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Masaryk, T. G. (Tomas Garrigue)

Die Bedeutung des Polnaer Verbrechens für der Rituala- berglauben

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PURCHASED FOR THE

University of Toronto Library

FROM THE

Jose'ph and Gertie Schwartz Memorial Library Fund

FOR THE SUPPORT OF

Jewish Stiidies

Die Bedeutung des

Polnaer Verbrechens

für den

Ritualaberglauben.

Von

Professor T. Q. Masaryk.

BERLIN.

Druck und Verlag von H. S. Hermann. 1900.

Die Bedeutung des

Polnacr Verbrechens

für den

l^itualaberglauben.

Von

Professor T. G. Masaryk.

^

BERLIN.

Druck iiiul Verlag' von H. S. Heriuanu.

Vorrede.

Die Antisemiten sehen im Polnaer Verbreelien die stärkste Bestätigung des Kitualaberglaubens. Das hat mich bewogen, den Polnaer Prozess nach allen Seiten genau zu überprüfen und das Resultat dieser Prüfung lautet : das Polnaer Verbrechen ist kein Ritualverbrechen, im Gegenteil ist es ein schlagender Beweis dafür, das der Ritual- aberglaube in der That im vollsten Sinne des "Wortes ein Aberglaube ist. Dieser Aberglaube ist eine Schmach der Zeiten, eine brennende Anklage des oftiziellen Christen- tums, die offene Thüre alles übrigen Aberglaubens, die hohe Schule nationaler und sozialer Verblendung und Ge- waltthätigkeit.

Die hier öfters erwähnte Broschüre ist meine Studie: Die Notwendigkeit der Revision des Polnaer Prozesses, 1899.

Die zahlreichen Seitenangaben beziehen sich auf das dort zitierte stenographische Protokoll der Hauptver- handlung.

Zu pag. 21 füge ich hier einen Nachtrag über das Quantimi der Ausblutung bei. Bei vollkommenerer De- kapitation beträgt der Blutaustluss 74 "/o; ist der Hals auf beiden Seiten, d. h. alle grossen Halsgefässe durchschnitten, so cntHiessen 50°/,. Darnach könnte der Blutausfluss bei einseitiger und noch dazu unvollkommener Durchtrennung der Blutgefässe viel weniger als 50 7,, l>etragen.

Prag, den 1. Februar 1900.

T. G. 3[.

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I. Ein neues Gutachten der Polnaer Gerichtsärzte.

Der Polnaer Prozess droht seine bisherige Sensation zu überbieten; wenigstens ist die in den „Rad. Listy" vom 5. und im „Deutsclien Volksblatt" vom 14. Dez. 1899 erschienene .„Antwort" der Pohiaer Gerichtsärzte auf meine Broschüre gewiss sensationell. Darin haben die antisemitischen Blätter ganz recht. In der That muss man von Sensation sprechen, wenn die Gerichtsärzte jetzt nach durchgeführtem Prozess mit ganz neuen Thatsachen auftreten, und noch sensationeller ist es, wenn dieselben jetzt etwas ganz anderes behaupten, als sie in ihrem Obduktionsprotokoll ausgesagt haben ... In diesem Obduktionsprotokoll heisst CS zum Beispiel, dass der Oberkörper der ermordeten Agnes Hruza bis zum Gürtel ganz nackt gefunden wurde jetzt lesen wir, dass die Leiche angekleidet war, dass der Polnaer Todtengräber vor der Obduktion „genötigt war, die Jacken zu durchschneiden, damit er dieselben vom Körper der Agnes Hruza herabbe- kommen könnte". Auch die Anklage führt an, der Ober- körper sei ganz entblösst gewesen.

Die „Antwort" der beiden Herren Gerichtsärzte be- stätigt mir das Bild, das ich mir als Laie von ihrer medizinischen Sachkerintniss gemacht habe. Wie gesagt, bin ich Laie.. Als Student habe ich zwar einige Semester der Anatomie und Physiologie gewidmet, aber davon ist mir nichts mehr geblieben, als dass ich mir in den ver-

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schiedenen Fachbüchern die nötige Belehrung zusammen- suchen kann. Ich sage das desshalh, damit in meinen medizinischen Erörterungen keine fremden Faclimänner gesucht werden. Allerdings habe ich nach der Veröffent- lichung meiner Broschüre einigen berühmten Fachmännern mehrere Fragen gestellt, wie sich dieselben mir aus dem Parere der Polnaer Aerzte ergeben haben; auf diese Fragen habe ich allerseits das grösste Entgegenkommen gefunden. Ich sage allen den Herren hier meinen Dank, werde sie aber nicht nennen, weil ich sie den rohen Angriffen und Insinuationen der klerikal - antisemitischen Presse nicht aussetzen will.

Ueber Kleinigkeiten will ich mit den Herren Aerzten nicht ins Gericht gehen. Ich weiss, dass sie ihre Antwort nicht selbst stilisiert, nur durchgesehen haben, und darum vermeide ich es, die mehr stilistischen Versehen zii be- sprechen. Nur die Insinuation, ich hätte einige Worte ab- sichtlich gefälscht, muss ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen.*)

Freilich werde nicht ich allein der Fälschung ge- ziehen. Die Herren Gerichtsärzte schreiben nämlich, dass im Protokoll über den Lokalaugenschein und überhaupt mehrere „unpassende und mit dem Begriffe sich nicht präzis deckende Bezeichnungen" zu finden seien; das rühre entweder daher, dass der Rat Reichenbach als ge- borener Deutscher der böhmischen Sprache ungenügend mächtig sei, oder daher, dass diese unpräzisen Ausdrücke a b s i c h 1 1 i e Ii von jemand anderem gebildet wurden ". ]\lich interessiert nicht zu wissen, wer dieser „jemand" ist aber das muss ich sagen: in dem Prozesse, in welchem es sich nicht nur um Leben und Tod von In- dividuen, sondern um eine schwere Anklage gegen ein ganzes Volk handelt, wimmelt es von so unpräzisen Aus-

*) Da es sich speziell um bestimmte Worte handelt, so verweise ich auf die böhmischen Ausführungen im „Cas" vom 16. Dezember 1899.

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drücken und diese Ausdrücke sind noch dazu „absichtlich gebildet", das heisst einfach j^efälscht worden! Das sind ja ganz artige Anklagen ich wiederhole, das „Deutsche Volksblatt" hat ganz recht, wenn es die Ant- wort der unter Eid aussagenden Polnaer Aerzte als sen- sationell angekündigt hat. Ich selbst bin nur froh, dass

ich meine Broschüre geschrieben habe die Herren

Sachverständigen und Richter haben nun Gelegenheit, den Prozess vorläufig publizistisch zu korrigieren.

Die Herren Polnaer Gerichtsärzte korrigieren sich übrigens auch selbst. Obwohl sie die Unpräzision des Ausdruckes dem deutschen Richter vorwerfen, sind sie selbst in ihrer „Antwort" gezwungen, viermal die eigene Unpräzision einzugestehen und zu entschuldigen. Diese Selbstanklage ist zu wichtig, als dass ich dieselbe nicht genauer fixieren sollte. Da wo es sich um die Erklärung der Umbiegung der Füsse handelt, schreiben die Herren: D i e E r k 1 ä r u n g . . . i s t zwar von einem ^' o n u n s b c i d e n d e m P r ä s i d e n t e n ein wenig u n - bestimmt gegeben worden, aber der andere hat die Stellung (der Füsse) auf natürliche Weise erklärt, wie sich der Herr Professor aus dem Protokoll (der Haupt- verhandlung) überzeugen konnte." Dieses erste Einge- ständnis der Unpräzision enthält eine neue Unpräzision: es ist nämlich gar nicht wahr, dass der zweite Sachver- ständige das Umbiegen der Füsse natürlich erklärt habe. Ich kenne diese Erklärung sehr gut (Protokoll der Haupt- verhandlung pag. 315); aber der Leser wird sich sogleich überzeugen, dass die Erklärung gar nicht ,, natürlich" und dass sie überdies mit der in der „Antwort" gegebenen nicht identisch ist. An zweiter Stelle gestehen die Herren Gerichtsärzte, dass einer derselben bei der Beschreibung der Wunde sich „unpassend ausgedrückt habe"; drittens gestehen die Herren ein „Versprechen" zu: ,, i n der ungewöhnlichen Aufregung wird 1) ei d e r V e r li a n d 1 u n g i r r t h ü m 1 i c h ein W o r t

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g-obraucht, das sich mit dem Begriffe nicht vollständig deckt, anders als bei der ruhigen Be- obachtung und dem Diktieren des ProtokoUes". B e - e i d e t e Sachverständige, Mediziner sind aufge- regt bei einer anatomischen Erklärung? Endlich an vierter Stelle geben die Herren Sachverständigen zu, dass „d i e Stelle (über die Steine) in der T h a t ein av e n i g unklar stilisiert ist": eben hörten wir die Ausrede auf die mündliche Verhandlung hier haben wir eine Stelle aus dem „ruhigen" Diktate des eigenen Proto- koUes!

In der That müssten die Herren Sachverständigen ihr ganzes Protokoll und Gutachten auf dieselbe Weise korrigieren und zurücknehmen; es thut mir leid, sagen zu müssen, dass alle ihre mündlichen und schriftlichen Aus- sagen sachlich fast wertlos sind, wie mir das mehr als eine medizinische Autorität bestätigt hat. Zu ihrer I^ntschuldi- gung will ich trotzdem anführen, was mir ein berühmter Anatom schreibt: „. . . Die Polnaer Aerzte haben die Ob- duktion nicht schlechter ausgeführt als dies andere Aerzte gethan hätten. Man kann von den praktischen Aerzten nicht auch noch verlangen, dass sie fehlerlose Sektionen machen. Eine Sektion ist Sache des Anatomen und nicht eines gewöhnlichen Arztes. Eine Reform dieser in foren- sischer Beziehung so wichtigen Angelegenheit wäre an der Zeit."

Bevor ich mich nun zu der Besprechung einiger wich- tigerer Punkte wende, muss ich vorerst konstatieren, dass die gerichtlichen Sachverständigen ganz und gar meine anatomischen und physiologischen Erklärungen annehmen; ich würde mich darüber freuen, wenn ihnen die Herren nicht einen ganz anderen Sinn unterschieben und ihre früheren Ausführungen desavouieren würden.

Ganz besonders begreifen sie nun, dass die Umbiegung der Füsse in einem scharfen Winkel und die Krümmung des Körpers eine

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äusserst wichtige Thatsaclie sind und sie versuchen es nun, diese Thatsachen eingehender zu erklären. I m Obduktionsprotolvöll steht darüber kein Wort! Die Mörder so lautet in Kürze ihre Er- klärung — wollten die Körperlänge möglichst ver- kürzen, um die Leiche zu verstecken; darum haben sie die Füsse in den Knien nach rückwärts umgebogen und unter die Aestc eines Fichtenbäumchens gelegt; die Aeste dieses Bäumchens haben die umgelegten Unterschenkel niedergehalten und an dem Rückfällen verhindert.

Diese Erklärung ist unmöglich: die Aeste eines Fichtenbäumchens sind doch an dem Stamme in verschie- dener Höhe im Kreise angebracht, und darum können sie umgebogene Beine nicht in einer und derselben Höhen- lage niederhalten: überdies waren die Aeste des besagten Bäumchens dazu zu schwach die Herren selbst geben seine Höhe auf höchstens 1.25 Meter an und darum kann man nur von A e s t c h e n sprechen, wie es bei der mündlichen Verhandlung thatsächlich geschehen ist. Diese Aestchen, wird uns weiter gesagt, reichten bis zur Erde: das waren gewiss die stärksten, aber wie konnten sie die Beine in einer bedeutenderen Höhe niederhalten? Das könnte nur ein ziemlich starker und langer Ast leisten, der in der entsprechenden Höhe (etwa 18 bis 20 Centimeter) und Lage die gebeugten Füsse niederhalten würde. Wenn die Füsse in ihrer gewaltsamen Umbiegung in einem scharfen Winkel niedergehalten werden sollten, so müsste der Ast mit seinem Drucke nahe an den Füssen einsetzen, läge er nahe an den Knien, so könnte er gerade infolge seines Druckes die Beine zurückschnellen oder selbst ab- gleiten, und die Beine wären dann nicht im scharfen Winkel gekrümmt geblieben. In jedem Falle hätte ein so stark drückender Ast auf den Füssen eine starke Furche verm-sacht im Obduktionsprotokoll hören wir von einer solchen Furche gar nichts; es werden an den Füssen „ver- schiedene Eindrücke" konstatiert, aber als die äugen-

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fälligsten werden auf^drlleklich die Eindrücke von den Strumpfbändern (unter den Knien) Iiervorgehoben.

Ebenso unmög-lich ist die Erklärung der Gerichts- ärzte bezüglich der Krümmung des Körpers. Im Ob- duktionsprotokoll und bei der Verhand- lunghabensie auch diesen Gegenstand gar nicht berührt. Die Mfirder, so sagen sie jetzt, haben die Knie und Oberschenkel des Körpers noch näher an den Stamm des Bäumchens „weggeschoben", und dadurch sei der Körper auf der rechten Seite gekrümmt worden. Eine unglaubliche Anatomie! Ein Wegschieben der Ober- schenkel ist eben nur ein Wegschieben, weiter nichts; die Oberschenkel wären dadurch höchstens aus der Richtung des Oberkörpers verschoben. Nach der Anklage war der Körper „in massigem Bogen in der Richtung nach rechts ge- krümmt" — das Beiseiteschieben der Oberschenkel nach rechts kann den Oberkörper, das Rückgrat, nicht in der Rich- tung nach rechts krümmen. Entweder folgt der Oberkörj^er (wenigstens zum Theil) dem Drucke nach rechts und be- wegt sich etwas nach links, oder es entsteht auf der rechten Weich Seite eine kleine Eindrückung, der links eine entsprechende Ausweitung entspräche! Allein die Herren vergessen bei ihrer Erklärung auf ein wichtiges Faktum, dass die Unterschenkel nicht nur nach rückwärts, sondern dass dieselben zugleich auch etwas nach rechts umge- bogen waren: durch die Manipulation unter den Baumästen und besonders durch das Wegschieben nach rechts wären die Füsse nach links gedrückt worden! Der ständige Druck der von der rechten Seite anliegenden Aeste hätte sie nach links gebeugt. Uebrigens lässt sich di(^ Unrichtigkeit der gegebenen Erklärung durch den Lokal- befund erweisen. Die Leiche wurde zwischen zwei Bäuni- chen so gelegt, dass beide Bäumchen von der Leich»' etwas rechts zu stehen kamen; von dem einen Bäumcheii ;um anderen habe ich die Entfernung von zirka 138Centi meter gemessen. Die Entfernung des Kopfes von dem

vorderen liäumclicii betrug" nach verlässlicher Angabe etwa 10 Centimeter; bleiben also für den Körper etwa 128 Centimeter, wenn er bis an das zweite Bäumehen ge- reicht hätte. Der Körper der Agnes Hruza war 155 Centi- meter lang; ich berechne die Länge der Unterschenkel 39 Centimeter, bleibt also für die Länge des liegenden Körpers 116 Centimeter, die Knie haben also an den Stamm, respektive unter die Aestchen, wo sie am stärksten sind, gar nicht herangereicht; überdies muss man noch den An- griffspunkt der Aestchen auf die umgebogenen Unter- schenkel, im günstigsten Falle 16 Centimeter, abrechnen. Das heisst aber: bei der für die Herren Sachverständigen günstigsten Berechnung müssten die umgebogenen Unter- schenkel von den Baumästen in der Entfernung von circa 100 Centimeter vom Kopfe niedergehalten werden. Das heisst weiter, die Stelle der umgebogenen Unterschenkel, an der die Aeste mit ihrem niederhaltenden Druck einsetzen müssten, Avären vom Baumstämme zirka 28 Centimeter entfernt, und das bedeutet wiederum, dass die „Aeste"' die umgebogenen Füsse nm' mit ihren schwachen Enden bedeckt, nicht aber niedergedrückt hätten, weil die Füsse eben nicht an dem Stamme und unter den Aesten, wo sie am stärksten sind, sein konnten.

Da ich schon von der Lokalität spreche, so mache ich für alle Fälle aufmerksam, dass die Leiche auf ganz ebenem Terrain gelegen war, dass also die Beine nicht höher lagen als der Kopf eher war dieser etwas höher gelegen als die- Füsse. Noch mehr. Das Fichtenbäumchen stand, wie ge- sagt, von der Leiche rechts. Gesetzt, es hätte den ge- Avünschten starken Ast gehabt, so ist klar, dass er nur den einen, den rechten Unterschenkel festgehalten hätte, der linke wäre zurückgefallen oder wäre viel weniger stark gebogen gewesen, während nach der mündlichen Erklärung eines der Herren Gerichtsärzte beide Füsse gleich stark umffcboffen waren.

Bei der inündlicheh Verhandlung Avurden über di<' fatale Umbiegung der Füsse folgende Erklärungen abge- geben. Der erste Sachverständige sagte, die Umbiegung lasse sich durch das Unterbringen zwischen den Bäumchen nicht erklären; die Füsse seien umgebogen worden, damit der Rest des Blutes ausfliesse.*) Der zweite Sach- verständige sagte, dass die Füsse an den A e s t c h e n " angestossen haben und sich dadurch umbiegen k o n n t e n. Es ist also nicht wahr, dass die Erklärung der „Antwort" schon bei der Verhandlung gegeben wurde. Im Gegen- theil, er lässt noch nicht die Voraussetzung zu, dass dies absichtlich geschehen sei. Erst jetzt, nach meiner Belehrung, sieht er in dem Umbiegen eine Absicht und gibt eine ganz andere, allerdings falsche Erklärung, als er früher gegeben.

Die Sache ist klar: die Leiche wurde an die Fund- stelle mit umgebogenen Füssen und gekrümmtem Ober- körper gebracht sie w^urde dann in der Nähe der Bäum- chen so niedergelegt, dass die Aeste derselben die Füsse theilweise bedeckten. Das für die Mörder so fatale Um- biegen der Füsse beweist, dass die Füsse vor der Leichen- starre in die Position, in der sie gefunden, absichtlich ge- bracht wurden. In dieser Position wurden sie durch einen kräftigen Widerstand erhalten, und zwar stelle ich mir die Sache so vor, dass die Leiche in irgend einem Sacke, Korbe, einer Truhe u.dgl. geborgen war; dadurch wurden die Beine umgebogen und nach rechts gedrängt, der Ober-

*) Ich habe schon in meiner Broschüre gesagt, dass das Umbiegen den Blutabfiuss eher verhindern würde. In dem Lehr- buch der Chirurgie von Hvieter-Lossen, L, 6. und 6. Aufl., 1889, pug". 375, findet der Herr Sachverständige eine Zeichnung, wie durch das Umbiegen des. Fusses im Knie die arterielle Blutung erschwert wird. Gewöhnliche Mörder müssten das natürlich nicht wissen, aber Ausgesandte einer geheimen Ritualsekte haben gewiss nicht nur ihre Ritualtraditiou, sondern auch die Tra- dition, wie dem Körper das meiste Blut entzogen werden könne.

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kürper wurde zugleich in der Richtung nacli reclits ge- krümmt. Der Vorgang lässt sich natürlich auf sehr ver- schiedene Weise erklären. Sicher aber scheint mir zu sein, dass für das Umbiegen der Füsse im' Walde kein hinlänglicher Grund auffindbar ist. Jeder kann an sich selbst versuchen, dass das Umbiegen und Erhalten der umgebogenen Unterschenkel in scharfem Winkel eine grosse Energie erfordert; weil im Kniegelenke die Strecker (Musculus quadriceps cruris) weitaus stärker sind, als die Heuger. Demgemäss mu'sste auch kurz vor dem Tode (in der Agonie) oder gleich, jedenfalls bald nach dem Tode eine bedeutende Kraft längere Zeit wirken, welche die Beine umbog und beim Eintritt und Fortgang der Leichenstarre in der gewaltsamen Position erhielt.*) Irgend eine, wenigstens halbwegs plausible Erklärung der auf- fallenden Thatsache muss doch gegeben werden. Nun sagen die Herren Sachverständigen, die Mörder hätten die Leiche verkürzt, um sie zu verbergen. Allein diese Er- klärung genügt nicht. Das Umbiegen der Füsse macht im

*) Ich habe einig'e Aerzte ersucht, an frischen Leichen (jugendlicher, gesunder Personen) mit dem scharfen Umbiegen der Füsse in der Bauchlage Versuche zu machen. Aus den bisher eingegangenen Daten ersehe ich, dass meine Voraus- setzung ganz richtig war, dass nämlich die etwa zufällig um- gebogenen Füsse sogleich zurückfallen, wenn sie nicht durch eine ziemlich stark wirkende Kraft festgehalten werden. Wird der Fuss 5 Minviten nach erfolgtem Tode in scharfem Winkel umgebogen, so schnellt er, losgelassen, sogleich in die horizontale Lage zurück. Der Fuss wurde so stark um- gebogen, dass die Ferse den Oberschenkel berührte und in dieser Lage 15 Minuten festgebunden: nach Beseitigmig des Bandes fiel der Fuss zurück. Dasselbe geschah auch nach weiteren 5 Minuten. Erst nachdem der Fuss von neuem 1 Stunde 35 Mi- nuten festgebunden blieb, verblieb er in der Position, aber nicht ganz, der Unterschenkel entfernte sich um ca. 10 Centimeter vom Oberschenkel. In die horizontale Lage zurück gebracht, schnellte der Fuss, in den scharfen Winkel umgebogen, wiederum zurück, wenn er nicht wenigstens 5 20 Sekunden fixirt wurde.

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Gegentheil die Leiche auftallig'er. Die lleiren bageii, die Mörder wollten nicht, dass die Beine liinter das eine Bäumchen reichten. Thatsäclilich hätten die Beine um etwa 27 Centimeter über den Ast hinaus gereicht und waren darum von den „Aestchen" auch bedeckt. Wenn die Mörder die Beine im Walde yerkürzt hätten, so hätten sie die Knie bis an den Stamm gerückt, und ganz beson- ders hätten sie die ganze Leiche in die Mittellinie zwischen die zwei Bäumchen gelegt, während sie dieselbe neben die Bäumchen gelegt haben. Die Leiche war mit vier Fichten- bäumchen bedeckt, ehi fünfter hätte, wenn nötig, die Unter- schenkel und P^üsse versteckt.

Ueberdies wiederhole ich nochmals: Es handelt sich nicht nur um das Umbiegen der Füsse nach rückwärts, sondern auch darum, dass diese Füsse zugleich nacli rechts umgebogen waren, und dass der Oberkörper nach rechts gekrümmt war!

Um nichts besser ist in der „Autwort" die Erklärung der Halswunde. Wie überhaupt, so fechten die Herren auch in diesem Falle mit Worten. In ihrem Obduktious- protokolle, so schreiben sie, hätten sie von keinem „Schächtermesser" gesprochen und überhaupt seien sie nicht unter dem Drucke der Ritualsuggestion gestanden. Nun habe ich nicht vom Obduktionsprotokoll gesprochen; in meiner Broschüre sage ich doch ausdrücklich, dass ich mich an die Protokolle der Hauptverhandlung halte, und in dieser sprechen die Herren ganz bestimmt im Sinne des Ritualaberglaubens.*) Was das „Schächtermesser" an- betriff't, so führe ich für dasselbe ausdrücklich den An- kläger, den Präsidenten und einen Zeugen an. Doch das nur so nebenbei; wenden wir uns zur Beschreibung der Halswunde,

Auch in diesem so wichtigen Punkte sind die Herren Sachverständigen durch meine Ausführungen belehrt

*) Uebrigeuö ver^'l. darüber noch den VI. Abschnitt.

