen Kunstkenners und Kritikers alter Schriftstücke, der oft geäussert habe, dass dem Vergil keine aus Homer entlehnte Stelle bei der Wieder- gabe so sehr missglückt sei, als die Nachahmung jener höchst reizenden Verse, worin Homer eine Schilderung der Nausikaa liefert (Odyss. VI, 12 etc.):

So wie Artemis herrlich einherzieht, froh des Geschosses

lieber Taygetos' Höh'n und das Waldgebirg Erymanthos

Und sich ergötzt, Waldeber und hurtige Hirsche zu jagen;

Sie nun zugleich und Nymphen, des Aegyserschütterers Töchter,

Ländliche hüpfen in Reih'n; und herzlich freute sich Leto (yfyfid^f öi

Yor ob Allen ragt sie an Haupt und herrlichem Antlitz; Leicht auch wird sie im Haufen erkannt; schön aber sind Alle: (Also erschien vor den Mädchen an Beiz die erhabene Jungfrau.)

IX, 9, 12. Valerius Probus hat ohngefahr bis zum Jahre 88 n. Chr. gelebt, und (rellius noch persönliche Schüler des Probus gehört. S. Teuffels röm. Lit Gesch. 295, 2 u. 3. Vergl. GelL I, 15, 18; III, 1, 5; IV, 7, 1; VI (Vn), 7, 8; IX, 9, 12; XIII, 21 (20), 1. Vergl. meine Einleitung

Bd. i, s. vra.

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IX. Buch, 9. Cap., § 13—15. (19)

13. (Bei seiner Schildening der Dido hat Vergil [Aen. I, 498 etc.] diese Stelle Homers folgendennassen verwerthet :)

Wie an Eurotas' Gestad' und auf luftigen Höhen des Gynthus, Tanzende Reihen Diana beseelt, sie umdrängen zu tausend Hier Oreaden und dort, wildschwärmende ; ihr an der Schulter Hängt das Geschoss und im Gange die Göttinnen all' überragt sie; Innige Wonnen durchzucken heimlich die Brust der Latona (pertemptant

gaudia pectus): (So war Dido zu schau'n, so wandelte sie durch die Männer Freudig einher, antreibend den Bau und die künftige Herrschaft [instans

operi regnisque fiituris]).

14. Vor Allem (so sagten sie) sollte Probus zuewt bemerkens- werth gefunden haben, dass beim Homer die jungfräuliche Nausikaa zwar, voll Lust und Scherz unter ihren jugend- lichen Gespielinnen in einsamen Gegenden (weilend), sehr richtig und passend verglichen wird mit der Göttin Diana, die auf den Höhen der Gebirge mitten unter ländlichen Nymphen das Waidwerk treibt, Vergil dagegen einen keines- wegs entsprechenden Vergleich (bei Nachahmung dieser Stelle) zu Stande gebracht habe, weil er die Dido mitten in dem Gedränge der Stadt (mitten in der Strassen quetschender Enge), wandelnd unter ihren tyrischen Häuptlingen, nach Aussehen und Gang Ehrfurcht gebietend, (durch Anordnungen) betreibend den Bau, wie er sich ausdrückt, und (befördenid) die künftige Grösse des Reiches (instans operi regnisque fii- tuiis); denn diese Stelle enthalte nichts von irgend einer Aehnlichkeit, welche (auch nur im Geringsten) mit der (herr- lichen) homerischen Beschreibung von den Jagdvei-gnügungen der Diana zusammenstimme. 15. Femer bei der Stelle, wo Homer eine so ganz anständige und passende Beschreibung von dem ergötzlichen Waidwerk der Diana liefert, lässt Vergil, obgleich er kein Wort von der Jagdlust der Diana erwähnt, die Diana nur den Köcher auf der Schulter tragen, als sei es eine Last und Bürde; fenier sagten sie, habe Probus sich auch heftig über Vergil verwundert, dass, obwohl die Leto beim Homer ihren echten und innersten Freudenjubel aus- jubelt, im Tiefinnersten des Herzens und der Seele ent- spriessend, wenn nämlich die Worte: yiyrjd^e de ze (pgeva Ar^u) (herzlich freute sich Leto) nii^hts anderes heissen sollen, Vergil aber bei der Absicht diese Stellen nach-

2*

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(20) K. Buch, 9. Cap., § 15. 16. 10. Cap., § 1.

zuahmen, (nichts weiter, als) nur eine Schilderung geliefert habe von schwachen, oberflächlichen, zuiückhaltenden und kaum aus dem Herzinnem hervorlugenden Empfindungen von Freude, denn er wisse nicht, was man sonst dem Ausdruck „pertemptant" (sie durchzucken, durchbeben, durchströmen) noch für eine andere Bedeutung geben soll. 16. Ausser ollen diesen angeführten Bemerkungen schien es dem Probus, dass Yergil auch besonders noch die Krone der ganzen (homeri- schen) Stelle übersehen habe, weil er sich nur (knapp und) nothdürftig an den Sinn des homerischen Verses gehalten hat:

*PeTa J' tcQiyvfoTij Tt^l^rai, xaXdi (fi naOat, d. h.

Leicht auch wird sie (im Haufen) erkannt; schön aber sind Alle,

da ja niemals ein grösseres und vollständigeres Lob der Schönheit gespendet werden konnte, als dadurch, dass er sagte, sie zeichne sich unter allen den Schönen (und Holden, als die Schönste und Holdeste) aus und sie allein werde (deshalb) aus Allen leicht herausgefunden (trotzdem dass Alle schön waren).

IX, 10, L. Wie Annaeus Ck>mutas durch seinen unflätigen und widerlichen

Tadel die Verse Vergils verunglimpfte, worin der Dichter zfichtig und mit

viel Geschick das (eheliche) Beisammenliegen der Venus mit Vulcan

erwähnt

IX, 10. Cap. 1. Der Dichter Annian und viele andere seiner Zunftgenossen mit ihm priesen ausserordentlich und fortwährend jene Verse Vergils, in denen er, bei seiner Be- schreibung und Darlegung der Umaimung und Vereinigung des Vulcan mit der Venus, nach dem Rechte ehelicher Ver- bindung, den ganzen Vorgang, welchen ein natürliches Gefühl des Anstandes unsem Blicken zu entziehen gebietet, durch

IX, 10, L. L. Annaeus Cornutus, geb. zu Leptis in Afrika (20 n. Chr.), verfasste einen Commentar über VeigiL Er war Grammatiker und Rhetor und schrieb bald lateinisch, bald griechisch. Lateinisch waren seine libri de figuris sententiarum 5), wovon sich Fragmente bei Macrob. V, 19 finden. Er hing der stoischen Philosophie an, war sehr freimüthig und deshalb dem Nero unangenehm und von ihm yerbannt; auch Freund und Rath^ber des Dichters Persius. Man hat noch ein Werk von ihm: niQl Ttjg itiv »itov (pvaems, über das Wesen der Götter.

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IX. Buch, 10. Cap., § 1—6. (21)

eine schamhafte (verblümte Wort-) Umschreibung verschleiert hat. 2. Er schrieb nämlich so (Verg. Aen. VIII, 404 etc.):

Ea verba locatus Optatos dedit amplexus placidumque petivit Coi^agis isfusuB gremio per membra soporem, d. h.

Sobald er die Worte geredet, StiUf er den Wunsch der ümarmong und froh an den Busen der Gattin Angeschmieget erstrebt er der Glieder süsse Betäubung.

3. Die Ansicht der Obengenannten war nun aber, dass es weniger schwierig sei, bei Beschreibung eines ähnlichen Vor- habens (noch passendere) Ausdrücke zu gebrauchen, welche diesen Vorgang durch ein, oder das andere kurze und zarte Merkmal deutlicher bezeichneten, wie z. B. Homer sieh aus- gedillckt hätte: (Odyss. XI, 244 Xvae de naQd^evirjv Zqivtjv, d. h. löste ihr) den jungfräulichen Güilel und (Odyss. XXÜr 296: Utltqoio &ea^ov %yLOv%o^ d. h. kehrten Beide) zu des Lagers Bund, dann (Odyss. XI, 245 : heliaae d^eog qiiXoTt;aia sQya, d. h. der Gott -Gatte vollendete) das Werk der Liebe (und endlich Iliad. m, 448:

Tu fAh a^' iv TQfiTolai xurivvaaS^ev Xfx^iaaiv, d. h. Und so ruhten sie Beide in schöndurchbrochnem GesteUe).

4. (und sie sprachen es ganz offen aus) in so vielen und so deutlichen, aber doch durchaus nicht unkeuschen, sondern einfachen und ehrbaren Ausdrücken habe wirklich kein Anderer {als Homer) jemals jenes heilige Geheimniss züchtiger (Gatten-) Vereinigung erwähnt. 5. Annaeus Gomutus jedoch, ein wahr- lich in mancher andern Hinsicht nicht unwissender, noch urtheilsunfähiger Mensch, hat im 2. Buche seines „über ver- blümte Redensarten (de figuris sententiarum)^ verfassten Werkes sich herausgenommen, die allgemeine gi*osse An- erkennung für das Zartgefühl (Vergils in Zweifel zu ziehen und) durch seine allzuabgeschmackte und widerliche Bekritte- lung zu verunglimpfen. 6. Denn obgleich er (im Ganzen) die bildliche Darstellung lobend anerkennt und zugegeben hatte, dass die Verse (Vergils) mit vieler Umsicht verfasst seien, bezeichnete er (nichtsdestoweniger) das Woit „membra (Glieder)** als einen sehr unbedachten und unpassenden Ausdruck.

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(22) IX. Bnch, 11. Capu, § 1—7.

IX, 11, L. Ueber den Valerius Corvinus und weshalb er .,Corvintis** hiess.

IX, 11. Cap. 1. Kein einziger der angesehenen Schiift- steller weicht in der (gewöhnlichen) Annahme bezüglich des Marcus Valerius ab, dass er, wegen der von einem Raben (corvus) ihm geleisteten Hülfe und Vertheidigung, den Bei- namen „Corvinus" bekommen habe. 2. Der höchst wunderbare Hergang wird nach zuverlässigem Zeugniss in den „Jahr- büchera** folgendennassen erwähnt: 3. Ein der bezeichneten Familie entsprossener, junger Mann schwingt sich unter dem Consulate des L. Furius und des Claudius Appius bis zur Stelle eines Kriegsobersten (in der römischen Armee) empor. 4. Zur selbigen Zeit nun hielt ein grosses mächtiges gallisches Heer den pomptinischen Acker besetzt, und obgleich die Consuln wegen der grossen und überlegenen Anzahl von Feinden be- soi-gt waren, so wurden trotzdem nach ihren Anordnungen die Schlachtreihen aufgestellt. 5. Unterdessen trat der Anführer der Gallier hervor, eine unermesslich hohe Riesengestalt, mit Waffen von Gold blitzend, mit grossen Schritten einher- schreitend, den Pfeil mit der Hand hin- und herschwingend^ mit Geringschätzung und Stolz umherblickend, Alles ver- achtend, fordert er Jeden auf, heranzukommen und sich zu messen, wenn Einer aus dem römischen Heere mit ihm zu kämpfen sich getraue. 6. Da alle üebrigen zwischen Furcht und Scham unschlüssig bleiben, tritt der Kriegsoberste Va- lerius hervor und erwirkt sich vorher von den Consuln die Erlaubniss, mit dem Gallier, mit diesem so schrecklichen Gross- maul, kämpfen zu dürfen, dann geht er mit ünerschrockenheit und Besonnenheit (zum Angriff) vor. Sie gehen aufeinander los, nehmen die nöthige (Auslage und) Kampfesstellung und waren eben schon im Begiiff handgemein zu werden. 7. Da legt sich auf einmal gleichsam eine unbekannte göttliche Macht ins Mittel. Ein Rabe kommt plötzlich unversehens herangeflogen und setzt sich auf die Helmraupe des Kriegs- obersten und beginnt von da gegen des Gegners Gesicht und

IX, 11, 1. Vergl. Val. Max. Vm, 15, 5.

IX, 11, 7. S. Liv. VII, 26; Florus I, 13, 12; Aurel. Victor. 29, 2; Orosius in, 6; Cic. de offic. III, 31.

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IX. Buch, 11. Cap., § 7-10. 12. Cap., § 1. 2. (23)

Augen einen Kampf, kreischte und lärmte und zerfleischte ihm mit den Klauen die Hände und benimmt ihm mit dem Flügelschlag den freien Blick, und nachdem er hinlänglich seine Wuth (an dem Gallier) ausgelassen hatte, flog er auf die Helmraupe des Kriegsobersten zurück. 8. So trug der Kriegsoberste, gestützt auf seine eigene Tapferkeit und zu- gleich dm-ch den Beistand des Vogels vertheidigt, über den unbändig übermüthigen, feindlichen Anführer den Sieg davon und gab ihm Angesichts beider Heere den Tod; und aus die- sem Gninde erhielt jener den Beinamen „Gorvinus". 9. Dieser Vorfall ereignete sich im Jahre 405 nach Roms Erbauung. 10. Der erhabene Augustus liess auf seinem, von ihm erbauten neuen Marktplatz diesem Corvinus ein Standbild errichten. Auf dem Haupte dieses Standbildes befindet sich das Abbild eines Kaben (angebracht), als Erinnerungszeichen des von uns erzählten Vorfalls und Kampfes.

IX, 12, L. Ueber (einige) Wörter, welche in doppelter, entgegengesetzter

und zurückwirkender (reciproca, d. h. bald activer, bald passiver) Bedeutung

gebraucht werden.

IX, 12. Cap. 1. Gerade so, wie es möglich ist, das Wort „formidolosus'' in dem Sinne zu sagen, theils von Einem, der sich fürchtet, theils der gefürchtet wird (also: sich grausend, scheu, oder furchtbar, grausenhaft); sowie femer das Wort „invidiosus" von Einem, der neidisch ist (beneidet), wie von Einem, der beneidet wird ; ferner „suspiciosus" von Dem, der Verdacht hegt (argwöhnisch ist) und von dem, der Verdacht erregt (verdächtig ist); dann „ambitiosus" von Einem, der sich bewirbt (ehrgeizig ist), wie von Einem, bei dem man sich bewirbt (der gesucht ist); ebenso auch „gratiosus", von Einem, der Gunst erweist (der gef&llig ist), als von einem, der Gunst geniesst (der beliebt ist); endlich „laboriosus" von Einem, der sich Mühe giebt (arbeitsam ist) und von dem, was Mühe bereitet (mühsam ist) und wie noch viele andere ähnliche Wörter in doppelter Bedeutung gesagt werden: ebenso lässt auch das Wort „infestus" einen zweifachen Sinn zu. 2. Denn Deijenige wird „infestus'' genannt, der Jemandem etwas Böses anthut (feindselig ist), und im entgegengesetzten Falle wird auch der „infestus" genannt, dem von anderer Seite her ein

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(24) IX. Buch, 12. Cap., § 3—7.

Uebel droht (d. h. einer, der beunruhigt ist). 3. Allein in dem von mir zuerst angegebenen (activen) Sinne wendet man das Wort vielfach an, dass ein Feind, oder ein Gegner „infestus'' (feindselig, aufsässig, gefährlich) genannt wird und es bedarf deshalb wahrlich nicht erst des Nachweises durch Beispiele. 4. In der anderen Bedeutung aber ist das Wort unbekannter und oft schwer verständlich. Denn wer aus der Menge dürfte wohl so ohne weiteres Bedenken sich des Aus- di-ucks „infestus" (in passiver Bedeutung) bedient haben zur Be- zeichnung Desjenigen, dem ein Anderer aufsässig und feindselig ist (d. h. der sich von einem Andern bedroht, gefährdet und angefeindet sieht)? Allein nicht nur viele alte Schriftsteller haben so gesprochen, sondern auch M. TuUius (Cicero) hat in seiner für den Cn. Plancius verfassten Rede (cap. 1, 1) sich des Wortes „infestus" in dieser (passiven) Bedeutung bedient. 5. Da sagt er : „Ich müsste Betrübniss, ihr Richter, und bittem Schmerz empfinden, wenn (ich denken sollte, dass) das Glück dieses Mannes gerade deshalb um so mehr gefährdet werden könnte (si hujus salus ob eam ipsam causam esset infestior), nur weil er durch sein Wohlwollen, seinen Schutz und seine Fürsorge mein Heil und Leben gesichert hatte." 6. Ich suchte mich also über die Abstammung dieses Wortes und über seine Bedeutung zu unterrichten und fand in den Erklärungs- schriften des Nigidius folgende darauf bezügliche Stelle vor: „Das Wort „infestus" ist ein von „festinare" hergenommener Ausdruck; denn, sagt er weiter, ein solcher, der dem Andern hart zusetzt und sich beeilt ihn zu bedrängen und sich eifrig bemüht, ihn (schnell und unversehens) zu überwältigen; oder im entgegengesetzten Falle ein Solcher, der von irgend einer Gefahr, oder vor Verderben (zu entfliehen) sich beeilt, ein solcher wird in beiden Fällen mit dem Wort infestus be- zeichnet, von den noch bevorstehenden, drohenden Ränken (und Gefahren), die ein Solcher an einem Andern ausüben will, oder von einem Andern erdulden soll." 7. Damit man aber von den oben von mir angeführten Wörtern suspiciosus und „formidolosus" in ihrer weniger gebräuchlichen (passiven) Be- deutung ein Beispiel nicht vermisse, führe ich von „suspicio- sus" eine Stelle an, die bei M. Cato in seiner Schrift „über das Florafest" steht und so lautet: „Allein man erachtete es

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IX. Buch, 12. Cap., §7 12. (25)

durchaus nicht für billig gegen einen freigeborenen Mann Gewalt anzuwenden, selbst wenn er berüchtigt und verdächtig (suspiciosus) war, ausgenommen wenn (ihm konnte nach- gewiesen werden, dass) er mit seinem Leibe öffentlich (durch schimpflichen Erwerb) sich Geld zu verdienen suchte, oder sich gar wohl selbst einem Bordellwirth vermiethet hatte. ** 8. An dieser Stelle braucht Gate das Wort „suspiciosus'^ in der (passiven) Bedeutung für „suspectus" (verdächtig), nicht active für „suspicans" (Verdacht habend, argwöhnisch). 9. Das Wort „formidolosus^' wendet Sallust aber in seinem Catilina (7, 5) in dem Sinne von furchtbar (d. h, von Einem der gefürchtet värd, oder vor dem man sich fürchten muss) also an : „Daher war solchen Männern keine Arbeit ungewohnt, kein Ort un- wegsam oder unübersteiglich, kein bewaffneter Feind furcht- bar (formidolosus)". 10. So gebraucht auch C. Calvus in seinen Gedichten das Wort „laboriosus** nicht, wie es im ge- wöhnlichen Leben der Fall ist, in dem Sinne für Einen, der sich Mühe giebt, sondern zur Bezeichnung dessen, was mit Mühe verknüpft ist, er sagt:

„Dnrom ras fugit et laboriosiun, d. h.

Er flieht das Land (leben) als beschwerlich und mühsam"

(d. h. weil es ihm harte Anstrengung und Mühe auferlegt).

11. In ähnlicher Bedeutung ist auch (das Wort „somniculosus") vom Laberius (com. 86) in seinen „Schwestern*^ gebraucht, da heisst es:

„Ecastor mustiun somniculosum, d. h.

Beim Eastor, ach über diesen schlafbringenden Most (-Wein)."

12. Und bei Cinna in seinen Gedichten : „Somnicalosam ut Poenus aspidem PsyUus, d. h.

Wie der phönizische PsyUus den schlafbringenden (t6dtlichen) Speer*'

IX, 12, 10. C. Licinius Macer Calvus, mit doppeltem Zunamen, Yerfiuser von Epigrammen und yon Liebesgedichten, der jedoch als Redner sdne Dichtungen in Schatten steUte. Gell. XIX, 9, 7. VergL Bemhardy R. L. 101. 487; GeU. VI (VII), 3, 40 NB. S. Teuffels Gesch. der röm. Lit. 210, 5.

IX, 12, 12. C. Helvius Ginna, war Freund CatuUs, treuer Anh&nger des Caesar und Dichter; besonders namhafter Darsteller griechischer Mj'then, schrieb ein dunkles und mühsam gelehrtes Epos: Smyma und

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(26) IX. Buch, 12. Cap., § 12—17.

(vielleicht zu ergänzen: durch seine Kunst unschädlich zu machen und die Wunden davon zu heilen verstand). 13. Ebenso können auch „metus*' und „injuria" in doppelter Bedeutung (activ und passiv, d. h. subjectiv und objectiv) gesagt werden ; denn „metus hostium'' kann ganz richtig als Bezeichnung gelten für Feinde, die sich fürchten (also: die Furcht der Feinde), sowie von solchen, die gefürchtet werden (also: die Furcht vor den Feinden. 14. So hat Sallust im 1. Buche seiner „Gre- schichte" den Ausdruck „metus Pompeji'* nicht in dem Sinne von „die Furcht des Pompejus" gesagt, wie es gebräuchlicher ist, d. h. dass sich also Pompejus fiirchtete, sondern dass er gefürchtet wurde, also: die Furcht vor ihm. Die Worte Sallust's lauten: j,Dieser Krieg war angethan, Furcht vor dem Sieger Pompejus einzuflössen, der den Hiempsal wieder in sein Reich einsetzte." 15. Ebenso an einer andern Stelle: „Nach Beseitigung der Furcht vor einer Gefahr von punischer Seite (remoto metu Punico) hatte man vollkommen Zeit genug gegenseitigen Neid und Missgunst gründlich auszubilden."

16. Ebenso brauchen wir das W^ort „injuriae'' (Ungerechtig- keiten) sowohl in Bezug auf solche , die darunter zu leiden haben, als auf solche, die dergleichen begehen, und man kann Beispiele der betrefifenden Ausdrucksweisen leicht finden.

17. Auch jener bekannte Satz von Vergil (Aen. 11, 435) ent- hält einen ähnlichen, der besprochenen doppelseitigen Aus- legung fähigen Ausdruck, da heisst es:

Et Yulnere tardus Ulixi, d. h.

(Pelias) gelahmt dnrch eine Wunde von Ulixes,

da er hier die Wunde meinte, nicht die ülixes (vom Pelias) empfangen hatte, sondeiii die (ihm ülixes) beigebracht hatte.

Gedichte, lyrische Kleinigkeiten und Epigramme, nach Gellius (XIX, 9, 7) illepida. Der erotische Inhalt berührt bei Ovid. trist II, 435. S. Bemh. IL L. 79 und Teuflfels röm. Lit. Gesch. 210, 3; GelL XIX, 13, 5.

IX, 12, 17. ülixi der Genitiv schon Y, 1, 6. Die Personennamen auf es haben bisweilen im Genitiv i statt is, z. B. lY, 11, 4 Aristoteli, Achilli, Isocrati etc. Diese Abkürzung kann mit der des Genitivs ei statt eis in der fünften Decl. verglichen werden, z. B. fides Gen. fide-i (statt fideis), also ülixi (— Ulixis). Yergl. IX, 14; Euripidi I, 15, 17; YI (Yü), 16, L., 6. 7; XIII, 19 (18), 2 u. 3; XY, 20, 1; Sophocli XII, 11, 6; XHI, 19 (18), L.; Mithridati XY, 1, 6; XYII, 16, L.

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IX. Buch, 12. Cap., § 18—22. 13. Cap., § 1—5. (27)

18. So wird mit dem Ausdruck „nescius" ebensowohl Einer bezeichnet, von dem man keine Kenntniss hat (d. h. der nicht gekannt ist), als jiuch einer, der keine Kenntniss (von Etwas) hat (d. h. der unwissend ist). 19. Allein in Betrefif der Be- zeichnung von Einem, der unwissend ist, ist der Gebrauch dieses Wortes kein seltener, seltener aber wird es von dem gebraucht, was nicht bekannt ist. 20. Ebenso wendet man das Wort „ignarus" in doppelter (activer wie passiver) Bedeutung an^ nicht allein von Einem, der nichts kennt (also unwissend, unerfahren ist), als auch von Eiinem, von dem Niemand was weiss (der nicht gekannt, also fremd ist). 21. So Plautus in seinem „Schiffbruch" (Rudens I, 5, 17 [275]):

Quae in locis nesciis nescia spe sumos, d. h.

Die wir am iremden Ort fremd aller Hofihung stehen.

22. Sallust (Jug. 93, 3) : „Wie es menschliches Verlangen mit sich bringt, sich an dem (fremden) unbekannten Orte um- zusehen (ignara visendi)." Endlich Vergil (Aen. X, 706):

Ignarum Laurens habet ora Mimanta, d. h.

Die Küste Ton Laurentom deckt den unbekannten Mimas.

IX, 13, L. Wörtliche Erzählung ans dem Geschichtawerke des Claudius

Quadrigarinsy worin des Manlins Torquatus, eines edlen Jünglings Kampf

geschildert wird, wozu ihn ein feindlicher Gallier herausforderte.

IX, 13. Cap. 1. Titus Manlius war ein Mann von vor- nehmer Abkunft und vor Allem von edler Gesinnung. 2. Dieser Manlius erhielt den Beinamen Torquatus. 3. Die Veranlassung zu diesem Beinamen hat, wie ich erfahr, der aus einer gol- denen Halskette bestehende Beuteschmuck gegeben, den er einem von ihm erlegten Feinde abgenommen und stets (zur Erinnerung an diese That und diesen Sieg) trug. 4. Allein wer dieser Feind war, welcher Abstammung, von welcher grausenerregenden Riesenhaftigkeit, ferner wie weit dieser (Feind) im Uebermuth bei der Herausfordening ging, endlich durch welche (sonderbare) Kampfart die Entscheidung erfolgte, von dem Allen findet sich eine höchst natürliche und äusserst klare Beschreibung bei Quadiigarius Claudius im 1. Buche seiner Jahrbücher, gehalten im Tone der altbiedem Ausdrucks- weise mit schlichter und ungeschminkter Lieblichkeit. 5. Der Philosoph Favorin versichert, dass, als er diese Stelle in dem

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(28) IX. Buch, 13. Cap., §5 14.

tetrefifenden Werke las, ihm das Hei-z nicht weniger durch stürmische EiTegungen und Eindrücke innerlich sei erschüttert und gerQhrt worden (als wie es kaum m^hr hätte der Fall sein können), wenn er diesem Kampfe mit eigenen Augen zugesehen. 6. Ich lasse des Quadrigarius Claudius eigene Woii» folgen, worin dieser Kampf geschildert wird: 7. „Da trat nun mittlerweile ein Gallier hervor, der ganz bloss (d. h. unbepanzert) war und aussey seinem Schild und seinen zwei Degen mit einer Halskette und Armbändeni geschmückt war, ein Held, der durch seine Köi-perstärke, durch seine gewaltige Grösse, durch sein jugendliches Aussehen und zugleich (wie €8 schien) durch seinen Heldenmuth allen Andera^ vorstrebte. 8. Als die Schlacht am heftigsten entbrannt war, und man auf beiden Seiten mit höchstem Ungestüm kämpfte, gab dieser (Biese) mit beiden Händen ein Zeichen, den Kampf ruhen zu lassen. 9. Es erfolgte ein Stillstand des Kampfes, 10. Nach- dem auch lautlose Stille eingetreten, ruft er mit gewaltiger Stimme, dass, wenn Einer Lust verspüre, es mit ihm im Einzelkampfe aufzunehmen, er nur hervortreten solle. 11. Niemand wagte sich an ihn heran (propter magnitudinem at- que immanitatem facies, d. h.) wegen seiner Riesengrösse und der Ungeheuerlichkeit seines Aussehens. 12. Darauf vei-zieht der Gallier das Gesicht zu höhnischem, spöttischem Lächeln und streckt die Zunge heraus. 13. Diese Frechheit bewegt sofort das Schamgefühl eines Römers von hoher Ab- kunft, des Titus Manlius, tief schmerzlich, da er sieht, dass seinem Vaterlande ein so grosser Schimpf widerfahren kann, ohne dass ein (einziger) Rächer aus einem so gi*ossen Heeres- körper hervortrete. 14. Dieser, wie gesagt, tritt also vor, weil er es nicht ertragen konnte, dass (die altbewährte) römische Tapferkeit von einem (so übennülJiigen) Gallier so schimpflich (ihres Ruhmes) beraubt (und dem Spotte und der Verachtung eines solchen eitlen Prahlers Preis gegeben) wer- den sollte. Bewaffnet mit dem gewöhnlichen Schild (des Fussvolkes) und mit einem spanischen Degen, nahm er also

IX, 18, 11. Clor. GeU. IX, 14, 1.

IX, 18, 14. Liv. Vn, 4. 5; Val. Max. DC, 3, 4; Flonis I, 13, 20; Aurel. Vict. HI, 28, 8. 4; Cic. de offic. III, 81; Eutrop. ü, 6, 5. 6; Non. Matc. unter torques.

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IX. Bach, 18. Cap., § 15-20. (29)

gegen den Gallier Stellung. 15. Auf der Biücke fand nun der Zusammentritt zum (Zwei-) Kampf im Angesicht beider Heere unter bangem Erwarten statt 16. So standen sie kampfgeiilstet da, wie ich schon oben bemerkte. Der Gallier mit nach seiner Gewohnheit vorgestrecktem Schilde in ganz gemächlicher Erwartung (eines Ausfalls von Seiten seines Gegners); Manlius, mehr seinem eigenen Muthe, als seiner Fertigkeit vertrauend, prallt mit seinem Schild gegen den Schild des Feindes und verrückt (durch seinen ersten heftigen Anprall) die Stellung des Galliers. 17. Darauf stellt sich der (Riesen-) Gallier auf dieselbe Weise absichtlich wieder (ganz unbefangen und gemächlich) auf und Manlius wiederholt (von Neuem) den Anprall seines Schildes an des Feindes Schild, verdrängt den Gegner abermals von seinem Platze, schlüpft ihm dabei aber unter dem gallischen Degen durch, damit der Gallier keinen Zug mehr bei seinem Hieb habe, (gewinnt da- durch einen Vortheil) und durchbohrt ihm mit seiner spa- nischen Klinge die Brust, vei-setzt ihm nach dem so er- rungenen Vortheil unaufhörlich Hieb auf Hieb in die rechte Schulter (damit der Gallier bei seinem Schwertstreich keinen Zug mehr habe) und Hess (überhaupt) nicht eher ab ihn zu bedrängen, bis er ihn zu Boden gestreckt. 1§. Nachdem er ihm vollends den Garaus gemacht hatte, schlug er ihm den Kopf ab, erbeutete sich die Halskette und hängt sofort sich dieses blutige Siegeszeichen um den Hals. 19. Daher ist er und jeder seiner Nachkommen mit dem Beinamen Torquatus benannt worden." 20. Nach diesem T. Manlius, von dessen obenerwähntem Kampf Quadrigarius uns die Beschreibung ge- liefei-t hatte, wurden (auch) alle harten (strengen) und grau- samen Befehle „manlianische'' genannt, weil er nachher im Kriege gegen die Lateiner als Consul seinen eigenen, leiblichen Sohn mit dem Beil hinrichten Hess, der, auf Kundschaft ausgeschickt, [ungeachtet der väterlichen Verwarnung, sich in keine Unter- nehmung einzulassen, nichts desto weniger nach üebertretung] des Verbotes den Feind, der ihn zum Kampfe (gereizt und) herausgefordert, getödtet hatte.

IX, 13, 20. Cfr. Gell. 1, 18, 7 imperia (Postamiana et) Manliana. S. YaL Max. VI, 9, 1; Orosius DI, 9; Florus I, 14, 2; Liv. IV, 29, 6; VII, 4. 5; Gell. I, 13, 7; XVH, 21, 17.

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(30) IX. Buch, 14, Cap., § 1—5.

IX, 14, li. Dass derselbe Quadrigarius (im vorigen Abflchnitt § 11) sich

richtig lateinisch ausgedruckt hat, da er im Genitiv sagte: (hujus) (acies;

femerweitige Beigabe über ähnliche Abbeugungen von Hauptwörtern (der

vierten Declination).

IX, 14. Cap. 1. Was nun die Ausdincksweise in der obigen Stelle des Quadrigarius Claudius (Gell. IX, 13, 11) betrifft, wo es heisst: „propter magnitudinem atque immani- tatem facies" (wegen seiner Riesengrösse und wegen der Un- geheuerlichkeit seines Aussehens), so haben wir deshalb einige alte Schriften nachgesehen und uns Aufklärung zu verschaffen gesucht und endlich in Erfahrung gebracht, dass diese schrift- lich verwerthete Fonn (des Genitivs facies für faciei) richtig sei. 2. So sagte man in der guten alten Zeit fast immer „haec facies, hujus facies^', während man nach einer jetzt gül- tigen Regel der Grammatik von diesem Worte (den Genitiv) faciei bildet. Doch habe ich einige verdorbene Ausgaben gefunden, worin auch „faciei" geschrieben steht, nach Tügung und Auöstreichung der ursprünglichen Schreibart (facies). 3. Ich erinnere mich aber auch ganz wohl in der (nach Gell. XIX, 5, 4 im Tempel des Hercules sich befindenden) Biblio- thek zu Tibur in demselben Werke des Claudius (an besagter Stelle) die Genitivform doppelt hingeschrieben gefunden zu haben, sowohl „facies", wie „facii"; nur dass facies in der fort- laufenden Zeile und (am Rande) gegenüber fadi, mit doppel- tem ii geschrieben stand. 4. Ich glaube sogar, dass diese Art der Abbeugung einer alterthümlichen Gewohnheit durch- aus nicht zuwiderlaufe ; denn theils sagt man von dem (be- kannten) Wort „dies" (im Genitiv) sowohl „hujus dies", wie „hujus dii", theils ebenso von „fames" sowohl „hujus famis", wie „hujus fami". 5. Q. Ennius bediente sich der Genitivform dies für „diei" im 16. Buche seiner Jahrbücher in folgendem Verse:

Postrema longinqua dies quod fecerit aetas d. h. wenn das letzte Altersgeschlecht das entfernteste Ende

IX, 14, L. Genitiv. Sing, facies und facii Dat. facie und facii; de. Oell. IX, 12, 17 NB.

IX, 14, 4 u. 9. Eine Ausstossung des Eemilautes e Tor der Genitiv- endung findet zuweilen in Wörtern statt, wo vor dem e noch ein i steht, also: dii statt: diei.

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IX. Buch, 14. Cap., § 6—9. (31)

des Tages erreicht hat. 6. Femer behauptet Gaesellius (Vindex), dass Cicero in seiner Rede, welche er ftti* den P. Sestius verfasst hat (c. 12, § 48), „dies" anstatt „diei*" geschrieben habe. Diese Behauptung des Gaesellius fand ich bestätigt, nachdem ich keine Mühe gespart und viele alte Ausgaben nachgeschlagen hatte. Des Marcus TuUius (Cicero) Woite lauten also: 7. „Equites vero daturos illius dies poenas, d. h. die römischen Ritter aber werden Strafe für jenen Tag büssen müssen.^ Daher kommt es auch, dass ich leicht der Behauptung derer Glauben schenke, bei denen geschrieben steht, dass sie eine Original-Handschrift Vergils eingesehen haben wollen, wo (Georg I, 208) also geschrieben stand: Libra dies somnique pares ubi fecerit horas, d. h. Wenn die Waage die Standen des Tages und des Schlafens gleich macht,

wo libra dies somnique nichts anderes heissen soll, als: libra diei somnique. 8. Po me nun aber an dieser Stelle vom Yergil dies oflFenbar für diei geschrieben steht, so ist es auch ausser allem Zweifel, dass derselbe Dichter (Aen. I, 636) in jenem andern Verse dafür dii geschrieben hat, wo es heisst: (Dido sendet den Genossen des Aeneas 20 Stiere) „munera laetitiamque dii, d. h. zur Gabe und Freude des Tages"; an welcher Stelle Unwissende, denen die Ungewohnheit dieser Ausdrucksweise gar nicht zusagt, dei (für dii) lesen wollen. 9. So aber wurde dies (im Genitiv) von den Alten in dii ab- gebeugt, wie fames (Hunger) in fami, pernicies (Verderben)

IX, 14, 6. Gaesellius vielleicht in commentariis lectionum antiquarum 8. Teuffels röm. Lit Gesch. 888, 4.

IX, 14, 6. Von „dies^ hatte der vollständige Genitiv: dieis, davon konnte man die Form in dies zusammenziehen, wie Gellius „dies^ hier durch das Beispiel bei Cicero pro Sestio bestätigt. Cfr. Gell. V, 12, 5, wo in Diespiter (Licht -Vater, Gott) dies auch der Genitiv zu sein scheint Die gewöhnliche Form „digi" rückt den Ton und lässt das s faUen. Um aber den Ton zu halten, kürzen die Römer fidei, aber die vielen Vocale in diei schmolzen zusammen in dii oder die, dem dann auch fidi oder fide nach- gebildet werden konnte. Daher bei Gellius: facii, progenü, &mi, luxux-ii, pemidi und das § 8 in der vergilischen Stelle vorkommende dii durch diei sich erklärt findet Für diese Annahme spricht auch tribunus plebi (=> plebei für plebis). Denn dass es nicht Dativ ist, dafür liefert uns tribunus militum und plebiscitum den Beweis. § 25 erklärt sich Caesar für die (=* dii).

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(32) IX. Buch, U. Cap., §9—20.

in pernicii, progenies (Nachkommenschaft) in progenii, loxuries (Verschwendung) in luxurii, ades (Schlachtreihe) in acii. 10. Denn M. Gate schreibt in seiner Rede, welche er über den carthagischen Krieg verfasste, also: „Kinder (Knaben) und Weiber wurden ausgewiesen (weggejagt) im Falle einer Hungers- noth (fami causa)''. 11. Lucilius im 12. Buche: ,,rugosum atque fami plenum, d. h. runzelig und von Hunger erfallt". 12. Sisenna im 6. Buche seiner Geschichten: „Die Römer seien gekommen, Verderben zu bringen (inferendae pemicii causa)^. 13. Pacuvius in seinem Paulus: „Du höchster Ahn des Vaters unseres Stammes (nostrae progenii).^ 14. Cn. Matius im 21. Buche seiner Iliade: „Der andere Theil der Schlachtreihe (acii) hatte die Wellen des Flusses vermieden.'' 15. Derselbe Matius im 13. Buche: „Ob wohl im Tode noch bleibt ein Schein von Gestalt (specii simulacrum) derer, die nicht mehr sprechen." 16. G. Gracchus „über Bekannt- machung von Gesetzbestimmungen" sagt: „Man behauptet, dass diese Einrichtungen der Verschwendung wegen (luxurii causa) getroffen werden" ; 17. und ebendaselbst steht weiter unten: „Das ist durchaus kein Zeichen von Ausschweifung (non est ea luxuries, quae), sich das anzuschaffen, was zum Leben nöthig ist." 18. Daher kann man ganz deutlich ersehen, dass er von „luxuries" im Genitiv „luxurii" sagte. 19. Auch Marcus TuUius hat uns ein schriftliches Beispiel des Genitivs „pemicii" hinterlassen in seiner Vertheidigungsrede, die er für Sext. Roscius hielt (cap. 45, § 131). Die betreffenden Woite lauten: „Wovon wir nichts der göttlichen Absicht unseres Verderbens halber (pemicii causa, d. h. uns zu verderben), sondem Alles der Gewalt und Macht des Weltlaufes (oder der Ereignisse) zuschreiben zu müssen glauben." 20. Man muss also un-

IX, 14, 12. Lua Cornelius Sisenna, geb. 120 y. Chr., starb auf Creta als Legat des Pomp^us 67 y. Chr. Erwarb sich einen Kamen als Verfasser römischer Annalen, schrieb auch, wie es scheint, Erklfirungen zu Comödien des Plautos und abersetzte wahrscheinlich die milesischen Geschichten des Aristides aus dem Griechischen ins Lateinische. Von Cicero höchst anerkennend erwähnt (Brut. 64. 74). VergL Bemh. R L. 41, 158.

IX, 14, 14. S. Tenffels rönu Lit 148, 4 aber Cn. Matius und GeU. 7n (VI), 6, 5.

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IX. Buch, U. Cap., § 20— 26. 15. Cap., § 1—4. (33)

bedingt annehmen, dass (hier bei Gelüus IX, 13, 11) Quadri- garius im Genitiv entweder „facies" oder „facii" geschrieben habe; die Form „facie" habe ich aber in keinem alten Schrift- werke vorgefunden. 21. Im Dativ aber haben Alle, die sich einer ganz reinen Äusdrucksweise beiieissigten, nicht „faciei''^ wie wir jetzt zu sprechen gewohnt sind, sondern (stets) facie gesagt. 22. So Lucilius in seinen Satiren:

„Znerst, weil es einem ehrlichen Gesicht ansteht (fade honestae).^

23. Dei-selbe Lucilius in seinem 7. Buche:

•V

Wer Dich liebt, der muss auch Deinem Gesichte (fade tuae) Bewund^ong Zollen und Deiner Gestalt, als Freund Dir zu dienen versprechen.

24. Doch giebt es nicht Wenige, die an beiden Stellen „facii" lesen. 25. Allein C. Caesar ist im 2. Buche seines Werkes „über die Analogie" der Ansicht man müsse (im Genitiv) hujus die und hujus specie sagen. 26. Ich habe auch in S^lust's Jugurtha (97, 3) in einer Ausgabe von grösster Glaub- würdigkeit und ehrwürdigem Alter diese (contrahirte) Genitiv- form „die" geschrieben gefunden. Die Worte sind folgende: „Als kaum der zehnte Theil des Tages noch übrig war (de- cima parte die reliqua)". Denn nach meiner Meinung ist die feine Spitzfindelei (als Ausweg) doch wohl nicht gut zu heissen, dass man sich mit der Annahme zu helfen sucht, als sei „die" (der Ablativ, im Sinne) für „ex die" (vom Tage) gesagt.

IX, 15, L. Ueber die Gattung von Streitpunkten, welche auf Griechisch anoQOv (unerklärbar) genannt wird.

IX, 15. Gap. 1. Ich begab mich mit dem Rhetor Antonius Julianus nach Neapel, weil wir während der Zeit der Ernte in den Herbstferien der Stadt-Gluth ausweichen wollten. 2. Daselbst befand sich auch damals ein sehr reicher junger Mensch, der unter Anleitung seiner Lehrer in der lateinischen und griechischen Sprache sich fleissig übte und besonders in der lateinischen Beredtsamkeit sich Fertigkeit anzueignen suchte, um später zu Rom selbst Rechtssachen verhandeln zu können. Dieser ersuchte den Julian, er möchte doch einmal einen seiner Vorträge mit anhören. 3. Um nun einem solchen Vortrage beizuwohnen, macht sich also Julian (eines Tages) auf den Weg und wir machen uns zugleich auch mit ihm auf den Weg. 4. Der junge Mensch beginnt seinen Voiii*ag

Qellias, Attische N&ckte. U. 3

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(34) IX. Buch, 15. Cap., § 4—10.

und spricht gleich anfangs in anmassenderem und über- müthigerem Tone, als es sich für sein Alter ziemte, und nachher verlangte er, dass man ihm Streitfragen vorlege. 5. Es befand sich daselbst aber mit uns auch ein eifiriger Anhänger (und Verehrer) des Julian, ein lebhafter, einsichts- voller Jüngling, der sich schon dadurch unangenehm berührt fühlte, dass Jener die Frechheit besass, in seiner Voreiligkeit darauf zu bestehen, einen Vortrag aus dem Stegreife zu hal- ten und sich in Gegenwart (des weisen) Julians eine Heraus- forderung zum Wettkampf zu erlauben. 6. Versuchsweise stellte er also einen wenig stichhaltigen Streitpunkt auf, der- gleichen die Griechen mit dem Woi-te anoqov (unerklärbar, unauflösbar) bezeichnen ; ein Wort das sich lateinisch ziemlich ganz treffend durch das Wort „inexplicabile" (unauflösbar) wiedergeben lässt. 7. Die Streitfrage war also folgender Art: Sieben Richter sollen über einen Angeklagten ihr Erkenntniss abgeben und nach (gemeinschaftlichem) Beschluss sollte die Stimmenmehrheit bei dem Urtheilsspruch entscheidend sein. Als alle sieben Richter ihr Erkenntniss abgegeben hatten, stellte sich heraus, dass der Angeklagte nach dem Beschluss von Zweien (s^ine Schuld) mit Landesverweisung büssen sollte, nach zwei Andern durch Geld, nach Beschluss der drei Uebrigen sollte er mit dem Tode bestraft werden. 8. Nach dem Urtheil dieser drei letzteren Richter wird er zum Tode verdammt und er erhebt nun dagegen Einspruch. 9. Als jener (dünkel- hafte Mensch) diese Streitfrage veniommen, fällt es ihm weder ein, dieselbe genügend zu erwägen, noch auch erst abzuwarten, ob nicht noch andere Fragen aufgeworfen werden, sondern macht sich sofort daran, mit ei*8taunlich auffallender Schnellig- keit bezüglich der erwähnten Streitfrage allerhand unbegreif- liche Grundsätze herzuplappem, einen Wust von Phrasen und Wörterkram zu entrollen und eine Masse Redensarten los- zulassen, wobei alle Uebrigen aus seiner gewöhnlichen Zu- hörer-Rotte (darüber) durch lauten Beifall ihr höchstes Ent- zücken zu erkennen gaben, Julianus aber in dieser argen und misslichen Lage vor Schaam erröthete und ihm (aus Verlegen- heit) der (Angst-) Schweiss ausbrach. 10. Als der Mensch nun noch viel tausenderlei Krimskrams durcheinander her- geplänt und endlich einmal zum Schluss kam, fanden wir

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rX. Buch, 15. Cap., § 10. 11. 16. Cap., § 1 5. (35)

schickliche Gelegenheit uns zu entfernen. Julians Freunde und Verehrer, die ihm das Geleite gaben, suchten nun von ihm herauszubringen, was vroU seine Meinung (über diesen Menschen) sei. 11. Da nun gab Julian die höchst witzige Antwort: „Fragt mich nicht (erst) nach meiner Meinung: dieser junge Mann ist unstreitig (sine controversia) der ge- wandteste (und schlagfeiügste) Redner.

IX, 16, L. Dass dem höchst gelelirten Plinias Secandas ein Fehler entging

und verborgen blieb in der Beweisführung, welche die Griechen mit dem

Ausdruck avrtOTQftfttv (zurUckbezügliche Schlussart) bezeichnen.

IX, 16. Cap. 1. Plinius Secundus wurde für den ge- lehrtesten Mann seines Zeitalters gehalten. 2. Dieser hinter- liess ein Werk, überschrieben ,,für Redekunstbeflissene (oder für Redner)^', welches wahrlich die höchste Anerkennung ver- dient. 3. In diesem Werke finden sich viele und mannigfaltige Bemerkungen, die sehr geeignet sind, das Ohr Gebildeter zu erfi'euen und ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. 4. Darin theilt er sehr viele sinnreiche und witzige Gedankenfoimeln mit; von denen er glaubt, dass man sie beim Vortrag von Streit- sätzen (und Rechtsfällen) verwerthen könne. 5. So führt er bei dieser Gelegenheit auch folgenden (charakteristisch) be- zeichnenden Fall aus einem derartigen Streitsatz an. „Ein tapferer Held soll (gesetzlichermassen) stets mit dem Preise beschenkt werden, den er sich (selbst) gewünscht hat. Einer (nun), der also eine tapfere That vollbracht hatte, fordert (auf eine so vollbrachte That hin) die Gattin eines Andern zur Ehefrau und empfängt sie also auch. Darauf vollzieht nun aber der, dessen Ehefrau sie (zuvor) war, auch eine Heldenthat; deshalb verlangt dieser nun (ebenfalls auch nach demselben Buchstaben dieses Gesetzes und Anrechtes) seine

IX, 15 11. sine controversia, d. h. wenn er keinen Gegner findet und ihm Keiner widerspricht

EX, 16, L, Cfr. Gell. V, 10, L. avrioTQ^tfov, ein Fehler in der Be- weisführung, wo man den Beweis umkehren kann. Studentisch Betour- Eutsche.

IX, 16, 1. Ueber Plinius d. Aelt s. Teuffels röm. Lit Gesch. 807.

IX, 16, 2. Plinii Secundi „studiosorum" libri, handelten über die Ansprüche an einen yollkommenen Redner, oder überhaupt über Bildung des Redners.

3*

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(36) IX. Buch, 16. Cap., § 5—7.

(eigene) Frau wieder zurück : also wird (von ihm) Einspruch erhoben und die Sache kommt zum Austrag. ^ 6. Nach der Ansicht des Plinius wird von Seiten des früheren , nun auch tapfer gewesenen Ehemannes, welcher verlangt, dass ihm seine Frau zurückgegeben werden solle, folgender feine und beifalls- werthe Einwand vorgebracht: „Hat das (besagte) Gesetz Deinen Beifall, so gieb sie mir wieder, lieber Richter, (eben weil ich eine tapfere That vollbracht habe); missbilligst Du (überhaupt) aber das Gesetz, nun so versteht es sich erst recht von selbst, dass Du sie mir wiedergiebst" 7. Allein Plinius hat hierbei vergessen, dass dieser Beweissatz, den er für so überaus geistreich hielt, nicht frei von jenem Form- fehler ist, der im Griechischen mit dem Ausdruck avnazQeipov (zurückbezüglich) genannt wird. Denn der (dem Gesetze vor- zuwerfende) Fehler ist sehr trügerisch und hält sich nur unter einem falschen Schein von Lob verborgen; denn ganz ebenso lässt sich dieser Trugschluss von seinem Gegner gegen ihn verwei-then, es braucht nur von Jenem, der zuerst die tapfere That vollbrachte, beiläufig so entgegnet zu werden : „Wenn das Gesetz genehm ist, so brauche ich Dir Deine Frau nicht zu- rückzugeben; findet das Gesetz aber Missbilligung, nun so brauche ich sie Dir auch nicht zurückzugeben.'' (Allein darauf ist nun ganz einfach zu erwiedem : Dann hätte sie Dir aber auch gar nicht zugesprochen werden dürfen.)

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X. BUCH.

X, 1,L. Ob es heissen müsse „tertium codsqI oder tertio^'; und aaf welche Weise nacli Cicero's Rath Cd. Pompejns den fragliclien Zweifel in der Wahl der richtigen Form nmging, als er bei der bevorstehenden Einweihung des Theaters, an diesem Gebäude seine Amtswfirden (inschrifUich) anbringen zu lassen beabsichtigte.

X, 1. Cap. 1. Einem meiner Freunde schickte ich von Athen nach Rom einen Brief, 2. worin ich ihn benachrichtigte, dass ich ihm nun schon ,,zum drittenmale" geschrieben (wobei ich den Ausdruck „tertium" gebraucht hatte). 8. Dieser bat mich nun in seiner Rückantwort, dass ich ihm doch den Grund angeben möchte, warum ich das „zum drittenmale^ mit „tertium" ausgedrückt und nicht (vielmehr) „tertio" ge- schrieben hätte. Er fügte noch bei, dass ich ihm auch Mit- theilung machen möchte, ob, wenn man angeben wollte, zum wievieltenmale Jemand mit dem Consulat betraut gewesen sei, z. B. zum dritten- oder zum viertenmale, es dann heissen müsse: „tertium consul und quartum, oder tertio und quarto" (und ihm Aufklärung gern erwünscht sein würde), weil er zu Rom einen gelehrten Mann die Form: „tertio und quarto consul*', nicht aber: tertium und quartum habe sagen hören; überdies auch nicht nur Coelius (Antipater) in seinem Buch- Anfange (ebenso) geschrieben, sondern auch Quintus Claudius (Quadrigarius) im 19. Buche sich dieser Ausdrucks weise be-

X, 1, 3. L. Coelios^ Antipater, römischer Redner und Geschichts- schreiber, („über den panischen Kriegt Cic Brut 26, 102; legg. 2, 6; de orat. 2, 12, 54; orat. 69, 2S0; YaL Max. 1, 7, 6; Fest. p. 352, 11. MflU.) Zeitgenosse der Qracchen.

X, 1, 3. S. Fest. S. 364*.

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(38) X. Buch, 1. Cap., §8—6.

dient habe und gesagt, dass C. Marius zum siebenteumale (septimo) zum Consul erwählt worden sei. 4. Als Rück- antwort schrieb ich ihm nichts weiter, als eine darauf be- zügliche Stelle des M. Varro, eines Mannes, der nach meiner Meinung (massgebender und) gelehrter ist; als Claudius mit- sammt dem Goelius, in welcher Stelle der Streit entschieden wird über beide Ausdrucksweisen, worüber er seine schrift- liche Frage an mich gerichtet hatte: denn ich müsse mich auf diese alleinige Antwort beschränken, 5. weil theils Vano ganz klar und deutlich angegeben, wie es richtig heissen müsse, theils weil ich nicht die Absicht habe, in meiner Ab- wesenheit mich auf Entscheidung einer Streitfrage (vielleicht) gegen einen Mann einzulassen, der (von ihm) für gelehrt be- zeichnet würde. 6. Die Stelle des M. Varro ist aus dem 5. Buche seiner „disciplinae (wissenschaftliche Winke, einer encyclopädischen Dai-stellung aller Wissenschaften)" und lautet : „Eine andere Bedeutung hat die Redensart: quarto praetorem fieri und quartum, weil „quarto" die (wievielteste) Stelle anzeigt und denjemgen bezeichnet, der in der Reihe der Gewählten der vierte ist, nachdem schon drei Andere vorher ernannt sind; „quartum" aber den Zeitbegriff einschliesst mit der Be- deutung: zum viertenmale Consul, nachdem er es schon drei- mal gewesen war. Ennius that also ganz recht daran, als er schrieb: „„Quintus der Vater wird Consul zum viertenmale (quartum)"", und Pompejus offenbart nui* seine Bedenklichkeit,

X, 1, 6. Theatrum (im eigentUchen Sinne von ^£«o/uat, sehen, be- trachten), Schauplatz, d. h. Platz f&r die Zuschauer, bei den Griechen t6 xotXovy bei den Römern eigentUch cavea genannt. Die dramatischen Spiele wurden von den Etruskem entlehnt, daher man die Schauspieler (ladiones) von dem tosldschen Wort hister (Le. ludio) histriones nannte. Die Theile des Theaters, f&r die Schauspieler bestimmt^ Messen: 1) Scena (axqvrf), Schaubühne, Platz mit den Decorationen, wo die YorsteUungen gegeben wurden; 2) postscenium. Ort wo sich die Schauspieler aus- und ankleideten und wo aUes vorgenommen wurde, was schicklicher Weise vor den Zuschauern verborgen blieb; 3) proscenium, der Ort vor der Scene, wo die Schauspieler erschienen und agirten; 4) pulpitum {Xoytior), wo sie ihre RoUen hersagten und 5) Orchestra, bei den Griechen der Ort, wo sie tanzten (von o^x^ta&ai, tanzen), wo sich auch der Chorus befand« Aber bei den Römern war es der Ort, wo die Senatoren und andere vor- nehme Personen sassen.

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X. Buch, 1. Cap., § 6. 7. (39)

als er am (neuen) Theatergebäude, damit er überhaupt nicht consul tertium oder tertio zu schreiben brauchte, die letzten Buchstaben (zur Angabe seines dritten Gonsulats) nicht ausschreiben liess;" 7. Diesen Fall, welchen uns Varro über den Pompejus in Kürze und etwas dunkel mittheilt, hat Tiro Tullius, Cicero's Freigelassener, ausführlicher in einem be- kannten Briefe ohngefähr .folgendennassen schriftlich berührt, wo es heisst: „Als Pompejus den Tempel der Victoria einzuweihen im Begriff stand, dessen Stufen zugleich als Theatersitzplätze dienten, und sein Name und seine Ehren- ämter daran angegeben werden sollten, wurde die Frage aul- geworfen, ob es in der Uebei-schrift heissen müsse: consul tertio oder tertium. Dieses Bedenken legte Pompejus den gelehrtesten Männern in der Stadt (Rom) zur sorgfältigen BeuilheUung vor und als auch bei ihnen die verschiedensten Ansichten obwalteten und ein Theil behauptete, es müsse tertio geschrieben werden, andere wieder: tertium, wendete Pompejus, erzählt Tiro weiter, sich deshalb befragend an den Cicero, dass dieser entscheiden und anschreiben lassen möchte, was ihm das Richtigere scheinen würde; Cicero habe darauf aber Bedenken getragen ein endgültiges Urtheil über die (verschiedenen) Gutachten der gelehrten Männer abzugeben, damit, wenn er die Ansicht der einen Partei nicht als voll- gültig anerkannt hätte, es nicht etwa scheinen möchte, als habe er diese (Gelehrten) selbst (dadurch) nicht als vollgültig anerkennen wollen. Er ertheilte also, heisst es in Tiros Briefe weiter, dem Pompejus den Rath, er möge weder tertium, noch tertio anschreiben, sondern von dem Worte nur die (vier) ersten Buchstaben bis zum zweiten t (also nur tert.) hinsetzen lassen, so dass, wenn das Wort auch nicht ganz ausgeschrieben sei, die Hauptsache zwar näher angegeben würde, jedoch das (Schwankende und) Zweifelhafte bei der Ausdrucksweise in

X, 1, 7. Das ganz von Steinen erbaute Theater fasste 40,000 Zu- schauer und wurde von Pompejus aufgeführt, als er aus dem mithri- datischen Krieg zurückkehrte. Eine ausführliche Erzählung über die Schicksale dieses Gebäudes findet sich in Adlers Beschreibung der Stadt Rom. S.. 109. S. Plutarch: Pompejus 40, 52; Dio Cass. 39, 38; Cic. Farn. 7, 1, 3; offic. 2, 16, 57; Ascon. p. 1. 2. 15; Plin. 8, 7, 7, 20 f.; vergl. Yellej. 2, 48; Tacit. Ann. 14, 20.

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(40) X. Buch, 1. Cap., § 8— 11. 2. Cap., § 1. 2.

dieser Wortform verdeckt bleiben sollte." 8. Die Mittheilung (dieser Beiden), sowohl des Varro, wie des Tiro ist nicht mehr zutreffend, denn die (erste, alte) Inschrift ist jetzt nicht mehr da. 9. Als nämlich viele Jahre nachher dieser Schauplatz (scaena), nach seinem Verfall neu hergestellt worden war, wurde die Zahlenangabe des dritten Consulats nicht, wie an- fänglich, mit den ei'sten vier Buchstaben, sondern nur durch Einmeisselung von drei (einfachen) Strichelchen (III, d. h. durch eine römische Drei) bezeichnet. 10. Im 4. Buche von M. Catos „Urgeschichte" findet sich die (richtige) Form voll- ständig ausgeschrieben vor, da heisst es: „Die Carthager wurden (hernach 18 Jahre nach dem 24jährigen Kriege) zum sechstenmale (sextum) dem geschlossenen Vertrage untreu." Dieser Ausdruck („sextum") bedeutet: schon fünfmal hatten sie dem Bündniss zuwidergehandelt und darauf nun zum sechstenmale. 11. Auch die Griechen, um eine derartige be- stimmte Zahl von Zeitbegebenheiten und Vorfällen näher zu bezeichnen, gebrauchen, übereinstimmend mit unserer latei- nischen Ausdrucksweise tertium und quai*tum, gerade so die Wörter: tqitov und Thag^ov (zum dritten- und zum vierten- male).

X, 2, L. Ueberlieferter Bericht des Aristoteles über eine (höchstmögliche) Kinderzahl bei einer Niederkunft.

X, 2. Cap. 1. Der Philosoph Aristoteles hat berichtet, dass eine Frau in Aegypten bei einer und derselben Nieder- kunft mit fünf Knaben entbunden worden sei und er fügt hinzu, dass dies das höchste Beispiel von einer so reich- gesegneten menschlichen Fruchtbarkeit und ihm nie bekannt geworden, dass (von einer Frau) auf einmal noch mehr Kinder geboren wurden, sagt jedoch, dass diese (erwähnte) Zahl nur höchst selten vorkommen soll. 2. Dass aber auch unter der Regierung des göttUchen Augustus eine Magd dieses Kaisers auf dem Lande zu Laurentum (in Latium) fünf Knaben zur Welt gebracht, erfahren wir von den Geschichtsschreibern

X, 1, 9. Nach Tac. Annal. ELI, 72 war das Theater abgebrannt, cfr. Sen. ad Marc. 22; Suet. Tib. 47; Caüg. 2: Claud. 21; Vitruv. V, 7. 8. X, 2, 1. S. PUn. Vn, 3. X, 2, 2. Plin. Epist. 11, 17, init.

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X. Buch, 2. Cap., §2.-3. Cap., § 1—3. (41)

seiner Zeit, dass aber diese Kinder nur wenige Tage am Leben geblieben, und auch die Mutter derselben bald nach ihrer Niederkunft gestorben, und ihr auf Befehl des Augustus an der Strasse nach Laurent ein Denkmal enichtet worden sei, worauf die von uns angeführte Zahl der (fftnf) zugleich gebomen Kinder angegeben war.

X, 3, li. Angestellter Veigleich und ZnsammenstellnDg einiger merkwürdiger Stellen aus den Reden des G. Gracchus, des M. Cicero und des M. Cato.

X, 3. Cap. 1. G. Gracchus wird allgemein für einen ge- waltigen und hinreissenden Bedner gehalten. Kein Menscli leugnet diese Behauptung. Allein, dass er Einigen scheint ernster, scharfsinniger und schlagfertiger, glänzender und würdevoller zu sein als M. Cicero, wer könnte das [ßo ruhig) zugeben? 2. Wir lasen neulich die Rede des Gracchus über die „Bekanntmachung von Gesetzbestimmungen*', worin er mit allem ihm zu Gebote stehenden Unwillen sich beklagt, dass M. Marius und einige andere ehrbare Männer aus den Munizipal -Städten Italiens (auf Befehl) von den obern Be- hörden des römischen Volkes ungerechter Weise mit Ruthen gegeisselt worden seien. 3. Die von ihm darüber gesprochenen Worte lauten: „Neulich kommt der Consul nach der Stadt der Sidicinier Teanum (in Campanien); er liess bekannt machen, dass seine Frau sich im Männerbad baden wolle. Öem betreifenden sidicinischen Schatzmeister wird durch den (edlen) M. Marius der Auftrag ertheilt, alle aus dem Bade herausjagen zu lassen, die sich gerade badeten. Diese Frau [des Consuls] meldet (nachträglich) ihrem Manne, dass das Bad ihr eben nicht sonderlich schnell überlassen worden und eben auch nicht sonderlich sauber gewesen sei. Deshalb wurde (nach des Consuls Befehl) auf dem Markte ein Pfahl

X, 3, 1 Ueber G. Gracchus vergL Bemh. R. L. 40, 153 u. 115, 536; Teuffels röm. Lit. 140, 4.

X, 3, 2. Im 1. Band der Geschichte des Julius Caesar von Napoleon wird der Yennnthung Raum gegeben, dass diese zwei Stellen ans der Rede des G. Gracchus yielmehr wohl dem Tiberius Gracchus zuzuschreiben sein müssten.

X, 3, 3. M. Marius Egnatius wurde zur Zeit des G. Gracchus Ton einem römischen Consul im XJebermuth gemisshandelt. Yergl. Lange röm. Alterih. § 138 S. 41.

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(42) X. Buch, 3. Cap., § 8—5.

aufgepflanzt, dahin wurde M. Marius, der angesehenste und achtbarste Bürger seiner Stadt (welcher die Verordnung dem Quaestor zu übermitteln gehabt hatte) herzugeholt Die Kleider wurden ihm ausgezogen, er (der Schuldlose) wurde mit Ruthen gepeitscht. Als die Einwohner von Calenum (einer Stadt in Campanien) dies hörten, machten sie einen Beschluss bekannt, es möchte Niemand sich einfallen lassen, während der An- wesenheit eines römischen Magistrats in den Bädern zu baden. Aus derselben Ursache gab zu Ferentum (einer Stadt im Gebiete der Hemiker) unser Praetor den Befehl, die (beiden) Schatz- meister ohne Weiteres aufzugreifen ; der Eine nun stürzte sich (aus Furcht vor der Strafe) von der Mauer herab (und gab sich so gleich lieber selbst den Tod), der Andere wurde ei-griffen und mit Ruthen gepeitscht." 4. Bei einer so grausamen lliat und bei einem so mitleidsvollen und beklagenswerthen Nach- weis von einer solchen öffentlichen Ungerechtigkeit, hätte er sich da wohl entweder klarer und bezeichnender, oder rührender und mitleidsvoller, oder mit mehr und grösserer Missbilligung und Entrüstung, heftiger und mit ergreifenderem Schmerzensgefühle ausdrücken können ? Wahrlich die Kürze, der Zauber, die Reinheit und Einfachheit in seiner Sprache ist hier eine derartige, wie man sie (höchstens nur noch) bei feierlichen Muster-Aufführungen von dichterischen Kunstwerken zu hören gewohnt ist. 5. So sagt Gracchus weiter noch an einer andern Stelle: „Wie weit der Muthwille und wie weit die Zügellosigkeit unserer jetzigen Jugend geht, will ich (euch) noch durch ein (anderweitiges) Beispiel darthun: Vor einigen Jahren wurde ein noch junger Mensch als Gesandter von [Rom nach] Asien abgeschickt, welcher derzeit noch kein obrigkeitliches Amt bekleidet hatte. Dieser wurde eben in einftr Sänfte getragen. Da kommt ein Ochsentreiber (des- selben Weges), ein Venusianer aus niederem Stande eben an ihm vorbei und da dieser nicht wusste, wer in der Sänfte getragen wurde, fragte er scherzweise, ob man da wohl einen Todten forttrüge. Wie dies der junge Mann in der Sänfte hört, lässt er anhalten und giebt sofort Befehl, den Vorlauten

X, 8, 5. Venusia, alte sanmitische Stadt' in Apnlien und Geburtsort des Dichters Horaz.

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X. Buch. 3. Cap., §5—12. (43)

SO lange mit den an der Sänfte befestigten (Trag-) Riemen zu züchtigen, bis dass er den Geist aushauchte/ 6. Zwar hat dieser Vortrag aber eine so gewaltthätige und grausame Handlungsweise allerdings nichts Abweichendes von den Be- den, die man alle Tage hören kann. 7. Aber etwas ganz anderes ist es, wenn in ähnlicher Angelegenheit bei M. Cicero unschuldige römische Bürger gegen alles Recht und Gesetz mit Ruthen gepeitscht werden, oder durch die ärgste Marter den Tod erleiden müssen; wie ergi-eifend wirkt da die Schil- deiTing? wie rührend ist der Ausdruck? welche klare Ver- anschaulichung des Thatbestandes? Wie hört man da die Heftigkeit der Entrüstung und Bitterkeit heraufbrausen? 8. Wenn ich jene bekannte Stelle des M. Cicero lese, so wird wahrhaftig meine Seele ganz ei-fQlIt von dem Schauderbild und von den schallenden Schlägen und von dem lauten Ge- klage und von dem Gewimmer. 9. So lautet beispielsweise die lebhafte Schilderung der Grausamkeit des C. Verres bei Cicero (Verr. V, 62, 161), dessen Wortlaut, wie es für jetzt möglich, ich, soweit mein Gedächtniss ausreicht, folgen lassen will: „Er selbst, entflammt von Bosheit und Wuth, kommt nach dem Forum. Es glühten ihm die Augen, aus seinem ganzen Gesicht blickt die Grausamkeit hervor. Alle waren voll Erwartung, wie weit er zuletzt wohl gehen, was er be- ginnen würde, als er plötzlich befiehlt, den Menschen herbei- zuschleppen und mitten auf dem Forum zu entkleiden, ihn anzubinden und die Ruthen herbeizuholen." 10. Bei Gottl ganz allein schon die (einfachen) Worte; „er befiehlt (ihn) zu entkleiden, ihn anzubinden und die Ruthen herbeizuholen'', erfüllen die Seele so sehr mit Schauder und Schreck, dass (von ihm durchaus) nicht erst braucht erzählt zu werden, was weiter geschah, sondern dass man die Thatsache selbst so schon ganz vor sich gehen sieht. 11. Allein unser Gracchus spricht nicht wie Einer, der Beschwerde führt, noch zu Thrä- nen rühren, sondern wie Einer, der Bericht erstatten will (wenn er sagt: ), „ein Pfahl wurde auf dem Forum aufgepflanzt, die Kleider wurden ihm ausgezogen, er wurde mit Ruthen gepeitscht." 12. Hingegen setzt M. Cicero der grösseren Deutlichkeit, halber nicht das Perfectum „caesus est" (es ist gepeitscht worden), sondern das Imperfectum „caedebatur^

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(44) X. Buch, 3.-Cap., § 12. 13.

mit Beziehung auf die lauge Dauer (der Geiselung) und sagt: „Man geiselte mitten auf dem Markte zu Messana einen römi- schen Bürger mit Ruthen, ohne dass während dieser Zeit von dem Unglücklichen auch nur ein Seufizer, oder ein anderer (Klage-) Laut unter dem Schmerz und dem Klatschen der Geisel-Hiebe gehört wurde, als nur die wenigen Worte: ich bin ein römischer Bürger! Durch diese Berufung auf sein Bürgerrecht glaubte er alle Schläge von sich abweisen und alle Martern von seinem Körper abwehren zu können." 13. Darauf facht er angelegentlich scharf und glühend den lauten Tadel über solch eine gefühllose Handlungsweise und den Hass gegen den Verres und endlich seine Verwünschungen von Seiten der römischen Bürger an, wenn er weiter ausruft : „0 süsser Name der Freiheit! o unvergleichliches Recht un- seres Bürgerstaates! o porcisches Gesetz und ihr sem- pronischen Gesetze! o du schwer (vermisste und lebhaft zurück-) ersehnte und endlich dem römischen Volke (auch) zurückgegebene Tribunenmacht! Ist es endlich so weit mit unserem Staate gekommen^ dass ein römischer Bürger in einer Provinz des römischen Volkes, in der Stadt der Ver- bündeten, von demjenigen, der durch die ihm vom römischen Volke geschenkte Gunst seine Machtstäbe und seine Beile erhalten hatte, gebunden und auf dem Foi*um mit Ruthen gepeitscht werden durfte ? Wie nun erst, als man Feuer und glühende Eisenplatten und noch andere Marterwerkzeuge

X, 3, 13. lieber lex Porcia (die Zweite) b. Lange röm. Alterth. § 126 p. (480) 521; cfir. Cic. Verr. 5, 63, 163; Kab. perd. 4, 12. Ueber lex Sempronia cfr. Cic. Rab. perd. 4, 10; Gat 4, 5, 10; Cic. Cluent. 55, 151; Verr, 5, 63, 163. Plut. G. Gr. 4; cfr. Cic. Cat. 1, 11, 28; Lange röm. Alterth. § 126 p. (482) 523.

X, 3, 13. Das porcische Gesetz, dessen Urheber wahrscheinlich nicht M. Porcias Cato Censorius war, sondern der Volkstribun des Jahres 556 Porcins Laeca. Dieses Gesetz verbot entehrende Strafen für römische Bürger; femer, dass Keiner einen römischen Borger ohne Befehl des römischen Volkes fesseln, getseln, oder tödten sollte. Das semp ro- nische Gesetz des Gracchus untersagte, dass ein römischer Borger ohne Befehl des römischen Volkes getödtet wurde. Cicero redet von sem- pronischen Gesetzen, weil diese alle die Erhaltung der Freiheit bezweckten. Pompejus hatte erst die den Tribunen durch Sulla entrissene Gewalt wiederverschafft.

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X. Buch, 8. Cap., § 18—17. (45)

herbeischleppte? Wenn Dich da das hei-zzerschneidende Flehen, die jammernde Stimme jenes (Unglücklichen) nicht milder stimmte, (warum) wurdest Du (wenigstens) nicht einmal durch die Thränen, durch die lauten Seufzer der damals anwesenden römischen Bürger gerührt?" 14. All seinen Unmuth, Strenge, überströmende und harmonische Beredtsamkeit legt M. Tullius in diese herzzerreissende Schilderung. 15. Sollte es doch nun aber noch Einen geben, der von so ungebildetem Ohr, so unempfindlich für das Schöne ist, und den dieser Glanz und diese Lieblichkeit der Ausdrucksweise, diese abgemessene An- ordnung der Worte nicht so recht sonderlich anzieht, der aber der ersteren Rede (des Gracchus) den Voraug nur deshalb giebt, weil sie zwar schlicht und kurz und leicht, aber nicht ohne eine gewisse angeboiiie Anmuth verläuft, und weil er nun durchaus in ihr Schatten und Licht einer gleichsam ver- staubten Classicität (Musterhaftigkeit) erkennen will: Dieser, im Fall er nur einige Urtheilskraft besitzt, mag folgende bei einem ähnlichen Vorfall gehaltene Rede des älteren Cato prüfen, an dessen Kraft und Fülle Gracchus nicht hinanreicht. 16. Da wird er nun freilich erkennen, mein' ich, dass CSato nicht zufrieden mit der Beredtsamkeit seiner Zeit gewesen und schon damals das angestrebt habe, was nachher Cicero in Vollendung erreichte. 17. Denn in seinem Werke, welches den Titel führt: „über ungerechte Schläge (de falsis pugnis)" hat er sich über den Q. (Minucius) Thermus folgendermassen

X, 8, 17. M. Adlius Glabrio erhielt den Triumph über Antiochu8 und die Aetoler (cfr. Gell. VI [Vn], 14, 9 NB). Um dieselbe Zeit kam auch Q. Minucius Thennus aus Ligurien zurück und meldete, er habe das in den rauhen Gebirgen des nordwestlichen Theils der Apenninenkette wohnende gesammte ügurische Barbarenvolk unterworfen, und verlangte einen Triumph. Cato sprach sich in zwei Reden mit Nachdruck gegen das Verlangen des Minucius aus, wirft ihm Unwahrheit in seinen Be- richten, erlogene Kämpfe vor, dann Unterschlagung und Unredlichkeit in der Verwaltung und sagt (GelL XIII, 25 [24], 12): „Diese (Deine) Nieder- trächtigkeit muthest Du uns zu durch eine zweite, schlimmere zu decken? etc.'' Denn durch bruttische Sklaven habe Minucius den Senatsausschuss (Decemvim) einer föderirten Stadt ohne Urtheil und Becht auspeitschen und hinrichten lassen, um wie er angegeben sie f&r Untreue und Nachlässigkeit bei Lieferung von Lebensmitteln zu bestrafen, in Wahrheit aber nur, um in ihnen Zeugen eigener Unredlichkeit zu beseitigen. Dies

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(46) X. Buch, 3. Cap., § 17 19.

beschwert: „Er gab vor, von den Zehnmännem sei er nicht gehölig mit Lebensmitteln versorgt worden. Er befahl daher, dass diesen die Kleider abgezogen und sie ausgepeitscht würden. (Yeniehmt nun das Unerhörte!) Den Senatsausschuss (von zehn Männern also) prügelten die Büttel (Bnittiani), viele Leute haben es gesehen. Wer kann einen solchen Schimpf, einen solchen Missbrauch der Gewaltherrschaft, eine solche Knechterei ertragen? [Gell. XDI, 25 (24), 12.] Kein König hat so etwas zu thun gewagt: solltet ihr nun als Gutgesinnte also gut heissen, dass Leuten von guter Gesinnung und edlem Geschlechte entsprossen dies widerfahre(n dürfe)? Wo bleibt da der Bundesschutz ? Wo da das heilige Wort und die (alte) Treue der Vorfahren? Wenn Du es wagen durftest, so auf- fallend schreiende Ungerechtigkeiten, Streiche, Schläge, Strie- men, Schmerzen und Schindereien in Schmach und höchstem Schimpf im Angesicht ihrer Landsleute und vieler Volks- genossen (mortalibus) verüben zu lassen? Ach! wie gi'oss war da die Trauer, wie gross der Jammer, welche Fülle von Thränen, wie gewaltig das Schluchzen, das erfolgte, wie ich ver- nommen habe? Sklaven nehmen (schon) schlechte Behandlung gewaltig übel: wie, meint ihr, muss jenen Leuten von guter Herkunft, von grossem Verdienst (nun erst) zu Muthe gewesen sein, und wie würde ihnen in Zukunft zu Muthe geblieben sein, wenn sie es überlebt hätten." 18. Was Cato verstanden hat unter den Worten „Bruttiani verberavere", damit nicht vielleicht Einer erst lange nachzusuchen braucht über den Ausdruck: Bruttiani, so folgt hier die Erklärung: 19. Als der Punier Hannibal toit seinem Heere in Italien stand, und das römische Volk in einigen Kämpfen unglücklich gekämpft hatte, gingen zuerst von allen italischen Völkern die Bruttier zum Hannibal über. Diese Treulosigkeit hatten die Römer sehr übel ver- merkt, und nachdem Hannibal Italien verlassen und die Punier

hält Cato dem Thermus öffentlich vor und giebt eine ergreifende Dar- stellung aller Vorfälle und zwar bei Gelegenheit der Verhandlungen über BewiUigung des Triumphs, dessen Verweigerung sni erwirken seiner Be- redtsamkeit gelang. Mit Recht erkennt Gellius an dieser Stelle etwas von der Kunst, die Cicero bei ähnlichen Erzählungen so meisterhaft zu üben ▼erstand. Otto Ribbeck.

X, 3, 19. S. Paul. S. 81 pugnam pugnare «« ^axfiv fia^M^M.

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X. Buch, 3. Cap., § 19. 4. Cap^ §1-4. (47)

überwunden waren, hub man die Bruttier zu ihrer Be- schimpfung nie mehr unter die Soldaten aus, noch hielt man sie fbr Bundesgenossen, sondern erliess die Verordnung, dass sie hinfort den in die Provinz abgehenden obrigkeitlichen Personen aufwarten und Sklavendienste (bei ihnen) vemchten sollten. Daher folgten sie den «Magistratspei-sonen nach, gleichwie in den Theatei-stücklgn die sogenannten Zucht- und Knuten -Meister (lorarii) und mussten auf Befehl die Be- treffenden (Verurtheilten) in Banden legen, oder geissein; und weil sie nun aber aus Bruttium stammten, wurden sie (schlechtweg) Bmttiani (im Sinne von lorarii, Büttel) genannt.

X, 4, L. Höchst geistreiche Belehrang von Seiten des P. Nigidias, dass

die Wortbenennnngen nicht willkürlich gemacht, sondern auf ganz

natürliche Art entstanden seien.

X, 4. Cap. 1. Dass die Benennungen und Wörter (Haupt- und Zeitwörter) nicht durch Zufälligkeit, sondern nach einem gewissen nothwendigen Naturgesetze entstanden seien, erfahren wir von P. Nigidius in seinen „Bemerkungen über Grammatik", und es bildet diese Ansicht ja einen bei philosophischen Er- örterungen auch wahrhaftig viel besproi^henen Gegenstand. 2. Es ist nämlich von den Philosophen oft die Frage auf- geworfen worden , ob die Wortbegriffe auf natürliche Weise oder durch willkürliche Bestimmung {qwasc xa ovo/daTa rj &ioBL entstanden sind. Bei dieser Veranlassung führt er viele Beweise an, weshalb es den Anschein haben könne, dass die Bildung der Wörter eine mehr natürliche als willkürliche ist. Daraus will ich besonders folgenden offenbar allerliebsten und geistvollen Beweis herausheben. 4. Es heisst da: „Wenn wir das Wörtchen „vos (ihr)" .aussprechen, bedienen wir uns einer gewissen mit der Veranschaulichungsmachung dieses Ausdrucks fibereinstimmenden Mundbewegung und drängen allmählig den

X, 4, 1. S. Plat Cratyl. p. 387—390.

X, 4, 3. Bei den Griechen ist diese Kegel nicht zutreffend, denn hei ihnen werden {jfxHg and nftug^ beide mit dem (hörbaren) Hanchanhiut ausgesprochen. Der nicht hörbare Hauchanlant bedeutet als Zeichen nur den Ansatz der Stimme (Stimmansatz), der nöthig ist, um emen Vocal (wie beim Singen einen Ton) durch Tonanschlag ohne vorhergehenden Consonanten (anzugeben oder) auszusprechen.

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(48) X. Buch, 4. Cap., §8.-5. Cap., § 1. 2.

vordersten Theil der Lippen heraus und richten den nach vorwärtsgekehrten Hauchanlaut (spiritus) und Tonstrahl (anima) gegen die hin und auf die zu, mit welchen wir Unterredung pflegen. Wenn wir nun aber dagegen das Wörtchen „nos (wir)" aussprechen , so geschieht dieser Ausdruck weder da- durch, dass der Stimmanschlag frei herausgelassen wird und seine Richtung nach voim nimmt, noch dadurch, dass wir bei der Aussprache (des „nos") die Lippen vorstrecken, sondern wir drängen den Hauchanlaut und die Lippen, so zu sagen, nach uns selbst zuillck (und in uns hinein). Dasselbe findet auch statt bei den Wörtern: tu und ego, desgleichen bei tibi (dir) und mihi (mir). Denn sowie, bei einer Bestätigung (durch Zunicken), und bei einer Verneinung (durch Kopf- schütteln) allemal unsere Kopfbewegung oder die der Augen mit dem Wesen der beabsichtigten Andeutung nicht im Widei'spruche steht, so ist nun auch bei genannten Wörtern der Ausdruck des Mundes und Wortlautes ein natürlich ge- botener. Dieselbe Regel, welche wir bei unseren lateinischen Ausdrücken wahrgenommen, bezieht sich auch auf die (be- treffenden) gi-iechischen."

X, 5, L. Ob „avaras*^ (geldgierig, geizig) ein einfaches Wort ist, oder ein zasanuuengesetztes, doppeltes, nach der Ansicht des P. Kigidios (Figalus).

X, 5. Cap. 1. Nigidius behauptet im 29. Buche seiner „Bemerkungen (über Grammatik)", dass „avarus" nicht ein einfaches Wort sei, sondern ein zusammengesetztes und aus zwei Wörtern verbundenes, denn er sagt: „avai-us wird der genannt, der„avidus aeris'' (geldgierig) ist; bei der Zusammen- setzung aber ist (aus aeris) nur der Yocal e weggelassen worden. *" 2. So sagt er auch, dass man einen Begüterten mit dem Ausdruck „locuples'' bezeichnet habe und dass dieser Ausdruck (eben auch) aus einer Wortpaarung entstanden und

X, 5, 1. ayarus vielleicht auch entstanden aus avidus (aveo; -auri, mit Ausstossung des „u**. S. Teuffels röm. Lit 196, 4.

X, 5, 2. Reich (dives) hiess ein Besitzer theils von Land, also: locuples, d. hu plenus (vom alten pleo, ich ftille) loci i. e. agri, also vielen Feld- oder Grundbesitz habend, theils von Vieh, wonach das erste Geld geschätzt ward, daher pecunia und peculium von pecns (Viehst&ck), cfr. Plin. H. N. 18, 3 und 33, 13; Isidorus Orig. X; Ovid. Fast. Y, 279.

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X. Buch, 5. Cap.,§ 2. 3. 6. Cap., § 1. 2. (49)

von einem Solchen gesagt worden sei, welcher „pleraque loca" (viele Güter), d. h. viele Besitzthümer inne hatte. 3. Seine Bemerkung über das Wort „locuples" ist wahrscheinlicher und begründeter. Freilich in Betreff des Wortes „avarus" bleibt seine Behauptung unentschieden, denn warum sollte man nicht annehmen können, dass das Wort nur von dem einen betreffenden Zeitwort : „aveo" (ich begehre) gebildet und nach derselben Regel der Wortbildung entstanden sei, wie „ama- nis (bitter), wovon man doch sicher nicht behaupten wird, dass es aus zwei Wörtern entstanden sei.

X, 6, L. Wie der Tochter des Appins Caecns (des Blinden), einer an- gesehenen Frau wegen ihrer sehr unüberlegten Aeossernng von den Volks- ädilen eine (bedeutende) Geldstrafe zuerkannt wurde.

X, 6. Cap. 1. Nicht nur gegen (lasterhafte) Handlungen, sondern auch gegen unbesonnene Aeusseruhgen ging man zum allgemeinen Besten und Nutzen des Staates mit (strenger) Bestrafung vor; denn so müsse, wie man glaubte, das Ansehn römischer Zucht unverletzlich sein und bleiben. 2. Als näm- lich die Tochter jenes bekannten Appius , mit dem Beinamen der Blinde (Caecus) aus einer Schauspielvorstellung, die sie

X, 6, L. S. Val. Max. Vm, 1, Verurtheilte 4; Suet Tib. 2; Cic. de div. I, 16; de nat. d. n, 8, 7; Li?, epit. 19.

X, 6, 2. Appius Claudius Caecus (der ßlinde), Censor im Jahr 812,^ legte eine Wasserleitung und die berahmte appische Strasse an. Er gehörte zu dem Geschlecht, das so feindlich gegen diePleb^er gesinnt war. Iq^ hohen Alter erblindete er, hielt aber dessenungeachtet, als des Pyrrhus Abgesandter Cineas den Senat zum Frieden zu stimmen suchte, eine (von Cic. Brut 16 gerühmte) feurige Rede dagegen und bewirkte die Abweisung des Gesandten; Just. 18, 2; Plut Pyrrh. 18, 19; Liv. 10, 18. Sein Sohn P. Claudius Pulcher respectirte die Auspicien nicht und liess die H&hner, als sie nicht fressen wollten, was für eine böse Vorbedeutung galt, ins Meer werfen (vergl. Flor. II, 2). Die darauf folgende Niederlage und den Untergang der Flotte (im ersten punischen Krieg) gab man daher ihm Schuld und wurde als eine unglückliche Folge seiner Gottlosigkeit angesehen. Wegen seiner Religionsspötterei wurde er zu einer Geldstrafe vemrtheilt Po}. 1, 49 ff.; YaL Max. 8, 1, 4. In Bezug auf die Claudia bemerkt Adolf Stahr in seiner Suetonübersetzung (Tiber. 2) sehr treffend: „Diese unmenschliche Verhöhnung hat in unsem Tagen ein Seitenstück gefunden an dem Wunsche des halle'schen Professors H. Leo : dass das scrophulöse Gesindel durch einen frischen fröhlichen Krieg vertilgt

G e 1 1 i n 1 , Attische Nftcht<>. 1 1, 4

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(50) X. Buch, 6. Cap., §2—4.

mit angesehen hatte, herauskam, wurde sie von der Maäse des überall zusammenströmenden und wogenden Volkes hiu- und hergestossen. Als sie darauf dem Gedränge entronnen und ihrem Herzen über diese unangenehme Belästigung Luft machte, brach sie (in ihrem Unwillen unvorsichtiger Weise) in die Worte aus: „Wie würde es mir nun jetzt erst ergangen sein, ach! um wie viel äi'ger gezwängt und gedrängt würde ich mich in dieser schlimmen Lage befunden haben, wenn mein Bruder P. Claudius in dem Seetrefifen nicht die SchifiiBflotte eingebüsst hätte und mit ihr nicht eine gi-osse Menge Bürger ihren Untergang gefunden hätten? Dann würde ich gewiss jetzt von der noch weit grösseren Volks- menge erdrückt worden und ums Leben gekommen sein. Aber, fuhr sie in ihrer Wuth fort, ich wünsche wohl, mein Bruder möchte wieder auferstehen und noch eine (andere) Flotte (abermals) nach Sicilien führen, und darauf ausgehen, dieses Gesindel zu vernichten, das mich Arme jetzt so ent- setzlich zusammengepresst hat." 3. Wegen dieses ihres so unverschämten und ungebührlichen Wunsches erkannten die beiden Volksädilen G. Fundanius und Tib. Sempronius dieser (übennüthigen) Frau eine Geldstrafe zu von 25,000 Stück schweren Geldes*). 4. Capito Atejus sagt in seinem Werke über ,.öffentliche Gerichte", dass dieser Fall sich im ersten punischen Kriege unter den Consuln Fabius Licinus und Otalicius Crassus zugetragen habe.

werden möchte! Leider aber giebt es bei uns noch kein Gericht der be- leidigten Yolksmajestät und der Menschenlftsterung. YergL Niebuhr Röul Gesch. m, 714.«

X, 6, 2. Appius Claudius Pulcher in der Schlacht bei Drepana 505/249. S. Liv. ep. 19; Suet. Tib. 2; Polyb. I, 49. Er liess die heiligen HOhner ins Meer werfen.

X, 6, 3. aes graye, schweres Geld, ungemOnztes (Silber) Erz, weil es nach schwerem, Yollem Gewichte in Kupfer -Platten musste bezahlt werden. S. Plin. 83, 8, 18 § 42; Paulus Diac p. 98, 1 M.; Dion. Hai 9, 27; LiT. 4, 60; 10, 46; 22, 88; 89, 19; Gijus IV, 14—16. Diese die nugestas populi Romani yerletzende Aeusserung iwnrde ,506/246 an der Tochter des Appius Claudius Caecus, Schwester des P. Claudius Pulcher, von den beiden Aedilen zur Anklage gebracht (yergl. Liv. 24, 16).

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X. Buch, 7. u. "8. Cap. (51)

X, 7, L. Wie ich mich erinnere, schreibt M. Varro, dass unter den

Fläsaen, welche auBserhalb des römischen Reiches fliessen, der grösste der

19Ü sei, dann komme als zweiter die Donau (Hister), dann als nächster

die Rhone (Rhodanus).

X, 7. Cap. 1. Unter allen Flüssen, welche in das an römisches Gebiet angrenzende Meer sich ergiessen, welches die Griechen: ti^^ Biaco &dlaaaav (Mittelmeer) nennen, wird der Nil allgemein als der grösste Flass angenommen. Sallust schreibt, dass, der Grösse nach, der nächste die Donau sei. 2. Als aber Varro in seiner Beschreibung auf den Welttheil, Europa genannt, zu sprechen kommt, rechnet er die Rhone zu den drei grössten Flüssen dieses Erdtheils, wodurch er diesen Fluss der Donau gleichstellen zu wollen scheint. Die Donau fliesst nämlich auch in Europa.

X, 8, L. Dass anter die schimpflichen Strafen beim Militär, wodurch

(ISssige und dumme) Soldaten (wohlthätig angeregt oder) bestraft werden

sollten, auch das Aderlassen gehört habe; ferner, was wohl die Ursache

einer derartigen Züchtigung (gewesen) zu sein scheine.

X, 8. Cap. 1. In alten Zeiten gab es beim Militär fol- gende Zurechtweisung, dass man einem Soldaten (der sich vergangen hatte) zu seiner Beschimpfung die Ader öffnen und ihm etwas Blut abzapfen liess. 2. Ein Grund für diese sonderbare Strafe lässt sich in allen den alten Schriften nicht auffinden, die ich für meinen Theil auftreiben konnte; allein meiner Meinung nach ist zu allem Anfang diese Strafart eingeführt worden bei Soldaten von stumpfsinniger und in ihrem angeboraen Wesen (und Charakter) wankender Seele, so dass dies nicht sowohl für ein Strafmittel, sondern (vielmehr) für ein HeUmittel angesehen wurde. 3. Später jedoch mag, wie ich glaube, dieses Mittel gewöhnlich wohl auch wegen vieler anderer Vergehungen angewendet worden sein, indem alle Diejenigen für weniger gesund gehalten wurden, welche ihrer Pflicht untreu wurden (oder sonst ein Vergehen sich zu Schulden kommen Hessen).

X, 8, L. S. Beispiele von Disciplinarstrafen hei Suet. Octav. 24; Frontin. 4, 1; Platarch. LucuU. 15; Val. Max. II, 7.

4^

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(52) X. Buch, 9. Cap. 10. Cap., § 1. 2.

X, 9, L. Nach welchen AnordnuDgen nnd nach welcher £igenthüinlichkeit eine römische Schlachtreihe anfgeatellt zu werden pflegte, und was für Ausdrucke es giebt, um alle die möglichen Aufstellungsarrangements näher

zu bezeichnen.

X, 9. Cap. 1. Es giebt (verschiedene) militärische Ausr diiicke, wodurch die (jedesmalige, verschiedenartige) nach einer bestimmten Anordnung aufgestellte Schlachtreihe pflegte (näher) bezeichnet zu werden, z. B. frons (d. h. Gesichts- oder Vorder-Seite) , subsidia (Hülfstruppen) , cuneus (Keil), orbis (Kreis), globus (Kugel), fortices (Scheeren), serra (Säge), alae (Flügel), turres (ThUrme). 2. Diese und andere Benennungen weiter kann man in den Schriften derer (angeführt) finden, die über theoretische Kenntniss des Kriegswesens (Taktik) geschrieben haben, d. Entlehnt sind alle diese Ausdrücke von den Aufstellungsarten, die so nach ihrer Eigenart benannt werden, und es führt uns deshalb jeder dieser Ausdrücke stets die bildliche Vorstellung von alF den (verschiedenen) Arrangements bei Anordnung der Schlachtreihe vor Augen.

X, 10, L. Was wohl die Ursache (von der Sitte und Gewohnheit) sein mag, weshalb' die alten Griechen sowohl, als auch die Römer den Bing an dem Finger der linken Hand getragen haben, der dem kleinftten Finger

am nächsten ist.

X, 10. Gap. 1. Wir wissen, dass die alten Griechen den Ring an dem Finger der linken Hand getragen haben, der dem kleinsten Finger am nächsten ist. Auch fast alle (gebomen) Römer sollen meist so ihre Ringe zu tragen die Gewohnheit gehabt haben. 2. Apion giebt in seinen „Aegyp- ten" betreffenden Schriften als Grund dieser Sitte folgenden

X, 9, 1. S. Fest. 8. 344 b.

X, 9, 2. Cuneus, die von Liv. 22, 47 so benannte Schlachtordnung, welche Hannibal in der Schlacht bei Gannae janwendete, indem er das Centmm in Form eines Halbmondes anrücken liess. Polyb. m, 113; Festus 344, 12 M; Yeget Xu, 17, 19.

X, 10, 1. Wahrscheinlich aus Plutarch's Tischreden B. IV, 6, 4 ent- lehnt, wo von der verloren gegangenen Erörterung der Frage, warum man die Siegelringe vorzugsweise am vierten Finger trägt, nur die Ueberschrift erhalten ist

X, 10, 2. Ueber Apion s. Gell. Y, 14, 1 NB. Macrob. Sat VII, 13

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X. Buch, 10. Cap., § 2. 11. Cap., § 1. 2. (53)

an: Bei (Sectionen, d.h.) Zergliederung undOefifniing mensch- licher Leichname, wie sie in Aegypten (zum Zweck der £in- balsamii-ung) vorgenommen werden, wofür die Griechen den Ausdruck Anatomie {avccrofii}, d. h. Leichenzergliederung) ge- brauchen, machte man die Entdeckung, dass ein gewisser sehr zai-ter Nerv von diesem einen, besagten (Ring-) Finger un- unterbrochen bis zum menschlichen Herzen sich erstrecke, deshalb es nicht ungereimt erschienen sei, gerade diesen Finger durch eine solche Ehre auszuzeichnen, da er in so. enger Verbindung mit dem Hauptsitz der Seele (und jeder herzlichen Empfindung) zu stehen schien.

X, 11, L. Was das Wort „mature'' bedeute, nnd über die Beziehnng (und Verwendung) dieses Ausdrucks; femer, dass eine Menge Menschen sich desselben in einer nneigentlichen Bedeutung bedienen; endlich dabei auch noch (die Bemerkung), dass das Wort ,»praecox" bei seiner Abbeugung (im Qenitiv) „praecocis*^ bildet und nicht „praecoquis".

X, 11. Cap. 1. Man braucht jetzt den Ausdruck mature in der Bedeutung von schleunig und geschwind (propere et cito), entgegen dem eigentlichen Sinn des Wortes; „mature" hat näm- lich eine ganz andere Bedeutung, als in der man es (gewöhnlich so) sagt. 2. Daher P. Nigidius, ein in allen wissenschaftlichen Zweigen ausgezeichneter Mann, sich zu der Bemerkung ver- anlasst sieht: „mature heisst, was weder zu zeitig, noch zu

fügt aus Atqjus Gapito noch eine andere Ursache des' Bingtragens an der linken Hand an, weil man die rechte mehr gebraucht und also die kost- baren Steine im Ringe leichter hätten beschädigt werden können. Vergl. Isidor. XIX, 32, 4.

X, 11, 1. Die drei Bedeutungen von mature, 1) vor der Zeit, d. h. froh-zeitig, rasch, schleunig, 2) zur gehörigen, rechten Zeit und 3) zu früh, d. h. zur Unzeit, finden sich in einer Sentenz beim Plautus Gnrcul. m, 1, 10 (880) vereinigt:

Qui homo mature quaesivit pecuniam Nisi eam mature parsit, mature esurit, h. Denn wer zur Zeit sich Geld erwarby halt' weislich es Zur Zeit zu Rath, wenn er nicht hungei« will zur Zeit Cfr. GelL XVI, 14, 2 mature transigere L e. rasch, schnell voUenden. S. Servius ad Yerg. Aen. I, 261; Macrob. Bat I, 8.

X, 11, 2 über Nigidius s. GeU. IV, 9, 1; IV, 16, 1; XI, 11, 1.

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(54) X. Buch, 11. Cap., §2—6.

spät, sondern gewissennassen in der Mitte und die richtige Zeit einhaltend eintrifft (d. h. also: zur guten, zur rechten Zeit)." 3. Dies ist von Nigidius eine richtige und genaue Erklärung, Denn sowohl bei Früchten, als beim Obst werden die (Erzeugnisse, „matura") reif und zeitig genannt, die weder roh und unreif, noch verwelkt und verdorrt sind, sondern in ihrer (richtigen und naturgemäss vorgeschriebenen) Zeit sich entwickelt haben und reif geworden sind. 4. Wenn nun aber von dem, was nicht langsam entstand, gesagt wurde, es ent- stehe (recht-) zeitig (mature), so hat das Wort noch eine ausserordentlich erweiterte Bedeutung erhalten und nicht das, was nicht'langsamer, sondern was geschwinder sich vollzieht, wird nun mit dem Worte „mature" bezeichnet, (eigentlich fälschlicher Weise), weil Alles, was über das Mass seiner (ihm zugemessenen) Zeit beschleunigt sich vollzieht, mit mehr Recht unzeitig (immatura) genannt werden sollte. 5. Jenes ausgezeichnete und sowohl der Sache, als dem Begriffe nach von Nigidius aufgestellte, richtige Verhältniss hat der erhabene Augustus (Suet. Aug. 25) durch zwei griechische Ausdrücke höchst geschmackvoll zur -Veranschaulichung gebracht. Denn, wie man sich erzählt, pflegte er (sprüch wörtlich) sowohl bei Untenedungen zu sagen, als auch in Briefen "*") zu schreiben: OTtevde ßgadicog (festina lente, d. h. eile mit Weile), wodurch er in Erinnerung bringen wollte, dass zur richtigen Ausführung einer Sache unumgänglich eriorderlich sei, sowohl Regsam- keit**) im Eifer (zur Arbeit), wie (Behutsamkeit und) be- harrliche Ausdauer im Fleiss (bei der Arbeit und überhaupt bei allen unsem Unternehmungen), denn nur aus diesen beiden Gegensätzen ergiebt sich die „maturitas", d.h. die natur-und zeitgemässe (voUkommene) Entwickelung (der Reifheit unserer Handlungen. 6. Auch VergiUus hat für den aufmerksamen

X, 11, 5. *) Man pflegte nach Sitte der damaligen Zeit Briefe mit griedÜBchen Floskeln and Phrasen zu durchspicken, wie einst bei uns in dentschen Briefen französische Brocken eingestreut worden. S. A. Stahrs Suet. Octav. 71; Tib. A

X, 11, 5. **) indnstriae celeritas et diliKentiae tarditas. S. Suet Aug. 25. üeber des Caesar Octavianns Augustus literarische Th&tigkeit s. Teuffels röm. Lit Gesch. 217.

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X. Buch, 11. Cap., § 6—9. (55)

Beobachter die zwei darauf bezüglichen. Wörter „properare" (d. h. sich beeilen in Beschaffung der Arbeit, mit Hast, über Hals und Eopf beschaffen) und „maturare'^ (mit ruhiger Sorgfalt, mit Bedächtigkeit und zu rechter Zeit beschaffen), als gleich- sam zwei sich ganz entgegengesetzte (Begriffe) höchst sorg- fältig in folgenden Zeilen getrennt (Verg. Georg. 1,259—261):

Wenn zu Zeiten frostiger Regen den Ackerer aufhält, Dann gibt's Muse, Manches, was sonst bei heiterem Himmel Sehr übereilet w&rde, reiflich zu schaffen.

7. Höchst geschmackvoll und weise hat der Dichter die beiden Wörter geschieden, denn während regnichter Witterung, wo ja die Arbeit eingestellt werden muss, kann man sich bei Vorbereitung (zur Bestellung) des landwirthschaftlichen Ge- schäftes Zeit nehmen, (aber) bei heiterer Witterung, wo die Zeit ja di-ängt, muss man sich beeilen. 8. Denn wenn es gilt, etwas zu bezeichnen, was im grösseren (Geschäfts-) Drang (d. h. in noch kürzerer Zeit) und in besonderer Eile beschafft ¥rurde, bedient man sich richtiger des Ausdrucks „praematiu*e'^ (vorzeitig), als „mature" (rechtzeitig, ausgetragen). So sagt Africanus in seinem römischen Nationaldrama (in seiner togata sc. fabula), welches die Uebei*schrift ^ührt: Titulus (d. h. der Vorwand oder die Anwartschaft):

Adpetis dominatom demens praemature praecocem, d. h.

Du begehrst in Uebereilung zu früh Unsinniger die Herrschaft.

9. In diesem Vers ist noch zu bemerken, dass er „praecocem" sagt (im Accusativ) und nicht „praecoquem", denn der Nomi- nativ lautet nicht „praecoquis", sondern „praecox".

X, 11, 6. Frigidos agricolam si qnando continet imber,

Multa, forent quae mox coelo properanda sereno, Matnrare dator, d. h. Wenn zur Zeit der kalte Regen den Ackersmann ans Hans fesselt, dann kann er mit ruhiger Sorg&lt (erst noch) Alles beschaffen, was er sonst bei gutem W^etter aber Hals (und über Eopf) h&tte besorgen müssen.

X, 11, 8. Ueber die togata und Africanus s. TeufflBls rOm. Lit § 17,2 XL 181 und Gell. XIH, 8, 3.

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(56) X. Buch, 12. Cap., § 1—4.

X, 12, L. lieber (Verbreitung von) Wundermährchen , deren Erfindung

Plinius Secundns höchst unwürdiger Weise dem Philosophen Democrit zur

Last legt; femerweit noch über künstliche Nachahmung einer fliegenden

Taube (yon Holz).

X, 12. Cap. 1. Plinius Secundus erzählt im 28. Buche seiner „Naturgeschichte", dass es von dem überaus berühmten Philosophen Democrit ein Buch gebe, welches (ganz besonders) über die angeborne Macht des Chamaeleons (einer Eidechsen- art) handle und dass er dasselbe gelesen habe. Dabei tischt er ims gelegentlich eine Masse eitles und unerhörtes, gleich- sam als vom Democrit aufgezeichnetes' Zeug auf, woraus ich hier nui- folgender Einzelheiten gedenken will, wenn auch nur mit Widerwillen, weil man (bei diesen offenbaren Lügen wirklich) Ekel und Verdruss empfinden kann. 2. (So wird unter Anderm daselbst mitgetheilt), dass der Habicht, der schnellste unter den Vögeln, wenn er zufällig über ein auf der Erde kriechendes Chamäleon hinwegfliegt, von demselben zu sich herabgezogen werde und durch einen (unerklärlichen) Einfluss zur EMe falle und sich allen andern Vögeln ohne Widerstand zum Zerreissen preisgebe und überliefere. 8. Hierzu fügt ey auch noch eine allen menschlichen Glauben übersteigende Bemerkung bei : wenn man den Kopf und Hals von diesem Chamäleon mit sogenanntem (eichenem) Kernholz verbrennt, erhebe sich urplötzlich Regen und Gewitter, und dasselbe ereigne sich auch, wenn man die Leber dieses Thieres auf der Zinne eines Ziegeldaches verbrenne. 4. Noch ein Anderes, wobei ich wahrhaftig Anstand nehme, ob ich es auch hersetzen soll, so viel lächerliche Windbeutelei trägt es an sich, führe ich nur gerade deshalb an, weil ich doch einmal eingestehen musste, was ich selbst über solchen verlogenen Wunderschwindel denke, wovon (indess) meistentheils (sogar) Köpfe von bedeutendster Anschlägigkeit und (leider) gerade die erst recht, welche einem höheren Wissenschaftsdrange

X, 12, 1. /a/icctil/Q»', eine (die Farbe wechselnde) Eidechse. Plin. 8, 33 (51); 10, 52 (73); 28, 8 (29); Tertull. de pallio 3, 112 seq. Als Pflanze: Cham&leondistel, Eherworz. Plm. 22, 18 (21); 27, 13 (118); 80, 4 (10); Scribon. Larg. composit 192; Veget. de art. Veterinär. 5, 52, 2

X, 2, 12. S. Plin. 28, 29, 1. 2. 3.

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X. Buch, 12. Cap., §4 9. (57)

folgen, sich einnehmen lassen und (daher) dem verderblichen (abscheulichen) Aberglauben zum Opfer fallen. 5. Aber ich kehre wieder zu Plinius zurück, welcher sagt, man solle den linken Fuss des Chamäleons mit dem (Distel-) Kraute, welches ebenfalls den Namen Chamäleon fühii;, auf einer glühenden Eisenplatte rösten, beides dann in einer Salbe aufweichen (und verrühren), zur Form eines kleinen Kuchens verdicken und in eine Holzkapsel stecken, dann könne derjenige, welcher diese Holzbüchse bei sich trägt, selbst wenn er inmitten einer öffentlichen Versammlung verweilt, von Niemandem bemerkt werden (und sich also unsichtbar machen). 6. Alle diese von Plinius Secundus aufgezeichneten Wunderdinge und Gaukeleien mit dem Namen des Democrit in Verbindung zu bringen, halte ich für unwürdig. 7. Oder auch jenen ähnlichen, be- kannten Fall, welchen deraelbe Plinius im 10. Buche vei-sichert, in dem Werke Democrits gelesen zu haben, dass nämlich gewisse Vögel ihre bestimmten Erkennungslaute (d. h. unter sich ihre bestimmte Sprache) haben und dass, wenn man das Blut von diesen (verschiedenen) Vögeln mische, eine Schlange daraus erwüchse. Wer diese nun esse, sei im Stande die Sprache und Unterhaltungen der Vögel zu verstehen. 8. Viele derartige Lügen sind offenbar unter dem Namen Democrits von ungeschickten Leuten herausgegeben worden, die es auf weiter nichts absahen, als sein hohes Ansehen und seine Glaubwürdigkeit nur als Deckmantel (ihrer Marktschreiereien) zu gebrauchen. 9. Was nun aber endUch ein Kunstwerk anbetrifft, welches nach seiner Angabe der Pythagoräer Ar- chytas ersonnen und zur Ausfühning gebracht hat, so muss uns dasselbe, wenn nicht weniger wunderbar, so doch ganz

X, 12, 8. Plinias (28, 19) schreibt diese Lügen nicht dem Democrit so, sondern der offenbaren, verlogenen griechischen Marktschreierei

X, 12, 9. Archytas von Tarent, ohngeiähr 400 v. Chr., berühmter Mathematiker, besonders durch Erfindung der analytischen Methode und durch Lösung mehrerer geometrischer (Verdopplung des Würfels) und mechanischer (durch die AutomafrTaube) Probleme, ausserdem auch als Feldherr und Staatsmann (Hör. Od. I, 28) bekannt, war ein Freund des Flato. Yon seinen Schriften nur Fragmente. Diog. Laert VIII, 4; Aelian Termischte Geschichten in, 17; VII, 14.

X, 12, 9. Die Erfindung der aerostatischen Maschinen ist also sehr alt

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(58) X. Buch, 12. Cap., § 9. 10. 13. Cap., § 1. 2.

gewiss ebensowenig ungereimt erscheinen. Denn nicht nur viele angesehene Griechen, sondern auch der Philosoph Favorinns, der eifrigste Forscher in alten, geschichtlichen Denkmälern, sie Alle berichten unter Betheuerung der Wahrheit (von einem Kunstwerke) von der Nachbildung einer Taube, durch Ar- chytas nach einem gewissen System (construirt) und durch mechanische Kunst aus Holz hergestellt, die sich in die Luft geschwungen. Dieses Kunstwerk wurde (wie sichs von selbst versteht) durch (gewisse) Schwungkräfte in die Höhe getrieben und durch eine verborgene und eingeschlossene Strömung von Luft in Bewegung gesetzt. 10. Es scheint mir in der That zweckmässig, hier gleich Favorins eigene Worte über das (merkwürdige) unglaubliche Kunstwerk herzusetzen: „Archytas (ein Philosoph) von Tarent war überdiess auch ein (ganz be- deutender) Mechaniker und verfertigte (als solcher) eine höl- zeiTie, fliegende Taube, die jedoch, wenn sie sich (einmal) niedergelassen, sich nicht wieder erhob. (Denn bis hierher)

[ ]."

X, 13, L. Auf welche Art sich die Alten der Auedmcksweise bedienten: „cum partim hominum/'

X, 13. Cap. 1. Es wird sehr oft gesagt: „partim hominum venit", d. h. eine Anzahl (oder einige) Menschen kamen. Denn hier gilt „partim" als Adverbium und wird nicht dedinirt, da- her es also auch (in Verbindung mit einer Praeposition) gesagt werden kann: cum partim hominum, d. h. mit einer Anzahl von Leuten. 2. M. Cato schrieb also in seiner Rede „über das Florafest** (ganz richtig): „daselbst vertrat sie die Stelle einer Buhldirne; sie pflegte (mehrmals) vom Gastmahle auf-

X, 13, 1. In dem Accusativ: partim dachte man sich ein so viel um- fassendes Verhältniss, dass namentlich die Bedeutung aller ahrigen obliquen Casus als ihm (d. h. diesem Accusativ) untergeordnet und mithin durch ihn darstellbar erschienen. Dieses Yerhftltniss Iftsst sich deutlicher yer- anschaulichen, wenn man partim gleichsam als indecUnables SubstantiTum aufiasst (GelL VI [VII], 8, 7 partim Senatorum.) Auch hat dies Ad- yerbium (wie noch einige andere, z. B. satis, parum, ai&tim, abunde) den Werth eines Ad|jeetlTS, z. B. Lucr. I, 242; Com. Kep. 15, 4, 5 satis testi- monium; Oyid. Her. ^ 44; Yerg. Aen. 9, 194; so parum: Flaut Stich. 1. Ter. Fhorm. 5, 7, 27; so affätim: Plin. epist ü, 17, 26; so abunde: Lit. 4,22.

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X. Buch, 18. Cap., § 2—4. 14. Cap., § 1. 2. (59)

zustehen und ins Schlafgemach zu schlüpfen. Da hatte sie nun (cum partim illorum) mit einem Theile von ihnen oft auf dieselbe Art zu thun.^ 3. Allein Unkundigere lesen: cum parti, gleich als ob es vom declinablen Häuptwort hergenom- men und nicht adverbialiter gesagt sei. 4. Q. Claudius (Quadrigarius) hingegen hat im 21. Buche seiner Jahrberichts- sammlung** sich noch weit auffallender dieser Ausdrucksweise bedient: „Er sei zufrieden mit einem Truppentheile junger Mannschaften (cum partim copiis hominum adolescentium)^'. Ferner kommt auch noch im 23. Buche der „Jahrbücher" von demselben Claudius folgende Stelle vor: „Dass ich aber auf solche Weise gehandelt habe, wovon ich nicht zu sagen weiss, ob es durch die Nachlässigkeit einiger obrigkeitlicher Personen (negligentia partim magistratuum), oder durch den Geiz, oder durch das Missgeschick des römischen Volkes so gekommen sei."

X, 14, L. In welcher Wortverbindung sich Cato der Ausdracksweise

bedient habe: ,,ii^aria mihi factum itur^' (d. h. man geht damit um, mir

ein Unrecht zuznfügen).

X, 14. Cap. 1. Ich höre oft die Redensart gebrauchen: „illi injuriam factum iri" (man geht damit um, jenem ein Unrecht zuzufügen) und gewöhnlich auch die Ausdrucksweise gebrauchen: „contumeliam dictum iri" (man gehe damit um, eine Beschimpfung anzuhängen) und ist diese Ausdrucksweise nun mitten im gewöhnlichen Verkehr und Wortaustausch schon ganz allgemein geworden, weshalb ich mir wohl auch alle weiteren Beispiele ersparen kann. 2. Weil aber die Redens- art: „contumelia illi" oder „injuria factum itur" schon viel ungebräuchlicher ist, deshalb lasse ich hier ein Beispiel folgen.

X, 14, 1. Ans dem „ire** mit dem ersten Sapinam bildete sich passivisch ein Infimtivus: iri factum etc., um eine Folge, d. h. eine Zukunft aus- zudrücken, wobd das Snpinum einen AccusatiT regiert, da seine eigene Beziehung durch das passive Yerbnm durchaus nicht geändert wird. Dieser Ursprung wird vergessen und das „iri" mit Supinum als einfache passive Form gebraudit und mit dem Nominativ verbunden: contumelia, quae &ctum itur quae fit Daher bezeichnet „ire &ctum contumeliam" soviel als: fMere contumeliam, hingegen: „contumelia itur factum" soviel als: contumelia fit Der Infinitiv dieser passiven Ck>nstniction ist, mit dem üebergang des^WoUens in das Werden, gebrftnchlicher Infinitiv fdturi passivi geworden. S. Zumpt, Lat Gr. § 696.

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(60) X. Buch, 14. Cap., § 2—4. 15. Cap., § 1.

In seiner eigenen Vertheidigung gegen den C. Gassius sagt M. Cato : 3. „Diesem Ereigniss ist es also zuzuschreiben, dass bei dieser Beschimpfung, welche mir durch die Frechheit dieses (elenden) Wichtes bevorsteht, angethan zu werden (contumelia, quae mihi per hujusce petulantiam factum itur) mich bei Gott auch zugleich (tiefes) Mitleid für die Bepublik ergreift, ihr edlen Römer (Quirlten)". 4. So wie nun aber „contumeUam factum iri" soviel bedeutet, als: ausgehen auf Ausübung von Beschimpfung, d. h. sich alle Mühe geben, wie eine Beschimpfung ins Werk gesetzt werden könne, so haben durch Veränderung des Casus (d. h. des Accusativs in den Nominativ) die Worte: contumelia mihi factum itur durchaus keinen andern Sinn (als: man geht darauf aus, man hat vor, mir eine Beleidigung zuzufügen, oder es wird für mich eine Beschimpfung ins Werk gesetzt = contumelia mihi fit).

X, 15, L. lieber die religiösen Gebräuche des Flamen Dialis und seiner

Gemahlin. Beifügnng einer Stelle ans dem Edict des Praetors, worin es

ausdrücklich heisst, dass weder eine yestalische Jnngfran, noch ein Flamen

Dialis zum Schwur gezwungen werden könne und dürfe.

X, 15. Cap. 1. Dem Flamen Dialis wurde die Beobachtung (vieler Formalitäten und) vieler religiösen Gebräuche auferlegt,

X, 15, L. Der Flamen Dialis hatte als Auszeichnung einen Lictor, die sella curulis und die toga praetexta und musste durch eine gewissen- hafte Beobachtung von allerlei Vorschriften die Reinheit und Heiligkeit seiner Person zu erhalten suchen. Sein Hut (apex § 9) war mit einem weisswollenen Faden (filum) umwunden, vovon die Flamines gleichsam FUamines hiessen. Prise. lY, 3, 17 p. 150 ErehL In neuerer Zeit leitet man das Wort von „flare*' ab, d. h. vom Anblasen des Feuers. Ihr Amt war bei guter Auff&hrung lebenslänglich und sie durften kein anderes Amt bekleiden. Flamen bedeutete überhaupt einen Priester, der nur einer einzigen Gottheit diente. Die drei ältesten von Numa eingesetzten waren: der Flamen Dialis (des Jupita:), Martialis (des Mars) und Quirinalis (des QuirinuB oder Romulus). Sie wurden (nach Gell. XY, 27, 1) in den Comitüs calatis gewählt und vom Pontifex maximus dazu in Yorschlag gebracht und eingeweiht (capiebantur GelL I, 12. 15; YaL Max. 6, 9, 3; Liv. 27, 8)* Zu den vornehmsten (minores) Flamines konnten nur Patrider vor- geschlagen werden, zu den übrigen (nach Festus waren es zwölf) konnten auch Pleb^er genommen werden.

X, 15, 1. libri de sacerdotibus publids; cfr. Gell. Jim, 28 (22), 1: libri sacerdotum P. R. et in plerisque antiquis orationibns. Darunter sind

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X. Buch, 15. Cap., § 1—8. (61)

desgleichen vielfache Fastenzeiten, welche wir theils in den Büchern aufgezeichnet gefunden haben, die eine Zusammen- steDung über (die Verpflichtungen für alle) „öffentliche Prie* ster" bilden, theils im ersten Buche der (darauf) bezüglichen Schriften von Fabius Pictor. 2. Daher sind mir ungefähr auch folgende Einzelheiten in der Erinnerung: 3. Ein Pferd (zu besteigen und darauf) zu reiten ist dem Flamen Dialis verboten; 4. ferner: Die zum Kampf gerüstete (Land-) Macht, d. h. das Heer unter Waffen ausserhalb des Stadtbezirks zu betrachten (ebenfalls), daher ward er, wenn den Consuln die Kriegführung übertragen wurde, auch, niemals (oder nur selten) zum Consul gewählt; 5. desgleichen durfte der Flamen dialis nie schwören; 6. auch war es ihm nicht erlaubt einen Bing zu tragen, ausser einen durchbrochenen und ohne (ein- gefassten Edel-) Stein. 7. Es durfte aus seiner Amtswohnung (flaminia sc. domus), d. h. aus dem (auf dem Palatinus ge- legenen) Hause des Flamen Dialis nie Feuer, ausser das heilige, (zum Opfer nöthige) herausgetragen werden. 8. Wenn ein gefesselter Gefangener entwischte und sich in sein Haus (aedes) flüchten konnte, musste er ihm die Fesseln abnehmen,

Bitualbacher za verstehen. Indigitamenta pontificum oder libri pontifidi. S. Macrob. 1, 12, 21; Censorin. de die natal. 3; Serv. zu Verg. Georg. I, 21; Ausserdem gab es auch noch besondere Ritualbücher der Salier, Yesta- linnen (GeU. I, 12, 14 sacerdotem Test &cere pro populo Romano Qui- ritibus), Arvalbrader, Augum, Flamines u. s. w.; cfr. Yarro 1. 1. Y, 98; Cic. de repubL U, 81, 54; de N. D. I, 30, 84; Macrob. XU, 20, 2; Colum r. r. n, 21, 5; Festus p. 189, 9; 856, 18.

X, 15, 1. Servius Fabius Pictor, ein älterer lateinischer Ge- schichtsschreiber, wahrscheinlich derselbe, den Cic. Brut 21, 31 als Rechts- gelehrten, Literaten und Kenner des Alterthums nennt Ein anderer Fabier, der Q. Fabius Pictor, war der älteste römische Geschichtsschreiber, der Zeitgenosse des Cato. Er diente in den Kriegen gegen die Gallier und den Hannibal, focht in dem 2. punischen Kriege mit und wurde nach der Schlacht bei Cannae nach Delphi zur Berathung des Orakels gesendet Er yerfosste die Geschichte Roms in griechischer Sprache (Dionys. Hai. I, 6), welche Livius oft benutzte (Liv. I, 44. 55; Polyb. I, 14; Plutarch Romul.38. YergL Gerlach röm. Geschichtsschreiber p. 38 etc.; Nipperdey, Philolog. Jahrg. YI p. 131; GeU. I, 12, 14; Y, 4, 1; Teidfels röm. Lit 189, 8.

X, 15, 8. Seine prächtige Wohnung wurde „aedes^ genannt, womit sonst nur Götterkapellen bezeichnet wurden.

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(62) X. Buch, 15. Cap., §8—17.

und dieselben durch den Hofraum auf das Dach ia die Höhe ziehen und von da hinaus auf die Strasse werfen lassen. 9. Er trug nie einen Knoten an sich, weder an (dem weiss- woUenen Faden) der Priestermütze, noch im Gürtel, noch an irgend einem andern (Kleidungs-) Stück (seines Körpers). 10. Sollte Jemand gegeisselt werden, fand aber Gelegenheit, sich zu den Füssen dieses Flamen niederzuwerfen, so würde es ein Verbrechen gewesen sein, für diesen Tag (an einem solchen) die Geisselung vollziehen zu lassen. 11. (Sein Haupt war geschoren.) Die Haare darf dem Dialis aber Niemand als nur ein freier Mann abschneiden. 12. Der Vorschrift gemäss darf er eine Ziege, ungekochtes Fleisch, Epheu und Bohnen weder berühren, ja nicht einmal die Namen (dieser Dinge) aussprechen. 13. Zu hoch aufgeschossene Ableger von Weinstöcken darf er nicht beschneiden. 14. Die Füsse (von dem Gestelle) des Bettes, worin er schläft, müssen mit dünnem Lehm bestrichen sein, und er schläft nie während drei ganzer Nächte ausserhalb des Bettes, wie auch Niemand anders, als

er selbst in dem Bette schlafen darf. [ ] In der Nähe

seines Bettstollens muss das Kästchen (cum strue atque ferto) mit dem Opfergebäck und Opferfiaden sich befinden. 15. Die Abschnitzel von den Nägeln und dem Haare des Flamen werden in der Erde imter einem Glücksbaume vergraben. 16. Der Flamen Dialis hat täglich eine gottesdienstliche Feierlichkeit zu vollziehen. 17. (Unbedeckt, in blossem Kopf)

X, 15, 9. Knoten und Ring waren Zeichen der Fesselung, annulus cajBsus (aUd^os, axpnifos) leerer Ring, ohne Stein.

X, 15, 11. Yergl. aber dieses ganze Capitel Plutarch: Fragen über röm. Gebräuche 40. 109. 110. 111; zu X, 15, 7 ignis s. Festus p. 106; zu § 9 8. apiculum bei Festus p. 29; zu § 12 s. Fabam bei Festus p. 87; zu § 22 B. Flammeo bei Fest p. 89 u. 92; zu § 28 s. ricae bei Fest p. 277 (289); Paul. 288, 10; Nonius in Ribbecks Com. L. Fr. 224, 71. Ricula s. parrum ridnium , vieUeicht ein Schleier. Zu § 32 s. albogalerns bei Festus p. 10 (ed. MQUer) PauL Diac p. 10, 12; Fronte ep. IV, 4; Serv. zu Verg. Aen. II, 688.

X, 15, 14. Strues, Opfermahl-Brotschicht, ein zusammen abereinander gelegter Haufen von kleinen Opferkuchen, welche dann die Gestalt zu- sammengelegter Finger hatten. Festus 810; Ovid. Fast. I, 276. Fertum (ferctum), eine Schicht vom Opferkuchen, Opferfladen. S. Gato r. r. 184^ 2 ff. 141; Varro r. r. I, 40; Fers. II, 48; Isidor. Orig. 6, 19, 24.

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X. Buch, 15. Cap., § 17. 18. (63)

ohne seinen Priesterhut (apex) im Freien auszugehen, war ihm nicht gestattet ; dass unter seinem Dache dies von seinem Belieben abhing (d. h. ihn im Hause der Kopfbedeckung zu entheben) war eine unlängst erst von den Oberpriestem ge- troffene Bestimmung, 18. nach einer schriftlichen Mittheilung des Masurius Sabinus, und man erfährt (bei dieser Gelegenheit von ihm) auch noch andere ähnliche Zugeständnisse (zur Er- leichterung im Dienste), wie auch (überhaupt ausfßhrlichere)

X, 15, 3. Er durfte nicht reiten b. Paul. Diac. p. 81, 17; Plut. Quaest R. 37; Vol. VH p. 110 Reisk.

§ 4. Kein bewaffinetes Heer sehen. Festns 249, 23.

§ 5 u. 31. Nie schwören. Liv. 31, 50; Paul. Diac. 104, 11.

§ 6. Siegebing nur durchbrochen. Paul. 82, 19. '

§ 7. Flaminia, Amtswohnung. Paul. 89, 10 u. 106, 4.

§ 8. Keinen Gefesselten sehen, cfr. Macroh. I, 16, 9, ohne ihn davon zu entledigen, weil dies das Asylrecht seines Hauses verlangt. Serv. za Verg. Aen. HI, 607.

§ 9. Keinen Knoten an sich haben. Paul. Diac. 113, 15; vergl. mit 82, 18; Serv. zu Verg. Aen. IV, 262.

§ 10. S. Serv. zu Verg. Aen. HI, 607.

§ 12. 19. 24. Durfte Vieles nicht berühren. Plut. Quaest rom. 106 ff. Vol. Vn p. 164. 165 Reisk; Paul. Diac. 82, 18; Serv. zu Verg. Aen. 1, 179. ~

§ 16. Durfte keine zwei Nächte ausser der Stadt bleiben, damit er pflichtschuldigst die täglichen Opfer dem Jupiter darbringen konnte; weil ihm jeder Tag ein Feiertag sein sollte, so musste er

§ 17. stets in der Amtstracht bleiben und durfte eigentlich selbst im Hause den Hut nicht ablegen. Serv. zu Verg. Aen. I, 304: Appian b. c. I, 65.

§ 22. Beim Tode seiner Frau muss er sein Amt niederlegen. Plut. Qu. R. 47 ; Vol. VII, 118 R. Dagegen sprechen Hieron. adv. Jovin. I, 49 und Tertullian. de exh. cats. 13 und behaupten nur, dass er habe un- verheirathet bleiben m&ssen, Servius zu Verg. Aen. IV, 29 bestreitet anch dies.

§ 18. Seine Ehe kann nie geschieden werden s. Paulus 89, 13; Serv. zu Verg. Aen. IV, 29.

§ 26. Seine Frau ist von seinen Amtsftmctionen unzertrennlich. Plut Q. R. 83; Ovid. Fast HI, 397; Tac. Ann. 4, 16.

§ 27. Ihre Amtskleidung bestand in einem langen, woUenen Kleide (emem feuerrothen Schleier) s. Serv. zu Verg. Aen. XII, 120; Paul. 65, 3.

§ 28. Als Kopf binde trug sie ein mit Fransen versehenes Kopftuch (rica), an welchem der Granatapfelzweig befestigt war.

§ 30. An gewissen Festtagen durft;e sie sich nicht kämmen. Ovid. Fast HI, 397; cfr. Plut q. r. 83 und musste eine hohe Treppe vermeiden, um die Ffisse nicht zu entblössen. Serv. zu Verg. Aen. IV, 646.

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(64) X. Buch, 15. Cap., § 18-30.

Auskunft über erfolgte Nachlassung einiger vorgeschriebenen Gebräuche. 19. Er darf keinen Sauerteig berühren. 20. Das Gewand, das er auf dem (blossen) Leibe trägt, zieht er (beim Wechseln reiner Wäsche) sich nur an verborgenen (dunkeln) Orten aus, um nicht (schamlos) entblösst unter dem Himmel, gleichsam wie vor Gottes Augen dazustehen. 21. Bei einem Mahle darf Niemand vor dem Flamen Dialis Platz nehmen, ausser der erste, oberste Opferpriester. 22. Wenn er seine Frau durch den Tod verlor, tritt er von seinem (Priester-) Amte zuillck (und legt es nieder). 23. Die Ehe eines Flamen kann auf rechtlichem Wege nicht anders, als nur durch den Tod gelöst werden. 24. Niemals betritt er (eine Leichenbrandstätte, d. h.) einen Begräbnissplatz; rührt nie einen Todten an. 25. Einem Leichenbegängnisse zu folgen, verbietet ihm (heilige Verpflichtung und) Gewissenszwang nicht. 26. Fast ganz dieselben (strengen) Veipflichtungen sollen auch

[ ] die Gemahlinnen der Flamines Diales besonders

eifrig beobachten, wie z. B. 27. dass eine solche ein (roth-) gefärbtes Kleid tragen muss; 28. ferner, dass sie auf ihrer Haube (rica) ein Reis von einem Glücksbaume trägt; 29. eine Treppe von mehr als drei Stufen, auf griechisch „xAt^ioxcg" genannt, hinaufzusteigen, ist (ihr) nicht erlaubt, (damit sie nicht etwa genöthigt werden möchte, den Rock aufzuraffen); 30. und wenn sie nach den altheiligen Opferstätten sich ver- fügt, darf sie sich weder das Haupt putzen, noch die Haare

X, 15, 30. Cam it ad Argeos (cfr. Ovid. Fast. IIl, 791). An dem poDS sublicius wurden Ton den TestaUschen Jungfrauen in Begleitung der Magistrate und Priester diesseits und jenseits der Tiber Opfer gebracht und dann 80 von Binsen gebildete (e scirpeis virgultis) und mit mSmnlicher Kleidung umgebene Männerbilder (simulacra scirpea virorum) von dem pons sublicius in die Tiber hinabgestürzt, anstatt eben so vieler alter Männer, die man als unnütze Leute, welche dem Staate doch in Nichts mehr dienen können, von dem ponte sublicio in die Tiber warf. Festos in „Depontani«; Varro L L VII, 3; Ovid. Fast. V, 621. Die Idee einer Sühne des Flussgottes liegt sehr nahe; man brachte ihm die Opfer dar, die er sonst genommen haben würde durch Ertrinken im Flusse, oder durch Schaden der üeberschwemmung des Landes und der Wohnungen und durch Krankheiten, vorzüglich durch Fieber, die das stagnirende Wasser erzeugte; vielleicht musste er auch besänftigt werden, dass er sich mit einer Brücke hatte überziehen lassen müssen. Cfr. Plut. mor. Schrift

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X. Bach, 15. Cap., § 31. 32. 16. Cap., § 1. 2. (65)

mit einem Kamme kämmen. 31. Ich lasse hier die bezüg- lichen Worte des Praetoi-s aus dem allgemein gültigen Edict (ex edicto perpetuo) über einen Flamen Dialis und eine Priesterin der Vesta folgen: „In meinem Gerichtssprengel soll keine Priesterin der Vesta und kein Flamen Dialis ge- zwungen sein, einen Eid abzulegen." 32. Des M. Varro Worte aus dem 2. Buche seines Werkes „über Gebräuche (der Vorzeit) in göttlichen Dingen" in Betreff des Flamen Dialis lauten also: „Dieser (Priester) nur trägt eine weisse Mütze (albus galems), entweder weil er den höchsten Rang einnimmt, oder weil das dem Zeus bestimmte Opfer weiss (und rein) vollzogen sein muss."

X, 16, L. Welche Versehen Julias Hyginus im 6. Buche Vergils rügte, als (thatsächliche) Verslösse bezüglich der römischen Geschichte.

X, 16. Cap. 1. Hyginus tadelt den Vergil und meint, dass derselbe (später) das Versehen, was im 6. Buche (der Aeneide) seiner Feder entwischte, (wenn ihn nicht vorzeitig der Tod ereilt hätte, sicher noch) verbessert haben würde.. 2. Palinurus nämlich befindet sich (bereits todt) bei den Unterirdischen und bittet vom Aeneas (welcher noch als Lebender die Unterwelt besuchte), er möge seinen Leichnam aufsuchen und für dessen Begräbniss sorgen. Diesen Wunsch

{ahia *Ptüiu.) Kömische Forschungen 32. „Warum wirft man am 15. Mai (Idus) menschliche Bilder, Argeer genannt, von der Holzhrücke? Entweder, weil Hercules Menschenopfer abgeschafft hatte, oder weil der Arkadier Evander und seine Gefährten ihren alten Groll gegen die Argeer auch nach ihrer Flucht aus Griechenland und ihrer Niederlassung in Italien noch beibehalten hatten, und nnan in alten Zeiten daher alle Archivei* oder Griechen, die man in Italien antraf^ als Feinde zu ertränken pflegte^. Dion. Hai. I, 4; Liv. I, 21.

X, 15, 31. Auf Befehl des Kaisers Hadrian (117 138) wurden die verschiedenen Edicte der Prätoren gesammelt und von dem Bechtsgelehrten Salvius Julianus, dem Urgrossvater des Kaisers Didius Julianus, geordnet Diese Sammlung wurde nachher Edictum perpetuum oder jus honorarium genannt und leistete ohne Zweifel bei der Entwerfimg des berühmten römischen Gesetzbuches, corpus juris genannt, das auf Befehl des Kaisers Justinian zusammengetragen worden ist, den wesentlichsten Dienst. NB Da Gellius hier von diesem' Edict spricht, so muss er unter oder nach Hadrian gelebt haben. Vergl. Gell. XIIT, 10, 3.

Gellius, Attische Nächte. IL 5 ^^ j

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(66) X. Buch, 16. Cap., § 2—8.

drückt er (dem Aeneas, Verg. Aen. VI, 365 u. 366) folgender- massen aus:

Reiss' mich, du Unhesiegter, aus dieser BetrQbniss, und h&ufe Erde auf mich, Du vermagst es, und steure nach Velias Hafen.

8. „Wie war nun aber," sagt Hyginus, „entweder Palinurus im Stande den velinischen Hafen zu kennen und ihn mit Namen zu bezeichnen, oder auch Aeneas unter diesem (be- zeichneten) Namen die Stätte aufzufinden, da die Stadt Velia, wonach der daselbst gelegene Hafen der velinische genannt wurde, (späterhin ei*st) nach mehr denn 600 Jahren, als Ser- vius TuUius zu Rom herrschte, in der Landschaft Lucanien gegründet und mit diesem Namen belegt wurde? 4. Denn der eine Theil derer, die vom Harpalus, dem Befehlshaber des Königs Cyrus, aus Phocis vertrieben wurden, gründete Velia, die Andern Massilia. 5. Also ist es ein Beweis von höchster Unwissenheit, wenn Palinurus den Aeneas bittet, den velinischen Hafen auszukundschaften, da es diesen Ortsnamen damals noch nirgends in der Welt gab. 6. Und es darf die Stelle im ereten Gesänge der Aeneide (v. 2)," bemerkt Hyginus weiter, „nicht als ähnlicher Fall gelten, wo es heisst:

„(Waffen besing' ich und den Mann, der) SchicksalsflQchtig, zuerst in Italien und an Lavinums Ufern erschien."

7. Und ebenso ein anderer Vers im 6. Buche (der Aeneide V. 17):

„(Daedalus) Ueber der chalcischen Burg stand endlich er schwebend,''

8. weil einem (jeden) Dichter nach einer gewissen zuständigen Freiheit stets gestattet ist {yLora ttqoXtjxPiv historiae, d. h.) durch Vorausnahme geschichtliche (in spätere Zeit fallende) Ereig- nisse anzunehmen und anzugeben, von denen er immerhin wohl wissen konnte, dass sie erst später geschehen sind, gerade wie auch Vergil sich durchaus nicht in Unwissenheit

X, 16, 8. Der velinische Hafen bei der späterhin erst erhauten Stadt Yelia oder Elea (jetzt Castello a Mare della Brucca) in der alten Land- schaft Lucanien.

X, 16, 4. Phocis, Landschaft in Hellas, zwischen Böotien und Aetolien; Herod. I, 167; Strabo VI.

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X. Buch, 16. Cap., § 8—14. (67)

befunden in Bezug auf die (Gründungszeit der) Stadt Lavinium und die chalcidische Niederlassung. 9. Aber wie konnte Palinurus das wissen, was erst 600 Jahre nachher geschah, wenn man nicht etwa annehmen will, dass er bei den Unter- irdischen Zukünftiges geahnt habe, wie ja die Seelen der Verstorbenen die Gabe der Weissagung besitzen sollen? 10. Allein auch bei dieser Annahme, obgleich davon nicht die Bede ist^ wie konnte es nun dem Aeneas^ der doch diese Gabe der Weissagung nicht besass, möglich werden, den velinischen Hafen aufzusuchen, dessen Namen es, wie ich schon erwähnte, damals noch gar nirgends gab?" 11. Er unterwirft auch noch eine andere Stelle eines Tadels und meint, dass Vergil sie später sicher (selbst noch) würde ge- ändeii; haben, wenn ihn nicht (vorher) der Tod ereilt hätte.

12. „Denn als Vergil," fährt Hyginusfort, „den Theseus unter denen namhaft machte, welche ebenfalls zu den Unterirdischen gingen und wieder zurückkehrten imd er (Verg. Aen. VI, 122) von ihm gesagt hatte:

Was erwähn' ich den TheseoB, was den Grossen Aldden (d. h. Hercules)? Stamm' ich ja selbst vom erhabenen

Zeus ab;

fügt jedoch (trotzdem) später hinzu (Verg. Aen. VI, 616 u. 617):

Hier sitzet und ewig hinfort sitzt Theseus jammererföllt

13. Wie ist es möglich/' fährt er fort, „dass Theseus ewig bei den Unterirdischen sitzt, da er ihn (doch erst) oben unter denen namhaft macht, welche doi*thin hinabstiegen und von da wieder heraufstiegen (und entkamen), zumal da es in der Fabel so vom Theseus heisst, als ob Hercules ihn von dem Felsen befreit und in die Oberwelt ans Licht hervorgefllhrt hat?" 14. So wollte er auch in folgenden Versen Vergils (Aen. VI, 838—840) einen Fehler entdecken:

Der streckt Argos in Staub, und die hohe Mycen' Agamemnons; Selbst auch des Aeacos Enkel, den Spross des gewaltigen E&mpfers, Troja's Y&ter zu r&chen und Pallas entweihete Tempel.

X, 16, 14. Argos und Agamemnons Mycene, d. h. ganz Grie- chenland. — Pallas entweihete Tempel. Ajax, der Sohn des Oeleus, hatte die schönste Tochter des Priamus, die Weissagerin im Tempel der

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(68) X. Buch, 16. Cap., § 15—18.

15. Hier veiineiigt er, nach der Ansicht des Hyginus, sowohl verschiedene Personen, wie Zeiten. Denn weder zu derselben Zeit, noch durch dieselben Menschen wurde mit den Achäern und mit dem Pyrrhus [? Perseus] Krieg geführt. 16. Denn Pyrrhus [? Perseus], welchen er einen Enkel des Aeacos nennt, . kam mit seinem Heere von ]^pirus nach Italien und kämpfte gegen die Bömer unter ihrem damaligen Kriegsheerfuhrer Manius Curius (Dentatus). 17. Der archivische, d. h. der ächäische Krieg, wurde aber viele Jahre nachher von L. Mummius geführt. 18. Deshalb, sagt er, könne der mittelste Vers ausgelassen werden, weil er in Betreff des Pyrrhus eine unpassende (und unzeitige) Einfügung sei, die, wie er sicner glaubt, Vergil zweifelsohne selbst beseitigt haben würde (sc. hätte ihn eben vorher nicht der Tod hinweggerafft).

Pallas (oder Minerva) entehrt. Der (ille) streckt Argos in Staub, Aeacos Enkel. L. Aemflios Panlns war der Ueberwinder des mace- donischen Königs Perseus im zweiten macedonischen Kriege (172 -—168). VergL NB. zu Gell. VI (VII), 3, 1. Unter dem Enkel des Aeacos wird wahrscheinlich Perseus verstanden, weil die macedonischen Könige nach Alexander d. Gr. (wegen dessen Mutter Olympias, einer Königstochter aus Epirus, wo Pyrrhus, des AchiUes Sohn, geherrscht hatte und vom Curius Dentatus bezwungen worden war) ihr Geschlecht von dem Achilles, dem Enkel des Aeacus und Sohn des Peleus mit der Nereide Thetis, her- leiteten. VieUeicht ist aber unter Enkel des Aeacus weder Pyrrhus, noch Perseus zu verstehen, sondern ganz im Allgemeinen die epirensische Herrschaft Paulus vertilgte das macedonische Reich und rächte so den Untergang Troja's.

X, 16, 17. Der Consul L. Mummius zerstörte (146 v. Chr.) Corinth (jetzt Kordos), die Hauptstadt des achäischen Bundes, woher er den Bei- namen Achaicus erhielt, und Griechenland ward nun römische Provinz unter dem Namen Ach^ga. Agamemnon hatte (nach Strabo VUI, 7) durch GlQck und Tapferkeit sein angestammtes Reich weiter ausgedehnt und mit dem Mycenischen auch das von Argos vereinigt und brachte dann noch alles Land bis nach Corinth und ^icyon und das der Jonier und Aegialeer» das spätere Achiya, an sich. Vergil vermengt also (wie Hyginus § 5 be- hauptet) Personen und Zeiten durchaus nicht, denn v. 837 vorher heisst es bei Vergil : „Jener wird, triumphirend über Corinth, zum hohen Capitole den Wagen lenken, als Sieger durch erschlagene Achiver verherrlicht*', darunter versteht er offenbar den Mummius Achaicus. S. Pausan. in Achaic. VE, 16. Vergleiche aber diese SteUe Vergils die Ausgabe von Alb. Forbiger. Leipzig. 1873.

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X. Buch, 17. Cap., § 1—3. (69)

X, 17, L. Weshalb und wodurch der Philosoph Democrit sich seines Augenlichts beraubte; femer Erwähnung der darauf bezüglichen, sehr naturKch und allerliebst verfaasten Verse des Laberius (mit der Nutz- anwendung auf einen Geizigen).

X, 17. Cap. 1. In den griechischen Geschichtsbüchern* steht geschrieben, dass der Philosoph Demokrit (aus Abdera), ein vor allen Andern verehrungswürdiger Mann, welcher (wegen seiner Tugend und Weisheit) im Alterthum das höchste Ansehn genoss, sich freiwillig seines Augenlichts beraubt habe? weil er glaubte, sein geistiges Sinnen und Nachdenken bei Betrachtung (des Weltenplanes und) der Einrichtungen in der Natur (d. h. bei seinen philosophischen und naturwissenschaft- lichen Studien) müsse reger und vollkommener sein und bleiben, wenn er alle seine Gedanken von den (verführe- rischen) Verlockungen durch den Anblick der Aussenwelt (videndi illecebris) und von jeder möglichen Behinderung und Zerstreuung durch die Augen (oculorum impedimentis) befreit und abgeschlossen haben würde. 2. Diese Thatsache und das (aussergewöhnliche) Mittel selbst, wodurch er auf eine leichte Art und durch eine ausgesuchteste Erfindung sich (freiwillig) blendete, hat der Dichter Laberius (in seinem Monodrama, d. h.) in dem von ihm unter dem Namen „der Seiler (Restio)" verfassten Mimus zwar in höchst artigen und zierlich verfassten Versen beschrieben, dabei aber noch eine andere Ursache dieser freiwilligen Blendung hinzugedichtet und zum Zweck seines damaligen Vortrags nicht ohne Ge- schick verwerthet. 3. Es tritt nämlich bei Laberius in der Rolle eines knausrigen und knickerigen Reichen (Erblassers)

X, 17, 1. (Cfr. Gell. X, 12, 8.) Cic. fin. 5, 29, 87. Plut. von de Neugierde. 12. i 1 !

X, 17, 2. Decimus Laberius als Mimendichter berühmt, stand im Anfang bei Jul. Caesar gut angeschrieben, verscherzte sich aber, wahr- scheinlich dorch seine grosse Freisinnigkeit nnd Spottsucht die Gunst dieses Allmächtigen, weshalb ihn dieser zwang in einem seiner Mimen einmal selbst aufzutreten. Dadurch ging Laberius seiner bürgerlichen Rechte verlustig. Darüber beklagt' sich Laberius in einem bei Macrob. Sat II, 7 erhaltenen aus 27 jambischen Trimetem bestehenden Prologe. S. Gell. VIÜ, 15, L. NB,

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(70) X, Buch, 17. Cap., § 8. 4. 18. Cap., § 1—3.

ein Mann auf, der dieses ganzen Vorfalls gedenkt, und dabei die übermässige Verschwendung (und Libertinage)^ den lieder- lichen Lebenswandel (seines Sohnes, seines zukünftigen Erben) eines jungen Menschen beweint und bejammert 4. Die Verse des Laberius lauten:

Demöcritos, der abd^r'sche Physiker, stellte einst

Dem Sonnenao^y^g gegenaber einen Schild,

Zu blenden an des Erzes Glanz die Aogen sich.

So blendete er sich die Sehkraft nnn am Sonnenstrahl,

Um nicht zu sehn, dass bösen Bürgern gut es geht

So wünsch' auch ich, dass mich des blanken Geldes Glanz

Des Augenlichts beraubt vor meines Lebens End',

Um nicht im Glück zu sehn den gottveigess'nen Sohn.

X, 18, L. Geschichtliche Erzählung von der Königin Artemlsia nnd von

dem (aasgeschriebenen) Wettkampfe , der bei dem (berühmten) Grabmale

Ihres Gemahls Mausolus stattfand und an dem sich die berühmtesten

Schriftsteller betheiligt haben sollen.

X, 18. Cap. 1. Die (Königin) Artemisia soll ihren Ge- mahl weit über alle (nur ersinnlichen) Liebesschilderungen und mit unglaublicher menschlicher Leidenschaftlichkeit geliebt haben. 2. Nach Angabe des M. Tullius (Cicero) war Mauso- lus, ein König von Karlen, (oder) wie einige griechische Ge- schichtsschreiber sagen, Statthalter einer griechischen Provinz, oder Satrap {octtQaTtTjg), wie es auf Griechisch heisst. 3. Als dieser Mausolus unter lauten Wehklagen und in den Armen seiner Gattin den Geist ausgehaucht hatte, und unter präch- tigem, grossartigem Leichenbegängnisse bestattet worden war, ging seine Gemahlin Artemisia aus heftiger Trauer über den Verlust ihres Gemahles und aus Sehnsucht nach ihm in ihrer

X, 17, 4. Flut. mor. Vorles. nigX nokvnqayfjioa^ (über die Neugierde) cap. 12 p. 521. Cic de fin. Y, 29; Hieronym. contr. Joviniaiu II, 127; Aagost Apologet 48.

X, 18, L. Artemisia lebte ohngefähr 864 y. Chr. zur Zeit des Königs Philipp von Macedonien und starb aus Gram aber den Tod ihres Gemahls zur Zeit der Regierung Alexanders d. Gr.

X, 18, 1. S. Val. Max. IV, 6, extr. 1; Plin. 86, 4. Mausolus wird bei Cic Tusc. III, 81, 75; Diodor. 16, 86; Pausan. 8, 16, 4; Plin. 86, 5. König zu Halicamass in Carien genannt.

X, 18, 2. üeber Lydien, Phrygien, Jonien, Karien herrschten per- sische Statthalter (Satrapen).

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X. Buch, 18. Cap., § 3-7. (71)

Leidenschaftlichkeit so weit, dass sie die von seinen Gebeinen mit wohhiechenden Specereien vermischte, pulverartig ver- riebene Asche ins Wasser schüttete und mit trank; ausserdem soll sie noch viele andere Beweise ihrer ausserordentlich heftigen Liebe gezeigt haben. 4. So liess sie unter höchstem Aufwand (von Kosten und) Anstrengungen, zur Erhaltung des Andenkens an ihren geliebten Gatten bei der spätesten Nachwelt, jenes weltberühmte Grabmal emchten, welches für würdig erachtet wurde, unter die sieben Wunderwerke der Welt gezählt zu werden. 5. Als Artemisia dieses (Wunder-) Denkmal den hei- ligen, gottseligen Manen des Mausolus weihete, liess sie zur Verhen-lichung seines Lobes (und Ruhmes) einen Wettstreit (griechisch „agon*', lateinisch „certamen'' genannt) anstellen und setzte dabei die ansehnlichsten Preise an -Geld und an- deren Kostbarkeiten aus. 6. Zu diesem (rhetorischen) Lob- preisungs-Wettstreit sollen sich (drei) an Vorzügen des Geistes und der Beredtsamkeit hervorragende Männer, wieTheopompus, Theodectes und Naucrates eingefunden haben; nach dem Berichte Einiger soll sogar Isocrates selbst mit den Genannten um den Preis gestritten haben. Allein in diesem (geistigen) Wettstreit trug nach richterlichem Ermessen Theopompus den Sieg davon, welcher ein Schüler des Isocrates war. 7. Es ist auch jetzt noch ein Trauerspiel, Mausolus überschrieben, von Theodectes vorhanden, worin er, wie Hyginus in seiner

X^ 18, 4. Septem-spectacula. Die sieben Wunderwerke der alten Welt waren : 1) die Mauern und schwebenden Gftrten der Semiramis von Babylon, 2) der Tempel der Diana zu Ephesus, 3) der Eoloss von Rhodus, 4) die Bildsäule des olympischen Jupiter vonPhidias, 5) die Pyra- miden, 6) der Pharos oder Leuchtthurm zu Alezandrien und 7) das Mausoleum.

X, 18, 6. Theopompus aus Chios, geb. um 380 y. Chr., berühmter Redner (Sachwalter) und Geschichtsschreiber. Von seinem, die ganze griechische Geschichte im Zeitalter Philipps behandelnden Geschichtswerke sind nur noch Bruchstücke übrig. Er war ein Schüler des Isocrates. Theodectes, ein Lydier und Schüler des Isocrates, Plato und Aristoteles, lebte im vierten Jahrhundert v. Chr. Als Gerichtsredner und tragischer Dichter berühmt, starb er zu Athen. Nur wenige Bruchstücke sind noch von ihm vof banden. Naucrates der Erythraeer, ein Schüler des Rhetors Isocrates, soll auch einen Commentar über den Homer geschrieben haben.

X, 18, 7. üeber JuUus Hyginus s. Gell. 1, 14, 1 NB; Plutarch, Leben der zehn Redner IV. unter Isocrates.

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(72) X. Buch, 18. Cap., § 7. - 19. Cap., § 1—3.

Beispielsammlung berichtet, mehr Beifall gefunden hat, als bei seinen, in ungebundener Rede abgefassten Schriften. ^

X, 19} L. Dass ein (von uns) begangener Fehler sich niclit rechtfertigen und entschuldigen lasse durch Berufung auf ähnliche Fehler, welche auch noch Andere sich haben zu Schulden kommen lassen; dann noch Er- wähnung einer darauf bezüglichen Stelle aus einer Rede des Demosthenes.

X, 19. Cap. 1. Der Philosoph Taunis liess einen jungen Mann mit ernstem und heftigem Verweise hart an, wegen des Uebertritts von den Rhetoren und von dem Studium der Beredtsamkeit zu den Lehren der Philosophie, weil dies, wie er sich ausdrückte, unstreitig von dem jungen Manne eine unehrenvolle und verwerfliche Handlungsweise verrathe. Jener leugnete durchaus nicht, dies gethan zu haben, suchte sich aber damit zu entschuldigen, dass dies ja oft geschehe, und glaubte das Schimpfliche dieses (unüberlegten) Vergehens durch Berufung auf das Beispiel Anderer und auf die ein- gerissene Gewohnheit (von sich) abwehren zu können. 2. Allein durch die (übel gewählte) Art dieser Rechtfertigung wurde Taurus mm gerade erst recht aufgebracht und sagte: „Wenn Dich, Du dummer, einfältiger Mensch, das hohe An- sehen und die edlen Grundsätze der Philosophie nicht von der Nachahmung dergleichen schlechter Beispiele abziehen konnten, so hätte Dir doch wenigstens gleich ein Gedanke (von jenem Stern derjenigen Schule, welcher Du jetzt davon gelaufen bist) von unserm grossen Demosthenes einfallen müssen, ein Gedanke, der eigentlich um so mehr mit Deiner Erinnerung verwachsen sein müsste, weil ei- durch einen an-' muthigen und bezaubernden Redewohlklang (präcisirt) ab- gei-undet ist und gleichsam dasteht, wie ein (allbekanntes, aJtes) Rhetoren -Liedlein (cantilena rhetorica, und eigentlich von Deiner früheren Beschäftigung her Dir noch frisch im Gedächtniss sein müsste). 3. Denn, fuhr er fort, wenn ich mich nicht irre, (was leicht möglich ist) weil ich die be- treffende Stelle des Demosthenes (in seiner Rede gegen

X, 19, 1. TauruB, der selbst ein Philosoph war, tadelt hier nicht das Stadium der Philosophie, sondern das übereilte Wediseln der Bhetorik mit der Philosophie, oder vielleicht auch nur mit der Sophisterei

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X. Buch, 19. Cap., § 3. 4. 20. Cap., § 1. 2. (73)

Androtion) in meiner frühesten Jugend las, so enthält der Wortlaut derselben eine Zurechtweisung gegen einen (Men- schen), der, gerade wie Du es jetzt machst, darauf ausging, seinen Fehler durch fremde Fehler zu entschuldigen und zu rechtfertigen. (Die Stelle lautet:) „Sage Du aber nicht (etwa zu Deiner Entschuldigung), dass dies oft geschehen sei, son- dern (beweise), dass dieser Vorgang in der Ordnung ist Denn wenn ja schon einmal Etwas nicht dem Gesetz gemäss gethan wurde, Du aber dies nachgeahmt hast, so darfst Du von Rechtswegen deshalb durchaus noch nicht freigesprochen werden, sondern wirst umsomehr erst recht gestraft werden müssen. Denn so wie Du diesen Vorschlag sicher nicht ge- than haben würdest, wenn (schon einmal vorher) Einer wäce (ertappt und) verurtheilt worden, so wird auch kein Anderer (wieder wagen) einen solchen Voi-schlag (zu) machen, wenn Du jetzt (dafür) Strafe leiden musst.^ 4. So benutzte Taurus jede Gelegenheit zu Rath und Vermahlungen und führte seine Schüler und Anhänger hin zu den Grundsätzen eines tugendhaften und untadeligen Lebenswandels.

X, 20, L. Was man unter dem Worte „lex'' verstehe, was unter „plebis-

scitnm'' was unter „Privilegium'' und in wie weit sich alle diese Andrücke

von einander unterscheiden.

X, 20. Cap. 1. Ich höre oft die Frage auf werfen, was man unter „lex" zu verstehen habe, was unter „plebisscitum", was unter „rogatio", was unter „Privilegium". 2. Atejus Capito, der vorzüglichste Kenner des (öffentlichen) Staatsrechts und

X, 20, 1. S. Fesjt. S. 266 \

X, 20, 2. Lange röm. Alterth. § 128, S. (512) 556 bezeichnet die Definition des At^us Capito von der lex durch das Attribut generale (jussum populi aut plebis) als zu eng gehsst ^nd definirt den Begriff der lex negativ dahin, dass lex jeder jussus populi sei, der nicht in einer Wahl und nicht in einem ürtheile besteht Er findet jedoch auch diese Definition nur annähernd und ebenfalls noch zu eng, weil ja in den früheren Zeiten der Republik nicht nur die creatio (vergl. Gell. XII, 8, 6 NB; Xm, 15, 4), sondern auch das Judicium als ein gesetzbegründender jussus populi aufgefasst wurde.

X, 20, 2. üeber Atejus Capito s. Gell. 1, 12, 8 NB und Teuffels röm. Lit. Gesch. 260, 3.

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(74) X. Buch, 20. Cap., § 2—4.

des bürgerlichen Rechts, giebt folgende wörtliche Begrife- erklärung, was unter „lex" verstanden wurde. Er sagt : „Das Wort „lex" bedeutet jede allgemeine Verordnung des Volkes und der Gemeinen (d. h. des gesammten römischen Volkes höheren und niederen Ranges) auf den Vortrag (und Vor- schlag) einer obrigkeitlichen Person." 3. Wenn diese Er- klärung (des Begriffes lex) genau, erschöpfend ausgedruckt ist, so können weder die Bestimmung über den Oberbefehl des Cn. Pompejus, noch die Verordnung über die Zurück- berufung des Äf. Cicero, noch die Untersuchung über die Ermordung des P. Clodius, noch alle andern derartigen Ver- ordnungen des Volkes imd der Gemeine (populi plebisque jussa) mit dem Namen leges (Gesetze, Ermächtigungen) be- zeichnet werden. 4. Denn es sind dies durchaus keine ganz allgemeinen Gesetze, noch das gesammte römische Bürgerthum betreffende, sondern nur fbr einzelne Individuen abgefasste, weshalb sie eigentlich vielmehr privil^a (d. h. Einzelbe- stimmungen, individuelle Ausnahmeverordnungen) genannt werden müssen, weil die Alten „priva" im Sinne unserer jetzigen Bezeichnung von „singula" gebrauchten. So hat sich z. B. Lucilius im 1. Buche seiner „vermischten Gedicht- sammlung (Saturae)** dieses Wortes (priva in der Bedeutung^ von singula) bedient:

Abdomina thynni Ad venientibas priva dabo cephaUteaque acarnae, d. h.

Vom Thunfische f&r jeden der kommenden (G&ste) besonders Will ich zutheilen ein Bauchst&ck, von der Achame ein Eop&tack.

X, 20, 8. Gfr. Liv. 25, 12 die archaistische Formel popnlo plebique Romanae vergl. Fest unter sdtnm populi. Mit der Verfassung des Servius TuUins änderte sich der staatsrechtliche Sinn des Wortes populos, zwei verschiedene Bestandtheile umfassend, den Stand der Patricier und die Plebs. S. Lange röm. Alterth. § 44 p. (201) 233.

X, 20, 4. privilegia heissen in der ältesten Sprache individuelle Ausnahmen. Heut zu Tage nennen wir privilegia die durch die höchste Staatsgewalt bestimmten individuellen Ausnahmen von der Anwendung der Rechtsregeln. S. Savigny röm. Rt. Bd. I, cap. 2, § 16.

X, 20, 4. abdomina priva, d. h. f&r jeden ein besonderes Bauchstück. S. Paul. S. 226.

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X. Buch, 20. Cap., §5 7. (75)

5. Bei dieser seiner Erklärung hat Gapito zur Bezeichnung des römischen Volkes sich zweier Ausdrücke bedient, des Wortes „plebs" und des Wortes „populus"' und hat sie besonders von einander getrennt, weil im Worte „populus^' der Gesammt- theil des StaatsbOrgerthums und alle seine (drei) Stände (d. h. der Bathsherren, der Bitter und des Volkes einbegriffen waren, das Wort „plebes" (= plebs, die Gemeine) aber die sogenannte Bezeichnung ist (für die niedere Volksklasse) mit Ausschuss der patricischen Bürger-Familien (und der Sena- toren). 6. Ein „plebisscitum" ist also, nach der Angabe des Capito, eine gesetzliche Verordnung (lex), welche die Gemeine (plebes), nicht das (gesammte) Volk (abgefasst und) annimmt (also gleichsam eine Gemeinebeliebung). 7. Allein es gilt der Ausdruck „rogatio" (Vortrag, Vorschlag) für den eigentlichen Oberbegiiff (caput) und Ausgangspunkt (origo) und haupt- sächlichen Ausdruck (quasi frons) dieses (in allen den Be- griffen: lex, plebisscitum, Privilegium enthaltenen) gesammten Rechtsvorganges (totius higus rei jurisque) , wenn die Sache

X, 20, 5. Zwischen popalas und plebs war ein grosser Unterschied. AUe drei römischen Stiknde zusammengenommen (Senatoren, Ritter und gemeine Bürger oder Pleb^er) machten den populus Romanus, das römi- sche Volk aus. Bei öffentlichen Verhandlungen, besonders mit Auswärtigen, war die Formel Senatus populusque Romanus gebräuchlicher als Populus Romanus. Die s&mmüichen Borger hingegen, mit Ausschluss der Senatoren und Patiider, hiessen plebes plebs), daher auch ihre gesetzmftssigen, bevollmächtigten Stellvertreter tribuni plebis nicht tr. populi hiessen; daher sollten eigentlich tribuni plebis nicht Volks -Zunftmeister, sondern Zunftmeister der Gemeine heissen; cfr. Gell, n, 14, 6 NB. Lange röm. AlterthOmer. § 40 p. (169) 196: „Da die Erweiterung einer plebejischen Familie f&r sich nicht zu dem Begriffe einer gens patricia im staatsrecht- lichen Sinne des Wortes führte, so erklärt es sich, dass den Pleb^em gentes Oberhaupt abgesprochen werden, während natOrlich thatsächUch plebejische Agnatenkreise sich so gut wie patridsche sich (bis in nebel- graue Femen) erweitem konnten etc.*^ S. Gell. XVn, 15, 4 NB.

X, 20, 7. In den ältesten Zeiten wurde mOndlich abgestimmt, welches schon die Ausdrücke rogare, rogator beweisen. Keine Sache von Wichtig- keit wurde ohne die rogatio (Anfrage) verhandelt So wurden die Gesetze eingelEillurt. Der Magistrat fragte (rogabat) und das Volk antwortete: nti rogas sc. volumus (d. h. dein Vorschlag gelte, oder: ich billige das vor- geschlagene Gesetz). Wie dieses mündliche Abstimmen vor sich ging, ist unbekannt, wahrscheinlich aber dadurch, dass die Rogatores die einzelne Stimme auf einer tabula aufzeichneten.

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(76) X. Buch, 20. Cap., § 7— 10. 21. Cap., § 1.

entweder das gesammte Volk, oder (auch um*) die Gemeine (d. h. den Stand der Plebejer) anging, oder wenn es eine allgemeine Sache der Republik betraf (quod ad universos pertinet). 8. Denn alle diese (genannten) Ausdrücke (füi* gesetzliche Bestimmungen) werden mit dem ursprünglich allge- meinen Begi"iflf der „rogatio" (eines Vortrags, Vorschlags durch Umfrage) bezeichnet und sind daher auch wesentlich in diesem Ausdnick enthalten. Denn ohne dass (vorher) ein Vorschlag an das (gesammte) Volk, oder (nur) an die Gemeine (den untersten Volksstand) geschieht, kann auch keine Verordnung der Gemeine oder des Volks (plebis aut populi jussum) zu Stande kommen. 9. Allein obgleich diese Annahme (des Gapito) ihre Richtigkeit hat, finde ich (auffälliger Weise) in den alten Schriften doch keinen grossen (strengen) Unterschied (in der Wahl und Anwendung) dieser Ausdrücke beobachtet. Denn sowohl „plebisscita"^, als auch „privilegia*' hat man in der uneigentlichen Bedeutung für den Ausdruck „legis (Gesetze, Ermächtigungen)" genommen und hat (hinwiederum) alle diese Ausdrücke, durch Vermengung und Unklarheit im Begriff, auch „rogationes (Vorschläge)" genannt. 10. Auch Sallust, der doch sonst am meisten festhielt an der eigentlichen und ursprünglichen Bedeutung der Wörter, gab dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nach und benannte ein eigentliches „Privi- legium", d. h. die besondere (Ausnahme-) Verordnung, welche über die Zurückberufung des C. Pompejus beantragt wurde, (mit dem allgemeinen Begriff „ein Gesetz":) „legem". Die betreffende Stelle -findet sich im 2. Buche seiner Geschichte und lautet: „Verabredeter Massen hatte der Volkszunftmeister C. Herennius ausdrücklich verhindert, dass der Consul Sulla das (Ausnahme-) Gesetz (legem) wegen des Pompejus Zurück- berufung durchsetzte."

X, 21 y L. Weshalb M. Cicero im AUgemeinen die Ausdrücke : „novissime*' und „novissimns" gefliBsentlichst yermieden hat.

X, 21. Gap. 1. Es ist augenscheinlich, dass M. Cicero einige Ausdrücke, die jetzt allgemein im Gebrauch sind und

X, 20, 10. YergL über dies „priyüegium'' Lange röm. Alterth. IL Bd. § 188 S. (590) 649 und lU. Bd. § 157 S. 862 u. 868.

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X. Buch, 21. Cap., § 1. 2. 22. Cap., § 1. (77)

waren, nicht habe brauchen wollen, weil sie (überhaupt) nicht seinen Beifall fanden, wie z. 6. sowohl „novissimus'^ (der neuste letzte), als auch „novissime" (neulichst, letzthin, jüngst). 2. Denn da sowohl M. Cato, als Sallust und auch noch andere (gute) Schriftsteller desselben Zeitalters gemeinschaftlich sich dieses Ausdiiicks bedient haben, desgleichen noch viele sehr gelehrte Männer in ihren Schriften diese (Superlativ-) Form schriftlich verwertheten , scheint sich Cicero doch dieser, als einer gleichsam nicht (gut) lateinischen Form enthalten zu haben, einzig nur deshalb, weil auch L. Aelius Stilo, der ge- lehrteste Mann seiner Zeit, diese (Superlativ-) Form als (zu) modern und nicht zu Recht beständig vermieden hatte. Des- halb halte ich es für zweckentsprechend auch gleich auf das Urtheil des M. Varro über diesen Ausdnick mit Varros eigenen Worten aus dem 6. Buche seines an Cicero ge- richteten Werkes über die lateinische Sprache hinzuweisen, wo es heisst : „Was man (sonst gewöhnlich) unter dem Begriff „extremus (der letzte)" verstand, fängt man jetzt gewöhnlich an mit „novissimus" auszudrücken, welche Form zu meiner Zeit nicht nur Aelius, als auch einige andere alte Schriftsteller als allzumodern vermieden; denn gerade so wie man von „vetus** die Formen (des Comparativs und Superlativs) vetustius und veterrimum bildet, so ist von novum (der Comparativ) novius und (der Superlativ) novissimum abgeleitet worden."

X, 22, L. Auszag einer Stelle aus Piatos Dialog, „Gorgias** überschrieben,

über Vorwürfe, die nur auf die Schein-Philosophie Bezug haben, womit

aber unüberlegt gleich auf alle Philosophen nur Solche losziehen, welche

die Vortheile der wahren Philosophie leugnen (oder verkennen),

X, 22. Cap. 1. Plato, der grösste Freund der Wahrheit und ein Mann, der stets sein höchstes Vergnügen daran findet, diese (Tugend) allen seinen Mitmenschen zu Gemüthe zu führen, lässt aus einem zwar nicht ganz sachverständigen und nicht ganz unbefangenen Munde, aber (im Grunde ge- nommen) doch durch ein wahres und aufrichtiges Bekenntniss Alles das sagen, was überhaupt gesagt werden kann gegen

X, 21, 2. L. Aelias Stilo PraecoDius (b. Gell. I, 18, L. NB) war des M. Varro Lehrer.

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(78) X. Buch, 22. Cap., § 1 - 6.

solche MüssiggäDger und Lungerer, die unter dem Yorwand (und) der Firma der Philosophie ein unnützes Faulenzerdasein und den Dunst in Worten und Werken als Ziel verfolgen. 2. Denn obgleich Gallicles, dem Plato die Gedanken darüber in den Mund legt und dem das wahre Wesen der Philosophie nicht so ganz klar geworden ist, den Philosophen (im All- gemeinen) viel ungeziemende und unverdiente Vorwürfe macht, 80 muss man sich doch genau merken, was von ihm gesagt wii'd, damit wir uns im Herzen erinnert fühlen, dass wir nicht auch selbst (einmal) dergleichen (gerechten Tadel) ver- dienen, oder aus träger und eitler Faulenzerei die Be- schäftigung mit der Philosophie lind die Neigung zu ihr (nur) als Ausflucht gebrauchen. 3. Die betreffende Stelle aus dem Gespräche des Plato, Gorgias übei'schrieben, bezüglich der Auslassung (von Seiten des Callicles) hebe ich hier aus und lasse sie gleich im griechischen Originalwortlaut folgen, weil eine Uebersetzung derselben nicht in meiner Absicht liegen konnte, da sich die Eigenthümlichkeiten (des Griechischen) im Lateinischen keineswegs würden annähernd (treffend) aus- drücken lassen können, am allerwenigsten aber durch eine Uebertragung von mir. Die Stelle lautet (Plat Gorg. 484, C. cap. 40): 4. „Die Philosophie, mein lieber Socrates, ist freilich etwas Hübsches, wenn Jemand im Jugendalter sich einiger- massen mit ihr befasst; wenn man aber (gar zu lange und) über die Gebühr sich bei ihr aufhält, dann wird sie (mehr) 2um Schaden (als zum Nutzen) der Menschen beitragen. 5. Denn wenn Einer auch mit guten Naturanlagen ausgerüstet ist und sich dabei noch über das Jugendalter hinaus mit Philosophie beschäftigt, (D) so wird er nothwendig in alledem unerfahren bleiben, was (ausserdem doch) Jeder wissen (soll und) muss, der ein braver, rechtschaffener und angesehener Mann werden will. 6. Leute solchen Schlages werden un- bekannt bleiben, sowohl mit den Gesetzen im Staate, als auch mit der Rede (-Fertigkeit, zwei Dinge), über die man im Verkehr mit Menschen bei öffentlichen, so wie Privat- vorträgen (jederzeit) muss verfügen können; femer werden solche keinen Einblick thun in die menschlichen Gelüste und

X, 22, 5. Cfr. GeU. V, 15, 9 u. V, 16, 5.

