Schleiden, Matthias Jacob Die Bedeutung der Juden für Erhaltung und Wiederbelebung der wissenschaften im Mittelalter Presented to the LIBRARY of the UNIVERSITY OF TORONTO by the CANADIAN FOUNDATION for JEWISH CULTURE * 141 Max Freudenii > Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from University of Toronto http://www.archive.org/details/diebedeutungderj00schl Die Bedeutung der Juden für Erhaltung und Wiederbelebung der Wiſſenſchaften im Mittelalter von M. J. Schleiden. Aus „Beſlermannss illuſlrirten deutſchen Alonatsheſten“ mit Genehmigung des Verfaſſers Herrn Staatsrath Prof. Dr. M. J. Schleiden und der Verfagshandlung beſonders abgedruckt und herausgegeben Ausſchuſſe des Deutſch-Jsraclitiſchen Gemeindebundes zu Leipzig. 2. unveränderte Auflage. — — 8 2 —— —— Leipzig. Commiſſionsverlag von Baumgaertner's Buchhandlung. 1877. * Die Bedeutung der Juden für Erhaltung und Wiederbelebung der Wiſſenſchaften im Mittelalter von 2. 3. Schleiden. Aus „Beſlermann's illuſlrirten deutſchen Monatsheften‘‘ mit Genehmigung des Verfaſſers Herrn Staatsrath Prof. Dr. M. J. Schleiden und der Verlagshandlung beſonders abgedruckt und herausgegeben vom Ausſchuſſe des Deutſch-Jsraelitiſchen Gemeindebundes zu Leipzig. 2. unveränderte Auflage. — 2 — Leipzig, Commiſſionsverlag von Baumgaertner's Buchhandlung. 1877. Vorwort. Der vorliegende Aufſatz hat zu meiner Freude in Kreiſen, von denen ich eine ſolche Anerkennung für meinen noch unvollkommenen Verſuch am wenigſten erwarten konnte, eine gewiſſe Aufmerkſamkeit erregt. Vielleicht hat dazu beigetragen, daß man fühlte, welcher Gedanke mir die Feder in die Hand gegeben, nämlich der Wunſch, wenigſtens den Anfang zu machen, um einen Theil des unſäglichen Unrechts, welches die Chriſten an den Juden begangen haben, wieder gut zu machen. Zur Vollendung meiner Arbeit gehörte eigentlich noch ein hiſtoriſcher Ueberblick über „die Romantik des Martyriums bei den Juden“. Ich glaube aber kaum, daß mir das Schickſal dazu noch Zeit und Kraft vergönnen wird. Aber auch ohne mich wird das Judenthum beſtehen und ſich fortentwickeln. Wer, der ſich über— haupt um allgemeine Bildung bemüht hat, kennte nicht die Reihe von bedeutenden Geiſtern, die von Maimonides durch Spinoza, Moſes Mendelsſohn, Salomon Maimon und ſo viele andere das glänzende Mittelalter der Juden mit ihrem neuen geiſtigen Auf— ſchwung in der Gegenwart verbindet, bei dem die Juden in England (Deutſch u. ſ. w.) in Frankreich (Salvador, Munk, und ähnliche), in Deutſchland (von denen ich nur Männer der Breslauer Schule, einen Frankel, Grätz, und andere zu nennen brauche) und endlich die vielen Männer anderer Länder ſich glänzend bethätigt haben. In dem wüſten Chaos der Völkerwanderung ſagte ein geiſtreicher alter Jude: „Völker kommen und vergehen, aber Israel währt ewig“ und bis jetzt wenigſtens hat die Geſchichte dieſem Worte noch nicht wider— ſprochen. 1 * ee Ich habe im Vorliegenden nicht nur zahlreiche Druckfehler des erſten Abdruckes (Folgen meines geringen Correctortalentes) ausge— merzt, ſondern auch ſonſt manche Verbeſſerungen nachgetragen. Von vielen Seiten bin ich bei dieſer Arbeit von wohlwollenden Forſchern unterſtützt worden. Vor allen muß ich aber hier zweien, dem Profeſſor Grätz und dem Dr. Roſin in Breslau, für ihre liebenswürdige Bei— hülfe öffentlich meinen aufrichtigen und herzlichen Dank ausſprechen. Wiesbaden, im December 1876. M. J. Schleiden, Dr. Meine Arbeiten über Geſchichte der Botanik führten mich noth— wendig zu den Werken Albrecht's des Großen. Sein Verhältniß zum Thomas von Aquino, ſeine Abhängigkeit vom Ariſtoteles und von arabiſchen Schriftſtellern legten mir die Frage nach den Ver— mittlungen unter dieſen Forſchern und mit früheren Quellen nahe. Immer weiter führte mich die Unterſuchung, und ſo eröffnete ſich mir zuletzt ein Einblick in ein Verhältniß, das unſere größeren Geſchichts— werke gänzlich mit Stillſchweigen übergehen und das doch für die Entwicklungsgeſchichte der Menſchheit von außerordentlicher Bedeutung iſt. Eine kurze und überſichtliche Darſtellung des von mir Gefundenen enthält der folgende Aufſatz. Die Juden ſind und bleiben das merkwürdigſte Volk, und wenn man ſich auf die Symbolik einer Vorſehung einlaſſen will, darf man ſie wohl das „auserwählte Volk Gottes“ nennen. Schon daß ſie ſich faſt zweitauſend Jahre lang trotz der ſchwerſten und blutigſten Ver— folgungen, die ſie von Heiden, Perſern, Muhamedanern und Chriſten zu erdulden hatten, als ein Volk und bis zum heutigen Tag ihrem urſprünglichen geiſtigen Charakter treu nicht nur erhalten haben, ſon— dern ſich auch fort und fort ausbreiten und in günſtigerem Verhält— niß als irgend ein anderes Volk vermehren und zwar unter jedem Klima,“ läßt ſie als eine der intereſſanteſten Aufgaben für eine ernſte * Die Juden vermehren ſich überall in größerem Maßſtabe als die Völker, unter denen ſie leben, was weſentlich auf der geringeren Sterblichkeit, beſonders der Kinder, alſo auf ſittlichen Gründen, nicht auf Ueberſchuß der Geburten be— ruht. Im Mittel kommt auf ein uneheliches Kind bei Proteſtanten die Zahl von 10, bei Juden von 47 ehelichen Kindern. Im Großherzogthum Baden kamen von 1836 bis 1845 bei Chriſten 132 Selbſtmorde vor, bei den Juden keiner u. ſ. w.“ Boudin, Traité de Geograph. et de Statist. médicales, Tom II, pag. 137 ff. (Paris 1857); C. von Hecker in Augsb. Allg. Z. d. 12. April 1876, S. 1559. 88 und ſinnige Betrachtung der Geſchichte erſcheinen. Sie ſind das älteſte Volk, das als Träger des reinen Monotheismus daſteht und eben wegen der Reinheit des Gottesglaubens das Sittengeſetz und ſeine Bethätigung im Leben als eigentliche wahre Darlegung des religiöſen Glaubens hingeſtellt und feſtgehalten hat. Ganz Europa hat ſein Mittelalter gehabt, eine Zeit der Rohheit, des geiſtigen und ſittlichen Verfalls, wie er trauriger nicht gedacht werden kann, nur die Juden machen davon eine Ausnahme. Trotz Zerſtreuung und Unterdrückung, die ihnen oft die einfachſten Menſchenrechte, ja ſelbſt die Berechtigung zum Leben raubte, haben ſie ſich bis zum Ende des Mittelalters un— unterbrochen in ihrem geiſtigen Leben fortentwickelt und den übrigen Völkern die Grundlagen der Sittlichkeit und des geiſtigen Lebens be— wahrt und überliefert. Wie geiſtig edel angelegte Naturen ſtrauchelten ſie wohl zuweilen, wenn glückliche Augenblicke ihnen das Leben zu leicht machten, aber jede Widerwärtigkeit, jedes Elend, das ihnen nur halbwegs menſchliche Exiſtenz ließ, hat nur den Erfolg gehabt, ſie zu veredeln, ſie zu höherer geiſtiger und ſittlicher Anſtrengung zu beleben. Die Verwüſtung der jüdiſchen Länder durch Aſſyrer und Baby— lonier brachte ſie zunächſt dahin, ſich in ihrem eigenen geiſtigen Weſen zuſammenzufaſſen und den ganzen Gewinn ihres vergangenen Geiſtes— lebens in ein Ganzes zu vereinigen, was als Moſes, Pſal men und Propheten ja noch heute ſo vieles, ſelbſt für die Chriſten Erhebende und Heiligende enthält. Die Juden prägten das gewonnene Gut in ihrem Leben aus. Unerſchütterliches Vertrauen auf Gott und ſittliches Thun, ſoweit ſich ihnen daſſelbe ſchon als Pflicht erſchloſſen hatte, gab ihnen die Kraft des Enthuſiasmus, mit dem dieſe kleine Nation faſt ein Jahrhundert lang den Kampf gegen das römiſche Rieſenreich führte, das größere Anſtrengung gegen ſie aufbieten mußte, als gegen irgend eine andere noch ſo große Nation. Der Heldenmuth der Juden ſowohl unter den Makkabäern als auch während des Kampfes, der mit der Zer⸗ ſtörung Jeruſalems unter Titus endigte, ja ſelbſt noch der zweijährige Verzweiflungskampf unter Bar Kohba,* jo wie ſpäter ihre Vertheidi⸗ gung Neapels gegen Belifar, der Pyrenäenpäſſe gegen die Franken, ““ ſtellen ſie an die Seite der größten Helden, von denen die Geſchichte weiß. Sie unterlagen der ungeheuren phyſiſchen Uebermacht; die Nation wurde als ſolche vernichtet, das Volk in alle Welt zerſtreut 5 Salvador, Histoire de la Domination Romaine en Judee et de la Ruine de Jerusalem, 2 Tom. Paris 1846, * Concilium toletanum XVIII. a von China und Indien durch Afrika und Europa bis zum äußerſten Weſten der damals bekannten Welt. Aber das Volk blieb ein Volk, unterhielt eine ununterbrochene Verbindung unter allen ſeinen Gliedern und erkannte immer in der Fortbildung des ſittlichen und geiſtigen Lebens einen Mittelpunkt an, der ſie alle unter einander verknüpfte. Wo der Jude hinkam, fand er Glaubens- und Geſinnungsgenoſſen vor, war freundlicher Aufnahme und thätiger Hülfe gewiß. Drei Verhältniſſe kommen hierbei in Betracht, welche bei den Juden die Ausbreitung geiſtiger Thätigkeit und ihrer Reſultate unter dem ganzen Volke erleichterten. Das erſte war ihre Handelstüchtigkeit. Die Alten ſchreiben den älteſten Handel den Phönikern zu. Ich glaube, daß dieſer Ausdruck durchaus kein ſcharf geographiſch umgrenzter iſt und je hat ſein ſollen; Phöniker und Syrer heißen nur die mehr an der Küſte und mehr im Binnenlande von Syrien wohnenden Semiten. Bei Herodot ſcheint „Phöniker“ beſtimmt nur die im Mittelmeer handeltreibenden Syrer zu bezeichnen. Er bereiſte etwa zur Zeit des Exils Syrien, kennt aber kein Israel, kein Judäa, ſondern nur Syrer, feine paläſtinenſiſchen Syrer ſind die mehr ſüdlich nach der Küſte zu woh— nenden, die Philiſter der Juden, die von ihm erwähnte Stadt „Cadytis“ iſt wohl nach der Reiſeroute, die er beſchreibt, Gaza. Die Stämme der Israeliten: Sebulon, Dan und Aſſer trieben eine Zeit lang Seehandel und ſchloſſen ſich den Phönikern zur See an.“ Daß die Israeliten überhaupt von Natur kühne See— händler waren, beweiſen die Ophirfahrten unter Uſia im 8. Jahr: hundert, alſo zur Zeit der Odyſſee,““ ſowie die Handelsthätigkeit der Juden im Mittelalter, wo vorzugsweiſe ihnen der überſeeiſche Verkehr gehörte. Nehmen wir das zuſammen, ſo dürfen wir wohl nicht daran zweifeln, daß ſich unter den Seehandel treibenden Phönikern ſtets auch Israeliten befanden, (die ja ohnehin eine faſt gleiche Sprache redeten und durch ihre frühere religiöſe Ausbildung geiſtig mit jenen verwandt waren) und daß in den von den Phönikern angelegten Colonien, alſo an der nordafrikaniſchen Küſte, an den italieni- ſchen Inſeln, bei Marſeille, in Spanien u. ſ. w., ſogleich auch ſich Israeliten anſammelten. Dadurch fanden ſie denn auch leicht An— knüpfungspunkte, wenn ſie bei den vielfachen Unterjochungen ihrer Herodot I, 1; II, 5; III, 5; 1. Moſes XLIX, 13; Richter V, 17. Dr. K. E. von Baer, Reden und Aufſätze, Bd. 3, S. 112 ff., Petersburg 1873, und Bd. 2, S. XVIII ff., Petersburg 1876. — 8 Heimath zur Auswanderung veranlaßt waren. So ſind ſicher ſchon vor Beginn unſerer Zeitrechnung jüdiſche Gemeinden auch bis an dem äußerſten Weſten Europa's vorhanden, während wir ja ihre An— ſiedlungen in Aſſyrien, Babylon, Aegypten und Rom um dieſe Zeit ſchon mit hiſtoriſcher Gewißheit kennen. Paulus betrat Rom nur auf ſeiner Reiſe nach Spanien,“ und er konnte zu einer Reiſe nach Spanien nur veranlaßt ſein, weil er auf freundliche Aufnahme bei ſeinen Landsleuten rechnen durfte. Auch hieß Taracona ſchon lange vor dem Eindringen der Saracenen die „Judenſtadt“.“* Noch mehr verbreiteten und vergrößerten ſich dieſe jüdiſchen Colonien nach der Zerſtörung Jeruſalems durch Titus, und ſo wurde die ganze damals bekannte Welt von ihren Niederlaſſungen umſponnen, die durch die vielen reiſenden Kaufleute in einer ununterbrochenen Verbindung blieben und auch alle Producte ihres Geiſteslebens eben ſo ſchnell wie ihre Waaren unter ſich verbreiteten, während die übrigen Völker nach und nach immer mehr ſich iſolirten und von den wenigen letzten ohnehin nur ſehr dürftig fließenden Quellen geiſtigen Lebens abgeſchloſſen wurden. Die Romanen verkümmerten, die Germanen blieben noch lange im Zuſtande ihrer Wildheit, und ſo entwickelte ſich die finſtere Zeit des Mittelalters, welche die Juden nie gekannt haben. Dieſe blieben vielmehr ununterbrochen mit den Mittelpunkten ihres geiſtigen Lebens, wo dieſelben auch augenblicklich blühen mochten, in Verbindung und wendeten ſich dahin um Rath und Aufklärung, wo ſie ſelbſt etwa augenblicklich nicht die richtige Entſcheidung in einer wichtigen An— gelegenheit finden konnten.