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wurden. Die früheren ungenauen Ausdrüeke führen sie auf die Aufregunj^ zurück. Im Obduktionsprotokoll steht, dass der Kehlkopf „ein wenig durchschnitten" Avar; jetzt sagen sie uns, dass der ganze Kehlkopf durch- schnitten war, und die Wunde wird derart charakterisiert: ,,Tief war sie auf beiden. Enden gleichniässig, in der Mitte am tiefsten, auf den Enden am seichtesten."

So müsste die Wunde sein, wenn sie ,, rituell", wage- recht, geführt wurden wäre; allein aus dem Obduktions- prutokoll geht hervor, dass es eine Stichschnittwunde war. Ich habe natürlich nicht gesagt, wie die Herren jetzt meine Worte verdrehen, dass die Wunde in zwei Tempi verursacht worden sei, als ob der Thätor zuerst zugc- stossen und dann nach einer Pause geschnitten hätte das Messer ist in den Hals gestossen und mit derselben Bewegung schneidend herausgezogen wurden. Wäre der Schnitt wagerecht geführt worden, so v\äre die Wunde auf der linken Ilalsseitc viel länger, wenn es wahr ist, dass sie bis zum Wirbelknochen gedrungen, rechts aber nur kurz (wie lange?!) war. Auch wiederhole ich, das Messer wäre bei dem Schneiden in der Richtung zum Ohre auf den Hinterhauptknochen gestossen und wäre auch aus diesem Grunde nicht bis zum Wirbelknochen gedrungen, weil es eben rechts nicht weit vorgedrungen ist. Rechts vom Kehlkopf sind gar keine Blutgefässe verletzt worden! Allerdings ist die Beschreibung der Wunde im Obduktionsprotokoll ein anatomisches Unikum! Es Avird dort gesagt, dass die vena jugularis externa (notabene eine sehr kleine Vene!) durchtrennt und die carotis communis angeschnitten wurde und das ist eine riesige und erschreckliche Wunde? Freilich heisst es in demselben Protokoll an anderer Stelle, dass alle Weichtheile bis zum Wirbelknochen durchschnitten waren; allein das passt nicht zu der Aufzählung der zwei durchtrennten Adern; wir lesen nichts über die Durch- schneidung der starken Halsmuskeln, nichts über die starke

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Vena jugiüaris interna u. s. w. Darnach, wiederhole ich, Avar die Wunde nicht riesig. Wenn die Herren Gerichts- ärzte sich jetzt in ihrer „Antwort" auf das durch die Wunde entsetzte Volk berufen, so folgt daraus gar nichts; ebensowenig erklärt uns die Ausrede der Herren Gerichts- ärzte selbst, dass auch sie aufgeregt waren.

Nach der Beschreibung der Halswunde ist es ganz gut möglich, dass dieselbe mit einem gewöhnlichen Taschenmesser (etwa mit der Brotklinge) versetzt wurde; nichts beweist, dass das Messer gross und stark sein niusste. Aber darin eben besteht das Uebel, dass die Sachverständigen die Wunde nicht genau besichtigt und beschrieben haben. Man sieht aus allem, dass sie von ihrer Art keine klare Vorstellung haben: Im Obduktions- protokoll sagen sie von ihr, sie „habe sich etwas (wie Aveit?) von rechts nach links zum Ohre hingezogen"; dar- nach Avird sich jeder vorstellen, der Schnitt sei von rechts nach links geführt Avorden; aber bei der mündlichen Ver- handlung sagte der erste Sachverständige, die Wunde sei \'on links geführt Avorden, der zweite meint, das Messer sei an der linken Seite angesetzt worden in der „Ant- Avort" Avird die Wunde als wagerecht geführte Schnitt- wunde beschrieben. Ich zweifle, dass bei einer AA^age- rechten Wunde das Messer bis zum Knochen eingedrungen Aväre, falls der Kehlkopf nur „ein Avenig dm'chschnitten" wurde, die Wunde links in der Richtung zum Ohr ver- lief und die Gefässe rechts vom Kehlkopf gar nicht tan- girt Avurden; in Reinsbergs gerichtlicher Medizin Avird als Erkennungszeichen der StichAA^unde unter anderem ange- führt, dass dieselbe häutig bis zum Knochen dringe die Herren Sachverständigen haben den Knochen offenbar gar nicht angesehen.

Ueber untergeordnete Fragen Avill ich nicht viel Worte machen. Die Herren Sachverständigen polemisieren

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zum Beispiel gegen die Hypothese Dr. Bulovas, dass die Leiche an den Fundort getragen wurde; allein ich habe doch gleich gesagt, dass die Leiche wahrscheinlich überführt wurde. Falls die Strangulationsfurche that- sächlich an dem lebenden Körper verursacht wurde, so habe ich gar nichts dagegen; das ist eine Frage für sich, und beweist gar nicht, dass die That im Walde verübt wurde, denn stranguliert wird in einem Gebäude nicht anders als im Walde. Allerdings muss ich den schwerwiegenden Vorwurf wiederholen, dass die Strangu- lationsfurche nicht untersucht wurde; es hätten doch die unterliegenden Muskeln untersucht werden sollen, um die Stärke der Zerrung zu bestimmen, auch hätte, wie mir gesagt wird, eine decisive mikroskopische Untersuchung ange- stellt werden sollen, um zu entscheiden, ob die Strangu- lation in vivo oder post mortem verursacht worden ist.

Die Herren Sachverständigen imputieren mir den Ausspruch, die Leiche sei bald nach dem Tode an die Fundstelle gebracht worden, ja sie zitieren sogar meine angebliche Berechnung des Ter- mines auf 10 bis 14 Stunden. Allein das ist nur in der Pliantasie der Herren; ich habe im Gegenteil ausdrücklicli betont, dass ich über diese Zeitbestimmung absichtlich noch nichts sage.

Unter anderem führen die Herren Sachverständigen Zeugenaussagen für die Thatsäche an, dass vor dem Morde an der Fundstelle der Leiche nicht soviel Steine aufgehäuft waren, wie nach dem Morde. Die Herren Sachverständigen sehen darin einen Beweis dafür, dass die Mörder ihren Plan wohl durchdacht und vorbereitet haben. Man traut seinen Augen kaum, wenn man so etwas liest: die Mörder haben sich massenhaft Steine vor- her zusammengetragen, um sich dann einen auszuwählen, mit dem dem armen Opfer die Wunden am Kopfe beige- bracht werden sollten! Oder wurde jede von den acht Wunden mit einem anderen Steine zugefügt? ...

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Ich habe es gerügt, dass die Aerzte den Inhalt des Magens nicht genauer bestimmt haben. In der „Ant- wort" werde ich nun belehrt, dass Agnes Hruza nach der Aussage des Fräulein Prchal etwa um 4 Uhr Milch und Brot gejaust habe, bei den Hruzas habe man diesen Tag eine Kartoffelsuppe und Kartoffeln zum Nachtmahl gehabt und davon sei im Magen keine Spur zu finden gewesen. Und das soll nun eine genaue Bestimmung sein? In dem Obduktionsprotokolle steht, dass imMagen eine grosse Menge von einem dünnflüssigen weisslichen Brei, nach allem haupt- sächlich aus Milch bestehend, gefunden wurde, nur hie und da seien auch festere Speisenreste vorhauden gewesen. Woraus bestand also der Brei, wenn die Milch nur den liauptsächlichsten Bestandteil bildete? Nicht etwa auch aus Kartoffeln? Wurde gekochte oder rohe Milch genossen? Ich zweifle, dass nach zwei Stunden nur von der Jause im Magen eine grosse Menge zurückgeblieben wäre. Natürlich wird uns auch nichts über den Inhalt der Gedärme gesagt. Was aber die Physiologie des Verdauens anbetrifft, so überlasse ich es den Sachkundigen zu be- stimmen, ob Milch (gekochte? rohe?) schon nach 2, oder nach 3, 4 oder 5 Stunden aus dem Magen schwindet. Und selbstverständlich würde ich mir die Aussage der Hruzas sehr genau besehen; übrigens steht nirgends ge- schrieben, dass die unglückliche Agnes Hruza nacli dem Nachtmahl entleibt wurde.

Nur noch einen Punkt will ich genauer beleuchten. Die Sache ist um so wichtiger, als dieselbe Gegenstand einer denunziatorischen, und agitatorischen Inter- pellation des Abgeordneten Breznovsky bildet. Ich werde diesem famosen Herrn und seinen Helfershelfern die nötige Belehrung geben, umsomehr, als auch die Herren Sachverständigen die Insinuation, die zuerst Herr Dr. Baxa ausgesprochen hat, wiederholen. Es

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handelt sich nämlich um die Thatsache, dass das Hemd der Ermordeten mit einer Scheere, nicht mit einem Messer abgeschnitten ist, wie die Anklage behauptet. Die That- sache ist, wie bekannt, schon von einer gerichtlichen Kommission bestätigt gefunden. Um dies abzuschwächen, insinuieren die Antisemiten dem Untersuchungsrichter, er habe den Scheerenschnitt an dem corpus delicti nach- träglich ausführen, Dr. Bulova und seine Frau unerlaubter Weise mit dem Hemde manipulieren lassen. Gegen diese geradezu rohe Denunziation kann ich nach eingehendster Untersuchung Folgendes sagen. Es war Pflicht des Unter- suchungsrichters, Dr. Bulova und dessen Frau zu empfangen, sobald sie zur Klärung der Untersuchung bei- tragen zu können glaubten. Der Untersuchungsrichter hat die Beiden nicht extra im Geheimen, sondern vor zwei Zeugen empfangen. Wie ich erfahre, hat er über den Vorgang ganz korrekt die amtliche Anzeige erstattet, auf Grund welcher die weitere gerichtliche Untersuchung des Hemdes beschlossen Avurde, welche das den Antisemiten äusserst unerwünschte Resultat ergeben hat, dass das Hemd thatsächlich mit einer Scheere und nicht mit dem Messer abgeschnitten wurde. Die Herren fühlen, dass das gegen den Mord im Walde spricht.

Weitere Einwendungen gegen die Herren Polnaer Aerzte überlasse ich anderen. Selbst ein Laie wird zum Beispiel wissen, dass nicht nur die lebendige, sondern auch die tote Haut Eindrücke empfängt: nun Avohen die Herren in den Abdrücken des Bodens auf der Haut einen Beweis dafür sehen, dass die Leiche frisch auf den Boden gelegt Avurde, uud erst dort auskühlte und erstarrte! Die Leichenstarre erfasst doch die Muskeln, nicht die Haut!

Und Avelche Ausreden die Herren auch sonst vor- bringen. Ich habe aufmerksam gemacht, dass sich die Herren die Frisur nicht genau angesehen haben. In ihrer ,, Antwort" werde ich nun belehrt, dass an ZAvei

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Haarbüscheln die Anzeichen des Flechtens vorgefunden wurden: was sind das für „Anzeichen"? „Infolge des Zer- wirrens aber und der Durch tränkung und Zusammenbackung durch Blut war es nicht möglich, die Art der Frisur zu unterscheiden . . ."

In einer Sache muss ich den Herren Aerzten zugeben, dass ich Unrecht hatte in der Geographie. Als ich meine Broschüre schrieb, war ich noch nicht in Polna und der Umgebung gewesen und verliess mich auf Pläne, Photographien und die Verhandlungsprotokolle. Darnach habe ich niedergeschrieben, dass man vom Fundorte nach Polna sehen und hören könne. Dass das nicht richtig ist, habe ich an der Stelle schon vor der „Antwort" gesehen und eben wiederum bestätigt ge- funden, nachdem ich mich eigens nochmals an Ort und Stelle begeben habe, um die angeführten Ausmessungen vorzunehmen.

II. Ein Beispiel von imatomisclier Philologie.

Die Leser, müssen mir verzeihen, wenn ich sie mit solchen Details unterhalte; allein der Ritualaberglaube lässt sich nicht mit allgemeinen kulturgeschichtlichen Erörterungen aus der Welt schaffen, er muss derart in einem konkreten Falle in seiner Nichtigkeit erwiesen werden. Das sieht doch schon jeder: eine richtige Obduktion und sachgemässe Beschreibung der Leiche hätte den Aberglauben im Falle Polna gar nicht aufkommen lassen!

Die Leser möchten mir aber auch verzeihen, wenn ich jetzt auf das Gebiet der Philologie abschweife die Herren Gerichtsärzte haben nämlich auf die vorhergehende

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Antwort nochmals geantwortet*) und in dieser Antwort sich auf die Philologie zurückgezogen. Die Herren schämen sich nicht, so alberne Dinge vorzubringen, wie die, dass ich die Handschriften, die ich vor Jahren als falsch erklärt habe, auch nicht vor der Falscherklärung ange- sehen habe, ebenso wie ich vor dem Niederschreiben meiner ersten Broschüre nicht in Polna gewesen! Natür- lich! So wie ich mich bei den falschen Handschriften an den gedruckten Text hielt, so halte ich mich bei dem falschen Prozesse an den Text der Verhandlung. Wenn ich in Polna deniLeichnam der armen Agnes Hruza hätte sehen können, so wäre ich gewiss sogleich hingefahren, aber so habe ich in Polna nichts zu thun. Das Obduktions- protokoll und das Gutachten der eidlichen Sachverstän- digen müsste vollkommen genügen wenn es eben gut und sachlich wäre. Wenn ich darum in Polna trotzdem und schon zweimal war, so kommt das vornemlich daher, dass die Herren Gerichtsärzte ihre Pflicht nicht gethan haben. Übrigens waren in Polna die Herren Ge- schworenen, waren dort alle die Richter und ganz beson- ders auch die rituell festen antisemitischen Journalisten?

Die Herren Gerichtsärzte bemängeln auch den gedruckten Text der Hauptverhandlung. Ich weiss ganz gut, dass in diesem Text verschiedentliche Druckfehler und sonstige Fehler sind; aber in den strittigen Haupt- sachen ist der Text ganz gut. Die Herren Gerichtsärzte haben ihn in ihrer ersten AntAvort selbst berufen. Uebrigens ist das nicht meine Sorge, die Herren mögen sich das mit dem löblichen Senat in Kutenberg ausmachen, der die beiden Stenographen beeidet und derart die Heraus- gabe des Protokolles oftiziell gemacht hat. Ueberdies kommt es in ihrem Falle gar nicht auf diesen Text an: ich zitiere doch ihr eigenes Oduktions-

*) In der N. Politika vom 10. Järmer 1900: „Einige Worte II. s. w."

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Protokoll u 11 d G u t a c h t c li , da« icli in Avörlliclier Abschrift liabe. Wozu also solelie unscliöne Ausreden?

Speziell ist eine solche unschöne Ausrede die Be- hauptung, im Verhandlungsprotokoll sei gerade an der Stelle ein Fehler, an dem von der Durchschneidung des Kehlkopfes gesprochen werde. Es stehe nämlich gedruckt, der Kehlkopf sei „ein wenig durchschnitten worden", dagegen solle es heissen, der „durchschnittene Kehlkopf habe ein wenig hervorgeragt". Ich gestehe, ich bin kein Freund von medizinischer Philologie: die Herren haben doch das „ein wenig durchgeschnitten" in ihrem eigenen Obduktions- protokolle! „Ein wenig durchschnitten" ist allerdings eine komische Wendung aber solcher Wendungen giebt es in d(ui verschiedentlichen Aussagen der Herren mehr als genug! Ich habe mich darum gar nicht nur an diese Worte gehalten, sondern ausdrücklich die anatomische Beschreibung der Wunde betont. Es ist aber klar : Wenn der ganz e K e h 1 k o p f rund h c r u m durchschnitten wän^ und wenn, wie wir in der „Antwort" belehrt worden, dieser Schnitt wagerecht war, so m ü s s t e an der rechten Kehlkopf- Seite die Carotis a u c ii d u r c h t r e n n t sein, die ist aber intakt geblieb(;n, folglich M'ar der Kchlko|)r nicht ganz durchtrennt, oder seine Durchschneidung wurden nicht Avagerecht, sondern beim Ein- oder Ausstich Transüxion verübt.

Die Herren sehen, ihre philologische, national-radikal- rituell-christlich-katholische Anatomie zahlt sich ihnen nicht aus, wie ihnen das infolge ihres letzten Auftretens auch ihr medizinischer Kollege Dr. J. Hälek ausführlicher gezeigt hat.*) Von der geradezu unglaublichen Unwissen- heit und anatomischen Schlamperei ((unen anderen Aus- druck giebt es dafür nicht) der beeideten (!) Herrn Sachverständigen kann sich auch jeder Laie überzeugen.

*) Vergl. „Gas", 16. Jänner.

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üeber die Wunde z. 13. haben wir circa viererlei Aus- sagen! Im Sektiunsprutokoll lesen wir: Der Schnitt in der Wunde hat das Zungenbein vom S c h i 1 d k n o r p e I getrennt;*) dagegen hören wir in der Hauptverhandlung (294), die Wunde sei bis zur Mitte des R i n g k n o r p e 1 s gegangen (also hübsch tiefer als im Protokoll!); daselbst hören wir auch, dass der Ringknorpel nicht ganz durchtrennt Avar, in der ,, Antwort" lesen wir, der K e h 1 k o p f (wo?) sei ganz durch- schnitten geAvesen und sei darum ganz aus der Wunde heraus- getreten, — in der letzten schriftlichen Polemik sagen die Herren, der Kehlkopf hab(^ nur ein wenig hervorgeragt . . . Oder ein anderes Beispiel: Im Sektionsprotokoll lesen wir, die linke vena jugularis externa sei durch-, die carotis communis a n geschnitten, bei der mündlichen Ver- handlung (294) ist die vena jugularis (welche??) und die carotis d u r c h geschnitten. . . .

Geradezu eine unerlaubte Unwahrheit ist die Be- hauptung der Herren, ich hätte am Thatorte den Abstand der Leiche von dem Bäumchen am Kopfe von 30—40 auf 10 cm. reduziert; ich habe den Abstand absichtlich zwei-

*) In diesem Falle könnte die andere Angabe des Obduktionsprotokolles kaum richtig' sein, dass nämlich die carotis communis angeschnitten wurde: bei dem angeblich schräg zum Ohre geführten Schnitte giebt es in dieser Höhen- lage keine carotis communis, sondern die getheilte carotis externa und interna! Ich konstatiere das z.B. nach der 8. Aufl. des Heitzmann'schen Atlasses pag. 497, 498, 564 und bei Gegen- bauer, Anatomie des Menschen, 7. Aufl. 1899 II, pag. 285, 313.) Es müssen darum überhaupt ganz andere Gefässe und ganz anders durchschnitten sein, als im Sektionsprotokoll an- gegeben wird. (Ich mache auf den Ausdruck: „Der Schnitt in der Wunde" aufmerksam: nach dem ganzen Context (der Leser sehe in der Beilage nach) muss man die Worte so deuten, wie es oben im Texte geschieht; allerdings bhi ich nicht ganz sicher, ob die Herren nachträglich nicht sagen werden, sie haben „einen Schnitt in der Wunde" selbst gemacht und diesen gemeint -~ freilich wäre auch diese Ausdrucksweise ungenau, aber man muss bei den Herren auf alles gefasst sein.)

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mal vor dem Herrn Polizeiauf'seher von Polna gemessen, ihn um diesen Abstand genau befragt und von ihm die angeführten 10 cm. als Mass erhalten. Die Herren fangen offenbar an sich mit bewussten Unwahrheiten auszuhelfen. Vielleicht sind diese Unwahrheiten unbewusst man ver- steht die Herren einfach gar nicht. Wie ist es möglich, dass sie in ihrer jüngsten Antwort in einigen Stücken gegen die frühere Antwort schreiben wie ist es möglich, d.ass sie gegen das schreiben, was sie schriftlich und mündlich unter Eid aufgeschrieben und ausgesagt haben? ....

III. Die angebliche Ausblutung <ler Leiche.

Die Sachverständigen und die Anklage behaupten, die Leiche der Agnes H. sei ausgeblutet vorgefunden worden; und da es beiden als selbstverständlich gilt, dass der Mord an der Fundstelle der Leiche verübt wurde, so schliessen sie weiter: das der Halswuude rasch ent- strr>mende Blut sei ganz kunstgerecht aufgeffingen und fortgeschafft worden. Dafür spricht ihnen die Thatsache, dass die an Ort und Stelle aufgefundene Blutmenge nicht der Menge entspreche, die dem Leichnam entronnen sein müsse.

Die Anklage nimmt an, die Agnes PL sei zuerst stranguliert, dann in das Gebüsch geschleppt, dort mit den Steinen durch Schläge in den Kopf betäubt und schliesslich unterschnitten worden (Verhandlungsprot. 300): die Aerzte glauben, sie sei gleich am Wege ermordet und erst dann fortgeschleppt worden und zwar sei sie erst durch Schläge mit Steinen oder mit dem Stocke ange- griffen, dann strangulirt und schliesslich unterschnitten worden.

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Die Wunde am Halse wird allgemein als eig-entlichc Todesursache angesehen und zwar wird behauptet, die Leiche sei ausgeblutet gefunden worden. Ich habe schon auf den Widerspruch aufmerksam gemacht, der zwischen dem Obduktionsgutachten und den mündlichen Aussagen der Sachverständigen besteht: Dort heisst es, die Ausblutung sei fast eine vollständige, mündlich wird häufig gesagt, die Ausblutung sei eine vollständige. Dabei muss man noch im Auge behalten, dass die Herren unter vollständiger Ausblutung wörtlich eine solche Ausblutung verstehen, bei welcher alles Blut aus dem Körper entrinnt!

Die Aerzte schätzen die Schwere der Agnes H. (warum hat man sie einfach nicht abgewogen?!) auf 70kg ab; darnach schätzt der eine Sachverständige den Blut- gehalt auf 5, der andere auf 5 6 kg oder 5 1. Nach einer sorgfältigeren Berechnung mit genauer Berücksichtigung alles dessen, was im Obduktionsprotokoll Anhaltspunkte bietet, bestimmt mein Gewährsmann das Gewicht des Körpers auf 55 kg, der Blutgehalt betrage darnach maximum 4,2 kg.

Nun geben die Aerzte in der Hauptverhandlung (315) zu, das an und bei der Leiche vorgefundene Blut be- trage 1,50 kg; ich frage: ist das gar so wenig? Wie viel Blut kann überhaupt dem Körper entweichen doch nicht alles, wie die Herren Aerzte offenbar annehmen? Ich habe diese Fragen mehreren Fachmännern vorgelegt: übereinstimmend wird mir erklärt, der Austritt von 1,50 kg Blut sei thatsächlich kein geringer. Eine Autorität in ge- richtlicher Medizin schreibt mir direkt, der gewöhn- liche Ausfluss desBlutes betrage 1500—1800 kg die Polnaer Ritualmörder haben demnach das Gefäss, in welches sie nach der Belehrung des findigen Herrn Dr. Baxa (Verhandlungsprotokoll, 318) das Blut kunst- gerecht aufgefangen haben, leer nach Hause getragen. Oder gibt es am Ende auch bei den Ritualmördern Lehr-

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liiigc und Avir haben es also in Polna mit solchen Ritual- mordslehrlingen zu thun?

In der „Antwort" wird zu dem 1,50 kg auch das Blut im Körper gerechnet: Lässt sich die Menge des Blutes im Köi'per überhaupt so leicht bestimmen, zumal nicht be- kannt ist und auch gar nicht untersucht wurde, wieviel aus dem Körper ausgeronnen ist? Die Herren Gerichtsärzte haben nicht genau nachgesehen, wie viel Blut in die Erde gesickert ist, denn sie haben den Boden niclit genauer untersucht, Avas umso nötiger war, als die Leiche angeb- lich einem starken Regen ausgesetzt war. In ihrer „AntAVort" geben die Herren jetzt selbst zu, dass die Blutspuren in- folge des starken Regens vcrAAischt sein könnten! Allein das und vieles andere haben die Herren bei ihren Schät- zungen nicht berücksichtigt. Die Herren Sachverständigen sagen uns nichts über den Blutgehalt der Lunge, der Milz, der grossen Blutgefässe in der Bauchhöhle und den Extremitäten und da darf man A^on vollständiger Blutentleerung sprechen"?*) .......

