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Bei den Vorarbeiten zu der zweiten Auflage von des Verfassers „Organographie der Pflanzen“ !) ergab sich die Notwendigkeit, auch die in der ersten Auflage nicht berücksichtigten Entfaltungsbewegungen zu be- sprechen, denn diese stehen mit eigenartigen Organbildungen im Zu- A sammenhang, über welche zwar viele Einzeluntersuchungen und Deutungen vorliegen, die aber niemals eine zusammenfassende vergleichende Be- sprechung gefunden haben. Die eigenen Untersuchungen des Verfassers nahmen im Lauf der weit "hinausging und eine besondere Darstellung zu rechtfertigen schien. Dieser ist das vorliegende Buch gewidmet. Es versucht, ohne auf die speziell physiologischen Probleme einzugehen, die Art und Weise der Entfaltungsbewegungen zu schildern und namentlich die Frage zu prüfen, ob diese — wie das meist als selbstverständlich vorausgesetzt wurde — als Anpassungserscheinungen zu betrachten sind oder nicht. “ Um diese Frage beantworten zu können, war es nötig, kurz darauf einzugehen, weshalb uns die teleologische Betrachtungsweise so im Blute liest, daß wir glücklich sind, sie irgendwie auch wissenschaftlich recht- 5 E: zu können. Die verschiedenen geschichtlichen Mitteilungen, welche der Darstellung beigegeben sind, zeigen, daß die in der Einleitung ver- ” _ tretene Ansicht, es handle sich dabei um einen unbewußten Anthro- s: pomorphismus, zutrifft. > Wenn der Verfasser zu dem Ergebnis kam, daß eine Anzahl teleo- _ logischer Deutungen der Entfaltungsbewegungen "nach unseren jetzigen missen als unrichtig oder unbewiesen zu betrachten ist, so ist damit och eine Nützlichkeitsdeutung finden könne. Diese müßte aber experi- jentell erwiesen und nicht nur vermutet sein. Im übrigen handelt es ch bei den folgenden Darlegungen nicht um das Zustandekommen der ‚npassungen, sondern um das Problem von deren Mannigfaltigkeit. Die vergleichende Betrachtung ergibt zwei, wie mir scheint, für sere Auffassung der Anpassungserscheinungen wichtige Folgerungen. mal die, daß viele Anpassungen gar nicht (im wörtlichen Sinne) solche ind, sondern „Ausnützung“ anderweitiger Vorgänge — worauf der Ver- ' fasser seit Jahren wiederholt hingewiesen hat. Sodann die, daß es sich abei nicht um eine „im Kampf ums Dasein“ (durch Anhäufung kleiner zlicher Abänderungen) erworbene Zweckmäßigkeit handelt, ebenso- enig um eine zielstrebige. Es war also an einer "Reihe von Beispielen uszuführen, daß diese Auffassung des Zustandekommens der Anpassungen nhaltbar geworden ist. !) Erschienen ist bis jetzt: Teil I (Jena 1913), Teil II (Jena 1916—18). \ ahre einen Umfang an, der über den eines Kapitels der „Organographie“ ER y R Eau nk Je FEREN 2 FR .e En ey 2 Re & R IV x A WORWOTLF ERREN BR EN Br. } R: Die Untersuchungen wurden — so weit sie nicht schon lange zurück "RE liegen — in den Jahren 1913—1918 ausgeführt. Der Verfasser hat E sich dabei der Unterstützung seiner früheren Assistenten Dr. Mer und ee Dr. HırmeEr zu erfreuen, bei Herstellung der Abbildungen!) der der = Präparatoren A. Dorn und K. HÖrRGER. Ihnen, sowie der Bayr. Aka- . | demie, welche durch eine namhafte Unterstützung aus der Samsonstiftung En die Veröffentlichung ermöglichte, möchte der Verfasser auch hier danken. ? Daß seinem Versuch sehr viele Mängel anhaften, dessen ist sich der Verfasser wohl bewußt. Be Man könnte sagen: das Buch bringe multa non multum. Es liest aber im Wesen des Vergleichs, daß er vielerlei heranziehen muß und viele Ex Deutungen sind deshalb ohne weiteres als unzutreffend zu erkennen, wel R man die Verbreitung der zu deutenden Lebenserscheinung nicht berück- sichtigt hat. Außerdem, so notwendig und interessant auch die Vertiefung a in die Einzelheiten eines Vorgangs ist, sie bringt die Gefahr mit sie 7: daß man in diesen Einzelheiten stecken bleibt. Dieser Gefahr ist, mir scheint, auch die physiologische Forschung nicht immer entg3 Freilich müßten wir die Lebensbedingungen der verglichenen Pfla ’ viel eingehender kennen, als dies bis jetzt der Fall ist, um überall eine sichere Grundlage zu haben. Vielleicht ist aber das vorliegende Buch auch deshalb nicht ganz nutzlos, weil es darauf hinweist, wie unvollkommen unsere Kenntnis der Lebensbedingungen bei den meisten-Pflanzen noch ist, und wie unvollständig namentlich die Berichte über die der Tropen- pflanzen sind, selbst solcher, die gemeine Unkräuter darstellen. Diese sind meist lehrreicher als die „Eigenbrödler“, deren Sonderbarkeiten eine so große Anziehung ausgeübt haben und die Paradebeispiele für merkwürdige N: Anpassungen darstellen. Vielleicht veranlaßt das doch ein oder den A ER en ee “ andern Reisenden dazu, die großen Lücken unserer Kenntnisse mit aus- Re, & füllen zu helfen. Im übrigen sei nochmals betont, daß es sich bei dieser x Darstellung nicht um physiologische, sondern um „ökologische“ Fragen ‘ handelt und mit einem Forschungsreisenden des 18. Jahrhunders?) gesagt: x „Sicubi vero Botanicorum expectationi minus fecero satis, confido fore, Re ut cum materiae amplitudo et diversitas, tum peregrinantis conditio, z habeant aliquid legitimae excusationis.“ j De Au S !) Von den Abbildungen sind 230 Originale, 9 (jeweils bezeichnete) Kpien.. ir 2) N. J. Jacguıs, Selectarum Stirpium americanarum historia Vindobonae 1763. Bi er. München, im März 1919. K. Goebel. 2, : eg Fi Sr Nachtrag zu p. 151. 2 ; Für Vallisneria wurde als letzte Außerung der „Ziehharmonika-F' “ eine Veröffentlichung aus dem Jahre 1883 angegeben. Wie ich n A dings fand, hat sie TimiRrIAZEFF in seinem Buche „The life of the p London 1912 nicht nur p. 237 vorgetragen, sondern sogar abgebildet! (Fi; a a ne ek RE EN IR URURURURER % Er Serge "m BON PSPmDH 2. 5 wa Ki Sale a U = be EB unmun L en 3 f “rn ur RE A ae Unumunun Run Hu DDHMOoSOÄNDSIPWDw Hm :0. 4 RN ar le oT EN, N RT > E; ? > 3 ee Inhaltsübersicht. Seite Erster Abschnitt: Einleitung 1— 32 Die Anfänge teleologiächer Betrachtung i : 1— 2 Die Begründung der Teleologie und ihre Anwendung 5 2— 5 Irrtümliche teleologische Deutungen. 6— 7 'Nutzlose Reizbewegungen . 8— 12 Nutzlose Bewegungen dorsiventraler Organe infolge von Lichtentziehung 12— 15 Durch Licht bzw. Lichtmangel bedingte TRHSOLETUON zuge, die unter Umständen nützlich sein können . ; 15— 18 Durehbruchskrümmungen bei geophilen Pflanzen 18— 26 _ Mannigfaltigkeit der Anpassungen et durch Ausnutzung 26— 30 Darwinismus und Teleologie 2 . 30— 32 Zweiter Abschnitt: Art der Entfaltung . 33— 3 Allgemeines über Entfaltung, aktive und passive Beteiligung daran . 33— 34 Beispiele passiver Entfaltung, Mützenblüten und Fensterblüten . 34— 43 Entfaltung durch ungleichmäßiges Wachstum Een s 43 Entfaltung durch Turgordehnung . N 43— 45 Allgemeines über Gelenke 45— 47 Passive Gelenke, Übergang zu reizbaren Gelenken i in Orchideenblüten 47— 52 Aktive Sproßgelenke KERNE 2.2... 592— 56 Einzelfälle von Sproßgelenken bei Dikotylen. 56— 65 Gelenkbildung bei Gräsern ß 65— 73 Dorsiventrale Sproßgelenke . . 73— 76 Rückbliek auf die eng der Sproßgelenke 76— 77 Blattgelenke 77— 83 Sehwellkörper . 83— 3 Dritter Abschnitt: Entfaltungsbewegungen - der Sprosse (Sproßnutationen) 94—155 Geschichtliches und Kritisches über Nutation 94— 99 Nutation vegetativer Sprosse 99—103 Nutationen bei Blüten und Infloreszenzen. . ga 104 ‚ Infloreszenzen mit zeitweiliger Horizontalstellung (Lysimachia® bary- stachia und einigen Labiaten) ; 104—110 Nutationen von Blüten und Früchten (Papaver, Euphorbia, Ipomoea, Cobaea, Tropaeolum, Coniferen . 2 110—120 Nutationen von Infloreszenzen (Papilionaceen, Droseraceen, Umbelliferen, Kompositen, Crassulaceen) ee 120—131 Abwärtskrümmung durch Gelenke (Stellaria, "Geraniaceen) . 131—139 Impatiens noli tangere und andere Impatiens-Arten, Streptopus . 139—143 Asymmetrische TEEN Kar Allium, en Vallisneria 144—153 Büekhliek . .......". : Pk - ER AA UE . 153-155 RETTEN I FE 7 Lt 2 ES a J a ER ce 5 n 0 BES ER [4 -_ = s k. MRMUR URURURUÜRUNURERN MRRIPRMURPURUNRM URURRRIRRUNR UNRARUNRUN YRURURURUR IRRMURURALR UKRMWMRURSIRN IR a a ze RHumumnihi KHFrukmemfß RES SEI le STRONE TORI AINIPIIE DRPDNDHIOSONSORSDH g; aM? Aitr x E ae N { N Bot Al .n 5% Na Kr wu u 3% hr u . A NEN R % Di ” ! FED übersicht DOM EUER ‘ Vierter Abschnitt: Blattentfaltung . Einleitung REN RR Rt, Einfache Entfaltungsbewegungen Hk Mitwirkung des Blattstiels, Gelenke . . . Vertikalstellung der Blattspreite, Allgemeines - Vertikalstellung durch die Sproßachsen vermittelt. . . . . . . Vertikalstellung durch Wachstum der Blätter selbst. Monokotylen, speziell Aroideen . et . Dikotylen mit einfachen Blättern . Dikotylen mit re Blättern . Farne . N : Laubausschüttung £ 3 Teleologische Deutung der Vertikalstellung : Fünfter Abschnitt: Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Asymmetrischen) . Allgemeines. ß Asymmetrische Pflanzen . Einzellige Pflanzen mit asymmetrischer Ausbildung . Vielzellige Thallophyten mit Drehwuchs re Moose und Farne . Drehblätter als abnorme Erscheinungen (Codiaeum, "Vallisneria, Juneus) Normale Drehblätter (Aponogeton ulvaceus). Gedrehte Hochblätter (Lasia) und Blütenhüllblätter Ä 2 Resupinierende Blätter bei Alstroemeria, Allium ursinum . Drehblätter bei Gräsern . . ) Vermutungen über das Zustandekommen der inversen Dorsiventralität Drehblätter bei Cycadeen und Dikotylen (Darlingtonia) Abe . Zusatz: Wıcnura’s Abhandlung über das Winden der " Blätter Drehsprosse . . Ranken- und Schlingpflanzen Drehblüten . Drehfrüchte . h Schlußbetrachtung Sechster Abschnitt: Resupination der Blüten. Geschichtliches und Definition . Orientierungsbewegung dorsiventraler Blüten (Fumaria). Die Ausführung der Resupination.. FRE Scheinresupination ; ER RE WERTEN Teen ES & Deutung der Blütenresupination Are Er Er AR et Fr Acanthaceen BEREICHE ; Balsamineen Labiaten . Leguminosen Lobeliaceen . Melianthaceen . Orchideen Serophulariaceen % Violaceen, Zingiberaceen, Alstroemeria . . Früchte, die eine Entfaltungsdrehung vollziehen Zusammenfassung 5 - a: Siebenter Abschnitt: Ehe Allgemeines. Anlegung und Entfaltung. Übereinstimmung und Nicht- se übereinstimmung beider . Beispiele abweichender Entfaltungstolge bei Infloreszenzen® Bei Blüten. Allgemeines . a Radiäre Blüten : Dorsiventrale Blüten N Kryptodorsiventrale Blüten . Zusammenfassung Be Bus te a u "AB REN 4 E £ RE ER u i I Y 2 2 Pe r % N 3 ’ en Te _ Inhaltsübersicht. SET . VII EN Seite Sn ohter Abschnitt: Entfaltungs- und Beizbewegungen N in Blüten . . 318—375 = Einleitung. - Begrenzung des Themas . . . „N. 2 2 2.2.2.2. 818-8319 . Eria Loheriana und Eulophidium maculatum. . 319—320 . Schnellbewegungen bei se ae Stylidium, Loranthaceen, Proteaceen . .. . : Er . 320—328 EI a Re RD Da aaa sn, 1 FABEL Urtieifloren . . nn ee . Pollenausschleuderung bei anderen windblütigen Pflanzen Weser. 337—340 Blüten mit reizbaren Staubblättern. Cistineen, Se Opuntia, ERTL RE RR eh ER EL REIT ler A NER PRr . .. 340—348 BA Er ee. 2: BB BBR WETEHOR TER a er ee De en) 5 Bhle=3bh Reizbare Narben . . Ne a 2 308 30T Entfaltungs- und Reizbewegungen des Griffels . . . 361—368 Einige neue Fälle von „Reizbarkeit“ an vegetativen Organen und Blüten. . 1. Randblüten von Kompositen. 2. Blumenkrone von Gentiana-Arten 368-375 Neunter Abschnitt: Die Sensitiven . . . . 376-439 LE En. 012237077 Geschichtliches. . . SL RR N #7 BT B8D Standorts- und Wuchsverhältnisse der Mimosen . . 385—390 Die Wasserökonomje von Mimosa pudica und ihre Beeinflussung "durch oft wiederholte Reizungen . . ... 390—394 Die nicht seismonastischen Reizbewegungen bei Mimosa pudiea . .... 394—396 Einige Bemerkungen über Reizleitung bei Mimosa pudica. . . . . 396-400 Die teleologischen Deutungen der Mimosa-Reizbewegungen > .2..2...400—406 Seismonastische Reizbewegungen bei anderen le "2 0.0.404—409 Desmodium gyrans . . 202. 409—412 Andere Familien mit seismonastisch reizbaren Pflanzen. ee . 412-413 Droseraceen und Euphorbiaceen . . BE Le RE 413—415 Oxalideen. Historisches über Biophytum BR 415—418 Biophytum-Arten in botanischen Gärten, Beschreibung von Biophyt. somnulentum . . 419—422 Biologische Eigentümlichkeiten dieser Art‘ ‚(Fühlhaare, "die Schlaf- bewegungen der Infloreszenzen) . . . 422—427 Die TEUER SAUEEn Bey label a 1 TA Averrhoa .. . BEER 0 N AR RE Sr RE 435 Be REES LE EN I N ae A ee 435-430 Zehnter Abschnitt: Sehlafbewegungen ER AOAT Einleitung . . nn nn. 440-443 _ Blattbewegungen durch Wachstum (ohne Gelenke) ö 443 —446 ‚Schlafbewegungen der Kompositen bei den Papa und dorsiventralen Einzelblüten . . { Be i ; 220.2. 446449 . Schlafbewegungen von Sproßachsen' hr ER RNE Ee \3) h Nyktinastische Bewegungen bei Gelenkpflanzen . ; . . 457 —458 . Verschiedenheit der Bewegung auf verschiedenen Altersstadien. . . 458-461 . Verschiedenheit in der Ausführung der Schlafbewegungen. . . . . 461-463 . Verschiedenheit zwischen den Arten einer Gattung . 463—464 . Calliandra tetragona als Beispiel einer auffallenden Schlafbewegung . 464—466 10. Zusammenhang zwischen der Verteilung der Spaltöffnungen und der Art der Ausführung der Schlafbewegungen . . . . 2.2.2... 466—468 Schlafbewegungen und Standortsverhältnisse . . . » 2 2.2.2.2... 468—470 Schlafbewegung und Himmelsrichtung . . EN A LATE Die teleologische Deutung der Schlafbewegungen . Ba Ren apa Eee Ki Erster Abschnitt: Einleitung. $S 1. Die Anfänge teleologischer Auffassungen. Dadurch, daß man erst im 19. Jahrundert sich eingehend mit den Anpassungserscheinungen der Pflanzen. beschäftigt hat ist teilweise die Meinung entstanden die ganze „ökologische“ Betrachtungsweise sei eine Errungenschaft der Neuzeit — erst in dieser habe man begonnen, die Be- ziehungen zwischen Gestaltung und Lebensweise der Pflanzen zu unter- ‚suchen und die Zweckdienlichkeit in deren Bau zu erkennen. Nichts könnte unrichtiger sein: Vielmehr hat man von jeher die Erfahrungen, die per Mensch in seinem Haushalt und seinen Beziehungen zu den übrigen Lebewesen macht, auf diese übertragen. Das spricht sich ja schon in dem Namen „Ökologie“ aus. Es handelt sich dabei um einen Anthropo- morphismus, der früher naiver, später verhüllter sich geltend machte. Da z. B. der Mensch nackt und schutzlos in die Welt tritt, so liegt es ihm außerordentlich nahe, auch bei anderen Lebewesen ein großes „Schutz“bedürfnis vorauszusetzen. Da seine Bewegungen ein bestimmtes „Zael“ und einen besonderen „Zweck“ zu haben pflegen, so setzte er das auch für die Bewegungen der anderen Organismen voraus. Galt das schon für die uns nahestehenden Tiere, so mußte eine solche Auffassung sich noch mehr aufdrängen, als man auch bei den anscheinend starren Pflanzen Bewegungserscheinungen in immer größerer Zahl kennen lernte. In der geschichtlichen Einleitung zu der Besprechung der Pflanzen mit sensitiven Blättern suche ich nachzuweisen, daß man deren Bewegungen teils Gefühls- teils Zweckmotive — also menschliche Eigenschaften — _ zuschrieb. Hier seien deshalb nur wenige andere teleologische Deutungen für Bewegungen bei Pflanzen genannt, um zu zeigen, daß solche Deutungen schon sehr alt sind. Be: Namentlich waren es die sog. „Schlafbewegungen“ der Blätter mancher Pflanzen, welche dazu Veranlassung gaben. Br: So meinte der spanische Jesuit NIEREMBERGIUS !) die Schlafbewegungen der Tamarindenblätter seien für die Früchte von Bedeutung „ut noctu - foliis convolutae sese a frigoris injuriis muniant atque tuerentur“. Dabei zog er, wie so viele andere nach ihm, nicht in Betracht, ob denn in der tro- _ _pischen Heimat der Tamarinde ein solcher Kälteschutz, dessen Annahme einem Mitteleuropäer nahe liegen konnte, notwendig sei? = Auch in der ersten, den Schlafbewegungen besonders gewidmeten Abhandlung ?), einer auf Lınn&’s Veranlassung entstandenen Dissertation 1) Joannes Eus£Bıus NIEREMBERGIUS, Historia naturae (1635) p. 342. $ ?) Somnus plantarum praeside D. D. Car. Linnaeo propositus a Petro Bremer Helsings. n _ Upsaliae 1755 Decemb. 10. (Abgedruckt auch in Amoenitates academicae). Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 1 2 | | Enster Abschnitt: 000 an U TER, ». Tue, Ta id ir Be u a A TEE h + ER n,zi a hg Erle = ; Alahh wird der Nutzen dieser Bewegungen, die als „novum quid et inauditum bezeichnet werden, ganz besonders hervorgehoben. Sie dienen auch hier zum Schutz der Pflanzen gegen die Beschädigungen, welche eintreten R: können durch die Nachtluft “(p. 341), Wind, Tau usw. Es ist dem Verf, auch „ohne Zweifel“, daß die Schlafbewegung der Blätter bei Melilotus italica dahin führt, daß sie weniger durch den Wind bewegt und durch ex Tau beschwert werden (p. 346) und daß die Bohnenblätter die Seiten- Bi sprosse und Blütenstände gegen Kälte oder kalten Tau schützen. Bei * Mimosa macht er nochmals darauf aufmerksam (p. 349), daß durch die Schlafbewegungen die Blattspindeln „et pagina foliorum superior Be Br a rore et frigore oceultentur, et tota planta simul minus sit ventorum agitationibus exposita.“ i Auch dieser Verf. hat aus rein menschlichem Gefühl und aus den Erfahrungen seiner nordischen Heimat heraus geschlossen, daß ein „Schutz“ der Blätter gegen Tau, Kälte und Wind auch für eine Tropenpflanze etwas Wertvolles sein werde. Überhaupt finden sich ökologische Deutungen. bei Linx£ und seiner Schule nicht selten. So wenn ersterer !) beschreib: wie die Frucht von Arachis hypogaea in die Erde gelangt, und hinzufüg das geschehe, damit sie nicht von Vögeln und anderen Tieren gefressen werde „mira "naturae providentia“. Diese Anschauung war aber das Ergebnis einer langen geschichtlichen Entwicklung. Ihr voraus gegangen war ursprünglich die naiv anthropo- zentrische Teeleologie, welche die Pflanzen lediglich als zum Nutzen des Menschen geschaffen betrachtetee Was nicht als Nahrungsmittel für Menschen und Tiere, als Heilpflanze usw. verwendbar war, mußte sonst irgendwie brauchbar sein. Selbst die in Hecken wachsenden — im übrigen (damals) als unverwertbar erscheinenden — Brennesseln befördern dort (vermöge ihrer Nesselwirkung) nach einem mittelalterlichen Botaniker wenigstens den öffentlichen Anstand! Solchen kindlichen Anschauungen gegenüber war es ein großer Fort» schritt, daß man später, wie die genannten Zitate zeigen, die Zweckmäßig- keit innerhalb des Lebens der Pflanzen selbst, nicht mehr die für den, Be: menschlichen Nutznießer zu ermitteln suchte. I; $ 2. Die Begründung der Teleologie und ihre Anwendung. Je gründlicher man den wunderbaren Bau der Organismen kennen lernte, desto mehr mußte sich die Frage nach dem Zustandekommen der zahllosen Einrichtungen aufdrängen, die — wenn man sie vom Standpunkt menschlichen Handelns aus betrachtet — zweifellos so aussehen „als De 2 damit bestimmte „Ziele“ erreicht werden sollten. . Daß auch die Versuche zur Beantwortung dieser Frage zur durchaus anthropomorphistisch ausfielen, ist nicht zu verwundern. Dabei möchte ich unterscheiden zwischen einem offenen, und folg, richtigen und einem versteckten und schon deshalb im Grund unfruch baren Anthropomorphismus. | Die erstere Richtung ist die deistische. Es ist eine — wie schon weite Verbreitung zeigt — tief in der menschlichen Natur begründe !) Lins#, Hortus Cliffortianus (1737 p. 354). Wir wissen jetzt, daß die Früchte v Arachis sich nur in der Erde normal entwickeln können (künstlich am Eindringen ve hinderte bleiben stehen). Wenn man also dem Eindringen einen „Zweck“ Setzen ' ist es der der Weiterentwieklung, nicht der des Schutzes gegen Tierfraß! Ob das : so war, ist eine andere, vorläufig nicht entscheidbare Frage. j schauung, daß ebenso wie der vernunftbegabte Mensch Kunstwerke und Mechanismen hervorzubringen vermag, einer der menschlichen weit über- legenen schöpferischen Intelligenz die Entstehung der Organismen zuzu- chreiben sei. Diese übertreffen ja durch ihre Leistungen alle Maschinen ei weitem — schon durch ihre den, Eindruck der „Zielstrebigkeit“ machende Entwicklung. > Das ist, was immer man sonst darüber denken mag, ein gesunder, auf Erfahrung beruhender Anthropomorphismus'!,. Denn unsere Erfahrung zeigt uns eben, daß Kunstwerke und Mechanismen — die nächsten An- nmäherungen an Organismen die wir kennen — von Persönlichkeiten hervor- gebracht sind. Aber damit hat diese Vorstellung auch ihre Grenze erreicht. Wir können uns eben nur menschliche, nicht übermenschliche Persön- lichkeiten wirklich vorstellen. Jeder Versuch das letztere trotzdem zu a _ erreichen, kam über negative Merkmale nicht hinaus. Da das ein Versuch mit unzureichenden Mitteln war, half man sich so, daß man unter Verzicht auf die Persönlichkeit selbst nur Eigen- schaften, die, soweit die Erfahrung reicht, an Persönlichkeiten gebunden ‚sind, loslöste, und sie als etwas Selbständiges in den Organismen Tätiges betrachtete. So kann man darauf, Begriffe wie „Willen“, „Zielstrebigkeit“, die „Mneme“, „intelligente. Kräfte“, „Entelechie“ in die Organismen hinein- 'zuverlegen, um daraus dann deren Eigenschaften wieder abzuleiten. Das sind aber in der Erfahrung nicht begründete Abstraktionen. Man nimmt eine Eigenschaft, die nach unserer allgemeinen Wahrnehmung an Individuen gebunden ist, wie „Willen“ „Gedächtnis“ usw. und betrachtet diese als etwas für sich Bestehendes, hängt ihnen wieder ein persönliches Mäntelchen um und läßt sie nun in den Organismen tätig sein. Es ist im Grunde doch immer nur eine Hypostasierung von Begriffen, wie sie in der Platonischen Ideenlehre — diesem Vorbilde aller Begriffsdichtung — und in der idea- ‚listischen Morphologie gleichfalls auftrat. Der Botaniker kann für seine Aufgabe, meiner Meinung nach mit ‚solchen wesenlosen Schemen gar nichts anfangen. Er kann ein Buch, wie FECHNERS „Nanna“ als eine der schönsten Prosadichtungen unserer Sprache genießen, aber er wird sich sagen müssen, daß mit solchen ver- teckten, übertragenen Anthropomorphismen für ihn nichts auszurichten st. Es ist eben Dichtung, keine Wissenschaft. Deren Aufgabe ist eine sentlich bescheidenere, sie hat nur die Bedingungen der Lebensäußerungen untersuchen, nicht das Wesen des Lebens. Fragen also, die nicht durch obachtung und Versuch geklärt werden können, fallen außerhalb des ebietes der Naturwissenschaften. - Da nun diese Wendung einerseits ein wenig befriedigende war, anderer- its aber unser angeborenes teleologisches Bedürfnis bestehen blieb, so eine naturwissenschaftliche Begründung der teleologischen achtungsweise eines großen Erfolges sicher. _ Bekanntlich ist eine solche versucht und nach der herrschenden Auf- ssung erreicht worden durch den Darwinismus. Wenn auch der Aus- - gangspunkt des Darwinismus ein ganz anderer ist, als der der anthropo- g Bar eben Teleologie, so stimmt doch das Endergebnis in beiden iberein. N g % N ’ _ 1) Ein sehr beschränkter aber ist der, welcher als besondere Eigenschaft des Welt- rhebers pries, daß dieser nicht Nutzloses geschaffen habe. Das ist nur ein Ausfluß menschlicher Armlichkeit und Dürftigkeit. 3 1* 4 3 Erster Abschnitt: m Be: Darwin selbst hat zwar Koineanage alle Eigenschaften der Dre a als im Kampf ums Dasein erworbene nützliche betrachtet. Er weist darauf hin, daß es genüge, daß eine Art durch eine bestimmte Eigenschaft ihren j Mitbewerbern im Kampf ums Dasein überlegen sei und daß andere Eigenschaften (vielleicht durch „Korrelation“ bedingte) gleichgültig sein können. Auch hat er die Wirkung von „Gebrauch und Nichtgebrauch* und die Einwirkung der Außenwelt herangezogen. Aber die Entstehung von den einer Art eigentümlichen gestaltlichen Eigenschaften wäre damit nur dann begründet, wenn die spezifischen morphologischen Unterscheidungsmerkmale wirklich die für den Kampf ums Dasein wichtigen = wären. Das ist aber in keinem Falle meines Wissens nachgewiesen. Trotz- dem braucht man nur einen Blick in die botanische, namentlich die ökologische Literatur zu werfen, um zu sehen, daß die Meinung, daß alle Gestaltungsverhältnisse einen ganz bestimmten Nutzen haben, die herrschende ist. Wenn der deistisch gesinnte Car. K. SPRENGEL annahm, daß der weise Schöpfer in den Blumen kein Härchen ohne einen bestimmten 4 Zweck geschaffen habe, so ist das nur eine andere Fassung für eine Über- zeugung, die auch in der durch Darwin neu belebten Blütenökologie herrscht. Und es kommt schließlich auf dasselbe hinaus '), wenn der auf dem Stand- punkte des Darwinismus stehende E. STRASBURGER die Überzeugung aus- spricht, daß im Bau des Holzes auch nicht die geringste Struktur, nd auch nicht das kleinste Tüpfelchen nutzlos sei. | Man verband aber vielfach die Darwinistische (sozusagen indirekte) Teleologie mit einer direkten, eine „Zielstrebigkeit* bei den Organismen voraussetzenden, indem man wenigstens die Ausdrucksweise dieser An- schauung benutzte. Besonders in der Besprechung der pflanzlichen Bewegungen tritt die Auffassung, daß die Pflanze nach „Zwecken“ handle, selbst bei den nüch- ternsten „Physiologen deutlich hervor. So lassen z. B. SCHWENDENER und KrassE?) die Orchideenblüten ihre Bewegungen ganz zielstrebig aus- führen. „Entfernt man an einer Orchideenspindel den oberen Teil, so ist _ es für die in unmittelbarer Nähe der Schnittfläche stehenden Blüten zwecklos geworden, eine Torsion auszuführen, denn es ist für sie eigentlich keine Spindel mehr vorhanden, von der sie sich hinweg zu wenden hätten. Wenn nun die Blüten mit ihrer Vorderseite über die Schnittfläche hinwegsehen, so sind sie ebenso zweckmäßig orientiert, wie die tiefer-- stehenden Blüten, welche auch nach der fraglichen Operation durch : Torsion um 180° ihre Vorderseite nach außen richten.“ Also: wenn die Blüte merkt, daß eine Bewegung „zwecklos“ sein würde, so unterläßt sie diese! Dabei haben aber merkwürdigerweise die Verf. nicht nachgewiesen, oder auch nur erörtert, welchen „Zweck“ denn die gewöhnliche Orientierungs- bewegung der Orchideenblüten (an der unverletzten Spindel oder Infloreszenz) hat? Sie setzen offenbar voraus, daß ein solcher vorhanden ist — sonst wären diese Bewegungen ja zwecklos! Daß indes die Frage nach dem „Zweck“ der Resupinationsbewegungen g gar nicht so einfach liegt, wird in einem besonderen Kapitel zu erörtern sein. , Auch PFEFFER °?), obwohl er ökologische Fragen nicht in den Vorder- Ä grund stellt, hebt z. B. ausdrücklich hervor, daß bei Blättern von Mimosa i 1) Vgl. auch Went, Über Zwecklosigkeit in der lebenden Natur, Biol. Zentralblatt ar 27 (1907) p. 257. I 2) SCHWENDENER und KrABee, Untersuchungen über die Orientierungstorsionen der Kr Blätter und Blüten (Abh. der Kgl. Akademie der Wissensch. in Berlin 1892). 3) W. Prerrer, Handbuch der Pflanzenphysiologie (1904) 2. Aufl. II p. 359, 364. Era - Einleitung. | 5 - pudica, gewissen Staubfäden, Narben usw., „zur Erreichung gewisser Ziele und Zwecke die Befähigung zu einer schnellen Reizbewegung ausgebildet“ sei. Hier ist die „Zielstrebigkeit* der Bewegungen also sogar doppelt hervorgehoben, obwohl „Ziel“ und „Zweck“ doch wohl beide dasselbe - bedeuten. Damit stimmt ganz überein, was SCHWENDENER!) über die Reiz- - bewegungen von Mimosa pudica sagt: „welche Aufgabe allen diesen Be- wegungen zuzuschreiben sei, ist völlig unbekannt, obwohl verschiedene _ Vermutungen darüber aufgestellt worden sind. Doch dürfen wir annehmen, daß hierbei bestimmte Zwecke oder Ziele erreicht werden.“ Hier haben die Bewegungen also Aufgaben, Zwecke und Ziele — alle drei freilich _ einstweilen noch unbekannter Art! Man kann den allgemein teleologischen Standpunkt wohl kaum stärker betonen. \ Be Es ist klar, daß eine solche Annahme für den genannten Einzelfall nichts weiter ist, als eine Vermutung. Sie gründet sich einerseits auf die _ Erfahrung, daß andere Reizbewegungen (z. B. die geotropischen, helio- - tropischen usw.) tatsächlich im Dienste des pflanzlichen Lebens stehen, andererseits auf die allgemeine Überzeugung von der Zweckmäßigkeit alles organischen Geschehens. Diese ist, wie oben kurz darzulegen versucht _ wurde, anthropomorphistischen Ursprungs und durch den Darwinismus nur neu belebt. Sie entspringt nicht einem Erfahrungssatz, sondern einem Glauben, dessen Grundlagen zu prüfen sind. Daß unsere Kenntnis der - Lebensvorgänge eine äußerst unvollkommene ist, und deshalb viele Zu- sammenhänge uns derzeit entgehen, ist zweifellos. Aber es handelt sich - hier um den allgemeinen Standpunkt, um die Frage also, ob wir nach unseren Erfahrungen, so unvollkommen sie sind, genötigt sind, alles bei den Organismen auf Ziel und Zweck zu beziehen, und ob namentlich die Darwinistische Begründung zu einer solchen Auffassung ausreicht. Br: Es mag also im folgenden die Ansicht begründet werden, 1. daß die teleologische Betrachtung vielfach auf Irrwege geführt hat, 2. daß es auch - nutzlose Bewegungen gibt, 3. daß das „Prinzip der Ausnutzung“ vielfach in Betracht kommt und 4. daß die Darwinistische Begründung der Mannig- - faltigkeit der Anpassungen nicht hinreicht, und zwar Letzteres aus folgenden Gründen: a) weil das Prinzip der „Ausnutzung“ und das Vorhandensein von _ durch die Struktur (im weitesten Sinne) gegebenen Fähigkeiten vielfach an Stelle des „Variierens“ zu treten hat. ; b) weil die Entwicklung verwickelter „Anpassungen“, welche doch schließlich nur dasselbe erreichen, wie andere viel einfachere Einrichtungen nur verständlich ist, wenn wir annehmen, daß die phylogenetische Ent- wicklung dieser Formen eine zwangsläufige, durch die innere Beschaften- heit der einzelnen Gruppen bedingte war, zwangsläufig aber nicht durch - Anhäufung richtungsloser nützlicher Variationen, sondern dadurch, daß k ir die Richtung der Formbildung durch die Beschaffenheit der betreffenden Pflanzengruppen gegeben war und die Selektion nur direkt unzweckmäßige - Glieder dieser Reihe ausmerzte ?). Yu a R ar, a ” RT Er 2) S. ScHWENDENER, Vorlesungen über mechanische Probleme in der Botanik, heraus- geg. von C. Holtermann, Leipzig 1909, p. 125. Be 2) Es ist das eine Auffassung, die der Verf. seit langer Zeit vertreten hat (vgl. Pflanzenbiolog. Schilderungen [1889] I p. 2). Sie unterscheidet sich, wie ich glaube, von - der Annahme eines „Vervollkommnungsprinzips“ (das man nicht mit Unrecht als mystisch bezeichnet hat, das aber jedenfalls auch nur anthropomorphistisch ist) wesentlich, zumal - sie auch Rückbildungen in bestimmter Richtung umfaßt. Beachtung hat sie meines IE 227 a 2 u AN NEN RE NE al v E a A er ll he , BE AERRN TER ; fr Y N . Eh Biei: Dh n ED v es An > 6 re Erster Abschnitt: Fr wi Ri S 3. Irrtümlieche teleologische Deutungen. Ohne Zweifel hat die Überzeugung von der Nützlichkeit aller Bau- verhältnisse und aller Bewegungen vielfach anregend gewirkt, aber sie hat auch ihre großen Schattenseiten gehabt. Oft genug hat man sich in der E Deutung geirrt und durch eine falsche Deutung sich vom Aufsuchen dr richtigen abhalten lassen. Es sei erinnert an die alte Auffassung des Zustandekommens von Reizbewegungen durch Zusammenziehen der „Spiralen“ in den „Spiralgefäßen“, die Auffassungen der älteren Blüten- biologen über die Einrichtungen zur Selbstbestäubung, z.B. in den Blüten von Ruta und Parnassia, die der Utricularia-Blasen als Schwimmorgane, des Luftgehaltes des Aerenchyms und der „Schwimmhölzer“ zum Schwimmen. Die Schwimmhölzer gehören, wie früher nachgewiesen wurde!), Pflanzen an, die überhaupt normal nicht schwimmen, sondern festgewurzelt sind. Aber natürlich schwimmen sie, wenn sie losgerissen werden (was aber bei den meisten nie eintritt) vermöge ihres Luftgehaltes — ein einfaches Bei- BL spiel einer (und zwar einer meist nutzlosen) „Ausnützung“ eines Bau- > verhältnisses. Selbst Neptunia plena, deren auf dem Wasser liegende 7 Sprosse mit einem dichten Mantel lufthaltigen schwammigen Gewebes überzogen sind, braucht diesen, wie ein einfacher Versuch zeigt, ebensowenig B | zum Schwimmen, wie die Atemwurzeln von Jussiaea den ihrigen. Die Bedeutung der Wasserausscheidung in den Blütenknospen mancher“ Pflanzen — sie wurde zuerst von TREUB für Spathodea campanulata nach- gewiesen — sieht man fast allgemein in einem „Schutz gegen Vertrocknung“. Das wäre aber nur dann berechtigt, wenn nachgewiesen wäre, daß de Blütenknospen tatsächlich ohne diese Wasserausscheidung der Gefahr des AR Austrocknens ausgesetzt wären. So lange das nicht der Fall ist, kann man mit demselben, ja wohl mit größerem, Rechte annehmen, daß die Wasserabscheidung hier als Schutzeinrichtung ebensowenig in Betracht kommt als die im Innern eines Bambu- oder FEquisetumsprosses, wo auch Wasser ausgeschieden wird. 5 Schon dieses Beispiel zeigt, daß die Überzeugung von der Zwock- mäßigkeit eines Vorganges dazu führen kann, die Anforderungen an den Be: wirklichen Nachweis seiner Bedeutung herabzusetzen, man begnügte ic meist mit dem was wahrscheinlich schien, ohne eine experimentelle Be; Prüfung vorzunehmen. % Da späterhin die ‚Nutationserscheinungen zu besprechen sein werden, so sei hier noch die Außerung eines Physiologen über den Nutzen der „Nutation“ von Blüten angeführt. WIESNER ?) sagt: i „Das Nicken vollentwickelter Blüten ist, wie bekannt, anßerordeniiie häufig und hat, wie die eingehenden Untersuchungen A. KERNER'S lehrten, den Zweck, den Pollen vor " vorzeitiger Befeuchtung zu schützen ?).“ Das würde zutreffen, wenn KERNER gezeigt hätte, daß der Pollen von Pflanzen mit nickenden Blüten gegen vorzeitige Befeuchtung empfindlicher ist, als. der von nicht nickenden. Das ist in Kerxer’s Abhandlungen °) aber nur vorausgesetzt, nicht bewiesen. Und wie sollte z. B. der Pollen in einer positiv geotropisch nach unten gekehrten (also „nickenden“) Blü Wissens nicht gefunden. Für mich ist sie ein Postulat, ohne das die Mannigfaltigkei der Anpassungen unverständlich ist. Der in diesem Buche öfters gebrauchte Ausdruck „es geht so, es ginge aber auch anders“ ist darin begründet. 1 GOEBEL, Pflanzenbiol. Schilderungen II p. 262. 2) WiEsNER, Die heliotropischen Erscheinungen im Pflanzenreich II p. 71. 2° Ar KERNER, Die Schutzmittel der Blüten gegen unberufene Gäste, Innsbruck und „Die Schutzmittel des Pollens 1873*. (Vgl. ferner Kerner, Pflanzenleben.) NER pl N IE Fe NE a I ae NE tn Sa 00 Einleitung. g zZ von Larix europaea besser gegen „Befeuchtung“ geschützt sein als in einer ' aufgerichteten? Die Pollensäcke liegen auf der Unterseite der Staub- blätter, sind also auch gerade bei aufrechter Stellung der Blüten gegen Befeuchtung „geschützt“. Außerdem — wie kann diese Deutung passen auf die Pflanzen, bei denen nur die Blütenknospen (nicht die geöffneten Blüten) eine Nutations- - bewegung nach unten ausführen, wie auf die Früchte, die zeitweilig beim - Heranreifen dasselbe tun? Da mußten nun andere Schutzbedürfnisse aufgefunden werden, ähnlich denen, die schon zu Linn&’s Zeiten herangezogen wurden. N. Durchaus auf dem Standpunkt der Lixs#’schen Teleologie, d. h. der noch durch kein Beweisbedürfnis beschwerten Überzeugung, daß die Be- wegungen der Blütenstiele für irgend etwas gut seien, steht ein Botaniker, _ der viele Beispiele pflanzlicher Entfaltungsbewegungen gesammelt hat, Hanscıre'). Er meint, die Blütenbewegungen brächten die Blütenorgane in eine Lage, in der sie vor „verschiedenen äußeren Einwirkungen (vor : - Feuchtigkeit, Benetzung des Innern von Blüten durch Tau und Regen, vor unberufenen Gästen, sowie vor schädlicher Wärmeausstrahlung des - Nachts geschützt“ seien. Dem Leser wird es überlassen, welche von diesen Schutzeinrichtungen er sich im einzelnen Fall heraussuchen will, ähnlich wie frühere Arzte „species mixtae“, d. h. eine Mischung vieler verschiedener ' Heilkräuter verwendeten in der Annahme „hilft das eine nicht, hilft das andere“. Der Glauben an das Alleinvorhandensein zweckdienlicher Be- wegungen spricht sich weiter aus in der Annahme, die vor oder nach der Entfaltung der Blüten nur einmal erfolgenden Krümmungen der Blüten- oder der Fruchtstiele bzw. -Stengel hätten lediglich den Zweck, „die Blüten in eine solche Lage zu bringen, in der sie den besuchenden Insektenarten _ von weitem sichtbar sind, in welcher die Bestäubung erleichtert wird (sog. „gamotropische“ Bewegungen der Blütenstiele) oder daß die reifende Frucht in eine ihrer Entwicklung günstige Lage gebracht, oder wenn die Krümmung der Fruchtstiele erst zur Samenreife erfolgt, die Aussaat der Samen und die Verbreitung der reifen Frucht erleichtert wird“ (sog. karpo- tropische Bewegungen) (a. a. OÖ. p. 92). Daß schon diese Terminologie nicht haltbar ist, braucht kaum bemerkt zu werden. Erstens handelt es sich um keine tropistischen Bewegungen, zweitens geht sie aus nicht von Beobachtungen, sondern nur von einer allgemeinen Überzeugung. Auch wenn wir (wie dies nicht anders möglich ist) die sämtlichen - Teile des Pflanzenkörpers (mit Ausnahme etwa der verkümmerten) als Organe betrachten, denen eine bestimmte Funktion zukommt, so braucht diese doch nicht stets eine für den Bestand des Organismus besonders bedeutungsvolle zu sein. Dieser arbeitet nicht nach dem Prinzip strengster Sparsamkeit. Vielmehr besitzt er vielfach Fähigkeiten (oder „Potenzen“), von denen er unter gewöhnlichen Umständen keinen Gebrauch macht, - und die auch, wenn sie in Tätigkeit gesetzt werden, keineswegs immer ihm selbst oder für das Weiterbestehen der Art nützlich sind. Bi Das mag an einigen Beispielen erörtert werden. 4) .. ‘IR iR !)-Von seinen Veröffentlichungen seien genannt: Bi $ 1. Phytodynamische Untersuchungen (Sitz.-Ber. der Kgl. böhmischen Gesellschaft - der Wissensch. 1889 (Nachträge dazu in: Beiheften z. botan. Zentralblatt Bd. XII 1902. 2, Physiologische und phytophytol. Untersuchungen, Prag 1893. E 3. Pflanzenbiolog. Untersuchungen, Wien 1904. In diesen Veröffentlichungen ist ein großes aber meist nicht eigentlich neues, mehr statistisches Beobachtungsmaterial _ enthalten mit unkritisch teleologischer Deutung und mangelhaften Literaturnach- weisen. 8 > Erster Abschnitt: S 4. Nutzlose Reizbewegungen. Es sei abgesehen von der bekannten Erfahrung, daß Bewegungen reiz- barer Organe ausgelöst werden können durch Einwirkung von Faktoren, die in der Natur entweder nicht in Betracht kommen oder doch keine. 17 Bedeutung für die betreffenden Reizvorgänge haben. So z. B. die Hervor- rufung von Rankeneinkrümmung durch höhere Temperatur, Bewegungen von Mimosablättern oder Centaureastaubfäden durch Gifte usw. Auch die früher!) erwähnten Beispiele des negativen und positiven Heliotropismus von Erdwurzeln u. a. mögen außer Betracht bleiben. Er- wähnt seien nur traumatonastische, chemonastische und einige durch Licht- einwirkung bedingte Bewegungen. Es handelt sich dabei um Krümmungs- bewegungen. Wenn ein Sproß oder ein Blatt im Verlauf seiner Entfaltung sich (annähernd in einer Ebene) einkrümmt, so geschieht dies bekanntlich da- durch, daß zwei einander gegenüberliegende Seiten sich im Wachstum verschieden verhalten. - Bei einem dorsiventralen Blatte sind diese beiden Seiten von vorn- herein als Ober- und Unterseite gegeben und reagieren auch äußeren Einflüssen gegenüber verschieden. Bei einem, sonst (anscheinend ?)) all- seitig gleich ausgebildeten, radiären Sproß aber tritt durch innere oder äußere Einwirkungen erst eine Verschiedenheit der beiden, sich bei der Krümmung verschieden verhaltenden Seiten, oder mit anderen Worten Dorsiventralität auf. Das zeigt sich besonders deutlich bei den traumato- nastischen Krümmungen. Wenn diese hier als nastische, nicht, wie sonst überall als traumatotropische Krümmungen bezeichnet werden, so ist das in einer von der herrschenden abweichenden Auffassung be- gründet. Es handelt sich um Krümmungen, die ausgeführt werden infolge von Verletzungen. Diese gehen bei dorsiventralen Organen im allgemeinen in ganz bestimmter, durch die Dorsiventralität gegebenen Richtung vor sich. Radiäre Organe aber werden infolge der Verletzung dorsiventral (wenigstens zeitweilig) und führen dann Bewegungen aus, die tropistischen ähnlich sehen, aber doch von ihnen verschieden sind. Denn ihre Richtung ist gegeben nicht durch die Richtung, in welche der Reiz einwirkt, sondern durch die innere Beschaffenheit des verletzten Organes. Der Unterschied zwischen „tropistischen“ und „nastischen“ Bewegungen ist von dem hier vertretenen Standpunkt aus allerdings kein so. tief- greifender mehr, wie er gewöhnlich betrachtet wird. Bleiben wir bei den annähernd in Einer Ebene erfolgenden Bewegungen, so könnte man sagen: Traumatonastische Bewegungen treten bei stabil dorsiventralen, „tropistische* bei labil dorsiventral induzierten ein — aber auch in letzterem Falle würde eben nicht die Richtung des Reizes, sondern die Symmetrieänderung im Pflanzenorgane ausschlaggebend sein. Indes ist hier nicht der Ort, der- artige Fragen zu erörtern. | Darwın?) hat zuerst nachgewiesen, daß, wenn eine Wurzel nahe der Spitze einseitig nicht allzu stark verletzt wird, auf die wachsende Region !) GOEBEL, Über Auffassung und Studium der Anpassungserscheinungen bei Pflanzen, München 1898 p. 15. . ?) Es wird weiterhin darauf einzugehen sein, daß radiäre Organe aus recht ver- schiedenartiger, nur unter gewöhnlichen Umständen im Gleichgewicht befindlichen Komponenten aufgebaut sein können. ; ?) The power of movement in plants. By CuArues Darwın, assisted by Francıs Darwıs, London 1880. Einleitung. 9 unterhalb der Verletzungsstelle ein Reiz ausgeübt wird, welcher dazu führt, daß sich die Wurzel von der verletzten Stelle „weg“krümmt?). Da es ihm hauptsächlich darauf ankam, die Reizbarkeit der Wurzelspitze für Kontakt nachzuweisen, so betrachtete er die traumatonastische Reizbarkeit nicht als eine Anpassungserscheinung. Das geschah von WIESNER, welcher auch die von Darwın auf Kon- takt zurückgeführten Wurzelkrümmungen als Wundkrümmungen betrachtet. Das kommt hier indes weiter nicht in Betracht, da wir es nur mit den zweifellos traumatonastischen Krümmungen zu tun haben. Deren bio- logische Bedeutung liest, wie WIEsNER meint*), auf der Hand. „Jede tiefer gehende Verletzung der Wurzelspitze wird dahin führen, die Wurzel von jener Seite abzulenken, von welcher die Gefahr kam und weiter droht.“ Das ist aber nur eine auf Grund von Laboratoriumsversuchen auf- gestellte Vermutung. Welche Gefahr sollte denn der Wurzelspitze im Boden drohen? Gibt es dort Höllenstein oder (abgesehen von menschlichen Artefakten) so spitze Gegenstände, daß sich daran eine Wurzel verletzen könnte? Und was nützt die Hinwegkrümmung, wenn die Verletzung einmal erfolgt ist? Ein _ Glassplitter oder ein sonstiger toter Körper, an den die Wurzel anstieß, macht keine Angriffe auf sie Eine Hinwegkrümmung der Wurzel hätte doch nur einen Sinn, wenn die Wiederholung der Verletzung, etwa durch ein Tier, in Aussicht stünde. Dieses aber ist ja selbst beweglich und wird sich durch die, Stunden in Anspruch nehmende, Krümmungs- bewegung der Wurzel nicht abhalten lassen, sie ganz abzufressen. Ferner: . Wie viel traumatonastische Krümmungen an Wurzeln kommen denn im Freien vor? Findet man dort tatsächlich so oft Wurzeln mit traumato- nastischen Krümmungen, daß man annehmen könnte, diese seien für die Wurzeln von Wert? Meiner Erfahrung nach ist diese Frage zu verneinen. Man kann zahlreiche Wurzeln ausgraben, bis man einmal auf eine trauma- tonastisch gekrümmte stößt. In ihrer natürlichen Umgebung verhalten sich die Wurzeln eben anders als im Laboratoriumsversuch. Zweifellos stammt also die Vorstellung, daß bei den traumatonastischen Bewegungen eine Krümmung von der Wundstelle hinweg erfolge, ursprüng- lich einer bewußt oder unbewußt teleologischen Deutung dieser Erschei- nungen, einer Deutung, zu der übrigens nicht nur das weiterhin zu er- wähnende traumatonastische Verhalten anderer Pflanzenteile, sondern auch die von N&mec und Sranving festgestellte Tatsache nicht stimmt, daß an den Wurzeln eine Krümmung auch dann erfolgt, wenn nachträglich - die Wurzelspitze samt Wwundstelle entfernt wurde — die Wurzelspitze kann dann hier nicht mehr „geschützt“ werden, und wenn die Wundstelle nicht mehr da ist, kann auch die Krümmung nicht von ihr „hinweg“ er- folgen, sondern nur infolge einer einseitig durch Fortleitung von der Wundstelle aus bedingten Veränderung des Wurzelwachstums. Ubrigens stehen der Wurzel selbst bei starker Verletzung der Spitze zur Sicherung des Weiterwachsens viel wirksamere Mittel als Krümmungen zur Verfügung (Regeneration der Wurzelspitze, Ersatz durch eine Seitenwurzel). Ein Nutzen der traumatonastischen Krümmungen ist also nicht nachgewiesen. _ Es dürfe auch Prerrer’s®) Schilderung des Vorganges: wenn der !) Vgl. z.B. a. a. O.p. 193. When the tip of a radiele is lightly touched on one side with dry nitrate of silver, the injury caused is very slight, and the adjoining upper part bends away from the cauterised point... (Sperrung vom Verf.). . 2) J. Wiesner, Das Bewegungsvermögen der Pflanze, Wien 1881 p. 148. 3) Prerrer, Pflanzenphysiologie 2. Aufl. p. 590. 10 Erster Abschnitt: > u; 2 A % Vegetationspunkt der Wurzeln einseitig verletzt oder abgetötet werde, e- ginne in der Streckungszone eine Krümmungsbewegung, „die von dm verletzenden Angriff und der verletzten Stelle abgewandt, also als negativ traumatotropisch zu bezeichnen ist“ jemand der den Vorgang nicht aus eigener Anschauung kennt, diesen wohl nicht ohne weiteres klar vor Augen stellen. Den „verletzenden Angriff“ (von dem weg sich die Wurzel krümmen soll) selbst kennt ja nur der Experimentator im Laboratoriumsversuch, de Wurzel spürt nur die verletzte Stelle, diese selbst aber ist ja ein Teil dr Wurzel, der unbeweglich mit dem Wurzelkörper verbunden bleibt. Dieser kann sich also im eigentlichen Sinn des Wortes nicht von der Verletzungs- stelle wegkrümmen. Es ist wohl einfacher zu sagen, durch die Verletzung wird die vorher radiäre Wurzel einseitig umgestimmt. Der Reiz von der Verletzungsstelle aus wird nicht allseitig, sondern nur einseitig weiter geleitet. Es ergibt sich daraus bei schwacher Verletzung ein einseitig gesteigertes Wachstum unterhalb der Verletzungsstelle, bei starker Verletzung eine Wachstums- hemmung, wie sie auch bei allseitiger Verletzung der Wurzelspitze erfolgt. Die Hauptsache ist, daß die Wurzel durch die Verletzung dorsiventral induziert worden ist. Das kann (wie lange bekannt ist) auf viel einfachere Weise erreicht werden, wenn man eine etwas angewelkte Wurzel einseitig mit Wasser in Berührung bringt, sie krümmt sich dann mit der befeuchteten Seite (durch einseitige Turgorsteigerung) konvex. Niemand wird aber wohl diese Krümmung als eine „negativ hydrotropische“ bezeichnen wollen. Ob man von positiv- und. negativ-traumatonastischen Bewegungen | sprechen will, ist Sache der Übereinkunft. Man könnte z. B. als positive Krümmungen solche bezeichnen, bei denen auf der verwundeten Seite eine Konvexkrümmung erfolgt, als negative solche, bei denen eine Konkav- krümmung eintritt. Die Richtung des Reizes spielt hier aber im Grund ebensowenig eine Rolle, als bei einem traumatonastisch gereizten Mimosablatt. Nur ist dessen die Reizbewegung ausführendes Organ von vornherein dos ventral, die verwundeten Wurzeln werden es erst. Fortgeleitet wird der : Reiz in beiden Fällen. P. Stark !) will bei traumatischen Eingriffen nastische und tropistische Bewegungen unterscheiden, indes wird eine solche Unterscheidung, ie mir scheint, entbehrlich, wenn man sich auf den soeben erörterten Stand.- punkt stellt. | N: Für uns kommt indes in erster Linie in Betracht, daß die trauma- tonastischen Bewegungen ohne erkennbares „Ziel“ und ohne nachweisbaren „Zweck“ verlaufen. Noch deutlicher als bei Wurzeln tritt das hervor bei Sproßachsen und Blättern ?). Ro. Von den bei den Wurzeln von WIESNER u. a. vermuteten Abwehr- bewegungen kann in diesen Fällen keine Rede sein. Wenn man z.B. an Keimpflanzen einen Kotyledo entfernt, so findet eine konvexe Krümmung des Hypokotyls auf der der Wundstelle abgekehrten Seite statt — ebenso an Blattspindeln, an denen Blattfiedern u. dgl. entfernt wurden (Fig. 1). Mit anderen Worten, die Krümmung findet nach der Seite hin statt, von welcher aus der „Angriff“ erfolgte — nicht von ihr hinweg! Das wäre im Wıesser’schen Sinne eine höchst unzweckmäßige Re- aktion. Übrigens kann die Reaktion auf Verwundung bei einer und der- #. R ur y z D !\ PETER STARK, Beiträge zur Kenntnis des Traumatotropismus, Jahrb. f. wiss. Bot. LVIL (1916). 2) Vgl. z. B. P. Stark a. a. O. und die dort angeführte Literatur. Einleitung. 11 BE er selben Br bald „positiv“ (wie bei den Wurzeln), bald negativ (wie & bei den Hypokotylen) sein. So fand Sperrich bei jungen Helianthus- ° keimlingen negative, P. STARK positive Reaktion. Das ist von unserem, nicht aber vom teleologischen Standpunkt aus verständlich. Im obigen ist für _ dievon Wurzeln infolge von Verwundungen E ausgeführten Krüm- mungen die Auffassung vertreten, daß es sich nicht um „traumato- _ tropische“ also um _ — Richtungsbewegungen _ handelt, sondern um durch Reizfortleitung hervorgerufene Dorsi- ventralität, die sich in Wachstumsverschie- denheiten äußert, also R: um traumatonastische Bewegungen, welchean Fig. 1. Cassia glauca. II normales, paarig gefiedertes Blatt. sich nutzlos sind. a Be aa en en ar erde un Er allte entfernt wurde. Die danebenstehende Kıeder derrechten en Damit, ‚stimmen Blatthälfte hat sich nach der Wundstelle hin gekrümmt, ... gamz überein die Be- ;o daß das Blatt wie ein unpaarig gefiedertes aussieht. ebachtungen, welche Auch die Blattspindel führt vielfach eine Krümmung aus. — Morisca !) neuerdings an Blattstielen — also von vornherein dorsiventralen Organen — ge- macht hat. Er fand, daß Blattstiele mancher Pflanzen dann, wenn die Spreite entfernt wurde, sich mehr oder minder scharf abwärts krümmen. Wird z. B. die Blattspreite von Episcia bicolor abgeschnitten, so krümmt sich der an der Pflanze verbliebene, ursprünglich schief aufgerichtete Blattstiel in den folgenden Tagen allmählich nach abwärts. Die Verwundung erregt an der morphologischen Oberseite des Stieles stärkeres Wachstum als an der Unterseite. Dieselbe Erscheinung hatte ich in besonders auffallendem Maße (säitoh vor Erscheinen der Morısc#’schen Arbeit) an Rosetten von Erodium eicutarium beobachtet, die ich, nach Entfernen der Blattspreiten der ältesten Blätter auf Teller in Wasser gestellt hatte. Schon nach kurzer Zeit waren die Rosetten auf einem durch die abwärts gekrümmten Blatt- stiele gebildeten Stelzengerüst emporgehoben. Die Blattstiele der ältesten Blätter hatten offenbar ihr Wachstum eigentlich schon eingestellt oder doch stark verlangsamt. Infolge des Wundreizes trat es auf der Oberseite stärker auf, als auf der Unterseite. Zweifelsohne wirkt der Wundreiz - dadurch, daß er abnorme Stoffwechselvorgänge anregt. Das ist daraus BZU schließen, daß bei manchen dieser Pflanzen auch ohne Verletzung die alten Blätter eine Abwärtskrümmung ausführen ?). 7 * ws Ei‘ E77 re Pa 1) H. Morısch, Über Blattstielkrümmungen infolge von Verwundung, Sitz.-Ber. der _ k. k. Akad. der Wissensch. in Wien, Math.-naturwiss. Kl. I 1916. 5. 2) Vielleicht ist die Verwundungskrümmung der Blattstiele nicht unmittelbar durch nn die Verwundung, sondern durch den Fortfall einer Einwirkung der Blattspreite auf die Ma Epinastie der Blattstiele bedingt. 12 Erster Abschnitt: Mit Recht hebt Morısch die Nutzlosigkeit dieser traumatonastischen 6 “ Krümmungen hervor. Man könnte das Vorhandensein solcher nutzlosen Reizbewegungen ?) dadurch vom teleologischen Standpunkt aus sozusagen entschuldigen, daß man sie als zufällige Begleiterscheinungen nützlicher Reizbewegungen be- trachtet. Aber damit wird die Tatsache nicht beseitigt, daß die Pflanzen latente Reizbarkeiten besitzen, die unter gewöhnlichen Umständen gar nicht in die Erscheinung treten und nicht durch Überleben des Passendsten entstanden sein können. Weshalb sollte das nicht auch für Reizbewegungen zutreffen, von deren „Ziel und Zweck“ man überzeugt ist, ohne sie bis jetzt beweisen zu können, wie z. B. die von Mimosa ?“ Für eine solche Möglichkeit spricht auch die Tatsache, daß es Reiz- bewegungen infolge abnormer Einflüsse gibt, die an sonst recht trägen Organen auftreten. So hat WÄCHTER?) gefunden, daß die Blätter von Callisia repens (welche keine Schlafbewegungen ausführen, auch sonst sich offenbar nicht durch Beweglichkeit auszeichnen) wenn sie in eine mit Leuchtgas, Tabak- rauch usw. verunreinigte Luft gebracht werden, eine „chemonastisch* Abwärtsbewegung ausführen. Während sie nämlich normal annähernd in einem Winkel von 90° vom Stengel abstehen, biegen sie sich in der verunreinigten Luft so her- unter, daß sie mit ihrer Unterseite sich der Sproßachse anlegen. Ein Nutzen dieser chemonastischen Bewegung ist in keiner Weise einzusehen — seismonastische und photonastische Bewegungen führen die Blätter auch nicht aus. Es handelt sich also nur um eine abnorme Steigerung des epinastischen Wachstums. Daß diese nicht etwa eine bleibende Schädigung der Pflanze bedingt, zeigt die Tatsache, daß sie in reiner Luft rückgängig gemacht wird. Es ist wahrscheinlich, daß man auch noch auf andere Weise die Bewegung wird hervorrufen können — wie sie tatsächlich bei manchen anderen Pflanzen, z. B. durch Lichtmangel bedingt werden kann —, auch in diesem Falle handelt es sich wahrscheinlich um chemische Veränderungen, welche die Krümmung bedingen. Um ein Bild des Vor- ganges zu haben, könnte man sich z. B. vorstellen, daß in den Zellen der Oberseite durch chemische Reize die Enzymtätigkeit angeregt werde, | die nun zu einer Spaltung hochmolekulärer Verbindungen und infolge- dessen zu einer Turgor- und Wachstumssteigerung der Oberseite führt. Diese Wirkung kann auch durch die Inaktivierung eines Antienzyms er- folgen, die durch Gifte, Lichtmangel und andere Einwirkungen erfolgen kann. $ 5. Nutzlose Bewegungen von dorsiventralen Organen infolge von Liehtentziehung oder in sehr feuchter Luft. An die chemonastischen Bewegungen seien deshalb angeschlossen die, welche durch die in der Überschrift genannten Einwirkungen bedingt werden, zumal es sich um Vorgänge handelt, die meist wenig beachtet werden — eben weil sie teleologisch bis jetzt nicht verwertbar sind. Dahin gehören die Wachstumserscheinungen mancher Blätter, die unter für sie abnormen Bedingungen, so bei Lichtentzug oder in sehr feuchter Luft auftreten. !) Vgl. Goeser, Das Rumphiusphänomen p. 71 (Biol. Zentralblatt 1916). 2) W. Wächter, Chemonastische Bewegungen der Blätter. Berichte der deutschen botan. Gesellsch. 25 (1908) p. 379. 8 + 2%; X Un PAD u ar \ ur e,.% nn AD ae Wi wat Ei 4%, IE 2. a a ee EIER 18, 2 Ve re. . TA, Aa Te nr Pr he PN AU DAR GE a Bd ea Fan LAN Br au: ” te u 5 . u m, > >“ d r A en Br 1 r es e BR: Re Sg % Ba.” : te alte. E r Einleitung. 13 Wiesner !) fand, daß bei Kultur von Sempervivum tectorum in sehr schwachem diffusen Licht die Blätter stark epinastisch werden, so daß dadurch sogar eine Entwurzelung der Pflanzen herbeigeführt wird. Auch bei Plantago werden im absolut feuchten Raum die Blätter sehr stark epinastisch. SPpIsAR *) und PRInGsHEIM haben später im Dunkeln stark epinastisch _ gewordene Sempervivumblätter abgebildet. Dieses Verhalten der Semper- vivumblätter, namentlich das dadurch bewirkte Abreißen der Pflanzen von den Wurzeln würde ein höchst unzweckmäßiges sein, wenn die Pflanzen öfters in die Lage kämen längere Zeit verfinstert zu werden, das ist aber bei ihrem Standort — Felsen usw. — so gut wie ausgeschlossen. Und wenn etwa im Winter (durch Schneebedeckung) eine längere Verfinsterung eintreten sollte, so liegt die Temperatur unterhalb des Minimums für das Wachstum, dieses findet also nicht statt. Das Verhalten dieser Pflanzen ist aber durchaus kein vereinzelte. Wenn man Pflanzen von Galeopsis bifida oder G. Tetrahit?) einige Tage im Dunkeln hält, krümmen sich alle Blattstiele und auch die Blattscheiben nach unten. Es wurde nicht untersucht, ob das — wie wohl anzunehmen ist — ein Wachstums- oder ein sonst wie bedingter Vorgang ist, es genügt, daß die Verschiedenheit der beiden Seiten hervortritt. Und für Galanthus nivalis gibt WIESNER*) an „Kultiviert man mit noch stark wachsenden Blättern versehene Exemplare von Galanthus nivalis bei völligem Ausschluß von Licht, aber sonst günstigen Vegetations- bedingungen, so werden die Blätter so stark hyponastisch, daß sie sich horizontal auf dem Boden ausbreiten, jedes mit seiner Oberseite den Boden berührend. Die Hyponastie hat also hier eine völlige Umkehrung der Blätter hervorgerufen: Das rechts liegende Blatt drehte sich nach links aus der vertikalen in die horizontale Lage, das links liegende in umgekehrter Richtung.“ Das ist eine Reaktion, die sicher mit „Anpassung“ nichts zu tun hat. Wir werden später ganz analoge — nur unter normalen Vege- tationsbedingungen verlaufende — Wachstumsvorgänge kennen lernen, die als zweifellose Anpassungen betrachtet werden. So das Überkrümmen von „verkehrt gebauten“ Blättern, die dadurch ihre „anatomische“ Ober- seite,, die ursprünglich nach unten liegt, nach oben bringen. Ahnliche Erscheinungen finden sich bei einigen Wasserpflanzen °), wie Ceratophyllum und Myriophyllum. Bringt man diese ins Dunkle, so biegen sich die Blätter nach abwärts (Fig. 2) und zwar selbst solche, € deren Wachstum unter normalen Bedingungen schon ein- gestellt war. Es findet sich an der Basis der ÜCeratophyllumblätter eine Zone, die bei Lichtentzug oder starker Lichtschwächung das Wachs- tum wieder aufnimmt. Dabei verhält sich aber die Oberseite anders als die Unterseite. Erstere wächst viel stärker als die letztere. - Auch hier wird es wohl möglich sein, durch andere Einwirkungen (vielleicht durch Verletzung oder minimale als Reizstoffe dienenden Gift- mengen) dieselben Wachstumserscheinungen hervorzurufen. Jedenfalls ist 2) J. WIESNER, Formänderungen von Pflanzen bei Kultur in absolut feuchtem Raume und im Dunkeln, Ber. der d. bot. Gesellsch. IX (1891 p. 46£.). 2) K. Spısar, Vegetativni Roznmozovani netresku Czech. Ak. 1907, 3) Betreffs anderer Pflanzen z.B. Impatiens, Helianthus annuus, Coleus vgl. PFEFFER, Pflanzenphysiologie II (2. Aufl.) p. 487 u. 688. *) J. Wiesner, Unters. über Heliotropismus II p. 56. 5) Moesıvs, Über einige an Wasserpflanzen beobachtete Reizerscheinungen, Biol. Zentralblatt 1895. Schtoss-Weıitr, Uber den Einfluß des Lichtes auf einige Wasser- pflanzen. Dissert. Frankfurt 1916. S 14 Erster Abschnitt: ‚ein Nutzen davon nicht einzusehen, auch verhalten sich keineswegs alle untergetauchten Wasserpflanzen so. K \Wenn ein Nutzen dieser photonastischen Bewegung zu erkennen wäre, so würde man die basale Blattregion der Ceratophyllumblätter als ein für die Ausführung dieser Bewegung (und zu diesem „Zweck“) bestimmtes Gelenk betrachtet haben, ebenso wie das z. B. für die Grasknoten geschah. In beiden Fällen handelt es sich darum, daß das Wachstum infolge äußerer Reize!) wieder aufge- nommen werden kann. Bei Ceratophyllum aber tritt be- sonders deutlich hervor, daß es sich um eine für gewöhnlich gar nicht ausgenutzte Fähigkeit handelt, die weder mit Zielstrebigkeit noch mit dem Kampf ums Dasein etwas zu | tun hat. Wohl aber handelt es sich überall dabei um Vor- h gänge, die bei der Entfaltung eine Rolle spielen. Diese er- y folgt bei Ceratophyllum durch Epinastiee Das Licht ver- hindert eine starke epinastische Abwärtskrümmung. Ist es | zu schwach oder fehlt es, so geht diese weiter. Nach dem oben gebrauchten Bilde würde das darauf beruhen, daß das Licht die Umwandlung gelöster Substanzen in feste (z. B. von Zucker in Stärke begünstigen), Lichtmangel dagegen auf dr Blattoberseite den entgegengesetzten Vorgang anregen würde. Es wäre dann verständlich, daß die Epinastie bei Beleuchtung | aufhört, wenn das Blatt in die für die Belichtung optimale JS IN Stellung eingerückt ist, während bei Lichtmangel oder -minde- rung die Epinastie wieder zur Geltung kommt, soweit nch Wachstumsfähigkeit vorhanden ist. Beim Etiolieren (Fig. 2) - werden also die Blätter sich von der Knospenlage ausso lange nach abwärts krümmen ?), als sie noch wachstums- fähig sind, entfaltete Blätter können ihre normale Stellung | verlassen, wenn das. Wachstum wieder aufgenommen wer- den kann. | Jedenfalls er- möglicht dies Bild uns eine Vorstellung. darüber, wie die Blätter in ihre nor Fig. 2. Myriophylium vertieillatum. Im Dunkeln ausgetriebener male Entfaltungs Sproß. Die Blätter sind kleiner geblieben als die am Lichte stellung einrücken. gebildeten und scharf nach abwärts gekrümmt. ohne daß dabei ein !) Diese können recht verschiedener Art sein. Wäcuter fand z. B., daß bei de Landform von Myriophyllum proserpinacoides durch Entgipfelung der Sprosse ausge wachsene Blätter wieder zum Wachstum angeregt werden können (W. Wächter, Be obachtungen über die Bewegungen der Blätter von Myriophyllum proserpinacoides, Jahrb für wissensch. Bot. 56 (1909). RR" ?) Ahnlich liegt die Sache, wenn Blätter bei Aufhören des Schwerkraftsreizes sich epinastisch abbiegen statt — annähernd — in horizontaler Stellung zu verharren. nd r“* a a RE Pie = re er at Da ee ha Fu de a AS ER AITN Pi Een BU EEE TITTEN Einleitung. 15 „richtende* Wirkung des Lichtes in Betracht käme. Wie weit diese Dar- stellung auch für die Auffassung des Transversalheliotropismus verwendet werden kann, ist hier, wo es sich nicht um physiologische Fragen handelt, nicht zu erörtern. Während die durch Lichtmangel bedingten Abwärtskrümmungen der Ceratophyllumblätter als Anpassungserscheinungen nicht betrachtet werden können — sondern höchstens als abnorm geleitete Entfaltungsbewegungen —, können in anderen Fällen durch Lichtmangel Bewegungen bedingt werden, die unter bestimmten Bedingungen nützlich sein können. Sie machen dann den Eindruck von Anpassungserscheinungen. In Wirklichkeit aber stimmen ' sie mit dem zuletzt besprochenen Krümmungen ganz überein. Es ist natürlich für das Wesen der Sache gleichgültig, ob durch Lichtmangel epinastische\oder hyponastische Krümmungen dorsiventraler Organe bedingt werden. Letzteres erfolgt z. B. bei der Blattentfaltung mancher Pflanzen. Die dadurch bedingten Krümmungen sind zwar vom Verf. früher schon beschrieben worden !), indes wird es aus mehr als einem Grunde nicht überflüssig sein, sie auch hier zu erwähnen. $ 6. Durch Licht bzw. Liehtmangel beeinflußbare Entfaltungsbewe- gungen, welche unter Umständen nützlich sein können. a) Blätter. Wie a. a. O. festgestellt wurde”), zeigen die Blätter ‚einiger Ranunculus-Arten (R. repens, bulbosus u. a.) ein eigentümliches Verhalten insofern, als sie am Lichte sich gerade entfalten, während im Finstern der Blattstiel eine scharfe hyponastische Krümmung ausführt, welche die Blattspreite mit ihrer Spitze nach unten richtet. Diese Krüm- mung könnte dem Blatte dann, wenn es die Erde zu durchbrechen hat, Dienste leisten, sie würde der „Durchbruchskrümmung“ entsprechen. Aber die Endknospe der Pflanze ist unter normalen Verhältnissen nicht von der Erde bedeckt. Die Blätter kommen also gar nicht — oder doch nur _ ausnahmsweise — in die Lage mit ihrer Spreite sich durch die Erde durcharbeiten zu müssen. Die Einkrümmung findet dementsprechend auch an mit langen gestreckten Internodien versehenen Pflanzen im Finstern statt, an Sprossen also, die normal weit über den Boden sich emporheben. Die Einkrümmung bei Lichtmangel kann also nicht „zum Zwecke“ des Durchbruches erworben worden sein. Sie ist lediglich ein Ausdruck einer ‚ungleichen Beeinflußbarkeit der beiden Seiten eines dorsiventralen Organs. Ist das richtig, so ist zu erwarten, daß diese sich auch dadurch äußert, daß Nachts entfaltete aber noch nicht vollständig ausgewachsene Blätter _ sich mehr aufrichten. Das ist der Fall. Die Einkrümmung ist also be- _ dingt dadurch, daß bei lebhaftem Wachstum auch die durch Lichtmangel bedingte Förderung des hyponastischen Wachstums eine größere ist, als bei langsamem. Die Krümmung des Blattes wird übrigens auch bei dauernder Ver- finsterung nicht beibehalten — es streckt sich schließlich gerade und ent- faltet sich — ob infolge von „Orthonastie“ (s. u.) oder aus’ anderen Gründen ist hier nicht zu erörtern. Auch bei diesem Blatte reagieren also die zwei Seiten verschieden auf Verfinsterung, nur ist es hier die Unterseite, nicht wie bei den im 1) GoesEr, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien, Biol. Zentralblatt XXIV (1904) p. 784. 2) GoEBEL, Daselbst und in Organogr. 2. Aufl. Fig. 4. 16 - Erster Abschnitt: vorigen Paragraphen besprochenen Blättern die Oberseite, die bei Licht- entzug stärker wächst. Bei der unter Lichtzutritt stattfindenden Entfaltung tritt die Beeinflußbarkeit der Hyponastie durch Lichtmangel nicht in Ge- stalt der Einkrümmung der Blattsspreite hervor. Die Blätter entfalten sich ohne Krümmung, die Fähigkeit dazu bleibt latent. Daß die Krüm- mung nur an der Ansatzstelle der Spreite auftritt, dürfte darauf beruhen, daß der wachsende Blattstiel dort eine andere, die Biegung ermfglichan Beschaffenheit hat, als an anderen Stellen. b) Dieselbe Erscheinung findet sich auch bei — anscheinend — radiären Sprossen, wie denen von Mercurialis perennis und Asperula odo- rata. Diese Pflanzen besitzen im Boden horizontal kriechende Ausläufer mit scharf eingekrümmten Spitzen ?). Läßt man die Ausläufer von Mercurialis perennis sich am Licht ent- wickeln (sei es in einer Wasserkultur, sei es in Erde in einem SacHs’schen Wurzelkasten mit Glaswänden) so unterbleibt (wie ich schon vor Jahren beobachtete) die Einkrümmung. Ist sie im Finstern eingetreten, so wird sie durch Geradestreckung aufgehoben, sobald der Ausläufer an das Licht tritt. Sie bleibt dagegen erhalten bei über den Boden getretenen, aber verdunkelten Sprossen, weil zwar die ursprünglich gekrümmten Sproß- teile sich gerade strecken, aber immer neue Internodien sich entwickeln, die nun (in derselben Ebene) sich einkrümmen wie die älteren. Theore- tisch handelt es sich ja um Sprosse unbegrenzten Wachstums?) — im Dunkeln müssen aber schließlich selbstverständlich krankhafte Verände- rungen auftreten, die hier nicht geschildert zu werden brauchen. Man kann selbst beblätterte, über den Boden getretene und längst gerade ge- streckte Sprosse durch Verfinsterung zur Einkrümmung in ihrer wachsen- den Region veranlassen, was ein eigentümliches Bild darbietet. Das tritt in Fig. 3 deutlich hervor. Man sieht hier einerseits mit grünen Laub- blättern und Blüten versehene Sprosse, die sich infolge der länger an- dauernden Verfinsterung in ihrem oberen Teil eingekrümmt haben (mit ! bezeichnet) andererseits einige etiolierte (schon an ihrer helleren Farbe kenntliche) die während des Versuches über den Boden getreten waren (mit X. bezeichnet). Mit der Schwerkraft hat die Krümmungsrichtung nichts zu tun?). Zwar sieht der offene Bogen an den Sprossen der Abbildung nach unten. Aber dies ist nur dadurch bedingt, daß die den Boden durchbrechenden Sprosse negativ geotropisch sind, bei den im Boden horizontal kriechenden Ausläufern dagegen ist eine bestimmte Beziehung der Krümmungsebene zum Erdradius nicht wahrnehmbar. Mercurialis perennis ist eine Pflanze mit gekreuzter („dekussierter“) Blattstellung. Ich fand in den genauer untersuchten Fällen die Krüm- mungsebene stets zusammenfallen mit der Medianebene eines Blattpaares. Das ist mit von Bedeutung für die Frage, ob der anscheinend radiäre Sproß von Mercurialis nicht in Wirklichkeit dorsiventral ist insofern, als er Eine Seite besitzt, die infolge von Verfinsterung stärker wächst als die andere. Möglich ist ja auch, daß eine beliebige der vier Kanten die durch !) Abbildung in Organographie 2. Aufl. Fig. 5. 2) Daß die normalen Lichtsprosse von Mercurialis ihr Wachstum bald einstellen ist wohl korrelativ bedingt. %) Massart (J. Massart, Comment les plantes vivaces sortent de terre au printemps, Bull. du jardin botanique de l’etat & Bruxelles Vol. I 1902-1905 p. 177) gibt an, dab die Krümmung immer nach unten gerichtet sei und nimmt an, daß positiver Geotropis- mus mitwirke. Das trifft nach meinen Wahrnehmungen nicht zu. ur ur, Vi KY Fr ur L ch Bl, EA ” elraf > Dee A ne a auch . DDr pe $ Ar f Dr VEN ETET ERE N N Re EN ET RER ra ige en R RL ... Y ER N N“ un de Et en es rt FIRE EL mE % A ee ee IE U a: ee a BEE Zt DH ne Eha De > ee Ka ale 5,2 ne Ar A N Einleitung. 17 die zwei sich kreuzenden Medianebenen gegeben sind, sich infolge der Verfinsterung stärker verlängern kann. Ist aber das erstere der Fall, so ' würden sich die Mercurialissprosse im wesentlichen ebenso verhalten wie die Ranunculus - Blätter. Bei diesen sind zwei verschieden sich ver- haltendeSeiten (Ober- und Unterseite) vor- handen, eine Ver- schiedenheit, die, wie wir sahen, erst unter abnormen Bedingun- gen hervortritt. Indes findet auch in der Dunkelheit schließ- lich Geradestreckung statt, weil das Wachs- tum der Konvexseite ein begrenztes ist und schließlich aufhört, das der Konkavseite aber weiter geht, bis zur Geradestreckung. Will man diesen Vorgang mit einem besonderen Namen bezeichnen, so ist der Ausdruck Ortho- nastie !) jedenfalls der Bezeichnung „Rekti- En are anne, nen Sen vertunke SEE 14 e = wurden. 1e mit: zeichn n petalität” vorzuziehen, Spitze Böreliche Ab wartekriimmngen anskefüint.. Mit x ganz abgesehen VON sind während des Versuches über den Boden getretene, an ebenso wenig bezeich- der Spitze eingekrümmt gebliebene Sprosse bezeichnet. nenden Namen wie „Autotropismus“ u.a. " VÖCHTIng?) unterschied',rektipetale“ und „kurvipetale“ Organe. Erstere sollten solche sein, :die aus inneren Ursachen in gerader Richtung fort- zuwachsen streben, während ein aus „autonomen Ursachen“ sich krümmendes Organ als kurvipetal bezeichnet wird. Eine solche Unterscheidung ist nach des Verf. Ansicht — wenn sie nicht als gleichbedeutend mit symmetrischem und asymmetrischem Bau betrachtet wird — aus mehr als einem Grunde nicht haltbar — die Gründe werden sich aus der Dar- stellung ergeben. Wohl aber+ ist anzunehmen, daß jede Krümmung zu- gleich den Anstoß zu einer Gegenkrümmung oder Geradestreckung be- dingt, die eintritt, sobald der Anstoß zur Krümmung fortfällt. Wir sehen darin nur den Ausdruck dafür, daß es sich bei der Gerade- streckung um einen Antagonismus von zwei (oder mehr) Seiten handelt, die unter normalen Bedingungen miteinander im Gleichgewicht stehen und eine Geradestreckung bedingen, wenn diese nicht durch Einwirkung äußerer Faktoren verhindert wird. $ - 1) Massarr, Sur Jirritabilit6 des plantes superieures (Extrait du t. LXII des mömoires couronnös et publ. par l’ac. roy. de Belgique 1902 p. (B). 2) H. Vöchrıne, Bewegungen der Blüten und Früchte (1878) p. 31. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 18 Erster Abschnitt: Es ist also die Induktion von Dorsiventralität hier eine vorübergehende. Im Anschluß an die geschilderten Vorgänge mögen hier die Nutationen von Pflanzen, die man als „geophile“ bezeichnet hat, weil ihre Erneuerungs- knospen unter dem Boden ‚angelegt werden, besprochen werden. Manche Pflanzen sind übrigens nur zeitweilig — im ersten Keimungsstadium — geophil, weil die Samen in den Boden gelangt sind, während (z. B. bei vielen einjährigen Pflanzen) später die Entwicklung ausschließlich. ober- halb des Bodens stattfindet. Das Verhalten dieser Pflanzen ist für das Anpassungsproblem von besonderer Wichtigkeit. Die Gründe dafür werden sich aus der Darstellung ergeben. $ 7. Die Durchbruchskrümmungen bei „geophilen“ Pflanzen. Es ist eine bei Pflanzenteilen, welche unterhalb der Erdoberfläche angelegt wurden, ungemein häufige Erscheinung, daß sie den Boden bogen- förmig gekrümmt durchbrechen und erst am Lichte sich gerade strecken. Man kann das sowohl bei Sproßachsen als bei Blättern in zahlreichen Fällen beobachten. Daß der Vorgang ein für das Durchtreten durch den Boden zweckmäßiger ist, braucht nicht erst bewiesen zu werden!). Er soll als Durchbruchskrümmung bezeichnet werden. Die älteren Physiologen, z. B. Sacas, DarwIn und VÖcHTInG betrachteten diese Entfaltungsnutation namentlich bei dikotylen Keimpflanzen als eine „autonome“. Der letztgenannte Autor meint für Helianthus, daß die Schwerkraft die autonome Krümmung verstärke. Spätere Autoren haben die Einwirkung von Schwerkraft und Licht bedeutend höher gewertet, die Nutation also als eine induzierte betrachtet. Es sei von vornherein betont, daß bei den Durchbruchskrümmungen nicht etwas vorliegt, was auf hypogäische Pflanzen beschränkt ist. Wir treffen bei Pflanzenteilen, die oberhalb des Bodens sich entfalten, auch Krümmungen an, die den Durchbruchskrümmungen entsprechen ?) und teils „autonom“ teils induziert sind. Die Durchbruchskrümmungen würden als eine spezifische Anpassung also nur dann betrachtet werden können, wenn ihre Nützlichkeit stets zweifellos festgestellt wäre und sie unter Be- dingungen auftreten würden, welche für sie allein gegeben sind. So z. B. wenn sie bedingt wären durch den Widerstand, den sie im Boden erfahren, wie nun das auch zusammenhängen möge. Daß sie bei manchen Pflanzen auf bestimmte Entwicklungsstadien, z. B. Keimpflanzen beschränkt sind, kann noch nicht als Grund für eine solche Annahme betrachtet werden. Denn Keimpflanzen haben auch sonst vielfach andere Eigenschaften als die Folgestadien. Für uns ist eine Hauptfrage die, ob die Krümmungsrichtung wie bei den oben angeführten Pflanzen eine durch die innere Beschaffenheit der Keimlinge bestimmte oder eine „zufällige“ ist. Zunächst sei betont, daß man vielfach nicht beachtet hat, daß Keim- pflanzen eine dorsiventrale Ausbildung aufweisen können, auch dann, wenn diese in späteren Entwicklungsstufen nicht hervortritt. Wenn die Kotyledonen asymmetrisch gebaut sind, wie z. B. bei Vicia Faba, Geranium u. a, so ist auch das Hypokotyl nicht radiär (vgl. das Schema Fig. 4), sondern hat eine +- und eine —-Seite. Die erstere !) Vgl. G. Hasernanot, Die Schutzeinrichtungen in der Entwicklung der Keim- pflanze 1877, Darwın, The power of movement in plants (1880) p. 87 u. a. ?) Vgl. auch das in GoEBEL, Organographie 2. Aufl. p. 11 angeführte Beispiel. t5 Pe Einleitung. 19 ist dann die stärker wachsende, konvex gekrümmt, schon innerhalb des Samens. Wir werden uns nicht wundern, wenn sie auch auf die äußeren Einwirkungen wie Wärme, Lichtmangel, Schwerkraft anders reagiert als die gegenüberliegende Seite. Durch diese Dorsiventralität wird, beiläufig bemerkt, meiner Ansicht nach auch die sog. TE „SacHs’sche Krümmung“ bedingt. Darunter verstanden CH. und Fr. Darwin !) die Tatsache, daß an jungen (nicht in der Erde befestigten) Keimpflanzen von Vicia ee; Pha- | seolus u. a. die zunächst vertikal gestellte Wurzel pie. 4. N durch ein stärkeres Wachstum einer. Seite des dohnätte Ko Kent Epi- und des Hypokotyls (auch des dem letzteren mit asymmetrischen Koty- angrenzenden oberen Teiles der Wurzel selbst) von nen, Die größere Blatt- e : : älfte liegt auf der +-, der Vertikalrichtung abgelenkt werden kann, wie die kleinere auf der —. SACHS dies zuerst beobachtet hatte ?). Die stärker Seite. wachsende Seite ist eine fest bestimmte, es ist die, die wir als die „Plusseite“ des Keimlings bezeichnet haben. Darwın gibt die Zwecklosigkeit dieser Bewegung zu, meint aber, sie sei ererbt von der ‚Zeit her, in welcher die Kotyledonen noch epigäisch waren und durch ein gekrümmtes Epikotyl über den Boden gehoben wurden. „This is the sole instance known to us of the inheritance, though in a feeble degree, of movements’ which have become superfluous from changes which the species ‘has undergone“. Damit ist die Krümmung als eine früher nützlich ge- wesene, später entbehrlich gewordene aufgefaßt. Mir scheint, daß die „SACHs’sche Krümmung“ auch ohne diese phylogenetische Ableitung aus der Gesamtsymmetrie des Embryos heraus verständlich ist — sie ist im Grunde nichts anderes als die epinastischen Entfaltungskrümmungen bei anderen dorsiventralen Sprossen (Vitis, Ulmus usw.). Sie tritt bei diesen, wie später anzuführende Beispiele zeigen werden, in verschiedenem Grade auf, und ist bei ihnen bis jetzt nicht als eine Anpassungserscheinung er- wiesen. Es scheint deshalb nicht erforderlich, anzunehmen, daß sie bei den genannten Keimpflanzen rudimentär geworden sei. Sie wird dann, wenn die Wurzeln sich nicht wie im Sacas’schen Experiment in feuchter Luft, sondern in der Erde befinden, verhältnismäßig wenig hervortreten, weil die Wurzeln in der Erde feststecken. Aber schon innerhalb des Samens ist ja bei den Leguminosen das (dorsiventrale) Hypokotyl gekrümmt. Die Sacus’sche Krümmung ist nur eine weitere Außerung derselben Symmetrie, die auch am ungekeimten Embryo schon vorhanden ist. Keimlingen mit symmetrischen Kotyledonen werden wir eine bilaterale ' Beschaffenheit zuschreiben dürfen, d. h. also an ihren Hypokotyl zwei Paare antagonistischer Seiten unterscheiden (wie bei Mercurialis), das eine Paar fällt in die Medianebene der Kotyledonen, das andere kreuzt sich damit. Dafür ‘spricht schon die Tatsache, daß wenn der Embryo im Samen schon gekrümmt ist, die Krümmung in den allermeisten Fällen in einer der beiden Ebenen erfolgt. Dabei ist vorausgesetzt, daß die Struktur wirklich eine symmetrische sei. Ist dies nicht der Fall, verlaufen z. B. die Zellreihen des Hypokotyls schief zur Längsachse, so können natürlich Torsionen auftreten, wie sie bei manchen Embryonen schon während der Samenentwicklung stattfinden. !) Power of movement p. 90. 2) Sacas, Über das Wachstum der Haupt- und Nebenwurzeln, Arb, a. d. botan, Institut in Würzburg I (1873 p. 403). 9% 20 Erster Abschnitt: Wenn die Achsen der Embryonen also nicht radiär sondern dorsi- ventral oder bilateral sind, so ist damit das Vorhandensein von auf äußere Reize (zu denen man ja schließlich auch die gewöhnlichen Wachstums- bedingungen zählen kann) verschieden reagierenden Seiten, also die Veranlassung zum Eintreten von Krümmungen gegeben. Neuerdings sind die Krümmungen der Keimpflanzen an einer größeren Anzahl von Arten eingehend von A. SpErLICH !) untersucht worden. Von den Ergebnissen dieser Untersuchung scheint mir zunächst be- merkenswert die Feststellung der Tatsache, daß die Krümmung recht verschieden bedingt sein kann: in den meisten Fällen ist sie eine positiv geotropische, deren Ausgleichung durch Beleuchtung beschleunigt wird (in extremen Fällen findet die Geradestreckung im Dunkeln überhaupt nicht statt). Bei Scabiosa und Cucumis tritt die Einkrümmung auch auf dem Klinostaten ein, also scheinbar „autonom“, wie denn „autonome“ Krümmungen auch sonst vorkommen — es braucht nur an die oben erwähnte SacHs’sche Krümmung erinnert zu werden. Dabei ist, wie aus dem weiterhin für die Blätter von Ficaria verna Mitzuteilenden hervorgehen wird, eine weitere Art von Durchbruchkrümmungen in den SPERLICH’schen Untersuchungen ebensowenig wie die für Ranunculusblätter oben erwähnte in Betracht gezogen. Was die Richtung, in welcher die Krümmung erfolgt, betrifft, so fand SPpERLICH für die Helianthuskeimlinge, daß sie meist in der Ebene recht- winklig zu den Kotyledonen seltener in der dazu rechtwinklig oder in einer dazu schief verlaufenden Ebene erfolg. Es ist anzunehmen, daß im letzteren Fall eine durch asymmetrischen Bau bedingte Torsion vorliegt, wie sie auch sonst bei Keimpflanzen vorkommt. Daß die Mehrzahl der Keimlinge symmetrisch gebaut ist und des- halb bei der Krümmung die zwei erstgenannten Ebenen bevorzugt sind, ergibt sich aus den in der genannten Abhandlung mitgeteilten Zahlen. Die Hypokotyle führten am Klinostaten Krümmungen „in nicht konstanter Ebene“ aus. Nach der Tabelle ?) war die Krümmungsebene in 6 Fällen rechtwinklig zu den Kotyledonen in zweien in deren Ebene, in vier schief dazu. Es mögen die zwei ersteren als legale bezeichnet werden. Das Verhältnis der legalen Krümmungen zu den „illegalen“ ist also 8:4. Und wenn die Krümmung aus jeder Anfangslage schließlich in die auf die Kotyledonen rechtwinklige Ebene übergeht, so ist das der beste Be- weis für deren Bevorzugung. Eine regellose Verteilung verschieden be- einflußbarer Längskanten und deren schiefer Verlauf sind selbstverständlich auch möglich, und nicht alle Keimlinge verhalten sich gleich. Aber an der Bevorzugung bestimmter Ebenen, welche durch den Bau des Keimlings gegeben sind, ist nicht zu zweifeln. Das zeigen z. B. auch die Embryonen der Cruciferen, die schon im Samen eingekrümmt sind und zwar entweder in der Ebene der Kotyledonen oder rechtwinklig darauf (auch hier mit gelegentlichen Torsionen). dr. Nach dieser Anschauung sind also auch die Hypokotyle von Heli- anthus nicht, wie SPERLICH annimmt, „vollkommen radial symmetrisch“, sondern der Hauptsache nach bilateral (vielleicht mit Hinneigung zu dorsiventraler Ausbildung). Sie verhalten sich also ähnlich wie die später zu besprechenden Sprosse der Ampelideen u. a, die „nickende“ Knospen besitzen, bei denen es sich um positiven Geotropismus handelt, wobei die Krümmung in der Ebene rechtwinklig zur Blattstellungsebene stattfindet. 1) A. Spertich, Über die Krümmungsursachen bei Keimstengeln und beim Mono- kotylenkeimhlatt (Jahrb. f. w. Bot. LI 1912 p. 507£.). 2) A. a. 0. p. 529. DE a Tr a Ben ann a . [ . > A y x >: i er r S Einleitung. 31 Dem Licht schreiben die meisten Autoren nur insofern einen Einfluß bei der Durchbruchskrümmung zu, als es zu deren Rückgang Veranlassung gebe, bzw. diesen beschleunigt. Auch in diesem Falle handelt es sich um die Verschiedenheit der Wirkung auf zwei antagonistische Seiten. Wie der Lichtmangel bei Ranunculusblättern und Mercurialissprossen nastische Krümmungen bedingt, so kann Lichteinfluß eine entgegengesetzte hervor- rufen oder beschleunigen. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß auch bei Keimpflanzen Krümmungen durch Lichtmangel eingeleitet werden können. Selbst wenn die Einkrümmung des Hypokotyls bei Helianthus im Dunkeln auf dem Klinostaten unterbleibt !), kann man meiner Ansicht nach nicht schließen, daß Lichtmangel nicht (wie bei Ranunculus) krümmend einwirke, sondern nur daß seine Wirkung bei Ausschluß geotropischer Krümmungen nicht hervortritt — wahrscheinlich weil sie schwächer ist, als die der Orthonastie. Unter gewöhnlichen Verhältnissen aber wird die Orthonastie dadurch zeitweilig überwunden, daß zur krümmenden Ein- wirkung des Lichtmangels der positive Geotropismus sich gesellt. Die Krümmung würde also durch den positiven Geotropismus sozusagen fixiert. Wenn wir im Keimling eine dorsiventrale oder bilaterale Struktur annehmen, so kann es nicht auffallen, wenn das verschiedene Wachstum der antagonistischen Seiten bald unter den gewöhnlichen Wachstums- bedingungen („autonom“) bald als Folge eines Schwerkraftreizes oder von Lichtmangel auftritt. Auch mag bei manchen Keimpflanzen die Biegung eine mechanisch verursachte sein: Wenn einerseits der Samen (bzw. die Frucht), andererseits die Wurzel im Boden festgehalten sind — ersterer passiv, letztere aktiv — während das Hypokotyl wächst, und negativ geotropisch ist, so wird auch daraus eine Krümmung sich ergeben können. "Bis jetzt scheint dieser Fall allerdings noch nicht wirklich nachgewiesen zu sein, er findet sich aber bei den Blättern von Ficaria verna, wie unten zu schildern sein wird, verwirklicht. Eine merkwürdige Ausbildung der Durchbruchskrümmung zeigt der Kotyledo mancher Alliumarten. Er ist knieförmig gebogen und entwickelt unter bestimmten Verhältnissen am Scheitel des Knies einen farblosen Fortsatz, den man wohl als eine Art Bohrspitze bezeichnen kann. NEUBERT?) fand, daß der Fortsatz sich nur im Dunkeln entwickelt, daß aber Dunkelheit allein nicht genügt, um ihn entstehen zu lassen, und zwar deshalb, weil bei Kultur in Sand, Sägespähnen usw. der Fortsatz sich nicht oder nur kümmerlich entwickelt. Er meint, daß Reibung zur Er- reichung der normalen Größe notwendig sei. Dieser Schluß scheint mir nicht zwingend. Denn in einem lockeren Substrat wie Sand, Sägemehl u. dgl. kommt es auch nicht zur Bildung . eines scharf geknickten Knies, der Kotyledo bildet vielmehr einen weiten Bogen. Es wäre also möglich, daß nicht die Reibung des Substrats, sondern die scharfe Knickung des Kotyledos für die vollständige Aus- bildung des Fortsatzes maßgebend ist ?). !) SPERLICH führt aber an, daß die spontanen Krümmungen der Helianthuskeimlinge auf dem Klinostaten nicht denselben Grad in difiusem Licht wie im Dunkeln erreichen. Das spricht für den Einfluß des Lichtmangels. 2) R. NEUBERT, Untersuchungen über die Nutationskrümmungen des Keimblattes von Allium, Jahrb. f. wissensch. Bot. 38 (1903) p. 119. ®) Was die Einwirkung der Dunkelheit anbetrifft, so sei erinnert daran, daß auch die Bohrspitze der Blätter von Hermodactylus tuberosus im Finstern länger wird, als im Licht (Goeser, Biol. Zentralblatt 24 (1904) p. 784). 23 Erster Abschnitt: j So sehr ich davon überzeugt ‚bin, daß die „Durchbruchskrümmung“ eine zweckmäßige ist, so wenig kann ich zugeben, daß sie eine im Kampfe ums Dasein „erworbene“ sei. Gewiß mögen manche Pflanzen zurück- gedrängt worden oder gar ausgestorben sein, deren Keimpflanzen oder sonstigen Teilen die Fähigkeit Durchbruchskrümmungen auszuführen fehlte. Aber die, welche sie besitzen, haben sie nicht durch allmähliche Anhäufung vorteilhafter kleiner Abänderungen erworben, sondern durch Ausnützung von Eigenschaften, die sie schon besaßen, Eigenschaften, die, wie wir sahen, auch solche Pflanzen aufweisen können, diesie gar nicht brauchen‘). Daraus ist auch verständlich, daß es Eigenschaften verschiedener Art sind, die dabei zur Verwendung kommen. Ein Hypokotyl mußte zunächst, wenn es zu einer aktiven Durchbruchskrümmung befähigt sein sollte, nicht radiär gebaut sein. Ob die Krümmung dann eine „autonome“, photonastische oder geotropische ist, ist für ihre Leistung natürlich gleich- gültig, da es für diese nur auf die Krümmung ankommt, aber nicht darauf, wie diese bedingt ist. Eingehendere Untersuchung wird darüber zu entscheiden haben, ob diese Anschauung allgemein zutrifft. Als ein auffallendes Beispiel dafür, daß die Krümmungsebene bei der Durchbruchskrümmung eine bestimmte ist, seien die Blütenstände von Lathraea squamaria und Monotropa Hypo- pitys (an denen das ohne weiteres hervortritt) ferner die von Epimedium macranthum angeführt. Diese mit einem Laubblatt versehenen Infloreszenzen zeigten bei den untersuchten Pflanzen stets, daß das Blatt auf der Konvex- seite der Krümmung steht. Diese ist also durch den Aufbau der Pflanze gegeben. Der Infloreszenzstiel ist dorsiventral beeinflußt. Derartige Fälle werden uns im Laufe der Darstellung noch öfter be- gegnen. Es handelt sich dabei um eine wichtige, bisher, wie es scheint, unbeachtet gebliebene Eigenschaft der Sprosse: die der Beeinflussung der Symmetrie der Sproßachse durch die Blattbildung. Besonders eigentümlich verhalten sich einige Pflanzen, bei denen die Durchbruchskrümmung nur eintritt, wenn sie von Erde bedeckt sind. Man könnte das auf Lichtmangel, wie bei Ranunculus und Mercurialis zurück- führen, dieser würde im Boden die Krümmung bedingen, außerhalb des Bodens würde sie, weil die Organe am Licht sich entfalten, unterbleiben. Aber so liegt die Sache in diesem Falle nicht. Darwın ?) erwähnt das eigentümliche Verhalten von Ficaria verna. Die Blattstiele dieser Pflanze sind gekrümmt „when they have to break through the ground but when they arise from the summit of the bulb above ground, they are from the first quite straight and this is a fact which deserves notice“. Es meint also, daß die Krümmung nur eintrete, wenn das Blatt die Erde zu durchbrechen habe und hält es (a. a. ©. p. 90) für wahrscheinlich, daß die Krümmung durch den Widerstand, welchen die Blätter beim Durchbrechen der Erde erfahren, bedingt ist — eine An- nahme, welche man als die einer „direkten Bewirkung“ der Durchbruchs- krümmung bezeichnen könnte. Meine Beobachtungen stimmen mit denen Darwın’s nicht ganz überein. Ich fand das Verhalten beim Durchbrechen der Blätter durch den Boden verschieden. Kräftige, namentlich mit mehreren Knöllchen versehene Pflanzen !, Es gibt freilich Schriftsteller, die es fertig gebracht haben, die Einrollung der jungen Farnblätter als Durchbruchskrümmung zu betrachten, was nicht einmal für die wenigen europäischen Farne zutrifft, geschweige denn für alle epiphytischen, Baum- farne usw. 2) A. a. O. p. 86. Einleitung. 33 kommen mit geraden Blattstielen hervor, auch wenn sie durch den Boden hindurch wachsen, nicht nur wenn sie über diesem sich entwickeln. Das ist bei Ficaria auch ganz gut ohne Schädigung der Blattspreite möglich, weil diese in der Knospenlage zusammengerollt ist, also ohne Schaden durch die Erde geschoben werden kann. Kleinen einzelnen Knöllchen aber entsprangen Pflanzen!), welche dünnere, scharf eingekrümmte Blattstiele besaßen (Fig. 5A). Auch war oft ein Internodium unterhalb des Scheidenblattes, welches dem Laubblatt vorausgeht, stark gestreckt — was an Etiolierungserscheinungen erinnert. Daß die Verlängerung dieses sonst kurz bleibenden Internodiums bei tiefer im Boden liegenden Pflanzen das Durch- brechen begünstigt, ist klar. Im Dunkeln oberflächlich einge- pflanzte Ficarien zeigten die Stiele der austreibenden Blätter gerade. Es kann sich also nicht um eine einfache Wir- kung des Lichtmangels handeln, eben- sowenig um positiven Geotropismus der jungen Blattspreite. Dieser müßte ja im Finstern auch sich geltend machen. Es wurden kräftige Pflanzen mit geraden Blattstielen 10 cm unter der Oberfläche eingepflanzt, um zu sehen, ob sie dadurch zum Auftreten an Durch- bruchskrümmungen veranlaßt werden ni könnten. Die ersten Blätter dieser Pflanzen kamen — völlig unbeschädigt — EN EEE gerade über den Boden °) ? Die folgen- wreihendes "Knöllchen. Das Blatt Fe den aber waren scharf eingekrümmt. prieht die Erde mittels einer Durch- Daß man es in der Hand hat, die bruchskrümmung. B Kräftigere, tief in Einkrümmunghervorzurufen, zeigteauch der Erde steckende Pflanze. Das Blatt ein zweiter Versuch. durchbricht die Erde ohne Krümmung. In diesem entwickelten sich die Blätter oberflächlich eingepflanzter Knöllchen zunächst im Finstern gerade. Dann kam der Topf in einen tieferen, so daß die Blätter mit mehreren Zentimeter Erde überschichtet wurden. Sie alle nahmen die Einkrüm- mung an. Nach Enfernung der Erde wurden sie wieder gerade. Solche Blätter dagegen, die ich mit zerbröckeltem leichtem Sphagnumtorf über- schichtet hatte, wuchsen gerade weiter. Diese Erfahrungen bestätigen also die Annahme, daß es sich um eine durch den Widerstand des Substrates bedingte passive Krümmung handle. Wenigstens kennt man derzeit keinen Reiz, der unter diesen Umständen zu einer aktiven Krümmung führen könnte, weder Lichtmangel noch B “positiver Geotropismus können — wie schon erwähnt — für die Ein- biegung der Blattspreite in Betracht kommen. 1) Solche, oder Pflanzen die tief im Boden stacken, hat offenbar Darwın beobachtet. ?) Das zeigt also, daß die Blattspreiten bei dieser Pflanze die Durchbruchskrümmung des Stieles nicht brauchen, wenn sie trotzdem auftritt, kann sie nicht als eine „spezifische Anpassung“ gelten. 24 Erster Absehnitt: Diese müßte, wenn sie aktiv wäre, durch einen unbekannten, sei es auf das einzelne Blatt, sei es auf den Vegetationspunkt der ganzen Pflanze ausgeübten Reiz bedingt sein. Das ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Der Lichtmangel kann die Einkrümmung begünstigen, aber nicht bewirken. Die Blattspreiten an etiolierten Pflanzen, welche längere Zeit verfinstert waren, waren oft gegen den Blattstiel etwas abgebogen, manchmal in einem rechten Winkel, niemals aber so wie der Durchbruchskrümmung. Eine Krümmung in bestimmter Richtung — wie sie hier tatsächlich stets vor- handen ist, wird mechanisch dann zustandekommen, wenn der Blattstiel auf seiner oberen Seite der Biegung weniger Widerstand leistet, als auf seiner unteren. Selbstverständlich wird die "Biegung um so leichter gehen, je dünner der Blattstiel ist. Man kann sich leicht überzeugen, daß Blatt- stiele, die dünn und noch nicht ausgewachsen sind, sich an der genannten Stelle leichter nach der adaxialen als nach der abaxialen Seite hin biegen lassen. Demnach ist, wie schon DArwın annahm, die Krümmung der Ficaria- blätter eine passive. Aber sie tritt nicht an allen Blattstielen ein, sondern nur an denen, die schwächer gebaut sind, als die gerade bleibenden. Der Blattstiel muß eben unterhalb der Blattspreite biegsamer als bei den letzteren geworden sein. Die schwache bei manchen etiolierten Blättern außerhalb der Erde auftretende Einkrümmung der Spreite kann deren Einbiegung erleichtern, ist aber — zumal sie keineswegs immer eintritt — offenbar nur von untergeordneter Bedeutung. Daß sie nur an schwächeren Blattstielen auftritt steht damit nicht in . Widerspruch, daß an einer und derselben Pflanze erst gerade, dann ge- krümmte Blattstiele auftreten‘). Denn durch die Entwicklung der ersten Blätter, zumal bei tiefer Einpflanzung wird ein erheblicher Materialverbrauch eintreten, der (in Verbindung mit dem Lichtmangel) bedingt, daß die Blatt- stiele der folgenden weniger kräftig ausfallen, als die ersten. Daß rein mechanisch bedingte Durchbruchskrümmungen auch sonst vorkommen, braucht kaum besonders bemerkt zu werden. Massarr ?) führt z. B. dafür an die unterirdischen Sprosse von Bryonia dioica und Vicia oroboides — es ist anzunehmen, daß bei der letztgenannten Pflanze die Krümmung in bestimmter Beziehung zu der dorsiventralen Ausbildung steht, also" rechtwinklig auf die Blattstellungsebene oder in dieser (wie bei Pisum sativum) an den Keimpflanzen erfolgt. Wir sahen, daß die Durchbruchskrümmung, : soweit wir heute beurteilen können, auf verschiedene Weise zustande kommt, daß sie eine photo- nastisch oder geotropisch induzierte oder eine „autonome“ oder eine mechanisch veranlaßte sein kann. Das spricht durchaus für die An- schauung, daß Anpassungen zustande kommen durch Ausnützung von in der Pflanze vorhandenen, nicht aber durch im Kampf ums Dasein allmählich (durch Häufung kleiner nützlicher Variationen) erworbene Eigenschaften. Und zwar handelt es sich dabei um Krümmungen, die in letzter Linie durch Ungleichheiten im Aufbau der Pflanzenorgane be- stimmt sind, Ungleichheiten, die aber durch ganz verschiedene Einflüsse in die Erscheinung treten können. Denn auch bei der mechanischen Ein- 1) Neuerdings ist das Verhalten von Ficaria auch von W. Leoxt#arpr (Über das Verhalten von Sprossen bei Widerstand leistender Erdbedeckung, Jahrb. f. wiss. Bot. 55 (1915) p. 121) besprochen worden. Der Verf., dem die Angaben von Darwın (und andern) unbekannt geblieben sind, bringt indes nichts Neues und hat nicht bemerkt, daß kräftige Blattstiele den Boden gerade durchbrechen. Nachträgl. Anm. u) 179 Einleitung. 95 biegung handelt es sich ja um eine solche, welche durch die Ver- schiedenheit von Ober- und Unterseite bedingt wird. Es steht damit vollständig in Übereinstimmung, daß, wie schon früher !) betont wurde, Entfaltungskrümmungen, welche durchaus den Durchbruchs- krümmungen entsprechen, auch da vorkommen, wo von einem Durch- bruch durch die Erde keine Rede sein kann. Auch diese Krümmungen können entweder mechanisch bedingte oder „autonome“ sein. Für uns haben nur die Interesse, die, wie die Durchbruchskrümmungen in bestimmter, durch die Dorsiventralität des Blattes gegebener Richtung erfolgen. Die langen dünnen Filamente der Calliandra z. B., die, wenn sie bei der Ent- faltung gerade gestreckt sind, der Blüte ein so wunderbar zierliches Aus- sehen verleihen, sind in der Knospe, da sie schon in dieser bedeutende Länge erreichen, genötigt, sich in verschiedenster Richtung zusammen- zukrümmen, um sich dann bei der Entfaltung rasch vollständig gerade zu strecken. Derartige Fälle bleiben hier außer Betracht — es ist übrigens klar, daß in den dünnen Filamenten der dorsiventrale Bau weniger zur Geltung kommt als in einem Blattstiel. Ein Beispiel für eine mechanisch bedingte Entfaltungskrümmung stellen z. B. die Griffel von Grevillea (Fig. 189) dar, welche wachsen, während sie an beiden Enden festgehalten sind, woraus sich eine bogenförmige Krümmung ergibt. Unmittelbar hierher gehört auch das Verhalten der Blätter von Aego- podium Podagraria, insofern, als es sich bei ihnen um eine als Durch- bruchskrümmung betrachtete Entfaltungskrümmung handelt — von der allerdings nicht festgestellt ist, ob sie eine „autonome“ oder eine bedingte ist. Wahrscheinlich ist sie eine mechanisch bedingte. Aegopodium besitzt bekanntlich Ausläufer, deren Spitzen durch Niederblätter (Scheidenteil mit kleiner, verkümmerter Spreite) beim Vor- dringen im Boden geschützt sind. Hier handelt es sich aber nur um die aufrechten Sprosse. ARESCHoUG ?) hat in seiner bekannten Abhandlung über die Biologie geophiler Pflanzen darauf hingewiesen, daß bei den Umbelliferen die „Wurzelblätter* meist mit aufrecht gestellter Blattspreite aus der Erde hervorkommen. Eine Ausnahme mache Aegopodium Podragraria. Bei dieser Pflanze sei die Spreite nach dem Blattstiel zu oder gar zurück- gebogen, was vielleicht daher komme, daß diese Art im Walde wächst und die jungen Blätter dort vom herabgefallenen Laube bedeckt werden. ArzscHoug faßt also die Krümmung des Blattstiels (wenigstens vermutungs- weise) als Durchbruchskrümmung für die Überwindung des Substratwider- . standes auf, ebenso MAssArT ?), Ich pflanzte Aegopodiumsprosse im Frühjahr so ein, daß die Knospe weit über der Bodenoberfläche sich befand. Es zeigte sich, daß auch dann die Blattstiele mit einer sehr typischen und schönen Krümmung sich entfalten (Fig. 6) — daß also die Bedeckung mit Laub oder Erde kausal nichts damit zu tun hat. Die Krümmung hängt vielmehr mit der Art zusammen, wie das Blatt sich aus der Umhüllung durch die Basis des nächst älteren Blattes befreit. Es steckt in der ziemlich kleinen, aber festen Scheide dieses Blattes wie zwischen zwei Muschelschalen. Ursprünglich !) GOEBEL, Organographie 2. Aufl. p. 17. 2) Beiträge zur Biologie der geophilen Pflanzen, Acta Reg. Soc. Phys. Lund T. VI 1896. Ar.’ 079.108 26 Erster Abschnitt: ist die junge Blattanlage gerade!). Aber bald erfährt sie an ihrer bieg- samsten Stelle (dem Teile des Blattstiels unterhalb der Blattspreite) eine Einkrümmung. Die zusammengebogene Blattspreite erfährt schon inner- halb ihres Gefängnisses eine bedeutende Vergrößerung, so daß sie den Raum fast ausfüllt und in ihm feststeckt. Wenn nun der gerade, negativ gotropische Teil des Blattstiels wächst, so muß, da eran seiner Einfügungsstelle festgehalten wird und die Blattspreite zunächst in der Muschel festsitzt, .ein Knie entstehen. Dieses drückt zunächst die um- hüllende Blattscheide auseinander (wobei ihm eine ziem- lich scharfe Rückenkante zugute kommen mag) und tritt als erster Teil des jungen Blattes in das Freie. Zn Bei hinreichender Länge und Erstarkung des Blattstiels Fig. 6. Aegopodium wird dann die Blattspreite allmählich aus der durch Podagraria. Blatt- die Biegung des Blattstiels gesprengten Hülle heraus- entfaltung. 1 Nieder- gezogen, richtet sich dann auf und breitet sich aus. RE gr Die Krümmung des Blattstiels kann, wenn die Blatt. das sich soeben Fadknospe von Aegopodium unter der Erdoberfläche "entfaltet. liegt, als „Durchbruchskrümmung“ benutzt werden, um so mehr, als der Ausgleich der Krümmung durch Licht- mangel verzögert wird. Aber es tritt bei dieser Pflanze besonders deutlich hervor, daß es sich, falls die Blätter das Substrat gebogen durchbrechen, um eine Ausnützung einer auch oberhalb der Erde eintretenden Entfaltungskrümmung handelt. Man würde den Vor- gang also ebenso unvollständig als unrichtig auffassen, wenn man ihn als zum „Zweck“ der Durchbruchkrümmung zustandegekommen betrachten wollte. Bei anderen Umbelliferen liegen die Verhältnisse für die Entfaltung anders. Die Blattscheiden, in denen die jungen Blätter eingeschlossen sind, sind länger und weniger fest geschlossen. Der Blattstiel ist dicker und massiger. Er schiebt die dicht zusammengelegte Blattspreite aus der geöffneten Scheide langsam nach oben hinaus. Das Blatt bleibt also gerade?). Auch Aegopodium würde seine zusammengefallene Blattspreite wohl in derselben Weise herausschieben können, wenn der Blattstiel massiger gebaut und die Blattscheide anders geformt wäre. $S 8. Mannigfaltigkeit der „Anpassungen“ bedingt durch „Ausnutzung“. Schon das Verhalten der Ranunculusblätter ergab ein Beispiel dafür, daß unter Umständen eine an sich nicht adaptative Eigenschaft doch nützlich sein kann. Der Verf. war seit Jahren bemüht, auf die Bedeutung dieser Erscheinung für das Verständnis der Mannigfaltigkeit der An- passungen hinzuweisen. So wurde betont, „daß der Faktor, dem ein be-, stimmtes Verhalten „angepaßt ist“, gar nicht immer der ist, der es hervor- gerufen hat“) — mit anderen Worten, es wird eine Eigenschaft „aus- !) Bei den der Infloreszenz vorausgehenden Hochblättern (die keinen Stiel ent- wickeln) bleibt sie es auch später. Die jungen Infloreszenzen drücken durch ihre Volum- zunahme die Blattscheide auseinander. 2) Bei Meum athamanticum fand ich eine ähnliche, freilich weniger scharf als bei. Aegopodium ausgesprochene Entfaltungskrümmung. Viel schöner ist sie bei Libanotis montana. Beide Umbelliferen besitzen verhältnismäßig dünne Blattstiele und kleine Blattscheiden wie Aegopodium. 3) GoEBEL, Über Studium und Auffassung der Anpassungserscheinungen usw. (1898) p. 16. (Ebenso schon in pflanzenbiol. Schilderungen I (1889) p. 4.) Einleitung. 97 genützt“, ohne daß diese zu diesem „Ziele und Zwecke“ ausgebildet worden wäre. Wenn man aber das Zustandekommen nicht. kennt oder nicht beachtet, sieht es so aus, als ob der Vorgang ein „zielstrebiger“ sei. Es wird, da es sich um einen für unsere ganze Auseinandersetzung fundamental wichtigen Punkt handelt, nicht überflüssig sein, dafür weitere Beispiele anzuführen. . Man kann von einer „Ausnützung“ natürlich eigentlich nur sprechen, wenn wirklich ein Nutzen eintritt. Dieser kann von sehr verschiedener Bedeutung sein. So haben z. B. die Früchte von Carpinus Betulus den bekannten zierlichen, aus drei Hochblättern gebildeten „Flug- apparat“, mittels dessen sie vom Wind fortgewirbelt werden können. Man kann sie im Herbst aber auch in Menge mit diesem Flugapparat — der dann als Kahn dient — nach unten auf dem Wasser schwimmen sehen. Auch dadurch können sie verbreitet werden, aber das ist natürlich nur eine zufällige Ausnützung. Carpinus Betulus ist ja nicht etwa eine nur oder vorzugsweise an Wasserläufen anzutreffende Pflanze. Andererseits werden im Herbst die abgefallenen Blätter mancher Laubbäume vermöge ihrer starken Flächenentwicklung viel weiter fort- . geweht, als z. B. die mit „Flugapparaten“ versehenen (aber schwereren) Früchte von Carpinus, Acer und Fraxinus. Da das aber eine für die Pflanze ganz gleichgültige Eigenschaft der Blätter ist, so wird niemand die Windverbreitung der Blätter als eine Anpassungserscheinung betrachten. Immerhin kann aber auch sie uns zeigen, wie Eigenschaften eines Organs, deren ursprüngliche Beziehungen ganz andere sind, unter bestimmten Um- ständen die Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung geben !). Es wird nicht überflüssig sein, einige Beispiele von „Ausnützung“ zu geben, zumal man vielfach unter Außerachtlassung der primären Funktion die sekundäre in den Vordergrund gestellt hat. Eines der hauptsäch- lichsten Ergebnisse der experimentellen Morphologie war die Aufklärung der bei manchen Pflanzen so auffallend hervortretenden und scheinbar in manchen Fällen unmittelbar durch „Anpassung“ bedingten Heterophyllie. - Es besitzen manche im Wasser lebenden Pflanzen z. B. die Fähigkeit, je nach der Wassertiefe und anderen Bedingungen einfache untergetauchte bandförmige Wasserblätter, ferner Schwimmblätter oder viel höher ent- wickelte, an die Luft tretende Blattformen zu bilden. Es zeigte sich aber, daß, wenn eine solche Pflanze nur „Bandblätter“ bildet, dies ein Verharren auf der Jugendform ist; wenn sie nach der höheren Blattform wieder die einfachere hervorbringt, eine Rückkehr zur Jugendform ?).. Auch in diesem Falle also handelt es sich nur um die Ausnutzung einer der Pflanze von vornherein eigenen Art der Organbildung, nicht‘ aber um die Fähigkeit, je nach äußeren Einwirkungen bald diese, bald jene Blattform hervor- zubringen. Einfacher liegt die Sache bei dem folgenden Beispiel. Im malayischen Archipel gibt es einige epiphytisch lebende Farne, deren Sproßachsen merkwürdige Hohlräume besitzen, die regelmäßig von Ameisen bewohnt sind. So z. B. Lecanopteris-Arten, Polypodium sinuosum u. a. Man hat sie deshalb als „myrmekophile Pflanzen“ bezeichnet und in der „Symbiose“ mit Ameisen eine Anpassungserscheinung gesehen — sei !) Als weiteres Beispiel wurde früher das Verhalten des Velamens der Orchideen- luftwurzeln angeführt. Verf, suchte nachzuweisen, daß dessen primäre Funktion der Transpirationsschutz der Luftwurzeln sei, während die Wasseraufsaugung erst in zweiter Linie in Betracht kommt. (Vgl. Gorser, Pflanzenbiol. Schilderungen I (1889) p. 192.) 2) Vgl. die in der dies. „Organographie“ und anderwärts gegebene Darstellung. 28 Erster Abschnitt: es, daß die Ameisen als Schutztruppen gegen andere Tiere dienen oder irgendwie (z. B. durch Düngung) zur Ernährung ihres Wirtes beitragen sollten. Demgegenüber wurde nachgewiesen !), daß die Hohlräume. ent- stehen durch Verschwinden eines Wassergewebes, wie es vielen wasser- speichernden Epiphyten zukommt. Die Ameisen bewohnen nur nach- träglich diese Hohlräume. Es ist deshalb noch nicht ausgeschlossen (wenn auch derzeit nicht sehr wahrscheinlich), daß sie der Pflanze von Nutzen sein können, aber es liegt nur eine sekundäre oder Begleit- erscheinung vor, die ohne Rücksicht auf deren etwaigen Nutzen zustande gekommen ist. Ahnlich ist es bei der Insektivorie und bei der Entstehung kleisto- gamer ?) Blüten. Diese merkwürdigen Blüten entstehen nicht, wie die teleologische Betrachtung annahm, unter Bedingungen, unter denen die Pflanze sie „braucht“, also z. B. dann, wenn die Bestäubungsvermittler für die sich öffnenden (chasmogamen) Blüten fehlen, sondern manche Pflanzen sind mit der Fähigkeit ausgerüstet, unter bestimmten Ernährungs- bedingungen Blüten auszubilden, die den normalen gegenüber Hemmungs- bildungen darstellen, aber doch Samen hervorbringen. Sie können der Pflanze von besonderem Nutzen sein, wenn die Samenbildung in den. normalen chasmogamen Blüten nicht gesichert ist — aber sie finden sich auch bei solchen Pflanzen, bei welchen diese Gefahr nicht besteht. Be- sondere „Anpassungen“ innerhalb dieser kleistogamen Blüten, wie sie von ‚verschiedenen Seiten, auch von DAarwın, angenommen wurden ?), waren aber nicht nachweisbar. Ganz dasselbe kann auch für die Bewegungen von Pflanzenteilen zutreffen. Dabei handelt es sich nicht um die Örien- tierungsbewegungen fertiger Organe, sondern um oft sehr auffallende Nutations- und Reizbewegungen bei der Entfaltung. Es liegt keine Nötigung vor, diesen von vornherein einen bestimmten Nutzen zuzuschreiben. Wenn ein solcher vorhanden ist, muß er in jedem einzelnen Falle nicht voraus- gesetzt, sondern nachgewiesen werden. Und auch dann kann es sich um die Ausnützung von Eigenschaften des betreffenden Pflanzenteiles handeln, nicht um etwas allmählich Herangezüchtetes. Die Selektionstheorie aber hat besonders dazu beigetragen, alle Eigenschaften der Organismen als adaptive aufzufassen, die entstanden seien aus der Summation kleiner vorteilhafter Variationen. Dem gegenüber ist hervorzuheben, daß es bei den Pflanzen zweifellos eine ganze Anzahl von Eigenschaften gibt, die unter gewöhnlichen Ver- hältnissen überhaupt nicht hervortreten, die aber unter besonderen Um- ständen nützlich sein können. Als auffallendes Beispiel dafür habe ich *) !) GoEBEL, Morphol. und biol. Studien (Ann. du jardin bot. de Buitenzorg VII (1888) p. 16), Pflanzenbiol. Schilderungen I (1889) p. 204. ?) GosseL, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien, Biol. Zentral- blatt 1904. 3) Es ist, beiläufig bemerkt, nicht zutreffend, wenn in einer neueren Darstellung der Blütenbiologie angegeben wird, „Darwın’s Ansicht, daß die kleistogamen Blüten aus einer Entwicklungshemmung der chasmogamen hervorgehen, sei „später durch die ein- gehenden Untersuchungen von K. GoEBEL bestätigt“ worden. Darwın sagt ausdrücklich, „daß aber die ersteren (die kleistogamen Blüten) ihren Ursprung durchaus einer gehemmten Entwicklung verdanken, istdurchausnicht derFall; denn verschiedene Teile sind speziell so modifiziert worden, daß sie zur Selbstbefruchtung der Blüte helfen ...“(Darwm, Die verschiedenen Blütenformen von Pflanzen der nämlichen Art, Deutsche Übers. p. 290). Meine Unter- suchungen konnten diese Annahme Darwın’s aber nicht bestätigen. Das oben angeführte Zitat gibt also kein richtiges Bild der Sachlage. 4) Gorser, Einleitung in die experimentelle Morphologie 1908 (p. 140) vH a HE ne an La Fl A a 2 EN aa £ Se a E N h Ri R E A fr ” w 1 . „Einleitung. 29 früher die Fähigkeit mancher Blätter angeführt, nach Abtrennung von der Sproßachse Wurzeln und Knospen hervorzubringen. Diese Fähigkeit - findet sich bei Blättern, die von ihr Gebrauch zu machen nie Gelegenheit haben, weil sie entweder nicht in die Lage kommen, von ihren Sproß- achsen abgetrennt zu werden oder wenn dies geschieht, zugrunde gehen, ehe ihre Regenerationsfähigkeit in die Erscheinung treten kann. Sie kann ihnen unmöglich angezüchtet sein. Sie ist aber solchen Pflanzen sehr vorteilhaft, bei denen die Blätter sich leicht ablösen, es findet da- durch eine ausgiebige Vermehrung statt. Wie hier für gewöhnlich „latente“ Fähigkeiten ausgenützt werden, so gewiß in vielen anderen Fällen. Die Fähigkeit auf äußere Einwirkungen hin den Turgeszenzzustand der Zellen rasch zu ändern, ist offenbar weit verbreitet, ohne daß sie überall eine besondere Bedeutung hat. Sie kann aber eine solche unter besonderen Umständen gewinnen. Das wird bei Besprechung der „Sensitiven“ zu er- örtern sein. Im Anschluß an die Entfaltungsbewegungen sind deshalb auch eine ‘Anzahl von „nastischen“ Reizbewegungen nach ihrer ökologischen Seite zu erörtern. Während die Physiologie auch hier die Mechanik des Reiz- vorganges zu erforschen sucht, und dazu selbstverständlich die Pflanzen in den Vordergrund stellt, bei denen die Reizbewegungen am auffallend- . sten verlaufen, ist für den Okologen auch hier das Problem der Mannig- faltigkeit das Wichtigste. Wenn, wie Verf. früher auszuführen versucht hat), diese Reizbewe- gungen Nebenerscheinungen, eigenartiger Entfaltungsvorgänge, sind, so werden wir erwarten können, daß sie in sehr verschiedener Ausprägung auftreten — bald rasch und auffallend, bald langsam und deshalb wenig hervortretend. Auch ist dann nicht zu verwundern, wenn solche Organe auf ver- schiedenartige Reize antworten, auch auf solche, die auf sie in der “freien Natur gar nicht einwirken. Für die, welche — wie das jetzt all- gemein üblich ist — diese Reizbewegungen als primäre Funktion be- trachten und sie als durch Überleben des Passendsten durch Anhäufung kleiner vorteilhafter Abänderungen infolge natürlicher Zuchtwahl zustande gekommen betrachten, ist das Vorkommen solcher anscheinend bedeutungs- losen Reizbewegungen nur durch Hilfshypothesen verständlich. Man muß entweder annehmen, daß auch diesen langsamen und wenig auffallenden Reizbewegungen eine Bedeutung zukomme, oder daß die letzteren zwar keine Vorteile bieten, aber sich erhalten, weil sie nicht variieren, während die, welche rascher verlaufen und deshalb Vorteile bieten, sich allmählich zu höherer Ausbildung gesteigert haben. Derartige Annahmen sind aber um so weniger überzeugend, weil selbst bei den auffallendsten nastischen Reizbewegungen ein Nutzen für die Pflanze nicht festgestellt ist. Der sicherste Weg für die Feststellung eines solchen Nutzens ist selbstverständlich das Experiment. Aber vielfach genügt auch die ver-. gleichende Betrachtung um einen sicheren Anhaltspunkt für die Beurteilung und weiter für die experimentelle Fragestellung zu gewinnen. Wenn z. B. Schlafbewegungen bei Tropenpflanzen in ausgedehntem Maße vorkommen, so können sie — wenigstens bei diesen — doch nicht „zum Schutz gegen die nächtliche Wärmestrahlung“ erworben sein. Wenn die Nutationen von Infloreszenzen ebenso bei Pflanzen trockener Klimate als denen aus regenreichen sich vorfinden, so wird man der Annahme eines „Schutzes !) A. a. O. (Rumphiusphänomen). 30 Erster Abschnitt: gegen Nässe“ sehr mißtrauisch gegenüberstehen usw. Hierüber wird die Einzeldarstellung zu berichten haben. Zum Schlusse dieser Einleitung aber sei noch hingewiesen darauf, daß die Anschauungen über das Zustandekommen von Anpassungen in den letzten Jahrzehnten zwei bedeutende Veränderungen erfahren haben. Diese sind bedingt einmal durch die Erkenntnis, daß die Ansicht: infolge des „Kampfs ums Dasein“ könnten sich nur nützliche Eigenschaften er- halten, nicht haltbar ist, und dann auch durch die Erfahrung, daß es nicht gelungen ist, direkte funktionelle Anpassungen bei Pflanzen festzustellen, ein Problem, das eine Zeitlang durch R. Hrster’s Angaben in glänzender Weise gelöst zu sein schien. Darauf hier einzugehen, kann indes unter Hinweis auf früher Gesagtes!) unterlassen werden. Dagegen sei auf die Beziehungen zwischen Selektionstheorie und Teleologie hier noch kurz hin- gewiesen, weil das Wiederaufleben der Teleologie als allgemeines Prinzip der Liebenserscheinungen durch den Darwinismus erfolgt ist. $ 9. Es ist hier nicht einzugehen auf die Verschiedenartigkeit der Auffassungen über das Zustandekommen der Anpassungen bei Darwin und seinen Nachfolgern. Darwin selbst hat bekanntlich später auch lamarcki- stischen Anschauungen Raum gegeben (vgl. p. 4). Aber, wie schon der Titel seines Hauptwerkes?) klar zeigt, war er ursprünglich der An- schauung, die später als neodarwinistische bezeichnet wurde, d. h. der- jenigen, welche die spezifischen Merkmale und die Anpassungserscheinungen als zusammenfallend betrachtet, also alle erblich festgehaltenen Eigen- schaften als nützliche, im Kampf ums Dasein erworbene. Um was es sich handelt, geht vielleicht am deutlichsten aus WALLACH’s s) klaren Ausführungen hervor. „Man denke sich Selektion und Überleben des Passendsten weg, so daß jede spontane Variation im gleichen Ver- hältnis wie alle übrigen weiterlebt — das Ergebnis würde unausbleiblich eine endlose Mannigfaltigkeit unbeständiger Formen sein, von denen keine dem, was wir unter dem Begriff „Art“ meinen, entsprechen würde. Man hat bis jetzt außer der Selektion keine andere Ursache entdeckt, die einigen Formen Dauer und Gleichbleiben ermöglicht, andere aber verschwinden läßt“. — Hier tritt der Zusammenhang der Annahme, daß alles be- ständig variiere mit der, daß nur nützliche Variationen erhalten bleiben, und daß diese mit den Artmerkmalen zusammenfallen, mit besonderer Deut- lichkeit hervor. Zunächst sei betont, daß die letztgenannte Behauptung, trotzdem sie so oft wiederholt wurde, nichts ist als ein Glaubenssatz oder Dogmatis- mus, dessen Unhaltbarkeit sofort hervortritt, wenn man irgendeine Gruppe daraufhin untersucht, ob die spezifischen Unterschiede mit den Anpassungs- merkmalen zusammenfallen. So ist z. B. ein wichtiges systematisches Merk- mal die Epigynie und Hypogynie der Blüten. Hat je jemand diese !) Organographie 2. Aufl. p. Yff. 2 °) „Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder das Uberleben vorteilhaft ausgestalteter Rassen im Kampf ums Dasein.“ Vgl. auch The foundation of the Origin. of Species, a sketch written in 1842 (Cambridge 1909 p. 38), wo die Ver- schiedenheit der Ausbildung homologer Gliedmaßen der Wirbeltiere zurückgeführt wird darauf, daß Abkömmlinge gemeinsamer Stammformen verschiedenen Bedingungen ange- paßt werden „through infinite numbers of small seleetions“. Sehr klar spricht Darwın seipe ursprüngliche Ansicht auch aus in einem Briefe von 1860 „I consider Natural selection as of such high importance, because it accumulates successive variations in any profitable direction and thus adapts each new being to its complex conditions of life“. (More letters of Ca. Darwın p. 167.) ?) A. R. Waruacz, My life (1905) II p. 8. i h “ h A & a en de 3 a Ddee re ee kai 207 5 22 22° u 0 u ae TE Einleitung. | 31 als nützlich nachweisen können? Epigynie und Hypogynie können mit anderen Merkmalen einer Blüte zusammen auch für Bestäubungs- und sonstige funktionelle Verhältnisse in Betracht kommen, an sich aber ist es offenbar gleichgültig, ob die Blüte epi- oder hypogyn ist. Natürlich kann man immer die drei „großen Unbekannten“ auf dem Schauplatz erscheinen lassen: Unsere unvollständigen Kenntnisse, die Möglichkeit des „Es war einmal“, und die Annahme: das Merkmal sei zwar nicht unmittelbar nützlich, aber in „Korrelation“ zu einer möglichen Eigen- schaft entstanden. Meines Wissens ist aber in keinem einzigen Fall eine solche Korre- lation wirklich nachgewiesen. Die „kalkscheuen“ Pflanzen werden bekannt- lich auf Kalkboden von den „kalkholden“ unterdrückt, während manche davon ohne diesen Wettbewerb auch auf Kalkboden ganz gut leben können, Aber sind etwa die morphologischen Unterschiede von Rhododendron ferru- gineum und Rh. hirsutum in „Korrelation“ zu bestimmten physiologischen Eigenschaften, wie z. B. dem soeben erwähnten Verhalten entstanden ? Das ist denkbar, aber bis jetzt ganz unerwiesen. Es hieße also eine Ver- mutung mit einer anderen stützen, wenn man einen solchen Zusammenhang ohne weiteres annehmen wollte. . In Wirklichkeit entstammt jener Glaubenssatz, den D. H. Scorr in den Worten ausdrückt „all the characters which the morphologist has to compare are, or have been, adaptive“, ursprünglich auch gar nicht der Naturforschung, er ist vielmehr nur eine andere Einkleidung eines uralten Anthropomorphismus. Die Tatsache aber, daß für eme Anzahl von Ge- staltungseigentümlichkeiten, deren funktionelle Bedeutung man früher nicht kannte, eine solche aufgefunden wurde, berechtigt nach dem oben Aus- geführten noch lange nicht dazu, sie als im „Kampf ums Dasein“ er- worben zu betrachten. Außerdem: die Voraussetzung, daß ein beständiges Auftreten erblicher Variationen stattfinde, trifft, wie die Untersuchungen der letzten Jahrzehnte gezeigt haben, nicht zu. Sie ging aus teils von einer unvollständigen Analyse der „Variationen“, teils von den Beobach- tungen an Haustieren und Kulturpflanzen, bei denen Kreuzung in ganz anderem Maße stattfindet als in der freien Natur. Damit fällt auch die Notwendigkeit der Vorstellung, daß die auf- fallenden Anpassungen durch Häufung nützlicher kleiner Abänderungen zustandegekommen sein, fort, ebenso die Notwendigkeit eine Ursache für das Gleichbleiben zu entdecken. Viel wichtiger ist es, die Versuche für das Nichtgleichbleiben — was gelegentlich eintritt — aufzu- finden. Wenn aber die Pflanzen nicht beständig variieren, so ist nicht einzusehen, weshalb nicht auch aus irgendeinem Grunde entstandene gleich- gültige oder unschädliche Eigenschaften sich erhalten sollten. Auch der Begriff „Kampf ums Dasein“ ist anthropomorphistischen Ursprungs. Daß ein solcher Kampf vorhanden ist, und minder Geeignetes beseitigt, wird niemand leugnen. Aber eine nicht in Theorien befangene ' Naturbetrachtung zeigt, daß, bei den Lebewesen nicht die ängstliche Sparsamkeit des Familienvaters, der sich mit den Seinigen mühsam durchs Leben schlägt, waltet, sondern freie, oft — nach menschlichem Maßstab — verschwenderische Gestaltung. Von besonderer Bedeutung aber ist, daß — wie oben dargelegt wurde — es sich bei der Mannig- faltigkeit der „Anpassungen“ vielfach gar nicht um solche handelt, sondern um die Ausnutzung von Reizbarkeiten und von Strukturen, die nicht mit Bezug auf diese Ausnutzung zustandegekommen sind. Dafür wurden schon oben einige Beispiele angeführt — zahlreiche andere werden uns 39 Erster Abschnitt: im Verlaufe der Darstellung entgegentreten. Es sei der dabei vertretene Standpunkt nochmals kurz gekennzeichnet. Ebenso wie der Verf. der Meinung ist, daß die Mannigfaltigkeit der Formen größer ist, als die Mannigfaltigkeit der Lebensbedingungen Y), hält er viele Lebenserscheinungen nicht für „Anpassungen“. Ein Vergleich wird vielleicht am einfachsten diesen Standpunkt er- läutern. Die Schrift ist ein Mittel zur Mitteilung. Jeder Mensch aber hat seine eigene Handschrift. Vorausgesetzt, daß diese leserlich ist, ist sie für den Zweck der Mitteilungen gleichgültig. Die Verschiedenheit der Hand- schriften beruht sicher auf der Veranlagung des Einzelnen, nicht auf Anpassung — wenngleich eine schöne Handschrift dem Besitzer unter Umständen nützlich sein kann. Es kann also ein und dieselbe Aufgabe (wie die schriftlicher Mitteilung) je nach der Beschaffenheit des sie Lösen- den auf verschiedene Weise gelöst werden, ohne daß man sagen könnte, daß die Verschiedenheit eine durch Anpassung oder Zuchtwahl erworbene sei. Ebenso ist es, wie Verf. seit langer Zeit betont”) hat, auch bei den Eigenschaften der Organismen, namentlich auch vielen Bewegungen. Für eine Reihe von Sproß- und Blattbewegungen sind die bisher auf- gestellten teleologischen Deutungen nichts weniger als sicher begründet. Die folgende Darstellung soll untersuchen, in welchem Zusammenhang diese Bewegungen mit Entfaltungsvorgängen stehen, und wie weit sie be- dingt sind durch die Symmetrie der die Bewegungen ausführenden Or- gane. Es wird sich zeigen, daß die primäre Funktion mancher sog. Bewegungsorgane eine andere ist, als angenommen wurde. Das schließt nicht aus, daß die Bewegungen anderweitig von Nutzen sein können. Aber selber wenn ein solcher nachweisbar ist, kann man ihn nicht als „Ziel und Zweck“ der Bewegung betrachten — namentlich wenn es sich um „Be- wegungsorgane“ handelt, die normal gar keine Bewegungen ausführen, ob- wohl sie ihrer Entstehung und ihrem Bau entsprechend dazu veranlaßt werden können. Das ist das Ergebnis einer vergleichenden Betrachtung der ge- nannten Erscheinungen, einer Betrachtungsweise, die bisher sehr wenig auf sie angewandt worden ist. Es ist auch wichtig festzustellen, wie weit der- artige Bewegungen verbreitet sind und ob sie in verschiedenen Abstufungen auftreten. Der ‘Nachweis, daß die bisherigen teleologischen Deutungen eines Vorgangs nicht zutreffen, sagt — auch abgesehen von dessen primärer Funktion — natürlich noch nicht, daß dieser keinen Nutzen für -die Pflanze habe. Dieser kann ja in ganz anderer Richtung liegen als in der, in welcher man ihn zunächst suchte. Aber auch für den, der an der all- gemeinen teleologischen Auffassung festhält, ist dann wenigstens die Bahn frei gemacht für eine neue Fragestellung. Daß eine Kritik der bisherigen Deutungsversuche jemand von der Aufstellung eines neuen abhalten könnte, ist aber nicht anzunehmen. Die Teleologie ist eben deshalb, weil sie anthropomorphistisch ist, so sehr mit uns verwachsen, daß sie immer wieder sich geltend machen wird — auch wenn sie zeitweilig in den Hintergrund tritt. .) oe Organographie 2. Aufl. p. 39. 