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X. Buch, 22. Cap., §6 16. (79)

Leidenschaften und werden überhaupt ein für allemal mit den Sitten des Lebens in Widerspruch gerathen. 7. Wenn sie dann an ein öffentliches, oder Privatgeschäft gehen, machen sie sich lächerlich, (E) wie ja auch die Staatsmänner, mein' ich, sich lächerlich machen, wenn sie sich mit euren Uebungen und Untersuchungen abgeben. (8. Denn hier trifft die Rede des Enripides ein: Es glänzt ein Jeder wohl darin

und strebt vonsaglich darauf zu, Verwendend eines jeden Tages grössten Theil, Dass er wo möglich selbst sich selber übertrifft.

9. (485) Worin aber einer sich schwach fühlt, das flieht er und schmäht es, hingegen jenes Andere lobt er aus Liebe gegen sich selbst, weil er glaubt, sich selbst auf diese Art zu loben/0 10. Kurz nachher fügt Plato hinzu: „Meiner Meinung zu Folge ist es demnach am besten, sich mit Beidem zu befassen. Denn (nur) mit der Philosophie sich zu be- schäftigen ist zwar schön, insoweit es die Bildung erheischt, und Philosophie zu treiben, macht einem jungen Menschen (durchaus) keine Schande. Wenn aber ein älterer Mann noch philosophirt, dann, mein lieber Socrates, wird (mir) die Sache (doch etwas) lächerlich, 11. (B) und ich empfinde dasselbe bei Philosophen, was ich (so etwa) bei Leuten empfinde, die stammeln und kindische Spielereien treiben. 12. Wenn ich (z. B.) sehe, dass ein Kind, dem es (als solchem) gut ansteht so zu sprechen, stammelt und kindisch spielt, so freut mich das und erscheint mir das hübsch anständig (ungezwungen) und dem Kindesalter ganz angemessen; 13. höre ich dagegen ein solches Knäblein (schon so) altklug sprechen, so macht dies auf mich einen widrigen Eindruck und beleidigt mein Ohr und erscheint mir gezwungen; 14. (C) wenn man aber einen Mann (gar noch) stammeln hört, oder gar noch Kinder- spiele treiben sieht, so erscheint mir dies lächerlich und un- männlich und prügelwertfa. 15. Gerade ein gleiches Gefühl beschleicht mich auch bei Denen, die philosophiren. 16. Be- merke ich bei einem jungen Menschen, dass er Philosophie treibt, so schätze ich das und glaube, dass ihn das wohl an- steht imd halte denselben für einen anständigen Menschen

X, 22, §§ 8 u. 9 u. 19—23 faUen bei Hertz aus.

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(80) X. Buch, 22. Cap., § 16—22.

von edlem Herkommen ; dagegen einen jungen Menschen, der sich nichts aus der Philosophie macht, für einen Menschen von schlechtem Herkommen und für einen solchen, der sich keiner schönen und edlen Sache für würdig erachtet. 17. (D) Wenn ich aber Einen, der schon bei Jahren ist, noch immer- fort sich mit Philosophie beschäftigen und ihn gar nicht damit zu einem Ende kommen sehe, so scheint mir solch ein Mensch, lieber Socrates, nur noch Schläge zu verdienen. 18. Denn, wie gesagt, bei einem solchen Menschen, wenn er auch mit guten Naturanlagen versehen ist, tritt doch der Umstand ein, dass er unmännlich, schüchtern wird, das Innere der Stadt und den Markt (d, h. öflFentlicbe Gesellschaften und die Ge- rich tsörter) flieht, wo, nach dem Ausspruch des Dichters (Homer II. IX, 441) Männer sich glänzend hervorthun können, und (es wird sich herausstellen) dass er den Rest seines Lebens mit seinen drei oder vier schülerhaften Bürschchen sich in einen Winkel verkriecht und ihnen da was vorflüstert, (E) nimmer aber etwas Edles und Grosses und Tüchtiges wird (von sich) hören lassen. (19. [Cap. 41.] Ich nun aber, lieber Socrates, bin Dir so recht von Herzen gewogen; 20. daher geht es mir mit Dir gerade so, wie dem Z et hos mit dem Amphion beim Euripides, dessen ich eben gedacht habe; 21. denn auch mir kommt es an, jetzt eben dieselbe Sprache gegen Dich zu führen , die jener gegen seinen Bruder führte [und Dir gerade heraus zu erklären], dass Du, lieber Socrates, Dich [durchaus] nicht um das kümmerst, um was Du Dich [doch eigntlich] kümmeni solltest, und der Seele edelste Natur mit kindischem Putz verzierst [486. A] und schwerlich wohl in des Gerichts Berathungen je sprechen wirst, so wie es recht ist, noch je erfassen, was da billig und wahrscheinlich ist, noch auch für Andere einen kräftigen Entschluss fassen. Und doch, mein lieber Socrates zürne mir nicht etwa, denn was ich jetzt sagen werde, ist ja wohlgemeint, 22. scheint es Dir nicht schimpflich, dass es mit Dir so steht, wie es nach meiner Meinung mit Dir imd den Andern steht, die sich so tief mit der Philosophie einlassen? Denn wenn

X, 22, 20. Zethus, ein Sohn des Japiter und der Antiope, baute mit seinem Bruder Amphion die Stadt Theben.

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X. Buch, 22. Cap., § 22—24. (81)

Jemand Dich oder einen Andern Deinesgleichen ergrüfe und in das Gefängniss abführte unter dem Vorgeben, dass Du Unrecht gethan hättest, [B] obgleich Du es nicht gethan, so würdest Du, weisst Du, nicht wissen, was Du mit Dir an- fangen solltest, sondern es würde Dir schwindlich werden und Du würdest den Mund aufsperren, ohne zu wissen, was Du s^en solltest und, nachdem Du vor Gericht getreten wärest, wenn Du auch nur einem ganz schlechten und jämmerlichen Ankläger gegenüber ständest, würdest Du doch sterben müssen, falls er auf Deinen Tod den Antrag stellen wollte. Und doch wie ist das weise, lieber Socrates, wenn eine Kunst den wohl- begabten Mann ergreifend schlechter macht, so dass er weder sich selbst helfen, noch aus den grössten Gefahren sich oder einen Andern retten kann, sondern sich von seinen Feinden das Vermögen rauben lassen [C] und ganz ungeehrt im Staate leben muss. Einen solchen kann man, derb herausgesagt, ins Gesicht schlagen, ohne bestraft zu werden. 23. Wohlan denn, mein Guter, folge mir, lass' ab von den [philosophischen] Untersuchungen und übe schöner Thaten Musenkunst; und treibe das, wodurch Du weise scheinen wirst, und Andern lass' das Prunkende, soll ich sagen Possenspiel oder Ge- schwätz — das Dich in einem öden Hause wohnen lässt, [D] indem Du nicht den Männern nachstrebst, welche die Kleinig- keiten untersuchen, sondern solchen [Herumlungerern], welche ßeichthum und Ehre und viele andere Güter besitzen.") 24. Diese Gedankenentwickelung lässt Plato, wie schon gesagt, ganz ruhig erörtern durch den Mund eines zwar nicht so ganz sachverständigen Mannes, aber (eines Mannes) mit rich- tigem Gefühl und mit der (ehrlichen) Ueberzeugung von seinem (natürlichen) schlichten Menschenverstand und mit einer gewissen lautem, unverhehlten Wahrheit. Dabei ist, wie sich von selbst versteht, nicht die Rede von der wahren, ächten Philosophie, die für die Lehrmeisterin aller Tugend- haftigkeit gilt, und die sich hervorthut in ihrer Pflichterfüllung gegen den Staat zugleich und gegen (alle) Mitmenschen und die dem Staate und dem Gemeinwesen, wenn sonst kein Hinderniss eintritt, mit aller Standhaftigkeit, Muth und Ein- sicht vorsteht: es handelt sich also hier, ich wiederhole es noch einmal, nicht um die wahre Philosophie, sondern nur um ein

Gel lins, Attache Nächte. U. 6

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(82) X. Buch, 22. Cap., § 24. 28. Cap., § 1. 2.

unnützes und kindisches Ersinnen von Spitzfindigkeiten, (um jene brodlose Kunst) die nicht im Geringsten zur Erhaltung und Ordnung im Leben förderlich ist, worin die Art von Menschen grau werden, die mit nichts Besserem ihre Zeit auszufüllen wissen, und die der gemeine Haufe gerade so für Philosophen hält, wie sie hier (bei Plato) der Callicles dafttr hielt, aus dessen Munde obiges Urtheil floss.

X, 23, L. Eine Stelle aus einer Rede des M. Cato über die Lebensweise

und Sitten der Frauen im alten Rom und beiläufige Bemerkung, dass

einem Ehemann das Recht zustand, sein im Ehebruch ertapptes Weib

(auf der Stelle) zu tödten.

X, 23. Cap. 1. Die Schriftsteller, welche uns Mit- theilungen machen über die Lebensweise und Gewohnheit des römischen Volkes, versichern, dass die Frauen zu Rom und im ganzen Latium ihr ganzes Leben nüchtern (abstemiae) zugebracht, d. h. sich stets des Weines enthalten haben, der in der alten (lateinischen) Sprache „temetum" (d. h. Most, oder vielmehr: berauschendes Getränk) genannt wird, und dass es eingeführt gewesen, dass sie ihren Anverwandten einen Kuss geben mussten, (des Argwohns) der üeberführung halber, um durch den Geruch (des Athems) auf die Spur zu kommen, im Fall sie (gegen das Verbot) Wein getninken haben sollten. 2. Für gewöhnlich sollen sie nur Tresterwein (loream, Lauer), Sekt (passum), Gewürzwein (murrinam) und dergleichen an- dere gebräuchliche süsse Getränke zu sich genommen haben.

X, 23, 1. Cato sagt also, dass die römischen Frauen von ihren Yer- "wandten deswegen geküsst worden seien, um zu erfahren, ob sie nach Wein röchen. Plin. XIV, 18. Fabius Pictor schreibt in seinen Annalen, dass eine Matrone von den Ihrigen gezwungen worden sei, Hungers zu sterben, weil sie das Schrftnkchen, worin die Schlüssel zum WeinkeUer lagen, erbrochen hatte. Cfr. Val. Max. 11, 1, 5; VI, 3, 9; Dionys. Hai. n, 26; Plut. qu. rom. 6; Martial. I, 88; TertulL Apologet. 6; Amob. ady. gent. II, 67; Pün. 14, 13, 14 § 89; Plutarch von den Tugenden der Weiber. Trojanerinnen.

X, 23, 2. Lorea oder auch lora, ein aus einem Wassemachguss aus den noch einmal ausgepressten Trestem gewonnener Nachwein, der wegen seines geringen Geistesgehaltes von Armem Leuten, Soldaten und Sklaven und also auch von Frauen getrunken wurde. S. Yarro r. r. I, 54, 8; Cato r. r. 57; Colum. XU, 41; Plin. 14, 10, 12 § 86; Plaut mü. m, 2, 28.

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X. Buch, 23. Cap., § 3—5. 24. Cap., § 1. (83)

8. Das Alles ist nun zwar in den von mir besagten (??) Schriften allgemein bekannt geworden, allein nach des M. Cato Bericht sind (römische) Frauen nicht etwa bloss mit scharfem Verweis weggekommen, sondern haben sich auch noch vom Richter die härtesten Strafen zugezogen, ebensowohl wenn sie sich (gegen das Verbot den Genuss von) Wein ge-_ stattet hatten, als auch wenn sie die Schuld ehelicher Un- treue auf sieh geladen hatten. 4. Ich setze hier gleich M. Catos Wortlaut her aus seiner Rede mit der Aufschrift „über das Heirathsgut^, worin sich die schriftliche Bemerkung findet, es habe den Ehemännern das Recht zugestanden, ihre im Ehebruch ertappten und überführten Weiber (sofort) zu tödten. Die Stelle lautet: „Ein Mann, so lange er noch in der Schei- dung liegt, d. h. noch nicht geschieden ist, vertritt als Richter bei seiner Frau Censorstelle , hat oflfenbar unumschränkte Gewalt (über sie), so z. B. wenn ein Weib sich eine un- gebührliche und schimpfliche Handlung hat zu Schulden kommen lassen, darf er sie bestrafen; ferner, wenn sie Wein getrunken, oder mit einem andem Manne sich einer schimpf- lichen Handlungsweise schuldig gemacht hat, darf er sie (selbst) verurtheilen." 5. In Bezug auf das Recht, sie (im äussersten Fall) sogar tödten zu lassen, steht also geschrieben : „Wenn Du Dein Weib (auf frischer That) im Ehebinich er- tappst, darfst Du sie ohne Umstände ungestraft tödten; ihr aber steht keineswegs das Recht zu, wenn Du die Ehe brichst, oder die Ehe gebrochen hast, sich zu unterfangen, Dich auch nur mit dem Finger zu bemhren."

X, 24, L. Dass Alle, die sich eines feinen Stils befleissigten , nicht nach

der jetzigen Volkssprache sich richteten, sondern (stets) „die pristini'' und

„die quarii*^. und „die quinti^ gesagt haben.

X, 24. Cap. 1. Die Formen „die quarto" und „die quinto"

Dann gab es auch noch einen Hefenwein (Gell. XI, 7, 6 faex vini ex yinaceis compressa), der auch Hefenwein (vinum faecatum) genannt wurde. Vergl. „Hellas und Rom« von Alb. Forbiger L Abth. 1. Bd. NB 87, 4. Capitel p. 256. S. Paul. S. 144.

X, 23, 4. Mit Zuziehung der Verwandten stand dem Manne ein Ge- richt über seine Frau zu. Dion. Hai. 2, 25; Tac Ami. 13, 32; Val. Max. ü, 9, 2; Suet. Tib. 35; Plin. 14, 13, 14 § 89; TertuU. Apol. 0; Lactant. Instit. I, 22.

X, 24, L. S. Macrob. Sat. I. 4.

6*

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(84) X. Buch, 24. Cap., § 1—3.

was die Griechen mit elg TetaqTtjv (sc. fifxiQavy d. h, auf den vierten Tag, in vier Tagen) und elg rtiiATvvTjv (in fünf Tagen) bezeichnen höre ich heutigen Tages selbst von unterrichteten Leuten gebrauchen und wer sich andei-s aus- drückt, wird für roh und ungebildet (gehalten und) mit Ver- achtung angesehen. Allein zur Zeit des M. TuUius (Cicero) und noch weiter zuiilck, glaub' ich, bediente man sich einer andern Ausdrucksform; man verband beide Wörter, brauchte sie wie ein Adverbiura, also „diequinti" und auch „di^quinte'' und sprach dabei die zweite Silbe in dem Worte kurz aus. 2. Auch der erhabene Augustus, der eifrigste Forscher in den alten schriftlichen Denkmälern, welcher der lateinischen Sprache doch ganz mächtig war, und dessen eifrigstes Be- streben dahin ging, in allen seinen Reden der Feinheit und Reinheit seines Vatei-s nachzueifern, hat in seinen Briefen an vielen Stellen bei der vorkommenden Tagesbezeichnung nie- mals eine andere Form angewendet. 3. Ich werde nicht Unrecht thun, wenn ich, zum Hinweis auf diesen bei den Alten eingebürgerten Sprachgebrauch, die üblichenWorte desPraetors hierher setze, womit er nach der Sitte unserer

X, 24, 1. Das lange e neigte sich bald zu ae hin (z. B. haeres), bald zn oe (foemina), bald zu i und hielt oft einen Mittelton ' von e und i. Auch das kurze e neigte sich zu i hin. In alter Zeit findet sich tem- pestat^bus, Meuervae, meröto geschrieben, wof&r die gebildete Sprache in der klassischen Zeit i annahm, die spätere Volkssprache aber wieder e hören Hess. Daher das vielfache Schwanken in älteren Formen, so in is und es im Acc. plur., die quarte, here, peregre, sibe und sibei, ne und nei, nise und nisei, in Inschriften findet sich quase und quasei. Daher das griechische n in Eigennamen bald e, bald i geschrieben wird. S. lat Gramm, v. Gossrau. Die dem Dativ angehörende Endung i hat sich in dem localen Ablativ verschiedener Städtenamen und einiger anderer Sub- stantive erhalten, (auf die Frage : wo?) Garthagini, ruri etc. Derselbe Ablativ in dem anscheinenden Genitiv von Städtenamen und anderer Wörter der 1. und 2. Dedination enthalten auf ae (ai) und i Romae, Gorinthi, militiae, humi, domi eigentlich die locale Ablativform: Cor- cyrae, K€QxvQat> (ly); Deli, Jrikot (^i); cfr. otxoi. (^) domi. In guten Handschriften steht statt domi auch domui. Die Begriffe des Bäumlichen gingen über in die des Zeitlichen (also auch bei i für e, bei wann?), vesperi neben vespere, temperi, luci. Daher erklärt sich auch die veraltete Adjectivform die crastini, pristini, proximi. S. Krüger (Grotefend) Gramm, p. 270, 6.

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X. Buch, 24. Cap., § 3—6. (85)

Vorfahren den Tag der (jährlichen) Feierlichkeiten an- zukündigen pflegte, welche man mit dem Namen Kreuzwegs- Fest (compitalia) bezeichnete. Die Worte lauten also: „Am neunten Tage (dienoni), d. h. in neun Tagen wird das römi- sche Volk mit allen seinen edlen Bürgern das Kreuzwegfest feiern; wenn die Feierlichkeiten begonnen haben, ist nichts erlaubt (d. h. von öffentlichen Geschäften vorzunehmen)." Bei seiner Ankündigung braucht der Praetor stets den Aus- druck „dienoni" und niemals „die nono". 4. Allein nicht nur der Praetor, sondern fast die ganze (gute) alte Zeit bediente sich dieser Ausdrucksweise, 5. Sieh, da fällt mir auf einmal jener bekannte Vers des Atellanendichters Pomponius aus dessen sogenannter Mevia ein:

Dies hie sextust, cam nihil egi: diequarte moriar fame, d. h.

Dies ist nun schon der sechste Tag, da nichts ich gethan, Vor Hunger sterb' ich in vier Tagen wohl.

6. Da fällt mir auch noch jene bekannte Stelle des Coelius (Antipater) aus dem 2. Buche seiner (punischen) Geschichte bei: „Im Fall Du mir die Beiterei anvertrauen und selbst mit dem übrigen Heereskörper nachfolgen willst, will in fünf Tagen (diequinti) ich zu Rom auf's Kapitel hin Dir ein zu- bereitet Mahl anrichten lassen (d. h. sollst Du auf dem

X, 24, 8. Compitalia, d. h. ein Fest, welches jährlich kurze Zeit nach den Satomalien, nach vorhergegangener, näherer Bestimmung des Fraetors auf Scheidewegen gefeiert wurde, zu Ehren der Laren (Schutzgötter, auch Beschffmer der Kreuzwege, lares compitales). Lar »» lars vieUeicht verwandt mit dem scliottischen lard ^ Lord, Fürst, Herr. Sie gehören unter die conceptivae feriae, angeordneten (wandelbaren) Feste. S. Paul. p. 62; Varro L 1. 6, 25.

X, ^, 4. Ate IIa, uralte Stadt der Osker in Campanien. Fabula Atellana, scenische (nicht von fremden "Histrionen, sondern von der römi- schen Jugend selbst aufgeführte) Darstellung. Dieselbe wurde frühzeitig aus Atella nach Rom verpflanzt, mit derbem, heiterem Witz gemischt und war von echt italienischem Charakter. Römische Nationallustspiele. Teuffels » röm. Lit § 9 „Krähwinkeliaden<<.

X, 24, 5. L. Pomponius aus Bononia (Bologna) als Atellanen- dichter berühmt, besonders ausgezeichnet in den stohend gewordenen Gharaktermasken eines „Tölpels", „altes Papachen**, „Dununkopf*' etc. Von seinen. Atellanen giebt es noch 65 Titel. S. Teuffels R. L. 135.

X, 24, 6. S. GeU. X, 1, 8 NB. L. Coelius Antipater.

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(86) X. Buch, 24. Cap., §7—9.

Kapitol warm speisen)." 7. Diesen geschichtlichen Ausspruch aber entlehnte Coelius erst aus der Urgeschichte des M. Cato, worin also geschrieben steht: „Der Befehlshaber der Reiterei Hess dem Ober -Befehlshaber der Carthager folgende Auf- forderung zugehen: Sende mich mit der Reiterei nach Rom (voraus), am fünften Tage (diequinti) sollst Du dann (schon) für Dich auf dem Capitol ein Mahl angerichtet vorfinden." 8. Die letzte Silbe bei diesem Worte (die quinte) habe ich bald mit e, bald mit i geschrieben gesehen; denn diese (beiden) alten Schriftsteller (Coelius, wie Cato) bedienten sich (in der Schriftsprache) willkürlich dieser (beiden) Buchstaben (d. h. bald des e, bald des i auch noch in andern Wörtern, wie in) „praefiscine" (unberufen) und „praefiscini" , „proclivi" (ab- schüssig) und „proclive". Ebenso werden auch noch eine Menge anderer derartiger Ausdrücke verschiedentlich ausgesprochen (beim Auslaut). So sagte man gleichfalls: die pristini, was soviel bezeichnete als: die pristino, am nächsten vergangenen, d. h. am vorigen Tage, was im gewöhnlichen Leben auch durch das Wort „pridie" bezeichnet wird, mit Umkehiiing der beiden Wörter bei ihrer Zusammensetzung, gleichsam für: pristino die. So bildet man auch die ganz ähnliche Form nach in: „die crastini" (morgenden Tags), das sollte heissen „crastino die". 9. Ebenso wenn die Priester eine Ankündigung auf den dritten Tag ergehen lassen, bezeichnen sie diesen Tag mit dem

X, 24, 7. Die Stelle bezieht sich auf die Schlacht bei Cannae, wo der punische Dictator Hannibal so verblendet war, auf deit Vorschlags seines Keiterobersten Maharbal nicht sogleich ohne Zaudern eingegangen zu sein (Kibbeck). Die Fortsetzung zu dieser catonischen Steile siehe bei Gell. II, 19, 9. 216/538 vergl. Historie. Rom. relliq. v. H. Peter I p. 78; Liv. 22, 51; Val. Max. 9, 5 ext. 3; Flor, ü, 6 (I, 22), 19; Plut. Fab. 17.

X, 24, 8. In „pridie*^, welches eine Zusammensetzung von primo die zu sein scheint, wird bei der Ordinalzahl in der Bezeichnung von einem Zeitraum, der Tag, wovon die Zählung ausgeht, nicht mitgezählt, wie hier § 9 bei tertio die. Diese augenscheinliche Inconsequenz wird dadurch entfernt, dass man pridie für priore oder pristino die nimmt, wie es hier vom Gdlius abgeleitet wird. S. Macrob. Sat I, 4, 26.

X, 24, 9. perendie oder perendinus dies, d. h. übermorgen. Dieser Tag wird auch di^ tertius genannt, offenbar nur indem man den heutigen Tag, von welchem aus gezählt werden soll, als den ersten ansieht und folglich mitzählt. Cic pro Muren. 12; cfr. Gell. VI (VII), 1, 10. Die Terminansetznng hiess condictio, siehe Liv. I, 32; vergl. Paul. 64. 66.

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X. Buch, 24. Cap , § 10. 25. Cap., § 1. 2. (87)

Ausdruck: perendini (übermorgen). 10. Aber in dem Sinne, wie Viele den Ausdruck die pristini (am gestrigen Tage) ge- brauchen, gerade so hat M. Cato in seiner Rede gegen den Furius die proximi gesagt (in der Bedeutung : nächstvergangen, kürzlich). Der überaus gelehrte Cn. Matius gebrauchte in einem seiner mimischen Gedichte den Ausdruck: die quarto (zur Bezeichnung einer vergangenen Zeit), wofüi- wir jetzt nudius quartus sagen (d. h. nunc dius [= dies] quartus), d. h. es ist nun bereits der vierte Tag oder : vor vier Tagen). Der Inhalt der betreffenden Verse lautet:

"Super die quarto, ut recordor, et certe Aquariam urceum unicum domi fregit, d. h.

Besinn' ich recht mich, vor vier Tagen wars, wo er Zu Haus' mir auch den einz'gen Wasserkrug zerhrach.

Man wird also (wohl) folgenden Unterschied festzustellen haben: dass „die quarto" zwar von der verflossenen Zeit zu verstehen sei, „die quarte" aber von der zukünftigen.

X, 25, L. Benennungen von Pfeilen, von Wurfgeschossen, von Hieb- und

Stichwaffen, und nebenbei auch noch Ausdrücke für Wasserfahrzeuge, die

sich nachweislich in den Werken der Alten genannt finden.

X, 25. Cap. 1. Als ich (einst) einmal in einem Reise- wagen sass, machte ich, um meinen unthätigen und gelang- weilten Geist nicht mit (unnützen) anderweitigen Narrenspossen zu beschäftigen, es mir zum (besonderen) Vergnügen (die verschiedenen) Benennungen von Pfeilen, Wui-fgeschossen und Stichwaffen, welche sich in den alten Geschichtswerken er- wähnt finden, desgleichen die mannigfachen Arten und Namen von Schiffsfahrzeugen zusammenzusuchen. 2. Da fielen mir also folgende ein: hasta (Spiess, Lanze), pilum (Wurfspiess), phalarica (falarica, Speer, Brandgeschoss) , semiphaJarica (Halbspeer, Brandpifeil) , soliferrea (von sollus = totus, ganz von Eisen, Wurfeisen, Eisengeschoss), gesa (gaesa, gallisches, leichtes Wurfgeschoss), lancea (Lanze), spari (Speere), rumices

X, 24, 10, ürceus, Henkeltopf. Vergl. Mart 11, 57, 3; 14, 106; Cato r. r. 13; Colum. 12, 50 (52), 8; Plin. 18, 30, 73 § 307; 19, 5, 24 § 71; 19, 8, 39 § 129; Dig. 30, 7, 18.

X, 25, 2. Paul, und Festus unt d. betr. Wörtern.

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(88) X. Buch, 25. Cap., § 2-5.

(Brand-Geschoss), trifaces (dreikantige FernwaflFen), tragulae (Hellebarden), frameae (Lanzen der Deutschen mit einer Schneide), mesanculae (Wurfschleudem), cateiae (gallische Wurfspiesse), rumpiae (= rhomphaeae, zweischneidige, lange Schwerter, Flamberge), scorpii (Kriegsschleudem) , sibones (illyrische Jagdspiesse), siciles (Sicheln, Hacken, Hauen), veruta (Wurfspiesse mit Eisenspitze), enses (Degen), sicae (Dolche), machaerae (Säbel), spathae (breite Schwerter), lingulae (ligulae, kleine Degen, Dolche), pugiones (kurze Degen), clunacula (Schlachtmesser). 3. In Betreff des Wortes lingula, weil es eben nicht sehr häufig vorkommt, glaube ich in Erinnerung bringen zu müssen, dass unter diesem Ausdruck die Alten einen länglichen, nach Art einer Zunge gefonnten kleinen (spitzen) Degen verstanden haben, dessen Naevius in seinem Trauerspiel „Hesione" Erwähnung thut. Ich lasse hier die Stelle des Naevius folgen:

Ne mihi gerere morem videar lingua, verum lingula, d. h.

Auf dass ich willig mich zu zeigen scheine jetzt mit des Dolch's, nicht

mit der Zungen-Spitze.

4. Eine Art von Geschossen bei dem thrakischen Volksstamm nannte man rumpia (= rhomphea, Flamberg) und es findet sich dieser Ausdruck im 14. Buche der Jahrbücher des Q. Ennius geschrieben. 5. Namen für Schiflfe, so weit ich mich da er- inneiii kann, giebt es folgende: gauli (Fluten, Fleutschiffe, Kauflfahrtei-Handels-Schiflfe), corbitae (CoiTetten, Lastschifife), caudicae (Flösse), longae (Galeeren), hippagines (== inTtaytay^h Transportschiffe fQr Reiterei), cercuri (cyprische, leichte Jagd- schiflFe), celoces, oder, wie sie die Griechen nennen, celetes (xilrjteg, Fregatten), lembi (Kutters), (h)oriae (Schifferkähne), lenunculi (Felucken), actuariae (Schoner, Schnellsegler), welche

X, 25, 2. Frameae vergl. Pfrieme.

X, 25, 2. Cateiae bei Yergil Aen. 7, 741 ein deutscher, längerer Wurftpiess, wie ihn die Teutonen später führten. Wahrscheinlich ein celtisches Wort

X, 25, 3. Hesione, Tochter des trojanischen Königs Laomedon, welche Hercules von einem Seeungeheuer rettete und dem Telamon zur Gemahlin gab. Ovid. Met. 11, 211 etc. Verg. Aen. 8, 157.

X, 25, 5. S. Paul, und Fest unt d. betr. W.

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X. Buch, 25. Cap., §5.-26. Cäp., § 1. 2. (89)

die Griechen larioyLciTcoi oder iTtayLTgidsg nennen; pro- sumiae (leichte Spähschiffe), oder geseoretae (Eilpost-Jachten), oder (h)oriolae (leichte Ktlstenschiffchen) , stlattae (Gallioten, lange, bedeckte Flussschiffe), scaphae (Nachen), pontones (Fähren, Pontons, Biilckenschiffe), acatiae (Fahrzeuge), hemio- liae (Kaper, Seeräuberboote), phaseli (Schaluppe, Chaloupe, an grosse Schiffe angehängt), parones (Pinassen, leichte Fahr- zeuge), myoparones (ßaubschiffe) , untres (Gondeln), caupuli (Barken), camarae (Gondeln, Schiffchen mit bogenförmiger Bedeckung bei den Einwohnern am Pontus), placidae (flache Fahrzeuge), cydarum (Hackboot oder Pinke, auch Tartane), ratariae (Hösse), catascopium (Brigg, Jacht-Schiff).

X, 26, L. Ungerechter Vorwurf, der vom Asinias FoUio dem Sallust deshalb widerfährt, weil er das Ueberschiffen über das Meer (transfretatio- nem) mit „transgressas (Hinabergang)" ausdrückte and die, welche za Schiffe über das Meer gezogen waren (qui transfretassent) als „transgressi (Hinübergegangene)** bezeichnete.

X, 26. Cap. 1. Es schien dem Asinius PoUio in einem seiner an den Plauens gerichteten (literarischen) Briefe und einigen andern Feinden des Cn. Sallust tadelnswerth, dass dieser Schriftsteller im ersten Buche seiner Geschichte das Hinübersetzen imd die üeberfahrt übers Meer mit „ti-ans- gressus (Uebergang)" bezeichnete; und dass Diejenigen, von welchen gesagt wuide, dass sie über das Meer gesetzt waren, mit dem Ausdiiick „transgressi (übers Meer Gegangene^." 2. Er fohlt die betreffende SteUe aus Sallust wörtlich an, sie lautet: „Deshalb liess Sertorius einen geringen Besetzungs- posten in Mauritanien zurück und nachdem er das Dunkel der Nacht abgewartet und die Fluth sein Unternehmen zu

X, 25, 5. acatiae (var. lat. vaetidae).

X, 25, 5. rifjiioUa sc vavg^ ein leichtes Fahrzeug, besonders der Seerftober mit anderthalb Buderbank.

X, 26, 1. ürtheile über die Ausdrucksweise des SaUust cfr. Gell. I, 15, 18; IV, 15, 1; VI (VE), 17, 7; X, 21, 2; s. Teuffels röm. L. 204, 4.

X, 26, 1. Lucius Munatius Plauens in naher Verhindung mit Cicero und dessen Schüler. Vergl. GeU. I, 22, 19 und Bemhardy röm. Lit. 46, 181); üher die Archaismeii des Sallust siehe Teuffels röm. Lit. 204, 5.

X, 26, 2. üeber Sertorius vergl. Gell. II, 27, 2 NB und Gell. XV, 22.

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(90) X. Buch, 26. Cap., §2—7.

begünstigen schien, gelang ihm durch seine Heimlichkeit, oder durch seine Schnelligkeit das Wagniss, ein Treflfen zu ver- meiden, beim Uebergang (in transgressu)." 3. Hernach schreibt er weiter unten : „Die Hinübergegangenen (ingressos, d. h. nach ihrem Uebergange) nahm Alle ein von den Lusi- taniern bereits vorher (aus Vorsicht für sie) besetzter Berg auf." 4. Nach der Meinung Jener sei nun diese Ausdrucks- weise nicht nur weniger bezeichnend und unüberlegt {artegt- axeWwff und gewagt), sondem auch von keiner vollwichtigen Schriftgrösse (nachweislich) angewendet. „Denn," sagt Asinius PoUio, „es findet der von „transgredi" abgeleitete Ausdi-uck: „transgressi" nur von einem Einherschreiten und einer Fort- bewegung durch die Füsse seine richtige Anwendung." 5. Des- halb bestritt er (und behauptete), dass das Wort „transgi*edi* weder mit dem Begriflf des Fliegens, noch des Kriechens, noch des Schifffahrtswesens in Beziehung kommen könne^ sondem nur mit solchen in Beziehung gebracht werden und bei solchen Anwendung finden düi-fe, die einherschreiten und mit Hilfe der Füsse einen Weg (oder ein Reiseziel) zurück- legen. Deshalb leugnet man geradezu, dass bei einem guten Schriftsteller sich der Ausdruck könne nachweisen lassen „transgressus navium", wo von einer Ueberfahii; der Schiffe die Rede ist, oder dass schlechtweg wohl gar nur das Wort „transgressus (Uebergang)" für das Wort „transfretatio (Ueber- seglung)" nachzuweisen sei. 6. Allein da muss ich für meinea Theil doch hier die Frage auf werfen, wanim sollte, gerade so wie man gewöhnlich ganz richtig von einem Lauf (cursus) der Schiffe sprechen kann, man nicht auch von einem zu Schiffe bewerkstelligten Uebergang (transgressus) sprechen dürfen? zumal da die Kürze der schmalen Strömung, welche zwischen Afrika und Spanien durchfliesst (und beide trennt)» ganz fein angedeutet worden ist durch den Ausdruck „trans- gressio^ (gleichsam nur ein Schritt um hinüberzukommen) zur Anspielung auf eine Entfernung von nur wenigen Schritten» 7. Sollte man ja aber auf ein massgebendes Beispiel bestehen und überhaupt in Abrede stellen wollen, dass von Seefahrten das Wort „ingredi" oder „transgredi" gesagt worden sei, so möge man mir erst die Frage beantworten, welcher vermeintliche Unterschied zwischen dem Wort „ingredi^ und „ambulare** (die

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X. Buch, 26. Cap., § 8—10. 27. Cap., § 1. (91)

doch beide „gehen" heissen) wohl stattfindet. 8. Gleichwohl aber sagt M. Cato in seinem Wei'ke über Landwirthschaft (1, 3): „Ein Grundstück, welches man bewohnen will, muss so liegen, dass in der Nähe (womöglich) eine gi-osse Stadt sich befindet, oder das Meer, oder ein Fluss, auf dem Schiffe gehen (am- bulant, d. h. verkehren, oder wo ein schiffbarer Fluss ist)."

9. Dass dergleichen Metaphern, d. h. Uebertragungen in der Bedeutung der Wörter sehr gern gesucht sind und für einen passenden Redeschmuck gelten, dafür giebt uns auch der Dichter Lucretius (IV, 528 529) ein sprechendes Zeugniss gerade an dem eben besprochenen Ausdnick. Im 4. Buche sagt er nämlich von dem Schrei, dass er durch die Luftröhre und durch die Kehle herausgehe (und „clamor gradiens** sei), und diese Ausdrucks weise ist doch wohl noch weit kecker, als jener von dem Uebergang der Schiffe hergenommene Vergleich bei Sallust. Die betreffenden Verse lauteft bei Lucretius also :

Praeterea radit vox fauces saepe, facitque

Asperiora foras gradians arteria damor, d. h.

Dazu kratzt auch öfter die Stimme die Kehle, so wie auch

Bauher das Schreien den Schlund uns macht, indem es herausgeht

10. Deshalb gebraucht Sallust in demselben Werke diesen Begriff von „gehen (gradi)" als Bezeichnung nicht nur von Leuten, die zu Schiffe gingen, sondern auch von schwimmenden Nachen, die weiter vorgegangen (d. h. vorgerückt worden) waren (scaphae progressae). Die Stelle, wo von diesen Nachen die Rede ist, setze ich hier wörtlich her: „Einige dieser (Fahrzeuge), weil sie zu weit vorgegangen (progi^essae), ohne- dies mit zu vieler und unzuverlässiger Mannschaft belastet waren, wurden, da Furcht und Entsetzen die Bemannung (corpora) beunruhigte, in den Grund gebohrt."

X, 27, L. Erzählang über das römische und carthagische Volk, and dass beide Völker sich beinahe an Macht gleichstanden.

X, 27. Cap. 1. In den alten Schriften findet sich die Ueberlieferung, dass das römische und carthagische Volk sich

X, 26, 8. S. Plin. 18, 6, 8. Cato sagt, bei einem Qrandbesitz müsse man drei Dinge im Ange haben, Wasser, eine Yerkehrsstrasse nnd einen guten Nachbar.

X, 26, 9. Cfr. GeU. V, 15, 4 NB.

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(92) X. Buch, 27. Cap., § 2—5. - 28. Cap., § 1.

einst an Macht, Muthigkeit und Ansehen gleich stand. 2. Und diese Ansicht ist durchaus nicht ohne Begründung. Denn bei dem Streit mit allen andem Völkern handelte es sich zwar auch um das freie Bestehenbleiben des einen oder an- dern Staates , allein mit den Römern stritt man sich (ganz besonders) um die HeiTSchaft der ganzen Welt. 3. Eine Ge- währ für diese aufgestellte Behauptung dürfte sich in jener von beiden Völkern abgegebenen Erklärung finden, die (da- mals) zum Ausbruch kam, als der römische Feldhen* Fabius den Carthagem ein Schreiben übersendete, worin er ihnen meldete, dass das römische Volk hiermit die beiden Zeichen des Kriegs oder Friedens sende, nämlich einen Speer (hastam) als Zeichen des Kriegs und einen Friedensstab (caduceum) als Friedenszeichen, daraus möchten sie sich eins von beideü wählen, und was sie sich gewählt haben würden, möchte man als solches ansehen, als ob es ihnen geschickt worden sei. 4. Die Garthager erwiederten, sie selbst sehen davon ab, eins von beiden zu wählen, aber es stünde ganz in der Macht (und Willkür) der Ueberbringer, dasjenige von beiden bei ihnen zurückzulassen , was ihnen am liebsten wäre, was jene aber zurückgelassen haben würden, das wörde ihnen dann statt der eigenen Wahl gelten. 5. Allein M. Varro.sagt, dass die beiden übersendeten Gegenstände nicht ein Speer oder ein Friedensstab gewesen seien, sondern zwei (tesserulae, d. h. einfache Spiel-) Marken, auf deren einem das Bild von einem Friedensstab, auf dem andern das Bild von einem Speer eingegraben gewesen sei.

X, 28, L. Auszug ans dem Geschichtswerke des Tubero über die Ab- grenzung der (drei verschiedenen) Altersstufen: der Kindheit (pueritia), der Jugend (juventa) und des Alters (senecta).

X, 28. Cap. 1. (K.) Tubero schreibt im ersten Buche seiner Geschichten, dass Servius TuUius, der Bömerkönig, als er jene (nachher fQr alle Zeit gültige) Eintheilun^ der

X, 27, 8. Fabios Maximiis Cimctator. S. Liv. 21, 18; Florus 2, 6; Sil. ItaL 2, 882; PauL S. 101 hastae. Bei Llvius und Florus wird die Begebenheit etwas anders erzählt

X, 28, 1. Cfr. GeU. YI (vn>, 13. aassici.

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X. Buch, 28. Cap., § 1. 2. - 29. Cap., § 1. (93)

altern und jungem Leute der Verraögensabschätzung halber in fQnf (eigentlich in sechs) Klassen vornahm, die Entscheidung getroffen habe, dass Alle unter 17 Jahren unter die Knaben zu zählen seien; vom 17. Jahre an, in welchem Alter er jeden schon für dienstfähig hielt, liess er Alle ausheben und auf die Soldatenliste schreiben; ferner (wurde die Bevölkerung dem Alter nach in zwei Klassen getheilt und es) Messen Alle bis zum 46. Jahre Jüngere Leute (die Jugend, juniores) ** und die über dieses Alter hinaus „Aeltere (seniores)*', (d. h. mit Beginn des 46. Jahres fing das Alter an). 2. Ich habe diese Einzelheiten deswegen angemerkt, um die Altersunterschiede anzugeben und zu erklären, welche seit der Volkseintheilung und Abschätzung durch den höchst weisen König Servius Tullius nach dem ürtheile und der Sitte unserer Vorfahren zwischen der Kindheit (pueritia), der Jugend (juventa) und dem Alter (senecta) stattfinden.

X, 29, L. Dass die Partikel „atque" nicht aDein zur engen (Rede-) Ver- bindung dient, sondern auch eine weitere, verschiedene Bedeutung hat.

X, 29. Cap. 1. Die Partikel „atque" wird zwar von den Grammatikern als ein anknüpfendes Verbindungswort an- gesehen, — und sie dient allerdings in den meisten Fällen zur Verbindung und Verknüpfung der Wörter (und Sätze), indessen bisweilen hat sie auch noch einige andere Be- deutungen, die nur von Denen gekannt sind, welche sich eine sorgfältige Beschäftigung mit den alten Literaturerzeugnissen

X, 28, 1. Das Knabenalter dauerte 17 Jahre, dann fing die Kriegs- pfiicht an. Dionys. lY, 16; Liv. 22, 57 (a 538) „juniores ab annis XVU et quosdam praetextatos scribunt'', erklärt sich wohl nur so: die Aus- hebung betraf (nach der Schlacht bei Cannae) alle juniores, d. h. die älter als 17 Jahre waren (^und dies geschah eben ganz nach der Regel der KriegsYcrfassung), diesesmal aber auch manche, die noch nicht dieses Alter erreicht hatten, folglich noch zu den praetextati gehörten. Obgleich die Centurie ihrer ursprünglichen Bezeichnung nach 100 Männer vertreten sollte, so begriff sie doch später eine grössere Anzahl und war gesondert in eine mobile Abtheilung, zu der alle Männer vom 17. bis 46. Jahre gehörten, und eine sesshafte, die verpflichtet war die Stadt zu bewachen und aus Männern von 46 bis 60 Jahren bestand. Vergl. Napol. Caesar I. Bd. cap. I, III ; Liv. 42, 31. 33; Senec. de brev. vit. 20, 4; Quint. 9, 2, 85. Die legitime Altersgrenze war das vollendete 45. Jahr. S. Dion. 4, 16; Censorin. 14.

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(94) X. Buch, 29. Cap., § 2—4.

haben angelegen sein lassen. 2. Denn bald steht diese Par- tikel in adverbialer Grundbedeutung, z. B. wenn wir sagen: aliter ego feci, atque tu, d. h. ich habe es anders gemacht, als Du, da drückt sie nämlich aus: aliter, quam tu (hat also die Bedeutung von dem adverbium comparandi: quam); bald wieder, wenn sie verdoppelt wird, vennehrt und vergrössert sie den Gegenstand, um den es sich handelt, wie an einer Stelle in den Jahrbüchern des Q. Ennius, der mii* gerade einfällt und, wenn mich bei den Versen kein Gedächtnissfehler beschleicht, so lautet:

Atque atque accedit muros Bomana Juventus, d. h.

Und mehr und mehr rückt an die Mauern die römische Jugend.

3. Dieser Bedeutung des „atque" ist die des Wortes „deque" entgegengesetzt, ein Ausdnick, der sich eben auch bei alten Schriftstellern vorfindet. 4. Ausserdem wird „atque" auch noch für ein anderes Adverbium gesagt, d. h. für „statim" (eilends, alsbald, sogleich, was ich besonders erwähnen muss), weil man (irriger Weise) der Ansicht ist, dass in folgenden Versen Vergils (Georg. I, 199 sq.) diese Partikel unverständlich und ohne Zusammenhang gesetzt sei:

Sic omnia fatis In pejus ruere ac retro sublapsa referri; Non aliter, quam qui adverso vix flumine lembum Kemigiis subigit, si brachia forte remisit, Atque illum in praeceps prono rapit alveus amni, d. h.

So stürzt durch das Schicksal Alles zum Schlimmeren fort und betreibt ausgleitend den Kückweg; Wie wenn gegen den Strom ein Mann schwer rudernd sein Schifflein Kaum hinauf arbeitet, und sinken ihm etwa die Arme, Eilends dahin ihn entrafft in reissendem Sturz das Gewässer.

X, 29, 4. In den zwölf Tafelgesetzen steht atque auch für statim: Si in jus vocat, atque eat Siehe Servius zu Vergil und Yeig. Georg, von Albert Forbiger I. Theil, wo es auch als einfaches Bindewort erklärt wird, wenn man beim zweiten Satz die active Gonstruction mit der passiven vertauscht, wobei dann das Subject nicht gewechselt wird und der Satz dann lautet: nicht anders als wie einer, der mit den Rudern den Kahn (Kutter) mühsam wider den Strom treibt, wenn er seinen Armen einmal (eine geringe) Erholung gönnt, (stromabwärts wieder getrieben) und (im Schuss) im Nu von der Strömung im gleitenden Flutbett zurückgerissen wird.

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XL BUCH.

XI, 1, L. Ueber den Ursprung des Namens „Italia*^; über die auferlegte, sogenannte höchste Strafe (suprema multa) und über den Ursprung und die Ableitung des Wortes ,,mu1ta"; weiter noch über das aternische Gesetz und was man endlich in alten Zeiten gewöhnlich unter dem Ausdruck: ,.multa minima** (niedrigste Strafe) verstand.

XI, 1. Cap. 1. Timaeus in seinem „Geschichtswerke", welches, in giiechischer Sprache verfasst, über die Begeben- heiten des römischen Volkes handelt, und auch M. Van-o in seinen „antiquitatibus rerum humanaiiim (Alterthümern aus der Geschichte der Menschheit)", Beide haben es schriftlich ausgesprochen, dass Italien seinen Namen von einem grie- chischen Ausdruck erhalten habe, von dem Worte „traAot", weil dies im Altgriechischen der Ausdruck zur Bezeichnung der (Rinder und) Ochsen war, wovon es in Italien eine grosse Menge gab, besondei-s weil in diesem (fruchtbaren) Lande viele Viehheerden zu gedeihen und Weide zu finden pflegten. 2. Deshalb wird es uns aber (auch leicht) erklärlich, dass, weil Italien unendlich reich an Grossvieh war, die sogenannte

XI, 1, L. Lex Aternia, de multa, gab der Gonsul A. Atemius (300 IL c) und bestimmte bei den Strafen, die damals in Vieh erlegt wurden, den Preis eines Schaafes zu 10 Asses, eines Rindes zu 20 u. s. w.

XI, 1,1. Timaeus, Geschichtsschreiber aus Tauromenion in SiciÜen, Yon Agathocles vertrieben, lebte 50 Jahre in Athen und verfEtsste eine Greschidite SidHens in 68 Büchern. Seine Werke sind ausser venigen Fragmenten verloren gegangen. Er ist nicht zu verwechseki mit dem Pythagoraer Timaeus. Vergl. GeU. III, 17, 5 NB.

XI, 1, 1. S. Paul. S. 106 Italia. Dionys. Halic. I; ApoUodor. II, 5, 10; Varro r. r. II, 1, 9; II, 5, 3; Columell. r. r. VI, praef. 7.

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(96) XI. Buch, 1. Cap., § 2-4.

höchste Strafe (multa supreina), welche täglich für jedesmal festgesetzt wurde, (nur) aus 2 Schaafen, hingegen zugleich aus 30 Ochsen bestand, im Verhältniss zur Menge der Rinder, wie sich von selbst versteht und im Verhältniss zum Mangel an Schaafen. Allein wenn von Obrigkeitswegen eine solche Strafe von Kleinvieh und Grossvieh (multa pecoris annentique) zuerkannt worden war, pflegte man Ochsen und Schaafe bald von geringerem, bald von grösserem Werthe zuzutreiben und diese Preisverschiedenheit musste daher eine Ungleichheit in der Strafbusse herbeiführen. Deshalb wurde später nach dem atemischen Gesetze für jedes einzelne Schaaf 10 Asse, für jeden Ochsen 100 Asse veranschlagt. 3. Die geringste Strafe (minima) besteht aus einem einzigen Schaaf. Die höchste (suprema) besteht aus der eben angegebenen Anzahl und mehr als diesen Straf betrag täglich (auf einmal Jemandem) auferlegen, ist gegen Fug und Recht, und daher wird sie auch „suprema" genannt, d. h. die höchste und gi*össte. 4. Wenn nun aber jetzt auch noch von einer Obrigkeit des römischen Volkes nach alter Väter Weise (Jemandem) eine Geldstrafe zuerkannt wird, mag es die geringste oder die höchste betreffen, so pflegt man gewissenhaft darauf zu achten, dass man sich (bei der Strafankündigung) des Wortes „ovis" immer im männlichen Geschlecht bedient; und so führt M. VaiTO eine gerichtliche Ankündigung des geringsten Straf- erkenntnisses mit folgenden Worten (feierlich also) an : „Wo- fem der vorgeforderte M. Terentius sich weder verantwortet, noch sich (triftig) entschuldigen lässt, so auferlege ich ihm ein Schaaf als Strafe (unum ovem multam dico)", und wenn man sich (aus Vei-sehen) bei den Worten der Strafankündigung nicht des männlichen Geschlechts von ovis bediente, so hiess es sofort, die (auferlegte) Strafe sei offenbar ungültig (und

XI, 1, 2. S. Paul. S. 144 maxima multa. Cfr. Festus p. 202; 213 u. 287 (ed. Müller) peculatus. S. Gell. X, 5, 2 NB pecunia.

XI, 1, 2. Also ftu* 2 Schaafe und 30 Ochsen zusammen 3020 Asse. Einige meinen, weil man in den ältesten Zeiten ein Gef&ss voU gemolkener Milch (vas emulctilactis) statt der Strafe erlegt habe, müsse das Wort multa aus mulcta hergeleitet sein. Yergl. Paulus p. 24: aestimata und Anmerkung Müller; Plut Popl. 11; Cic. de republ. 2, 35.

XI, 1, 4. Plin. 18, 3; 33, 1.

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XL Buch, 1. Cap., § 5—7. 2. Cap. § 1. (97)

ungesetzlich angeordnet). 5. Ferner behauptet dei*selbe M. Varro im 21. Buche seiner Gebräuche der Vorzeit in (gött- lichen und) menschlichen Dingen, dass der Ausdruck „multa^ (fui* Strafe) kein lateinisches, sondern ein sabinisches Wort sei, und dass dieser Ausdruck bis zu seiner Zeit sich noch in der Sprache der Samniter, die von den Sabinem abstammten, erhalten habe. Allein der moderne Grammatiker -Schwärm äussert sich dahin, dass auch dieser Ausdruck, wie noch einige andere, nach entgegengesetztem Wortsinn (xor' avTicpqaatv) gesagt worden sei. 6. Allein da es das Herkommen und der Sprachgebrauch so mit sich bringt, dass auch wir sagen: „multam dixit (er legte eine Strafe auf)" und auch (passive) „multa dicta est (es würde eine Strafe auferlegt)*', gerade so wie die meisten Alten sich ausdrückten, so halte ich die Nebenbemerkung nicht für unzweckmässig, dass M. Cato sich auch noch einer andern Ausdrucksweise bedient hat. Ich meine nämlich die Stelle im 4. Buch seiner „Urgeschichte'^, wo es heisst: „Wenn einer (unsrer Soldaten) sich unterstand, gegen Anordnung (ausser Reih und Glied) zu kämpfen, so legte ihm unser Oberfeldherr eine Strafe auf' (was Cato nicht durch: „multam dicit", sondern durch „multam facif ausdrückt). 7. Es kann aber den Anschein nehmen, dass Cato nach reiflich erwogener Feinheit das Zeitwort gewechselt hat, weil es sich um eine disciplinarische Strafe im Felde und im Heere (durch Machtvollkommenheit des FeldheiTn) handelte, nicht aber um die (gewöhnliche), welche in öffentlicher föi-m- licher Versammlung (in comitio) gesetzlich vor dem Volke (und durch dessen Zustimmung) angeordnet wurde.

XI, 2, L. Wie das Wort „elegantia** bei den altern Schriftstellera nicht (in gutem Sinne) von einem einnehmenden (gefälligen) Wesen, sondern von zn glänzendem (nnd zu grossem) Aufwand in Kleidung und Lebensweise gesagt wurde, und wie dieser Ausdruck (nur im schlimmen Sinne) zur Bezeichnung eines Fehlers genommen wurde.

XI, 2. Cap. 1. Mit dem Ausdruck „elegans (wählerisch)"

XI, 1, 5. Alle Mitglieder des sabellischen Stammes, welchem Samniten, Temmthlich auch Marser und Peligner angehörten, redeten eine gemeinsame Sprache. S. Niebuhr R. G. I p. 105 (116); Bemh. R L. 29, 109); Yariro L. L. 5, 31; Strabo Villi, p. 560; Paul. S. 143 multa ein sabin. Wort,

G e Hin I, Attische Nacht«. 11. 7

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(98) XL Buch, 2. Cap., § 1-4.

wurde eine Person nicht (in gutem Sinne) als zu ihrem Lobe bezeichnet, sondern zur Zeit des M. Gato diente dieses Wort fast immer nur zur Bezeichnung eines Tadels, nicht eines Lobes. 2. Dies lässt sich nämlich sowohl aus einigen andern Schriftstellern ersehen, als auch (namentlich besonders) aus dem Buche des Cato, welches überschrieben ist: „Carmen de moribus (Sittenspinich- Gedicht)**. Daraus ist folgende Stelle: „Man nahm an, dass der Geiz den Inbegriff alles Lasters bilde: hingegen wurde der Verschwender, der Wol- lüstige, der Zieraffe (elegans), der Lasterhafte, der Nichtsnutz (noch) gelobt.** 3. Aus diesen Worten erhellt aber, dass der Ausdruck „elegans** in alten Zeiten nicht als Bezeichnung ge- nommen wuide für Einen von feinem, geistigem Sinn, sondern von Einem, dessen Herz zu sehr an ausgesuchter üppiger Kleidung und Nahrung hängt (und Geschmack findet). 4. Späterhin vei-schwand zwar bei (dem Woi*te) „elegans** der Begriff des Tadels, aber nur der konnte sich (durch diese Be- zeichnung in seinem Bewusstsein) geschmeichelt fühlen, dessen wfthlerischer Sinn (stets) ein gewisses Mass einhielt. So lobte M. Tullius (Cicero) an dem L. Crassus und Q. Scaevola nicht blos die ausgewählte, unverfälschte Feinheit (der Rede), son- dern weil diese (stets zweckentsprechend) mit grosser Knapp- heit (und ungesuchter Einfachheit in Anordnimg des Stils)

XI, 2, 2. Yergl. Kon. p. 465 und besonders Teuffels röm. Lit Gesch. 120, 3.

XI, 2, 2. Carmen de moribas; Sittenspruch-, Sittenregel-Buch. Gatonis praecepta ad filium^ in Satumiem geschrieben, weshalb sie von der Form auch Carmen genannt worden wären (Yahlen). Sie umfassten mehrere Berufssphären : 1) ärztliche Rathschläge (Ackerbau, Arzneikunde), 2) Be- redtsamkeit und Becht, 3) handelten sie noch de re militari. S. Sueton von Doergens. (YergL Beruh. R L. 64, 265.) Carmen de moribus, seinem Stoffe nach ein Klagelied Über das Schwinden der guten alten Zeit, in der Ausführung ein Aggregat von Erfahrungssätzen und Sittensprachen.

XI, 2, 4. Lucius Licinius Crassus, geb. 140 v.Chr. (614 u. c), bereits ganz jung noch schon ein ausgezeichneter Redner, bildete sich als Quaestor in Asien und dann zu Athen, wo er die bedeutendsten grie- chisdien Rhetoren hörte, noch mehr aus. 95 war er Consul. Im Jahre 92 Censor mit Cn. Domitius Ahenobarbus, gab er das berühmte Edict gegen die lat Rhetorschulen heraus. (Gell. XY, 11, 2.) In Cicero's Schrift de oratore spielt er die wichtigste Rolle. S. Teuffels Gesch. der röm. Lit 149, 3.

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XI. Buch, 2. Cap., § 4—6. (99)

verbunden war. Cicero drückt sich (in seinem Brutus 40, 148) ßo aus: „Crassus war unter den feinsten Rednern der schlich- teste (und einfachste), Scaevola unter den schlichtesten der feinste/ 5. Ausserdem fällt mir noch eine Stelle ein aus dem eben citirten Buche des Cato, die abgesehen von dem besonderen Zusammenhange und stückweise (ohngefähr) also lautet: „Auf dem Markt (und in der Oeffentlichkeit) war es Sitte, sich anständig zu kleiden : zu Hause so^ wie es zweck- entsprechend war (ganz einfach). Zum Ankauf für Pferde verwendete man grössere Summen als für Köche; die Dicht- kunst stand nicht in hohem Ansehen; wer aber an dieser Kunst Geschmack und Vergnügen fand, oder sich zu Gast- gelagen drängte, wurde (Schmarotzer, Bummler) grassator .genannt." 6. Auch jener bekannte Gedanke, voll herrlicher Wahrheit, stammt aus demselben (Spruch-) Buche und lautet: „Denn mit dem menschlichen Leben verhält es sich fast wie mit dem Eisen. Wenn Du das (Eisen) in Gebrauch nimmst, wirds abgenutzt; wenn Du es (aber) nicht in Gebrauch nimmst, wird es trotzdem (auch) durch den Rost verzehrt. So auch sieht man die Menschen sich aufreiben durch (rastloses) Sich- abarbeiten; übst Du Dich (deshalb) in Nichts, so wird die ünthätigkeit und die Trägheit mehr Schaden bringen, als die Beschäftigung. Nach Ribbeck:

Ist doch das Mensclienleben beinah wie das Eisen:

üebst Du's, so wird's zerrieben; sonst wenn Du's nicht übst,

Macht ihm der Rost den Garaus. Ebenso die Menschen.

Durch üebung zerrieben sehen wir sie; da ohne

Macht Trägheit und Erstarrung Schaden mehr als Uebung.

XI, 2, 5 oder: die ich hier nur abgerissen mittheile (intercise) und f&r deren richtigen Zusammenhang ich nicht ganz einstehen will (sparsim), sie heisst (ohngefähr):

XI, 2, 5. Köche, vergl. Plin. 9, 31.

XI, 2, 5. Grassator, Schmarotzer oder Bummler. Festus YII, 72 sagt, grassari bedeute bei den Alten soviel als „adulari", und dies wäre allerdings soviel als schmarotzen, d. h. auf den Gassen herumbummeln, um zu sehen, wo es was zu essen giebt Wofern aber f&r „adulari*^ vieUeiclit „ambulare^ zu lesen wäre, dann hiesse es wohl mehr: Herumschwärmer, Bummler, unnützer Müssiggänger. Siehe Non. 815. Dichtkunst und SchrifbBtellerei &nden in Rom lange Zeit wenig Anerkennung und erst die

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(100) XI. Buch, 8. Cap., § 1. 2.

XI, 3, L. Welcherlei und wie gross die Mannigfaltigkeit der Partikel »pro*' (in ihren Bedeutungen) ist; über Beispiele dieser ihrer Mannigfaltigkeit.

XI, 3. Cap. 1. Wenn ich von Amts- und Berufegeschäflen frei bin und der Körperbewegung halber spazieren gehe oder fahre, pflege ich mir bisweilen (im Geiste) derartige Fragen vorzulegen, die zwar leicht und geringfügig und ungebildeten Leuten verächtlich (erscheinen), jedoch zur gründlichen (Ein- sicht und) Eenntnissnahme von den Schriften der Alten und zum Verständniss der lateinischen Sprache vorzüglich ganz unentbehrlich sind; wie z. B. diQ Frage, welche ich zufällig neulich, als ich nach meiner Rückkehr von Praeneste auf meinem Abendspaziergange so allein wandelte, in Erwägung zog: welcherlei imd wie gross in der lateinischen Sprache die Mannigfaltigkeit einiger Partikeln (in ihren Bedeutungen) sei. So wie z. B. die der Präposition „pro". 2. Auf andere Weise sah ich sie nämlich angewendet in dem Satze: „pontifices pro coUegio decrevisse, die Priester haben Beschluss gefasst im Namen und Stellvertretung oder zum Nutzen imd Vortheil der Gesammtheit (des Collegii)" ; anders in dem „quempiam testem introductum pro testimonio dixisse, dass ein vor- geführter Zeuge als Zeugniss vorgetragen (und gesagt) habe, d. h. im Zeugenverhör ausgesagt habe" ; ferner dass M. Cato im 4. Buche seiner „Urgeschichte** diese Praeposition wieder anders gebraucht hat, wenn er schreibt: „praelium factum, depugnatumque pro castris, es sei ein Treffen geliefert und gekämpft worden vor dem Lager oder zum Schutze des Lagers"; und desgleichen im 5. Buche: „urbes insulasque omnis pro agro lUyiico esse, die Städte und Inseln insgesammt traten ein zum Schutz und zu Gunsten des illyrischen Gebietes** ; femer, dass diese Praeposition auch wieder in anderem Sinne gesagt wurde bei „pro aede Castoris, vor dem Tempel des Castor*'; anders in „pro rostris, auf der Rednerbühne, oder von der Rednerbühne herab** ; anders „pro tribunali, vor dem

Bekanntschaft mit dem HeUenischen verschenchte die Gleichgültigkeit und hob das Interesse. S. „Gesch. der röTfi. Lit von W. S. Teuffei 2, 1.** XI, 3, 2. Im J. 167'587; vergl. Liv. 45, 26, 12. S. Paul. S. 228.

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XL Buch, 3. Cap., §2—4.-4. Cap., § 1. 2, (101)

Gerichtshof"; andei-s „pi-o concioiie, in und vor der (Volks-) Versammmlung'' ; und (endlieh) anders ,,tribunum plebis pro protestate intercessisse, dass der Zunftmeister der Gemeine vermöge seiner (obrigkeitlichen) Amtsgewalt Einspruch er- hoben habe*'. 3. Allein in Betreff aller dieser Ausdrucks- weisen, welche seiner (wessen?) Meinung nach entweder im Allgemeinen ähnlich und gleich, oder in jeder Beziehung verschieden sind, findet nach meiner Meinung ein In*thum statt. Denn meiner Ansicht nach hat diese Mannigfaltigkeit (und der Wechsel) in der Bedeutung zwar einen und den- selben Ausgangspunkt und hauptsächlichen Oberbegriff, jedoch nicht denselben Endzweck. 4. Das wird sicher Jeder leicht einsehen, der nur irgendwie aufmerksam nachdenkt und genaue Kenntniss der alten Sprachweise sich zu eigen ge- macht hat.

Xly 4, L. In wie weit Q. Ennins bei Nachahmung der dichterischen Stellen des Enripides sein Vorbild erreichte.

XI, 4. Cap. 1. In der Hecuba des Euripides (v. 290 u. s. w.) finden sich Verse, welche wegen ihres Ausdrucks, ihres Inhalts imd wegen ihrer Kürze im hellsten Lichte strahlen. 2. Hecuba ist es, welche folgende Worte an Ulixes richtet:

Dein Anseho, wenn Verkehrtes Du auch r&thst, es siegt, Denn nnberOhmten und berahmten Mannes Wort, Obgleich dasselbe, hat doch nicht dieselbe Kraft.

XI, 8, 3. NB Wessen Meinung nach?

XI, 4, L. üeber die Tragödie des Ennius s. Teuffels röm. Liter. Gesch. § 101, 2.

XI, 4, 1. Euripides, geb. 480 auf Salamis an demselben Tage, wo die Schlacht der Griechen gegen die durch Themistocles besiegten Perser geschlagen wurde, war einer der drei yorzüglichsten Tragiker. Er soll 120 Tragödien verfasst haben, wovon nur noch 18 YoUstftndig sind und die 19. als Bmchstack abrig ist. Er brachte die grösate Mannigfiiltigkeit in das Drama. Ausgezeichnet sind seine Dichtungen durch moralische und philosophische Gedanken, musterhafte Schilderung der menschlichen Leidenschaften und Redeschmuck. Sein Hauptzweck war, Rührung zu erregen. Er starb 407 t. Chr., in Folge von Hundebisseo, in Macedonien am Hofe des Königs Archelaos (Gell. XY, 20, 9).

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(102) XI. Buch, 4. Cap., § 8. 4.-5. Cap., § 1-4.

3. Bei der Uebertragung dieses Trauerspiels hat Q. Ennius diese (aDgefilhrten) Verse ganz und gar nicht unpass^d nachgeahmt. Bei Ennius lautet die gleiche Anzahl^ der (drei) Verse also:

Deine Ansicht r&hret die Achirer leicht, ist sie auch feüseh; Denn ein Adliger und ein Gemeiner sprechen Beide auch Gleiche Worte, gleiche Red\ verschieden wird die Wirkung sein.

4. Wie ich schon erwähnte, ist die Uebersetzung des Ennius wohl gelungen; jedoch scheinen die Ausdrücke „ignobiles (Gemeine)" anstatt (des griechischen) „ado^ovvzeg (ün- berühmte/ und „opulenti (Mächtige)" für doxovvreg (Berühmte) nicht ganz sinnentsprechend gewählt zu sein, denn nicht alle Gemeinen (d. h. Alle von geringer Herkunft) sind (immer) jedes Ruhmes baar, noch (auch stets) alle Mächtigen berühmt

XI, 5, L. Einige kurze, flüchtige Bemerkungen über die Pjrrhonier und Academiker and über den Unterschied zwischen diesen (beiden) philo- sophischen Sekten.

XI, 5. Cap. 1. Diejenige philosophische Sekte, welche wir die pyrrhonischen Philosophen nennen, wird von den Griechen mit dem Beinamen „Skeptiker ((hc^xtixo/)" be- zeichnet, 2. das soll ohngefähr heissen : Untersucher und Er- wäger. 3. Sie entschieden sich nämlich für nichts, und nehmen nichts bestimmt an, sondern suchen und forschen bei allen Dingen (in der Welt) nach Auffindung eines Merkmals, in Ansehung dessen sie sich für Etwas entscheiden und Etwas bestimmt annehmen können. 4. Und so ist es auch ihre MjBinung, dass sie überhaupt weder etwas (in der Wirklichkeit)

XI, 5, 1. S. Diog. Laert IX, 9, 11; Quint XII, 2, 24; Arrian. Epict I, 5; II, 26.

XI, 5, 1. Pyirho aus Elis, geb. 380 v. Chr., Stifter der pyrrho- nischen oder skeptiBchen Philosophie. Da er die Unhegreiflichkeit aUer Dinge annahm, so sachte er deshalb die Nothwendigkeit einer Zorück- haltung des Urtheils za begründen.

XI, 5, 3. Cfr. GeU. XX, 1, 9.

XI, 5, 4. Die Pyrrhonier verwarfen also die Möglichkeit einer Er- kenntniss der Dinge nach ihrem wirklichen Sein und behauptetai, dass nichts recht kOnne begriffen werden. Ne yidere plane qnidquam neqae aadire sese putant. Das soU besonders auch die Meinung des Empedocles

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XI. Buch, 5. Cap., § 4. 5. (103)

sehen, noch hören, sondern (sie bilden sich ein) urch die Gegenstände sei die Empfindung in einen leidenden Zustand vei*setzt und so (gereizt und) empfänglich gemacht, (dass es ihnen nur scheine) als ob sie etwas sehen oder hörten, und in ihrem Uitheil in Bezug auf Art und Beschaffenheit der Gegenstände, welche solche Wirkungen in ihnen hervorbringen, sind sie zuiilckhaltend und bedächtig; femer sagen sie, da ja die Kennzeichen aller Dinge mit wahren und falschen Be- griffen vermischt und vermengt sind, so scheine die Zu- verlässigkeit und wirkliche Beschaffenheit aller Dinge so un- begreifbarlicfr, dass jeder Mensch, der sich in seinem Urtheil nicht voreilig überstürzt, bei jeder Sache (schliesslich immer wieder) dasselbe Bekenntniss abzulegen sich veranlasst fühlen müsse, welches schon Pyrrho, der Begründer dieser philo- sophischen Lehre, abgegeben hat, und also lautet: „Es lässt sich nicht nachweisen, ob Etwas sich so verhält, oder auf eine andere Art, oder auf keine von beiden.'' Denn es sei unmöglich, sagen sie, die Erkennungszeichen (Kennzeichen) bei einem jeden Gegenstand und seine ursprünglichen Eigen- thümlichkeiten zu durchschauen und begrifflich in sich auf- zunehmen (oder zu verarbeiten), und diese Behauptung zu erörtern und auf mannigfache Weise zu beweisen, ist ihr eifriges kühnes Bestreben. 5. lieber diesen Gegenstand hat Favorin auch ein höchst gründliches und scharfsinniges Werk

gewesen sem, wie Cicero im Lucnllo (der academ. Untersuchung erste Bearbeitung) 2. Buch, cap. 5 § 14 sagt; cfr. Sezt Empir. adv. math. VII p. 122 etc. Bezüglich einer neueren Ansicht vergl. Hartmann Phil, des Unbew. p. 721—728.

XI, 5, 4. Ol) (jLälXov ovTtos tx^i etc. Diog. Laert. IX, 11, 2 giebt yier Bedeutungen des Ausdrucks: „nicht mehr das Eine, als das Andere^ an: 1) afifirmatiT, z. B. Ein Bäuber ist nicht mehr ein Bösewicht, als ein Lügner, d. h. beide sind Bösewichter; 2) negativ, z. B. Ein Räuber vtt> dient nicht mehr Lob, als ein Lügner, d. h. keiner von Beiden verdient Lob; 3) affirmativ und negativ zugleich, z. B. Ein Bäuber verdient nicht mehr Lob, als ein Lfigner Tadel, woraus gar nicht folgt, dass der Lügner Lob verdient; 4) negativ und affirmativ, z. B. Man kann nicht sagen, weder dass der Räuber mehr ein Verbrecher sei, als der Lügner, noch dass er nicht mehr ein Verbrecher seL In dieser letzten Bedeutung nun brauchten die Skeptiker den Ausdruck: „nicht mehr das Eine, als das Andere. 8. Sext. Emp. Hypotyp. I, 30, 218.

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(104) XI. Buch, 5. Cap., § 5. 6.

in 10 •Büchern geschrieben, welches die üebei-schrift trägt: „(nr«^f) Twv Tlv^^iovdiav vQontav (über die 10 verschiedenen Beweisgründe des Pyrrho)". 6. Von Alters her schwebt diese Frage und ist von vielen griechischen Schriftstellern behandelt

XI, 5, 6. Sext. Empir. Hypotyp. I, 14, 86 sagt: „Die altem Skep- tiker (d. h. Pyrrho und Aenesidemos) pflegten gewöhnlich gewisse Gründe anzugeben, aus welchen ihnen das BedOrfiuss der Zurückhaltung des Bei- falls zu fliessen schien, und zwar zehn an der Zahl, die sie auch wohl Gemeinörter (Wendungen, verschiedene Weisen) nannten. Diese nun hatte Favorin in seinem Werke wahrscheinlich umständlich erUkntert S. Gell. I, 3, 27 NB. Yergl. üher das pyrrhonische System Tiedemanns Geist der speculatiYen Philosophie IL Bd., 9. Ahschn. S. 323. S. noch Diog. Laert IX, 9, 8; Suidas; Sext Empirie. Hypotyp. I, 3; Gic. de fin. n, 14; de erat HI, 18; Senec ep. 88, 37; Lactant. div. inst, m, 6.

XI, 5, 6. Man theilt die Academiker in die alten, mittleren und neueren. Die alte Academie nahm die meisten Lehrs&tze des Heradit, Pythagoras und Socrates an und hatte den Plato zum Stifter. Arkesilaos, der Stifter der mittlem Academie, wich in vielen Stücken von der Meinung des Plato ah und behauptete, wie Pyrrho, es gebe keine absolute Wahr- heit, man könne höchstens auf Wahrscheinlichkeit Anspruch machen, und es müsse daher jeder Weise bei seinem ürtheile in jeder Hinsicht Zurück- haltung iiTro/tiv) beobachten. Gameades, der Stifter der neuem Academie, yerliess diesen Grundsatz des Arkesilaos wieder, gab zwar das Vorhanden- sein des Wahren und Falschen in der Welt zu, stritt aber nur dem Men- schen das Vermögen ab, das Eine von dem Andern zu unterscheiden, be- hauptete also, man könne die Wahrheit nicht erkennen und stand also zwischen dem positiven und negativen Dogmatismus in der Mitte.

Socrates

I. Plato n. Antisthenes. HI. Aristipp, »ite Acadtmift. j | Cyrenaiker.

1. (Speusippus) 2. Aristoteles, 1. C>niiker 2. Stoiker

Xenocrates Peripatetiker, lehrte Diogenes Zeno

^^-r—T-^^-TTTT— ^^ in den Gängen des Polemo von Athen Lyceums.

Krates von Tarsos u. Krantor von Soli

mittlere 1 Academie.

iArkesihios Phocfter Evander und Hegesinus aus Pergamum neuere Academie. | Cameades.

Zu diesen drei Academieen fügen Manche noch die vierte, von Philo ge- stiftete hinzu und als fünfte die von seinem Schüler Antiochus errichtete, obwohl sie beide keine besonderen Lehrsätze gehabt haben.

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XL Buch, 5. C^., § 6 8. (105)

worden, worin und in wie weit sich die Pyrrhonier und Academiker (von einander) unterscheiden. Beide heissen nämlich: Skeptiker (Bedenklichkeitskrämer), Ephektiker (die sich nach der Untersuchung immer noch des Urtheils ent- hielten), Aporetiker (Zweifler), weil sie Beide nichts bejahen und zugeben und nach ihrer Meinung nichts begreiflich finden. Allein von allen Gegenständen aus gehen demnach, wie sie sagen, die (Erinnerungen und Reflexionen über die) Er- scheinungen hervor, welche sie Phantasieen (g>ayuaaiai^ An- schauungsgebilde, d. h. durch Sinneseindrücke von aussen entstandene Vorstellungen und Begriffe) nennen, die aber nicht in der wirklichen Beschaffenheit dieser Dinge selbst auftreten (und erscheinen), sondern nur als Empfindung in der Seele, oder in dem Körper derer, zu denen (oder an die) diese Sinneseindrücke gelangen. 7. Deshalb sagen sie auch, dass überhaupt alle Dinge (und Vorgänge), welche die menschlichen Sinne berühren, nur „bezugsweise (tüv tvqoq tiY beständen. Diese Bezeichnung soU ausdrücken, dass es nichts (in der Welt) gebe, was für sich bestehe und nichts, was eine selbst- ständige Kraft und Wirkungsfähigkeit besitze, sondern dass alle Dinge durchaus (mit einander im Zusammenhang und) eins zum andern in Beziehung stehen; dass sie femer uns als solche vorkommen müssen, wie im Augenblicke ihres Er- scheinens ihre Aussenseite sich uns zeigt, und wofür sie von uns nach unseren empfangenen Sinneseindrücken gehalten werden, nie nach ihrer eigentlichen, ursprünglichen Wesenheit. 8. Da nun aber sowohl die Pyrrhonier, wie die Academiker auf ganz ähnliche Art diese Behauptung unter einander theilen, so lässt sich nach allgemeinem Dafürhalten trotzdem unter beiden doch noch ein unterschied herausfinden, nicht nur in einigen andern Beziehungen, sondern auch besonders deshalb, weil die Academiker wenigstens die eine Möglichkeit (festhalten und) begreiflich finden, dass man nichts begi*eifen könne, und nur das Eine mit Entschiedenheit annehmen, dass man nichts entschieden (für wahr) annehmen könne, während die Pyn-honier selbst das nicht einmal als etwas Wahres gelten lassen wollen, weil (im Ganzen genommen) überhaupt nichts wahr zu sein scheine.

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(106) XI. Buch, 6. Cap., § 1—6.

XI, 6, L. (Behauptung) Dass zu Rom die Frauen nie beim Hercules, noch die Männer beim Castor geschworen hätten.

XI, 6. Cap. 1. In den Schriften der Alten schwören weder die römischen Frauen beim Hercules, noch die Männer beim Castor. 2. Nun ist es aber kein Geheimniss, warum die Frauen nicht beim Hercules schwuren, denn sie hielten sich bei der Feier zu Ehren des Hercules fem. 3. Warum die Männer aber als eidliche Versicherung nicht den Namen des Castor ausgesprochen haben sollen, lässt sich nicht leicht sagen. Nirgends jedoch lässt sich bei guten Schriftstellern beispielsweise eine Stelle nachweisen, dass entweder ein Weib sich bei der Versicherung durch einen Schwur „me herde (beim Hercules)", oder ein Mann der Formel „me castor (beim Castor)" bediente. 4. Die Vei-sicherungsformel „aedepol** aber, welche einen Schwui- beim (Gott) PoUux bedeutet, war sowolil bei dem männlichen, wie beim weiblichen Geschlecht im Gebrauch. 5. Allein M. Varro behauptet alles Emstes, dass in den ältesten Zeiten die Männer weder beim Castor, noch beim PoUux zu schwören pflegten, dass dies aber nur ein von dem geheimen eleusinischen (Ceres-) Gottesdienst überkommener Frauenschwur sei. 6. Nach und nach hätten aber auch Männer, aus Unkenntniss alter Sitte, angefangen sich dieser Schwuresformel „aedepol" zu bedienen und so

XI, 6, 2. Die Fraaen durften nach Macrob. Sat 1, 12 bei der Gottes- Yerehnmg des Hercules sich nicht einfinden, weil sie ihm, als einst ihn ungemein dürstete, nicht einmal Wasser zu trinken geben woUten; daher bei Properz V (IV), 9 v. 67—70:

Der als grösster Altar nach gefundener Heerde geweiht ward,

Den ich mit eigener Hand baute zum grössten Altar, Niemals werd' er geöfihet der Andachtsübung der Mftgdlein; Dass herkulischer Kraft nicht nngebOsst sei der Durst

Bei grossen Feierlichkeiten, Dankesfesten etc. standen alle Tempel offen.

5. Liv. 30, 17. 40; 45, 2. Dass nicht alle Tempel dem ganzen Volke offen standen, hatte seinen Grund darin, weil manche überhaupt nie ge- öffiiet wurden, zu manchen aber weder Frauen (wie hier zum Tempel des Hercules s. Macrob. Sat I, 12, 28; Serv. zu Verg. Aen. 8, 179; Plut Rom. Fragen 57. VH p. 126 Reisk.) noch Freigelassene (Macrob. Sat I,

6, 13 und Senr. loc cit) Zutritt hatten. Vergl. überhaupt Minuc. Felix 24, 5. (Alb. Forbiger.)

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XL Buch, 6. Cap., §6.-7. Cap., § 1—4. (107)

habe sich diese Ausdrueksweise allgemein eingebürgert; dass aber „me eastor^ von den Männern gesagt werde, lasse sich in keinem alten Schriftwerke auffinden (oder nachweisen).

XI, 7, L. Dass man sich niemals ganz yeralteter und schon verjährter

und abgekommener Wörter bedienen soll« (Ueber denselben Gegenstand

schon bei Gell. I, 10.)

XI, 7. Cap. 1. Es scheint ein gleich grosser Fehler zu sein, entweder verlegener oder altvaterischer Wörter sich zu bedienen, oder ungewöhnlich neuer, die sich wegen ihrer Härte und Abgeschmacktheit nicht empfehlen. Ich aber fQr meinen* Theil finde es weit gezwungener und tadelnswerther, neu autgewärmte, verfallene, vergessene anzuwenden, als wie gewöhnliche und gemeine. 2. Unter den neu angewärmten verstehe ich offenbar auch solche, welche als ausser Gebrauch gesetzte und abgekommene zu betrachten sind, wenn sie auch (als) uralt (nachgewiesen werden können und vor Alters gäng und gäbe sein mochten). 3. Es ist sogar dies eine fehlerhafte Erscheinung bei Verspätung des Unterrichts (und der Erziehung), was die Griechen mit dem Ausdruck J>\piixaMa^ bezeichnen, dass, wenn Jemand von Etwas keinen Begriff gehabt hat und darüber lange in Unwissenheit geblieben ist, wenn er dies nun erst einmal (nachgelemt und) zu wissen angefangen, er auch gleich einen grossen Werth darauf legt, es (aus Wichtig- thuerei und aus einer damit verbundenen Eitelkeit) allerorts und bei jeder Gelegenheit an den Mann zu bringen. Während meiner Anwesenheit in Rom fand ich diese Bemerkung be- wahrheitet an einem zwar alten und berühmten Rechtsanwalt (homo in causis), der aber (wie es sich gelegentlich einst zeigte) seinen Wissensschatz auch nur in Eile und gleichsam im Sturmesdrang zusammengerafft zu haben schien ; denn als er vor dem Statthalter (einen Rechtsfall vortrug und) im Ver- laufe seiner Verhandlung von einem sagen wollte, dass er nur von dürftiger und elender Kost sich ernähre, nur Kleien- brot zu essen und krätzerhaflen, stänkrigen Wein zu trinken habe, drückte er sich also aus : „hie eques Romanus apludam edit et flocces bibit (das soll heissen: dieser edle römische Ritter hat nichts als Pollmehl zu essen und Weinhefen zu trinken)/ 4. Von den Anwesenden Allen sahen sich Einer

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(108) XL Buch, 7. Cap., § 4-9.

den Andern an, erst ziemlich ernst, mit verdutzter und fragender Miene, was wohl jenes (sonderbare) Wörterpaar „apluda und flocces*' heissen solle» gleich darauf aber brachen allesammt in ein schallendes Gelächter aus (über sein Kauder- welsch), gleich als hätte er, Gk)tt weiss, was für ein (im- vei-ständliches) Tuscisch oder Gallisch gesprochen. 5. Es hatte aber der gute Mann ii^endwo gelesen, dass die (alten) Land- leute die Kleie oder Hülse vom Getreide vor Zeiten „apluda (PoUmehl)" genannt, und dass selbst Plautus in seinem Lüst- spiel, welches „Astarba** betitelt ist, wenn dies Stück über- haupt noch von Plautus selbst heri*ührt, sich dieses Ausdrucks bedient habe. 6. So auch hatte er (irgendwo) aufgeschnappti dass in der alten Sprache mit dem Ausdruck: „flocces** die Weinhefen bezeichnet wurden, d. h. der aus den Weinträbern gepresste Tresterwein, sowie mit dem Ausdruck „fraces" die aus den Oliven gewonnenen Oelhefen und Oeldrüsen, und das Wort „flocces" hatte er bei Gaecilius (Statins) in dessen Lust- spiel y^TrmXovfievoi (die Verkäuflichen)" gelesen, und dieses absonderliche Wörterpaar hatte er sich nun (absichtlich) zur (effectvoUen) Ausschmückung seiner Rede aufgespart. 7. So wendete auch (einst) ein anderer, von ähnlicher, flüchtiger und obei-flächlicher Belesenheit ausgeputzter (geschmackloser) Einfaltspinsel (apirocalus), da sein Gegner den Anti*ag stellte, den Process zu vertagen, sich mit folgenden Worten an den Richter: »Ich bitte Dich, Praetor, hilf mir, steh' mir bei! Wie lange doch will uns dieser (ewige) Ausfluchtsucher auf- halten (und immer wieder Aufschub verlangen)?" Dabei wiederholte er mit lauter Stimme drei- bis viermal das Wort: „bovinator", welches er in dem Sinne wollte verstanden wissen, wie „Ausfluchtsucher". 8. Es entstand fast unter allen An- wesenden ein allgemeines Gemurmel, da sie über das Wort- ungeheuer ganz verwundert waren. 9. Allein der freche Mensch warf sich in die Brust imd sprach mit wichtiger Miene: „Ihr habt (freilich) wohl den Lucilius nicht gelesen, der einen „tergiversator"^ (einen Ausfluchtsucher) mit dem Worte

XI, 7, 7. bovinari (von bos), schreien, also „bovinator'' vieUeicht: Schreihals.

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XL Buch, 7. Cap^ § 10. 8. Cap., § 1—4. (109)

„bovinator** bezeichnet". 10. Der betreffende Vers kommt aber im 21. Buche bei Lucilius vor und lautet:

Hie est tricoBus bovinatorque ore improbos doro, d. h.

Ränk'Bchinied ist er nnd Aosfluchtsacher von schamlosem Monde.

XI, 8, L. Des M. Cato freie MeinongsäuBserang über den Albintis, der als Römer eine römische Geschichte in griechischer Sprache verfasste, vorher sich aber (in seiner Vorrede) wegen der Unerfahrenheit in dieser ihm, als einem Bömer, fremden Sprache^ Schonung nnd Nachsicht erbittet.

XI, 8. Gap. 1. M. Gato soll über den A. Albinus einen ebenso gegründeten, wie scharfsinnigen Tadel ausgesprochen haben. 2. Dieser Albinus, der sich mit Luc. LucuUus in das Gonsulat theilte, hat eine römische Geschichte in griechischer Sprache verfasst. 3. In der Vorrede zu diesem seinen Ge- schichtswerke beginnt er mit einer schriftlichen Aeusserung folgenden Inhalts: „Niemand werde ihm wohl gebührender Massen böse sein und zürnen, wenn in diesen Geschichts- büchem die Sprache manchmal nicht recht fliessend, oder der Stil den Regeln des Geschmacks weniger entsprechend sein sollte.** Dann lauten seine eigenen Worte (der Entschuldigung) weiter: „Denn ich bin ja ein Römer, in Latium geboren, die griechische Sprache ist eigentlich so gar nicht meine Sache;** deswegen also verlangte er, wenn sich irgend ein Irrthum (und Versehen) vorfinden sollte, Schonung und Nachsicht bei etwaiger ungünstiger Beurtheilung. 4. Als M. Cato diesen vermeintlichen Entschuldigungsgrund gelesen hatte, sagte er: Wahrhaftig, Du bist doch ein rechter Schalksnarr, wenn Du wegen einer (unnöthigen) Verschuldung lieber hast um Ver- zeihung bitten wollen, als dass Du dieses Versehen lieber hättest ganz vermeiden sollen. Denn man sucht ja nur dann um Entschuldigung zu bitten, entweder wenn man wider Wissen und Veraiuthen einen Irrthum begangen, oder wenn man aus Noth wendigkeit gefehlt hat. Wer aber, ich bitte Dich, zwang Dich denn, fuhr Gato weiter fort, zu einer That,

XI, 8, 1. Cfr. Plut Cat 12; Polyb. 40, 6; Macrob. Sat. prooem. extr.; Plutarch: Denksprüche der Römer, der ältere Gato 29.

XI, 8, 2. üeber A. Postamias A. F. Albinos s. Teoffiels röm. Lit Gesch. 126, 2.

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110) XL Buch, 8. Cap., § 4. 5, 9. Cap^ § 1.

für die Du Dir, bevor Du sie noch vollzogst, (wie Du ganz richtig fühltest) erst Verzeihung erbitten musstest? 5. Diese Nachricht steht im 13. Buche des Comelius Nepos „über be- rühmte Männer*" geschrieben.

ZI, 9, L. Eine Erzählung, die sich in den Schriften des Critolaus be- richtet findet, über eine milesische Gesandtschaft und über (eine Bestechung des Redners) Demosthenes.

XI, 9. Cap. 1. Bei Critolaus findet sich die schriftliche Meldung, dass Gesandte von Milet aus Interesse für ihren Staat nach Athen gekommen seien, vermuthlich um sich (daselbst) Hülfe zu erbitten. Hierauf hätten nun diese mile« sischen Gesandten geeignete Wortführer und Fürsprecher sich (als Vertheidiger) auserkoren, und (zur fin-eichung ihrer Zwecke) auf ihre Seite zu bringen gewusst Diese bevoll- mächtigten Rechtsanwälte hätten denn nun auch (zur Ent- ledigung des ihnen ertheilten Auftrags) sich bei dem Volke für das Anliegen der Milesier (warm) verwendet, allein nur Demosthenes habe sich dem Verlangen der Milesier heftig widersetzt, sogar behauptet, die Milesier seien weder der Hülfe wüi-dig, noch könne (überhaupt) eine Erfüllung ihrer Bitte dem (athenischen) Staate von Nutzen sein. Deshalb sei der Austrag dieser Angelegenheit bis auf den folgenden Tag verschoben worden. Nun aber hätten sich die Gesandten zum Demosthenes begeben und ihn dringend gebeten, er möchte ihnen femer nicht mehr zuwider sprechen. Für diese Gefälligkeit habe er sich Geld erbeten und die erbetene, nicht unbedeutende Summe auch wirklich bekommen. Als nun Tags nachher die Verhandlung dieser Angelegenheit aufs Neue sollte zur Sprache gelangen, sei Demosthenes, Hals und Nacken in Wolle dicht eingehüllt, vor das Volk mit der Er- klärung hingetreten, er leide an Halsbeklemmung (synanche, eigentlich: Halsbräune), deshalb könne er nicht (auftreten und) gegen die Milesier sprechen. Da nun habe Einer aus der Volksmenge ganz laut gerufen, es sei nicht Halsbeklemmung, woran Demosthenes leide, sondern Geldbeklemmung (Argy-

XI, 8, 5. in libro Comelii Nep. de Ulastribas viris. S. Teuffels röm. Lit 195, 5.

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XI. Buch, 9. Cap^ § 2. 10. Cap., § 1. (Hl)

ranche, eigentlich: Geldbräane). 2. Nach dem Bericht des- selben Critolaus soll Demosthenes diese Thatsache auch durch- aus nicht verhehlt (oder geleugnet) haben, nein, er rechnete sich diese That (gesprächsweise) gar noch zum Ruhm (und Verdienst) an. Denn als er den Schauspieldarsteller Aristo- demus gefragt hatte, wieviel ihm wohl die Darstellung einer Rolle eingetragen habe imd Aristodemus antwortete: ein Talent, versetzte Demosthenes : Ei, da habe ich mir doch mit meinem Schweigen noch weit mehr verdient.

XI, 10, L. DaB8 O. Gracchus in einer seiner Reden die vorhin erwähnte

Begebenheit dem (berühmten, athenischen) Redner Demades zuschreibt, niclit

aber dem Demosthenes nnd es wird (deshalb auch gleich) des G. Gracchus

eigener Wortlaut angezogen.

XI, 10. Cap, 1. Was wir, wie im vorigen Abschnitt ge- sagt, vom Critolaus über den Demosthenes aufgezeichnet ge- funden, denselben Ausspruch legt G. Gracchus in seiner Rede, worin er (631/111) die Annahme des aufejischen Gesetzes

XI, 9, 2. Auch schon m alten Zeiten wurden gute, henrorragende Schauspieler gut bezahlt Nach Plut X. orat. vit Demosth. extr. p. 848, ß soll Polos es gewesen sein, der sich einst gegen Demosthenes riüunte, für sein tragisches Spiel an zwei Tagen ein Talent erhalten zu haben. Ue- brigens scheint das Talent (1500 Thlr.) macedonischer Sold zu sein, sonst würde die Antwort des Demosthenes, er habe für sein Schweigen an einem Tage fünf Talente (also die Summe von bis gegen 8000 Thlr.) erhalten, nicht passen. Die geringere Klasse der Schauspieler war zu Luciaos Zeiten (Icaromen. 29) für 7 Drachmen '(» l'/s Thbr.) per Vorstellung zu haben. Amoeb^us, ein berühmter Musiker zu Athen, um dessen willen sogar Zeno ins Theater ging, um ihn zu hören, soll an jedem Tage für sein Singen auf dem Theater ebenfaUs ein Talent erhalten haben. S. Plutarch: über moralische Tugend 4. Nach PUn. h. n. YII, 40 (89), 1 bekam der Schauspieler Roscius jährlich 500,000 Sesterzien 740,000 Gulden). Cfr. Geü. V, 8, 4 NB.

XI, 10, 1. üeber G. Gracchus s. Teuffels Gesch. der röm. Lit § 140, 5. Vergl. GeU. X, 3, 8-5; XI, 13, 3; XV, 12.

XI, 10, 1. Lange röm. Alterth. § 138 S. (578) 634. Gewisse nicht näher bekannte Beziehungen zwischen Mithridates, Nicomedes und dem römischen Volke wollte eine lex Auf^a (?) ordnen, welche C. Sempr. Gracchus widerrieth. Demades aus Athen, Ruderknecht, dann be- rühmter Kedner, Rivale des Demosthenes, wurde 819 v. Chr. wegen Ver- spottung des Antipater, Königs von Macedonien und Griechenland, hin- gerichtet Vergl. Plut Demosth. und Phocion.

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(112) XL Buch, 10. Cap., § 1—6.

widerräth, den (berühmten Rivalen des Deinosthenes, dem athenischen Redner) Demades in den Mund. Die Stelle lautet daselbst also : 2. „Denn wahrhaftig, ihr edlen Römer, gesetzt ihr wolltet auch all eure Weisheit und Tugendhaftig- keit in Anschlag bringen, und gesetzt, ihr wolltet euch aber dann einmal ernstlich prüfen und ft*agen, so werdet ihr heraus- finden, dass Keiner von uns hierher an die Oeffentlichkeit tritt ohne (Absicht auf) Belohnung. Wir Alle (wie wii- hier sind) suchen, wenn wir das Wort ergreifen, stets dabei irgend etwas zu erreichen und Keiner tritt wegen irgend einer be- liebigen Angelegenheit vor euch auf, ohne (den Wunsch) Etwas von euch zu erlangen. 3. Auch ich selbst, der ich eben jetzt vor euch das Wort ergreife, erscheine (ehrlich gestanden) nicht so ganz uneigennützig, denn mein Begehr ist, dass ihr eure Einkünfte zu vermehren suchet, damit es euch leichter möglich wird, euren Yortheil zu wahren und das Regiment des Staates im Auge zu behalten; dabei ist es bei mir aber nicht auf euer Geld abgesehen, sondern lediglich auf euer gütiges Zutrauen und auf eure Hochachtung, um die ich euch bitte. 4. Allen Denjenigen aber, welche hier hervortreten in der Absicht, euch von der Annahme dieses Gesetzes abzurathen, ihnen liegt durchaus nichts an eurer Hochachtung, aber desto mehr an dem Gelde des Nicomedes. Und hinwiederum Denen, welche euch zur Annahme rathen, ist es bei euch auch durch- aus nicht um eure gute Meinung zu thun, sondern lediglich nur bei dem Mithridates um den Lohn und Preis zu Uirer Gütervennehrung. Endlich Die nun , welche hier an eurer . Seite der Reihe nach ganz in Stillschweigen verharren, das sind die allerschlimmsten und begehrlichsten, denn diese ziehen von Allen ihre Vortheile imd täuschen (und bevor- theilen) Alle. 5. Dir also, weil ihr sie von allen verdächtigen Absichten (des Eigennutzes) frei glaubt, schenkt (nun vor Allen) diesen (Schweigern) euer gütiges Zutrauen; 6. Die Gesandten aber von königlicher Seite, weil sie meinen, dieses Stillschweigen geschehe nur in ihrem Interesse, suchen diese (Schweiger) durch Aufwand (bestehend in Geschenken und

XI, 10, 4. Zwei eigennützige Motive sind es, welche die Yolksredner leiten, entweder Ehrgeiz, oder Geldgeiz. S. Plutarch: politische Lehren 27.

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XL Buch, 10. Cap., § 6. 11. Cap., § 1 3. . (113)

Einladungen) und durch die grössten Geldsummen schadlos zu halten, gerade so wie dies einst in Griechenland der Fall war, zur Zeit, als ein griechischer Schauspieler sich etwas darauf zu Gute that fQr die Darstellung eines einzigen StQckes ein grosses (attisches) Talent (an Werth 1500 Thlr.) erhalten zu haben, worauf ihm Demades, der grösste Redner seiner Vaterstadt (Athen) geantwortet haben soll: „„Dir kommt es wunderbar vor, wenn Du Dir für Dein Sprechen ein Talent erworben hast? Ich erhielt füi' mein (blosses) Schweigen vom König (Alexander) zehn Talente."" „Gerade so sehe ich unsere hiesigen Schweiger für ihr (jetziges) Schweigen die grössten Belohnungen einheimsen."

XI, 11, L. SteUe aus P. Nigidias, wo er behauptet, dass ein Unterschied

stattfinde zwischen „mentiri^ (was so viel bedeuten soll, als unser : anlügen)

und „mendacinm dicere*' (unser: nachliigen sein soU).

XI, 11. Cap. 1. Folgende Stelle enthält die eigenen Worte des P. Nigidius, eines in Kunst und Wissenschaft her- vorragenden Mannes, vor dessen Geist und Gelehrsamkeit (selbst) M. Cicero die grösste Hochachtung hegte. P. Nigidius schreibt: „Zwischen dem Ausdruck „mendacium dicere" und „mentiri" findet ein üntei-schied statt „Mentiri" wird von dem gesagt, der sich selbst zwar nicht irrt oder täuscht, sondern nur einen Andern betrügen (und anlügen) will; „mendacium dicere" aber heisst es von dem, der sich in Selbsttäuschung befindet (im Sinne wie unser: nachlügen, unbewusst eine Un- wahrheit sagen oder nacherzählen)." 2. Darauf folgt auch noch der Zusatz: „Wer anlügt (qui mentitur), will (so viel auf ihn ankommt) nach Möglichkeit (Einen) betrügen; aber wer eine Lüge nachsagt und weitei-sagt (qui mendacium dicit), ist, soviel an ihm liegt, seiner Absicht nach nicht Willens (Jemanden) zu betrügen." 3. Weiter setzt er seine Betrachtung auch noch über diesen Gegenstand mit folgenden Worten fort:

XI, 11, 1. üeber Nigidius b. Gell. IV, 9, 1 NB.

XI, 11, 3. *) Inddit in hominem. Polyb. 12, 5 heisst es: Es giebt zweierlei Unwahrheiten. Die eine entspringt aus der Unwissenheit, die andere rOhrt von der Bosheit her. Denen, die aus Unwissenheit fehlen, muss man vergeben, hingegen unyersGhnlich gegen die sein, welche ab- siditiich und vorsätdich die Wahrheit verfälschen.

Gellius, Attische Nächte.- n. ^ (^ T

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(114) XL Buch, 11. Cap^ § 3. 4. 12. Cap., § 1—8.

„Der biedere, rechtliche Mann muss (andern dadurch) vor- streben, dass er sich nie einer (wissentlichen, absichtlichen) Lüge schuldig macht ; der kluge Mann, dass er nie eine Lüge nachsagt (und weiter verbreitet). Die erste (beabsichtigte) Schuld fällt*) auf das Subject*(den Thäter) zurück, die zweite (unbeabsichtigte) nicht" 4. Es war wahrlich be- wundernswürdig, wie Nigidius auf mannigfaltige und liebens- würdige Art so viele Gedanken in Ansehung eines und des- selben Gegenstandes (von den verschiedensten Gesichtspunkten aus) zu vertheilen (und zu beleuchten) wusste, und zwar so, als ob er immer wieder etwas Neues vorbrächte.

XI, 12, L. Nach der Behauptung des Philosophen Chrysippns ist jedes

Wort (seiner Bedentang nach) zweideutig und zweifelhaft; nach der

Meinung des Diodor dagegen ist kein Wort zweideutig.

XI, 12. Cap. 1. Chrysippus sagt, dass jedes Wort ursprünglich (ambiguum) zweideutig sei, weil aus demselben (verhältnissmässig) zwei oder sogar noch mehrere Bedeutungen hergeleitet werden können. 2. Diodorus aber, mit dem Beinamen Gronus, sagt, kein Wort ist zweideutig, noch spricht oder denkt Jemand doppelt, noch darf es den Anschein haben, dass von etwas Anderem die Rede ist, als was der Sprechende denkt, dass er spricht. 3. Aber wenn ich etwas Anderes gedacht (und gemeint) habe, Du aber etwas Anderes verstandest, so kann es wahrscheinlich werden, dass die Rede mehr unklar als zweideutig war ; denn das Wesen des zweideutigen Wortes müsste es dann auch so mit sich bringen, dass (jedesmal)

XI, 12, 1. Wahrscheinlich in der verloren gegangenen Schrift» (sechs Bücher): ntQi tijs xarä ras k^e^Q dvo^aUag, welche nach Yarro (1. 1. IX, 1) in der Ahsicht geschrieben war, um darzuthon, dass ähnliche Dinge mit unähnlichen Namen und umgekehrt belegt werden (wie z. B. lucus a non lucendo). Dieses Werk über Anomalie erwähnt auch Plutarch: über moralische Tugend cap. 10. Yergl. Amphibolie bei Quintil. VII, 10, 3 und Göschel „Zerstreute Blätter", II. Theil S. 371.

XI, 12, 2. Diodorus von Jasus in Karlen, Schüler des Eubulides, war einer der berühmtesten Dialectiker seiner Zeit und wird für den Er- finder des sogenannten „gehörnten Trugschlusses*' gehalten. Da er, bei einem Gastmahle des Königs Ptolemäus I, ein ihm von einem andern Dialectiker vorgelegtes Sophisma nicht zu lösen vermochte, soll er sich deshalb zu Tode gegrämt und vom König den Spottnamen Kronos erhalten haben. S. Diog. Laert. II, 111.

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XL Buch, 12. Cap., § 8. 13. Cap., § 1—5. (HS)

der Sprechende, dann auch allemal zwei oder mehrere Begriffe zugleich ausspräche. Niemand aber spricht zwei oder mehrere Gedanken auf einmal aus, der sich des Einen (gehörig) be- wusst ist, was er sagt.

XI, 13, L. Urtheil des T. Castricins über die sonderbare Aiudrackiweise

i einer Stelle des G. Gracchus; femer Beweis, dass diese Stelle ohne

aUen Vortheil für den Gedanken (ausgefallen) sei.

XI, 13. Cap. 1. Bei dem Lehrer der Redekunst, bei T. Gastricius, einem Manne von strengem und sicherem Urtheil, wurde die Rede des G. Gracchus gegen den P. Popilius gelesen. 2. Im Eingange seiner Rede findet eine sorgfältigere und melodisch abgemessenere Anordnung der Worte statt, als dies sonst bei den älteren Rednern Sitte und Gebrauch ist. 3. Die genannten, rhetorisch (kOnstlich) geordneten Worte sind, wie gesagt, folgende: „Was ihr euch diese Jahre über mit Leidenschaft ersehnt und gewünscht habt, wolltet ihr es jetzt unbesonnener, thörichter Weise zurückweisen, so kann nicht ausbleiben, dass man von euch wird sagen müssen, entweder ihr habt dies früher mit (ungerechtfertigter) Leiden- schaft ersehnt, oder nur unbesonnen zurückgewiesen." 4. Die Wendung und der Klang dieses (periodisch) runden und ge- läufigen Gedankens ergötzte uns nun (einst) ungemein und ausserordentlich, und gerade deshalb um so mehr, weil wir glaubten, dass schon damals (selbst) dem G. Gracchus, diesem ausgezeichneten und strengen Mann, eine solche rhetorisch (kfinsthche) Anordnung (der Worte) müsse gefallen haben. 5. Allein, als wir uns (nachher) auf unsem besonderen Wunsch diese Stelle öfters wieder vorlesen Hessen, veranlasste uns Gastricius zu überlegen, worin wohl die Wirkung und das Vorzügliche dieses Gedankens bestände, und (mahnte uns) vorsichtig zu sein, damit nicht etwa unser Ohr durch den Klang eines (zufällig) nicht unpassenden Periodenbaues ver- lockt, auch unser Empfinden und Nachdenken durch leeren (eitlen) Reiz ausser Fassung bringen möchte. Und als er nun durch diesen zurechtweisenden Wink uns aufmerksamer ge-

XI, 13, 1. Cfip. Gell. I, 11, 10 NB; X, 3, 3; XI, 10, 8 NB; XV, 12, 1 NB über G. Gracchus.

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(116) XI. Buch, 13. Cap., § 5—9.

macht hatte, fuhr er fort: „Untersucht nun doch einmal ge- nau, was diese Worte darthun, was beweisen sollen, und dann soll mir gefälligst Einer von euch sagen, ob sich in diesem Gedanken wirklich eine Bedeutsamkeit oder Anmuth nach- weisen lässt:" (Hört also die Stelle noch einmal genau an) „Was ihr euch diese Jahre über mit Leidenschaft ei-sehnt und gewünscht habt, wolltet ihr es jetzt unbesonnener Weise zurückweisen, so kann nicht ausbleiben, dass man von euch wird sagen müssen, entweder ihr habt dies früher mit (un- gerechtfertigter) Leidenschaft ersehnt, oder nun unbesonnen zurückgewiesen." 6. Denn wem von allen Menschenkindern sollte hier nicht gleich einfallen, dass die nothwendige Folge davon unbedingt die sei, dass man von Dir sagen wird, was Du in (toller) Leidenschaft begehrt hast, hast Du in (toller) Leidenschaft begehrt und was Du unbesonnen verschmäht hast, hast Du imbesonnen verschmäht? 7. Aber, fuhr er fort, ich meine, wenn so geschrieben stände: Wenn ihr jetzt das, was ihr die letzten Jahre über ersehnt und gewünscht habt, von euch weisen solltet, so kann es nicht ausbleiben, dass man euch nachsagen wird, dass ihr es Mher mit (un- gerechtfertigter) Leidenschaft begehrtet, oder dass ihr es nun auf (unerklärlich) thörichte Weise verschmäht habt; 8. wenn, wie gesagt, der Satz so lautete, so würde, sollte ich meinen, der Gedanke gewichtiger und gediegener hervortreten und sich im Herzen der Hörer eine wohlbegründete Erwartung und Spannung emngen; 9. so aber werden nun die beiden Aus- drücke „cupide" (mit Leidenschaft) und „temere" (aus Laune, unbedachtsam, thörichter Weise), worauf das ganze Gewicht des Inhalts beruht, und die deshalb von höchster Wichtigkeit sind, nicht nur im Schlusssatz ausgesprochen, sondern stehen auch im Vordersatz ohne jedes Verlangen und ohne alle Nothwendigkeit, und was erst aus dem Vordersatz hätte her- vorgehen und sich entwickeln sollen, wird überhaupt schon vorher, ehe es die Umstände erforderten, ausgesprochen. Denn wer sich so ausdrückt: „wenn Du das gethan haben wii*st, so wird es von Dir heissen. Du hast es in der Leidenschaft gethan*", der spricht offenbar einen vemunftgemäss zusammen- gestellten und folgerichtigen Gedanken aus; wer sich aber so ausdrückt: wenn Du dies mit Leidenschaft gethan haben

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XI. Buch, 13. Cap., § 9. 10. 14 Cap., § 1. (117)

solltest, SO wird es heissen, Du hast es mit Leidenschaft ge- than, der sagt damit gar nichts Anderes, als ob er sich so vemehmen liesse: wenn Du dies mit Leidenschaft gethan haben wirst, so wirst Du es mit Leidenschaft gethan haben. 10. Dies wollte ich euch nur in Erinnerung gebracht haben, sagte er, nicht etwa um dem G. Gracchus einen Vorwurf des- halb zu machen, das mögen die Götter verhüten, die mir bessere Gesinnungen einflössen, denn, sollte man auch wirklich einem Manne von so bedeutender Beredtsamkeit den Vorwurf eines Fehlers oder Irrthums machen können, dies Alles muss uns sowohl die Würde und das Ansehen dieses grossen Mannes ertragen, als auch die (ehrwürdig) alte Zeit (mit milderer Beurtheilung) übersehen lassen: sondern meine Mahnung hat nur den Zweck (und die Absicht), euch Vorsicht anzuempfehlen, dass ihr euch nicht gleich so ohne Weiteres durch den zufällig melodischen Klang eines leichten Rede- flusses zu sehr einnehmen (und hinreissen) lassen sollt und dass ihr vorher erst die Bedeutung des Inhalts und den Werth des Gesagten genau abwäget, und wenn der ausgesprochene Gedanke von Wichtigkeit ist und stichhaltig, unantastbar und (natürliche) Wahrheit enthält, dass ihr dann, wenn sich dieses Gefühl euch aufdrängen sollte, dem Gange und der Lebhaftig- keit der Rede und der Leidenschaftlichkeit (des Rednera) euren Beifall durchaus nicht vorenthaltet, wenn aber (fade) hausbackene, haltlose und eitel unnütze Begiiffe in genau und abgemessen zusammengekünstelte Worte eingepfercht sein sollten, so stellt euch das gerade so vor, als wenn ein ganz missgestalteter Mensch, nur um die Leute zum Lachen zu bringen, einen Schauspielkomiker nachzuahmen sich be- müht, und zum reinen, elenden Faxenmacher herabsinkt.

XI, 1 4, L. Besonnene und ausserordentlich schlagende Antwort des Königs Romains in Betreff des (massigen) Weingennsses.

XI, 14. Cap. 1. Der lieblichsten Einfachheit, sowohl dem Inhalte, wie der Redeform nach, hat sich L. Piso (mit

XI, 18, 9. Dies würde eine Tautologie sein, wobei ganz dasselbe noch einmal und zwar mit denselben Worten gesagt wird.

XI, 14,^ 1. üeber L. Calpumius Piso s. Gell. VII (VI), 9, 1 NB.

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(118) XI. Buch, 14. Cap., § 1. 2. 15. Cap., §1—3.

dem Beinamen) Frugi (der Biedere) bei seiner Schilderung iin ersten Buche seiner Jahrbücher bedient, wo er über das Leben und die Lebensweise des Königs Romulus schreibt. 2. Die betreffende Schriftstelle lautet dort bei ihm also : „Von demselben Romulus erzählt man sich, dass, als er einst zu einem Gastmahle geladen worden war, er daselbst nicht viel (Wein) getrunken habe, weil er Tags darauf ein Staatsgesch&ft (zu besorgen) hatte. Man macht ihm deshalb die Bemerkung: „„Wenn alle Menschen es wie Du machen wollten, Romulus, würde der Wein sehr billig werden."" Darauf antwortete er : „„Fürwahr im Gegentheil theurer (würde er werden), wenn Jeder, so viel ihm beliebte, tränke; denn ich trank so viel, als mir beliebte.""

XI, 15, L. Ueber die Wörter; „ludibandns" und „errabundus'' und über ähnliche Wort Verlängerung (durch Ansetznng dieser Endung); femer, dass Laberius gerade so das Wort „amorabundus'^ (liebegeneigt, liebesüchtig, nicht vom Verbum, sondern vom Substantivum abgeleitet) gesagt hat, wie man „ludibundus" und „errabundus** gebraucht; endlich noch, dass Sisenna nach dem Beispiel eines derartigen Wortes eine neue, gleiche Wortform

gebildet hat.

XI, 15. Cap. 1. Laberius hat in seinem „Avemer-See" eine verliebte Frau mit dem höchst ungewöhnlichen und selbst- gebildeten Ausdruck „amorabundus (liebegeneigt, liebesüchtig)" bezeichnet. 2. Gaesellius Vindex sagt in seiner Beispielsammlung und Erläuterung „alter Wörter und Ausdrücke", dass dies Wort der ähnlichen Form nachgebildet sei, wie man die Aus- drücke braucht: ludibundus (spielerig, spielsüchtig), ridi- bundus (lachlustig) und errabundus (streifsüchtig, in einem fort umheriiTen) für (die einfachen) ludens (spielend), ridens Oachend) und eiTans (umherschweifend). 3. Allein Terentius Scaurus, der allerausgezeichnetste Grammatiker^ zu Zeiten

XI, 15, L. Die Endongen „äbondus'', „dbimdus'' und „Ibondns'' be- zeichnen eine eifrige, nachhaltende Beschäftigung mit dem, was das Stamm- wort sagt, oder dass die Thätigkeit oder der Zustand in ein«: gewissen Stärke und Fülle vorhanden sei. Gellius scheint die Endung „abundus** 8) von „abundo" ableiten zu wollen.

XI, 15, 3. üeber Terentius Scaurus s. Teuffels Gesch. der röm. Lit 847, 1. 4. 5.

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XI. Buch, 15. Cap., § 3—6. (119)

des göttlich erhabenen Hadrian, schreibt unter anderen Be- merkungen, die er über die In*thümer des Gaesellius heraus- gegeben hat, dass dieser sich auch bei der besprochenen Wortform im Irrthum befunden, weil er geglaubt habe, es sei zwischen ludens und ludabunda, zwischen ridens und ridi- bunda und zwischen errans und errabunda kein Unterschied. Denn Gaesellius hat behauptet, „ludibunda, ridibunda und errabunda wird diejenige Frauensperson genannt, welche der That oder dem Scheine nach eine Spielende, oder Lachende oder Irrende darstellt". 4. Aus welcher Ursache sich Scaurus aber bewogen gefühlt hat, dem Gaesellius hier einen Vorwurf zu machen, habe ich in der That nicht herausfinden können. Denn es ist ausser allem Zweifel, dass die (genannten) Wörter genau genommen an und für sich die Grundbedeutung ihrer (einfachen) Stammwörter, von denen sie abgeleitet werden, beibehalten. In Betreff dessen aber, was Scaurus mit seiner Erklärung sagen wollte: „ludentem agere vel imitari'^ heisse eine Pei-son die scherzt und Possen treibt, dai-stellen oder nach- ahmen, so möchte ich lieber den Schein des Nichtverstehens auf mich laden, als mich zu der Beschuldigung hinreissen lassen, dass er wohl selbst hier in seinem Urtheil nicht so ganz klar gewesen sei. 5. Nein, Scaurus, indem er die Er- läuterungen des Gaesellius tadelte und bekrittelte, hätte viel- mehi- ein Versehen von diesem wieder gut machen und das von diesem Uebergangene und in seiner Erklärung Aus- gelassene erst recht nachholen und ergänzen müssen, welch ein erheblicher Untei*schied zwischen ludibundus und ludens (zwischen redibundus und ridens), zwischen errabundus und errans und zwischen allen andern derartigen ähnlichen Aus- drücken stattfindet und ob solche (Woilverlängerungen) von ihren Stammwörtern sich in irgend einer Beziehung unter- scheiden und welche Bedeutung überhaupt das Anhängsel am Ende von dergleichen Ausdrücken hat 6. Denn bei Ab- handlung dieser Wortfoim kam es doch vorzüglich darauf an, nachzuforschen, gleichwie man sich ähnlich zu fragen pflegt bei den Wörtern: vinolentus (weinberauscht), lutulentus (kothbeschmutzt), und turbulentus (unruhvoll, ungestüm), ob dergleichen Endverlängerungen am Stammwort, welche die Griechen TtaQaywyai (Endlautszusätze, Suffixa, terminationes)

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(120) XL Buch, 15. Cap., § 7. 8. 16. Cap., § 1.

nennen, bedeutungslos und eigentlich überflüssig sind. 7. In- dem wir diesen Tadel des Scaurus au&ustechen uns veranlasst fühlten, kam uns da wieder bei, dass sich Sisenna dieser Woilendungsverlängerung im 4. Buche seiner „Geschichte'^ auch noch an einem andern Worte bedient hat, er sagt da nämlich: „populabundus agros ad oppidum pervehit'S was doch wohl nichts Anderes heissen soll, als: „Er kam (unauf- hörlich und nach allen Seiten hin) Felder und Land verheerend oder verwüstend bis vor die Stadt", sicher aber nicht, wie Scaurus bei ähnlich gebildeten Wörtern erkläit^ in dem Sinne zu nehmen ist, wie: „cum populantem ageret oder cum (po- pulantem) imitaretur, d. h. als er einen Verheerenden der That oder dem Scheine nach vorstellte." 8. Bei meiner femerweitigen Nachforschung über die Bedeutung und den Ursprung jeder derartigen Endungsform (auf -bundus), wie bei den Wörtern populabundus, errabundus, laedabundus (freud- voll), ludibundus und noch vielen andern dieser Art, versicherte mich mein Freund Apollinaiis wahrlich höchst geistvoll und treffend {evenißohag) , ihm scheine es, dass alle auf dieses Endanhängsel auslaufenden Wörter eine Stärke, eine Menge und gleichsam einen Ueberfluss von dem anzeigen, was ihr Stammwort besagt, so dass z. B. mit laetabundus Einer be- zeichnet wird , der übermässig (abunde) freudig ist und mit errabundus Einer, der sich in unaufhörlichem und über- mässigem (abundanti errore) Irrthume befindet; und so zeigte er uns, dass alle derartig gebildeten Wörter in solchem Sinne gesagt werden, dass diese Wortverlängeiiing und dieses Endanhängsel eine reichliche überströmende Kraft und Menge angiebt.

XI, 16, L. Wie schwer es sei, gewisse [griechische Ausdrucke lateinisch zu übersetzen, wie z. B. das griechische Wort: TrolvTrQuyfiOövvti (ge- schäftige Neugierigkeit, Torwitzige, zudringliche Geschäftigkeit, mit welcher sich manche Leute in Dinge mengen, die sie nichts angehen).

XI, 16. Cap. l. Ich habe oft Beobachtungen angestellt und meine besondere Aufmerksamkeit auf die gar nicht ge-

XI, 15, 7. populabundus cfr. Sisenna histor. IV ap. Non. Marc VII, 471, 22 edit Gerlach und Both.

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XL Buch, 16. Cap., § 1—5. (121)

ringe Anzahl von Begi-iffsbestimmungen (vocabula rerum) ge- richtet, welche sich weder mit wenigen und kurzen Worten, wie von den Griechen, noch sich, selbst wenn wir sie durch eine ausserordentlich lange Umschreibung wiedergeben wollten, so klar, deutlich und passend in der lateinischen Sprache wiedergeben lassen, wie dieselben eben von den Griechen durch eigenthümlich kurze (Schlag-) Wörter ausgedi-ückt werden können. 2. Diese Beobachtung fand ich auch endlich wieder bewahrheitet, als mir eine Schrift des Plutarch ge- bracht wurde und ich den Titel dieses Werks gelesen hatte, welcher lautete: tvsqi TtoXvTtQayixoavvrjg (d. h. über Vorwitzig- keit, Voreiligkeit, Neugierigkeit). Wie (zufällig) nun da ein Mensch, der sowohl mit (den Erzeugnissen) der Literatur, als auch mit der Sprache der Griechen unbekannt war, die Frage an mich richtete, von wem das Buch verfasst sei und über welchen Gegenstand es handle, da konnte ich ihm allerdings wohl sofort den Schriftsteller namhaft machen, als ich nun aber auch den in dieser Schrift verhandelten Gegenstand anzugeben im Begriff stand, stockte ich (unwillküi'lich). 3. Weil ich aber wähnte, dass ich nicht schlagend und treffend genug übersetzen würde, wenn ich den griechischen Ausdruck durch einen ähnlichen lateinischen ei*setzen und etwa sagen wollte, das Buch handle von der „negotiositas'', so beschloss ich da nun gleich von vom herein bei mir, dafür ein anderes Zufluchtsmittel ausfindig zu machen, wodurch der griechische Ausdi-uck, wie gesagt, wörtlich genau wiedergegeben würde. 4. Da fand ich nun aber durchaus nichts, dessen ich mich entweder erinnern konnte gelesen zu haben, oder, was in der Absicht der (Neu-) Bildung eines (entsprechenden lateinischen) Wortes, mir nicht holperig, abgeschmackt und hart vor- gekommen wäre, wenn ich z. B. aus den beiden Wortbegriffen „Menge (multitudo)'' und Geschäft (negotium)" ein Wort nachbilden würde, was gldchlautend wäre mit den bei uns gebräuchlichen Wörtern: multijuga (vielspännig) , mulücolora (vielfarbig) und multiformia (viel- und mannigfaltig). 5. Aber es wüi-de nicht weniger abgeschmackt klingen, wie wenn man

XI, 16, 2. Plutarch erkl&rt den Begriff selbst so: Nengierigkeit ist weiter nichts als eine Begierde, geheime und verborgene Dinge auszuspähen.

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(122) XL Buch, 16. Cap., §5—9.

die Wöi-ter 7toh)q>iUa (Vielbeliebtheit, Freundschaften -Viel- heit) oder noXvzijOTtia (Vielgewandtheit), oder noXvaaquia (Viel- oder Wohlbeleibtheit) durch ein einziges (Doppel-) Wort (im Lateinischen) wiedergeben wollte. 6. Als ich deshalb lange schweigend und im Nachdenken verhan-t hatte, sah ich mich endlich zu der Antwort genöthigt, es scheine mir nicht glaublich, dass der bezeichnete B^riff (TiolvnQayiioavvt]) durch ein (einziges, entsprechendes lateinisches) Wort wiedergegeben werden könne; und deshalb war ich eben Willens gewesen, durch eine Umschreibung die Bedeutung dieses griechischen Ausdrucks zu erklären. Ich fuhr also fort (zu erklären): das InangiiShehmen von vielen Dingen und den Betrieb aller dieser Dinge nennt man auf griechisch TtoXvrcqayiioavvri^ worüber eben das Buch nach seiner besagten Ueberschrift handelt 7. Darauf glaubte nun der arme Tropf (opicus) auf Veranlassung meiner mangelhaften und nur so hingeworfenen Erklärung, es sei unter dem Ausdi-uck TtoXvnQayfioavyr] eine Tugend gemeint und sagte (höchst naiv): zuverlässig ermahnt also dieser mir unbekannnte (griechische Schriftsteller) Plu- tarch uns (in seiner Schrift) zui* eifrigen Betreibung unserer Geschäfte und zur fleissigen und schnellen Ausführung aller unserer Unternehmungen und hat den Namen dieser Tugend, von der er sprechen will, seinem Werke, wie Du sagst, nicht unpassend (als Aufschrift) vorangesetzt. 8. Ei bewahre, fiel ich ihm ins Wort, das habe ich ja gar nicht sagen woUen, denn unter diesem griechischen Ausdruck, als Bezeichnung der Inhaltsangabe dieses Buchs, ist weder eine Tugend zu ver- stehen, noch bedeutet es etwas von Dem, was Du Dir vorstellst, noch was ich habe sagen, oder was Plutarch hat schildern wollen. Denn in dem Werke sucht er uns ja vielmehr nach grösster Möglichkeit abzuhalten von dem wechsehiden, nicht gesonderten und unnützen Trachten und Verlangen nach ver- schiedentlicher Geschäftlichkeit (Voreiligkeit). 9. Aber ich erkenne recht wohl und gestehe es offen, dass die Schuld zu diesem, Deinem Missverständnisse leider ganz allein an meiner mangelhaften Erläuterung (des griechischen Wortes) lag, da ich nicht einmal im Stande war, durch viele Worte das ganz klar und deutlich auszudrücken, was die Griechen durch ein einziges Wort höchst vollkommen und ganz klar sagen können.

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,XI. Buch, 17. Cap. (123)

XI, 17, L. Was in den alten Praetorenedicten die Worte zu bedeuten

haben: „qni flumina retanda publice redempta habent (d. h. welche die

Flussbett -Entrentnng (oder Reinigung) zu Ifutzen des Staates gegen

Bezahlung übernommen haben).*'

XI, 17. Cap. 1. Als ich einstmals in der Bibliothek des trajanischen Tempels sass und nach etwas ganz Anderem suchte, fielen mir (zufällig) die Edicte der alten Prätoren in die Hände. Da konnte ich mich nicht enthalten, sie sofort vorzunehmen, zu lesen und genau zu studiren. 2. Da fand ich nun in einem altern Edict folgende Stelle geschrieben: „Qui flumina retanda publice redempta habent etc., d. h. Wenn einer von Denen, welche die Fluss(bett)reinigung zum Nutzen des Staates (und der Oeffentlichkeit) gegen Bezahlung übernommen haben, mir vorgeführt würde, dem man nach- sagte, dass er nicht, wie er eigentlich sollte, seinen Pacht- contractsverpflichtungen nachgekommen sei.** 3. (Ich zeigte die Stelle Mehreren und) man fragte sich (gegenseitig) ^ was das Wort: retanda wohl zu bedeuten habe. 4. Da äusserte einer meiner Freunde, der da bei mir sass, dass er im 7. Buche des Gavius Bassus „über Ursprung und Bedeutung der Wörter" gelesen habe, unter dem Ausdruck „retae" seien Bäume zu verstehen, welche entweder an den Ufern des Flusses hervon-agen, oder aus den Flussbetten hervor- ständen, und dass man Namen und Begi-iflf dieses Wortes von dem Wort „rete (das Netz)" entlehnt habe, weil solche Bäume den vorüberfahrenden Schiffen, oder der Schiffahrt überhaupt hinderlich wären und gleichsam Netze stellten, und deshalb sei er der Ansicht, dass gewöhnlich die Flussbettentreutung, d. h. das Rein- und Freihalten der Flussströmung (retanda flumina) in Pacht gegeben worden sei, damit den Schiffen, die sonst leicht in ein solches Strauchwerk (oder Baum- gestrüppe) gerathen könnten, kein Aufenthalt oder Unglück zustossen möchte.

XI, 17, L. retare i. e. den Flosa oder die Strömung von dem die Schifiahrt hindernden Gestrüppe (Baumgesträach) reinhalten. Yergl. Rieth s> Sdiilfrohr; ansreuten, ausroden =■ entwurzeln.

XI, 17, 2. 8. Fest. 8. 273, ».

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(124) XL Buch, 18. Cap., § 1.

XI, IS, L. Mit welcher Strafe der athenische Gesetzgeber Draco in seinem für das athenische Volk verfassten Gesetzen die Diebe belegte; dann, mit welcher Strafe später Solon; mit welcher ebenso nnsre Decem- virn, welche (451 v. Chr.) die zwölf Tafelgesetze verfassten; auch femerweitige Beifügung, wie bei den Aegyptem der Diebstahl erlaubt und gestattet war, das Diebshand werk aber bei den Lacedämoniem förmlich absichtlich eingeführt war und als nützliche Uebang fleissig gepflegt wurde; endlich ausserdem noch merkwürdiger Ausspruch des M. Cato über Bestrafung der Diebe.

XI, 18. Cap. 1. Der Athener Draco, der für einen ebenso rechtschaffenen, wie höchst klugen Mann gehalten

XI, 18, L. Da in früheren Zeiten der Bepublik, in Ermaagelung eines Gesetzbuches, die Patricier sehr willkOrliche Entscheidungen trafen, verlangte 462 v. Chr. das Volk durch seinen Tribun Terentius Arsa nach- drücklich geschriebene Gesetze. Daher wurde 451 eine Gesetzcommission der Zehnmänner (Decemviri) eingesetzt, zur Entwerfung von den Ge- setzen aus dem vorhandenen griechischen wie einheimischen Bechtsmaterial. Nach einem Jahre erschienen zehn Tafeln der Gesetze, denen im folgendei Jahre noch zwei hinzugefügt wurden, daher die Gesetze der zwölf Tafeln genannt Diese Tafeln sollen bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. noch vorhanden gewesen sein, seitdem sind sie spurlos verschwunden, doch ist der Inhalt jeder Tafel bekannt. Er war folgender :

1) Von der Vorladung ins Recht

2) Von Gerichtstagen und von Diebstählen.

3) Von anvertrautem Gute.

4) Vom väterlichen Hechte und vom Eherechte.

5) Von Erbschaft und Vormundschaft.

6) Vom Eigenthume und Besitze.

7) Von Verbrechen.

S) Von den Rechten auf Haus und Feld. 9) Vom öffentlichen Rechte.

10) Vom heiligen Rechte.

11) u. 12} Ergänzungen der vorhergehenden.

Nach Vollendung der zwölf Tafeln legten die Decemvim ihre Aemter nicht nieder und Rom wurde der Sitz von Grausamkeit und Tyrannei. Bis endlich ein Mitglied dieser Gesetzcommission, Appius Claudius, durch seine lüsterne Gewaltthätigkeit gegen die Vnrginia Ursache zum Sturz der Decemvim war. Appius endete durch Selbstmord. Cic. de legg. n, 28 heisst es : Wir haben als Knaben die zwölf Tafehi wie einen unentbehrlichen (politischen) Katechismus auswendig gelernt. S. Beruh, röm. Lit 10, 19 u. 64, 265. Vergl. GelL XIV, 7, 5.

XI, 18, 1. Draco, Archen zu Athen und Gesetzgeber im Jahre. 624 V. Chr. Seine Gesetze, die fast keine andere Strafe, als den Tod

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XL Buch, 18. Cap., § 1 8. (125)

wurde und der eine grosse Kenntniss des göttlichen und mensdilichen Rechts besass. 2. Dieser Draco war der allererste Gesetzgeber der bei den Athenern gebräuchlichen Gesetze. 3. In diesen Gesetzen befand sich unter vielen an- dern die ausserordentli^^h strenge Verordnung und rechts- kräftige Bestätigung, dass ein Dieb, welcher Art der Dieb- stahl auch immer sein mdge (ob gross oder gering), sein Vergehen mit der Todesstrafe btissen solle. 4. Weil nun aber seine Gesetze doch viel zu hart schienen, geriethen sie^ zwar nicht auf ausdrücklichen (Volks-) Beschluss, sondern nach stiUschweigender und nicht erst schriftlich abgefasster Uebereinstimmung der Athener in Vergessenheit. 5. Hierauf fanden die von Selon verfassteu; milderen Gesetze Eingang. Dieser Selon war (bekanntlich) einer von den berühmten sieben Weisen (Griechenlands). Nach seiner gesetzlichen Entscheidung gegen Diebe sollte man nicht, wie vorher Draco angeordnet, ein solches Vergehen mit dem Tode (des Schuldigen) ahnden, sondern mit dem doppelten Schaden- ersatz. 6. Allein unsere Decemvim, welche nach Vertreibung der Könige (510 v. Chr.) die für das römische Volk giltigen zwölf Tafelgesetze verfertigten, verfuhren bei Bestrafung aller Arten von Dieben weder mit gleicher Strenge, noch mit zu sanfter Milde. 7. Denn sie erlaubten einen Dieb, der bei seinem Verbrechen auf frischer That ertappt wurde, dann erst zu tödten, wenn es entweder Nacht war, als der Dieb- stahl verübt wurde, oder wenn, im Fall es Tag war, der Thäter bei seiner Ergreifung sich mit einer tödtlichen Waffe zur Wehr gesetzt hatte. 8. Von allen den Personen, welche sich der offenbaren Veiübung dieses Verbrechens schuldig

erkannten, waren zn streng, dass man sagte, sie seien nicht mit Tinte, sondern mit Blat geschrieben, weshalb dem Selon eine neue Gresetzgebung aufgetragen wurde.

XI, 18, 1. S. Plutarch Selon p. 87; Tzetzes Chiliad. Y, 5; Gell, n, 12, 1 NB.

XI, 18, 5. Die sieben Weisen waren: 1) Thaies von Milet, 2) Selon von Athen, 3) Chilon von Lacedaemon, 4) Pittacus von Mitylene, 5; Bias von Prione, 6) Cleobulus von Lindo und 7) Periander von Oorinth.

XI, 18, 5. Demosthen. gegen Timocrates p. 736.

XI, 18, 7. Macrob. Sat. I, 4; L. 4 § 1 ;i. ad L. Aquil.; Cic. pro MUon. 12.

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(126) XL Buch, 18. Cap., § 8-11.

gemacht hatten, wurden die, welche Freie waren, gepeiteeht und Demjenigen (dienstpflichtig) zugesprochen, bei dem sie den Diebstahl verübt hatten, im Fall sie die That am Tage vollbracht und sich dabei mit keiner (gefährlichen) Waffe vertheidigt hatten; auf frischer That ei-tappte Knechte aber wurden (erst) gepeitscht und (dann) vom tarpejischen Felsen herabgestürzt; die noch nicht mannbaren jungen Leute durfte der Praetor (i. e. Consul) nach seinem Gutdünken züchtigen, oder den von ihnen angerichteten Schaden ersetzen lassen. 9. Auch die Diebsverbrechen, welche bei einor nach allen Förmlichkeiten (per lancem et licium, d. h.) mit einer Schale und mit einer Binde und in Gegenwart von Augenzeugen an- gestellten Haussuchung ausfindig gemacht wurden, bestrafte man gerade so, als ob sie offenbare wären. 10. Jetzt hat man freilich auch (wieder) von der Verordnung der zehn Männer abgesehen. Denn wenn Jemand über einen (bei ihm veiübten) offenbaren Diebstahl gerichtlich und gehörig klagbar werden will, dem steht das Elagrecht auf vierfachem Ersatz (der entwendeten Sache) zu. 11. „Ein offenbarer Diebstahl (manifestum furtum) aber tritt nach dem Ausspruch des Ma- surius im Augenblick des Ertappens auf der That ein. Die Vollendung des Verbrechens wird angenommen, wenn der

XI, 18, 8. Praetor = Consul s. GeU. XX, 1, 11. 44. 47.

XI, 18, 9. Furtum per lancem et licium conceptum. üeber die Art und Beschaffenheit dieses Gebrauches erklärt sich der griechische Scholiast in den Wolken des Aristophanes also: „Es war gewöhnlich, dass die, welche gestohlene Sachen auüsuchten (vorher ihre gewöhnliche Kleidung ablegten und) nackend in die Häuser gingen. Dies geschah deswegen, damit sie unter ihren Kleidern Nichts verborgen halten und etwa gar aas Feindschaft den Gegenstand in das Haus unter der ToRa bringen konnten, den sie zum Schein suchten, um böswilliger Weise einen fiedschen Dieb- stahl auf den Eigenthümer des Objects zu bringen." Yergl. Plat de legg. Xn p. 691. Bei Haussuchung waren also die Athener nur mit der (xiroviaxü) oder) licio bedeckt Nach Festus unter d. W. lanx kam dieser Ciebrauch mit den athenischen Gesetzen nach Rom. Lanx dem griech. Xaymv, cavitas) war eine hohle Schale oder Platte, vor's Gesicht zu halten, um nicht erkannt zu werden, also einer Maske nach Art einer Waagschale. Licium eine Binde oder dünnes Unterkleid. Festus p. 117i lance.

XI, 18, 11. S. inst. 4, 1 § 4. Furtum conceptum eigentlich: der abgefasste Diebstahl; Furtum oblatum, der verholfene Diebstahl.

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XL Buch, 18. Cap., § 11 16. (127)

entwendete Gegenstand (bereits) dahin gebracht wurde, wohin man* ihn zu bringen beabsichtigte/ Die Strafe des dreifachen Ersatzes stand auf einen Diebstahl, wofeiii die entwendete Sache nach langem Suchen (in Gegenwart von Zeugen) gefunden wurde und „furtum conceptnm^ hiess; desgleichen auf Yer* Übung eines „furtum oblatum^, wo die gestohlene Sache in Aufbewahrung gegeben und geftinden worden war. 12. Wer aber nachlesen will, was man unter einem (furtum) oblatum und was unter einem (furtum) conceptum versteht, und über- haupt noch nähere Aufklärung wünscht über viele andere dahin gehörige, für die Betrachtung ebenso nützliche, als angenehme üeberiieferungen von den vortrefflichen Sitten(vorschriften) des Alterthums, der wird seine Wissbegierde vollständig be* friedigt finden in dem Werke des Sabinus, welches „von den Diebstählen" handelt. 13. Darin findet sich auch eine schrift- liche Bemerkung, an die man im Allgemeinen nicht gedacht hat, dass man einen Diebstahl begehen könne, nicht nur an Menschen und andern beweglichen Gegenständen, die heimlich weggetragen und entwendet werden können, sondern auch an Häusern und Grundstücken, dass daher auch ein (Guts-) Pächter wegen Diebstahls verurtheilt wurde, der sein (nur) gepachtetes Grundstück verkauft und den (rechtmässigen) Herrn um dessen Besitz geprellt hatte. 14. Ja eine Be- hauptung des Sabinus, die fast noch unwahrscheinlicher klingt, besteht darin, dass Deijenige für einen Menschendieb erklärt worden sei, der, wenn ein flüchtiger Knecht gerade vor den Augen seines Hen-n sich aus dem Staube machen wollte, durch Ausbreitung seiner Toga, als ob er sich damit umhüllen wollte, (in der üblen Absicht) sich vor den Ausreisser gestellt hatte, damit dieser nicht von seinem Herrn bemerkt werden sollte. 15. Auf alle andern Diebstähle, welche „nee manifesta (d. h. heimliche)" genannt werden, setzte man einen doppelten Schadenersatz. 16. Auch erinnere ich mich in einefli Werke des sehr gelehilen Juristen Aristo gelesen zu haben, dass

XI, 18, 12. § 4 inst de oblig. quae ex delict nasc. XI, 18, 14. Vergl. Gell. VI (Vü), 15, 2.

XI, 18, 15. Furtum nee manifestum, wenn man den Dieb nicht auf der That selbst ertappte, sondern erst nachher herausbekam.

XI, 18, 16. S. Diodor. Sic. I, 80 von den Aegyptem. Aristo

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(128) XL Bucli, 18. Cap., § 16—19.

bei den älteren Aegyptern, die ja allgemein als eine Art Leute bekannt sind, welche sich in Erfindung der Künste anschlägig erwiesen, wie auch im Erforschen und Erkennen des Lebenszweckes so gi*ossen Scharfsinn entwickelten, alle Diebstähle erlaubt waren und ungeahndet blieben. 17. Viele berühmte Schriftsteller, welche über die Sitten und Gesetze der Lacedämonier geschichtliche Nachrichten abgefasst haben, versichern, dass bei diesem ausserordentlich massigen und so strengen Volke, wovon die geschichtliche Glaubwürdig- keit uns doch noch nicht so ganz in weite Feme gerückt ist, wie bei den Aegyptern, die Gewohnheit des Stehlens zu Recht bestanden habe; dass sogar das Diebshandwerk von der (spartanischen) Jugend eifrig sei betrieben worden, nicht um des verächtlichen Gewinnes halber, nicht um Kostenaufwand zur Befi-iedigung ihrer Lüste, noch zur Erwerbung von Schätzen, sondern nur als Uebungs- und Erziehungsmittel für das Kriegs- handwerk; weil man der Ansicht war, dass die Geschicklich- keit und Fertigkeit im Stehlen den Verstand der jungen Leute schärfe und ermuthige und stärke zu Hinterhaltsfinten und Kniffen, femer zur Geduld und Wachsamkeit, endlich zur Schnelligkeit bei Ueberlistung (des Feindes) anspome. 18. Hin- gegen beschwert sich der (biedere) M. Cato in seiner Rede, welche er „über die Vertheilung der Beute unter die Soldaten** verfasste, mit nachdrücklichen und deutlichen Worten über die Zügellosigkeit und Frechheit des Beute -Unterschleifes. Ich lasse seinen (bedeutungsvollen, schlagenden) Aussprach, weil er mir so unendlich gefallen hat, hier wörtlich folgen, er lautet: „(Kleine) Privatdiebe müssen (zeitlebens) in Ketten und Banden schmachten, (gi'osse, vornehme Haupt- und) Staats -Spitzbuben bringen ihr Leben in Gold und Purpur hin." 19. Hier glaube ich nun die von den klügsten Männem so keusche, wie gewissenhafte Erklämng, was unter „Dieb- stahl'' zu verstehen sei, nicht mit Stillschweigen übergehen zu dürfen: man solle nämlich nicht nur den für einen (wirk- lichen) Spitzbuben halten , der etwas im Verborgenen auf die

der römische Bechtsgelehrte lebte zur Zeit Trojans. YergL über ihn eine Schildenmg in des Plin. epist I, 22.

XI, 18, 17. Platarch. Lykurg p. 44; Lakonische Denksprüche p. 234^ Suidas unt xl^rrrris; Plutarch. Marceil. 22.

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XL Buch, 18. Cap., § 20—24. (129)

Seite gebracht und heimlich entwendet hat. 20. Eine (darauf bezügliche) Stelle des Sabinus aus dem 2. Buche seines „bürgerlichen Rechts" lautet also: „Wer eine fremde Sache (gegen Gebühr) antastet, da er wohl dabei hätte bedenken müssen, dass er solches wider Willen des Eigenthümers thut, gilt für des Diebstahls überführt (und verfällt in Strafe)." 21. So auch in einem andern Abschnitte: „Wer fi-emdes (ver- lorenes) Eigenthum im Geheimen aufhebt (und an sich nimmt), um daraus für sich einen Gewinn zu ziehen, macht sich eines Diebstahls schuldig, mag er nun wissen, oder nicht wissen, wessen Eigenthum es ist." 22. Solches schreibt Sabinus in dem eben von mir angeführten Buche über Gegenstände,- die man diebischer Weise an sich genommen hat. 23. Allein ich muss hier auch noch, gemäss der bereits oben von mir an- gefühlten Bemerkung, in Erinnerung bringen, dass ein Dieb- stahl auch (schon) ohne irgend eine Berührung stattfinden kann, in dem absichtlichen und vorsätzlichen Bemühen, einen Diebstahl zu begehen. 24. Deshalb behauptet Sabinus, dass er selbst nicht einmal Anstand nehme, den Hen-n eines Dieb- stahls für schuldig zu erklären, der seinem Knecht Befehl gegeben, einen Diebstahl zu begehen.

XI, 18, 21. üeber noch andere Annahmen eines Diebstahls siehe GeU. YI (Vn), 15.

XI, 18, 23. Der Vorsatz zu stehlen wird zwar nach den Rechten (vergL L I, § 1 TT. de fhrt.) noch nicht als ein Diebstahl angesehen, aber doch, wenn, wie in dem von Sabinns angeführten Falle, der Diebstahl auf Jemandes Anrathen oder Befehl vollzogen wurde. Yergl. § 11 Inst L. IV, tit 1.

XI, 18, 24. 8. L. 36, § 1 ;r. de fürt

0 e 1 n a 8 , Attische N&chto. II. 9

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XII. BUCH.

XII, 1, L. Gelehrte Abhandlung des Philosophen Favorin, wobei er einer vornehmen Frau den Bath ertheilte, dass er es für die (heiligste) Pflicht einer Mutter halte, die- Kinder, die sie zur Welt gebracht, nicht durch die Milch gedungener Ammen aufziehen zu lassen, sondern mit ihrer eigenen (Mutter-) Milch selbst zu stillen.

XII, 1. Cap. 1. Einst wurde dem Weltweisen Favorin in meiner Gegenwart gemeldet, dass die Gemahlin eines seiner Zuhörer und Anhänger kurz vorher entbunden worden und derselbe durch den Zuwachs eines neugebornen Söhnchens beglückt worden sei. 2. Auf, sprach er, lasst uns (nach dem Befinden der Eindbetterin erkundigen) das Knäbchen in Augenschein nehmen und dem Vater unsre Glückwünsche darbringen. 3. Der Vater des Neugebornen war Rathsmitglied und stammte (überhaupt) aus höchst vornehmer Familie. Wir, die ganze damals bei Favorin versammelte Gesellschaft, be- gleiteten insgesammt ihn nach dem Hause, wohin er sich sofort aufmachte und traten mit ihm zugleich ein. 4. Gleich beim Eintritt in das Haus umarmte er den (glücklichen) Vater, brachte ihm die herzlichsten Wünsche dar, und nachdem er sich niedergelassen und sich erkundigt hatte, ob die Ent- bindung langwierig und mit heftigen Wehen verbunden ge- wesen sei, erfuhr er, dass die junge Frau durch die aus- gestandene Anstrengung und durch langes Wachen ennattet (jetzt glücklicher Weise etwas) eingeschlafen sei. Er begann nun eine weitläufigere Unterhaltung und liess dabei die Be- merkung fallen: Nun zweifle ich aber durchaus nicht, dass

Xn, 1, L. Vergl. Bemh. R. L. 11, 25.

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XIL Buch, 1. Cap., § 4—9. (131)

die Wöchnerin ihr Knäbchen mit ihrer eignen Muttermilch selbst stillen wird. 5. Augenblicklich mischte sich aber die Mutter der jungen Wöchnerin ins Gespräch und sagte, man mfisse dem Kinde eine gute Amme versorgen und die junge Frau schonen, der, nach den bei der Entbindung ausgestandenen Schmerzen, wohl kein Mensch würde zumuthen wollen, nun auch noch sich mit dem lästigen und beschwerlichen Amt des Selbststillens zu befassen. Ich bitte Dich, liebe Frau, er- widerte Favorin, (halte Dich in dieser Angelegenheit der Einmischung fern und) lasse Deine Tochter doch lieber an ihrem Söhnchen die volle Mutteipflicht erfüllen. 6. Denn heisst das nicht eine unnatürliche, unvollständige und halb- schürige Sorte von einer Mutter, die ein Kind zur Welt bringt und dasselbe gleich wieder verstösst? Im Mutterleibe ein noch etwas Unsichtbares mit seinem Blute ernährt zu haben, nun da es (glücklicher Weise) lebt, und man es sieht, nun da es menschliche Gestalt angenommen und bereits den Beistand der Mutter anfleht, es nicht mit der Mutter eignen Milch ernähren zu wollen? 7. Oder bist Du der Meinung, fuhr er fort, dass die Natur den Frauen die Brusteuter ver- liehen hat nur gleichsam als liebreizende Zaubermale, nicht zur Ernährung ihrer Kinder, sondern als Zierde des Busens? 8. So giebt es nämlich, was sich selbstverständlich durchaus nicht auf euch beziehen soll, viele solche unnatürliche, ent- artete (Raben-) Mütter, die Alles aufbieten, den heiligsten Bi-onnen des Leibes, den Urquell der für das (gesammte) Menschengeschlecht bestimmten Nahrung vertrocknen zu lassen und zu unterdiilcken , ohngeachtet der mit Vernichtung und Vertreibung der Milch verbundenen Gefahr, nur um ihrer äussern Schönheit keinen Eintrag zu thun; welches Verbrechen wahrlich nicht weniger wahnsinnig erscheinen muss, als wenn man sich künstlicher und (sträflicher) Abtreibungsmittel be- dient, um den im Mutterleib bereits eiiolgten Ansatz des Fruchtkeimes zu vernichten, damit auf der Glätte der Leibes- schöne nach Austrag der lästigen Frucht keine Falten zurück- bleiben, und man dadurch wegen der Anstrengung bei der Entbindung keinen Abbruch erleide. 9. Doch da schon eine solche VeiTuchtheit die öffentliche Verabscheuuftg und all- gemeine Verachtung verdient, wenn man darauf ausgeht, ein

9*

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(132) Xn. Buch, 1. Cap^ § 9—15.

menschliehes Sein in seinem Uranfange, bei seiner Entwickelung und Beseelung gleich unter den eignen Händen der 8(^haffenden Natur zu vernichten, wie viel näher liegt uns nun da ei'st der Abscheu vor einer Person, die sich des Vorwurfs schuldig macht, ein schon völlig ausgebildetes, auch schon (glücklich) zur Welt gebrachtes Wesen, ihr eignes Kind, des ihm zu- kommenden, gewöhnten und bekannten Emährungsmittels zu berauben? 10. Allein nun sucht man sich dabei so aus- zureden: Wenn das Kind nur genährt wird und am Leben erhalten bleibt, dann ist es ja gleichgültig, durch wessen Milch dies geschieht. 11. Warum stellt nun ein Solcher, der diesen Widersinn auszusprechen wagt (und gegen das Verständniss der Stimme der Natur so taub ist), nicht auch gleich die Behauptung auf, dass er auch das für ganz gleichgültig er- achte, in welchem Mutterschooss ein Mensch entstanden und aus wessen Blut er hervorgegangen? 12. Oder (will er etwa beweisen) weil durch einen gewaltigen Umwandlungsprozess und durch die Lebenswärme das Blut (in der Mutter Brust) eine weisse Farbe angenommen, nun in den Brüsten nicht dasselbe sei, das im Schoosse der Mutter das Bestehen (und die Ausbildung) der Frucht vermittelte? 13. Wird nicht auch durch folgende Thatsache die weise Absicht der Natur er- sichtlich, dass, nachdem das Blut, jener Nahrung gewährende Stoflf im Mutterleib den ganzen jungen Leib zur Vollendung bringen half, es sich, wenn nun die Zeit der Geburt näher rückt, nach den oberen Theilen hinau&ieht und (abermals) zur Erhaltung der jungen Lebenskeime dienlich ist und dem Neu- gebomen die bekannte und schon gewöhnte Nahrung darreicht? 14. Daher beruht die Annahme auf keinem Irrthum: so wie die wesentliche Beschaffenheit des Samens bei Ausprägung leiblicher und geistiger (Verwandtschafts-) Aehnlichkeiten ihre (ganz besondere, eigenthümliche) Wirkung äussert, ganz ebenso sind sicher auch die wesentlichen Bestandtheile der Milch von höchstem Einfluss auf das leibliche und geistige Gedeihen des Kindes. 15. Diese Wahrnehmung hat man nicht nur an

xn, 1, la. S. Macrob. Sat Y, 11.

XU, 1, 14. Ist die Matter kränklich, so ist doch wohl aach dem Kinde eine bessere Nahrung gedeihlicher.

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Xn. Buch, 1. Cap., § 15—20. (133)

Menschen, sondern auch an Thieren gemacht. Denn wenn man z. B. junge Böcke mit Schafiniich oder Lämmer mit Ziegenmilch aufzieht, so ist fast aUgemein bekannt, dass dann bei den Schafen die Wolle viel härter und bei den Ziegen das Haar viftl weicher wird. 16. So trägt auch (im Oewächs- reich) bei Bäumen und Früchten meist die gute Beschaffen- heit eines nahrhaften feuchten Bodens mehr zur Verminderung oder Vermehrung ihres Gedeihens und Wachsthums bei, als die Vorzttglichkeit und Güte des ausgestreuten Samens; und so hat man öfters einen blühenden und im (üppigen) Wachs- thum begriffenen Baum, wenn er an einen andern Ort um- gesetzt wurde, wegen (dürftiger) Nahrung in saftlosem Grund und Boden (absterben und) eingehen sehen. 17. Wie zum Henker will man nun erst rechtfertigen, so etwas Edles in einem menschlichen Geschöpfe, eine leiblich und geistig ur- sprünglich gutgeaitete Grundlage durch untergeschobene und abartige Nahrung fremder Milch zu verderben? zumal wenn die Person, welche man zum Stillen verwendet, entweder von niedriger Herkunft oder von niedriger Denkungsart, wie das sehr oft vorkommt, von einem fremden und ungebildeten Volke stammte, wenn sie frech, oder hässlich, schamlos und dabei trunksüchtig ist; denn gewöhnlich wird ohne Unterschied die erste beste verwendet, welche zur Zeit gerade das Geschäft der Säugenden verrichten kann. 18. Wollen wir also (in solchem Falle) nicht zugeben, dass unser kleiner Sprössling vom verderblichen Gifte angesteckt werde und aus dem verdorbensten Geist und Körper für seinen Geist und Körper Nahrung ziehe? 19. Hierin zeigt sich aber wahrlich der eigentliche Grund, dass manche Kinder sittsamer Mütter, was uns so oft Wunder nimmt, ihren Aeltem weder an Leib noch Seele ähnlich sind. 20. Sinnig und einsichtsvoll verfuhr daher unser (Vergilius) Maro, als er jene bekannten Verse Homers (Uiad. XVI, 33 u. s. w.) nachahmte (worin Phönix

xn, 1, 17. Darch lactare (auch lactitare) wird das Geschäft der s&agenden Mutter ausgedrückt; durch lacteo die Verrichtung des säugenden Kindes. Daher lactans eine Säugende, lactens ein Säugling. Dies sagt auch der Gedächtnissvers:

lacteo, lac sngo; lacto: lac praebeo nato.

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(134) XII. Buch, 1. Cap., § 20—28.

dem Achill seine Härte und Grausamkeit voiTückt und) wo

es heisst:

Peleus der Held ist nicht Dein Vater, Deine Matter ist Thetis nicht; Dich haben mit blauen Wogen steile Felsen erzeugt, drob bist Du so grausam,

dass Vergil daselbst dem Aeneas (von der Dido) nicht nur seine Geburt zum Vorwurf machen lässt, wie sein Vorgänger (Homer), sondern auch die grausam und wild machende Er- nährung, denn bei der Zeichnung seines Helden folgt bei Vergil (Aen. IV, 367) der Zusatz:

und hyrkanische Tiger reichten die Brust Dir (zum S&ugen),

weil'selbstverständlich bei Einpflanzung sittlicher Eigenschaften der Charakter der Amme und die Beschaffenheit ihrer Milch eine nicht so ganz unbedeutende Rolle spielt; denn die Nahrung, nachdem die Anzeichen der Empfängniss durch die männliche Befruchtung erst einmal eingetreten, trägt auch nach der körperlichen und geistigen Beschaffenheit der Mutter un- gemein viel zur Bildung der Neigungen und des Charakters von der jungen Frucht bei. 21. Und wenn nun auch dies noch kein Beweggrund (fQr die Mutter, ihr Kind selbst zu stillen) sein sollte, wie wird man dann auch noch gleichgültig bleiben und die Warnung unbeherzigt lassen können, weil Mütter, welche ihr eigenes Fleisch und Blut verlassen und von sich entfernen und fremden Leuten zur (Ernährung und) Pflege überlassen, gewärtig sein müssen, jenes (heilige) Band, jenes Verkittungsmittel herzlicher Liebe, wodurch die Natur die Aeltem mit ihren Kindern vereinigt wissen will, zu zer- reissen oder doch wenigstens zu lockern und zu untergraben» 22. Denn durch die erfolgte Entfernung eines solchen aus dem Hause und aus den Augen gegebenen Kindes wird nach und nach jene lebendigheisse Mutterliebe erkalten und jeder Herzschlag (kindlicher Zärtlichkeit und) rastlosester (mütter- licher Sorgfalt und) Bekümmerniss wird verstummen, und bald wird das (arme) einer fremden Ernährerin anvertraute Wesen nicht weniger vergessen sein, als ein durch den Tod verlorenes. 23. Andererseits wird auch die Zuneigung des Herzens, der Liebe, der Anhänglichkeit von Seiten eines solchen Kindes ganz allein auf seine Ernährerin sich be- schränken und ebenso wird es, wie dies bei ausgesetzten

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Xn. Buch, 1. Cap., § 28. 24. 2. Cap., § 1. (135)

Kindern der Fall ist, weder eine (kindliche) Empfindung für die Mutter, welche ihm das Leben gegeben, hegen, noch ein sehnsüchtiges .Verlangen nach ihr dasselbe anwandeln. Deshalb wird, sind alle jene Begriffe von Pflichtgefühl und angebomer Eindesliebe erloschen und vernichtet, bei derartig erzogenen Kindern, wenn sie auch Vater und Mutter zu lieben scheinen, diese (gebotene) Liebe fast grösstentheils keine wahrhaft inner- liche, wirkliche Zuneigung sein, sondern nur eine (vorsätzlich) erzwungene und eingebildete (die nichts als die kalten ver- wandtschaftlichen Namen der Aeltern und Kinder zur Schau trägt). 24. Diesem in griechischer Sprache gehaltenen Vor- trage des Favorin wohnte ich als Zuhörer bei. Und ihres allgemeinen Nutzens halber glaubte ich diese Grundsätze und Gedanken, so weit sie mir im Gedächtniss geblieben waren, hier aufzeichnen zu müssen; allein die Anmuth, die Fülle und Ueppigkeit im Ausdnick wird wohl kaum irgendwie alle lateinische Beredtsamkeit annähernd auszudrücken im Stande sein, meine Wenigkeit aber ganz und gar nicht.

XII, 2, L. Wie oberflächlich nnd leichtsinnig Annaeus Seneca bei seinem Urtheil verfuhr, welches er über Q. Ennius nnd M. Tallius (Cicero) fällte.

XII, 2. Cap. 1. Einige (Kunstrichter) sprechen über Annaeus Seneca wie über einen Schriftsteller von ganz und gar keinem Belang, mit dessen Werken sich zu befassen ganz und gar nicht der Mühe weith sei, weil seine Ausdrucksweise gewöhnlich und abgenutzt ei*scheint; die Wahl des Stoffes

XII, 1, 24. Griechischer Vortrag des Favorin vergl. Gell. XIV, 1, 1.

xn, 2, 1. Lucius Annaeus Seneca, der Philosoph, geb. zu Corduba in Spanien, Sohn des Rhetors Seneca und der Helvia, gelangte in Rom zu den höchsten Staatsämtem, wurde aber durch die Intriguen der berüchtigten Messalina an dem Hofe des Kaisers Claudius gestürzt und nach Corsica verwiesen. Nach acht Jahren zurückgerufen, wurde er Erzieher des Nero, der ihn aber 65 zum Tode verurtheilte, weil er an der Verschwörung des Piso Theil genommen haben sollte. Er starb, da ihm die Wahl seines Todes freigelassen war, durch Oeffhung der Adern. In seinen philosophischen Anschauungen folgt er meist der stoischen Lehre, bewahrt sich jedoch Selbständigkeit seines ürtheils durch viele eben so tief geschöpfte, als klar und scharf ausgeprägte Gedanken und Sätze. S. Beruh. R. L. 124; Teuffels Gesch. der röm. Lit. 288, 1.

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(136) Xn. Buch, 2. Cap., § 1-5.

und die Gedanken bald läppisches, gehaltloses Ungestüm yer- rathen , bald etwas von oberflächlicher und naseweiser Spitz- findigkeit; sein Bildungsgrad aber, gewöhnlich und niedrig, keine Spur an sich trage, weder von der Anmuth, noch von der Erhabenheit aus den Schriften der Alten. Andere hin- gegen gestehen zu, dass ihm zwar in der Ausdrucksweise ein feiner Geschmack mangele, behaupten aber, dass sowohl die Geschicklichkeit und Anordnung in der Behandlung des Stoffes ihm nicht abgehe, als auch der Ernst und die Strenge, womit er sich im Tadel sittlicher Laster und Verbrechen ergeht, nicht ohne Liebreiz sei. 2. Im Allgemeinen den Kunstrichter über seine geistige Befähigung zu spielen und über seine ganze schriftstellerische Thätigkeit ein Urtheil abzugeben, halte ich für unnöthig; aber wir wollen uns nur die Aufgabe stellen, die Art und Weise seines Urtheils über M. Cicero, über Q. Ennius und über P. Yergilius etwas näher zu be- trachten. 3. Im 22. Buche seiner „moralischen Briefe''^ welche er an den Ludlius richtet, behauptet Seneca, Q. En- nius habe auf den (M. Cornelius) Cethegus folgende höchst lächerliche Vei-se gedichtet:

Ihn hatte sein Volk Yor Zeiten, ihn hatten Jene Menschen, die damals sich umgetrieben im Leben, Köstliche Blathe des Volkes genannt und das Mark der Beredtheit.

4. Und nachher schreibt er über dieselben Verse Folgendes: „Wunder muss es immer nehmen, dass selbst höchst beredte Männer so für den Ennius eingenommen waren, dass sie solch läppisches Zeug für etwas höchst Vorzügliches ausgeben konnten. Wenigstens giebt auch Cicero diese Verse von ihm als gute aus." 5. Und so lautet femer (von Seneca) auch folgendes Urtheil über Cicero: „Es nimmt mich gar nicht

XII, 2, 3. Marcus Cornelius Cethegus, Pontifex maximus und Praetor (213 und 211), dann mit dem Sempronius Tuditanus Consul (204), schlug als Proconsul im folgenden Jahre in Insubrien den carthagenischen Feldherm Mago, einen Bruder des Hannibal. Er legte sich im hohen Alter noch auf die Redekunst und soll es nach Cicero (Brut 15) sehr weit darin gebracht haben. Cic. Senec 14, 50. Bemerkungen über Seneca s. bei Teuffei röoL lit Gesch. 283, 5.

xn, 2, 4. Cic. Brut. 15, 57 etc.

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Xn. Buch, 2. Cap., § 5—11. (137)

Wunder, dass es Einen geben konnte, der diese Verae schrieb, da sich ja auch Einer fand, der sie lobte; wenn es nicht etwa von dem grössten Redner Cicero nur darauf abgesehen war, sein eigenes Interesse zu vertreten, und er nur deshalb diese Verse für mustergültige gehalten wissen wollte" (sc weil er sich als Dichter selbst sehr schwach fühlte). 6. Nachher fügt Seneca auch noch folgenden abgeschmackten Zusatz bei: „Auch wird man bei Cicero selbst noch Einiges in ungebundener Bede finden, woraus man ersehen kann, er habe den Ennius nicht vergeblich gelesen/ 7. Er zieht dann einige Stellen an, die er bei Cicero als ennianische tadelt, dass er z. B. in seinen Büchern „über den Staat** (V, 9, § 11) so schrieb: „Der Lacedämonier Menelaos besass eine süssredende An- muth;" dass Cicero femer an einer andern Stelle sich so aus- drückte: „(Ein Lenker des Staats) soll sich in seinem Vortrage stets der Redekürze befieissigen." 8. Dabei hält es dieser Schwätzer doch noch für nöthig, zu seiner Entschuldigung für die dem Cicero vorgeworfenen Fehler den Zusatz machen zu müssen: „Doch war deshalb dem Cicero kein Vorwurf zu machen, sondern nur dem Zeitgeschmack, denn da dergleichen (gern) gelesen wurde, so musste man dergleichen auch sagen (und schreiben)." 9. Weiterhin fügt er noch hinzu, Cicero habe alle dergleichen Ausdrücke nur eingeschaltet, um dem Vorwurf einer allzu überladenen und gezierten Sprache aus dem Wege zu gehen. 10. Auch über Vergil lässt er sich an eben derselben Stelle wörtlich folgendermassen aus: „Aus keiner andern Ui-sache hat unser Vergil einige harte und ungeregelte und Manches ins Breite ziehende Verse unter- mengt, nur damit der dem Ennius zugethane Anhängerschwarm in der neuen Dichtung etwas Alterthümliches wiedei-finden möchte." 11. Nun bin ich (zwar) dieses Gewäsches vom Se-

XII, 2, 7. Vergl. Bernh. R. L. 53, 213.

xn, 2, 10. Seneca erwähnt YergU lobend: ep. 21; ohne Herah- setzong: ep. 59 nnd ep. 95.

XII, 2, 11. Inter hircosos-inter ungaentatos. Anspielung auf die römisdie alte Zeit, wo man sich noch viel mit der Viehzucht, namentlich Ziegenzucht beschäftigte, im Gegensatz zum Parfbnüren in der sp&tem Zeit

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(138) XBL Buch, 2. Cap., § 11 14.

neca überdrüssig, kann jedoch einige Spässe dieses läppischen, einfältigen, faden Menschen durchaus nicht mit Stillschweigen übergehen. Er sagt einmal : „Einige Gedanken des Q. Ennius sind so grossartig, dass, obgleich sie zur Zeit geschrieben sind, wo die Leute nach Ziegenbock (Ziegenstall) rochen, doch wohl auch noch bei (unsern jetzigen) Pomadenherrchen Ge- fallen erregen können;" und als er die oben bereits von mir angeführten, auf den Cethegus bezüglichen Verse des Ennius getadelt hatte, fährt er fort: „Die, welche sich in solche Verse verlieben können, mögen immerhin auch die (alten, schlechten) Bettstellen von (Meister) Sotericus bewundem." 12. Sollte Seneca nun wirklich würdig des Lesens und Studirens von Seiten junger Leute sein, er, der den Werth imd Zuschnitt (Golorit) alter Sprechweise den Bettstellen des Sotericus gegenübergestellt hat, die, man höre nur, aller Annehmlichkeit entbehren, (als unbrauchbar) hintenangesetzt und (als un- bequem) verachtet werden? 13. Doch magst Du Dir nun auch einiges Wenige anführen lassen, was sich von eben demselben Seneca als ganz treffende Bemerkung herausstellt, wie z. B. sein Ausspruch, den er in Bezug auf einen geizigen, gierigen und gelddurstigen Menschen thut: „Was liegt denn daran, wie viel Du hast? Es giebt ja doch noch viel mehr, was Du nicht hast." 14. Das ist doch wohl ein ganz vortrefflicher Ausspruch ? Gewiss ganz vortrefflich. Allein einige (wenige) gute Einfälle befördern die Neigung (und das Anstandsgefühl) der Jugend doch nicht in dem Maasse, als öfters schlechtere Reden sie vergiften und zwar um so viel mehr, wenn die schlechten bei Weitem die Mehrzahl ausmachen und darunter solche sich befinden, die nicht etwa für eine subjective Be- trachtung über einen unbedeutenden und schlichten Gegen- stand ausgegeben, sondern in einem zweifelhaften Falle (als massgebend und) als leitendes Princip hingestellt werden.

XII, 2, 11. S. M. Hertz „Renaissance und Rococo" S. 88. Berlin 1865.

XII, 2, 13. Vergl. Gell. IX, 8, 4 den Ausspruch Favorins. Beim Stobaeus sagt Epicur: Wer sich nicht mit Wenigem begnügt, der hat nie genug. Valerius Maxim. IV, 8, 7 schreibt: Fabricius Luscinus war reich, nicht weil er viel besass, sondern weil er wenig begehrte. S. Gell. 1, 14, 2.

XII, 2, 14. S. Bernhard. R. L. 52, 212.

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Xn. Buch, 3. Cap., § 1—3. (139)

XII, 3, L. Auf welche Weise der Ansdnick „lictor*^ sich bildete nnd

entstand; ferner Anführung der yerschiedenen Ansichten des Valgias Rufns

und des Tullins Tiro (des Freigelassenen von M. Tollins Cicero, über den

Ursprung dieser Benennang).

xn, 3. Cap. 1. Valgius Rufus im 2. Buche seines Werkes, welches die üebejschrift führt: „über (einige) in Brieflform abgefasste Fragen" (enthaltend die Ergebnisse grammatischer Studien und gelehrter Erörteiiingen) schreibt, dass der Ausdinick „lictor (Amtsdiener des hohen Rathes)" von ligare (binden) hergenommen sei, weil, sobald einer auf obrigkeitlichen Befehl des römischen Volkes sollte mit Ruthen gepeitscht werden, diesem gewöhnlich von dem Gerichtsboten (a viatore) Hände und Füsse gebunden und gefesselt wurden. Der von den Rathsboten, an welchem nun die Reihe war, das Anlegen der Fesseln zu vollziehen, sei nun „lictor" genannt worden. Und (zum Beweis) dafür beruft er sich auf das Zeugniss des M. Tullius (Cicero) und führt dazu die be- treffende Stelle aus der Rede an, welche vom Cicero für den C. Rabirius gehalten wurde. 2. Da steht: „lictor colliga manus, d. h. Lictor (geh' und) binde (ihm) die Hände." So also lautet die Erklärung des Valgius. 3. Und wahrlich auch ich erkläre mich mit ihm einverstanden. Allein Tiro Tullius,

XII, 3, L. Die (12) Lictores, Boten, erklärt Gic. de republ. 2, 31 richtiger von Heere (laden, entbieten) nicht von ligare (binden) s. Varro 1. 1. 6, 9, 77 § 94 inlicium vocare. Vergl. Gell. H, 15, 4 NB.

XII, 3, 1. S. Non. Marc. p. 51 Lictor. Plut. über römische Ge- bräuche 67; Paul. S. 115.

XII, 3, 1. C. Valgius Rufus, yertrautester Freund des Horaz, vielseitig gebildet, verfasste mannigfaltige rhetorische und grammatische Schriften. Die in seinem Werke de rebus per epistolam quaesitis nieder- gelegten Ergebnisse seiner grammatischen Studien und gelehrten Er- örterungen sind, nachweislich, ausser von unserm Gellius, auch noch von Plinius fleissig benutzt worden. S. Teuffels röm. Lit Gesch. 236, 3.

xn, 3, 1. Viatores waren eigentlich die Amtsboten und die Be- dienenden der Tribunen (s. Liv. 2, 56) und der Aedilen (s. Liv. 30, 39), während die Lictoren den höheren Magistraten, z. B. Gonsuln, Praetoren u. s. w., aufwarteten. In früheren 2^iten pflegten die Viatores die Sena- toren von ihren Landgätem hereinzurufen, wo diese sich, als Ackerbau- liebhaber, gewöhnlich aufhielten, wovon sie auch den Namen erhielten (quod saepe in via essent). S. Gicer. de sen. 16; Golumell. praef. 1.