“ Das zweite Moment, welches die geiſtige Entwickelung des Juden— thumes förderte, waren eben jene Mittelpunkte, nämlich die Schulen, die lange vor Beginn unſerer Zeitrechnung durch Simon ben Sche— tach unter Salome Alexandra (79—70) in allen größeren Städten den jungen Männern vom ſechszehnten Jahre an für Schrift- und Rechtskunde (und zwar mit Schulzwang) eröffnet wurden. Schon damals beſtanden in Jeruſalem und anderen Städten Judäa's, ſowie in Aegypten zu Alexandria Lehrhäuſer einzelner berühmter Schriftkundiger. Wie hoch die Juden dieſe ihre Schulen ſchätzten, zeigt ſich auch darin, daß ſie die höchſte von Allen als „Kallah“, * Römerbrief XV, 24. 28. lter Benjaminum ed. Ascher. II. 2, Not. 5. 3. Frankel, Entwurf einer Geſchichte der Literatur der nachtalmudiſchen Reſponſen. S. 3— 5. Breslau, 1865. a d. h. „die Braut“ bezeichneten. Der beſte Schüler Hillel's, Jod: an an ben Sak!kai, ſchlich ſich in weiſer Erkenntniß der Zukunft aus dem noch belagerten Jeruſalem heraus zum Vespaſian und erwarb von dieſem die Erlaubniß zur Anlegung einer Schule in Jabneh (Jamnia). Dies war der Anfang einer langen Reihe von Anſtalten, die ſich zuletzt über alle Länder ausbreiteten, von denen viele wiſſenſchaftlich berühmt und mehrere die Grundlagen chriſtlicher Akademien wurden. In Jabneh wurde ſchon der Grund zur Aus— arbeitung des Talmud (der Miſchnah und Gemara) gelegt. Es folgten Schulen zu Lydda, Bekiin, dann zu Niſibis und Nahar— dea; nach dem Bar-Kochba-Aufſtande gründeten Akiba's Schüler die Lehranſtalt zu Uſcha und ſpäter entſtand die Schule zu Sepho— ris. Die Lehrer dieſer Schulen hießen die „Tanaim“. Durch die politiſchen Verhältniſſe gedrängt, traten dann die Juden in Palä— ſtina von der Mitte des 3. Jahrhunderts an mehr zurück; an ihrer Stelle erhoben ſich die freier lebenden Juden in Babylon. Die hier lebenden Gelehrten wurden als Erklärer der dunklen Miſchnahſätze „Amoraim“ genannt. Noch blühte um dieſe Zeit die Schule zu Tiberias, aber wichtiger wurden bald die Lehranſtalten von Pumba— dita, Machuza, Silhi, Schakan-Zib. Durch Rabbi Huna kam die Schule von Sura in die Höhe, die lange die bedeutendſte Neben— buhlerin von Pumbadita blieb, welche letztere unter Rabbah ben Nachmani 1200 Schüler zählte. In Sura war es, wo Rabbana Aſchi den ganzen Talmud vollſtändig ausarbeitete. Schriftlich be— ſtanden indeſſen von demſelben bis 550 doch immer nur einzelne Stücke, das Uebrige war nur dem durch beſtändige Uebung hochentwickelten Gedächtniſſe anvertraut. Es waren die nunmehr „Saburäer“ ge— nannten Lehrer, von denen R. Giza und R. Simuna endlich end— gültig den ganzen Talmud niederſchrieben. Schon früh hatten ſich Juden in Arabien angeſiedelt und ihre Colonien vergrößerten ſich beſonders, als auch die perſiſchen Herrſcher zu Verfolgern der Juden verwilderten.“ Ihr Mittelpunkt war Jathrib (das ſpätere Medina) und ſie nahmen den Arabern gegenüber eine ehrenvolle, beinahe herrſchende Stellung ein. Faſt jeder Jude konnte ſchreiben, jeder die heiligen Schriften leſen; daher hießen ſie bei den ) Merkwürdig ift, daß die Juden in allen Ländern nur unter moraliſch verworfenen oder geiſtig verkommenen Fürſten verfolgt, von geiſtig oder ſittlich ausgezeichneten Herrſchern aber geſchützt und gefördert wurden. Bei den Chriſten finden wir bis etwa 1200 gerade das Gegentheil. er er Arabern Ahl' ul kitab* („das Volk der Schrift“). Durch den Geiſt der Araber gewann aber auch die Sprache, die wiſſenſchaftliche und poetiſche Bildung der Juden. Ihr Lehrhaus in Jathrib ſtand in enger Verbindung mit dem zu Tiberias. Das Beſte im Qo ran ſtammt von den Juden. Unter der Herrſchaft Omar's erhoben ſich auch Sura und Pumbadita wieder zu neuem Glanz und die Vor— ſteher der Schule von Sura erhielten den Titel Gaon („Würden— träger“). Es folgte dann die Bekehrung der Chazaren zum Juden— thum und die Errichtung neuer Lehrhäuſer auch in dieſem Reich. Nun aber erhob ſich das Judenthum im Abendlande. In allen größeren Orten von Spanien, Frankreich und Italien entſtanden raſch hinter einander Schulen, Lehrhäuſer und Akademien, von denen viele ſich bald einen ſo großen Ruf erwarben, daß ſie auch vielfach von Chriſten und ſelbſt von Geiſtlichen, deuen ſonſt faſt ganz die Gelegen— heit zu geiſtiger Ausbildung fehlte, beſucht wurden. Gleichzeitig er— hoben ſich die jüdiſchen Schulen unter der Herrſchaft der Araber in Bagdad, Kairuan (in Nordafrika) und Neru (in Choraſſan). Schon früh blühten die Schulen von Toledo, Granada, Cor— dova in Spanien, von Lunel, Bezièrs, Beaucaire und Nar— bonne in Frankreich, von Modena, Mantua, Padua, Genua, Neapel, Amalfi, Benevent und Rom in Italien, ſowie in un⸗ zähligen anderen Städten. Die Gründung der mediciniſchen Schule in Montpellier geſchah durch die Juden und auch bei der Bildung der Salernitaniſchen Schulen waren ſie hauptſächlich thätig. Durch das Emporkommen der abendländiſchen Schulen, die bald den Gao— näiſchen ebenbürtig und endlich überlegen wurden, erloſch aber auch der letzte Reſt einer äußeren Centraliſation des Judenthums, das von nun an nur durch ſeinen reinen Monotheismus, ſeine heiligen Schriften und ſittlichen Gebote zuſammengehalten wurde. Der Unter⸗ ſchied zwiſchen Lehrer und Volk verwiſchte ſich bei der hohen Bildungs— ſtufe, die das letztere errang, faſt vollſtändig; der Lehrer war hinfort nur Lehrer und nichts Anderes, und daher bezeichnet man die Periode etwa von dem 10. Jahrhundert an einfach als das Rabbiniſche Zeitalter. Man könnte ſie noch jetzt fo nennen. Die Statiſtik von Preußen giebt uns für 1875 folgende Zahlen an die Hand. Von je 100 Perſonen konnten weder leſen noch ſchreiben: f Männliche. Weibliche. Juden 3,9 5,8 Proteſtanten 6,6 11,4 Katholiken 15,1 21,8 a: Ich habe hier nur einige Hauptpunkte hervorgehoben, in Wirk: lichkeit war die Zahl der Lehrhäuſer unendlich groß, denn jede einiger— maßen bedeutende Stadt hatte ein ſolches und oft mehrere. Die Zahl der Schüler ſtieg bei berühmten Lehrern oft auf 2000, die von weit her zuſammenſtrömten. Dabei war es nicht Sitte, für den Unterricht ein Honorar zu geben, da die Lehrer von ihrem Vermögen oder ſehr häufig von ihrem bürgerlichen Gewerbe lebten. Aeußerſt ſelten kam es vor, daß ein ganz armer, aber bedeutender Lehrer ſich von ſeinen Schülern bezahlen ließ, häufig dagegen war es, daß die Lehrer ihre Schüler noch obenein unterſtützten oder gar ganz auf ihre Koſten unterhielten. Das dritte Moment, wodurch den Juden ihre geiſtige Fortentwick— lung erleichtert wurde, war ihre Sprachkenntniß, wozu ſie, wie es ſcheint, eine natürliche Anlage hatten. Schon vor Beginn unſerer Zeitrechnung gab es viele Juden, die Hebräiſch und Griechiſch ſprachen, beſonders in Alexandria, dazu trat noch zur Zeit der Römerherrſchaft das Latei— niſche; ſpäter lernten ſie Syriſch, dann Arabiſch und endlich kam noch Spa— niſch, Franzöſiſch und Deutſch hinzu. Im ganzen Mittelalter gab es wohl nur wenige Juden, der niederſten Claſſe angehörig, die nicht wenigſtens zwei Sprachen verſtanden hätten, und es find uns viele Namen von Män⸗ nern aufbewahrt, die fünf bis ſieben Sprachen vollkommen beherrſchten. Die Religion der Juden war einfach in dem Glauben an einen einzigen reingeiſtig gefaßten Gott beſchloſſen, und daran knüpfte ſich die Verpflichtung zum ſittlichen Leben als weſentlichem Mittel der Heiligung und wahrer Form des Gottesdienſtes; jo finden wir es ſchon bei den Propheten ausgeſprochen. Keine Zänkereien um Dogmen konnten daher bei ihnen Eingang finden und ſie von fruchtbarem Forſchen abhal— ten, denn ihr reiner Monotheismus kommt mit keinem Product des ver— nünftigen Denkens in Widerſpruch. Dagegen knüpften ihre ſehr entwickelte Sittenlehre, durch welche das Verhältniß der Menſchen zu einander ge— ordnet wurde, ſowie ihre weſentlich hiſtoriſch begründeten Volksfeſte und deren Cyklus an alle die Eingänge in das ganze Gebiet der Wiljen- ſchaften an. Ihre Sittenlehre umſchloß auch das Verhalten zu Leiden— den und Kranken.“ Die Geſetzeskunde in einer zum Theil veralteten, * 3. B. ſchon 3. Moſes XIX, 2. 3. 9-18. 29. 3236. ** Schon der Talmud enthält ſehr werthvolle Bemerkungen zur Heilkunde (Ginsburger, Medicina ex talmudieis; Haller, Bibliotheca medico-practica Üb. 2: „Im Talmud, in dem die Ueberlieferungen der Gelehrten des jüdiſchen Volkes erhalten ſind, finden ſich viele Anſichten, die ihre 3 und ihren Scharfſinn beweiſen. 9 a | nur noch ſchwer verſtändlichen Sprache, dem alten Hebräiſchen, ab- gefaßt, führte ſie zur Sprachkunde und Exegeſe, durch ihren Inhalt zur Rechtsphiloſophie und Rechtswiſſenſchaft, die Beſtimmung der Feſtzeiten zur Aſtronomie und damit zur Mathematik. Jede neue Entwicklung des Menſchenlebens, jedes neue Verhältniß, in welches ſie durch ihre Zerſtreuung verſetzt wurden, forderte ſie zur Erweite— rung und Entwickelung auch der anfänglich nur für beſtimmte und noch einfache Zuſtände gefundenen Vorſchriften auf. Und ſo allſeitig angeregt, kamen ſie natürlich auch bald dazu, für das Alles eine ge— meinſame Gedankenverbindung und allgemeine Principien zu ſuchen, und wurden auf die Philoſophie als leuchtenden Mittelpunkt aller geiſtigen Arbeit geführt.“ Dazu kam noch ein glückliches Verhältniß: da ihnen die Dogmatik fehlte, brauchten fie auch keine Prieſter— kaſte. Zwar ſtanden im Tempel von Jeruſalem den Ceremonial- und Opfergebräuchen Prieſter vor, aber dieſe hatten keinen Einfluß auf den Glaubensinhalt. Auch hatten ſchon die Propheten den Werth des Opfercultus ſehr herabgeſetzt, und mit der Zerſtörung des zweiten Tempels hörte derſelbe von ſelbſt auf. So waren die Juden alſo in ihrer geiſtigen Entwicklung, in ihrer Forſchung vollkommen frei von allem geiſtlichen Einfluß. Die Reinheit des Glaubens wurde von den Lehrern geſchützt, ja von dem ganzen Volke, das durch Aufgeben des einigen Gottes ſich ja ſelbſt aufgegeben hätte. Es liegt ſehr nahe, die ganze geiſtige Entwickelung des Judenthums ſeit Alexandria bis auf unſere Zeit hier in einem ausgeführten Bilde vorzuführen, und iſt die Aufgabe um ſo verlockender, da unſere ſämmt— lichen Geſchichtswerke die Juden von dem Augenblicke an, wo ſie nicht mehr mit dem Schwerte dreinſchlagen können, gänzlich ignoriren. Es würde das aber die Ausarbeitung eines umfangreichen Buches ver— langen, und ſo begnüge ich mich damit, in einer kurzen Skizze das hervorzuheben, was hinreicht zu zeigen, daß das Geiſtesleben der Juden während des ganzen Mittelalters lebendig blieb, und daß bei der Wiederbelebung der Wiſſenſchaften ihre Arbeit weſentlich zur Möglich— keit derſelben beigetragen hat.