Die Herren behaupten, es habe sich ein grosser Blut- kuchen unter der Leiche bilden müssen.

In der einschlägigen Literatur tinde ich über die Bildung dei- Blutkuchen keine genauere Belehrung, aber es scheint, dass auch diese Voraussetzung der Herren Gerichtsärzte unrichtig ist. Die Bildung eines Blutkuchens scheint nur unter gcAvissen Umständen zu erfolgen, unter anderem nur dort, aa'O das Blut in den Boden nicht ein- sickern kann. An der Fundstelle hat aber das Blut in den Boden einsickern können: der eine Sachverständige be- schreibt den Boden (pag. 310) als Humus (ca. 1 cm), unter

*) Wie bequem die Herren ihre Schätzimgen A-omehmen, ersieht man aus diesem Zwiegespräch im Verhöre:

Prä.sident: Wie A-iel Blut haben Sie im Körper ge- funden ?

S a c h A' e r s t ä n d i g c : Im rechten Herzen einige Tropfen, im Gehirn allein eine A-enöse Hyperaemie.

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ihm Sand und Felsen, oben auf abgefallene Fichtennadeln, Moos sei dort nicht gewesen. Aber von alle dem abge- sehen — wie hat sich ein grösserer Blutkuchen bilden können, wenn eben das zu seiner Bildung nötige Blut gar nicht vorhanden sein konnte?*)

Schliesslich: Die Beschreibung einzelner Körpertheih- im Obduktionsprotokoll spricht für Totenflecke: kommen diese an ganz ausgebluteten Leichen vor?

*

Aber die Herren Gerichtsärzte haben nicht nur über das Quantum der Ausblutung, sie haben auch ganz falsche Vorstelkingen über die Art und Weise derselben. Ganz geAviss konnte die Ausblutung nicht so rasch vor sich gehen, Avie die Herren und mit ihnen die Anklage an- nehmen. Freilich bestimmen die Herren Aerzte die Zeit- dauer nicht; aber man ersieht aus ihren Ausführungen bei der Hauptverhandlung, dass sie sich die Ausblutung und infolge dessen auch den Eintritt des Todes in einigen wenigen Minuten vorstellen.

Dagegen führen mir meine Gewährsmänner aus der Literatur zahlreiche Fälle vor, aus denen erschlossen werden kann, dass die Verblutung bei der in unserem Falle beschriebenen Verwundung zit^mlich lange dauern konnte. **)

*) Nachträglich wird mir über entsprechende Versuclie (an Kaninchen) gemeldet, bei welchen es zu keiner Bildung von Bluikuehen kam das Blut sickerte in den Boden.

**) „Die sicheren Vorboten eines rasch eintretenden Ver- blutungstodes sind starke Athemnot, Stocken der Drüsen- sekretiouen , Bewusstlosigkeit , Erweiterung der Pu- !> i 11 0 n , unwillkürlicher Abgang von Harn und Koth u. s. w." Tillmann s^ Lehrbuch der allgeraeinen Chirurgie, 3. Aufl. 1893, pag. 383. Im Obduktionsprotokoll wird nur von „etwas erweiterten" Pupillen gesprochen; die ande- ren an der Leiche vorfindbaren Symptome werden nicht erwähnt. Allein dieseErweiterung der Pupillen könnte auch von der S t r a n - gulirung herrühren. (Reinsberg's Ger. Medizin III, 3.38, 34'.)

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Natürlich ^ebt eine längere Dauer der Ausblutung die von den Aerzten als eigentliche Todesursache ange- geben wird, ein ganz anderes Bild von der That. Vorerst müsste man die Annahme der Aussage. bezAA^eifeln, nach welcher das Verbrechen mit unglaublicher Schnelligkeit und in kürzester Zeit verübt wurde; die Thäter, so wird gesagt, seien nach dem Thatort geradezu gelaufen und der an der That angeblich beteiligte Hilsner war im Handum- drehen schon wieder in der Stadt zurück, diese Annahme muss nach der obigen Erklärung bezweifelt werden.

Die Frage nach der Schnelligkeit, mit welcher der Tod eingetreten sein könne, hat aber auch in anderer Be- ziehung ihre Wichtigkeit. Es wäre nämlich möglich, dass bei langsamer Verblutung die Strangulation nach der H a 1 s w n n d e vorgenommen Avorden wäre. Meine Gewährsmänner machen mich auf einige ähnliche und darunter sehr bekannte Fälle aufmerksam.

Ich sage, diese Annahme wäre möglich. Jedoch halte ich mich an die Annahme der Gerichtsärzte, die Strangulation sei vor der IT aiswunde ge- schehen und frage darum nach der Wirkung der vorgängigen Strangulation auf die Blutung.

Ueber die Wirkung der Strangulierung meint der eine Sachverständige, .sie allein habe den Tod verursachen können (301); der andere hält die AVunde für verhältnis- mässig leicht (312, 319). Nach den Angaben des Obduktions- protokolles kann man den Grad der Strangulierung kaum genau bestimmen. Jedenfalls müsste die Strangulation eine Blutüberfüllung des Kopfes und der Partien oberhalb der Strangulierungsfurche überhaupt bewirken; aus dem Ob- duktionsprotokoll kann man den Grad der Blutüberfüllung nicht klar ersehen. Zwar sagen die Sachverständigen, das Gesicht , insbesondere die Nase , die Wangen und die Lippen seien geschwollen und roth-violett gefärbt und die Bindehäute des Auges etwas blutreicher; aber d a d i e

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Leiclie längere Zeit mit der Vorderseite auflag, die Gewebsflüssigkeiten infolge dessen sicli in dieser Eichtung senken mussten, so können die gescliil- derten Veränderungen auch auf postmortaleTodten- flecke oder a u f B e i d e s zu beziehen sein. Da die Sachverständigen es unterlassen haben, auch die sicheren Zeichen eines Erstickungstodes, Ecchimosen (kleine punkt- förmige, oder auch grössere Blutaustritte, insbesondere in der Bindehaut, der Haut des Augenlides, am Brustfell etc.) zu forschen, so ist es kaum mehr möglich zu ent- scheiden, was von der Hyperämie des Kopfes auf Rech- nung der Strangulation gestellt werden soll. . . .

Wenn ich mich also bei der Ungenauigkeit des Obduk- tionsprotokolles und dem Widerspruche der Sachver- ständigen in der Hauptverhandlung nicht getraue, den Grad der Strangulation genauer anzugeben, so kann ich trotzdem den Schluss ziehen, dass die der H a 1 s w u n d e voran- gehende Strangulation auf die Rasch heit des B 1 u t a u s f 1 u s s e s hemmend wirken m u s s t e. Wenn ich nicht irre, so ist die Folge der Strangulation eine n e r z 1 ä h m u n g oder wenigstens eine starke Herab- minderung des Blutdruckes. In jedem Falle könnte der Blutausfluss nicht so rasch geschehen, wie die Herren Gerichtsärzte annehmen, auch würde das Blut aus der angeschnittenen Arterie nicht in mächtigem Strahle nach allen Richtungen hervorspritzen, sondern mehr kontinuirlich auslaufen. Auf diese höchst wich- tige Wirkung der Strangulation muss man ganz besonders bedacht sein, weil da- durch der Mangel von Blutspuren, sei es im Gebäude, sei es im Walde, gegen die Voraussetzung der Gerichtsärzte und der Anklage erklärt würde. Üeber die Wirkung der Erstickungsgefahr auf die Blutung sagt T i 1 1 m a n n s : „Unter (solchen) Umständen ist infolge der drohenden (also noch nicht eingetretenen!) Herzlähmung der Blutdruck im

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arteriellen System so erniedrigt, dass das Blul nicht im Strahl hervorspritzt, sondern mehr kontiiiuirlich ausläuft oder plötzlich vollständig aufhört." *)

Wenn infolge der Strangulation direkt eine Herz- lähmung eintritt, so wird der Blutumhiuf gestört und in- folge dessen findet sich in der linken Herzkammer kein Blut, in der rechten findet sich meistens mehr oder weniger Blut vor. Nun stimmt diese Wirkung der Herzlähmung (die Wirkung derselben genauer beschrieben bei Schmaus, Grundriss der Patholog. Anatomie, 2- Aufl. 1895, pag. 15, 16) zu der von den Aerzten beschriebenen Blutleere des Herzens!

Ich bin natürlich nicht in der Lage, über diese Gegen- stände ein endgiltiges Urteil zu fällen; ich will nur zeigen, wie die ungenauen Erklärungen der Gerichtsärzte selbst bei einem Laien Zweifel erregen müssen. Aber soviel glaube ich mit Sicherheit behaupten zu können, dass die Ausblutung nicht so rasch und nicht so energisch sein konnte, wie die Herren Sachverstän- digen behaupten. Sie haben eben auf die Wir- kung der Strangulation vergessen, trotzdem sie dieselbe vor die Hals wunde setzen! In der „Antwort" sagen die Herren (in einem anderen Zusammenhange), dass Agnes H. „halb erwürgt, also bewusstlos und dem Tode schon nahe" unterschnitten wurde aber sie be- greifen die Tragweite der eigenen Aussage nicht.

Die Herren haben aber ebenso auf die W i r k u n g der Kopfwunden vergessen.

Diese (8) Kopfwunden, erklären die Gerichtsärzte und die Anklage, haben das Opfer betäubt. Das bedeutet wohl, dass die Kopfwunden einen gewissen Grad von Hirn- erschütterung verursacht haben. Wie Avirkte diese Hirnerschütterung auf den Blut-

*) L. c. pag. 381.

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a u s f 1 u s s ? Offenbar av i e d e r u m verlangsa- mend und störend, so wie die Strangu- lation und so kommen wir abermals zu dem Ergebnis, dass die Ausblutung nicht so rascli, so energisch und so vollständig sein konnte, wie die Anklage und die Herren Gerichts- * ä r z t e annehmen.

Nach dem schon angeführten Werke von Tillmanns (pag. 382) müsste schon der durch den supponierten jähen Überfall bewirkte S c Ii r e c k die Energie der Ausblutung hemmen; doch will ich auf dieses Moment kein Gewicht legen, vielmehr besonders einen Punkt in helleres Licht setzen, der für die forensische Beurteilung des Verbrechens von grosser Wichtigkeit ist.

Die Herren Gerichtsärzte sind nämlich durch die Thatsache beunruhigt, dass an der Fundstelle die Bäume nicht mit arteriellem Blut stark bespritzt waren, wie es die Durchtrennung der Carotis angeblich verlangen würde, wenn das Opfer auf dem Rücken gelegen hätte; darum schliessen sie, die Halswunde sei in der Lage mit dem Gesichte zur Erde beigebracht und das Blut aufgefangen worden.

Gegen diese Annahme ist eben auf die der Hals wunde vorangehende Gehirner- schütterung und H e r z 1 ä h m u n g hinzuweisen : das Blut konnte infolge derselben auch aus der Carotis nicht so energisch und weithin „nach allen Richtungen" hervorspritzen, Avie die Herren Gerichtsärzte annehmen. Und selbstverständlich gilt das für jeden Thatort: man kann darum im Walde keine blutbespritzten Bäume, m a n darf aber auch in einem Gebäude keine blutbespritzten Wände und Zimmerdecken suchen. Letzteres betone ich sehr eindringlich im Hin- blick auf eine nachträgliche Untersuchung, über die sich mir gegenüber einer der Beteiligten äusserst despektier- lich ausgesprochen hat.

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In dieser Beziehung ist die Thatsache von Interesse, dass mir von Seiten mehrerer Fleischhauer eine ähnliche Belehrung zu Teil wird. Es sei eine allgemeine Er- fahrung, dass das Blut aus der Hals wunde nur dann mäch- tiger hervorquelle und hervorspritze, wenn das unter- schnittene Thier frisch und „lebendig" sei, bei betäubten Thieren fliesse das Blut nur langsam und träge. Diese Erfahrung kann und muss in unserem Falle um so eher herangezogen werden, als wir uns über die Ausblutung nur an Thieren direkt belehren können, wie in der einschlä- gigen medizinischen Literatur in methodologischer Be- ziehung allgemein hervorgehoben wird.

*

Wenn nach alle dem Gesagten von der angenommenen Ausblutung keine Rede sein kann, wenn ferner die Aus- blutung auch nicht so rasch und so energisch sein konnte, wie die Anklage und die Sachverständigen annehmen, so ergiebt sich wohl der Aveitere Schluss, dass der Mord in Polna nicht von Ritualmördern verübt sein kann. Die Anklage und die Sachverständigen sehen jedoch Ritualmörder auch in dem Umstände, dass die Leiche entkleidet gefunden Avurde. Die Herren Aerzte und die Anklage begehen einen Irrthum, wenn sie annehmen, dass durch die Entkleidung (pag. 303, 323) oder Hebung der Beine und dergl. Manipulationen die Ausblutung merklich befördert würde. Eng anliegende Kleider könnten wohl auf die Zirkulation des Blutes einen Einfluss ausüben, doch dürfte derselbe kaum in Betracht kommen. Wenn darum die Leiche entkleidet war, so weist das die Untersuchung auf ganz andere Spuren als auf rituale Blutentleerung. Einer der Herren Gerichtsärzte scheint richtiger anzunehmen (325), dass dem Zwecke der Blutentleerung das Auflassen der Kleider genügen würde, obwohl er darin irrt,, dass alle Kleider aufgelassen werden müssten. Thatsächlich sind die Schuhe, wie die Gerichts- ärzte in ihrer „Antwort" behaupten, stark zugeschnürt ge-

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blieben, ebenso die Strumpfbänder, von denen sogar Strangulationsfurchen bei der Obduktion konstatiert wer- den — wie passt das zu dem bewussten Auflassen der Kleider und wie passt das zu der angeführten Annahme eines der Herren Sa'chverständigen, dass die Beine behufs Blutentleerung zurückgebogen wurden? In ihrer „Ant- wort" sprechen die Herren Gerichtsärzte auch von starken Strangulationsfurchen an den Oberarmen wie passen diese *) zu der angeblichen Unterstützung des Blut- ausflusses? Mörder, speziell Ritualmörder, die darauf aus- gehen, möglichst viel Blut aufzufangen und die, wie die Anklage und ' die Sachverständigen beständig behaupten, ihre That äusserst schlau vorbereitet haben, hätten doch konsequent gehandelt; aber eben darum hätten sie auch das 1,50 kg Blut nicht an Ort und Stelle und in den Kleidern gelassen (d a s ist ja fast das ganze überhaupt gewinnbare Blut) wie kann man also von einer durchdachten Blutent- leerung sprechen?!

Wenn demnach das Gutachten der Gerichtsärzte selbst auf die Kopfwunden und die Strangulation ein ver- hältnissmässig grosses Gewicht legt und wir aus diesem ihren Befunde die logischen Konsequenzen ziehen, so können, ja müssen wir noch einen Schritt weiter gehen und fragen : Kann die HalsAvunde nicht erst nach dem Tode beigebracht worden sein?

Ich gebe zu, diese Frage frappiert. Allein sie ist er- laubt, ja notwendig. Die Herren Gerichtsärzte selbst hätten sich dieselbe stellen müssen und gerade deshalb, Aveil sie an der Fundstelle der Leiche nicht genug arte- rielles Blut vorgefunden haben wollen. Dass aber die

*) Nur kurz mache ich auf den Widerspruch des Obduk- tionsprotokolles und der „Antwort" aufmerksam: hier wird auf die Strangulationsfurehen der beiden Joppen das Gewicht gelegt, dort werden die Furchen der Heradärmel ganz besonders betont.

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Leichen aus den V e n c ii längere Zeit nach dem Tudti bluten liünnen, ist allgemein bekannt und wird mir von mehr als einer Seite fachmännisch erklärt und bestätigt. Und wenn das Unterschneiden geschehen ist, nach dem das Opfer „halb erwürgt, dem Tode schon nahe" war konnte es nicht nach dem Tode, etwa als die Leiche noch warm war, geschehen'?*)

Und so ergibt sich schliesslich auch die Frage: haben wir es am Ende nicht mit e i n <; r S i m i 1 i r u n g des R i t II a 1 m o r d e s zu t h u n V

Ich begnüge mich, die Frage zu stellen, ohne sie ein- gehender zu erörtern.**) Für die Annahme Hesse sich aus den Aussagen der Aerzte meheres heranziehen. So z. B.

*) Die Möglichkeit des Erstickungstodes weist der eine Herr Gerichtsarzt mit der Behauptung zurück, in der Lunge seien nicht die Zeichen des Erstickens, nämlich venöse Hyperaemie gefunden worden (307). Allein Relnsberg (III, 345) zeigt nach Hoffmann, dass diese Hyperaemie häiifig nicht vor- lianden ist.

Der zweite Sachverständige führt gegen den Erstickungstod an, es habe sich mehr Blut finden müssen, wahrscheinlich war jedoch Blut genug.

**) Herr Dr. Ofner aus Wien machte mich auf den Aus- spruch der Anklage uod der Sachverständigen aufmerksam, dass noch Samstag Spuren ganz frischen Blutes gefunden wurden. Wie hätte sich, so fragt er, das Blut seit Mittwoch frisch er- halten können? Mir ist das Wort: frisch auch gleich auf- gefallen; aber ich habe darin einen der zahlreichen ungenauen Ausdrücke der Aerzte und Anklage gesehen. Diese Vermutung bestätigte mir pag. 301 des VerhandlungsprotokoUes, wo das Wort ausdrücklich im Gegensatz zum „gestockten Blut" ge- braucht wird. Im Obduktionsprotokoll findet der Leser an zwei Stellen: „trockenes, frisches" Blut die Herren haben offenbar nicht nur ihre eigene Anatomie , sondern auch ihre eigene Terminologie. Wahrscheinlich handelt sich's um blutiges Regenwasser; übrigens ist es möglich, dass das Blut in der Kälte auch so lange flüssig und hell bleiben würde. Immerhin kann die Untersuchung noch an den Blutflecken der Kleider konstatiren, ob etwa nicht anderes als Menschenblut zur stippo- nirten Fietion des Ritualmordes gebraucht wurde.

f^esteliu ich, dass ich sogar an der behtiupteteii Aiischiiei- dung der grossen Arterie (carotis communis) gewisse Zweifel liege; das Unsystematische der Obduktion hat mir diese Zweifel eingegeben und ich habe daruni anatomische Fachmänner befragt. Ich erhalte darüber von mehreren Seiten etwa folgende Aufklärung: Es ist nicht ersichtlich bei welchem Akte der Sektion die Verletzung der Carotis festgestellt wurde. Ob gleich bei der Untersuchung der Wunde oder erst nach der Herausnahme der Zunge. Im Protokoll findet sich diese Angabe bei der inneren Unter- suchung. Eine solche Verletzung muss jedoch durch die Untersuchung der Wunde konstatirt werden, um sich vor einer Verwechslung mit einem bei der Sektion zufällig an- gebrachten Schnitt zu bewahren.

Dadurch dass die Herren jedesmal anders sprechen, kann man ihren Aussagen überhaupt nicht mehr trauen und so ergeben sich eben allerhand Bedenken und Zweifel.

Die Möglichkeit einer Fiction des Kitualmoi'des er- gibt sich mir durch folgende, wie ich glaube, ganz not- wendige Ueberlegung. Echte Ritualmörder, wenn es solche gäbe, würden ihre That gewiss verbergen und unkenntlich machen; jede Ritualverwundung ist, ich bin überzeugt, an und für sich und immer verdächtig. Man kann das den Hitualgläubigen gegenüber nicht genug eindringlich be- tonen. Glaubt man, die geheime Ritualsekte werde ihre Leichen mit dem verräterischen Schnitt im Polnaer Walde geradezu ausstellen? Solche Verbrecher, und seien sie noch so beschränkt, werden bemüht sein, die Spuren, die zu ihrer Entdeckung führen könnten, nach Möglichkeit zu verwischen. Nun behaupten gerade die Antisemiten, die Juden seien die Ausgeburt der Klugheit: Avarum imputirt man ihnen gerade bei einem solchen Verbrechen die bodenloseste Dummheit? Beim Wechselfälschen Ist der Jude superklug, aber beim Ritualmord ist er mit einem male absolut dumm. Wenn es einen Ritualmord gäbe, so würden die Mörder in erster Reihe und um jeden Preis

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darauf bedacht sein, den verräterischen Schnitt am Halse unschädlicli zu machen, in dem sie die Leiche sicher bergen, begraben oder wenigstens verstümmeln würden, um sich nicht zu verraten. Niemals würden sie eine solche, für das gesamte Judentum so gefährliche That vollführen, wenn sie sich nicht vorher die vollste Sicherheit geschafft hätten, so viel Zeit zu gewinnen, dieses Kennzeichen, in irgend einer Weise unsichtbar zu machen. Ich sage darum: Leichen, mit dem vollen oder nur teilweisen Ritualzeichen ausgestattet, sind immer verdächtig und sprechen immer für die Niedertracht eines christlichen In- dividuums.

Die Polnaer Unthat widerspricht allen Subpositionen des Ritualaberglaubens. Sie ist angeblich am hellen Tage mit offener Dreistigkeit verübt worden und überdies wurde dann die Leiche, wie gesagt, geradezu zur Schau aus- gestellt an einer Stelle, wo sie sehr bald hat gefunden werden müssen.

Und freilich, entbehrt der Polnaer „Ritualmord" auch des komischen Elementes nicht. Für die Geschichte des Ritualmordes und speziell für den geheimen Ritus sind die Gegenstände belehrend, die die Mörder angeblich, zugleich mit dem aufgefangenen Blute mitgenommen haben: um zwei Kreuzer Schweinefett (das Papier, in welches es ge- wickelt war, haben die Schelme an Ort und Stelle ge- lassen), einen Rosenkranz, den grössten Theil des Hemdes, gewirkte Handschuhe, ein Taschentuch ....

Ueber die Art und Weise der einzelnen Verwundungen will ich mich kurz fassen und nur wenige auch forensich nicht unwichtige Bedenken vor- bringen.

In Bezug auf die Technik der Strangulation geben die Herren Gerichtsärzte jetzt in ihrer „Antwort" eine genauere Beschreibung des vermeintlichen Vorganges:

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„Der würgende Mörder befand sich zur linken Seite des Opfers, der den Schnitt führende zur rechten." Die Herren nehmen also jetzt an, Agnes H. sei zugleich einseitig strangulirt und unterschnitten worden: allein wobleiben dann die der Strangulation vorangehenden betäubenden Kopfwunden? Wozu strangu- liren, wenn das Opfer schon betäubt war? In der Verhandlung denkt einer der Herren direkt an eine der Halswunde vorhergehende Gehirnerschütterung wo bleibt jetzt diese?

Die Herren glauben in ihrer „Antwort" die Situation besonders klar zu beschreiben; in derThat haben sie aber nur meine Belehrung angenommen, dass die Schlinge bei der gegebenen Configuration des supponirten Thatortes nicht, wie die Anklage annimmt, von links und von hinten auf das Opfer geworfen sein konnte. Die Herren polemisieren darum nach meiner Anleitung über diesen Punkt gegen die Anklage und geben die angeführte Erklärung. Allein diese ist auch sehr unbestimmt. Es wird ja auch darauf an- kommen, wo und wie der schneidende Mörder postirt war ob vor, hinter oder neben dem (nach der Annahme) mit dem Gesicht zur Erde liegenden Opfer, ob er selbst rechts- oder linkshändig war u. dgl.

Die Herren glauben, durch ihre neuere Erklärung zugleich den rätselhaften Strangulationsspagat wegzuer- klären: dieser Spagat ist nämlich blutbefleckt, mit Haaren beklebt und eigenthümlich beschädigt bei der Leiche ge- funden Avorden. Nun erklären die Herren Gerichtsärzte, die freien Enden der Schnur seien von einem der Mörder ohne Schlinge angezogen worden, dadurch sei die Stran- gulationsfurche nur an der rechten Halsseite entstanden, zugleich sei durch den gleichzeitig geführten Schnitt die Schnur „in der Mitte blutig und bis auf einige Fäden fast ganz durchschnitten" worden.