2) Pflanzenbiolog. Schilderungen I (1889) p- 2ff. ir a a 5 : a RE 2 > a E r u a | Zweiter Abschnitt: Art der Entfaltung, Gelenke und | Schwellkörper. S 1. Allgemeines. In den meisten Fällen erfolgt die Entfaltung einer ,Knospe durch "Wachstum aller an ihrem Aufbau beteilisten Organe. Die Blätter zeigen ein epinastisches Wachstum, die Sproßachse streckt sich und die Knospe öffnet sich. So ist es selbst bei vielen Knospen, deren äußere Blattschuppen ‘wesentlich nur als Schutzorgane während einer Ruhezeit der Knospe dienten und nach der Entfaltung bald abfallen (so z. B. bei den Winter- knospen von Acer, Aesculus u. a.). In anderen Fällen aber führt nur ein Teil der Knospenorgane aktive Bewegungen aus, den andern kommt nur eine passive Rolle zu — sie werden, nachdem sie ihre Dienste geleistet haben, einfach abgeworfen. So sieht man bei der Entfaltung mancher Coniferenknospen (z. B. denen von Picea excelsa, P. pungens, Abies Nordmanniana u. a.), daß die durch Harz verklebten Knospenschuppen durch das Wachstum der von ihnen ursprünglich umschlossenen Knospenteile wie eine Mütze ab- und auf der Knospenspitze emporgehoben werden. Sie sind offenbar nicht mehr oder wenigstens nicht mehr genügend wachstumsfähig'). Wie sie beseitigt werden hängt von dem Widerstand ab, den sie den wachsenden Teilen entgegensetzen. Wir haben hier den einfachsten Fall einer „Kalyptra“bildung vor uns, für welche später andere Beispiele anzuführen sein werden. Nicht immer ist die Beseitigung der Knospenhüllen eine so gründliche. Es ‚genügt vielfach, wenn sie nach außen gebogen werden. Das wird z. B. für die Blütenhüllen mancher Urticifloren im VIII. Abschnitt anzu- führen sein. Hier genügt das leicht zu beobachtende Beispiel, welches die Hüll- . blätter der Blütenstandsknospe von Taraxacum officinale und einigen anderen Kompositenblütenköpfen darbieten?).. Nur die äußeren Hüllblätter von 'Taraxacum schlagen sich selbst zurück. Die inneren, den Blüten an- grenzenden, werden bei der Offnung des Blütenkopfes durch diese nach außen gedrückt. Daß das so ist, kann man leicht feststellen dadurch, daß !) Ihr Schicksal ist also ein ähnliches, wie das der Samenschalen bei der Keimung, die auch an den Stellen geringsten Widerstandes gesprengt werden. a ?2) Schon bemerkt von Rover (Ann. d. sc. nat. 5. Serie t. IX (1868) p. 363), welcher auch für die Kelehblätter von Anagallis phoenicea passive Entfaltung angibt. Auch der Kelch yon Paeonia scheint sich (wenigstens bei der gefüllten Form) ebenso zu verhalten. Daß auch an einem zusammenhängenden Gebilde z. B. einer sympetalen Blumenkrone die einen Teile sich aktiv, andere passiv verhalten können, zeigt dasim achten Abschnitt besprochene Verhalten von Convolvulus. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 3 34 Zweiter Abschnitt 5 man die äußeren Blüten entfernt. Die Hüllblätter richten sich dann wieder auf und „schließen“ den Blütenkopf, sie waren nur durch die Blüten herabgedrückt. x Manche dieser Offnungsvorgänge sind so eigenartig, daß sie systematisch wichtige Merkmale der betreffenden Pflanzenformen darstellen. Es sei nur erinnert an die „Ualyptra*bildung, von der die Gattung Eucalyptus ihren Namen hat, wie ja auch für die meisten Laubmoose der Besitz einer (freilich ganz anders als bei Fucalyptus zustande kommenden) Kalypta. ein wichtiger systematischer Charakter ist. 2 Es fragt sich, ob wir diese von der gewöhnlich abweichenden Öffnungs- weisen in ihrem Zustandekommen einigermaßen verstehen, d.h. auf einen gemeinsamen Gesichtspunkt bringen und ob wir sie als Anpassungs- erscheinungen betrachten können. Es kommen hier zweierlei Entfaltungs- formen in Betracht: 1. Die der Mützen- oder Kalyptrabildung. 2. Die welche als „Fensterblumen“ bezeichnet werden sollen. Beide stimmen darin überein, daß die Blütenhülle (oder ein Teil davon, seltener das Androceum) oben im Zusammenhang bleibt. Bei den Mützenblüten findet eine Ablösung an der Basis statt, bei den Fenster- blüten treten in der sich nicht ablösenden Blumenkrone fensterförmige - Öffnungen auf, welche den Bestäubern den Zugang zur Blüte gestatten. 1. Kalyptrablüten. Die Kalyptra kann gebildet sein durch den Kelch, die Blumenkrone, oder die Staubblätter. Für ersteren Vorgang das bekannteste Beispiel liefern einige Papaveraceenblüten, wie z. B. der von Papaver Rhoeas!) und Eschscholzia californica. Es ist bis jetzt nicht bekannt, ob die Abgliederung der beiden an der Spitze zusammenhängenden Kelchblättern ein aktiver - oder ein (durch das Wachstum der Blumenblätter) bedingter passiver Vorgang ist. Nach meinen Wahrnehmungen trifft das letztere zu. Es würde dann — mutatis mutandis — dasselbe vorliegen, wie bei der Ab- hebung der verklebten Knospenschuppen mancher Nadelhölzer. Eine Anpassungserscheinung würde man darin nur dann sehen können, wenn der festere Verschluß der Kelchblätter an der Spitze sich als durch die Lebensverhältnisse bedingt erweisen ließe. Das ist bei einjährigen Pflanzen, deren Blütezeit in die auch für die Entwicklung der Vegetations- organe günstige Jahreszeit fällt, sehr unwahrscheinlich. Es ist nicht ein- zusehen, weshalb die Offnung der Blüte nicht ebenso günstig verlaufen sollte, wenn die Kelchblätter, sich wie gewöhnlich an ihrem oberen Ende _ voneinander trennen würden. Es handelt sich also nur um einen „innern“ nicht um einen durch die Beziehung der Pflanze zur Außenwelt gegebenen Grund für die Kalyptrabildung. Dasselbe gilt für die Kalyptrabildung bei Vitis. Hier wird die un- scheinbare grünliche Blumenkrone als „Mütze“ abgehoben, d. h. sie löst sich an ihrer Basis ab, während die fünf Zipfel am Scheitel im Zusammen- hang bleiben. !) Bei anderen Arten z.B. bei Papaver orientale auch bei gefülltem P. somniferum werden die Kelchblätter (die offenbar auch hier nicht zu einer aktiven, epinastischen Off- nungsbewegung imstande sind) am Scheitel auseinandergedrängt. Die Kalyptrabildung ist also keine innerhalb der Gattung allgemeine. Gelegentlich kommt sie aber auch bei P. orientale vor, offenbar dann, wenn die Kelchblätter fester als sonst oben zusammenhalten. Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 35 Wie Racıporsk1?) nachgewiesen hat, ist das dadurch bedingt, daß der Verschluß der Knospe ein besonders fester ist. Die fünf Blumen- kronenblätter sind an der Spitze durch starke „Zellnähte“ (mit Kutikular- rippen) verzahnt. Da sie an der Spitze also nicht leicht sich voneinander trennen können, werden sie an der Basis, wo das Gewebe dünner ist (aber keine Trennungsschicht sich findet), abgehoben. Wie das im einzelnen erfolgt, hat RAcıBorskı nicht angegeben. Es sei nur folgendes bemerkt. Bei Vitis vulpina tritt die Ablösung ein dadurch, daß die Innenseite der Blumenkrone aktiv gespannt ist — offenbar sucht sie durch Turgor oder Wachstum (hauptsächlich auf der Oberseite) sich zu verlängern, wird daran aber durch die feste Verbindung der Zipfel an der Spitze gehindert. ol I Fig. 7. Eucalyptus sp. (West-Austr. 1898). Blütenknospe im Begriff, die Kalyptra Cal abzuwerfen. St Filamente der Staubblätter. ZT Längsschnitt durch eine junge Blüten- knospe. 7 Trennungsstelle punktiert; ebenso der Sklerenchymmantel St. ZLI Querschnitt der Kalyptra und des Griffels (@). [4 Wenn die Spannung den geringeren Widerstand an der Basis der Blumen- krone überwunden hat, löst diese sich dort ab und die Blumenkronenzipfel schlagen sich an der Basis nach außen konkav um (was bei V. vinifera nicht, oder viel schwächer eintritt). Schon ein geringer Druck auf eine der Offnung nahe Blumenkrone genügt, um die Ablösung und das Zurück- schlagen der Blumenkrone an der Basis herbeizuführen. Auch die Staub- blätter waren an ihrer Verlängerung durch die mützenförmig sie um- schließende Blumenkrone gehemmt, sind also in ihren Filamenten gegen diese gespannt. Wenn die Mütze sich ablöst, strecken sie sich, heben diese empor und streifen sie ab. Sie bewirken also zwar nicht das Ab- heben der „Calyptra“ wohl aber deren Entfernung. Auf die biologische Deutung des Vorganges wird später einzugehen sein. Hier sollte zunächst nur erwähnt werden, daß bei Vitis die Ablösung der Blumenkrone eine aktive, durch ihre eigenen Spannungsverhältnisse bedingte ist, daß sie aber !) M. RacıBorskı, Die Schutzvorrichtungen der Blütenknospen, Flora 81 (1895, Erg.-Bd.). 3% 36 Zweiter Abschnitt: weiterhin passiv durch andere Blütenteile entfernt wird. Dasselbe beob- achtete ich bei einigen westaustralischen Eucalyptus-Arten. Als Beispiel sei die in Fig. 7 abgebildete angeführt. Die Kalyptra ist hier eine einfache. Andere Arten besitzen eine doppelte, eine Blumenkronenkalyptra und eine Kelchkalyptra. Von einer zweiten Blütenhülle (dem Kelch?) war nichts wahrzunehmen. Vermutlich ist sie also verkümmert, wie das auch bei anderen Myrtaceen vorkommt. Der Längsschnitt der Knospe (Fig. 7II) zeigt, daß der Griffel in der kegelförmigen Kalyptra steckt, „wie ein Finger im Handschuh“. Es ist auch die Ablösungsstelle (7) schon lange vor der Ablösung deutlich erkennbar. "Einerseits ist sie die schmälste — man sieht meist deutlich von außen und von innen eine Einkerbung — andererseits sind die Zellen hier kleiner und es fehlen die Steinzellen, welche in das Kalyptra einen großen Teil des Gewebes einnehmen. Diese machen die Kalyptra als Knospen- schutz wohl besonders geeignet, wozu ja noch die massige Gewebeausbildung selbst kommt. Es ist also begreiflich, daß die Knospen auch bei starker Insolation (sie sind ja, da die Blätter ihre Fläche in die Vertikale stellen, nicht wie sonst durch die Laubkrone gedeckt) im Schutze ihrer massigen Kalyptra heranreifen können. Die feste Verwachsung der Kalyptra- blätter einerseits, ihre beträchtliche Dicke andererseits lassen eine Ablösung wie bei Vitis unmöglich erscheinen. Nach Racızorskı sind die Zellwände an der Ablösungszone der von ihm untersuchten Art außerdem verkorkt, was ein Vertrocknen der Kalyptra bedingt. Es wird wohl auch der Steinzellring dazu beitragen, daß beim Austrocknen Spannungen entstehen, welche das Ablösen der Kalyptra bedingen oder erleichtern. Jedenfalls erfolgt das hier nicht wie bei Vitis durch einen Wachstumsvorgang bzw. durch die aktive Spannung der Innenseite der Kalyptra. Wenn der Griffel wächst, so wird er die Kalyptra vor sich her schieben. Aber es ist trotz der Länge des Griffels nicht recht einzusehen, wie er allein die Kalyptra beseitigen kann. Im Gegensatz zu RACIBORSKI, der meint, die Staubblätter scheinen beim Abwerfen der Kalyptra keine Rolle zu spielen, nehme ich an, daß das Letztere doch der Fall ist. Die Staubblätter sind in der Knospe nach unten eingebogen, verlängern und strecken sich dann und sind bei ihrer großen Anzahl trotz ihrer zarten Filamente sehr geeignet beim Weg- schaffen der Kalyptra mitzuwirken, indem sie sie von unten her fort- schieben, und schließlich von sich abgleiten lassen. Die Ablösung der Kalyptra erfolgt hier also auf andere Weise als bei Vitis, sie ist keine aktive, durch ihr eigenes Wachstum (oder durch stärkere Turgeszenz der Innenseite) erfolgende, sondern eine passive, durch anatomische Eigentümlichkeiten bedingte. Das erinnert einigermaßen an die Deckelbildung bei den Laubmoossporogonien, wenn auch der Mecha- nismus im einzelnen verschieden ist. Die beiden angeführten Beispiele bezogen sich auf eine Blumenblatt- kalyptra. Es sei deshalb noch ein solches für eine Kelchkalyptra angeführt, Calycotome scheint unter den Papilionaceen allein im Besitz einer solchen zu sein — was zeigt, daß die Kalyptrabildung ganz vereinzelt in bestimmten Verwandtschaftskreisen auftreten kann. Diese Gattung gelbblühender Dornsträucher muß jedem auffallen, der im Frühjahr die Vegetation der steinigen Hänge Dalmatiens betrachtet. Sie hat ihren Namen daher, daß der Kelch der entfalteten Blüte (nicht aber der der Blütenknospe, Fig. 8B) „wie abgeschnitten“ aussieht. Mit diesem Aussehen und der Bemerkung, daß der Kelch gestutzt (truncatus) ah m A ln aa SE de als - - Pr - u a ale in u de Az H 1 Da Dh a N RR IT ENT EEE N -., % are Ef RN 3 a „ ED . x 1: Pr Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 37 sei, begnügen sich die großen systematische Werke (so Bentham-Hooker, genera plantarum, Engler-Prantl, natürl. Pflanzenfamilien) !). Der Organo- graph aber möchte wissen, wie es kommt, daß der Kelch später nicht, wie bei verwandten Papilionaceen fünf „Zähne“ auch nach der Entfaltung aufweist. | Die junge Blütenknospe ist ganz vom Kelch eingeschlossen. Dieser besitzt einen eigentümlichen Bau. Eine junge etwa 5 mm lange Blütenknospe (Fig. 9) zeigt, daß der Kelch mehr als doppelt so lang ist, als die übrige Blütenknospe ?). Er weist zwei verschiedene Teile auf: der untere, dünne etwas ausgebauchte umschließt die Knospe, der obere, dessen Gewebe — namentlich durch die Bildung zahlreicher lufthaltiger Interzellular- Fig. 8. Calycotome spinosa. A Blütenknospe, Fig.9. Calycotome spinosa. A Längs- mit abgehobener (oben durchwachsener) Kalyp- schnitt durch eine Blütenknospe. tra. B jüngere Blütenknospe (2 X). B (stärker vergr.) Querschnitt durch den oberen Teil der Kalyptra. räume viel dicker ist, als das des unteren — bildet eine Röhre, die innen behaart ist und oben die fünf — meist zu einem zweischnabeligen Gebilde vereinigten — Kelchzipfel erkennen läßt (Fig. 8, BD). Man wird diesen oberen Teil des Kelches als wirksamen Schutz gegen starken Wasserverlust betrachten können, wenn auch ein experimenteller Beweis dafür (an den ich leider nicht dachte, als ich vor Jahren die Pflanze bei Ragusa antraf) nicht vorliegt. Die Offnung der Blüte beginnt damit, daß am Ende der Knospe ein gelbes Spitzchen — das Ende der Fahne — sichtbar wird). Die Blüten- - knospe ist also in die obere Kelchröhre hineingewachsen und hat deren schwammiges Gewebe zusammengedrückt. Man glaubt diese werde den Kelch hier auseinander drängen. Aber das ist nicht der Fall. Sie ver- !) Ob anderwärts der Vorgang untersucht ist (etwa in Lsk’s Originaldiagnose), - konnte ich nicht ermitteln. 2) Ahnliche Verhältnisse finden sich bei der Papaveracee Eschscholtzia californica. Auch hier ist der Kelch zunächst viel länger, als die von ihm umschlossene Blütenknospe und oben dicker als unten. Er wird durch das Wachstum der Blumenkrone entweder erst seitlich gesprengt (wobei aber der schnabelförmige obere Teil ganz bleibt) und dann an der Basis als Mütze abgehoben und abgeworfen oder sofort als Mütze von den Blumen- blättern emporgehoben. — Bei Chelidonium majus werden die beiden Kelchblätter einfach auseinandergedrängt. Da sie oben nicht fest zusammenhängen, sondern nur ineinander- geschoben sind, so werden sie nur passiv auseinandergedrängt, durch das Wachstum der von ihnen umschlossenen Blütenteile. Auch der Fruchtknoten wirkt dabei mit. Der kurze Griffel ist infolge des Widerstandes des Kelches häufig innerhalb der Knospe ge- bogen und streckt sich dann später gerade. , 3) Manchmal unterbleibt diese apikale Offnung und die Kalyptra wird ohne Durch- löcherung abgehoben. 38 Zweiter Abschnitt: längert sich und reißt dabei den Kelch, der zu einer häutigen Hülle zu- sammengedrückt ist, ringförmig ab. Eine besonders ausgebildete Abreiß- stelle konnte ich nicht wahrnehmen, sie fällt eben mit der zusammen, an welcher der Kelch dünn wird. Er ist also jetzt in zwei Teile zerlegt: einen oberen, die Kalyptra, welche später abgestreift wird, und einen unteren stehen bleidenden. Es zeigt sich also, daß die Bezeichnung „gestutzt*“ für den letzteren nicht etwa nur eine vergleichende ist, sondern daß tatsächlich durch das Wachstum der Blumenkrone ein Stück des Kelches abge- schnitten wurde. Der Vorgang ist ein ähnlicher, wie ich ihn früher für die kleistogamen Blüten von Impatiens noli tangere beschrieben habe. Bei diesen stellt die Blütenhülle frühe ihr Wachstum ein und vertrocknet. Sie wird dann von dem in die Länge wachsenden Fruchtknoten (an ihrem unteren Ende) abgehoben und sitzt als „Kalyptra“ auf der Spitze der jungen Frucht. Niemand wird in diesem Falle die Kalyptrabildung als eine „An- passung“ betrachten wollen. Das Zustandekommen ist aber im Grunde dasselbe wie in den anderen Blüten. Auch sind diese Fälle nicht prinzipiell verschieden von solchen, bei denen der Kelch, weil er frühzeitig sein Wachstum einstellt, gesprengt wird, wie ber Fissicalyx (Oaesalpiniacee) oder Gentiana lutea. Wenn der Kelch aus irgend einem Grunde die Fähigkeit, eine aktive Offnungsbewegung auszuführen eingebüßt hat, so wird er ge- sprengt, oder an der Stelle, welche den geringsten Widerstand bietet, abgehoben. Wie er beseitigt wird, ist aber gleichgültig. Man kann seine Ausbildung bei Calycotome (ebenso wie den wirksamen Verschluß bei Eucalyptus) im Knospenstadium als eine Anpassung betrachten, nicht aber die Art der Öffnung. Diese wäre ebenso zweckmäßig, wenn z. B. der Kelch auf einer Seite aufgesprengt würde. Viel höher entwickelt ist die Kalyptrabildung bei Eucalyptus. Deren phylogenetisches Zustandekommen könnte wohl durch eine vergleichende Untersuchung der vielen Arten dieser Gattung unserem Verständnis näher gebracht werden.‘ Indes dürfte so viel klar sein, 1. daß die starke Ent- wicklung des Kalyptragewebes ermöglicht, bzw. bedingt wurde durch einen Überschuß an Assimilaten, der diesen Pflanzen — ebenso wie der Gattung Calycotome — zur Verfügung steht. In beiden Fällen handelt es sich ja um Pflanzen, die an stark besonnten Standorten vorkommen. 2. Daß die Verringerung des Kelches bei Vitis oder dessen Verschwinden bei einigen Eucalyptus-Arten deshalb stattfinden konnte, weil die Blumenkrone sich als Knospenhülle entwickelte. Wie weit es sich um eine Ermöglichung oder eine korrelative Bedingtheit handelt, bleibt dahingestellt. Es würde aber müssig sein, darüber Vermutungen aufzustellen, wie die Ablösung der Kalyptra bei Eucalyptus ursprünglich zustande kam, ob sie z. B. auf abfallende Blumenblätter zurückzuführen oder etwas neu Entstandenes ist. Es scheint mir kein Grund vorzuliegen, der uns verhinderte, anzu- nehmen, daß die verschiedene Art, wie die Entfaltung der Blütenhüllen stattfindet, doch nur durch quantitative Schwankungen derselben Faktoren bedingt wird. Wo die Öffnung aktiv erfolgt, handelt es sich um den mehr oder minder festen Zusammenschluß an der Spitze einerseits, und um die Beschaffenheit der Basis (bei Calycotome einer weiter oben gelegenen Strecke) andererseits. Ist erstere fest, letztere locker, so, wird durch den- selben Wachstumsvorgang, der sonst eine gewöhnliche Offnung oder eine Zerreißung bedingt, eine Ablösung an der Basis bewerkstelligt. So bei Vitis. Man kann aber nicht sagen, daß das eine mit den Lebensverhält- EZ “ BY. te { AR A Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 39 nissen in Beziehung stehende Anpassungserscheinung sei. Bei der nahe verwandten Ampelopsis z. B. breitet sich die unscheinbare grüne Blumen- krone ganz in der gewöhnlichen Weise aus — bei Vitis löst sie sich ab. Sie kann das ohne Schaden tun, da sie eigentlich nur die Funktion des hier verkümmerten Kelches hat!) und für die Bestäubung der geöffneten stark duftenden Blüten entbehrlich geworden ist — ob sie sich ausbreitet oder ablöst aber erscheint von keiner weiteren Bedeutung — ebensowenig wie beim Kelch von Papaver, der an der Basis bei der Entfaltung sich ablöst oder dem von Oalycotome, der in seiner oberen Hälfte als Kalyptra abgehoben wird. Auch bei Eucalyptus gilt dieselbe Erwägung. Gewiß sind wir berechtigt, den festen Verschluß der Blüte und die starke Ent- wicklung der „Kalyptra“ vieler Arten dieser Gattung mit den klimatischen Verhältnissen in Verbindung zu setzen. Aber die Ablösung an der Basis kommt, wie das Beispiel von Vitis zeigt, auch bei Blüten mit zart gebauter Blütenhülle und bei Pflanzen vor, die durchaus nicht xerophil sind. Es scheint also für Vitis kein Grund vorzuliegen, das Zusammentreffen der zwei Bedingungen: fester Verschluß an der Spitze, geringerer Wider- stand an der Basis anders denn als ein zufälliges zu betrachten. Die angeführten Erwägungen lassen es auch verständlich erscheinen, daß in einer und derselben Gattung die Offnungsbewegung bald mit, bald ohne Mützenbildung stattfindet. So heben z. B. die schlanken Kätzchen von Salix purpurea fast immer ihre Knospendecke sehr zierlich als Mütze empor, während andere Salix-Arten mit: dickeren Kätzchen sie einfach zur Seite drängen, so Salix caprea. Später fällt die Knospendecke dann ab. So stellt also die Bildung einer Blütenhüllenkalyptra ein besonderes klares Beispiel dafür dar, daß — bildlich gesprochen — eine Aufgabe auf verschiedene Weise gelöst werden kann, ohne daß die Verschiedenheit jeweils einen besonderen Vorteil bieten würde — „es geht so, es ginge aber auch anders“. 2. Fensterblüten. Die Bezeichnung ist W. HooKEr entnommen. Dieser beschrieb 1845 ?) eine Masdevallia fenestrata, die unten zu erwähnen sein wird und prägte dadurch den Ausdruck einer Fensterblüte Wir verstehen darunter Blüten, deren Blütenhülle sich am Scheitel nicht öffnet, sondern nur seitliche Zugänge („Fenster“) zu den Staubblättern und dem Fruchtknoten frei läßt. Sie sind durch Übergänge mit den normal sich öffnenden Blüten _ verbunden. Merkwürdige Fensterblumen besitzen z. B. manche Arten der Asc- lepiadengattung ÜOeropegia?) (vgl. Fig. 10, II). Bei anderen aber gehen die Zipfel der Blumenkrone am Scheitel auseinander (C. stapeliaeformis) und bei ©. dichotoma beobachtete ich Blüten, bei denen das eintrat, und solche, bei denen es unterblieb. Uber die Bestäubung der Ceropegia-Blüten habe ich keine Angaben finden können. Daß sie im wesentlichen wie bei anderen Asclepiaden vor sich gehen wird ist, anzunehmen und von DELrINO und !) Sie ist deshalb manchmal — selbst noch neuerdings — mit dem Kelch ver- wechselt worden! 2) Botanical magazine 1845 t. 4164. 3) Eine Beschreibung der merkwürdigen Blüten erscheint, aus den im Texte ange- führten Gründen, nicht erforderlich. . 40° Zweiter Abschnitt: KIRCHNER !) ausgeführt worden. Man kann auch über die Bedeutung der Fensterbildung Vermutungen aufstellen, welche sie in Beziehung zur Fort- schaffung der Pollinien bringen — ohne wirkliche Anhaltspunkte würde die Erörterung aber in der Luft schweben. Einstweilen wird man an- nehmen dürfen, daß die Bestäubung ebenso vor sich gehen würde, auch wenn die Blüten in der üblichen Weise sich öffnen würden. Wenn man einen Querschnitt durch die Spitze einer Blumenkrone, z. B. von Ceropegia dichotoma macht, so fallen die fünf „Nähte“, mittelst deren die fünf Zipfel der Blumenkrone zusammenhängen, durch ihre ungemein feste Verzahnung und Verwach- sung auf, während weiter unten die fünf Lappen der Blumenkrone in der Knospenlage sich nur an den Rändern berühren — also bei weiterem Wachstum leicht ‘sich voneinander trennen können. Es ist also auch hier der Widerstand an der Spitze, welcher die Offnung verhindert. Die Offnung der Fenster erfolgt aktiv. Eigen- tümlich ist dabei, daß die Einkrümmung der Blumenkronenzipfel, welche die Offnung bedingt bei C. elegans nach innen erfolgt (vgl. die Kırcaner’sche Abbildung Fig. 86. A.a.a. O.) bei ©. dichotoma u. a. nach außen. Die näheren dabei stattfindenden Vorgänge sind nicht unter- z er ar 4, Sucht. Es ist aber im letzteren Falle klar, daß, nach Bot. mag. wenn wie gewöhnlich in einem bestimmten Ent- II von Ceropegia Woodi. wicklungsstadium der Blumenkronenzipfel epi- nastisches Wachstum eintritt, dieses, da die Zipfel unten und oben festgehalten sind, sich einerseits in einem Zurückschlagen der Ränder nach außen, andererseits in einer Ausbauchung des mit Fenstern versehenen Teiles der Blumenkerne äußern wird. Auch bei Masdevallia fenestrata (Fig. 10, I) bleiben die äußeren Perigon- blätter am Scheitel vereinigt „leaving a space much below the apex, which is open and window-like the whole representing the head of a bird, with a perforation where the eyes should be“ ?). Diese Ähnlichkeit gab vielleicht Veranlassung, die Blüten als „one of the very curious productions of nature“ zu bezeichnen. Die Fensterbildung kommt dadurch zustande, daß das obere Perigonblatt von den zwei seitlichen (welche, wie bei anderen Arten, vereinigt bleiben) an zwei Stellen durch sein epinastisches Wachstum sich ablöst. Da der Zusammenhang an der Spitze ein fester ist, so genügt, dies Wachstum nicht, um eine vollständige Trennung herbeizuführen. Ahnlich verhalten sich die Masdevallia-Arten, die später von Rodriguez als besondere Gattung Uryptophoranthus zusammengefaßt wurden ?). CH. Darwın bespricht in seinem berühmten Orchideenbuche *) auch Masdevallia fenestrata. Er konnte aber über die Art, wie die Bestäubung erfolgt, nicht ins Klare kommen. Er sagt, die ganze Struktur der Blüte scheine sorgfältig darauf berechnet zu sein, die Entfernung der Pollinien sowohl als deren spätere Einführung in die Narbenkammer zu verhindern ı) Vgl. Kırcaxer, Blumen und Insekten p. 240. ?) Botanical magazine 1845 t. 4164. ®) Vgl. R. A. Rorre, The genus Cryptophoranthus or Window-bearing Orchids. GARDENNER’s Chroniele 1837 p. 692. *) Deutsche Übersetzung ‚(1862) p. 104. y 4 e { ; + ar Dt EI L ra ur ; A len A VE 5 a ee N he werden sich aber noch weitere auffinden / Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 41 Das wäre also bei dieser „ganz außerordentlichen“ Blüte genau das Gegen- teil der sonstigen Blüteneinrichtungen bei Orchideen. Da das zunächst nicht wahrscheinlich ist, so vermutet er: „Some new and curious contrivance has here to be made. out“. Wenn es auch gewiß möglich ist, daß ein solcher Vorgang noch entdeckt wird, so ist doch diese Außerung einstweilen nur eine auf einer allgemeinen Anschauung be- ruhende Vermutung. Vorläufig ist die Fensterbildung als ein besonderer Anpassungsvorgang bei diesen Orchideen ebensowenig erwiesen wie bei Ceropegia. Sie ist bedingt durch das feste Zusammenhalten am Scheitel. Aber nichts deutet darauf hin, daß dieses letztere, bildlich gesprochen, ein absichtliches sei. Die naheliegende Annahme, es werde dadurch „Ein- dringen von Regen“ in die Blüte verhindert, läßt sich auf Blüten wie Öeropegia u. a. nicht anwenden. Die Fensterbildung kann auch nur die Korrektur einer an sich unzweckmäßigen Erscheinung, des Geschlossen- bleibens an der Spitze, sein. Ohne diese Korrektur müßten Pflanzen, deren Blüten auf Fremdbestäubung ange- wiesen sind, wie die der Asclepiadee Üero- pegia und der genannten Orchideen, samen- los zugrunde gehen, falls sie nicht etwa Mittel zur ungeschlechtlichen Vermehrung besitzen. Von einer „Staubblattkalyptra“ ist mir bis jetzt nur ein Fall bekannt ge- worden — der von Impatiens. Gewiß lassen. Untersucht wurden I. Holsti (Fig. 11) und I. Sultani. Die fünf Antheren bedecken im ersten Fig. 11. Impatiens Holti. 7 Blüte (mehrere Tage dauernden), männlichen mit Staubblattkappe st. E Eingang Stadium der Blüte den Fruchtknoten, zum Sporn. IT Querschnitt durch dessen Narben noch unentwickelt sind. die Filamentröhre. Sie sind in der (resupinierten) Blüte so . angeordnet, daß der Pollen, wenn er bei der Öffnung der Antheren frei- gelegt wird, in einer Rinne liegt, die auf den Eingang zum Sporn zuführt. Die Filamente sind an ihrer Basis schmal, weiter oben verbreitert (Fig. 11, I7). Unterhalb der Antheren sind sie miteinander verwachsen. Um die Spitze des Fruchtknotens frei zu legen, sind eigentlich nur zwei Wege vorhanden: Entweder könnte der Fruchtknoten die Staubblattröhre durchwachsen (ähnlich wie bei den Kompositen), oder die Filamente lösen sich an ihrer Basis ab und das ganze Androceum wird als Kappe abge- worfen. Der erstere Weg ist ungangbar, weil der Fruchtknoten kurz bleibt und keinen Griffel entwickelt. Es wird also der zweite gewählt. Daß die Ablösung der Staubblattkappe nicht lediglich aktiv erfolgt, sondern. durch das Wachstum des Fruchtknotens befördert wird, ist mir nicht zweifelhaft. Es scheint sogar, als ob sie weggeschleudert würde, indem sich eine Entfaltungsspannung entwickelt. Gesehen habe ich das freilich nicht, aber es fiel mir auf, daß man die Staubblattkappe nie auf der Blüte selbst liegen findet, auch bei Blüten, deren Blumenkrone annähernd hori- zontal steht, also die abgelöste Kappe nicht sofort abrollen läßt. Es kann die Frage unerörtert bleiben, ob der feste Zusammenhalt der Filamente bei Impatiens eine besondere Bedeutung habe, denn hier handelt es sich nur um die kausale Bedingtheit des Entfaltungsvorganges. Dieser 42 Zweiter Abschnitt: liegt klar zutage: der feste Zusammenhang der Filamente verhindert die Staubblätter einzeln abzufallen oder zu verschrumpfen. Letzteres wird auch wegen der fleischigen Beschaffenheit der breiten Filamente nur lang- sam vor sich gehen. Es bleibt also, um den Fruchtknoten und namentlich dessen Spitze freizulegen als einfachstes Mittel zur Beseitigung der nutzlos gewordenen Organe die Abhebung einer „Kalyptra“, ähnlich wie bei den Knospen- schuppen mancher Coniferen. Im Anschluß an die Fensterblüten sei noch ein analoger Fall für eine blütenlose Pflanze, bei der es sich auch um Fensterbildung handelt, an- geführt. Bei Calymperes?) (einem Laubmoos) umschließt die Kalyptra das Sporogon auch noch nach der Sporenreife. Die Sporen könnten sich nicht verbreiten, wenn nicht in der Kalyptra ‚Fenster‘ entstehen würden. Auch hier wird das Verhalten der Kalyptra nachträglich sozusagen durch die Fensterbildung ausgeglichen. Diese ermöglicht bei Calymperes die Sporenausstreuung aus den geöffneten Kapseln, bei den genannten Blüten die Bestäubung durch Insekten. | Bildlich gesprochen bleiben der hier vertretenen Auffassung nach die Fensterblüten oben geschlossen (und die Kalyptra bei Calympere verhält sich ebenso), nicht weil sie sich dort nicht öffnen „wollen“ oder weil das für sie einen besonderen Vorteil mit sich bringt, sondern weil sie sich nicht öffnen können. Die Fensterbildung ist nicht ein Weg, der mit besonderer Absicht gewählt wurde, sondern ein Ausweg aus einer Sackgasse. Sie kommt demgemäß auch an Kelchen gelegentlich vor. So bei Crotalaria fenestrata?), bei der die drei unteren Kelchblätter bis zum Vertrocknen der Blüte an der Spitze vereinigt bleiben. Die Fenster zwischen ihnen dürften aber nicht, wie a. a. O. angenommen ist, durch Kontraktion der Kelchblätter, sondern durch deren epinastisches Wachstum entstehen. Als eine Art Ubergangsbildung zu dem gewöhnlichen Entfaltungs- vorgang mögen hier noch die Blüten von Phyteuma erwähnt sein (z. B. Ph. spicatum). Auch bei dieser Gattung halten die fünf Blumenblätter anfangs an der Spitze zusammen und bilden einen engen, die Staubblätter einschließenden Schnabel. Später aber wächst der derbe Griffel, der den Pollen herausfegt, durch die Staubblätter und die Spitze der Blumen- blätter durch. Die Blumenkrone öffnet sich unterhalb des Schnabels in fünf (für die Bestäubung bedeutungslosen) Fenstern. Schließlich trennen sich die Zipfel der Blumenkrone auch an der Spitze. Die nicht-adaptionelle Natur der Fensterblüten scheint mir hier besondes klar, der Pollen wird ja außen von der Griffelbürste weg, nicht durch die Fenster abgeholt. Bedingt aber sind diese durch dieselben Vorgänge, wie in den oben er- wähnten Fällen. Auf die Fensterbildung bei Früchten kann hier nicht eingegangen werden. Es sei nur auf einen Fall hingewiesen. Bekanntlich öffnen sich die Früchte der Leguminosen normal dadurch, daß einerseits die verwachsenen Fruchtblattränder auseinandertreten, anderer- seits auch die Fruchtblattmitte eine mehr oder tief gehende Längs- spaltung erfährt, welche die Auswärtsbewegung der Fruchtblatthälften er- leichtert. !) GoEBEL, Organographie 2. Aufl. p. 890 Fig. 8%. ?2) Abb. in Botanical magazine Pl. 1933. TA Dr k ‚ ent -. a a LE a de a in St > Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 43 Fig. 12 stellt einen Ausnahmsfall dar. Bei Carmichaelia löst sich das Gewebe des Fruchtblattes auf beiden Seiten durch Schrumpfung von einem stehenbleibenden Geweberahmen ab, die Frucht er- hällt also zwei große Fenster. Das ist offenbar be- - dingt dadurch, daß sowohl an der Verwachsungsstelle als an der Mittellinie des Fruchtblattes eine Ver- härtung der Gewebe eintrat, welche eine Trennung unmöglich machte. Daß die Pflanze „um die Samen verbreiten zu können“ sich auf eine andere Weise geholfen hat, würde man aber nur dann als eine „Anpassung“ betrachten können, wenn sich aus Fig. 12. Früchte von ‘der Rahmenbildung ein besonderer Vorteil für die Carmichaelia _flagelli- Samenverbreitung ergeben würde. Solange das nicht un and C. ausiralis. ö 3 F E ie Seitenwände des nachgewiesen ist, kann man auch auf Carmichaelia Perikarps in Ablösun das über Calymperes Gesagte anwenden. begrifien B abrelöstr $ 3. - Entfaltung durch Wachstum. Die gewöhnlichen durch Wachstum bedingten Entfaltungsbewegungen brauchen hier keine besondere Besprechung. Ihr Verlauf ist naturgemäß an radiären und an dorsiventralen Organen ein verschiedener. Die be- sonderen Fälle, in denen bei dorsiventralen Organen auffallende Krümmungen (Nutationen) oder bei ihnen und radiären Torsionen zustande kommen, sollen auch besonders besprochen werden. Hier ist nur noch zu erwähnen, daß auch tote Pflanzenteile Entfaltungsbewegungen ausführen können, das zeigt z. B. das Verhalten der Fruchtstäinde mancher Umbelliferen, wie Daucus Carota u. a. Die Dolde ist zur Blütezeit ausgebreitet. Später tritt durch stärkeres Wachstum der Außenseite der Blütenstiele ein Zu- sammenschluß ein. In diesem Zustand stirbt das Gewebe ab. Ein Aus- einandergehen der Fruchstiele kommt dann später durch deren stärkeres Schwinden auf der Außenseite beim Austrocknen zustande. Ebenso handelt es sich bei den auffallenden Offnungsbewegungen mancher Kompositen - Fruchtköpfe um Bewegungen, welche durch Wasserverlust in einem absterbenden Gewebe zustande kommen — Vor- gänge, die einigermaßen überleiten zu dem Verhalten mancher Früchte, in deren Perikarpien beim Austrocknen toter Gewebe entstandene Spannungs- differenzen eine große Rolle spielen. Die genannten Bewegungen der Kompositenfruchtköpfe werden bei Besprechung der Schwellkörperbildung erläutert werden. $ 4. Entfaltung durch Turgor. Daß auch durch Turgordehnung allein Entfaltungsvorgänge veranlaßt werden können, wird oft nicht beachtet. Für länger lebende Pflanzenteile wäre ein solcher leicht rückgängig zu machender Vorgang auch kaum zweckmäßig. Wir finden ihn indes bei kurzlebigen Organen, wie sie namentlich in Blüten vorkommen, gar nicht selten, z. B. wird das „Öffnen“ der Narbenlappen oder Narbenäste vielfach durch stärkere Turgordehnung der Oberseite bedingt und derselbe Vorgang kommt bei der merkwürdigen Entfaltung der Convolvulaceenblumenkrone in Anwendung. Die betreffen- den Fälle werden mit den Reizbewegungen in den Blüten besprochen - werden (Abschnitt VIII). Es wird sich dort zeigen, daß Reizbewegungen 44 Zweiter Abschnitt: eben bei solchen Blütenteilen, deren Entfaltung auf Turgor beruht, vor- kommen. Bei dorsiventralen Organen können dabei Entfaltungsbewegungen sowohl durch Turgorsteigerung auf der einen Seite als durch Turgor- minderung auf der anderen Seite eintreten. Es braucht also die Offnungsbewegung bei der Entfaltung dorsiven- traler Organe nicht nur auf einer stärkeren Ausdehnung (sei es durch Turgor, sei es durch Wachstum) der Oberseite zu beruhen — es kann auch eine Verkürzung der Unterseite eintreten. Das wird für die reiz- baren Staubblätter einiger Blüten zutreffen (vgl. Kap. VIII) und WıEsner !) kam für Anagallis (und „manche anderen Pflanzen“ z. B. Bellis, Cicho- rium Intybus, Veronica agrestis u. a.) zu der Annahme, „daß das Auf- blühen auf einer Wasserabgabe beruht, durch welche eine andere Ver- teilung des Wassers in den Geweben der Blumenkrone eintritt, die zur Offnungsbewegung führt“. Der Vorgang ist indes, so viel mir bekannt ist, nicht näher untersucht. Da die Blüten von Anagallis sich an abgeschnitte- nen Sprossen (mit welkenden Blättern) im Sonnenschein schon nach 10 Minuten öffnen, so ist anzunehmen, daß der Vorgang auf einer Herunter- setzung des Turgors auf der Unterseite (Außenseite) der Blumenkrone beruht. Es wird später gezeigt werden, daß der entgegengesetzte Vorgang (eine Schließbewegung) auch durch Erschütterung erfolgen kann. Mit den Entfaltungserscheinungen im Zusammenhang stehen auch die auffallenden Bewegungen, welche die Blätter einiger Gräser bei Wasser- verlust aus fassen. Nicht bei allen Einroll- oder Einfaltungsbewegungen von Grasblättern ist der Vorgang offenbar derselbe. Hier sollen nur die erwähnt werden, die so rasch verlaufen, daß man sie teilweise für seis- monastische Reizbewegungen gehalten hat. So bei Leersia oryzoides ?) (Oryza clandestina). Die Blüten sind hier in der Knospenlage gerollt. Die gerollte Blattspreite entfaltet sich nicht wie sonst einfach durch stärkeres Wachstum der Oberseite. Die gewöhnlichen Blattzellen sind bei der Entfaltung nicht beteiligt (vgl. die Anm.), diese wird durch die Volum- zunahme bestimmter Enfaltungszellen der Oberseite bedingt. Diese er- reichen aber ihre Volumvergrößerung nicht nur durch Wachstum, sondern wenigstens zum Teil durch Turgeszenz. Wird diese vermindert, so tritt eine Einrollung des Blattes ein. Man kann den Wasserverlust durch Transpiration beschleunigen, wenn man einen abgeschnittenen Sproß in einem nicht allzu feuchten Raum schüttelt. Es beginnt dann die Ein- rollung schon nach sehr kurzer Zeit, in einigermaßen trockner Luft schon nach '/, Minute. Oft schon nach zwei Minuten hat man dann einen Sproß in der Hand, der ganz anders aussieht, als vorher. Er hat statt flacher röhrenförmig eingerollte Blätter?). Länger dauert es bei Phragmites communis. Bei abgeschnittenen, in der Hand ruhig getragenen Sprossen !) J. WıIEsxer, Studien über das Welken von Blüten und Laubsprossen, Sitz.-Ber. der Wiener Akademie 86. Bd. 1882. ?) Goeser, Das Rumphiumsphänomen p. 82. Wie dort erwähnt (p. 85), liegt ein Beweis dafür, daß die Einrollbewegung durch Turgorverminderung in den Gelenk- zellen zustande kommt, bis jetzt nicht vor. Es könnten z. B. auch die gewöhnlichen Epidermiszellen daran beteiligt sein. Indes ist im Texte gegebene Auffassung sehr wahrscheinlich. — ; ») Daß keine seismonastische Reizbarkeit vorliegt (wie angenommen wurde), geht daraus hervor, daß Schütteln nicht abgeschnittener Blätter oder Sprosse keine Einrollung E ornit, Ebensowenig tritt diese ein, wenn man abgeschnittene Sprosse in Wasser schüttelt. Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 45 rollten sich in trockener Luft im Freien die Blätter nach 4 Minuten ein ?). Bei den xerophilen Gräsern, deren Blätter eine Schließbewegung ausführen können, mögen teilweise andere Verhältnisse obwalten. Für uns ist von Bedeutung, daß Leersia ein Beispiel dafür bietet, daß der durch Turgor bedingte Entfaltungsmechanismus auch nach der Entfaltung noch in Bewegung gesetzt werden kann. Das kommt für die später zu besprechenden „Sensitiven“ in Betracht. .. 85. Definition des Wortes Gelenk. Auf die verschiedene Verteilung des Wachstums an sich entfallenden Pflanzenteilen braucht nicht näher eingegangen zu. werden, da das mit unserem Thema nicht in enger Verbindung steht. _ Dagegen ist für uns von Bedeutung das Vorkommen besonderer, mit der Entfaltung in Beziehung stehender Organe, die man als „Gelenke“ bezeichnet hat. Die Bezeichnung „Gelenk“ entstammt der Betrachtung tierischer Be- wegungsorgane. Man hat sie übertragen auf die (unten als aktive Gelenke bezeichneten) „Gelenkpolster“ oder Gelenkknoten an Sprossen und Blättern höherer Pflanzen, von denen man annahm ?), daß ihnen „die Ausführung von Krümmungsbewegungen übertragen ist“. Solche Bewegungen treten hervor namentlich bei den Gelenken, die ‚ als Spannungsgelenke funktionieren, d. h. deren Festigkeit hauptsächlich auf Turgorspannung beruht, die ihnen mechanische Leistungen im Dienste der Sproßachse oder der Blätter gestattet. Das Auftreten dieser Gelenke bedingt die Art und Weise der Entfaltung der betreffenden Organe. Viele davon sind zuerst als „Wachstumsgelenke* wesentlich bei den Entfaltungs- bewegungen beteiligt. Trotzdem hat man diese aktiven Gelenke bis jetzt ausschließlich als Organe für Ausführung von Bewegungen betrachtet, die nach der Ent- faltung eintreten. Demgegenüber wird im folgenden zu zeigen sein, daß es „Gelenke“ gibt, die normal überhaupt keine Bewegungen ausführen, obwohl sie bei Lagenveränderungen dazu imstande sind?) (Gelenke des Blattstiels bei Marattiaceen, Gonatopus, viele Sproßachsengelenke). Die ' Bewegungsfähigkeit erscheint bei ihnen also zweifellos als eine Neben- funktion. Diese wird ermöglicht dadurch, daß sie ihre Wachstumsfähigkeit länger beibehalten als die übrigen Teile, die zudem durch Steifungsgewebe starr geworden sind. Das Kollenchym der „Gelenke“ trägt zwar zu deren Festigkeit bei, kann aber bei Welkwerden das Erschlaffen nicht verhindern, so wenig wie die Gelenkkrümmung. Die als Bewegungsorgane betrachteten Gelenke unterscheiden sich ‚aber nicht wesentlich von den starren Blattstielpolstern und Gelenkknoten. Wie es Übergänge gibt von einer gleichartigen Struktur des Blattstiels bis zur deutlichen Unterscheidung von „Gelenk“ und starrem Teil — (bei Quercus z. B. ist der unterste Teil des Blattstiels nur in der Jugend fähig ‚als Wachstumsgelenk zu dienen; später wird in ihm auch Sklerenchym ausgebildet) — so auch von Gelenken, die Variationsbewegungen ausführen zu solchen, die starr sind. Das Gelenk des Hauptblattstieles von Pithe- colobium Saman z. B. führt nur in der Jugend Schlafbewegungen aus, !) Altere Blätter reagieren langsamer, als jüngere. ?) G. HABERLANDT, Physiol. Pflanzenanatomie 5. Aufl. Leipzig 1918. ?) Ebenso wurde darauf hingewiesen, daß Ranuneulusblätter unter dem Einfluß der Verfinsterung Bewegungen ausführen, die normal gar nicht in die Erscheinung treten. 46 Zweiter Abschnitt: später wird es starr, kann’ aber wahrscheinlich bei Lagenveränderungen noch als Wachstumsgelenk dienen. Auch bei den Sproßgelenken finden sich solche, die früh schon starr werden, d. h. nicht mehr imstande sind, bei Lagenveränderung das Wachstum aufzunehmen. Und im Alter werden alle, auch die Bewegungsgelenke starr, es ist im Grunde nur der Zeit- punkt verschieden, in welchem das eintritt. Der charakteristische Gelenk- bau der Spannungsgelenke kann nicht als eine „im Kampf ums Dasein erworbene Anpassung“ zur Ausführung von Variationsbewegungen be- trachtet werden. Wenn man bedenkt: 1. daß die Wachstumsgelenke (abgesehen von der Reizbarkeit der Schwellgewebe) im anatomischen Bau vielfach große Übereinstimmung mit ihnen zeigen (namentlich die Zusammendrängung der Leit- bündel in die Mitte), 2. daß die Spannungsgelenke mit Variationsbewegungen starr werden können und dann wie Wachstumsgelenke sich verhalten, 3. daß sie in der Jugend ohnedies als Wachstumsgelenke tätig sind, und dies auch später noch tun können, so wird das Auftreten der Spannungsgelenke mit variabler Spannung nur als ein Einzelfall erscheinen, welcher Bewegungen ermöglicht, ohne daß diese stets einen bestimmten Zweck zu haben brauchen. Hier war zunächst die Rede von aktiven Gelenken. Außer diesen gibt es auch passive Gelenke. Das sind solche, welche die Bewegung nur ermöglichen, ohne sie selbst auszuführen, während das letztere bei aktiven Gelenken geschieht. Eine Verschmälerung in einem sonst breiteren und dickeren Gewebekörper kann als solches passives Gelenke dienen. Voraussetzung dazu ist nur, daß es der Bewegung weniger Widerstand entgegensetzt, als anderen Teilen und daß es die Bewegung aushalten kann. Ein aktives Gelenk kann unter Umständen als passives dienen. Läßt man Mimosen z. B. lange welken, so lassen sich die Blätter an ihrer Basis leicht bewegen. Dreht man den Topf um, so sinkt das Blatt herunter. Das aktive Spannungsgelenk ist nach Aufhebung des Turgors zu einem passiven geworden: es setzt der Auf- oder Abwärtsbewegung des Blattes keinen Widerstand entgegen, weil das sonst im Blattstiel befindliche Sklerenchym hier nicht äusgebildet ist, und die weichen Parenchymzellen auch keinen Widerstand entgegensetzen. Es ist dies ein für die Auffassung der Gelenke wichtiger Fundamental- versuch, der aber in keinem „pflanzenphysiologischen Praktikum“ zu finden ist — wahrscheinlich weil kein Apparat dazu gehört. Ebenso verhalten _ sich alle anderen Spannungsgelenke (auch die nicht reizbaren) in Blättern von Marattiaceen, Gonatopus u. a. und die Sproßachsengelenke von Pilea stipulosa (s. u.). Kehren wir zurück zu den aktiven Gelenken, so handelt es sich bei den durch diese ausgeführten Bewegungen entweder um Verschiedenheiten des Wachstums auf verschiedenen Seiten des Gelenks — Beispiele dafür werden sich bei Besprechung der Blattnutationen angeben — oder um Anderungen der Turgorspannung in den antagonistisch wirkenden Gelenk- hälften. Daß aber keine wesentlichen Unterschiede zwischen Wachstums- und Spannungsgelenken bestehen, wurde schon betont. Außer von passiven und aktiven Gelenken soll hier auch von Schwell- körpern die Rede sein. Es sind das Gewebekörper, welche nach Gestalt und Bau einfacher sind als die aktiven Gelenke, Gewebekörper, welche A Dr Er \ 7 € ‘ Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 47 durch ihre Volumzunahme oder -Abnahme Lagenveränderungen nicht mehr wachstumsfähiger Pflanzenteile bedingen. Sie haben — schon weil die durch sie veranlaßten Entfaltungsbewegungen viel weniger auffallend her- vortreten, als die von aktiven Gelenken ausgeführten — viel weniger Be- achtung gefunden, als die Gelenke, von denen sie sich nicht immer scharf abgrenzen lassen, sind aber gerade für die Entfaltungsbewegungen mancher Pflanzen von ganz besonderer Bedeutung. Nicht unerwähnt mag bleiben, daß in Gewächshäusern die Schildläuse geradezu „Indikatoren“ für die Gelenke sind, da sie diese mit besonderer Vorliebe aufsuchen und oft dicht besiedeln. Dasselbe gilt z. B. für die Schwellkörper an der Basis der einzelnen Sprosse oder Sproßbüschel von Cyperus Papyrus. Es ist dies nach der Beschaffenheit der Gelenke ja leicht verständlich — sie sind weicher und reicher an Wasser (und darin gelösten Stoffen) als die benachbarten Pflanzenteile, und deshalb zur Aus- beute für die tierischen Schmarotzer besonders geeignet. Nach diesen einleitenden Bemerkungen mögen die einzelnen Gelenk- formen an einer Reihe von Beispielen näher erörtert werden. $S 6. Passive Gelenke. Passive Gelenke sind — soweit meine Erfahrungen reichen — bis jetzt nur an Blattorganen bekannt. Zwar kommen auch an Sproßachsen dünne Stellen vor, welche die Loslösung von Brutknospen !), von abgeblühten männlichen Blüten (z. B. bei Euphorbia u. dergl.) ermöglichen, aber man kann nach der oben ge- gebenen Definition sie nicht als Gelenke bezeichnen. Sie gestatten nur eine einmalige, nicht eine wiederholte Bewegung. Passive Gelenke finden sich namentlich in Blüten. Sie ergeben sich bei den Staubblättern mit drehbaren (versatilen) Antheren einfach da- durch, daß die dickere Anthere nach unten über ihre Anhaftungsstelle an dem dünneren Filament hinauswächst. Die dünne Filamentspitze stellt ‘dann das Gelenk dar. Ob man in der Drehbarkeit der Antheren eine wirkliche „Anpassung“ sehen soll, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden. Gewöhnlich werden nur besonders auffallende Beispiele, so unter den windblütigen Pflanzen die Gräser berücksichtigt. Daß bei diesen, wie in einigen anderen Fällen die Drehbarkeit der Antheren das Herausschütteln des Pollens erleichtert, ist einleuchtend. Aber gewiß findet es sich auch in anderen Blüten, bei denen nicht drehbare Antheren dieselben Dienste leisten würden. Besonders oft angeführt wird für die auf Insektenbestäubung an- gewiesenen Pflanzen die Drehbarkeit der Antheren bei Salvia und ver- wandten Pflanzen. Weniger bekannt ist vielleicht eine Parallelbildung dazu, wie sie sich in den Blüten einiger Zingiberaceen, so bei Curcuma und Roscoea sikki- mensis (Fig. 13) findet?). Das einzige in der Blüte vorhandene Staub- t) So z. B, bei Lycopodium Selago. Vgl. GoEBEL, Organographie 2. Aufl. p. 1071 Fig. 1050 IV. 2) Zuerst wohl beschrieben von Derpıno. Vgl. Knur#’s Handbuch der Blütenbiologie III, 1 (1914) p. 176. — Es ist mir nicht bekannt, ob über die morphologische Auffassung der Erscheinung sich jemand geäußert hat. Meiner Ansicht nach leitet sich die Anthere von Roscoea und Curcuma ab von einer gewöhnlichen versatilen Anthere, deren untere, an zwei Stellen stark vorgezogene Partie, steril geworden ist. Das läßt sich, wie mir die Untersuchung jüngerer Blüten zeigte, entwicklungsgeschichtlich begründen, auch 48 Zweiter Abschnitt: | blatt besitzt zwei spornartige Hervorragungen (H Fig. 13), an welche das blütenbesuchende Insekt anstoßen muß, wenn es den Nektar ausbeuten will. Sie entsprechen ihrer Leistung nach den sterilen Antherenhälften von Salvia. Der ganze Apparat kann aber nur dadurch wirken, daß, wie "Fig. 13 zeigt, ein Gelenk (Ge) vorhanden ist, welches die Drehung — und zwar nur in Einer Richtung — gestattet. Der Griffel (Gi) muß sich, da er von der Anthera umfaßt ist, mitbewegen. Die geöffnete Anthere kommt wie bei Salvia mit dem Rücken des Insekts in Berührung. Beim Besuch einer neuen Blüte wird zunächst die Narbe berührt und so eine Pollenübertragung — meist wohl eine Fremdbestäubung — bewerkstelligt. Hier wie bei Salvia ist besonders auffallend das Zusammenwirken des Gelenks mit einer Ausbildung des Staubblatts, die bedingt, daß die Blütenbesucher das Gelenk in Tätigkeit setzen müssen. Fig. 13. Roscoea sikkimensis. Staub- Fig. 14. Anguloa Ruckeri. Links Knospe, blatt und Griffel (Gi), Ge Gelenk, H in welcher das Labellum der Säule (dem sterile Antherenteile. Z/ in Ruhe. /I Gynostemium) noch anliegt. Rechts das durch Druck auf H gedreht. Labellum nach unten gefallen. (Die Blüten- hüllblätter außer dem Labellum alle entfernt.) (Verkl.) Da indes diese Gelenke mit der Entfaltung nicht im Zusammenhang stehen, so soll die Frage nach ihrem Zustandekommen nicht weiter er- örtert werden. Beziehungen zwischen Gelenkbildung und Entfaltung finden sich da- gegen bei manchen Orchideen. Die Funktion des Gelenkes für die Entfaltung der Orchideenblüten läßt sich sehr schön bei Anguloa Ruckeri beobachten. Im Knospenzustand ist die Blüte aufrecht, sie bildet scheinbar die Spitze des einblütigen Blütenstandes und ist von ihrem Deckblatt umfaßt. Löst man die Blütenhüllblätter bis auf das Labellum ab, so sieht man, daß dessen Seitenteile das große Gynostemium bedecken (Fig. 14 links). Sie haften zunächst an ihm. Ein leichter Druck genügt aber, um sie abzulösen. Dann fällt das Labellum so herunter (Fig. 14 rechts), daß es mit dem vertikal gehaltenen Gynostemium einen Winkel von etwa 90° macht. Es ist nämlich. einem Fortsatz des Gynostemiums mit einem Gelenke eingefügt, das eine außerordentlich leichte Beweglichkeit des Labellums gestattet. Es wurde das an einer Knospe beobachtet, die noch weit vor der Entfaltung stand. Es unterliegt für mich, obwohl ich den Moment des Aufblühens selbst nicht beobachtet habe, keinem Zweifel, der Querschnitt der Fortsätze entspricht einem sterilen Antherenquerschnitt. Sowohl bei Salvia als bei Roseoea wird also der Staubblatthebel durch sterile Antherenteile gebildet. Aber dort durch einen sterilen Seitenteil, hier durch einen sterilen unteren Teil. war" Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 49 daß auch dabei das Labellum herunterfällt. Die Blüte wird nämlich durch etwas stärkeres Wachstum der abaxialen Seite des Fruchtknotens und die Art des Auseinanderweichens der drei äußeren Blütenhüllblätter etwas schief gestellt. Das Labellum fällt dann, wenn es durch das epi- nastische Wachstum seiner Seitenflügel das Gynostemium nicht mehr fest umfaßt, durch sein Gewicht herunter. Dasselbe könnte natürlich auch durch eine aktive Veränderung im Gelenk selbst bedingt werden. Aber es verhält sich bei dieser Art offenbar passiv, bei A. Olowesi scheint es anders zu sein. Es mag sein, daß das Gelenk, welches diesen Vor- gang ermöglicht, auch bei der Bestäubung von Bedeutung ist!). Seine primäre — bis jetzt übersehene — Bedeutung aber ist die oben dargelegte. G. Mann?) hat für Bolbophyllum Lobbiü, Rınıey für B. macranthum höchst merkwürdige Zusammenhänge der Beweglichkeit des Labellums mit der Bestäubung beobachtet. Es wirkt durch seine leichte Drehbarkeit als Gleitschaukel, d. h. ein Insekt gleitet, wenn es auf den hinteren Teil des Labellums gelangt, ab und wird dann durch das Umkippen des La- bellums nach dem Gynostemium hinbefördert. Wie weit das für die Be- stäubung erforderlich ist, wäre im einzelnen wohl noch näher festzustellen; indes liegt es nahe, darin eine Einrichtung zur Sicherung der Fremdbe- stäubung zu sehen. Hier ist die Frage vor allem die, ob die Labellumgelenke bei der Entfaltung beteiligt sind oder nicht, namentlich auch bei den Orchideen, bei welchen das entfaltete Labellum imstande ist, Reizbewegungen aus- zuführen, wofür Masdevallia muscosa und Pterostylis oft genannte Beispiele darstellen. Eigene Beobachtungen darüber vermag ich nicht mitzuteilen, da ich weder eine reizbare Masdevallia noch Pterostylis in lebendem Zustand beobachten konnte. Indes scheint mir, daß die Frage zu bejahen ist, und daß bei der Blütenöffnung das Labellum sozusagen auf- klappt, d. h. sich mittels des Gelenkes nach außen bewegt. Das kann bei Bolbophyllum Lobbii u. a. durch sein Gewicht geschehen, das Gelenk wäre dann nur passiv wie bei Anguloa. Oder das Gelenk kann aktiv die Überführung des Labellums aus der Knospenlage in die geöffnete be- dingen. Das vermute ich für Masdevallia muscosa. Ob die Auswärts- bewegung im Gelenk durch Wachstum oder Turgor erfolgt, ist fraglich. Jedenfalls aber ist anzunehmen, daß das Gelenk die Lippe durch Turgor- spannung in ihrer Lage hält und daß das Zurückschnellen der Lippe infolge der Berührung im wesentlichen eine Rückkehr zu der Lage, die sie im Knospenzustand hatte, darstellt. Diese wäre die in Fig. 151 dargestellte. Die Reizbarkeit dieses und die des Pterostylisgelenkes wäre dann ebenso eine sekundäre Begleiterscheinung der Entfaltung, wie ich dies für die Blattsensitiven u. a. nachzuweisen versucht habe. Daß gerade bei den Orchideen mit ihren zahllosen Formen auch alle möglichen Arten der Offnung der Blüten sozusagen versucht werden, kann nicht überraschen. Erst als die vorstehenden Zeilen längst niedergeschrieben waren, wurde ich auf eine Mitteilung über Masdevallia muscosa in „Gardener’s chronicle“ aufmerksam, die, wie mir scheint, meine Annahme durchaus bestätigt. Es heißt dort): „Wenn eine Blütenknospe sich öffnet, so krümmen sich die schmalen Teile („tails“) der Sepalen zurück und man sieht das La- bellum mit seinem bärtigen Ende genau unterhalb des von den Petalen t, Vgl. E. Lorw in Knurta III, 1 p. 208. 2) Gustav Mans, On the mechanism in the flowers of Bolbophyllum Lobbii, Trans. of the bot. Society, Edinburgh Vol. XVII (1887), RınLey, Annals of botany 1890. ®) Gardener’s chroniele 25. Juni 1887. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 4 50 Zweiter Abschnitt: gebildeten Bogens gefaltet, wie wenn es dort festgehalten würde. Alsbald aber fällt die dreieckige Fläche (des Lab.) herunter und hängt, wie die Lippe eines.Oncidiums.“ Das deutet, wie mir scheint, darauf hin, daß das Labellum in der Knospenlage (entsprechend Fig. 15 /) ursprünglich durch die beiden kleinen seitlichen „Petalen“ (Ip Fig. 15) festgehalten wird — eine Hemmung, welche durch die Tätigkeit des Gelenks schließlich über- wunden wird. : [1 g ‚ 4 N. f aa! Fig. 15. Masdevallia muscosa (nach Orıver.) I Blüte in schematischer Seitenansicht nach Entfernung der Blütenhülle (mit Ausnahme von !p einem der Petala). Das Labellum ist eingekrümmt. ZI Labellum nach außen geschlagen. a Anthere, r Rostellum, bl breiter Teil des Labellums, % Gelenk, e „Arretierungsvorrichtung“, ft Auswuchs des Gynostemiums, welchem das Labellum Er ist, cr Kamm des Labellums (Sensitive telle). Daß es sich um den Mechanismus, der primär bei der Knospen- entfaltung dient, handelt, wird auch dadurch nahe gelegt, daß das Labellum eine Schlafbewegung ausführt). OLIVER meint, sie diene wohl dazu, den delikaten Mechanismus vor Schädigung durch nächtliche Strahlung zu schützen. Für uns kommt vor allem die Übereinstimmung mit dem Verhalten der reizbaren Spannungsgelenke bei den Blättern in Betracht, die ja auch bei vielen Pflanzen das Blatt oder Blatteile nachts in eine der Knospenlage entsprechende Stellung zurückführen. In beiden Fällen hat man die auffallende Reizbarkeit in den Vordergrund gestellt und an die Entfaltung und die Erhaltung des entfalteten Zustandes nicht weiter gedacht. Bei den zurückschnellenden Orchideenlippen könnte man freilich um so mehr versucht sein, sie als für ein bestimmtes Ziel und einen (überall gleichen) Zweck berechnet zu betrachten, als solche Schnell- bewegungen auf verschiedene Art zustande kommen: nicht nur durch Reizung, sondern auch wie für Eria Loheri u. a. nachgewiesen werden soll durch Aufhebung einer Hemmung. Das Vorkommen verschieden- artiger, demselben „Zwecke“ dienender Einrichtungen innerhalb einer Gruppe könnte vom teleologischen Standpunkt aus als Beweis für Ziel- strebigkeit betrachtet werden, da auf verschiedenem Wege schließlich das- selbe Endergebnis erreicht wird. Ich kann aber darin nichts anderes sehen als ein zufälliges Zusammentreffen, das bei 12000 Arten wahr- scheinlicher ist, als bei 12. Ist die oben ausgeführte Auffassung richtig — sie kann von denen !) F. Orıver, On the sensitive labellum of Masdevallia muscosa, Rchb. fil. Annals of botany I (1887) p. 252. “ y RR B B- % ; j ; U. 2 "f a 2 h, ke. R 7 h. 2 A h. iR > Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 51 geprüft werden, welche Gelegenheit haben, die Entfaltung einer Blüte von Masdev. muscosa, Pterostylis u. a. zu beobachten —, so ist auch das Vorkommen „schaukelnder“ Lippen in den Orchideenblüten weniger auf- fallend. So wird z. B. bei Cirrhopetalum chinense, Arachnanthe Olarkei u. a. das Labellum durch die leichteste Erschütterung in schwingende Be- wegung gesetzt. Das erscheint uns als eine, wahrscheinlich nebensächliche, Begleiterscheinung der Entfaltung mittels eines besonders dünnen Gelenkes. Außerdem: selbst in den Fällen mit einem so hoch entwickelten reizbaren Apparat, wie er bei Masdevallia muscosa vorhanden ist, wird man nicht von einer besonders weitgehenden Anpassung sprechen können, denn es ist sein Nutzen ein recht fraglicher. Mir scheint, daß OLıver durchaus Recht hat, wenn er von dieser Pflanze wie von Pterostylis sagt: „In either case it is not obvious that the possession of irritabılity is a very advantageous mechanism for securing cross-fertilization.. Many other orchid-mechanisms will, I think, compare favourably with it for efficiency, since the disturbance caused by even a gentle breeze is quite sufficient to bring about the closing of the flowers, which will not open again for from twenty minutes to an hour.“ Daß ein solcher selbst in der Gattung Masdevallia, soweit bis jetzt bekannt ist, ganz vereinzelt dastehender Mechanismus stufenweise durch den Kampf ums Dasein erworben worden sein sollte, könnte man doch nur annehmen, wenn er wirklich anderen Masdevallien gegenüber (die ihn nicht besitzen!) irgendeinen erkennbaren Vorteil bieten würde. Daß man einen solchen bei genauer Untersuchung der Lebensbedingungen der Pflanze in ihrer Heimat noch herausfinden wird, ist möglich, mir aber nicht wahrscheinlich. Dagegen habe ich be- züglich der oben gegebenen Deutung-der Entfaltungserscheinungen keinen Zweifel, obwohl ich die Pflanze nie gesehen habe. Daß die Bedeutung des Gelenkes für die Entfaltung nicht auch die Tatsache, daß die Reiz- perzeption auf den Kamm der Lippe beschränkt ist, das Vorhandensein der „Arretierung“ usw. erklären kann, ist selbstverstäudlich. Das alles sind meiner Ansicht nach ebenso „zufällige“ Beigaben wie vieles andere in den Orchideenblüten, ‘auch z. B. die Benützung eines Gelenks zur Ent- faltung. Erwähnt sei hier noch das Verhalten von Megaclinium falcatum !), auf das zuerst R. Brown aufmerksam macht. Das Labellum zeigt nach der Entfaltung der Blüte etwa zwei Tage lang Auf- und .Abwärtsbewegungen in verschiedenen Intervallen (z. B. alle 2 oder alle 7 Minuten). Daß diese auf Turgorschwankungen des Gelenks beruhen, ist mit Sicherheit anzunehmen. Ebenso scheint mir aus einer Beobachtung MOoRREN’s hervorzugehen, daß die Entfaltungsbewegung _ des Labellums durch Turgordehnung vor sich geht. MoRREn fand, daß ein nur die äußerste Zellschicht (wahrscheinlicher die äußeren Zellschichten) durchtrennender Einschnitt in die untere Fläche des Gelenks „ramenait le labellum vers la colonne“. Leider wird über die Knospenlage nichts mitgeteilt, aber ich bezweifle nicht, daß das Labellum infolge dieser Operation im wesentlichen in seine Knospenlage zurückkehrte. Es besitzt offenbar ein (seismonastisch, wie es scheint nicht reizbares) Spannungs- gelenk, das sich bei der Entfaltung das Labellum von dem Gynostemium (der „colonne“) weg bewegt. !) Vgl. Cu. Morren, Recherches sur le mouvement et l’anatomie du labellum du Megaclinium faleatum. Nouv. M&m. Acad. Bruxelles t. XV 1842 (auch Ann. d. seiene. nat. II. Serie 119 botanique 1843). } s * 52 Zweiter Abschnitt: Daß die durch die Spannungsschwankungen in diesem Gelenk be- dingten Oscillationen des Labellums eine Anpassung darstellen sollten, scheint mir äußerst unwahrscheinlich. Daß es rascher zugrunde geht als die übrigen Blütenteile, möchte ich nicht, wie MORREN, darauf zurückführen, daß es eine größere „vitale Energie“ als die übrigen Blütenteile zeigt, sondern darauf, daß es viel leichter konstruiert ist, als diese. Das Gelenk = sehr dünn und damit dürfte auch seine Kurzlebigkeit zusammen- ängen. Ohne Zweifel ist Gelenkbildung eigentümlicher Art auch sonst bei Orchideen verbreitet. So z. B. bei Bolbophyllum sessiliflorum). Hier ist das Labellum auf einem auffallend langen und stark nach innen gekrümmten Säulen- fuß eingelenkt. Es „schnellt stets mit einiger Gewalt wieder in diese Lage zurück, wenn man es nach vorn und abwärts gebogen hat. Die Blüte erscheint dadurch (sic!) vorn stets geschlossen und es wird sehr kräftiger Insekten oder möglicherweise anderer Tiere bedürfen, um in das Innere zu gelangen“. Ob dieser Verschluß der Blüten und die Gelenkbildung mit der Be- stäubung irgend etwas zu tun hat, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich liegt eine Art Entfaltungshemmung gegenüber anderen Bolbophyllum-Arten vor (ähnlich wie bei den Blättern von Anthurium Veitchii, deren Spreite die bei anderen nur vorübergehend eingenommene Lage beibehalten), die darin besteht, daß das Gelenk eine so starre Beschaffenheit angenommen hat, daß die sonst stattfindende Auswärtsbewegung des Labellums nicht ein- treten kann. Unsere Untersuchung hat ergeben, daß zwischen passiven und aktiven (selenken Übergänge bestehen. Die Orchideenblüten besitzen teils passive, teils (wie es scheint) aktive Entfaltungsgelenke. Letztere sind in einigen wenigen Fällen mit Reizbarkeit ausgestattet. Diese erscheint als eine „zufällige“ Begleiterscheinung der Entfaltung, Dadurch wird ihr ver- einzeltes Auftreten weniger auffallend. Wenn man gerade bei den Orchi- deen durch die schönen Erfolge in der Deutung der Funktion vieler Strukturverhältnisse der Blüten besonders geneigt ist, alle Eigentümlich- keiten der Blüten als Anpassungserscheinungen aufzufassen, so ist es vielleicht nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß es eine große Anzahl von Eigentümlichkeiten der Orchideenblüten gibt, die bis jetzt keinerlei teleologische Erklärung gefunden haben. Es sei nur erinnert an die langen Perigonblätter mancher Cypripedilen, die Anhängsel mancher Dendrobium- blüten, die unten zu besprechenden Resupinationserscheinungen u. a. Bei Besprechung dieser wird auch zu erwähnen sein, daß bei manchen hoch spezialisierten Orchideenblüten der Samenansatz — auf den doch die Be- stäubungseinrichtungen „hinzielen*“ — ein recht kümmerlicher ist. Auf einen eigentümlichen Fall, in welchem es sich um ein „Quellungsgelenk“ handelt, wird für Helichrysum roseum bei Besprechung der Offnungsbewegungen der Kompositenblütenköpfe hinzuweisen sein. $ 7. Aktive Sproßgelenke. Für die aktiven Sproßgelenke lassen sich folgende allgemeine Ge- sichtspunkte aufstellen, welche in einer früheren Abhandlung ?) des Verf. begründet wurden. !) REICHENBACH, Xenia Orchidacea III p. 157. ?) Gorser, Das Rumphiusphänomen, Biol. Zentralblatt XXXVI (1916). Be ee ER Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 53 1. Die Gelenke stellen die zuletzt fertiggestellten Teile der Internodien dar, ihr Auftreten und ihre Lage ist also bedingt durch die Wachstumsverteilung in diesen. Da sie zuletzt fertiggestellt werden, behalten sie die Wachstumsfähigkeit auch am längsten bei. 2. Ihr Auftreten und ihre ursprüngliche Funktion hängt also stets mit Enfaltungsvorgängen zusammen. Wenn sie — was keineswegs immer der Fall ist — später Bewegungen ausführen, so ist das eine sekundäre Funktion. 3. Der von dem der anderen Teile des Internodiums abweichende anatomische Bau der „Gelenke“ ist nicht — wie man früher angenommen hat — auf Ausführung von Bewegungen „berechnet.“ Er bedingt nur eine Aussteifung der Sproßachsen, die auch die Ausführung von Be- wegungen ermöglicht. Ihrem Bau nach sind die meisten Sproßgelenke radiär. Doch fehlt es auch nicht an dorsiventralen, wie sie den Blättern allgemein zukommen. Letztere können, wie gezeigt werden soll, nicht selten auch ganz asymmetrische Gelenke aufweisen. Was die Verteilung der Gelenke betrifft, so finden sie sich meist an ‚der Basis der Internodien, wo sie häufig als Anschwellungen hervortreten. Diese Lage steht nach dem oben Angeführten damit in Zusammenhang, daß das interkalare Wachstum der Internodien am häufigsten an deren Basis erlischt. Die Anschwellung ist bedingt durch starke Parenchym- ‚entwicklung. Selten sind Sprosse, die sowohl am oberen, als am unteren Ende des Internodiums ein Gelenk besitzen. So z. B. bei einigen Mimulusarten. Soweit flüchtige Beobachtungen am Gartenhybriden von M. luteus ein Urteil gestatten, scheinen sowohl das obere als das untere Gelenk zur Ausführung von Krümmungen befähigt zu sein — auch das Internodium selbst kann sich aber krümmen, so daß man in dem Vorhandensein zweier Gelenke jedenfalls nicht etwa eine besondere Anpassung sehen kann. — Vielmehr liegt hier nur der Fall vor, daß Basis und Spitze des Inter- nodiums längere Zeit als die dazwischen gebliebenen Teile wachstums- fähig blieben und deshalb an beiden Stellen Gelenkbildung eintrat. Am wenigsten oft findet sich der Gelenkknoten nicht an einem Ende, sondern annähernd in der Mitte des Internodiums. Dieser besonders eigenartige Fall soll für eine Pilea-Art näher erläutert werden. Die Unterschiede zwischen den „Knoten“ und dem übrigen Teil des Internodiums sind sehr verschieden stark ausgebildet. Ein Eingehen auf anatomische Einzelheiten kann indes füglich unterbleiben. Doch mögen einige Tatsachen, die für die allgemeine hier behandelte Frage vor. Inter- esse sind, hervorgehoben werden, namentlich für die, wie die (von der des übrigen Internodiums abweichende) anatomische Beschaffenheit des Ge- lenkes zustandekommt. Manche Gelenkknoten zeigen deutlich, daß sie einfache Hemmungs- bildungen sind. Bei der Polygonacee Telanthera z. B. (deren Sprosse starke, knieförmige geotropische Krümmungen ausführen können), sind die Internodien hohl, zwischen den Leitbündeln ist ein aus 2—3 Zell- lagen bestehender (aus Teilungen des Pericykels bzw. Interfaszikular- cambiums) hervorgegangener Sklerenchymring vorhanden. Die ihm nach außen angrenzende „Stärkescheide“ ist fast leer. Im Knoten ist sie mit Stärkekörnern gefüllt, der Sklerenchymring ist nicht vorhanden (bzw. nur durch eine Lage unverholzter Zellen angedeutet). Das zentrale Gewebe ist solid, also keine Höhlung vorhanden. Außen ist ebenso wie in den 54 Zweiter Abschnitt: Internodien ein Kollenchymring vorhanden. Er ist etwas stärker ent- wickelt als im Internodium. In Verbindung mit dem aus viel zahlreicheren ‚ nicht zerstörten sondern lebenden Zellen bestehenden parenchymatischen Ge- webe in der Mitte genügt er zur Herstellung der Festigkeit. Mit anderen Worten, die Gewebegliederung ist im „Gelenk“ auf einer Stufe stehen geblieben, die von den älteren Teilen des Internodiums überschritten wird, was dem Umstande entspricht, daß das „Gelenk“ zuletzt fertiggestellt wird. Trotz dieser rudimentären Ausbildung des Gelenkes zeigt es doch schon die für die Gelenkbildung kennzeichnende Eigentümlichkeit, daß es sich vorzugsweise um die Herstellung der Festigkeit durch lebende Zellen, nicht durch „mechanisches“ Gewebe handelt. Wo ein Internodium schon selbst reich ist an turgeszierendem Parenchym, werden wir noch weniger Unterschiede im Bau des „Gelenks“ erwarten können. Solche sind auch tatsächlich z. B. bei den Stengeln von Com- melyna u. a. nicht vorhanden. Ist dagegen ein Internodium hohl und mit einem besonderen Steifungsring (Sklerenchymring) versehen, so pflegt, wie in dem schon angeführten Beispiel, das Gelenk sich durch größere Entwicklung des Parenchyms, starkes Zurücktreten des Skleren- chyms und dessen Ersatz durch Kollenchym auszuzeichnen. | Die Tatsache, daß in den Gelenken das Parenchym maßiger ent- wickelt ist, als in den übrigen Teilen des Internodiums, macht sich viel- fach dadurch geltend, daß die Gelenke angeschwollen sind, also einen größeren Durchmesser haben als die übrigen Teile des Internodiums. Es sollen unten einige Beispiele dafür von krautigen Pflanzen angeführt werden. Hier sei nur erwähnt, daß nicht nur an krautigen Pflanzen, sondern auch an Holzgewächsen auffallende Gelenkknotenbildungen vorkommen. Diese sind für uns von besonderem Interesse. So z. B. bei Piperaceen wie Piper rivinoides. Die Gelenke treten namentlich an annähernd hori- zontal gerichteten Aesten als auch durch ihre Farbe auffallende An- schwellungen der Unterseite hervor, die fast dreimal so dick werden wie das zugehörige Internodium. Man braucht kein Mikroskop, um zu be- merken daß in den Gelenken kein Hartgewebe (sondern Kollenchym) aus- gebildet ist (außer einer beträchtlichen Vermehrung des Parenchyms). Die Gelenke schneiden sich weich, die Sproßachsen hart. Eine Krümmung in den Gelenken habe ich nicht beobachten können, es ist auch nicht ab- zusehen, daß eine solche Holzpflanze mehr als andere Holzgewächse Lagenveränderungen ausgesetzt sein sollte. Das ist jedenfalls auch nicht der Fall bei einem anderen mit auf- fallenden „Gelenken“ versehenen Strauch, dem Chloranthus inconspicuns (und Chl. officinalis).. An der Gelenkstelle (an der Basis des Internodiums) war der Durchmesser der Sproßachse (in einem aufs Geratewohl heraus- gegriffenen Fall) mehr als doppelt so groß, als sonst am Internodium (6 mm : 2,75 mm). Auch hier ist es das Mark, dessen Vergrößerung haupt- sächlich den Unterschied bedingt. Während die Internodien einen festen Holzring und vor den Siebteilen in der Rinde Sklerenchymbelege haben, bleibt das sekundäre Dickenwachstum im Gelenk der Hauptsache nach ganz aus, die Leitbündel liegen vereinzelt; in der Rinde wird reichlich Kollenchym gebildet. Es treten also auch hier die mechanischen Bestand- teile der Gewebe zurück. Auffallend deutlich tritt wieder die Stärke- scheide im Gelenk hervor, während sie weiter oben nicht mehr sich ab- hebt. Daß diese Sträucher mehr als andere in die Lage kommen sollten, geotropische Krümmungen auszuführen und dazu die Gelenke zu be- ' Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 55 nützen ist äußerst unwahrscheinlich. Eher kann man annehmen, daß die „Gelenke“ als Wasserspeicher und Stärkespeicher in Betracht kommen !). Aus dem Vorkommen einer gut ausgebildeten Stärkescheide im Ge- lenk kann man natürlich noch nicht schließen, daß diese zur Perzeption des Schwerkraftsreizes bei einer Lagenveränderung bestimmt und daß deshalb die Gelenke Bewegungsknoten seien. Vielmehr ist das zunächst nur eine Begleiterscheinung dazu, daß die Gewebeausbildung im Knoten eine weniger weit fortgeschrittene ist, als im Internodium. An Gewächs- hauspflanzen konnte ich nur unbedeutende Krümmungen der Aeste wahr- nehmen, und es liegt bis jetzt kein Grund vor, anzunehmen, daß das in der freien Natur anders sei. Trifft das zu, so tragen diese „Gelenke“ ihren Namen mit Unrecht. i Dagegen ist ihre Bedeutung für die Herstellung der Sproßfestigkeit ohne weiteres klar. Beim Welken werden sie rasch schlaff und zeigen es deutlich, daß sie ihre Festigkeit durch Turgorspannung er- alten. Daß die mechanischen Leistungen der zuletzt ausgewachsenen Teile der Internodien in manchen Fällen durch die umhüllenden Blatt- scheiden verstärkt oder ersetzt werden, ist namentlich für die Gräser (bei denen die Anschwellung des Gelenkknotens ja meist auf die Blatt- scheide sich beschränkt) bekannt genug. Es trifft dies aber auch in anderen Fällen zu, wo es weniger auffällt. So z. B. bei Equisetum. Wenn von dessen scheidenförmig verwachsenen Blättern angegeben wird?), daß sie „nur noch als Schutzorgane für die Knospen in Betracht kommen“, . so ist das nur zum Teile zutreffend. Tatsächlich dienen die Blattscheiden ausschließlich als Knospenschutz nur für die unterirdischen, nicht aber für die oberirdischen Sprosse. Bei diesen haben sie noch eine andere Bedeutung. Wenn man z. B. an einem kräftigen Sproß von E. telmateja die Blattscheiden entfernt, und ihn horizontal hält, so bricht er zunächst nicht durch. Aber eine geringe Erschütterung genügt, um das Abbrechen an einer der entblößten Stellen, die ganz spröde sind, un- mittelbar über einem Diaphragma herbeiführen. Ahnlich verhielt sich E. giganteum. In der hiemale-Gruppe, zu der diese Art gehört, tritt bei den Blattscheiden eine Arbeitsteilung zwischen deren oberem und unterem Teil ein. Der obere liest wie ein dicker Pfropf auf der Endknospe und schließt diese ab. Er stirbt später ab und wird von dem stehenbleibenden Teil der Scheide abgetrennt. Ein am Ende mit einer sonst vollständig fertigen Blüte versehener Sproß von E. palustre an welchem etwa in der Mitte seiner Länge eine Blattscheide entfernt worden war, knickte, horizontal gehalten, an dieser Stelle durch. E. limosum verhielt sich ähnlich. Es kann also, wenn auch die einzelnen Equisetum-Arten sich nicht alle gleich verhalten, keinem Zweifel unterliegen, daß die Blattscheiden eine wichtige mechanische Funktion haben. Sie stützen gerade die Stelle des Internodiums, welche am leichtesten abbricht. Ob diese schwächere mechanische Ausbildung des unteren Teiles der Internodien nicht etwa dadurch bedingt wird, daß sie dicht von der Blattscheide umhüllt bleiben, ist eine andere Frage. An dem tatsächlichen Verhalten würde ja nichts geändert, auch wenn sie zu bejahen wäre. !) Mit der Zuckerzufuhr steht wohl auch die Anthocyanbildung der Gelenke in Beziehung. 2) GoEBEL, Organographie der Pflanzen 2. Aufl. p. 1028. 56 Zweiter Abschnitt: Hier aber kam es darauf an, die mechanische Bedeutung der sogenannter „Gelenkknoten“ zu erläutern an solchen Fällen, an denen diese zweifellos in der einen oder der anderen Ausbildung allein in Betracht kommt. Im folgenden sollen zur Erläuterung des Gesagten und zum Nach- weis der am Anfang aufgestellten Leitsätze einige Einzelbeispiele näher erörtert werden, die zugleich zeigen, daß die hier vertretene Auffassung, eine andere als die in der botanischen Literatur herrschende ist. Wenn es dabei ohne Wiederholungen nicht abgeht, so mag das darin seine Ent- schuldigung finden, daß nur durch kritische Besprechung verschiedener Fälle die Richtigkeit unserer Auffassung erwiesen werden kann. S 8. Einzelbeispiele radiärer Sproßgelenke bei Dikotylen. 1. Die bekannnten Gelenke von Galeopsis Tetrahit (und einigen anderen Arten dieser Labiatengattung) mögen um so mehr den Reigen eröffnen, als wir über sie eine besonders eingehende Untersuchung be- sitzen). Sie besitzen die typischen, oben erwähnten Eigenschaften und erscheinen als Anschwellungen, deren Durchmesser zuweilen doppelt so groß ist, als der des darunterliegenden Teiles des Internodiums. Ana- tomisch zeichnet sie aus: starke Entwicklung des Kollenchyms und des Marks und verringerte Holzbildung. Da BrıQuEr keine Angaben über die Wachstumsverteilung im Inter- nodium mitteilt, so wurde festgestellt, daß der oben aufgestellte Satz, wonach das Gelenk an dem zuletzt ausgewachsenen Teil des Inter- nodiums auftritt, auch hier zutrifft. Das Streckungswachstum schreitet von unten nach oben im Internodium vorwärts, das Gelenk bildet sich also im oberen Teil des Internodiums aus. Daß es geotropische und heliotropische Keimungen ausführen kann ist leicht festzustellen. | Es fragt sich aber, ob das seine Hauptfunktion ist, und ob nicht auch andere Teile der Pflanze Krümmungen ausführen können. Beschränken wir uns auf die geotropischen Aufwärtskrümmungen, so ist zu bemerken, daß diese verschieden verlaufen, je nachdem es sich um eine junge oder eine ältere schon zur Blütenbildung übergegangene Pflanze handelt. Die folgende Darstellung bezieht sich auf eine ältere blühende Pflanze von Gal. bitida — einer Art, die ebenso wie G. Tetrahit mit knotenförmigen Anschwellungen am oberen Ende der Internodien versehen ist. Sie be- itzt (wie auch andere derselben Gattung) ein so gutes „Wurzelungs- vermögen“, daß man blühende Pflanzen aus dem Felde ausheben und in einen Topf pflanzen kann, ohne daß sie dadurch leiden — sie wachsen sofort kräftig weiter. In Fig. 16 ist das Verhalten einer Pflanze, die mit dem Topfe hori- zontal gelegt wurde, schematisch dargestellt. Zunächst führt das Inter- nodium #4, welches noch keinen Knoten ausgebildet hat, aber kräftig im Wachstum begriffen ist eine geotropische Aufwärtskrümmung aus und gelangt in die mit / bezeichnete punktierte Stellung. Dann führt der zu (selenk 3 gehörige Knoten eine Krümmung aus, durch welche das Inter- nodium in die Lage II gebracht wird. Es streckt sich wieder mehr ge- !) J. Brıquer, Monographie du Genre Galeopsis. (M&m. couronnes et Mem. des savants etrangers, publi6s par l’Acad. royale des sciences T. LII, Brüssel 189. B #1. Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 57 rade (Lage I/II), darauf folgen dann die zu 2 und 1!) gehörigen Knoten — vorausgesetzt, daß sie nicht schon zu alt sind, und deshalb das Wachs- tum nicht mehr aufnehmen können. Die Knoten 3 und 2 strecken sich dann wieder gerade. Im Gegensatze zu gelenklosen Pflanzen, deren ausgewachsene Teile ein für allemalfertig”)und des- TONER halb nicht mehr krümmungsfähig NASHS 9] sind, sind also derartige Grelenk- pflanzen auch im späteren Lebens- alter imstande, nicht nur den Gipfel, sondern unter Umständen die ganze Pflanze (mit Aus- nahme des basalen Internodiums) aufzurichten. So schön auch diese — in ähnlicher Weise bei den pi» 16. Schema für die Aufri Al Gräsern wiederkehrende — Be- WR anal ee en Fig. 17. Galeopsis bifida. Ältere Pflanze, die horizontal gelegt wurde. Die Aufwärts- krümmung erfolgte hauptsächlich im Gelenk des Internodiums 3. wegung ist, so wenig können wir sie doch als eine für das Leben der Pflanze sehr wichtige betrachten ?); sie ist der hier vertretenen Auffassung !) Daß das unterste Internodium eigentlich keinen Knoten besitzt, wurde oben er- wähnt, hier handelt es sich nur um ein Schema. 2) Von Holzgewächsen mit Cambium sei hier abgesehen. 3) Besonders ist zu beachten, daß Galeopsis reich verzweigt ist und die Seitenäste sich auch bei Lagenänderung aufrichten. Es hat also keine sonderliche Bedeutung, wenn auch die Basis der Pflanze sich noch aufrichtet. 58 Zweiter Abschnitt: nach nur eine Nebenfunktion. Ursprünglich stellen die — auch als „Achsen- knoten“ bezeichneten Gelenke — nur eine mit der Entfaltungsart zusammen- hängende andere Art der Aussteifung des Internodiums dar. Bisher aber hat man stets die Bewegungsfähigkeit der Gelenke in den Vordergrund gestellt, weil diese ohne Zweifel am meisten in die Augen springt — nur hat man dabei übersehen, daß die „Gelenktätigkeit“ äußerst selten in Anspruch genommen wird, und daß die Galeopsis-Arten, die keine Gelenke haben, sich ebenso wohl befinden wie die anderen. Eine Ansicht über die Funktion der „Achsenknoten“ hat wohl zuerst VAUCHER geäußert. Er meint, es sei wahrscheinlich, daß bei Galeopsis Te- trahit, diese dazu be- stimmt seien, die Bie- gung?) des Stengels und der Zweige (en differents sens) zu er- leichtern. Tatsächlich sind aber die Knoten nur im welken Zustand biegsamer als die mit verholzten @ewebe ver- sehenen übrigen Teile der Internodien. Es Fig. 18. Galeopsis bifida. J Pfl horizontal gelegt ee ig. 18. Galeopsis bifida.. Junge Pflanze horizontal geleg i Aufwärtskrümmung erfolgt zunächst im Internodium. zusehen, a ihnen eine größere Biegsam- keit nützen sollte. Denn die übrigen Teile der Internodien sind nicht etwa spröde und man kann auch nicht annehmen, daß durch die Biegung in den Knoten bei starkem Wind usw. die mechanische Inanspruchnahme der Wurzeln in zweckmäßiger Weise vermindert werde. Die folgenden Autoren stellen die geotropische (und heliotropische) Krümmungsfähigkeit der Anschwellungen ganz und gar in den Vorder- grund. So meint $S. Rürzouv°?), die Achsenknoten seien dazu bestimmt („bereg- nede“) dem Stengel seine normale Stellung wiederzugeben, wenn diese aus irgendeinem Grunde verändert worden sei. BRIQUET bezeichnet. die Achsenknoten sogar direkt als „renflements moteurs“. Er meint, bei G. Tetrahit seien die geotropischen und helio- tropischen Bewegungen auf sie beschränkt, während sich bei G. Ladanum z. B. die ganzen Internodien krümmen. Wir sahen, daß das nicht zu- trifft. Auch bei den mit Achsenknoten versehenen Galeopsis-Arten krümmen sich vielmehr die wachsenden Internodien bei Lagenverände- rung geotropisch aufwärts (Fig. 18), nur in den ausgewachsenen ı) A. a. O. III, p. 650. 2) Es wäre möglich, daß VaucHer bei den „flexions“ an Aufrichtungskrümmungen gedacht hat. Indes läßt sich seiner kurzen Angabe darüber nichts entnehmen. ei S. Rürzov, Om Axe knoderne, Botanisk tidsskrift Bind 12, Kopenhagen 188081 p. 261. Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 59 Internodien ist die Krümmung auf die Achsenknoten beschränkt, da hier allein eine Wiederaufnahme des Wachstums möglich ist. Im Anschluß an Briauer betrachtet auch Barre!), die Galeopsis- knoten als „Bewegungsknoten“. Auch er meint, daß die geotropischen Bewegungen nur in den Knoten ausgeführt werden (wodurch allein ja der Name Bewegungsknoten einigermaßen gerechtfertigt werden könnte). Das ist aber, wie schon oben erwähnt wurde und aus Fig. 18 ohne weiteres ersichtlich ist, bei Graleopsis bifida nicht der Fall. Die geo- tropische Aufwärtskrümmung- geht auch an Internodien, die noch keine „Bewegungsknoten“ besitzen, energisch und rasch vor sich, entsprechend der oben angeführten Wachstumsverteilung zunächst im oberen Teil eines Internodiums. Später trat dann das nächst untere Internodium in die Krümmung ein (Fig. 19), dieses aber naturgemäß weiter oben im Fig. 19. Galeopsis bifida. Dieselbe, horizontal gelegte Pflanze später. Internodium. Schließlich geht die Krümmung auf die dem Gelenk ent- sprechenden Teile über, da sie am längsten wachstumsfähig bleiben. Nehmen wir an, die Knotenbildung fehle und die Krümmung bleibe auf Internodium 3 beschränkt (also entsprechend dem Verhalten von Galeopsis Ladanum, das keine Knoten hat), was würde das der Pflanze für Nachteile bringen ? Internodium 2 würde horizontal bleiben, das am Knoten zwischen 2 und 3 stehende Blattpaar würde nicht emporgehoben werden. Das ist aber für die Pflanze doch so gut wie gleichgültig! BarrH hat beobachtet, daß in den Knoten mittleren Alters die ansehnlichsten Krümmungen auftraten, während diese bei jüngeren und älteren weit kleiner waren. Das wird wohl bezüglich der letzteren damit zusammenhängen, daß die Fähigkeit, das Wachstum wieder aufzunehmen, mit dem Alter erlischt, bei den ı) R. Bartu, Die geotropischen Wachstumskrümmungen der Knoten, Dissert., Leipzig 1894. 60 Zweiter Abschnitt: mittleren damit, daß ihre Zellen reicher an Inhaltsstoffen sind, als die jüngeren Knoten. Ob die „Bewegungsknoten“ nicht nur in den Zinkkästen des Labora- toriums, sondern auch in der freien Natur in Tätigkeit treten, hat BARTH zieh nicht gefragt. Das ist aber das, worauf es hier in erster Linie an- kommt. Fig. 20. Galeopsis bifida. Dieselbe Pflanze wie die in Fig. 19 abgebildete noch später. BRIQUET (a. a. O. p. 102) meint „Le röle des renflements se revele comme etant d’une utilit€E incontestable pour la plante dans une quantite de cas.“ Denn einerseits können Pflanzen, die durch Wind oder eine sonstige Ursache umgeworfen werden, geotropische Aufwärtskrümmungen ausführen, andererseits an bestimmten Standorten durch phototropische Krümmungen der Knoten sich ein Maximum von Licht sichern. Gewiß kommt das vor. Aber es fehlt jeder Nachweis dafür, daß die mit Knoten ausgerüsteten Galeopsis-Arten ‚öfters umgeworfen oder zu heliotropischen Krümmungen genötigt werden, als die nicht damit ausge- rüsteten. Wir sahen ferner, daß die Annahme, daß die Krümmungsfähigkeit auf die Knoten beschränkt sei, nicht richtig ist. Nur wenn diese beiden Annahmen zutreffen würden, könnten wir rl te se 2 ’ A Pa ga AN [4 BR 7 mr } > 5 Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 61 aber die Knoten als durch Anpassung entstandenen „Bewegungsknoten“ bezeichnen. Wenn ein Organ in 99°, der Fälle gar nicht in Tätigkeit . tritt, so kann man doch wohl nicht sagen, es sei für diese „berechnet“ oder sie sei ihm „übertragen“. Es handelt sich vielmehr um eine Neben- funktion, um die Ausnutzung einer anderweit schon vorhandenen Eigen- schaft. Diese Ausnutzung tritt durchaus nicht immer ein — bei manchen Pflanzen fehlt sie, wie wir oben sehen, ganz. Bei anderen findet sie häufiger statt und es lassen sich Fälle denken, in denen diese Ausnutzung eine größere Wichtigkeit gewinnt. Die mit Knoten versehenen Galeopsis- Arten aber würden meiner Ansicht nach nicht im Kampfe ums Dasein zu- grunde gehen, auch wenn die Knoten nicht die Fähigkeit hätten, ge- legentlich als „Bewegungsknoten“ zu dienen. 2. Das zeigt auch das Verhalten der mit dicken Gelenkwulsten aus- gestatteten Impatiens-Arten, wie J. glanduligera u.a. ‚Ich fand unter normalen Verhältnissen bei dieser 3 m Höhe erreichenden Pflanze keine Gelenkkrümmungen oder doch nur schwache an den Seitenästen. Pflanzen, die an Komposthaufen seitlich herauswuchsen, und dann durch Erdab- spülung umfielen, zeigten aber sehr auffallende Kniebildung an den Ge- lenken. In den genannten Fällen ist die Bewegungsfähigkeit der Gelenke eine sekundäre Erscheinung, die Ausnützung einer in der Pflanze „latent“ vor- handenen Möglichkeit. 3. Als weitere Beispiele könnten genannt werden Begonia luxurians, eine mit deutlichen Gelenkwülsten versehene strauchig wachsende Art Brasiliens und einige ebenfalls strauchig wachsende Acanthaceen wie Cyrtanthera magnifica u. a, die — wenn überhaupt, so doch gewiß nur sehr selten dazu kommen, ihre angeblichen „Bewegungsknoten“ zu Be- wegungen zu benutzen. 4. Anders verhält es sich bei einigen mit dünnen, langen Sproßachsen versehenen Dikotylen. Bei diesen kommt der Stengel öfters in die Lage umzusinken und kann dann mittels des Knoten Aufrichte-Bewegungen ausführen. So z. B. bei einigen Acanthaceen wie Peristrophe salicifolia und Blechum Browni. Von einheimischen Pflanzen, die sich ebenso verhalten, seien die dünn- stengligen Galium-Arten genannt. An offenen Standorten, z. B. auf Wiesen, wird Galium Mollugo leicht durch Wind oder Regen „gelagert“. Die Sprosse richten sich dann in ihren „Gelenken“ wieder auf. Hier könnte man diese also allenfalls als Bewegungsknoten bezeichnen. Aber auch bei diesen Pflanzen wäre das ihre primäre Funktion nur dann, wenn sich (was ich für ausgeschlossen halte) nachweisen ließe, dab die dünnstengligen Arten die ursprünglichen sind. Vielmehr hängt die Ge- lenkbildung auch in diesen Fällen zunächst mit den Entfaltungsvor- gängen am Sprosse zusammen und wird nur sekundär für geotropische Be- wegungen ausgenützt. Das zeigen auch die straffen steifen Stengel von Galium silvaticum, die zwar deutlich entwickelte „Gelenke“ besitzen, an denen ich aber bei zahlreichen beobachteten Pflanzen nie eine Krümmung beobachten konnte. Wenn sie auch wahrscheinlich imstande sind, eine solche auszuführen, so machen sie doch in der freien Natur von dieser _ Fähigkeit offenbar nur sehr selten Gebrauch. 5. Auf nur wenige Pflanzen beschränkt sind die Gelenkknoten in der Mitte der Internodien, wie sie bei einigen Pilea- Arten vorkommen '). !) Das folgende nach Untersuchungen an Pilea stipulosa Miqu. Ich vermag nicht 62 Zweiter Abschnitt: Diese Urticaceen sind Schattenpflanzen des Bergwaldes der Tropen. Wie die Abbildung Fig. 21 zeigt, sind ihre Internodien annähernd in der Mitte tonnenförmig angeschwollen. Daß die Anschwellung an der zuletzt in die Länge gewachsenen Stelle liegt, wurde festgestellt einmal durch Messung, sodann dadurch, daß schon, ehe die Anschwellung auftritt, an dieser Stelle die geotropische Aufwärtskrümmung horizontal gelegener Sprosse stattfindet. Fig. 21. Pilea stipulosa (verkl.). Sproßstücke mit Knoten, die in der Mitte des?Inter- nodiums ausgebildet sind. Die Messung (durch Anbringung von Marken) ergab z. B. an einem Internodium, das von 40 cm auf 45 heranwuchs (das also am Ende seiner „großen Wachstumsperiode“ sich befand), daß der Längenzuwachs aus- schließlich in dem später anschwellenden Teile stattgefunden hatte, und daß hier demgemäß die Teilstriche, die ursprünglich einen Abstand von l mm hatten auf über 2 mm auseinandergerückt waren. festzustellen, ob diese Art vielleicht dieselbe ist, wie die von WESTERMAIER untersuchte ‘„Pilea oreophila“ (WEsTERMAIER, Über gelenkartige Einrichtungen an Stammorganen, Mitteil. der naturforsch. Gesellsch. in Freiburg (Schweiz) 1901. Das Material verdanke ich Herrn Dr. Doroscazs, der lebende Pflanzen von Java nach München brachte. Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 63 Der Durchmesser dieses Internodiums betrug in der Anschwellung 14, darüber und darunter +8 mm. Die anatomischen Verhältnisse können hier nur kurz berührt werden. Sie stimmen im wesentlichen mit denen anderer solcher Gelenke überein. Charakteristisch sind also auch hierbei drei Eigentümlichkeiten: die ungemein starke Entwicklung des Markes !), die schwache Entwicklung des Holzkörpers und die relativ stärkere Aus- bildung des Kollenchymrings. Letztere, namentlich aber die starke Ent- wicklung des aus lebenden Zellen aufgebauten Markes bedeuten (wie auch WESTERMAIER hervorhebt) zweifellos eine mechanische Aussteifung des „Gelenkes“, welche die schwache Entwicklung des Holzkörpers aufwiegen. Wenn man einen Sproß welken läßt, kann man ihn an den Gelenken leicht biegen, während die übrigen Teile des Internodiums starr bleiben — eine Eigentümlichkeit, die aus dem anatomischen Bau leicht verständlich ist. Ob am Gelenk das Internodium weniger tragfähig ist als im übrigen Teil (wie das bei Galeopsis der Fall ist) wurde nicht untersucht. Kausal | ist die Verschiedenheit des Aufbaues hier wie bei anderen Gelenken zu- nächst ganz unklar; Vermutungen sind deshalb auch nicht angebracht. Doch kann man sich z. B. vorstellen, daß dem Inter- nodium nur ein bestimmtes Quantum vonBaumaterialien zugeteilt ist und daß gegen Ende des Wachstums das Material aus welchem Holz aufgebaut wird, .fehlt, wäh- rend das für stark turges- sierende Parenchymzellen noch vorhanden ist. Ubri- gens ist anzunehmen, daß die ra linie Grelechnite dnsch. dan: nicht _ Fig.-22. Links Querschnitt durch den nicht ange- a ee eh schwollenen Teil eines Internodiums von Pilea stipu- uber denen, weiche durch josa, rechts (bei derselben schwachen Vergr.) durch Zellwandverdickungen starr den angeschwollenen Teil (das Gelenk). und fest sind, eine gewisse Materialersparnis bedingen, wenigstens eine solche an organischen Sub- stanzen wie sie zur Herstellung verdickter Zellwände notwendig sind. Die stärkere Entwicklung des lebenden Parenchyms erfordert, da sie nament- lich auch mit einer Vergrößerung der Zellen verbunden ist, verhältnis- mäßig wenig Zellwandmaterial. Man kann das Verhalten der Gelenkknoten auch so ausdrücken, daß man sagt, sie sind ausgezeichnet dadurch, daß bei ihnen das Längen- wachstum eine Hemmung erfährt), die infolge eines äußeren Reizes, namentlich einer Lagenveränderung, aufgehoben werden kann. Das Wachstum ist aber auch dann, da keine neuen Zellen mehr gebildet werden, selbst- verständlich ein zeitlich eng begrenztes und auch die Fähigkeit, es infolge eines äußeren Reizes wieder aufzunehmen, erlischt bald; die Zellhäute werden starr und damit auch das ganze Gelenkpolster. Wenn wir auch derzeit die Bedingungen für die abweichende Aus- bildung der Gelenkknoten nicht im einzelnen feststellen können, so ist ı) Da dieses dunkel gefärbt ist, während die peripherischen Teile ziemlich durch- sichtig sind, erscheinen auch die Anschwellungen dunkler als die obersten Teile des Internodiums. : Ä y 2) Damit könnte auch die Nichtausbildung von Sklerenchymfasern in Beziehung stehen. 64 Zweiter Abschnitt: doch sicher anzunehmen, daß diese andere sind als für die übrigen Teile des Internodiums: Material für Sklerenchym- (bzw. Holz)bildung steht (nach Fig. 23. Gonatopus Boivini, Pflanze mit zwei Blättern bei X knotenförmige Anschwellung des Blattstiels. (Verkl.) hi i Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 65 unserer Annahme) nicht mehr zur Verfügung. Das letzte Stück, das fertig gestellt wird, wird also durch starke Parenchymentwicklung sozusagen ausgeflickt. Daß diese „Gelenkknoten* auch die Fähiskeit haben geotropische Krümmungen auszuführen, ist eine Begleiterscheinung ihrer Ent- stehung und ihres Baues. Aber die mit derben Sproßachsen versehenen Pileasträucher werden in der freien Natur nur höchst selten in die Lage kommen von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen. Ganz ähnliche Gelenkbildungen finden sich an einigen Blattstielen, die zum Vergleich kurz erwähnt sein mögen. 6. In Fig. 23 abgebildet sind die merkwürdigen Blattstiele der Aroidee Gonatopus, mit ihrem etwas unter der Mitte befindlichen Gelenkknoten. (Fig. 23.) Obwohl ich keine Messungen angestellt habe, glaube ich doch annehmen zu dürfen, daß auch bei Gonatopus der Knoten an der Stelle des Blattstiels liest, die zuletzt ausgewachsen ist. Auch hier ist er mit Kollenchym ausgeflickt und kann bei Lagenveränderung Krümmungen ausführen. (Fig. 24.) Aber wie sollte ein Blattstiel dazu kommen solche Fig. 24. Blatt von Gonatopus Boivini, welches infolge der Horizontallegung am „Knoten“ eine (noch schwache) knieförmige Krümmung ausgeführt hat. Krümmungen in der freien Natur öfters auszuführen? Er wird dazu ebensowenig Gelegenheit haben, als die Blattstiele mancher Marattiaceen, welche ähnliche Gelenkbildungen aufweisen '). Alle diese Erscheinungen wären unverständlich, wenn die Gelenk- knoten nach der bisherigen Annahme Bewegungsorgane wären. Nach der hier vorgetragenen Auffassung wird aber nur eine in anderer Beziehung wirksame Struktur von verschiedenen Pflanzen auch verschieden aus- genutzt. $ 9. Gelenkbildung bei Gräsern. Es fragt sich, ob diese Anschauung auch zutrifft für die Gräser, die in allen Büchern als die auffallendsten Beispiele von mit „Bewegungs- gelenken“ versehenen Pflanzen angeführt werden, so daß nicht nur der 1) Vgl. Gozser, Organographie 2. Aufl. II p. 1038 Fig. 1020, Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. . 5 66 - Zweiter Abschnitt: übliche Liaboratoriumsbotaniker, sondern auch der, welcher den Angaben mancher Floren folgt '), der festen Überzeugung ist, überall Gräser mit knie- förmig gekrümmten Bewegungsgelenken (Fig. 25, I) leicht in Menge an- treffen zu können. Nun gehören allerdings bei den meisten Gräsern die sog. Bewegungsgelenke nicht der Sproßachse an, sondern den Blattscheiden und die Spröoßachse verhält sich bei der Aufwärtskrümmung passiv. Aber nicht nur gibt es auch Gräser mit krümmungsfähigen Sproßachsengelenken, sondern auch bei den anderen liegt funktionell, wie ich nachweisen möchte, eine solche Übereinstimmung mit den besprochenen radiären Sproßachsen- gelenken vor, daß es geboten erscheint, die Besprechung der Grasgelenke hier folgen zu lassen. Die meisten Gräser besitzen übrigens an ihren Blättern zwei „Gelenke“ : eins an der Basis der Blattscheide, das äußerlich als ringförmige An- schwellung hervortritt und einen Stengelknoten vortäuscht, das Scheiden- gelenk und ein Spreitengelenk°) an der Basis der Blattscheide. Dazu kommt bei manchen noch ein Sproßachsengelenk an der Basis der Internodien. A. Scheidengelenke. Die primäre Funktion der Scheidengelenke ist zweifellos eine mecha- nische und zwar eine mit der Entfaltung in Beziehung stehende Die Internodien der Sproßachsen wachsen bekanntlich an ihrer Basis am längsten (interkalar), sind dort also am schwächsten gebaut. Das Scheidengelenk steift diese schwache Stelle aus — wovon man sich sehr einfach überzeugen kann. Trägt man z. B. bei Glyceria aquatica den 7 äußeren (vorspringenden) Teil des Scheiden- [9 gelenkes ab, so knickt der horizontal ge- u haltene Sproß an der Gelenkstelle leicht Fig. 25. Bewegungen des Scheiden- durch ?). Indes viel mehr als diese mecha- gelenks eines Grashalms. I ein nische Leistung hat die Fähigkeit dieser vorher aufrechtes Halmstück hori- Do Tänkoes fol i r, änd zontal gelegt, 2knieförmigeKrüm- „eienke” ıIMiolge Einer Lagenverangerung mung durch Verlängerung der der Sprosse das Wachstum wieder aufzu- Unterseite (nach Nor). nehmen und dadurch eine knieförmige Aufrichtung der Halme zu ermöglichen, Eindruck gemacht. Sehen wir ab davon, daß auch die Scheidengelenke diese Fähigkeit mit dem Alter verlieren und daß z. B. bei einigen Paniceen die Sproßachsengelenke selbst die Aufrichtung übernehmen, so leuchtet ein, daß — falls wirklich sich die Notwendigkeit zur Aufrichtung der Halme ergibt — die Scheidengelenke eine größere Bedeutung für die Aufrichtung aus ihrer Lage gekommener Sprosse haben werden, als die „Knoten“ der oben angeführten Dikotylen. Denn es ist, wie schon ı) „Die Bedeutung der Knoten liegt in der durch sie vermittelten Wiederaufrichtung‘ der niedergebeugten Halme“ (Hzcı, Illustr. Flora von Mitteleuropa I p. 166 2) Vgl. Gorger, Das Rumphiusphänomen a. a. O. Daß die von Jessen benutzte (leider auch in der Bearbeitung der Gräser in Kırcnner, Lorw und ScHhröper’s Lebens- geschichte der Blütenpflanzen Mitteleuropas I, 2 p. 55 angenommene) Bezeichnung „Blatt- grund“ für das Spreitengelenk unmöglich ist, braucht kaum betont zu werden. Denn unter Blattgrund versteht man etwas ganz anderes. Ban. | 3) Ich führe das nur an, weil die Zitate zeigen, wie wenig diese einfachen Tat- sachen bekannt sind. 4) pe Vrıes, Über die Aufrichtung des gelagerten Getreides, Landwirtsch. Jahrb. 1880 p. 473. | Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. ON DE VRIES*) hervorgehoben hat, die geotropische Aufwärtskrümmung an anderen älteren Sproßteilen bei den Gräsern schon durch die starren Blatt- scheiden erschwert oder unmöglich gemacht. Die Grasknoten sind es wohl auch gewesen, die hauptsächlich zur Aufstellung des: Begriffs „Bewegungsknoten* (auch für die Dikotylen) Veranlassung gegeben haben. Indes darf man von den Beobachtungen an gelagertem Getreide noch nicht auf die Bedeutung der Grasknoten auch bei wildwachsenden Gräsern schließen !. Ein Getreideacker stellt ja eine ganz unnatürliche Zusammenhäufung von Pflanzen dar, bei der viel leichter Gelegenheit zum Lagern gegeben ist, als bei wildwachsenden Gräsern. Einerseits ist durch den dichten Stand der Getreidegräser leicht Ver- anlassung zum teilweisen Etiolieren, also zu mechanisch schwächerer Aus- bildung der Halme gegeben, andererseits bietet der künstlich gelockerte Boden die Möglichkeit, daß beim Regen das Wurzelsystem teilweise seinen Halt verliert, was dann eine Lagenveränderung der ganzen Pflanze bedingt. Endlich ist bei der dichten Stellung und der starken Belastung der Pflanzen - durch die schweren Blüten- und Fruchtstände ein Lagern durch Regen usw. viel leichter möglich als bei den Wildgräsern, die vereinzelt wachsen und keine so schweren Blüten- und Fruchtstände besitzen. Es ist also leicht zu verstehen, daß bewußt oder unbewußt den Aus- führungen über die Tätigkeit der Grasknoten stets Wahrnehmungen zu-: grunde liegen, die an Getreidefeldern *) gemacht wurden. Wenn man bedenkt, daß unter etwa 3500 bekannten Grasarten höchstens 10 als Getreidepflanzen in Betracht kommen und dab diese vom Menschen in für sie abnorme Verhältnisse gebracht wurden, so leuchtet ohne weiteres ein, wie wenig berechtigt es ist, das Verhalten dieser kleinen Anzahl als das für alle Gräser typische zu betrachten. Das geht weiterhin daraus hervor, daß manche Gräser Gelenkknoten besitzen, ohne sie als „Bewegungs- organe“ zu benutzen. Dahin gehören namentlich solche mit dickeren, sich nicht lagernden Sproßachsen. Sehen wir dabei ab von der nur im Kulturzustand bekannten Zea Mays, so bietet unter den einheimischen Gräsern Phragmites communis mit seinen starren steifen, oft zu vielen Hunderten neben einander stehenden Halmen ein geeignetes Beispiel. Ich habe zahlreiche Pflanzen darauf an- gesehen, ob bei ihnen eine knieförmige Aufrichtung vorkomme — habe aber keinen derartigen Fall finden können. Die Halme sind eben so bieg- sam und elastisch, daß sie weder Winddruck noch sonstige Belastung zum „Lagern“ bringt. Im Boden aber sind sie schon durch ihre langen Rhizome sehr fest verankert. Eine Lagenveränderung könnte z. B. eintreten, wenn das Ufer eines Baches, an welchem Phragmites wächst, unterspült würde. Das kann in seltenen Ausnahmefällen vorkommen, aber dafür können der Pflanze doch nicht die „Bewegungsknoten“ ange- züchtet worden sein. Trotzdem besitzt sie aber in der basalen Region des Stengelinternodiums die- charakteristische - Knotenbildung: bedeutendere Dicke des Stengel- !) Auch ist bei gelagertem Getreide zu beachten, was C. Kraus in seiner Mono- graphie „Die Lagerung des Getreides“ (1908) p. 14 anführt, „... daß die Wiederauf- richtung mit Hilfe der Knotenkrümmungen gelagerten Getreides zum Ausgleich mehr oder weniger und sehr häufig fast gar nichts nützen wird“. ö : 2) Übrigens wird der Ertrag trotz starker Lagerung oft nur wenig verringert, Bei Versuchen in Weihenstephan ergaben sich Höchsterträge auf den infolge starker Düngung am meisten gelagerten Teilstücken. Vgl. C. Kraus, Das Verhalten der Ge- treidehalme usw. Fünrıng’s landwirtsch. Zeitung 65 (1916) p. 339 Anm. 1. en EEE NE: an, a: ae 68 Zweiter Abschnitt: : gewebes (im Verhältnis zur zentralen Höhlung) Kollenchymring und Kollen- chymbelege der Leitbündel statt des Sklerenchyms und stärkehaltige Leit- bündelscheiden. Tatsächlich sind, wie ich mich an abgeschnittenen horizontal gelegten Sprossen überzeugte, die jüngeren Knoten auch imstande geotropische Krümmungen auszuführen. Aber sie machen von dieser Fähigkeit ebenso- wenig Gebrauch wie die Stengelknoten von Pilea. Mit zu den ältesten Gräsern gehören sicher die Bambuseen. Ich habe bei keiner der mir aus eigener Anschauung bekannten Bambusa- Arten eine „knieförmige Aufrichtung“ gesehen. Sie haben aber alle „Gelenke“, und es mag auch Formen geben, welche diese als solche be- nutzen — das sind aber sicher Ausnahmen. Bei dünnstengligen Gräsern ist natürlich viel eher zu erwarten, daß sie Lagenveränderungen und dementsprechend auch Gelenkkrümmungen aufweisen werden. Solche fand ich z. B. bei Brachypodium pinnatum im Walde. Aber als ein sehr häufiges Vorkommnis kann ich solche Gelenk- krümmungen nicht bezeichnen, und ich habe mich immer wieder darüber gewundert, daß man in der botanischen Literatur diese Krümmungen als allgemein verbreitet betrachtet, glaube aber annehmen zu dürfen, daß das nicht auf Beobachtungen sondern auf theoretischen Anschauungen beruht. Aus dem vermeintlichen Vorhandensein eines „spezifischen Aufrichtungs- organes“ folgert man ohne weiteres, daß es auch seinen „Zweck“ oft genug erfülle, sonst wäre es ja teleologisch nicht verständlich. Tatsächlich findet man Knotenkrümmungen in den Lehrbüchern häufiger als in der Wirklichkeit. Ich habe in den Sommern 1916 und 1917 an wildwachsenden Gräsern auf das Vorkommen von knieförmig (an den Gelenken) aufgerichteten Halmen geachtet und sie, abgesehen von dem oben angeführten Waldgras, nur recht spärlich angetroffen — in größerer Anzahl nur nach starken Regengüssen. Mein (leider seither verstorbener) verehrter Kollege ©. Kraus, der sich mit dem Lagern des Getreides eingehend beschäftigt hat, hatte die Freundlichkeit, mir auf meine Anfrage mitzuteilen, daß Lagerungen mit nachheriger Aufrichtung von ihm beobachtet wurden z. B. bei Phleum pratense, Dactylis, Lolium italicum, L. perennee Das sind Gräser, die der Mensch, künstlich auf Wiesen usw. zusammenhäuft wie das Ge- treide auf den Ackern, und die deshalb leichter der Lagerung unterliegen werden, als frei und einzeln stehende Gräser, die doch auch Knoten haben. O©. Kraus weist ferner hin auf Gräser, deren Triebe sich im Spät- herbst dem Boden andrücken, und im Frühjahr beim „Schoßen“ sich auf- richten, hebt aber auch hervor, daß die Getreidepflanzen mit ihren _ schweren, spät sich ablösenden Früchten (deren Gewicht natürlich das Lagern begünstigt) sich anders verhalten als die Wildgräser mit ihren leichten, zeitig abfallenden Früchten und ihren stark biegsamen "), sich ohne Knotenkrümmung elastisch aufrichtenden Halmen. - Gewiß kann also die Fähigkeit der Knoten, Krümmungen auszuführen, bei den Gräsern unter Umständen von Bedeutung sein. Aber ihre primäre Funktion ist das ebensowenig als bei den oben betrachteten Dikotylen. !) Man nimmt gewöhnlich wohl an, daß die Gräser sich hauptsächlich unter dem Einfluß des Windes biegen. Wenn man aber nach einer taureichen Nacht Phragmites betrachtet, so sieht man, daß die Halme unter der Belastung durch den Tau bis zur horizontalen Lage gebogen werden können — nach Abschütteln des Taues richten sie sich sofort wieder elastisch (also nicht durch die Knoten) auf. ir - a0 \d BER Fu 5) 2 X HR ’ - £ Kc DOES K IM N Fr = RG dr As Zul nn RZ be ZB An a a Men ien na hear br a urn an Tan a ee 2 £ N a a Se PS Y. a RITET ie Ed Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 09 Es scheint mir deshalb nicht berechtigt, wenn vielfach, z. B. von E. LEeHmann !), die Funktion als „Bewegungsknoten“ ganz in den Vorder- grund gestellt wird. Sie ist bei den Gräsern wohl von größerer Bedeutung als bei den meisten obengenannten Dikotylen, aber weder allgemein noch primär. Daß die geotropische Krümmungsfähigkeit der Grasinternodien ganz erloschen ist, wie LEHMANN meint, scheint mir nicht zuzutreffen ?). Die Versuche wurden mit Stengelstücken vorgenommen und es scheint nicht ausgeschlossen, daß die wachsende Region der Internodien an solchen eine Wachstumshemmung erfährt — was bei den Knoten nicht der Fall ist. Die Ausläufer von Triticum repens krümmen sich jedenfalls, wenn sie über den Boden treten, nicht in einem „Gelenk“, sondern auf die ge- wöhnliche Weise nach oben. Sie besitzen nämlich gar kein eigentliches Gelenk. Dessen Fehlen ist, wenn man die mechanische Bedeutung des Gelenkes in den Vordergrund stellt, bei den im Boden kriechenden mit ziemlich kurzen Internodien versehene Sproßachsen teleologisch leicht ver- ständlich — weniger, wenn man es als Bewegungsknoten betrachtet! Auf die Verschiedenheiten in der Gelenkausbildung näher einzugehen ist hier nicht der Ort. Erwähnt sei nur — in Ergänzung des über Bambusa und Phragmites Gesagten — das es Gräser gibt, welche Scheiden- und Internodialgelenke besitzen, die sich nicht oder nur selten aufwärtskrümmen, obwohl die Sprosse in geneigter bzw. horizontaler Lage sich befinden. So z. B. Paspalum stoloniferum, dessen Sprosse auf dem Boden liegen und sich im unteren Teil bewurzeln oder schief bis horizontal ausgebreitet sind. Sie besitzen ein Scheidengelenk mit Kollenchymbelegen und ebenso ein Inter- nodialgelenk, in welchem an Stelle des Steifungsringes aus Sklerenchym ein breiterer Kollenchymring tritt — anderer Verschiedenheiten nicht zu gedenken. Eine Aufrichtung durch knieförmige Gelenkausbildung war aber an den (im Gewächshaus gezogenen) Gräsern nur in zwei Fällen wahr- nehmbar, in denen die betreffenden Knoten offenbar die Erde berührt und Wurzel geschlagen hatten (während dies bei den anderen nicht der Fall war). Auch in diesen Fällen schien aber die Krümmung nicht durch einen Knoten, sondern durch ein hinter ihm befindliches kurzes Inter- nodium bedingt zu sein. Die anderen Knoten hatten sich trotz der von der Vertikalen abweichenden Lage der Sprosse mit ihren mechanischen Leistungen begnügt. Offenbar haben diese Knoten frühzeitig schon die „Verhärtung“ erfahren, die bei denen anderer Gräser erst später ein- tritt. Dementsprechend haben die Leitbündel in älteren Knoten einen umfangreicheren Beleg von sklerisierten verholzten Zellen als die im Inter- nodium. Werfen wir noch einen Blick auf die Beziehungen des anatomischen Baus der Gelenkknoten zu ihrer Funktion. Es ist das deshalb notwendig, weil man aus ihr ohne weiteres Schlüsse auf den „Zweck“ dieser Organe gezogen hat. !) E. Lenmann, Über den Bau und die Anordnung der Gelenke der Gramineen, Dissert.. Straßburg 1906. ?) pE Vrıes gibt (a. a. 0.) für die wachsenden Teile der Grasinternodien schwachen Geotropismus an. Kraus hat (a. a. O. p. 346) sehr deutliche negativ geotropische Krümmungen bei Weizen, Roggen, Gerste beobachtet, bei denen das oberste Internodium kurz unterhalb der Ähre durch Hagelschlag geknickt war: Das obere Ende der Glieder oder die Ährenspindel waren aufwärts gekrümmt. Bei Zea ist das ganze junge Inter- nodium samt der Blattscheide merklich geotropisch. 70 Zweiter Abschnitt: So sagt SCHWENDENER!) „die Knoten der Gramineen erfüllen dem- nach einen doppelten Zweck. Die unterste Region dient wesentlich zur Aussteifung des mechanischen Systems; der gelenkartig angeschwollene Teil dagegen ist in erster Linie Bewegungsorgan und daher nach denselben Prinzipien gebaut, wie die Blattstielkissen von Phaseolus, Mimosa usw.; oder auch wie die Blattstielenden von Maranta, von denen oben die Rede war“. Ihm schließt sich DE Vrıes an (a. a. O. p. 497). „Der Mangel an Bastfasern und dessen ?) Vertretung durch Kollenchym bedingt die Biegsamkeit des Polstergewebes, ebenso auch die zartere Aus- bildung der Zellwände des Parenchyms. Ohne diese Einrichtung wäre eine Aufwärtskrimmung gar nicht möglich. Denn PBastfasern können auch durch ansehnliche Kräfte nur um einen gewissen Teil ihrer Länge ausgedehnt werden, das Kollenchym aber ist äußerst dehnbar“. Das trifft gewiß vollständig zu. Aber wir treffen Kollenchym und durch Turgor gespannte Zellwände in zahlreichen Fällen auch in solchen Pflanzenteilen, indenen keine Wiederaufnahme des Wachstums bei einer Lagenveränderung erfolgt. Es liegt also diesen teleologischen Erwägungen eine Verwechslung des „propter hoc“ mit dem „post hoc“ zugrunde. Gewiß ist die anatomische Struktur der „Grelenkpolster“ eine solche, daß dadurch Bewegungen ermöglicht werden, aber sie ist nicht zu diesem „Zwecke“ zustande gekommen, sondern ebenso, wie wir das in den anderen oben erwähnten Fällen- sahen, bedingt dadurch, daß der Aufbau der zuletzt fertiggestellten Teile ein anderer ist, als der der früher in den Dauerzustand übergegangenen. Das spricht sich schon darin aus, daß eine Anzahl anatomischer Eigentümlichkeiten des Gelenkpolsters bzw. des Internodialgelenkes sich deutlich als Hemmungs- bildungen erweisen, wie wir solche ja von anderen Gelenken, z. B. Telan- thera, anzuführen hatten (p. 54). So der Ersatz des Sklerenchyms durch Kollenchym. Daß dieses einer Hemmung der Sklerenchymentwicklung _ entspricht, zeigt schon die Tatsache, daß es in den alten Gelenkknoten verholzt und sklerenchymähnlicher wird — eine Verlängerung der. Kollen- chymzellen ist dabei natürlich ausgeschlossen, aber es gibt bei den Gräsern ‚ ohnedies „kurzzelligen Bast“ ?). Ferner: statt der Tüpfelgefäße im weiter oben verlaufenden Teil der Leitbündel finden sich im Scheidengelenk nur Spiral- und Ringgefäße, von denen SCHWENDENER hervorhebt, daß sie „der Streckung des Gewebes keinen erheblichen Widerstand entgegensetzen“. Wir wissen, daß solche im Grasleitbündel zuerst, vor den Tüpfelgefäßen auftreten. Wenn sie allein bleiben, beruht dies also auf einer Hem mung der Entwicklung. Sie sind aber nicht zu dem „Zwecke“ vorhanden, für die nachträgliche geotropische Bewegung des Gelenkpolsters keinen Wider- stand zu leisten*), sondern während des Längenwachstums des letzteren selbst entstanden, ebenso wie das Kollenchym. Auch das Vorkommen von „Statolithenstärke“ ist kein Grund für die Annahme, das Scheiden- selenk habe den „Zweck“ als Bewegungsorgan zu dienen. Auch das ist nur eine Hemmungserscheinung, die sich auch in nicht zur Aufrichtung dienenden Gelenken findet. !) S. SCHWwENDENER, Das mechanische Prinzip im anatomischen Bau der Monokotylen (1874) p. 9. ?) Soll wohl heißen deren. GOEBEL. 3) Vgl. über letzteren auch ScHWENDENER a. a. O. p. 9. )) Damit ist es überhaupt nicht so gefährlich. Nenn man sieht, wie das Parenchym auf der Oberseite der Knoten, welche eine Aufrichtung erfahren haben, zusammengepreßt wird, wird man zugeben, daß auch starke Widerstände überwunden werden können. u EN By 3% SAN DE A LER cn Da a Re a ’n « ., a. “ \ gi EB < ( a #- Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. Fü Der beste Beweis für die Richtigkeit der vorgetragenen Anschauung ist wohl der, daß ein anderer Teil des Grasblattes, der, soweit bis jetzt bekannt ist, nicht imstande ist, sein Wachstum infolge einer Lagenver- änderung wieder aufzunehmen ganz dieselben Bauverhältnisse zeigt, welche im Scheidengelenk nach der allgemein herrschenden. Meinung zur Ausführung von Wachstumsbewegungen bestimmt sein sollen! Es ist das unten zu besprechende Spreitengelenk. Betrachten wir es z. B. bei einem Grase, bei dem es besonders auffallend ausgebildet ist, bei Arundo Donax. Die Dicke des Gelenks übertrifft die der Blatt- spreite um das Doppelte. Die Sklerenchymbildung ist durch Kollenchym ersetzt, an Stelle der Tüpfelgefäße treten „Spiral“gefäße (oder Ringgefäße) — also dieselben Baueigentümlichkeiten, die bei den Scheidengelenken dem „Zweck“ dienen sollen, daß es in „erster Linie Bewegungsorgan“ und „daher nach denselben Prinzipien gebaut“ ist wie die Blattstielkissen von Phase- olus, Mimosa u. a. Eine solche Auffassung dreht meiner Ansicht nach den wirklichen Sachverhalt geradezu um, sie nimmt weder Rücksicht auf die Entwicklung noch auf das Verhalten in der freien Natur. Es ergibt sich also, daß gerade die Grasgelenke für unsere Ausführungen ganz besonders lehrreich sind. Sie stellen keine Ausnahme von dem für andere Pflanzen dargelesten Verhalten dar, sondern bestätigen das für diese Ge- sagte. Ihre primäre Bedeutung ist klar und deutlich. Wenn sie sekundär (wenn- gleich weniger häufig als die bisherige von der Betrachtung der Getreidefelder teleologisch beeinflußte Auffassung an- nahm) als Bewegungsorgane dienen, ist das eine Ausnutzung eines für andere „Zwecke“ bestimmten Baues. B. Spreitengelenke. Auf deren anatomischen Bau wurde oben schon hingewiesen, ebenso darauf, daß sie ihr Wachstum, wenn es nach Fig. 26. Zea Mais. Sproßstück mit dem der Entfaltung einmal abgeschlossen ist, mittleren Teile eines Blattes. soweit bekannt, nicht mehr aufnehmen @ Spreitengelenk. können !). Hier ist also nur ihre Bedeutung für die Entfaltung zu erörtern. Nicht alle Gräser besitzen ein Spreitengelenk. Wo es vorhanden ist, fällt es durch seine Farbe auf, die meist heller ist, als die der Blattspreite. Es liegt an der Basis der Blattspreite, unmittelbar über der Ligula, welche die Grenze zwischen Blattspreite und Blattscheide bezeichnet. Es ist in der Mitte niederer als an den Seitenteilen und tritt durch seine Färbung schon hervor zu einer Zeit, in der die Blattspreite noch die unmittelbare Fortsetzung der Blattscheide bildet, während später die Blattspreite bei den allermeisten Gräsern vom Halme abgebogen ist. Man kann sich auch !) Versuche, dies zu erzielen, blieben bis jetzt ergebnislos. Die Möglichkeit des Gelingens ist aber gewiß vorhanden. BR Ze Dunn Bere a FR 72 Zweiter Abschnitt: “5 leicht davon überzeugen, daß die Entwicklung des Spreitengelenkes recht spät stattfindet — dann, wenn die Spreite schon ganz fertig ist. Bei einem noch ganz eingeschlossenem Blatt von Glyceria spectabilis betrug z. B. die Höhe des Spreitengelenkes in der Mitte '/, mm, seitlich je 1?