““ Man vergleiche hierzu im Ganzen, wie insbeſondere zu der gegebenen Ueberſicht die ausgezeichnete Arbeit von E. Deutſch: Der Talmud, nach der ſiebenten engliſchen Original-Ausgabe ins Deutſche überſetzt. Berlin, 1869; und ſpeciell für den letzten Satz S. 1 bis 2 und 25 bis 27. Für das weitere Eindringen in dieſen ſo intereſſanten Theil der Menſchen⸗ geſchichte muß ich auf die nachfolgend verzeichneten Werke verweiſen, die auch 3 Ehe ich aber weitergehe zu einer wenn auch nur kurzen Ueberſicht des Einzelnen, muß ich noch des Talmud erwähnen, eines Werkes, von dem auch wohl die Gebildeten größtentheils nicht mehr wiſſen als den Namen und daß er dem Judenthum angehört. Er iſt ein Seitenſtück und gewiſſermaßen eine Fortſetzung des ſogenannten alten Teſtaments und ſo wenig wie dieſes ein einziges aus einem Geiſte und aus einem Guſſe geſchriebenes Buch. Esra hatte nach der Rück— kehr der Juden aus dem Exil, um Allen einen gemeinjchaftlichen Mittelpunkt zu geben, die alten Ueberlieferungen verſchiedener palä— ſtinenſiſcher Stämme und die noch erhaltenen Reſte ihrer Literatur geſammelt und, wenn auch nicht immer mit großem Geſchick, von dem Geſichtspunkt einer theokratiſchen Volksgeſchichte unter der Leitung des einigen Gottes aus verarbeitet. Gleich nachher begann der Talmud. Den neuen Verhältniſſen und Beziehungen des wirklichen Lebens mußten die hergebrachten, zum Theil vergeſſenen, zum Theil mit aſſyriſchen, babyloniſchen und perſiſchen Anſchauungen amalgamirten alten Satzungen angepaßt werden. Das geſchah nach und nach durch die Arbeiten der „Schriftgelehrten“ (Soferim), Lehrer in den Schulen. Alle dieſe neuen Forſchungen wurden treuem Gedächtniſſe überliefert, ſpät und anfänglich nur theilweiſe aufgezeichnet, 800 Jahre (bis zum 6. Jahrhundert) fortgeführt und dann endlich als ein Ganzes ſchriftlich niedergelegt. Dieſes Sammelwerk nannte man einfach Talmud, „das Studium“ von lamad, „lernen.“ Es ſind darin alle geiſtigen Beſtrebungen der Juden in den verſchiedenſten Richtungen und nach den verſchiedenſten Gegenſtänden enthalten, und man würde es am beſten eine Culturchronik der genannten Zeit des Judenthums nennen. Erſt die neuere Zeit fängt an, dieſem Rieſenwerke gerecht zu werden, und erſt E. Deutſch hat eine klare Darſtellung des Weſens mir überall da, wo ich nicht beſondere Quellen angeführt habe, als Grundlage und Belege für meine Darſtellung dienten: Bartolocci, Bibliotheca rabbinica; Basnage, Histoire de la religion des juifs depuis J. Chr. 5 Bände. Rotter- dam 1707; Bedarride, Les juifs en France, en Italie et en Espagne etc. 3. edit. Paris, 1867; Ath. Beugnot, Les juifs d’Oceident, ou recherches sur état civil etc. pendant le moyen äge. Paris 1824; Dr. Zul. Fürſt, Cultur⸗ und Literaturgeſchichte der Juden in Aſien. 1. Theil. Leipzig, 1849; Dr. Abr. Geiger, Das Judenthum und ſeine Geſchichte. 1. bis 3. Abth. Breslau, 1865 bis 1871; Dr. H. Grätz, Geſchichte der Juden. Bd. 3 bis 6, Leipzig, 1861 bis 1863; Plantavitius, Florilegium rabbinicum; De Rossi, Dizionario degli autori ebrei; Otto Stobbe, Die Juden in Deutſchland wührend des Mittelalters. Braunſchweig 1866. re und Inhaltes deſſelben, die auch dem Laien zugänglich iſt, gegeben.“ An dieſe beiden allerdings das ganze Menſchenleben in ſeinen höchſten wie niedrigſten Beziehungen und Aufgaben umfaſſenden Grundlagen, an Bibel und Talmud, knüpfte dann die fernere Entwickelung des Judenthums an, dem dann ſchon die Zeitverhältniſſe geſtatteten, die Werke der einzelnen Forſcher, ſoweit dieſelben einer ſolchen Erhaltung werth erſchienen, geſondert für ſich aufzubewahren. Es braucht kaum noch ausdrücklich hervorgehoben zu werden, daß in dieſer mehr als zweitauſendjährigen Entwickelung des Judenthums ſich auch alle die Abwege darboten und betreten wurden, die nun einmal bei dem Streben der Menſchen unvermeidlich ſind. „Forſchen iſt Pflicht, aber Irren iſt keine Sünde,“ ſagte ſchon vor tauſend Jahren der Karaite Benjamin ben Moſe. Schon in den Schulen von Hillel und Schammai vor unſerer Zeitrechnung traten ſich Milde und Geſetzesſtrenge gegenüber. Den Ausarbeitungen und Entwickelungen, die im Talmud niedergelegt waren, widerſetzte ſich im 8. Jahrhundert Anan ben David, indem er einſeitig die Gültigkeit der alten heiligen Schriften wie ſie Esra zuſammengeſtellt, als alleinige Quelle des Juden— thums hervorhob und jo die noch jetzt nicht ganz abgeſtorbene Secte der Karäer (die Beni Mikra, „Söhne der Schrift“) gründete, denen die übrigen Forſcher als Rabbaniten gegenübertraten. Ein ähnlicher Kampf entſpann ſich ſpäter zwiſchen den beſchränkten Köpfen, die Alles in den heiligen Schriften, ſelbſt die vom Körper hergenommenen Symbole,“ buchſtäblich von Gott verſtanden wiſſen wollten, und denen, die mit freierer Anſchauung, was geiſtige Deutung zuließ, auch nur als 3 geſagt betrachteten, a Letztere denn natürlich ſchnell * Auch Stern (Ueber den Talmud, Würzburg 1875) hat in allgemein ver⸗ ſtändlicher Weiſe über den Talmud geſprochen und ich entlehne ihm hier noch folgende Stelle (S. 21): „Noch iſt ein Theil talmudiſchen Stoffes hervorzuheben, der nicht als der Agada angehörig zu betrachten iſt, der wiſſenſchaftliche Theil. Die halachiſchen Discuſſionen führten nämlich auf verſchiedene wiſſenſchaftliche Themata: Aſtronomie, Naturkunde, Anatomie, Medizin, Geometrie, Geſchichte ꝛc. Die Talmudiſten beurkunden ſehr häufig, daß ſie auf der Höhe der Wiſſenſchaften ſtanden und die Wahrheit nahmen, wo ſie ſie fanden. Sie haben einen Kalender angefertigt, der noch bis heute keine Mangelhaftigkeit zeigt. Die Knochen des menſchlichen Körpers ſind im Talmud ziemlich übereinſtimmend mit der heutigen anatomiſchen Wiſſenſchaft aufgezählt. Der Talmud weiſt nach, daß verſchiedenen Miſchnaſätzen geometriſche Sätze zu Grunde liegen, die damals nur ane Mathematikern bekannt ſein mochten“. — Sehen, Hören, Auge, Hand, Fuß ꝛe. Tr we die Oberhand gewann. Dergleichen ließe ſich noch Vieles aufführen, aber es iſt nicht der Mühe werth, denn bei den Juden konnte ſich niemals die phyſiſche Gewalt in den Streit miſchen, es blieb der friedliche Kampf um die Wahrheit nur in den Schulen ausgefochten und daher auch immer über kurz oder lang dem Richtigeren den Sieg verleihend, wobei denn auch das, was im Ganzen als Einſeitigkeit unterlag, ſoweit es Körner der Wahrheit enthielt, ſich geltend machen und befruchtend auf die weitere Fortbildung einwirken konnte. Und noch eins! In denjenigen Stücken des Talmud, in welchen Einzelne die ernſteren Vorſchriften und Betrachtungen durch philo— ſophiſche Verſuche, durch poetiſche Ausführungen in Sage und Dichtung zu erläutern ſuchten, und die man die Agada nannte, kommen auch unzweifelhaft, gewöhnlich von augenblicklichen feindſeligen Aufregungen, zu denen nur zu oft genügender Grund gegeben war, veranlaßt, Aus— wüchſe in ſchwärmeriſcher oder haßerfüllter Verzerrung vor. Aber auch dieſe Theile ſind nur Nebendinge und weit entfernt, den Geiſt des Ganzen zu bezeichnen. An die heiligen Bücher des alten Teſtamentes knüpfte natürlich nun zunächſt die Geiſtesarbeit der jüdiſchen Forſcher an. Dieſelben vollſtändig kennen und gründlich begreifen zu lernen, war die erſte Aufgabe. Die meiſten Chriſten glauben wohl, die ſogenannte Bibel— kritik ſei ihre Sache und ein Product der neueren Zeit; wenn ſie fünfzehn Jahrhunderte in der Geſchichte zurückgehen, ſo kommen ſie der Wiege dieſer Wiſſenſchaft ſchon etwas näher. In der Mitte des 3. Jahrhunderts entſchied Simon ben Lakiſch: Hiob habe nie ge— lebt, ſondern ſei das Product einer ſinnigen Dichtung, und die Engel— namen ſeien von den Juden im Exil einem fremden Volke entlehnt. Bedeutender war im 9. Jahrhundert der geniale Saadias. Er ſtellte die Vernunft ganz beſtimmt über Bibel und Talmud, er erklärte viele Wunder aus der Bibel weg, z. B. die ſprechende Schlange im Paradieſe, den Eſel des Bileam ꝛc. Saadias überſetzte auch das alte Teſtament ins Arabiſche, die damals am weiteſten verbreitete Sprache. Sein Zeitgenoſſe Chiwi aus Balk war geradezu atheiſtiſch-rationaliſtiſcher Bibelkritiker. Im Anfang des 11. Jahrhunderts erklärte Samuel b. Chofni die Erſcheinungen der Hexe von Endor und das Reden von Bileam's Eſelin für Traumerſcheinungen. In gleicher Weiſe zeichnete ſich Jona Marinus (auch Abulwalid genannt) aus. Er erhob die Bibel— kritik zu einer ſelbſtändigen Wiſſenſchaft. Faſt um dieſelbe Zeit lebte Ben Jaſus (Jizchaki), der nachwies, daß das Stück von den idumäiſchen a Königen (1. Moſis 36, 31 bis 39) nicht von Moſes und überhaupt nicht aus ſeiner Zeit herrühren könne. Abraham Ibn Esra verfaßte um die Mitte des 12. Jahrhunderts einen geiſtvollen Commentar zum Jeſaias und deutete darin ſchon die jetzt allgemein anerkannte Unechtheit der letzten 23 Kapitel an. Nicht minder bedeutend waren die Juden in der Exegeſe des alten Teſtamentes. Man kann ſchon die Ueberſetzung des Saadias als echtes bedeutendes Werk hierher rechnen, da, wie Geiger! ſehr richtig bemerkt, die Ueberſetzung eines Werkes ohne Exegeſe eigentlich gar nicht möglich iſt und immer den exegetiſchen Standpunkt des Uebertragenden wiedergiebt, wofür ja auch die Septuaginta und Vulgata die ſchlagendſten Beiſpiele darbieten. Aber ſchon vor ihm hatten die bibelgläubigen Karäer Bedeutendes in der Exegeſe geleiſtet. Rhabanus Maurus, der gelehrte Abt von Fulda im 8. Jahrhundert, geſteht in der Vorrede ſeines Commentars der heiligen Schrift willig ein, daß er in der Exegeſe Vieles von den Juden gelernt habe. R. Ahron b. Moſe b. Aſcher ſchrieb die heiligen Schriften ab, corrigirte ſie nach maſoretiſchen Regeln, und dies Exem— plar liegt noch in Kairo bei den Karäern. Salomon Jizchaki (gewöhnlich Raſchi genannt) ſchrieb einen ausgezeichneten Commentar zu Bibel und Talmud. Sein Commentar über die Bibel wurde viel- fach überſetzt und von Chriſten benutzt. Ungleich reicher noch iſt die Literatur an Bearbeitern des Talmud, dem ſich nach der Bibel die meiſten Forſcher zuwendeten. Die in kurzen Sätzen ausgeſprochene Fortbildung des Geſetzes, die Halacha, hatte zuerſt Rabbi Akiba im Anfang des 2. Jahrhunderts mit einer gewiſſen Vollſtändigkeit geſammelt, und dieſe Sammlung nannte man eben die Miſchnah. In wie richtigem Geiſte man das Geſetzesſtudium auffaßte, zeigt ein Ausſpruch des Rabbi Zadok noch vor Akiba: „Gebrauche die Lehre nicht als Krone, um damit zu glänzen und nicht als Spaten, um damit zu graben.“ Der Talmud fand eine doppelte Bearbeitung. Zuerſt in Paläſtina, wo R. Meir und Juda Hanaſſi die Miſchnah vorläufig abgeſchloſſen. Dazu kamen ſpäter noch Nachträge von andern Verfaſſern (die Borait a) hinzu. Dieſe beiden Theile ſind hebräiſch geſchrieben. — Die Juden waren immer mit Babylon in Verbindung geblieben, nach der Zer— ſtörung von Jeruſalem flohen viele von ihnen dorthin. Hier wurde dann, nachdem R. Sim lai ſchon die Agada mit philoſophiſchem Geiſte * Geiger, Das Judenthum ꝛc. 2, S. 76 f. ee bearbeitet, durch R. Areka (165 bis 247) der ganze Talmud (Miſchnah und Gemara, letztere in chaldäiſcher Sprache) vollendet. Die große Ueberlegenheit, welche ſich die babyloniſchen Schulen bald über die des ſchmählich unterdrückten Paläſtina erwarben, ſicherte dem baby— loniſchen Talmud, der endgültig von! R. Aſchi und beſonders von Rabina und R. Joſe abgeſchloſſen wurde, für viele Jahrhun— derte die Herrſchaft unter den Juden; von Chasdai wurde er im Anfang des 10. Jahrhunderts nach Spanien verpflanzt. Erſt im Bes ginn des 11. Jahrhunderts kam durch R. Chananel und R. Niſſim der jeruſalemiſche Talmud über Kairuan nach Spanien. Anfänglich war der Talmud immer nur wörtlich auswendig gelernt und von Generation zu Generation übertragen. Nur wenige Stücke wurden aufgezeichnet, und erſt 550 wurde das Ganze durch R. Giza und R. Simuna endgültig niedergeſchrieben. Die meiſt ſpartaniſch kurzen Halachas der Miſchnah, die oft wildſchwärmeriſchen Dichtungen oder tief verſteckt philoſophiſchen Anſchauungen der Agada waren zum Theil ſchwer verſtändlich, und da fanden die Lehrer ihre Aufgabe in der Erklärung derſelben. Den erſten großen Commentar zum Talmud ſchrieb R. Gerſchom im 10. Jahrhundert in Mainz, während ſein Bruder R. Machir ein Wörterbuch zu den ſchwierigen Stellen des Werkes unter dem Titel „Alpha-Beta“ bearbeitete. Um dieſelbe Zeit ungefähr verfaßte der als Gelehrter und Dichter berühmte Samuel Halevi Ibn Nagrela in Granada einen großen Commen— tar zum ganzen Talmud, dem bald darauf R. Salomon Jizchaki in Frankreich mit einer gleichen vorzüglichen Arbeit folgte. Den Beſchluß dieſer Talmudnotizen muß der Mann machen, der vor Allem die geiſtige Größe des Judenthums und ihre Ueberlegenheit über alle Zeitgenoſſen repräſentirt. Das erſte größere Werk, womit Rabbi Moſe ben Maimun (Maimonides) auftrat, war ein äußerſt klarer und lichtvoller Commentar zur Miſchnah unter dem Titel Sirädſch, „die Beleuchtung“, den er 1168 in ſeinem 33. Jahre in arabiſcher Sprache veröffentlichte. Die bedeutendſten Vorreden zu den ſechs Abſchnitten die— ſes Commentars wurden ſpäter zuſammengeſtellt und unter dem Titel „Die Pforte Moſis“ beſonders veröffentlicht und oft ins Lateiniſche überſetzt. Da aber dem Maimonides ſein erſtes Werk noch nicht genügte, ſo bearbeitete er ein ſpäteres und bedeutenderes: Den Miſch— neh⸗Thora (von jpäteren mit Anſpielung auf 5 Moſes XXXIV, 12. als Jad⸗Hachaſakah, „Die ſtarke Hand“ bezeichnet). Es iſt ein Rieſen⸗ werk, eine vollſtändig geordnete und überſichtliche Darlegung des 3 3 geſammten Gehalts des Talmud in vierzehn (Jad) Abſchnitten. Es wurde mehrfach ganz ins Lateiniſche übertragen und ebenſo die einzelnen Theile deſſelben. Das Werk machte großes Aufſehen, gewann ſehr allgemeinen Einfluß und drohte faſt Bibel und Talmud zu verdrängen, was ſchlimme Folgen für das Judenthum hätte haben können, da ſich Maimonides hatte hinreißen laſſen, dreizehn Glaubens⸗ regeln aufzuſtellen, die leicht zur dogmatiſchen Feſſel hätten werden können. — Das ſind einige der wichtigſten Arbeiten über den Talmud; die ganze Literatur darüber iſt unermeßlich. Am Anfang des 16. Jahr- hunderts (1520) erſchien zuerſt der ganze Talmud in Druck und ſpäter ſehr häufig, obwohl meiſt ſehr entſtellt. An einer ſorgfältig bearbeiteten kritiſchen Ausgabe fehlt es zur Zeit noch gänzlich, obwohl fie möglich wäre, denn Renan's Ausſpruch: „On sait qu'il ne reste aucun manuserit du Talmud pour eontröler les éditions imprimées“ iſt ein ſchwerer Irrthum.