Die Herren haben bei dieser Erklärung in der „Ant- wort" auf ihre früheren Aussagen in der Verhandlung ver-

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gessen: dort hören wir, dass die Schnur beim Schnitt in die Wunde eingedrungen ist*) offenbar dachten die Herren damals die Strangulationsfurche sei um den ganzen Hals gegangen; darum wurde auch gesagt (ich habe das schon angeführt) diese Furche sei links in die Wunde hineingezogen worden. Aber weil die Herren doch gelehrig sind und durch meine Broschüre einiges profitirt haben, geben sie ihre frühere Erklärung still- schweigend auf und suchen sich nun meiner Kritik anzu- passen. Darum entfällt jetzt in der „Antwort" die Stran- gulationsfurche auf der linken Halsseite. Allein die Herreu haben nicht weiter nachgedacht: wie konnte die Schnur von dem Messer angeschnitten werden, wenn der „wür- gende Mörder" die freien Enden stramm angezogen hielt? Und wie konnte er die Schnur in ihrer Mitte durch- schneiden da diese Mitte nach der eigenen Erklärung der Herren doch an der rechten Halsseite anliegen musste? Darüber wäll ich mit den Herren nicht rechten, ob die Schnur thatsächlich angeschnitten oder wie die An- klage behauptet (15) „wie durchgebissen o d e r zer- risse n " war einen angenehmen Eindruck machen solche Discrepanzen, das muss ich allerdings sagen, nicht. Und natürlich gehört es zur geradezu bodenlosen Ober- flächlichkeit der Herren Gerichtsärzte und der Anklage, dass die Länge der Schnur und ihre Dicke nicht gemessen Avurde.

Der Leser sieht, wie die Sachverständigen bei jeder Kleinigkeit sich in einem Netze von Widersprüchen und Unmöglichkeit verstricken. Und trotzdem habe ich die Einwände noch nicht erschöpft. Gewiss wird sich jeder halbwegs Denkende fragen: Kann eine einseitige Stran- gulation so starkbetäubend wirken und wie ist sie unter

*) Dieses Eindringen des Spagates in die Wunde ist aller- dings sehr rätselhaft: wie konnte das angeblieh sehr scharfe Messer die Wimde bilden, ohne den Spagat ganz zu durch- schneiden?

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den angenommenen Verhältnissen überhaupt möglich, wozu sollte sie dienen? Würde eine so unvollständige Strangulationsfurche nicht eher auf einen Selbstmord- versuch als einen Mord passen? Nach den in den Lehrbüchern über gerichtliche Medizin gegebenen Er- klärungen, gewiss!

Auch die Kopfwunden zwingen zu einigen kri- tischen Bemerkungen.

Wie wir schon wissen, wird die beabsichtigte Wirkung dieser Kopfwunden in der Betäubung des Opfers gesehen. Allein: wenn die Kopfwunden zur Betäubung genügten, so frage ich nochmals: wozu die Stran- gulation?

Und wenn die oder der Mörder sein Opfer zuerst betäuben wollte, wie die Anklage annimmt und die Sachverständigen erklären, wozu hätten sie acht Kopf- wunden beigebracht und nicht sogleich mit einem Schlage das vorgefasste und durchdachte Ziel erreicht?

Einer der Herren Sachverständigen nimmt in der Hauptverhandlung thatsächlich an, Agnes Hruza sei durch einen Schlag auf den Kopf mit dem am Fundorte auf- gefundenen Knittel betäubt worden und ZAvar denkt er geradezu an eine Gehirnerschütterung (315—317). Diese Gehirnerschütterung ist an der Leiche nicht konstatiert worden, aber der Herr Sachverständige trennt sich von dieser Idee sehr ungern; offenbar hat er, wenn er sich darüber auch nicht klar geworden ist, Zweifel an der An- nahme der Anklage, die That sei ganz planvoll ausgeführt worden: wenn die „Ritualmörder" einen ganz durchdachten Plan gehabt hätten , hätten sie ihr Opfer zuerst mit mehreren schwächeren Schlägen auf den Kopf angegriffen? Dann erst stranguliert u. s. w.? Das Unmögliche an dem Vorgang fühlt eben der Herr Sach- verständige und nimmt darum an, die Mörder hätten ihr Opfer mit einem starken Schlag auf den Kopf auf einmal betäubt. Unstreitig hätten „planmässig" und in „grösster

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Eile" vorgehende Mörder so oder ähnlich die Betäubung rasch verursacht, um dann die Betäubte rituell „bearbeiten" (Ausdruck des einen Sachverständigen) zu können. D i e zahlreichen Kopfwunden weisen in der That auf einen planlosen Angriff hin, wie er etwa in einem Streite sich ergeben kann. Dazu führt auch die Angabe der Aerzte, dass die Wunden in verschiedenen Richtungen verlaufen die Geschlagene hat sich also bewegt; dass diese Wunden nicht mit den bei der Leiche gefundenen aber doch aufbewahrten (!) Steinen beigebracht worden seien, sagen die Herren selbst; sie können gewiss mit einem anderen Gegenstande, etwa mit einem geschlossenen Taschen- messer oder auch mit einem schwächeren Stocke und dergl. verursacht worden sein.*)

Meine Annahme, die Art der Verwundung und speziell die Häufung der Wunden deute auf einen planlosen Mord resp. Tod seh lag, wird wohl auch durch den Schlag auf den linken Oberarm verstärkt. Auch lassen sich die scharfen Abschürfungen auf den Händen, die der Lebenden zugefügt wurden (pag. 313), am besten durch ein Handgemenge er- klären.

Unter den coporibus delicti spielt der am Fundorte der Leiche gefundene weisse Stock in der Anklage eine bedeutendere Rolle. Es wird supponiert, Hilsner liabe ihn gehabt. Mit diesem Stocke, sagt die Anklage, sei Agnes H. auf die linke Hand so geschlagen worden, dass derselbe von dem Schlage zersprungen ist. Diese Voraussetzung ist sicherlich unrichtig. Erstens würde von einem solclien Schlage nicht der Stock sondern die Hand resp. der Knochen brechen; nota bene ist der Stock nicht

*) Die Besehreibung der Wunden (vide Obduktionsprotokoll) schliesst grosse, stumpfe Steine, ebenso grosse, dicke Stöcke u. dergl. aus.

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an seinem Ende „zersprungen" sondern etwa in seinem Drittel, ein solcher Schlag mit der Mitte des Stockes wäre nach den Gesetzen der Mechanik wirkungslos.

Nach der mir zukommenden Beschreibung war der Stock gar nicht verkothet am kritischen Tage war es kothig! und ist darum nicht beim Gehen benutzt worden. Der 1,20 cm lange Stock ist sorgsam mit dem Messer ausgearbeitet worden; er ist darum auch nicht, wie die Anklage supponiert, in aller Eile vor der That im Walde abge- schnitten und nur eilig abgeschält worden. Ein frisch ab- geschälter Stock (Fichte?) ist erfahrungsgemäss zu klebrig. Hilsner ist in der Stadt ohne Stock gesehen worden, nur die Zeugen Pesäk und die Womela sprechen von einem weissen Stocke. *)

Dagegen liegt die Vermutung nahe, der Stock sei bei dem Transport der Leiche irgend wie be- nutzt worden, falls er überhaupt zu der That in Be- ziehung steht.

Ueber das Werkzeug, mit dem die Hals- wunde verursacht wurde, lässt sich aus der mangel- haften Beschreibung und Lokalisierung der Wunde nichts bestimmtes erschliessen.

Die Anklage supponiert, die Hals wunde sei mit einem grossen und geradezu mit einem Schächtermesser ver- ursacht worden. Der Postenführer Klenovec denkt auch, die Wunde könne mit einem Taschenmesser nicht bei- gebracht worden sein (103). Allein es ist gar kein Grund vorhanden, warum man nicht an ein gewöhnliches Taschenmesser denken könnte und jedenfalls ist auch die Frage gestattet, ob das Messer in der That so

*) Weisse Stöcke sind gang und gäbe. Ich erwähne nur noch, dass ich am 4. Dezember (1899) in der Umgebung des Bavimstumpfes, von dem der Stock herrühren soll (Verhandlungs- protokoll pag. 125), mehrere (nicht frische) ähnliche, stärkere und schwächere Baumstumpfe gefunden habe.

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scharf war, wie die Sachverständigen annehmen. Ich glaube die Art der Halswunde, soweit wir sie uns jetzt nach den beiden Antworten der Herren vorstellen können, spricht für kein allzu scharfes Messer.*)

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IV. Zeit und Ort des Polnaer Verbrechens.

Die Leser erinnern sich, dass und warum die Anklage ganz besonders auf den Ort und die Zeit Gewicht legt, wo und wann das Ver- brechen begangen wurde. Nach der Anklage wurde das- selbe in der Zwischenzeit von 'Viß ^U Mittwoch, den 29. März, im Walde Bfezina begangen; gefunden wurde die Leiche Samstag.

Ich habe bisher über die Zeit, wann die Unthat ge- schehen, direkt noch nichts gesagt; indirekt allerdings spricht aus allen meinen Ausführungen ein starker Zweifel an dem von der Anklage supponierten Zeitpunkte. Jetzt will ich aber direkt einen Beweis führen, aus dem mit grosser Wahrscheinlichkeit hervorgeht, dass das Verbrechen nicht in der angegebenen Zeit und nicht auf dem Fund- orte der Leiche verübt wurde. Oder ganz genau ge- sprochen: die Leiche der Agnes H. hat Don- nerstag, den 30. März, nicht an ihrem sam- stägigen Fundorte sein können.

Ich habe aus dem Verhandlungsprotokoll (147) schon erwähnt, dass es Donnerstag, den 30. März sehr stark ge-

*) Die Herren Gerichtsärzte glauben, das Durchschneiden des Kehlkopfknorpel verlange ein sehr scharfes Messer: meine anatomischen Autoritäten sagen mir, der Kehlkopf knorpel eines 19jährigen Mädchens sei weich und leicht zu schneiden.

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regnet hat: Vormittag wird ein Gewitter mit starkem, heftigen Regen konstatiert, auch Nachmittag regnete es sehr stark. Die Herren Gerichtsärzte bestätigen das in ihrer „Antwort"; allerdings haben sie das traurige Privi- legium in allem unpräcis zu sprechen und so sagen sie auch hier, dass es ,, diese Tage sehr stark geregnet habe und dass also die Blut- und andere Spuren verdeckt (auch unklar!) sein konnten." Auch die Mutter Hruza (pag. 82) gibt an, sie habe ihre Tochter Donnerstag wegen des schlechten Wetters nicht nach Hause erwartet.

Aus dem Verhandlungsprotokolle vermag ich nicht mit Sicherheit zu konstatieren, wie stark es auch .Mittwoch abends geregnet hat. Die kothigen Schuhe der Agnes H. beweisen wohl, dass es auch Mittwoch geregnet hat. Ein Zeuge (146) sagt aus, dass es nach 5 Uhr nachmittags in Polna zu regnen angefangen habe; der Postenführer sagt, der Weg sei kothig gewesen. An- dere Zeugen sprechen von schönem Wetter; der Präsident erklärt das dadurch, dass einem Orte die Sonne scheinen, an einem anderen es regnen konnte.

Ich habe mich über die Witterung von Mittwoch (29. März) bis Samstag bei verlässlichen Beobachtern er- kundigt und erfahre demgemäss, dass Mittwoch Abend ein Sprühregen begann, in der Nacht (auf Donnerstag) hat es gefroren, Donnerstag Vor- und Nachmittag gab es einige mal Regen; ein Gewitter (so sagt mir mein Zeuge aus) habe es nicht gegeben. Der Regen Donnerstag sei am stärksten abends bis etwa 10 Uhr gewesen. In der Nacht auf den Freitag habe es vor und nach Mitternacht ge- regnet, aber wenig. Freitag war der ganze Tag regenlos, sehr kalt, in der Nacht habe es gefroren. Samstag (an dem die Leiche gefunden wm'de) schien die Sonne, das Wetter war hell und klar.

Die Tage war Vollmond offenbar hat es sich Donnerstag ausgeregnet, Freitag, schon in der Nacht, hat sich das Wetter (Aprilwetter) gewendet.

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Der starke und anhaltende Kegen, Donnerstag, ist also allseitig konstatiert : wie hätte dieser Kegen auf die Leiche wirken müssen, wenn dieselbe seit Mittwoch Abend während des ganzen Regens an der Fundstelle gelegen wäre, da sie nur mit den Spitzen von 4 kleinen, jungen Fichtenbäumchen bedeckt war? Und wenn diese Be- deckung überdies ganz eigentliümlich war: Ich habe nämlich konstatiert, dass die Spitzen der Bäumchen auf die Leiche gestellt waren ; sie erhielten sich da- durch aufrecht, dass dieselben zwischen den umstehenden Bäumchen gegen einander gedrückt waren. Jedenfalls lassen so schief gestellte Bäumchen den Regen leichter durch, als aufrecht stehende Bäumchen.

1. Die Kleider (der Spagat n. s f) hätten Samstag noch n a s s und auch gefroren, mindestens halb gefroren, ge- funden werden müssen; es wird im Obduktionsgutachten und in der Anklage (pag. 21) konstatiert, dass die Leiche nicht nur erstarrt, sondern „fast steif gefroren" war, es wird der Frost (pag. 310) und kaltes Wetter (pag. 326) konstatiert.

Nach meinen Informationen wurden die Kleider nur feucht vorgefunden, es fehlten aber alle die Anzeichen, die auf eine vorangehende Durch- nässung und die Wirkung des Frostes schliessen Hessen; an einem kalten Tag der Freitag und eine Nacht hätten die durchnässten Kleider nicht austrocknen können. Die Feuchte passt aber zu dem kalten Wetter am Freitag.

2. Die Blutflecken an den Kleidern müssten verwaschen sein; nicht nur müssten die Ränder der einzelnen Flecken den charakteristischen helleren Hof haben, überhaupt müssten alle Blutflecken geradezu ausgewaschen sein: das ist aber nicht der Fall.

Auch müsste sich unter der Leiche das verwässerte Blut finden. Aber die Anklage konstatiert, dass der Fund- ort „vollkommen trocken" war (pag. 12) und dass unter der Leiche nur ein kleiner Blutkuchen vorgefunden wurde.

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In ihrer „Antwort" geben die Herren Gerichtsärzte zu, „der sehr starke" Regen*) habe auch die Blut- spuren „verdeckt", verwischt: wie müsste ein so starker Regen nicht nur auf den Blutkuchen, sondern eben auf alles Blut auf der Leiche wirken? Konnten z. B. die Haare mit Blut so zusammengebacken und zusammen- geklebt bleiben, wie behauptet wird?

3. Der starke und andauernde Regen hätte wohl auch an den Hosen die vorgefundenen schmutzig gelben (Sperma?) Flecken verwaschen. Nun wird aber im Obduktionsprotokoll indirekt konstatiert, dass die- selben einenhinlänglich scharfenRand hatten, sofern derselbe nämlich auf der Rückseite des Hosenstoffes mit blauem Stift umzeichnet wurde. Es sei noch erwähnt, dass diese Flecken gross sind (bis zur Grösse eines Guldenstückes) und darum durch den starken und dauernden Regen umso sicherer verwaschen worden wären; gewiss hätten sie sich nach einem solchen Regen nicht wie gestärkte Flecken anfühlen lassen.**)

4. Ganz besonders wären auch die nach oben ge- kehrten Schnürschuhe durch das Regen- wasser ausgewaschen worden. Das Regen- wasser hätte nicht nur allen Koth von den Schuhen abgewaschen, dieser Koth und die abgewaschene Schuh- salbe wäre an den Strümpfen und an der Haut sichtbar. Das Auswaschen der Schuhe müsste auf den ersten Blick sichtbar sein; an den ausgewaschenen Schuhen wäre auch

*) In ihrem Nachtragsgutachten vom 19. April haben die Herren natürlich das gerade Gegentheil gesagt: „Ebenso können wir nicht zugeben, dass die Dauer von 2 Tagen bis zur Auf- findung der Leiche und die „massigen" Regenmengen den Donnerstag darauf einen solchen Einfluss haben konnten dass der Blutkuchen verloren ging."

**) Die Flecken waren auf dem rückwärtigen Teil der Hosen, sind also bei der auf dem Bauche liegenden Leiche oben auf und dem Regen direkt ausgesetzt gewesen.

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die Wirkung des Frostes erkenntlich. Nun sind aber die Schuhe nicht verwaschen gewesen, im Gegentheil ist das Oberleder am Eande verkothet, die Sohlen machten den Eindruck, als wären sie an einem rauhen Gegenstande ab- gewischt worden.

Aus diesem Befunde an der Leiche und ihren Kleidungsstücken geht mit grosser Wahrscheinlichkeit hervor, dass dieselbe an dem regnerischen Donnerstag noch nicht an ihrem Fundorte im Walde Avar, dass die Leiche erst in der Nacht von Donnerstag auf Freitag in den Wald an ihrem Fundorte gebracht av u r d e.

Für den Transport, die Manipulation mit der Leiche und den Kleidern im Walde war zur Nachtzeit hinlänglich Licht (Vollmond).

Für die Beurtheilung der Zeit, wann die Leiche an die Fundstelle gebracht wurde, kommt noch die Thatsache in Betracht, dass Freitag am Wege (also nicht im Walde !) Blutspuren von Leuten gesehen Avurden.

Sowie die von der Anklage bestimmte Zeit des Verbrechens nicht die richtige sein kann, ebenso spricht der 0 r t in dem Walde Bf ezina gegen sich selbst.

Planbedachte, zumal Ritualmörder hätten sich gewiss einen sicheren Ort ausgewählt, wohl weiter von Polna ab in stärkerem Walde, Aveiter A^om Weg ab; der Fundort der Leiche ist ganz offen, die Thäter konnten jeden Augen- blick durch Menschen, die A^on mehreren Seiten kommen konnten, überrascht Averden. Um 6 Uhr mussten damals noch Leute auf den nahen Feldern gearbeitet haben, deren Anblick die Mörder abgeschreckt hätte.

Wenn die Agnes H. an dieser Stelle überfallen worden Aväre, so wäre es nicht an dem von der Anklage suppo- nierten Fusswege geschehen, der sich, wenn man von

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Polna nach Veznitz geht, rechts am Rande der Bfezina kurz vor der Stelle über einem ganz abschüssigen, an der Stelle selbst aber über einem halbabschüssigen Weg hin- zieht. In der Verhandlung wird zwar von dem Gen- darmeriepostenführer (pag. 110) gesagt, es sei damals kothjg gewesen und der Präsident ergänzt den Gedanken, dass die Leute dann über dem Abhang zu gehen pflegen. Allein gerade im Gegenteil, wenn es kothig und nass ist, werden die Leute nicht über dem Abhang gehen, um nicht herabzurutschen; und gerade der Zugang zu der von der Anklage supponierten Ueberf allstelle ist bei kothigem Wege beschwerlich, wie man sich durch den Augenschein leicht überzeugen kann.

Die Agnes H. Aväre darum wohl auch auf dem Wege resp. dem linken Fusssteg gegangen und auch auf diesem Wege überfallen worden. Ein solcher Ueberfall hätte sie nicht so sehr überrascht, sie hätte geschrien und wäre ge- laufen und in jedem Falle hätte sie sich zur Wehr gesetzt. Ueberhaupt müssten an der Leiche Spuren des Ueberfalles und des Todeskampfes zu finden sein; es ist z. B. sehr befremdend, dass an den Knien keine Spuren zu sehen sind, wie die Ueberfallene auf den Boden gesunken ist. Die Schläge in den Kopf und die Strangulation, die an- geblich vor der Halswunde beigebracht wurden, haben das Bewusstsein nicht sogleich und plötzlich verdunkelt; auch die Halswunde hat die Ueberfallene nicht sogleich ge- tödtet. Darum müssten auf nassem, kothigen, unebenen Boden Spuren des Kampfes und Todeskampfes an der Leiche zu sehen sein. Die Sachverständigen geben selbst zu, dass die Wunden auf den Händen auf Gegenwehr deuten eine so gesunde und energische Person, wie die Getödtete allgemein geschildert wird, hätte sich gewiss zur Wehr gesetzt. Auch hätten vielleicht die Mörder irgend ein Zeichen dieses Kampfes davongetragen.

Der supponirte Ueberfall und die Gegenwehr hätte auch auf dem Boden und den Bäumchen im Walde Spuren

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zurückgelassen, aber auch von diesen Spuren geschieht keine Erwähnung.

Es ist auch kaum möglich, dass die Leute an der Fundstelle der Leiche verschiedene Spuren nicht früher entdeckt hätten, wenn sie dort seit Mittwoch gelegen wäre. Die Mutter der Hruza selbst sagt aus (90), an einem Baume habe ein blutbefleckter Fetzen gehangen die Anklage (pag. 14) spricht von ganzen Fäden vom Hemde an den Bäumchen*) diese und andere Spuren hätten Leute nicht gesehen, da doch angenommen werden kann, dass wegen der Osterfeiertage verhältnismässig mehr Menschen des Weges gingen ? Und wenn es av a h r av ä r e , dass sie bei schlechtem Wetter gerade denFuss- weg am Walde gingen, so müsste die Leiche schon Donnerstag entdeckt worden sein. A m F r e i t a g wur- den schon von den Vö2nicern Blutspuren am Wege gefunden (trotz des starken und an- haltenden Regens am Donnerstag), das spricht eben dafür, dass die Leiche erst von Donnerstag auf Freitag gebracht wurde. In der Hauptverhandlung sagt der eine Sachverständige direkt und ganz richtig (310), dass in dem Falle, als die Leiche auf dem Wege transportiert worden wäre, auf dem Wege Blut gefunden wäre. Nun ist dieses Blut von V62nicem am Freitag auf dem Wege thatsäch- lich gesehen w^orden w^arum hat man die Leute nicht eruiert und ausgefragt?! Die Mutter der Agnes H. selbst gibt an, von diesen Blutspuren am Charfreitag von den Leuten gehört zu haben.

Und schliesslich muss noch einmal und eindringlich betont werden: der Leichnam der Agnes H. Avar ganz und gar nicht verborgen, im Gegenteil, geradezu aufdringlich, so zu sagen, zur Schau gestellt.

*) Diese Fäden, angeblich vom Hemde herrührend, sind sehr verdächtig offenbar ein ziemlich ungeschicktes Artefact, das jedoch A'on der Untersuchimgskommission nicht durchschaut Avnrde.

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Geheime Ritualmörder könnten derart nie und nimmer mit ihrem Opfer verfahren; ich wiederhole, die Fundstelle wurde offenbar mit Absicht so gewählt, dass der Mord Thätem aus Polna zugeschrieben werden könnte. Das Zudecken der Leiche mit vier zarten Fichtenbäumchen entsprang ganz offenbar mehr dem Bedürfnis einer ge- wissen Pietät als der Absicht, die Leiche zu verbergen. Dass die Leiche nicht verborgen werden sollte, beweist das Beispiel mit der Leiche der K 1 i m o v ä (die war auf einem unzugänglichen Orte sehr versteckt) und die That- sache, dass Samstag vorerst nicht die Leiche, sondern die um die Leiche zerstreuten Gegenstände (der Korb, die Tücher u. dgl.) gefunden wurde, die dann zur Leiche

führen mussten.

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Für die forensische Beurteilung des Polnaer Ver- brechens ist also die Frage, ob dasselbe an dem von der Anklage supponierten Orte, im Walde Bfezina, oder anderswo verübt wurde, von der grössten Wichtigkeit; ich Avill hier darum alle die Momente zusammenfassen, durch welche diese Kardinalfrage beantwortet werden kann.