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(140) Xn. Buch, 3. Gap., § 3. 4 4. Cap., § 1. 2.

des M. Cicero Freigelassener, schreibt , dass dieses Wort ent- weder von dem Ausdruck „limus" (d. h. Schurz, den die Opferdiener um den Leib zu tragen pflegten), oder von licium (Gurt um den Unterleib) hergenommen sei, denn die Diener, welche den (hohen) Obrigkeiten vorangingen, waren mit einer Art quer über die Schulter auf die andere Seite gehender Binde (licio transverso) umgürtet, welche „limus" genannt wurde. 4. Sollte Jemand die Ansicht des Tiro für annehmbarer des- wegen halten, weil die erste Silbe in -„lictor", wie in licium lang ist, in dem angeblichen Stammwort „ligo*' aber kurz, so ist dieser Grund durchaus nicht als stichhaltig anzusehen, denn so werden viele, in den Stammwörtern ursprünglich kurze Vocale unter Umständen lang, wie z. B. in unserm (besprochenen) Wort „lictor" von „ligare", femer in „lector* von „legere", „victor" von „vivere", „tutor" von „tueri", „structor" von „struere".

XII, 4, L. Einige ans dem 7. Buche der Chronik (der Jahrbücher) des Q. Ennins entlehnte Verse, worin der Charakter und das feine (rücksichts- volle) Benehmen eines geringeren Mannes gegen einen höhergesteUten Freund beschrieben und erklärt wird.

XII, 4. Gap. 1. Q. Ennius hat im 7. Buche seiner Chronik, bei der geschichtlichen Besprechung des edlen und vornehmen Geminus Servilius, eine fein malerische und aus- führliche Beschreibung und Schildemng geliefert, was für An- sprüche an den Freund eines durch Geburt und Glücksgüter höher gestellten Mannes gemacht werden und welche Eigen- schaften alle von ihm verlangt werden, als da sind: Geist, ein feines, liebenswürdiges Benehmen, Bescheidenheit, Treue und Zuverlässigkeit, Zurückhaltung im Urtheil, Muth im Reden und Rathen zur rechten Zeit, grosse Kenntniss in der Alterthumskunde und in allen alten und neuen Gebräuchen und Sitten, höchste Gewissenhaftigkeit in der unverletzlichen Bewahrung der (anvertrauten, wichtigen) Geheimnisse, endlich alle Arten Mittel und Wege der Besänftigung, der Er- leichterung, des Trostes zur (kräftigen) Unterstützung bei des Lebens Aerger imd Verdiniss. 2. Ich glaube, dass diese Verse (des Ennius) nicht weniger der öfteren und beständigen Er- wähnung werth sind, als die Lehrsätze der Philosophen über

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Xn. Buch, 4. Cap., § 8—5. (141)

die (menschlichen) Pflichten. 3. Dazu gebietet uns in diesen Versen ein gewisses Colorit altklassischen Anhauchs eine so hohe Achtung, ist ihre Lieblichkeit so absichtslos rein und ungezwungen, so fem von jedem falschen Au^utz, dass diese Verse, wenigstens nach meiner Ueberzeugung, als altbewährte und geheiligte Freundschaftsvorschriften beobachtet, im 6e- dächtniss behalten und (fürs ganze Leben) hoch und werth geachtet werden sollten. 4. Ich glaube sie deshalb hier folgen lassen zu müssen, weil doch vielleicht Einer oder der Andere gleich danach Verlangen tragen könnte (sie kennen zu lernen):

Also sprach er nnd liess zn sich kommen, mit welchem er gern und Oftmals Tisch und Gespräch und seiner Geschäfte Erört'rung Theilte, wenn heim er kam ermüdet Ton wichtigen Dingen, Drob er gerathschlagt hatte die grössere Hälfte des Tags durch 5. Auf dem Markte sowohl wie im höchst ehrwürdigen Stadtrath; Welchem er Grosses und Kleines, so wie auch Scherze mittheüen Durfte und Alles, was gut und was ühel man sonst wohl noch redet^ Schütten ihm aus, wenn er mocht', und anvertrauen ihm sorglos; Welcher getheilt mit ihm viel Freud' im Hause und draussen;

10. Den nie schädlidier Rath aus Leichtsinn oder ans Bosheit Uebel zu handeln yerlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben, Angenehm, redegewandt und genügsamen fröhlichen Herzens, Redend zur richtigen Zeit und das Passende, klüglich und kürzlich. Im Verkehre bequem und bewandert yerschollener Dinge,

15. Denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit, Von vielfältigen Sachen der Götter und Menschen Gesetz' auch, Un^ ein Gespräch zu berichten verstand er so wie zu verschweigen. An ihn wendet Servil sich immer bei streitigen Punkten.

5. L. Aelius Stilo soll oftmals (und ohne Zweifel nicht mit Unrecht) die Behauptung haben laut werden lassen, dass der Dichter Q. Ennius in diesen Versen (nurt eine Charakteristik seiner selbst geliefert und ein Bild seines eigenen Geistes und Charakters entworfen und (sein vertrauliches Verhältniss zum Scipio) geschildert habe.

xn, 4^ 5. Ueber L. Aelius Stilo s. GeU. I, 18, L. NB. üeber Q. Ennius s. GeU. I, 22, 16 NB und Gell. XYII, 21, 43 NB; cfr. Cia de erat n, 68, 276.

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(142) XIL Buch, 5. Cap., § 1—3.

XII, 5, L. Unterhaltung des Philosophen Tanrus über die Art und Weise, wie man nach den Grundsätzen der Stoiker den Schmerz ertragen müsse.

XII, 5. Cap. 1. Als der Philosoph Taurus nach Delphi reiste, um daselbst die pythischen Spiele und die (all- gemeine) Zusammenkunft fast von ganz Griechenland sich mit anzusehen, und ich mich in seiner Begleitung befand, kamen wir auf der Reise dahin nach Lebadia, einer alten Stadt in Böotien, allwo dem Taurus die Meldung gemacht wurde, dass daselbst einer seiner Freunde, ein angesehener Philosoph aus der stoischen Schule, von schwerer Krankheit heimgesucht, damiederliege. 2. Er schob sogleich die Weiteireise auf, ob- gleich er übrigens alle Ursache hatte, diese zu beschleunigen, verliess das Schiff und machte sich sofort auf, dem Kranken einen Besuch abzustatten. Wir, seine Reisegefährten, be- gleiteten ihn, wie überhaupt gewöhnlich auf Tritt und Schritt, so auch auf diesem Gange. Als wir in das Haus, wo der arme Kranke lag, kamen, ward uns der Anblick eines Men- schen , der an einer Krankheit litt , welche die Griechen ^Y.6%ov (Kolik)" nennen, wobei er von den martervollsten Unterleibsschmerzen und zugleich vom heftigsten Fieber ge- plagt wurde; wobei er sein willkürlich verhaltenes Wimmern doch nicht völlig niederkämpfen . und sein schweres Athem- holen und sein Aufseufzen aus tiefer Brust nicht ganz unter- drücken konnte, ein Zustand, der uns nicht sowohl den Schmerz selbst venieth, als vielmehr den Kampf (des so jämmerlich Leidenden) gegen den Schmerz. 3. Als Taurus nun gleich darauf nicht sowohl Aerzte hatte herbeiholen lassen und sich mit ihnen nicht nur über die anzuwendenden Mittel verständigt hatte, sondern ganz besonders den Kranken selbst zur Ausdauer und Geduld Muth eingeflösst und ihn vorzüglich wegen der sichtbar abgelegten Beweise von Erduldung belobt hatte, entfernten wir uns wieder und begaben uns nach den Schiffen zu unsrer Reisegesellschaft zurück. Daselbst

XII, 5, L. Vergl Gell. XIX, 1.

Xn, 5, 1. Die pythischenSpiele, Wettkämpfe und Tänze, welche dem Apollo als Besieger des (Drachen) Python zu Ehren in Delphi ge- feiert wurden.

XII, 5, 2. Darmgicht. Plin. 26, 6, 1.

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Xn. Buch, 5. Cap., §3—5. (143)

(angekommen) liess sich Taurus also vernehmen: „Ihr habt nun zwar allerdings ein weniger angenehmes, aber für eure Erfahrung immerhin ganz nützliches Schauspiel mit angesehen, wie ein Philosoph und der Schmerz Schritt für Schritt sich das Eampffeld streitig machten. Die Heftigkeit und der Charakter der Krankheit an und für sich verursachten ihrer- seits die Verzerrung der Gliedmassen und den grausamsten Schmerz ; dagegen kämpften aber ebenso ihrerseits der geistige Wille und die Chai*akterstärke (gewaltsam) an, rüsteten sich mit Geduld zur Abwehr und hielten in sich die Heftigkeit des unbändigen Schmerzes zurück. Der arme Geplagte liess kein (klägliches) Gejammer, kein Gewimmer, kein unschick- liches Wort hören, kaum dass einige Zeichen euch verriethen, es handle sich hier offenbar um den Kampf einer (tugend- haften) Seele mit ihrem Köi-per, um den Besitz der Herrschaft (des Schmerzes) über den (armen gequälten) Menschen." 4. Darauf ergriflf nun ein junger Schüler und Anhänger des Taurus, der vielen Fleiss auf das Studium der Philosophie verwandt hatte, das Wort und sagte: Wenn nun aber die Bitterkeit und Drangsal des Schmerzes so bedeutend ist, dass sie jeder Freiheit des Willens und jeder Vorstellung der Ver- nunft widerstrebt und dem leidenden Menschen wider seinen Willen Seufzer auspresst und ihn zwingt, das (wüthende) Krankheitsübel oflfen einzugestehen, warum bezeichnet man denn da den Schmerz als etwas Gleichgültiges (indiflferens, d. h. was weder gut, noch böse ist) und nicht gleich geradezu als ein (wirkliches) Uebel? Warum (ferner) kann entweder ein Stoiker zu etwas gezwungen werden, oder der Schmerz für ihn ein Zwangsmittel werden, da man doch an der Be- hauptung festhält, dass theils der Schmerz in keiner Hinsicht als ein Zwangsmittel auftreten, als auch, dass ein Weiser überhaupt in keiner Hinsicht zu etwas gezwungen werden könne? 5. Hier schien es, als ob den Taurus das Ver- fängliche und doch so reizend Unbefangene dieser aufgewor- fenen Frage ergötzte, und sofort erwiderte er nun darauf mit höchst wohlwollender Miene: Wenn freilich dieser unser Freund sich besser befände (versteht sich, und hier bei uns sein könnte), würde er seine unwillkürlich ausgestossenen

xn, 5, 5. üeber Taurns 8. Gell. T, 9, 8 NB.

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(144) Xn. Buch, 5. Cap., § 5—7.

Seufeer sehr leicht vor fidscher Ausdeutelei zu vertheidigen und Dir, wie ich glaube, Deine Frage gründlich zu beantworten wissen. Von mir aber weisst Du ja, dass ich mit den Stoikern, oder vielmehr mit der stoischen Lehre nicht so ganz überein- stimme. Denn in verschiedenen Stücken gehen unsre gegen- seitigen Ansichten nicht ganz einen Weg, wie ich in meinem über diesen Gegenstand verfassten Werke wohl hinlänglich dargethan zu haben glaube. 6. Allein, nur um Dir den Willen zu thun, will ich Dir, zwar unbeinifen, wie es heissen wird, aber doch imverholen und ungeschminkt Rede stehen und sagen, was meiner Meinung nach man Dir würde geantwortet haben, wenn gerade jetzt einer der Stoiker unter uns weilte. Du kennst doch wohl jenes alte und sehr bekannte Wort (des Aristoph. Ran. 1446):

Sprich lieber ungelehrter, nur etwas verständlicher (mir) red'.

Und nun begann Taurus sich über das Schmerzensgeseufze des kranken Stoikers also auszulassen. 7. Die Schöpferin aller Dinge und auch unseres Daseins (die liebe Mutter Natur) hat uns gleich vom ersten Beginn unserer Geburt die Liebe und Werthschätzung von unserm eignen Selbst zugetheilt und eingepflanzt und zwar so ausdrücklich, dass^ uns nichts theurer und schätzbai'er ist, als nur wir selbst, weil- sie dies als das sicherste und beste Mittel erachtete, für die ununterbrochene Fortdauer des Menschengeschlechts zu sorgen und zu wachen, wenn gleich vorher schon jeder Mensch , sobald er das Licht der Welt erblickt, den Sinn und die Empfindung für seine Selbsterhaltung eingepflanzt bekäme und gleich mit auf die Welt brächte, wofür die alten Weltweisen den Ausdruck brauchen: to Ttgaha xorro (pvaiv (d. h. die ersten Eindrücke der Natur), damit der Mensch sich selbstvei'Ständlich an Allem erfreue, was seinem Körper zu Gute kommt und ihm wohlthut^ hingegen alle Unannehmlichkeiten (und Alles, was ihm wehe thut und unangenehm berührt) vermeide und ver- abscheue. Später, bei zunehmendem Alter, wenn die geistige Ueberlegung sich mehr noch aus ihrem Keim entfaltet und entwickelt hat, die Erwägung von dem Gebrauch der Ver- nunft in den Vordergrund tritt, eine sondernde Berücksich- tigung des Anstandes und der wahren Nützlichkeit sich geltend macht, endlich eine fein unterscheidende und sichtende Aus-

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XU. Buch, 5. Cap., § 7. 8. (145)

wähl von allen den (zum wahren Wohle und zur wirklichen Glückseligkeit des Menschen beitragenden Annehmlichkeiten und) Vortheilen Platz ergreift, dann wird sich auch vor allen andern Dingen die Achtung (nur) vor dem Ehrbaren und Anständigen im vollen Glänze zeigen und herausstellen; und wenn nun zur Gewinnung imd Behauptung dieses Anstands- gefühls (dieses sichtlichen Strebens nach Tugend) von aussen Etwas hindernd und nachtheilig in den Weg tritt, wird es der Verachtung anheimfallen müssen. Daher kommt man zu der Ueberzeugung, dass nur das Ehrbare (d. h. die Tugend) das wii'klich und wahrhaftig Gute sei, und nur, was schändlich (und verwerflich) ist, allein füi* etwas Böses (d. h. für ein Laster) gehalten werden müsse. Alles Uebrige, welches zwischen diesen Beiden in der Mitte läge, und weder etwas Ehrbares, noch etwas Schändliches wäre, gilt dann offenbar weder für etwas Gutes (d. h. für eine Tugend), noch für etwas Schlechtes (d. h. für ein Laster). Nun giebt es auch noch gewisse Dinge, welche, Jedes nach seiner Art und Wir- kung, abgesondert und geschieden sind und (je nachdem sie schätzenswerth oder verwerflich sind) in näheren und ent- fernteren Beziehungen zu uns stehen und welche die Stoiker selbst durch die beiden Ausdrücke iT^oi?yiw«ya (Wünschens- werthes oder Mitnehmliches, ünverwerfliches) und aTtoTtgoTfiy- fisva (Verwerfliches) näher bezeichnen (und wofür wir im Lateinischen die Ausdrücke productiones und relationes ge- brauchen). Deshalb können auch Vergnügen und Schmerz, wenn von der eigentlichen, höchsten Glückseligkeit (im Leben) die Rede ist, nur als Mitteldinge angesehen und an sich weder als etwas Gutes, noch als etwas Böses erachtet werden. 8. Allein, da das kaum erst geborne menschliche Wesen noch vor dem vollständigen Gebrauch des Verstandes und der Vernunft, zuerst der (seelischen) Empfindungen des Schmerzes und des Vergnügens sich bewusst wird und dem Vergnügen zwar von Haus aus geneigt, dem Schmerz hingegen, gerade

Xn, 5, 7. Vergl. GeU. I, 2, 9 NB über nQorjyfiiva', Seneca ep. 74, 17 commoda und producta; Sext. Empir. Hypotyp. m, 24; Cic. de fin. U, 11; in, 5 £F.; V, 9. 11; Tuscul. IV, (5; de offic. I, 4; Epict 38; Diog. Laert VII, 1, «33; X, 29; Lucian Verkauf der philosoph. Orden cap. 21 ff.

Genius, AUisclie Nächte. II. 10 '

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(146) XIL Buch, 5. Cap., § 8—10.

wie einem heftigen Feinde unversöhnlich abgeneigt ist: so ist die sich später erst ausbildende Vernunft kaum im Stande, die zuerst (erwachenden und) eingeprägten Empfindungen und Triebe mit der Wurzel auszureissen und zu vertilgen. Immer und ewig wird die Vernunft mit diesem Feind im Streite liegen und alle ihre Kräfte zusammennehmen müssen, um diese (feindlichen) Triebe, wenn sie sich ihrer Herrschaft entziehen und wieder neuen Aufschwung nehmen wollen, ent- weder zu unterdrücken und zu vernichten, oder sie sich doch gehorsam und unterthänig zu erhalten. 9. Daher sähet ihr, wie der (arme) Philosoph, auf die Wirksamkeit seines Princips ver- trauend, im Ringen mit dem grössten Ausbruch seines Leidens und mit jedem anderen Schmerzensanfall sich durchaus nicht werfen liess, jedes (etwaige) Bekenntniss (seiner Schmerzen) muthig bekämpfte und, wie Viele im (gleichen) Leidensfalle zu thun pflegen, nicht wimmerte und klagte, nicht sich elend und unglücklich nannte, so dass das starke Röcheln und die Stossseufzer, die man (zuweilen) hörte, nicht als Zeichen und Beweise eines vom Schmerz besiegten und überwältigten Mannes anzusehen waren, sondern nur von Einem herzukom- men schienen, der sich Muth und Mühe nicht verdriessen lässt, über den Schmerz zu siegen und zu triumphiren. 10. Allein, fuhr Taurus fort, ich bin nicht sicher, ob nicht viel- leicht Einer oder der Andere doch noch mit dem Einwurf herausrückt: man vernimmt aber doch das Ringen und Seufzen, warum ist solches Ringen und Seufzen nothwendig, wenn der Schmera kein wirkliches Uebel ist? (Ihm diene Folgendes zur Antwort.) Weil nämlich Manches, was zwar nicht unter die Uebel gehört, doch auch nicht immer von jeder Beschwerde und Unbequemlichkeit ganz frei ist, sondern Vieles, was zwar an und für sich bisweilen einen wirklichen, bedeutenden Nachtheil , oder im speciellen» Falle ein Verderben , ver- ursachen (d. h. nachtheilig und verderblich sein) kann, wie- wohl es (nicht gegen die Gesetze der Tugend verstösst und daher) nicht schändlich ist, dagegen die freundliche Gewohn- heit eines mhigen Lebensgenusses stört und nach gewissen un- erklärlichen und unvermeidlichen Natm-gesetzen beunruhigend wirkt: dergleichen (imvermeidliche Uebel) ist ein weiser Mann zu ertragen und (mit stoischer Ruhe) lange auszuhalten

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Xn. Buch, 5. Gap., § 10—13. (147)

im Stande, aber ihrem Einfluss auf seine Empfindung sich gänzlich zu entziehen, steht nicht in seiner Macht. Denn eine gänzliche Gefühllosigkeit (avaylr^aia) und Unempfindlichkeit {a7tad'eia)y führ er foi-t, ist nicht anzunehmen, ja sogar zu verwerfen, nicht nur nach meinem persönlichen Dafürhalten, sondern auch nach dem Urtheile einiger verständiger Männer aus derselben (stoischen) Secte, wie z. B. des höchst an- gesehenen Gelehrten Panaetius. 11. Aber (wird man weiter fragen), warum wird ein Weltweiser, ein Stoiker auch wider seinen Willen gezwungen, Seufzer auszustossen , da er doch eigentlich zu nichts soll gezwungen werden können? Allerdings kann ein Weiser zu nichts gezwungen werden, so lange er der Hen-schaft über seine Vemimfl Meister bleibt; gewinnt aber die Natur die Oberhand, so muss die Vernunft dieser (unsichtbaren) Macht des Naturgesetzes nachgeben, dem sie ja erst ihr Bestehen verdankt. Frage also doch, wenn es Dich gut dünkt, woher es kommt, warum man un- willkürlich mit den Augen blinzelt, wenn eine fremde Hand uns plötzlich an den Augen vorbeifähit; warum man bei einem jähen blendenden Blitzstrahl unfreiwillig Kopf und Augen wegwendet; warum man bei einem heftigen Donner- schlag leicht erschrickt; warum man beim Niessen er- schüttert wird; warum man in der Sonnengluth schwitzt und Hitze empfindet und warum man bei unbändiger Kälte friert und durchschauert wird? 12. Denn über alle diese und viele andere Zufälligkeiten übt weder der freie Wille, noch der Verstand noch die Vernunft eine Macht aus, sondern «ie werden von den (unsichtbaren) Anordnungen des unab- änderlichen Naturgesetzes beeinflusst. 13. Denn das heisst durchaus nicht Tapferkeit und Muth, der sich auflehnt wider die Natur, wie gegen ein Ungeheuer, und der seine Stärke darin sucht, die vorgesteckten Grenzen des Naturgesetzes zu -überschreiten, entweder durch geistige Gefühllosigkeit, oder durch rohen Stumpfsinn, oder durch eine übertriebene und erzwungene Uebung (und Gewöhnung) in Erduldung der

xn, 5, 10. Gellins sagt also hier, Panaetius habe den stoischen Grundsatz der Apathie verworfen. Gfr. Gell. XIX, 1, 18 und 21; XIX, 12, 2. üeber Panaetius s. Gell XYU, 21, 1 NB.

10*

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(148) Xn. Buch, 5. Cap., § 13—15. 6. Cap*:, § 1 3.

grössten und heftigsten Schmerzen, wie die Ueberlieferung uns dies von einem wilden Fechter bei einem kaiserlichen Kampf- spiele berichtet, der noch ganz gemächlich zu lachen pflegte, als ihm von den Aerzten seine Wunden ausgeputzt und ver- bunden wurden. Nur das ist der richtige Muth, die wahre Tapferkeit, welche, nach dem ürtheil unserer Vorfahren, in der Erkenntniss aller der Dinge bestand, die sich ertragen lassen und die sich nicht ertragen lassen. 14. Daraus geht hervor, dass es auch Dinge giebt, die sich nicht ertragen lassen (bei denen daher jeder Kampf und Widerstand, jeder Muth und jede Tapferkeit übel angebracht ist), vor deren ünteiTiehmung und Durchführung auch die Tapfersten werden abstehen und zurückschrecken müssen. 15. Als nach diesen Worten Taurus, wie es schien, noch weiter über diesen Ge- genstand sprechen wollte, war man bereits bei dem Schiffe wieder angelangt und wir stiegen, zur Fortsetzung unserer Weiterfahrt, sogleich ein.

XII, 6, L. Ueber das (Silben-) Räthsel (aenigma).

xn, 6. Cap. 1. Was die Griechen „aenigmata" nennen, diese Art (von Räthseln) bezeichneten Einige von unsem alten Schriftstellern mit dem Ausdruck: scirpi (eigentlich: Binsen- netze, dann: Gharaden, Silbenräthsel). Ein solches in sechs- gliedrigen (jambischen) Versen enthaltenes, in der That sehr altes und sehr hübsches Räthsel habe ich neulich ausfindig gemacht, und will es hier ohne Auflösung folgen lassen, um das Enathungsvermögen meiner Leser anzuspornen. 2. Die (betreffenden) drei Vei-se lauten also:

Ob einmal weniger, ob zwei mal, weiss ich nicht, Ob Beide gar zugleich, wie einst ich sagen hört', Dem hohen König Zeus zu weichen nicht gewillt.

3. Wer selbst nicht lange erst bei sich darüber nachdenken will, der findet die Auflösung davon in M. Varros 2. Buche des an Marcellus gerichteten Werkes „über die (acht) latei- nische Ausdrucks weise".

XII, 6, L. Ueber Räthsel s. Teuffels röm. Lit. Gesch. § 26, 1. xn, 6, 8. „De latino sermone"", über die ächte Latinität c£r. Gell. XU^ 10, 4. Die Auflösung ist wohl in dem Worte „Ter— minus" zu suchen.

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Xn. Buch, 7. Cap., § 1—5. (149)

Xn, 7, L. Weshalb der Proconsul Cn. Dolsbell« die Entscheidung über eine des Giftmordes geständige Missethäterin an die Mitglieder des (höchsten Gerichtshofes in Athen, des) Areopags verwies (und dessen weises Urtheil

fiber diesen Fall).

xn, 7. Cap. 1. Als Cd. Dolabella in der Eigenschaft eines Proconsuls die Provinz Asien verwaltete, wurde ihm ein "Weib aus Smyma vorgeführt. 2. Dieses Weib hatte ihren Mann und Sohn zu gleicher Zeit durch heimlich beigebrachten Oifttrank ums Leben gebracht; gestand auch ganz offen, dieses Verbrechen verübt zu haben, entschuldigte sich aber damit, dass sie (gerechte) Ursache zu dieser That gehabt, weil dieser ihr Mann mit seinem Sohn (ihr Stiefkind) den andern aus ihrer früheren £he entsprossenen Sohn, den besten und un- verdorbensten Jüngling durch Hinterlist auf die Seite geschafft und getödtet hätten. 8. Dass sich dies Alles wirklich so verhielt, war keinem Rechtsstreit unterworfen. Dolabella verwies die Sache an sein Rechtsbeistandscollegium. 4. Keiner aber von seinen beisitzenden Richtern hatte den Muth, in dieser zweideutigen, bedenklichen Angelegenheit ein Urtheil zu fällen, weil man auf der einen Seite zwar den eingestandenen Giftmord der Frau, wodurch ihr (zweiter) Gemahl und (ihrStief-) Sohn umgebracht worden war, offenbar nicht so ungestraft durfte hingehen lassen: aber auf der andern Seite erkannte man diesen Racheact (eines verzweifelten Mutterherzens) auch wieder als eine gerechte Strafe gegen zwei Bösewichter. 5. Dolabella fand keinen andern Ausweg, als diese (schwierige) Angelegenheit den Mitgliedern des höchsten Gerichtshofes in Athen , den Areopagiten, als den weit gewissenhafteren

XTT, 7, 1. S. Ammian. Marcellin. 29, 2; Yal. Max. 8, 1, ambostae 2. üeber P. Cornelius Dolabella b. GelL m, 9, 4. Wegen seiner unerhörten Erpressungen setzt ihn Juvenal (Sat 8, 105) in eine Kategorie mit dem raubsüchtigen G%jus Antonius Hybrida und mit dem berüchtigten Verres, dem Plünderer Siciliens.

xn, 7, 5. Areopag, der älteste und berühmteste Gerichtshof in Athen, hatte seinen Namen von dem Areshügel (ji^siog nayog), auf dem er seine Sitzungen hielt Die Stiftung dieses unbescholtenen, gerechten Gerichtes wird von Einigen dem Kekrops, von Andern dem Selon zu- geschrieben; doch scheint er durch Selon nur eine bessere Einrichtung

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(150) Xn. Buch, 7. Cap., § 5—8. 8. Cap., § 1—3.

(bedächtigeren) und erfahrenem Richtern zur Entscheidung anheimzustellen. 6. Als diese (gestrengen) Richter den Fall reiflich erwogen hatten, lautete ihr Urtheil dahin, dass der Ankläger der Frau mit seiner Beklagten nach 100 Jahren wieder vor Gericht erscheinen sollten. 7. So wurde weder der von der Frau verübte und nach den Gesetzen unerlaubte Giftmord als losgesprochen (und unverdammlich) betrachtet, noch die des Mitleidens und der Verzeihung würdige Misse- thäterin veiiirtheilt und bestraft. 8. Diese Erzählung findet sich im 9. [vielmehr 8.] Buche von „den merkwürdigen Thaten und Reden" bei Valerius Maximus (VIII, 1, ambust. 2).

xn, 8, L. Denkwürdige Beispiele Ton Aussöhnung zwischen berühmten

Männern.

xn, 8. Cap. 1. Der ältere P. (Scipio) Africanus und der Vater des Tiberius und Gajus Gracchus, der (ältere) Tiberius Sempronius Gracchus, beide Männer, berühmt durch die Grossartigkeit ihrer Heldenthaten , so wie durch die Würde ihrer Stellung und ihres Lebenswandels, lagen oft im Wider- streit mit einander in Betreff des Staats-Wohles, und aus diesem oder irgend einem andern Grunde bestand zwischen ihnen keine Freundschaft. 2. So hatte dieses gespannte Ver- hältniss lange angehalten, als an einem (geweihten) Festtage dem Juppiter zu Ehren ein Opfermahl gefeiert wurde. Da nun der Senat wegen dieser Opferfeierlichkeit ein öffentliches Mahl auf dem Kapitel veranstaltete, wollte es der Zufall, dass diese beiden bedeutenden Männer dicht neben einander zu sitzen kamen. 3. Da nun, bei dem Mahle zu Ehren des stets guten und wahrhaft erhabenen Juppiter, schien es von den unsterblichen

und wichtigere Vorrechte erhalten zu haben. AristideB nannte denAreopag das heiligste Gericht Griechenlands, und Demosthenes versichert, dass er nie ein UrtheU gesprochen habe, womit nicht beide Theüe^ zufrieden ge- wesen. Bis auf Perikles behielt dieser Gerichtshof seine Reinheit und erst nach und nach mit dem Verfalle Athens sank auch sein Ansehen.

XII, 7, 8. Ueber Valerius Maximus s. Teufifels Gesch. der röm. Lit 274, 5.

XII, 8, 1. S. Gell. IV, 18, 7 NB Stammtafel des P. Cornelius Scipio. Vergl. Plutarch Gracchus zu Anfang; Val. Max. IV, 2, 3.

XII, 8, 2. Vergl. Liv. 88, 57; Dio Gass. 39, 30; 48, 52.

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Xn. Buch, 8. Cap., § 3-6. (151)

Göttern beschlossen zu sein, die Hände dieser beiden wackern Männer (in einander zu legen und) zu vereinigen, so dass sie (von Stund an) plötzlich die innigsten Freunde wurden. Allein dies war nicht nur der Anfang ihrer Freundschaft, sondern wurde auch noch die Veranlassung zu einer engem ver- wandtschaftlichen Beziehung. 4. Denn P. Scipio, der eine ei'wachsene mannbare Jungfrau zui- Tochter hatte, verlobte dabei zu derselben Zeit, an demselben Oile dieses sein Kind dem Tiberius Gracchus; denn während ihrer Feindschaft hatte (P. Cornelius) Scipio Zeit und Gelegenheit oft genug gefunden zur Bildung eines imparteiischen Urtheils über den bewährten und tüchtigen Charakter des Gracchus, den er sich (als Eidam) auserkoren hatte. 5. Auch Aemilius Lepidus und Fulvius Flaccus, beide Männer von vornehmer Abkunft, betraut mit den höchsten Würden und dem hervorragendsten Rang im Staate, bekämpften sich lange durch gegenseitigen bittem Hass und anhaltende Scheelsucht. 6. Als das Volk aber Beide zugleich zu Sittenrichtein erwählte und sie durch die Stimme des Ausrufers als solche öffentlich angekündigt worden waren, verbanden sie sich sogleich noch auf dem Wahlplatze selbst, noch vor Entlassung des vereammelten Volkes, Beide wider Aller Erwarten und aus völlig gleicher Uebereinstimmung zur freundschaftlichen und herzlichen Eintracht; und seit diesem Tage lebten Beide zusammen nicht nur während (der Ver-

xn, 8, 4. S. Yal. Max. IV, 2, 8. Die berühmte und tugendhafte Cornelia, Tochter des Scipio AMcanus, Gattin des Tiberius Sempronius, wurde die Mutter von Tiberius und Gigus Gracchus, welche Beide als Opfer ihres Eifers für das Ackergesetz umkamen.

xn, 8, 6. Liy. 40, 45, 6 ff.; Val. Max. IV, 2, 1 ; Cic. de prov. cons. 9. übi voce praeconis (als Censoren) renuntiati sunt. Auf Geheiss des Vorsitzenden verkündeten (renuntiare) die Praecones der einzelnen Classen das Wahlergebniss der einzelnen Centurien. Nach Beendigung dieser Benuntiatio renuntiirte der Vorsitzende entweder selbst oder auch durch den Mund des Praeco das Gesammtresultat. (Cfr. Gellius VII [VI], 9, 2 eum [sc. Flavium] aedilem curul. renuntiaverunt) Wegen dieser Schluss- renunciation wurde bei den Wahlcomitien die Thätigkeit des Vorsitzenden auch geradezu als creare bezeichnet Cfr. Gell. XIII, 15, 4; Liv. 1, 60; 2, 2; 8, 8. 85. 55; 9, 7. 21; 25, 2. Lange röm. Alterth. § 124 S. (456) 498.

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(152) XIL Buch, 8. Cap., §6.-9. Cap., § 1—4.

waltung) des gemeinschaftlichen Sittenrichteramtes, sondern auch nach Ablauf desselben im trautesten und aufrichtigsten Freundschaftsverkehr.

XII, 9, L. Welche Wörter doppelsinnig genommen werden^ und dass auch das Wort „honos** in zwei&chem Sinne gesagt worden sei.

Xn, 9. Gap. 1. In den Schriften der Alten kann man an vielen SteUen sehen und erkennen, dass so manche Wörter, welche im jetzigen Yolksmunde eine einzige und ganz be- stimmte Sache bezeichnen, (früher) so schwankend, zweideutig und unbestimmt waren, dass sie zwei ganz unter sich ent- gegengesetzte Dinge bezeichnen und enthalten konnten. Von diesen, als sehr bekannten, sind folgende (Ausdrücke): „tem- pestas" (gute und schlechte Witterung), „valitudo" (Wohl- oder Uebelbefinden), „facinus" (Gut- oder Schandthat), „dolus" (schädlicher oder unschädlicher Kunstgriff), „gratia" (Einver- nehmen in gutem und üblem Sinne), „industria" (Geflissentlich- keit zu Gutem oder Bösem). 2. Denn diese Wörter pflegt man bekannter Massen gewöhnlich in zweifacher Bedeutung zu neh- men und können sie alle doppelsinnig gesagt werden. Auch für „periculum" (Versuch mit und ohne Gefahr verknüpft) \md „venenum" (ein gefährliches oder ungefährliches Tränkchen) und „contagium" (Berührung mit übler Nebenbedeutung und auch ohne dieselbe) findet man viele derartige Beispiele, wo sie nicht, wie es jetzt allgemein gebräuchlich ist, nur in üblem Sinne gesagt werden. 3. Allein dass auch das Wort „bonos" (Auszeichnung, Ansehen) ein mitteldeutiges gewesen und in dem Sinne genommen worden sei, dass man auch schlechte Auszeichnung, schlechtes Ansehen (malus bonos) sagen konnte und damit eine Beschimpfung (injuriam) aus* drücken wollte, dieser Gebrauch dürfte wahrhaftig nur höchst selten nachzuweisen sein. 4. Allerdings liest man das Wort an einer Stelle in des Quintus Metellus Numidicus Rede,

XU, 9, 1. cum mala gratia, mit schlechter Vergeltung, in Unfrieden, Hass. Terent Phorm. 4, 3, 17 (622). gratia est =ago gratias: ich danke, in ablehnender Bedeutung Plaut. Men. 2, 3, 36. gratis als Ablat. pluraL für gratiis, umsonst, ohne Entgelt und Vergeltung.

XII, 9, 2. venenum, Stoff, Saft. SaUust. CatiL 11, 3; dolus, Ge- wandtheit einen Gegner zu berücken. Sali. Cat. 26, 2.

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Xn. Buch, 9. Cap., § 4— 6. 10. Cap., § 1—3. (153)

welche er bei Gelegenheit seines feierlichen Einzuges hielt, wo es heisst: „Wie sehr sie Alle insgesammt in diesem Falle mich Einen übertreffen, um so mehr hat er weit eher euch, als mir ein gar sehr grosses Unrecht und eine gar sehr schimpfliche Beleidigung angethan, ihr edlen Römer; und um wieviel eher ehrenwerthe Männer lieber Unrecht dulden, als «inem Andern Unrecht zufügen, um so mehr hat Jener da- durch eher euch als mir eine gar schlechte Ehre (eine gar grosse Beschimpfung) erwiesen, denn, ihr edlen Römer, es liegt in seiner Absicht, dass ich (hier) Unrecht leiden soll, ihr aber euch zum Unrecht gegen mich sollt hinreissen lassen, damit (das ist seine Absicht) auf der einen Seite mir die (gerechte) Beschwerde gegen euch, auf der andern Seite euch ein (gerechter) Vorwurf von mir nicht erspart bleibe." 5. Er sagt: „Er hat eher euch, als mir eine gar schlechte Ehre erwiesen," denn das sollen doch die Worte bedeuten: honorem pejorem vobis habuit, quam mihi, und will er das Wort bonos in keinem andern Sinne verstanden wissen, was er ja auch schon vorher mit andein Worten deutlich genug ausspricht, wenn er sagt: „er hat (weit eher) euch, als mir ein gar sehr grobes Unrecht und eine gar sehr schimpfliche Beleidigung angethan." 6. Diesen Gedanken aus des Q. Metellus Rede glaubte ich aber nicht allein wegen der auffälligen Bedeutung des Wortes „bonos" anführen zu müssen, sondern auch in der Absicht, eine Andeutung zu geben, dass Socrates den Grund- satz gehabt habe: „dass es tadelnsweither sei, Unrecht thun, als Unrecht leiden". (S. Plat. Gorg. 43, p. 488, E und 63 fin. p. 508, C.)

XII, 10, L. Dass das Wort „aeditumus (Tempelhuter, Küster)*' ein rein lateinisches Wort sei.

xn, 10. Cap. 1. Das Wort „aeditumus" ist ein ganz alter lateinischer Ausdruck, nach Art der gi-ammatischen Form- bildung gesagt, wie „finitimus'^ (angrenzend) und „legitimus" (gesetzlich). 2. Für diese Form wird jetzt von sehr Vielen „aedituus" gesagt, nach einem neu erfundenen, ungewöhnlich gesuchten Gebrauch, gleichsam als ob es von der Tempelhut (a tuendis templis) abgeleitet sei. 3. Die kurze Bemerkung würde hingereicht haben, [. . . (allein ich fühle mich genöthigt,

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(154) XII. Buch, 10. Cap., § 3—7.

noch etwas weiter auszuholen) . . .], wegen einiger ungebildeter und eigensinniger Streithammel, die sich nur ei-st durch An- ziehung von gewichtigen Beispielen zum Schweigen bringen lassen. 4. Die Meinung des M. Varro im 2. Buche seines an den Marcellus gerichteten Werkes „über die (acht) lateinische Ausdmcksweise" geht dahin, dass man vielmehr „aeditumus" für „aedituus" sagen müsse, weil diese letztere Form jünger und nur erst neu gebildet worden, die andere aber älteren Ursprungs und acht und unveifälscht ist. 5. Auch nannte Laevius, wie ich glaube, in seinem Trauerspiele „ProtesUao- damia" Denjenigen, welcher das Thürschliesseramt verwaltete,, einen „daustritumus (Thorschlosshttter)", eine Form, ganz in derselben Weise gebildet, wonach er sah, dass „aeditumus* (gebraucht und) gesagt wurde von Einem, dem die Hut und Wartung des Tempels anvertraut war. 6. So fand ich auch in den zuverlässigsten (Original-) Abschriften der Rede de* M. TuUius (Cicero) gegen VeiTCS (IV, 44, 96) geschrieben: „Zeitig genug merkten es die Tempel Wärter (aeditumi) und Wächter," während man in den gewöhnlichen Ausgaben aedi- tui für aeditumi geschrieben findet. 7. Es giebt eine Atellanen- posse vom Pomponius mit der Ueberschrift: Aeditumus. Darin kommt folgender Vers vor:

Qni tibi postqaam appareo atque aeditamor in templo tuo, d. h. Ich, der seit dem zu Diensten Dir und Tempelhater bin in Deinem

Heiligthum.

XU, 10, 4. Cfr. Gell. Xn, 6, 3 aedituus. S. Paul. S. 13; Varro 1. 1. Vn § 12; Vm, § 61; cfr. Varro r. r. I, 2, 1.

xn, 10, 7. Cfr. Gell. X, 24, 5 NB. Die Atellanae fabulae wäre» ursprünglich wohl nur improvisirte, von jungen Bömem ausserhalb des Theaters aufgeführte Possenspiele (Liv. 7, 2: Festus unter personata fiab. p. 217, 18, M.; yergl. Spartian. Hadr. 26), später aber fielen sie wirklichen Schauspielern und der Bohne zu (Suet Ner. 39; Tac. AnnaL 4, 14, wo gewiss von Atellanen die Rede ist), und nun erst wurden sie als förmlich ausgearbeitete und niedergeschriebene Bühnenstücke doch stets nur als Nachspiele, namentlich von Trauerspielen gegeben. Ihr Charakter war niedrige, oft sehr gemeine und obscöne Komik und erschienen darin ge- wisse maskirte, karrikirt ausstaffirte, stereotype Personen (oscae personae, bei Diomed. UI p. 488, weil man Hanswurstiaden von den Oskem entlehnt glaubte), der Maccus, ein gefrässiger, lüsterner, blödsinniger Dummkopf, der für jeden Muthwillen herhalten musste, der Bucco, ein Grossmaul, Fresser und unverschämt zudringlicher Schmarotzer, der Pappus, ein

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Xn. Buch, 10. Cap., g 8. 11. Cap., § 1-4. (155)

8. Aber Titos Lucretius hat in seinem Gedicht (vom Wesen

der Dinge B. IV, y. 1275) für den Ausdruck aeditui sich des

Wortes aedituentes (Tempelbewachende) bedient:

(— auch blieben zum Theil in der Runde

Sämmtliche Tempel der HimmliBchen schwer mit Leichen bebürdet,

Weil sie die Hüter des Tempelbezirks [aedituentes] mit Gftsten beladen.)

XII, II, L. Dafls sich die in einem gewaltigen Irrthame befinden, die in der znYenichtlichen Hoffnung and VonioBsetzimg det Verborgenbleibens tündigen, da an ein ewiges Verheimlichen eines Fehltritts and einer Sünde nicht gedacht werden könne. Femer gelehrte Abhandlung des Weltweisen Feregrinus über diesen Gegenstand nach einem (darauf bezüglichen) Aus- sprach des Dichters Sophocles.

xn, 11. Cap. 1. Als ich mich in Athen befand, machte ich die Bekanntschaft des Weltweisen Feregrinus, eines ernsten und gesetzten Mannes, dem man später den Beinamen Proteus gab, und der ausserhalb der Stadt in einer Herberge verkehrte. Da ich ihn häufig aufsuchte, vernahm ich aus seinem Munde in der That viel nützliche und tugendhafte Lehren. Unter diesen seinen herrlichen Aussprüchen erinnere ich mich, vorzüglich den einen geholt zu haben. 2. Er be- hauptete, dass ein wahrhaft weiser Mann auch dann keine Sünde begehen dürfe, selbst wenn er wüsste, dass seine be- gangene Sünde Götteni wie Menschen verborgen bleiben würde. 3. Denn es war ihm feste üeberzeugung , dass man nicht etwa nur aus Furcht vor Strafe und Schande sich von Sünde rein halten müsse, sondem (ganz allein) aus innerm Antrieb und Pflichtgefühl für Recht und Tugend. 4. Die

lüsterner, geiziger, eitler alter Narr, der überaU gehänselt und überlistet wird, und der Dossenus, ein geriebener, pfiffiger Beutelschneider, der Alle zu betrügen und auszubeutein versteht. (Appul. Apol. 81 p. 564 Oud.; Yarro 1. L YII, 29.) Später suchte mau sie zu heben und es wur- den in ihnen besonders mythologische Stoffe burlesk behandelt Nach und nach wurden sie immer mehr pantomimisch (Juv. 6, 71 £), so dass an die Stelle des recitirten Textes ein Canticum trat (Suet Nero 39 ; Galba 18) ; und endlich gingen sie ganz in der Pantomime unter. Ihnen nahe ver- wandt waren die „mimi*^, mit welchem Namen, wie auch mit pantomimi, sowohl die Stücke, als auch die darin auftretenden Schauspieler bezeichnet werden, welche letztere auch planipedes hiessen. S. Gell. I, 11, 12. (A. Forbiger.) Dossenus Dorsenus, a dorsi gibbere sie dictus.

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(156) Xn. Buch, 11. Cap., § 4—7. 12. Cap., § 1. 2.

jedoch, welche nicht von solchem Geiste oder von solchen Gesinnungen (und Grundsätzen) beseelt seien, dass sie durch ihre eigne Willenskraft und von selbst getrieben wurden sich leicht der Sünde zu enthalten, von ihnen Allen glaubte er, dass sie sich dann ei-st recht leicht der Sünde würden in die Anne werfen, weil sie in dem (falschen) Glauben ständen, ihre Sünde könne verborgen bleiben, und die deshalb in Folge dieses Verborgenbleibens Sicherheit vor Strafe (und Vergeltung) erwarteten. 5. Allein, fuhr er fort, wenn die Menschen immer daran dächten, dass nichts in der Welt zu lange verborgen und verheimlicht bleiben kann, dann würde man mit mehr Zurückhaltung und mit grösserer Schüchternheit zu sündigen wagen. 6. Deshalb rieth er, man solle sich immer jene Verse (aus dem Hipponoos) des Sophocles, des berühmtesten unter den Dichtem, vorsagen:

Drum wolle Nichts verbergen, denn die eVge Zeit, Die Alles sieht und Alles hört, deckt Alles auf.

7. Auch irgend ein Anderer unter den alten Dichtem, dessen Name mir eben jetzt nicht gleich einfällt, sagt: „dass die Wahrheit eine Tochter der Zeit sei."

Xli, 12, L. Des M. Cicero witzige Antwort, wodurch er die (gerechte)

Beschuldigung einer von ihm offenbar begangenen Lüge (zur Zeit) von sich

abzuweisen verstand.

xn, 12. Cap. 1. Auch dies gilt für einen (erlaubten) rhetorischen Kunstgriff, mit Schlauheit und List einen wohl- verdienten Vorwurf offen einzugestehen, so dass man, wenn sich der schimpfliche Vorwurf durchaus nicht wegleugnen lässt, ihn durch eine scherzhafte (ausweichende) Antwort und Aus- rede leicht und spielend pariit und die Thatsache mehr in einem lächerlichen, als schimpflichen Lichte darstellt. Wie man schreibt, dass es Cicero gemacht hat, der, als er ein ge- thanes Unrecht nicht in Abrede steUen konnte, die Vorwürfe darüber durch ein höchst feines Witzwort entkräftete. 2. Denn als er einst auf dem palatinischen Berg ein Haus zu kaufen

xn, 11, 4. S. Plntarch: Bömische Forschungen (atua 'Pi»f4.). Die Wahrheit eine Tochter Satoms, der die Zeit vorstellte und der gerechteste unter den Menschen war, die Zeit aber bringt Alles ans Licht.

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Xn. Buch, 12. Cap., § 2—4. 13. Cap., § 1. (157)

Willens wai^ entnahm er, in Ermangelung der dazu nöihigen disponiblen Summe von zwei Millionen Sesterzien, dies Geld von (seinem dienten) dem damals gerade in Anklagestand versetzten P. Sulla heimlich als Darlehn auf. 3. Vor dem Kaufabschluss wurde dieser Vorfall (schon) verrathen und drang in die Oeffentlichkeit (und wui*de ihm eben nicht zum Besten ausgelegt). Man machte ihm also (öflfentlich) Vor- würfe, dass er zu dem Hausankauf von einem in Untersuchung sich Befindenden sich habe Geld geben lassen. 4. Cicero, dem dieser Vorwurf unerwartet kam (und der ihn deshalb für den Augenblick in Verwirrung setzte), leugnete den Empfang des Geldes (geradezu) ab \md versicherte, dass es ihm gar nicht in den Sinn gekommen sei, das Haus zu kaufen (besann sich jedoch) und setzte hinzu: „wenn ich je das Haus wirklich gekauft haben werde, dann soll es wahr sein, dass ich das Geld von SuDa angenommen habe." Da er das Haus später aber doch wirklich noch gekauft hatte, und ihm seine frühere Lüge von seinen Freunden im Senat (schonungslos) vorgerückt wurde, konnte er sich des Lachens nicht enthalten und (ohne Verlegenheit zu zeigen) entgegnete er unter fortwährendem (recht hei-zlichem) Lachen: Ihr seid Leute ohne den ge- wöhnlichen Menschenverstand {oKoivovoTjrot) ^ wenn ihr nicht wisset, dass es eines klugen und vorsichtigen Hausvaters Hauptaufgabe sein muss, wenn er Etwas kaufen will, dieses gerade abzuleugnen, um sich bei dem Kauf keine Mitbewerber herbeizuziehen.

xn, 13, L. Was man anter „intra Ealendas^ zu verstehen habe, ob es so viel heisst, als „ante Kalendas (vor dem Ersten)**, oder „Ealendis (während des Ersten)**, oder beides zugleich« Femerweitige Bemerkung, was in einer Rede des M. Tullius (Cicero) unter folgenden Ausdrücken zu verstehen sei : intra Oceanum und intra montem Tanrum und was unter dem in einem seiner Briefe sich vorfindenden Ausdruck: intra modum.

xn, 13. Cap. 1. Als ich (einst) zu Rom von den Consuln ausserhalb der Reihenfolge zum Richter ernannt worden war

XII, 12, 2. Nach heutigem Gelde 250,000 Mark oder gegen 84,000 Tlilr. XII, 18, 1. In der ältesteiL Zeit schon pflegten Magistrate die Unter- suchung und Entscheidung der Processe an Privatpersonen zu übertragen,

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(158) XIL Buch, 13. Cap., § 1—5.

und die Verordnung erhalten hatte, Recht zu sprechen „intra Ealendas", erkundigte ich mich bei dem sehr gelehrten Sul- pidus Apollinaris, ob unter den Worten inivk Ealendas auch wohl nur der Monats^erste (ipsae Kalendae) zu verstehen sei (und ob ich das so zu verstehen habe), dass ich während dieser Tageszeit Recht sprechen sollte. 2. Er erwiderte mir, warum erkundigst Du Dich über diesen Fall bei mir und nicht vielmehr bei einem von den erfahi-enen Rechtsbeflissenen, -die ihr ja sonst immer bei vorkommenden Rechtsaussprüchen zu Rathe zu ziehen pflegt? Darauf erwiderte ich ihm also: 3. Wenn ich hätte Auskunft haben wollen entweder über ein altes Recht, x)der über ein neu aufgenommenes, oder über ein sich widersprechendes und zweideutiges, oder über eine ganz neue Bestimmung, würde ich mich Auskunffcs halber sicher an die von Dil* Benannten gewendet haben; 4 da mir jedoch besonders daran gelegen ist, den Sinn, die Verwendung und die wesentliche Beschaffenheit dieser lateinischen Ausdi-ucks- weise zu erforschen, so müsste ich doch ganz thöricht und mit geistiger Blindheit geschlagen sein, wenn, zumal da sich mir mit Deiner gütigen Erlaubniss dazu die Gelegenheit bietet, ich mich eher an einen Andern, als an Dich (um Auskunft) wenden würde. 5. Auf diese meine Erklärung hin begann Sulpicius Apollinaris also : vernimm denn meine Meinung über das Wesen des Wortes („intra"), doch nur unter der Voraus- setzung, dass Du nicht sowohl darauf achtest, was ich über die Eigenthümlichkeit dieses Wortes vortragen werde, sondern vielmehr was Du nach Uebereinstimmung, wenn auch nicht Aller (ohne Ausnahme), so doch sehr Vieler in Beziehung dieses Wortes wirst (als Regel) angenommen sehen. Denn nicht nur die eigentlichen und ursprünglichen Bedeutungen allgemein gebräuchlicher Ausdrücke erleiden (oft mit der Zeit) durch längeren Gebrauch eine Veränderung, sondern selbst

welche an die von dem Magistratiis erhaltene Instniction gebunden waren. Biese Einrichtung wurde judicis datio*' genannt Veigl. GelL XIY, 2, 1 NB* üeber Sulpicius Apollinaris s. Gell, n, 18, 8 KB.

Xn, 18, 2. Vergl. Xm, 18, 1 stationes und XIV, 2, 3; Cic. pr. Quint 1 f. 6. 10. 17; pro Rose com. 5. 8; act sec in Yerr. I, 29, 78; Sen. de tranq. 8, 2; Val. Max. YIII, 2, 2; vergl. auch Appul. Apol. 2 p. 881 Ouid. und Achill. Tat. VIII, 9.

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Xn. Bach, 13. Gap., § 5—9. (159)

fest angenommene Kegeln gerathen unter stillschweigender Uebereinstimmung (öfters) in Vergessenheit. 6. Dann fuhr er in seiner Erklärung, wie ich und viele Andere Ohrenzeugen waren, folgendennassen fort und sagte : Wenn der Tag in der Art vorher anberaumt ist, dass es sich für den Richter um ein Bechtserkenntniss „intra Kalendas (d. h. innerhalb des Monatsersten)** handelt, so hat sich jetzt nun schon allgemein die Ansicht eingebürgert, dass, ohne allen Zweifel, der Rechts- spruch gesetzUch (noch) vor dem Monatsersten (d. h. den Monatsersten als Grenzbegriff angenommen) erfolgen muss, und ich sehe nur noch, wie ja auch aus Deiner Frage deut- lich hervorgeht, in Zweifel gesetzt, ob nun auch am Ersten des Monats (selbst) zu Recht entschieden werden könne. 7. Ohne Zweifel ist aber das Wort dazu gemacht und so zu nehmen, dass, wenn man sagt „intra Kalendas'', kein andrer Tag darunter verstanden werden dürfe, als nur allein der Monatserste selbst. Denn diese drei Ausdrücke: intra (inner- halb), citra (diesseits) und ultra (jenseits), durch welche be- stimmte örtliche Grenzen angegeben werden sollen, waren früher bei den Alten nur einsilbige Wörter und lauteten: in, eis, uls. 8. Weil nun diese Partikeln ihrer Kürze wegen leicht überhört und unverständlich werden konnten, so fügte man später an alle drei Wöi-tchen eine Anhängsilbe an und wäh- rend man sonst sagte: eis Tiberim und uls Tiberim, wurde es später gewöhnlich zu sagen: citra Tiberim und ultra Tiberim; ebenso entstand auch aus dem „in'' durch Hinzu- treten desselben Endanhängsels: intra. 9. Sie bezeichnen also alle gleichsam einen benachbarten Zusammenhang von unter sich verbundenen Grenzen: intra oppidum (innerhalb der Stadtgrenzen), ultra oppidum (jenseits der Stadt), citra oppidum (im diesseitigen Räume der Stadt); wobei ich schon

xn, 18, 7. Von ds, ex, als, post bildete man comparativische For- men: dter, ezteri, nlter, posterL Uls verwandt mit U-le, ol-le. Von den a^jectivischen Formen wurden die adverbialen Ablative: citra, extra, ultra (intra) wieder als Praepositionen gebraucht eis, diesseits; citra, im diesseitigen Räume, inter, zwischen zwei Gegenständen, also nur von zwei Seiten umschlossen; intra, im Innern eines Oanzen und deshalb von allen Seiten eingeschlossen, enth&lt den Begriff des Umschlossenseins von aUen Seiten.

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(160) XII. Buch, 13. Cap., § 10—17.

bemerkt habe, dass „intra" soviel bedeutet wie „in"; 10. denn wer die Ausdrücke braucht: intra oppidum, intra cubiculum (innerhalb des Zimmei-s), intra ferias (inzwischen, während der Feiertage), drückt ganz dasselbe aus, als wenn er sagt: in oppido, in cubiculo, in feriis. 11. Also bedeutet intra Kalendas nicht soviel als ante Kalendas (vor der Grenz- bestimmung des Monatsersten), sondern vielmehr in Kalendis (während des Monatsersten), d. h. an eben demselben Tage, auf den der Monatserste fällt. 12. Wer also, um hier die Bedeutung des Wortes festzuhalten, beauftragt ist: „intra Kalendas'' zu Gericht zu sitzen und seine Entscheidung zu fällen, der fehlt unbedingt gegen den (gesetzlich) gebräuch- lichen Wortlaut, wenn er seiner Berufiing nicht am Ersten nachkommt; 13. denn wenn er dieser Erinnerang (an Voll- ziehung seiner Richterpflicht) vor der (gesetzlichen) Zeit nachkommt, dann aburtheüt er nicht intra ; sondern citra^ d. h. diesseits des Monatsersten, also knapp vor dem Monats- ersten, nicht aber innerhalb des Monatsersten. 14. Es ist mir überhaupt unerklärlich, unter welcher Voraussetzung die abgeschmackte Auslegung hat Aufnahme (und Eingang) finden können, dass man glaubte, der Ausdruck „intra Kalendas*' bedeute soviel, als vor dem Monatsersten, also: citra oder ante Kalendas, denn zwischen diesen beiden ist kein grosser Unterschied. 15. Ueberdies ist man noch darüber im Zweifel, ob man gehalten sein könne, auch vor dem Monatsersten sich bei der Gerichtssitzung einzufinden, wenn man nicht nachher, noch vorher, sondern nur während des zwischen diesen (beiden Zeitbegriffen des vorher und nachher) in der Mitte liegenden Zeitabschnittes, selbstverständlich also: intra Kalendas, oder was wohl dasselbe heissen soll: „Kalendis", also nur während der Dauer des Monatsersten zum Rechtsprechen verpflichtet ist. 16. Natürlich trug aber auch hier die Gewohnheit den Sieg davon, sie, die Beherrscherin der ganzen Welt, um viel mehr aber des Sprachgebrauchs. 17. Als Apollinaiis seinen höchst verständigen und klaren Vortrag geendigt hatte, ergriff ich das Wort und sagte: Es lag mir sehr am Herzen bevor ich mich an Dich wandte, zu erforschen und (selbst) kennen zu lernen, auf welche Weise unsere älteren Schriftsteller sich der in Frage stehenden Praeposition bedient haben, und

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Xn. Buch, 18. Cap., § 17—21. (161)

SO fand ich denn, dass Cicero in seiner in. Bede gegen Verres (89,207) folgendeimassen geschrieben habe: „Es ist innerhalb des Oceans (Weltmeers) bereits kein weder so entfernter, noch abgelegener Ort, wohin nicht in diesen Zeiten unserer Landsleute Frechheit und Unbill gedrungen wäre." 18. Ent- gegen Deiner Anschauungsweise sagt hier Cicero „intra Ocea- num", denn er will, wie ich meine, damit doch nicht sagen „im Weltmeere" ; er meint vielmehr alle die Länder, welche vom Weltmeere umspült werden, welche unseren Landsleuten zugänglich sind, welche diesseits des Weltmeeres liegen, nicht aber inmitten der Fluthen desselben, und kann man doch wohl nicht annehmen, er habe irgend welche Inseln gemeint, welche mitten in den Fluthen des Weltmeeres selbst sich be- finden sollen. 19. Auf diese meine Einwendung hin betrachtete mich Sulpicius Apollinaris mit freundlichem Lächeln und sprach: Wahrlich nicht geistlos und ohne Scharfsinn hast Du mir (gerade) die betreffende Stelle von Tullius (Cicero) ent- gegen gehalten, allein Cicero braucht den Ausdruck: intra oceanum (durchaus) nicht in dem Sinne, in welchem Du sie auslegst, nämlich: citra oceanum (diesseits des Oceans). 20. Denn wovon kann es wohl heissen, dass es diesseits des Welt- meeres hege, da dasselbe alle Länder einrahmt und umsptkit? Denn was diesseits liegt, liegt ausserhalb; wie kann man also sagen, dass etwas innerhalb liegt, was sich ausserhalb befindet? Jedoch wenn nur von einem Theile der Erde aus das Weltmeer strömte, so könnte man von dem Landstrich, bis wohin sich das Meer erstreckt, sagen, er liege vor dem Weltmeere (ante oceanum) ; da aber dasselbe alle Länder insgesammt von allen Seiten umspült, so lässt sich nichts denken, was sich diesseits befinden könnte; denn da alle Länder von seinen Wogen umströmt und eingeschlossen werden, so befindet sich in dessen Mitte Alles, was innerhalb seines Küstengestades ein- geschlossen ist: gleichwie sich doch wahrhaftig die Sonne nicht diesseits (d. i. ausserhalb) des Himmels dreht, sondern am Himmel und innerhalb des Himmels (-raumes). Diese Auslegung des Apollinaris schien mir damals verständig und scharfsinnig. 21. Aber später fand ich in einem Briefe des M. Tullius (Cicero, ep. ad Fam. IV, 4, 14) an den Servius Sulpicius gerade so gesagt: „intra modum'S wie die zu sagen

GelliuB, Attische Nichte. U. Jl^ ., ..

(162) XII. Buch, 13. Cap., § 21—26.

pflegen, welche: „intra Ealendas*^ durch: „citra Kalendas^ ausgelegt wissen wollen. 22, Ich lasse Cicero's eigne Worte folgen: (Cicero hatte sich nämlich beim Caesar für die dem Marcellus gewährte Gnade bedankt, und er fährt dann also fort) „Da ich dadurch Caesars Ungnade entgangen bin, weil er, würde ich ein fortwährendes Stillschweigen beobachtet haben, vielleicht auf die Vermuthung hätte fallen können, dass ich dies Begiment nicht für das richtige halte , so werde ich mit gehöriger Mässigung verfahren, oder vielmehr dabei in den gebührenden Schranken bleiben, um auf der einen Seite seinem Willen, auf der andern Seite meiner schriftstellerischen Be- schäftigung Genüge zu leisten. "* 23. Er hatte gesagt : modice hoc faciam (ich werde mit gehöriger Mässigung veiüahren), d. h. auf eine angemessene und schickliche Art; 24. gleich hinterher aber, als ob ihm der Ausdruck missfiele, und er ihn absichtlich verbesserte, setzt er hinzu: „oder vielmehr in den gebührenden Schranken (intra modum werde ich dabei blei- ben)^, durch welchen (erklärenden) Zusatz er zu erkennen geben will, dass er noch weniger zu thun beabsichtige, als ihm dies in dem Ausdruck : modice (mit gehöriger Mässigung) angedeutet zu sein schien, d. h. er wolle nicht bis an die Grenze gehen, sondern vielmehr etwas rückhältlich und in- nerhalb der Grenze bleiben (damit er ja nicht etwa zu viel thue). 25. Auch in der Rede Cicero's, welche er für den Publ. Sestius schrieb, sagt er (cap. 27, 58) in gleicher Weise „intra montem Taurum" nicht in dem Sinne für „in monte Tauro" (innerhalb des Taurusgebirges), sondern in der Be- deutung: usque ad montem Taurum cum ipso monte, d. h. bis an das Taurusgebirge mit Einschluss des Gebirges. 26. Des M. TuUius (Cicero) eigne Worte aus der eben angeführten Bede lauten: „Jenen Antiochus den Grossen Messen unsere Vorfahren, als sie ihn nach einem gewaltigen Eriegskampf zu

Xn, 13, 21. Es gab auch kürzere, speciellere Briefeammlangen Cicero's an betreffende Adressaten. S. Teuffels röm. Lit 180, 4.

xn, 18, 25. Nach Liv. 37, 45 gab Scipio Africanus' den Gesandten des Antiochus, welche um Frieden baten, unter andern folgenden Rath: Gebt Europa auf und r&umt diesseits des Taurusgebirgs (eis Tanmm montem) ganz Asien.

XII, 13, 26. Yergl. GeU. IV, 18, 8 NB. Antiochus der Grosse

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XU. Buch; 18. Gap., § 26—29. (1(53)

Land und zur See überwunden hatten, innerhalb des Taurus- gebirges herrschen. Asien, das sie ihm zur Strafe abgenom- men, gaben sie dem Attalus (vielmehr Eumenes 11., einem Sohne des Attalus I.) zum Geschenk, um darüber zu herrschen.*^ 27. Cicero sagt: intra montem Taurum regnare jusserunt, d. h. sie hiessen ihn herrschen (oder: sie beschränkten seine Herrschaft auf das Gebiet) innerhalb des Taurusgebirges, wo die Praeposition „intra" in keiner andern Bedeutung steht, als wie wenn wir sagen : intra cubiculum (d. h. innerhalb des Zimmers), wofern es nicht etwa scheinen kann, dass „intra montem" in dem Sinne zu nehmen sei: intra regiones, d. h. Landstrecke, Gebietsherr»chaft, wdche durch das vorliegende Taurusgebirge abgetrennt (und begrenzt) wird. 28. Denn so wie, wenn es von Einem heisst, dass er sich „intra cubiculum" (innerhalb des Gemachs) aufhält, inan nicht annimmt, dass damit gemeint sei, er befinde sich in den Wänden (als in den Grenzbestimmungen) des Gemaches, sondern innerhalb der Wände, welche (nur) die Umfassung des Gemachs (also einen wesentlichen Theil desselben) bilden und die sich doch (selbstverständlich theilweise) auch mit im Zimmer befinden, so bezeichnen die Woi-te „regnat intra montem Taurum'* nicht allein Einen, der im Taurusgebirge herrscht, sondern Einen, der HeiTScher ist über das Gebiet, welches vom Taurusgebirge eingeschlossen wird. 29. Soll imd kann nun also, nach dem Gleichnisse der ähnlichen Fälle bei M. Tullius (Cicero), Einer, dem die Weisung wird Recht zu sprechen „intra Kalendas", gehalten sein, diese Amtspflicht gesetzlich und rechtlich: ante Kalendas und zugleich ipsis Ealendis (d. h. also vor und während des Monatsersten) zu erfüllen? Und doch ist dies der Fall, aber nicht nach dem etwaigen Von-echt eines un-

mirde za Lande erstlich vom Consul Acilius bei Thermopylae (191) ge- schlagen, dann in Asien von Sdpio bei Magnesia und bei Myonnesus zur See endlich (190) g&nzlich besiegt unter (Vorder-) Asien, das die Römer dem Antiochus abnahmen, sind hier die Landschaften Mysien, Lydien, beide Phrygien und Lykaonien zu verstehen. Earien und Lycien erÜelten die Rhodier für ihre treue Anh&nglichkeit.

Xn, 13, 29. S. Suet. Yitell. 14. intra Kalendas Octobris, d. h. bis zum 1. Octoher, und intra Ealendarum diem, am. 1. October. —r L. 133 tt. de y. S. L 1 § TT. de success. edict

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(164) XII. Buch, 13. Cap., §29.-14. Cap., § 1 6.

begi-Ondeten herkömmlichen Gebrauchs (also nicht in Folge eines Missbrauchs oder Missverständnisses), sondern es beruht dies auf richtiger Beobachtung einer vernünftigen (wohl- verstandenen) Regel, weil die ganze Zeit, welche den Tages- begri£f des Monatsersten umfasst, ganz richtig als in den Worten „intra Kalendas^ enthalten zu verstehen ist.

XII, 14, L. Welche Bedentnng nnd welchen Ursprung das Wörtchen

,,8altem** hat.

XII, 14. Cap. 1. Ich suchte mich zu unterrichten, welche ursprQngliche Bedeutung das Bedetheilchen „saltem*' habe, und was etwa wohl die Entstehungsursache dieses Ausdrucks sein könnte. 2. Denn offenbar ist dieses Wörtchen anfänglich so entstanden, dass es nicht, wie einige andere der Ergänzung bedürfende Redepartikeln, nur zufällig und ohne bestimmte Absicht scheint angenommen zu sein. 8. Da fand sich z. B. Einer, der behauptete, dass er in der Sammlung der gram- matischen Bemerkungen von P. Nigidius gelesen habe, „saltem" sei statt „si aliter" gesagt und dies sei wieder elliptisch (d. h. durch abermalige Auslassung) gesagt, denn der zu ergänzende Gedanke würde vollständig lauten müssen: si aliter non potest (d. h. wenn es denn durchaus nicht anders sein kann). 4. Doch ich habe die betreffende Stelle in den besagten Ab- handlungen des Nigidius nicht auffinden können, obgleich ich sie, nach meinem Dafürhalten, sicher nicht ohne Aufmerksam- keit gelesen. 5. Nun aber scheint zwar die Erklärung durch : „si aliter non potest" dem Sinn und der Bedeutung des frag- lichen Wörtchens (ganz gut) zu entsprechen; allein so viele Wörter bis auf so wenig Buchstaben verschnitten, und so zu- sammengepresst sein lassen, kann doch nur für die Erfindung einer ungeheuer spitzfindigen Grübelei gelten. 6. Ein Anderer wieder, der sich fortwährend mit Büchern und Literatur be- schäftigte, behauptete, „saltem^^ scheine ihm so zu verstehen zu sein, als ob aus der Mitte des Wortes ein „u" ausgestossen sei; ursprünglich nämlich und fiHher habe man, wo wir jetzt „saltem^' sagen, „salutem'' gesagt. Denn wenn etwas

Xn, 14, 6. S. Serv. ad Yergil. Aen. lY, 827; Donat ad Tereat Andr. DI, 2, 14; Adelph. II, 2, 41.

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XIL Buch, U. Cap., § 6. 7. 15. Cap., § 1. 2. (165)

Erbetenes ausgeschlagen wurde, dann pflegen wir, sagte er, zu guter Letzt gleichsam absichtlich noch um irgend etwas zu bitten, was dann nicht verweigert werden dürfe und wir sagen: „Dies wenigstens (saltem) müsse doch wohl geschehen oder zugestanden werden'', gleich als bäten wir zuletzt (nur noch) um eine (einzige, geringe) Vergünstigung, deren Auswirkung und Durchsetzung sicher recht und billig sei. 7. Nun ist zwar auch diese Erklärung ebenfalls sehr geistvoll ausgedacht, aber trotzdem scheint sie mir zu sehr ergrübelt zu sein. Nach meiner Ansicht bedarf es daher hier noch weiterer Nachforschung.

XII, 15, L. Du8 Sisenna in seinen Geschichtsbachern sich öfters der- gleichen Adrerbialendangen bediente, als da sind: „celatim'' (heimlicher Weise), j^yellicatim'' (mpf- nnd stfick-weise, brockenhaft), „saltoatim*^

(sprungweise).

Xn, 15. Cap. 1. Bei wiederholtem, eifrigem Lesen in den Annalen des Sisenna wurde ich auf die im Verlauf seiner Darstellung oft wiederkehrenden, derartig (auslautenden) Adverbien aufmerksam, wie z. B. „cursim" (eilends), „pro- peratim" (eilfertig), „celeratim" (eilig), „celatim" (insgeheim), „vellicatim" (rupfweise), „saltuatim" (sprungweise). 2. Weil die beiden ei-sten ziemlich bekannt und sehr gäng und gäbe sind, bedarf es davon weiter keiner besonderen Beispiele; aber von den übrigen finden sich im 6. Buche des (genannten) Geschichtswerkes folgende Beispiele vor: „Er vertheilte seine Leute so versteckt (maxime celatim), als nur möglich, im Hin- terhalt;'' desgleichen in einer andern Stelle: „Ich habe alle Ereignisse während eines Sommers in Asien und Griechenland deshalb im Zusammenhange schriftlich aufgezeichnet, um die Gedanken meiner Leser durch eine brockenweise oder sprung- weise (vellicatim aut saltuatim) Schilderung nicht zu ver- wirren."

xn, 15, 1. Gfr. Gen. n, 25, 9 und Tenffels rOm. Lit Gesch. § 153, 3.

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Xm. BUCH.

XIII, ly L. Sehr Borgfäldge Untersachang über die Stelle des M. Tnllius (Cicero) in seiner ersten (philippischen) Rede gegen den Antonius: mnlta antem impendere videntar praeter natnram etiam praeterqne fatnm ; ander- weitige Abhandlung , ob die beiden Worter: „fatum" nnd „natura" einen und denselben BegrilT angeben, oder jedes einen verschiedenen.

Xin, 1. Gap. 1. M. Cicero hat in seiner I. Bede gegen den Antonius (cap. 4 § 10) wie folgt geschrieben: „Um nun seinem Beispiele zu folgen, an den die Anwesenden sich nicht anschliessen mochten, hab ich mich beeilt, nicht um etwas auszurichten, denn das hoffte ich weder, noch konnte ich gar eine Gewähr dafür leisten, sondern (der Giimd meiner Eile war) dass, wenn mir etwas Menschliches begegnen sollte, es schien uns aber ausser dem gewöhnlichen Gange der Natur und ausser jedem andern möglichen Verhängniss auch noch Mancherlei zu bedrohen, ich doch wenigstens meine unum- wundene Meinung, an diesem Tage der Bepublik als Zeugen meiner unwandelbaren Ergebenheit für dieselbe hinterlassen möchte." Cicero sagt: praeter naturam praeterque fatum. 2. Ich glaube da (vor Allem) in Erwägung ziehen zu müssen, ob er durch diese beiden Wörter: fatum und natura nur einen Begriff hat bezeichnen wollen und also nur zwei Be- zeichnungen für einen angenommenen Gegenstand gesetzt hat (xa^' hbg vnoxeijjivov) , oder ob er sie beide dem Begriffe nach getrennt und geschieden hat wissen wollen, so dass einige Ereignisse der Lauf der Natur mit sich zu bringen scheint,

xm, 1, L. praeter natnram, nat&rlicher Tod und praeter &tain (zur Erweiterung des ersten Begriffes) ein unnatOrlicher Tod.

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XUL Buch, 1. Cap., § 2 6. (167)

andere hingegen ein (gewaltsames, unnatürliches) Verhängniss. Auch meine ich, dass besonders dieser Umstand der Erwägung und eifrigsten Nachforschung bedarf (um herauszubringen), auf welche Art Cicero hier gemeint hat, dass dem armen Sterblichen im Leben auch noch Mancherlei ausser dem Ver- hängniss (praeter fatum) widerfahren könne, wenn doch nun einmal das Wesen und der Gang des Verhängnisses und eine gewisse unüberwindliche Verkettung an das Verhängniss in der Art bestimmt angenommen wird, dass man sich Alles nur innerhalb des Begriffes „fatum", innerhalb der (eisernen) Schicksalsgewalt eingeschlossen denken muss, oder es wäre denn, dass Cicero etwa gar nur jenem bekannten Gedanken Homers (Iliad. 20, 335) folgte:

Dass nicht trotz dem Qeschick (vh^q fioTQav) in des Aides Haas Da

hinabsteigst

3. Es ist aber wohl ausser Zweifel, dass er damit einen ge- waltsamen und unerwarteten Tod bezeichnet wissen wollte, bei dem es allerdings mit Recht den Anschein haben konnte, dass er ausser dem Naturgesetz (praeter naturam) eintrat.

4. Allein weshalb er auch diese Todesart ausserhalb des Verhängnisses (extra fatum) angenommen hat, dies weiter zu ei-forschen ist hier weder Ort, noch Zeit, noch Aufgabe dieses Werkes. 5. Doch darf hier auch nicht unerwähnt bleiben, dass gerade auch Vergil dieselbe Ansicht wie Cicero über die Vorherbestimmung des Schicksals (de fato) gehabt habe, wenn er im IV. Buche (der Aeneide, Vers 696) sich so vernehmen lässt über Elissa (Dido), welche (wegen des Aeneas plötzlicher Abreise von Carthago) sich gewaltsam den Tod gab:

Nam qaia nee fato, merita nee morte peribat, d. h.

Weil weder durch das Geschick, noch schuldigen Todes sie hinstarb,

gleichsam als ob das gewaltsam herbeigeführte Lebensende nicht vom Verhängniss (e fato) herzukommen scheine. 6. Cicero scheint in Bezug auf die natürliche Vorherbestimmung die sinnverwandte Stelle des Demosthenes, eines Mannes, der sich nicht nur durch seine wissenschaftlichen Kenntnisse, son- dern auch durch seine Beredtsamkeit auszeichnete, im Auge gehabt zu haben. Denn in jener ausgezeichneten Rede „über

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(168) Xm. Buch, 1. Cap., § 6—8.-2. Cap., § 1—4.

die Ki-one** 296 oder § 105) steht so geschrieben: „Wer nur für seine Aeltem geboren zu sein glaubt, der wartet den ihm vom Schicksal bestimmten und natürlichen Tod ab ; wer aber auch für sein Vaterland da zu sein glaubt, der wird lieber sterben wollen, nur um es nicht in Sklaverei versetzt zu sehen. ** 7. Was Cicero unter fatum (Verhängniss) und natura (gewöhnlicher Lauf der Natur) offenbar hat bezeichnen wollen, das nannte schon lange vorher Demosthenes die Schicksalsbestimmung {z^v TieTtQo^ivtjv) und den natürlichen Tod (zov avtofjtaTov -^dvarov). 8. Denn unter der Bezeichnung airfofiaTog d^ävarog ist der natürlich (eintretende) vom Schick- sal bestimmte Tod zu verstehen, der von keinem äussern ge- waltsamen Einfluss herbeigeführt wird.

XIII, 2, L. Ueber eine zu Tarent gepflogene, frenndschaftliche Unter- redung zwischen den beiden Dichtern Pacnvine und Accins.

Xin, 2. Cap. 1. Wir verdanken den Schriftstellern, die aus Zeitvertreib und Liebhaberei das Thun und Treiben ge- scheidter, hervoiTagender Köpfe erforschten und der Erinnerung zu erhalten gesucht haben, die Aufzeichnung folgender Ge- schichte über die beiden tragischen Dichter M. Pacuvius und L. Accius. Sie erzählen uns Folgendes: 2. Als Pacuvius in schon hohem Alter und mit anhaltender, langer Kränklichkeit behaftet sich aus Rom (zurückgezogen hatte und) »ach Tarent übergesiedelt war, stattete der damals um gar Vieles noch jüngere Accius, als er auf seiner Reise nach Asien diese Stadt berührte, dem Pacuvius einen Besuch ab. Accius wurde freundUch aufgenommen, eingeladen, einige Tage bei ihm zu bleiben und las (bei dieser Gelegenheit ihm) auf Verlangen sein Trauerspiel „Atreus" vor. 3. Darauf soll Pacuvius sich dahin ausgesprochen haben, dass das verfasste Werk zwar schwungvoll klinge und edle, erhabene Gedanken enthalte, jedoch scheine ihm die Ausdrucksweise zu derb und hart 4. Ich finde Deine Bemerkung ganz zutreffend, sagte Accius.

XIII, 2, 1. Ueber Pacuvius s. GeU. I, 24, 4 NB. Ueber Accius s. GeU. II, 6, 23 NB.

Xin, 2, 2. Vergl. Teuffels röm. Lit. 104, 1 über M. Pacuvius und 129, 2 £ über L. Accius (Attius).

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Xni. Buch, 2. Cap^ § 4 5. 3. Cap., § 1 —4. (169)

Allein das macht mir wirklich keinen Kummer, denn ich hoffe, dass das, was ich künftig schreiben werde, besser ausfallen soll. 5. Denn, fuhr er fort, wie es sich mit den Früchten im Allgemeinen verhält, ebenso, sagt man, verhält es sich mit den geistigen Erzeugnissen; denn Früchte, die hei ihrem Entstehen hart und herbe sind, werden später um so schmack- hafter und süsser; die Früchte aber, die bei ihrem Entstehen gleich mürbe und weich und gleich im Anfange saftig sind, werden nicht nur sobald reif, sondern sie fangen auch sofort an zu faulen. Ebenso muss man es auch den geistigen Er- zeugnissen überlassen, dass sie Zeit und Stunde mild machen.

Xin, 8, L. Ob kei den beiden Wörtern: „neceBsitndo" und „neceesitas^ eine Verschiedenheit in der Bedeutung Torliegt.

Xin, 3. Cap. 1. Es ist mir die Versicherung einiger -Grammatiker wirklich höchst lächerlich und spasshaft erschie- nen, dass die Wörter: „necessitudo" und „necessitas*' (in der Bedeutung) sehr von einander abweichen und verschieden sein sollen; „necessitas" bedeute deshalb eine heftige, drängende Gewalt, durch „necessitudo" aber werde ein gewisses Recht und ein bindender Anspruch gewissenhaft heüiger Verpflichtung bezeichnet, und es habe das letztere (necessitas) ausschliesslich nur diese eine Bedeutung. 2. So wie aber nicht der geringste Unterschied stattfindet, man mag nun den Begriff „Lieblich- keit" durch suavitudo oder suavitas wiedergeben, „Heiligkeit" durch sanctitudo oder sanctitas, „Bitterkeit" durch acerbitudo oder acerbitas, oder „Herbigkeit" durch acritudo, oder, wie Accius in seinem Neoptolemus geschrieben, durch acritas, eben so kann kein (vernünftiger) Grund angeführt werden, dass necessitudo und necessitas sich (der Bedeutung nach) von einander unterscheiden. 3. Und so wird man gewöhnlich in den Schriften der Alten „necessitudo" für das gesagt finden, was nothwendig ist. 4. Nur selten allerdings findet man „ne- cessitas" in dem Sinne für rechtliche Verpflichtung zu ver- wandtschaftlicher Rücksicht, obgleich Freunde und Verwandte, die in Folge eines rechtlichen Anspnichs auf Verwandtschaft und Freundschaft mit dem Ausdruck: „necessarii" bezeichnet

Xni, 2, 5. Vergl. Senec ep. 36, 2.

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(170) Xin. Buch, 3. Cap^ § 5. 6. 4. Ci^., § 1.

werden. 5. Doch fand ich in der Rede des C. (Julias) Caesar, worin er zu Gunsten des plautinischen Gesetzvorschlages sprach, das Wort „necessitas" fQr „necessitudo" gesagt, das soll heissen in dem' Sinne einer verwandtschaftlichen Rechts- Verbindlichkeit. Die betreffende Stelle lautet: „Ich für meinen Theil glaube gemäss unseres Yerwandtschaftsbandes (pro nostra necessitate) keine Mühe, keine Anstrengung, keinen Eifer (gespart und) vernachlässigt zu haben.*" 6. Zur Auf- zeichnung der Bemerkung über die Gleichheit dieser beiden Wörter (bezüglich ihrer Bedeutung) fühlte ich mich deshalb veranlasst, weil ich zufällig an dieses Wort erinnert wurde, als ich das 4. Buch aus dem Geschichtswerke unseres alten Schriftstellers Sempronius Asellio las, worin überP. Afticanus, den Sohn des Paulus, also geschrieben steht: „L. Aemilius Paulus habe seinen Vater äussern hören, dass ein ausgezeich- neter Feldherr sich in ein förmliches Treffen nur dann ein- lassen dürfe, wenn es entweder die unbedingte höchste Noth- wendigkeit (summa necessitudo), oder die beste Gelegenheit es ihm gebiete."

Xin, 4, L. Abschimen (Copieen) von einem Briefe des Königs Alexander

[an seine Mntter Olympia nnd ron ihrer artigen und klugen Rückantwort

an ihren königlichen Sohn].

Xm, 4. Cap. 1. In verschiedenen geschichtlichen, über die Thaten Alexanders verfassten Urkunden und auch erst kürzlich noch in einer Schrift des M. VaiTO, welche die Ueber- schi-ift führt „Orestes oder über Raserei", las ich, dass des Königs Philipp Gemahlin ihrem Sohne Alexander eine höchst

xm, 3, 5. Vergl. Non. Marc de sign, verbor. unt d. W. necessitas. Der Yolkstriban M. Plautius Silvanus hatte eine lex durchgesetzt, vermöge welcher Ritter and Senatoren wieder gemeinsam das Richteramt verwalten BoUten. Zu dem Antrag des Plautius hielt Caesar die hier erwfthnte Be- fürwortungsrede, wenn sie nicht etwa eine und dieselbe ist mit der Yer- theidigUDgsrede Caesars „de reditu L. Cinnae, über die Rückkehr des Ladus Cinna (des Bruders von Caesars Frau) in die Heimath". Vergl. Doerg. Sueton. Caes. 5.

xm, 8, 6. Stammbaum der Comelii s. Gell. IV, 18 NB. Ueber des Aemilianus Vorsicht und Besonnenheit s. Dio C. Fr. Peir. 77 ; Zon. 9, 27; Val. Max. 7, 2, 2; Appian. Hiber. 87.

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Xin, Buch, 4. C^., § 2. 3. 5. Cap., § 1. 2. (171)

artige Rückantwort ertheilte. 2. Als dieser nämlich an seine Mutter einen Brief mit folgenden Worten gerichtet hatte: „König Alexander, Sohn des Juppiter Hammon, entbietet seiner Mutter Olympias (besten) Gruss", ertheilte ihm (seine Mutter) Olympias eine Antwort folgenden Inhalts; sie lautet: „Bei meiner Liebe zu Dir bitte ich Dich, mein (lieber) Sohn, höre auf mich zu verdächtigen und bei der Juno anzuklagen, sie wird mich sonst sicher ihren höchsten Zorn fühlen lassen, wenn Du nicht aufhörst in Deinen Briefen mich ungescheut und öffentlich für ihre Nebenbuhlerin zu erklären/ 3. Durch diese launige Wendung suchte die kluge, verständige Frau ihrem ttbermüthigen Sohne vermittelst eines feinen und geist- reichen Winkes zu verstehen zu geben, er solle seinen thö- richten (Grössen-) Wahnsinn bei Seite lassen, in Folge dessen sich jener durch seine ungeheuer wichtigen Siege, durch die Schmeicheleien seiner Höflinge und durch seine unglaublich glücklichen Erfolge berauscht und eingeredet hatte, ein Spross vom Zeus zu sein.

XIII, 5, L. Ueber die (drei) Weltweisen: Aristoteles, Theopfarastas und

Menedemus; femer über die ansgesncht zarte Znrückhaltang, welche

Aristoteles bei der Wahl (nnd bei dem Vorschlag) seines Nachfolgers im

Lehramte beobachtete.

Xin, 5. Cap. 1. Der Welt weise Aristoteles, beinahe schon 62 Jahre alt, durfte sich wegen körperlicher Kränklichkeit und wegen seines Siechthums nur noch schwache Hoffnung auf ein längeres Leben machen. 2. Deshalb nahte sich ihm zu dieser Zeit die ganze Schaar seiner Schüler und Anhänger, um ihn mit Bitten zu bestürmen, selbst einen Nachfolger für seinen Lehrstuhl und für sein Lehramt zu bestimmen, unter dessen Leitung sie nach seinem Hingange gerade wie unter ihm ihre wissenschaftliche und philosophische Bildung und

Xm, 4, 2. Wie eifersüchtig Dichter die Juno über die Ausschwei- fungen ihres Gemahls Juppiter schildern, ist hinlänglich bekannt Yergl. Prell er, Mytholog.

XIII, 5, L. elegans verecundia. Yergl Gell. II, 8, 9 elegans quaedam reprehensionis contemptio und QelL XI, 2.

XIII, 5, 1. Aristoteles, um der Verfolgung der Priester zu entgehen, flüchtete nach Ghalkis.

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(172) Xm. Bach, 5. Cap., § 3—12.

Eeiyitniss veryollständigen und vollenden könnten, in die sie von ihm eingeweiht worden wären. 3. Es fanden sich damals unter seinen Schttlem viele vortreffliche Geister, unter denen aber Theophrastus und Menedemus für die beiden hervor- ragendsten galten. Diese zeichneten sich durch Geist und Ge- 'lehrsamkeit vor denUebrigen besonders aus; der Eine (Theo- phrast) stammte von der Insel Lesbos, Menedemos aber von (der Insel) Bhodus. 4. Aristoteles antwortete, dass er ihren Willen erfüllen wolle, wenn es ihm die rechte Zeit scheinen würde. 5. Als sich nun kurze Zeit nachher Aristoteles (wieder einmal) mit eben Jenen zusammenbefand, die in ihn gedrungen waren, seinen Lehrstuhl doch selbst mit einem Nachfolger zu bestellen, sagte er, der Wein, welchen er hier tränke, sei nicht einer, seinem körperlichen Befinden zuträglicher, sondern ungesund und etwas herbe, und deshalb müsse er um (einen etwas milderen) einen ausländischen bitten, entweder um einen rhodischen oder einen lesbischen. 6. Er bat, ihm doch beide' Sorten herbeizuschaffen und sagte, er wolle sich desjenigen bedienen, der ihm (von beiden) mehr zusagen würde. 7. Man geht, die verlangten (beiden) Sorten zu besorgen, treibt sie auf und bringt sie (ihm). 8. Darauf bittet sich Aristoteles rhodischen aus, kostet ihn und sagt: Das ist wahrhaftig ein (starker) geistreicher Wein und dabei auch angenehm. 9. Gleich darauf lässt er sich nun auch von dem lesbischen reichen. Als er auch von diesem gekostet, sagte er: Beide sind ganz vortrefflich, allein der lesbische hat noch mehr Anmuth. 10. Nach dieser Aeusserung war es Keinem mehr zweifelhaft, dass er durch diesen Meinungsausspruch auf eine ebenso feine, als zarte Weise auf seinen Nachfolger und nicht auf den Wein gezielt habe. 11. Gemeint war damit aber Theophrast aus Lesbos, ein Mann von ausserordentlicher Lieblichkeit sowohl in der Beredtsamkeit, wie im Benehmen. 12. Als daher Aristoteles nicht lange darnach aus dem Erden- leben geschieden, wendeten sich alle (seine Schüler und An- hänger) diesem Theophrast zu.

Xm, 5, 8. üeber Theophrast 8. GeU. 1, 8, 21 NB und IV, 13, 2 NB. Menedemus, wahrscheinlich Eudemus.

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XIII. Buch, 6. Cap. § 1—4. 7. Cap., § 1. (173)

XIII, 6, L. Welches Ansdrncks sich die alten Lateiner fiir die Bezeich-

nnng des griechischen Wortes; „nQoatfi^^ai" (prosodiae) bedienten, und da«»

unter den Aelteren anch weder Römer, noch Attiker (Griechen) sich des

Aasdrncks „barbarismus'' bedienten.

Xni, 6. Cap. 1. Was die Griechen unter dem Ausdruck „TtQompdiai^ verstanden wissen wollten, das haben unsere alten Gelehrten theils durch „notae vocum (Betonungsmerk- male)" bezeichnet, theils durch „moderamenta (Längen- messungen)", theils durch „accenticulae (Silbenbetonung)", theils durch „voculationes (Aussprache)"; 2. was wir aber heutigen Tages mit dem Ausdruck bezeichnen, wenn wir von Jemanden behaupten, dass er ausländisch spreche (barbare loqui) und falsch betone, diese fehlerhafte Sprechweise nannte man nicht eine ausländische (vitium barbarum), sondern eine bäurische (rusticum), und wer so fehlerhaft sprach, von dem hiess es, dass er bäurisch (rustice) rede. 3. P. Nigidius in seinen „Bemerkungen über Grammatik" sagt: „Die Rede wird bäurisch (iiisticus fit sermo), wenn Du den H-laut falsch an- wendest." 4. Ob sich daher diejenigen, welche vor des er- habenen Augustus Zeiten rein und sprachrichtig sich aus- drückten, des jetzt im gewöhnlichen Leben gebräuchlichen Ausdrucks „bai'barismus" bedienten, habe ich noch nicht ausfindig machen können.

XIII, 7, L. Verschiedene Ansicht Homers in seiner Dichtung nnd des Herodot in seiner Geschichte über eine Eigenthümlichkeit bei Löwinnen.

XIII, 7. Cap. 1. Bei Herodot im 3. Buche seiner Ge-

XIDL 6, 1. Strabo XIII p. 897; Sext Empir. adv. Mathem. I, 5; cfr. 6eU. Xm, 25, 8.

XIII, 6, 2. Die klassische Sprache beschränkte sich meist nur auf Rom. Es behauptete sich aber auch noch das Umbrische, Oskische« Sammtische etc. als Dialect Der urbane Ton war Aasdrucksweise der gebildeten Kreise, die übrige Menge sprach ein bäurisches Latein, hatte dne b&urische Aussprache.

xm, 6, 8. GeUius sagt (II, 8, 1), die Alten h&tten gern nach atti- scher Art das h angebracht, z. B. haludnari, honera, hoedus, hircos, bortus, hordeum etc.

Xni, 6, 4. üeber barbarismus vergl. Cic Her. IV, 12, 17; Quinct I, 5, 5—10; Martial. YI, 17, 2; Fronto ep. ad M. Gaes. II, 1 ad fin.; Sidon. ep. V, 5; Charis. IV, p. 287; Gell. V, 20.

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(174) THL BMb, 7. Cim § 1-6.

sdncbte findet sich die schriftliche Bemeikimg, dass Löwinnen ihr ld>eUng nur einmal gebären nnd h& diesem einmaligen Werfen nie mehr als nnr ein Jonges zur Welt bringen. 2. Die Stelle ans dem betreffenden Bache (m [Thalia], cap. 108) bratet also: .Obgldch die Löwin ein starkes und höchst mathiges Thier ist, wirft sie anf einmal doch nur ein Junges in ihrem Leben ; denn wenn sie wirft, so geht auch die Gebäi- matter sammt dem Jungen mit ab.* (Die Ursache davon ist die: ,,wenn das Junge in der Mutter anfangt sich zu bewegen, so zerkratzt es ihre Gebärmutter, weil es Yon allen Thieren die schärfsten Klauen hat, und je mehr es wächst, zerreisst es sie immer mehr und mehr; endlich kommt die Geburt heran and da ist ganz und gar nichts Heiles mehr daran. *") 3. Homer aber behauptet» dass die Löwinnen öfters und mehrere Junge gebären und aufdehen. Er gebraucht den Begriff „Löwen*" im männlichen Geschlecht zur Bezeichnung auch der Weibchen. Dergleichen Wörter (gemeinschaftJichen, d. h.) männlichen, wie weiblichen Geschlechtes zugleich bezeichnen die Gram- matiker mit dem Ausdruck: inixoivov (gemeinschaftliches Ge- schlecht). 4. In folgenden Versen (Hom. Iliad. XVH, 133 u. s. w.) giebt er diese Meinung offenbar zu erkennen (wo es vom Ajax heisst):

Und er stand, wie ein Löwe Tor seinen Jimgen sich hinstellt, Welchem, indem er sie führt, ein HAofe Jäger begegnet;

5. Gerade so deutet er an einer andern Stelle (Hom. Iliad. XYHI, 318 u. s. w.) auf dieselbe Ansicht hin (wo es heisst: Achill. Qber den Patroclus):

Hänfig senkend, gleich dem starkgebarteten Löwen, Dem ein hirschverfolgender Jäger aas dichtem Gebüsche Seine Jungen geraabt hat.

6. Als uns diese Meinungsvei-schiedenheit des beiUhmtesten unter den Dichtem und des vornehmsten unter den Geschichts- schreibern etwas in Verwirrung setzte, mussten wir uns schon bequemen, die Bücher des Philosophen Aristoteles nachzusehen, worin er eine so h&chst ausführliche Beschreibung von den

Xm, 7, 1. S. Philostr. yit ApoUon. I, 22; Aristot bist anim. VI, 28. Herodot, der älteste griechische Geschichtsschreiber aas Hali- camassos m Eleinasien, lebte ohngefähr 450 v. Chr., theilte sein Werk in neun Bücher und benannte sie nach den Musen.

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XnL Buch, 7, Cap^ §6 11. 8. Cap., § 1. (175)

Thieren liefert Was ich über diesen Gegenstand in dem betreffenden Werke auffinden werde, soll mit des Aristoteles eigenen Worten (spftter) in dieser meiner Sammlung einen Platz finden. (7. Die betreffende Stelle des Aristoteles aus dem 6. Buche seiner Thiergeschichte [cap. 31 (28)] lautet: ,,Das8 der Löwe sich rückwäii» begattet und zu den rück- wärts harnenden Thieren gehört, wurde schon früher [bist animal. V, 1] gesagt; er begattet sich aber und wirft nicht zu jeder Zeit, wohl aber in Jedem Jahre. Er wirft übrigens im Frühlinge und zwar meistens zwei, höchstens jedoch sechs, zuweilen wirft er aber gar nur ein Junges. 8. Die ver- breitete Sage, dass er beim Gebären die Gebärmutter mit auswerfe, ist läppisch; sie entstand daher, dass die Löwen selten sind und der Erfinder der Sage die Ursache nicht wusste. Das Geschlecht der Löwen ist nämlich selten und nicht an vielen Orten zu finden, indem man es in Europa nur in dem Landstriche zwischen den Flüssen Acheloos und Nestos antrifft. 9. Die Jungen, welche die Löwin zur Welt bringt, sind äusserst klein, so dass sie nach zwei Monaten kaum gehen können. Die Löwinnen in Syrien werfen fünfmal und zwar zum erstenmale fünf Junge, dann aber immer eins weniger; endlich aber werfen sie keins mehr, sondeni bleiben unfruchtbar. 10. Die Löwin hat keine Mähne, wohl aber der männliche Löwe. 11. Von seinen Zähnen wechselt der Löwe nur die sogenannten vier Hundszähne, nämlich zwei oben und zwei unten ; er wechselt sie aber, wenn er ein Alter von sechs Monaten erreicht hat.)

XIII, S, L. Dass es ein Unger und sinnreicher Ansspnich des Dichters

Afranias war, die Weisheit eine Tochter der Erfahmng nnd des Ge»

dächtnisses zn nennen.

Xni, 8. Gap. 1. Einen ebenso ausgezeichneten, wie

Xm, 7, 7. Philostr. Leben des Apollon. v. Tyana 1,22: „Die Löwin geht sechs Monate trächtig und wirft dreimal Die Zahl der Jungen beim ersten V^orf ist drei, beim zweiten zwei; wird sie aber zum drittenmale trächtig, so wirft sie ein einziges Junges Ton grossem Schlage und von wilderer Art als gewöhnlich« Doch was Einige sagen, dass die Löwen bei der Geburt die Gebärmutter zerkratzen, darf man nicht für wahr halten.'' Bei M. Hertz bleiben die §§ 7— 11 aus.

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(176) Xm. Buch, 8. Cap., § 1—4.

wahren Gedanken (-blitz) hat der Dichter Afranius gehabt, als er über den Ursprung der Weisheit und über die Mittel, sich dieselbe anzueignen sprach und annahm, dass sie eine Tochter der Erfahrung und des Gedächtnisses sei. 2. Denn durch diese Erklärung will er zeigen, dass ein Mensch, der die Absicht hat, sich Weisheit und Weltkenntniss anzueignen, nicht hofifen soll, diese allein aus Büchern, oder aus rheto- rischen und dialectischen Wissenschaftszweigen zu schöpfen, sondern sich keine Mühe verdriessen lassen und selbst Hand anlegen müsse, um Alles in der Nähe kennen zu lernen, mit eigenen Augen zu untersuchen, und alle Ereignisse und Er- folge seinem Gedächtnisse fest einzuprägen; und demgemäss muss er Weisheit und Klugheit daraus lernen, was ihm selbst erlebte Erfahrungen an die Hand geben, nicht, was ihm nur Bücher oder Schulmeister vermittelst eitel leeren Wortschwalls und durch nichtige Gaukeleien, gleichwie in einem Possenspiel oder in einem Traumgesicht, vorgespiegelt haben. 3. Dieser Gedanke des Afranius findet sich in folgenden Versen aus seinem römischen Nationaldrama (in togata), der »Sessel (Sella)^ genannt, also ausgedrückt:

Erfahrung hat mich gezeugt, meine Matter war das Gedfichtniss, Sophia werd' bei den Griechen, bei euch ich genannt Sapientta.

4. Beinahe derselbe Gedanke ist auch in einem Verse des Pacuvius enthalten, ein Gedanke, der, wie die gute ehrliche

xm, 8, 1. Lucius Afranius, geb. wahrscheinlich um 130 v.Chr., so dass seine Blüthe 94 y. Chr. fällt, ist der eigentliche Schöpfer des röm. Nationallustspiels oder der comoedia togata. Seine Schilderung des Lebens und der Yolkssitten waren im YoUcstone gehalten. Von den Griechen (Menander) entlehnte er nur den äussern Bau und passte ihn geistvoll dem römischen Volksleben an. Anerkannt war sein reicher Witz, seine Ausgelassenheit und Lebendigkeit Es sind nur noch Bruchstacke von ihm da. Cfr. Hör. epist. 11, 1 v. 57; s. Beruh, röm. Lit 78, 352 und Teuffels Gesch. d. röm. Lit 131.

xm, 8, 3. S. Gell. X, 11, 8 NB.

XIII, 8, 4. „Zum Betrieb der Philosophie hatten die Römer wenig natürlichen Beruf. S. Gesch. der röm. Lit von W. S. Teuffei § 48, 8. Dazu die durchschnittliche Mittelmässigkeit der Griechen, welchen die Körner ihre Philosophie verdankten, weshalb Mommsen richtig bemerkt: „80 wurden denn die Römer in der Philosophie nichts als schlechter Lehrer schlechtere Schüler."

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Xm. Buch, 8. Cap^ § 4. 5. 9. Cap., § 1—4. (177)

Seele, mein Freund der Weltweise Maeedo meinte, (eigent- lich) an die Eingangsthüren aller Tempel geschrieben werden sollte :

Ich hasse Leute, die, faul zu Thaten, Weisheitssprüche stets

Im Munde f&hren.

5. Damit wollte mein Freund Maeedo zu verstehen geben, dass er nichts fbr unanständiger und unerträglicher halte, als wenn gewisse Faulenzer und Müssiggänger in langem Baite und mit dem (üblichen Philosophen-) Mantel angethan, sich unterfingen die nützlichen Voi*schriften der Weisheit zu (un- nützem) Zungengewäsch und Woi-tgekräusel zu verwenden und mit (scheinheiliger Miene und) geläufigstem Mundwerk über die Fehler Anderer herzuziehen, während ihr eignes Herz einem Schandpfuhl voll von Lastern gleicht.

XIII, 9, L. Ansicht des Tullias Tiro in seinen „gesammelten Bemerkungen** über die mit den Namen „suculae** und „hyades** bezeichneten Sterne.

Xin, 9. Cap. 1. Tullius Tiro war Pflegling und Frei- gelassener des M. Cicero und später sein Gehülfe bei dessen literarischen Arbeiten. 2. Dieser Tiro verfasste mehrere Schriften (enthaltend Untersuchungen) „über den syste- matischen Entwickelungsgang der lateinischen Sprache^, des- gleichen „über allerhand verschiedene und gemischte Fragen**. 3. Unter diesen Schriften aber zeichnet sich vor Allen gerade das Werk aus, welches die griechische Ueberschrift TtavdiyLzav trägt, d. h. allgemeines Sammelwerk (zum Nachschlagen), welches gewissermassen allerhand sachliche und wissenschaft- liche Bemerkungen enthält. 4. Daselbst befindet sich in Be- treff der Sterne, welche „suculae** genannt werden, folgende (interessante) Stelle; es heisst: „Die alten Römer hatten sehr wenig Kenntniss von den griechischen Buchstaben, waren so

XIII, 8, 4. S. Teuffels Gesch. d. röm. Lit 358, 3 über Maeedo.

XIII, 8, 5. lieber diese Sorte von Philosophen vergl. GeU. IX, 2, 4 und Cato's Worte XVni, 7, 3; desgl. Bernhard. R. L. 123, 570.

XIII, 9, L. Vergl. Bemh. r. L. 29, 114.

xm, 9, 2. üeber Tullius Tiro s. Gell. I, 7, 1 NB und Teuffels röm. Lit Gesch. 118, 1.

XIII, 9, 4. Hyades s. Plin. II, 39, 2 und XVÜI, 66; Cic de nat. deor. II, 43.

Gellins. Attische Nächte. II. ^.1^^^^ by GoOglc

(178) Xni. Buch, 9. Cap., §4—6.

unwissend in der griechischen Sprache, dass von ihnen (aus Unkenntniss über den Ui-sprung des Wortes Hyaden, vadeg) diese Sterne, welche am Kopfe des Stieres sich befinden, des- halb „suculae" genannt wurden, weil sie bei den Griechen vddeg Wessen , als ob der lateinische Ausdmck eine (entsprechende) Uebertragung (und Nachbildung) des giiechischen sei, weil das griechische Wort leg (Schweine) auf lateinisch „sues" be- deutet. Allein der Ausdinick „vadeg'^ kommt doch eigentlich nicht von dem griechischen Worte: veg {ano xüv vwv) her, wie dies die Ansicht einiger Unwissender (opici) zu sein scheint, sondern von dem bekannten Zeitwort „tJctv", was „regnen" heisst, weil zur Zeit, wo diese Sterne auf- und untergehen, sie (in Griechenland) gewöhnlich reichliche Stürme und Regen- güsse herbeiführen." 5, So also Tiro in seinem Sammelwerk. Allein unsere Alten waren doch- nicht so ganz grosse, un- gebildete Klötze (nipTces), dass sie, weil leg auf lateinisch „sues" heissen, deshalb das Sternbild der Hyaden „suculae" nannten, sondern gerade so wie wir aus der griechischen Par- tikel vTtiq „super" gemacht, aus vrixiog (übergebeugt) unser „supinus" gebildet, aus icpo^ßog (Sauhirt, von: iSgund g)iQßeiv i. e. Schweine hüten) unser „subulcus"; desgleichen wie man z. B. aus dem griechischen vTtvog erst „sypnus (supnus)" bildete, hernach aber durch die Verwandtschaft des giiechischen y {v) mit dem lateinischen „o" somnus (oder sumnus) sagte, ganz ebenso wurde das griechische Wort hyades erst in syades, später aber (suades und durch die Aussprache) in „suculae" verwandelt. 6. Die (besagten) Sterne befinden sich aber, wie Tiro sagt, nicht am Kopfe des Stieres, denn ohne diese Sterne würden wir gar keinen Stierkopf zu sehen vermeinen, sondern sie sind im sogenannten Thierkreis so gestellt und gelegen, dass erst aus ihrer Aufstellung (für unsere Augen) die schein- bare Form und Bildung eines Stierkopfes sich gestaltet (und hervortritt); gleichwie (ausser dem Kopf) auch alle übrigen Theile, d. h. der noch übrige zur Veranschaulichung und Vollendung des Stierbildes nöthige ümriss hingezeichnet und

Xm, 9, 4 vergL XI, 16, 7 opicus.

XIII, 9, 5. va^eSf also HegeD^estim.

XIII, 9, 5. vTivog = sypnus = somnus. u «= u = französ. ü.

Xni, 9, 6. m.Hai5eg (vergiliae) vergl. Gell. III, 10, 2 NB.

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Xm. Buch, 9. Cap., § 6. 10. Cap., § 1—4. (179)

gleichsam abgebildet erscheint durch die Vertheilung (Lage) und Aufstellung (aller) der Sterne, welche von den Griechen „TTi^mtJcg", von uns. (Römern) vergiliae (Büschelgestim) ge- nannt werden.

XIII, 10^ L. Was nach dem Aussprach des Labeo Antistias die Grund-

bedeatang und Abstammung (hvfAOv) des Wortes „soror^ und nach P.

Kigidius die des Wortes „Arater'' sein soll.

Xin, 10. Cap, 1. Labeo Antistius, der zwar mit haupt- sächlicher Vorliebe die Kenntniss des bürgerlichen Rechtes zu seiner Aufgabe gemacht und Allen ohne Unterschied, die ihn darüber zu Rathe zogen, (gern und bereitwillig) Bescheid er- theilte, war zugleich aber auch in andern Zweigen der Kunst und Wissenschaft sehr zu Hause, und so hatte er den gründ- lichsten Fleiss verwendet auf Grammatik, Dialectik und alte Literatur, verstand sich daher auch genau auf den Ui*sprung und die Bedeutung lateinischer Ausdrücke und bediente sich dieser (letzteren) Kenntniss hauptsächlich (als Hülfsmittel) zur Entwirrung vei*schiedener , verwickelter Rechtsfälle. 2. Nach seinem Tode ist sogar ein Werk unter der üeberschrift „Nachgelassenes (posteriores)" herausgekommen, wovon die drei fortlaufenden Bücher, das 38., 39. und 40., voll von der- artigen Fällen sind, die nicht wenig zur deutlichen Erklärung und Auslegung der lateinischen Sprache (und ihres Ent- wicklungsganges) beitragen. 3. Ausserdem findet man in den Büchern, wo er in Bezug auf die Praetoren-Verordnung ausführliche Bemerkungen niedergeschrieben hat, theil weise viele interessante und geistreiche Beobachtungen angegeben, wie im 4. Buche die Bemerkung, die wir zum Anschluss an die (Praetoren-) Verordnung aufgezeichnet lesen können, wo es heisst: „Soror (Schwester)" wurde die genannt, welche gleichsam „seorsum" (abgesondert) aufwächst, die sich (ferner später) von dem Hause trennen muss, wo sie geboren ist und (bei ihrer etwaigen Verheirathung) in eine andere Familie übersiedelt." 4. Der bedeutende Gelehrte P. Nigidius giebt

xm, 10, L. lieber Antistius s. GelL I, 12, 1 NB. Ueber P. Nigidiua Figulus 8. Gell. IV, 9, l NB.

xm, 10, 3. Heber Praetoren-Edicte s. GelL X, 15, 81 NB.

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(180) Xin. Buch, 10. Cap., §4.-11. Cap., § 1 3.

Über die Grundbedeutung und Abstammung des Wortes „frater (Bmder)" eine nicht weniger feine und scharfsinnige Aus- legung; er sagt: „frater wird Einer deshalb genannt, weil er gleichsam als: fere alter, d. h. fast das andere Selbst ist."

Xlil, 11, L. Welche Anzahl vop (Tisch-) Gästen M. Varro für die hin*

längliche und schickliche hält; dann (Bemerkungen) über den Nachtisch

und über (die guten Bissen beim Nachtisch, d. h.) das Naschwerk.

XIII, 11. Cap. 1. Es kann nicht leicht etwas Ergötz- licheres geben, als die Monographie des M. Varro aus seinen menippischen vermischten Gedichten (Satiren), welche die (besondere) Ueberschrift führt: „nescis quid vesper serus vehat, d. h. man kann nicht wissen, was die spätere Stunde mit sich führt", worin er sich weitläufig über die schickliche Anzahl von Gästen ergeht und über die gehörige Anordnung (das richtige Arrangement) bei einem Gastmahle. 2. Er sagt aber, die (niedrigste) Anzahl (der Gäste) müsse von der An- zahl der Grazien beginnen und sich (höchstens) nur bis zur Anzahl der Musen versteigen, d. h. sie müsse bei Drei be- ginnen und es bei Neun bewenden lassen, oder, dass, wenn man die geringste Anzahl der Gäste ins Auge fasst, sie sich auf nicht weniger als drei beschränkt und wenn man die grösste Anzahl zulässt, sie nicht die Zahl von neun übersteigt. 3. „Denn mehr Gäste (einzuladen), fährt er selbst fort, scheint deshalb weniger geeignet, weil eine grössere Anzahl meist überlaut lärmt; und zu Rom steht .man (bei den Mahlzeiten),

XIII, 10, 4. Ehe die Einsicht in den Sprachorganismus den Em- pirikern das Handwerk legte, verlief sich das Etymologisiren bei den Sprachgelehrten jener Zeit oft geradezu bis ins Alberne. So erklärte bei Gell. VII (VI), 12, 5. 6 der philologische Jurist Gajus Trebatius: sacellum von Sacra cella. So leitete Varro facere von facies ab, weil, wer etwas macht, der Sache ein Ansehen giebt. Gell. XIU, 80 (29), 2. Femer : volpes, den Fuchs, nach Stilo von volare pedibus, als den Fliegc- fuss. Varro de 1. 1. IV, 20, extr.; Quint. I, 6, 33; vergl. Agrippus bei Gell. XVI, 16, 1.

XIII, 11, 1. Saturae Menippeae, so genannt nach dem Cyniker Me- nippus, dessen Schriften sich dabei Varro zum Vorbilde nahm. Vergl. Gell. I, 22, 4 und II, 18, 7 NB. Liv. 45, 8, 6: incertum est, quid vesper ferat. Vergl. Macrob. Sat. I, 7; Plutarch Tischgespr. V, 5.

xm, 11, 2. S. Spartian. Verus. cap. 5.

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Xm. Buch, 11. Cap., §3—7. (181)

ZU Athen sitzt man, nirgends aber liegt man (bei Tische). Ferner das Gastmahl selbst", heisst es weiter, „muss aus vier Sachen bestehen, denn dann erst wird es in allen Stücken ein vollkommenes sein, wenn (nur) liebe Leutchen versammelt sind, ferner Bedacht genommen ist auf einen passenden Platz, auf eine gut gewählte Zeit und auf ein ausgewähltes Mahh Ferner soll man sich, sagt er, weder schwatzhafte, noch stumme Gäste einladen, weil sich ein Breitmacher mit seiner Beredt- heit wohl für öffentliche, wie für Privat Verhandlungen eigne, ein fortwährendes Stillschweigen sich aber nicht mit der Tafel- freude vertrage, sondern mehr in die Schlafkammer gehöre." 4. Die Reden also, die man während der Tafelzeit führen soll, müssen seiner Meinung nach nicht verdriessliche oder ver- wickelte Beziehungen berühren, sondern angenehm und an- lockend sein und unter Scherz und Munterkeit nur Nützlich- keitsrücksichten anstreben, so dass dadurch nur eine höhere Verfeinerung unseres Geschmacks und grössere Erheiterung unseres Geistes erzielt wird. 5. „Dieses Ziel aber", versichert er, „kann wahrlich nur dann erreicht werden, wenn man sich über solche Dinge unterhält, die auf den (ganz) gewöhnlichen Lebensverkehr Bezug haben, woran zu denken oder mit denen sich zu beschäftigen man sonst vor Gericht, oder im Drange der Geschäfte keine Zeit übrig behält. Der Wirth des Gast- mahls aber muss nicht sowohl üppige Pracht und Aufwand zu entfalten, als vielmehr den Vorwurf schmutzigen Geizes zu vermeiden suchen, und sollen bei dem (Freundes-) Mahle nicht alle Arten von Vorträgen gestattet sein, sondern vor- züglich nur solche, die nützlich und ergötzlich sind (und es brauchen die Speisen selbst nicht gerade ausgesucht zu sein, sondern vor allem gesund und schmackhaft)." 6. Nicht minder giebt er im Voraus (uns) auch Anweisung, wie der Nachtisch beschaffen sein soll. Denn er drückt sich folgender- massen aus und sagt wörtlich : „Gerade der Nachtisch (bella- ria) ist der würzhafte, der nicht zu sehr mit Honig gewürzt ist; denn Süssigkeiten vertragen sich eben nicht besonders mit (dem Magensaft und) der Verdauung {niixixaaiv enim cum TtexpEL societas infida)." 7. Damit aber nicht etwa Einer in Ungewissheit bleibt und über das Wort „bellaria*' (Nachtisch) stutzt, dessen Varro sich in der angeführten Stella bedient

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(182) Xm. Buch, 11. Cap., § 7. 12. Cap., § 1—4.

hat, SO versteht er unter dem Ausdiiick alle Arten guter Bissen beim Dessert. Denn was die Griechen Ttifificcra oder TQayT^fiara nannten, das bezeichneten unsere Alten durch bellaria (Naschwerk, Leckereien, Knapperwerk, Confect). In älteren Lustspielen findet man diesen Ausdruck auch für sehr süsse Weine gebraucht und es wurden solche „Liberi bellaria* Ausbruch (-Weine) des Bacchus genannt.

XIII, 12, L. Dass den Volkszunftmeistern zwar das Recht der Verhaftung zustehe, aber nicht das der Vorladung.

Xni, 12. Cap, 1. Wir lasen in einem Briefe des Atejus Capito, dass Labeo Antistius eine tiefe Kenntniss sowohl der Gesetze und Sitten des römischen Volkes, wie des bürgerlichen Rechtes besessen habe; 2. „allein", heisst es wörtlich weiter, „den Mann plagte eine übertriebene, ja fast wahnsinnige Frei- heitsliebe, so dass er, als der erhabene Augustus bereits Ge- bieter war und das Staatsruder in der Hand hatte, auf gar nichts weiter einen Werth legte und nichts für gültig hielt, als was in seinen Augen nach den alten römischen Gesetzen und Rechtsquellen für recht und heilig galt." 3. Weiterhin erzählt Capito, was dei-selbe Labeo durch den Staatsboten antworten liess, als er (einst) von den Zunftmeistern vor- geladen wurde. 4. Der Bericht lautet: „Als die Volkszunft- meister von einer Frau zu Ungunsten des Labeo angehalten worden waren, (ihn vor ihren Richterstuhl rufen zu lassen) und sie deshalb den (Gerichtsboten) Gellianus an ihn ab- geschickt hatten (mit der Aufforderung), dass er erscheinen und sich gegen die Anklage der Frau vertheidigen möchte, schickte er den Sendboten zurück und liess den Tribunen sagen (und erklären), dass ihnen das Recht nicht zustehe, weder ihn noch irgend einen Andern vorzuladen, weil nach der Sitte der Vorfahren den Volkszunftmeistern zwar das Recht des Ergreifens (und der Verhaftung) zustehe, nicht aber das Recht der Vorladung; sie könnten nun zwar selbst

Xm, U, 7. Aasonius sagt:

Quinque advocavi: Sex enim convivium Cam rege justam : si super, convidum est. Oonvicium soviel als convodom, ein verworrenes Geschrd vieler G&ste. S. Macrob. Sat n, 8 bellaria etc.

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Xm. Buch, 12. Cap., § 4-6. (183)

kommen und. ihn ergreifen (und verhaften) lassen , aber nach einem Abwesenden schicken, ihn (durch Andere) bestellen und vorladen zu lassen, hätten sie durchaus kein Recht.*'

5. Als ich diese Bemerkung in dem Briefe des Capito bereits gelesen hatte, fand ich später ganz dasselbe in dem 21. Buche des M. Varro »von den Gebräuchen (der Vorzeit) in mensch- lichen Dingen" viel deutlicher und ausführlicher aufgezeichnet.

6. Da heisst es: „Von den Staatsbeamten haben Einige das Recht der Vorladung, Andere das der Verhaftung, Andere wieder keins von beiden; zur Vorladung sind berechtigt die Consuln und die Uebrigen, welche die Obergewalt haben; das Verhaftungsrecht steht den Volkszunftmeistern zu und allen Andern, welche einen Staats- (Gerichts-) Boten haben; allein unter den Obrigkeiten, welche weder das Vorladungs- recht, noch das Verhaftungsrecht haben, befinden sich die Quaestoren und alle Uebrigen, die weder einen Lictor (Criminalboten), noch einen Gerichtsboten (zu beanspruchen) haben. Die, welche das Vorladungsrecht haben, können auch verhaften, festhalten und abführen lassen, und alle diese Rechte stehen ihnen frei, mögen die Vorzuladenden schon zugegen sein, oder müsste man sie auch erst holen lassen. Den .Volkszunftmeistem steht durchaus kein Vorladungsrecht zu; nichts desto weniger haben Viele, in ihrer (frechen) Un- wissenheit, in der Meinung, als seien sie dazu berechtigt, von diesem Rechte Gebrauch gemacht ; denn sie haben sich unter- fangen, nicht nur die Leute aus dem Privatstande, sondern auch den Consul auf's Forum laden zu lassen. Als ich (einst) einer der Dreimänner war und von dem Volkszunftmeister Porcius vorgeladen wurde, ging ich nicht, indem ich mich (bei dieser Weigerung zu erscheinen) auf die Ansicht unserer obersten und ersten Gewährsmänner stützte und mich (über- haupt nur) an den alten Rechtsgebrauch hielt. So erlaubte

Xin, 12, 6. Aach die quaestores urbani hatten ihr eigenes Dienst- personal von Boten, Ausrufern und Schreibern. V\renn Yarro hier sagt, die Quaestoren hätten weder lictores noch viatores, so ist das so gemeint, dass sie dieselben nicht zur vocatio und prehensio gebrauchen durften. Inschr. Orelli 8245 kommt ein tabularius viatorum quaest vor.

Xin, 12, 6. Die höchsten EhrensteUen (tergemini honores) sind: Aedilität, Praetor und Consulat; die drei grossen Priester-OoUegien dagegen: Pontifices, Augures und Decemviri sacris ÜEU^iundis.

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(184) Xm. Buch, 12. Cap., §6—9.

auch ich, wie ich Volkszunftmeister war, mir nie, Jemanden vorladen zu lassen, noch, wenn Einer von meinem Amts- coUe^en vorgeladen worden war, dass der Vorgeladene gegen seinen Willen Folge zu leisten brauchte/ 7. Ich bin der Ansicht, dass Labeo sicli im in-igen Glauben befand, sich auf das vom Varro tiberlieferte Gesetz zu benifen und, obgleich er kein (Ehren-) Amt bekleidete (cum privatus esset), der Vorladung der (Volks-) Zunftmeister nicht Folge geleistet zu haben. 8. Denn wie zum Henker war wohl (der Grundsatz) zu rechtfertigen, der Vorladung Derer nicht gehorchen zu wollen, denen man doch offen zugesteht, das Recht der Ver- haftung zu haben? Denn wer gesetzlich verhaftet werden kann, der kann sicher (doch wohl) auch ins Gefängniss ab- geführt werden (denn was sollte eine Verhaftung sonst wohl zum Zweck haben, als eben Gefängnissstrafe?). 9. Wenn wir uns nun fragen, weshalb die Zunftmeister, da sie doch die höchste (executive) Gewalt des Einspruchs hatten, nicht auch das Recht der Vorladung gehabt haben sollten, [. . . so müssen wir uns ganz einfach antworten, dass dies daher kam, .. . .] weil die Volkszunftmeister vor alten Zeiten nur zu dem Zwecke scheinen gewählt worden zu sein, nicht um Recht zu sprechen, auch nicht um Rechtsfalle und Streitfragen i selbst) über Abwesende zu untersuchen, sondern um Einsprache zu erheben, damit in Gegenwart des Einen oder Andern (von ihnen) Unrecht verhütet werden sollte: und deshalb wurde ihnen auch das Recht auswärts zu übernachten entzogen, weil ihre Gegenwart und ihr beständig (wachsames) Auge nöthig erachtet wurde, damit die Ausübung von Gewaltthätigkeiten verhütet werden sollte. (Vergl. Gell. III, 2, 11.)

XIII, 12, 9. üeber die verfassungsmässige SteUung der Tribunen finden sich bei alten Schriftstellern scheinbar widersprechende Aeosserungen. Hier z. B. wird gesagt, sie hätten keinen Theil an der Rechtspflege. Da- gegen werden sie in unzweideutigen andern Stellen mitten unter den richterlichen Obrigkeiten aufgezählt und selbst als Recht sprechend er- wähnt. Auct. ad Herennium II, 13; L. 2 § 34 de orig. jur. (1. 2.). Es wird besonders bemerkt, dass sie stets in der Lage seien, in den Oivil- process eingreifen zu können, und dass es deshalb nicht für schicklich erachtet werden könne, wenn sie während ihrer Amtsführung für Andere als Sachwalter auftreten wollten. Plin. ep. I, 23. Siehe Savigny röm. Rt Bd. 6, p. 491.

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Xin. Buch, 13. Cap., § 1. (185)

XIII, 13, L. Schriftliche AeiuseniDg, die sich in des M. Varro Büchern „von den Gebräuchen (der Vorzeit) in menschlichen Dingen" findet, über die Frage, ob Aedilen (Stadtaufseher) und> Qnaestoren (Schatzmeister) des römischen Volkes von einem Privatmanne vor den Gerichtshof des Praetors geladen werden können.

Xni, 13. Cap. 1. Ich erinnere mich, dass, als ich aus der Einsamkeit und dem Zwange der Bücher und Lehrer mitten ins practische Leben und ans Licht der Oeffentlichkeit getreten war, (einst) an vielen Versammlungsorten (sta- tiones) der öffentlichen Rechtslehrer und Rechtsausleger die Frage aufgestellt wurde, ob ein Quaestor (Schatzmeister) des römischen Volkes wohl vom Praetor vor Gericht könne ge-

Xm, 18, L. Die höheren Beamteten des römischen Volkes, Consuln, Praetoren und Censoren, durften während ihrer Amtsführung nicht vor Gericht geladen werden. Die höheren Beamteten (magistratus minores) hatten das Recht Auspicien zu halten und durch vorgegebene Erscheinungen am Himmel die Comitieu zu hintertreiben 'und au&uheben. Die niederen Beamteten (magistratus minores), die Yolkstribunen, Aedilen und Qnaestoren, durften ()ie Auspicien nicht beobachten und konnten daher auch die Comitien nicht unterbrechen, ausgenommen die Tribunen durch ihren Einspruch (durch ihr Veto).

XIII, 13, 1. S. Teuffels röm. L. G. 356, 1 Stationes (öffentliche Locale) gab es in Rom mehrere, wo tüchtige Juristen zu finden waren, welche Unterricht ertheilten und Rechtsfragen beantworteten. Colum. r. r. I praef. 5 sind Rhetorenschulen erwähnt. Vergl. Hertz: Renaissance und Rococo p. 35. Berlin 1865.

Xin, 13, 1. Nach Vertreibung der Könige (244 d. St.j wurden zwei oberste Magistrate unter Abwechslung der Amtsführung zur gegenseitigen Einschränkung ihrer gleichen Gewalt gewählt, welche in älteren Zeiten praetores (von Anfhhrung des Heeres, praeire s. Festus), hernach impera- tores (s. Sallust. Catil. 6, 7) hiessen, und erst seit Abdankung der Decem- rim (305) kam der Name Consules auf (entweder weil sie dem Staate heilsame Rathschläge ertheilten: consulere reipublicae, oder weil sie den Senat zu Rathe zogen, consulere senatum). Als (387) die Patrider sich zur Theilnahme der Pleb^er am Consulate genöthigt sahen, wurde von den seit Aufhebung der Königsgewalt auf die neuen Machtinhaber über- gegangenen drei Functionen, dem praesidium im Senat (consulere), der Anführung des Heeres (praeire) und der Aufsicht über die Rechtspflege ( jndices), diese letztere, d. h. die des Richteramts, getrennt und als eigene Magistratur nur den Patriciern vorbehalten, weshalb man sie nicht judices nannte, sondern zur Bezeichnung der altpalricischen Würde den für die* Consnln von Alters her bis zur Vollendung des Zwölf- Tafelgesetzes ge- bräuchlichen Namen: Praetores wählte. S. Liv. 6, 42. Zufrieden mit

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(186) Xm, Buch, 18. Cap., § 2—6.

laden werden. 2. Diese aufgestellte Frage sollte aber nicht etwa aus Mangel an wichtigeren Gegenständen besprochen werden, sondern es war gerade der Fall eingetreten, und die Nothwendigkeit der Umstände erheischte es so, dass man einen Quaestor vor Gericht laden musste. 3. Sehr Viele waren nun der Ansicht, dem Praetor stehe das Recht der Vorladung hinsichtlich eines Quaestors nicht zu, da der Letz- tere ja zweifelsohne eine obrigkeitliche Person des römischen Volkes sei, die als solche weder vorgeladen, noch, wenn ihr nicht zu erscheinen beliebte, ergriflfen und verhaftet werden könne, unbeschadet der Hochachtung vor seinem Ehrenamte. 4. Ich las damals gerade sehr häufig in den Schriften des M. VaiTO, und als ich nun merkte, dass man bei Entscheidimg dieser Frage noch schwankte, verwies ich auf das 21. Buch „von den Gebräuchen in menschlichen Dingen", worin folgende Stelle vorkommt: „Diejenigen Staatsdiener, denen insbesondere weder das Recht der Vorladung, noch der Verhaftung zusteht, diese dürfen auch von einem (einfachen) Privatmann vor Ge- richt gefordert werden. So wurde (einst) der curulische Aedil M. Laevinus von einem Privatmanne vor den Richterstuhl des Praetors gefordert; jetzt aber möchte ich Niemandem rathen, einen der Aedilen verhaften zu lassen, die nicht allein von Staatssklaven umringt sind, sondern sogar durch diese auch noch das (im Wege stehende) Volk bei Seite schaffen lassen (als wenn die hohe Standesperson eines Staatsbeamteten ankäme)." 5. Diese Bemerkung macht Varro in seinem Werke bei dem Abschnitt über die Aedilen; in demselben Buche bemerkt er aber auch vorher noch, dass die Quaestoren weder das Recht der Vorladung, noch der Verhaftung haben. 6. Nach Vortrag dieser beiden Stellen aus dem (berühmten) Werke pflichteten alle dem Gutachten des Varro bei, und so wurde denn der Quaestor auch wirklich vor den Richterstuhl des Praetors geladen.

dem erhaltenen Sieg, bewiUigten die Plebejer gern, dass den Patriciem das Praetoramt in den conutiis centuriatis und unter gleichen Formalitäten, wie bei den Consulwahlen, zugeeignet wurde. Daher wird der Praetor oft der CoUege des Consuls genannt (s. GeU. XIII, 15, 6) und verrichtete während ihrer Abwesenheit, z. B. bei EriegftÜirung, auch alle ihre Amts- geschäfte.

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Xm. Buch, 14. Cap., § 1—4. (187)

XIII, 14, L. Was man nnter dem Ausdruck i^pomoerinm (pone i. e. post murium, d. h. hinter dem Maneranger)*' yerstehe.

XIII, 14. Cap. 1. Den Begriff des Wortes „pomoerium" erklärten die Auguren des römischen Volkes, welche über die Auspicien Bücher geschrieben, folgendennassen: pomoerium bedeutet den (freigelassenen, geweihten) Raum, der innerhalb des (durch die Auguren) bestimmten Ackergebietes längs des Umkreises der ganzen Stadt hin ausserhalb der Mauern, (durch Marksteine) in bestimmten Bezirkslinien abgegrenzt ist und (zugleich) die Abgrenzung der städtischen Auspicien bildet. 2. Das (erste und) älteste „pomoerium", welches vom Romulus bestimmt worden war, hatte am Fusse des pala- tinischen Berges seine Abmarkung, wurde jedoch nach Ver- hältniss der Vergrösserung des Staates (d. h. der Stadt) öftere weiter hinaus gerückt und umfasste (dann) die vielen empor- ragenden Hüge). 3. Wer aber das römische Volk um ein von Feinden erobertes Landesgebiet bereicherte, hatte das Recht, das pomoerium weiter hinaus zu verlegen. 4. Des- wegen hat man die Frage aufgeworfen, und beschäftigt sich auch heute noch mit deren Erörtening, warum von den Sieben Hügeln der Stadt, da doch die übrigen sechs innerhalb von dem pomoerium, d. h. innerhalb dieses geweihten, freigelasse- nen Raumes sich befinden, nur der aventinische Berg, welcher Stadttheil doch eben so nahe liegt und nicht weniger be- völkert ist, ausserhalb (dieses geweihten Bezirkes) vor dem pomoerium liegt*, und weswegen später weder der König Servius Tullius, noch Sulla, der (eifrig) nach einem Vor wand suchte, das pomoerium zu erweitem, und endlich später nicht einmal der erhabene Julius (Caesar), obgleich er das pomoe-

Xni, 14, 1. Libri augnram s. Teuffels röm. Lit Gesch. § 75, 1.

Xin, 14, 1. S. Festus S. 249, ^; Varro 1. 1. V, 148 pomoerium; Liv. I, 44, 4. 5; Serv. ad Verg. Aen. I, 466; II, 692; HI, 468; VI, 197; cfr. Liv. 10, 37.

xm, 14, 2. S. Tac. Annal. 12, 24, 4; Yopisc. Aurelian. 21.

XTTT, 14, 4. Erweitenmg der Stadtgrenzen dnrch Ancos Marciiis s. Liv. 1, 44, 8; Tac. Annal. 12, 28, 4. Auch Caesar beabsichtigte als Mehrer des Reichs gleich SuUa das pomoerium zu erweitem. S. Cassius Dio 48, 50; 44, 49; Zon. 10, 12; cfr. Tac Annal. 12, 28.

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(188) Xffl. Buch, 14. Cxp^ % 4—7. 15. Cap., § 1.

riam erweiterte, dieses Stadtviertel sammt dem Berge nicht in die durch die Auguren bestimmten, geweihten Grenzen einschlössen. 5. Messala schreibt, es möchten wohl ver- schiedene Gründe wegen der Ausschliessung (dieses Berges) obgewaltet haben, allein vor allen übrigen erkennt er selbst (nach seiner Meinung) den einzigen als annehmbar, (diese Ausschliessung möchte wohl deshalb beliebt worden sein, weil die Sage ging) dass auf diesem (aventinischen) Bei^e (einst) Remus wegen Erbauung der Stadt seine Auspicien angestellt, dabei aber schlimme Vögel zur Vorbedeutung gehabt habe, also von (seinem Bruder) Romulus, der bei seinen Auspicien glückbringende Vögel gesehen hatte, übertroflfen worden sei. 6. „Deshalb schlössen", so fährt Messala wörtlich fort, „auch Alle, die später das pomoerium erweiterten, diesen Berg, gleichsam als einen durch unheilvolle Vögel Unglück ver- heissenden, (immer wieder) aus." 7. Allein ich glaube hier eine Bemerkung in Betreff des aventinischen Berges nicht (mit Stillschweigen) übergehen zu dürfen, die ich vor nicht langer Zeit in der Denkschrift des alten Grammatikers*) E 1 y s vorfand, worin geschrieben stand : dass der aventinische Berg, der früher, wie von mir bemerkt wurde, stets ausser- halb von dem pomoerium ausgeschlossen war, später auf Ver- anlassung des erhabenen Claudius aufgenommen und innerhalb dieses Maueranger-Bezirks eingehütet (observatum) worden sei.

XIII, 15, L. Eine Stelle aus den Werken des Augars Messala, worin wir

Belehrung finden, was unter den „minores inagistratus*^ zu verstehen ^ei;

femer, dass der Consnl und Praetor als gegenseitige Amtsgenossen zu

betrachten seien; dann noch andere Einzelheiten über Auspicien.

Xni, 15. Cap. 1. In dem Edict der Consuln, worin die Bestimmung getroffen ist, an welchem Tage die Centuriat-

Xm, 14, 5. Ueber M. Valerins Messala s. Teaffels röm. Lit Gesch. 196, 11.

XIII, 14, 5. S. Seneca de brev. vit 14, 3; Festus s. v. remurinus 8. 277 b und S. 402 i^; Liv. I, 7, 1; Flor. 1, 1, 6; Plut RomuL 13; AurcL Vict. Orig. Gent. R. 23, 2.

XIII, 14, 7. S. Tac. AnnaL 12, 23, 3; Dionys. 4, 13.

XIII, 14, 7. *) Des alten Grammatikers Heraclides (Ponticus des Jüngeren, dessen Lehrer Didymus war). (Hertz.) Mercklin will mit Rück- sicht auf die vulgäre Lesart Elidis, weil dies am nächsten liegt, Felicis

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Xm. Buch, 15. Gap., § 1—4. (189)

comitien stattfinden sollen, helsst es nach alter, allgemein gültiger Ausdrucksweise wörtlich so: „Eine untergeordnete obrigkeitliche Person soll sich nicht unterfangen dürfen (an solchen Tagen, wo das Volk Entscheidung zu fassen hat), den Himmel zu beobachten." 2. Nun wii*ft man gewöhnlich die Frage auf, was unter den „magistratus minores" zu verstehen sei. 3. Ich kann mir in dieser Beziehung meine ei^ne Aus- legung der Worte ei-sparen, weil ich gerade zufälliger Weise das erste Buch des Augurs M. Messala „über die Anspielen" zur Hand habe. 4. Ich schreibe daher auch gleich des Messala eigene Worte aus dem betreffenden Buche hierher: „Die Auspicien der Patricier (und höheren Magistrate) zer- fallen in zwei Abtheilungen (Classen). Die höheren Auspicien sind ein Vorrecht der Consuln, Praetoren und Censoren, je- doch waren sie alle (drei) von einander verschieden, so wie auch nicht von gleicher Bedeutung, deshalb, weil die Censoren nicht Amtsgenossen von gleichem Range sind mit den Consuln oder Praetoren, wohl aber die Praetoren mit den Consuln. Deshalb können weder die Consuln oder Praetoren den Cen- soren, noch die Censoren den Consuln oder den Praetoren die (Abhaltung von) Auspicien stören oder aufhalten. Allein den Censoren unter einander, ferner den Praetoren und Con-

Bchreiben and darunter Laelius FeUx verstehen, aus dessen Über ad Q. Mucium primus Bestimmungen aber das pomerium erwähnt sind. S. Gell. XV, 27, 4 (M. p. 691 NB 10).

XIII, 15, 1. Ne quis magistratus minor de coelo servasse velit. Ueber die auf der Beobachtung nach einem Blitze beruhende mögliche obnuntiatio (Meldung über Vorbedeutung) von Seiten eines Magistratus 6. Lange röm. Alterth. § 121 S. (413) 446.

XIII, 15, 4. Dem Consul, Praetor und Censor stand das Recht der grossen Auspicien zu; den weniger hohen Aemtem nur das der kleinen. Die Ausübung der grossen Auspicien war für die Hechte der Aristokratie am wichtigsten. Nach Cicero (de leg. II, 12) scheint man unter den grossen Auspicien die verstanden zu haben, für welche die Betheiligung der Auguren unentbehrlich war, dagegen die kleinen wohl auch ohne sie vorgenommen werden konnten. Cassiuo Dio 38, 13: Unter den Auspicien waren die am Himmel die wichtigsten, durften aber nur einmal für den ganzen Tag stattfinden. Oft beabsichtigte man durch Meldung von Beobachtungen am Himmel nichts Anderes, als das Durchsetzen neuer Ge- setzesvorschläge, oder die Wahlen zu obrigkeitlichen Aemtem zu hinter- treiben, Vergl. Gell. XUI, 13, L. NB.

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(190) Xm. Bod^ 15. Ct^^ § 4.

suln unter einander steht d^ Kecht zu, (die Anspiden) zu verderben und zu hindern. Ein Praetor (jedoch), obgleich er Amtsgenosse des Consols ist, kann doch dan Rechte ge- mäss weder einen Praetor, noch einen Consul*) wählen, wie wir dies ja Ton unseren Vorfahren wissen und wie es (wenig- stens) auch bis auf den heutigen Tag gehalten worden ist, und wie^us des C. (Sempronius) Tuditanus 13. Buche seines Geschichts Werkes erhellt, weil dem Praetor eine geringere Amtsgewalt zusteht, eine grossere dem Consul, und also von einer geringeren Staatsgewalt eine grossere oder ein höher- stehender Amtsgenosse nicht als rechtmässig erwählt werden kann. Ich**) für meine Person habe letzthin (in der Eigen- schaft eines Praetors), als dem Praetor (in den Comitien) die Amtswahl der Praetoren zufiel, mich dem alten, ehrwürdigen Gebrauche gefügt und wohnte der Vogelschau (den Au^iden) fbr diese Comitien nicht (in meiner sonstigen Amtswaltung als bestallter Augur) bei. Ebaiso werden die Censoren nicht unter denselben Auspiden gewählt, wie die Consuln und

XTTT, 15, 4. *) Die Consotai hidten die Comitien zur Wahl der Consuln, Pnetoren imd Censoren Liv. 7, 22; Qc Att 4. 2. Die Pnetorcn konnten keine Comitien znr Wahl ihrer Nachfolger halten. Cic AtL 9, 9.

Xm, 15, 4. **) Lange rom. Alterth. § 50, p. (254) 293: In Besiehong aof die Anspiden selbst hing es för jeden einzigen FaU immer von den Magistraten ab, die Function der Angnm durch ihren Befehl herrorznmfen. Nidkt sie, sondern die Magistrate haben die anspida; Ton den Angnm heisst es hier: neqne his comitüs in anspidis Inimns (rer]^ Cic. de rep. 2, 9; de leg. 3, 19; ad Attic 2, 12) oder in anspidnm adhibentmr. S. Oic de Dir. 2, 34. Lange röm. Alterth. § 120 S. (415) 449 sagt: Ein edatantes Beispiel der heillosesten Verwirrung auguraler Rechtsbegnfie und einer schnöden Missachtnng gegen berechtigte legale Obnundatio findet sich in dem Benehmen des Consuls M. Antonios, der zngldch Augur war, bei der Wahl des P. Cornelius DolabeOa. S. Cic. PhiL 2, 32. 33. Ueber die Bedeutung Ton creare an dieser Stdle reri^ GeU. XJlj 8, 6 NB (pnetore praetores creante). Gegen das Staatsrecht glaubte Caesar unter dem Vorsitz eines Praetors Praetoren, Consuln und Proconsuln w&hlen lassen zu können, was Zeugniss Ton den staatsrechtlichen Begriffen in dieser Zdt giebt S. Lange röm. Alterth. L Bd. § 83 S. (570) 666 und HL Bd. § 162 S. 465. Der Augur Messala soUte n&mlich in diesem Falle bd den Auspiden auch als Augur zugegen sein und seinem Augurdienste obwalten, was er für ungesetzlich hidt und deshalb fem blieb. S. Teuffels Gesch. der röm. Lit § 143, 1 und GelL VH (VI), 4, 1 NB.

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XnL Buch, 15. Cap., § 4—7. 16. (15.) Cap., § 1. (191)

Praetoren. Bei den übrigen Beamteten gelten die geringeren Auspicien, daher rührte auch der Name: niedere und höhere Staatsbehörden (minores und majores magistratus). Den nie- deren Staatsbearateten wird durch die Tribut comitien***) ihre (Behörden-) Würde zuertheilt, oder richtiger und recht- mässiger durch den Beschluss der Curiat-Comitien; die höheren Staatsbeamteten aber werden durch die Cen- turiat-Comitien gewählt (und eingesetzt). " 5. Aus dieser ganzen Stelle des Messala wird deutlich, was man unter magistratus minores (geringere Staatsgewalten) zu verstehen hat und warum sie „geringere" genannt werden. 6. Er be- lehrt uns aber auch noch daiilber, dass der Praetor (urbanus) Amtscollege des Consuls ist, weil Beide unter Vornahme der- selben Auspicien gewählt werden. 7. Von ihnen sagt man, dass ihnen das Recht zustehe, höhere Auspicien zu veran- stalten, weil man meinte, dass ihre Auspicien mehr galten und in grösserem Ansehen standen, als die der andern (Be- amteten).

XIII, 16, L. (XIII, 15, L.). Desgleichen wörtliche Erklärung desselben Messala über den Unterschied zwischen den Redensarten: „ad populnm loqui" (zum Volke reden) und „cum popnlo agere*' (mit dem Volke ver- handeln); endlich von den obrigkeitlichen Behörden, denen man (die zu haltenden Comitien und Volksversammlungen dadurch hindert, dass man) das versammelte Volk (zu einer andern Volksversammlung) abberuft

XIII, 16. Cap. 1. (Xm, 15, 8) Ferner schreibt derselbe Messala in demselben Werke über die niederen Staatsbe-

Xm, 15, 4. •*•) Es gab dreierlei Comitien, s. Gell. XV, 27, 4 NB: 1) Curiat-Comitien, welche gewissermassen die Wahl der Consuln bestätigten, indem sie den von den Centurien erwählten Beamteten das imperiom e]> theilte, imd in denen über Alles verhandelt wurde, was militärische Dinge betraf; 2) Centuriat-Comitien, unter dem Vorsitz von Consuln, zur Wahl der Consuln und Eriegstribunen und der plebejischen Beamteten. VergL Liv. 5, 52. Beide zusammen, fast von denselben Bürgern gebildet, konnten die Gesetze ebensogut genehmigen, wie verwerfen; 3) Tribut-Comitien unter dem Vorsitz der Tribunen.

XIII, 15, 6. Praetor, Amtsgenosse des Consuls, siehe Plin. paneg. 77, 4; Cic. ep. ad fam. X, 12; Liv. 24, 9; Dio Cass. 58 p. 622; cfr. Cic adv. RuU. II, 13.

XIII, 15, 7. Die auspicia nu^o^ & standen nur den Consuln, Dictatoren, Interreges, Praetoren und Censoren zu, die auspicia minora durften auch

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(192) Xra. Buch, 16. (15.) Cap., § 1—3.

hörden also: „Der Consul kann die von allen andeni obrig- keitlichen Behörden entweder zu den C5omitien oder zu andern Versammlungen zusammengerufene Menge abberufen. Auch der Praetor darf das entweder zu den Comitien oder zu jeder andeni Versammlung herbeigekommene Volk zu jeder Zeit abberufen, nur aber nicht beim Consul. Die niederen Be- hörden dürfen sich das niemals unterstehen, die Menge aus den Comitien oder sonstigen Versammlungen abzuberufen. Bei ihnen gilt die Regel, wer von ihnen zuerst das Volk zur Versammlung beruft, der hat das Vorrecht, weil es nicht ge- stattet ist, zweifach mit dem Volke zu verhandeln. Auch dürfe die eine Partei von der andern die Versammlung nicht abberufen, selbst wenn man bei der einen Partei die Absicht herausfühlen sollte, dass sie nur zu dem Zwecke zum Volke spreche, damit die andere Partei nicht mit dem Volke ver- handeln könne (cum populo agant, z. B. wegen Meinungs- austausch in Betreff von Wahlen und Gesetzesvorschlägen), obgleich mehrere Beamtete (in einer und derselben Ver- sammlung) das Wort an die Versammlung richten können (contionem habere possunt)." 2. (9.) Aus besagten Worten des Messala wird es deutlich, dass etwas Anderes zu verstehen sei unter der Redensart: „cum populo agere" (d. h. sich mit dem Volke in Unterhandlung einlassen) und etwas Anderes unter: „contionem habere" (zum Volke sprechen). 3. (10.) Denn „cum populo agere" heisst: das Volk um Etwas befragen (ihm einen Antrag, ein Gesetz unterbreiten), was es durch seine Abstimmung entweder annimmt, oder durch seinen Einspruch verwirft; aber „contionem" habere heisst: das Wort ergreifen und zum Volke sprechen ohne jeden weiteren Antrag.

die Aediles curules, die Quaestoren, der Pontifex mazimus als Erbe der geistlichen Königsgewalt anstellen. (Varro bei Nonius 92; Gell. III, 2, 10; Cic. de DiY. II, 36, 76; Flut. Marc. 5; Dio Cass. 38, 18; 54, 24; Paulus 248, 15; Liv. 4, 7, 8.)

XIII, 16 (15), 1. Contio concilium), d. h. schlechthin Zusammenkunft, vergl. Gell. XV, 27, 4 NB concilium.

Xm, 16 (15), 8. Lange röm. Alterth. § 134 S. (606) 667: Eine Ab- stimmung der versammelten Menge war in den Contionen principiell aus- geschlossen; denn der Magistrat sollte und konnte in ihnen nur yerba facere ad populum sine ulla rogatione.

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Xm. Buch, 17. (16.) Cap., § 1—3. (193)

XIII, 17(16), L. Dass das Wort „humanitas*' eigentlich nicht daa bedeute,

was der grosse Uaafo im Allgemeinen darunter versteht; dass aber die,

welche sich sprachrein ausdrücken, dies Wort in seiner eigentlichen

Bedeutung angewendet haben.

XIII, 17. (16.) Cap. 1. Alle, die lateinisch sprachen und sich einer richtigen Ausdrucksweise befleissigten , wollten (urspiilnglich) dem Worte „humanitas" (durchaus) nicht die Bedeutung beigelegt wissen, in welcher es jetzt der gi-osse Haufe auflfasst und wofür von den Griechen das Wort q>ik- avx^QijTTia (Menschenfreundlichkeit) gebraucht wird, also in der Bedeutung von einer gewissen Zuvorkommenheit und Gewogenheit gegen alle Menschen ohne Unterschied (der Pei*son), sondern sie verstanden unter humanitas ohngefähr das, was die Griechen durch naideia (Erziehung) ausdiilcken, wir also Unterrichtung (Anweisung) und Einfuhrung in Kunst und Wissenschaft nennen. Nur Solche also, die aufrichtig (und mit höchstem Eifer) nach solcher geistiger Bildung trachten und streben, verdienen gerade so recht eigentlich „humanissimi" genannt zu werden. Denn die Liebe und Sorgfalt für geistige Ausbildung und Veredelung (seines Selbst) ist unter allen lebenden Wesen nur dem Menschen verliehen, daher man diesen nur allein dem Menschen (uni homini) angebomen Vorzug und diese geistige Eigenthümlich- keit mit dem Worte „humanitas" bezeichnet hat. 2. Dass die alten Schriftsteller und vorzüglich M. Varro und M. Tullius (Cicero) dieses Wortes in dem Sinne sich bedient haben, wird uns fast aus allen ihren Werken hinlänglich deutlich. Deshalb hielt ich für hinreichend, dafür einstweilen nur ein einziges leuchtendes Beispiel anzuführen. 3. Dazu habe ich

XIII, 17 (16), 1. Humanitas bezeichnet alle dem Menschen von Natur zukommenden, guten Eigenschaften und zwar 1) das menschliche Gefühl überhaupt, Leutseligkeit, Höflichkeit, Gefälligkeit, Wohlvollen, Menschen- freundlichkeit u. 8. w., dann 2) die dem Menschen durch Unterricht zum Eigenthum gewordene Beschaffenheit seiner Geisteshildung und inneren Veredlung, daher überhaupt die Verfeinerung und Veredelung des Menschen. Humanitas ist also der Inbegriff der geistigen Eigenthümlichkeiten und Vorzüge, wodurch sich der Mensch vom Thiere unterscheidet. Gellius fasst hier den Begriff zu eng.

GelliuB, Attisclie N4chte. II. 13 ^ ,

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(194) Xm. Buch, 17. (16.) Cap., § 3. 4. - 18. (17.) Cap., § 1 -3.

eine Stelle des M. Vano aus dem ersten Buche seiner „Ge- bräuche (der Vorzeit) in menschlichen Dingen" ausgewählt, deren Anfang also lautet: „Praxiteles, der wegen seiner erhabenen künstlerischen Meisterschaft keinem nur einiger- massen Gebildetem (humaniori) unbekannt ist u. s. w\" 4. Varro braucht hier das Wort humanior nicht, wie es ge- wöhnlich geschieht, für einen Gefälligen, oder Gütigen, oder Wohlwollenden, der doch immerhin wissenschaftlich ungebildet sein könnte, denn diese Bedeutung würde dem Sinne der angeführten Stelle nicht entsprechen, sondern spricht von einem leidlich untemchteten und ziemlich auf bessere Bildung Anspruch machenden Menschen, von dem man unbedingt muss verlangen können, dass er aus Büchern oder aus der Geschichte weiss, wer Praxiteles war und was er leistete.

XIII, 18 (17), L. Was bei M. Cato das alte Sprüchwort bedeuten soll:

„inter os atque ofTam" (d. h. zwischen Mund und Bissen, oder: ehe man

den Bissen an den Mund bringt, oder: im Nu).

XTTT, 18. (17.) Cap. 1. Es giebt eine Rede des Censoi-s M. Cato, welche „von der fehlerhaften Wahl der Aedilen" handelt. Dieser Rede ist folgende Stelle entlehnt: „Jetzt, sagen die Leute, steht das Getreide gut auf den Saaten und Halmen. Baut darauf nicht allzuviel Hoffnung. Oft habe ich sagen hören, zwischen Mund und Bissen könne noch Vieles sich eindrängen. Aber vollends zwischen Bissen und Halm (auf dem Felde erst recht), da liegt noch eine gar lange Strecke." 2. Emcius Clarus, welcher Stadtpräfect und zweimal Consul gewesen war, ein höchst eifriger Forscher in den Sitten und der Literatur der Alten wandte sich schriftlich an den Sul- picius ApoUinaris, den gelehrtesten Mann meiner Zeit, mit der Frage und Bitte, er möchte ihm in einer Rückantwort doch Aufklärung geben, was der Sinn dieser Worte sei. 3. Auf

XIII, 17 (16), 8. Praxiteles, berühmter griechischer Bildhauer, im 4. Jahrh.. v. Chr., dessen Meisterwerk die knidische Aphrodite war, die er zum ersten Male unbekleidet zu bilden wagte.

XIII, 18 (17), 1. Cato (or. 65, 1) warnt vor übereilten Hof&iungen auf eine gesegnete Ernte. (Otto Ribbeck.)

xm, 18 (17), 2. S. TeuflFels röm. Lit. § 45, 4.

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XDL Buch, 18. (17.) Cap., § 8. - 19. (18.) Cap., § 1. 2. (195)

diese Veranlassung hin sandte Apollinaris zur Zeit meiner Anwesenheit in Rom, woselbst ich mich als junger Mann gerade meiner Ausbildung halber befand und ein eifriger Anhänger dieses Meisters war, an den Clarus eine ganz kurze (treffende und) für den gebildeten Mann genügende Antwort (folgenden Inhalts) ab : „inter os et oflFam (zwischen Mund und Bissen)" sei ein altes Sprüchwort, welches ganz dasselbe be- deute, wie jener bekannte, sprüchwörtliche, griechische Vei-s (aus des Euripid. Bacch. v. 174):

TTolXa fiSTa^v n^Xst xvXixog xal yttkiog axQov, d. h.

Viel wohl kann sich ereignen zwischen Becher und Mond noch.

XIII, 19 (18), L. Dass Plato einen Vers vom Sophodes (fälschlich) dem Euripides zutheilt; ferner, dass sich gleichlautende Verse, nur mit ge- ringen Aenderungen bei verschiedenen Dichtern, die zu verschiedenen Zeiten lebten, vorfinden.

Xin, 19. (18.) Cap. 1. Folgender (jambische) Senar ist als ganz alt bekannt:

2!o(f'Ol TvQavvot Ttuv 0o<fo5v ^VVOVO((^^ d. h.

Der Weisen Umgang macht die Herrscher weise nur.

2. Plato giebt in seinem Theaetet (vielmehr im Theages p. 125 A. und de republ. VIII p. 568) diesen Vers für einen von Euripides an, worüber ich mich sehr wundere, denn ich

XIII, 18 (17), 3. Vergl. Philostr. de vit. ApoU. 4, 43. Als Nero eben beim Mahle sass, fuhr ein Blitzstrahl in den Tisch und schlug ihm den Becher aus der Hand, den er eben zum Munde führte. Der Ursprung dieses Spruchwortes ist folgender: Ankaios war einer der Argonauten, welche ein Menschenalter vor dem trojanischen Kriege unter Führung des Jason das goldene (Widder-) Vliess von Eolchis holten. Als er nach seiner Bäcldcehr den Ackerbau und besonders die Weincultur pflegte, weissagte ihm ein Seher, er werde von den Beben, die er eben pflanzte, keinen Wein trinken. Als er nun später einen voUen Becher des neu- gekelterten Weines in der Hand hielt und des Sehers spottete, sprach dieser die sprüchwörtlich gewordenen Worte: multa cadunt inter calicem Bupremaque labra. PlÖtzUch kommt die Nachricht, ein Eber verwüste Beinen Weinberg; ohne getrunken zu haben setzt Ankaios den Becher ab, eilt hinaus, wird aber von dem Eber getödtet und so erfüllte sich des Sehers Wort Friedrich Kind in seinem Ankaeos singt:

„Zwischen Lipp' und Eelchesrand

Schwebt der finstem Mächte Hand.''

13*

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(196) Xm. Buch, 19. (18.) Cap., § 2-4. - 20. (19.) Cap., § 1.

habe ihn in des Sophocles Trauerspiel „Ajax der Lokrer" geschrieben gelesen; Sophocles aber war früher geboren als Euripides. 3. Aber auch jener nicht minder bekannte Vers:

rifibiv y^Qovra Trm^ayMyriaoi 0* iyti, d. h.

Wohlan, so führ' ich Greis Dich Greis an meiner Hand,

findet sich nicht nur in dem Trauerspiel des Sophocles, welches überschrieben ist „Die Phthierinnen (oder Peleus)", sondern auch in den „Bakchen" des Euripides (v. 193). 4, Eine ähnliche Bemerkung habe ich auch bei Aeschylos in seinem „feuertragenden Prometheus" und bei Euripides in seiner „Ino'' gemacht, da Aeschylos (Choephor. v. 572) den- selben Vers, wenige Silben abgerechnet, also schreibt:

£iydiv ^' onov «f^r ;f«l liytov ra xafgia, d. h. Wo's ziemt zu schweigen und nur reden Passendes;

Euripides (in seiner Ino) also:

2iyfv d-* onov Jii xal Xfyeiv Tv* aatfaUg, d. h. Man schweige, wo man muss und rede, wo es nützt. Doch war Aeschylos um Vieles älter (als Sophocles).

XIII, 20 (19), L. Ueber das Geschlecht und die Namen der porcischen

Familie.

XIII, 20. (19.) Cap. 1. Als ich mich (einst) mit dem

XIII, 19 (18), 2. S 0 p h 0 c 1 e s , der vorzüglichste ^echische Tragiker, geb. 497 V. Chr. in dem attischen Demos Kolonos, entspricht in seinen Stücken den höchsten Anforderungen der Kunst. Er soU ISO Dramen geschrieben haben, von denen aber nur 7 auf uns gekommen sind. Seine Trilogie, König Oedipüs, Oedipüs auf Kolönos und Antigene hat man neuerdings wieder zur Darstellung auf die Bahne gebracht, freilich mit etwas zu modemer Musik. Sophocles starb 406.

xm, 19 (18), 2. Ueber Euripides s. Gell. XI, 4, 1 NB.

xm, 19 (18), 4. Aeschylos, aus Eleusis in Attica, focht im 5. Jahr- hundert V. Chr. in den Schlachten bei Marathon, Salamis und Plataeae mit Er wird mit Recht der Schöpfer und Vater der Tragödie genannt Durch Hinzufügung eines zweiten Schauspielers schuf er zuerst den dramatischen Dialog, der durch das Hinzukommen eines dritten Schauspielers durch Sophocles seine Vollendung erhielt Die Stücke des Aeschylos zeichnen sich durch Ernst, Würde und Erhabenheit aus. Von den 70 Stücken, die er geschrieben haben soll, sind nur noch 7 erhalten. Er starb 456 v. Cbi, in Grela auf Sicilien.

xm, 20 (19), L. Die Stammtafel der Forcier s. Gell. H, 19, 9 NB. Vergl. K. F. Görschel „Zerstreute Blätter« H. Th. p. 336.

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Xm. Buch, 20. (19.) Cap., § 1—8. (197)

ApoUinaris Sulpicius und mit noch einigen andern von unsern gemeinschaftlichen Freunden in der Bibliothek des tiberiani- sehen Palastes befand, zeigte man zufällig ein Buch hemm, das die Ueberschrift führte : von M. Cato Nepos. 2. Es ent- stand nun (sofort) die Frage, wer dieser Cato Nepos gewesen sei. 3. Nun war da gerade auch ein junger Mensch zugegen, der, soviel ich aus seinen Reden abnehmen konnte, wissen- schaftlich durchaus nicht ungebildet war. Dieser nahm das Wort und sagte: Dieser Cato hat nicht etwa den Beinamen Nepos, sondern ist der Enkel von dem Sohne des Censors Marcus Cato, der aber wieder Vater von dem Praetor M. Cato war, der sich im Bürgerkriege zu Utica mit eigner Hand durch den Degen den Tod gab, über dessen Leben es von M. Cicero ein Buch giebt, das die Uebei-schrift führt: das Lob des Cato (laus Catonis), welchen Cicero selbst in diesem Buche einen Urenkel des Censors M. Cato nennt. 4. Der Vater dieses Cato, -auf den Cicero seine Lobschrift verfasst hat, war der M. Cato, dessen Reden die Aufschrift haben sollen: Von M. Cato Nepos. 5. Darauf ergriff ApoUinaris das Wort und sagte, wie dies auch beim Tadel seine Gewohnheit war, in sehr ruhigem und mildem Tone: Ich muss Dich loben, mein Sohn, dass, wenn gleich Du Dich in Bezug auf die Person des M. Cato, von dem hier die Rede ist, im Irrthum befindest,. Du noch so jung an Jahren Dir doch einige Nachricht über die Familie des Cato zu verschaffen wusstest (ist es auch nicht ganz zutreffend, was Du da vorgebracht). 6. Jener gewesene Censor M. Cato hat aber nicht nur einen, sondern mehrere Enkel gehabt, freilich nicht von einem und demselben Vater entstammt. 7. Denn der Redner und Censor M. Cato hatte zwei Söhne, die von verschiedenen Müttern abstammten und dem Alter nach sich sehr (von einander) unterechieden. 8. Der eine (dieser beiden Söhne) war schon herangewachsen, verlor aber seine Mutter durch den Tod. Sein Vater, bereits ein hoher Greis, heirathete (zum z weitenmale und zwar) ein junges Mädchen, die Tochter seines Clienten Salonius, welche

Xin, 20 (19), 3. Ueber diese Lobschrift auf Cato vergl. Cic. Attic 12, 4, 2; 12, 5, 2; fiun. 16, 22, 1; orat. 10, 35; Plut. Cic. 39; Caes. 54; Dio C. 43, 13; Appian. b. c. 2, 99; Cic. Att. 13, 46, 2.

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(198) Xm. Buch, 20. (19.) Cap., § 8-14.

ihm den M. Cato Sdonianus gebar. Diesen Beinamen erhielt dieser Sohn von seiner Mutter Vater, dem Salonius. 9. Von dem älteren Sohne Cato's aber, der als erwählter Praetor noch bei Lebzeiten seines Vaters starb und vortreflFliche juristische Schriften über „Rechtswissenschaft" hinterliess, stammt der hier in Frage stehende M. Cato, des Praetors M. Cato Sohn und des älteren M. Cato, des Censors Enkel ab. 10. Dei-selbe war ein gewaltiger Redner und hat viele, in der Manier seines Grossvaters geschriebene Reden hinterlassen. Er war mit dem Q. Marcius Rex zugleich Consul, reiste während seines Consulats nach Africa und starb in dieser Provinz. 11. Allein dieser (Redner) ist nicht, wie Du sagst, der Vater von dem Praetor M. Cato, der sich zu Utica umbrachte und auf den Cicero seine Lobschrift verfasste; auch ist, weil dieser (Red- ner) ein Enkel des alten Censors Cato war und der Andere (der Uticensis) ein Urenkel desselben, deswegen noch nicht nothwendig, dass der Enkel der Vater von dem Urenkel sein musste. 12. Cato's Enkel, der Redner, von dem soeben die betreffende Rede vorgezeigt wurde, hatte zwar einen älteren Sohn, der Cato hiess, aber nicht den, der zu Utica sein Leben aushauchte, sondern sein Sohn war der, welcher als cuinlischer Aedil und Praetor eine Reise nach dem narbonensischen Gallien unternommen hatte und daselbst gestorben war. 13. Von dem zweiten und weit jüngeren Sohne des Censors, der, wie ich schon angab, nach dem Vatemamen seiner Mutter Salonianus genannt wurde, stammen zwei Söhne ab, der L. Cato und der M. Cato. 14. Dieser M. Cato war Volkszunftmeister und starb, als er sich um die Praetur bewarb; von ihm stammt der Propraetor M. Cato, der sich im Bürgerkriege zu

XTTT, 20 (19), 9. Erörterungen der Rechtswissenschaft fingen um den AnfiEmg des 7. Jahrhunderts an aufgezeichnet und in Sanunlungen bekannt gemacht zu werden und zwar zuerst von dem jüngeren Cato (t um 600 d. St) und von dem gleichzeitigen Marcus Brutus. Cato's Buch führte wohl, wie es hier heisst, den Titel: de juris disciplina, das des Brutus den: de jure dvili (Gic pro Cluent 51, 141; de erat. 2, 55, 223); dass diese Auf- zeichnungen Gutachtensammlungen waren, zeigt Cic. de orat. 2, 83, 142. S. Mommsen röm. G. U p. 467.

Xin, 20 (19), 10. Q. Marcius Rex s. Val. Max. V, 10, 3; Vergl. Teuffels röm. Lit Gesch. § 145, 2.

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Xm. Buch, 20. (19.) Cap., § 14— 17. 21. (20.) Cap., § 1. (199)

TJtica das Leben nahm und von dem Cicero, als er über dessen Leben und Verdienste schrieb, sagte, dass er ein Ur- enkel des Gensors Cato gewesen sei. 15. Ihr seht also, dass dieser Zweig der Familie, welche von dem jüngeren Sohne des gewesenen Censors Cato herrührt, nicht allein durch seine Geschlechtsabstammung, sondern auch durch den Zwischenraum in der Zeit (von dem Aelteren) sich unterscheidet. Denn weil, wie ich schon sagte, der (Cato) Salonianus erst im hohen Alter seines Vaters geboren wurde, so mussten natürlich seine Abkömmlinge um ein Bedeutendes später das Licht der Welt erblicken, als die, welche von dem älteren Bruder abstammten. 16. Diesen Zeitunterschied werdet ihr leicht gewahr werden aus besagter Rede, wenn ihr diese selbst durchleset. 17. Diese von Sulpicius Apollinaris in meiner Gegenwart ausgesprochene Bemerkung fand ich auch späterhin bestätigt, als ich sowohl die Leichenreden (laudationes funebres), wie den Entwurf (der Stammtafel) des porcischen Geschlechtes durchsah.

Xin, 21 (20), L. Dass von den mustergiltigsten Schriftstellern dem an- genehmem Klange der Silben und Wörter, welche Wohlklangsrücksicht von den Griechen Bvtpatvta genannt wird, mehr Rechnung getragen worden ist, als den von den Grammatikern aufgestellten Regeln und Vorschriften.

Xin, 21. (20.) Cap. 1. Probus Valerius wurde, wie ich von einem seiner Freunde erfuhr, (einst) gefragt, ob man „has urbis** (diese Städte) oder „has urbes" (im Accus, plur.)

xm, 20 (19), 17. Lobreden (laudationes oder orationes funebres) auf gestorbene Angehörige. S. Teuffels röm. Lit Gesch. § 79, 4.

Xni, 21 (20), 1. Der Accusativ pluralis hat die Neutra aus- genommen — zum Kennzeichen s mit langem Yocal also : mensä-s, puerö-s, fructfi-8, die-s. Das i de^ Stammes verschwindet und es tritt (wie bei consonantischen Stämmen) das e vor das s, z. B. host-es, reg-es. In der vorklassischen Zeit aber trat auch bei consonantischen Stämmen (gleich denen auf i) anstatt Ss die Endung eis oder is ein, z. B. navis, pelvis, urbis neben urbes. Seit der Zeit des Augustus verbreitete sich die Endung es selbst über die Stämme mit i (vergl. localer Ablativ Gell. X, 24, 1 NB). 8. Eragörs (Grotefends) Grammatik § 287, 9. Im Accusativ haben audi noch in klassischer Zeit ein: is (auch eis geschrieben) die Parasyllaba (navis) und viele, die zwei Consonanten vor der Casusendung haben (pa- rentfs). Schon zu Gicero's und Yergil's Zeiten war ein Schwanken ein-

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(200) Xin. Buch, 21. (20.) Cap., § 1—4.

sagen müsse, oder „hanc tun-em", oder „hanc turrim" (diesen Thunn in der Accusativfonn des Singulars). Er sagte: Wenn Du (Vei-se) dichtest, oder aber in gebundener Sprache schreibst und Du dabei diese Wortformen anzuwenden hast, musst Du Dich durchaus nicht erst durch jene (elenden) faulen Regeln und grammatischen Pfützen (bestimmen oder gar) verblenden lassen, sondern befrage ganz allein Dein Ohr, wo die be- treffende eine oder andere Form hinpasst, was Dir dann diese innere Stimme (auris) rathen wird, das wird wahrhaftig auch das Richtigste sein. 2. Darauf erwiderte der Frager und sagte: Auf welche Art willst Du, dass ich mein Ohr zu Rathe ziehen soll? 3. Auf diese (einfältige) Frage soll Probus ge- antwortet haben: Gerade so, wie Vergil das seine befragt hat, der an verschiedenen Stellen einmal „urbis*' sagt, das andere- mal „urbes*" und dabei (auch nur) die Entscheidung und den Rath seines (feinen) Ohres befolgte. 4. Denn im ersten Buche seiner Landwii-thschaftsgesänge sclirieb er urbis mit i, wie ich in einer von seiner eigenen Hand verbesserten Ausgabe las. Die betreffende Stelle aus dem Gedicht (Verg. Geor.fi:. I, 25) lautet also:

Urbisne invisere Caesar

Terranimque velis curam , d. h.

ob zu. besuchen die Städte, o Caesar,

Und zu führen die AuÜBicht über den Erdkreis

Nun wechsle und vertausche einmal (urbis) so, dass Du urbes (dafür) sagst und Du wirst sicher etwas unsäglich Einfältiges

getreten, sodass schon damals immer mehr das „es^ sich festsetzte. Livius scheint nur „es** zu haben, nach Augustus wurde „es" herrschend. Weil nicht genau zu bestimmen, weiche Wörter in der goldenen Zeit is gehabt (da gerade in dieser Zeit der Uebergang stattfand) kann man biUig überaU es schreiben und sprechen. Schon Vergil hat (nach § 11) tris und tres nach, dem Wohllaut gewählt und Probus Yalerius gab den Rath, das Ohr zu befiragen, ob im oder em, is oder es richtig sei. Man soll also nicht erst die Grammatiker, noch weniger die Handschriften fragen. Allmählich gingen „im" und „is" in „em" und „es" über, durch die Neigung der Sprache, den Yocal im Auslaut zu schwächen, eine Neigung, die noch durch den Einfluss der zahlreichen Imparisyllaba verstärkt wurde. Ein- zelne Schriftsteller hielten an einzelnen Formen fest So haben die Ad- verbia „im" behalten; vergl. Gell. XII, 15. Ueber Valerius Probus s. Jul. Steup „de Probis grammaticiis". Jena. 1871.