/, mm. Am entfalteten Blatte (mit abstehender Spreite) waren die entsprechenden Maße dagegen 1:6 mm. Der Zuwachs war also an den Seitenteilen ein viel stärkerer als ın der Mitte. Bei Arundo _Donax können die Ränder des Spreitengelenkes eine Höhe von über 35 mm erreichen, während der mittlere Teil nur etwa 1—2 mm Höhe aufweist. Zur Beantwortung der Frage nach der Bedeutung des Spreitengelenkes sei ausgegangen von einem in der Knospenlage befindlichen Grasblatt. Dieses können wir uns denken, als einen auf einer Seite durch einen Längs- spalt offenen Hohlzylinder — es ist dabei nicht von Bedeutung, daß der untere Teil dieses Zylinders bei manchen Gräsern eine geschlossene Röhre darstellt. Denn in allen Fällen behält der untere Teil des Blattes, die Blattscheide — mag sie nun „offen“ oder geschlossen sein, ihre zylindrische Gestalt. Nicht so der obere, die Blattspreite. Diese breitet sich (von Rollblättern u. dgl. abgesehen) flach aus und biegt sich von der Scheide (und damit auch von der Sproßachse) ab. Nun versuche man, dieses Ab- biegen an einem Papiermodell vorzunehmen. Es wird an der Knickungsstelle einen bedeutenden Widerstand leisten. Dieser fällt weg, wenn — wie das bei den Grasblättern der Fall ist — an der Grenze zwischen Spreite und Scheide ein Stück eingeschoben wird. Dann ist die Auswärtsbewegung oder Abknickung ohne weiteres möglich. Ebenso ist klar, daß das eingeschobene Stück um so breiter sein muß, je breiter die Blattspreite ist. Es ist also nicht auffallend, wenn ein Blatt von Arundo Donax, das eine Breite von über 7 cm erreicht, ein so großes Spreitengelenk besitzt, wie es oben an- gegeben wurde Auch hier tritt dessen Ausbildung erst spät ein. An einem mit einer 67 cm langen Blattspreite versehenen Blatte z. B. betrug die Seitenlänge des Gelenkes erst 1 cm, bei einem 60 cm langen noch nicht entfalteten 5 mm. Vorher war es nur als ein niedriger, hellerer Streifen wahrnehmbar. Es wird also zwischen Spreite und Scheide sozusagen eingeschoben, entwickelt sich interkalar. Es dient einerseits als Scharnier '), welches die Abbiegung der Blattspreite ermöglicht, andererseits kann es bei manchen Gräsern bei der Abbiegung selbst beteiligt sein. Selbstverständ- lich hat es beim entfalteten Blatte das Gewicht der Blattspreite mit zu tragen. Wenn die oben gegebene Darlegung über die Funktion des Spreitengelenkes richtig ist, so läßt sich folgendes erwarten: 1. Daß es bei Gräsern, deren Spreite keine Entfaltungsbewegung ausführt, fehlt oder nur als Rudiment angedeutet ist. Das trifft auch zu für die untersuchten Gräser, welche „Rollblätter“ besitzen (z. B. Lygeum Spartum, Stipa u. a.), deren Spreite ihre ursprüng- liche Lage beibehält, also später keinen Winkel mit der Blatt- scheide bildet. 2. Daß an der Basis der Blattspreite kein Spreitengelenk (in der oben erwähnten Gestalt) vorhanden sein wird bei solchen Gräsern, die zwischen Spreite und Scheide ein stielartiges Zwischenstück aufweisen. Denn dieses ist ja nur eine andere Ausbildungsform des Spreitengelenkes. Die Spreite ist durch das schmälere Ver- !) Was in den früheren Ausführungen über die Funktion des Spreitengelenkes nicht erkannt wurde. a PEN. ETOT Ye u A e Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 73 bindungsstück mit der Scheide in ihrer Entfaltung nicht gehemmt, sondern von dieser sozusagen losgelöst. Sie kann sowohl aktive als passive Drehungen ausführen. Das zeigt z. B. die Anordnung der Blätter in Eine Ebene bei annähernd horizontal gestellten Bambuszweigen und besonders auffallend auch die Gattung Pharus (Fig. 124), deren Blätter durch Drehung des schmalen Scheidengelenkes eine Resupination ausführen. Die Spreitengelenke der Gräser — deren Besprechung hier einge- schoben werden mußte, wegen der Vergleichung mit den Scheiden- gelenken — zeigen uns also eine verschiedenartige Lösung des Ent- faltungsproblemes — wir haben es bald mit einer Verbreiterung, bald mit einer Verschmälerung zu tun. | Unsere Untersuchung der Gelenkbildung der Gräser ergab somit, daß die Gelenkbildung auf dieselbe Weise zustande kam, wie bei anderen Pflanzen, und daß die Arnahme, sie stellten typische „Bewegungsknoten“ dar, nicht zutrifft. Daß der anatomische Bau der Gelenkknoten nicht auf Bewegungen „berechnet“, ist ergab sich in besonders lehrreicher Weise daraus, daß er bei den Spreitengelenken — die keine nachträglichen Be- wegungen ausführen — in derselben Weise wiederkehrt. $ 10. Dorsiventrale Sproßgelenke. Die bisher besprochenen Sproßgelenke waren — abgesehen etwa von den für Piper rivinoides erwähnten — radiär, sie werden, soweit sie noch wachstumsfähig sind, dorsiventral erst infolge einer Lagenveränderung des Sprosses. Daß es auch von Anfang an dorsiventrale Sproßgelenke gibt, ist, wie es scheint, bisher nicht beachtet worden. Für uns sind sie von Interesse schon deshalb, weil sie zu den normal dorsiventralen Blatt- gelenken überleiten. Wie bei diesen die Dorsiventralität mit der des ganzen Blattes zusammenhängt, so treten offenbar dorsiventrale Sproß- gelenke auch nur an dorsiventralen Internodien auf. So ausgebildet sind die Stiele einiger Infloreszenzen, selbst solcher, die in ihrem blütentragenden Teile radiär sind. Namentlich gilt das für die Blütenstände einiger Mimoseen. Das geht z. B. aus dem in Fig. 29 abgebildeten Querschnitt des In- floreszenzstieles von ÜUalliandra tetragona ohne weiteres hervor. Die Basis des Stieles ist, ebenso wie bei Mimosa pudica als Gelenk ausgebildet. Man sieht aus dem Querschnitt Fig. 29 das Rindenparenchym stark ent- wickelt, das Mark dagegen nur wenig, ebenso tritt mechanisches Gewebe sehr zurück. Auch Mimosa pudica besitzt an der Basis des Infloreszenz- stieles ein Gelenk (Fig. 28). Der starke Parenchymmantel, ermöglicht dem Gelenke von Mimosa, dessen Oberseite sich vergrößert, eine scharfe Abwärtskrümmung der verblühten Infloreszenz (Fig. 27) auszuführen, wobei das Parenchym auf der Gelenkunterseite zusammengedrückt wird. Es liegt hier eine postflorale Entfaltungsbewegung vor (wie sie später noch vielfach an- zuführen sein wird). Obwohl das Gelenk schon frühzeitig!) in seinem Bau vom oberen Teil des Infloreszenzstieles sich unterscheidet, tritt es bei Mimosa doch erst in Tätigkeit, nachdem der Infloreszenzstiel aus- ı) Bei einem im ganzen 1 mm langen Infloreszenzstiel trat der Unterschied von Stiel und Gelenk deutlich hervor, 74 Zweiter Abschnitt: gewachsen ist. Die späte Fertigstellung der Gelenke ‘bedingt es wohl auch, daß bei inversaufgehängten Pflanzen mit jungen Infloreszenzen: nicht das Gelenk, sondern der noch im Wachstum begriffene Infloreszenz- stiel die Aufwärtskrümmung ausführt, die aber später wieder durch Ge- radestreckung zurückgeht. Hängt man Pflanzen mit schon aufgeblühten Inflores- zenzen invers auf, so tritt nach dem Verblühen keine Hebung der Infloreszenzen ein, ebenso- wenig eine Senkung. Daraus geht, wie mir scheint, hervor, daß das Gelenk derart dorsi- ventral gebaut ist, daß nur die Oberseite imstande ist, durch Volumvermehrung eine aus- giebige Bewegung der Inflores- zenz zu bedingen !), aber auch nur dann, wenn sie nach oben Fig. 28. Mimosa pudica. Querschnitt durch ein älteres, bereits abwärts ge- Fig. 27. Mimosa pudica (etwas verkl.). Abwärts- krümmtes Infloreszenzgelenk. Kollen- krümmung der Infloreszenzstiele nach dem Ver- chymring durch Schraffierung an- blühen. gedeutet. gekehrt ist. Wenn das — was weiter zu untersuchen ist — zutrifft, so könnte man das als eine Art von Geotrophie betrachten. Noch viel auffallender als bei Mimosa und Calliandra ist die Gelenk- entwicklung an der Basis der Infloreszenzstiele am Neptunia plena. Hier besorgen die Gelenke bei Lagenveränderungen der Infloreszenz die negativ geotropische Aufrichtung, während die Infloreszeuzen von Calliandra geotropisch nicht oder ‚ein wenig empfindlich zu sein scheinen — sie entfalten sich auch in horizontaler Stellung. !, Kleinere Riehtungsänderungen der Infloreszenzen traten auch bei Pflanzen auf, die in horizontaler Lage befestigt waren. In einem Falle trat eine Abwärtskrümmung der Stiele zweier Infloreszenzen (nach derselben Seite der Sproßachse) ein. Wieweit dabei eine Torsion im Gelenk stattfand, bleibe unerörtert. u a DE Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 75 Eine postflorale Abwärtskrümmung findet weder bei Neptunia noch bei Calliandra statt — auch die unbefruchteten Infloreszenzen wurden einfach abgegliedert. Bei Mimosa krümmten sich auch unbefruchtet ge- bliebene Infloreszenzen nach unten. x SFR DD B 7 @ U 0% > 02) D 9 & Fig. 29. Calliandra tetragona. Infloreszenz- Fig. 30. Calliandra tetragona. Querschnitt eines stiel nahe der Basis, Kollenchym schraffiert ©. Infloreszenzstiels. S Sklerenchymring. Diese Abwärtsbewegung teleologisch zu deuten wird schwer sein. Man kann nicht gut sagen, daß dadurch die nutzlos.gewordenen Blüten- stände aus dem Weg geschafft werden um den bestäubenden Insekten die anderen nicht zu verdecken. Denn es wird auch ohnedies an diesen abgeblühten durch Verwelken der Staubblätter höchst unscheinbar ge- wordenen Ständen kein Insektenbesuch mehr eintreten und es wäre ja viel einfacher, wenn, wie dies bei Oalliandra geschieht, die Abstoßung steril gebliebener Infloreszenzen ohne weiteres erfolgte. Die Bewegung erscheint vielmehr, obwohl sie eine paratonische ist, als nutzlos. Das vorstehende war niedergeschrieben ehe ich die Untersuchungen von O. BAnnert!) kennen lernte. Unsere Erfahrungen stimmen nicht ganz überein. An Bannerr's Pflanzen wurde die „postflorale“* Abwärts- krümmung der Infloreszenzen nur dann vollständig ausgeführt, wenn die Blüten künstlich befruchtet wurden. Bei meinen Pflanzen trat sie auch ohne Befruchtung vollständig ein. Vielleicht liegen die Verschiedenheiten an den Kulturbedingungen, vielleicht gibt es auch Formen von Mimosa, die sich verschieden verhalten. Eine scharfe Abwärtsbewegung, wie bei den in normaler Lage befindlichen Pflanzen konnte ich bei den umge- kehrt stehenden nicht beobachten. Während BAnnerr eine Abwärtsbe- wegung der Infloreszenzachsen und Schrägstellung nach unten angibt, be- hielten bei den von mir beobachteten Pflanzen die Blütenkopfachsen einen Winkel von ungefähr 125° (nach oben) mit der Sproßachse. Das schließt nicht aus, daß die normale Abwärtskrümmung durch die Schwerkraft be- 3 dingt ist, aber es scheint mir nicht bewiesen, daß gewöhnlicher positiver (Greotropismus vorliegt. Daß die primäre Funktion dieser Gelenke, z. B. bei Calliandra, eine mechanische ist, davon kann man sich leicht überzeugen. Wenn man den Parenchymmantel des Gelenkes auch nur teilweise entfernt, so wird es ein passives — es kann das Gewicht der Infloreszenz 1) O. BAnnert, Über den Geotropismus einiger Infloreszenzachsen und Blütenstiele (HABERLANDT, Beitr. z. allg. Botanik I, 1 (1916). 76 Zweiter Abschnitt: nicht mehr tragen. Außerdem wirken die Gelenke vermöge ihrer starken Anschwellung als Schwellkörper. Diese tragen dazu bei, daß die zu mehreren in einer Blattachsel stehenden Infloreszenzen voneinander ab- spreizen und die Blüten mit den wunderbaren langen Staubfäden frei entfalten können. Das Verhalten dieser Infloreszenzen und ihrer Gelenke ist in mehr als einer Hinsicht ein interessantes. Zunächst weil es zeigt, wie weit- gehend Sproßachsen in ihrem Bau sich dem von Blattstielen annähern können. Offenbar steht die Gelenkbildung hier wie bei den Internodien vegetativer Sprosse und den Blattstielen in Beziehung zu dem begrenzten Wachstum, wenngleich das keineswegs überall mit Gelenkbildung ver- bunden ist. 2 Sodann ist das Verhalten der Gelenke lehrreich: Sie sind bald nur eine „Konstruktionsvariation* für Herstellung der Tragfestigkeit, im Ubrigen aber unbeweglich, wie bei Calliandra — bald können sie auch paratonische Bewegungen ausführen. Beide haben aber im wesentlichen denselben anatomischen Bau. Man kann also” nicht sagen dieser sei zum Zweck der Ausführung von Bewegungen entstanden. Diese können zweckmäßig sein (wie das für die Aufrichtung der Neptuniainfloreszenzen angenommen werden kann), aber auch nur als Begleiterscheinungen von (nicht näher bekannten) Veränderungen nach dem Abblühen in anscheinend zweckloser Weise auftreten, wie bei der Abwärtskrümmung der Mimosen. s11. Rückblick auf die Sproßgelenke. Uberblickt man das von den Sproßgelenken Gesagte, so wird ohne weiteres zugegeben werden müssen, daß ihnen ursprünglich, wie oft betont wurde, eine mechanische Leistung zukommt, die mit der Sproßentfaltung zusammenhängt. Ihre Befähigung, Wachstumsbewegungen auszuführen, wird bei manchen so gut wie gar nicht, bei anderen, dünnstengligen Sprossen öfters in Anspruch genommen. Sie ist aber stets eine Neben- funktion. Sproßachsengelenke, welche ebenso wie viele Blattgelenke wieder- holte Bewegungen (Schlafbewegungen) ausführen, werden für eine Bio- phytum-Art anzuführen sein. Aus den oben angeführten Tatsachen ergibt sich, daß „Sproßgelenke“ nur da auftreten (aber nicht auftreten müssen), wo eine schärfere örtliche Begrenzung der Internodienentwicklung eintritt. Der zuletzt noch in die Länge gewachsene Teil — liege er oben, unten oder in der Mitte des Internodiums, erfährt eine Hemmung in seiner anatomischen Ausbildung, behält seine Wachstumsfähigkeit am längsten und kann so bei einer Lagenveränderung des Sprosses dessen knieförmige Aufwärtskrümmung ver- anlassen. Das ist aber, wie an einer Anzahl von Beispielen dargelegt wurde, nur eine Nebenfunktion, weder der anatomische Bau noch die sonstigen Eigentümlichkeiten dieser Sproßknoten sind ursprünglich darauf „be- rechnet“ und man kann diese Gebilde um so weniger — wie dies bisher geschah — als „Bewegungsknoten“ bezeichnen, als sie bei nicht wenigen der Pflanzen, die solche Knoten haben, gar nicht oder nur selten Be- wegungen ausführen. Für die Sproß,„gelenke“* würde also die Anschauung, die CH. und Fr. Darwın für die Blattgelenke gewannen, jedenfalls nicht zutreffen. Für diese hielten sie!) die Ermöglichung lange fortgesetzter Bewegungen !) Power of movement p. 123 und p. 397, Be CE Aa ee a Bd LE ul a Tu 2 Di sn n 3 2 m en a Di. u Te Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. ii für „one chief end gained by the development of a pulvinus“ und bei einer anderen Gelegenheit wird „the long continuation of movements“ als die „final cause of its!) development“ betrachtet. Wie weit dies für die Blattgelenke zutrifft, wird im folgenden zu untersuchen sein. S 12. Blattgelenke. Bei Blättern werden die Gelenke gewöhnlich als besonders ausge- bildete Teile des Blattstiels betrachtet. Das sind wohl auch stets die am oberen Teil der Blattstiele-befindlichen Wachstumsgelenke, wie z. B. bei manchen Aroideen, bei Codiaeum u. a., die sich dem unteren Teil des Blattstieles anschließenden Gelenke bei Leguminosen usw. entsprechen dagegen offenbar dem „Blattgrund“. Das ist deshalb hervorzuheben, weil diese Tatsache einieermaßen verständlich macht, daß die Verschiedenheit zwischen Gelenk und Blattstiel sehr früh auftritt. Nach Analogie mit dem über die Sproßgelenke angeführten könnte man zunächst erwarten, daß auch bei den Blättern die Gelenke erst verhältnismäßig spät sich ausbilden. Schon bei den dorsiventralen Sproßgelenken war aber eine frühzeitige Gelenkanlegung anzuführen. Noch mehr tritt dies hervor bei den basalen Blattgelenken. Scharf differenzierte Gelenke besitzt z. B. Phaseolus multiflorus. An jungen Blättern dieser Pflanze betrug die Länge von Blattstiel 4 Gelenk Gelenk allein 2,7 mm l mm 1,2 e)] 0,6 ” 08 „ 0,4 5 0,5 03 „ Am ausgewachsenen Blatt kann der Blattstiel eine Länge von über 110 mm, das Gelenk eine solche von 9mm erreichen. Die obigen An- gaben für junge Blätter zeigen also deutlich, daß das Gelenk nicht etwa nachträglich an einem zunächst gleichartigen Blattstiel sich herausbildet, sondern sehr früh schon als besondere, vom Blattstiel unterscheidbare Anlage kenntlich ist. Diese wächst langsamer heran, als der Blattstiel, behält aber ihre Wachstumsfähigkeit länger bei und ist so imstande, auch später noch außer durch Variationsbewegungen auch durch Wachstums- differenzen Bewegungen des ganzen Blattes herbeizuführen. Bei den Teil- blättchen ist der Blattstiel gar nicht entwickelt. Sie besitzen nur das Gelenk. Ob andere Gelenke — namentlich solche, die am oberen Ende des Blattstiels liegen, sich entwicklungsgeschichtlich anders verhalten, ist zu untersuchen. Wahrscheinlich ist es, daß die frühe Ausbildung der Gelenke namentlich . für die gilt, die sich vom Blattstiel in ihrem Bau stark unterscheiden durch „Zusammendrängen“ der Leitbündel nach der Mitte, Fehlen des Sklerenchyms (Kollenchym ist oft, in verschiedener Lagerung, vorhanden) und starke Entwicklung der peripherischen, sowohl die Gewebespannungalsdie Bewegungen vermittelnden Parenchymschichten’). Die frühzeitige Ausbildung der Blattgelenke vom Phaseolus-Typus kann man ebenso wie den anatomischen Bau für die Auffassung anführen, daß sie wirklich „ad hoc“ gebildete Bewegungsorgane darstellen. Daß die !) d. h. des pulvinus. \ ; ?) Bezüglich anatomischer Einzelheiten vgl. z. B. P. Preuss, Die Beziehungen, zwischen dem anat. Bau und der physiol. Funktion der Blattstiele und Gelenkpolster. Dissert. Berlin 1885. ERNEST AR RE 120 POENTES Ar A) VA NP BER AR Fi \ A \ FRE ER a a 78 Zweiter Abschnitt: Blattgelenke als solche von größerer Bedeutung sind, als die Sproßgelenke ist unzweifelhaft. Sie ermöglichen nicht nur die „Schlafbewegungen“, sondern auch feine Einstellungen zum Lichte und treten schließlich bei den „Sensitiven“ in höchst eigenartiger Ausbildung auf. Aber ihre ursprüngliche Funktion liegt auch hier in der Mit- wirkung bei der Entfaltung und in dem Tragen des Blattes bzw. Blättchen. Außerdem ermöglichen sie die Ausführung von verschiedenartigen Be- wegungen der Blätter. Wir sehen dabei ab von Wachstumsbewegungen der Gelenke während der Blattentfaltung und beschäftigen uns nur mit den Variationsbewegungen. Diese können entweder „auf und abwärts“ — also annähernd in einer Ebene stattfinden, oder mit Drehungen verbunden sein. Was eintritt hängt nach der hier vertretenen Auffassung ab vom Bau der Gelenke. Ist dieser ein dorsiventraler, so treten Hebungs- und Senkungsbewegungen ein. Torsionen dagegen finden statt, wenn die Ge- lenke asymetrisch gebaut sind. Dasselbe wird für die durch Wachstum bedingten Torsionen- nachzuweisen versucht werden. A. Dorsiventrale Gelenke. Bei den dorsiventralen Gelenken handelt es sich um den Antagonismus der Ober- und der Unterseite des Gelenks. Fig. 31. Längsschnitt durch das Gelenk Fig. 32. Längsschnitt durch das Gelenk einer Fieder von Oxalis rhombifolia in einer Fieder von Oxalis rhombifolia in 'Nachtstellung (Blattspreitenach unten, Palis- Tagstellung (links Blattstiel). sadenparenchym durch Striche angedeutet). Die antagonistische Wirkung der Parenchymmassen spricht sich, wie wohl zuerst Sacas!) erkannt hat, vor allem darin aus, daß sie in den verschiedenen Stellungen verschiedene Formveränderungen erfahren. Die Blättchen von Oxalis rhombifolia sind z. B. Tags ausgebreitet, Nachts abwärts geschlagen. Wie Fig. 32 zeigt, ist bei Tag die Gelenk- oberseite stark gefaltet, die Unterseite fast flach, bei der Nachtstellung (Fig. 31) ist es umgekehrt. Ebenso ist es, wie oben erwähnt wird, bei der Abwärtsbiegung der Blütenstielgelenke von Mimosa pudica und in anderen Fällen (z. B. den Blättchen von Mimosa Spegazzini). Da- bei erfahren die Zellen charakteristische Veränderungen. Die auf der 1!) J. Sacas, Über das Bewegungsorgan und die periodischen Bewegungen der Blätter von Phaseolus und Oxalis, Bot. Zeitung 1857 p. 793. Diese Abhandlung ist später von SCHWENDENER U. a. übersehen worden. Vgl. SchwENDENER, Die Gelenkpolster von Mimosa pudica, Sitz.-Ber. der Berl. Akademie 1897, Ders., Die Gelenkpolster von Phaseolus und Oxalis, das. 1898. — Bezüglich der Frage, ob die konkay werdende Seite eine Turgor- verminderung erleide oder nicht, überhaupt die nach dem Bewegungsmechanismus, sei auf Prerrer’s Pflanzenphysiologie verwiesen. m. re ” > % # KR £ ee A I ee 2 % \ a Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 79 Faltenseite werden schmäler und länger als die auf der anderen. Dadurch wird die Volumverringerung des Gelenkes auf der Faltenseite ermöglicht. Fig. 33. Phyllanthus Urinaria. Längsschnitt durch das Gelenk eines in Tagstellung befindlichen Blattes. DR; Sure N UN, x Fig. 34. Phyllanthus Urinaria. Längsschnitt durch das Gelenk eines in Nachtstellung befindlichen Blattes. Besonders schön tritt dies auf der Mikrophotographie von Phyllanthus Urinaria (Fig. 33, 34) hervor. Bei der entgegengesetzten Bewegung werden die Zellen dann kürzer und breiter, und die Außenseite des Gelenkes verlängert sich, während die der Gegenseite verkürzt. Der Vorgang der Veränderung der Zellgestalt auf der konkav werdenden Seite kann ein aktiver oder ein passiver (durch Zusammendrücken bedingter) sein. Daß das letztere zutrifft, wird, abgesehen von den von Sachs u. a. angeführten Beobachtungen auch dadurch erwiesen, daß man dieselben Gestaltver- änderungen, also die Bildung einer Faltenseite mit rechtwinklig auf die Oberseite verlängerten Zellen auch durch künstliche Biegung des Ge- lenkes hervorrufen kann. So zeigt z. B. Fig. 36 ein Stück der Außen- seite des (Haupt-)Gelenkes eines Blattes von Oxalis rhombifolis, welches + 80 Zweiter Abschnitt: künstlich abwärts gebogen und in dieser Lage festgebunden wurde. Daß bei einem rasch und roh erfolgenden Eingriff das Bild des Zellnetzes ein Fig. 35. Oxalis rhombifolia. Oberseite eines Fiedergelenkes links in Nacht-, rechts in Tagstellung. Fig. 36. Oxalis rhombifolia. Längsschnitt durch die Unterseite eines gewaltsam nach unten gebogenen Blattgelenkes. Bewegungen aus, die wesentlich in einer Ebene verliefen. weniger regelmäßiges ist, als bei dem von selbst periodisch und langsam erfolgenden Vorgang, ist nicht zu verwundern. Wir sehen also, daß bei diesen dorsiventralen Gelenken ab- wechselnd die eine und dann die andere der beiden antagonistisch wirkenden Hälften zusammenge- drückt wird und sich wieder aus- dehnt. Sind sie im Gleichgewicht, so wird das Blatt oder Blättchen in seiner normalen Tagesstellung be- festigt. Auf anatomische Einzelheiten braucht hier nicht eingegangen zu werden, wie sie z. B. in der ver- schiedenen Wandverdickung des Schwellgewebes auf verschiedenen Seiten, der Verteilung der Inter- zellularräume usw. sich aussprechen. Asymmetrische Gelenke. Die bisher genannten Gelenke führen Das ist aber keineswegs immer der Fall. Wir führen das darauf zurück, daß bei zahl- reichen Pflanzen die Gelenke einen asymmetrischen Bau besitzen, der bedingt, Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 81 daß bei der durch die Gelenke bedingten Blattbewegung Torsionen auf- treten. Merkwürdigerweise hat man sowohl für die durch Wachstum als für die durch Turgorvariation bedingten Bewegungen bis jetzt meist nicht die Bauverhältnisse der die Bewegung ausführenden Organe, sondern ganz andere Gründe herangezogen. Fig. 37. Mimosa Spegazzini. Längsschnitt durch die Gelenke der Fiederblättchen, links in Tag-, rechts in Nachtstellung. Man sieht, wie stark in letzterer (die der Reizstellung entspricht) das Leitbündel des Gelenks gebogen wird. . Cr. und F. Darwıy finden einen be- sonderen Grund für die Annahme, daß die Schlafbewegungen in irgendeiner Weise für die Pflanzen, welche sie darbieten, von hoher Bedeutung seien, darin, daß sie zu- weilen sehr kompliziert verlaufen !). So bei Cassia, deren Blättchen um ihre eigenen Achsen so „rotieren“, daß die unteren Flächen nach außen gewendet werden u. a. Indes dürfte dieser Grund doch ein stark anthropomorphistisch bedingter sein; wir suchen tatsächlich hinter einer, aus mehreren gleichartig hintereinander er- folgenden Handlungen bestehenden Tätig- keit eines Menschen mehr Absicht als hinter einer einzigen. In Wirklichkeit a kommen aber die „komplizierten“ Schlaf- Basalteil einer "abwärts gebogenen bewegungen auf denselben Vorgang hinaus nfloreszenz von Mimosa pudica. wie die einfachen, nämlich auf die un- gleiche Ausdehnung antagonistischer Ge- lenkpolster. Nur daß der innere Aufbau der Gelenkpolster ein ver- schiedener ist: im einen Fall liegen die antagonistischen Teile einander gerade gegenüber, der Bau des Polsters ist ein symmetrischer, im- andern ist dies nicht der Fall, der Bau ist ein asymmetrischer. Um _einen- !) A. a. O. Übers. p. 335. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 6 RENTE ER PEN ee on ea a 82 Zweiter Abschnitt: Vergleich zu gebrauchen, verhält sich die Sache ganz ähnlich, wie bei manchen hygroskopischen Bewegungen. Wenn ich ein symmetrich ge- bautes totes Pflanzengewebe, z. B. die Aeste von Anastatica hierochuntica, befeuchte, so krümmt es sich in Einer Ebene. Wenn ich dasselbe mit einem Funariasporogonstiel tue, so führt er eine drehende Bewegung aus; er ist asymmetrisch gebaut, seine Zellen sind (schon im trockenen Zu- stand) stark gedreht. Aber man wird wohl nicht sagen können, daß die Bewegung im zweiten Falle eine kompliziertere sei, als im ersten. In beiden beruht sie auf Verschiedenheiten in der Volumvergrößerung bei der Quellung. Bei den Gelenken kommt natürlich nicht diese, sondern die verschieden starke Turgeszenz der Zellen in Betracht. IH Busse 7 N 5 & BEE, St Enz Ne ee, U Bon ee Ss an = au a. « 1 Fig. 38. Cassia corymbosa.. Links Querschnitt durch ein Blattgelenk (asymmetrisch), rechts durch den Blattstiel. Fig. 39. Phyllanthus lathyroides. Ver- lauf der unter der Epidermis lagernden e ; Zellen des Gelenkes (Leitbündel - punktiert). N Fig. 39 Übrigens sind die beiden unterschiedenen Fälle nicht scharf von- einander getrennt. Denn auch die gewöhnlichen Gelenkpolster, die ein- fache Hebungen und Senkungen ausführen, sind keineswegs streng sym- metrisch gebaut und die Bewegungen erfolgen demgemäß auch nicht genau in Einer Ebene. Auch kann ein anscheinend symmetrisch gebautes Ge- lenkpolster doch ein Schwellgewebe besitzen, das physiologisch asymmetrisch ist. Indes tritt bei manchen Gelenkpolstern die Asymmetrie auch ge- staltlich ohne weiteres hervor. Die Querschnitte durch das Gelenkpolster von Cassia corymbosa (Fig. 38) lassen dessen asymmetrischen Bau deutlich hervortreten sowohl in der Ausbildung des Gefäßbündelkörpers, als in der des ihn umgebenden Parenchymmantels. Auch äußerlich tritt die Asymmetrie hervor. Bei den Blattgelenken von Phyllanthus lathyroides (die Blätter führen nachts eine Drehung aus) ist das letztere nicht der Fall. Sieht man aber den Verlauf der unter der Epidermis liegenden Parenchymreihen (an durchsichtig gemachten Polstern) an, so sieht man, daß er ein schiefer N Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 83 ist!) (Fig. 39). Dieser asymmetrische Bau macht, wie hier nicht näher ausgeführt werden kann, die Drehung zur Notwendigkeit. $ 13. Schwellkörper. Daß bei der Entfaltung Schwellkörper vielfach beteiligt sind, wird in der botanischen Literatur viel zu wenig berücksichtigt?). Das einzige Beispiel, welches meist angeführt wird, sind die lodiculae der Gräser: umgebildete Perigonblätter, welche durch ihre starke (vielfach auf die Basis beschränkte) Volumzunahme die beiden Spelzen, welche die Blüten einschließen, auseinanderdrängen und so den Staubblättern und Narben die Entfaltung ermöglichen. Wir verstehen unter Schwellkörpern besonders ausgebildete Organe, die durch ihre Volumzunahme — beruhe diese nun auf Wachstum oder nur auf Turgordehnung — eine Lagenveränderung anderer Organe bedingen. Die letzteren verhalten sich bei der Entfaltung also nicht ‘aktiv, sondern passiv. Solche Schwellkörper finden sich sowohl an Vege- tationsorganen als in Blüten und Früchten. Morphologisch stellen sie teils örtliche Anschwellungen an Blättern und Sproßachsen dar, teils können sie zu ihrer Ausbildung auch ein ganzes Blatt verwenden, namentlich dann, wenn dieses ohnehin schwach entwickelt ist. So ist es bei den schon erwähnten „lodiculae* der Grasblüten, bei denen man übrigens vielfach noch den oberen flachen Teil von der als Schwellkörper dienenden basalen Anschwellung unterscheiden kann, so daß auch in diesem Fall das Blatt eigentlich nicht ganz in der Bildung des Schwellkörpers aufgeht. Auch Spannungsgelenke können übrigens zugleich als Schwellkörper dienen. So z. B. die an den Fiedern von Mimosa sensitiva (= albida?). Die beiden Blattfiedern spreizen um etwa 180° auseinander. Schneidet man die einander zugekehrten Gelenkhälften weg, so tritt sofort eine Annäherung der Fiedern aneinander ein. Wenn sich also Gelenke und Schwellkörper auch nicht immer voneinander trennen lassen, so dürfte eine Eigentümlichkeit der letzteren, die in den meisten Fällen zutrifft, darin liegen, daß sie einseitig entwickelte Anschwellungen darstellen. ‚Da die Schwellkörper ihre Funktion durch Volumvergrößerung aus- üben, welche eine Lagenveränderung ausgewachsener Organe bedingt, so kann diese durch Einschrumpfen des Schwellkörpers auch wieder rück- gängig gemacht werden. So schließen sich die Spelzen der Grasährchen, die zur Blütezeit oft weit voneinander spreizten, nach der Blütezeit wieder, weil die lodiculae verschrumpft sind. Fast noch auffallender tritt dasselbe bei den Blüten- !) ScHWENDENER (1897 p. 29) hebt hervor, Fälle, in denen die Parenchymzellen der Rinde schraubenlinig verlaufende Reihen bilden, seien nicht bekannt. „Namentlich be- ruhen gerade die stärkeren Drehungen, wie sie z. B. von Phyllanthus angegeben werden, nicht auf Torsion, sondern auf Krümmung in zwei verschiedenen Ebenen, von denen die eine am oberen, die andere mehr am unteren Polsterende erfolgt.“ Leider ist die Phyllanthusart, auf welche sich diese Bemerkungen beziehen, nicht angegeben; die ein- zelnen Arten verhalten wohl sich verschieden, aber die Asymmetrie bleibt sich gleich, ob sie nun gleichmäßig oder ungleichmäßig hervortritt. g 2) Trotzdem wiederholt auf sie hingewiesen wurde, u.a auch von DE Vrıes (Über die Aufrichtung des gelagerten Getreides, Landwirtsch. Jahrb. 1880 p. 485). pe Vrızs bezeichnet die Schwellkörper als Gelenkpolster, was bei ihrer Verschiedenheit von den oben erwähnten Gelenkpolstern der Gräser nicht zweckmäßig sein dürfte. Schwellkörper bilden sich vielmehr da, wo keine Gelenke vorhanden sind. — Die bisherige ungenügende Berücksichtigung der Schwellkörper macht eine etwas ausführlichere Darstellung not- wendig. 6* 84 Zweiter Abschnitt: ständen vieler Gräser hervor. Bei denen von Dactylis glomerata z. B. liegen die Seitenäste in der Knospenlage dicht an der Hauptachse. Bei der Entfaltung werden die Seitenäste erster Ordnung durch Schwellkörper von der Hauptachse abgespreizt (Fig. 41), sie überschreiten vielfach die horizontale Lage, so daß sie nach unten gekrümmt sind. Nach der Blütezeit vertrocknen die Schwellkörper !), die Aste richten sich wieder auf. Bei den Grasblüten (ebenso verhalten sich die unten zu erwähnenden Luzulablüten) liegt es nahe, die Rückwärtsbewegung als eine zweck- mäßige zu betrachten: die noch zarte heranreifende Frucht kommt dadurch, auf das einfachste wieder in die schützende Umhüllung der Spelzen. Daß aber das Abschwellen der Schwellkörper auch ganz bedeutungslos sein kann, zeigt das unten anzuführende Beispiel der Biophytumfrüchte. Wir haben also keinen Grund, das Abschwellen allgemein als eine Anpassungserscheinung zu betrachten. a Bei den Grasblüten ist ja die Bedeutung des Offnens der (nicht mehr wachstumsfähigen) Spelzen ohne weiteres klar. Bei den Blütenständen der Gräser kann man einen Nutzen des Abspreizens der Aeste darin sehen, daß sie dadurch eine größere Oberflächenentwicklung erhalten, also für die Windbestäubung bessere Aussichten, wie ja auch die Narben eine Öberflächenvergrößerung aufweisen. Daß bei den walzlichen In- floreszenzen von Phleum und Alopecurus die Schwellkörperbildung fehlen wird, ist ohne weiteres zu erwarten. Bei wirklichen Rispengräsern wie Oryza sativa (O. clandestina = Leersia oryzoides besitzt Schwellkörper) mag die erhebliche Pollenproduktion (6 Staubblätter), die Reduktion der Blüten- zahl und der freie Standort verständlich machen, daß die Abspreizung — die wohl auch hier ursprünglich vorhanden war — unterbleiben kann. Dem Zusammengehen der Aeste nach der Befruchtung braucht man wohl keinen besonderen Nutzen zuzuschreiben — er ist eben durch den Tod der Schwellkörper bedingt. Will man aber auch diesen Vorgang „deuten“, so mag man in ihm allenfalls eine günstigere Verteilung der Belastungsverhältnisse innerhalb der Infloreszenz sehen, weil die heran- reifenden Früchte nun nicht einen annähernd horizontal ausgestreckten Hebelarm belasten. | Es gibt auch Schwellkörper, z. B. die am Involucrum vieler Kom- positen befindlichen, deren Bedeutung hauptsächlich in der durch sie ermöglichten rückgängigen Bewegung besteht, d. h. die betreffenden Gewebeteile wirken mehr als Schwind- denn als Schwellkörper, wenn ihnen auch ursprünglich wohl auch die letztere Funktion zukommt, so führen sie doch durch ihre spätere Volumverminderung viel auffallendere Bewegungen herbei, als durch ihre Volumvergrößerung. Einen ähnlichen Fall lernten wir beim Turgor kennen. Gewöhnlich wirkt er positiv, d. h. durch Volumvergrößerung. Er kann aber auch negativ durch Volumverminderung von Bedeutung sein. So (wahrscheinlich) bei einigen Blumenkronen (vgl. Anagallis), ferner bei den Cistineenstaubfäden u. a. Bei den Kompositenfruchtständen, welche ich, hier im Auge habe, bedingt’ die Schrumpfung der Schwellkörper eine Offnungsbewegung des Fruchtstandes, welche im Dienste der Fruchtverbreitung steht. Im fol- genden mögen einige Beispiele angeführt werden, welche die Verbreitung und Funktion der Schwellkörper erläutern sollen. !) Die in ihren Zellen enthaltenen Nitrate usw. wandern offenbar nach den Frucht- knoten hin. a 5 Are Wie rn EEE N Dr ra 2 a P\ ff TER tE D Ber, t a ii Dar RR I a Nee Are 4 \ Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. tes) A. Vegetationsorgane. 1. Blätter. An gefiederten Blättern wird das Abspreizen der Fiedern von der Blattspindel in manchen Fällen durch Schwellkörper bedingt, die in den untersuchten Fällen bleibende, also durch Wachstum und entsprechende Gewebeausbildung festgelegt sind. Es entspricht dies auch der langen Lebensdauer der betreffenden Blätter und der während dieser gleich- bleibenden Funktion der Fiederblätter. Solche Schwellkörper finden sich vereinzelt bei Formen von Familien, die sie sonst nicht zeigen, z. B. unter den Uycadeen bei Stangeria schizodon. Unter den Palmen sind sie mehr verbreitet, so an der Basis der Blattsegmente von Phoenix-Arten ?), besonders auffallend auch bei Caryota u.a. 2. Sprosse. Bei Cyperus-Arten sind es Schwellkörper in den Blattachseln, welche bedingen, daß z. B. die Laubblätter von Uyperus alternifolius horizontal von der Achse abstehen?). Und zwar ist es das fleischig anschwellende Vorblatt des Achselsprosses, welches als Schwellkörper dient, auch die Basis der Laubblätter ist an beiden Enden etwas fleischig angeschwollen. Schwellkörper sind es auch, welche die Entfaltung der ursprünglich dicht zusammen- gedrängten „Strahlen“ der bekannten Inflores- zenzen (und vegetativen) Schäfte von Uyperus Papyrus u. a. bedingen. Bekanntlich kommen die merkwürdigen „Köpfe“ auf den aus Einem Internodium ge- bildeten Schafte von Cyperus Papyrus (und ähnlichen) dadurch zustande, daß in den Achseln von gedreht-dreizeilig stehenden Hochblättern sich je eine Reihe (Schaar“) von kurzbleiben- den, mit einer gemeinsamen Basis versehenen Seitensprossen entwickeln, die entweder vege- tativ bleiben, oder später Blütenährchen ent- wickeln. Alle diese Sprosse sind ursprünglich _, dicht zusammengedrängt, später spreizen sie en 40. Cyperus Papyrus. F ? : er uerschnitt durch die Basis auseinander und bilden einen fast kugelförmigen eines .Strahles“ der Inflores- Körper auf der Spitze der Papyrusschäfte. Daß zenz, der obere Teil wirkt als dabei Schwellkörper beteiligt sind, hat schon Schwellkörper. SCHUMANN ®) beobachtet. Er vergleicht sie mit Recht den früher vom Verf.?) u.a. für Dactylis und anderen Gräsern er- wähnten. Diesen gleichen sie auch darin, daß die Spreizbewegung durch Austrocknen des Schwellgewebes wieder rückgängig gemacht werden kann. Es scheint mir wahrscheinlich, daß auch diese Schwellkörper nichts anderes darstellen, als äußerst rückgebildete Vorblätter. Sie erscheinen allerdings nur als leitbündellose aus hyalinen, saftigen Zellen bestehende !) Vgl. K. Ruporr#, Zur Kenntnis der Entfaltungseinrichtungen an Palmenblättern (und die dort angeführte Literatur), Ber. der deutschen botan. Gesellsch. Bd. XXIX (1911). ?) GOEBEL, Organographie 1. Aufl. p. 573. Daselbst Abbildungen. ®) SCHUMANN, Morphologische Studien I (1892) p. 221. *) GoEBEL, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte einiger Infloreszenzen, Jahrbücher für wissensch. Bot. XIV (1883). 86 Zweiter Abschnitt: Vorsprünge auf der adaxialen Seite der Sprosse (und deren gemeinschaft- lichem Basalstück), sind aber im Querschnitt (Fig. 40) doch manchmal deutlich von dem übrigen Gewebe sich abhebende Vorsprünge, Selbst- verständlich ist diese Deutung so lange eine unsichere, bis etwa Übergänge von diesen Schwellkörpern zu Vorblättern nachgewiesen sind. Infloreszenzen der Gräser. Schwellkörper sind hier, wie oben erwähnt, sehr häufig bei der Ent- faltung der Infloreszenzäste beteiligt. Sie fehlen z. B. bei Oryza sativa, Setaria, Melica, Alopecurus, bei denen die Infloreszenzäste auch nicht von der Haupt- achse abspreizen. Bezüglich der anato- mischen und sonstigen Verhältnisse sei auf die eingehende Arbeit Woycıckr's ') Fig. 41. Daetylis glomerata. Links Infloreszenz Fig. 42. Brachypodium. Vergr. mit durch Schwellkörper abspreizenden Ästen, Ahrchen mit geschlossenen und ge- rechts eine ältere, bei welcher die Aste sich wieder öffneten Spelzen. zusammengelegt haben. verwiesen. Aus dieser geht u. a. hervor, daß die Schwellkörper bei einigen Gräsern bleibende Bildungen darstellen. Die lodiculae der Grasblüten sind fast das einzige Beispiel von Schwellkörpern, das in der botanischen Literatur allgemein angeführt zu werden pflest. Bekanntlich bewirkt deren Volumzunahme, daß die nicht mehr wachstumsfähigen dicht aufeinanderliegenden Spelzen auseinander- gedrückt werden (Fig. 42). 1) Z. Woxcıckı, Über die Bewegungseinrichtungen an den Blütenständen der Gramineen. Beih. z. bot. Zentralblatt Bd. XXVI 1910. ee Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 87 Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Dagegen sei kurz die Frage erörtert, wie die Gräser sich verhalten; welche keine lodiculae besitzen. Wie kommen bei ihnen die Staubblätter und Narben bzw. Griffeläste aus den Spelzen heraus? Sind die letzteren im Gegensatz zu dem sonstigen Verhalten vielleicht imstande, sich durch Wachstum (Epinastie) voneinander zu entfernen ? Untersucht wurde Anthoxanthum odoratum. Die Ährchen sind zur Zeit des Aufblühens eigentlich nur von den Hüllspelzen (Glumae) umgeben. Die Paleae sind so kurz und zart, daß sie als Hemmung für das Wachstum der Staubblätter nicht in Betracht kommen. Die Glumae gehen nicht auseinander, nehmen also an der Ent- faltung keinen aktiven Anteil. Sie sind verhältnismäßig kurz. An der Spitze der Glumae schieben sich erst die Narben heraus. Die Antheren liegen zu dieser Zeit als massige Körper (welche die Paleae, abgesehen von den Grannen um mehr als das Doppelte überragen) innerhalb der Glumae. Die Verlängerung der Filamente schiebt sie dann auch zwischen den Glumae hindurch. Daß nur zwei Staubblätter (im Gegensatz zu der sonst bei Gräsern üblichen Dreizahl) vorhanden sind mag den Antheren das Auseinanderdrängen der Spelzen erleichtern. Dann tritt eine rasche Verlängerung der Filamente ein. Diese tragen die Antheren in gerader Richtung, später hängen sie herunter. Die gänzliche Unterdrückung der Schwellkörper wird also dadurch möglich, daß die verhältnismäßig schwach ausgebildete Spelzenhülle der Blüten von den Staubblättern und Fruchtblättern am Scheitel durch- wachsen werden kann. Ob bei den Gräsern, welche Schwellkörper be- sitzen, die Filamente nicht imstande sind, die zur passiven Offnung der Spelzen notwendige mechanische Arbeit zu leisten, ist nicht untersucht, man wird aber geneigt sein, das anzunehmen und — namentlich wenn die Spelzen verhältnismäßig groß sind — die Schwellkörper als notwendige Entfaltungsorgane zu betrachten, während sie, falls auch ohne sie die Staubblätter aus den Spelzen herauskommen können, die Entfaltung nur erleichtern würden. Da das Fehlen der lodiculae bei den weiblichen Blüten von Zea, Coix u. a. leicht verständlich ist, so sei hier nicht weiter darauf einge- gangen. Erwähnt sei nur, daß die „Proterogynie“ der Anthoxanthum- blüten vielleicht mit dem Nichtöffnen der Spelzen im Zusammenhang steht. Das Eingeschlossensein in feuchter Luft begünstigt die Entwicklung der Griffeläste und verzögert die der Staubblätter. So sehen wir auch bei Plantago aus der noch geschlossenen Blütenhülle die Griffel bzw. Narben herauswachsen — erst später öffnet sich die Blütenhülle und die Staubblätter treten hervor. Selbstverständlich können in anderen Blüten andere Einwirkungen maßgebend sein, und auch die oben angenommene bedarf einer experimentellen Prüfung. Es scheint mir in bezug auf die morphologische Bedeutung der lodiculae der Gräser von Interesse einen analogen Fall bei Monokotylen anzuführen. Früher war bekanntlich die morphologische Deutung der lodiculae bei den Gräsern eine viel umstrittene. Jetzt kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß sie einen umgebildeten Teil des auch hier ur- sprünglich in Sechszahl vorhandenen Perigons darstellen. Es sei. deshalb darauf hingewiesen, daß auch das aus spelzenartigen Blättern bestehende Perigon von Luzula sich durch Schwellkörper öffnet (Fig. 43). Diese be- dingen eine passive Entfaltung des Perigons (Fig. 43), die später durch Abschwellen der Schwellkörper wieder rückgängig gemacht wird. . m 38 Zweiter Abschnitt: Ähnlich haben sich wohl die Grasblüten verhalten, ehe sie in ihre Spelzenhülle eingeschlossen wurden. Ein erst zur Perigonentfaltung be- nutzter Mechanismus wurde dann nach Rückbildung der Perigonblätter einem anderen „Zwecke“, dem des Auseinanderdrückens der Spelzen dienstbar gemacht. Ich glaube, dieser Vergleich trägt dazu bei, uns die eigenartigen Entfaltungsvorgänge der Grasblüte in ihrem Zustandekommen verständlicher erscheinen zu lassen. Fig. 43. Luzula albida. Längsschnitt durch einen Teil der Blüte. $ und $S, Fig. 44. Biophytum somnulentum. I geöffnete Frucht Schwellkörper, welche das von oben (vergr.). S$ Schwellkörper, € Klappen des Peri- Öffnen des Perigons be- karps. 1] Querschnitt durch eine jüngere Frucht, in einem dingen. Fach die Schwellkörper angedeutet. Betreffs der aus Staubblättern hervorgegangenen Schwellkörper sei auf p. 134 verwiesen. B. Früchte. Auf der Entwicklung von Schwellkörpern beruht das Aufspringen der Frucht der Oxalidee Biophytum '. Die Kapselfrüchte öffnen sich in einen zierlich fünfstrahligen Stern, auf der Mitte der Kapselklappen liegen die Plazenten mit den Samen (Fig. 44, ZT. Nach Analogie mit den Impatiensarten könnte man glauben, die Kapsel öffne sich dadurch, daß die inneren Schichten der Kapselwand aktiv gespannt seien. Das trifft indes nicht zu, die dünne Kapselwand verhält sich vielmehr passiv. Was sie auseinanderdrückt und die Klappen ausbreitet, ist die Volum- zunahme des Schwellkörpers 5 Fig. 44, I, welcher sich an der Basis der Kapselscheidewände befindet. Der Beweis dafür ist leicht zu erbringen: Wenn man den Schwellkörper entfernt oder wenn er, z. B. durch Aus- trocknen, an Volumen abnimmt, gehen die Kapselklappen wieder zusammen. Wenn man ihn nur zwischen zwei Klappen entfernt, nähern sich diese namentlich wenn man Wasser zugibt. Die Klappen sind also am Offnungs- vorgang nicht aktiv beteiligt, auch ihr anatomischer Bau läßt sie zu einer aktiven Bewegung als ganz ungeeignet erscheinen. Der Schwellkörper entsteht aus einer im Lauf der Fruchtreife sich steigernden Anschwellung an der Basis jeder der 5 Scheidewände des Fruchtknotens (Fig. 44, II). Seine Tätigkeit bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Mit den fünf Klappen der Kapselwand werden auch die !) Merkwürdigerweise ist die hier sehr klar und schön hervortretende Schwell- körperbildung bisher übersehen worden. Hırozzrann (Die Lebensverhältnisse der Oxalis- arten, Jena 1884) bildet zwar (Tafel V Fig. 20c) eine geöffnete Frucht ab, hat aber den Mechanismus der Öffnung nicht erkannt und die Schwellkörper ganz übersehen. BE eh Aa CRBR e ht 50 2 701 5720 DEE AR j Leo 3 RR Den EEE A RE a a nn, Era WU NZ um ET NE Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. 89 Kelchblätter, welche der Frucht anlagen, passiv heruntergedrückt. Wenn die Samen entfernt’sind (sie springen wie bei den Oxalideen vermöge einer in der Samenschale vorhandenen Schnelleinrichtung ab), so geht der Schwellkörper von selbst wieder zurück, die Kapsel schließt sich, die nur passiv auseinandergedrückten Kelchblätter gehen wieder zusammen und die leere Frucht wird mitsamt dem kurzen Blütenstiel abgeworfen. Verglichen mit Impatiens erscheint der Schwellkörper als örtlich ver- stärktes aktives Spannungsgewebe — bei ersterer Gattung ist es in der Fruchtwand „diffus“ vorhanden. C. Blütenköpte. Hier handelt es sich, namentlich um das Verhalten des Involucrums der Kompositen. Das „Öffnen und Schließen“ der Blütenköpfe infolge von Licht- und Wärmereizen mag als ein in der physiologischen Literatur eingehend behandeltes Gebiet ganz außer Betracht bleiben. Daß das „Öffnen“ des Involucrums bei Taraxacum ein passives ist, wurde oben schon erwähnt. Dasselbe gilt für Arctotis, Tragopogon und wahrscheinlich andere — aber nicht alle Komposition. Eigenartig und, soviel mir bekannt!), nicht eingehend untersucht, ist das Verhalten der Fruchtköpfe bei der Reife. Vielfach schließt ja die Hochblatthülle die heranreifenden Früchte dicht ein. Zur Verbreitung müssen diese aber aus der Hülle herausge- langen. Das kann auf recht verschiedene Weise geschehen. Es kann die Infloreszenzhülle entweder eine Bewegung ausführen oder nicht. Bewegungslos ist sie z. B. bei Bellis perennis. Hier wölbt sich der Infloreszenzboden beim Heranreifen der Früchtchen kegelförmig hervor. Die rasch reifenden Früchtchen sind nicht durch das Involucrum, sondern durch die lange stehen bleibenden Blumenkronen gedeckt. Sie lösen sich später ab, ohne daß das Involucrum eine Offnungsbewegung ausführt. Auch bei Calendula findet eine solche nicht statt. Auch eine Abgliederung der Involucralblätter würde natürlich die Fruchtverbreitung ermöglichen. * Eine vergleichende Betrachtung des Offnungsvorganges der Köpfchen bei der Fruchtreife würde indes viele Seiten füllen. Es sei nur noch das Verhalten der Centaurea-Arten hervorgehoben. Hier scheinen die dicht gedrängten Involucralblätter abzusterben und beim Austrocknen sich nach außen krümmend den Früchten den „Weg ins Freie“ zu ermöglichen. Andere Kompositen dagegen haben für die letzte Entfaltungsbewegung eine eigenartige Einrichtung ausgebildet, die in ihrem allmählichen Zu- standekommen zu. verfolgen reizvoll sein müßte. Es ist das das Um- stülpen desInvolucrums nach außen. Allgemein bekannt ist das Verhalten von Taraxacum. Nach dem Abblühen wächst der Blütenboden !) Die folgende kurze Darstellung beruht auf vor langer Zeit ausgeführten Unter- suchungen, verzichtet aber natürlich auf alle und jede „Priorität“, da es wahrscheinlich ist, daß in der endlosen anatomischen Literatur sich auch über diesen Gegenstand schon etwas vorfindet. Früher ist der Vorgang jedenfalls nicht richtig aufgefaßt worden. So sagt Prerrer (Physiol. Untersuchungen 1873, p. 208 Anm ), nachdem er auf die bekannten hygroskopischen Bewegungen des Involuerums von Carlina und Helichrysum hingewiesen hat. „Auf gleicher Ursache beruhende Bewegungen sind auch an dem Involucrum ab- geblühter Köpfehen vieler Kompositen in geringerem oder höherem Grade zu bemerken.“ Das trifft nicht zu. Solche hygroskopischen Bewegungen sind den im Texte beschriebenen gegenüber verhältnismäßig selten. 90 Zweiter Abschnitt: noch und schafft so Raum für die Vergrößerung der Fruchtknoten der ursprünglich dicht gedrängten Blüten. Auch auf der Außenseite des In- volucrums findet Wachstum statt, so daß ein fester Verschluß des Frucht- kopfes eintritt. Dann wächst in den Blüten das ursprünglich kurze Griffelstück zwischen Pappus und Fruchtknoten bedeutend heran und schiebt die abgestorbenen Blumenkronen über die Hülle hinaus. Das ist zweifel- los die primäre Funktion dieses Organs, nicht etwa die als Träger des Pappus zu dienen. Diese kann nur sekundär in Betracht kommen. Der Pappus selbst ist nur etwa !/, so lang wie das Involucrum und könnte die abgestorbenen Blumenkronen deshalb nicht hinausbefördern, was er in anderen Fällen tut. Fig.. 45. Taraxacum offiemale.. Reifer Fig. 46.‘ Taraxacum officinale. Fruchtstand Fruchtkopft (nach Entfernung einiger vonFig.45, dessen Früchte entfernt wurden. Früchte) mit umgeschlagenem Infloreszenz- Erwarder Länge nach halbiert und inWasser boden. gelegt worden. Infolge der Wasseraufnahme hat er sich wieder ganz geschlossen. Der reife Fruchtstand aber öffnet sich in ungemein zierlicher Weise. Es sieht aus, als ob der Infloreszenzboden nach außen umgestülpt würde. In Wirklichkeit ist freilich der Vorgang nicht der (wie Vaucher annahm), daß durch ein stärkeres Wachstum der Oberseite eine aktive „Umstülpung“ stattfindet. Vielmehr ist die Umstülpung bedingt durch Schwinden eines Gewebes, das sich außen, an der Basis der Involucral- blätter befindet. Seine Haupteigenschaften sollen unten angeführt werden. Hier sei für Taraxacum noch erwähnt, daß, wenn man geöffnete Frucht- stände in Wasser legt, deren Verhalten ein verschiedenes ist. Die einen zeigen auch nach langer Zeit kaum eine Veränderung, andere breiten die Hochblätter horizontal aus, andere richten sich ganz auf (Fig. 46). v ; F- “ 5 i j e x NY % ee EN a RR - % Me a ee ) y\ Sr ie : 2 - Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. | 91 Da letzteres namentlich dann geschieht, wenn man Köpfe der Länge nach spaltet, so handelt es sich offenbar um Verschiedenheiten, welche dadurch bedingt sind, daß nicht in alle Fruchtköpfe Wasser gleich leicht ein- ° dringen kann. Leichter ist es bei Sonchus oleraceus die Auswärtsbewegung durch Eintauchen in Wasser rückgängig zu machen. Indes kann man darin nicht etwa eine Einrichtung zum „Schutz“ der Früchte gegen Nässe sehen. Wenn es regnet klebt der Pappus der Früchte ohnedies zusammen und verhindert die Verbreitung, das Regenwasser aber gelangt nicht oder nur sehr langsam zu dem Schwell- (bzw. Schwinde-)gewebe, so daß von einer _ Schutzeinrichtung nicht wohl die Rede sein kann. Zur Untersuchung be- sonders geeignet sind die Blütenköpfchen von Senecio vulgaris, deren Ver- halten ebenfalls zeigt, daß es sich bei dem Umschlagen des Involucrums um einen durch Wasserverlust bedingten Vorgang in einem besonderen E Gewebe handelt. s & " E r Fig. 47. Längsschnitte durch die Blütenköpfe verschiedenen Alters von Senecio vulgaris ? Schwellgewebe getönt, Blüten nicht gezeichnet. I Junge Infloreszenz, II Aufgeblüht, | III Nach der Befruchtung, Z/V Blütenboden nach links zurückgeschlagen. (Alle bei 2 derselben Vergr.) Zunächst sei bemerkt, daß der Wasserverlust bei der Reife der Blüten- köpfe meiner Ansicht nach ebenso wie in den austrocknenden Früchten und Samen — weniger auf Transpiration als auf Rückwanderung in ‘ die Pflanze, also auf „Absaugung“ beruht. Wenn z. B. die ursprünglich saftigen Perikarpien und Samen von Pisum sativum u. a. ihre Wasser- E armut im reifen Zustand der Transpiration verdanken sollten, so müßte Ft es dabei höchst merkwürdig hergehen. Die in der Samenschale (Raphe usw.) : größerer Samen vorhandenen Tracheen und Tracheiden dürften haupt- sächlich für die Rückwanderung des Wassers (bzw. wässerigen Lösungen) aus dem Samen in die Pflanze bestimmt sein. Ebenso nehmen wir eine Abwanderung von Wasser aus dem „Schwellgewebe“ der Kompo- sitenfruchtköpfe an. Dafür spricht auch die Erfahrung, daß an noch 92 Zweiter Abschnitt: ungeöffneten abgeschnittenen Taraxacumfruchtköpfen, die man austrocknen läßt — bei denen also hauptsächlich die Transpiration in Betracht kommt — die Involucralblätter sich zwar etwas zurückschlagen (auch weicht der Kopf durch Ausbreitung der Pappuskerne oben auseinander), aber die schöne „Umstülpung“ nur spät oder gar nicht erfolgt. An der Basis jedes Involucralblätter findet sich ein Zellpolster (Fig. 47) und zwar meist in dem die Infloreszenzachse berindenden Teil des Blattgrundes. Es entspricht dem basalen Gelenk, das wir in vielen andern Blättern antreffen, ist aber einseitig entwickelt. Das Zellpolster mag als „Schwellgewebe“ bezeichnet werden, obwohl es für die Bewegung des Involucrums, wie schon erwähnt, hauptsächlich als Schwindgewebe in Betracht kommt. Seine Wände sind im fertigen Zustand verholzt und oft ungleich dick, die radialen meist dicker als die tangentialen. Das erleichtert, daß beim Austrocknen die radialen Wände einander sich nähern, während die tangentialen ein- oder ausgestülpt werden, ein Vorgang, der an den im Farn-Annulus stattfindenden erinnert. Jedenfalls findet eine erhebliche Volumverringerung des Schwellgewebes an jedem einzelnen Involucralblatt statt und diese ist die Ursache der Abwärtskrümmung des Involucrums bzw. der „Umstülpung“ des Inflores- zenzbodens. Im übrigen ist der Mechanismus der Bewegung hier nicht näher zu erörtern. \ Daß das Schwellgewebe an den Veränderungen, welche der Infloreszenz- boden bis zur Fruchtreife — also vor der Offnungsbewegung — erfährt, beteiligt ist, läßt sich z. B. bei Sonchus oleraceus leicht feststellen. Da es eine bedeutende Volumvergrößerung von der Zeit der Infloreszenzknospe bis zur Fruchtreife erfährt, so trägt diese in erster Linie zu der Volum- vergrößerung des Infloreszenzbodens bei, dessen übrige lebende Zellen gegenüber dem Schwellgewebe , wesentlich zurücktreten, wenn sie auch ihrerseits noch wachstumsfähig sind. Esist bei den untersten Hüllblättern sehr viel mehr entwickelt als bei den oberen. Daß die Hochblatthülle während der ganzen Blüten- und Fruchtzeit den Blüten bzw. Früchten dicht an- gedrückt ist, ist durch das Schwellgewebe bedingt — wir sahen ja auch, daß bei einigen der untersuchten Kompositen ‚(andere stimmen damit wahrscheinlich überein) die Hochblatthülle beim Öffnen der Blütenköpfe sich passiv verhält — der Widerstand des Schwellgewebes wird durch den Druck von innen überwunden. Bei Senecio vulgaris ist das Schwell- sewebe der Involucralblätter zur Zeit der Blütenöffnung noch wenig ent- wickelt. Die Streckung der Zellen findet hauptsächlich nach der Befruch- tung statt und dient zunächst der Festigung des nach der Befruchtung erheblich verstärkten Blütenstandbodens. Vielleicht sind darin auch Bau- stoffe zeitweilig abgelagert, welche später bei der Fruchtreife Verwendung finden. Wenn die Längswände der Zellen des Schwellgewebes bei Wasser- verlust einander sich nähern, so werden die über dem Schwell- (oder jetzt richtiger Schwinde)gewebe liegenden Zellen faltig zusammengepreßt, was an dieselbe Erscheinung bei Gelenken erinnert. Es mag dabei eine gewisse Erleichterung sein, daß die Epidermis (bei Senecio vulgaris) früh- zeitig schon von dem darunter gelegenen Gewebe sich ablöst, sie wird dann passiv zusammengefaltet. Wenn die oben ausgesprochene Ansicht richtig ist, daß das zweifel- los als Bewegungsgewebe (wenn man will als Gelenk) tätige Schwellgewebe ursprünglich andere, und zwar hauptsächlich der Ernährung dienende Art der Entfaltung, Gelenke und Schwellkörper. | 93 Funktionen hatte, so verhält es sich damit ähnlich wie z. B. mit den Ela- teren der Liebermoose, von denen ich nachzuweisen versucht habe, daß sie ursprünglich als Nährzellen für die Sporen dienen und und ihre Funktion als Schnellorgane dadurch erhalten, daß die nicht für die Sporen ver- wendeten Baumaterialien als Wandverdickung abgelagert werden. Auch für Exo- und Endotheciumzellen dürfte dasselbe gelten. Doch ist das zu- nächst nur eine Vermutung. Sollte das Schwellgewebe nur zur Auswärts- bewegung der Involucralblätter dienen, so würde es ein recht vereinzelt dastehendes Beispiel eines nur als Bewegungsorgan dienenden Gewebes darstellen. Anfangsweise mag hier noch das Verhalten der Involucralblätter von Helichrysum roseum erwähnt werden. Sie sind außerordentlich hygroskopisch — wenn man frisch gepflückte. Blütenköpfe in einen luftfeuchten Raum bringt, sieht man augenblicklich einen Verschluß durch Auf- und Einwärtsbewegung der gefärbten Involucralblätter eintreten. Der Sitz der Bewegung liegt in einer kurzen Zone zwischen dem unteren großenteils lebenden und dem oberen Teil der Hüllblätter. Bestreicht man diese Zone auf der Außenseite mit Wasser, so tritt augenblicklich eine starke Bewegung des oberen Blatteiles ein, während keine Bewegung er- folgt, wenn man den oberhalb des Gelenkes gelegenen Teil des Invo- lucralblattes benetzt. Es liegt also ein ausgesprochenes Gelenk vor. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß dieses auch beim normalen Offnungsvorgang der Involucralblätter in Tätigkeit tritt, die Offnung also einigermaßen ähnlich erfolgt wie in anderen Fällen, in welchen eine Volumabnahme auf der Außenseite eintritt. Nur handelt es sich hier um Schrumpfungsvorgänge. Auch der nächtliche Verschluß der Helich- rysumblütenköpfe beruht offenbar auf der Tätigkeit dieser außer- ordentlich empfindlicheu Quellungsgelenke und ist also nicht ein durch Lichtabnahme, sondern durch Zunahme der Luftfeuchtigkeit bedingter. Es würde von Interesse sein festzustellen, ob der Pollen dieser Pflanzen — die in größter Schönheit in dem trockenen Westaustralien vorkommen — für Benässung besonders empfindlich ist. Zweifelsohne ist ja die große Empfindlichkeit der Involucralblätter und die Ausbildung des rasch !) reagierenden Gelenkes ein Fortschritt gegenüber z. B. dem Verhalten der Carlina acaulis, ein Fortschritt, von dem die Selektionstheorie annehmen’ wird, daß er mit einem besonderen Nutzen für die Pflanze verbunden ist. !) Bei ausgetrockneten Blütenköpfen fand ich eine viel langsamer verlaufende hygroskopische Empfindlichkeit als bei frischen. Es ändert sich also wie es scheint. die Quellbarkeit der Zellmembranen durch Austrocknen. Dritter Abschnitt: Entfaltungsbewegungen der Sprdnen (Sproßnutationen). $ 1. Die Entfaltungsbewegungen der Sprosse — sowohl die der Laub- sprosse als die der Infloreszenzen und Blüten — treten wenig auffallend hervor, wenn sie annähernd geradlinig verlaufen. Wenn sie dagegen mit Krümmungen verbunden sind, so liegt die Frage, was damit „gemeint sein“ könne nahe. Dasselbe gilt für die Blätter — wir wundern uns nicht, wenn ein Blatt aus dem Knospenzustand allmählich in seine Entfaltungsstellung — sozusagen ohne Umweg — einrückt. Wenn aber der letzteren erst anderweitige durch Krümmungen bedingte Stellungen vorausgehen, so fordert das ohne weiteres zur Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage auf. Die Entfaltungskrümmungen im weitesten Sinne gehören zu den - „Nutationen“. Darunter verstand man ursprünglich eine zeitweilige oder bleibende Abwärtskrümmung, wie sie z. B. die Blüten und Blüten- köpfe zeigen, die man „nickend“ (nutans) nannte. Dann wurde das Wort auch benutzt für Krümmungen überhaupt, wobei es sich dann um die Frage handelte, ob diese aktive oder passive, autonome oder induzierte seien. Je nachdem die eine oder die andere vorliegt, kann man natürlich eine verschiedene Bezeichnung wählen. Das ist denn auch geschehen und zwar wurde das Wort Nutation teils für induzierte, teils für autonome Krümmungen verwendet. So spricht A. P. DecAanpoLrLE !) von einer „nutation des tiges helio- tropes“, während er die Entfaltungskrümmungen mancher Pflanzen, z. B. die der Infloreszenzen von Solidago, der Ampelideen, der Mohnblütenknospen, der Farnblätter usw. als „inclinaisons“ bezeichnet und als durchaus uner- klärlich betrachtet (a. a. ©. p. 852). DUTROCHET wies die Abwärtskrümmung der Blütenstiele von Borago officinalis als positiv geotropische nach und zeigte so, daß auch die Entfaltungsbewegungen Reizbewegungen sein können. HOoFMEISTER ?) hat den, wie er hervorhebt, bisher wenig be- achteten Richtungsveränderungen 'bei der Entfaltung die erste eingehende Besprechung gewidmet und sie allgemein als „Nutationen“ bezeichnet. Er verstand darunter die Einkrümmung der Enden wachsender Sprosse, von der er annahm, daß sie auf periodischen Änderungen der Gewebe- spannung beruhe. Die Richtung der Einkrümmung werde „vielfach durch ') A. P. Decannorze, Physiologie Zee In er p. 843. Vgl. auch Meven, Neues System der Pflanzenphysiologie (1839) III 2) Hormeister, Lehre von der Pflanzenzelle (1867) p. 321. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 95 einseitige Beleuchtung, durch die Schwerkraft, bei den Gräsern selbst durch die Richtung des Windes“ beeinflußt. So z. B. die Einkrümmung der Ampelopsiszweigenden in erster Linie von der Schwerkraft, in zweiter von negativem Heliotropismus, während die Infloreszenzen von Notho- scordon fragrans stets nach der Seite stärkster Beleuchtung übergebogen seien. „Aber meist überwiegen die spontanen, der Pflanze selbst inne- wohnenden Anderungen der Gewebespannung bis zu einem gewissen Grade die, welche durch äußere Einflüsse hervorgebracht werden.“ Jedenfalls war damit gesagt, daß es sich bei den Nutationen um aktive, nicht um passive Vorgänge handelt. Ob sie durch Spannungs- oder durch Wachstumsver- schiedenheiten zustandekommen, ist dabei von geringerer Bedeutung. Früher hatte man eine ganze Anzahl hier- hergehöriger Bewegungen als passive betrachtet und die betreffenden Blüten und Blütenstände als „hängende“ bezeichnet. So hat auch z. B. Wahlenbergia pendula trotz ihres Artnamens, keine hängenden Blüten und Blüten- knospen. Diese sind vielmehr ebenso aktiv nach abwärts gekrümmt, wie dies auch bei den männlichen Blüten- ständen von Juglans, Alnus, Carpinus, Corylus den Infloreszenzen von Salix incana, Piper Betle, Ribes sanguineum u. a. der Fall ist. Man wird, wenn man nur die späteren Entwicklungsstadien der männlichen „Blütenkätzchen“ von Juglans, Oarpinus u. a. betrachtet, diese gewiß für „hängende“ ansehen. Allein sie sind das ursprünglich nicht. Sie haben aber durch die im Jugend- stadium erfolgte aktiveAbwärtskrümmungdie Möglichkeit, ihre Sproßachsen später so schwach auszubilden, daß sie dann tatsächlich passiv herabhängen und bei Corylus z. B. leicht beweglich sind. Bei Corylus Avellana u. a. (Fig. 47a) erfolgt die Abwärtskrümmung im Knospen- stadium der Infloreszenzen durch die kurze Sproßachse, an der diese stehen. Diese krümmt sich so, daß die Blütenkätzchen annähernd nach abwärts gerichtet sind. Doch sind auch die Stiele der Infloreszenzen selbst zu solchen Krümmungen, wie es scheint, befähigt. Auch bei Populus tremuloides (und ebenso werden sich wohl andere Populusarten verhalten) ist die Abwärts- biegung der „Kätzchen“ ursprünglich eine aktive. Wirk- lich von Anfang an passiv hängende Blütenstände und Blüten dürften zu den Ausnahmefällen gehören — viel- leicht liegt eine solche „Lastkrümmung“ z. B. bei dn ,. _ dünnen Infloreszenzstielen von Acer Negundo vor. Selbst I En le wenn das der Fall sein sollte‘) würde das Verhalten krimmung d. männ- doch als ein abgeleitetes zu betrachten sein. Denn die lich. Infloreszenzen. weiblichen Infloreszenzen derselben Pflanze krümmen sich, wie die einiger anderen Acer-Arten aktiv nach unten und haben so die Eigenschaft beibehalten, die den zwitterigen Infloreszenzen z. B. von Acer Pseudoplatanus zukommt. Wenn diese in den Floren als !) Wie ich mich nachträglich überzeugte, ist auch bei Acer Negundo die erste Krümmung der männlichen Infloreszenzen eine aktive. Aber sehr bald tritt die Ver- längerung der dünnen Infloreszenzachse ein, welche ein Herunterhängen bedingt. 96 Dritter Abschnitt: „hängend“ bezeichnet werden, so ist das nicht zutreffend. Die mir be- kannten Acer-Arten mit abwärts gerichteten Infloreszenzen lassen diese auch bei der Fruchtreife in dieser Lage, während bei vielen anderen Pflanzen zur Fruchtreife eine Aufrichtung stattfindet. Auch bei Blättern ist die Entfaltungsnutation, welche das Blatt mit der Spitze nach unten stellt, sehr verbreitet. Sie sollen besonders besprochen werden. Für den Okologen ist die weite Verbreitung aktiver!) Krümmungen - natürlich von größtem Interesse. HasssırG hat in verschiedenen Abhand- lungen eine Aufzählung derartiger Bewegungen gegeben, deren sonstige Verdienstlichkeit einigermaßen durch wenig kritische teleologische Deu- - tungen, und eine nicht haltbare Terminologie (gamotropische und karpo- tropische Bewegungen) Abbruch erleidet. Uber die Frage, ob es zweckmäßig ist, spontane und induzierte Nutationen zu unterscheiden, sind die Pflanzenphysiologen verschiedener Ansicht. Während PFEFFER ?) unter Nutationsbewegungen ganz allgemein mit Einkrümmungen versehene Wachstumsbewegungen versteht, dann aber die bei dorsiventralen Organen durch diffuse Reize erzeugten Krümmungen als „Nastieen“ unterscheidet), definiert SacHs in seinem Lehrbuch der Botanik*) die Nutationen folgendermaßen: „Derartige durch ungleiches Längenwachstum verschiedener Seiten eines Organs bewirkte Krümmungen sollen ganz allgemein als Nutationen, und wenn sie aus inneren Ursachen ohne äußere Veranlassung erfolgen, als spontane Nutationen bezeichnet werden. Sie pflegen besonders bei sehr beschleunigtem Längenwachstume, also bei langgestreckten Organen, bei hoher Temperatur und im Finstern oder bei geringer Beleuchtung deutlich hervorzutreten.“ In seinen Vor- lesungen über Pflanzenphysiologie °) legt SacHs besonderes Gewicht da- rauf, daß der Ausdruck Nutationen, den er eingeführt habe‘), nur für solche Ungleichheiten des Wachstums auf verschiedenen Seiten eines Or- gans verwendet werde, welche nicht durch äußere Einwirkungen hervor- gerufen werden. „Es wäre sehr zu bedauern, wenn auf diesem schwierigen (rebiete, wo die Natur selbst ohnehin Verwirrung genug anrichtet, auch noch durch eine unbestimmte Nomenklatur Schwierigkeiten entstehen sollten.“ Als Beispiel einer solchen Nutation führt er (a.a. O. p. 560) die Blütenschäfte von Allium, z. B. A. Cepa, an, bei der die Krümmung wechsle, derart, daß die Seite, welche vorher die konkave war, später konvex werde, zwischenhinein wird auch bald die eine, bald die andere Seite des Stengels konvex ’), und in besonders exquisiten Fällen bewegt sich der Gipfel in Form einer aufsteigenden Schraubenlinie.*“ Die scharfe Unterscheidung von spontanen und induzierten Nutationen, auf welche SAcHs so großes Gewicht legt, wird sich indes wohl kaum aufrecht er- !) Daß Wıesner’s Auffassung derartiger Krümmungen als „vitale Lastkrümmungen*“ nicht haltbar ist, geht schon aus VöcHtıng’s Versuchen hervor und ist später auch durch ScHoLTz, MassART, ferner O. BAnsERT u. a. (Über den Geotropismus einiger Infloreszenz- achsen und Blütenstiele in HaserrAnor, Beitr. zur allg. Botanik I, 1, Berlin 1916) be- stätigt worden. ?) Pflanzenphysiologie II p. 353. NR, 0. PR: *, IV. Aufl. p. 827. 5) 2. Aufl. 1887 p. 672. 6) Das ist, wie das Zitat von HoruEIsTEr zeigt, nicht ganz richtig. *) Damit ist noch nicht gesagt, daß nun eine andere Seite des Schaftes stärker wachse. Eine solehe Bewegung muß auch eintreten, wenn die stärker wachsende Seite schief zur Längsachse des Sprosses orientiert ist. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 97 halten lassen, ganz abgesehen davon, daß die späteren Untersuchungen eine ganze Anzahl von Nutationen, welche man für spontan gehalten hatte, als induziert erwiesen haben. Das Wesentliche erscheint, daß solche Nutationen bedingt sind durch eine Ungleichheit in dem Bau wachsender Pflanzenteile. Das tritt am Einfachsten hervor bei den dorsiventralen Organen, bei denen Ober- und Unterseite schon äußerlich als durch ihren Bau ver- schieden hervortreten. Diese Ungleichheit kann auch bei der Entfaltung sich geltend machen. Viele Blätter sind in der Knospenlage durch stärkeres . Wachstum der Unterseite nach oben hin eingekrümmt. Geht diese Ein- krümmung unter den gewöhnlichen Wachstumsbedingungen vor sich, so nennt man sie eine „spontane“ oder „autonome“. Findet sie dagegen unter dem Einfluß von Licht, Schwerkraft usw. statt, so heißt sie eine „induzierte“. So sahen wir z. B., daß die Blätter von Ranunculus acris u. a., wenn die Entfaltung unter normalen Bedingungen stattfindet, gerade bleiben, im Dunkeln sind sie stark hyponastisch eingekrümmt. Das wesentliche . aber erscheint dabei nicht, daß der Lichtmangel eine Nutation bedingt, sondern daß ein solches Blatt zwei voneinander verschiedene Seiten, eine Ober- und eine Unterseite besitzt, eine Verschiedenheit, die in diesem Falle, äußerlich, was die Richtung des Blattstiels betrifft, unter gewöhnlichen Bedingungen gar nicht hervortritt (wenigstens nicht durch eine Einkrümmung der Blattspreite), bei Verdunkelung aber sehr auffallend sich geltend macht. Wenn bei anderen Pflanzen auch bei gewöhnlichen Wachstumsbedingungen sich die Einkrümmung zeigt, so heißt das doch nur so viel, daß die Ver- schiedenheit der beiden Seiten hier eine leichter, d. h. schon durch die gewöhnlichen Vegetationsbedingungen beeinflußbare als im ersten Falle ist. Auch die gewöhnlichen Wachstumsbedingungen, speziell die Wärme, wirken aber als. Reize, nicht einfach als Energiezufuhr. „Spontan“ ist die Krümmung in diesem Falle ebensowenig wie im ersten. Man könnte z. B. ebensogut sagen das Eis schmelze bei uns im Frühjahr „spontan“, das Eisen aber nur induziert. In beiden Fällen liegt selbstverständlich eine Wärmewirkung vor, nur im letzteren eine die unter den gewöhnlich ge- gebenen Bedingungen nicht verwirklicht wird. Dasselbe wie für die dorsiventralen Organen gilt auch für die radiären. Viele äußerlich radiär aussehende Achsen sind aber, wie wir sehen werden, in Wirklichkeit dorsiventral beeinflußt oder asymmetrisch gebaut und reagieren auch demgemäß. Nur braucht diese Beeinflussung nicht wie bei einer durch Licht oder Schwerkraft veranlaßten Krümmung eine von der Außenwelt veranlaßte zu sein, sie kann schon durch den inneren Aufbau gegeben sein. Ein „radiärer“ Sproß ist nach der hier vertretenen Anschauung in Wirklichkeit auch keineswegs ein ringsum gleichartig beschaffenes Gebilde. Er besteht vielmehr aus Längsstücken, die sich verschieden verhalten '), aber unter normalen Vegetationsbedingungen annähernd untereinander im Gleichgewicht sind — ähnlich wie man ja auch bei den Ranunculusblättern von der großen Reaktionsverschiedenheit der Ober- und der Unterseite zunächst nichts sieht. Unter besonderen Bedingungen, wie sie durch die Entwicklungszustände bedingt sind, treten aber auch bei „radiären“ Sprossen diese Verschiedenheiten hervor, die sich dann namentlich auch in einer Verschiedenheit gegenüber der Einwirkung von Schwerkraft und Licht !) Ist diese Anschauung zutreffend, so ist ein Unterschied zwischen „nastischen“ und Nutationsbewegungen eigentlich nicht vorhanden. ji Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 98 0° Dritter Abschnitt: x zeigen. Die Nichtbeachtung dieser Ungleichheiten in radiären Sprossen ist es in erster Linie gewesen, welche die Verschiedenartigkeit in der Auf- fassung der Nutationen bedingt hat. Wenn bei einem dorsiventralen Organ unter gewöhnlichen Wachstums- bedingungen ein stärkeres Wachstum der Oberseite eintritt, so spricht man von Epinastie, umgekehrt von Hyponastie. Daß auch diese Begriffe nicht leicht abgrenzbar sind, wenn man als entscheidend dafür nicht die innere Struktur, sondern die Abhängigkeit von äußeren Faktoren ansieht, zeigen z. B. WIEsners Ausführungen, die angeführt werden mögen, weil sie in unmittelbarem Gegensatz zu den in diesem Buche vertretenen Anschauungen stehen. WiEsner?!) war der Meinung, daß die Ausbreitung der Blätter im Lichte meist durch negativen Heliotropismus erfolge. Er nennt als Bei- spiele Plantago major und PI. lanceolata, Capsella bursa pastoris, Primula elatior und führt, wie FRANK, die ursprünglich vertikale Lage dieser Blätter auf negativen Geotropismus zurück. Er bemerkt ausdrücklich (a. a. ©. p. 57) „daß ich jedes stärkere Längenwachstum der Oberseite der Blätter, welches nur unter dem Einfluß des Lichtes vor sich geht. nicht als (longitudinale) Epinastie, sondern als negativen Heliotropismus auffasse*. Schon die Beobachtungen, welche für die Blätter von Ranunculus angeführt wurden, machen die WıEsxer’sche auf einer Verkennung des Antagonismus der beiden Blattseiten beruhende Auffassung äußerst un- wahrscheinlich. Sie trifft auch für Plantago (und wohl andere Pflanzen) nicht zu. Es ist durchaus nicht einzusehen, weshalb eine durch das Licht be- dingte Förderung des epinastischen Wachstums anders aufgefaßt werden sollte, als eine durch Lichtmangel veranlaßte Förderung des hyponastischen, weshalb also im letzteren Fall eine „nastische“, im ersteren eine „tropistische* Bewegung vorliegen sollte. Solche Beeinflussungen der Epi- und Hypo- nastie durch äußere Faktoren sind auch für die Entfaltung wichtig. Da es sich bei der Entfaltung der Blätter um eine Gegenwirkung zweier verschieden gebauter Seiten handelt, so ist auch verständlich, daß diese bei verschiedenen Pflanzen in verschiedener Weise sich der Außen- welt gegenüber verhalten. Während bei manchen Pflanzen (Ranunculus acris) die Blätter sich auch bei Lichtabschluß entfalten können, ist das bei anderen nicht der Fall, so z. B. bei etiolierten Pflanzen von Solanum tuberosum, etiolierten Keimpflanzen von Fagopyrum esculentum, Cyclanthera explodens u. a. Bei etiolierten Pflanzen könnte man es als fraglich be- trachten, inwieweit die Nichtentfaltung beruht auf einer direkten oder korrelativ bedingten Entwicklungshemmung überhaupt oder auf einer Be- einflußung des Wachstums der Blattoberseite. - Solche Zweifel sind aber nicht gut möglich bei manchen Blüten, die nur bei starker Beleuchtung sich öffnen, wie dies namentlich von Drosera- !) J. Wıesser, Die heliotropischen Erscheinungen im Pflanzenreiche, p. 57. Auch sonst betont WıEsner seinen Standpunkt scharf. Er meint gegenüber Sacas, „die Be- griffe Hyponastie und Epinastie haben doch nur dann einen Wert, wenn sie uns die unabhängig von äußeren Einflüssen eintretende Bevorzugung des Wachstums einer Seite eines Organs bezeichnen“ (p. 55 Anm.). Ja, weshalb denn, unabhängig von äußeren Einflüssen verläuft überhaupt kein Wachstumsvorgang! Man kann diese doch nicht auf Licht und Schwerkraft beschränken und der Satz „Eine Epinastie, die nur unter dem Einfluß des Lichtes sich vollzieht, ist offenbar nichts als negativer Heliotropismus“ wird sofort unhaltbar, wenn man die durch Lichtmangel bedingten Fälle von Epi- und Hypo- nastie in Betracht zieht. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 99 arten bekannt ist. HaxscırG?!) führt noch andere Pflanzen wie Stellaria media, Sparmannia africana, Cistus-Arten u. a. als mit lichtbedürftigen Blüten versehen an. So weit ich sehen kann, sind das alles Pflanzen, die normal an offenen, stark besonnten Standorten vorkommen, während keine eigentliche Schattenpflanze darunter ist. Es wäre von Interesse, zu er- fahren, wie weit das zutrifft; wenn z. B. die Blüten von Oxalıs stricta sich im diffusen Lichte nicht öffnen, während die von O. Acetosella das höchst wahrscheinlich tun werden, so kann die Beziehung zum Standort wie in allen derartigen Fällen eine direkte oder eine indirekte sein. Im ersten Falle würde das Verhalten von den Standortsverhältnissen sozusagen hervorgerufen, im zweiten Falle durch sie nur ermöglicht sein. Im übrigen ist der Einfluß äußerer Faktoren auf die Entfaltung eine Frage, welche in die Experimentalphysiologie gehört?). Für uns kam sie nur deshalb in Betracht, weil sie Veranlassung gab, darauf hinzuweisen, weshalb für uns die Unterscheidung zwischen spontanen und induzierten Nutationen und einer „spontanen“ oder induzierten Epi- bzw. Hyponastie keine wichtige ist. Alle Nutationen und alle Nastieen sind bedingt durch den inneren Aufbau der die Bewegung ausführenden Pflanzenteile, ein Aufbau, der nicht immer ein stabiler ist und auf äußere Reize auch ver- schieden reagieren kann. Für die teleologische Deutung der Nutationen, auf die es hier. in erster Linie ankommt, ist es übrigens gleichgültig, ob sie „spontan“ oder „induziert“ sind. Im allgemeinen besteht freilich die Neigung, besonders ‚für die induzierten einen bestimmten „Zweck“ anzunehmen, zumal wir einen solchen ja bei anderen geotropischen oder heliotropischen Bewegungen meist unschwer erkennen können. $ 2. Nutationsbewegungen vegetativer Sprosse. Nach den oben gegebenen Ausführungen werden wir Nutationen in erster Linie bei Sprossen zu erwarten haben, welche zwei verschieden organisierte Seiten oder zwei Paare von solchen besitzen, also bei dorsi- ventralen und bilateralen. Der Zusammenhang zwischen Nutation und Dorsiventralität tritt be- sonders bei solchen Pflanzen deutlich hervor, welche teils radiäre teils dorsiventrale Sprosse besitzen. So z. B. bei Castanea vesca. Die zweizeilig beblätterten dorsiventralen Seitensprosse zeigen hier Nutation, die mehr- reihig beblätterten radiären Hauptsprosse nicht. Das ist auch für die ökologische Deutung von Wichtigkeit. Wenn die Nutation eine „Schutz“- bewegung ist, müßten die radiären Sprosse den andern gegenüber (bei sonst gleichen Verhältnissen) im Nachteil sein, davon ist nichts bekannt. Ahnliche Verschiedenheiten ließen sich bei anderen Pflanzen anführen. Sie sprechen für die Auffassung, daß die (annähernd) in Einer Ebene erfolgende Nutation eine Begleiterscheinung der Dorsiventralität ist, die unter Umständen nützlich sein kann, aber es nicht muß. Nicht alle dorsiventralen Sprosse aber brauchen zu nutieren. Auch ein dorsiventraler Sproß kann z. B. gerade aus der Erde kommen, wenn der negative Geotropismus der einen Seite der Epinastie der andern das Gleichgewicht hält. So ist es vielleicht bei Polygonatum multiflorum, !) A. Hanscırs, Phytodynamische Untersuchungen p. 282. { Mr ?) Vgl. z. B. betreffs der dorsiventralen Sprosse von Castanea, Carpinus, Fagus, Tilia die Angaben von Massarr (Comment les jeunes feuilles se prot&gent contre les intemperies, Bull. du jard.-bot. de Bruxelles I 208. Tr 100 Fig. 48. Tilia sp. wärts gekrümmt, junge Blätter annähernd vertikal. Dritter Abschnitt: Austreibende Knospen nach ab- Fig. 49. Fagus silvatica mit abnorm starker Krüm- mung der austreibenden Knospen. Uvularia grandiflora u. a., deren Sprosse aufrecht aus der Erde kommen und sich dann erst im Verlaufe der Entfaltung überneigen, im Gegensatz zu den radiären von Poly- gonatum verticillatum, welche gerade bleiben. Ob auch die erst ge- nannten anfangs radiıär sind und dann erst dorsi- ventral werden, oder ob sie, wie oben angenommen wurde, von Anfang an dorsiventral sind, ist natürlich nur durch ein- gehendere Analyse fest- zustellen. Andererseits kommt auch die Intensität des Wachstums wesentlich mit in Betracht. Bei Selagi- nella viridangula (deren Sprosse alle dorsiventral sind) und S. erythropus z. B. besitzen kräftige, rasch wachsende Sprosse stark nutierende Spitzen, schwächere zeigen die Nutation nicht. Besonders stark ein- gekrümmt sind die über das Substrat sich er- hebenden jungen Sprosse von Sel. grandis, die Sproßspitze ist in einem Fig. 50. Carpinus Betulus. Jahrestrieben. Sproß mit austreibenden, nach abwärts gekrümmten Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 101 scharfen Hacken nach abwärts gerichtet. Daß die Krümmung mit der Dorsiventralität dieser Pflanzen im Zusammenhang steht, ist, da die Licht- und die Schattenseite mit ungleich großen Blättern versehen sind, ohne weiteres zu sehen. Die Lichtseite mit den kleineren Blättern war bei allen *) daraufhin untersuchten Selaginella-Arten die konvexe. Ein Nutzen der Einkrümmung ist bei diesen Pflanzen (die meist schattigen Waldboden bewohnen) bis jetzt nicht vermutet worden — auch ich weiß keinen zu nennen. Wir werden ganz ähnliche Entfaltungserscheinungen bei manchen Farnblättern begegnen. Auch einige Samenpflanzen sind schon längst dadurch aufgefallen, daß ihre vegetativen Sprosse, so lange sie wachsen, an der Spitze hacken- förmig eingekrümmt sind. Dahin gehören namentlich eine Anzahl von Ampelideen, mit zweizeilig beblätterten Sprosse wie Ampelopsis, Vitis u. a. Es ist auch bei ihnen leicht zu sehen, daß die Art und Weise der Nutation durch die Organisation des Sprosses gegeben ist: die Krümmungs- ebene steht in allen untersuchten Fällen rechtwinklig auf der ‘ Blattstellungs- ebene ?). Ohne Zwei- fel ist das dadurch bedingt, daß die Sproßachse nicht radiär, sondern bi- lateral, bzw. (indu- ziert) dorsiventral ist. Nie ist im Quer- schnitt auf zwei Seiten abgeflacht. Auf den schmäleren Seiten stehen die Blätter, das Mark bildet annähernd eine Ellipse. Andere rasch wachsende zweizeilig beblätter- h UN FER x : te Schlingpflanzen Fig. 51. Bauhinia guianensis. Nutation des Sproßendes. (die mit den Am- pelideen nicht näher verwandt sind) verhalten sich ganz ähnlich. So zeigt Fig. 51 das Sproßende der Oaesalpiniacee Bauhinia guianensis, bei der die Krümmungs- !) Mit Ausnahme der kletternden Sel. Willdenowii. Bei ihr wird meist die nach außen gekehrte Flanke konvex. Es treten auch schraubenförmige Krümmungen, z. B. bei Sel. Pouzolziana auf. Asymmetrisches Wachstum kommt auch sonst bei Selaginella vor (vgl. Organographie 2. Aufl. p. 1624). ?) Ausnahmen (d. h. Konvexwerden einer Flanke) traf ich gelegentlich bei Partheno- eissus Veitchii. Sie dürfen wohl als durch abnorme Verhältnisse bedingt betrachtet werden. 102 Dritter Abschnitt: ebene der Sproßachse gleichfalls rechtwinklig zur Blattstellungsebene steht. Diese Pflanze zeigt besonders deutlich die Beziehungen der Wachstums- intensität zu der Nutation: die Seitensprosse, die weniger stark wachsen Ga die bekannten „Uhrfederranken“ tragen), zeigten keine eingekrümmten pitzen. Die Dorsiventralität bzw. Bilateralität geht auch daraus hervor, daß bei Ampelopsis — soweit meine Beobachtungen reichen — bei Achsel- sprossen die konvexe Seite stets die der Hauptachse zugekehrte ist. Diese Dorsiventralität macht es verständlich, daß auch hier die Nutation im allgemeinen um so stärker hervortritt, je rascher das Wachstum erfolgt. Sie gleicht sich bei dessen Aufhören oder starker Verminderung aus!). An jungen Achselsprossen, die noch langsam wachsen, ferner an Sproßenden, die Blütenstände hervorbringen oder sich unter ungünstigen äußeren Wachstumsverhältnissen befinden, sind also die Sproßenden an- nähernd gerade. So verhielten sich z. B. auch Sprosse von Parthenocissus Veitchii, die von der Sonne stark erwärmten Steinplatten ‚auflagen und — weil unter diesen Umständen nur langsam wachsend — kurze Inter- nodien besaßen, während sie sonst die bekannte zierliche Hackenkrümmung aufweisen. Daß auch an abgeschnittenen in Wasser gestellten Sprossen die Krümmung sich ausgleicht, ist natürlich auch auf das allmähliche Ausklingen des Wachstums unter diesen Umständen zurückzuführen. Wenn angegeben wird, daß auch im dunklen dasselbe eintrete, so kann sich das nur auf abgeschnittene Sprosse beziehen. Bei diesen mag Verfinsterung die Beendigung des Wachstums begünstigen. Sprosse von Ampelopsis, die ich, während sie mit der Pflanze in Verbindung blieben, in das Finstere. leitete, zeigten aber dauernd starke Nutation, obwohl die Blätter klein und unentfaltet waren. Daß die Einkrümmung eine positiv geotropische ist, wie FRANK schon 1868 angenommen hatte, ist durch ScHoLTz ?) nachgewiesen worden. Bei Parthenocissus Veitchi traf ich an Sprossen, die auf horizontaler Unterlage wuchsen, manchmal eine nach oben gerichtete Nutations- krümmung. Ob diese durch positiven Heliotropismus des Sproßendes, oder aus anderen Gründen zustande kommt, wurde nicht untersucht. Die Reihe der „Deutungen“ sei durch VAUCHER eröffnet. Dieser sagt?): La jeune pousse a son extremite constamment repliee en arriere et comme appliqu&e sur elle m&me, precaution indispensable pour quelle ne füt pas dans son etat de mollesse arr&t6e par un obstacle qui aurait pu la detruire; elle se redresse a mesure qu’elle se developpe! Diese Deutung betrachtet also die Nutation der Knospen als ın ähnlicher Weise wirksam wie bei den im Boden vordringenden Sprossen von Mercurialis u. a. Pfl. Sie nimmt an, die zarten Sprosse könnten, wenn sie gerade bleiben würden, durch irgendein Hindernis "wegen ihrer Weichheit Not leiden. Das ist bei einem Sproß oder Blatt, welches tat- sächlich Hindernisse (beim Durchbrechen durch die Erde) zu überwinden haben, ja eine einleuchtende Annahme. Für die genannten Rankenpflanzen aber kann es keinen Zweifel unterliegen, daß VAucHer’s Deutung nur von dem Wunsche einen Zweck der Nutation zu finden eingegeben, nicht aber sachlich begründet ist. Die „mollesse“ der Knospe ist nämlich z. B. !, Ganz Ähnliches wird unten für einige dorsiventrale Infloreszenzen zu be- richten sein. 2) Max Schorrz, Die Nutation der Blütenstiele der Papaver-Arten und der Sproß- enden von Ampelopsis quinquefolia, Beitr. zur Biol., herausgeg. von Cons V (1822). 3) VaucHER, Histoire phys. des plantes d’Europe I p. 512 (1841). ” Su BE Be a HT Fa Eee N EN A u a Kirn, . A Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 103 bei Ampelopsis (Parthenocissus) gar nicht vorhanden. Vielmehr ist diese vortrefflich geschützt durch die den Laubblättern in der Entwicklung voraneilenden Nebenblätter, die eine Hülle um die Knospe bilden. Man kann diese auch derb biegen und drücken, ohne daß es ihr schadet. Sie ist durchaus kein weiches, besonders empfindliches und schutzbedürftiges Gebilde Auch hat die Knospe keineswegs wie die eines im Boden wachsenden Sprosses besondere Widerstände zu überwinden. Wir können also die VAuchHer’sche Deutung nicht als zutreffend betrachten. Nach anderer Richtung hin glaubte SchoLtz den Sinn: der Nutation gefunden zu haben. Er sagt (a.a.O. p. 402): „Auch bei der Nutation von Ampelopsis scheint es sich darum zu handeln, die Zweig- spitze in die günstigste Lichtlage zu bringen. Daß der Endknospe zu ihrer Entwickelung Licht zuträglich ist, beweist das oft zu beobachtende Verhalten der Sproßenden bei völligem Abschluß von Licht, wo die Knospe ihr Wachstum einstellt‘). Bei der Entwicklung unter normalen Verhältnissen wird durch das negativ geotrope und positiv heliotrope Ver- halten der sich streckenden Internodien das Sproßende zunächst aus der Beschattung der Laubhülle der älteren Zweige an das Licht hervorgestreckt. Indem sich nun das vordere Ende des Sprosses positiv geotrop nach unten krümmt, wird die eine Seite desselben (die nunmehrige Oberseite) wie eine Blattfläche senkrecht zu den einfallenden Lichtstrahlen gestellt. Hierdurch wird die Lichtwirkung vollkommener ausgenutzt, die Zweig- spitze stärker durchleuchtet, als wenn die Lichtstrahlen parallel der Wachs- . tumsachse des Sprosses auf denselben einwirken“. Die Meinung dieses Satzes ist mir nicht recht klar geworden. Am- pelopsis ist eine Kletterpflanze, die an Bäumen emporwachsend der Haupt- sache nach auf Seitenlicht angewiesen sein wird. Wenn der Gipfel gerade fortwüchse, würde er ja auch senkrecht zu den einfallenden Lichtstrahlen stehen. ScHOoLTZ aber dachte offenbar nur an Oberlicht und zieht nur das kurze nach oben gekehrte Stück der eingekrümmten Sproßachse in Betracht, das allerdings dann senkrecht zum Lichte stände. Die ganze Argumentation ist aber, wie mir scheint, eine unzutreffende und unhaltbare, schon deshalb, weil die Grundlage: die Annahme, daß Lichtabschluß das Wachstum verhindere, und daß durch die Einkrümmung die wachsende Sproßregion besser beleuchtet werde, nicht stichhält. ®&.; Die sonst für Nutationen beliebten Deutungen: Schutz gegen Nässe und Wärmestrahlung sind, soweit mir bekannt, für die oben genannten Pflanzen nicht angewandt worden. Es sei erwähnt, daß Triebspitzen am Vitis aestivalis, die zwei Tage in Wasser, das durch Zutropfen in Be- wegung war, gelegen hatten, unbeschädigt blieben. ; Auf Nutationen anderer vegetativen Sprosse hinzuweisen wird sich bei Besprechung der Blattentfaltung und der Schlafbewegungen Gelegen- heit geben. Die der oben erwähnten Kletterpflanzen wurden als Beispiele gewählt, weil sie besonders auffallend sind. Daß. das gerade bei rasch ‘ wachsenden Kletterpflanzen der Fall ist, ist nach dem über den Zusammen- hang von Wachtumsintensität und Nutation Angeführten nicht auffallend. Ein Nutzen der Nutation vegetativer Sprosse ist bis jetzt nicht nach- gewiesen, wenn wir absehen von der „Zirkumnutation“ der Schlingpflanzen, die hier außer Betracht bleiben muß, und von der Bedeutung der Sproß- nutationen für die jungen Blätter. Diese wird bei Besprechung der Blatt- entfaltung zu erwähnen seien. !) Wie oben erwähnt ist das ein durch Untersuchung abgeschnittener Sprosse ver- ursachter Irrtum. 104 | dritter Ahzchufite $ 3. Nutation bei Infloreszenzen und Blüten. Viel häufiger als bei vegetativen Sprossen treten Nutationen auf bei Infloreszenzen und Blüten. Sie sind um so auffallender, als sie vielfach mit bestimmten Entwicklungsstadien wechseln. So sehen wir z. B. bei Geum urbanum, Silene nutans, Aquilegia, Lilium Martagon, die Blüten nach unten gekrümmt, die Fruchtstiele dagegen gerade gestreckt, die Früchte also aufgerichtet. Bei Convallaria majalis dagegen reifen auch die Früchte bei nach unten gerichtete Lage — ebenso wie p. 96 erwähnt bei Acer-Arten. Bei anderen Pflanzen aber ist nur die Blütenknospe nach unten gekrümmt. Die Blüte und die Frucht ist bei den meisten Papaver-Arten nach oben gekehrt, bei Ipomoea u. a. ist die Blüte auf- gerichtet, die Frucht scharf nach unten gekrümmt. Manche Infloreszenzen biegen sich in der Knospenlage nach unten, richten sich zur Blütenentfaltung auf, biegen sich während der Fruchtreife wieder nach unten und richten sich zur Fruchtreife wieder auf. Die Okologen waren überzeugt, daß allen diesen Bewegungen ein be- stimmter Zweck zukomme. Man wird aber, selbst wenn man diesen Standpunkt für einen prinzipiell richtigen hält, nicht leugnen können, dab sie sich den Nachweis etwas leicht gemacht haben. Das geht, wie mir scheint, aus der im folgenden gegebenen Einzelbetrachtung einiger Bei- spiele hervor. Diese werden genügen, um einerseits die weite Verbreitung dieser Nutationsbewegungen darzulegen, andererseits wird sich schon aus einer vergleichenden Betrachtung der Lebensverhältnisse der betreffenden Pflanzen die Unhaltbarkeit mancher teleologischen Deutung der Nutationen ergeben. Daß später dafür zutreffendere gefunden werden können ist möglich — sie werden sich aber nicht in der Richtung der heutigen bewegen. Die Anordnung ist die, daß zunächst Infloreszenzen besprochen werden, bei denen die Nutation nur bis zur Horizontalstellung geht, dann solche mit vollständiger Abwärtskrümmung — ohne und mit Gelenken — und end- lich solche mit asymmetrischen Achsen, die den Ubergang bilden können zu denen, bei welchen die Asymmetrie noch auffallender durch Torsionen hervortritt. ° Übrigens kehren auch bei den Blüten dieselben Ver- schiedenheiten wieder, die einen sind vollständig nach unten gekehrt, bei anderen wird die Blütenachse nur horizontal gerichtet. $ 4. Lysimachia barystachya, Labiaten, Silene viridiflora. A. Vermutlich rührt der Artname der erstgenannten Pflanze her von den Bewegungen, welche ihre Infloreszenzen ausführen. Tatsächlich ge- währt ein Beet, das mit diesen Pflanzen bestanden ist, einen sehr sonder- baren Anblick. R Die ährenförmigen Infloreszenzen sind anfangs gerade. Später krümmt sich die Infloreszenzachse so, daß ihr unterer Teil annähernd horizontal steht, während das Ende nach oben sieht (Fig. 52). Die Blütenstiele des horizontalen Infloreszenzteiles krümmen sich negativ geotropisch nach oben. Die auf der Oberseite stehenden sind in ihrer Entwicklung den anderen gegenüber gefördert. Die auf der Unterseite stehenden kommen über die horizontale Lage meist nicht hinaus. Die Infloreszenz ist also jetzt in ihrem unteren Teile plagiotrop, und wie das Verhalten der Blüten zeigt, dorsiventral. \ Buhl Zar N a EN = ” 5 2 BERATER ui a Em ZI Sure A u L Öne> Zee a ad EZ u ce Ah Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 105 Die Krümmung schreitet dann nach oben hin fort, so daß auch die Spitze plagiotrop wird. Kurz vor dem Aufblühen gleicht sich die Krümmung dann wie- der aus. Die Inflores- zenz richtet sich auf, und nimmt an der Basis nach der Spitze fort- schreitend wieder ge- radeGestalt an (Fig.53). Wodurch die „Ober- seite“ im plagiotropen Zustand bestimmt wird, ist nicht untersucht. Die Richtung der Krümmung ist auf einem und demselben Beete eine verschie- dene, was nicht aus- schließt, daß die Ober- seite schon ursprüng- lich (im geraden Zu- stand) stärker beleuch- tet war. DieKrümmung selbst ist ursprünglich eine transversal- geo- tropische. Ich glaubte auch manchmal schon Fig. 32. andernochorthotropen Infloreszenz eine Förderung der Blütenentwicklung auf Einer Seite (die dann die Oberseite wird) zu bemerken, doch habe ich keine Versuche darüber angestellt, welche Einflüsse für die Be- stimmung der Dorsiventralität maßgebend sind, ob diese also durch den inneren Aufbau oder durch äußere Einwirkungen be- stimmt wird. Sicher ist, daß es sich um eine aktive, nicht etwa um eine „Lastkrümmung“ handelt, und zwar um eine solche, die im Verlauf der Entfaltung, man möchte fast sagen eigensinnig festgehalten wird, denn auch wenn der bei weitem größte Teil der Infloreszenzachse gerade gestreckt ist, führt der kleine obere noch seine transversale Krümmung aus. Bindet man die Infloreszenz im unteren Teil fest, so daß sie die Transversalkrümmung nicht aus- führen kann, so krümmt sich Lysimachia barystachya. Infloreszenz deren unterer Teil sich horizontal gekrümmt hat. (Verkl.) Fig. 53. Lysimachia barystachya. Unterer Teil der Infloreszenz aufgerichtet, oberer transversal gekrümmt. (Verkl.) 106 : Dritter Abschnitt: wenigstens der Gipfel horizontal. Da diese Krümmung immer in der- selben Ebene verläuft ist also eine dorsiventrale Induktion des ganzen Blütenstandes vorhanden. Von anderen Infloreszenzen unterscheiden sich die von L. barstachya normal dadurch, daß die vorübergehende Entfaltungs- krümmung nur bis zur Horizontalstellung, nicht bis zur Abwärts- krümmung führt. Wer einen Nutzen der sonderbaren Infloreszenzbew egung herausfinden will, könnte daran denken, daß durch die zeitweilige Horizontalstellung der Infloreszenz oder eines Teiles davon eine intensivere Lichtausnützung für die Mehrzahl der Blüten ermöglicht wird, als bei der Vertikalstellung. Fig. 54. Coleus Penzigii, Horizontalstellung einer jungen Infloreszenz. Und daß diese einseitig stärkere Beleuchtung (und Erwärmung) eine Förderung der Blütenknospen bedingt, ist deutlich erkennbar. In einem kalten, lichtarmen Klima könnte das ja vielleicht in Betracht kommen, wenn es auch nicht gerade wahrscheinlich erscheint. Die Pflanze soll auf Hügeln z. B. in der Nähe von Peking wachsen. Die klimatischen Bedingungen zur Zeit der Infloreszenzentwicklung sind mir nicht bekannt — aber daß die Infloreszenzen „Kotau“ machen sollten, um Licht und Wärme zu gewinnen ist doch einstweilen nicht anzunehmen. Jedenfalls unter- scheidet sich die Entfaltungsbewegung nur graduell von der anderer In- floreszenzen und zwar namentlich dadurch, daß die Horizontalstellung sich auf ein langes Stück erstreckt und verhältnismäßig lange anhält. Eine Anzahl Infloreszenzen wurden, so lange sie noch gerade und sämtliche Blüten geschlossen waren, mit lichtundurchlässigem Stoff umhüllt. Es zeigte sich nach einiger Zeit, daß die Blütenknospen alle normal auf- blühten: leider wurde nicht festgestellt, ob die umhüllten Blütenstände gegenüber den nicht umhüllten etwa eine wesentliche Verzögerung im Aufblühen erfuhren, sicher ist aber, daß sie das Licht zum Aufblühen nicht nötig haben. Eine teleologische Deutung der Nutation dieser Blütenstände, welche durch die lange Dauer des ungleichmäßigen Wachstums ä Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 107 besonders auffallend sind, ist also derzeit nicht möglich. Bei Lysimachia barystachya war das Aufblühen im horizontalen Zustand der Infloreszenz ein vorübergehendes, später trat Aufrichten ein. Bleibt der horizontal gebogene Zustand dauernd erhalten, so ergibt sich der Zustand, wie er z. B. bei einigen}Solidago-Arten vorhanden ist. #9 DB. Labiaten. Ähnliche vorübergehende Horizontalstellung wie die Infloreszenz von Lysimachia barystachya findet sich bei einigen Labiaten- infloreszenzen. Nur handelt es sich bei diesen um eine Nutation der ganzen Infloreszenz, während bei der geschilderten Lysimachia-Art das Auf- Fig. 55. Elsholzia Patrinii. Infloreszenz von der blütentragenden Seite (nach der Entfaltung). fallende in dem zeitlich verschiedenen Verhalten des oberen und des unteren Meils der Infloreszenz bestand. Fig. 54 zeigt eine junge Infloreszenz von Coleus Penzigii. Die Blütenstände sind anfangs gerade, biegen sich dann horizontal und richten sich wieder auf. Die horizontale Einkrümmung ist, soweit verfolgt, eine in bestimmter Ebene — immer zwischen den zwei letzten Laubblättern bzw. deren Achselsprossen vor sich gehende. Das ist besonders deutlich bei der auch sonst recht merkwürdigen Elsholzia 108 Dritter Abschnitt: Patrinii, einer einjährigen Labiate, deren Blüten trotz ihrer Unscheinbar- keit beiläufig bemerkt, sehr reichlich von Bienen besucht werden, wozu wohl der stark aromatische Geruch der Pflanze beitragen mag. Die Blütenstände sind anfangs aufrecht und mit normal gekreuzten Hochblattpaaren versehen. Dann biegen sie sich in die Horizontale (ganz wie bei dem in Fig. 54. abgebildeten Coleus), teilweise sogar mit der Spitze nach abwärts. Später wird der Blütenstand ganz auffällig dorsiventral (Fig. 55, 56). Die Blütenknäuel sind alle nach einer Seite hin gerichtet, die Hochblätter nach der andern, in scheinbar zweizeiliger Anordnung. Fig. 56. Elsholzia Patrinii. Infloreszenz von der blütenleeren Seite. Und zwar ist die blütenleere Seite die in der Horizontallage nach oben zugekehrte. Der Zusammenhang zwischen Entfaltungsbewegung und Dorsi- ventralität tritt also deutlich hervor. Die sonderbare „Einheitswendigkeit“ der Hochblätter wird, soweit ich sie verfolgen konnte, nicht oder doch nicht ausschließlich (wie in anderen derartigen Fällen) durch Internodien- drehung, sondern durch Schiefstellung hervorgerufen. Von beiden letzt- genannten Labiaten gehört Elsholzia Mittel- und Ostasien, Coleus Penzigii der Erythrea an. Man wird für beide also Standorte mit starker Belichtung voraussetzen dürfen, so daß man die zeitweilige Horizontalstellung der a | A" DR a L PETERS U Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 109 Blütenstände nicht etwa dem Streben nach zeitweiliger stärkerer Be- sonnung zuschreiben kann. Auch ist nicht einzusehen “daß dadurch ein „Schutz“ der jungen Infloreszenzen bewerkstelligt werden sollte. Dagegen tritt die Beziehung der Symmetrie dieser Infloreszenzen zur Krümmungs- richtung deutlich hervor. Diesen Infloreszenzen mag eine andere angeschlossen werden, bei der zwar die Spitze der Infloreszenz zeitweilig nach unten gerichtet wird, aber ein großer Teil der Infloreszenzachse doch fast horizontale Richtung an- nimmt. Es ist so ein gewisser Übergang zu der folgenden Gruppe hergestellt. C. Silene viridiflora (mit einigen verwandte Arten !)) bietet ein eigen- artiges Beispiel für Entfaltungsbewegungen bei Gelenkpflanzen. Fig. 57. Silene viridiflora, Entfaltungsnutation der Infloreszenz. (Verkl.) Wie die Abbildung zeigt (Fig. 57), kommt die Abwärtsbiegung des Infloreszenzendes zustande durch Mitwirkung einer ganzen Anzahl von Internodien, von denen die einen schief aufwärts (zum Teil fast horizontal), andere schief abwärts gerichtet sind. Durch die der Horizontale sich nähernde Lage erwecken die blühenden Sproßenden einen eigentümlichen Eindruck. Später richten die Internodien der Hauptachse und der In- floreszenzzweige sich auf, die Blüten bleiben aber nach unten gekehrt. Erst die Früchte richten sich — wie so oft — vertikal nach oben. Bei anderen Silene-Arten tritt die Knickung der Infloreszenzachsen bei der Entfaltung nicht in diesem auffallenden Maße hervor. Sie ist offenbar bedingt dadurch, daß das Wachstum schon früh- zeitig auf eine verhältnismäßige kurze Zone an der Basis der Internodien beschränkt wird. Es ist dieselbe, in der später das „Gelenk“ sich aus- bildet. Aber man kann nicht sagen, daß dieses schon bei der Entfaltung mitwirke, da es zu dieser Zeit oc gar nicht ausgebildet ist. Das tritt erst später ein. Es sind also die Gelenke bei der” Entfaltung eigentlich nicht beteilist. Es kommt, wie es scheint, hier „darauf an“, zuerst die Spitze der Infloreszenz, "und dann die einzelnen Blütenknospen mit !) Bei S. nutans z. B. geht die a lkungshewegung ähnlich, nur viel weniger auffallend vor sich. 110 Dritter Abschnitt: der Spitze nach unten zu richten. Das geschieht, indem eine ganze An- zahl von Internodien sich daran beteiligen, ähnlich, wie man das vielfach bei der Aufrichtung vorher gelagerter Grashalme sehen kann — nur in entgegengesetzter Richtung. $5. Nutationen von Blüten und Früchten. 1. Papaver. Die Blütenstiele von Papaver führen bei den meisten Arten eine sehr auffallende Abwärtsbewegung aus, die kurz vor dem Aufblühen durch eine Aufwärtskrümmung ausgeglichen wird, so daß die Blüte auf einen geraden, annähernd vertikal stehenden Stiele sitzt. Schon VAUCHER!) wußte, daß nicht alle Papaverarten sich gleich verhalten. Er wirft die Frage auf „pourquoi certains pavots comme le Rhoeas inclinent et plient-ils m&me leurs tiges avant l’epanouissement, tandis que d’autres comme le bracteatum, par exemple, out constamment la tige redressee?“ Daß die Krümmung eine geotropische, nicht eine Lastkrümmung ist, ist längst festgestellt. Dagegen fand die Frage keine Beachtung, ob die Krümmung in bestimmter Richtung erfolgt, ob also vielleicht eine dorsiventrale oder bilaterale Struktur des Blütenstiels vorliegt. an (Fig. 58), so zeigt sich, daß die Konvexität der Krümmung in der großen Mehrzahl der Fälle dem letzten Laubblatt zugekehrt ist. Bei Seitenblüten der Hauptachse zugekehrt. 2 Ein Querschnitt durch den gebogenen Teil des Blütenstieles zeigt keinen kreisrunden, sondern einen auf zwei Seiten (oder einer) abgeflachten Umriß, und zwar liegt eine Abflachung auf der Konvexseite. Danach ist also anzunehmen, daß eine auf „inneren Gründen“ beruhende Dorsi- ventralität vorliegt. Allerdings ist die angegebene Richtung keine stets vorhandene. Diese kann, Fig. 58. Papaver somniferum. Nutation der Blütenknospe. (Verkl.) auch abgesehen von Torsionen, welche sie ver- decken können, durch innere oder äußere Ein- flüsse verändert werden. Manchmal ist die Krümmungsrichtung sogar parallel mit dem Laubblatt. Unter den eine‘ Abweichung bedingenden Faktoren wird namentlich das Licht in Betracht kommen, da die Blütenknospen positiv helio- tropisch sind. Indes ist die Zahl der Krümmungen, welche die angegebene Be- ziehung zu dem letzten Laubblatt aufweisen, eine so große, daß sie nicht wohl auf einem Zufall beruhen kann. Welcher Art diese Beziehung ist, kann dabei ganz unerörtert bleiben. Wirklich nachgewiesen werden könnte sie wohl durch Klinostatenversuche, bei denen die Einwirkung ungleicher Beleuchtung ausgeschaltet ist. Indes glaube ich, daß man die Annahme, es handle sich bei den Blütenstielen von Papaver nicht um radiäre, sondern ’ !) VaucHer, Histoire physiologique des plantes d’Europe I p. 131 (1841). Sieht man eine Endblüte von P. somniferum ist die Konvexseite des gekrümmten Blütenstiels Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). +11 um dorsiventral beeinflußte Organe auch jetzt schon als eine begründete ansehen kann. Ist diese Auffassung richtig, so muß im allgemeinen ein auf der dem obersten Blatte zugekehrten Seite der Infloreszenz angebrachter ge- rader Strich auch gerade bleiben. Das geschah auch meist. In anderen Fällen aber zeigte sich, daß Torsionen eingetreten waren, welche dann auch eine Veränderung der Krümmungsrichtung bedingten. Es wäre wünschenswert, daß Versuche in größerem Maßstab ausgeführt würden. Für unsere Fragestellung ist die Entscheidung darüber nicht von wesentlicher Bedeutung. Wichtiger ist, ob die Abwärtsbewegung der Knospe oder die spätere Aufwärtsbewegung der Blüte — die in dieser Stellung auch ihre Samen reift — als Anpassungserscheinungen zu be- trachten sind. Wenn die Blüte sich nicht aufrichten, sondern in „nickender“ Stellung sich entfalten würde (wie das bei vielen anderen der Fall ist), so würde man darin natürlich einen „Schutz“ (gegen Regen u. a.) gesehen haben. Jetzt handelt es sich vor allem darum, ob die Abwärtsbewegung der Knospe eine notwendige oder doch vorteilhafte ist. Man kann das dadurch prüfen, daß man die Abwärtskrümmung künstlich verhindert und feststellt, ob dadurch irgendwelche Schädigungen, sei es für die Knospe, sei es für die aus dieser später hervorgehenden Frucht, eintreten. Die letztere Frage hat Vöchrıne !) untersucht. Es zeigte sich, daß die Keimlinge aus „normal“ entstandenen Samen oder solche, die aus aufrecht gehaltenen Knospen stammten ?), über die, die den in abwärts- gerichteter Zwangslage gereiften Kapseln entstammten, anfangs im Vorteil waren. Später aber glich sich die Verschiedenheit aus. Daß mit der künstlichen Zwangslage für die Blüten und die heranreifenden Samen kleine Ernährungsstörungen verbunden waren, ist sehr wahrscheinlich. Diese können dann die anfängliche Verschiedenheit im Verhalten der Keimlinge bedingt haben. Der Versuch spricht aber nicht dafür, daß die Verhinderung der Nutation irgendwie eine ungünstige Wirkung auf die Samenentwicklung ausübt. ScHoLTz°?) glaubte die Lösung der Frage in anderer Richtung ge- funden zu haben. Er fand bei Pflanzen von Pap. Argemone, die er mit einem lichtdichten Kasten bedeckt hatte, daß im fast allen Knospen die Blütenteile insbesondere die Samenanlagen abgestorben waren. Da nun die letzteren, wie VÖCHTInG nachwies, die Nutation der Blütenknospen bedingen, so meint ScHoLTz „diese Erkenntnis gibt die Grundlage zu einer möglichen Erklärung der biologischen Bedeutung der Nutation der Blütenstiele.. In der abwärts geneigten Lage der Knospe befindet sich der Fruchtknoten in der günstigsten Lichtlage. Aufrecht gedacht ist der- selbe von der großen Menge der Staubblätter bedeckt, darüber sitzt noch .der dicht zusammengefaltete Bausch der Blumenblätter, und der Kelch hält das Ganze zusammen. Es muß bei weitem weniger Licht zum Fruchtknoten gelangen, wenn es erst diese Organe zu passiren hat, als wenn es bei abwärts geneigter Lage der Knospe nur den Kelch und das Gehege der feinen Staubfäden .durchbricht. Es breitet sich dann auf der Wandung des in abgestumpfter Kegelform entgegenstehenden Frucht- ı) H. Vöchrıne, Die Bewegungen der Blüten und Früchte 1882 p. 114. 2) Die einen Knospen wurden durch Anbinden genötigt, sich in aufrechter Lage zu entfalten, andere in gekrümmter Lage bis zur Fruchtbildung festgehalten. 3) Max Schoutz, Die Nutation der Blütenstiele der Papaver-Arten und der Sproß- enden von Ampelopsis quinquefolia, Comn’s Beitr. zur Biologie der Pflanzen V (1892). \ 112 Dritter Abschnitt: knotens aus, während das wenige Licht, welches denselben bei aufrechter Stellung von der Narbe aus träfe, auf der breiten Fläche derselben auf- gefangen wird und kaum an die Plazenten und die Samenanlagen ge- langen kann.“ Diese Deutung ist schon deshalb wenig einleuchtend, weil sie im besten Falle doch nur für Papaver paßt, nicht aber auf die zahlreichen anderen Fälle, in denen Blütenknospen, Früchte oder Infloreszenzen nach abwärts nutieren. Für Papaver aber ist ja die abwärts geneigte Lage nur eine kurz vorübergehende Wenn ScHoLtz Recht hätte, sollte man erwarten, daß sie beibehalten oder nach der Bestäubung wieder angenommen werde. Er geht von zwei Annahmen aus: einmal von der, daß die Blütenknospen im Finstern zugrunde gehen, zweitens von der, daß für die (auf Grund der ersten Annahme als notwendig vorausgesetzte) Licht- wirkung nur das von oben einfallende Licht in Betracht komme. Prüfen wir zunächst die erste Annahme. Daraus, daß die Blütenknospen bzw. die Samenanlagen zugrunde gehen wenn die ganze Pflanze verfinstert wird, läßt sich die Schoutz’sche Auffassung noch nicht ableiten. Wenn man eine ganze Pflanze, zumal eine stark lichtbedürftige wie P. Argemone verfinstert, so treten Krank- heitserscheinungen auf, die ein Ausdruck einer Allgemeinerkran- kung, nicht nur der einer Störung innerhalb der Blütenknospen sein werden. Will man den Lichteinfluß auf die Entwicklung von diesen untersuchen, so ist es richtiger sie allein zu verfinstern. Es wurden deshalb im Juli 1914 20 Blütenknospen von Papaver somniferum, so’ lange ihr Stiel noch gerade und kurz war, durch über- gebundene dichte, doppelte Hüllen aus schwarzem Stoff verfinstert. Lichtzutritt war ganz ausgeschlossen. Die Blütenstiele zeigten später offenbar infolge des Gewichts (namentlich da der Versuch in eine regen- reiche Zeit fiel) eigentümliche Verkrümmungen, die indes .das Ergebnis nicht störten. In einem anderen Versuch wurden die verfinsterten Blüten- knospen am Stabe festgebunden. In beiden Fällen zeigte sich, daß der Abfall der Kelchblätter und die Geradestreckung der Blumenblätter bei den verfinsterten Blütenknospen normal erfolgt war. Ob das Unterbleiben der horizontalen Ausbreitung der Blumenblätter der Verfinsterung oder den beengten Raumverhältnissen zuzuschreiben ist, bleibt dahingestellt. Jedenfalls, und das ist der Punkt, auf den es ankommt, waren die Fruchtknoten innerhalb der Hülle angeschwollen. Nur blieben sie gelb, statt grün zu werden. Sie enthielten zahlreiche befruchtete Samenanlagen !), außerdem auch eine größere Anzahl von verkümmerten. Das kann natürlich auf verschiedenen Ursachen beruhen: Lichtmangel, Störungen im Gasaustausch und der Transpiration, unzureichende Bestäubung. Denn die letztere war ja selbstverständlich nur eine Selbstbestäubung. Welcher dieser Gründe für die Verkümmerung mehr oder minder zahlreicher. Samenanlagen (die bei kümmerlich ernährten Pflanzen auch am Lichte eintritt) maßgebend war, bleibe dahingestellt. Jedenfalls können Samen und Früchte auch bei Lichtabschluß reifen. Wenn die Blütenknospen nur während der Zeit, in der sie nach abwärts gebogen sind, verfinstert worden wären, so hätten sie sehr wahrscheinlich eine viel größere Menge normaler Samen als die dauernd verfinsterten ergeben. Der ScHoLTz’sche Erklärungsversuch aber scheint mir in den Tatsachen keine Stütze zu finden. RE !) Embryo- und Endospermbildung wurde bei diesen auch durch mikroskopische Untersuchung festgestellt. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 113 Früher glaubte ich annehmen zu sollen, der Vorteil der Nutation liege vielleicht in einem mechanischen Verhalten. Wenn die Knospe nach unten gebogen ist, ist bei heftigen Bewegungen durch Wind und Regen der Hebelarm, an dem die Knospe befestigt ist, ein erheblich ge- ringerer, als wenn sie auf einem geraden Stiele sitzt. Indes überzeugt man sich leicht, daß solche Erwägungen nicht in Betracht kommen können. Der Stiel ist, auch solange er noch wächst (z. B. bei P. pyrenaicum), so fest gebaut, daß er nicht reißt, auch wenn man die Knospe so stark ‚schleudert, daß die Krümmung ausgeglichen wird. Auch der beliebte Schutz gegen Wärmestrahlung, Tau, zu starke Beleuchtung kann nicht herangezogen werden. Es ist also ein Nutzen der zeitweiligen Abwärts- . richtung der Knospen nicht nachgewiesen. Es handelt sich vielmehr um eine durch vorübergehende Dorsiventralität bedingte Entfaltungs- bewegung, für welche wir einen Nutzen nicht angeben können. Diese wird gewöhnlich vom Blütenstiel ausgeführt, gelegentlich nehmen auch beblätterte Teile der Sproßachse daran teil. 2. Dasselbe Verhalten wie bei Papaver somniferum beobachte ich auch an den Blütenständen von Astilbe rivularis. Die Krümmung erfolgte ursprünglich so, daß die Konvexseite dem obersten (aber weit unter dem nickenden Infloreszenzgipfel stehenden) Laubblatt abgekehrt war. Dabei kann es sich um eine heliotropische Krümmung nicht handeln, unmittelbar nebeneinander stehende Pflanzen zeigten die Infloreszenzspitze nach ganz verschiedenen Himmelsrichtungen hin geneigt. Später aber kann sich die Krümmungsrichtung ändern. 3. Bei Clematis Pitcheri erfolgt die Krümmung des Stiels der end- ständigen Blütenknospe in der das letzte Blattpaar vor der Blüte sym- metrisch halbierenden Ebene, auch hier ist sie also offenbar nicht be- liebig, sondern durch den inneren Aufbau bestimmt. Nicht immer treten aber die Symmetrieverhältnisse der sich krümmenden Stiele ohne weiteres hervor. Das zeigte z. B. die Gattung 4. Euphorbia. Es handelt sich hier um die Bewegungen des Stiels der weiblichen Blüte. Bekanntlich ist der ganze blütenähnliche Blütenstand umgeben von einer becherförmigen Hülle, dem Cyathium. Nach der Befruchtung führt der stark herangewachsene Stiel der weiblichen Blüte (oder der jungen Frucht) eine Abwärtskrümmung aus, und zwar in bestimmter Richtung. Darin hat man etwas besonders Eigentümliches sehen wollen. VAUCHER wirft die Frage auf, „Pourquoi enfin, lorsque l’ovaire doit se dejeter trouve-t-il toujours place dans le cinquieme nectaire avorte, mais qui ne manque jamais lorsque l’ovaire reste droit?“ Er meint, diese Erscheinung gehöre zu den (nur teleologisch zu erklärenden) „phenomönes superieures“. Tatsächlich sieht es ja auch so aus, als ob für die Ab- wärtsbiegung des Stiels der weiblichen Blüte eine besondere Stelle „aus- gespart“ sei, indem hier (Fig. 59) eine Drüse im „Cyathium“ fehlt, also eine Lücke vorhanden ist, welche dann den sich herabbiegenden Stiel ‚aufnimmt. Indes ist auf die von VAUCHER gestellte Frage zu antworten, daß der Stiel der weiblichen Blüte, der sich aus der mit 4 Randdrüsen versehenen becherförmigen Hülle herausbiest (um später sich wieder ge- radezustrecken), die Stelle, an der eine Drüse fehlt, weder „sucht“ noch „findet“, vielmehr kann er sich nicht anders krümmen! Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze, 8 114 i Dritter Abschnitt: Betrachtet man z. B. eine Pflanze von Euphorbia helioscopia (von der Sacns!) ein Diagramm entworfen hat, welches in Fig. 60 mit einer kleinen Abänderung wiedergegeben ist), so sieht man, daß der Gipfel in ein mit 5 Randdrüsen versehenes Cyathium endigt. Dieses Oyathium ist also, seiner terminalen Stellung entsprechend, radiär ausgebildet, wenigstens der äußeren Erscheinung nach. Die Seiten- sprosse der Blätter 6—10 aber sind dorsi- ventral, was sich schon in der Ungleichheit ihrer Blätter ausspricht. Das hintere (manch- mal fehlschlagende) ist kleiner als die beiden seitlichen. Auch das Oyathium (Fig. 59 links), mit welchem diese Seitensprosse abschließen, ist dorsiventral: es fehlt die nach außen dem Deckblatte zugekehrte Drüse. Diese Dorsi- ventralität erstreckt sich auch auf den In- floreszenzstiel. Er führt eine Se aus, \ die gegen das Deckblatt des Seitenzweiges, ae eg welches mit dieser weiblichen Blüte ab- hie lie (ei) Blüteherab. schließt, hin gerichtet ist. Das ist in der gebogen, links jüngere, L Lücke Abbildung durch Pfeile angedeutet. Damit zwischen zwei Drüsen des steht nicht im Widerspruch, daß auch in Cyathiums. 9 Fig. 60. Diagramm einer blühenden Pflanze von Euphorbia helioscopia (nach Sacas mit kleinen Veränderungen). I die beiden ersten, annähernd gekreuzten Laubblätter, 2—10 die folgenden. 6—10 sind in einen „Scheinwirtel“ angeordnet, jedes Blatt trägt einen Achselsproß. I Terminales Cyathium. Die Drüsen (nieht die fünf Blätter, aus denen es besteht) sind angedeutet. Die Blütenstiele der seitlichen Blüten biegen sich in der durch die Pfeile angedeuteten Richtung. !) Sachs, Lehrbuch der Botanik IV. Aufl. p. 19. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 115 dem mit fünf Randdrüsen versehenen terminalen Cyathium der Stiel der weiblichen Blüte sich neigt. Wie schon Rorrer!) beobachtet hat, ist die Krümmungsebene auch hier keine zufällige. In der in Fig. 60 dargestellten Pflanze würde sich der Stiel der weiblichen Blüte dem mit 6 bezeichneten Blatte zukrimmen. Dieses, ist das unterste Blatt, das einen Doldenstrahl in seiner Achsel hat. Übrigens ist es z. B. bei E. helioscopia oft schwer zu entscheiden, welches der fünf zu einem „Scheinwirtel“ zusammengerückten Blätter das unterste ist. Da die im Schema Fig. 60 nicht gezeichneten 5 Blätter, aus denen das Cyathium verwachsen ist, mit den 5 Laubblättern 6, 7, 8, 9, 10 alternieren, so wäre es auch möglich, daß die Krümmungsebene eigentlich von dem ersten Blatte des Cyathiums bestimmt wird, falls dieses Blatt 6 schräg gegenübersteht. Euphorbia bietet also ein lehrreiches Beispiel für zwei verschiedene Beziehungen. Sie zeigt 1. daß in einem äußerlich radiär erscheinenden — also allseitig gleich ausgebildeten — Organe doch eine bestimmte Seite anders be- schaffen sein kann als die anderen. Mit andern Worten, daß eine wirklich radiäre Ausbildung nicht stattfand. 