Auf die Frage des Vertheidigers Dr. Aurednicek, ob die That an dem Fundorte der Leiche verübt wurde, ant- Avortet der Sachverständige (pag. 319) mit Ja: Er habe an dem Orte die Leiche mit einer tödtlichen Wunde ge- funden; entscheidend für die Bestimmung des Thatortes ist aber für den Sachverständigen die angenommene Aus- blutung: Wenn die Leiche an den Fundort gebracht worden wäre, so hätte sie nicht geblutet, denn man könne doch nicht annehmen, die Leiche wäre einmal anderswo ausgeblutet und hätte dann von neuem, zum zweitenmal, auf dem Fundorte, zu bluten angefangen. Es seien auch keine Blutspuren (namentlich an den Bäumchen) vor- handen gewesen, die an eine Uebertragung denken Hessen.

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Diese Erklärung des Herrn Gerichtsarztes ist mehr als schwach.

Erstens, wurden Freitag Blutspuren am Wege ge- funden. In ihrer „Antwort" suchen die Herren diese freitägigen Blutspuren zwar abzuschwächen, aber das ändert an der Thatsache gar nichts. Und die Thatsache lautet, dass am Freitag Leute aus Vö2nic in. der Nähe des Fundortes am Wege Blutspuren und einen blutigen Fetzen gesehen haben; weil sie jedoch noch nicht wussten, dass Agnes H. vermisst wurde, schenkten sie der Sache keine besonderen Aufmerksamkeit. Unstreitig sprechen diese Blutspuren mitten am Wege vielmehr für den nächt- lichen Transport der Leiche, als für die That Mittwoch und im Walde, abseits vom Wege. Damit stimmt auch die Angabe des Postenführers, er habe an dem zum Fund- ort führenden Abhang deutliche Spuren gesehen die Herren Gerichtsärzte bemühen sich in der „Antwort" ver- geblich, auch diese Angabe mit der geradezu läppischen Bemerkung abzuschwächen, an dem Anhang seien von den vielen Leuten am Samstag mehrere Spuren hinter- lassen Avorden so klug wie die Herren ist der Posten- führer gewiss und es ist selbstverständlich, dass er Spuren vor der Zertretung des Platzes gemeint hat. Uebrigens kann er ja befragt werden.

Es ist selbstverständlich, dass der Mörder und sein Helfeshelfer, falls er einen hatte, darauf bedacht waren, die Leiche während des Transportes nicht bluten zu machen. Das konnte mit einer schon erstarrten Leiche verhältnismässig leicht erreicht werden. In den Wald ge- bracht und auf den Boden gelegt, hat die Leiche bluten können und müssen, weil sie doch nicht „vollständig" aus- geblutet war; das Blut an den Kleidern u. s. w. wurde mit der Leiche mitgebracht; die vom Eegen noch nassen Bäumchen wurden vom Blut schwach „benetzt" und selbst- verständlich gab es keine arterielle Blutung und Blut- bespritzung — die Herren Sachverständigen haben es

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auch sehr vermisst. Die Leiche wurde zuerst in die Mulde knapp über dem Wege gelegt, dann aber einige Schritte weiter gelegt; daher die Blutspuren am Boden. Da wo die Leiche Freitag und die Nacht auf den Samstag lag, bildete sich ein kleiner Kuchen venösen gestockten Blutes oder er hat sich schon früher in der Wunde oder in den Kleidern gebildet.

In ihrer „Antwort" geben die Herren Gerichtsärzte noch einen anderen Beweis dafür, dass die Leiche seit Mittwoch an Ort und Stelle war, resp. w rm und frisch am Fundorte hingelegt wurde die Eindrucke des Boden in die Haut. Ich habe schon gesagt, dass auch die todte Haut solche Eindmcke aufnimmt.

Andere Beweise ftir ihre Annahme haben die Herren Gerichtsärzte gar keine. Die Anklage sucht noch aus den Zeugenaussagen zu beweisen, dass die That am Fundorte und zwar in der Zwischenzeit von ^Iß—^lJ verübt worden ist. Dass diese Zeugenaussagen gar nichts strikte be- Aveisen, habe ich schon in meiner Broschüre gezeigt und wird hier noch weiter ausgeführt werden; ganz besonders ist die Aussage des Kronzeugen Pesäk eine ganz evidente Unwahrheit.

Dagegen hat meine Annahme, dass die That nicht am Fundorte geschehen ist, mehrere und ganz gewichtige Gründe für sich.

\. Unvoreingenommene Menschen werden, wenn eine (mehr oder weniger) ausgeblutete Leiche gefunden wird, ganz natürlich schliessen, dass die Leiche an die Fundstelle geschafft wurde, falls es nämlich richtig ist, dass das vorgefimdene Blut dem Grade der Ausblutung nicht entspricht. Auch in unserem Falle hätten alle Menschen nur so geschlossen, wenn ihnen der Ritualaberglaube das logische Schliessen nicht verlegt hätte. Uebrigens an- fänglich haben die Leute thatsächlich auch in

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unserem Falle geschlossen, dass die Leiche an die Fundstelle gebracht wurde.

2. Die postmortalen Flecken, Todtenflecken, auf dem Gesichte, dem linken Unterarm und den Händen sprechen auch für meine Hypothese. Die Todten- flecke entstehen an der Leiche an den Stellen, nach denen das Blut aus den Gefässen in das Ge- webe austreten kann; es sind das die tief ge- legenen Stellen des Körpers. Also am Eücken bei Leichen die am Rücken liegen, bei Erhängten an den Füssen u. s. f. Darum muss die Leiche der Agnes H. nach ihrem Tode in einer Position gewesen sein, in welcher der Kopf und die Hände tiefer gelegen waren, als der übrige Körper. Nun habe ich schon konstatiert, dass der Boden, an dem die Leiche aufgefunden war, eben war, eher hat dort der Kopf etwas höher gelegen als die Füsse. Daraus folgt, dass die Leiche nach der Stelle erst später nach dem Tode gebracht wui'de.

3. Die auffällige Eückbeugung der Unterschenkel in einem scharfen Winkel und die Biegung derselben nach rechts;

4. auch die Krümmung des Oberkörpers lassen sich nur durch meine Annahme hinlänglich erklären.

5. Ganz besonders spricht gegen die Suppositionen der Anklage der Mangel an Regenspuren an der Leiche und ihren Kleidungsstücken.

6. Auch die Thatsache, dass das Hemd und vielleicht auch andere Kleidungsstücke mit einer Scheere zerschnitten werden, spricht gegen die Anklage.

7. Dass die Leiche halb ausgekleidet war, widerspricht ebenfalls "den Suppositionen der Anklage. Die Art und Weise, wie die Reste der Kleider angezogen waren, spricht besonders auch gegen die Annahme, die Entkleidung sei geschehen, um den Blutausfluss zu begünstigen. Dazu genügte ein Nachlassen der

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Kleider und das wäre von eilenden Mördern ganz anders, rascher und schneller (durch ein Durch- trennen der Kleider mit dem Messer oder der Scheere, die doch vorhanden war) ausgeführt worden, als durch die, wenn auch partielle, Ent- kleidung.

Offenbar sollte das Zerreissen einiger Klei- dungsstücke und dergl. den Ueberfall und die Gewaltthätigkeit darstellen aber diese Nach- ahmung ist unvollständig und inkonsequent aus- gefallen.

8. Ich habe durch verlässliche Zeugen constatirt, dass Agnes H. Zöpfe getragen hat, die rück- wärts am Kopf zusammengedreht und in üb- licher Weise befestigt waren. Bei dem suppo- nierten, rasch ausgeführten Ueberfall im Walde wären die Haare nicht so zerzaust worden, wie die Anklage beschreibt: ein Schlag auf den Kopf mit dem Knittel und die Schläge mit den Steinen (?) hätten das Haar nicht aufgelöst, zerzaust. Die auf- gelösten, über das Gesicht fallenden Haare, sowie die theilweise Entkleidung sprechen dafür, dass die That in einem Gebäude geschehen ist.*)

9. Endlich weisen noch mehrere Umstände darauf hin, dass der Tod der Agnes H. nicht an der Fundstelle der Leiche erfolgte. So z. B. die Thatsache, dass die Hände und Nägel nur mit Blut, nicht auch mit Koth beschmutzt waren.

Ganz besonders ist auch der Ort selbst wegen seiner Offenheit und Zugänglichkeit für den von der Anklage supponierten wohldurchdachten Ueber- fall und Mord unbedacht ausgewählt.

*) Ich habe auf die Wichtigkeit der Frisur schon hinge- wiesen. Es gäbe da noch mehreres zu sagen, so z. B. wird nirgends berichtet, dass Haarnadeln gefunden worden wären.

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Das Fazit aus allen angeführten Gründen kann dHriun nui" lauten: das Verbrechen an Agnes H. ist mit aller- grösster Wahrscheinlichkeit nicht an dem Fundorte der Leiche verübt worden.

Nun gebe ich selbstverständlich zu, dass vieles Detail unaufgeklärt bleibt, aber da muss die neue Untersuchung eingreifen. Diese Unsersuchung wird ganz besonders auch noch neue Zeugen beschaffen und diese Zeugen zum Reden bewegen müssen bei dem obwaltenden anti- semitischen Terrorismus in Polna und Veänic wird das allerdings keine leichte Aufgabe sein.

V. Zur psychologischen Motivation des Pobiaer Verbrechens.

Der öffentliche Ankläger sagte in seiner Schlussrede, das Motiv der Handlung sei Nebensache, es komme nur darauf an, was im Laufe der Verhandlung in Betreff des Angeklagten an Thatsachen gesammelt wurde. Gegen Thatsachen würde ich gewiss nichts einwenden; allein ich habe genügend gezeigt, dass in dem ganzen Prozesse gerade das Thatsächliche sehr ungenau festgesetzt wurde. Hingegen wurde das Motiv der Ritualmord von der antisemitischen Agitation so ostentativ in den Vordergrund gerückt, dass eben die Thatsachen geradezu vergewaltigt wurden. In der Theorie, hören wir, sei das Motiv Neben- sache — in der Praxis war es die Hauptsache.

Meine Kritik des Polnaer Prozesses ist dai*um auch auf die Frage zugespitzt, ob das Polnaer Verbrechen, wie die klerikalen Antisemiten behaupten, ein typischer Fall

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riiies Ritiia 1 lu o rdcs sei. Ich glaube hinläng'lich imd ganz stringent erwiesen zu haben, dass die a n t i s e m i - tisclie Behauptung ganz unbegründet ist. Damit hätte ich meine Aufgabe vollbracht; trotzdem will ich noch diejenigen Momente hervorheben, durch welche das Polnaer Verbrechen psychologisch erklärt werden könnte.

Vor allem bietet sich nach der letzten Aussage der Polnaer Gerichtsärzte (in ihrer „Antwort") die Erklärung des Verbrechens durch den Lustmord dar. Dieser Gedanke, hören wir, wurde beim Anblick der Leiche zuerst laut. Die Herren Sachverständigen haben jedoch im Laufe der Untersuchung diese Erklärung aufgegeben, Aveil ein Prager Gutachten in den Flecken, die auf der Hose der Ermordeten gefunden wurden, keine deutlichen Sperma- tozoen agnosziert hat. Ich vermag nicht anzugeben, ob die gutachtliche Beschreibung der in den Flecken gefun- denen Elemente nicht dennoch ein Sperma linden Hesse; jedenfalls scheint mir, dass die richterliche Untersuchung auf Sperma hätte weitergeführt werden sollen. Der Unter- suchungsrichter, glaube ich, kann sich mit einem negativen Befunde der Sachverständigen nicht zufrieden geben; das Prager Gutachten ist aber negativ, denn die Sachverstän- digen sagen nicht, was sie in den eigenartigen Elementen eigentlich sehen.

Die Möglichkeit des Lustmordes wird von vielen Seiten zugelassen und geradezu gefordert, und dainim will ich auf einige Punkte aufmerksam machen.

Vor allem müsste man die Art und den Grad der supponierten Perversität beachten und das ganze Gesammtbild des Mordes in Erwägung ziehen. Soviel ich ersehe, könnte es sich im gegebenen "Falle auch um ein gewöhnliches Sittlich- keitsattentat handeln. Ueber die Art und Weise des- selben lässt sich ohne weitere Untersuchung wohl kaum etwas Bestimmtes sagen. Im Gutachten der Herren Ge-

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richtsärzte lesen wir: „. , . keine Zeichen eines geschlecht- lichen Missbrauches an der Leiche vorhanden, dass wir jedoch aus dem Grunde, dass noch die chemische und mikroskopische Untersuchung der vermeintlichen Spuren von Samen an dem Schamberge und den Hosen abge- wartet werden muss, mit Sicherheit uns noch nicht aus- sprechen können". Zu diesem Ausspruche stimmt, was im Obduktionsprotokoll über das unverletzte Hymen u. dergl. gesagt wird. Allerdings haben sich die Herren Sachver- ständigen durch ihre anderen Erklärungen auch in diesem Punkte das Vertrauen verscherzt.

Für die forensische Beurteilung des supponierten Sittlichkeitsverbrechens würde ich auch folgende Bemer- kung machen:

Der Befund der Sachverständigen kann nichts Entscheidendes über das Datum des Sitt- lichkeitsverbrechens aussagen, das heisst, das Sexualattentat und der Todschlag, re- spektive Mord, müssen nicht an einem und demselben Tage und müssen nicht in un- mittelbarer Zeitabfolge begangen worden sein.

Ich betone dies sehr eindringlich, weil in den mir zukommenden medizinischen und juristischen Zuschriften ohne weiteres beides als selbstverständlich verknüpft und in Kausalzusammenhang gebracht wird. Allein dieser Zu- sammenhang müsste aus den übrigen Begleiterscheinungen und -Umständen erst erwiesen werden, ganz selbstver- ständlich ist er nicht.

Bezüglich des Ortes, an welchem der Lustmord verübt sein könnte, wäre es im ganzen gleich möglich, dass er in einem Gebäude oder ausserhalb desselben ver- übt wurde. Nach meiner Meinung widerspricht aber dem typischen Lustmord die Supposition der Anklage, dass es mehrere Thäter gegeben hat. Perverse Lustmorde werden

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immer von einem Einzelnen begangen. Das habe ich aus der Literatur bei KraflFt-Ebing ersehen, und gedie- gene und erfahrene Autoritäten der gerichtlichen Medizin bestätigen mir meine Anfrage aufs bestimmteste.

Ein Lustmord würde weiter ein bedeutend länge- re s f t e r e s?) V e r w e i 1 e n desThäters amThatorte und bei der Leiche voraussetzen und schliesslich und vornehmlich müsste selbstverständlich der geistige Zustand des vermeintlichen Thäters 'psychiatrisch ge- prüft werden, denn man müsste unbedingt auf irgend einen Grad von Psychopatie schliessen.

Die ganze Untersuchung wäre, nur das will ich noch sagen, auch theoretisch für die Wissenschaft von grossem Belange wir hätten im Polnaer Verbrechen einen besonderen und von den forensisch und wissen- schaftlich konstatierten Fällen ganz verschiedenen, eigen- tümlichen Fall, zumal es sich um die sogenannte Nekro- philie handeln sollte.

Dass der Polnaer Mord mit dem Verbrechen an Marie Klimovä in Ober -Ve2nic zusammenhänge, wird von antisemitischer Seite schon lange behauptet; die Antisemiten sehen auch in diesem Verbrechen einen Ritualmord, Auch die Hypothese des Lustmordes bringt beide Verbrechen in Zusammenhang. Man weist auf ge- wisse Aehnlichkeiten hin: auch die Klimovä war mit Fichtenzweigen bedeckt, der Saum der Kleider soll in beiden Fällen ähnlich zerrissen sein. Zu dieser Frage will ich besonders eine Bemerkung machen. Das Ver- brechen in Polna ist später geschehen und in der Umge- bung bekannt geworden, und darum konnte der Thäter unter der Wirkung seines Beispiels handeln, sofern sichs nämlich um die Bedeckung der Leiche mit Fichten- bäumchen handelt. Der grosse Unterschied besteht darin, dass die Leiche der Klimovä thatsächlich unter einem Berge von Fichtenzweigen, die von Zeit zu Zeit erneuert

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wurden, verborgen war, während die Agnes Hruza von den vier Fichtenbäumchen nicht verborgen, sondern, wie gesagt, aus einer Art Pietät bedeckt war. Auch ist die Art der Bedeckung der Leiche der Agnes Hruza ganz verschieden von der Bedeckung der Leiche der Klimovä und ganz eigentümlich: di(^ Bäumchen wurden auf die Leiche aufgestellt! Jedoch gibt es noch andere und beachtenswerte Verschiedenheiten. Der Fundort dei- Leiche der Klimovä ist im Walde versteckt und unzu- gänglich — die Stelle in der Bi-ezina ganz offen. Die Klimovä ist im Sommer verschwunden, an der Leiche wurde ein intakter Zopf gefunden und dergl. Auf weitere Verschiedenheiten und Aehnlichkeiten kaim nicht eingegangen werden, weil der Fall der Klimovä nicht ge- nauer bekannt ist.

Jedenfalls, wiederhole ich, erhält man dadurch, dass in der Gegend von Polna, in kurzer Zeit nacheinander, zwei Morde und auch mehrere Sittliclikeitsattentate verübt worden (ein Mann soll in der Gegend mehrere Kinder an- gefallen haben), von der Gegend ein ganz an- deres Bild, als dieses zum supponierteii R i t u a 1 m 0 r d e p a s s (^i av ü r d e.

Der Mord aus Habsucht, speziell der Raubmord, sagen die Herren Gerichtsärzte (in ihrer „Antwort"), sei von vornherein ausgeschlossen. Das gilt doch wohl nur von der Annahme aus, dass die That am Fundorte verübt wurde. Ich gebe aber zu, dass auch hier Grade und kom- plizierte Umstände unterschieden werden müssten.

Unter allen Umständen muss darauf Bedacht ge- nommen werden, ob Avir es mit einem Tod- schlag oder mit einem ^I o r d zu t h u n haben.

Schliesslich könnte auf Grund der unpräzisen, unbe- stimmten und mangelhaften Obduktion auch an einen Selbstmord, resp. Selbstmordversuch gedacht werden, sofern nämlich die Strangulations-

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furche in Betracht kommt.*) Jedenfalls muss man logischerweise auf diese Möglichkeit im Auge be- halten, falls die Strangulationsfurche in vivo geschehen ist, was eben auch bezweifelt werden kann. Zu einem Selbstmorde würde die postmortale Imitation des Ritual - m o r d e s , durch die zugleich die Strangulationsfurche zum Teil beseitigt Avürde (so erklärten die Sache die Ge- richtsärzte bei der Verhandlung selbst), sehr gut passen. Auf weitere Vermuthungen will ich mich nicht einlassen, ich habe nur diejenigen Annahmen geprüft, die über das Motiv der That vornehmlich in Betracht kommen und die auch schon mehr oder weniger verhandelt wurden. Natür- lich lässt sich nach den ärztlichen Befunden allein kein einheitliches psychologisches Bild der Motivation liefern, weil ihre Angaben so ungenau, zerfahren und wider- spruchsvoll sind. Eine präcise Beschreibung der Leiche und ihrer Kleidungsstücke Avürde dem Psychologen festere Anhaltspunkte liefern. Darum kann nur eine neue und energische Untersuchung in die Sache Licht bringen. In diesem Sinne ist eine sachliche, nicht blos formalistische Revision des ganzen Prozesses absolut notwendig.

* Wollten wir vom Gesichtspunkte der Motivation die verschiedenen Personen durchmustern, die während des Prozesses, wenn auch nur von einzelnen Zeitungen, als Thäter oder Helfershelfer bezeichnet wurden, so hätten wir eine artige Gallerie zu durchmustern. Ich beschränke

*) Die bei Reinsberg, Gerichtl. Medizin HI, 351—353 angeführten Veränderungen an Leichen der Erhängten (Hände und Unterarme violett gefärbt, Gesicht geschwollen u. s. w.) er- innern an die im Protokoll gefundenen, hier allerdings auch schon anders gedeuteten Symptome. Auch muss ich aufmerk- sam machen, dass im Obduktionsprotokoll an den Füssen keine todtenfleckartigen Verfärbungen angegeben werden freilich kommt es wiederum auf die Glaubwürdigkeit der Herren Ge- richtsärzte an.

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mich auf die zwei Personen, die gegenwärtig von der öffentlichen Meinung und besonders von der klerikalen antisemitischen Partei im Gegensatz gebracht werden H i 1 s n e r und die Familie Hrfiza (Mutter und der jüngere Sohn).

Leopold Hilsner ist ein ausgesprochener Tauge- nichts, der längst in eine Korrektionsanstalt gehört hätte. Die Existenz und unbehinderte Tagdieberei solcher Indi- viduen weist mit deutlicher Sprache auf unsere ungesunden sozialen und sittlichen Verliältnisse hin. Auch das Ver- halten Hilsners während des Prozesses und nach ihm sind nicht imstande, für den Angeklagten Sympatien zu er- wecken. Es ist eine gemeine Finte der antisemitischen Presse, wenn mir dieselbe Intei'csse oder gar Sympatien für Hilsner zuschreibt; sie verwertet derart in ihrer Un- redlichkeit die allgemeine und berechtigte Antipatie gegen den Angeklagten. Es passt übrigens auch ihrer Unbildung, in Hilsner und in der Familie Hruza zwei Gegensätze und speziell den Juden und den Christen quasi als Typen hin- zustellen.*)

Im Gegensatz zu Hilsner wird für die Familie Hruza unbewusst und bewusst die wärmste Sympatie wachgerufen. Wer würde auch von dem Unglück des jungen Opfers und der alten Mutter nicht gerührt werden? Es ist nur ein Zeichen gesunden sittlichen Sinnes der Bevölkerung, wenn sie .davor zurüchscheut, die eigenen Angehörigen mit der That in Beziehung zu bringen.

Bei der Beurteilung der Volksstimmung kommen ver- schiedene Momente in Betracht. Nicht zum geringsten Grade das Romantische und Ungewöhnliche an dem Ver- breclien: der Ueberfall in einem Walde, sozusagen auf

*) Von klerikaler und antisemitischer Seite wird öfters be- hauptet, Hilsner habe sein Verbrechen eingestanden. Demgegen- über bemerke ich kurz, dass das nach den mir zugekommenen öffentlichen und privaten Informationen nicht wahr ist.

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offener Strasse, Abend, knapp vor den Osterfeiertag-en, der Ucberfall einer Wehrlosen durch eine angebliche Schächterbande das alles wirkt auf die Phantasie und das Gefühl. Die Menschen, das sehe ich aus den Zeugenaussagen, erleben eine Art Trauerspiel. Es ist das ein ganz eigentümliches Gefühl : man sieht es vielen Zeugen an, wie sie an dem fürchter- lichen Drama irgendwie beteiligt sein wollen, jeder will nachträglich etwas gesehen, gewusst oder wenigstens geahnt haben. Die Agitation bemächtigt sich dieses ganz natürlichen Gefühles, auf den Polnaer Ansichtskarten kann man die verschiedensten „Faktoren" im Prozesse oft unter ganz nichtigen Prätexten abgebildet sehen. Selbstverständ- lich kommt besonders das religiöse Moment in Betracht, die klerikale Agitation gegen die Juden gibt den Aus- schlag: Die Ermordete wird mit steigender Agitation zu einer „Märtyrerin", die überlebenden Familienglieder werden in Gegensatz zu dem Angeklagten beinahe als Ideal- menschen hingestellt.

Das geschieht schliesslich gegen das Interesse der Gefeierten. Kritischere Menschen, die die Familie und ihre Verhältnisse schon lange beobachten und kennen, werden derart zum Widerspruche gereizt, und so entsteht gleichzeitig mit der Idealisierung eine kritische Unter- strömung, die sich vorläufig vor der von Polna aus syste- matisch geleiteten klerikal -antisemitischen Agitation nicht vortraut, die sich aber dennoch schon äussert und sich später noch mehr äussern wird. Selbstverständlich wird auch auf dieser Seite in vielen Fällen unkritisch und unge- bührlich verdächtigt.