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Xm. Buch, 21. (20.) Cap., § 5—11. (201)

und überaus Schwerfalliges gemacht haben. 5. Im 8. Buche seiner Aeneide (v. 106) hingegen hat er urbes mit e gesagt: Centum urbes habitant magnas (Hundert m&chtige St&dte bewohnen sie).

Vertausche also auch hier (urbes) und sage urbis und der Klang wird saft- und kraftlos werden, denn gewaltig gross ist überhaupt der Unterschied der Zusammenstellung bei dem Einklang der zunächst auf einander folgenden Silbenlaute. 6. Ausserdem hat Vergil auch (Aen. II, 460) tuirim gesagt und nicht turrem, ferner (Aen. II, 224) securim, nicht securem:

Turrim in praecipiti stantem, d. h.

einen Thurm, j&h empor auf schwindelnder Höhe stehend, und:

incertam excussit cervice securim, d. h.

Die wankende Axt dem Nacken entschattelt er. Hier ist das i im Accusativ von weit ansprechenderer Anmuth, als wenn man dafür an beiden Stellen „e^ setzt. 7. Aber jener Frager, ein ungeschliffener Mensch mit bäurischem Ohr, beruhigte sich (immer) noch nicht und platzte noch mit der albernen Aeusserung heraus: Warum Du behauptest, dass das eine an dieser, das andere an jener Stelle vorzüglicher und richtiger sein soll, seh ich doch wahrhaftig noch nicht ein. 8. Nun (wurde Probus doch etwas ungeduldig und) sagte in etwas heftigerem Tone: Mache Dir kein Kopfzerbrechen, welche von beiden Formen Du sagen sollst, ob urbis oder urbes. Denn da Du, wie ich sehe, von solchem Schlage bist, dass Du ohne Einbusse (für Dein Schönheitsgefühl) fehlst, so wirst Du nichts dabei aufs Spiel setzen, wenn Du das eine oder das andere brauchen solltest. 9. Mit diesen Worten und auf diese Weise entliess er den Menschen fast schonungs- los, wie es seine Art und Weise gegen (solche) ungebildete Querköpfe war. 10. Ich habe aber später auf ähnliche Weise ein anderes schlagendes Beispiel gefunden, wo Vergil (so recht auffällig) der doppelten Schreibweise sich bediente. Denn er setzt zugleich „tres" und „tris" an einer und derselben SteDe, mit derselben Feinfühligkeit (des Geschmackes), dass, wenn Du anders sprechen und ändern wolltest und Dich dabei noch eines guten Ohres rühmst, Du die Klangschönheit (so- fort) ausgeschlossen fühlen wirst. 11. Die betreffenden Veree

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(202) Xm. Buch, 21. (20.) Cap., § 11 14.

aus dem 10. Buche (von Vergib Aeneide sind folgende v. 351 und 352):

Tres quoque Threicios Boreae de gente suprema Et tris, quoB Jdas pater et patria Jsmara mittit, d. h. Drei der Thracier auch von des Boreas äusserstem Volke, Drei auch Idas der Vater und die ismarische Heiroath sandte.

Erst sagt er „tres" und dann „tris". Wäge und messe jedes einzeln ab und Du wirst finden, dass die an der geeigneten Stelle gewählte Form am besten klingt. 12. Allein ebenso auch in jenem bekannten Verse Vergils (Aen. II, 554) :

Haec finis Priami fatorum, d. h.

Dies war das Ende von Priams Geschicken,

wird, wenn Du haec finis veränderst und für das Femininum das Masculinum setzest und hie finis dafür sagst, eine widrige Härte entstehen und die von Dir angenommene Veränderung wird die Ohren beleidigen. So wie Du im Gegentheil durch eine Abändening der folgenden bekannten Stelle Vergils (Aeneide I, 24) etwas an Lieblichkeit entziehst:

Quem das finem, rex magne, laborum? d. h.

Welches Ende giebst Du, grosser König, der Mühsal?

Wenn Du dafür das Femininum setzest und „quam das finem" sagst, wirst Du unwillkürlich einen unangenehmen und zu breiten Silbenklang vei-ursachen. 13. So sagt Ennius „rectos cupressos" (die schlanken Cypressen) entgegen dem allgemein angenommenen, weiblichen Geschlecht beim Worte „cupressus" in folgendem Verse:

Capitibus nutantis pinos rectosque cupressos, d. h.

Mit den H&upten wankten die Fichten und schlanken Cypressen.

Kräftiger und frischer schien (auch) ihm, glaub' ich, der Wortklang zu sein, wenn er „rectos cupressos" sagte, anstatt „rectas (cupressos)". 14. Dagegen hat derselbe Ennius im 18. Buche seiner Annalen : aere fiilva (im falben Dunstkreis, d. h. Halbdunkel), gesagt und nicht „aere fulvo", nicht allein (aus dem Ginnde und zu dem Zwecke) um das nachzuahmen, was Homer (Iliad. XX, 446) durch rjiQa ßa&eiav (dichtes Gewölk, dichter Nebel) ausdrückt, sondern weil ihm, mein' ich, dadurch

Xm, 21 (20), 14. aer folva vergl. Gell. H, 26, 11 NB.

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Xin. Buch, 21. (20.) Cap., § 15-19. (203)

der Ton klangvoller und angenehmer ei-schien. 15. Gerade so wie es auch dem Marcus Cicero weicher und geschmackvoller vorkam, in seiner V. Rede gegen VeiTes (66, 169) lieber „fretu" zu schreiben, als „freto". Es heisst dort: „perangusto fretu divisa (durch eine ganz schmale Meerenge geschieden).** Es klang ihm nämlich rauher und schon etwas veralteter (die Ablativfoim vom Neutrum der zweiten Declination zu bilden und) perangusto freto zu schreiben (und er bildete deshalb lieber die Form nach der vierten Declination, und sagte also fretu). 16. Ebenso hat er sich auch in der zweiten Rede von einem ähnlichen Wohlklange bestimmen lassen, „manifesto peccatu" (von augenscheinlichem Verbrechen) zu sagen (und so den Ablativ der vierten Declination zu brauchen) und nicht peccato; so fand ich nämlich in zwei, die höchste Glaub- würdigkeit verdienenden Handschriften des Tiro ge- schrieben. 17. Cicero's Worte (in Verrem II, 78, 191) lauten also: „Niemand lebte so, dass kein Theil seines Lebens von der grössten Schandhaftigkeit frei war. Niemand war seines Verbrechens (peccatu) so augenscheinlich überwiesen, dass, musste er schon wegen seiner Frevelthat für unvei-schämt erklärt werden, er nur noch unvei-schämter erecheinen musste, wenn er (auch noch) ableugnete.** 18. An dieser Stelle kommt aber nicht nur die grössere Feinheit des Wortwohlklangs in Betracht, sondern vielmehr die feststehende und (als richtig) angenommene Regel. 19. Denn das Mascidinum der vierten Declination „peccatus** (Verbrechen) für „peccatio** ist richtig und gut lateinisch ausgedrückt. So sagen wir „hie incestus** nicht von dem, der (ein solches Verbrechen der Blutschande) verübt hat, sondern bezeichnen damit (das Verbrechen), was

Xm, 21 (20), 16. In verschiedenen Mundarten wicli man nicht nur im Grenus der nomina ab, sondern auch im Dediniren, wie aus fretu und peccatu zu ersehen. In uno-altero libro Tironiano s. Teuffels röm. Lit Gesch. 188, 2.

Xin, 21 (20), 18. Die Endung „-tio'' bezeichnet die im Verb aus- gedrückte Handlung als geschehend, die Endung „-tus" aber die Handlung als geschehen. Es yertreten sich die Formen auf -tns und -tio gegenseitig und beide Formen finden sich oft nebeneinander ohne wesentlichen unterschied. SchriftsteUer des silbernen Zeitalters, nament- lich Tacitus, geben den Formen auf -tus den Vorzug. S. Erager, lat. Gramm. § 260.

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(204) Xni. Buch, 21. (20.) Cvp^ § 19—24

verübt worden ist; so sagen wir hie tributus (diese Abgabe) fbr (das sonst gebräuchliche Neutrum:) tributum, wie Über- haupt dergleichen Wolter von vielen unserer alten Schiift- steUer gebraucht worden sind. So sagen wir auch hie allegatus (diese Sendung, Ansuchung) für allegatio und hie arbitratus (diese Willensmeinung, Entscheidung) für arbitratio und nach dieser angenommenen Ilegel sagen wir arbitratu und allegatu meo (auf meine Entscheidung und mein An- suchen hin). 20. Auf gleiche Weise sagte also auch Cicero: in manifeste peccatu (bei augenscheinlichem Verbrechen), wie die Alten sagten: in manifeste incestu (bei augenscheinlicher Blutschande), nicht dass man etwa behaupten wollte und könnte, es sei uiilateinisch zu sagen: peccato, sondern weil gerade die an dieser Stelle hingesetzte Form dem Ohre ge- fälliger und angenehmer klingt. 21. Ganz ähnlich trug auch Lucretius dem Gehör Rechnung und hat in folgenden Versen (aus B. U, 1152 u. 1153) funis als Femininum gebraucht:

Haut, ut opinor, enim mortalia saeda sapeme Aurea de caelo demisit fiinis in arva, d. h.

Denn vom Himmel herab sind, denk' ich, die sterblichen Wesen Niemals auf das Gefild am güldenen Seile gelassen,

obgleich er das gebräuchlichere Masculinum hätte setzen können, so dass trotzdem das Vei'smass gewahrt blieb, (er hätte nur statt aurea de coelo zu sagen brauchen:) aureus et coelo demisit funis in arva. 22. M. Cicero nennt auch die weiblichen Priesterinnen, gemäss der grammatischen Regel antistitae, nicht antistites. Denn obschon er das übertriebene Suchen nach Ausdrücken, die von den Alten gebraucht wurden, verwarf, wurde er in dem betreffenden Fall doch von dem Klang dieses Wortes ergötzt und sagte (in Verrem IV, 45, 90): „(Sacerdotes) die Priesterinnen der Ceres und jenes Tempels Voi"Steherinnen (antistitae)". 23. Man ging sogar oft so weit, dass man nicht nur das ganze Wesen eines Wortes und seine Abstammung ausser Augen setzte, sondern sogar auch den Sprachgebrauch und nur allein seinem Ohre folgte, welches allein die Ausdnicksweise nach dem Wohlklange abwägen sollte. 24. „Von denen, welche dafür keinen Sinn haben, fährt Cicero (erat. 50, 168) fort, weiss ich nicht, was sie für Ohren haben

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Xm. Buch,*21. (20.) Cap., § 24. 25. - 22. (21.) Cap., § 1. (205)

müssen, oder was ihnen (überhaupt) die Aehnlichkeit mit einem Menschen zuspricht.'^ 25. Besonders aber machten die alten Grammatiker auf jene bekannte Stelle bei Homer aufmerksam, dass, obgleich er an einer Stelle (Diad. XVI, 583) xoloiovg TS ipijQdg re (Krähen und Staare) gesagt hatte, er an einer andern Stelle (Uiad. XVII, 755) nicht (die ionische und epische Form) tprJQag, sondern xfßagwv sagte:

Wie ein Gewölk Ton Staaren (}paQfüv) daherzielit, oder von Dohlen,

und dass er nicht Rücksicht nahm auf den Wohlklang im Allgemeinen, sondern auf den besonders für die jedesmalige Wortzusammenstellung geeigneten (und entsprechenden) ; denn wenn man die eine Wortform an die andere Stelle versetzt, wird man an beiden Stellen nur die Klanganmuth beein- trächtigen.

xm, 22 (21), L. (Ernste) Worte des Rhetors T. Castridns an seine jungen Schüler über ihre nicht anständige Bekleidung und Fnssbedeckung.

xm, 22. (21.) Cap. 1. Als T. Castricius, Lehrer der Redekunst, welcher zu Rom der bedeutendsten Rede- und Lehr -Anstalt vorstand, ein Mann von hohem Ansehen und sittlichem Ernst, ausserdem wegen seines Benehmens und seiner Kenntnisse beim erhabenen Hadrian angesehen, als dieser, sag' ich, zufällig in meiner Gegenwart, ich genoss nämlich seinen Unterricht, einige seiner Schüler, welche (noch dazu) Senatoren waren, an einem Festtage im gewöhn- lichen Hausrock (der Tunica) und mit UebeiTock bekleidet erscheinen sah und mit Galoschen als Fussbekleidung, sagte er : (An dem heutigen Festtage) hätte ich euch wohl lieber in einem (römischen Staats-) Mantel vor mir gesehen (vos toga- tos esse); doch hat euch euer Schamgefühl wenigstens noch geboten, gegürtet und im langen Oberkleide zu erscheinen

xm, 21 (20), 24. Fortsetzung dieser Stelle aus Gicero's orator. bei GelL XVni, 7, 7.

Xni, 22 (21), 1. Ueber T. Castricius s. GelL I, 6, 4 NB.

xm, 22 (21), 1. Lacerna dem griechisclien Mantel, d. h. pallium) vorn ofifen und mit einer Schnalle auf der Schulter befestigt Der Anstand erforderte die Toga, das Haupt- und Staatskleid bei den Körnern der lacerna vorzuziehen.

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(206) Xin. Bach, 22. (21.) Cap., § 1—5.

(paenulati). Allein . wenn auch dieser euer jetziger Anzug, wegen der heutigen Tags häufig vorkommenden (Mode-) Tracht, noch verzeihlich sein mag, so will es sich aber doch in keinem Falle schicken, dass ihr Senatoren des römischen Volkes (ausser dem Hause) öffentlich in Pantoffeln (soleati) durch die Strassen der Stadt geht. Denn wahrlich eine solche (un- passende) Tracht kann euch nicht weniger zum Vorwurf ge- reichen, als sie es damals dem verruchten Antonius war, dem sie M, Tullius Cicero (geradezu) als ein schimpfliches Verbrechen anrechnet, 2. Dies und noch manches andere auf diesen Fall Bezügliche sprach Castricius in meiner Gegen- wart im echt römischen Sinne und mit höchstem, sittlichem Ernste offen aus. 3. Viele unter seinen Zuhörern verlangten

Die lacema war also eine Art Mantel, welche die Römer später ttber der Toga trugen, z. B. bei schlechtem Wetter. Während des BQrgerkriegs kam die Toga ausser Gebrauch und es wurde häufig die lacerna getragen. Man trug diese Mäntel auch im Schauspiel, erschien aber der Kaiser daselbst, so stand Jedermann auf und liess die lacema faUen. Suet. Claud. 6. Zuerst wurde sie nur im Krieg getragen. Paterc II, 80; Ovid. Fast, n, 745; Propert. m, 10, 7. Als Augustus eines Tags eine Anzahl Bürger vor sich in der lacema sah und sich dies so auslegte, als ob man dadurch die schuldige Achtung vor seiner Person ausser Augen setze, sprach er mit Unwillen jenen Vers Vergils (Aen. I, 282) :

„Römer, die Herren der Welt, das Volk in Togen gekleidet"

Paenulatus. Paenula, ein bis oben zugenähter Mantel ohne Aermel, den man in der Stadt aber selten trag, nur etwa bei Regenwetter.

Gallicae-soleae (Gallosche, Männersandale, Pantoffel) gehörten zur Tunica und waren nur häusliche Fussbekleidung und nur gebräuch- lich, wenn man in blosser Tunica mit übergeworfener lacema über die Strasse ging.

Der calceus gehört unbedingt zur Toga für höchste Staatsbeamtete. Es wurde also för weibisch und unrömisch gehalten, ausser dem Hause öffentlich mit einer nachlässig gegürteten Tunica oder im (griechischen) Mantel und in Pantoffeln (soleatus) zu erscheinen. Verg^. Liv. 29, 19 über Scipio; Cic Har. Resp. 21; Verrem V, 88; Pis. 6; Suet. Calig. 52. Tacit. Ann. II, 59 Scipio griechisch gekleidet und nach Gass. Dio 66, 6 Kaiser Claudius ebenfalls in Neapel. Vomehmlich in fremden Ländern sah man darauf, immer in der Toga zu erscheinen. Das Oberkleid der Griechen war das pallium, daher die Griechen, sowie überhaupt alle Nichtrömer palliati genannt wurden. Der ärmere Theil des röm. Volkes, der sich keine Toga kaufen konnte, trug blos die Tunica, daher tuni- catus = populus.

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Xm. Buch, 22. (21.) Cap., §3—8.-23. (22.) Cap., § 1. (207)

nun zu wissen, warum er sie Bepantoffelte (soleati) genannt hätte, da sie doch Galoschen (gallices, d. h. Männersandalen) und nicht (soleae) Pantoffeln anhätten. 4. Allein Castricius hatte sich in der That wohlweislich ganz richtig ausgedrückt. 5. Denn alle derartigen Fussbekleidungen , womit nur die untersten Fusssohlen bedeckt werden, die übrigen Theile (des Fusses) fast entblösst bleiben, und welche nur Oeicht) mit dünnen Riemen befestigt sind, werden insgemein „soleae'' (Pantoffeln) oder bisweilen mit dem griechischen Ausdruck „crepidulae'' (Sandälchen) genannt. 6. Ich halte aber dafür, dass der Ausdruck „gallicae" für diese Art der Fussbekleidung eine neuere Bezeichnung ist und nicht lange vor der Zeit des M. Cicero in Gebrauch gekommen sein mag, daher das Wort von ihm selbst in seiner IL antonischen Rede (30, 76) gesetzt wurde, wo er sagt: „cum gallicis (d. h. in gallischen Sandalen) und in einem Ueberrocke (lacema) eiltest Du dahin.'' 7. Ich habe das Wort „gallicae" in dieser Bedeutung noch nicht bei irgend einem andern Schriftsteller geschrieben gelesen, d. h. selbstverständlich bei keinem Schriftsteller von bedeutenderer Gewähr, sondern man nannte dergleichen Schuhwerk, wie ich bereits bemerkte, crepidae (Sandalen) und crepidulae (San- dälchen), mit kurzer ei-ster Silbe. Diese Art Fussbekleidung nennen die Griechen : yLQrjTtldeg. 8. Daher man die Verfertiger von Fussbekleidung „crepidarii" (Schuhmacher, Schuster) nannte. Sempronius Asello sagt im 14. Buche seiner „(geschichtlichen) Vorkommnisse": „Er verlangte von dem Sandalen -Schuster (a crepidario sutore) den Schusterkneif" (d. h. sein Schuster- messerchen, crepidarium).

XIII, 23 (22), L. Die gemeinsamen Gebete, welche nach römischem Re- ligionsgebrauche an die Götter gerichtet werden, finden sich deutlich auf- gesetzt in den Büchern der Priester; darin legen sie dem Mars die Keriene bei; endlich, wie es mit der Einfuhrung des Namens Neriene oder Nerio sich verhält. (Vergl. Gell. I, 21, 3 NB.)

Xni, 23. (22.) Cap. 1. Die Gebete zu den unsterblichen

xm, 22 (21), 7. Crepida, Sohle, Sandale, eine ursprangliche grie- chische Fussbekleidung, deren sich die römischen Männer nur im häus- lichen Leben oder auf Reisen bedienten, vielleicht mit Absatz, worauf crepido und das griechische XQtintg (Sockel) hinweisen.

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(208) Xm, Buch, 23. (22.) Cap., § 1-4.

Göttern, wie sie nach römischem Religionsgebrauch ver- anstaltet werden, finden sich klar und deutlich angegeben in den Büchern der Priester des römischen Volkes und noch in einigen andern alten Gebetformelbüchern. 2. Da also steht auch geschrieben: Die Lua des Satums (Gemahlin), die Sa- lada des Neptun, die Hora des Quirinus, die Virites des Quirinus, die Maia des Volcan, die Heries (Tochter) der Juno, die Moles (personificirte Kampfmühen, Töchter) des Mars, die Nerio (tapfere Begleiterin, selbst Gattin) des Mai-s. 3. Unter air den genannten höre ich das von mir zuletzt ge- nannte Wort von Vielen so aussprechen, dass sie darin die erste Silbe lang betonen, gerade so, wie die Griechen sagen: NrjQB'tdeg^ indessen die, welche so recht eigentlich (richtig) sprachen, die erste Silbe immer kurz gebrauchten, die dritte hingegen lang aussprachen. 4. Der Nominativ des Wortes heisst Nerio, wie in den Schriften der Alten geschrieben steht; obgleich M. Varro in seiner menippischen Satire,

Xm, 28 (22), 1. Der ältere Gato und aach noch Gracchus begannen ihre Reden mit Gebeten oder Anrufungen an die Götter. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. § 43, 5; Lange röm. Alterth. § 134 S. (604) 665; LIt. 39, 15; Senr. ad Yerg. Aen. 11, 301.

Xin, 23 (22), 2. Lua (von luo), Beinigerin, Sohnerin, eine Göttin, der man die erbeuteten Waffen weihte, indem man dieselben verbraimte. LiY. 8, 16; 45, 33, 2.

Salacia Meeigöttin (=== Tethys oder Amphitrite von salum, Meer und cieo, bewege), vergL Aug. Civ. D. Vn, 22; Fest suby. salaciae.

Hora (= Juventus), Göttin der Jugend und Gemahlin des Quirinus [Romulus] ist eine römische Bezeichnung der vergötterten Hersilia, die man sich mit dem Quirinus vereint im Olymp dachte. (Georges.) Ovid. Met. 14, 851. Ennius ap. Nonium Marc. p. 120, 2.

Virites (Jurites), Gottheiten, welche den Eiden vorstanden.

Maja (die Hehre), Gattin des Volcan.

Nerio, Suis (sabinischer Abstammung von nero so viel als fortis, strenuus, tapfer, herzhaft) Begleiterin, selbst Grattin des Mars. Man hielt sie für die Vorsteherin der Jahre. Vergl. Suet Tib. Nero 1. Nero, Fa- milienname des claudischen Geschlechts, worunter der fünfte römische Kaiser C. Claudius Nero (54 68 n. Chr.) der bekannteste war.

XIU, 23 (22), 4. Ueber menippische Satire vergl. Gell. H, 18, 7NB. Anna Perenna wahrscheinlich Personificirung des neuen Jahres.

Panda, (pando) sabinische Göttin des Eröfihens, weil man glaubte, sie habe dem T. Tatius den Weg gebahnt (pandissc), dass er das Gapitol

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Xm Buch, 23. (22.) Cap., § 4-12. (209)

welche ..lycio^axicc (Schattenkampf)'' heisst, im Vocativus (Singularis) nicht Nerio sagt, sondern Nerienes und zwar in folgenden Versen:

Te Anna äc Per&nna, Panda te, LatiS, Pales, Nen^es et Minärva, Fortuna äc Ceres, d. h.

(Euch aUe, o ihr Götter, ruf ich an) Dich Anna und Peranna, Panda Dich, Lato, Pales, Nerienes und Minerva, Ceres und Fortuna Dich.

5. Eigentlich müsste nun deshalb der Nominativus auch Nerienes lauten. Allein Nerio wurde von den Alten gerade so abgebeugt wie Anio; 6. denn so wie man (den Accusativ) Anienem mit langer dritter Silbe declinirte, so auch Nerienem. 7. Das Wort an und für sich aber, mag es nun (im Nominativ) Nerio heissen, oder Nerienes, ist von Haus aus ein sabinisches Wort und man bezeichnet damit Tapferkeit, Herzhaftigkeit und Ausdauer. 8. Daher wurde unter den Claudiern, die, wie wir wissen, von den Sabinem abstammen, jeder, der sich durch Tapferkeit auszeichnete und hervorthat,.Nero genannt.

9. Allein die Sabiner scheinen diesen Ausdruck (erst) von den Griechen entlehnt zu haben, welche die Bänder und Be- festigungsmittel der Gliedmassen (untereinander) mit dem Ausdiiick ^,vevQa (Sehnen, Stränge, Nerven)" nennen, woher auch wieder unser lateinischer Ausdruck „nervi" stammt.

10. Es findet sich also in dem Wort Nerio die Macht und Gewalt und eine gewisse Würde und Hoheit des (Kriegsgottes) Mars verkörpert. 11. Plautus aber führt in seinem „rohen Hitzkopf (Truc. H, 6, 34)" die Nerio als die Gemahlin des Mars an und lässt dies in folgenden Versen von einem Soldaten sagen:

M&rs peregre adveniäns salutat N^enem uxor^m suam, d. h.

Mars bei der Wiederkehr aus fernem Land* grüsst Nerio sein Weib.

12. Ueber diese Annahme hörte ich von einem sehr be-

einnehmen konnte; daher Schützerin der Wanderer und Friedensgöttin, weil zur Friedenszeit die Stadtthore geöffiiet wurden (pandantur).

Latona, Mutter der Diana und des Apollo, auf Delos entbunden.

Pales (nao), pasco) Feldgottheit

Anio, sabinische Form Anien, enis, ein Nebenfluss der Tiber.

Xin, 23 (22), 9. S. Suet. Tib. 1 extr.

Gel Ha 8, Attisclie Nftchte. U. 14

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(210) XHL Buch, 23. (%.) Cap., § 12-16.

lilhmten Manne die Aeusserung fallen, es sei Plautus in seinem (Schauspiel-) Dichterübermuth doch etwas zu weit gegangen, dass er einem rohen und ungebildeten Soldaten die unrichtige und neue Ansicht in den Mund gelegt, so dass er ihn an- nehmen Hess, Nerio (Neriene) sei die Gemahlin des Mars. 13. Dass dies aber eher mit Einsicht, als mit scherzhafter Absicht gesagt ist, wird der sofort herauserkennen, der das dritte Buch von des Cn. Gellius Annalen einsieht, wo ge- schrieben steht, dass Hersilia, als sie bei (dem König der Sabiner, dem spätem Mitregenten des Romulus) Titus Tatius als Fürsprecherin den Frieden nachsuchte, folgendes Gebet (vorher) gesprochen habe : „Zu Dir flehe ich, Neria des Mars, verleih' uns Frieden, dass wir bleibend und glücklich der Ehe geniessen, was nur auf Deines Gatten Rath und Beistand glückte, dass sie uns Jungfrauen entführen konnten, um sich und den Ihrigen für ihr Vaterland die nachkommenden Ge- schlechter zu schenken.'' 14. Sie sagt: auf Deines Gatten Rath und Beistand (de tui conjugis consilio) und meint zwei- felsohne darunter den Mars, wodurch es klar wird, dass dies vom Plautus also nicht nach Dichterfreiheit gesagt ist, sondern dass es bereits eine alte üeberlieferüng war, dass Nerio von Einigen für des Mars Gemahlin gehalten wurde. 15. Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass (der Geschichtsschreiber) Gellius den Namen mit a auslauten lässt und Neria sagt, nicht aber weder Nerio, noch Nerienes. 16. Ausser Plautus und ausser Gellius schreibt auch der alte Lustspieldichter Licinius Imbrex in seinem Stücke, welches Neaera tiber- schrieben ist; also:

Nolo ^0 Neaeram vocent, set N^iTenem, Cum qnidem Marti es in conubiiim data, d. k.

Nicht wUl icli lassen nennen Dich Neaera, sondern N^rio, Da Du zur Ehe doch gegeben bist dem Mars.

XIII, 28 (22), 18. üeber Cn. Gellius s. Teuffels Gesch. der r. lu 142, 1; Gell. XVin, 12, 6; VEI, 14, L. S. Dionys. II, 45. 46 Raub der Sabinerinnen.

XIII, 28 (22), 16. üeber Licinius Imbrex s. Teuffels röm. Lit Gesch. § 106.

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XnL Buch, 23. (22.) Cap., § 17 - 19. 24. (23.) Cap., § 1. (211)

17. Mit diesem Vei-smass verhält es sich nun aber so, dass dabei, entgegen dem, was oben von mir behauptet wurde, die dritte Silbe (in diesem Falle) kurz ausgesprochen werden muss. Wie gi'oss aber die Unzuverlässigkeit des (Silben-) Längenmasses bei den Alten ist, dürfte zu bekannt sein, als dass ich erat noch mehr Worte über diesen Gegenstand zu vei-schwenden brauche. 18. Ennius hingegen im ersten Buche seiner „Annalen" in folgenden Veraen:

NerTenem Mavortis et Herclem, d. h.

Die N^rio, des Mars Gemahlin und den Herdes, wenn andei-s er überhaupt, wie dies ja bei Ennius nicht immer der Fall ist, hier einmal das Längenmass beobachtet hat, Ennius, sag' ich also, dehnt die erste Silbe, d. h. gebraucht sie lang, die dritte hingegen kurz. 19. Nun darf ich endlich aber auch noch diese letzte Bemerkung nicht mit Still- schweigen übergehen, sei sie, wie sie sei, die ich in dem „Denkbuch'* des Servius Claudius geschrieben fand, dass der Ausdruck Nerio gleichsam gesagt sei für Ne-irio, das hiesse also: ohne Zorn und mit Versöhnlichkeit, so dass wir den Mars unter diesem Namen anflehen wollen, uns sanft, mild und friedlich zu. begegnen. Denn die Partikel ne, wie bei den Griechen, so auch meist in der lateinischen Sprache, zeigt eine Beraubung an (und stellt also den Begriff ver- neinend dar).

XIII, 24 (23), L. Allerliebster Vorwurf des M. Cato, der CJonsul und Censor gewesen war, gegen Die, welche nur dem Namen, nicht aber der That nach Weltweise sind (und die Weltweisheit nur als Aushängeschild

gebrauchen).

Xm, 24. (23.) Cap. 1. M. Cato, der die Würde eines Consuls wie Censors bekleidet hat, sagt, dass, während der Staat und die Privatleute sich der Ueppigkeit überliessen, seine Villen ungeschmückt und roh (ganz einfach), nicht ein- mal mit Kalk übertüncht gewesen bis zum 70. Jahre seines Lebens. Und da drückt er sich im weiteren Verlauf wörtlich so aus: „Weder ein Gebäude, sagt er, noch ein Gefäss, noch ein Kleid hab' ich, kostbar gefertigt, noch einen kostbaren

xm, 23 (22), 19 vergl. GelL m, 8, 1 NB.

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(212) Xm. Buch, 24. (28.) Cap., § 1. 2. 25. (24.) Cap., § 1. 2.

Sklaven, noch Magd. Wenn ich etwas habe, fährt er fort, was ich brauchen kann, so gebrauch' ich's auch ; wenn ich's nicht habe, so weiss ich dessen zu entbehren (und behelfe mich gern so). Meinetwegen darf Jeder das Seinige brauchen und geniessen." Dann fügt er hinzu: „Man macht mir einen Vor- wurf, weil ich mich in vielen Dingen behelfe, aber ich (mache) Jenen (zum Vorwurf), weil sie sich nicht behelfen können (nicht verstehen, etwas zu entbehren)." 2. Ein solches lauteres, aufrichtiges Geständniss von diesem filr das schlichte und einfache Landleben eingenommenen Menschen (Tusculani hominis), der zwar eingesteht, dass er wohl viele Dinge noch entbehre, nichts jedoch danach verlange, ist wahrlich weit mehr förderlich, die Liebe zur Sparsamkeit und Genügsamkeit anzuregen und in Geduld zur Ertragung des Mangels aus- zuharren, als jene griechischen Windbeuteleien von Denen, die da sagen, dass ihnen die Philosophie ein Bedürfnis» sei (vergl. Gell. V, 15, 9) und die (stets nur) eitel leeren Phrasen- dunst vorheucheln, die (in einem fort) die Versicherung im Munde führen, dass sie nichts besitzen, dass sie jedoch auch durchaus nichts bedürfen und durchaus nichts begehren, während sie doch (leidenschaftlich) danach brennen, zu be- sitzen, zu bedürfen, zu begehren.

XIII, 25 (24), L. UntersnchaDg der Frage, was das Wort „mannbiae*' be- deutet; dann nebenbei noch einige Bemerkungen über die Art nnd Weise, mehrere Wörter von gleicher Bedeutung auf einander folgen zu lassen (nnd zu häufen).-

xm, 25. (24.) Cap. 1. Auf der Trajanssäule sind (plasti- sche) um und um vergoldete Abbildungen von Pferden (Figu- ren) und militärischen Fahnen und Trophäen angebracht und darunter steht geschrieben: ex manubiis. 2. Als Favorinus auf dem freien Marktplatz auf- und abging und seinen Freund,

XIII, 25 (24), 1. Marcus Ulpios Triganus, der erste nicht aus Italien gebürtige röm. Kaiser y. 98 117, hei Sevilla in Spanien gehören, erhielt den Beinamen des „Besten^, den ihm der Senat beilegte. Er starh 117 zu Selinus in Cilicien an der Pest Die von ihm (114) errichtete, 120Fus8 hohe, im Innern ersteigbare, von aussen mit den Scenen aus dem da- dschen Kriege darstellenden Reliefs geschmückte Säule steht noch jetzt in Born, aber statt des Trajan die Bildsäule des heiligen Petrus tragend.

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Xm. Buch, 25, (24.) Cap^ § 2—6. (213)

den CoDsul erwartete, der vor Gericht noch eben mit Ent- scheidung von Rechtssachen beschäftigt war, richtete er an uns, die wir ihn damals fast immer zu begleiten pflegten, die Frage und sagte: Was glaubt ihr wohl, das eigentlich auf jener Inschrift die Bedeutung von dem Wort: manubiae ist? 8. Darauf sagte Einer aus der Gesellschaft, ein Mann durch seine wissenschaftlichen Bestrebungen von einem grossen und berühmten Namen: ex manubiis heisst soviel als ex praeda; manubiae wird nämlich die Beute genannt, welche man mit der Hand (manu) genommen und fortgeschafft hat. 4. Wenn ich auch schon, nahjn Favorin das Wort, meinen ganzen Hauptfleiss fast (ausschliesslich) nui* auf griechische Wissen- schaften und Literatur verwendete, so bin ich immerhin doch nicht so ganz utiwissend mit den lateinischen Ausdrücken (geblieben), mit denen ich mich nur zeitweise und so nebenbei beschäftige, als dass mir die gewöhnliche Auslegung des Wortes manubiae unbekannt geblieben sein sollte, dass es (schlecht- weg) nämlich soviel als praeda (Beute) bedeuten soll. Allein ich frage, ob M. TuUius (Cicero), der gewissenhafteste Schrift- steller bei der Wahl des Ausdrucks, in der Rede, die er am 1. Januar gegen Rullus „über das Ackergesetz'^ gehalten hat, wohl etwa nur durch unnütze und geistlose Verdopplung der beiden Ausdrücke „manubiae'* und „praeda'' verbunden haben würde, wenn der eine ganz dasselbe bedeutet, als der andere, und sie sich in keiner Hinsicht von einander unterscheiden ? 5. Und wie sich nun Favorinus immer durch sein vortreff- liches, man möchte vielmehr sagen, göttliches Gedächtniss auszeichnete, so führte er auch jetzt sofort die betreffenden Worte von M. TuUius (Cicero) an. 6. Ich lasse dieselben hier gleich folgen (sie bilden ein Bruchstück zu der Rede

Xin, 25(24), 6. Unter manubiae wiU man auch den für denFeld- herm abgesonderten Beutetheil verstanden wissen, welchen dieser bestimmt und gelobt hatte, irgend zvl einem Tempel, oder zu einer Wasserleitung, oder zu einem andern öffentlichen Denkmal für das Wohl und Beste der Stadt Rom zu verwenden. Aurum coronarium (Eron-Steuer, Kronen- gold) war die Abgabe, welche eine Provinz dem Statthalter (Feldherm), später dem Kaiser, wenn er triumphirte, zur Verfertigung der goldenen Krone, die man beim Triumph zu zeigen pflegte, als wohlverdienten Lohn bewiUigite.

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(214) XIIL Buch, 25. (24.) Cap., § 6-9.

gegen Rullus über das Ackergesetz): „Die eroberte Beute (praedam), den Beuteerlös (manubias), die Versteigerungs- güter, ja das Lager des Cn. Pompejus werden die Decemvim unter den Augen des dabeisitzenden Feldheim losschlagen." Und weiterhin hat er diese beiden Ausdrücke gleich wieder ebenso verbunden neben einander gesetzt und gesagt (Cic- de leg. agr. contra RuU. I, 4, 12): „von der eroberten Beute (ex praeda), von dem (abgesonderten, gelobten) Beuteerlös (ex manubius), von dem Kronen golde (ex auro coronario)."

7. (Nach Anführung dieser Stelle) wandte er sich darauf an Den, der behauptet hatte, dass „manubiae'* ganz dasselbe be- deute, was durch „praeda** (schon) ausgediilckt sei und sagte zu ihm: Glaubst Du denn nun immer noch, dass M.Cicero an beiden Stellen ungereimter und fader Weise zwei Wörter ge- braucht hat, die ganz genau einen und denselben Begriff, wie Du doch meinst, bezeichnen und fähig gewesen sei, einen ähnlichen Scherz anzubringen, wie der ist, womit Euripides beim Arirttophanes, bei diesem launigsten unter den Lustspiel- dichtem, den Aeschylus aufgezogen hat, wenn er sagt (Aristoph. Frösche v. 1154 1156-1158):

Euripides. Da sagt uns Eines zweimal Meister Aeschylos:

„Ich kam ins Land, sagt er, imd kehre jetzt zurück. " Ich kam, ist ja dasselbe, wie: ich kehr* zurück. Dio ny s. Ganz recht beim Zeus, als wenn zum Nachbar Jemand spr&ch: Den Backtrog leih', oder, wenn Du willst, die Mulde mir'*').

8. Keineswegs aber scheinen mir, wie z. B. bei Aristophanes die Redensart: Backtrog oder Mulde ausdrückt, bei Cicero die beiden Wörter gerade so angewendet zu sein, wie der- gleichen ähnliche gleichbedeutende Begi*iffe, sowohl bei grie- chischen und lateinischen Dichtem, wie bei Rednern, zur Verherrlichung und Ausschmückung des Ganzen, durch zwei oder mehrere gleichbedeutende Wörter wiederholt hinter ein- ander gesagt werden. 9. Was soll daher wohl, sagte Favo- rinus, die Wiederholung und Erneuerung derselben Sache nur durch einen andern (aber gleichbedeutenden) Ausdruck be-

Xm, 25 (24), 7. *) Das ist gehüpft wie gesprungen, sagt man bei uns sprüchwörtlich.

Xm, 25 (24), 9. Cic de const. accasat vergl. Gell, ü, 4^ 1; IV, 9, 7.

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Xra. Buch, 25. (24.) Cap., § 9 --11. (215)

zwecken , wie dies doch hier bei den beiden Wörtern „manu- biae"* und „praeda" der Fall sein würde? Verleiht Cicero, wie er sonst wohl zu thun pflegt, der Rede dadurch einen grösseren Glanz? Macht er sie dadurch klangvoller und melodischer, harmonischer und gefälliger? Bezweckt er durch diese (Wie- derholung und) gewiss auffällige Ausdruckshäufung, das Ver- brechen nur noch ärger hinzustellen, oder noch schärfer zu rügen, zu brandmarken? Etwa so, wie von demselben Cicero in seiner Schrift, welche „über die Wahl des Klägers" handelt, ein und dieselbe Sache durch mehrere Wörter in heftiger und harter Weise so ausgedrückt wird (Cic. contr. Q. Caecil. de constituendo accusatore 5, 19): „Ganz Sicilien, wenn es sprechen könnte, würde einstimmig so sagen: was ich an Geld, was ich an Silber, wallS an Kostbarkeiten in meinen Städten, Wohnsitzen, Heiligthümern gehabt habe." Denn da er bereits einmal „alle Städte" gesagt hatte, fügt er (eigent- lich nur noch überflüssiger Weise) W^ohnsitze und Heilig- thümer hinzu, welche sich ja doch in den Städten befinden (und bei dieser allgemeinen Bezeichnung schon mit einbegriffen sind). 10. So heisst es in demselben Buche (contr. Q. Caecil. de const. acc. 4, 11) auf ähnhche Weise: „C. Verres wird beschuldigt, die Provinz Sicilien drei Jahre hindurch verheert, ihre Städte verwüstet, die Häuser ausgeleert, die Heiligthümer geplündert zu haben." 11. Als er (im Allgemeinen) der ganzen Provinz Sicilien Erwähnung gethan und überdies noch (besonders) die Städte hinzugefügt, auch die Wohnstätten und Tempel, welche er nachher (der Ausführlichkeit wegen noch) setzte, kurz dies Alles der Reihe nach aufgezählt hatte, was soll man nun da (wohl erst) von der Häufung der vielen und verschiedenen (aber so ziemlich gleichbedeutenden, aufeinander folgenden) Zeitwörter sagen, als da sind: depopulatus esse (verheert), vastasse (verwüstet), exinanisse (ausgeleert), spo- liasse (geplündert zu haben), laufen nicht alle auf ein und dieselbe Bedeutung (oder Bezeichnung eines und desselben Begriffs) hinaus? Ganz gewiss! Allein weil sie mit würde- vollem, rednerischem Ausdruck und mit gewaltiger Fülle des Vortrags gesagt werden, obgleich sie fast ganz dasselbe be- deuten und nach Gemässheit eines einzigen (absichtlichen) Begriffes loswettern, wird man sie trotzdem für mehrere (und

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(216) XIIL Buch, 25. (24) Cap., § 11—15.

verschiedene) halten, weil sie Ohr und Gewissen öfters treffen. 12. Diese Art des Redeschmucks, bei (Hervorhebung und) Vergrösserung eines einzigen Verbrechens durch viele (heftige) und betäubende Ausdrücke, hat damals schon jener älteste (Redner) M. Gato mit ausserordentlichem Erfolge in seinen Reden anzuwenden verstanden, wie z. B. in der Rede, welche überschrieben ist: „von den zehn Männern", als Cato den Thermus anklagte, weil dieser zehn freie Männer zu gleicher Zeit hatte umbringen lassen. Er bedient sich dabei einer Häufung von Ausdiücken, welche alle nur einen und den- selben Sinn haben (alle nur auf eine und dieselbe Thatsache hinzielen). Weil daraus schon Blitze der damals zuerst auf- blühenden römischen Beredtsamkeit aufleuchten, so darf ich mir wohl erlauben, sie hief ins Gedächtniss zu bringen (a7tofÄvr]fioveveiv)^ sie lauten: „Du muthest uns zu, Deine ab- scheuliche (niederträchtige) Unthat durch eine (zweite) noch schlimmere zuzudecken, lassest Menschen wie Schweine ab- stechen, richtest eine Schlächterei ohne Beispiel an, richtest zehn Leichen her, richtest zehn freie Häupter hin, raubst zehn Menschen das Leben ohne Prozess, ohne Richterspruch, ohne Verurtheilung." 13. Ebenso hat Cato auch im Anfang seiner Rede, welche er im Senat zu Gunsten der Rhodier hielt, als er die Römer an ihr zufällig ausserordentliches Glück erinnern wollte, sich dabei dreier ganz gleichbedeu- tender Ausdrücke bedient. 14. Die Stelle lautet also: „Ich weiss recht gut, dass die meisten Menschen in günstigen und behaglichen und glücklichen Umständen sich überheben und dass Hochmuth und Trotz sich mehrt und wächst" 15. Ebenso hat Cato an einer Stelle aus dem 7. Buche seiner „Ur- geschichte", in der Rede, welche er gegen den Praetor Ser- vius (Sulpicius) Galba hielt, sich mehrerer Wortwieder-

XIII, 25 (24), 12. M. Cato „de decem hominibus contra Thermum''. Q. Minudus Thermus hatte als Gonsul in Ligarien den Senatsausschuss (decemviri) einer Stadt wegen angeblich schlechter Proviantlieferong aus- peitschen und dann hinrichten lassen. Ihm nun bringt Gato diese That mit den hier, angeführten betäubenden Wiederholungen zu Ohr und Ge- wissen. S. M. Gatonis praeter librum de re rustica quae extant Henr. Jordan. 1860. (Otto Ribbeck.) VergL Gell. X, 8, 17 NB.

Xm, 25 (24), 14. S. Gell. VI (VE), 3, 14.

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Xin. Buch, 25. (24.) Cap., § 15 17. (217)

holungen über dieselbe Sache bedient, er sagt da: ,,(meine) Jahre, (mein) Alter, (meine) Stimme, (meine) Kräfte, (mein) Greisenthum; jedennoch freilich da ich in Erwägung zog, dass ich dies fQr eine höchst wichtige Sache (für das Wohl des Staates) thue^ (so hat der Gedanke an die Bedeutung dieser Verhandlung alle meine Bedenken überwunden). 16. Vor Allen aber finden sich bei Homer (auffallend) schlagende Beispiele solcher ansehnlicher Worthäufung, sowohl bezüglich der Sache, wie des Gedankens, z. B. (Hom. H. XI, 163):

Hectom aber entrückte der Donnerer aus den Geschossen,

Aus dem Gemetzel der Schlacht, aus Blut und Staub und Getümmel

Aehnlich in einem andern Verse (Homer. Odyss. XI, 612): Schlachtengewühl und Gefecht und Mord und Männervertilgung.

17. Denn da an beiden Stellen alle diese vielen und sinn- verwandten (synonymen) Wörter nichts weiter bezeichnen sollen, als eine Schlacht, so ist doch die Mannigfaltigkeit

Xin, 25 (24), 15. W^ie im Jahre 564 für die Ligurier (vergl. Gell. I, 12, 17), so tritt 70 Jahre später, kurz vor seinem Tode, der 85jährige Greis für das Recht der Lusitanier ein, die er seit seinem Consulate unter seine besonderen Schutzbefohlenen zählte. Der Praetor Servius Sulpicius Galba hatte 7000 Lusitanier in die Falle gelockt und trotz des geschlosse- nen Vertrages theils niederhauen, theils in die Sklaverei führen lassen. Der Volkstribun L. Scribonius Libo hatte beantragt, die Gefangenen frei zu geben und damit Anklage gegen den verrätherischen Feldherm erhoben. Der alte' Cato erhob sich zur Unterstützung des Antrags und begann mit den hier 15) verzeichneten Worten. Mit jugendlicher Energie trieb Cato den Gegner aus den Schlupfwinkeln seiner Vertheidigung heraus. Der gänzlich Ueberführte und Geständige wäre beinahe verloren gewesen; doch gelang es ihm noch mit Hülfe des schon damals beliebten Bühr- apparates, durch weinende Kinder und Geld, der Yerurtheilung zu ent- gehen. Cato aber verewigte das Brandmal, das er ihm aufgedrückt hatte, durch Aufiiahme seiner Rede in das 7. Buch seines grossen Geschichts- werks (origenes). Bei der nachträglichen Aufzeichnung, entweder in der Bede selbst, den voraussichtlichen Versuchen des Angeklagten begegnend, oder in dem historischen Bericht über den Ausgang des Prozesses, nahm er noch auf jene Unsitte, durch Kinder- und Weiberthränen das Recht zu beugen, warnend oder tadelnd Bezug. Durch diese Erklärung löst Otto Ribbeck die scheinbaren Widersprüche der Zeugnisse über diese Rede am einfachsten auf. Siehe Cic. de orat 1, 53, 227; Quinctil. U, 15, 8. Ser- vius Sulpicius Galba war der erste Redner seiner Zeit. Cic Brut. 86, 295; Lael. 2S, 89. YergL Teufels röm. Lit. Gesch. 119, 2 u. 171, 2. 4 und GeU. II, 10, 1.

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(218) Xm. Buch, 25. (24.) Cap., § 17—21.

dieses Kampfbildes durch die vielen und verschiedenen (wenn auch sinnverwandten) Ausdrücke in lebhafte Farben gekleidet

18. Ganz ebenso findet sich bei demselben Dichter mit feiner Absichtlichkeit jener eine Gedanke in zwei (gleichbedeutenden) Wörtern wiederholt. Als nämlich Idaeus zwischen die beiden, mit Waffen kämpfenden Helden, Ajax und Hector, tritt, ruft er (Hom. Iliad. VII, 279) ihnen folgende Worte zu:

Wackere Söhne, genug sei's jetzt des Gefechtes und Eämpfens !

19. Nun darf man aber nicht etwa glauben, dass das andere Wort in dem Verse dem vorhergehenden, gleichbedeutenden als nicht zur Sache gehörig, zugesetzt und angeflickt sei, nur zur Ausfüllung des Versmasses. Eine solche Behauptung wäre höchst thöricht und lächerlich. Allein als er an den beiden von Ruhmbegierde brennenden Jünglingen ihre Hartnäckigkeit, ihre Wildheit und ihre Kampfgier ruhig und mit Anstand tadelte, beabsichtigte er nur, ihnen, zweimal mit andern Worten dasselbe sagend, mit doppelt eindringlichem Zuruf (wegen der einbrechenden Nacht) die Gefährlichkeit des Kampfes und die Vermessenheit seiner Fortsetzung schlimmer darzustellen und einzuschärfen, und dieser doppelte (laute und harte) Vorwurf macht (daher) die Warnung (nur noch) drin- gender. 20. Nicht einmal jene Wiederholung eines gleich- bedeutenden Ausdrucks darf (uns) kraftlos und matt erschei- nen (Hom. Odyss. XX, 241) in folgendem Verse:

Doch die Freier beschlossen des Telemachs Tod und Yerhängniss

Meuchlerisch, weil er zweimal denselben Begriff benennt, einmal durch „Tod (^amrog)", das anderemal durch „Verhängniss {fioQogy; denn die empörende Niedei-trächtigkeit des ebenso grausamen, als ungerechten Mordanschlags ist durch die Wiederholung des Begriffes „Tod" (schmerzlich) beklagt worden, 21. Wer sollte übrigens geistig so abgestumpft sein, dass er nicht auf den ersten Augenblick erkennt, dass (wie früher die beiden gleichbedeutenden Wörter: Ttole^iCere (streitet) und itaxta^B (kämpfet), so an zwei andern Stellen (Hom. II. H, 8):

JBßffx' r^, ovli ^OvHQf^ d. h. Geh*, eile, verderblicher Traum!

XIU, 25 (24), 21. Die Verbindung dieser zwei synonymen ImperatiTe ßdaxi und X&i drackt die Eile aus , mit der der Befehl iBich au&umachen ausgef&hrt werden soll, ßiax^ kommt nur in dieser Verbindung vor.

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Xm. Buch, 25. (24.) Cap., § 21—27. (219)

und (Hom. Iliad. VIÜ, 399):

Baax^ f&i, '*Iqi Taxfttt, d. h. Geh', eile, o schnelle Irisl

die beiden gleichbedeutenden Ausdrücke (ßdayce-Yd^t, geh', laufe) nicht absichtslos gesetzt seien, wie Einige meinen, durch (diese) Verdoppelung gleichbedeutender Wörter {ex Ttaqal' IriXiov), sondern eine strenge Aufforderung gebotener Eile (merken lassen sollen). 22. Auch jene dreifachen Ausdrücke des M. Cicero in seiner Rede gegen L. Piso (1, 1), obwohl sie Leuten mit hartem Ohre nicht gefallen (wollen), erstrebten nicht nur Feinheit durch (rhythmischen) Wohlklang, sondern geisselten (ganz) besonders die absichtlich angenommene äussere Miene (wodurch sich Piso zu verstellen wusste) durch mehrere Ausdrücke zugleich. Cicero drückt sich so aus: 23. „Kurz, Deine ganze Miene, welche eine stumme Sprache des Gemüths ist das war es, was die Leute in die Falle lockte, das war es, womit er Diejenigen, denen er unbekannt war, hinterging, täuschte und verführte." 24. Was lässt sich nun aus dem Gesagten für ein Schluss ziehen? Ich will's Euch sagen, fuhr Favorin fort. Ist nun etwa bei demselben Cicero (in der früheren Stelle) der Fall ein ähnlicher in Bezug auf die Wörter: praeda und manubiae (dass es also auch nur gleich- bedeutende Ausdrücke sind) ? Nichts, wahrlich nichts der Art ist hier der Fall. 25. Denn durch das hinzugefügte Wort: manubiae (also durch Verdoppelung desselben Begriffs) wird die Ausdrucksweise weder schmuckvoller, noch gewaltiger, noch wohlklingender; aber etwas Anderes bedeutet überhaupt: „praeda", wie in den Werken über alte Geschichte und über alte Ausdrücke geschrieben steht, etwas Anderes : „manubiae". 26. Denn die Masse der erbeuteten Gegenstände wird „praeda" genannt, unter dem Ausdruck „manubiae" aber verstand man das vom Quaestor aus der Beuteversteigerung (gelöste und als Staatseinnahme) verrechnete Geld. 27. M. TuUius (Cicero) setzte aber (absichtlich) beide Wörter, um Hass und Vorwürfe

xm, 25 (24), 26. Der Quaestor, Schatzmeister (Rentmeister, Eriegs- zahlmeister) hatte die Kriegskasse zu verwalten, den Sold anszutheilen, die gemachte Beute für Rechnung des Staates in Empfang zu nehmen. Mit diesem Amte begannen vornehme junge Römer gewöhnlich ihre politische Laufbahn.

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(220) ' Xm. Buch, 25. (24.) C^)., § 27-82.

zu verschärfen gegen die Decemvira, welche beabsichtigten, nicht nur die Beute, welche noch nicht veräussert worden war, sondern auch das Geld, was bereits aus dem Verkauf von Beute gelöst worden sei, zu stehlen und einzuheimsen. 28. Daher zeigt uns diese Ueberschrift, die ihr hier seht, so recht augenscheinlich, dass unter den Worten: ex manubiis nicht die erbeutete Gegenstandsmasse zu verstehen ist, denn etwas Derartiges ist dem Feinde vom Trajan nicht ab- genommen worden, sondern diese Ueberschrift macht uns ganz deutlich, dass dies Alles hergestellt und gewonnen wor- den sei: ex manubiis, d. h. also: aus dem Beuteerlös. 29. Unter „manubiae" versteht man also, wie ich bereits schon bemerkt habe, nicht die Beute selbst, sondern das durch den Quaestor des römischen Volkes aus der verkauften Beute zusammengebrachte Geld. 30. Unter dem von mir bezeich- neten Quaestor muss heutigen Tags der Schatzmeister (prae- fectus aerario) verstanden werden. Denn die Obhut und Aufsicht über den (Staats-) Schatz ist von den Quaestoren auf die Praefecten übergegangen. 31. Nirgends aber lässt sich nachweisen, dass irgend ein nur halbwegs guter Schrift- steller so geschrieben habe, dass er so ohne Weiteres, oder in seiner Nachlässigkeit praeda für manubiae, oder manubiae für „praeda" gesetzt hätte, oder eine Veilauschung der Wörter durch irgend eine bildliche Ausdrucksweise gebraucht hätte, wie es wohl Denen, welche dies geschickt und kunstgerecht anfangen, (unter Umständen) gestattet ist (z. B. den Dichtern). 32. Allein ich muss ausdrücklich noch einmal bemerken, dass Die, welchen es darum zu thun war, charakteristisch und bezeichnend zu sprechen, das Wort manubiae nur in dem Sinne von Geld genommen haben, gerade so, wie M. Tullius (Cicero) in der erwähnten Stelle.

XIII, 25 (24), 29. lieber den Verkauf der Kriegsbeute von Seiten des das Heer begleitenden Quaestors, um dann den Erlös (manubiae, im Unterschiede von praeda) abzuliefern oder f&rs Heer zu yerwenden, s. Dion. 7, 63; 8, 82; 10, 21; Plaut Capt proL 34 und Lange röm. Alterth. § 87 p. (636) 741.

xm, 25 (24), 30. Im Jahre 810/57 übertrug Nero gewesenen Prae- toren die Verwaltung des aerariums, s. Flut quaest Rom. 43; Suet. Claud. 24.

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Xra. Buch, 26. (25.) Cap., § 1. 2. (221)

Xin, 26 (25), L. Nach dem AuAsprnch des F. Nigidius muss man bei dem Vocativ: „Väleri^ die erste Silbe stark betonen; desgleichen einige andere wörtliche Bemerkungen Yon ihm, welche sich auf eine richtige Schreibart

beziehen.

Xm, 26. (25.) Cap. 1. P. Nigidius, höchst bewandert in den Grundsätzen aller Wissenschaften, sagt im 24. Buche seiner „grammatischen Erklärungen" wörtlich: „Wie könnte endlich die Betonung unverletzt bleiben, wenn man bei Namen, wie z. B. bei „Valeri", nicht zu untei-scheiden wüsste, ob es der Genitiv, oder der Vocativ sei? Bei dem Genitiv liegt nämlich auf der zweiten Silbe eine stärkere Betonung, als auf der ersten, die letzte Silbe lässt man fallen (und der Genitiv lautet also: „Valöri"), aber beim Vocativ hat die erste Silbe den höchsten Accent (und er lautet also: „Valeri''), die andern (anschliessenden) Silben sinken nach und nach." 2. Diese Aussprache schrieb nun zwar P. Nigidius (der Zeit- genosse des Cicero) vor. Wenn nun aber heutigen Tages es Jemandem einfallen sollte, im Fall er den Namen Valerius zu nennen hat, nach dieser Vorschrift des Nigidius im Vocativ

xm, 26 (25), L. üeber den Vocativ von egregius vergl. Gell. XIV, 5.

Die Substantiva (nicht A<](iectiva) auf ins und ium haben im Genitiv i, wie

res mancipt. Daher die Regel, dass der Vocativ Väleri zu sprechen, der

. Genitiv aber Valäi, was richtig ist, wenn Valeri aus Valerii entstanden ist

xm, 26 (25), 2. Acuere sillabam, Hebung, Betonung der Silbe. Eine Silbe erhält einen besondem Hauptton, die andere Silbe schliesst sich dieser Silbe an, z. B. hömmes. Es giebt also lange Silben ohne Hebung und mit Hebung. 1) Einsilbige Wörter haben auf dieser Silbe den Ton, 2) zweisilbige haben auf der ersten den Ton, 8) drei- und mehrsilbige haben auf der drittletzten den Ton, wenn die vorletzte kurz ist und nur positio debilis hat, z. B. t^nebrae; auf der vorletzten, wenn diese lang ist, z. B. hflm3nus, rStcntns; die letzte Silbe hat gar keinen EinÜuss. Positio debilis, schwache Position, keine voUe Position, muta cum liqnida macht nicht lang, z. B. tenebrae, putris, ärbltror. Dadurch wird natürlich die bereits lange Silbe nicht kurz : mätcr, mätris, frätris. Dichter erlauben sich jedoch, diese positio debilis geltend zu machen. Die alten Gramma- tiker unterschieden Höhe, Stärke und Dauer des Tones. Habet quidem litera altitudinem in pronuntiatione (Tonlage, Tonschwingungsverhältniss), latitudinem in spiritu (Schallwirkung), longitudinem in tempore (Tondauer, Zeitdauer des Tons). Prise, de accentt 1, 2; Altitudinem discemit accentus, quum pars verbi aut in grave deprimitnr, aut sublimatur. Accentus (n^^o; ^J/n)

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(222) XIIL Buch, 26. (25.) Cap., §2—5.-27. (26.) Cap., § 1.

die erste Silbe zu betonen (und Väleri zu sprechen), so dürfte es nicht ausbleiben, dass er ausgelacht wird. 3. Er nennt die höchste AfFection des Silbenlautes die scharfe Silbenmessung {7tQog(p6ia acuta) und was man gewöhnlich durch „accentus" bezeichnet, nennt er „voculatio*' (Betonungsausdruck), femer, was wir jetzt mit dem Worte „Genitiv" bezeichnen, nennt er „casus interrogandi". 4. Auch folgende Bemerkung fiel uns in dem Werke dBS Nigidius auf, wo er sagt: „Wenn Du den Genitiv von amicus und magnus schreiben solltest, so brauchst Du nur ein i zu setzen (und sagst:) „hujus amici, oder hujus magni, wenn Du aber den Nominativus pluralis zu setzen hast, wirst Du vorher immer noch ein i (also überhaupt ein Doppel -i) schreiben müssen: magnii, amicii, und diese Kegel wii-st Du auch in allen ähnlichen Fällen zu beobachten haben. Ebenso magst Du auch den Genitiv von „terra" mit einem Schluss-i schreiben, also: hujus tenai, wenn Du aber den Dativ gebrauchst, musst Du huic tenae schreiben, also mit (Schluss-) e. Ebenso, wer den Genitiv (des Pereonalpronomens) von ego schreibt, wie z. B. wenn man sagen will: mei Studiosus (ein Beschützer von mir), soll die Genitivform mit einem i schreiben und nicht noch mit e, allein beim Dativ muss man e und i setzen, und also mihei schreiben.^ 5. Durch das hohe Ansehen eines so höchst gelehrten Mannes veranlasst, glaubte ich diese Be- merkung denen zu Liebe nicht mit Stillschweigen übergehen zu dürfen, denen es auch in dieser Hinsicht um eine gründ- liche Kenntniss zu thun ist.

XIII, 27 (26), L. Ueber einige Verse you Homer und Parthenius, welche Vergil scheint nachgeahmt zu haben.

Xm, 27. (26.) Cap. 1. Ein Vers des Parthenius lautet: Dir Glaukos, Dir Nereus, und Dir Seegott Melikertes.

dictus ab accanendo, quod sit quasi ci\jusque sillabae cantus Diomedes IL vergl. Quint. I, 5, 22. 25 und Gell. XIH, 13, 1 7tQog(^(ai (Accente). Die alte uationalgriechische Grammatik begreift nämlich unter dem Namen nQog(p^£ai alle Affectionen des Sübenlautes, also namentlich auch die Accente und Spiritus.

Xin, 27 (26), 1. S. Macrob. Bat. V, 17; cfr. GeU. IX, 9, 8.

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Xm. Buch, 27. (26.) Cap., § 2. 8. - 28. (27.) Cap., §1—3. (223)

2. Diesen Vera hat Vergil nachgeahmt, und indem er dabei mit feinem Gefühl zwei Wörter umänderte, einen gleichen gedichtet:

Dir Panopeia und Glaukos und Ino's Sohn Melikertes

(Verg. Georg. I, 437). 3. Aber der folgende Vei-s kommt dem homerischen wahrlich nicht gleich, ja nicht einmal nahe; denn der von Homer scheint einfacher und natürlicher, der von Vergil aber scheint modemer (und etwas von klassischem Anstrich zu entbehren) und gleichsam mit einigem aufgelegten Kitt herausgeputzt:

Auch ein Stier dem Alph6ios, zugleich ein Stier dem Poseidon (sc. ward zum Opfer gebracht Hom. lliad. XI, 728).

Seinen Stier dem Neptunus, den Stier Dir, schöner Apollo (sc. opferte Aeneas. Verg. Aen. III, 119).

XIII, 28 (27), L. Ucber einen Gedanken des Fanätius, den er im 2. Buche

(seines Werkes) „über die Pflichten" niedergeschrieben hat, wodurch er

Jedermann ermahnt, sich für alle Fälle (im Leben) zur Verhütung (und

Abwehr) von Widerwärtigkeiten gerüstet und vorbereitet zu halten.

Xin, 28. (27.) Cap. 1. Eines Tages wurde (von mir) das zweite von den drei berühmten Büchern des Philosophen Panaetius „über die Pflichten'* gelesen, ein Werk, welches M. TuUms (Cicero) mit grossem Eifer und höchstem Geschick nachgeahmt hat. 2. Daselbst finden sich sowohl viele andere (herrliche) Hinweise zur Rechtschafifenheit und Tugend, als auch besonders eine (Wahrheits-) Lehre vor, die man immer in Gedanken haben und behalten soll. 3. Sie lautet ohngefähr folgendermassen : Das Leben von allen den Menschen, heisst es, die beständig mitten im Drange der Geschäfte ihr Dasein fristen, und sich und den Ihrigen nützlich werden wollen, bringt für sie oft wider Erwarten beständige und fast täglich wiederkehrende Beschwerden und Gefahren mit sich, zu deren Verhütung und Abwehr man gerade so mit Geistesgegenwart und Standhaftigkeit gewappnet sein muss, wie die Wettkämpfer,

XIII, 27 (26), 3. S. Bemh. röm. Lit. Gesch. 80, 372.

XIII, 28 (27), L, Des Panaetius Schrift: 7i€qI tou xad-rjxovrog war Quelle für Cicero's de officiis. Cfr. Gell. XII, 5, 10 NB. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 183, 16, 1.

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(224) Xra. Buch, 28. (27.) Cap., §4.-29. (28.) Cap., § 1. 2.

welche Pancratiasten genannt werden. 4. Denn so wie diese, sobald sie zum Kampfe herausgefordert sind, mit weit vorgestreckten Armen sich hinstellen , und Kopf und Gesicht durch die vorgehaltenen Hände gleichsam wie mit einem WaU (vom) verwahren; wie fenier alle ihre Glieder, bevor noch der Streit anhebt, entweder in Parade sind, zur Abwehr der Hiebe, oder gerüstet, solche auszutheilen : ebenso muss die geistige Willenskraft eines klugen und umsichtigen Mannes allenthalben und jederzeit Vorsicht anwenden gegen die Macht und Launenhaftigkeit der Ungerechtigkeiten und Wider- wärtigkeiten, und muss erwartungsvoll, unei-schütterlich, völlig gedeckt, schlagfertig, selbst in Bedrängniss unveiTückten Blickes nicht den Muth sinken lassen, nirgends sein Augen- merk ablenkend dastehen und muss (air sein Sinnen und Denken) alle EntSchliessungen und Gedanken, gleichsam als Arme und Hände zur Schutzwehr gegen alle Schicksalsschläge uttd gegen alle Hinterlist seiner Feinde entgegen halten, damit bei einer plötzlich hereinbrechenden Gefahr ein Ueberfall uns nicht unvorbereitet (ungerüstet) und unbeschützt üben-ascht.

Xni, 29 (28), L. Was Qaadrigarius hat ausdrücken wollen mit der Re- densart: cum roultis mortalibus; ob ein Unterschied und zwar ein grosser Unterschied stattfinden würde, wenn er gesagt hätte : com multis hominibus.

Xm, 29. (28.) Cap. 1. Eine Stelle des Claudius Quadri- garius aus dem 13. Buche seiner Jahrbücher lautet: „Nach aufgehobener Versammlung kam Metellus auf das Capitol mit einer grossen Menschenmenge (cum multis mortalibus), wenn er von da nach Hause ging, begleitete ihn (Ehren halber) die ganze Bürgerschaft zurlck." 2. Als dies Buch und (gerade) diese Stelle von dem M. Fronte in meinem und vieler Anderer Beisein (bei ihm) vorgelesen wurde und es einem durchaus nicht ununterrichteten Manne schien, dass die

xm, 28 (27), 3. Pancratiasten s. Gell. III, 15, 3 NB.

xm, 29 (28), L. Ueber Claudius Qaadrigarius s. Gell. I, 7, 9 NB.

xm, 29 (28), 1. Im J. 99 655. Auch den Sempronius Gracchus begleitete nach Gell. II, 13, 4 die Menge nach Hause, üeber diese Sitte des Geleitgebens s. noch Gell. II, 15, 2. Vergl. Liv. ep. 69; Val. Max. 4, 1, 13; App. b. c 1, 33; Cic. ad fam. 1, 9, It).

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Xm. Buch, 29. (28.) Cap^ § 2—5. (225)

Ausdrucksweise „cum multis mortalibus (mit vielen Sterb- lichen)" für (das Gebräuchlichere) cum hominibus multis (mit vielen Menschen) in einem Geschichtswerke unpassend und matt und zu poetisch sei, da entgegnete Fronte diesem auf seine Aeusserung Folgendes: „Du, ein Mensch, der in so vielen Dingen ein so ausgezeichnetes Urtheil hat, gestehst also, dass Dir „cum mortalibus multis^^ unpassend und matt erscheine, meinest aber, dass kein Grund vorhanden war, weshalb ein Schriftsteller von so einfacher, schUchter und fast alltäglicher Darstellungsweise vorzog lieber „mortalibus*', als „hominibus" zu sagen und glaubst (sogar), dass es sich wiii-de gleich geblieben sein bei Bezeichnung der Menschenmenge, wenn er „cum multis hominibus", und nicht „cum multis mor- talibus" gesagt hätte? 3. Ich wenigstens, fuhr er fort, wenn anders die Liebe und Verehrung für diesen Schriftsteller, wie überhaupt für die ganze alte .Ausdrucksweise mein Ui-theil nicht gänzlich geblendet hat, ich bin der festen Ueber- zeugung, dass er bei Angabe, der grossen, beinahe aus der ganzen Einwohnerschaft bestehenden (Menschen-) Masse sich umfassender, ausführlicher durch den BegriflF „mortales*' aus- gedrückt hat, als wenn er „homines" gesagt hätte. 4. Denn es kann auch schon bei einer nicht sonderlich grossen Menge der allgemeine BegriflF von vielen Menschen (multoinim homi- num) zusammengefasst und eingeschlossen sein, allein der Be- griff „multi mortales" enthält, ich weiss selbst nicht inwiefern und nach welchem unerklärlichen Gefühle, fast alle Gattungen von Menschen, die in einem Staate leben, sowohl nach Ver- hältniss des Banges, wie nach Alter und Geschlecht, was doch Quadrigarius in der Absicht, wie es wirklich der Fall war, auf die ungeheuer grosse und gemischte Menschenmasse auf- merksam zu machen, mit mehr Nachdi-uck (ifi^azucwTeQov) sagte, dass Metellus mit vielen Sterblichen (cum multis mor- talibus) aufs Capitol gekommen sei, als wenn er gesagt hätte: cum multis hominibus. 5. Da wir selbstverständlich alle diese Aeussei-ungen Fronto's mit Zeichen nicht nur der Zustimmung, sondern auch der Bewunderung anhörten, fügte er noch hinzu : Seht euch jedoch vor, und glaubt nicht etwa, dass man sich immer und allenthalben des Ausdrucks „multi mortales" für „multi homines" bedienen dürfe, damit nicht etwa gar jenes

Oellins, Attische Kftchte. U. 15 ^ j

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(226) Xm. Buch, 29. (28.) Cap., § 5. 6. 30. (29.) Cap., §1—4.

griechische Sprttchwort aus einer Satire des VaiTO Anwendung findet: „to ini rfj q>ay,y fivQov (d. h. Unter einem Linsen- gericht Salbe)". 6. Dieses (sdiari'e) Ui-theil des Fronte, selbst bei geringfügigen und unscheinbaren Ausdrücken, glaubte ich nicht mit Stillschweigen übergehen zu dürfen, damit eine gründlichere Erwägung derartiger Ausdrücke (auch ander* wärts) von uns nicht unbeachtet und unberücksichtigt bleiben möchte.

XIII, 30 (29), L. Dass das Wort „fades" nicht immer die Bedeutong gehabt habe, in der es jetzt gewöhnlich gesagt wird.

XTTT, 30. (29.) Cap. 1. Dem aufmerksamen Beobachter wird es nicht entgehen, dass sehr viele lateinische Ausdrücke aus ihrer ursprünglichen Bedeutung entweder in eine weit entfernte, oder in eine ganz nahe übergegangen sind, und dass dieser Uebergang (Sinn Wandel) meist aus der Gewohnheit und Unwissenheit Derer entsprungen sei, die unüberlegt und alles nur Mögliche sprechen, was sie nicht verstehen. 2. Wie z. B. Einige glauben, das Wort „facies^ bedeute nur das Gesicht und die Augen und die Wangen eines Menschen, was die Griechen TtQooußTtov nennen, während doch das Wort „facies" die ganze Gestalt, das Längenmass, den ganzen etwaigen Körperbau ausdrückt und von facio (ich bilde) her- genommen worden ist, wie von „spectus'' species und von „fingere" figura. 3. So sagte Pacuvius in seinem Trauer- spiele, welches ^ Aufschiift führt „Niptra (Waschwasser)'', bei einem Manne von seiner Körperlänge:

Den Mann in Mscher Jagendkraft, voll raschen Muths, von stämmiger

Gestalt (facie procera).

4. Aber nicht allein von der Gestalt der Menschen wird das Wort „facies"* gesagt, sondern auch von dem Aussehen aller- hand anderer Dinge. So muss es als vollkommen richtigeir Ausdruck gelten, wenn zu gehöriger Zeit gesagt wird:. „Des Berges und des Himmels und des Meeres Anblick (oder Aus-

Xm, 29 (28), 5. Unser Spr&chwort: es reimt sich, wie die Faust au& Auge. Das griechische Sprüchwort bedeutet: etwas Kostbares auf eine schlechte Sadie verwenden, also z. B. Myrrhenöl zu Linsen, feine Pomade nehmen, um das (gewöhnliche Sauer-) Kraut fett zu machen.

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Xm. Buch, 80. (29.) Cap., § 5— 7. - 31. (30.) Cap., §1—3. (227)

sehen, fades). ** 5. Eine Stelle des Sallust aus dem 2. Buche seiner Geschichte lautet: „Sardinien im africanischen Meere, welches das Aussehen einer menschlichen Fuss(sohIen)-Spur hat (facie vestigii humani), breitet sich nach Morgen hin weiter aus, als nach Abend.'^ 6. Halt, da fällt mir aber ebenfalls noch eine Stelle ein, wo auch Plautus in seinem „Poenulus (jungen Punier)" (V, 2, 151) das Wort facies von dem ganzen körperlichen und farbigen Aussehen gebraucht hat Die Stelle lautet bei Plautus also:

Hanno. Doch sage mir, ihre WSrterin, wie sieht sie ans (quasit&cie)? M i 1 p )i i 0. Nicht gross von Körper, braun die Farbe. Hanno. Ja, die ist's. Milphio. Ein hübsches Ansehn, schwarze Augen, kleinen Mund.

Hanno. Mit diesen Worten hast Du mir ihr Bild gemalt.

7. Ausserdem erinnere ich mich, dass Quadrigarius im 11. Buche das Wort „facies" für die Gestalt und das Aussehn des ganzen Körpers gebraucht hat.

XIII, 31 (SO), L. Was die Redensart: „caninum prandium^' in einer von des M. Varro Satiren bedeuten soll?

xm, 31. (30.) Cap. 1. Neulich lobte und brüstete sich ein gewisser geckenhafter, aufgeblasemer Mensch, der in einem Buchladen sass, als sei er unter dem grossen, weiten Himmel der einzige (richtige) Ausleger von des M. Varro Satiren, welche Einige die cynischen, Andere die menippischen nennen (vergl. Gell. XIII, 11, 1 NB). Er warf daraus einige gar nicht so schwierige Brocken hin, zu deren Ausdeutung, wie er meinte, sich Keiner würde versteigen können. 2. Zu- fällig hielt ich da gerade das Buch von den Satiren in den Händen, welches überschrieben ist : „vögoviviov (Wasserzecher, Wassersaufaus Hund)". 3. Ich trat also näher an ihn heran und sagte: Du weiser Mann kennst doch wohl ohne Zweifel jenes bekannte giiechische Sprüchwort : „dass eine Musik, von der man nichts hört, auch nichts tauge". Ich bitte Dich, lies mir einige wenige Verse vor und erkläre mir (zugleich) den

xm, 31 (30), 1. Vergl. Macrob. Sat I, 7, 11. Satir. wen.

xm, 31 (30), 3. S. Sueton. Nero 20 und Lucian. Harmon. I. Ver- borgene Musik werde nicht beachtet, d. h. ein Licht müsse man nicht unter den Scheffel stellen. (Ad. Stahr's Sueton.)

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(228) Xm. Buch, 31. (30.) Cap., § 3—14.

Sinn einer in diesen Versen vorkommenden, sprüchwörüichen Redensart. 4. XJebemimm lieber Du, sagte er, den Vortrag der (betreffenden) Dir unverständlichen Stelle, damit ich sie Dir (gleich) erkläre. 5. Wie, erwiderte ich, kann ich im Stande sein, das (Dir richtig) vorzulesen, was ich nicht ver- stehe? Denn mein Vortrag dürfte (ja deshalb) nur unklar und verworren ausfallen und (deshalb) auch nur Deine Auf- merksamkeit (noch) hemmen. 6. Als nun auch noch viele andere der daselbst Anwesenden meinem Vorschlage bei- stimmten und ihre Bitten mit den meinigen vereinigten, nahm er von mir das Buch an, eine Ausgabe von bewährter Zu- verlässigkeit und (wohlgemerkt, schön und) stattlich ge- schrieben. 7. Allein er nahm das Buch mit höchst verlegener und ängstlicher Miene. 8. Doch was soll ich weiter sagen? Denn ich wage wahrhaftig kaum zu verlangen, dass man mir glaubt (was ich hier erzählen will). 9. Wenn unausgebildete (hergelaufene) Schulbuben das Buch in die Hand bekommen hätten, sie würden sich beim Lesen nicht lächerlicher haben machen können , als er, so zerriss dieser (unwissende Mensch die Sätze und) die Gedanken, so sprach er die Worte ver- hunzt aus. 10. Er gab mir daher (bald darauf) das Buch zurück, da bereits Viele lachten, und sagte: Du siehst, dass meine Augen sehr leidend und von ununterbrochenen Nacht- studien fast ganz verdorben sind, so dass ich kaum die Züge der Buchstaben erkennen kann, sobald ich mich (jedoch) an den Augen wieder wohl befinde, sollst Du mich besuchen und dann will ich Dir das ganze Buch vorlesen. 11. Ich wünsche Deinen Augen gute Besserung, weiser Mann, sagte ich; 12. allein nur das Eine noch, wozu Du Deine Augen durchaus nicht nöthig hast, magst Du, ich bitte Dich, mir sagen, was bedeutet doch in der von Dir vorgelesenen Stelle die Redensart: „caninum prandium" (eine Hundemahlzeit, ein Hundefressen)? 13. Aber hier erhob sich dieser auserlesene Dunstraacher sofort und, gleichsam erschreckt über eine so schwere Frage, sagte er beim Weggehen : Du fragst da nach keiner Kleinigkeit, Derartiges lehre ich nicht umsonst. 14, Die Stelle aber, worin das betreffende Spruch wort sich be- findet, lautet wörtlich also: „Siehst Du nicht, dass bei (dem berühmten Arat) Mnesitheus geschrieben steht, dass es drei

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Xm. Buch, 81. (80.) Cap., § U— 17. (229)

Arten von Wein giebt, einen dunklen (den Rothwein), einen hellen (den Weisswein) und einen mittelfarbigen, welchen man Bleicher (yci^^og) nennt; oder (dass man ihn auch eintheilt in) einen jungen, einen alten und eine Mittelsorte (der weder zu jung, noch zu alt ist); femer dass der dunkle Stärke verleiht, der weisse den Urin treibt und die Mittelsorte die Verdauung {nixpiv) befordert? Dass der neue (junge) Wein erfrische, der alte wärme, die Mittelsorte (der Bleicher) aber sich nur für eine Hundemahlzeit passe?" 15. Was unter einer Hundemahlzeit (prandium caninum) zu verstehen sei, diesen ziemlich unbedeutenden Gegenstand habe ich lange und ängstlich zu erforschen gesucht. 16. Allein ein nüchternes Fi-ühstück (prandium abstemium), eine Mahlzeit, bei welcher nichts (von Wein, ja nicht einmal Most) getrunken wird, wird ein Hundemahl (prandium caninum) genannt, weil ein Hund kein Bedttrfiiiss nach Wein verspürt. 17. Da er nun eine Sorte den „Mittelwein" genannt hatte , weil er weder neu (jung) ist, noch alt und die Leute meist nur die Weine in- sofern näher bezeichnen, als sie annehmen, jeder Wein müsse entweder neu (jung), oder alt sein, so hat VaiTO damit an- zeigen wollen, dass (die dritte Sorte) der Mittelwein, gar keine Eigenschaft und Kraft besitze, weder von dem neuen (jungen), noch von dem alten und deshalb überhaupt gar nicht für eine (richtige) Weinsorte gelten könne, weil er weder kühle (refrigeraret), noch wäi-me. Unter „refrigerare" (kühlen) versteht er ganz dasselbe, was man im Griechischen mit dem Wort ipvxeiv bezeichnet.

Xni, 81 (30), 14. Mviiaf^iogy gelehrter Arzt Plut. quaest nat. 26; FlÜL Brief. 8, 9 und 21, 27; Athenaeus II, 86, A.

xm, 81 (80), 16. tenüiim, Most Yergl. GelL X, 28, 1, dass Frauen sich des Weins stets enthielten: mulieres aetatem abstemias egisse.

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XIV. BUCH.

XIV, 1, L. Gelehrte Abhandlung des Weltwcisen Favorin gegen die (Gaakler), welche sich Chaldäer nennen, und damit prahlen, dass sie im Stande seien, ans der Vereinigung (den wesentlichen Beziehungen) und den Bewegungen der Sternbilder und Sterne das Schicksal der Menschen zu

weissagen.

XrV, 1. Cap. 1. Gerichtet gegen das GaukleiTOlk, welche sich Chaldäer oder Nativitätsteller (Sterndeuter) nennen und sich damit breit machen, zukünftige Dinge aus der Bewegung und Stellung der Sterne weissagen zu können, hörte ich einst zu Rom den Weltweisen Favorin, einen ebenso herrlichen, wie klaren Vortrag in griechischer Sprache halten. 2. Ob er aber nur zur geistigen Uebung, nicht auch, um seinen Scharfsinn leuchten zu lassen, so im wirklichen Ernste und mit (absichtlicher) üeberlegung seine Ansicht äusserte, masse ich mir nicht an zu entscheiden. Die Hauptstellen und Haupt- beweisgründe, deren er sich (dabei) bediente, habe ich, so weit sie mir erinnerlich waren, als ich eben aus der Vorlesung (nach Hause) gekommen war, eiligst aufgezeichnet. Seine Aeusserungen lauteten ohngefähr also: Diese Wissenschaft der Chaldäer sei (durchaus) nicht von so hohem Alter, als sie selbst diese wohl ausgeben möchten, (ferner) dass sie auch nicht die Erfinder und Begründer dieser Wissenschaft seien, wie sie selbst vereichem, sondeni dass ein gewisses Bettler-

XIV, 1, L. S. Bemh. röm. Lit. 51, 209.

XrV, 1, 1. Auch bei Gell. XII, 1, 24 sprach, wie hier, Favorin griechisch. Die Philosophen eiferten vielfach gegen diese Schwindel- astrologen. Yergl. Cic. de Div. II, 42; Sen. Ep. 88, 12 ff.

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Xnr. Buch, 1. Cap., § 2—5. (231)

und Landstreicher -Gesindel (aeruscatores) diese Art von Sehwindelei und Blendwerk erifunden habe und nun aus die- sem Lügengewebe (eifrig und) fleissig seinen Broterwerb ziehe. 3. Und weil sie nun sahen, dass einige irdische, dem Men- schen nahe liegende Dinge durch einen fühlbaren inneren Zusammenhang mit den Himmelskörpern (wesentlich) beein- flusst werden, wie z. B. die Ebbe und Ruth des Meeres, welches gleichsam mit dem Monde Hand in Hand geht und sich zugleich nach dem Abnehmen und Zunehmen desselben richtet, so sei ihr ganzes Trachten deshalb nämlich darauf gewichtet gewesen, sich die Fabel einzureden, man müsse an dem Glauben fest halten, dass aUe menschlichen Angelegen- heiten, die kleinsten, wie die gi-össten, gleichsam mit den Sternen und Stemgruppen in engster Verbindung ständen und durch sie geführt und gelenkt Würden. 4. Es sei aber, sagte er, mehr als albern und abgeschmackt, dass, weil das Fluthen des Meeres mit (der Bewegung und) dem Umlauf des Mondes zusammenhängt, nun auch die Entscheidung eines Rechtsfalles, welchen einer mit einigen Mitberechtigten wegen einer Wasser- leitung, oder mit seinem Nachbar wegen einer gemeinschaft- lichen Wand vor Gericht hat, dass wir nun also glauben, die Entscheidung dieses Rechtsfalles sei gleichsam an die Sterne gekettet und werde vom Himmel herabgelenkt. 5. Ist nun auch die Möglichkeit vorhanden, dass Alles gleichsam durch höhere Macht und göttlichen Einfluss geleitet wird, so könne doch der ganze Vorgang (dieses Einflusses), wie er meinte, in einem so kurzbeschränkten Räume der menschlichen Lebens- dauer niemals von einem menschlichen Geist, wäre er auch noch so gross, erfasst und begriffen werden, sondern es Hessen sich überhaupt nur einige geringe Vermuthungen aufstellen und zwar, um mich hier gleich seines eigenen Ausdrucks zu bedienen, nur „ganz oberflächlicher Art {naxvfjiBQiaxEQovy^ oder überhaupt nur Vennuthungen, die, ohne Auffindung eines (dazu nöthigen) wissenschaftlichen Gruudsystems , (immer) unbestimmt und schwankend und willkürlich sein und bleiben

XIV, 1, 2. Aeruscatores (griechisch x^^^^^Y^^) unsere heutigen Zigeuner, oder überhaupt Leute, welche für Geld wahrsagen. Nach Festus (S. 24) heisst aeruscare, aera undique, d. L pecunias coUigere.

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(232) XIV. Buch, 1. Cap., §5—10.

müssten, wie dies bei einer zu weiten Entfernung mit der Sehkraft der Augen der Fall ist, die dann, um des grossen Zwischenraumes willen, auch nichts mehr zu erkennen ver- mögen. 6. Denn wenn die Menschen (erst auch noch) alle zukünftigen Dinge vorauswissen könnten, dann sei ja über- haupt der gewaltige Unterschied zwischen Göttern und Men- schen (ganz) aufgehoben. 7. Femer meinte er, sei man selbst mit der Beobachtung der Sterne und Sternbilder, von der sie behaupteten, dass sie die Grundlage und den Ursprung fbr ihre (ganze) Wissenschaft bilde, durchaus noch nicht im Klaren. 8. Denn wenn die Chaldäer, welche die weiten Ebenen be- wohnten, die Bewegungen und Bahnen der Sterae, ferner ihre Trennungen und ihr Zusammentreffen in Betrachtung gezogen und die durch sie hervorgebrachten Wirkungen zuerst beob- achtet haben, so mag, sagte er, dieses System allerdings gelten, aber nur unter dem Himmelsstrich, unter dem damals die Chaldäer (während ihrer Beobachtungen) sich befanden; denn, bemerkte er (ganz richtig) weiter, die Art und Weise der Beobachtung von Seiten der Chaldäer kann sich nicht gleich bleiben, wenn Jemand sie in Anwendung bringen (und sich zu Nutze machen) will unter ganz verschiedcmen Himmels- strichen. Denn wer sieht wohl nicht ein, wie gross die Mannigfaltigkeit (der Constellation) und der Theile und Kreis- bahnen am Sternenhimmel sein muss in Folge des Sichherab- neigens und der gewölbartigen Rundungen des WeltaDs. 9. Dieselben Sterne also, durch welche, nach der Behauptung der Sterndeuter, alle Vorgänge am Himmel und auf der Erde (omnia divina humanaque) bestimmt (und geleitet) werden, sowie sie nicht allenthalben Frost oder Hitze erzeugen, son- dern sich (in ihren Wirkungen) ändern und Abwechslung bringen und zu gleicher Zeit an dem einen Ort ruhige Witterung erzeugen, an dem andern stürmische, warum sollten diese nicht auch verschiedene Wirkungen in allen übrigen Angelegenheiten und Geschäften hervorbringen, andere bei den Chaldäem, andere bei den Gätulem, andere in den Ge- genden der Donau, andere in den Gegenden des Nils? 10. Wäre es nicht eine Folgewidrigkeit, sagte er, (zu glauben) dass zwar die Masse und der Zustand der so unermesslichen Luft(-8chichten) sich nicht gleichbleiben (und allein dem

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XIV. Buch, 1. Cap., § 10—16. (233)

Wechsel unterworfen sein) solle unter den verschiedenen Himmelsgegenden, dass aber nach ihrer Meinung bei den Geschäften und Verrichtungen der Menschheit dieselben Sterne immer nur denselben Einfluss bemerken lassen sollten, aus welcher Gegend der Erde man sie immerhin auch beob- achtet haben möchte? 11. Ausserdem gab Favorin auch darüber seine Verwunderung zu erkennen, wie nur Jemand als einen unumstösslichen Satz erkennen könne, dass diese Sterne, welche von den Ghaldäem und Babyloniern sollen beob- achtet worden sein, welche von Vielen „In-sterne (erraticae)", vom Nigidius (bei Gell. III, 10, 2) aber „errones" genannt werden, nicht noch aus mehreren bestehen sollten, als ge- wöhnlich angenommen werden; 12. denn nach seiner Meinung sei .eine Möglichkeit vorhanden, dass es auch noch einige andere Planeten von gleichem Einflüsse geben könne, ohne welche eine richtige und genaue Beobachtung nicht anzustellen (und durchzufuhren) sei, und die von dem Menschen doch nicht könnten gesehen werden, entweder wegen ihres ausser- ordentlichen Glanzes, oder wegen ihrer ausserordentlichen, weiten Entfernung (von der Erde). 13. Denn es giebt auch einige Sternbilder, die nur von gewissen Ländern aus gesehen werden und nur den Bewohnern dieser Länder bekannt sind, dieselben bleiben aber den Bewohnern jeder andern Gegend unsichtbar und überhaupt allen andern völlig unbekannt. 14. Femer, fuhr er fort, wollen wir (einmal) zugeben, dass sowohl nur die Sterne (allein), als auch nur von einem einzigen Standpunkt auf der Erde aus müssten beobachtet werden, wo war das Ende dieser Beobachtung (abzusehen) und welche Zeit konnte hinreichend erscheinen zur Wahrnehmung Dessen, was entweder die Vereinigung dieser Sterne, oder ihr Umlauf, oder ihre Abweichungen (prophezeien und) vorher anzeigen. 15. Denn wenn man die Beobachtung derartig anzustellen begonnen hat, dass genau bemerkt wurde, unter welcher Lage der Steme, und unter welchem Bilde und unter welcher Stellung Jemand geboren wurde; dass man dann weiter, vom Anfange seines Lebens an, genau Acht hatte auf seine Glücks-

XIY, 1, 13. ' So Bind die Steme der nördlichen Halbkugel den Be- wohnern der südlichen, und umgekehrt ebenso, grösstentheils unsichtbar.

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(234) XIV. Buch, 1. Cap., § 15—20.

umstände, auf seine Sitten, auf seinen Charakter, auf die Beschaffenheit der Verhältnisse und Verrichtungen und zuletzt auf die Art seines Lebensendes, und dass man alle die er- fahrenen Ereignisse (gewissenhaft) aufzeichnete, und dass man geraume Zeit nachher, wenn alle diese Gestirne wieder an demselben Oit und in derselben Stellung sich befänden, den Nachkommenden (Geschlechtem), die gerade in dieser Zeit geboren würden, meinte, gleichmässige Schicksale vorhersagen zu können; 16. wenn man also auf diese Weise seine Beob- achtung begonnen und sich aus dieser Beobachtung ein ge- wisses System (zurechtgelegt und) zusammengesetzt hat, so wird man doch dabei auf keine Weise zu einem Ende kommen.

17. Denn sie mögen mir nur auch sagen, in wie viel Jahren, oder in wie viel Jahrhunderten endlich dieser Kreis der Beobachtung würde vollendet und geschlossen sein können.

18. Denn es ist ja, setzte er hinzu, unter den Sternkundigen eine ausgemachte Sache, dass diejenigen Sterne, welche auch Irrsteme (erraücae) heissen, von welchen das Schicksal der ganzen Welt abzuhängen schiene, beinahe ei*st nach einer unendlichen und unzähligen Zahl von Jahren auf denselben Platz, nachdem sie von derselben Stellung aus zusammen ihre Bahnen gegangen, wieder zurückkehren, so dass weder irgend ein ununterbrochener Verlauf der Beobachtung, noch irgend ein anschauliches Abbild schriftlicher Aufzeichnung so lange Zeit hindurch würde haben fortdauern können. 19. Nach der Meinung Favorins müsse man vor Allem auch den Umstand reiflich in Erwägung ziehen, dass die Constellation eine andere gewesen sei zur Zeit, als zuerst ein Individuum im Mutterschooss empfangen wurde, eine andere aber wieder, als er nachher in den nächsten zehn Monaten zur Welt kam; und so war seine weitere Frage (leicht) erklärlich, wie wohl eine solche verschiedene und sich widersprechende Behauptung (von der Möglichkeit einer Voraussagung) sich vereinigen lasse, wenn, da dies ja ihre eigene Meinung war, die verschiedene Lage und Stellung derselben Sterne (immer auch) wieder verschiedene Schicksale andeuten. 20. Allein selbst durch die Zeit der ehelichen Verbindungen, wonach man Nachkommen-

XIV, 1, 19. S. Gell, m, 16, 12.

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^ XIV. Buch, 1. Cap., § 20-22. (235)

Schaft zu erlangen trachte, wie auch durch die Zeit(verhältni8se) der ehelichen Umannung zwischen Mann und Frau müsse schon in Folge der bestimmten und nothwendigen Stellung der Sterne klar dargethan werden können, wie er behauptete, mit welchen Eigenschaften und mit welcher (Schicksals-) Aus- sicht die Menschen (d. h. jedes einzelne Individuum) auf die Welt kommen müssten; ja man (könne noch weiter gehen und) müsse sogar noch viel früher, ehe selbst der Yater und die Mutter noch geboren, aus deren Geburt schon voraus- sehen (und vorhersagen können), wie einst die Kinder sein müssten, die sie zeugen würden, und so müsste es bis ins Unendliche immer weiter und weiter zurückgehen, so dass, wenn dieses wissenschaftliche Eunstsystem sich wirklich auf einen gewissen Grund sollte stützen lassen, schon von hundert Jahrhunderten, oder vielmehr vom ersten Anbeginn des Himmels und der Erde und nun dann von da so immerfort durch diese ununterbrochen fortgesetzte Vorbedeutungs -An- zeige, so oft Geschlecht sich auf Geschlecht fortpflanzt (quo- tiens generis auctores ejusdem homines nascerentur), diese Sterne stets im Voraus hätten anzeigen müssen, welche Eigen- schaften und welches Schicksal Jeden begleiten wird, der heute (erst) geboren worden ist. 21. Wie aber kann man sich zu dem Glauben verstehen, dass überhaupt jedem ein- zelnen Menschen sein Loos und Schicksal von der Lage und Stellung der Sterne fest bestimmt sei, und eben diese Aufstellung doch nur nach ausserordentlich langen Zwischen- räumen von Jahrhundei*ten sich wiederholt, wenn inzwischen ganz dieselben Anzeigen von dem Leben und Schicksalen desselben menschlichen Wesens in nur so kurzen Zwischen- räumen durch die einzelnen Grade seiner Vorältern und durch die endlose Reihe nachfolgender Vererbung (also von Geschlecht zu Geschlecht) so oft und so vielfältig als ganz dieselben (wiederkehrenden) Anzeigen, wenn auch gleich nicht durch ein und dieselbe Stellung der Sterne vermerkt werden? 22. Kann dies nun aber der Fall sein und wird ein solcher Widerspruch, eine solche Verschiedenheit (in den Vorbedeu- tungszeichen) durch alle Zeiträume des (entlegenen) Alter- thums zur Verkündigung der Entstehung (aller) der Menschen, welche noch geboren werden sollen, zugegeben, so bringt diese

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(236) XIV. Buch, 1. Cap., §22—25. ^

Ungleichheit das (ganze) Beobachtungssystem ins Schwanken, und die wissenschaftliche Beobachtung (der ganzen Stem- deuterei) wird über den Haufen geworfen. 23. Am alier- wenigsten sei nun aber, nach Favorins Meinung, gar erst folgende Behauptung jener Sterndeuter zu ertragen, dass sie nicht nur die von aussen kommenden Zufälligkeiten und Ereignisse wie vom Himmel herab bewegt und beeinflusst meinten, sondern auch selbst die EntSchliessungen der Men^ sehen, ihre verschiedenen willkürlichen Wünsche und Triebe, ihren Widerwillen, femer die bei den geringfügigsten Kleinig- keiten vorkommenden geistigen Zuneigungen und Abneigungen (Absichten und Willensänderungen), z. B. dass man zufällig ins Bad hat gehen wollen und nachher wieder (meinen EntscUuss geändert und) nicht hat gehen wollen, endlich aber doch wieder gewollt hat, dies also rühre nicht von irgend einem ungleichen und verschiedenen Willensantrieb (und Gemüths- zustand) her, sondern von dem unausweichlichen Einfluss des Zurückgangs der Planeten, so dass die Menschen nicht, wie man behauptet, vernünftige Geschöpfe {Xoyixa twa) zu sein scheinen, sondern nichts als läppische und lächerliche (mario- nettenhafte Draht-) Gliedeipuppen (I^^^i^ra et ridenda quae- dam neurospasta), wenn sie nichts nach ihrem eigenen Er- messen, nichts aus eigener freier EntSchliessung thun (können), sondern (immer) nur von der Leitung und dem Gängelbande der Sterne abhängen. 24. Und, fuhr er fort, wenn sie ver- sichern, dass sie im Stande gewesen wären, vorherzusagen, ob der König Pyn-hus, oder Manius Curius im Treffen hätte siegen müssen, warum sollten sie da nicht endlich auch mit der Sprache herausrücken (und es übers Herz bringen) beim Glücks-, Brett- und Würfelspiel die Changen (zu verrathen und) vorherzusagen, wer da von den Spielenden gewinnen muss? Oder ist ihnen vielleicht nui* das Wichtige (im Voraus) bekannt, das Unwichtige aber unbekannt, oder ist etwa gar das Unwichtige unbegreiflicher als das Wichtige? 25. Wenn sie aber nur Dinge von Bedeutsamkeit und Wichtigkeit (im Voraus wissen zu können) sich zuschreiben, und behaupten, derartige Dinge seien augenscheinlicher, klarer und Hessen sich leichter begreifen, so wünsche ich nur noch, sagte er, dass sie mir darauf antworten, was sie bei (Vergleichung und)

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XIV, Buch, 1. Cap., § 25—27. (237)

Betrachtung des grossen Weltalls und bei den (Wunder-) Wer- ken der heiTÜchen Natur an den kleinlichen und vergänglichen Kümmei-nissen und Mühsalen der Menschen (dann eigentlich) noch Grosses entdecken? 26. Ferner möchte ich auch diese Frage beantwortet haben : da der Augenblick, in welchem der Mensch bei seiner Geburt sein Schicksal bestimmt erhält, so kurz ist und so schnell vorüber geht, dass in demselben Augen- blick und in demselben Himmelskreis Mehrere zugleich zur Theilnabme an (dem Einfluss) derselben Constellation nicht können geboren werden, und wenn nun deshalb Zwillinge auch nicht dasselbe Lebensloos haben, weil sie nicht in ganz dem- selben Zeitaugenblick geboren wurden, so bitte ich mir darauf eine Antwort aus, auf welche Weise und nach welchem Plane sie diesen (heftigen) Anlauf der vorübereilenden Zeit, der kaum mit Anstrengung aller Denkkraft des Geistes sich erfassen lässt, sofort einzuholen (und zu erhaschen), oder gar für ihre Betrachtungen und Untersuchungen festzuhalten im Stande sind, da bei einem so flüchtigen Wechsel der Tage und Nächte auch die kleinsten Augenblicke, nach ihrer eigenen Behauptung den grössten Wandlungen unterworfen sein sollen? 27. Schliesslich verlangte er aber auch noch zu hören, was man wohl dagegen würde einwenden können, (wenn sich heraus- stellte) dass Menschen beiderlei Geschlechts und jeden Alters, die unter verschiedenen Aspecten der Planeten und in weit von einander entfernten Gegenden geboren wurden, dass (sage ich) solche jedoch entweder durch Erdbeben, oder beim Zusammensturz eines Hauses, oder bei Erstürmung einer

XIV, 1, 26. üeber P. Nigidius Figulus s. Gell. IV, 9, 1 NB. Nigidius Hess, um auf die ihm vorgelegte Frage, warom Zwillinge, die doch za einer Zeit geboren worden, nicht einerlei Schicksal haben sollten, ein Rad anfertigen, worauf zwei von einander entfernte schwarze Punkte angemerkt waren; darauf drehte er das Rad wie ein Töpfer in der grössten Ge- schwindigkeit herum, so dass man während dieses ümdrehens die beiden Punkte nicht von einander unterscheiden konnte, sondern zusammenflössen und wie Eins erschienen, obgleich sie weit von einander entfernt standen. Eben so, sagte er, verhält es sich mit den Augenblicken, in denen Zwillinge geboren werden. Daher bekam er auch den Beinamen Figulus (der Töpfer), nach Angabe des Augustin (de dvit dei IV, 3). Wobei Augustin noöh die Bemerkung hinzuf&gt, dass diese seine gegebene Antwort eben auch nicht viel fester sei, als das Gefäss eines Töpfers.

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(238) XIV. Buch, 1. Cap., §27—31.

Stadt, oder zu Schiffe durch die Wellen des Meeres und durch ganz gleiche Todesart und in gleichem Augenblicke Alle zu- gleich ihren Untergang fanden, 28. was sicher doch niemals hätte geschehen können, wenn jedem Einzelnen bei seiner Geburt sein eigener, besonderer Schicksalsausgang zugetheilt worden wäre, von denen Jeder an die Erfüllung seiner gesetz- lichen Bedingungen gebunden sein sollte. 29. Wenn sie nun darauf ganz einfach erwidern, dass auch bei dem Tode, wie im Leben von (einigen) Menschen, die zu verschiedenen Zeiten geboren wurden, durch späterhin eintretendes, gleiches Zu- sammentreffen der Sterne einige gleiche und ähnliche Um- stände und Zufälligkeiten sich zutragen können, so wäre die Frage am Platze, warum nicht auch einmal alles Andere noch sich sollte ereignen können, (z. B.) dass durch ein derartiges Zusammentreffen der Planeten und durch ähnliche Erschei- nungen auf einmal viele solcher Männer ins Leben sollten treten können, wie Socrates und Antisthenes und Plato, die sich an Geschlecht, an Gestalt, an geistigen Anlagen, an Sitten, überhaupt in Ansehung aller Umstände des Lebens, wie des Todes einander vollkommen ähnlich wären. Das ist, sagte Favorin, ja aber überhaupt gar nicht möglich. 30. Gegenüber aber den ungleichen Geburten und den gleichen Todesarten kann man die angeführte Ursache nicht als stich- haltig gelten lassen. 31. Diese Antwort aber wolle er ihnen gerne schenken und sie deshalb auch nicht noch weiter zu einer Erklärung drängen, dass, wenn die Zeit, die Art und Weise, die Ursache des Lebens, wie des Todes und überhaupt aller menschlichen Vorgänge und Schicksale am Himmel und in den Sternen zu lesen wären, er nun auch noch von ihnen zu wissen verlangen sollte, was sie in dieser Hinsicht über die Fliegen, über die Würmer, über die Igel und über viele andere höchst unscheinbare Thierchen auf der Erde, wie im Wasser zu sagen wüssten, ob diese, gleich den Menschen, auch unter ähnlichen gesetzlichen Bedingungen (einer Con- stellation) geboren würden und ebenfalls unter ähnlichen

XrV, 1, 29. Antisthenae. Von den Wörtern auf es (z. B. Aldbiades, Euripides u. s. w.) werden viele im Plural nach der 1. Dedination flectirt S. Krügers (Grotef.) Gr. § 208 Anm. 4.

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XIV. Buch, 1. Cap., §31—83. (239)

sterben müssten, oder ob nun femer auch den Fröschen und den Mücken bei ihrer Geburt ihre Schicksalsbestimmungen von der Bewegung und Stellung jener Himmelskörper zu- getheilt worden seien, oder, wenn sie in diesem Falle an etwas Derartiges nicht glauben sollten, ob sie dann doch wenigstens nicht den Grund anzugeben wüssten, warum zwar in Ansehung der Menschen ein Einfiuss von den Sternen obwalten, bei den übrigen Geschöpfen aber in Wegfall kommen (und ausser Kraft treten) sollte- 32. Diese treffliche Bemerkung Favorins habe ich hier nur in schlichter, schmuckloser und fast nüch- terner Darstellung oberflächlich beiührt. Allein Favorin, wie es die hohe geistige Begabung dieses Mannes mit sich brachte und wie es dem Beichthum und der Feinheit griechischer Beredtsamkeit entsprach, ging das Alles noch ausführlicher, anmuthiger, prächtiger und in fliessenderem Vortrage durch und eiinnei-te zu wiederholten Malen, uns ja zu hüten, damit uns jene Schwindler nicht etwa überrumpeln möchten, ihnen Glauben zu schenken, wenn es bisweilen einmal den Anschein haben sollte, dass sie (unter ihren vielen Lügen) etwas Wahres hergeschwatzt und ausgesprengt haben sollten (was also nur zufällig eingetroffen und wahr geworden war). 33. Denn ihre Prophezeiungen, setzte er hinzu, sind niemals in begreiflichen, noch bestimmten, noch fasslichen Worten abgefasst, sondern beruhen (meist) auf unsichem und aus- fluchtreichen Vermuthungen, und sie suchen sich mit Vor- bedacht einen Weg zwischen Unwahrheit und Wahrheit zu bahnen, indem sie gleichsam im Dunkeln schleichen, und so treffen sie mitunter bald wohl entweder durch vieles ümher- tappen (und durch allerlei Experimente) plötzlich und unver- sehens (ohne ihr Wissen) einmal (auf) das Richtige (und wissen sich so bei den Dummen und Abergläubischen in Re- spect und Ansehen zu setzen), oder sie gelangen pfiffiger Weise hinter die Wahrheit, indem ihnen gleich dazu die übertriebene Leichtgläubigkeit Derer zum Führer und Ver- mittler dient, die sich bei ihnen Raths erholen wollen, wo- durch ihnen die Abfassung einer Antwort leicht wird, und wes- halb es ihnen offenbar weniger schwer fällt, bei Vergangenem

XIV, 1, 82. üeber die etruskischen Wahrsager s. Gell. VI (VII), 1, 8 NB.

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(240) XIV. Buch, 1. Cap., § 33 -36.

der Wahrheit näher zu kommen, als bei Zukünftigem. Hält man (schliesslich) nun alles . Das , was sie blindlings oder schlauer Weise (wirklich einmal) Wahres gesprochen haben, vor Allem gegen Das, worin sie zu Lügnern werden, zusammen, so dürfte das Wahre wohl nicht den tausendsten Theil davon ausmachen. 34. Ausser dem von mir angehörten Vortrag des Favorin erinnere ich mich auch noch vieler Zeugnisse alter Dichter, von denen dergleichen trügerische Räthselworte in ihrer Nichtigkeit (beleuchtet und) dargestellt (und gebührend gegeisselt) werden. Unter ihnen befindet sich auch jener Ausspruch des Pacuvius:

G&b's welche, die voraussehn, was da kommen wird, Die achte ich dem (Göttervater) Zeus ganz gleich.

Desgleichen auch jenes bekannte Wort des Accius :

Nichts glaub' ich Yogelschauern, die bereichem fremdes Ohr Mit leerem Wort', zu fÜUen sich das eigne Haus mit Gold.

35. Favorin, in der Absicht, die jungen Leute von den be- nannten Zeichendeuteni und andern ähnlichen (Schwindlern) abzuschrecken und zu vertreiben, welche durch abenteuerliche Kunststücke alle zukünftigen Dinge voraussagen zu können in Aussicht stellten, sagte, dass man niemals sich an sie wenden und sie um Rath fragen dürfe und schloss (zur noch- maligen Verwarnung seinen Vortrag) mit folgenden Bemer- kungen: 36. Entweder weissagen sie Unglück, was geschehen soll, oder Glück. Wenn sie Glück weissagen und (uns) täu- schen, so wird man durch grundlose Hoffnung nur unglücklich gemacht; wenn sie Unglück vorhersagen und (uns etwas) vorlügen, wird man durch thörichte Furcht sich abquälen; wenn sie aber wirklich einmal einen wahren Ausspruch thun, und es betrifft nur (kommende) Unglücksfälle, so wirst Du von Stund an (schon vorher) im Geist und Gemüth Dich un- glücklich fühlen, bevor Du noch es durch das Missgeschick (wirklich) wirst; im Fall sie aber künftiges Glück vorhersagen, so wird sich dann immer noch ein doppelter Schaden heraus- stellen, erstlich, die Hoffnungsspannung wird Dich in Deiner Ungewissheit nur abspannen und diese Hoffnungspein wird Dir schon vorweg den zukünftigen Genuss an der Freude abstreifen. Daher muss man mit solchen Menschen, welche zukünftige Dinge prophezeien, durchaus sich nichts zu schaffen machen.

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XIV. Buch, 2. Cap., § 1. (241)

XIV, 2, L. Wie sich Fayorin, Ton mir zu Käthe gezogen, ausführlich über die Pflicht eines Bichters aussprach.

XIV, 2. Cap. 1. Als ich einst zum erstenmale von den Praetoren unter die Richter (-Ausschussbehörde) war gewählt worden, um bei Urtheilssprüchen in sogenannten Privat- prozessen mitzuwirken, suchte ich in den über die Amts- pflicht des Bichters in beiden Sprachen (der griechischen und lateinischen) veriassten Werken mich genau zu unterrichten, um, als ein noch junger (unerfahrener) Mensch, von den (wissen- schaftlichen Genüssen an den herrlichen) Dichtermythen und von den Kunsterzeugnissen der Redner zur Entscheidung von (ernsteren) Streitsachen (und Tagesfragen) abgemfen, auch die Pflichten des Richteramtes, weil ich das sogenannte „lebendige Wort" (der mündlichen Belehrung) entbehile, von den sogenannten „stummen Lehrmeistern" (d. h. aus Büchern practisch) zu lernen. Nun erhielt ich allerdings zwar in Betreff (gewisser Prozessformalitäten, als z. B.) des Auf- schiebens der Verhandlungen auf den folgenden Tag (diffissiones dierum genannt), femer in Betreff der Vertagung (des richter- lichen Spruchs in bereits klarerwiesenen Sachen) bis auf den drittnächsten (Gerichts-) Tag (als zweiten und letzten Termin,

XIV, 2, 1. Wie hier Gemos, so waren auch Ovid. (Trist, n, 98) nnd der jüngere Plinius (Epist. I, 20, 12) Gerichtsbeisitzer.

XIV, 2, 1. Judicia privat a. Der Praetor, welcher im Namen des Staates das Recht verwaltete, übernahm nicht, wie bei uns der Richter, sowohl die Untersuchung als die Entscheidung, sondern er leitete nur den Prozess und liess das gefällte Urtheü vollziehen; er entschied also eigent- lich nur die juristische Frage und bestimmte die dabei zu berücksichti- genden und in Anwendung kommenden Rechtssätze; zur Untersuchung des ÜBictischen Verhältnisses unter den streitenden Parteien aber wälflte er aus den dazu bestimmten Privatrichtem einige aus (judicis datio)^ wobei der Praetor den Rechtssatz bezeichnete, nach welchem verfahren werden sollte, wodurch er die Richter zur Untersuchung des Factum's anwies, welche ihnen nur allein oblag, so wie die Entscheidung nach dem von ihm^ bezeichneten Rechtssatze (formula, d. h. Instruction der Richter). Aus dieser Trennung der Magistratsgewalt von der Richterthätigkeit theilte sich das ganze Prozessverfahren 1) in eine leitende, anordnende Ver- handlung vor dem Magistrate (in jure) und 2) in die Untersuchung des Factums und Entscheidung durch Privatrichter nach der Instruction des Magistrats (in judicio). Ueber Privatrichter s. Gell. XII, 13, 1 NB.

Genius, AttiflcbeK&clite. n. ^^ r^ 1

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l(242) XIV. Buch, 2. Cäip., § 1—6.

'Conperendinationes genannt) und in Betreff einiger anderer gesetzlicher Gebräuche (und Formalitäten) nützliche Winke und manche Beihülfe geliefert, theils aus dem juli sehen «Gesetze selbst, theils aus den Erläuterungsschriften des Masurius Sabinus und einiger anderer Bechtsgelehrten. 2. Allein bei verwickelten Rechtsfällen, wie sie doch (immer und überall) vorzukommen pflegen, femer bei einem zweifei- liaften Umstände der verschiedenen Ansichten (unter Richtern lund Parteien, d. h. bei Meinungsconflicten) haben mir der- gleichen Schriften durchaus nichts geholfen. 8. Denn obwohl ^zugestandener Massen) jeder Richter seine EntSchliessungen nach der Lage der vorliegenden Rechtsfälle fassen (und ein- richten) soll, so giebt es doch gewisse, ganz allgemeine Vor- ;erinnerungen und Vorschriften für ihn zu beiUcksichtigen, xlurch die (eigentlich) jeder Richter noch vor der Verhandlung ^ich im Voraus gegen unvorhergesehene Zufälligkeiten bei vorkommenden Schwierigkeiten zu vergewissem und vorzube- reiten verbunden ist; wie der zweifelhafte, zur Auffindung des Urtheils unerklärbare Fall beweisen wird, der mir selbst in meiner Praxis begegnete (und den ich hier anführen will). 4. Es wurde bei mir eine Klage angebracht wegen einer Geldsumme, welche wirklich ausgezahlt und richtig ein- gehändigt worden sein sollte ; allein Der, welcher das DarlQ^ einklagte, konnte die erfolgte Aushändigung des Darlehns weder schriftlich (tabulis, durch Rechnungsbücher), noch durch Zeugen (testibus) nachweisen und stützte sich auf nur sehr schwache Beweismittel. 5. Er war jedoch als ein selten ehrenhafter (ferme bonus) Mann allgemein bekannt, von offen- kundiger und erprobter Treu und Redlichkeit, von unbeschol- tenstem Lebenswandel und es lagen viele und glänzende Be- weise von seiner Rechtschaffenheit und Ehrenhaftigkeit zu Tage. 6. Der Andere aber, von dessen Seite das Darlehn zui-ück- verlangt und eingeklagt wurde, war offenbar und nachweislich

XrV, 2, 1. Lex Julia (jadicionim publicorom) von Caesar und Augnstus, wie früher die Lex Cornelia des Sulla, gab eine aUgemeine Ciiminal-Gerichtsordnung. Fr. Vat. 197. 198; Dig. 48, 2, 2, 8; 47, 15, 8, 1; 22, 5, 4; 48, 16, 1. 2; 48, 19, 82; Lange röm. Alterth. § 135 S. (614) 676. S. Göschel „Zerstreute Blätter« IL Th. S. 823 £

XIV, 2, 8. Cfr. GelL XII, 18, 2 über gerichtliche Beir&the.

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XIV. Buch, 2. Cap., § 6—9. (243>

ein Mensch, der sich eben nicht in guten Umständen befand, einen schändlichen, lasterhaften Lebenswandel führte, allent- halben schon verschiedener Unwahrheiten überwiesen worden und überhaupt voll von Ränkesucht und Betrügerei war. 7. (Dies kümmerte ihn aber durchaus nicht, trotzdem keck und unverschämt aufzutreten und) im Verein mit seinen vielen* (Spiessgesellen, Helfershelfern und) Vertheidigem zur Seite ganz laut und offen zu verlangen, man solle ihm vor mir (als seinem Richter) doch nur den Nachweis liefern durch die gewohnten Beweismittel, sei es durch den Ausweis einer Darlehnseintragung (expensi latione), durch Rechnungsbücher (mensae rationibus), durch Auslieferung der Schuldverschrei- bung (chirographi exhibitione), dui*ch Besiegelung des Schuld- scheins (tabularum obsignatione), durch Einholung von Zeugen (testium intercessione) ; 8. wenn nun aber, wie sich's ja herausstelle, von alledem in keiner Art Nachweis geliefert werden könne, dann müsse er auch sofort (ohne Widerrede) losgesprochen und sein Gegner wegen Verläumdung (auch noch zu gesetzmässiger Strafe) verurtheilt werden; was man aber, über ihr beiderseitiges Leben und Thun vorbrächte, dies gehöre gar nicht zur Sache und sei ein nutzloser, überflüssiger Einwand, denn es handle sich hier speciell um einen Prozess wegen Einklagung einer Geldschuld vor dem (Privat-) Richter, nicht (aber um einen Prozess) wegen Sittlichkeitsvergehen TOr den Sittenrichtern* 9. In diesem Falle nun behaupteten meine Freunde, die ich dabei zu Rathe gezogen hatte, Männer geübt in Vertheidigungen (von Angeklagten) und erfahren in gerichtlichen Untersuchungssachen, die aber, weil sie stets durch anderweitige Prozesssachen vielfach (in Anspruch ge- nommen und) abgezogen waren, es daher auch immer eilig hatten (und sich meist so schnell als möglich aller Mühe- waltung zu überheben pflegten), diese also behaupteten, dass der Schluss der Gerichtssitzung und des Urtheilsspruches nicht länger aufgeschoben werden dürfe, da durchaus (hier) kein Zweifel mehr obwalten könne, dass der Mann (wenn auch fionst nicht gut beleumundet, in diesem Falle ohne jedes

XIV, 2, 7. Chirographam, handschriftliche Empfangsbescheinigung des Schuldners. S.Qsj, 8, 184; Dig. 18, 6, 5 § 8; 28, 8, 4 § 8; 84, 8, 81 i 4; vergL Juv. 18, 187.

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(244) XrV. Buch, 2. Cap., §9—14.

Bedenken freigesprochen werden müsse, weil ihm der Empfang der Darlehnssumme durch kein gesetzlich gültiges Document könne nachgewiesen werden. 10. Wenn ich mir nun aber trotzdem die beiden Leute näher ins Auge fasste, den Einen in seiner Redlichkeit, den Andern in seiner Ehrlosigkeit und von dem schändlichsten, verworfensten Lebenswandel, so konnte ich mich unmöglich dazu entschliessen, den Letzteren völlig freizusprechen. 11. Auf meine Verordnimg hin also wurde die Verhandlung auf den nächsten Tag verschoben, und ich begab mich sofort von der Geiichtsstelle zum Weltweisen Favorin, mit dem ich damals zu Rom viel umging, und er* zählte ihm von der Prozessangelegenheit und von den beiden Leuten Alles, was in meiner Gegenwart war verhandelt wor- den, und wie der Sachverhalt war, und bat ihn zugleich, dass er mich sowohl im vorliegenden Falle, wo ich mir nicht Rath wusste, als auch überhaupt bei allen übrigen Obliegen- heiten, deren Beobachtung bei dem (schwierigen) Richteramte geboten sei, in den Stand setzen möchte (einen Ausweg zu finden), um bei ähnlichen Vorkommnissen mehr Einsicht be- thätigen zu können. 12. Nun belobte Favorinus (zuerst) diese Gewissenhaftigkeit bei meiner Zui-ückhaltung und Bedenklich- keit, dann sagte er: Dieser Fall, über den Du mich jetzt befragst, kann offenbar nur von geringer und unbedeutender Erheblichkeit sein (und wird sich bald erörtern lassen),, hingegen, wenn Du beabsichtigst, dass ich Dir (als Lehrer) auch Anleitung geben soll über jegliche Verpflichtung (beim wichtigen Amte) eines Richtei-s, so ist hier weder Ort noch Zeit dazu; 13. denn das ist eine Erörterung mannigfacher und weitiäufiger Untersuchung und bedarf vieler und ängst- licher Sorgfalt und Ueberlegung. 14. Denn (um Dir zu Liebe nur einige Hauptpunkte dieser mannigfachen Untei*suchungen zu berühren) so drängt sich bei dem Gedanken an die Rich- terpflicht unter allen Fragen zuerst die uns auf: Wenn ein Richter sich schon im Voraus über den streitigen Punkt unterrichtet hat, über den in seiner Gegenwart verhandelt werden soll, und die ganze Angelegenheit, bevor sie zur Ver- handlung kam oder zum Urtheilsspruch vorgetragen wurde (res, priusquam agi coepta aut in Judicium deducta sit), ihm persönlich allein durch irgend ein anderes Geschäftsverhältniss-

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XIV. Buch, 2. Cap., § 14—18. (245)

oder durch irgend eine andere Zufälligkeit vollkommen klar und deutlich geworden ist, später aber, während der Prozess- verhandlung, seine (vorgefasste) Ansicht (nachweislich) durchaus nicht unterstützt wird, (da ist gleich die erste Frage) ob ein Richter dann nun noch nach seiner vorher gewonnenen per- sönlichen Ansicht, mit der er vorbereitet in den Gerichtssaal trat, sein Urtheil fällen soll, oder nach dem, was er erst bei der Verhandlung in Erfahrung bringt? 15. Da pflegt sich, fuhr er foi-t, auch noch eine andere Frage aufzudrängen, ob es sich far den Richter ziemt und schickt, nachdem der Rechts- fall schon verhandelt worden ist, dann noch, im Fall eine Mög- lichkeit zur Beilegung des Rechtsstreites vorhanden zu sein scheint, auf kurze Zeit sich der Richterpflicht zu begeben und unterdessen die gemeinschaftliche Rolle der Freundschafts- pflicht und gleichsam des Friedensvermittlers zu übernehmen?

16. Auch weiss ich recht wohl, dass ein anderer Fall noch weit mehr bestritten und bezweifelt wii-d: ob ein Richter während der Verhandlung Dasjenige zu sagen oder durch Fragen an die Hand zu geben schuldig sei, was zu sagen und zu fragen für die eine Partei uöthig (und nützlich) ist, obgleich diese (betreffende Partei), der allerdings daran ge- legen sein muss, dass es gesagt und gefragt wird, selbst nicht daran dachte, davon zu sprechen, noch es durch Antrag in Anregung zu bringen ? Denn dies heisse, sagt man, viel eher den Vertheidiger spielen, nicht aber den Richter vertreten.

17. Ausserdem ist man auch über den Punkt vei*schiedener Meinung, ob es mit dem Gebrauch und mit der Pflicht eines Richters übereinstimmend sei, den Fall und die Umstände, um die sich die Verhandlung dreht, durch sein Dazwischen- reden so darzustellen und glaubhaft zu bezeichnen, dass er schon vor der Schlusszeit des Urtheilsspinches aus alledem, was vor seinem Richterstuhl für jetzt verwoiTon und bunt durcheinander vorgebracht wird, nach Art und Umständen, wie er sich bei jeder Gelegenheit und Zeit für gewisse Ein- drücke empfänglich zeigt, seine Gefühle und Gesinnungen ganz deutlich merken lässt. 18. Denn alle Die, welche allgemein das Ansehn schai-fer und schneller Richter haben, behaupten, dass nicht anders eine Angelegenheit, die verhandelt wird, (schnell) ausgespürt und durchschaut werden könne, als

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(246) XIV. Buch, 2. Cap., § 18—21.

wenn der Vorsitzende Richter durch häufige Fragen und un- umgängliche Zwischenreden theils seine eignen Gefühle offen- bait, theils die (Intentionen) der streitenden Parteien (aus- zuforschen und) aufzufinden sucht. 19. Hingegen andere Richter, die filr gesetzter und gewissenhafter gelten, be- haupten, dass ein Richter vor dem Urtheilsschluss, während für beide Theile der Prozess (-Ausgang) noch schwebt, wenn er sich öfters auch durch irgend eine Veranlassung bewegt fühlen sollte, doch niemals dürfe merken lassen, was er (denkt und) empfindet. Denn es wird nicht ausbleiben können, sagen sie, dass ein solcher (gefühlvoller) Richter, weil je nach dem Wechsel der vorkommenden Rechtsfälle und der Beweis- führungsarten sein Gemüth von den vei'schiedensten Bewe- gungen (der Empfindung) bestüimt werden muss, leicht in den Verdacht kommen kann, dass er, sag^ ich, bei demselben Fall und in demselben Moment leicht seine Gesinnung und sein Urtheil ändere. 20. Allein über diese und über aller- hand weitere Abhandlungen von dergleichen richterlicher Verpflichtung will ich später (einmal), wenn ich Zeit haben werde, theils versuchen meine Ansicht auszusprechen, theils aber auch die von mir gajiz kürzlich erat gelesenen Vor- schriften des (gelehrten) Aelius Tubero über die Richteipflicht erklären. 21. Was aber die besagte Voi*schusssumme betrifft, die vor Deinem Richterstuhl eingeklagt werden soll, so kann ich Dir wahrlich nur rathen, befolge (dabei) den Grundsatz des höchst klugen und verständigen M. Cato, der in seiner Rede, welche er für den L. Turins gegen den Gn. Gellius hielt, versichert, es sei nach alter Väter Weise so überliefert und festgehalten worden, dass, wenn etwas, was zwischen Zweien abgemacht wurde, weder durch schriftliche Beweis- mittel (Documente, Obligationen), noch durch Zeugen (deutlich gemacht und) nachgewiesen werden könne, dann vor dem Richter, der über die Angelegenheit erkennen und sein Urtheil sprechen sollte, (vorerst) die Frage erörtert wurde, wer von den Beiden der rechtschaffenere Mensch*) war, und im

XIV, 2, 20. Q. AeUufl Tubero cfr. Gell. XIV, 7, 13; XIV, 8, 2; VI (VII), 9, 11. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 205, 1 und Gell. VII (VI), 3, 1 NB.

XIV, 2, 21. *) S. Mommsen Röm. Gesch. Buch III, cap. 12 (I. Bd. p. 847).

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XIV. Buch, 2. Cap., § 21—25. (247)

Fall sie Beide entweder gleich gut, oder gleich schlecht waren, dann wurde dem Beklagten geglaubt upd zu seinem Gunsten das gerichtliche Urtheil entschieden. 22. In der vorliegenden Prozessangelegenheit aber, über die Du im Zweifel bist, steht der Kläger im besten Rufe, der Beklagte aber, der bezahlen soll, ist als ein ganz (abgefeimter) schlechter Mensch bei-üch- tigt, und (fest steht nur,) das Geschäft ist zwischen Beiden ohne Zeugen abgemacht worden. 23. Geh' also (hin) und glaube (ohne Bedenken) dem (Ehrenmanne), der die Forderung stellt, und verurtheile immerhin den, von welchem die Rück- zahlung verlangt wird, weil sie Beide von einander verschieden sind, und diesmal der Kläger (vor dem Beklagten) den Vorzug hat 24. Diesen Rath also gab mir damals Favorin ganz wie es sich für einen so weisen Mann schickte, 25. allein nichts- destoweniger hielt ich diese Angelegenheit doch für zu wichtig und zu hoch, als dass ich*) bei meiner (grossen) Jugend und ünerfahrenheit es entsprechend fand, weil es dabei leicht hätte den Anschein haben können, ich habe mein Verdammungs- urtheil (cognovisse et condemnasse) in Berücksichtigung der Sitten, nicht aber in Folge des dargebrachten Beweises vom (einfachen) Thatbestand gefällt. Daher konnte ich es nicht über mich gewinnen, ein Lossprechungsurtheil zu fällen und deshalb beeidete ich, dass mir die Sache „nicht klar und spruchreif*' sei, und so wurde ich meines Richteramtes ent-

XIV, 2, 28. 8. W. Rein'fl röm. Privatrecht 8. 450 flF.

XIY, 2, 24. *) Yergl. über das Alter des Gellias noch: L. Friedlftnder de A. Gellii vitae temporibus. Königsberg 1869 und J. Steup de Ffobis grammaticis p. YU und 72 ff. Jena. 1870.

XIV, 2, 25. Vor Gericht kann und darf zwar znweilen der Charakter ans Thatsachen beortheilt werden, aber nie Thatsachen ans dem Charakter. Bei legislativen Comitien brandite man zwei Täfelchen, um (durch u. r., d. h. nti rogas) die blähende Stimme zu verzeichnen, oder (durch a., d. h. antiquo) die verneinende. Bei richtenden Comitien wurden jedem Richter drei Tflfelchen eingehändigt, bezeichnet mit a (als litera salutaris), in der Bedeutung von absolvo, spreche frei, dann mit c (als litera tristis), be- deutend: condemno, verurtheile, spreche schuldig und endlich das dritte mit n. l.y d. h. non liquet 8. Savigny röm. Becht Bd. 6 p. 311 : Wenn die Stimmenmehrheit auf „non liquet^ ging, so lautete der Ausspruch des ver- sitzenden Fraetors : „amplius'', welches die Folge hatte, dass die Verhand- lung an irgend einem andern nahen Tage fortgesetzt wurde, bis die Richter glaubten, ein sicheres Urtheil sprechen zu können. Der Ausgang jedes

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(248) XIV. Buch, 2. Cap., § 26. 8. Cap., § 1.

hoben. 26. Die Stelle aus der Bede des M. Gato, deren Favorin Erwähnung that, lautet wörtlich so: „Auch habe ich von den Altvordern erfahren, im Fall Einer von einem Andern eine Forderung hat, wenn Beide einander gleich sind, ent- weder gleich gut, oder gleich schlecht, (und es traf sich), dass, als sie Beide das Geschäft abgeschlossen hatten, keine Zeugen zugegen waren, so musste man (allemal) eher dem Beklagten Glauben schenken. Im Fall nun Gellius mit dem Turins eine (gegenseitige) VerpiBichtung eingegangen wäre: gesetzt auch, Gellius wäre kein rechtschaffenerer Mensch als Turins, könnte doch wohl Niemand, glaub' ich, so unvernünftig sein, dass er so aburtheilte^ Gellius sei weit rechtschaffener als Turins; im Fall nun Gellius nicht rechtschaffener ist als Tuiius, so muss man dem Beklagten mehr Glauben schenken. '^

XIV, 3, L. Ob Xenophon und Plato der (heimlichen) Eifersucht und Feindschaft gegen einander (mit Recht) dürfen beschuldigt werden.

XIV, 3. Cap. 1. Die Schriftsteller, welche uns in sehr vielen Stücken (und nach fast allen Richtungen hin) gründ- liche Schilderung vom Leben, wie vom Charakter des Xenophon

geleiteten Criminalprozesses war stets Yerortheilung oder Freisprechung, nie ünentschiedenheit Hier erzählt Gellius, er selbst sei einmal Judex gewesen, als ein sehr rechtschaffener Mann gegen einen Menschen von verdilchtigem Charakter ein Darlehn einklagte, ohne Beweise führen zu können. Durch einen Eid: „mihi non liqnere'^, machte er sich frei von der Verlegenheit, gegen seine persönliche Meinung urthdlen zu müssen. Der Erfolg war, dass dem Gellius gestattet wurde, persönlich aus dem auferlegten Judicium auszuscheiden, und dass nun ein anderer Judex an seine Stelle trat Das Judicium dauerte fort und nur die Person wurde verändert

XIY, 3, L. Xenophon, geb. zu Athen 450 v. Chr., Sohn des GryUos, griech. Philosoph und Geschichtsschreiber, einer der berühmtesten Schüler und Freunde des Socrates, von dem er im peloponnes. Kriege (424) in der Schlacht bei Delion auf den Schultern -aus dem Gefechte getragen wnrde. Die (spätar 401) übriggebliebenen Griechen, von den dem jüngeren Cyrus gegen seinen Bruder, den König Artaxerxes, aus Sparta und Athen nach Per- sien gesendeten Hülfstruppen, führte er, an ihre Spitze gestellt, nach der un- glücklichen Schlacht bei Kunaxa, wo Cyrus fiel, 500 Meilen weit durch un- wirthliche Länder glücklich nach Griechenland zurück. Dieser Zi^ welchen er in seiner Anabasis beschreibt, gilt als ein Meisterstück in der Kriegs- kunst. Bei den Athenern verdächtigt, spartanisch gesinnt zu sein, wurde er exilirt, ging nach Elis und starb 360, ziemlich alt, in Corinth. Sein

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XIV. Buch, 3. Cap., § 1-4. (249)

und des Plato geliefert haben, waren der Ansicht, dass diese {zwei grossen Geister) nicht ganz frei gewesen seien von ge^ wissen geheimen und verborgenen Empfindungen gegenseitiger Eifersucht und Missgunst, und sie haben uüs dafiir einige auf Vermuthung beruhende Beweise aus ihren Schriften angeführt. 2. Sie laufen ohngef&hr auf Folgendes hinaus: Weil weder von Plato ip seinen vielen und zahlreichen Schriften irgendwo des Xenophon Erwähnung geschieht, noch von diesem in seinen Schriften des Plato, obgleich Beide, am meisten aber Plato in den von ihm abgefassten Dialogen viele Schüler des So- crates erwähnt hat. 3. Auch glaubten sie, dass dies für kein Zeichen aufrichtiger und freundschaftlicher Zuneigung an- gesehen werden könne, dass Xenophon, nachdem er die beiden ersten, öffentlich neu erschienenen Bücher von jenem be- rühmten Werke, welches Plato über die beste Form einer freien Staatsverwaltung schrieb, gelesen hatte, diesem Werke sogleich ein anderes entgegensetzte und durch seine Feder die entgegengesetzte Regierungsform einer „Monarchie" verherr- lichte und sie betitelte: von der Erziehung des Cyrus. 4. Durch diese Handlungsweise und durch diese Schrift soll Plato sich so unangenehm berührt gefühlt haben, dass er in einer andern Schrift, bei Erwähnung des Königs Cyrus, zur Herabsetzung und Verkleinerung der xenophonteischen Schrift gesagt haben soll, Cyrus sei zwar ein rühriger und unternehmender Mann

Fürsteogpiegel, die Cyropaedie, Bildongsgeschichte des Cyrus; seine Hellenika, griecbisdie Geschichte, bildet die Fortsetzni^ des Thucydides bis zur Schlacht belMantinea; in den Memorabilien desSocrates wird von ihm die Denk- und Handlungsweise dieses seines grossen Lehrers in Gesprächen mit Sophisten und mit seinen Schfllem dargesteUt Der StU des Xenophon ist klassisch, weshalb ihn die Griechen die attische Biene oder Muse nannten. S. Diog. Laert n, 6, 14.

XIV, 8, L. üeber Plato s, GeU. ü, 8, 9 NB und m, 17, 1 NB.

XIY, 3, 1. S. Athenaeus XI, sect 112 (504); Diogen. Laert m, 24; Euseb. praep. evang. XIY.

XIV, 8, 2. Xen. Memorab. m, 6, 1 wird Plato erwfthnt

XIV, 8, 4. S. Plat de leg. in p. 694 C. „Was den Cyrus nun aber betrifft, so vermnthe ich jetzt, dass er im üebrigen zwar sowohl ein tüchtiger Feldherr, als auch ein Staatsfreund gewesen sei, die rechte Er- ziehung aber durchaus nicht berOhrt *nnd auf die Verwaltung des Hauses nicht im Geringsten Aufmerksamkeit verwendet habe.''

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(250} XIV. Buch, 8. Cap., § 4-9.

gewesen, aber, so lauten Plato's Worte über den Cyrus weiter^ „die rechte Erziehung durchaus nicht berührt habe." 5. Ausserdem komme noch, wie sie meinen, zu der von mir er* wähnten Aeusserung Plato's andererseits hinzu, dass Xeno- phon in seinem Werke, welches er zur Erkläning (und Ver- herrlichung) der Reden und Thaten des Socrates abgefaist hat, sagt, dem Socrates sei es nie eingefallen, sich auf Qe* spräche einzulassen, die Beziehung auf gründliche Unter- suchungen in Astronomie und Physik hatten, und selbst nicht einmal die übrigen Wissenszweige, welche die Griechea (schlechtweg) Wissenschaften (fia^ryjuaTa*)) nennen, berührt oder anerkannt habe, da sie nicht unmittelbar zu einem glücklichen und tugendhaften Leben hinfahren, und deshalb behauptet Xenophon, dass Jeder ein schändlicher Lügner sei, der dem Socrates dergleichen Erörterungen in den Mund lege,

6. Als dies Xenophon schrieb, sagen sie, wollte er damit auf Plato anspielen, in dessen Schriften Socrates sich auf physische und musikalische und geometrische Untersuchungen einlädst,

7. Allein wenn man geglaubt hat. Dergleichen über die besten und angesehensten Männer vermuthen oder argwöhnen zu müssen, so ist meiner Ansicht nach die Ursache (gewiss) nicht in der Verkleinerungssucht, noch in der Missgunst, noch in dem (ehrgeizigen) Wettkampf nach höherem Ruhmeserwerb (jener Männer) zu suchen, denn solche niedrige Denkungs- art ist dem Charakter der Weisheit gänzlich fem, worin doch diese Beiden nach dem einstimmigen Uilheile Aller sich so sehr auszeichneten. Was kann nun also der (wahre, eigent- liche) Giimd zu dieser Vermuthung sein? 8. Sicher kein anderer, als folgender: Meistentheils nur das Vergleichen und die Gleichheit grosser^ lühmlicher Eigenschaften unter gleich grossen Männern, die, wenn ihnen selbst auch das Streben und die Absicht zu einem Wettstreite fernliegt, doch leicht den Anschein (kleinlicher) Eifersüchtelei veranlassen kann* 9. Denn wenn zwei oder mehrere in demselben Wissenschafts- fache hervorragende Geister entweder eines gleichen, oder fast

XIY, 8, 5. *) fia&rifinra i. e. Mathematik, Astronomie, Musik, Geo- graphie, Optik. VergL Gell. I, 9, 6; Xen. Memorabil. I, 1, 9 Rechnen, Messen, Wägen; IUI, 7 § 4 nnd 5 Astronomie.

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XIV. Buch, 3. Cap., § 9— 11. 4. Cap., § 1—3. (251)

annäliernden Ruhmes sich erfi-euen, so entspinnt sich bei ihren gegenseitigen verschiedenen Gönnern und Anhängern oft ein Wettstreit geflissentlicher Lobeserhebung und partei- licher Abschätzung (ihrer Meister). 10. Da kann denn leicht aus dem fremden (Wett-) Streit auch sie selbst der ansteckende Einfluss des Wettstreites anhauchen, und ihr Ringen, auf Schritt und Tritt den Weg zur Tugend (und zum Ruhme) fortzusetzen^ mag es von gleichem oder von zweifelhaftem Erfolge (gekrönt) sein, wird zu dem Verdacht gegenseitiger Eifersüchtelei herabsinken, nicht durch ihre eigene Schuld, sondern nur durch das Eifern ihrer Gönner (Anhänger und Parteigänger). 11. Auf ganz gleiche Weise sind auch Xeno- phon und Plato, diese beiden (grossen) Sterne der Anmuth in den Verdacht gegenseitigen Wettstreits und Eifersucht- thums gekommen; weil der Streit über sie, wer von Beiden hervoiTageuder sei, unter ihren Anhängern herrschte, und weil zwei hervorragende Grössen, wenn sie sich nebeneinander gleichmässig in schwindelnde Höhe erheben, ein gewisses Scheingefühl eifersüchtiger (Missgunst und) Rivalität erzeugen.

XIV, 4, L. Wie genau und scharf (begrenzt) Chrysippus das Bild der Ge- rechtigkeit in harmonischen und malerischen Ausdrücken hingezeichnet hat

XIV, 4. Cap. 1. Schicklich, in der That, und anständig hat Chrysippus im ersten Buche seiner Schrift, welche betitelt ist: y^Ttegi %aXov xal rjdovijg (über das Schöne und Ange- nehme)^, Mund und Augen und den ganzen Gesichtsausdruck der Gerechtigkeit mit ernsthaften und entzückenden Farben in Woi-ten gezeichnet. 2. Er entwirft nämlich das Bild der Gerechtigkeit mit der Bemerkung, dass dasselbe von Malern, wie von älteren Rednern ohngefähr auf folgende Art vorgestellt worden sei: Von zart jungfräulicher Form und Bildung, von strengem und fui'chteinflössendem Aussehen, mit durchdrin- genden Blicken aus (ihren) Augen, nicht niedrig und ab- stossend, mit der Würde einer gewissen ehrfurchtgebietenden Schwermuth. 8. Unter Hinweis auf diese bildliche Darstellung

XIV, 4, L. Ueber Chrysippus s. Gell. I, 2, 10 NB.

XIY, 4, 1. Cfr. Diog. Laert. 7, 128 und 202 Athenaeus p. 158 D. etc.

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(252) XIV. Buch, i. Cap., §8—5.-5. Cap., § 1.

aber, wollte er verstanden wissen, dass ein Richter, der ein echter Priester der Gerechtigkeit (heisst und) ist, sich stets einen hohen Ernst bewahren und gewissenhaft sein müsse und streng, unbestechlich, der Schmeichelei unzugänglich, mitleidslos und unerbittlich gegen alle Ungerechten und Schuldigen, stolz, erhaben, stark, schreckeneinflössend durch die Macht und Hoheit seines Billigkeitsgefuhls und seiner Wahrheitsliebe. 4. Die Stelle des Chrysippus über die Ge- rechtigkeit lautet wörtlich also: ,Man sagt, dass sie eine Jungfrau vorstelle, zum Kennzeichen, dass sie rein (keusch und unbestechlich) sei, dass sie gegen Uebelthäter niemals nachgiebig sei und nicht eingehe weder auf sanftes Zureden, noch auf Entschuldigungen und Bitten, noch auf Schmeicheleien, noch sich überhaupt durch etwas Anderes dergleichen be- stimmen lasse; deshalb wird sie folglich auch als bekümmert (und ernsthaft) dargestellt, mit einster (finsterer) Miene und durchbohrend scharfem Blick, um den Bösen Schrecken und Furcht einzuflössen, den Rechtschaffenen aber Muth und Ver- trauen; so also verkündet diese Miene den Einen Wohlwollen^ den Andern aber (unerbittliche) Strenge. ** 5. Meiner Ansicht nach gebührt dieser Stelle des Chrysippus um so mehr ein Platz, damit sie (Jedem sogleich) zur (eignen) Erwägung und Beurtheilung verfügbar und zugänglich sein mag, weil, als ich die besagte Stelle vortrug, einige Philosophen, die in ihren Lehren mehr zur Weichlichkeit hinneigen (und zur affectirten Sentimentalität, delectatiores quidam disciplinarum philosophi), mit der Einwendung heraustraten, diese Schil- derung kennzeichne das Bild der Grausamkeit, nicht das der Gerechtigkeit.

XIY, 5, L. Erzählung eines heftigen Streites zwischen zwei berühmten

Grammatikern zu Born über den Yocativus des Wortes: egregins

(ausgezeichneter, Tortreflflicher).

XIV, 5. Cap. 1. Ermüdet von anhaltendem Nachdenken (und Studiren) erging ich mich einst zu geistiger Zerstreuung und Erholung auf dem agrippinischen freien Platze. Dabei wurde ich zufällig zweier Grammatiker ansichtig, die in der

XIV, 4, 4. S. Plut mor. p. 68, C; 152 B; 412, E; 800 C.

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XIV. Buch, 5. Cap., § 1—4. (253)

Stadt Rom einen nicht unbedeutenden Namen hatten. Ich (machte mich an sie und) wohnte da einem sehr heftigen Streite derselben bei, da der Eine behauptete, man müsse im Vocativ sagen: vir egregi (o du vortrefflicher Mann), der Andere aber (dabei blieb, es müsse heissen:) vir egregi ei 2. Der Grund Deggenigen aber, welcher meinte, es müsse „egregi" (im Vocativ) heissen, war folgender Art: Alle Sub- stantiva und Adjectiva (!?), welche im Nominativus Singularis auf „us" auslauten, bei denen vor dieser letzten Silbe aber der Vocal „i" vorhergeht, alle diese werden im (Einheits-) Vocativ auf „i" abgebeugt, wie z.B. Caelius Gaeli, modius modi (Mass, Scheffel), tertius terti (Dritter), Aerius Acci, Titius Titi und alle ähnliche; daher also auch von egregius, weil es sich im Nominativ auf „us" endigt und dieser Silbe der Voeal ,i" voran- geht, der Vocativ richtiger egregi, nicht aber egregie wird lauten müssen. Denn divus (= deus Gott), rivus (Bach) und divus (Hügel) lauten eigentlich nicht auf (die Silbe) us aus, sondern auf die Silbe, welche mit einem Doppel -u geschrieben werden muss, und um nun aber den Klang (und die Aus- sprache) dieser Silbe zu (ermöglichen und zu) veranschaulicJien, erfand man einen neuen Buchstaben (das f), welcher (im Griechischen) Digamma hiess. 3. Als der Andere die Er- kläinmg vernommen, sagte er: 0 vortrefflicher, oder, wenn Dir das noch lieber ist, o allervortrefflichster, Sprachregel- lehrer, sag' mir doch, ich bitte Dich, von den folgenden Woltern: inscius (unwissend), impius (gottlos), sobrius (nüch- tem), ebrius (betrunken), proprius (eigenthümlich), propitius (geneigt), anxius (ängstUch), contrarius (abgeneigt), welche sich alle auf „us" endigen und vor diesem Auslaut auf „us" ein „i" haben, wie lautet wohl davon der Vocativ? Denn mich beßUlt (eine gewisse) Scheu und Schüchternheit, diese Wörter {im Vocativ) nach Deiner Vorschrift auszusprechen. 4. Als ^ener aber ein Weilchen, durch das Entgegenhalten der be- sagten Wörter betroffen, in Stillschweigen verharrte, bald sich

XIV, 5, 1. lieber den Vocativ der Substantiva auf ins s. Gell. XTTI, 26 (25), L. NB. Genitiv: Yal^ri, Vocativ: Y&leri. Die AppeUativa und A^ectiva behalten im Vocativ ie, doch waren, wie hier ersichtlich wird, darüber zu Gellins' Zeiten selbst angesehene römische Grammatiker ver- schiedener Ansicht

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(254) XIV. Buch, 6. Cap., §4.-6. Cap., § 1. 2.

jedoch wieder gesammelt hatte und diese seine aufgestellte Regel (trotzdem noch) aufrecht erhielt und vertheidigte mit dem Zusatz, dass proprius, propitius, anxius und contrarius im Vocativ geradeso zu sprechen (und abzubeugen) seien, wie advei*sarius (Gegner) und extrarius (auswäitig) gesagt wfirde, desgleichen auch inscius, impius, ebrius und sobrius, zwar ein wenig auffallender, aber doch richtiger im Vocativ in i und nicht in e (auslautend) ausgesprochen werden mttssten und also immer noch kein Ende des lang geführten Streites unter diesen (Beiden) abzusehen war, hielt ich es femer nicht mehr der Mtihe werth, (mir) das Alles noch weiter mit anzuhören; ich machte mich also aus dem Staube und liess sie weiter schreien und streiten.

XrV, 6, L. lieber eine gewisse Gattung anscheinender 'Kenntnisse, die

aber weder ergötsen noch nfitzlich sind; femer dabei über Namens-

Umänderung einzelner Städte und Länder«

XIV, 6. Cap. 1. Ein mir befreundeter, wegen seiner wissenschaftlichen Bildung nicht unberühmter Mann, der einen grossen Theil seines Lebens unter Büchern zugebracht, sagte (eines Tages zu mir) : Ich bin sehr wohl geneigt; (Dein Sam- melwerk) Deine „(attischen) Nächte" durch Beiträge zu be- reichern, und dabei übeireichte er mir ein Buch, einen grossen Wälzer, von allerhand Gelehreamkeit strotzend, wie er selbst sagte, und bemerkte noch nebenbei, dass dieses Werk von ihm mit grosser Mühe ausgearbeitet worden sei in Folge der Leetüre vieler und verachiedener und seltener Bücher, (und er wolle gestatten) , dass ich mir daraus aussuchen solle, so viel mir (nur immer) von dem darin enthaltenen denkwürdigen Gegenständen gefallen würde. 2. Voll Neugierde und Freude nehme ich das Buch in Empfang, gleich als hätte ich das (wunderbare) Füllhorn (cornu copiae) erlangt; ich ziehe mich damit ganz und gar in die Verborgenheit zurück, um es ohne

XIV, 6, 1. Vergl. Senec ep. 88 § 5— 7; § 82. Der unter August lebende alexandrinische Grammatiker und Polyhistor Didjmus, welcher wegen seiner unermadlichen Th&tigkeit und seines eisernen Fleisses den Beinamen „/a^^yrf(»o; (d. h. der Mann mit eisernen Eingeweiden)*^ erhielt, schrieb 4000 Bflcher. Sollte mit diesem Briefe Seneca's nicht das Capitel von Gellius hier in einigem Zusammenhang stehen?

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XI7. Bucsh, 6. Cap., § 8. 4. (255)

(lästige störende) Zeugen zu lesen. 8. Und, beim Himmel, nichts als lauter Wunder standen da yerzeichnet. (z. B.) Wie der erste Grammatiker mit Namen geheissen habe, wie viel berühmte Männer es gegeben, die alle den Namen des Pytha- goras fohrten, wie viele, die Hippocrates geheissen und wie beschaffen der (enge) Weg am Hause des Ulysses war nach Homers Angabe (Odyss. XXII, 126 oQCodvQt], oder Odyss. XXn, 128 Xaveifj)\ femer: warum Telemach (Hom. Odyss. XV, 45) auf seinem Ruhebette den an seiner Seite schlafenden Pisistratus*) nicht mit der Hand berührte, sondern ihn durch das Anstossen mit dem Fusse aufweckte; dann (Hom. Odyss. I, 441), mit welcher Art von einem Schloss die Eurykleia**) den Telemach einschloss; femer: weshalb derselbe Dichter die Rose selbst nicht kannte, das Rosen(-Salb)-Oel (Hom. Siad. XXTTT, 186) aber kannte. Femer standen auch daselbst die Namen der Gefthrten des Ulysses verzeichnet, welche <Hom. Odyss. XII, 245 u. s. w.) von der Skylla***) entraflft und zei-fleischt worden waren; ferner: ob Ulysses im mittellän- dischen Meere, nach der Angabe des Aristarchf), oder im Weltmeere (Okeanus) heramiiTte, nach Annahme des Krates. 4. Femer stand dort auch geschrieben, welche Verse bei Homer isopsephische'*') sind und heissen, von welchen Wörtem

XIV, 6, Teaffel sagt m s. Gesch. der röm. Lit 340 höchst treffend; „üngeldtet von historischem Sinne and in Dienst genommen Ton einer eitlen Rhetorik ohne Selbstgefühl, treibt die Gelehrsamkeit planlos dahin und yergendet ihre Schätze." .

XIV, 6, 8. *) Pisistratns, Sohn des Nestor, empfängt den Tele- machos, des Odysseos Sohn, auf dessen Erkundigungsreise und geleitet dhn nach Sparta, Hom. Odyss. 3, 400. **) Eurykleia, Tochter des Ops, •eine von Laertes gekaufte Sklavin, Erzieherin des Odysseus und in dessen Hause redliche Schaffherin. ***) Skylla, ein fCürchterlich bellendes ün- tgeheuer, das in einer dunklen Höhle eines am Meere gelegenen unüber- «teigbaren Felsen sich aufhielt. Gegenaber lag ein niederer Fels, wo Gharybdis Verderben drohte, die tftglich dreimal die Gewässer hinab- achlang und wieder hervorsprudelte. Als das Schiff des Odysseus zwischen beiden hindurchschwanun , raubte Skylla sechs Gefährten und verschlang «ie. Hom. Odyss. 12, 73—126 und 235—259. f) üeber Aristarch imd Erates s. GelL H, 25, 4 NB.

XIV, 6, 4. *) Isopsephische Verse (iaoyprma iniyqafifiata) ^ deren Buchstaben, als Ziffern betrachtet, eine und dieselbe Zahl bilden, z. B. Hom. niad. Vn, 264 dAX' avax etc. und v. 265 xi(fi€Vov etc. beträgt die

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(256) XIV. Buch, 6. Cj^)., § 4.

eine P ar asti Chi s'*^) (eine Buchstabenreihe, ein Akrostichon) sich vorfindet; ja, was noch mehr sagen will, welcher Vers***) es ist, in dem jedes (folgende) Wort eine Silbe mehr hat (sc. Hom. niad. in, 182); hernach auch, wie es sich mit seiner Angabe verhält, dass Schaafe jährlich dreimal gebären (Hom. Odyss. IV, 86); femer: ob von den fünf Deckenschichten, wodurch der Schild des Achilles verwahrt war (Hom. Iliad. XX, 270), die Schicht, welche aus (purem) Golde bestand, die

Summe der Zahlbuchstaben jeder Zeile: 8498; Hom. Iliad. XIX, 306 fiti ftenglv etc. und y. 807 äaaa^ai etc. beträgt die Summe jeden Verses: 2848. Die ausserdem noch angeführte Stelle Hom. Odyss. XXIV, 110 oQoasetc, und y. 111 ^nov etc. trifft nicht zu, denn die Summe des ersten Verses beträgt nur 8102, die des andern aber 8436. Selbst wenn man dem ersten Verse durdi Zusatz eines r noch 800 hat beifügen wollen und zur grösseren Annäherung so liest: oQtrag aQyaUovg r* dvifjovg etc., wQrde doch inmier noch nicht die ganz gleiche Summe herauskommen. Muret Var. lect XIV, 13 zieht beispielsweise noch ein griechisches Epignunm zur Verdeutlichnng an, in welchem jedes der beiden Wörter eine gleiche Summe geben, nämlich:

d afiay 6 oa g und l o t fio g (6, die Pest).

Clemens Alexandrinus schreibt: Gott strafe die Menschen oft mit fün^ sechs und sieben Buchstaben: X^fios (Hunger), loiuog (Pest) und noX^fiog (Krieg). Aus den Wörtern v^llog (Nil), und fiivog (ro, Begierde) kommt die Zahl der Tage im Jahre heraus :

V B X X 0 g und fi i v o g

VergL Plutarchs Tischreden DC, 8, 8. Der erste Vers der Ilias besteht aus gldchyiel Silben, wie der erste Vers der Odyssee und dann entsprechen auch wieder die letzten Verse beider durch Zufiedl einander.

XrV, 6, 4. **) naQuoTix^g (axQoarix^g «= Akrostichon), Verse, deren Anfangsbuchstaben Namen oder Wörter bilden, wie z. B. die ersten fünf Verse yom 24. Buche in Homers Iliade das Wort Xtvxrj. Hier sei noch bemerkt, dass die beiden ersten Buchstaben des ersten Wortes im Anfemge yon Homers Iliade, des Wortes „u 4 viv\ die Zahl ergeben, als wie

hoch sich die Anzahl der Bücher beläuft, aus welchen die Iliade (24 Bücher) und Odyssee (24) besteht S. Senec. epp. 88, 85.

XIV, 6, 4. ***) Beispielsweise hat bei Hom. Iliad. DI, 182 jedes Wort eine Silbe mdir:

di (Jia%aq l^zQsidtjj fioiQtjyevig. oXßiodaifiwy.

1-, 2-, 8-, 4-, 5-sübig.

0 seel'ger Atreussohn, (o) Gesegneter, Glücklichgebomer.

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XI7. Buch, 6. Cap., § 4. 5. 7. Cap., § 1. (257)

änsserste war, oder in der Mitte sich befand; femer auch noch, welche Städte- und Ländernamen eine Umänderung erfahren hätten, wie Böotien früher Aonien genannt worden sei, Aegjpten früher Aeria, Greta ebenfalls auch den Namen Aeria geführt habe, Attica früher Akte (und bei den Dichtern Acta), Corinth früher Ephyre, Macedonien erst Hemathia, Thessalien vorher Haemonia, Tyros einst Sarra, Thracien ehedem Sithonia, Paestum (Stadt in Lucanien und berühmt wegen der dort zweimal blühenden Rosen) Poseidonium ge- nannt worden sei. 5. So fand sich auch noch verschiedenes anderes Derartiges in dem Buche verzeichnet (was mich durchaus nicht weiter anzog oder interessirte). Als ich mich (deshalb) sofort beeilte, ihm das Buch zurückzugeben, konnte ich die Bemerkung (doch) nicht unterdrücken, mögest Du, Gelehrtester der Männer, über diese Viel wisserei (Deine) Freude haben, und so empfange dieses reichhaltigste Werk zurück, welches durchaus nichts enthält, was für meine (be- scheidene) annselige Schrift passt. Denn meine „(attischen) Nächte", welche Du Dir vorgenommen hattest, durch Dein lehrreiches Werk zu bereichem, verfolgen bei (allen) ihren Untersuchungen vor Allem nur den Gmndsatz jenes bekannten homerischen Verses (Odyss. IV, 392), von dem Socrates sagte, dass er ihm über Alles am Herzen liege:

Was Dir Böses und Ghites daheim im Palaste geschehn sei.

XrV, If L. lieber die Erklärungsschrift, welche M. Yarro selbst eiae

einleitende {etsaytoyixnv) nennt und die er dem zum erstenmal als Consol

ansersehenen C. Pompejus zustellte, über die Obliegenheit bei Znsammen-

bemfung des Senats.

XIV, 7. Cap. 1. Dem Cn. Pompejus stand der Amts- antritt seines ersten Consulats mit dem M. Crassus bevor.

XIV, 6, 5. Socrates fand in diesem homerischen Verse aus der Odyssee (lY, 392) die ganze Aufgabe der Philosophie bezeichnet, die vor Allem auf das eigne Herz und Leben gerichtet sein müsse und zählte deshalb diesen Vers unter seine LieblingsaussprQche. Wir würden sagen: Kehre Jeder vor seiner Thüre, danit wird bald die ganze Gasse saaber. S. Binders Sprüchwörter; Diog. Laert II, 5, 6. Socrates.

GielliaB, Attische K&chte. U. 1*^ r^ T

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(258) XIV. Buch, 7. Cap., § 2—4.

2. Als Pompejus nun also im Begriff war, die Thätigkeit dieses hohen, wichtigen Amtes zu beginnen, wandte er sich, weil er wegen der langen Zeit, die er (ausschliesslich) dem Kriegsdienst gewidmet hatte und seine ünerfahrenheit in städti- schen Angelegenheiten herausfühlte, vorher an seinen Freund M. Varro mit der Bitte, ihm doch eine einleitende (instructive) Erklärungsschrift (oder, wie sie Varro selbst nennt, commen- tarium isagogicum oder elaaycoyrMv) anzufertigen, um daraus genau kennen zu lernen, was er zu thun und zu sagen ver- pflichtet sei, für den Fall, dass er den Senat (zu berufen und) zu befiagen hätte. 3. Diese Erklärungsschrift, welche M. Vano dem Pompejus über besagten Gegenstand aufgesetzt hatte, ist verloren gegangen, wie Van-o in einem an den Oppius geschriebenen Briefe, der im „4. Buche seiner in Briefform abgefassten Untersuchungen" sich befindet, selbst angiebt. In diesem Briefe bringt er wieder vielfache auf diesen Gegenstand bezügliche Bemerkungen vor, die er aus dem früher verfassten Werke (deshalb) anführte, weil es (eben) nicht mehr vorhanden war. 4. Zuerst führt er da an, wer die waren, durch welche nach alter Sitte der Senat pflegte zusammenberufen zu werden und macht als solche (der Reihe nach) folgende namentlich : den Dictator, die Gon- suln, die Praetoren, die Volkszunftmeister, den Reichsverweser (interrex), die Statthalter*) (praefectus urbi, Gouverneur

XIV, 7, 2. Gommentarii efaaytoyixol, über dergleichen Aufzeichnungen 8. Teuffels röm. Lit. Gesch. § 76, 3.

XIV, 7, 4. Dictator s. Gell. I, 25, 6 NB. lieber die Consuln, nach der Vertreibung der Könige die höchsten Staatsbeamten der alten Republik s. Gell. XIII, 13, 1 NB; desgl. daselbst über Praetoren. Die tribuni plebei (die Zunitmeister der Gemeine) zuerst im J. 261 d. St erwählt, sollten dem Volke zum Schutz wider die Aristokratie dienen, missbrauchten aber oft zu Umtrieben und Unruhen ihre Gewalt. S. Grell, m, 2, 11. Interrex, Vicekönig oder Reichsverweser, früher nach dem Tode eines Königs gewählt, zur Direction der Comitia s. Liv. 1, 17, 32, später in Abwesenheit der Consuln und obersten Leiter. Sein Regiment dauerte nur fünf Tage, während welcher Zeit alle Gerichtshöfe feierten. Waren diese fünf Tage verflossen, so musste, wenn es nöthig war, ein neuer gewählt werden.

XIV, 7, 4. *) Praefectus urbi vertrat bei Abwesenheit (der Könige, später) der Consuln, deren Rechte. * Er hatte daher die Befugniss, den Senat zu berufen und Vortrag zu halten. Liv. 3, 9. 29.

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XIV. Buch, 7. Cap^ § 4—7. (259)

der Hauptstadt Rom). Ausser den Genannten habe, wie er sagt, keinem Andern w^ter das Recht zugestanden (den Senat zusammenzurufen und) einen Senatsbeschluss zu veran- lassen; so oft aber der Fall eingetreten sei, dass (zufällig) alle diese hohen obiigkeitlichen Personen zu gleicher Zeit sich zu Rom befanden, dann habe, sagte er, dem am meisten das Recht, den Senat zur Berathung zusammenzurufen, zugestanden, welcher in der vorhin verzeichneten Reihenfolge, der erstere und vornehmere unter ihnen Allen war. 5. Hernach hätten das Recht den Senat zur Berathung zusammenzuberufen auch ausnahmsweise die Kriegstribunen noch gehabt, als diese (einst) mit consularischer Gewalt betraut waren, Jerner die Decemvii-n, als sie die consularische Obmacht hatten, so auch die behufs der Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung im Staat (vÄ*einigt) gewählten T r i u m v i r n. 6. Heniach schreibt er über die Einspruchsrechte und sagt, dass das Recht, Ver- wahrung einzulegen, um einen Senatsbeschluss nicht zur Durchführung gelangen zu lassen, einzig und allein nur Denen zugestanden worden sei, welche entweder eine grössere, oder doch wenigstens dieselbe gleiche Gewalt hatten mit Denen, welche einen Senatsbeschluss zu veranlassen, abzufassen und durchzusetzen beabsichtigten. 7. Alsdann schreibt er über solche Plätze, wo (allein nur) rechtsgültig ein Senatsbeschluss ausgefeiligt und abgefasst werden konnte, und er zeigt und versichert, dass, wenn ein Senatsbeschluss nicht auf einem durch den Augur angeordneten Platze, welcher den eigentlichen Namen „Tempel"*) führte, vollzogen worden sei, er nicht

XIY, 7, 5. Tribuni militum cum consulari potestate yon 310 bis 870 d. St statt der Consaln gewählt.

XIV, 7, 5. Vergl. Gell. XI, 18, L. NB. Die decemviri legibus scribundis, zur Abfassung yon Gesetzen filr die Republik (462y. Chr. «« 801 d. St.) erwählt, durchreisten Griechenland, um die Gesetze des Draco, Solon und anderer berühmter Gesetzgeber kennen zu lernen. So sam- melten sie das nöthige Material zu dem berühmten Codex der Zwötf- Tafelgesetze und setzten es auf. V^ährend dieser Zeit verwalteten sie das alleinige Regiment, wurden jedoch nach Verlauf yon noch nicht ganz zwei Jahren wegen Tyrannei und Missbrauch ihrer Gewalt wieder gestürzt. Triumyim z. B. das Triumvirat des Lepidus, Antonius und Octavianus Augustus.

^^t '^f'^- *) Tempel hiessen solche Oerter, die durch Auguren

17*

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(260) ' XI7. Buch, 7. Cap., § 7—9.

für gesetzmässig habe gelten können (s. Dio C. 55, 8). Daher hätte man auch für nöthig erachtet, die Curiengebäude, sowohl das des Hostilius, wie das des Pompejus und hernach das des Julius (Caesar), weil diese (Versammlungs-) Orte noch un- geweiht waren, ei-st durch die Auguren zu Tempeln einweihen zu lassen, damit in ihnen nach alter Sitte Senatsbeschlässe rechtsgültig abgefasst werden könnten. Unter allen diesen Bemerkungen findet sich auch diese schriftlich aufbewahrt: dass nicht alle zu religiösen Zwecken bestimmte Gebäude Tempel seien, ja selbst nicht einmal das Gotteshaus (die Capelle) der Vesta sei ein Tempel. 8. Hierauf sagt er später noch, dass ein Senatsbeschluss vor Aufgang, oder nach Untergang der Sonne abgefasst, nicht (für rechtskräftig) sei angesehen worden ; auch seien die, auf deren Veranlassung zu einer solchen (ungehörigen) Zeit ein Senatsbeschluss durch- gesetzt wurde, als solche angesehen worden, die ein der (wohlverdienten) Ahndung des Censors verfallenes Vergehen begangen hätten (vergl. Dio C. 58, 21). 9. Hernach giebt er daselbst auch noch über mancherlei andere Dinge Auskunft, (z. B.) an welchen Tagen es nicht erlaubt sei, eine Senats- versammlung zu halten (s. Dio C. 55, 3); dass Der, welcher den Senat zusammenzurufen beabsichtigt, vorher das nöthige Opfer bringen und Auspicien anstellen lassen müsse; dass stets eher über ßeligions-Angelegenheiten *), als über mensch- liche an den Senat Voitrag zu erstatten sei; feiner, dass Vortrag ei'stattet werden müsse, entweder im Allgemeinen über Staatsangelegenheiten, oder insbesondere über jeden ein- zelnen Fall (namentlich); dann, dass ein Senatsbeschluss auf doppelte Weise abgefasst wurde, entweder (per discessionem)

(Priester), welche den Flug der Vögel beobachteten und daraus weissagten, feierlich eingeweiht und zu Religionshandlungen bestimmt worden waren. Doederl. lat. Syn. Y, 160 führt es zurück auf t^^cvo;, Hain von tuuhp {HfjLviiv) absondern, trennen; s. Liv. 2, 56. Sacellum war ein Gottes- haus ohne Dach, mit einem Altar in seinem Umkreis, s. Gell. YII (VI), I 12, 5. 6; Fan um bezeichnet einen zu einem klinftigen Tempel heiligen,

I geweihten Platz. Fanum»Bann, d. h. (heiliger) Bezirk, S. Doederlein lat

Syn. VI, 122. Vergl. Varro 1. 1. VI (V), 54; Liv. 10, 37; GeU. XVII, l 2, 19. Horat Od. I, '2^ 16 eignet der Vesta ausdrücklich Tempel zu.

I XIV, 7. 9. *) S. Liv. 22, 1; 39, 15. 16.

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XIV. Buch, 7. Cap., § 9. 10. (261)

durch Abtreten (der Senatoren auf eine Seite), bei einstim- migem BescWuss, oder im zweifelhaften Fall (bei getheilter Abstimmung) durch besondere Umfrage zur Erfoi*schung nach der Meinung jedes Einzelnen (per singulorum sententias ex- quisitas); (bei besonderer Umfrage) müsse jeder Einzelne stufenweise (d. h. dem Range nach) befragt werden und jedes- mal bei einem im consularischen Range Stehenden angefangen werden. Früher pflegte nun zwar immer zuerst Der aus solchem (hohen) Range (um seine Meinung) gefragt zu werden, welcher (der älteste Senator, also) zuerst in den Senat**) war aufgenommen (und aus der Reihenfolge der Liste von den Censoren verlesen) worden war (vergl. Gell.IV, 10, 2NB). Bezüglich dieser letzten Angabe bemerkt VaiTO, dass zu der Zeit, als er dies niederschrieb, eine neue Sitte aufgekommen sei, nach Nebenrücksichten und aus Liebedienerei; so dass Derjenige zuerst (um seine Meinung) befragt wurde, welchen der (Vorsitzende), der die Rathsversammlung abhielt, diese Begünstigung, ihn zuerst (ausser der Reihe) zu befi-agen, er- weisen wollte, wofem dieser nur vom Range eines Con- suis***) war (vergl. Gell. IV, 10, 5). 10. Ausserdem handelte er auch noch ausfühi-lich über Bestrafung durch Auspfändung,

XIV, 7, 9. **) S. Gell, n, 10, 2 NB.