2. Daß VAucHer’s Annahme, der Mangel einer der fünf Drüsen an den seitlichen Cyathien sei besonders zweckmäßig, weil er erlaube, daß die Nutation der weiblichen Blüte nach der Lücke zwischen den 4 übrigen Drüsen hin stattfinde, nicht geteilt zu werden braucht. Vielmehr sehen wir darin nur den Zusammenhang der Gesamtsymmetrie des Blüten- standes mit der Nutation. Selbst wenn die Rorpezr’sche Angabe bezüglich der Krümmungs- richtung im zentralen (nicht selten verkümmernden) Cyathium sich nicht allgemein bestätigen sollte, ist doch sicher, daß einerseits das Vorhanden- sein der fünften Drüse die Krümmung nicht hindert (wie man nach VAucHEr’s Auffassung annehmen müßte), andererseits bei den seitlichen Cyathien die Krümmungsrichtung durch die Gesamtsymmetrie bedingt ist — woran nichts geändert wird dadurch, daß Symmetrieebene des Cyathiums und Medianebene nicht genau zusammenzufallen brauchen. Bei Euph. exigua, welche an der Basis der Pflanze eine Anzahl radiärer mit einem fünfdrüsigen Cyathium endigenden Seitentriebe bildet, stehen unter dem Cyathium gewöhnlich nur drei Seitensprosse. Dem Deckblatt des nach hinten gerichteten fand ich die Konvexität der Krümmung des Cyathiumstieles (und auch eine Drüse des letzteren) zu- gekehrt, abgesehen von offenbar seltenen Ausnahmefällen, in welchen die Ausbildung der jungen Frucht keine normale zu sein schien. Ob jenes Blatt das erste ist, ist mir, da bei der Bildung der sonst auf derselben Höhe stehenden drei Blätter gegenüber den vorhergehenden Divergenzänderungen eintreten, nicht sicher. Für unsere Zwecke ist ja auch nur wichtig, daß die Krümmungsrichtung des Blütenstieles auch am radiären Cyathium keine zufällige sondern eine durch die Lage bestimmte ist. So bildet das Verhalten von Euphorbia auch einen Übergang zu den Fällen, in welchen die Krümmungsrichtung nicht von vornherein durch den Bau des sich krümmenden ÖOrganes gegeben erscheint. ı) J. Rorper, Enumeratio Euphorbiacearum, Göttingen 1824 p. 38 „Pedicellus foemineus in caulinae inflorescentiae involuero saepe minus deflexus quam in ramorum inflorescentiis in illam glandulam decumbit quae infimo e quinque ramıs vertieilli termi- nalis anteposita est“. Vgl. auch Eıcuter, Blütendiagramme II p. 39. 8% 116 ; _ Dritter Abschnitt: Was die Deutung des Vorgangs nach der teleologischen Seite hin betrifft, so wird man die beliebte „Schutz“deutung hier wohl kaum in Anwendung bringen wollen. Denn die heranreifende Frucht wäre doch besser geschützt, wenn sie im Cyathium mit ihrem unteren Teile stecken bliebe. Statt dessen tritt sie aus dem Cyathium weit hervor, biegt sich erst ab und richtet sich dann wieder auf. Wenn es aber auf eine stärkere Besonnung (namentlich zur Steigerung der Transpiration für die Samenreife und das Austrocknen der Frucht) ankäme, wäre die geradlinige Aufwärtsbewegung doch wohl einfacher und wirksamer. Eine Bedeutung könnte also auch hier nur der Krümmung als solcher zukommen. Daß sie eine geotropische ist, bedingt durch die heranreifenden Samenanlagen, ist sehr wahrscheinlich, auch deshalb, weil die antagonistische Krümmung eintritt, wenn die Samen reif sind. Im Anschluß an dieses Verhalten mögen- einige andere Beispiele Erwähnung finden. Fig. 61. Ipomoea coceinea. Abwärtskrümmung der Fruchtstiele. 5. Ipomoea coccinea: Die befruchtete Blüte biegt sich an der Basis des Blütenstieles scharf nach abwärts (Fig. 61). Die Krümmung ist, wie sich aus der konstanten Richtung bei verschiedener Lage der Sproßachse ergibt, eine geotropische. Der Blütenstiel ist deutlich dorsiventral ge- baut, wie denn die Blüten der Convolvulaceen trotz der radiären Blumen- krone deutlich dorsiventralen Bau erkennen lassen, namentlich durch die Beschaffenheit des Andröceums. 6. Sehr elegante, öfters beschriebene Bew egungen führen postfloral die Blütenstiele von Cobaea scandens aus. Zur Blütezeit sind sie, abgesehen von dem Stück unmittelbar unter der Blüte, welches nach abwärts ge- richtet ist, ziemlich steil aufgerichtet. Der Blütenstiel ist scheinbar radiär, in Wirklichkeit dorsiventral. Seine Oberseite liegt dem median nach oben Ka EB HE Beh ir) Se EB DZ 4 7 VIA EHE Euer . 2 2 Inte a } Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). ML gekehrten Blumenblatt gegenüber. Sie ist es, welche durch stärkeres Wachstum das oben erwähnte „Nieken“ unterhalb der Blüte be- dingt (Fig. 62). Nach dem Abblühen sieht man zwei Vorgänge eintreten: einmal eine S-förmige Krümmung im vorderen Teile des Blütenstiels, an dessen Ende der Fruchtknoten nach abwärts gerichtet ist und dann eine Senkung des ganzen Blütenstieles. Beides ist offenbar bedingt durch die Dorsiventralität des Blütenstiels und die Einwirkung äußerer Faktoren. Also durch stärkeres Wachstum der Oberseite, ein Wachstum das nach der Basis hin abnimmt, im vorderen Teile aber durch Zusammenwirken von Epinastie !) und positivem Geotro- pismus unter dem „Be- streben“ den Frucht- knoten vertikal nach unten zu stellen, zu der erwähnten Krümmung führt (vgl. das betreffs Cypripedium Ange- führte). Daß es sich bei Cobaea nicht etwa um eine durch das Gewicht der reifenden Frucht bedingte Ab- wärtskrümmung han- delt, ist schon längere Zeit bekannt. Es geht das schon daraus her- vor, daß diese auch an Blüten erfolgt, diekeine Frucht ansetzen. Bei diesen stirbt aber der Blütenstiel dann von vorn her bald ab, während der Frucht- stiel natürlich sich weiter entwickelt. Es gehen also offenbar auch im unbefruch- teten (oder wenigstens sich nicht weiterent- wickelnden) Fruchtknoten die Veränderungen vor, die ein Wachstum und die (offenbar positiv-geotropische) Krümmung des Blütenstiels bedingen °). Daß nach dem Verblühen der Fruchtstiel noch wächst, kann man als einen die Samenverbreitung erleichternden Vorgang betrachten, in- sofern als die Samen dadurch weiter über das Laubwerk hinaus in das Freie gelangen können. Weshalb aber die Stellung der Frucht nach unten eine besonders erstrebenswerte sein soll, ist derzeit nicht abzusehen. Man könnte je nach der üblichen Schutzhypothese sagen, die junge Frucht genieße dadurch den „Schutz“ des Kelches von oben. Andere Fig. 62. Cobaea scandens (an einem Stein emporgeklettert). Nutation der Fruchtstiele (1 und 2). !) Ob diese ihrerseits spontan oder induziert ist, kann hier nicht erörtert werden. ?) Vgl. auch Moesıus, Über Orientierungsbewegungen von Knospen, Blüten und Früchten. Flora 111 u. 112 (1918) p. 407ff. betr. der „Stärkescheide“. Die Symmetrie- verhältnisse werden nicht berücksichtigt. 118 Dritter Abschnitt: und zwar viel zahlreichere Früchte drehen sich aber während der Reife nach oben und verzichten auf den „Schutz“ des Kelches. Ehe nach- gewiesen ist, daß die heranreifenden Cobaeafrüchte diesen nötig haben, ist also die genannte Annahme eine ganz in der Luft stehende, wenn die Bewegung eine Bedeutung hat, kann sie auch in der Krümmung als solcher liegen. 7. Tropaeolum. Auch bei Tropaeolum majus tritt eine postflorale Nutation des Blütenstieles ein. Sie ist nicht ‘ausschließlich durch die Befruchtung be- dingt, denn auch bei der gefüllt blühen- den Form, die ganz steril ist, tritt eine Verlängerung und eine, allerdings viel schwächere, Abwärtskrümmung ein. Die Fruchtstiele krümmen sich scharf nach abwärts (gelegentlich tritt an der Spitze wieder eine Aufwärtskrümmung seltener eine schraubige Drehung des Stieles ein), und zwar ist die Krümmungsebene bestimmt — sie entspricht der Mediane der Blüte, doch treten oft Abweichungen ein. Und ferner kann die stärkstwach- sende, konvex werdende Seite der Blüten, bald die untere (zwischen zwei Frucht- blättern liegende), bald die obere, dem einen Fruchtblatt gegenüberliegende, sein. Dieses (annähernd) mediane Fruchtblatt bleibt übrigens oft in der Entwicklung zu- rück und verkümmert (so auch in Fig. 62a). Der Blütenstiel nimmt zweifellos an der dorsiventralen Ausbildung der Blüte teil, er hat auch keinen kreisrunden, sondern einen ovalen Querschnitt. Irgendein Nutzen dieser hier nur ganz oberflächlich erwähnten paratonischen Bewegung ist nicht abzusehen. Sie findet sich auch keineswegs bei allen Tropaeolum- Arten, sondern fehlt z. B. bei dem gleich- falls kletternden Trop. aduncum, dessen a ni Blütenstiel nach dem Verblühen auch 1 aeolum majus Frucht- 1 » ur . oh. Ein "Fruchtfach Mezeichnet) Beiletz wächst, als der de Trop, mague: art. ei letzterem kann weder ein Schutz gegen Regen noch gegen Wärmestrahlung oder Tiere usw. in Betracht kommen. Und die Teilfrüchte, in welche der Fruchtknoten zerfällt, würden auch ohne die Krümmung des Fruchtstieles auf den Boden fallen. 8. Coniferen. Das Verhalten einiger Coniferenblüten mag hier erwähnt sein, nicht nur weil es die weite Verbreitung der Nutationen erläutert, sondern auch deshalb, weil es besonders deutlich die Unhaltbarkeit der üblichen Schutz- deutungen vor Augen führt. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 119 Nicht alle Coniferenblüten haben eine durch Geotropismus oder Licht- einwirkung bestimmte Orientierung im Raume. Kleinere Blüten, wie z. B. die weiblichen Blütenzäpfchen von Chamaecyparis pisifera und Ch. Lawsoniana scheinen ebenso ageotropisch zu sein wie die — ebenfalls kleinen — männlichen Blüten von Juniperus chinensis und anderen Qupressineen. Andere Üoniferenblüten dagegen zeigen eine bestimmte Lage. Schon die weiblichen Blütenzäpfchen von Thuya occidentalis krümmen sich — offenbar negativ geotropisch — nach aufwärts. Das ist wohl auch bei den Abietineen die typische ursprüngliche Stellung. Wir können bei diesen wie bei anderen Üoniferen zwei Fälle unter- scheiden: entweder die ursprüngliche Stellung wird beibehalten, oder es tritt, wie dies bei Pinus und Picea bekannt ist, nach der Befruchtung eine positiv geotropische Abwärtskrümmung ein. Von den ersteren sind die von Larix besonders bemerkenswert, weil die weiblichen Blüten negativ, die männlichen positiv geotropisch sind‘. Der Verf. hat früher nachzuweisen versucht, daß die Pollenentleerung bei den Nadel- hölzern, welche aufrechte männliche Blüten haben, wie z. B. Picea excelsa, anders vor sich geht als bei denen, bei welchen, wie dies bei Larix und Abies?) der Fall ist, die männlichen Blüten nach unten gekehrt sind. Im letzteren Falle sehen die auf der morphologischen Unterseite der Staubblätter stehenden Pollensäcke natürlich nach oben. Der Pollen würde nicht ohne weiteres herausfallen können, wenn sie sich wie die der aufrecht stehenden durch eine Längsspalte öffnen würden. Dadurch ‘aber, daß bei Larix u.a. die Offnung schief zur Längsachse des Pollen- - sackes erfolgt und bei Larix sich ein nach unten gerichteter „Ausguß“ bildet, ist die Entleerung des Pollens erleichtert. Daß die aufrechte Stellung der weiblichen Blüten, in denen die Samenanlagen auf der Oberseite der Samenschuppen (und diese auf der Oberseite der Deckschuppen) angebracht sind, für die Bestäubung günstiger ist als eine andere Lage, ist unzweifelhaft. Bei den kleinen Öhamaecy- parisblüten mit ihrem aufrecht in der Achsel der Zapfenschuppen stehenden Samenanlagen liegen ebenso wie bei den nach unten gekehrten nur mit einer Samenanlage versehenen weiblichen Taxusblüten andere Verhältnisse vor — bei diesen „geht“ es auch „so.“ Die Verschiedenheit des Verhaltens der befruchteten Zapfen von Abies und Picea bringt man gewöhnlich mit der Verschiedenheit der Aussaat zusammen. Bekanntlich bleiben die Abieszapfen aufrecht, später lösen sich die Schuppen von der Zapfenspindel ab, wodurch auch. die Samen ins Freie gelangen. Bei Picea und Pinus, die ihre Zapfen nach unten kehren, genügt dazu das Auseinanderweichen der Zapfenschuppen, zwischen denen dann die Samen herausfallen oder herausgeschüttelt werden können. Bei Larix geht das aber auch ohne Lagenveränderung des Blütenzapfens. Allerdings handelt es sich um viel weniger Samen, aber die nicht größeren Fruchtzapfen von Tsuga canadensis krümmen sich nach abwärts. Daß sich ein Pinus- oder Piceazapfen schon mindestens ein Jahr, ehe die Samen reifen, nach unten krümmt, kann man insofern für notwendig halten, als wohl nur zu dieser Zeit der Zapfen noch wachs- ı) Vgl. GoeseL, Über die Pollenentleerung bei einigen Gymnospermen. Flora 91 (1902) p. 237 ft. 2 2) Für Abies war der Verf. a. a. O. zu der Ansicht gekommen, daß ihr Ursprung auf der Zweigunterseite bzw. den Flanken dureh das Licht bedingt werde. Ob sie positiv geotropisch sind, bleibe dahingestellt. En En 133: \ Kr 120 Dritter Abschnitt: tumsfähig ist. Irgend welcher „Schutz“ gegen Regen oder Wärmestrahlung kann dabei nicht in Betracht kommen. | Die Veranlassung zu dieser Krümmung aber kann auch nicht in einem Bedürfnis, nach einem Jahre leichter die Samen ausstreuen zu können, liegen. Sie dürfte ebenso wie bei den analogen Krümmungen bei Angiospermen in den Stoffwechselverhältnissen liegen, die nach der Be- fruchtung eintreten. Es lassen sich also bei den Coniferen Beziehungen der Lage zur Funktion der Blüten bzw. Früchte erkennen. $ 6. Infloreszenzen mit Abwärtsbewegung. Die Beziehungen zwischen den Entfaltungsbewegungen und den Symmetrieverhältnissen der Blütenstände treten am deutlichsten hervor bei.den ausgesprochen dorsiventralen Infloreszenzen: man sieht bei ihnen leicht, daß die Krümmungsrichtung durch die Dorsiventralität be- stimmt ist. 2 Das tritt besonders deutlich hervor bei den einseitigen Papiliona- ceeninfloreszenzen, an denen, wenn sie einigermaßen langgestreckte Sproßachsen haben, oft auffallende Entfaltungsbewegungen stattfinden, die denen mancher dorsiventralen Blätter entsprechen. Diese Blütenstände sind sowohl von Morphologen als von Physiologen lange Zeit nicht verstanden worden. Obwohl VAUCHER!) schon richtig erkannt hatte, daß die einseitigen Infloreszenzen von Vicia „unilaterales par organisation et non par retourne* ment“ sind, wurden sie doch in der morphologischen Literatur allgemein als einseitswendig betrachtet. Dasselbe geschah in der physiologischen. Für Vicia Cracca z. B. war Wiesner?) der Meinung, es liege ein durch das Licht bedingter einseitswendiger Blütenstand vor und auch die konkave Einkrümmung vor der Entfaltung sei eine durch das Licht be- dingte Nutationserscheinung. Beide Annahmen sind nicht zutreffend. Die Infloreszenz ist nicht einseitswendig, sondern — wie früher?) nach- gewiesen — wirklich einseitig. Die Krümmung aber kann allenfalls in ihrer Richtung, nicht aber in ihrem Zustandekommen durch das Licht beeinflußt werden. Die sehr auffallende Einkrümmung dieser Infloreszenzen hängt viel- mehr auf das engste mit ihrer Dorsiventralität zusammen. In Fig. 63 sind eingekrümmte Infloreszenzen von Vicia Uracca dar- gestellt. Die der Sproßachse zugekehrte blütenleere Seite der Infloreszenz wächst schon, wenn deren Stiel noch ganz kurz ist, stärker als die blüten- tragende. Dadurch erfolgt eine bei weiterem Wachstum von unten nach oben fortschreitende Einkrümmung, die später wieder ausgeglichen wird. Es ist mir nicht wahrscheinlich, daß dabei positiver Geotropismus mitwirkt. Da aber der Infloreszenzstiel negativ geotropisch ist, so kommt die eingekrümmte Infloreszenz mit ihrer Spitze nach unten zu liegen, auch wenn die Krümmung nur durch Epinastie bedingt wird. Bindet, man die Spitze einer Pflanze in verkehrter Lage fest, so krümmt sich die Infloreszenz aus der Blattachsel nach oben, wobei unter Umständen auch 1) A..a. O. IT p..186. 2) J. Wiesner, Die heliotr. Erscheinungen im Pflanzenreich II p. 67. 3) Vgl. GoEseL, Über die Verzweigung dorsiventraler Sprosse und die dort ange- führte Arbeit von Dvraııry (Arb. a. dem botan. Institut in Würzburg, herausgeg. von Sıcus II. Bd. 1880). Daß die Einseitigkeit mit der Gesamtsymmetrie der Pflanze zu- sammenhängt, wurde später in Organographie 2. Aufl. p. 302 ausgeführt. Be Br el A t 5 0 \ Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 121 eine Torsion stattfinden kann. Die Aufrichtung des Stieles bringt die 'Infloreszenz wieder nach unten. Ihre Dorsiventralität bekunden die In- floreszenzen übrigens auch dadurch, daß sie ihre blütentragende Seite dem Licht zuwenden. Ist die Einkrümmung eine für die Blüten nützliche Schutzeinrichtung? Fig. 63. Vieia eracca (verkl),. Einkrümmung der jungen Infloreszenzen (die blütenleere Seite ist die konvexe). Daß die Einkrümmung der Blütenstände von Vicia cracca die Blüten- knospen u. a. gegen Regen „schützt“, ist ja unzweifelhaft. Indes müßte eine Schutzbedürftigkeit dagegen erst nachgewiesen werden. Abgeschnittene Sprosse, welche ich zwei Tage lang in umgekehrter Lage aufgehängt der Brause aussetzte, zeigten keine sichtbare Schädigung, während eine solche bei Pflanzen, die drei Tage lang untergetaucht in Wasser gelegen hatten, eingetreten war. Man kann daraus auf eine besondere Schutzbedürftigkeit der Blütenknospen gegen Regen, wie mir scheint, nicht schließen. Ubrigens drehen sich an dem umgekehrten Sproßstücke die jungen Blütenstände bald so, daß die blütenleere Seite wieder nach oben sieht. Es ist nicht ganz leicht die Empfindlichkeit junger Blütenstände gegen Schädigungen an abgeschnittenen Sprossen festzustellen. Denn auch an denen, die keiner besonderen Behandlung ausgesetzt, und abgeschnitten mit dem unteren Ende in Wasser gestellt waren, trat ein Vertrocknen und Ab- werfen der jungen Blütenknospen leicht ein. Auch die dorsiventralen Blütenstände der Lathyrus-Arten führen ganz ähnliche Entfaltungsbewegungen wie die von Vicia-Arten erwähnten aus. Die Krümmung erfolgt z. B. bei Lathyrus odoratus erst an der Basis des Infloreszenzstieles und schreitet dann, während jener sich ge- radestreckt, nach oben fort. Da an horizontalen Trieben die Krümmungs- richtung oft der Zweigspitze zugekehrt ist (während sie ihr sonst ab- 222 Dritter Abschnitt: Fig. 64. Lathyrus latifolius. Sproßende mit jungen Infloreszzenzen im Herbst. Die Entfaltungs- krümmung unterbleibt fast ganz. gewendet ist), so ist wahr- scheinlich positiver Geotropis- mus bei der Einkrümmung be- teiligt. Bemerkenswert ist, daß im Herbst, am Schluß der Vege- tationsperiode die Krümmun oft ganz unterbleibt (Fig. 64), oder doch viel geringer ist als im Sommer. Offenbar beruht das darauf, daß bei der starken Heruntersetzung des Wachs- tums die Verschiedenheit der beiden Seiten nicht oder nur in geringerem Maße hervor- tritt, die Krümmung also des- halb unterbleibt (vgl. das p. 102 über Ampelopsis und über Bauhinia Gesagte. ° Die „Schutzbedürftigkeit“ wäre aber gerade in dieser Zeit eine größere als im Sommer. Droseraceen. Der cymöse Blütenstand erscheint seinen Symmetrie- verhältnissen nach wie eine Fig. 65. Drosera spathulata mit unentfalteten Infloreszenzen (dazwischen Sporogonien von Leptobryum pyriforme, etwa ?/; nat. Gr.). _ riehtung der jeweils auf- dingen. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen), 123 einseitige Traube, an welcher man in dem in Fig. 67 abgebildeten Ent- faltungsstadium eine blütentragende Ober- und eine blütenleere Unterseite unterscheiden kann. Auch der Querschnitt durch den gekrümmten Teil der Infloreszenzachse zeigt deren dorsiventrale Ausbildung. Diese spricht sich auch in den Entfaltungsbewegungen aus. Diese mögen an zwei Arten — Dr. spathulata und Dr. capensis — kurz geschildert werden, sie verlaufen bei beiden im wesentlichen gleich- artig!). Bei beiden sind nämlich die Infloreszenzen zunächst eingerollt, wobei starkes epinastisches Wachstum und wohl auch positiver Geotropismus in Betracht kommen. Bei Drosera capensis aber geht dieses Entfaltungsstadium verhältnismäßig rasch vor- über. Auf dem nächsten ist dieBlütenstandsachse(Fig.67 rechts) U-förmig nach unten gebogen, streckt sich dann gerade, worauf die Krüm- mung in die Stücke zwischen den Blüten verlegt wird, die ihrerseits sich später gerade- strecken, und zusammen mit den Blütenstielen die Auf- blühenden Knospen be- Bei Drosera spathulata (Fig. 65, 66) ist die Wachs- tumsverschiedenheit der bei- den Infloreszenzseiten eine größere. Es findet eine viel längeranhaltende schnecken- förmige Einrollung — meist in Einer Ebene, doch, wie auch die Abbildung zeigt, mit gelegentlichen Abwei- chungen —statt. Man könnte vermuten, das bedinge, daß die Blütenknospen sich in besonders geborgener Lage befinden. Die Infloreszenzachse Fig. 66. Drosera spathulata (etwas mehr verkl. als ist aber so dünn. daß sie Fig. 65). Entfaltung der Infloreszenzen. , .den von ıhr locker um- wickelten Blütenknospen wenigstens von den Seiten her keinen besonders wirksamen „Schutz“ bieten kann. Daß es sich bei den mit Kelch und Blumenkrone versehenen Blütenknospen von Kapflanzen oder australischen Drosera-Arten (wie Dr. spathulata) nicht um Kälte- oder Regenschutz handeln kann, ist ja eigentlich selbstverständlich. Eher würde man, !) Unsere einheimischen Arten zeigen — nur in kümmerlicherer Ausbildung — im wesentlichen dasselbe. Das wiederholt sich, wie unten zu erwähnen sein wird, wenn wir die Entfaltungsbewegungen von Geraniaceen wärmerer Länder mit solchen, wie sie z. B. Geranium Robertianum zeigt, vergleichen. 124 Dritter Abschnitt: z. B. bei Dr. spathulata, an einen Schutz der Blütenknospen gegen starke Besonnung denken können. Aber es ist auch diese Deutung nur eine nachträglich erschlossene, nicht eine experimentell begründete. Daß die Dorsiventralität der Infloreszenzachse in erster Linie für die Ent- faltungsbewegungen in Betracht kommt, zeigt auch das Verhalten des unteren Teiles derjenigen von Dr. spathulata. Dieser legt sich nämlich bei etwas weiter entwickelten Infloreszenzen dem Boden an, ist also (bei Wachstum auf ebenem Boden) horizontal gerichtet (Fig. 68), während der obere Teil auf- gerichtet und am Ende eingerollt ist. Ob eine „autonom“ epinastische Bewe- gung oder Beein- flussung ‚der Epi- Fig. 67. Drosera capensis, in Entfaltung begriffene Fig. 68. Junge Inflores- Infloreszenzen. zenz von Drosera spathulata. nastie durch das Licht oder Transversalgeotropismus !) in Betracht kommt, ist für unsere Fragestellung nicht von größerer Bedeutung. Offenbar handelt es sich aber im Basalteil um dieselbe Epinastie, welche weiter oben zur Einrollung führt, nur daß der negative Geotropismus hier nicht vorhanden ist, oder doch nicht zur Geltung kommt. Auch in dem eingerollten Teile der Infloreszenz überwiegt ja zunächst die Epinastie. Eine Einrollung ist in den langsam und zum Teil interkalar wachsenden basalen Teil nicht möglich. Was die teleologische Deutung des basalen horizontalen Teiles der Infloreszenz betrifft, der ja nicht dazu beiträgt, den Blüten- und den Fruchtstand in die Höhe zu bringen — so könnte man eine solche derart versuchen, daß man annimmt, die Infloreszenz sichere sich dadurch so- zusagen eine festere Grundlage, auf welcher sie ruht. Aber die Inflores- zenzachsen von Dr. spathulata sind derb und zäh genug, um ohne ein solches Fußstück festzustehen. Ich kann also in dem eigenartigen hori- zontalen Fußstück derzeit keine Anpassung erblicken. Wenn (wie das zuweilen vorkommt) die basale Epinastie — sei es nun eine „autonome“ oder eine induzierte — frühzeitig einsetzt, liegen die jungen Blütenstände !) Das letztere scheint mir schon deshalb ausgeschlossen, weil bei auf gegen den Horizont geneigt stehendem Substrat die unteren Teile der Infloreszenzachsen nicht horizontal stehen, sondern der Substratrichtung (selbst in einem Winkel von 45°) folgen — ähnlich wie z. B. die Mantelblätter von Platycerium. — Außerlich ähnliche Er- scheinungen wie bei Drosera spathulata finden sich z. B. auch bei den Infloreszenzen von Plantago media. He % Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 125 (mit dem eingerollten Teile nach unten) dem Boden an. Erst später richtet sich dann ihr, oberer Teil auf. Die meisten aber sind anfangs aufrecht und zeigen die Lagerung des Basalteiles erst später. Daß zwischen der Blütenstandsentfaltung von Dr. capensis und Dr. spathulata nur ein gradueller Unterschied vorhanden ist, zeigt auch das weitere Verhalten der Spathulatablütenstände. Sie entrollen sich — vielfach unter eigenartigen hier nicht näher zu schildernden, manchmal korkzieherförmigen Verbiegungen (wobei auch die blütentragende Seite der Infloreszenz Lagen- veränderungen erfährt) (vgl. Fig. 66) — derart, daß schließlich das in Fig. 67 für Dr. capensis abgebildete Stadium erreicht wird, dann krümmt sich der Stiel der ältesten, räumlich am weitesten nach oben stehenden Blüte nach oben und das weitere Verhalten ist auch das oben kurz an- gedeutete !). Es wäre leicht mit einer eingehenden Schilderung der ver- wickelten Bewegungen dieser Blütenstände viele Seiten zu füllen. Ohne eine bestimmte Fragestellung würde das aber kaum ersprießlich sein und für die hier vorliegende genügen die gegebenen groben Umrißlinien. Wenn man die umständliche und fast möchte man sagen mühsame Art, wie diese Blütenstände sich entfalten, ansieht, so meint man unwillkürlich, es müsse doch damit etwas Besonderes bezweckt werden. Nach dem in der Einleitung Ausgeführten ist das aber nur ein anthropomorphistischer Schluß. Wir sehen ja außerdem, daß andere Drosera-Arten auf ein- facherem Wege dasselbe erreichen. Im Fruchtstadium ist die ganze (sympodiale) Infloreszenzachse geradegestreckt. Umpbelliferen. Die Blütenstände der meisten Doldenpflanzen führen wenig auffallende Entfaltungsbewegungen aus. Doch sind einige, sowohl präflorale als post- florale, erwähnenswert. Pimpinella saxifraga. Unter den einheimischen daraufhin untersuchten Umbelliferen sind P. saxifraga und Falcaria vulgaris die einzigen mir durch die Nutation ihrer Infloreszenzen bekannten. Bei beiden geht die Krümmung in einer durch die Organisation der Pflanze bestimmten Ebene vor sich. Bei Falcaria kann man besonders deutlich an den Streifen der Internodien erkennen, daß die Konvexseite der Krümmung der Insertion des darunter stehenden Blattes gegenüber liest. Da die Krümmung offen- bar eine positiv geotropische ist, finden aber nicht selten (je nach der Lage des Sprosses) Torsionen statt. Bei Pimpinella zeigte sich bei den seitenständigen Infloreszenzen (Fig. 69), daß die konvexe Seite dem letzten Scheidenblatt zugekehrt war. Die beiden Pflanzen blühen im Hochsommer. Von einem „Schutz gegen '_Wärmestrahlung“ kann also ebensowenig wie von einem gegen Regen die Rede sein. Dasselbe gilt wohl auch für Chaerophyllum temulum und Scandix, von welchen VAucHER?) Nutation der jungen Dolden angibt. ı) Man könnte vermuten, die Streckung der Teile der Infloreszenzachse zwischen den einzelnen Blüten werde sozusagen von diesen geleitet, indem das folgende Inter- nodium erst sich strecke, wenn die ihm vorhergehende Blüte „fertig“ ist. lch entfernte deshalb die Blütenknospen teilweise, fand aber trotzdem Streckung und Aufrichtung der Infloreszenzinternodien eintreten mit Ausnahme Eines Falles, in, welchem — vielleicht wegen zu starker Verwundung — die Aufrichtung unterblieb. Ubrigens entfalten sich die Blüten von Dr. spathulata (unter Vertikalstellung ihres Stieles) schon, wenn das vorhergehende Infloreszenzinternodium noch annähernd horizontal ist. 2) A. a. 0. II p. 636. 126 Dritter Abschnitt: Nach dem Abblühen richten sich, wie bei einigenfanderen Umbelli- feren die Döldchenstiele auf. Wir betrachten also wie bei Papaver die doldentragenden Sproßachsen : als in Beziehung auf das darunterstehende Blatt dorsiventral beeinflußt. Die Nutation wird vielleicht durch ein rascher verlaufendes Wachstum begünstigt, als „Schutz“bewegung ist sie derzeit nicht verständlich. Nicht damit zu verwech- seln sind natürlich die nykti- nastischen Bewegungen junger Dolden von Chaerophyllum aro- maticum, Daucus carota u. a. Mit deren Aufhören ist für den Hauptteil der Dolde die Entfaltungsbewegung beendigt; nicht so für die Doldenstiele. Diese krümmen sich bekannt- lich nach der Befruchtung so zusammen, daß eine Art Nest entsteht, ein Vorgang der bei anderen Doldenpflanzen z. B. Heracleum sphondylium in viel geringerem Maße auftritt. Auch er hängt mit Symmetrieverhält- nissen zusammen. Die Dolden und Doldenstiele zeigen deut- lich einen dorsiventralen Bau. Die Zusammenkrümmung er- folgt natürlich durch stärkeres Wachstum der Außenseite. ‘» Die Früchte fallen gewöhn- . lich in den von den zusammen- gekrümmten Doldenstielen ge- bildeten Trichter hinein. Später breiten sich (wie auch VAUCHER schon bemerkt hat ?)) die Stiele nach ihrem Absterben wieder i aus und gestatten so eine et a reition. Der Weiterverbreitung der Früchte. dolde ist I Nutationsstadium längst Das letzte Stadium der Ent- hinaus). faltung ist hier also kein durch Wachstum vermitteltes mehr, sondern eine xerochastische wie schon VAUCHER richtig erkannt hat. Ein „Zweck“, der Zusammenkrümmung ist nicht abzusehen, wenn man nicht etwa annehmen will, sie sei ein Schutz gegen allzu rasche Austrock- nung oder bedinge, daß wenigstens ein Teil der Früchte (der aus dem Becher herausfallende) an Ort und Stelle ausgesät, der andere hauptsäch- lich in die Ferne verbreitet werde. Beides wäre damit ebensowenig sicher- gestellt, wie z. B. die Annahme über den Nutzen der Schlafbewegungen bei Daucus u. a., und dort, wo die postflorare Zusammenkrümmung der Blütenstiele eine unbedeutende ist, wie bei Heracleum, ist dieser Deutungs- !) Später auch Ureaw in Abh. des bot. Vereins der Provinz Brandenburg XXII (1880) p. 19. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 127 versuch ohnedies nicht möglich. Auch ist nicht abzusehen, daß ein Schutz gegen Tiere in Betracht kommen könnte, denn von Vögeln z. B. werden die Früchte unserer einheimischen Umbelliferen ohnedies nicht gefressen, wenigstens nicht die reifen. Daß die unreifen eines besonderen. Schutzes bedürfen sollten, wäre aber erst nachzuweisen. Schließlich sei angeführt eine west-ausstralische Doldenpflanze, die schöne und interessante Ent- faltungsbewegungen Br zeigt, Trachymene coe- rulea (Didiscus coeru- leus). _ Hier liest die Unbegründetheit der Annahme, daß die Ent- faltungsbewegungen einen Schutz gegen nächtliche Wärme- strahlung bedingen sollen, besonders klar. Wenigstens kann ich mir nicht denken, daß eine westausstralische Pflanze Einrichtungen zum Schutz gegen Kälte aufweisen sollte und dabei in solcher Weise wie dies bei Trachymene der Fall sein würde! Zunächst sind die Blüten im Involukrum ww Pen. (ie O) Fig. 70. Tracl lea. Rechts Infl k 1 12. . rachymene coerulea. echts Inlloreszenzknospe, a eg in der Mitte aufgeblüht, links abgeblüht und benchidseen, sammenstehen. Dann breitet sich die Dolde schirmförmig aus (Fig. 70 Mitte), um sich dann nach dem Abblühen wieder zu schließen (Fig. 70 links). Daß gerade die heranreifen- den Früchte schutzbedürftiggegen Wärmestrahlung sein sollten, ist doch nicht wahrscheinlich. Zur Zeit der Fruchtreife öffnet sich die Dolde wieder. Das Eigentümliche der Bewegung liegt darin, daß dabei, abgesehen von dem Verhalten der Blütenstiele selbst das des gemeinsamen Inflores- zenzbodens in Betracht kommt. Denn in der Doldenknospe stehen, ähn- lich wie bei manchen Kompositenblütenköpfen, die Blütenstiele auf einem gemeinsamen nach der Mitte zu vertieften Boden. Man mag diesen als aus der Verschmelzung der unteren Teile der Blütenstiele zustande ge- kommen betrachten — für unsere Fragestellung ist das unwesentlich. Jedenfalls ist es dieser Infloreszenzboden, der auf der Oberseite stärker wachsend als auf der Unterseite, das Involukrum sozusagen umstülpt, die Dolde öffnet und der durch den umgekehrten Vorgang den Verschluß nach dem Abblühen bewirkt — man sieht schon ohne Messung, wie stark der Blütenboden auf der Außenseite zugenommen hat. Die letzte Offnung dürfte eine durch Austrocknen bedingte sein. Wir sehen hier eine Parallelbildung zu dem Verhalten mancher Kompositen, bei denen allerdings, wie p. 92 geschildert ist, eine andere Ein- 128 Dritter Abschnitt: richtung das Verhalten des Infloreszenzbodens bedingt. Die Ahnlichkeit liegt aber ‚darin, daß nicht die einzelne Blüte, bzw. Frucht oder deren Stiel die Offnungs- und Schließbewegung bedingt, sondern das diesen Blüten gemeinsame Stück der Infloreszenzachse. Crassulaceen. Auf das merkwürdige Verhalten der Blütenstände von Bryophyllum calycinum wurde früher schon hingewiesen !), Die Abbildung Fig. 71 zeigt, daß end- und seitenständige Blütenstände im Knospenstadium scharf nach abwärts gebogen sind. Die Konvexseite fand ich bei den endständigen Infloreszenzen entweder einem Blatt des nächsten zweiglied- rigen Blattwirtels zugewandt, oder um 90° von ihm abweichend, d.h. also mit der Medianebene des nächst oberen Blattes übereinstimmend. Bei den seitenständigen Inflores- zenzen ist die Konvexseite fast stets dem Deckblatt ab-, selten diesem zuge- wandt. Es ist also eine (wenngleich nicht überall deutlich wahrnehmbare) Beziehung der Krüm- mungsebene zum Aufbau derPflanze vorhanden. Die gebogenen Internodien. richten sich der Reihen- folge nach wieder auf, die Blüten sind nach abwärts gerichtet. Fruchtansatz trat an den kultivierten Pflanzen nicht ein, es ist also nicht zu sagen, ob die Blütenstiele bei der Fruchtreife sich auf- richten. Eine Aufrichtung der Infloreszenzachse nach Entfernung der Blüten konnte ich nicht beobach- ten ?), möglicherweise wirkt die durch Ent- fernung der Blüten statt- findende Verwundung Fig. 71. Bryophyllum crenatum, Nutation eines Sprosses, störend auf das Wachs- der in eine Infloreszenz endigt. tum. Br. crenatum ist eine aus Madagaskar stam- ' mende DBlattsukkulente. Es ist nicht anzunehmen, daß eine Pflanze dieses Gebietes nötig haben sollte, ihre Sproßspitzen, wenn diese sich zur Blütenbildung anschicken, gegen „Wärmestrahlung“, Regen usw. zu schützen. Ebensowenig ist dies einleuchtend für einige Sedum-Arten. Bei S. reflexum z. B. sind die Blütenstände anfangs nach unten ge- ı) GoEsEL, Flora Bd. 94 (1906) p. 205. Vgl. auch Mösıus, a. a. O. p. 400. ?) Moreıus gibt eine „mehr oder minder deutliche“ Aufrichtung an. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 129 bogen, während sie bei anderen einheimischen Sedum-Arten vom Anfang an aufrecht sind. Wächst Sedum reflexum an einer Mauer, so fand ich die Blüten- stände stets von der Mauer hinweggekrümmt, ähnlich wie das bei den „nickenden“ Kapseln von Mnium-Arten und anderen Moosen der Fall ist. Diese Pflanze eignet sich besonders zur Demonstration der geotro- pischen Natur der Krümmung. Wenn man einen Sproß, dessen Inflores- zenzknospe nach unten gekehrt ist, abschneidet, und umgekehrt aufhängt, so hält er sich vermöge des Wasservorrates in den Blättern tagelang frisch. Es zeigte sich dann, daß — ähnlich wie dies Mösıvus später für Bryophyllum calycinum beschrieb — die Krümmung nicht ausgeglichen, sondern nur etwas flacher wurde und an der Spitze eine neue Abwärtskrümmung auftrat, so daß also eine doppelte Krümmung vorhanden war — wahrscheinlich deshalb, weil die jüngeren Internodien rascher wachsen als die alten. Daß auch bei Sedum reflexum die Krüm- mung der Infloreszenz nicht einen „Schutz“ bezwecken wird, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Von der großen Familie der Kompo- siten können nur einige wenige Beispiele hier erwähnt werden. Es handelt sich dabei einerseits um die Entfaltungsbewegungen der blühenden Sprosse, bzw. der Stiele der Blütenköpfe, andererseits um diese selbst. Auch hier findet sich ein verschiedenes Fig. 72. Sedum reflexum an einer Verhalten namentlich insofern, als bei den Mauer, Abwärtskrümmung der einen Formen Nutationsbewegungen nur Infloreszenzen. Fig. 73. Solidago aspera. Enden von Pflanzen, die Blütenstände angelegt haben. präfloral, bei anderen präfloral und postfloral, bei einer dritten Gruppe nur postfloral auftreten. In ersterer Beziehung sei z. B. hingewiesen auf Fig. 73, welche die praeflorale Nutation der blühenden Sproßenden von Solidago Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 9 z act! 130 Dritter Abschnitt: ’ aspera zeigt. Die Sproßenden sind wie das sonstige Verhalten des Blüten- stands zeigt, offenbar dorsiventral?). Für prä- und postflorale Bewegungen bietet Arctotis stoechadifolia ein gutes Beispiel. Die jungen Blütenstandsknospen sind nach abwärts gebogen (offenbar positiv geotropisch), dann streckt sich die Achse wieder gerade, die Blüten entfalten sich in dem vertikal gestellten Blütenkopf. Die Fruchtstände biegen sich wieder nach unten und richten sich dann beim Reifen der Früchte wieder auf. Daß es sich hier um ein Gegenspiel zweier antagonistischer Seiten (wie bei einem dorsiventralen Organe) handelt, wurde dadurch nachgewiesen, daß an den nach abwärts gebogenen Sprossen vor dem Auf- blühen die Konvexseite mit Tusche bezeichnet wurde. Die später stärker wachsende Seite lag ihr dann gegenüber, die Krümmung erfolgt aufwärts und abwärts in derselben Ebene. Auch eine andere der Kapflora ange- hörige Komposite Notonia semperviva führt sehr energische präflorale Abwärtskrümmungen ihrer Infloreszenzen aus. Auf die Bedeutung der Tatsache, daß gerade bei Pflanzen der Kap- und der australischen Flora häufig Nutationen auftreten für die teleologische Deutung der letzteren wird ım Verlauf der Darstellung wiederholt hinzuweisen sein. Nur postflorale Bewegungen, abgesehen von „Schlafbewegungen“, führen z. B. die Infloreszenzen von Tussilago farfara aus. Sie verlängern sich nach der Blüte noch beträchtlich, biegen sich nach abwärts und strecken sich dann wieder gerade, ein Vorgang, der bedeutend beschleunigt wird, wenn man die Infloreszenzen in eine Temperatur von 15—20° bringt. Die Krümmungsrichtung wird bei einseitiger Beleuchtung durch das Licht bestimmt, sie findet nach der Lichtseite hin statt. Es wird wohl die Dorsiventralität hier durch das Licht zunächst veranlaßt. Die infolge des positiven Heliotropismus stärker wachsende Seide wird dann auch bei der positiven geotropischen Krümmung zur Konvexseite. Aposeris foetida zeigt dieselbe Erscheinung nur weniger ausgesprochen: das „Nicken“ der Fruchtköpfe ging in den beobachteten Fällen nur etwa bis zur Horizontal- stellung. Daß die üblichen „Schutz“vermutungen (Regen, Wärmeausstrahlung) weder für die südafrikanische Arctotis und Notonia noch für unseren außer- ordentlich widerstandsfähigen - Tussilago begründet sind, bedarf keiner Hervorhebung. Für letztere Pflanze ist aber noch ein anderer Nutzen der postfloralen Krümmung vermutet worden, der ebenfalls für eine südafrikanische Pflanze nicht wohl in Betracht kommen kann — und auch für die europäische sehr unwahrscheinlich ist. CHR. K. SPRENGEL sagt von Tussilago „wie die Blume abgeblüht hat, so schließt der Knauf den Kelch und neigt sich. Letzteres ge- schieht vermutlich zu dem Ende, damit der Fruchtboden, aus welchem die jungen Samenkörner unmittelbar ihre Nahrung erlangten, den Sonnenstrahlen ausgesetzt sei, und dadurch das Reifen jener befördert werde. Später richtet sich der Stengel wieder gerade in die Höhe“. Der Vorteil davon sei leicht einzusehen, denn je höher die Samen stehen, !) Von Solidago canadensis sagt eine neuere Flora „vor der Blütezeit hängen die Triebspitzen schlaff (wie welk) herab, was eine rasche Ableitung des Regenwassers er- möglicht“. Die erste Angabe ist ebenso unzutreffend wie die zweite. Die Triebspitzen sind natürlich aktiv nach unten gebogen und wozu in aller Welt brauchen sie einen Regenschutz? Zumal ihre Blütezeit in der Heimat in den berühmten „indian summer“ fällt, in dem es höchst selten regnet! Man sieht, wie die landläufige Teleologie wirkt! Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). et desto mehr sind sie dem Winde ausgesetzt, der sie verbreitet. Die Sonne aber soll jetzt nicht mehr auf die Samen, sondern auf die Haarkronen wirken, damit diese sich ausbreiten usw. Diese Argumentation paßt allenfalls für eine in einem rauhen Klima im ersten Frühjahr blühende Pflanze wie Tussilago. Auch für diese wäre freilich ‘erst zu erweisen, daß die Erwärmung der Fruchtköpfe bei Ab- wärtsstellung eine größere ist als bei Aufwärtsstellung. Jedenfalls ist SPRENGELS Vermutung weit besser als das Schutzgerede. Aber sie ist auf die anderen erwähnten Kompositen nicht anwendbar. Der Vorgang, um den es sich handelt, ist aber offenbar bei allen derselbe. Und zwar gilt das nicht nur für die Kompositen, sondern auch für andere Pflanzen, die solche Nutationen ausführen. So weit eine vergleichende Betrachtung ein Urteil gestattet (entscheiden kann ja stets nur die experimentelle Untersuchung) trifft weder die SPRENGEL’sche Wärmehypothese für Tussi- lago noch die ScHoutz’sche Lichthypothese für Papaver zu. Wenn das der Fall wäre, so würden beide besser tun, sich horizontal zu stellen wie Aposeris foetida, manche Labiateninfloreszenzen und die von Lysimachia barystachya. $ 7. Durch Gelenke ausgeführte Nutationen. Es wurden im Vorstehenden einige Nutationen von Infloreszenzen angeführt und untersucht inwieweit diese mit einer dorsiventralen (oder bilateralen) Ausbildung der Infloreszenzachsen zusammenhängen. . Nicht immer tritt die Dorsiventralität (auch abgesehen von den Fällen, in welchem sie erst durch das Licht induziert wird) äußerlich deutlich hervor. Manche Infloreszenz- oder Blütenstiele, welche Nutationsbewegungen in (annähernd) Einer Ebene ausführen, sind anscheinend radiär. _Das gilt auch für solche, deren Bewegungen durch Gelenke vermittelt werden. Auch hier aber läßt eingehendere Untersuchung vielfach ohne weiteres das Vorhandensein einer dorsiventralen Struktur erkennen. Ein lehrreiches Beispiel dafür bildet Stellaria media. Die Blüten- stiele führen keine präfloralen Nutationsbewegungen aus (wenigstens keine auffallenden) wohl aber treten diese ein nach der Befruchtung. Die Fruchtstiele bewegen sich erst nach abwärts, dann wieder nach aufwärts, sie streuen in annähernd aufrechter Stellung ihre Samen aus. Die ganze Fruchtreife dauerte bei den beobachteten Pflanzen im Sommer 7— 10 Tage, von denen die Blütenstiele etwa 4 in der nach unten gekrümmten Lage zubringen. / Es handelt sich also um „postflorale Entfaltungsbewegungen“ (der Fruchtstiele) von denen es sich fragt, 1. ob ihre Richtung durch innere oder äußere Verhältnisse bestimmt ist, 2. unter welchen inneren Be- dingungen sie auftreten, 3. ob sie einen Zweck haben. 1. Hier ist zunächst hervorzuheben, daß die Fruchtstiele nicht radiär sind. Das spricht sich darin aus, daß sie einen einseitigen Haarstreifen haben, ebenso wie die vegetativen Sproßachsen. Die Abwärtskrümmung fand ich immer in der Richtung des Haarstreifens vor sich gehen. Sie ist also eine durch die Struktur des Blütenstieles bestimmte. An dessen Basis bildet sich eine Art Gelenke aus. 2. Bedingt wird die Bewegung wie bei Papaver durch den Fruchtknoten, Entfernt man diesen oder auch nur die Samenanlagen in einer kürzlich befruchteten Blüte, so unterbleibt die Abwärtskrümmung. Als Versuchs- pflanze ist die leicht zu ziehende Stellaria mehr zu empfehlen als Papayer. 9* 132 Dritter Abschnitt: 3 Wie bei Papaver fasse ich das Verhalten dahin auf, daß die Samenanlagen als „Anziehungspunkte für Baustoffe“ dienen, deren Wanderung durch den Blütenstiel in diesem einen Wechsel der geotropischen Reaktion ver- anlaßt. Wenn die Samen reif sind, also die Stoffwechselvorgänge sich geändert haben, tritt dann ein neuer Umschlag der geotropischen Stimmung ein, die Blütenstiele werden negativ geotropisch. Daß es sich um geotropische Reaktionen handelt, wurde daraus ge- schlossen, daß von 20 Blüten, die an einer 14 Tage auf dem Klinostaten befindlichen Pflanze beobachtet wurden, 16 ihre Stiele nicht zurück- und dann wieder nach oben bogen, obwohl sie sich verlängerten. Nur eine Blüte zeigte sich deutlich nach dem Stengel gebogen (vielleicht war sie vorher schon induziert). 2—3 zeigten eine kaum wahrnehmbare, wohl durch Epinastie bedingte Krümmung. . 3. Für die übliche Deutung der postfloralen Bewegungen kommt in Betracht, daß Stel- laria media zu den gegen Kälte usw. widerstandsfähigsten Un- kräutern unserer Flora gehört. Die Annahme, daß die Frucht sich nach abwärts biege, um sich zu „schützen“, dürfte also eine sehr kühne sein. Auf die analogen Bewe- gungen anderer Üaryophylla- ceen wie z. B. die von Holo- steum umbellatum !), Cerastium- Arten u. a. soll nicht einge- gangen werden, da für die hier verfolgten Zwecke das Beispiel von Stellaria media ein ganz besonders schlagendes ist. Be- treffs der Bewegungen der In- floreszenzen von Mimosa und Desmanthus sei auf Späteres verwiesen. Dagegen mögen die Ent- faltungsbewegungen der Gera- niaceen etwas eingehendere Erwähnung finden. Fig. 74. Pelargonium echinatum. Nutation der Pelargonium echinatum Infloreszenzen und Blüten. (Fig. 74), eine halbsukkulente, der Kapflora angehörige Art (aus diesem Grund wird sie — zum Vergleich mit Pflanzen aus anderen Floragebieten — hier als Beispiel gewählt), zeigt wie sehr die Pflanze im Knospenstadium Abwärtskrümmung „anstrebt“. Man sieht, wie zunächst das Internodium unterhalb einiger Infloreszenzen (deren Stiel noch kurz ist) sich abwärts krümmt, dann, wenn es sich gerade richtet, das Internodium unter der Infloreszenz. Streckt sich auch dieses gerade, ') An kühlen trüben Tagen öffnen sich die Blütenknospen nicht, die Bestäubung findet aber trotzdem statt und die Stiele der jungen Früchte biegen sich scharf nach abwärts. Man kann sich hier an Infloreszenzen, die in horizontaler Zwangslage gehalten werden, besonders leicht davon überzeugen, daß die Fruchtstiele positiv geotropisch sind. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen), 133 so biegen sich die Blütenstiele abwärts. Endlich richten sich diese auf, die Blüten öffnen sich. wieder eine Abwärts- bewegung aus, welche vielfach, aber nicht immer soweit geht, daß der Schnabel der Früchte abwärts ge- richtet ist. Später rich- ten sich die Früchte dann wieder auf und in dieser Stellung findet die: Verbreitung der Samen, bzw. Teilfrüchte _ statt. Hier werden also die Blüten (bzw. Frucht-) stiele zweimal abwärts und zweimal aufwärts geführt, und zwar abge- sehen von Ausnahme- fällen in Einer Ebene; es ist die Symmetrie- ebene der Blüte, die das Nektarium in sich auf- nimmt. Eine Blüte, welche ich mit Pollen von Geranium anemonaefo- lium bestäubt hatte, ließ ihren Fruchtknoten etwas anschwellen und führte eine schwache Bewegung nach aus- wärts — also den ersten Schritt zur Abwärts- krümmung aus. Dann hörte die Bewegung auf und die Blüte starb ab. Eine wirksame Kreu- zung hatte nicht statt- gefunden, aber die ersten Einwirkungen, welche zur Lagenveränderung der Blüte nach der Be- fruchtung führen, waren doch eingetreten. Es tritt auch hier deutlich hervor, daß die Bewe- gungen mit Stoffwech- selvorgängen namentlich in den Samenanlagen zusammenhängen. Er- wähnt sei noch, daß, Nach der Befruchtung führen die Fruchtstiele Fig. 75. Pelargonium echinatum (verkl.). An der Inflores- zenz links Abwärtskrümmung der Fruchtstiele. BANN m Latkh er EN N le Me a Fig. 76. Schema für die Entfaltungsbewegungen der Infloreszenzen, Blüten und Früchte von Pelurgonium echinatum. Es ist angenommen, daß (V u. VI) nur Eine Blüte von dreien befruchtet worden sei. In Internotium unterhalb der Infloreszenzachse J. 134 . Dritter Abschnitt: wenn die angesetzte Frucht sich nicht weiter entwickelt, sondern ver- kümmert, der Fruchtstiel sich trotzdem aufrichtet. Es ist das deshalb nicht ohne Bedeutung, weil man daraus schließen kann, daß es sich beim Aufrichten um die allmählich eintretende Aufhebung einer Hemmung — welche die Gradestreckung des Stiels verhindert — handelt. Sobald die Hemmung wegfällt, kann Orthonastie eintreten. Bei Pelargonium odoratissimum — einer anderen südafrikanischen Art — sind die Infloreszenzen, solange die Blüten noch im Knospenzustand sind, nach unten gebogen, und richten sich dann auf. Die Infloreszenzen mit geöffneten Blüten machen mit der Hauptachse einen Winkel von etwa 35—40°. Die Stiele befruchteter Blüten führen keine Abwärtsbewegung aus, die jungen Früchte bleiben vielmehr während des Heranreifens mit der Spitze nach oben gerichtet. Wohl aber führt die Infloreszenzachse eine Bewegung aus, die ganz der der Blüten bzw. Fruchtstiele von Erodi- ium entspricht. Sie hat zwei Gelenke: ein basales, welches eine Senkung der Infloreszenzachse bedingt, so daß sie mit der Sproßachse einen Winkel von 90° (oder mehr mackt) und ein apikales (dem Fruchtstand angrenzendes) welches diesen nach oben richtet. ‘ Hier tritt besonders deutlich hervor, daß von einer Schutzeinrichtung für die heranreifenden Früchte keine Rede sein kann. Diese verändern ihre Richtung ja überhaupt nicht, sie bleiben trotz der Senkung der Infloreszenzachse aufrecht. Auch wird man nicht wohl sagen können, die Krümmung der Infloreszenzachse diene dazu, um sozusagen den Gipfel der blühenden Pflanze freizulegen und für die Bestäuber leichter zugänglich ‚zu machen. Es bliebe also als „Zweck“ der Bewegung nur die Krümmung als solche übrig, die auf Stoffleitungsvorgänge von Einfluß sein kann. Geranium anemonaefolium. Diese schöne von von den Kanaren stammende Art unterscheidet sich dadurch von Pelargonium echinatum, daß die Blüten die Aufwärtsbewegung nicht vollständig ausführen, sondern in annähernd horizontaler Stellung aufblühen. Die Früchte (Fig. 77, II) krümmen sich dann nach abwärts, der Kelch legt sich (durch hyponastisches . Wachstum an der Basis seiner Blätter) der heranwachsenden Frucht dicht an. Später findet Aufwärtskrümmung statt und der Kelch öffnet sich (obwohl seine Blätter nicht mehr wachstumsfähig sind) und zwar da- durch, daß die fünf episepalen Staubblätter als Schwellkörper heranwachsend ihn nach außen drücken (Fig. 77, I. Wenn man die als Schwell- körper dienenden episepalen Staubblätter entfernt, gehen die Kelchblätter langsam nach oben zurück. Sie werden also passiv durch die Staubblätter herabgedrückt. Zugleich ist dieser Fall ein schönes, und bis jetzt ver- einzelt dastehendes, Beispiel für eine postflorale Funktionsänderung von Staubblättern. Daß die Abwärtskrümmung durch die Samen bestimmt wird, läßt sich besonders leicht nachweisen. Da die samentragenden Frucht- fächer nach außen vorspringen, lassen sich die Samen leicht exstirpieren. Es findet dann eine Aufrichtung viel früher als bei den unverletzten Früchten statt. Daß es sich dabei nicht etwa um die Wirkung einer Ge- wichtsverminderung handelt braucht kaum hervorgehoben zu werden. Der Fruchtstiel hat zwei Gelenke: eines an seiner Basis und eines an seiner Spitze — Gelenke von dem üblichen Bau. Während sonst im Fruchtstiel ein Sklerenchymring vorhanden ist und außerhalb dessen wenig Paren- chym, fehlt in den Gelenken das Sklerenchym, während viel Parenchym vorhanden ist. Die Gelenke ermöglichen die Krümmung des Stieles und der Frucht, wie das auch bei Erodium (Fig. 78) deutlich hervortritt. ee a A u. if De en CE A RT DEIN: 6, De a En u, Mr RE Er Pe RAR IN en Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 135 Wenn wir mit den schönen Entfaltungsbewegungen der Blütenstände, Blüten und Früchte von Geranium anemonaefolium die unseres ein- heimischen Ger. Robertianum vergleichen, so finden wir von jenen Be- wegungen nur kümmerliche Reste. Die jungen Infloreszenzen biegen meist sich nur schwach (bis zur Horizontallage) ab und richten sich dann auf. Die Blüten führen gar keine Abwärtsbewegung aus, ebensowenig die heranreifenden Früchte. Vielmehr richten sich diese von Anfang an mit der Spitze nach oben. Fig. 77. Geranium anemonaefolium. I junge Frucht: der Kelch geöffnet durch die basalen Anschwellungen der episepalen Staubblätter. // Infloreszenz mit einer geöffneten . Blüte und einer nach abwärts gekrümmten Frucht mit geschlossenem Kelch. Wenn die Entfaltungsbewegungen „Schutz“ anstreben würden, sollte man sie doch bei Pflanzen Mitteleuropas in höherer Ausbildung als bei solchen vom Kap- oder den Kanaren erwarten! Dagegen findet sich die eigentümliche passive Entfaltung des Kelches auch hier. Ich glaubte sie bei Ger. anemonaefolium, da ich nirgends eine Angabe über den Vorgang fand, zuerst beobachtet zu haben, indes ist, wie ich später bemerkte, VAuUCHER als Entdecker zu betrachten. Andere Geranium-Arten nehmen eine Art Mittelstellung zwischen den den beiden Extremen Pel. echinatum und G. Robertianum ein. So Geranium sanguineum. Hier sind die jungen (einblütigen) Infloreszenzen oder die Spitzen blühender Sprosse nach abwärts gebogen. Dann richtet sich der Blütenstiel auf. Postfloral biegt sich der Blütenstiel an seiner Basis horizontal oder schief abwärts, das obere Teil des Fruchtstiels aber krümmt sich so aufwärts, daß die Spitze der Frucht nach oben sieht. Diese schließliche Vertikalstellung der Frucht ist bei den Geraniaceen offenbar eine weitverbreitete, sie kann, wir wir sahen, entweder sofort oder auf einem Umweg erreicht werden. Bringt man heranreifende Früchte aus ihrer Vertikalstellung so wird diese wieder durch Krümmungen, so- lange solche möglich sind, „angestrebt“. FE eh nur a 136 Dritter Abschnitt: .. Das ist auch der Fall bei Erodium, dessen Entfaltungsbewegungen öfters beschrieben worden sind, aber wegen ihres eigenartigen Verlaufes eine besondere Erwähnung verdienen. Erodium cicutarium. Diese Pflanze zeigt eine Anzahl merkwürdiger, übrigens nicht immer gleich verlaufender, Entfaltungsbewegungen an ihren Infloreszenzen. Zu- nächst fällt (wie auch VöchTınGg !) bemerkt hat), die Verschiedenheit der Richtung der Inflorescenzen an stark und an schwach beleuchteten Stand- orten auf. An ersteren sind die Infloreszenzen dem Boden angedrückt. Die Blüten können sich in dieser Lage auch öffnen und richten dann ihre Blütenstiele auf. Die Infloreszenzen verhalten sich also wie die gleich- falls dem Boden ange- drückten Blätter. Wie diese heben sie sich vom Boden, wenn man die Pflanzen an einen weni- ger stark beleuchteten Standort bringt. Es ist besonders hervorzuheben, daß die Infloreszenz eine fest bestimmte ist. Sie fällt mit der Symmetrieebene der doldenähnlichen In- floreszenz zusammen. Der Infloreszenz- stiel ist also dorsiventral. Fig. 78. Erodium eicutarium (etwas vergr). Abwärts. 18 spricht sich das auch krümmung der Fruchtstiele und Aufrichtung der Früchte, darin aus, daß bei manchen Infloreszenzen (wahrscheinlich bei sol- chen, deren Stielrasch wächst) vorübergehend eine Abwärtskrümmung (wie bei Pelargonium echinatum) auftritt. Seine Lichtseite pflegt durch Anthocyan- bildung rötlich zu sein, während die Schattenseite grün bleibt. Auch die Blütenstiele verhalten sich nicht alle gleich. Manche bleiben vor der Ent- faltung gerade, andere führten eine kleinere oder größere Abbiegung aus, doch nur ganz selten in dem Maße, daß die Spitze der Blüten- knospe nach unten gerichtet gewesen wäre. Das geschieht, da die „Ge- lenke“ noch nicht ausgebildet sind, durch Krümmung des Blütenstiels. Die Blüten können ausnahmsweise sogar in dieser Stellung aufblühen. Normal aber erfolgt dies, wenn sie gerade gestreckt sind. Eine vor- !) Vöcarıng, Die Bewegungen der Blüten und Früchte p. 161. Vöchtıme faßt (ebenso wie WIEsnER) die Einwirkung des Lichtes auf die dem Boden angedrückten Pflanzen als negativen Heliotropismus auf. Es dürfte sich aber — ebenso wie bei den Blättern von Platycerium, Plantago media u. a. um Photo-Epinastie handeln, die mit der Richtung des Lichtes nicht in direkter Beziehung steht. Krümmungsebene der Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 137 übergehende Abwärtsbiegung des Blütenstieles nach der Befruchtung, wie sie ÜOBELLI!) für Erodium griunum beschreibt, habe ich bei Erod- cicutarium nicht beobachtet, halte es aber nicht für ausgeschlossen, daß sie auch bei ersterer Art eintreten kann. Sehr auffallend ist die scharfe Abwärtskrümmung der Fruchtstiele, die hauptsächlich durch deren basales Gelenk ausgeführt wird. Erst wird die horizontale Lage erreicht, dann erfolgt die Krümmung nach unten (Fig. 78), während die ynbefruchtet gebliebenen Blüten ihre Lage nicht verändern. Die Früchte gewinnen ihre Vertikalstellung durch eine Aufwärts- krümmung im oberen (unter der Frucht gelegenen) Gelenk, während der Stiel selbst zunächst noch nach abwärts gerichtet bleibt. Der vertikal gerichtete Fruchtknoten Se offenbar das Verhalten der beiden Ge- enke. Gelenk und Blütenstiel unterscheiden sich früh schon durch die Farbe. Ersteres ist röt- lich, letztere sind grünlich gefärbt. Es ist auch ohne Messungen nicht zu bezweifeln, daß das Wachstum sich nur in den Gelenken vollzieht — daß diese sich während der Bewegungen vergrößern tritt deutlich “hervor. Die Stiele nehmen an Volumen zu. Sie sind noch während der stärksten Abwärtskrümmung vollgepfropft mit Stärke (wahrscheinlich auch anderen Reservestoffen), welche das Material einerseits Fig. 79. Schema für die Ent- für das weitere Wachstum der Gelenke, anderer- en von Ero- . . ai . jum cicutarlum. seits namentlich für das der Samen liefern. Dabei ist bemerkenswert, wie rasch die Fruchtentwicklung vor sich geht. Topfpflanzen, die bei trüben kühlem Wetter im April in einem ungeheizten Raume (10—12°) kultiviert wurden zeigten folgendes: | Am 20. wurden einige Blüten selbstbestäubt. Am 22. früh waren die bestäubten Blüten alle gesenkt, die Spitzen der Fruchtknoten begannen aus den geschlossenen Kelchen herauszusehen. Die Länge der jungen Früchte (außerhalb des Kelches) betrug am 24. 4 mm, 25. 8-9 mm, 26. 1,1 cm, 27.2 cm, 28. 2,5 cm, 29. 3 cm, 30. 3,5 cm. Damit war beinahe die endgültige Länge erreicht, weshalb die Mitteilung weiterer Messungen unterbleiben kann. Die Aufrichtung des Fruchtstieles (der sich die Ablösung der Teil- früchte unmittelbar anschloß) erfolgte am 12. Mai. Ohne Zweifel wäre bei günstigeren Temperatur- und Beleuchtungsverhältnissen die Entwicklung der Frucht noch bedeutend rascher verlaufen. Daß der Fruchtknoten die Gelenkbewegung sozusagen leitet, daß es bildlich gesprochen, auf seine aufrechte Stellung (bzw. die Stellung der Samenanlage) ankommt, zeigt sich sofort, wenn man ihn aus seiner Lage bringt, es tritt dann so lange eine Veränderung in den beiden Gelenken ein, bis wieder die Vertikalstellung des Fruchtknotens erzielt ist. Diese könnte ja viel einfacher vom Blütenstadium aus durch eine Aufwärtskrümmung der Fruchtstiele (in die Vertikale) oder durch eine LE 1. !) R. Coserzı, I movimenti del fiore e del frutto dell’ Erodium gruinum. Ait. Nuovo Giorn. Botanico Italiano. Vol. XXIV (1892 p. 59). 138 Dritter Abschnitt: wenig ausgiebige Gelenkkrümmung unterhalb des Fruchtknotens erreicht werden. Statt dessen sehen wir einen viel umständlicheren Weg einge- schlagen: zunächst findet eine Abwärtskrümmung der Fruchtstiele statt, (wobei aber immer die junge Frucht vertikal gestellt bleibt). Später richten sich dann die Fruchtstiele wieder (unter starker Verlängerung des Gelenkes) auf, und das unter der Frucht befindliche Gelenk streckt sich wieder gerade, die Teilfrüchte lösen sich ab. Die Kelchblätter erfahren nicht die für zwei Geranium - Arten oben beschriebene passive Auswärtskrümmung, wie denn auch die Kelchstaub- blätter hier verkümmert sind. Es kann dies Unterbleiben der Kelch- Ausbreitung vor der Fruchtreife ohne Störung der weiteren Entwicklung schon deshalb eintreten, weil die Kelchblätter verhältnismäßig kurz und dünn, also der Ablösung der Teilfrüchte nicht hinderlich sind. Wir haben also bei Erodium eine von den Samen beeinflußte Ab- wärtskrümmung und — beim Aufhören dieser Beeinflussung — eine Aufwärts- krümmung, beide durch Gelenke vollzogen. Ja, wenn die Blütenstände horizontal bleiben, wirkt ein unter der Infloreszenz befindliches Gelenkstück der Infloreszenzachse zur Aufwärtskrümmung mit. Die wenigen für die Geraniaceen angeführten Beispiele werden genügen, um einige allgemeinere Bemerkungen daran anzuknüpfen: 1. Zeigt sich, daß die einzelnen Arten die Bewegungen in sehr ver- schiedener Ausdehnung ausführen (vgl. . Geranium anemonaefolium und G. Robertianum). 2. Gemeinsam ist allen untersuchten Formen die schließliche Auf- richtung der Früchte. Diese wird — ebenso wie die Abwärtskrümmung (wo eine solche stattfindet) bestimmt durch Vorgänge, die mit dem Reifen der Samen in Beziehung stehen. Beweis: Unterbleiben der Krümmung bei unbefruchteten Blüten, Beschleunigung der Aufrichtung bei solchen, deren Samen entfernt wurden. 3. Die üblichen teleologischen Deutungen der Entfaltungsbewegungen (Schutz gegen Nässe, gegen Wärmestrahlung usw.) können bei Pflanzen vom Kap, wie von Madeira keine Anwendung finden, bei den Früchten verbietet sich eine solche so wie so. | Man könnte vielleicht sagen, so lange gestreckte Früchte wie die der Greraniaceen seien in mechanischer Hinsicht am besten in der Vertikal- stellung untergebracht, weil jede geneigte eine größere mechanische Bean- spruchung des Blütenstieles usw. bedeuten würde. Aber dann müßte man eigentlich eine nach abwärts gekehrte hängende Lage erwarten. Wo diese wie bei Ger. anemonaefolium vorübergehend eintritt, wird sie aber, wie wir sehen, wieder aufgegeben. Die angeführte Deutungsmöglichkeit erscheint also wenig wahrscheinlich. Jedenfalls haben wir zweierlei zu unterscheiden: einmal die Vertikalstellung der Frucht!) (wie auch die der Blüten) und die Krümmungen welche die Blütenstiele ausführen. Wenn daher diese Bewegungen einen „Zweck“ haben, so wird dieser wohl nicht in der Richtung, welche die Stiele annehmen, sondern einerseits in den Krümmungen selbst, andererseits in der Vertikalstellung der Früchte (die unwillkürlich an Blitzableiter erinnern) zu suchen sein. Denn auf andere Weise wären die Bewegungen der Erodiumblütenstiele !) Eine solche tritt auch bei manchen Cruciferen in sehr auffallender Weise hervor. So z. B. bei Alliaria officinalis. Während die Blütenstiele nach der Befruchtung ihre Lage beibehalten und sich stark verdicken, krümmt sich die Frucht-an der Basis vertikal nach oben und macht mit dem Stiel einen Winkel. Wahrscheinlich sind die Früchte hier wie bei Barbarea strieta und einigen anderen negativ geotropisch. un} Fo 3 Vo RT, Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen), 139 z. B. kaum zu verstehen. Wenn es nur auf die Vertikalstellung allein ankäme brauchte sich der Blütenstiel nicht zu senken (wie ja auch der von Geranium Robertianum aufrecht bleibt), es muß also, wenn man die teleologische Deutung festhalten will, auch die Krümmung als solche eine Rolle spielen. Während die bisherigen teleologischen Deutungen teils unhaltbar teils ganz unsicher sind, tritt, wie scheint, deutlich eine andere Beziehung hervor. Die Bewegungen sind um so ausgesprochener und mannigfaltiger je stärker das Wachstum ist, je größere Länge also die Infloreszenz- und Blütenstiele Fig. 80. Impatiens noli tangere. Sproßgipfel einer blühenden Pflanze etwas verkl. erreichen; vielleicht kommt auch die Wachstumsintensität (auf dieselbe Zeit bezogen) in Betracht. Jedenfalls treten die Entfaltungsbewegungen am Ausgiebigsten hervor nicht bei den Geraniaceen, die man nach den klimatischen Bedingungen ihrer natürlichen Standorte für die am meisten schutzbedürftigen halten möchte, sondern im Gegenteil bei denen, die unter günstigeren klimatischen Bedingungen leben. Eigentümliche Entfaltungsbewegungen zeigen die Blütenstände von Impatiens noli tangere!). Sie sind im fertigen Zustand so unter ihr Deck- !) Daß das nicht (wie A. P. Decanporue angab) nur nachts geschieht, ist leicht zu beobachten! (Vgl. DecannorLze, Phys. vegetale p. 855). DECcANDoLLE meint, diese Bewegungen scheinen im allgemeinen zu bezwecken, die Blumen und vorzüglich die 140 Dritter Abschnitt: blatt herabgebogen, daß dieses ein Dach über ihnen bildet (Fig. 80). Ursprünglich stehen die jungen Blütenstände aufrecht in der Achsel des Deckblattes, bald aber biegen sie sich seitwärts, annähernd horizontal. Das geschieht zu einer Zeit, in der das Deckblatt noch aufrecht und schmal also noch lange nicht ausgewachsen ist. Die Infloreszenz richtet sich aber nicht wieder auf, sondern wird- von dem nur mit einem kurzen Stiel ver- sehenen Deckblatt, unter das sie zu liegen kommt, überwachsen. Es liegt hier eine Entfaltungsbewegung vor, die mit einer wenngleich nicht starken Drehung der Infloreszenzachse verbunden ist, wie sie auch bei anderen Impatiens-Arten vorkommt. Ich glaube das Verhalten von Imp. noli tangere als eine Hemmungs- bildung auffassen zu sollen, gegenüber anderen Impatiens-Arten, die ihre kräftiger ausgebildeten Infloreszenzstiele über deren Deckblätter erheben. Als Begründung für diese Auffassung sei folgendes angeführt: 1. Auch bei I. noli tangere kommt es, wie eine Durchmusterung zahlreicher Pflanzen ergibt, gar nicht selten vor, daß einzelne Blüten- stände sich über ihre Deckblätter erheben. Während ich das früher !) als gelegentlich bei nur kleistogam blühenden Pflanzen vorkommend an- führte, fand ich es später auch bei Infloreszenzen mit chasmogamen Blüten. Diese Infloreszenzen waren mit einem besonders kräftigen Stiele ausge- rüstet. Ob sie im Jugendstadium nach unten bzw. seitwärts gebogen waren, und sich dann später aufgerichtet hatten, läßt sich, bei ihrem immerhin vereinzelten Vorkommen, nicht sagen. Bei den den nur kleistogam blühenden Pflanzen kann das Herabbiegen jedenfalls unterbleiben. Selbst- verständlich unterbleibt es auch bei den Infloreszenzen, welche, was nicht selten vorkommt, an die Hauptachse, aus der sie entspringen, angewachsen und dadurch von vornherein oberhalb des Deckblattes befestigt sind. 2. Weil bei anderen Impatiens-Arten diese Lateralbewegung der In- floreszenz eine nur vorübergehende ist, die später einer anderen Platz macht. So bei I. Holstii, I. sultani u. a. Als weiteres Beispiel sei eine andere gelbblühende Impatiens-Art an- geführt, die auch sonst mit I. noli tangere manche Ahnlichkeit hat, z. B. durch die kurzgestielte Infloreszenz. Es ist dies I. scabrida. Auch bei ihr finden wir die Seit- und Ab- wärtsbewegung der jungen Infloreszenz. Man kann sich hier besonders einfach davon überzeugen, daß die Richtung (rechts oder links) der Ab- biegung keine konstante ist. I. scabrida bietet nämlich in der Ausbildung ihrer Stipulae ein sehr hübsches Beispiel „spirotropher“ ?) Gestaltung. Die beiden Stipulae sind an Größe und Färbung vollen Auf der einen Seite befindet sich eine größere, tief dunkelrot gefärbte Stipula, auf der anderen Seite eine äußerlich sehr wenig auffallende, niedrigere meist dunkel gefärbte. Die dunkelrote größere steht immer am linken Blattrand (also wenn die „Spirale“ von links nach rechts aufsteigt, am kathodischen). Die Ausbildung der Stipulae ist also eine spirotrophe, es gibt eine „plus“ und ein „minus“ Stipel, deren Ausbildung von der allge- meinen Symmetrie des Sprosses abhängt. Die Abbiegung der Infloreszenzen erfolgt nun bald nach der + bald nach der — Stipel?). Allein der kurze Infloreszenzstiel richtet sich dann Geschlechtsorgane vor der Feuchtigkeit zu schützen, eine Meinung, die, wie unten an- geführt werden soll, bis jetzt herrschend geblieben ist. !) Rumphiusphänomen p. 97. ?) Vgl. GoEBEL, Organographie I 2. Aufl. p. 196. 3) Wahrscheinlich wird die Richtung der Krümmung bestimmt durch das Licht; ER EN Tb DE TE TR N BETH a a I el a A Ben ‘ ER en EEE AN Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 141 wieder auf, die Blüte, die einen ziemlich langen derben Stiel hat, wird vom Stützblatte der Infloreszenz — auch abgesehen von der seitlichen Abbiegung der letzteren — namentlich auch deshalb in ihrer — sagen wir — Aufhängung, nicht gehindert, weil das Stützblatt (im Gegensatz zu I. noli tangere lang gestielt ist. Ich glaube also, daß die oben vertretene Auffassung des Zustande- kommens der Lage der Infloreszenz von I. noli tangere (als Hemmungs- bildung) eine vergleichend gut begründete ist, wir haben ähnliche Erscheinungen auch in anderen Familien erwähnt (z. B. bei Geranium Robertianum). Wie a. a. O. p. 96 dargelegt wurde, besteht zweifellos ein Zusammenhang zwischen der Kürze und dem verhältnismäßig schwachen Bau des Infloreszenzstieles. „Man braucht nur einen Blütenstand, der eine der wundervollen großen, gelben zierlich an schwankem Stiele hängenden Blüten entfaltet hat, auf die Blattoberseite zu bringen, um zu sehen, daß dort die Blüten an dem kurzen, dünnen Infloreszenzstiele gar keinen Platz zur richtigen Entfaltung haben würden. Diesen können sie bei der Beschaffenheit des Infloreszenzstiels nur dadurch gewinnen, daß sie unter das Blatt gelangen.“ Alle Autoren, die sich mit dieser Erscheinung befaßt haben, deuteten, wie A. P. DECANDOLLE, die Lage unter dem Blatt als eine Schutzvorrichtung. Das wäre verständlich, wenn die Blütenknospen oder Blüten etwa besonders empfindlich gegen Regen wären. Um das zu prüfen, wurden folgende Versuche ausgeführt: 1. Wurde das Blatt bei im Freien stehende Pflanzen über jüngeren (mit unentfalteten Blüten versehenen) oder älteren Blütenständen entfernt. 2. Wurden Blüten und Knospen in Wasser gelegt. Obwohl die Blüten ohne Deckblatt starkem Regen ausgesetzt waren, ‘wurden sie nicht in irgend wahrnehmbarer Weise beschädigt. Der Pollen aber bedarf eines besonderen Schutzes gegen Regen deshalb nicht, weil die mit ihrer Längsachse annähernd horizontal hängende Blüte die Antheren durch die Oberlippe der Blumenkrone bedeckt. Die im Wasser untergetauchten Blüten blieben mehrere Stunden voll- ständig frisch, erst nach mehr als 12 stündigem Liegen in Wasser lösten sich die Blütenhüllen — noch ganz frisch — leicht ab. Dabei ist zu bedenken, daß die Blumenkronen nach der Öffnung ohnedies nur kurze Zeit an der Pflanze bleiben. Um zu ermitteln, ob die mechanische Einwirkung der Regentropfen (von der man sich, wie WIESNER gezeigt hat, früher übertriebene Vorstellungen machte) die Blüten schädigen könne, wurden die Blüten dem Fall schwerer Tropfen aus einer Gieskanne aus- gesetzt. Selbst bei Anwendung eines starken Strahles, der aus einer Höhe von 1,5 m niederfiel, trat keine Schädigung ein. Andere Blüten wurden den Strahlen einer Brause ausgesetzt, die von der Wasserleitung gespeist wurde. Die Strahlen entwickelten eine Stoßkraft, die der des stärksten Regens sicher überlegen war. Auch bei 19-stündiger fortdauernder Berieselung trat an den Blüten der Blütenstände, deren Deck- blatt entfernt worden war, weder Ablösung noch sonst die mindeste Schädi- gung ein. Trotz ihres zarten Baues sind die Blumenkronen durch ihre ge- wölbten Gestalt und ihre bewegliche Aufhängung vor mechanischen Insulten wenigstens erfolgt sie in einem Beet mit ziemlich dieht stehenden Pflanzen nach der Außenseite hin, „= 142 Dritter Abschnitt: und bleibender Benetzung durch Regen vortrefflich geschützt, sie können also den „Schutz“ des Laubblattes entbehren. Da die Impatienspflanzen Schattenpflanzen sind, sind sie außerdem langandauernder Benässung gewöhnlich nicht ausgesetzt. Für sie kommen nur die schweren von Bäumen abfallenden Tropfen in Betracht. Diese können aber nach dem oben Mitgeteilten keine Beschädigung herbeiführen. Wir können also sagen: die eigentümliche Lage der Impatiensblütenstände unter den Blättern ist bedingt durch eine Hemmung in der Entfaltungs- bewegung, die mit der mangelhaften Entwicklung der Infloreszenzstiele in Beziehung steht. Sie ermöglicht den Blüten, trotz des schwachen In- floreszenzstieles eine freie Aufhängung und dadurch den Besuch, der Insekten. Der „Schutz“ der Blütenstände aber spielt keine Rolle. Uber- haupt sind viele scheinbar besonders zweckmäßige „Anpassungen“ nichts als Korrekturen einer an sich unzweckmäßigen Gestaltung. Und wenn in einer neueren populären Darstellung gesagt wird: „Uberraschend bleibt dabei einzig und allein wieder die Zielstrebigkeit, mit der eine als zweck- mäßig sich erforderlich machende Maßnahme eingeleitet und zu Ende geführt wird“ so ist das lediglich ein naiver Anthropomorphismus. Die Impatiens-Infloreszenz bleibt unter den Blättern nicht, weil sie sich ziel- strebig sagt „hier ist ein zweckmäßiges Plätzchen für mich“, sondern weil sie nicht mehr herauskann! Es wäre zielstrebiger (aber unbequemer) ge- wesen, wenn der Verf. dieses Satzes eine Gießkanne zur Hand genommen und das Verhalten der Impatiensblüten geprüft hatte, statt solch einen Satz niederzuschreiben, der freilich ganz der süßlichen Teleologie entspricht, die sich über die populär botanische Literatur ergossen hat. Übrigens soll damit keineswegs gesagt sein, daß nicht unter bestimmten Umständen der „Schutz“ der Impatiensblütenstände eine gewisse Bedeutung haben könne. Als nach langem Regenwetter wieder sornige Tage ein- traten, fand ich am Rand eines Gehölzes die Blumenkronen von Impatiens, soweit sie frei lagen oder von mir ihres Deckblattes beraubt worden waren, vielfach mit Blumenkronen, die stellenweise mißfarbig und verschrumpft waren, was vielleicht auf die nach dem nassen trüben Wetter besonders empfindliche Wirkung der Insolation zurückzuführen ist. Da aber Impatiens meist als Schattenpflanze wächst, wird dieser „Schutz“ des Deckblattes wohl nur selten in Betracht kommen. Ob an den offeneren Stellen (an denen die Blätter bei Sonnenschein welk zu sein pflegen) die Blumenkronen auch dann, wenn keine schroffen Wechsel zwischen Regenwetter und Sonnenschein eintreten, ohne Bedeckung leiden würden, kann nur durch in größerem Maßstabe angestellte Versuche entschieden werden. Es bleibe dabei dahingestellt, ob die Schädigung der Blumen- kronen für die normale Funktion der Blüte nirgend in Betracht kommt. Selbst wenn sich ergeben sollte, daß das Blatt über der Infloreszenz eher als Sonnenschirm denn als Regenschirm wirkt, würde das an den gewöhnlichen Standorten als Schutzvorrichtung nicht in Betracht kommen. Es wäre nur eine zufällige Begleiterscheinung eines Vorganges, dessen „Bezüge“ andere sind. Wir sind also zu dem Ergebnis gelangt, daß weder die Deutung der „hypophyllen“ Infloreszenzlage als Schlafstellung noch die Regenschirm- Theorie haltbar sind, daß vielmehr anderen Impatiens-Arten gegenüber eine Hemmung in der Infloreszenz-Entfaltung vorliegt, welche den Blüten auch bei der schwachen Entwicklung des Infloreszenzstieles eine freie, durch das ganz kurzgestielte Deckblatt der Infloreszenz nicht gestörte Aufhängung ermöglicht. . Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 143 Streptopus amplexifolius!). Das merkwürdige Verhalten der Infloreszenzen dieser Pflanze (die ich leider nur im entfalteten Zustand untersuchen konnte) erinnert an das von Impatiens noli tangere. Wie bei dieser sind die Blütenstände ganz unter die Blätter gebogen. Der Mitte eines Blattes gegenüber, etwas unter dessen Einfügungsstelle entspringt ein Blütenstand (J Fig. 81). Dessen Achse ist in ihrem untersten, etwas gelenkartig verdickten Teil scharf abgebogen — (entsprechend der zweizeiligen Blattstellung abwechselnd nach rechts und links), so daß dieser Teil der Hauptachse (wie eine Ranke) an- liest und seine Fortsetzung annähernd unter die Mitte des Blattes zu liegen kommt. Von dieser Infloreszenzachse biegt sich die Blüte in einem Winkel von annähernd 90° nach unten. An der Knickungsstelle steht ein verkümmertes Hochblätt- chen und ein verkümmerter Vegeta- tionspunkt. Es scheint, daß die Blüte an der Infloreszenz terminal ist und an der Stelle, wo eine Seitenblüte stehen würde ?), sich von der Inflores- zenzachse abbiegt. Wir sehen also, daß die sonder- ' bare Lage der Blüte beruht auf dem verschiedenen Verhalten der Inflores- zenzachse und des Blütenstiels. An der Basis ist erstere stark asym- metrisch und dreht sich bei den auf- einander folgenden Blättern abwech- selnd nach rechts und nach links?). Der Blütenstiel ist, wie es scheint, positiv geotropisch. Letzteres ist ja bei den verwandten Pflanzen (Con- vallaria, Polygonatum) auch der Fall. Die Drehung der Infloreszenz ver- dient eingehendere Untersuchung. Eine teleologische Deutung hat sie, Fig. 81. Streptopus amplexifolius. Blatt wie es scheint, bisher nicht erfahren. (mit einem Stück der Sproßachse) von der Meiner Ansicht nach liegen die Ver- Unterseite. .J Stiel der Infloreszenz, alt Pr - ; - «„ welche unter das Blatt herabgebogen ist hältnisse ganz ähnlich wie sie für B die einzige entwickelte Blüte (schon im Impatiens noli tangere oben ge- Fruchtstadium), K verkümmerte Blüten- schildert wurden. knospe. !) Aus den Beschreibungen in den Floren kann man sich (bei dem derzeit herrschen- den Stumpfsinn gegenüber allen morphologischen Verhältnissen) kein Bild von den Infloreszenzen machen. Es ist z. B. ganz unrichtig, wenn gesagt wird „Blüten- stiele blattwinkelständig, aber um den Stengel herumgebogen“. Erstens handelt es sich nicht um einen Blüten-, sondern um einen Infloreszenzstiel, zweitens entspringt der Infloreszenzstiel durchaus nicht in dem „Winkel“ des „Blattes“, unter das er sich herab- biegt, sondern ihm gegenüber. Dies wurde „erklärt“ durch die Annahme, daß die Infloreszenz eigentlich in der Achsel des nächstunteren Blattes stehe und am Stengel bis zum nächstoberen hinaufwachse. (Vgl. Eıcnter, Blütendiagramme I p. 149.) Meiner Ansicht nach (die sich hauptsächlich auf den Vergleich mit Uvularia grandiflora stützt) ist es aber wahrscheinlicher, daß die Infloreszenzen jeweils terminal sind, also eine sym- podiale Sproßverkettung vorliegt. 2) In seltenen Fällen gelangt sie zur Ausbildung. 3) Bei Polygonatum sind die Infloreszenzen blattachselständig und biegen sich nach unten (unter gesteigertem Wachstum einer seitlichen Kante). 144 {2 Dritter Abschnitt: $ 9. Die Drehbewegungen der Impatiensinfloreszenzen waren wenig ausgesprochen. Viel auffallender treten sie bei anderen Pflanzen hervor. Es lassen sich zwei Fälle unterscheiden: entweder sie sind nur vorüber- gehend, es findet also später wieder eine Geradestreckung statt, oder sie werden nicht von einer Geradestreckung abgelöst, sind also bleibende. Soweit mir bekannt, kommen für das erstere nur präflorale, für das letztere postflorale Bewegungen in Betracht. Für das erstgenannte Ver- halten Beispiele bieten die Infloreszenzstiele einiger Alliumarten z. B. Allium Ophioscordon (Fig. 82), deren schraubenförmige Drehungen sehr auffallende Beispiele von „Circumnutation“ darstellen. Es hängt das wohl mit dem gesteigerten Wachstum dieser Infloreszenzstiele (gegenüber dem Verhalten der vegetativen Organe) zu- sammen. “Irgendeine „biolo- gische* Bedeutung läßt sich bei den Alliuminfloreszenz- stielen nicht erkennen. Bei anderen Pflanzen treten Bewegungen an Inflores- zenzen auf, denen man einen „Ziel und einen Zweck“ zu- schreiben kann. So winden z. B. die blühenden Sprosse von Vincetoxicum fuscum und die Infloreszenzen von Utri- cularia reticulata und können sich dadurch an Stützen be- festigen. Offenbar kommt eine asymmetrische Struktur bei ihnen durch das gesteigerte Wachstum, wie es bei der Infloreszenzbildung eintritt, zum Ausdruck. Sie verhalten sich dann wie Schling- und Rankenpflanzen, die ja auch durch rasches Wachstum aus- gezeichnet sind. Für uns sind die nicht bleibenden Schraubenkrümmungen der In- 'floreszenzen mancher Allium-Arten gerade deshalb von Interesse, weil sie, soweit sich derzeit erkennen läßt, im Gegensatz zu dem Verhalten der Schling- pflanzen, eine Beweguug ohne „Zweck und Ziel“ zeigen, die aber ebenso wie bei den ersteren durch den asymmetrischen Bau der Sproßachsen bedingt ist. Alle diese Vorgänge könnten auch in dem Kapitel über Wachstums- drehungen besprochen werden. Wenn trotzdem auch die Infloreszenzstiele, welche bleibende, und zwar postflorale Drehungen ausführen, namentlich die bekannten „Einrollebewegungen“ von Oyclamen und Vallisneria hier angereiht werden, so geschieht das, weil in einen und denselben Ver- wandtschaftskreis teils einfache Einbiegung teils Drehung vorkommt und er erwünscht schien, auf das Gemeinsame der beiderlei Vorgänge hinzu- weisen. So bleiben z. B. innerhalb der Gattung Oyclamen die Blütenstiele nach der Befruchtung bei Oyel. persicum ungedreht. Sie biegen sich wie die Abbildung Fig. 84 zeigt unter erheblicher Verlängerung so, daß die Frucht auf die Erde zu liegen kommt. Und zwar verlängert sich dieselbe Seite des Blütenstiels, deren stärkeres Wachstum auch das „Nicken“ der Blüte bedingt, stärker. Es kommt also die Dorsiventralität des Blütenstiels auch Fig.82. Allium Ophioscordon. Entfaltungsnutation einer Infloreszenz. a Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 145 in seinem postfloralen Wachstum zur Geltung. Ob die Krümmung eine autonome oder eine induzierte (geotropische oder heliotropische?) ist, wurde nicht näher untersucht. Jedenfalls aber ist sie eine aktive und hängt mit dem dorsiventralen Bau des Blütenstiels zusammen. Dieser ist im übrigen derb gebaut, er wird nach der Befruchtung dicker und steifer, man kann also seine Abbiegung nicht etwa der Unfähigkeit, sich aufrecht zu halten zu- schreiben. Beiden Öyclamen- Arten, deren Blüten- stiele sich einrollen, geht das nicht immer in derselben Weise vor sich. Es kann ent- weder durch einseitig stärkeres Wachstum erfolgen, dann ist der Unterschied gegen- über dem Verhalten zu Fr PETSICUM mi. 88, Cyclamen persicum. Die Fruchtstiele (2 deutlich eızentiich nureimquan- siehtbar, haben sich bogig nach unten gekrümmt). Verkl. titatirer— Ähnlich dem von Droseräblättern mit eingerollter und denen mit nur eingebogener Blattspreite — oder es tritt asym- metrisches Wachstum ein, dann er- folgt die Einkrümmung nicht mehr in Einer Ebene, sondern korkzieher- förmig. Beide Fälle sind aber nicht scharf voneinander getrennt. Bei Öycl. europaeum fand ich die Einrollung mehrfach in der Vertikal- ebene vor sich gehen. Vgl. auch Fig. 84. Sie beginnt unterhalb der jungen Frucht, in derselben Ebene, in der die Blütenknospe nutierte. Der Vorgang ist der, daß die eine Seite beträchtlich stärker wächst, als die andere, und da das Wachs- Fig. 84. Cyclamen neapolitanum. Einrollung tum von der Spitze nach der Basis des Fruchtstieles. zu fortschreitet, muß schließlich die Einrollung eintreten, bei der meist die Frucht innen in den Windungen sitzt. Aber nicht selten findet man auch bei Ü. europaeum horizontal oder in zusammengedrückten Schrauben- windungen gerollte Stiele.e. HıLpEsrAnD!) schildert (ohne Eingehen auf das Zustandekommen) den Vorgang bei Ü. Coum, wo der Fruchtstiel anfangs in Einer Ebene sich einrollt, später eine Drehung ausführt und eine rechts oder links gewundene Schraube bildet. Er meint, der 1) HıLpesranD, Bot. Zeit. 1895 p. 27. Wiederholt in desselben Verf. Schrift „Die Gattung Cyclamen“, Jena 1898 p. 139. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 10 » 146 Dritter Abschnitt: „Zweck“ bestehe darin „die reifende Frucht in die Nähe der Erde unter das schützende Blätterdach zu bringen“. Leider vergißt er zu begründen, weshalb gerade diese Früchte das nötig haben! Es ist auch bei dieser Außerung das Ergebnis als „Zweck“ vorausgesetzt. Cyclamen europaeum ist eine mit Vorliebe im Waldschatten wachsende Pflanze. Obwohl sie eine lange Samenreife hat, ist nicht ein- zusehen, weshalb diese nicht auch bei aufrechtem Stiel vor sich gehen sollte. Wenigstens ist weder von einer besonderen Empfindlichkeit der Pflanze gegen Kälte noch gegen Austrocknung usw. etwas bekannt. Eher könnte man die Einrollung damit in Verbindung bringen, daß dadurch erstens die Ausbildung von mechanischem Gewebe wegfallen kann (ich traf nur äußerst spärliche Kollenchymbildung in der Peripherie des Stieles) und daß außerdem zweitens bei einer typisch auf Ameisenverbreitung an-_ gewiesenen Pflanze?) die Ausstreuung der Samen auf weitere Entfernung ohne Schaden wegfallen kann. Die Kapseln selbst aber sind durch die Kelchblätter, die eine zeitlang mitwachsen wohl hinreichend geschützt. Kehren wir zurück zu den Bewegungserscheinungen, so sehen wir, daß diese bei den einzelnen Arten nicht so voneinander verschieden sind, wie es zunächst scheinen könnte. Es war leicht festzustellen (was bei C. europaeum durch Glasfaden-Marken geschah), daß es sich bei der Ein- krümmung der Blütenstiele nicht um eine Verkürzung einer Seite, sondern um ein, an das Eintreten der Befruchtung gebundenes postflorales Wachs- tum handelt. Dieses findet, wie erwähnt, bei ©. persicum in der Nutationsebene statt, aber so, daß die Wachstumsverschiedenheit der beiden Seiten des Blüten- stiels verhältnismäßig klein ist und das Wachstum sich nicht sehr weit nach der Basis hin erstreckt. Dadurch tritt eine einfache Abwärts- krümmung ein — ähnlich der von Tropaeolum — nur daß die Kapsel hier zum Teil an den Boden gelangt. Auch bei anderen Arten tritt diese einfache, aber stärkere und deshalb zur Einrollung führende Ein- krümmung anfangs oder dauernd ein. Meist aber wird sie abgelöst durch eine schraubenförmige Krümmung. Man könnte versucht sein, die Mitwirkung eines horizontal (oder annähernd horizontal) gerichteten, also transversal geotropischen bzw. negativ heliotropischen Wachstumsbestrebens anzunehmen. Indes erscheint das ebenso wenig erforderlich, wie bei Vallisneria oder einer ohne Stütze ge- bliebenen sich einrollenden Ranke. Es genügen geringe asymmetrische Veränderungen der Wachstumsintensität um die Drehung aus der Vertikal- ebene heraus zu bewerkstelligen. Ob das stärkere Wachstum der konvexen Seite ein „autonomes“ oder induziertes ist, ist damit noch nicht gesagt. Ein unmittelbarer Nutzen des Verhaltens der Fruchtstiele von Cyclamen ist bis jetzt nicht nachgewiesen. Wir können derzeit nur sagen, daß das Herabbiegen der reifenden Frucht zur Erde für eine myrmekochore Pflanze zum mindesten keine Nachteile mit sich bringt. Ob die heranreifende Frucht dann, wenn der Fruchtstiel aufrecht bliebe, benachteiligt würde, ist nicht bekannt. : !) Kerner (Pflanzenleben II p. 808) hatte vermutet, daß durch die krallenartigen Fruchtstiele die Kapseln auf dem Boden dahin streichenden Tieren angeheftet würden, was gewiß unbegründet ist. - Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 147 Vallisneria. Ehe auf das Verhalten von Vallisneria selbst eingegangen wird, mag angeführt werden, daß innerhalb der Hydrocharideen sich ähnliche Ver- schiedenheiten finden, wie bei der Gattung Cyclamen. Sie sind insofern noch beträchtlicher, als bei einzelnen die postflorale Veränderung des Stieles der weiblichen Blüten!) ganz unterbleibt. Soweit mir bekannt, ist das der Fall bei den Formen, bei denen der Stiel überhaupt kurz bleibt und die Narben die Wasseroberfläche erreichen durch Streckung des oberen Teiles des Fruchtknotens. So ist es bei Elodea canadensis, Blyxa und, wenn ich mich der in Khandallah vor mehr als 30 Jahren beob- achteten Pflanze recht erinnere, auch bei Vallisneria alternifolia (Lagaro- siphon). Die teleologische Auffassung kann sagen, bei diesen Pflanzen reift der die Samen enthaltende Teil des Fruchtknotens ohnedies unter Wasser, er braucht also nicht erst durch eine postflorale Bewegung des Blütenstiels dahin gebracht zu werden. Eine solche tritt ein bei den nicht untergetaucht lebenden Hydrocharidaceen, freilich auch bei Vallisneria, trotzdem diese auf dem Grunde des Wassers fest- gewurzelt ist. Hier lassen sich indes andere DBe- ziehungen geltend machen. Die Abwärtskrümmung des: Stiels der weiblichen Blüten ist bei Limnobium (wo sie auch ohne vorher- gegangene Befruchtung ein- tritt), ‚bei Hydromistria stolonifera und Hydrocharis — alles Pflanzen mit nicht untergetauchten Blättern — eine geotropische ?). Es tritt also ein postflorales Wachs- tum des Blütenstieles, der sich auch (durch Vergröße- rung der Zellen und der Intercellularräume) verdickt, Fig. 85. Limnobium Boseii. Abwärtskrümmung der ein. Es sei das hervorge- Fruchistiele (Imke). hoben, weil die Einrollung der Vallisneria-Blütenstiele zum Teile auch auf eine Verkürzung zurück- geführt wurde. Daß es sich bei den oben angeführten Hydrocharideen nicht um eine durch Verkürzung einer Seite, sondern um: eine durch stärkeres Wachstum der gegenüberliegenden bedingten Abwärtskrümmung handelt, darf auch, ohne daß Messungen vorliegen würden, als sicher an- genommen werden. Nicht selten treten dabei auch Torsionen auf. Daß durch diese Krümmung die Früchte in das Wasser gelangen kann als „zweckmäßig“ bezeichnet werden, weil die Früchte eine „hydro- phile“ Ausbildung zeigen. Sie werden später durch Quellung des in ihnen !) Eigentlich handelt es sich um einblütige Infloreszenzen. Der Kürze halber ist hier der Ausdruck Blütenstiel angewendet, der zwar nicht morphologisch aber funktionell zutrifft. 2) Vgl. Montesantos, Morphol. und biolog. Untersuchungen über einige Hydro- charideen. Flora 105 (1913) p. 18. 10* BEN ER ORTE 148 Dritter Abschnitt: enthaltenen Schleimes gesprengt und entlassen die Samen. Daß es sich aber nicht um eine zu diesem Zweck erworbene Anpassung handelt zeigt schon die für Limnobium erwähnte Tatsache, daß auch die Stiele unbe- fruchteter Blüten sich nach: abwärts krümmen. Dasselbe zeigt z. B. die schöne Gentianee Limnanthemum Humboldtü. Die Blütenbüschel ent- springen bei ihr scheinbar an der Basis der Schwimmblätter '). Die Blüten- stiele krümmen sich erst (offenbar negativ geotropisch) nach oben, und ent- falten in annähernd vertikaler Stellung die Blüten. Nach dem Abblühen aber führen sie unter Verlängerung eine scharfe Abwärtskrümmung aus, obwohl die Pflanzen in unseren Gewächshäusern nie Samen ansetzen. Auch sei. daran erinnert, daß postflorale Abwärtskrümmungen sich . bei zahlreichen Landpflanzen finden, bei denen von einer Bergung der Frucht im Wasser keine Rede sein kann. Bei Wasser- und Sumpfpflanzen liegen die Verhältnisse ja anders als bei Landpflanzen — man kann die postflorale Abwärtsbiegung der Blüten und Infloreszenzen bei ihnen jedenfalls nicht als Schutzeinrichtung gegen Regen und Kälte auffassen, sie könnte dagegen von Vorteil sein, dadurch, daß die Früchte unter Wasser gegen manche Tiere und gegen Austrocknen geschützt heran- reifen und im Wasser später die Samen verbreitet werden können. Wenn wir die Frage zu erörtern suchen, ob die Herabbiegung nur bei solchen Sumpfpflanzen eintritt deren Samen nicht die Austrocknung Fig. 86. Eichhornia cerassipes. Infloreszenz vertragen und nicht durch Schwim- (mit Hochblatt) nach dem Verblühen. men verbreitet werden, so ist diese Frage deshalb nicht ohne weiteres zu beantworten, weil wir über die Keimungs- und Verbreitungsbedingungen keineswegs bei allen diesen Pflanzen hinreichend unterrichtet sind. Immerhin ergeben die schon angeführten und die noch weiter zu er- örternden Beispiele einige Anhaltspunkte zur Erörterung ?). Besonders auffallend ist die Abwärtsbiegung bei Eichhornia crassipes (Fig. 86) deshalb, weil hier der Infloreszenzstiel nach dem Abblühen sich stark verlängert und dann scharf knieförmig nach unten biegt. Die Infloreszenz kommt dadurch, wenn die Pflanze in seichtem Wasser wächst, in den Schlamm. Aber ebenso wie bei den Blütenstielen von Limnan- themum erfolgt die Abwärtskrümmung auch ohne daß Samenbildung ein- tritt. Wenn man bedenkt 1. wie häufig postflorale Abwärtskrümmung der Fruchtstiele auch bei Landpflanzen eintritt, 2. daß diese bei Wasser- ni !) Vgl. die Abbildung in GoEsEL, pflanzenbiol. Schilderungen II p. 328 Fig. 101. ?2) H. Scuenck, Die Biologie der Wassergewächse Bonn 1886, gibt eine Liste von 17 Wasserpflanzengattungen, welche ihre Blüten über das Wasser erheben, ihre Früchte dagegen im Wasser reifen lassen. Es könnten leicht noch einige hinzugefügt werden. So unter den Dikotylen Trapella und Callitriche deflexa (bei letzterer verlängert sich der Fruchtstiel sehr bedeutend und schiebt die Frucht nach abwärts) bei Monokotylen die oben erwähnten Hydrocharideen u. a. NS Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 149 pflanzen stattfindet, sowohl bei Früchten die dem Wasserleben (durch die Art ihres Offnens mit Schleimbildung usw.) angepaßt sind, als auch bei solchen, bei denen das nicht (der Fall ist (Nußfrüchte von Trapa, Trapella, Batrachium u. a.), so wird man in der Abwärtskrümmung weniger eine spezifische Anpassung an das Wasserleben, als einen von terrestrischen Vorfahren überkommenen Wachstumsvorgang finden können. Von Dikotylen nenne ich noch die Nymphaea-Arten, deren Blütenstiele z. B. bei Nymphaea gigantea sich ähnlich wie die von Uyclamen persicum krümmen, so daß die Frucht im Wasser reift. Alle diese Vorgänge mögen nach dem Angeführten nützlich sein, ohne daß sie als zu diesem Zweck herangezüchtet betrachtet werden könnten. Fig. 87. Pontederia azurea. Abwärtskrümmung der abgeblühten Infloreszenz (links): Vallisneria aber verhält sich zu anderen Hydrocharideen etwa wie Cyclamen europaeum zu Cyclamen persicum, d. h. in beiden findet derselbe Vorgang nur bald mit symmetrischem, bald mit asymmetrischem Wachstum statt, letzteres tritt durch die starke schraubenförmige Einkrümmung der Fruchtstiele bei Enhalus und Vallisneria besonders auffallend hervor. Das Verhalten von Vallisneria ist oft beschrieben aber nie ganz genau untersucht worden. Obwohl die Pflanze auch dort, wo sie nicht im Freien vorkommt, leicht der Beobachtung zugänglich ist — sie wird nicht nur in Aquarien, sondern auch in allen botanischen Gärten gezogen — hat sich an sie frühe schon eine Reihe von fabelhaften Behauptungen geknüpft, die . schwer auszurotten sind, weilmanche Autoren romantische Ausschmückungen lieben und es viel bequemer finden, von anderen abzuschreiben, als sich die Pflanzen selbst anzusehen. Zu diesen Fabeln gehört namentlich die, daß die Blütenstiele in\der Jugend eingerollt seien, sich dann aufrollen und an die Oberfläche des Wassers gelangen, nach der Befruchtung aber sich wieder „zusammen- ziehen“. Es schien mir von Interesse zu ermitteln, wie diese }„Zieh- harmonika-Fabel“ zustandegekommen ist. Die Schriftsteller des 19. Jahrhunderts haben sie von A. P. DecAn- DOLLE übernommen), der sagt „Dans les individus femelles, la fleur est 1) A. P. Decanvouze, Physiologie vegetale p. II (1832) p. 530. 150 Dritter Abschnitt: soutenue sur une hampe ou pedoncule radical, qui dans sa jeunesse est roulee en tire-bourre puis s’allonge en se deroulant precisement & l’epoque et & la longeur convenables pour que la fleur vienne s’epanouir a la surface de l’eau ... (Nach der Befruchtung) son pedoncule se rac- coureit, en rapprochant de nouveau ses plis en tire — bourre, et ramöne au fond de l’eau son ovaire aui y murit ses graines“. Da diese Schilderung des berühmten Botanikers (trotzdem er glaubte eine „description exacte du phenomene“ gegeben zu haben) weder für den Anfang noch für das Ende!) zutrifft, so muß sie durch eine frühere beeinflußt gewesen sein. Die erste Beschreibung von Vallisneria verdanken wir MicHer1?). Er fand die männlichen und weiblichen Pflanzen, deren Zusammengehörigkeit aber erst Lıns# erkannte. Die Einrollung der weiblichen Infloreszenz- achse („caulis crinium retortorum in modum pulchre convolutus“) ist auf seiner Abbildung insofern nicht ganz naturgetreu wiedergegeben, als der obere Teil gestreckt gezeichnet ist, während wie unten zu schildern sein wird, die Einrollung gerade hier beginnt. Das ist von solchen, die die Pflanze nicht aus eigener Anschauung kannten und nicht beachtet hatten, daß Mic#EuLi nur befruchtete Blüten abbildet, dann wahrscheinlich so gedeutet worden, daß sie annahmen, es finde eine Aufrollung von oben nach unten hin statt. So erkläre ich mir die Angaben LiwnE’s, die offenbar DECANDOLLE stark beeinflußt haben. Lrxs& hat sich über Vallisneria acht Jahre nach dem Erscheinen von MicHeur’s berühmtem Werke geäußert. Er glaubte?) Vallisneria in Finn- land, Norwegen und Schweden angetroffen zu haben, wobei natürlich eine Verwechslung mit anderen, gleichfalls mit bandförmigen Wasserblättern ausgestatteten Monokotylen (Jugendform von Sagittaria, Sparganium usw.) vorlag, was auch später noch öfters geschah. Seiner Schilderung der Blütenverhältnisse aber liegen die Angaben von MIıcHELI zugrunde. „Mira- culum hoc naturae detexit Michelius ...“ „Foemina scapo longissimo, spiraliter involuto, cyclaminis instar sub aqua latente, flore unico terminato, eoque fixo, qui erigitur, evolvitur, elongatur usque dum aquae superficiem attigerit, quo facto expanditur flos alligatus, at dum per aliquos dies floruerit, satiata femina sub aqua iterum *) se subducit praegnaus, famili- amque propagat“. Das Anthropomorphistische in dieser poetischen Schilderung tritt deutlich hervor, nicht nur in dem Weibchen, dessen Geschlechtstrieb durch die Befruchtung „gesättigt“ ist, sondern namentlich auch in der spiraligen Einrollung des Infloreszenzstiels, der erst aufgerollt wird und dann wieder sich zusammenzieht, ähnlich etwa wie eine eingerollte Schlange. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß Linn#&’s poetischer Irrtum be- züglich des Infloreszenzstiels ganz und gar zurücktritt gegenüber der Ent- deckung, daß MiıcHeur’s Vallisneria und Vallisneroides die weibliche und die männliche Pflanze darstellen °). Nachdem aber einmal Forscher wie Lınn£ und DECANDOLLE die Auf- !) Denn auch hier beruht die Einrollung nicht auf einer Verkürzung sondern auf postfloralem Wachstum. 2) P. A. Mıcherius, Nova plantarum genera, Florentiae 1728 p. 12. ®) Horrus, Clifiortianus (1737) p. 454. *) Im Original „eterum“. 5) Das ist schon in der Flora Lapponica (1737) mitgeteilt. Lınn& sagt dort von Vallisneria „Allmän i bäckar i Finmarken, men hvarken där eller vid Upsala har jeg sett den blommande“. Es müßte sich bei letzteren selbstverständlich um kultivierte Exemplare gehandelt haben. Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). . | 151 rollungsfabel in die Welt gesetzt hatten, schrieb eine lange Reihe von Autoren sie ihnen nach. (So z. B. 1883 noch Frank in Leunıs, Synopsis des Pflanzenreichs p. 360.) Selbst im Jahre 1906 behauptete ein Professor der Botanik), der Gelegenheit hatte, Vallisneria im Freien zu beobachten „Remarquez d’abord cette premiere particularite: cette tige ?) s’allonge ou se raccourcit, desserre ou resserre ses anneaux, sulvant que le niveau de l!’eau s’eleve ou s’abbaisse, toujours dans la mesure necessaire pour que la fleur quelle porte flotte constamment A la surface“. Hier arbeitet die Ziehharmonika also nicht nur einmal nach oben, einmal nach unten, sondern nach Belieben! Der einfachste Versuch zeigt, daß das nicht so ist. Meine Vallisneria- pflanzen z. B. wuchsen in einem Wasserbecken, dessen Tiefe gleichmäßig 50 cm betrug. . Trotzdem der Wasserspiegel sich nicht änderte, wurden die Blütenstiele der weiblichen Blüten oft über 1 m lang und fluteten lange im Wasser. Daß sie nicht gerade sondern gewellt sind, ist in ihrem ganzen Zellenverlauf begründet. Daß die Blütenstiele vor der Befruchtung „spiralig gewunden seien“ ?) kann man aber nicht sagen. Jedenfalls tritt eine Auf- rollung vor der Befruchtung nicht ein. Wenn man sie trotzdem angegeben hat, so liegt eine Nachwirkung der Mıc#eur’'schen Abbildung vor. Es ist merkwürdig, wie lange ein solcher Irrtum sich zähe am Leben erhalten konnte. j Daß die Infloreszenzstiele asymmetrisch gebaut sind, zeigt ihr Quer- schnitt — zuweilen läßt sich an jungen Infloreszenzen auch ein schiefer Verlauf der Zellreihen erkennen. So zeigte z. B. ein äußerlich gerade erscheinender, 17 cm langer Infloreszenzstiel namentlich in seinem unteren Teile die Zellen nicht mehr gerade, sondern steil schief verlaufend. Das trifft übrigens auch für die kurzbleibenden Stiele der männlichen In- floreszenzen zu. Ob diese Erscheinung damit im Zusammenhang steht, daß auch bei Vallisneria, wie das früher für die verwandte Ottelia und Blyxa nachgewiesen wurde‘), die Blätter in zwei gedrehten Zeilen angeordnet sind, kann hier unerörtert bleiben. Die Infloreszenzstiele von Vallisneria stellen jedenfalls ein deutliches Beispiel asymmetrischen Baues dar. Derartige Organe können wie oben ausgeführt wurde, auch gerade wachsen. Wenn aber eine schief zur Längsachse des Sprosses verlaufende Längskante etwas stärker wächst, so erfolgt eine Aufwärtsbewegung in einer flachen Schraubenlinie. Ist die Wachstumsverschiedenheit eine sehr starke, so wird eine schrauben- förmige Einrollung stattfinden, wie diese ja in der Tat nach der Befruchtung eintritt. Das erinnert an die gleichfalls asymmetrisch wachsenden Schling- pflanzen, eine Übereinstimmung, die auch mehrfach hervorgehoben worden ist. So z. B. von PFEFFER). „Ferner wird ein autogenes Winden z. B. von dem Stiele der weiblichen Blüten von Vallisneria .... ausgeführt.“ Etwas eingehender äußert sich Sacas®). ‚Nach der Befruchtung zieht t) Dr. Ant. Macnın, professeur ä& l’universit& de Besancon Les amours de la Vallis- nerie. Besangon 1906. (Der Verf. bezeichnet diesen Vortrag als „scieuce et. po6sie“). Seine Bemerkungen über die Vallisneriablütenstiele gehören zur „poesie“. ?) D. h. der Stiel der weiblichen Blüten. ®) WARMING-JOHANNSEn, Allg. Botanik p. 337. *) GOEBEL, Organographie der Pflanzen 2. Aufl. °) PFEFFER, Pflanzenphysiologie 2. Aufl. p. 386. 6) Sacus Vorlesungen über Pflanzenphysiologie 2. A. p. 711. J. F. Mürrer, Die Entwicklung von Vallisneria spiralis in Hansteın botan. Abh. III, 3 (1877) p. 37 führt eine Beobachtung von BoucH& an, wonach die Blütenstiele, auch wenn keine männlichen 152 Dritter Abschnitt: sich der Faden schraubenförmig oder korkzieherförmig in engen Windungen zusammen, offenbar weil die eine Seite sich verkürzt, oder die andere sich verlängert, ähnlich wie bei der Einrollung von Ranken oder aufrechten schlingenden Sprossen, die keine Stütze gefunden haben“. A. W. Bennett hat das Wachstum des weiblichen „Blüten“stiels von Vallisneria näher untersucht!). Er erwähnt, daß CsArın in seinem (mir nicht zugänglichen) „Memoire sur le Vallis- neria spiralis L. 1855“ den alten Irrtum, daß der Blütenstiel von V. ursprünglich ein- gerollt sei und sich zur Zeit der Bestäubung aufrolle, als solchen bezeichnet habe. Das Wachstum ist ein rasches. Indes würde es keinen Zweck haben, Zahlen anzugeben, da nicht ermittelt wurde, wie das Wachstum bei optimaler Temperatur verläuft. Eine Einrollung ohne Befruchtung wurde nicht wahrgenommen, nur „a strongly marked waviness“, was auch mit meinen Beobach- tungen übereinstimmt. Am stärksten war das Wachstum in der Zone unterhalb der Blütenknospen. Meine eigenen Beobachtungen ergaben folgendes: Nach der Befruchtung wächst der Fruchtknoten bedeutend in die Länge, von 1’/, cm erreicht er später eine Länge von über 7 cm. Das Verhalten des Blütenstiels erläutert Fig. 87a (an zwei verschiedenen Blüten). Z zeist, daß wie bei Cyclamen die „Ein- rollung“* im oberen Teil des Blütenstieles beginnt. Es treten dort zunächst flache Windungen auf, die ein Herabziehen der reifenden Frucht bedingen. In Fig. 87 II ist (von einer anderen Blüte) der Vorgang fast in seinem Endergebnis dargestellt. Man ie Bra Wellen sieht die Windungen eng aneinanderliegen, T Junge Frucht mit beginnender die Frucht ist dadurch tief herabgezogen Einrollung des Stieles, //mit ein- worden. Es geschieht dies entgegen dem gerolltem Stiel (aber verkl.). Auftrieb, also mit Kraftaufwand. Ahnlich verhält sich Enhalus acoroides, dessen merkwürdigen Bestäubungsvorgang SvEDELIUS?) erforscht hat. Er sagt betreffs der „Einrollung“ des Stieles dieser sei ursprünglich bisymmetrisch und werde später mehr und mehr Pflanzen vorhanden sind, die Bewegung ausführte.e Ob dieser Angabe nicht eine Verwechslung. mit der schraubenförmigen Krümmung zugrunde liegt, die auch die Stiele unbefruchteter Infloreszenzen ausführen? Ich habe eine wirkliche Einrollung solcher nicht beobachten können, doch verhalten sich vielleicht verschiedene Formen von Vallisneria verschieden. ı) A. W. Bennert, Preliminary note on the rate of growth of the female floral stalk of Vallisneria spiralis Linn. Soc. second Ser. Botany vol. I (1875). 2) Nırs Sveperıus, on the life history of Enhalus acoroides Ann. of the Royal Botanic Gardens Peradeniya Vol. II. Pt. II (1904). 5 Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 153 monosymmetrisch wie bei Vallisneria. Wenn nun die verschiedene Struktur der zwei größeren Leitbündel der Infloreszenz begleitet sei von einem ver- schieden starken Längenwachstum schief zur Achse, so müsse das Ergebnis eine „spiralige“ Rollung des Blütenstieles sein. Das trifft auch für Vallisneria zu. Wenn ich „eingerollte“ Stiele einer Pflanze auseinanderzog und mit den noch nicht eingerollten verglich, so konnte ich eine Verkürzung nicht feststellen. Das ist selbstverständlich kein Beweis gegen eine solche, da es sich ja um verschiedene, nicht um ein und denselben Blütenstiel handelt. Nimmt man aber dazu, daß die anderen Hydrocharideen, die Krümmungen ausführen, dies durch Wachstums- differenzen tun und daß bis jetzt überhaupt keine nachträgliche Verkürzung von Blütenstielen bekannt ist, so wird weiterhin wahrscheinlich, daß das auch bei- Vallisneria der Fall ist. Der Sacas’sche Vergleich mit der Einrollung von Ranken, welche keine Stütze gefaßt haben, scheint mir sehr zutreffend zu sein. In Fig. 133 sind einige frei herabhängende Ranken einer Cucurbitacee abgebildet. Auch sie bilden zunächst flache Windungen, die weit voneinander entfernt sind. Schließlich legen sich die Windungen dicht aufeinander. Wir wissen, daß dieser Vorgang durch Wachstum (nicht durch Verkürzung) erfolgt und können leicht beobachten, daß die flache Seite der Ranke (deren eine Kante offenbar stärker wächst als die andere) stets die konvexe ist. Bei Vallisneria ist die Erscheinung nur insofern etwas anders, als die Zellreihen der Epidermis hier von vornherein gedreht sind, der Querschnitt des Vallisneriablütenstiels ist aber auch kein radiärer. ‘ Nützlichkeitsdeutungen hat das merkwürdige Verhalten der Vallıs- neriablütenstiele auffallend wenige gefunden — man hat sich wohl meist mit der Annahme begnügt, daß die Früchte am Grunde des Wassers besser aufgehoben seien als weiter oben. SCHENCK!) ist sogar der Ansicht, ‘die biologische Bedeutung dieser Erscheinung sei noch nicht aufgeklärt. Für uns ist sie nach den oben gegebenen Ausführungen nichts ver- einzelt stehendes sondern eine durch den Bau des Blütenstiels bedingte Art der Abwärtsbiegung der Frucht. Daß die bei Vallisneria durch Ein- rollung erfolgende Beförderung der Frucht nach unten von Vorteil sein kann ist ganz gut möglich. Wenn man die bedeutende Vergrößerung der Frucht beim Heranreifen und die zarte Beschaffenheit des Blütenstiels bedenkt (dieser ist ziemlich dehnbar, reißt aber leicht ab), so wird die heranwachsende Frucht besser gegen ein Abreißen des Stieles gesichert sein, wenn dieser eingerollt, als wenn er einfach abgebogen ist. Enhalus dagegen ist mit sehr derben Blütenstielen ausgerüstet, auf welche die angestellte Erwägung nicht wohl Anwendung finden kann. Wir können den etwaigen Nutzen der Einrollung auch bei Vallisneria also nur als einen sekundären betrachten. Er wird ebensowenig im Kampf ums Dasein erworben sein, wie die Einrollung einer Ranke, die nicht gefaßt hat. In beiden Fällen liegt eine durch den Bau der betreffenden Pflanzen- teile bedingte Entfaltungsbewegung vor, die bald nützlich, bald gleichgültig sein kann. $ 14. Es ist — trotzdem aus der Fülle der Nutationsbewegungen nur eine kleine Anzahl von Beispielen angeführt wurde — ein ziemlich buntes Bild, das die vorstehende Darstellung bietet. Wenn wir versuchen, das Gemeinsame in der Mannigfaltigkeit herauszuheben — soweit das !) H. Schenck, Biologie der Wassergewächse (1886) p. 132, 154 - Dritter Abschnitt: unsere derzeitigen mangelhaften Kenntnisse gestatten — so wäre etwa folgen- | des anzuführen. 1. Die Nutationen treten um so auffallender hervor, je rascher das Wachstum verläuft. 2. Sie sind bedingt durch die Struktur der wachsenden Pflanzenteile, die aus von vornherein oder durch Induktion ungleich auf äußere Ein- flüsse reagierenden Komponenten bestehen. 3. Die Abwärtskrümmungen sind wohl überall aktive, wo wirklich „hängende“ Pflanzenteile auftreten (wie z. B. bei den männlichen In- floreszenzen von Corylus, Juglans) ist das schlaffe Herabhängen nur eine nachträgliche Erscheinung. 4. An Blüten und Infloreszenzen gibt es präflorale und postflorale Entfaltungsbewegungen. Es lassen sich folgende Fälle bei den annähernd in einer Ebene statt- findenden Bewegungen unterscheiden: a) Präflorale Abwärtsbewegung. c) Darauf Aufwärtsbewegung und Aufblühen in aufrechter Stellung, die auch bei der Fruchtreife beibehalten wird, z. B. Papaver Rhoeas. ß) Dasselbe, aber verbunden mit postfloraler Abwärtsbewegung, auf welche wieder eine Aufwärtsbewegung folge: Blütenköpfe von Arctotis, Pelargonium echinatum. y) Aufblühen in der Abwärtsstellung, Aufrichtung des Frucht- bzw. Infloreszenzstiels, Silene nutans, Geum rivale. ö) Aufblühen und Fruchtreife in Abwärtsstellung, Convallaria, Poly- gonatum. b) Postflorale Abwärtsbewegung (abgesehen von den schon unter a« aufgeführten Fällen). | «) Später wieder rückgängig gemacht: Stellaria media, Pelargonium. 8) Bleibend: Oyclamen persicum, Hydrocharis und andere Wasser- pflanzen, Acer platanoides (während bei A. pseudoplatanus schon die Blütenstände nach abwärts gerichtet sind). 5. Vöcutına') hat bei Papaver längst nachgewiesen, daß Blüten- knospen, welche abwärts gerichtet sind, sich aufrichten, wenn der Fruchtknoten entfernt wird. Er betrachtet offenbar die Samenanlagen als die Organe, auf deren Stellung im Raume es ankommt und die das Wachstum des Blütenstiels beeinflußen. Daß für die Nutation die Samenanlagen maßgebend sind, ließ sich auch für andere Pflanzen (Stellaria, Pelargonium) feststellen. Aber nicht auf ihre Stellung kommt es an. Vielmehr weisen gerade die durch die Samenanlagen bedingten postfloralen Nutationsbewegungen darauf hin, daß diese veranlaßt sind dadurch, daß die befruchteten Samenanlagen als Zentren für Stoffwanderung dienen. Diese bedingen offenbar die geotropische Umstimmung, wie denn auch normal die Aufrichtung eintritt, wenn diese Stoffwanderung aufhört. Daß die Samenanlagen auch vor der Befruchtung dieselbe Wirkung ausüben können ist nicht zu bezweifeln. Es steht mit dieser Auffassung auch nicht im Widerspruch, daß postflorale Entfaltungs- krümmungen auch ohne Befruchtung eintreten können. In diesem Falle kann ein von den absterbenden Samenanlagen ausgehender chemischer Reiz angenommen werden. ı) H. Vöckrıng, Bewegungen der Blüten und Früchte (1882) p. 109. TREE re Take Eee u ask DT Bu a a =, \ N N Entfaltungsbewegungen der Sprosse (Sproßnutationen). 155 6. Die teleologischen Deutungen, welche die prä- und postfloralen Nutationsbewegungen als Schutzeinrichtung betrachten, haben sich als wenig befriedigend erwiesen. Wo ein solcher „Schutz“ wirklich in Be- tracht kommt, handelt es sich um eine sekundäre Erscheinung. Das schließt nicht aus, daß die Nutationsbewegungen in anderer Be- ziehung von Bedeutung sein können. Es könnte z. B. weniger die Richtung der Krümmung, als diese letztere selbst in Betracht kommen — wissen wir doch aus der Lehre von der Obstbaumzucht, daß tatsächlich Krüm- mungen (hier künstlich herbeigeführte) von Einfluß auf die Stoffwanderung sein und dadurch selbst Gestaltungsvorgänge beeinflussen können. Indes ist darüber zur Zeit ebensowenig etwas bekannt wie etwa über die Be- ziehungen der Nutationen zu elekrophysiologischen Vorgängen. Es würde also nicht von Nutzen sein, Vermutungen in dieser Hinsicht, wie z. B. die, daß es sich bei der Krümmung um eine Minderung der Wasser- zufuhr zu Blütenknospen und jungen Früchten handle, hier auszumalen. Jedenfalls macht die Beseitigung der unfruchtbaren Schutzhypothesen die Bahn für eine andere Fragestellung frei Vierter Abschnitt: Entfaltungsbewegungen der Blätter. $ 1. Einleitung. In Gegenden mit Winterruhe der Vegetation ist die Blattentfaltung im Frühling ein so auffallender Vorgang, daß er frühe schon die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben muß. Es scheint mir wenigstens wahrscheinlich, daß die Bezeichnungen „Entwicklung“ und „Entfaltung“, die wir jetzt vielfach im übertragenen Sinne verwenden, ursprünglich Be- obachtungen entstammen, die man an Blättern leicht machen kann, denn viele davon sind in der Knospe zusammengewickelt und entwickeln, andere gefaltet und entfalten sich. Damit ist ohne weiteres auch gesagt, daß die auffallendsten Vorgänge, welche beim Austreiben der Knospen stattfinden, sich an den Blättern abspielen. Dazu kommen aber vielfach auch Wachstumserscheinungen an der Sproßachse der Knospen. Die Beteiligung der Sproßachse bei der Knospenentfaltung soll hier nur insofern erwähnt werden, als dadurch passive Bewegungen der Blätter bedingt werden, die mit den von anderen Blättern ausgeführten aktiven Entfaltungsbewegungen übereinstimmen. In erster Linie aber handelt es sich um die Wachstumserscheinungen dieser letzteren selbst. Daß diese sehr mannigfaltig sind, ist leicht zu beobachten. Sie sind verschieden, je nach der Lage, welche die Blätter innerhalb der Knospe einnahmen, nach ihrer Gestalt und ihrer Reaktionsfähigkeit auf äußere Einflüsse. Verschieden ist auch die zeitliche Dauer der Entfaltungs- bewegung. Die einen Blätter erreichen ihre endgültige Lage rasch und verharren darin, andere erst nach längerer Zeit und nach manchen Ver- änderungen ihrer Lage. Auch hören bei vielen Blättern die „autonomen“ Bewegungen mit der Entfaltung nicht auf, andere zeigen eine auffallende Empfänglichkeit für äußere Reize, sei es daß sie nastische Bewegungen ausführen, oder daß sie ihre Stellung unter dem Einfluß des Lichtes ändern. Wenn wir uns Tag und Nacht stark verkürzt denken, so würden viele Pflanzen, die scheinbar bewegungslose Blätter besitzen, ihre Blätter in ständiger Bewegung zeigen, Bewegungen, die meist in Hebungen und Senkungen des ganzen Blattes oder einzelner Blatteile bestehen. Siereichen hin, um der Pflanze vielfach ein gänzlich verändertes Aussehen zu geben Alle diese Bewegungen aber werden ermöglicht durch das Vorhandensein bestimmter Entfaltungsverrichtungen, namentlich auch von Gelenken. Es sollen im folgenden zunächst die Vorgänge der Entfaltung an einer Anzahl von Beispielen geschildert werden, sodann die nach der Entfaltung Entfaltungsbewegungen der Blätter. 157 ausgeführten Bewegungen. Eine Gruppe von Pflanzen, deren Blätter ein eigenartiges Verhalten zeigen, die der Sensitiven wird, wegen des großen Interesses, das ..sich an sie knüpft, eine besondere Besprechung finden. Daß bei der Entfaltung es sich entweder um Wachstum oder Turgor. handelt, daß dabei der innere Aufbau und die Beeinflussung durch die Außenwelt zusammenwirken, braucht nicht noch einmal betont zu werden. Der Turgor kann dabei in doppelter Weise in Betracht kommen, einer- seits indem er die letzten Stadien der Volumvergrößerung bedingt, wie in den Staubblättern, teilweise auch den Griffeln mancher Blüten oder indem er am Ende der Entfaltung die Spannungsgelenke aussteift. Der dorsiventrale Bau der meisten Blätter bedingt es, daß Epinastie und Hyponastie vielfach bei der Entfaltung beteiligt sind. Bei manchen Blättern aber fällt die Verschiedenheit von Ober- und Unterseite bei der Entfaltung ganz fort. Diese mögen zunächst erwähnt werden. $ 2. Für einfach und gleichförmig verlaufende Entfaltungsvorgänge bieten die schwertförmigen Blätter ein gutes Beispiel. Sie sind aber, wie anderwärts!) ausgeführt wurde, morphologisch durchaus keine „primi- tiven“, sondern stark veränderte „unifaziale* Blätter. Am bekanntesten sind die Irisblätter. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß die Veränderungen, welche das Blatt nach seiner Fertigstellung erfährt, außerordentlich gering- fügige sind. Zeitlebens behält es seine vertikale Lage. Es ist wahrschein- lich nicht geotropisch, jedenfalls aber aphotometrisch, was ja auch dem offenen Standorten der Schwertlilien entspricht. Die aufrechte Stellung dürfte bedingt sein durch negativen Geotropismus des Rhizomendes, das später in Transversalgeotropismus übergeht, was unter bestimmten Um- ständen auch ausbleiben kann (vgl. GOEBEL, Organographie, 2. Aufl. p. 13). Schon in der Knospenlage steht das Blatt vertikal. Es ist in der Scheide eines älteren Blattes eingeschlossen und schiebt sich aus dieser heraus durch Wachstum der Blattspreite, und später namentlich der Blattscheide; deren interkalares Wachstum wird durch die älteren Blattscheiden ge- stützt. Nimmt man letztere weg und hält den Sproß horizontal, so senken sich. die jüngeren Blätter. Sie vermögen ihr eigenes Gewicht nicht zu tragen, ehe die Gewebebildung im basalen Blatteil fertiggestellt ist — eines der zahlreichen Beispiele dafür, daß „interkalar“ wachsende Pflanzen- teile durch Hüllen festeren Gewebes gestützt werden. Die ganze Lagen- veränderung, die das Blatt zeitlebens erfährt, besteht darin, daß die älteren Blätter durch die Entfaltung der jüngeren etwas nach außen gedrängt werden, woraus sich die bekannte fächerförmige Anordnung der Irisblätter ergibt. Diese ist zurückzuführen auf zwei Umstände: einerseits die Nichtentwicklung der Internodien, andererseits die durch die neuen Blätter erfolgende Auseinanderschiebung der alten. Der Weg, den hier die Spitze eines Blattes während seiner Entwicklung zurücklegt, ist also ein einfacher: Aufwärts und dann seitwärts.. Ahnlich verhalten sich die Blätter von Juncus-Arten und Allium cepa, bei denen die Auswärts bewegung wegfällt. Daß bei dorsiventralen Blättern je nach der Knospenlage für die Entfaltung das epi- oder das hyponastische Wachstum in den Vorder- grund tritt, ist selbstverständlich. Die Einzelheiten können unerwähnt bleiben. Es genügt (den meist allein berücksichtigten epinastischen Ent- faltungsbewegungen gegenüber) eine hyponastische anzuführen, wie sie sich z. B. bei den Polygonaceen findet, deren Blätter in der Knospenlage nach !) GOEBEL, Organographie der Pflanzen -2. A. p. 278ff. 158 Vierter Abschnitt: unten eingerollt sind. In Fig. 88 ist Polygonum baldschuanicum abge- bilde. Die Blätter sind ursprünglich in einer häutigen „Blattute“ (Ochrea) eingeschlossen, die bei der Entfaltung gesprengt wird. Die Blattfläche ist in der Knospenlage durch \ stärkeres Flächenwachstum der Oberseite nach unten hin eingerollt‘). Bei der Entfaltung muß also ein durch stärkeres Wachstum der Unterseite bedingtes Auf- rollen der Blattspreite stattfinden. Dieses Wachstum erlischt am Rande später als gegen die Mittelrippe zu. Daraus ergibt sich die einfache in Fig. 88 dargestellte „Entwickelung“. Ob also bei der Entfaltung Epi- oder Hyponastie am auffälligsten hervortreten, hängt von der Art ab, in welcher die Blätter im engen Raum der Knospe zu- sammengerückt sind. Die Verschieden- heiten, die hierbei sich ergeben, teleologisch auszudeuten, ist bis jetzt nicht gelungen. Es handelt sich, soweit wir bis jetzt ur- teilen können, nicht um einfache Raum- beziehungen, sondern um ein durch die innere Eigenart der einzelnen Pflanzen- formen bedingtes wechselndes Gegenspiel zwischen Epinastie und Hyponastie Ein RE. 3 ee solches tritt uns auch bei den Entfaltungs- lg. > m. Blattentfaltung (von der Blattunter- bewegungen entgegen. Es war deshalb seite). notwendig, von vornherein auch auf. das Verhalten der Knospenlage hinzuweisen. I. $ 3. Die Mitwirkung des Blattstiels. Bei gestielten Blättern kann sich der Blattstiel in erheblichem Grade an den Entfaltungsbewegungen beteiligen, sowohl bei Blättern mit „ein- facher“ als solchen mit zusammengesetzter Blattspreite. Als Beispiel für erstere sei eine Tiliacee, Sparmannia africana angeführt (Fig. 89). Sehen wir uns das Ende eines Sprosses an, so finden wir die ent- falteten Blätter mit steil aufgerichteten Blattstielen und annähernd horizontal gestellten Blattspreiten versehen — sie bilden (da die .Blattspreiten seitlich über die Einfügung am Blattstiel vorspringen) ein Dach über den jungen Blättern, deren Blattspreiten bei der Entfaltung zunächst eine vertikale Lage (mit der Spitze nach unten) einnehmen, die hier freilich weniger auf- fallend hervortritt, als in vielen anderen Fällen. Die Blattstiele der ent- falteten Blätter sind in einem Winkel von etwa 45° nach -oben gerichtet, !) Die Angabe „Immer wird jene Seite zur konkaven, an der sich die Spaltöffnungen ausschließlich oder vorherrschend finden, so daß diese geschützt sind“ (KerwEr-HAnsen, Pflanzenleben 3. Aufl. p. 262) trifft durchaus nicht allgemein zu (vgl. z. B. das über die Entfaltung der Droserablätter angeführte). Es ist auch nicht einzusehen, weshalb gerade die Spaltöffnungen besonders schutzbedürftig sein sollten. Als Beispiel für in der Knospenlage nach oben eingerollte Blätter sei Piper macrophyllum genannt. Die Spaltöffnungen liegen hier nur auf der Unterseite. Diese aber ist in der Knospenlage nach außen gekehrt. - Entfaltungsbewegungen der Blätter. 