Ich gehe bei der Beurteilung der Hruzas (Mutter und Sohn Jan), wie in der ganzen Studie, von den Thatsachen des Verhandlungsprotokolles aus. Hier findet sich mehre- res, was auf die Famüie aufmerksam machen muss. Hier erfährt man vor allem, dass der Volksmund sich zuerst gegen den Bruder ausgesprochen hat, Hilsner wurde erst

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später, angeblich von Sonntag ab (pag. 23), als Thäter be- zeichnet. Und zwar in Polna.

Es ist zu beachten, dass die Familienangehörigen selbst auf Hilsner hinweisen. Die Mutter und der Vor- mund Noväk behaupten, Agnes Hruza habe sich über die Zudringhchkeit Hilsners beschwert. Die Anklage schildert die Sache so, als ob die Ermordete gesagt hätte, Hilsner mustere sie gar sehr und „wer weiss, was er an mir findet" (25). Also etwa gar die Ahnung des Ritual- mordes? Ich habe schon aufmerksam gemacht, dass nach Noväks Aussage (116) nicht nur von der Agnes Hruza allein, sondern von allen oder mehreren Mädchen (bei Prchals?) die Rede ist. Nun ist jedenfalls auch der Um- stand von Belang, dass in der Nähschule bei Prchal von Hilsner nicht gesprochen wurde, wie Fräulein Prchal selbst aussagt (121); gewiss ist es eigentümlich, dass die ver- schiedenen Näherinnen, die angeblich von Hilsner belästigt wurden, über den Verfolger nicht gesprochen hätten. Nur kurz sei erwähnt, dass die Mutter in der Voruntersuchung ausgesagt hat, die Tochter habe ihr den Namen Hilsners nicht genannt, in der Verhandlung sagt sie aus, sie habe den Namen erfahren (99).

Auffällig ist, dass die Familie Hruza erst Freitag früh nach der Stadt ging, um sich nach Agnes umzusehen. Es ist dies umso auffälliger, als nach dem Geständniss der Mutter die Tochter noch nie die Nacht ausser Hause zu- gebracht hat. Nun gibt die Mutter an (98), die Tochter habe ihr gesagt, sie hätte bei Prchals viel zu thun, und darum halbe sie, als sie Mittwoch nicht nach Hause ge- kommen, an nichts gedacht; dagegen ist anzuführen, dass Agnes Hruza den verhängnisvollen Mittwoch früher als zu- vor aus der Näherei fortgehen konnte, weil sie, wie ihre Arbeitgeberin aussagt (121) und wie die Anklage besagt (27), keine Arbeit mehr hatte. Wie konnte also Agnes Hruza zu Hause sagen, dass sie viel Arbeit haben werde? Das Quantum der Arbeit würde ihr doch bekannt sein; wäre

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Mittwoch eine unvorhergeseliene Arbeit hinzugekommen, so konnte sie das nicht vorher wissen. Auf den Umstand will ich nicht grosses Gewicht legen, dass die Mutter zu- gleich zweimal (82, 99) aussagt, sie habe nur gedacht, die Tochter habe viel Arbeit. Donnerstag, wie schon er- wähnt, will die Mutter in dem schlechten Wetter einen hin- länglichen Erklärungsgrund für das weitere Ausbleiben der Tochter gesehen haben (82). Damit stehen jedoch andere Aussprüche über den möglichen Tod der Tochter im Widerspruche.

Psychologisch sehr beachtenswert ist folgendes (99): Die Mutter kommt erst Freitag zu Prchals und fragt nicht nach der Tochter, sondern nach ihrem Körbchen. Von Dr. Aufedniöek darauf befragt, sagt sie aus, sie habe ge- dacht, die Tochter sei im zweiten Zimmer. Und doch sagt sie in demselben Verhöre (39), sie sei ins Geschäft fragen gegangen, weil sie sich dachte, das Mädel sei er- schlagen!

Auch linde ich es auffallend, dass Mutter und Sohn gleich vom Mord sprechen der Postenführer Klenovec zum Beispiel dachte daran, Agnes Hruza sei nach Wien in den Dienst gefahren.

Sehr auffallend ist die ganze Szene des Verhörs, wie sich die Mutter an die früheren Aussagen nicht gut er- innert, die für die Liebe des Bruders zur Schwester sprechen sollen (92 ff.); es berührt geradezu unangenehm, wie der Präsident der Zeugin die Worte der Vorunter- suchung geradezu in den Mund legt. Ueber ein solches intimes Familienverhältnis sich nicht zu erinnern? ....

Der Bruder der Ermordeten wird im Verhör vom Postenführer als geizig bezeichnet (106), der Vormund drückt sich freundlicher aus und nennt ihn sparsam (118); und dieser Mann soll seiner Schwester nach einer Krank- heit 90 fl. zum Geschenk gegeben haben? Beinahe das Sechstel der durch Arbeit ersparten Summe (600 fl.)? Man

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muss, wie gesagt, die Szene ganz lesen, wie die Mutter sich aucli auf diese in der Voruntersuchung erzählte Ge- schichte nicht erinnern kann. Jedenfalls muss der Bruder für sein splendides Geschenk einen sehr starken Grund gehabt haben kein Denkender, der in Geldsachen die Filzigkeit unserer Landbevölkerung kennt, kann sich der Vermutungen darüber erwehren.

Sehr beachtenswert ist die gelegentliche Bemerkung des Präsidenten, unter den am vermeintlichen Thatorte aufgefundenen Gegenständen sei auch eine (recte ein Teil einer) Maurerschürze gefunden worden, auf der etwas Kalk vorhanden war (97). Die Mutter bejaht die Frage, dass der Sohn Maurer sei, fügt aber hinzu, er habe keine weisse Schürze gehabt, nur blaue, und die wären überdies zer- rissen gewesen. Eine weitere Beachtung scheint die Sache in dem ganzen Prozesse nicht gefunden zu haben. Nach meinem Dafürhalten ist diese Maurerschürze eines der wichtigsten corpora delicti; wenn die Anklage dem Stocke eine so grosse Bedeutung zuschreibt, so hätte sie aus dem- selben Grunde auch die Maurerschürze sehr beachten müssen, weil dieselbe direkt, und direkter als der Stock, zum Thäter in Beziehung stehen dürfte. Erfahrene Ge- richtsmediziner bestätigen mir diese Ansicht durchaus; so steht in einem solchen Gutachten ausdrücklich betont, dass die Maurerschürze „zur Eruierung der Person des Mörders von der grössten Wichtigkeit" ist.

Aus der Verhandlung geht weiters hervor, dass die Familie Hmza nichts weniger als friedlich zusammenlebte. Der Postenführer sagt aus, dass zwischen Bruder und Schwester und zwischen den Geschwistern und der Mutter beständige Zänkereien waren; ebendarum hat er, nachdem er von dem Mord erfahren, sogleich und zuerst den Ver- dacht gegen den Bruder und die Mutter geschöpft (102, 107). Auch ein anderer Zeuge gibt Misshelligkeiten in der Familie zu (der Heger Miäinger 125). Ganz besonders scheint mir die Aussage des Postenführers (107) beachtens-

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wert, der das grobe Verfahren gegen die Tochter als „dauernd, in gewisser Weise beständig" erklärt. Für die Beurteilung der Familienverhältnisse kommt eine solche beständige Stimmung umsomehr in Betracht, als dieselbe unter Umständen die Leute nicht so sehr graviert, als auch entlastet.

Ueberhaupt wäre es im Interesse der Familie ge- wesen, die Verhältnisse blosszulegen, die zur Erklärung einer solchen habituellen Stimmung in Betracht kämen. Ganz besonders denke ich da an die früheren Familien- verhältnisse zu den Lebzeiten des Familienhauptes, lieber die eigentümlichen Verhältnisse von Mann und Frau, resp. Vater und Mutter wird in Ve2nic und der Umgebung genug gesprochen; es wäre zu untersuchen, inwiefern der Umstand massgebend ist, dass der 1892 verstorbene alte Hruza, wie behauptet wird, aus dem Walde tot nach Hause gebracht wurde. Um verschiedenes Gerede, das auch in verschiedenen Zuschriften aus der Gegend sich kundgibt, zu entkräften, wäre angezeigt, das Obduktionsergebnis der Leiche bekannt zu geben, im Notfalle die Exhumierung vorzunehmen. Ganz besonders käme für die forensische Beurteilung auch der Umstand in Betracht, dass der ver- storbene Hniza als psychopathisch geschildert wird; die Art und Weise des Leidens wäre eventuell in Bezug auf die Möglichkeit der direkten oder indirekten Vererbung zu prüfen, und natürlich wären die physischen und ganz besonders auch die psychischen Ursachen des Leidens festzustellen.

Inwiefern der in der Verhandlung erwähnte spezielle Streitfall zwischen Bruder und Schwester wegen der neuen Kleider in Betracht käme, die, glaube ich, den Tag vor dem Tode fertiggestellt wurden, darüber und über anderes ist der Verhandlung wenig zu entnehmen. Gleich nach der That wurde in Polna viel darüber gesprochen, dass Jan Hruza zerkratzte Hände hatte; es sind Zeugen, die

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das Öffentlich, zumal beim Leiclienbegäugni«, ausgesagt haben; andere haben auf einen blauen Fleck im Gesichte der Mutter Hruza hingewiesen. Das alles ist in Polna und Vö^nic bekannt gewesen, doch ich halte mich hier nur an die schon im Verhandlungsprotokoll sichtbaren That- sachen.

VI. Die logische Konstruktion der Sclmld Hilsners.

Wenn ich über die Bedeutung des Polnaer Prozesses im Zweifel gewesen wäre, so würde mich der starke Wider- hall, den meine Kritik desselben überall so rasch gefunden hat, eines Besseren belehren.*) Die Statistiker haben die Angaben über die Zahl der Zeitungen, Briefe und Post- sendungen überhaupt schon öfters als kulturellen Massstab benützt die Statistik der über den Polnaer Prozess jetzt von neuem verhandelnden öffentlichen und privaten Stimmen würde jedem anschaulich zeigen, um was es sich bei Polna handelt; ich wenigstens werde schon heute mit den verschiedensten Meinungsäusserungen, am eifrigsten aus dem antisemitischen Lager und speziell aus Wien, geradezu überschüttet. Wenn z, B. in München eine Volks- versammlung gegen meine Broschüre sogleich zusammen- gerufen wurde, so ist das nur ein Beispiel unter vielen, wie der Polnaer Prozess nicht nur in Böhmen und Oester- reich, sondern überall vom klerikalen Antisemitismus go-

*) Dieser Abschnitt ist schon am 18. Nov. 1899 in der „Zeit" erschienen; hier ist er entsprechend ergänzt worden.

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sehätzt und ausgebeutet wird.*) Die stark verbreiteten Broschüren, in denen das Polnaer Verbrechen mit Zuhilfe- nahme der Schriften Rohlings als Ritualmord geschildert wird, haben sämmtlich Priester zu Autoren. Der Mord in Polna gilt diesem Antisemitismus als typischer Ritual- mord, wie mir auch in den meisten Zuschriften gesagt wird. „Man kann," heisst es z. B., „über die früheren Be- weise des Ritualmordes diesen oder jenen Zweifel hegen der Fall von Polna ist einwandfrei, und sein grosser Wert für die wahrhaft katholischen Freunde der Wahrheit besteht darin, dass er durch seine Augenscheinlichkeit und durch seine Bestimmtheit selbst die grossen Massen zu überzeugen vermag. Wir brauchen keine philologischen Haarsplittereien über einige Stellen des alten Testamentes oder den Talmud und seine Ausleger, in Polna ist die ganze Geschichte des Ritualmordes in der einen christ- lichen Märtyrerin verkörpert u. s. w." Gewiss, die Massen (und dazu rechne ich auch die Mehrzahl der soge- nannten Intelligenz) denken nicht in abstracto und allgemein, ihnen genügt ein Fall, um ihn in der Gegen-

*) Wir setzen für die Leser als Beispiel der Agitation die in den schreiendsten Plakatlettern gedruckte Ankündigung' der „Bayerischen Reformpartei" hierher: „Ein Gaunerstreich. Re- vision, Revision, so schreit, wie im Dreyfus-Prozesse, jetzt auch im Mordprozesse von Polna die ganze Judenbande und ihre Helfer. Ein Jiidenknecht, Prof. M a s a r y k in Prag, Heraus- g'eber einer im Dienste des Judentums stehenden Zeitschrift, hat eine Broschüre voll der verlogensten Darstellungen über deuRitualmord von Polna verfasst, aus wel- cher das Münchener Organ der AUiance Israeli te, die „Neuesten Nachrichten", einen Auszug veröffentlichen. Während dies Blatt alle seitherigen Nachrichten über den Prozess ganz versteckt unter dem Striche brachte, widmet sie dem Masaryk'schen Schadwerke den breitesten Raum, die Judenlügen sollen unter das Volk gebracht werden! Die Antwort auf diese Mache wird in öffentlicher Volksversammlung am Dienstag abends 8 Uhr in der Blüthe, Blüthenstrasse, gegeben werden."

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wart und für alle Vergangenheit und Zukunft zu ver- allgemeinern.

Diese Bedeutung des Polnaer Prozesses habe ich er- kannt und eben daraufhin habe ich denselben einer Kritik unterzogen, ich habe mich gefragt: Ist es wahr, dass die Polnaer Unthat ein durchschlagender BeAveis für den Ritual mord ist?

Um auf diese Frage eine bestimmte Antwort zu er- halten, musste ich den ganzen Prozess genau studieren; speziell musste die ganze Art des Verbrechens und derUmstände untersuch twer den, unter denen dasselbe begangen wurde. Die richter- liche Behörde hat natürlich noch andere Mittel; der Pri- vate kann in erster Eeihe nur die dokumentarische Be- schreibung des Falles, die Hauptverhandlung und die Erklärungen der Sachverständigen nachprüfen, und das habe ich in meiner Kritik gethan.

Durch die Natur der Sache ist für mich wie für jeden, der sich über den Fall ein Urteil bilden will, die Methode der Untersuchung gegeben: Es sind mit d e r p e i n - liebsten Sorgfalt die von der Anklage mit Hilfe der Sachverständigen konstatierten Thatsachen zu überprüfen, Vermutungen, die dieses Thatsächliche merklich überschreiten, sind möglichst fern- zuhalten. Die bestimmte Frage lautet eben: gibt die Haupt- verhandlung mit dem Angeklagten Hilsner in der That ein solches Bild des Verbrechens, dass die Annahme des Ritualmordes gerechtfertigt ist?

Wohlgemerkt : Ritualmordes. Wenn nämlich der Polnaer Mord eben nur ein gewöhnlicher, ge- meiner oder einLustmord ist und wenn die Schuld des Angeklagten strikte erwiesen wäre, so hätten wir eben einen von einem (oder mehreren) Juden vollführten Mord vor uns, keinen Ritualmord. Das versteht sich zwar von selbst, aber zur Zeit einer so grossen antisemitischen und kleri- kalen Agitation versteht sich das leider nicht von selbst

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Prüft man die ganze Art und Weise des Polnaer Verbrechens, so ersieht man aus den Thatsachen, dass kein Ritualmord vorliegt.

Gegen die Annahme des Ritualmordes spricht die Art und Weise der Verwundung am Halse: die Wunde ist mit keinem Schächtermesser und keinem wagerechten Schnitte verursacht, sondern eine gewöhnliche Stich- und Schnitt- wunde.

Ferner widerspricht der Annalime das Datum der That (am 29. März waren die jüdischen Hauptf eiertage schon verflossen), auch bekundet die That keine Geheim- heit („geheime Ritualsekte").

Bleibt demnach nur die Behauptung, dass die Leiche vollständig ausgeblutet war, das ausgeflossene Blu.t aber am Thatorte nicht in entsprechender Menge vorgefunden wurde; allerdings beruht diese Behauptung auf einigen, sogleich zu erwähnenden Annahmen, ganz besonders auf der Annahme, dass das Verbrechen an dem Fundorte der Leiche begangen wui'de. Der kritischen Prüfung ergibt sich demnach vor allem die Pflicht, die behauptete Thatsache der Ausblutung zu untersuchen. Für die Beurteilung dieser Frage liegt vor allem das ärztUche Protokoll und Gutachten vor. In dem Protokoll (1. April) und Gutachten (6. April) wird die Ausblutung direkt nicht konstatiert und nur die rasche Verblutung und Unterbrechung der Athmung als Haupt- ursache des Todes hingestellt; erst in einer nachträglichen Ergänzung dos Gutachtens (19. April) wird ausgesprochen, dass die Leiche der Agnes Hruza fast vollständig aus- geblutet war." *)

*)Wenn die Herren in ihrer „Antwort" im Sektionsprotokoll und Gutachten keinen Ritualaberglauben znlassen, so waren sie eben unaufrichtig"; in dem zweiten Nachtrag zum Gutachten ist dieser Aberglaube offenbar schon vorhanden, wie aus dem Um- stände zu schliessen ist, dass vorher schon die antisemitischen

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Icli habe clit- mediziiiisolieii (Ti'ünde, die für die Tühi- sache des vollständigen Ausblutens von den Sachver- ständigen angeführt werden, so weit ich es mit Hilfe vun bewährten Fachmännern im Stande war, überprüft imd das Ergebnis lautet, dass der Leichnam der Agnes Hruzu nicht vollständig ausgeblutet war, Avenn auch immerhin eine stärkere Blutung angenommen werden kann.

Für das vom Präsidenten (!) und dem Privatanwalt suggestiv hingestellte A uff a n g e n '• d e s Blutes i n ein G e f ä s s " (Anwalt) wird selbstverständlich überhaupt gar kein Grund angeführt.

Das h e i s s t : die II a 1 s w u n d e ist nicht r i t II e 1 1. Die ganze Art der V e r w u n d u n g u n d die M a n i p u 1 a t i o )i mit der Leiche s c h 11 e s s t alle R i t u a 1 i t ä t aus.

Die Anhänger des Kitualaberglaubens sehen in der Person des Angeklagten, dass er nämlich ein .1 u d e ist, den Hauptgrund für ihre Annahme, das Ver- l)rechen in Polna sei ein Ritualmord. Aus diesem Grunde müssen wir uns klar werden, welche Beweise füi- die Schuld oder wenigstens M i t s c h u I d H i 1 s n e r s an dem Morde vorliegen. Selbstverständlich handelt es sieh in der offiziellen Anklage nur um einen Mord und keinen RitualniDrd, was jedoch weder für die meisten Richter noch füi* die Masse der Antisemiten ein Grund ist. an einen andern als einen Ritualmord zu denken.

Ich habe gleich anfangs in meiner Kritik hervor- gehoben, dass die Anklage im Falle Polna mehr als in anderen Fällen ganz besonders auf die K o n s t a t i e r u n g des Thatortes und der Zeit Gewicht legt; der An-

Blätter und speziell auch das Leiborgan der Herren Aerzte, das D. Volksblatt (z. B. 13. April), in Polna deu Ritualm'ord kon- statiert kaben. Auch habe ich direkte Zeugen dafür, dass die Herren öffentlich ihren Ritualabe.r2'lavd)eu verkündig'en.

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Wäger wiederholt und betont dies^Mi Umstand mit grossem Nachdruck (pag. 377 der zitierten stenographischen Pro- tokolle). Die Anklage behauptet, der Mord sei (am 29. März) zwischen ö^/^ und 6V4 Uhr in der Nähe des Fundortes der Leiche geschehen, und zwar aus folgenden Gründen: Agnes Hruza ist um 57a am Ende der Stadt Polna auf ihrem gewöhnlichen Gange nach dem drei Viertelstunden entfernten Weznic gesehen worden; an dem vermeint- lichen Thatorte sei sie deshalb um 5% angelangt, und dort sei sie nach allen erwiesenen Timständen überfallen und ermordet worden. „Weil dann Agnes Hruzova diesen Abend nicht nach Hause nach Klein- Wöznic zurückkehrte, wie sie gewöhnlich um 6V4 zu thun pflegte, muss man an- nehmen, dass der Mord an ihr in der Zwischenzeit von Ö'Vi bis 6V4 Uhr begangen wurde, und zwar an dem Orte, wo bei dem gerichtlichen Lokalaugenscheine Zeichen von lilutbelieckuug gefunden wurden"' (pag. 27).

Die Gründ(,' für diese Zeitbestimmung, zumal des terminus ad quem, sind gewiss höchst befremdlich:

Warum gerade in dieser Zwischenzeit und warum nicht später? Die Antwort auf diese Frage gibt die von der Anklage geführte Zeugenaussage. Die Familie der Er- mordeten behauptet, dass diesel1)e an dem kritischen Tage nicht nach Hause gekommen sei. Die Anklage nimmt diese Aussage scheinbar als selbstverständlich hin. Für die Haupt- oder Mitschuld Hilsners sprechen dagegen nach Annahme der Anklage die Zeugen, welche Hilsner in Polna nach 5 Uhr in der Richtung nach dem Thatorte gehen (resp. „im Galopp laufen") gesehen haben wollen, und ganz besonders ist für die Anklage die Aussage des Zeugen Pesäk massgebend, der Hilsner um 5^^ am Thatorte mit den beiden vermeint- lichen Mitthätern gesehen haben will. Für die Anklage ist gerade dieser Zeuge und seine Aussage „die Haupt- quelle" für die Beschuldigung Hilsners. Die Anklage kombiniert mit dieser Aussage Pesäks (und der übrigen Zeugen, die Hilsner um 5 Uhr herum gesehen haben) die

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weitere Zeugenaussage, dass Hilsncr „kurz nach der Ver- übung der That" (45) in der Richtung nach Polna gehend gesehen wurde.

Die kritische Beurteilung der Zeugenaussagen über diese Zeitbestimmung kann die positive Annahme der An- klage nicht erhärten.

Hilsner wurde an dem kritischen Tage in Polna um 5.10 Uhr nachmittags gesehen (Zeuge Cink); nach einer anderen Aussago (Strnad) wurde Hilsner nach 5 in der Stadt auf einem anderen Orte gesehen und nach der Aus- sage des Zeugen Pe§äk ist derselbe Hilsner um 6V4 schon an dem Fundorte der Leiche gewesen.

Von dem Orte, wo Hilsner von Cink gesehen wurde, bis zum Fundorte d(^r Leiche ist nach der Anklage 20 Mi- nuten zu gehen: Hilsner und seine Helfershelfer hatten also in der That im Galopp laufen müssen, um die Ent- fernung in 5 Minuten zu bewältigen. Das ist auf kothigeni Wege gewiss eine anständige Leistung. Dass ein solcher Galopp in der Stadt und am helllichten Tage, N. B. ein Galopp dreier Menschen, der Annahme des wohldurch- dachten Planes absolut widerspricht, muss ich nicht be- sonders betonen; hier interessiert ims nur der Zeitpunkt.

Die Galoppleistung Hillner's und seiner Genossen ist jedoch noch viel anständiger, als ich bisher angeführt habe: Hilsner muss nämlich in den 5 Minuten auch auf den vom Fundort nach der Anklage 605 Schritte gegen Vßänic gelegenen Ort galoppiert sein, um sich dort den weissen Stock abzuschneiden;*) wie schon erwähnt, ist der Stock sorgfältig zugeschnitten aber Hilsner musste alles dies in 5 Minuten ausführen: Er ist mit seinen Helfers- helfern zum Fundort gerannt und hat sich überzeugt, dass das Opfer noch nickt anwesend war; daher galoppierte er

*) Man könnte allerdings annehmen, der Stock sowie an- dere Mord- und Ritual Werkzeuge seien schon vorbereitet ge- wesen — allein die Anklage behauptet, der Stock sei erst vor der That hergestellt worden (124).

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gegen Veziiic, schnitt sich den Ficiitenstock ab, scliälte ihn und bearbeitete ihn zu einem richtigen Knittel und galoppierte zurück zum Fundorte; dort postierte er sicli an den weissen Stock angelehnt, so dass ihn Pe§äk sehen l<.onnte. Er lugte nach seinem Opfer zur Stadt aus. Und das alles musste Hilsner in 5 Minuten prestieren, denn sowohl der Zeuge Cink als auch der Zeuge Pesäk beinifen sich für ihre Zeitbestimmung auf d i e s e 1 b e U h r von P o 1 n a !