XTV, 7, 9. *•*; Lange röm. Alterth. § 111 p. (313) 335 erwähnt die spätere Aenderung der „lectio senatus", welche durch die lex Ovinia den Inhabern der consularischen Gewalt entzogen und den Censoren anheim gegeben wurde, denen sie (nach Festus 246) die Verpflichtung auferlegte, ut ex omni ordine Optimum quemque jurati (bei Festus curiati cfr. Zon. 7, 19) in senatum legerent, und beweist einen Irrthum des Zonaras in Bezug auf eine falsche Angabe des Zeitpunktes, wo die lectio senatus nicht einem spätem Gesetze zugeschrieben wird, sondern gleich bei der Einrichtung der Gensur den Censoren übertragen worden sein soll. Femer zeigt Lange deutlich, dass die Worte ex omni ordine nur auf die Stände und Grrade (hier bei Gellius „dum is tamen ex gradu consulari esset", d. h.) der gewesenen Consuln, Praetoren und curalischen Aedilen sich beziehen müssen (cfr. Liv. 23, 23) und das Gesetz also nur nach 387/367 gegeben sein muss, da erst in diesem Jahre die Praetur und die curulische Aedili- tat eingesetzt wurden. Vergl. weiter noch Lange p. (314) 336.

XrV, 7, 10. Senatoren, welche unentschuldigt und ohne triftigen Grund bei der Sitzung weggeblieben, oder zu derselben zu spät gekommen waren, mussten eine Strafe erlegen. Nach Dio Cassius B. 54 cap. 15 und 18 erhöhte Augustus diese Strafe. Bei verweigerter Erlegung dieser Strafe

(262) XIV. Buch, 7. Cap^ § 10—18. —8. Cap., § 1.

dann über die Geldbussebestimmung (als Zwangsmittel) für einen Senator, der, obgleich er (gesetzlich) verbunden war, in den Senat zu kommen und der Sitzung beizuwohnen, (trotzdem) weggeblieben war. 11. Diese und viele andere Dinge der Art bespricht M. Varro in dem von mir oben erwähnten Buche, in dem (speciell) an Oppianus gerichteten Briefe aus- führlich. 12. Allein in Betreff seiner Angabe, dass ein Senats- beschluss auf doppelte Weise abgefasst werden könne, ent- weder durch Sammeln von Meinungen (und Stimmen), oder durch Hintreten auf eine Seite, so scheint mir das wenig übereinzustimmen mit dem, was uns Atejus Capito in seiner „Bemerkungssammlung" schriftlich aufbewahii; hat. 13. Denn im 9. Buche theilt er mit, dass Tubero behaupte, es könne kein Senatsbeschluss zu Stande kommen ohne vorher- gegangenes Zusammen - Hintreten (auf eine Seite), weil bei allen Senatsbeschlüssen, sogar auch bei solchen, welche nur nach einem Vortrage zu Stande kämen,* das Hintreteu (auf eine Seite) unumgänglich nothwendig sei, und Capito selbst lässt der Wahrheit dieser Behauptung von Tubero Gerechtig- keit widerfahren. Allein ich erinnere mich (eben) meiner vollständigeren und ausfuhrlicheren Behandlung dieses Gegen- standes an einer andern Stelle (meines Werkes und breche deshalb hier ab. S. Gell. HI, 18, 2).

XIV, 8, L. Man hat sich vielfach über die Frage hin- und hergestritten,

ob der, wegen des gemeinsamen Bandesfestes der Lateiner gewählte

(und zurückbleibende) oberste Stadtverweser die Befugniss habe, den Senat

zum Zweck der Bcrathnug zu berufen.

XIV, 8. Cap. 1. Juni US behauptet, dass der wegen des gemeinsamen Bundesfestes der Lateiner gewählte und zurück-

schickte der Gonsul wohl gar Zimmerleute und Hess [zur Auspfändung die Thüre in des strafbaren Senators Haus erbrechen. Vergl. Cic PhiUpp. I, 5.

XIV, 7, 13. üeber Tubero s. Gell. VII (VI), 3, 1 NB. üeber die Möglichkeit einer discessio nach der Umfrage vergl. Dion. 11, 21; Caesar b. O. 8, 53; Lange röm. Alterth. § 114 p. (352) 379; Liv. 3, 41; Cic Sest 34, 74; Phil. 6, 1, 3; Sen. vit. b. 2, 1; Pün. ep. 2, 11, 22; 8, 14, 19; 9, 13, 20.

XIV, 8, L. Nach Besiegung, Unterwerfung und Zerstörung von Alba, dem Haupte des lateinischen Bundes, durch den ausgefochtenen Kampf

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XIV. Buch, 8. Cap., § 1. 2. (263)

gelassene oberste Stadtverweser keine Befugniss habe, Senats- sitzung abzuhalten, weil er nicht einmal Senatorenrang habe und ihm daher auch kein Spruchrecht zustehe, zumal wenn ihm die Stellvertretung (der obersten Stadtbehörde) gar etwa schon in einem Alter übertragen wird, welches noch nicht das zur Erlangung der Senatur erforderliche sei. 2. Allein M. VaiTO „im 4. Buche seiner in Briefform abgefassten Untersuchungen" und Atejus Capito „im 9. Buche seiner Bemerkungssammlung" behaupten Beide, dass dem Stadtver- weser die Befugniss, Senatsversammlung zu halten, wohl zu- stehe, und Capito berichtet, dass Varro mit dem Tubero ganz einerlei Meinung gewesen sei, entgegen der Ansicht des Junius. Es lauten die Wortei: „Denn auch den Volks- zunftmeistern steht das Recht zu, den Senat zu berufen, ob- gleich sie, vor dem (Gemeine-) Beschluss des (Volkszunft- meisters) Atinius*), nicht Senatorenrang hatten."

zwischen dem römischen und albanischen DrillingsbrQderpaar hatten die Lateiner gewisse heilige Gebräuche mit den römischen Bürgern gemein- fichaftlich, z. B. die heiligen Gebräuche der Diana zu Rom (s. Liv. I, 45) und die lateinischen Feste (feriae Latinae), welche auf dem Berg Albanus mit grosser Feierlichkeit begangen und vom Tarquinius zuerst auf einen Tag angeordnet wurden, dem Jupiter Latiaris (oder Latialis) zu Ehren, als dem Besch&tzer des Latinerbundes. Nach Ver- treibung der Könige dauerten sie zwei), dann drei, und zuletzt vier Tage. S. Liv. 7, 42. Vergl. Ad. Stahr: Ein Jahr in Italien I, S. 414—419.

XIV, 8, 1. üeber M. Junius s. Teuffels Gesch. der röm. Lit. 143, 2. Aetas senatoria vergl« Cic. de leg. Man. 21, 61 und Lange röm. Alterth. § 111 p. (318) 340.

XIV, 8, 2. *) Die Tribunen hatten rücksichtlich des Senats anfänglich gar kein Recht, aber sie erhielten dieBTheilnahme an den Sitzungen nebst der Intercession (Rechtsvorbehalt, Einspruchsbefugniss) durch ihr: Veto, intercedo, prohibeo. Zuerst sassen sie an den Thüren der Curie, später jedoch erhielten sie leinen regelmässigen Sitz nebst der Befugniss, den Senat sogar zu versammeln und an denselben zu referiren, wahrscheinlich bald nach der lex Valeria, welche den Tributbeschlassen allgemeine Geltung einräumte. In Folge davon wurden auch die Ex -Tribunen von den Cen- soren bei :der nächsten Lectio als'Senatoren aufgenommen. Wichtig für das Verhältniss der Tribunen zu dem Senat ist das hier bei Gellius er- wähnte und bestrittene plebiscitum Atinium (Lübker). VergL GelL XVn, 7, 1 NB, und Lange röm. Alterth. § 111 p. (316) 338.

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XV. BUCH.

XV, 1, L* Was in des Q. Claudias Jahrbüchern bemerkt steht, dass Hola mit Alaun bestrichen (und getränkt) nicht in Brand gerathe.

XV, 1. Cap. 1. Der Rhetor Antonius Julianus hatte, wie ausserdem sonst immer, auch einst gerade einen gar sehr ergötzlichen und O^hn-eichen) von bedeutendem Erfolg be- gleiteten Vortrag gehalten. Denn diese rhetorischen (Schul-) Vorträge legen zwar fast (immer) die (hervorragende) Eigen- thttmlichkeit desselben Mannes und das grosse Talent der- selben Rednergabe klar zu Tage, sind jedoch nicht an jedem Tage von demselben glücklichen Erfolg begleitet. 2. Wir, seine Freunde (Verehrer und Bewunderer), umringten ihn (einst nach beendigter Vorlesung) von allen Seiten und waren eben im Begriff, ihn nach Hause zu begleiten, als wir gleich darauf, während wir den Berg Cispius emporstiegen, so ein aus vielen über einander gebauten Stockwerken bestehendos Familienhaus (insula) in hellen Flammen stehen und auch schon alle Nachbargebäude in entsetzlicher Gluth auflodern sahen. 3. Da nun äusserte Einer von den Begleitern des Julianus: Gross mögen allerdings die Pfründen und Einkünfte (reditus) von diesen städtischen Grundstücken (in Rom) sein, dafür ist aber auch (verhältnissmässig) das Risico (wegen öfterer Feuersgefahr) noch weit grösser. Wenn es nun aber

XV, 1, 1. VergL Bemhardys r. L. 17, 65.

XY, 1, 2. Instdae, hohe Ifiethh&user, grosse zusammenhftngende HäuBercomplexe, die mim rings umgehen komite, von reichen Capitalisten auf Specolation zum yermiethen an Aermere gebaut S. Stahrs Bueton. Nero 16. 44.

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XV. Buch, 1. Cm>^ § 3—7. (265)

irgend ein (Abwehr-) Mittel gäbe, den so häufig vorkommen- den Häuserbcänden in Rom vorzubeugen (oder gar abzuhelfen), wahrhaftig, ich würde sogleich meinen landwirthschaftlichen Besitz losschlagen und städtischen dafür ankaufen. 4. Diesem erwiderte nun Julianus unter heiterem Scherz, wie es so seine Art und Gewohnheit war, im Laufe des Gespräches Folgendes: Hättest Du das 19. Buch von des Q. Claudius (Quadrigarius) Jahrbuch, des besten und unparteiischesten Schriftstellers, ge- lesen, so würdest Du ganz sicher von dem Archelaos, dem General des Königs Mithridates, erfahren haben, durch was für so ein anschlägiges Hilfsmittel man sich des Feuers er- wehren kann, so dass selbst ein hölzernes Wohnhaus nicht in Brand geräth, wenn es auch gleich von Flammen ergriffen und umgeben ist. 5. (Aus Neugierde) erkundigte ich mich sofort, woiin wohl dieses (wunderbare) Abwehr-Mittel bestände. 6. Er begann also wieder: In dem angegebenen Buche fand ich folgende Bemerkung verzeichnet: Als L. Sulla in (der Landschaft) Attica den (Hafen) Piraeus (bei der Hauptstadt Athen) belagerte, und dagegen Archelaos, der General des Königs Mithridates, welcher von der Hauptstadt aus die Vertheidigung leitete und zu Vertheidigungszwecken einen hölzernen Thurm hatte erbauen lassen, soll man durchaus nicht im Stande gewesen sein, diesen Holzthurm abzubrennen, obschon er von allen Seiten vom Feuer umringt worden wäre, weil er (vom Archelaos) mit Alaun überstrichen (und durch- tränkt) worden war. 7. Die Stelle aus dem besagten Buch^ des Quadrigarius lautet also: „Als Sulla (bereits) alle mög- lichen Anstrengungen gemacht hatte, führte er (endlich) nach langer Zeit seine Truppen vor, um einen hölzernen Thurm, welchen Archelaos (ihm als Bollwerk) entgegengesetzt hatte, in Brand stecken zu lassen. Er lässt (also) vorrücken, an- greifen, Holz anlegen, die griechischen Vertheidiger (daraus) vertreiben, (und) Feuer anlegen. Lange genug haben sie sich Mühe gegeben (ihn anzubrennen, doch es war alle Mühe ver-

XY, 1, 6. Archelaos, Feldherr des Mithridates, von Sulla (86) bei Chaeronea geschhigen und bald darauf in Böotien vernichtet, fiel beim KOnig in Ungnade und nahm seine Zuflucht zum römischen Feldherm Murena. Bei Appian. Mithridat 81 wird nichts von Alaun erwähnt»

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(266) XV. Buch, 1. Cap., § 7. - ?.Cap., § 1—4.

gebens), sie konnten ihn nun und nimmermehr zum Brennen bringen, so hatte Archelaos das ganze Bauholz mit Alaun (tränken und) überziehen lassen, worüber Sulla und seine Soldaten voller Verwunderung waren, und als der Thuim durchaus nicht anbrennen wollte, zog er (der römische Feld- herr) seine Tnippen wieder zurück."

XV, 2, L. Dass Plato in den Büchern, welche er über die Gesetze ver-

fasste, die Meinung ausgesprochen habe, mitunter seien (auch) die schon

etwas reichlicheren und fröhlicheren Weingelage bei (Gelegenheit von)

Gastereien durchaus nicht schädlich.

XV, 2. Cap. 1. Ein Mensch von der Insel Greta, der seinen Aufenthalt in Athen genommen, gab sich für einen platonischen Weltweisen aus und verlangte dafür angesehen zu werden. 2. Er war aber (in Wirklichkeit nur) ein nichts- würdiger Schwätzer, der gern prahlte mit seinem Ruhme in giiechischer Beredtsamkeit, und überdies bei seiner Weingier bis zum Gespött Trunkenbold. 3. Bei den gemeinschaftlichen Schmaussereien (und Zusammenkünften), die wir jungen Leute nach unserer Gewohnheit (jedesmal) an dem Monatsersten feierlich begingen, konnte dieser Mensch es nie lassen, sobald das Mahl zu Ende war, und die nützlichen und ergötzlichen Unterhaltungen begonnen hatten, das Wort zu ergreifen und Alle unter einer Art verächtlichen und plumpen Wortschwalls zum Trinken aufzufordern, und erkärte dies ganz nach plato- nischem Grundsatz (und im Sinne dieses Weltweisen) zu thun, gleich als hätte Plato in seinen Büchern, welche er über die Gesetze verfasste, das Lob der Trunkenheit mit beredten Worten geschildert und sie braven und tapfern Männeni als nützlich angepriesen, und unter dergleichen Rederei ersäufte er durch öfteres Leeren der mächtigen Poeale sein ganzes Bis- chen Verstand, wobei er fortwährend die Behauptung wieder- holte, das (Trinken) sei eine Art Zündstoff und ein Anreizungs- mittel für den Verstand und für die Herzhaftigkeit, wenn des Menschen Geist und Körper vom Weine glühe. 4. Allein Plato hat, im L Buche (p. 647, E) und im IL (p. 666, B) von den

XY, 2, 3. Macrob. Saturn. II, 8. Vergl. bei Sen. ep. 29, 5; Lacian Fugit. 18 und Lucian Lapith. 32 f.

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XV. Buch, 2. Cap., § 4-6. (267)

Gesetzen, die Trunkenheit, wie dieser Dunstmacher vorgab, durchaus nicht gelobt, dieses hässlichste aller Laster, welches die (edleren) geistigen Kegungen im Menschen nur zu ei-schüttem und zu entkräften pflegt; aber (unter gewissen Umständen bei gemeinschaftlichen Mahlzeiten) hielt er ein etwas reichlicheres und zu grösserer Heiterkeit anregendes Wein -Zechgelage nicht für missbilligungswerth , nur müsse es unter der Auf- sicht von besonnenen Schmaussanordnern und Zech- meistern geschehen. 5. Denn durch Erheiterungen beim Trinken, zumal wenn die Besonnenheit und der Anstand nicht ausser Obacht gelassen wird, würden nach seiner Meinung die Geistesschwingen zur Erneuerung und Wiederherstellung der Mässigkeitsverpflichtung (für künftige Geschäfte) neu ge- kräftigt und aufgefrischt und unter der Hand freudiger an- geregt und zur Uebernahme neuer Anstrengung fügsamer gestimmt; es komme dazu aber auch noch, dass (öfters) ungehörige Leidenschaften, Wünsche und Begierden, welche irgend eines Menschen Brust innewohnten, die er aber aus sitt- samem Schamgefühl nur noch zu verhehlen suchte, alle auf ein- mal ohne grosse Gefahr, nachdem seine Offenherzigkeit durch den Wein(genuss) rege geworden, aufgedeckt und ans Licht gebracht würden und (ihm) nun geeignetere Gelegenheit böten, an seiner Besserung und Heilung zu arbeiten. 6. Daselbst fügt Plato auch noch diese Bemerkung hinzu, dass dergleichen Uebungen (d. h. den Wein vertragen zu lernen) nicht (gänz- lich) zu fliehen und mit Ekel zurückzuweisen seien, um des Weines Allgewalt einen Widerstandsdamm und eine Abwehr entgegenzusetzen, und dass ein völlig enthaltsamer und (stets) massiger Mensch (noch lange) nicht für zuverlässig sicher und fest (in seinen Grundsätzen) gehalten werden könne, dessen Lebenswandel und Lebensweise noch nie unter den Gefahren der Verirrungen und mitten in den Verführungen der sinn-

XY, 2, 4. Die Alten pflegten bei ihren Gastgelagen einen Vorsteher, Director, Präsident durchs Würfeln zu ernennen und hiessen ihn: ar biter bibendi (Trink-Zech-Richter), magist er oder rex convivii, modiperatoi oder modimperator , avftnoaiaQxrjs (Schroausskönig), dictator, dux, stra- tegus, pater coenae u. s. w. Er leitete Alles nach eigenem Belieben. 8. Her. Od. I, 4, 18; II, 7, 25; Cic. Sen. 13, 45. Horaz Sat. II, 8, 36 nennt ihn (nccQoxos) parochus, d. h. Gastherr (Wirth vom Hause).

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(268) XV. Bach, 2. Cap., § 6—8.-3. Cap., § 1—8.

liehen Vergnügungen einer Prüfung und Anfechtung ausgesetzt war. 7. Denn wem alle Vergnügungen und fröhlichen An- reizungen von Gastereien unbekannt bleiben, und wer darin ganz und gar ohne Erfahrung ausgeht, wird, wenn ihm zu- fallig sein eigner Wille (einmal) zur Theilnahme an derartigen Tafelfreuden bewog, oder der Zufall ihn verleitete, oder die Nothwendigkeit ihn dazu drängte, (dann) gewöhnlich den Ver- lockungen unterliegen, und seine Seele und sein Geist wird nicht Stand zu halten vermögen, sondern, von dieser neuen (ihm ungeahnten) Macht betroffen, zum Wanken kommen. 8. Daher ging seine Meinung dahin, man müsse streitgerüstet sein, und so wie in einer Art Schlachtreihe geraden Weges mit den Lockungen des Vergnügens und mit des Weines Uebermuthskobold den Kampf aufnehmen, um nicht durch die Flucht, oder durch Abwesenheit uns gegen diese feind- lichen Angriffe in Sicherheit zu setzen; sondern durch be- ständig frischen Muth und Geistesgegenwart und durch be- sonnene Uebung, Mässigung und Enthaltsamkeit zu behaupten lernen, um Alles hinwegzuspülen, wenn frostige Verzagtheit oder lähmende Aengstlichkeit uns beschleicht, und um den Muth in der Brust (von Neuem durch einen Trunk) zu er- wärmen und beleben.

XV, 3, L. Wiis Cicero von der Partikel („au") gedacht und geschrieben hat, welche in den beiden Zeitwörtern ,,anfngio'* (ich entfliehe) und in „aufero" (ich trage weg) die Anfangssilbe bildet; und ob diese Anfangssilbe in dem Zeitworte „autnmo'^ für dieselbe Praeposition gehalten werden müsse.

XV, 3. Cap. 1. Ich las (einst) das Buch des M. Cicero, welches überschrieben ist: „Der Kedner (orator)". 2. Nach seiner (vorausgegangenen) Bemerkung in diesem Buche, dass die (beiden) Wörter „aufugio" und „aufero" allerdings wohl zusammengesetzt seien aus der Praeposition „ab" und den beiden Zeitwörtern fugio (ich fliehe) und fero (ich trage), dass aber diese Praeposition, (unter Flüssigwerden des b- Lautes und) um den Wortlaut für die Aussprache und füi-s Ohr zu mildem, in die Silbe „au" umgeändert und verwandelt worden sei, und man angefangen habe, aufugio und aufero für abfugio und abfero zu sagen; 3. nach dieser seiner (vorausgeschickten) Bemerkung, sag' ich, schreibt er daselbst über dieselbe Par-

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XV. Bach, 3. Cap., §8—8. , (269)

tikel wörtlich (inquit) also (Cic. orat. 47, 158): „Diese Silbe (au) findet sich als Vorwort nirgends weiter, als in diesen beiden Wörtern." 4. Allein in dem Werke des Nigidius über Sprachbeobachtungen (in commentario Nigidiano) fand ich (die Ansicht ausgesprochen), dass das Zeitwort autumo zu- sammengesetzt sei aus der Praeposition „ab** und dem Worte „aestumo**, dass man es nur abgekürzt, und anstatt abaestumo gesagt habe, was soviel bedeuten solle, als totum aestumo (gänzlich abschätzen), gleichsam abnumero (abzählen). 5. AUeiif trotz (aller) Hochachtung vor dem höchst gelehrten P. Nigidius scheint mir seine Behauptung doch mehr kühn und spitzfindig, als wahr (und zutreffend) zu sein. 6. Denn autumo steht nicht allein in der Bedeutung von aestumo, sondern auch von dico (sage) und opinor (glaube) und censeo (behaupte), und mit diesen Ausdrücken stimmt diese Prae- position weder dem Lautzusammenhang , noch der Begriffs- bezeichnung nach überein. 7. Ausserdem würde ja auch M. Tullius (Cicero), dieser Mann von so höchst scharfer Ge- wissenhaftigkeit bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten, nicht behauptet haben, es fänden sich nur diese beiden Wörter allein vor, wenn er wirklich noch irgend ein anderes drittes hätte ausfindig machen können. 8. Allein es verlohnt sich wohl noch (der Mühe), zu untersuchen und zu erwägen, ob die Praeposition „ab" mehr wegen des Klangwohllautes in „au" verändert und umgetauscht wurde, oder ob diese Par- tikel ein selbstständiges Stammwort ist und, wie viele andere Praepositionen von den Griechen, so auch diese daher entlehnt worden sei; wie man (diese Silbe) in einem Vei-se Homers (Iliad. I, 459) findet: Beugten die Thiere zurück (ai-i^vauv) und schlachteten , zogen die

Häuf ab; und (Hom. Iliad. XIH, 41):

Tobend mit wildem Geschrei (av-fa/o»).

XV, 3, 3. S. Quinct I, 5, 69.

XV, 3, 4. autumo von aio, wie negumo von nego.

XV, 3, 5. üeber Nigidius s. GeU. IV, 9, 1 NB; XHI, 26 (26), 1. 5.

XV, 3, 8. av-€Qv(o {ä^'iQvtOy zurückziebe). av, adv. ursprünglich: zurück, rückwärts, wird von Einigen, welche die Bedeutung des ai .zurück^ leugnen, als aus ava entstanden erklärt, so Lob. Path. EL I

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(270) XV. Buch, 4. Cap., § 1-3.

XY, 4, L. Eine dem Andenken überlieferte Erzählung von dem Ventidias

Bassns, einem Manne von (eigentlich) niedriger Herkunft, der zuerst den

Sieg über die Parther davongetragen habe.

XV, 4. Cap. 1. Bei einer neulichen Unterhaltung zwi- schen einigen älteren Gelehrten kam die Rede darauf, dass in alter Zeit auch viele Männer vorher (ganz unbekannt) von niederer Abkunft und ganz gering geachtet, sich zu den höchsten Ehrenstellen aufgeschwungen haben. 2. Doch wusste man durchaus kein Beispiel von irgend Einem anzuführen, das so grosse Bewunderung erregte, als die Berichte, welche über den Ventidius Bassus verzeichnet sind. 3. Man erzählt von ihm, dass er aus dem Picenischen stammte, aus niedrigem Stande und Orte, dass seine Mutter mit ihm im Bundesgenossenkriege von dem Vater des grossen Pom- pejus, von dem Pompejus Strabo, bei Unterjochung der As- culaner, gefangen genommen worden war, und dass kurz darauf, als (dieser) Pompejus Strabo seinen feierlichen Einzug hielt, er unter den übrigen (Gefangenen) als Knabe

p. 41. 592 sq. Doederl. n. 2290 a, copulativam und zusammengesetzt mit dem Digamma bei avCa^og (== a^-laxog) zusammen oder gemein- schaftlich schreiend; Beiwort der Troer, welche schreiend in die Schlacht rückten, die Griechen hingegen schweigend. (Yergl. Gell. I, 11.) Das a copulativum {dd^^o^artxov i. e. coUectiyum, sammelnd) verwandt mit afia bezeichnet 1) eine Verbindung oder Vereinigung, z. B. axouiSy Bett- genossin {xoftrj. xftfxtti) = äXoxog (ko^og, lectum, Bett von Xfy(o)\ 2) Gleich- heit: aTaXavTogj gleichwiegend; 3) Sammlung oder Vereinigung an einem Ort: anavTtg^ d&Qoogy auf einem Haufen.

XV, 4, 2. P. Ventidius Bassus, Sohn eines Picenters, im Bundes- genossenkrieg zum Sklaven gemacht (89 v. Chr.), wurde vom Caesar sehr bevorzugt, als Antonianer sogar Consul. Er trug den ersten Sieg über die Parther davon (38 v. Chr.), Dio Cass. 48, 39 etc.; Val. Max. VI, 9, 9; Plin. H. N. 7, 28; Vellej. Pat 2, 65, 3; Plutarch. Anton. 44; Juven. 7, 197; Appian. Parth. 157; Cic. PhiL 12, 9; 13, 2; Epist. ad Farn. 10, 17, 1; 10, 18, 8; 10, 33, 12; 11, 9, 2; ad Attic. 16, 1; ad Brut 5.

XV, 4, 3. Picenum, Landschaft im östlichen Italien, am venetiani- schen Meerbusen, jetzt das Gebiet der Stadt Ancona, berühmt durch treffliches Obst und OeL Varr. R R. I, 50, 2; Qc. Attic. 7, 21, 2.

XV, 4, 3. Asculum, feste und ansehnliche Hauptstadt von Picenum in Mittelitalien, im Bundesgenossenkrieg zerstört, dann wieder ani^baa^ jetzt AbcoU, &af einem Berge, an dem der Truentos (Tronto) vorbeifliesst

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XV. Buch, 4. Cap., §3. (271)

an der Brust seiner Mutter, vor dem (Sieges-) Wagen des Feld- herrn hergetragen worden sei; dass er später, als er heran- gewachsen war, sich seinen Lebensunterhalt kümmerlich habe suchen müssen und sich ihn (auch) für niedrigen Lohn er- worben habe durch Ankauf von Mauleseln und Wagen, welche er von Staatswegen als Lieferung (pachtweise) zur Beförderung der in die Provinzen abreisenden hohen Staatsbeamteten übernommen hatte. Bei diesem Gewerbe habe er auch zuerst die Bekanntschaft mit Caesar gemacht und sei (in Folge da- von) mit ihm nach Gallien gereist Weil er sich nun da in dieser Provinz so sehr rührig angestellt hatte und hernach alle die vielen im Bürgerkriege ihm aufgetragenen Befehle unverdrossen pünktlich und gewissenhaft vollzogen, habe er sich deshalb nicht nur Caesars Freundschaft erworben, sondern sei auch dadurch zum höchsten Bange emporgestiegen; in Kurzem sei er zum Volkszunftmeister und hernach zum Praetor ernannt und in dieser Zeit mit dem M. Antonius vom Senat für einen Feind (des Vaterlandes) erklärt worden, hernach aber habe er nach (Wieder-)Vereinigung der Parteien nicht nur seine vormalige Würde wiedererlangt, sondern auch das Pontificat und endlich sogar das Consulat erreicht; diese Auszeichnung sei dem römischen Volke (aber doch) uner- träglich und anstosserregend vorgekommen, weil man sich noch recht gut erinnern konnte, wie er (einst) als Maulesel- wärter sein Brot verdient habe, so dass man öffentlich in den Strassen der Stadt (pasquillantisch) die Verschen an- geschrieben fand:

Ihr Seher aU' und Zeichendeuter, kommt herbei, Es ward ein seltnes neues Wunder ausgeheckt, Der einstens Eselsstriegler war, ist Gonsul jetzt.

XY, 4, 8. Gnaeus-Pompejus, mit dem Beinamen der Schielende (Strabo), wurde im Jahre 90 v. Chr. wegen seiner Grossthaten im Bundes- genossenkriege mit dem Triumphe beehrt Im Jahre 89 begleitete er das Consulat. Wegen seines Geizes und seiner Grausamkeit wurde er vom Volke gehasst. 87 vom Blitze erschlagen, misshandelte seinen Leichnam eine von dem ihm zürnenden Adel gedungene Schaar Banditen.

XV, 4, 3. 8. Lange röm. Alterth. § 111 p. (321) 343. Caesar hatte in seinen revolutionftr monarchischen Bestrebungen allerhand Leute, selbst ans den niedrigsten St&nden in den Senat aufgenommen, der dadurch big

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(272) XV. Buch, 4. Cap., §4.-5. Cap., § 1. 2.

4. Nach dem Bericht des Suetonius Tranquillus wurde dieser (Ventidius) Bassus von M. Antonius zum Statthalter über die morgenländischen Provinzen gesetzt, und sollen die in Syrien eingedrungenen Parther von ihm in drei Treffen völlig über- wunden worden sein, deshalb soll er auch zuerst einen feier- lichen Einzug wegen dieses (vollständigen) Sieges über die Parther gehalten haben und nach seinem Tode auf Staats- kosten feierlich bestattet worden sein.

XV, bf L. Dass das Wort ,,profligo*^ (gesprächsweise) von sehr Vielen uneigentlich und ungeschickt angewendet werde.

XV, 5. Cap. 1. So wie durch die Dummheit und Unwissen- heit Derer, die falsch und unrichtig sprechen, überhaupt sehr viele Ausdrücke (aus Unbildung), weil sie dieselben nicht verstehen, abgeändert und der richtigen Bedeutung und dem Sprachgebrauch zuwider verunglimpft werden, so ist auch die Bedeutung des (bekannten) Wortes: „profligo" (niederschlagen, zu Grunde richten) verändert und verdorben worden. 2. Denn da das Wort von „adfligere" abgeleitet und hergenommen ist, in der Bedeutung: zu Boden werfen, und zum Verderben, zum Untergang fuhren, und (nachweislicher Massen) alle Die, welche sich einer untadeligen Ausdrucksweise befleissigten, das Wort in dem Sinne nehmen von „prodigere" (der Gefahr preisgeben) und „deperdere" (zu Grunde richten, verderben), so verstanden sie auch unter dem Ausdruck: profligatae res Dasselbe, was man mit proflictae und perditae (res) bezeich- nete, d. h. zu Grunde gerichtete und vernichtete Sachen. Jetzt aber höre ich von Gebäuden und Tempeln und noch vielen andern Dingen, welche beinahe vollendet oder ziemlich

za der unbeholfenen Grrösse von 900 Mitgliedern angewachsen war. Die GasB. 43, 47; Suet Caes. 41. 76. 80; Cic Farn. 6, 18, 1; Macrob. Sat

n, 3; vn, 3.

XV, 4, 4. Tacit. Germ. 37, 7; Eutrop. 7, 3, 4. 5; Flonis 4, 9, 5; Jnstin. 42, 4, 7; Joseph. 14, 14. 15; Dio Cass. 49. Höchst ehrenvoU war es für den Ventidius Bassus, welcher in seiner Kindheit als Sklave vor dem Triumphwagen des Pompcjus hergetragen wurde, hernach selbst einen der herrlichsten Triumphe feiern zu können, der um so ehrenvoller war, als er die schimpfliche Niederlage des Crassus an den Parthem so nach- drücklich rächte.

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XV. Buch, 5. Cap., § 2—7. (273)

fertig sind, den Ausdruck gebrauchen: in profligato*) esse (in bevoratehender Vollendung begriffen sein, der Voll- endung nahen), und dass sie schon weit gediehen und bald beendigt seien, dies (ganz einfach) ausdrücken durch: esse profligata. 3. Deshalb fühle ich mich in Bezug auf diese Bemerkung bewogen, die feine und witzige Antwort eines sehr gebildeten Praetors anzuführen, welche dei-selbe, nach dem schriftlichen Bericht des Sulpicius Apollinaris, einem (unreifen) MUchbart aus dem Advocatenschwarm gegeben hat. 4. Denn, so steht bei Sulpicius geschrieben, als einst ein vor- lauter Rabulist darauf bestand, sich noch Gehör zu erwirken und sich (deshalb) so hatte vernehmen lassen: „Alle die Rechtssachen (negotia), erlauchtester Praetor, über die Du heute versprachst Dein ürtheil abgeben und sie zur Ent- scheidung bringen zu wollen, sind mit Umsicht und Behendig- keit (von Dir) abgethan worden (profligata sunt); nur ein einziger Fall blieb noch übrig, über den ich Dich bitte, mich anzuhören." Der Praetor erwiderte darauf (um den Von-edner wegen des Wortes: „profligata" aufeuziehen) in ziemlich schalkhaftem, spöttischem Tone: Dieser Rechtshandel ist eben dadurch, weil er in Deine Hände fiel, zweifelsohne (bereits so gut wie erledigt, abgethan und) niedergeschlagen (profligatum), ich mag ihn nun anhören oder nicht anhören. 5. Den Begriff der Vollendung, den man mit „profligatum" hat ausdrücken wollen, bezeichneten die, welche gut lateinisch sprachen, nicht mit diesem Ausdmck, sondern mit dem Worte „adfectum"; wie M. Cicero in seiner Rede, welche er über die Consular- provinzen hielt. 6. Die betreffende Stelle (Cic. de prov. consul. 8, 19) lautet daselbst also: „Den Krieg sehen wir theilweise zur Neige gehen (adfectum), oder um die Wahrheit zu sagen: beinahe vollendet (confectum)." 7. So auch weiter unten (12, 29): „Denn was kann wohl die Ursache sein, dass Caesar selbst länger in der Provinz zu verweilen wünscht, als um das, was durch ihn bis zu einem hohen Grade ge-

XY, 5, 2. *) profligato steht also als Ablativus des angenommenen Hauptworts profligatum, d. h. der bald fertige Zustand einer Sache oder das Yollendnngs - Bevorstehen.

XV, 5, 5. adfectum s. Gell. HI, 16, 17 etc.

GelliaB, Attische N&chte. U. ^^ r^ T

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(274) XV. Buch, 5. Cap., § 7, 8.-6. Cap., § 1—3.

diehen (quae adfecta sunt), der Republik als vollendet über- geben zu können." 8. So sagt dereelbe Cicero in seinem ^Haushalter (oeconomico)" : „Da nun der Sommer aber bei- nahe seinem Ende naht (oder: da es nun aber bereits im Spätsommer ist adfecta -aetate), so wird es Zeit, dass die Trauben an der Sonne reifen."

XV, 6, L. Im 2. Buche seiner Schrift: „über den (Nach-)Bahm'' findet

sich bei M. Cicero ein offenbarer Irrthum an der SteUe, wo vom Hector

und Ajax die Rede ist.

XV, 6. Cap. 1. Im 2. Buche von des M. Tullius (Cicero) Schrift „über den (Nach-)Ruhm" findet sich ein, wenn auch nur unerheblicher, aber doch offenbarer Inthum, ein Irrthum, den auch gerade nicht nur ein Gelehrter sofort einsehen kann, sondern Jeder, der nur irgend einmal das VIII. Buch von Homers Iliade (oder vielmehr das VII. Buch v. 89 91) gelesen hat. 2. Es wollte uns nun aber nicht gerade deshalb Wunder nehmen, dass M. Tullius (Cicero) sich dabei einmal irrte, als vielmehr, dass dieser Irrthum später nicht bemerkt, oder gar verbessert wurde, entweder von ihm 'selbst, oder von seinem FreigelassenenTiro, einem höchst umsichtigen Menschen, welcher die Schriften seines Schutzherrn höchst gewissen- haft durchstudirt hat. 3. Denn in dem angeführten Werke steht also geschrieben: „Bei diesem Dichter (Homer) richtet Ajax, als er sich dem Hector zum Kampfe (gegenüber) stellt, sein Augenmerk darauf, dass er, im Fall er der Besiegte sein sollte, bestattet werden möge, und giebt ganz deutlich zu verstehen, er hege nur den einen Wunsch, dass Alle die, welche nach vielen Jahrhunderten an seiner Ruhestätte vor- übergehen, so sprechen möchten:

Sehet das ragende Grab des längst verstorbenen Mannes, Der einst tapfer im Streit hinsank dem göttUchen Hector. Also heisst es dereinst; und mein bleibt ewiger Nachruhm.

XV, 5, 8. Uebersetzung des xenophontischen Oeconomicus. S. Teuffels röm. Lit Gesch. 183, 18, 1.

XV, 6, 1. Cicero „de gloria*', d. h. von Ruhm, Ehre und Ansehn. S. Teuffels röm. Lit Gesch. 183, 15, 1.

XV, 6, 2. Ueber Tiro s. GeU. I, 7, 1 NB; Teuffels röm. Lit. Gesch. 188, 1. 2. 3. 7; vergl. Gell. VI (VII), 3, 8; XIII, 9, 1.

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XV. Buch, 6. Cap., §4.-7. Cap., § 1—3. (275)

4. Diesen Gedanken aber, welchen Cicero ins Lateinische übersetzt hat, spricht beim Homer nicht Ajax aus und ist nicht Ajax (dort) um seine Bestattung besorgt, sondern Hector spricht ihn aus und denkt an sein Begräbniss, ohne schon zu wissen, ob sich Ajax ihm zum Zweikampfe stellen will. (Die Verse lauten bei Homer Iliad. VH, 89 91 also:

Seht, dort raget das Maal des verblichenen Mannes der Vorzeit, Der einst wacker im Eampf^ vom strahlenden Hector erlegt ward! So spricht Mancher und mir bleibt unvergänglicher Nachruhm.)

XV, 7, L. Beobachtung bei hochbejahrten Leuten, dass, wenn sie so ziemlich im 68. Jahre ihres Alters stehen,* gerade dieses Jahr nicht spurlos an ihnen vorübergehe und meist aUerhand Beschwerlichkeifc, oder Untergang, oder irgend ein anderes Unheil (für sie) im Geleite führe; weiter noch Anziehung des Wortlauts einer Stelle aus einem Briefe des erhabenen Augustus fln sein Enkelkind Gajus über diese Beobachtung.

XV, 7. Gap. 1. Seit langem Menschengedenken hat man die Beobachtung gemacht und bestätigt gefunden, dass bei allen ganz alten Leuten das 63. Jahr mit einer Gefahr, oder irgend einem Unheil sich einstelle, entweder eines körper- lichen Leidens, oder einer schweren, gefährlichen Krankheit, oder des Lebensverlustes, oder eines Seelenleidens (und einer Geistesschwäche). 2. Deswegen Die, welche sich mit den darauf bezüglichen Erscheinungen und Auslegungen (dieses Umstandes) eifrigst beschäftigt haben, diesem Altersjahre den Namen Stufen(- oder Wechsel)- Jahr beilegen (xlLfÄaxTeQi'/.6g sc. iviavTog). 3. Als ich daher in der vorvergangenen Nacht den Band Briefe des erhabenen Augustus, welche er an seinen Enkel Gajus schrieb, las und von der heiteren und freien und wahrhaft leichten und einfachen Stilfeinheit ergötzt

XY, 7, 2. Dieser Aberglaube an das Stufei\jahr (64) rQhrt von den Aegyptem und Chaldäern her und besteht in der Combination und Mul- tiplication der 7 mit der 9. Vergl. Gell. III, 10, 9.

XY, 7, 3. Gajus Agrlppa, ein Sohn des M. Yipsanius Agrippa mit Julia, der Tochter des Augustus, wurde von diesem mit seinem Bruder Lucius adoptirt. Yon seiner Stiefmutter Livia verleumdet, wurde Gsyus Yom Augustus verbannt und später mit seinem Bruder vergiftet, wahr- scheinlich auf Antrieb der Livia, welche ihrem Sohne Tiberius den Thron sichern wollte. Yergl. Tac. Annal. I, 6. Den Yerlust der Briefe des Augustus an Giyus haben wir zu beklagen.

18*

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(276) XV. Buch, 7. Cap., §3.-8. Cap., § 1. 2.

wurde, traf ich zufällig in einem dieser Briefe auf eine dieses Stufenjahr betreffende schriftliche Auslassung und der Wort- laut dieser Stelle in dem Briefe ist folgender: „Am 24. Sep- tember. Sei gegrüsst mein Gajus, mein süssestes (Back-) Fischchen, nach dem ich mich, die Götter wissen es, immer sehne, wenn Du von mir abwesend bist. Aber ganz vorzüglich an solchen Tagen, wie der heutige ist, da suchen meine Augen Dich aUenthalben und mir bleibt nur die Hoffnung, dass, wo Du an diesem Tage auch immer gewesen bist, Du doch sicher heiter und bei guter Gesundheit meinen 64. Geburtstag wirst gefeiert haben. Denn, wie Du siehst, habe ich das für alte Leute gewöhnlich so wichtige Wechsel- (oder Stufen-) Jahr (glücklich und) ohne Gefahr zurückgelegt. Allein so lange mir noch Zeit (zu leben) übrig bleibt, bitte ich die (gütigen) Götter, euch gesund zu erhalten und mich (den Rest meiner Tage) Angesichts des blühendsten Wohlstandes der Republik verleben und euch (nach meinem Hmgange) als biedern» tapfern Männern meinen Posten übernehmen zu lassen."

XV, 8, L. Stelle aas einer Rede des alten Redners Favorin*), be- treffend seinen Tadel über den Tafelanfwand, eine Rede, die er hielt, als er zur Annahme des licinischen Gesetzes über die Tafelaufwands- beschränkang rieth.

XV, 8. Cap. 1. Als ich (einst) die alte Rede des gewiss nicht unberedten Favorin las, eine Rede, die er hielt, als er das licinische Gesetz anrieth, betreffend die Tafel- aufwandsbeschränkung [ ], lernte ich sie fast ganz

auswendig, um stets eingedenk sein zu können, dass ein der- artiger (übertriebener) Aufwand des Lebensbedarfes wahrlich nur zu verachten sei. 2. Die Stelle des Favorinus, welche ich hier folgen lasse, lautet also: „Diese ausgelemten Fein- schmecker und Tafelschwelger halten das nicht für ein statt- liches Mahl, wenn nicht das Gericht, was Du eben noch mit Wohlbehagen vei-zehrst, sofort wieder abgetragen wird und

XV, 7, 3: meas asellns iucondissinias. Yergl. Gell. VI (VII), 16,5.

XV, 8, L. ♦) Nach Mercklin (p. 682, 7) ist der Name Fayorin hier nicht richtig. Vergl. J. Becker in den hessischen Gymnasialblättem (Mainz 1845) I S. 48 ff.

XV, 8, 1. lieber das licinische Gesetz vergL Gell. U, 24, 3 NB.

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XV. Buch, 8. Cap., §2.-9. Cap., § 1. 2. (277)

eine andere, bessere und ausgezeichnetere Speise angetragen vird (um den Appetit ja nicht an einer einzigen Speise stillen zu mtlssen). Dies nun wird als ein Hauptschmaus unter Denen angesehen, denen Prasserei und Gaumenlust für geistige Unterhaltung gelten, die behaupten, dass kein Vogel ausser der Feigenschnepfe (ficedula) ganz aufgezehrt werden dürfe; wenn nun gar von den übrigen Vögeln und von dem (ge- mästeten) Geflügel nicht so viel auf die Tafel kommt, dass man schon von dem untersten Theile*) (d. h von dem Bürzel) an dem Hinterkeulchen gesättigt (und zufriedengestellt) wird, bildet man sich ein, es sei nur ein armseliges, er- bäimliches Gastmahl, die aber auch die vorderen Theile von den Vögeln und dem Geflügel essen, haben (nach der Ansicht dieses Tafelschwelgers) nur einen Gaumen (zum Ver- schlingen, aber keine Zunge zum Schmecken). Wenn die verschwenderische Genusssucht verhfiltnissmässig so weiter überhand zu nehmen fortfährt, was bleibt dann noch übrig, als dass man sich die Mahlzeiten nur vorkauen lässt, um durch das Essen ja nicht etwa ermüdet zu werden, wenn (es so fortgeht und) die Lagerstatt von Gold, Silber, Purpur strotzt und für ein Paar Menschen gi'ossartiger hergestellt wird, als für unsterbliche Götter ?**

XV, 9, L. Dass der Dichter CaeciliuB das Wort frons (8tim) im männ- lichen Geschlecht gebraucht hat, nicht (etwa) nach Dichterart, sondern mit wohiweislicher Ueberlegnng nnd nach Analogie (d. h. regelrecht und sprachgebräuchlich ).

XV, 9. Cap. 1. Richtig und klar bestimmt schrieb Gae- cilius in seinem „Subditivo (Untergeschobenen)*':

Der Feinde Gefährlichster ist, der mit heitrer Stirn (fronte hilaro), yoll

Groll die Brust, Bei dem Dir unklar bleibt, ob Du ihn laufen, ob greifen lassen sollst

2. Als sich (einst nämlich zufällig) das Gespräch um einen derartigen (falschen, hinterlistigen) Menschen drehte, hatte 'ich die betreffenden Verse in einem Kreise von feingebildeten

XY, 8, 2. Ficedula eigentlich Feigenfresser, die Feigendrossel. Plin. 10, 29 (44); Suet Tib. 42; Jur. 14, 9; Martial. 13, 49, lemm.; Petron. 88.

XV, 8, 2. •) Vergl. Senec. ep. 110, 11.

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(278) XV. Buch, 9. Cap., § 3—7.

jungen Leuten angeführt. 3. Da ergriff nun sofort einer aus der grossen Masse der Grammatiker, der da bei uns stand und durchaus nicht unbertihmt war, also das Wort: Wie gross war doch die Dreistigkeit und Kühnheit dieses Caecilius, da er „frons" als Masculinum gebrauchte und „fronte hilaro** sagte, nicht fronte hilara und vor einem solchen (Sprach-) Verstoss*) in keiner Weise zui-ückschreckte (soloecisraum nihil veritus est)? 4. Uns im Gegentheil, antwortete ich ihm, würde man sowohl für kühn, als für dreist halten, wollten wir uns einfallen lassen, fälschlicher und unrichtiger Weise „frons" nicht im männlichen Geschlecht zu gebrauchen, da sowohl der regelrechte Sprachgebrauch, welcher durch das Wort: Analogie*) bezeichnet wird, als auch (höchst) mass- gebende Beispiele der Alten uns zu der Ueberzeugung bringen, dass nicht „haec frons", sondern nur „hie frons** (als Mascu- linum) gesagt werden darf. 5. Da ja auch M. Cato im 5. Buche seiner Urgeschichte also geschrieben hat: „Tags darauf griffen wir in (offener) geordneter Feldschlacht (signis conlatis), in gerader Linie (aequo fronte) mit dem Fussvolk (mit den Reitern) und mit den Flügeln die feindlichen Truppen an."^ In demselben Buche sagt derselbe Cato auch „recto fronte*^ (in gerader Linie). 6. Allein jener halbgelehrte Grammatiker ei-widerte mir: sprich nicht erst weiter von Deinen Gewährs- stellen, von denen Du, wie ich glaube, wohl einige magst anführen können, sondern gieb lieber den (vernünftigen) Grund (für Deine Behauptung) an, aber da wird's hapeni und Du wirst nichts (beizubringen) haben. 7. Ich wurde durch diese seine (anmassende) Aeusserung, wie es mein (Jugend-) Alter so mit sich brachte (und mir deshalb wohl zu vei-zeihen war),.

XV, 9, 3. S. Non. 8, 205 frons; Paul. S. 60.

XV, 9, 3. *) Ueber Soloecismus s. Gell. I, 7, 3 NB.

XV, 9, 4. *) Die Analogie ist nicht etwa bei der ersten Bildung der Menschen vom Himmel gekommen und hat die Form des Sprechens ge- geben, sondern man kam auf sie, als man schon sprach und beim Sprechen bemerkt hatte, wie jedes einzelne Wort sich endigte. Daher beruht sie nicht auf der Theorie, sondern auf dem Beispiel, sie ist nicht das Gesetz des Sprechens, sondern die Beobachtung und die Analogie ist aus nichts Anderem hervorgegangen, als aus dem Sprachgebrauche. S. Quinct. 1,6, 16; Gell. I, 10, 4NB; n, 25, 1 NB und X, 4, 2.

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XV. Buch, 9. Cap, § 7 11. 10. Cap., § 1. 2. (279)

noch mehr aufgebracht und sagte: Erfahre also die (allgemeine, von Dir zwar für falsch gehaltene) Regel, lieber Schulmeister, bei der Du aber nicht unumstösslich darzuthun vermagst, dass sie nicht stichhaltig ist. 8. Alle (Haupt-) Wörter nämlich, welche wie „frons", auf die drei Buchstaben „ons" ausgehen, sind männlichen Geschlechts, wenn sie sich im Genitiv auch auf dieselbe Silbe endigen, wie mons (Berg), pons (Brücke), frons (Stirn). 9. Jener aber erwiderte ironisch und höhnisch lächelnd: Erfahre, Du Schüler, viele andere ähnliche, welche durchaus nicht männlichen Geschlechts sind. 10. Da drangen Alle in ihn, er möchte auch nur ein einziges Beispiel an- führen. Allein da der Tropf (nur) feuchste und nicht muckste und die Farbe wechselte, da antwortete ich und sagte: Gehe nur hin und empfange 30 Tage (Frist) zum Aufsuchen (von Beispielen); hast Du nachher welche gefunden (kehre zurück und) nenne sie uns. 11. So entliess ich diesen nichtsnutzigen Menschen, um (ihm Zeit zu gestatten) ein Beispiel ausfindig zu machen, womit er die (von mir) angegebene Regel wider- legen möchte.

XV, 10, L. Ueber den freiwiUigen and wunderlichen Untergang der milesischen Jungfrauen.

XV, 10. Cap. 1. Als Plutarch im ersten Buche seines Werkes, betitelt „über die Seele", von den verschiedenen, die Menschen überfallenden, heimsuchenden Gemüthskrank- heiten handelt, ei-wähnt er von den milesischen Jungfrauen, dass fast alle, die damals in der Stadt waren, plötzlich, ohne jeden einleuchtenden Grund, der (wunderliche) Entschluss an- wandelte, sich selbst das Leben zu nehmen, und dass hernach auch wirklich sehr Viele durch Erhängen ihr Leben endeten. 2. Da die Todesfälle von Tag zu Tag häufiger wurden und kein angewendetes Arzneimittel mehr anschlug gegen die

XV, 10, 1. S. Plut. yvvaixwv ttQeral, d. h. Tagenden der Frauen p. 249. Die Mileserinnen.

XV, 10, 2. Die Ursache zu dieser aossergewöhnlichen Anwandlung der Mileserinnen wird in dem bis zum Wahnsinn gesteigerten Geschlechts- trieb gesucht, eine Krankheit, die man nymphomania^ metromania oder furor uterinus (Mutterwuth) nennt.

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(280) XV. Buch, 10. Gap., § 2. 11. Cap., § 1. 2.

behan-lich heftige Wuth der Jungfrauen, sich das Leben zu nehmen, da endlich hätten die Milesier den Beschluss gefasst, dass die Leiber aller der Jungfrauen, die durch Aufhängen ihren Tod gefunden, vollständig unbekleidet an eben dem- selben Strick, womit sie sich aufgehangen hatten, öffentlich (durch die Stadt geschleift und so) zu Grabe geschafft werden sollten. Nach Veröffentlichung dieses Beschlusses seien die Jungfrauen nur allein aus (Furcht und) Scham vor einem so schimpflichen Leichenbegängniss abgeschreckt worden, einen freiwilligen Selbstmord an sich zu begehen.

XV,' 11, L. Wörtlicher Ausdrack des liathsbeBchlusses über Austreibung der Philosophen aus der Stadt Rom; ebenso Wortlaut einer Verordnung von Seiten der Sittenrichter, worin die getadelt und znrecht gewiesen werden, welche in Rom anfingen die Rhetorik einzuführen und zur Qeltnng

zu bringen.

XV, 11. Cap. 1. Unter dfen Consuln C. Fannius Strabo und M. Valerius Messala kam ein Senatsbeschluss zu Stande gegen die Philosophen und Rhetoren (der da lautete): „Der Praetor M. Pomponius hat einen Antrag an den Senat gestellt. Weil man sich nun über die Philosophen und Rhetoren aus- gesprochen hat, ist in dieser Angelegenheit (folgender) Be- schluss gefasst worden, dass der Praetor M. Pomponius Acht haben und Sorge tragen soll, dass diese Leute sich nicht (länger) in Rom aufhalten (dürfen), gesetzt, dass es ihm dem Wohle des Staates und seiner eigenen Beru&ti-eue ent- sprechend erscheint. ** 2. Einige Jahre nachher trafen die beiden Sittenrichter Cn. Domitius Ahenobarbus und L. Licinius Grassus wegen Beschränkung der latieinischen Rhetoren folgende Bestimmung: „Man hat uns hinterbracht, dass sich Leute (in der Stadt) aufhalten, welche eine neue Art von Lehre eingeführt haben; zu denen die Jugend in die Schule hinströmt; die (femer) sich den Namen „lateinische Rhetoren ** beigelegt haben, und dass (endlich sogar) noch

XVy 11, 1. S. Sueton. de clar. orat 1; de grammat 25; vergl. Cic de orat III, 24, 93 und Tac. DiaL 80-82. 85.

XY, 11, 2. Ahenobarbus s. Stammtafel Cato's. Gell, n, 19, 9 NB.

XY, 11, 2. üeber die älteste Beredtsamkeit Roms 8. Teuffels röm. Lit Gesch. 43, 9 und über besagte Ausweisung.

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XV. Buch, 11. Cap., § 2—5. 12. Cap., § 1. (281)

ganz junge (unerwachsene) Menschen ganze Tage daselbst in Müssiggang hinbringen, unsere Vorfahren pflegten selbst an- zuordnen, was sie wünschten, dass ihre Kinder leinen und in welche Schulen sie gehen sollten. Diese Neuerungen, welche sich wider Gewohnheit und Sitte der Vorfahren ein- geschlichen, gefallen uns weder, noch erscheinen sie bUligens- werth. Deshalb nun hat es uns (dringend) geboten erschienen, Veranlassung zu nehmen, dass wir sowohl Denen, welche solche Schulen halten, als auch Denen, die dahin zu kommen pflegen, (deutlich) unsere Meinung zu verstehen geben, dass uns diese Neuerungen durchaus nicht gefallen/ 3. Allein nicht nur in jenen, noch ganz rohen und von giiechischer wissenschaftlicher Bildung noch nicht verfeinerten Zeiten wurden die Philosophen aus der Stadt Rom vertrieben, 4. sondein auch unter der Regierung des Domitian wurden sie durch einen Senatsbeschluss verbannt und sogar (mit unnach- sichtiger Strenge) aus der Stadt und aus dem (ganzen) ita- lischen Gebiet ausgewiesen. 5. In dieser Sturmperiode ging auch der Philosoph Epictet wegen dieses Senatsbeschlusses nach Nicopolis von Rom fort.

XV, 12, L. Merkwürdige SteUe aos der (Vertheidigungs-) Rede des G. Gracchus über seine Sparsamkeit und Zöchtigkeit.

XV, 12. Cap. 1. Als G. Gracchus (ohne Erlaubniss) aus Sardinien zurückgekehrt war, hielt er (um sich deshalb zu

XY, 11, 8. Als in Rom feinere Bildung angestrebt wurde, kamen aach die Philosophen mehr zu Ehren nnd Ansehen. So z. B. als Pom« p^ns nach r&hmlichst geendigtem Kriege mit dem König Miihridates in das Haas des herOhmten, stoischen Philosophen Posidonius, dem Schüler des Panaetins and Lehrer des Cicero gehen woUte, durften die Lictoren nicht erst, wie es. sonst gehrftuchlich war, mit ihren &sces (s. Gell, n, 15, 4 NB) an die ThOre klopfen, sondern mussten aas Achtung vor diesem Gelehrten die fasces senken, and so beugte Der, vor dem sich das Morgen- und Abendland gebeugt hatten, die fasces vor der Thüre der Wissenschaft. S. PluL Vn, 31 (30), 3.

XV, 11, 4. S. Phüostr. vit ApoU. Tyan. Uh. VU, 4 und Plin. panegyr. 47.

XY, 12, 1. G. Gracchus, der das Amt eines Rentmeisters (Quaestors) in Sardinien hekleidete, hatte seinen Posten verlassen und war, noch ehe ein Nachfolger für ihn in seinem Amte bestimmt wurde, nach Bom ge-

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(282) XV. Buch, 12. Cap., § 1—4. 13. Cap., § 1.

vertheidigen) in einer öffentlichen Volksversammlung eine Rede ans Volk. 2. Da hiess es wörtlich so: „Meine Aufführung in der Provinz war eine solche, wie ich glaubte euren Nutzen befördern zu können, nicht wie ich meinem Ehrgeiz zu fröhnen meinte. Ich führte keine Garküche mit mir und hatte jiicht Knaben mit schönem Aussehen zur Bedienung; sondern bei meinem Mahle waren eure Kinder züchtiger (und strenger) gehalten, als beim Lagerhauptplatz (beim Generalstab im Felddienst)." 3. Weiterhin sagt er femer: „Meine Auffühning in der Provinz war (jederzeit) so, dass der Wahrheit gemäss Niemand wird sagen können, dass ich entweder auch nur einen Pfennig mehr von ihm als Geschenk angenommen, oder ihm durch meine Veranlassung irgend welchen Aufwand ver- ursacht habe. Zwei Jahre bin ich in der Provinz gewesen. Wenn (während dieser Zeit) irgend eine Buhldime mein Haus betrat, oder irgend Jemandes Sklave auf meine Veranlassung hin verführt worden ist, sollt ihr mich für den schlechtesten und verworfensten (Schelm) von allen (Erden-) Völkern halten dürfen. Da ich mich (schon) von (jeder Ausschweifung mit) ihren Sklaven so keusch (und fem) gehalten habe, danach könnt ihr erwägen, auf welche Weise ihr annehmen könnt, dass ich (erst) mit euren Kindern umgegangen bin/ 4. Dann heisst es da auch noch einige Zeilen weiter hin: „Als ich daher, ihr edlen Römer, nach Rom abgereist bin, brachte ich meine Geldkatzen, welche ich voll Silber mit fortgenommen hatte, alle leer aus der Provinz wieder zurück. Andere (freilich) schleppten ihre (Töpfe und) Krüge, welche sie voll Wein gefüllt mit fortnahmen, alle voll Silber nach Hause zurück."

XV, 13, L. Ueber den nnvermutheten Gebranch einiger Zeitwörter, welche

in doppeltem Sinne (d. h. bald activ nnd bald passiv) gesagt und Ton den

Grammatikern „verba communia" genannt werden (d, h. Zeitwörter mit

gemeinsamer activer und passiver Bedentung).

XV, 13. Cap. 1. (Die Deponentia) utor und vereor und

kommen, am sich daselbst in eigner Person um das Zunftmeisteramt zu bewerben. Als ihn die Sittenrichter dieser Handlungsweise halber verklagt hatten, hielt er in der Volksversammlung eine Hede zu seiner Yertheidi- gung. Vergl. Gell. X, 3, 2 NB; GelL I, 7, 7 NB und XI, 10, 8 NB.

XY, 18, L. S. ErQger lat Grammat. p 154 und 155 Deponentia mit passiver Bedeutung; Seiferts lat. Sprachl. § 929 und § 2584.

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XV. Buch, 18. Cap., § 1-4. (283)

hortor und consolor sind verba communia (d. h. Zeitwörter mit gemeinsamer activer, wie passiver Bedeutung), und können deshalb auch in doppeltem Sinne gesagt werden, z. B. „vereor te", ich fürchte Dich und „vereor abs te", ich werde von Dir gefürchtet, d. h. (eigentlich richtiger ausgedrückt): „tu me vereris" (Du fürchtest mich oder Dich vor mir) ; so „utor te", ich benutze Dich, oder: „utor abs te", ich werde von Dir benutzt, d. h. (in dem Sinne von) „tu me uteris", Du be- nutzest mich; femer: „hortor te", ich ermahne Dich und „hortor abs te", ich werde von Dir ermahnt, d. h. tu me hor- taris. Du ermahnst mich; dann „consolor te", ich tröste Dich und „consolor abs te", ich werde von Dir getröstet, d. h. (eigentlich für) tu me consolaris. Du tröstest mich. So wer- den auch „testor" (bezeuge) und „interpretor" (lege aus) in abwechselnder Bedeutung (d. h. bald activ, bald passiv) ge- sagt. -2. Es sind aber alle diese (besagten) Wörter im andern Falle (d. h. in der andern, passiven Bedeutung) selten und ungewöhnlich und es ist sehr die Frage, ob sie überhaupt auch in dieser andern Bedeutung (sonst für gewöhnlich) ge- braucht worden sind. 3. Afranius sagt allerdings in seinen „Consobrinis (Geschwisterkindern)" :

Den Kindern gilt hier weniger der Aeltem Leben, Weil sie mehr Furcht als Ehrfurcht einzafiössen lieben (malont metui,

quam vereri).

Hier steht „vereri" allerdings in der ziemlich ungebräuch- lichen, passiven Bedeutung von „in Ehrfurcht gehalten werden (wollen)". 4. So braucht auch Novius in seiaer „Lignaria (Holzhändlerin)" das Wort „utitur" ebenfalls in entgegen- gesetzter, passiver Bedeutung:

Weil Hausgeräth die Menge, wird's auch nicht gebraucht, gekauft doch wird. Quia suppellex multa, quae non utitur, emitur tarnen,

d. h. (es steht utitur hier für) quae usui non est, was un-

XV, 13, 1. consolor passive von Asinius Polllo bei Friscian YIII, 4, 18; Justin. XXII, 6 consolatis militibus, als den Soldaten Muth ein- gesprochen worden war.

XV, 10, 4. Novius, so auch Gell. XVII, 2, 8. Der Name wird oft mit Naevius verwechselt S. Beruh, röm. Lit. Gesch. 74, 332 und 334, desgl. 78, 354. üeber Naevius s. Gell. I, 24, 1 NB. S. TeufFels Gesch. der röm. Lit. § 135, 1 ff.

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(284) XV. Buch, 13. Cap,, §5—9.

nöthig, unnütz ist. 5. M. Cato im 5. Buche seiner Urge- schichte sagt: „Er führte sein Heer, nachdem es einen Imbiss genommen, kampfgerüstet und (cohortatum, ^r Tapferkeit) ermahnt heraus und stellte es in Schlachtordnung auf.^ 6. So lesen wir auch „consolor" nicht (nur) in der gewöhnlichen, activen Bedeutung geschrieben, sondern (auch) in der andern (passiven oder reflexiven), wie es sonst gewöhnlich nicht ge- braucht wurde, in dem Briefe des Q. Metellus, den er, als er sich in der Verbannung befand, an den Gnejus Domitius und an den L. Domitius schrieb, worin es heisst: „Allein, da ich nun eure Gesinnung gegen mich sehe, fühle ich mich un- endlich getröstet (vehementer consolor) und eure Treue und euer Muth schweben mir immer (als ein lebendiges Vorbild) vor Augen." 7. Ebenso drückt auf dieselbe Weise M. Tullius (Cicero), in seinem ersten Buche „über die Weissagung", Be- wahrheitetes durch „testata" und Ausgelegtes durch „inter- pretata" aus, so dass (hier) die Deponentia „testor" (ich bewahrheite) und „interpretor" (ich lege aus) unbedingt für verba communia (d. h. für Wöi-ter mit gemeinsam activer, wie passiver Bedeutung) gehalten werden müssen. 8. So sagt Sallust auf dieselbe Weise: „dilargitis proscriptoiiim bonis (als die Güter der Proscribirten verschenkt worden waren)", als ob das Wort (Deponens) largior (verschenke) unter die verba communia gehöre. 9. Auch „veritum" (man hat ge- fürchtet), sowie „puditum" (man ist mit Scham erfüllt worden), und „pigitum" (man ist mit Widerwillen erfüllt worden) sehen wir nicht nur von altem Schriftstellern (passive) unpersönlich, ohne Beziehung auf eine Person oder Sache, (rein) als Subject ganz unbestimmt gebraucht, sondern auch (sogar) von M. Tullius (Cicero) im 2. Buche „vom höchsten Gut und höchsten Uebel" (Cic. de finib. II, 13, 39), wo es heisst: „(widerlegen will ich) zuerst die (Meinung) des Ar i stipp und aller Cyre- naiker, die sich nicht entblödet haben (non est veritum), in

XY, 18, 6. lieber Q. Metellas Numidicas s. GelL I, 6, 1 NB und XV, 28, 3 NB.

XV, 13, 9. AristippuB aus Gyrene, Stifter der cyrenaischen, oder (weil ihm das Ziel des WOnschenswerthen, die sinnlich angenehme Em- pfindung, das Yergnügen, ^ ^Sov^, war) der daher benannten hedonischen Schule, der Vorgängerin des Epicureismus, brachte seine Jugend in Athen

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XV. Buch, 13. Cap., § 9-11. 14. Cap., § 1. (285

diejenige Lust, welche mit der grössten Annehmlichkeit die Sinne erregte, das höchste Gut zu setzen/ 10. Auch dignor (ich würdige und werde gewürdigt), veneror (ich verehre und werde verehrt), confiteor (ich erkenne an und werde an- erkannt), femer testor (durch Zeugniss dailhun und dar- gethan werden) sind für verba communia gehalten worden. Wie sich ja dergleichen (Fonnen) auch bei Vergil angewendet finden, z. B. (Aen. EI, 475):

0 AnchiseSy Ton Yenns der heiligen Liehe gewürdigt (dignate), und (Verg. Aen. m, 460):

Jene (Juno) verehrt (venerata) wird günstigen Lauf Dir gewähren. 11. In den zwölf Tafelgesetzen steht im Betreff einer Summe, die man bereits anerkannt und eingestanden hat, wörtlich: „Ist Einer der Schuld überwiesen (geständig, aeris confessi) und solche zu Recht gesprochen, so soll er 30 Tage Frist haben (sc. bis zur Abtragung)/ So steht auch noch in den- selben zwölf Tafeln: „Wer sich herbeigelassen, als Zeuge aufgerufen zu werden (testarier), oder (als libripens, Wage- halter) Vollmachtsträger in Contracten zu sein, wenn er (nach- träglich) das Zeugniss verweigert, der soll ehrlos sein und nimmermehr wieder Zeugniss ablegen dürfen.^

XV, 14, L. Das8 Metellus Numidicus eine Redewendung aus griechischen Vorträgen entlehnt hat.

XV, 14. Cap. 1. Ich habe mir eine bei Q. Metellus Numidicus, im 3. Buche seiner Anklage(schrift) gegen den

in dem lehrreichen Umgänge des Socrates zu. Seine ganze Lebens- philosophie findet Ausdruck in dem horazischen Verse (epp. I, 1, 18):

Et mihi res, non me rehus snbmittere conor, d. h.

Such* mir unterzuordnen die Dinge, doch mich nicht den Dingen. Yergl. Hör. ep. I, 17, 13 u. s. w. Aristipp lehrte erst in Aegina, dann zu Syracus am Hofe des jüngeren Dionysios, zuletzt, wie es scheint, zu Athen nehen Plato, wo er nach Socrates Tode die socratische (hedonische) Schule gründete. Er wird als der Erste genannt, der unter den Socratikem Bezahlung för seine Lehrvortrlige annahm und soll nach wanderungsvollem Lehen auf der äolischen Insel Lipara gestorben sein.

XV, 13, 11. Lihripens vergl. Gell. XV, 27, 3 NB.

XV, 14, 1. Q. Caecilius Metellus, der wegen seiner glücklichen Krieg- ftOirung gegen Jugurtha den Beinamen Numidicus erhielt, war ein Sohn

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(286) XV. Buch, 14. Cap., §1 5.-15. Cap., § 1.

Valerius Messala vorkommende neue (ungewöhnliche) Redens- art angemerkt. 2. Die betreffende Stelle aus seiner Rede lautet also: „Als er nun erfahren hatte, dass ein so schweres Verbrechen auch ihn zur Last gelegt werde und (bereits auch) die Bundesgenossen eingetroffen seien, um unter Thränen beim Senat sich (über ihn) zu beklagen, dass man ungeheuere Geldsummen von ihnen erpresst habe (sese pecunias maximas exactos esse)." 3. Er sagt (auffälliger Weise): sese pecunias exactos esse, d. h. sie seien angehalten worden zur Leistung von Geldern, anstatt zu sagen: pecunias a se maximas exactas, d. h. ungeheuere Geldsummen seien von ihnen ver- langt (eingefordert, erpresst) worden. 4. Diese Ausdrucks- weise schien uns einer griechischen Redewendung nachgebildet zu sein. Die Griechen sagen nämlich : eigeTVQä^ero /ab aqyvQLov (es wird Geld von mir erpresst), dem entspricht ganz unser: exegit me pecuniam (er forderte mir Geld ab). Wenn man nun aber diese Redeweise als richtig zugeben kann, so muss auch (im Passivum) gesagt werden können: exactus esse aliquis pecuniam, d. h. Jemand sei angehalten worden zu einer Geldleistung. 5. Auch hat offenbar Caecilius (Statins) von dieser Redewendung Gebrauch gemacht in seinem „Hypo- bolimaeo Aeschino (untergeschobenen Aeschinus)", wo er sagt: Nichtsdestoweniger werde ich angehalten um jenen ZoU (ezigor portorium),

was unbedingt so viel heissen soll, als: nihilominus exigitur de me portorium, d. h. nichtsdestoweniger wird von mir der Eingangszoll eingefordert.

XV, 15, L. Dass die Alten gesagt haben „paQsis velis'* (mit ausgespannten

Segeln) nnd „passis manibus'* (mit ausgestreckten Händen) nicht von ihrem

Zeitwort ,,patior*' (welchem eigentlich dieses Participium angehört).

XV, 15. Cap. 1. Von dem Wort pando (ich breite aus)

des 612/142 Consul gewesenen L. Caec. Metellus Calvus, ein Bruder des Dahnaticus und Ne£fe des Macedonicos, hatte in Athen studirt und sich nach der Sitte jener Zeit als junger Mann durch eine Anklage des Valerius Messala bekannt gemacht S. Lange röm. Alterth. § 140 p. 60.

XV, 14, 4. Medial gedacht: för sich eintreiben, erpressen, s. Buttmann gr. Gr. § 134, 7.

XV, 14, 5. Hypobolimaeus, der Untergeschobene, ein Stück des Me- nander, von Caecilius nachgeahmt S. Quinct 1, 10, 18; cfr. Prisdan. VI, 2, p. 222; Vol. I Krehl; Nom sub. v. exigor.

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XV. Buch, 15. Cap., § 1—4.— 16. Cap, § 1. (287)

bildeten die Alten das Perfectum passivi nicht pansum, son- dern passum (ausgebreitet, auseinandergespannt), allein als Verbum compositum mit der Praeposition „ex" (sagten sie hinwiederum) nicht expansum, sondern expassum. 2. Gae- cilius (Statins) in seinem „Gesellschaftsfrühstück (in Syna- listosis)"

Er hab' Tom Dache gestern selbst herabgeschant, Doch als die Meldung er gethan, hab' man im Haus (sofort des Bräutchens) rothen Schleier ausgespannt (flammeum ex*

passum sc. velum).

3. So sagt man auch, dass eine Frau im fliegenden Haare (capillo passo) sei, gleichsam in langherabhängendem und auf- gelöstem (expanso), und so sagen wir auch passis manibus (mit ausgebreiteten Händen, d. h. offnen Annen) und velis passis (mit aufgebreiteten Segeln), was so viel heissen soll, als mit auseinandergestreckten (diductis) Armen und mit weit ausgespannten, vollen (distentis) Segeln. 4. Daher sagt nun Plautus in seinem „miles gloriosus (Bramarba/ E, 4, 6 und 7), nach Umlautung (Umwandlung) des Vocales a in e, wie dies bei der Wortzusammensetzung gewöhnlich geschieht, dispessis anstatt dispassis:

Yermuthlich wirst Du bald Tor's Thor in dieser Stellung wandern, Wenn Du mit ausgespreiztem Arm (dispessis manibus) den Galgen trägst.

XV, 16, L. lieber die eigenthümliche, seltsame Art von des Crotoniensers

Milo Untergang.

XV, 16. Cap. 1. Der berahmte Fechter Milo von Croton, der, wie in den Chroniken geschrieben steht, in der 1. Olympiade mit dem Siegespreis gekrönt wurde, nahm ein

XV, 15, 2. „Synaristosae" cfr. Athenaei VI, 12 p. 248; Plin. H, N. 23, 9.

XV, 15, 3. Obgleich die Form expansum vorher vom Gellius für unstatthaft erklärt worden war, bedient er sich ihrer erklärungsweise hier trotzdem selbst.

XV, 16, 1. Milon aus Croton, ein durch seine Körperstärke be- rühmter Athlet, 520 v. Chr., der mit der blossen Hand einen Stier tödtete, ihn auf den Schultern forttrug und auch an einem Tage verzehrt haben soll. S. Valer. Max. IX, 12 ext 9; Ovid. in Ib. 611. 612; Strabo VI p. 403; Pausau. VI, U; Solinus 4; Suidas v. M(k<av\ Scholiastes Theo- crit, üö. IV, 6.

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(288) XV. Buch, 16. Cap., §2-4.-17. Cap., § 1.

bejammernswerthes, wundersames Ende. 2. Denn als er hoch- bejahrt die Fechterkunst (schon) aufgegeben hatte, und zu- fällig so ganz allein in den waldigen Gegenden Italiens reiste, sah er ganz nahe am Wege einen Eichbaum, der in der Mitte durch weit von einander stehende Spalten auseinander klaffte.

3. (Bei diesem Anblick) kam ihm damals nun vermuthlich auch noch einmal die Lust an, den Versuch zu machen, ob ihm wohl noch irgend einige Kräfte übrig geblieben seien. Er steckte also die Hände in die Spalten des Baumes und bemühte sich die Eiche auseinander zu ziehen und aufzu- schlitzen. Nun hatte er zwar schon (den Baum) in der Mitte von einander getheilt und mit grosser Anstrengung getrennt,

4. allein als (unglücklicher Weise) nach angestrengter, beinahe (schon glücklich) vollbrachter Arbeit seine Arme abgespannt waren und seine Kraft nachliess, kehrte die in zwei Theile auseinander gehaltene Eiche in ihre gewöhnliche Richtung zurück,« und so wieder zusammengeschnellt und von Neuem in Zusanmienhang gekommen, blieben seine eingeklemmten Hände (im Baume) stecken und der (arme) Mann (konnte sich nicht wieder frei machen und) musste so ein Raub den wilden Thieren werden.

XV, 17, L. Weshalb die angesehene Jugend Athens vom Flötenspiel

abliess, da sie doch diesen alten, von ihren Aeltern her gewöhnlichen

Gebrauch (der Erlernung) des Flötenspiels überkommen hatte.

XV, 17. Cap. 1. Als der junge Athener Alcibiades bei seinem Onkel Pericles in allen schönen, freien Künsten und Wissenschaften unterrichtet wurde, und Pericles die An- ordnung getroffen hatte, den Flötenspieler Antigenidas kommen

XV, 17, 1. Plut Alcibiad. p. 192.

XV, 17, 1. Pericles, geb. zu Athen, Sohn des berühmten Feldherm Xanthippus, des Besiegers der Perser bei MyksJe, war unendlich reich und einer der ausgezeichnetsten Staatsm&imer Qiiechenlands. Er lebte zur höchsten Blüthezeit griechischer Wissenschaft und Kunst (444 v. Chr.) und erhielt eine vorzügliche Ausbildung durch Anazagoras u. s. w. Nach Gimons Tode wurde er gleichsam Herr von Athen und leitete beinahe 40 Jahre lang die Angelegenheiten Athens mit grossem Erfolg. Obgleich Aristokrat widmete er seine Thätigkeit vorzüglich der Demokratie und war ein ganz gewaltiger Bedner. Athen verdankt ihm die schönsten Zierden und Kunstwerke. Seine Politik war namentlich gegen Sparta gerichtet

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XV. Buch, 17. Cap., §1-3.-18. Cap., § 1. (289)

zu lassen, um seinen Neffen im Flötenspiel zu unterrichten (was damals zu einer feinen Erziehung gehörte), erhielt Alcibiades die Flöte eingehändigt. Als er sie an den Mund gesetzt und zu blasen angefangen hatte, schämte er sich über die Gesichtsverzeming , brach sie in Stücke und warf sie von sich. 2. Als dieser Vorfall allgemein bekannt worden wai-, wurde alsdann, nach Uebereinstimmung aller Athener, die Unterweisung im Flötenspiel (als Bildungs- bedingung) abgeschafft. 3. Dies steht im Gedenkbuche der Pamphila im 29. Buche.

XV, 18, L. Wie (merkwürdiger Weise) der Kampfesaustrag im Bürger- krieg und des Gajas Caesar Sieg, bei dem er auf den pharsalischen (Schlacht-)Feldem den Sieg gewann, durch die Weissagung des Priesters Cornelius Remex an ebendemselben Tage in der italischen Stadt Patavium (Padua) verkündigt und vorhergesagt worden ist.

XV, 18. Cap. 1. An eben demselben Tage, an welchem Gajus Caesai* und Cn. Pompejus in Thessalien im Verlauf des

und so wurde er der Urheber des verderblichen peloponnesischen Krieges (431 V. Chr.). Er pflog ein vertrautes Yerhältniss mit Aspasia, jener geistvollen und schönen griechischen Berühmtheit, deren Freundschaft selbst ein Socrates gesucht hatte, und ihr zu Liebe verstiess Pericles seine Gemahlin. Als er durch die Pest seine beiden Söhne verloren hatte, trug er in Folge dessen seinen mit Aspasia erzeugten Sohn in die BOrgerliste ein. Um die Zeit der Pest starb er selbst 429 v. Chr. an einer schleichen- den Krankheit.

XV, 17, 1. Ueber Alcibiades s. GeU. I, 9, 9 NB.

XV, 17, 8. Pamphila, die Tochter des Soteridas aus Aegypten oder aus Epidaurus nach Suidas, SchriftsteUerin und eine der gelehrtesten aUer Frauen des Alterthums, welche verschiedene Bücher verfasste, deren Titel ebenfalls bei Suidas genannt sind. Aus ihrem Hauptwerke: „historische li^cellen (av/Lt/jixra laxoqtxa vnofjLvrifxaraY wird hier das 29. Buch dtirt, von Diogenes (Y, 2, 4) das 32. und nach Suidas soll das ganze Werk aus 33 Büchern bestanden haben. Auch lieferte sie Geschichtsauszüge {inno^al iaroQttov). Von ihrer grossen chronologischen Genauigkeit zeugt besonders die massgebende Zeitbestimmung Über Hellanikos, Hero- dotos und Thucydides bei Gell. XY, 28, 2. Ueber Plato hat sie erzählt, dass er von den Arkadem und Thebanem berufen worden sei, der neuen Hauptstadt Megalopolis eine YerfEussung zu geben, was keineswegs un- wahrscheinlich ist. Diog. Laert 3, 17.

XV, 18, L. Yergl. Plut Caes. p. 730; Lucan. YII, 192; Dio Cass. 42 p. 182; Jul. Obsequens de predig. 125; Sidonius Apollin. 9, 191 etc.

6 ellin 8, Attische Nftclite. n. 19 ^ t

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(290) XV. Buch, 18. Cap., §1—3.-19. Cap., § 1. 2.

Bürgerkrieges im offenen Treffen hart aneinander geriethen, ereignete sich ein merkwürdiger Vorfall zu Patavium, in dem jenseits des Po befindlichen Theil (von Gallia cisalpina), der in Italien liegt. 2. Ein gewisser Cornelius, Priester und von edler Abkunft, ein nicht nur wegen des grossen Pflichtgefühls bei seinem Priesteramte verehrungswürdiger, sondern auch durch seinen keuschen Lebenswandel gottgefälliger Mann, gerieth plötzlich in ein geistiges Verzücken und sagte, dass er in der Feme sehe, wie der heftigste Kampf gekämpft werde; und weiter noch, dass er (im Geiste ganz deutlich) die Einen weichen, die Andern vordringen sehe; er rief laut, dass er, ganz so als befinde er sich selbst mitten im Treffen, mit eignen Augen sehe das Morden, die Flucht, die fliegenden Pfeile und Geschosse, die Erneuerung des Gefechtes, den Ueberfall, das Geächze (der Verwundeten), die Wunden (der Gefallenen); und hernach rief er (in seiner Verzückung) plötzlich laut aus, dass Caesar gesiegt habe. 3. Zu der Zeit (dieses seines Paroxysmus) wurde zwar diese Weissagung für unerheblich und unsinnig gehalten, bald nachher aber erregte sie grosse Bewunderung, weil nicht nur Tag (und Stunde) des Kampfes, der in Thessalien (aus)gekämpft worden war, und weil nicht nur der Ausgang der Schlacht, wie er war verkündigt worden, wirklich vollständig eintraf, sondern auch alle wechselseitigen Umstände beim Kampfe und selbst der Zusammenstoss der beiden Heere durch das Traumbild und die Aussage des Weissagenden in Wahrheit dargestellt worden wai- (und wirklich zustimmte). (Vergl. Plutarch : Jul. Caes. cap. 47.)

XV, 19, L. Ein denkwürdiger Aussprach des M. Yarro, aus seiner Satire, welche die Uebersclirift führt: „nsQi i^ia/xarojv (über Esswaaren)".

XV, 19. Cap. 1. Es giebt nicht Wenige, auf die ein Ausspruch von M. Varro Anwendung finden kann, der in seiner Satire vorkommt, welche die Ueberschiift führt „von Esswaaren {Tregl ideai^oKovY. 2. Seine eignen Worte lauten: „Wenn Du von all der vielen Mühe, die Du darauf ver- wendest, dass Dein Bäcker*) Dir gutes Brot bereitet, auch

XV, 19, 2. *) Wohlhabendere Familien hielten sich unter ihren

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XV. Buch, 19. Cap., §2.-20. Cap., § 1—4. (291)

nur den zwölften Theil (dem Studium) der Philosophie widmen wolltest, so würdest Du selbst schon lange (gut und) recht- schaffen geworden sein. Alle, die nun Jenen (d. h. Deinen Bäcker und seine VorzQge) kennen lernen, zeigen (sofort) Lust, (sich) ihn für Hunderttausende zu kaufen; Dich, wer Dich (nur erst) kennen gelenit hat, Keiner für 100 Heller (centussis)."

XV, 20, L. . Einige Bemerknngen über dee Dichters Euripides AbstammnDg, Leben, Sitten und über sein Lebensende.

XV, 20. Cap. 1. Theopompus sagt, dass die Mutter des Euripides als Feldgemüse - Händlerin ihren Lebensunterhalt «ich erworben habe. 2. Bei seiner Geburt aber wurde dem Vater von den Chaldäern ge weissagt, dass dies Kind, wenn 6S herangewachsen sein würde, in den Wettkämpfen als Sieger hervorgehen werde (denn nach ihrem Horoskop sei dies seine Bestimmung). 3. Der Vater habe das aber so gedeutet, dass er das Kind Fechter solle werden (und in den gymnastischen Künsten erziehen) lassen, und als nun des Sohnes Leib ge- kräftigt, tüchtig geübt (und ausgebildet) worden war, brachte er ihn nach Olympia, damit er sich daselbst unter den jugend- lichen Fechtern (einmal) im Kampfe versuchen sollte. Das erstemal habe man ihn nun zwar wegen seines noch unreifen Alters noch nicht zum Wettstreit zugelassen, später aber nahm er an dem eleusinischen und theseischen Kampf- spiel (persönlich) Theil und trug (auch) den Preis davon. 4. Bald nachher dieser Leibesübung überdrüssig, wendete er sich der fleissigen Ausbildung seines Geistes zu und wurde Schüler und Zuhörer des Naturforschers Anaxagoras und

Sklaven immer noch eigene Bäcker, obgleich vom Ende des 2. Jahrhunderts V. Chr. an in Rom die Bäckerei auch schon als förmliches Gewerbe be- trieben wurde. S. Sueton. Caes. 48; Senec. ep. 95, 24. Centussis s. Gell. II, 24, 4.

XV, 20, 1. Bezweifelt wird die Sache von Val. Max. HI, 4 ext. 2. Suidas V. EvQinCdrig, üeber Theopompus s. Gell. X, 18, 6 NB.

XV, 20, 2. lieber die ChaldÄer s. GelL XIV, 1.

XV, 20, 4. Anaxagoras, 500 v. Chr., einer der vorzüglichsten ionischen Philosophen, nahm einige von einem geistigen Wesen bewegte ürstoffe an und verwarf die Meinung der Schöpfung aus Nichts. Er stand

19*

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(292) XV. Buch, 20. Cap., §4—8.

des Rhetors Prodikos, in der Moralphilosophie aber des Socrates Schüler. In seinem 18. Jahre machte er sich daran, ein Trauerspiel zu schreiben. 5. PhUochorus erzählt, dass es auf der Insel Salamis eine versteckte und wildromantische Grotte gebe (die er selbst besucht und gesehen habe), worin Euripides (seine Trauerspiele) geschrieben habe. 6. Er soll ein sehr abgesagter Feind fast aller Frauenspersonen gewesen sein, entweder, weil er überhaupt einen angebomen Wider- willen gegen den Umgang mit dem weiblichen Geschlecht hatte, oder weil ihm die zwei Frauen, mit denen er sich zugleich verheirathet hatte, was bei den Athenern nach ausdillcklichem Beschluss gesetzlich erlaubt war, die Ehe (gründlich) verleidet hatten. 7. Auch Aristophanes thut dieses Hasses gegen das weibliche Geschlecht in „der ersten Thesmophorienfeier*' (V. 453 u. s. w.) Erwähnung in folgenden Versen :

Dram ist mein Rath und dringend fordr' Euch All' ich aa( Den Mann ob dieser ünbiU streng zu zachtigen; Denn herbe Leiden fügt, ihr Frauen, er uns zo, Wuchs unter herben Gartenkr&utem er doch au£

8. Alexander der Aetolier aber hat folgende Verse über den Euripides verfasst: Anaxagoras' Zögling, des YoUblut- Manns, ist finster und mürrisch von

AnHflhn^

Und dem Scherz abhold und nicht einmsJ beim Weine versteht er

zu spassen: Allein was er schreibt ist honigversüsst, wie Sirenengesibige bezaubernd

mit Perides im vertrauten Umgänge. Euripides und Thucydides waren seine Schüler.

XY, 20, 4. Prodikos, griechischer Sophist aus Julis auf Keos» Zeitgenosse des Socrates, blühte 486 v. Chr. (Ol. 86).

Xy,.20, 5. Von Aristoteles (podt 13) wird Euripides der tragischste aller Dichter genannt

XY, 20, 6. Diog. Laert n, 5, 11; Eurip. Hippolyt 664 etc. Athe- naeus Xm, 597.

XV, 20, 7. S. Aristoph. Acham. 478—481; Plin. h. nat 22, 88; Plutarch: Vergleich des Aristoph. und Menander 1.

XV, 20, 8. Alexander, genannt Aitolos, ans Pleuren in Aetolien, ein tragischer Dichter, der in Alexandria unter Ptolemäus IL Philadelphos lebte und zur Pleias (Gruppe von sieben tragischen Dichtem) gez&hlt wird. Bekannter scheint er als Elegiker gewesen zu sein. Die abriggebliebenen

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XV. Buch, 20. Cap., § 9—11. (293)

9. Als Euripides (einst) bei dem (macedonischen) König Ar- chelaos, mit dem er im vertrautesten Freundschaftsverhältniss stand, zu Tische gewesen war und erst Nachts von da zurück- kehrte, wurde er von den Hunden, welche einer seiner (Neider und) Nacheiferer auf ihn gehetzt hatte, so übel zugerichtet, dass von den Verwundungen sein Tod erfolgte. 10. Seinem Grabe und seinem Andenken haben die Macedonier solche Hochachtung bewiesen, dass sie (gelegentlich) zur Ehre seines Ruhmes auch (durch folgende Inschrift) laut bekannten : „Nie soll, Euripides, Dein Angedenken vergehn," weil sie stolz darauf waren, dass der vortrefiFliche Dichter, der in ihrem Lande den Tod gefunden, in ihrer Erde begraben lag. 11. Als deshalb von den Athenern Gesandte an sie abgeschickt

Bruchstücke von seinen Elegieen verrathen Anmuth und Lieblichkeit der Darstellung. Endlich wird er auch als Grammatiker genannt A. Nauck Eurip. Studien I, S. 126 Anm. zeigt, dass die hier aus Alexander an- geführten anapftstischen Tetrameter dem Aristophanes gehören nach der ▼ita Eurip. Z. 68 (Merckl. p. 682 Anm. 7).

XY, 20, 9. S. Val. Max. IX, 12 ext 4;.Diogenianu8 und Apostolius Y. JlQOfi^Qov xivig'^ Hyginus fab. 247. Athenaeus XTTT, 597 theilt ein Bruchstück des Elegieendichters Hermesianax mit, worin diese Mittheilung Erwähnung findet und folgendermassen zusammenhängen soll: Euripides hatte sich in die Schafiherin des Königs in AtyaC verliebt und konnte des Nachts nicht schlafen. Indem er durch die Strassen der Stadt irrte, wurde er von den Hunden des Amphibios , welche ein boshafter Feind auf ihn hetzte, zerrissen. Die Stelle lautet: Femer behaupt' ich, der Mann, der stets seine Würde behütet,

und Yon der Kindheit an gegen die Frauen zumal Hass und Verachtung geschöpft, der konnte, geschossen vom krummen

Bogen, die nächtliche Qual nimmer bemeistem, den Ghram, Sondern schweifte entlang macedonischen Gassen zu Aegae, Musste der Schafiherin nachschleichen des Königes, bis Dich, Euripides, dort Dein Schicksal stürzt' in Verderben unter Amphibios Hunds -Meute der Dichter gerieth. Der makedonische Dichter Addaeos widerlegt (bei Suidas v. vnaCfAixe) dieses Märchen in folgendem Epigramm: Dich, Euripides, biss kein Hundszahn, stach keine Bremse

Nach einem Weibe: Du warst heimlichen Lüsten so fremd! Bist vor Alter gestorben, die Stadt Arethusa bewahrt Dein

Grab, Archeiaos, der Fürst, ehrt Dich im Leben und Tod. Aber Dein Grabmal ist nicht hier blos, sondern des Bakchos Bühne, die Thymele isfs, die dem Kothurne gehorcht!

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(294) XV. Buch, 20. Cap., § 11. 21. Cap. 22. Cap., § 1—5.

worden waren, mit der Bitte, ihnen zu gestatten, die Gebeine des Dichters in seine heimische Erde nach Athen überführen zu dürfen, verharrten die Macedonier einstimmig auf Ver- weigerung dieses Verlangens.

XV, 21. L. DasB yon den Dichtem die Söhne des Zens als höchst weise und menschenfreundlich geschildert werden, die Kinder des Neptnn hin- gegen als ausserordentlich wild und menschenfeindlich (vergl. Phomutns

de nat. deor.).

XV, 21. Cap. 1. Die Dichter erwähnen die Kinder des Zeus als ausserordentlich hervorragend durch ihre Tugend, Weisheit und Tapferkeit, wie z. B. den Aeacus, den Minos, den Sarpedon; die Söhne des Neptun aber schilderten sie stets, als aus dem Meere erzeugt, als höchst wild und ungeschlachtet und allen menschlichen Regungen abhold, wie z. B. den Cyklopen, den Cercyon, den Sciron und die Laestrygonen.

XV, 22, L. Erzählung von dem ausgezeichneten Feldherm Sertorius, von

seiner Schlauigkeit und seinen erfinderischen Tauschungsmitteln, deren er

sich bediente, um seine rohen und wilden Eriegshorden im Zaume zu

halten und für sich zu gewinnen.

XV, 22. Cap. 1. Sertorius, ein thatkräftig strenger Mann und ausgezeichneter Heerführer, wusste sehr gut, wie er mit seinen Heeresmassen umzugehen und sie in Unter- würfigkeit zu erhalten hatte. 2. Dieser erlaubte sich in höchst bedenklichen Lagen gegen seine Soldaten Lügen, wenn ihm die Unwahrheit von Nutzen schien, zeigte ihnen erdichtete, untergeschobene Briefe als wahre vor, brauchte (oft) einen Traum zum Vorwand, nahm seine Zuflucht zu betrügerisch falschen Eingebungen und Offenbarungen, wenn alle der- gleichen Hülfsmittel ihm irgend wie zur Stimmung und Ge- sinnung der Soldaten förderlich schienen. 3. Eine List (von ihm) ist besonders bekannt und berühmt. 4. Eine weisse Hindin (Hirschkuh) von aussergewöhnlicher Schönheit und behendester Schnelligkeit war ihm von einem Lusitanier zum Geschenk gemacht worden. 5. Nun liess er nicht nach (und

XV, 22, 1. Ueber Sertorius s. GeU. n, 27, 2 NB. XV, 22, 4. Plut Sertor. p. 578 cap. 11; Frontin. Stratag. I, 11, 13; Val. Max. I, 2, 4.

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' XV. Buch, 22. Cap., § 5-10. (295)

verstand es), Allen die Ueberzeugung beizubringen, diese (Hindin) sei ihm durch göttliche Fügung verliehen worden und werde auf Geheiss der Diana beseelt, mit ihm zu unter- handeln, i^m Mahnungen und Winke zu einheilen, und nütz- liche Anschläge an die Hand zu geben, und wenn er irgend einmal eine scheinbar ziemlich harte Verordnung und Zu- muthung an die Soldaten zu stellen gezwungen war, Hess er verbreiten, dass ihm die Mahnung dazu durch die Hindin ertheilt worden sei. Nach einer solchen Mittheilung ge- horchten dann sofort Alle willig, gleichsam wie auf einen Götterspruch. 6. Diese Hii*schkuh hatte sich nun eines Tages, als ein Ue^erfall von Seiten der Feinde gemeldet wurde, durch die Hast und den VS^iiTwarr erschreckt, eiligst auf die Flucht gemacht und sich im nächsten Sumpfe verkrochen, und als sie nachher (vergebens) wiedergesucht worden war, hielt man sie für verloren und glaubte, dass sie umgekommen sei. 7. Allein nicht viele Tage nachher wird dem Sertorius ge- meldet, dass die Hindin sich wieder gefunden habe. 8. Hierauf befahl er dem Ueberbringer dieser Nachricht darüber strenges Stillschweigen zu beobachten und untersagte ihm aufs Strengste, auch nicht gegen einen Einzigen etwas verlauten zu lassen. Zugleich aber ertheilte er ihm die Weisung, dass er sie den folgenden Tag plötzlich in das Gemach hineinlassen sollte, wo er selbst sich mit seinen Freunden aufhalten würde. Als Tags darauf bei ihm seine Freunde (und Adjutanten) vor- gelassen worden waren, erzählte er ihnen, dass es ihm im Schlafe vorgekommen sei, als hätte sich die verloren geglaubte Hindin wieder eingefunden, um ihm, wie es früher immer der Fall gewesen war, Rath zu ertheilen, was geschehen müsse.

9. Darauf gab er dem Sklaven das verabredete Zeichen. Die Hindin wurde freigelassen und sprang sofort in das Zimmer des Sertorius. Ein Freudenruf erhob sich und es hen-schte (allgemeines) Erstaunen. Und eine solche Leichtgläubigkeit unter diesen ungebildeten Leuten war dem Sertorius bei wichtigen Angelegenheiten von ausserordentlichem Nutzen.

10. Man hat daher auch dem Andenken überliefert, dass von den vielen Völkerschaften, welche mit dem Sertorius in Ver- bindung standen, als er bereits in vielen Schlachten besiegt worden war, dennoch nicht ein Einziger von ihm abfiel, ob->

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(296) XV. Buch, 22. Cap., § 10. 23. Cap. 24. Cap.

gleich ein derartiger (roher) Menschenschlag (sonst stets) höchst veränderlich zu sein pflegt.

XV, 23, L. Ueber die Lebensjahre (und das Zeitalter) der (drei) ans-

gezeichnetsten (griechischen) Geschichtsschreiber, des Hellanicus, des

Herodotos und des Thncjdides.

XV, 23. Gap. 1. Die (drei ausgezeichnetsten) Geschichts- schreiber (der Griechen), Hellanicus, Herodot und Thucydides blühten fast zu derselben Zeit unter ausserordentlichem Ruhm und waren (auch) ihren Altersjahren nach nicht sehr aus- einander. 2. Denn Hellanicus scheint zu Anfang des pelo- ponnesischen Krieges 63 Jahre alt gewesen zu sein; Herodot 53 (und endlich) Thucydides 40 Jahre. So steht es im 21. Buche der Pamphila geschrieben.

XV, 24, L. Welches Urtheil Vulcatius Sedigitus in dem Buche, welches

er (im Allgemeinen) über die Dichter geschrieben, (im Besonderen) über

die lateinischen Lustspieldichter gefallt hat.

XV, 24. Cap. 1. Sedigitus sagt (ganz unverhohlen) in dem Buche, welches er über die Dichter schrieb, wie er über die urtheilt, die Verfasser von (lateinischen) Lustspielen waren und welchen er (dem Werthe nach) unter ihnen von allen üebrigen fttr vorzüglicher hält, ferner welchen Ehrenplatz er jedem Einzelnen anweist, und giebt uns in folgendem Wort- laut (seines poetischen Kanons) dies deutlich zu verstehen:

Sehr viele seh' ich schwanken über diesen Punkt,

Wem man im Lustspiel reichen soll den Ehrenpreis.

Den Knoten, werd' ich nicht getäuschet, lös' ich Dir,

So dass« wer anders meinen will, nichts meinen soll. 5 Die Palme geh' ich dem Caedlius Statius;

Der zweit' ist Plautus, der all' Andre übertrifft;

Der dritte Preis dem Naevius für seine Glut

Giebfs einen vierten, ihn emp&ngt Licinius;

Nach diesem lass' icli folgen den AttHius; 10 Am sechsten Platze folget dann Terentius;

Turpilius hat den siebenten, den achten Trabea;

Als Neunten setz* ich unbedenklich Luscius;

Als zehnten nenn' ich Alters halber Ennius.

XY, 24, 1. üeber diese wunderliche Au&tellung s. TeufPels röm. Lit. Gesch. § 15, 4 und § 134, 8. S. Ladewig über den Canon des Volcatins Sedigitus Neustr. 1843.

XY, 24, 1 T. 7. Wer Acht hat (qui servet), reicht den dritten Preis dem Naevius.

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XV. Buch, 25. Cap., § 1. 2. 26. Cap., § 1. 2. (297)

XVf 25, L. Ueber einige neae (angewöhnliche) Wörter, welche uns in den mimisdhen Gedichten des Gnaens Matios aofstiessen.

XV, 25. Cap. 1. Gnaeuö Matius, ein kenntnissreicher Mann, hat in seinen mimischen Dichtungen gar nicht miss- klingend das Wort „recentari (sich emeueni, sich verjüngen)" gebildet, wofür die Griechen sagen: „avaveoviiat (avaveova&ai), d. h. es erzeugt sich wieder, es entsteht wieder neu." Die Verse, in denpn sich das Wort vorfindet, lauten also:

lam jam albicascit Phoebus et recentatur

Commune lumen hominibus voluptatis, d. h.

Schon naht der Lichtgott hell und ist wie neu veijüngt

Das allgemeine Licht zur Lust der ganzen Welt.

2. Derselbe Matius gebraucht in denselben mimischen Dich- tungen das Wort „edulcare (süsser machen) versüssen" in folgenden Versen:

Quapropter edulcare convenit vitam Curasque acerbas sensibus gubemare, d. h. Drum rathsam ist's, das Leben zu versüssen sich, Und abzuwehren herbe Sorgen durch Yemunft (d. h. durch eigne vernünftige Grrundsätze oder durch Zerstreuung).

XV, 26, L. Wie Aristoteles den Syllogismus wörtlich erklärt hat, and Wiedergabe dieser Erklänzng durch lateinische Uebersetznng.

XV, 26. Cap. 1. Aristoteles hat in folgenden Zeilen eine Erklärung von dem Syllogismus (Vemunftschluss) gegeben: Ein SyDogismus (Vemunftschluss) ist ein ausgesprochener Satz, in dem nach gewissen (gegebenen) Voraussetzungen noch etwas Anderes als diese Voraussetzungen, mit Nothwendigkeit als Folge dieser Voraussetzungen sich ergiebt. 2. Es wird nidit unpassend erecheinen, hier eine verfertigte, gleichlautende {lateinische) Uebersetznng dieser Erklärung folgen zu lassen:

XV, 25, 1. recentare s. Nonius II, 167, 16.

XV, 25, 2. Nonius v. edulcare II, 106, 25.

XY, 26, I. SyUogismus, wo aus der Annahme des Vorhergehenden auch die des Darangeknüpften folgt Yergl. GelL II, 8, LNB; Plin. ep. 3, 3; QuintiL m, 6, 15*; V, 10, 6; V, 14, 14 und 24; VII, 8 init.; Aristot Topic I, 1, 3; Cic ad Herenn. IV, 16.

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(298) XV. Buch, 26. Cap., § 2. 27. Cap., § 1. 2.

Ein Schluss ist eine Darstellung, worin, nach gewissen (vorher- gegangenen) Annahmen und Zugeständnissen, noch etwas Anderes ausser diesen Zugeständnissen als nothwendig sich ergebende Folge hergeleitet wird.

XV, 27, L. Was man versteht unter den Aasdrücken „comitia calata*^

und „cnriata" und „centuriata** und „tribnta**, und unter „concilinm^^

und ausserdem noch einiges Anderes der Art.

XV, 27. Cap. 1. Im ersten Buche des Laelius Felix*) an den Q. Mucius steht, dass Labeo schreibt, calata**) seien diejenigen Comitien***) genannt worden, welche auf Verord- nung und im Namen der Pi'iestergesammtheit gehalten werden, um entweder den (Opfer-)König oder einen Einzelpriester (Flamen, z. B. des Jupiters, des Mars, des Bomulus u. s. w.) feierlich einzuweihen. 2. Einige andere dieser comitia (Massen-

XV, 27, 1. *) LaeUuB Felix vergl. GeU. Xm, 14, 7 und Teuffels Gesch. der röm. Lit 837, 7.

XV, 27, 1. **) comitia calata (i. e. convocata, von dem alten Worte calare, xalnv, rufen, zusammenherufen) hiessen im Anfemg über- haupt alle Comitia, weil das Volk zu den curiatis durch einen Lictor und zu den centuriatis durch einen Hornbläser (Herold) berufen wurde. Nachher aber wurde der Ausdruck nur von denen gebraucht, an welchen Testamente verfertigt, oder Priester gewählt wurden. Da dabei n^ aber nur 17 Tribus des Volks versammelt (und es also keine eigentlichen Comitien) waren, so nannte man sie auch concilia (Zusammenkünfte des Volkes), welche nur von den Zunftmeistern veranstaltet wurden, denen nicht das Becht zustand, das gesammte römische Volk (universum populum) zusammen zu berufen, wie es in den Comitien geschah. Der (Opfer-) König, rez sacrorum, war der erste und vornehmste unter den Opfer- priestern. — Pro conlegio pontificum vergl. Liv. II, 27; XXXVIH, 36; Paulus p. 57, 20.

XV, 27, 1. ***) Lucius Ampelius in seinem Erinnerungsbnch (lib. memorial.) sagt cap. 48: Die comitia haben ihren Namen von dem Massengcleite (a comitatu et frequentia) und der gemeinschaftlichen Be- theiligung (der Menge), wenn die Väter und die Volksabtheilungen zur Wahl der Obrigkeiten oder Priester zusammenberufen werden. Es giebt dreierlei Comitien, nach Curien, Tribus und C^enturien. Curiata hdssen sie, wenn es sich um den Wechsel der Obrigkeiten handelt und die Wahl eine gewöhnliche ist, so dass bloss das Volk stimmt; sind sie wichtigerer Art, so heissen sie tributa; centuriata aber werden sie genannt, wenn^ eine grosse Gefieihr vorhanden, und dann werden sogar auch die Soldaten zur Abstimmung zugelassen. Vergl. NB zu § 5.

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XV. Buch, 27. Cap., § 2—4. (299)

VersammluDgen und Zusammenkünfte) hiessen curiata, andere (wieder) centuriata. Die curiata werden zusammenberufen (calari in der Bedeutung von convocari) durch den mit diesem Auftrag der Curienberufung betrauten (öffentlichen Diener einer Obrigkeit, den) Lictor, die Centuriata aber durch den Hornbläser (per comicinem, d. h. eine Art Herold). 3. In den sogenannten Calat-Comitien erfolgte gewöhnlich die Vollziehung der feierlichen Lossagung von den Familiensacris (sacrorum detestatio), oder die Verfertigung (und Bestätigung) von letzten Willensbestimmungen (Testamenten). Es wurden nämlich drei Arten von Formen bei dem Testamentsverfahren angenommen. Das erste Verfahren war, wenn solche letzte Willeusmei- nungen in den Calat-Comitien vor der Volksversammlung angenommen wurden ; ein anderes (Verfahren der Testaments- Abfassung) geschah in der Rüstung (in pro eine tu*), d. h. in dem Augenblick, wo man einem gefährlichen Treffen ent- gegenging) beim Schlachtaufiiif der Helden zum Eampfesstrauss ; die dritte Art ein Testament zu machen, bestand In der Uebemahme des (Erb-) Vermögens (per familiae mancipa- tionem) unter Beobachtung der herkömmlich gesetzlichen Form zur Erwerbung durch Schein verkauf, wobei das Zu- wiegen des Kaufpreises zur Anwendung kam (aes et libra**) adhiberetur). 4. In demselben Buche des Laelius Felix steht auch noch Folgendes geschrieben: „So wie Jemand nicht das gesammte Volk, sondern nur einen Theil desselben zusammen- berufen lässt, so darf man dies nicht mit dem Ausdruck „(Volkszusammenkünfte) comitia" belegen, sondern muss dann

XV, 27, 8. *) Vergl. Gell. 1, 11, 8 NB. Procincta classis begreift das römische Volk der Centoriat-Gomitien in sich. S. Cic. nat. D. II, 8; de Orat. I, 53, 228; Jul. Caes. B. G. I, 89, 4.

XV, 27, 8. **) aes et libra. Da man früher kein Silbergeld hatte, sondern nur Kupfermünze, so wurde diese zugewogen. Als man später bereits geprägte Erzstücke hatte, und kein Zuwägen mehr nöthig war, wurde trotzdem der Formalität wegen die Waage bei Geldzahlungen noch gebraucht. Derjenige, welcher die Waage hielt, hiess libripens. Diese Formalität wurde beobachtet bei herkömmlich gesetzlichen Erwerbungen durch Kauf, Schenkung, Testament S. G^. Instit I, § 118 und 119; Ulp. fr. 19, 3 und 20, 7; vergl. Plin. 88, 8 (18), 48; Prisdan. VI, 18, 96 p. 287 VoL I Krehl; GeU. XV, 18, 11. Näheres in Pauly's Realencyklop. Bd. I S. d9. Vergl. Gell V, 19 bei der Adoption gebräuchlich.

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{300) XV. Buch, 27. Cap., § 4. 5.

sagen: „concilium*' (d. h. Berufung zur Anhörung eines Vortrags, nicht zur Abstimmung). Die Volkszunftmeister aber können weder die Patricier berufen, noch über irgend •eine Angelegenheit bei ihnen eine Anfrage stellen. Daher solche Gemeindebeliebungen auch eigentlich nicht Gesetze (leges) genannt werden, sondern eben deshalb plebisscita, die nur auf (speciellen) Antrag der Volkszunftmeister gemacht und angenommen wurden, und es waren früher die Patricier an diese Verordnungen so lange nicht gebunden, bis endlich der Dictator Q. Hortensius (im J. 413 d. St.) das Gesetz auf- brachte, Kraft dessen alle römischen Bürger (Quirites) auch an die Einrichtungen und Verordnungen gebunden sein sollten, welche nur die Gemeine beschlossen*) hatte." 5. In ebendemselben Buche steht auch Folgendes: „Wenn man

XV, 27, 4. Concilium vergl. Liv. 89, 15.

XY, 27, 4. *) Eine ähnliche Verordnung war schon froher von den Oonsuln L. Yalerias und M. Horatlus gemacht worden, wie Liv. m, 55 (vergl. Vm, 12) meldet Vergl. Lange röm. Alterth. § 99 p. (98) 100 über die Nothwendigkeit einer definitiven FeststeUung von der unbedingten Gesetzlichkeit der Plebiscite, hervorgerufen durch den Widerstand der Patricier. S. Dig. 1, 2, 2, 8; G^. 1, 8; Theoph. 1, 2, 5; Diod. 21, 83. Die Patricier konnten in rechtlicher Form nicht von den Tribunen be- rufen werden, die nur das jus cum plebe agendi, nicht das jus cum populo agendi hatten. G%j. 1, 8; Inst. 1, 2, 4; Theoph. I, 2, 4; cfr. GeU. X, 20, 5 NB. Lange röm. Alterth. § 119 S. (392) 422 sagt: für den Begriff der concilia im Gegensatz zu den Comitia ist das Haupt- merkmal der Mangel der Leitung durch die Magistratur, welches Merkmal Laelius Felix in seiner Definition ganz übersehen hat Concilia plebis Messen die Volksversammlungen, wenn sie von den Tribunen geleitet wurden, die anfangs durchaus nidit als magistratus populi Bomani gelten und selbst nachher noch, als sie es thatsäclüich geworden und die Patricier an den Versammlungen der Plebs theilnehmen liessen, doch die staats- rechtliche Stellung gegenüber dem populus gleich den Magistraten cum imperio entbehrten und also die Patricier als solche nicht berufen durften. S. Lange röm. Alterth. § 119 S. (898) 428. Die Definition von plebisdta hier bei Gellius (und bei Gigus 1, 8) ist ungenau. Der technische Aus- druck für die (Bestimmungen der) Plebs ist sciscere (d. h. durch Votum genehmigen und verordnen), während jubere im strengen Sprachgebrauch nur vom populus gesagt wird. S. Cic Flacc. 7, 15; Balb. 18, 42. Daher die Definition bei Festus 298: scita plebei appellantur, quae plebs suo suffiragio sine patribus jussit, plebqjo magistratu rogante; vergl. Fest 880. 280. 238; Instit 1, 2, 4; Theoph. 1, 2, 4. S. Lange röm. Altertii. § 129 S. (525) 571.

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XV. Buch, 27. Cap., §.5. (301)

die Abstimmang vornimmt nach dem ganzen Geschlechts- complex (der 30 Curien, ex generibus hominum, d. h. s. als nach gentes oder Gemeinschaften), so werden diese Ver- sammlungen (des römischen Volkes) Comitien nach Curien (comitia curiata) genannt; wenn die Abstimmung nach der

XV, 27, 5. Ex generibus. Genus » gens. S. Lange röm. Altertlu § 45 p. (216) 249.

XV, 27, 5. Comitien hiessen bei den Bömem die Bürgerversamm- Inngen, vorin das Volk, früher unter Vorsitz des Königs und nach Ver- treibung der Könige unter Leitung eines Consuls, oder eines andern dazu berechtigten Magistraten über Annahme oder Ablehnung eines fragweiae gestellten Vortrags (rogatio) abstimmte und durch Stimmenmehrheit zur Entscheidung brachte. Nach den verschiedenen Abtheilungen des römi- schen Volkes in Curien, Centurien und Tribus unterschied man comitia curiata, c. centuriata und c. tributa; je nach den obrigkeitlichen Personen,, welche gewählt werden sollten, gab es: comitia consularia, praetoria, aedilitia, censoria, pontificia, proconsul^a, propraetoria und tribunitia. Das Volk musste 17 Tage zuvor (per trinundinum, d. h. drei Nundinas über) durch einen öffentlichen Anschlag (Edict) davon unterrichtet sein. Die ältesten dieser Versammlungen waren die comitia curiata, so^ genannt von den 80 Curien, von je drei Geschlechtem, der ursprünglich allein berechtigten Altbürger (Patricier), welche unter den Königen bis Servius Tullius die einzigen Bürger waren. Jede der drei patricischen Urtribus (Bamnes, Tities und Luceres) zerfiel also in zehn Curien oder Abtheilungen. Die Versammlung fand statt auf dem zwischen dem Forum und der Curia gelegenen Platze, der Comitium hiess, dem Sitzungslocale des vorher erst nach günstigen Anzeichen (Augurien) die Genehmigung ertheilenden Senats. Dionys. Halic II, 6. Sie beschäftigte sich mit der Wahl der höchsten Würdenträger, üebertragung der Executivgewalt, lex de imperio, Priesterinstallation, Entscheidung über Krieg und Frieden, Criminalgerichtsbarkeit, Adoption (s. Gell. V, 19, 1 NB), Arrogation (s. Gell. V, 19, 8 NB) und Testamenten (s. GeU. XV, 27, 3 NB). Um die verschiedenen Bacen zu verschmelzen, theilte die Politik der Könige das gemeine Volk in Corporationen (Plut Num. 17; Plin. h. n. 34, 1), ver- mehrte die Zahl der Tribus und veränderte dadurch ihre Veriassung. Servius Tullius richtete sich nicht, wie ehedem, nach der alten Eintheilung der durch den Ursprung unterschiedenen Tribus, sondern nach der der vier neuen, nach den Stadtvierteln bestimmten Tribus. S. Dionys. 4, 14. Um nämlich die Schranken niederzureissen , welche die verschiedenen Klassen trennten, erfolgte durch Servius Tullius eine Anerkennung der Plebes, d. h. man liess zur grossen Unzufriedenheit der vornehmeren Klassen Pleb^'er und Patricier eintreten und erhob Freigelassene zum Bange von Bürgern. Nun wurden die Staatsangelegenheiten durch comi* tia centuriata entschieden, in welchen das Volk nach Centurien

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(302) Xy. Buch, 27. Cap., § 5.

Vermögensabschätzung (census) und nach dem Alter geschah, hiessen sie Comitien nach Centurien (comitia centuriata) ; und wenn endlich nur (nach der Bodenabtheilung, regionibus, also) nach den verschiedenen Bezirken und Gegenden abgestimmt wurde, hiessen sie Comitien nach Tribus (comitia tributa, in

stimmte. Diese Yersammlungen auf dem Marsfelde ausserhalb des pomoe- rium (städtischen Friedensbezirks s. Gell. XIII, 14) hatten eine militärische Gliederung der römischen Bürgerschaft zum Zwecke. Sämmtliche B&rger vom 16. 60. Jahre stimmten hier unter Vorsitz der Consuln innerhalb der Vermögensklassen und Centurie. Diese Einftlhrung des Census und der Comitien nach Centurien war vom Servius Tullius ein Meisterst&ck von Staatsklugheit, und wurden dadurch die bisher unvermeidlichen Miss- bräuche, Ungleichheiten, Mängel und Gebrechen in der Staatsverfassung verbessert und abgestellt, dass dadurch den ärmeren Borgern Erleichterung verschafft wurde. Die Personensteuem erhob man nun nicht mehr gleich stark und die Werbungen und Kriegsbeiträge geschahen nach Centurien. Die Centuriae populi waren die 193 Centurien oder Abtheilungen, in welche Servius Tullius die 6 Klassen des römischen Volkes (576 v. Chr. 177 u. C.) theilte.

Die erste Klasse, mit Vermögen von 100,000 Asses, umfasste 98 Centurien, die übrigen Klassen umfassten insgesammt nur 95 Centurien. Die zu der ersten Klasse gehörigen römischen Bürger, als die reichsten, vornehmsten und angesehensten unter den Patriciem und Rittern (cfr. Gell. XIX, 8, 15) hiessen: classici (sc cives Gell. VI [VII], 13, 1).

Die zweite Klasse, mit 75,000 Asses Vermögen, lunfasste 22 Cen- turien, wovon zwei Centurien Waffenschmiede, Zimmerleute, Ingenieure und andere Werkleute waren.

Die dritte Klasse, mit 50,000 Asses, ebenfalls 20 Centurien.

Die vierte Klasse, mit 25,000 Asses, 22 Centurien, wovon zwei Centurien aus Musikern und Spielleuten bestanden.

Die fünfte Klasse, mit 12,000 Asses, SO Centurien. Diese fünf Klassen hiessen zusammen assidui (ansässig, wohlhabende, steuerpflichtige, vergl. Gell. XVI, 10, 8 NB) oder locupletes (die Wohlhabenden, vergl. Gell. X, 5, 2 NB), im Gegensatz zur

sechsten Klasse, welche bekanntlich nicht gezählt wurde, da sie die s. g. proletarios und capite censos, mit nur einer Comitie enthielt» bei denen man nur auf ihre Kopfzahl und dass sie da waren, sehen konnte. Am Tage der Comitien selbst bezog der dabei Vorsitzende Magistrat, nebst einem Augur, ein Zelt vor der Stadt, um die Auspicien £U beobachten. Waren die Auspicien günstig, dann wurden die Comitien gehalten, ausserdem mussten sie auf einen andern Tag verschoben werden (GelL XIU, 14). Vor Aufgang und nach Untergang der Sonne ward in denselben nichts mehr vorgenommen. Wenn also abgestimmt werden sollte, so ÜBuid sich jeder Bürger bei seiner Centurie ein, und das Loos

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XV. Buch, 27. Cap., §5.-28. Cap., § 1. (303)

denen das Volk tribusweise, ohne unterschied des Ranges und Vermögens stimmte). Die Centuriat-Comitien durften nicht innerhalb des Stadtbezirkes (pomoerium, vergl. Gell. Xni, 14) abgehalten werden, weil das (waifenfähige) Volk (exercitus) nur ausserhalb der Stadt berufen werden durfte, die Berufung innerhalb der Stadt aber nicht erlaub^ war. Deshalb pflegten die Centuriat-Comitien auf dem Marsfelde abgehalten und das (waffenfähige) Volk zur Besetzung des Wahlplatzes aufgefordert zu werden, des Schutzes und der Sicherheit halber (und wegen Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung), so lange das Volk beim Stimmabgeben be- schäftigt war.

XV, 28, L. Dass sich Cornelius Nepos irrte, da er schrieb, dass Cicero (erst) 23 Jahre alt gewesen, als er die Vertheidigung für den Sextus

Roscius führte.

XV, 28. Cap. 1. Cornelius Nepos, (bekannt) theils als ein gewissenhafter Sammler von geschichtlich denkwürdigen Notizen, theils als ein, mehr wie irgend wer, vertrauter

entschied, welche Genturie zuerst votiren sollte: und diese hiess dann: centuria praerogativa. Liv. 10, 13; 26,22. Endlich die com itia tributa, erhielten ihren Namen von der Gliederung durch geographische Abtheilung des römischen Gebietes, d. h. von den localen Tribus, in welche Servius TuUius Stadt und Land getheilt hatte. Alle in den Tribus eingeschrie- benen Bürger waren berechtigt, diese Comitien zu besuchen, also Patricier und Plebejer, je nachdem sie zu der betreffenden Tribus gehörten, während sie bei den Genturiatcomitien nach dem Gensus (Yermögensabschätzung klassificirt und) geordnet waren. Die Patricier besuchten die Tribut- comitien selten, weil sie hier keinen Einfluss hatten. Die legislative Be- fugniss, anfangs auf locale Gemeindeinteressen beschränkt, wurde später durch die lex Valeria (449 v. Chr.), lex Publilia (S39 v. Ghr.) und lex Plortensia (286 v. Ghr.) auch auf widitige Angelegenheiten ausgedehnt

XV, 27, 5. Lange röm. Alterth. § 59 p. (343) 408: „wenn die comitia centuriata als exercitus romanus (Varro L 1. 5, 88) oder einfach (wie hier § 5) als exercitus (vergl. Liv. 39, 15; Paul, unter justi p. 103; Macrob. I, 16, 15; Serv. ad Aen. 8, 1) bezeichnet werden, so folgt hieraus, dass die Heeresordnung ursprünglich für die Form der Gomitien massgebend war."

XV, 28, 1. Gomelius Nepos aus Oberitalien, befreundet mit Atticus, Gicero und seinem jüngeren Landsmann CatuUus. S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 195, 3.

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(304) XV. Buch, 28. Cap., § 2-4.

Freund des M. Cicero. 2. Dieser hat sich trotzdem im ersten Buche seiner Schriften, welche er über das Leben desselben schrieb, offenbar einen Irrthum zu Schulden kommen lassen, wenn er angiebt, dass Cicero im Alter von 23 Jahren seinen ei:sten Prozess vor dem öifentlichen Gericht geführt, und die Verthwdigung von dem des Vatermordes angeklagten Sextus Roscius übernommen habe. 3. Denn wenn man freilich die Jahre zusammenzählt, vom Amtsantritt des Q. (Servilius) Caepio und des Q. (Attilius) Serrano, unter deren Consulate M. Cicero am 3. des Monats Januar das Licht der Welt erblickte, an gerechnet bis zum Consulate des M. Tullius und Cn. (Cornelius) Dolabella, unter denen er seinen Privatprozess für den Quintius vor dem Richter Aquilius Gallus führte, so ergeben sich (allerdings) 26 Jahre. Es ist aber ausser allem Zweifel, dass er, ein Jahr nach der für den Quintius gefühlten Vertheidigung (im J. 673 d. St. oder 81 v. Chr., in seinem 26. Lebensalter) den des Yateimordes angeklagten Sextus Roscius (im J. 674 d. St.) unter dem Consulate des Luc. (Cornelius) Sulla Felix (d. Glücklichen) und des Q. (Caecilius) Metellus Pius*) (d. Pflichtgetreuen) ver- theidigte und also schon 27 Jahre alt war. 4. Pedianus Asconius bemerkt, dass in dieser Beziehung sich auch Fenestella geirrt habe, weil sich bei ihm die Angabe ge-

XY, 28, 2. lieber Cicero's Lebensbeschreibung vom Comel. s. Teuffels röm. Lit Gesch. 195, 4, 5.

XV, 28, 3.- Gajus Aquilius Gallus, Schüler des Oberpriesters Q. Mutius Scaevola, Cicero's CoUege in der Quaestur und sein Freund, zeichnete sich als Rechtskenner und Redner aus. S. Cic. P. Quintius 1; Aul. Caedn. 27; Brut. 42; de offic. m, 14; vergl. Val. Max. VHI, 2, 2; Teuffels röm. Lit. Gesch. 151 und 171, 1.

XV, 28, 3. *) Q. Metellus Pius, weil er mit Bitten kindlicher Liebe die Rückkelu* seines Vaters betrieb, war der Sohn des Q. Gaedlius Metellus Numidicus s. Gell. I, 6, INB; App. b. c. 1, 33; Diod. 36, 9; Aurel. Vict. 63; Vell^. 2, 15; Dio C. Fr. 95 B.; Cic de or. U, 40, 167.

XV, 28, 4. Q. Asconius Pedianus, der berühmte Ausleger des Cicero, war zu Patavium geboren, schrieb unter Claudius und Nero und soll 88 n. Chr. gestorben sein. Seine Schriften sind verloren gegangen. S. Teuffels röm. Lit Gesch. 290, 2.

. XV, 28, 4. Lucius Fenestella, lebte unter Augustus und TiberiuB, schrieb Annalen, die den Zeitraum von der Eönigszeit an bis zum Unter-

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XV. Buch, 28. Cap., §4—7.-29. Cap., § 1. 2. (305)

schrieben findet, dass Cicero im 26. Jahre seines Alters fttr das Interesse des Sextus Boscius gesprochen habe. 5. Grösser aber ist der In*thum des Nepos, als der des Fenestella, wenn man sich nicht (etwa die Möglichkeit) zu Gemüthe führen will, dass Nepos, (nur) bewogen durch den Eifer der Liebe und Freundschaft (für Cicero), und um seine Bewunderung (für denselben) in ein noch helleres Licht zu stellen, (ab- sichtlich) 4 Jahre weniger angegeben habe, um glauben zu machen, dass (sein Freund) Cicero diese blühendste Bede für den Boscius als ganz junger Mensch gehalten habe. 6. Dieser Umstand ist sogar von den Verehrern beider (grossen) Bed- ner ins Auge gefasst und niedergeschrieben worden, dass Demosthenes ,• wie Cicero in gleichem (Jugend-) Alter die berühmtesten Beden in Bechtssachen gehalten haben, (De- mosthenes) der Eine in seinem 27. Jahre gegen Androtion und Timocrates, und der Andere (Cicero) sogar noch um ein Jahr jünger (in einem Alter von erst 26 Jahren) die für den P. Quintius und in seinem 27. Jahre die für den Sextus Boscius. 7. Auch in der Zahl der Jahre, die Beide erlebten, ist kein allzugrosser Unterschied, denn der Eine (Cicero) wurde 63 Jahre und Demosthenes 60 Jahre alt.

XV, 29, L. Welcher nngebräuchlich neoen Wortfügung sich der Geschichts- schreiber L. Piso bedient hat.

XV, 29. Cap. 1. Wenn man sagen will : ich heisse Julius, so giebt es folgende zwei hinlänglich bekannte und gebräuch- liche Bedewendungen, man sagt entweder: mihi nomen est Julio, oder mihi nomen est Julii. 2. Eine dritte, wirklich

gang der Republik umfassten und von römischen Schriftstellern oft genannt werden (Plin. H. N. 33, 6). Er starb hochbejahrt, 21 n. Chr. s. Sen. ep. 10, 8, 31. Die unter seinem Namen herausgegebene Schrift über die Priester- und Staats -Aemter der Römer (de sacerdotiis et magistratibus Romanorum) ist ein späteres Machwerk des 15. Jahrh. (Ph. H. Eülb.). S. Teuffels röm. Lit. Gesch. 254, 3.

XV, 29, L. Ueber L. Calpumius Piso s. Gell. VU (VI), 9, 1 NB.

XV, 29, 1. In der Construction : mihi nomen est u. s. w. richtet sich der Name selbst nach dem Dativ, in welchem die zu benennende Person oder Sache steht und wird nicht als nähere Bestimmung von „nomen**

G eil i US, Attische N&cbte. II. 59.„„ byGoO^IC

(306) XV. Buch, 29. Cap., §2.-80. Cap., § 1. 2.

ganz neue Wendung habe ich bei Piso im 2. Buche seiner Jahrbücher gefunden. Die betreffende Stelle bei Piso lautet: „Sein College L. Tarquinius sei in Sorge, weil er den Namen Tarquinius führe (Tarquinio nomine esset) und er bitte ihn, dass er sich aus freiem Antrieb sofort nach Bom begeben möge.^ £r sagt: quia Tarquinio nomine esset, das ist gerade so, als ob ich sage: mihi nomen est Julium (ich heisse Julius oder ich führe den julischen Namen).

XV, 30, L. Der^Aosdrack : petorritum, als Bezeichnung fiir eine (gewisse) Wagengattung, welcher Sprache er angehört, ob der griechischen oder der

gallischen.

XV, 30. Cap. 1. Alle die durch einen anderen Lebens- benif (gleichsam bereits) abgenutzt und vertrocknet, sich erst später*) auf das Studium der Wissenschaften legen, wenn sie noch dazu von Haus aus schwatzhaft und naseweis sind, werden gar sehr leicht im Prahlen mit ihrem (bischen, spät noch aufgerafften) Wissen läppisch und fad. 2. Von der Art

selbst flectirt, z. B. Sallust Jag. 5 Sdpioni cognomen fiiit Africano. Dichter und Spätere geben dem Namen als Attribut eine Adjectivform, wie hier bei Piso: sum nomine Tarquinio. Das logische Verhältniss des Namens selbst erfordert eine grammatische Beziehung desselben auf „nomen". Der Name steht also im attributischen Verhältniss zu „nomen*^ und richtet sich nach dem Casus dieses Wortes. So z. B. Cic. in Yerr. lY, 53, 118: Fonti nomen Arethusa est. In Folge einer Attraction steht in gewissen FäUen ein Wort in attributischer Beziehung und der dieser Be- ziehung entsprechenden Congruenz in einem Worte, zu welchem es seinem Begriffe nach kein Attribut ausmacht, wie z. B. in der]Bedensart est mihi nomen, indem der Name auf den Dativ der Person gezogen, und selbst in Dativ gesetzt wird; also mihi nomen est Julio. Selten ist eine Abhängig- keit des Namens von nomen im (attributiven) Genitiv, z. B. mihi nomen est JuliL Plaut Amph« Prol. 19 nomen Mercurii mihi est Doch findet sich diese Construction ganz regelmässig, wo das Praedicat nicht blos aussagt, wer den Namen fiUire. Wir sagen: das Wort Frömmigkeit, der Lateiner nicht, sondern nomen pietatis gravissimum est Cic. Fam; I, 9, 1. hinc nomen ductum est amicitiae Cic. Fin. II, 24, 78. Ebenso selten erscheint der Name da, wo nomen nicht Nominativ ist, ganz unflectirt, wie ein Indeclinabile, z. B. Ov. Metam. 15, 96 vetns illa aetas, cui fecimus aurea nomen.

XV, 30, 1. *) Vergl. Gell. II, 7, 8 oxpifxad^Ca.

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XV. Buch, 80. Cap., § 2-7. (307)

war allerdings auch jener (abgeschmackte) Mensch, der neulich über den Ausdinick „petorrita^ (d. h. eine Art offener, gallischer Wagen) sein spitzfindiges Geschwätz vernehnien liess. 3. Denn als man die aügemeine Frage aufstellte, welche Gestalt ein solcher Wagen, den man „petorritum** nennt, habe und aus welcher Sprache das Woit herstamme, liess es sich dieser Mensch einfallen, nicht nur eine ganz andere und ganz falsche Beschreibung von der Gestalt und Bauart eines solchen Wa- gens zu erlügen, sondern auch zu behaupten, dass das Wort ein griechisches sei und erkläile (in seiner Afterweisheit), dass es (von Tthofiac, ich fliege und „rota", d. h. Rad gebildet sei und) daher „geflügelte Räder" bedeute. Seine Ansicht war also, dass das Wort petorritum (durch Verdoppelung des r und) durch Abänderung des einzigen Buchstaben (o in i) gleichsam aus petorrotum entstanden, 4. und behauptete, dass es so (auch) von dem Valerius Probus geschrieben worden sei. 5. Als ich deshalb sehr viele Bücher von den Abhandlungen des Probus durchgesucht hatte, fand ich weder darin irgend eine Andeutung geschrieben, noch glaube ich überhaupt, dass Probus irgendwo darüber etwas geschrieben habe. 6. Allein das Wort „petorritum" ist (durchaus) kein zweisprachliches Wort (dimidiatum i. e. vox hibrida), d. h. halb genommen aus der griechischen und halb aus der lateinischen, sondern ganz jenseits der Alpen entsprossen und ein ganz (echter, celtischer oder) gallischer Ausdruck. 7. Dies steht in des M. Varro 14. Buche seiner „Gebräuehe der Vorzeit in göttlichen (und menschlichen) Dingen" ; an welcher Stelle Varro, nachdem er über den Ausdruck „petomtum" gesprochen hat, auch noch die Bemerkung hinzufügt, dass auch das Wort „lancea" (Speer) kein celtisches, sondern ein spanisches Wort sei.

XY, 30, 2. petomtum, aus dem celtischen petoar, vier und rit, Bad, ein gallischer Wagen mit vier Rädern (unser Holsteiner). Viele Wörter kamen von Fremden, z. B. von Galliem, Spaniern, Puniem, mit den Sachen selbst nach Bom. S. Bemhardy R. L. 29, 111). Vergl. Gell. XX, 11, INB.

XV, 30, 8. petorritum s. Fest S. 206 \

XV, 80, 7. lancea s. Paul. 8. 118; Sisenna b. Non. 18, p. 564 sagt: es sei ein Gewehr der Sueven (Schwaben).

20*

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(308) XV. Buch, 81. Cap., § 1—4.

XV, 31, L. Was die Rhodier dem feindlichen Feldherrn Demetrius

(dnrch Gesandte) im Betreff jenes berühmten Bildes des Jalysus sagen

liessen, als sie (in ihrer Hauptstadt) von ihm belagert worden.

XV, 31. Cap. 1. Demetrius, ein berühmter Feldherr seiner Zeit, der durch seine (praktische) Kenntniss und Ge- schicklichkeit, eine Blokade ins Werk zu setzen, durch seine Ei*findsamkeit von Belagerungswerkzeugen, als Mittel zur Einnahme von Städten, den Namen Städte-Eroberer {noliOQ- Tctirrjg) erhielt, blokirte und berannte (einst) die in alten Zeiten so beiUhmte Insel Rhodus und hatte es vor Allem auf die ausserordentlich schöne und prächtige Hauptstadt ab- gesehen. 2. So ging er nun damals eben gerade damit um, bei dieser Belagerung einige öffentliche Gebäude, die sich ausser- halb der Stadtmauern mit schwacher Besatzung befanden, anzugreifen, zu zerstören und durch Feuer zu vernichten. 3. In einem von diesen Gebäuden befand sich jenes höchst merkwürdige, von der Hand des berühmten Malers Proto- genes angefertigte (Portrait-) Bild des (Fürsten) Jalysus, welches herrliche und vortreffliche (Kunst-)Werk der vom grimmen Neid erfüllte (Demetrius) den Bhodiem nicht gönnte. Die Rhodier schickten deshalb (in ihrer Besorgniss) Gesandte an den Demetrius mit folgendem wörtlichen Auftrag: 4. „Was in aller Welt kann Dich nur bestimmen , durchaus darauf zu bestehen, durch Inbrandsetzen der Gebäude dieses herrliche Kunstwerk in Asche zu legen und zu vernichten? Denn wenn Du uns vollständig besiegt und unsere Stadt ganz er- obert haben wirst, musst Du durch den Sieg ja ohnehin auch das (herrliche) Bild unversehrt und wohlerhalten in Deine Gewalt bekommen; solltest Du aber durch diese Berennung

XV, 81, L. Jalysus, Fftrst auf Hhodus, erbaute die Stadt Jalysus, die später ein TheU von Bhodus ward. Sein Bild von Protogenes s. Diodor. Sic. 5, 57; Strab. 14, 652; Plut. Demetr. 22 p. 898; regg. apophih. unter Demetr. ; Aelian v. h. 12, 41 ; Plin. h. n. 80, 10 ; Vitruv. X, 16.

XV, 81, 8. Protogenes, aus Kaunos auf Rhodos gebürtig, war Zeitgenosse und berOhmter Nebenbuhler des Apelles. S. Plin. 35, 86, 20 (37-42).

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XV. Buch, 81. Cap., § 4. 5. (309)

uns nicht zu überwinden im Stande sein, so bitten wir Dich, doch zu bedenken, wie es Dir doch durchaus nicht zum Ruhme gereichen kann, dass, weil Du uns Rhodier nicht durch (ehrlichen) Kampf hast besiegen können, Du den Krieg gegen den todten Protogenes (und gegen sein unschuldiges Meisterwerk) geführt hast.*' 5. Als er diesen Auftrag von den Gesandten vernommen hatte, stand er von der Blokade ab und liess Bild und Stadt in Ruhe.

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XVI. BUCH.

XVI, 1, L. AeuBserang des Philosophen Mnsonins, würdig und nützlich gehört und (als homanistischer Grundsatz) in Betracht gezogen zu werden ) femer, dass vor vielen Jahren derselbe Grundsatz, gleiche (löbliche und gemeinnötzliche Gesinnung rerrathend, (auch) vom M. Cato For Numantia den Rittern gegenüber ausgesprochen wurde.

XVI, 1. Cap. 1. Damals als ich noch ganz jung die Schulen besuchte, hörte ich (einst) folgenden (wörtlich) von mir beigefügten, griechischen, kurzgefassten Gedanken (iv^vfif]- fiaTiov\ der fQr einen Ausspruch des Musonius galt; weil ich ihn für einen wahren und trefflichen Grundsatz halte und er in kui'zen und abgerundeten Worten zusammengefasst ist, so vergegenwärtige ich mir ihn unendlich gem. 2. Er lautet: „Wenn Du etwas Löbliches mit Mühe thust, so wird die Mühe (schwinden und) yergehen, aber der Ruhm der löblichen That wird (Dir) verbleiben; wenn Du aber etwas Böses mit Vei'gnügen vollbringst, so wird zwar das Vergnügen schwinden, aber die Schande Deiner bösen Handlung wird (Dir) ver- bleiben.'^ 8. Später habe ich ganz denselben Gedanken (des alten griechischen Philosophen Musonius in lateinische Worte gekleidet) in der Rede des Cato geschrieben gelesen, welche er zu Numantia (559) an die (lockern, adligen jungen) Herren

XVI, 1, 1. üeber Musoniiis b. GelL V, 1, 1 NB.

XVI, 1, 8. Numantia, die berühmteste Stadt in Geltiberien (temr con. HiBpanien), aof fiist onzagftnglichen Felsen erbaat und trotzdem durch Scipio d. J. 183 v. Chr. erobert S. Appian. b. Hisp. 6, 48 98. Auf ihren TrOmmem erhebt sich Paente de Don Gnarray (d» Soria). Der noch nicht 40jährige Consul M. Cato woUte durch den mosonischen Sprach den aasgelassenen Beiterjunkem eine ernste, wohlgemeinte Er- mahnong ertheilen and ihnen ins Gewissen reden.

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XVI. Buch, 1. Cap., § 8. 4. - 2. Cap., § 1—4.'' (311)

i seiner Reiterei hielt. Obgleich derselbe Gedanke ein wenig

weitläufiger und nicht mit so kui-zen Woi-ten ausgedrückt ist, als wie jener von mir angeführte, griechische, so dürfte er trotzdem nicht weniger achtunggebietend erscheinen, zumal er einer früheren Zbit angehört imd sehr altehrwürdig ist. 4. Die Stelle aus der Bede lautet also: „Erwägt (dies ja) in eurer Seele: wenn ihr mit Anstrengung etwas (recht und) gut gemacht habt, so wird jene Anstrengung bald von euch entweichen (und schnell vergessen sein), die gute That aber wird, so lange ihr lebt, nicht verschwinden: dagegen wenn ihr aus Hang zum Vergnügen (und zur Wollust) schlechte Streiche gemacht habt, so wird die Wollust schnell von dannen gehen; aber jener schlechte Streich wird ewig bei euch ver- bleiben."

XYI, 2, L. Welche Regel die Dialektiker bei den Streitfragen und dia- lektischen Dispntirübungen anfstellen nnd was für einen Fehler dieses

Gesetz enthalte.

XVI, 2. Cap. 1. In der Dialektik soll es Regel sein, wenn über irgend einen Gegenstand eine Frage vorgelegt und darüber gestritten wird, und man auf das Antwort geben soll, was man gefragt wird, dann soll man nichts weiter sagen, als das allein, um was sich die (Beantwortung der) Frage dreht, und also entweder (nur) mit ja, oder nein antworten; denn die sich nicht genau an diese Regel halten und entweder mehr oder anders antworten, als sie gefragt worden sind, gelten für ungebildet und unwissend und (werden sofort als solche verschrieen), welche die (nöthigen) Regeln und das Verfahren einer wissenschaftlichen Erörterung nicht verstehen und inne haben. 2. Diese von den Dialektikern aufgestellte Vorschriftsmassregel muss zweifelsohne bei sehr vielen Streit- übungen wohl beobachtet werden. 3. Denn als unbestimmt und unentwirrbar muss sich eine (jede) gelehrte Unterredung herausstellen (und wird dabei des Streitens kein Ende wer- den), wenn man sich bei Fragen und Antworten nicht an einfache, genaue Bestimmungen würde halten wollen. 4. Allein es scheinen (ausnahmsweise doch auch wieder) Möglichkeits- fälle gegeben, bei denen, wenn man ganz kurz (d. h. nur mit ja oder nein) auf die vorgelegte (verfängliche) Frage ant-

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(312) XVI. Buch, 2. Cap., §4—10.

Worten wollte^ man (unbedingt überführt und) gefangen sein würde. 5. Denn gesetzt, es steUte Einer wörtlich folgende Frage: Ich verlange von Dir eine (kurze, bündige) Antwort: „Wüi*dest Du (wohl abgelassen und) au^ehört haben Ehe- bruch zu begehen, oder nicht?" und Du wolltest nach dem Gesetze der Dialektiker Dich nur dieser beiden, entweder der bejahenden oder der verneinenden Antworten bedienen, so wirst Du sofort in diesem Fangschlusse festsitzen (indem man dann Deine bejahende oder verneinende Antwort auch gleich in dem Sinne aufgreift), gleich als ob Du Dich (im Allgemeinen) zu dem Verbrechen des Ehebruchs bekennst [. . . . (und dass Du Dich nun von dieser Beschuldigung ganz

frei sprechen kannst) ] wird man sofort bei der Hand

sein in Abrede zu stellen. (Die in der Frage fehlende Vor- aussetzung müsste also eigentlich unbedingt noch ergänzt werden). 6. Denn wer etwas zu begehen, nicht aufhört (weil er es noch nicht angefangen hat), braucht dies nothwendiger Weise ja überhaupt immer noch gar nicht gethan zu haben;

7. es ist also die Ait und Weise dieses Trugschlusses fehler- haft und wird keineswegs so weiter (logisch) fortschreiten können, dass gefolgert und der Schluss gezogen werden kann, einer (bei dem die Annahme eines solchen Verbrechens gar nicht vorliegt) begehe Ehebruch, der zugesteht, nicht auf- gehört zu haben ihn zu begehen (blos weil er auf die ihm vorgelegte Frage, eine einfach verneinende Antwort gab).

8. Was aber werden femer die Vertheidiger obiger Regel bei jenem kurzen Trugschluss angeben, bei dem sie sich unbedingt gefangen geben müssen, im Fall sie auf die ihnen gestellte (verfängliche) Frage mit nicht mehr (als mit ja oder nein) antworten wollten? Denn gesetzt ich legte einem von ihnen die Frage vor: 9. „Was Du nicht verloren hast, hast Du das, oder hast Du es nicht? ich verlange jedoch, dass Du nur mit ja oder nein antwortest" ; so wird jeder, der ganz kurz eine dieser beiden Antworten giebt, sofort überlistet und gefangen sein. 10. Denn wird von ihm in Abrede gestellt, dass er nicht habe, was er nicht verloren hat, so ist man sofort dabei, den Schluss zu ziehen, dass er keine Augen habe, weil er sie

XVI, 2, 10. VergL GeH XVm, 2, 9; Senec. ep. 45, 7 u. 49, 8.

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XVL Buch, 2. Cap., § 10—13. ~ 3. Cap., § 1—3. (313)

nicht verloren hat; im Fall er aber zugestanden hat, dass er (noch) habe, was er nicht verloren hat, so folgt sogleich der Schluss, er habe Homer, weil er sie nicht verloren habe. 11. Man wird daher bestimmter und vorsichtiger etwa also antworten müssen: „Was ich gehabt, habe ich (noch), wenn ichs nicht verloren habe.** 12. Freilich entspricht eine solche Antwort dann nicht der von uns oben erwähnten (dialek- tischen) Vorschrift, denn die Antwort fallt dabei länger aus, als derjenige erwartete, welcher die Frage (mit seiner Ab- sichtlichkeit) steUte. 13. Deshalb wird gewöhnlich der obigen Regel nach der Zusatz beigesellt, man solle auf (solche ab- sichtliche) verfängliche Fragen (lieber gar) nicht antworten.

XVI, 3, L. Auf welche Weise, nach dem Aussprach des (alten, berühmte n) Arztes Erasistratns es möglich wird, bei zuföUigem Mangel an Speise, eine Zeitlang die Nahrangsenthaltung ertragen und den Hunger überwinden zu können und die betreiTende Schriftstelle des firasistratus über diesen auf- gestellten Satz.

XYI, 3. Gap. 1. Ich war zu Rom sehr oft mit dem Favorin ganze Tage lang zusammen, so fesselte dieser Mann mit seinem ausserordentlichen Redezauber air meine Sinne und Gedanken, und wohin er auch gehen mochte, da begleitete ich ihn, gleichsam von seiner Rede vollständig gefangen ge- nommen; so schmeichelte er sich durch seine höchst ein- nehmenden Gespräche ein. 2. Als er einst zu einem Kranken gegangen war, um daselbst einen Besuch abzustatten, wohin ich ihn ebenfalls begleitet hatte, und er dabei Vielerlei über den Gesundheitszustand (des Patienten) zu den damals daselbst gerade anwesenden Aerzten in griechischer Sprache*) gesagt hatte, hörte ich ihn noch folgende (interessante) Aeusserung thun: „Ja nicht einmal das darf uns wunderbar vorkommen, dass der Kranke, obgleich er vorher immer Appetit zum Essen hatte, jetzt nach auferlegtem, dreitägigem Fasten, seine frühere Esslust ganz verloren hat. 3. Denn, fuhr er fort, die schriftliche Bemerkung, welche uns Era- sistratns hinterliess, ist doch so ziemlich richtig, (dieser

XYI, 8, 2. üeber Favorin s. GelL I, 3, 27 NB. Er sprach meist griechisoh, yergl. GelL n, 26, 7; XIU, 25, 4; XIV, 1, 32.

XYI, 8, 8. Erasistratos, sehr berühmter griechischer Arzt (300

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(314) XVI. Buch, 8. Cap., § 3—8.

sagt nämlich:) den Hunger bewerkstelligen die leeren, schlappen Eingeweidefibem , das Eingefallensein des Leibes inwendig, das Leerheitsgefühl und Elafifen des Magens. Sind nun alle diese Theile (d. h. Eingeweide, Leib, Magen) ent- weder mit Speise gefüllt, oder durch anhaltende Enthaltsam- keit zusammengezogen und sie haben sich geschlossen, so wird, wenn der Ort (der Magen), in den die Speisen aulgenommen werden, entweder (durch Nahrung) angefQllt, oder (durch Enthaltung der Nahrung) zusammengezogen wurde, auch der Trieb, Nahrung zu nehmen oder zu ver- langen, gedämpfL^ 4. Nach der Angabe desselben Erasistra- tus, fuhr Favorin fort , sollen auch die Skythen,- wenn es die Nothwendigkeit erheischt, ihren Leib fest mit Binden ein- geschnürt haben, um den Hunger länger zu ertragen. Durch dieses Einschnüren des Unterleibs glaubte man die Ess- begierde vertreiben zu können. 5. Diese höchst ansprechen- den Bemerkungen und noch viele andere der Art gab damals Favorinus zum Besten ; 6. Als ich aber später des Erasistratus erstes Buch von den Absonderungen (diaiQiaewv) las, fand ich in dem Buche die Schriftstelle selbst vor, welche ich von Favorin hatte anführen hören. 7. Die darauf bezügliche Stelle des Erasistratus lautet wörtlich also: „Wir glaubten daher, dass in Folge des heftigen Zusammenschnürens des Unterleibes der Hunger sehr stark sein müsse; denn auch die, welche sich vorsätzlich eine massige Kost (langes Fasten) auferlegen, befällt wohl im Anfang ein (heftiges) Hungergefühl, später aber nicht mehr." 8. Dann heisst es weiter unten: „Auch die Skythen haben die Gewohnheit, wenn sie aus ge-

Y. Ghr.\ aus Julis auf Eeos, war ein Enkel des Aristoteles, durch dessen Tochter. Einige Zeit am Hofe des Seleukus Nikator, heilte er den könig- lichen Prinzen Antiochus. Er drang bei seiner Heilmethode auf die strengste Diät, 'indem er den Grund aller Krankheiten in dem üebeifluss an Nahrungsstoff suchte. S. Flin. h. n. 29, 3. Die Verrichtungen des (Gehirns und der Nenren unterzog er seiner besonderen Beobachtung, und machte dabei höchst wichtige Entdeckungen. Ausserdem schrieb er noch „über Gesundheitslehre (ne^l rwr vyuivtSvy und über Lfthmungen (ttc^I ri3v nagiattov), Yal. Max. Y, 7 extr. 1. Wie sein Lehrer Chrysippus aus Enidos hielt er sehr wenig vom Aderlassen und Purgiren. FGür seine Heilung des Antiochus soll er nach Plinius 100 Talente (140,000 Thlr.) bekommen haben.

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XVL Buch, 8. Cap., § 8—10. - 4. Cap., § 1. (315)

wissen Umständen sich zu fasten zwingen, dann den Unter- leib mit breiten GOrteln sich zusammenschnüren, damit sie so der Hunger weniger belästige. So lange nun der Leib ziemlich voll ist, hört deshalb darin auch das Hohlheitsgefühl auf, deshalb spüren sie auch keinen Hunger, so lange nun also der Leib zusammengepresst bleibt, hat er kein Leerheits- gefühl. ^ 9. In demselben Buche sagt Erasistratus, dass eine gewisse unerträgliche Wirkung vom Hunger, welche die Grie- chen „Heisshunger (ßovXifiog und ßovTtea'a, i. e. Fressgier)** nennen, bei sehr kalten Tagen viel leichter vorkomme, als wenn es heiter und ruhiges Wetter ist, und er gesteht, dass die Ursachen eines solchen Zustandes, warum ein deraiüges Unwohlbefinden meist bei solcher (kalter) Witterung eintrete, ihm bis jetzt noch nicht klar geworden sei. 10. Die Stelle, worin er dies Bekenntniss ablegt, lautet also: „Zweifelhaft bleibt es immer und bedarf noch sehr der Untersuchung, so- wohl bei diesem, wie bei dem Heisshungrigen, wamm diese Erscheinung mehr bei kalten Frosttagen, als bei warmer Witterung eintritt.**

XYI, 4, L. Unter welchen Förmlichkeiten und mit welcher ausdrucklichen Formel der Kriegsherold (fetialis) des römischen Volkes den Krieg denen anzukündigen pflegte, mit denen, nach dem allgemeinen Beschluss des römischen Volkes, ein Krieg angefangen werden sollte; weiter noch (Bericht), wie die abgefasste Eidesformel wörtlich lautete in Bezug auf die unter den Soldaten bei Strafe verbotenen Diebstahle; ferner wie die aus- gehobenen Soldaten vor Verlauf des vorherbestimmten (Stellungs-)Tages an einem bestimmten Orte sich einzufinden hatten, ausgenommen bei ge- wissen (besonders namhaft gemachten £nt8chuldigungs-) Gründen , wegen deren dieser (Fahnen-)£id nach Recht und Billigkeit nachgelassen wurde.

XVI, 4. Cap. 1. C. Cincius (Alimentus) schreibt im 3. Buche (seines Werkes) „über das Kriegswesen**, dass.

XYI, 8, 9. Siehe Therapentik des Alexander TraUianas YIII, 6; Aristot probl. sect YIII, 5; Hippocrat aphorism, Sect. III, 12; yergl Xenoph. Anab. IV, 5, 7.

XYI, 4, L. S. Bein, Fetiales, in Panly's Realencyklopftdie Bd. 8. Stattgart. 1844. S. 466. Fetiales, Bundespriester ond Eriegsherolde, denen die Aufrechterhaltong des Yölkerrechtes äobUig. Ihr CoUeginm bestand aas 20 Priestern, deren Geschäfte waren: Waffenstillstand zn schliessen, Genugthuang zn fordern (res repetere) und Bündnisse za

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(316) XVL Buch, 4. Cap., § 1. 2.

wenn der Kriegs- und WaflFenherold (fetialis) den Feinden den Krieg ankündigte, er (bei dieser Gelegenheit) einen Wurfspiess (über die Grenze) nach dem feindlichen Gebiete warf und sich dabei folgender ausdrücklicher Formel bediente: „Weil das hermundulische Volk und die Männer des hermundulischen Volkes gegen das römische Volk den Krieg begonnen und sich (gegen dasselbe) vergangen habeU; und weil das römische Volk gegen das hermundulische Volk und die Männer des hermundulischen Volkes den Krieg (ausdrücklich) beschlossen hat: so kündige deshalb ich und das römische Volk dem hermundulischen Volke und den hermundulischen Männern den Krieg an und beginne ihn/ 2. So steht auch in eben dieses Cincius 5. Buche „über das Kriegswesen'^ Folgendes geschrieben: „Wenn vor alten Zeiten eine Aushebung statt- fand und die Soldaten eingeschrieben wurden, liess sie der Kriegstribun einen Eid (der Treue) auf folgende aus- drückliche Formel leisten : „In der Armee unter dem Befehl des Consuls G. Laelius, des Sohnes von G. (Laelius) und d^ Consuls L. Gornelius, des Sohnes von P. (Gomelius) und auf 10,000 Schritte im Umkreise (des Lagers) sollst Du keinen vorsätzlichen Diebstahl begehen; weder allein noch mit Meh- reren, über den Werih eines Silberstückes (Denar, nummus) auf den einen Tag; ausser einer Lanze, einem Lanzenschaft (einigen Stückchen Holz), einer Rübe, Futter, einem Schlauch,

schliessen. Ihr Yorsteher, Oberherold, Oberbandespriester, hiess pater patratiiA (Eidesvater). S. DioDys. II, 72; Liy. I, 24; Yarro 1. 1. Y, 86; Plntarch. Gamill. 20; Härtung Relig. der Römer 2, S. 267 ff.; Göttlings Gesch. der röm. Staatsverfl S. 195 ff.

XYI, 4, 1. C. Gincins Alimentus, lebte zur Zeit des 2. panischen Krieges, in welchem er gleich anfangs in karthagische Gefangenschaft ge- rieth. Liv. 21, 88. Er war ein höchst gebildeter Staatsmann und vonEüglichar Annalist Livius nennt ihn einen äusserst sorgfältigen Forscher. Seine Annalen, reich an antiquarischen Notizen, waren griechisch geschrieben. Yon anderen Werken kennt man noch die Au&chriften: „Yon der Pflicht des Rechtsgelehrten" ;- „vom Kriegswesen"; „von der Gewalt derConsuln"; „über den Leontiner Gorgias". Macrob. Sat I, 12; U, 9. Yergl. Bemh. B. L. 101, 485; aber besonders Teuffels röm. Lit Gesch. 116, 4.

XYI, 4, 1. üeber diese jüngere und dann über die ältere Kriegs- erklärungsformel (vergl. Liv. I, 24. 82. 88), wo neben dem Yolke auch der Senat erwähnt wird, s. Lange röm. Alterth. § 128 S. (516) 560.

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XVI. Buch, 4. Cap., § 2—5. (317)

Blasebalg oder einer Fackel, sollst Du Alles, was Du gefunden oder aufgehoben hast, was nicht Dein sein sollte und mehr als einen Silberdenar an Werth beträgt, an den Consul C. Laelius, den Sohn des C. (Laelius), oder an- den Consul Lucius Cornelius, den Sohn des P. (Cornelius) ausliefern, oder zu dem bringen, wohin einer von diesen Beiden es Dir (zu tragen) befehlen wird, oder Du wollest innerhalb der nächsten drei Tage anzeigen, was Du ohne diebische Absicht gefunden oder aufgehoben, oder es dem rechtmässigen Be- sitzer, dem dies nach Deiner Meinung gehört, zurückgeben, wie Du glaubst, dass es recht gethan sei."" 3. „Den aus- gehobenen Soldaten wurde sonach ein Tag voraus bestimmt, an welchem sie sich stellen und dem Consul bei ihrem Na- mensaufi-uf antwoi-ten sollten; 4. dann wurde ihnen ein Eid abgenommen, dass sie sich stellen wollten unter Hinzufügung folgender Ausnahmefälle: „„Wenn nämlich nicht etwa einer von den folgenden Entschuldigungsgründen einträte : Leichen- bestattung eines (nahen) Anverwandten, oder die zehn Tage des Sühnungsfestes bei der Familientodtenfeier (feriae denicales), wofern sie nicht gerade (absichtlich) auf diesen Tag (seines Eintreffens im Dienst) verlegt worden sind, nur damit er sich an demselben nicht einzufinden brauche; femer die fallende Sucht (morbus sonticus), oder eine Vogelschau, die man ohne Sündenschuld nicht verabsäumen durfte; oder ein jährliches Opferfest, was nur gerade an diesem Tage nach Vorschrift vorgenommen werden darf; Gewalt oder Feindes- überfall; ein mit dem Gegner festgesetzter oder bestimmter Gerichtstag: wenn bei Einem einer dieser Gründe eintritt, dann soll er am Tag nach selbigem Tage, wo ein solcher Gnind ihn abhielt, kommen und sich bei Dem melden, welcher in seinem Orte, Gaue oder seiner Stadt die Aushebung vor- genommen hat."" 5. Ebenso findet sich auch noch folgende Stelle in demselben Buche: „Wenn ein Soldat sich an dem ihm vorher bestimmt angesagten Tage nicht stellte und sich

XVI, 4, 4, ^feriae denicales (von de-nex den Tod betreflfend) Todtenfest zu Ehren eines Verstorbenen angeordnet, an dem sich die hinterbliebene Familie durch Todtenopfer reinigte. Morbus sonticus (comitialis), i. e. Epilepsie, welche die Comitien verhinderte s. Festus unter prohibere. Gell. XX, 1, 27; Plut. Timaeus 85, B heilige Krankheit.

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(318) XVI. Buch, 4. Cap., § 5. 6. 5. Cap., §1—3.

auch nicht hatte entschuldigen lassen, wurde als (infrequens) flauer Dienstversäumer (und fahneneidbrüchiger Deserteur, Ausreisser) angegeben." 6. Ebenso steht im 6. Buche Fol- gendes geschrieben : „Die Reihen der Reiterei bei dem Heere wurden Flttgel (alae) genannt, weil sie um die grösseren Heeresabtheilungen (legiones) zur Rechten und Linken, gleich wie die Flügel an den Leibern der Vögel ihren Platz ein- nahmen. Jede Legion bestand aus 60 Genturien (d. h. 6000 Mann), 30 Manipeln (jede aus 200 Mann), 10 Gehörten (jede aus 600 Mann).

XVI| 5, L. Was das Wort: „vestibalam^^ bedeutet nnd über die (vielfachen) Erklämngsarten dieses Ansdracks.

XVI, 5. Gap. 1. Es giebt sehr viele Wörter, deren man sich im gewöhnlichen Leben bedient, ohne jedoch mit völliger Klarheit sich bewusst zu werden, was sie so recht eigentlich und der Sache gemäss bedeuten. Allein indem wir dabei einer unbekannten und allgemein überkommenen Ueber- lieferung, ohne vorhergegangene genaue Erwägung folgen, bil- den wir uns (oft) vielmehr nur ein, das zu sagen, was wir be- absichtigen, als dass wir es (wirklich) sagen. So geht es auch mit dem Wort: „vesubulum", dem wir in der Unterhaltung häufig begegnen, und was jedoch (sicher noch) nicht von Allen, die sich dessen so ohne Weiteres bedienen, genug geprüft wurde. 2. Ich habe nämlich bei einigen, keineswegs ungelehrten Männern die Meinung vorgeftmden, das Wort: „vestibulum" bezeichne den vorderen Theil des Hauses, den man gemeiniglich: Haushalle (atrium) nennt. 3. G. Aelius Gallus sagt im 2. Buche „über die Bedeutung der auf das bürgerliche Recht bezüglichen Wörter" : dass das „vestibulum"

XYI, 4, 6. Infrequens s. Fest v. infrequens; Serv. zu Yerg. Aen. 4, 121; 9, 604.

XYI, 4, 6. Die römische Legion bestand aus 4200—6000 Mann, wozu noch 800 Reiter kamen. Jede Legion hatte eiden Adler als Heeres- zeichen und wurde von einem Legaten befehligt; zwei oder mehrere Legionen standen unter dem Befehle eines Gonsuls oder Praetors. üeber manipulus vergl. Lange röm. Alterth. § 64 p. (889) 458. Manipulus (als Deminutiyum von manus) die kleinste militftrische ^Einheit bei der Heeres- gliederung ursprQnglich nicht aus 100 Mann bestehend.

XYI, 5, 8. üeber C. Aelius Gallus s. Teuffels röro. Lit. Gesch. 205, 4.

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XVL Buch, 5. Cap., § 8-7. (319)

nicht im Hause selbst sich befinde und nicht einen Theil des Hauses bilde, sondern einen leeren Raum vor der HausthOre Torstelle, über welchen'*') hinweg der Eingang von der Strasse her und der Zugang ins Haus bewerkstelligt wird; rechts und links vor der Thüre und dem Hause (also : bis an die Hausthür und den Palast) befinden sich zwei bis an die Strasse reichende Flügel und die ThOr selbst ist von der Strasse weit ab(geschlossen) und der leere Hofraum liegt da- zwischen. 4. Es ist schon oft die Frage aufgeworfen worden, woher das Wort seinen Ursprung habe; was ich aber in Schriften darüber gelesen habe, ist mir fast Alles ungereimt und abgeschmackt vorgekommen. 5. Was ich jedoch mich erinnere vom Sulpicius Apollinaris, einem Manne von gründlichem Wissen, gehört zu haben, ist ohngefähr der Art: die Partikel „ve**, wie auch noch einige andere*), be- deutet bald eine (BegriflFs-)Erweiterung, bald eine (Begriflfe-) Verminderung. 6. Denn von (den beiden Wörtern) „vetus" und vemens ist das eine von der Erweiterung des Altersbegriffes gebrauchte „vetus^ aus „ve" und „aetas*^ zusammengesetzt und syncopirt (d. h. durch Auslassung des a entstanden), das andere vemens (aus ve und mens gebildet) wird (gleichsam a mentis vi et impetu, also) von der Gewalt und dem Ungestüm des geistigen Charakters gebraucht. Das aus der Partikel ve und esca (Speise, Nahrung) zusammengesetzte: vescus nimmt beide wesentlich vei'schiedene (und entgegengesetzte) Bedeutungen an. 7. Denn in einem andern Sinne sagt Lucretius: vescum salem (das zehrende Salz), von dem Be- streben zu zehren (zu zerfii^essen), anders wieder braucht

XVI, 5, 8. Vestibül am, Vorplatz, Hof, S&ulengang, S&ulenreilie (Peristyl). 8. Vitrav VI, 8. Vergl. Varro 1. 1. 7, 81; Colum. 8, 3, 8; 9, 12; Isidor. 15, 7, 2.

XVI, 5, 3. *) per quem (bc. locmn) aditas accessosque ad aedis est, cum deztra sinistraque januam tectaque sunt viae juncta atque ipsa janna procol a yia est area yacanti intersita.

XVI, 5, 5. üober Sulpicius Ap. s. Gell, n, 16, 8 NB.

XVI, 5, 5. *) So die praepositio inseparabilis so und se z. 6. in sobrius se-ebrios; socors »> se-cors; securus «» se-cura. Es zeigt ve (»- male) ein fehlerhaftes zu wenig oder zu viel des im Simplex ent- haltenen Begriffes an. Vergl. Gell. V, 12, 12 NB.

XVI, 5, 6. S. Paul. S. 368.

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(320) XVI. Buch, 5. Cap., §7—12.

Ludlius das Woi-t veßcus, mit dem Begriff der Abneigung gegen Speisen (des Widerwillens gegen das Essen). 8. Die- jenigen also, welche vor alten Zeiten grosse Häuser erbauten, liessen vor der Thür einen freien Platz, welcher zwischen der Hausthttre und der Strasse mitten inne lag. 9. Auf diesem Platze hielten sich Diejenigen, die dem Henn des Hauses ihre Aufwartung zu machen gekommen waren, auf, bevor sie vor- gelassen wurden, (und) sie standen (daher) weder auf der Strasse, noch befanden sie sich im Hause selbst 10. Die grossen, vor der Hausthüre freigelassenen Räumlichkeiten, allwo die, welche (zur Cour) gekommen waren, standen, bevor sie ins Haus eingelassen wurden, wurden also, wie ich schon erwähnte, vom Stehenbleiben (consistio, Aufenthalt) an dem geräumigen Platze und gleichsam von diesem Standort (stabulatio), vesti- bula (ve-[= grandia]stabula, d. h. breite, weite Standplätze) genannt. 11. Wir werden uns hierbei aber gleich auch merken müssen, dass dieses Wort von den alten Schriftstellern nicht immer in seiner eigentlichen Bedeutung gesagt worden ist, sondern auch veimittelst einiger Uebertragungen, die jedoch so bewerkstelligt wurden, dass sie von der eben von uns be- sprochenen eigenthamlichen Bedeutung nicht weit abweichen, wie die SteUe aus dem 6. Buche Vergils (Aen. 273) zeigt:

Yestibiilum ante ipsom primisque in üuicibas ord

Lnctos et nltrices posuere cubilia curae, d. h.

Selber am Eingang nun, und im vordersten Schlünde des Orcus

Wählten der Gram und der Schwann nachreuender Sorgen ihr Lager,

12. wo Vergil nämlich mit dem Worte vestibulum nicht den vorderen Theil der Unterwelt bezeichnet, was uns ankommen kann, als ob es so heissen sollte, sondern er bezeichnet (viel- mehr) zwei (besondere) Plätze vor der Oeflfhung und dem Eingange in den Orcus, erstlich den Eingang (vestibulum) und die Mündung (oder den vordersten Schlund „fauces"), wovon er den Eingang (vestibulum) als gleichsam vor der Wohnung der Todten und vor dem Innern des Orcus selbst verstanden wissen will und den Schlund (fauces) als einen schmalen Weg bezeichnet, durch den man zum Eingang (vestibulum) gelangte.

XYI, 5, 7. vescus vielleicht unappetitlich. XVI, 5, 10. S. Macrob. VI, 8.

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XVL Buch, 6. Cap., § 1—7. (321)

XVI, 6, L. Was for Opferthiere „bidentes" genannt werden und woher sie

diese Bezeichnung erhalten ; endlich des P. Nigidins and des Julias Hyginns

Meinungen darüber.

XVI, 6. Cap. 1. Auf unserm Heimwege von Griechen- land legte unser Schiff zu Brundusium an. Daselbst hielt sich gerade ein von den Bioindusiem aus Rom berufener, lateinischer Sprachlehrer auf, der (in seiner Arroganz) Jeder- mann es freistellte, ihn öffentlich auf die Probe zu stellen und sich mit ihm (im Wettstreit) zu messen. 2. (Aus Neu- gierde) verfügte auch ich mich sogleich zu ihm, des Zeit- vertreibs halber, denn ich war geistig ganz erschöpft und matt von der Beschwerlichkeit der Seereise. S. Dieser las (gerade) das 7. Buch von Vergils Aeneide plump und un- geschickt, worin sich folgender Vers (93) befindet:

Centom lanigeras mactabat rite bidentis, d. h.

Hundert wolletragende, doppeltbezahnte weihte er nach Fag; 4. und er forderte auf, dass Jeder, der etwas über jeden beliebigen Gegenstand von ihm wissen wollte, ihn nur immer fragen möchte. 5. Ich war erstaunt über das kecke Selbst- vertrauen dieses nicht eben sehr gelehrten Menschen und sage zu ihm: Du belehrst mich gewiss gern, lieber Meister, warum diese Opfer „bidentes" genannt werden? 6. Er er- widerte: Unter „bidentes*' sind Schafe zu verstehen, und um diese Schafe noch deutlicher zn bezeichnen, deshalb hat er sie noch „wolletragend (lanigeras)'' genannt 7. Darauf ich: nachher wollen wir gleich sehen, ob nach Deiner Aussage nur Schafe mit diesem Beiworte „bidentes" belegt werden und ob der Atellanendichter Pomponius in seinen „trans- alpinischen Galliern" einen Irrthum beging, wenn er schrieb:

Mars, tibi Toveo factnram, ei umquam redierit,

Bidenti verre, d. h.

Dir, Mars, gelobe ich zum Opfer, kehrt ja er zurück,

Einen doppelbezahneten Eber.

XYI, 6, L. Opferthiere mussten fehlerfirei, gesund und fett sein, s. Varro r. r. II, 1, 4; Cato r. r. 5; Plin. 8, 51, 77 § 206; Cic. ad Div. II, 16, 86; Serv. zu Yerg. Aen. lY, 57 ; YI, 88. Auch durften sie nie als Zugthiere angespannt gewesen sein (vergl. Macrob. Sat III, 5, 6; Yerg. Aen. 6, 38; Georg. 4, 540; Hör. Epod. 9, 22 cfr. Hom. Od. in, 382) und mussten ein bestimmtes Alter haben. Yarro r. r. II, 4; Plin. a. a. 0.