159 die horizontal gestellten Blattspreiten bilden mit ihnen also einen Winkel von etwa 135° An älteren Sproßteilen sind die Blattstiele annähernd horizontal, die Blattspreiten auch. Es hat also eine nachträgliche doppelte Bewegung stattgefunden: eine an der Basis des Blattstiels, eine an dessen Ende. An jeder dieser beiden Stellen befindet sich ein Gelenk, von denen das eine der Stielbewegung, das andere der Spreitenbewegung dient. Bisher hat man diese „Gelenke“, namentlich das obere, ausschließ- lich als Organe betrachtet, welche bei einer Anderung der Beziehungen zur Außenwelt die Ausführung von heliotropischen und sonstigen Reiz- bewegungen ermöglichen. Daß sie dazu befähigt sind, ist zweifellos. Aber ursprünglich stehen sie hier, wie aus dem Gesagten hervorgeht, im Dienste der Entfaltung, sie führen also Bewegungen aus, ohne daß z. B. ein Anderung in der Lichtrichtung eintritt, können -aber auch ander- weitig ausgenutzt werden. Ganz ähnlich wie Sparmannia verhält sich Abutilon sinense, wäh- rend der in den Tropen so viel ge- - zogene Hibiscus tiliaceus (wenigstens bei den in unseren Gewächshäusern gezogenen Pflanzen) keine Abwärts- stellung der Blattspreiten aufweist. Es ist klar, daß die Entfaltungs- bewegung solcher Blätter sich auf einen längeren Zeitraum erstreckt, als die von solchen, die aus der Fig. 89. Schema für die Blattentfaltung von Sparmannia africana. Blattspreite punktiert, Gelenke durch Wellenlinien angedeutet. Daß die Blattspreite oben schildförmig erscheint rührt daher, daß sie seitlich über die Ansatz- stelle vorspringt. Knospenlage hervortretend ohne Um- wege in die Entfaltungslage einrücken und bei denen Wachstum und Ge- webeausbildung gleichen Schritt halten. Zugleich zeigt uns das Beispiel, wie das Vorhandensein von Gelenken die Ausdehnung der Entfaltungs- bewegung auf eine längere Zeitdauer ermöglicht. $ 4. Besonders verbreitet bei den Entfaltungsbewegungen ist es, daß Blätter zeitweilig ihre Blattspreite vertikal stellen. Das tritt wenig auffallend bei denen hervor, die an einem negativ geotropischen Sprosse stehend die Vertikalstellung (mit der Spitze nach oben) durchlaufen, nur ist bei manchen, z. B. denen von Veronica speciosa, eigentümlich, daß sie erst im fast ausgewachsenen Zustand die Vertikalstellung verlassen. Viel mehr tritt die zeitweilige Vertikalstellung der Blattspreiten mit der Spitze nach unten als Eigenart der Entfaltungsbewegung hervor. Sie kann auf verschiedene Weise zustandekömmen: passiv (also durch Herunterhängen) oder aktiv, durch Herabbiegen. Das letztere kann entweder durch Krümmungsvorgänge im Blatt selbst oder durch solche in der Sproßachse bedingt werden. ‘ Die Zeitdauer, in der das Blatt während der Entfaltungsbewegung die Vertikalstellung einnimmt, ist bei den verschiedenen Pflanzen eine sehr ungleiche. Bei Catalpa z. B. ist sie eine kurze. Anfänglich sind die jungen Blätter aufgerichtet. Aber schon sehr früh, ehe das Blatt auch nur !/,, seiner definitiven Flächenentwicklung erreicht hat, rückt es in die Horizontalstellung und wächst in dieser dann heran. Wer die Vertikal- stellung als Schutzstellung betrachtet, wird nicht verfehlen, darauf hinzu- weisen, daß die jungen Catalpablätter durch Anthocyanfärbung vielleicht einen Schutz gegen starke Lichtwirkung entbehren können. Sehr lange in der Vertikalstellung bleiben dagegen z. B. die Blätter von Tropaeolum 160 Vierter Abschnitt: majus. Die Blattspreite steht ursprünglich in der Verlängerung des Blatt- stiels vertikal, erst wenn sie der Hauptsache nach ausgewachsen ist, führt sie eine Drehung um 90° aus. Bei der Schlafbewegung wird die Vertikal- stellung wieder eingenommen. Noch auffallender ist es bei manchen Palmen, deren zusammenge- faltete Blätter, z. B. bei Caryota, wie riesige aufrechte Lanzen nach oben starren und später dann sich ausbreiten. Es kommt dabei in vielen Fällen zweifellos der negative Geotropismus des Blattes in Betracht, der allein zur Geltung kommt zu einer Zeit, wo Transversalheliotropismus oder Photonastie noch nicht einwirken kann. $ 5. Vorübergehende Vertikalstellung der Blattflächen durch die Sproßachse. Wenn sich an einem nach unten gerichteten Sproßgipfel von Vitis, Ampelopsis, Dioscorea Batatas u. a. die Blätter entfalten, so kommen sie, ohne daß sie selbst eine Krümmung ausführen, in eine annähernd verti- kale Lage. Dies ist auch bei den austreibenden Knospen mancher Laub- hölzer der Fall, namentlich solcher mit zweizeilig beblätterten, dorsiven- tralen Sprossen. So bei Tilia, Carpinus, Corylus, den zweizeilig beblätterten Asten von Üastanea vesca u. a. Diese Sproßkrümmungen können auf verschiedenen Ursachen beruhen, sie können aktive oder passive, „autonome“ oder induzierte sein. So hat WIESNER!) hervorgehoben, daß durch Regen eine Abwärtsbewegung von Blättern und Sprossen bewirkt werde. Das trifft auch nach meinen Be- obachtungen für manche Pflanze durchaus zu. So für die Buche, deren junge Blätter nach starken Regen abwärts gerichtet sind — bei Lonicera coerulea u. a. sind es ganze Sprosse, die eine solche Abwärtskrümmung zeigen. Offenbar ist sie eine reine „Lastkrümmung“, bedingt einerseits durch die fallenden Regentropfen, andererseits durch das Gewicht der den Blättern anhängenden Regentropfen, durch welche das noch weiche Gewebe der Blätter oder Sproßachsen gedehnt wird. Damit ist aber die oben erwähnte aktive Krümmung dorsiventraler Baumtriebe nicht zu verwechseln, sie erfolgte auch an Zweigen von Tilia, ' Carpinus, Corylus, die ich vor allem Regen geschützt im Zimmer hatte austreiben lassen. Es handelt sich dabei offenbar hauptsächlich um Epi- nastie der Sproßachsen, nicht um eine positiv geotropische oder negativ heliotropische Krümmung. Denn an hängenden Asten von Trauerulmen war die Konvexität der austreibenden Seitenknospen nicht nach oben — wie man bei Vorhandensein von positiven Geotropismus erwarten sollte — sondern nach unten gerichtet und bei in umgekehrter Lage austreibenden Coryluszweigen war eine Umkehrung der Krümmung nicht zu erzielen ?). Dagegen liegt bei den Ampelideen, wie früher angeführt wurde (p. 101 ff.), eine geotropische Nutation der Sproßspitzen vor. Bei anderen Pflanzen wird eine Vertikalstellung der jungen Blätter dadurch hervorgebracht, daß die jungen Sprosse, auch die, welche später plagiotrop werden, zu- nächst orthotrop sind, so bei Cornus und Philadelphus. I) LINE, ?) Schon dadurch wird WıEsners Annahme, es handle sich bei Alnus, Corylus u. a. nur um ein „Belastungsphänomen“ (bedingt dadurch, daß das weiche Zweigende der Last der Blätter nachgebe), als irrig erwiesen (WıEsnEr, Das Bewegungsvermögen der Pflanzen Wien [1881] p. 150) vgl. auch H. Lunpessäron, Studien über die Baumarchitektonik Kgl. Svenska Vetensk. Ak. Handl. Bd. 56 Nr. 113. A RR ae ud, 3 4% . N Entfaltungsbewegungen der Blätter. 161 Hier wirkt also, und zwar in beiden Fällen in verschiedener Weise, die Sproßachse mit bei der Vertikalstellung der Blätter. 6. Gehen wir über zu den Fällen, in welchen diese allein durch das Blatt selbst bedingt wird, so mögen unterschieden sein Blätter mit einfacher und solche mit gegliederter Blattspreite. In beiden Fällen handelt es sich bei der Entfaltungsbewegung der Blattspreiten teils um Wachstumsverschiedenheiten im Blattstiel, teils um die Mitwirkung von Gelenken oder gelenkartigen Teilen. Die Abwärtsrichtung der Blattspreite kann entweder so erfolgen, daß die Oberseite nach außen oder daß sie nach innen, nach dem Blattstiel zu gerichtet ist — es entspricht das dem auch sonst wahrnehmbaren Wechsel von Hypo- und Epinastie. Je nachdem dieser auf einer kürzeren oder längeren Zone sich geltend macht, treten dann verschiedenartige Entfaltungsbewegungen auf. Fig. 90. Drosera ceapensis, Blattentfaltung. Das älteste Blatt rechts eingerollt. (Absterbeerscheinung:.) Unter den Droseraceen z. B. ist bei Dr. capensis in einem bestimmten Entwicklungsstadium die Blattspreite senkrecht nach unten gerichtet!) (Fig. 90), um sich dann später — ebenso wie bei Dionaea zu erheben. Bei Dr. dichotoma und binata dagegen ist die Spreite in der Jugend nach oben eingerollt (Fig. 91). Im ersteren Falle macht sich die Hyponastie nur in einer verhältnismäßig kurzen Zone am oberen Ende des Blattstiels geltend, im letzteren rückt sie an der Blattspreite von unten nach oben fort und er- - streckt sich auf eine viel weitere Strecke. Es sind ähnliche Unterschiede, die wir auch bei den Infloreszenzen der Droseraceen antreffen (vgl. p. 122). 1) Außerdem ist sie vom Rande her eingebogen, was auch bei Dionaea ursprünglich der Fall ist. .Ebenso sind die Stiele der dem Blattrand nahe stehenden Tentakeln scharf nach innen gekrümmt, Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 11 162 Vierter ‘Abschnitt: Das ist von Bedeutung für die Frage nach dem Nutzen dieser Ent- faltungsbewegungen. Wir sehen in beiden Fällen eine übereinstimmende Bewegung, die man mit einem Schutzbedürfnis in Zusammenhang gebracht hat. Wenn man ein solches annimmt so ist es bei den Blüten doch jeden- falls ein anderes als bei den Blättern! Von diesen ist erwähnenswert, daß die Einrollung bzw. Einbiegung bei Drosera eine hyponastische, bei Drosophyllum eine epinastische ist. Das hängt offenbar mit der Verteilung der schleimabsondernden Drüsen zusammen. Diese stehen bei Drosera am Rand und auf der Ober- seite, bei Drosophyllum am Rand und auf der Unterseite des Blattes. Man könnte also „Ziel und Zweck“ der Einrollung oder Einbiegung der Blatt- spreite darin finden, daß die Drüsen dadurch auf die „geschützte“ Seite kommen. Betrachtet man aber ein eingerolltes Blatt von Drosophyllum, so sieht man sofort, daß das nicht zutrifft. Vielmehr liegen die Drüsen zum allergrößten Teile frei auf den Außenseiten der schmalen noch einge- rollten Blattspitze. Das weist daraufhin, daß aller- dings eine Beziehung zwischen der Einrollung der Blätter und der Ver- teilung der Drüsen besteht, aber eine kausale, keine aus einem „Schutzbe- dürfnis* abgeleitete. Man kann sich wohl vorstellen, daß die die Drüsen hervorbringende Blattfläche dadurch im Wachstum gehemmt, und deshalb zur konkaven wird — ganz gleichgültig ob die Drüsen dadurch nach innen zu liegen kommen oder nicht. Solche Beeinflussungen kommen auch sonst vor. Bei dem Farn Hemionitis arifolia z. B. ist die Knospenlage der fertilen und der sterilen Blätter eine verschiedene: die letzteren sind einfach nach oben hin zu- sammengefaltet, und nach unten gebogen!), die ersteren zeigen den Blattrand nach unten hin eingerollt. Das ist kaum anders zu verstehen, als so, daß an den fertilen Blättern das Wachstum der Unterseite durch die Hervorbringung der Sporangien «gehemmt wird. Hier kommt also bei einer und derselben Pflanze eine ähnliche Verschiedenheit in der Knospen- lage der Blätter vor, wie bei den verschiedenen Gattungen der Drosera- ceen — die Gründe dürften in beiden Fällen dieselben sein. Eine sowohl ‘bei Mono- als bei Dikotylen sehr verbreitete Entfaltungs- bewegung ist es, daß die Blattspreite sich zunächst mit der Spitze nach unten senkt, dann sich hebt und ausbreitet?). Vielfach hat man die Blattspreiten im Fig. 91. Drosera dichotoma, Blattent- wicklung (Einrollung an der Spitze). ı) Die Knospenlage ist eine ähnliche, wie bei Adiantum reniforme (vgl. GoEBEL, Organographie. 2. Aufl. Fig. 1024 p. 1041) die Spaltöffnungen sind auf die in der Knospenlage nach außen gekehrte Unterseite beschränkt, welche durch dichte Behaarung ausgezeichnet ist. i 2) Vgl. Stanz, Regenfall und Blattgestalt, Ann. d. jard. bot. d. Buitenzorg XV (1897) p. 142. Entfaltungsbewegungen der Blätter, 163 Senkungsstadium als hängende bezeichnet — mit Unrecht, denn es handelt sich nicht um ein passives Herunterhängen, sondern um eine aktive durch ein an der Basis der Blattspreite gelegenes Gelenk bedingte Krümmung. Fig. 92. Piper macrophyllum (verkl.). Das noch unentfaltete Blatt rechts annähernd vertikal nach unten gekrümmt. $ 7. Monokotylen. Besonders auffallend sind die Entfaltungsbewegungen einiger Aroideenblätter. Fig. 93 zeigt ein in der Ent- faltungsbewegung begriffenes Blatt von Monstera deliciosa von vorne, in dem Zustand, in welchem die Blattspreite dem Blattstiel parallel nach unten gebogen ist. Ganz abgesehen von allen Beziehungen zu äußeren Einwirkungen, welche diese Lage des jungen Blattes als eine vorteilhafte erscheinen lassen können, überzeugt man sich leicht davon, daß sie für das Blatt aus „inneren Gründen“ von Be- deutung ist. Denn dessen Ge- webe ist in diesem Zustand, ob- wohl das Blatt seine volle Größe erreicht hat, noch so weich, daß die Blattfläche, wenn man sie horizontal hält, schlaff herunter- sinkt. Erst wenn in der nach Fig. 93. Monstera deliciosa. Junges Blatt mit vertikal nach unten gerichteter Spreite von außen (verkl.). 11* 164 Vierter Abschnitt: ET unten gekehrten Lage das Gewebe, speziell auch das Stützgewebe ausgereift ist, hebt sich die Blattspreite durch die Tätigkeit des an ihrer Basis befindlichen (dem Blattstiel angehörigen) Gelenks und nimmt die für ihre Assimilationsarbeit günstige Lage ein. Im ersten Zustand der Blattentfaltung ist die Blattspreite noch zu- sammengewickelt und bildet die gerade Fortsetzung des Blattstiels. Dann tritt (noch im unentfalteten Zustand) die Drehung der Blattspreite um 90° ein. Also zu einem Zeitpunkt, wo der Schutz der Blattspreite gegen mechanische Insulte eine solche Abwärtskrümmung noch nicht erforder- lich macht. Das ist für die Deutung des Vorgangs von Wichtigkeit, zu- mal wir bei Dikotylenblättern ganz Ahnliches sehen werden. Darauf folgt die Entfaltung (hauptsächlich offenbar bedingt durch epinastisches Wachstum der dicken „Blattnerven“) und dann die Aufrichtung. Ahnlich verhalten sich manche Anthurium-Arten. Merkwürdig ist, daß bei einigen davon das letzte Stadium der Entfaltungsbewegung halten auch im fertigen Zustand ihre vertikale Abwärtsrichtung. So besonders auffallend die von Anth. Veitchü (Fig. 94). Es ist das eine Pflanze, deren Blattspreiten eine Länge von über 2 m bei 30 cm Breite erreichen. Wie an anderer Stelle nachgewiesen wurde t), ist dabei zweierlei bemerkenswert: einmal die Tatsache, daß diese Blätter auch im fertigen Zustand, wenn man sie horizontal hält, nicht imstande sind, ihr eigenes Gewicht zu tragen und zweitens die, daß die ersten Blätter der Keimpflanzen, die Primärblätter Fig. 94. Anthurium Veitchii. Junge Pflanze, diese Vertikalstellunge noch nicht deren Topf horizontal gelegt wurde. Die ent- v 3 2 falteten Blätter haben alle wieder Vertikal- ZRISETE Beides zeigt, 1. dab stellung der Spreiten eingenommen. das Verhalten der fertigen Blätter ein abgeleitetes ist, 2. daß diese Blätter ihre bedeutende Länge ohne entsprechende Verstärkung des Stützgewebes in den Blattrippen eben nur durch ihre vertikale Lage erreichen können. Daß aber diese mechanische Beziehung nicht etwa die causa finalis der Vertikalstellung ist, geht schon daraus hervor, daß sie bei den Keimpflanzen an Blättern erfolgt, die ihr Gewicht ganz gut tragen können, was auch in anderen Fällen so ist. Die Abwärtskrümmung ist in all diesen Fällen eine aktive, durch positiven Geotropismus bedingte. Eine solche Krümmung kann auch im späteren Lebensalter noch ausgeführt werden, weil diese Aroideenblätter unter der Blattspreite ein sehr deutlich hervortretendes Gelenk besitzen, das erst verhältnismäßig !) Gosser, Das Rumphiusphänomen pag. 92. Daselbst auch Abbildungen. An frei stehenden Pflanzen stehen die Blattspreiten allseitig nach außen. An einseitig beleuchteten können die Gelenke die nach unten gerichteten Blattspreiten rechtwinklig zum Licht- einfall orientieren. ausfällt, d. h. die Blattspreiten be- HN N ; / 20, HR Sr ee ns ea PER NR ne LER Re Entfaltungsbewegungen der Blätter. 165 spät in Tätigkeit tritt. Das zeigt Fig. 94, welche eine Pflanze darstellt, welche längere Zeit in horizontale Stellung gebracht worden war. Natür- lich übt die Blattspreite, wenn ihre Lage verändert wird, durch ihr Ge- wicht eine Wirkung auf das Gelenk aus. Aber daß es sich nicht um eine passive, sondern eine aktive Einstellung handelt, geht auch ohne besondere Untersuchungen aus der unmittelbaren Beobachtung hervor. Bei Anthu- rıum regale z. B. nehmen die jungen Blattspreiten die Abwärtskrümmungen zu einer Zeit vor, wo sie noch ganz steif sind. Das Gelenk tritt zu dieser Zeit äußerlich noch nicht hervor. Erst in der Abwärtslage setzt das Flächenwachstum ein, und die Blattfläche ist zunächst schlapp, die Nerven sind nicht imstande das Gerüst der Blattspreite zu tragen (Fig. 95B), Fig. 95A. Anthurium regale. Fig. 95B. Anthurium regale. Nach abwärts Junges Blatt mit abwärts gekrümmter . gerichtetes Blatt, dessen Spreite (soweit sie Spreite. nicht anliegt) über einem Stück Karton schlafi herabhängt (verkl.). während bei anderen, aufrecht sich entfaltenden Aroideenblättern die Nervatur während der ganzen Entfaltung der Blattspreite dazu imstande ist, also früher in Tätigkeit tritt, als bei A. regale. Dessen Blätter richten sich dann später auf, die Gelenkbildung wird deutlich, namentlich ist die Unterseite des Gelenkes auffallend. Eine Art Mittelstellung nimmt Philodendron speciosum ein. Anfangs stehen die Blätter steif aufrecht, dann findet eine Abbiegung der Blatt- spreite um etwa 90° statt, so daß diese annähernd horizontal steht. Jetzt erfolgt die Entfaltung. Die Blattspreite ist zwar auch zunächst schlapp, aber der „Mittelnerv“ ist schon kräftig entwickelt und so bleibt das Blatt in seiner Lage. Eine Abwärtsstellung findet hier also überhaupt nicht statt. Zum Vergleiche mit dem Verhalten der angeführten Aroidenblätter sei auch das einer Aroideeninfloreszenz erwähnt. 166 Vierter Abschnitt: Die Aroideeninfloreszenzen sind bekanntlich in der Jugend durch ein Hochblatt, die Spatha, dicht umhüllt. Besondere Entfaltungsbewegungen zeigen die mir bekannten Infloreszenzen nicht. Nur Anthurium Scher- zerianum macht eine Ausnahme, aber auch bei dieser Art ist die Nuta- tion der Infloreszenz nicht immer dieselbe. Zuerst war die in Fig. 96 abgebildete Infloreszenz aufrecht — wie bei allen anderen Aroideen — dann bog sie sich an der Ansatzstelle des Stieles scharf nach abwärts (bei anderen nur bis zur Horizontale, auch kann die Krümmung weiter unten am Stiele stattfinden) um sich dann wieder aufzurichten und zu entfalten, wobei eigentümlich ist, daß der ent- faltete Kolben oft nicht gerade, sondern schraubenförmig gewunden er- scheint (Fig. 97). Er nimmt an der Dorsiventralität des Infloreszenzstieles teil und würde sich, wenn er einfach dorsiventral wäre, in derselben Rich- tung wie der Infloreszenzstiel U-förmig einkrümmen. Da er aber asymme- trisch gebaut ist, nimmt er eine schraubenförmige Krümmung an. Fig. %. Anthurium Scherzeria- Fig. 97. Anthurium Scherzerianum. num (verkl.). Nutationsbewegung Entfaltete Infloreszenz mit gewunde- einer jungen Infloreszenz. nem Spadix (verkl.). Die Spatha schlägt sich (wie bei manchen anderen Anthurium-Arten) bei der Entfaltung scharf nach abwärts. Wenn die Krümmung auch hier bedingt ist durch .die Symmetrie der Infloreszenz, so ist zu erwarten, daß die Abbiegung der Infloreszenzachse nicht in einer beliebigen, sondern in einer durch den Aufbau der Inflores- zenz bestimmten Richtung erfolgt. Sie fällt zusammen mit der Median- ebene der Spatha, derart, daß die konvexe Seite des Stiels auf der Spaltenseite der eingerollten Spatha liest. Daß diese von der Spatha dicht umwickelte Infloreszenz ein „Schutzbedürfnis“ durch die Krümmung befriedigen sollte, ist mehr als unwahrscheinlich. Offenbar ist der Stiel — wahrscheinlich durch die Spatha — dorsiventral beeinflußt und führt eine (wahrscheinlich positiv-geotropische) Entfaltungskrümmung aus, deren Bedeutung gewiß nicht in dem der Infloreszenz gewährten „Schutz“ liegt — zumal sie bei anderen Infloreszenzen viel weniger weit geht. Für uns war diese Entfaltungsbewegung von Interesse, weil sie zeigt, daß eine dorsiventral beeinflußte Infloreszenz dieselbe Entfaltungsbe- wegung ausführen kann, wie ein dorsiventrales Blatt -— obwohl „Ziel und Zweck“ dafür derzeit nicht erkennbar sind. chen re Entfaltungsbewegungen der Blätter. 167 $ 8. Dikotylen mit einfachen Blättern. In Fig. 98 ist ein Sproßgipfel von Bixa Orellana abgebildet. Die Blattspreiten biegen sich durch das obere Blattstielgelenk ° in flach ent- falteten Zustand frühzeitig nach abwärts. Sie sind dann papierdünn mit noch ganz unentwickeltem Stützgewebe.e Man kann sie wie ein Stück Seidenpapier um den Finger wickeln; wenn man sie horizontal hält, sinken sie herunter. Aber zu der Zeit, in welcher die Blattspreite sich nach unten bewegt, ist sie noch imstande, ihr Gewicht zu tragen. Erst bei dem weiteren, raschen Wachstum ändert sich das. Man kann also nicht sagen, das Blatt krümme sich nach unten, weil es zunächst zu schwach sei, sein eigenes Gewicht zu tragen. Fig. 98. Sproßgipfel von Bixa Orellana. Um zu ermitteln, ob die Abwärtskrümmung der jungen Bixa-Blätter eine paratonische ist, wurden orthotrope Zweige in horizontale Zwangs- lage gebracht. Die jungen Blätter stellten ihre Fläche bald in die Vertikal- ebene ein. Der Vorgang wurde nicht näher geprüft, da für die Beant- wortung der oben gestellten Frage schon die Tatsache der Vertikalstellung in der neuen Lage entscheidend war, es handelt sich zweifellos um eine Reizerscheinung. Ob die Aufwärtskrümmung gleichfalls eine geotropische, phototropische bzw. photonastische oder eine orthonastische ist — wird eine weitere Analyse des Vorgangs ermitteln können. Wie hier liegt das Gelenk am oberen Ende des Blattstiels bei Theo- broma Cacao (Fig. 99), Durio zibethinus, Shorea compressa u. a., während bei 168 9° Vierter Abschnitt: Mangifera indica und Semecarpus oblongifolia das Gelenk an der Blatt- stielbasis sich befindet ?). Aber auch bei Dikotylen ist die Vertikalstellung nicht etwa beschränkt auf Blätter, deren Spreite in dieser Lage zunächst dünn und schlaff ist und erst allmählich die zum Tragen ihres Gewichtes nötige Festigkeit ge- winnt. So sind z. B. die Blätter mancher baumartiger Malvaceen wie Dombeya Wallichii mit ausgesprochener Vertikalstellung in der Entfaltungs- bewegung versehen, die auch bei horizontal ausladenden Seitenzweigen durch den negativen Geotropismus der Blattstiele (der später nicht mehr hervortritt) erreicht wird. Die untersuchten jungen Blätter von Dombeya waren aber in allen Altersstadien imstande ihr Gewicht zu tragen, Fig. 99. Theobroma Cacao. Blattentfaltung. zeigten also nicht die zeitliche Verschiedenheit von Flächenwachstum-und Gewebeausbildung. Ebenso verhält sich die Araliace Trevesia palmata, deren junge Blätter durch ein hinter der Blattspreite befindliches „Gelenk“ vertikal nach abwärts gerichtet werden. Bei Piper macrophyllum (Fig. 92) ist es der Blattstiel, welcher die Blattspreite, sobald sie aus der Knospenlage herausgetreten ist, durch eine — offenbar positiv geotropische — Krüm- mung nach abwärts richtet. Die Blattspreite ist in diesem Stadium noch eingerollt. Sie ist aber von Anfang an nicht schlapp, sondern steif. Daß sie keinen Schutz gegen Nässe braucht, dürfte daraus hervorgehen, dab ein 25stündiges Liegen im Wasser die normale Weiterentwicklung in keiner Weise beeinträchtigt. | Besonders merkwürdig ist das Verhalten einiger (nicht aller) Hydro- cotyle-Arten. Hydrocotyle umbellata var. bonariensis ist eine Sumpfpflanze mit schildförmigen auf langen Stielen stehenden Blattspreiten. Die Blattspreite !) Vgl. Staur a. a. O. en Ze 2 Sr an Fa ME an EA En BR NL I Nena 2 be ge j Br Ä Entfaltungsbewegungen der Blätter. 169 ist an der adaxialen Randstelle mit einer Einkerbung versehen — es ist die, welche nach der früheren Auffassung des Zustandekommens der a Blätter der „Verwachsungsstelle“ der Blattränder entsprechen würde ?). Der Stiel ist negativ geotropisch. Die Blattfläche ist im Jugend- zustand an dem orthotropen Blattstiel dadurch vertikal nach abwärts ge- richtet (Fig. 100, 7), daß das oberste gelenk- artige Stück des Blattstiels (@ Fig. 100, 7) b auf der adaxialen (also « zugekehrten) Seite kürzer bleibt, als auf der gegenüberliegenden. ‚ea b Die junge Blattspreite wächst in der Vertikal- stellung hervor. Sie ist niemals schlaff und a durch Anthocyan dunkel gefärbt. Die Pflanze ist dadurch interessant, daß je nach den Vegetationsbedingungen die Vertikalstellung entweder beibehalten oder I. I. durch : Geradestreckung von 9 (also durch stärkeres Wachstum der vorher konkaven Fig. 100. Schema für den letzten Seite) in die Horizontalstellung übergeführt Schritt der Entfaltungsbewegung werden kann. Die „Gelenk“stelle zeigt also bei Hydrocotyle bonariensis. I mit P ! noch vertikaler Blattspreite (a, b), nur unter bestimmten Bedingungen das das Gelenk @ ist schraffiert stärkere Wachstum der adaxialen Seite. Sind IT entfaltet. i \ | ur || Ned. wur ar! N Fe al - \ \ Fig. 101. Hydrocotyle umbellata var. bonariensis. (Verkl.) Die Blattspreiten (mit Aus- nahme einer rechts sichtbaren) alle vertikal. diese Bedingungen nicht gegeben, so bleibt die Krümmung und damit die Vertikalstellung der Blattspreite erhalten. Noch viel deutlicher als bei Anthurium Veitchii tritt hier also hervor, daß die Vertikalstellung eine gehemmte Entfaltungsbewegung darstellt. Diese tritt bei der genannten Aroidee aus „inneren“ Gründen ein, sie konnte dort nur aus !) In Wirklichkeit ist die Entwicklung wie bei Hydrocotyle vulgaris vgl. GoEBEL Vgl. Entwicklungsgesch. (1883) p. 234 Fig. 49. 170°. - Vierter Abschnitt: dem Vergleich mit den Keimpflanzen und mit anderen Aroideen als solche erkannt werden, sie ist also anscheinend eine „autonome“, bei Hydrocotyle bonariensis dagegen eine induzierte. Pflanzen die im Münchener botanischen Garten ausgepflanzt in einem Sumpfbassin wuchsen und solche, die in einem stark belichteten und stark gelüfteten Kalthaus standen, behielten die „Profilstellung“ der Blattspreiten beit). Solche, die in das Wasserpflanzenhaus (das wärmer und feuchter gehalten wird, als das erwähnte Kalthaus) gebracht wurden, zeigten da- gegen die „Flächenstellung“ der Blattspreiten. Diese trat auch ein bei Pflanzen, die in dem erwähnten Kalthaus aber unter einem Glaskasten standen, in welchem die Luft durch Sphagnumpolster feucht gehalten wurde ?). Entscheidend ist meiner Ansicht nach die Wasserversorgung im letzten Entfaltungsstadium. Ist diese schwach, so unterbleibt die Geradestreckung des Gelenks, ist sie stark, so tritt letztere ein. Die Wasserversorgung (der reich bewurzelten) Pflanze kann eine Minderung erleiden, einerseits durch starke Transpiration, andererseits durch. Herabsetzung der Wasseraufnahme. Das ergibt sich auch, wie mir scheint, aus einer interessanten Be- obachtung Wırson’s. WıLson °?) führt von der nordamerikanischen „Hydro- cotyle umbellata“ (welche der Abbildung nach von der var. bonariensis erheblich verschieden zu sein scheint) an, daß die Blattspreiten in den Süßwassersümpfen von Florida rechtwinklig zu den Sonnenstrahlen orien- tiert seien, während in den Salzwassersümpfen „the difficulty of water supply is to heightened that the slender petioles all make a right-angled turn at their upper end and put the now thickened leaves in a vertical position, in order to avoid the direct rays of the sun, thus lessening the loss of water“. Danach nimmt Wıuson also an, daß die Blätter von Hydrocotyle die Fähigkeit besitzen, eine schon horizontal gestellte Blattspreite wieder in die Vertikalstellung überzuführen. Das wäre an sich nichts besonders Auffallendes. Aber trotzdem liegt wohl ein durch die Nichtbeachtung der Entfaltungsvorgänge bedingter Irrtum vor. Es handelt sich, soweit meine Beobachtungen reichen, nicht um eine se- kundäre Vertikalstellung, sondern um eine Beibehaltung der Ent- ‚ faltungsstellung. Eine Wiederannahme der Vertikalstellung bei Blatt- spreiten, die sie schon aufgegeben hatten, wird, wenn überhaupt, doch nur ausnahmsweise auftreten, wohl aber läßt sich ein Aufgeben der Vertikal- stellung veranlassen. Sie fand z. B. statt an Pflanzen, die im Sommer im Freien gestanden (und dort nur Vertikalstellung gezeigt hatten), am 28. Oktober aber ins Warmhaus gestellt wurden. Schon am 2. November waren Blätter mit deutlich abgebogener Blattspreite zu sehen. Verti- kalstellung trat auch ein bei Blättern emer Pflanze, die ich mit 1 iger Nährlösung statt mit Wasser begoß, während eine daneben stehende Pflanze ihre Blattspreiten horizontal stellte. Ist das einmal vor- handen, so tritt bei einer Lagenänderung solange eine Krümmung des Blattstiels (wenn er noch wachstumsfähig ist) ein, bis die Blattfläche !) Es handelte sich dabei um Standortsverhältnisse, bei denen fast nur oder doch hauptsächlich Oberlicht in Betracht kam. Bei einseitiger Beleuchtnng kommen andere Einwirkungen vor, die hier aber nicht erörtert zu werden brauchen. ?) Ausschlaggebend war dabei das Verhalten der Mehrzahl der’Blätter. Es finden sich einzelne, die ein abweichendes Verhalten zeigen, was ja nicht zu verwundern ist, da auch die Bewurzelung und die sonstigen Verhältnisse nicht für alle Blätter gleich sind. P. Wırson, The influence of external conditions on plant life, Biological re delivered at the marine biological laboratory of Woods Holl, Boston 1894 p. 180. Entfaltungsbewegungen der Blätter. 171 wieder horizontal steht. Die letztere beeinflußt offenbar das Wachstum des Blattstiels, auch in der Entfaltungsstellung. Bei anderen Hydrocotyle-Arten, z. B. H. vulgaris, tritt die Vertikal- stellung nur als ein rasch vorübergehendes ‚Stadium ein. Ich war auch nicht imstande durch Trockenhaltung eine Anderung in der Orientierung der Blattspreite herbeizuführen. Stauu!) führt die Vertikalstellung der Hydrocotyle-Blätter auf Be- leuchtungsverhältnisse zurück. Sie werde an sonnigen Standorten beibe- halten, bei schwächerer einseitiger Beleuchtung aber trete die Senkrecht- stellung ein. Das ist an sich gewiß zutreffend, nur ist nicht die Licht- wirkung als solche maßgebend. Denn bei starker Beleuchtung wird die Transpiration gesteigert, bei schwacher gemindert. Es ist auch nicht anzu- nehmen, daß in den Süßwassersümpfen Florida’s die Intensität der Beleuch- tung eine andere ist, als in Salzwassersümpfen! Trotzdem unterbleibt in den letzteren nach Wıuson die Transversalstellung der Blattspreite. Auf die bio- logische Deutung der Vertikalstellung ist im allgemeinen unten erst näher ein- zugehen. Doch sei hier schon bemerkt, daß Starr’s Annahme, der Nutzen der Vertikalstellung sei darin zu suchen, daß die auf sehr langen schwan- kenden Blattstielen befestigten Spreiten „dank ihrer Stellung weniger in Gefahr kommen durch Regen oder durch andere Ursachen mit dem Wasserspiegel in Berührung zu kommen oder gar unter denselben unter- getaucht zu werden“ für die von mir untersuchten Pflanzen nicht zutrifft. Ihre Blattstiele sind schwank nur, wenn die Pflanze (entgegen ihrem Vorkommen an offenen Standorten und bei starker Beleuchtung) in abgeschwächtem Lichte oder sehr feuchter Luft kultiviert wird. Unter natürlichen Bedingungen sind sie derb, straff und nicht schwank. Daß die Blattspreiten in München im Freien die Vertikalstellung beibehalten, in Florida im Süßwasser nicht, beruht wahrscheinlich darauf, daß bei nie- driger Temperatur, wie sie hier namentlich herrscht, die Wasseraufnahme eine geringere ist als bei höherer, wie sie nachts in Florida jedenfalls an- zunehmen ist. Dafür spricht auch das Ergebnis des oben angeführten Versuches, wonach die Transversalstellung bei im Warmhaus sich ent- wickelnden Blättern eintrat. War auch die Beleuchtung der Jahreszeit entsprechend eine geringere, als im Freien (die Pflanzen standen übrigens unmittelbar unter dem Glasdach), so kann das doch, wie sonstige Erfah- rungen zeigen, nicht ausschlaggebend sein gegenüber der Steigerung der Wasseraufnahme durch höhere Temperatur, sei es nun, daß diese un- mittelbar oder durch Beförderung der Wurzelbildung wirkt. Analoge Erscheinungen lassen sich auch für andere Pflanzen an- führen. So fiel mir z. B. auf, daß schwachbewurzelte (bzw. wurzelkranke) Pflanzen von Laportea moroides und Urera baccifera Vertikalstellung der Blattspreiten zeigten (bei letzteren sogar darüber hinausgehende Abwärts- biegung). Daß es sich hier nicht um eine Beibehaltung der Vertikal- stellung junger Blätter handelt, ist mir namentlich für die letztgenannte Pflanze zweifellos. Es dürfte eine durch die Störung in der Wasserver- sorgung bedingte Ausschaltung der Hyponastie der Blattstielzone unterhalb der Blattspreite vorliegen, die dafür sehr empfindlich zu sein scheint. ' Die ganze Erscheinung entspricht dem Verhalten von Blattstielen, deren Spreite entfernt wurde (vgl. p. 11), geht aber von den Wurzeln aus, von denen ein Reiz weiter geleitet war. !), E. Sraur, Über den Einfluß des sonnigen oder schattigen Standortes p. 30. 172 ; Vierter Abschnitt: Aus den wenigen angeführten Beispielen ergibt sich jedenfalls, daß Vertikalstellung der Blattspreiten als Entfaltungsbewegung bei Pflanzen vorkommt, die unter sehr verschiedenen Lebensbedingungen vorkommen. So bei krautigen Sumpfpflanzen, die an offenen, stark besonnten Stand- orten leben (Hydrocotyle), bei Holzpflanzen, die, wie Theobroma, am besten im Schatten gedeihen, bei Kletterpflanzen wie Monstera, Epiphyten wie Anthurium-Arten u.a. Es zeigte sich ferner, daß sowohl Blätter sie ein- nehmen, die in der Hängelage schlaff sind und ihr eigenes Gewicht noch nicht tragen können, als auch solche, bei denen das letztere dauernd der Fall ist. Daraus geht zunächst hervor, daß man die Hängelage nicht als eine zum Zwecke des Schutzes der noch weichen Blattspreiten erworbene betrachten kann. Sie ermöglicht nur ein erhebliches Wachstum ohne entsprechende Ausbildung von Stützgewebe, ebenso wie dies bei den männ- lichen Blütenständen von Corylus, Betula u. a. der Fall ist, die dauernd in der Hängelage verharren. Sie haben sich aber ursprünglich ebenso aktiv nach unten gekrümmt, wie jene Blätter. Wie weit die Abwärtskrümmung der Blätter in anderer Beziehung ihnen von Vorteil sein kann, mag unten erörtert werden. Fig. 101. Blattentfaltung von Hiekoria Fig. 102. Blattentfaltung von Sophora alba (verkl.). violacea (verkl.). $ 9. Dikotylen mit gegliederten Blättern und in der Knospenlage nach abwärts gerichteten Teilblättchen. Von den hierher gehörigen Pflanzen bieten einige beim Austreiben einen überaus sonderbaren Anblick dar und zwar wegen des Verhaltens des Blattstiels und der Fiederblättchen. Entfaltungsbewegungen der Blätter. 173 Dabei können systematisch weit voneinander entfernte Pflanzen mit- einander in der Entfaltungsbewegung auffallend übereinstimmen. So die in Fig. 101 gebildete Juglandee Hickoria alba und die Papilionacee Sophora violacea (Fig. 102). Zunächst könnte man glauben, diese Pflanzen seien infolge ungenügender Wasserversorgung welk geworden, die Blattstiele seien deshalb in ihrem oberen Teile passiv gebogen und die Fiederblättchen hingen schlaff herunter. Eine genauere Be- obachtung zeigt aber sofort, daß es sich hier keineswegs um Welke- Erscheinungen, son- dern um aktive Be- wegungskrümmungen handelt. Die wachsenden Blattstiele sind positiv geotropisch — sowohl bei Juglans wie bei Hickoria und Sophora überzeugte ich mich, daß die Krümmung des Blattstiels nicht eine einfach epinasti- sche ist, sondern eine durch die Lage zum Horizont bestimmte. Das tritt z. B. durch den in Fig. 103 abge- bildeten Umkehrver- such deutlich hervor. Die Krümmung findet auch in dieser Lage nach unten statt !). Die Krümmung der Fiederblättchen er- folgt durch ihre Ge- lenke, die sie auch später wieder heben. Fie. 103. Umgedrehter Zweig von Soptora violacea. Die Die Fiederblättchen jungen Blätter haben sich abwärts gekrümmt. sind ursprünglich nach oben hin zusammengelegt. Bei der Entfaltung bewegen sie sich erst um 180° nach unten, dann um 90° nach oben. Ob letztere Bewegung auch eine paratonische ist, wurde nicht untersucht. Durch die Orientierung des wachsenden Blattstiels im Raum wird hier wie in anderen Fällen ohne- dies dafür gesorgt, daß die Fiederblättchen vertikal gestellt werden. Etwas verwickelter sind die Entfaltungsbewegungen bei Pithecolobium Saman, einer südamerikanischen Leguminose. Die jungen Blätter haben, wie Fig. 104 1I rechts zeigt, einen gerade nach oben gerichten Blattstiel. Die gegliederte Spreite ist nach vorne hin eingefaltet. Der Blattstiel ı) Positiven Geotropismus fand Massarr bei Theobroma Cacao, Aesculus u. a. Vgl. a. a. O. p. 204 ff. 174 Vierter Abschnitt: wächst und biegt sich nun (Fig. 1047) S-förmig, so daß die Blattspreite vertikal nach unten zu liegen kommt. Diese Abwärtskrümmung ist eine geotropische. Denn bei einer an einen Stab festgebundenen horizontal gelegten Pflanze geht sie in die entgegengesetzte über, welche das Ende der Blattspreite wieder nach unten biegt. Später‘ streckt sich der Blatt- stiel im hinteren Teil gerade, der fortwachsende obere Teil führt die Krümmung aus, bis auch er in die gerade gestreckte fertige Gestalt übergeht. Fig. 104. Pithecolobium Saman. Entfaltungsbewegungen des Blattes. Die Fiederblätter dagegen krümmen sich scharf nach abwärts in ihren Gelenken, entfalten ihre Fiedern zweiter Ordnung und erheben sich (Fig. 105 IV) dann erst durch eine neue Gelenkbewegung in die Tages- stellung. Es genügen diese Beispiele — (andere wurden früher!) erwähnt). Fig. 105. Pithecolobium Saman. Blatt mit nahezu vollendeter Entfaltungsbewegung. Hier sei nur noch angeführt, daß ähnliche Bewegungen, wie sie bei den genannten Pflanzen normal, d. h. unter den gewöhnlichen Lebens- bedingungen auftreten, bei anderen sich abnorm, d. h. unter ungewöhnlichen Lebensbedingungen hervorrufen lassen. Von Aegopodium Podagraria wurde früher (p. 26) angeführt, daß die Einkrümmung der Blätter im Dunkeln länger beibehalten wird, als am !) Rumphiusphänomen p. 90, 91. - Entfaltungsbewegungen der Blätter. 175 Licht. Schließlich entfaltet sich die Blattspreite auch im Dunkeln. Aber die Blattspindel zeigt dann ein stark epinastisches Wachstum, welches die Teilblättchen nach unten biegt, obwohl hier weder Schutz vor Licht noch Regen usw. in Betracht kommen kann. $ 10. Auch bei Farnen finden sich vielfach Entfaltungsbewegungen, die auf einem Umweg zum Ziele führen. So bei Aspidium (Dryopteris) Serra. Fig. 106 rechts zeigt ein junges Blatt. Der Blattstiel ist so gekrümmt, daß die noch unentfaltete Spreite annähernd vertikal nach unten gerichtet ist. Vielfach findet dabei eine Uberkrümmung statt, wie sie auch in der Abbildung hervortritt. Dann schreitet die Krümmungszone nach oben weiter. Der Blattstiel streckt sich gerade, die Blattspindel krümmt sich. Auch die nach oben einge- rollten Blattfiedern führen eine nach unten gerichtete Krümmung aus. Dann erheben sie sich wieder und entrollen sich vollends. * 6) @&7 Fig. 106. Aspidium Serra. Entfaltungsbewegung der Blätter. In weniger auffallender Weise tritt dieselbe Abwärtskrümmung bei Asp. aculeatum, A. lobatum u. a. auf. Die Krümmung ist hier ebenso wie in den anderen angeführten Fällen eine paratonische. Ebenso z. B. bei den prächtigen Blättern von Pteris Wallichiana, die Spitzen der Blatt- stiele sind bei der Entfaltung nach unten gekrümmt (Fig. 107). Als ein Blattstiel in horizontaler Lage festgebunden wurde, hatten die Spitzen in kurzer Zeit sich senkrecht nach abwärts gekrümmt (Fig. 108). Der Vorgang der Abwärtskrümmung und Wiederaufrichtung bei der Entfaltung findet, so weit meine Erfahrung reicht, hauptsächlich bei rasch wachsenden Farnblättern statt, aber keineswegs bei solchen, die eine be- sondere Schutzbedürftigkeit der jungen Blätter gegen starke Insolation nach den Standortsverhältnissen erwarten lassen. Bei keinem eigentlich „xerophilen“ Farne (z. B. Gymnogramme, Cheilanthes, Pellaea-Arten) ist mir eine vorübergehende epinastische Abwärtskrümmung bei der Entfaltung = 176 Vierter Abschnitt: der Blätter bekannt. Wohl aber findet sie sich bei Formen, die feuchte, schattige Standorte bewohnen wie Angiopteris evecta, Lonchitis hirsuta, Adiantum aethiopicum (bei welchem die jungen Blattfiedern außerdem noch vorübergehend nach unten gerichtet und durch Anthocyan rotgefärbt Fig.. 107. Pteris Wallichiana. Blattentfaltung. \ Fig. 108. Pteris Wallichiana. Horizontal befestigtes Blatt. sind) u. a. Selbstver- ständlich kann man annehmen, die „xero- philen“ Farnen schüt- zen ihre Blätter bei der Entfaltung auf andere Weise, und bei den Bewohnern schatti- ger, feuchter Standorte sei zwar kein Schutz gegen Besonnung, wohl aber ein solcher gegen Benäßung erforder- lich. Nachgewiesen ist das aber in keinem Falle. Auch findet z. B. bei Aspidium acule- tum — einer schattige Standorte bewohnen- den Art —. die epi- nastische Uberkrüm- mung statt, zu einer Zeit, in der das junge Blatt noch dicht mit Spreuschuppen beklei- det ist, die als „Schutz- organe“ ja in erster Linie in Betracht kommen. Der Ersatz der anfänglichen hypo- nastischen DBlattein- krümmung (wie sie bei den Farnen so weit ver- breitet ist) durch eine vorübergehende epi- nastische aber wäre nur dann teleologisch verständlich, wenn die Unterseite bei der Ent- faltung schutzbedürfti- ger wäre als die Ober- seite. 8 11. Laubausschüttung '). Einige tropische Leguminosen sind dadurch berühmt geworden, daß sie, nach einem treffenden, von M. Treu herrührenden, Ausdruck ihr !) Vgl. M. Treue, Jets over Knoppbedekkung in de tropen (Handlingen van Entfaltungsbewegungen der Blätter. 177 Laub „ausschütten“. Da ein schöner Baum von Amherstia nobilis an einem der Eingänge des Buitenzorger Gartens steht, so haben alle Be- sucher des Gartens diese Erscheinung bewundert, um so mehr, als die jungen Blätter auch durch ihre eigentümlichen Färbung sich auszeichnen. Der Vorgang sei von Brownea grandiceps einer südamerikanischen Leguminose kurz geschildert }). Daß eine Knospe sich öffnen will, sieht man darin, daß die großen, auffallend rot gefärbten Knospenschuppen stark wachsen und der. Länge nach auseinanderrücken. Sie sind so lang, daß die erste Streckung der Internedien noch innerhalb der von den Knospenschuppen gebildeten Hüllen vor sich geht; bei oberflächlicher Beobachtung könnte man die mit langen roten Hüllen versehene Knospen für Früchte halten. Diese Knospenstreckung ist um so wichtiger, als die Entfaltung sich sehr rasch, innerhalb weniger Tage abspielt und so die Blätter schon in der Knospe stark heranwachsen können. Die Knospen sind vor ihrer Entfaltung nach abwärts gebogen (durch Last- krümmung). Sie erreichten bei dem von mir untersuchten Exemplar im „geschlossenen“ Zustand eine Länge von über 38cm. Da die Knospen vorher klein und unscheinbar waren, so liegt hier ein Beispiel für starkes Wachstum der Knospenschuppen vor, wie es sonst wohl selten vor- kommt. Dann tritt eine stärkere Strek- kung der Internodien ein und ebenso ein starkes Wachstum der Blätter. Aber das Gewebe der Internodien sowohl als das der Blätter und Blattgelenke ist zwar nicht „schlaff“, aber schwach gebaut. Hält man einen Zweig oder ein Blatt horizontal, so hängt er oder es nach unten, die Belastung ist also größer als die Tragfähigkeit. Dabei fallen die Blätter auf durch große dunkle Flecken. Erst später findet dann eine Erstarkung sowohl des Gewebes der Sproß- achsen als desjenigen der Blätter und namentlich auch der Blattgelenke statt. Die Zweige richten sich auf (werden aber nicht orthotrop) ?). Sie haben dann ihre volle Gewebeausbildung erreicht, während sie im hängenden Zustand zwar ausgewachsen aber anatomisch nicht fertig waren. Diese Trennung des Entfaltungsvorganges in zwei Abschnitte ist also die haupt- sächlichste Eigentümlichkeit. Die Hebung der Blätter in ihre normale Lage erfolgt nach UzarEX durch Wachstum der Gelenke — was eine Fig. 109. Brownea grandiceps. Laubausschüttung. (Verkl.) het eerste Nederlandsch Nat.- en Geneeskundig Congres Amsterdam 1887) (mir nur aus dem Referat in Bot. Centralblatt 1887 Bd. 35 S. 328 bekannt). Stan, Regenfall und Blatt- gestalt, Ann. du jardin botanique de Buitenzorg Vol. XI (1893)-p. 144. ) Auf deren Verhalten auch schon Appun (Unter den Tropen [1871] I p. 159) aufmerksam gemacht hat. ! 14 £ 2) Wie die aufrechten Hauptstämme zustande kommen ist hier nicht zu erörtern, da es sich nur um die Entfaltungsvorgänge handelt. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 12 EBENE fr ; y z . h y j Entfaltungsbewegungen der Blätter. 181 trockenen Zeit die jungen Amherstiablätter leicht vertrocknen, so zeigt das nur — was unzweifelhaft ist —, daß sie empfindlicher sind, als die alten Blätter, nicht aber daß sie an ihren natürlichen Standorten eines besonderen Schutzes bedürfen — auch nicht gegen zu starke Insolation. Damit stimmt auch überein, daß die noch mit vertikal gestellter Blattspreite versehenen Blätter keineswegs überall sich als gegen starke Besonnung empfindlich erweisen. StAauL hat (a. a. O. p. 148) junge noch sehr schlaffe Blätter von Mangifera foetida, Humboldtia laurifolia und Brownea hybrida 3%/, Stunden lang intensiver Besonnung in Buitenzorg ausgesetzt, so daß die (auf nasses Filtrierpapier gelegten und mit dem Stiel in Wasser tauchenden) Blätter senkrecht zur Fläche vom Liehte getroffen wurden. Eine Schädigung war (außer geringem vorübergehendem Welken) nicht zu bemerken '). Es ist außerdem zu bemerken, daß das Austreiben hauptsächlich in der Regen- zeit stattfindet, in welcher der Himmel Stunden und Tagelang mit Wolken bedeckt ist, eine Schädigung durch intensive Besonnung also wenig wahr- scheinlich. | Uber die Transpiration derartiger Blätter liegen nur wenige Angaben vor. So über Amherstia?). Daraus ergibt sich, daß die Besonnung auch auf die jungen Amherstiablätter stark transpirationssteigernd einwirkt, wenngleich nicht in dem Maße, wie bei den älteren. Da nun aber die jungen Blätter zu ihrer weiteren Ausbildung und Hebung zweifellos viel Wasser bedürfen, so kann es für sie immerhin von Vorteil sein, daß durch die Hängelage die Erwärmung und Transpiration heruntergesetzt wird. KEEBLE, der die früheren Deutungen kritisch beleuchtet, glaubt, daß außer dem Schutz gegen zu starke Beleuchtung und Wasserverlust nament- lich in Betracht komme, daß die Hängetriebe in sicherer Lage warten könnten, bis sie sich unter günstigen Bedingungen weiter entwickeln können. Auch diese Deutung ist aber doch nur von dem Wunsche eingegeben „Ziel und Zweck“ des Vorganges zu finden. Sie hat zur Voraussetzung, daß die äußeren Bedingungen am Standort der Pflanzen erheblichen Schwankungen unterworfen sind. Dafür fehlt der Nachweis: im allgemeinen dürften diese Bedingungen gerade für Schattenpflanzen des tropischen Regenwaldes verhältnismäßig recht gleichartige sein, und das „Ausschütten“ nur unter denselben Bedingungen erfolgen, die auch die Weiterentwicklung gestatten. Ein „Warten“ auf günstige äußere Verhältnisse braucht also nicht einzutreten. Daß auch, wenn die, letzteren vorhanden sind, die Auf- richtung (die bei Brownea keine sehr weitgehende ist) nicht sofort eintritt, ist leicht verständlich. Es handelt sich dabei um eine beträchtliche Arbeits- leistung, welche eine bestimmte Zeit in Anspruch nimmt. Außer dem Schutze gegen starke Besonnung könnte aber noch die „Ombrophobie“ des jungen Laubes in Betracht kommen. WIESNER?) faßt den Schutz gegen Regen nicht so auf, daß dessen mechanische Wirkung in Betracht käme, sondern die starke Benetzung, welche dem jungen (schwach ombrophoben) Laube schaden würde, während !) Abgeschnittene Hängeblätter von Brownea grandiceps, welche ich der Einwirkung der Sonne ausgesetzt hatte, zeigten nach '/, Stunde schon Stellen, an denen das Blatt- gewebe abgestorben war, während ältere Blätter anscheinend nicht gelitten hatten. 2) BURGERSTEIN über die Transpirationsgröße von Pflanzen feuchter Tropengebiete. Ber. der deutschen botan. Gesellsch. XV (1897). Die Angaben beziehen sich auf abge- schnittene Blätter. Das läßt natürlich nicht ohne weiteres einen Schluß auf das Ver- halten der an der Sproßachse sitzenden Blätter zu. ®) J. WIESNER, Untersuchungen über die mechan. Wirkung des Regens auf die Pflanze. Ann. de jard. bot. de Buitenzorg XIV (1897) p. 315. - 182 Vierter Abschnitt: ER TLDEDENEBRNBEN der Blätter. das ältere Laub ombrophil ist. Die jungen Blätter vom Amherstia sind mit einem Fettüberzug versehen, der bei den ausgewachsenen nicht mehr vorhanden ist. Dagegen wurden junge noch herabhängende Blätter von Jonesia, auch wenn sie in horizontale Lage gebracht wurden, durch die schwersten Regentropfen trotz ihrer Brüchigkeit nicht verletzt, was aber bei gleichzeitiger Einwirkung von Wind und Regen eintreten kann. Von den teleologischen Deutungen sind einige als nicht zutreffend er- wiesen. Es kann zwar, wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, die auf recht verschiedene Weise zustande kommende Vertikalstellung der jungen und (wie z. B. bei Anthurium Veitchii und Hydrocotyle bonariensis) auch aus- gewachsener Blätter in verschiedenartiger Weise sekundär für sie von Vorteil sein. Es läßt sich aber nicht nachweisen, daß es sich um eine, im Kampf ums Dasein erworbene Eigenschaft handle. Namentlich bei den „laubausschüttenden“ Pflanzen tritt, wie mir scheint, deutlich hervor, daß es sich um einen im inneren Bau dieser Pflanzen begründeten Vor- gang handelt, der unter besonders günstigen gleichmäßigen Wachstums- bedingungen „ungestraft“ eintreten kann, aber den Pflanzen selbst gegen- über den sonst üblichen Entfaltungsarten keinen besonderen Vorteil bringt. Daß die einzelnen Vorgänge der Entfaltung bei ihnen zeitlich auffällig. getrennt sind, ist nur bei optimalen Bedingungen möglich. Die Zweige „hängen“ aber nicht, weil ihnen das besonders vorteilhaft wäre, sondern weil sie nicht anders können und imstande sind, die Arbeit des Aufrichtens später zu leisten. Eine besondere Anpassung gegenüber anderen, langsam austreibenden und allmählich heranwachsenden Sprossen wird man in diesem Verhalten aber kaum sehen können. Ebenso sahen wir, daß die nach abwärts gekrümmten Spreiten von jungen Aroideenblättern, Theobroma Cacao, Bixa orellana u. a. durch diese zeitweilige Entfaltungslage die Möglichkeit gewinnen, ihre Entwicklung in zwei schärfer als sonst voneinander getrennten Tlempi’s-Wachstum und innere Fertigstellung — zu vollziehen, und daß bei Anthurium Veitchii der mechanische Aufbau des Blattes deshalb ein schwächerer bleiben kann, weil das Blatt die bei anderen Aroideen nur vorübergehende vertikale Entfaltungsstellung dauernd beibehält. Die Blätter krümmen sich aber nicht deshalb nach unten, weil sie zunächst schlaff sind — sie sind das zur Zeit der Abwärtskrümmung noch gar nicht — sondern sie können lange schlaff bleiben, weil sie nach abwärts gekrümmt sind. Eine durch Epinastie der Gelenkpolster bedingte Lage, die an sich ebensowenig eine Anpassungs- erscheinung zu sein braucht, wie die nickenden Blütenstände, ermöglicht also eine eigenartige Verteilung der Wachstumsstadien. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß die vertikale Lage bei der Entfaltung als eine vorteilhafte bezeichnet werden kann. Übrigens kann die vorübergehende Abwärtsrichtung der Blattspreite unter Umständen auch schädlich sein. Das ist z. B. bei Aesculus in kalten windigen Frühjahren der Fall. Die nach abwärts gerichtete Blattspreiten bieten dem Wind eine größere Angriffsfläche dar,als die horizontal aus- gebreiteten, und leiden darunter. EEE, EIERN EEE 0m a er TE EL ee) Ehe fr “Rn ARE N ’ Fünfter Abschnitt: Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). $ 1. Allgemeines. Besonders auffallend sind die Entfaltungsbewegungen, welche mit Torsionen verknüpft sind. Man hat von ihnen meist nur einige wenige Fälle berücksichtigt, wie z. B. die „Resupination“ mancher Blüten und Blätter, welche deshalb als eine vereinzelt stehende Erscheinung auf- gefaßt wurden, für welche die biologische Bedeutung der Drehung als selbstverständlich erschien. Es soll aber im folgenden gezeigt werden, dab Entfaltungsdrehungen sehr viel weiter verbreitet sind als man annahm. Das ist auch von Bedeutung für die Auffassung des Zustandekommens ‚dieser Bewegungen. Man kann entweder annehmen, ein aus lauter gleichartig gebauten und angeordneten Teilen bestehendes Organ werde durch äußere Faktoren (z. B. Schwerkraft, Licht) zu einer Drehung veranlaßt'). Oder das Organ ist von vornherein asymmetrisch gebaut, seine Komponenten verlaufen (wenigstens zum Teil) nicht gerade, sondern schief zur Längsachse. Wenn es bei der Entfaltung wächst, so führt es eine Drehung aus, die durch das ungleiche Verhalten der einzelnen Komponenten bedingt wird. Die Hauptsache dabei ist der von vornherein asymmetrische Bau. Ob dieser dann eine „spontane“ oder eine induzierte Entfaltungs- drehung bedingt, ist von geringerer Bedeutung. Denn natürlich kann das ungleiche Verhalten der Komponenten auch in einer verschiedenen Reiz- barkeit gegenüber äußeren Einflüssen sich äußern. Wir können also sagen: man nimmt für die Entfaltungstorsionen entweder einen symmetrischen oder einen asymmetrischen Bau des betreffenden Organs an. Von diesen beiden Auffassungen ist bis jetzt die erste die allein herr- schende gewesen. So heben SCHWENDENER und KrABBE?) ausdrück- lich hervor „daß die zur Torsion führenden Wachstumsvorgänge nicht vom Hause aus in der inneren Organisation der Pflanze gegeben sind, sondern in allen Fällen erst unter der Einwirkung äußerer Faktoren eintreten“. Diese Auffassung (welche die Verf. als wichtige Tatsache bezeichnen) gründet sich auf die Beobachtung, daß am Klinostaten „aus inneren Organisationsverhältnissen immer nur Krümmungen“ entspringen. So z.B. bei resupinierenden Orchideenblüten. Indes beweist das durchaus nichts ı) Wie das zu denken wäre, gehört nicht hierher. 2) ScHWENDENER und KrABBE, Über die Orientierungstorsionen der Blätter und Blüten. Abh. der Berliner Ak. (1897) p. 41. 184 Fünfter Abschnitt: gegen das Vorhandensein einer asymmetrischen „inneren Organisation“. Höchstens kann man daraus schließen, daß diese nicht „spontan“ zu Drehungen führt. Wenn also in dem Fruchtknoten dieser Orchideen von Anfang an eine asymmetrische gewundene Struktur besteht, derart, daß z. B. nur eine der gewundenen Kanten unter dem Einfluß der Schwer- kraft stärker als die übrigen wächst, so wird sich das auf dem Klinostaten nicht äußern können. Und wenn die Verfasser weiter sagen „Torsionen, die aus inneren Örganisationsverhältnissen entspringen, scheinen nach den bisherigen Er- fahrungen an wachsenden Organen sehr selten vorzukommen; wir kennen sie eigentlich nur für die Sprosse windender Pflanzen, die sich nach den Untersuchungen SCHWENDENERS auch bei Ausschluß der Schwerkrafts- wirkung auf dem Klinostaten tordieren“ so lassen sie dabei eine Anzahl weit verbreiteter Wachstumsvorgänge außer Acht, von denen einige schon längst bekannt waren. Es sei, abgesehen von den Blütenstielen von Cyclamen-Arten, den Infloreszenzstielen von Vallisneria, nur an die Früchte der „Schneckenklee“-Arten erinnert. > Im Gegensatz zu der Meinung, daß asymmetrische Struktur und durch sie bedingte Torsionen etwas Seltenes bei Pflanzen seien, soll im folgenden auf deren große Verbreitung sowohl bei niederen als bei höheren Pflanzen hingewiesen und die Frage nach der Bedeutung der durch diese Struktur bedingten Drehungen erörtert werden. Daß diesen Fragen eine große Bedeutung für die Auffassung des Gesamtbaues der Pflanzen zukommt braucht kaum betont zu werden. Auch in ökologischer Beziehung können Torsionen von Bedeutung sein. Es ist möglich, daß der Drehung jeweils eine bestimmte, in den verschiedenen Fällen aber verschiedene Bedeutung zukommt. Sie kann in Beziehung zur Festigkeit stehen — eine gedrehte dünne Platte (z. B. aus einem Stück Papier), ist bekanntlich biegungsfester als wenn sie flach bleibt. Ebenso wird ein Schneckenhaus weniger leicht zerbrechen, wenn es eingerollt, als wenn es gerade ist und leichter von der Schnecke transportiert werden können. Es kann auch durch die Drehung auf kleinerem Volumen eine größere Oberfläche untergebracht werden (z. B: bei den gedrehten Chloro- phyliplatten von Spirogyra, bei einem gedrehten Schneckenhaus usw.). Bei einem chlorophyllhaltigem Pflanzenteil kann eine günstigere Licht- ausnutzung (bzw. ein Schutz vor starker Belichtung) ermöglicht werden, bei einem freibeweglichen Organismus kann die gedrehte Gestalt mit dem Bewegungsmechanismus in Beziehung stehen usw. Aber ob eine dieser Möglichkeiten zutrifft, bedarf in jedem einzelnen Fall des Nachweises. Es ist keinesfalls statthaft, die „Drehung“ von vornherein als eine An- passungserscheinung zu betrachten. Das wird aus der folgenden Dar- stellung ohne weiteres hervorgehen. Auch einzellige Organismen können Torsionen aufweisen. Bei mit Vegetationspunkten versehenen Zellstaaten gibt es solche, die Drehungen erst bei der Entfaltung ausführen bzw. deutlich hervortreten lassen, andere, die schon von vornherein am Vegetationspunkt, also wenn man will „kon- genital“ gedreht sind !). Pflanzen mit solchen „kongenitalen Drehungen“ wurden als „spirotrophe* bezeichnet’). !) Bekanntlich tritt bei vielen Schnecken die „Drehung“ keineswegs nur in der Schale, sondern auch in den Eingeweiden auf, und zeigt sich schon im Furchungsstadium des Embryos. 3 ” Vgl. die Darstellung in GoEBEL, Organographie der Pflanzen. 2. Aufl. (1915) I. Teil, 0 3 Tr A) re FF DE Re A Aal) nd Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 185 Beide hängen offenbar nahe miteinander zusammen. — Die Ent- faltungstorsionen treten gerade bei spirotrophen Pflanzen am auffallendsten hervor, wofür die Characeen ein lehrreiches Beispiel bieten !), Immerhin solleg die „kongenitalen“ und die Entfaltungstorsionen im Interesse der ' Vereinfachung der Darstellung auseinander gehalten werden und die ersteren hier, wo es sich um Entfaltungsbewegungen handelt, nur zum Vergleiche erwähnt werden. $ 2. Asymmetrische Pflanzenteile und Pflanzenorgane. Nicht alle asymmetrischen Pflanzenteile weisen „Drehungen“ auf. Indes mag auf das Vorkommen asymmetrischer Pflanzenteile im allgemeinen um so mehr kurz hingewiesen werden, als einige davon, wie z. B. die asymmetrischen Wasserlinsen, eine Art Drehwuchs in Einer Ebene — in der Verkettung ihrer Glieder — zeigen können, dessen Er- wähnung zum Vergleich mit den wirklichen Torsionen von Bedeutung ist. Für unser Schematisierungsbedürfnis sind die asymmetrischen Pflanzen und Pflanzenteile unerwünschte Sonderfälle.e. Wir sind — unbewußt be- einflußt durch unsere eigene, uns symmetrisch erscheinende Körpergestalt — geneigt, den symmetrischen Bau — zu welchem in weiterem Sinn ja auch der radiäre oder pleiosymmetrische gehört — als den typischen und uns am meisten Zusagenden zu betrachten, den asymmetrischen als Ausnahme- erscheinung. Nichts kann aber unrichtiger sen. In Wirklichkeit ist Asymmetrie die Regel, Symmetrie die Ausnahme! Gerade die nur schein- bar symmetrische, in Wirklichkeit (schon durch die Lage des Herzens, Magens usw.) asymmetrische Gestalt des Wirbeltierkörpers zeigt das. Und im allgemeinen können wir wohl sagen, daß wirkliche‘ Symmetrie nur ein abstrakter Begriff ist, und symmetrisch erscheinende Pflanzenteile nur durch ein Zurücktreten der Asymmetrie zustandekommen. Sie sind auch aus ungleichen Teilstücken zusammengesetzt, aber diese befinden sich untereinander in leidlichem Gleichgewicht und können so auch bei asym- metrischem Bau einen symmetrischen Eindruck machen. Die oben ge- nannte psychologische Ursache aber hat es bedingt, daß in den Dar- stellungen gerade der umgekehrte Standpunkt vertreten wird. In den botanischen Lehrbüchern (in welchen die fundamentale Be- deutung der Symmetrieverhältnisse sehr unterschätzt wird) ‚pflegt man deshalb die unbequemen asymmetrischen Pflanzenteile meist zu übergehen oder nur ganz kurz zu erledigen und darunter recht verschiedene Dinge zusammenzufassen. So werden als „asymmetrische Blätter“ z. B. die von Begonia erwähnt, ohne das, was an ihnen interessant ist, nämlich die Beziehungen zur Ge- samtsymmetrie der Sprosse, an denen sie stehen, hervorzuheben ?). Sie unterscheiden sich aber wesentlich von dem zweiten meist für Asymmetrie angeführten Pflanzengebilde, den Cannablüten °). Es gibt unter niederen, wie höheren Pflanzen eine große Anzahl asymmetrischer Strukturen. Von ganzen Pflanzen sei z. B. die Lemnaceen-Gattung Spirodela ge- !) Vgl. Gosser, Zur Organographie der Characeen, Flora 110 (1918). ?2) Bonner Lehrbuch 13. Aufl. p. 59. 3) Vgl. darüber: GoEsEL, Über Symmetrieverhältnisse in Blüten, Wiesnerfest- schrift (1907). 186 Fünfter Abschnitt: nannt, an deren flachen Vegetationskörpern die rechte und die linke Seite auffallend voneinander verschieden sind. Bei den meisten Lemnaceen !) werden bekanntlich an der Basis jedes „Gliedes“ zwei neue angelegt. . Schon bei der Gattung Lemna selbst sind diese beiden untereinander häufig nicht gleich ausgebildet und die einzelnen Glieder selbst etwas asymmetrisch. Der Unterschied zwischen dem geförderten (+) Glied und dem geminderten (— Glied) tritt, abgesehen von ihren Größenverhältnissen, auch darin hervor, daß beim Eintritt von Blütenbildung die Infloreszenz an Stelle des geminderten Gliedes steht. : Fig. 110. Spirodela polyrrhiza. A junges Glied von unten: ein +- und ein —-Glied als kleine Höcker angelegt. B (schwächer vergr.) altes Glied von unten: St Stiel des +- Gliedes, das —-Glied ist stehen geblieben. € Ganze Pflanze mit 4 Gliedern. IIa stehen gebliebenes —-Glied. D Schema der Verzweigung. Viel auffallender als bei Lemna aber ist die Asymmetrie bei Spira- dela polyrrhiza. Fig. 110 stellt eine in Brasilien gesammelte Form dieser weitverbreiteten Pflanze dar. Ob bei ihr die Asymmetrie eine durch die Wachstumsbedingungen geförderte war ?), oder ob vielleicht Sp. polyrrhiza eine Sammelart darstellt, kann hier unerörtert bleiben ?). Die Asymetrie trat schon in der Gestalt der Glieder deutlich hervor: sie besitzen eine breitere, mit zahlreicheren Nerven versehene Plus — und eine schmälere Minusseite. Nur die Plusseite brachte ein sich weiter entwickelndes und verzweigendes Glied hervor. Das auf der Minusseite angelegte war nur als ein kleiner Höcker — der sich aber in den unter- suchten Pflanzen nie weiter entwickelte — sichtbar (Fig. 110 A—C). Ob ı) Die Wolffia-Arten können hier außer Betracht bleiben. Bezüglich der morpho- logischen Auffassung der Lemnaceen-Glieder sei auf des Verf.s „Organographie“ ver- wiesen. es 2) Es ist ja leicht möglich, daß die Förderung des + -Gliedes bei bestimmten Be- dingungen stärker wird, als unter weniger günstigen. Bei der europäischen Form fand ich bis jetzt zwar ein Kleinerbleiben des —-Gliedes, nicht aber seine vollständige Unter- drückung wie bei der brasilianischen. 3) Die Glieder greifen an der Basis nach Art eines schildförmigen Blattes über den „Stiel“ herüber, der größtenteils mit der Gliedbasis „verwachsen“ ist. an Bu N a ER Ka RR ET ge, nis ER " N \ - er EN “, re N} Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 187 er etwa nach Abtrennung des Plusgliedes zur Weiterentwicklung gebracht werden könnte, — seine Entwicklungshemmung also eine korrelative ist —, kann natürlich nur an lebenden Pflanzen geprüft werden, wahrscheinlich ist es so. Die Asymmetrie der Glieder tritt schon sehr früh hervor (Fig. 111) und die + und — Glieder unterscheiden sich auch da- durch, daß sie ungleichzeitig entstehen — das Plusglied früher als das Minusglied. HEGELMAIER !) schrieb den beiden Gliedern auch einen verschiedenen Ursprung zu: dem Plusglied einen randständigen dem Minusglied einen flächenständigen. Ich kann auch bei erneuter Untersuchung meine frühere Angabe ?), daß beide Glieder auf der Oberseite des alten entspringen, nur das Plusglied dem Rande sehr nahe, aufrecht erhalten. Offenbar steht die scheinbare örtliche Verschiedenheit mit der zeitlichen in Verbindung: wenn das. Plusglied auftritt, ist die Basis des Muttergliedes noch schmäler als später, wenn das Minusglied sichtbar wird. Dadurch wird die dem Rande genäherte Stellung des ersteren ver- ständlich. Auch die Wurzelbildung war auf der Plusseite gefördert?). Da diese bei den aufeinanderfolgenden Gliedern stets auf derselben Seite liegt, kommt eine An- ordnung der Glieder wie in einem der als „Schraubeln“ bezeichneten Blütenstände zustande (Fig. 110, D).,, Das müßte nach einiger Zeit zu einer Überdeckung der älteren Glieder durch die jüngeren — trotz der Stielbildung — führen, wenn nicht leicht eine Ablösung der Glieder voneinander eintreten würde. Auch ist die Lebensdauer der einzelnen Glieder wohl keine sehr große. Wenn ich auf den „Drehwuchs“ Fig. 111. Spirodela polyrrhiza. Junges dieser in Einer Ebene ausgebreiteten Glied von unten. Links Plus-, rechts See Hinrias kb: geschali das Minusseite. Das Glied ist an seiner Basis run = RS } umgeben von einer zarten Schuppe. Leit- aus zwei Gründen. Einmal weil er, pindel schraffiert. Man sieht die Förde- wie erwähnt, einen Parallelfall zu ge- rungder Wurzelbildung auf der Plusseite. wissen cymösen Infloreszenzen darstellt und die Annahme nahelegt, daß es sich auch bei diesen um eine in mehreren Sproßgenerationen wiederholte Asymmetrie (bzw. um eine Sym- metrieänderung) handelt. Das scheint mir für die anzustrebende kausale Auffassung dieser Infloreszenzen, die bis jetzt nur rein beschreibend be- handelt wurden, von Bedeutung. Der zweite Grund ist folgender. Während man bei den Schraubel-Blütenständen einen Vorteil darin sehen kann, daß ı) F. HrGeLmeıer, Monographie der Lemnaceen, Leipzig 1868. 2) GoEBEL, Über die Verzweigung dorsiventraler Sprosse, Arb. aus dem botan. Inst. in Würzburg, herausg. von Sachs II (1880) p. 369. j j . 3) Das gilt auch für andere Fälle von Asymmetrie, z. B. für die Blattstecklinge von Begonia, Acanthaceensprosse (Organographie 2. Aufl. Fig. 188) u. a. Da in einigen Abbildungen in Hrsermeıer’s Monographie der Lemnaceen (z. B. Taf. XIV 9, Taf. XV 5) scheinbar eine Bevorzugung der Wurzelbildung auf der Minusseite hervortritt, so sei bemerkt, daß ich das im Texte genannte Verhalten in allen untensuchten Fällen antraf. 4 N, a , at je “7 188 { Fünfter Abschnitt: die jüngsten Blüten in ihnen in besonders „geschützter“ Lage sich befinden, ist eine biologische Deutung der Asymmetrie der Spirodelen bis jetzt weder versucht worden noch auch — soweit man derzeit urteilen kann — möglich. Sie erscheint also als ein Beispiel einer erblich fehlgehaltenen, in verschiedenen Abstufungen auftretenden und trotzdem nutzlosen Eigen- schaft. Die extremen Fälle können hier also doch nicht allmählich heran- gezüchtet worden sein. Selbstverständlich ergibt sich aus der Art der Lemnaceenasymmetrie, daß bei ein und derselben Art sowohl „Rechtser“ (wie in Fig. 110) als „Linkser“ vorkommen können, beide fanden sich auch in der Lagune vor, in der die Pflanze wuchs. Daß die Asymmetrie eine aus inneren Gründen zustande gekommene ist, ergibt sich aus dem Gesagten. Es lassen sich aber für sie wenigstens Lage-Beziehungen angeben, welche vielleicht später die Anbahnung eines kausalen Verständ- nisses erleichtern werden. Man wird z. B. daran denken können, daß die Plusseite die der wachsenden und nährstoffreichen Basalregion der Großmutterglieder näher liegende und deshalb vielleicht bevorzugte ist. In den bis jetzt besprochenen Beispielen trat die Asymmetrie schon in der äußeren Gestaltung mehr oder minder auffallend hervor. Es ist aber auch vielfach eine Asymmetrie im inneren Bau vorhanden, die makroskopisch nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen hervortritt. .. So sind z. B. die Kotyledonen von Phoenix dactylifera, wenn sie positiv geotropisch nach abwärts wachsen können, ganz gerade. Auf dem Klinostaten aber führen sie korkzieherförmige Krümmungen aus !), die zeigen, daß sie asymmetrisch gebaut sind. Ob dieser Bau mikroskopisch auch bei den gerade gewachsenen Kotyledonen nachweisbar ist, ist nicht bekannt. Bei anderen, äußerlich ganz radiär erscheinenden Pflanzenteilen ist es der Fall. Bekanntlich zeigen die Seten der Sporophyten mancher Moose eine gedrehte Struktur, die z. B. bei denen von Funaria durch ihre hygro- skopischen Bewegungen hervortritt. Ebenso können hier die Hülsen mancher Papilianaceen angeführt werden, die beim Austrocknen Dreh- bewegungen ausführen. Sie werden daran im Leben durch die Gegen- wirkung anderer Gewebe verhindert, ähnlich wie dies auch bei den er- wähnten Phoenix-Kotyledonen der Fall ist. Auch die Drehung der Holzfaser ?) vieler Bäume, über welche eine Ä nicht unbeträchtliche Literatur vorliegt, wäre zu nennen. Alle diese Strukturverhältnisse müssen aber hier übergangen werden. Die Erörterung soll auf den in der äußeren Gestalt hervortretenden „Drehwuchs“ be- schränkt werden — namentlich auf die Frage, ob dieser „Ziel und Zweck“ hat. ı) Vgl. A. Srertuicg, Über Krümmungsursachen ... Jahrb. f. wiss. Botanik 50 (1914) p. 618. — Sprosse von Alstroemeria psittacina, die anscheinend vollständig radiär gebaut sind, führten auf dem Klinostaten auch stets Krümmungen aus. 2) Es sei hier nur eine merkwürdige Mitteilung Wıcaura’s Flora 42 (1859) p. 412 erwähnt, wonach in Lappland bei Pinus, Picea, Juniperus, Betula die Drehung der “Fasern eine häufigere und stärkere sei, als in Deutschland. Wıchura bringt das mit der geringeren Dicke der Jahresringe in Lappland in Zusammenhang. Harrısc, Über den Drehwuchs der Kiefer forstl.-naturw. Zeitschrift (1895) kommt (p. 324) zu dem Er- gebnis, daß es sich beim Drehwuchs der Kiefer um „innere, individuelle und wahrscheig- lich innerhalb gewisser Grenzen auch erbliche Eigenschaften“ handle. Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 189 5 3. Einzellige Pflanzen mit asymmetrischer Ausbildung. Sehen wir ab von den Drehungen der Spirillen und denen der (aus Zellreihen bestehenden) Spirulinen !), ferner von dem Vorkommen ge- drehter Chlorophyliplatten bei Spirogyra, Spirotaenia u. a. — auch die anscheinend flachen der Mesocarpus-Arten dürften schwach gedreht sein, eine Drehung, die sich infolge äußerer Einwirkungen bedeutend verstärken kann — so seien einige einzellige, zum Teile koloniebildende Formen genannt, die durch Drehwuchs ausgezeichnet sind. Dieser erreicht zwar bei weitem nicht die erstaunliche Mannig- faltigkeit, die er in den Schalenbildungen mancher Protozoen aufweisen, immerhin aber sind unter diesen gedrehten Einzelligen manche sehr eigen- artige in den allgemeinen Darstellungen meist nicht erwähnte Gestaltungen vertreten. Namentlich sind hier anzuführen eine Anzahl von Diatomeen. Denn in dieser formenreichen Gruppe finden sich asymmetrische und gedrehte Formen — sowohl im Süßwasser als im Meere. Fig. 112. Surirella spiralis. Mikrophotographien zweier Schalenhälften. Zunächst sei die merkwürdige Surirella spiralis genannt. Während einige Arten der Gattung Campylodiscus, zu welcher Surirella . früher gestellt wurde, sattelförmig gebogene Zellen besitzen, ist der Körper von S. spiralis nicht nur in einer Ebene gebogen, sondern auch so um seine Längsachse gedreht, daß jede Schalenhälfte in der Gürtelbandansicht eine 8 beschreibt (Fig. 112). “ Weiter könnte Gyrosigma genannt werden. Namentlich aber finden sich Drehungen bei einer ganzen Anzahl von Planktondiatomeen. So gibt G. KARSTEN von seiner Streptotheca indica an „Zellen un- regelmäßig viereckig, in einer der Diagonalen bis zu 90° gedreht“ ?). !) Daß auch Oseillaria sich im wesentlichen ebenso verhält wie Spirulina (nur daß die „Drehung“ äußerlich weniger hervortritt) scheint mir zweifellos. - 2) @. Karsten, Das indische Phytoplankton, Wissensch. Ergebnisse. der Voldiace- expedition II 2 (1907) p. 396. NN, BE 1 PER a ah Tr 9 A N Re ee a YES h 190 | Fünfter Abschnitt: Herr Prof. KARSTEN machte mich noch auf einige Angaben in Gran, Nordisches Plankton, aufmerksam, die ich im einzelnen aber nicht an- führen möchte, z. B. Eucampia Zodiacus (und E. groenlandica), Clima- codium biconcavum, Streptotheca thamesis. Für die hier verfolgten Zwecke genügt der Nachweis, daß gedrehte Formen bei Diatomeen verschiedener Lebensweise — solchen die dem Plankton und solchen, die dem „Beuthos“ angehören“ — vorkommen. Frei- lich sind wir über die speziellen Lebensbedingungen der Einzelligen meist sehr wenig unterrichtet, so daß. auch für die Frage, inwieweit die Körper- gestalt damit in Beziehung steht, nichts Sicheres ausgesagt werden kann. Surirella spiralis ist eine schlammbewohnende Süßwasserform, die in stehendem oder äußerst langsam fließendem Wasser vorkommt (z. B. in Brunnen). Sie hat keine freie Ortsbewegung. Die Gestalt der Zelle be- dingt — soweit man von der Untersuchung toter Zellen aus schließen darf —, daß sie bei passiver Bewegung immer in die Gürtelband- lage kommen wird, und man könnte denken, daß durch die gekrümmte Form ein Einsinken in den Schlamm schwieriger wird, als bei einer in Gürtelbandlage befindlichen flachen nicht gedrehten Form. Ein Diatomen- kenner dagegen, den ich um seine Auffassung fragte, meinte, daß durch irgendwelche Wasserströmungen die Surirella zur Drehung um ihre Längs- achse gebracht und dadurch in vorstehende Schlammpartikelchen einge- bohrt werde, wodurch sie Halt gewinne, so daß sie dadurch gewisser- maßen zu den festsitzenden Formen zu rechnen sei. Man kann natürlich diese Annahmen nur als Vermutungen bezeichnet. Ebensogut ist es mög- lich, daß die Drehung keine besondere Bedeutung hat. Jedenfalls war sie nicht imstande, die Surirella spiralis zu einer besonders verbreiteten Form zu machen, sie zählt vielmehr zu den verhältnismäßig seltenen. Von den Planktondiatomeen meint KARSTEN brieflich, es sei möglich, daß die von ihm abgebildete Streptotheca indica vermöge der Gewichtsverteilung aufrecht im Wasser stehe, und durch die Drehung ähnlich, wie dies Verf. ') für Riella helicophylla angenommen hatte, in günstige Beleuchtungsverhält- nisse kommen. Leichter als bei den Diatomeen läßt sich die Frage nach einem etwaigen Nutzen der Drehung wohl entscheiden bei den Desmidiaceen. Auch bei diesen finden sich gedrehte Zellen durchaus nicht selten. Über die Symmetrieverhältnisse der Desmidiaceen sagt HAUPTFLEISCH ?) „die Zellen der Desmidiaceen bestehen, wie bekannt, aus zwei Hälften. Diese beiden Hälften sind jedoch nicht genau symmetrisch, sondern sie sie sind stets ein wenig gegeneinander verschränkt: die Symmetrieebene der einen Zellhälfte fällt nicht mit derjenigen der anderen Hälfte zu- sammen, sondern schneidet dieselbe stets unter einem spitzen Winkel... Die nach der Teilung gelegentlich noch zusammenhängenden Zellen der einzeln lebenden Arten lassen daher ebensowohl wie die zu Fäden ver- bundenen Individuum anderer Arten stets deutlich eine Drehung der ganzen Zellreihe erkennen“. Diese Drehung der beiden Zellhälften ist bei den verschiedenen Formen eine ungleich starke. Sie kann soweit gehen, daß bei einigen Staurastrum-Arten, wenn man die Zellen von oben bzw. unten betrachtet, die Auswüchse (Arme) der einen Zellhälfte nicht über 1) Organographie 2. Aufl. p. 650. . 2) P. Hıuprrreisch, Zellmembran und Hüllgallerte der Desmidiaceen Diss. Greifs- wald (1888) p. 66. — Die neueren zusammenfassenden Darstellungen nehmen auf die Asymmetrie der Desmidiaceen keine Rücksicht. 2 of a Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). . 191 die der andern fallen (wie es bei symmetrischer Ausbildung der beiden Zellhälften der Fall sein müßte), sondern miteinander alternieren !) (vgl. Fig.113, 227, IV). Sind solche gedrehten Zellen miteinander zu fadenförmigen Kolonien verbunden, so müssen auch diese eine „Drehung“ aufweisen. Eine solche ist längst schon bekannt, z. B. bei dem weitverbreiteten Desmidium Swartzii (Fig. 113, I). Man könnte versucht sein, sie als eine nachträg- lich erfolgte zu betrachten ?), weil die Asymmetrie der beiden Zellhälften der einzelnen Zellen eine verhältnismäßig (im Vergleich mit der in Fig. 113 III u. IV abgebildeten Staurastrum-Arten) geringe ist. Aber, abgesehen davon, daß der Betrag der Drehung der beiden Zellhälften vielleicht nicht immer derselbe ist, zeigt eine graphische Konstruktion, daß die „Drehung“ der einzelnen Zellhälften ausreicht, um nach einer Reihe von Teilungen die gedrehte Struktur des Fadens zu bedingen. Da die Zellen dreikantig sind, so besitzen die Fäden drei gewundene Längskanten. Denken wir uns, daß diese im Wachstum begriffen seien und zwar eine stärker als die beiden anderen, so müßte eine schraubenförmige Drehbewegung des: ganzen Fadens _ ein- treten. Ein solcher Desmidiumfaden stellt uns ein einfaches Mo- dell dar, nicht nur für den E Aufbau einer Fig. 113. I. Seitenansicht eines Fadens von Desmidium Schlingpflanze, son- Swartzii stark vergr. II. eine einzelne Zelle in Ober- dern auch den eines ansicht, die Umrisse der unteren Zellhälfte punktiert. asymmetrischen Ge- IZIH.und IV. Oberansicht von Staurastrum controversum x . und St. gracile (beide nach pe Norarıs), die beiden Zell- Ne 1 IT hälften stark gegeneinander gedreht. n r Zellen Mizellen denken den eines asymmetrisch organisierten Protoplasmakörpers. Auch aus diesem Grunde wurde hier auf den Aufbau eingegangen. Es braucht kaum be- merkt zu werden, daß die Ansicht von SCHWENDENER und KRABBE auf diese Formen nicht zutrifft. _ Eine biologische Deutung hat der Drehwuchs bei den Desmidiaceen bis jetzt meines Wissens nicht erfahren. Bei den einzeln lebenden Zellen — auch bei Fadenformen wie Desmidium Swartzii — könnte man dann, wenn sie aufrecht im Wasser schweben würden, an eine günstige Licht- ausnutzung durch Vermeidung von Beschattung denken. Aber bei ein- zelligen Formen kann diese doch nur wenig in Betracht kommen. Die Fadenformen aber stehen nicht mit der Längsachse aufrecht im Wasser! Desmidium Swartzii z. B. fand sich in der Umgebung Münchens nicht frei im Wasser schwebend, sondern in den Algenüberzügen, mit denen 1) Das hat auch gelegentlich zu Verwechslungen geführt. So bildet HäckeL (Kunstformen der Natur Taf. 24, 2 u, 4) Staurastrum-Arten in Frontansicht ab, von denen er annimmt, es seien zwei Zellen zum Zwecke der Kopulation genähert. In Wirklichkeit handelt es sich aber offenbar nur um je Eine Zelle, deren beide Hälften, da sie gegeneinander „gedreht“ sind, so aussehen, als ob sie nicht zueinander gehörten. 2) Das ist wohl auch die Meinung der Autoren gewesen, welche diese Fäden als „gedreht“ bezeichnen. Daß eine solche Auffassung nicht richtig ist, ergibt sich aus dem im Text angeführten. 192 - Fünfter Abschnitt: Wasserpflanzen in Moorlöchern überzogen sind. Auf meine Veranlassung von Herrn Dr. ESENBECK ausgeführte Untersuchungen zeigten, daß sich die Alge aus diesem Überzug bei einseitiger Beleuchtung nach der Licht- quelle herausarbeiten, also Bewegungen ausführen kann. Wie diese er- folgt, wurde nicht untersucht, eine Drehbewegung konnte nicht wahr- genommen werden. Es fand jedoch keine eingehende Untersuchung statt, es war mir nur darum zu tun, festzustellen, ob die Fäden Bewegungen ausführen können oder nicht. Ein solcher Faden wird jedenfalls mancherlei Lagenveränderungen ausgesetzt sein und eine teleologische Betrachtung könnte annehmen, der Vorteil des Gredrehtseins bestehe darin, daß dadurch in jeder Lage, ähn- lich wie bei einer Spirogyra ein Teil des Chlorophyllapparates sich in „Flächenstellung“ befinde. Wenn auch die Möglichkeit solcher Deutungen besteht, so weist doch schon die Tatsache, daß die Asymmetrie und die dadurch bedingte „Drehung“ der Zellen in den verschiedensten Abstufungen auftritt, daraufhin, daß hier eine in dem inneren Aufbau der einzelnen Arten bedingte Eigentüm- lichkeit vorliegt, welche keineswegs immer einen „Nutzen“ zu- haben braucht, wenn sie auch zuweilen einen haben mag. Der müßte aber erst wirklich nachgewiesen werden. $ 4. Vielzellige Thallophyten mit Drehwuchs. Bekannt ist die wendeltreppenartige Gestalt des Thallus bei einigen Florideen (bei denen sie aber in verschiedenem Grade auftreten kann), wie z. B. bei Vidalia volubilis. Wenn man hier ähnlich wie manchen Riella-Arten den Drehwuchs mit den Standortsverhältnissen in Verbindung zu bringen versuchen könnte, so ist dies ausgeschlossen bei anderen Auße- rungen einer „gedrehten“ Struktur. So tritt bei einigen Florideen eine schraubige Anordnung der Tetra- sporangien an der Sproßachse hervor!). Nach den Darlegungen von FALKENBERG beruht sie darauf, daß die Seitenglieder an derartigen Sprossen schraubig angeordnet sind, und die Tetrasporangien jeweils nur in der ältesten Perizentralzelle auftreten. Die schraubige Anordnung der - Seitenglieder ihrerseits aber ist bedingt durch den eigentümlichen Teilungs- vorgang der Scheitelzelle, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann. Es sind jedenfalls innere Gründe, die hier ausschlaggebend sind, ohne daß irgendein Nutzen dieser Anordnung sichtbar wäre. Auch bei Eumyceten findet sich Drehwuchs. Es genügt, an die „Schraubenhysen“* mancher Pilze (z. B. die, welche sich in den Jugend- stadien der Askusfruchtkörper von Penicillium und Aspergillus) finden, hier kurz zur erinnern. $ 5. Moose und Farne. Auch diese Pflanzen sollen nicht ausführlicher besprochen werden. Allbekannt ist ja die in verschiedenem Grade auftretende „Drehung“ des Flügels mancher Riella-Arten, der gedrehte Verlauf der Zellreihen ın den Sporogonien mancher Lebermoose (Kapseln von Kantia, Calypogeia Trichomanes u.a.) und Laubmoosen (Funaria, Tortula u. a.). !) Abbildungen bei FALkengerg, Die Rhodomelaceen des Golfes von Neapel 1901. BÖRGENsEn, The marine algae of the Danish West Indies Vol. 2 Rhodophyceae Copen- hagen (1918) z. B. Polysiphonia ferulacea (Fig. 278), Digenia simplex (Fig 281). FE Yo , Te A Burn RZSVS: j Se PR Y A . Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 193 ‘ "Bei Pteridophyten ist Drehwuchs bekannt z. B. für die Rhizome von Polypodium Heracleum !) und manche Selaginella-Arten, die dadurch ihre flachen Sproßsysteme rosettenartig anordnen ?). Bei den Samenflanzen finden wir Drehblätter, Drehsprosse, Drehblüten und Drehfrüchte. $ 6. Drehblätter als abnorme Bildungen. Drehblätter sind solche, bei denen entweder die Blattspreite oder andere Teile des Blattes Drehungen ausführen. Sie treten auf, teils als abnorme Erscheinung — neben den gewöhnlichen ungedrehten Blättern — teils als dem normalen Entwicklungsgang angehörige Bildungen. Damit ist nicht gesagt, daß bei den Pflanzen, welche Drehblätter besitzen, alle Blätter gedreht sein müssen. Ebenso wie z. B. Öephalotus Schlauchblätter und gewöhnliche flache Blätter besitzt, hat Genlisea die „Arme“ ihrer unterirdischen Blätter gedreht, die oberirdischen dagegen nicht — was vielleicht mit Ver- schiedenheiten in der Wachstumsgröße zusammenhängt. Im folgenden seien zunächst einige Beispiele solcher abnormer Drehblätter angeführt. Unter den zahllosen „Formen“ von Üodiaeum variegatum, die in den Tropen und in unseren Gewächs- häusern wegen ihrer bunt gefärbten und eigentümlich gestalteten Blätter gezogen werden, gibt es eine ganze Anzahl mit gedrehten Blattspreiten ®) — eine davon ist in Fig. 114 abgebildet. So die als „caudatum-tortile, Chelsoni, Dogsonae spirale, Warrenii bezeichneten. Die Blätter der Pflanze, von welcher das abgebildete Blatt stammt, waren nicht alle gedreht und die gedrehten nicht alle gleich stark. Aber in den ausgesprochensten Fällen sieht es aus, als ob die Blattspreite um den Mittelnerv wie eine Wendeltreppe herumlaufe. Die Mittelrippe ist aber auch selbst gewunden. Wenn man solche Blätter bei einer wild wachsenden Pflanze an- treffen würde, so gäbe es zum mindesten ein halbes Dutzend teleologischer Deutungen dafür. In Wirklich- keit ıst diese Blattgestaltung aber eine „zufällig“ ent- ständene. Sie ist an sich offenbar unzweckmäßig, da sich die zweckmäßige Lage von Ober- und Unterseite des Blattes verdreht. Aber selbst solche minder brauch- baren Organe können einer künstlich vom Menschen ee a gehegten und vor dem Wettbewerb mit anderen Pflanzen an 2 eh: geschützten Pflanze nicht sehr viel schaden. Es lassen platt (etwas verkl.). sich auch nur künstlich Verhältnisse ausdenken, unter denen eine derartige Blattform etwa von Nutzen sein könnte — weder für die mechanische Festigung noch in anderer Beziehung ist die Drehung eine „angebrachte“. Auch bei Monokotylen finden sich ähnliche Erscheinungen — ’) GOEBEL, Organographie 2. A. p. 222, Fig. 216. ?) Ebendaselbst p. 1025. \ ’) Ganz abgesehen von denen, bei denen die Spreite stellenweise nur einseitig entwickelt und gedreht ist. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 13 194 ° Fünfter Abschnitt: und zwar häufiger als bei Dikotylen, was damit zusammenhängen: map daß bei ihnen Drehblätter auch als normale Bildungen häufig sind. . Von Vallisneria spiralis wird eine Form kultiviert mit schwach gedrehtei Blättern — man wird nicht sagen können, daß diese dem Leben!:im stehenden Wasser besser angepaßt seien als die gewöhnlichen flachen Blätter der typischen Form. Würde man aber eine ‚Form mit. Dreh- blättern, z. B. in fließendem Wasser finden, so würde sie sicher als ein für die Festigkeit der Blätter wichtiger „Okologismus“ gedeutet worden sein, ähnlich wie das nach dem unten zu Erwähnenden bei anderen gedrehten Blättern, z. B. denen mancher Gräser ge- schehen ist. Eine teleologische Deutung scheint mir auch nicht möglich für die Drehblätter von Juncus. In den Gärten wird nicht selten eine „monströse“ Form von J. effusus gezogen mit schrauben- förmig gedrehten Blättern!) und Sproßachsen (Fig. 115). Daß es sich um eine nicht ganz stabile Form handelt, zeigt sich darin, daß Rückschläge auf die normale (Grestaltung (also gerade Blätter bzw. Sprosse) nicht selten eintreten. Ein solches Rückschlagsblatt ist in der Abbildung rechts zu sehen. Interessant ist die Juncus- „Spiralform“ namentlich deshalb, weil sie offenbar nur eine Steige- rung der auch bei der Normal- form schon der Anlage noch vor- handenen Asymmetrie des Wachs- tums darstellt. Der Monograph der Juncaceen, BUCHENAU (4.2.0. p-. 8) sagt „die Stengel und stengel- Fig. 115. Juncus effusus. Links ein Drehblatt, ähnlichen Laubblätter von J. effu- in der Mitte eine Dreh-Infloreszenz (oben mit sus und Leersii zeigen eine merk- Drehblatt), rechts ein normales Blatt verkl. würdige Neigung, sich um ihre Achse zu drehen oder auch um andere Gegenstände zu winden“. — In beiden Fällen liegt eine Wachstums- asymmetrie zugrunde, deren höchster Grad in den „Spiralformen“ zutage tritt. Daß die abgebildeten Blätter oder Sproßachsen des Jeffusus f. spiralis sehr an die „freien“ Windungen der Schlingpflanzen erinnern ?), braucht kaum !) Daß auch diese (nicht nur, wie BucHenau angab, nur die Stengel) „schrauben- förmig“ gewunden sind, geht aus der Fig. 115 ohne weiteres hervor. Vgl. BUCHENAU Juncaceen in A. ENGLER, Das Pflanzenreich IV, 36 (1906) p. 8. x a z.B. Sachs, Vorlesungen über Eaenchysiologie 2. Aufl. (1887) re: 708 18. Se WE EN PT DE Vi Mr : Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 195 bemerkt zu werden. Wenn sie die Fähigkeit hätten, sich nach Auftreten der Schraubenwindungen noch durch Längsstreckung einer Stütze fest an- zulegen, so würden sie mit Schlingpflanzen ganz übereinstimmen. Darauf wird unten zurückzukommen sein. Hier ist nur noch zu erwähnen, daß die Schraubenblätter der normalen Blattgestalt gegenüber offenbar keinen Vorteil bieten — sonst würde diese gelegentlich auftretende Abweichung wohl die Normalform längst verdrängt haben. Andere Beispiele solcher abnorm auftretender Drehblätter zu erörtern, scheint nicht erforderlich, doch sei auf die Wendeltreppenblätter einiger Begonia-Hybriden wenigstens hingewiesen '. Es sind das in der Kultur entstandene Formen. $ 7. Normal auftretende Drehblätter. Für uns sind die „abnormen“ Drehblätter aus zwei Gründen von be- sonderer Bedeutung. Einmal deshalb, weil sie uns zeigen, daß sie offenbar nur ans einer Steigerung der auch in ge- wöhnlichen Blättern vorhandenen, dort aber äußerlich nicht hervortretenden Asymmetrie entstanden sind, und dann deshalb, weil auch hier wieder hervortritt, daß das bei einer Pflanze „Abnorme“ bei einer anderen das Normale sein kann ?). Wir sehen dabei ab von den Wendel- treppenblättern einiger Aroideen ?) und be- trachten zunächst die merkwürdigen Schrau- benblätter von Aponogeton ulvaceus. Es ist das eine aus Madagaskar stammende, unter- getaucht im Wasser lebende Pflanze, deren gestielte Blätter, wie Fig. 116 zeigt, Blatt- spreiten besitzen, die nicht flach, sondern gedreht sind. Sie erinnern sofort an das Aussehen mancher (gleichfalls im Wasser lebender) Riella-Arten, Lebermoose, deren Gestaltung ja zu den eigentümlichsten des Pflanzenreichs gehört. Auch für die Blätter von Aponogeton ulvaceus wird es nicht leicht sein ihren Drehwuchs als „Anpassungsmerkmal“ nach- zuweisen. Wenn sie bei geselligem Wuchs aufrecht im Wasser ständen, könnte man sagen, daß sie ohne gegenseitige Behinderung (wie sie bei flacher Ausbreitung der Blätter und dichter Stellung der Pflanzen eintreten würde) doch noch das von oben einfallende Licht hinreichend ausnützen können. Aber bei kultivierten Pflanzen liegen die Blätter vielfach auf dem Boden, sind also nicht steil „. aufgerichtet und nicht dicht zusammen- ne a eh gedrängt. Wie es in der Heimat der ı/, verkleinert. !) Vgl. GOEBEL, Organographie 2. Aufl. p. 25. a ?®) Vgl. Orgauographie 2. Aufl. p.$22#. 3) Vgl. GoEBEL, Organographie 2. A. p. 25. 196 Fünfter Abschnitt: | | at. - Pflanze, in Madagaskar, sich damit verhält, vermag ich nicht zu sagen — doch möchte ich annehmen, daß die Pflanze auch dort mit dieser Blattform nichts besonderes „bezweckt“, aber jedenfalls gut damit auskommt. Sie ist ebenso „zufällig“ aufgetreten wie die bei einer „Varietät“ von Vallisneria spiralis, aber — falls nicht in den Gärten etwa nur eine „Varietät“ von A. ulvaceus mit Drehblättern kultiviert wird — bei dieser Pflanze herrschend geworden. Die Blätter sind sehr dünn. Außer der Epidermis sind nur drei Zellschichten vorhanden. Eine Verschiedenheit im Bau des 77. Assimilationsparenchyms tritt auf Ober- | und Unterseite so gut wie nicht hervor. Es ist also bezüglich der Lichtwirkung wahrscheinlich gleichgültig, welche Seite nach oben, welche nach unten gekehrt ist. Ebenso wird es bei der diffusen im Wasser herrschenden Beleuchtung auf eine flache Ausbreitung weniger ankommen, als bei einer Landpflanze. — Drehblätter höchst merkwürdiger Art besitzt auch die Utriculariacee Genlisea, " doch sind nur die beiden langen (an- fangs geraden) Arme der ım Boden steckenden Schlauchblätter gedreht. Es kann bezüglich der Gestaltung und Funktion dieser Blätter auf früher (sesagtes und bildlich Dargestelltes ?) verwiesen werden. Es wurde dort ver- sucht, auszuführen, daß der Drehung dieser Blätter eine bestimmte Bedeutung zukommt. Das ist natürlich auch dann durchaus nicht ausgeschlossen, wenn die Drehung „zufällig“ zustande kam wie bei Juncus, Codiaeum u. a. Diese Pflanzen sind auch deshalb von Interesse, weil sie. zeigen, daß Drehung an Blättern verschiedensten Baues auftreten kann — an dorsi- ventralen, unifazialen und solchen bei Fig. 117. Typha angustifolia. Drehung denen (wie bei Aponogeton ulvaceus) der Blätter (verkl.). der Blattbau auf beiden Seiten — wenigstens was das Mesophyll betrifft — kaum verschieden ist. Dasselbe gilt für die normal in verschiedenem Grade meist aber schwach gedrehten Blätter von Typha, Iris unguiculata und andere Monokotylen, die freie, stark belichtete Standorte bewohnen. Es wird hier ebenso wie bei den der Monokotylen-Blattform sich nähern- den einfachen Blätter mancher Eryngium-Arten das Sichtbarwerden der Drehung einerseits wohl mit dem starken Längenwachstum zusammen- hängen, andererseits damit, daß bei äquifazial gebauten Blättern, bildlich gesprochen, das Bestreben, eine Ausbreitung der Blattfläche in Einer Ebene herbeizuführen (ein Vorgang, welcher im einzelnen noch nicht k 1) Gorse, Pflanzenbiolog. Schilderungen II, 1 (1891) p. 126, Organographie 2. Aufl, (1913) p. 1f. Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 197 näher geprüft ist) offenbar ein geringeres ist, als bei dorsiventral gebauten Blättern. Bei diesen kann also eine Asymmetrie leichter verdeckt” ei als bei den andern. Man hat die Drehblätter der Monokotylenblätter meist mit Her. stellung einer größeren Biegungsfestigkeit in Verbindung gebracht. Es kann darüber auf früher (p. 184) Gesagtes und das unten für die Gras- blätter zu Bemerkende verwiesen ander: Hier sei nur noch betont,, daß Drehblätter bei Monokotylen — auch abgesehen von den Gräsern — nicht etwa etwas Seltenes sind, sondern außerordentlich verbreitet vorkommen, nur hat man sie meist nicht beachtet, mit Ausnahme einiger besonders auffallender Beispiele, was dann vielfach zu unhaltbaren teleologischen Deutungen geführt hat. Namentlich sei nochmals hervorgehoben, daß Drehblätter bei Pflanzen der verschiedensten Standorte vorkommen — -bei Wasserpflanzen, Sumpfpflanzen, „Mesophyten* und Xerophyten. Das sei noch durch einige Beispiele belegt, was um so weniger überflüssig sein wird, als die Drehblätter meist vollständig totgeschwiegen worden sind. Fig. 118. Buphane disticha. Habitusbild (stark verkl.). Alle Blätter mit gedrehter Spreite, Cyrtanthus obliquus ist eine Amaryllidee, deren Art-Namen wohl won der eigentümlichen Blattgestaltung herrührt!. Die Blätter sind lederig (wie bei Clivia) etwa 30 cm lang und 2—4 cm breit. Sie sind so stark ge- dreht (namentlich in ihrem oberen Teil), daß sie dadurch schon von weitem auffallen. Eine mechanische Bedeutung der Drehung der Blätter kann bei ihrem lederigen Bau (der sie ja ohnedies fest macht) wohl nicht in Betracht kommen. Eher könnte man (ähnlich wie bei Rochea falcata ?)) an eine durch die Drehung bedingte teilweise Profilstellung denken. Doch ist darüber ohne Kenntnis der Lebensbedingungen nichts Sicheres auszusagen. Der Blattbeschaffenheit nach dürfte die Pflanze an trockenen, sandigen Standorten vorkommen. An solchen findet sich auch die merkwürdige Buphane disticha (Fig. 118), deren Blätter gleichfalls Drehblätter sind. ') Vgl. die Abbildung in Botanical magazine Vol. 28/(1808) Pl. 1133. Aus eigener Ansehauung ist mir die Pflanze nicht bekannt. PER, ®) Vgl. GoeseL, Organographie 2. A. p. 202. a EN I EEE ae a} b Acer TIERE Ds 198 Fünfter Abschnitt: Es findet eine einmalige, seltener zweimalige Drehung der Blattfläche um 90° statt, so daß deren oberer Teil Profilstellung aufweist, ähnlich wie dies auch bei Typha (Fig. 117) der Fall ist. Ob das für die Pflanze: von Wichtigkeit- ist, ist eine andere Frage !). Weniger auffallend sind die Drehblätter von Butomus umbellatus, Iris Pseudacorus, Pancratium maritimum, Nareissus- und Allium-Arten, z. B. A. nutans, A. rotun- dum, senescens, A. scorodoprasum ?). Dagegen ist die schraubenförmige Drehung, welche die Blätter von Xyris operculata (einer australischen Art) ausführen, sehr eigentümlich ?). Auch für die harten, unifazialen Blätter dieser australischen Pflanze ist ein Nutzen der Drehung nicht einzusehen, sie werden auch ohne Drehung die Blätter in der „Profilstellung“ haben. Ebenfalls von der Drehung des Blattes hat Gethyllis spiralis *) ihren Namen erhalten („foliis.... filiformibus, canaliculatis, nudis, rigidiusculis, superne spiraliter tortis, modoque in gyros circumvolutis“) wie Cyrtanthus obliquus eine Kappflanze, wie denn in der Kapflora Drehblätter und unsymmetrische Blätter besonders "häufig vertreten zu sein scheinen. Wir sehen die Drehung also auftreten bei Blättern sehr verschiedener Gestalt — bei schmalen und breiten, bifazialen und unifazialen, namentlich auch bei solchen, bei welchen die für andere Monokotylenblätter aufge- stellten teleologischen Deutungen (vgl. bei den Gras- blättern) keine Anwendung finden können. Auch unter den Hochblättern kommen solche vor, die gedreht sind. So die „Spatha“ der merkwürdigen Infloreszenzen von Lasia aculeata (Fig. 119). Diese Aroidee zeigt eine große Verschiedenheit der Länge zwischen dem Kolben und dem ihn umgebenden Hüllblatt. Letzteres war an der Fig. 119 abgebildeten Infloreszenz über 30 cm lang. der Kolben noch nicht einmal 3,5 cm. Er sitzt also tief unten in der Spatha. Diese ist ursprünglich gerade, erst später gedreht. Die Abbildung Fig. 119, Lasia zeigt deutlich die Windungen der Spatha. Diese ist aculeata. Junge dick und fleischig; die Interzellularräume sind stark Infloreszenz stark entwickelt. az Sie schlägt sich beim Aufblühen nicht etwa zurück, so daß der Spadix frei gelegt wird. Vielmehr öffnet sie sich nur in ihrem unteren Teile, dort wird ein breiter Zugang zum Spadix hergestellt. Der viel größere obere Teil des Spatha bleibt zu- sammengerollt. Aber die Ränder liegen nicht mehr dicht aufeinander. Es 1) Die Blätter sind in ihrem (allein untersuchten) oberen Teile äquifazial gebaut, mit dieker Kutikula und eingesenkten Spaltöffnungen versehen. ?) Selbst die kleinen Blätter unterhalb der Infloreszenz pflegen hier die Drehung aufzuweisen, eine mechanische Bedeutung für diese ist- ausgeschlossen. he für die derb gebauten Blätter von A. rotundum. ne a- 8.0. PL. dIDE: ) Abbildung a. a. O. Vol. 27. Pl. 1088. Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 199 ist:'also: möglich, daß — vielleicht angelockt durch eine im Innern der 'Spatha herrschende höhere Temperatur — kleine Tiere durch die Zwischen- räume in das Innere hineinkriechen, und daß ihnen dann die Offnung an der ‚Basis der Spatha den freien Ausgang gestattet. Darüber können nur Beobachtungen am natürlichen Standort Auskunft geben. '+!/Daß die Drehung der Spatha mit ihrer bedeutenden Längenentwick- lung im Zusammenhang steht ist sehr wahrscheinlich. Daß auch gedrehte Blätter der Blütenhüllen (ganz abgesehen von der in gedrehter Knospenlage befindlichen) vorkommen, sei kurz erwähnt. So bei manchen Orchideen wie Schomburgkia undulata!), beim Labellum von Himantaglossum hircinum, den seitlichen Perigonblättern von Paphiopedilum Chamberlainianum u. a., ferner denen von Uvularia grandiflora. Diese Dreh- blätter zeigen nicht nur die weite Verbreitung des asymmetrischen Blatt- wachstums — sie sind auch deshalb von Interesse, weil auf sie die teleo- logischen Deutungen, die man andern (der Assimilation dienenden) Dreh- blättern gewidmet hat, keine Anwendung finden können. Alle diese Beispiele wurden hier auch deshalb erwähnt, weil sie mir von Bedeutung scheinen für die Beurteilung der Blätter, die bei der Ent- faltung eine Resupination ?) ausführen. Denn bei ihnen handelt es sich, der hier vertretenen Auffassung zufolge, wesentlich um dieselbe Erschei- nung wie bei den Drehblättern, von denen sie sich auch nicht scharf trennen lassen. Zunächst seien einige typische Beispiele von Blattresupination angeführt. $ 8. Resupinierende Blätter. Als solche bezeichnen wir zunächst die, welche bei der Entfaltung ihre obere (adaxiale) Blattfläche nach unten kehren. Bekannte Beispiele dafür bieten einige Alstroemeria- und Pharus-Arten ?), sowie Allium ursinum. Ein Grund, auch Blätter mit gedrehter Blattspreite (wie z. B. die oben für Codiaeum und Juncus effusus erwähnten) als resupinierende zu be- zeichnen, liegt meiner Meinung nach nicht vor, wenn auch, wie schon er- wähnt, eine scharfe Trennung zwischen Drehblättern und resupinieren- den sich nicht durchführen läßt. Der Unterschied liegt eigentlich nur darin, daß bei einem resupinierenden Blatt die Drehung nur an Einer Stelle (Blattstiel oder Blattbasis erfolgt), während die Drehblätter oft mehrere Drehstellen aufweisen und nicht die regelmäßige Orientierung der nach oben gedrehten Blattfläche zum Lichte zeigen, wie die resupinierenden. Aber beide Formen können in ein und derselben Familie (z. B. bei den Gräsern) vorkommen, was gleichfalls darauf hinweist, daß es sich bei beiden um im Grunde übereinstimmende Vorgänge handelt. ‚Das merkwürdige Verhalten mancher Blätter, die bei der Entfaltung eine Drehung um 180° ausführen, mußte um so mehr auffallen, als man bei manchen Pflanzen, welche diese Entfaltungsbewegungen ausführen, leicht wahrnehmen kann, daß sie „invers-dorsiventrale“ *) Blätter besitzen, d. h. 2) Die Parigonblätter sind nicht lediglich — wie der Namen besagt — gewellt, sondern an der Spitze meist deutlich gedreht. 2) Ngl. über diesen Begriff und seine Entstehung das bei der Blütenresupination angeführte. ' #) Bezüglich anderer s. Goeser, Organographie 2. A. p. 275. - “4)Vgl. GOEBEL, Organographie 2. A. p. 496. — Zuerst beobachtete R. Brown bei der südafrikanischen Kompositengattung Metalaxia die Drehung. Von den nadelförmigen Blättern heißt es „by a remarkable twisting they are in most of the, species resupinate“ (Coll. works II p. 302). 200 Fünfter Abschnitt: es behalten zwar die Leitbündel des Blattes ihre normale Orientierung (Siebteil nach unten) aber sonst zeigt die adaxiale (also ursprünglich obere) Fläche des Blattes einen Bau, wie er normal der abaxialen (d. h. unteren) zukommt, sei es nun, daß auf ihr ausschließlich oder vorzugsweise die Spalt- öffnungen vorkommen, oder daß auch die Ausbildung des Assimilations- parenchyms eine verkehrte ist!). Die letztere bedingt, daß man bei Allium ursinum, Alstroemeria-Arten, Pharus schon mit bloßen Auge die „Ver- tauschung“ der beiden Blattflächen wahrnehmen kann. 7 2 Fig. 120, Alstroemeria psittaeina. Alle Blätter um 180° gedreht. Nichts lag also näher, als anzunehmen, /daß diese die Drehung be- dinge. So hat schon VAUCHER ?) aus der anatomischen Beschaffenheit der beiden Blattfläichen geschlossen, daß die Blätter zu einer Drehung prädis- poniert seien. Dasselbe sagen viele Jahre später SCHWENDENER "und ” „Um daher die gleiche Orientierung wie diese (— d. h. die !) Das gilt bei Alstroemeria nur für den oberen, breiteren Teil des Blattes. Der untere schmälere ist, sowohl was die Epidermis als was die chlorophylihaltigen Zellen betrifit äquifazial gebaut, hat also auf beiden Seiten Spaltöffnungen, während der obere Teil solche nur auf der adaxialen Seite. führt. (So nach Untersuchung von A. „psittaeina“.) ?) A. a. 0. p. 298. Die Angabe, daß LinpLey zuerst darauf aufmerksam gemacht habe, ist also nicht richtig. vr ) A. 2.0.:9:46; NEST me Re A ae SG ET | RER Gi Per ’ = f Fa L Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 201 normal-dorsiventralen Blätter —) zu erreichen, sind die Alstroemeriablätter auch an ‚aufrechten Sprossen zur Ausführung bestimmter Drehungen ger zwungen.“ Das ist aber nur eine teleologisch gefärbte Umschreibung des Tat- bestandes. Die Frage ist, was „zwingt“ “die Blätter zur Drehung? Ist diese eine „zielstrebige“ (also nur zum Zwecke der Kohlenstoff-Assimi- lation usw. ausgeführte) oder eine durch die Blattstruktur gegebene — auch ohne erkennbaren Zweck erfolgende -— geht sie „autonom“ oder unter der Einwirkung äußerer Reize vor sich? Und wie ist die „Vertauschung“ der beiden Blattflächen zustande gekommen ? Y Diese Fragen wurden sehr verschieden beantwortet '). SCHWENDENER und KrABBE behaupten, daß die Drehungen bei Alstroemeria bei Ausschluß einseitiger Beleuchtung ausschließlich von der Schwerkraft bedingt werden. Es folge das schon aus der Tatsache, daß die Drehungen ausbleiben oder wiederum rückgängig gemacht werden, wenn man die Sprosse in inverser Lage festhalte. An einer anderen Stelle ihrer Abhandlung (p. 90) führen die Verf. aus, daß die Blattdrehungen auch auf dem Klinostaten bei alleiniger Ein- wirkung des Lichtes eintreten. Indes konnten sie die Versuche wegen der mangelhaften Beschaffenheit ihres Materials nicht zu Ende führen. ‚Jedenfalls betrachten sie die Drehung als eine durch äußere Faktoren induzierte, nicht autonome. Es ist auch leicht verständlich, wie man zu dieser Auffassung gelangen konnte. Sie ergab sich daraus, "daß gewöhn- liche dorsiventrale Blätter imstande sind, infolge von äußeren Einwirkungen (z. B. wenn die Pflanze um 180° gedreht wird) Drehungen auszuführen. Auf die Symmetrieverhältnisse der sich drehenden Organe wurde dabei nicht eingegangen, sonst hätte sich wohl schon früher die unten vertretene Auffassung ergeben. Schon längere Zeit vor SCHWENDENER und KraßeE's Mitteilung über Alstroemeria war das Verhalten von Allium ursinum untersucht worden. In einer Abhandlung, die reich war an neuen, wichtigen Beobach- tungen, hat Frank?) auch die Blattentfaltung von Allium ursinum be- sprochen. Er weist auf den „verkehrten Bau“ der Blattflächen hin, unter- suchte das Verhalten der Blattentfaltung bei Lichtabschluß und fand es nicht immer gleich. Teils neigte sich die ganze Blattfläche schräg über (so daß die morphologische Unterseite nach oben: gekehrt war), teils sah die Oberseite nach oben, teils hatten die Blattstiele” Torsionen bis zu 180° ausgeführt. Indes kommt er zu keinem ganz bündigen Ergebnis. Er meint, daß bei der natürlichen Stellung der "Blätter das Licht "die Haupt- rolle spielt, daß aber beim Blatt schon der gewöhnliche Wachstumsvorgang „eine ungleiche Verlängerung der beiden Seiten an der Basis der Lamina“ mit sich bringe (was allein natürlich niemals eine Drehung hervorbringen könnte — gemeint hat er aber wohl eine schief- asymmetrische). Doch scheint ihm auch eine Wirkung der Gravitation nicht ausgeschlossen. Daraufhin hat PrErrer°) die Vermutung geäußert, die Torsionen der Blätter von Allium ursinum und Alstroemeria könnten ohne äußere Ver- anlassung zustande kommen, seien also „autonome“. Bei den von mir untersuchten im Finstern ausgetriebenen Pflanzen *) Literatur De gs arun, die inverse Orientierung der Blätter von Alstroemeria Flora 85 (1898) p. 4 n 2) HE. B. en Die natürliche wagrechte Richtung von Pflanzen, Berlin-Leipzig 1870 p. 4 ®) W. PFEFFER, Pflanzenphysiologie, 1. Aufl. (1881) II p. 355, 202 Fünfter Abschnitt: von „Alstroemeria chilensis“ 1) waren die Blätter, wie Fig. 121 zeigt, zu- nächst viel mehr übergeneigt, als das bei der Entwicklung am Lichte der Fall ist, führten dann aber noch eine Drehung aus. Der Lichtmangel hatte also das Wachstum der Blattunterseite zunächst verstärkt, die Drehung aber nicht verhindert. Das dürfte mit den Beobachtungen von Frank von Allium ursinum ım wesentlichen übereinstimmen, wenn man annimmt, daß Frank viel- leicht verschieden alte Blätter verglich, oder daß die Förderung des hypo- nastischen Wachstums auch so weit gehen kann, daß die Drehung — wegen ‚Beendigung der Wachstumsfähigkeit — nicht mehr einsetzt. ÜZAPEK (a. a. O.) unter- suchte die Drehblätter von Alstroemeria mit besonderer Berücksichtigung der Frage, ob sie eine autonome oder induzierte sei. Er fand, daß die ersten Blätter von A. psittacına und haemantha scheidenförmig sind und sich nicht drehen ?). Dann folgen 1—3 Ubergangsblätter, welche größer sind, und sich um 90° drehen, die weiteren sind um 180° gedreht. Die Torsion erfolgt auch im Finstern, nur träger und unregelmäßiger. Ebenso erfolst dies am Klinostaten bei horizon- taler Drehungsachse im Fin- stern. Die Angaben von SCHWENDENER und KRABBE — daß die Drehungen indu- ziert seien — fand also ÜZAPEK nicht bestätigt; denn auch bei invers aufgestellten um eine vertikale Achse am Lichte rotierenden Pflanzen wurde die Torsion an noch wachstums- fähigen Blättern nicht aufge- hoben, sondern ging weiter bis zu einer Drehung um 360°. Die „physiologische Ober- seite“ war also dann. nach oben gekehrt. Meine Versuchspflanzen verhielten sich anders, als die von UZAPER. Nie führten bei inverser Lage der Pflanze nur eine Weiter- drehung um 90°, im ganzen also eine solche von 270° aus, so daß die Blattflächen annähernd vertikal standen. Das ist die für die Lichtaus- nutzung günstigste Lage, denn da für die umgekehrten Pflanzen wegen der Fig. 121. Alstroemeria chilensis. Etiolierte Sprosse. ') Die Richtigkeit der Bezeichnung kann ich nicht verbürgen. RE °) Sie entsprechen offenbar dem unteren, wie oben erwähnt wurde, äquifazial 'ge- bauten Teile der Folgeblätter. Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 203 Beschattung durch den Topf usw. das Oberlicht so gut wie nicht in Be- tracht kommt, sind sie der Hauptsache nach auf Seitenlicht angewiesen. Wie ÜzaPEk sich den Gesamtvorgang vorstellt, ist seiner Darstellung nicht: ganz leicht zu entnehmen !). Denn einerseits sagt er, daß „wenigstens während der ontogenetischen Entwicklung“ die „Tendenz zur Torsion sowie die inverse Flankenausbildung ?) nicht von außen induziert wird“ (a. a. O. p. 435), andererseits wird für die Profilstellung der Laubblätter und die Transversalstellung einmal ausgebildeter Blätter angegeben, „daß die wesentliche Reizursache bei diesen Torsionen, wie in der Regel bei Laub- blättern, das Licht ist“. Wie sich das damit vereinigen läßt, daß die Torsion auch im Finstern verläuft, ist aber nicht ohne weiteres klar. Wahrscheinlich aber geht seine Meinung ebenso wie die PFEFFER’s®) dahin, daß „die Drehung eine „autonome“, das Blatt aber im übrigen mit einer Orientierungsfähigkeit zum Lichte begabt sei. Diese Auffassung entspricht nach meiner Ansicht den tatsächlichen Verhältnissen, dann, wenn man hinzufügt, daß „autonom“ bedeutet durch den inneren Aufbau bedingt. Also durch eine Wachstumsasymmetrie, die schon unter den gewöhnlichen Wachstumsbedingungen eintritt, nicht erst durch die Einwirkung von Schwerkraft und Licht in Tätigkeit gesetzt wird — womit nicht gesagt ist, daß äußere Faktoren nicht bei dem Verharren des Blattes auf einem bestimmten Drehungsstadium be- teiligt seien. Die Blätter von Alstroemeria und Allium ursinum schließen sich also den oben erwähnten Drehblättern anderer Pflanzen unmittelbar an. Nur ist das asymmetrische Wachstum beı ihnen beschränkt auf die untere: blattstielähnliche Zone, bei Pharus, wie wir sehen werden, auf das Scheidengelenk.. Schon die Verfolgung der Entwicklungs- Fig. 122. Alstroemeria psittacina, geschichte macht die Annahme, die Torsion sei Knospe. Bei N Drehung der Mittel- eine Schwerkraftswirkung, unwahrscheinlich. rippe des unentfalteten Blattes Mit Recht hat Üzarer hervorgehoben, daß Buena ur) die Blätter der Alstroemerien bereits in der Knospenlage die „Tendenz zur Drehung“ verraten. Wenn man ein junges noch unentfaltetes Blatt von Alstroemeria psittacina betrachtet (Fig. 122), sieht man deutlich, daß der auf der Unterseite vorhandene, der Mittellinie des Blattes entsprechende Kiel schief, nicht gerade zur Längsachse des Sprosses verläuft. Die Drehung ist also schon vor der Entfaltung eingeleitet, sie wird bei dieser nur zu Ende geführt. Das asymmetrische Wachstum tritt also von Anfang an deutlich hervor. Man könnte versuchen, diesen Vorgang schon in die ersten Entwicklungs- stadien des Blattes zu verlegen, also anzunehmen, daß in diesen eine Drehung stattfinde, derart, daß die adaxiale Seite der Blattanlage, welche zur Ausbildung als „Oberseite“ prädisponiert ist, nach unten gelange. Aber ‘ 2) Daher rührt es auch wohl, daß Neser (Flora 104 p. 102) irrig angibt, „Üzarek, welcher die Ursachen der Resupination der Alstroemeriablätter auf experimentellem Wege zu ermitteln suchte, kam zu dem Resultat, daß dieselbe durch das Licht be- dingt' sei“. i ‘ 2): Ist wohl ein Druckfehler für Flächenausbildung. +43) Pflanzenphysiologie 2. Aufl. II p. 691. 204 Fünfter Abschnitt: es fehlt für eine solche Annahme bis jetzt an jeder enbwicklungsgeschioht 9 lichen Grundlage. Wer den Pflanzen die Fähigkeit zuschreibt, ihre Organbildung von vornherein zweckmäßig einzurichten, wird die „Umkehrung“ der Blatt- struktur, wenn sie spontan vor sich geht, als einen gewohnheitsmäßig gewordenen Vorgang ansehen '). Dazu ist zu bemerken, daß, wie wir oben sahen, Blattorsionen auch ohne Verkehrung der Blattspreiten eintreten, letztere also nicht das Primäre zu sein brauchen. (sanz ähnlich wie bei Alstroemeria liegen die Verhältnisse offenbar bei Allium ursinum. Namentlich sei darauf hingewiesen, dab die Asymmetrie im Blattbatı schon im Querschnitt des Blattes (Fig. 123) deutlich hervortritt. Es ist daraus auch erklärlich, daß, wie A. Braun *) hervorhebt, die Umdrehung | (des Blattstiels „konstant rechts“ erfolgt, wie denn auch eine Drehung um 540° vorkommt. Die Abbildung zeigt auch, dab die „Verkehrung“ des Blattes sich nicht nur in der (in der Figur nicht sichtbaren) Ausbildung der Epidermis und des Assimilationsgewebes, Son- dern auch in der Berippung zeigt. Man sieht, wie: die „Mittelrippe“ stark nach der adaxialen — statt ‘wie sonst nach der abaxialen — Seite hin vorspringt. Das ist zu berücksichtigen bei den Ver- mutungen über das Zustande- Fig. 123. Allium ursinum. Querschnitt durch eine kommen der „Vertauschung“ Knospe im März. .J Infloreszenz, A BC asymıne- der Blattflächen, die meist nur trische Blätter im Querschnitt (C gehört einem auf die beiden erstgenannten Achselsproß an). Bauverhältnisse Rücksicht neh- men. Ob die „Vertauschung* dieser dann auch die Änderung in der Berippung zur Folge haben kann, wäre erst nachzuweisen. Übrigens hat schon Irmısch erwähnt, daß die beiden Blattflächen entweder durch Torsion oder durch UÜberliegen wieder in die „normale“ Lage kommen. Letzteres dürfte namentlich an lichtarmen Standorten eintreten. ss Je a5 x a a vo R Bun Er Sa ME nl Ben a he RT u ea na ar Ir Le er TEN s 9. Drehblätter bei Gräsern a), Auf Waldboden tritt in Zentral- und Südamerika vielfach ein Gras durch die merkwürdige Gestaltung seiner Blätter hervor. Es ist. die une Pharus. Auffallend sind die Blätter durch ihre für ein Gras !) Vgl. Liınoman, Morphologie und Biologie einiger Blätter, Bihang till K. Svensk Vetensk. Ak. Handlingar Bd. 25 Afd. II 1899. 2 Botan. Zeitung 1870 p. 550. ®) Hier handelt es sich natürlich nur um aktive, nicht um passiv ausgeführge Drehungen bei Grasblättern. Die in der Literatur aufgetanchte Behauptung, daß die Drehung der Grasblätter durch Wind usw. bedingt- sei, erfordert keine Widerlegung. FE IR 6 Rare ihr hei Aagari DER SE BET a a ee. } Wr . Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 205 ungewöhnlich breite ') asymmetrische Blattspreite, das Vorhandensein einer Art Blattstiel zwischen Spreite und Scheide und die Drehung, welche dieser in seinem oberen Teile bei der Entfaltung ausführt. LiyDMAn (a. a. OÖ. p. 45) hat für Ph. glaber geschildert, wie die Gesamtfläche der Blätter eines Sprosses, von oben gesehen, ähnlich dem Blatte von Alche- milla vulgaris eine fast offene flache Schale bilden, wodurch eine gegen- seitige Beschattung der Blätter vermieden wird. Die Tatsache, daß die abaxiale Seite des Blattes die Struktur hat, welche sonst der Oberseite zukommt, will Lınpman darauf zurückführen, daß das Blatt lange Zeit im gefalteten Knospenzustand aufrecht verharrt, also die abaxiale Seite längere Zeit die Lichtseite sei. .An der freien Unterseite bildet sich deshalb das assimilierende Gewebe aus, - anderenfalls würden die großen Blätter allzulange müßig blei- ben.“ Er betrachtet also die „Umkehr“ des Blattbaues als eine im Verlaufe der Einzel- entwicklung erfolgende. . Dagegen erheben sich in- des gewichtige Bedenken. Wenn ein Blatt dem Lichte ausgesetzt wird ist seine Gewebeausbildung (Entwicklung der Spaltöffnun- gen usw.) in den bisher unter- suchten Fällen schon _ fertie. Pharus wird sich kaum anders verhalten. Die Entscheidung darüber könnte der Versuch erbringen, dem ich die einzige in unserem Garten noch vorhandene leben- de Pflanze nicht opfern wollte. Aber es erwies sich auch nicht als notwendig. Denn Ph. lati- Fig.}124. Pharus latifolius (verkl.). Alle Blätter folius zeigt nicht, wie das um 180° gedreht (verkl.). Linpman von Ph. glaber an- gibt, eine gefaltete Knospen- lage, sondern eine gerollte. Es ist also hier (obwohl die Einrollung nach oben hin vor sich geht) keine Rede davon, daß das assimi- lierende Gewebe sich an der „freien Unterseite“ ausbilde. bzw. in der Knospenlage auf dieser liege. Man müßte schon die weitere Vermutung aufstellen, ursprünglich seien auch die Blätter von Ph. latifolius gefaltet gewesen und sie hätten die in dieser Lage „erworbene“ umgekehrte Struktur auch bei der Anderung der Knospenlage beibehalten. Niemand wird einen solchen Aufbau von einer Vermutung auf eine andere für einen Gewinn halten, wenn keine Tatsachen bekannt sind, die dazu drängen. Das ist elle !) Bei Ph. glaber beobachtete ich Blätter von über 9cm größter Breite. — Das unter der Infloreszenz stehende Blatt führt häufig nur eine Drehung um 90° aus. Das werden wir, ebenso wie das entsprechende Verhalten der ersten Blätter der Alstroemeria- sprosse, damit in Zusammenhang bringen dürfen, daß es sich bei diesen Blättern um Hemmungsbildungen handelt, welche den Entwicklungs- (bzw. Enfaltungs-)gang der übrigen Blätter nicht vollständig durchmachen. Aa 3 > ! ge j u Kr e Tr pe e oe “ 206 Fünfter Abschnitt: aber bei Pharus nicht der Fall. Daß sich die einzelnen Arten in der Entstehung des Blattbaues voneinander verschieden verhalten sollten, ist äußerst unwahrscheinlich. Wenn eine Vertauschung der Blattflächen stattgefunden hat, so ist sie also nicht mehr eine ontogenetisch bedingte. Merkwürdig ist die (bisher nicht untersuchte) Art und Weise wie die Drehung bei Pharus zustande kommt. Sie erfolgt nämlich durch ein besonderes Entfaltungs- E a b R das erinnert an SS 5 die Entfaltungszellen,. wie eu ER } oe sgassu ne, wir sie in vielen Grasblättern eagzeee: antreffen. Ein Querschnitt durch die „Mittelrippe“ des Blattes (Fig. 125) zeigt in dieser ein annähernd symmetrisches, halbmondförmig gekrümm- tes Band von dünnwandigen Zellen mit hellem, anschei- nend schleimführenden In- halt, das von Epidermis zu Epidermis sich erstreckt. Ss ©: Fig. 125. Pharus latifolius. Ausgewachsenes Blatt, Querschnitt durch die Mittelrippe der Blattspreite. (Leitbündel nur angedeutet.) > SER EN Fig. 126. Pharus latifolius. Querschnitt durch die (spätere) Drehungsstelle eines jungen noch ungedrehten Blattes. Die geförderte Blatthälfte liegt rechts. Ein entsprechendes . Gewebe findet sich auch in dem stielartig ver- schmälerten unteren Teil der Blattspreite, welcher die Drehung ausführt. Diese findet verhältnismäßig spät statt, dann, wenn die Gewebebildung der Hauptsache nach schon fertig ist. Das Entfaltungsgewebe aber ist hier asymmetrisch angeordnet (Fig. 126). Die Asymmetrie zeigt sich darin, daß auf dem der breiteren Blatthälfte zugewandten Teile das Entfaltungs- gewebe mehr entwickelt ist, als auf der anderen. Man sieht das auch an der Lagerung des in Fig. 127 durch Schraffierung angedeuteten Sklerenchym- bandes unter der Blattoberseite. Übrigens möchte ich annehmen, daß das Entfaltungsgewebe von Anfang an nicht nur asymmetrisch, sondern schwach % ie Kar N Re) et Be aa ir a Are 2 INGENIEUR BR NETTE ER NEIN 9, ERS EN ER ee we FI nv E} hr Par +23 x m £ ı N m * 2 £ Y EL Y re 1 Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 207 gedreht verläuft. Die Drehung des Blattes erfolgt durch eine Volumver- änderung des Entfaltungsgewebes, die im einzelnen zu verfolgen mir mein spärliches Material nicht erlaubte. Doch findet offenbar namentlich auf der geförderten Seite eine Volumvergrößerung statt, die, da sie schief zur Längsachse verläuft, die Drehung herbeiführt (Fig. 127). Für uns ist die Hauptsache die, daß deutlich nachweisbar ist, daß die Drehung auf einem von vornherein durch den Bau bedingten asymmetri: schen Wachstumsvorgang beruht. 