Ueber den vermeintlichen Ueberfall der Vomelova durch Hilsner auf einem angeblich 800 Schritte vom Fund- orte näher gegen Veznic gelegenen Orte habe ich schon gesprochen. Die Vomelova hat Hilsner nicht gesehen und hat es auch nicht behauptet. Jedenfalls ist merk^Aoirdig, dass er sie für die Agnes H. hielt, da er sie doch um ö^/^ am Fundorte schon sehen musste; denn auch die Vomelova hat sich nach derselben Polnaer Uhr gerichtet und war, da sie um 4^/4 die Stadt verliess, um 5V4 ^am Fundorte, wo den Hilsner PeSäk stehen sah. Offenbar hat sich vor ihr Hilsner versteckt, d. h. er hat gesehen, dass es nicht Agnes H. ist, aber darum hat er sie kurze Zeit darauf für Agnes H. gehalten und überfallen! Difficile est *)

Unstreitig ist Hilsner nach dem Eeccord der Anklage einer der tüchtigsten Läufer; sehen wir, was für ein ritueller Schächtermörder er ist auch ein sehr tüchtiger

*) Der Zeuge Link sagt in der Voruntersuchung' aus, dass er in dem Augenblicke, in dem er Hilsner und seine Genossen vorbeigehen gesehen, auf dem Wege zur Martersäule, also auf demselben Wege, auf dem Hilsner eilte, eine Frauenperson gehen sah: War das nicht die Vomelova? Oder eine andere? Und das wurde nicht eruirt? Und musste Hilsner, wenn es die VomelovjV war, dieselbe nicht ein- und überholen? Wie passt auch das zu dem späteren Ueberfall ? . . . . Und bei dem vermeint- lichen Ueberfall der Vomelova mussten die Ritaalmörder selbst- verständlich ihr grosses Gefäss zum Auffangen des Blutes mit- schleppen, dann mit demselben wiederum zurückeilen u. s. w. im wahren Sinne des Wortes eine Ritualkomödie!

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Fachmann! Denn or ist um 6 oder sogar vor 6 in Polna gesehen worden (Zeugin SobotkovA), Agnes H. kam aber am Fundorte um 5^/4.

Die Anklage nimmt eine sehr rasclie Vollführung der That an; allein für diese Annahme sind gar keine Giiinde vorhanden. Im Gegenteil würde ein Ueberfall und die Gegcnwehi-, die länger dauernde Agonie bei der Art und AVeise der Verwundungen, die Manipulation mit der Leiche und den Kleidungsstücken, das Abschn»nden der Fichten- bäumchen und die Zudeckung der Leiche u. s. w. längere Zeit in Anspruch nehmen: d i e M ö r d e r müssen ge- wiss eine halbe Stunde zur V o 1 1 f ti h r u n g der T hat g e b r a u c h t habe n.

Besonders vom Standpunkte der Klage, welche ganz unverholen das Ritualmotiv festhält, ist es zweifelhaft, (jb die V2 Stunde genügen würde: Das Auffangen des Blutes in ein (natürlich) grösseres Gefäss, die. vorsichtige Ueber- schüttung in ein oder mehrere kleine, beim Tragen unauf- fällige Gefässe, die Bergung des grossen Gefässes u. s. 1".. das erheischt allein mindestens eine viertel Stunde!

Selbstverständlich wird es bei dieser Bemessung der Zeit darauf ankommen, Avie viele Thäter es gegeben hat. Die Anklage nimmt drei Thäter an: Nach Allem, was ich über die Art und Weise der Verwundungen und die Um- stände vorgebracht habe, ergibt sich Avohl, dass nur an einen Thäter zu denken ist. Umsomehr und unter allen Umständen widerspricht die Analyse der That und der Vergleich der Ortsabstände dem von der Anklage be- stimmten Zeitpunkte.

Offenbar kommt es für die Anklage vorn<'hmlich auf die Sicherheit des „Kronzf^ugen" PeSäk an. Allerdings, wenn die Aussage C i n k' s i- i c h t i g ist, so kann die Aussage P es äks nicht richtig sein; doch sehen wir uns diese Aussago an und für

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sich s<'Il)st au, Tesäk l>eliaupt<'t HilsiHT am Fundort«' in einer Entfernung' von 676 Metern gesehen zu haben. Ich habe schon gesagt, dass ich die Kichtigkeit dieser Aussage bestreite. Icii wiederlioie das nach meinen eigenen Versuchen an Ort und Stelle und nach Mitteilungen anderer identischer Experimente ganz entschieden. Pesak giebt an, er habe auf diese Entfernung Hilsner erkamit und zwar habe er seine grauen Kleider gesehen, ferner will er gesehen haben, wie er sich mit einem weissen Stocke gegen den Boden stützte und zur Stadt auslugte. Auch will Pesak zwf^i and<^re Genossen Hilsner's gesehen haben, er hat ihre dunkle Kleidung unterscliieden , dass sie auf dem Kopf«' Hüte Iiatten und zu Hilsner gekehrt waren. Daran nicht genug, Pesäk sagt aus, er habe geseh«in, dass der Anzug des einen Genossen Hilsner s abgenutzt war!

Dass letzt«-re Aussage gewiss umvahr ist, darüber kann kein Zweifel bestehen; aber wie kaim dann die weitere Aussage wahr sein? Si» wie die Behauptung von dem Al)nütz«'n der Kleider den Zeitungsnachrichten und dem mündlichen Gerede abgelauscht ist, so snid auch die anderen Aussagen nichts als Autosuggestion.

Ich hal)e schon erwähnt, dass Pesäk überprüft wurde. Allerdings ist diese Ueberj)iüfung ganz verfehlt gemacht worden, aber auch aus ihr ersieht man, dass Pesäk auf die angegebene Distanz alle die Details nicht gesehen haben kann.

Wie g«!sagt, ich habe an Ort und Stelle selbst Ver- suche gemacht und machen lassen; solche Versuche sind auch anderwärts unternommen worden die Aussage Pesäk kann nicht richtig sein.

Es ist zuzugeben, dass ehi sehr gutes Auge auf die Ent- fernung von 676 Meter hell<n-e und dunklere Farben unter- scheiden kann; es ist zuzugeben, dass man auf diese Distanz genau bekannte Personen, w<'nn sie sich charak- teristisch bewegen, errathen (nicht sehen II) kann aber alle die von Pesäk angeführten Details kann man

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gewiss nicht sehe u. Aber erraten konnte sie Pe§äk nicht, weil er Hilsner unvorbereitet an einer ungewöhnlichen Stelle bemerkt haben kann. Allerdings beruft sich PeSäk auf Hilsner's Bewegung; aber dieser Ausspruch erinnert zu sehr an das Zeugnis der Vomelovä.

Auch muss erinnert Averden, dass die Beleuchtung un- günstig war: falls die Sonne geschienen hat, so blendete das Licht die Augen, war nebelig , so war die Luft ent- schieden ungünstig, umso ungünstiger falls, wie behaupt<'t Avird, es geregnet hat oder wenn ehi Spiühregen war.

Dass sich Pesäk nicht sogleich, sondern erst be- bedeutend später zur Aussage gemeldet hat, habe ich schon erwähnt. Hier ergänze ich das Gesagte, dass in den „Red. Listy" (17. Aug.) seine Aussage vorher ganz zu lesen war.*)

*

Es erübrigen also für die Beschuldigung Hilsner's nur die blutbefleckte Hose, der weisse Stock in der Aussage der Vomelovä und des Pesäk, das Zeigen eines Messers den Tag vor der That u. dergl.

Ich halte alle diese Indicien mit Ausnahme der Hosen für ganz wertlos; aber auch die Blutflecken an der H(»se

*) Pesäk gibt an, er habe sich darum später gemeldet, weil er seine Beschäftigung bei den Juden nicht verlieren wolle. Ich habe schon erwähnt, dass der Pi'äsident selbst dieser Aussage nicht recht getraut hat. Ich habe nachträglich einen genauen Ausweis der Beschäftigung Pesäks bei den Polnaer Juden verlangt und erhalte folgende Angaben: Bei Henriette Hitschmann zwei Schlösser repariert, 16 oder 18 Kr. (genau weiss sie sich nicht mehr zu erinnern); Babette Heller hat einen Streit mit ihm ge- habt und hat ihm nichts gezahlt, weil er ihr das Schloss ver- tauscht hat; bei Jacob Schüller ein Laden- und Hängeschloss repariert, 35 Kr.; bei Adolf L. Basch im Ganzen ca. 1 fl; bei Emanuel Basch für einen Haken zur Ladenthür und einen Reif zum Stock und Regenschirm, 2 fl 20 Kr. Das ist alle in zwei .lahreu an Juden abgelieferte Arbeit.

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(vorausgesetzt es sind thatsächlich Blutflecken und zwar Menschenblut) entscheiden nicht, weil das Alter des Blutes nicht k o n s t a t i e r t w u r d e.

Ich gehe darum auf die Blutflecken auf der Hose liilsncr's hier nicht mehr näher ein, weil sie für die Frage , wo und wann das Verbrechen begangen wurde, keine Bedeutung haben.- Der öffentliche Ankläger selbst sagt (pag. 392), er würde auf die Blutflecken kein Gewicht legen; der Postenführer (pag. 107) sagt, den Hauptverdacht auf Hilsner hätten die gefundenen Hosen gewälzt.

Ich will auch nicht untersuchen, ob der Mörder 'nicht auch nach Mittwoch bei der Leiche weilen konnte; möglich Aväre es, denn sie wurde erst Samstag gefunden; da je- doch die Anklage der Sache keine Aufmerksamkeit ge- schenkt, trotzdem sie unter Umständen nicht unwichtig sein könnte, begnüge ich mich mit dieser Erwähnung.

Es ist schon ganz ersichtlich: Die Anklage hat gar keinen zwingenden Grund für die Thäterschaft Hilsners; alle Zeugenaussagen, bis auf eine, ergeben nur die Möglichkeit, dass er in der Richtung zu dem kritischen Ort, zur kritischen Zeit gehen konnte mehr nicht, weil er von dem Orte, wo ihn Cink gesehen, auch anderwärtshin gehen konnte. Nur ein Zeuge behauptet ihn an dem kritischen Orte thatsächlich gesehen zu haben. Das wäre an und für sich auch kein zwingender Beweis der Thäter- schaft, ja nicht einmal der Mitschuld, weil die That nach der Anklage erst nach einer V2— 1 Stunde vollbracht wurde.

Wenn aber weiteres durch den Befund an dem Leich- nam und an den Kleidern und durch weitere andere Um- stände sich der zwingende Schluss ergibt, dass die Leiche an d e n F u n d 0 r t g e b r a c h t w u r d e : so fällt die bisherige Anklage des Hilsner ganz in sich zusammen. Ich glaube aber hinlänglich genug bewiesen zu haben, dass der ]^Iord nicht an der Fundstätte der Leiche verübt worden ist.

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ITnd so crgelxMi sicli für die B<is('liul(lig'uug Hilsiiers nur die auch von der Anklage angeführten allge meinen Gründe, dass er arbeitsscheu und ein Tage- dieb, dass er ein Mädchenjäger sei. dass er öfters in d<i' Bfezina herumvagiertp. Ich behaupte nun nicht, dass diese allg«-meinen Gründe ohne Gewicht sind: a})ei' entschie(ien verneine ich die Beweiskraft der angeführten speziellen Beweis»'. Sie alle ruhen auf dem stärksten aber subjektiven Grunde: d e m A n t i s e m i t i s - m u s und R i t u a 1 a b e r glaube n. Der K i t u a 1 a b e r- glaube war die vis motrix des ganzen Prozesses und seines agitatorischen Missbrauches.

Ganz besonders ist die ursprüngliche Anklage ganz bodenlos: der Kronzeuge, dir „Hauptquelle" des ötfentlichen Anklägers, hat sich erst nach

Monaten gemeldet bis dahin operirte die Anklage

mit den übrigen Zeugenschaftenl Eine kläglichere, ja geradezu klagbarere Voruntersuchung kann man sich wohl kaum denken. Man bedenke doch, dass die Hauptaus- sagen gegen den Angeklagten in Zeitangaben be- stehen! Jeder halbwegs erfahrene Mensch, geschweige denn ein Richter, nmss doch wissen, dass solche Angaben mit der grössten Vorsicht hinzunehmen sind. Ich selbst bekenne mich dazu, dass ich schon nach einigen Tagen nicht in der Lage wäre, genau anzugeben, wo ich vor einigen Tagen um die und die Stunde war. Nun habe ich schon (in der Broschüre) aufmerksam gemacht, wie der Herr Ankläger gegen den „Chronometer" loszieht; und doch basiert er sein ganzes juristisches Kartenhaus auf dem Chronometer des Zeugen Cink, der den Angeklagten um B,10Uhr Nachmittags in der Stadt gesehen haben will: nimmt die Anklage diesen Ausgangspunkt an, so muss sie ihren Kronzeugen aufgeben aber was bleil)t ihr dann?

Ueberdies beweisen alle diese Aussagen für die T h ;i t e r s c h ;i f t a u f d <• ni F u n d o r t c de v L e i c h <•

^ar nichts! Das Beweisvcrfalircn der Aussag-c ist in (liosei- Bezietiung- geradt-zn monströs unjuristisch.

Nur 80 können wir uns erklären, warum viele und wichtige Frag-en durch die bisherige gerichtliche Unter- suchung nicht untersucht, nicht beleuchtet oder gar nicht einmal beachtet wurden.

Ein charakteristisches Beispiel bietet das Umbiegen der Füsse erst durch meine Broschüre ist auf die Sache aufmerksam gemacht worden und auch die Herren Sachverständigen selbst haben sie erst mehr beachtet, während sie im Obduktionsprotokolle und Gutachten die- selbe nicht einmal erwähnen!

Uebrigens will ich an diesem Beispiel meinen Gegnern die j u r i s t i s c h e Bedeutung dieser meiner Pohuikritiken klfu' machen.

Es ist .beachtenswert, dass in der Hauptverhandhmg i;in Richter aus dem Volki^ auf die eigentliche Bedeutung (hn* Thatsache für die Venirteilung Hilsners hingewiesen hat. Ich führe die Stelle aus der Verliandlung in meiner ersten Broschüre an. Der Votant fragt nämlicli den Sach- verständigen, ob diese Unibiegung und Erstarrung gleich nach dem Tode eingetreten sein könne. Offenbar ist ihm di(^ Annahme der Anklage lebheft gegenwärtig, dass die Tliat zwischen 5% und 6V4 und in grösster Eile begangen worden sei, weil der Angeklagte (Hilsner) schon nach 6 Uhr in Pohia gesehen Avurde. Auf die Frage des Vo- tanten gibt nun der Sachverständige die AntAvort, dass eine solche Erstarrung erst nach einigen Stunden ge- schehen konnte.

Es ist offenbar, dass di<'se Aussage sogleich juristisch für Hilsner hätte Aveiter ausgedacht Averden sollen, aber es ist nicht geschehen. Ich betone das Wort j u r i s t i s c h. Sobald nämlich in der Verhandlung von den Sachver- ständigen eine so Avichtige Erklärung abgegeben Avird, so niuss sie eben in ihren logischen Kcmsequenzen für den Prozess, respektive für die Anklage ausgeführt Averden.

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Die Allklage nimmt an, dass die Thäter gleich nach der Ermordung und zwar „in grösster Eile" den Thatort ver- lassen haben dieser Annahme widerspricht die Er- klärung des beeideten Sachverständigen ganz entschieden. Wenn nämlich das auffallende Umbiegen der Füsse durch eine IManipulation mit der Leiche geschehen ist, die längere Zeit, speciell das Eintreten der Totenstarre, in Anspruch nahm, so ergibt sich fttrHilsner sogleich der Schluss, dass er als vermeintlicher Mörder oder Mitschuldiger bei dieser gewiss äusserst wiclitigen Veränderung der Leiche nicht beteiligt gcAvesen sein kann, weil er eben zeuge'nmässig schon um 6 Uhr in Polna war.

Allerdings käme es auf die Erklärung des U in - biegen s an >— alllein es ist Thatsache, das habe ich hin- länglich klar gestellt, dass die Herren Gerichtsärzte sich um diese Erklärung nach ihrer Theorie von der Leichen- erstarrung in der Hauptverhandlung ernstlich gar nicht bemüht haben. Erst nachträglich, nach meiner Erklärung, versuchen sie die eigentümliche Erscheinung halbwegs zu erklären.

Die Wichtigkeit dieses Umbiegens der Füsse liegt darin, dass dieselbe eben wegen der Ungewöhnlichkeit, auf die der Vorsitzende richtig hingewiesen, auf eine be- stimmte Ursache hinweist. Das Umbiegen der Füsse muss einem bestimmten Zwecke gedient haben. Das an- erkennen alle Fachmänner, denen ich die Frage vorgelegt habe. So schreibt mir ein bekannter Professor der ge- richtlichen Medizin: „Die Krümmung der Füsse haben Sie mit Recht als sehr auffallend urgiert". Der angeführte Gewährsmann selbst nimmt an, diese Krümmung hänge mit dem perversen Sexualverbrechen zusammen ich kann das nicht annehmen, aber darin hat mein Fachmann Recht, dass für das auffallende Umbiegen ein Grund ge- sucht werden muss. Ich habe mir alle möglichen Gründe selbst vorgebracht und von anderen vorbringen lassen die Erklärung, die ich gegeben habe, ist, wie ich mich be-

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ständig überzeuge, im Hinblick auf die übrigen Umstände und Tliatsachen, die natürlichste und richtigste.

Ich gebe wohl zu, dass über den Gegenstand nocli weiter verliandelt werden könnte, sofern nämUch die rasche Verblutung eine raschere Todtenstarre nach sich ziehen kann; ich gestehe auch, dass ich von allem An- fange an von den Herren Sachverständigen diesen Einwand in irgend welcher Form erwartet habe; hier gehe ich auf den Gegenstand nicht näher ein, jveil er zu sehr ver- wickelten theoretischen Untersuchungen Anlass geben würde, die jedoch für den vorliegenden Fah deshalb keine ausschliesslich entscheidende Bedeutung haben, weil neben d e r U m l> i e g u n g der F ü s s e noch die zahlreichen weiteren Gründe dafür, dass die That nicht am Fundorte der Leiche ver- übt A\' u r d e , entscheidend s i n d.

Es ist (ersichtlich, dass der Prozess sachlich revi- diert und dass ganz besonders die verschiede- nen und sich widersprechenden Aussagen der Gerichtsärzte, so weit das heute möglich ist, genau von tüchtigen Fachmännern überprüft werden müssen. Es ist möglich; dass diese Ueberprüfung ebenso wie eine unvoreingenommene energische Unter- suchung ganz neue Thatsachen aufdecken wird, durch welche meine Ausführungen modifiziert werden müssten. Ich werde keinen Anstand nehmen, diese Modi- fikation vorzunehmen ; allein auf Grund der von dem bisherigen Prozessverfahren und beson- ders den Herren Gerichtsärzten vorge- brachten Thatsachen kann eine sachliche Kritik nicht anders urteilen, als ich es gethan habe.

Das Ergebnis dieser Kritik, das weiss ich ganz wohl, ist insofern unbefriedigend, als ich mich nicht mit absoluter Sicherheit für eine

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brstiiuiiite Annahme entscheiden kann. Allein das kommt daher, dass das vorliegende Thatsachenmaterial durch ungenaue Beobachtungen and voreilige Schlüsse ge- sammelt wurde. Der Ritualaberglaube das sieht Jeder. liat die Beobachtenden, Prüfenden und Suchenden mit Blindheit gesehlagen. Das ganze luftige Gebäude des Polnaprozesses ist auf dem Sand- vielmehr Sumpfboden einer vorgefassten Meinung aufgebaut in diesem Sumpf- boden musste es darum zusammenstürzen.

Der Prozess von Polna ist in psychologischer Hin- sieht ein geradezu typischer Fall für die Wirkung der Suggestion, respektive des Glaubens (Aberglaubens). Die Menschen, die den Fall untersucht und beurteilt haben, sind blind und taub geworden; alles Denken und Fühlen, ja die Sinne selbst wurden nach einer vorgezeichneten Richtung gedrängt, alles, was dieser Richtung zuwiderläuft oder doch abseits liegt, Avurde gar nicht beachtet und nicht einmal bemerkt. Ein solcher Glaube ist eben blind. Der Dreyfus-Prozess hat im Polnaer Prozess seine psycho- logische Fortsetzung gefunden.

Soziologisch beurteile ich den ganzen Prozess von Polna und seine Erörterung in der Tagespresse und be- sonders die umfangreiche antisemitische und klerikale Polna-Literatur und -Agitation, das sage ich hier ganz kurz, in erster Reihe als trauriges Zeichen unserer böhmi- schen und österreichischen Ivultmnerhältnisse.

leb wiederhole, was ich den demonstrierenden Stu- denten auf die Tafel geschrieben habe: Der ganze Polna- prozess und seine Ausbeutung von clericalei' mid anti- semitischer Seite ist ein Attentat gegen den gesuntleii Menschenverstand und gi'g^in die ^Menschlichkeit.

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Schi uss wort.

le'h bin. wie ich hoffe, mit meiner literarischen Kritik des Polnaer Prozesses fertig.

Ich gestehe, nie eine Arbeit miteniommen zu hal)eii, die so anstrengend und so aufregend gewesen wäre. Di<^ rohen Angriffe von klerikaler und antisemitischer Seite haben micli wenig beunruhigt, auch der demonstrative Teberfall einer Anzaul Studenten und ihrer Helfershelfer liat mich nicht aufgeregt. Aufregend wirkt die unglaub- liche Lässigkeit und Oberflächlichkeit des ganzen Prozess- verfahrens, aufregend Avirkt das Inquisitorische an der Arbeit und der ungewohnte Umstand, über Ehre und i.t^ben von Menschen verhandeln zu müssen. Ich habe lebhaft gefühlt, wie die Todesstrafe, um die es sich in dem Prozesse handelt, eine fürchterliche Verantwortung erheischt und Avie die Menschen über Leben und Tod noch fürchterlicii obei*fiächlich und sorglos ilire Urteile fallen! Die Todesstrafe ist schon darum abzuschaffen.

Auch habe ich durch mein Eindringen in den Prozess so recht lebendig herausgefühlt, Avas das Kollektivgewissen bedeutet, und wie überhaupt die modernen Bestrebungen um Sozialisierung des Strafrechtes (v, Liszt) berechtigt sind. Ich Avünschte, meine Arbeit würde die Aufmerksam- keit auch auf diese Fragen hinlenken.

Meine Arbeit Avar als Ai'beit schAver. Icli sage das denjenigen, die mehi Auftreten als eine Art Gefühlsüber- rumpelung u. dgl, erklären. Nein ich wusste von allem Anfang, was ich unternehme. Ich musste mir aus den un- genau konstatierten Thatsachen der Verhandlung und Protokollen der Sachverständigen das ganze Bild der Gegend, der That und einer Masse von Menschen, Rich- tern, Sachverständigen und Verhörten bilden; als ich nach den Ferien um meine Ansicht über den Polnaer Prozess gefragt wurde, musste icli das unglück.selige Polna auf

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den Landkarten mühsam suchen: heute kenne ich die ganze Stadt und Umgebung, eine Menge von Menschen, die mir persönlich ganz fremd sind, sind mir heute be- kannt. Viele in mehreren Generationen und in der ganzen FamilienverzAveigung. Das Studium des Prozesses hat mir einen intimen Einblick in das Leben und Weben eines Stückes unserer böhmischen Erde gegeben. Kein erfreu- licher Einblick!