GeHins, Attische N&chte. H. 21 ^ j

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(322) XVI. Buch, 6. Cap., § 8-14.

8. Nun aber habe ich an Dich die Frage gestellt, ob Du wohl weisst, was es mit diesem Worte für eine Bewandtniss hat. 9. Und Jener, ohne sich erat lange zu bedenken, ant^ woitete ihm mit ganz ausserordentlicher Dreistigkeit: Unter solchen Schafen, die man „bidentes" nennt, sind diejenigen zu verstehen, die nur zwei Zähne haben. 10. Ich bitte Dich, sagte ich, wo in aller Welt ist Dir (wohl je) ein Schaf vor Gesicht gekommen, das von Natur nur zwei Zähne hatte? Denn hier ist wirklich ein Wunderzeichen, das man durch Opferwerke sühnen muss. 11. Darauf erwiderte Jener auf- gebracht und voller Zorn gegen mich: Es wäre weit besser, Du fragtest mich über solche Sachen, die man nothwendiger Weise (und mit Recht) von einem Grammatiker verlangen kann; denn über Schafszähne fragt man Schafhirten aus (opiliones, und nicht Grammatiker). 12. Ich musste über den drolligen Einfall dieses Windmachei-s (herzlich) lachen und verliess ihn. Allein Publius Nigidius sagt in seinem Buche, welches er „über die Eingeweide (de extis)'' verfasst hat, dass man dieses Beiwort „bidentes" nicht nur Schafen beizulegen pflegte, sondem allen zwe^ährigen Opferthieren, hat jedoch (dabei) keine deutlichere Erklärung beigefügt, warum sie „bidentes^ genannt wurden. 13. Allein was ich überdies davon halte, ist die Ansicht, welche ich in einigen auf das „Oberpriesterrecht'' sich beziehenden Erklärungs- schriften verzeichnet fand, dass (nämlich) diese Opferthiere anfänglich „bidennes", mit Einschiebung des Buchstaben d, gleichsam anstatt bi-ennes (d. h. zweijährige) genannt worden sind, dass das Wort aber durch langen Sprachgebrauch ver- dorben wurde und man aus „bidennes" das Wort „bidentes** gebildet habe, weil das Wort sich oflFenbar so leichter und weicher aussprechen lasse. 14. Allein Hyginus Julius, ein

Bei einem Opfer durfte nichts fest gebunden sein. (Senr. zu Yerg. Aen. n, 134; cfr. Macrob. in, 5, 8.) Daher standen die Opferthiere auch ungebunden am Altare, s. Sery. zu Yerg. Aen. Y, 774.

XYI, 6, 9. S. Macrob. Sat YI, 9 und die Erklärer zu Yerg. Aen. lY, 57.

XYI, 6, 12. Yergl. Gell. YH (YI), 6, 10. Nigidius in libro I augurii priyati.

XYI, 6, 13. S, Serv. ad Yerg. Aen. 4, 57.

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XVI. Buch, 6. Cap., § 14. 15. 7. Cap., § 1—3. (323)

Mann, der das „Oberpriesteirecht" offenbar doch sicher ganz genau gekannt hat, macht im 4. Buche seiner Abhandlung über Vergil die schriftliche Bemerkung, dass solche Opfer- thiere .,bidentes" genannt wurden, welche ihres (Lebens-) Alters wegen (per aetatem) zwei hervorragende Zähne haben. 15. Hier folgen seine eignen Worte: „Ein Opferthier, welches „bidens" heisst, muss acht Zähne haben, aber zwei müssen über die andern hervorragen, woraus man erkennt, dass sie aus dem unreifen Alter in das reifere eingetreten sind." Ob des Hyginus Ansicht wahr sei, düi-fle nicht durch Beweis- gründe, sondern mit sichtlichen Augen erkannt werden können.

XVI, 7, L. Dass Laberius bei Bildung vieler Wörter willkGrlich und

leichtsinnig verfiillr, und dass er sich vieler Ausdrücke bediente, bei denen

man sich fragen muss, ob sie wohl (echt) lateinisch sind.

XVI, 7. Cap. 1. Laberius ist in den von ihm verfassten mimischen Dichtungen bei seiner Wortbildnerei gar (oft) sehr willkürlich verfahren. 2. So sagt er „mendicimonium" (Bettel- arrauth), „moechimonium" (Ehebruch), so „adulterio" (Ehe- brecher), „adulteritas" (Ehebrecherei) anstatt „adulterium" ; so sagt er: „depudicavit" (hat entehrt, geschändet) für „stu- pravit" und für „diluvium" braucht er „abluvium" (Wasser- fluth), und in einer seiner mimischen Dichtungen, unter dem Titel „Cophinus (xog>£vog), der Korb" setzt er „manuatus est" (hat sich weggelangt, weggefingert, d. h. gestohlen) für „fu- ratus est"; 3. eben so nennt er in seinem „Walker (fullo)" einen Dieb „manuarius" (Langfinger). Die Stelle lautet:

Manuari pudorem perdidisti, d. h.

Langfinger Du, Du hast ja alle Scham verloren.

und so finden sich bei ihm noch viele andere Wortneuerungen.

XYI, 6, 15. S. Fest v. bidentes; Serv. ad Verg. Aen. 4, 57; 6, 89; Isidor. 22, 1.

XVI, 7, L. S. Bemhardy R. L. 78, 356. Die Wortbildnerei des Laberius gab den philisterhaft nüchternen Grammatikern vielen Anstoss. S. Tenffels röm. Lit. § 8, 11. Die Sprache der Mimen war, dem Stofie nnd Publicom entsprechend, plebejisch, üeber die kühne Wortbildnerei des Laberias s. femer Tenffels röm. Lit Gesch. 189, 7.

XVI, 7, 2. Covinus (celtisches Wort), Sichel -Kampf -Wagen; Beise- (Planen-)Wagen.

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(324) XVI. Buch, 7. Cap., § 4—10.

4. Ebenso bedient er sich auch gemeiner, schmutziger Wörter aus niedrigerem Volksgebrauch , wie z. B. in seinem Stück „Die 6ewebe-(Lebensfaden-)Schränke (staminaria)'', da heisst's:

ToUet bona fid^ tos orcus nudas in catoninm ifg ro xartoviov) Der Tod wird sicher euch nackt in die Unterwelt bringen.

5. So sagt er auch „elutriare lintea" (Laken auswaschen) und „lavandaria" (Wäschstücke), welche man zum Waschen gegeben hat, und „coicior in fullonicam^' (sc. offidnam, ich werde in die Walkwerkstatt geworfen). Femer: Was eilst Du so, was laufet Du voraus, Heizerin (Galdonia, i. e. Badbestellerin) ?

6. Ebenso nennt er in seinem „Seiler (restio)" Die, welche man gewöhnlich „talabaniones'' nennt „talabaniunculi"; 7. ebenso in seinem „Scheidewegfest (in compitalibus)^' sagt er: malas malaxavi (ich habe die Kinnbacken geschmeidig ge- macht, von fjiaXaxitio) ; 8. desgleichen in seinem „Gedächtniss- schwachen (in Cacomnemone)*' sagt er:

Dort der Tölpel (gnrdus) isf 8, von dem ich Dir erz&hlt, der au&ahm mich» Als von AMca ich vor zwei Monden kam.

9. Ebenso in seiner Farce, welche die Ueberschrift führt „Geburtstagsfest (natalicius)", gebraucht er die Wörter: cippus (Spitzsäule) und obba (Garaffine) und cameUa (dimin. von Camera, Schalchen) und pittacium (Anhängsel) und capitium (Miederüberwurf), die Stelle lautet:

-— Indnis Capitium tunicae pittacium, d. h.

Du hüllest Dich

in die Capuze, das Anhängsel der Tunica.

10. Ausserdem bedient er sich in der „Anna Peranna" der Wörter „gubemius" für „gubemator" (Lenker), femer „planus'*' {nXdvog) für sycophanta (Betrüger) und „nanus" (yävog^ Zwerg) für pumilio; obwohl auch M. Cicero in seiner Rede, welche er für den Gluentius gehalten (cap. 26, 72), das Wort planus (Ränkemacher) für sycophanta schriftlich verwendet hat.

XVl, 7, 9. Oder: natalicius sc. mimus, d. h. Geburtstagsschwank. Obbai vergl. Nonius p. 146, 8; u. 545, 1 (Napf).

XVI, 7, 10. Anna Peranna s. Gell. XUI, 23 (22), 4.

XVI, 7, 10. nldvos proprie est erro, vagabundus a: jildvfi, error, vagatio. Accipitur etiam pro eo, qui decipiendi causa yagatur, ünpostoret nebulone, fraudulento sycophanta, fallaci.

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XVL Buch, 7. Ci^., § 11—14. 8. Cap., § 1. 2. (325)

11. Ebenso hat er in seiner Komödie (zum Freudenfest des 17. Decembers), genannt „Saturnalien'', auch den Aus- druck „botulus" (Blut-Wurst) gebraucht für „farcimen'S des- gleichen eine leichte Person „homo levenna" genannt, anstatt „homo levis**. 12. Ebenso neunter in seiner „Geisterbeschwö- rung (necyomantia)", so recht nach Pöbelart, einen Makler „cotio**, wofür die Alten den Ausdruck: arillator hatten. Die betreffende Stelle des Laberius lautet also:

Duas uxores? herde hoc plus negöti est: sed quid cotio?

Sex aediles yiderat, d. h.

Der Weiber zwei?, bei Gott, die Aa^b' ist za gross: was sagt

der Makler? Sechs Aedilen sah er stehn.

13. Endlich jedoch in seiner Posse, betitelt „Alexandrea'S bedient er sich ganz auf dieselbe Art, wie die Menge, aber ganz richtig lateinisch eines griechischen Ausdrucks, denn er verwerthet das Wort „emplastrum" (Pflaster) im sachlichen Geschlecht (oi&eriQwg) , nicht wie (heutigen Tages) einige neubackene Halbwisser*), im weiblichen Geschlecht (emplastra, emplastrae). 14. Ich lasse die betreffende Stelle aus der Posse gleich folgen:

Quid est jus jnrandom? emplastrum aeris alleni, d. h.

Was ist ein Eid? Es ist ein Schuld -Verband.

XYI, 8| L. Was der Ton den Dialektikern gebrauchte Ansdmck afi^fia

bedeute, und wie dieser Ausdruck Yon unsem (Philosophen) genannt (und

lateinisch ausgedrückt) wird; endlich einige andere Ausdrficke, welche

beim ersten Unterricht in der Dialektik gelehrt werden.

XVI, 8. Gap. 1. Als ich mich in die Wissenschaft der Dialektik einführen und einweihen lassen wollte, musste ich mich erst mit den von den Dialektikern sogenannten „Vor- übungen («igaywya/, d. h. mit den vorbereitenden, wissen- schaftlichen Einleitungen)'^ bekannt und vertraut machen. 2. Weil ich mich nun anfänglich mit den Axiomen (a^iwfjima^ d. h. mit den [Ur-] Spruch -Sätzen oder entschiedenen Be-

XVI, 7, 11. Botolarias, WnrsthAndler 8. Sen. ep. 56, 3. XVI, 7, 12. Gfr. Tac. Amial. n, 85. AriUator (s. PanL Diac 20, IS Waarenmakler, oder codo s. Phmt Asin. I, 8, 52 (203); Orelli 7216. XVI, 7, 13. ♦) novicii aemidocti vergl. GelL XI, 7, 3 u. XV, 30, 1. . XVI, 8, L. Cfr. Diog. Laert Vn, 50.

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(326) XVI. Buch, 8. Cap., § 2—7.

hauptuDgen, wodurch eine unbedingte Meinungsäusserung allemal zum Ausdruck gelangt) mich geistig beschäftigen musste, welche M. Varro bald „profata" (Sprüche), bald wieder „proloquia'* (Aussprüche) nennt, war ich eifi-ig bemüht, mir des gelehrten L. Aelius, der des VaiTO Lehrer war, Abhandlung über die „Spruchsätze (de proloquiis)" zu verschaffen. Ich ermittelte diese Schrift in der Bibliothek, die sich in dem (von Vespasian gebauten) Friedenstenipel befindet und las sie (nun eifrig durch). 3. Allein der darin aufgezeichnete Inhalt trägt weder zu gründlicher Belehrung, noch zu deutlicher Unterweisung bei und scheint Aelius diese Schrift nur deshalb verfasst zu haben, mehr um Anhaltepunkte für sich zu haben, als in der Absicht Andere zu belehren (aliorum docendl gratia*)). 4. Ich wendete mich nun nothgedrungen zu den griechischen Schriften. Aus ihnen nun erfuhr ich folgende wörtliche Erklärung des Begriffes a^ico^a: Es bedeute (das Wort) einen absolut unabhängigen (anschaulichen) Ginindsatz, nur durch sich selbst erklärt (der nicht erst braucht bewiesen zu werden). 5. Ich habe (wohlweislich) unterlassen, die Stelle (ins Lateinische) zu übersetzen, weil ich sonst neue und un- statthafte Ausdrücke dazu hätte verwenden müssen, die wegen ihrer Ungewöhnlichkeit dem Ohre wohl kaum erträglich hätten sein können. 6. Allein M. Varro hat im 14. Buche „über die lateinische Sprache^' an den Cicero (von diesem Wortbegriff: a^iwfxa^ ürsatz) ohne die geringste Beanstandung folgende Erklärung geliefert: „Unter einem Spruchsatz (pro- loquium) wird eine Meinungsäusserung verstanden, in der nichts vermisst wird." 7. Diese Erkläning wird deutlicher, wenn wir erst daftlr ein Beispiel werden angeführt haben. Folgendes nun aber wäre ein solches a^ioj^a oder proloquium, wenn man lieber diesen Ausdi-uck brauchen will (d. h. also ein vollkommen an und für sich deutlicher Ausspruch): „Hannibal war ein Punier; Scipio zerstörte Numantia; Milo ist wegen (Anklage des) Mordes verurtheilt worden; das

XYI, 8, 2. üeber den Tempel der Friedensgöttin (Fax) und der darin befindUchen BibUotbek s. Gell. Y, 21, 9 NB.

XYI, 8, 8. *) Bezüglich dieser Constniction vergL Gell lY, 15, 1; Y, 10, 5.

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XVL Buch, 8. Cap., § 8-11. (327)

Vergnügen ist weder ein Gut, noch einUebel"; 8, überhaupt jeder Ausspruch, der an sidi einen ganz vollständigen und abgeschlossenen, in Worten ausgedrüd^ten Gedanken bildet (also eine unbedingte Meinungsäusserung zum Ausdruck bringt), wobei man zu erkennen giebt, dass dieser Gedanke entweder wahr oder falsch sein muss, wurde von den Dia- lektikern a^iwixa genannt, von dem M. Varro, wie ich bereits erwähnte, „proloquium'' und vom M. Cicero „pronuntiatum", welcher letztere jedoch sich des Ausdrucks „pronuntiatum" für a^iwfxa nur so lange bedienen will, „bis", wie er selbst sagt, „ich einen bessern dafür gefunden haben werde". 9. Was aber die Griechen unter einem (stetigen) Schlusssatz verstehen, der bei ihnen avvri^^ivov a^iiofia (angeknüpfter S.) genannt wird und den einige römische Schriftsteller „adjunctum", andere wieder „connexum" nennen, ein solcher (stetiger) Schlusssatz ist z. B. folgender: „Wenn Plato herumgeht, so bewegt sich also Plato; wenn es Tag ist, so ist die Sonne über der Erde/ 10. Ebenso versteht man unter (einer aus mehreren Gliedern bestehenden Proposition) einer Schlussreihe, welche die Griechen avfinenleyfiavov nennen, wir Römer mit con- junctum, oder mit copulatum bezeichnen, beispielsweise fol- gende (logische) Satzverbindung: „P. Scipio, des (Lucius Aemilius) Paulus Sohn war nicht nur zweimal Gonsul, son- dern hielt auch einen feierlichen Einzug, verwaltete auch das Censoramt, war in seiner Sittenrichterstellung auch Amts- genosse des L. Mummius." 11. Wenn in einer solchen Schluss- reihe (Satzverbindung) nur eine Unwahrheit sich vorfindet, 80 sagt man doch, das Ganze sei falsch und unrichtig, ol^- gleich alles Andere auf Wahrheit beruht Denn wenn ich zu alledem, was ich Wahres über den Scipio sagte, hinzufügen wollte : .endlich hat er auch den Hannibal in Africa über-

XYl, 8, 8. pronuntiatam s. CLc Tose. I, 7, 14. Efiatum Gic LucaU. 8. acad. pr. n, 29, 95; de legg. II, 8, 20; Senec. ep. 117, 13; GeU. XTTT, 14, 1. Enontiatio Cic Fat 1, 1; 10, 20; Quint. 7, 8, 2; 9, 1, 28.

XVI, 8, 9. Adjunctum, die Zusammenfögong zweier Sätze, von denen der letztere aas dem ersteren folgt; im Bedingangsschlass (syUo- gismo conditionali) der Vordersatz, weU dieser SyUogismus ans zwei S&tBen besteht. Siehe Diog. Laert VII, 50 Zeno.

XVI, 8, 10. üeber Scipio s. GelL IV, 18, 8 NB.

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(328) XVI. Buch, 8. Cap., § 11 14.

wunden", was doch eine Unwahrheit sein würde (da diese That doch der Vater seines Adoptiv -Vaters, der P. Gomelias Sdpio Africanus major vollbrachte), so würden sofort auch alle, in Verbindung mit dieser Behauptung ausgesprochenen Sätze, wegen dieses einzigen unrichtigen Zusatzes, eben weil sie zu- sammen hingestellt werden, als nicht wahr gelten. 12. Nun giebt es auch noch eine andere Art von Schlusssatz, welchen die Griechen die^evyfÄivov*) a^iiof^a^ wir (Römer) dis- junctum proloquium nennen (d. h. sti*eng geschiedener Gegen- satz). Ein derartiges Beispiel ist: „Das Vergnügen ist entweder einUebel, oder ein Gut, oder: es ist weder ein Gut, noch ein üebel." 13. Alle solche Sätze, welche (unter einander) streng aus einander gehalten werden sollen, müssen sich gegenseitig widersprechen, und solche Widersprüche, welche von den Griechen awLneifieva genannt werden, müssen natürlich auch unter sich das Gegentheil bezeichnen. Unter allen diesen (neben einander aufgeführten) strengen Gegensätzen sind aUe übrigen falsch, nui- einer muss wahr sein. 14. Wenn nun aber entweder keine der Aussagen wahr ist, oder alle, oder mehrere als eine wahr sein sollten, oder die Gegensätze sich nicht (direct) widereprechen, oder die Widersprüche sich nicht gegenseitig ausschliessen, dann ist der logische Gegensatz fehlerhaft und wird als solcher von den Griechen Ttagadie^ tevyfievov genannt (d. h. fehlerhafter Gegensatz), wie dies in folgendem Beispiel der Fall ist, wo sich die Gegensätze nicht (ausschliessen und) aufheben : Entweder läufst Du, oder gehst spazieren, oder stehst. Diese Sätze bilden nun zwar unter ein- ander entgegengesetzte Begriffe; allein das Widersprechende in diesen Begriffen steht nicht an und für sich im Widerspruch zu einander (weil doch nur immer ein Fall als möglich an- genommen ist). Denn die Begriffe: „nicht spazieren gehen, nicht stehn und nicht laufen^' bilden nicht Gegensätze unter sich, weil man Gegensatz das zu nennen pflegt, was mit einem andern als nicht zugleich bestehend, für möglich und wahr an- genommen werden kann; denn es ist doch gewiss unmöglich, in demselben Augenblicke zugleich entweder zu gehen, oder

XYI, 8, 12. *) S. GtelL n, 7, 22 und vergL GelL V, 11, 8. Cic. acad. n, 30, 97; Diog. Laert II, 50 Zeno.

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XVL Buch, 8. Cap., § 15. 16. 9. Cap., § 1. 2. (329)

ZU stehen, oder zu laufen. 15. Aber nun mag es mit diesem kurzen Probestück aus der Dialektik abgethan sein, 16. und nur eine Ermahnung sehe ich mich veranlasst, noch hinzu- zufügen: dass die Beschäftigung mit dieser Wissenschaft und die Bekanntschaft mit ihren Grundsätzen zwar meist fQr ab- scheulich und verächtlich, für unangenehm und unnütz pflegt gehalten zu werden, allein, wenn Du darin erst einige Fort- schritte gemacht haben wirst, dann wird Dir endlich auch davon der Vortheil deutlich in die Augen springen, und die Folge davon wird eine unersättliche Lernbegierde sein, wobei, wenn Du ihr die Zügel schiessen lassest, für Dich die nicht unbedeutende Gefahr zu besorgen steht, dass, wie so viele Andere, auch Du in jenem Zauberkreise (dieser Wissenschaft) und in den Wirbel Windungen der Dialektik, gleich wie bei den Sireneuklippen, (trotzdem) ein hohes Alter erreichst.

XYI, 9, L. Ueber die Bedeatung des in den Schriften der Alten sehr

häufig Torkommenden Ausdrncks: „snsqne deqne" (auf und nieder, oben

und unten, drüber und drunter).

XVI, 9. Cap. 1. „Susque deque fero" (ich mache mir nichts daraus, ich drehe deshalb keine Hand um), „susque deque sum'' (ich nehme es gleichgültig hin, ich halte es fOr unbedeutend), oder „susque deque habeo" (ich achte es nicht, denn in dieser Weise der Verbindung hört man den Ausdruck Terwerthen) ist eine Redensart aus der Umgangssprache (selbst) gebildeter Männer, und findet sich dieselbe auch in den Gedichten und Briefen der Alten sehr oft schiiftlich angewendet. 2. Es wird Dir aber leichter fallen, Leute zu finden, welche diese Redensart (auffälliger Weise oft) anwenden, als solche, die sie (richtig zu erklären wissen imd) verstehen. So zögern Viele von uns nicht, Wörter an- zuwenden, die uns ziemlich fem liegen, bevor wir uns Rechen- schaft über ihre (eigentliche) Bedeutung abgelegt haben.

XYI, 8, 16. Der Unterricht in der Philosophie begann mit der Logik (Denklehre), dann folgte Physik (Naturphilosophie) und endlich haupt- sächlich Ethik (Sittenlehre). Leider artete die Lo^ oft in sophistische, spitzfindige Dialektik aus. Yergl. Diog. Laert III, 56; Euseb. praep. ev. 11. 2; Sezt Empir. adv. mathem. 7, 16; Epict diss. I, 17, 6; Quint. XII, prooem; Plutarch. Fortschritt in der Tugend; Sen. ep. 71, 6; 88, 42.

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(330) XYL Buch, 9. Cap^ § 8— 6. - 10. Cap., § 1.

3. Es bedeutet nun aber „susque deque ferre'' gleichgültig sein und einen Yortheil nicht hoch anschlagen und auch bis- weilen yernachlässigen und gering schätzen und es ist dieser Ausdruck beinahe gleichbedeutend mit dem griechischen adiaq>0Qeiv (gleichgültig sein). 4. Laberius bedient sich dieser Bedeweise in seinem „Scheidewegfest (in compitalibus)** :

Nunc tu lentu's, nunc tu susque deque fers;

Mater familia« tua in lecto adverso sedet,

Seryos seztantis*) utitur ne£uü8

Verbis.

Jetzt bist Du abgestumpft, machst jetzt Dir nichts mehr draus ;

Dir gegenüber sitzt Dein Weib im Ehebett

Und ein niederer Sklave wagt verruchte Red'.

5. M. Varro im „Sisenna" oder „über Geschichte" sagt: „Hätten nicht alle diese Dinge einen ähnlichen Anfang wie Ausgang, es würde (dann weiter) nichts zu bedeuten haben (susque deque esset). 6. Lucilius in seinem 3. Buche: Verum haec ludus ibi susque omnia deque fuerunt, Susque et deque fiiere, inquam, omnia, ludus jocusque; Illud opus durum, ut Setinum accessimus finem: AiytUno^ montes, Aetnae omnes, asperi Athones, d. h. Doch dies dort war Spiel, wir hielten es Alles f&r nichts, ja Hielten es Alles fSa nichts fürwahr, Spiel war es und Spass nur. Doch hart gings uns au^ da im Land der Setiner wir waren: AU' aigilipisch Gebirg*, all' Aetna's, klippige Athos'.

XVI, 10, L. Was man verstand unter dem Ausdruck: „prületarii'*, was

unter: „capitecensi^*, desgleichen was in den Zwölf tafelgeseucn unter:

„adsidaus'* und was die Entstehangsursache dieses (letztgenannten)

Ausdmcks sei.

XVI, 10. Cap. 1. Als eines Tages zu Rom Einstellung

XVI, 9, 4. *) Servos sextantis, ein (gemeiner) Sklay, so ein Hund für einen Groschen. Lectus adyersus, das Bett der ThOr gegenaber, (▼ergL Propert. IV (V), 11, 85; Ascon. zu Gia pro MiL p. 48 OreU.), wo es aufgestellt war. S. Paulus p. 94, 11; Hör. £p. I, 1, 87.

XVI, 9, 6. Die Reise, die zu Fuss unternommen wird, ist zuerst ganz gem&chlich und leicht, bis sie zu dem am p'omptinischen Gebirgsrand hochliegenden Setia (jetzt Sezza), das (nach JuYonal V, 84) durch seinen Wein bekannt ist, hinansteigen, wo es j&h und steil geht, weshalb der Dichter von ftgilipischem Gebirge spricht (wobei er scherzweise das homerische Beiwort hoher Felsen „aiyUiijß^ braucht) und die Beige mit

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XVL Buch, 10. Cap., § 1—8. (331)

von allen Öfifentlichen Geschäften (otium*) in foro a negotiis) und eine so recht festliche Festesfeier stattfand, wurde zu- fällig unter aUgemeiner Zustimmung das (3.) Buch von des Ennius „Jahrbüchern'^ gelesen. In diesem kommen folgende Verse vor:

Proletarier Roms schmückt man auf Kosten des Staates Mit dem Schilde und schwerem Schwert zum Schutze der Mauern, Für die Stadt und Gemeinwohl fleissig zu wachen. 2. Dabei wurde damals sofort die Frage in Anregung gebracht, was das Wort „proletarius'^ zu bedeuten habe. 3. Als ich nun unter der Versammlung einen Freund erblickte, von dem ich wusste, dass er das bürgerliche Recht genau kannte, stellte ich sofort die Bitte an ihn, mir doch den Ausdruck „prole- tarius'^ zu erklären; 4. und als bei dieser Gelegenheit der Betreffende mir zur Antwort gegeben hatte, dass er zwar in der Rechtswissenschaft, aber nicht in der Grammatik be- wandert sei, sagte ich ihm: gerade eben deshalb, weil, wie Du selbst bekennst, Du in der Rechtswissenschaft bewandert bist, gerade deshalb musst Du uns auch Aufschluss geben können. 5. Denn Ennius hat diesen Ausdruck aus euren .Zwölftafelgesetzen entlehnt, worin, wenn ich mich recht er- innere, Folgendes geschrieben steht: „Einem Wohlhabenden (assiduo) soll Bürge (und Anwalt, vindex) sein ein Wohl- habender; einem armen Bürger femer (proletario) soll, wer da immer will, ihm Bürge (und Anwalt) sein/^ 6. Gieb also unserer Bitte nach und denke, dass alleweil nicht des Q. Ennius Jahrbuch, sondern das Zwölftafelgesetz gelesen würde, und gieb uns eine Erklärung darüber, was in der betreffenden Verordnung der Ausda:uck „proletarius civis'' zu bedeuten hat. 7. Ich würde das, sagte er nun, in der That vollständig müssen erklären und auslegen können, hätte ich das Recht der uralten Nachkommen eines Faunus und das (von Latiums ältesten Urahnen) von den Aborigenern studirt. 8. Aber da

dem sicilischen Aetna vergleicht und mit dem gewaltigen, weithin sich er- streckenden Athos (Monte Santo, Agion Oros) in Macedonien. (JuYenal. X, 17, 4. H. Duntzer.)

XYI, 10, 1. *) W&hrend gewisser Feiertage oder Ferien durfte kein öffentliches Geschäft Yorgenommen werden.

XVI, 10, 4. VergL Beruh, r. L. 84, 130.

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(882) XVL Buch, 10. Cap., § 8—10.

die Ausdiücke: ,,proletarii" und „adsidui'^ und „sanates^', dann „vades" (Bürgen) und „subvades" (Unterbürgen), femer „viginti quinque asses'' (Strafe von 25 Asses), dann ,,taliones'^ (Wiedervergeltungsrechte) und „fiirtoiiim quaestio cum lance et licio'* (d. h, Haussuchungsförmlichkeit wegen irgend eines Diebstahls nach Herkömmlichkeit mit Schüssel und Gürtel) sich verloren haben und jene ganze, alte Gesetzvorschrift der zwölf Tafeln, ausser bei den Rechtshändeln in Gentumviral-Sachen, in Folge des aebutischen Gesetzvorschlages (bereits) ausser Kraft getreten ist, so fühlte ich mich auch nur ver- pflichtet, allein für das Interesse und die Eenntniss des (heutigen) Rechtes und der Gesetze, wie auch nur für die bei uns gebräuchlichen Ausdi*ücke einzutreten; 9. Gleich darauf sahen wir zufällig den gelehrtesten Dichter unserer Zeit, den Julius Paulus vorübergehen. 10. Als wir ihn be- grüsst und unsere Bitte vorgetragen hatten, dass er uns doch über den Sinn und die Entstehung dieses Wortes Auskunft

XYI, 10, 8. Adsiduus (»- diyes, ein best&ndig wo sitzender ».) ans&ssiger, wohUiabender, steuerpflichtiger Bürger, im Gegensatz der Proletarii, der untersten Yolksklasse, welche dem Staate nur mit ihrer Nachkommenschaft (proles) nützen konnten (Xu Tafeln; Niebnhrs röm. Gesch. 1 S. 496 ff.; Festus v. assiduus: Charisius 1; Freunds Lexicon der lateinischen Sprache und Doederlein lat Synon. III S. 812). Sanates, die amnestirten Völker Roms, die als Clienten die Aecker der Yomehmen (forctes B" fortes) bebauten. Yiginti quinque asses s. Gell. XX, 1, 12. Taliones s. Gell. X, 1, 14. Cum lance et lido s. Gell. XI, 18, 9. Centumvirales causae. Die Centumviri waren eine in Tier GoUegien getheilte Unterbehörde, welche über Erbschaften, Vormund- schaften u. s. w. zu entscheiden hatte. Lex Aebutia, ein Plebiscit ans unbestimmter Zeit, welches verordnete, dass weder Der, welcher einen Gesetzes Vorschlag gemacht, des in demselben beantragten und beschlosse- nen Auftrags, Geschäftes oder Amtes theilhaftig werden könne, noch ein Verwandter oder College desselben. S. Cic. contr. P. Servil. RulL de leg. agr. n, 8, 41. Dieses Gesetz hob also die legis actiones auf und betraf die Ertheilung der Vollmacht und Besorgung einer Sache (curatio), die sich keiner selbst anmassen durfte. Gajus IV, § 80.

XVI, 10, 8. Trotz der Einführung des Formularprocesses durch die lex Aebutia dauerte die alte legis actio (vergL GelL XX, 10, 1 NB) vor den ständigen CoUegien noch eine Zeitlang fort, wie aus G%j^ ^^^» aus Cic pro Caec 38, 97; pro domo 29, 78 und aus GelUus hier zu er- sehen ist, aUein ebenso aus G%jus, dass man in den meisten FäUen den Formularprocess vorzog. S. Lange röm. Alterth. § 182, 5 S. (568) 616.

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XVI, Buch, 10. Cap., § 10—14. (333)

geben möchte, liess er sich also vernehmen: Alle, die in der römischen Gemeine die Bedürftigsten und Aermsten waren, nicht mehr als mit 1500 Asses bei der Abschätzung (ihr Ver- mögen) angeben konnten, wurden „proletarii^ genannt; Die- jenigen aber, die nicht (mehr) nach dem Vermögen, oder doch nur nach ihrem sehr geringen Vermögensverhältnisse abgeschätzt wurden, Wessen „capite censi" (Kopfeteuerbürger), als äusserster (niedrigster) Vermögensbesitz aber bei der Ab- schätzung der „capite censi^' wurden 365 Asse angenommen. 11. Allein weil eignes Vermögen und ein eigner bürgerlicher Hausstand als eine Gewähr der Sicherheit und des IJnter- pfandes für den Staat angesehen wurde, und darin gleichsam ein 3icherer Grund zur Vaterlandsliebe und ein sicheres Bindemittel lag, deshalb wurden weder „proletarii", noch „capite censi" zum Soldatenstand ausgehoben, ausser bei äusserster Gefahr eines Aufruhrs, weil sie entweder nur einen geringen, oder oft sogar keinen eignen Hausstand und Besitz- thum (aufs Spiel zu setzen) hatten. 12. Die Klasse (der Stand) der Proletarier stand einst der Stellung und dem Namen nach mehr in Ehren als die „capite censi"; 13. denn in den schlimmen Zeiten des Staates, als Mangel an (kampf- fähiger) Jugend eintrat, wurden sie in höchster Eile zum Kriegsdienst ausgehoben und ihnen die Waffen auf öfifentliche Kosten verabreicht, und sie wurden nun nicht mehr nach der Abschätzung ihrer (steuerpflichtigen) Person (capitis) benannt, sondern mit günstigerem Ausdruck nach der Bestimmung und dem Dienst, den sie dem Staate dadurch erwiesen, dass sie ihn mit Nachkommenschaft (fürs Heer und zum Landesschutz) versoi-gten, weil, da sie dem Staate wegen ihres geringen Vermögens nur wenig Unterstützung gewähren konnten, sie doch durch Erzielung bedeutenden (Kinder-)Nachwuchses den Staat (insofeiTi von Nutzen waren, als sie ihn) bevölkern halfen. 14. Wie Einige behaupten, soll zuei-st C. Marius im Kriege mit den Cimbem in den schlimmsten, bedrängtesten

XYI, 10, 10. Festsetzung des Minimalcensus von 1500 Assen (300 Libralassen) f&r die zum Legionsdienst verpflichteten Proletarier legt Lange (röm. Alterth. § 101 p. [108] 115) in die Zeit 475/279. S. Cic. de rep. 2, 22, 40; Non. 106 G.

XVI, 10, 14. 8. Val. Max. ü, 8, 1; Plut Mar. 9.

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(334) XVL Buch, 10. Cap., § 14— 16. 11. Cap., § 1, 9.

Zeiten der Republik, oder vielmehr, wie Sallust angiebt, im Kriege mit Jugurtha (zur VerstÄrkung des Heeres) Rekruten aus den capite censis (d. h. aus den niedrigsten, meist besitz- losen Schichten des Volkes) ausgehoben haben ; da doch dieses Verfahren zu keiner Zeit (je) vorher vorkam. 15. In den Zwölftafelgesetzen wird der Ausdruck „adsiduus'' gebraucht zur Bezeichnung eines Reichen und eines, der ohne Wider- rede seiner Pflicht nachkommt und leicht ein Opfer bringen kann, weil er so genannt ist von aes-dare (d. h. Geld oder Abgabe geben), sobald nämlich die Zeit der Noth eine solche Abgabe zum Nutzen des Staates erforderte; oder von der Beharrlichkeit und Ausdauer (ab adsiduitate), Untei*stützung zu gewähren nach ihren bedeutenden Vermögensverhältnissen. 16. Die bezügliche Stelle des Sallust über den (Konsul C. Ma- rius und über die „capite censi" lautet in seinem Geschichts- werke über den „Jugurthischen Krieg** (86, 2) also: „Er selbst hob indessen die Rekruten (Soldaten) aus, nicht nach althergebrachter Weise, auch nicht nach Rang und Ansehen (nee ex classibus) sondeiii wie Jeglicher Lust bezeugte, meist Leute, die arm und ohne Eigenthum (capite censi). Dies geschah, so bemerken Einige, in Ermangelung besserer (Mann- schaften), Andere, aus einem Streben des Consuls nach Volks- gunst, weil er von diesem Menschenschlage gefeiert und ge- hoben worden war, und weil einem Manne, der nach Macht strebt, der Dürftigste immer auch der Willkommenste ist.*'

XVIi 11, L. Eine aus den Werken des Herodot entlehnte Erzählung toq dem Untergange der PsjUen, welche in den sandigen Kästengegenden Ton

Africa wohnten.

XVI, 11. Cap. 1. Der Volksstamm der Marsen in Italien soll von einem Sohne der (durch ihre Zaubereien berühmten Meernymphe) Circo seinen Ursprung haben. 2. Deshalb war diesem Mareenvolke , wofern ihre Familienglieder noch nicht

XVI, 11, L. Diese Fabel erzählt Herodot den verlogenen Gartha> gern nach, üeber die Marsen s. Plin. h. n. 7, 2 § 7; 28, 2, 4 § 19; 28, 3, 6 § 80; AeUan. Hist. an. 17, 27; Lncian. PhUopseud. 9. 11; Suet. Oct. 17.

XVI, 11, 2. Vergl. Plin. H. N. 28, 4, 5; Vergil. Aen. 7, 758; Sü. Italic. 8, 496; Plin. Eist N. Vü, 2, 7. Vergl. Celsus V, 27, 3.

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XVL Buch, 11. Cap., § 2-7. (335)

mit fremden (Elementen und) Verbindungen vermischt mid entaitet waren, durch eine gewisse natürlich angebome Kraft es verliehen, sowohl Bändiger giftiger Schlangen zu sein, als auch durch Zaubersprüche und Eräutertränkchen Wunder- kuren zu veiTichten. 3. Mit dieser bevorzugten (Wunder-) Kraft waren offenbar auch die sogenannten Psyllen aus- gestattet. Nachdem ich nun (lange) in den alten Schriften nachgesucht hatte, fand ich endlich im IV. Buche (cap. 173) von Herodot folgende Erzählung über ihren Namen und ihre Abstammung. Dieser ^zählt also: 4. Die Psyllen seien einst in Africa Grenznachbam von den Nasamonen gewesen; der Südwind habe einstmals in ihrem Lande sehr heftig und lange geweht; 5. durch sein Wesen habe er in den von ihnen be- wohnten Gegenden alles Wasser ausgetrocknet; 6. Die Psyllen (fort und fort) an Wassermangel leidend, gegen den Südwind wegen seiner Ungerechtigkeit schwer entrüstet, hätten nun (einmüthig) den Entschluss gefasst, dass sie sich mit voller Rüstung auf den Weg machen wollten gegen den Südwind, gleichwie gegen einen (wirklichen) Feind, um mit Kriegs- gewalt das (entführte, ihnen zugehörige) Besitzthum zurück- zufordern. 7. Dabei sei ihnen nun auf ihrem Wege der Süd- wind mit langem (heftigem) Windzug entgegengekommen und habe sie alle insgesammt, mit aller Mannschaft und aller Ausrüstung durch Ueberwehung ganzer Hügel und Berge von

XVI, 11, 8. Psyllen s. Sext Empir. hypot. I, 82; Herodot. 4, 178; Aelian Thiergesch. I, 57; Flut Gat 56; Strab. 13, 588; 17, 814; Paus. 9, 28, 1; Suet. Octav. 17; Plin. H. N. YII, 2, 5. Das sofortige Aussaugen der Bisswunde wird noch jetzt als probat augesehen. Neuerdings em- pfiehlt aber Prof. Lenz als bestes Mittel gegen den Ereuzotterbiss : sofort Pulver auf die Wunde zu bringen und dasselbe anzuzünden. Der Schmerz soll unbedeutend sein und das Gift sofort vernichtet werden.

XYI, 11, 7. Einer der kühnsten Beisenden der neuem Zeit, der 1868 an einer Verwundung durch Entladung seines Gtewehres gestorbene Adolf von Wrede (geb. 1807 zu Münster in Westfalen), wagte, von heissem Forscherdrang geleitet, 1842 eine Entdeckungsreise in die glühenden, sandigen Gegenden des Innern von Arabien. Des Arabischen mächtig, als Beduine verkleidet, mitten unter fanatischen und misstrauischen Arabern, die' zurückgelegten Wegstrecken heimlich mit dem Compass aufnehmend, gelangte er unentdeckt unter höchsten Schwierigkeiten und Gefieihren bis zur Stadt Saba, jenseits deren sich eine unermessliche Wüstenei

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(336) XVL Buch, 11. Cap., § 8. 12. Cap., §1-8.

Sand verschüttet. 8. Auf diese Art seien alle Psyllen bis auf den letzten Mann umgekommen und so wäre (nachher) ihr Gebiet von den Nasamonen in Besitz genommen worden.

XVI, 12, L. lieber die Wörter, welche CloatiuB Yeriifl entweder gans

treffend, oder gans ungereimt und abgeschmackt auf Abstammung aus der

griechischen Sprache zurückgeführt hat.

XVI, 12. Cap. 1. In den Schriften, welche Cloatius . Verus überschrieben hat „von Wörteni, die von den Griechen hergenommen'', giebt er eine dui'chaus nicht geringe An- zahl sorgfältiger, schar&inniger, ausgesuchter Bemerkungen, jedoch läuft dabei auch manches Unzuverlässige und Werth- lose mit unter. 2. So sagt er: Errare (in*en) ist hergenommen von e^^eiv (mühsam wandeln, elend gehen) und führt (zum Beleg) eine Stelle aus Homers Qiade VIU, 164 an: e^^, nanfj yli^rjy d. h. troll Dich, feige Puppe, und femer einen Vers aus Homers Odyssee X, 72 an:

igg^ tx yiqauv d-äaaov ilfyx^<n€ ^movxtov, d. h.

Wandre flugs von der Insel hinw^, Schandbarster der Menschen.

8. Ebenso, schreibt er, sei „alucinaii'' (träumen) aus dem Griechischen aXvBiv (irren Geistes sein) gebildet, woher nach seiner Meinung auch wieder „elucus" (schläfriges Wesen), nach

ausdehnt, in welcher der Sage nach ein König yon Säba mit seinem ganzen Heere vom Sande soll yerschlungen worden sein. In diese Wüste yor- gedrungen, liess er sich nicht abhalten, allein die yerrufensten und ge- fährlichsten Gegenden dieser unabsehbaren Einöde zu durchsuchen, mit Zurüddassung der ihn begleitenden Beduinen, welche die Furcht yor Oeistem zurückschreckte. Er gelangte endlich an gefährliche Stellen, wo ihm der Sand merkwürdig fein erschien; er näherte sich dem Rand einer solchen Stelle und warf ein an einer 60 Faden langen Schnur befestigtes Pfnndgewicht so weit als möglich hinein. Das Senkblei versank augen- blicklich, mit abnehmender Schnelligkeit und nach Verlauf von fünf Minuten verschwand das Ende der Schnur, welches ihm beim Wurfe entschlüpft war, in das Alles verschlingende Grab dieser Sandabschlünde. Neuere Forschungen und Beobachtungen haben an andern Orten ganz gleiche Erscheinungen ergeben. Die von Adolf von Wrede in einem Werke hinterlassenen interessanten Au&eichnungen hat Freiherr von Maltzan herausgegeben unter dem Titel: Reise in Hadramaut, Beled Bery Yssa und Beldel Hadschar von Adolf von Wrede.

XVI, 12, 1. Vergl. Bemh. r. L. 28, 105; Teuflfels Gesch. der röm. Lit 338, 5.

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XVI. Buch, 12. Cap^ §8—8. (337)

Umwandlung des Buchstaben a in e, gebildet sein soll, mit Bezug auf eine gewisse geistige Schläfrigkeit und Betäubtheit, wie sie bei (gedankenlos) Hinträumenden sehr häufig vor- kommt. 4. So nimmt er „fascinum^ (Behexung) gleichbedeutend mit „bascanum" (ßdaxavov) und „fascinare" (behexen) mit „bascinare" {ßaa^aivBiv). 5. Alle diese Bemerkungen sind treffend und wirklich sehr zweckentsprechend, aber im 4. Buche sagt er: der sogenannte „faenerator^ (Wucherer) ist gleichsam q)aLveQm(OQ, das will sagen von dem Scheinannehmen (qpatVe- a&ai) in Bezug auf eine ziemlich unbefangene (gutherzige) Miene, weil dieser Schlag von Leuten die Miene der Menschen- freundlichkeit zur Schau trägt und ungemein zuvorkonunend ist gegen die, welche nothwendig Geld brauchen. 6. Und er setzt noch hinzu, dass diese Bemerkung ein gewisser Gram- matiker Hypsicrates gethan habe, dessen Bücher in der That berühmt sind wegen der (darin angeführten) Wörter, welche von den Griechen entlehnt sind. Mag dies nun aber auch Cloatius selbst gesagt haben, oder wohl gar sonst ein anderer unbekannter Windmacher, (ich bleibe dabei) es kann keine abgeschmacktere Behauptung aufgestellt werden. 7. Denn „faenerator" (Wucherer) erhielt nämlich, wie M. Varro im 3. Buche seines Werkes „über die acht lateinische Aus- drucksweise (de sermone Latino)^ geschrieben hat, seinen Namen von „faenus" (Wucherzins), faenus aber (selbst) soll nach seiner Angabe von foetus (Erzeugniss, Ertrag) und gleichsam von foetura, das will sagen von dem Ergebniss des (einträgliche) Zinsen gebenden und sich vermehrenden (Geld-)Capitals herkommen. 8. Deshalb hätte, wie M. Van-o

XYI, 12, 4. Fascinum, Behexung. Die Römer waren fßst über- zeugt von dämonischen Einwirkungen und Behexung mittelst des bösen Blickes, üeber den Aberglauben des bösen Blickes bei den Alten siehe Ber. der K. Sachs. Ges. d. Wiss. 1855. Bist. phil. Kl. S. 28 ff. (Jettatura, der böse Blick, vermeintliche Behexung durch den Anblick). Man hatte dafür als Schutzmittel verschiedene Amulette. Alte Weiber als Beschwöre- rinnen versprachen Hülfe gegen die Hexerei, machten den Leuten allerlei Blendwerk vor, um sie dafür auszubeuten. S. Plin. 28, 4, 7 § 35 u. § 39. Ueber den amuletischen Phallus - Cultus der Römer vergl. Härtung, Relig. der Römer U, S. 258 f.

XVI, 12, 6. Hypsicrates: S. Teuffels röm. Lit § 156, 12.

XVI, 12, 7. S. Paul. S. 86, 94 u. Non. S. 54, 4.

Ge Hins, Attisch 0 Nftchte. U. 22 /^^^r^T^

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(338) XVL Buch, 12. Cap., § 8. 13. Cap., § 1—4.

erzählt, sowohl M. Gato, als alle seine übrigen Zeitgenossen, das Wort „faenerator" ohne den Buchstaben a (also fenerator) ausgesprochen, geradeso wie fetus und fecunditas ausgespro- chen wurde.

XYI, 13, L. Was man unter ,|manicipinm^* versteht, and inwiefern sich dieser Wortbegriff ron „colonia*^ unterscheidet und was „manieipes" heissen; ferner über die Abstammung und eigentliche Bedeutung dieses Wortes; dabei auch, was der erhabene Hadrian im Senat über das Recht und den Ausdruck „municipes** (gelegentlich erläuternd) sprach.

XVI, 13. Cap. 1. Die (beiden) Ausdrücke: „municipes* (Municipal- Bürger) und „municipia" (M.- Städte) sind in der Umgangssprache leicht gesagt und im Verkehr leicht gebraucht, und doch wird man nur selten einen Solchen finden, der sich dieser Ausdrücke bedient, ohne dabei völlig übei'zeugt sein zu können , dass er auch verstehe , was er sagt : Allein in Wirklichkeit heisst es meist etwas Anderes und etwas Anderes wird gemeint. 2. Denn wie Wenige giebt es doch wohl unter uns, deren Einer, obgleich er aus einer Colonie des römischen Volkes stammt, nicht schon manchmal gesagt haben sollte, dass er ein Municipalbürger und seine Landsleute Municipalbürger seien, 3. wenn es auch gleich vernunftwidrig und bei Weitem der Wahrheit entgegenläuft? So befinden wir uns sogar in Unwissenheit darüber, was „municipia" heissen, ferner, welche Bechte sie haben und inwiefern sie sich von einer Colonie unterscheiden, und bilden uns ein, dass die Colonieen in einem bessern Verhältnisse (zu uns) stehen (und mehr Vortheile gemessen) als die „municipia*'. 4. Ueber diese zweifelhaften Schwankungen einer so allgemein angenommenen Vermuthung hat der erhabene Hadrian in seiner Bede, welche er übe/ die Italicenser, denen er selbst entstammte, im

XYI, 13, L. S. Paul. Diacon. unter municipium S, 127. Munidpien hiessen hei den Römern die St&dte', welche römisches BOrgerrecht, aber eigne Verwaltung und Gesetze hatten. S. Napoleons Geschichte Juliiui Caesars I. Bd. L Buch 8. Cap. m p. 61 u. p. 64.

XYI, 18, 4. Die Stadt Italica war yon den Sdpionen in Spanien ge- gründet worden, wie Appian yon Alezandria im 6. Buche seiner iberischen (spanischen) Eriegsnachrichten cap. 88 u. 66 berichtet. Nach Besiegung Spaniens hatte Sdpio alle yerwundeten italischen Krieger in einer Stadt gelassen und diese Italica genannt

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XVL Buch, 13. Cap., § 4-7. (339)

Senat gehalten hat, mit höchster AusfOhrlichkeit gesprochen und dabei offen seine Verwunderung zu erkennen gegeben, dass sowohl die Italicenser selbst, als auch einige andere, ganz alte Municipalstädte, worunter er auch die Uticenser mit namhaft macht, obgleich sie doch noch nach ihren Sitten und Gewohnheiten und nach ihren eignen Gesetzen leben könnten, (nichtsdestoweniger) Verlangen trügen (und Alle Anstrengung machten), statt der Gerechtsamen der Municipal- städte, lieber das Kecht der Colonieen zu erhalten und so in Colonieen verwandelt zu werden. 5. Dabei erwähnte er aber (ferner), dass die Praenestiner mit höchstem Bemühen vom Kaiser Tiberius begehrt und erbeten hätten, dass sie aus dem (Standesrecht) der Golonie in den Rang einer Municipalstadt möchten aufgenommen werden, und dass Tiberius ihnen diese Gnade zum Zeichen seiner Huld und Dankbarkeit gewährt habe, weil er innerhalb ihres Gebietes, in unmittelbarer Nähe ihrer Stadt, von einer lebensgefährlichen Krankheit wieder genesen war. 6. Municipal-Bürger sind also römische Bürger aus den Municipal- Städten unter Beibehaltung ihrer eigenen Gesetze und eigenen Rechtspflege (Verwaltung), die nur das (eigenthüralich politische) Ehrenvorrecht*) mit dem römischen Volke gemein haben und den Namen Municipal- Bürger überhaupt von der Verpflichtungsübemahme zu ge- wissen Diensten (gegen Rom, a munere capessendo) scheinen erhalten zu haben, ohne an anderweitige Verbindlichkeiten, noch an irgend eine Verordnung des römischen Volkes ge- fesselt zu sein, wenn, wie gesagt, das (betreffende) Volk solcher Municipalstädte nicht (erst durch Abstimmung) Selbst- Genehmiger (einer fremden Verordnung) geworden war (nisi in [ali]quam [legem] populus eorum fundus**) factus est, d. h. eine fremde Verordnung autorisirt und sich so vorher freiwillig seines eignen Vorrechtes begeben hatte). 7. Wir

XYI, 18, 6. *) munas honorarium, Ehrenvorrecht, wie z. B. dass sie wie alle andern römischen Bürger den römischen Legionen ein- verleibt und nicht unter die Hülfisvölker, wie die Bundesgenossen (sodi;, ausgehoben wurden. Cfr. GelL IV, 4, 8 NB.

XVI, 13, 6. ♦♦) fundus. Vergl. Gell. XIX, 8, 12; Paul. Diac. S. 89; Gic Balb. 8, 19. S. Lange röm. Alterth. § 148 S. 109.

22*

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(340) XVL Buch, 13. Cap^ § 7—9.

wissen nun aber bestimmt, dass die Caeriten zuerst als solche Munidpal- Bürger ohne Stimmberechtigung ernannt worden sind, und ihnen gestattet wurde, dass sie zwar die ehrenvolle Auszeichnung des römischen Bürgerrechts ge- nössen, dabei aber von Staatsdienstverpflichtungen und Staats- lasten frei blieben, dafür, dass sie im gallischen Kriege die Heiligthümer (der Stadt Rom) bei sich aufgenommen und (treu) bewahrt hatten. Umgekehrt (d. h. in entgegengesetzter Bedeutung) wurden „tabulae Caerites^ die Listen und Verzeichnisse genannt, worein die Sittenrichter Diejenigen eintragen Hessen, welchen sie wegen übler Aufführung der Beschimpfung halber die Stimmberechtigung entzogen. 8. Bezüglich der Colonieen aber herrscht ein ganz anderes Ver- hältniss; denn sie kommen nicht (als Fremde) von aussen in den römischen Staat(skörper), noch können sie sich auf einen eignen (besonderen) Ursprung berufen, sondern sie sind aus dem römischen Staatskörper selbst (entwachsen und) gleichsam weiter verpflanzt und also an alle Rechte und Einrichtungen des römischen Volkes gebunden, nicht aber an ihre Eigen- mächtigkeit (und Willkür). 9. Obgleich nun dieses Verhält- niss (bezüglich der Colonieen) mehr abhängig und weniger frei erscheint, muss es (im Grunde genommen) doch für würdiger und ansehnlicher gehalten werden, in Beziehung auf den Glanz und das Ansehen der Würde und Herrlichkeit des römischen Volkes, wovon diese Colonieen (Pflanzstädte,

XVI, 18, 7. Caeriten, Einwohner der Stadt Caere in Etrorien (dem jetzigen Grossherzogthum Toscana), früher Agylla genannt und yon den Pelasgem gegründet Als die Gallier Rom einnahmen und ver- brannten, flüchteten (365 d. St.) die Priester und Yestalinnen, nebst dem heiligen Feuer und sonstigem heiligen Geräthe nach Caere, wo sie freund- lich aufgenommen wurden; dafür gaben die Körner den Einwohnern das römische Bürgerrecht,' jedoch ohne das Stimmrecht in den Comitiis. Weil die^ß also nur das Bürgerrecht, nicht aber das Stimmrecht hatten, sagte man später: in tabulas Caerites referri dann, wenn ein römischer Bürger zur Beschimpfong wegen Ungebührlichkeiten vom Censor als Strafe (nota) des Stimmrechtes beraubt, folglich den Einwohnern von Caere gleich gemacht und unter die Aerarier versetzt und degradirt wurde. S. Strabo V, 2 p. 337; Liv. V, 50 u. Vü, 20; vergl. Festus 233; anders Paul. 127.

XVI, 13, 8. S. Servius ad Verg. Aen. I, 12.

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XVI. Buch, 13. Cap., § 9. 14. Cap., § 1—3. (341)

Tochterstädte) gleichsam eine Art Abbild und Abriss*) im Kleinen vorzustellen scheinen; desgleichen auch, weil die eigentlichen Gerechtsamen der Municipalstädte so sehr in unklare Feme gerückt und schon so in Vergessenheit ge- rathen sind, dass man nun schon nicht mehr (sich auf sie berufen und) sie in Anwendung bringen kann, weil man von ihnen gar nicht mehr einen rechten Begiiff hat

XVI, 14, L. Behauptung des M. Cato, dass zwischen j^properare'' and „festinare^ ein Unterschied stattfinde; femer über des Verrins Flaccas anpassende Erklärung von der Ableitung (hvftov) des Wortes „festinare^.

XVI, 14. Gap. 1. Es nimmt den Anschein, als hätten die (beiden) Wörter „festinare" und „properare" ein und die- selbe Bedeutung und könnten beide in einer und derselben Beziehung (d. h. eins für das andere) gebraucht werden. 2. Nach M. Gato's Meinung findet aber dabei ein (wesentlicher) Unterschied statt und hat er beide Wörter auf folgende Weise (streng) geschieden, seine eignen Worte hier sind der Rede entlehnt, welche er „über seine eignen Vorzüge (de suis virtutibüs)" gehalten hat „Etwas Anderes ist „properare** (eilen), etwas Anderes „festinare" (hasten). Wer Eins nach dem Andern bei Zeiten (rasch, mature*)) erledigt, (is properat) der eilt; wer Vieles zu gleicher Zeit beginnt und nicht vollendet (is festin at**)), der hastet." 8. Verrius Flaccus, in der Absicht den Grund dieses Unterschiedes anzugeben, erklärt sich so: Der Ausdmck „festinare" ist von dem Worte

XYI, la, 9. *) In den Coloniestftdten wurden die Aemter fiut ganz wie in Born bestellt Doch hiessen ihre Senatsmitglieder Decuriones und die, welche die Consaln yorstellten, Daumviri. Die übrigen Behörden, z. B. Aedilen, Gensoren n. s. w., flüirten dieselben Namen und hatten dieselben Verrichtungen, wie dieselben Magistratspersonen in Rom selbst

XYI, 14, 2. *) üeber mature s. GelL X, 11, 2 NB.

XYI, 14, 2. **) Die Fortsetzung dieses catonischen Fragmentes lautet: „Meine Art ist immer gewesen, Eins nach dem Andern, an was ich mich einmal gemacht hatte, auch zu erledigen." S. Jord. fr. or. 11, 4; desgL ine. 11. Vergl. Fest S. 234, ^; Non. S. 441, 23. S. Fronto (? Arusianns Messius) de dififerent vocab. Dergleichen ethische Synonimik ist Qber- haupt im Geschmack unseres Redners Cato, der es mit dem einzelnen Worte ebenso scharf und ehrlich nimmt, wie mit Gesinnungen. Otto Ribbeck.

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(342) XVI. Buch, 14. Cap., § 3—5. 15. Cap. 16. Cap., § 1.

„fari** hergenommen, weil sehr nachlässige (oberflächliche) Menschen, die nichts zu Stande bringen, es stets (mehr) mit Worten, als mit Thaten halten. 4. Aber diese Erklärung ist ofifenbar doch wohl zu sehr gewagt und ungereimt und kann der (einzige, übereinstimmende) Anfangsbuchstabe in den beiden Wörtern doch wahrhaftig nicht von so grossem Eiuflusse sein, dass dieses einzigen Buchstaben halber zwei so ganz verschiedene Wörter, wie „festinare" und „fari", die selbe Abstammung sollten haben können. 5. (Uns) schien es bequemer und näher zu liegen, „festinare^ in Beziehung zu bringen mit „fessum esse" (ermattet sein), denn wer durch Beschleunigung vieler (auf einmal übernommener) Dinge sich abgemüdet hat (und abstrapazirt) , der eilt dann nun nicht, sondern hastet.

XVI, 15, L. Welch komische schriftliche Bemerkung (uns) Theophrast über die Bebhühner nnd Theopompns über die Hasen hinterlassen hat.

XVI, 15. Cap. 1. Theophrastus, der gescheidteste unter den Philosophen, behauptet, dass alle Rebhühner in Paphla- gonien zwei Herzen haben und Theopompus, dass in* Bisaltia die Hasen eine doppelte Leber haben sollen.

XVI, 16, L. Dass der Name Agrippa von der fehlerhaften, schweren und

ungünstigen Geburt (des Kindes) abgeleitet sei; dann noch über die

Göttinnen, welche „Prorsa" und „Postverta** genannt werden.

XVI, 16. Cap. 1. Kinder, die bei Ihrer Geburt nicht (wie gewöhnlich) mit dem Kopf, sondern zuerst mit den Füssen zur Welt kommen, welche Entbindung für die schwerste und schmerzlichste gehalten wird, werden „Agrippae** genannt, ein aus den beiden Begriffen der Schmerzhaftigkeit (aegritudo) und Fuss (pes) zusammen»

XYI, 15, 1. S. Athenaeos IX p. 890, C; Aelians Thiergeschichten y, 27; X, 85; XI, 40. üeber diese Fabel von der Leber der Hasen s. Beckm. zu den Mirab. Ausc c. 182, S. 271; Plin. H. N. 70, 1.

XVI, 16, L. VergL GeU. I, 21, 3 NB.

XYI, 16, 1. Agrippa entweder von ayQa und XnnoSf oder nach Doederlein Synon. IV, 424 u. YI, 18 von tnnovq dyefQfov. S. Servios Aen. 8, 682 d. Qoint. I, 4, 25; Plin. 7, 6 (8), 1. 45. S. Fun. H. N. YO, 6, 1 ; Nonius 556, 81.

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XVL Buch, 16. Cap., § 2— 4. 17. Cap., § 1. (343)

gesetztes Wort. 2. Yarro giebt aber an, dass die Kinder im Mutterleib zu unterst mit dem Kopf, die Füsse nach oben gekehlt, liegen; nicht nach Menschenart, sondern gleich dem (Aeussem des) Baumes nach. 3. Denn die Aeste bezeichnet er als die Füsse und beim Baume den Wurzeluntergrund und den Stamm nimmt er als den Kopf an. 4. „Wenn nun also die Kinder, sagt er, gegen das Naturgesetz zufällig sich mit den Füssen gewendet haben, werden sie durch die aus- gespreizten Arme gewöhnlich zurückgehalten und die Frauen gebären dann schwerer (und schmerzhafter). Um dieser Gefahr (der Schwergeburten) durch Gebete vorzubeugen, errichtete man zu Rom den beiden Heilgöttinnen (Carmentes) Altäre, von denen die eine Göttin „Postverta'', die andere „Prorsa** genannt wurde, theils je nach . Ansehung der Be- schaffenheit und dem Namen von der (natürlich) richtigen oder unrichtigen Lage des Kindes im Mutterleibe.'' (Die Ge- bete geschahen auf Grund zur Erflehung einer richtigen und natürlichen Entbindung oder für Abwendung einer unregel- mässigen Geburt)

XYI, 17, L. lieber die Ableitung und Bedeutang des Wortes „Vadcanii/' ager (yaticanisches Gebiet).

XVI, 17. Cap. 1. Sowohl das vaticanische Gebiet (Vati- canus ager), so wie der Schutzgott dieses Gebietes sollen

XYI, 16, 1. Garmentis (Garmenta) Name zweier altitalischer Nym- phen (Carmen und canere Weissagung und Orakelsprache in Versen und Liedern gebend), am palatinischen HQgel verehrt, deren eine Postyorta (post-yertere, von dem sich fort und fort drehenden Schicksalsrade , was immer Neues bringt, das personifidrte Vorauswissen, hier) eine Geburts- göttin, besonders von V^eibem verehrt wegen Wendung (vertere) und zwar „der verkehrten Geburt"; deren andere Prorsa (Prosa, Porrima oder Antevorsa, Göttin der regelmässigen, mit dem Kopf voranfolgenden Ge- burten (pro -versus gerade ausgekehrt), daher wahrscheinlich Prosa, Rede, die gerade schlicht vor sich hingeht Garmentis s. Liv. I, 7, 8; V, 47, 2; Verg. Aen. 8, 886 Serv. Ov. Fast. I, 499; H, 201; VI, 529; Hygin. Fab. 277; Solin. 1. -- Postvorta s. Ovid. Fast I, 635. Plutarch. römische Forschungen 56 (58), Garmenta von carens mente, die in der Verzückung ihren Verstand verlor.

XVI, 17, L. Ager Vaticanus, das Gebiet in der Umgebung des Vaticans, berQchtigt durch schlechten Boden, der daher auch schlechten Wein erzeugte.

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(344) XVL Buch, 17. Cap., § 1. 2. 18. Cap., § 1.

ihren Namen erhalten haben von den Weissagungen, welche durch die Macht und Eingebung dieser Gottheit auf besagtem Gebiete gegeben zu werden pflegten. 2. Aber ausser diesem Grund giebt M. VaiTO in seinen Büchern „über Vorgänge in göttlichen Dingen (Religionsangelegenheiten, in libris divi- nanun)'' auch noch eine andere Ableitung dieses Wortes an. Da sagt er: „Denn so wie Aius (die personifidrte Wamungs- stimme) als Namen einer Gottheit galt, und ihr (als solcher) ein Altar errichtet wurde, welcher sich am Ende der neuen Strasse befindet, weil daselbst die Stimme auf göttliche Ein- gebung hin erklungen war: so heisst auch der Gott Vaticanus, der ja über den ersten menschlichen (Lebens-) Laut gebietet, weil Neugeborne die erste Silbe in dem Worte Vaticanus (nämlich das einsilbige ua) als ihren ersten Lebenslaut ver- nehmen lassen; deshalb braucht man das Wort „vagii-e*^ (gleichsam uagire, ohngefähr wie unser deutsches: quäcken), weil das Wort den Elanglaut eines (kleinen) Neugebomen deutlich ausdrückt.**

XVI, 18, L. Einige allerliebste, erwähnungswerthe nnd lehrreiche Be- merkungen über den Theil der Greometrie, welcher Optik (Lehre rom Sehen) genannt wird, dann einige andere über Klangtheorie (Klangverhält- niäa, Harmonik) und ebenso endlich über den dritten Theil, Metrik (Rhythmik, Zeitmass).

XVI, 18. Cap. 1. Ein gewisser Theil der Geometrie wird Optik (die Lehre vom Sehen) genannt, ein zweiter bezieht sich auf das Gehör und wird Theorie des Klanges genannt {xavovtyLT]), die den Musikern gleichsam die

XYI, 17, 1. Der deus Vaticanas soU seinen Namen haben von yagire (qoacken, wimmern), dem ersten Kinderlaut (daher Yagitanos, s. Preller röm. Myth, S. 578 A. 4.) Mercklin 670.

XYI, 17, 2. Aias (Loquens oder Aios Locutius von aio oder loquor), der ansagende Sprecher, d. h. die Stimme, welche die Bömer vor der Ankunft der Gallier warnte und anfangs nicht beachtet, dann aber, als sich die Warnung bewährt hatte, als Gottheit in einem besonderen Tempel verehrt wurde. Cic. dir. I, 45, 101; n, 32, 69; Liv. V, 50, 5; cfr. Hildebr. I no. 28. Augustin. de civit Dei IV, 8, 11. Plutarch: über das Glück der Bömer 5.

XVI, 18, 1. Optik wird deijenige Theil von der Lehre des Lichtes und des Sehens genannt, welcher mathematischer Bestimmung f&hig ist

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XVL Buch, 18. Cap., § 1—6. (345)

Grundlage und Richtschnur in ihrem Eunstzweig dient. 2. Jede von diesen beiden beruht, (die Optik) auf den Be- stimmungen des Raumes und der Zielsentfemungen , (die theoretische Musik, %avovi%ri) in dem Verhältniss der Rhyth- mik und Harmonie. 8. Die Optik lässt uns vieles Wunder- bare erscheinen, z. B. dass in einem Spiegel ein Gegenstand mehrmals vervielfältigt erscheint; ebenso, dass ein Spiegel in eine gewisse Stellung gebracht nichts abbildet (wiedergiebt) und wieder anders aufgestellt; die Gegenstände wiedergiebt; wie auch, wenn Du senkrecht von oben in den Spiegel siehst. Dein eignes Bild Dir so erscheint, dass der Kopf unten ist, die Füsse nach oben gehen. Diese Wissenschaft giebt die Gründe an, worauf die Augentäuschungen bei*uhen, dass Ge- genstände, die man im Wasser erblickt, in unsern Augen uns grösser vorkommen, und dass sie unserem Auge entfernter imd kleiner erscheinen. 4. Die theoretische Musik (xavovixij) beschäftigt sich mit den Massverhältnissen der Tonlängen und der Tonentfemungen (Intervalle). Die gehörige und bestimmte Dauer eines Tones heisst Tonmass {^S-fj.6g, Takt, Metrik); das Verhältniss der (höher oder tiefer gelegenen) Töne zu einander heisst Melodie (jii'kog^ Tonart, Harmonie), 5. Es giebt auch noch eine andere Art von Klangverhältniss, welche sich allein auf das Zeitmass bezieht und Metrik (/uer^txr, Silbenmass) genannt wird, die dazu dient, dass man die (ge- hörige) Zusammenfügung der langen und kurzen und mittel- ^eitigen Silben und das mit den Regeln der Geometrie über- einstimmende Versmass mit Beihilfe des Gehöi*s genau abwägt. 6. „Allein diese Kenntnisse, fügt M. Varro hinzu, eignen wir uns entweder überhaupt gar nie an, oder wir werfen sie eher

tind einen Haapttheil der angewandten Mathematik ansmaclit Kavov^xri :8C rix^n BC. ^eofQ/a (ratio) ist derjenige Theil der theoretischen Musik, der das Verhältniss der Töne zu einander festsetzt, also die Töne auf der Tonleiter nach den yerschiedenen aQfjLovCaig abmisst und begreift Harmonik, Rhythmik, Metrik. 8. F. Bitschi „Die SchriftsteUerei des M. Terentios Varro" p. 504; Vitruv. I, l;;yergl. Teuffels Gesch. der röm. Lit 164, 6, \

XVI, 18, 4. Die Stimme, gleichwie die poetische Rede, muss an und f&r sich sowohl Rhythmus (modulatio) als auch Melos (sonus und canor) haben.

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(846) XVI. Buch, 18. Cap^ § 6. 19. Cap., § 1—8.

noch bei Seite, bevor wir eingesehen haben, warum wir sie uns eigentlich aneignen sollen. Das Vergnügen, fährt er foi*t, oder die Nützlichkeit solcher Kenntnisse, tritt (erst) in seinen Folgen zu Tage, wenn man sie (theoretisch) vollständig inne hat und ihrer Meister geworden ist, in ihren Anfängen aber kommt ihr Erlernen uns albeni und unangenehm vor."

XVI, 19, L. Eine aus dem (ersten) Buche Herodots entlehnte (märchen- haft klingende) Geschichte über den Saitenspieler Arion.

XVI, 19. Cap. 1. Herodot hat (uns im I.Buche, cap. 23flF.) durch eine sehr wirksame und fesselnde Darstellung und durch eine geschmackvoUe und ungekünstelte Behandlungs- weise im Ausdruck eine abenteuerliche Geschichte über den berühmten Saitenspieler Arion mitgetheilt. 2. Dieser Arion war in alten Zeiten (vetus) ein höchst berühmter Saiten- spieler. 3. Seinem engeren Geburtsorte nach war er Me- thymnseer, seinem giösseren Vaterlande und der ganzen Insel nach Lesbier. 4. Periander, der König von Korinth, hielt diesen Arion seiner Kunstfertigkeit halber als Freund und Liebling (hoch in Ehren). 5. Einst entfernte er sich jedoch von da vom König weg, die berühmten (herrlichen) Länder Sicilien und Italien ^u bereisen. 6. Als er dorthin kam, nahm er in den Städten dieser beiden Länder Ohren und Herzen Aller für sich ein und erwarb sich daselbst grosse Summen, lebte in lauter Lust und Wonne und wurde von allen Leuten geliebt. 7. Endlich bereichert mit grossen Geldsummen und vielen Werthsachen (kostbaren Angedenken) beschloss er, (schliesslich wieder) nach Korinth zurückzukehren. 8. Er suchte sich also ein korinthisches Schifif mit korinthischer Bemannung (fOr seine Rückreise) aus, weil die Korinther als

XYI, 19, 1. S. Hygin. Fab. 194; Servius ad Yerg. Ed. 8, 55; SoU- nos, 12; Platarch: Das Gastmahl der sieben Weisen 18.

XVI, 19, 8. LesboB, Insel im ftg&ischen Meere, war Geburtsort des Pittacos, Alcaeus, Theophrastos, Arion und der Sappho.

XYI, 19, 4. Periander, Herrscher Ton Gorinth, im 7. Jahrh. t. Gfar., einer der sieben Weisen Griechenlands, ermordete im J&hzom seine Gattin Melissa und übte dann gegen seine Unterthanen grosse Bedrückungen ans. üebrigens beförderte er Handel, Schiffahrt, Künste und Wissenschaften. VergL Herodot I, 28; HI, 48flE:; V, 94ff.

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XVI. Buch, 19. Cap., §8—16. (347)

äeine Landsleute ihm bekannter und befreundeter waren. 9. Er befand sich bereits (auch schon mit Hab und Gut) auf dem Schiffe, und dieses lief schon auf hoher See, da habe (heisst es) die Schiffsmannschaft, getrieben von Raub- und Geldgier, den Entschluss gefasst, den Arion ums Leben zu bringen. 10. Als dieser nun seinen Untergang vor Augen sah, da habe er dann all sein Geld und alles Uebrige (von Werth) ihnen gegeben, damit sie's behalten sollten, und sie gebeten, dass sie nur sein Leben schonen möchten. 11. Die Schiffer hätten (darauf allerdings) insofern mit seinen Bitten Mitleid gehabt, dass sie sich enthielten, ihm mit Gewalt eigen- händig den Tod zu geben, hätten aber (nichtsdestoweniger) verlangt, dass er sich nun sofort vor ihren Augen hinunter ins Meer stürzen solle. 12. Der Unglückliche, so heisst es weiter, gab nun in der Bestürzung alle Lebenshoffnung auf und erbat sich hierauf schliesslich nur noch dies Eine, dass sie ihm, bevor er in den Tod ginge, gestatten möchten, seine (besten) Kleider sich anlegen, sein Saitenspiel zur Hand nehmen und (erst noch) ein Trostlied seines Unterganges singen zu dürfen. 13. Die wilden und unmenschlichen Schiffer wandelt nun doch selbst die Lust an, ihn (noch einmal) zu hören; seine Bitte wird ihm gewährt. 14. Bald darauf (er- scheint er) nach seiner Gewohnheit bekränzt, angekleidet, geschmückt, stellt sich auf dem Platze des äussersten Schiffs- hintei-theils auf und stimmt mit erhobenster, durchdringender Stimme sein Lied an, sein (carmen i. e. vofxov oqd^iov, er- habenes, rührendes) hohes Lied an, wie man sagt. 15. Am Schluss seines Gesanges stürzte er sich mit seiner Leier und seinem ganzen (angelegten Kleider-) Schmuck, wie er stand und sang, hinab in die Tiefe. Die Schiffer waren durchaus nicht im Zweifel, dass er umgekommen sein müsse, und ver- folgten (ruhig) ihre Fahrt weiter, die sie eingeschlagen hatten. 16. Aber ein unverhoffter, wunderbarer, günstiger Umstand

XVI, 19, 14. Carmen orthi am »a vofiog oq&ioc^ ein Rettungslied zur Entfernung des ünglückB, Plut. sept aap. conv. 18 p. 161 C; über die Musik cap. 9. Eigentlich war dieser vofio^ oQ&iog, eine Art von Kriegsmusik, mit heryortretendem, lebhaftem (Marsch-) Hhythmus, in froherer Zei^ ohne Gesang, auf der Flöte (Glarinette) gespielt

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(348) XVL Buch, 19. C^)., § 16—23.

trug sich zu. Ein Delphin schwamm plötzlich unter dem Wasser herbei, legte sich unter den von den Wellen ge- tragenen Unglücklichen und trug ihn auf seinem über die Fluthen hinausragenden Rücken weiter und brachte ihn kör- perlich wohlbehalten und im vollen Schmuck nach Taenarus ins laconische (lacedämonische) Gebiet. 17. Darauf habe sich Arion von da geraden Weges nach Eorinth begeben und sei gerade so (in dem Anzüge), in dem er von dem Delphin ans Land gebracht worden war, wider Vermuthen vor den EOnig Periander erschienen und habe ihm die ganze Be- gebenheit umständlich erzählt. 18. Der König habe aber der Erzählung wenig Glauben geschenkt und 19. den Arion wie einen Betrüger und Lügner in Gewahrsam setzen lassen, habe aber trotzdem die Schififer ausfindig machen und sie dann unvermerkt, während Arion in der Nähe sich versteckt hielt, ausfragen lassen, ob sie wohl an den Oiten, woher sie jetzt kämen, etwas über den Arion gehört hätten? 20. Diese hätten nun angegeben, dass, als sie von dort weggereist wären, er sich gerade in Italien aufgehalten habe, dass es ihm dort ausserordentlich wohl ergehe und er durch die Zu- neigung und den Enthusiasmus der Städte auf der Höhe seines Glückes stehe und durch seine grosse Beliebtheit, wie durch seine grossen Geldeinnahmen wohlhabend und glücklich sei. 21. Während dieser ihrer (falschen) Aussagen sei Arion (plötzlich) mit seiner Zither und in demselben Anzüge, womit er sich in das weite (sturmbewegte) Meer hinaus- gestüi-zt hatte, (aus seinem Versteck) hervorgetreten; 22. die Schiffer, erstaunt und überführt, hätten nun (ihre abscheuliche, schändliche) That nicht mehr leugnen können. 23. Dieses (merkwürdige) Abenteuer erzählten die Lesbier, wie die Eo- rinther und es diene als Beweis für (die Wahrheit) dieses Märchens, dass (noch jetzt) bei (dem laconischen Vorgebiige) Taenarus zwei eherne Figuren zu sehen wären, der schwim- mende Delphin mit dem auf seinem Rücken sitzenden Men- schen (dargestellt).

XYI, 19, 28. S. Solinus 7.

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XVII. BUCH.

XYII, 1, L. Ausgesprochener Tadel des Qallus Asinias and des Largius Licinns über einen Gedanken aas Cicero*s Bede, welche er für M. Caelias gehalten hat, and was vernünftiger and entsprechender Weise sich gegen diese ganz albernen Menschen zur Vertheidigang des Gedankens

erwidern lasse.

XVn, 1. Cap. 1. So wie es lebende Geschöpfe gab, Ungeheuer von Menschen, welche über die unsterblichen Götter gottlose und betrügerische Ansichten verbreiteten, so gab es auch einige so ungeheuerliche und so frevelhafte (Subjecte) Personen, unter diese gehören auch Gallus Asinius und Largius Licinus, Verfasser des Buches mit der bekannten I abscheuliehen Auüschrift: „Cicerogeissel (Gicero- mastix)", Personen, die sich mit dem schriftlichen Urtheil hervorwagten, dass Cicero (bisweilen) sehr sprachunrichtig und unpassend und unüberlegt sich ausgedrückt habe. 2. Nun sind zwar (diese und) andere ihrer Vorwürfe weder des Er- wähnens, noch Anhörens werth, 3. indess wohlan, so lasst uns doch einmal eine Betrachtung bei einer Stelle an- knüpfen, wobei sich vor Allem diese Wortklauber selbst als

XYn, 1, L. Asinius Gallas, der Sohn des C. Asinius Poliio (yergl. Gell. I, 22, 19), besass zwar nicht die Eigenschaften seines Vaters, aber grosse Freimüthigkeit, wodurch er den Tiberius, dessen erste Gattin Yipsania er heirathete, sehr beleidigte, weshalb er mehrere Jahre in Ge- fangenschaft gehalten wurde, bis er (33) den Hungertod starb. Nach Sueton (Claud. 41) yerglich er in einer seiner Schriften seinen Vater mit Cicero, zu Ungunsten des Letzteren. Er erbte gleichsam von seinem Vater die Antipathie gegen Cicero. Auch die Manier des Sallust missfiel ihm. Vergl. Gell. X, 26, 1 und Suet. m. Gr. 10; desgL Bemh. r. L. 46, 182 u. 117, 550 und Teuffels Gesch. der röm. Lit 271, 3.

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(350) XVn. Buch, 1. Cap., § 4—8.

ganz überpfif&g vorgekommen sind. 4. Cicero in seiner Bede f(lr den M, Caelius (3, 6) schreibt so: „Denn was (dem M. Caelius Rufus) in Bezug auf seine Keuschheit vorgeworfen und was von allen den Anklägern nicht in der Form von Beschuldigungsgiilnden, sondern (ihm nur) durch Ausrufungen und durch Scheltworte offen vorgerückt wurde, das wird M. Caelius niemals so schmerzlich empfinden, dass er bereuen (d. h. sich darüber beklagen) s()llte, nicht missgestaltet ge- boren zu sein." 5. Denn nach ihrer Meinung hat sich Cicero in dem hier von ihm gebrauchten Worte: paeniteat (dass er bereuen sollte) nicht des richtigen Ausdrucks bedient, und stehe, wie sie behaupten, derselbe hier geradezu unpassend. 6. Denn das Wort „paenitere", bemerken sie weiter, pflege man nur dann zu sagen, wenn unsere eigenen Handlungen, oder das, was nach unserem Willen und auf unser Anrathen geschah, uns anfängt zu missfaUen und wir darüber unsere Meinung ändern; 7. Niemand aber rede richtig, der sich so ausdrücke: „(paenitere) dass er bereue, dass er sich hätte geboren werden lassen; oder bereue, dass er sterblich sei; oder dass er durch eine zufällige Beschädigung oder Ver- wundung an seinem Körper Schmerz empfinde," weil der- gleichen Dinge nicht in unserem Willen, noch in unserer freien Wahl liegen; sondern (Alles) dies wider unseren Willen und durch die unabänderliche Macht (und Nothwendigkeit) der Natur(-Gesetze) uns widerfährt: 8. so wie es doch wahrlich auch, sagen sie weiter, nicht vom M. Caelius abhing, sich bei seiner Geburt eine beliebige Gestalt zu verleihen, von der

XYII, 1, 5. Der Vorwurf des Asmios und Licinus ist pedantisch, da die besten Schriftsteller die Bedeutung des Wortes paenitere weiter ausgedehnt haben. Cicero hat zur grösseren Hervorhebung seiner Scherz- rede gerade absichtlich jenen Ausdruck gebraucht: ut eum paeniteat, non deformen esse natum, d. h. dass es ihn (gleichsam) gereue (er sich Qber sich beklage), nicht h&sslich geboren zu sein. Der junge L. Sempronius Atratinus hatte nämlich, wie Curius Fortunatinus S. 92 Capperon. be- richtet, den M. Caelius Rufiis den schönen Jason (pulchellum Jasonem) genannt, worauf Cicero (pro CaeL 8, 18) sodann die Clodia (die aus* schweifende Schwester des P. Clodius, mit welcher L. Sempronius Atra- tinus längere Zeit yerbotenen Umgang gepflogen hatte), welche also selbst nicht rein dastand und die Klage angestiftet hatte, die palatinische Medea nannte.

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XVn. Buch, 1. Cap., § 8-11. (351)

Cicero sagt, dass sie dem Gaelius nicht gereue (sc. sich ge- geben zu haben), als ob in diesem Umstände die Ursache zu suchen sei, dass er Grund hätte, dies zu bereuen. 9. Dies ist nach ihrer Behauptung der Sinn dieses Wortes und „pae- nitere" wird (nach ihrer Meinung stets) unrichtig bei Dingen verwendet, (wenn sib nicht in unserer Gewalt stehen) wenn sie nicht von unserem fi-eien Willen abhängen, obgleich ältere Schi-iftsteller den Gebrauch dieses Wortes mit einer gewissen Nuance der Rede weiter ausgedehnt und „paenitet" in dem Sinne gesagt haben, wie von paene (beinahe) und von pae- nuria (Mangel); allein dies gehört wo anders hin und soll anderwäi*ts besprochen werden. 10. Nun aber bei Erwägung der allerwärts gebräuchlichen und bekannten Bedeutung (von paenitere) enthält der von Cicero ausgesprochene Gedanke nicht allein durchaus nichts Unpassendes, sondern ist sogar höchst launig und scherzhaft (gebraucht), 11. Denn da die Gegner und Widersacher des M. Caelius, weil er sich durch körperliche Schönheit auszeichnete, seine Gestalt und sein Aeusseres zu schamloser Verdächtigung mit aller Gewalt herbeizogen, so benutzt Cicero dies als feine Anspielung auf einen so abgeschmackten Beschuldigungsgrund, weil sie ihm (was doch nicht von ihm selbst abhing) seine ihm von der Natur zuertheilte (schöne) Gestalt zum Vorwurf machten, und bedient sich (auf eine witzige Art) mit höhnischer Anspielung dieses lächerlichen, falschen Grundes und sagt mit vollem Bewusstsein: „non paenitet, d. h. nicht bereut es Caelius, sich nicht missgestaltet haben geboren werden zu lassen^, um gerade in diesem Punkte, weil er sich so ausdrückte, den Anklägern durch diesen ungerechtfertigten Vorwurf einen Hieb zu versetzen und ihnen auf scherzhafte Weise deutlich verstehen zu geben, dass sie ganz lächerlich handelten, wenn sie gerade so dem Caelius sein Aussehen zum Vorwurf machen wollten, gleich als ob es in seinem freien Willen gestanden hätte, sich bei seiner Geburt seine Gestalt selbst zu wählen.

XYIl, 1, 9. S. Paul. S. 222 paennria est id, qaod paene miniu sit, quam necesse est

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(352) XVIL Buch, 2. Cap., § 1—5.

XVn, 2, L. Einige bei der Lectüre eilends angemerkte Ansdrücke ans des Q. Clandius (Qnadrigarins) erstem Buche seiner Jahrbücher.

XVn, 2 Cap. 1. Wenn ich das Werk eines alten Schrift- stellers las, war ich stets bemüht, um hernach mein Ge- dächtniss zu stärken und anzuregen, (geistig) zu behalten und zu erwägen, was (Alles) etwa in dem Buche geschrieben stand, was in Bezug auf die zwei Beurtheilungsmöglichkeiten, des Lobes oder des Tadels, bemerkenswerth erschien. Und wahrlich, es war dies eine recht nützliche (Gedächtniss-) Uebung, um nöthigenfalls durch Rückerinnerungen (und aber- malige geistige Vergegenwärtigung) mir geschmackvolle Aus- drücke wie Gedanken anzueignen. 2. ^o wie ich mir folgende Stelle aus des Q. Claudius (Quadrigarius) erstem Buche seiner „Annalen*', wie ich mich erinnern konnte, wörtlich an- gemerkt hatte. Ich las das Buch nämlich vor den letzt- vergangenen zwei Tagen. 3. Da steht: „Die Meisten werfen die Waffen weg und verbergen sich wehrlos im Schlupfwinkel (illatrebant sese).** Der Ausdruck „illatrebant" schien (mir) dichterisch (gewählt), aber durchaus nicht ungeschickt noch rauh. 4. Dann heisst es weiter: „Die Lateiner, während dies geschieht^ auf ihren Muth sich verlassend (subnixo animo)." Das Wort (subnixo) ist ein ganz bezeichnender und durchaus nicht zufälliger Ausdruck, gleichsam für (sublimi) hoch- erhabenen und hochaufgerichteten (festgestützten) Muth (supra nixo), und bezeichnet die Erhabenheit des Muthes und die (eigene) Vertrauensstärke, weil wir durch das, worauf wir uns stützen, uns gleichsam (hoch) aufrichten und erheben. 5. Dann lautete eine Stelle: „Er befahl Jedem in seine Woh- nung zu gehen und all das Seine zu geniessen (frunisci).*' Der Ausdi-uck „frunisci" (gemessen) war zwar schon zur Zeit des M. Tullius (Cicero) ziemlich selten, später aber ganz ausserordentlich selten, und von denen, die in der alten

Xyn, 2, 1. Im Fall man hier die gewaltige Gedächtnisskraft des Gellius in Zweifel ziehen, oder seine Anführungen aus der Erinnerung Lügen strafen wollte, wendet Mercklin p. 687 dagegen ein, dass die mne- monischen Leistungen des Alterthums nicht mit modernem Massstabe ge- messen werden dürfen.

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XVn. Buch, 2. Cap., § 5—10. (353)

Literatur nicht bewandert waren, wurde ganz bezweifelt, ob „frunisd" (überhaupft) ein gut lateinischer Ausdruck sei. «. Das Wort „frunisci" ist aber nicht nur efn richtiges lateinisches Wort, sondern sogar noch ein viel angenehmeres und liebHcheree als (das einfache, gewöhnliche) „fnioi"*', und wie „fatiscor" von fateor (bekenne) abgeleitet wurde, so „fruniscor" von fruor. 7. Q. Metellus Numidicus, dessen lateinischer Stil doch fih* tadellos und fieckenrein gilt, hat in seinem Briefe, welchen er als Verbannter an Domitius schickte, also geschrieben: „Jene sind alles Rechts und aller Ehre verlustig, ich entbehre weder Wasser noch Feuer (wo ich mich jetzt befinde) und geniesse (fhiniscor) sogar noch den höchsten Ruhm.** 8. Novius be- dient sich dieses Wortes in seiner Atellanen- Posse, welche „Parcus (der Knicker)** überschrieben ist, also:

Qaod magno opere qaaesiyenmt, id frimisci non quennt

Qni non parsit apad se, fironitast, d. h.

Was sie mühsam za&ammenschairten, das können nicht gemessen sie.

Wer sich nichts zurückgelegt, hat genossen (das ird'sche Glück).

9. So sagt Claudius Quadrigarius noch : „Und die Römer ver- sahen sich reichlich (copiantui-) mit Waffen, mit grosser Zu- führ und ungeheurer Beute.** Das hier gebrauchte Wort „sich reichlich versehen (copiari)** ist nur ein Lagerausdruck und es dürfte schwer halten, ihn bei Römern zu finden, die Privatsachen verhandeln, und hat man dieses Wort den ähn- lichen Wortformen nachgebildet, wie „lignari" (Holz holen), „pabulari** (Lebensmittel und Futter auch fiir's Vieh versorgen, endlich auch „aquari** (Wasser herbeischaflfen). 10. Ferner seine Ausdmcksweise: „sole occaso'* (nach Sonnenuntergang) ist nicht ohne lieblichen Reiz, wenn Einer kein niedriges und gemeines Gehörorgan (d. h. Klanggefühl) hat. In den Zwölftafelgesetzen, wo sich dieser Ausdruck geschrieben findet, heisst es: „Vor Mittag soll man die Sache untei-suchen , während die beiden

XVII, 2, 7. Q. Metellus Numidicus woUte lieber in die Ver- bannuDg gehen, als auf das Gesetz des Volkstribuns G. Manüus Satuminus (wegen Ackervertheilung) eingehen und schwören; vergl GeU.Vn(VI), 11,3.

XVÜ, 2, 8. Novius (Naevius) vergl. Gell. I, 24, 1 und XV, 13, 4.

XVn, 2, 10. 8. W. Bein in Pauly's Real-Encyclop. Bd. ü p. 228.— Gerichtsverhandlungen wurden mit Sonnenuntergang geschlossen. Auct. ad Herenn. 11, 13, 20; Priscian X, 5, 32; Festus 305, 28 M.

GelliuH, Attische Nacht.. II. 2|.^^^ by GoOglC

(354) XVn. Buch, 2. Cap., § 10- K

anwesenden Parteien sich auslassen (gegen einander). Nach Mittag soll man der gegenwärtigen Partei den Prozess zu- sprechen (d. h. im Fall die andere Partei nicht erschienen sein sollte). Wenn heide Parteien (ambo i. e. actor et reus) zu- gegen sind, sei der Sonnenuntergang (sol occasus) die äusserste Frist der Verhandlung." 11. So sagt Claudius ferner noch: „Wir wollen (es) imentschieden lassen (in medium relinquemus)". Der gewöhnliche, ungebildete Mann sagt hier „in medio", denn er hält das Andere für einen Fehler und glaubt, wenn man die Redensart braucht : „in medium ponere'^ (öffentlich aus- stellen), sei dies auch eine unrichtige Wortverbindung, allein jeder, der diese Worte genau betrachtet, wird diese Redensart ganz bezeichnend und richtig finden, wie es ja auch kein Fehler ist, auf Griechisch zu sagen: &eivai elg iieoov (vor Augen führen). 12. Weiter stand da: „Nachdem gemeldet worden, dass man gegen die Gallier (in Gallos) gefochten, brachte diese Nachricht die Bürgerschaft in heftige Auf- regung." Gegen die Gallier durch „in Gallos" ist netter und feiner ausgedrückt, als mit den Galliern (cum Gallis) oder contra Gallos. Denn diese (beiden Wortverbindungen) sind schwerfälliger und gewöhnlicher. 13. Ferner heisSt es dort: „Zugleich an Gestalt, Tapferkeit, Beredtsamkeit, Ansehen, gleichwie an Energie und Selbstvertrauen zeichnete er sich aus, dass leicht zu ersehen war, er besitze durch sich und in sich ein bedeutendes Förderungsmittel (magnum viaticum, d. h. alle die nöthigen Eigenschaften) zur ümwälzimg des Staates." „Magnum viaticum'' ist ein neu gebrauchter Aus- druck für „magna facultas'' (bedeutende Mittel), oder „paratus magnus'' (grosse AusiUstung) und er scheint hierbei dem Bei- spiel der Griechen gefolgt zu sein, welche „eqpo'dtov" von der ursprünglichen Bedeutung: „Reisebedarf" auch auf irgend einen Vorrath in anderer Beziehung übertrugen (und ver- wendeten) und oft den Ausdruck itpodiaaov für das sagen, was man sonst ausdrückte durch „institue'' (richte Dich em) und „instrue", (rüste Dich aus, versorge oder versichere Dich). 14. Dazu kommt auch noch eine (andere) Stelle des Claudius Quadrigarius: „Denn M. Manlius, von dem ich bereits fi'üher

XVII, 2, 14. M. ManUus s. Gell. XVII, 21, 24; Liv. V, 47.

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XVn. Buch, 2. Cap., § 14-17. (355)

gezeigt habe, dass er das Capitol vor dem üeberfall der Gallier errettet hatte und dessen vorzüglich (cumprime) tapfere und siegbringende Dienstleistung im Vereine mit dem Dictator M. Furius vor dem gaUischen Feinde die Republik (deutlieh) kennen gelernt hat (389), dieser M. Manlius stand an Ab- stammung, Ansehen, Tapferkeit im Krieg Keinem nach/ Der Ausdruck „adprime" (vorzüglich, besonders) ist häufiger, aber „cumprime" seltener; das Wort ist von cumprimis abgeleitet und steht für in primis (unter den Ersten und Vorzüglichsten, dann adverbialiter gesagt: vorzüglich, besonders). 15. Femer steht da: „Dass er keine Reichthümer nöthig habe (divitias opus esse)**, also der Accusativ anstatt des Ablativs, wo wir divitüs (opus esse) sagen würden. Aber das ist kein Sprach- fehler, nicht einmal, wie man sonst zu sagen pflegt, eine be- sondere (von der gewöhnlichen abweichende) Ausdrucksweise ; denn es ist dies die gewöhnliche (einfache) Redeweise und die Alten haben sich ihrer ziemlich oft bedient und (deshalb) kann kein (besonderer) Grund (dafür) angegeben werden, warum, den Ablativ zu gebrauchen und „divitüs opus esse" zu sagen, lichtiger sein sollte, als den Accusativ „divitias''; man müsste denn die neuen (aufgestellten) Grundsätze der (jetzigen) Grammatiker für (unfehlbare) Orakelsprüehe {zefie- vüiv i€Qa) halten. 16. So findet sich auch folgende Stelle: „Denn dies ist und bleibt doch im höchsten Grade eine Un- gerechtigkeit von den Göttern, dass die Schlechteren (oft) unbehelligter bleiben (von den Schicksalsschlägen, sich meist einer dauernderen Gesundheit und eines höheren Alters er- freuen) und dass sie (diese Allmächtigen) gerade immer die besten Menschen nicht lange unter uns leben lassen (diur- nare).** ungewöhnlich ist hier der Ausdruck „diurnare" (lange leben) für „diu vivere", aber das Wort ist nach derselben Wort- form (gebildet), wonach wir sagen: „perennare" (viele Jahre dauern). 17. Weiter heisst es: „Mit ihnen unterhielt er sich (consermonabatur)." Bäui-ischer ist der Ausdruck „sermonari", aber richtiger (als consermonari), gebräuchlicher hingegen ist

XVII, 2, 14. adprime s. Gell. VI (VII), 7, 7 und über M. ManliuB vergl. Gell. XVII, 21, 24 und Plutarch vom „Glück der Römer" cap. 12. XVII, 2,19. Sanctitudo fani. lieber fanum s. Gell. XIV, 7, 7 NB.

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(356) XVn. Buch, 2. Cap., § 18—24.

»sennodnari", aber nicht so sprachrein. 18. Ferner: „Dass er nun auch nicht das (einmal) thun wolle, wozu er damals rieth.'' Hier sagt er „ne id quoque*' für „ne id quidem" (quoque), was zwar nicht sehr häufig im gewöhnlichen Gespräch, aber in den Schriften der Alten ungemein oft vorkommt, 19. Femer: „Die Heiligkeit (sanctitudo) des Tempels wird so hoch gehsdten, dass nie einer gewagt hat, sie zu verletzen. ** Die andern Ausdrücke „sanctitas" und „sanctimonia^' sind nicht weniger gut lateinisch, aber ich weiss nicht, warum gerade das Wort „sanctitudo" mir (trotzdem) würdevoller vorkommt.

20. Gerade so, wie M. Oato gegen L. Veturius den Ausdruck „duritudo** (harte ünempfindlichkeit) für gewaltiger fand, als wie „duiities", denn seine Worte lauten: „Wer jenes (Menschen) Schamlosigkeit kennt und seine Hartherzigkeit (duritudinem).*'

21. Erwähnenswerth ist auch noch eine (andere) Stelle bei diesem Claudius Quadrigarius : „Da die Samniter vom römi- schen Volke ein so bedeutendes Unterpfand (arrabonem) in den Händen hatten." Unter dem Ausdruck „arrabo" (Angeld, a^^aßciv) versteht er 600 Geissein, und er bediente sich lieber dieses Ausdrucks, als des gewöhnlichen „pignus", weil die Wirkung dieses Wortes in dem Gedanken eine nachdrücklichere und verschärftere ist. Jetzt rechnet man gewöhnlich das Wort „arrabo" unter die niedrigen Ausdrücke. Aber noch für viel (gewöhnlicher und) niedriger scheint der Ausdinick: „an-a* (Unterpfand, Angeld) zu gelten, obwohl den Ausdruck „arra* die Alten auch oft gebrauchten und sehr oft (besonders) Laberius. 22. Weiter steht geschrieben: „Sie haben die elendesten Wegstrecken (vias) bereits zurückgelegt/ Dann: 23. „Dieser Possendai-steller hat sich durch Müssiggangs- ange Wohnungen (otiis) zu Gründe gerichtet.** In beiden Fällen beruht die Feinheit im (Gebrauch des) Plural von „via" und „otium". 24. Dann heisst es: „Wo Cominius hinaufgestiegen war, stieg er (auch ungesehen) wieder hinab und schlug den Galliern ein Schnippchen (verba Gallis dedit)." Quadrigarius drückt dies durch die Worte aus, dass Cominius den Galliern nichts als (leere) Worte gegeben habe, weil er Keinem irgend etwas gesagt hatte und weil die Gallier, die das Gapitol be- lagerten, ihn weder hatten hinauf- noch hinabsteigen sehen. Er brauchte also die Redensart: „verba dedit" (er gab leere„

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XVn. Buch, 2. Cap., § 24—27. 3. Cap., § 1. 2. (357)

stumme, unhörbare Worte, d. h. er war verschwiegen), und setzte sie in keinem andern Sinne, als wenn man sagt: „latuit'' (er täuschte) und „obrepsit** (hinterging die Gallier). 25. Weiter heisst es: „Thalniederungen (convalles) und grosse Baum- pflanzuDgen (arboreta) gab es/ „Arboreta'' ist ein eben nicht sehr feiner Ausdruck, üblicher ist „arbusta''. 26. (Endlich) kommt da auch folgende Stelle vor: „Man war der Meinung, dass die, welche draussen mit denen in der 5urg unter einander Unterredungsaustausch (commutationes) und Ein- verständniss pflogen." Ungewöhnlich ist hier der Ausdruck „commutationes'', d. h. soviel als „collationes^' (Unterredungen) und y,communicationes'' (Mittheilungen), aber wahrlich weder ungeschickt, noch unschön. 27. Dies Wenige, was mir vor der Hand aus dem Buche nach dem Lesen noch im Ge- dächtniss gegenwärtig war, habe ich geglaubt, mir hier an- merken zu müssen.

XVII, 3, L. Eine Stelle ans dem 25. Buche des M. Varro „(Gebranche

der Vorzeit) in (göttlichen und) menschlichen Dingen'S worin er einen

homerischen Vers entgegen der allgemeinen Ansicht aaslegt.

XVII, 3. Cap. 1. Bei einer UnteiTodung, welche ich über die Zeitbestimmungen einiger zum Nutzen der Menschheit gemachten Erfindungen anregte, äusserte ein nicht ungebil- deter junger Mann, dass der Gebrauch des Spartum (des Pfriemengrases) in Griechenland lange unbekannt gewesen und erst viele Jahre nach der Einnahme von Troja aus Spa- nien hei-abergebracht worden sei. 2. In der Absicht, diesen Ausspruch zu verhöhnen, erhoben unter den Anwesenden zwei eben nicht so recht gebildete Menschen ein Gelächter, ein Paar Subjecte von dem Schlage, welche die Griechen mit dem Ausdruck ayoqaioi (Pflastertreter, Bummler) bezeichnen, und erklärten Dem, der die Bemerkung ausgesprochen hatte, ganz

XYn, 2, 27. S. NB § 1 Mercklin's BemerkoDg.

XVII, 8, 1. Spartam, iberische Grasart, Span, eeparto, Schill aTTCK^oy, To, Seil, Tau (eigentlich onc/^tti, wickeln, an%^to^ drehe, winde; Spiral) nicht ein SeU aus Spartum. In Spanien wurden Stricke und Schifibtaue aus Pfriemengras verfertigt, welche man zugleich auch zur Z&chtigung und Geisselung z. B. der Matrosen verwendete. Vergl. Horat Epod. 4, 8. S. Plin. H. N. 11, 8; 19, 7; 24, 49.

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(358) XVU. Buch, 8. Cap., §2—5.

oflfen ins Gesicht, dass er wahrscheinlich eine Ausgabe des Homer müsse gelesen haben, in der zufällig folgender Vers gefehlt hätte (aus d. Iliade II, 135):

Kai Sil SovQa aiaijTie v€iSv xal an agxa UIvvtm, d. h. Und schon verfaulen die Balken, die Taue der Schiffe zerreissen. 3. Darauf antwortete Jener ganz voller Zorn: meiner Ausgabe fehlte durchaus nicht dieser Vers, euch sicherlich aber ein (guter) Lehrer, wenn ihr euch einbildet, dass der Ausdruck OTtoLQta (gewundene Taue) in dem (homerischen) Verse das- selbe bedeute, was wir jetzt unter „spartum" (Schilfgras) ver- stehen. 4. (Ueber diese Aeusserung) erheben Jene nun. noch ein viel tolleres Gelächter und machten keine Miene sich ihrer Meinung zu begeben, wenn nicht von jenem (gebildeten, jungen) Manne des M. Vano 25. Buch „(Gebräuche der Vor- zeit) in (göttlichen und) menschlichen Dingen" herbeigeholt (und ihnen die Stelle gezeigt) worden wäre, worin sich vom Varro über diesen homerischen Vers folgende schriftliche Be- merkung findet: „Ich bin der Ansieht, dass das (spanische) Woi-t „spartum" (Riethgras, Schilfgras) ebensowenig mit dem bei Homer vorkommenden Ausdruck onagfca (Seile, Taue) zusammenhängt, als mit dem Wort ojcagzoi*) (die Ge- säten), womit die auf thebanischer Erde Geborenen (d. h. aus den vom Cadmus in die Erde gesäten Drachenzähnen hervorgewachsenen Erdensöhne) bezeichnet wurden. Denn ein häufiger Verbrauch von Schilfgras (vom spartum) fing sich erst an in Griechenland aus Spanien (herüber) zu ver- pflanzen. Auch die Liburner bedienten sich dieses Hilfe- mittels nicht, sondern diese fugten meistens ihre Schiffe mit Riemen zusammen, die Griechen mehr mit Hanf- und Heede- Werg und mit andern Saaterzeugnissen (die nicht wild wuchsen, sondern gesät wurden), woher sie auch den Namen anaQ^ta (Gesätes) erhielten." 5. Auf diese (schriftliche) Bemerkung des M. Varro hin, befinde ich mich durchaus in Zweifel dai-über, ob nicht die letzte Silbe in diesem Worte bei Homer scharf zu betonen sei, nur, weil Wörter, wenn sie aus einer allgemeinen Bedeutung in eine besondere von einer bestimmten Sache übergehen, durch die Abänderung der Betonungen unterschieden werden.

XVn, 8, 4. Sparta s. ApoUodor. m, 4, 1; Ammian. Marc. 19, 8.

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XVn. Buch, 4. Cap., §1-5. (359)

XVII, 4, L. Was der Dichter Menander zum Dichter Philemon sagte, Ton dem er oft migerechter Weise bei dramatischen Wettstreiten über- wunden wurde, und wie (selbst) Euripides, dieser erhabene Tranerspiel- dichter, Yon weniger verdienstlichen Dichtem besiegt wurde.

XVn, 4. Cap. 1. Menander wurde von Philemon, einem ihm keineswegs ebenbürtigen Schriftsteller, in den dramar tischen Wettkämpfen sehr oft durch (Schleichwege) Bestechung, Gunst und Parteilichkeit besiegt. 2. Als Menander einst seinem (bevorzugten) Gegner zufällig begegnete, begrüsste er ihn mit den Worten: „Ich bitte Dich, nimm es mir nicht übel, Philemon, aber gestehe mir ganz oflFen, schämst Du Dich nicht, wenn Du mich besiegst?" 3. Auch Euripides soll nach der Behauptung des M. Van-o, obgleich er 75 Trauerspiele geschrieben hat, doch nur mit fünf den Preis davon getragen haben, da ihn oft einige weit elendere Dichter besiegten. 4. Nach Einigen soll Menander 108, nach Andern 109 Lustspiele (hinterlassen) haben. 5. Allein ich las von dem höchst beiUhmten Schriftsteller Apollodor in seinem Werke, welches die Uebei-schi-ift führt: „Chronik, d. h. Ge- schichtsbücher nach der Zeitfolge ** folgende Verse über den Menander:

Kephisier ist von Gebort er und Diopeithes' Sohn, Hundert und fünf von ihm verfasste Dramen hat er hinterlassen nnd starb zwei und flinfidg Jahre alt

XVII, 4, 1. S. Quint. X, 1, 67 bis 72; Apulej. Florid. HI, 16. üeber Menander s. Gell. II, 23, 1. 7 NB.

XVII, 4, 1. Philemon, erster und ältester Dichter der neuen Gomödie, nach Suidas aus Syrakus, nach Strabo aus Pompgopolis iu Cüiden, lebte unter König Antigonus und sein Vater Dämon untar Ale- xander d. Gr. Er war Zeitgenosse Menanders, aber etwas älter als dieser, soU 97 Stücke geschrieben haben und 97 oder 99 Jahre alt geworden sein.

XVn, 4, 8. S. Suidas über Euripides.

XVn, 4, 5. Apollodorus, Athener, Sohn des Asklepiades und Schüler des rhodischen Philosophen Panaetios, wie des berühmten Kritikers Aristarch. Er lebte unter König Ptolemaeos Euergetes IL, schrieb eine Chronik, wovon wahrscheinlich die noch jetzt yorhandenen drei Bücher de origine Deor. ein Theil ist Erwähnt wird er: Diodor. Sic. I, 5; Xm, 103. 106; Ludan. in Macrob. 23; Diog. Laert. VIII, 2, 1; IX, 7, 6; Clemens Alexandr. Stromat L

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(360) XVn. Bach, 4. Cap., §6.-5. Cap., § 1. 2.

6. In ebendemselben Buche hat uns derselbe Apollodorus schriftlich mitgetheilt , dass Menander von allen den 105 Stücken doch nur mit 8 (seiner) Dramen den Preis davon getragen hat.

XVII. 5, L. Dass es keineswegs auf Wahrheit benihe, wie es einigen kleinigkeitskr&merischen Künstlern der Rhetorik erscheint, dass Cicero in seiner Schrift, welche er „Über die Freundschaft" verfasste, sich einer fehlerhaften ßeweisfühning bedient nnd das Bestrittene für das Erwiesene {dfi(f*oßiiTov/Äivov dvrl ofioloyovftivov i. e. ambignum pro confesso) gesetzt habe; sehr besonnene Untersuchung und Erörterung über diese ganze Angelegenheit.

XVn, 5. Cap. 1. In der im Wechselgespräch abgefassten Schrift, welche den Titel „Laelius, oder von der Freundschaft'' fbhrt, will Cicero beweisen, dass man die Freundschaft nicht aus Hoffnung und Erwartung auf Gewinn, noch des Vortheils und der Belohnung halber pflegen soll, sondern, weil sie selbst an und ftlr sich und in sich den vollen Inbegriff der Tugend und Rechtschaffenheit bildet, sei sie erstrebenswerth und be- gehrenswerth, auch wenn keine Aussicht auf irgend welche Vergütung und auf irgend welche Entschädigung durch sie sollte erlangt werden können, und dies zu beweisen, bedient er sich folgenden Gedankenganges und folgender Ausdrucks- weise und legt die Worte dem weisen C. Laelius (cap. 9, 30), dem vertrautesten Freunde des P. Scipio, in den Mund. 2. „Wie denn? War etwa Africanus meiner bedürftig? Nein, nicht im Geringsten, und auch ich nicht seiner, sondern ich habe ihn in Bewunderung seiner Tugend, er dagegen hat mich vielleicht wegen einer nicht ganz ungünstigen Meinung, welche er von meinem' Charakter hatte, liebgewonnen; das Wohl- wollen ward durch (unseren) Umgang genährt; allein obschon mannigfache und gi'osse äussere Vortheile die nothwendige Folge davon waren, so gingen doch nicht von der Erwartung dieser (Voitheile) die ersten Regungen zur Werthschätzung aus. Denn wie wir wohlthätig und freigebig sind, nicht um Dank einzutreiben, denn mit Wohlthaten treibt man ja nicht Wucher, sondei'n man ist schon durch ein natürliches Gefühl zur Freigebigkeit geneigt, so halten wir die Freundschaft, nicht gelockt von der Hoffnung auf Lohn, für erstrebenswerth, sondern weil all ihr Vortheil eben in der Liebe beruht.*^

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XVIL Buch, 5. Cap., §3—5. (361)

3. Als diese Stelle in einem Kreise von gelehrten Männern zufällig vorgelesen wurde, erhob sich ein gewisser rhetorischer Sophist, kundig beider Sprachen, der griechischen wie latei- nischen, ein aDerdings nicht ganz unverdienstvoUer Mann aus dem Verbände jener spitzfindigen und kritteligen Lehrmeister, welche man gewöhnlich „Kunstverständige oder Kunstkritiker (rexvtxoiy nennt, jedoch auch ebenfalls in seiner Er- örtemng (immerhin etwas) schwerfällig (gewissenhaft genau, pedantisch): Dieser erhob sich also und sprach die Meinung aus, dass Cicero sich hier keines ganz richtigen, noch vollständig überzeugenden Beweisgrundes (a7todeiKTiy,6v) be- dient habe, sondein dass er den noch fraglichen (zweifelhaften) Gegenstand selbst zum Beweisgrund der aufgestellten Frage verwendet habe, und er bezeichnete diese fehlerhafte Art zu schliessen mit einem griechischen (Kunst-) Ausdruck, weil Cicero (wie er sich ausdiUckte afiq>iaßrp;ovfiepov avrl ofiolo- yovfiivov) das Bestrittene (Zweifelhafte) fbr das Erwiesene angenommen hätte. 4. Denn Cicero, sagt er, setzt Wohl- thätigkeit und Freigebigkeit (bei den Menschen) voraus, zur Bekräftigung dessen, was er über die Freundschaft sagt, da (es doch noch gar nicht ausgemacht ist und) sowohl gefragt zu werden pflegt, als auch gefragt werden muss, in welchem Falle Jemand (wirkliche) Freigebigkeit und Wohlthätigkeit ausübt, nach welchem Plane oder in welcher (vorausgesetzten) Absicht Jemand wohlthätig und freigebig ist? ob Einer etwa gar nur (in der Absicht) wohlthätig ist, weil er einen Aus- gleich (und Entgelt) seiner Gefälligkeit erwartet und, wie dies bei sehr Vielen der Beweggrund zu sein scheint, weil er Den, gegen welchen er sich wohlthätig und wohlwollend erweist, wieder zu gleichem Liebesdienst gegen sich heraus- zufordern denkt, oder, weil ihm Wohlwollen angeboren ist und Wohlthätigkeit, wie Freigebigkeit an und für sich Ver- gnügen gewährt, ohne irgend welchen Bemühungsanspruch auf eine Wiedererkenntlichkeit, was fast nur höchst selten vorkommt 5. Seiner Meinung nach aber, sagte dieser Sophist,

Xyn, 5, 8. Petitio principii, Ao&telluiig dner unerwiesnen Behauptung als Grundsatz, also eine Scheinbegründung. Technici vergl. Quint. n, 18, 15.

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(362) XVn. Buch, 5. Cap., § 5—11.

müssten Beweisgründe (stets) klar und annehmlich oder aus- gemacht sein und keineswegs zweifelhaft und Widersprüche enthaltend, und nur ein solcher Satz verdiene, wie er sagte, den Namen Schlusssatz (ctTtodei^ig): weil eben das Zweifel- hafte und Undeutliche sich nur durch das Unzweideutige (und Gewisse) erklären und beweisen liesse. 6. Und um nun noch deutlicher zu zeigen, dass Wohlthätigkeit und Freigebigkeit nicht als Beweis und Beispiel dürfe verwerthet werden für Das, was man von der Freundschaft verlangt, sagt er, kann durch dasselbe Gleichniss und durch dasselbe Seitenstück zu einer vernünftigen Ansicht umgekehrt auch die Freundschaft zum Beweisgrund verwendet werden (was man von der Frei- gebigkeit und Wohlthätigkeit verlangen kann), wenn z. B. Jemand behauptet, die Menschen müssten wohlthätig und freigebig sein, nicht wegen irgend einer Hoffnung auf Profit, sondern (rein) aus Liebe und Eifer zur Rechtschaffenheit. 7. Es könnte nämlich Einer ganz ähnlich auch also sagen: Denn sowie wir die Freundschaft nicht nur in der Hoffnung auf Gewinn und Voitheil hochhalten, so sollen wir auch nicht wohlthätig und freigebig sein aus (blosser) Absicht auf Gegen- gefälligkeit. 8. Allerdings, fügte er hinzu, wird Einer sich so ausdrücken können, allein es wird weder die Freundschaft der Freigebigkeit, noch die Freigebigkeit der Freundschaft als Beweisgrund gegenüber gestellt werden können, da über beide gleichmässig die Frage offen bleibt, wie weit das Ver- langen und die AnspiUche gehen können, welche man an beide stellen darf. 9. In Betreff dieser Einwendungen schien Einigen dieser sprachfertige Kunstkenner einsichtsvoll und verständig gesprochen, allein offenbar die Wortbegriffe nicht richtig und deutlich verstanden zu haben. 10. Denn wenn Cicero von einem Wohlthätigen und Freigebigen spricht, so vereteht er darunter, ganz in dem Sinne, wie die Philosophen diesen Ausdruck gebrauchen, nicht Denjenigen, der, wie er sich selbst ausdrückt, mit seinen Wohlthaten Wucher treibt, sondern einen Solchen, der Gutes thut, ohne dass irgend (eine Nebenabsicht) ein heimlich versteckter Hintergedanke für seinen eigenen Gewinn und Vortheil dabei im Spiele ist 11. Also keines unverständlichen und zweideutigen Beweis- grundes hat sich Cicero bedient, sondern eines ganz be-

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XVn. Buch, 5. Cap., § 11— U. 6. Cap., § 1. (363)

Stimmten und einleuchtenden, zumal man ja doch bei Einem, der in Wirklichkeit als wohlthätig und freigebig gilt, nicht erst (l^Qg^) fr&gt, in welcher Absicht er wohl Freigebigkeit und Wohlthat ttbt. 12. Denn mit ganz anderem Namen (als mit dem „eines Wohlthätigen oder Freigebigen**) muss man (zweifelsohne) Einen bezeichnen, im Fall er bei ähnlichen (Wohlthätigkeits- oder Freigebigkeits-) Handlungen eher an seinen eigenen Vortheil, als an den des Andein denkt. 13. Der (vorgebrachte) Tadel von diesem Silbenstecher hätte viel- leicht noch einigen Grund gehabt, wenn Cicero sich so aus- gedrückt hätte: „Gleichwie wir Wohlthätigkeit und Freigebig- keit üben, nicht um Gegengefälligkeit (dafür) einzukassiren**, denn dann dürfte es scheinen, als könnte die Wohlthätigkeits- ausübung sich auch mit einem nicht (wahrhaft) Wohlthätigen vertragen, wenn überhaupt diese (edle Neigung) nur erst durch irgend einen Umstand veranlasst würde und nicht (schon geboten wäre) durch den beharrlichen Herzenszug selbst zu fortgesetzter Wohlthätigkeit. 14. Da nun aber Cicero von (wirklicher, ächter) Wohlthätigkeit und Freigebig- keit spricht, und darunter eben keine andern Regungen ver- steht, als die, von denen oben die Rede war, so hat er sich, so zu sagen, mit ungewaschenem Fusse und Mund daran gewagt, die Rede dieses so höchst gelehrten Meisters zu bekritteln.

XVII, 6, L. I)aB8 Verrias Flaccns im 2. Buche seiner Schrift, welche

„über dunkle Stellen des iä. Cato^^ handelt, eine falsche Erklärung des

Begriffs „servus receptitius" gegeben hat.

XVII, 6. Cap. 1. Als Cato das voconische Gesetz be- fürwortete, bediente er sich folgender Wendung: „Zuerst brachte euch die Frau eine beträchtliche Mitgift*), dann behält sie sich eine bedeutende Geldsumme vor, worüber

XVn, 6, 1. Ueber das voconische Gesetz s. GelL VI (VII), 18, 3NB und XX, 1, 28. Servus receptitius, welcher der Frau bd der üebergabe der Dos als aasschliessliches Eigeothum durch Stipulation (contractlich) vorbehalten ist, s. Fest. 282, ^ und Nonius 54, 9. *) Magna dos, beträchtliche Mitgift. S. Apulg. Apolog. 67. 88. p. 540 und 574; Oud, Cod. Just V, 4, 9; Tertull. ad uxor. II, 8.

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(364) XVn. Buch, 6. Cap., § 1 7.

dem Manne nicht selbständige Verfügung zustand; diese Geldsumme streckt sie leihweise dem Gatten vor; später, wenn sie erzürnt worden war, so trug sie ihrem sich vor- behaltenen (und deshalb ihr allein eigenen) Sklaven (servum recepticium) auf, auf Schritt und Tritt dem Gatten zu folgen und ihn (um diese ihre eigene Summe) dringend zu mahnen/ 2. Man warf nun die Frage auf, was unter einem „servus recepticius^ zu verstehen sei. Sofort beeilte man sich des Vemus Flaccus Schriften über „dunkle (schwer ver- ständliche) Stellen des M. Cato*' aufzusuchen und herbeizuschaffen. Da fand sich denn im 2. Buche die ge- schriebene Bemerkung vor, dass unter „servus recepticius'' ein nichtswürdiger Taugenichts zu verstehen sei, der, obgleich er (schon) verkauft worden war, wegen eines Fehlers zurück- gegeben und zui-ückgenommen worden sei. 3. „Deshalb", heisst es dort weiter, „erhielt ein solcher Sklave (von seiner Ge- bieterin) den Auftrag, ihren Gatten aller Orten um das Geld zu mahnen, damit durch diese Massregel die Kränkung grösser und der Schimpf für den Gatten unangenehmer würde, weil ihn ein solcher nichtswürdiger Bube (vor aller Welt) um Rückerstattung der Geldsumme zur Bede stellen konnte." 4. Allein mit Genehmigung und Erlaubniss Derer, die etwa für die Erklärungsweise des Verrius Flaccus eingenommen sein sollten, sei Folgendes gesagt: 5. Die Bedeutung des Be- griffs „recepticius servus'^ in dem von Cato angegebenen Falle ist eine ganz andere, als Verrius angegeben. Und dies wird (aus Folgendem) Jedem leicht einleuchten; 6. denn dieser Fall liegt zweifelsohne so: Wenn ein Weib ihrem Ehegatten die Mitgift einhändigte, gebrauchte man zur Bezeichnung dessen, was sie von ihrem Hab und Gut sich vorbehielt und dem Manne (also) nicht mit (übergab und) abtrat, den Aus- di-uck: recipere (sich vorbehalten, für sich zurückbehalten), wie man heutigen Tages noch bei Veräusseining von Dingen, welche man (sich) herausnimmt (bei Seite legt) und nicht mit verkauft wissen will, sagt: recipi (d. h. dass sie vorbehalten bleiben sollen). 7. Dieser Ausdruck findet sich auch bei

Xyn, 6, 2. Yerrias Flaccos de obscoris Gatonis s. Teaffels röm. Lit Gesch. 118, 4.

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XVn. Buch, 6. Cap., §7-11.-7. Cap., § 1. (365)

t^Iautus in seinem „Brautscbatz*' (Trinummus I, 2, 157 [194]) in folgendem Verse:

Das Hinterhaus behielt er sich vor (recepit) beim Hausverkauf, d. h. als er das Haus verkaufte, veräusserte er den kleinen Theil, der hinter dem Hause lag, m'cht mit, sondern (behielt ihn zurück, d. h.) behielt (ihn) sich vor. 8. Auch Oato selbst, in der Absicht eine reiche Frau zum Gegenstande seiner Be- trachtung zu machen, sagte: „Die (Ehe-) Frau giebt theils ein grosses Heirathsgut (an den Mann ab), theils lässt sie sich eine grosse Geldsumme im Voraus garantiren (recipit), d. h. (sie giebt nicht nur ein grosses Heirathsgut, sondern auch noch eine bedeutende Summe) an welcher sie jedoch gleich das Eigenthumsrecht im Voraus fernerweit beansprucht (retinet). 9. Von diesem ihren (eigenen eingebrachten) Be- sitzthumsantheil (ex ea re familiari), den sie nach Uebergabe des Heirathsgutes sich vorbehielt, giebt sie diese ihre Geld- summe dem Ehemanne leihweise. 10. Wenn sie sich nun zufällig einmal über ihren Mann erzünit und sich vorgenom- men hatte, diese (besagte) Geldsumme von ihm sich zuiUck- zufordern, so bestimmte sie dazu, als (drängenden) Mahner, den servus recepticius, d. h. ihren vorbehaltenen (Leibeignen) Sklaven, den sie sich mit der noch übrigen Geldsumme vor- behalten und nicht dem Heirathsgute einverleibt, sondern zurückbehalten hatte: denn der Frau stand nicht das Recht zu, einem Sklaven ihres Mannes Befehle zu geben, sondern nur ihrem eigenen. 11. Ich erspare mir, zur femerweiteren Aufrechthaltung dieser meiner Ansicht alle weiteren Worte, denn beide Ansichten liegen offen, jede für sich, da, sowohl die, welche von Verrius aufgestellt wird, wie auch die von mir. Jeder kann sich also nun selbst für diejenige von beiden entscheiden, welche er für die richtigere hält.

XYII, 7, L. Folgende Stelle aus dem atinischen Gesetze: „Quod sub- raptam erit*), ejud rei aeterna anctoritas esto, d. h. was (heimlich) entwendet wird, an solcher Sache soll ewiger Eigenthumsansprach ver- bleiben'S schien dem P. Nigidius and dem Q. Scaevola als eine getroffene Vorkehrung ebensowohl in Betreif eines schon verübten, als eines noch bevorstehenden Diebstahls.

XVIl, 7. Cap. 1. Eine Stelle des alten atinischen XVII, 7, L. *) Tempora des Passivs in vollendeter Handlang werden

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(366) XVn. Buch, 7. Cap., § 1—6.

Gesetzes lautet: „Was gestohlen (worden) sein wird, an solcher Sache bleibt der Anspruch auf Eigenthum unverjäbrt, oder findet kein Veijährungsrecht statt." 2. Wer wird sich wohl einfallen lassen, aus dieser Stelle einen andern Sinn herauszufinden, als dass dies Gesetz sich nur auf zukünftige Fälle beziehe. 3. Q. Scaevola aber erzählt, dass sein Vater (einst) zwei sehr gelehrte Männer, den Brutus und Mani- lius zu Rathe gezogen habe, weil er in Zweifel darüber war, ob dies Gesetz nur bei zukünftigen Diebstählen in Kraft trete, oder auch bei vorher begangenen, weil die Ausdrucksweise: „quod subruptum erit" eine doppelte Zeit- annahme zuzulassen scheine, sowohl die vergangene wie die zukünftige. 4. Daher schrieb P. Nigidius, der gelehrteste Mann im römischen Reich , in Betreff der Ungewissheit und Bedenklichkeit dieser beiden Männer im 24. Buche seiner „Beispielsammlung über Grammatik^ und war selbst auch der Ansicht, dass eine deutliche Angabe der Zeit unbestimmt gelassen sei; 5. aber er hat sich bei seiner Erklärung sehr kurz gefasst und bleibt unverständlich, so dass man die ein- zelnen Bemerkungen mehr zur Unterstützung seines Gedächt- nisses hingeworfen sieht, als zur Belehrung und Unterweisung der Leser. 6. Doch scheint er bei alledem damit haben

gebildet durch die Umschreibung des Particips mit dem Hfil&zeitwort esse Das Paiücipium perf. pass. mit sum, eram, ero, esse, fuisse yerbunden wird zu den temporibus der fonna passiva gerechnet S. Zumpt. § 494, 8.

XVn, 7, 1. Lex Atinia (de usucapionibus, seu de rebus furto Burreptis uon usu capiendis>, war ein Gemeinebelieben (plebiscitum), vom Yolkstribun Atinius gegeben (557 d. St.) 197 ▼. Chr., nach welchem Keinem ein fremdes Gut unter dem Titel eines lang anhaltenden Besitzes ver- bleiben, sondern der Eigenthümer allezeit sein Recht daran behalten sollte. Cic. Yerr. Act U, lib. I cap. 42. Es war also eine Wiederauffiischung Yon dem üsucapions -Verbote der gestohlenen Sachen nach den Zwölf- tafelgesetzen. Vergl. Gell. XIV, 8, 2 NB.

XVII, 7, 3. Manius Manilius, 605 Consul, gehörte zum Freundes- kreise des jüngeren Africanus. S. Teuffels röm. Lit 139, 1. Ueber M. Junius Brutus § 139, 2 bei Teuffei; über P. Mucius .Scaevola § 139, 4 ebendaselbst

XVn, 7, 4. Ueber Nigidius s. Gell. IV, 9, 1 NB.

XVII, 7, 5. Ueber des Nigidius Figulus (commentarii grammatici) 8. Teuffels röm. Lit. Gesch. 196, 4; vergl. Gell. X, 5, 1; XIX, 14, 3.

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XVn. Buch, 7. Cap. §6—8.-8. Cap., § 1. (367)

sagen wollen, dass das Wort „esse" und „erit", wenn jedes für sich allein steht, auch jedes fUr sich seine bestimmte Zeit angiebt und beansprucht, aber (als Hülfszeitwort) in Ver- bindung mit dem Peiiectum (passivi) verlieren sie ihren eigenen Zeitbegriff und richten sich (anschliessend) nach dem Perfectum. 7. Wenn ich also sage: „in campo est" (er ist auf dem [Mars-] Felde), „in comitio est" (er ist in der [Volks-] Versammlung), so bezeichne ich damit einen Zeitbegriff der Gegenwart, ebenso wenn ich sage: „in campo eril" (auf dem [Mars-] Felde wird er sein), so verlege ich den Zeitbegriff in die Zukunft; allein wenn ich sage: „factum est" (es ist ge- macht worden), „scriptum est" (es ist geschrieben worden), „subruptum est" (es ist gestohlen worden), so wird, obwohl „est" der gegenwärtigen Zeit angehört, es doch mit der Ver- gangenheit verschmolzen und verliert den Begriff der Gegen- wart. 8. So, sagte er, verhält es sich auch mit der in dem Gesetz enthaltenen Stelle: Wenn Du die beiden Wörter trennst und für sich hinstellst, „subruptum" und „erit", dass Du „subruptum" so auffassest, wie „certamen erit" (ein Kampf wird stattfinden, oder „sacriflcium erit" (ein Opfer wird statt- finden), dann wird es scheinen, dass das Gesetz eine Bestimmung fOr die Zukunft ausdillcke, fasst man aber die beiden Begiiffe „subreptum erit*" (es wird gestohlen sein) als eng mit ein- ander verbunden, nicht als zwei, sondern als (einen zusammen- gehörigen Begriff als) ein Woi*t auf und zwar als einfach zusammengehörige Passivform, dann ist in dem Worte eben- sowohl das Verhältniss der vergangenen, als der zukünftigen Zeit vor Augen gehalten (und bedeutet, was gestohlen werden wird, als was gestohlen worden sein wird).

XVII, 8, L. Bei den gelehrten Unterredungen an der Tafel des Philo- sophen Tanms pflegten gewöhnlich derartige Fragen verhandelt zu werden, wie z. B. warum das Oel oft und leicht, Weine (schon) seltener, der Essig aher fast nie gefHere? Ferner, dass das Wasser in den Flüssen nnd Quellen zufriere, das Meer aber nie gefriere?

XVII, 8. Cap. 1. Der Philosoph Taurus zog uns zu Athen sehr oft gegen die Zeit des Tages, wenn es bereits

XVII, 8, 1. üeber Tischgespräche s. Gell. I, 22, 5; VH (VI), 18; XVm, 2; XIX, 9, 1 NB.

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(368) XVn. Buch, 8. Cap^ § 2—9.

schon zu dämmern angefangen hatte, zur Tafel. 2. Qiese (Abend-) Zeit ist nämlich dort die gewöhnliche, das Mahl ein- zunehmen. Der wesentliche Theil des Mahles und das ganze Hauptgericht bestand gewöhnlich aus einer einzigen Schösset von ägyptischen Linsen mit in kleinen Stückchen dran ge- schnittenem Kürbis (Melonen) darin. 3. Als eines Tages die- selbe Schüssel gebracht und auf die Tafel gesetzt wurde und wir uns eben anschickten und in Erwartung standen (das Mahl einzunehmen), gab Taurus vorher noch einem (grie- chischen) Knaben den Auftrag, etwas Oel in die Schüssel auf das Gericht zu giessen. 4. Dieser von Geburt attische Knabe war höchstens 8 Jahre alt und voll der drolligsten, seiner Jugend und seinem Volke angeborenen Einfälle. 5. Er bringt, seiner (Aus-) Rede nach aus Vei-sehen, eine leere samische Flasche herbei, kehrt sie um, führt sie mit der Hand auf der ganzen Fläche der Schüssel umher, wie er gewohnt war, allein es kam kein Oel heraus. 6. Voller Unwillen und mit zornigen BUcken besieht sich der Knabe die Flasche, schüttelt sie ganz heftig und fährt (damit) wieder über die Schüssel hin (allein es kommt kein Oel heraus). 7. Als wir Alle darüber unvermerkt insgeheim lachen, sagt der Knabe (der dies gemerkt hatte) zu uns auf griechisch und zwar ganz fein attisch: „Ihr braucht gar nicht zu lachen, es ist wohl Oel darin , allein ihr glaubt (wisst) nicht, wie gross heut in der Frühe die Kälte war, daher ist das Oel gefi-oren." 8. Ich nehme sofort die Peitsche, sagte Taurus mit lächelnder Miene, gehst Du nicht eilends und holst Oel (herzu). Als nun aber der Knabe zum Einkauf hinausgegangen war, benutzte Taui-us, durch die Verzögerung keineswegs sehr in Zorn gebracht, die Zeit zu folgender Bemerkung: Die Schüssel bedarf unbedingt noch Oel (ehe man ans Essen geht), doch, wie ich sehe, ist die Speise auch noch ungeniessbar siedend heiss. warten wir also mit Zulangen und versuchen wir unterdessen, da uns der Knabe einmal bedeutet hat, dass das Oel zu gefrieren pflegt, in Erwägung zu ziehen, warum das Oel zwar oft und leicht gerinnt, Weine (aber nur) selten gefrieren? 9. Dabei sah er mich an und (gab mir dadurch zu verstehen, dass er) wünschte,

XVn, 8, 8. S. Macrob. Sat. VIT, 12.

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XVn. Buch, 8. CiHP-» S 10—17. (369)

ich sollte meine Meiniing sagen. 10. Darauf antwortete ich, dass meiner Muthmassung nach der Wein deswegen weniger schnell gefriere, weil er mehr Wärmestoff bei sich führe und von Haus aus feuriger sei, weshalb er auch von Homer feurig*) genannt worden sei {aX^oxp ohog\ nicht aber, wie Einige meinen, von der (dunkelrothen) Farbe**). 11. Es ist ganz richtig, wie Du sagst, erwiederte Taurus: denn darüber ist man so ziemlich einig, dass der Wein, sobald man ihn getrunken hat, den Köi-per erwärmt. 12. Allein fast ebenso erwärmend ist auch das Oel und hat einen nicht ge- ringeren Einfluss bei Erwärmung des Körpers. 13. Damit ist (nun eigentlich) in üebereinstimmung zu bringen, wenn näm- Kch alles Das, was wärmer ist, schwerer zum Gefrieren kommt, dass dann Alles, was kälter ist, leichter gefriert. 14. Von Allem aber am meisten ist der Essig kühlend (d. h. von kalter Natur) und doch erstarrt er niemals (zu Eis). 15. Ob nun vielleicht beim Oele der Grund des schnelleren Gei-innens mehr in dessen Weichheit (Leichtigkeit, Mildheit) liegt? Es scheint daher also alles Das leichter zu gerinnen und zu ge- firieren, was eine grössere Weichheit und Leichtigkeit besitzt. 16. Daher, sagt er, sei wohl auch die Frage der Erörterung werth, warum das Wasser in den Flüssen und Quellen zufriere, das Meer aber überhaupt ungefrierbar sei? Obgleich, fährt er fort, der Geschichtsschreiber Herodot (Melpom. IV, 28), gegen die Ansicht fast Aller, welche diese Frage erörtert haben, die schriftliche Bemerkung macht, dass das bosporische Meer, welches das kimmerische genannt wird, und das Meer, welches [das scythische heisst, nach allen Seiten hin gefriere und erstarre (und tragbar werde). 17. Während dies Taurus vorgebracht, war unterdessen der Knabe (mit dem

XVII, 8, 10. •) Hom. n. I, 462; IV, 269; Odyss. IX, 360; XIV, 447.

XVn, 8, 10. **) Hom. Odyss. XII, 19, wo es mit (Qv&^g (röthlich) yerbimden ist Athenaeos n, sect 2 (35) und XI, sect. 13 (465). Cfr. Plutarch: Tischreden VI, 7, 2 «r^oi/;.

XVII, 8, 16. S. Herodot. 4, 12. 28 und Pompon. Mela 2, 1. Cim- merium (mare), der kimmerische Bosporos (jetzt Strasse von Jenikale), verband den maiotischen See (asowsches Meer) mit dem Pontos Eiudnos; er galt als Grenze Europas gegen Asien und hatte den Beinamen von den alten Eimmeriem.

GelliaB, Attische Nftclite. n. 24

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(370) XVn. Buch, 8. Cap., § 17. 9. Cap., § 1—5.

Oele) zurückgekommen und die Schüssel abgekühlt, und es war nun die Zeit zum Essen und Schweigen gekommen (tem- pus*) edendi et tacendi).

XVII, 9| L. lieber (Bnchstabenzeichen nnd) SchreibkQrznngen (Abbreyia- taren), welche sich in der Briefsammlang des C. Caesar finden ; dann noch über andere Geheimschreibzeichen aus der alten Geschichte entlehnt; nnd was unter einer laconischen axvTuXri (geheimen Depesche oder Znfertignng) zu verstehen sei.

XVII, 9. Cap. 1. Es giebt von C. Caesar eine Samm- lung von Briefen an den C. Oppius und Baibus Cornelius, welche (beide Männer) während seiner Abwesenheit seine Geschäfte besorgten. 2. In diesen Briefe finden sich an einigen Stellen vereinzelte Buchstaben ohne Sübenvervoll- ständigung (d. h. Schreibabkürzungen), von denen man glauben könnte, dass sie ohne Zusammenhang hingesetzt sind, denn aus diesen (einzelnen) Buchstaben (in diesen Briefen) kann kein logischer Zusammenhang herausgebracht werden. 3. Es fand aber unter diesen (Dreien) ein heimliches Ueberein- kommen in Bezug auf die Veränderung der Buchstaben-Reihen- folge (im Alphabet) statt, so dass ein Buchstabe des andern Stelle und Bedeutung erhielt, indess jedem beim Lesen seine richtige Stelle und die rechte Bedeutung wiedergegeben wurde. 4. Freilich beliebte es vorher gegenseitig Denen, die die dunkle, nur dem Eingeweihten verständliche Schreib- (und Ausdrucks-) weise sich zui-echtlegten (sich gegenseitig darüber zu verständigen), wie ich bereits erwähnte, welcher Buchstabe an die Stelle des andern gesetzt werden sollte. 5. Es giebt sogar eine von dem Grammatiker Probus sehr sorgfältig abgefasste ^Erklärungstabelle (als Schlüssel) über diese geheime, in den Briefen des C. Caesar verwerthete

XVn, 8, 17. •) Cfr. GeU. VII (VI), 13, 3. Erat initium loqnendi edendi finis.

XVII, 9, L. Chiffernsprache, System ahgekOrzter Worteeichen und Schriftzüge, erster stenographischer Versach. Vergi. Bemhard/s röm. Lit 14, 50.

XVn, 9, 3. Ueher Caesars Geheimschrift s. TeuffelB Gesch. d. rOm. Lit 192, 8; Paoly's Realencyklopäd. Bd. V, S. 706 ff.

XVn, 9, 5. üeher Valerios Prohus s. Gell. 1, 15, 18NIi; Teoffels Gesch. der rOm. Lit 295, 4 und Steup, de Prohis grammaticis« Jena. 1870.

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XVn. Buch, 9. Cap., § 6—15. (371)

Zeichenschrift." 6. Wenn die alten Lacedämonier aber den Inhalt von Briefen, welche sie öffentlich an ihre Feldherren geschickt hatten, vorsätzlich zu verhehlen' und zu verbergen beabsichtigten, damit, im Fall diese Briefe von den Feinden aufgefangen würden, doch Niemand ihre Absichten errathen möchte, schickten sie diese Briefe derartig abgefasst fort: 7. Man nahm zwei gedrehte Stäbchen, länglich(rund), von (ganz) gleichem Umfange und von gleicher Länge, geglättet und ganz gleich hergerichtet; 8. ein solches Stäbchen wurde dem in den Krieg ziehenden Feldherren übergeben, das andere behielten die Obrigkeiten zu Hause für sich (cum jure atque cum signo d. h.) gerichtlich vei-siegelt zurück. 9. Wenn nun die Absendung geheimer (wichtiger Depeschen) Befehle nöthig wurde, so wand man einen massig dünnen Riemen von einer für den betreffenden Fall hinreichenden Länge um dieses Stäbchen hei-um in einfacher spiraler Win- dung, so dass die Ränder von dem Riemen, der umwunden wurde, überall gleich angefügt und eng verbunden ganz genau zusammenpassten. 10. Dann schrieben sie den Befehl auf dem Leder(-Riemen) quer über die Fugenränder weg, so dass die Zeilen (der Länge nach) von oben nach unten liefen. 11. War nun der Befehl so zu Ende geschrieben, so wurde dieser (beschriebene) Riemen von dem Stäbchen abgewickelt und dem Feldherm, der um diese Erfindung wusste, zu- geschickt. 12. Die Loslösung des Riemens aber (von dem Stäbchen) erwies (nur) verstümmelte Buchstaben -Fragmente und zertheilte die (Satz-) Glieder des Befehls und die (Buch- staben-)Züge (bis zur Unkenntlichkeit) in die verschiedensten Theile. 13. Wenn nun dieser Riemen(-Streifen) in die Hände der Feinde gerieth, so konnte man aus dieser Schrift auch nicht das Geringste vermuthen (und entziffern). 14. Allein sobald ihn Der, an den er gerichtet war, erhielt, wickelte er ihn von Anfang bis zu Ende auf seinen zu dem Zweck, wie er wusste, dass er zu gebrauchen war, überkommenen gleichen Stab, den er (allein) besass, und die Schrift vereinigte sich durch dieses Aufwinden um das Stäbchen und passte wieder genau zusammen und gestattete (also dem Empfänger), dass der ganze Brief unverstümmelt und lauter und leicht gelesen werden konnte. 15. Diese Art von Zuschriften nannten die

24*

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(872) XVn. Buch, 9. Cap., § 15—22.

Lacedämonier: axvrdXrj (Geheimschreiben oder geheime De- peschenzufertigung, eigentlich : Briefstab). 16. Eine Nachricht darüber habe ich auch in einem alten Oeschichtswerke über punische Begebenheiten gelesen, dass ein gewisser berühmter Mann von eben daher ich erinnere mich nicht deutlich mehr, ob es der berühmte Hasdrubal, oder irgend ein Anderer war ein über geheime (Staats-) Angelegenheiten verfasstes Schreiben auf folgende Weise (bei üebersendung) zu verbergen gewusst hat: 17. Dass er nämlich neue Schreibtäfelchen, die noch nicht mit Wachs überzogen waren, hergenommen; die Buchstaben, d. h. sein Schreiben auf das Holz über- tragen habe, die Täfelchen aber alsdann, wie gewöhnlich, mit Wachs habe bestreichen und ^überziehen lassen, und diese Täfelchen gleichsam wie (noch) nicht beschriebene Dem über- schickt habe, dem ^er dies Verfahren bereits (vorher) an- gekündigt hatte; dass Dieser das Wachs wieder abgekratzt und dann die auf dem Holze eingegrabene Schrift ohne An- stoss (und Hindemiss) gelesen habe. 18. In den Urkunden griechischer Geschichte wird auch noch ein anderer versteckter und unvermutheter, mit aussergewöhnlicher (Hinter-) List ausgeheckter Kunstkniff erwähnt; 19. Es gab einen ge- wissen Histiaeus mit Namen, in Asien aus nicht geringem Stande geboren. 20. üeber Asien aber herrschte damals der König Darius. 21. Als sich dieser Histiaeus (nun einst) am Hofe des Darius in Persis befand, wollte er einem gewissen Aristagoras einige Geheimnisse durch ein heimliches Schreiben melden. 22. Dazu sinnt er sich folgendes wundersame Brief- geheimniss aus. Er rasirt seinem Sklaven, der lange Zeit an den Augen litt, das Haar vom ganzen Kopfe ab, gleichsam als ob er ihn dadurch zu heilen gedächte und tätowirt nun dessen glattgeschomes Haupt mit einer Art Buchstabenzeichen. In diesen Schriftzügen theilte er diesem (Aristagoras) Das,

XYn, 9, 15. tTxvTalTj, eigentUdi: Stäbchen, Stöckchen, Brie&tab. Flut Lysand. 19; Comel. Nep. Fausan. lU, 4. Solche Brie£st&be scheineD nicht nur bei den Lacedämoniern, sondern anch bei andern YöUcem im Gebrauche gewesen zu sein. Findar. Olymp. VI, 91 (155). Snidas; Flutarch: lakonische DenksprUche, Leonidas 15.

XVn, 9, 18. S. Herodot. V, 35.

XVII, 9, 19. S. Folyaen. I, 24.

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XVn. Buch, 9. Cap^ § 22—27. - 10. Cap., § 1—8. (873)

was er ihm zu schreiben beabsichtigte, aosfbhrlich mit. 23. So lange, bis das Haar wieder gewachsen war, behielt er diesen Menschen bei sich zu Hause. 24. Als dies geschehen war, schickte er ihn zum Aristagoras, 25. und trägt ihm dabei auf: „Wenn Du zu ihm gekommen sein wirst, sollst Du ihm in meinem Auftrage melden, dass er Dir Dein Haupt, wie ich es neulich selbst gethan habe, scheeren lässt. 26. Der Sklave kommt, wie ihm befohlen worden war, zu Aristagoras und überbringt ihm (pünktlich) seines Herrn Befehl. 27. Und dieser vollbringt nun ungesäumt, was jener ihm (durch diesen Sklaven) hatte heissen lassen, weil er wohl wusste, dass dieser Befehl einen (besondem) Grund haben müsse. Und so ent^ deckte er den ihm heimlich überbrachten Brief.

Xyil, 10, L. Favorins UrtheU fiber die Verse Veigil«, worin er bei der

Beschreibnng von den Qlnthansbrüchen des Berges Aetna der Dichtung

Pindars gefolgt ist. Femer seine Vergleichnng nnd Benrtheilnng der

Gedichte dieser Beiden über denselben Gegenstand.

XVn, 10. Cap. 1. Als der Philosoph Favorin im heissen Sommer auf das bei Antium gelegene Landgut seines Gast- freundes sich zurückgezogen hatte, und ich bisweilen von Rom zu ihm auf Besuch kam, erinnere ich mich, dass er sich (einstmals) ohngefähr folgendermassen über den Pin dar und über den Vergil ausliess. 2. Er sagte also: Vergil soll nach den Berichten seiner Freunde und Vertrauten in Bezug auf seine Anlagen und Gewohnheiten die Bemerkung über sich selbst geäussert haben, dass er nach Art und Weise der Bären seine Verse (dichterischen Producte) zur Welt bringe. 8. Denn wie jenes wilde Thier seine Leibesfrucht ungestaltet und ungeformt zur Welt bringe, und nachher sein Er- zeugniss erst durch Belecken gestalte und bilde, ebenso

XYn, 10, 1. Findar, geb. 520 y. Chr. m Theben, der erhabenste lyrische Dichter, der so berQhmt war, dass bei der wiederholten Zerstöning Thebens durch die Spartaner und durch Alezander d. Gr. sein Hans aas Hochachtung g^^ ihn verschont blieb.

XYII, 10, 2. Gfr. Quintil X, 8, 8 über das langsame Produdren Vergils und Teuffels röm. Lit. Gesch. 221, 5.

XVn, 10, a Ton der Barin s. Plutarch: über die Liebe za Kindern. 2.

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(374) XVn. Buch, 10. Cap., § 3—9.

seien seine Geistesproducte zuerst dem äusseren Ansehn nach foimlos und unvollkommen, aber nachher gebe er ihnen durch fleissige Bearbeitung eine bestimmte Form und den richtigen (wahren) Ausdruck. 4. Dass dieses ofifenherzige Geständniss eines Mannes von so feinem Urtheil eine geistvolle Wahrheit enthalte, dazu liefert ein augenscheinlicher Vergleich den (besten) Beweis. 5. Denn Alles, was Vergil vollendet und gehörig ausgearbeitet hinterliess, und woran er nach strenger Prüfung und Auswahl selbst die letzte Feile anlegte, (das AUes) hat sich wegen seiner dichterischen Schönheit (stets) des Lobes im höchsten Grade zu erfreuen; 6. aber Alles, was von ihm für eine spätere (kritische) Durchmustenmg aufgeschoben wurde und nicht vollendet werden konnte, weil der Tod ihm zuvorkam, das ist dem Namen und dem Geschmacke eines so höchst wählerischen Dichters durchaus nicht so ganz würdig. 7. Als er daher, von Krankheit hart bedrängt, den Tod vor Augen sah, bat und beschwor er seine besten Freunde in- ständig, sie möchten die Aeneide, da er sie (seines Erachtens nach) noch nicht genug ausgefeilt hatte, vernichten. 8. Darin befindet sich aUbr vorzüglich eine Stelle, welche ofifenbar hätte umgearbeitet und verbessert werden müssen; es ist die ent- worfene Beschreibung des (feuerspeienden) Berges Aetna. Denn als er das Gedicht des alten Sängers Pindar, welches eine Beschreibung dieses Berges und seines (vulkanischen) Gluthausbruches enthält, nachahmen wollte, hat er derartige Gedanken und Ausdrücke auigethürmt, dass er gerade an dieser Stelle mehr noch übertrieben hat und schwülstiger (geworden) ist, als Pindar selbst, dessen Stil schon für zu überladen und schwülstig gehalten wurde. 9. Damit ihr euch nun aber selbst (gleich) ein Urtheil über meine Behauptung bilden könnt, so will ich euch das Gedicht des Pindar (Pyth. I, 21 [40] u. s. w.), welches (die Beschreibung eines vulkani- schen Ausbruches enthält und) vom Berg Aetna handelt, her-

XVn 10, 7. Bern römischen Dichter Yarins Rnfos und dem Plotius Tacca hatte der sterbende YergU seine Aoaeide übergeben, am frei damit zu schalten nach eigenem Ermessen. S. Quint 10, 8, 8. fiemh. röm. Lit. 80, 369. Yergl. Macrob. Sat I, 24.

XYn, 10, 8. S. Macrob. Y, 17.

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XVn. Buch, 10. Cap., § 9-12. (375)

sagen, so weit es mir noch im Gedächtniss ist. (Es heisst:

Die beschneite Aetna)

Welcher unnahbarer Feu'rgluth heilige Quelle entfliegst

tief von Grund aus. Aber die Stromfluth ergiesst bei Tage des glühen- den Bauchs Aufdrang; ^

FQhrt bei finstrer Nacht im Purpurschein

anfwirbelnder Flamme die Felsen weit ins grundlose Meerfeld, donnernd mit lautem Gekrach.

Jenes Gräulthier*) sendet aus Abgründen die

Schrecklichsten Quellen des Hephästos, eiu staunwürdiges Zeichen zu schaun, ein Wunder der Wanderer Ohr anzuhören.

10. Vei-nehmt nun auch, fuhr er fort, die Zeilen aus Vergil (Aen. ni, 570 flf.), von denen ich eher behaupten möchte, dass er sie (nur erst skizzirt und oberflächlich) entworfen, als dass er sie vollendet habe:

Friedsam ruht vor der Wind' Androhn der geräumige Hafen ; Aber zunächst mit grausen Verwüstungen donnert der Aetna. Oftmals strömt er zum Aether die schwarz Yorbrechende Wolke, (atram-

nubem), Welche mit Pech aufvnrbelt den Dampf mit funkehiden Flocken (Turbine

fnmantem piceo et candente &7illa) Und er erhebt Gluthklumpen und leckt mit der Flamme die Sterne; Oftmals Grands und Gesteine, dem Schoosse des Berges entrissen; Bäumt er strudelnd empor und geschmolzene Felsen zum Himmel Drängt er mit dumpfem Gekrach und kocht ans dem untersten Grund mL

11. Nun fuhr Favorin also fort: Gleich zu Anfang ist Pindar der Wahrheit mehr gefolgt und hat eine getreue Schilderung von dem geliefert, was die Erscheinung ergab und was an Ort und Stelle die Wirklichkeit bot und was mit Augen be- obachtet werden konnte, dass (nämlich) der Berg Aetna bei Tage rauche, bei Nacht Feuer speie. 12. Während aber

XYII, 10, 9. *) Jenes Gräulthier d. L Typhon oder Typhoeus (als Symbol unterirdischer Naturerscheinungen durch Ausbruch vulkanischer Berge), nach der Sage em Ungeheuer, aus Drachen und anderem Gezücht zusammengebaut, empörte sich gegen Zeus, welcher es bezähmte und auf ihn die Last des Aetna wälzte. S. Stnbo 5, 4, 9. **) Quellen des Hephästos sind die Lavaströme. Vergleiche ähnliche Sddlderungen bei AeschyL Prometh. 850—873 und Lucret. YI, 681 u. s. w.

XYU, 10, 10. üeber Bedaction und Emendation der Aeneide durch L. Yarins und Plotius Tucca s. Teuffels Gesch. der röm. Lit 224^ 2.

Xm, 10, 11. Stnbo VI, 2 p. 421 sagt: Bei Nacht leuchten heUe Blitze ans dem (Berges-) Gipfel und den Tag aber ist er von Rauch und Wolken umgeben.

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(376) XVn. Buch, 10. Cap., § 12—19.

Vergil seinen Hauptwerth darauf legt, nach geräuschvollen» tosenden Worten zu suchen, hat er ohne irgend welche Unter- scheidung beide Tageszeiten vermischt. 13. Aber jener grie- chische Dichter fahrt in seiner klaren, (lebendigen) Schilderung (das Bild) W, wie Feuerbäche aus tiefstem Grunde aus- gespieen werden, wie Ströme von Bauch hervorquellen, wie gilblich durchwundenes Feuergeknäul (flammarum fulva et tortuosa volumina), gleich feurigen Schlangen auf der Meer- fluth Ebenen dahintreiben. 14. Aber unser Vesgil, in der Absicht Pindars Worte: ^oov xotwov acd-iava (d. h. die glühende Strömung des [Rauch-] Dampfes, oder des glühenden Rauches Aufdrang) wiedei'zugeben, hat dies auf eine weniger feine und sehr weitläufige Art bewerkstelligt durch: atram nubem turbine piceo et favilla fumantem (d. h. die schwarze Wolke in pechschwai'zem Wirbel und glühender Asche dampfend); 15. auch was Pindar „xgoworg" (Quellen des Hephästos) genannt hatte, hat Vergil durch „globos flammarum^ (Gluthklumpen) sehr hart und ungenau {aKVQ(og) übersetzt. 16, Ferner, sagte Favorin, ist auch der Ausdruck: „sidera lambit^ (leckt die Sterne, züngelt nach den Sternen) ein über- flüssiger und unnützer Zusatz (von Vergil). 17. Auch ist folgende Ausdrucksweise unerklärlich und fast unbegreiflich, wenn er sagt: nubem atram fumare (dass die schwai*ze Wolke dampfe) turbine piceo et favilla candente (von pechschwarzem Wirbel und glühender Asche). 18. Denn, sag te er,das, was glänzt, raucht doch gewöhnlich nicht, noch kann es schwarz' sein; wenn er nicht etwa gar „candenti (favilla)'' in dem gewöhnlichen und ungebräuchlichen Sinne gesagt hat für: „ferventi favilla" (glühend heisse Asche), nicht aber im Sinne von: feurig glänzender und hellstrahlender. Denn „candens" wird selbstverständlich vom Glanz (a candore) gesagt, nicht aber von der Wärme (a calore). 19. Vergils Beschreibung aber betreffend, dass Gestein und Felsstücke ausgespieen und emporgeworfen werden und ^ass diese (Massen) schmelzen und dröhnen und sich hoch in den Lüften aufthärmen, davon, sagte Favorin, steht weder etwas im Pindar geschrieben, noch hat man je dergleichen sagen und erzählen hören, und unter allen wunderlichen Beschreibungen bleibt diese (schon) die allerwunderlichste.

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XVn. Buch, 11. C^, § 1-8. (377)

XVn, 11, L. Wie Plutarch in seinen Tischgesprächen (VU, 1) die An- sicht Plato*8 aber den Zustand (die Beschaffenheit) und Verrichtung des Magens und der Luftröhre, welche die rauhe Arterie (xQax^Ta oder Luft- ader) genannt wird, entgegen der Meinung des Arztes Erasistratus, vertheidigt hat, indem er sich dabei auf den Ausspruch des alten (berühmten) Arztes Hippocrates bezieht

XVn, 11. Cap. 1. Wir haben schriftliche Nachrichten sowohl von Plutarch , als auch von einigen andern Gelehrten, dass der berühmte Arzt Erasistratus sich über den Plato deshalb tadelnd ausgesprochen, weil er behauptet hat, das Getränk fliesse nach der Lunge und nachdem es diese genug befeuchtet habe, liefe es durch dieselbe, weil sie (schwamm- artig, porös und) sehr durchlöchert sei, wieder ab und von da fliesse es (erst) nach der (Harn-) Blase hin. Auch be- haupten sie, dass (der Dichter) Alcaeus Urheber dieser falschen Ansicht gewesen sei, der in seinen Gedichten ge- schrieben hätte:

Netze die Lunge mit WeinI Der Sirius leuchtet am Himmel

2. Erasistratus selbst aber spreche die Ansicht aus, es gäbe gleichsam zwei kleine Rinnen oder Röhrchen, welche von der Rachenhöhle ab heiiinter gingen und durch die eine dei-selben würden alle Speisen und Getränke nach dem Magenmund geführt und geleitet, von da kämen sie in den Magengrund^ der auf griechisch (17 xdrio %oiXLa^ d. h.) Unterleib genannt wird, und hier würde nun Alles verkocht und verdaut und von da gingen die trockneren Excremente (das aus dem Genossenen Verdaute) in den Darmkanal, der auf griechisch %6h)v (Mastdarm) genannt wird ; alle Flüssigkeiten aber durch die Nieren in die (Ham-) Blase. 3. Durch das andere Röhr- chen aber, welches auf griechisch : TqaxBla ctQu^egia (die rauhe

XYII, 11, L. S. Gell. XYI, 8, 8 NB über ErasistratuB.

XYII, 11, 1. 8. Macrob. Sat YII, 15. Plat Timaeos p. 70, G. ^ Aleaeus, einer der neun berühmtesten lyrischen Dichter der Griechen, ans Mytilene auf Lesbos (612 y. Chr.), Zeitgenosse und Liebhaber der Sappho. Die alcftische Strophe ist von ihm erfunden. Der hier angeführte Yen findet sich Plutarch, Tischreden YII, 1, 1; vergL Plutarch: über Isis und Osiris 88; und Quint X, 1, 63. Er yerthddigte sein Yaterland nicht weniger mit dem Degen, als mit der Feder, sowohl gegen die Athener, als gegen die innerlichen Tyrannen.

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(378) XVn. Buch, 11. Cap., ^8-6.

Luft- [Ader-] Röhre) genannt wird, komme die durch den Mund geschöpfte Luft in die Lunge und von da wieder nadi dem Mund und nach der Nase zurück ; 4. und auf demselben Wege werde auch der Durchzug fiLr den Laut und die Stimme bewerkstelligt; und damit nun von dem Getränk und von dem trockenen Essen, das seinen Weg nach dem Magen nehmen soll, nichts aus dem Munde hineinfalle oder hinein- fliesse in das Röhrchen, durch welches man Athem holt, und damit durch einen solchen (Unfall der Athmungsweg nicht versperrt werden könne (weil man sonst ersticken mOsse, aus dem Grunde) sei durch die weise Einrichtung und Vorsorge der Natur bei diesen beiden Oeffiiungen eine Klappe an- gebracht, welche iTt^yXcorrig (gleichsam Nebenzunge, d. h. Kehldeckel) genannt wird, gleichsam eine bewegliche Fall- thüre, die sich abwechselnd schliesst und öffnet; 5. Diese entylcüTTig (Kehldeckelvorrichtung) bedecke nun während des Essens und Trinkens und schütze die rauhe Luft-Ader-Röhre {Tfjv TQaxeiav aQfcriQiav)^ damit von der Speise oder von dem Getränke nichts hineinfallen könne in jenen Durchzugskanal des (wie Ebbe und Fluth) auf- und niedersteigenden Athems; und deswegen fliesse (ofTenbar) auch nichts Flüssiges in die Lungen, weil ja der Eingang zui* Luftröhre verschanzt sei. Dies ist nun diese Einwendung des Arztes Erasistratus gegen den Plato. 6. Allein Plutarch meldet in seinen Tisch- gesprächen (Vn, 3), dass eigentlich Hippocrates*) als der Urheber von Plato's Ansicht anzusehen sei; überdies wären

XYU, 11, 4. YergL Plutardi's Tischreden YU, 1, 3. Heutigen Tages onterscheidet man ganz richtig die Luftröhre, deren weiterer Fjingang der Kehlkopf ist, und die Speiseröhre, deren Eingang der Schlund Ist: jla^t;^^ nnd (pcLQvy^

XYIl, 11, 6. *) VeigL Galenos de Plac. mppocr. et Plat IV. Philistion, ein gelehrter Arzt, Zeitgenosse des Socrates (nicht za verwechseln mit dem &st um eben diese Zeit lebenden Eomödienschreiber Philistion von Nicaea), war Lehrer des Eudoxos von Knidos und des Chrysippos von Knidos. Nach Andern soU er nicht ein Lokrer, sondern Siknler sein. Dioxippos, von der Insel Eos, war ein Schfiler des grossen Hippocrates. S. Plin. Hist N. 20, 12; Athen. 12, 8; Plat Symp. 7, 1, 8; Widerspräche der Stoiker 29. Hekatomnup, König von Garien, Bruder der Aspasia, berief ihn zu sich, um seine Prinzen von einer schweren Krankheit zu heilen; er verspradi dies unter der Bedingung zu

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XVn. Buch, 11. Cap., § 6. - 12. Cap., § 1. (379)

die (beiden) alten und berühmten Aerzte, sowohl der Lokrer Philistion, wie auch der Hippokratiker Dioxippus der- selben Ansicht gewesen; auch sei jener Kehldeckel, von dem Erasistratus gesprochen hat, nicht deshalb an Jener Stelle angebracht, damit nicht (beim Hinunterschlingen) irgend etwas in die Luftröhre gleiten könne, denn es schiene eine gewisse Anfeuchtung auch far Erquickung und Benetzung der Lunge nützlich und noth wendig zu sein, sondern diese Klappe sei angebracht, um gleichsam als Einhaltthuerin und Bestimmerin (nach eigener freier Massnahme) das abzuwehren (was schädlich ist), oder beizumischen, was zum Nutzen für die Gesundheit ist; dass diese Klappe zwar alle Speise von dem Eindriügen in die Luftröhre abhalte und sie auf den Weg nach dem Magen hinweise, hingegen das Getränk zwi- schen Magen und Lunge vertheile, und was von dem Ge- tränk durch die Luftröhre in die Lunge abgelassen werden solle, dass sie dies nicht zu schnell und auf einmal, sondern durch diese Art von Damm aufgehalten und gehemmt, nur langsam und nach und nach durchlasse und alles Uebrige (von Speise und Trank) durch die andere (Speise-) Röhre nach dem Magen hin ableite.

XVn, 12, L. lieber selUam wunderliche Lehrsätze, welche die Griechen

ado^ovg (unerwartete, unyennnthete) nennen, von FaTorin sum Zweck der

Bedeübung abgehandelt.

XVn, 12. Gap. 1. unter den Alten machten sich nicht nur Sophisten, so wie auch Philosophen an die Erörterung von wunderlich seltsamen,. oder, wenn Du den Ausdruck lieber willst, unerwarteten Lehrsätzen, welche die Griechen un- vermuthete und unerwartete Streitpunkte [ado^ovg (xal aro- ftovg) vnoS^iaeig] nennen, sondem auch unser Favorin ver- breitete sich sehr gern über dergleichen Fälle, weil er meinte, dass sie geeignet seien zur Erweckung der geistigen Anlagen, oder zur Uebung des Scharfsinns, oder zui* (leichteren) Be-

thnn, wenn der König Yon dem Kriege mit seinen Landsleuten abstehen wolle. 8. Strabo 14, 656; Diodor Sic 14, 98; 15, 2; Arr, Anab. 1, 23, 7; iBOcr. 4, 162.

XYII, 12, 1. üeber FaTorin s. PhiloBtrat des ftiteren Lebensbeschrei* bongen der Philos. I, 8.

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(380) XVII. Buch, 12. Cap., § 2—5. - 13. Cap., § 1.

wältigung vorkommender Schwierigkeiten, 2. wie z. B. die F&lle, wo er sieh Mühe gab, das Verdienst (des Schwätzers) Thersites nachzuweisen; dann, wo er das aller vier Tage (d. h. an jedem vierten Tage) wiederkehrende Fieber (febrim quartis diebus recurrentem) in Schutz nahm; Fälle, für die er in der That immer viele geistvolle und nicht leicht zu findende (höchst originelle) Auslegungen nach beiden (ent- gegengesetzten) Möglichkeiten hin (sowohl für, wie dawider) vorzubringen wusste und die er angezeichnet uns in seinen Schriften hinterlassen hat. 8. In seinem Loblied des (vier- tägigen) Fiebers lässt er auch den Plato als Zeugen auf- treten, von dem er folgende schriftliche Bemerkung anführt: Wer nach überstandenem , viertägigem Fieber genesen und wieder in den vollen Besitz seiner Kräfte gelangt ist, wird sich nachher einer ganz ununterbrochenen, dauerhaften Ge- sundheit zu erfreuen haben. Und bei Gelegenheit dieses Lobliedes bringt er wahrlich in einem Sprüchlein ein herr- liches Wortspiel an. 4. Er versichert dabei: der Ausspruch (aus Hesiod. opp. et d. 825) hat sich seit Menschengedenken bewährt:

Bald stiefinütterlich handelt der Tag, bald matterlich wieder. Durch diesen Vers soll angedeutet werden, dass es nicht alle Tage gleich gut gehen könne ^ sondern an dem einen gut« und am andern schlecht. 5. Da dies aber nun, sagt er, nicht zu ändern sei, so dass im menschlichen Dasein das Wohl- oder Uebelbefinden im steten Wechsel begiiflfen sein müsse, um wie viel beglückender ist das Fieber, das zwei Tage aussetzt, bei welchem zwei Mütter mit nur einer Stief- mutter abwechseln (ßla iirivqvva^ dvo /JitjreQeg).

XVII, 13, L. Wie yielerlei verschiedene Bedentangen die Partikel „qnin^' hat und dass sie in den Schriften der Alten oft sehr nnverst&ndlich ist

XVn, 13. Cap. 1. Die Partikel „quin", welche die Gram-

XYU, 12, 2. Thersites, der hftsslichste Mann vor Ilion und ein frecher bösartiger Schreier, von Odysseus com Ergötzen des Volkes ge« sachtigt, als er den Agamemnon lästerte (Hom. II. n, 212 ff.), und von Achilles getödtet (Hom. IL II, 220). Quartis diebus ver^. GelL IX, 4, 6 NB. Savigny aber Ordinalzahlen.

XVn, 12, 8. Vergl. Plat Timaeus p. 86.

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Xyn. Buch, 13. Oiq)., § 1 8. (381)

matiker Bindewort nennen, scheint die Rede unter yer- schiedenen Beziehungen und Bedeutungen logisch zu verbinden. 2. Denn man legt ihr einen andern Sinn bei, wenn wir sie gebrauchen beim Ausschelten oder beim Fragen, oder beim Ermahnen, z. B. „quin venis (warum kommst Du nicht, d. h. mache, dass Du endlich kommst)? quin legis (warum liesest Du nicht, d. h. Du musst doch wohl lesen)? quin fiigis (warum fliehst Du nicht, d. h. warum machst Du nicht, dass Du fliehst)?'' In anderer Bedeutung wird diese Partikel gesagt, wenn man z. B. folgende Behauptung aufstellt: „Es ist kein Zweifel (non dubium est, quin), dass M. TulUus (Cicero) unter Allen der beredteste ist" ; noch eine andere Bedeutung hat die Partikel in der Zusammensetzung zweier offenbar entgegengesetzter Gedanken: „Nicht etwa deshalb übernahm Isocrates keine gerichtliche Yertheidigung, (quin) als ob er dies nicht fOr nützlich und ehrenvoll gehalten hätte.*' 8. Diese Bedeutung des Wortes stimmt ganz mit der Stelle im 3. Buche der Urgeschichte von M. Cato überein, wo es heisst: „Ich beschreibe diese Völker nicht etwa des- halb zuletzt, (quin) als ob sie nicht (auch) tapfer und unter- nehmend seien." 4. Im 2. Buche seiner Urgeschichte ge- braucht M. Cato diese Partikel in einer nicht viel anderen Bedeutung, wo er sagt: „Ihn insgeheim geschändet zu haben (dieses Bewusstsein) , hielt ihn durchaus nicht ab , (quin) dass er nun nicht auch noch öffeutlich seinen guten Ruf preis geben sollte." 5. Ausserdem habe ich die Bemerkung ge- macht, dass Quadrigarius im 8.|Buche seiner Jahrbücher diese Partikel höchst unverständlich gebraucht hat Ich lasse hier seine eigenen Worte folgen: „Er kommt nach Rom, (vix superat, quin) mit grosser Mühe erreichte er es kaum (d. h. es war noch unsicher), dass ihm (vom Senat) ein feierlicher Einzug zugestanden wird." 6. Ebenso lautet im 6. Buche der Jahrbücher desselben (Quadrigarius) eine andere Stelle: (paene factum est^ quin) Beinahe geschah es (d. h. es fehlte nicht viel), dass sie das Lager verliessen und dem Feinde wichen." 7. Nun lasse ich aber hier durchaus nicht ausser Acht, dass mir unüberlegter Weise Einer einwenden könne, in der Erklärung dieser Stelle liege ja gar keine Schwierigkeit, 8. Denn „quin" stehe an beiden Stellen für „ut", und es sei

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(382) XVn. Buch, 13. Cap., §8—11.-14 Cap., § 1. 2.