2 Ga BRETT 5 z II II x Q RS 22 S 1% > Ey ger II 507 se eis ne SL \ Ya ' 0% Ü R os FE De a 7 VARKCH N: Fig. 127. Pharus latifolius. Ausgewachsenes Blatt, Querschnitt durch die Drehungsstelle. Wie bei Alstroemeria sind es also zunächst auch hier innere Bau- verhältnisse, welche die Drehung bedingen, obwohl diese bei Pharus in ganz anderer Weise auftreten. Würde auch in der Mittelrippe das Entfaltungsgewebe asymmetrisch werden, so würde die ganze Spreite ge- dreht werden — ein Vorgang, der selbstverständlich anderwärts auch auf andere Weise zustande kommen kann. Pharus stellt unter den Gräsern das auffallendste Beispiel von Resupi- nation dar, auffallend einerseits durch die Art der Drehung, andererseits durch die „Vertauschung* von Ober- und Unterseite der Blätter: die adaxiale Seite (morphologische Oberseite) ist heller grün, als die Unterseite. . Dies rührt daher, daß die Epidermiszellen hier höher sind, als auf der abaxialen, und daß (bei den untersuchten Gewächshauspflanzen) auf der abaxialen Seite zwei auf der adaxialen nur Eine Lage von Assimilations- zellen vorhanden ist. Die Spaltöffnungen befinden sich nur auf der (adaxialen) Oberseite. Es hat also einen teleologisch deutbaren Sinn, wenn das Blatt sich so dreht, daß die spaltöffnungsführende Seite wie gewöhn- 7 t EEK ” = 308 Fünfter Absehnitt: BEE DENN lich nach unten kommt. Bei anderen Gräsern ist das, wie noch angeführt werden soll, anders. Unter den einheimischen Gräsern finden sich eine ganze Anzahl mit Blättern, welche teils eine „deutliche und konstante Drehung“, teils eine Umlegung des Blattes nach der anderen Seite des Stengels zeigen. A. BRaux !), welcher meint, daß bei diesen Gräsern ‘eine „Verwechslung der Blatt- flächen“ vorliege, zählt auf: Lolium temulentum, Brachypodium, Calama- grostis, Hierochloa, Festuca elatior für Drehung nach links; Festuca rubra und heterophylla, Setaria für Drehung nach rechts, Melica und Festuca silvatica für Um- legung des Blattes. Die Verwechslung der Blattflächen soll sich nament- lich äußern in dem Aussehen der beiden Blattflächen und der Verteilung der Spaltöffnun- gen, die z. B. bei Lolium temu- lentum auf der matten rauheren adaxialen Seite in größerer Anzahl vorkommen, als auf der abaxialen. Dazu ist zu bemerken, daß Blätter mit „ge- drehten“ Blattspreiten auch bei anderen Gräsern außerordent- lich verbreitet sind, z. B. kann man solche auf jedem Weizen- acker an den jungen Pflanzen in Menge sehen. NeGeEr?) hat zuletzt die hier auftretenden Erscheinun- Fig. 128. Sproß von Triticum repens mit stark Sen untersucht. Er findet, _ daB gedrehten Blättern (nach NxGer). bei Poa nemoralis das „UÜber- !) Bot. Zeitung 1870 p. 551. In Drcannorue’s Phys. vegetale II .p. 848 heißt es: „M. Ernest MeyYER a remarqu& qu’il est des graminees qui tordent d’elles-m&mes leurs feuilles, de maniere que leur face inferieure devient la superieure.* Mein Exemplar des Buches gehörte früher A. Braun, der dazu die Bemerkung eintrug z. B. Allium ursinum! Alstroemeria! O wie unwissend sind die Leute! Und wie blind!“ 2) F. W. Neser, Studien über die Resupination von Blättern Flora 104 (1912) p. 102ff. Es sei gestattet, eine mich betreffende Angabe in dieser Abhandlung. hier zu ergänzen. NEGER meint: „Nach GoEzEL ist also die Bedeutung der Resupination der Grasblätter in einer Regulierung der Transpirationstätigkeit zu suchen.“ Das habe ich nicht behauptet. Ich ging von der Vermutung aus, daß die Verkehrung der Blatt- spreiten bedingt sei dadurch, daß die Blätter ursprünglich Rollblätter waren, und als solche ihre dem Licht allein zugängliche morphologische Unterseite anatomisch als Ober- seite (und umgekehrt) ausbildeten. Wenn sie infolge einer Veränderung ihrer Lebens- bedingungen wieder in feuchte Luft gelangten, und sich ausbreiteten, befand sich das Blatt in „verkehrter“ Stellung und drehte sich (sei es unter der Einwirkung des Lichtes, sei es durch andere Ursachen) in die „normale“ Lage. Dabei kommt aber natürlich nicht nur die Transpiration, sondern auch die Lichtlage in Betracht. Das Licht wirkt einer- seits auf die Assimilation, andererseits auf die Transpiration. In feuchterer Luft be- findliche Blätter werden auch bei Transpirationssteigerung weniger leicht in die Ge- fahr kommen, ihre auf der Oberseite befindlichen Spaltöffnungen zu schließen und da- durch in der Kohlenstoffassimilation zurückzustehen. Das waren die damals: von mir vertretenen teleologischen Ansichten, die sich übrigens nur auf wirklich resupinierte, nicht auch auf einfach gedrehte Grasblätter bezogen. Wie leicht man bei teleologischen Deutungen fehl geht, zeigt meine Außerung über die untersten Blätter von Meliea - Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 209 schlagen“ der Blätter nur unter bestimmten Belichtungsverhältnissen erfolgt (Seitenlicht), während bei Milium effusum die Resupination auch bei Be- leuchtung von oben eintritt. Resupination und Verteilung der Spaltöffnungen gehen nicht immer Hand in Hand. Denn die erstere findet sich zwar bei Gräsern, die auf der morphologischen Unterseite keine Spaltöffnungen haben (z. B. Melica nutans, Brachypodium silvaticum), aber auch bei solchen, bei denen, wie bei Mil. effusum die Unterseite verhältnismäßig viele Spaltöffnungen besitzt. Im übrigen ist NEGER (wie früher auch der Verf.) davon überzeugt, ‚daß die Resupination eine zweckmäßige Bewegung, eine Anpassungs- erscheinung, se. Zwar könne die Anschauung, sie stehe im Dienste des ‚Transpirationsschutzes nicht mehr in voller Ausdehnung aufrecht erhalten werden. Wohl aber komme neben diesem (in bestimmten Fällen) in Be- tracht die Lichtausnützung !) und vor allem bei der Mehrzahl der Gräser ‚die mechanische Festigung, eine Annahme für die früher schon STAHL bezüglich der Alstroemeriablätter eingetreten war. Daß ein tordiertes Blatt eine größere mechanische Festigkeit hat, als ein flaches ist sicher. Und wenn nur zarte Blätter sich drehen würden, die ohne diesen Vorgang ihr Eigengewicht nicht tragen und Wind und. Regen nicht widerstehen könnten, so würde man ohne weiteres zugeben, daß das der „Sinn“ der Torsion sei. Aber z. B. ein Pharusblatt ist nichts weniger als zart. Er hat vielmehr sehr zähe Fasern. Für ein Waldgras kommt der Windschutz nicht in Betracht, sondern nur. allenfalls eine Schädigung durch die schweren vom Laubdach der Bäume sich ablösenden Wassertropfen. Indes die Blättfläche kann deren Anprall jedesmal leicht ausweichen, und der stielartige Teil der Blätter ist allen mechanischen Ansprüchen auch ohne Drehung gewachsen. Allen diesen teleologischen Deutungen liegen doch im Grunde nicht Tatsachen, sondern Denkrichtungen zugrunde! Die Tatsachen, soweit wir sie kennen, sind die: Bei vielen Grasblättern tritt ein asymmetrisches Wachstum ein, namentlich dann, wenn das Wachstum überhaupt gefördert ist), also bei größerer Luftfeuchtigkeit usw. Diese Drehung kann bei vielen Gräsern ohne Beeinträchtigung ihrer Funktion ‚auftreten, weil der Unterschied im Bau der Ober- und der Unterseite bei ihnen (abgesehen von der Verteilung der Spaltöffnungen) meist kein sehr ‚großer ist. Wo das letztere der Fall ist, also ein deutlicher Zusammen- hang zwischen Drehung und Blattbau besteht, fragt es sich, wer von beiden mit der Umkehr sozusagen „angefangen“ hat. Nach dem oben über das „zufällige“ Auftreten von Drehblättern in anderen Verwandtschaftskreisen nutans. Von diesen hatte ich beobachtet, daß sie sich nicht drehen, und brachte das damit in Zusammenhang, daß sie in feuchterer Luft als die weiter oben stehenden sich befinden. Es handelt sich aber darum, daß diese Blätter (ebenso wie die unter der Infloreszenz stehenden, auf deren gleichartiges Verhalten Neger hinwies) den übrigen gegenüber gehemmt sind — ebenso wie die ersten Blätter eines austreibenden Alstroe- _ meriasprosses — und deshalb die Drehbewegung nicht oder nur unvollständig ausführen. !) Bei der sehr wenig ausgeprägten Dorsiventralität des assimilierenden Blatt- parenchyms der dünnen Blätter z. B. von Brachypod. silvaticum wird es für die Licht- ausnutzung kaum von Bedeutung sein, welche Fläche oben liegt. 2) Dies ist auch bei manchen Sproßachsen der Fall, die nur unter bestimmten Be- ‚dingungen (solchen, die wachstumsfördernd wirken) schlingen. So führt schon JacquIn (Seleetarum stirpium americanarum historia, Vindobouae 1763 p. 22) an, daß Ipomoea carnea an offenen Standorten aufrecht wachse und niedrig bleibe, in Wäldern aber als Kletterpflanze eine mehrfache Länge erreiche. Ähnliche Fälle haben später Warning u.a. geschildert. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 14 PAAR 210 Fünfter Abschnitt: gesagten scheint es wahrscheinlicher, daß das asymmetrische Wachstum bei der Entfaltung das Primäre war. — Dafür spricht auch seine weite Verbreitung bei den Gräsern, auch bei Formen, bei denen zwischen Blatt- oberseite und Unterseite kein tiefgreifender Unterschied vorhanden ist. Für Brachypodium silvaticum sei noch folgendes erwähnt. Pflanzen, die ich im Herbst eingepflanzt hatte (unter Entfernung der oberirdischen Teile) hatten im Winter kurze Seitentriebe mit etwa 7 cm langen Blättern entwickelt. Diese zeigten, obwohl sie nur auf der Oberseite Spaltöffnungen aufwiesen, keine Spur von Drehung. Dagegen trat eine Torsion bei einigen (nicht allen) auf, als diese Blätter (an abgeschnittenen Sprossen) Wasser verloren. Andere Blätter rollten sich dabei nur nach oben hin ein. Es weist diese Beobachtung darauf hin, daß eine Asymmetrie der Struktur vorhanden ist, die bei schwachem Wachstum nicht zutage tritt, wohl aber bei Wasserverlust. Die Resupination und die Drehung der Grasblätter sind, soweit wir derzeit beurteilen können, ebenso wie die Resupination der Alstroemeria- und Allium ursinum-Blätter „autonome“ Vorgänge, die aber bei manchen nur bei starker Wachstumstätigkeit eintreten. Das von NEGER geschilderte „Überschlagen“ der Blätter von Poa nemoralis dürfte ein durch Einwirkung von Lichtmangel bedingter hyponastischer Vorgang sein. Als Anpassungserscheinung zur Herstellung eines höheren Grades von Biegungsfestigkeit kann die Blattdrehung nur ganz sekundär in Betracht kommen. $ 10. Daß man sich nicht damit begnügen kann, die Vertauschung der beiden Blattflächen als eine gegebene zu betrachten, und zu sagen: weil das einmal so ist. muß sich das Blatt „drehen“, ist klar. Denn diese Anschauung ist ja nicht etwa ein objektiver Ausdruck der Tatsachen. Sie setzt vielmehr etwas voraus, was keineswegs erwiesen ist. Nämlich daß die Vertauschung der Blattflächen der primäre, die Drehung der dadurch bedingte sekundäre Vorgang sei. Nun sahen wir aber, daß das für manche Drehblätter sicher nicht zutrifft. Die Drehung tritt nicht dadurch ein, daß die invers orientierte Blattfläche die untere Blattpartie zur Drehung ver- anlaßt. Diese ist vielmehr von vornherein für die Drehung eingestellt und führt diese spontan aus, dazu kommt dann noch eine Einstellbewegung der Blattspreite — ebenso wie bei der gewöhnlichen Entfaltung. Es ist freilich nur eine Vermutung (aber eine durch Tatsachen ge- stützte), daß die Dorsiventralität des Blattbaues auch bei den normal dorsiventral gebauten Blättern ursprünglich durch das Licht bestimmt worden sei, jetzt aber in vielen Fällen auch unabhängig von der Licht- wirkung auftrete. Ebenso könnte auch eine ursprünglich vom Licht induzierte Umkehrung der Dorsiventralität jetzt autonom sich einstellen. Nehmen wir also als sehr wahrscheinlich an, die Umkehrung des ana- tomischen Baues sei durch das Licht erfolgt, so ist damit noch nicht gesagt, daß dies geschah, zu einer Zeit, in der die Blätter noch keine Drehung ausführten. Wenn das der Fall wäre, so gäbe es wohl kaum eine andere Hypothese als die, diese Blätter seien ursprünglich aufrecht, der Sproßachse angeschmiegt oder Rollblätter gewesen ') — in beiden Fällen kennen wir Blätter von invers dorsiventralem Bau. Denken wir uns aber z. B. ein Blatt von Pharus, von gewöhnlich dorsiventralem Baue, das, bedingt durch das asymmetrische Wachstum der blattstielartigen Region, Resupination ausführt. Die durch diese herbei- !) Dies ist die in Organographie 1. Aufl. p. 496 gemachte Annahme. Entfaltungsdrehungen ‚(Morphologie des Unsymmetrischen). 311 geführte abnorme (verkehrte) Lage der Blattflächen konnte auf den Vege- tationspunkt des Sprosses als Reiz wirken, der bei den neugebildeten Blättern eine Vertauschung des Baues von Ober- und Unterfläche herbei- führte. Auch diese Vermutung nimmt ein (derzeit ganz unbewiesenes) Erblichwerden erworbener Eigenschaften an. Sie ist aber ebenso sehr berechtigt, oder wenn man will, ebenso wenig berechtigt, als die andeıen Versuche dieser Art, von denen sie sich dadurch unterscheidet, daß sie annimmt, daß die Vertauschung der Blattflächen erfolgte, weil das Blatt, vermöge seines asymmetrischen Wachstums, die Eigenschaft hatte, sich zu drehen und dadurch die Blattflächen in eine abnorme Lage brachte. Das ist bei den bis jetzt versuchten Deutungen ganz unberücksichtigt geblieben. ÜzAPrEXk gelangte zu der Annahme, daß die verkehrt orientierten Alstroemeriablätter sich ableiten aus „vertikal-flächigen, in Profilstellung befindlichen paraphototropen Laubblättern“. Er stützt sich dabei auf das Verhalten der Keimpflanzen und das Vorhandensein von Alstroemeria- Arten, deren Blätter dauernd Profilstellung haben. Dagegen ist einzuwenden, daß ‘eine Profilstellung (mit einer Tlorsion um 90°) zwar einen aequifazialen (dem eines Eucalyptus-Folgeblattes ent- sprechenden) nicht aber einen invers dorsiventralen Blattbau ergeben würde — wobei die Beeinflußbarbeit des Blattbaus durch das Licht voraus- gesetzt ist. Ohne Czarzr’s Abhandlung zu kennen, hat Lınpman das Verhalten der Alstroemeriablätter auf Grund seiner Beobachtungen in Südamerika besprochen. Er meint, daß die Blattresupination bei Bomarea und die gleichzeitige Fixierung des Palissadenparenchyms an der morphologischen Unterseite durch eine Kette von Ursachen hervorgerufen sei, „deren wichtigste sind: 1. Die ursprünglich dem Stengel angedrückte Blattlage. 2. Das daraus hervorgezwungene Winden des Stamms. 3. Das mit zunehmender Blatt- größe eintretende Bedürfnis, das gedämpfte, vertikal herunterströmende Licht durch eine horizontale Blattrichtung am besten auszunützen.“ Von diesen Annahmen kommt hier nur die erste in Betracht, die LinpMmAn dadurch stützt, daß er anführt, es gebe Alstroemeria-Arten (A. Sellowiana, A. Isabellana) auf den Oampos. Südbrasiliens wie auf den Hochebenen der Anden, die nur unvollkommene aufrechte, dem Stengel angedrückte Blätter tragen, wie sie bei Bomarea als Niederblätter vor- handen sind. Die Möglichkeit einer solchen Ableitung ist zuzugeben. Verf. selbst hat fast gleichzeitig, ohne Lindman’s Arbeit zu kennen, in der 1. Auf- lage seiner Organographie a. a. O. ganz ähnliche Vermutungen ausge- sprochen. Aber sie sind natürlich ganz unsicher. Jene Arten mit an- liegenden Blättern können auch von den mit Drehblättern versehenen abgeleitet sein, mit Hemmungsbildungen ähnlich wie wir sie z. B. für die hochandinen Alstroemeria-Arten kennen, von denen doch niemand einen primitiven Charakter vermuten wird. Es sind hier also noch mancherlei Fragen zu lösen. Aber so viel wird aus der oben gegebenen Darstellung jedenfalls hervorgehen, daß es Drehblätter gibt, bei denen die Drehung keinen „Zweck“ hat, was auch für andere teleologische Deutungen zur Vorsicht mahnt. Daß es auch Blattorsionen gibt, die zweckmäßig sind, ist sicher. Es scheint mir das aber kein Grund, die beiden Gruppen voneinander zu trennen. Vielmehr scheint die befriedigendste Ansicht die: daß alle Blätter mehr oder weniger die Fähigkeit zu asymmetrischem, zu Drehungen führendem Wachstum haben. Diese ist bei manchen spontan stark 14* 912 Fünfter Abschnitt: ; Ä gesteigert (bei Codiaeum, Juncus effusus f. spiralis, Aponog. ulvaceus) und kann bei anderen entweder unter besonders günstigen Wachstumsbedingungen (manche Gräser) oder unter dem Einfluß einer Lagenveränderung in die Erscheinung treten, während sie sonst latent bleibt. Die resupinieren- den Blätter nehmen eine Art Mittelstellung ein. Das autonome Moment tritt bei ihnen noch stark in den Vordergrund, ist aber doch verbunden mit einer bestimmten Orientierung der Blattflächen zum Licht. $ 11. Der „autonome“ Charakter der Blattdrehungen mag durch einige weitere Beispiele erläutert werden. Merkwürdige Drehblätter finden sich bei manchen Arten der austra- lischen Oycadeen-Gattung Macrozamia. Sie sind so auffallend, daß Moor£'!) die Gattung in zwei Gruppen teilt, bei deren erster die Blätter „usually not twisted or contorted“ sind, während das bei der zweiten, umfangreicheren der Fall ist. Man wird immerhin annehmen dürfen, daß auch bei der ersten Gruppe, zu der z. B. M. spiralis gehört, die Fähig- keit zur Drehung vorhanden ist. Daß bei M. spiralis, wie MoorE her- vorhebt, eine „Spiralwindung“ nur in abnormen Fällen hervortritt, ändert daran nichts. Fig. 129. Junge Pflanze von Macrozamia secunda mit 2 gefiederten Blättern, welche stark gedreht sind (verkl.). Die Arten wurden früher auch weniger scharf auseinander gehalten als jetzt, so daß wohl gelegentlich Macrozamia-Arten mit stark gedrehten Blättern wie M. Pauli-Guilelmi mit M. spiralis zusammengeworfen wurden. Bei dieser letzteren habe ich — wenigstens an den jüngeren Exemplaren, die allein ich untersuchen konnte — weder an den ausgewachsenen Blättern noch in der Knospenlage eine Drehung wahrnehmen können, während Migver ?) eine solche angibt. „Foliorum rachi sub vernatione aliquando etiam sub frondescentia leviter torsä.“ Für Arten wie M. secunda (Fig. 129) aber kann man von einer „leichten“ Drehung nicht sprechen. Sie ist viel- mehr eine so starke, daß die ursprüngliche Blattgestaltung der Pflanze 1) Cm. MoorE Notes on the Genus Macrozamia, Journal of the Roy. Society New South Wales 17 (1883) p. 118. 2) MıqQuEL, nouveaux materiaux pour servir & la connaissance des Oycadees (Archives neerlandaises t. III 1868). Ai Be EN ee ET A a 2 er es BIENEN NEE EA Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 213 ganz verdeckt wird. Statt der gewöhnlichen gefiederten Oycadeenblätter glaubt man annähernd aufrechte Stengel zu sehen!), an denen horizontal gestellte einfache Blätter in wendeltreppenartiger Anordnung meist paar- weise zusammenstehen. Genauere Betrachtung zeigt natürlich sofort, daß die Blätter auch hier gefiedert sind und daß die sonderbare Gestaltung nur durch eine Entfaltungsdrehung zustande kommt. Die Blattfiedern stehen ursprünglich paarweise auf der Oberseite der Blattspindel einander genähert. Sie ent- fernen sich von dieser durch das Wachstum ihrer basalen, bei manchen Macrozamia-Arten schon durch ihre Färbung auffallenden Schwellkörper- artig ausgebildeten basalen Zone. Diese ermöglicht ihnen auch, sich an der gewundenen, fast aufrecht stehenden Blattspindel horizontal — mit ihrer „morphologischen“ Oberseite nach oben — zu stellen, sie führen dabei eine Drehung um etwa 90° aus. Die der aufrechten sich nähernde Stellung der Blattspindel ist — wenngleich in geringerem Grade — auch anderen Macrozamia-Arten mit (schwächer) gedrehten Blättern — soweit sie mir aus eigener Anschauung bekannt sind — eigen ?). Eine biologische Bedeutung für die Blatt- ‘entfaltungsdrehung bei Macrozamia kann ich derzeit nicht erkennen. Man könnte die aufrechte Stellung und Drehung der Blätter vielleicht bei einer Schattenpflanze als Mittel, die Blattfiedern in günstigere Beleuchtungs- verhältnisse zu bringen, deuten. Bei einer xerophilen Lichtpflanze, wie M. secunda es ist, ist eine solche Deutung aber nicht möglich. Ebenso- wenig wird man die Meinung vertreten können, daß die Blätter durch die Drehung dadurch besser daran seien, daß sie mechanisch widerstands- fähiger werden. Das könnte allenfalls für ein dünnes flaches Grasblatt einleuchten, aber nicht für ein Blatt, dessen Blattspindel so fest und zäh ist, wie das einer Macrozamia — die ist auch ohne Drehung allen An- sprüchen an Festigkeit gewachsen. Es bleibt zunächst nur übrig, anzu- nehmen, daß die Drehung ebensowenig wie bei JJuncus eine Anpassungs- erscheinung ist, und daß die Blattfiedern sich mit dieser Drehung durch die erwähnte Stellungsänderung abfinden. Als letztes Beispiel von Drehblättern in der Laubblattregion seien die von Darlingtonia, der bekannten Sarraceniacee angeführt?). An den aufrecht gestellten, oft sehr bedeutende Größe erreichenden Schlauch- blättern dieser Pflanze tritt die Drehung sehr deutlich hervor. Ich glaube nicht, daß man darin eine für die Herstellung der Biegungsfestigkeit der Schlauchblätter wichtige Einrichtung erblicken kann. Auf die Drehblätter, wie sie sich bei Eucalyptus und anderen austra- lischen Pflanzen finden, sowie auf die der Kompaßpflanzen, kann hier nur kurz hingewiesen werden. Die Drehung erfolgt hier meist nicht an der Spreite, sondern am Blattstiel. Auch in den Blüten kommen offenbar Drehblätter vor. Wenn z. B. die Antheren mancher Helianthemum-Arten erst intrors, dann extrors sind, so ist dies — obwohl der Vorgang meines Wissens nicht näher untersucht ist — wohl kaum anders als durch eine Drehung des Filaments !, Von M. Paurı Gusenmi führt A. Braun an, daß die Drehung der Spindel so bedeutend sei, daß die Fiederblätter rings um sie in spiraliger Ordnung zu stehen scheinen (Monatsber. Berl. Ak. 1875 p. 327). ®) Bei Stangeria schizodon führen die Blätter bei der Entfaltung Drehungen aus, im entfalteten Zustand ist davon aber kaum mehr etwas zu sehen. ®) Vgl. z. B. die Abbildungen Fig. 16 und Fig. 19 in Gorser, Pflanzenbiol. Schilderungen II,1 (1891). 214 Fünfter Abschnitt: um 180° zu verstehen — ein Vorgang also, wie er auch an vielen Laub- blättern eintritt. Einen Vorteil dieser Drehung vermag ich derzeit nicht einzusehen. Die Pollenverbreitung erfolgt durch Insekten. Es erscheint mir nicht vo Belang, ob der Pollen nach außen oder nach innen entleert wird. 5 $ 11a. Erst als die vorstehende Mitteilung schon längst niederge- schrieben war, wurde ich durch ein Zitat in Sachs’ Experimentalphysiologie aufmerksam auf eine Abhandlung von M. WıcHurA „Über das Winden der Blätter“!, Da in dieser eine Anzahl der im ÖObigen behandelten Fragen besprochen worden, so sei hier noch ausdrücklich darauf hin- gewiesen. Zu einer Abänderung des Geschriebenen lag kein Grund vor. WıchurA führt die in Rede stehenden Drehungsbewegungen der Blätter zurück auf „unmittelbare Außerungen der im Innern der Pflanze tätigen Lebenskraft“ und ist (mit Recht) der Meinung, daß sie mit den Windungen der Stengel und Ranken nahe verwandt seien. Er fand „Windungen“ der Blätter zuerst bei keimenden Hafer- und Gerstepflanzen, dann auch bei nicht wenigen anderen Monokotylen, namentlich bei solchen mit vorherrschendem Längenwachstum. Es sei auf die von WICHURA aufgestellte Liste verwiesen. Er hat — wenn man auch seinen Aus- führungen über das Zustandekommen des Drehwuchses nicht wird bei- stimmen können — das Verdienst, auf dessen weite Verbreitung hin- gewiesen zu haben. Später ist, wie die oben angeführte Bemerkung von SCHWENDENER und KRABBE zeigt, die Kenntnis dieser Wachstumserschei- nungen wieder ganz in Vergessenheit geraten. $S 12. Drehsprosse. Die für die Drehblätter dargeleste An- schauung, daß es sich um ein durch asymmetrische Struktur bedingtes asymmetrisches Wachstum handle, gelten auch für die Drehsprosse Zu deren auffallendsten Beispielen zählt die Gattung Üostus. SCHUMANN?) glaubte in der Familie der Zingiberaceen, zu welcher diese in den Tropen der alten und der neuen Welt verbreitete Gattung gehört, hinsichtlich der Blattstellung zwei voneinander vollkommen ver- schiedene Anreihungen der Blätter unterscheiden zu können. Bei den allermeisten Zingiberaceen sei diese rein distich (eine Stellung, die bei den Monokotylen sehr verbreitet ist). Bei Costus (und Verwandten) aber finde sich ein zweites im Pflanzenreich durchaus abnormes Verhältnis der Blattstellung, „das in dieser Weise sich nicht wieder findet. Die Blätter sind nämlich am Stengel angereiht wie die Stufen einer Wendeltreppe, das sechste, siebente und achte Blatt etwa liegt nach einem einfachen Spiralumgang über dem Ausgangsblatt, die Divergenzbrüche, welche die Blattstellungsverhältnisse darstellen, wären also !/,, !/, oder !/; bzw. An- näherungswerte an dieselben. Diese Einrichtung ist, wie neuerdings Linp- MAN eingehend dargestellt hat, von großem Vorteil für die Exposition der Blätter gegen das Licht; sie sind fächerförmig ausgebreitet und decken sich gegenseitig auf diese Weise am wenigsten. In der Regel beschreibt der Stamm außerdem eine aufsteigende Spirale, ein Umstand, der zu noch günstigerer Aufstellung der Blätter beiträgt, die dann an ihrem Stiele bisweilen noch eine Verdrehung erfahren.“ ‘) Flora 35 (1852) p. 34ff. Es sei hier auch erinnert daran, daß schon Goerue in dem Aufsatz „Über die Spiraltendenz in der Vegetation“ (1831) neben uns jetzt fremdartig anmutenden naturphilosophischen Spekulationen auch eine Reihe wichtiger Beobachtungen über asymmetrisch wachsende Pflanzenteile gab. ®) K. Schumann, Zingiberaceae‘in A. EnsLer, Das Pflanzenreich IV 46 (1904) p. 3. \ -Costus zeigt eine spiro- vorn 6 a an > wi \ Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 215 . Es ist nicht meine Absicht, hier auf die Morphologie von Costus, welche schon Forscher wie A. Braun und Hormkister beschäftigt hat, näher einzugehen. Es sei nur das hervorgehoben, was von allgemeinem Interesse ist. Das ist folgendes. 1. ScHumann’s Meinung, daß die Blattstellung von Costus von der der übrigen Zingiberaceen durchaus verschieden sei und auch im Pflanzen- reich sonst sich nicht mehr finde, ist nicht zutreffend '). Nach der vom Verf. früher dargelegten Auffassung ?) leitet sich viel- mehr die Blattstellung von Costus ab von der gewöhnlichen zweizeiligen Blattstellung anderer Monokotylen. Das geht schon daraus hervor, daß die Keimpflanzen (wenigstens bei der einzigen Art, bei der sie mir bekannt sind) zweizeilige Blattstellung aufweisen, wie es denn auch einige „Oostoideen“ gibt, bei welchen auch im späteren Leben die Abweichung von der zweizeiligen Stellung offenbar eine nicht große ist, so z. B. bei Monocostus Ulei ?). 2. Auch die Meinung, daß sonst im Pflanzen- reich nichts Ahnliches vorkomme, wird sich nicht aufrecht erhalten lassen. Die Wendeltreppenanord- nung der Blüten in den Spiranthesblütenständen z. B. stimmt — wenn sie auch etwas anders zu- stande kommt — mit der der Oostusblätter überein. trophe DBlattanordnung und außerdem eine Stengeldrehung, die um 5 so auffallender ‚hervor- Fig. 130. Costus Malortieanus. Sproßknospe von oben, tritt, je länger die Inter- Blätter der Reihenfolge nach bezittert. nodien sind. Erstere findet sich bei nicht wenigen anderen Monokotylen *), ebenso letztere. Nur treten sie beide nicht immer wie bei Öostus (und Chara) zusammen auf. 3. Die Asymmetrie des Aufbaues tritt auch in der Asymmetrie der Blätter deutlich hervor. Diese unterscheidet sich von der, die an dorsi- ventralen Sprossen auftritt, erheblich °). Bei diesen liegen bei zweizeiliger Blattstellung die geförderten Seiten der Blätter (die Plusseiten) alle auf Einer Seite der Sproßachse, die geminderten (Minusseiten) auf der anderen. Bei Costus dagegen liegen sie bei der einen Reihe auf der einen, bei der anderen auf der anderen Seite (Fig. 132, ZI). Die „Ver- schiebung“ der Blätter erfolgt in der der Blattspirale entgegengesetzten Richtung (vgl. Fig. 132, II, punktierter Pfeil) so, daß alle Plusseiten und alle *) Ebenso auch andere Angaben desselben Autors. 2) GOEBEL, Organographie 2. Aufl. p. 208. Vgl. die Abbildung bei Schumann a. a. O. p. 428. *) Vgl. z. B. das über Najas in Organographie I p. 209ff. Gesagte. °), Es sei das um so mehr betont, als Schumann (Morphol. Studien I (1892) p. 5) sagt, „in. der Niederblattregion treten Anreihungen auf, welche sich der distichen nähern, vielleicht auch eine Hinneigung zur Dorsiventralität nicht ver- missen lassen (Sperrung von mir, G.). Von einer Hinneigung zur Dorsiventralität kann nach den Ausführungen im Text keine Rede sein. 216 Fünfter Abschnitt: Minusseiten in Einer Schraubenlinie angeordnet sind (Fig. 131). ' Die sämtlichen Plusseiten sind also in dem Schema Fig. 132, II auf der linken, die sämtlichen Minusseiten auf der rechten Seite; erstere ist die „kathodi- sche“, letztere die „anodische“. Man erkennt die Plusseiten nicht nur an der Asymmetrie der Blattspreiten, sondern z. B. bei Costus Friedrichseni auch an der der „Ligula“, welche über die Blattscheide vorspringt. Fig. 131. Costus Fridrichseni. Sproßgipfel (stark verkl.). Daß die „Divergenzen“ der Blätter im fertigen Zustand keine kon- stanten sind, geht aus der Abbildung von Costus Malortieanus (Fig. 130) ohne weiteres hervor. Diese zeigt eine Art mit wenig gedrehten Sproß- achsen, an deren Enden die Blätter dicht gedrängt stehen, so daß sie aussehen wie die Blattkrone einer Pflanze, deren Blätter etwa in °/, Stellung stehen. Die Abbildung von Ü©. Fridrichseni (Fig. 131) dagegen bietet ein Bild einer der Arten mit gewundenem Stengel und deutlich wendeltreppen- artig angeordneten Blättern. Die Drehung des Stengels wird bedingt dadurch, daß in jedem Internodium die unter der Blattmediane befind- liche Kante stärker wächst. Ohne Zweifel ermöglicht die Verkleinerung der Divergenz eine bessere Lichtausnützung ') durch die Blätter, nament- lich bei den Arten, welche nur kurze Internodien haben, da durch die 1) Vgl. Liwoman in Bihang Svensk Vetensk Akad. Handl. (1900) Bd. 25, ‚Afd.: IH. Zur Morphologie und Biologie einiger belaubter Sprosse. Br e u a EN EN Mer x sr Be ’ “: Ber NER Be ern Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 317 Drehung eine gegenseitige Beschattung der Blätter vermieden wird, ähn- lich wie bei Pandanus, Cyperus-Arten u. a. Auch beobachtete ich bei Rio einen (nicht blühenden und deshalb nicht bestimmbaren) Öostus, der sich je nach den Beleuchtungsverhältnissen verschieden verhielt. Bei guter Beleuchtung waren die Sprosse orthotrop und die Blätter in der angegebenen und aus den Abbildungen ersichtlichen Weise radiär an- geordnet. Bei geminderter Beleuchtung waren (wie dies schon Linpman in den‘ Urwäldern von Matto Grosco beobachtet hat) die Sproßachsen plagiotrop, die Blätter alle auf seiner Konvexseite in einem weiten, offenen Bogen gekrümmt, also scheinbar einseitig angeordnet — eine Erscheinung; die man mutatis mutandis auch bei einheimischen Waldpflanzen wie Gen- tiana asclepiadea, Veronica urticaefolia u. a.') antreffen kann, nur daß diese mit wirtelig, nicht mit wendeltreppenartig gestellten Blättern versehen sind. Fig. 132. Schema für den Zusammenhang zwischen Blattasymmetrie und Sprobachsen- drehung bei Costus. J/ zweizeilig gedacht, // nach der Drehung. Wieweit bei Costus an den plagiotropen Sprossen die einseitige Anordnung der Blätter auf das Verhalten der Internodien oder Drehung der Blätter selbst zurückzuführen ist, wurde leider nicht untersucht. Doch dürfte kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß in erster Linie das Verhalten der Sproßachse in Betracht kommt, und der Bogen durch Zurückdrehung der flachen Schraube entsteht. Daß die Blätter auch in den Infloreszenzen und an den Niederblattsprossen in gedrehten Zeilen stehen (wenngleich zum Teil mit anderen Divergenzen als am Laubsproß), bleibe nicht unerwähnt. Der Zusammenhang der Drehung mit der Lichtausnützung wurde hervorgehoben. Ich möchte aber nicht mit LiwpmAn sagen: „Um ihr Lichtbedürfnis zu befriedigen, besitzen diese Pflanzen ein spezifisch an- gepaßtes Wachstum.“ Als das Primäre erscheint mir auch hier die Organisation der Pflanze, nicht ihr „Bedürfnis“, das wir ja doch nur in die Pflanze hineindenken. Wir sahen auch in anderen Fällen analoge Drehungen, ohne daß ein Lichtbedürfnis in Betracht kommt. So ist auch z. B. das Alternieren der Quirle gewiß für die Laubblätter vieler Pflanzen eine zweckmäßige Einrichtung zur Lichtausnützung. Es findet sich aber auch in Blüten, bei denen eine solche nicht in Betracht kommt, und selbst die Samenanlagen mancher Primulaceen stehen, wie A. Braun fand, in alternierenden Quirlen. Daß es sich namentlich im letzteren Falle nicht um eine Tick nützung handeln kann, ist zweifellos. Vielmehr ist die Alternation eine !) Vgl. GoesBer, Bot. Zeit. 1880 p. 843, 844. 2) Vgl. GOEBEL, Organographie der Pflanzen 1. Aufl. p. 626. A e ' NE IL w’ Pr Ba ES N U 218 5 i Fünfter Abschnitt: durch innere Vorgänge bedingte Art der N die für die Lichtausnützung zweckmäßig, aber auch ganz gleichgültig sein kann. Im ersteren Fall erscheint sie der anthropomorphistisch-teleologischen Be- trachtung als durch ein „Bedürfnis“ hervorgerufen — im letzteren spricht man nicht weiter davon. Ebenso wird es auch bei den Drehungen sein — weder bei Juncus noch bei den Macrozamien wird man den Drehblättern ein „Bedürfnis“ nach besserer Lichtausnützung zuschreiben können —, bei Costus war man dazu um so leichter geneigt, als dazu noch die Fähigkeit kommt, je nach Beleuchtungsverhältnissen die Sproßgestaltung zu ändern. Zusammenfassung: Bei Costus liegt vor: einerseits eine „kongenitale Drehung“ am Vegetationspunkt, welche bedingt, daß die Blattstellung, statt zweizeilig zu sein, in einer Schraubenlinie (mit verschiedenen, an ein und demselben Sproß nicht konstanten Divergenzen) übergeht, zweitens eine Entfaltungsdrehung der Sproßachsen. Dazu kommt die Fähigkeit, je nach Beleuchtungsverhältnissen orthotrop oder plagiotrop zu wachsen — Fähigkeiten, welche zu der weiten Verbreitung dieser Pflanzen wohl mit beigetragen haben. $s 13. Ranken- und Schlingpflanzen. Zu den asymmetrisch gebauten Pflanzenteilen gehören auch viele Ranken- und die Schlingpflanzen, was merkwürdigerweise in den Lehr- und Handbuchdarstellungen meist ganz und gar übersehen wird. Wenn wir z. B. lesen die „spiralige“ Einrollung des freien. Teiles einer Ranke, Bebeclten deren Ursprung und dem Teil, ° welcher eine Stütze gefaßt hat, sei eine mechanische Notwendigkeit „wenn auch dieser Teil das Bestreben habe, sich zu krümmen“, so eilt das ja lediglich dann, wenn es sich nicht um eine Krümmung in Einer Ebene (also für einen sym- metrisch bzw. radiär gebauten Pflanzenteil) handelt, sondern für einen asymmetrischen, der von vornherein eine Drehbewegung beim Wachstum auszuführen sucht. Mechanisch notwendig ist lediglich die (ein- oder mehrmalige) Umsetzung der Drehungsrichtung, nicht aber kann durch das Angebundensein der Ranke eine Drehung erfolgen, wenn diese nicht schon selbst eine gedrehte (asymmetrische) Struktur hat! Die Ranken- und Schlingpflanzen zeigen also beim Wachstum nach der hier vertretenen Auffassung eine Drehbewegung aus demselben Grunde, aus dem eine be- fruchtete Seta von Funaria sich dreht — wenn auch der Vorgang selbst nicht auf dieselbe Weise erfolst. Das zeigt sich ohne weiteres daran, daß auch viele freie Ranken, wenn sie keine Stütze gefaßt haben, sich einrollen — ebenso wie das bei z. B. einem Faden von Desmidium Swartzii (Fig 113, /) eintreten würde, wenn eine Kante in stärkeres Wachstum einträte. Die asymmetrische Natur der Ranken spricht sich ferner aus in ihrer kreisenden Nutation und in der Tatsache, daß die der Stütze anliegenden Windungen der Ranke nicht auf-, sondern nebeneinander liegen — was soweit mir bekannt — nirgends betont wurde, und deshalb mit erwähnt sein mag. Die Schlingpflanzen unterscheiden sich nach der hier vertretenen Auffassung von den Ranken nur durch den Mangel bzw. das Zurücktreten der haptotropischen Empfindlichkeit und den Besitz von negativem Geotropismus. Sie zirkumnutieren und drehen aber nicht infolge äußerer Einflüsse, sondern weil sie eine gedrehte Struktur haben. Diese braucht äußerlich nicht hervorzutreten — es können z. B. die äußeren Zellschichten symmetrisch, tiefer liegende asymmetrisch gebaut sein — Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 219 sie macht sich bekanntlich auch im ersten Entwicklungsstadium der Keimpflanze noch, nicht geltend. Aber vorhanden sein wird sie auch hier. Daß sie erst bei lebhafterem Wachstum hervortritt ist ja auch bei‘den Drehblättern der Gräser und bei den Ranken selbst vielfach wahr- nehmbar. Wenn aber gesagt wird „die Oberseite der Ranke wächst stärker, die Ranke rollt sich zu einer Spirale oder einer Schraube ein“, so darf wohl hervorgehoben werden, daß das zwei verschiedene Dinge sind. Eine symmetrisch gebaute Ranke kann sich durch stärkeres Wachs- tum der Oberseite doch immer nur in einer Ebene, d.h. also zur r Spirale einrollen, niemals aber zur Schraube! Unserer Anschauung nach sind die asymmetrisch ge- bauten .Ranken also Organe, in denen die Asymmetrie der Blätter (oder Sproßachsen), aus denen sie hervorgegangen sind, nur stärker hervortritt, als bei den Blättern oder Sprossen, denen sie homolog sind. Bei den letzteren ist die Asymmetrie vielfach verdeckt bzw. ‘“ ausgeglichen. Wenn man das be- rücksichtigt, so wird die Ent- stehung dieser Kletterorgane aus gewöhnlichen Vegetationsorganen weniger auffallend erscheinen als das sonst der Fall sein müßte. Näher kann auf diese Probleme hier nicht eingegangen werden. Erwähnt sei nur, daß in einem asymmetrischen gebauten Pflan- zenteil, z. B. in einem Faden von Desmidium Swartzii die einzelnen (gewundenen) Längskanten natür- lich auch verschiedene Eigen- schaften, z. B. verschiedene Reiz- io. 133. Etwas welk gewordenes Sproßstück barkeit haben können. von Kedrostis afrieana. Die Ranken, welche nieht „gefaßt“ haben, sind schraubenförmig eingerollt (verkl.). S 14. Drehblüten. Unter Drehblüten werden hier nicht (wie man das tun könnte) solche verstanden, bei denen die Blattgebilde der Blüte entweder ganz oder teil- weise „azyklisch“ angeordnet sind. Auch nicht solche mit „gedrehter“ Knospenlage, (bei denen vielfach die damit zusammenhängende Asymmetrie der Blumenkronenblätter deutlich hervortritt). Vielmehr Soll der Ausdruck im engeren Sinne für solche Blüten gebraucht werden, deren Teile im entfalteten Zustand deutlich eine Drehung, also eine auffallende Asym- metrie aufweisen. Diese Blüten sind — abgesehen davon, daß sie die weite Verbreitung asymmetrischen Baues erläutern, für uns von besonderer Bedeutung auch für die Frage nach dem Zustandekommen der Re- supination. Dahin gehören: 1. einige Orchideen, wie Macodes und die damit verwandte, wegen ihrer schön gefärbten Samtblätter vielfach kultivierte Haemaria. 220 Fünfter Abschnitt: Untersucht wurde Haemaria discolor var. Dawsoniae, eine Schätten® pflanze der malayischen Halbinsel. Zunächst sei bemerkt, daß das La- bellum der Blüte nicht, wie das Prıtzer ') abbildet (Fig. 117 A und B) nach oben, sondern nach unten gekehrt war. Die Blüte gehört also zu den resupinierten. Der durch die Verwachsung dreier Blätter der Blüten- hülle (pl, sm, pl — zwei Blätter des äußeren, eines des inneren Blatt- kreises der Blütenhülle —) gebildete „Helm“ der Blüte sah nach oben. Die Lippe aber (Fig. 134) steht nicht wie sonst bei resupinierten Blüten vor dem Deckblatte, sondern bildet mit ihm einen Winkel von etwa 75°. Sie ist deutlich asymmetrisch ge- $ m baut, die rechte Hälfte der Pı Figur stimmt nicht mit der linken überein. Sie ist also nach einer Seite hin gedreht, nach der ent- „Rostellum“ und der Narbe (N, Fig. 134, IT). Wie die Abbildung zeigt, steht die Narbe nicht wie sonst unter bzw. gegenüber dem Rostellum, sondern seitlich von diesem. Übrigens zeigt auch das Deckblatt und der „Helm“ bei manchen Blüten schiefe Rich- tung als Anzeichen von Drehung. Aber in auffallender Weise setzt diese doch erst vom Labellum an ein. Ahnlich verhält sich . der Beschreibung nach auch die ver- wandte Gattung Macodes. Diese Pflanzen scheinen mir deshalb von besonderem Interesse, weil sie mit ihrer Drehung „oben Ni ] an der Blüte“ ein Gegenstück bilden zu den vielen Orchideen, bei denen die Drehung „unten an Fie. 134. Haemaria discolor var. Dawsoniae. ; pe as { I Blüte von vorn (2fach vergr.), D Deckblatt, der Blüte ‚(Blütenstiel, Frucht- SI seitliche Sepalen, Sm mittlere Sepalen, Pl knoten) stattfindet. Ob die erstere Petalen, N Narbe (2fach vergr.). /I Gyno- ‚eine „autonome“ oder induzierte stemium von der Seite. ist und ob sie irgendeine bio- - logische Bedeutung hat, ist nicht bekannt und es scheint nicht angezeigt, darüber eine Vermutung zu äußern. Kausal aber wird die Asymmetrie.des Labellums und der Säule der ge- nannten Orchideen ebenso mit der spirotrophen Ausbildung der Blüten zusammenhängen, wie der Verf. dies früher ?) für Canna darzulegen versucht hat, nur daß sie bei Macodes und Haemaria später einsetzt, als bei Canna. 2. Von Dikotylen seien zunächst einige Pedicularis-Arten genannt, die dadurch auffallen, daß bei ihnen die Oberlippe schräg zur Unterlippe steht (Fig. 135) und auch diese ihre Asymmetrie dadurch zum Ausdruck bringt, daß die eine Seite 2—8 mm höher steht als die andere, ihre Ober- 1) Prırzer, Orchidaceae in EngLer-Pransz, Anat. Pflanzenfamilien III, 6. Die Ab- bildung ist übrigens wenig deutlich. ' >) GOEBEL, Über Symmetrieverhältnisse in Blüten, Festschrift für Wırsner, 1908 p. 154. er gegengesetzten die Säule mit dem - Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 221 ' fläche also schräg abfällt. So z. B. bei Pedic. silvatica, P. palustris, P. rostrata. Von letzterer zeigt Fig. 135 eine Blüte. Diese kehrt ihre Unterlippe nicht, wie das sonst der Fall ist, dem Deckblatte D zu. Sie ist vielmehr stark nach links abgelenkt und nicht (annähernd) horizontal, sondern schief gestellt. | Besonders auffallend fand ich die Asymmetrie auch bei der schönen, großblütigen P. syroflexa Vill. Die Blüten sind auch bei dieser Art aus ihrem Deckblatt nach einer Seite herausgedreht und zwar (was auch bei P. rostrata wahrnehmbar ist) in Schrägzellen gleichsinnig, so daß die ganze Infloreszenz ein gedrehtes Aussehen gewinnt. Ist die Blüte nach der linken Seite hin gedreht, so steht die linke Kante der Unterlippe höher als die rechte. Die schnabelförmige Oberlippe aber steht nicht über dem Mittellappen der Unterlippe, son- dern über dem Einschnitt zwischen diesem und dem rechten Lappen. Man sieht deutlich an dem verwachsenen Basalteil der Blüte den schrägen Verlauf der Haupt- Nerven der Blumenkrone (Fig. 155, IT) unterhalb der Unterlippe. Die Blüte stimmt also mit denen, welche eine Re- supination durch Drehung der Blumenkrone aus- führen, überein, nur dab die Drehung lange nicht so weit geht, wie bei diesen, sie ist beschränkt auf den unter der Unterlippe liegen- Fig. 135. Pedicularis rostrata. / Blüte mit den Teil (bei dem andern Ver- Deckblatt D von vorne, man sieht, daß die laufen die Nerven gerade). Die Lippe nach links verschoben ist (statt über Oberlippe ist auch etwas gedreht, das Deckblatt zu fallen) und schräg steht. durch asymmetrisches Wachstum II Blüte ohne Keleh, man sieht die Drehungen % - & 5 der Basis der Blumenkrone (zweimal vergr.). namentlich an ihrer Basis. Wir können die Blüten also auch als unvollständig resupinierte bezeichnen. Da die geförderte Seite, wie erwähnt, in den Schrägzeilen der Infloreszenz eine gleichsinnige (rechte oder linke) ist, so besteht offenbar ein Zusammenhang zwischen der Asymmetrie der Blüten und der Gesamtsymmetrie der Infloreszenzen. Eine schräg gestellte Unterlippe ist an sich, als Anflugplatz offenbar ungünstiger als eine annälıernd horizontal gelagerte. Trotzdem hat H. MüLter !) in dieser Eigentümlichkeit eine Anpassung sehen wollen. Er meint, das Insekt, welches die Blüte besucht, werde durch deren Asymmetrie gezwungen, seinen Kopf „gerade in derjenigen Schrägstellung, in der es überhaupt möglich ist, ihn in die weiteste Stelle des Blüteneingangs zu bringen“ zu halten. Das mag sein, aber besagt doch nur, daß die Hummel die schräge asymmetrische Blüte ebenso aus- beuten kann, wie die gerade symmetrische. In keiner Weise aber ist ‚dadurch erwiesen, daß die Schrägstellung eine für die Bestäubung be- sonders vorteilhafte sei! Mir scheint also, man kann nur sagen, die blütenbesuchenden !, H. Mürter, Die Befruchtung der Blumen durch Insekten 1875 p. 300. 222 | Fünfter Abschnitt: Insekten passen sich der Blütenasymmetriean, diese selbst aberistnichtalsAnpassungt!)an dieBestäubung entstanden 3. Das dürfte auch gelten für Enthaltungsdrehungen im Androeceum. Bei Jussiaea Sprengeri sind die acht Staubblätter sehr deutlich gedreht. Die Filamente sind nach außen gekrümmt und alle in derselben Richtung seitlich abgelenkt. Die Drehung der Antheren ist schon in der Knospe, so lange die Filamente und die Blumenblüten noch ganz kurz sind wahrnehmbar. Man kann der Drehung des Androeceums eine Be- deutung für die Bestäubung zuschreiben, ‚wenn man annimmt, durch die Auswärtskrümmung der Filamente und ihre seitliche Ablenkung werde ein Insektenrüssel, welcher die vor den Blumenblättern gelegenen Nektar- gruben ausbeutet, mit Sicherheit mit Blütenstaub behaftet werden, während eine spontane Selbstbestäubung ausgeschlossen erscheint. Doch ist. das natürlich nur eine unbewiesene Annahme. 4. Die Blüten der Gentianeen gelten als radiäre — was freilich wenn man das Gynaeceum mit berücksichtigt, eigentlich nicht zutrifft. Die von Exacum affıne zeigen eigenartige Verhältnisse. Die Blumen- krone, deren Knospenlage wie bei den andern Gentianeen (mit Ausnahme der auch sonst abweichenden Gattung Menyanthes) eine gedrehte ist, be- steht aus 5 annähernd gleich großen Zipfeln. Das Androeceum ist da- durch ausgezeichnet, daß die fünf Antheren gebogen sind, so daß ihre Spitzen nach dem Zwischenraum zwischen zwei Blumenblättern hinsehen. Meist sind die Antheren so angeordnet, daß annähernd drei auf einer, zwei auf der andern Seite liegen. Nennen wir die erstere die Plus- die andere die Minusseite, so ist der Griffel scheinbar stark nach der Minus- seite hin gebogen, dazu kommt, daß auch der Blütenstiel zuweilen gedreht ist, was den Anschein erhöht, als ob eine Drehung des Griffels um etwa 70° stattgefunden habe. In Wirklichkeit ist der Griffel nur schwach gedreht, stärker das Androeceum, dessen Kegel dadurch, daß er in der Richtung der Blumenkronendrehung auch eine Drehung erfahren hat, von dem in entgegengesetzter Richtung abgelenkten Griffel um einen (bei den verschiedenen Blüten nicht gleich großen) Winkel absteht. Wir haben also eine Blüte vor uns, bei der das Androeceum und in geringerem Grade der Griffel eine Drehung erfahren hat. Man könnte das als eine Einrichtung zur Verhinderung von Selbst- bestäubung deuten, weil der Pollen, welcher aus der Spitze des Antheren- kegels entleert wird, nicht unmittelbar auf die Narbe fallen kann, und bei Insektenbesuch gleichfalls eine Selbstbestäubung erschwert sein wird. Indes ist über die Bestäubungsverhältnisse bei Exacum nichts Näheres bekannt und es würde deshalb eine Erörterung darüber keinen Wert haben. Es fällt aber der Pollen aus dem Antherenkegel keineswegs leicht heraus, so daß eine Selbstbestäubung selbst dann wenn die Narbe unter dem Antherenkegel stehen würde kaum eintreten könnte. Für uns kommt zunächst nur die Drehung selbst in Betracht — ein Nutzen ist so wenig wie im folgenden Fall von Drehblüten nachgewiesen. 5. Unsymmetrische Blüten, ähnlich denen von Exacum, finden sich auch bei Cassia-Arten, Solanum rostratum u. a. Da sowohl „rechts- griffelige“ als „linksgriffelige“* Blüten vorkommen, so bot das Veranlassung zur Annahme, es sei damit ein ähnliches Verhältnis gegeben, wie bei der Heterostylie, d.h. es seien zwei verschiedene Blütenformen vorhanden, die ') Das ist dieselbe Erscheinung, .die auch an zahlreichen anderen Beispielen in diesem Buche nachzuweisen versucht wurde, die nämlich, daß das Primäre die Or- ganisation der Pflanzen ist, das Sekundäre deren „Ausnutzung.“ re Ei % Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 293 miteinander gekreuzt werden sollen. Die „kreuzungsvermittelnden Hummeln bekommen in den linksgriffeligen Blüten ein Pollenwölkchen auf die rechte, in den rechtsgriffeligen auf die linke Seite des Körpers, das sie offenbar immer nur an den Narben entgegengesetzt gerichtete Blüten abstreifen können“). Es handelt sich dabei aber „offenbar“ nicht um eine un- mittelbare Beobachtung, sondern um eine Schlußfolgerung. Spätere Beobachter (wie z. B. Burc«*) und Lmpman konnten die Bedeutung der „Enantiostylie“ nicht bestätigen und fanden vorwiegend Selbstbestäubung. Es kann also die Blütenasymmetrie auch in diesem Fälle nicht als eine Anpassungserscheinung betrachtet werden. 6. Auch bei einem der an längsten bekannten Fälle von Blüten- asymmetrie dürfte das nieht der Fall sein, bei Phaseolus®) und einigen anderen Papilionaceen. Es gibt bei Phaseolus verschiedene Abstufungen: bald ist die carina nur einfach sichelförmig, bald am Ende schneckenförmig eingerollt. Denrıno *) hat das mit der Länge der carina in Zusammenhang ge- bracht („Ora siffata manica e gli organi inclusivi essendo estremamente lunghi, la Natura ha provisto che siano avvolti ad elica con tre, quattro e fui cinque giri*... Wir sahen früher, daß eine schon vorhandene Asymmetrie bei starkem Längenwachstum deutlicher her- vortreten kann, als bei schwächerem. Das Längenwachstum allein aber kann hier ebensowenig wie sonst eine Einrollung bedingen. Tatsächlich spricht sich die Asymmetrie der Phaseolusblüten auch in anderen Merk- malen, z. B. in der Ungleichheit der Flügel aus, teilweise sogar, in deren Stellung. So liegen, wie Lıwpman°) von Ph. Oaracalla schildert, die Flügel übereinander der rechte tiefer als der linke, das Schiffchen läuft in einen in 4 Umläufen knäuelartig zusammengewickelten Schlauch aus. In Fig. 136 abgebildet ist eine Blüte‘ von Phas. „vulgaris“ (sie gehört einer Ph. Caffer nahestehenden Form mit hellviolett gefärbten Flügeln und schmutzig violetter Fahne an). Man sieht ohne weiteres, daß die ganze Blüte — nicht etwa nur das Schiffchen — asymmetrisch ist. Das spricht sich sowohl in der Fahne als in den Flügeln aus. An ersterer ist in einer vor kurzem entfalteten Blüte die rechte Hälfte (die größere) flacher als die linke, der rechte Flügel deckt den linken. Das Schiffehen C ist nach oben gebogen (so daß seine Spitze der Fahne anliegt) und zweimal gewunden, schon nahe der Basis so stark, daß seine Kante nach rechts gerichtet, also um 90° gedreht ist. Die Offnung (E Fig. 136) ist nach unten gekehrt. Ein Druck auf die Flügel (oder einen davon) läßt den Griffel aus der Schiffchenöffnung hervortreten ®). Es ist hier ebenso eine „Griffelbürste“, die den Pollen herausfegt, vor- handen, wie bei manchen anderen Papilionaceen. Die Formen mit un- symmetrischen Blüten haben also den anderen gegenüber nichts Besonderes. Sie verhalten sich auch unter einander nicht gleich — während Ph. !) Vgl. das Referat über die Ansichten von Topp, Fr. u. H. Mürrer bei Knuth 2.,2.:0.:5. 97712; 2) W. Burck, Not. biol. Ann. du jard bot. de Buitenzorg 106 VI 1857. ?) „ecarina cum staminibus styloque tortis“ (Linn£). A. a: 0. p3.55. 5) C.A M. Lmpman, die Blüteneinrichtungen einiger südamerikanischer Pflanzen. Bih. til. R. Svenska Akad. Fört. Stockholm Bd. XXVII Afd. III No. 14 (1912). — Auf die widerspruchsvolle unklare und uukritische Darstellung von Knur# braucht hier nicht eingegangen zu werden. €) Es geschieht das aber nicht dadurch, daß der obere Rand der Flügel auf das Schiffichen drückt, sondern deshalb, weil die Flügel an ihrer Basis je einer seitlichen Aus- sackung des Schiffchen dicht anliegen. \ 294 Fünfter Abschnitt: ‚multiflorus selbststeril ist, ist Ph. vulgaris selbstfertil'). Ubrigens können nur kräftige Insekten durch den Druck auf die Flügel: das Hervortreten ‚des Griffels bewirken. Eine Anpassung kann ich in der Asymmetrie der Blüte so wenig wie in den Schneckenwindungen der Früchte mancher Papilionaceen sehen. Eine „Schuppe“ die verhindern soll, daß die Insekten anders als vom linken Flügel aus „unterhalb der rechts liegenden Offnung der Schiffchen-. spitze“ mit dem Rüssel eindringen ?) habe ich nicht gesehen. Vielmehr passen sich die Insekten eben den der Blüte gegebenen Verhältnissen an. Der Griffel ist vermöge seiner Länge und Schlankheit imstande auch ein schneckenhausförmig gekrümmtes Schiffchen zu durchwachsen und den Pollen herauszufegen?). dabei kann — je nach der Beschaffenheit der Narbe — entweder Selbstbestäubung ein- treten oder nur eine Ablagerung des Pollens in den Sammelhaaren. Daß die Bienen, wie Darwın beobachtet hat, nur auf der linken Seite der Blüte an- fliegen *) dürfte damit zusammenhängen, daß auf dieser Seite das. Fig. 136. Phaseolus vulgaris. / Blüte 2fach vergr. C ge- aufgerichtete Schiff- drehtes Schiffchen, E dessen Eingang. IT Fruchtknoten chenende sich befindet mit Griffel 4fach vergr. . au ö das diese Seite auf- fälliger macht. Daß auf dieser Seite der Zugang zum Nektar leichter wäre, konnte ich bei der von mir untersuchten Bohne nicht wahrnehmen. Da die meisten Papilionaceen symmetrische Blüten besitzen, so dürfen wir wohl annehmen, daß die Asymmetrie, wenigstens in der starken Aus- prägung, wie sie bei Phaseolus sich zeigt, von einer mehr symmetrischen Form sich ableitet. Wäre diese eine solche gewesen, die (wie z. B. bei Medicago, (enista, Sarothamnus) beim Niederdrücken des Schiffchens die Staubblätter und den Griffel hervorschnellen lassen, so würde die stark asymmetrische Ausbildung die Bestäubung unmöglich gemacht haben. Bei einer Papilionacee mit Griffelbürste aber konnte die Asymmetrie ohne Schaden eintreten °). !) Vgl. Kırcaner, Über die Wirkung der Selbstbestäubung bei den Papilionaceen. Naturw. Zeitschr. für Land- und Forstwirtschaft III p. 101. ?) Ksuta a. a. O. p. 343. Wohl aber befindet sich nahe der Basis auf der Ober- seite des Filamentes des freien Staubblattes ein schuppenförmiger Auswuchs. ®) Das geschieht dadurch, daß beim Herabdrücken des Schiffchens ein Druck auf den schraubig eingerollten oberen Griffelteil ausgeübt wird, welcher das freie Griffelende herausschiebt. Beim Aufhören des Druckes geht es wieder in die carina zurück. *) Ch. Darwın, Bees and fertilization of Kidney Beans. Gardeners chronicle 1857 p. 725. 5) Cm. K. SprEnGEL, welcher die Bestäubungsverhältnisse von Phaseolus zuerst untersuchte, sagt‘ „die sonderbare Struktur des Ph. vulgaris, welcher ein schnecken- förmig gewundenes Schiffehen und ebenso gestaltete Filamente und Griffel hat... habe ich immer für etwas Merkwürdiges und für so etwas gehalten, was blos auf die durch Insekten geschehen sullende Befruchtung sich bezieht“. Er gibt aber für die Asymmetrie keine Deutung (Das entdeckte Geheimnis usw.) 1798 p. 359. ap ZA N en Yu BER: ’ 7 = . U H. u er ‘ Le IX Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 25 Die Insekten müssen mit den von der Pflanze gebotenen — aber nicht auf einen bestimmten Zweck eingestellten — Bau- bzw. Symmetrie- verhältnissen sich abfinden. Sie haben sie aber nicht, wie das manche Blütenbiologen annahmen, „gezüchtet“ Die Schwerbeweglichkeit der Griffelbürste hat im Gegenteil wohl mit dazu geführt, daß die Bohnen- blüten oft erbrochen werden. Die Insekten gelangen so müheloser zu dem reichlich abgesonderten Nektar. ‘Wenn man andere Leguminosenblüten betrachtet, sieht man leicht, dab Asymmetrie in geringerer Ausbildung als bei Phaseolus weit ver- breitet ist. So z. B. zeigt Lathyrus heterophyllus!) deutlich ein etwas nach rechts gedrehtes Schiffchen und einen, meist nur in Einer Ebene, gekrümmten Griffel, sowie eine etwas asymmetrische Fahne. Das Schiffchen ist durch ein passives Gelenk an seiner Basis beweglich, der Griffel selbst ‚behält seine Lage bei, und wird beim Zurückgehen des Schiffchens wieder in dieses geborgen. Der Mechanismus ist also ein anderer als bei Phaseolus. Bei diesem kommt die zierliche Griffelbewegung durch einen Druck des Schiffchens auf den gewundenen Griffelteil zustande, dessen durch Druck etwas verflachte Windungen dann später wieder ihre ursprüngliche Gestalt annehmen und so die Griffelspitze zurückführen. Die weniger stark asymmetrisch ausgebildeten Blüten sind ebenso konstant wie die stark asymmetrischen, niemand hat sie aber als durch Anpassung entstanden betrachtet. Es wird sich bei Besprechung der Schlafbewegungen dorsiventraler . Blüten Gelegenheit zur Schilderung einer weiteren asymmetrischen Blüten- form (Polygala myrtifolia) ergeben. 6. Hier sei noch erwähnt, daß auch Staubblätter und Fruchtblätter "bzw. deren Teile in Blüten nicht selten asymmetrisches mit Drehungen verbundenes Wachstum aufweisen. Während z. B. die Pollensäcke bei Commelina obliqua einfach eingerollt sind, sind sie bei einer merkwürdigen anderen Uommelinacee, Cochliostema korkzieherförmig eingerollt?). Die Einkrümmung der Antheren von Erythraea erfolgt dagegen erst beim Austrocknen. In einigen Fällen haben die Drehungen zur Benennung von Gattungen Veranlassung gegeben. So — um nur Ein Beispiel anzuführen — bei dem Grase Streptogyne. Hier zeigen sowohl der Griffel, als die „Narben“ einen gewundenen Bau — es sind sogar die Narben von zwei oder mehr Ahrchen ineinander verschlungen ?). Ob sich eine Zweckbeziehung dafür erkennen läßt, ist ebenso fraglich als für die Drehung der Haemariablüte oder für die gedrehte Knospenlage. Für Lychnis flos cuculi glaubte H. MÜLLER ®) eine solche gefunden zu haben „Indem sich die Griffel?) bis in den Blüten- eingang strecken und ihr Ende bis zu 1'/,,—2 Umgängen schraubenförmig drehen, machen sie es den Besuchern der Blume, den dünnrüßligen Schmetterlingen ebensowohl wie den Bienen, unmöglich, ihren Rüssel in’ den Blütengrund zu senken, ohne die Narbe zu streifen“. Das mag als „Ausnutzung“ wohl zutreffen — aber bei anderen Caryophylleen geht es !) Innerhalb der Gattung Lathyrus verhalten sich die einzelnen Arten verschieden. Die Blüten von L. montanus und L. Clymenum erscheinen nicht asymmetrisch. ?) Vgl. die Schilderung und die Abbildungen bei Cuark, Beitr. zur Morph. der Commelinaceen, Flora Y3 (1904) p. 505. h ?) Vgl. H. Trımen, A Handbook to the flora of Ceylon continued by Sir J. D HooKEr Part V (1900) p. 301. R #) R..%: 0.2.1894. °) Eigentlich sind es die Narben, ein Griffel kommt hier nicht zur Entwicklung. G. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 15 x Pads FR ” a 226 ‘Fünfter Abschnitt: auch ohne die Narbendrehung. H. MÜLLER meinte freilich!) auch die (erst beim Austrocknen auftretende) „Drehung der Staubgefäße“: (d. h. der Antheren) bei Erythraea Centaurium scheine eine Anpassung zu sein. Das war aber nur der Ausdruck einer ausschließlich teleologisch gerichteten Naturauffassung. Zusammenfassung für die Drehblüten. In einer ganzen Anzahl von Blüten findet eine mit Drehung verbundene asymmetrische Ausbildung statt, die entweder nur einzelne Teile oder die gesamte Blüte betreffen kann. Es liegt derzeit kein irgend zwingender Grund vor, in diesem Verhalten eine Anpassung zu sehen. Drehblütenstände sind für Spiranthes bekannt. Sie sollen im Zusammenhang mit den Resupinationsbewegungen der Orchideen besprochen : werden. Daß sie nicht die einzigen sind, ist sehr wahrscheinlich. Vielleicht gehören dahin Formen wie Spirostachys u. a. Die Drehungen, welche in den Blüten- ständen von Scutellaria und einigen anderen Labiaten die Blütenstände einseitig machen, können hier außer Betracht bleiben. Viel häufiger als Drehblüten sind $ 15. Drehfrüchte. Während von den Drehblättern wenigstens die, welche Resupination ausführen, Beachtung gefunden haben, ist diese bei den Drehfrüchten nur äußerst wenig zuteil geworden. Zwar hat man nach ihnen teilweise Gattungen benannt (Streptocarpus, Helicteres, „Schneckenklee“ u. a.). Aber in den Lehrbüchern wird man sie vergebens suchen und deshalb sind sie auch der Deutung der Drehung als zweckmäßig, zielstrebig usw. meist entgangen. Als ich anfing, mich mit den Drehfrüchten zu beschäftigen, d. h. also denen, die während des Heranreifens Einrollbewegungen oder Torsionen ausführen, waren mir nur einige Beispiele bekannt. Ich war überrascht, daß schließlich doch eine größere Zahl zusammenkam, obwohl mir gewiß noch manche entgangen sind. Im folgenden mögen die mir bekannt gewordenen Fälle von Chori- und Sympetalen angeführt werden. Ob es auch monokotyle Drehfrüchte gibt, vermag ich nicht zu sagen. Die mancher Orchideen (an welche man hier auch denken könnte) werden bei der Blütenresupination besprochen werden. Helicteres. In Brasilien hatte ich 1913 Gelegenheit, die Frucht- entwicklung dieser Sterculiacee aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Die Blütenachse (g Fig. 137 I) ist oberhalb des Kelches stielartig ver- längert. In der Knospenlage ist sie, wie Fig. 137 I zeigt, schwanenhals- artig eingekrümmt, während der Fruchtknoten gerade ist. Er zeigt schon im Knospenstadium der Blüte die Asymmetrie seines Baues, sowohl an dem Griffelteil als an den fünf Fächern an seinem Grunde. Die nicht in Einer Ebene erfolgende Einbiegung der Blütenachsenverlängerung weist vielleicht darauf hin, daß auch diese an der Asymmetrie Anteil nimmt; freilich ist es nicht ausgeschlossen, daß diese Einkrümmung rein mecha- nisch — durch den Widerstand des derben Kelches, in welchem die Blütenachse eingeschlossen ist, bedingt wird. 1) A. a. O. p. 338: Entfaltungsdrehungen (Morphologie. .des Unsymmetrischen). 2397 "Bei der Weiterentwicklung des Fruchtknotens zur: Frucht, die unter starkem Längenwachstum erfolgt, tritt dann die schraubenförmige Drehung der F'rucht immer deutlicher hervor. Es kommt so die merkwürdige in Fig. 137, II abgebildete Ausbildung zustande, welche schon SLOAXE !) ver- anlaßte zu sagen, die Frucht bestehe aus fünf behaarten Schoten „funis ad instar im spiram convolutis“. Nur der oberste Teil bleibt bei manchen Früchten fast gerade. Fig. 137. I und II Helicteres Isora. 1 Freigelegte Blütenknospe viermal vergr., ce Kelchrest, g Blütenachse, f Fruchtknoten, II reife Frucht etwas vergr., IIT Frucht von Platystigma californicum zweimal vergr., IV von Cajophora lateritia. Bei der Reife tritt in diesem oberen Teil eine Zurückdrehung und septizide Spaltung der Kapselfrucht ein, welche die Entleerung der etwa 2 mı langen und lmm breiten Samen ermöglicht. Wir sehen also deutlich, daß hier die asymmetrische Entwicklung von Anfang an durch den Bau des Fruchtknotens (vielleicht durch den der ganzen Blüte) gegeben ist. Es ist klar, daß der Gipfel der aufrecht gedachten Frucht ähnlich wie der einer Schlingpflanze in einer Schrauben- linie nach oben geführt wird. Daß eine besondere Anpassungserscheinung vorliege, scheint mir ganz unwahrscheinlich. Man könnte höchstens sagen, daß das — wahrscheinlich langsam erfolgende — Aufdrehen der Frucht eine langsame Entleerung des Samen ermögliche. Aber diese waren in den untersuchten Früchten nicht in besonders großer Zahl vorhanden — es ist also nicht einzusehen, weshalb besondere Aussaatvorrichtungen er- forderlich sein sollten. Denken wir uns an der Spitze des Fruchtknotens eine dorsiventrale A ı) Hans SLoAne, catalogus plantarum, quae in insula Jamaica sponte proveniunt. Londini 1696 p. 22. 15* 228 Fünfter Abschnitt: Blüte mit einem ursprünglich nach oben sehenden Labellum befestigt, so würde dieses durch die Drehung des Fruchtknotens nach unten kommen, da diese in einem darauf hin untersuchten Falle 180° betrug. Das ist im Auge zu behalten, wenn es sich um die Frage nach der Resupination vieler Blüten handelt. Hier ist zunächst zu untersuchen, inwiefern die andern Drehfrüchte mit denen von Helicteres übereinstimmen. Auffallend gedreht sind die Früchte des Papaveracee Platystigma californicum!) (Fig. 137 IIı). Sie öffnen sich am Scheitel mit drei Klappen, die Samen. werden aus den langen dünnen Früchten offenbar allmählich herausgeschüttelt. Es scheint aber nicht bei allen Früchten die Drehung gleich stark zu sein. Nur eine schwächere Drehung war an den Schoten der Crucifere Strepoloma desertorum zu bemerken. („Siliqua longitudinaliter torsa“ ?). Die Früchte der Polygonee Pterobryum Sekt. Streptocarya waren mir nicht zugänglich. Ich kenne nur die Angabe „Frucht gedreht“ ?). Dagegen sind in unseren Gärten leicht zu beobachten die Drehfrüchte einer Loasacee. Die schönen Blüten der Öajophora lateritia (Fig. 137 IV) zeigen schon im Knospenzustand, daß die Längsrippen ihres unterständigen Fruchtknotens nicht gerade, sondern schief verlaufen. Auch der Quer- schnitt des Fruchtknotens zeigt deutlich einen asymmetrischen Bau. Beim Heranwachsen zur Frucht verstärkt sich die Drehung noch er- heblich. Die Frucht verlängert sich um das Mehrfache (von 1,5—2 cm auf 5—6 cm) und führte (in einem Falle) dabei eine Drehung um etwa 540° aus. — Wäre die Blüte noch daran gewesen, so würde sie also zuerst resupiniert und dann, um 360° weiter gedreht worden sein — also äußerlich als resupiniert erschienen sein. Bei der Reife öffnet sich die Frucht an der Spitze durch Längsspalten, ohne daß dabei eine irgendwie auffallende Zurückdrehung eintreten würde. Die kleinen Samen können aus diesen Spalten herausgeschüttelt werden. Das könnte aber natürlich auch ohne Drehung stattfinden. In der Gruppe der Leguminosen finden sich Drehfrüchte sowohl bei Papilionaceen als bei Mimoseen. Am bekanntesten sind die Früchte, welche der Gattung Medicago den deutschen Namen „Schneckenklee“ ver- schafft haben — sie erinnern tatsächlich bei manchen Arten an die ge- wundene Form vieler Schneckengehäuse. Daß nach der Befruchtung ein starkes Wachstum der Frucht eintritt, ist ohne weiteres wahrnehmbar. Ebenso der dorsiventrale Bau der Früchte, an welchen zwei Kanten gegeben sind, die durch die Verwachsungsstelle (Naht) und die durch die Mittellinie des Fruchtblattes gebildete*). Beide verhalten sich verschieden. Ist das Längenwachstum auf beiden Seiten ungleich groß, so kommt eine einfache sichelförmige Einkrümmung der Frucht zustande, wie.z. B. bei Med. lupulina.. Kommt dazu noch asym- metrisches Wachstum, so erfährt die Frucht eine Schraubendrehung, wobei die Nahtkante immer nach innen gekehrt (also konkav) ist. Bei M. Murex sind die Windungen einander so dicht angepreßt, daß man .bei oberflächlicher Betrachtung der fertigen Frucht eine mit harter Schale versehene Kugelfrucht vor sich zu haben glaubt. !) Auf welche mich mein verehrter Kollege RAvLkorer aufmerksam machte. ?) Bentuam a. Hooker, Gen. Plant. I 77. ?) EnGLer-Pransı, Nat Pflanzenfam. III 1a p. 24. *) Immer noch viefach irrig als :„Rückennaht“ bezeichnet. Eine Naht kann immer nur eine Verwachsungsstelle bezeichnen. . 27.2 A Fr a re y « [4 en 4 Or) DR, I f £ pi nd Bea Ds > ’ F * URN a : IBAN! a. ’ \ Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 229 - Auf der Konvexkante entwickeln sich bei manchen Arten Auswüchse, die als Hacken zur Verschleppung durch Tiere dienen. Die Früchte öffnen sich vor der Keimung nicht; manche sind ja als „Ringelkletten“ im Wollhandel bekannt und berüchtigt. Eine derartige Frucht besitzt z. B. M. Echinus (Fig. 138 I, II). Die jüngeren Entwicklungsstadien zeigen, daß die Windungen noch ziemlich flach sind. Später legen sie sich — ganz ähnlich wie bei Vallis- neria spiralis — dicht aneinander und bedecken sich auf der Außenseite mit Borstenhacken. Bei anderen bildetdie konvexe Kante eine Art Flügel (z. B. M. orbicularis), so daß die flachscheiben- förmigen Früchte wohl durch den Wind fortge- blasen werden können. Fig. 138. I und II Medicago Echinus. / junge Frucht Fig. 139. Frucht von noch ohne Auswüchse, // ältere Frucht, deren Drehung ° Medicago seutellata. A von durch Auswüchse verdeckt ist (beide 3fach vergr.), [I/Frucht - unten, B von oben. von Prosopis pubescens 2fach vergr, Bei den kugeligen Früchten von M. scutellata (Fig. 139) liegt die Annahme nahe, daß sie vom Winde fortgerollt werden könnten, zumal sie bei der Reife leicht von ihrer Anheftungsstelle sich loslösen. Aber wenn man sie auf einer ebenen Fläche rollen läßt, so beschreiben sie, vermöge ihrer gewundenen Oberflächenbeschaffenheit, Kreise, sie sind also für eine Fernverbreitung durch Rollen — wenigstens nach diesem Labora- toriumsversuch — nicht eingerichtet. Ob im Freien dasselbe gilt wäre erst noch festzustellen. Man wird das aber einstweilen als sehr wahr- scheinlich bezeichnen dürfen. J Ursan hat in seiner Abhandlung: „Uber Keimung, Blüten- und Fruchtbildung bei der Gattung Medicago!) die Fruchtbildung dieser Gattung besprochen. Er findet die Drehung meist rechts, nur in einer Gruppe kommen Ausnahmen vor. Einige zeigen am Fruchtknoten zur Zeit der Bestäubung noch gar keine Drehung (M. falcata, sativa, radıata, lupulina, orbicularis), bei anderen ist sie schon zur Blütezeit wahr- nehmbar. Es ist dies eine Verschiedenheit, die bei andern Pflanzen mit Drehfrüchten wiederkehrt; selbstverständlich ist die „Anlage“ („Potenz“) zur Drehung auch bei den Fruchtknoten vorhanden, die zunächst noch gerade erscheinen. UrBan hat auch versucht, sowohl eine kausale als eine teleologische Erklärung für die Einrollung der Früchte zu geben (a. a. O. p. 28). Er meint, die „Bauchnaht“, welche vor der Bestäubung eine gewisse ı) Dissertation, Berlin 1873, vgl. auch Verhandl. des bot. Vereins der Provinz Brandenburg, XV 1873 (Prodromus einer Monographie der Gattung Medicago L.). 230 Fünfter Abschnitt: Entwickelung erreicht habe und gerade gerichtet sei, werde plötzlich durch das Zurückschnellen des „tubus stamineus“ zusammengepreßt. - Je mehr ihre Ausbildung auf diese Weise gehemmt werde, um so mehr könne sich die „Rückennaht“ (d. h. die der Mittellinie des Fruchtblattes entsprechende Seite) entwickeln. Daß diese einfach mechanische Erklärung, welche das stärkere Wachstum auf der Oberseite der Frucht auf eine Hemmung zurückführt, welcher diese eine Zeitlang ausgesetzt war, nicht zutrifft, ist unzweifelhaft. Auch wenn man den „tubus stamineus“ einer Medicago- blüte frühzeitig entfernt, werden die Früchte genau ebenso sich „einrollen“ wie sonst. Es tritt vielmehr in dem Verhalten der reifenden Frucht die- selbe „Hypotrophie“ zutage (vielfach in Verbindung mit asymmetrischem Wachstum), die auch in der Ausbildung der Staubblattröhre, der Krümmung des Griffels usw. sich äußert. Die Staubblattröhre kann vielleicht eine Zeit- lang den Fruchtknoten bzw. die junge Frucht in ihrem Wachstum hemmen, aber nicht ihr eine Wachstumsrichtung aufnötigen. Ich kann also diesen kausalen Erklärungsversuch nicht als einen haltbaren betrachten. Nicht viel anders steht es mit dem teleologischen. „Die anfangs sichelförmige, später gedrehte Gestalt der Hülse, welche außerdem sich nach und nach Dornen aneignete, sowie das so bewerkstelligte innige Umschließen der Samen, die gegen frühzeitiges Keimen auf diese Weise geschützter waren, mochten eine besonders gute Adaption sein, um den Kampf ums Dasein gegen die Mitbewerber siegreich zu bestehen.“ Gibt es aber Leguminosen, die eines Schutzes gegen frühzeitiges Keimen bedürfen? Das ist wohl — zumal sie ja meist sehr „harte“ Samen- schalen haben — ebensowenig der Fall, als daß die schwach gekrümmten Hülsen mancher Arten ein inniges Umschließen der Samen bedingen. Und wie sollten solche Erwägungen für andere Drehfrüchte passen ? Die „Drehung“ als solche muß vielmehr innere Ursachen haben, wie bei anderen Drehfrüchten, die sich bei der Reife öffnen. Die Schließ- früchte von Medicago haben teilweise Verbreitungseinrichtungen, die an nicht gedrehten Früchten in ganz ähnlicher Weise auftreten können. Wenn man absieht von diesen Verbreitungseinrichtungen, welche ja mit der Windung der Früchte nicht in unmittelbarer Beziehung stehen, so ist mir eine sonstige teleologische Deutung der Schnecken- hausfrucht nicht bekannt geworden — nicht einmal bei VAUCHER, der doch für die meisten Erscheinungen ihre Zweckmäßigkeit hervorhob, findet sich eine solche. Es ist dies um so auffallender, als diese Früchte höchst sonderbare Gebilde sind. Bleiben wir bei den eigentlichen Schnecken- hausfrüchten (zu denen man die einsamigen Früchte von M. lupulina nicht wohl rechnen kann), so finden sie sich meist an einjährigen, großenteils der Mittelmeerflora angehörigen Pflanzen, die ihre Hülsen, obwohl sie oft über ein Dutzend Samen enthalten, nicht öffnen. Die Samen sind aber alle keimfähig., Man findet infolgedessen bei der Keimung einen ganzen Trupp Keimpflanzen, die einer Frucht entpringen, zusammenstehen !). %) Abbildung z. B. bei Luseock, On seedlings Vol. I p. 416 (Med. orbicularis). Schon VAucHer hat die Keimung beschrieben (a. a. O. II 97). Den Stacheln schrieb er die Bedeutung zu „de defendre les graines contre les attaques des animaux“. Auch Ur- 8Aan beschreibt die Keimung. Er weist namentlich darauf hin, daß unter den Keim- pflanzen aus einer Frucht ein Kampf um die Existenz eintrete, der dazu führt, daß von 4—5 Samen, wie sie sich z. B. bei M. orbicularis in einer Windung finden, nur Einer, selten zwei, die Beendigung der Keimung erlebe. Die unterlegenen Keimpflänzchen sollen mit zur Ernährung der Sieger dienen. Sicher geht aber bei dieser spartanischen Nachzuchtsmethode mehr Material verloren als wenn nur. Ein Samen von vornherein damit ausgestattet worden wäre! Kr } Pa Di n > Ra - aufgetretene Einrollung der x Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen), 5 231 Dasfist‘'etwas, was den sonstigen Einrichtungen für Samenverbreitung — die auf eine möglichste Vereinzelung der Samen bzw. der |Keim- pflanzen hinauslaufen — schnurstracks widerspricht. Es: sind natürlich Verhältnisse denkbar, welche eine Oberflächenver- minderung der Frucht durch Zusammendrehen als nützlich erscheinen lassen Bis jetzt aber sind besondere Vorteile dieses Vorganges bei Medicago nicht nachgewiesen. : Bei Scorpiurus — den die Systematiker in dieselbe Papi- lionaceengruppe wie Medicago stellen — wiederholen sich im wesentlichen dieselben Gestal- tungsverhältnisse: mehrsamige Schließfrüchte, die bei Sc. veri- miculatus in Einer Ebene bei Sc. subvillosus u. a. in lockeren Schraubenwindungen eingerollt und mit Klettvorrichtungen ver- sehen sind. Aber hier ist es ein epinastisches, nicht ein hyponastisches Wachs- tum, das die Einrollung (in . Einer Ebene) bedingt. Auch bei Scorpiurus vermi- culatus bedeckt sich die Frucht mit Auswüchsen, die wohl deren Verschleppung durch Tiere er- möglichen. Man kann aber nach dem Mitgeteilten den Vorteil der Einrollung der Frucht nicht darin suchen, daß dadurch ihre Verbreitung ermöglicht werde. Denn wir sahen, daß die Ein- krümmung und Einrollung auch bei Papilionoceenfrüchten auf- tritt, welche keine besonderen Verbreitungseinrichtungen er- kennen lassen. Wohl aber mag die — aus „inneren Gründen“ Frucht in manchen Fällen für Fig. 140. Prosopis (Strombocarpus) pubescens mit deren Verschleppung günstiger Drehfrüchten, verkl. sein, als die gerade. "Sehr interessant sind die Früchte der Mimosee Prosopis (Strombo- carpus) pubescens auf die mich mein verehrter Kollege RADLKOFER aufmerk- sam machte (Fig. 133 ZII u. 140). Wie auffallend deren Drehung ist, geht schon aus den Vulgärnamen (Tornilla der Mexikaner, Screw-bean und „Strembocarpus“, welche die Pflanze früher trug. Die von mir untersuchten Früchte waren fast 4 cm lang, die Windungen so flach, daß sie die Längs- achse, der Frucht fast im rechten Winkel schneiden. Die Früchte springen nicht auf, sie haben innen eine Art Fruchtfleisch. Sie werden von Mexi- 232 Fünfter Abschnitt: kanern und Indianern vielfach zur Nahrung benutzt, auch vom Vieh gefressen. Der Fruchtknoten ist in der Blüte anscheinend gerade !), die Drehung beginnt also wohl bei dem starken Wachstum nach der Befruchtung. Bei Pr. torquata sind die Früchte nur sichelförmig gekrümmt. Will man bei Prosopis pubescens nach einer ökologischen Deutung der Fruchtdrehung suchen, so könnte man sie insofern in Beziehung zu den Standortsverhältnissen bringen, als durch die Zusammendrehung zweifellos die transpirierende Oberfläche der Frucht beschränkt wird. Da die Samen vermöge des fleischigen Teils des Perikarps eine Verbreitungs- einrichtung durch Tiere besitzen, so ist an den wasserarmen Standorten eine solche Oberflächenverringerung der Frucht vielleicht von Bedeutung. Den vorstehend angeführten Beispielen von gedrehten Leguminosen- früchten ließen sich leicht noch andere anfügen. So z. B. die von Pithecolo- bium-Arten, Inga edulis, Archidendron, Helminthocarpum u. a. (in Einer Ebene eingerollt) auch die sonderbaren Früchte von Discolobium gehören wohl hierher, wenigstens deutet darauf die Abbildung Mic#eurs ?). Die Beschreibung „Hülse kurz, aus drei horizontalen Scheiben bestehend, von denen die mittelste am größten, nierenförmig und netzadrig ist und einen länglich nierenförmiger Samen mit Nabelwulst enthält; die zwei übrigen sind kleiner und steril“ — sagt freilich über den Gesamtaufbau der Frucht recht wenig aus. Gemeinsam scheint den stark gedrehten oder gewundenen Leguminosen- früchten zu sein, daß sie bei der Reife nicht aufspringen ?), während das z. B. bei Streptocarpus der Fall ist. Hier sind die Samen aber sehr klein, während sie bei den „drehfrüchtigen“ Leguminosen viel größer sind. Ihre Entleerung würde also aus der gedrehten Frucht wohl nicht so leicht vor sich gehen wie aus geraden Hülsen. Daß anatomisch viele andere Legu- minosenfrüchte in bestimmten Teilen einen asymmetrischen Bau besitzen, zeigt sich bei denen, die beim Austrocknen drehende Bewegungen aus- führen, welche selbstverständlich keine Wachstums- sondern Schrumpfungs- bewegungen sind. | Als Beispiel von Drehfruchtbildung für sympetale Dikotylen sei die Oyrtandreen-Gattung Streptocarpus genannt. An den Fruchtknoten von Str. caulescens und Str. Wendlandi konnte ich noch keine Drehung wahrnehmen. Diese setzt also erst bei der starken Verlängerung der heranwachsenden Frucht ein. Doch erwies sich der Fruchtknoten von Str. caulescens als im Querschnitt asymmetrisch, der von Str. Wendlandi zeigte zwar (durch die verschiedene Größe der Placenten) Dorsiventralität aber keine auffallende Asymmetrie. Die reife Frucht öffnet sich beim Austrocknen in zwei — selbstverständlich gewundenen — Längs- spalten, welche den zahlreichen kleinen Samen das Herausfallen ermöglichen. Man könnte den „Sinn“ der Drehung darin erblicken, daß solche Drehspalten leichter eng bleiben und dadurch eine allmähliche Samen- entleerung bedingen können. Indes könnte eine solche Annahme auf andere Drehfrüchte keine Anwendung finden und — im besten Falle — nur auf eine sekundäre Ausnützung hinweisen. 1) So auch gezeichnet in der Abbildung von Torrey in: U. S. P. R. R. Ex. and Surveys, California, Botany, Pl. IV. ?) Wiedergegeben in Eneuer-Prantı, N. Pflanzenf. III 3 p. 112 Fig. 125. G. 3) Man könnte das damit in Zusammenhang bringen, daß sie durch die Einrollung eine viel geringere transpirierende Oberfläche erhalten als die gewöhnlichen. > j al TG „ee & E Bu ER R 3 E. Entfaltungsdrehungen (Morphologie des Unsymmetrischen). 233 Wahrscheinlich kommen Drehfrüchte noch bei anderen Sympetalen vor. Ich hatte indes keine Gelegenheit, z. B. die Früchte von Stylidium streptocar- pum zu untersuchen, dessen Artbezeichnung auf Drehfrüchte schließen läßt. Rückblick. Wenn wir die angeführten Beispiele von Drehfrüchten überblicken, so sehen wir, daß sie zerstreut in verschiedenen Familien der Dikotylen auftreten — bei manchen wie bei den Papilionaceen in größerer Anzahl, bei anderen vereinzelt. Die Frage, ob die Drehung nur aus inneren Gründen oder als Anpassungserscheinung auftrete, haben wir im ersteren Sinne beantwortet. Es waren keine anderen gemeinsamen Züge in dem Ver- halten dieser Früchte zur Außenwelt zu erkennen als die Tatsache des asym- metrischen Baues, der in den meisten Fällen erst beim Heranwachsen des Fruchtknotens zur Frucht deutlich hervortritt. Das ist aber ein „innerer“ Grund. Im übrigen sind die Drehfrüchte teils als Schließfrüchte aus- gebildet, teils öffnen sie sich bei der Reife. Sie stellen keine durch gleichartige Anpassung entstandene Gruppe dar. Sie haben sich mit der ihnen eigenen Wachstumsart irgendwie abzufinden. Daß sie das mit Erfolg getan haben zeigt aber nicht, daß auch die Drehung an sich eine zu einem bestimmten „Ziel und Zweck“ erreichte war. Die Früchte, bei denen nur der Stiel (oder die Basis der Frucht) eine Drehung ausführt, sollen zusammen mit den resupinierten Blüten be- sprochen werden. S 15a. Drehwurzeln. Daß auch bei Wurzeln mit Drehungen verbundene Asymmetrie vor- kommt, sei hier nur kurz erwähnt. Eines der auffallendsten Beispiele findet sich bei Polygala Senega, deren Wurzeln’ in den pharmakognostischen Lehr- und Handbüchern geschildert werden. Sie sind in der Jugend anscheinend radiär, später tritt meist stark asymmetrisches Wachstum ein, das mit Torsionen verknüpft zu sein scheint. Eine überzeugende Deutung dieser Asymmetrie als Anpassungserscheinung ist mir nicht bekannt geworden. S 16. Schlußbetrachtung. Die oben angeführten Beispiele ergeben wie weit verbreitet Asymmetrie bei den Pflanzen ist. Sie, nicht die Symmetrie — radiäre oder dorsi- ventrale — ist das allgemeine, vielfach allerdings verdeckte Prinzip. Wo die Asymmetrie auffallend hervortritt, teils im abnormen, teils im normalen Verhalten, konnten wir sie nicht als durch Anpassung an äußere Faktoren entstanden betrachten, obwohl sie in manchen Fällen von Vorteil sein kann. Aber das trifft keineswegs überall zu. Die Meinung, daß Symmetrie das Normale, Asymmetrie die Ausnahme sei, ist eine un- bewußt anthropomorphistische, in Wirklichkeit sind symmetrische Pflanzen- teile nur solche, bei denen die Asymmetrie nicht hervortritt. Die asym- metrische Struktur ist es, welche die eigenartigen Entfaltungsbewegungen bedingt, welche im Vorstehenden besprochen wurden, und die sowohl den Cirkumnutationen als den Bewegungen der Ranken- und Schlingpflanzen zugrunde liegt. Daß sie letzten Endes in einer asymmetrischen Beschaffen- heit des Protoplasmas bzw. des Zellkernes begründet ist, ist sehr wahr- scheinlich. Es wird eine solche Annahme auch durch die bei Pflanzen weit verbreitete .„Spirotrophie“ nahegelegt, die aber außerhalb unseres Themas liegt. Sechster Abschnitt: Resupination der Blüten. $ 1. Geschichtliches und Definition. Unter Resupination der Blüten hat man im Laufe der Zeit keines- wegs immer dasselbe verstanden. Das geht schon hervor aus der Definition, die Linn& gibt!): „Florum resupinatio, cum corollae labium superius terram, inferius coelum spectat: Violae Europaeae, Ocymum, Ajuga orien- talis, Satyrii species.“ Es sind das nur Beispiele, denn Lins# waren auch andere Fälle von Resupination bekannt (z. B. Trifolium resupinatum). Daß in diesen Beispielen verschiedene Vorgänge zusammen- gemengt sind, braucht jetzt kaum mehr betont zu werden. Die „nicken- den“ Blüten von Viola sind ebensowenig „resupiniert“ wie die von Ocymum, aber Lınn#’s Definition hat noch lange nachgewirkt. | . Ein Botaniker des 19. Jahrhunderts, der sich viel mit Terminologie befaßt hat, Bischoff ?), sagt z. B.: „resupinatus, umgewendet, umgekehrt oder gestürzt, wenn überhaupt bei einem Pflanzenteile die obere und untere Fläche oder Seite gleichsam verwechselt sind, so daß die sonst gewöhnlich obere nach unten und die untere nach oben gekehrt ist, z. B. die zwei- lippige Blume bei Ocimum, Plectranthus und Hyssopus Lophanthus, wo die Oberlippe, das Perigon bei Nigritella, wo die Honiglippe .... nach oben gekehrt ist, ferner das Blatt von Alstroemeria Pelegrina, wo es auch durch „verkehrtflächig“ übersetzt wird, dann die Anthere von Adoxa nach dem .Aufspringen, wo man im Deutschen auch den Ausdruck „um- gestülpt“ gebraucht. In dieser — auch sprachlich unerfreulichen — Definition sind dreierlei verschiedene Vorgänge miteinander zusammengeworfen: einmal die „Schein- resupination“ bei Ocimum und Plectranthus, dann die wirklich resupinierten Blüten bei Lophanthus und das Unterbleiben der Resupination bei Nigri- tella, was allerdings den sonst mit resupinierten Blüten versehenen anderer Orchideen gegenüber auch wie eine Drehung aussieht. Später hat man, dem Wortsinn entsprechend, unter Resupination nur eine wirkliche Drehung verstanden. „Vollständige Umdrehung der Blüten durch Drehung, !) Linn&, philosophia botanica ed. II (1791) p. 104. Daß Linnt keineswegs nur einseitiger Systematiker war, sondern auch die Lebensvorgänge der Pflanzen eingehend beobachtete, geht auch aus dem angeführten Abschnitt der philos. botanica hervor, in welchem u. a. auch die „Nutationen“ besprochen werden, auch die Drehfrüchte führt er in’ demselben Abschnitte an — alles Dinge, die später lange unbeachtet blieben. Daran war aber nicht die Einseitigkeit Lınnt’s, sondern die seiner Nachfolger schuld. 2) Bıschorr, Lehrbuch der Botanik (1839) Anhang p. 171. Resupination der Blüten. 235: derart, daß Be was zuerst oben war, nachher unten ist, wird als Resu- ‘“ pination bezeichnet“ }). . Hiermit werden also als resupiniert nur solche Blüten bezeichnet, die wirklich. eine Entfaltungsdrehung, ausführen. Die Frage ist nur, ob man darunter ausschließlich die Drehung um 180° verstehen soll. Denn diese ist ja nur ein — allerdings besonders auffallender — Einzelfall unter den Orientierungsbewegungen dorsiventraler Blüten. Manche drehen sich nur um 90°, andere um einen noch kleineren Winkel — ausnahmsweise findet auch eine Drehung um 360° statt, außerdem kommt vielfach nicht nur eine Drehung, sondern auch eine Orientierung zu den übrigen Teilen der ‚Pflanze, an der die Blüten stehen, in Betracht. ‚Da diese dorsiventralen Blüten fast alle sich nur durch Eine Sym- metrieebene teilen lassen, so könnte man als das wesentliche des Vorgangs auch eine bestimmte Einstellung dieser Symmetrieebene in die Vertikale betrachten. Eine solche findet auch bei dorsiventralen Blüten statt, in denen nicht eine Drehung um 180°, sondern nur um 90° oder 45° bzw. auch einen kleineren Betrag stattfindet. .$2. Es mag ein Beispiel angeführt werden, bei dem es sich um eine Drehung der Blüten um 90° handelt. Es ist auch dadurch lehrreich, daß die mit einem seitlichen Sporn versehene Blüte diesen nach oben dreht. Man hat ja teilweise angenommen, daß derartige Drehungen durch eine ungleichmäßige Belastung bedingt seien. Dabei könnte es sich aber nur um eine Drehung des schwereren Teiles der Blüte nach unten, nicht aber um eine solche nach oben handeln. Das letztere aber findet statt bei den Blüten. von Fumaria und Corydalis, welche den ursprünglich seitlich stehenden Sporn durch eine Drehung um 90° nach oben wenden. Man kann deutlich verfolgen, wie sie „transversal-dorsiventral“ geworden sind ?). Auch liegt bei ihnen einer der Fälle vor, in denen die Drehung sich ohne Schwierigkeit als eine für die Bestäubung vorteilhafte erkennen läßt. Zunächst sei bemerkt, daß die Diagramme (Querschnitte) der Blüten, wie sie in EiCHLer’s Blütendiagrammen "und nach diesen in den Hand- und Lehrbüchern ?) wiedergegeben werden, in einem wesentlichen Punkte un- richtig sind. Sie zeichnen die Blüte — abgesehen davon, daß sie nur auf Einer Seite ein Nektarium und ein „gesporntes“ Blumenblatt besitzt — so, als ob rechte und linke Seite gleich ausgebildet wären. Wir sehen aber an jedem Querschnitt, daß das nicht der Fall ist, daß vielmehr die rechte und die linke Seite der Blüte, auch abgesehen von dem Besitz oder Mangel eines Sporns, sehr verschieden sind. Nicht nur ist das in der Fig. 141 nach rechts gekehrte Blumenblatt bedeutend dicker und breiter, als das ihm gegenüberliegende, auch an jedem der beiden inneren Blumenblätter ist die Innenseite breiter und dicker als die Außenseite, und selbst die beiden Staubblattbündel sind verschieden. Die Blüte besitzt also deutlich eine geförderte (rechte) und eine geminderte (linke) Seite. Erstere ist sicher auch schwerer als die andere, trotzdem kommt sie durch eine Torsion des Blütenstiels nach oben. Daß das für die Insektenbestäubung der Blüten förderlich ist, läßt sich leicht einsehen. "Bekanntlich bilden die beiden inneren Blumenblätter eine Kapuze, „u Kıcnuex, Bihlendiägrämmie (1875) Ip. 6. Daß diese Definition nicht ausreichend ist, zeigen die Fälle, in denen die Resupination nicht durch Drehung, sondern durch Biegun erfolgt (vel. z. B. das über Strobilanthes später Anzuführende). ST yeı z. B. GoeBer, Organographie 2. Aufl. p. 29. ss Z. B. Bonner Lehrb. der Botanik 13. Aufl. Fig. 647. 236 Sechster Abschnitt: welche Staubblätter und Griffel umgibt. Sie muß bei der Bestäubung heruntergedrückt werden. Dies wird dadurch ermöglicht, daß diese Blumenblätter an ihrer Basis verschmälert sind, also ein passives Gelenk besitzen. Ein solches hat auch das nach unten gekehrte äußere Blumen- blatt, das nach unten verschmälert und flach, also leicht abbiegbar ist, während das obere gespornte Blumenblatt kein passives Gelenk besitzt; sondern starr ist. Dazu kommt, daß die beiden die Kapuze bildenden’ Blumenblätter — wenigstens bei der von mir untersuchten Corydalis lutea — wie erwähnt stark asymmetrisch ausgebildet sind. Und zwar liegt eine der merkwürdigsten mir be- kannten Formen von Blattasymmetrie vor. Sie sind auf der dem Sporn zugekehrten Seite schienenartig ver- dickt, auf der unteren Seite flach, die dickere Seite ist innen mit Schwammgewebe angefüllt. Außer- Stück vor. Ein Biegen nach oben ist also aus den beiden Gründen (Widerstand des oberen Blumen- blattes und Asymmetrie der Kapuzen- blätter) nicht gut möglich. Die ver- tikale Stellung der Blüten ermöglicht den Bienen ohne Drehung ihres (ja ebenfalls dorsiventralen) Körpers die Blüte zu befliegen und ihr Körper- Fig. 141. Corydalis lutea, Blütenquerschnitte gew icht zum Niederdrücken ‘ der in a ne era st Staub- Kapuze tr benützen We Blüte sich nicht drehen, so würde der Blütenbesuch für das Insekt mehr Zeit und Kraftaufwand erfordern. So ist es auch in den mit zwei Honig- behältern und zwei Spornen versehenen bilateralen Blüten der verwandten Gattungen Adlumia und Dielytra. Wenn man also auch einsehen kann, daß die Drehung der Blüte um 90° die Bestäubung erleichtert, so reicht dieser Vorteil doch nicht aus, um anzunehmen, die Verkümmerung des einen Sporns und die Drehung der Blüte sei durch „Naturzüchtung“ erfolgt. Das könnte man allenfalls vermuten für Fumariaceenblüten, die selbst- steril und ausschließlich auf Insektenbestäubung angewiesen sind. Aber dieselbe Einrichtung findet sich auch bei selbstfertilen Fumariaceen wie bei Fumaria, Corydalis lutea und ochroleuca, bei denen zwar Fremd- bestäubung möglich ist, aber offenbar nicht häufig auftritt. Was wir unmittelbar wahrnehmen können, ist nur das, daß die Blüten, weil sie dorsiventral sind, auch eine bestimmte Orientierungsbewegung ausführen, wobei die geförderte (Plus-)Seite nach oben gerichtet wird. Es sind das dieselben Verhältnisse wie bei den gewöhnlichen Papilio- naceenblüten, mit denen man ja seit Deupıno die Fumariaceenblüten oft genug verglichen hat. Weshalb sich die Plusseite der Fumariaceen- blüte in dieselbe Stellung dreht, welche der geförderte Teil der Blumen- krone der Papilionaceen von Anfang an inne hat, ist damit natürlich noch nicht aufgehellt. Es mag an dem einen Beispiel für Drehungen, die unter 180% be- tragen, genügen. Ob man auch sie als „Resupination“ bezeichnen will dem steht über dem Gelenk ein R: } » I, jr. eh 5 ir > Resupination der Blüten. 237 ist Sache der Übereinkunft, am einfachsten wird es wohl sein, dem Worte seine ursprüngliche Bedeutung zu lassen, dabei aber im Auge zu behalten, daß es nur einen Einzelfall unter den Drehbewegungen dorsiventraler Blüten bezeichnet. 83. In der Eıcauver’schen Definition der Resupination wird ange- nommen, daß diese stets durch Drehung erfolge. Das ist häufig, aber nicht immer der Fall. Es kann auch die Resupination der Blüten entweder durch symmetrisches oder asymmetrisches Wachstum erfolgen. Im ersteren Falle handelt es sich um’ ein stärkeres Wachstum der dem Deckblatt zugekehrten (abaxialen) Seite der Blüte, sei es des Blüten- stiels, der Blumenkrone oder des Fruchtknotens. Dieser einfachste Fall der Resupination stellt also eine „Uberbiegung“ dar. Nur bei asymmetrischem Wachstum erfolgt eine einmalige Drehung. Beides kehrt wieder bei anderen Entfaltungsvorgängen, namentlich den postfloralen, die auch entweder in Einer Ebene sich vollziehen, oder wie bei Vallisneria und ÜOyclamenarten mit Drehung verknüpft sind. Ebenso bei den Schlafbewegungen, bei denen es sich aber nicht immer um Wachstumsbewegungen handelt. Ubrigens unterscheiden sich die durch stärkeres Wachstum der abaxialen Seite erfolgenden Resupinationen dorsi- ventraler Blüten nicht wesentlich von den Nutationsbewegungen radiärer Blüten, wie Silene nutans u. a. — falls auch diese in bestimmter Ebene vor sich gehen. Wir unterscheiden zweierlei Fälle von Resupination: solche, die be- dingt sind durch eine Lagenveränderung, welche die Infloreszenz (und damit auch jede einzelne Blüte) im Laufe der Entwicklung erfährt, und solche, die erfolgen, ohne daß die Lage der Blüten geändert worden wäre. Für die erstgenannte Erscheinung sind die bekanntesten Beispiele die ursprünglich aufrechten, später „hängenden“ Infloreszenzen mancher ‚Papilionaceen (Cytisus!) Laburnum, Glycine u. a.). Die Schmetterlings- blüten sind bekanntlich ausgeprägt dorsiventral. Sie stehen in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle an aufrechten Infloreszenzen so, daß die „Fahne“ der Blüte nach oben, das „Schiffehen“ nach unten gekehrt ist. Auch bei den genannten Pflanzen werden an den ursprünglich auf- rechten Blütenständen die Blüten so angelegt. Nachdem aber die In- floreszenz eine hängende geworden ist (in Wirklichkeit findet hier, wie in den meisten derartigen Fällen, eine aktive Abwärtskrümmung statt), drehen sich die Blüten um 180°. Dasselbe tun die der Acanthaceae Thunbergia mysorensis, die ebenfalls hängende Blütenstände besitzt. Man kann den Vorgang auch bei Papilionaceen hervorrufen, deren Infloreszenzen man künstlich nach abwärts biegt, und feststellen, daß er ein unter Schwerkraftseinfluß vor sich gehender, also „geostrophischer“ ist. Daß er für die Bestäubung förderlich ist, ist zwar nicht experimentell nach- gewiesen, aber wahrscheinlich. Hier liegen die Verhältnisse jedenfalls einfacher, als bei den Blüten, die sich drehen, ohne daß die Infloreszenz, welcher sie zugehören, eine Lagenveränderung ausführt. Das ist am bekanntesten bei Orchideen und Lobeliaceen. Der Vorgang tritt deutlich bei der in Fig. 142 abgebildeten ‘ Calanthe hervor. Der Sporn der Blüten liegt ursprünglich auf der oberen (adaxialen) Seite der Blüte, später auch der unteren, abaxialen. Die Drehung hat also 180° betragen. Wie sie zustande kommt, wird später zu erörtern sein. t An ihnen hat schon Vaucner die Resupination beobachtet. 238 Sechster Abschnitt: Wir sehen also, daß Resupination nur bei dorsiventralen Blüten. als Entfaltungsbewegung bekannt ist. Es ist nicht wahrscheinlich, daß: das darauf beruht, daß sie auch bei radiären Blüten eintritt, aber dort nicht auffällt. Wohl wurde gezeigt, daß beim Abblühen bzw. bei der Frucht- reife radiärer Blüten auch Drehungen auftreten, die mit den bei der Resupination stattfindenden verglichen werden können. $ 4. Bezüglich der Gestaltungsverhältnisse der dorsiventralen Blüten kann auf die früher vom Verf. gegebene Darstellung verwiesen ') werden. Hier sei nur an das erinnert, was für die folgende Erörterung haupt- sächlich in Betracht kommt. Zunächst daran, daß die einzelnen Organe (bzw. Organgruppen) der häufigsten Form dorsiventraler Blüten, der median-dorsiventralen Blüten entweder „epitroph“ oder „hypo- troph“ sein können, und daß gar nicht selten in einer Blüte „Epi- trophie“ in der einen, „Hypo- trophie“ in der anderen Organ- gruppe vorhanden sein kann, wie z. B. bei den Papilionaceen Kelch und Androeceum hypotroph sind, während die Blumenkrone — allerdings erst im Verlauf der Ent- wicklung — epitroph wird. Am auffallendsten pflegt die Dorsi- ventralität der Blüte hervorzu- treten bei den Blumenkronen. Die mit epitropher Ausbildung ver- sehenen kann man mit DELPINO als den Papilionaceentypus be- zeichnen, die mit hypotropher als den Labiatentyphus, obwohl, wie Organographie I p. 290 aus- geführt ist, innerhalb der Labiaten Fig. 142. Blüten von Calanthe Masuca als Bei- auch Formen mit epitrophen spiel von Resupination. Man sieht bei der ent- Blumenkronen vorkommen (vgl. falteten Blüte links denSporn nach unten,beiden z, B. die Abbildung von Leonurus unentfalteten rechts nach oben gekehrt. (Verkl.) nepetifolia a. a. ©. p. 291 Fig. 302 rechts). Trotzdem ist die Blüte der letztgenannten Labiate aber nicht etwa durch Umdrehung aus der gewöhnlichen Form hervorgegangen. Wir stoßen damit auf das Ver- halten, das früher zu der unklaren Auffassung des Begriffs Resupination geführt hat, auf die Blüten, die oben als „scheinbar resupinierte“ be- zeichnet wurden. Scheinbar resupinierte Blüten sind bei einigen Labiaten bekannt, von denen Ocimum Basilicum besonders viel genannt wurde. Das eine nach oben gekehrte Kelchblatt ist hier — im Gegensatz zu dem bei anderen Labiaten üblichen Verhalten — viel stärker ent- wickelt als die vier anderen. In der Blumenkrone aber besteht die Unterlippe scheinbar nur aus Einem, die Oberlippe aus vier Blumenblättern, weil die zwei seitlichen Blätter der Unterlippe mehr oder minder deutlich nach der Oberlippe hin gekrümmt sind. Die Blüte ist hier also im !) GoEBEL, Organographie der Pflanzen I 2. Aufl. p. 290ff. Resupination der Blüten. 239 Gegensatz zu dem Verhalten der meisten übrigen Labiaten in Kelch und Blumenkronen epitroph. Dem entspricht auch, daß die Entfaltung der Blumenkrone mit einem der oberen Lappen beginnt. Im übrigen ist aber die Stellung der Blüte die gewöhnliche, eine Drehung hat nicht statt- gefunden, sondern eine Anderung der „Trophie“. Das Verhalten der Staubblätter und des Griffels, sowie der Vorgang der Pollenübertragung soll unten mit dem anderer Labiaten verglichen werden. | | Zunächst mag eine andere Labiate, Plectranthus glaucocalyx (Fig. 143) für bildliche Erläuterung benutzt werden. Ihre Blüten ver- halten sich ebenso wie die von Ocinum. Scheinbar ist auch hier eine vierteilige Oberlippe !) vorhanden, weil die eigentlich der Unterlippe an- gehörigen Blumenblätter « und b auch nach oben gewendet sind. Die Staubblätter (welche sich vor dem Griffel entwickeln) legen sich mit diesem der Unterlippe an.. Sie hätten unter der Oberlippe auch gar keinen Platz, da sie länger sind als diese, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man die (falsche) Ober- lippe, welche im entfalteten Zustand mit der vorstehenden Unterlippe etwa einen rechten Winkel macht, herüber- biegt. Die Staubblätter sind schwach konkav nach oben gekrümmt. Die Blütenknospen sind nach unten ge- krümmt, später richtet sich der Blüten- stiel so auf, daß die Unterlippe an- nähernd horizontal steht. Bei Plectranthus fruticosus ist ın Fig. 143. Pleetranthus glaucocalyx. der Knospenlage die Unterlippe recht- 7 Blüte von vorne. O Oberlippe, U Unter- winklig zum röhrenförmigen Teil der ee a a Blumenkrone nach oben gebogen und Ohesitine Zeschingen. II Blüte um 180° von der viel größeren Oberlippe um- gedreht (also künstlich „resupiniert“) in faßt. Bei der Entfaltung biegt sie Seitenansicht. Beide zweimal vergr. sich unter den röhrenförmigen Teil II entspricht dem gewöhnlichen Typus der Blumenkrone — sie kann als le are „Anflugsfläche“ also gar nicht in Be- tracht kommen. Als solche könnten nur die zunächst wagerecht abstehenden Staubblätter dienen, später, wenn sie sich nach unten biegen, der unterdes verlängerte Griffel — vorausgesetzt, daß der Nektar, der sich in dem kleinen Sporn der Oberlippe ansammelt nicht von schwebenden Insekten ausgebeutet wird. Die Bestäubung muß bei derartigen Blüten selbstverständlich anders vor sich gehen, als bei solchen Labiaten, bei denen die Staubblätter unter der Oberlippe liegen und dieser ihre Konvexseite zukehren. Das ist von Delpino besonders hervorgehoben worden. Dieser hervorragende Biologe ?) weist auf die Ocimumblüten ®) nament- lich auch deshalb hin, weil sie geeignet seien, das „principio animistico 1) Nicht selten sind die beiden Zipfel der eigentlichen Oberlippe (Fig. 143) ganz miteinauder verschmolzen, dann ist die „falsche“ Oberlippe nur dreiteilig. 2, A. 2.0.1 p. 147. k i 8) Bei dem brasilianischen Oc. carnosum ist eine gewöhnliche Labiatenblüte vor- handen. 240 Sechster Abschnitt: ‘ed intelligente“ auch für andere Lebewesen als für den Menschen als be- stimmend zu erkennen. Es sei nämlich zwar die morphologische Symmetrie erhalten — die Stellung von Kelch und Blumenkrone zu den Staubblättern, zum Fruchtknoten und zum Sproß bleibt dieselbe — aber die biologische sei umgekehrt. Die vier oberen Blumenblätter bilden eine „Fahne“. Der Tubus der Korolle sei in seinem oberen Teil zu einem Nektarbehälter ausgehöhlt, und die zwei oberen Staubblätter haben an ihrer Basis ein Anhängsel !), welches den Nektarbehälter bedeckt und nur einem Insekten- rüssel den Zugang gestattet. Die Bestäubungsverhältnisse hat DELrıno in einer anderen Abhandlung °) mit denen anderer Labiaten vergliechen. Eine charakterische Eigentümlichkeit dieser Blüten ist dabei von DELPInoO ganz besonders hervorgehoben worden. (Das Folgende ist nicht wörtlich sondern frei übersetzt.) 4 Teucrium chamaedrys (gewöhn- licher Labiaten-T'ypus). Ocimum basilicum Staubblätter und Griffel von der Staubblätter mit Griffel von der Öberlippe aus herabgebogen. Unterlippe aus nach oben gekrümmt. Im ersten Stadium: Krümmung der Staubblätter nach Krümmung der Staubblätter nach unten. oben. Krümmung des Griffels nach oben. Krümmung des Griffels nach unten. Im zweiten Stadium: Krümmung der Staubblätter nach Krümmung der Staubblätter (nach oben. der Pollenentleerung) nach unten. Krümmung des Griffels nach unten. Krümmung des Griffels nach oben. Wirkung: Pollenübertragung von jungen (pro- Pollenübertragung auf die Narben ‘ terandrischen) Blüten auf die älterer Blüten durch das Ab- Narben älterer auf dem Rücken domen von Apiden: von Apiden: „Nototrib.“ „Sternotrib.“ Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, daß eine Blüte wie die von Ocimum sowohl morphologisch als biologisch sich umgekehrt wie die anderer Labiaten verhält). Noch deutlicher sieht man das, wenn man eine Blüte von Plectranthus einfach um 180° dreht — dann sieht sie tatsächlich so aus, wie eine gewöhnliche Labiatenblüte (Fig. 143, I]). Gewiß ist also, daß die Pollenübertragung hier „sternotrib“ erfolgt. Aber es läßt sich vom Standpunkt der Deupıno’schen Teleologie aus nicht !) Bei Pleetranthus ist es nicht vorhanden. ?) F. Dernrıno, Zygomorfia florale e sue cause Malpighia 1887. ®) Bei Osleus Penzigii tritt besonders deutlich hervor, daß die kleine Oberlippe nicht als Fahne in Betracht kommen kann Die Staubblätter und der Griffel sind im ersten (mäunlichen) Stadium der Blüte von der Unterlippe umschlossen, die wie ein „Schiffchen“ eine Papilivnaceenblüte beweglich ist. Später erhebt sich dann der Griffel aus der Unterlippe und entfaltet seine beiden Narben. Eine Krümmung der Staubblätter nach unten (nach der Pollenentleerung) habe ich nie angetroffen. Resupination der Blüten. 241 sagen, weshalb das so ist. Sie sagt nur aus: wenn die Staubblätter und Griffel an der Oberlippe liegen ist die Pollenübertragung nototrib, wenn sie: an der Unterlippe liegen, sternotrib. Das Letztere könnte nur dann als das zweckmäßigere erscheinen, wenn bestimmte Bauverhältnisse der Blüte oder der Insekten, auf welche sie angewiesen ist, diese Lage als die allein zweckentsprechende oder vorteilhafte erscheinen ließen. Das ist aber nicht nachgewiesen — es ginge vielmehr alles ebenso schön, wenn die Blüten sich um 180° drehen und dadurch nototrib bleiben würden. Dann würde man die Drehung für eine besonders merkwürdige Anpassungs- erscheinung halten. Aus der Teleologie allein ist nicht: zu verstehen, weshalb eine Anzahl Labiaten ihre Blüten für dieselben Insekten, welche die Bestäubung bei anderen Angehörigen der Familie „nototrib“ besorgen nun sternotrib gestalten — man müßte dann annehmen, das „principio animistico ed intelligente“ gehe nicht nur auf Zweckmäßigkeit, sondern auch auf Viel- förmigkeit aus. Wie Derrıno.sich über das Problem der Mannigfaltigkeit hinweghiltt, zeigt z. B. seine Außerung über Malaxis paludosa, die ihre Blüten um 360 ° dreht. DELPINO meint, die Natur habe in dieser Orchidee eine Pflanze hervorgebracht der es „fu giovevole riprendere il tipo papilionaceo“. Das ist natürlich nur eine poetische Umschreibung des Tatbestandes, ebenso das „principio“ selbst ein falsch angewandter Anthropomorphismus (vgl. p. 1f.). Wir sehen zunächst nur, daß bei diesen dorsiventralen Blüten ein Wechsel- spiel zwischen Ober- und Unterseite eintreten kann. Bald ist die eine stärker entwickelt, bald die andere. Die meisten sind hypotroph, manche auch epitroph. Dieser Ausbildung müssen auch die Bestäubungseinrichtungen foigen — solche, bei denen das nicht der Fall war, würden sich nicht haben halten können. Aber nichts deutet darauf hin, daß es sich um mühsam schrittweise im Kampf ums Dasein erworbene Anpassungen handelt — die nototriben und die sternotriben funktionieren, wie es scheint, beide gleich gut. Blüten wie die von Ocimum und Plectranthus können wir als schein- bar resupinierte bezeichnen, sie sind zwar im biologischen Sinne aber nicht durch eine Biegung oder Drehung invers orientiert. Wenn man sie mit den resupinierten näher vergleichen will, könnte man sie auch „kongenital resupiniert‘“ nennen. | Für die verschiedene Lage der Staubblätter in den „nototriben“ und ‚. sternotriben Blüten können zwei verschiedene Deutungsversuche gemacht werden. Der eine betrachtet die Krümmung der Staubblätter als eine Zwangs- krümmung, bedingt durch die Raumverhältnisse innerhalb der Blütenknospe. Ist es die Oberlippe, welche zuerst sich nach außen wölbt, so schmiegen sich ihr die Staubblätter so an, daß sie der Konvexkrümmung der Lippe entsprechend auf ihrer (adaxialen) Unterseite konvex sind. Ist es aber die Unterlippe, welche maßgebend ist für die Raumverhältnisse innerhalb der Blütenknospe, so krümmen sich die Staubblätter konkav nach oben, vorausgesetzt, daß sie lange Filamente haben. Dabei können natürlich mancherlei Besonderheiten auftreten. Teucrium z. B. hat eine Unterlippe, deren Mittelteil in der Knospe die Stelle einnimmt, welche sonst der Oberlippe zukommt — später schlägt sich die lange Unterlippe zurück, die kurzen Staubblätter aber stehen auf der Oberseite der Blüte, Teucrium ist nototrib nicht sternotrib. Entscheidend für Nototribie oder Sternotribie ist also nach dieser Auffassung nicht sowohl die Längenentwicklung der Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 16 ä " = ö 3 ». it In; I rm Fun‘ N Todes; NET RR i 2 2, 5 242 Sechster. Abschnitt: er E: Ober- bzw. Unterlippe als die Raumgestaltung in der Blütenknospe. Immerhin wird man sternotribe Blüten am ehesten bei denen erwarten können, bei welchen die Unterlippe mehr in die Länge, die Oberlippe mehr in die Breite entwickelt ist!). Erstere zwingt den Staubblättern: ihre Krümmung auf. Die andere Möglichkeit ist die, daß in der Hypo- bzw. Epinastie der Staubblätter und des Griffels eine — vielleicht durch Korrelation. be- dingte — Anderung auftritt, die Krümmung wäre dann also eine aktive, nicht eine pässive. Die Entfaltung beseitigt diese Krümmung zunächst nicht oder wenig: die Staubblätter bleiben also in den normalen Blüten nach unten in den kongenital-resupinierten nach oben konkav, bis dann die bei Ocimum starke, aber für die Bestäubung nicht mehr unmittelbar in Betracht kommende Gegenkrümmung einsetzt. Mit anderen Worten: Weshalb die abweichende Ausbildung von Ober- und Unterlippe eintrat, bleibt dahingestellt. Sie ist für uns zu- nächst eine zufällige! Wenn sie aber eintritt, so ist die entsprechende Lage der Staubblätter und des Griffels eine Folge davon, also kausal verständlich, ohne daß man das „principio animistico ed intelligente“ heranzuziehen braucht. Durch die Lagenveränderung ist auch eine Anderung in der Bestäubungseinrichtung bedingt. Daß das eine dem „Bedürfnis“ entsprechende Anderung sei, ist aber nicht nachgewiesen — die „nototribe“ Bestäubung ist an sich gewiß ebenso zweckmäßig wie die „sternotribe“. Wenn man bei ersterer die breite Unterlippe als günstige Anflugsfläche für Insekten deutet und die Staubblätter unter der Ober- lippe „geschützt“ heranreifen läßt, so gibt man diesen Schutz. und die breite Anflugsfläche allerdings bei der letzteren preis, erklärt dafür aber die (sekundäre) Oberlippe für eine Fahne. Hier mag noch erwähnt sein, daß ganz ähnliche Erscheinungen wie sie für die Blüten von Ocimum, Plectranthus u. a. geschildert wurden, sich auch in den dorsiventralen Blüten einiger Selaginella-Arten finden, die man früher gleichfalls als „resupiniert“ bezeichnet hat. Das sie das nicht sind, wurde in einer früheren Untersuchung nachgewiesen ?) — es liegt dieselbe „kongenitale“ Vertauschung von Plus- und Minusseite vor. wie bei jenen Labiaten. Diese Selaginellablüten wurden a. a. O. als „invers- dorsiventrale“ bezeichnet, ein Ausdruck, den man auch auf die scheinbar resupinierten Blüten der höheren Pflanzen anwenden könnte. $S 5. Deutung der Resupination. Die einfachste „Erklärung“ für die Resupination wäre (ähnlich wie bei den resupinierten Laubblättern) die, daß man annimmt, sie erfolge an solchen Blüten, die verkehrt (so also, daß die Ober- und Unterseite ver- tauscht sind) angelegt seien und durch die Drehung nun ihre „natür- liche“ Lage gewinnen. Eine vergleichende Betrachtung der Blütenresupination zeigtJaber ohne weiteres, daß die Formel „resupiniert wird was verkehrt angelegt !) So z. B. bei Coleus-Arten (vgl. Goeser, Organogr. 2. Aufl. Fig. 302). Die Blüten- knospen von C. Penzigii sind wie die von Plectranthus scharf nach unten gebogen. Die Oberlippe bildet nur den Deckel der tabakpfeifenartig gekrümmten Unterlippe, in der die Staubblätter scharf gebogen enthalten sind. Auch diese Blüten sind aan „sternotrib.“ 2) GOEBEL, Über Sporangien und Blüten von Selaginella, Flora 88 (1901) p. 223. E & E 2 a R Br Resupination der Blüten. 243 war“ für viele Fälle nicht zutrifft. Ganz wie die anderen — also nicht verkehrt — angelegte Papilionaceenblüten z. B. werden normal resupi- niert, die ungeheure Mehrzahl nicht. Andererseits gibt es „verkehrt“ ausgebildete Blüten wie z. B. die von Plectranthus, die nicht resupiniert werden. Zugleich werden wir sehen, daß die Umdrehung als normale Entfaltungsbewegung bei Blüten viel häufiger auftritt, als in der vege- tativen Region. Eine andere Möglichkeit für die Resupination kausale Bedingungen zu finden wäre die, daß man annimmt, in der Blüte trete zwar nicht eine Anderung des Baues wohl aber eine für äußere Reize, z. B. die Schwerkrafts- wirkung, ein. Nehmen wir, ausgehend von der Statolithenhypothese, an, dab: die Ruhelage eintritt, wenn die Statolithen nicht auf die ursprünglich nach unten, sondern auf die nach oben gekehrte Plasmahaut einen Druck aus- üben, so würde also die Resupination beruhen auf einer Anderung in der Empfindlichkeit dieser Plasmahautschichten. Der Anstoß zur Drehung ist damit aber nicht erklärt. Diese Vermutung wäre also einstweilen wenig mehr als eine Umschreibung der Einwirkung des Geotropismus auf die Resupination, einer Einwirkung, die übrigens keineswegs für alle Fälle sichergestellt ist. Diese Frage wird für die einzelnen Familien, bei denen Resupination stattfindet, zu erörtern sein. ‚Bis jetzt sind für die Resupination der Blüten wesentlich nur teleo- logische Beziehungen angeführt worden. Diese drängten sich aus zwei Gründen vor. Einmal deshalb weil, wieschon erwähnt, auch nicht resupinierende dorsiventrale Blüten, wenn sie aus ihrer normalen Lage gebracht werden, diese durch Torsionsbewegungen wieder erreichen können — eine Orien- tierung, die man ohne weiteres als eine zweckmäßige zu betrachten geneigt sein wird. Sodann aus allgemeinen Erwägungen: die Blüten haben den „Zweck“ Samen zu bilden, folglich müssen die Bewegungen, die sie aus- führen, im Dienste der Samenbildung stehen. Bei CHr. K. SprREnGEL habe ich keine Angabe über Resupination gefunden, er scheint sie nicht beachtet zu haben. Aber schon VAUCHER nahm für die Orchideen (bei denen schon ..Lixx#& die Resupination ange- führt hat) an, daß die Blüte ohne die Resupination ..... „aurait de la difficulte A &tre fecondee“. Er hat das freilich mehr aus allgemein teleologischen Erwägungen heraus angenommen — eine Begründung seiner Annahme hat er nicht versucht. Erst als die Blütenbiologie die weite Verbreitung der Fremdbestäubung erkannte, widmete sie auch der Resupination größere Aufmerksamkeit. Eine zusammenfassende Darstellung verdanken wir F. Derrıno. Sie findet sich in seiner oft erwähnten aber (durch die Art ihres Erscheinens) nicht leicht zugänglichen Abhandlung „Ulteriori osservazioni e considera- zioni sulla dicogamia nel regno vegetale“ !). Unter die „Anordnungen um die Blüten gegenüber den Bestäubern zu orientieren“ zählt er auch die Resupinationsbewegungen. Er führt, ohne neue Tatsachen?) mitzuteilen, eine Anzahl von Beispielen für diese an. Es kommt ihm, seinem ausgesprochen teleologischen Standpunkt ge- mäß, darauf an, den Vorgang als einen „zielstrebigen“ darzustellen. Dies Ziel ist, die Blüten in eine für den Besuch der Bestäubungsvermittler 1) Parte seconda, fasc. II. Estratto dagli atti della societa ital. delle scienze naturali in Milano Vol. 16 u. 17 1873—1874 p. 73ff. 2) Auch für Erythrina rista galli ist nicht Deurıno der erste, welcher die Re- PaNIGon angegeben hat. Es geschah dies schon von Ronrsaca (Bot. Zeitung 1870 p. 826). 16* 244 Sechster. Abschnitt: günstige Lage zu bringen. „Vedremo che questa contorsione ha sempre lo scopo di orizzontare convenevolamente i.fiori rispetto agli animali pronubi“. Daß eine solche Annahme nahe liegt, wurde oben schon betont. Aber sie muß bewiesen werden können. Die Gefahr der einseitig teleologischen Betrachtung liegt ja gerade darin, daß sie, zur Glaubenssache geworden, vom Experiment abhält. So hat DELPINO zwar z. B. für die Lobeliaceen angegeben, daß die Unterdrückung der Resupination alle die ingeniösen Einrichtungen für Dichogamie vereiteln müßte; die Bestäuber könnten die Blüten nicht mehr besuchen, da ihnen der nötige Stützpunkt für die Füße (il necessario appoggio soppedaneo) fehlen und dadurch die Bestäubung vereitelt würde. Weshalb aber die Bestäuber sich nicht entschließen könnten, sich um 180° zu drehen, wenn die Blüte das nicht tut, wird nicht erörtert. Die Herstellung einer günstigen „Anflugsfläche* für die Bestäuber spielt auch bei späteren Erörterungen über Resupination eine besondere Rolle. Man wird aber daraus, daß Resupination meist nur bei auf Fremdbestäubung angewiesenen Blüten vorkommt, nicht ohne weiteres den Schluß ziehen dürfen, daß sie im Dienste der letzteren stehe. Einmal wird gezeigt werden, daß sie auch bei Blüten, die sich regelmäßig selbst bestäuben, eintritt, und zweitens ist die Resupination der Blüten ja nur ein Einzel- fall der Drehbewegungen dorsiventraler Organe. Experimentell ist dem Problem der biologischen Bedeutung der Stellung dorsiventraler Blüten, so weit mir bekannt, nur NoLL näher getreten. In seiner bekannten Arbeit „Uber die normale Stellung zygomorpher Blüten“ !) erörtert er an dem Beispiel von Antirrhinum, daß bei umge- kehrter Lage der Blüte die Bestäubung durch Insekten nicht ausführbar sei. Er hat aber beobachtet, daß in künstlich verkehrte Blüten von Aconitum die Hummeln verkehrt einsteigen und die Bestäubung ausführen. Um auch hier die Vorteile der natürlichen Lage darzutun zieht er den von KERNEk betonten Schutz des Pollens gegen Witterungsungunst, namentlich gegen Regen, heran. Dabei handelt es sich aber nicht um eine wirklich nachgewiesene, sondern um eine erschlossene Schutzbedürftigkeit des Pollens. Der Satz „Wo der Insektenvermittlung keine unüberwind- lichen Schwierigkeiten entgegenstehen, da würde in vielen Fällen der Befruchtungsvorgang durch ‚Witterungseinflüsse vollständig illusorisch ge- macht“ (Nor a. a. O. p. 197) hat nur soweit Gültigkeit als er wirklich experimentell begründet ist. Derrıso hatte auch die dorsiventrale Ausbildung der Blüten als eine Anpassung an zoidiophile Bestäubung betrachtet und den Satz aufgestellt, daß keine windblütige Pflanze dorsiventrale („zygomorphe“) Blüten hervor- bringe. Daß das nicht zutrifft, wurde früher :-herhorgehoben ?). So ist auch der Vorteil der Resupination nicht ohne weiteres schon durch deren Eintreten bewiesen. Es ist vielmehr in jedem einzelnen Falle zu prüfen, wie weit sie für die Bestäubung notwendig oder vorteilhaft erscheint. Dabei sind auch Erscheinungen zu berücksichtigen, an denen die Blütenbiologie vorüberzugehen pflegt, wie die „Zurückdrehung“ des Orchideenfrucht- mer bei der Fruchtreife und die Drehung der Früchte von Phaca, !) In „Arbeiten an dem bot. Institut in Würzburg“, herausgeg. von Sacas Bd. IH. 2) GOEBEL, Organographie 1. Aufl (1898) p. 115. Später gelangte auch Wırrıs für Podostemaceen zu demselben Ergebnis, vgl. seine „Studies in tbe morphology and ecology of the Podo-temaceae of Ceylon and India“ (Annals of the ie bot. gardene Peradeniya Vol. I 1900). “ Resupination der Blüten. 