“ Wie ſchon erwähnt, ſcheinen die Juden ein angeborenes Sprach- talent zu beſitzen, und die Ausbildung deſſelben wurde jedenfalls dadurch gefördert, daß ſie bei ihrer Zerſtreuung gezwungen waren, unter ſo vielen verſchieden redenden Völkern zu leben. Aber wichtiger noch als dieſes war der ſittliche Ernſt, mit dem ſie ihren ethiſchen und religiböſen Ueberzeugungen anhingen und deshalb allen Scharfſinn und Fleiß darauf wendeten, die morgenländiſchen Sprachen, in denen die Grundlagen ihres Glaubens niedergelegt waren, vollſtändig zu beherrſchen und ſie für ſich und ihre Nachkommen lebendig zu erhalten. Ohne das hätte wohl die Neuzeit und die wiederbelebte Geiſtesthätig⸗ keit dem Hebräiſchen faſt eben ſo rathlos im Anfang gegenübergeſtan— den, wie im Beginn des vorigen Jahrhunderts den Hieroglyphen. Zwar lernten noch Origenes und hundert Jahre ſpäter Hierony- mus bei Rabbinern Hebräiſch, um das alte Teſtament verſtehen zu können, damit hörte aber auch alles ernſte und eindringende Studium bei dem chriſtlichen Klerus auf. Man begnügte ſich mit der erbärm— lichen lateiniſchen Ueberſetzung und konnte oft auch die nicht einmal mit Verſtändniß leſen. Die Juden legten ſchon vor faſt 1200 Jahren den Grund zu der tieferen Sprachkenntniß, die wir jetzt Linguiſtik nennen. Juda ben Koreiſch wies ſchon zur Zeit des Saadias nach, daß Hebräiſch, Arabiſch und Chaldäiſch nur drei verſchiedene Zweige eines und deſſelben im Weſentlichen gleichartig angelegten Renan, Les Apötres, p. 262; Deutſch, Der Talmud, S. 7. 1 Sprachſtammes ſeien. Das etwas ſpäter von Menahem ben Saruk verfaßte Wurzelwörterbuch des Hebräiſchen ward von Dunaſch b. Lab— rat in vielen Punkten ergänzt und berichtigt und Juda Chajug (Abu Sakaria Jachia) erkannte die durchgängige Dreibuchſtabigkeit der hebräiſchen Sprachwurzeln. Die urſprüngliche hebräiſche Schrift ent— behrte faſt aller Zeichen für beſtimmte Vocallaute, war daher ſchwer zu leſen und wurde ſo dem Volke faſt entfremdet. Da erfanden, jedenfalls nach 550, Schriftkundige in Aſſyrien das Syſtem der Vocal- und Leſezeichen, und in der Mitte des 7. Jahrhunderts bearbeiteten Karäer (Mocha und ſein Sohn Moſes, der davon nach der Legende Moſes ha Nakdan, „der Punktirer“, genannt wurde) das jüngere tiberien- ſiſche Syſtem, welches jetzt allgemein im Gebrauch iſt und das Unter— ſyſtem genannt wird. Die ganze Lehre bildet den weſentlichſten und bedeutendſten Theil der ſogenannten Maſora. Der von Moſe und Ahron ben Aſcher redigirte maſoretiſche, d. h. mit Vocal- und Leſe— zeichen verſehene Bibeltext wurde für die Folgezeit allen Bibelabſchriften des hebräiſchen alten Teſtamentes zum Grunde gelegt. Mit gleich ernſter Gründlichkeit bearbeitete im 11. Jahrhundert Jona Marinus (Abul— walid Ibn Ganach) eine vollſtändige hebräiſche Grammatik und ein Wörterbuch, beide die Grundlagen für alle folgenden Arbeiten bildend und noch jetzt von Werth. Er war der Erſte, der die Exegeſe zum Rang einer Wiſſenſchaft erhob. Dann lieferte Nathan ben Jechiel ein Wörterbuch zum Talmud, das wegen der Fülle ſeines Inhalts auch noch jetzt benutzt wird. Die Juden ſchrieben ihre Bücher zwar eben ſo oft arabiſch als hebräiſch, allein die in chriſtlichen Län⸗ dern wohnenden, welche kein Arabiſch verſtanden, ſorgten immer auch für Ueberſetzungen in die hebräiſche Sprache. Samuel Halevi Ibn Nagrela (993 bis 1055) verſtand Hebräiſch, Chaldäiſch, Arabiſch, Berberiſch, Caſtilianiſch und Lateiniſch. Schon unter den Weſtgothen ſchrieben die Juden auch Schriften gegen das Chriſtenthum in ſehr ge— wandtem Lateiniſch“ und verachteten ſpäter mit Recht die rohen und unwiſſenden, unter den Arabern lebenden Chriſten (die Muzaraber), die zwar auch Arabiſch lernten, aber dafür auch ſchnell ihr Latein und damit ſo ziemlich auch ihre ganze Religion vergaßen. Im 13. Jahr⸗ hundert ſchrieb der berühmte Levi ben Gerſon (Ralbag) ſein Buch „Die Kämpfe des Herrn“ (Milchamoth Adonai), worin *Die Zeichen wurden über das Wort geſchrieben, deshalb hieß dieſe Schreib- weiſe das Oberſyſtem. ** Lex Visigothorum lib. XII, tit. 2, § 4, tit. 3,89 u. 11. 2 * 8 eine ſehr ſcharfſinnige Unterſuchung über den Urſprung der Sprache vorkommt, in welcher er nachweiſt, daß die Sprache Erfindung des Menſchen ſei und demſelben weder von Gott noch von der Natur (d. h. durch das Naturgeſetz) gegeben ſein könne. Moſes ben Esra ſprach Hebräiſch, Arabiſch, Syriſch, Perſiſch, Griechiſch und Spaniſch. Um kurz zu ſein, nenne ich hier nur noch die Familien der Kimchi, Tibbon und Kalonymos, die durch mehrere Generationen ſich als Sprachkenner und Ueberſetzer berühmt machten. Auch haben wir noch das ſehr werth— volle Sprachwerk, umfaſſend eine Grammatik und ein Lexikon von David Kimchi und eine Grammatik von Moſes Kimchi. Wenn man die Ge⸗ ſchichte der Reformation ins Auge faßt, die Unvermeidlichkeit, dabei eine gründliche Kenntniß der ganzen Bibel in ihrem Urtext wieder ins Leben zu rufen, ſo wird man ſagen müſſen, ohne Hebräiſch keine Reformation und ohne Juden kein Hebräiſch, da ſie darin die einzigen Lehrmeiſter waren. Während ſich zu Jeruſalem in dem Kampfe der Schulen von Hillel und Schammai die geiſtigen und ſittlichen Kräfte der Juden entwickelten, bemächtigten ſich die wohlhabenden Juden der großen alexandriniſchen Gemeinde griechiſcher Geiſtesbildung. Hier ſchrieb Ariſteas, hier erhob ſich Philo, hier wurden in der erſten Hälfte des 1. Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung das dritte Buch der Makkabäer und das Buch der Weisheit ausgearbeitet; hier entſtand noch vor Chr. Geb. die jüdiſche Sibylle, hier der Pſeudophokylides,“ hier die bekannten Schriften gegen das Heidenthum: das Buch Eſther, der Bel und der Drache zu Babel, ſowie der Brief des Jeremias. Wenn auch Philo durch die Epi— gonen der griechiſchen Philoſophie ſich auf einen gar argen Irrweg hatte verleiten laſſen, ſo hatte das doch nur für das entſtehende Chriſtenthum nachtheilige Folgen, nicht aber für die Juden, die ſich ſchon ſeit faſt 800 Jahren in einen reinen Monotheismus hineingedacht und gelebt hatten. Aber die Anregung zu philoſophiſcher Behandlung der höchſten Aufgaben der Menſchheit war doch von Alexandria aus gegeben und entwickelte ſich allmälig und ſtetig in dem durch Aufhebung der Nationalität um ſo mehr dem geiſtigen Forſchen zugewendeten Volke. Jedenfalls liegt eine Anerkennung der geiſtigen Bedeutſamkeit des Judenthums darin, daß ſchon früh die Sage den Ariſtoteles zum Schüler deſſelben und ſpäter geradezu zu einem Bekehrten machte. ** * Bernays, Programm des jüd.-theolog. Seminars, Breslau, 1856. Josephus contra Apionem lib. I, cap. 22; Eusebius praeparationes evangelicae lib. IX, cap. 3; Dr. A. Schmiedl in Frankel's Monatsſchrift Jahrg. IX, S. 98. Leipzig, 1860. vr Im 2. Jahrhundert beſchäftigte ſich R. Meir mit Philoſophie und hatte vertrauteren Umgang mit dem Neuplatoniker Numenios. Schon im 3. Jahrhundert machte R. Simlai den erſten Verſuch, die Agada philoſophiſch zu behandeln. Im 9. Jahrhundert begann Saadia ben Joſeph, Vorſteher der Schule zu Sura, die ganze jüdiſche Religionsanſchauung philoſophiſch zu begründen. Er ſtellte zuerſt die Vernunft als Richterin über Schrift und Talmud in ſeinem ſyſtematiſchen Werke „Glauben und Glaubenslehren“ (Emunot we Deot), worin er das Judenthum nur als eine Beſtätigung der Ver— nunftwahrheit auffaßte, von Gott offenbart, um den weniger geiſtig Begabten den Weg zur Wahrheit abzukürzen. Er verwarf die Teleo— logie, weil der Zweckbegriff auf Gott keine Anwendung finde. Er verlangte, daß die Worte der Schrift immer in ihrem natürlichen Sinne genommen werden müßten, ſoweit ſie nicht einer ſinnlichen Thatſache, der Vernunft oder ſich unter einander widerſprächen. Seine Grundlagen ſind bis heute von jüdiſchen Forſchern feſtgehalten, und die gelehrten Araber ſtellten ſein Werk ſehr hoch.“ Unter den letzten Lehrern von Pumbadita zeichnete ſich R. Hai aus. Er war entſchiedener Gegner alles und jedes Myſticismus, alles Aberglaubens, Wunderthums und Zauberweſens, was er Alles für Dichtung oder Betrug, und wenn im Namen Gottes verſucht, für Gottloſigkeit erklärte. Er war ein ganz freier Geiſt, der ſich oft über zweifelhafte Bibelſtellen bei dem damaligen gelehrten Katholikos der morgenländiſchen Chriſten zu Bagdad, Mar Elia J., Rath erholte. Als Rabbiner ihm das zum Vorwurf machten, antwortete er ihnen: „Nach dem Talmud iſt der Jude verpflichtet, die Wahrheit von Jeder— mann anzunehmen.“ Im 11. Jahrhundert treten die beiden großen Dichter und Denker Gabirol und Juda Halevi auf, deren Werke von nachhaltigem Einfluß waren. Salomon ben Jehuda Ibn Gabirol (1021 bis 1070) ver- jüngte und verſchönerte als Dichter wieder die greiſe hebräiſche Sprache. Eine trübe Jugend machte ihn ſchwermüthig und gab ſeinen Dich— tungen einen ernſten Charakter. Schon als Jüngling war er vertraut mit Sokrates, Plato, Ariſtoteles, den Neuplatonikern und arabiſchen Philoſophen; an ihrer Hand wurde er wieder der erſte Selbſtdenker in Europa, ſeitdem Juſtinian's Rohheit die philo— * Sylvestre de Sacy, Chrestomatie arabe I, 350; Zeitſchrift d. deut. morgenl. Geſellſchaft S. 376. 1859. 1 ſophiſchen Schulen in Athen hatte ſchließen laſſen und Scotus Erigena (850) jo gut wie vergeſſen war.“ Sein Hauptwerk hieß Mekor Chajim („Die Quelle des Lebens“); es war arabiſch ge— ſchrieben, wurde unter dem falſchen Namen Avicebron in das Lateiniſche von einem chriſtlichen Prieſter und ſpäter in das Hebräiſche von einem Juden überfegt.** Von Vielen wurde die in dieſem Buch niedergelegte Weisheit benutzt: ſo von Wilhelm von Auvergne, Albrecht dem Großen, Thomas von Aquino und Duns Scotus.