YoUständig gleichgültig, ob man so sagt: „Er kam nach Kein; nur mit grosser Mühe eiTeicht er es noch, (ut) dass ihm ein feierlicher Einzug gewährt wird"; und an der andern Stelle: „Es fehlte nicht viel, (ut) dass sie das Lager verliessen und dem Feinde wichen." 9. Mögen immerhin Die, welche so schlag- fertig sind, diese (billige) Zuflucht nehmen zu Umwandlungen bei Ausdrücken, die ihnen unverständlich sind, nur sollen sie mit etwas Bescheidenheit zu diesem Ausfluchtsmittel da greifen, wo es möglicher Weise angeht und hinpasst. 10. Wem aber unbekannt geblieben sein sollte, dass diese Partikel eine ver- bundene und zusammengesetzte sei und (noch nicht ein- leuchten will, dass sie) nicht nur verbindende Kraft (d. h. als Conjunction gebraucht wird), sondern auch von einer be- stimmten Bedeutung ausgegangen sei, der wird nie im Stande sein, die Bedeutungen und die Vielseitigkeit dieser Partikel begreifen zu lernen. 11. Da dies aber Sache einer weiter^ (und gi'ündlicheren) Erörterung bleiben muss, so wird Der, welcher Zeit (und Lust) hat, das Weitere darüber in des P. Nigidius „Erklärungsschriften" finden, welche die „gram- matischen" überschrieben sind.

XVn, 14, L. Einige artige, aus den Mimen des Publins (Syrne) gesammelte Sinnsprüche.

XVII, 14. Cap. 1. Publius (Syrus) schrieb mimische Schauspiele und wurde für würdig erachtet, dem Laberius darin ziemlich gleich geschätzt zu werden. 2. Allein die Schmähsucht und der Hochmuth des Laberius beleidigte (und verdross) den Gajus Caesar so sehr, und veranlasste ihn zu der ganz offenen Erklärung, dass er die Schauspiele des Publius weit angenehmer und vortrefflicher finde, als die des

XVII, 18, 10. Quin, zusammengesetzt aas qoi und ne (ftr non), wird xar' anononriv (nach Weglassang) gesagt für qui-ne.

XVII, 14, L. S. Teuffels röm. Lit Gesch. 208, 2. 3 Publius Syrus.

Xyn, 14, 1. Publius Syrus, ein gebomer S}T6r, später Sklave^ dann Freigelassener, vom Caesar sehr begünstigt, yerfässte Mimen, woraus wir noch jetzt eine Sammlung von Sprüchen besitzen. S. GelL VuLl, 15, L. NB; Sueton de viris R. illustr. IV de poetis 22; ed. Doergens p. d& Vergl. Beruh, röm. Lit 78, 357.

XVn, 14, 2. S. Teuffeb Gesch. der röm. Lit 189, 7.

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XVn. Buch, 14. Ci^., § 8. 4. 15. Cap., § 1. 2. (388)

Laberias. 3. Von diesem Publius sind sehr viele lehrreiche und zum allgemeinen Nutzen far die Unterhaltung (im ge- wöhnlichen Leben) höchst geeignete Sinnsprüche im Umlauf. 4. Von diesen Sinnsprachen einige folgen zu lassen, jeden ein- zelnen in einen Vers zusammengefasst, gewährt mir wahrlich besonderes Wohlgefallen.

1. Ein schlechter Rath, der sich nicht findem lAsst (Pnhlius Syms y. 392).

2. Durch Geben ihut sich selber wohl, wer WOrd'gem giebt (P. S. 72). 8. Trag*! Nur yerschalde nicht» was Du nicht ftndem kannst (P. S. 218).

4. Wer mehr, als recht ist» dar^ (oft) mehr, als recht ist» will (P. S. 142).

5. Statt Reisefuhrwerk gilt ein munterer Gefihrf (P. S. 124).

6. Die Redlichkeit ist guten Rufes Bettlerkleid (F. S. 240).

7. Des Erben Weinen ist verkapptes Lachen (F. S. 261).

8. Zu oft beleidigte Geduld wird Wnth (P. S. 248).

9. Wer zweimal Schiffbruch litt, geb' nicht die Schuld dem Meer* (Neptun)

(P. S. 804).

10. Behandle so den Freund, als könnf d'raus werden leicht ein Feind

(P. S. 810).

11. Du meidest neues, trftgst das alte Unrecht Du (P. S. 762).

12. Es wird Gefahr nur immer durch Gefahr besiegt (P. S. 507).

18. Durch zu viel Streit yerlieret man die Wahrheit (oft) (P. S. 475). 14. Die Bitt' ist halb gewährt, wenn Du sie freundlich abschlägst

(P. S. 527).

XVn, 15, L. Wie der Akademiker Cameades, als er die Lehrsätze des Stoikers Zeno widerlegen wollte, (vorher) Nieswurz zur Reinigung des Magens nahm (nm den zu behandelnden Stoff schärfer zn durchschauen); dann über die natürliche Heilkraft des weissen nnd schwarzen Nieswurzes.

XVn, 15. Cap. 1. Als der Akademiker Cameades die Bttcher des Stoikers Zeno widerlegen wollte, reinigte er (zuvor) den oberen Theil des Körpers durch (den Gebrauch vom) weissen Nieswurz^ damit von den im Magen befind- lichen, verdorbenen (unreinen) Säften nicht etwa sich etwas auf den Wohnsitz seines Geistes übertrage und so die Aus- dauer und Kraft seiner geistigen Beurtheilung schwäche; 2. mit so grosser Fürsorge und so ernster, eigener Vor- bereitung ging dieser geistvolle Mann an die Widerlegung

XVn, 14, 3. S. Macrob. n, 7.

XVn, 14, 4. y. 1. PubL Syms 392 (386); Varro R. R. m, 2 2; cfr. GelL IV, 5, 5.

XVn, 15, 1. S. Plin. 25, 21, 4; Yal. Max. 8, 7 ext 5.

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(384) XVn. Buch, 16. Cap., §3—7.

dessen, was Zeno geschrieben, 3. und als ich diese Bemerkung in der griechischen Geschichte gelesen hatte, machte ich mich sofort daran, zu erfahren, was es mit dem weissen Nieswurz, wie da geschrieben stand, für eine Bewandtniss habe. 4. Da erfuhr ich denn, dass es zwei Arten von Nieswurz gebe, kenntlich am Unterschied der Farbe, der weissen und schwarzen, dass aber diese Farbenunterschiede nicht im Samen des Nieswurzes zu suchen, auch nicht in dem Busch- (oder Krauts) werk, sondern in der Wurzel; durch den weissen Nieswurz erfolge eine Reinigung des Magens und des Ober- körpers durch Erbrechen, durch den schwarzen finde eine Aus- spülung des sogenannten Unterleibes statt (durch Stuhlgang oder Leibesöffnung); beiden aber soll die Kraft innewohnen, dass sie alle schädlichen Säfte, in denen die Ursachen f&r alle Krankheiten zu suchen sind, (aus dem menschlichen Körper) entfernen. 5. Man müsse aber vorsichtig verÜEihren, um nicht Gefahr zu laufen, weil, nachdem durch dieses (drastische) Abführmittel im Allgemeinen der Weg zur Ent- fernung aller Unreinigkeiten aus dem Körper geö£fhet word^ ist, auch die Säfte mit verloren gehen, auf denen der Fort- bestand des ganzen Lebensorganismus beruht, und weil, nach- dem jede Grundlage einer natürlichen Ernährung eingebüsst worden ist, der menschliche Körper erschöpft und geschwächt zu Grunde geht. 6. Plinius Secundus schrieb in seiner Natur- geschichte, dass der Nieswurz auf der [phocäischen Halb-] Insel [in der Stadt] Anticyra mit dem höchsten Erfolg an- gewendet werde. Deshalb habe sich auch der Volkstribun Livius Drusus, als er an der fallenden Sucht (Epilepsie, morbus comitialis) litt, zu Schiffe nach Anticyra begeben und sei, wie Plinius sagt, deshalb daselbst durch einen Nieswurz- trank vollkommen von dieser Krankheit geheilt worden. 7. Ausserdem las ich auch geschrieben, dass die Gallier für

XYn, 15, 6. S. Suet Caüg. 29; Hör. Sat II, S|, 82 seq. 166; de art poet 800 seq. In (insula) orbe Anticyra s. Paaly's Bealencydop. I, S. 1106 Anticyra.

XVn, 15, 6. Der Volkstribun LiyiaB Drasus war mit G. Gracchnfl •zugleich Zunftmeister und eben&Ils ein eifriger Yerüechter der Acker- gesetze. Er wurde ermordet, weil er den italiBchen Bundesgenossen das Bürgerrecht verschaffen wollte. Plin. 25, 21, 4; cfr. 6eU. IV, 4, 8 NB.

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XVn. Buch, 15. Cap., § 7. 16. Cap., § 1 4. (385)

ihre Jagden ihre Pfeile mit Nieswui'z(saft) tränken, weil das damit getroffene, getödtete Wild zarter für die Tafel wird; allein aus Vorsieht vor der Schädlichkeit dieses Nieswurzes soll man die durch solche (giftgetränkte) Pfeile verursachten Wunden sehr weit und tief auszuschneiden pflegen.

XVn, 16, L. Dass die politischen Enten ein wirksames Eraftmittel ent- halten znr Verdauung ron Giftstoffen; feraer auch noch über die Ge- schicklichkeit des Königs Mithridates in Zubereitang solcher Arzneimittel.

XVII, 16. Gap. 1. Die pontischen Enten sollen sich gewöhnlich (nur) von giftigen Speisen nähren. 2. Auch schreibt Lenaeus, des G. Pompejus Freigelassener, dass Mithridates, jener berühmte König von Pontus, in der Heil- kunst und in der damit einbegriffenen Arzneimittellehre sehr bewandert gewesen sei und gewöhnlich das Blut von den pontischen Enten mit den Arzneien, welche die Verdauung von Giften und ihre Schadlosmachung bewirken sollen, zu vermischen gewusst habe, und dass dieses Blut gerade das allerwirksamste sei bei Bereitung solcher Gegen-(Gift-)Mittel. 8. Durch den fortwährenden Gebrauch solcher Mittel habe dieser Fürst vor einer (möglichen) heimlichen Vergiftung durch Speisen sich sicher gestellt, 4. dass er sogar nicht nur mit Wissen (und Willen), sondern auch, um (den offenbaren

XVn, 15, 7. S. Plin. 25, 25.

Xyn, 16. 1. Pontisehc Enten s. Plin. 25, 3, 1; 29, 83, 2. Diosco- rides n, 97. Scribonios Largos Designatianos de compositione medica- mentorom 187.

XVn, 16, 2. Lenaeus Pompejus, ein Freigelassener des grossen Pomp^us, den er anch, wie es scheint, aof den meisten KriegszQgen als Arzt begleitete, war zugleich Grammatiker und wurde von dem Feldherm nach Besiegung des Mithridates, des ebenso m&chtigen als gelehrten Königs Yon Pontns beauftragt, die in den Geheimzimmem desselben auf- gefundenen Schriften aber die Arzneimittellehre in die lateinische Sprache zu tLbersetzen. S. Sueton. Gram. 15. Er schrieb zuerst unter den Römern über die Heihnittellehre und es gelangte diese Wissenschaft seiner Zeit zuerst durch ihn nach Rom. Aus diesem Werke ist wahrscheinUch bei Plinius 25, 3, 1 die Bemerkung aber Mithridates und das seiner Erfindung zugeschriebene Gegengift genonmien. Vergl. Plin. 15, 39 (80); 28, 77; Galenus de Antidot II, 1. 2. 9; Celsus Y, 23; Scribon Long. Designat. 170; Serenus Sammonicus de medicina cap. 60.

Gellins, Attisclie Nftchie. U, 25

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(386) XVII Buch, 16. Cap., §4-6.-17. Cap., § 1.2.

Beweis zu liefern und) damit zu prahlen, oftmals das kräf- tigste und schnell wirkende Gift eingenommen habe und nichts destoweniger sei es (stets) ohne Nachtheil (f&r seine Gesundheit) gewesen. 5. Als er daher sp&ter in der Schlacht besiegt, nach den entferntesten Grenzen seines Reichs ge- flüchtet war und (zwar) zu sterben beschlossen, aber das allerstärkste Gift zur Beschleunigung seines Todes vergeblich angewendet hatte , habe er sich genöthigt gesehen, seinem Leben (noch) mit dem Schwerte ein Ende zu machen. 6. Das ausserordentlich berühmte Gegengift dieses Königs, wel- ches ma.n jetzt noch hat, wird heute noch (nach ihm) das Mithridatische genannt.

XVII, 17, L. Daas Mithridates, der König von Pontns, 25 Sprachen (ver- standen nnd) fertig gesprochen hahe; dass Quintna Ennins gesagt habe, er besitze einen dreifachen Geist (tria corda habere sese), weil er drei Sprachen genau verstand, die griechische, die oskische und die lateinische.

XVII, 17. Cap. 1. Weil Q. Ennius drei Sprachen zu sprechen verstand, das Griechische, das Oskische und das Lateinische, so sagte er, er besitze einen drei&chen Geist 2. Allein Mithridates, der (eben erst erw&hnte gelehrte) berühmte König von Pontus und Bithynien, der vom Cn. Pompejus im Treffen völlig überwunden worden war, verstand vollständig 25 Sprachen von Völkern, die unter seiner Bot- mässigkeit standen; und nie bedurfte er eines Dolmetschers, wenn er zu den Leuten von allen diesen Völkern zu sprechen hatte, sondern sobald es die Noth wendigkeit erheischte, dass Einer von ihm angesprochen werden musste, wusste er stets in der Mundart und der Ausdrucksweise des Betreffenden nicht weniger leicht und zierlich sich auszudrücken, als ob er sein Landsmann sei.

XYU, 17, L. Die Osker waren ein Volk Campaniens am Liria, zwischen Latium und Sanmium. Dieser umbrische Stamm hiess bei den Griechen Ausoner oder Opiker (Osker). Tei|^ Liv. X, 20, 8; Bfacrob. Sat. YI, 4, 23 und Tenffels röm. Lit Gesch. § 9, 6.

XVII, 17, 2. S. Plin, 7, 24, 1; 25, 3, 2; SoUxrns 7; Yaler. Max« Vm, 7 ext 1(5.

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XVII. Buch, 18. Cap., § 1. 19. Cap., § 1-8. (387)

XVII, 18, L. Mittheilung des M. Varro, dass der Geschichtsschreiber C. Sallostias Tom Annius Milo im Ehebruch ertappt, durchgepeitscht und (erst) nach Erlegung einer (bedeutenden) Geldsumme entlassen worden sei.

XVn, 18. Cap. 1. M. Varro, in seinen Schriften, wie in seinem Leben ein Mann von grosser Zuverlässigkeit und sehr besonnen, schrieb in seiner Abhandlung, welche den Titel führt: „Der- (kindlich) Fromme, oder über den Frieden (Pias aut de pace)^, dass der Geschichtsschreiber jenes ernsten und strengen Tones, G. Sallustius, in dessen Geschichte wir (in Bezug auf die Laster) wahrhaft censorische Bemerkungen ge- äussert und durchgeführt sehen, (einst) vom Annius Milo im Ehebruch sei ertappt, und wie er sagt, tüchtig durchgepeitscht und erst nach Erlegung einer bedeutenden Geldsumme wieder losgelassen worden sei.

XVII, 19, L. Was der Philosoph Epictet nichtswürdigen und lasterhaften Leuten zu sagen pflegte, welche die Lehren der Philosophie mit Eifer treiben; femer, wie er den Rath ertheilte, sich (vorzüglich) zwei Worte tief ins Hers zu schreiben, als besonders höchst heilsam (für unsere Herzens- bildung und Besserung des Lebenswandels).

XVn, 19. Cap. 1. Wie ich aus dem Munde Favorins erfuhr, hat der Philosoph Epictet (oft) ge&ussert, dass die Meisten, welche sich den Anschein geben, nach gründlicher Erkenntniss zu streben, nur unter diejenige Sorte von Welt- weisen zu rechnen sind, die es {avev töv Ttgovreiv, H^XQ'' ^^^ Xiyeiv^ d. h. nur ohne That, nicht Ubers Reden hinaus, das will sagen, nicht ihren Thaten, sondern blos den Worten nach sind. 2. Viel gewaltiger klingt nun aber, dem Wortlaut nach, Epictets (eigener) Ausspruch, wie ihn uns Arrian in seinem Werke, welches er über „die Vortragsmaterien" dieses (grossen Philosophen) verfasste, schriftlich hinterlassen hat. 3. Denn als Epictet, so berichtet Arrian, einen Menschen bemerkt hatte, der aller Scham bar, von ungestümer Leidenschaftlich- keit, voll sittlicher Verderbniss, frech, vorlaut und Ült alles

XVII, 18, L. lieber Sallust vergl. Bemh. röm. Lit. 104, 498 und Teoffels Gesch. der röm. Lit 208, 1.

XVn, 19, 8. Vergl. Arriana Epictet 11, 19 und Gell. I, 2, 8 etc. Pytha- goras hei Plutorch. aher Einderendehung cap. 17. Epictet zieht gegen die fpiloaotpoi ariQttXToi zu Felde, qui sola barha et pera id nomen tuebantur.

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(388) XVn. Buch, 19. Cap., §3—5.

Andere, nur nicht fttr die Ausbildung seines Geistes (und auf Besseiiing seines Herzens) bedacht war, wie Epictet also sah, dass solch ein Mensch auch die Voi*schriften und Lehren der Philosophie mit Eifer betrieb, sich mit Physik beschäftigte, sich auf Einübung der Dialektik legte und viele andere der- artige (schwierige) wissenschaftliche Lehrsätze beschnoperte und durchstöberte, rief er Götter und Menschen um Hülfe an und unter den vielen Ausrufen Hess er dieses Subject mit folgenden Worten hart an: „Du Mensch, Du, wo legst (Du doch diese Kenntnisse) hin? Bedenke doch, ob das Gefäss*) auch rein ist (wohinein Du sie legst); denn wenn Du das Alles nur in Deinem Eigendünkel aufnimmst, so ist es (so gut, wie) verloren; wenn sie (in diesem unreinen Gefäss Deines Geistes) verfaulen, werden sie in Pisse verwandelt, oder in Essig, oder in gar noch etwas Schlechteres, als diese (Dinge sind).'' 4' Es kann aber nichts Ernsteres und nichts Wahreres gesagt werden, als in diesen Worten liegt; wodurch dieser grösste unter den Philosophen deutlich zu erkennen geben wollte, dass die Vorschriften und Lehren der Philosophie, sobald sie in das Herz und die Seele eines heuchlerischen und entarteten Menschen übei-fliessen, wie in ein unflätiges und schweinisches Gefäss, sie umstehen, verderben und ver- unglimpft werden, und was er selbst nach Gyniker-Art (mit einem schmutzigen und ziemlich bissigen, xwtxcJre^ov) Aus- druck bezeichnet, zu Pisse, oder wohl gar noch in etwas Schlechteres (und Gemeineres) als Pisse verwandelt werden. 5. Ausserdem pflegte eben dieser Epictet, wie wir von dem- selben Favorin erfuhren, zu behaupten, dass es (besonders) zwei Laster gebe, welche unter allen die unerträglichsten und hässlichsten wären, nämlich: die Unduldsamkeit und die Unenthaltsamkeit, wenn man entweder Unrecht (und Be- leidigungen), die man soll ertragen lernen, nicht erdulden und tragen kann, oder: dass wir uns der Dinge und der Ver- gnügungen nicht entschlagen, deren wir uns doch eigentlich

XVII, 19, 3. *) BeiPIutarch, über die Erziehung der Kinder 17, lautet eine räthselartige Mahnung des Pythagoras: Wirf nicht* Speise in einen Nachttopf, d. h. dringe die Lehren der Weisheit nicht dem Lasterhaften auf; denn diese Lehren sind die Speise der Seele, diese aber werden dnrch die Laster der Menschen verunreinigt.

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XVn. Buch, 19. Cap., §6.-20. Cap., §1-4. (389)

sollen enthalten können. 6. Wenn sich daher nur Einer fol- gende zwei Worte ins Herz schreiben und zu seiner Selbst- beherrschung und zur Beobachtung seiner selbst verwerthen will, der wird grösstentheils fehlei-frei bleiben und sein Leben in ungetrübtester Ruhe verleben. Diese beiden Worte seien, wie er sagte : Leide und meide {avexov xal artexov , sustine et abstine).

XVII, 20, L. Eine aus dem Gastmahl des Plato entlehnte Stelle, dem

Wohlklang und Gefiige der Worte (im Original so) geschmackvoU and

melodisch (als möglich) angepassi^ der Uebnag halber in die lateinische

Sprache übersetzt.

XVn, 20. Cap. 1. Bei dem Weltweisen Taurus wurde (einst) das Gastmahl des Plato gelesen. 2. Von dem Einen unter den Gästen (welche bei Plato redend eingeführt wer- den), von dem Pausanias, gefielen uns gerade die Worte, wo er, als die Reihe an ihn kam, die Liebe preist; ja gerade seine Worte gefielen uns so sehr, dass wir uns Miihe gaben, sie im Gedächtniss zu behalten. 3. Die Worte nun, so viel ich mich erinnere, lauten (Plat. Sympos. 180, E und 181) also: „Denn jede Handlung verhält sich also: an und far sich ist sie, inwiefeiii sie ausgeführt wird, weder schön noch hässlich. Was wir z. B. jetzt (bei diesem Gastmahle) thun: trinken, singen, sprechen, davon ist nichts an und fQr sich schön, sondern wie es bei der Ausführung gethan wird, zu dem wird es: denn schön und recht gethan, wird es schön, nicht recht aber, wird es hässlich. Auf diese Weise nun ist auch das Lieben und der Eros nicht durchaus schön und werth gepriesen zu werden, sondern Der, welcher anspornt schön zu lieben.^ 4. Als diese Worte gelesen worden waren, und Taurus nun zu mir sagte: Höre, Du junger Redner, so nannte er mich anfangs, als ich eben erst in seine Schule aufgenommen worden war, meinend, ich sei einzig zur Erwerbung und Ausbildung der Beredtsamkeit nach Athen gekommen, siehst Du wohl, sagte er, diesen reich- haltigen, flimmernden und abgerundeten Vemunftschluss (iv^fiTjfio) ^ durch bündige und glatte Harmonie mit einer

XYII, 20, 4. iv&v/iiTifia, s. GeU. I, 4, 2 NB.

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(390) XVII. Buch, 20. Cap., § 4—9.

gewissen gleichföimigen (Rede-) Wendung (eingekleidet und) zusammengekettet? 5. Kannst Du mir wohl aus den Schriften eurer Redner eine so passend und so harmonisch zusammen- gefügte Rede anfuhren? Indess, sagte er, rathe ich (Dir), Du mögest diese Satzgliedeiamg Dir nur so beiläufig besehen (videas odov Ttaqeqyov). 6. Denn, (was ich für nöthiger halte) man muss bis ins Heilig thum des platonischen Greistes vor- dringen, d. h. die Wichtigkeit und Bestimmtheit der Gründe, die Würde und Erhabenheit der Gedanken auf sich wirken lassen, nicht erst lange bei der Lieblichkeit und Anmuth seiner Ausdrücke, noch bei d^r Schönheit und dem Reiz seiner Ausdrucksweise verweilen. 7. Diese Mahnung des Taurus in Bezug auf die Harmonie in der platonischen Rede, weit entfernt mich zu entmuthigen, reizte mich vielmehr an, den Versuch zu wagen, in einer lateinischen Uebersetzung die Feinheit der griechischen Darstellung zu erreichen; 8. und wie es eine Art kleiner und werthloser Geschöpfe giebt, die ausgelassen und muthwillig Alles nachahmen, was sie hören und sehen, ebenso habe auch ich mich unterfangen, das, was ich in des Plato Rede so sehr bewundem musste, wenn auch nicht zu erreichen zu suchen, so doch einen Schattenriss da- von zu liefern. So mag also hier beispielsweise seinen Platz finden, was ich jenen heiTlichen (unerreichbaren) Woi-ten des Originals nachgebildet habe. 9. Mit jeder Handlung, heisst es bei Plato ^ verhält es sich überhaupt folgendermassen : „Sie ist, an und für sich betrachtet, weder unanständig (un- löblich), noch anständig (löblich), wie dies z. B. der Fall ist bei unseni gegenwärtigen Verrichtungen, wo wir trinken, singen, Unterhaltung pflegen. Denn nichts ist an diesen (Verrichtungen) an und für sich rühmenswerth : auf welche Art aber in der Ausübung diese (unsere Verrichtung) ge- schieht, als solche erscheint (und geräth) sie; denn wenn sie recht und löblich vollzogen wird, dann wird sie löblich, wenn aber weniger recht, wird sie schlecht: so nun auch das Lieben. Also ist nun auch nicht jede Liebe anständig, nicht jede lobenswerth, sondern nur die, welche bewirkt, dass wir unsere Neigung auf einen würdigen Gegenstand lenken."

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XVIL Buch, 21. Cap., § 1. (391)

XVII, 21, L. (Chronologisches Verzeichniss) in welchen Zeitpunkten seit

Roms Erbauung Tor dem zweiten (punischen) Krieg mit den Carthagem

die berühmtesten griechischen und römischen Männer (gelebt und)

geblüht haben.

XVII, 21. Cap. 1. Um eine kui-ze Uebei-sicht von den ältesten Zeiten, ebenso wie von den berühmtesten Männem, die in diesen Zeitabschnitten geboren wurden, zu geben ; um gesprächsweise in der Unbesonnenheit zufällig nicht eine un- bedachtsame Aeusserung über das Lebensalter und das Leben berühmter MUnner zu thun, wie neulich einmal ein un- besonnener {anaidevTog) Sophist, welcher vor aller Welt darüber einen Vortrag hielt, dass der Philosoph Cameades von dem König Alexander, dem Sohne des Philippos, ein Geldgeschenk empfangen habe, feiner behauptete, dass der Stoiker Panaetius zur Zeit des älteren Africanus gelebt habe, um uns nun also, sage ich, vor (ähnlichen groben) IrrthUmem in der Zeit- und Lebensgeschichte zu bewahren, deshalb fühlten wir uns veranlasst, einen Auszug zu ver- anstalten aus den sogenannten Chroniken (d. h. Geschichts- büchern nach der Zeitenfolge), in welchen Zeitabschnitten einige berühmte griechische und zugleich römische Männer gelebt haben, die sich durch ihren Geist, oder durch ihr Regiment seit Erbauung Roms vor dem 2. punischen Krieg hervorgethan und ausgezeichnet haben; und diese meine, an mannigfaltigen und Verschiedenen Orten zusammengetragenen Auszüge, will ich nun hier der Reihe nach aufführen. Denn

XYII, 21, 1. PanaetioB von Rhodos, geb. 180 v. Chr. Seine philo- sophische (Bildung erhielt' er in Athen von Diogenes Babylonios (s. Gell. VI [Vn], 14, 9) und dessen Schüler Antipatros ans Tarsos. Hierauf begab er sich nach Rom, wo er mit Laelius, Polybios und dem jüngeren Sdpio Africanus in Verbindung trat und diesen auf seiner Gesandtschaftsreiso durch Asien und nach Aegypten zu Ptolemaios Physkon (143 v. Chr.) begleitete. S. Plut mor. on ^aktaxa etc., dass ein Philosoph sich yor- züglich mit Forsten unterhalten mQsse, cap. 1. Später kehrte er an dea Antipatros Stelle, als Yorbteher der stoischen Schule nach Athen zurück und starb daselbst hochbejahrt Sein berühmtes Werk „Qber die Pflichten^ hat Cicero grösstentheils in seine ähnlich betitelte Schrift aufgenommen. Yergl. GeU. XIII, 28 (27), 1. üeber seine Bekanntschaft mit P. Cornelius Sdpio Aemilianus Africanus minor s. Gell. YI (YII), 11, 9 NB.

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(392) XVn. Buch, 21. Cap., § 1-5.

nicht etwa das habe ich mir zur (besondern) Aufgabe ge- stellt, mit strenger und genauer Ausführlichkeit und Sorgfalt (vergleichsweise) ein chronologisches Verzeichniss von den hervorragendsten Männern bei beiden Völkerschaften zu- sammenzustellen, sondera nur die Absicht verfolgt, diese meine „Nachtgedanken^ einigermassen auch mit einigen leichthingeworfenen Blilthchen aus dem Bereich der Geschichte (zur Ausschmückung) zu bestreuen. 2. Es schien mir aber genügend, in diesem Abschnitt von den Zeiten derjenigen wenigen (berühmten) Persönlichkeiten zu sprechen, nach deren Zeitalter mit grosser Leichtigkeit auch über die meisten andern, von mir übergangenen (ungenannten) Persönlichkeiten eine Muthmassung aufgestellt werden kann. 3. Ich mache also den Anfang mit dem berühmten Solon; denn in Betreff des Homer und Hesiod gilt es fast bei allen Schriftstellern für ausgemacht, dass sie (Beide) entweder fast zu derselben Zeit gelebt haben, oder dass Homer nur ein wenig älter ge- wesen sei, dass sie Beide vor Erbauung der Stadt Rom, als zu Alba noch die Familie der Silvier regierte, gelebt haben und zwar, nach der schriftlichen Aufzeichnung des Gassius [Hemina] im ersten Buche seiner Jahrbücher bei der be- treffenden Stelle, wo vom Homer und Hesiod die Rede ist, mehr als 160 Jahre nach dem trojanischen Kriege, allein, wie Cornelius Nepos im 1. Buche seiner Chronik über Homer ge- sagt hat, ohngefähr 160 Jahre vor Erbauung Roms. 4. Solon also, Einer aus der berühmten Zahl jener (sieben griechischen) Weisen, hat, wie wir ei-fuhren, den Athenern ihre Gesetze gegeben, zur Zeit als zu Rom (der König) Tarquinius der Aeltere bereits 33 Jahre regierte. 5. Während der Regierung des Servius TuUius (zu Rom) war Pisistratus Alleinherrscher

XVn, 21, 3. S. Gell, m, 11, 2; Senec ep. 88, 5; Paasan. Beschrei- bimg GriecheDlands IX, 80; Sextus Empirie adv. mathemat I, p. 41; Tzetzes Ghil. XII, 165; Hieronym. Chronicon. Eosebii über Homer und Hesiod. üeber Solon 8. Gell. XI, 18, 5; Plutarch Solon S. 85; Herodot I, 29; Diog. Laert I, 2, Iff.; Aelian. vermischte Enfthlungen Yin, 10; Justin. H, 7, 4; Yal. Max. Y, 3 extr. 8. üeber Cassios Hemina 8. Tenffels röm. Lit Gesch. 138.

XYII, 21, 5. Diog. Laert. I, 2, 4. 6. 18; Plntarch. Solon p. 95 f.; Polyaen. I, 20, 1.

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XVn. Buch, 21. Cap., § 5—11. (393)

(Tyrann) von Athen, nachdem Solon vorher sich in die frei- willige Verbannung begeben hatte, (aus Verdruss), weil man ihm nicht hatte glauben woUen, als er dies vorher gesagt hatte. 6. Später kam der Samier Pythagoras nach Italien, als der Sohn des Tarquinius, welcher den Beinamen des Hochmttthigen f&hrte, die unumschränkte Gewalt (zu Rom) inne hatte; 7. zu derselben Zeit wurde zu Athen Hipparchus, Sohn des Pisistratus und Bruder des Tyrannen Hippias von Haimodius und Aristogiton ums Leben gebracht (vergl. Gell. .XIV. 6, 3 NB). 8. Archilochus aber war, nach dem Bericht des Cornelius Nepos, schon damals, als Tullius Hostilius zu Rom regierte, durch seine Gedichte allgemein bekannt und berühmt. 9. Im 260. Jahre nach Roms Erbauung, oder nicht lange nachher wurden nach überliefertem Be- richt die Perser besiegt von den Athenern in der berühm- ten marathonischen Schlacht unter dem Oberbefehl des Miltia- des, der nach diesem (errungenen) Siege von dem (undank- bai*en) athenischen Volke verurtheilt wui-de und im Staats- gefängniss den Tod erleiden musste. 10. Damals lebte zu Athen auch der berühmte Tragödiendichter Aeschylus. 11. Zu Rom erzwang sich fast um eben diese Zeit die Volks- Gemeine durch Aufruhr (und durch ihren Auszug auf den heiligen, aventinischen Berg) die Wahl ihrer Zunftmeister

XVn, 21, 6. PyÜiagoraB, ein Schüler des Pherecydes, lebte unter der Regierung (v. 534—509 y. Chr.) des älteren Tarquin. S. Gell. I, 1, INB; Cic. Tusc. IV, 1, 8; Liv. I, 18; de orat, HI, 34, 139; Solinus 16.

XVn, 21, 7. S. Gell. IV, 2, 10; Thucydides I, 20; VI, 54 ff.; Pausan. I, 8. 23. 29; Plin. VH, 28; XXXIV, 9 (4), 2; Senec. de benef. Vn, 14, 5; de ira n, 23, 2; Athen. XV, Sect. 50 (695); Cicero Tusc. I, 49.

XVn, 21, 8. Archilochus, der berühmte griechische Jambendichter lebte wahrscheinlich 688 v. Chr. Dass er unter TuUus Hostilius geblüht habe, ist nicht ganz verbürgt Vergl. Herodot I, 12; Cic. Tusc. I, 1; Horat. de arL poet 79.

XVII, 21, 9. 8. Com. Nep. MUtiad. 4ff.; Dionys. HaUc. V; Herodot VI, 102 ff.; Pausan. I, 32; VE, 52; Thucydid. I, 73; H, 34; Plutarck Aristid. p. 821; Diog. Laert I, 2, 8.

XVn, 21, 11. S. Liv. m, 80; Eutrop. 1, 12; Aurel. Vict de vir. illust 18, 6; Dionys. Halicam. VI, 96. Plutarch Coriolan p. 223f.; vom Glück der Römer p. 818 cap. 5; Flor. I, 22, 3; Aurel. Vict. de vir. ilL 19, 3; Liv. II, 34; Valer. Maxim. V, 8, 2.

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(394) XVn. Buch, 21. Cap^ § 11 17.

(Tribunen) und Wohlfahrtspolizei (Aedilen); nicht lange her- nach fiel Cn. Mardus Goriolanus, verfolgt und gereizt von den Volkszunftmeistern, von der Republik ab, ging zu den da- maligen Feinden (seines Vaterlandes), zu den Volskem über und führte gegen das römische Volk den Krieg. 12. Wenige Jahre nachher wurde der (Perser-) König Xei*xes von den Atheneiii und den andern mit ihnen verbundenen Griechen unter dem Oberbefehl des Themistokles (am 23. Septbr. 484 V. Chr.) in einer bei Salamis gelieferten Seeschlacht besiegt und in die Flucht geschlagen. 13. Ohngefähr vier Jahre nach dieser Begebenheit wurden unter den beiden Gonsuln Mene- nius Agrippa und M. Horatius Pulvillus im Kriege mit den Vejentem bei dem Flusse Cremera 306 Personen von der patricischen Familie der Fabier mit ihren (4000) Hörigen insgesammt von den Feinden umringt und kamen so ums Leben. 14. Unmittelbar nach dieser Zeit that sich der Agrigentiner Empedokles (s. Gell. IV, 11, 10 NB) durch seine Kenntniss in der Naturwissenschaft hervor. 15. Zu Rom aber wurden um diese Zeit (451 v. Chr., in Folge der lex des Tribunen C. Terentillus), wie bekannt, die zehn Männer gewählt zur Abfassung der (durch Herkommen geheiligten) Gesetze; und es wurden von ihnen im Anfang zehn Gesetzes- Tafeln angefertigt, denen bald noch zwei andere beigefügt wur- den. 16. Hierauf begann in Griechenland (durch Eifersucht zwischen Athen und Sparta) der grosse peloponnesische Krieg, welchen (uns) Thucydides (ausführlich) beschrieben. Er be- gann ohngefähr so im 323. Jahre nach Roms Erbauung (und dauerte 28 Jahre, also bis 351 d. St.). 17. Um eben diese Zeit war Aulus Postumius Tubertus Dictator zu Rom, der

XVn, 21, 12. Thucyd. I, TSfl; Pausan. VU, 52; Strabo IX, p. 603; Plutarch ThemistocL p. 114; Comel. Nep. Themist 2; AeschyL Pera. 380 ff.

XVII, 21, 18. Liv. n, 49. 50; Dionys. Halic 17, 9; Flor. I, 12, 2; Aurel. Viel de vir. ilL 14; Diodor. Sical. X, p. 40; Eutrop. I, 14; Senec. de benef. lY, 30, 2.

XYII, 21, 14. Diog. Laert VUI, 2; Suidas und Heeydiius Lex. unter Empedocles.

XVn, 21, 15. Liy. 8, 33 ff.; Flonis I, 24, 1; Dionys. Halic 17, 9; AureL Yict de vir. ill. 21; Eatrop. 1, 16, 1; Orosius II, 13; Gell. XX, 1,3.

XYII, 21, 17. Liv. lY, 29, 5. 6; Yaler. Max. II, 7, 6; cfr. YI, 9, 1;

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XVn. Buch, 21. Cap., § 17-24. (395)

seinen eigenen Sohn (grausamer Weise) mit dem Beil hin- richten liess, (zur Sohne der verletzten Disciplin,) weil er wider den Befehl (seines Vaters) gegen den Feind gefochten hätte. Die Feinde der Römer waren damals die Fidenater. 18. In dieser Zeit lebten, auch berühmt und gefeiert, die tragischen Dichter Sophocles und hernach Euripides, dann der Arzt Hippocrates und der Philosoph Democrit, mit denen Socrates, der zwar einige Jahre nachher geboren wurde und also etwas jünger war, aber doch noch zu gleicher Zeit ge- lebt hat 19. Als nun darauf zu Rom die Kriegsobersten den Staat mit consularischer Gewalt regierten, so um das Jahr 847 nach Eroberung der Stadt, wurden von den Lacedämoniem den Athenern die 30 Tyrannen octroyirt (vorgesetzt) und in Sicilien hatte der ältere Dionysius die Alleinherrschaft, und wenige Jahre nachher wurde Socrates zu Athen zum Tode verurtheilt und musste im Gefängniss den Giftbecher trinken. 20. Aber fast um dieselbe Zeit war M. Furius Camillus zu Rom Dictator und besiegte (als solcher) die Vejenter, 21. und nicht lange Zeit darauf begann der sennonische Krieg, 22. als die Gallier Rom einnahmen, mit Ausnahme des Capitols. 23. Nicht lange nachher wurde auch der Astrolog Eudoxus in Griechenland gefeiert und die Lace- dämonier wurden von den Athenern bei Korinth unter dem Oberbefehl des Phormio besiegt. 24. M. Manlius aber, der (geweckt durch das Geschnatter der Gänse) die Gallier bei Belagerung des Capitols, als sie schon auf die steilen An-

Diodor. Sicul. XII, p. 115; Gell. I, 13, 7; IX, 18, 20. üeber die Fide- nater 8. Liv. IV, 17 f-

XYII, 21, 19. Kriegsobersten mit consularischer Gewalt s. Liv. lY, 6 f.; Dionys. Halle. XI, 60. 30 Tyrannen s. Com. Nep. Lysander 1. Plutarch. Lysand. 15. Ueber Socrates s. Diogen. Laert II, 5, 21.

XVII, 21, 20. S. Liv. 5, 19 ff.; Plutarch Gamill p. 30; Eutropius I, 18, 1. üeber Vejenter Val. Max. I, (3, 3.

XVII, 21, 22. Einnahme Roms, mit Ausnahme des Capitols, durch die Gallier. S. GeU. Y, 17, 2; Polyb. I, 6; Liv. 5, 84; Plutarch Camill. cap. 27. vom Glücke der Rdmer, cap. 12; Florus I, 13; Yal. Max. 1, 5, 1 ; Yerg. Aen. 8, 652; Ovid. Fast 6, 351; Martial. 13, 74: Augustin. de civ. dei II, 22; III, 17; Yeget de re milit. 4, 26; Orosius II, 19.

XYII, 21, 24. Liv. ö, 48; Florus 1, 13, 13ff.; Plutarch. Camül.p. 147; Aurel. Yictor. de vir. ill. '24, Iff.; cfr. Gell. XYII, 2, 14. 24. Manlius

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(396) XVIL Buch, 21. Cap., § 24—29.

höhen hinangekrochen waren, heruntergeworfen hatte, wurde des angesponnenen Planes, die königliche Würde an sich zu reissen, überwiesen und deshalb zum Tode veruitheilt. Da- her wurde er, nach Angabe des M. Varro, von dem tarpe- jischen Felsen herabgestürzt, nach der schriftlichen lieber- lieferung des Cornelius Nepos hingegen zu Tode gepeitscht. 25. In demselben Jahre, welches das siebente nach Wieder- befreiung der Stadt war, soll nach "dem Bericht der Welt- weise Aristoteles geboren worden sein. 26. Einige Jahre nachher, nach dem Kriege mit den sennonischen Galliem, haben die Thebaner die Lacedämonier unter dem Oberbefehl des Epaminondas bei Leucti-a überwunden. 27. Kurze Zeit nach- her pflegten zu Rom in Folge eines Gesetzes des Licinius Stolo die Consuln aus dem niedem Volke (aus der niedem Klasse der Gemeine) gewählt zu werden, da dies vorher nicht zu Recht bestand und ein Gonsul (bis dahin) immer nur aus den patricischen Geschlechtem genommen wurde. 28. Ohn- gefähr ums Jahr 400 nach Erbauung der Stadt erlangte Philippus, der Sohn des Amyntas und Vater des Alexander, die unumschränkte Gewalt von Macedonien, auch wurde zu derselben Zeit (ihm sein Sohn) Alexander geboren. 29. Wenige Jahre darauf begab sich der Weltweise Plato an den Hof des jüngeren Dionysius, des Alleinhen*schers von Sicilien.

zum Tode verortheUt s. Liv. 6, 20; Plat GamilL p. 147; AvreL Yict de Tir. illostr. 24, 5.

Xyn, 21, 25. üeber Aristoteles s. Diog. Laert Y, 1.

XYU, 21, 26. ScUacht bei Leuctra im J. 871. S. Polyb. n, S9. 41; IV, 18; Diodor. Sic XY p. 869 f.; Aelian. verm. Erz. Vn, 14; Justin. VI, 8; Cic. Epist ad Fam. V, 12, 16; Orosius III, 2; YaL Max. m, 2, extr. 5; Ck)meL Nepos Epaminond. 6. 10; Paosan. I, 3. 18. 29; ELI, 6; IV, 82; IX, 6. 18. 14; Strabo YHI p. 590; IX p. 684; Plutarch. Pelopid. p. 288 f.; Agesil. p. 512; Artax. p. 1022; Liebesgeschichten p. 774 cap. 8; ob dn Greis Staatsgesch&fte p. 786 cap. 6. 27; Politische Lehren p. 808 cap. 18.

XVII, 21, 27. Lidnius Stolo s. GelL VI (VII), 8, 40 NB; Liy. 6, 84ft; Floros I, 26, 4.

XVn, 21, 28. Diodor. Sicul. XVI p. 406; Platarch. Alexand. p. 662.

XVn, 21, 29. Plato zom Dionysips s. Plin, h. n. VII, 81 (80), 1; Diog. Laert m, 14 ff.; Aelian verm. Erz. m, 17; lY, 18; Platarch. Dion p. 962; Cic. de Orat III, 84, 189; Athenaeas XI, sect 116 (507); Diodor. Sic. XY p. 882; Appulcg. de dogm. Piaton. L

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XVn. Buch, 21. Cap., § 30—36. (397)

30. Einige Zeit nachher besiegte Philipp (von Macedonien) die Athener in einer gi-ossen Schlacht bei Chaeronea. 31. Darauf suchte der Redner Demosthenes durch Flucht aus dem SchlachtgetOmmel sein Heil; und als ihm Jemand über diese schimpfliche Flucht bittere Vorwürfe machte, wusste er sich scherzhafter Weise durch jenen bekannten Vers auszureden und zu entschuldigen:

Wer flieht^ der kann noch schlagen sich zum zweitenmale.

32. Hierauf kam Philippus durch Nachstellung ums Leben. Alexander aber (sein Sohn), der nun an die Regierung ge- langte, ging zur Unterjochung der Perser nach Asien und nach dem Orient. 83. Ein anderer Alexander aber, mit dem Bei- namen Molossus, kam nach Italien in der Absicht, mit dem römischen Volke Krieg zu führen, denn schon hatte der Ruhm von der Tapferkeit und dem römischen (Kriegs-) Glück bei auswärtigen Völkern angefangen (im hellsten Lidite) zu strahlen, allein bevor er noch eine kriegerische That voll- bracht, starb er. Dieser Molossus soll, wie wir erfuhren, als er nach Italien hinüberging, gesagt haben, er zwar gehe zu den Römern, gleichsam wie nach einem Tummelplatz von lauter Männern {avdQwvlTig) , sein macedonischer (Namens- vetter und) Nebenbuhler aber zu den Persem, gleichsam wie nach einem Tummelplatz von nur lauter Weibern {ywai- xcjvXTig). 34. Als darauf Alexander der Macedonier den grössten Theil des Orients unterjocht und 11 Jahre regiert hatte, starb er. 85. Nicht lange nachher schieden auch der Weltweise Aristoteles und bald darauf der Redner Demo- sthenes aus dem Leben. 36. Fast um dieselbe Zeit wurde das

%

XVn, 21, so. Niederlage bei Chaeronea 838 ▼. Chr. s. Lir. 35, 46 Panaan. I, 26; VU, 15; Strabo IX p. 634; Diodor. Sic. XVI p. 475 Platarch. Camm. p. 138; Demosth. p. 859; Aeüan. VI, 1; VUI, 15 Xn, 58.

Xyn, 21, 38. Alexander Molossus war der Sohn des Neopto- lemas and König von Epinis, und seine Schwester Olympias war die Matter von Alezander d. Gr., dessen Vater der macedonische König Philipp war. S. Uv. VIII, 4. 17. 24; Justin. XII, 2; Plut vom Glftck der Römer, 13; von Alezander des Gr. GlQck oder Tapferkeit I, 8.

XVn, 21, 35. Diogen. Laert V, 1, 7.

XVU, 21, 36. Vergl. Gell. XX, 1, 40; Flor. I, 16; Liv. IX, lOft; Cic de or. 1, 40, 181; 2, 32, 137; pro Caec 34, 98.

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(398) XVIL Buch, 21. Cap., § 36—41.

römische Volk in einen heftigen und langwierigen Krieg mit den Samnitern verwickelt und ihre beiden Consuln, Tib. Vetu- rius und Sp. Postumius wurden auf dem ungünstigen Terrain (in den Engpässen) bei Gaudium von den Samnitern einge- schlossen und unteres Joch geschickt, erst nach einem abge- schlossenen, schimpflichen Vergleich entlassen; wegen dieser beschämenden Schmach wurden die beiden (unglücklichen Consuln) auf Befehl des römischen Volkes durch die Fetialen den Samnitern überlassen und nicht wieder zurückgenommen (noch ausgelöst). 37. Ohngefähr im Jahre 470 nach Er- bauung der Stadt fing man den Krieg mit dem Könige Pyn*hus (von Epii-us) an. 38. Zu derselben Zeit waren die beiden Philosophen, der Athener Epicur und Zeno von Gitium, berühmt. 89. Um dieselbe Zeit verwalteten C. Fabricius Luscinius und Q. Aemilius Papus das Sittenrichteramt in Rom, und sie waren es, die den P. Cornelius Rufinus, der zweimal Consul und sogar Dictator gewesen war, aus dem Senate stiessen, und als Grund für ihre censorische Rüge den veimerkten, weil sie erfahren hätten, dass er wegen einer Gasterei 10 Pfund (verarbeitetes Silber, d. h.) Silber- geschirr verwendet habe. 40. Feiner im 490. Jahre nach Erbauung der Stadt Rom unter dem Gonsulat des Appius Claudius, der den Beinamen Caudex (Klotz) führte und ein Bruder vom Appius dem Blinden war^ und seines Mitconsuls Marcus Fulvius Flaccus nahm der erate punische Krieg seinen Anfang, (welcher zwischen Kaithagem und Römern aus Eifer- sucht wegen Sidlien entstand). 41. Kurz darauf wurde der Dichter Gallimachus von Cyrene zu Alexandrien am Hofe

XVII, 21, 37. Liv. Vn, 29; Val. Max. U, 7, 15; Florus I, 18; PlatftTch. Pyrrhus; Justin. 18, 1; Plin. 8, 6, 1; Eutrop. II, 1; Aurel. Vict de vir. illnstr. 35; Augustin. de Civ. Dei III, 17; Orosius lY, 1.

XVn, 21, 33. üeber Epicur s. Gell. IX, 5, 2 NB; aber Zeno GelL I, 2, 8 NB.

XVII, 21, 39. GeU. IV, 8, 7; Val. Max. II, 9, 4.

XVII, 21, 40. Entstehungsursache war Eifersucht zwischen Garthagera und Römern wegen Sicilien. S. Florus 11, 2; Eutrop. n, 3; Aurel. Vict. vir. iU. 37 ff.; Polyb. I; Augustin. de Cic. D. HI, 18; Orosius IV, 8; Sillus Italic. VI; Appian. Libyc»

XVn, 21, 41. üeber Gallimachus s. Gell. IV, 11, 2.

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XVIL Bach, 21. Cap., §42 45. (399)

des Königs Ptolemaeus [Philadelphus] berilhmt. 42. Nicht mehr als 20 Jahre nachher, als unter den Gonsuln Claudius Gento, dem Sohne von Appius dem Blinden, und unter dem M. Sempronius Tuditanus der (erste) Friede mit den Puniern (Carthagem) war geschlossen worden, begann der Dichter L. Livius (Andronicus) (514/240) unter Allen zuerst zu Rom Stücke (zu schreiben und) auüzuführen , fast mehr als 160 Jahre nach dem Tode des Sophocles und Euripides und ohn- gefähr 52 Jahre nach dem Hinscheiden des Menander. 43. Auf die beiden Gonsuln Glaudius und Tuditanus folgten Q. Valerius und G. Manilius, unter deren Gonsulate, wie M. Varro im ei-sten Buche „von den Dichtern" schreibt, der Dichter Q. Ennius geboren wurde; wo auch noch steht, dass Ennius in seinem 67. Jahre das 12. (vielmehr wohl das 18.) Buch seiner Annalen geschrieben habe, und dass dies Ennius in diesem Buche selbst melden soll. 44. Im 519. Jahre nach Roms Erbauung gab Sp. Garvilius Ruga zu Rom auf Ani-athen seiner Freunde zu allererst das Beispiel einer willkarlichen Ehescheidung mit seiner Frau, weil sie unfruchtbar sei und weil er vor den Gensoren (wie er zu seiner Entschuldigung anführte) eidlich vei-sichert hatte, er habe sich ein Weib nur genommen, um Nachkommenschaft zu erzielen. 45. In eben diesem Jahre führte der Dichter Gn. Naevius seine Lustspiele vor dem Volke auf, und M. Varro sagt in dem eben vorhin

XYII, 21, 42. üeber den Dichter Liyius s. Gell, m, 16, 11 NB; Val. Max. II, 4, 8 und den Geschichtsschreiber Liyias YII, 2fL Yergl. Teoffels röm. Lit Gesch. § 92, 1 und 2; Gic. Brut. 18, 72; Sen. 14, 50; Tusc. 1, 1, 3.

XYII, 21, 43. Ennius, geb. 515 d. St <- 239, sprach drei Sprachen (Gell. XYII, 17, 1) und stand im yertranlichen Yerhältniss mit Scipio Nasica. Gia de or. II, 68, 276.

XYII, 21, 43. Duodevicesimum librum, cfr. Gell. Xm, 21, 14 und Bemh. röm. Lit. NB 306; Gic. Tusc. I, 1; Brut. 18, 72; Teuffels röm. Lit. Gesch § 99.

XYn, 21, 44. S. Gell. lY, 3, 2 NB; X, 23, 4. Yergl. Teuffels Gesch. der röm. Lit 127, 1, wo eine Schwankung zwischen dem J. 519 und 524 angegeben ist

XYII, 21, 45. Den ersten Aufechwung der Literatur Hessen gebildete Männer erst mit dem zweiten punischen Krieg beginnen, wie hier Pordns Licinins und Horaz. Epp. II, 1, 62; yergl. Teuffels röm. Lit Gesch. § 89 u. 93, 2 u. 133, 3 und Gell. XIX, 9, 13.

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(400) XVn. Buch, 21. Cap^ §45—50.

erst angeführten ersten Buche „von den Dichtem" über ihn, dass er im ersten panischen Kriege im Felde gedient habe, und fügt hinzu, dass Naevius diese Thatsache selbst in seiner Dichtung erwähne, welche er über diesen Krieg verfasst hat; allein Porcius Licinius behauptet, dass Naevius erst später sich auf die Dichtkunst gelegt habe, in folgenden Versen:

Erst im zweiten Bömerkrieg begab die Mus' beschwingten Schritts Sich hinein zum wilden rauhen Eriegerrolk des Bomulus.

46. Ohngefähr 15 Jahre nachher wurde der Krieg gegen die Punier (wieder) aufgenommen. 47. und nicht lange nachher blühten M. Gato als Staatsredner und Plautus als Bühnen- dichter. 48. Zu derselben Zeit wurden der Stoiker Diogenes, der Akademiker Cameades und der Peripatetiker Critolaus von den Athenern wegen Staatsangelegenheiten an den Senat des römischen Volks entsendet. 49. In nicht langer Zeit nachher wurde Q. Ennius und neben ihm Caecilius und dann Terentius und nachher Pacuvius, und als Pacuvius bereits sehr alt war, Accius berühmt, aber alsdann noch' weit be- rühmter Lucilius durch seine Herabsetzung und Verkleineiiing der Gedichte von jenen (seinen Vorgängern). 50. Allein ich bin schon etwas zu weit gegangen, da ich mir als Ziel für meine kurzen Bemerkungen den zweiten punischen Krieg gesetzt hatte.

XVn, 21, 46. Dieser entstand wegen Spanien und Veranlassung gab die Zerstörung von Sagunt. Florus n, 6; Aurel. Vict de vir. ill. 42 Appian Libyc.; Gornel. Nep. Hannibal; August de Ci?. D. ni, 19 Plutarch im Fabins, Sdpio Marcellus, Hannibal, Flaminius; EutropiusIU Orosius IV.

XVTI, 21, 48. Vergl. GelL VI (VII), 14, 9.

XVn, 21, 49. G. Lucilius kritisirte. S. Tenffels röm. Lit. Gesch. 132,7,

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XVIII. BUCH.

XVIII, 1, L. GedankenauBtausch, gepflogen zwischen (zwei) Philosophen, einem stoischen nnd andererseits einem peripatetischen , unter dem Schiedsrichtersprach des Fayorin; desgleichen Verhandlang der von den Beiden aufgeworfenen Frage, wie gross der Einfluss der Tugend sei bei Vollendung und Verwirklichung zur Glückseligkeit des Lebens, und wie weit (bei dieser Verwirklichung) die Macht der sogenannten irdischen Güter in Betracht kommt.

XVin, 1. Cap. 1. Unter den Freunden des Favorin be- fanden sich zu Rom zwei nicht unbeiUhmte Weltweise, deren Einer Anhänger der peripatetischen Lehre war, der Andere der stoischen Schule angehörte. 2. Als wir (einst) Mehrere zusammen uns mit dem Favorin zu Ostia befanden, war ich Zeuge, als diese (Beiden) einen leidenschaftlichen und eifrigen Streit begannen zur Aufrechterhaltung ihrer (beiderseitigen, verschiedenen) Lehrsätze. 3. Wir gingen aber gerade am Ufer spazieren, als es bereits zu dämmeni anfing, zur Fiiih- jahrszeit (oder Neujahrszeit, aestate anni novi). 4. Und da äusserte nun der Stoiker die Ansicht, dass die Glückseligkeit des Lebens für einen Menschen nur allein durch (den Seelen- adel) der Tugend, das höchste Elend aber allein durch Laster (und Bosheit) bewirkt werden, selbst in dem Falle, dass alle übrigen sogenannten körperlichen und äusserlichen (irdischen) Güter der Tugend (d. h. dem Tugendhaften) abgehen uml mangeln , der Lasterhaftigkeit (d. h. dem Lasterhaften) abet- zu Gebote stehen sollten. 5. Der Peripatetiker andrerseits gab nun zwar zu, dass das Elend des Lebens allein auR Seelenverderbniss (Laster) und Bosheit entstehe, allein seiner

XVm, 1, 5. S. Aristot. Nikom. Ethik. I, 3.

Gellias, Attische N&cht«. II. 26

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(402) XVm. Buch, 1. Cap., § 5—11.

Ansicht nach reiche die Tugend allein durchaus nicht hin, das ganze Mass des Lebensglückes auszufüllen, weil ein vollständig unverletzter Zustand (integritas) des Körpers, Gesundheit, wohlgestaltete äussere Erscheinung, einiges Ver- mögen, ein (unbescholtener) guter Name und alle sonstigen leiblichen und Glücksgüter ftlr nothwendig erachtet werden (müssen) zur Vollendung unseres Lebensglückes. 6. Dagegen erhob seinerseits der Stoiker laute Einwendung und sprach seine Verwunderung darüber aus, dass der Peripatetiker, gleichsam als wenn er zwei sich ganz entgegengesetzte Dinge annähme, er (trotzdem) in beiden (Möglichkeits-) Fällen den Einfluss und das Wesen eines Gegensatzes nicht aufrecht er- halten (viel weniger zugestehen) wolle, obgleich (er nicht bestreite, dass) ja Laster und Tugend Gegensätze bildeten, wie auch Elend und Glückseligkeit (einander) ebenfalls ent- gegengesetzt seien; 7. und obgleich sein Gegner in dem Glauben stehe, dass zwar Bosheit (und Laster) zur Vollen- dung des Elends im Leben sehr viel Einfluss ausübe, er nichts destoweniger aber doch auch nebenbei noch die Be- hauptung festhalten wolle, dass Tugend allein zur Verbürgung und Erlangung von Lebensglück nicht ausreichend sei. 8. Denn das sei doch ein ganz gewaltiger Widerspruch und stimme nicht mit einander überein, sagt er, wenn sein Gegner die Behauptung aufstelle, dass ein Leben, wenn ihm die Tugend mangele, keineswegs als ein glückliches angesehen werden könne, und er doch dabei zugleich auch wieder der Tugend die Eigenschaft absprechen wolle, dass nur sie ganz allein schon ein glückseliges Leben bewerkstelligen könne, und wenn er den Werth (und Vorzug), welchen er der ab- wesenden Tugend beilege und einräume, ihr wieder entziehen wolle, wenn sie anwesend ist. 9. Hierauf erwiederte der Peripatetiker in der That sehr artig: Mit Deiner gütigen Erlaubniss bitte ich Dich, mir doch die Frage zu beantworten, ob Du glaubst, dass das ein Eimer Wein sei, woran ein Mass fehlt? 10. Keineswegs kann man das, erwiederte der Stoiker, einen Eimer Wein nennen, an dem ein Mass fehlt. 11. Als der Peripatetiker sich mit dieser Antwort zufrieden erklärt hatte, fuhr er also fort: Man kann also dreist sagen, dass ein Mass einen Eimer vorstellt, weil, wenn das eine

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XVin. Buch, 1. Cap., § 11 16. 2. Cap., § 1. (403)

Mass (daran) mangelt, nicht von einem Eimer die Bede sein kann, wenn das Mass aber hinzukommt, dann erst ein Eimer (vorgestellt) wird. So ungereimt nun die Behauptung sein würde, dass dies eine Mass einen Eimer abgebe, eben so ungereimt ist es, zu sagen, dass allein durch die Tugend ein glückliches Leben (uns) bereitet werde, weil, wo die Tugend gänzlich fehlt, an ein glückliches Leben niemals zu denken ist. 12. Hierauf sah Favorin den Peripatetiker an und sagte zu ihm : Es wird zwar Deine spitzfindige Erklärung mit dem (besagten) Eimer Wein, deren Du Dich bedient hast, (vielseitig) in den Büchern abgehandelt, allein, wie Du weisst, kann dieser sehr treffliche Tnigschluss (captio) mehr für einen feinen Scherz gelten, als für einen stichhaltigen oder schicklichen (und gleich- berechtigten) Beweis. 13. Denn wenn ein Mass (am Eimer) ver- misst wird, so ist dies zwar die Ursache, dass der Eimer nicht das richtige Mass enthält (d. h. nicht vorschriftsmässig gefüllt ist), sondern, wenn man das (eine) Mass nimmt und zugiesst, so macht dies eine Mass allein noch keinen Eimer aus, son- dern ei-gänzt nur, was an dem Eimer noch fehlte. 14. Allein die Tugend ist nach der Meinung der Stoiker nicht blos ein Zusatz, eine Vermehrung oder ein Ergänzungsmittel, sondern sie selbst ist einzig und allein der (wahre) Inbegriff von der Glückseligkeit des Lebens, und deshalb macht ihr Besitz allein die wahre Glückseligkeit des Lebens aus. 15. Ueber solche und viele andere dergleichen geringfügige und ver- wickelte Gegenstände tauschten diese beiden Philosophen ihre beiderseitige Meinung aus, gleichsam wie vor dem Amtsstuhl des Schiedsrichters Favorin. 16. Allein als man schon anfing die Lichter anzubrennen und die Dunkelheit immer mehr zu- nahm, begleiteten wir den Favorin bis nach seiner Wohnung und zerstreuten uns, als er dahin abgegangen war.

XVIII, 2, L. Mit welcherlei Wettstreit darch (aufgeworfene) Fragen wir

uns zu Athen die Kurzweil am Saturnusfest zu beleben pflegten; dabei

auch noch Schilderung und Veranschaulichung einiger ergötzlicher

Trugschlüsse und Räthsel.

XVIII, 2. Cap. 1. Wir feierten zu Athen das Fest der

XVm, 1, 18. Vergl. Gell. XVffl, 2, 10 NB.

26*

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(404) XVin. Buch, 2. Cap., § 1 6.

Saturnalien in ganz sittsamer Heiterkeit, nicht etwa, wie es so gewöhnlich heisst, durch Nachlassen geistiger Thätig- keit, denn nachlassen in geistiger Thätigkeit heisst gleich- sam dieselbe entlassen, wie sich Musonius ausdrückt, sondern, indem wir unsem Geist ein wenig Erheiterung und Zerstreuung gewährten, durch angenehme schickliche Lock- mittel in der Unterhaltung. 2. Ich aber und sehr Viele meiner römischen Landsleute, die wir nach Griechenland gekommen waren und dieselben Vorlesungen wie auch dieselben Lehrer besuchten, vereinigten uns (schliesslich immer) bei einem (heitern) Mahle. 3. Da setzte nun auch Deijenige, welcher, sobald die Reihe an ihm war, für ein kleines (frugales) Mahl zu sorgen hatte, (jedesmal) auf Lösung und Beantwortung irgend einer aufgestellten Frage ein griechisches oder latei- nisches Buch eines alten Schriftstellers und einen geflochtenen Lorbeerkranz als (Prämien-) Preis aus, und so viele Personen zugegen wareiu ebensoviele Fragen stellte er auf und sobald er sie alle auf ^^^es teilt hatte, entschied das Loos (ordnungsgemäss) den Gegenstand umi die Gelegenheit als Sprecher aufzutreten. 4. So wurde nun (allemal) die Lösung einer (vorgelegten) Frage mit einer solchen (Lorbeer-) Krone und einem Preise (einer Buchprilmie) belolmt, eine nicht gelöste aber wurde an Den übei'^eben, der dem Loose nach an die Reihe kam, und dies VerfaJiren wurde im Kieise herum auf gleiche Art aufrecht erhalten, 5. Wenn Keiner die Frage löste, so wurde der Kranz stets tlemjeni^en Gott feierlich zugesprochen, dessen Fest man (gerade) beging. 6. Es kamen aber derartige Gegen- stnnde zur Frage, wie z. B. irgend eine dunkle Stelle eines alteil Dichters, die leicht und ohne viel Kopfzerbrechen zu lösen, oder die Untei-suchung (einer Thatsache) aus der alten Geschichte, oder eine Rechtfertigung irgend eines allgemein missverstandeiien Lehrsatzes aus der Philosophie, oder die Erklärun^^ und Auflösung eines sophistischen Tnig- sehlusses (captionis sophisticae solutio), oder die Erforschung eines noch ungewöhnliclien (fraglichen) und seltneren Wortes,

XYirr, 2, 1. tJebor Satiirnalia s. GeU. II, 24, 3 NB; Macrob. Sat I, 5; über Musoniu« b. Uell. V, 1^ INB; über Tischgespräche s. GeU. I, 22, i; VU (VI), 13; XVII, 8; XIX, 9, INB.

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XVni. Buch, 2. Cap., § 7-9. (405)

oder endlich auch die (nähere) Bestimmung eines höchst dunklen Zeitfalls (tempus) bei einem an sich ganz klaren Worte. 7. So erinnere ich mich noch ganz deutlich der, neulich erst bei derartiger Gelegenheit, aufgeworfenen sieben Fi-agen, von denen die erste die (mtlndliche) Auslegung fol- gender, in den Satiren des Ennius befindlichen Verse betiaf, worin der Dichter ein und dasselbe Wort in vielfacher Be- deutung immer wiederholt und kunstgerecht vei-flochten hat. Ihr Wortlaut ist folgender:

Kam qui lepide postulat alterum frustrari,

Quem frustratur, frostra eum didt frustra esse; nam qui

Sese frustrari quem frustra sentit, qui frustratur,

Is frustra'st, non ille est frustra; d. h.

Sei es auch scherzweis', wer zu betrügen den Andern sich anmasst,

Wen er betrügt, den hält er trüglich betrogen; denn merkt wer,

Dass ihn trügrisch Einer betrüget, (bei dem Betrüge)

Dann der Betrüger betrogen nur bleibt, unbetrogen doch Jener.

8. Die zweite Frage war: wiewohl das verstanden und auf- gefasst werden müsse, was Plato (de rep. V, 457. C.) damit meinte, wenn er in der von ihm schriftlich entworfenen Re- publik sagt: Aoivag rag ywaiytag, d. h. dass die Weiber Ge- meingut seien, und wie er hat auf die Idee kommen können, das Gekose mit Knaben und Mädchen als Lohn für die tapfer- sten Männer und für die hervorragendsten Kriegshelden zu bestimmen? 9. Drittens wurde folgende Frage aufgegeben : In welchen Worten wohl das Verfängliche jener bekannten Tiiigschlüsse liege, und wie sie ausgelegt und aufgelöst werden könnten, wie z. B. wenn man sagt: Was Du nicht verloren hast,

XYIII, 2, 7. In solcher l&rmenden Spielerei und im Ungeschmack solch klappender Assonanzen gefiel sich Ennius. Yergl. GeU.XIX, 10, 12; Bemh. röm. Lit. 70, 804. Denn wer scherzweise einen Andern zu be- trügen sich unterfängt, (is) frustra dicit, eum frustra esse, quem finstratur, d. h. der behauptet trüglich irrthümlich) , dass Der betrogen sei, de er zu betrügen beabsichtigt; denn (si qui sentit, aliquem frustra seaf frustrari) wenn ein solcher (Betreffender) merkt, dass irgend so ein Me trüglich ihn selbst zu betrügen sacht, is frustra est, qui frustratur, Der (vielmehr schon) betrogen, welcher den Betrug anspinnt, nicht J wird betrogen.

XVm, 2, 9. Vergl. Gell. XVI, 2, 10 u. XVIII, 13, 8; Sen. ep. 45, u. 49, 8; Diodor. Sic. II, 108. 111; Diog. Laert. VIT, 44. 187; Quinct. I, 10, 5.

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(406) XVm. Buch, 2. Cap., §9—18.

das hast Du noch ; nun hast Du Hörner nicht verloren, folg- lich hast Du sie noch; femer: was ich bin, das bist Du nicht; (ich bin ein Mensch), folglich bist Du kein Mensch. 10. Des- gleichen fragte man sich auch, was wohl die Auflösung von jenem Trugschluss (sophisma) sei, der da lautet: wenn ich lüge und gestehe ganz offen, dass ich lüge, lüge ich dann, oder sage ich die Wahrheit? 11. Die folgende (vierte) Frage war diese: Warum die Patricier an den megalensischen Fest- tagen, das gemeine Volk aber an den cerealischen sich ein- ander abwechselnd zu Gaste bitten (mutitare, s. Gell. II, 24, 2) und beschenken ? 12. Hierauf wurde (fünftens) auch gefragt, wer von den alten Dichtem sich des Ausdracks: „verant" bedient habe, welches so viel heissen soll als: „vera dicunt" (d.h. sie sagen die Wahrheit) ? 13. Die sechste Frage war die, was für eine Art von Kraut es sei, welches Hesiod in dem bekannten Verse erwähnt habe (opp. et. d. 40 ff.)

Thörichtel welche nicht wissen, dass mehr als das Ganze die Halfif ist

{nUov ^fiicv navT6g)y Noch dass LilienknoU' and Malve so herrUche Kost beut,

XVni, 2, 10. Sophisma (verflbgliche Rede, Wortspiel), \p€vd6fji€vog^ Lügenschlnss. Gic. de div. II, 4; yergl. Senec ep. 111. Gic Acad. U, 29: Sagst Du, Du lügst und sagst damit die Wahrheit, so lügst Du; Du sagst aber, Du lügst und sagst damit die Wahrheit, also lügst Du. Wenn Du sagst, Du lügst und damit, dass Du sagst, Du lügst^ die Wahi^ heit sagst; so sagst Du die Wahrheit; also sprichst Du die Wahrheit. Bäumte man dies ein, so bewiesen die Stoiker auf folgende Weise das Gegentheil: Sprichst Du, Du lügst und sagst damit die Wahrheit^ so lügst Du; nun sagst Du aber, Du lügst und sprichst damit die Wahrheit, folg- lich lügst Du. Der durch Anhäufung der Gründe gebildete (spitzfindige) Trugschluss: ofOQS^Trjg, Sorites (s. Gell. I, 2, 4), rein lateinisch: acerTU^ acervalis, lautet ohngefähr so: Wenn ein Haufen aus Körnern besteht, so ist die Frage: Das wievielste Eom macht einen Haufen? oder bei der Wegnahme des wievielsten Kornes hört ein Haufen auf, ein Haufen zu sein? Gic. de div. II, 4. Vergl vorher GeU. XVIII, 1, 13.

XVni, 2, 11. Ueber die megalensischen Spiele und über Gerealien s. Gell. II, 24, 3 NB.

XVIII, 2, 13. Hesiod empfiehlt durch diesen Ausspruch eine einfache und sparsame Lebensweise. Die spätere Zeit aber glaubte in diesen Worten einen tiefem Sinn finden zu müssen und behauptete demnach, es würden hier Kräuter genannt, welche gleichsam als Präservative gegen Hunger und Durst gebraucht werden könnten. Yergl. Plut. Gastmahl der sieben Weisen p. 157, E. Hesiod sagt nur, dass man auch bei einer

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XVIIL Buch, 2. Cap., § 13. 14. (407)

und ebenso, was Hesiod darunter verstanden wissen wiU, wenn er sagt, dass die Hälfte mehr als das Ganze sei? 14. Die (siebente und) letzte von allen diesen Fragen war, ob die

massigen Kost glücklich sein könne. DerMalve (fiulaxVi malva) bedienten sich die Dürftigen bei Griechen and Hörnern statt des Lattigs s. Dioscor. XI, 109. Die Lilienknolle vom aaif>6d^log (Goldworz), ein zum Zwiebel- geschlecht gehöriges Wiesenkraut, mit schönen Blüthen yon starkem Oeruch, der Lilie gleichend, -wovon die Knollen an der Wurzel (nach Theophrast Geschichte der Pflanzen VII, 12) ebenfalls den firmeren Leuten zur Kost dienten. Davon waren die Stengel gekocht und der Samen ge- röstet ebenfalls geniessbar. S. Plin. 22, 82. Aus beiden Er&atem machte man, wie Procius erw&hnt, ein Decoct (ilifioc, i. e. Hunger vertreibend, sättigend), das sich sehr lange hielt und den Aermeren eben zur Nahrung diente. Hör. Od. I, 81, 16 sagt:

me pascunt olivae,

Me dchorea levesque malvae, d. h.

Mir sind Oliven

Speise, Cichorien mir und Malven. In Bezug auf den tiefsinnigen Spruch „die Hälfte mehr als das Ganze^ ist Folgendes zu bemerken. Hesiod hatte mit seinem Bruder Perses be- reits das väterliche Erbtheil getheilt, trotzdem verwickelte ihn der hab- süchtige Bruder noch in einen Erbtheilstreit, welcher durch die Partei- lichkeit der Richter zum Nachtheil für den Dichter entschieden wurde. Durch diesen nachtheiligen Bechtsspruch glaubte man den Dichter un- glücklich zu machen. Perses vergeudete dem ihm zuerkannten, grössten Vermögenstheil sehr bald, während Hesiod mit seinem geringeren Ver- mögen durch weise Verwaltung im Stande war, den verarmten Bruder noch zu unterstützen. Denn massiges Vermögen fordert zum Fleiss und zur Sparsamkeit auf, üeberfluss aber führt zur Trägheit und Schwelgerei. S. Plin. 21, 68; 22, 82. Darauf also bezieht sich der Ausspruch. S. Plat. de repbl. V, 466, C; de legg. lü, 677 (38), E und V, 748 (237) B; Xen. Cyrop. Vlll, 4; beim Diogenes Laert I, 4, 2 bedient sich Pittakus, einer der sieben Weisen dieses Ausspruchs, als ihm die Mytilener einen Acker schenken wollten, er jedoch nur einen Theil davon annahm. Vergl. Plut. moral. „wie soll der Jüngling die Dichter lesen", 14, wo es besser Unrecht leiden, als Unrecht thun bedeutet. Eine scherzhafte Anwendung dieses Sprüchworts auf das Brustbild des Quintus Cicero findet sich beim Macrob. Saturn. IT, 3. Da dasselbe nämlich nicht das rechte Verhältniss gegen die kleine Statur des (Juintus hatte, so sagte Cicero: frater mens dimidio m%jor est, quam totus, d. h. mein Bruder ist (im Bilde) um die Hälfte grösser, als in der Wirklichkeit Vergl. Lucret. V, 116 118: Würde nach wahrer Vernunft der Mensch sein Leben beherrschen. Dann war's grosser Reichthnm für ihn bei gleichem Gemüthe Massig zu leben; denn nie gebricht es, wo Wenig von Nöthen.

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(408) XVIII. Buch, 2. Cap., § 14—16. 3. Cap., § 1.

Wolter „scripserim", „venerim", „legerim" als Formen der ver- gangenen Zeit zu betrachten, oder als solche der zukünftigen zu verstehen seien, oder gar für beide zugleich? 15. Nach- dem alle diese Fragen in der von mir angegebenen Reihenfolge vorgebracht und jede einzelne nach (besagter) Ausloosung be- sprochen und beantwortet war worden, erhielt Jeder von uns sein Preisbuch und seinen Kranz zum Geschenk; nur die ein- zige Frage, welche das Wort „verant" betraf, blieb unbeant- wortet 16. Es hatte sich nämlich für den Augenblick Keiner darauf besonnen, dass dieser Ausdruck vom Q. Ennius im 13. Buche seiner Jahrbücher in folgendem Verse war gesagt worden:

Sprechen Wahrheit (yerant) yollkommen die Seher, Wenn sie uns die Dauer des Lebens verkünden?

Der also für Beantwortung dieser Frage ausgesetzte Kranz wurde demnach (weil sie nicht gelöst worden war) dem Gotte dieses Festes, dem Saturn, feierlich geweiht.

XVin, 3, L Was nach der Angabe des Redners Aeschines in seiner Rede, worin er den Timarch wegen seiner Schamlosigkeit und Unverschämtheit verklagt hat, (einst) die Lacedämonier über einen höchst annehmbaren Vorschlag, den ein ganz verworfener Mensch gethan hatte, beschlossen

haben sollen.

XVIII, 3. Cap. 1. Aeschines, sicher wohl der heftigste, wie klügste unter den Rednern, die in den Volksvei-samm-

Psalm 87, 16. Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser, denn das grosse Gut vieler Gottlosen. Vergl. auch noch Plutarch: vom Gesicht im Monde cap. 25.

XVni, 2, 14. Vergl. Bemh. röm. Lit. 28, 108.

Xyni, 3, 1. Aeschines, drei Jahre nach dem (898 v. Chr. er- folgten) Tode des Socrates, in Athen geboren, berühmter griechischer Bedner, Gegner des Demosthenes, der ihn aher übertraf und besonders in der Rede: de Corona, beschämend besiegte und ihn ins Exil brachte. £r ging nach Rhodus, lehrte daselbst und begann seine Wirksamkeit damit, dass er seinen Zuhörern erst seine eigene gehaltene Rede und dann die Gegenrede des Demosthenes (de Corona), welche seine Verbannung veranlasst hatte, vorlas. Als die Rede des Demosthenes mit mehr Beifall aufgenommen wurde, als die seinige, sagte er: Wie viel grösser wQrde euer Beifall gewesen sein, hättet ihr erat seine Rede ihn selbst halten hören. Hierauf begab er sich nach Samos, wo er auch starb. S. Plin. h. n. 7, 81 (30), I.

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XVm. Buch, 3. Cap., § 1—6. (409)

lungen der Athener glänzten, hat in jener heftigen, vorwürfe- reichen und giftigen Rede, worin er den Timarchus wegen seiner Unverschämtheit hart und empfindlich anklagte, uns mitgetheilt, dass (einst) ein hochstehender, durch seine Tugend und sein hohes Alter ehrwürdiger Staatsbürger von Lacedämon seinen Mitbürgern gelegentlich einen edlen und ausgezeich- neten Rath gegeben habe. 2. Das lacedämonische Volk, sagte er, rathschlagte einstmals über eine höchst wichtige Staats- angelegenheit (und überlegte eben in der Vei*sammlung), was wohl nützlicher und anständiger Weise zu beschliessen sei. 3. Da erhob sich Einer, um seine Meinung zu sagen, ein Mensch,' der zwar wegen der UnsitÜichkeit seines frühem Lebenswandels höchst vemifen war, sich jedoch durch seine Zungen- und Redegeläufigkeit gar sehr auszeichnete. 4. Der Rath nun, den dieser Mensch gab, und der, wie er rieth, un- bedingt befolgt werden müsse, wui-de auch von allen Andern (gut) aufgenommen und ganz erwünscht gefunden und war nahe daran, nach Wunsch dieses Menschen, zum Volksbeschluss erhoben zu werden. 5. Da nahm noch zur rechten Zeit Einer aus jenem Senatorencollegium, welche die Lacedämonier in Folge der Ehrwürdigkeit ihres Alters und Ansehens gleich- sam als Schiedsrichter und Berather der Staatsordnung ver- ehrten, — die Sache (zu guter Letzt) in die Hand und ge- reizt und erzürnt im Gemüth sprang er auf und hub also an : Welcher Grund, oder endlich welche Hoffnung wird euch, ihr Lacedämonier, übrig bleiben, (zu glauben,) dass unsere Stadt und unser Staat noch länger im W^ohlstand sich befinden und unbezwinglich werde dastehen können, wenn (es mit uns schon dahin gekommen ist, dass) wir Menschen von solcher Ver- gangenheit und solchem Lebenswandel zu unseren Rathgebem gebrauchen? Denn im Fall nun auch dieser sein Rath (an und für sich) zufriedenstellend und ehrbar ist, so muss ich euch doch bitten (und beschwören), ihn nur ja nicht durch eine Beziehung und Gemeinschaft zu solchem höchst gemeinen Urheber entwürdigen zu lassen. 6. Und als er dies gesagt hatte, rief er einen Mann auf, der sich zwar vor Allen an

Xyni, 8, 5. S. Platarch : vom Hören cap. 7 ; lakonische Denksprüche 28; politische Lehren 4; ob ein Greis Staatsgeschäfte treiben soll p. 801.

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(410) XVm. Buch, 3. Cap., § 6— 8. - 4. Cap., § 1. ?.

Tapferkeit, Math und Rechtschaffenheit auszeichnete, jedoch unberedt und eben kein Zungenheld war. Diesen (Ehrenmann) hiess er nun, nach einstimmigem Verlangen Aller, jenen ganz gleichen Vorschlag des beredten (aber schlechten und erbärm- lichen) Menschen, so gut er konnte, (aufs Neue) wörtlich wiederholen, damit nur jede Erwähnung und Erinnerung des (unwürdigen) Vorgängers ausser Spiel bliebe, der Besdüuss und die Verordnung des Volkes aber dadurch (wie) auf Ver- anlassung dieses einen (ehrwürdigen Mannes) abgefasst werde, weil dieser ihn von Neuem zum Ausdruck gebracht hatte.

7. Und so wie der weise Greis gerathen hatte, geschah es.

8. Man nahm den guten Bath an, nur der verachtungswürdige Urheber wurde (mit dem achtungswerthen) gewechselt.

XVIII, 4, L. Wie Snlpicins ApoUinaris einen Menschen, der sich rfihmte,

dasB nur er allein die Geschichtswerke des Sallnst gründiich verstehe,

znm Besten hatte, durch die (plötzlich) ihm gestellte Frage, was wohl jene

Worte bei Sallnst zn bedeuten hätten: incertnm, stolidior an vanior

(unbestimmt, ob unzuverlässiger oder lügenhafter).

XVin, 4. Cap. 1. Nachdem ich bereits das verbrämte Oberkleid der Eindei*zeit ausgezogen (kurz die Einderkleider gewechselt, praetextam et puerilem togam) hatte, und mir nun als junger Mann recht gediegene Lehrer zu verschaffen gedachte, führte mich der Zufall auf die Schustergasse zu den Buchhändlern, als gerade in einer Versammlung vieler Männer der zu meiner Zeit vor Allen beiUhmte ApoUinaris Sulpicius einen Grossthuer und Prahler mit seiner Belesenheit in den Werken des Sallust zum Besten hatte und ihn nach jener bekannten Manier witzigster Ironie, deren sich (einst auch) Socrates gegen die (abgeschmackten) Sophisten bedient hatte, verhöhnte. 2. Denn als dieser Unverschämte laut äusserte^ dass er der alleinige und einzige (gute) Vorleser und Erklärer des Sallust sei, und öffentlich sich breit machte, dass er nicht etwa nur ganz äusserlich und oberflächlich den Ge- dankengang (dieses Schriftstellers) durchforsche und durchpmfe,

XVIII, 4, L. üeber Sulpicius Apoll. 8. Gell. U, 16, 8 NB.

XVIII, 4, 1. üeber toga praetexta s. Gell. I, 23, 18 NB. Vergl. Sueton. de grammat. 25; Quinct ded. 340; Mocrob. I, 6, 10; Plin. 33, 1, 4. § 10.

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XVm. Buch, 4. Cap., § 2—6. (411)

sondern auch durch und durch, so zu sagen, Mark und Blut der einzelnen Ausdrücke durchschauen könne, da ergiiff Apollinaris die Gelegenheit, ihm zu sagen, dass er alle Hoch- achtung und Verehrung vor seinen Kenntnissen habe, und . fuhr (wörtlich) so fort : Ei, mein lieber Tausendsasa, da kommst Du mir ja gerade ausserordentlich erwünscht mit Deiner Durch- forschung von dem Mark und Blut (d. h. von der Quintessenz in) der sallustischen Ausdrucksweise. 3. Gestern nämlich wurde ich gefragt, was die Stelle im 4. Buche seines Ge- schichtswerkes zu bedeuten habe, welche eine schriftliche Be- merkung über den Cn. Lentulus enthält, von dem es ungewiss gewesen sein soll, ob er, (wie sich Sallust wörtlich ausdrückt) stolidior an vanior (unzuverlässiger oder lügenhafter) gewesen sei; 4. und alsbald fahrte er auch gleich die (ganze) Stelle aus Sallust wörtlich an, sie heisst: „Aber sein Amtsgenosse Gn. Lentulus aus patridschem Geschlecht, mit dem Beinamen Clodianus, es ist nämlich unsicher, ob dieser mehr un- zuverlässig, oder mehr lügenhaft war, veröfiFentlichte das Gesetz von der Eintreibung der Geldsummen, welche Sulla den Güterkäufem (auf eigne Faust) erlassen hatte." 5. Apol- linaris versicherte also, wie gesagt, ganz offenherzig und im vollen Ernste, dass er (selbst) diese an ihn gestellte Frage (Tags vorher) nicht zu lösen (und zu beantworten) im Stande gewesen sei, was die beiden Ausdrücke: „vanior et stohdior" heissen sollten, da doch Sallust die beiden Ausdrücke so ge- schieden und einander entgegengesetzt zu haben scheine, als ob sie einander ganz entgegengesetzte und verschiedene wären und nicht nur einen und denselben Fehler bezeichnen sollten, deshalb wiederholte er abermals seine Bitte, ihm doch Auf- klärung über die Bedeutung und Abstammung beider Wörter zu verschaffen. 6. Hierauf gab Jener durch Aufeperren des Mundes und durch Verziehen der Lippen (mit verächtlicher Miene) zu erkennen, dass er sowohl über die aufgeworfene Frage, als auch über den Fragsteller selbst gering denke und sagte: Ich pflege wohl, wie ich bereits erklärte. Mark und Blut (d. h. Uas Beste und Feinste, den Kern) ausser Brauch gekommener Ausdrücke zu durchdringen und klar zu Tage zu legen, aber nicht von solchen, welche bereits allgemein ausgequetscht und breitgetreten sind. Denn Der müsste ja

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(412) XVffl. Buch, 4. Cap., § 6—11.

noch dümmer und alberner (stolidior et vanior) sein, als be- nannter Cn. Lentulus selbst, der nicht wüsste, dass die Wörter „vanitas" und „stoliditas" eben nur denselben (einen) Fehler der Dummheit bezeichnen (sollen). 7. Nach dieser Erwiderung brach er mitten in der Unterhaltung ab (l\e9S die Frage ganz ruhig dahingestellt) und wollte sich sofort auf den Weg machen. 8. Wir hielten ihn aber endlich noch zurück und drangen in ihn , dass er sich doch über die Verschiedenheit, oder, wenn er dies für richtiger halte, über die Aehnlichkeit dieser bei- den Wörter ausführlicher und deutlicher erklären möchte, und vor Allen bat ganz besonders auch noch Apollinaiis, seinem Verlangen nach Aufklärung daiHber doch nichts vorzuent- halten. 9. Da Jener denn nun wohl zu merken anfing, dass man geradezu Scherz mit ihm treibe, schützte er dringende Geschäfte vor und machte sich (eilig) aus dem Staube. 10. Wir aber erfuhren nachträglich vom ApoUinaris, die eigentliche Bedeutung des Wortes „vanus" sei nicht die, wie es im ge- wöhnlichen Leben gesagt wird, in dem Sinne von unwissend, stumpfeinnig, geckenhaft, sondern, wie es ja auch die gelehr- testen, alten Schriftsteller gesagt hätten, von Leuten, die ver- logen und unzuverlässig und Unbedeutendheiten und Albeiii- heiten für Wichtigkeiten und Wahrheiten auf schlauste Weise zurechtzulegen (und an den Mann zu bringen) wissen: unter „stolidi" würden aber nicht sowohl Dumme und Unvei'Ständige gemeint, als vielmehr sauertöpfische, lästige und widerliche Menschen, welche die Griechen mit den Ausdrücken belegten: fioxy^YiQol Hat {po(fci%ol (gemoino und unverschämte Subjecte). 11. Die wahre Bedeutung und ihre Abstammung fänden sich, wie er sagte, in den Werken des Nigidius angegeben. Ich schlug dort nach und fand daselbst (die) Beispiele von den ursprünglichen Bedeutungen dieser beiden Wörter und merkte sie mir an, um sie hier meiner Aufsatzsammlung der attischen Nachtgedanken einzuverleiben und glaube, dass ich sie auch (bereits) schon an irgend einer Stelle diesen meinen Abhandlungen beigefügt habe.

XVm, 4, 10. 8. Fest. S. 817 StoUdus. XVra, 4, 11. Vielleicht Vin, 14.

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XVin. Buch, 5. Cap., § 1—6. (413)

XVIII, 5, L. Dass Q. Ennios im 7. Buche seiner Jahrbücher sich der

Schreibweise bedient hat: „qnadnipes eqnes*' (der vierfüssige Reiter) und

nicht, wie Viele lesen wollen: „qnadrapes equns'^, (das vierfüssige Pferd).

XVIII, 5. Cap. 1. Mit dem Rhetor Antonius Julianus, einem Manne von grosser Biederkeit und blühender Beredt- samkeit, suchte ich nebst einigen ihm befreundeten Jünglingen zu Puteoli die Lust und Freude der Sommerferien durch an- genehme wissenschaftliche Beschäftigung und in züchtigen und anständigen Vergnügungen hinzubringen. 2. Da machte man gerade zur Zeit dem Julianus die Mittheilung, dass ein Vor- leser, ein nicht ungebildeter Mann^ eben im Theater vor der ver- sammelten Menge mit ausdrucksvoller und wohltönender Stimme die Jahrbücher des Ennius vorlese. 3. Kommt, sagte er also, wir wollen uns gleich auf den Weg machen, um diesen uns noch unbekannten Ennius-Kenner und Bewunderer (Ennianista) zu hören , mit diesem Titel hört er sich nämlich gern nennen. 4. Als wir ankamen, hatte er bereits seine Vorlesung unter grossem Beifallssturm begonnen er las aber das 7. Buch aus des Ennius Jahrbüchern und das Erste, was wir (vor- tragen) hörten, waren folgende Verse, bei deren Vortrag er sich eines Fehlers schuldig machte:

Denique vi magna quadrupes ecas atque elephanti

Proiciunt sese, d. h.

Endlich drängt galoppirend [ das Boss | mit aller Gewalt sich

< anstatt >

(der Reiter] Vor und auch Elephanten,

und als er nachher noch einige wenige Verse hinzugefügt

hatte, trat er unter allgemeinem Beifall und Lob ab. 5. Beim

Herausgehen aus dem Theater sagte Julianus zu uns: Was

haltet ihr wohl von diesem Vorleser und von seinem galop-

pirenden (vierfüssigen) Pferde? Denn in der That so las er

(ganz klar und deuthch) „quadnipes ecus" (anstatt quadrupes

eques). 6. Glaubt ihr nun wohl, dass, hätte dieser Mensch

nur irgendwie einen Lehrer oder Ausleger von einigem Werthe

gehabt, er dann gesagt haben würde: quadrupes equus (vier-

füssig, galoppirend Pferd) und nicht vielmehr: quadrupes

eques (galoppirender Reiter, i. e. Mann zu Boss im Galopp)?

XVin, 5, 2. Vergl. Bemh. röm. Lit. 11, 28.

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(414) XVin. Buch, 5. Cap., §6—10.

Denn noch ist es Keinem eingefallen, der sich aufmerksam und gewissenhaft mit der alten Literatur beschäftigt hat, (zu behaupten,) dass diese Lesart so vom Ennius selbst henühre und hinterlassen wurde. 7. Da nun aber Viele zugegen waren, die versicherten, dass Jeder von ihnen bei seinem Sprach- lehrer „quadrupes equus" gelesen habe und sie neugierig wur- den, was die Worte: quadrupes eques (vierfüssiger Reiter) heissen sollten, sagte Julian: Ich wünschte wohl, theure Jüng- linge, dass ihr den Q. Ennius ebenso aufmerksam gelesen haben möchtet, als es P. Vergilius gethan, der in seinem Gedichte „von dem Landbau" (III, 115) diesen ennischen Vers (ofiFenbar) im AugQ hatte und für das Wort „equus (Pferd)" (ebenfalls) „eques (Reiter)" setzte in folgenden Versen: Zaumzeug erfand der Lapith pelethronscben Gebirgs und die Ereisang Fest auf den Rücken geschmiegt, dass mit Kunst der gewappnete Reiter

(eques sub armis)

Durch das Gefild bintrabt, im stolzeren Scbritte sich tummelt

An dieser Stelle, wenn man nicht etwa nur auf ungeschickte und unpassende Weise übertrieben spitzfindig sein will, kann das Wort „eques" in keinem andern Sinne genommen werden, als für „equus" stehend; 8. denn in alten Zeiten verstand man meistens unter „eques" sowohl den Mann, der auf dem Pferde sass, als auch das Pferd, auf dem der Reiter sass (also Mann und Ross). 9. Deshalb wurde mit dem Worte „equitare", wel- ches Zeitwort von (dem Genitiv des Wortes) „eques" abgeleitet und gebildet worden ist, sowohl ein Mann bezeichnet, der eines Pferdes (zum Reiten) sich bediente, als ein Pferd, das den Mann trägt. 10. Lucilius, ein der (echt) lateinischen Ausdrucksweise ganz kundiger Dichter, setzt „equitare" mit (homogenem Object) „equum", in folgenden Versen:

Quis binc currere equum nos atque equitare videmus,

His equitat curritque: oculis equitare videmus;

Ergo oculis equitat, d. b.

Dieses, wodurch wir sehen, dass laufe und reite das Pferd dort,

Dadurcb reitet und läuft's: Wir sebn mit den Augen es reiten;

Also reitet es aucb mit den Augen.

XVin, 5, 7. S. Macrob. Sat. YI, 9; Junius Pbüarch. ad Verg. Georg, m, 115.

XVlll, 5, 7. Die Lapitben, Bewohner Tbessaliens und des Peletbron, sollen zuerst die Kunst erfunden haben, Pferde zu bändigen und zuzureiten.

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XVm. Buch, 6. Cap., § 11. 12. 6. Cap.,§l-3. (415)

11. Allein, fuhr er fort, ich war mit diesen Beispielen durch- aus noch nicht zufrieden gestellt und um in meinem Urtheile nicht unsicher und zweifelhaft zu bleiben, sondern ganz klar und sicher zu werden, ob Ennius wirklich „equus" oder „eques** geschrieben habe, schonte ich, um diesen einzigen Vers nach- zusehen, weder Mühe noch grosse Kosten, mir eine Ausgabe von höchst ehrerbietigem Alter zu leihen, eine Ausgabe, von der 80 ziemlich feststand, dass sie von Lampadio's eigner Hand verbessert worden war, und da fand ich denn auch in dem be- treffenden Verse die Lesart „eques", nicht aber „equus" be- stätigt. 12. Diese und viele andere dergleichen ebenso licht- voUe, als belehrende Bemerkungen gab uns damals Julianus (öfters) zum Besten. Aber ich habe dieselben später auch in sehr bekannten und verbreiteten Erklärungsschriften ver- zeichnet gefunden.

XYIII, 6, L. Dass Aelins Melissas in seinem „über die eigentlich sach- gemässe (reine) Ausdnicksweise (de loqnendi proprietate)" handelnden Werke, welchem er bei seiner Veröffentlichung den (pomphaften) Titel „FiiUhom (comn copiae)*' beilegte, eine weder des Sagens noch Hörens würdige Angabe macht, woselbst er seine Meinung abgiebt, dass sich die Ausdrücke „matrona'* und „materfamilias'' durch den allergehaltlosesten Unterschied unterscheiden sollen.

XVni, 6. Cap. 1. Aelius Melissus nahm zu meiner Zeit unter den damaligen Grammatikern (zwar) den höchsten Rang ein, zeichnete sich jedoch wissenschaftlich mehr durch (mai-kt- schreierische) Prahlerei und Spitzfindigkeit (aoqptorcta), als durch Sorgfältigkeit aus. 2. Ausser seinen vielen anderen Schriften verfasste er auch noch ein Buch, welches gleich bei seinem Erscheinen den Ruf umfassender Gelehrsamkeit sich errang. 8. Die Ueberschrift dieses Buches bildet ein ganz besonderes Lockmittel für die Leser, denn es verspricht ja Aufschluss „aber die eigentlich sachgemässe (reine) Ausdrucks- weise (de loquendi proprietate)". Wie sollte sich nun aber

XYIII, 5, 11. C. Octavias Lampadio besorgte nach Suet de grammat. 2 (die Becension der) Textaasgaben des naevischen bdlum Punicom. S. Sueton y. H. Doergens.

XYIÜ, 6, L. Aelius Melissas, berühmter Grammatiker za Born ond Zeitgenosse des Gellios. S. Doergens Säet grammat. 3 a. 21 NB. Plin. h. n. 88, 29; 28, 62; Mommsen r. G. II, S. 464.

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(416) XVin. Buch, 6. Cap., § 3—8.

Einer einbilden und schmeicheln dürfen, rein und richtig sprechen zu können, wenn er nicht vorher mit dem Inhalt dieses Werkes von Melissus sieh ganz vertraut gemacht hat ? 4. Aus diesem Werke ist folgende Stelle: ,,matrona heisst eine Frau, die einmal geboren hat, eine aber, die mehrmals niedergekommen war, hiess materfamilias, so wie eine Sau, die einmal geworfen hat, porcetra heisst, und eine, die öfter geworfen: scrofa." 5. Ob Melissus nun aber diesen (sonderbaren) Unterschied über die beiden Begriffe „matrona" und ,,materfamilias^ selbst ausgeklügelt und sich zusammen- gereimt, oder ihn bei irgend einem Andeni geschrieben ge- lesen hat, dazu bedarf s wahrlich erst noch der Wahrsager. 6. Denn in Betreff des Ausdrucks „porcetra** (d. h. eine Sau, die einmal geworfen hat) lässt sich allerdings Pomponius als Gewährsmann anführen, bei dem eine Posse dieses Wort als Ueberschrift trägt. 7. Allein, dass man eine Frau „ma- trona^ genannt haben soll, die nur erst einmal geboren hatte, und eine nicht „materfamilias**, wenn sie nicht öfters niedergekommen war, dürfte wohl durch keinen Vertreter (oder Gewährsmann) unter den alten Schriftstellem festgestellt werden können. 8. Denn es möchte vielleicht doch bei Weitem mehr Wahrscheinlichkeit für sich haben, was zu- verlässige „Ausleger alter Wörter (vocum antiquarum enarra- tores)" berichten, dass eine Frau ganz mit Recht dann „matrona" genannt worden sei, die durch Verheirathung in die Gewalt des Mannes gekommen war, so lange sie in

XVm, 6, 4. S. Paulus S. 125; Serv. ad Verg. Aen. XI, 476 und Nonius p. 442, 9 unt matrona. Scrofa {y^o/itpas)^ eine Sau, die Junge geworfen hat und zur Zucht gehalten wird, ein Mutterschwein, eine Muttersau. Varro r. r. n, 4, 2. 4; Colum. VII, 9, 2.

XVin, 6, 0. L. Pomponius Bononiensis, 90 v. Chr., erster Atellanendichter, s. Geil. X, 24, 5 NB.

XVni, 6, 8. *) Yergl. Gell. XYIII, 9, 4 de usu antiquae lectionis von Yelius Longus.

XYIII, 6, 8. Durch drei verschiedene Arten von ehelicher Yerbindung (usus, confarreatio und coemptio s. Gell. III, 2, 18 NB) kam bei den Römern die Frau aus der Gewalt des Yaters in die Gewalt des Mannes, Cic. pro Flacc. 34. Die einfachste, leichteste Art der ehelichen Yerbindung ohne weitere Festlichkeiten, wozu es nur der Einwilligung des Yaters be- durfte, oder dessen, der seine Stelle vertrat, war die, dass eine Fran mit

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XVra. Buch, 6. Cap., § 8. 9. (417)

dieser Ehe lebte, selbst wenn sie noch keine Kinder zur Welt gebracht hatte, und dass sie so genannt worden sei vom Mutter-Namen, nicht weil sie diesen Namen durch eine bereits erfolgte Niederkunft schon zu eigen hatte, sondern in der Hoffnung und Erwartung, ihn in der Folge zu bekommen. 9. Von diesem Begriff „Mutter (mater)" ist ja auch selbst der Name „matrimonium" hergenommen; „materfamilias" soll aber allein die genannt worden sein, welche (per coemptionem) in die Gewalt und das Eigenthum (in manu mancipioque) des Mannes überging, oder auch (im Fall die sich Ver-

einem Manne ein ganzes Jahr zum Zweck eines zu schüessenden Ehe- hündnisses (matrimonii causa) zusammenlebte, ohne drei Nächte von ihm abwesend zu sein. Auf diese Art wurde sie des Mannes gesetzmftssige Frau und durch Verjährung sein Eigenthum, weil bei gewöhnlichen he- weglichen Sachen durch die Besitzdauer eines Jahres das Eigenthumsrecht an dem Besitze rechtlich erworhen wurde. Man nahm also ein frei- geborenes Frauenzimmer zu sich und wenn man mit ihr ein ganzes Jahr im Ehestände gelebt, ohne dass die Frau zur Veijährungsunterbrechung einmal drei Nächte lang von ihrem Manne entfernt gewesen war, oder wie es in den zwölf Tafeln hiess : trinoctiom usurpatum ieret, so ward sie als rechtmässige Ehefrau, usu, angesehen. Ovid. Fast, in, 895. Der Mann erhielt dadurch das voUe Recht über das Vermögen seiner Frau und sie kam wie eine Tochter in seine Gewalt. S. Dion. Hai. II, 25. Wenn sie also durch die usucapio nicht in die Gewalt ihres Mannes kommen wollte (non convenire in manum mariti), so hielt sie sich drei Nächte lang von ihm entfernt. 8. Gell, m, 2, 12. Sie blieb nun in der Gewalt ihres Vaters und unter dem Schutze ihrer Verwandten und wurde nicht mat er- familias (gesetzmässige Frau), sondern matrona. Aus eben dieser Ursache wurde sie auch nicht Erbin ohne ein Testament Tab intestato) und der Mann empfing nicht alle ihre Güter als Morgengabe. Cfr. Heinecc. ad Inst. Just L. I tit 1 § 14; Cic. Top. 3, 14; Serv. zu Verg. Aen. XI, 476. S. Plaut Trin. EI, 2, 65 [691]; Liv. X, 2S.

XVill, 6, 9. manus im engeren Sinne s. y. a. potestas und man- dpium, die Gewalt des Hausvaters überhaupt, im eigentlichen Sinne aber die Gewalt des Mannes über seine Frau. S. Savigny II, 499. Eine Frau, die früher sui juris gewesen, erlitt durch die in manum conventio eine capitis deminutio, verminderte also ihre Rechtsfähigkeit und trat aus der angeborenen Familie in die des Mannes Über. Sie gehörte dem Gatten wie eine Tochter an (filiae loco) und war ganz in dessen Familie und Agnationsverband Übergetreten. Sie wurde Schwester ihrer eigenen Kinder und ihrer Stiefkinder. Dadurch bekam sie Erbrechtsansprüche in der Familie ihres Mannes. Gaj. II, 159; HI, 3. 14. 40; ülpian. XXÜ, 14. 23, 3; XXIX, 1; Dion. Halic. n, 25.

Gellni8,Atti8cho Nächte, n. ^^ r^ i

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(418) XVni. Buch, 6. Cap., §9.-7. Cap., § 1 3.

bindenden noch in väterlicher Gewalt waren) in die Gewalt und das Eigenthum Dessen, in der ihr Ehegatte stand; weil sie nicht nur in die eheliche Verbindung getreten, sondern auch in die Verwandtschaft des Ehegatten und an die Stelle seines natürlichen Erben gekommen war.

XVIII, 7, L. Auf welche Weise Favorinas sich ausliess über das im> geschliifene Benehmen (eines Grammatikers) bei der Bitte um eine Aus- kunft „über die Doppelbedeutungen gewisser Wörter"; femer Angabe, wie viel Bedeutungen das Wort „contio" hat,

XVIII, 7. Cap. 1. In Rom gab es einen berühmten Grammatiker Domitius, der ein gelehrter Mensch war und, weil er in seinem Wesen etwas Ungefüges und Eigensinniges hatte, den Beinamen Insanus (der Unwirsche, Heftige, Ver- driessliche) erhielt. 2. Als unser Favorin, in dessen Beglei- tung ich mich befand, diesem Domitius (einst) zufällig am Tempel der Weissagerin (apud fanum Carmentis) begegnete, richtete er die Frage an ihn : Ich bitte Dich, gelehrter Mann, sage mir doch, ob ich Unrecht gethan habe, als ich das Wort „contiones*' brauchte, in der Absicht lateinisch das Wort: de^rjyoQtav (Volks -Staats -Reden) wiederzugeben? Ich bin nämlich noch nicht im Klaren und möchte gem wissen, eh Einer von den Alten, die sehi- gewählt sprachen, das Wort „contio** in dem Sinne von: Rede und Vortrag gebraucht hat. 3. Darauf veraetzte Domitius in strengem Tone und düsterer Miene: Nun hört aber doch wahrhaftig alle Gemüthlichkeit gänzlich auf (nulla prorsus bonae salutis spes reliqua est), wenn auch ihr grossen Lichter unter den Philosophen euch erst noch um die Wörter und ihre genaue Bedeutung be- kümmert. Ich werde Dir aber ein Werk schicken, worin Du

XVJUl, 7, L. Quem in modum Favorinus tractaverit intempestiTam q. d. y. a. quaer entern; allein nicht der Grammatiker stellte die Frage, sondern Fayorinü

XVni, 7, 2. üeber Carmentis s. Gell. XVI, 16, 1 NB.

XVffl, 7, 3. Bemh. röm. Lit 123, 570 sagt: Die Persönlichkeit der meisten Philosophen erschien gleich mittelmässig im Leben, wie in ihrer Darstellung. Bei Plutarch: politische Lehren cap. 5 lautet ein Vers des Euripides (Fragm. 977 ed. Nauck):

0 wäre sprachlos doch der Sterblichen Geschlecht

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XVni. Buch, 7. Cap., § 8-5. (419)

finden kannst, was Du suchst. Ich bin nämlich ein Gramma- tiker (mich kümmert nur die Wirklichkeit), mein ganzes Streben ist nur auf die Eenntniss des Lebens und der Sitten gerichtet; ihr Philosophen freilich seid nach dem Ausspruch des M. Cato wahrhaftig reine todte Wörterbücher (mera mor- tualia), denn ihr nutzt den Wörtchenkram und sonstigen häss- lichen, unnützen, gehaltlosen Krimskrams gerade so aus, wie die Klagelaute der Leichen-Miethweiber. Ach, rief er, möch- ten doch alle Menschen stumm sein, die Schlechtigkeit würde dann weniger Unterstützung (und Helfershelfer) aufzuweisen haben. 4. Als wir uns (nun von ihm) entfernt hatten, sagte Favorin: Wir kamen dem Manne nicht recht gelegen. Ich glaube aber, dass er eben wieder einmal eine Anwandlung (von böser, übler Laune) hatte {erciarjfÄaivead^ac). X}ir müsst jedoch wissen, sagte er, dass dergleichen Verdrossenheit (und Missstimmung), welche man (im Griechischen) gewöhnlich mit dem Worte iiBXayxoXia (Trübsinnigkeit und Schwennüthigkeit) bezeichnet, nicht gerade niedrigen und geringen Geistern zu eigen ist, sondern dass eine solche (heftige) Aufwallung*) fast immer für das Anzeichen eines (Riesengeistes oder Greistes-) Heros gelten kann und meist den sichersten Beweis von einem freimüthigen Geständniss der Wahrheitsliebe ablegt, freilich ohne jedwede Rücksichtnahme auf Zeit noch Mass. Allein was haltet ihr wohl von diesem, seinem (letzten) Ausspruch, den er über die Philosophen gethan? Glaubet ihr nicht, dass, wenn diese seine Aeusserung ein Antisthenes, oder ein Dio- genes gethan hätte, dieselbe (dann von uns Allen) für (ewig) denkwürdig würde gehalten worden sein? 5. Bald nachher aber schickte er dem Favorin auch wirklich das versprochene Buch. Ich glaube, es war das des Verr ins Fl accus, worin folgende, auf obige Frage bezügliche Stelle vorkam : dass das Wort „senatus" sowohl vom Orte, als auch von Personen zu verstehen sei; das Wort „civitas" sowohl in örtlicher Beziehung vom Staat und von der Stadt, wie auch von der allgemeinen Gerechtsamkeit (dem Bürgen-echt) und endlich vom gesamm- ten Bürgerthum (als Staatsgemeinde) gesagt werde; auch die

XVm, 7, 4. *) Vergl. Aristot. probl. 80, 1.

XVm, 7, 5. üeber Verrius Flaccus s. GeU. V, 17, 1 NB.

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(420) XVm. Buch, 7. Cap., § 5—9.

Wörter „tribus" und „decmiae" brauche man bezüglich des Orts, dann des Rechts, und endlich der Personen; 6. das Wort „contio'* aber bezeichne eine dreifache Beziehung : erstlich den Ort und die (erhöhte) Tribüne, von wo aus geredet würde, 7. wie Cicero in seiner Rede sagt, welche den Titel führt: „contra contionem Q. Metelli (gegen den Vortrag des Q. Me- tellus)", wo es heisst: „Ich stieg hinauf auf die Rednerbühne (escendi in contionem), es fand ein grosser Volksauf lauf statt*'; sowie femer dei-selbe M. Cicero in seinem „Redner (orat. 50, 168)" sagt: „ich hörte oft ganze Vei-sammlungen (contiones) Beifall rufen, wenn (nur) die Worte einen passenden (harmo- nisch klingenden) Schlussfall hatten. Denn das Ohr erwartet, dass die Gedanken in Worten schicklich (periodisch) verknüpft werden;" 8. femer bezeichne das Wort contio ebenfalls die Versammlung des anwesenden, beiwohnenden Volkes; des- gleichen auch noch die Rede selbst, welche an das Volk gehalten würde, wofür ich freilich in dem Buche keine Bei- spiele verzeichnet fand. Ich aber zeigte später dem Favorin auf sein Verlangen die von mir bei Cicero, wie ich schon oben erwähnte, und auch die bei den besten unserej alten Schriftsteller aufgefundenen (und ausgezogenen) Beweisstellen für alle diese (verschiedenen) Bedeutungen. 9. Worauf es aber

Xym, 7, 6. Contio eine ZuBammenziehung von conyentio, cfr. GeU. Xm, 16, 1 (XV, 27, 4).

XVni, 7, 7. In Folge der Wendung: escendere in contionem von dem Auf- ond Hinausgange auf die Kednerbühne des Forums, um zum VoUce zu sprechen, scheint hier Verrius Flaccus eine besondere Bedeutung von contio für Bednerbühne angenommen zu haben. Klotz lat Lex. be- hauptet, dass dies mit unrecht geschehen seL Derselben Meinung ist auch Lange röm. Alterth. § 134 S. (604) 665, welcher zeigt, dass der Grund dieses Missverständnisses nur darin zu suchen ist, dass Gellius in der Kedensart escendere in contionem den präpositionalen Ausdruck local aufgefasst hat.

XVin, 7, 8. S. Cic. Flacc 7, 16; SesL 69, 127. In den römischen Volksversammlungen (Comitia, wie Contionen) verweilte das Volk stehend, die Griechen in den ihrigen sitzend. S. Lange röm. Alterth. § 119 S. (898) 429. Heden, in denen der Magistrat dem coetus populi adsistentis die Mittheilungen machte, wegen deren er das Volk berufen hatte, und die je nach Umständen ruhig oder mit Geschrei angehört wurden, wurden gleich- falls Contiones genannt, so z. B. Cicero's 2. und 3. Gatilinaria. S. Lange röm. Alterth. § 184 S. (604) 666 weitere Beispiele.

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XVm. Buch, 7. Cwß., §9.-8. Cap., § 1. 2. (421)

hoaptsächlich ankam, zu erforschen, dass das Wort „contio^ in dem Sinne von Vortrag und Kede gesagt worden sei, da- für lieferte vollständigen Beweis die Ueberschrift jenes Werkes von Tullius (Cicero), das von M. Cicero (selbst) überschrieben worden ist: „contra contionem Q. Metelli (d. h. gegen den Vortrag des Q. Metellus)", womit in der That nichts weiter gemeint sein kann, als eben die besagte, vom Metellus ge- haltene Rede.

Xyni, 8, L. Dafls Satze oder Verse mit gleichem Ansgangsreime und

andere derartige Gleichklänge {ofioioT^Xitna xal 6fioi>6nT(OTa\ welche

gewöhnlich für Redeschmuck gehalten werden , läppisch seien und von

Lncilins in einigen seiner Verse für Kindereien erklärt werden.

XVin, 8. Cap- 1. Lucilius hat im 5. Buche seiner Satiren wahrlich auf höchst geistvolle Weise darauf angespielt, wie es nichts Einfältigeres, Ungeschickteres und Kindischeres geben könne, als jene ähnlichen Endklänge (ojuotorfÄfitnra), jenes Gleich- klangsgeklingle (icroxorraAi^Ta), jenes (anklingende) Ausgangs- gereime [ndqioct) und viele andere derartige (absichtlich ge- suchte) Schnörkeleien {pfioi^OTvcuna) , welche jene geschmack- losen (pedantischen Schöngeister, än:eiQ6/,aloi) , die gar so gern für Nacheiferer des Isocrates gelten möchten, bei An- ordnung und Aufstellung der Ausdrücke (in ihrer Anmassung) ohne End und Ziel und auf ekelhafte Weise an den Mann zu bringen suchen. 2. Denn nachdem Lucilius sich gegen den Freund in Klagen ergangen hat, dass er ihn während seines Krankseins nicht besucht habe, fügt er launiger Weise Folgendes hinzu:

Quo me habeam pacto, tarn etsi non quaeris, docebo; Quando in eo numero mansti, quo in mazima nunc est Pars hominum, ut perii&se yelis, quem visere nolue- ris, cum debueris. Hoc „nolue'^ et „debueris** te Si minus delectat, quod arex^ov et Eisocratium est Ox^n^v que aimnl totum ac av/nfieiQaxtu^fs,

Non operam perdo. 81 tu bic [., ], d. h.

Wie ich befinde mich jetst» ich TerkOnd' es, obgleich Du mich nicht fragst, Da Da gerad' es so machest, wie's jetzt von den Meisten gemacht wird,

Xym, L. Yergl. QuintiL 9, 3, 76—80. o/noionTtoTu , Gleichhdt der Casus -Endungen. Sezt Empir. adv. Math. II, 57; Plut mor. Ob die Athener im Kriege oder in der Weisheit berühmter, 8.

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(422) XVm. Buch, 8. Cap., §2.-9. Cap., § 1. 2.

Dass Du den Tod lieber wünschest dem, dem Da nicht wünschtest

ihn, wenn Du

Müsstest besuchen ihn nicht. Wenn dies mein „Wünschtest cmd

Müsstest*"

Dir etwa wen'ger behagt, nur weil's isocratisch, unkunstrecht {anxvov)

Lftstig (px^Qov) dazu vielleicht und ganz ausserordentlich kindisch

Geh' ich es gerne Dir preis. Wenn Du hier

XVIII, 9, L. Was bei M. Cato der Ansdrack „insecenda^' (ansagen, nennen)

bedeutet; dass man nicht „insequenda*' lesen müsse, wie Viele meinen,

sondern vielmehr „inseeemia*^

XVin, 9. Cap. 1. In einem alten Buche, worin die „Rede des Marcus Cato" stand, die er „im Betreff des Ptole- maeus (Euergetes n.) gegen den Thermus" gehalten, stand Folgendes geschrieben: „Allein wenn er dies Alles aus Heim- tücke (und Niedertracht) that, Alles aus Habsucht und Geld- gier that, (lauter) solche verioichte Verbrechen, wie uns (der- gleichen) weder durch Hörensagen, noch durch Lecture be- kannt geworden, so muss man ihm die härteste Strafe fbr

seine (Frevel-) Thaten zuerkennen [ ]." 2. Man hat

vielfach gefragt, was der Ausdinick „insecenda" heissen soll. Da befanden sich nun unter den Anwesenden zwei Männer, der Eine ein Halb wisser, der Andere ein wissenschaftlich Gebil- deter, d. h. Jener ein Sprachlehrer, Dieser ein (wirklich) Ge- lehrter.* Diese Beiden nun waren unter einander verschiedener Ansicht, und der Grammatiker (das eben besagte Sprachlehrer-

XVm, 8, 2. Der Dichter Lucilias schreibt nach überstandener Krankheit an einen Freund, der sich wahrscheinlich yiel mit Rhetorik befasste. Er ergeht sich im Scherz über die rhetorischen Vorschriften des Isocrates (436—388 t. Chr.) zunächst in Bezug auf die Gleichkiftnge in „wünschtest und müsstest** (im Lateinischen : nolueris und debueris). Diese rhetorischen Begehi missbrauchten viele geistlose Pedanten (aTrci^oxaJloi) auf die lächerlichste Weise, «fr^/ror, i.e. unkünstlerisch; oxhuQov^ lästig; avfifASiQttxtwdeg^ kindisch.

XVm, 9, 1. PtolemaeusVn. yon Aegypten, Euergetes EL, genannt Physkon (Schmeerbauch) , Nachfolger seines Bruders Philometor. Justin. 88, 8; Strabo 17, 795 ff.; Athen. 4, 184; 12, 549. Q. Minucius Thermus hatte sich als Consul in Ligurien die schändlichsten Grausam- keiten zu Schulden kommen lassen. S. NB zu Gell. X, 8, 17 und Xül« 25 (24), 12.

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XVm. Buch, 9. Cap., § 3-5. (423)

Individuum) behauptete [ ], 3. sagte, es müsse „inse-

quenda" heissen und nicht „insecenda", weil „insequens" die

Bedeutung enthalte [ ] und nach Ueberlieferung in-

seque gleichsam (soviel) heisse (als): perge dicere und insequere , d. h. fahre fort zu erzählen und setze weiter fort (die Erzählung), wie es ja auch bei Ennius in folgenden Versen geschrieben steht:

Inseqne, Mnsa, manu Romanonun induperator

Quod quisque in hello gessit cum rege Philippe, d. h.

Sage, 0 Mose, mir an die eigenhändigen Thaten

Unserer Führer des Heers im Eri^ mit Philippus dem König.

4. Der Feingebildetere versicherte, es liege hier durchaus kein Fehler vor, sondern sei ganz richtig und sprachrein ge- schrieben, und man müsse dem nicht ungelehrten Velins Long US Glauben schenken, welcher in seiner Erklärungs- schrift, die er „über den Gebrauch einer veralteten Ausdrucks- weise (de usu antiquae lectionis)*^ verfasste, schreibt, es sei bei Ennius nicht „inseque^ zu schreiben, sondern „insece^ und deshalb seien von den Alten insectiones (Erzählungen) genannt worden, was man durch „nairationes^ bezeichnet und auch Varro habe folgenden Vers des Plautus aus den Menaechmen (ZwiUingen, V, 7, 57 [1015]):

Nihilo -f minus esBe videntur secdns, quam somnia, d. h.

Denn mir scheint dies Alles gar nichts Andres, als ein Traum zu sein,

SO erklärt: nihilo magis narranda esse (videntur), quamsi ea essent somnia, d. h. um nichts mehr (d. h. ebensowenig) erzählens- werth sei es, als ob Alles ein Traum (Trugbild) sei. Darüber stritten sich also nun die (Beiden) mit einander. 5. Ich bin der Ansicht, dass vom M. Cato „insecenda** und vom Q. Ennius „insece" geschrieben worden sei, (beide Male) ohne „u". Ich fand nämUch in der Bibliothek zu Patrae (in Achaja) eine

XVm, 9, 8. Insece 8. PauL S. 111 und Placidus p. 477: insequis, narras, refers et interdum pergis. Induperator» Imperator, vergL Gell. I, 25, 17 NB indu == in.

Xyin, 9, 4. Die Erklfirungsschrift des Yelius iLongus „de usu antiquae lectionis" war eine Sammlung von alterthümlichen Wörtern und Structuren. S. Bemhardy röm. Lit 56, 227. Vergl. Gell. XVm, 6, 8 „Yocum antiquarum enarratores'' und Teuffels Gesch. der röm. Lit. 388, 2.

XVni, 9, 5. S. Teuffels röm. Lit Gesch. § 92, 6.

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(424) XVra. Buch, 9. Cap, §5—10.

Ausgabe von der Odyssee des Livius Andronicus, eine Aus- gabe von glaubwürdigem Alter, wo im Anfangsvers das Wort insece ohne „u*^ geschrieben stand:

Yinim mihi, Camena, insece yersutnm, d. h.

Sag* an, Caikienai mir den Helden, den verschmiteten,

(offenbar) eine Nachahmung des bekannten homerischen Verses (des Anfangsverses der Odyssee):

av^qa (aol ivveney Movaa^ noXvtQonov^ d. h. Nenne mir, Muse, den Mann, den vieigewandten.

Ich schenke also hierin mein volles Vertrauen der Ausgabe von so hohem Alter und so grosser Glaubwürdigkeit 6. Denn das aus dem Plautus entlehnte Beispiel : sectius quam somnia (anders als Träumereien) kann nichts dafür, noch dagegen beweisen. 7. Wefin gleich ich sehr gern glauben will, dass die Alten nicht inseque, sondern insece (also c für qu oder k) sagten, weil es sich weicher und leichter aussprechen liess, so scheint doch mit den beiden Ausdrücken ein und derselbe Begriff, eine und dieselbe Bedeutung verbunden werden zu müssen. 8. Denn im Sprachgebrauch unterscheiden sich aller- dings sowohl „sequo** und „sequor", als auch „secta" und „Sectio**, allein bei genauerer Betrachtung wird man leicht von beiden einen und denselben Ursprung (der Abstammung) und eine und dieselbe Stammbedeutung h^rauserkennen. 9. Auch die Lehrer und Erklärer griechischer Ausdrücke sind der Ansicht, dass das Homerische: Sv^Qa {lot ffHweni^ Movaa^ nenne mir Mnse den Mann (ans Odyssee 1, 1)

und tancjB vvv /aotj Movaai, nennet aiyetzt mir, Mnaen (ans Iliade n, 484),

also dieses Ausdruckspaar „eWe/rc und eaTtere^^ entsprechend durch das lateinische Wort „inseque** ausgedrückt sei; denn sie sagen, in dem einen (ewsTte) sei nur das v verdoppelt, in dem andern {eoTtere) das g zugesetzt worden. 10. Sie nehmen aber auch an, dass das Wort sTcrj^ was Wörter (verba) oder Rede (Lied, Spruch, versus) bedeutet, nicht anders woher seine Abstammung habe, als von &r£cr^at (sequi, folgen) und

XVlu, 9, 10. Ins e CO, wahrscheinlich vom Griechischen Fttoi nnd la;rtt, i. e. dico, gleichwie InofAa^ oder %anoiitu das Lateinische sequor ist

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XVni. Buch, 9. Cap., § 11. 10. Cap., § 1—5. (425)

von elTteiv (secere, dicere, fari, sagen, ansagen). 11. Ganz ebenso brauchten unsere Altvordern für die Begriffe : narratio- nes sermonesque (Erzählungen und Unterhaltungen) den (für uns archaistischen) Ausdruck: insectiones.

XVIII, 1 0, L. Dass Diejenigen sich irren, die glauben, dasB bei Ermittlung

eines Fieberkrankheitsgrades der Schlag der Blutadern untersucht werde

und nicht vielmehr der der Pulsadern.

XVIII, 10. Cap. 1. Ich hatte mich mitten im heissen Sommer auf das im attischen Gebiete, bei dem sogenannten Flecken Gephisia gelegene Landgut des höchst berühmten und hochgestellten Herodes (Atticus) begeben, einer wälder- und quellenreichen Aue. 2. Daselbst hatte ich mir (durch eine Erkältung) den Durchfall zugezogen in Begleitung eines sehr heftigen Fiebers und lag (deshalb ernstUch) krank darnieder. 8. Als nun ebendahin der Philosoph Calvisius Taurus mit einigen Andern seiner Schüler und Anhänger von Athen heraus mich zu besuchen gekommen waren, sass gerade der Arzt, den man in dieser Gegend (füi* mich) ermittelt hatte, an meinem Lager und stattete dem Tauinis auch sofort Bericht ab, an was für einer Beschwerde ich litt, und unter welchen Erankheits Stadien (Verläufen) und .Unterbrechungen das Fieber käme und auch wieder nachlasse. 4. Als dieser Arzt da gesprächsweise bemerkte, dass es mit meinem Leibes- befinden schon etwas besser gehe, sagte er noch zum Taurus: Du kannst ja das Alles selbst gleich in Erfahrung bringen, iav atpT] avTov zffi q)leß6g, was in unserer Sprache ganz und gar nichts Anderes heisst^ als: wenn Du ihm nur an seine Blutader fühlen willst. 5. Als die mit dem Taurus herbei- gekommenen Gelehrten diese einfältige Aeusserung gehört, wie er Blutader für Pulsader sagte, und an ihm, als an einem nichts weniger als tüchtigem Arzte Anstoss genommen hatten und dies durch (unruhiges) Gemurmel und durch ihre (lächelnde) Miene offen zu erkennen gaben, sagte Taurus in seinem gewöhnlichen besänftigenden und höchst milden Tone: Wir sind versichert, lieber, guter Mann, dass Dir nicht unbe- kannt sein kann , was man Blutader und was man Pulsader nennt, weil die Blutadern ihrem eigensten Wesen nach (für sich) keine Bewegung haben und nur (bei Aderlässen) zur

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(426) XVm. Buch, 10. Cap., §5—11.

Blutabzapfung aufgesucht werden, die Pulsadern aber durch ihre Beschleunigung und Heftigkeit die Beschaffenheit und den Grad der Fieber(krankheiten) anzeigen; 6. allein ich sehe wohl, dass Du mehr nach allgemeinem Gebrauch, als aus Unkenntniss so Dich ausgedrückt hast, denn ich habe nicht Dich allein, sondern auch noch viele Andere irriger Weise die Blutader für die Pulsader nennen hören. 7. Lass' uns nun vor allen Dingen erfahren, dass Du im Heilen (und Guriren) geschickter bist (elegantiorem esse te), als im Sprechen, und mit der Götter gütiger Hülfe thue der Krank- heit Einhalt und mache uns vor Allem sobald als möglich unseren lieben Freund wieder gesund und kräftig. 8. Wenn ich nun später einmal an den diesem Arzte widerfahre- nen Vorwurf mich erinnere, habe ich oft bei mir gedacht, dass es nicht nur für einen Arzt schimpflich sei, sondern auch für jeden frei gebildeten und anständig erzogenen Men- schen, wenn er nicht einmal Das, was zur richtigen Vor- stellung und Eenntniss über unseren Köiper unbedingt erfor- derlich ist, was uns gar nicht so tief und so verborgen liegt, sich anzueignen verstand, und was uns nach dem Willen der Natur zum Schutz unserer Gesundheit so einleuchtend und so sichtbar nahe gelegt ist. Daher habe ich, soviel ich immer von meiner Zeit erübrigen konnte, mich auch mit solchen Werken über Medicin befasst, die ich für geeignet zu meiner Belehrung hielt, und glaube daraus mir so Vielerlei zu Nutze gemacht zu haben, was sowohl der Verwerthung zu menschen- freundlichen Zwecken nicht fem liegt, als auch Beziehung hat auf die Blutadern und Pulsadern, und fasse es in folgende Erklärung zusammen : 9. Die Blutader (vena), von den Aerzten ayyelov genannt, ist ein Behältniss für das mit geistigem Hauch vermischte und vermengte Blut, worin jedoch mehr Blut, weniger feine Luft enthalten ist: Die Puls-(Schlag-)Ader (ai*teria) aber ist das Behältniss für den geistigen Hauch, vermischt und vermengt mit Blut, worin jedoch den über- wiegenden Theil der geistige Hauch bildet und den minderen das Blut. 10. Der Pulssehlag {acpvyiiog) ist ein natürliches und unwillkürliches Bewegungsvordrängen oder ein Bewegungs- nachlassen im Herzen und in der Pulsader. 11. Diese Er- kläning nun ist von den alten Aerzten in griechischer Sprache

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XVm. Buch, 10. Cap., § 11. 11. Cap., § 1—4. (427)

gegeben worden und der Pulsschlag von ihnen genannt wor- den: eine unvorsätzliche Ausdehnung oder Zusammenziehung der Pulsader und des Herzens.

XYin, 11, L. Ausdrücke ans den Gedichten des Furins Antias, vom Caesellius Vindex unkluger Weise getadelt. Anfuhrung der Verse, worin die vermeintlichen (fehlerhaft gehaltenen) Ausdrücke sich vorfinden.

XVm 11. Cap. 1. Nach meinem Dafürhalten kann ich durchaus nicht mit dem (allerdings) keineswegs ungebildeten Grammatiker Caesellius Vindex einerlei Ansicht sein. 2. Aber das ist doch wohl auch eine leichtfertige und plumpe Bemer- kung, wenn er schreibt, dass der alte Dichter Furius (Antias) die lateinische Sprache durch gewisse eigenthümliche Wort- bildungen verunglimpft habe, die, wenigstens mir, weder der Berechtigung und Freiheit eines Dichters zuwiderzulaufen, noch dem Ausdrucke und Klange nach garstig und unlieblich zu sein scheinen, wie dies allerdings wohl bei einigen andern hart und widrig klingenden Wortbildungen von unseren (sogar) berühmten Dichtem der Fall ist. 3. Die vom CaeseHius (Vindex) getadelten Wortformen des Furius sind folgende: dass er das in Koth verwandelte Erdreich mit dem Worte lutescere (verkothen, moorbodig werden) nennt; femer, dass eine Finstemiss nach Art der Nacht entstanden sei, bezeich- net er durch das Wort: noctescere (umnachten) und die alten, früheren Kräfte wiedererlangen, nennt er virescere (sich kräftigen, erstarken), und wenn der Wind das dunkelblaue Meer anfängt zu kräuseln, braucht er dafür den Ausdmck: purpurare (dunkelbraun anschillem) und für den Begriff: reich werden, sagt er: opulescere. 4. Ich fuge die betreflfen-

Xyni, 11, L. Anlas Furius yon Antium, Freund und Studien- Genosse des Q. Lutatins Catulos (s. GelL XTX, 9, 14 NB), dichtete Annalen. Er ist mcht zu yerwechseln mit Furius Bibaculns, der nur unter die Lyriker gehört S. Bemhardy röm. Lit 79, 866. -— Caesellius Vin- dex, ein angesehener Schriftsteller über Orthographie. Becker im Philologus IV, p. 80 fg. auch vom Charisius I, 2 erwähnt und schon Gell, m, 16, 11.

XVm, 11, 3. Vielleicht aus seinen commentariis lection. antiq. yergL QelL VI (Vn), 2, 1 (Teuffels) NB.

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(428) XVm. Buch, 11. Cap., § 4. 12. Cap., § 1. 2.

den Verse aus den fiiiianischen Gedichten, in denen sich diese Ausdrücke vorfinden, hier bei:

L Sanguine diluitor teUus, cava terra lutescit

Vom Blute durchweicht sich der Boden, tief hinem verkothet (wird

moorig) das Erdreich. 2L Onmia noctescunt tenebris caliginis atrae.

AUes begiimt sich zu umnachten yom Dunkel einer undurchdringlichen

Finstemiss. 3, Increscunt animi, yirescit yolnere virtus.

Es steigern sich die Muthbegierden, aus Verwundung erstarkt (erblüht)

Tapferkeit. 4m Sicut fulica leyis yolitat super aequora classis,

5. Spiritus Eurorum viridis cum purpurat undas.

Leicht wie ein Blässhuhn fliegt die Flotte über des Meeres Spiegel hin, .Während das Wehen der Südostwinde die meergrünen Wogen dunkel- braun schillern und glitzern lässt

6. Quo magis in patriis possint opulescere campis.

Damit sie um so reicher werden könnten auf vaterländischen Gefilden.

XYin, 12, L. Dass unsere Alten die Gewohnheit gehabt haben, die Fassiyfonn zu yerändem nnd in die Activform zu yerwandeln.

XVin, 12. Cap. 1. Auch dies wurde für eine besondere Einheit im Ausdruck gehalten, dass man für Zeitwörter, die (gewöhnlich) in der Passivform gebräuchlich waren, (lieber) die Activformen setzte und diese wechselsweise wieder unter einander (in der Bedeutung) vertauschte. 2. Juventius sagt in einem Lustspiele:

Pallium!

Flöcd facio ut splendeat

Der Mantel

Dass er glfinzend rein, ich frag* nichts d'mm.

ist das nicht bei Weitem schöner und lieblicher, als wenn er gesagt hätte: ne maculetur (dass er nicht besudelt wird)?

XYIU, 11, 4. üeber A. Furius aus Antium s. Teufiels röm. Idt Gesch. 133, 4 und 189, 9. Bibaculus oder Yiyaculns s. W. Teuffiel ca Hör. Sat H, 5, 40 S. 135.

XVm, 11, 4 y. 4. Fulica, Blftsshuhn, griechisch: q^aXa^d oder g>aXrjQis genannt S. Fiat Sympos. Cap. 1 p. 172, A. Ein wegen seiner Sdmdligkeit hekannter Sumpfyogel.

Xym, 12, 2. Juyentius s. Bemh. rönu Lit 76, 346 und gans be- sonders Teuffels röm. Lit Gesch. § 113.

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XVm. Buch, 12. Cap., § 3-9. (429)

3. Nicht unähnlich sagt auch Plautus:

Quid est hoc? rugat pällium,

Amictns non' sum commode«

Was soll mir das? Zerrunzelt (zerknittert) ist der Mantel,

Gehörig bin ich nicht umhüllt (drapirt).

4. Ebenso braucht Plautus den Ausdruck „pulverare"' nicht in dem Sinne von dem, was stäubt, staubig macht, sondern was staubig (bestaubt) ist:

Exi tu, Dave, age, sparge; mundum hoc esse vestibulum yoIo.

Yenns Ventura est nostra, non hoc pulveret

Hinaus geh', Davns, spuf Dich, fege, schmuckvoll will ich den Eingang

haben, Gleich wird mein Herzlieb da sein, ich will nicht, dass er bestäubt ist

5. In seinem Eselsspiel (Asinaria. III, 1, 35. [539]) sagt er „contemples" für „contempleris" (betrachte):

Meum Caput contemples, si quidem e re consultas tua. Betrachf mein (greises Mutter-) Haupt, wenn Rath Du suchst für Deine

eigne Angelegenheit

6. Cn. Gellius sagt in seinen Jahrbüchern (sedare, sich be- ruhigen, intransitiv anstatt sedari oder sedare se): „Als der Sturm sich gelegt hat (sedavit), opferte Atherbal einen Stier.'

7. M. Cato in seiner „Urgeschichte" (braucht augere für augeri oder sa augere, zunehmen): „Dahin kam viel zusammen- gelaufenes Volk vom Lande, dadurch vermehrte sich (schwoll an, auxit = aucta est) ihre Macht." 8. M. Varro in seinen Schriften, die er an den Marcellus „de lingua latina (über die lateinische Sprache)" vei-fasst hat, sa^: „Im vorigen Worte bleiben die Wortaccente lang, wie sie waren, die übrigen wechseln (mutant = mutantur)." Der Ausdruck: reliquae mutant für mutantur findet hier eine höchst feine Verwerthung. 9. Als eine ähnliche Ausdmcksweise kann auch noch eine Stelle in desselben Varro's 7. Buche „divinarum (d. h, seiner Schrift über Bestimmungen und Ursachen am Himmel und auf Erden)" gelten, wo (mutare ebenso gebraucht ist und) es heisst: „Was für ein Unterschied ist (quid mutet) zwischen zwei Königstöchtern, kann man zwischen Antigone und

XVm, 12, 6. S. Polyb. I, 49£; Liv. 28, 30. Es gah Zwei Namens

Atherhal 249/505; 206/648; s. Historie Born. reU. y. H. Peter 1, 174NB. 30.

XVm, 12, 9. Den Namen Antigone führten drei Königstöchter. So

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(430) XVm. Buch, 12. Cap. § 10. 13. Cap., § 1. 2.

Tullia deutlich sehen." 10. Beispiele, wo die Passivfonn (als Deponens) für die Activfoim gebraucht ist, finden sich fast in allen Schriften der Alten vor, ich führe (daher) nur noch folgende wenige an, die mir jetzt gerade noch einfallen: muneror te (ich beschenke Dich) für munero; significor (be- zeichne) für significo; sacrificor (opfere) füi* sacrifico;.assentior (stimme bei) für assentio; faeneror (treibe Wucher) für faenero; pigneror (nehme zum Pfand) für pignero; und noch viele andere derartige, welche, so wie sie mir beim Lesen vorkommen, von mir sollen aufgezeichnet werden.

XVIH, 13, L. Durch welche Erwidenug der Philosoph Diogenes sich

Genagthanng verschallte, als er von einem gewissen Dialektiker dorch ein

unverschämt keckes Tmgschlüsschen (sophismation) auf die Probe

gestellt wurde.

XVin, 13. Cap. 1. Während der Feier der Satumalien (am griechischen Cameval) vertrieben wir uns zu Athen durch eine Art heiteres, anständiges Würfelspiel die Zeit folgendermassen. 2. Wenn wir so mehrere Studien- (und Gesinnungs-) Genossen beisammen waren, zur Zeit der Bade- stunden, ersannen wir uns (allerhand) Trugschlüsse, so- genannte Sophismen aus und jeder von uns, wenn die

hiesB erstlich die Tochter Enrytions, Gattin des Peleos, dem de die Polydora gehar und die sich aus Verzweiflung das Lehen nahm, als sie erfhhr, dass ihr Gemahl Peleus die Sterope, des Akastus Tochter, heirathen wolle. Die zweite Antigone, yon der hier die Rede ist, war jenes Muster von aufopfernder Emdes- und Geschwisterliche, die stete Begleiterin ihres unglücklichen, hlinden Vaters und welche ihre Brüder Eteokles und Poly- neikes hegruh, wofür sie ihr Onkel Kreon dem Tode weihte. Die dritte Antigone ist Laomedos' Tochter, welche schöner sein woUte als Hera, wofür sie in einen Storch verwandelt wurde. Zwei Töchter des Königs Servius Tullius. führten den Namen Tullia. Tarquinius Superbns hatte, der Sage nach, die eine zur Frau, ein sittsames Wesen, die andere war, an seinen Bruder Aruns verheirathet , ein herrschsüchtiges Weib. Diese brachte ihren Mann um, und jene wurde von Tarquinius beseitigt Darauf heiratheten sich Beide und mit Hülfe dieses ehrgeizigen Weibes wurde der Tod des Servius Tullius (534 v. Chr.) veranlasst Liv. I, 46. Sie liess geflissentlich ihren Wagen über die Leiche ihres von ihrem Manne ermordeten Vaters gehen; sie starb im Exil. Diese letztere Tullia stellt er hier also der Antigene, der Tochter des Oedipus, gegenüber.

XVni, 13, 2. lieber Sophismata s. Gell. XVHI, 2, 10 NB; Senec. ep. 111.

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XVIIL Buch, 13. Cap., § 2—8. (431)

Reihe an ihn kam, gab solche Tmgschlüsse zum Besten und warf sie, gleichsam wie Knöchel oder Spielwürfel, mitten in die Unterhaltung hinein. 3. Für einen solchen gelösten Trugschluss, odör füi- einen nicht recht verstandenen wurde eine Silber(groschen)münze als Belohnung oder Strafe fest- gesetzt. 4. Für die eingesammelten Strafgelder, gleichsam als Spielgeldgewinn, wurde zum Besten aller Theilnehmer am Spiele (schliesslich) stets ein kleines Mahl angerichtet. 5. Diese Trugschlüsse hatten ohngefähr Aehnlichkeit mit fol- genden, obgleich sie sich nicht so recht geschmackvoll und weniger fein im Lateinischen darstellen lassen, z. B. „Was Schnee ist, ist kein Hagel, Schnee ist aber weiss, folglich ist Hagel nicht weiss." Ebenso ein anderes, sehr ähnliches Bei- spiel: „Was ein Mensch ist, das ist kein Pferd; ein Mensch ist aber ein lebendes Geschöpf (Thier), folglich ist ein Pferd kein lebendes Geschöpf." 6. Jeder, der nun nach der Spiel- ordnung zur Widerlegung und Entkräftung des Trugschlusses aufgerufen worden war, musste nun also sagen und erklären, in welchem Satztheil'e , oder in welchem Worte das Verfäng- liche (d. h. der Fehler) enthalten wäre, was zugegeben und zugestanden werden müsste, was nicht; wenn er die richtige Erkläiimg nicht getroffen hatte, wurde er jedesmal mit einer Silbermünze bestraft. Dies Strafgeld ging dann stets dem Mahle zu Gute. 7. Hier muss ich aber des Vergnügens hal- ber noch erzählen, wie fein und witzig dereinst Diogenes einen Dialektiker aus der Philosophenschule des Plato ab- lohnte, als ihn dieser als Schabernack mit einer solchen Art des oben von mir erwähnten Trugschlusses blosszustellen (und auf's Glatteis zu führen) gedachte. Der Dialektiker hatte nämlich dem Diogenes die Frage gestellt: 8. „Was ich bin, das bist Du nicht;" als Diogenes dies zugestanden und Jener hinzugefügt hatte: „ich aber bin ein Mensch;" als Diogenes auch diesen Satz als wahr anerkannt hatte, und nun dagegen der Dialektiker zu schliessen wagte: „also bist Du kein Mensch," erwiderte Diogenes (in aller Ruhe): Dieser Schluss trifft zwar nicht zu, wenn Du ihn jedoch zur Wahrheit machen willst, beginne nur den ersten Satz mit mir.

XVIIi, 13, 8. Vergl. GeU. XVm, 2, 9.

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(432) XVin. Buch, 14, Cap., § 1—6. 15. Cap., § 1.

XVIII, 14, L. Welches Zahlenrerhältniss die Ausdrücke hezniolios

(rIfArlohogf anderthalb) und epitritos (iTfirgirog, vier Drittel) angeben; femer,

wie unsere lateinischen Schriftsteller nicht gewagt haben, die beiden

Ausdrücke ins Lateinische zu übertragen.

XVm, 14. Cap, 1. Für gewisse Zahlenverhältnisse, wo- für die Griechen ganz besondere, bestimmte Wortbezeichnungen haben, giebt es in der lateinischen Sprache keine entsprechen- den Ausdrücke; 2. die lateinischen Schriftsteller aber, welche über die Rechenkunst geschrieben haben, bedienten sich da- bei der griechischen Bezeichnungen und wollten dafür nicht erst in unserer lateinischen Sprache (besondere, neue) Aus- drücke bilden, weil dies nur auf abgeschmackte Weise hätte geschehen können. 3. Mit welchem Zahlenbegriff hätte man im Lateinischen z. B. hemiolios (anderthalb) oder epitritos (Vs) wiedergeben sollen? 4. Der Begriff hemiolios (ändert- halbig) begi-eift aber ein Ganzes und davon noch seine Hälfte, wie z. B. (3 zu 2) 3/2 oder (15 zu 10) "/lo oder (30 zu 20) »o/,« 5. Der Ausdruck epitritos (Vs) bezeichnet einen Zahlenbe- griff ganz genommen und dazu seinen dritten Theil genommen, wie z. B. (4 zu 3 i. e.) % oder (12 zu 9) 1% oder (40 zu 30) *78o« 6- Die Bemerkung und Erwähnung dieser beiden Ausdi-ücke schien mir deshalb von wesentlichem Nutzen zu sein, weil Die, denen die Bedeutung dieser Zahlenverhältnisse unbekannt geblieben sind, (ohne dieselben) gewisse feine, in den Büchern der Philosophen vorkommende Berechnungen nie werden begreifen können.

XVIII, 15, L. Wie sich M. Varro bemüht hat eine eigenthümliche £r>

scheinung seiner allzu peinlichen und pedantischen Wahrnehmung bei

heroischen Versen nachzuweisen.

XVni, 15. Cap. 1. Die Metriker (Lehrer über den Vers- bau) haben darauf aufoierksam gemacht, dass im sogenannten

XYin, 14, 4. rifjiioXiog, anderthalbig, bezeichnet das Yerhältniss von drei zu zwei, wenn die grössere Zahl die kleinere einmal ganz und die Hälfte enthält, denn 8 enthält 2 und die Hälfte 1 » V2 + Va =' *U oder IV2.

Xvill, 15, L. Versus herous, epischer Vers, Vers des Helden- gedichtes (Hexameter).

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XVm. Buch, 15. Cap., § 1. 2. (433)

langen (sechsfussigen) Yei^se, d. h. im Hexameter und im sechsfQssigen Jambenvers die beiden ersten Füsse, sowie die beiden letzten Füsse, beide für sich aus ganzen ungetheilten Wörtern bestehen könnten, bei den mittleren (Vei-sfüssen) aber könne dies nie stattfinden, sondern diese beständen inmier aus Wörteni, die entweder selbst getheilt, oder aus Theilen vei-schiedener Wörter gemischt wären. 2. Auch Marcus Yarro hat in den Büchern seines „wissenschaftlichen Lehrgebäudes (seiner Encydopaedie, in libris disciplinarum)* geschrieben, dass er bei dem Hexameter streng (das Gesetz) beobachtet habe, dass der fünfte Halbfuss überhaupt stets mit dem vollen Worte schliesse (also ein Abschnitt und Ein- schnitt, d. h. eine Caesur stattfinde) und dass die ersten fünf Halbfüsse in gleichbedeutendem Verhältniss bei der Bil- dung des Verses ständen, wie die späteren sieben anderen, und er setzt auseinander, dass dies nach einem geometrischen Grundsatz so sein müsse.

XVIII, 15, 2. Vergl. Muret var. lect XI, 6.

Oellias. Attische Nächte. U. 28

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XIX. BUCH.

XIX, 1, L. Entgegnnng (und Verantwortung) eines gewissen Philosophen auf die Frage (eines Zudringlichen), weshalb er bei einem Seesturm blass

geworden sei.

XDt, 1. Cap. 1. Wir fuhren zu Schiff von Cassiope nach Brundusium über das ungestüme, fürchterliche und stürmische ionische Meer. 2. Fast während der ganzen auf unsere erste Tagesfahrt folgenden Nacht wüthete der Sturm von einer Seite her und hatte Wellen über Wellen (in den Schiffsraum) hinein- getrieben. 8. 'Alle unsere Reisegefährten weinten und jam- merten während dem, und hatten mit dem (Kiel-) Wasser im Schiffsraum ihre (grosse) Noth, bis endlich der Tag anbrach. Allein die Gefahr und Stuimeswuth liess in keiner Hinsicht nach, im Gegentheil wurden die Wirbelwinde noch häufiger, der Himmel umzog sich pechschwarz und dampfendes Nebel- geknäuel stieg auf und gewisse fürchterliche Wolkenbildungen, welche man Wettersäulen (Wasserhosen, Tvq)cdvag) nennt, schwebten über unserem Haupte und drohten uns Gefahr und schienen unser Schiff in den Abgrund versenken zu wollen.

4. Auf demselben Schiff befand sich auch ein berühmter stoischer Philosoph, den ich zu Athen kennen gelernt hatte, ein Mann von nicht geringem Ansehen und der seine jugend- lichen Schüler mit steter Aufmerksamkeit zu fesseln verstand.

5. Von diesem verwendete ich in so grosser Gefahr und bei einem solchen Aufruhr des (wolkenschwangeren) Himmels und

XIX, 1, 1. Gfr. Gell. Xn, 5. Gassiopea, Stadt aaf der Losel Corcyra, heute: Corfo. üeber Brundusium b. GelL IX, 4, INB. Sich auf das ionische Meer zu begeben, galt als ein kühnes Wagniss, s. Lucian. Hermotim. cap. 27, woher das griechische Spr&chwort: fnl ^mog nX^tiv, d. h. auf einer Binsenmatte schiffen, oder das Unmögliche möglich machen; s. Plut „Warum Pythia die Orakel pp." cap. 22.

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XIX. Buch, 1. Cap., §5 10. (435)

des (wildaul^eregten) Meeres kein Auge, denn ich war be-- gierig, zu erfahren, in welcher geistigen Verfassung er ver- harren und ob er gelassen und unerschrocken bleiben würde.

6, Da sah ich auch diesen Mann zaghaft und schreckensbleich, welcher, obwohl er zwar keine Wehklagen, wie die Anderen, noch irgendwie dergleichen (Jammer-) Laute ausstiess, sich aber dennoch durch Entstellung seiner (Gesichts-) Farbe und seines Aussehens von den Anderen nicht viel unterschied.

7. Allein wie nun der Himmel sich (endlich wieder) auf- geklärt, des Meeres Ungestüm nachgelassen und die heftige Gefahr ausgetobt hatte, trat ^an den Stoiker ein (uns) un- bekannter Grieche heran, der, wie jeder sofort aus dessen grossem Staat und äusserlichem Glanz seiner Umgebung und Dienerschaft erkennen konnte, ein (reisender) reicher Asiate sein musste, kurz ein Mensch, der (mit allem Comfort über- flüssig gesegnet) kein leibliches und geistiges YergnUgen sich zu versagen wusste, mit einem Worte, ein wahrer Wollüstling an Leib und Seele. 8. Dieser nun machte es sich gleichsam zum Spass [und sagte: Wie kommt es doch, dass Du als ein Philosoph bei der Gefahr, in der wir schwebten, Dich fürch- tetest und erbleichtest, ich aber weder in Furcht gewesen, noch blass geworden bin? 9. Darauf erwiderte der Philosoph nach kurzem (Schwanken und) Bedenken, ob er den Menschen (überhaupt) wohl einer Antwort würdigen sollte, also: Wenn es den Anschein gehabt hat, als ob ich bei diesem füi'chter- lichen Gewittersturm ein wenig entsetzt gewesen, so bist Du (mir wenigstens eigentlich) nicht werth, von diesem meinen Entsetzen den Grund zu hören. 10. Es soll Dir aber dennoch

jener Aristipp [ ], jener berühmte Schüler des Socrates

für mich antworten, der unter ähnlichen Umständen einst ebenfalls von einem Menschen ganz Deines Gelichters zur Rede gestellt, wie ein Philosoph erschrecken könne, da es doch für ihn keine Furcht gebe? (ganz ruhig) antwortete: (zwischen ihnen Beiden fände ein grosser Unterschied statt und) sie hätten Beide (durchaus) nicht die gleiche Ursache (zur Furcht), „denn Du magst allerdings wohl für Dein er-

XIX, 1, 10. S. Diogeiu Laert. n, 7, 4 und Aelian, vennischte Nach- richten IX, 20. lieber Aristipp s. Gell. XV, 13, 9 NB.

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(436) XIX. Buch, 1. Cap., § 10—17.

bärmliches Nichtsnutz -Leben nicht weiter sehr in Sorge zu sein brauchen, ich aber glaube alle Ursache zu haben, für das Leben eines Aristipp (d. h. für mein Leben) besorgt zu sein.** 11. Durch diese Erwiderung schaffte sich der Stoiker (sofort) den reichen Asiaten vom Leibe. 12. Als wir aber später in die Nähe von Brundusium kamen und Wind- und Meeres-Stille eingetroffen war, (fasste ich mir ein Herz und) fragte ich den Stoiker, was wohl der Grund seiner Furcht gewesen sein könne, den er Jenem, von welchem er in so un- wtlrdiger Weise war angesprochen worden, anzugeben sich nicht fftr verpflichtet gefühlt habe? 13. Er antwoi-tete mir (auf meine bescheiden vorgetragene Frage) ganz gelassen und freundlich: Weil Du Verlangen trägst, den Grund zu hör^, so lass' Dir erklären, wie über einen zwar ähnlichen, vorüber- gehenden und kurzen, aber nothwendigen und natüi*lich er- klärbaren Schrecken unsere alten Stifter der stoischen Secte geurtheilt haben, oder lies es (hier) lieber (gleich selbst), denn wenn Du es liest, fuhr er fort, wirst Du es leichter glauben und eher behalten. 14. Darauf holte er sofort aus seinem (Reise-) Bündelchen das fünfte Buch von Epictets ge- lehrten Untersuchungen hervor, welche, von Arrian gesammelt und geordnet, zweifellos mit den Schriften des Zeno und Chrysippus völlig übereinstimmen. 15. In diesem Buche las ich nun, in giiechischer Sprache, wie sich von sdbst versteht, folgenden geschriebenen Gedanken: Die sinnlichen Wahr- nehmungen, welche die Philosophen qxxviaaiag (Erscheinungen, Eindrücke) nennen, wodurch die menschliche Seele gleich beim ersten Erscheinen des an die Empfindung herantreten- den Eindrucks berührt wird, hängen nicht von unserem freien Willen ab und stehen nicht in unserer Willkür, son- dern drängen sich mit der ihnen (innewohnenden) Kraft und Gewalt den Menschen als wahrnehmbar auf. 16. Allein die (erst durch unser Nachdenken und unsere Ueberlegung zu gewinnenden) Aeusserungen unserer Billigung, Zustimmung, unseres Beifalls, welche man avpiarad-eaeig (subjective üeb^- zeugungen) nennt, wodurch sich eben diese Eindrücke (als gut, oder verwerflich) erkennen und beurtheilen lassen, hängen ganz allein von dem freien menschlichen Willen ab und er- folgen nur nach der Menschheit Belieben. 17. Wenn also

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XIX. Buch, 1. Cap., § 17—20. (437)

(unvorhergesehen) ein furchtbarer Knall entweder vom Him- mel, oder von einem Einsturz erfojgte, oder plötzlich eine Nachricht von irgend welchem Unglück eintraf, oder irgend etwas (anderes) derartiges (Unangenehmes) sich ereignete, so kann es wohl durchaus nicht ausbleiben, dass auch der Weise in seiner Seele erschüttert wird, dass er zusammenschreckt und erblasst, nicht in dem vorgefassten Glauben an irgend ein vorhandenes Uebel, sondern allein durch die plötzlichen und unerwaiteten äusseren Eindrücke, die den vollen Gebrauch seines Verstandes und seiner Vernunft zuvor einnehmen und verhindern. 18. Bald jedoch (wenn der erste übeiTaschende Einfluss überwunden ist) wird der Weise dergleichen Ein- drücke, d. h. solche schreekenerregende, sinnliche Wahr- nehmungen nicht anerkennen (sie ihres Einflusses berauben, sie verachten und verlachen), er wird nach dem Ausdruck der Philosophen: ov avy^Mtraxl^evat (den Eindrücken seine Zustimmung versagen) und ovde Tt^ogenido^äCßc (ihrer Mei- nungsbeeinflussung nicht beitreten), sondern sie verwerfen und von der Hand weisen und er wird sich (nachträglich) über- zeugt halten, dass für ihn dabei nichts zu fürchten sei. 19. Und diesen Unterschied giebt man also an zwischen der Seele und Empfindung eines Unweisen und eines Weisen, und dass der Unweise sich einbildet, es sei wirklich Alles so ent- setzlich und furchtbar, wie es ihm beim ersten Eindruck auf seine Sinne vorkommt, und dass er diese Ureindrücke, als wären sie mit Recht zu fürchten, auch durch seine Zustim- mung anerkennt (d. h. ihnen eine Macht über sich einräumt) und wie es heisst: sie TtqooeTtido^aCei (3. h. einer Meinungs- beeinflussung preisgiebt und sich davon abhängig macht), denn dieses Ausdrucks ' bedienen sich die Stoiker (speciell) , wenn sie über diesen Gegenstand Erörterungen anstellen. 20. Der Weise aber, wenn er ja auf kurze Zeit und flüchtig seine

XIX, 1, 17. Zeno leugnete also keineswegs, dass der Schmerz ein Üebel sei, sondern verlangte nur vom Weisen, ihn zu überwinden, wie dies aus dieser Stelle des Arrian deutlich hervorgeht.

XIX, 1, 18. Zeno selbst verstand unter der Apathie nur die Macht, des Weisen, sich zur Herrschaft über die Sinneseindrücke zu erheben^ S. Gell. XII, 5, 10.

XIX, 1, 19* S. Cic Tusc. IV, 6.

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(438) XIX. Buch, 1. Cap., § 20. 21. 2. Cap., § 1. 2.

* Farbe und Miene wechselt (verändert hat), räumt doch den ersten Eindrücken keine ünterthänigkeit ein (oder ov ot'y- yMTaTi^erai stimmt ihnen nicht bei), sondern bietet die volle Kraft auf und sucht Meister seiner Besinnung und seiner Mei- nung zu bleiben, die er stets über dergleichen Erscheinungen gehabt hat, wie über Dinge, die keineswegs zu fürchten sind, sondem (den Menschen) nur unter falschem Scheine und eitler Furcht Schrecken einjagen.* 21. Das waren also nach den Grundsätzen der Stoiker die Gedanken und Aeusserungen des Philosophen Epictet, welche ich in den von mir genann- tem Buche las, und ich glaubte, sie deshalb anführen zu müssen, damit, wenn bei solchen, wie von mir gedachten, zu- fällig vorkommenden Ereignissen wir einmal Einen heimlich sollten im Innern erschrecken und gewissermassen blass werden sehen, wir dies nicht etwa (sofort) dem Unverstand und der Feigheit der Menschen zuschreiben, und bei einer (ähnlichen) kurz vorübergehenden (Gemüths-) Bewegung dies mehr der angeborenen (menschlichen) ^Schwachheit zu Gute halten, als nach dem blossen Schein der Vorkommnisse zu urtheilen.

XIX, 2, L. Dass von den fünf Sinnen der Mensch vor Allem zwei mit den Thieren gemein hat. [Ferner, dass zwar jedes übertriebene Vergnügen, welches vom Gehörsinn oder Gesichts- oder Genichsinn herrührt, schändlich und verächtlich, allein das, welches vom Geschmacks- und Gefuhlssinn aasgebt, das allerabschenlichste sei, weil diese zwei den Menschen mit den Thieren gemein sind, die übrigen nur den Menschen eigen.]

XIX, 2. Cap. 1. Der Mensch hat fünf Sinne, welche die Griechen ala&rjaeig (Empfindungsvermögen) nennen, durch deren Vermittelung Geist oder Körper offenbar (Lust und) Vergnügen empfängt, sieheissen: Geschmack, Gefühl, Geruch, Gesicht, Gehör. 2. Jedes durch alle diese Sinne unmässig genossene Vergnügen gilt (zwar immer) Ifiir schimpflich und lasterhaft; allein eine durch den Geschmacks- oder Gefühls- sinn vermittelte , übertriebene (Sinnes-) Lust ist nach dem Urtheile aller verständigen Männer bei Weitem die abscheu- lichste (und ekelhafteste), und alle Diejenigen, welche sich

XIX, 1, 21. . Cfr. Gell. Xn, 5, 10.

XIX, 2, 1. Cfr. Gell. VI (Vn), 1, 1; Macrob. Sat 11!^.!

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XIX. Buch, 2. Cap., § 2—5. (439)

diesen beiden thierischen Gelüsten geweiht haben, bezeichnen die Griechen gerade mit den (zwei) entehrendsten Laster- namen, entweder als (zügellose) Verschwender (oKQareXg)^ oder als (ausschweifende) Wollüstlinge (aycoXdaTovg) , wofür wir die lateinischen Ausdrücke: incontinentes (Unenthaltsame), oder intemperantes (ünmässige) brauchen: denn wenn man den griechischen Ausdruck : aytoXaaToi recht genau übersetzen will, wird man nur ein ungewöhnlich auffsJlendes , sprach- widriges Wort zu Tage fordern. 3. Diese beiden Vergnügungen des Geschmacks. und Gefühls, d. h. die ausschweifenden Nah- rungs- und Geschlechtstriebgelüste haben die Menschen mit den Thieren gemein und deshalb wird Jeder unter die Zahl des rohen Viehes und der wilden Thiere gerechnet, der sich durch diese thierischen Gelüste (wie ein Sklave) hat fesseln lassen. 4. Die übrigen Vergnügungen, welche durch die Ver- mittelung der drei anderen Sinneswerkzeuge (Gehör, Gesicht, Geruch) heiTühi*en, sind offenbar den Menschen nur allein eigen« 5. Ich fuge hier eine Stelle des Philosophen Aristoteles über diesen Gegenstand bei, damit besonders das Ansehen dieses berühmten und herrlichen Mannes uns von solchen entehrenden (unwürdigen) und verrufenen (sinnlichen) Ge- lüsten zurückschrecke*). „Warum werden die", sagt er, „mit dem Ausdrucke änqccvelg (Ünmässige) belegt, welche sich zu sehr von dem Vergnügen des Gefühls und Geschmacks b^ hen-schen lassen? Weil sie einestheils bezüglich der Liebes- lust solche Wollüstlinge sind, andemtheils bezüglich der Lust an der Feinschmeckerei (und Völlerei). Für einige dieser Feinschmecker liegt nun der (höchste) Genussreiz auf der Zunge, für andere in der Eehle (oder in dem Schlünde), weshalb Philoxenus**) sich auch den Schlund des Kranichs zu haben wünschte; (den auf Gesicht und Gehör beziehend-

XIX, 2, 5. *) S. Aristot. problem. 28 (29), 7 und etbic Nicom.. vn (Vni), 4.

XIX, 2, 5. **) Philoxenus von Cyth^re, berühmter Dithyramben* dichter, Schüler des jOngeren Melanippides , wurde vom Dionysius von SyrakuB wegen seiner Freimüthigkeit in die Steinbrüche geworfen. Er verspottete den Tyrannen in seinem Satir- Drama „Kyklop". (Ael. yar. bist X, 9; Diodor. Sic. 15, 6.) Uebrigens hatte er den Ruf eines Schlem- mers und Liebhabers witziger Einöle«

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(440) XIX. Buch, 2. Cap., § 5— 8. 3. Cap. § 1.

liehen Vergnügungen giebt man nicht solche entehrendeNamen) sollte das nun wohl nicht (?;) daher rühren, weil (jene bdden Sinne und) die damit zusammenhängenden Vergnügungen uns und den übrigen Thieren gemeinsam sind? Insofern sie uns nun mit den Thieren gemein sind, sind sie um so schimpf- licher und allein verächtlich, so wie wir auch einen von solcher (gemeinen Ergötzlichkeit) Beherrschten tadehi und ihn Verschwender (ax^ar^) und Wollüstling {oTLoXaatov) nennen, weil er sich von der niedrigsten Sinneslust bezwingen lässt Von diesen fünf Sinnen sind es nur die zwei von mir vorher- genannten (des Gefühls und des Geschmacks), deren sich auch die übrigen Thiere erfreuen, denn in Bezug auf die Anderen werden sie entweder im Ganzen gar nicht freudig gestimmt, oder davon doch nur zufällig berührt." 6. Wie kann also ein Mensch, der nur irgend etwas menschliches Schamgefühl aufzuweisen hat, Freude empfinden an der Fleischeslust und Völlerei, die er mit dem Schwein und dem Esel gemein hat? 7. Socrates sagte daher, viele Menschen wollten nur deshalb leben, um zu essen und zu trinken, er aber trinke und esse nur, um zu leben. 8. Hippocrates aber, dieser mit göttlicher Weisheit und Erkenntniss begabte Mann, urtheilte so über die fleischliche Vermischung, dass er sie zu einer der häss- lichsten Krankheiten in Beziehung brachte, welche bei uns die Comitialkrankheit, d. h. Fallsucht (Epilepsie) heisst; denn nach Ueberlieferung werden ihm die (bekannten) Worte in den Mund gelegt: (tipf awovaiav elvcu iJinaqav iTtili^xpiav, d: h.) Die fleischliche Vermischung sei eine kurze Fallsucht (Epilepsie).

^IX, 3, L. Dass ein kaltes Lob beschämender sei, als ein bitterer Tadel.

XIX, 3. Cap. 1. Der Philosoph Favorin that den Aus- spruch, dass ein spärliches und kaltes Lob weit schlimmer

XIX, 2, 7. S. Diog. Laeit. H, 5, 16; bei Plut V^ie der Jüngling die Dichter lesen soll, p. 22 cap. 4; Athenaeus IV se<4 48 (158).

XIX, 2, 8. Cfr. Menag. ad Diog. Laert Vim, p. 410; Clemens Alexandrien Paedagog. Hb. IL Man schreibt diesen Aussprach auch dem Democrit zu.

XIX, 8, 1. S. Flutarch: über die BöswiUigkeit Herodofs 4. ^t

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XIX. Buch, 3. Cap., § 1. 2. 4. Cap., § 1-5. (441)

(verletzender und beschämender) sei, als ein gehässiger und harter Tadel; 2. weil, sagt er, Derjenige, welcher lästert und tadelt, wenn dies in einem sehr heftigen und bitteren Tone geschieht, um so mehr für einen offenbaren Feind und (par- teiisch) ungerechten Richter gehalten wird und deshalb meist keinen Glauben findet; allein Der, welcher sparsam und mit Rückhalt lobt, wird, weil er zwar für einen Freund dessen gilt, den er zu loben beabsichtigt, trotzdem aller Ursache (zu einem Lobe) beraubt scheinen und (nichts weiter als) Veranlassung geben, (an die Vermuthung) zu glauben, dass er nichts habe entdecken können, was er mit Recht zu loben sich berechtigt fühle.

XIX, 4, L. Warum eia nnvermutheter Schreck Durchfall nach sich zieht und femer weshalb das Feuer den Drang zum Harnlassen verursacht.

XIX, 4. Cap. 1. Die Schriften des Aristoteles, welche den Titel fuhren: „problemata physica (d. h. naturwissen- schaftliche Räthselfragen)," sind von allerhand geistvollen und feinen Bemerkungen angefüllt. 2. Darin ist von ihm auch die Frage aufgestellt worden, wie es wohl kommen möge, dass Die, auf welche ein nnvermutheter Schreck über ein gewaltiges Ereigniss hereinbrach, meist sogleich vom Durchfall befallen würden. 3. Ebenso fragt er, warum immer der Fall eintrete, dass Einen, der länger in der Nähe des Feuers stand, der Drang zum Harnlassen befalle. 4 Und in Bezug auf einen heftigen und unaufhaltsamen Durchfall bei einer (gehabten) Furcht oder einem Schrecken giebt er als Ursache an, weil jede Furcht und jeder Schreck einen frosterregenden (algi- ficum, oder wie Aristoteles sagt: xfwxQOTtoiov) Zustand erzeuge, oder durch seinen Kältegrad das ganze Blut und die (Blut-) Wärme von der Hautoberfläche des Körpers ganz und gar wegdränge und vertreibe und dabei zugleich bewirke, dass Die, welche in Fui-cht und Schrecken gerathen, durch das Entweichen des Blutes aus dem Gesichte, auch blajss aus- sehen müssten. 5. Femer sagt Ai-istoteles, Blut und Wärme

WiderwiUen loben ist nm nichts billiger, ja vielleicht gar noch schlimmer, als mit Vergnügen tadeln.''

XIX, 4, 1. S. Aristot. problem. 7, 8 und 27, 9; Merckl. p. 671.

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(442) XIX. Buch, 4. Cap., § 5. 6. 5. Cap., § 1—4.

im iDnersten zusammengedrängt, bewirken meist den Beiz zum Durchfall. 6. Ueber den häufigen Drang zum Hamen, in Folge von Nahestehen am Feuer hervorgerufen, findet sich in dem Werke noch folgende Bemerkung von ihm vor : ,-,Das Feuer löst das, was (durch die Kälte) fest geworden und geronnen (d. h. zu Eis geworden) ist, wieder auf, gleichwie die Sonne den Schnee auflöst."

XIX, 5, L. Eine aus des Aristoteles Schriften entlehnte Bemerkung, dass

der Gebrauch des Schneewassers zum Trinken höchst schädlich sei, und

dass sich aus Schnee Eis bildet.