245 Colutea u. a. Im folgenden sollen die dem Verf. aus eigener Unter- suchung und aus der Literatur bekannt gewordenen Fälle von Resupination vergleichend besprochen worden, namentlich auch die Art der Ausführung und die Frage nach ihrer Bedeutung. ii Baer | $ 6. Acanthaceen. : Die dorsiventrale Ausbildung der Blüten ‚spricht sich meist schon in der Gestaltung der Blumenkrone auffällig aus.. Meist ist diese zweilippig, derart, daß zwei Blätter die Ober-, drei die Unterlippe bilden. Staub- blätter und Griffel liegen dann der Oberlippe an, die Blüte ist nach dem „Labiatentypus“ organisiert, also „nototrib“. Daß in dieser Familie auch — und zwar in nicht wenigen Fällen — Resupination vorkommt, wird in den zusammenfassenden systematischen Werken, z. B. DecanpoLue’s Prodomus, EICHLEr’s Blütendiagrammen, _ EnGLEeR-PrAntL natürliche Pflanzenfamilien !) merkwürdigerweise nicht ange- führt. Erst nach längerem Suchen fand ich über eine der unten besprochenen Gattungen (Peristrophe) eine kurze Notiz. Unter den im Münchener botani- schen Garten vorhandenen Acanthaceen zeigten keine Resupination die Arten von Acanthus, Beloperone, Cyrtanthera, Jacobinia, Schaueria; doch ist natürlich möglich, daß nicht alle Arten einer Gattung sich gleich verhalten. Die einfachste Art der Resupina- tion ist, wie es scheint, bisher übersehen worden’). Fig. 144. Schema für Sie erfolgt durch Abbiegung der Blüte (speziell die Resupination von der Blumenkrone) um 90° vor der Öffnung. Eine Strobilanthesblüten. D geringe seitliche Drehung kann damit verbunden sein. ee ae: So fand ich es bei Strobilanthes isophyllus.. Die .7f Infloreszenzachse. Blüten stehen in achselständigen Infloreszenzen. Weil Punktiert die Stellung diese Infloreszenzen äußerlich nicht sehr hervor- nach der Entfaltung. treten, hat man wohl die Entfaltungsbewegung der Blüten übersehen, die selbstverständlich zunächst in ihrem Verhalten zu diesen Blütenständen nicht zu der ganzen Pflanze zu untersuchen ist. Die Blumenkrone ist schwach zweilippig, zwei Zipfel bilden wie ge- wöhnlich die kleinere Ober-, drei die größere Unterlippe. Die Blumenkrone ist in der Knospenlage gerade, aufrecht. Die dem Deckblatt der Blüte zugekehrte Unterlippe fällt durch ihre gefärbte Nervatur auf. Dann vergrößert sich der röhrenförmige Teil der Blumen- krone, und nun tritt durch dessen stärkeres Wachstum auf der dem Deckblatt zugekehrten (abaxialen) Seite eine Abbiegung der Blumenkrone um etwa 90° ein (Fig. 144). Dadurch kommt die Oberlippe, welcher die Staubblätter und der Griffel ebenso wie bei den Acanthaceen mit nicht resupinierten Blüten anliegen, nach unten, die Unterlippe nach oben. !) Es wird dort (IV 3” p. 332) Hypoestes verticillaris zwar mit resupinierten Blüten abgebildet, aber im Texte nichts davon erwähnt. Wie die Resupination erfolgt, ist aus der Abbildung nicht zu ersehen. ®) Diese Annahme war, wie ich später fand, nicht zutreffend. Norz hat in seiner eben angeführten Abhandlung für Strobilanthes (Goldfussia) isophyllus und anisophyllus sowie für einige Justieia-Arten (z. B. J. speciosa) — die Mehrzahl der Arten scheint aber keine Resupination aufzuweisen — auf die „Mediankrümmung“ der Blumenkrone hingewiesen. 246 Sechster Abschnitt: Da die Antheren und der einzige (sehr für Berührung reizbare) Narben- ast nach oben gekrümmt sind, so ist die Blüte nach der Resupination keine „nototribe“, sondern eine „sternotribe“, die wohl durch hummel- artige Insekten bestäubt werden wird. Aber, wenn man in der Krüm- mung der Blumenkronenröhre etwa einen Ersatz für die Abwärtsbiegung des Blütenstieles bei Digitalis, welcher die Blüte vor Eindringen von Regen „schützen“ kann!), wird erblicken können, so konnte ich doch in der Gestaltung der Blüte sonst keinen Grund für die hyponastische Ent- faltung der Blumenkronenröhre finden — das Nektarium z. B. umgibt als Drüsenring ziemlich gleichmäßig die Basis des Fruchtknotens. ? Es ist ja möglich, daß Zweckmäßigkeitsbeziehungen zur „Erklärung“ der Resupination viel- leicht an den natürlichen Standorten der Pflanze ermittelt werden können, etwa Beziehungen zu der Körpergestaltung oder den Gewohnheiten der die Bestäubung vermitteln- den Insekten. Einstweilen aber ist nicht einzusehen, weshalb es für die Blüte vorteilhafter sein soll, wenn ihr Pollen sterno- trib statt nototrib (wie in einer Digitalisblüte) übertragen wird. Jeden- falls kann man die für andere resupinierteBlüten oft angewandte Deutung, durch die Umdrehung werde für die Insekten ein günstiger „Anflugs- platz“ hergestellt, auf diese Acanthacee nicht anwenden. Denn die Unterlippe ist ja größer als die Öberlippe — trotz- Fig. 145. Strobilanthes Dyerianus. Infloreszenz. Man dem wird sie nach oben erkennt die Drehung an der Basis der Blumenkronen- gedreht, Ein Nutzen der röhre an der entfalteten Blüte links. Resupination ist also der- zeit nicht erwiesen. Die Umdrehung der Blüte erfolgte auch an verdunkelten Pflanzen und an Sprossen, welche um 180° abgebogen und mit der Spitze nach unten befestigt worden waren. Ein etwas anderes Verhalten zeigt der wegen seiner schön gefärbten Blätter in botanischen Gärten vielfach kultivierte Strobilanthes Dyerianus (Fig. 145). Die Blüten stehen in ährenförmigen axillaren Blütenständen, doch setzt. sich die (meist nicht sehr hervortretende) Anisophyllie der vege- tativen Region?) in gemindertem Maßstab auch in die Blütenstände fort. ') Die Frage ist aber, ob sie dagegen eines Schutzes bedarf. ?®) Vgl. GoEBEr, Organographie 2. Aufl. p. 200 Fig. 185 A. e u. Ben, A a of FT VE N a N a IR TORE TED ee ur 2 Resupination der Blüten. i 247. Wiese sind eigentlich dorsiventral mit 2 um 900 divergierenden Plus- und 2 'Minus-Blattreihen — was sich auch beim Aufblühen geltend macht, das hier zwar im Gegensatz zu den Abschnitt VII $ 2 anzuführenden Acanthaceen-Infloreszenzen von unten nach oben erfolgt, aber so, daß die Blüte in der Achsel eines Plus-Blattes der in der Achsel des Minus- Blattes des tiefer stehenden Blattpaares vorauseilt. ‘Die Drehung, welche die Blüte ausführt, tritt deshalb besonders deutlich hervor, weil. die Färbung der Blumenkrone auf der Vorder- (d.h. der abaxialen) und der Hinterseite (der adaxialen) verschieden ist. Erstere ist viel dunkler blau gefärbt als letztere. Schon in der unent- falteten Knospe treten auf der Vorderseite zwei dunkle durch einen helleren, kielartig hervortretenden Streifen getrennte Stellen der sonst zunächst noch weißlichen Blumenkrone hervor. Diese Streifen sind ursprüng- lich dem Deckblatt der Blüte zugekehrt. Frühzeitig wurden sie schief nach einer Seite hin und in der entfalteten Blüte sind sie schräg nach oben gekehrt. Man überzeugt sich leicht, daß dies durch eine Drehung der Blumenkrone in deren sich nachträglich stark verlängernden unteren röhrenförmigen Teile geschieht. Dadurch kommt die „Oberlippe“ der Blüte nebst den mit ihr verwachsenen Staubblättern und dem ihr an- liegenden Griffel nach unten und außen zu liegen (Fig. 145). Man sieht deutlich den gedrehten Verlauf der Längsstreifen im unteren ‚Teile der Blumenkrone. “Wenn wir die beiden Strobilanthes-Arten vergleichen, so sehen wir, daß sie — mutatis mutandis -— dieselben Verschiedenheiten aufwiesen wie sie auch in anderen Familien, z. B. bei den Orchideen auftreten. Cypripedilum-Arten weisen einfache UÜberbiegung auf, viele andere Orchi- deen eine Drehung der Blüte. Dasselbe Verhalten trafen wir auch früher schon bei den Drehfrüchten an. Wir sahen, daß bei z. B. Medicago und Scorpiurus die einen Arten nur ein stark gesteigertes hyponastisches Wachstum der Frucht aufweisen, so daß diese sichelförmig eingebogen wird, während bei andern eine wirk- liche Drehung stattfindet. Das erstere Verhalten entspricht dem von Strobilanthes isophyllus, das letztere dem von Str. Dyerianus. Was die teleologische Deutung der Resupination anbetrifft, so sei auf das für Str. isophyllus Gesagte verwiesen und hier nur an die — an anderer Stelle zu besprechende — Reizbarkeit der Narben erinnert. Von den beiden Narbenästen ist gewöhnlich nur der ursprünglich untere entwickelt, der obere nur als kleines Spitzchen angedeutet. Doch traf ich ihn nicht selten auch ebenso lang wie den anderen. Der kräftig entwickelte Narbenast ist in der resupinierten Blüte konkav nach oben gekrümmt (Lage 1 in Fig. 201). Infolge eines Berührungsreizes verbiegt sich seine konvex gebogene Seite, er streckt sich annähernd gerade, in die in Fig. 201 durch Punktieren angedeutete Lage 2. Man könnte nun anhehman, die Bewegung der Narhe: wirke nur bei der resupinierten Blüte günstig, weil sie dadurch auch mit den hinteren Teilen des Insektenkörpers in Berührung komme. während in der nicht resupinierten nur der Kopf die aufnahmefähige Närbenseite streifen würde. Indes ist das bei der reichlichen Pollenmenge wenig einleuchtend — es ist derzeit nicht einzu- sehen, weshalb die Bestäubung nicht ebensogut sternotrib vor. sich gehen sollte. "Ungemein deutlich tritt die Drehung der Blumenkrone auf bei einer ‚andern in den botanischen Gärten nicht "seltenen Acanthacee der Gattung Peristrophe. Die Blüten stehen bei der untersuchten P. salieifolia (buntblätterige 248 Sechster Abschnitt: Form) in terminalen und axillaren (bei den axillaren dreiblütigen) Dichasien. Die Blumenkronen sind deutlich zweilappig, die Oberlippe ist. breiter als die dreilappige mit einem „Saftmal“ versehene Unterlippe. : Die Drehung der Blumenkrone ist bei Peristrophe schon von dem Autor der Gattung Nees von Esenbeck- bemerkt worden!), und hat auch den Gattungsnamen veranlaßt. Der röhrenförmige Teil der Blumenkrone ist noch ziemlich klein, wenn der obere schon der Hauptsache nach fertig- gestellt ist. Er entwickelt sich also hauptsächlich durch interkalares Wachstum. Noch wenn die Blüte aufrecht und ganz geschlossen: ist, sieht man deutlich den Beginn der Drehung (Fig. 149, III). Es entfaltet sich dann zuerst die nach oben gekehrte Unterlippe, dann die Oberlippe, welche in der Knospenlage von jener gedeckt war. Doch war-beim Aufblühen nicht in allen Fällen schon die Drehung um 180° vollzogen, was bei den bei uns im Winter blühenden Pflanzen vielleicht ‚durch ungünstige äußere Bedingungen veranlaßt ist. Der untere Teil der Blumen- kronenröhre ist fast gerade; unter der Stelle, wo Ober- und Unterlippe sich trennen ist eine scharfe Drehung vorhanden (Fig. 149, III). Sie .er- folgt hier auf einer kürzeren Strecke, als bei ‚Strobilanthes Dyerianus. Dabei stehen die Blüten fast aufrecht, namentlich die Endblüten: der Cymen. Eine Selbstbestäubung ist, da der Griffel (dessen Narben nicht reizbar sind) die Staubblätter überragt, wohl ausgeschlossen. ‘Es werden aber nur Insekten mit mindestens 1'/, cm langem Rüssel den am Grunde der engen Blumenkronenröhre befindlichen Nektar ausbeuten können. Es schien mir nicht wahrscheinlich, daß die Drehung eine „geostrophische“ ist (vgl. bei den Orchideen), vielmehr schien mir eine „autonome“ Ent- faltungsbewegung (in dem oben erörterten Sinne) vorzuliegen. Um. das zu prüfen wurden bei Strobil. isophyllus und Peristrophe zunächst blühende Sprosse in umgekehrter Lage — also die Spitze nach unten — festge- bunden. Es ergab sich, daß auch in dieser Lage die Drehung bzw. Um- drehung erfolste. at Sodann wurde eine mit jungen Blütenknospen versehene Pflanze von Peristrophe auf den Klinostaten gebracht, wobei die Sprosse an Stäben in horizontaler Richtung festgebunden waren, die Drehungsachse stand rechtwinklig zum Fenster. Es erfolgte beim Aufblühen die Umdrehung der Blumenkrone auch bei diesen Pflanzen. . Einen sicheren Beweis, daß kein Geostrophismus vorliegt, möchte ich in diesen Versuchen allerdings nicht sehen. Denn einerseits sind die Blüten ja dorsiventrale Organe, welche auf den Klinostaten sich anders verhalten, als orthotrope. Tatsächlich führten sie auch noch andere als die Resupinationskrümmungen auf dem Klinostaten aus. Andererseits liegen, wenn die Basis der Blumenkronenröhre nicht nur dorsiventral, sondern auch unsymmetrisch gebaut ist, die Verhältnisse noch verwickelter. Es könnte auch die Perzeptionszeit für die ja nur kurze Zeit in Anspruch !) Er hat in seiner Bearbeitung der Acanthaceen in WarrıcH, plantae asiaticae rariores III p. 112 die Ableitung gegeben: „A nee: et orooyos propter corollam torsione resupinatam“. Ebenso in Decannpore Prodromus Vol. XI (1847) p. 492 „Corolla resu- pinata, bilabiatä labiis planis, superiore post conversionem tridentato“ ete. Auch Deurıno hat, auf Peristrophe hingewiesen, wie es scheint, ohne Ners Angabe zu kennen. Er meint „il tubo della Peristrophe si rompe e si torce“. Von einem Aufreißen des Tubus habe ich bei der untersuchten Peristrophe-Art nichts bemerken können. DELrıno sagt weiter „Lo stesso fenomeno ha luogo pure se non in tutte, in molte specie almeno, degli affini generi, Andrographis, Erianthera, Clinacanthus, Hypoestes, Brocohipton, Dicliptera (Deurino, ulteriori osservazioni III p. 75). Ich hatte keine Gelegenheit diese Gattungen zu untersuchen. Resupination der Blüten. 249 nehmende Resupination so kurz sein, daß sie trotz der Drehung auf dem Klinostaten zur Veranlassung der Resupinationsbewegung genügt. Schließ- lich könnte auch eine Beeinflussung durch das Licht vorliegen, welche eine Orientierung der Oberlippe zur Beleuchtungsrichtung bedingt, dann müßte aber die Umdrehung im Finstern unterbleiben. Das ist nicht der Fall — sie vollzog sich auch bei Pflanzen, welche ich unter einer lichtundurch- lässigen Rezipienten gebracht hatte, und zwar auch an ganz aufrecht stehenden Blüten. Es scheint mir berechtigt, die Resupination der ge- nannten Acanthaceenblüten einstweilen — bis zum Beweise des Gegen- teils — als eine „autonom“ erfolgende zu betrachten, wenn auch die Möglichkeit, daß sie auf „Geostrophie“ beruht, nicht ausgeschlossen ist. Dasselbe Ergebnis wie die durch das Überbiegen der Blüten von Strobi- lanthes isophyllus und die Korollendrehung von Strob. Dyerianus und Peristrophe erreicht die schöne große Blüte von Barleria coerulea !) Rox®. auf viel einfacherem Wege. | Fig. 146. Blüte von Barleria strigosa von vorne und von der Seite. Wir sehen hier (Fig. 146) eine deutlich zweilippige Blumenkrone mit einer vierlappigen Oberlippe und einer einlappigen Unterlippe, welcher die - Staubblätter und der Fruchtknoten anliegen. Da die Blüte also zweifellos „sternotrib“ ist, hielt ich die Blüten zunächst für resupinierte. Allein es war von einer Drehung um 180° nichts zu sehen. Eine solche findet auch nicht statt. Vielmehr löst sich (bildlich gesprochen) von der sonst dreilappigen Unterlippe der Acanthaceenblüte (gebildet durch die Blumen- blätter ?, 0, q Fig. 147, II) der mittlere Lappen o ab und die beiden seit- lichen p und q werden der Oberlippe (r und s Fig. 147, IT) hinzugefügt, die Staubblätter und der Griffel aber legen sich nicht der Ober-, sondern der Unterlippe an. Also eine Blüte, die erinnert an die von der oben besprochenen Labiatengattung Ocimum geschilderte.e Man könnte sie wie diese als eine „kongenital resupinierte“ bezeichnen, wenn damit mehr gewonnen wäre, als ein Namen. Es liegt nahe, zwischen der starken Entwicklung der Oberlippe und der Abwärtskrümmung der Staubblätter und des 1) = B. strigosa WirLD. 250 Sechster Abschnitt: Griffels eine Beziehung aufzustellen, derart, daß letztere korrelativ durch erstere bedingt wird. Es sei hier noch einiges über diese interessante Pflanze (nach Unter- suchungen, die Herr Dr. Hırmer auf meinen Wunsch ausführte) hinzu- gefügt. Die Blüten stehen in Wickeln (Fig. 147, T), jede hat zwei Vorblätter, ‘von denen eines fertil ist. Es findet öfters, aber nicht immer eine kleine nächträgliche Drehung der Blüten statt, so daß die Vorblätter in je zwei Reihen auf der Außenseite des Wickels angeordnet sind. An der Blüte könnte man die beiden großen sie in die Knospe ein- hüllenden Blätter für ihre Vorblätter halten. erh =D 3)4# at oo 21 JoR age 0,: (@ SA) m DO» > 50 ae ZU 2 6 ? l. I. Fig. 147. Barleria strigosa.. / Diagramm (entworfen von Dr. Hırmer). H Hauptsproß mit dekussierten Blättern. In der Achsel des Blattes D eine Inflores- zenz mit 7 Blüten. Jede hat ein steriles schraftiertes und ein fertiles weißes Vorblatt. Es ist angenommen, daß die Blüten eine Drehung um etwa 45° erfahren (was nicht immer der Fall ist). 7/ Diagramm einer Blüte. A Doppel- tes (aus zweien verwachsenes), D einfaches Kelchblatt, Es sind aber Kelchblätter, von denen eines (Fig. 147, II, A) doppelt ist, wie die Zweispaltigkeit seiner Spitze und die Nervatur zeigt. Die zwei fertilen Staubblätter stehen auf der Außenseite der Blüte, also dem zweispaltigen Kelchblatt gegenüber. Außer den fertilen Staub- blättern sind noch drei Staminodien vorhanden. Das aus einer Verwach- sung von zwei Blättern gebildete Kelchblatt ist ursprünglich dem Deck- blatt zugekehrt, wenn die Blüte eine kleine Drehung erfährt, ist das nicht mehr der Fall (vgl. Fig. 147, I, wo diese Drehung stärker, 0, P, q, r, s Blumenblätter, X Staminodien. als sie gewöhnlich erfolgt, eingezeichnet ist). Rückblick auf die Acanthaceen mit resupinierten Blüten. Die oben gegebenen Mitteilungen zeigen, daß die Resupination bei einer größeren Anzahl von Acanthaceen eintritt. Die naheliegende Ver- mutung, es seien das solche, bei denen die Oberlippe breiter sei als die Unterlippe und die Drehung unterbleibe bei denen, bei welchen das Um- gekehrte der Fall sei, würde weder für Strobilanthes noch für Barleria passen. Auch sonst kann man die resupinierten Acanthaceenblüten nicht als „verkehrt angelegte“ bezeichnen. | Für Strobilanthes kann man allenfalls sagen, durch die Horizontal- stellung der (annähernd glockenförmigen) Blüten werde den von oben auf- fliegenden Insekten die Landung erleichtert, ähnlich wie sonst wenn die Unterlippe annähernd rechtwinklig zur Oberlippe sich abbiest. Das könnte, 'wo der letztere Vorgang nicht eintreten kann (wegen der nicht hinreichend -äusgiebigen Entwicklung einer Unterlippe) beim Fehlen eines Blütenstieles ‘dürch die Abbiegung der Blumenkrone selbst erreicht werden. Aber "wozu dann die Umkehrung? Und bei Peristrophe ist die Blüte sehr aus- "seprägt zweilippig — weshalb bleibt sie nicht beim „Labiatentypus“, sondern geht durch Drehung zum „Papilionaceen-Typus“ über? Hier genügt Deupıno’s Einteilung nicht. Ich glaube man kann nur sagen, daß a RE ST a a A ET y IT He” Ya 17 Der) Fe nn RE a ER ER RE: k MONTE NT k FI “ e (' x . Resupination der Blüten. 251 ein Nutzen der Resupinationsbewegung bei den Acanthaceen bis jetzt nicht nachgewiesen ist. ': So stoßen wir sogleich am Anfang unserer Untersuchung resupinierter Blüten auf eine Familie, die geeignet ist, uns Zweifel an der orthodoxen teleologischen Deutung der Resupination zu erwecken. : Zusammenfassung. Bei den Acanthaceen ist Resupination weiter ver- breitet als meist angenommen wird. Sie erfolgt teils durch hypotrophe Abbiegung, teils durch Drehung der Blumenkrone. Diese Bewegung ist, soweit sie derzeit untersucht ist, eine „autonome“. Sie hängt mit der Gestalt der Blumenkrone nicht unmittelbar zusammen. Daß sie für die Bestäubung notwendig oder vorteilhaft ist, ist bis jetzt nicht nachgewiesen. $S 7. Balsamineen. Untersucht wurden die Blüten von Impatiens. Diese stehen auf axillaren Infloreszenzen. Es kommt in Betracht das Verhalten der Blüten einmal zu der Infloreszenzachse, an der sie stehen, und dann das zu der ganzen Pflanze. Zu der ersteren verhalten sie sich ähnlich wie die von Strobilanthes. Während bei diesen die Resupination ganz übersehen wurde, hat sie für Impatiens EICHLER?) an- geführt, sonst hat man sie, wie es scheint, weiter nicht beachtet. j Sie tritt aber deutlich hervor, wenn man die Lage des Sporns der Blüte beachtet. Dieser wird angelegt auf der dem Deckblatt abgekehrten, also der adaxialen Seite der Blüte. Er steht also ursprünglich nach „hinten“ (Fig. 148), auf der Oberseite der Blüte, später dagegen nach vorn, auf der Unterseite der Blüte. EICHLER nimmt an, „daß die ursprüng- liche Orientierung durch Drehung des Blüten- stiels zur Zeit der Entfaltung meist bis zur völligen Resupination verändert“ werde. Verfolgt man aber den Vorgang, so zeigt sich, daß er lange vor der Entfaltung und x in diesem Stadium nicht durch Drehung ne Me PU Jap des Blütenstiels eintritt. ae y Es wirken hier zwei Wachstums- = nes u erscheinungen zusammen: das der Blüten- hülle und das des Blütenstiels. Von der Blütenhülle entwickelt sich das dem Deckblatt der Blüte zugekehrte Blumenblatt, welches die anderen, auch das den Sporn bildende, ihm gegenüberstehende Kelchblatt einhüllt, frühzeitig sehr stark, so daß die Spitze der Blütenknospe verschoben wird. Es geschieht dies schon, wenn der Sporn noch sehr klein ist. Dazu kommt dann:später ein stärkeres Wachstum des Blütenstiels auf der dem Deck- blatt zugekehrten Seite. Eine „Drehung“ des Blütenstiels aber (wie sie ha !) Eıchter, Blütendiagramme, II p. 201. 252 Sechster Abschnitt: Eıc#HLer annahm), kommt für die Resupination selbst meiner Ansicht nach nicht in Betracht, obwohl dessen Zellreihen vielfach schief zur Längs- achse verlaufen. Der Sporn bewegt sich aber der Hauptsache nach nur in Einer Ebene, durch hyponastische UÜberkrümmung, und bleibt: nach abwärts gerichtet, auch wenn sich der Blütenstiel gerade streckt und die gefärbten Teile der Blütenhülle sich annähernd horizontal stellen, wie dies — wahrscheinlich infolge von Öberlicht — z. B. bei Imp. Sultani nicht selten eintritt. Wohl aber ist zu beachten, daß die Blüten im allgemeinen so sich orientieren, daß sie die zwei größeren Blumenblätter und den Sporn nach der Außenseite der ganzen Pflanze hin richten. Das wird durch die Drehung des Stieles erreicht werden. RIES: Lagenveränderungen des Sporns sind auch bei anderen Blüten nicht selten. So bei der Lythrariee Cuphea. Die Blüten sind wie bei Impatiens gespornt. Der Sporn ist ursprüng- lich nach hinten und unten gerichtet. Bei der Entfaltung aber biegt sich die Blüte um 90° gegen den Stiel ab (wahrscheinlich ist sie transversal- ‚geotropisch) und der Sporn, der vorher mit dem Stiel parallel lag, macht jetzt mit ihm einen Winkel von 90°. Es fragt sich, wie die Richtung des Sporns mit der Bestäubung im Zusammenhang steht. Die Bestäubungsvermittler sind ohne Zweifel bei den verschiedenen Arten von Impatiens verschieden. Bei den mit langen dünnen Spornen und (wenigstens bei vorwiegendem Oberlicht) flach ausgebreiteter Blumenkrone versehenen Blüten, z. B. von Impatiens Sultani, Imp. Holstii u. a. handelt es sich wahrscheinlich um Lepidopteren. Die beiden auf der Spornseite liegenden Blumenblätter sind etwas länger als die übrigen — als Anflug- platz würde aber auch das (ursprünglich) vordere breite Blumenblatt voll- ständig genügen. Wichtiger ist, daß sowohl der Fruchtknoten als die Staubblattsäule (s. Fig. 11) von diesem Kelchblatt weg dem schmalen Eingang zum Sporn zu gekrümmt ist. Der Insektenkopf oder Rüssel, welcher den Pollen aus der Staubblattrinne ab- oder später an die Narben anstreifen soll, muß also von der Seite der beiden längeren Blumenblätter her kommen. Blieben diese nach hinten gekehrt, so müßte das Insekt von dieser Seite her kommen, da ihm von vorn der enge Sporneingang.durch die Krümmung der Genitalsäule (wenn wir Androeceum und Gynaeceum, obwohl sie nicht verwachsen sind, so bezeichnen wollen) kaum zugänglich wäre. Ein Anflug von hinten her wäre wohl auch möglich, aber ein- facher ist es, wenn die Blüte von außen her besucht werden muß, wie das durch die oben geschilderten Entfaltungserscheinungen bedingt wird. Die stärkere Entwicklung der (ursprünglichen) Außenseite des Sporo- phyllapparates fällt zusammen mit der Hypotrophie des dem Deckblatt zugekehrten Blumenblattes, während der Kelch hier seine Minusseite hat, ein Verhalten, welches das umgekehrte von dem bei den Papilionaceen stattfindenden ist. Die Beziehungen der Lagenveränderung der Blüten zu ihrer Dorsiventralität treten also deutlich hervor. Etwas anders verhalten sich die Blüten der Impatiens-Arten mit ge- wölbten Blumenkronen und kürzerem Sporn. Bei Impatiens noli tangere „hängen“ bekanntlich die (nicht resupi- nierten) Blüten annähernd in horizontaler Richtung. Die Blütenbesucher (Hummeln, Bienen) streifen den Pollen mit ihrem Rücken ab. Die Blüte ist also „nototrib“. Daß die Bestäubung erfolgreich vor sich geht (Selbst- bestäubung ist bei dieser Art möglich) ist zweifellos. Auch kommen wohl | n 8 Resupination der Blüten. 253 für deren Erleichterung wesentlich dieselben Gesichtspunkte in Betracht, die für andere Arten oben geltend gemacht wurden. Indes hat die Blütenbiologie den Beweis dafür, daß bei diesen die durch Hyponastie eingetretene Resupination notwendig oder doch vorteilhaft ist, bis jetzt nicht geliefert, zumal sie die Resupination gar nicht beachtete. Bezeich- nend für die oft versuchte Art von Scheinerklärungen ist die Behauptung, daß die zwei vorderen Kelchblätter, „weil hier im Weg befindlich, der Anpassung von Hummeln und der damit verknüpften wagerechten Stellung der Blüte zum Opfer gefallen sind“ '). Hier ist etwas anderes verkümmert als die Kelchblätter, nämlich die Kritik, wie jeder Blick auf eine Art wie z. B. Imp. Holstii, zeigt. Die vorderen Kelchblätter fehlen, obwohl sie gewiß nicht im Wege . und die Blüten gewiß nicht den Hummeln angepaßt sind, auch hier. Von einer einzigen europäischen Art aus auf den Vorgang der Blütenumge- staltung zu schließen, kann nur jemand wagen, für den das teleologische Dogma die einzige Richtschnur ist. Zusammenfassung. Die Blüten der untersuchten Impatiens-Arten zeigen Resupination durch Hypotrophie und eine Drehung der Spornseite der Blüten nach außen. Da nach dem ganzen Blütenbau die Bestäubungs- vermittler die Blüte von dieser Seite her zu besuchen haben, so ist die Resupination dann als eine vorteilhafte zu bezeichnen, wenn die Besucher leichter von der Außenseite der Pflanze als in anderer Richtung die Blüten besuchen können. $S 8. Labiaten. In dieser Familie hat schon VAUCHER bei einigen Arten eine Re- supination beobachtet. Er sagt (a. a. O. p. 679) bei Teucrium spinosum und T. resupinatum, daß die Korollenlappen eine sehr ausgesprochene Torsion zeigen, welche die Oberlippe nach unten, die Unterlippe nach oben bringe, so daß diese eine Fahne oberhalb der Sexualorgane bilde (also Deurıino’s „Papilionaceenstellung“). Bei Ajuga orientalis (a. a. O. p. 682) finde eine Torsion der Korollenröhre statt, also eine Umdrehung der Blumenkrone. „Sa fecondation est inferieure; le stigmate bifide est engag& au fond du tube, et les extremites des filets so recourbent pour que le pollen tombe dans le tube möme; les antheres sont restees bilo- biees et les &tamines inferieures c’est-A-dire les grandes ne sont pas eontourndes pour venir se placer contre la levre superieure, comme cela arrıve dans les especes communes“... Später sind noch einige andere Labiaten mit resupinierten Blüten dazu gekommen. ' Briquer führt in seiner Bearbeitung der Labiaten?) an, daß bei Lophanthus chinensis die Drehung durch den Blütenstiel stattfinde, und nennt als weitere Beispiele für die Drehung der Blumenkronenröhre noch die Arten von Satureja aus der Gruppe Cyclotrichium. Da ich keine dieser Pflanzen lebend untersuchen konnte), so muB ich mich mit der Anführung der Namen begnügen — sie zeigt, daß die Resupination in dieser großen Familie, und selbst innerhalb der Gattungen Ajuga und Teucrium nur ganz vereinzelt auftritt. !) Den Autor dieses Satzes führe ich absichtlich nicht an. 2) In EnsLer-Prantr, Natürl. Pflanzenfamilien IVa p. 200, 201. j 3) Früher wurde Ajuga orientalis in deutschen botanischen Garten gezogen, sie scheint jetzt daraus verschwunden zu sein. 254 ‚Sechster Abschnitt: Es ist möglich, aber nicht eben wahrscheinlich, daß diese Pflanzen ein durch ihre abweichende Blütengestaltung bedingtes „Bedürfnis“ für eine von der der großen Mehrzahl ihrer Verwandten abweichende. Be- stäubungsart haben sollten. Vielmehr werden sich die Bestäuber auch. in den umgekehrten Blüten zurecht finden. Dafür spricht auch das Ver- halten einer Salvia-Art. Bei Salvia nutans!) sind die Blütenstände nach unten gerichtet, die Blüten aber nicht resupiniert. Nach Hınvesrann’s Beobachtungen ist die Blüte „sternotrib“. Aber die Apiden fliegen teils auf die (nach unten gekehrte) Oberlippe, teils mit dem Kopf nach unten, auf der Unterlippe an, sie zeigen also, daß sie sich nach der Blüte richten können, und daß nicht das Umgekehrte durchaus erforderlich ist. Solche Fälle mahnen zur Vorsicht bei teleologischen Deutungen. Ob die Labiaten mit resupinierten Blüten etwa einen reichlicheren Samen- ansatz aufweisen als die mit ihnen zusammen wachsenden Angehörigen der- selben Familie mit „normaler“ Blütenorientierung, ist nicht bekannt. Doch möchte ich sehr daran zweifeln und annehmen, daß, wenn die Resupination einen Vorteil gewährt, dieser nur durch innere, nicht durch äußere Be- ziehungen bedingt ist. ; Zusammenfassung: Resupination der Blüten bzw. Blütenteile erfolgt nur bei wenigen Labiaten, teils durch Drehung des Blütenstiels, teils durch eine solche der Blumenkrone. Die etwaige Bedeutung der Drehung für die Bestäubung ist nicht näher untersucht. $ 9. Leguminosen. Nach den $ 1 gegebenen Ausführungen braucht kaum erwähnt zu werden, daß Blütenresupination nur bei Leguminosen mit dorsiventralen Blüten bekannt ist. Sie scheint auf die Papilionaceen beschränkt zu sein, und ist bei einzelnen von ihnen schon sehr frühzeitig entdeckt worden. Papilionaceen. Daß bei dieser Familie resupinierte Blüten vor- kommen, jst seit langer Zeit bekannt. Das im Mittelmeergebiet verbreitete Trifolium resupinatum hat ja daher seinen Namen. Es wurde schon am Anfang des 18. Jahrhunderts von BARRELIER?) beschrieben als „Trifolium pratense folliculatum, flore inverso“. . Lıss& ?) hat dann erkannt, wie die Resupination vor sich geht „co- rollae resupinatae in hoc sunt ut vexillum respiciat peripheriam, carina centrum ?)“. Das hat nicht verhindert, daß man, gemäß den unbestimmten, oben angeführten Anschauungen über Resupination später annahm, dab die Blütensymmetrie hier die umgekehrte sei wie bei den übrigen Papi- lionaceen. So sagt A. pe Sr. HıLaırEr*) bei den Papilionaceen sei ge- wöhnlich das am meisten entwickelte Petalum das der Infloreszenzachse am meisten genähert „Mais, par un retour assez singulier vers la rögle generale, chez les Clitoria, les Arachis et le Trifolium resupinatum, on retrouve l’etendard A la place la moins voisine de l’axe“, das ist, wenn !) F. HıLpesrano, Über die Befruchtung der Salvia-Arten mit Hilfe von Insekten. Jahrb. f. wissensch. Bot. IV (1866) p. 457. 2) B. BArRELIER, plantae per Galliam, Hispaniam et Italiam observatae Parisiis 1714 p. 821, vgl. Carver, nota sopra aleuni fiori rivoltati di Faseolacee, Nuovo Giornale botan. ital. Vol. XI 1879 p. 5. ®) Lınn£, Species plantarum ed. I p. 771. *) Morphologie vegetale (1840) p. 415. we. ID at Resupination der Blüten. 255 man nur den fertigen Zustand berücksichtigt (abgesehen von Arachis) zu: treffend, aber eben nur nachträglich so geworden. RR .. Payer freilich glaubte die (von Anfang an) umgekehrte Orientierung der Blüte bei Erythrina Corrallodendron sogar entwicklungsgeschichtlich nachgewiesen zu haben, ein Irrtum, der später von ROHRBACH berichtigt wurde. Die von St. HıLAIRE u. a. auch als resupiniert bezeichnete Ara- chis ist, wie schon CARUEL hervorhob, aus der Liste zu streichen. Eine gegenüber der gewöhnlichen Papilionaceenstellung (ein Kelch- "blatt median nach vorne, Fahne nach hinten) inverse Anlegung der Blüten kommt bei Papilionaceen — soweit wir bis jetzt wissen — nicht vor. Wohl aber eine Verlagerung des Vexillums nach unten, die wie im folgen- den gezeigt werden soll, auf dreierlei Weise zustandekommen komme: 1. durch Drehung der Blumenkrone, 2. durch Drehung des Blütenstieles, 3. durch Unterbleiben der Resupination an hängenden Infloreszenzen. Für die Frage nach der Bedeutung der Resupination ist es von Wichtigkeit zu betonen, daß die Blüten mit umgekehrter Lage der Fahne eis von außerordentlich verschiedener Größe sind. Während z. B. die pracht- vollen Blüten von Olitoria ternatea eine Fahne von 4,5 cm Breite und C) Fig. 149. I Junge Blüte von Trifolium resupi- Fig. 150. Querschnitt einer Blüte von natum. ZI ältere, resupiniert. A Flügel, Trifolium resupinatum (Kelch wegge- C Kiel. I/Iresupinierte Blüte von Peristrophe lassen). i salicifolia. 4 cm Länge besitzen, erreichten die Fahnen von Tr. resupinatum an den von mir untersuchten Pflanzen nur eine Länge von etwas über 2 mm, eine Breite von etwas über 1,5 mm. Eine einzige Olitoriablüte ist um ein vielfaches größer als ein ganzes Blütenköpfchen von Trifolium resupinatum. Das deutet von vornherein darauf hin, daß, wenn — nach der Deurıno’schen Annahme — die Resupination eine Anpassung an die Bestäubung durch Tiere darstellt, auch diese von recht verschiedener Größe sein müßten. Trifolium resupinatum. Diese einjährige südeuropäische Art findet sich öfters auch in unseren botanischen Gärten. Sie besitzt zabl- reiche kleine flache Blütenköpfehen von über 1 cm Durchmesser. Der Fruchtstand mit seinen aufgeblasenen Kelchen wird zu einem einer grünen Himbeere äußerlich ähnlichen Gebilde. ‘Die Untersuchung der Blüten ergab folgendes. Die Blüten werden ganz in der normalen Stellung angelegt, also die Fahne nach oben (Fig. 149, I). Dann aber tritt, noch vor der Entfaltung der Fahne im unteren röhrenförmig verwachsenen Teil der Blumenkrone eine Drehung ein, welche sich an dem schiefen Verlauf der Längsnerven und "256 Sechster Abschnitt: Zellreihen deutlich verfolgen läßt. Auch der Griffel zeigt in seinem unteren Teile eine Drehung, von der sich fragt, ob sie eine aktive oder — was mir wahrscheinlicher erscheint — eine ursprünglich passive, ihm durch die übrigen Blütenteile aufgenötigte ist‘). Da die Staubblätter mit der Blumenkrone verwachsen sind, drehen sie sich natürlich mit dieser. Der Fruchtknoten, der zwei Samenanlagen enthält, aber bleibt gerade. Staubblätter und Griffel haben also beide in dem nach oben gekehrten Schiffehen ihre Konvexseite nach oben gekehrt. Da schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts die Resupination bekannt, und da die Pflanze im - Mittelmeergebiet weit verbreitet ist, so möchte man annehmen, daß der Resupinationsvorgang ‚selbst und seine biologische Bedeutung längst ein- _ gehend untersucht sei. Indes suchte ich lange vergeblich nach näheren Angaben darüber. Schließlich fand ich unter freundlicher Mithilfe des Herrn Konser- vator Dr. H. Ross, welchem ich auch hier dafür danken möchte, eine Mitteilung über Trifolium resupinatum in einer Monographie der ita- lienischen Trifolium-Arten, aus der ich folgendes anführen möchte. Es heißt in Gibelli ed Belli (rivista critica delle specie di Trifohum italiane, Memorie della R. Accad. delle scienze di Torino Ser. I, T. XLI, 1890): „Nel gruppo delle Galearia abbiamo un altro curioso fenomeno, e questo di ordine biologico, che merite di essere studiato ?).. Vogliamo parlare della resupinazione della corolla. Nel T. resupinatum, che prese nome da questo fenomeno, appena avvenita la fecundazione, comincia un movimento di torsione della corolla, che interessa tutti i petali, gli stami, ed anche la portione superiore dello stilo. Tutti questi elementi girano sul loro asse longitudinale, nella porzione inferiore deli’ unghia, e percorrendo una metä di circonferenza vengono ad orientarsi in modo, che il vesillo volta il dorso in basso, le ali e la carina voltano il loro margine superiore pure in basso, trassinando nella torsione la portione superiore dello stilo. Ne conseque che i due denti superiori del calice non correspondino piü alla linea mediana dorsale del vessillo ma bensi al margine inferiore della carina, mentre il dorso del vessillo riposa sui tre denti inferiori ... La torsione avviene nella parte piu inferiore dell’ unghia dei singoli petali. Vi ha dunque un punto neutro dove l’insieme delle unghie dei petali e dell androceo e strozzato dalla torsione attorno all’ovario ed alla porzione ıinferiore dello stilo.“ Meine eigenen (an im Münchener botanischen Garten kultivierten Pflanzen gemachten) oben teilweise schon mitgeteilten Beobachtungen stimmen mit denen der italienischen Forscher nur zum Teil überein. Bei den von mir beobachteten Pflanzen fand die Drehung nicht „appena avenuta la fecundazione“ statt, sondern noch im Knospenstadium der Blüte, also bei noch über die übrigen Teile der Blumenkrone zu- sammengefalteter Fahne. Ferner erfolgte sie nicht „nella parte piu in- feriore dell’ unghia dei singoli petali“, sondern in dem unteren, ver- wachsenen Teile der Blumenkrone, in welchem von einzelnen Petalen und deren „Nägeln“ keine Rede mehr sein kann. Nach der Drehung entfaltet sich die Fahne, deren geringe Größen- verhältnisse oben erwähnt wurden, die kleinen Flügel breiten sich seitlich aus und die Bestäubung könnte nun — nach der üblichen teleologischen Anschauung über die Resupination — so vor sich gehen, daß ein Insekt !) Es ist das um so leichter möglich. als die aus neun Staubblättern verwachsene Staubblattröhre dem unteren Teil des Griffels ursprünglich dicht anliegt. 2) Crr. Carver, Sopra aleuni fiori rivoltati di Faseolaceae N. Giorn. bot. ital. 1879. Resupination der Blüten. 957 die Fahne als „Anflugstelle*“ benützt und das Schiffchen (auf dessen Rand auch hier zwei seitlich-basale Anschwellungen der Flügel aufliegen) aufhebend zum Pollen und zur Narbe gelangt. Ich sage „könnte“, denn man wird dieser Deutung von vornherein einiges Mißtrauen entgegenbringen, wenn man bedenkt, wie klein die „Anflugs- fläche“ der einzelnen Blüte und wie gering die Größe des ganzen Blüten- köpfchens ist (Durchmesser etwa 1,5 cm). Nur ein recht kleines Insekt könnte für die einzelnen Blüten in Betracht kommen. Ein größeres In- sekt, etwa eine Biene, kann (ebensowenig wie beim Blütenstand anderer Trifolium-Arten) die Fahne der einzelnen Blüte als Anflugsfläche be- nutzen, sondern dazu dient ihm — ebenso wie bei den Trifolium-Arten mit nicht resupinierten Blüten — die Gesamtoberfläche des aus dicht gedrängten Blüten bestehenden Köpfchens. Diese Bedenken veranlaßten mich zu untersuchen, ob nicht etwa in den Blüten Selbstbestäubung eintrete. Das ist tatsächlich der Fall. In zahlreichen Blüten der erstentwickelten Blütenköpfchen fand ich, daß die Pollenkörner schon innerhalb des Schiffchens Pollenschläuche trieben und daß diese in die Narbe eindrangen. Dementsprechend setzten auch Topfpflanzen, die in einem Gewächs- haus standen, in welchem Insekten nicht wahrgenommen wurden, reichlich Früchte an. Da immerhin der Ausschluß der Insekten hier kein sicherer war, wurden andere Pflanzen in einem dicht schließenden Glaskasten ge- zogen. Auch sie setzten reichlich Früchte an. Pflanzen, welche mit Tüll umgeben worden waren, dagegen kümmerten — offenbar weil sie sehr lichtbedürftig sind. Trifolium resupinatum ist also eine autogame Pflanze. Das schließt natürlich nicht aus, daß auch Fremdbestäubung eintreten kann... Selbst in den Blüten, in deren Schiffchen schlauchtreibende Pollenkörner vor- handen sind, finden sich auch ungekeimte, die auf eine andere Blüte übertragen werden können; auch wird wahrscheinlich nicht unter allen Umständen bzw. nicht in allen Blüten die Schlauchbildung gleich rasch eintreten. Aber es ist mir nicht wahrscheinlich, daß die Fremdbestäubung häufig eintritt. Die Blütenköpfchen sind, wie erwähnt, recht unscheinbar und haben nur einen schwachen Duft, auch keine mit der Zunge wahr- nehmbare Nektarbildung. Dementsprechend war im Garten der Insektenbesuch auf einem mit reichlich blühenden Tr. resupinatum besetzten Beete ein recht spär- licher, selbst bei vollem Sonnenschein. Ich bemerkte dort — aber keineswegs reichlich — Bienen. Die Hummeln, die ein daneben stehendes ‚Beet mit Trif. pannonicum reichlich beflogen, würdigten sozusagen das bescheidene Tr. resupinatum keines Blickes. Das beweist natürlich nichts für den Insektenbesuch in der Heimat der Pflanze, da ja dort vielleicht ganz andere Besucher in Betracht kommen und auch eine andere Nachbarschaft — möglicherweise gibt es dort auch Formen von Tr. resupinatum, die sich bezüglich der Selbst- bestäubung anders verhalten als die von mir untersuchten Pflanzen. Für diese gilt jedenfalls, daß sie auf Insektenbestäubung nicht notwendig an- gewiesen sind. Wenn diese auch, wie man nach Analogie mit anderen Trifoliumarten vermuten kann. früher vielleicht eine größere Bedeutung gehabt haben mag, so ist das doch jetzt anscheinend nicht mehr der Fall. Zudem ist ja gar nicht erwiesen, daß die Resupination dieser Blüten die Fremdbestäubung fördert. Und die Annahme, daß sie früher einmal da- für erworben und später trotz der inzwischen eingetretenen. Nutzlosigkeit Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 17 258 Sechster Abschnitt: beibehalten worden sei, ist doch eine sehr wenig befriedigende. Denn die Resupination. ist eine innerhalb der Papilionaceen immerhin seltene Fr- scheinung, nicht wie‘ bei Lobeliaceen und Orchideen die überwiegende Entfaltungsart der Blüten. In einer der letztgenannten Familien würde es weniger auffallen, wenn einzelne Formen, wie z. B. Ophrys-Arten die für Fremdbestäubung günstige Resupination beibehalten hätten, trotzdem sie zur Selbstbestäubung „übergegangen“ sind, denn ein weit verbreiteter Familiencharakter sitzt wohl fester als eine auf einzelne Formen. be- schränkte Eigentümlichkeit. Vorerst ist ein Nutzen der Resupination von Trif. resupinatum also nicht nachgewiesen — eine Pflanze, die regelmäßig Selbstbestäubung zeigt, braucht ihre Blüten zum Zwecke der Insektenbestäubung doch nur dann herumzudrehen, wenn 1. das zur Fremdbestäubung notwendig bzw. förderlich wäre, 2. diese gegenüber der Selbstbestäubung “erhebliche Vorteile bieten würde. Beides ist nicht erwiesen. Pr Es sind aber ja auch noch andere Nützlichkeitsbeziehungen für die Resupination denkbar. VAUCHER!) hat eine eigenartige Ansicht über die Bedeutung dei Re- supination bei Trif. resupinatum „quand on cherche la raison de ce bizarre arrangement, l’on trouve que les fleurs interieures ne s’elevent avec leur axe, que lorsque les exterieures sont fecondees, en sorte que l’ouverture de ces dernieres est reellement dirigee du cöt6 de la lumiere.“ . Die Meinung dieses Satzes ist mir nicht recht klar geworden. Er soll wohl sagen, daß die äußeren Blüten ohne die Drehung am Lichtgenuß be- hindert wären, da ihnen die inneren nicht Platz lassen um die Fahne so auszubreiten wie dies bei der Resupination geschieht. Daß die der Hori- zontalstellung genäherte Lare der resupinierten Fahne eine stärkere Be- 5 5 I lichtung der Blüte ergibt, als wenn die Fahne aufgerichtet wäre, ist sicher, und die Köpfchen werden so auch eher auffallend werden als wenn die Fahne aufrecht bliebe. Aber die flache Gestalt des Köpfchens hindert die inneren Blüten nicht, die Resupination auszuführen, ehe die äußeren verblüht sind. Und wenn es auch möglich ist, daß ein erhöhter Lichtgenuß für die Blüte irgendwie von Bedeutung ist, so wissen wir doch derzeit nichts .dar- über. Ferner könnte man die Resupination als zwar nicht für die Fremd- wohl aber für die Selbstbestäubung berechnet betrachten. Diese letztere hat für einjährige Pflanzen ja zweifellos eine größere Wichtigkeit als für perennierende ?) und Trif. resupinatum gehört zu den einjährigen Arten der Gattung. Aber da die längeren Staubblätter die Narbe überragen, würde diese auch ohne Drehung der Blüten Pollen erhalten. Wenn wie bei Alonsoa Warscewieczi?) die Krümmung des Griffels und die der Staub- blattfilamente eine entgegengesetzte wäre, so könnte man darin tat- sächlich eine Erleichterung der Selbstbestäubung erblicken. Die Narbe wäre dann nach oben gekehrt und in besonders günstiger Lage zum Auf- fangen der aus den geöffneten Antheren entleerten Pollenkörner. Es ist dies aber nicht der Fall, sie ist vielmehr nach unten gekehrt, erhält aber trotzdem Pollen genug. Wir sehen somit, daß irgend ein Nutzen der ) A. a. O. II p. 106 u. 111 meint er „dans les pedicules exterieurs se tordent pour m les fleurs soient renversees* — was, wie oben gezeigt wurde, nicht zutrifft. Vel. 0. Kırcuner, Über die Wirkung der Selbstbestäubung bei den Papiliona- ceen. ae Zeitschr. für Land- u. Forstwirtsch. 9. Jahrg. In hohem Grade selbst- fertil sind z. B. Trif. arvense und Tr. minns. 4 °») Vgl. das bei Besprechung der Serophulariaceen Angeführte. Fr Resupination der Blüten. 259 \ Resupination für die Bestäubung hier nicht nachgewiesen ist. Ist der Vorgang überhaupt von Wichtigkeit für die Pflanze, so muß sein Nutzen in anderer Richtung liegen. Es würde aber keinen Zweck haben, alle Möglichkeiten, die „denkbar“ sind, hier anzuführen. Es fragt sich, ob die Resupination auch bei anderen Trifolium-Arten eintritt. Sie ist den Literaturangaben zufolge auf wenige Arten beschränkt. Für Trif. tomentosum L. eine andere einjährige Art gibt HauacsrY!) an „corolla rosea, saepissime resupinata! Etwas eingehender berichten dar- über GıserrLı und Beurr. „T. resupinatum non e la sola specie in cui resupini la corolla anche nel T'. tomentosum venne osservato lo stesso fatto, e soventissimo, se non ha luogo una completa resupinazione, succede per lo meno una torsione della corolla, in grazia della quale il vesillo viene a corrispondere col dorso ad uno dei due denti laterali del calice, mentre all’ altro dente corrisponde il margine inferiore della carina; la corolla gira cio@ di 90° sull’asse longitudinale. La causa di questo strano feno- meno e tuttora ignota, per quanto a noi consti.... Delle altre Galearia AT. fragiferum mostra rarissimamente torsione nella corolla, ne mai potemmo osservarla nel T. physodes e nel T. tumens.“ Die Resupination der Blüten bei eingen Trifolium-Arten hatte früher schon WICHURA ?) besprochen. „Trifolium circumdatum Kunze, Tr. re- supinatum L.: Die Resupination der Blüten beider Pflanzen wird durch eine halbe Umdrehung der Kronröhre nach rechts bewirkt. Auch bei Trifolium fragiferum kommen ähnliche Windungen der Kronröhren vor. Die Drehung ist aber hier viel schwächer, in ihrer Richtung nicht beständig und beträgt kaum ein Viertel des Umfanges.“ Es sei erinnert an das p. 221 über das Verhalten der Blumenkrone einiger Pedicularis- Arten Angeführte. Daß bei Trif. fragiferum die Resupination nach den erwähnten An- gaben nur sehr selten eintritt, könnte man zur Stütze der Ansicht ver- wenden, daß die Resupination bei Trifolium als eine nutzlos gewordene Erscheinung in der Rückbildung begriffen sei. Dazu stimmt aber nicht, daß sie gerade bei den einjährigen Arten Tr. resupinatum und Tr. tomen- tosum noch regelmäßig auftritt, obwohl diese normal Selbstbestäuber sınd, während sie bei dem perennierenden Tr. fragiferum nur selten stattfindet. Was die äußeren Bedingungen für die Resupination anbetrifft, so sei nur erwähnt), daß sie eintrat auch an Blütenköpfchen, die vor der Ent- faltung in umgekehrter Stellung festgebunden worden waren. Auch im Dunkeln erfolgte sie, wenngleich weniger vollständig und mit gehemmter Ausbreitung der Fahne. Auch das zeigt, daß Tr. resupinatum zu den Pflanzen gehört. die für Lichtmangel sehr empfindlich sind und ihn nicht lange ertragen. Die Fahnen suchen sich bei einseitiger Beleuchtung rechtwinklig auf deren Richtung einzustellen. Im Laufe der Zeit sind dem zuerst bei einer europäischen Papilionacee beobachteten Fall von Resupination noch eine Anzahl anderer, an außer- europäischen Formen beobachteter hinzugefügt werden. VAUCHER, DELPINO, TRELEASE, FOERSTE, Lınpman und MarmE haben solche beschrieben, es sei besonders auf Marme’s*) eingehende Abhandlung verwiesen. !) E. de Haracsy, Conspectus florae graecae Vol. I (1911) p. 391. ?) Flora 35 (1852) p. 101. ; ®) Die Versuche sind nur vorläufige und müssen in ausgedehnterem Maße wieder- holt werden. \ 2 *) G.O. A. Marne, Om papilionacer med resupinerade blommer, Arkiv för Botanik Bd. IV Nr. 7 (1905). 178 260 Sechster Abschnitt: Es sind Arten der Gattungen Barbieria, Canavalia, Centrosoma, Ch- toria, Erythrina, Harpalyce, Periandra, von denen dem Verf. nur die unten zu erwähnende Clitoria ternatea und 'Ery thrina crista gallı aus eigener Anschauung bekannt sind. Soweit den Beschreibungen zu entnehmen ist, handelt es sich bei der Mehrzahl der hierhergehörigen Pflanzen um solche mit „hängenden“ In- floreszenzen — auch die mit scheinbar einzeln in den Blattachseln stehenden Blüten, wie sie bei Olitoria ternatea (Fig. 151) — einer in den Tropen und in unseren Gewächshäusern oft gezogenen Zierpflanze — vorkommen. gehören in Wirklichkeit einer blattachselständigen Infloreszenz an, die ursprünglich mehrblütig war. Man sieht auch deutlich (an aufrecht Fig. 151. Clitoria ternatea (nat. Gr.). Blüte mit nach unten gerichteter Fahne. wachsenden Sprossen), daß der Infloreszenzstiel eine Abwärts- krümmung”ausführt (also ähnlich sich verhält wie der von Laburnum u. a.), An dieser Infloreszenz steht die Blüte in Normalstellung, d. h. die Fahne nach der Infloreszenzachse zugekehrt. Durch die Abwärtskrümmung der Infloreszenz wird die Fahne nach unten gerichtet (Fig. 151). Der Blüten- stiel führt kleinere Bewegungen aus, welche die Symmetrieebene der Blüte in die Vertikalebene bringen. Aber die Resupination unterbleibt. Schon VAucHeEr') hat bemerkt, daß bei Clitoria die Blüten umgekehrt als sonst angeordnet sind; aber seine Angabe, daß ein „renversement de la corolle qui s’opere par la tor- sion du pe@doncule“ eintrete, trifft nicht zu — ebensowenig wohl seine A dieses Vorganges, daß das Ziel der Torsion sei das Schitfehen YA.a.0.I1n. 186, Resupination der Blüten. 261 und den Kiel dem Lichte auszusetzen. Das sei durch die starke Ent- wicklung der Fahne hier notwendig geworden. Daß zwischen der starken Entwicklung der Fahne und der schwachen Ausbildung von Flügeln und Kiel eine Beziehung besteht, ist sehr wahrscheinlich. Ebenso ist die Fahne durch ihren kräftigen Bau wohl imstande, als Anflugsfläche auch für ziemlich gewichtige Bestäuber zu dienen. Diese können die Flügel und das Schiffchen leicht nach oben drücken, berühren dabei zuerst den Griffel, der die Staubblätter überragt, und dann diese, so daß Fremd- bestäubung eintreten kann, Selbstbestäubung ist aber nicht ausgeschlossen. Die in München kultivierten Pflanzen setzten reichlich Samen an. ob- wohl von einer Insektenbestäubung nichts bemerkt werden konnte. Man kann also vom teleologischen Standpunkt aus sagen, der schwache Bau der Flügel und des Schiffehens machen diese, wenn die Blüte in normaler Lage stände, weniger geeignet das Gewicht der Blütenbesucher zu tragen. Das Unterbleiben der Resupination ist also für den Blüten- besucher, der sich des reichlich abgesonderten Honigs bemächtigen will, bequemer, als wenn die Fahne nach oben gekehrt wäre. Daß aber in dieser Stellung keine Fremdbestäubung eintreten könnte, wird man kaum sagen können. Kausal mag das Unterbleiben der Resupination ebenso wie die schwache Entwicklung der Flügel mit der starken Ausbildung der Fahne zusammenhängen. Die Blüten von Erythrina crista galli zeigten im Münchener botan. Garten nicht alle’) dureh Drehung des Blütenstiels Resupination (Fig. 152). Es scheint hier hauptsäch- lich auf die Horizontalstellung der Fahne anzukommen, die auch anders als durch Resupination erreicht werden kann. Kelch und Blumen- krone haben eine auffallend fleischige Beschaffenheit. Die Flügel sind zu kleinen, nicht mehr über den Kelch hervortretenden Rudimenten ver- kümmert. Es kommen also nur das schnabelförmige Schiffchen und die breite Fahne von der Blumenkrone in Betracht — als „Anflugstelle“ aber kann diese den Kolibris nicht dienen, da diese nur schwebend die Blüten besuchen. Auch die Hummeln benutzen nach Linpman’s Beobach- Fig. 152. Blüte von Exythrina erista galli. tungen die Fahne nicht als Anflugs- Fahne nach unten, Schiffehen nach oben platz. Für den Kolibribesuch ist die gekehrt. umgedrehte Lage der Blüte bezüglich der Pollenübertragung wohl günstiger als die normale, da sie den Kopf des Vogels mit den Antheren (und später mit der Narbe) in Berührung bringt. Eine Bestäubung des Bauches (wie sie nach Scorr Errior bei den die nicht resupinierten Blüten von Erythrina caffra besuchenden Nekta- rinen in Südafrika stattfindet) würde wohl wegen der langen Schnäbel der Kolibris auf Schwierigkeiten stoßen — doch läßt sich auch darüber nur am natürlichen Standort Gewißheit gewinnen. 1 1) Es mag das von ungünstigen Witterungsverhältnissen bedingt gewesen sein. Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Knurr III 1 p. 40. 262 Sechster Abschnitt: Linpman !) hat einige südamerikanische Papilionaceen mit resupinierten Blüten näher untersucht. Er findet z. B. bei Bradburya virginiana f. pascuorum, daß die nach unten gerichtete Fahne als Anflugplatz für Insekten dient, und eine Sperreinrichtung besitzt, welche bei Belastung die Herab- biegung verhindern soll. Da indes die Fahne abwärts gerichtet und mit einem Kiel versehen ist, scheint die Notwendigkeit einer besonderen Ein- richtung gegen Verbiegung kaum gegeben. Bei Oanavallia bonariensis ?) wird die Fahne nach L. durch den Kelch gestützt. Bei Erythrina crista galli wird betont, daß die blütentragenden Zweige teils horizontal, teils gegen den Boden herabhängend sind. Die nach unten gekehrte Fahne braucht also im letzteren Falle nicht gedreht zu werden. Bemerkenswert ist, daß Hummeln und Bienen nicht auf die Fahne auffliegen, sondern direkt an das Schiffchen. MALME hebt für die meisten von ihm untersuchten Blüten den ver- hältnismäßig schwachen Bau des Schiffehens (auch der Flügel) hervor, welcher im Gegensatz zu den sonstigen Papilionaceenblüten diese Blüten- _ teile nicht als zum “Anflug von Insekten und zum Herausdrücken an Pollen und Griffel geeignet erscheinen läßt. Das trifft auch für Olitoria ternatea zu, bei der das Schiffchen zwischen den Flügeln fast versteckt ist. Für die vor den Blüten schwebenden Kolibris kommen aber solche Erwägungen doch wohl nicht in Betracht. ?) Indes ist es sehr wahrscheinlich daß die abweichende Orientierung dieser Blüten mit der von der gewöhnlichen abweichenden Ausbildung von Vexillum- und Üarinaseite der "Blüte ursächlich in Beziehung steht; in welcher, können nur weitere Untersuchungen ergeben. Zusammenfassung für die Papilionaceen. 1. Bei den Papilionaceen kommt Resupination der Blüten vor: a) In- folge einer von der Infloreszenz ausgeführten Lagenveränderung; b) ohne eine solche. 2. Sie kommt zustande: a) durch Drehung der Blumenkrone (Tr. resupinatum u. a.); b) durch Drehung des Blütenstiels; c) durch eine nicht von Blütenresupination begleitete Lagenveränderung der Infloreszenz. $ 10. Lobeliaceen®). Die Resupination der Blüten ist in dieser Familie zwar nicht so all- gemein, wie früher angenommen wurde), aber doch sehr verbreitet. Ursan®) führt die Gattung Monopsis als mit nicht resupinierten Blüten versehen an, NorL nennt Lobelia ilicifolia als eine Art, bei der die Resupination unterbleibt. Lobelia. Die Blüte unterscheidet sich bekanntlich von den Seiten- 1) C. A.M. Linoman. Die Blüteneinrichtungen einiger südamerikanischer Pflanzen. Behang till K. Svenska Vet. Ak. Handlingar Bd. 27 Afd. III Stockholm 1902. ?) p. 55 sagt Lınpman, daß die Infloreszenzen hängend seien und demnach auch die Fahne uud die ganze hintere Seite der Blüte gleichfalls nach abwärts gerichtet sind, p. 26 heißt es von Bradburya und Canavalia „ihre Blüten aber sind immer durch eine Torsion von 180° herumgedreht“ — was wohl nicht ganz zusammenstimmt. ?) Für Tr. resupinatum auch nicht! 3 *) Die Resupination der Blüten wurde, wie es scheint, entdeckt von R. Brown (General remarks ... on the botany of Terra australis (1814) pP. 32 5) Vgl. z. B. Eıchter, Blütendiagramme I p. 297. 6) ans Die Bestäubungseinrichtungen bei den BER Jahrb. des Kgl. botan. Gartens in Berlin I 1881 p. 269, Nort, a. a. O. p. 346 4 e % a us Er ed " nE it M Te ne we ae a UP III a Resupination der Blüten. 263 blüten der übrigen Campanulaceen dadurch, daß das „unpaare“ der fünf Kelehblätter nach vorne (gegen das Tragblatt hin), nicht nach hinten wie bei Campanula, liegt). Es ist das, von der Entwicklungsfolge der Kelch- blätter abgesehen, dieselbe Stellung wie bei den Papilionaceen. Dort ist diese eine Folge der hypotrophen Ausbildung des Blütenvegetations- punktes. Die Resupination erfolgt durch den Blütenstiel. Dessen Drehung, und das erscheint von Bedeutung, erfolgt in der Richtung der „Kelehspirale“ (der Richtung des Uhrzeigers entgegengesetzt). Es deutet das darauf hin, daß eine Asymmetrie vorliegt, die sich äußert so- wohl in der asymmetrischen Struktur des Blütenstiels, als in der Reihenfolge der Kelchblätter. Dazu tritt dann eine Hypotrophie des Kelches und der Staubblätter sowie eine Epitrophie der Blumenkrone, während in Fig. 153. Isotoma longiflora mit Blüte, etwas verkl. anderen dorsiventralen Blüten auch der Blütenstiel einfach dorsiventral ist, und das „unpaare“ Kelchblatt nach hinten sieht, nicht wie bei den Lobeliaceen nach vorne. Außerlich erscheint der Blütenstiel z. B. bei Lobelia erinus deutlich dorsiventral gebaut, stark (parallel zur Fläche des Tragblattes der Blüte) abgeflacht, auf der Unterseite stärker gewölbt als auf der Außenseite. Die Drehung des Blütenstiels findet in dessen unterem Teil — ober- halb. der beiden kümmerlich entwickelten Vorblättchen — statt, noch im Knospenstadium der Blüte. Die ursprünglich nach hinten gekehrte drei- teilige „Oberlippe“ tritt also gleich bei der Entfaltung als Unterlippe auf. Die Blüten sind außerdem positiv heliotropisch, bei einseitiger Beleuchtung also alle nach der Lichtseite hin gewendet. Daß vom teleologischen Standpunkt aus bei der Drehung nicht so- ’) Betrefis des Verhaltens von Specularia vgl. Eıcauer a. a. O. 264 Sechster Abschnitt: wohl die Gestalt der Blumenkrone als die dorsiventrale Ausbildung der Staubblattröhre und des Griffels in Betracht kommt, scheint mir schon daraus hervorzugehen, daß eine Drehung auch eintritt bei Lobeliaceen mit nicht zweilippigen Blüten wie Isotoma (Fig. 153). Die schönen Blüten von Isotoma longiflora zeigen in ihrer Blumen- krone nicht die Verschiedenheit zwischen Ober- und Unterlippe, wie die von Lobelia. Trotzdem führt auch diese Blüte eine Drehung aus, aller- dings nicht um 180°, sondern nur um 90° (Fig. 153 u. 154). Der Staub- Fig. 154. Isotoma longiflora. Blüte, etwas vergr. blattkegel nimmt frühzeitig auf der ursprünglichen Blütenunterseite eine konvexe Krümmung an. Der Pollen wird von einem die Blüten be- suchenden Insekt — wahrscheinlich handelt es sich um langrüsselige Schmetterlinge !) „nototrib“ verbreitert werden. Eine besondere Anflug- fläche kommt hier aber nicht in Betracht. Die seitliche Krümmung des Blütenstiels verstärkt sich nach der Befruchtung, so dab die Frucht aus der Blattachsel seitlich herabgebogen ist. Wir sehen also, daß eine Lagenänderung der Blüte. bei de Entfaltung ausgeführt wird, auch wenn diese nicht zweilippig ist wie bei Lobelia. Während bei Lobelia die Resupination durch Drehung des Blüten- stiels stattfindet, erfolgt sie bei Üentropogon surinamense ?) an aufrecht stehenden Sprossen durch das Wachstum der Blumenkrone und der von ihr umschlossenen Blütenteile. Die Blumenkrone zeigt früh schon eine !) Da die Blüten stark duften und weiß sind, wohl nur solche, die in der Dämuierun oder Nachts fliegen. Bei den hier kultivierten Pflanzen trat übrigens — offenbar durch Selbstbestäubung — reichlicher Fruchtansatz ein. 2) Die Pflanze fällt z. B. in Britisch-Guiana an Flußufern, lichten Waldstellen usw. durch ihre schönen leuchtendroten Blüten sehr auf. a Resupination der Blüten. 265 Förderung ihres abaxialen Teiles. Ihr spitzes Ende kommt so zunächst nach oben, später nach unten, wobei die Blumenkrone hakenförmig ge- krümmt wird. Es ist klar, daß dadurch dieselbe Lagenveränderung wie sonst durch Stieldrehung herbeigeführt wird. Die (auf der abaxialen Seite gewölbte, auf der adaxialen abgeflachte) Filament- sowie die Antheren- röhre und der von ihr umschlossene Griffel machen die Biegung mit. Stehen die Sprosse des (wahrscheinlich kletternden) Strauches aber hori- zontal, so findet bei den auf der unteren Seite stehenden Blüten eine Torsion des Blütenstieles statt, so daß alle die Konvexseite der Staub- blattröhre nach oben kehren. > Fig. 155. Centropogon surinamense. Blüte (etwas vergr.). A von der Seite. von oben. Die geöffnete Blumenkrone ist zwar, wie Fig. 155 zeigt, deutlich dorst- ventral, aber die zwei nach oben gekehrten, weit voneinander abstehenden Zipfel der „Unterlippe“ sind breiter als die drei der „Oberlippe“. Die Blumenkrone ist lang röhrenförmig. Die Bestäubung findet wahrscheinlich durch Kolibris statt. Die Staubblattröhre ist schnabelartig, nach der ursprünglichen Ober- lippe hin gekrümmt, in der resupinierten Blüte also nach unten. Sie ist an der Spitze mit steifen Haaren besetzt, in denen der durch den Griffel aus der Staubblattröhre herausgefegte Pollen zum Teil hängen bleibt. Ein in die Blüte eindringender Insektenkörper oder Vogelschnabel wird also diese Anhängsel der Staubblattröhre berühren müssen und aus ihnen Pollen mitnehmen können. Dementsprechend ist auch die Narbe nach unten gekrümmt. Wäre die Blüte in ihrer ursprünglichen Lage geblieben, so müßte sich der Bestäuber drehen oder die Blüte müßte eine „sterno- tribe“ werden. * Auch diese Pflanze zeigt also deutlich, daß die Resupination der Blüte nicht auf die Darbietung einer günstigen „Anflugsfläche“ berechnet sein kann. Auf diese Deutung konnte man kommen durch ausschließliche Berücksichtigung von Lobelia. Sehen wir davon ab, daß auch bei ihr ornithophile und autogame Arten vorkommen, so erscheint die durch Resupination nach unten gedrehte Oberlippe allerdings als ein geeigneterer „Anflugsplatz“ für Insekten als die Oberlippe. Das führte zu der Annahme, daß die Blüte eigentlich „verkehrt“ angelegt worden sei und daß dem durch die Resupination ab- 966 Sechster Abschnitt: geholfen werde. So fragt schon VAUCHER !) „pourquoi la fleur a ete d’abord renversee par quel m&canisme le p@doncule se tord pour ramener la fleur A sa position naturelle ?* Eine solche Annahme ist aber freilich mit der, daß alles bis in das Kleinste zweckmäßig geregelt sei, schwer vereinbar. Denn warum ist dann die Blüte „verkehrt angelegt“ und muß diesen Fehler erst wieder verbessern? Das hat auch Deurıno ?) klar erkannt, wenn er die ursprüng- liche Orientierung der Blüte nennt ein „fenomeno da annoverarsi tra quelli forse inaccessibili alla intellegenza umana e a spiegazioni teleologiche*“ ?). URBAN) hat die Frage aufgeworfen, „warum sind die Blüten von Lobelia und anderen Lobeliaceen-Gattungen resupiniert, warum dreht bei Lobelia syphilitica der Blütenstiel die Blüte aus der ursprünglichen Lage heraus, in welchen sie ebenso augenfällig, ebenso zugänglich ist, und in welcher bei regulärem Besuche eine Fremdbestäubung in gleicher Weise gesichert würde“ ?°) Er glaubt eine plausible Erklärung darin gefunden zu haben, daß bei spärlichem Insektenbesuch der von der Griffelbürste herausgefegte Pollen in den resupinierten Blüten auf die (nach unten ge- kehrte) Oberlippe und von dieser in ‚die Blumenkronenröhre gelangt, während er aus der nicht resupinierten nutzlos zu Boden fallen würde. Ich glaube nicht, daß man darin einen zureichenden teleologischen „Grund“ für die Resupination sehen kann. Denn die Urzan’sche Hypo- these setzt nicht nur voraus, daß nach dem spärlichen Insektenbesuch wieder ein besserer eintrete, sie paßt für Lobelia auch nur dann, wenn beim Unterbleiben der Resupination auch die Krümmungsrichtung . des Staubblattkegels sich ändern würde und für Isotoma und Üentropogon überhaupt nicht. Und wenn auch vom teleologischen Standpunkt aus nichts dagegen spricht, daß bei den verschiedenen Pflanzenfamilien die Resupination aus verschiedenen „Gründen“ erfolgt sein kann, so ist doch andererseits nicht zu übersehen, daß für andere Familien der von URBAN für die Resupination angeführte vermutliche Vorteil nicht in Betracht kommen kann. Noru®) fand, daß bei Lobelia pyramidalis und L. syphilitica die Drehung an in umgekehrte Lage gebrachten Infloreszenzen unterbleibt, also als geostrophische zu bezeichnen ist — was wohl auch für die übrigen Lobelien zutrifft. Er ist mit den älteren Autoren der Überzeugung, daß die Blüten der Lobeliaceen „verkehrt“ angelegt seien. Wenn wir untersuchen, ob diese Annahme zutrifft, se werden wir zwischen der Ausbildung und der Anlegungsfolge der Blütenteile unter- scheiden müssen. Daraus, daß die Unterlippe kleiner ist als die Ober- Iıppe, kann man noch nicht ohne weiteres schließen, daß die Blüte „ver- kehrt“ sei und durch Drehung erst wieder in die richtige Lage gebracht werden müsse. Es kann hierüber auf das bei den Labiaten (sesagte ver- wiesen werden. Was die Anlegungsfolge anbetrifft, so ist sie bei den Uampanulaceen die übliche „vornumläufige“, d.h. das erste Kelchblatt steht schräg nach vorne, das zweite median nach hinten. Bei Lobelia steht das erste schräg y r a. 0. Vol. IV p. 308. Auch Nour sagt (a. a. O0. p. 202): „In jeder Beziehung am merkwürdigsten ist jedoch der bei Orchideen und a durchgehende Ent- wieklungsplan, daß nämlich die Blüten an der aufrechten Spindel von vornherein ver- au angelegt werden.“ ?) A. a. O. p. 103. 3) A.a.0. | p. 108. a a. O. p. 264. 5) Was, wie oben (p. 245) erwähnt, Dewrıno bestreitet. °%) A. a. O. p. 344 ff. ai Resupination der Blüten. red nach hinten, das zweite median. nach vorne. Wenn man beide vergleicht, kann man die Lobeliablüten nicht als gegenüber den Campanulaceen- blüten umgekehrt bezeichnen. Nur die Richtung der „Kelchspirale“ ist eine andere als sonst, und das ist, wie schon erwähnt wurde, dieselbe Richtung, in der später die Drehung des Blütenstiels er- folgt. Wir sehen also in der Drehung die Folge derselben Asymmetrie der Struktur, die sich in der Anlegung® des Kelches ausspricht. Daß das zweite Kelchblatt median nach vorne steht, wird damit im Zusammenhang: stehen, daß eine Förderung der Außenseite — also eine Hypotrophie — ım Verlauf der Entwicklung einsetzt, wie das ja bei ©Öentropogon in der Krone wie im Androeceum deutlich hervortritt. Wenn bei Lobelia die Oberlippe gefördert ist, so ist das nichts Vereinzeltes, es wurde oben (p. 239) schon darauf hingewiesen, daß bei dorsiventralen Blüten die Plus- und die Minusseite innerhalb der einzelnen Blattkreise nicht immer dieselbe ist. ‚Jedenfalls aber. kann die Epitrophie der Krone bei Lobelia nicht der „Grund“ für die Resupination sein. Will man diesen teleologisch fassen, so kann er, wie bei Impatiens nur in der Hypotrophie des Androe- ceums (und dementsprechend des Narbenapparates) liegen. Die Be- trachtung einer Centropogonblüte zeigt deutlich, daß die Blüte wie die anderer Lobeliaceen „nototrib“ ist, durch die Krümmung der Staub- blattröhre und ihre Stellung zwischen den zwei oberen (ursprünglich unteren) Zipfeln der Blumenkrone. Das, nicht die Ausbildung der Blumenkrone kommt für die biologische Deutung der Resupination meiner Ansicht nach in erster Linie in Be- tracht. Nur ist nicht nachgewiesen, daß die nototribe Bestäubung eine durch Zuchtwahl erworbene ist. Kausal sehen wir die Resupination bedipgt durch die Asymmetrie im Bau des Blütenstiels, welche in derselben Richtung wie die „Kelch- spirale“ sich äußert. Zusammenfassung für die Lobeliaceen. 1. Die Mehrzahl der ‚Lobeliaceen zeigt bei der Entfaltung ihrer dorsiventralen Blüten eine Anderung der Lage ihrer Symmetrieebene. 2. Die Drehung beträgt entweder 180° oder 90°. 3. Sie kann ausgeführt werden entweder durch Torsion des Blüten. stiels oder durch hypotrophes Wachstum der Blumenkrone. 4. Für die teleologische Deutung der Drehbewegung ist maßgebend nicht die Gestalt der "Blumenkrone, sondern die des Androeceums und Gynoeceums. 5. Kausal hängt sie offenbar zusammen mit der Hypotrophie wich- tiger Teile der Blüte und mit der Asymmetrie des Blütenstieles, die sich in derselben Richtung geltend macht wie die des Kelches. s 11. Melianthaceen. In dieser Familie ist die Resupination der median-dorsiventralen Blüten seit langer Zeit für die von PrancHon!) in der Sektion „Eu- meliantheae“ zusammengefaßten Arten bekannt, während die Sektion „Bersameae nichtresupinierte Blüten besitzt. ')J. E. Prancnon, on Meliantheae, a new natural order Trans. Link, Soc. Vol. XX (18481. PLAncHOoN scheint auch der Entdecker der Resupination der Melianthusblüten zu sein. 268 - Sechster Abschnitt: In botanischen Gärten wird häufig kultiviert M. major, ein Strauch aus dem Kapland mit großen gefiederten Blättern und langen terminalen Blütenrispen, deren rötlich gefärbte Blüten einzeln aus den Achseln ge- färbter Deckblätter entspringen. Der Kelch ist hypotroph — die zwei unteren (später oberen) Kelch- blätter sind größer als die anderen. Das obere Kelchblatt ist kahnförmig und birgt eine große Nektardrüse (N Fig. 156 II), über welche sich die vier schmalen Blumenblätter zusammenneigen. Die Drehung erfolgt durch den Blütenstiel!) (Fig. 156 J). Die Blüten werden nach Soorr Ernror (dessen Abhandlung mir nicht zugänglich ist ?)) durch Honigvögel bestäubt. Wie die Resupination hier ökologisch zu verstehen sein soll, ist mir nicht klar geworden. Man könnte daran denken, daß durch sie ein Aus- fließen des reichlich abgesonderten Honigs aus dem großen breiten (ursprünglich nach oben gekehrten) Honigbehälter verhindert wird. In- des neigen die fünf Blumenblätter (p» Fig. 156) über dem Nektarium so dicht zusammen, daß dies kaum anzunehmen ist. Wahrscheinlich sind die Blüten proterandrisch. Es sind die Staubblätter und der Griffel wenigstens zeit- . weilig nach dem Nektarium zu geneigt. Es Fig. 156. Melianthus major Wird also die Pollenübertragung wie bei anderen (nach Praxcnon). / Blüte mit . PRSnE Dr ER gedrehtem Blütenstiel, c kapu- „O’nithophilen“ Blüten durch den Kopf der zenförmiges Kelchblatt, p Blu- Honigvögel erfolgen. Maßgebend für die Re- menblätter. /I Kelch zur Hälfte supination ist also hier wie anderwärts offenbar entfernt, ebenso die Blumen- nicht die Gestalt der Blütenhülle, sondern die blätter. N Nektarium. der Sporophylie. $S 12. Orchideen. Daß die Resupination bei Orchideenblüten schon Lixsi; bekannt war, geht aus seiner p. 233 angeführten Definition hervor. Da der Vorgang bei weitverbreiteten europäischen Orchideen durch die Drehung des Frucht- knotens leicht zu beobachten ist, so ist er wahrscheinlich schon vor Liınn& erkannt worden. Es wird sich indes im Verlauf der Darstellung ergeben, daß die Umkehrung der Blüten auch bei den Orchideen nicht immer auf dieselbe Weise zustande kommt. Außer dem Fruchtknoten können auch verschiedene andere Teile, z. B. der Blütenstiel, selbst die Infloreszenz- achse dazu herangezogen werden. Zunächst mag die Frage nach der Verbreitung der Drshne innerhalb der Familie erörtert werden. Es kann sich dabei nur: um Herausgreifen einiger Beispiele handeln, denn alle die auf 15000 ge- schätzten beschriebenen Arten daraufhin durchzusehen, würde — selbst wenn es möglich wäre — kaum sehr lohnend sein. Es handelt sich dabei nur um Orchideen mit aufrecht stehenden Infloreszenzen, mit denen die mit hängenden aus später anzuführenden Gründen nicht ohne weiteres verglichen werden können. 7 Es unterliegt — soweit meine Beobachtungen und die Angaben. in „ H. Wyprer, Über die Blüte von Melianthus, Flora 46 (1870) p. 148; fern EicHLeEr’s Blütendiagramme II p. 356. ?2) Vgl. das Referat bei Kurs, Handbuch III 1 p. 402. Ä a EN WE tn TEE? er nr ee A ME a e se er ur rate er d “I y nn a NET, u > 4 . 4 & IN Ar nr - He eh 2 Resupination der Blüten. 269 der Literatur reichen — keinem Zweifel, daß die mit resupinierten Blüten versehenen bei weitem in der Mehrzahl sind, so sehr, daß manche Autoren die Resupination bei den Orchideen sogar für eine allgemeine Erscheinung gehalten haben. Eine solche Meinung konnte indes nur bei einer aus- schließlichen Berücksichtigung mitteleuropäischer Orchideen entstehen, und selbst für diese trifft sie nicht ganz zu. Wenn wir die außereuropäischen Formen heranziehen, so zeigt sich sofort, daß es sowohl ganze Gattungen gibt, in denen sie fehlt, als Arten innerhalb einer sonst Resupination aufweisenden Gattung, bei denen sie nicht eintritt. Von Gattungen, bei deren Arten (soweit bekannt) die Resupination unterbleibt, seien genannt: Arpophyllum®), Disa, Epi- pogon, Microstylis, Nepha- lophyllum,, Nigritella, Oberonia, Satyrium (betr. Haemaria vgl. p. 220). Von Arten aus Gat- tungen, in denen sonst Resupination stattfindet: Epidendrum cochleatum und E. Ruckerae, Masde- vallia verrucosa u. M. och- thodes?). Nur scheinbar gehören dazu die Formen, bei denen eine Drehung um 360°, also in die Aus- gangsstellung, stattfindet. ‚Ich führe sie hier schon an, weil bei einer dieser Formen (Malaxis paludo- sa) VAUCHER glaubte, die Wiedererreichung ?) der ursprünglichen Stellung teleologisch erklären zu können. Er sagt, die Lippe sei hier so klein, daß sie nicht dazu bei- tragen könne, die Sexual- organe dem Lichte aus- Fig. 157. Epidendrum cochleatum. Nicht resupinierte zusetzen („icl1 ces organes Blüte, deren Labellum nach oben gekehrt bleibt. sont mis en decouvert sans que la fleur prenne une”position opposee & la position primitive“). Daß diese Zurechtlegung nicht haltbar ist, ergibt sich ohne weiteres, wenn man nicht nur Malaxis, sondern auch die anderen oben angeführten Pflanzen ins Auge faßt. Denn es sind darunter solche mit Blüten, die ein recht großes Labellum besitzen (Fig. 157). Da man die Resupination (auf deren Deutung unten erst eingegangen werden soll) meist damit in . *) Wenigstens das hier kultivierte A. cardinale. ner 2) Letztere beiden angeführt nach Prırzer, mir nicht aus eigener Anschauung ekannt. . 3) A. a. 0. IV p. 289. Die Drehung um 360° war ihm entgangen, er meinte die Drehung sei unterblieben. 270 h Sechster Abschnitt: Zusammenhang bringt, daß das Labellum durch die Drehung als eine ge- eignete Anflugsfläche für blütenbesuchende Insekten dienen soll, so sei hervorgehoben, daß die Epidendrum-Arten mit nicht resupinierten Blüten ein größeres, als Anflugsplatz also viel geeigneteres Labellum haben als andere Arten derselben Gattung mit resupinierten Blüten, z. B. E. cinna- barınım. Man müßte also, um die Teleologie zu retten, annehmen, dab die ersteren von Tieren bestäubt werden, welche einen „Anflugsplatz“ nicht notwendig haben. Leider ist aber ihre Bestäubung nicht bekannt. Andererseits zeigen die kleinen Blüten von Stelis mierantha — sie haben einen größten Längsdurchmesser von nur 2 mm — eine Orientierung der Lippe nach unten (durch Uberbiegen der beiden Blütenreihen der . Infloreszenz nach einer Seite hin), obwohl dies winzige Gebilde doch gewiß keine „Anflugsfläche“ darbieten kann. VAUcHER’s Versuch, für Malaxis die doppelte Resupination auf die geringe Größe des Labellums zurückzuführen, kann somit nicht als geglückt bezeichnet werden. Fig. 158. Paphiopedilum callosum. Junge Infloreszenz, X Deckblatt der Blüte. Besonders eigentümlich verhält sich Catasetum. Bei den getrennt: geschlechtigen Blüten dieser Gattung ist meist das Labellum in den männlichen nach unten, in den weiblichen nach oben gekehrt. Letztere unterlassen also die Resupination. Die früher!) geäußerte Vermutung, daß die merkwürdige Abschleuderung der Pollinien in der resupinierten . Lage leichter vor sich gehe, ist eine vielleicht wahrscheinliche, aber nicht erwiesene. Denn z. B. bei ©. macrocarpum ist auch die männliche Blüte nicht resupiniert, ohne daß eine Verschiedenheit in ihrem Verhalten gegen- über anderen CUatasetum-Arten bekannt wäre. Jedenfalls ist anzunehmen, daß, wenn die Resupination einen „Zweck“ hat, dieser nicht mit der Lage des Labellums, sondern mit der des Gynostemiums in Beziehung steht. ı) GorseL, Über sexuellen Dimorphismus bei Blüten, Biolog. Centralblatt XXX (1910) p. 693. et Resupination der Blüten. u .. Im folgenden mag zunächst an einigen Beispielen die Art und Weise der Entfaltungsbewegung geschildert werden, zum Schluß soll deren Zu- standekommen und teleologische Deutung besprochen werden. 1. Cypripedilum. „Auch bei den einzelblütigen Cypripedien findet keine eigentliche Drehung statt, sondern die Blüte kippt auf dem Schaft nur derart über, daß die ursprünglich nach oben gekehrte pantoffelartige Lippe nachher abwärts schaut; ist jedoch die Infloreszenz mehrblütig, so werden die unteren Blüten in gewöhnlicher Weise resupiniert“ '). Diese Schilderung gibt kein zutreffendes Bild der Bewegungen von Cypripedilum. Vor allem handelt es sich nicht um ein Über,.kippen“ der Blüte, das wäre Fig. 160. Paphiopedilum callosum. Infloreszenz mit Fig. 159. Paphiopedilum callosum. Infloreszenz kurz entfalteter Blüte (stärker vor der Ofinung der Blütenknospe (verkl.). \ verkl. als Fig. 161). ja eine passive Bewegung, sondern um eine aktive. An dieser Bewegung sind aber der Reihe nach verschiedene Teile der Infloreszenz und der Blüte beteiligt. Bei einblütigen Infloreszenzen führt zunächst die Infloreszenzachse ‚eine Krümmung aus, bei der die eine Seite konvex wird. Es ist dies die, auf der das Blütendeckblatt liegt, also zugleich die, in welche die Medianebene der zweizeilig gestellten Blätter fällt (Fig. 158). Das wird öfters durch nachträgliche Torsionen verdeckt, ursprünglich aber ‚fand ich stets die . angegebene Beziehung. Die Blütenknospe wird dadurch nach abwärts gebogen. Später streckt sich die Infloreszenzachse 4%) Eıcater, Blütendiagramme I p. 180. 272 Sechster Abschnitt: } , gerade und krümmt sich der — gleichfalls dorsiventral gebaute — Frucht- knoten konvex (Fig. 159), endlich wird auch dieser gerade und die Abwärts- krümmung wird durch das kurze Griffelstück zwischen Fruchtknoten und Perigon bedingt (Fig. 160). Da dieses bald sein Wachstum einstellt, so ıst die Krümmung dann bei Lagenänderung nicht mehr rückgängig zu machen. Die Blüte „kippt“ also nicht, sondern sie wird durch eine aktive Krümmung umgebogen. Bei den mehrblütigen Infloreszenzen fällt die Krümmung des Infloreszenzstieles weg, der Fruchtknoten krümmt sich zunächst auf der dem Deckblatt zugekehrten Seite konvex, dann aber wird durch stärkeres Wachstum einer seitlichen Kante eine Drehung um etwa 45" ausgeführt, welche das Labellum der Blüte nach abwärts führt. 1hWenn man eine junge Blüte mit dem Infloreszenzstiel in horizontaler Lage festbindet, führt der Fruchtknoten eine Drehung um 45° aus, welche das Labellum nach unten bringt. Ein Topf mit jungen Blüten von Paphiopedilum callosum, welche die normale Krümmung des Infloreszenzstieles aufwiesen, wurde in umgekehrter Lage auf- gestellt. Das Ergebnis war, daß zunächst eine Geradestreckung des Infloreszenzstieles eintrat und dann nunmehr die nach unten gekehrte, dem Deckblatt der Blüte abgewendete Seite der In- floreszenzachse stärker wuchs. Dadurch kam das Labellum wieder nach unten, es braucht nur eine geringe Krümmung des Griffels um es ganz nach unten zu bringen. Die S-förmige Krüm- mung der Infloreszenzachse ist offenbar bedingt durch ihre Dorsi- "Fig. 161. Paphiopedilum callosum. Blüte in ventralität. Diese aber steht, wie | umgekehrter Lage entfaltet. wir sehen, mit dem Gesamtaufbau im Zusammenhang. Daß Cypripedilum mit seinen Entfaltungsbewegungen keine vereinzelte Stellung unter den Orchideen einnimmt, wird aus dem folgenden hervorgehen. Sowohl die Uberkrümmung (durch Hyponastie) als die Beteiligung der In- floreszenzachse bei der Blütenentfaltung finden sich auch bei anderen Formen. Es seien zunächst für diesen Vorgang noch Beispiele angeführt. Lycaste Skinneri: In der Infloreszenz befindet sich nur Eine Blüte, die einen kurzen Fruchtknoten und keinen Blütenstiel hat. Der Frucht- knoten dreht sich nicht, wohl aber führt das Internodium unter der In- floreszenzachse eine Drehung um 90° aus, so daß das Deckblatt der Blüte nach oben steht. Dies und eine Krümmung des ungedrehten Fruchtknotens genügt, um die Blüte nach unten zu bringen. Die Drehung der Blütenstände von Spiranthes ist eine so auffallende (wie schon der Gattungsname zeigt), daß sie häufig erwähnt und zu deuten versucht wurde. Was wir darüber wissen ist in folgenden Worten von IrmiscH !) klar ausgedrückt: „die eigentümliche Stellung der Blüten !) Te. Irmıscn, Beitr. zur Biologie und Morphologie der Orchideen, Leipzig 1853 p. 35 Resupination der Blüten. 273 bei Spiranthes, von denen die unteren oft kurz gestielt sind, kommt da- durch zustande, daß sich die Internodien ihrer Brakteen in der Richtung der: größeren Divergenz, die ursprünglich ungefähr zwei Drittel eines Kreis- bogens beträgt, um ca. 120° drehen, so daß die kleinere Divergenz dadurch oft gänzlich ausgeglichen wird, und die Brakteen oft in eine ziemlich gerade Linie senkrecht übereinander zu stehen kommen; die Drehung ihrer Internodien setzt sich in die Brakteen fort, sodaß diese eine leichte Neigung bekommen. Wenn diese Drehung nicht so viel beträgt, um die Brakteen mit ihren Ansätzen senkrecht oder annähernd senkrecht über- einander zu stellen, so erscheint die Linie, welche sie verbindet, als eine um die Achse laufende Spirale, die zuweilen, besonders an recht langen Infloreszenzen, zwei steile Windungen beschreibt. Manchmal haben sich einzelne Internodien nicht gedreht, "dann stehen die Blütchen sparrig ab. Die Drehungen erfolgen übrigens an manchen Exemplaren nach rechts, an anderen nach links, und finden sich auch zuweilen, doch undeutlicher an den unteren Internodien des Stengels.“ Das Eigentümliche dieser Drehinfloreszenzen besteht also darin, daß — wenn wir die Bezeichnung der Spiraltheorie anwenden — die „Spirale“ in der die Blüten angeordnet sind eine Rückdrehung erfährt. K. Korıpa hat der Drehung der Blütenstände von Spiranthes australis eine eingehende Untersuchung gewidmet!),. Er kommt zu dem Ergebnis (a. a. ©. p. 159) „die Drehung der Spiranthes ist keine reine Druck- drehung. Die Achse ist von Vornherein mehr oder minder drehbar. Die Achsendrehung kommt also selbst bei denjenigen Ahren vor, deren Knospen vorher abgeschnitten sind, oder deren Knospenkontrakt früher erloschen: ist“. — Mit anderen Worten: die Ursachen der Drehung sind unbekannt, ‘Druckverhältnisse spielen nur eine untergeordnete Rolle. Unserer Auf- ‚fassung nach liegt nichts anderes vor, als bei den Drehblättern, Dreh- sprossen und Drehblüten (p. 221), nur daß die Drehung hier auf die In- floreszenz ‚beschränkt ist. Das Verhalten ist ein ähnliches wie bei den ‘Pflanzen, deren Infloreszenzen allein Windebewegungen ausführen, z. B. Utricularia reticulata. Auf die biologische Deutung der Drehung geht der Verf. nicht ein. Von Interesse war mir die Beobachtung der schönen großen, in Brasilien gesammelten Spiranthes elata, welche seit 1913 alljährlich in unserem ‘Garten blüht, also zu den leicht zu kultivierenden Erdorchideen gehört. Bei dieser Art sieht man die asymmetrische Beschaffenheit der In- floreszenzen schon ausgesprochen durch die zahlreichen unterhalb der Infloreszenz stehenden Hochblätter. Diese sind alle der Infloreszenzachse schief eingefügt und jedes einzelne dieser Hochblätter selbst weist eine Drehung auf. Auch die Ränder sind bis zur gegenseitigen Berührung zusammengedreht. Daß die Drehung des nicht blütentragenden Teiles der ‘Infloreszenz für die Bestäubung und Fruchtbildung nicht in Betracht kommen wird, ist klar. Dagegen hat man für die Drehung des Dinar ‚tragenden Infloreszenzteils nach „Bezügen“ gesucht. VAUCHER?”) meint, die Drehung habe den Zweck, die Blüten so anzu- ‘ordnen, daß die Befruchtung nicht behindert werde Für ihn kommt ') K. Korıza, Mechanisch-physiologische Studien über die Drehung der Spiranthes- ‚Ahren.. Journal of the college of science, imperial university of Tokyo, Vol. XXXVI I hs Ber. der d. bot. Gesellsch. Bd. 'XXXI (1913). p. 157, ı 2) A..a. 0. p. 252, 6 oebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 18 274 Sechster Abschnitt: Selbstbefruchtung in Betracht, wozu er die Einwirkung des Lichtes für notwendig hält. Daß diese Deutung nicht zutrifft, scheint mir ohne weiteres klar. Spätere Blütenbiologen meinten, die spiralige Anordnung bedinge in Verbindung mit der zeitlichen Entwicklung der Blüten, daß die Hummeln, welche den Blütenstand von unten nach oben besuchen, erst auf den unteren Blüten die Pollinien eines anderen Stockes absetzen und dann aus den oberen die Pollinien entfernen. Es beruht diese Deutung auf den schönen Beobachtungen Darwıns !), „die Hummeln ließen sich immer unten am Anfang der Ahre nieder, stiegen in einer Spirallinie an derselben empor, und sogen eine Blume nach der anderen aus. Ich glaube, daß es die Hummeln gewöhnlich so machen, wenn sie eine dichte Blüten-Ahre besuchen, da es so,am bequemsten für sie ist“.... Darwın zieht aber die Drehung der Ahre nicht mit heran, wie mir scheint mit Recht. Die Blüten stehen ja ohnedies schon in einer „Spirale“ und die Drehung der Internodien bringt die Blüten, wie das Zitat aus IrmıscH zeigt, keineswegs immer in eine steilere, und für die Insekten vielleicht bequemere Schrauben- linie, sondern gar nicht selten auch in zwei annähernd gerade Zeilen oder in so steile „Spiralen“, daß der Besuch dadurch nicht erleichtert wird. Nour findet den Vorteil darin, daß durch die Drehung der Spindel die Blüten selbst nur eine sehr geringe (durch Ubernicken bedingte) Eigen- bewegung auszuführen brauchen, um in ihre „Normallage“ zu kommen. Die Drehung der Spindel würde die Drehung des Fruchtknotens also ersetzen. Indes findet eine Verlegung der Lippe nach unten durch Über- biegung, wie die Ophrysblüten zeigen, auch ohne Drehung der Spindel statt. Immerhin hat die Norr’sche Auffassung, zumal die Internodien der Infloreszenz kurz bleiben, am meisten für sich, nur wird man, auch wenn man sie annimmt, nicht in der Drehung der Infloreszenz eine besondere Anpassung erblicken, sondern nur einen Zusammenhang zwischen ihr und der Blütenbewegung feststellen können. Auch haben die Blüten die Fähig- keit der Drehung nicht oder doch nicht vollständig verloren. Denn an (hier und da vorkommenden) ungedrehten Spindeln fand Nous die Blüten etwas gedreht (vgl. auch das über Cypripedilum angeführte). Einigermaßen ähnlich wie Oypripedilum verhält sich Ophrys myodes. Die Resupination geht in zwei deutlich getrennten Schritten vor sich. Erst krümmt sich die Blütenknospe durch stärkeres Wachstum des Frucht- knotens auf der abaxialen Seite so ein, daß das Labellum auf der der Infloreszenzachse zugekehrten Seite nach unten kommt). Die Blüte kann sich in dieser Stellung — in der sie zuweilen mechanisch festgehalten wird — auch entfalten (Fig. 162). Gewöhnlich aber tritt vorher eine seitliche Drehung um 90° (oder weniger) ein, so daß also die Symmetrie- ebene der Blüte annähernd dem Deckblatte parallel verläuft. Die Drehung ist also eine kleinere, als bei den Orchideen, bei denen sie 180° beträgt, was wohl veranlaßt hat, daß sie von einigen Autoren ganz in Abrede gestellt wurde. Wir sehen also deutlich, daß bei den Orchideen, wie bei anderen resupinierenden Blüten einerseits Hyponastie, andererseits asymme- trisches Wachstum in Betracht kommt. Die „Anlagen“ zu beiden sind offenbar allgemein vorhanden. Sie können aber, je nach inneren und !) Ca, Darwın, Über die Einrichtungen zur Befruchtung britischer u. ausl. Orchideen. Deutsche Übers. (1862) p. 19. 2) Ebenso in sehr auffallender Weise auch bei Phalaenopsis Stuartiana, Cymbidium u. a. was hier angeführt sein mag, um hervorzuheben, daß die Verschiedenheit in dem Verhalten der einzelnen Orchideen keine so große ist, wie es auf den ersten Blick scheineu Könnte. Resupination der Blüten. 275 äußeren Umständen, verschieden stark in Tätigkeit treten, dann ist der Verlauf der Bewegung ein verschiedener. Die oft beschriebene Fruchtknotendrehung bei der Mehrzahl der Orchi- deenblüten auch hier zu schildern scheint nicht erforderlich. - Es sei nur die bei befruchteten Blüten eintretende Rückdrehung erwähnt (Fig. 163). Wenn nach der Befruchtung die Blüte von Orchis Morio zu welken beginnt, so tritt die Rückdrehung ein, es findet alsp ein Geradewerden der vorher gewundenen Kanten des Fruchtknotens statt. / Norn !) meint, die Geradestreckung komme rein mechanisch dadurch zustande, daß das Dickenwachstum des Fruchtknotens das Längenwachstum bedeutend überwiege. Was Nouu für seine Auffassung anführt scheint mir aber nicht beweisend. Wenn man bedenkt, daß in zahl- reichen Fällen jede Krümmung eine antagonistische zur Folge „hat (auch bei den Torsionen) — wie das z. B. auch die Rück- drehung von Blüten auf dem Klinostaten zeigt — so scheint es wahrscheinlicher, daß es sich auch hier um eine solche, nicht um einen einfach mechanisch be- dingten Vorgang handelt. Daß dieser an unbefruchteten Blüten Fig. 162. Ophrys myodes. Pflanze, deren Fig. 163. Orchis Morio. Links junge, Blüten die Auswärtsdrehung nicht ausführen zurückgedrehte Frucht rechts Blüte konnten, weil das Labellum an die Infloreszenz- mit gedrehtem Fruchtknoten. achse anstieß. und an den gedrehten Blütenstielen von Neottia nicht auftritt, kann darauf beruhen, daß an den unbefruchteten Blüten von Orchis Morio das Wachs- tum des Fruchtknotens an den befruchteten Neottiablüten das des Blüten- stiels unterbleibt, und es deshalb zu keiner Geradestreckung kommt. Wird aber der Fruchtknoten zu weiterer Entwicklung durch die Befruchtung angeregt, so kommt es zur Gegendrehung, d. h. Geradstreckung — sei es weil die Tätigkeit des (vermeintlichen) Perzeptionsorganes eingestellt ist, YA, a, 0. 2.338, 18+ 276 Sechster Abschnitt: sei es, weil die geostrophisch beeinflußte Kante ihre stärkere Wachstums- fähigkeit eingebüßt hat. EN “Orchideen mit abwärts gerichteten Infloreszenzen zeigen keine Resupi- nation der Blüten. Eine ganze Anzahl Orchideen besitzt Infloreszenzen, deren Spitze nur in der Jugend abwärts gerichtet ist. So abgesehen von Cypripedilum, z. B. Calanthe veratrifolia Uymbidiumarten u. a. Während aber bei diesen später eine Aufrichtung der Infloreszenzachse stattfindet, ist dies bei anderen nicht der Fall, die Infloreszenzachse bleibt dauernd abwärts gekrümmt (z. B. Stan- hopea, Saccolabium (Fig. 164) u. a. Bei Epiphyten wie Stanhopea kommen die Infloreszenzen durch ihren positiven. Geo- tropismus in günstige- ren Beleuchtungsver- hältnisse, und werden dadurch auch für die Bestäuber leichter sichtbar._ Es ist der- selbe Vorteil den auch die „hängenden“ Sprosse von Rhipsalis genießen, die in Süd- amerika einen so auf- fallenden Bestandteil der Epiphytenflora bilden. Die Blüten an solchen Infloreszenzen behalten ihre ursprüng- liche Stellung bei, und suchen diese, aus ihrer Lage gebracht, wieder einzunehmen. Aber auch ohne Lagenver- änderung führen Fig. 164. Saccolabium Sanderianum mit nach abwärts ge- manche eigenartige krümmter Infloreszenz. Blüten nicht resupiniert. Bewegungen aus. Auf- fallend sind sie z. B. bei Gongora truncata, deren Verhalten öfters!) erwähnt worden. ist (Fig. 164). e Die Infloreszenzen werden gewöhnlich als „hängend“ beschrieben. Indes findet zunächst eine aktive Abwärtskrümmung statt. Bei der Dünn- heit der Infloreszenzachse kommt aber die Lastkrümmung noch. dazu. Das Verhalten ist also ähnlich dem der männlichen Blütenstände von Corylus u. a. !) (Auch von Prıtzer a. a. 0.1886 p. 25), wo auch ein dem hier angeführten ent- sprechender Versuch mitgeteilt ist, ebenso von Nor u. a. . Resupination der Blüten. 377 . Die Fruchtknoten wachsen auf ihrer abaxialen (durch die Abwärts- krümmung der Blütenachse nach oben gerichteten) Seite stärker, so daß eine Krümmung eintritt, welche das Labellum in Verbindung mit einer Krümmung an dessen Basis nach oben, aber in annähernd horizontale Richtung bringt (bei aufrechter Stellung der Infloreszenz würde dadurch eine Resupination erreicht). Die zusammengefalteten Ränder des Labellums (also auch seine ganze Oberseite) sind nach unten gekehrt. Es kann also das Labellum nicht als Anflugstelle, sondern höchstens zum Anklammern für ein Insekt dienen (vermöge seiner fleischigen Beschaffenheit vielleicht auch als Lockspeise). Bindet man Blütenstände in aufrechter Lage fest (Fig. 166), so tritt eine Bewegung ein, welche dieselbe Stellung des Labellums ım Raume wie bei „häugender“ Lage zur Folge hat. Dasselbe trat ein bei in horizontaler Lage befestigten Infloreszenzen. Fig. 165. Gongora truncata. Fig. 166. Gongora truncata (verkl.) Der untere „Hängende“ Infloreszenz. Teil der Infloreszenz war, an einen Stab in auf- rechter Lage angebunden. Überkrümmung der Blüte. Die Eigentümlichkeit von Gongora besteht also darin, daß die Blüten eine der sonstigen Resupinationsbewegung entsprechende Lagenver- änderung ausführen ), obwohl die Infloreszenz nach abwärts gekehrt ist. Der Kiel der Lippe bleibt dabei nach oben gekehrt. Diese Stellung wird auch, wenn man der Infloreszenz eine andere Lage gibt, angestrebt, durch eine Drehung des Fruchtknotens um 180. Besonders merkwürdig sind die Orchideenblüten, welche bei der Ent- faltung um 360° sich drehen, also das Labellum wieder in dieselbe Lage bringen, die es bei seiner Anlegung einnahm. Am längsten bekannt (auch schon oben erwähnt) ist diese Erscheinung bei einigen europäischen Malaxideen. Darwın schloß aus dem „Seil-artig gewundenen Ovarıum“ !) Vgl. das über Strobilanthes isophyllus Angeführte. 278 Sechster Abschnitt: daß die Lage der Blumenteile „absichtlich erworben“ sei, ohne indes dafür einen Beleg beizubringen. Pritzer !) fügte dazu einige in ihrer Blütengestaltung von den Malaxideen weit abweichende Formen wie Angraecum superbum und Cycenoches. Es ist dabei bemerkenswert, daß in derselben Gattung normal und „invers resupinierte* Blüten vorkommen kann. So hat A. Ellisi normale, A. superbum invers resupinierte Blüten. PFITzer bezeichnet die Bewegung normal resupinierter als positiv geotropische, die der invers resupinierten als negativ geotropische Torsion. Indes ist eine solche Bezeichnung wohl kaum zweckmäßig, da sie nur das Endresultat bezeichnet, und ja nicht nachgewiesen ist, ob der Unterschied nicht darin liegt, daß bei gleichartiger „geostrophischer“ Be- wegung die Hemmung bald in der einen Lage (Lippe nach unten) bald in der anderen eintritt. Fig. 167. Angraecum super- Fig. 168. Angraecum superbum. Inflioreszenz mit bum. Junge Infloreszenz. Sporn entfalteten Blüten, Labellum nach oben durch Drehung des Frucht- (verkleinert). knotens mitsamt dem Labellum nach unten gekehrt. Eine „biologische Bedeutung“ der Drehung um 360° ist nicht bekannt. Die Blütenformen, welche sie aufweisen, sind außerordentlich verschieden, und ein „Vorteil“ gegenüber den Orchideenblüten, welche nicht resupinieren, ist nicht einzusehen. Höchstens könnte man vermuten, daß es sich um Formen handle, bei denen die Bedeutung des Labellums als Landungs- platz für blütensuchende Insekten nicht mehr in Betracht komme. So werden z. B. als Bestäuber von Angr. superbum Sphingiden ange- geben, welche wahrscheinlich den Nektar der langen Sporne schwebend aussaugen. Trifft diese Auffassung zu, so würde man die Drehung um 360° zwar nicht als „purposely acquired“ aber auch nicht als schädlich betrachten können. Ersteres wäre dann der Fall, wenn etwa die Be- stäubungsverhältnisse sich so geändert hätten, daß sie sich anfangs bei !) E. Prirzer, Grundzüge einer vergleichenden Morphologie der Orchideen 1882 p. 55 u. 132. WET GR Eh Be 5 A NT ER RE Rare Be w t De A ER Be . ü > ME 9 Resupination der Blüten. 279 einer Drehung um 180° später bei einer solchen um 360° am besten voll- zogen. Für die teleologische Betrachtung macht die Tatsache, daß die Drehung auf verschiedene Weise — selbst bei einer und derselben Pflanze — ausgeführt werden kann, den Eindruck des Absichtlichen, der „Zielstrebigkeit“, welche die Mittel anwendet, die gerade zur Ver- fügung stehen. Die kausale Betrachtung aber könnte daraus wohl folgern, daß in der Blüte ein „Perzeptionsorgan“ bestehe, auf dessen Lage es ankommt und das auf die wachsenden Teile so lange einwirkt, bis, diese Lage erreicht ist. ‘Die Annahme, daß der Drehung um 360° eine Änderung dieses ver- mutlichen Perzeptionsorganes zugrunde liegt, wäre nur dann möglich, wenn wir wissen würden, ob in den Blüten ein solches Organ vorhanden ist, und in welchem Teile der Blüte es liegt. Zunächst könnte man an das Labellum denken. Indes führten Blüten, von Vanda Boxallii, an denen vor der Resupination das Labellum entfernt worden war, die Resupination ebenso aus wie vollständige. Ebenso taten dies Blüten von Angraecum superbum, deren Sporn entfernt worden war (abgesehen von kleineren durch die Verwundung bedingten Störungen). Es "kann sich also, wenn die Fragestellung überhaupt richtig ist, wohl nur um Teile des Gynostemiums oder des Fruchtknotens handeln. Blüten aus deren Knospen ich das Gynostemium entfernte, gingen leider zu Grunde, die Verwundung war eine zu tiefgreifende. Vielleicht lassen sich aber Orchideen finden, die weniger empfindlich sind. Die teleologische Deutung der Resupination bei den Orchideenblüten ist schon mehrfach vereinzelt erwähnt worden, sie soll aber ebenso wie die kausale Seite noch im Zusammenhang besprochen werden. ‚ Auch hier finden sich die eingehendsten Angaben bei VAUCHER (IV p. 238ff.). Er sagt von Orchis „Enfin, comme la fleur dans sa position naturelle aurait de la difficulte A ötre fecondee, elle se retourne pendant son deve- loppement, tantöt par la torsion de son pedoncule '), tantöt par celle de son ovaire, si celui-ci est sessile* ... Er hat auch beobachtet (worauf erst viel später NoLL wieder hinwies), daß nach der Befruchtung „le pedon- cule ou l’ovaire se detordent“, daß die Kapseln eine Aufwärtsbewegung ausführen, und daß bei Serapias keine Drehung auftritt „parce que leurs fleurs peu nombreuses peuvent facilement s’incliner de tous les cötes Wenn er aber auch überzeugt ist, daß alle Bewegungen der Blüten weise angeordnet sind und einen bestimmten Zweck haben, so gibt er doch zu, daß noch manches unklar bleibt, „Mais pourquoi certains genres ont ils leurs fleurs droites tandıs que d’autres les ont renversees et pourquoi dans ces derniers l’ovaire se tord-il“ ? Von diesen Fragen ist auch jetzt noch nur die letzte einigermaßen beantwortbar. Man wird wohl sagen dürfen, daß die Drehung von den Teilen der Blüten ausgeführt wird, die zur Zeit der Entfaltung noch stark wachstumsfähig sind, und daß sie mit durch die Asymmetrie des Wachs- tums bedingt ist. Daß Deırıno die Resupination als Mittel zur Fremdbestäubung auf- faßt, ist auf Grund seiner allgemeinen Anschauungen selbstverständlich. Er hält es für besonders bezeichnend, daß die Torsion nur zur Blütezeit StauRnde, während nach der Befruchtung. der latente oder die Frucht- ..2)2.:B. bei Listera ovata. 280 - Sechster Abschnitt: knoten sich zurückdrehen '. Indes kann der letztere Vorgang nur! dann, wenn man ihn als eine notwendige Folge des ersten betrachtet noch als ein zweckentsprechender betrachtet werden — an sich liegt dafür: kein (Grund vor. DELPINO ?) findet auch bei Malaxis keine Schwierigkeit. „Nella Malz paludosa la natura ha prodotto una specie a cui fu giovevole riprendere il tipo' papilionaceo. Or come avvenne questa commutatizione? Ayrebbe potuto.avvenire colla semplice soppressione della torsione del pedunculo; ma invece ebbe luogo lo spediente di una intira circumvolazione. dell’. asse - florale.“ Man wird diese Ausführung des hervorragenden Biologen : wohl kaum anders denn als eine dichterische Umschreibung der, ‚Tatsache betrachten können, nicht als eine Erklärung. Alle anderen Schriftsteller haben sich, soweit mir bekannt, ‚diesen teleologischen Deutungen angeschlossen. So heißt es z. B. in dem KnutH- schen Handbuch?) „Um den anfliegenden Insekten einen bequemen Landungs- und Halteplatz zu gewähren, drehen die meisten Orchideen die in der Knospe nach aufwärts gerichtete Lippe nach unten, so daß sich die Blüten kurz vor dem Aufblühen’um 180° drehen“. Diese Annahme geht von dem augenfälligsten Teile der Blüte, de Labellum aus. Es wurde aber schon mehrfach hervorgehoben, daß. selbst für die teleologische Betrachtung die Sache nicht so einfach liegt wie das nach der kritiklosen Außerung Kxur#’s scheinen konnte. Namentlich hat, wie es scheint, niemand den Versuch unternommen, die Resupination unmittelbar als besonders nützlich zu erweisen. Die bloße Annahme, daß es den Insekten „bequemer“ gemacht werde, genügt nicht. Es müßte gezeigt werden, daß dadurch die Bestäubungstätigkeit rascher und sicherer vor sich geht, als in der nicht resupinierten Blüte. Es ist wohl möglich, daß die Pollinien leichter an den Kopf der Insekten angeklebt (und von dort weniger leicht entfernt) werden können (wie es bei der infolge der Resupination nototriben Pollenübertragung stattfindet) als an die Beine, was bei der an der nicht resupinierten Blüte erfolgenden sternotriben Über- tragung der Fall wäre. Aber es liegt derzeit kein Grund vor, anzü- nehmen, daß bei den Orchideenblüten, die nicht resupiniert, oder um 360° gedreht sind, die Bestäubung erschwert sei. Es muß hier auch daran erinnert w erden, daß trotz der schönen Ein- richtungen zur Bestäubung der resupinierten Orchideenblüten vielfach in diesen ein Samenansatz nicht eintritt. Das hat für tropische Orchideen namentlich FokBes *) hervorgehoben. Er fand, daß z. B. bei Dendrobium commutatum nicht Eine Blüte unter 80 Samen ansetzte, bei Calanthe vera- trifolia von 360 nur 6. Man mag das auf zufällige ungünstige Umstände setzen (z. B. Mangel an geeigneten Bestäubern, Selbststerilität durch vege- tative Fortpflanzung entstandener Stöcke usw.), immerhin wird sich nicht in Abrede stellen lassen, daß das Ergebnis der schönen Blütenanpassungen der Orchideen vielfach hinter dem viel einfacher ausgestatteter Pflanzen zurückbleibt. Auch haben die Orchideen, welche vorzugsweise Selbstbestäubung aufweisen, keineswegs die Resupination aufgegeben, so z. B. Phajus Blumei, Arundina speciosa, Ophrys apifera.. Man kann sagen, sie hätten junmierhin 1) A. a.0. p. 73. Ein Zurückdrehen des Blütenstiels ist mir nicht bekannt: ?2) J. Derpino, Ulteriori osservazioni sulla dichogomia nel regno vegetale, Parte II. Atti della societa italiana delle scienze naturale in Milano. Vol. 16 u. 17 1873—74. 2) A. a. 0. p. 432. *) FORBES, Wenlermsen eines Naturforschers im malaiischen Archipel I. Deutsche Übersetzung (1884). Resupination der Blüten. 28 noch die Möglichkeit einer gelegentlichen Fremdbestäubung und für diese sei die Resupination günstiger, deren Beibehaltung also teleologisch. ver- ständlich. Aber wenn man auch andere Familien vergleicht, so klingt dieser, Versuch nicht sehr überzeugend. aa - : Über die Bestäubung der nicht resupinierten ÖOrchideenblüten sind wir leider nicht unterrichtet. Aber sie scheint z. B. bei Nigritella auf keine Schwierigkeiten zu stoßen. Die Blüten resupinieren hier nicht, obwohl das nach oben gerichtete Labellum ebenso wie bei Epipogon u. a: breiter ist, als die nach unten gekehrten Perigonblätter. Brauchen alle die Insekten, welche diese nicht resupinierten Blüten besuchen, keine „Anflugsfläche“, während das z. B. bei der mit Nigritella verwandten Gymnadenia der Fall it? Das wird man nicht annehmen können, zumal Nigritella hauptsächlich von Faltern besucht wird. Es scheint vielmehr, daß es auf beiderlei Weise geht und dieselben Blütenbiologen, welche, bei Gymnadenia die Resupination für eine Anpassungserscheinung halten, finden sich ohne weiteres damit ab, daß sie bei Nigritella ausbleibt und die Pol- linien hier der Unterseite des Schmetterlingsrüssels angeklebt werden. Übrigens wäre die Beobachtung, ob die Bestäubung an Örchideenblüten, deren Resupination man künstlich verhindert hat, ausbleibt, wichtiger als alle a priori gezogenen Schlüsse auf den Nutzen der Resupination. Auch für die teleologische Deutung wichtig ist übrigens die Ent- scheidung darüber, wie sie zustandekommt, nicht gleichgültig. Die Frage, ob die Bewegung eine autonome oder eine induzierte sei, ist erst von HOFMEISTER !) aufgestellt und in letzterem Sinne beantwortet worden. Allerdings hat er, wahrscheinlich auf Grund unzureichender Ver- suche (manche Orchideenblütenstände erfahren, ins Finstere gebracht, so bedeutende Störungen, daß das Wachstum der Blüten und damit auch die Drehung unterbleibt) den äußeren Faktor, der die Drehung bedingt, verkannt, aber er war, wie'in so vielen anderen Fällen der erste, der eine kausale Auffassung des Vorgangs anbahnte. Pritzer ?) fand, daß bei Orchis maculata und Gymnadenia die Blüten die Drehung selbst in tiefster Finsternis ausführten (nur vereinzelte Blüten blieben ungedreht, was auch sonst nicht selten vorkommt). Er ließ Blütenstände in umgekehrter Richtung sich entwickeln, indem an kräftigen Topfpflanzen die Infloreszenzen so umgebogen und an der Spitze befestigt wurden, daß der mit Knospen bedeckte Teil senkrecht abwärts stand „war die Drehung eine autonome, von äußeren Kräften unabhängige, so mußte sie auch an den umgekehrten Blütenständen ein- treten. War sie eine Nachwirkung der Beleuchtung, so mußte dasselbe wenigstens im Dunkeln der Fall sein. Wenn dagegen die Lage der Blüte zur Lotlinie orientierend wirkte, so mußten die Knospen, deren Labellum jetzt schon nach unten stand, die Drehung unterlassen“. (a. a. O. p. 20.) . Das Letztere war der Fall. „Es ist somit von entscheidender Be- deutung, welche Stellung die Blüte während ihrer Entwicklung zur Lot- linie hat: nur wenn diese letztere nicht in die Symmetrieebene der Blüte fällt, findet Drehung statt und nur so lange, bis diese Coincidenz erreicht ist. Höchstens überschreitet die Blüte, wie bei Dendrobium nobile erwiesen, zuerst diese Endlage und nimmt sie dann durch eine entgegengesetze Drehung ein, welches Schwanken sich wiederholen kann. Es ist deshalb auch verständlich, daß an „hängenden“ Infloreszenzen die Drehung unter- 4) E. Prinzer, Über die Umdrehung der Orchideenblüten. Arch. des naturf. med. Vereins zu Heidelberg N. F. 2. (1877) p. 11. 2) Hormeıstkr. Allg. Morphologie der Gewächse (1868) p. 626. — 282 Sechster Abschnitt: bleibt, an horizontalen nur 45° beträgt. PriTzEr bezeichnet derartige Blüten als „geostrophische“. Es wies dann noch nach, daß die Drehung keine durch ungleiche Belastung bedingte ist, sondern „mit aktiver Kraft“ erfolgt, und meint, daß die Gravitation „die sämtlichen peripherischen Kanten so lange zu stärkerem Wachstum im Vergleiche mit dem zentralen Strange anregt, bis eine bestimmte Kante der Blüte senkreeht abwärts zu stehen kommt“ (a. a. O. p. 22, 23). Ganz abgesehen davon, daß die angegebene Vor- stellung bei symmetrischem Wachstum keine Torsion ergeben könnte, ist durch den Prrrzer’schen Versuch nur nachgewiesen, dab das Wachstum zum Stillstand kommt, wenn das Labellum die Lage nach unten hat. Daß die Gravitation das Torsion „anrege“ aber geht auch daraus nicht hervor), daß die Torsion bei den künstlich oder natürlich nach abwärts gerichteten Infloreszenzen unterbleibt — es tritt dann eben die Hemmung von Anfang an ein. Es war also zu untersuchen, wie die Infloreszenzen sich auf dem Klinostaten verhalten. Das geschah durch Nor?) Er fand, daß die Blüten einheimischer Orchis-Arten sich auf den Klinostaten ohne Drehung des Fruchtknotens öffneten. Es wäre, da immer- : hin nur eine kleine Zahl von Arten unter- sucht wurde, wünschenswert die Frage, ob bei den Orchideen nicht auch Formen mit „autonomen“ Drehungen vorkommen, weiter zu untersuchen. Meine eigenen Beobachtungen hatten kein so einheitliches Ergebnis wie die NoLL- schen. Bei Orchis maculata (Fig. 169) hatten zwar auf dem Klinostaten die meisten Blüten ihre ursprüngliche Lage beibehalten. Ein- zelne aber nicht vollständig, so daß das La- bellum fast quer oder schief stand. Das Fir. 169. Orchis maculata. Auf mag an dem dichten Blütenstand teilweise dem Klinostat aufgeblühte In- durch mechanische Hemmungen bedingt fioreszenz, Labellum der Blüten sewesen sein. nach ‚oben gekehrt, Bei Orchis latifolia hatten auch auf dem Klinostaten entfaltete Blüten das Labellum (wenn man sich die Infloreszenz aufrecht denkt) nach unten gekehrt, nur ging die Drehung nicht so weit wie sonst. Sie beschränkte sich auf die Ophrysstellung (vgl. p. 274). “ Nor hat mit derselben Pflanze das oben angeführte Ergebnis erzielt, und selbstverständlich könnten meine, mehr beiläufig ausgeführten Beob- achtungen höchstens darauf hindeuten, daß die Pflanzen nicht immer gleich reagieren. Vielleicht war bei den meinigen die Torsion schon induziert (es handelte sich um die oberen noch nicht aufgeblüten Knospen einer Infloreszenz) und das Wachstum der Pflanze war zu schwach,: um auf dem Klinostaten eine Rückdrehung zu ermöglichen. Jedenfalls sind nieht geostrophische Drehungen der Orchideenblüten bis jetzt nicht nach- gewiesen. ne u) Ebensowenig wie das Wachstum der Filamente der Gräser durch das Aus- einanderweichen der Spelzen angeregt wird. Es war vorher nur durch letztere gehemmt. ®) A. a. O. p. 332. Resupination der Blüten. 283 - NorL unterscheidet eine Median- und eine Lateralbewegung. Eine junge Blüte zeigt zunächst eine Verlängerung der abaxialen Seite des Fruchtknotens, also eine Mediankrümmung, die wie wir bei Strobilanthes isophylius sahen, für sich allein eine Resupination herbeiführen kann, dann eine stärkere Verlängerung Einer Seitenkante. Auf dem Klinostaten oder an umgedrehten Infloreszenzen unterbleibt die Drehung, dreht man eine Infloreszenz erst nach Vollzug der Drehungen um, so kehren die Blüten durch Auflösen der Torsion in die Normalstellung zurück. „Besonders wichtig ist der von NotLL im Anschluß an eine Beobachtung von PFITZER (a. a. O. p. 337) ausgeführte Versuch, der beweist, daß die Drehung des Fruchtknotens der Ophrydeenblüten auch unterbleiben, die Orientierung des Labellums nach unten aber trotzdem erfolgen kann. Wenn man an einem jungen Blütenstand oberhalb noch ungedrehter Blüten die Infloreszenzgipfel mitsamt den jüngeren Blütenknospen abschneidet, so wird der Fruchtknoten der obersten Blüte nicht gedreht, sondern die Blüte biegt sich einfach mit Hilfe der Mediankrümmung über den Spindel- stumpf herüber, die „Lateralbewegung“ unterbleibt (dasselbe beobachtete ich bei Oncidium bictoniense und Vanda coerulea). Wenn Nor daraus den Schluß zieht, diese werde von den benachbarten Organteilen aus induziert, PFEFFER allgemein von einer „korrelatiren Umstimmung“ spricht, so scheinen mir diese Anschauungen nicht notwendig zu sein. Es kann auch einfach eine Steigerung der Medianbewegung, d. h. des Wachstums des dem Deckblatt zugekehrten Fruchtknotenteiles gegeben sein. Wenn diese zur Stellung des Labellums nach unten führt, so ist kein Grund zur weiteren Krümmung gegeben. Bei Serapias, den meisten ÖOphrysarten u. a. findet auch bei unverletzten Blütenständen scheinbar nur die Median- krümmung statt. Auf die Orchideen, welche ihre Blüten um 360° drehen, weist NoLL, da er keine lebenden Pflanzen zur Verfügung hatte, nur kurz hin. Er ist geneigt anzunehmen, daß Epiphyten mit „hängenden“ (in Wirklichkeit handelt es sich um positiv geotropische) Spindeln wie Stanhopea den Ausgangspunkt für die Erdorchideen bildeten. Diese hätten dann durch die Anderung im Geotropismus ihrer Infloreszenzachsen die Blüten mit von vornherein verkehrter Lage bekommen, die durch eine Drehung sozu- sagen berichtigt werden muß. Die Fälle, in denen die Drehung unterbleibt, würden sich durch Verlust des geotropischen Reaktionsvermögens erklären. Diese Vermutung entspringt dem Bedürfnisse. zu erklären, wie die Orchideen zu ihren „verkehrt angelegten“ Blüten kommen. Tatsächlich wäre nach der Norw’schen Hypothese ja nicht die Blütenanlegung verkehrt, sondern die Infloreszenzrichtung. Indes wird man nicht geneigt sein dem zuzustimmen. Einmal ist ja die Zahl der Orchideen, mit „hängenden“ Infloreszenzen nur eine geringe gegenüber den mit aufrechten versehenen. Zweitens sahen wir, daß diese „hängenden“ Infloreszenzen ebenso wie die „hängenden“ Blätter offenbar nur solche sind, die auf der ersten Stufe der Entfaltungsbewegung stehen geblieben sind. Denn ursprünglich sind auch sie aufrecht, und in dieser Stellung werden auch die Blüten angelegt. Die Krümmung ist also stets eine sekundäre, das allein schon würde genügen, um die Nour’sche Hypothese abzuweisen. Drittens: auf die anderen Familien, die resupinierte Blüten aufweisen, läßt sich die Hypothese nicht anwenden, man wird aber kaum geneigt sein den Orchideen eine Sonderstellung bezüglich der Ent- stehung der Resupination zuzuschreiben. SCHWENDENER und KRABBE bestätigten, daß auf dem Klinostaten keine le a a ee TE A Fa Ve EN a, 2 4% N An? b: - 4 ’ A N Aw i - u %& r - “ 284 ‚Seehster Abschnitt: Torsionen auftreten. Sie sprechen sich dagegen aus, daß man zur Er- klärung der Torsionen ein Zusammenwirken innerer Wachstumsursachen und äußerer Faktoren annehmen könne, da die Klinostatenversuche zeigen, daß aus Organisationsverhältnissen immer nur Krümmungen entspringen, Dieser Schluß scheint mir aber durchaus nicht zwingend. BEE . - Der hier vertretenen Auffassung nach ist die Anlage zu asy mmetrischen: Wachstum im Fruchtknoten bzw. Blütenstiel einer Orchis von. vornherein vorhanden. Aber sie führt zu einer Drehung nur unter der Einwirkung der Schwerkraft, wenn diese nicht einwirkt, sind. die asymmetrisch. ange- ordneten Teile untereinander im Gleichgewicht. Der Grad der Drehung ist von zwei Faktoren abhängig: einerseits von der Stellung des. Gyno: stemiums oder einfacher gesagt des Rostellums der Blüte. Wenn dies nach oben steht, ist ein Impuls zur Drehung nicht vorhanden. Andererseits aber von der Schwerkraft. Wir denken uns den Fruchtknoten dargestellt durch den in Fig. 113, / abgebildeten Faden von Desmidium Swartzii. Wenn. dessen eine Kante unter dem Einfluß der Schwerkraft sich stärker ver- längert, als die anderen, so muß eine Drehung eintreten (ebenso wie. bei den Schlingpflanzen) oder mit anderen Worten : Geostrophische Bewegungen treten nur bei (durch innere Ursachen) gedrehten Organen unter, dem Einfluß der Schwerkraft auf. Sie werden dementsprechend auf dem Klino- staten unterbleiben. Sie können aber durch andere Wachstumserscheinungen — die auch an räumlich getrennten Teilen vor sich gehen können —. unterdrückt werden. en SCHWENDENER und KRrABBE bestätigen den Versuch, daß nach Ent- fernung des oberen Teiles eines Orchideenblütenstandes die der Schnitt- stelle benachbarten Blüten eine Überkrümmung zeigen. Sie meinen aber, das geschehe deshalb, weil es für diese Blüten zwecklos geworden sei, eine Torsion auszuführen, da für sie eigentlich keine Spindel mehr vorhanden sei, von der sie sich hinwegzuwenden hätten. Man müßte dann eigentlich also den Blüten die Fähigkeit zuschreiben, zu merken, dab sie sich eine zwecklose Bewegung ersparen können, ganz im Sinne DEnPINo's. Allein es kommt ja hier in erster Linie gar nicht ein Hinweg- wenden von der Spindel, sondern eine Orientierung zur Schwerkraft ın Betracht, die mit Resupination verbunden ist, wegen der oben angeführten Asymmetrie der Struktur. Daß dabei die Uberkrümmung die Dreh- bewegung unterdrücken kann ist eine Erscheinung, die in zahlreichen anderen Fällen, auch, .wie wir sahen, an unverletzten Infloreszenzen eintritt. Es sind also die Resupinationen bei Orchideen nicht anders aufzu- fassen, als die bei anderen Pflanzen. $ 13. Serophulariaceen (mit einem Anhang über postflorale Griftel- bewegungen). Von Scrophulariaceen werden als resupiniert genannt die Blüten von Alonsoa. Es ist wohl nur ein lapsus calami wenn BrnxtHAm !) den Vorgang. = der Weise bezeichnet, daß er sagt: „corolla torsione pedicelli resupinata“. Denn selbstverständlich ist, wenn die Drehung durch den Blütenstiel 'statt- findet, nicht nur die Blumenkrone, sondern die ganze Blüte umgewendet. De1PINo erwähnt als resupiniert Schistanthe peduncularis, eine ee !) In Decanporıe, Prodromus X (1856) p. 249. Ebenso heißt es in EnGLEr- ER Nat. Pflanzenfamilien IV, 3” p. 53 „Blumenkrone umgekehrt“. Resupination der Blüten. _ | 285 ' afrikanische Pflanze, die nach dem Kewindex mit Diascia vereinigt wird. Er findet bei ihr den Papilionaceentypus verwirklicht, mit zwei Nektar- grübchen nach oben, Griffel und Staubblättern nach unten. Davon weichen offenbar die südamerikanischen Alonsoaarten er- heblich ab. Untersucht wurde Alonsoa Warscewiezi (Fig. 170). “ Wie die Abbildung zeigt, ist durch Drehung des Blütenstiels die dreiteilige Unterlippe der Blüte nach oben ‚gekehrt. Die Unterlippe ist aber beträchtlich größer als die Oberlippe, sie würde auch zweifelsohne einen günstigeren „Anflugsplatz“ darstellen. Ursprünglich stehen die Blüten, so lange sie noch kurz gestielt sind, aufrecht in nor- maler Stellung in der Blattachsel. Mit der Verlängerung des Stieles ist zunächst eine Seitwärtsbewegung der Blütenknospe ver- bunden, sie wird aus der Blattachsel seitlich herausgeschoben. Die Torsion des Blüten- stieles, der auf seiner adaxialen Seite eine Rinne hat), ıst dabei noch ganz schwach. Dann krümmt sich die Knospe nach abwärts. Der Stiel verlängert sich weiter, richtet sich . wieder auf und jetzt tritt die Toorsion viel deutlicher hervor. Die Blütenknospe öffnet sich dann, die Staubblätter krümmen sich nach abwärts, der Griffel nach aufwärts. Das scheint mir mit Denpıno’s Annahme, daß die Blüten zu einem „tipo. analogo al papilionaceo“ ge- worden seien, nicht zu passen. Mit diesem stimmt nur überein, daß der auffallendere Teil der Blumenkrone (hier die Unterlippe) nach oben gekehrt ist. Aber Staubblätter und Fruchtblätter sind bei Alonsoa in ent- gegengesetzter Richtung, nicht wie bei den Papilionaceen gleichsinnig gekrümmt. Die untersuchten Blüten waren anscheinend homogame und obwchl der Griffel etwas mehr aus der Blüte herausragt als die Staub- blätter kann Pollen doch auf die Narbe der- selben Blüte gelangen. Bei manchen Blüten, Fie. 170. Alonsoa Warscewiezii bei denen auch die Filamente der (physi- mit resupinierten Blüten. kalisch) unteren Staubblätter mehr gekrümmt sınd, kommt sogar die Narbe mit den ge- öffneten Antheren in Berührung. Nektargrübchen, wie sie DELPINO von Sch. peduncularis angibt, habe ich bei Al. Warscewieczii nicht gesehen, überhaupt keine Nektarabsonderung. Es ist sicher, daß Selbstbestäubung hier häufig eintritt und ich sehe nicht ein, wie die Resupination als An- passung für Fremdbestäubung gedeutet werden kann?). Im Gegenteil: +!) Sein dorsiventraler Bau tritt also deutlich hervor. 2) Als Kuriosum sei erwähnt, daß sie auch als Schutz der Staubhlätter gegen Regen aufgefaßt wurden. Man sieht ohne weiteres, daß die Stellung der Blumenkrone einen solehen nicht bietet. Hark 286 Sechster Abschnitt: es liegt näher, sie als Anpassung für Selbstbestäubung aufzufassen. Diese hatte, als ich sie künstlich ausführte und auch als ich Pflanzen bei In- sektenabschluß sich selbst überließ, in überraschend kurzer Zeit Erfolg. Bei der einander entgegengesetzten Krümmung von Filamenten und Griffel würde sie in nicht resupinierten Blüten spontan kaum eintreten können, während sie, wie erwähnt, in den resupinierten Blüten nicht nur mög- lich ist, sondern regelmäßig stattfindet. Wenn auch eine Fremdbestäubung nicht ausgeschlossen ist, so kann man doch die Resupination der Blüten von Alonsoa gewiß weder als eine Anpassung an diese noch überhaupt an den Insektenbesuch deuten. Wie dieser sich im Vaterland gestaltet (die Al.-Arten wachsen in Südamerika, wie es scheint, meist in einer Höhenlage von 2000 bis 3500 m) ist erst festzustellen. Der Griffel, welcher ur- sprünglich nach oben gekrümmt war, streckt sich. später (an der jungen Frucht) fast serade, eine vielleicht „orthonastische* Be- wegung, die sicher keinen Zweck hat. Bei anderen Alon- soa-Arten, die ich le- bend vergleichen konn- te, so bei Al. incisaefo- lia') R. et P. steht die Narbe durch eine Ver- längerung des zunächst meist fast geraden °) Fig. 171. Alonsoa incisaefolia mit resupinierten Blüten. Griffels weiter aus der Blüte hervor. Er wird etwa doppelt so lang als die Filamente. Hier wird man zunächst Fremdbestäubung für wahrscheinlich halten, Selbstbestäubung zwar für möglich aber für weniger leicht eintretend als bei Al. Warczewiezii. Nektarabsonderung konnte auch hier nicht beobachtet werden. Man sieht zwar am Grunde der hochroten Blumenkrone eine ringförmige helle, glänzende Zone, ein Sekret war aber an ihr nicht wahrzunehmen. Die Beobachtung von Topfpflanzen, welche vom Insektenbesuche abgeschlossen !) Bei dieser Art tritt das sonst fehlende fünfte Staubblatt häufig als Stami- nodium auf. *) Im einzelnen finden sich mancherlei Verschiedenheiten, die vielleicht, wenigstens zum Teil, auf Kreuzungen zurückzuführen sind. Resupination der Blüten. 