““ Abulhaſſan Jehuda ben Samuel Hale vi (1086 bis 1142) ** war Dichter im edelſten Sinne des Wortes, ausgezeichneter Arzt und Verklärer des Judenthums. In philoſophiſcher Beziehung iſt ſein Hauptwerk der gedankenvolle Dialog „Chozari“ (Cosri). Er kennt und benutzt Sokrates, Plato und Ariſtoteles, aber ohne ſie in ihrem Weſen zu erfaſſen; er konnte über die mangelhafte Gedanken- arbeit früherer Zeiten nicht hinauskommen und betrat daher wieder den troſtloſen Irrweg: die Wahrheit der religiöſen Ueberzeugung auf hiſtoriſche Thatſachen bauen zu wollen. Nichtsdeſtoweniger erhebt er ſich zu großen Gedanken. Er leitet von Adam im Gegenſatz zum Chriſtenthum eine ererbte und angeborene Anlage zur Tugend ab; alle Askeſe verwirft er als unſittlich. So poetiſch und begeiſtert überall feine Auffaſſung ift, jo übte fie zwar einen bedeutenden Einfluß auf die nachfolgende jüdiſche Literatur, erlangte jedoch eine eingreifende Wirkung mehr auf die Schriften myſtiſcher Tendenz. Den Glanzpunkt in der philoſophiſchen Entwickelung der Juden bildet das 12. Jahrhundert. Ich will hier zunächſt den Sohar er— wähnen, deſſen Verfaſſer und genauere Abfaſſungszeit noch nicht ganz ſicher geſtellt ſind. Gewöhnlich macht man ſich von der Kabbala, nur deren Ausartungen ins Auge faſſend, eine ganz falſche Vor⸗ ſtellung. Das Beſtreben der Kirche im Mittelalter (beſonders der Scholaſtik)b war das hoffnungsloſe Ringen, den Traum des „Gott⸗ menſchen“ zu realiſiren, die reine Geiſtigkeit des religibſen Judenthums Ritter, Geſchichte der chriſtlichen Philoſophie 1, S. 640 ff. Göttingen, 1858. ** Jourdain, Recherches eritig. sur l’äge et l’origine des traductions latines I, III, 5 8. Munk, Mélanges de philosophie juive et arabe p. 291 ff. Paris, 18571859. n H. Heine, Romanzero: „Jehuda ben Halevi“, der Dichter vom Dichter geprieſen. ve mit der reinen Sinnlichkeit des religiöſen Heidenthums zu amalga— miren, ja zu identificiren. Davon wurde auch zuweilen das Juden— thum angeſteckt in der Schule, welche die unvermeidlich ſinnliche Sprache der Propheten über Gott in der wirklichen Bedeutung der Worte gefaßt wiſſen wollte und ſo Gott anthropomorphiſirte. Das geſchah denn auch in der Kabbala. Der Sohar, dieſer Richtung angehörend und das Hauptwerk derſelben, giebt eine ganz andere Anſchauung, als man gewöhnlich hat. Geiger urtheilt wohl zu hart darüber, Frank in ſeiner Arbeit über die Kabbala hat Vieles in ein richtigeres Licht geſtellt“ Der Sohar erhebt die Freiheit des Ge— dankens über Dogma und Schrift. Die Einheit und Immaterialität Gottes, Unſterblichkeit der Seele und Freiheit des Willens beherrſchen das Ganze und geben ihm eine höhere Bedeutung. In demſelben Jahrhundert ſchrieb Joſeph ben Zadik Ibn Zadik eine Logik. Abraham Ibn Daud verfaßte um dieſe Zeit ſein Werk: „Der höchſte Glaube“, deſſen Charakter ſich kurz angeben läßt: „Das Ziel aller philoſophiſchen Theorie iſt die praktiſche Verwirklichung ſittlicher Zwecke, und darin eben beſteht das Judenthum.“ Etwas Höheres hat nie eine Philoſophie ausgeſprochen; es iſt genau daſſelbe, was 700 Jahre ſpäter Fries mit einem Schulausdruck „den Primat der prak— tiſchen Vernunft“ nannte. Das mag hier genügen; hundert andere Namen von Philoſophen, die uns aufbewahrt ſind, übergehend, wende ich mich jetzt wiederum zu dem größten Geiſt, den dieſes Jahrhundert überhaupt in ganz Europa aufzuweiſen hat, zu Maimonides. Abu Amran Muſa ben Ab— dallah oder Moſes ben Maimun (1135 bis 1204) iſt in ſeinen ſpeciellen, vielfach in Legenden gehüllten Lebensverhältniſſen nur un- vollſtändig bekannt, jedoch das wiſſen wir, daß er in ſeinem Leben tadellos ſittlich, von wahrem Seelenadel durchdrungen war. Sein Vater, ein hochgeſtellter Mann in Cordova, war Mathematiker, Aſtronom und Talmudkenner und flößte ſeinem Sohne ſchon früh Begeiſterung für die Wiſſenſchaften ein. Durch die fanatiſchen Al- mohaden vertrieben, führte die Familie lange ein unruhiges Wander— leben. Maimonides lernte von ſeinem Vater Alles, was dieſer lehren konnte; von muhamedaniſchen Lehrern wurde er in die Naturwiſſen— ſchaften eingeweiht und nicht minder in die Arzneikunde. Daß er in der Philoſophie Schüler des Averroes geweſen ſei, iſt ein längſt ** Frank, La Kabbale. m . aufgeklärter Irrthum.“ Maimonides jtand ganz auf dem eigenen Boden des Judenthums und der für alle Philoſophie grundlegenden Griechen. Beſonders folgte er dem Ariſtoteles, aber ganz ſelb— ſtändig, oft von ihm abweichend und ihn widerlegend. Er benutzt außerdem den Sokrates, den Xenophon und den Plato, ferner die Stoiker, den Peripatetiker Alexander von Aphrodiſias und den Eklektiker Themiſtius. Daß er durch ſeine Zeit, ſeine Umgebung und ſein damals ſchwer gedrücktes Judenthum in manchen Richtungen beſchränkt war, kann ihm Niemand vorwerfen, da ſich Niemand von ſolchen Einflüſſen ganz frei machen kann; doch ſteht er frei über manchen Rabbinen, wenn er ſagt: „Sie finden in den heiligen Schriften hundert Dinge, an welche dieſe nie gedacht haben.“ Sein großes philoſophiſches Werk heißt More hanebuchim („Der Führer der Irrenden“). Er ſelbſt ſagt darüber: „Kurzum, ich bin nun ſo, wenn mich der Gedanke drängt, und ich kann ihn blos in der Weiſe dar— ſtellen, daß er Einen unter Zehntauſenden, einen Denkenden, befriedigt und fördert, während er vielleicht der großen Maſſe unerträglich er— ſcheint, ſo ſpreche ich kühn und offen das Wort aus, das den Ver— nünftigen erleuchtet, mag auch der Tadel der unvernünftigen Menge mich treffen.“ Und er hat die Denkenden erfreut und einen gewaltigen Einfluß auf die Fortbildung der Philoſophie ausgeübt. Skaliger ſagt: „Der Führer der Irrenden kann nie genug gelobt werden;“ und Caſaubonus rühmt von ihm: „Was zur Religion gehört, be— handelte er religiös, das Philoſophiſche philoſophiſch und das Gött— liche göttlich.“ So faßte ihn die nächſte Folgezeit auf. Sein Haupt⸗ grundgedanke war: „Der Menſch ſoll ſich in ſeinen Handlungen nicht durch Autoritätsglauben leiten laſſen. Nie kehre man dem beſſeren Wiſſen den Rücken zu, haben wir doch unſere Augen vorn und nicht hinten“ und an einer anderen Stelle: „Der Zweck der Religion iſt, im Einklang mit der Vernunft denken und handeln zu lernen, um ſich der Vollkommenheit zu nähern.“ In beiden Beziehungen ſteht er hoch über der chriſtlichen Scholaſtik, die übrigens auf feinem Grunde ruht.“ — Sein Werk wurde unzählige Male ins Lateiniſche, Deutſche, Maimonides lernte erſt in ſeinen ſpäteſten Lebensjahren die Arbeiten des Averroes kennen. Munk im Journal asiatique p. 31 f. Juillet 1842; Renan, Averroes et l’Averroisme, pa17g. Vergl. unter Anderem: M. Joel, Einfluß der jüdiſchen Philoſophie auf die chriſtl. Scholaſtik in Frankel's Monatsſchrift S. 210 ff., 1860; Desſelben, Verhältniß Albert des Großen zu Moſes Maimonides. Breslau, 1863. Er Spaniſche, Engliſche u. ſ. w. überſetzt. Wie ſehr abhängig von Mai: monides ſelbſt noch Spinoza iſt, hat Joel unwiderleglich nachgewieſen.“ Nach dem Tode des Maimonides entſtanden im Judenthum heftige Streitigkeiten über den Werth und die Rechtgläubigkeit ſeiner Lehre, und oft wurde gegen ihn der Bann ausgeſprochen. Die hierbei auf— tretenden Einſeitigkeiten ſind häufig auf die albernſte Weiſe gegen das Judenthum, das ganz kennen zu lernen man ſich nie die Mühe gab, benutzt worden. Bei ſolchen Geiſteskämpfen hat das einſeitige Parteiwort keine Bedeutung (als nur etwa die Partei zu zeichnen), ſondern nur das Ende des Kampfes, das, was ſich als Siegespreis für das geſammte Volk geltend macht, und das war in Bezug auf Maimonides ſchließlich die allgemeine Anerkennung ſeiner Geiſtesgröße und das friſche Fortſchreiten auf den Wegen, die er gewieſen, zu reiner Religioſität, ſtrenger Sittlichkeit und hoher Geiſtesfreiheit. Aus der Zeit nach Maimonides muß ich noch zwei Männer nam— haft machen. Zuerſt nenne ich einen lebhaften Verehrer, Vertheidiger und Fortbildner ſeiner Lehren, den Levi ben Gerſon, der recht eigentlich als die Fortſetzung des Maimonides angeſehen werden kann, und deſſen oben (S. 19) bereits angeführtes Hauptwerk „Milcha— moth“ nicht nur bei den Juden großes Aufſehen machte, ſondern auch von Picus von Mirandola, Reuchlin, Keppler und anderen chriſtlichen Denkern ehrenvoll erwähnt wird.““ Der zweite iſt Chasdai Crescas, der, zwar in vieler Beziehung berechtigter Gegner des Maimonides, doch deshalb unſere Aufmerkſamkeit verdient, weil er zuerſt principiell den Ariſtoteles und feine Autorität be— kämpfte und mit großem Scharfſinn deſſen Weltanſchauung und Phyſik in ſeinem merkwürdigen Buche „Or Adonai, das Licht Gottes“ widerlegte, im Jahre 1410, alſo lange ehe ein chriſtlicher Forſcher wagte, ſich gegen den ariſtoteliſchen Glaubenszwang aufzulehnen.*** Auch in der Philoſophie darf man ſagen: ohne Judenthum keine Scholaſtik und kein Fortſchritt, alſo keine Fortbildung der Philoſophie. Für die Philoſophie bin ich hier an das Ende des mir vor— gezeichneten Weges gekommen, und ich erwähne nur noch einen Mann, * Dr. M. Joel, Spinoza’s theologiſch-politiſcher Tractat auf ſeine Quellen geprüft. Breslau, 1872. ** Levi ben Gerſon als Religionsphiloſoph. Von Dr. M. Joel. Bres⸗ lau, 1872. * Don Chasdai Crescas' religionsphiloſophiſche Lehren. Von Dr. M. Joel. Breslau, 1866. 5 der um 1450 lebte, Iſaac ben Moſes Hale vi (Prophiat Duran genannt), welcher in einem Briefe an einen getauften Juden, der auch ihn bekehren wollte, das ganze Chriſtenthum mit der ſchneidendſten Ironie abfertigte. Ich wende mich jetzt zu einem beſonderen Zweige der Philoſophie, der Ethik, die im Judenthum ſchon deshalb eine hohe Stellung ein— nahm, weil ſeit der Zerſtörung des Tempeldienſtes in Jeruſalem den Juden nur noch dieſe Form des Gottesdienſtes, die ſie ſchon von jeher gepflegt, übrig blieb. Zunächſt erwähne ich dabei eines Punktes, der die Ethik mit der Religionsphiloſophie verknüpft, nämlich die Toleranz. Die echte Toleranz iſt die Bethätigung des eigenen Seelenadels, der den Menſchen überall ohne Rückſicht auf ſeinen Glauben menſchlich und mit Güte behandelt. Daß in dieſer Hinſicht die Chriſten bis auf den heutigen Tag nicht ſehr lobenswerth daſtehen, iſt bekannt genug, und das widerlegt allein ſchon die Behauptung, daß das Gebot all: gemeiner Menſchenliebe dem Chriſtenthum eigen ſei. Bei den Juden finden wir das gerade Gegentheil. Sie waren nie bekehrungsſüchtig und erſchwerten Anderen möglichſt den Uebertritt. Ja ein gelehrter Rabbiner ſtellte den Satz auf: „Mißtraue jedem Proſelyten bis zur zehnten Generation.“ Es war R. Abaja Nachmani im 4. Jahr⸗ hundert, deſſen Wahlſpruch war: „Halte Frieden mit Brüdern und Verwandten, mit aller Welt, ſelbſt mit den Heiden draußen;“ und ſeit ihm erkannten eigentlich die Juden keinen Unterſchied mehr an zwiſchen Recht- und Andersgläubigen, und nur die Rabbiner einzelner Schulen verſuchten zu Zeiten ihre Reingläubigkeit, z. B. gegen Mai⸗ monides, durch einen längſt machtlos gewordenen Bann zu beweiſen. Die Juden ſcheuten keineswegs die Miſchung mit Heiden und Chriſten, noch den geſelligen Verkehr mit ihnen, z. B. bei gemeinſchaftlichen Gaſtmählern, bis das Alles von den chriſtlichen Prieſtern verboten wurde. Im 10. Jahrhundert erſchien ein anonymes Werk von einem Juden, worin Wohlwollen, Milde und Gerechtigkeit gegen Anders— gläubige unter Androhung der Verdammung gelehrt wird, und gerade zu der Zeit, als in Spanien, Frankreich und Deutſchland die nichts⸗ würdigſte Verfolgungsſucht gegen die Juden wüthete, ſchrieb ein fran- zöſiſcher Jude, Jehuda Sir Leon ben Iſaac (Ha Chaſid, „der Fromme“, genannt), eine Anweiſung für höheres religiöſes Leben, worin er lehrt: „Wie gegen den Glaubensgenoſſen ſollſt du auch redlich gegen den Chriſten handeln; hat dieſer ſich zu ſeinem Nachtheil geirrt, ſo a ſollſt du ihn darauf aufmerkſam machen; it der Jude Zolleinnehmer, ſo ſoll er dem Chriſten nicht mehr abfordern als dem Juden; der Jude ſoll weder gegen Juden noch gegen Chriſten ſich eines lügen— haften Vorwandes bedienen“ und nicht einmal einem unſicheren Borger ſagen, man habe kein Geld; man ſoll dem Chriſten nichts entwenden, denn Gott ſteht allen Bedrängten bei ꝛc.