XIX, 5. Cap.. 1. Ich und einige andere meiner Alters- genossen und Freunde, (alle) Anhänger und Schüler der Be- redtsamkeit und Philosophie, waren in der heissesten Jahres- zeit zu unserem Freunde, einem reichen Manne, nach Tibur auf's Land gegangen. 2. Unter uns befand sich ein guter, ehrlicher Peripatetiker, ein äusserst gelehrter Mann und ausserordentlich eifriger Verehrer 'des Aristoteles. 3. Wie dieser nun sah, dass wir häufig Wasser von geschmolzenem Schnee trankeif, wies er uns zurecht und schalt uns deshalb sehr ernstlich aus und stützte seine Warnung auf die an- sehnlichen Zeugnisse der beiilhmten Aerzte und vor Allem auf das des um die menschliche Gesundheitspflege höchst verdienten und .vielerfahrenen Philosophen Aristoteles, der sich darüber aussprach, dass allerdings den Früchten und Bäumen das Schneewasser zuträglich und befruchtbar, den Menschen aber durch übermässigen und häufigen Genuss un- gesund sei, Grund zur Auszehrung lege und den innersten Eingeweiden heimliche und langwierige Krankheiten einpflanze. 4. Er wurde zwar nicht müde, uns diese kluge, wohlgemeinte Vorsichtsmassregel immer und immer wieder vorzuhalten, allein da nun trotz dessen dem Schneewasser- Trinken kein Ende gemacht wui-de, holte er aus der tiburtischen Bibliothek, welche damals im Tempel des Hercules ganz reichlich mit Büchern versehen war , ein Werk des Aristoteles hervor und brachte dies zu uns mit und sagte: (wenn ihr mir nicht

XIX, 5, 1. Vergl. Macrob. Sat VE, 12.

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XIX. Buch, 5. Cap., § 4—10. (443)

glauben wollt, so) schenkt wenigstens den Weiten und Er- mahnungen dieses höchst weisen Mannes Glauben und hört auf, euere Gesundheit (mit aller Gewalt) zu Grunde zu richten.

5. In diesem (herbeigeholten) Buche stand nun ausdrücklich bemerkt, dass Schneewasser zum Trinken höchst schädlich sei, so wie auch das in noch weit grösserem Masse festere und härtere Eis, welches im Griechischen ycQvaraXXog heisst, und es stand dabei auch folgende Ursache davon angegeben:

6. Weil, wenn das Wasser sich durch die Kälte der Luft ver- härtet und gefriert, es nothwendiger Weise nicht ausbleiben kann, dass eine Verdunstung stattfindet und gleichsam ein gewisser Theil der ganz feinen Luft aus dem Wasser aus- gepresst wird und entweicht. 7. Dasjenige also, was ver- dampft, ist im Wasser der leichteste (feinste) Theil; es bleibt aber nun nur das Schädlichere, das UnreinUchere und das Ungesundere zurück, und dies nimmt durch den (kalten) Luft- druck zusammengepresst das Aussehen und die Farbe von weissem Schaum an. 8. Allein ein gut Theil von dem, was gesünder ist, werde verflüchtigt und aus dem Schnee ver- dampft, dafür spricht der Beweis, weil seine Masse kleiner und geringer wird als sie war, bevor sie zu Eis gefror. 9. Ich habe die betreifende kui-ze Stelle aus dem Buche des Aristo- teles gleich ausgezogen und füge sie hier bei: „Warum das Wasser aus Schnee und Eis ungesund ist? Weil von der hart gewordenen (gefrorenen) Wassermasse die feinsten Theile ver- dunstet werden und die leichtesten (flüssigsten) *Theile ver- dampfen. Beweis (dafür dürfte sein), weil die Masse weniger wird, als sie vorher «war, sobald das Hartgewordene (Oe- frorene) wieder geschmolzen ist Da nun also das der Ge- sundheit Zuträglichere entwich, so ist nothwendig, dass das Zurückgebliebene schlechter (und ungesunder) sei.** 10. Als wir dies gelesen hatten, so war man der Ansicht, dass man einem so ausserordentlich weisen Manne, wie dem Aristoteles, alle Ehre widerfahren lassen (und seinen ßath unbedingt be- folgen) müsse, und deshalb erklärte ich dem (Genuss vom) Schnee(wasser) Krieg und Hass; die Anderen Hessen sich mit diesem Getränke freilich nur auf einen sehr verschieden- artigen (zweifelhaften) Waffenstillstand ein (d. h. Einer oder der Andere übertrat doch bisweilen noch das Verbot).

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(444) XIX. Buch, 6. Cap., § 1—3. 7. Cap., § 1.

XIX, 6, L. Wie das Schamgefühl das Blut nach den äussersten Theilen

des Körpers ergicbst und ausbreitet, die Furcht und der Schreck aber

dasselbe zurückaieht.

XIX, 6. Gap. 1. In den „(naturwissenschaftlichen Räthsel-) Fragen" des Philosophen Aristoteles steht Folgendes geschrie- ben: „Warum wohl Die, welche sich schämen, roth werden, und Die, welche sich fürchten (oder erschrecken), blass, da doch diese Gemüthsbewegungen einander so ähnlich sind? Etwa weil das Blut Derer, die sich schämen, aus dem Herzen nach allen anderen Theilen des Körpers hin sich ergiesst und folglich auf der Oberfläche erscheint, und bei Denen, die sich fürchten, (oder erschrecken, das Blut) nach dem Herzen hin- strömt und folglich von allen übrigen (Köi-per-) Theilen sich wegzieht?'' 2. Als ich zu Athen dem Taurus diese Stelle vor- gelesen und zugleich die Frage vorgelegt hatte, was er wohl über die angegebene Ursache dächte, antwortete er mir: Aristoteles hat wohl ganz treffend und richtig gesagt, was geschieht, wenn das Blut sich (nach den Körpertheilen hin) ergiesst, oder wenn es sich (wieder) zurückzieht, allein warum dies also geschieht, davon hat er nicht gesprochen. 3. Denn es kann doch ferner noch gefragt werden, warum die Scham- haftigkeit eine Ergiessung von Blut veranlasst, die Furcht (und der Schreck) aber ein Zurückziehen desselben, da das Scham- gefühl eine Art von Furcht ist und ihrem Begriffe nach so erklärt wirc^: Furcht vor wohlverdientem Vorwurf. Diese Erklärung geben nämlich die (griechischen) Philosophen: Scham ist Furcht vor gerechtem Tadel (alaxvvtj itnlv q>6ßog di%dflov ifjoyov).

XIX, 7, L. Was das Wort „obesum'' bedeutet und einige andere alter- thümliche Ausdrücke.

XIX, 7. Cap. 1. Der Dichter Julius Paulus, ein achter Biedermann und in der alten Geschichte und Literatur un-

XIX, 6, 1. Vergl. Cic. TuscoL IV, a

XIX, 6, 2. S. Macrob. VH, 11.

XIX, 7, L. ob es um (yon obedo, passiv:), angegessen, mager; (medial:) fest, feist

XIX, 7, 1. Der Dichter Julius Paulus bei Gellins schon I, 22, 9; V, 4, 1; XVI, 10, 9 erwähnt S. Teuffels röm. Lit Gesch. 349, 4.

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XIX. Buch, 7. Cap., § 1—5. (445)

gemein bewandert, besass auf vaticanischem Gebiete ein (be- scheidenes) unbeträchtliches Erbgütchen. Dorthin lud er uns oft zu sich ein und bewirthete uns freundlich und reichlich mit Gemüse (Kohl) und Obst (von seinem Selbsterbauten). 2. Als ich nun mit dem Julius Celsinus an einem milden Herbst- tage auch einmal bei ihm (im Hause) gespeist hatte, und bei Tafel die Alcestis des Laevius hatte vorlesen hören und wir uns (später) beim nahen Sonnenuntergang auf dem Rückwege zur Stadt befanden, da wiederholten wir uns die (eigenthüm- lichen) Wendungen und Wortformen, die in dem Gedicht des Laevius vorgekommen und uns als neu und auffällig erschie- nen waren. Wenn nun irgend ein bemerkenswerther Ausdruck vorgekommen war, von dem wir glaubten, auch einmal Ge- brauch machen zu können, so prägten wir ihn unserem Gedächtnisse ein. 3. Eine solche, uns damals nun noch im Gedächtniss hängen gebliebene Stelle war z. B. folgende: (Da sah ich ihn)

Gorpore pectoreque undique obeso ac

Mente exsenBa tardingemalo

Senio obpressom, d. h.

Ganz abgezehrt den Körper und die Brust ringsum^

Empfindungslosen Geistes, langsam ächzend

Vom Alter hart gebeugt

Wir i)emerkten hier den mehr eigenthümlichen, als gewöhn* liehen Gebrauch des Wortes „obesus" (in der Bedeutung von: benagt), also für dürftig, hager, abgezehrt, denn im Allgemeinen wird der Ausdruck: ,)Obesus^ im uneigentlichen oder ent- gegengesetzten Wortsinn (axvQiog rj xaT«*) avTlq)Qaaiv) gebraucht, für: reichlich genährt (angefressen) und fett (gefressen). 4. So hatten wir uns auch gemerkt, dass er „oblitera gens" (das vergessene Geschlecht) gesagt hatte, für „obliterata"; 5. femer, dass er Feinde, weil sie das Bündniss brachen, „foedifragi" (Bundesbrttchige) und nicht „foederifi-agi"

XIX, 7, 2. üeber Laevius s. Gellius n, 24, 8 NB und Teufildls rOm. Lit Gesch. 148, 5.

XIX, 7, 3. *) xct' dvtCtpqaatv^ im entgegengesetzten Wortsinn, d.h. eine Benennung, die mit dem Wesen des Benannten im Widerspruch steht, z.B. novTog tvinvog statt a^Hvog, oder bellum (schön oder Erleg), der nicht schön ist.

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(446) XIX. Buch, 7. Cap., § 6-16.

genannt hatte; 6. so auch, dass er die rothprangende Morgen- röthe (Aurora) mit dem Beiwort „pudicolor** (schamfarbig, d. h. schamroth) belegte und den (äthiopischen Mohrenkönig) „Memnon nocticolor'' (nachtfarbig, statt schwarz) nannte; 7. so sagte er auch j^dubitanter*" (mit Bedenken) für „forte" (ohn- gefähr), und von „sileo** (schweige) sagte er (das syncopirte Participium) „silenta loca'' (verschwiegene Orte), dann auch noch „pulverulenta'' (bestäubt, vergl Gell. XVin, 12, 4 pulvero, bestäubt sein und stäuben) und „pestilenta'' (der Gesundheit verderblich) und so auch: „carendum tui est'' (man muss deiner entbehren) anstatt: te (Ablativ: Dich entbehren) und „magno impete'' (mit grossem Ungestüm) für „impetu"; 8. ebenso brauchte er den Ausdruck: „fortescere^' (tapfer werden) für „fortem fieri" ; 9. so auch das Wort „dolentia" (Schmerz) für „dolor" und „avens" (begierig, gern) für „libens"; 10. so auch „curis intolerantibus" (passive) für „intolerandis" (von unerträg- lichen Sorgen) und ebenso „mancidis tene illis'^(an diesen zarten Händchen halte) für „manibus'\ und so sagte er auch: „quis tarn siliceo'' (sc. corde est, d. h.) wer ist so kieselhart(en Herzens)? So brauchte er das Wort „fiere" und sagte „inpendio infit" (es fängt an kostspielig zu werden) anstatt zu sagen: „fieri inpense incipit"; 11. und dann sagte er weiter: „acci- pitref' (nach Habichtart zerreisst oder zerfleischt) anstatt „laceret". 12. Mit solchen Betrachtungen über die laevische Ausdrucksweise vertrieben wir uns also während des Weges die Zeit. 18. Denn alle anderen Ausdrücke, die uns zu sehr poetisch und dem Gebrauch in der ungebundenen Rede ferner zu stehen schienen, Hessen wir ganz ausser Acht, wie z. B. die Ausdrücke, deren er sich in Bezug auf den Nestor be- diente, wie z. B. trisaeclisenex (der drei Geschlechter [alte] Greis) und „dulciorelocus iste" (der mit süssem Munde Re- dende, d. h. der liebliche Redner); 14. ebenso wie er von hochangeschwollenen und grossen Fluthen sagt „multigrumi'' (sehr aufgehäuft); 15. und bei den von Kälte erstarrten (ver- härteten, gefrorenen) Flüssen: sie hätten eine onychinische (d. h. marmorne oder alabasterne) Decke; 16. und was er

XIX, 7, 10. Manciolis tene illis vergl. Eur. Alcest 381: Ijil rotie naidas etc.

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XIX. Buch, 7. Cap., § 16. 8. Cap., § 1—3. (447)

sonst noch, scherzend und spielend, für vielfache Ausdrücke (erfand und) erdichtete ; wie endlich zuletzt noch jener Aus- druck, wo er seine Tadler genannt hat: subducti supercilii cai-ptores, d. h. Augenbrauenüberstülpungs-Tranchirer.

XIX, 8, L. Untersuchung, ob die Wörter „harena" (Sand), „coelum" (Himmel), und „triticum" (Waizen) sich auch im Plural gebraucht finden und nebenbei auch über den Ausdruck ,,quadrigae'' und „inimicitiae^* und ausserdem über noch einige andere (bei denen es sich ebenfalls fragt), ob sie sich im Singular gebraucht vorfinden.

XIX, 8. Cap. 1. Wenn mir (damals) zu Rom als ganz jungem Menschen, bevor ich mich nach Athen begab, vom Besuche meiner Lehrmeister und ihrer Vorlesungen einige freie Zeit übrig blieb, versäumte ich nie, besuchshaJber, mich zum Fronto Cornelius zu verfügen und seine öfteren ge- lehrten Unterredungen mit anzuhören und aus den Vorräthen seiner kostbaren Kenntnisse Nutzen zu ziehen. Und ich kann nicht anders sagen, so oft ich ihn besuchte und seine Vor- träge hörte, kehrte ich fast immer veredelter und gebildeter zurück (d. h. nahm ich stets neue Anregung zu meiner geistigen Veredlung und Vei-voUkommnung mit fort). 2. Von solchem Einfluss war eines Tages auch seine Unterredung über einen zwar leichten Gegenstand, aber dui'chaus nicht unwichtig für Solche, welche sich eiiisthaft mit der latei- nischen Sprache beschäftigen. 3. Denn als da einer seiner Freunde, ein wohl unterrichteter Mann und berühmter Dichter erwähnte, dass er endlich von der Wassersucht ganz befreit worden sei und zwar durch Anwendung von heissen Sand- massen (arenis öalentibus), da entgegnete ihm scherzhafter Weise Fronto: Vom (leidigen) Krankheitsübel bist Du nun allerdings erlöst, aber vom Sprachübel bist Du noch nicht erlöst. Denn Gajus Caesar, jener beständige (lebenslängliche) Dictator, der Schwäher des Gnaeus Pompejus und Begründer

XIX, 7, 16. Der alterthümlichen Poesie waren kolossale Anschich- tuBgen von Wörtern eigen. S. Bemh« röm. Lit 7, 14.

XIX, 8, 3. Die Schrift Caesars de analogia war gewissermassen eine lateinische Grammatik. S. GeU. I, 10, 4; IV, 16, 8; IX, 14, 25; Suet. Caes. 6; Cic. Brut 72, 253; Cic. Attic 6, 2; Quint. I, 5, 13; I, 6, 1; I, 6, 3. Vergl. Teuffels Gesch. der röm. Lit 192, 4.

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(448) XIX. Buch, 8. Cap., §3 6.

des Namens und Geschlechtes aller späteren Caesaren, ein Mann von hervoiTagenden Anlagen, der sich unter allen seinen Zeitgenossen durch die grösste und untadeligste Sprachreinheit auszeichnete, dieser bedeutende Mann ist in seiner an den M. Cicero verfassten Schrift über „Analogie (stilistische Einheit)" der Ansicht, dass es ein grosser Sprachfehler sei, „harena" (Sand) in der Mehrheit zu verweilhen, weil „harena" nie im Plural gebraucht werden dürfe, wie auch weder „coelum" (Himmel), noch „triticum" (Waizen) ; 4. dagegen soll man stets „quadrigae" (Viergespann) im Plural brauchen, wenn gleich dies Fuhrwerk nichts bezeichnet, als eine Koppel von (vier) zusammengeschiiTten Pferden; dasselbe gilt auch beziehentlich der Wörter „arma" (Waffen) und „moenia" (Mauern) und „comitia'' (Volks -Versammlungen) und „inimicitiae" (Feind- schaTten), wo die Pluralform die allein richtige ist, (und darauf sagte Fronte:) hast Du nun, Schönster der Dichter, etwas dagegen zu erwidern, wodurch Du Dich sowohl zu entschuldigen, als auch deutlich darzuthun vermagst, dass dies kein Fehler sei (sc. harenae im Plui*al gebraucht zu haben)? 5. Jener erwiderte: In Betreff der Wörter „coelum" und „triticum" leugne ich allerdings nicht, dass sie immer nur im Singular gebraucht werden müssen, und ebensowenig be- streite ich, dass in Betreff der Wörter: arma, moenia und comitia stets nur die Pluralform für richtig zu halten sei, jedoch über ^^inimicitiae^' und „quadrigae'' wollen wir nachher sprechen. 6. Allein, werde ich mich nun auch schon in Be- zug auf (die Pluralform von) „quadrigae*' dem massgebenden Beispiele der alten Schriftsteller fügen, so will mir doch nicht einleuchten, was G. Caesar für einen Grund gehabt haben kann, in Abrede zu stellen, warum das Wort „inimicitia'' nicht gerade so gut im Singular von den Alten soll gebraucht worden sein, oder von uns soll gebraucht werden dürfen, wie die Wörter: inscientia (Unwissenheit), impotentia (Zügellosig- keit) , injuria (Ungerechtigkeit) ? Da ja auch Plautus, dieser Stolz und diese Zierde der lateinischen Sprache, „delicia'* im Singular (ivtyicjg) gebraucht hat für die (gebräuchlichere) Pluralform (im Poenulus oder Karthager I, 2, 152 [364]) für

deliciae:

mea voluptas, mea delicia, d. h. (Du) meine Lust, (Du) meine Wonne.

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XIX. Buch, 8. Cap., §6—10. (449)

Ebenso braucht Q. Ennius in seinem höchst denkwürdigen und berühmten Buche die Singularform von inimicitia:

Eo ego ingenio natas sum,

-f Amidtiam atque inimicitiam in frontem promptam gero, d. h.

(jeboren bin ich mit der Eigenthümüchkeit,

Man sieht die Freundschaft offen mir geschrieben an die Stime, wie die

Feindschaft Wer- hat nun, ich bitte Dich, (ausser Caesar) sonst noch ge- schrieben, oder behauptet, der Plural von „harena" sei nicht gut lateinisch? Und deshalb bitte ich Dich (zugleich), dass, wenn Du die Schiift des Gajus Caesar nicht bei der Hand hast, sie sofort (Dir) mögest herholen lassen, damtt Du Dich selbst deutlich überzeugen kannst, dass er diesen Satz als unumstöss- lich aufstellt. 7. Aus dem also herbeigeholten ersten Buche „über die Analogie" prägte ich mir folgende wenigen Worte meinem Gedächtnisse „vom Gebrauch der Numeri" ein. 8. Als er nämlich vorausgeschickt hatte, dass die Pluralform weder bei „coelum", noch bei „triticum", noch bei „harena" zulässig sei, fährt er fort: „Du bist der Ansicht, das Wesen der betreffenden Dinge bringe es so mit sich, dass wir sagen können, eine Erde (eine Welt) und mehrere Welten^ femer eine Stadt und mehrere Städte, dann auch ein Beich und mehrere Reiche; und nun (sagst Du) sollten wir die Plural- form von ,,quadrigae'' nicht in den Singular verwandeln und auch den Singular von „harena" nicht in den Plural umändeni können?** 9. Nach dem Vortrage dieser Stelle wendete sich Fronte an jenen Dichter und sagte: Scheint es Dir nun richtig, dass G. Caesar über die Form des Wortes (harena), Deiner Ansicht entgegen ^ ganz klar und ganz bestimmt sich ausgesprochen und erklärt habe? 10. Darauf entgegnete der Dichter, durch diese schriftliche Beglaubigung überführt: Wenn mir jetzt noch die Möglichkeit gegönnt wäre, mich an Caesar selbst, als an den Urtheilsspruch eines höheren Richters wenden zu können, so würde ich auch jetzt immer noch mich (gern) von dem nur schriftlichen Zeugnisse des Caesar los- zuwetten bereit sein. Da er selbst aber (durch seinen Tod) überhoben ist, uns über seine Meinung Aufschluss zu geben, so müssen wir jetzt Dich (speciell) schon ersuchen, uns zu sagen, worin nun eigentlich der Fehler zu suchen wäre, wenn man „quadriga" im Singular, oder „harenae" im Plural sagen wollte.

Gel Hub, Attische Nickte. U. 29 r^^^^^T^

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(450) XIX. Bach, 8. Cap., § 11 U.

11. Darauf antwortete Fronto also: Der Ausdmck quadrigae, obgleich darunter nicht mehrere Wagen, sondern nur ein Viergespann zu verstehen ist, enthält immerhin doch den Begriff einer Mehrheit, weil vier zusammengespannte Pferde: „quadrigae'' genannt werden, gleichsam als „quadrijugae'^ (yier angeschirrte), und der Inbegriff von mehreren Pferden ver- trSgt sich durchaus nicht mit dem Einheitsbegriff der Singular- form. 12. Und hinwiederum im entgegengesetzten Falle gilt dieser nämliche Grund auch von dem Singular des Wortes „harena"; denn da „harena'' im Singular gebraucht eine Masse und Menge der allerkleinsten Bestandtheile bezeichnet, 80 würde „harenae'' als Plural unklug und unüberlegt gesagt erscheinen, gleich als wenn dieses Woit eine Erweiterung durch die Pluralform bedürfe, da doch schon im Singular dieses Wortes ein wesentlicher Mehrheitsbegriff enthalten ist. Allein ich habe dies nur angeführt, sagte er, nicht um als selbständiger Begründer fnr das Zurechtbestehen dieses Aus- spruches und Gesetzes mich aufzuwerfen (non ut hujus sen- tentiae legisque fundus subscriptorque fierem, d. h. nicht also, um etwa nun diesen Ausspruch und dieses Gesetz ge- nehmigen, autorisiren und begünstigen zu helfen), sondern nur, um mich vor dem Voi*wurf zu sichern, als hätte ich die Meinung eines so gelehrten Mannes, wie des Caesar, unerbitt- lich (anagafjiv^rjTov) blosstellen wollen. 13. Denn da „coelum" (Himmel) immer im Singular (kvixwg) gesagt wird, „mare" (Meer) und „terra*' (Erde) nicht immer, auch „pulvis** (Staub) und „ventus** (Wind) und „fumus" (Rauch) nicht immer, warum haben nun die alten Schriftsteller bisweilen „induciae** (Waffen- stillstand) und „caeremoniae^' (heilige Religionsgebräuche) auch im Singular gebraucht, niemals aber die Wörter „feriae'* (Fest- Feier-Tage), „nundinae'* (Jahrmarkt) und „inferiae*' (Todten- opfer) und „exsequiae*' (Leichenbegängniss) (anders als im Plural)? Warum braucht man bei den Wörtern „mel" (Honig) und „vinum" (Wein) und allen übrigen derartigen Begriffen die Mehrzahl und sollte sie bei „lacte" (= lac, Milch) nicht brauchen? 14. Es ist aber nicht möglich, sag' ich, dass in einem Staate, wo Geschäfte sich auf Geschäfte häufen und die (volle) Thätigkeit der Menschen so in Anspruch genom- men ist, alle diese Fragen aufgeworfen und bis in die Uein-

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XIX. Buch, 8. Cap., § U 18. - 9. Cap., § 1. ^^451)

fiten Einzelheiten ausführlich und erschöpfend gelöst werden können. Doch fürwahr, ich merke eben, dass ich euch durch diese meine (Neben-) Bemerkungen (bereits) zu lange auf- gehalten habe, während euch vielleicht, was ich nicht wissen . kann, ein wichtigeres Geschäft obliegt. 15. Geht also jetzt nur (euerem Berufe nach) und wenn ihr zufällig wieder ein- mal etwas freie Zeit habt, dann fragt abermals bei mir nach, ob irgend einer der Redner, oder der Dichter, d. h. nicht etwa ein untergeordneter, sondern ein mustergiltiger und massgebender |(classicus adsiduusque aliquis scriptor), selbst- verständlich aus jener älteren Schnftsteller-Beihe, irgend ein- mal „quadriga'' (im Singular) und ^,harenae'^ (im Plural) ge- sagt hat. 16. Dergleichen Untersuchungen über Ausdrücke empfahl uns Favorin ernstlich an, ich glaube nicht deshalb, weil er der Meinung war, dass sich Beispiele davon in irgend welchen Schriften (der Alten vorfinden könnten, sondern um durch Aufsuchen seltener Ausdrücke in uns (die Anr^ung und) das Streben in Thätigkeit zu erhalten, nur mit höchster Aufmerksamkeit zu lesen. 17. Das einzige Wort also, was höchst selten vorzukommen schien, das Wort „quadriga" im Singular gebraucht, fand ich in dem Buche der Satiren des M. Varro, welches die üeberschrift trägt: „Exdemeticus**. 18. Mit weniger Eifer habe ich allerdings nachgesucht, ob das Wort^ „harena" in der Mehrheit {rtXrj^wiTiüig) gesagt worden ist, weil ausser dem 6. Caesar, so viel wenigstens ich mich erinnere, keiner der wissenschaftlich Gebildeten dies Wort so angeführt hat.|

XIX, 9, L. Welche allerliebste Entgegntmg AntoniuB Jnlianiu bei einem Gastmahle einigen Griechen gegenüber (sofort) in Bereitschaft hatte.

XIX, 9. Cap. 1. Ein junger Asiate aus dem Ritter- stande, von erfreulichen Anlagen, mit [Gütern des Herzens und des Glückes reichlich gesegnet, mit einer angeborenen

XIX, 8, 15. AdBidaas (s. Gell. XYI, 10, 8NB) nicht von ab aase dando, sondern von ab assidendo, ans&ssig. Yergl. Gic de repbl. 2, 22; top. 2, 101; Varro bei Kon. 48. G.!; Quint 5, 10, 55; Chans. 75 K; Paul. p. 9.

XIX, 9, 1, Heiche, feingebildete Leute liebten es, wenn sie einen Kreis gleichgesinnter Freunde um sich versammelten, auch Mftnner ein-

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(452) XIX. Buch, 9. Cap^ § 2—6.

besonderen Neigung und Vorliebe für Musik, gab eines Tages seinen Freunden und Lehrern auf einem Landgütchen vor der Stadt ein Gastmahl zur Feier des Jahrestages, an dem er zuerst das Licht der Welt erblickt hatte. 2. Zu diesem (Geburtstags-) Schmause hatte sich auch der Rhetor Antonius Julianus eingefunden, Lehrer für öffentliche Unterweisung der Jugend, an dessen Aussprache und spanischem Dialekt man (zwar) sofort den Ausländer erkannte, (aber) ein Mann von blühender Beredtsamkeit und vielbewandert in der alten Ge- schichte und Literatur. 3. Als nun dem Essen ein Ende ge- macht worden war und man gleich darauf (die Gel^enheit zum Trinken und zur Unterhaltung ergriff und) zum Becher und zur Unterredung überging, äusserte dieser den Wunsch, man möchte doch den ausgezeichneten Künstlerchor, den sich der junge Asiate hielt und der aus Knaben und Mädchen bestand, welche trugen und Cither spielten, herbeiholen. 4. (Dieser Vorschlag fand allgemeinen Anklang) und nachdem die Jüng- linge und Jungfrauen eingetreten waren, (b^annen sie ihre Voi-träge und) sangen uns auf angenehme Weise viele ana- creontische und sapphische und einige andere liebliche und anmuthige Liebes-Gedichte {iX^yeia iQwriTui) neuerer Dichter vor. 5. Vor allen andern aber wurden wir entzückt durch die allerliebsten, anmuthigen Verse des alten, greisen Anacreon. Ich schreibe sie hier nieder, um mir dm*ch das Wohlbehagen am Ausdruck und am Klange (dieses lieblichen Gedichtes auf einen silbernen Becher) für meine anstrengenden, rastlosen Nachtstudien einige Erholung zu bereiten. 6. (Die Verse

lauten:)

1. HephaestoB, bild' aas Silber . Mir in getriebner Arbeit Nicht eine Waffenrügtimg; Denn was soU ich mit Kftmpfen? •—

snladen, welche das Mahl durch witzige nnd geistreiche ünterhaltong wttrzten. Cic FamiL 9, 24, 3; Juyenal. 9, 10. YergL Platarch, Tifidi- gespr. ly 1, 5; GesnndheitSYorschriften 20; Tischgespräche V, prooem. § 5; cfr. GelL I, 22, 5; VH (VI), 13; XVII, 8; XVm, 2.

XlXy 9, 4 Die Römer haben ihrer Elegie nicht die omfiMsende Bedentong der Griechen gegeben, sondern beziehen sie nnr auf Traner- und Liebesgedichte. Diog. Laert 3, 1 § 23—33 ans Aristippos. Ye^gl. GelL XIX, 11, 2 und Bemh. rönu Lit. 92, 429 n. 430.

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XIX. Buch, 9. Cap., §6 7. (453)

5. Nein einen weiten Becher

und auch so tief als möglich;

Auch hilde mir auf jenem *)

Nicht Sterne, nicht den Wagen**),

Orion nicht, den Grausen; 10. ^ Was frommt mir der Fl^aden,

Was des Bootes Sternbild?

Weinstöcke bilde lieber

und Trauben an den Stöcken;

Dabei von Gold als Eelt^rer 15. Zusammt dem schönen Bacchos

Den Eros und Bathyllos***).

7. Bei dem Gastmahle befanden sich mehrere Griechen, (sonst ganz) freundliche Leute, die auch die Erzeugnisse unserer (römischen) Literatur recht genau kannten. Diese gaben sich (nach dem Vortrage des reizenden anacreontischen Liedchens) alle erdenkliche Mühe, den Rhetor Julianus (zu necken), her- auszufordeiTi und aufzuziehen, wie einen völligen Ausländer, und wie eine (sogenannte) Einfalt vom Lande, da er ja aus Spanien stamme, nur ein Schreihals sei, nichts besitze, als eine wilde und (nur) auf Streit hinauslaufende Redegeläufig- keit und der nichts lehre, als Fertigkeiten in einer Sprache, die jeden Reiz und aller Anmuth eines Schönheitsideales (Veneris) und geistigen Aufschwunges (Musae) entbehre, und aller Minuten richtete man an ihn die Frage, was er wohl vom Anacreon und allen andern derartigen Dichtem halte ? und ob es wohl einen lateinischen Dichter gebe, der so gleichmässig, ruhig dahinfliessende, auserlesen poetische Feinheiten (aufzu- weisen und) zu Stande gebracht hätte? Ausgenommen etwa einiges Wenige von Gatull, sagten sie, oder auch noch Einiges

XIX, 9, 6 *) y. 7. Wie auf dem Schilde des Achilleus, Hom. B. XYin, 483 u. s. w. **) V. 8. Orion heisst der Grause (arvyvog), weil hei seinem Auf- und Untergange wilde Stürme wüthen. Yerg. Aen. I, 535; IV, 52; VU, 719; Horat Ep. X, 10. ♦♦*) v. 16. Bathyllos, Anakreons Lieblii^^.

XIX, 9, 7. Ueber Laevius s. Teufiels Gesch. der rönu Lit. 148, 5 u. 6 und Gell. XIX, 7, 2NB.

XIX, 9, 7. Ueber Hortensius [Hortalus] s. Gell. I, 5, 2 NB.

XIX, 9, 7. C. Memmius Gemellus, Redner und Verfasser ero- tischer Werke, berühmt durch Lucretius, der ihm sein Gedicht widmete. S. Meyer in Brut 70 p. 204 und vor allem Teufiels Gesch. der röm. Lit § 31, 1.

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(454) XIX. Buch, 9. Cap., §7 10.

von C al V u 8 (s. Gell. IX, 12, 10 NB). Denn L a e v 1 u s (setzten sie hinzu) schuf nur Verwickeltes, Hortensius Anmuthloses, Cinna Witzloses, Memmius Ungefälliges und endlich die andern Alle Kunstloses und Missklingendes. 8. Darauf nun trat Jener (als es ihm doch zu toll geworden war, wenn gleich Spanier, doch) für die vaterländische Sprache wie für Herd und Altar, d. h. wie für sein theuerstes Besitzthum ein, und im Innersten aufgebracht, liess er seinen Unwillen in folgenden Worten freien Lauf: Ich für meinen Theil habe euch (so in meinen Gedanken) recht geben müssen, dass ihr in solch aus- gekünst^lter Schwelgerei und (so ausgefeimter) Schelmerei selbst den (prachtliebenden Weichling) Alcinous den Rang abliefet, so wie auch in den wollüstigen, üppigen Genüssen der Lebens- und Nahrungsweise, ebenso aber auch uns (erst recht) in den mancherlei Liedei*spielereien besiegtet. 9. Allein damit ihr uns, d. h. die ganze lateinische Nation, wegen Mangel an Liebreiz nicht gleichsam (so zu sagen) als wahrhaftig nur so ganz ungebildete und einfältige Menschen verurtheilt, so bitt' ich, erlaubt mir, mein Haupt mit dem Mantel bedecken zu dürfen, wie dies (einst) bei einer weniger sittsamen Rede Socrates gethan haben soll, und höret und erfahret zugleich, dass auch unsere älteren Dichter, noch vor denen, die ihr eben namhaft geitiacht habt, von Liebeslust und Liebesleid erglüht gewesen (poetas amasios ac venereos fuisse). 10. Darauf, rück- wärts gebeugt, mit verhülltem Kopfe, mit möglichst lieblicher Stimme, sang er Verae von dem altem Dichter Valerius Aedi- tuus, desgleichen von Pordus Licinus und von Quintus Catulus. Und nach meiner Meinung kann nichts Griechisches oder

XTX, 9, 8. AlcinouB, der ans der homerischen Sagen bekannte Phftakenfürst, erscheint schon in einem platonischen Wortspiele [aX»fios] als V^eichling. PoUt X p. 614 B. (M. Hertz, Rhein. Mus. 1848 S. 6di.)

XIX, 9, 9. Plat Phaedr. 237, A. sagt Socrates: YerhfiUt werde ich sprechen, damit ich auf's schnellste die Rede vollende, und nicht, wenn ich Dich ansehe, vor Scham in Verlegenheit gerathe.

XIX, 9, 10. üeber Valerius Aedituus und Porcius Licinus 8. Beruh, röm. Lit 92, 430 u. 41, 159; und besonders Teuffels Lit Gesch. § 118, 2 und 133, 2 u. 3; (Porcius Licinus) GeU.XVn, 21, 45. Quin t Lutatius Catulus, ein leidlicher üebersetzer und Nachahmer des CaUimachus. S. Beruh, röm. Lit. 43, 167; dazu noch Teuffels Gesch. der rOm. Lit 183, 4 und 146, 4.

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XIX. Bach, 9. Cap., § 11—14. 10. Cap., § 1. (455)

Lateinisches gefunden werden, was artiger, zarter, feiner, be- stimmter sein könnte, als diese Verse. 11. So z. B. die des Aedituus: Nehm' ich aach glei^ mir vor, Dur des Herzens Qual zu gestehen,

Lnmer das flehende Wort mir auf der Lippe erstirbt Heisa überlftnft es mich plötzlich nnd plötzlich erstickt mir die Stimme,

Stamm and im Sehnen erstirbt zwie&ch ans Liebe das Herz.

12. So fügte er auch noch einige andere Verse dieses Valerius Aedituus hinzu, die bei Gott nicht weniger lieblich klingen, als die vorigen:

Sag", was trftgst, Phileros, Du vorin eine Fackel mir? spar* sie.

Deatlich bdeuchtet mein Ziel schon mir das Feuer der Brust; Denn diese Gluth des Feuers verlöscht kein Sturmesgetose,

Noch ein reissender Strom, der sich yom Himmel ergiesst Doch nur Venus aUein, die den.Brand mir im Herzen entzQndet,

Venns aUein nur hat ihn zu verlöschen die Macht.

13. So recitirte er auch folgende Verse des Porcius Licinus:

Kommet ilir Hüter der Schafe« wie Lammer, jüngeren Stammes, Sachet ihr Feaer? so kommt, fühlet die Gluthf eines Manns.

Dorch meine Nahe entbrennet der Wald und jegliches Wesen, Was auch das Auge erblickt, überall lodernde Glath.'

14. Folgende Verse waren vom Q. Catulus:

Es entfloh meine Seele und sicherlich bei Theotimusj

Weilt sie, wie immer; bei ihm fand sie ja stets ein AsyL

Zwar untersagt hab' ich streng*, nicht einzulassen den Flüchtling, Sondern, soUf er sich nah^D« ihn zu vegagen sofort

Suchen ging ich ihn gern, doch fikrchf ich selber die Netze, Käthen nur kannst in der Noth, Du mir o Venus aUein.

XEX, 10, L. Dass der in dem Yolksmande übliche Ausdruck: praeter

propter (eigentlich: entfernter oder näher, d. h. 'mehr oder weniger ^

ungefähr oder so nnd so) auch dem Ennins eigen war.

XIX, 10. Gap. 1. Ich entsinne mich des Besuchs, den ich und der Numidier Celsinus Julius dem Fronte Cornelius abstatteten, der eben wieder sehr schwer von Fussgicht ge-

XIX. 9, 13. Yergl. |6ell. XVII, 21, 45; desgL Teuffels |röm. Lit. Gesch. 138, 3 über Pordus Licinus.

XGC, 9, 14. üeber Q. Lutatius Catulus s. Teuffels röm. Lit. Gesclu 188, 4.

XIX, 10, 1. S. Renaissance und Rococo v. M. Hertz. Berlin. 1865.

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(456) XIX. Buch, 10. Cap., § 1—8.

plagt war. und als wir vorgelassen worflen waren, trafen wir ihn auf einem griechischen Ruhebett {oKifiTtodiov) liegend an und rings um ihn sassen viele Männer, die sich durch ihre Gelehrsamkeit, oder durch ihre Abkunft, oder ihre Lebens- stellung auszeichneten. 2. Darunter befanden sich auch mehrere, für seine neuen Badeanlagen herzugezogenen Archi- tekten, welche ihm ihre verschiedenen, auf Pergamentblättem entworfenen Pläne von Badeeinrichtungen zur Ansicht vorlegten. 3. Als er sich nun aus allen diesen (vorgelegten) Entwürfen einen einzigen Prachtplan zur Einiichtung von Sommer-Bädern auserlesen hatte, fragte er, wie viel wohl der Kostenüberschlag zur Ausführung des Bauwerks betragen würde? 4. Und da nun ein Baumeister gesagt hatte, es schienen ohngefähr 300,000 Sesterzien (= 15,000 Gulden) dafür nöthig zu sein, fügte Einer von den Freunden des Fronte hmzu : und praeter propter (ohngefähr, etwa) noch andere 50,000 (Sesterzien = 2500 Gulden). 5. Da brach Frontp (plötzlich) die Unterhand- lungen ab, welche er bezüglich des Kostenaufwandes für Ein- richtung der Bäder eben aufzunehmen angefangen und wen- dete sich nach seinem Freunde hin, der die Nebenbemerkung gemacht hatte: dass praeter propter (ohngefähr, etwa) noch andere 50,000 Sesterzien nöthig sein würden, und fragte [diesen, was das wohl für ein Wort sei : praeterpropter ].

6. Und jener Freund erwiderte: Das Wort ist nicht meine Erfindung, sondern Du kannst es aus vieler Leute Mund hören.

7. Was dieses Wort aber bedeuten soll, das wirst Du Dir nicht von mir, sondern von einem Grammatiker müssen er- klären lassen, und dabei zeigte er auch sogleich mit dem Finger nach einer Stelle hin, wo ein Grammatiker sass, dessen Vorträge einen nicht unbedeutenden Ruf in Rom genossen.

8. Der Grammatiker, welcher wegen dieses unverständlichen, obgleich in aller Munde gebräuchlichen Wortes in Verlegen- heit Rebracht worden war, sagte: Wir bekümmern uns hier um etwas, was die Ehre einer Untersuchung gar nicht einmal

XIX, 10, 3. Es wurde ongeheorer Aufwand getrieben durch Auf- fohrung prächtiger Paläste, Landhäuser, Parks, durch Tafelgenüsse und Gastgelage. Vergl, Sen. ep. 90, 43; 114, 9; Yitruv. 6, 5; Val. Max. IV, 4; Juven. 7, 178; Mart. 12, 50; Hör. Sat. I, 6, 100 flF.

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XDL BQch, 10. Cap., § 9-13. (457)

yerdient; ^. denn ich ^üsste wahrlich nichts, was so sehr gewöhnlich und (dabei) weit gebräuchlicher im Munde von Handwerkern [als von Gelehrten] wäre, wie dieses Wort. 10. Allein Fronte, dem man in Wort und Miene eine heftige Erregung anmerkte, sagte: Scheint Dir, Hochweiser, wirklich ein Wort so unanständig und tadelnswerth, dessen sich sowohl M. Cato, als M. Varro und der grösste Theil der älteren Schiiftstellerwelt als nothwendig und echt lateinisch bedient hat? 11. Dabei machte ausserdem auch noch Julius Celsinus sofort darauf aufmerksam, dass sogar auch im Trauerspiel des Q. Eiinius, welches Iphigenia heisst, dasselbe Wort, wor- über man eben Auskunft begehrte, geschrieben stehe, dieses Wort, welches von den Grammatikern mehr getadelt als er- klärt zu werden pflege. 12. Fronte Hess deshalb sofort des Q. Ennius Iphigenia herbeibringen. In einem Chore dieses Trauerspiels lasen wir folgende bezüglichen Verse: Wer die Mase nicht zu brauchen .Weiss, der hat viel h&rtre Müh', als wenn ihn dränget Müh' um Müh'. Wem Beschäftigung Bedürfiuss, thut das Ein' nach Andern ab, Schafft in thät'gem Eifer stets, erquickt dabei sich Geist und Herz. Doch in trag' unthät'ger Muse, weiss der Geist nie, was er will, Gleich sich's bleibt, im Haus' nicht heimisch, noch im Felde fühlt man sich; Bald gehfs hierhin, bald soU's dorthin, ist man da, verlangt man fort, ünstät schweift umher die Seele und das Leben verläuft so so (praeter

propter).

13. Der Vortrag dieser Stelle war erfolgt. Drauf wandte sich alsdann Fronte an den schon ganz verlegenen Grammatiker mit den Worten: Hast Du wohl vernommen, mein allerbester Lehrmeister, dass auch Dein Ennius sich dieses Ausdrucks bedient hat und zwar in Verbindung mit einer Reihe ebenso ernster Gedanken, wie nur die ernstesten Verweise der Phi- losophen es immer sein können? Wir bitten daher, sage

XIX, .10, 12. YergL über Ennius GeU. XYIU, 2, 7 NB. Man ist noch in Zweifel, ob die römische Tragödie einen Chor gehabt hat, obwohl sich unter den erhaltenen Trauerspiel -Bruchstücken aus Ennius, Naevius, Ac<^u8, Pacuvius u. s. w. auch Chor -Fragmente finden. So mögen wohl die den Griechen entlehnten, römischen Trauerspiele einen Chor gehabt haben, und Hör. A. P. 193 £f.; Cic f^ro Rose Am. 24, 66 und in Pis. 20, 46 . lassen einen Chor annehmen. Die Tragödien des Seneca, welche allerdings einen Chor haben, waren wohl mehr zum Vorlesen, als für die Bühne bestimmt. (A Forbiger.)

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(458) XEL Buch, 10. Ci^., § 13. 14. 11. C^)., § 1—3.

uns, da es sich um ein Wort bei Ennius handelt , was wohl hier der eigentliche Sinn des (betreffenden) Verses ist:

Incerte errat animiiB; praeter propter yitam Tintor, Unsicher int der Geist; so rerlebt man das Lebeo (mehr oder wenigar,

drOber, dronter, soso).

14. Der Grammatiker aber, triefend Ton Angstschweiss und ganz blutroth, da (ausserdem) Viele lang und anhaltend lachten, erhob sich und sagte im Weggehn: Späterhin will ich Dir, lieber Fronte, aber auch nur Dir ganz allein Auf- klärung geben, damit diese Unwissenden (Ignoranten) es nicht hören und erfahren. Es wurde nun überhaupt der Streit über den (Ausdruck aufgegeben und wir bi-achen Alle zugleich mit auf.

XIX, 11, L. Erwähnung einiger Vene desPlato, auf seine Liebe bezüglich, welche er in seiner Jugend znm Zeitvertreib yerfertigt, als er schon mit ernsteren Entwürfen beschäftigt war. ^

XIX, 11. Gap. 1. Berühmt sind folgende zwei griechische Versehen, und von vielen gelehrten Männern als denkwürdig erachtet worden, weil sie sehr lieblich und von reizender Kürze sind. 2. Ja es giebt sogar viele alte Schriftsteller, welche behaupten, dass sie von Plato selbst herrühren, und dass er sich, als er noch jung war, in solchen (leichten) Spielereien gefiel, obgleich in dieselbe Zeit auch schon das Vorspiel zu den Entwürfen von seinen ernsteren Plänen fiel. (Die Verse lauten:)

Als ich den Agathon kOsste, da flog meine Seel' auf die Lippen, Kam so von Sehnsucht geqoftlt überznflattem bereit

8. Dieses Distichon hat ein junger Dichter, ein Freund von mir, etwas willkührlich und frei in mehrere Verse über- tragen, die ich gleich hier beifüge, da sie mir der Erwähnung gar nicht unwerth schienen:

1. Wenn ich mit halboffinem Mund'

Z&rtlich kOss' mein trautes Lieb,

Und des Athems süssen Duft

Schlürf' aus offiier Lippen Thor,

XIX, 11, 2. S. Macrob. Sat n, 2.«

XIX, 11, 8. Vergl. Teuffels Gesch. der r6m. Lit 859, 8.

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XDL Buch, IL Cap., § 3. 12. Ci^^ § 1—3. (459)

5. Wagt sich krank und liebeswund

An die Lippen meine Seel',

Möchf enp&hn in seinem Mund

Eine Ziigangsöffiiang sich;

Durch der weichen Lippen Band

Bingt sie nach dem Uebergang, 10. Schnellte gern hinftber sich.

H&ttf ich eine Pause hier,

WAr' es auch die kleinste nur,

In der Eussyereinigung) i\

Anzubringen mir gewagt,

Yfk^ von Liebesglath bethOrt,

Schnell hinüber sie geflohn,

H&tte gleich verlassen mich. 15. Doch ein grosses Wunder da

WAre sicherlich geschehn,

Dass ich selbst gestorben swar,

Lebte fort in Liebchens Seel',

XIX, 12, L. [Vortrag des Herodes Atticns Über die Gewalt und daa

Wesen des Schmerzes, and Bestätigang seiner Meinung dnreh das Beispiel

eines dummen Bauers, der mit den Brombeersträachem (ganz ebenso auch)

die fmchttragenden Bänme verschnitt.

XIX, 12. Cap. 1. Ich hörte (einst) den gewesenen Consul Herodes Atticus zu Athen einen Vortrag in griechischer Sprache.halten, worin er fast alle Männer meiner Zeit insge- sammt an Bedeutsamkeit, an GedankenfbUe, an Feinheit und Klarheit im Ausdruck bei Weitem übertraf. 2. Er sprach «ch (dabei) aber gegen die von den Stoikern angenommene Un- empfindlichkeit, oder Leidenschaftlosigkeit (and&eia) aus, weil ihm von einem Stoiker der Vorwurf war gemacht wor- den, als trfige er mit zu wenig Weisheit und mit zu geringer Männlichkeit den Schmerz Ober den Tod seines geliebten Sohnes. 8. In diesem Vortrage, so weit ich mich noch er- innere, war folgender Hauptgedanke vertreten: Dass über- haupt kein Mensch, der gesunde und natürliche Empfindungen habe, frei sein könne von allen diesen Gemüthsbewegungen, Leidenschaften {Ttd^rj) genannt, wie z. B. frei von Kummer,

XIX, 12, 1. Yergl. Gell. IX, 2, 1 ad Herodem ^ Graeca facandia cdebrem; und Phflostr. vit soph. II, 1. XIX, 12, 2. S. GeU. XÜ, 5, 10.

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(460) XIX. Buch, 12. Cap., §3—7.

von Verlangen, von Furcht, von Zorn, von Wollust (dass Einer überhaupt ohne Schmerz) sei; und gesetzt auch, er könnte sich von allen diesen (Leidenschaften) frei ringen, so möchte dies trotzdem noch lange nicht zur Verbesserung seiner Umstände beitragen, weil in seinem geistigen Empfinden (höchstens nur) eine Erschlaffung und Erstarrung eintreten würde, beraubt der Unterstützung gewisser Anregungen, wie eines vor allen Dingen höchst nothwendigen Einflusses. 4. Er sagte nämlich, dass diese geistigen Empfindungen und Leidenschaften, wenn sie alles Mass überschreiten, dann allerdings in Laster aus- arten, an und für sich aber eng verbunden und verknüpft stehn mit Erhaltung einer gewissen Frische und Munterkeit für den Geist und für's Herz; 5. und deshalb eben, wenn wir unkluger Weise überhaupt alle diese (angQj)onien) Leiden- schaften zerstören, läuft man Gefahr, auch die mit ihnen ver- wachsenen guten und nützlichen Eigenheiten Preis zu geben (und zu verlieren). 6. Nach seiner Meinung müsse man also diese (angebomen) Leidenschaften zügeln und beherrschen lernen und sie auf eine kluge und bedachtsame Weise zu rei- nigen (und zu sondern) verstehen, damit man nur alles Das entferne , was fremdartig und widernatürlich erscheint und was uns nur zu unserem Schaden und Nachtheil anklebt, da- bei es allerdings aber nicht so weit treiben, dass uns in der That nicht etwa widerfahre, was, wie man sich erzählt, einem unverständigen und ungebildeten Thracier bei Verwaltung Beines erkauften Gi*undstücks begegnet sei. 7. Er (erzählte uns den betreffenden Fall und) fuhr also fort: Als ein Thra- cier, vom entferntesten Auslande, der nichts von der Land- wirthschaft verstand, einst in eine Gegend, wo mehr Bildung (und Cultur) herrschte, hingezogen war, rein aus Verlangen nach einem vernünftigen (gesitteteren) Leben, kaufte er sich ein auf Oel- und Weinbau eingerichtetes Gmndstück. Er, der also noch nicht viel von der Wein- und Baumzucht verstand, sieht einmal zufäUig, wie sein Nachbar hoch und breit aufgeschossenes Brombeergesträuch abschnitt, femer Eschen fast bis zum höchsten Gipfel beschnitt, Weinreben- schösslinge vertilgte, welche sich aus den Wurzeln der Stämme über der Erde ausgebreitet hatten , ferner die an den Obst- oder Oelbäumen aufgeschossenen und hervorgewachsenen

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XIX. Buch, 12. Cap., § 7— 10. 18. Cap., § 1. (461)

Bänber (d. h. Wurzelsprossen) ausputzte, und so trat er an ihn heran und fragte ihn, warum er doch nur so viel Holz und Zweige abschneide. 8. Ich thue das, antwortet der Nachbar, damit mein Acker sauber und rein werde und seine Bäume und Beben fruchtbarer und ergiebiger werden. 9. Jener dankt freundlich für die erhaltene Auskunft und entfernt sich freu- digen Herzens, weil er sich einbildet, als habe er nun schon die ganze landwirthschafüiche Wissenschaft sieh zu eigen gemacht. Darauf nimmt er alsbald auch Sichel und Beil zur Hand, und sofort stutzt der arme^ unerfahme Wicht alle seine Weinstöcke und Oelbäume, und das vortrefflichste Baumlaub- werk und die üppigsten Weinrebenschösslinge schneidet er aus, und zugleich reisst er alles Gebüsch und Gesträuch, das aih Ei-trag von Obst und Früchten sich fruchtbar hätte erweisen können, sammt den Dornensträuchern und Brombeer- stauden, der Reinigung des Ackers halber aus: sehr bald aber soUte er durch schlechten Ertrag (und übles Lehrgeld) gewitzigt werdep und bekam für seine Dreistigkeit (Voreilig- keit) und in der festen Einbildung, einen Fehler zu begehen, (w^n er nicht eine ähnliche Procedui-, wie sein Nachbar, vor- nehmen würde) durch seine unzeitige (schlecht angebrachte) Nachäfferei eine derbe Lehre. 10. Gerade so, sagte Herodes Atticus, geht es auch den Verfechtern dieses stoischen Moral- princips von der Leidenschaftslosigkeit. Sie, die sich das An- sehn geben wollen, als ob sie ganz ruhig und unerachrocken und unerschütterlich seien, während sie nichts von einem Ge- lüste, nichts von Schmerz, nichts von Zorn, nichts von Freude zeigen, verstümmeln sich alle Triebfedern und jede Spann- kraft zur geistigen Regsamkeit und werden dadurch, in dem Stumpfsinn und der Gefühllosigkeit eines gleichgültigen und gleichsam entmannten Lebens, alt und schwach.

XIX, 13, L. [Dass Zwerge im Lateinischen „pumiliones" heissen, im Griechischen ^^vavoi,^^ genannt werden.]

XIX, 13. Cap. 1. Fronte Cornelius und Festus Postumius und Apollinaris Sulpicius standen zufällig zusammen am Ein-

XIX, 12, 10. Cfr. GelL Xu, 5.

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(462) XIX. Buch, 18. Cap., § 1—4.

gange des kaiserlichen Palastes im Gespräch begriffen. Auch ich befand mich ebendaselbst mit einigen Anderen und lauschte voller Wissbegierde ihren Gesprächen, welche sie über Kunst und Wissenschaft hielten. 2. Da richtete Fronte an den ApoUinaris die Frage: Gieb mir doch Auskunft, (bester) Lehrmeister, da- mit ich weiss, ob ich recht gethan habe, zur Bezeichnung ftkr Leute von sehr kleiner Gestalt (worunter man Zwerge ver- steht) den Ausdruck „nani** (vdvot) zu vermeiden und sie dafür lieber „pumiliones*' zu heissen, weil ich mich erinnei-te, dieses letztere Wort in den Schriften der Alten gelesen zu haben^ aber der Meinung war, dass der Ausdruck „nani'' niedrig und gewöhnlich seL 3. Dies Wort, erwiderte Apolliuaris, hört man zwar sehr oft im Munde der ungebildeten Menge, doch trotz- dem ist es kein gewöhnlicher (ordinärer) Ausdruck 'und ist anerkanntermassen griechischen Ui'sprungs, denn die Griechen bezeichneten mit dem Ausdruck jyvdvoc^^ Wesen von kurzem und niedrigem Eöiperbau, die nur ganz wenig die Erde überragen, und sie bedienten sich wahrscheinlich absichtlich dieses Aus- drucks, indem sie nach einem gewissen etymologischen, der Bedeutung des Wortes angemessenen Gesetze verfuhren (so dass also die Eüi*ze des Wortes der Kürze seines Begrifb entspricht), und wenn mir das Gedächtniss nicht ganz untreu ist, so steht das Wort (vdvoc) in einem Lustspiel des Aiisto- phanes, welches den Titel 'OXxadeg (Lastschiffe) führt, ge-. schrieben. Allem, hättest Du immerhin nur (lieber Fronto) dem Worte die Ehre erwiesen , es zu gebrauchen, so würde es durch Dich mit dem Bürgerrecht beschenkt (sich eingebür- gert haben) oder doch sicher in eine römische Anpflanzung sich gastlich eingeführt und sich bei Weitem mehr Beifall eriningen haben, als alle die vielen Ungebührlichkeiten und schamlosen Zotereien, welche von Laberius in die latei- nische Umgangssprache eingeschmuggelt worden sind. 4. Da nun wendete sich Festus Postumius an Fronto's Freund, einen lateinischen Grammatiker und sagte: Du hast eben mit una die Aeusserung des ApoUinaris vernommen, dass „nani'^ ein

XIX, 18, 2. S. Paul« S. 177; Aristot. histor. an. Y, 24 (?Yn?, 24);. Problem. X, 14; Suidas vavot.

XIX, 18, 8. Ueber Laberius s. Gell. XYI, 7, L. o. § 10 NB.

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' XIX. Buch, 13. Cap., § 4, 5. 14. Cap., § 1. 2. (463)

griechisches Wort sei. Gieb uns nun also Aufschluss, ob es sprach- lich richtig sei, wo es im Lateinischen gewöhnlich auch von Mäulchen (Mauleselchen) und Pony's (Pferdchen) gesagt wird und bei welchem Schriftsteller sich der Ausdruck gebraucht findet. 5. Darauf ergiifT der Grammatiker, der durch vieles Lesen sehr in der alten Literatur bewandei-t war, das Wort und sagte: Im Fall ich nicht etwa ein (sündhaftes) Verbrechen begehe, wenn ich in Gegenwart des Apollinaris ein Urtheil über irgend ein lateinisches oder griechisches Wort abzugeben wage, so will ich mich unterfangen. Dir, lieber Festus (Apol- linaris), auf Deine Frage eine Antwort zu ertheilen. Ich be- haupte nämlich (nichtsdestoweniger), dass es ein (ganz gutes) lateinisches Wort ist, welches man in den Gedichten des Helvius Ginna (cfr. Gell. IX, 12, 12 NB), dieses sehr bekann- ten und ausgezeichneten t)ichters findet. Und nun führte er die betreffenden Verse desselben an, die ich hier beisetze, da ich sie gerade noch im Gedächtniss habe:

At nanc Oenumana per salicta

Bigis rMa rapit dtata nanis, d. h.

Nun im Galopp das Pony(-Stuten-)paar an dem Wagen

Führt durch (üppiges) Weidengebüsch dahin mich.

XIX, 14, L. [Dass M. Varro and F. Nigidias, die gelehrtesten Römer ihres Zeitalters , Zeitgenossen des Caesar nnd Cicero gewesen; dass des Nigidins Sammlungen (gelehrter Abhandlungen über grammatische Be- obachtongen, commentarii [grammatici] ) wegen ihrer Unverständlichkeit nnd Schlichtheit nicht (sehr) in die Oeffentlichkeit dringen (weil sie schon ein schärferes Urtheil voraussetzen).

XIX, 14. Cap. 1. Das Zeitalter des M. Cicero und des Gajus (Julius) Cäsar hatte (ausser Diesen) wenige Männer von hervorragender Beredtsamkeit aufzuweisen; allein zwei Männer besonders hatte es, welche (durch ihr encyclopaedisches Wissen) durch Verzweigung ihrer mannigfaltigen und ver- schiedenen Kenntnisse in Wissenschaften und Künsten, die ja den Inbegriff aller Verfeinerung und Gesittung der gesammten Menschheit bilden, als (zwei erhabene) Stützen und Säulen dastehen, (ich meine) den M. Van-o und den P. Nigidius. 2. Nun sind zwar des Varro schriftlich begründete Denkmäler von wissenschaftlichem und geschichtlichem Inhalt (wegen

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(464) XIX. Buch, 14. Cap., § 2—7.

ihrer ausserordentlichen Klarheit und Vei-ständlichkeit) all- gemein in die Oefifentlichkeit gedrungen und vielfach im Ge« brauch; 3. aber des P. Nigidius (grammatische) Notizen- sammlungen wollen (durchaus) keinen ähnlichen Anklang finden und werden wegen ihrer Unversttodlichkeit, ihrer schlichten, trocknen Kürze, gleichsam als wenig nützlich, un- beachtet gelassen. 4. Ganz so verhält es sich auch mit den Bemerkungen, in seinen Abhandlungen, die er (ganz speciell) „sprachwissenschaftliche (grammatische) '^ nennt und die ich ei-st vor Kurzem gelesen habe, woraus ich hier Einiges bei- spielsweise zur Erklärung (und Anerkennung) seiner Schreib- weise entlehnt habe. 5. Als er nämlich über das Wesen und die Stellung der Buchstaben^ welche die Grammatiker „Selbst- lauter (Vocale)" nennen, Erörteran^en anstellte, drückte er sich mit demselben Wortlaut aus, welcher hier folgt und den ich nur deshalb keiner weitläufigeren Erläuterung unterziehe, um dem eignen Urtheil der Leser nicht vorzugreifen. (Es heisst nämlich daselbst): 6. (Bei Doppellauten stehen a und 0 stets zu Anfang, aber i und u sind immer angefügt. Der Vocal e folgt bald, wie in Aemilius, bald geht er voran, wie in Euripus. Ein Irrthum ist es, wenn Jemand glaubt, dass folgende Wörter mit einem u anfangen, wie z. B. Va- lerius, Vennonius, Volusius (wo u Gonsonant ist und vau be- deutet) ; oder folgende mit einem i (als Gonsonant, gleich dem hebräischen jod), z. B. jampridem (schon längst), jecur (Leber), jocum (Spiel), jucundum (angenehm), denn diese beiden Buch- staben am Anfang sind hier (durchaus) keine Vocale (sondern Cousonanten). 7. Eine andere Bemerkung aus diesem Buche lautet also: „Mit der Zusammenstellung der Buchstaben n und g hat es noch ein anderes Bewandtniss, wie z. B. in folgenden Wörtern: „anguis" (Schlange); „angari" (Eilboten, ayyaQoq^ ein persisches Wort); und dann wieder in folgenden Wörtern: „ancoi-a" (Anker) und „increpat" (rauscht) und

XIX, 14, 8. Yers^. Gell. X, 5, 1; XYII, 7, 5KB über die oommen- tarii grammatici des NigidiuB, AbhandloDgen über grammatische Ob- servatioiieiL

XIX, 14, 6. ae und oe dem griechischen at und ot als Diphthonge mit zwei hörbaren Yocalen ausgesprochen.

XIX, 14, 7. S. Prisdan. I, 7, 39 p. 37 Kr.; Fab. Marias VictorinusL

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XIX. Buch, 14. Cap., § 7. 8. (465)

„incurrit" (anstürmt) und „ingenuus" (frei geboren), denn in allen diesen Wörtern ist es kein reines, eigentlich richtiges n, sondern ein vermischtes (d. h. palatinum, Gaumen-, Kehl-, Nasal-Laut); denn dass es nicht (der eigentliche, reine Zungen- laut) n ist, beweist sich durch die Zunge selbst, weil, wenn es der richtige Buchstabe (Halblauter) n sein sollte, die Zunge den Gaumen berühren müsste/ 8. An einer anderen Stelle heisst es: „Ich habe die Griechen (durchaus etwa) nicht des- halb eines so groben Unverstandes bezüchtigen wollen, dass sie für das u zwei Vocale (o und v) brauchen, nur weil die Unseren sich eine eben so grosse Ungereimtheit zu Schulden kommen Hessen, dass sie c (= et) aus* e und i (zusammen- gezogen sprechen und) schreiben. 'Das Erste musste man, zum Zweiten war man nicht gezwungen.*'

XIX, 14^ 8. Iphigenia, l(piyivHa und Thalia, GaUia, sprachen also €S. wie L Hie wurde froher heic geschrieben; quis firOher queis (=- quibos); die Accosatiyendnng omneis für omnis, später omnes und arteis ftr artis, später artes. Yergl. GeU. Xm, 21 (20), 1 NB.

O e 1 1 i Q 8 , Attisclie Näclit«. 11. 30

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XX. BUCH.

XX, 1, L. Unterredung zwischen dem Rechtsgelehrten «Seztus Caecilias und dem Weltweisen Favorin über die Gesetze der Zwölftafeln.

XX, 1. Cap. 1. Sextus Caecilius war hinlänglich berühmt durch seine theoretischen Kenntnisse, durch seine praktischen Erfahrungen und durch sein Ansehn in der Rechts- gelehrsamkeit und in Auslegung und Deutung (aller) Gesetze des römischen Volkes. 2. Als wir einst auf dem Vorhof des kaiserlichen Palastes warteten, um dem Kaiser (unsere Auf- wartung zu machen und) unsere Ehrerbietung zu bezeigen, trat zufällig der Weltweise Favorin (an den Caecilius) heran und Hess sich in meiner und vieler Anderer Gegenwart (mit ihm) in eine Unterhaltung ein. 3. Im Lauf ihrer Unter- haltung nun geschah der Gesetze von den Zehnmännem Erwähnung, welche diese zehn Männer auf Anordnung des römischen Volkes zur Aufstellung und Regelung ^der Gesetze (ejus rei gratia) für das Staats- und Privat- Recht abgefasst und in Zwölftafeln eingetheilt hatten. 4. Als Sextus Cae- cilius die Behauptung ausgesprochen, dass diese Gesetze eine auserlesene, wohlgeprüfte Gesetzsammlung aller möglichen Städte und mit gründlicher Genauigkeit und voll- endeter Kürze im Ausdruck abgefasst wären, versetzte

XX, 1, L. Yergl. über diesen Abschnitt: K Fr. Göschel „Zeratreate Bl&tter«'. Scbleus. 1885. U. Th. 8. 205 ff.

XX, 1, 1. Heber Sextus Caelius s. Tenffels Gesdu der rOm. Lit d56, S,

XX, 1, 3. S. GeU. XI, 18, L.NB und XVII, 21, 15; Tac AnnaL UI, 27, 1.

XX, 1, 4. Leges elegant! atque absoluta brevitate yerborum soiptae» yergL Diodor. Xn, 26: ßQax^tos xai än^QCtxots avyxeifiivri, S. Tenffels röm. Lit Gesch. § 84, 4.

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XX. Buch, 1. Cap., § 4—7. (467)

Favorin : Mit dem grössten Theile dieser Gesetze mag* es sich allerdings wohl so verhalten, wie Du sagst, denn ich habe selbst diese Zwölftafelgesetze mit nicht geringerem Eifer (und Interesse) durchgelesen, als jene berühmten zehn Bücher des Plato „über die Gesetze". Allein ich muss doch be- kennen, dass ich darin Manches gefunden habe, was mir ent- weder überaus dunkel, oder höchst hart (und grausam). Manches wieder, was mir dagegen entweder zu mild und zu nachgiebig, oder keineswegs so, wie es geschrieben steht, aus- führbar und stichhaltig (consistentia) erschienen ist. 5. In Bezug auf die dunkeln Stellen, erwiederte Sextus Gaecilius, möchte ich durchaus nicht die Schuld auf Rechnung der Ver- fasser wälzen, als vielmehr auf die Unwissenheit derer (Leser), die sie nicht verstehen, obwohl auch selbst diese, welche das Geschriebene nicht recht (mehr) verstehen, eigentlich (billiger Weise) ebenfalls auch wieder zu entschuldigen sind. 6. Denn durch die Länge der Zeit hat die damals gebräuchliche Aus- drucksweise, haben die damals üblichen Sitten und Gebräuche allerhand Abänderungen erlitten, unter welchen Verhältnissen der Sprache und Sitten (dieser Gesetzesbuchstabe) der Sinn und Inhalt dieser Gesetze abgefasst wurde. Im SOOsten Jahre nach Erbauung der Stadt Rom wurden die Tafelgesetze zu- sammengestellt und aufgeschrieben, von welcher Zeit an bis auf den heutigen Tag nicht viel weniger als beinahe auch schon wieder 700 (wohl nur 600) Jahre verflossen sind. 7. Was aber kann in diesen Gesetzen wohl als ein harter, gefühlloser Erlass angesehen werden? Man müsste denn das für ein hartes Gesetz erkennen, welches einen auf recht- mässige Weise besteUten, eingesetzten Richter, oder unpar- teiischen Schiedsmann, dem bei seiner Entscheidung nach-

XX, 1, 6. Vergl. GeD. XYII, 21, 15; Liv. m, 44—58. Da Gemos wohl zur Zeit des Antoninus dies schrieb, «raren ohnge&hr 900 Jahre seit Roms Erbaanng yerflossen, also bleiben nur 600 übrig, nach Abzug der 300.

XX, 1, 7. S. GeU. XI, 18, 7; Mos. et rom. leg. CoUat YII, 2. 8; IL Moses (Exodus) cap. 22, 2. 8. Nach dem römischen, griechischen und mosaischen Gesetze konnte ein nächtlicher Dieb Iv (itvxoiftoqi(}^ i. e. in manifeste Ton dem Gegner, der sein Eigenthum yertheidigte, getödtet werden, was beim furtum diumum nur ausnahmsweise erlaubt war.

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(468) XX. Buch, 1. Cap., § 7 - 11.

gewiesen werden kann, dass er sich hat bestechen lassen, (sein Vergehen) mit dem Kopfe (Tode) büssen liess, oder welches einen (ertappten) offenbaren Dieb der Knechtschaft des Be- stohlenen überlässt, den nächtlichen Dieb aber rechtlich er- laubt zu tödten. 8. Sag', ich bitte Dich, sag' mir doch, Du aller (Gerechtigkeit und) Weisheit beflissener Mann, ob es nicht auch Deine feste Ueberzeugung ist , dass die Treulosig- keit eines solchen Richters» der, allen göttlichen und mensch- lichen Satzungen zuwider, seinen (heiligen) Eidschwur fiir Geld feil hält, oder ob die unerträgliche Dreistigkeit eines offenbar überwiesenen, augenscheinlichen Diebes, oder die heimtückische Gewaltthätigkeit eines nächtlichen Wegelagerers nicht (mit vollem Rechte) die Todesstrafe verdiene? 9. Veiv schone mich, sagte Favorin, damit, über solche Fragen meine Meinung zu sagen. Du weisst ja, dass ich (als Akademiker, vergl. Gell, XI, 5, 3) gemäss den Grundsätzen meiner Secte, der ich zugethan bin, mich mehr auf Untersuchungen, als auf Entscheidungen einzulassen pflege. 10. Allein das ganze rö- mische Volk kann doch gewiss nicht für einen leichtsinnigen und keineswegs zu unterschätzenden Richter gelten, welchem alle diese Vergehungen zwar strafwürdig erschienen, die darauf gesetzten Strafen aber allzuhart vorkamen, denn es hat sich ja geduldig gefallen lassen, dass diese Gesetze, eine so über- mässige Strafe betreffend, als vermodert und veraltet ausser Kraft traten und ausstarben (emori). 11. So wie es auch jene grausam rohe Verordnung stark missbilligte; dass, wenn Jemand, der vor Gericht gerufen worden, von Krankheit oder vom Alter sehr angegriffen war, also sich zu schwach fühlte, hinzugehen, ihm nicht ein Wagen (zurecht gemacht und) geliefert wird, sondern er selbst sich aufmachen und auf ein (Saum-) Thier sich setzen lassen muss und so aus seinem Hause vordenPraetor*)(= Consul) an den Gerichtsort zum

XX, 1, 11. Ein Wagen (arcera) b. die Erkl&ning davon Gell. XX, 1, 29. Der Gerichtsort war der offene Marktplatz oder das Gomitiani nach dem Grundsatz der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit beim Griminal- verüfthren. S. Aue. ad Herenn. 2, 13, 30; Plaut. Poen. III, 6, 12; Varro L L V, 155 (p. 154 Sp.).

XX, 1, 11. *) Praetor. Nach Vertreibung der Könige wurde Zweien das Imperium consulare (gewissermassen das coUegiaUsche) im Gegensatz

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XX. Buch, 1. Cap., § 11 13. (469)

Verhör auf diese (ungewöhnliche) neue Art der Beerdigung (gleichsam als eine lebendige Leiche) gebracht wird. Denn wodurch soll man es entschuldigen können, dass Einer, der durch Krankheit entkräftet und also nicht in der nöthigen Verfassung ist, in eigener Person (zur Gerichtsstätte sich zu verfügen und) den nöthigen Bescheid vor Gericht zu geben, auf ein Saumthier geladen, auf Veranlassung der Gegenpartei zur Gerichtsstätte gebracht werden darf? 12. In Betreff meiner fiiiheren Bemerkung aber, dass einige viel jm gelind zu sein scheinen, kommt Dir nicht auch das allzu schwach und gelind und gleichsam verwaschen (dilutum) vor, was in Be- treff der Ahndung (und Bestrafung) einer Beleidigung (und Körperbeschädigung, injuria) folgende Verordnung enthält: „Wer seinem Nebenmenschen eine Beleidigung (Körper- schädigung) zufügt, soll zur Busse 25 Asse erlegen." Denn wer ist wohl so mittellos, dass ihn 25 Asse von der ver- sucherischen Lust, (im Uebermuth) Andern eine Beleidigung zuzufügen, abschrecken sollten? 13. So erzählt uns auch euer (grosser) Rechtsgelehrter Q. Labeo da, wo er in seinen ■Erklärungsschriften zu den Zwölftafelgesetzen, geregentlich gerade dies Gesetz missbilligt, folgenden interessanten Fall: Lucius Veratius war ein ausserordentlich unverschämter Mensch und von entsetzlich ruchloser Bosheit. Dieser machte es sich zur besonderen Kurzweil, fi-eigeborenen Menschen mit seiner flachen Hand (muthwilliger Weise gern) Maulschellen zu ver- abreichen. Dabei folgte ihm überallhin immer ein Sklave mit einem Beutel voll solchen Kleingeldes und von diesem

znm Imperium regium yerliehen. .Die Inhaber dieses imperium wurden als Vorsteher des Staates praetores genannt, Gic. de legg. 3, 3, 8; Liy. 8, 55; 7, 3; 30, 43; Fest 161; Paul. 223; Plin. 18, 3, 12; QeU. XI, 18, 8; Lange rOm. Alterth. § 08 p. (424) 496.

XX, 1, 12. Mos. et Rom. L^. Collat n, 5; Fest p. 363, 4, M.; G%jus m § 223; Dig. 47, 10, 7 § 8 u. L. 8; Cod, Just 4, 4, 9.

XX, 1, 13. S. GeU. I, 12, 1 u. 18NB und VI (VII), 15, 1. Dia eigentlidien Richter sind die judices. Die recuperatores dagegen waren ausserDrdentliche Richter för summarische Rechtssachen. Einen anderen Gegensatz bUdeten die arbitri, die von der Obrigkeit besteUten, ordentlichen Richter. Favorin spricht nur von den Recuperatoren in den Injurien -Processen, welche die allzugrosse Nachsichtigkeit der Zwölf- tafelgesetze nOthig gemacht hätte.

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(470) XX. Bach, 1. Cap., § 13—16.

Hess er Jedem, den er abmauschellirt hatte, sofort die in dem Tafelgesetz darauf gesetzte Strafe (d. h. die besagten) 25 Asse ausziAIen. Deshalb, fQgte Favorin hinzu, fanden sich später die Prätoren auch bewogen, diese Gesetzesbestimmung abzu- schaffen und sich nicht weiter danach zu richten, sondern verordneten die Ernennung und Einsetzung von Obmännern (recuperatores , d. h. Rechtsverhelfer) zur Beleidigungsab- schätzung (und Erkenntniss der Strafhöhe). 14. A^^iederum scheinen , einige unter diesen Gesetzen, wie ich bereits bemerkt, gar nicht rechtsbeständig durchführbar zu sein, wie z. B. das Gesetz von der Wiedervergeltung, welches, wenn mich das Gedächtniss nicht täuscht, wörtlich also lautet: „Hat Einer eines Anderen Gliedmassen verstümmelt und sich (deshalb) mit ihm nicht in Güte vertragen (und ausgeglichen), so soll ihm ein Gleiches geschehen." 15. Abgesehen von der Härte und rohen Grausamkeit einer solchen (erlaubten) Straf- (massregel) ist auch nicht einmal die (strenge) Durchführung einer ausreichend gerechten Wiedervergeltung denkbar. Denn gesetzt, es wäre also Einem ein Glied gebrochen worden und er wollte nun Diesem, nach dem Wiedervergeltungsrecht, eben so eins zerbrechen, iso frage ich, ob er bei einer solchen Gliederbeschädigung eine völlige, nach der Wage abgemessene Gleichheit in der Verletzung wird bewerkstelligen können? Dabei würde sich also gleich zu Anfang (wie Jeder einsehen muss) eine unüberwindliche Schwierigkeit einstellen. 16. Wo- fern nun aber Einer dem Anderen absichtslos ein Glied ge- brochen hat? Was nämlich in (offenbarer) Absichtslosigkeit (impinidentia, aus blossem Versehen) geschah, muss doch nun (unbedingt auch) in (aller) Absichtslosigkeit wieder vergolten (und ausgeglichen) werden; weil ja zufällige und vorsätzliche Verletzungen nicht unter dieselbe Kategorie, d. h. unter An- wendung auf gleichen Fall und Umstand, der Wiedervergeltung fallen (da dies sonst nicht als eine völlige gleiche Wiederver- geltung betrachtet werden könnte). Wie soll Einer es er- möglichen, die Absichtslosigkeit (imprudentem) nachzuahmen, wenn ihm bei Ausübung der Wiedervergeltung das Recht der

XX, 1, 14. S. Aristot. ethic. Nicom. V, 8; Festus p. 363 M, tÄlionis. Vergl. IL Moses cap. 21 v. 24.

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XX. Buch, 1. Cap., § 17—20. (471)

Absichtlichkeit und Yorsätzlichkeit nicht frei steht, sondern nur das der Absichtslösigkeit und Zufälligkeit (weil er das, was aus Versehen geschehen ist, auch nur wieder aus Ver- sehen soll vergelten dürfen, so dass also j4de Beimischung von Vorsätzlichkeit fem bleiben muss). 17. Im FaU nun aber die Verletzung auch wirklich absichtlich erfolgt wäre, braucht der Schuldige durchaus noch nicht zu leiden, dass ihm eine härtere und bedeutendere Beschädigung zugefügt werde. Wie dergleichen aber durch Wage oder Mass soll vorgesehen (oder verhütet) werden können, versteh' ich nicht ausfindig zu machen. 18. Nein, auch noch weiter (würden sich Schwie- rigkeiten bei Ausführung dieses Oesetzes herausstellen), ge- setzt nun, die Ausgleichung (des Schadens) hätte statt ge- funden, allein mehr oder anders (als die betreffende Partei erwartet hatte), so wird daraus wieder eine neue Art von lächerlicher Grausamkeit entspringen, welche die entgegen- gesetzte Berechtigung abwechselnder Wiedervergeltung (nur stets) erneuerte, und so würde sich eine gewisse Wechsel- seitigkeit des Wiedervergeltungsrechtes (und Anspruches) in seinem Umfange bis in^s Unendliche erweitem und erneuern. 19. Denn über jene (gesetzlich erlaubte) Grausamkeit, welche mehreren Gläubigem erlaubt, den Körper ihres Schuldners zu zerschneiden und unter sich zu theilen, wenn dieser Un- glückliche wegen seiner Geldschuld verurtheilt und jenen (Gläubigem) von den Richtem zugesprochen worden ist, mag ich gar nicht weiter nachdenken, und es erfüllt mich schon mit Widerwillen, diesen FaU überhaupt nur zu erwähnen. Denn was kann empörender und grausamer scheinen, was mit dem Wesen des Menschen mehr in grellerem Wider- spmche stehen , als dass man die Gliedmassen eines armen, mittellosen Schuldners durch Zerstückelung (bei lebendigem Leibe) verkaufen konnte, gerade so, wie man heut zu Tage ihre Güter zerstückeln (und verkaufen) kann. 20. Hier er- fasste Sextus Caecilius den Favorin mit beiden Händen und

XX, 1, 19. S. QuintU. m, 6, 84; Tertallian. Apolog. 4. Yieüdcht ist überhaapt die buchstäbliche Deutong der Worte dieses Gesetzes eine irrige, welches wahrscheinlich den Gläubigern nur die Gantniasse des Schuldners unter sich zu theilen erlaubte.

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(472) XX. Buch, 1. Cap., § 20—23.

sagte: Du, wahrhaftig^ bist in der Jetztzeit der einzigste und gründlichste Kenner nicht nur (aller) griechischen Vorgänge, sondern auch der römischen (Rechts-) Geschäfte. Denn welcher unter den Philotophen hat wohl die Lehrsätze seiner Schule so durch und durch inne, als Du unsere Gesetze der Zehn- männer genau kennst? 21. Allein ich muss Dich doch bitten, auf einen Augenblick von Deinem aicademischen Streitwagen herabzusteigen und einmal abzustehen von der euch beliebi- gen Neigung, je nach Gefallen etwas als irrthümlich hinzu- stellen, oder es in Schutz zu nehmen und (mit mir) jetzt recht ei-nstlich in Erwägung zu ziehen, wie es mit den Einzelheiten (dieser Satzungen) sich verhält, die Du Deine Tadel unterzogen hast; 22. auch verachte mir deshalb nur nicht gleich diese alterthümliche Gesetzsammlung, weil in vielen Stücken das römische Volk aufgehört hat, sich nach diesen Bestimmungen zu richten. Denn Du weist ganz sicher selbst recht wohl , dass die gesetzlichen zweckentsprechenden Hülfs- und Heilmittel, (wenn sie wirksam und heilsam sein sollen,) sich immer und immer wieder umwandeln und ver- ändern, je nach den Sitten der Zeit, je nach den Bedüi-fiussen und Entwicklungsstufen der Staatsverfassung, femer je nach den jedesmaligen Verhältnissen und Rücksichten in Bezug auf die Bedürfnisse der Gegenwart und endlich je nach den mancherlei Aufwallungen und dem Hange zu fehlerhaften Ausschreitungen, denen vorgebeugt und abgeholfen werden soll, und dass also (alle staatlichen Satzungen) nicht auf dem- selben Punkt und in derselben Beschaffenheit verharren dürfen, ohne durch die Strömung der Verhältnisse und des Zufalls (d. h. durch besondere Sturmperioden) nicht gerade so der Abänderung unterworfen zu sein, wie die Gestalt und das Aussehen des Himmels und des Meeres. 23. Was nun konnte z. B. wohl heilsamer scheinen, als jener Gesetzes- Vorschlag des Stolo, den Besitz einer vorgeschriebenen Anzahl von Hufen Landes betrefifend? Was nützlicher als der Gemeinbeschluss des Voconius, die Einschränkung von den Erbschaften der Weiber betreffend? Was hielt man einst für so nothwendig zur Abwehr der Ueberhandnahme

XX, 1, 23. üeber lex Voconia 8. Gell. VI (VH), 18, 3NB und

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XX. Buch, 1. Cap., § 28—27. (473)

bürgerlicher Prunkliebe und Vergnügungssucht, als die lici- nische und fannische Verordnung und desgleichen noch mehrere andere Aufwandsgesetze? Und doch sind sie alle in Vergessenheit gerathen und in den Schatten gestellt durch die ausserordentliche Wohlhabenheit des Staates, der gleichsam (wie ein wild aufgeregtes Meer) durch seinen Wogenschwall (Alles) ttberfluthet (und die Uifer durchbricht).

24. Aber warum dünkt Dich gerade dies eine Gesetz un- menschlich, was mir wenigstens nach meiner Meinung unter allen das allermenschlichste und rücksichtsvollste zu sein scheint (ich meine das Gesetz: „wenn Einer einen Andern vor Gericht fordert"), welches einem Kranken oder einem Hochbejahrten von Dem, auf dessen Veranlassung er vor Ge- richt ei*scheinen soll, ein Saumthier (jumentum) stellen lässt?

25. Es betrifft also die Gesetzesstelle: „wenn Einer einen Andern vor Gericht ruft**. Der (vollständige) Wortlaut der Stelle ist folgender: „Wenn Einer einen Andern vor Gericht ruft (so soll dieser unbedingt erscheinen); wenn er (aber) an Krankheit oder Alterschwäche leidet, so soll Der, welcher ihn vor Gericht ruft, ein Saumthier [oder Joch, jumentum] geben; will das Jener nicht (annehmen), so soll er ihm einen be- deckten Wagen [arcera] zu stellen nicht gehalten sein."

26. Oder meinst Du etwa, dass hier unter dem Worte: Krank- heit (morbus) eine schwere, lebensgefährliche ünpässlichkeit, verbunden mit heftigem Fieber und Schüttelfrost, zu ver- stehen sei, und unter dem Ausdruck: Saumthier (jumentum) allein ein einzelnes Lastthier gemeint sei, auf dessen Rücken man reitet? und du meinst also, dass es deshalb doch weniger menschlich gewesen sei, einen Kranken und Siechen, der zu Hause (eigentlich) das Bett hüten sollte, auf ein Joch zu setzen und so nach dem Gerichtshof hinzuschleppen ? 27. Nein, mein lieber Favorin, so verhält es sich keineswegs. Denn in

XYII, 6, 1. Ueber lex Licinia und Fannia b. 6eU. n, 24, 3 NB, Niemand sollte mehr als 500 Hufen (jugera) Landes besitzen« Nach Liy. 7, 17 war Stolo der erste, welcher sein eigenes Gesetz übertrat und deshalb bestraft wurde.

XX, 1, 25. S. Cic. de legg. n, 28; Horat Serm. I, 9, 76; Non. MarceU. I, 20 p. 486.

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(474) XX. Buch, 1. Cap^ § 27—30.

diesem Gesetze ist nicht die Rede von einer mit Fieber ver- bundenen oder sonstigen gefährlichen Krankheit, sondern von einem Leiden an Kräftemangel und Siechthum; keineswegs aber, wo sich eine Gefahr für's Leben herausstellt. Uebrigens benennen die Verfasser jener Gesetze an einer andern Stelle eine schon heftigere Krankheit, welche (leicht) einen gefähr- lichen Ausgang nehmen kann, nicht (schlechtweg) an und für sich mit dem (einfachen) Worte : Krankheit (morbus), sondern : morbus sonticus (d. h. bedenkliche, gefährliche Krankheit)* 28. Auch hat das Wort „jumentum'^ d. h. Joch, nicht allein die Bedeutung, die man ihm jetzt giebt, sondern bedeutet (geradezu) auch einen Wagen (vectabulum), welcher von vor- gespannten Zugthieren (junctis pecoribus) gezogen wurde; denn unsere Alten bildeten das Wort „jumentum" von „jüngere*' (binden, zusammenspannen, koppeln), also gleichsam (Koppel-) Gespann. 29. „Arcera" aber hiess ein von allen Seiten be- deckter und wohlverwahrter (siechkorbaitiger) Wagen, gleich- sam eine mit Decken und Teppichen wohlverwahrte Arche, worin sehr gebrechliche und altersschwache Leute bequem liegen und fortgeschafft werden konnten. 30. Welche Härte und Grausamkeit scheint Dir nun also noch in diesem Gesetze enthalten zu sein, wenn die Gesetzgeber die Bestimmung vor- sahen, einem armseligen oder hülflosen Menschen, der viel- leicht schwach und krank auf den Füssen war, oder wegen eines anderen Zufalls sich (persönlich) nicht einstellen konnte, dass ihm dann, wenn er vor Gericht gefordert worden war, einWagen(plostrum)*) zugeschickt werden musste ? Wenn gleich dabei auch nicht gesagt ist, dass sie verordneten, einen ganz prächtig und bequem (delicate) eingerichteten Wagen zu stellen, weil ein beliebiges (bequemes) Fuhrwerk jedem

XX, 1, 28. Jumentum s. Noniua I, 54; Varro 1. L V, 140.

XX, 1, 29. Arcera s. Nonius I, 55; Varro L L Y, 135.

XX, 1, 30. *) plostnim plaastmm. Au und o wechseln in einigen Wörtern, z. B. plaudo, plodo, Claudios, Clodius, lautns, lotns, und aa wird wie bei den Franzosen o ausgesprochen. Der Rathsherr Menstnius Florus hatte einst dem Yespasian gesagt, er dürfe nicht plostnim, sondern müsse plaustrum sprechen« Als ihm darauf Yespasian einmal wieder be- gegnete, so rief er ihm spottweise zu: lieber Flaurus, statt Florus.

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XX. Buch, 1. Cap., § 80—34. (475)

gebrechlichen Menschen (als Beförderungsmittel) schon hin- länglich genfigen kann. Und dies verordneten sie deshalb, damit die (Ausrede) Yorschfitzung und Entschuldigung mit Eörperkrankheit nicht einen fortwährenden Ginind zum Aus- bleiben abgeben möchte fQr Die, welche (gern) sich jeder rechtlichen Verpflichtung zu entziehen und gerichtliche Ver- sammlungen und Teimine zu umgehen (und abzulehnen) suchen. 31. Allein fasse dies an und fbr sich selbst (mit mir einmal) in's Auge. Zugefügte Beleidigungen (und Eöiperverletzungen) bestrafen mit 25 As (heisst es in dem Gesetze). Jedoch nicht alle (solche) Beleidigungen im Allgemeinen Hessen sie mit einer so niedrigen Geldstrafe ablösen und abbttssen (wie Du irriger Weise glaubst), mein lieber Favorin, obwohl unter dieser geringen Anzahl von As die schwere grosse Goldmünze (das Pfund- As) zu verstehen war, denn zur damaligen Zeit waren im Staate die pfundigen (d. h. die 1 Pfund schweren) Asse gebräuchlich. 32. Allein stärkere (Beleidigungen und) Körperverletzungen, z, B. wegen eines zerbrochenen Beines, gleichviel ob sie einem freien Manne, oder einem Sklaven zugefügt worden waren, ahndete man mit einer viel höheren Geldbusse. 33. Bei einigen Beleidigungen bestimmte man aber auch sogar das Recht der Wiedervergeltung. Dieses Wiedervergeltungsrecht hast Du, verehrtester Mann, zwar kurz vorher unbilliger Weise angegriffen und mit Deiner liebenswürdigen , geistvollen Sprachgeschicklichkeit getadelt und hast die Bemerkung fallen lassen, dass es nicht einmal stichhaltig und durchzuführen sei, weil es (Ausgleichung gegen Ausgleichung, d. h.) eine vollständig gleichmässige Wieder- Vergeltungs-Ausgleichung nimmermehr geben könne und weil (also) eine ähnliche (giöbliche) Körperverletzung bis zur völ- ligen wagerichtigen Gleichheit durch Wiederverletzung (und Revanchenahme) am Thäter, wie Du sagst, nicht würde mög- lich werden können. 34. Du hast ganz recht, lieber Favorin, dass eine (vollständige) Ausgleichung höchst selten und nur mit der grössten Schwierigkeit wird herzustellen sein. Allein die gesetzgebenden Zehnmänner wollten überhaupt nur durch dieses Gesetz der Wiederveigeltung dem allerwärts möglichen frevelhaften Muthwillen thätlicher Beleidigung und Verletzung Einhalt gebieten und vorbeugen und hatten die Ueberzeugung,

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(476) XX. Buch, 1. Cap., § 34—37.

dass die Menschen durch die Furcht (vor den schrecklichen Folgen des Wiedervergeltungsrechtes) im Zaum gehalten wer- den müssten; auch war es nicht ihre Meinung, so ganz ge- naue Rücksicht zu nehmen auf Den, der einem Andern eine körperliche Beschädigung zugefügt hatte und sich trotzdem doch nicht von der Wiedervergeltung loskaufen wollte, dass^ mochte nun die Beschädigung wissentlich oder unwissentlich geschehen sein, sie darauf sehen zu müssen glaubten, wie sie die Wiedervergeltung an dem Thäter entweder gewissenhaft nach der Schnur abmessen, oder genau auf der Wage abwägen sollten: denn es kam ihnen (bei Abfassung des Gesetzes) vielmehr nur darauf an, nicht auch noch Zufälligkeiten in Erwägung zu ziehen, sondern (bei dem Beschädigten) in die- sem Falle der körperlichen Wiederverletzung des Beleidiger» nur eine ehrliche Absicht und Neigung vorauszusetzen (dem Beleidiger die Beleidigung nur in gleichem Maasse entgelten zu lassen), weil man die massvolle Einschränkung des Willens- zwar zu verbürgen im Stande sei, den Zufall bei einem Stos& (oder Schlag und Hieb) Niemand in seiner Gewalt habe» 35. Wenn sich dies nun so verhält, wie ich sagte, und wie das Verhältniss der Billigkeit (und Gerechtigkeit) es bestätigt, so waren vorher Deine Bemerkungen über die (möglicher Weise) wechselseitig wiederkehrenden Wiederver- geltungs- Ansprüche doch sicher mehr spitzfindig, als auf Wahrheit gegründet. 36. Verhan-st Du aber dennoch bei Deiner vorgefassten Meinung, dass diese Strafart auch hart und grausam sei, so bitte ich Dich, zu bedenken, worin wohl die Absonderlichkeit dieser Gesetzesstrenge besteht, wenn man Dir nur (mit Recht) dasselbe thun kann, was Du doch (ungescheut) einem Anderen angethan hast (si idem fiat in te^ quod tute in alios feceris)? Zumal da Dir auch noch die Möglichkeit geboten ist. Dich mit dem Andei*en zu vergleichen und abzufinden, und Du nicht nöthig hast, dieses Wieder- vergeltungsrecht über Dich ergehen zu lassen, wienn Du Dir (aus Hartköpfigkeit) dasselbe nicht selbst erwählst. 37. Was für ein prätorisches Edict hältst Du nun aber in Betreff der Beleidigungsabschätzung für löblicher und zweckdienlicher? Auch möchte ich nicht, dass Du Dir dabei verhehlst, dass dieses Wiedervergeltungsrecht unbedingt und nothwendiger

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XX.. Buch, 1. Cap., §87—41. (477)

Weise nur nach (gewissenhafter) richterlicher Abschätzung in Ausübung gebracht zu werden pflegt. 38. Denn wenn der Beklagte, der sich (mit dem Beleidigten oder Beschädigten) nicht hatte gütlich vergleichen wollen, nun gar auch noch keine Anstalt traf, dem die Wiedervergeltung anordnenden Bichter sich zu fügen, so verurtheilte der Bichter, nach Ab- schätzung des Streitobjects, die beklagte Person zu einer Geld- sti-afe, und so beschränkte, wenn dem Beklagten theils das Abkommen zu hart erschienen war, theils auch das Wieder- vergeltungsrecht als zu streng vorkam, sich die Gesetzes- strenge auf die Geldbusse. 39. Nun bleibt mir nui* noch übrig. Dir auf die Ansicht zu antworten, dass Dir das Gesetz bezüglich der Zerschneidung und Theilung des Körpers von dem Schuldigen, als zu grausam und unmenschlich erschienen ist. Durch gewissenhafte Ausübung und strenge Beobachtung aller Arten von Tugenden hat sich das römische Volk vom kleinsten Ursprung bis ziun Gipfelpunkt einer so grossen Machtvollkommenheit emporgeschwungen, aber vor allen Dingen vorztTglich und hauptsächlich dadurch, dass es Treue und Glauben streng beobachtete und sowohl gegen den ein- zelnen Menschen, als auch im Allgemeinen hoch und heilig hielt. 40. So hat das römische Volk (oft) selbst seine Con- 8uln*), seine hervorragendsten ehrenwerthesten Männer, zur Bestätigung seines gegebenen öffentlichen Wortes in Fein- deshänden gelassen, und so erachtete es auch für drin- gend, den in Schutz genommenen Hörigen**^) (dienten) werther und theurer zu halten, als selbst die eigenen näch- sten Angehörigen und sogar gegen Blutsverwandte in Schutz zu nehmen, und es galt kein Verbrechen für schändlicher, als wenn Einem konnte nachgewiesen werden, seinen Hörigen (Clienten) Gewinnes halber der üebervortheilung Preis ge- geben (ihn mit Trug umstrickt und dem Spott und der Be- leidigung blossgestellt) zu haben. 41. Allein diese Treue (das einmal gegebene Wort) verordneten unsere Vorfahren nicht nur bei gegenseitigen Verpflichtungen, sondern auch bei Ver-

XX, 1, 40. •) Vergl. GeU. XVn, 21, 86. **) Vergl. GeU. V, 18, 2. 4; Dion. 2, 10; Plat. Rom. 18. Gegen den Clienten brauchte ein Patron nie ZeugniBS abzulegen. 8. Lange röm. Alterth. § 42 p. (186) 216.

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(478) XX. Buch, 1. Cap^ §41—45.

trägen in Privat- und Staatsangelegenheiten als heilig und unverbrüchlich, besonders aber (in Geldangelegenheiten, d. h.) bei dem im Handel und Wandel geliehenen Gelde. Denn sie meinten, dass dieses Schutz- und Zufluchtsmittel, dessen das Leben eines Jeden im Allgemeinen bei (eintretender) zeitweiser Mittellosigkeit (und bei vorkommendem Mangel an baarem Gelde höchst nöthig bedarf und unmöglich ent- behren kann, (dem Verkehr) ganz würde entzogen werden^ wenn die Treulosigkeit und Wortbrüchigkeit der Schuldner ohne harte Ahndung (ihr Spiel treiben und) schadlos durch- schlüpfen könnte. 42. Den wegen einer bereits anerkannten Geldschuld Verurtheilten wurden SO Tage Zeit g^eben zur Auftreibung der Schuldsumme, welche sie abzutragen hatten, 48. und diese (30) Rechtsfrist-Tage nannten die Decemvim die gesetzmässigen (justi), also gleichsam einen Zeitraum der Gerichtshemmung (Justitium, i. e. juiis stitium, von jus und sisto), d. h. gleichsam einen Stillstand und ein Ruhen des Processes unter den Parteien, während welcher Zeitfrist mit dem Beklagten auf Grund dieses Rechtsverhältnisses vor der Hand kein weiterer Anspruch angestrengt werden konnte;

44. wenn aber (nach Ablauf dieses Teimines) sie die Schuld noch nicht in Ordnung gebracht hatten, so wurden sie vor den Praetor bestellt und von diesem den Gläubigem, denen sie zugesprochen worden waren, feierlich in aller Form des Rechts überantwortet und konnten sogar auch mit Ketten und Banden gefesselt (in die Knechtschaft abgeführt) werden.

45. Die Gesetzesworte lauten, glaub' ich, so: „Hat Einer die Schuld eingestanden und ist solche zu Recht gespi*ochen (d. h. hat die Verurtheilung in Rechtsform stattgefunden), so soll er 80 gesetzmässige Tage (Frist zur Abtragung der Schuld) haben.

XX, 1, 42. Vergl. GeU. XV, 9, 10; XV, 18, 11; Savigny röm. R Bd IV p. 467. Die Zwölftafeln geben jedem yemrtheilten Sdioldner 80 Tage Zeit zur Zahlung und diese Regel war noch zur Zeit der klassischen Juristen in voller üebung.

XX, 1, 44. Vergl Liv. VIII, 28 am Schluss.

XX, 1, (42 u.) 45. Sayigny röm. IL Bd. Vn p. la Die Wirkung des gerichtlichen Geständnisses schliesst sich an die Wirkung des rechts- kräftigen Urtheils, und kann zusammengefasst werden in dem Ausdruck: confessio pro yeritate acdpitur. Der angestellte wichtige Grundsatz Ober

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XX. Bach, 1. Cap., § 45—48. (479)

Nach Ablauf derselben soll Hand an ihn gelegt und er vor das Gericht gebracht werden, wenn er diesem Rechtserkenntnisse nicht Folge leistet, oder Einer vor Gericht sich (nicht) für ihn verborgt, soll er (vom Gläubiger) abgeführt werden können und kann gebunden werden, entweder mit einem Riemen, oder mit 15 Pfund schweren Fusschellen, nicht darunter, aber so jenier (Gläubiger) es will, auch mit schwe- rerem. Will er (der Schuldner) es, kann er auf eigene Kosten leben ; will er sich nicht selbst beköstigen, so soll ihn Der, der ihn in Fesseln halten lässt, täglich ein Pfund Mehl reichen lassen müssen. Will er, so darf er ihm auch mehr verabreichen lassen/' 46. Indessen stand aber dem Schuldner das Recht zu, sich mit dem Gläubiger zu setzen (zu vergleichen) und kam kein Vergleich zu Stande, so dauerte die Gefangenschaft Tage fort. 47. Innerhalb dieser 60 Tage wurde er (der Schuld- ner) an drei unmittelbar hinter einander folgenden Markttagen vordenPraetor(== Consul) an Gerichtsstelle geführt und es wurde öffentlich bekannt gemacht, einer wie grossen Schuld halber er war verurtheilt worden. Allein am dritten Markt- tage verurtheilte man ihn zum Tode, oder er konnte (von dem Gläubiger) Jenseits der Tiber über Land (d. h. ausserhalb der Stadt auch) als Sklave verkauft werden. 48. Von Seiten der Gesetzgeber wurde, wie ich bereits bemerkte, diese, durch ihr- zur Schautragen der höchsten Strenge, so entsetzliche

die Kraft des gerichtlichen Geständnisses des Beklagten hat seine Quelle in der hier angeführten Vorschrift der Zwölftafeln zu suchen, also in dem Geständniss einer bestimmten Geldschuld: aeris confessi etc. worin das Gestftndniss dem rechtskräftigen ürtheil an die Seite gesetzt wurde, VergL Gell. XV, 13 11. Manus injectio vergl Plaut. Cure. V, 2, 23H27; Persa IV, 9, 8—10; Hör. Sat. I, 9, 74—78 und Porphyr, zu Hör. Sat I, 9, 65; Festus 318, 7 M,;2 G^us IV, 21—25. Lange röm. AlterthOmer § 38 p. (154) 180: „Die 'durch manus injectio entstehende Gewalt unterscheidet «ich von der, die durch Mandpation entsteht, da- durch, dass der Gewalthaber ein Recht nicht blos an dem Erwerb, sondern auch an die Person des ihm Unterworfenen hat

XX, 1, 47. Nundinae (für noyendinae, nono quoque die, d. h.) alle 8 Tage (oder jeden neunten) wiederkehrenden Tage dienten den Land- bewohnern dazu, ihre Waaren und Erzeugnisse nach der Stadt zu bringen und ihre sonstigen Angelegenheiten zu besorgen. S. Lange röm. Alterth. S 51 p. (264) 314. Vergl. § 11 NB dieses Abschnittes fiber den Praetor.

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(480) XX. Buch, 1. Cap., § 48—58.

und durch ihre aussergewöhnlichen Schreckmittel (geheimes) Grauen erweckende Verfügung der Todesstrafe nur (als ein äusseres Schreckbild) erlassen zur Heilighaltung der Treue und des gegebenen Wortes. Waren jedoch mehrere Gläubiger vorhanden, denen der beklagte Schuldner war zugesprochen worden, so wurde den Gläubigem von Gesetzes w^en erlaubt, den Leib des ihnen zugesprochenen Schuldners zu zerschnei- den, wenn sie wollten, und unter sich zu vei-theilen. 49. Und damit Du nicht glaubst, ich fQrchte wegen ihrer Gehässigkeit etwa Deinen Vorwurf, will ich Dir gleich die betreffenden Ge- setzesworte selbst anführen; sie lauten: „Am dritten Markttage mögen sie ihn (den Schuldner) in Stücke zerschneiden: mögen sie ihn dann nun aber in grössere oder kleinere Stücke zer- schnitten haben, soll ihnen das ohne Gefährde sein und nicht zur Schuld angerechnet werden (se fraude esto).'' 50. .Es könnte freilich nichts Grausameres und Unmenschlicheres ge- dacht werden (als diese Verordnung), wenn dieses ungeheuer- liche Strafgesetz nicht in der alleinigen Voraussicht, wie es doch ganz offenbar ist, laut und drohend verkündet worden wäre (und man nicht gleich angenommen hätte), dass man es nie dahin würde kommen lassen (dasselbe wirklich in An- wendung bringen zu sehen.) 51. Und doch ist die Schlechtig- keit heutigen Tages so weit gediehen, dass wir sehr oft Schuldner (ihren Gläubigem) zugesprochen und in Fesseln er- blicken, weil sie sich aus der Strafe (und Schande) der Fesse- lung gar nichts mehr machen. 52. Ich habe aber auch weder gelesen, noch gehöit, dass in alten Zeiten irgend wer (Schul- den halber) sei zerstückelt worden; weil die Grausamkeit und Häi-te einer solchen stra^esetzlichen Drohung unmöglich konnte (ohne Eindmck bleiben und) verachtet werden. 53. Oder glaubst Du wohl, mein lieber Favorin, wenn man nicht auch jenes (andere) Strafgesetz wegen falscher Zeugenaus- sagen aus den Zwölftafelgesetzen (abgeschafft und) in Ver- gessenheit gerathen lassen hätte, oder, wenn auch heutigen Tages noch, wie früher. Einer, der falsch Zeugniss abgelegt zu haben überfühi-t worden ist, vom tarpejischen Felsen herabgestürzt würde, dass (dann) immer noch so Viele (lägen und) falsches Zeugniss ablegen würden, wie wir sie jetzt zu sehen bekommen? Denn von jeher ist Häi-te und Strenge bei

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XX. Buch, 1. Cap., §53-55.-2. Cap., § 1. (481)

Bestrafung der Frevelthaten daä beste Znchtmittel (disciplina") und die beste Anweisung zu einem guten und geziemenden Lebenswandel gewesen. 54. Auch ist mir die Geschichte von Mettus Fuffetius Albanus durchaus nicht unbekannt geblieben, obgleich ich nicht viele Geschichtsbücher lese, der, weil er seinen mit dem König des römischen Volkes (Tullus Hostilius) abgeschlossenen Vertrag und seine Zusage treulos gebrochen hatte, gebunden, durch zwei nach entgegengesetzten Bichtungen angetriebene Viei*gespanne zen-issen (d. h. gevier- theilt) wurde; eine schreckliche und grausame Bestrafung, wer leugnet das? Allein bedenke, was* unser herrlichster Dichter (Vergil. Aen. VIII, 643) sagt:

Ach! h&tfst Du Albaner beharrt in der «Treue.

55. Während Sextus Caecilius in unserem Beisein Dies und Dergleichen mehr und unter lautem Beifall und Lob des Fa- vorin vorgetragen hatte, geschah die Meldung, dass der Kaiser nun (Aufwartung und) Besuch empfange, und so schieden wir aus einander.

XX, 2, L. Was wohl die Bedeatang sei des in der Rede des M. Cato gebraachten Wortes: „siticines" (Leichenbläser, Leicbenmnsikanten).

XX , 2. Cap. 1. Der Ausdiiick „siticines" steht in der Bede des M. Gate geschrieben, welche den Titel fühi*t: „Die Macht der alten Behörde ist nach Antritt der neuen zu Ende.*" Da kommen die Ausdrücke vor: „Siti eines (LeichenBläser)

XX, 1, 54. Mettus Fuffetius, H&uptling der Albaner, der im Kriege mit Bom unter dem dritten Könige TuUus Hostilius der Sage nach den Vorschlag that, den Streit durch einen Zweikampf zu entscheiden, wobei Drillinge von beiden Seiten kftmpften, von römischer Seite die Horatier, von albanischer Seite die Curiatier. Der Sieg ward den Römern. M. Fuffetius, Yerrath sinnend und die geheime Absicht hegend, die Albaner wieder frei zu machen, wurde deshalb später auf Befehl des T. Hostilius von Pferden zerrissen. Liv. I, 23, 28; Dionys. Halic. III, 41; Tai. Max. VE, 4, 1; Flor. I, 3, 7. 8; Polyaen. VIIL 5; Frontin Stratagem. II, 7, 1; Aurel. Vict n, 7, 1; Claudian. cons. IV. Honor. IV, 402 und de bell. Gild, 254; Orosius II, 5; Plutarch: Parallelen gr. und röm. Geschichten 7.

XX, 2, 1. Sitidnes, s. Non. p. 54, 26, bestanden aus Tuba-, Hom- und Flötenbläsern. Ihre Zahl wurde durch die Zwölftafebi auf zehn beschränkt. Vergl. Cic. de legg. II, 23, 29. Metallinstrumentalisten, liticines ß. Varro 1. 1. IV, 16, extr.; Ammian. 14, 2; Stat. Silv. 4, 7, 19.

Gel lins, Attische Nächte, ü. 31

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(482) XX. Buch, 2. Cap., §1—3.-8. Cap., § 1 3.

und „liticines'' (Zinkenbläser) und „tubicines'' (Trompeten- Tuba-Bläser)"*. 2. Allein Caesellius Vindex gesteht in seiner „Erläuterungsschrift alter Ausdrücke'', dass er zwar sehr wohl wisse, dass „liticines*' Leute hiessen, die Zinken blasen und „tubicines'' solche, die Trompete (oder Tuba) blasen; was das aber für ein Instrument sein solle, auf welchem die ,,Siticines'' blasen, gesteht er mit offenherziger Aufrichtigkeit zu, nicht zu wissen. 3. Ich habe aber in des Capito Atejus „Notizensammlung'' gefunden, dass Diejenigen „siticines" ge- nannt wurden, welche bei einer Leichenbestattung zu musi- ciren pflegten (apud sitos canere soliti), d.h. bei aus dem Leben Geschiedenen und am Grabe der Verstorbenen (apud vita functos et sepultos) und dass diese Musiker eine eigene Art von Tuba hätten, worauf sie bliessen, ganz verschieden von den anderen Tubabläsem.

XX, dt L. Weshalb der Dichter L. Accins in seiner Sammlung „nützlicher und belehrender Aufschlüsse (in pragmaticis)'* dasWori: „sicinnista" (Tänser des Sicinnium) für einen dunklen und schwer verständlichen Ausdruck

gehalten hat

XX, 8. Cap. 1. Diejenigen, welche man im gewöhnlichen Leben mit dem Namen : „sicinnistae'* belegt, werden von den Sprachgebildeteren mit einem doppelten n (geschrieben und) ausgesprochen. 2. „Sicinnium^' ist nämlich eine Ai-t alten Tanzes. Und während man (fi'üher) beim Singen fort und fort Tanzbewegungen machte^ bleibt man jetzt während des Gesanges stehen. 3. Der Dichter L. Accius hat sich dieses Wortes in seinen „(geschichtlichen) belehrenden Aufschlüssen (in pragmaticis)" bedient und sagt, dass die „sicinnistae'^ einen dunklen Namen führten, und ich glaube, dass er den Namen deshalb dunkel (nebulosum) nennt, weil ihm die Ab- stammung des Wortes „sicinnium" unbekannt (und deshalb nicht verständlich) war.

XX, 8, L. Ueber L. Accius s. Gell. II, 6, 23 NB. atxiwt^, ein dem satyrischen Drama eigener Tanz, der sich durch schnelle, aber ein- fache und ungekünstelte Bewegungen auszeichnete. Aristoteles 7i€qI /o^<oy bei Athen. XIV, 630 B; vergl. Athen. I, 20 f.

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XX. Buch, 4. Cap., §1—3.-5. Cap., § 1. (483)

XX, 4, L. Diiss es nnehrbar und schimpflich sei, Neigang and Umgang

mit Schauspiel -Künstlern za pflegen, and die daraaf bezüglichen Worte

des Philosophen Aristoteles.

XX, 4. Gap. 1. Ein reicher Jüngling, Schüler des Philo- sophen Taurus, fand seine grösste Lust und höchstes Ergötzen am Umgang mit ungebundenen Leuten, wie z. B. Possen- reissem, Schauspielern und Flötenbläsem (tibicines, Musi- kanten). 2. Diese Art von KünsÜem wurde auf griechisch : Ol TiBqi tbvjiowaov TExvlxai^ Bacchuskünstler (d.h. ohngefähr: theatralische Bühnen-Künstler, Tonkünstler und Schauspieler) genannt. 3. Taurus, welcher beabsichtigte, diesen seinen jungen Schüler von dem näheren und vertrauten Umgange mit Bühnenkünstlern abzuziehen, sandte ihm eine wörtlich ausgezogene Stelle aus des Aristoteles Schrift, welche über- schrieben ist: „allgemein gehaltene Streitfragen (über allerlei Wissenswerthes, Ttgoßli^fAccza ipcvxliay, und trug ihm ernstlich auf, dass er diese Stelle täglich einmal (für sich) lesen sollte ; sie lautet: „Warum wohl Bacchuskünstler (Thespisanhänger, Schauspieler) in den meisten Fällen frech und lasterhaft sind ? (Etwa) weil sie sehr wenig Antheil nehmen an Wissenschaft und Philosophie und weil sie den grössten Theil ihres Lebens auf ihren nöthigen Eunstr (und Brot-) Erwerb verwenden und weil sie ihre meiste Zeit theils in Unenthaltsamkeit hin- bringen, theils wieder in Noth, und Beide (Ausschweifung und Noth) bilden die Veranlassung (und Triebfeder) zur Schlechtig- keit und Lasterhaftigkeit.^

XX, 5, L. Abschriften der (beiden) in die Oeffentlichkeit gedrungenen

Briefe von dem König Alezander und dem Philosophen Aristoteles, and

gleichzeitige Uebersetzung der beiden Schriftstücke.

XX, 5. Cap. 1. Der Philosoph Aristoteles, Lehrer des (berühmten) Königs Alexander, soll einer zweifachen Methode

XX, 4, L. Bei Schauspielern gingen selbst attische Redner, wie ein Demosthenes, in die Schule. Daher gab es wohl auch Geachtete unter dem Schauspielerstande, da sie selbst yom Staate zu öffentlichen Gesandt- schaften gebraucht wurden. So unterhandelten die beiden berQhmten attischen Schauspieler Aristodemus und Neoptolemus den Frieden zwischen Philipp von Macedonien and Athen. Demosth. de coron. 282. Der Schau- spieler Theodorus erhielt ein Denkmal, Pausan. I, 37, 2.

31*

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(484) XX. Buch, 5. Cap., § 1 - 6.

bei seinen wissenschaftlichen und künstlerischen Belehrungen, die er seinen Schalem zu Theil werden liess, sich bedient haben. Die eine Unterrichtsart umfasste die von ihm so- genannten äusseren (exoterica, l^cüzeQind) Lehrgegenstände (d. h. die gemeinen und allgemein fasslichen, für den all- gemeinen Zuhörerkreis bestimmten, philosophischen Wissen- schafts-Vorträge), die andere umfasste die für den Zuhörer bestimmten höheren Unterrichtszweige (acroatica, angoarixa [s. iawT€QiKal). 2. Die äusseren (exoterica) hatten zum Zweck Einübung der Rhetorik, Ausbildung des scharfen Denkens (i. e. Logik) und Kenntniss (der allgemeinen Moral und) des Staatsrechtes. 3. Die für (ausei-wählte) Zuhörer- kreise bestinunten Unterrichtszweige wurden: höhere {cmgoa'' iTixcr, die subtilere Gelehrsamkeit betreffende) genannt, wobei die tiefere und gründliche Kenntniss der Philosophie eine Hauptrolle spielte, und Alles, was mit Betrachtung der Natur und mit dialektischen Erörterungen in enger Beziehung stand. 4. Dieser für auserwählte Zuhöi*er berechneten Unterweisung, welche ich mit dem Namen ayLQoari'Kd (acroatica) bezeichnete, widmete er in seinem Lycium (Schulgymnasium) die Morgen- zeit und er liess zu diesem Unterrichte nicht so ohne Wei- teres Einen zu, wenn er seine geistigen Anlagen und den Yorunterricht und den Fleiss und die Ausdauer im Lernen nicht erst genauer Prüfung unterzogen hatte. 5. Allein jene allgemeinen (äusserlichen) Vorlesungen (e^aneQixdg, auditiones) und Sprechübungen veranstaltete er in den Abendstunden an demselben Orte (des Unterrichts), und er stellte gewöhn- lich der Jugend ohne alle Auswahl den Besuch (dieser Lehr- stunden) frei und nannte dies den Nachmittags- (oder Abend-) Spaziergang {deihvbv neQiTtatov) und jenes den Morgen- Spaziergang {iwd^ivov sc. TteQiTiccTov); denn zu beiden Tages- zeiten pflegte er seinen Unterricht während des Spazierganges zu ertheilen. 6. Auch seine Bücher, die beziehentlichen Er- klärungsschriften seines ganzen Unterrichtsstoffes, theilte er (noch) besonders ein, so dass die Einen Wessen: exoterici (äusserliche Schriften, welche die gemeinen und allgemein fasslichen philosophischen Wissenschaften vortrugen) und die andern akromatische (für den Zuhörer bestimmte, esote- rische, d. h. innere, geheime, welche die tiefer eindringende

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XX. Buch, 5. Cap., § 7 - 10. (485)

Gelehrsamkeit zum Zweck hatten). 7. Als nun der König Alexander erfahi^n hatte, dass von Aristoteles auch seine, für höhere Unterrichtszwecke bestimmten Schriften heraus- gegeben (und veröfifentlicht) worden seien, entsandte der grosse Feldherr, der zu dieser Zeit beinahe das ganze, von den Wafifen (des Kriegs) schwer heimgesuchte Asien inne hatte und ausserdem selbst dem König Darius in sieggekrön- ten Schlachten (noch) hart zusetzte, (nichtsdestoweniger) mit- ten im höchsten Geräusche der Waifen einen Brief an den Aristoteles (mit dem Bemerken), dieser habe durchaus nicht recht daran gethan, dass er seine höheren Wissenschafts- zweige, in denen er selbst von ihm unterrichtet worden sei, nun durch öffentliche Herausgabe seiner Werke allgemein be- kannt gemacht habe (und es heisst in dem Briefe) wörtlich:

8. „Denn in welcher Hinsicht werde ich mich nun noch vor allen Anderen auszeichnen können, wenn das, was ich von Dir gelernt habe, jetzt überhaupt Gemeingut Aller wird. Denn ich will mich ja überhaupt lieber durch Weisheits- kenntniss auszeichnen, als durch Macht und Reichthum/^

9. Aristoteles gab ihm eine Rückantwort des Inhaltes: „Er- fahre, dass die akromatischen Bücher, über deren Herausgabe Du Dich beklagst und bedauei*st, dass sie nicht gerade so wie Geheimnisse verborgen geblieben sind, (eigentlich) weder als herausgegeben betrachtet werden können, noch auch als nicht herausgegeben, weil sie ja doch nur Denen allein ver- ständlich sind, die mich selbst gehört haben." 10. Die Original- foiTTiulare von den beiden Briefen habe ich aus dem Werke des Andronicus entlehnt und hier beigeschrieben. Beson- deres Wohlgefallen fand ich aber in den beiden Briefen an der überaus schlichten Schreibart von unübertreflFlichster Kürae [ ].

XX, 5, 7. 8. Plutarch: Alexander cap. 7.

XX, 5, 10. Der Philosoph Andronicus aus Rhodos hat nach Plutarch (Sulla 26) des Aristoteles Schriften von dem Grammatiker Tyrannion, welcher Cicero's Kinder unterriditete, gekau^ und zu Rom zuerst bekannt gemacht Strabo XY, p. 608 giebt ausflUirliche Nachricht aber das ungünstige Schicksal, welches die Schriften des Aristoteles und Theo- phrast tra£

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(486) XX. Buch, 5. Cap., § 11—18. 6. Cap.. § 1.

11. Alexander dem Aristoteles Wohlergehen. Du hast nicht wohl daran gethan, dass Du Deine akro- matischen (fllr höhere ünterrichtszwecke bestimmten) Vor- lesungen herausgegeben hast. Denn was habe ich dann künftig Tor den Anderen noch voraus, wenn die Lehren, in denen ich unterrichtet wurde, nun Gemeingut Aller werden? Ich wünsche wenigstens lieber in den edelsten Wissen- schaften (und Kenntnissen), als in Macht (und Ansehen) Andere zu übertreffen. Lebe wohl.

12. Aristoteles dem König Alexander Wohlergehen. Du schriebst mir wegen der akromatischen (mündlichen) Vorträge und bist der Meinung, ich hätte sie geheim halten sollen. So wisse denn, dass sie (zwar) herausgekommen sind, und eigentlich doch auch (wieder) nicht herausgekom- men sind. Denn verständlich sind sie doch nur Denen allein, die mich gehört haben. Lebe wohl, König Alexander. 13. Bei den griechischen Worten: ^croi yaQ elaiv (denn verständlich sind sie) fragte ich mich, ob idi wohl für den griechischen Ausdmck ^ezoi eben auch nur (bei der latei- nischen Uebertragung) ein lateinisches Wort gebrauchen sollte, fand aber kein anderes entsprechendes dafür, als: „cognobilis", was M. Cato im sechsten Buche seiner „Ur- geschichte"* geschrieben hat, woesheisst: So, meine ich näm- lich, sei die Auffassungsart verständlicher (cognobiliorem [cognitionem esse]).

XX, 6, L. Es ist die Frage aufgeworfen and untersucht worden, ob es richtiger sei, zu sagen: „habeo curam vestri*' (ich habe Sorge um Euch)

oder „vestrum**.

XX, 6. Cap. 1. Da ich als junger Mensch die Vorträge des ApoUinaris Sulpicius häufig besuchte, fragte ich ihn, unter welcher Bedingung gesagt würde: „habeo curam vestri" (ich

XX, 5, 11. Aristoteles bezog yom Alexander einen Gehalt von 800 Talenten (= 700,000 Thbr.).

XX, 6, 1. Hier, zu Ende seines Werkes, Iftsst Gellius erst einen Vor- trag des Snlpicioe Apollinari^ folgen, den er als junger Mensch mit an- hörte. Er muss also die Vertheilung seines Materials willkürlich yor- genommen und arrangirt hahen. Yergl. die Bemerkung zu (II, 26, 1) dem Vortrag des Fronto über Farben, den er in reiferen Jahren mit anhörte.

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XX. Buch, 6. Cap., § 1. 2. (487)

hege Sorge für euch) oder „misereor vestri" (ich ftthle Mitleid mit euch)? und wie ihm wohl der nicht gebeugte Fall (d. h. der Nominativ) von „vestri" zu heissen scheine? 2. Dieser ertheilte mir nun also darauf folgende Antwort: Du stellst da, sagte er, eine Frage an mich, die ich mir selbst auch schon öfters vorgelegt habe, denn es scheint in der That nicht „vestri" heissen zu müssen, sondern „vestrum", wie ja auch die

XX, 6, 2. Nostri, vestri; noBtrum, vestram. Nostnun und vestmm ist der Genitivas pluralis von nos und yos; nostri und vestri aber der Genitiv von dem als Substantiv gebrauchten Nentro: nostarum und vestrum.

Bei nostri und vestri denkt man also an einen unbestimmten ße- gri£^ enthalten in dem Substantiv: nostrum und vestrum, dessen Pluralitftt man als ungetheiltes Ganze zu betrachten hat.

Bei nostrum und vestrum aber ist der Begriff bestimmt, wie bei vos und nos, und die Pluralit&t wird als aus einzelnen Suljjecten zu- sammengesetzt gedacht:

1) wenn durch das pronomen der Singularis bezeichnet werden soll (wo also auch nos statt ego steht), so steht auch der Genitiv im Singular, z. B. vive nostri memor, lebe meiner eingedenk;

2) bei Verbis und Nominibus, wo an keine Theilung gedacht wird und die Personen als Ganzes aufgefiisst werden, steht nostri und vestri Wkd dies von einer kirchlichen Gemeinde gesungen, so ist nicht jeder Einzelne, sondern die ganze Gremeine als Eins gedacht und es geht dann diese Fürbitte, als echt christlich, auf AUe zugleich. Bei miserere nostrum wftren die Personen einzeln gedacht, also : erbarme Dich unsereri der Einzelnen;

8) wo an eine Theilung zu denken ist und die Personen also einzeln gedacht werden, steht nostrum und vestrum. Man kann nicht sagen: nemo nostri oder multi vestri, weil hier nicht an ein unzertrenntes Ganze gedacht werden kann. Pars nostrum heisst ein Theil von uns, d. h. mehrere Leute, und muss da gesetzt werden, wo diese Menge als eine Vielheit gedacht wird; durch pars nostri aber wird ein TheU von uns, d. h. von unserem Körper, von unserem Wesen angegeben, z. B. Sen. quaest nat. II, 8: pars est nostri manus. nostrum und vestrum, partitiv »• inter nos, ex vobis. nostrum und vestrum (vom Pronom. person.) wahrscheinlich zusammengezogen oder syncopirt aus nostrorum, nostrarum und vestrorum, vestrarum, wie hier bei Gell. XX, 6, 12, welche Formen bei Komikern auch noch für nostrum und vestrum vorkommen; vergl. Gell. VI, 8, 16; VI, 19, 5; XI, 10, 2; XII, 5, 7; aliquis nostrum (—ex nobis) Einer von uns, mit Einschliessung unserer selbst; aliquis nostrorum (ex nostris). Einer von den ünserigen, mit Ausschluss von uns (oder euch). Liv. I, 55. Imperium summum Romae habebit, qui vestrum primus (welcher unter euch zuerst) osculum matri tulerit! Cicer. Catilin. IV, 9, 19.

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(488) XX. Buch, 6. Cap., § 2-7.

Griechen sagen: BTtifitXov^ai vfiüv (ich trage Sorge um euch) und Kijöofiai vfiüv (ich kümmere mich um euch), und drückt man (offenbar) an dieser Stelle v^üv geeigneter durch „vestrum'' aus, als durch „vestri'S wovon der Nominativ, welchen Du den ungebeugten Fall nanntest, „vos'^ heisst. 3. Doch finde ich an vielen SteUen nostri und vestri gesagt und nicht nostrum oder vestrum. So sagt L. Sulla im zweiten Buche seiaer Geschichte (rei*um gestarum libro U): „Wenn es ii^end wie möglich ist, dass ihr auch jetzt euch unserer erinnert (ut etiam nunc nostri vobis in mentem veniat) und ihr über- haupt glaubt, dass wir mehr euere Mitbürger als euere Feinde zu sein werth sind und weit eher für euch, als gegen euch zu kämpfen verdienen, so dürfen wir das weder unserem eigenen, noch dem Verdienste unserer Vorfahren zuschi-eibeu (sondern haben das ganz allein euch und euerem guten Bei- spiele zu danken).^ 4. Terenz sagt in seinem Phormio (I, 3, 20):

Ita plerique ingenio sumuB omnes, nostri nosmet paenitet, d. h.

So Bind wir Alle von Natur mit unserer Lage unzufrieden.

5. Afranius in seiner „togata (sc. fabula, d. h. in einem seiner röm. Nationaldramen)":

Nesdo qui nostri miseritus tandem deus, d. h.

Nicht seh' ich ab, weich' eine Gottheit unsrer endlich noch

Sich soll erbarmen.

6. Femer Laberius in seiner „Necyomantia (Todtenbe- ^^schwörung)" :

Dum diutius retinetur, nostri oblitus est, d. h.

Weil er zu lang* zurückgehalten wird, hat unsrer er veiigessai.

7. Es unterliegt keinem Zweifel, dass in allen den angeführten Beispielen : nostri oblitus est (er hat unserer vergessen) und nostri miseritus est (er hat sich unserer erbarmt) das „n^stri^' in demselben Beugefall gesagt ist, den man in folgenden Redensarten mit „mei'' wiedergesagt findet: mei paenitet (ich

Habetis ducem memorem vestri, oblitum sui, ihr habt hier einen Führer Yor euch, der an euch Alle denkend, sich selbst dabei vergisst;

4) wo man die Sache sowohl als getrenntes Ganze, wie auch als un- getrenntes denken kaxin, ist Beides statthaft, z. B. miserere nostri, als Fürbitte auf Alle zugleich; miserere nostrum, auf Jeden yon uns, jeden Einzelnen.

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XX. Buch, 6. Cap., § 7 K. (489)

bin mit mir unzufrieden), mei miseritus est (er hat Mitleid mit mir gehabt) und mei oblitus est (er hat meiner vergessen, nicht an mich gedacht). 8. Der auf die Frage „wessen?" be- zügliche Beugefall, der von den Grammatikern sogenannte Genitiv „mei'^ wird von dem Nominativ (des Pronomen subst. personal.) „ego" abgeleitet, dessen Plural „nos** heisst. Gerade 80 wird „tui" von „tu*' abgeleitet, dessen Plural ebenso „vos" heisst. 9. Gerade so hat Plautus in seinem „Pseudulus (Lügenmaul, I, 1, 1)" sich in folgenden Versen dieses Beuge- falles (mei) bedient:

Könnt' ich von Dir, dem Schweigenden, erüfihren, Herr,

Was f&r ein Kummer so erbärmlich an Dir nagt,

Ich sparte zweien Menschen die Beschwerde gern (labori-parsissem):

Mir (mei). Dich zu fragen, und Dir (tis » tui), zu erwiedem mir.

Mei te rogandi et tis respondendi mihi.

Der Genitiv „mei" kommt in dieser Stelle bei Plautus nicht von (dem Pron. possessiv.) „meus" her, sondern von (dem Pronom. pereonal.) „ego'^ 10. Im Fall Du also Dich der Redensart bedienen willst: „pater mei*' (Vater von mir) für „pater mens" (mein Vater), gerade so wie die Griechen sagen: 6 TtoTTiQ fAov, so wirst Du Dich zwar etwas ungewöhnlich, aber allerdings sprachrichtig und ganz in der Art ausdrücken, wie Plautus gesagt hat: Jabori mei", der Mühe von meiner Seite, für „labori meo" (meiner Mühe oder Beschwerde). 11. Dieselbe Regel gilt auch beim Plural, wonach Gracchus (ganz richtig) gesagt hat: „misereri vestrum" (Mitleid haben mit euch) und wonach M. Cicero (pro Plane. 6, 16 und 7, 17) gesagt hat: „contentio vestrum" (Wettstreit unter euch) und „contentione nostrum" (durch den Streit unter uns); feiner auf gleiche Art hat sich auch Quadrigarius im elften Buche seiner Annalen wörtlich so ausgedrückt: „Wann, C. Marius, wirst Du wohl Mitleid haben mit uns und mit dem Staat (te nostrum et reipublicae miserebitur) ?" Was mag also wohl die Ursache gewesen sein, dass (in den oben angeführten Stellen) Terentius gesagt hat: „paenitet nostri" und nicht „nostrum" und Afra- nius: „nostri miseritus est" und nicht „nostrum"? 12. Ich wüsste, sagte Sulpicius Apollinaris, wahrhaftig deshalb keinen anderen Gmnd aufzufinden, als der langbestehende, alte Sprachgebrauch, der es nie allzuängstlich nahm und nicht

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(490) XX. Buch, 6. Cap., § 12—15. 7. Cap^ § 1. 2..

eben jedes Wort genau aberlegte. Denn so findet man auch sehr oft noch „vestrorum" für „vestrum" vor, wie z. B. in des Plautus „Hausgespenst (Mostellaria I, 8, 123 [279]), in folgendem Verse:

Yemm illad esse maziiiia adeo pan vestroram intelligit, d. h.

Wahr isf 8, der grösste Theil yon euch weiss das sogar,

da er doch nichts Anderes sagen wollte, als „maxima pars vestrum"; so steht auch „vestri" bisweilen für „vestrum". 13. Aber ohne Zweifel wird Jeder, der vollkommen sprach- richtig sich ausdrücken will, vielmehr „vestrum^' sagen mOssen, als „vestri''. 14. Und desw^en muss man es als ein höchst ungeschicktes Verfahren von Denen bezeichnen, welche in sehr vielen Ausgaben des Sallust die ganz richtige Lesart („vestrum" durch ihre Correctur in „vestri") verdorben haben« Denn da die Stelle in seinem Gatilina (33, 2) so lautete : „Oft haben die Vorfahren von euch (majores vestrum) sich des römischen Volkes erbarmt," so strichen sie das „vestrum'^ aus und schrieben „vestri" darüber. Daher hat sich in manche Ausgaben der Zuwachs (indoles) dieses (allgemein gebräuchlichen Sprach-) Fehlers eingeschlichen. 15. Diese gegen mich ausgesprochenen Bemerkungen des Apollinaris habe ich mir wohl gemerkt und sie damals gleich, nachdem ich sie gehört hatte, aufgeschiieben.

XX, 7, L. lieber die Verschiedenheit der Angaben in Being auf die Anzahl von Niobe's Kindern.

XX, 7. Gap. 1. Wunderlich und fast lächerlich ist der Widerspruch, der sich bei den giiechischen Dichtem in der Sage findet über die Angabe der Anzahl von Niobe's Kindern. 2. Denn Homer sagt, dass die Zahl ihrer Knaben und Mäd- chen zweimal sechs (also zwölf) gewesen sei (Hom. H. 24, 603) ; Euripides giebt (Phoen. 159) ihrer zweimal sieben (also vier- zehn) an; Sappho zweimal neun (also achtzehn); femer Bae- chylides und Pindar zweimal zehn (also zwanzig); einige andere Schriftsteller aber behaupten, dass es im Ganzen nur drei gewesen seien.

XX, 7, 1. S. Aelian. Termischte Erzähl. XII, 86; ApoUodor. m, 5, 6.

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XX. Buch, 8. Cap., §1—7. (491)

XXf 8, L. Von der zusammentreffendeii Beeinflassnng {avfinTeaaia) des wechselnden und abnehmenden Mondes auf einige Dinge.

XX, 8. Cap. 1. Der Dichter Annianus pflegte die Zeit der Weintraubenlese gewöhnlich auf seinem Landgute, welches er im faliscischen Gebiete (in Etrurien) besass, heiter und ergötzlich zu verleben. 2. Während dieser Zeit lud er mich, sowie auch einige andere Freunde zu Gaste (zu sich ein).

3. Als wir nun auch eines Tages bei ihm zu Tische waren, kam von Rom eine grosse Menge Austern an. Als man sie aufgetragen hatte und es zwar viele, aber nicht (alle) voll und nur mager waren, sagte Annianus, das ist ganz natürlich, der Mond ist jetzt abnehmend. Daher ist auch die Auster, sowie noch einige andere Dinge, mager und ausgesogen.

4. Als wir weiter fragten, welche andere Dinge auch noch mit abnehmendem Monde schwänden, sagte er, erinnert ihr euch denn nicht des Ausspruches von unserem Lucilius, der da lautet:

Austern nähret der Mond, er flUlet die, Igel des Meeres, Mehret dem Vieh und den Mftosen die Dftrme.

5. Alle diese Dinge aber, welche bei zunehmendem Monde fett werden (gliscunt), nehmen nun eben auch bei abnehmen- dem Monde wieder ab. 6. Auch die Augen der Katzen (aelu- rorum oculi) verändern sich je nach dem Mondwechsel und werden deshalb entweder weiter oder kleiner. 7. Noch viel wunderbarer ist aber die Bemerkung, welche ich bei Plutarch im vierten Buche seines Commentars zum Hesiod las: Die Zwiebel grilnt, keimt und schiesst hervor bei abnehmendem Monde, dagegen bei zunehmendem trocknet sie ein. Das ^11 auch die Ursache sein, wie die ägyptischen Priester be-

XX, 8, 1. Titas Annianus, lebte unter Hadrian und war Ver- fasser Ton Fescennien. S. Bemhardy röm. Lit 92, 436.

XX, 8, 4. Verj^. Horat Sat. ü, 4, 30.

XX, 8, 5. Vergl. Plin. II, 41, 2 u. IX, 50, 3. gliscere, von gUs, i e. Haselmaus , ein Thierchen, welches den ganzen Winter über schläft und dann fetter ist. Martial. Xm, 59; Seyfert. lat Gramm. § 1598.

XX, 8, 6. aflovQos, Kater. 8. Hygin. astron. II, 28 u. Juvenal 15, 7.

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(492) XX. Buch, 8. Citp., §7.-9. Cap., § 1—4.

haupten, weshalb die Pelusioten die Zwiebel nicht ge- ni essen, weil sie allein unter allen Gemüsen (und Küchen- kräutern) dem entgegengesetzten Wechsel des AbQehmens und Zunehmens unterworfen ist, zuwider dem Zu* und Abnehmen des Mondes.

XX, 9, L. An welcher Art von Ausdrücken Antonius Julianns sich lu ergötzen pflegte, die in den mimischen Gedichten standen, welche Cli. Matius in Betreff seiner Unbescholtenheit und Uneigennützigkeit yerfasste, wo er die Redensart gebraucht: numquam vestimenta a populo posci (niemals Kleider vom Volke fordern).

XX, 9. Cap. 1. Antonius Julianus versicherte, sein Ohr werde durch die neuen Wortbildungen des gelehrten Cn. Matius ausserordentlich ergötzt und angenehm berührt; 2. als der- gleichen bezeichnete er auch die, welche er uns aus dessen Mimiamben anführte:

Sinaque amicam refice frigidam caldo Golambnlatim labra conserens labris, d. h. Und die erstarrte Geliebte am heissen Biuen za neuem Leben erweck*, Nach Täabchenart heftend Lipp' an Lippe.

3. Ebenso erwähnte er auch folgende angenehme und feine Wortbildung:

lam tonsiles t^ietes ebrii faco, QuoB concha pnrpura imbaens venenaTit, d. Nnn auch geschorne Teppidie aber und überyoll von rother Farbe, Welche die Purpurschnecke benetzend mit Purpur gef&rbt hat [ ]

4. [Desgleichen auch jenes:

Dein coquenti vasa cuncta d^ectat;

Nequamve sdtamenta pipulo poscit, d. h. IVrauf vor die Füsse wirft dem Koch er alle Schüsseln Fordert aber trotzdem dann noch unter Schimpfen Leckerinssen, dieser

NichtsnutB.]

XX, 8, 7. Zwiebel. S. Plutarch. über Isis und Oshris 8. Pelu- sioten (d. h. Eothfreunde). Pelusium, grosse ägyptische Stadt, an einer der Nilmündungen, erbaut von Peleus, Vater des Achilles, und durch ihre Linsen und Linnen berühmt; Schlüssel Aegyptens von Osten her. Der Ortsname, Pelusium, d. h. Eothstadt, beruht theils auf der Anspülung des Nilschlammes, tiieils, dass es mitten in Sümpfen und Morftsten liegt Im A. T. heisst sie Sin, jetzt: Tineh.

XX, 9, 1. üeber Antonius Julianus s. GelL I, 4, 1 NB.

XX, 9, 3. Hier findet dem Lemma nach eine Lücke statt

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XX. Boch, la Cap., § 1—4, (493)

XX, 10, L. Was die Formel (Redensart) zu bedeuten hat: ex jure manam consertnm (d. h. [Aufforderung streitender Parteien], um auf dem Wege Rechtens [gegenseitig] anzulegen die Hand, nämlich an den streitigen

Gegenstand).

XX, 10. Cap. 1. Die Worte: ex jure manum consertum (um nach Rechtsgebrauch [gegenseitig] anzulegen die Hand) stammen noch aus den alten Rechtsklagen her und werden noch heutigen Tages von dem Praetor gebraucht (quum lege agitur, d. h.) wenn die gerichtliche Eigenthumsanspruchs- Ver- handlung nach einer (gewissen) gesetzlich bestimmten Yerfah- rungsart (der legis actiones) beginnt und die Elagver- folgung wegen Behauptung des Eigenthums angestrengt wird. 2. Ich erkundigte mich einst zu Rom bei einem Gramma- tiker, einem Manne, der in aller Mui^de und eine grosse Berühmtheit war, was die Bedeutung dieser Worte sei. Dar- auf hin sah mich dieser (Gelehrte) mit verächtlichem Blicke an und sagte: Du bist entweder im Irrthume, junger Mann, oder erlaubst Dir einen Scherz, denn wisse, ich ertheile Unter- richt (zwar) in der Sprachwissenschaft, aber ertheile nicht Rechtsbescheide. Hast Du mich also etwas zu fragen über Yergil; Plautus, Ennius, nur zu, so fi*age immerhin. 3. Ge- rade aber aus Ennius, sagte ich, sind die Worte, lieber Doc- tor, woiüber ich Dich fi'age, denn Ennius hat sich dieser Worte bedient. 4. Als nun jener höchlichst verwundert war und be-

XX, 10, L. Ex jure manum conserere. Kunetansdruck zur Bezeich- nung des (scheinbaren) symbolischen Gewaltactes, den die streitenden Parteien unter sich vornahmen, zur Behauptung des Eigenihumsrechtes an einer Sache. S. Heinecc. Ant B. IV, 6, 24 p. 681 edit Haub.; W. Bein röm. Privatrecht S. 4§} folg.; SaTigny Zeitschrift für gerichtl. Bechtsw. Bd. m, H. 3 p. 421.

XX, 10, 1. Die legis actiones (veigL Giyus Instit IV § llfL) waren die nach* ältestem Becht gesetzlich bestimmten Verfahrungsarten för die Verfolgung von BechtsansprQchen. Vergl. Pompon. in enchirid. jux. Digest, lib. I, tit 2. 1. 2 § 6; desgL Hugo Lehrb. der Gesch. des röm. Bechts S. 808 fg. (XL Aufl.); Bethmann-HoUweg Civilprozess S. 5ft; Budorff röm. Bechtsgesch. n S. 75 ff.; y. Keller „d. röm. Civüprozess 8. Aufl. 8. 46 ff.

XX, 10, 1. Cic. pro Mur. 12, 26; 14, 80.

XX, 10, 2. Vergl. GeU. XÜI, 20, 1; XVIII, 4, 1; XIX, 7, 2; XIX, 10, Iff.; XIX, 13, 1; Teuffels röm. Lit Gesch. 858, 1.

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(494) XX. Bach, 10. Cap., §4 7.

hauptete, dass diese Woi*te den Dichtem ganz fem lägen, am allerwenigsten aber in den Gedichten des Ennius zu fin- den sein könnten : da nun sagte ich folgende Verse aus dem achten Buche der Annalen (weil ich doch das Buch nicht zur Hand hatte) aus dem Kopfe her, denn ich hatte sie mir, als besonders auffallend, vor anderen zufällig gemerkt; sie lauten:

Pellitar e medio sapientta, vi geritnr res;

Spemitur orator bonns, horridns miles amatnr.

Haut doctis dictis certantes nee maledictis,

Miscent inter sese inimidtias agitantes.

Non ex jure manum consertum, sed magis ferro

Rem repetant regniunqae petant, yadimt solida tI, d. h. (Wenn der Schlachtraf ertönt) Scheucht ans dem Kreis man die Weisheit fort: es entscheidet Gewalt nur; Nichts gilt der Redner, der gute, gellebt wird der Krieger, der rauhe; Nicht in gelehrten Lehz^ vielmehr in Schmfihnngen eifernd. Mischen erbitterten Herzens sie unter sich Hader und Feindschaft. Nicht nach dem Recht anlegend die Hand, nein trotzend dem

Schwertstahl, Fordern Ersatz sie und Herrschaft und treten mit roher Gewalt auf.

5. Als ich diese Vei-se des Ennius hergesprochen hatte, sagte der Grammatiker, nun glaube ich Dir schon. Allein Da kannst auch mir nun glauben, dass Ennius nicht aus Dich- tungswerken diese Ausdrucksweise gelernt (und entlehnt hat), sondern von irgend einem Rechtsgelehrten. Geh also auch Du dahin und hole Dir Rath darüber aus der Quelle, woher sich Ennius Raths erholte. 6. Ich folgte nun also dem Rathe dieses Lehrmeisters, der in Bezug Dessen, was er mir eigent- lich selbst hätte sollen erklären können, mich dahin verwies, wo (er wusste, dass) ich mir sicher würde Auskunft holen können. Ich glaube daher, dieser Aufsatzsammlung Dasjenige beifügen zu müssen, was ich von Rechtsgelehrten und was ich aus deren Büchern in Erfahrung gebracht habe, weil (ich deutlich fühle, dass) die, welche noch mitten im Getriebe der Welt und Menschen leben, durchaus nicht unbekannt sein dürfen mit dem bei Civilsachen sehr häufig vorkommenden Gerichtsausdruck (manum conserere, d. h. [gegenseitig] Hand anlegen). 7. Denn einen an Ort und Stelle vorliegenden Gegenstand, über den gesetzlich (gerichtlich) gestritten wird, sei es ein Acker, oder sonst etwas Anderes, mit seiner Gegen- partei zugleich mit der Hand anfassen und an dem Gegen-

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XX. Buch, 10. Cap., § 7-9. (495)

stand nach Fug und Recht mit der vorgeschriebenen, feier- lichen Formel Anspruch erheben, das beisst man: vindicia (d. h. gerichtliche Beanspruchung oder Inanspruchnahme).

8. Das Anfassen mit der Hand an dem betrefiPenden Gegen- stande und Orte geschah in Gegenwart des Praetors in Folge des Zwölftafelgesetzes, wo also geschrieben steht: „si qui in jure manum conseinint, d. h. wenn die betrefiPenden (Parteien) nach altem Formularprocess zur Eröfifhung des Eigenthums- processes) an Gerichtsstelle Hand anlegen (sc. an eine Sache).**

9. Als aber später die Prätoren nach der Erweiterung der italischen Gebietsgrenzen (nach Ausdehnung ihres Gerichts- sprengeis, d. h. ihres amtlichen Geschäftskreises) durch Ueber- häufung der in ihrer Civilgerichtsbarkeit vorkomm^den Pro- cesse zu sehr in Anspruch genommen waren und es (dieser ihrer Geschäftsüberhäufung halber) mit grossen Schwierigkeiten verknüpft war, wegen (Entscheidung von) Eigenthumsrechts- anspiUchen weitläufige Reisen zu unternehmen, so wurde die Bestimmung getrofifen, obgleich im Widerspruch mit der nach den Zwöltafelgesetzen (ursprünglich herrschenden Sitte), jedoch nach gegenseitig stillschweigender üebereinkunft (der Partein), dass die Streitenden nicht vor Gericht (in jure) in Gegenwart des Praetors durch Handanlegen den Eigenthumsprocess er- öfifneten (d. h. zu eröfiPnen brauchten), sondern sich aufforderten, nach Rechtsbrauch (ex jure auch in Abwesenheit des Praetoi-s) die Hand anzulegen (an das Streitobject), d. h. der Eine rief den Anderen im Wege Rechtens (ex jure) auf zur Handanlegung an den streitigen Gegenstand und so begaben sich (deshalb) die beiden Parteien nun zusammen (allein und ohne den Praetor nach dem streitigen Grundstück hin, etwas Erde davon, als wie (ohngefähr) eine Scholle (oder eine Hand voll zu holen und) nach der Stadt vor Gericht zum Praetor zu bringen und an dieser (Handscholle, d. h.) Hand voll Erde gleichsam wie

XX, 10, 7. Die Yerfolgung eines Bechtsanspraches hiess vinücatio, d. h. Gewaltankündigimg.

XX, 10, 9. de ad Diy. YII, 18. Die streitenden Parteien gingen auf den Acker, um welchen der Streit entstanden war, und brachten davon eine Hand voll Erde mit zum Richter, worüber gerade, wie über den ganzen Acker, so lange gestritten wurde, bis einem Jeden das Seine wieder zuerkannt worden war.

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(496) XX. Buch, 10. Cap., § 9. 10. - 11. Cap., § 1.

um das ganze Ginindstück , um den ganzen Grundbesitz (den symbolischen, feierlichen Streit der Besitzergreifung zu begin- nen und) ihre Rechtsansprüche zu begründen. 10. Wenn da- her Ennius anzudeuten beabsichtigt, dass man nicht, wie es wohl sonst gebräuchlich war, in Gegenwart des Praetors, durch die (althergebrachten) gesetzlichen Bechtsmittel , auch nicht (durch das neuaufgekommene Verfahren), um auf dem Wege Bechtens (ex jure, in Abwesenheit des Praetors) Hand anzu- legen (sc. agi oder rem repeti d. h. jetzt sich zu seinem Bechte zu verhelfen pflegt und so das gesetzliche Eigenthumsrecht an einer Sache sich zu erwerben sucht), sondein (auf ganz ungesetzlichem Wege) durch Krieg und Schwertstreich und

durch offenbare und rohe, handfeste Gewalt [ ];

was er scheint gemeint zu haben, wenn er jenen bürgerlichen, in Privatpi-ocessen und bei der Sklavenfi-eilassung (vim fe- stucariam, scheinbaren, symbolischen) Gewaltact, welcher nur den Namen nach (vindico = vim dico i. e. drohe Ge- walt an, und der Ceremonie wegen) und welcher nicht wirk- lich mit der Hand vollzogen wurde , vergleicht mit der (an- deren) kriegerischen, selbst Blut nicht scheuenden, wirklichen Gewaltthätigkeit.

XX, 11, L, Wb» das bei M. Varro vorkommende Wort: ,f8calaa** eu

bedeuten habe«

XX, 11. Cap. 1. P. Lavinius hat ein Buch verfasst, welches vielen Fleiss verräth und die Ueberschrift führt: „über

XX, 10, 10. Bei Cic ad Div. YU, 13 sagt Ennios: (ich höre) man entscheidet bei euch die Händel über Mein und Dein viel lieber mit dem Degen, als dorch Formeln, d. h. durch einen ordentlichen, geseti- massigen Prozess. Savigny röm. Rt Bd. V p. 61. Arten der Klagen sind: actiones dviles, honorariae. Hier die legitimae actiones sind die alten legis actiones. Die civiles actiones haben eine legitima oder civilis causa, d. h. einen im Civilrecht anerkannten Rechtsgrund. Die honorariae waren ▼on (!cn Praetoren oder Aedilen in Kraft ihrer Jurisdictionsbefugnisse eingeführt. Vis festucaria. Festuca (Grashalm) Freiheitsruthe, war ein Stäbchen, womit der Praetor den Sklaven berührte, der frei erklärt werden sollte.

XX, 11, L. Sculna syncopirt aus seculna «» Sequester, i. e. Schieds- richter.

XX, 11, 1. P. Lavinius s. Macrob. Sat UI, 8. Vergl. Beruh, röm.

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XX- Buch, 11. Cap., § 2—5. (497)

niedrige Ausdiilcke (de verbis sordidis)". 2. Darin schreibt er, dass „sculna" (synkopirt) gewöhnlich gesagt werde fUr „se- culna^S wofür die, welche sich gewählter ausdiiicken, das Wort „Sequester'* gebrauchen. 3. Beide Wörter sind aber (ofiPenbar) von „sequor" abgeleitet, was soviel heissen soll, dass beide Theile vertrauensvoll der Vermittlung des erwählten Schiedsrichter folgen. 4. Dass sich das Wort „sculna'* aber im „Intelligenzblatt (in logistorico)*' des M. Varro ge- schrieben findet (in dem Abschnitt), welcher den Titel fühil: „Oatus (oder aber Einderzucht) % darüber belehrt uns dieser P. Lavinius ebenfalls in seinem Buche. 5. Was aber (bis nach erfolgtem Strdtaustrag) bei einer Mittelsperson (Sequester) zur Verwahrung niedergelegt wird, dafür brauchte man (von der Substantiv -Form: sequestrum, den Dativ) sequestro als Adverbium und sagte so: sequestro (zur Verwahrung, ver- wahrungshalber) positum (niedergelegt). Gate sagt „im Be- treff des Ptolemaeus gegen Thermus*' : „bei den unsterblichen Göttern, wollet (euch) nur ja nicht und . . ."

Lit 59, 240. Knr in traulicher Gorrespondenz (wie in Gicero's Briefen), oder in einer drolligen Spielart, wie die Satura Menippea des M. Varro war, Yemahm man dergleichen verba Bordida. VergL GelL XY, 80, 2 NB. S. TeuffelB röm. Lit Gesch. 338, 6.

XX, 11, 4. Logistoricam {Xoy$<noQuccv), Witz-, Intelligenz - Blatt Eine y&rloren gegangene Schrift des M. Varro, scharfidnnige Gedanken and merkwürdige Anecdoten enthaltend. Fr. Bitechl: „Die Schriftstellerei des M. Terentios Yarro'' sagt p. 543 : logistorid, philosophische, namentlich ethische, jedoch mit einem reichhaltigen Beiwerk historischer Belege durchwirkte and mehr populär als systematisch gehaltene Discurse Gatas aut de liberis educandis, i. e.Catas oder über die Eindererziehung, s. Gell. lY, 19, 2. Yergl GelL lY, 19, 2 NB in Teoffels rOm. Literata]> geschichte.

Oelllni, AttbelM N&ehte. TL

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Verbesserungen und Nachträge.

I. Band.

S. y, Z. 18 Y. IL L Plaatos.

S. XIV, Z. 6 y. o. L eines Ludwig Mercklin.

S. 2, Z. 12 Y. u. 1. epistalae morales.

S. 8, Z. 12 Y. 0. *Eltx(üv, der MuBenberg.

S. 8 4, Anmerk. na^e^a YOm Dichter L. A. AcduB. [M. Hertz.]

S. 4, Z. 5 Y. o. 1. LaertiiiB.

S. 5 za § 12 Anmerkung ist das Doppelcitat so zosammenznzieheQ: Mos. der A. W. S. 813—588. Ausführlicher daraber: Schuster in act societ. philoL Lips. Bd. III.

S. 11, Z. 16 Y. u. 1. Titns Antonmus; desgL S. 48, Z. 1 Anm. y. u.

8. 12, Z. 1 Y. u. 1. Cic. de diY. H, 4.

8. 14, I, 2, 8 NB 1. Hom. Odyss. IX, 89.

S. 15, I, 2, 10 NB sind die Worte nach [L&nder] zu streichen und dafiir zu setzen: Yergl. Gell. XV, 28; XVII, 21, 8.

S. 25, Z. 23 Y. u. 1. ^TjTo^ix^.

8. 80, I, 5, L. NB 1. Paeania.

8. 81, Z. 7 Y. u. 1. erlangte.

S. 83, Z. 1 Y. u. L Sext Empir. adY. Mathem. II cap. 12 (ed. Fabr. 291; cap. 49 (p. 299); cap. 68 (802); Yergl. cap. 86 (297).

8. 87, Z. 5 Y. u. 1.- Publius 8yras und Cn. Matius.

8. 42, Z. 18 Y. 0. L Gnomonik.

8. (46—) 47, Z. 1 Y. 0. L [ruhig] gestimmt

8. 47, I, 11, 5, Z. 18 Y. 0. L ArgiYer.

8. 58, Z. 7. Y. 6. L e patris potestate.

8. 58, Z. 22 Y. 0. 1, 18, 11 e. Mylattenser oder Mylassenser. [M. HerU.]

8. 59, I, 14, L. 1. Fabridus Lusdnus; desgl. 8. 60 und 289.

8. 62, flQxos odovTüiv, d. h. Zahngitterreihe, als genitiY. explicatiYus zu üusen, mit Bezug auf ein Gedicht Solons [Bergk poet. lyr. Graec. 8olon. eleg. 27 an Kritias], wo er you der jüngsten Kindheit als einer Zdt spricht, wo man die Z&hne wieder verliert

8. 68, I, 17, 1 Xanthippe; desgl. 8. 69.

8. 71, I, 18, 2NB Z. 4 Y. 0. 1. experientiam.

8. 78, I, 19, 8 Ammian. Marcell. XXin, 8 [you den cumanischen BQchem]. ^ i

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Yerbesserangen und Nachträge. I. Band. . (499)

S. 79, I, 22, 4NB Z. 3 1. II, 18, 7 NB.

S. 80, I, 22, 7 Anm. 1. de jure c.

8. 99, Z. 5 T. u. 1. intenderetur.

S. 101, n, 4, 3 Anm. Gavius (oder Crabius) Bassus schrieb mindesteus sieben (Gell. XI, 17, 4) Bucher de origine verborum et yocabulonim (Gell. XI, 4, 8 ff.; III, 19, 1 f.; V, 7), femer de verborum significatione (Macrob. Sat. III, 18^ 2), commentarii (Gell. HI, 9, 1; III, 18, 3 f.), de düs (Macrob. Sat I, 9, 13; yergl. III, 6, 17; Lydus de mens. IV, 2; Quinctil. lost I, 6, 86 und Lactant Inst div. I, 22, 9). Da er nach Gellius III, 9, 8 das sqjuiische Pfiard noch zu Argos sah, dessen letzter Eigenthümer C. Gassius im J. 711/42 den Tod fand, so scheint er dieser (oder spätestens der augusteischeu) Zeit anzugehören. 8. Kretzschmer, de fönt Gell. p. 99 f. Er mnss also vor Quinctilian gelebt haben und kann daher nicht der von Plinius Ep. ad Trsy. 21 f. und 86 erwähnte Statthalter von Pontus unter Tnyan sein. (Macrobins nennt ihn nirgends Statthalter von Pontus.) Vergl. auch 0. Jahn's Persius S. 213 nebst S. XXYUIf. NB 1.

8. 106, Z. 18 T. 0. nach Vergil einzuschalten: (Aen. VI, 488).

8. 107, Z. 28 V. 0. rutulisch.

8. 113, Z. 2 V. u. 1. Tertullian, de anima lib. cap. 42 (Vol. IV p. 300 ed. Semler).

S. 117, II, 12, 1. 8. K. Fr. Göschel, Zerstreute Blätter n. Theil 8. 212. Schleusingen 1835.

S. 120, n, 18, 5. Im J. 133/621; s. Plnt Tib. Gracch. 13; Appian b. dv. I, 14.

8. 125, Z. 4 T. n. 1. Sulpicius.

8. 127, Z. 1 y. n. 1. Diomedes, art. grammat lib. 11. de accentibus p. 428 P. [p. 488, 15 Keil.]

8. 140, Z. 6 y. u. 1. Actium.

S. 141, II, 22, 28 B. Historie. Rom. relL von H. Peter I p. 80 (98); ApuL de mundo 14; cfr. Senec quaest nat Y, 17, 5; Strabo I, 2 p. 29; Plut Bert 17; ferrareae s, Liy. 34, 21, 7.

S. 149, n, 24, 3, Z. 23 y. u. 1. fiiyalri.

8. 164, n, 26. 8. K Fr. Göschel, Zerstreute Blätter II. Th. 8. 212. Schleusingen 1835.

8. 160, Z. 2 y. u. l lafin^ov.

8. 161, Z. 19 y. 0. L f^i^Xioiff.

8. 174, m, 2. S. K. Fr. Göschel, Zerstreute Blätter IL Th. 8. 215. Die Körner lebten nidit nach abstracten mathematischen Stunden von gleicher Länge und Zeitdauer, sondern nach den Stunden, wie sie die Zeit bescheert; s. Q^the XXYII, 70 ff. über die neuere römische Zeit

8. 178, Z. 8 y. o. 1. coemptione.

S. 181, Z. 17 V. 0. 1. Scrattae.

8. 182, m, 3, 10. 8. Rhein. Mus. Neue Folge V. Jahrg. 8. 216-227; Dossenus und Plratius, zwei erdichtete röm. Komiker y. F. Ritter. 1846.

8. 184, Z. 10 y. 0. L Dass man nicht ganz alte Leute, aber selbst auch Männer des mittleren Lebensalters [ohne Bart] yorgestellt sieht

S. 184, m, i, 3NB 1. P. Tidnius Mena.

32*

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(500) Verbesserungen und Nachtrage. L Band.

S. 192, Z. 22 V. o. 1. narbonisclien.

S. 198, Z. 9 y. u. 1. wie überhaupt besser, immer: Pythagoreer.

S. 210, Der lat Vers nach Jlom. Odyss. ü, 99.

d. 211, III,.16, 13 n. NB L Attius und Tettius. [Martin Hertz.]

8. 214, m, 16, 23 NB 1. Masurius.

S. 218, S. Göschel: Zerstreute Blätter IL Th. S. 213.

S. 224, IV, 1, 20 NB L Aeüer.

S. 235, IV, 5, 4. In area Volcani s. Fest. 290.

S. 236, IV, 6, 2. Im J. 655/99 v. Chr. A. Postumius [Albinus].

S. 238, IV, 7, 3 NB. Vergl. Dr. Laur. Lersch: Ueber den Sdpio des Ennius Rhein. Mus. V. Jahrg. 1836, S. 420.

S. 239, IV, 8, 1 NB 1. Lnscinns.

S. 248, IV, 11, 7 L von einigen ftlteren Leuten, der Zeit des Pytha- goras etwas naher stehend. [Martin Herts.]

S. 249, IV, 11, 8 L st („Loben und Treiben des Pythagoras:) „ITv^ayo^Covaa [Pythagorasblaustmmpf ]." Vergl. Jurenal VI, 434 ff. imd Pers. Sat prol. 14: peiaseium melos, d. h. Elsterdicht'rin Singsaag. Schon damals gab es Damen, welche Elegien strickten, Dramen nähten und Epen spannen [W. 8. Teuffei].

S. 249, Z. 10 T. 0. tage (man).

8. 250, IV, 11, 4 NB Pythagoras. VergL Tertullian. de anima Üb. c^. 28 (yol. IV, 273 ed. Semler).

8. 255, IV, 16, 2 L fjus anuis causa, opinor, etc.

8. 258, Z. 1 y. 0. 1. Praeposition.

8. 260, IV, 18, 3 NB, Z. 2 1. Aurel. Vict de vir. iU. 49, 17.

8. 268. Zum Stammbaum der Sdpionen ist einzuschalten: P. Cornelius Scipio Africanus (Sohn des Africanus prior), ebenfidls grosser Redner (s. Gic. Brot. 20), augur und aedilis curulis (s Vell^*. I, 10), schwächlichen Körpers, adoptirte den Sohn des L. Aemilius Paulus.

8. 276, Z. 24 y. 0. § 12 L fidem. ,

S. 294, V, 13, 6 s. Plut Caesar 2 steht: Junius statt Juncus.

S. 298, Z. 8 T. 0. tilge (gewofden).

S. 298, V, 15, 2 s. Sext Emp. Pyrrh. hypotypos. m, 38; Tertoll. de anima üb. cap. 5 (yoL IV p. 218 ed. Semler)»

S. 300, NB Z. 9 y. u. 1. stereoskopische.

8. 313, V, 21, 6. 8. Peter: Bist. R. relL I, 286 NB 9a Ex Sinnio Capitone has anctoritates translatas esse a Qellio suspicatns est Hertz: Sinn. Gap. p. 17.

8. 319, Z. 16 § 5 1. cum peetore. ^

8. 321, VI, 3, 1 NB, Z. 6 y. 0. 1. Eynoskephalae.

8. 323, Z. 2 y. n. L 4 und 5. Dekade.

S. 346, Z. 4 y. 0. 1. tendo.

S. 355, Z. 1 y. 0. L peripatetisch; desfß. 356 u. ff. Peripatetiker.

S. 356, rv, 14, 10 1. Die des Diogenes massyoU und besonnen.

8. 358, Z. 14 y. o. 1. Tartessus; Z. 19 y. o. L Thasus.

a 362, Z. 3 y. u. L Bestätigung.

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Verbesseraiigen und NachMge. I. ü. II. Band. (501)

S. 962, VI, 18, 2 L Gic offic. I, 13 a. s. w.; vergl Zonxt. IX, 2 p. 201 Bon. und Peter: Bist B. rell. I p. 45.

S. 872, Yn, 1, 1, Z. 8 Y. 0. 1. und aach nicbt, dass des MensclieD Schicksale durch o. b. w. Z. 4 y. o. tilge (nicht).

S. 890, Z. 6 ▼. 0. L Megärenser.

S. 892, Z. 5 ▼. 0. L wollen wir da bei allen (den anderen) pp.

S. 401, Z. 8 ▼. n. L starb 527 y. Chr.

S. 408, Ym, 1, L., Z. 10 y. o. L noetn fiitura.

S. 405, Yin, 11, L. 1. Xaiithii^>e.

IL Bftid.

S. 9, Z. 8 y. o. 1. erklftrlichen.

S. 18, Z. 8 y. 0. 1. peripatetisch.

S. 13, Z. 7 y. ö. § 7 1. Plato (im Philebos) hat etc.

8. 17, Z. 16 § C y. o. 1. laadya.

S. 18, IX, 9, 12. S. Eretnchmer de A. OetI fönt 1 p. 90; Bleup de Ftobis grammat p. 78.

S. 27, IX, 18, 4 NB. Ans Glaaditts aach Liy. YII, 9, 6.

8. 50, X, 6, 4, Z. 1 y. o. L OtadfioB Grassus.

S. 52, X, 9, 1, Z. 6 y. o. 1. forfiees.

S. 86, Im J. 216/5^8 «. c 8. Peter: Histor. R reU. I p. 78; Yal. Max. IX, 5 extt. 8; Liy. 22, 51; Flor ü, 6 (I, 22), 19; Plnt Fab. 17, 26.

S. 92, X, 27, 8, Z. 9 y. n. L mm Aiudmck kam.

8. 101, Z. 8 y. 0. 1. potestate. XI, 8, 8 1. Allein meiner Meinung nach hnrt Jeder, der glaubt, dass diese Ausdracksweisen entweder im Allgemeinen sieb fthnÜch und gleich, oder immer yerschieden sind.

8. 102, XI, 5, 1, Z. 8 y. o. L axinuxoC.

S. 103, Z. 1 y. 0. 1. durch die Gegenstände.

S. 108, XI, 15, 1, Z. 8 L „amorabnnda" yon amorabnndns (liebe- geneigt) u. s. w.

S. 120, XI, 15, 8, Z. 16 y. o. L laetabondos.

8. 147, Z. 2 y. 0. L avalyricia.

S. 149, Xn, 7, 2, Z. 7 y. o. 1. (sein Stiefkind).

8. 155, xn, 10, 7 NB Zusatz: S. Rhein. Mus. Neue Folge Y. Jahrg. S. 220. DossenuB « Dorsenus i. e. persona a dorsi gibbere dicAa; cfr. Senec. ep. 89; Die Weisheit des [Backlichen] Dossenas war sprachwörtlich geworden.

8. 168, Z. 9 y. o. 1. nMfiQt^fiivnv,

8. 185, Xni, 18, 1. YeigL M. Hertz: Renaissance nnd Rococo. S. 35. Berlin 1865.

S. 190, Xm, 15, 4 quia a minore imperio maius aut maiore conlega rogari iure non potest, eigentlich wörtlich: weil yon einer geringeren Staatsgewalt eine höhere oder der Amtsgenosse eines höheren Magistraten [maiore (als Datiy majori) conlega] nur widerrechtlich oder illegal in den Wahlcomiläien bestätigt werden kann. Erst steht in § 4: Praetor, esti conlega consalis nnd §6t conlegain esse praetorem consnli, also

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(502) YarbeBsemngeD und Nachtrftge. IL Baad.

einmal der GeoitiT und sweinial der Daihr. S. Fr. Bitadü, oposc. philol. n, 023. 776; Bücheler, Gnindrias der lat Dedinat p. 55, Dativ; Nene, Foimenlehre I 8. 192£; req^ Mommsen, Stealsrecht n, 1, 562 tresyiri aere etc.

S. 192, Xm, 16, 1 igt contionem habere » contionari, wie aas § 3 (10) and ans GelL XVm, 7, 8 denOich hervorgeht

S. 195, Z. 6 ▼. 0. L oeaam.

8. 217, Z. 1 ▼. 0. L er sagt da: aYieles zwar hat mich abgemahnt hier (vor dem Volke) anfinitreten, (meine) Jahre u. s. w.

8. 220, XIII, 25, 31 L Bisweilen mögen sich wohl aach herror- ragende Schriftiteller finden laeseii, die eo geechrieben haben, daas sie entweder so ohne Weiteres nnd in ihrer Fahrlftssii^eit „praeda** für ^mambiae* and omgekehrt ^mannbiae* flkr »praeda* gesetzt, oder sich durch irgend efaie bildliche Aosdrncksweise eine Wortvertanschong eriaabt haben, was anter ümstinden (aosnahmsweise) wohl Einigen gestattet ist, (a. & den DicliteniX sonud ▼«mi sie dabei gosduckt und kunstgerecht zu Wege gehen.

8. 227, Xm, 81, 3 vem^ das griech. 8prQchwort: tiig law^vovoiig fiov&ueijg Xiyog^ i. e. occoltae musicae nolhim esse respectum.

& 241, XIV, 2, 1 ot homo adnleacens (25 Jahre alt s. Dig. XLII, 1, 57. L, 4^ 8); Teoiel Gesch. der rOm. Lit 8. .823 § 360, 2.

a 256, Z. 14 T. a. Anm. L fiipoc.

8. 258, Z. 14 T. o. XIV, 7, 8 L Oppianus.

ß, 290, Z. 2 y. 0. XV, 18, 1 1. in dem jenseits des Po gelegenen Theile von Italien (Qallia dsalpina).

8. 309; Z. 9 T. o. L mit nur einer Gentaxie. Z. 8 T. u. L ward in denselben beziehentlich nichts mehr vorgenommen.

8. 306, XV, 30, 1 NB L GeU. XI, 7, 3.

8. 329, Z. 1 V. u. L Plutw FortschriU m der Tagend cap. 7.

8. 331 § 5 L adsidao.

8. 885, Z. 13 V. 0. L Wehen (sc. des Süd-lT^des).

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HELLAS UND ROM.

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Eduard Zeller.

Z'weite Aufläse, gr. 8. 35 Bogen. Preis 8 Mark. Inhalt: 1) Die Entwiclcliuig de^ Ifonotheismns bei den Griechen. 2} PythegorM und die Pythegorassage. 8) Zar Ehrenrettnng der Xantippe. 4) Der platonische Staat in seiner Bedentong für die Folgezeit. 5) ITarcns Anrelias Antonine. 6) Wolirs Vertreibung ans Halle ; der Kampf des Pietismaa mit der Philosophie. 7) Job. Qottlleb Fichte als ^ Politiker. 8) Friedrich Sehleiermacher. 9) Das Urchristenfham. 10) Die Tflbinger historische Schale. 11) F. Chr. Baor. 12) Straass und Renan.

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Docenten der Staatswissenschaft nnd ^er Philosophie an der Berliner UniTersitit.

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Leipzig. Fues's Verlag (R. Reisland).

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