Nach Veröffentlichung meiner Broschüre wurde mir von zahlreichen und entgegengesetzten Seiten über das Verbrechen und die zu demselben in Beziehung stehenden Menschen eine Unmasse von Nachrichten zugeschickt: während ich meine Studie ganz allein ohne jemandes Mit- wissen verfasst habe, werde ich nun gezwungen, mit den verschiedensten Menschen schriftlich und mündlich in Ver- kehr zu treten. Die Nachrichten aus der Gegend von Polna häufen sich mir von Tag zu Tag, meine Studier- stube wird zu einer Art kriminalistischer Registratur über Polna und seine Umgebung. Dei- Leser mag sich davon eine Vorstellung machen, wenn ich ihm sage, dass mir sehr häufig nur die Correspondenz über Polna an einem Tage zwei Stunden raubte.

Das Studium des Prozesses hat mir mühsame medi- zinische und juristische Aufgaben gestellt, die ich, dank freundlicher Hilfe von Fachmännern, wie ich glaube, kritisch und ohne Voreingenommenheit bewältigt habe.

Peinlich und niederdrückend wirkt die* Einsicht, die mir die Kritik des l^rozesses in unsere böhmisch-öster- reichischen Verhältnisse im allgemeinen, in die Sittlichkeit und die Bildung der Bevölkerung, der Juristen, Richter und Aerzte und besonders auch dei" Journalistik ver- schafft hat. Letzteres fühle ich, selbst Schriftsteller und Journalist, sehr schwer. Die allgemeine Aufmerksamkeit ist jetzt der politischen Misere meines engeren und Avei- teren Vaterlandes zugewendet; die Kritik des Polnaer Pro- zesses belehrt mich darüber, dass die politischen Zustände

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in inniger Wechselbeziehung stehen zu den weiteren so- zialen Verhältnissen. Wie unsere Politik, so sind alle unsere Verhältnisse beschaffen. Als Soziologe muss ich allerdings diesen innigen Konsensus von vornherein an- nehmen und ihn deduzieren; aber hier habe ich ihn in einem konkreten Falle in all seiner Fälle und ganz lebendig erfassen können und müssen.

Ueber einige andere, zum Teil sehr interessante Er- fahrungen, die ich bei meinen Studien, speziell auch an Ort und Stelle um Polna gemacht habe, werde ich den Lesern vielleicht später einiges sagen können. Jetzt wollte ich diese Polnaer Studien mit dem Wunsche beschliessen, sie würden zur Ausrottung des Ritualaberglaubens bei- tragen. Während meiner Arbeit ist es mir immer klarer und klarer geworden: der Ritualaberglaube ist geradezu (•ine Anklage gegen das böhmische Volk. Die Juden Böhmens und der böhmischen Länder überhaupt (das be- stätigen mir gebildete und sehr kritische Kenner des Juden- tums) gehören zur Elite nicht nur des österreichischen, solldorn des Judentums überhaupt wie kann man ihnen den barbarischen Ritualmord imputieren! Und wenn diese so gebildeten und moralisch hoch stehenden Juden Böh- mens wenn auch nur eine Ritualmordsekte in ihrer Mitte hätten, wie barbarisch müssten da nicht die allgemeinen KuUurzuständevon uns Christen sein, in denen eine solche Sekte sich hätte entwickeln und erhalten können? ! Je mehr man über den Ritunlaberglauben nachdenkt, umso absurder und für unser Volk gefährlicher muss er er- scheinen. Siziliens Maffia Hesse sich kaum mit einer solchen Hitualsekte vergleichen. Den kulturellen, religiösen, medi- zinischen und juristischen Schandfleck von Kuttenberg kann nur eine energisch geführte sachliche Revision des Prozesses beseitigen.

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Beilage.

Sektions - Protokoll

vom 1. April 1899. *)

Vor allem wird konstatiert, dass die Leiche in dem- selben Zustande vor der Sezierung befunden wurde, in welchem sie von der Gerichtskommission Vormittag nach vorgenommenem gerichtlichen Lokalaugenscheine in die Obhut des Gemeindevorstehers von Polna übergeben worden ist.

A. Aeussere Beschreibung der Kleidung.

Die Leiche des ca. 20 jährigen Mädchens ist 156 cm lang, der obere Teil des Körpers bis zum Gürtel voll- ständig nackt.

Vom Gürtel bis zu den Knien ist sie bekleidet mit Hosen aus rotem Stoffe mit einem blauen Saum (Güi'tel) und am linken Knie mit blauem Stoff geflickt.

Die Beine von den Knien herab sind mit blau und rot quergestreiften Strümpfen bekleidet.

An den Füssen sind Schnürschuhe.

Die Leiche lag in einem mit Hobelspänen ausge- füllten Sarge.

*) Aus dem oftiziellen Texte sind nur die Formalia weg- gelassen.

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Nach teilweiser Entkleidung und teilweise!- Zer- schneidung der Kleider wurde die Leiche aus dem Sarge auf den Seziertisch übertragen.

Nach sorgfältigem Untersuchen dtJi* Hosen kann man am hinteren Teile der linken Hälfte und zwar korrespon- dierend annähernd mit dem Orte, wo sie rückwärts zwischen den Beinen anliegen, einige eingetrocknete Flecke bemerken, von ungewisser Farbe, schwach ins schmutziggelbe (die Farbe der Hose von dieser Seite ist rosa) in der Grösse eines Fünfliellerstückes bis zu einem Einguldenstücke und mit unbestimmten, verschwommenen Konturen. Beim Betasten macht der Stoff an dieser Stelle den Eindruck als ob er schwach gestärkt wäre. Diese Flecken gehen dm*ch den Stoff auf die andere Seite, welche hier rot ist und sind mehr ins braune gefärbt. Diese Stelle auf der Hose wurde mit blauem Stifte bezeichnet.

Ausserdem befinden sich unten in der Naht, welche die beiden hintern Hälften verbindet, einige gelbbraune Flecken, welche mit aller Wahrscheinlichkeit von Menschen- koth herrühren.

Auf der rechten Hälfte der Hose im hintern und Innern Teile, entsprechend ungefähr dem innem Teile des Schenkels befinden sich wiederum Flecken auf der äussern roten Seite von dunkelbrauner Färbung, ungefähr 2 8 cm im Durchmesser messend, welche auf die andere Seite nicht durchschlagen; der Stoff ist auch an den Stellen, wo diese Flecken sind, etwas fester, wie gestärkt.

B. Die äussere Beschreibung der Leiche.

Die Leiche hat ein graziles Skelett, entsprechend entwickelte Muskeln, das Unterhautgewebe hat genug Fett.

Die Haut auf der vorderen Seite des Rumpfes ist blass, bis auf die äussere Rückseite des linken Vorder- armes und die äussere und obere Seite der linken Hand.

Der Kopf ist bedeckt mit roten Haaren in zerzaustem Zustande, welche auf das Gesicht fallen.

6*

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Die Haare sind g-aiiz mit frischem, g-etrocknetem Blute durchtränkt.

Aus den Ohren, dem Munde, den Genitalien und dem After kein Ausfiuss.

Die Nasenlöcher sind teilweise mit getrocknetem Blute ausgefüllt.

Das Gesicht ist ebenfalls blutbefleckt, auf demselben, sowie auf der vorderen Fläche des Halses, des Bnistkorbes und des Bauches kleben zerstreut einige Fichtennadeln und Grashalme.

Das Gesicht, insbesondere die Nase, die Wangen und die Lippen sind etwas geschwellt, die Oberhaut, insbeson- dere der Nase, der Wangen, der Lippen und des Kinnes ist roth violett gefärbt.

Die Augen, etwas wenig geöffnet, die Hornhaut ge- trübt, die Pupillen etwas erweitert, die Bindehäute, etwas blutreicher.

Der Mund geschlossen, die Zähne aufeinandergepresst, der Hals ziemlich breit, angemessen lang.

Z. 1. Auf der vorderen Seite des Halses befindet

sich eine riesige Wunde, welche sich etwas vorn rechts querhinüber nach links in der Eichtung zum Ohre zieht. Die Wunde durchdrang alle weichen Bestandteile bis zur Wirbelsäule. Bei nach rückwärts gelegenem Kopfe ist die Wunde 8 cm lang, 5 cm breit, die Ränder sind scharf, gar nicht blutunterlaufen oder gequetscht. Aus der Wunde am Halse ragt über dem untern Eande der etwas angeschnittene Kehlkopf- knorpel.

Z. 2. Ungefähr in der Mitte des Halses auf der

rechten Seite von der Mitte des rechten Endes der Halswunde zieht sich ganz quer eine Strang- furche über die ganze rechte Seite des Halses bis rückwärts zur Wirbelsäule sich hinziehend.

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Die Strangfurche ist ungefähr V2 cm breit, gradlienig, eingetrocknet, rotbraun, insbesondere in den rückwärtigen Partien.

Der Brustkorb ist ziemlicli breit, mehr tiach, die Brustdrüsen ziemlich entwickelt.

Der Bauch ist eingefallen, am Gesichte, dem Halse, dem Brustkorbe und dem Bauche be- finden sich diverse Abdrücke, welche vom Boden heiTühren, auf dem die Leiche mit diesen Flächen gelegen ist.

Der Schamberg ist bewachsen mit hellroten Haaren, an zwei Stellen sind die Haare zu- sammengebacken, mit einer grauen stärke- artigen Masse, ungefähr von der Grösse eines Hirsekornes. Die zusammengebackenen Haare wurden abgeschnitten und aufbewahrt.

Hymen ringförmig, zart, zeigt nirgends eine Beschädigung, ist blos stellenweise kerbeartig gesäumt, auch nirgends Zeichen von gewalt- samer Zerstörung, Quetschung oder irgend einer Verfärbung.

Auf den Beinen sind verschiedene Eindrücke, insbesondere unter den Knieen von den Strumpf- bändern.

Die Arme sind in dem Ellbogen, im rechten Winkel beinahe nach vorn gebogen und zeigen auf den Oberarmen, sowie auf den Gegenden über dem Ellbogengelenk verschiedene Strangu- lierungsfurcheu, welche von den Kleidern, ins- besondere von den Hemdärmeln verursacht sind. Z. 3. Auf der äusseren Seite des linken Oberarmes und zwar in der unteren Hälfte zieht sich ein schwach violett ins grüne gefärbter Fleck schief von unten hinauf ungefähr 12 cm lang und 3 cm breit, welcher sich als eine Blutunterlaufung erweist.

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Auch auf dem Ellbogen derselben Hand befindet sich ein blassrot-violetter Fleck.

Der Vorderarm der linken Hand ist etwas angeschwollen, insbesondere an der Rückseite, teilweise an der Innern und äussern Fläche be- ginnend, etwa 2 cm vom Ellbogengelenke her- unter. Z. 4. Die^Haut ist dunkelrot gefärbt (das nach

gemachtem Einschnitte an diesen Stellen unter- suchte Gewebe ist bis zum Knochen stark mit dunkelrotem Blute durchtränkt).

Die Hand, insbesondere am Rücken, ist an- geschwollen, die dunkelrote Färbung der Hand auf dem Unterarm kommt auch auf dem Rücken der Hand vor, wo sie mehr in eine schmutzig- dunkelviolette Farbe übergeht.

Der Daumen der linken Hand ist gestreckt, die anderen Finger der Hand sind massig ge- bogen.

Die Finger sowie die Handfläche sind mit frischem eingetrockneten Blute befleckt. Z. 5. An der äusseren Rückseite des Ringflngers

und des Mittelfingers befinden sich kleine Haut- excoriationen ganz oberflächlich, zahlreich ohne Reaktion.

Auf dem rechten Oberarm über dem Elbogen befinden sich auch verschiedene Strangulations- furchen, welche von den Kleidern herrühren.

Der Unterarm der rechten Hand ist eben- falls etwas angeschwollen, aber viel weniger als der der linken Hand. Aber die Oberhaut des ganzen Unterarmes ist vollkommen blass.

Die rechte Hand ist ebenfalls wie die linke, hauptsächlich am Rücken, geschwollen, die Ober- haut ins Dunkelrotviolette gefärbt, der Daumen gestreckt, die Finger massig gekrümmt, die

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letztere ebeusu wie die Handfläche mit eiage- trocknetem Blute befleckt.

Z. 6 a. Am mittleren, zweiten Gelenke des kleinen Fingers ist eine dunkelbraune eingetrocknete oberflächliche Abschürfung im Durchmesser von etwa */2 cm.

Z. 6b. Ebenfalls in der Mitte des ersten Gliedes des

Mittelfingers am Rücken ist eine ähnliche einge- trocknete Excoriation von schwarzbrauner Farbe, 1 cm lang, V2 c^i breit. Z. 7. Die ßückenfläche aller vier Finger, im Be-

sonderen auf den zweiten Gliedern, sind mit einer grossen Anzahl kleiner Excoriation ohne Reaction bedeckt

Unter den Nägeln der beiden Hände wurde nichts ausser eingetrocknetes Blut gefunden.

Auf der Rückseite des Körpers ist die Ober- haut (Epidermis) blass, nirgends, noch so wenig verletzt.

Z. 8. Nach Entfernung der zusammengeklebten

Haare am Kopfe wurde gefunden, dass auf der Rückseite und den beiden Seitenteilen des Kopfes sich acht lineal verlaufende, in verschiedenen Richtungen verlaufende Wunden befinden, von denen die kleinste ungefähr 2V2 t^m und die grösste ungefähr 6 cm lang ist.

Diese Wunden sind beinahe vollkommen eine der andern ähnlich, so dass man mit Be- stimmtheit annehmen kann, dass sie mit einem und demselben Werkzeuge verursacht wurden. Alle reichen durch die WeichteUe nur bis zum Schädelknochen.

Die Ränder dieser Wunden sind ziemlich scharf, aber doch gequetscht und nicht glatt, stellenweise ist das Gewebe nicht ganz bis zum

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Knochen zerstört, sondern hängt noch mit kleinen Brücken zusammen.

An der Leiche finden sich gar keine Zeichen der Fäulnis vor.

C. Innere Untersuchung der Leiche.

Nach Entfernung der Weichtheile des Schädels wurden auf der Innenfläche desselben, sowie auf dem rückstän- digen Gewebe des Schädels in den den Wunden ent- sprechenden Stellen dunkelrote Blutunterlaufungen ge- funden.

Z. 1. Der Schädel mächtig, stark; die kompakte

Masse desselben überwiegt. Die Furchen der Art. mening. med. sowie pacchionischen Grranula- tionen gut kenntlich.

Die harte Hirnhaut zart, glatt, etwa in der Mitte der Gegend der Centralwindungen leicht angeschmiegt.

In dem grossen Sichelblutleiter, sowie in den übrigen Blutläufen sehr wenig flüssiges Blut. Die weiche Hirnhaut zart, glatt mit Gefässen, die rot injiziert sind. Nur in der Gegend der Centralwindungen etwas rauh, entsprechend den Rauhigkeiten auf der harten Hirnhaut. Die Windungen des Gehirns sind zahlreich, das Ge- webe des Hirns zäh, nicht übermässig mit Blut überfüllt, die Hirnrinde ziemlich breit.

In den Hirnkammern, welche nicht ausge- dehnt sind, nur einige Tropfen einer klaren Flüssigkeit, Ependym zart, glatt. Das Gewebe der Centralganglien, sowie des Kleinhirns und des Verl. Markes ziemlich fest, die Struktur gut kenntlich. An der Hirnbasis nur einige Tropfen einer klaren Flüssigkeit, die Knochen der Basis nicht lädiert.

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Z. 2. Nach der Eröffnung' der Brusthöhle wurde

die Zunge herausgenommen und diese zeigte auf der Oberfläche eine rotbraune Färbung. Die Zunge hing zusammen mit demOs hyoideum und mit der oberen Rachenpartie. Durch den Schnitt in der Wunde war das Os hyoideum von dem Kehlkopfknorpel, cartilagöthyreoidea abgetrennt.

Die linke Vena jugularis externa durch- trennt, sowie die gemeinsame linke Carotis an- geschnitten.

Die Schilddrüse ziemlich entAvickelt.

In dem Herzbeutel einige Gramm einer klaren Flüssigkeit.

Der Rand des Zwerchfelles rechts und links an der fünften Rippe, das Herz etwas wenig von Fett durchwachsen, der Muskel beim Schnitte kräftig, rotbraun, die linke Herzkammer voll- kommen leer, in der rechten Herzkammer etwas weniges rotbraunes Blut, theils flüssig, theils geronnen. Die Herzklappen zart, schliessend.

Die rechte Lunge in der unteren Partie leicht angewachsen, sonst an der Oberfläche glatt, Luft überall enthaltend, in der Luftröhre etwas wenig schäumige, blutige Flüssigkeit.

Die linke Lunge vollkommen frei, ebenfalls lufthaltig.

Die Lage der Eingeweide normal. Die Leber an der Oberfläche überall glatt, blassbraun, am Schnitte ist die zähe, blutarme Struktur gut kenntlich.

In der Gallenblase etwas flüssige Galle.

Im Magen eine grosse Menge eines dünn- flüssigen weisslichen Breies, nach allem haupt- sächlich aus Milch bestehend, hie und da eben- falls festere Speisenteile enthaltend.

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Die linke und rechte Niere ca. 8 cm lang und 5 cm breit, die Haut leicht ablösbar, die Struktur beim Schnitt gut kenntlich, das Gewebe fest, blass, blutarm. Die Milz klein, an der Ober- fläche zart, glatt beim Schnitte ebenfalls blutarm.

Die Gedärme blass in der Serosa und Schleimhaut, im Dickdarm etwas Koth, die Harn- blase leer, enthält nui* etwas wenig Harn.

Die Gebärmutter klein, jungfräulich, ebenso die Eierstöcke am Durchschnitte zäh und blut- arm. Die Scheide blass, columna rugarum scharf gezeichnet.

(Nach beendeter Section der Leiche , welche bis 7V2 Abends dauerte, verlangten die Herren ärztlichen Sach- verständigen zum Abgeben des Gutachtens in einer solchen sehr wichtigen Strafsache einen Aufschub von längstens 4 oder 5 Tagen, Dieser Termin wurde den Herren ärzt- lichen Sachverständigen bewilligt.)

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Gutachten

vom 6. April 1899.

Nach genauer Untersuchung der Leiche, der gefun- denen Kleider und Gegenstände, nach reiflicher Erwägung aller Umstände und Zeichen, können wir mit Bestimmtheit gemäss der Regeln der ärztlichen Kunst folgendes Gut achten abgehen:

ad 1. Als tödtliche Wunde betrachten wir die

Schnittwunde am Halse , welche unter B Z. 1 angeführt ist.

Als lebensgefährlich betrachten wir die Strangfurche am Halse (B Z. 2) und die Kopf- wunden, hauptsächlich wegen deren Zahl und Umfang (B Z. 8).

Als leichte Verletzungen erklären wir die Vei-wundung am linken Oberarm (B Z. 3) und die der rechten Hand (B Z. 6a, b).

B Z. 4 betrachten wir als Symptom einer Strangulirung der Gefässe der Hand durch den Aermel und Kleidung und auf diese Art ent- standene Unterbrechung der Blutzirkulation der Hände.

B Z. 5 u. 7 erklären wir als postmortale Verletzung, entstanden durch Schleppen und Schleifen der Leiche, und Zerkratzen der Aussen- fläche der Finger durch rauhen Erdboden, even- tuell Reisig und trockene Baumabfälle.

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ad 2. Als Hauptursache des Todes betrachten wir

die Verletzung (B Z. 1), deren Folge rasche Verblutung und Unterbrechung der Athmung war.

Diese Verletzung wurde verursacht durch ein scharfes und hinlänglich starkes Instrument, wahrscheinlich durch ein starkes Messer.

Der Tod erfolgte infolge dieser Verletzung.

ad 3. Die That war schon infolge ihrer allgemeinen

Natur die Ursache des Todes.

ad 4. Was die vorgefundenen Instrumente anbe-

langt, so können wir mit Bestimmtheit behaup- ten, dass die Kopfverletzung sub B Z. 8 zuge- fügt sein konnte mit der scharfen Kante irgend eines grossen Steines, welche in der Nähe der Leiche gefunden wurden, obwohl wir nicht da- mit sagen wollen, dass sie zugefügt wurde mit einem von den beiden Steinen, welche aufbe- wahrt wurden als Corpora delicti (Z. 10). Im Gegenteil nach deren Conüguration imd ihrer Blutbesudelung können wir behaupten, dass es keiner der beiden Steine war.

Di»' Verletzung sub B Z. 3 konnte mit dem Stocke geschehen sein, welcher in der Nähe der Leiche gefunden wurde.

nd 5. Der Mord wurde mit besonderer Grausam-

keit, meuchlings, verübt.

Als Zeichen des Widerstandes könnten wir als solche betrachten blos die Verletzungen an der rechten Hand (B Z. 6a, b).

Was die Zeitdauer betrifft, welche die Leiche dort bis zur Auffindung sein konnte, da müssen Avir in Anbetracht des Umstandes, dass die Leiche fast steif gefroren und vollkommen frisch ge- funden wurde, die Möglichkeit zugeben, dass die Leiche dort 2'/^ Tage gelegen sein konnte,

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also von der Zeit, von welcher an die Er- mordete vermisst wurde.

Mit Bezug auf § 125 des Straf- Gesetzb. er- klären wir, dass wir keine Zeichen eines ge- schlechtlichen Missbrauches an der Leiche vor- fanden, dass wir jedoch aus dem Grunde, dass noch die chemische und mikroskopische Unter- suchung der vermeintlichen Spuren von Samen an dem Schamberge und den Hosen abge- wartet werden muss, mit Sicherheit uns noch nicht aussprechen können.)

Fortsetzung vom 19. April.

(Die Aerzte ergänzen nach Reciuisition des Kreis- gerichtes in Kutenberg vom 17. April ihr Gutachten folgendermassen) :

Sowohl nach der äusseren als nach der inneren Unter- suchung behaupten wir, dass die Leiche der Agnes Hruza fast vollständig ausgeblutet war. Die Verblutung musstc geschehen durch die Schnittwunde am Halse, wodurch zahlreiche und mächtige Gefässe zerschnitten wurden.

Die Verblutung trat in kurzer Zeit ein und musste das Blut in mächtigem Strome aus der Leiche fliessen. Das Blut in einer solchen Menge aus der Wunde Üiessend, musste beim Kontakt mit der Luft gerinnen, wobei in der Zeit von wenigen Minuten sich ein mächtiger Blutkuchen ausbilden musste, d. h. Fibrin mit den festen Bestand- teilen, blos Blutserum kann verdunsten oder in den Erd- boden aufgesaugt werden.

Ebenso können wir nicht zug<^ben, dass die Dauer von 2 Tagen bis zur Auffindung der Leiche und die massigen Eegenmengen den Donnerstag darauf einen solchen Einfluss haben konnten, dass der Blutkuchen gänzlich verloren ging.

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In Anbetracht dessen, dass der Mord wahrscheinlich in der erwähnten Grube beim Wege stattgefunden hat, wo das austretende Blut beisammen bleiben musste und in Anbetracht dessen, dass die Kleidungsstücke und die beiden Orte, wo wahrscheinlich der Mord verübt und die Leiche aufgefunden wurde, nur wenig von Blut durch- tränkt, eher blos benetzt waren, so können wir mit Sicher- heit darauf schliessen, dass die Blutspuren, die gefunden wurden, nicht der Menge entsprechen, welche wir bei einei- solchen Todesart in der Umgebung der Leiche erwarten dürften.

Endlich in Bezug auf die Umstände, wie der Sclmitt am Halse geführt wurde, müssen wir mit Sicherheit be- haupten, dass der Schnitt an der Ermordeten ausgeführt wurde mit zur Erde gekehrtem Gesichte; denn wenn der Schnitt in der Lage am Rücken vollführt worden wäre, so müsste die Umgebung und die Bäume durch den nach allen Richtungen spritzenden Blutstrom besprengt sein, was wir bei genauer Besichtigung nicht fanden, denn die blut- betriefte Stelle war von geringer und begrenzter Aus- dehnung.

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