“ Ich dächte, das wäre ſchon genug, um eine Menge gehäſſiger Vorurtheile gegen die Juden lächerlich zu machen. Gehen wir nun beſtimmt auf die Ethik ein, ſo bemerke ich zuerſt, daß die Befolgung des Sittengeſetzes erſte und faſt einzige Pflicht gegen Gott, eigentlicher Gottesdienſt war, und wenn wir von der wandelbaren Meinung Einzelner abſehen, iſt den Juden das Princip des Sittengeſetzes nur das dem Menſchen angeborene Streben nach Vollkommenheit, dem man genügen müſſe, alſo gewiß der reinſte, ſelbſtloſeſte Beweggrund. Da die Sittlichkeit den Juden religiöſe Pflicht war, ſo kann es eigentlich keinen Lehrer bei ihnen geben, der nicht die Fragen der Ethik berührt und mehr oder weniger eingehend behandelt hat. Es genügt mir daher hier, einige ausgezeichnete Namen zu nennen, deren Träger einen weiter verbreiteten oder länger dauern— den Einfluß auf das Judenthum ausübten. Zuerſt und vor Allem müſſen auch hier Hillel und Schammai noch einmal erwähnt wer— den, deren Sittlichkeit und Wohlwollen im Leben tadellos daſtehen. Schammai unterſcheidet ſich von ſeinem berühmten Zeitgenoſſen nur durch eine größere Peinlichkeit in der geſetzlichen Begründung der einzelnen Vorſchriften. Wichtiger aber iſt uns allerdings Hillel, deſſen ganze Lehre eine Schule der Sittenreinheit und der Liebe war, in der das Beſte, was Jeſus lehren konnte, ſchon ſich vorfand. In dieſer frühen Zeit iſt auch noch das apokryphe „Buch der Weisheit“ zu erwähnen, das unter Caligula in Alexandria verfaßt wurde, und das man mit Unrecht dem Philo zugeſchrieben hat. Das Buch polemiſirt gegen die Unſittlichkeit und das Götzenthum der Heiden. Einen ähnlichen Zweck verfolgt der unter dem Namen Pſeudopho— kylides bekannte Jude, der die reine jüdiſche Sittenlehre den Griechen empfiehlt. Auch des Patriarchen Rabbi Simon aus dem 2. Jahr: hundert muß ich gedenken, von dem uns der Grundſatz aufbewahrt * Dagegen hatte die chriſtliche Kirche es öffentlich als Grundſatz ausgeſprochen: „Ketzern brauche man nicht Wort zu halten.“ * Die Pſeudophokyliden. Von Bernays. Im Programm des jüdiſch⸗ theologiſchen Seminars, Breslau, 1856. wu WE iſt: „Auf drei Verhältniſſen beruht der Beſtand der Welt, auf Wahr- heit, Recht und Frieden.“ Höchſt folgenreich wirkte im 3. Jahrhundert der R. Mar Samuel. Schon der Prophet Jeremias hatte den exilirten Juden zugerufen: „Fördert das Wohl der Stadt, wohin ihr vertrieben jeid.” Samuel erhob das zur allgemein bindenden Vor- ſchrift, daß für den Juden, wo er auch ſei, die Landesgeſetze eben ſo rechtskräftig ſeien wie ſeine eigenen. So hoch ſtehen die Juden über unſeren katholiſchen Biſchöfſen. Jenen Grundſatz haben die Juden überall angenommen und ihm treu nachgelebt. Ich überſpringe einen längeren Zeitraum und wende mich zu dem R. Gerſchom ben Jehuda, der einen ſehr wohlthuenden Ein- fluß auf das Judenthum erlangte. Das Judenthum förderte ſeinem innerſten Geiſte nach die Monogamie, hatte aber die Polygamie nicht geradezu verboten. Das that erſt Gerſchom und ließ dieſes Geſetz auf einer Synode förmlich ſanctioniren. Seit der Zeit bleibt die Monogamie bei den Juden unverbrüchlich. Einen wohlthuenden Ein- druck machen die unendlich zahlreichen Gedichte, die von dem innigen Verhältniß zwiſchen Mann und Frau Zeugniß ablegen, und eine be— ſondere Gattung waren die Hochzeitslieder, in denen beſonders Jehuda Halevi ſich auszeichnete, und welche die hohe Würde und Weihe der Ehe preiſen. Bald darauf folgte R. Hai, der im 11. Jahrhundert lebte und ſeine perſönliche edle Sittlichkeit in einem Lehrgedicht (Muſſar haskel) niederlegte, das ins Lateiniſche überſetzt und oft aufgelegt wurde.“ In demſelben Jahrhundert lebte R. Bahia ben Joſeph Ibn Bakuda, dem die Verinnerlichung des jüdiſchen Geſetzes mit Zurückſtellung des Ceremonialgeſetzes in ſeinem Werke Choboth hale— baboth (d. h. Herzenspflichten) Herzensangelegenheit war. Er war im beiten Sinne des Wortes Pietiſt und neigte ſtark zur Askeſe. Dieſem letzteren Beſtreben trat dann im folgenden Jahrhundert ganz entſchieden Jehuda Sir Leon ben Iſaac entgegen. Er verwirft jede Trennung vom menſchlichen Verkehr und jede Art des Mönchs— weſens als unſittlich. Hinſichtlich des Gebetes hat er den ſchönen Ausſpruch, daß daſſelbe nur Werth habe in der Mutterſprache, in fremder Sprache aber das Herz leer laſſe. Endlich verdient aus dieſer Zeit auch Maimonides eine ehrenvolle Erwähnung, indem er in mehreren Abſchnitten ſeines Commentars zur Miſchnah, wie in dem More hanebuchim die jüdiſche Sittenlehre ſyſtematiſch und philo⸗ * Fürst, Bibliotheca judaica I, 356. Fe ſophiſch hauptſächlich nach Ariſtoteles entwickelt und auch in feinen übrigen Werken vielfach wieder auf dieſen Punkt zurückkommt.“ Das Vorſtehende führt mich dann ſogleich auf die Rechtskunde, da bei den Juden Sittenpflicht und Rechtspflicht kaum begrifflich ge— ſchieden waren.“ Einige Zuſätze zum Vorigen werden daher genügen. R. Simlai und R. Samuel ſind ſchon anderweitig erwähnt. R. Hai ſchrieb ein Buch über talmudiſches Handelsrecht in arabiſcher Sprache, das ſpäter ins Hebräiſche überſetzt wurde. Im 12. Jahrhundert zeichnete ſich R. Iſaac Halevi als Lehrer des Civilrechts aus. Es wurde im ſüdlichen Frankreich ſehr allgemein anerkannt, daß die jüdi— ſchen Geſetze beſſer ſeien als die chriſtlichen,“ “* eine Anſicht, die nicht widerlegt, ſondern nur als Ketzerei verurtheilt wurde.“ Das Wich— tigſte aber, wodurch die Juden weſentlich umgeſtaltend auf das dürre und beſchränkte römiſche Recht einwirkten, war ihre Erfindung der Wechſel und Creditbriefe, wodurch auch der geſammte Großhandel eine weitere Ausdehnung und größere Beweglichkeit erlangte. Als unter Philipp II. Auguſtus Plünderungen und Mordbrennereien gegen die Juden ſich aufs Scheußlichſte erneuerten, gewannen dieſe durch die Ein— richtung der Wechſel die Möglichkeit, bei ihrer Flucht vor den chriſtlichen Straßenräubern doch wenigſtens einen Theil ihres Eigenthums zu retten. Auch die Geſundheitspflege, ſowohl die Erhaltung der normalen Beſchaffenheit des eigenen Körpers durch zweckmäßige Diät als auch die Pflege und Wiederherſtellung der Kranken, wird bei den Juden als ſittliche Pflicht angeſehen.““ * Daher finden wir die meiſten Lehrer auch in der Arzneikunde gebildet und dem ärztlichen Berufe ſich hin— gebend. Wie gewiſſenhaft dieſer Beruf aufgefaßt wurde, kann das uns erhaltene ſchöne Gebet des Maimonides für einen Arzt, der einen Kranken beſuchen will, darthun. ****** Man darf jagen, daß bis *Ich bin bei der Ethik und zumal beim Maimonides möglichſt kurz geweſen, da ich dafür auf eine vorzügliche Arbeit verweiſen kann: Dr. David Roſin, Die Ethik des Maimonides; im Jahresbericht des jüd.-theolog. Seminars Fräntel: ſcher Stiftung. Breslau, 1876. ** Dr. Roſin a. a. O., S. 1 bis 2. . Vaisatte, Hist. gener. de Languedoc III, Preuves, p. 372. z Wenn man einen Ketzer einen Hund nennt, jo denkt man offenbar daran, daß Hunde dazu dienen, die Blinden zu führen (Jean Paul's Werke Bd. 64, S. 150, bei Reimers). ern Dr. Roſin a. a. O., S. 124. erke Das Gebet iſt von Moſes Mendelsſohm überſetzt und theilweiſe fran— zöſiſch von Bedarride a. a. O., S. 489 wiedergegeben. ir zum Aufblühen der weſentlich durch Juden gejtifteten Schulen von Montpellier und Salerno“ die Juden faſt die einzigen Aerzte auf der ganzen damals bekannten Erde waren, denen ſich erſt ſpäter in Spanien die Araber anſchloſſen,““ bis dieſe aus Spanien vertrieben wurden, worauf die Juden wieder die alleinigen Vertreter der medi— einiſchen Wiſſenſchaften wurden. Die bodenlos unwiſſenden und rohen Chriſten der damaligen Zeit kamen ſogar zu dem abſurden Aberglauben, daß die Juden von Natur die alleinige Anlage zur Arzneikunde hätten; Fürſten und Geiſtliche, die auf die ſchändlichſte Weiſe die Juden plün⸗ derten und vertrieben, weigerten ſich doch, wie z. B. Franz J. von Frankreich, hartnäckig, einen Chriſten, ja nur einen getauften Juden als Leibarzt anzunehmen. Es gab eine Zeit, in der die Juden als Leibärzte das Leben ſämmtlicher Fürſten und Prälaten in ihrer Ge- walt hatten. Noch im 16. Jahrhundert waren die berühmteſten Aerzte zum überwiegend großen Theil Juden. Es wird hier genügen, einige der ausgezeichnetſten Aerzte nament- lich anzuführen, da die Bedeutung der Juden in dieſem Fache ohne— hin kaum beſtritten werden kann. Schon im 3. Jahrhundert ſtoßen wir auf den ſchon oben erwähnten R. Mar Samuel (+ 257). Derjelbe leitete ſchon die meiſten Krankheiten von verdorbener Luft ab und ſchrieb die größere Sterblichkeit der in Schlachten Verwundeten der längeren Einwirkung der Luft auf die Wunden zu. Farragut war als Ueberſetzer und Leibarzt Karl's des Großen berühmt.*** Am Ende des 9. Jahrhunderts ſchrieb Iſaac ben Suleiman Israeli nebſt anderen Werken ein arabiſches Buch über die Fieber, das ſehr bald ins Hebräiſche, Spaniſche und Lateiniſche überſetzt wurde. Zur ſelben Zeit genoſſen unter dem Kalifen Almamun der R. Maſchalla und der R. Abul Barkat im Orient großes Anſehen als Aerzte. Im 13. Jahrhundert bearbeitete Abraam Cabrit einen Commentar zum Hippokrates. Ein weit berühmter Lehrer zu Montpellier war um 1300 der R. Profatius. Noch will ich erwähnen, daß Maimonides den Galen bearbeitete, Aphorismen zur Medicin ſchrieb und daß er von Richard Löwenherz als Leibarzt berufen wurde, was er aber ablehnte. * Astruc, Hist. de la faculté de Medie. à Montpellier p. 14; Prunelle, Discours sur linfluence de la Medic. sur la renaissance des lettres p. 4460. Obwohl in beſchränkter Weiſe, da die Araber nur höchſt ungern ihre Heimath verließen. 5 1 Bedarride, p. 72 und p. 459 (11.) = in Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts kannte man feine Trennung von Medicin und Naturwiſſenſchaften, von welcher Verbindung ſich eigentlich nur Mathematik und Aſtronomie früh befreiten. Daher gehören alle Aerzte auch den Naturwiſſenſchaften an, und es wird kaum nöthig ſein, hier Jemand namentlich hervorzuheben. Ich begnüge mich damit, darauf hinzuweiſen, daß mehrere berühmte Reiſende ge— nannt werden, jo Petachiah von Regensburg, Eldad (der Danit), deſſen Reiſebeſchreibung ins Lateiniſche überſetzt wurde, und vor Allen Benjamin von Tudela (1165 bis 1173 Zeit der Reiſe), der faſt die ganze damals bekannte Welt durchreiſte. Seine Reife: beſchreibung „Maſeot Benjamin“ (Iter Benjaminum) iſt nicht nur häufig ins Lateiniſche, ſondern auch in faſt alle europäiſche Sprachen übertragen. Auch an der Entdeckung von Oſtindien betheiligten ſich die Juden, namentlich durch Abraham de Behia und Joſeph Zapatero de Lamego, die von Juan II. zur Erforſchung der Küſten des rothen Meeres und der Inſel Ormuz im perſiſchen Golf ab— geſandt wurden.“ Ich ſchließe hieran die Darlegung der Verdienſte der Juden um die Aſtronomie. Die Juden hatten ſchon früh eine eigene Zeitrech— nung und einen eigenen Kalender; um denſelben in Ordnung zu halten und die Zeiten ihrer Feſte richtig zu beſtimmen, mußten ſie ſich mit der Aſtronomie bejchäftigen.** Auch wurde die Kenntniß des geſtirnten Himmels ſchon früh als ein belebendes Mittel der Gotterkenntniß und Andacht aufgefaßt, wie viele Stellen im Talmud und ſpäter bei Maimonides zeigen.“ Schon unter den Nachfolgern Hillel's wird Gamaliel als Mathematiker und Aſtronom gerühmt; er ſoll ſich ſogar ſchon eines Fernrohrs (natürlich ohne Gläſer) be— dient haben. Im Jahre 89 n. Chr. kannte Jehoſchua ſchon den 70(73) jährigen Umlauf eines kleinen (des Halley'ſchen) Kometen.“ *“ Mar Samuel in einer von ihm herrührenden Boraita hat Lehren über den Himmelsbau, über Sonne, Mond, Sterne und Sternbilder, über die Urſachen des Wechſels der Jahreszeiten ꝛc. gegeben; er ſchrieb ein beſonderes Werk über die Jahreszeiten, das noch handſchriftlich * Basnage, Histoire des juifs, livre VII, chap. 21. * Epiphanius, Opp. pag. 1822 ff.; Ideler, EEE der Chronologie S. 198 bis 255. Berlin 1831. * Dr. J. Fürſt, Cultur⸗ und Literaturgeſch. der Juden in Aſien, Theil J. S. 45. r Fürſt a. a. O., S. 43 f. „ im Vatican vorhanden ift.* Dabei war er ein entſchiedener Ver: ächter der Aſtrologie. Lange Zeit wurde die Kalenderberechnung, an mannigfache althergebrachte Formalitäten geknüpft, vom Sanhedrin geheim gehalten, bis der Patriarch Hillel II. dieſelbe bekannt machte; fie ſtimmt jo genau mit dem Meton'ſchen Cyklus, ** daß fie ſich noch bis heute bewährt. Wie viel von dieſer Berechnungsweiſe Hillel ſelbſt angehört, läßt ſich wohl nicht mehr ausmachen. Noch vor Mohamed ging dieſe Kalenderberechnung von dem jüdiſchen Lehrhauſe zu Jathrib auf die Araber über. Um 800 erwarb ſich der R. Sahal al Tabari (Rabban genannt) als Mathematiker und Aſtronom einen großen Namen; er überſetzte zuerſt den Ptole— mäus ins Arabiſche und entdeckte die Strahlenbrechung des Lichtes. *** R. Abuſahal Dunaſch ben Tammim, ausgezeichnet als Mediciner (Leibarzt des dritten fatimidiſchen Kalifen) und berühmt als Aſtronom, war einer der erſten derer, die mit dem eben eingeführten neuen arabiſchen Zifferſyſtem rechneten. Die in derſelben Zeit geſchriebenen aſtronomiſchen Werke von R. Abraham b. Chija(Albargeloni) wurden ins Lateiniſche überſetzt und vielfach benutzt. Von Maimonidesbeſitzen wir auch eine ausführliche und gründliche Widerlegung des aſtrologiſchen Aber— glaubens, wodurch freilich chriſtliche Geiſtliche und Fürſten nicht klüger gemacht wurden. Ein ſehr bedeutender Mathematiker des 12. Jahr⸗ hunderts war offenbar Johannes von Sevilla oder de Luna. Er ſchrieb eine praktiſche Arithmetik, worin zuerſt die Rechnung mit Decimalbrüchen, wahrſcheinlich ſeine eigene Erfindung, vorkommt. Aus dem 13. Jahrhundert brauche ich nur das ſchon beſprochene Buch „Sohar“ hervorzuheben; daſſelbe lehrt die Umdrehung der Erde um ihre Axe als die Urſache von Tag und Nacht lange vor Copernicus. In der Mitte des 13. Jahrhunderts beſtieg Alphons X., „der Weiſe“ genannt, den Thron von Caſtilien. Seiner Leidenſchaft für die Aſtronomie gab er dadurch Ausdruck, daß er neue aſtronomiſche Tafeln anfertigen ließ, die lange Zeit als „Alphonſiniſche Tafeln“ von den Aſtronomen benutzt wurden; die Leitung dieſes Unternehmens übergab er dem jüdiſchen Aſtronomen R. Iſaac ben Sid. Zugleich überſetzte für denſelben König R. Judas ben Hakohen die aſtronomiſchen Werke des Avicenng ins Spaniſche; demſelben ſchreibt man auch die Eintheilung ſämmtlicher Sterne in 48 Sternbilder zu. Unter * Fürſt a. a. O., S. 47 f. Ueber den Meton' ſchen Cyklus ſiehe Ideler a. a. O., ©. 132 ff. * Müſtenfeld, Geſch. der arabiſchen Aerzte u. Naturforſcher S. 20. Ei 1 Alphons XI. werden noch R. David Audrahan, Iſaak ben Samuel ben Israel und Jacob ben Meir Ibn Tibbon als Verfertiger aſtronomiſcher Tafeln geprieſen, und Profatius, einer der berühmteſten Lehrer der Mediein an der Akademie von Mont: pellier, zeichnete ſich ebenfalls als Aſtronom aus.“ Ganz beſonders muß ich hier wieder Levi ben Gerſon (Ralbag, bekannter unter dem Namen Magiſter Leo de Bagnolas) hervorheben, der einen be— deutenden Namen als Aſtronom hatte. Seine Beſchreibung eines von ihm erfundenen aſtronomiſchen Inſtruments wurde auf aus— drückliches Verlangen für den Papſt Clemens VI. ins Lateiniſche überſetzt, und Kepler gab ſich große Mühe, um ſich dieſe Schrift zu verſchaffen.“ f Das Geſagte genügt ſchon, um nachzuweiſen, daß die Juden bis zum 13. Jahrhundert in geiſtiger Beziehung wie in jeder für das Leben wichtigen Wiſſenſchaft ihren chriſtlichen Zeitgenoſſen unendlich überlegen waren. Der praktiſche Erfolg dieſes Verhältniſſes für das Leben zeigt aber unwiderleglich, daß dieſe Ueberlegenheit auch von ihren Zeitgenoſſen anerkannt wurde. Sie waren nicht nur als Leib— ärzte Herren des Lebens aller geiſtlichen und weltlichen Größen, ſon— dern ſie leiteten auch überwiegend häufig theils durch ihren Einfluß, theils durch die ihnen wirklich verliehene amtliche Stellung die Staaten, denen fie angehörten. Ihre moraliſche Ehrenhaftigkeit, ihre geiſtige Gewandtheit und ihre reichen Kenntniſſe führten ſie ſehr häufig bei Heiden, Mohamedanern und Chriſten an die Spitze der Staatsgeſchäfte. Schon unter den Ptolemäern genoſſen die Vorſteher der ägyptiſchen Schulen: Onias und Doſitheus großen Einfluß bei Hofe. Philo wurde von ſeiner Gemeinde als Geſandter nach Rom geſchickt. Unter den erſten römiſchen Kaiſern waren die Juden meiſt geachtet und hatten großen Einfluß, wie ſo viele zu ihren Gunſten erlaſſene Geſetze beweiſen. So ſtand R. Jehoſchua in großem Anſehen bei Hadrian und R. Abbahu bei Diocletian. Die 144. Novelle des Codex beweiſt, daß die Juden unter Juſtinian auch als Landwirthe geachtet waren. Die Vorſteher der jüdiſchen Akademien in Babylon waren auch faſt immer zugleich poli— tiſch bedeutend, zumal unter den beſſeren perſiſchen Herrſchern. Großen Einfluß hatten die Juden bei den Arabern bis auf Mohamed, der * Montucla, Histoire de Mathemat. T. I, p. 419. * Munk, Melanges ete. pag. 497, not. 2; Kepler, Epistol. ad Johanem Remum. 3 AR. 2 erſt anfing, fie zu verfolgen, nachdem er glaubte, mächtig genug ge: worden zu ſein, um ſie entbehren zu können. Zwei gelehrte Juden Abdallah Ibn Salam und Mukchairik waren ihm weſentlich behülflich bei der Abfaſſung des Qorän. Von den faſt verthierten Weſtgothen in Spanien wurden die Juden durch Tuarik's Eroberung befreit. Suwair wurde Münzmeiſter des Abdul Malik. Der R. Iſaac ſtand bei Karl dem Großen in ſo großem Anſehen, daß er ſein Geſandter an Harun Alraſchid wurde. Die gelehrte Familie der Kalonymos wurde durch Karl nach Mainz verpflanzt. Zedekias war Leibarzt bei Karl dem Kahlen, und R. Juda war deſſen beſonderer Günſtling. Jfaac ben Suleiman Israeli war in Kairuan Günſtling des Fürſten Ziadeth Allah und nachher Vertrau— ter des Ubaid Allah, des Gründers der fatimidiſchen Dynaſtie. Sab- batai Donnolo war Leibarzt bei dem byzantinischen Vicekönig Eupra— rios. Eine große Rolle ſpielte (915 bis 970) R. Abu Juſſuf Chasdai ben Iſaae Ibn Schaprut, der Geſchäftsträger und ſpäter Minifter des Auswärtigen bei dem Kalifen Abdulrahman III. war. Jekutiel Ibn Haſſan hatte großen Einfluß in Saragoſſa und wurde Beſchützer Gabirol's. Bei Habus, dem Kalifen von Granada, wurde Sa- muel Halevi Ibn Nagrela Weſſir und ihm folgte fein Sohn Abu Huſſain Joſeph Ibn Nagrela in allen ſeinen Würden. Joſeph Ibn Migaſch J. bekleidete einen hohen Ehrenpoſten bei Almuthadid von Sevilla, und Abu Fadl Chasdai war Weſſir beim König Amuktadir von Saragoſſa. In Spanien wurden durch das Bei- ſpiel der Araber auch die chriſtlichen Könige mit fortgeriſſen; überall bekleideten die Juden hohe Ehrenſtellen, ſo der berühmte Salomon ben Virga. Wegen ſeiner Gewandtheit in Staatsgeſchäften ſtand Amram ben Iſaae Ibn Schalbib in großem Anſehen bei Al— phons VI. von Caſtilien, und neben ihm ſtand der nicht minder geſchätzte Cidellus. Im 12. Jahrhundert war Abraham ben Chija Albargeloni Beamter am caſtiliſchen Hofe. Ebenſo behaup⸗ teten die Juden ihren Einfluß unter Alphons VIII. von Toledo und Alphons II. von Arragonien. Beſonders waren die Juden häufig die höchſten Finanzverwalter; da ſie geſchäftlich gewandt und ehrlich waren, zogen die Großen es vor, ſich von ihnen bedienen, ſtatt von rechtgläubigen Dummköpfen ſich betrügen und beſtehlen zu laſſen. Selbſt Papſt Alexander III. hatte einen Juden R. Jechiel ben Abraham zum Finanzminiſter. Noch im 15. Jahrhundert war der gelehrte R. Iſaak Abrabanel Miniſter von Alphons V. in Por- BE tugal. Nach dem Tode des Königs bei einer Judenverfolgung vertrieben, wurde derſelbe von Ferdinand von Caſtilien aufgenommen und zum Finanzminiſter gemacht. Hier wurde er acht Jahre lang, ſo lange der fromme Ferdinand wegen der Kriege gegen die Mauren in Geldnoth war, mit den größten Ehren überhäuft. Aber kaum von der Maurenfurcht befreit, jo fielen Ferdinand und fein fanatiſches Weib“ über die armen Juden her, um fie aus ihrem Eigenthum zu vertreiben. Indeſſen ließen fich die beiden gekrönten Pfaffenſclaven ihre chriſt— liche Pflicht gegen ihren Molochsgott doch noch einmal für 34000 Ducaten abkaufen. Aber der oberſte Molochspfaffe, Torquemada, erzwang nichtsdeſtoweniger, daß trotz des abgeſchloſſenen Vertrages die Juden völlig ausgeplündert, ermordet und vertrieben wurden, die nur das Unglück hatten, frommer und beſſer zu ſein als ihre ver— worfenen Verfolger. Abrabanel gelang es, nach Neapel zu ent— kommen, und hier wurde er ſogleich bei Alphons V. aufs Neue Günſtling. Da derſelbe aber bald darauf von Karl VIII. vertrieben wurde, begleitete Abrabanel in unerſchütterlicher Treue ſeinen Be— ſchützer nach Venedig. Auch hier gewann er bald großen Einfluß und fand Gelegenheit, als Geſchäftsträger der Republik mit der Krone Portugal einen für beide Theile vortheilhaften Vertrag über den Gewürzhandel abzuſchließen und ſo ſeine ſtaatsmänniſche Laufbahn ehrenvoll und glänzend zu beendigen. “ Abrabanel war auch als Schriftſteller thätig; ſeine erklärenden und philoſophiſchen Schriften zeugen von großem Wiſſen, Scharfſinn und großer Geiſtesfreiheit. Bedeutender waren vielleicht noch ſeine politiſchen Aufſätze, in denen er ſeine Anſichten mit Beiſpielen aus der alten und neueren Geſchichte erläuterte. Denn auch die Geſchichte wurde von den Verfaſſern der Makkabäerbücher und dem Joſephus an immer durch die Juden ernſt cultivirt, und zu einer Zeit, als das ganze Europa außer den kin— diſchen byzantiniſchen Hofgeſchichten faſt nichts als Sammlungen alberner Kloſtermärchen oder einige dürftig zuſammengeſtoppelte heidniſche Reminiscenzen hatte, führte der R. Abraham Ibn Daud die Ge— ſchichte ſeines Volkes bis zu ſeiner Zeit (um 1150) fort und ſchrieb ſeine Geſchichte Roms von Romulus bis auf den Weſtgothen Re— cared. — Die Männer, die ich hier als Staatsmänner genannt habe, *„Ketzern braucht man nicht Wort zu halten“, Kirchengeſetz. * Bayle, Diction. hist. et crit. Art. Abrabanel; Boissi, Dissertations sur les juifs, p. 2. 1 ſind nur einige wenige beiſpielsweiſe aufgeführte Größen; geſucht wurden die Juden überall, denn ſie waren eben die Beſten ihrer Zeit. Die meiſten Seiten des geiſtigen Lebens der Juden, die ich bis jetzt berührt, gehören dem Gebiet des Wiſſens an; nur die religiöſe Seite erſchließt uns das Leben des Glaubens, und wir haben geſehen, daß die Juden auch darin rein und hoch daſtehen. So bliebe nur noch die Region der Ahnung zu betrachten, welche unmittelbar an das Gebiet des Glaubens angrenzt und gleichſam die Realiſirung der Ideen des Glaubens in der Wirklichkeit durch die äſthetiſche Belebung derſelben darſtellt. Wohl hat man den Juden oft die künſtleriſche Begabung abgeſprochen, aber ſehr mit Unrecht. Daß ſich alle Kunſt urſprünglich an und aus den religiöſen Ideen und ihrer Symboli- ſirung entwickelt, iſt gewiß, und eben deshalb blieb den Juden bei ihrem rein geiſtigen Gottesglauben, wodurch die ſinnlich-ſichtbare Darſtellung des Göttlichen ausgeſchloſſen war,“ die eine Kunſtform, die ſichtbar darſtellende, plaſtiſche und maleriſche Bethätigung, fremd. Wie hoch aber ſchon früh bei ihnen die religiöſe Poeſie ſtand, weiß ſogar jeder Chriſt, der einen Blick in die Pſalmen geworfen oder eine meiſt nur aus den poetiſchen Anſprachen der Juden entnommene Motette, Cantate oder ein Oratorium angehört hat. Schwerlich wird man in der ganzen Literatur aller Völker ſeit Beginn unſerer Zeit⸗ rechnung etwas finden, was den religiöſen Dichtungen der Juden an einfacher Größe, an Erhabenheit der Gedanken und eben ſo würde— voller als ergreifender Sprache an die Seite zu ſtellen wäre. Hat die chriſtliche Kirche doch ſogar die Liebesdichtungen der Juden (das hohe Lied) wegen ſeiner gehobenen Sprache zu dem Range einer religiöſen Dichtung erhoben, was allerdings bereits im 2. Jahrhundert R. Akiba ausgeſprochen hatte. | Es dauerte gar nicht lange, daß ſich die Juden auf die von Esra geſammelten älteren Dichtungen beſchränkten, und es werden ſchon früh wieder neuere dichteriſche Verſuche erwähnt. Die Ver: treibung der Juden nach Arabien machte ſie mit dem Reiz und der Feinheit der arabiſchen Sprache bekannt, und das wirkte auch auf das Hebräiſche zurück, welches von da an veredelte Formen und größere Biegſamkeit annahm. Noch mehr vollendete ſich dieſe poetiſche Ent— „Du ſollſt dir kein Bild machen noch irgend ein Gleichniß, was im Himmel oben und was auf der Erde unten und was im Waſſer unter der Erde. Du ſollſt ſie nicht anbeten, noch dich dazu bringen laſſen, ihnen zu dienen“ (2. Moſ. 20, 4 bis 5). „Gegoſſene Götter ſollſt du dir nicht machen“ (3. Moſ. 34, 17). 37 — wickelung bei den in jeder Beziehung geiſtig ſo gehobenen ſpaniſchen Juden. Die Zahl der Dichter, die aufzuzählen wären. ift ſehr groß, ich beſchränke mich daher darauf, nur einige der allerbedeutendſten zu erwähnen. Nagrela, Gabirol, Chasdai, Moſe Ibn Esra, Je— huda Halevi, Chariſi und Andere find Männer, die man immer mit großer Achtung nennen muß. Vor Allem ſteht Jehuda Halevi groß und erhaben da, und die geſammte religiöſe Poeſie (Milton und Klopſtock nicht ausgenommen) hat nichts aufzuweiſen, was man höher ſtellen könnte, als Jehuda Halevi's „Zionselegie“. Aber keines- wegs beſchränkte ſich die jüdiſche Poeſie auf das religiöſe Gebiet. Den Uebergang bildet die Gnomendichtung, in welcher Gattung ſich im 11. Jahrhundert Nagrela auszeichnete. Aber ſchon die wunderlieb— liche jüdiſche Dichtung von Juſſuf und Suleika, welche in den Dorän aufgenommen iſt, gehört eigentlich dieſem Grenzgebiet zwiſchen religiöjer und weltlicher Poeſie an. Einer der ausgezeichnetſten Sprach— kenner im 12. Jahrhundert, Alchariſi, überſetzte die Makamen des Hariri, die uns jetzt durch Rückert's Bearbeitung ſo vertraut ge— worden ſind. Durch dieſe Arbeit fühlte er ſich angeregt, eine ähn— liche Dichtung im Hebräiſchen unter dem Titel „Tachkemoni“ aus— zuarbeiten.* In weltlichen Liedern haben ſich Moſe ben Esra, Alchariſi und Manuelo ausgezeichnet, welchen Letzteren man wohl den erſten Heinrich Heine genannt hat. Beſonders reich iſt die jüdiſche Poeſie an Fabeln, dieſem dem Orient eigenthümlichen Lehrgedicht. Schon im 2. Jahrhundert bearbeitete R. Meir dreihundert Fabeln vom Fuchs, und Berachja Nakdan ben Natronai war um 1260 ſehr fruchtbar in dieſer Gattung; von ihm hat ſich Lafontaine viele Fabeln angeeignet. Auch unter den deutſchen Minneſängern finden wir im An den Ueberſetzer ſtellt Alchariſi die drei Anforderungen als unerläßlich, daß derſelbe die Sprache, 1) aus der er überſetze, 2) in die er überſetze, gründlich verſtehen und 3) den Gegenſtand, der den Inhalt des zu übertragenden Werkes bildet, vollſtändig beherrſchen müſſe. Wo blieben da manche unſerer neueren Ueberſetzer? Ueber die Makamen des Alchariſi vergl. Kämpf, Die erſte Makame des Chariſi. Berlin, 1848; Beugnot, Les juifs d’Oceident theilt einen Abſchnitt der Makamen franzöſiſch mit, den auch Bedarride, S. 510 ff. abgedruckt hat. * Wegen Ueberſetzung hebräiſcher Gedichte verweiſe ich für die älteſte Zeit auf Dr. E. Meier, Geſchichte der poetiſchen Nationalliteratur der Hebräer. Leipzig, 1856; und für die ſpätere Zeit auf Dr. M. Sachs, Die religiöſe Poeſie der Juden in Spanien. Berlin, 1845. Zunz, Synagog. Poeſie des Mittel: alters. Berlin, 1855 bis 1867; ſowie auf die verſchiedenen Sammelwerke von Ueberſetzungen orientaliſcher Dichtungen, z. B. Dr. H. Jolowicz, Polyglotte der orientaliſchen Poeſie. Leipzig, 1853 u. ſ. w. 8 12. Jahrhundert den Juden Süßkind von Trimberg.* Zwei deutſche Dichter wollten den Parcival von Wolfram von Eſchen— bach nach dem franzöſiſchen Gedicht des Maneſſier fortſetzen, ver— ſtanden aber kein Franzöſiſch, und da half ihnen ein kundiger Jude. Sie ſelbſt ſagen am Schluß ihrer Arbeit: ö „Ein Jude Samſon Pnie Verwandte Zeit und Müh' An dieſen Abenteuern Und thät uns viel beiſteuern. Er hat ſie deutſch uns überſetzt, Wir haben's dann in Reim geſetzt.“ Ein ſehr bedeutender Dichter war auch der genannte Manuelo (Im— manuel ben Salomon), den man den Vorläufer des Boccaccio nennen kann, und der dem vertrauteren Freundeskreiſe Dante's angehörte. Ich weiß nicht, daß ſich jemals ein Jude über gelehrte und be— rühmte Frauen beſchwert hätte wie unſer Schiller. An Gegenſtänden für eine ſolche Epiſtel hätte es allerdings nicht gefehlt. So war zur Zeit der Tanaim eine Frau Be rurja wegen ihrer Gelehrſamkeit ſehr berühmt. Im 12. Jahrhundert hielt eine ſehr ſchöne Jüdin im Orient Vorleſungen über den Talmud, und die Tochter des R. Meir (En⸗ kelin des berühmten Raſchi), Rebecca, ſchrieb mehrere wiſſenſchaft— liche Bücher. Da die ſchönen Hochzeitslieder geſungen wurden und da ſchon früh der Geſang auch bei dem Gottesdienſt in der Synagoge eingeführt wurde, ſo müſſen die Juden die muſikaliſchen Kenntniſſe, die im alten Teſtament ſo häufig erwähnt werden, ſich bewahrt haben. Im 11. Jahr⸗ hundert wird Jacob ben Jakar als Schriftſteller über Muſik genannt, und im 15. Jahrhundert ſchrieb Arkevolte ein geiſtreiches Buch über denſelben Gegenſtand, das in ſeinen Anſchauungen vielfach und lebhaft an Thiebaut's „Reinheit der Tonkunſt“ erinnert. Ich habe bisher nachgewieſen, wie durch das ganze Mittelalter, während alle europäiſchen Nationen ſtillſtanden und zurückgingen, oder, wie die germaniſchen Völker, kaum noch einen Schritt vorwärts gethan hatten, die Juden rüſtig auf der Bahn der geiſtigen Entwicke⸗ lung vorwärts ſtrebten und jede Seite des wiſſenſchaftlichen Lebens ausbildeten, und wie viel von ihren Errungenſchaften am Ende des Mittelalters auf die ein neues Geiſtesleben beginnenden Völker über⸗ Von der Hagen, Deutſche Minneſänger, Bd. 2, S. 258 ff. und Bd. 4, S. 536 ff. Leipzig, 1836. 8 ging. Aber ſie haben noch ein anderes unendlich großes Verdienſt. Als die abendländiſchen Völker anfingen, ſehnſüchtig die Hände nach den köſtlichen Früchten alter Geiſtescultur auszuſtrecken, mußten die Juden hinzutreten und ſie ihnen zugänglich machen, denn die Chriſten in ihrer entſetzlichen Unwiſſenheit verſtanden nicht die Sprachen, in denen der Geiſt der Alten ſich mittheilte. Wenn die Juden nicht als Ueberſetzer gearbeitet hätten, ſo würden wir wohl noch lange im finſterſten Mittelalter ſtecken geblieben ſein. Das erſte Volk, welches nach der Nacht der Völkerwanderung und ihren wüſten Orgien neues geiſtiges Leben entwickelte, waren die mauriſchen Araber, und ihnen machten nur Juden die griechiſchen Werke zugänglich. Schon bei der Ueberſetzung des alten Teſtaments ins Griechiſche (der ſogenannten Septuaginta) war vorzüglich der Jude Ariſtobulos thätig, und das Buch des Jeſus Sirach wurde von deſſen gleich— namigem Enkel ins Griechiſche übertragen. Im 2. Jahrhundert kam eine griechiſche Ueberſetzung der Thora durch Akylas, im 4. Jahrhundert eine chaldäiſche (das ſogenannte Targum Onkelos) und früher ſchon eine ſyriſche, die ſogenannte Peſchito, hinzu. In der Mitte des 7. Jahrhunderts übertrug Meſſer— Gawaich eine mediciniſche Schrift des Presbyter Ahron aus dem Syriſchen ins Arabiſche.“ Im 9. Jahrhundert übertrug Rabban (Sahal al Tabari) den Ptolemäus ins Arabiſche; Saadia ben Joſeph überſetzte im 9. Jahrhundert das alte Teſtament in dieſelbe Sprache. Gegen Ende des 10. Jahrhunderts vollendete R. Joſeph Ibn Abitur ſein großes Werk, die arabiſche Ueberſetzung der Miſchnah, auf den Wunſch des Kalifen Alhakem II. Durch den berühmten Chasdai kam zuerſt der Dioskorides als Geſchenk des Byzantiners Conſtantin VIII. nach Spanien und wurde von ihm mit Hülfe eines griechiſchen Mönches durchs Lateiniſche ins Arabiſche überſetzt. Nun aber werden die Arbeiten ſo häufig, daß es kaum lohnt, noch einzelne Namen aufzuzählen. Ganze Familien betheiligen ſich durch mehrere Gene— rationen, ſo die Tibboniden, durch welche beſonders die Werke des Averroes** und Ariſtoteles ins Lateiniſche übertragen und ſo dem Abendlande zugänglich gemacht wurden. Moſes Ibn Tib— * Haller, Biblioth. medico.-pract. L. II, p. 338; K. Sprengel, Geſch. d. Arzneik. Thl. 2, S. 352. 2. Aufl. 1800. * E. Renan, Averroes et l’Averroisme, pag. 186 f. 3 edit. Paris, 1866. I > bon lieferte die vorzüglichſte Ueberſetzung des Euklid. Daneben nimmt die Familie der Kalonymiden eine gleich berühmte Stelle ein.“ Sie wurde beſonders von dem Kaiſer Friedrich II. geſchätzt und begünſtigt, und neben ihnen noch der Jude Jakob Anatoli als Ueberſetzer.“ Endlich iſt noch die franzöſiſche Familie der Kim— chiden hier zu nennen. Blicken wir nun noch einmal zurück, ſo finden wir, daß die Juden während des finſtern, geiſtig öden und faulen Mittelalters die Er— halter eines rationellen Landbaues, aller größeren Gewerbe, des Seiden— baues, der Färbereien, der Webereien, die Träger und Förderer des den Wohlſtand der Nationen bedingenden Welthandels ſind. Wir haben geſehen, daß ſie in ununterbrochener Geiſtesarbeit jedes Gebiet der Wiſſenſchaften anbauen, fortbilden und den am Ende des Mittelalters endlich erwachenden Nationen überliefern. Sie ſind die Begründer wiſſenſchaftlicher Sprachkunde, ſie ſind der Bor— nirtheit und Unwiſſenheit des chriſtlichen Klerus gegenüber die Ein— zigen, welche eine eindringende und allein fruchtbare Kenntniß der heiligen Schriften erhalten und fördern, weil ſie für viele Jahrhunderte die Einzigen ſind, welche die Kenntniß der morgenländiſchen (zum Theil ſelbſt der griechiſchen) und der abendländiſchen Sprachen in ſich vereinigen; ſie waren die Einzigen, bei welchen die freie Entwicke— lung der Gedankenarbeit in Philoſophie und beſonders Religions— philoſophie Raum findet; welche die Ethik in einer Weiſe ausbauen, wie kein anderes Volk. Sie ſind es insbeſondere, bei denen ganz ausſchließlich eine wiſſenſchaftliche Bearbeitung und Fortbildung der Medicin ſtattfindet“““ fie betheiligen ſich fruchtbar am Fortſchritt der Aſtronomie, fie gründeten die berühmten Schulen von Montpellier Renan, ebenda S. 188. Eine lange Reihe von Ueberſetzern ſiehe noch bei BEdarride, Hist. des juifs, p. 546. ** Wenn Herr Profeſſor Billroth in ſeinem Buche „Lehren und Lernen der medieiniſchen Wiſſenſchaften“ ſich darin gefällt, ſeine alten Vorurtheile aus⸗ zukramen (Auerbach hat ihn in P. Lindau's Gegenwart 1876, S. 17 f., wie mir ſcheint, noch lange nicht derb genug zurechtgewieſen), ſo iſt das ſeine Sache; aber wie kann ein öffentlicher Lehrer darin zugleich eine ſo bodenloſe Unwiſſen⸗ heit in der Geſchichte ſeiner eigenen Wiſſenſchaft zur Schau tragen? Er kennt offenbar die ungeheuere Bedeutung der Juden für die Mediein nicht und hat daher nicht bedacht, daß es ohne die Juden vielleicht nie einen Profeſſor Bill⸗ roth gegeben haben würde. ee und Salerno und trugen weſentlich zum Aufblühen von Padua bei. Wenige Jahre nach Erfindung des Bücherdruckes hatten ſie ſchon in vielen Städten vorzügliche Druckereien. Mit Recht ſagt Ribeyra de Santos: „Wir verdanken den Juden größtentheils die erſten Kenntniſſe der Philoſophie, der Botanik, der Medicin, der Aſtronomie und Kos: mographie, ſowie die Elemente der Grammatik und der heiligen Sprachen, ſowie faſt alle Studien der bibliſchen Literatur.“ Ich ſchließe hier dieſen kurzen Ueberblick über die Bedeutung der Juden und verweiſe wißbegierige Leſer für weitere Einzelheiten auf die in den Anmerkungen mitgetheilten Schriften. ** * Ribeyra de Santos, Memorias de litteratura portuguesa. Tom. II. Lissabon, 1792. Außer den ſchon erwähnten Arbeiten von Dr. Joel nenne ich noch deſſen Abhandlung: Spinoza's theologiſch-politiſcher Tractat auf feine Quellen ge— prüft. Breslau, 1870; E. Saisset in der Revue des deux mondes, 13. Jan. 1862; Lebens⸗ und Charakterbild Baruch Spinoza's. Von H. Ginsberg. Leipzig, 1876. Druck von Graichen & Riehl in Leipzig. — * 1 .. . E * Hr 9 N. 4 7 € 3 A “u * . 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