287 waren, ergab indes für Al. incisaefolia, daß auch hier Selbstbestäubung trotz der Lage der Griffel leicht und sicher eintreten kann. Die Glätte des Griffels mag sie begünstigen. Außerdem kann sie noch dann eintreten, wenn die Blumenkrone, an der die Staubblätter angewachsen sind, sich an ihrer Basis ablöst und über den Griffel sozusagen herabstülpt, um dann abzufallen. Daß auch Fremdbestäubung möglich ist, ist sicher. Aber selbst bei dieser Form kann man nicht sagen, daß die Resupination „im Dienste der Fremdbestäubung erworben“ sei. Ein Teil des Pollens fällt bei der spontanen Selbstbestäubung auch auf die unteren Kelch- blätter. Als Besucher beobachtete ich im Münchener Garten kleinere Hummeln, welche aber sich an den Staubblättern bzw. dem Griffel fest- hielten und so offenbar teils Selbst-, teils auch Fremdbestäubung bewirkten. Nach dem Abblühen führt der Griffel nahe seiner Basis eine scharfe Abwärtskrümmung aus, so daß die Narbe ganz nach unten gekehrt wird. Die im Sinne teleologischer Auffassung aller Bewegungen naheliegende „Erklärung“, daß sie dadurch in eine (z. B. gegen Nässe) „geschützte“ Lage komme, scheint mir aus zwei Gründen nicht förderlich: einmal weil die Krümmung zu einer Zeit erfolgt, in welcher sich die Wir- kung der Bestäubung schon im Anschwellen des Fruchtknotens geltend gemacht hat, ein Schutz der auf der Narbe gekeimten Mikrosporen also doch wohl nicht mehr notwendig ist, sodann deshalb, weil andere Alonsoa-Arten, wie angeführt wurde, keine als Schutzbewegungen auffaß- baren postfloralen Griffelbewegungen zeigen, und nicht anzunehmen ist, daß bei ihnen die Narbe weniger schutzbedürftig sei. Ich kann in den Griffelbewegungen also nur einen Ausdruck der Tatsache sehen, daß der Griffel 1. dorsiventral ist — wie die ganze Blüte —, 2. nach der Be- fruchtung noch wächst. Sehr wahrscheinlich ist die Krümmung eine Reizkrümmung, sei es nun eine positiv geotropische oder eine negativ heliotropische. Aber auch das ist kein Grund sie als im Dienste eines Zieles und Zweckes stehend zu betrachten. Während die Resupination der Blüten bei Alonsoa, wie oben an- geführt wurde, lange bekannt ist, habe ich für eine andere Scrophulariacee darüber keine Angabe gefunden. Es mag dies damit zusammenhängen, daß bei ihr die Resupination nicht durch Drehung des Blütenstiels, sondern durch UÜberkrümmung zustande kommt. Es ist dies Phygelius capensis (Fig. 172). RS Die Blütenstände sind dadurch auffallend, daß die Aste genau hori- zontal gerichtet sind. Da sie diese Lage, auch nachdem sie aus ihr ge- bracht wurden, wieder einnehmen, so werden sie wohl transversal geo- tropisch sein. Die Blütenknospen sind ursprünglich, wie die Abbildung zeigt, nach unten gerichtet. Später werden sie durch stärkeres Wachstum der Oberseite des Blütenstiels, also durch Überkrümmung in annähernd horizontale Lage gebracht. Die dreiteilige Unterlippe sieht dann nach oben, Staubblätter und Griffel liegen ihr an, die Blüte ist unzweifelhaft „nototrib“. Die Blumenkrone birgt in ihrem unteren verwachsenen Teile eine Menge-Nektar, was KERNER!) zu der höchstwahrscheinlich richtigen Vermutung veranlaßte, daß die Bestäubung durch Honigvögel voll- zogen werde. Daß die Resupination hier nicht etwa eine günstigere „Anflugsfläche“ erzielt, ist ohne weiteres klar. Die nach unten gekehrte aus zwei Blatt- zipfeln gebildete Oberlippe ist keineswegs dazu besser geeignet als die 1) A. Kerner, Die Schutzmittel’der Blüten 1876 p. 49. 288 Sechster Abschnitt: Unterlippe. Man könnte annehmen, durch die Überkrümmung der Blüte werde das Ausfließen des Nektars verhindert. Dieser fließt von selbst nicht aus, wenn man die Blüte mit der Offnung nach unten hält, wohl aber wenn man sie dann stark erschüttert. Die Nektarausscheidung tritt übrigens erst an sich öffnenden Blüten ein. Daß eine nototribe Pollen- verbreitung gerade bei ornithophilen Blüten (erinnert sei an Erythrina-Arten und Melianthus) besonders geeignet ist, ist leicht möglich, daß diese aber auch ohne Resupination erreicht werden kann, zeigen die in der Einleitung zu diesem Abschnitt erwähnten La- biatenblüten. Zusammenfassung: Nur bei wenigen Scrophu- lariaceen sind resupinierte Blüten bekannt. Bei den südamerikanischen Alon- soa-Arten erfolgt sie durch Drehung des Blütenstiels, kann aber nicht als für Fremdbestäubung berech- net betrachtet werden, da die Blüten regelmäßig sich selbst bestäuben. Bei Phygelius capensis erfolgt die Resupination durch UÜberkrümmung, sie steht vielleicht mit der Bestäubung durch Honig- vögel im Zusammenhang. Die Griffel der Alon- soa-Arten führen post- florale Bewegungen aus. Postflorale Bewegun- gen des Griffels, die als derzeit teleologisch nicht deutbar bezeichnet werden müssen, sind auch sonst verbreitet. So z. B. in auffallender Form bei Fig. 172. Phygelius capensis. Infloreszenz (verkl.). Lathyrus latifolius.. Der Griffel sieht ursprünglich nach oben. Durch das Wachstum des ihm angrenzenden obersten Frucht- 'knotenteils aber rückt er in zunächst annähernd horizontale, schließlich in eine ‘etwa unter einem Winkel von 45° nach unten gekehrte Lage. Es ist lediglich das stärkere Wachstum des nach oben gekehrten Teils der schnabelartig auswachsenden Fruchtknotenspitze, die "das bedingt, der Griffel selbst vertrocknet bald und macht die Bewegung — die für ihn, der seine Funktion hinter sich hat, ganz gleichgültig ist — passiv mit. Sie ist aber mindestens so auffallend wie die Bewegungen der Griffel mancher Kompositenblüten. Sicher werden sich bei eingehender Betrachtung noch zahlreiche andere Beispiele ger postfloraler Griffelbewegungen auffinden lassen. ER Resupination der Blüten. ? 289 Wenn die Krümmungen zur Zeit der Bestäubung eintreten würden, hätte man sie gewiß als zu einem mit dieser in Beziehung stehenden „Ziel und Zweck“ erfolgend betrachtet, während man auf die postfloralen Bewegungen deshalb nicht geachtet hat, weil bei ihnen keine Nützlich- keitsbeziehung zu erwarten war. $s 14. Violaceen, Zingiberaceen, Alstroemeria. Daß bei Violaceen Resupination vorkommt, ist mir nicht aus eigener Anschauung, nur aus der Literatur bekannt. EicHLEr !) sagt von Corynostylis „tloribus majusculis albis flavisque, saepe resupinatis“; von Anchietia „floribus parvis albidis v. flaventibus, saepe resupinatis“. Beide Gattungen bestehen aus Schlingpflanzen mit langgespornten Blüten, deren Sporn wie bei anderen Violaceen ursprünglich dem Deckblatt zugekehrt ist. Ob die Resupination durch Lagenveränderung der Blüten bedingt wird (was man aus deren offenbar nicht immer, sondern nur „oft“ eintretendem Stattfinden schließen könnte), ist den kurzen Angaben ebensowenig zu entnehmen, als wie sie erfolgt. Es wäre auch sehr erwünscht, zu erfahren womit es zusammenhängen mag, dab bei Anchietia die Teilung des Fruchtknotens schon vor der Reife der Samen erfolgt. Diese reifen also nicht wie sonst in einem geschlossenen Fruchtgehäuse heran, eine Erscheinung, die man wohl ähnlich wie das oben besprochene Laubausschütten auffassen darf, d. h. als durch die Lebensbedingungen ermöglicht, nicht aber durch „Anpassung“ entstanden. Zingiberaceen. In Knurt# III 1 heißt es von Hedychium: „Kurz vor dem Aufblühen ist der Staubfaden der Achse des Blütenstandes zugewendet. Die Lippe ist abgewendet. Im Laufe des Tages wächst dann bei H. coronarium die Blumenröhre noch um einige Zentimeter weiter in die Länge und dreht sich gleichzeitig so stark umihre Achse, daß beim Aufblühen Lippe und Staubfaden gerade die entgegengesetzte Lage von vorhin einnehmen. Die Drehung erfolgt stets im Sinne des Uhrzeigers und geht bis 180°; auch bei H. coccineum findet sie im gleichen Sinne statt, beträgt hier aber nur 90°.“ Bei anderen Zingiberaceen wie Üostus unterbleibe die Drehung, die nach unten gerichtete Lippe sei als Landungsplatz blumen- besuchender Apiden ausgebildet, die den Pollen mit ihrem Rücken auf- nehmen. Bei den Hedychium-Arten mit duftenden, resupinierenden Blüten aber diene die aufwärtsgewendete Lippe als Fahne. Besucher seien dem- entsprechend die keines Landungsplatzes bedürfenden Sphingiden. Bei den um 90° gedrehten duftlosen, leuchtendroten Blüten von H. coccineum aber werde die Pollenübertragung durch die Flügelspitzen von Tagfaltern _ ermittelt. > | Diese Beobachtungen und Deutungen beweisen aber nicht, daß die Resupination eine besonders nützliche Eigenschaft darstellt. Stellt man sich auf den Standpunkt der herrschenden teleologischen Blütenbio- logie, so ist von diesem aus nicht zweifelhaft, daß gerade auch die große nach unten gekehrte leuchtendgelbe Lippe, z B. vom Costus igneus, als Schauapparat wirkt. Dadurch, daß sich die Blüte um 180° dreht (in welchem Falle man dann mit der Terminologie auch eine Drehung aus- 1) In Marrıus, Flora brasiliensis. Fasc. 55 (1871). Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 19 Ä ES“ > vr 290 Sechster Abschnitt: führend sie als „Fahne“ bezeichnet) wird ihre Wirkung doch keine größere. Man könnte höchstens sagen, die Blüte kann sich, ohne Schaden für ihre Bestäubung, drehen, weil die Sphingiden keines Landungsplatzes bedürfen. Einen Nutzen aber würde die Drehung nur haben, wenn diese Blütenbesucher nur an inversen Blüten („sternotrib“) die Bestimmung voll- ziehen könnten. Noru') nennt auch die Alstroemeriablüten als resupinierende Mono- kotylenblüten und bildet eine Blüte von „Alstroemeria Ligtu“ ab, welche durch hyponastisches Wachstum des Blütenstiels ihre Unterseite nach oben wendet. Ich hatte keine Gelegenheit solche Blüten zu beobachten, und begnüge mich deshalb mit der kurzen Anführung. Die Blüten von Alstr. psittacina des Münchener Gartens waren nicht resupiniert. Ss 15. Resupinierte Früchte. Daß es auch resupinierte Früchte gibt, d. h. also Blüten, bei denen eine Drehbewegung erst nach der Befruchtung stattfindet, davon ist in der neueren Literatur nirgends mehr die Rede. Sie sind aber schon seit mehr als 100 Jahren bekannt. Wir hätten ihre Besprechung der der „Dreh- früchte“ anschließen können. Indes dreht sich bei ihnen nicht die Frucht selbst, sondern der Fruchtstiel, und schon wegen der Zweckmäßigkeits- ' frage schien es geratener, die Fruchtresupination im Anschluß an die Blütenresupination zu besprechen. Fällt doch bei den resupinierten Früchten jede Beziehung zur Bestäubung — wie überhaupt zu Tieren — vollständig fort. Die Frage ist, ob sich für diese Drehfrüchte andere Zweckbeziehungen angeben lassen. Das ist geschehen. Erwähnt wurden sie, soweit mir bekannt, zuerst durch A. P. Decan- DOLLE. Dieser sagt schon in seiner „Astragalogia“ °): „Singulare ad modö phaenomenon exhibent omnes Phacae excepta forsan Ph. baetica; harum legumina sund resupinata, nemp® donata stipite tali modo tortili, ut sutura seminifera quae ineunda maturatione est superior, absoluta inferior evadit... Hujus evolutionis ope semina e sutura superiore dehiscente facillime ad terram cadunt.“ | Später erwähnt er in seiner Physiologie vegetale (II p. 609), dab die horizontal gedachten Früchte der Leguminosen sich in ihrer nach oben gerichteten „Sutur“ öffnen. Die Samen liegen dann wie in einer Schüssel und fallen nur allmählich aus. Aber bei einigen Leguminosen, wie bei Phaca bemerkt man eine Art Verbesserung („une espece de correctif“) dieser Einrichtung. Die Hülse öffnet sich wie gewöhnlich an ihrer oberen Sutur, aber ihr Stiel dreht sich um sich selbst, so daß die Sutur nach unten gekehrt wird, daraus ergibt sich, daß die Samen durch ihr eigenes Gewicht herausfallen können. — Diese Drehung sei ein „mouvement vital qu’on serait presque tente de dire instinctif“. Diese teleologische Deutung des Vorgangs hat auch VAUCHER wieder- holt. (Später hat, soweit mir bekannt, niemand mehr auf den merk- würdigen Vorgang hingewiesen!) Er sagt”), le second et le plus remar- quable (caractere particulier) est celui des pedoncules, qui pendant la maturite, se retournent de maniere que la suture superieure regarde la terre, afin que la dissemination soit plus facile.. Sans doute qu’en consi- 1) A. a.-0. p. 347. ?2) Paris 1802, p. 7. Auf p. 61 führt DecanvorLLe als Arten mit resupinierten Früchten an: Phaca alpina, glabra, frigida, australis, astragalina. NA.a0.IIp. 147. ; a. Resupination der Blüten. 291 derant de plus prös cette disposition singuliere, on verrait qu’elle se modifie, selon les espöces, et que les Phaca dont le lögume est retourng, sont precisement ceux oü il est stipite, c’est-A-dire degage du calice; ainsi la m&me volonte, qui a retourne le legume l’a pourvu en m&me temps d’un pedicelle. Nun ist esin der Tat denkbar, daß es für bestimmte Astragalus-Arten (Phaca wird neuerdings mit dieser Gattung vereinigt) vorteilhaft sein könnte, ihre Samen möglichst bald auszusäen, z. B. dann, wenn sie längere Aus- trocknung nicht ertragen können oder wenn nur sehr wenig Samen ge- bildet werden. Aber darüber ist nichts bekannt. Und den Vorgang ohne weiteres als eine „Verbesserung“ oder als eine „Erleichterung“ der Aus- saat zu bezeichnen wäre eben nur dann berechtigt, wenn bei diesen Arten andere Verhältnisse vorliegen werden als sonst, oder ein Vorteil dieser Einrichtung wirklich nachweisbar wäre. Ist das nicht der Fall, so ist entweder das gewöhnliche Verhalten der Leguminosen ein unzweckmäßiges _ oder das der Formen mit resupinierten Früchten ein nicht als Anpassungs- merkmal zu betrachtendes. Da die Leguminosen mit nicht resupinierten Früchten sich aber dabei wohl befinden und verbreiten wird man sie nicht deshalb, weil einige wenige ihre Früchte umdrehen, als mangelhaft aus- gerüstet bezeichnen können. Die mit resupinierten Früchten versehenen Arten sind keineswegs solche, die sich durch weite Verbreitung und große Häufigkeit auszeichnen. So lange nicht der oben angedeutete Gegenbeweis geliefert ist, ist es durchaus statthaft, in der Fruchtresu- pination ein für das Gedeihen der Pflanze gleichgültiges Verhalten zu sehen, ebenso wie das für die gedrehten Früchte angenommen wurde. Diese zeigen uns, daß VaucHer’s Annahme, der stielartige Basalteil der Frucht sei sozusagen zum Drehen da, nicht zutrifft. Er mag die Drehung erleichtern. Aber wir sahen, daß, wenn die Frucht sich drehen „will“ (was sie nur tut, wenn sie asymmetrischen Bau hat) sie das auch ohne Stiel fertig bringt. Als ich neuerdings Gelegenheit hatte Phaca alpina selbst zu unter- suchen, war ich überrascht davon, ganz anderes zu finden, als ich nach den Angaben von DEcAnDoLLE und VAUCHER erwartet hatte. Nach diesen sollte man meinen, daß die Früchte annähernd horizontal ständen und durch die Drehung die ursprünglich nach oben sehende später offene Naht nach unten kehrten. So wird es wohl auch bei anderen Phaca-Arten sein, da bei einem Forscher wie A. P. DEcAnDOLLE ein Irrtum nicht an- zunehmen ist. Aber Ph. alpina verhielt sich anders. Die jungen Früchte stehen annähernd horizontal, dann aber tritt eine Lagenveränderung ein. Es gehört Phaca alpina zu den zahlreichen Leguminosen, die ihre Früchte nach unten biegen, so daß sie Vertikalstellung einnehmen. Die dazu notwendige Krümmung wird entweder vom Blütenstiel oder von der Basis der Frucht ausgeführt (letzteres z. B. bei Phaseolus mul tiflorus). Diese Abwärtskrümmung erfolgt auch bei Leguminosen mit Gliederhülsen, die sich nicht öffnen, sondern in Stücke zerfallen, z. B. Hedysarum obscurum. Es ist klar, daß bei einer vertikal „hängenden“ (in Wirk- lichkeit aktiv nach unten gekrümmten) Frucht es für die Verbreitung der Samen gleichgültig ist, ob sich die Öffnungsstelle auf der dem In- floreszenzstiel zu- oder der ihm abgekehrten Seite befindet. Letzteres ist der Fall, wenn die Frucht sich nicht gedreht hat. Ich fand, daß die Phacafrüchte zwar gelegentlich eine Drehung ausführen, aber durchaus nicht immer. Nicht wenige hatten sich in ihrer normalen Lage geöffnet. Von einer teleologischen Deutung der Drehung kann also keine Rede sein. 19* 292 Sechster Abschnitt: Viel regelmäßiger und schöner als bei Phaca kann man übrigens die Drehung der Früchte bei Colutea beobachten, bei der sie bis jetzt nicht angegeben zu sein scheint. Da die Nahtseite der blasig aufgetriebenen Frucht vertieft, die Mittellinie konvex gewölbt ist, so kann man schon ohne weitere Untersuchung leicht feststellen, daß die Früchte hier in weitaus den meisten Fällen ihre Konvexseite nach außen kehren (Fig. 173), während ursprünglich die konkave nach oben sah. Dann tritt eine Drehung an der Basis der Frucht ein, welche diese nach unten und die Nahtseite nach innen kehrt!). Bei manchen Früchten unterbleibt die Drehung. Fig. 173. Colutea arborescens. Drehung der Früchte. X ursprüngliche Oberseite. Drehstelle durch eineu schrägen Strich bezeichnet. Auch hier ist sie meiner Ansicht nach biologisch bedeutungslos. Die Früchte öffnen sich später am Scheitel in der für Hülsen bekannten Art. Die Samen können aus der Offnung herausgeschüttelt werden, aber das ginge auch ohne die Drehung. Diese ist nach der hier vertretenen Auffassung bedingt durch den asymmetrischen Bau der Fruchtbasis, der statt einer einfachen Abwärtskrümmung, wie sie z. B. bei Phaseolus multiflorus stattfindet, eine solche mit Drehung bedingt, ganz ebenso wie das bei der Schlafbewegung mancher Blätter eintritt. Die einen lassen dabei ihre Fiederblättchen annähernd in Einer Ebene nach oben oder unten sich bewegen — andere führen eine Drehung aus, letzteres dann wenn das Gelenk einen asymmetrischen Bau hat. Es kommt bildlich ge- ') Der ganzen Sachlage nach erscheint es mir höchst unwahrscheinlich, daß eine passive durch un:leiche Belastung bedingte Drehung vorliegt. Vielmehr ist sie wie in anderen Fällen offenbar eine aktive. ur ” . Resupination der Blüten. 295 sprochen auch hier auf die Ab- bzw. Aufwärtsbewegung nicht aber darauf an, ob eine Drehung eintritt oder nicht. Zum mindesten ist ein Nutzen für die Samenverbreitung absolut nicht anzusehen. Sutherlandia frutescens hat ganz ähnliche aufgeblasene Früchte wie Colutea. Eine Drehung tand aber bei der von mir beobachteten Pflanze nicht statt )). S 16. Die vorstehende Darstellung ergibt, daß Resupination nicht nur bei Blüten, sondern auch bei Früchten vorkommt, und zwar bei ersteren in größerer Ausdehnung als bisher angenommen wurde. Sie ist — soweit wir derzeit urteilen können — bald eine „auto- nome“, bald eine induzierte. Sie kann auf recht verschiedene Weise vor sich gehen teils durch Drehung, teils durch Überkrümmung; teils durch Teile der Blüte selbst (Blütenstiel, Fruchtknoten, Blumenkrone), teils durch die Infloreszenzachse (Üypripedilum, Lycaste). Von diesen Blüten sind die invers-dorsiventralen zu unterscheiden, welche keine Drehung er- fahren, aber eine von vornherein von der gewöhnlichen verschiedene Art der Ausbildung von Ober- und Unterseite: Die Annahme, daß Resupination stattfinde bei Blüten, die „verkehrt angelegt“ seien und erst durch Drehung in die normale Lage kommen, läßt sich nicht aufrecht erhalten. Was die teleologische Deutung der Resupination betrifft, so zeigte die vergleichende Betrachtung, daß eine durchgreifende Beziehung zur Fremdbestäubung schon deshalb nicht vorhanden sein kann, weil "auch Blüten, die regelmäßig sich selbst bestäuben, resupiniert werden. Ebensowenig kann es sich ällgemein darum handeln, eine günstige An- flugsfläche für die Blütenbestäuber herzustellen (vgl. z. B. Acanthaceen). Man kann zwar sagen, daß bei manchen resupinierten Blüten die Be- . stäubung durch die Resupination den Pollenüberträgern bequemer ge- macht wird, was wohl auch eine Zeitersparnis und dadurch für die Pflanze einen Vorteil bedeuten kann. In keinem einzigen Falle aber ist sie bis jetzt als notwendig für die Bestäubung erwiesen. Sie kann nicht durch Häufung kleiner nützlicher Abänderungen aus dem gewöhnlichen Verhalten entstanden sein. Vielmehr liegt eine Ent- faltungsbewegung dorsiventraler Blüten vor, die unter Umständen vor- teilhaft sein kann, aber das nicht sein mu B. !) Merkwürdig ist, daß die jungen Früchte nahe dem Kelche an der Naht eine Öfinung bekommen. Der Innenraum der heranreifenden Frucht steht also mit der Luft in unmittelbarer Verbindung. x Siebenter Abschnitt: Die Reihenfolge der Entfaltung. $ 1. Allgemeines. Die Reihenfolge, in welcher die Entfaltung gleichnamiger Organe statt- findet, hat nur dann zu Erörterungen !) Veranlassung gegeben, wenn sie abweicht von der, welche wir als die normale zu betrachten gewöhnt sind, d.h. also der, daß die Entfaltung von unten nach oben, „akropetal“ ein- tritt. So ist es z. B. bei den Blättern einer einjährigen Pflanze oder bei den Seitenwurzeln .einer Hauptwurzel. Schon bei der letzteren bleiben aber manche Seitenwurzelanlagen unentfaltet °) und noch mehr ist dies Zurückbleiben bekanntlich wahrnehmbar bei den Knospen der Bäume im unteren Teile der Jahrestriebe, die in verschiedenem Maße gehemmt sind — manche so sehr, daß sie normal überhaupt nicht austreiben. Soweit wir wissen ®), sind aber diese Seitenknospen an einem ‚Jahres- trieb ebenso wie die einer einjährigen Pflanze in „akropetaler* — gegen den Vegetationspunkt hin fortschreitender — Reihenfolge angelegt worden. Es würde dann also die Anlegungs- und die Entfaltungsfolge in diesem Falle nicht übereinstimmen. Zugleich können wir auch aus diesem Verhalten einen Rückschluß auf die Ursache der Entfaltungshemmung der Knospen im unteren Teile eines JJahrestriebes ziehen. Die Förderung der oberen hängt zweifellos damit zusammen, daß sie die besser ernährten sind. Es geht dies schon daraus hervor, daß die aus ihnen hervorgegangenen Sprosse die weiter unten stehenden Seitenäste später an Kräftigkeit weit übertreffen. Die Stoffwechselvorgänge, die zum Austreiben führen, werden also auch ın ihnen eher die dazu nötige Stärke erreichen als bei den unteren. In manchen Fällen freilich ist die Abweichung der Entfaltungsfolge von der Anlegungsfolge nur eine scheinbare. Dabei kommen teils äußere, teils innere Bedingungen in Betracht. In den Blütenständen z. B. entspricht die Entfaltungsfolge der Blüten im allgemeinen der Anlegungsfolge — vorausgesetzt, daß die Blüten alle gleich- mäßigen äußeren Bedingungen ausgesetzt sind. Wenn dies nicht der Fall ist, wie im Frühjahr bei einseitig stärker der Sonnenstrahlung ausgesetzten Blütenkätzchen von Salix kann natürlich auch eine einseitige Förderung des Aufblühens veranlaßt werden, ebenso wie z. B. die Fruchtstände vom Typha an ihrer Südseite früher reifen als auf der Nordseite, was sich an der auf ersterer früher stattfindenden Loslösung der Früchte zu er- kennen gibt. !) Merkwürdigerweise nur ausnahmsweise zu teleologischen. Vermutlich geschah dies deshalb, weil es sich um meist wenig in die Augen fallende Vorgänge handelt. Selbstverständlich muß aber der, der alle erblich festgehaltenen Eigentümlichkeiten für Anpassungserscheinungen hält, das auch für die Entfaltungsfolge annehmen. 2) GoesEL, Ein]. in die exper. Morphologie (1908) p. 165. . >) Es ist sehr wohl möglich, daß die Hemmung in der Entwicklung der basalen Knospen sich auch auf die Anlegung erstreckt, die untersten also nicht die ältesten sind. Die Reihenfolge der Entfaltung. 295 Auch bei manchen Papilionaceenblütenständen scheint auf den ersten Blick eine solche Ausnahme vorzuliegen. So blühen die auf der Außen- seite der Blütenstände von Trifolium pratense stehenden Blüten früher auf als die anderen. In Wirklichkeit aber sind jene, wie die Entwicklungs- geschichte !) zeigt, auch früher angelegt. Das frühere Aufblühen ist hier also durch „innere“, nicht durch äußere Gründe veranlaßt, die Aufblüh- folge entspricht in Wirklichkeit der Anlegungsfolge. Dasselbe gilt z. B. in den Malvaceenblüten für die absteigende Entfaltung (Verstäubung) der Staubblätter. Die Bevorzugung der Außenseite der Trifoliuminfloreszenzen ist nach den Anschauungen des Verf. ebenso wie die Förderung der apikalen Knospen in den ‚Jahrestrieben der Holzgewächse bedingt durch eine un- gleichartige Materialverteilung im Vegetationspunkt des Blütenstandes. Die Außenseite ist darın gegenüber der Innenseite bevorzugt. Und zwar findet das hier von vornherein, also schon vor dem Auftreten der ersten Blüten statt, dementsprechend weicht schon die Gestalt des Vegetationspunktes der Infloreszenz von der radiären ab. Eine solche ungleiche Material- verteilung kann auch in späteren Entwicklungsstadien, also nach dem Auftreten der in gewöhnlicher progressiver Reihenfolge angelegten Blüten- knospen in Wirkung treten. Es sind dann einzelne bevorzugte Zonen an der Infloreszenz bzw. Blüte vorhanden. Dies spricht sich dann vielfach darin aus, daß an bestimmten Stellen die zu frühzeitiger Entfaltung be- stimmten Organe kräftiger entwickelt und größer (d. h. nach unserer Anschauung besser ernährt) sind als die anderen. E Es ist charakteristisch, daß sich Abweichungen von der Uberein- stimmung zwischen Anlegungs- und Entfaltungsfolge hauptsächlich an Sprossen oder Sproßsystemen begrenzten Wachstums finden; nament- lich an: Infloreszenzen und Blüten. Die beiden seien gesondert an einer Anzahl von Beispielen behandelt s 2. Infloreszenzen. Auf die verschiedene Blütenentwicklung bei akropetaler Anlegung wurde schon vor längerer Zeit bei den Blütenständen der Gräser hinge- wiesen ?). Es finden sich hier dreierlei Ausbildungsarten: 1. Akropetale Anlage und Ausbildung (Zea, Setaria). 2. Akropetale Anlage und basipetale Ausbildung (Nardus, Lepturus, Psilurus, Milium effusum, Poa annua). Wenn man bei der letztgenannten Pflanze sieht, wie die obersten Ahrchen aufblühen, während der untere Teil der Infloreszenz noch unentfaltet ist und teilweise in der Blattscheide steckt, so könnte man zunächst geneigt sein, das der Einwirkung äußerer Faktoren zuzuschreiben, etwa derart, daß die obersten Teile durch die Einwirkung von Licht und Wärme zuerst zur Entwicklung angeregt werden. Allein die Förderung des oberen Teiles des Blütenstandes beginnt ehe die Teile der Infloreszenz einer verschiedenen Beeinflussung durch die Außenwelt ausgesetzt sind. 3. Akropetale Anlage und Vorauseilen der Mittelregion der Infloreszenz- achse. So z. B. bei Triticum vulgare und Secale cereale. .Die Blüten, die etwa in ?/, Höhe der Infloreszenzachse (von der Basis . 2) Vgl. z. B. GOEBEL, Örganographie 2. Aufl. p. 305. 2) K. Gozeer, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte einiger Infloreszenzen. Jahrb. für wissensch. Botanik XIV (1884) p. 10. 296 - Siebenter Abschnitt: aus gerechnet) stehen, blühen zuerst auf, das Aufblühen schreitet von hier aus nach oben und nach unten fort). Meine Anschauung, daß „der Grund der verschiedenen Entwicklungs- folge offenbar in der verschieden großen und raschen Stoffzufuhr“ liege, habe ich durch den Hinweis darauf zu begründen gesucht, daß die zuerst aufblühenden Blüten, wie für Triticum angegeben wird, schwerere Früchte liefern als die aus dem oberen und unteren Teil der Infloreszenz. Es ist nicht zu erwarten, daß diese Beziehung, auch wenn die allgemeine An- schauung zutrifft, eine allgemeine ist. Denn es kann sich natürlich die Stoffverteilung im Laufe der Entwicklung wieder ändern. Eine Unter- suchung der Früchte von Poa annua ergab: 250 Früchte aus dem oberen zuerst entfalteten Teile der Infloreszenz wogen 0,0943 g, 250 aus dem untersten 0,0915 g. Ein Unterschied (rund 3°,) war also zwar vorhanden aber nicht sehr erheblich. Die Blütenstände der Gräser wurden hier auch deshalb angeführt, weil es kaum möglich erscheint, die Aufblühfolge in der Art teleologisch ' auszudeuten, wie man dies bei .„insektenblütigen“ Pflanzen versucht hat. Von anderen Monokotylen nenne ich einige Orchideen. An den abwärts gebogenen „hängenden“ Blütenständen von Pholidota imbricata blühen die an der Spitze befindlichen Blüten zuerst auf. " Bei Dendrochilum filiforme befanden sich an den beobachteten Pflanzen die erstentfalteten Blüten teils nahe der Mitte, teils an der Basis der Blütenstände. Bei den Dikotylen hat man seit langer Zeit immer die Blütenstände mancher Dipsaceen wegen ihres eigenartigen Verhaltens hervorgehoben. Es ist ja tatsächlich sehr auffallend, wenn man in den Blütenständen der Weberkarde (Dipsacus) eine in der unteren Hälfte des Blütenstandes be- findliche ringförmige Zone aufgeblüht findet, während darunter und darüber die Blüten noch im Knospenstadium sich befinden ?),. Daß die Anlegung der Blüten eine akropetale ist, wurde bei D. silvestris festgestellt. Schon bei Infloreszenzen von etwa 1 cm?) Länge (in deren Blüten noch keine Samenanlagen sichtbar sind) ist aber ein Vorauseilen der Blüten annähernd in der Mitte des Blütenstandes gegenüber den darunter befindlichen wahr- nehmbar. Der Vorgang wird also lange vor dem Aufblühen eingeleitet, und ist offenbar nicht durch äußere Einwirkungen (Licht, Wärme usw.) bedingt. Die bevorzugte Zone fällt annähernd "mit dem Teile der In-” floreszenz zusammen, an welchem die Infloreszenzachse am. dicksten ist, was, wenn die oben kurz begründete Anschauung über den Einfluß der Baustoffverteilung zutrifft, nicht auffallend ist. Später schreitet das Auf- blühen dann nach oben und nach unten hin fort. Andere Dipsaceen verhalten sich ähnlich. Doch würde es derzeit kein weiteres Interesse bieten, die Verschiedenheiten innerhalb dieser Familie und auch die zuweilen bei verschiedenen Infloreszenzen einer und derselben Art auftretenden zu schildern. Es genüge ein Beispiel. In Fig. 174 ist ein Blütenstand von Sucecisa pratensis abgebildet. Das Aufblühen findet nicht wie sonst von unten nach oben statt*). Zuerst ı) Vgl. auch Askenasy, Über das Aufblühen der Gräser. Verhandl. des naturw.- med. Vereins in Heidelberg (1877) p. 262. ?) 100 Früchte aus dem mittleren, zuerst aufgeblühten Teil der Infloreszenz wogen 0,4118 g, aus dem unteren 0,4058 g, aus dem oberen 0,3075 g. Die aus der erstaufge- blühten Region zeigten also 109 8°, des Durchschnitts er 82°/, bei den apikalen. °) Später wird die Infloreszenz mehrere cm lang. =. Im übrigen findet man bei Beobachtung einer größeren Zahl von Infloreszenzen Due; ’ —Tt K yahh er Die Reihenfolge der Entfaltung. 297 öffnen sich vielmehr die Blüten in einer im oberen Drittel des Blüten- standes gelegenen Zone. Dann folgt eine basale Ringzone — schließlich geht auch der Rest der Blütenknospen zur Entfaltung über. Auch hier beginnt die Bevorzugung der erstaufblühenden Knospen gegenüber den anderen schon auf einer | ziemlich frühen Entwick- lungsstufe, also nicht erst un- mittelbar vor der Entfaltung. Ahnliche Erscheinungen beobachtete ich auch bei Acanthaceen. In den Inflo- reszenzen von Strobilanthes isophyllus blühen die Blüten am Ende früher auf als die anderen, bei den von Oyrtan- thera magnifica die mittleren (Fig. 175), dann die oberen, die der Spitze des Blüten- standes genäherten. Auf die Ä Verhältnisse im einzelnen Fig. 174. Sueeisa pratensis. Links jüngerer, rechts (die verschiedenen Seiten der älterer Blütenkopf. Bei ersterem öffnen sich die Infloreszenz verhalten sich Blüten in der mit X bezeichneten Region. Bei r : 22 __\ letzterem sind auch die in der basalen Region be- verschieden (— vgl.p.247 — )) zeichneten geöffnet. kann hier nicht eingegangen werden. Es sollte nur, ent- sprechend der hier verfolgten vergleichenden Richtung gezeigt werden, daß das Verhalten der Dipsaceeninfloreszenzen keines- wegs ein so vereinzeltes ist, wie das meist angenommen wird'). Das kommt natürlich auch für die Erklärungsversuche in Betracht. Einen teleologischen habe ich nur bei VAUCHER?) (für die Dipsaceen) finden können „Oette singuliere succession & pour cause finale ou pour but de laisser aux fleurs rassemblees en site serr&e l’espace necessaire pour developper leurs organes sexuels“. VAUCHER nimmt also an, daß die Blüten so dicht gedrängt seien, daß sie nicht alle zu gleicher Zeit Fig.175. Cyrtanthera magnifica. Infloreszenz, in sich entfalten könnten. welcher die obersten Blüten zuerst sich entfalten. mancherlei Verschiedenheiten, auf die aber hier nicht eingegangen werden kann. Es sei nur erwähnt. daß auch die unterste Blütenreihe zuerst aufblühen kann. !) Selbstverständlich könnten noch weitere Einzelbeispiele angeführt werden. Die Blüten am Ende der Infloreszenz der Rutacee Pilocarpus pennatifolia öffnen sich z. B. früher als die an der Basis usw. und dasselbe ist der Fall bei denen von Echinops (Fig. 176). Die Infloreszenzen von Sanguisorba offieinalis blühen von oben nach unten, die von S. canadensis von unten nach oben auf usw. 2). A: 3.0. Ip. 72. 298 Siebenter Abschnitt: Diese Annahme erklärt aber weder, weshalb die Blüten sich nicht von unten nach oben entfalten, noch stimmt sie damit überein, daß an einem vollständig entfalteten Blütenstand von Succisa pratensis die ge- öffneten Blüten ganz gut nebeneinander Platz haben — auch für die Entfaltung ihrer Staubblätter und Griffel. Eine kausale Erklärung hat — ohne Berücksichtigung der für andere Fälle schon vorhandenen — GÜNTHART versucht }). Er betrachtet es als sehr wahrscheinlich, daß zur Erklärung „nur die Raumverhältnisse im Köpfchen und nur die Form des Blüten- bodens herangezogen werden können“. Indes liegt für diese Annahme schon bei den Dipsaceen keinerlei sicherer An- haltspunkt vor, und für die anderen oben erwähnten Fälle ist sie von vornherein sehr unwahrscheinlich, wie man denn die Be- deutung der Raumverhältnisse für die Organ- entwicklung erheblich überschätzt hat. Wo sich etwas entwickeln „will“, schafft es sich auch meist Raum und wartet nicht bis ein Platz „frei wird“. Ich kann in der abweichenden Reihen- folge der Blütenentfaltung derzeit nur eine zufällige, d. h. nicht adaptative Erscheinung sehen, für deren Zustandekommen ich an dem für die Gräser schon vor langer Zeit ange- nommenen Erklärungsversuch auch jetzt noch festhalte. Wenn eine Pflanze (einer „reinen Linie“) oder ein Blatt einer Pflanze größer wird als eine andere oder ein anderes Blatt derselben Pflanze, so ist dies bedingt durch die Ver- schiedenheit der Ernährung. Dasselbe werden wir auch für die Förderung oder Minderung von Örgananlagen annehmen dürfen. Die Fig. 176. Echinops sphaerocephalus. Entfaltung ‘aber ist ja nur das letzte Stadium Die obersten Blüten der Inflores- in der Gresamtentwicklung. Findet eine zenz entfalten sich zuerst. Abweichung von der Entwicklungsfolge in der Entfaltung statt. so ist dies bedingt dadurch, daß nicht in allen Teilen der Blütenknospe die Stoffverteilung, auf deren Kosten die Weiterentwicklung stattfindet gleichmäßig ist. S 3. Diese Anschauung (welche selbstverständlich erst dann als ge- sichert betrachtet werden kann, wenn die angenommene ungleiche Stoff- verteilung auch wirklich nachgewiesen worden ist) wird gestützt durch das Verhalten der Staubblätter bei der Entfaltung in vielen Blüten. Diese findet ihren Abschluß in der Verstäubung. Dieser Ausdruck ‘ ist freilich für die meisten Antheren sehr unzweckmäßig gewählt — er paßt allenfalls für solche, bei denen der Pollen wirklich aus,stäubt“, wie bei vielen windblütigen Pflanzen, während bei den meisten der Pollen in den geöffneten Antheren lange liegen bleiben kann. Dann kann man von einer ‚ A. Güntuart, Blütenbiologische Untersuchungen. Beitr. zur Blütenbiologie der ar Flora 9 (1904) p. 199. MH “ ir 28 ne? L I; Die Reihenfolge der Entfaltung. 299 „Verstäubung“ also nicht eigentlich reden. Es ist eben die Offnung der Antheren der Schluß der Entfaltung. Betrachten wir nun eine Blüte von Papaver, so zeigt sich, daß die Staubblätter, obwohl sie in aufsteigender Reihenfolge angelegt wurden, in absteigender sich entfalten. Zuerst ist dies also der Fall bei den dem Fruchtknoten benachbarten. Diese haben auch die längsten Filamente, sie sind offenbar die besser ernährten. Man kann aber selbstverständlich aus den Größenverhältnissen nicht ohne weiteres auf die übrigen Eigen- schaften schließen. Bei einer anderen Papaveracee, Eschscholzia californica findet die Antherenöffnung — ebenso wie die Anlegung der Staubblätter — in aufsteigender Folge statt. Die äußeren Staubblätter sind auch hier kürzer als die inneren, wenngleich in geringerem Maße als bei Papaver — es fragt sich immer auf welchem Zeitpunkt die Förderung und Minderung eintritt. Zum „Verkümmern neigende* Organe sind vielfach schon in ihrer ersten Entstehung den normal ausgebildeten gegenüber verspätet, wie z. B. die beiden verkümmernden Staubblattanlagen von Salvia. Schon RoßBERT BROwN hat vor 100 Jahren auf eine wichtige allge- meine Beziehung zwischen Entfaltungsfolge und Ausbildung aufmerksam gemacht, wenn er sagt!) „Connected with the subject of inflorescence, N may remark that priority of development, whether among similar parts in the same flower or the different flowers of the same spike, is generally accompanied with greater perfection of these parts or flowers, and ap- parently with greater power of resisting the ordinary causes of abortion or obliteration“. Er erwähnt dann zwei Beispiele von Monokotylen (Junceen, Restiaceen) u. a. bei denen „the greater perfection of those stamina that exist in genera or species reduced tc the smallest number, is indicated, where there is no reduction, by the earlier bursting of their antherae“. Die „priority of development“ ist dabei nicht auf die erste Anlage, sondern auf die Ausbildung zu beziehen. Ein experimenteller Beleg wurde früher mitgeteilt: Bekanntlich haben die Blüten der Crueiferen vier lange und zwei kurze Staubblätter. Es gelang die zwei kurzen in Hunger- kulturen von Sinapis arvensis oft stark zu hemmen. In den kleistogamen Blüten von Cardamine chenopodifolia sind sie meist ganz verkümmert — ebenso die Blumenblätter, die auch im normalen Verlauf der Entwicklung chasmogamer Blüten zunächst längere Zeit hinter den Staubblättern im Wachstum zurückblieben ?). _Selbstverständlich braucht sich die Förderung bestimmter Staubblätter nieht immer in der größeren Länge des Filamentes auszusprechen. Bei Crueiferen z. B. sind zwei kurze und vier längere, an der Blütenachse etwas höher stehende und später angelegte Staubblätter vorhanden. Letztere sah ich z. B. bei Erucastrum Pollichii, den kürzeren im Verstäuben etwas, aber nur wenig vorauseilen. Die alte Botanik hat der , ‚Verstäubungsfolge“ vielfach Aufmerksamkeit geschenkt), schon weil man daraus Schlüsse auf den Aufbau der Blüten ziehen können zu glaubte. !) R. Brown, Observations on the natural family of plants called compositae, Trans. of the Linnean Soc. Vol. XII 1817 (Collected bot. works II p. 278). Ich fand die Stelle zufällig auf, nachdem meine eigenen Untersuchungen, die mich zu derselben Anschauung geführt hatten, schon beendet waren. ?) (GOEBEL, Die kleistogamen Blüten und die Anpassungstheorien. Biolog. Zentral- blatt 24 (1904) p. 150. 3) Namentlich H. Wvorer, Vel. z. B. dessen „Fragmente zur Kenntnis der Ver- stäubungsfolge der Antheren“. "Flora 34 (1851) p. 241. \ 300 Siebenter Abschnitt: Die entwicklungsgeschichtliche Richtung hat die Beschäftigung mit diesen Fragen in den Hintergrund gedrängt, wahrscheinlich hauptsächlich deshalb, weil, wie schon die oben angeführten Beispiele (Papaver u. a.) zeigen, man von der Verstäubungsfolge keine sicheren Schlüsse auf die Anlegungsfolge der Staubblätter ziehen kann. Ein weiterer Grund war wohl der, daß erstere bei ein und derselben Pflanze nicht immer dieselbe ist; ähnliche Verschiedenheiten waren auch für die Aufblühfolge in den In- floreszenzen zu erwähnen. So hat z. B. Scausz'!) für die Blüten von Bupleurum longifolium vier verschiedene Reihenfolgen in der Verstäubung angeführt. Ähnliche Abweichungen kommen auch bei anderen Pflanzen, auch den unten zu erwähnenden vor. Sie sind nicht auffallend, wenn wir uns auf den Standpunkt stellen, daß die Ausbildungsfolge von Ernährungs- verhältnissen abhängt. Diese sind ja beeinflubbar und wenn sie abgeändert werden, wird auch die erstere sich ändern. Die Tatsache, daß die „Ver- stäubungsfolge“ keine durchaus konstante ist, hat es wohl auch bedingt, daß sie, sowejt mir bekannt ist, seit Eıchter’s Blütendiagrammen (1875— 78), in der neueren Literatur keine kritische Besprechung mehr gefunden hat. Das ist zu bedauern, weil es sich dabei um interessante, vielfach für die Gesamtauffassung der betreffenden Blüten wichtige Vorgänge handelt, die allerdings bei den verschiedenen Pflanzen auch verschiedene Bedeutung haben. Hier, wie so oft, lassen sich nicht ohne weiteres allgemeine Schlüsse ziehen. Für uns kommen in Betracht die zwei Fragen nach der kausalen Bedingtheit und nach der biologischen Bedeutung der Verstäubungsfolge. Als eine kausale Erklärung betrachten wir es schon, wenn sich zeigen läßt, daß die Verstäubungsfolge selbst in solchen Fällen, wo das zunächst ganz unwahrscheinlich erscheint, der Anlegungsfolge entspricht. Wo das nicht der Fall ist, werden wir dieselben Ursachen für die Verschiedenheit annehmen dürfen, wie bei den Infloreszenzen. Weshalb radiäre und dorsiventrale Blüten getrennt behandelt werden wird aus der Darstellung selbst sich ergeben. Ehe auf Einzelfälle eingegangen wird, sei aber noch folgendes bemerkt. Man versteht unter radiären Blüten bekanntlich solche, welche nach allen Richtungen hin rings um die Längsachse annähernd gleich gestaltet sind, während man bei dorsiventralen Blüten eine Ober- und eine Unterseite. unterscheiden kann, die voneinander verschieden gebaut sind. Bei den radiären Blüten wurde aber früher oft nicht hinreichend be- achtet, daß die verschiedenen radialen Abschnitte oder (Sektoren) sich unter- einander ungleich verhalten können. Das hat MurBEck ?) besonders betont. Bei einer aus fünfzähligen miteinander alternierenden Wirteln aufge- bauten Blüte können wir z. B. fünf Kelchblatt- und fünf Blumenblatt- sektoren unterscheiden. Einerseits können nun die Kelchblatt- und Blumenblattsektoren sich verschieden verhalten, z. B. die ersteren gegenüber den letzteren gefördert sein, andererseits kann eine Verschiedenheit inner- halb der einzelnen Kelchblatt- und Blumenblattsektoren eintreten, ohne daß dadurch für eine wenig eingehende Beobachtung der radiäre Charakter der Blüte geändert wird. Wenn man das beachtet, werden manche Eigentümlichkeiten der Blütenentfaltung und Blütengestaltung in einem anderen Lichte als bisher erscheinen, und vielfach ist gerade die Beobachtung der ersteren von Bedeutung für die Auffassung der letzteren. TE an RER TIER 5 WR ScHurz, Beitr. zur Kenntnis der Bestäubungseinrichtungen und Geschlechts- verteilung bei den Pflanzen. Bibliotheca botanica 18 (1888) p. 46.. ®2) S$v. MurBEeck, Über die Baumechanik usw. Lunds Univ. Arsske. N. F. 1914, Die Reihenfolge der Entfaltung. 301 $4. Radiäre Blüten. Keiner Erwähnung bedürfen die Blüten, in denen die Übereinstimmung zwischen Verstäubungsfolge und Anlegungsfolge der Staubblätter ohne weiteres zutage tritt. So ist es bei vielen Ranunculaceen und Rosaceen, bei denen beides von unten nach oben hin erfolgt. Anders verhalten sich z. B. Anemone ranunculoides und einige andere Arten derselben Gattung, bei denen das Verstäuben der zahlreichen Antheren von einer mittleren Region ausgehend nach oben und unten hin erfolgt, was an das Verhalten der oben angeführten Dipsaceen-Infloreszenzen erinnert, und wohl ebenso- wenig wie dieses teleologisch gedeutet werden kann. Ubrigens sind auch hier die mittleren Staubblätter schon vor dem Verstäuben als die ge- förderten zu erkennen. Etwas anders verhalten sich einige Blüten mit streng „eyklisch“ angeordneten Staubblättern. Bei ihnen sollte man erwarten, daß jeweils die einem Wirtel angehörigen Staubblätter sich annähernd gleichzeitig entfalten und „verstäuben“, das ist aber vielfach nicht der Fall. Vielmehr tritt bei manchen Blüten eine auffallende Verschiedenheit im Entfaltungsgange innerhalb eines Wirtels auf, die sich darin ausspricht, daß jeweils nur Eine oder einige Antheren den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichen. ’ Das ermöglicht, daß Pollen längere Zeit, als dies bei gleichzeitiger Ent- faltung der Staubblätter der Fall wäre, den blütenbesuchenden Insekten dar- geboten wird. Aber die Reihenfolge der Entfaltung ist vom teleologischen Standpunkt aus gleichgültig. Sie wird Fig. 177. Viscaria oeulata. 7 Blüte mit durch die allgemeinen Symmetriever- 3eutfalteten Staubblättern. // Diagramm -hältnisse der Blüten bestimmt. a ee une ee Für radiäre Caryophyllaceenblüten 1 UT Paten, mE RE (Mit fünf Kelchblätte ie; nf Bien III Schema für die Entfaltungsfolge. blättern und zwei Staubblattkreisen. von denen der eine vor den Kelchblättern steht — Kelchstaubblätter —, der andere vor den Blumenkronenblättern — Kronstaubblätter —) sei Viscaria oculata (Fig. 177) als Beispiel gewählt. Die Entfaltungsfolge der Antheren geht in beiden Staubblattkreisen ungleichzeitig vor sich. Erst verlängert sich das Filament des einen Kelchstaubblattes (1 Fig. 177 I, II), dann- das des um ?/, davon entfernten 2 usw., dann erst kommen die Kronstaub- blätter an die Reihe (a, b, c, d. e). Die Entwicklungsgeschichte !) zeigt, daß diese „spirotrophe“ Fiederung schon lange vor dem Aufblühen beginnt. Die vor den Kelchblättern Z, 2, 3 stehenden Staubblätter 1, 2, 3 eilen in der Anlegung und in der Entwicklung in der angeführten Reihenfolge voraus. sogar schon ehe die Antheren angelegt sind. Sie sind es auch, die z. B. bei Stellaria media oft allein übrig bleiben, während die anderen verkümmern?). Hier ist 1, Veıfolgt von Herrn Dr. Hırmer. 2, Vgl.E Krart, Exper. und entwicklungsgesch. Unters. an Caryophyllaceenblüten. Flora 109 (1917) p. 283 ff. 302 Siebenter Abschnitt: noch zu betonen, daß die Staubblattwirtel der geschilderten Caryophyllee (ebenso verhält sich z. B. Agrostema Githago) eben keine wirklichen Wirtel sind, d.h. solche mit gleichzeitiger Entstehung aller Glieder, sondern daß die Blüten eine Art Mittelbildung zwischen cyklischen und acyklischen darstellen. Wie der Kelch,,wirtel* (in der Sprache der alten Morphologie) einer „niedergedrückten Spirale“ entspricht, so auch die Staubblatt..kreise“. Die Verstäubungsfolge ist hier also kausal erklärt, sie ist in der Symmetrie der Blüten begründet — das ungleichzeitige Verstäuben- ist nur ein Aus- druck ungleichzeitiger Entwicklung innerhalb der Staubblattkreise. Es sind in der Blüte, bildlich gesprochen, zwei „Tendenzen“ vorhanden. Die eine, nennen wir sie die „Wirteltendenz“ sucht die Blattgebilde der Blüte in miteinander alternierende Wirtel anzuordnen, die andere „spirotrophe“ ist die Entwicklungsfolge nach ?/,. Diese macht sich hier noch so stark geltend, daß sie auch bei der Entfaltung hervortritt. Nicht alle scheinbar radiären fünizähligen Caryophylleenblüten ver- halten sich wie Viscaria und Agrostema. Manche sind kryptodorsiventral, andere, z. B. Dianthus-Arten zeigen, falls die Angaben von H. BEYER zu- treffen !), ein mir wenigstens zunächst unverständliches Verhalten. Ahnliche nur weniger auffallende Erscheinungen lassen sich auch bei Umbelliferen beobachten, deren Verhalten von WYDLER und SIELER näher untersucht wurde. Die eingebogenen Filamente strecken sich und die Antheren verstäuben in der Anlegungsfolge, die im allgemeinen mit der „Kelchspirale“ übereinstimmt. Aber es macht sich in den Blüten auch schon eine „Tendenz“ zu dorsiventraler Ausbildung geltend, die darin besteht, daß das median nach hinten stehende Staubblatt in der Entfaltung dem vor dem 1. Kelchblatt stehenden vorauseilt. Doch kann hier auf Einzelheiten nicht eingegangen werden ?). S 5. Dorsiventrale Blüten. Dorsiventrale Blüten sind, wie erwähnt, solche, die nicht allseitig gleich- mäßig entwickelt sind, sondern eine Ober- und Unterseite, die voneinander verschieden sind, aufweisen. Die eine davon pflegt in ihrer Ausbildung die geförderte (Plus-), die andere die geminderte (Minus-)Seite zu sein. Das kann sich auch darin aussprechen, daß schon die erste Anlegung der Blatthöcker am Vegetationspunkt nicht allseitig gleichmäßig, sondern einseitig gefördert erfolgt, wie bei den oben erwähnten Blütenständen des roten Klees. So ist z. B. bei den untersuchten Reseda-Arten die Ober- seite (die adaxiale) des Blütenvegetationspunktes die geförderte, Kelch, Blumenkrone und Androezeum entstehen in absteigender Reihenfolge ?). Wenn also z. B. bei R. lutea die Staubblätter sich in absteigender Reihen- folge auch entfalten, so entspricht das der „epitrophen“ Ausbildung der ganzen Blüte. Man sieht die Verstäubung sehr hübsch durch die Farben- änderung der Staubbeutel. Diese sind ursprünglich rötlich und verblassen bei der Entleerung. Die Farbenänderung tritt zunächst bei den oberen Antheren ein und breitet sich dann nach unten aus. Wie das abweichende Verhalten von R. luteola zustandekommt, ist näher zu untersuchen. !) H. Beyer, Die spontanen Bewegungen der Staubgefäße und Stempel, Wehlau 1888. ?) Vgl. die zusammenfassende Darstellung in EıcnLer’s Blütendiagrammen II p. 407 #. 3) Vgl. z. B. die Abbildungen für Reseda truncata in Goeser, Über die Anordnung der Staubblätter in einigen Blüten. Botan. Zeitung 40 (1882) Taf. VI Fig. 39—43. Mt: ET 1 20.9 Aa Fa Die Reihenfolge der Entfaltung. 303 Es kann die Verschiedenheit, welche durch die Anlegungsfolge bedingt ist, ebenso schon vor der Entfaltung ausgeglichen werden, wie eine Ver- schiedenheit in der Entfaltung zwischen anscheinend gleichzeitig angelegten Organen eintreten kann — es machen sich, wie schon die oben angeführten Beispiele zeigen, verschiedene Einflüsse geltend. Von den ohne weiteres als dorsiventral erkennbaren Blüten unter- scheiden sich die kryptodorsiventralen') dadurch, daß sie scheinbar radiär ausgebildet sind, aber in der Entfaltung, speziell in der Verstäubung der Staubblätter sich wie dorsiventrale Blüten verhalten. a) Dorsiventrale Blüten im engeren Sinn. 1. Pentstemon gentianoides (und manche andere Sorophulariaceen). Die Blüte hat zwei Staubblattpaare, das eine steht auf der geförderten (Auben- seite) der Blüte, das andere auf der Minusseite. ; e Die Offnung der Antheren beginnt auf der geförderten Seite in der angegebenen Reihenfolge, d. h. so, daß ein kleiner Zwischenraum zwischen den beiden geförderten Staubblättern vorhanden ist. Dann kommen gleich- falls dicht hintereinander die zwei Staubblätter der Oberseite. Ganz dasselbe wie für Pentstemon gilt, wie schon WYpter?) beob- achtet hat für die dorsiventralen Blüten von Lonicera (wobei die zwei Blüten eines Teilblütenstandes einander wie die Zahlen zeigen gegenläufig sind) 4 . 3 0 3 Ö sie bilden also zusammen 9 1 1 9 ein symmetrisches Ganzes. während die von Diervilla der Förderung der Oberseite entsprechend die Folge 2 3 4 5 einhalten (von Schwankungen abgesehen). Ebenso fand ich es bei Üobaea. Unverkennbar ist hier also die Entfaltungs- folge der Staubblätter abhängig von der „A Gesamtsymmetrie der Blüten — von deren Eur epitropher oder hypotropher Ausbildung (die übrigens Ai innerhalb der einzelnen Blattkreise einer dorsiventralen Blüte eine verschiedene sein kann) ?). Eine biologische Bedeutung kann man der allmäh- „.., } lichen, nicht gleichzeitigen Entfaltung, wie oben er- a ee wähnt, insofern zuschreiben, als dadurch längere Zeit von Physalis edulis. hindurch Pollen zur Verfügung steht als bei gleich- $ zeitiger Öffnung aller Antheren. Indes sind die Zeiten zwischen dem Öffnen der einzelnen Antheren oft so kurz, daß das kaum in Betracht kommen wird. „Schräg“ dorsiventrale Blüten finden sich bei den Solaneen. Es sei zunächst ausgegangen von Physalis. Untersucht wurden Ph. edulis und Ph. philadelphica. Wenn die Blüte sich öffnet, sieht man zu- nächst nur die fünf Antheren, die Filamente sind zu dieser Zeit has [9] gar nicht entwickelt, dann strecken sie sich in der Reihenfolge 1 2 5 ı) Der Ausdruck ist schon als eine „vox hybrida“ nicht schön. Indes weiß ich keinen besseren. 2) H. Wyorer, Morpholog. Mitteilungen, Verstäubungsfolge von Diervilla canadensis Wirıo. Flora 40 (1857) p. 17 3) Vgl. p. 239 “_. . u - = i - a - ul h . a Bi 4 304 ae Aböchnith: welche — wahrscheinlich durch äußere Einflüsse — gelegentlich auch Abänderungen erfahren kann!). Im entfalteten Zustand sind die Fila- mente dann alle annähernd gleich lang. Bei anderen Solaneen sind dagegen beträchtliche Verschiedenheiten in der Länge der entfalteten Filamente vorhanden. Z. B. bei Petunia: 1 und 2 sind hier länger als 3 und 4, am kürzesten ist 5. Was bei Physalis erst im Verlaufe der Entfaltung hervortritt ist hier also schon von vornherein sichtbar. Gefördert sind in beiden Fällen die annähernd mit den beiden Fruchtblättern alter- nierenden seitlichen Staubblätter 1 und 2. Die schräg nach hinten gekehrte Seite der Blüte ist gegenüber der schräg nach vorne gerichteten gefördert. Das Staubblatt fünf ist also auf der Minusseite der Blüte. Dementsprechend ist es bei Salpiglossis ganz verkümmert. Wir werden, wenn die Reduktion der Staubblätter weiter geht, erwarten dürfen, daß sie sich dann auf 3 und 4 erstreckt, während 1 und 2 allein übrig bleiben. Das ist in der Tat so bei Schizanthus. Es zeigt sich aiso auch hier deutlich, daß die Entfaltungsfolge der Staubblätter nur ein Ausdruck der Gesamtsymmetrie der Blüte ist, und daß die Größen- und Entfaltungs- verschiedenheiten der Staubblätter bestimmt werden durch Ungleichheiten in der Ernährung. Die Ungleichheit zwischen Staubblatt 1 und 2 aber dürfte damit im Zusammenhang stehen, daß Staubblatt I auf der Seite des 3-Vorblattes der Blüte liegt, welches bei den Solaneen das geförderte zu sein pflegt, wie denn ja auch bei anderen dorsiventralen Blüten die rechte und die linke Seite nur annähernd gleich ausgebildet sind. Nicht bei allen Solaneen liegen die Symmetrie- verhältnisse gleich, dementsprechend sind auch die seitlichen Staubblätter nicht bei allen die in der Entfaltungsfolge oder Größenentwicklung bevorzugten. Fig. 179. Hyoscyamus Es kann nicht bezweifelt werden, daß die Größen- niger. Diagramm mit verschiedenheiten ebenso wie die Entfaltungsfolge een Sn durch Ernährungsverhältnisse bedingt wird — die besternährten Staubblätter sind in beiden RE EI EIT W: u Ra m Be Er nr ee} Au Fang I an se 20 "u ne Di Ze 2a rt 7 Wh nutzung einer EICHLER- . Pr schen Figur). Fällen die geförderten. Bei Hyoscyamus z. B. (wo die Lage der Sym- h metrieebene eine andere ist und die Oberseite der Blüte die geförderte ist) ist die Entwicklungsfolge der Staubblätter eine schräg absteigende (Fig. 179). Auch bei dieser Blüte steht also die Verstäubungsfolge un- | mittelbar mit der Gesamtsymmetrie im Zusammenhang. | Die zeitliche Verschiedenheit zwischen den einzelnen Staubblättern ist aber bei den Solaneen keine so große, daß man ihr eine besondere biologische Bedeutung zuschreiben könnte — auch ist mir kein derartiger | Versuch in der blütenbiologischen Literatur bekannt, wir werden aber ; sehen, daß die Verhältnisse ganz ebenso liegen in Blüten, deren Staub- Rh blattentfaltung man als besondere Anpassung betrachtete. Tropaeolum. Die Blüten dieser Gattung gehören zu denen, bei denen die Anlegungs- und Verstäubungsfolge der Antheren auf den ersten Blick ganz rätselhaft ist. Treffend sagt schon CHR. K. SprrnGEL, daß ihm „anfangs alles ein | verwirrtes Gemisch zu seyn“ schien.. Erinnern wir uns, daß Tropaeolum j ! Vgl. darüber Wyprer in Flora 1851 p. 394 fi. 3 ee Die Reihenfolge der Entfaltung. 305 ausgesprochen dorsiventrale (freilich wie unten zu erwähnen sein wird, keineswegs streng Symmetrische) Blüten besitzt. Die Dorsiventralität spricht sich namentlich darin aus, daß an der adaxialen Seite ein Sporn vorhanden ist, und daß von den 5 Blumenblättern die drei oberen wesentlich anders gestaltet sind als die drei unteren. Bezüglich der Blütenhülle ist die Blüte epitroph. Im Androeceum aber kommen andere Tendenzen in Betracht. Man kann annehmen, daß die Blüte wie die der eben be- sprochenen Caryophyllaceen sich ableitet von einer solchen mit zwei fünf- zähligen Staubblattkreisen. Es sind aber nur 8 Staubblätter vorhanden. Diese sind in der frisch geöffneten Blütenknospe nach unten gerichtet. Dann erheben sie sich nacheinander und krümmen sich aufwärts. Aber ‚es geschieht das nicht, wie man bei der dorsiventralen Blüte erwarten sollte, in absteigender oder aufsteigender Reihenfolge. Vielmehr öffnen sich zuerst die beiden seitlich stehenden Staubblätter 1 und 2, dann ein unteres 3, ein oberes 4, ein seitlich unteres 5, ein seitlich unteres 6, ein seitlich unteres 7, ein seitlich oberes 8 (Fig. 180). Dem entspricht auch im wesent- lichen die Anlegungsfolge. Auf die verschiedenen Erklärungsversuche für diese Tatsachen hier einzugehen scheint nicht erforderlich, nur die neueste soll anhangsweise kurz besprochen werden. Sie sind alle nur formale Kon- struktionen, die meiner Ansicht nach daran leiden, daß sie nicht beachtet haben, daß in einem Sproß begrenzten Wach SuunE, Fig. 180. Tropaeolum majus. Querschnitte durch wie die Blüte einer ist, das Bjütenknospen. I älter, // jünger. Kelchblätter Material für die Organanlegung beziffert, K Kelchstaubblätter, c Kronenstaubblätter. schon vor dieser gegeben sein muß. Ist das der Fall, so kann ein Organ auf ein anderes bezüglich dessen Stellung einwirken, schon ehe es selbst ausgegliedert ist). Nun sind in der Tropaeolumblüte 3 Fruchtblätter vorhanden. Diese wirken, wie dies auch in einigen anderen Blüten der Fall ist, be- stimmend auf die Anordnung der Staubblätter. Diese (k,,k,, k,) treten so auf, daß sie mit den 3 Fruchtblättern des in der Blüte etwas schief gestellten Fruchtknotens alternieren (Fig. 180 2). Die beiden ersten stehen, entsprechend der Förderung der Flanken und der Oberseite der Blüte vor den beiden seitlichen Kelchblättern 4 und 5. Das dritte fällt nicht genau vor die Mitte des dritten Kelchblattes, was auch nicht möglich ist, wenn es mit 2 Fruchtblättern alternieren soll. Mit den ersten drei Staubblättern alternieren 3 weitere, c,, C;,, £g. Daß c, vorauseilt, ist ein Ausdruck der Epitrophie der Blüten. Auch die Blumenkronenblätter auf der Oberseite eilen den anderen in der Ent- wicklung voran. Aber auch hier machen sich verschiedene Einflüsse geltend. Die Epitrophie kommt in der Staubblattanlage nur zur Geltung, soweit ein anderer Faktor, der durch die drei Fruchtblätter gegeben ist, 1) Vgl. Gorset, Organographie 2. Aufl. p. 198. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 20 “ Ba SS A ae Sa Bar = ren, EMAIH 2: 0, Siebenter Abschnitt: mitwirkt. In diesem Falle also eilt c, c, voraus, weil es dem einen Fruchtblatt gegenübersteht. Wir sehen also, daß die Ausbildung des Fruchtknotens die Blüten- entwicklung tiefgreifend beeinflußt und in Verbindung mit der Gesamt- symmetrie der Blüten uns die Anlegungs- und Entfaltungsfolge der Staub- 15: blätter verständlich erscheinen läßt. Von letzteren sind vorhanden: R 4 „Kelchstaubblätter“ (k,, k,, k;, k,) und 4 „Kronenstaubblätter“ (c,, 6,, Rn. C-, €). Das Alternieren mit dem Fruchtknoten in Verbindung mit der > dorsiventralen Ausbildung stört die sonst übliche Reihenfolge, es treten Br also die Kelchstaubblätter nicht nur ungleichzeitig auf, sondern es ist eines (k,) gegenüber einem Kronenstaubblatt etwas verspätet, eines (k,) etwas seitlich verschoben. Will man, wie dies berechtigt ist, die Blüte von einer vollständiger ausgestatteten 5-zähligen ableiten, so sind, wie dies’ auch ältere Morphologen annahmen !), zwei Staubblätter (eines vor Kelch- blatt 2 und das vor dem untersten Blumenblatt stehende) als unterdrückt En zu betrachten. Die Ursache der Anderung war die Verminderung der | Fünfzahl der Fruchtblätter auf drei. Wenn im Vorstehenden der Einfluß des Fruchtknotens auf die Stellung der Staubblätter hervorgehoben wurde, so soll damit nicht etwa gesagt sein, dab dieser Einfluß nicht ein sich aus der Gesamtsymmetrie der Blüten ergeben- Be der sei. Auch die radiäre Blüte ist nicht immer etwas aus ganz gleichartigen | „Sektoren“ Bestehendes. Diese Sektoren können untereinander noch mehr ungleich werden, so daß dies auch äußerlich hervortritt. Der Fruchtknoten aber ist für solche Anderungen besonders empfänglich, oft mehr als das a Androeceum und die Blumenkrone. Eine Förderung der vor den Kelch- blättern 1, 2 und 3 oder 3, 4 und 5 stehenden Sektoren des Blütenvege- tationspunktes ergibt z. B. einen dreizähligen Fruchtknoten, dessen eines Fruchtblatt aber, wenn die Kelchblätter noch alle gleich groß sind, nicht über ein Kelchblatt fällt. (Nach der allgemeinen Regel der gleichmäßigen Raumverteilung.) Wenn eine Minderung der Kelchblätter 1 und 2 ein- tritt, wie bei Helianthemum-Arten, so ist damit ein Übergang zur Drei- zähligkeit gegeben). Außert sich der Einfluß der Förderung dreier Kelchblattsektoren für das Androeceum, so ergeben sich die für Tropaeo- ceum geschilderten Verhältnisse. Weil die Fruchtblätter am deutlichsten hervortreten, wurde die im Texte gegebene Darstellung gewählt. Die Hauptsache ist auch hier, daß die Gesamtsymmetrie der Blüten aus- schlaggebend ist, und daß diese mehrfach beeinflußt werden kann. Außerdem wurde oben erwähnt, daß die ganze Blüte nicht eine symmetrisch in zwei spiegelbildlich gleiche Hälften teilbare sei®). Das spricht sich auch, abgesehen vom Androeceum, aus in der gewöhnlich asymmetrischen Gestalt des untersten Blumenblattes. Die größere Hälfte dieses Blumenblattes würde in einer „rechtswendigen“ Blüte (die Kelch- spirale geht der Richtung des Uhrzeigers entgegengesetzt) nach links liegen, bei einer linkswendigen nach rechts. Das erste Staubblatt steht immer auf derselben Seite wie das erste Kelchblatt (aber vor Kelchblatt 4) und nach der Seite dieses Kelchblattes hin pflegt auch der Fruchtknoten aus der Mediane abgelenkt zu sein. Mit anderen Worten, wir haben in der Tropaeolumblüte eine Blüte !) Vgi. Eıcaver, Blütendiagramme II p. 296. ?) Vgl.M. Hırmer, Beitr. zur Morphologie der polyandrischen Blüten. Flora 110(1917). 3) Aus den oben angeführten Tatsachen ergibt sich, daß das auch bei vielen dorsi- ventralen Blüten, bei denen man das gewöhnlich annimmt, nicht der Fall ist. Die Staubblattentfaltung geht ja, wie wir sahen, in diesen gewöhnlich im Ziekzack vor sich. Die Reihenfolge der Entfaltung. 307 vor uns, deren 5zählige zyklische Anordnung verändert und, wenn man will, gestört ist durch zwei Faktoren: einmal die Dreizahl der Frucht- blätter, welche von vornherein das Androezeum beeinflußt und gewisser- maßen zu einem aus dreizähligen Quirlen bestehenden umzubilden strebt. Sodann die schiefe Dorsiventralität, die sich namentlich in einer För- derung der Flanken (Kelchblatt 4 und 5) und der Oberseite gegenüber der Unterseite ausspricht. Man kann das auch so ausdrücken, daß der Einfluß der Frucht- blatt-Zahl und -Stellung auf die Staubblätter ein größerer ist als der der Blumenblattzahl. Mir scheint, daß gerade Tropaeolum besonders deutlich zeigt, daß die Blüten Organsysteme sind, die mehreren verschiedenen Einflüssen unterliegen, deren Analyse uns auch die Entstehungs- und Ver- stäubungsfolge weniger rätselhaft erscheinen läßt, als dies bei der rein formalen Betrachtung der Fall sein muß. Was man unter einer formalen Betrachtung versteht wird aus dem Folgenden hervorgehen: Man konstruiert die Anordnung und Reihenfolge der Staubblätter nach verschiedenen Möglichkeiten auf dem Papier so lange, bis sie einigermaßen stimmt — wenn das nicht vollständig der Fall ist, um so schlimmer für die Pflanze! Eine solche Annahme ist die, daß die Staubblätter in der Tropaeolum- blüte nach der Divergenz °/, stehen sollen. Es ist schon auffallend, daß in eine in Kelch und Blumenkrone „cyklische* Biüte, bei der man wie bei Viscaria allenfalls eine ?/,-Stellung erwarten könnte, nun auf einmal eine °/,-Stellung kommen sollte. Indes könnte man dafür noch Beispiele von den hemizyklischen Blüten der Ranunculaceen anführen. Aber wenn man eine solche Stellung vermutet, so muß die Anordnung der Staub- blätter dann auch wenigstens mit der Annahme übereinstimmen. | In einer eingehenden Abhandlung hat ÜELAKoVsKY diese Frage erörtert. CELAKOVSKY !) schließt sich — offenbar um die Spiraltheorie für Tropaeolum zu retten — der Ansicht von ScHIMPER, BRAUN und FRrry- HoLD an, daß die Staubblätter einen °/;-Zyklus entsprechen. Es stört ihn dabei nicht, daß weder die Stellung der Staubblätter wirklich mit seinem Schema übereinstimmt, noch auch daß das zeitliche Auf- treten der Staubblätter seiner Annahme nicht entspricht — nicht weniger als die Hälfte der Staubblätter stimmen in ihrem zeitlichen Auf- treten nicht mit der Vermutung überein. Aber man braucht nur anzunehmen, „daß Stamen 3 mit Stamen 1, und Stamen 4 mit 5 ihre Stellen in der zeitlichen Folge vertauscht haben“ — dann stimme es schon! Außerdem stimmt auch die Stellung der Staubblätter nicht mit der CerLakovsky’schen Hypothese. Sein Staubblatt 5 (in Wirklich- keit 4) steht nicht rechts, Staubblatt 8 nicht links von Petalum „2“ und „D“, sondern vor deren Mitte, ebenso steht 6 vor der Mitte eines Petalums und nicht darunter. Es geht daraus schon das Künstliche der ganzen Konstruktion hervor. Ebenso muß OrELAKoVsky annehmen, daß Stamen 6 mit 8 seinen Platz tausche! Dabei hat er nicht übersehen, daß „die ersten Staubblätter mit den drei, den äußeren Sepalen supraponierten Karpellen am besten alternieren*! Gerade das ist aber nach der hier vertretenen Auffassung von besonderer Bedeutung. Die Zahl der Karpelle ist ja, wie schon % !) L. J. CzLakovsky, Über achtzählige Zyklen pentamer veranlagter Blüten, Jahrb. für wiss. Bot. XXXLII (1899) p. 368. 20* 308 Siebenter Abschnitt: ihre Konstanz zeigt, im Voraus bestimmt. Sie ist für die ganze Blüten- gestaltung maßgebend. Wir brauchen keinerlei künstliche Verschiebungen und Vertauschungen vorzunehmen, um das Zustandekommen der Blüte zu verstehen! Auch die Diagramme, die BucHEnAU in EnGLers „Pflanzenreich“ !) gegeben hat, sind bezüglich der Staubblatt-, teilweise auch der Frucht- blattstellung nicht zutreffend. Die oberen 2 Staubblätter stehen in der Knospe nicht seitlich von den Petalen nach dem Sporn hin zu- sammengerückt, sondern vor der Mitte der Petalen; auch die anderen sind nicht der Natur entsprechend wiedergegeben. Man sieht also deutlich, daß die bisherigen Theorien der Wirklichkeit nicht entsprechen. Es rührt das daher, daß sie nicht die Gesamtsymmetrie der Blüten als aus- schlaggebend betrachteten, sondern nur die Zahlen- und Stellungsverhält- nisse auf das übliche Schema zurückzuführen suchten. Es ist hier zwar nicht der Ort, auf die Blütensymmetrieverhältnisse ım allgemeinen näher einzugehen, doch soll an einigen Beispielen die früher verkannte Beeinflussung der Blütengestaltung durch den Fruchtknoten Fig. 181. Schemata J für Cueurbita, //für Hypericum. Das einfache Staubblatt (bzw. Staminodium) in / mit —- bezeichnet. (bzw. die Förderung und Minderung bestimmter Blütensektoren) näher be- sprochen werden, da sonst vielleicht auch die oben für Tropaeolum ge- gebene Darlegung als eine mehr oder minder willkürliche Konstruktion erscheinen könnte. Es sei dabei die Betrachtung beschränkt auf Blüten mit dreizähligem Fruchtknoten. Besonders merkwürdig sind die Uucurbitaceen. Wir können dabei absehen von der Getrenntgeschlechtigkeit der Blüten. Denn zweifellos sind diese ursprünglich aus Zwitterblüten hervorgegangen, die auch jetzt noch bei manchen gelegentlich auftreten, wie denn auch in den weiblichen Blüten meist Staminodien (Fig. 181, II) in den männlichen Fruchtblattreste vorhanden sind. Die Blüten haben normal einen aus drei Fruchtblättern aufgebauten Fruchtknoten und scheinbar drei Staubblätter. Diese sind ungleich ent- wickelt, eines ist „halb“, die beiden anderen sind ganz. Es ist jetzt wohl allgemein die Auffassung die herrschende, daß ursprünglich 5 halbe Staub- blätter in den Zwischenräumen zwischen den Blumenkronenblättern vor- handen waren, von denen je zwei paarweise. sich vereinigen. ') IV 131. Tropaeolaceae 1902 p. 5 Fig. 3, B, C. Die Reihenfolge der Entfaltung. . 309 ( Daß das unter dem Einfluß des Fruchtknotens!) vor sich geht, scheint mir zweifellos. Man ‘sieht aus dem schematischen Diagramm (Fig. 181, I links) ohne weiteres, daß das Staubblatt, welches ohnedies in den Zwischenraum zwischen zwei Fruchtblätter fällt (es ist mit einem Kreuz bezeichnet) an Ort und Stelle bleibt, während die vier anderen Staubblätter paarweise so „verschoben“ werden, daß statt jedes Paares je eine mit 4 Pollensäcken versehene, mit den nei anderen Fruchtblättern alternierende Anlage auftritt. Dasselbe zeigt auch der Querschnitt durch eine weibliche Blüte (Fig. 182). Die bestimmende Einwirkung des Frucht- knotens auf die Zahlenveränderung im Androeceum tritt hier also ohne weiteres deutlich hervor ?). Fast noch anschaulicher ist dies bei den Hypericaceen, weil hier Formen mit 5 und solche mit 3 Fruchtblättern vorkommen. Die mit 5 -Fruchtblättern ver- sehenen Hypericeen haben 5 Staub- blattgruppen, je eine vor einem der Blumenblätter a, b, c, d, e (Fig. 181, ]). Bei den mit 3 Fruchtblättern ver- sehenen Blüten aber kommen 3 Staub- blattgruppen vor mdzwar alternie- ren diese mit den 3 Fruchtblättern. -Das kommt, wie schon PAYER vermutet und HırMER neuerdings sicher nach- gewiesen hat, dadurch zustande, daß die Staubblattgruppen vor db und d, ec und e miteinander verschmelzen und in eine mit den Fruchtblättern alternierende Stellung rücken (Fig. 181, IT). Es ist also für unsere Betrachtung derselbe Vorgang wie bei Cu- Fig. 182. Cucurbita Pepo. Querschnitt curbita, nur ist er abgeändert da- durch eine weibliche Blüte. In der Mitte durch, daß bei dieser die einzelnen drei Narben, mit denen die Staminodien Staubblätter episepal, bei Hypericum % b, c abwechseln, 5b und c sind doppelt. die Staubblatt gruppen epipetal stehen. Die Blüten haben sonst in ihrem gesamten Aufbau sehr wenig gemeinsame Züge, sie gehören ja auch Familien an, die sich verwandt- schaftlich nicht nahe stehen. Um so klarer und deutlicher aber tritt das Prinzip hervor, um das es sich handelt. Es wäre leicht, .dafür noch andere Beispiele anzuführen, Stellaria media?), Aesculus u. a., indes genügen für den hier verfolgten Zweck wohl die obigen Darlegungen, welche zeigen, daß auf eine Blütenanlage mehrere Einflüsse einwirken können, welche die Anlegungs- und Ent- faltungsfolge abändern. Daß das Primäre in diesen Fällen die Förderung bestimmter Sek- toren der Blüten ist, dafür spricht die Tatsache, daß die damit zusammen- hängende Ungleichheit in der Staubblattentwicklung sich auch bei manchen Pflanzen findet, die keinen dreizähligen Fruchtknoten haben. So sind bei manchen Convolvulaceen die über Kelchblatt 3, 4, 5 stehenden Staub- !) Bzw. der Symmetrieinderung der Blüte, von der auch Zahl und Stellung der Fruchtblätter abhängig ist. ?) Darauf wurde zuerst hingewiesen in GoEBeEr, Organographie 1. Aufl. p. 717. Vgl. auch et Beiträge zur Kenntnis polyandrischer Blüten. A. a. O. ®) Vgl. E. Krart, Flora 109 (1916) p. 303. 310 Siebenter Abschnitt: blätter länger (und stäuben jedenfalls auch früher) als die über Kelch- blatt 1 und 2 stehenden, was, wie auch schon WYpLEr bemerkt hat, der „Kelchspirale“ entspricht !). Wir können so, wie der Astronom Störungen in der Umlaufszeit einzelner Himmelskörper auf die Anziehung von dem .betreffenden System nicht angehörigen zurückführt, auch die Störungen in der nor- malen Blütengestaltung auf bestimmte Einflüsse zurückführen. Und wenn wir auch nicht sagen können, woher es rührt, daß bestimmte Sektoren gefördert, andere gemindert sind, so ist es doch schon ein erheblicher (ewinn, wenn wir eine Anzahl bisher unverstandener Einzelerscheinungen unter Einen Gesichtspunkt bringen können. $ 6. Kryptodorsiventrale °) Blüten. Besonders haben die Fälle Aufmerksamkeit erregt, in denen, wie Meoıcus sich ausdrückt, „eine gegenseitige Neigung sich fortzupflanzen“ in den Bewegungen, welche Staubblätter und Griffel ausführen, gefunden wurde. „Und eben diese gegenseitige Neigung, vermöge welcher sich beide Geschlechter zur Befruchtung aufsuchen, ist etwas, das die höchste Verwunderung verdient, und vielleicht mehr als bloßen Reiz anzeigt“ °). Es ist sehr lehrreich, daß diese, teleologischen Anschauungen ent- stammenden Deutungen ganz irrig waren. Denn wir wissen jetzt, daß die Bewegungen der Staubblätter von Parnassia palustris, Ruta graveolens u. a. (auf welche schon Lisx& hingewiesen hatte) keineswegs mit der Selbst- bestäubung dieser Blüten im Zusammenhang stehen, also auch nicht durch eine „gegenseitige Neigung der Geschlechter“ bedingt sein können. Sie gehören vielmehr zu den proterandrischen, die normal einer Fremd- bestäubung unterliegen. Es kann also auch von einem „Aufsuchen“ der (Geschlechter hier keine Rede sein. Die merkwürdige Tatsache aber, daß die Entfaltung der Staubblätter in diesen Blüten in einer ganz bestimmten Reihenfolge vor sich geht, ist dadurch bedingt, daß sie kryptodorsiventral sind. Das soll an dem Beispiel von Parnassia und Ruta nachgewiesen werden. Parnassia palustris. Wenn die Blüten sich öffnen, sind die Staubblätter noch mit ganz kurzen Filamenten versehen, welche dem Fruchtknoten anliegen. Die Fila- mente strecken sich dann und zwar in bestimmter, wenn auch nicht bei allen Blüten gleicher Reihenfolge. Das Staubblatt, welches sein Filament gestreckt hat, biegt seine extrors werdende Anthere dicht über die Spitze des Fruchtknotens, an welchem die Narben noch unentwickelt sind, und bewegt sich dann nach außen. !) Ferner fallen z. B. bei Helianthemum, das drei große und zwei kleine Kelch- blätter, sowie drei Fruchtblätter hat, die geförderten Kelchblätter und die Fruchtblätter auf dieselben (4) Sektoren. Bei Cistus ladaniferus aber äußert sich die Förderung dreier Sektoren nur im Kelch, nicht im Fruchtknoten. Dieser ist 5zählig. Auch hier sind es Kelchblatt 1 und 2, welche den Minussektoren angehören. ; ; ?) Als kryptodorsiventral wurden vom Verf. (Organographie 2. Aufl. p. 200) die scheinbar ganz radiären Nprosse mancher Acanthaceen bezeichnet. Bei den Blüten treten analoge Erscheinungen auf, weshalb diese Bezeichnung auch hier verwendet wird, ‘ob- wohl sie als „vox hybrida“ eigentlich nicht empfehlenswert ist. 3 ®) F.K. Mevıcvs, Von der Neigung der Pflanzen sich zu begatten, Pflanzenphysiol. Abhandlungen I, Leipzig 1803 (darin wertvolle historische Angaben). I N N et a Die Reihenfolge der Entfaltung. 311 An der Antheren beraubten Filamenten trat die Streckung nicht ein, was aber eine Folge der Verletzung sein kann. Dagegen können sich, bei ungenügender Wasserzufuhr die Antheren auch öffnen, ohne daß eine erhebliche Filamentstreckung eintritt. Diese wird dann bei besserer Wasserzufuhr nachgeholt. | Die Bewegungsfolge der. Staubblätter fand ich — von Ausnahme- fällen abgesehen — so, wie WYDLER sie schon vor längerer Zeit ge- schildert hat. Es beginnt die Streckung bei dem vor dem ersten Kelch- blatt stehenden Staubblatt. Es folgt das seitlich von ihm im Abstand von */, stehende als zweites und zwar kann es entweder das rechts oder das links vom ersten stehende sein. Die Staubblätter, deren Anthere ge- öffnet ist, bewegen sich dann nach außen. Auf 2 folst 3 im Abstand von ?/,, darauf 4 im selben Abstand, während 5 naturgemäß nur um !/, von 4 absteht. Gelegentlich trifft man auch 2 Staubblätter zu gleicher Zeit über den Fruchtknoten mit ihren Antheren gebeugt an. n ). % 9) - IE N >. > EN IN HR ar i. 4 I > a = - A ET ARE 2 Sal >S . Kr; NT Il. AH Fig. 183. Parnassia palustris. I Diagramm der Blüte mit Angabe der Verstäubungs- folge. /I und /II Schemata (111 so wie J). Wie erklärt sich diese eigentümliche Reihenfolge in der Staubblatt- entfaltung, der (nach Linn&'s Vorgang) kein Geringerer als AuLrx v. Hum- BOLDT schon seine Aufmerksamkeit gewidmet hat? Wir sehen dabei ganz ab von der teleologischen Frage, und betonen nur, daß die Verstäubungs- folge offenbar. bedingt ist durch die Gesamtsymmetrie der Blüte. Par- nassia ist einer der Fälle, in denen zwei verschiedene Symmetrieformen — die radiäre (bzw. spirotrophe) und die dorsiventrale in einer Blüte sich vereinigen. Einerseits ist die Blüte eine anscheinend radiäre, anderer- seits ist die Seite, auf welcher das erste Kelchblatt steht, eine geförderte, die Blüte also dorsiventral. Das spricht sich aus nicht nur in der Größe der Kelchblätter (das erste ist das größte, ihm folgen der Reihe nach abnehmend das 4., 3., 2., 5.) sondern auch in der Ausbildungs- und (obwohl nicht immer) in der Deckungsfolge der einzelnen Blütenteile. Namentlich aber auch in der Verstäubung. Diese beginnt auf der Plusseite (1 u. 2), schreitet nun aber nicht gleichmäßig aufsteigend nach der Minusseite fort, sondern springt, der ?/,-Divergenz. (also der spirotrophen „Tendenz“ entsprechend) auf 3 und 4 über. Damit ist die Entwicklung bei der Minus- seite angelangt und findet dort naturgemäß ihren Abschluß. Solche Mischformen in der Blütensymmetrie sind auch sonst noch be- kannt. Ich habe auf eine davon bei den Valerianaceen aufmerksam gemacht ') EN en Über Symmetrieverhältnisse in Blüten, Festschrift für Wırsxer (1907) p. '156 312 ‘ Siebenter Abschnitt: v: Besonders auffallend sind die Entfaltungserscheinungen der Staub- blätter bei Ruta, weil die Staubblätter (mit den Blumenblättern) zunächst bei der Entfaltung nach außen, dann einzeln dem Fruchtknoten zu sich bewegen, ihre Antheren öffnen und dann sich wieder nach außen krümmen. Man könnte zunächst vermuten, die erste Bewegung sei eine passive, die Staubblätter würden von den kahnförmig vertieften Blumenblättern, denen sie dicht anliegen, nach außen mitgenommen. Dem ist aber nicht so, vielmehr ist auch die Auswärtsbewegung eine aktive. Wenn man die Blumenblätter in dem Stadium, in welchen ihnen die Staubblätter noch anliegen, entfernt, biegen sich die Filamente noch viel stärker nach außen als vorher. Es ist also zunächst ein epinastisches Wachstum vorhanden, das dann durch hyponastisches und schließlich wieder epinastisches abgelöst wird, wobei es dahingestellt bleiben muß, wie die Wachstunsverteilung inner- halb der Filamente sich gestaltet. PFEFFER sagt!): „Wenn sich also z. B. bei Ruta graveolens ein jedes Staubgefäß bei der Entfaltung der Blüte zunächst von dem Frucht- knoten entfernt, dann sich diesen von neuem anlegt, und sich endlich nach den Blumenblättern zurück- krümmt, so kann man diesen Vor- . gang mit vollem Recht als eine Fig. 184. Diagramm und Entfaltungsfolge der Staubblätter von Ruta graveolens (mit Benutzung einer Figur in Eıcnter’s Blüten- diagrammen). a, b, c, d, e Kelchblätter, 7—5 periodische Bewegung ansprechen.“ Solche Bewegungen treten ja, wie wir sahen, bei der Entfaltung der äußerer, /—V innerer Staubblattkreis, + Plusseite der 4zähligen Blüte. Laubblätter — auch bei der der Infloreszenzen nicht selten auf. In Blüten sind sie weniger häufig, es ließen sich außer Ruta aber auch noch andere Beispiele anführen. Die Reihenfolge, in welcher diese Bewegungen stattfinden, ist ebenfalls durch WYpuer schon vor langer Zeit festgestellt worden °). Bekanntlich hat Ruta 5zählige und 4zählige Blüten. Beide haben zwei Staubblattkreise, einen vor dem Kelch, einen vor der Blumenkrone. | Die Entfaltungsfolge der Staubblätter in den fünfzähligen Blüten ist in Fig. 184 eingetragen. Zuerst kommen die Kelchstaubblätter. Es bewegt sich zuerst das ı) Pflanzenphysiologie 2. Aufl. II. T. p. 385. f 2) Vgl. Wyprer, Bemerkungen über die 5-mer. Blüten von Ruta, Flora 57 (1874) p. 288. Darin sind auch Wyorer’s frühere Arbeiten über Ruta erwähnt, jedoch mit einem, auch in Eıcnver’s Blütendiagramme übergegangenen Druckfehler. Die erste steht nicht in Flora 1846 p. 468, sondern in Flora 1845. Später ist die Entfaltungsfolge der Ruta-Antheren noch vielfach — mit Außerachtlassung der Wyprer’schen Angaben — erwähnt worden, ohne daß indes etwas Neues dazu gekommen wäre, MaccntaArı hat für Ruta bracteosa DC. einige Zeitangaben, die natürlich nur für bestimmte, nicht näher, angegebene Bedingungen gelten. Das erste Staubblatt würde danach seine Gesamt- bewegung in 4!/, Stunden ausführen (wobei 1'/, Stunden auf die Ruhestellung beim Fruchtknoten fallen usw.). Ob die Angabe, daß die Bewegungen „si rendono poi pressoche nulli durante la notte“ richtig ist, und wenn, ob der Stillstand auf Lichtmangel (wie der Verf. annimmt) oder Temperaturerniedrigung beruht, wäre wohl näher zu unter- suchen. (L. Maccasarı, Del movimento periodico spontaneo degli stami nella Ruta braeteosa DC. e nel Smyrnium rotundifolium. Nuovo Giorn. botanieo ital. XII (1880) p. 243. 1 re vr ve ae 9 Bi . i Fe BR - y he u Die Reihenfolge der Entfaltung. 313 mit 1 bezeichnete nach dem Fruchtknoten hin und dann wieder nach außen, dann 2, 3, 4, 5. Die Reihenfolge der Kronstaubblätter ist mit römischen Ziffern bezeichnet. Vergleicht man nun diese Reihenfolge mit der in den oben erwähnten (hypotrophen) dorsiventralen Blüten (oder auch mit denen von Parnassia), so wird man ohne weiteres die Übereinstimmung erkennen: mit andern Worten, die Rutablüten verhalten sich in der Verstäubungsfolge wie dorsiventrale, deren Symmetrie- ebene durch das erste Kelchblatt (a) und das diesem auf der anderen Seite der Blüte gegenüberliegende Blumenkronenblatt geht. Das wird ohne weiteres bestätigt, wenn man die 4zähligen Blüten betrachtet, nament- lich die, welche in dem Teil der Infloreszenz stehen, der aus der Dichasien- schon in die Wickelbildung übergegangen ist. Man sieht deutlich, daß die beiden im Wickel nach außen gekehrten Blumenblätter (in der Abbildung mit — + bezeichnet) früher sich ent- ‘falten und deshalb zunächst größer sind als die inneren. Die Blüte sieht auch rein äußerlich betrachtet wie eine dorsiventrale aus. Das zwischen den beiden stehende Kelchstaubblatt 1 entfaltet sich dementsprechend: zuerst, dann folgen, wie in der 5zähligen Blüte die beiden rechts und links stehenden. Diese Tatsachen sind von erheblichem theoretischen Interesse. Sie zeigen, wie anscheinend radiäre Blüten dorsiventral beeinflußt werden können. Es ist der erste Ubergang vom radiärem zu dorsi- ventralem Blütenbau. Je früher in der Einzelentwicklung diese Beeinflussung stattfindet, desto mehr wird die Blüte auch der Anlage. nach eine dorsiventrale. Daß diese Beeinflussung eine trophische ist, geht, wie ich glaube, aus den in Organographie 2. Aufl. p. 447 angeführten. Tatsachen hervor. Unregelmäßigkeiten in der Reihenfolge kommen gelegentlich vor. Indes können sie die Zurückführung auf das allgemeine Gesetz der Blüten- symmetrie nicht umstoßen. — Wir haben also bei Ruta denselben Fall wie bei Parnassia nur durch die doppelte Bewegung der Staubblätter etwas abgeändert. Auf CARLET’s von BEYER angeführte Angaben hier einzugehen, liegt kein Grund vor, sie sind teils nicht neu, teils nicht richtig. Bemerkt sei nur noch eines. BEYER!) meint, die 4zähligen Rutablüten aus den 5zähligen (mit CARLET) ableiten zu können, aus „Verschmelzung je zweier benachbarter Kelch, Blumen- und Staubblätter“. Das ist aber eine ganz unmögliche, die (weder von ÜARLET noch von BEYER trotz WYDLEr’s Forschungen erkannte) Blütensymmetrie nicht berücksichtigende Konstruktion. Vielmehr kann diese Ableitung nur so gedacht werden, daß der, wie wir sahen, ohnedies die Minusseite der Blüte darstellende Sektor gegenüber dem Kelchblatt a ganz ausfällt — also ein Petalum mit dem ihm opponierten Staubblatt V. Kelchblatt b und e werden, entsprechend der geminderten Baustoffzufuhr und dem kleiner gewordenen Raum durch eines ersetzt. Ebenso natürlich die beiden in der fünfzähligen Blüte vor diesen Kelchblättern stehenden Staubblätter 4 und 5. Kelchblatt ce und d kommen genau seitlich zu liegen entsprechend der Regel symmetrischer Verteilung am Vegetations- punkt.‘ Daß auch das in der Mediane auf der Minusseite liegende Frucht- blatt verschwindet ist selbstverständlich. Es ergibt sich also ohne weiteres, daß die Verstäubungsfolge der Staubblätter in den vierzähligen Blüten ET RE DE \ ı) H. Beyer, Die spontanen Bewegungen der Staubgefäße und Stempel. Beil. z. Progr. des Gymn. zu Wehlau (1888) p. 29. 314 Siebenter Abschnitt: dieselbe ist wie in den fünfzähligen, nur daß Staubblatt 4 und 5 zu- sammenfallen. Der Vorgang, wodurch eine 4zählige Rutablüte aus einer 5zähligen zustandekommt, entspricht übrigens ganz dem, durch welchen aus einer 5zähligen Scrophulariaceenblüte z. B. der von Verbascum eine 4zählige Veronicablüte wird. Nur liegt bei den Scrophulariaceen auf der Minus- seite der Blüte, in welcher die Minderung eintritt, ein Kelchblatt, bei Ruta ein Blumenblatt. Dementsprechend werden bei Ruta zwei Kelch- blätter, bei Veronica zwei Blumenblätter durch eines ersetzt. Der Vorgang der sektorialen Minderung ist aber in beiden Fällen derselbe. In beiden handelt es sich auch um dorsiventrale Blüten — nur sind die von Ruta, wie oben nachgewiesen wurde, kryptodorsiventral. Es geht aus dem Gesagten hervor, daß die Kenntnis der Ver- stäubungsfolge der Staubblätter uns die Gesamtsymmetrie der Rutablüten erkennen läßt. Wenn man diese und die Tlatsache der Sektorenminderung beachtet, so leuchtet auch die Entstehung der 4zähligen Blüten aus 5zähligen ohne weiteres ein. Es handelt sich dabei nicht um bloße Vermutungen, sondern um einen klar erkennbaren Zusammenhang. Eine andere Rutacee, Barosma myrtifolium, sei im Anschluß an Ruta kurz erwähnt. Es sind von den 10 Staubblättern nur 5 mit Antheren versehen. Sie führen ähnliche, doch zeitlich weniger geregelte!) Bewegungen wie die von Ruta aus, öffnen sich aber nicht in dem Stadium, in welchem sie aufrecht stehen, sondern erst bei der Auswärtsbewegung. Der Griffel führt hier gleichfalls eine Nutationsbewegung aus. Er ist im ersten Stadium der Blüte (d. h. im männlichen) so scharf nach der Infloreszenzachse hin abgebogen, daß er mit seiner Spitze ein Blumenblatt berührt, später krümmt er sich dann wieder zurück, so daß er aufrecht wird. Da die Narbe wohl wie bei Ruta erst im zweiten Stadium der Blüte empfängnisfähig wird, so ist ein Nutzen der Griffelbewegung nicht einleuchtend — er würde auch nicht „im Wege“ sein. Es handelt sich also bei den Staubblättern wie beim Griffel um Nuta- tionsbewegungen einer Rutacee, die, wie mir scheint, zeigen, daß sie nicht ‚des Nutzens wegen erworben, wenn auch nützlich sein können. Bei Saxifraga-Arten kommen im wesentlichen dieselben Erscheinungen im Aufblühen der Staubblätter vor, wie sie oben für Parnassia und Ruta geschildert werden ?). Es handelt sich also um eine Erscheinung, welche in verschiedenen Verwandtschaftskreise auftritt (Rutaceen und Saxifrageen, zu denen auch Parnassia in nahen Beziehungen steht). Dabei ist zu be- tonen, daß außer den Blütenförmen, deren „Kryptodorsiventralität“ sich in der Entfaltung der Staubblätter äußert, in beiden Familien auch aus- geprägt dorsiventrale Blüten auftreten: so bei den Rutaceen in der Gattung Dietamnus, bei den Saxifrageen bei S. sarmentosa u. a, und daß diese Dorsiventralität, wie oben nachzuweisen versucht wurde, nichts weiteres: ist als eine Fortentwicklung der Kryptodorsiventralität. Ä Wie wir die wirkliche Dorsiventralität auf Ernährungsverhältnisse !) Ich schließe das daraus, daß man öfters 2 aufrechte Staubblätter antrifft. Im übrigen habe ich die Reihenfolge hier nicht untersucht. 2) Vgl. W. Brenner, Beobachtungen an Saxifraga granulata, Flora 98 (1908) p. 250#. Die Beziehungen zur Gesamtsymmetrie (speziell zur beginnenden Dorsi- ventralität der Blüten, welche bei $. sarmentosa sehr gesteigert ist) sind von BRENNER nicht hervorgehoben worden. Der „Grund“, weshalb 2 und 9 „außerhalb der Reihe“ liegen, ist eben die Kryptodorsiventralität der Blüte! (Vgl. a. a. O. p. 293.) Die Reihenfolge der Entfaltung. 315 zurückführen, so auch die Kryptodorsiventralität. Der Unterschied besteht nur darin, daß. diese Einflüsse hier später im Verlauf der Blüten- entwicklung in die Erscheinung treten als bei den dorsiventralen Blüten. Aber--es ist durchaus nicht ausgeschlessen, daß auch schon in der ersten Entstehung der Staubblätter bei genauer Untersuchung sich ähnliche Unter- schiede werden auffinden lassen, wie bei ihrer Entfaltung, Raum und Formverhältnisse am Vegetationspunkte der Blüten aber werden nur insofern ın Betracht kommen, als auch sie vom Ernährungsfaktor von vornherein beeinflußt werden. Wie man.nun darüber auch denken mag, jedenfalls sind die genannten Blüten dadurch, daß man sie als kryptodorsiventrale anerkennt, der kausalen Betrachtung näher gerückt. Die teleologische Betrachtung aber, wenn sie sich auch von dem früheren Irrtum freigemacht hat, ist auch jetzt noch nicht fest begründet. Auf diese Auffassung sei hier noch kurz eingegangen. Lehrreich ist schon die Deutung der Staubblattbewegung in den Blüten. KoELREUTER ?) hatte schon das Verhalten der Rutastaubblätter genau geschildert wie sie in bestimmter Reihenfolge sich zum „Eyerstock“ hinbewegen; er faßt es als Einrichtung zur Selbstbestäubung auf. SPRENGEL hat nachgewiesen, daß das nicht der Fall ist, daß vielmehr hier starke Proterandrie herrscht, dieNarbe kann gar nicht durch die sich ihr zubewegenden Staubblätter bestäubt werden, weil sie viel später erst sich entwickelt. Vielmehr soll das Verhalten eine Einrichtung zur Erleichterung der Fremdbestäubung sein. Das Insekt trifft an derselben Stelle. an der es in der einen Blüte die geöffnete Anthere gestreift hat in einer anderen die Narbe. HiLpEBRAND?) meint: „Blieben zum Beispiel bei den dichogamischen Blüten von Ruta graveolens oder Parnassia_ palustris die Staubgefäße an ihrer ursprünglichen Stelle, welche sie beim Offnen der Blüte einnehmen, so würde der Teil des Insekts, welcher in den einen Blüten den Pollen angestrichen bekommt, in den anderen gleichfalls leicht die Antheren, aber weniger wahrscheinlich die Narbe mit derselben Stelle berühren, das Insekt würde also viel schwieriger die Übertragung des Pollens auf die Narbe bewerkstelligen können“. Ein solcher Ausspruch wäre nur begründet, wenn er sich auf einen Versuch stützen würde. Da das nicht der Fall ist, ist er lediglich eine ‘ Vermutung, die von einem „wahrscheimlich“ zu einer positiven Aussage in demselben Satze sich steigert. Gewiß, bequemer für das Insekt ist die Erscheinung, daß die Staubblätter in aufrechter Stellung stäuben. Aber da am Grunde des Fruchtknotens ein Drüsenring sich befindet, den „das Insekt“ ableckt, so wird es auch"mit der Narbe in Berührung kommen, wenn es nicht zu klein ist. Die blütenbesuchenden Insekten sind Fliegen und kurzrüsselige Hymenopteren und zwar keineswegs sehr kleine Formen. Ich beobachtete beim Besuch der Blüten Bienen. Deren Körpergröße und Verhalten läßt mich nicht daran zweifeln, daß die Pollenübertragung auch stattfinden würde, wenn die Staubblätter nicht die eigenartige Entfaltungs- bewegung vollziehen würden, die so viel Aufsehen erregt hat. !) KOELREUTER, Vorläufige Nachricht 1761 p. 18. Er hat, wie er erzählt, diese „kleine Entdeckung“ 1759 gemacht. — In seiner Übersetzung von Boxner’s „Usage des feuilles“ (Ulm 1803) sagt C. F. Boeckt, (p. 189) „Langsam neigt sich der Staubfaden der Raute zu dem geliebten Weibchen hin, wenn er ausgerüstet zu dem Geschäfte der Liebe, wenn sie empfänglich für diese süße Freude ist“. Er führt an, „Darvın“. (soll wohl heißen Darwın — der Großvater von Can. D.). — glaube ein eigenes Sinnesorgan analog unserem Geruchsorgan leite diesen Vorgang. Heutzutage ist der Anthropomorphismus nicht mehr so naiv, wie in diesen Äußerungen — wirksam ist er noch immer! ?) Die Geschlechterverteilung bei den Pflanzen 1867 p. 22. 316 - Siebenter Abschnitt: Es wird zwar weiter angegeben „die Sicherung der Pollenübertragung geschieht bei beiden (Parnassia und Ruta) dadurch, daß die den bequemsten Sitz darbietende Blütenmitte erst von je einem aufgesprungen Staubblatte und dann von der Narbe eingenommen wird“ '). Ich muß indes gestehen, daß ich nicht verstehen kann, weshalb der „Sitz“ in der Mitte der Blüte der bequemste sein soll, und weshalb ein Insekt, das lebhafte Bewegungen ausführt, immer nur mit einer bestimmten, nicht mit einer beliebigen Körperstelle zuerst eine geöffnete Anthere, dann eine Narbe berühren soll. Das könnte wohl von Bedeutung sein, wenn wenig Pollen vorhanden wären. Das kann man aber nicht wohl sagen. Man wird also die jetzt herrschen- den teleologischen Deutungen der Staubblattbewegungen nicht als gesicherte betrachten können. Wohl aber ist die ungleichzeitige Pollen- entleerung von Bedeutung. Wie schon UHr. K. SPRENGEL für Tropaeolum betonte, wird durch die hintereinander erfolgende Entfaltung der Staub- blätter die Wahrscheinlichkeit der Bestäubung erhöht. Die Reihenfolge aber, in der das geschieht, d. h. die Verstäubungs- folge der Antheren (mit der wir es hier zu tun haben) ist biologisch gleichgültig. Sie ist, wie oben nachzuweisen versucht wurde, bestimmt durch die Gesamtsymmetrie der Blüten. Daß die Stellungsänderungen, welche die Staubblätter dabei in manchen Fällen zeigen eine Anpassungs- erscheinung darstellen, ist nicht erwiesen. Sie ist eine für die Bestäubung geeignete. Aber es fehlt der Nachweis, daß sie die relativ beste der ver- schiedenen Möglichkeiten darstellt; dieselben Insekten vollführen an anderen Blüten die Bestäubung ohne eine solche Stellungsänderung der Staubblätter. S 7. Zusammenfassung. Die vorstehenden Ausführungen ergaben, daß in der Entfaltungsfolge für bestimmte Arten konstante Eigentümlichkeiten vorliegen, die nicht als nützlich betrachtet werden können. Das ist gegenüber den p. 31 erwähnten Anschauungen, wonach alle spezifischen Merkmale durch den Kampf ums Dasein erworbene nützliche sein sollen, besonders zu betonen. Daß es sich dabei wirklich um Eigenschaften handelt, die den Artmerkmalen gleichwertig sind, zeigt z. B. eine Außerung von A. de Sr. HiLarke ?). Dieser macht darauf aufmerksam, daß man zur Unterscheidung der einander sehr ähnlichen Arten Orchis fusca und O. simia das Merkmal benützen könne, daß die Infloreszenzen der letzteren etwas unterhalb der Mitte, die der ersteren von unten an aufzublühen beginnen. Wir sahen, daß es sich, wenn eine von der Anlegungsfolge abweichende Entfaltungsfolge auftritt, fast stets handelt um Organe begrenzten Wachstums, bei denen, wie früher hervorgehoben wurde, schon die Anlegungsfolge von der progressiven abweichend sein kann. Für beide ist, wie zwar nicht unmittelbar nachgewiesen aber aus anderen Tatsachen erschlossen werden konnte, die Verteilung der Baumaterialien maßgebend. Diese kann zu verschiedenen Zeiten stattfinden und bedingt dann mehr oder minder auf- fallende Abweichungen von der gewöhnlichen „akropetalen“ Entfaltung. So können akropetal angelegte Organe eine von der Anlegungsfolge ab- - weichende Entfaltungsfolge aufweisen, oder es kann schon die Anlegungs- folge eine von der akropetalen abweichende sein. 1) Knura a. a. 0. p. 249. ?2) Morphologie vegötale p. 31. - Die Reihenfolge der Entfaltung. 317 In Blüten treten besonders eigenartige Verhältnisse dadurch ein, daß Wirtelstellung mit spirotropher Anordnung, Dorsiventralität mit spiro- tropher sich kombinieren oder beide durch Minderung bestimmter Sektoren verändert werden. In all diesen Fällen bietet die Gesamtsymmetrie der - Blüten den Anhaltspunkt für das Verständnis der Reihenfolge der Blüten- entfaltung, namentlich für die Verstäubungsfolge der Staubblätter. Eine biologische Bedeutung für diese aber ist derzeit nur insofern erkennbar, als die Verteilung der Pollenlieferung auf einen längeren Zeitraum für die Bestäubungssicherung vorteilhaft ist. Man kann die Reihenfolge der Verstäubung in den Blüten nicht als eine durch Zuchtwahl erworbene betrachten. Auch die „Dichogamie“ stellt nur einen besonderen Fall von Ent- faltungsvorgängen innerhalb der Blüten dar. Die Proterandrie entspricht den gewöhnlichen, durch die Anlegungsfolge bedingten Entfaltungsvorgängen ‘ oder ist doch nur eine Art Steigerung dieser, die Proterogynie dagegen stellt eine Abweichung von ihnen dar. Solche Abweichungen sahen wir in zahlreichen anderen Fällen auftreten, wo sie (in teleologischem Sinne) zufällig und belanglos sind. Es scheint mir kein Grund vorzuliegen, die Entstehung der Proterogynie anders als eine „zufällige“ aufzufassen. Auch daß sie (durch Bewirkung von Fremdbestäubung) nützlich sein kann, spricht nicht gegen diese Annahme, die lediglich betont, daß sie nicht zu einem bestimmten „Ziel“ und „Zweck“ und nicht durch allmähliche Anhäufung kleiner Variationen zustande gekommen sei, sondern die Ausnützung eines Entfaltungsvorganges darstelle, wie er auch sonst vielfach vorkommt. Achter Abschnitt: Entfaltungs- und BEIDE WERNE in Blüten. s 1. Einleitung. In Blüten treten vielfach eigentümliche Bewegungserscheinungen auf, deren Bedeutung man leicht zu erkennen glaubte. War man doch ge- wöhnt, alle Bewegungen bei Pflanzen als zweckdienliche zu betrachten, und was konnte bei den Blüten anders in Betracht kommen als die „Be- stäubung“? Wir wissen jetzt, daß die ersten dieser Deutungen häufig fehlgriffen. Aber auch die späteren sind durchaus nicht alle als gesichert zu betrachten. Im folgenden soll zunächst dargetan werden, daß es sich in allen derartigen Fällen um Bewegungen handelt, die durch die Art und Weise der Entfaltung der Blüten bedingt sind, diese Bewegungen können dann in zweiter Linie für andere „Zwecke“ als eben den der Entfaltung in Betracht kommen, oder auch ohne besondere Bedeutung sein. Es handelt sich dabei, wenn wir absehen von den „autonomen“ durch Epinastie oder Hyponastie bedingten Bewegungen, ebenso von den unter dem Einfluß von Licht und Schwerkraft erfolgenden, entweder um einfache Entfaltungsspannungen, oder um Variationsbewegungen. Die ersteren sind meist nur einmal, die letzteren wiederholt in Bewegung zu setzen. Schon in den vegetativen Knospen treten vielfach Spannungen auf, teils zwischen den verschiedenen Seiten eines und desselben Blattes teils zwischen den verschiedenen Blättern. E Spannungen erstgenannter Art bedingen es z. B, daß die „Spatha“, die Hülle, welche die Blütenstände der Palmen in der Jugend umgibt. bei einigen Arten mit einem Knall sich öffnet. Dasselbe ist — in entsprechend geringerem Maße — auch bei den Blütenknospen der Orchidee Stanhopea der Fall!). Wenn man bedenkt, wie fest der Verschluß der Knospen durch Verzahnung der Ränder ineinander und andere Einrichtungen oft ist, kann man sich nicht darüber wundern, daß die Offnungsbewegung erst nach Uberwindung eines Widerstandes und dann rasch erfolgt. Spannungen verschiedener Blattgebilde gegeneinander finden sich bei den p. 33 erwähnten Fällen, in denen Teile der Knospenhülle an der Offnungsbewegung nur passiv beteiligt sind und emporgehoben werden. Die Beendigung der Spannung durch Durchbrechung ist eine ver- hältnismäßig rohe und auch nicht sehr in die Augen fallende Art von deren Aufhebung. !) Pritzer, Über das Aufspringen der Blüten von Stanhopea oculata, Verhandl. des naturhistor.-medizin. Vereins zu Heidelberg, N. F. II (1850) p. 30. — Die Spitzen der „Sepalen“ schnellen mit einem Stoß etwa 5 cm ar und bewegen sich dann — so schnell, daß man mit dem Auge folgen kann — fort. In 2—3 Minuten ist die Öffnungsbewegung (abgesehen von kleinen nachträglichen Bewegungen) zu Ende. a “4 Ir. x ’ “ £ ” Ar . Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 319 Viel auffälliger ist die Beendigung der Spannung dann, wenn sie ohne Verletzung der gegeneinander gespannten Teile durch Losschnellen der durch Spannung festgehaltenen Teile erfolgt. Von vegetativen Knospen ist mir kein Beispiel bekannt, bei vielen Blüten aber haben die Schnell- bewegungen beim Öffnen schon lange die Aufmerksamkeit auf sich ge- zogen. Auch hier können die Bewegungen mit größerer oder geringerer Regelmäßigkeit und Genauigkeit erfolgen. Die meisten dieser Schnellbewegungen hat man früher als Reizbe- wegungen betrachtet. Und wenn man diese — wie dies zum Teil ge- schah — lediglich als „Auslösungsbewegungen“ betrachten wollte, ähnlich wie bei dem oft gebrauchten Beispiel der Auslösung der Spannung einer durch einen Faden gespannten Feder durch dessen Durchschneidung, so wäre kein Grund vorhanden, um die Schnellbewegungen von den Reiz- bewegungen auszuschließen. Da die ersteren aber im Gegensatz zu den letzteren nur einmal erfolgen, also nach Aufhebung der Spannung nicht deren Wiederherstellung erfolgt, hat man sie mit Recht von den Reizbe- wegungen getrennt. Indes läßt sich eine scharfe Trennung nicht durchführen. Gewißb kommt in vielen Fällen nur eine mechanische Auslösung der Spannung in Betracht. Wenn aber der gespannte Körper selbst imstande ist seine Spannung (infolge äußerer Einwirkung auf seine lebenden Zellen) zu ändern, so ist kein Grund vorhanden, ihn nicht als „reizbar“ zu bezeich- nen. Im folgenden mögen einige Beispiele angeführt werden von Schnell- bewegungen, zunächst von Perigonblättern, dann von Staubblättern und Teilen des Gynaeceums. Anderweit oft erörterte Beispiele wie die mancher Papilionaceenblüten können dabei außer Betracht bleiben. Vielmehr handelt es sich nur darum, an einer Anzahl von weniger allgemein be- kannten Beispielen zu erläutern, wie eine Entfaltungsspannung als eine besonders merkwürdige Anpassung erscheinen kann. $ 2. Eria Loheriana. Herrn A. LoHER in Manila ver- dankt der Münchener Garten eine — von Prof. Kränzuın als Eria Loheriana bestimmte — Orchidee, deren Labellum eine Schnellbewegung ausführt. Die Blüten der vielblütigen Infloreszenz öffnen sich in ziemlich langen Zeit- räumen einzeln hintereinander. Das Labellum L. (Fig. 185, /) wird zunächst nach unten gedrückt durch zwei ihm anliegende Perigonblätter, von denen jedes auf seiner dem Labellum zuge- wandten Seite eine dunkelgefärbte Vor- wölbung aufweist (Fig. 185, IV und V). Der Rand dieser Vorwölbung liegt über dem Labellum, dieses ist gegen die beiden Perigonblätter gespannt. Durch die gewölbte Gestalt ihrer Ränder sind diese gegen ein Durchbiegen von seiten Fig. 185. Eria Loheriana Kränzı. ] Blüte des gespannten Labellums gesichert. von hinten, ZI von vorne, //I mit losge- : ? . schnelltem Labellum Z, Sseitliche Sepalen, Sobald man sie herabdrückt, schnellt "ie in IV besonders gezeichnet sind. 320 Achter Abschnitt das Labellum los und legt sich dem Gynostemium an (Fig. 185 I/II). Es ist anzunehmen, daß in der Heimat dieser Mechanismus durch blüten- besuchende Insekten in Tätigkeit gesetzt wird, welche die Bestäubung bewirken. Unter derselben Orchideensendung befand sich eine, von Herrn Prof. Kränzuın als Eulophidium maculatum bezeichnete Art'), deren Labellum — trotz wesentlicher Gestaltungsverschiedenheiten in den Blüten — die- selbe Schnellbewegung ausführt, wenn es von seiner Hemmung befreit ist, wie die von Eria Loheriana beschriebene. Man kann hier aber, solange die Blüte noch frisch ist, das Labellum in seine ursprüngliche Lage zurückdrücken. Daß man die Schnellbewegung des Labellums als im Dienste der Be- stäubung stehend deuten kann, ist klar. Man kann sich ausmalen, daß ein mit Pollinien beladenes Insekt die Labellumspannung löst, dadurch mit der Narbe und dem Rostellum in Berührung kommt und mit neuem Pollen beladen sich entfernt. Es sei erinnert an die bei Besprechung der Gelenkbildung (p. 49) erörterten Örchideenblüten wie Masdevallia muscosa, Bolbophyllum Lobbi u. a. Indes liegt derzeit kein triftiger Grund dafür vor, die merkwürdigen Entfaltungsspannungen von Eria Loheriana für anders als „zufällig“ ent- standen zu halten. — Die oft erörterten Reizbewegungen in den Blüten von Jatasetum, Pterostylis u. a. möchte ich hier nicht besprechen, da mir darüber keine eigenen Beobachtungen zur Verfügung stehen. $ 4. Schnellbewegungen der Staubblätter bei Schizanthus, Lopezia, Stylidium, Loranthaceen, Proteaceen. Auch hier finden sich verschiedene Abstufungen. Die Schnellbewegungen treten bald mit geringer, bald mit großer Sicherheit auf. Wenig präzis erfolgen die der Staubblätter der Solanee Schizanthus, wenigstens bei den von mir untersuchten Gartenhybriden. Die zwei untersten Blumenblätter sind zu einer Art „Schiffchen“ verwachsen. In diesem liegen die zwei fertilen Staubblätter. Da deren Filamente stärker in die Länge wachsen als das Schiffchen, sind sie gegen dieses gespannt. Drückt man also auf dieses, wie dies seitens eines die Blüte besuchenden Insektes erfolgen kann, so schnellen die Staubblätter heraus, wobei der Pollen ausgestreut wird, wenn die Staubblätter vorher schon in der Knospe sich geöffnet haben. So hat auch HıLDEBRAND ?) den Vorgang beschrieben. Ich fand aber, daß bei nicht wenigen Blüten die Staubblätter ohne Spannung über das Schiffchen herauswachsen, also die darin ursprünglich verborgenen schließlich ohne mechanische Ein- wirkung herauskommen. Die Schnelleinrichtung war also hier nicht sehr zuverlässig. Besser funktioniert sie in anderen Blüten. Aber auch bei ihnen kann man — wenigstens in den von mir untersuchten Fällen — nicht von einer durch Zuchtwahl herbeigeführten Anpassung sprechen. Lopezia coronata. Diese in unsern Gärten vielfach gezogene Ona- grariacee ist von HıLpEBRAND?°®) näher untersucht worden. Die Merkwürdigkeit ihrer Blüten besteht bekanntlich darin, daß im !) Merkwürdig ist, daß diese, ebenso wie Eria Loheriana sehr langsam aufblühende Infloreszenzen hat. Die Blühdauer verteilt sich auf viele Wochen. 2) F. Hınoesrann, Über die Vorrichtungen an einigen Blüten zur Befruchtung durch Insektenhilfe. Bot. Zeitung 1866 p. 76. ») F. HındEBranD, a. a. O. p. 75. ER NE ATT ap v rn . 2% et “| ‘ f ‘ Re RER C f { SE Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 321 ersten Entfaltungsstadium die Anthere des einzigen Staubblattes von einem blumenblattähnlichen Staminodium umfaßt ist (Fig. 186 7). Das Filament des Staubblattes wächst auf seiner Unterseite stärker als auf seiner Ober- seite, die Basis des Staminodiums verhält sich umgekehrt. Da das Stami- .nodium die Anthere umfaßt, können Filament und Staminodium beide die „angestrebte“ Lage (nach oben und nach unten) zunächst nicht einnehmen. Sie sind vielmehr gegeneinander gespannt. Ein leichter Druck oder selbst eine Berührung des löffelartigen Teiles des Staminodiums reicht hin um die Spannung zu lösen, das Filament geht in die Höhe, das Staminodium nach unten (Fig. 186, IT). Dieser Vorgang kann selbstverständlich durch Insekten, welche die Blüten besuchen, hervorgerufen werden. Diese Möglichkeit hat dazu geführt, in dem Spannungsvorgang etwas für die Bestäubung Wich- tiges zu sehen. HILDEBRAND sagt: „Es wird hier also jedenfalls dem Insekt, welches die Blüte besucht, einestels durch das Hervor- schnellen der Anthere einiger Pollen gegen den Körper ge- schleudert, andererseits kann das- selbe auch solchen aus der nun in seinem Wege liegenden Anthere leicht angewischt bekommen.“ yjo. 186. Lopezia coronata. I Blüte schief Mitanderen Worten: HILDEBRAND von oben, St Staminodium, welches die Anthere setzt voraus, daß sowohl dies Los- 4A umfaßt, f Filament, @ der noch kurze Griffel, " . kdie drei nach oben gekrümmten Kelchblätter, re ee Daen, han a h das nach unten gekehrte. /I Blüte, bei der attes, N&C em ALosschnelien sich das Staubblatt vom Staminodium gelöst im Dienste der Bestäubung stehen hat, in Seitenansicht. — nur hat er beides leider nicht beobachten können. H. MürLuer dagegen hat später das Schnellen durch Fliegen ausgeführt gesehen. Nun wird aber nach HıuLorgranp das Losschnellen der Anthere auch durch das Wachstum des (zunächst noch sehr kurzen) Griffels (G, Fig. 186, I u. II) bedingt. Das ist für die Annahme, die Schnellvorrichtung sei eine Anpassung für die Bestäubung natürlich mißlich. HıuDEBRAnD begegnet der Schwierigkeit mit einer neuen Vermutung, „wir dürfen aber hier wie dort!) annehmen, daß wohl selten eine Blüte im Freien, wenn anders die betreffenden Insekten nicht fehlen, in der Entwicklung bis zu diesem Punkte gelangt, sondern daß das Staminodium schon vorher durch Insektenberührung zurückklappe“. — Wie man sieht, handelt es sich also nicht um Beobachtungen, sondern nur um eine Reihe von Vermutungen. Nun gibt es eine andere Lopezia-Art, L. miniata, welche bei sonst gleichem Verhalten der Blüten die Schnellvorrichtung nicht besitzt, ohne offenbar deshalb in ihrer Bestäubung beeinträchtigt zu sein. Mir scheint schon daraus hervorzugehen, daß die Schnellvorrichtung keine Anpassung an die Bestäubung darstellt, sondern auf einer zufälligen Entfaltungsspannung be- ruht. Diese Auffassung ist derzeit mehr berechtigt, als die HiıLpe- BRAND’sche Vermutung. Läßt man nämlich Blüten von L. coronata bei Abschluß von Insekten sich entfalten, so sieht man, daß die anfangs vor- !) (Bei den analogen Fällen von Indigofera und Medicago.) Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 21 322 Achter Abschnitt: handene Entfaltungsspannung sich ganz ruhig löst. Der zwischen Staub- blatt und Staminodium befindliche Griffel trennt bei seinem Wachstum Staubblatt und Staminodium, die geöffnete nach oben gebogene Anthere enthält aber eine Menge Pollen, der nun einem Insektenkörper angeheftet werden kann. Ich fand Blüten mit „gespannten“ Staubblättern nur morgens. Wenn ich sie ins Zimmer brachte, war die Staubblattbewegung nach kurzer Zeit eingetreten. Die Insekten haben also nur ganz kurze Zeit Gelegenheit die Schnellbewegung auszuführen, sonst sind sie auf die Blüten mit ausgestreckten Staubblättern angewiesen. Im Münchner Garten wird Lopezia zur Mittagszeit reichlich von Bienen, Wespen und Fliegen besucht. Diese können aber, wie erwähnt, da die Entfaltungshemmung nur kurze Zeit anhält, die Schnellbew egung nur in verhältnismäßig seltenen Fällen auslösen. Für gewöhnlich wird die stark proterandische Blüte ebenso bestäubt, wie die von Lopezia miniata!), bei welcher das Stami- nodium keine Entfaltungsspannung bedingt. Die Bestäubung erfolgte bei L. coronata sehr wirksam — der Fruchtansatz war ein massenhafter. Es mag sein, daß in anderen Fällen den Schleudervorrichtungen, welche durch Entfaltungsspannungen entstehen, eine größere Bedeutung zukommt, als bei Lopezia?). Aber auch in diesen wird es sich nur um eine Ausnützun g eines an sich zufälligen Entfaltungsvorganges, nicht um eine durch Zuchtwahl allmählich erworbene Anpassung handeln. Wohl aber ist möglich, daß ein solcher, ursprünglich als Entfaltungshemmung entstandener Spannungsmechanismus schließlich als eine besondere An- passung erscheint dadurch, daß es mit ihm sein Bewenden hat. Denken wir uns z. B. die Auslösung der Entfaltungsspannung bei Lopezia, die, wie wir sahen, für die Bestäubung bedeutungslos ist, sei für diese besonders günstig, so kann das weitere Entfaltungsstadium ohne Nachteil für die Pflanze ausfallen. Dann sieht es so aus, als ob die Entfaltungsspannung besonders „zum Zweck der Bestäubung“ erworben sei — was nach unseren Anschauungen nicht zutreffen würde. Es wird nicht überflüssig sein, ein weiteres Beispiel, das sich Lopezia anschließt, zu besprechen. Es handelt sich dabei um Pflanzen, bei denen die Nutationsbewegung nicht einmal vor sich geht, wie bei Lopezia, sondern mehrmals. Ahnlich wie wir bei den Staubblättern von Parnassia und Ruta ein Hin- und Herpendeln antrafen ist es auch bei dem Gy nostemium einiger (vielleicht aller!) Stylidium-Arten. Stylidiaceen. Vorbemerkung. Bezüglich der Literatur sei verwiesen auf PrEFFER’s Pflanzenphy siologie, (2. A. is 384). In der seither erschienen Dissertation von ©. C. Hosszus, „Über die Beeinflussung der autonomen Variationsbewe- gungen durch einige äußere Faktoren“ ‚ Leipzig 1903, findet sich nichts Neues !) Vgl. auch Kırcaser, Blumen und Insekten p. 159. Nach Kırcnser’s Beschreibung sind die Blüten von L. miniata resupiniert. Er gibt an, daß das Staminodium nach oben steht, während es bei L. coronata nach unten gerichtet ist. a vol. z. B. Fr. Mürter, Über die Befruchtung der Martha (Posoqueria?) fragrans. Bot. Zeit. 1866 p. 129. Hier tritt eine Spannung ‘der durch die Antheren verklebten Filamente gegeneinander ein. Um eine wirkliche Reizbewegung wird es sich wohl auch. hier nicht handeln, trotzdem nur an einer sehr beschränkten Stelle die Berührung zum Losschnellen führt. Leider geht aus Fr. Mürrer’s Mitteilung nicht hervor, ob der Samenansatz ein sehr reichlicher ist, und ob nicht auch „unbefugte“ Besucher die Aus- schleuderung veranlassen. Mir war die Pflanze nicht zugänglich. EN SER [> gr Eu Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 323 von Belang. Wohl aber sind darin einige unrichtige Behauptungen enthalten wie z. B. die: in der Abhandlung von Burns (dessen Namen ständig falsch zitiert wird) sei die grundlegende Arbeit von Gap nicht erwähnt, während diese dort (Flora 87 (1900) p. 342) ausführlich besprochen wird! Ebenso unzutreffend ist die Behauptung von Hosskus, er habe Burxs’ Angaben, daß es sich bei der Bewegung des Gynostemiums von Stylidium um eine Nutationsbewegung handle, widerlest!. Für unsere Erörterung ist es gleichgültig wie die Bewegung des Gynostemiums vor sich geht, ob durch Turgorvariationen oder durch Wachstumsdifferenzen. Aber daß letztere maßgebend sind, ist trotz Hoss£eus’ Behauptungen mir nicht zweifelhaft. — In den Stylidiumblüten ist ein Gynostemium vor- handen, d.h. ein Verwachsungsprodukt von Staubblättern und Griffel. Es trägt bei St. adnatum (Fig. 187) zwei . Antheren und liegt in der entfalteten Blüte einem eigen- artig entwickelten, als Labellum bezeichneten Blumen- blatt fest an. Wenn man es berührt, springt es lebhaft in die Höhe und biegt sich nach der anderen Seite über. Dann geht es allmählich in die frühere Lage zurück, und nach etwa einer halben Stunde kann die Bewegung aufs neue ausgelöst werden. Bei Stylidium yig. 187. Stylidium adnatum ist übrigens die ganze Blüte eigentlich asym- adnatum. Blüte mit metrisch, nicht (wie gewöhnlich angenommen wird) ein- hervorragendem Gy- fach dorsiventral. Das Labellum ist in der Abbildung Sat das zwei Fe £ : > ; RE: 5 Staubblätter und eine nicht sichtbar, es ist viel kleiner als die übrigen Zipfel Narbe träet. Label- der Blumenkrone, nach abwärts gebogen und fast auf um nicht sichtbar. seiner ganzen Fläche durch eine Drüse bedeckt, die ein klebriges Sekret absondert ?). An dem Gynostemium kann man deutlich wahrnehmen, daß es in seinem unteren Teile wächst und dort nicht gerade bleibt, sondern ge- dreht wird. Es führt also eine kreisende Nutationsbewegung aus; dabei gelangt es an das Labellum und wird dort entweder festgeklebt (St. ad- natum) oder festgeklemmt (St. calcaratum). Beim weiteren Wachstum muß also eine Spannung eintreten, welche bei Erschütterung eine Explosion bewirken kann, durch welche der Pollen (bei Styl. adnatum) auf eine Entfernung von über 12 cm fortgeschleudert wird. Es ist dazu aber nicht ein äußerer Anstoß notwendig. Der Vorgang findet vielmehr unter günstigen Bedingungen auch „autonom“ statt. Die (synostemien springen, wie Burns beobachtete, um 2% früh plötzlich ın die Höhe und gehen dann zurück. Es handelt sich also um eine Entfaltungsspannung, nicht um eine Reizbewegung. Welche Bedeutung diese für die Bestäubung hat, läßt sich natürlich nur in der Heimat der Stylidien ermitteln. Leider habe ich bei meinem kurzen Aufenhalt in Westaustralien versäumt, darauf zu achten. !) Gap (Botan. Zeitung 38 (1880) p. 223) führt als Grund für seine Annahme, dab das Gynostemium von Styl. adnatum eine Variationsbewegung ausführe, an: einmal den zeitlichen Verlauf, sodann die Beobachtung, daß die Epidermiszellen an der konkaven Seite papillös”hervorgewölbt, an der konvexen fast vollständig glatt seien. Das zeigt natürlich nur, daß die konkave Seite zusammengedrückt wird, nicht aber, daß das durch Turgorsteigerung der konvexen erfolgt. ? 2) Gelegentlich traf ich es ebenso ausgebildet wie die vier anderen Zipfel der Blumenkrone. 21* 324 Achter Abschnitt: Nach den Angaben von Hamıttox !) werden die Blüten von Stylidium serrulatum in Australien von Bienen besucht, die beim Honigsaugen die » „reizbare Stelle“ am Grunde der Säule berühren und dadurch deren Über- schlagen bedingen. Die Blüten von St. calcaratum sind proterandrisch. Ihre Bestäubung geht wahrscheinlich auf folgende Weise vor sich. Zu- erst streift die pinselförmige Narbe über den Insektenkörper und kann also von diesem — wenn es sich um eine ältere Blüte handelt — Pollen aufnehmen. Dann werden durch eine plötzliche zweite Bewegung des oberen flacheren Teils des Gynostemiums die Pollensäcke an den In- sektenleib gedrückt und dieser wieder mit Pollen beladen. Daß eine Entfaltungseinrichtung der Blüte hier im Dienste der Bestäubung steht, ist zweifellos. Und daß die ganze Einrichtung sozusagen eine „be- absichtigte“ oder besonders vorteilhafte sei, könnte man daraus schließen, daß das Festhalten des Gynostemiums, welches zur Schleuderbewegung erforderlich ist, bald durch Kleben, bald durch die Gestalt des Labellums bedingt wird, einen Auswuchs des Gynostemium svon St. calcaratum könnte man als „Stimulator“ deuten. Daß es so geht, ist aber kein Beweis da- für, daß es ohne die Schnellbewegung nicht ebensogut ginge. Die Blüten‘ von Stylidium sind (scheinbar) dorsiventral. An dieser Dorsiventralität nimmt auch das Gynostemium teil und führt dabei Nutationsbewegungen — bei asymmetrischem Bau kreisende — aus, bei denen es zu der beschriebenen Hemmung kommt. Daß diese bei St. adnatum auch autonom (unter be- sonders günstigen Wachstumsbedingungen) überwunden werden kann, wäre wohl kaum im Interesse der Bestäubung, wenn diese auf den Schnell- vorgang angewiesen wäre, da dabei Pollen verloren geht und dieser bei insektenblütigen Pflanzen spärlicher gebildet wird als bei den windblütigen. Man müßte denn annehmen, der Pollen sei für die älteren Blüten des- selben Blütenstands bestimmt — also nur für eine Nah-, nicht für eine Fernverbreitung. Es ist ja möglich, daß der Insektenbesuch ein so reich- licher ist, daß ein spontanes Losschnellen in Australien nur ausnahms- weise eintritt und daß sich die einzelnen Arten verschieden verhalten. Eine wirkliche Anpassungserscheinung würde der Schleudervorgang meiner Ansicht nur dann darstellen, wenn nachgewiesen würde, daß die Pollen- übertragung auf andere Weise nicht oder weniger gut stattfinden konnte. Da das bis jetzt nicht der Fall ist, so ist auch die Annahme zulässig, es handle sich um eine zufällig entstandene, aber für die Bestäubung aus- genutzte Hemmung einer Entfaltungsbewegung. Vielleicht funktionierte das „Labellum“ ursprünglich als Nektarium, dann wäre das vorübergehende Ankleben des Gynostemiums ein zufälliger Vorgang. Vergleichende Untersuchung der Pflanzen an ihren natürlichen Standorten wird wohl weitere Aufklärung bringen. Ein reizbares Labellum findet sich, wie R. BRowx vor langer Zeit schon beobachtet hat, bei der Stylidiaceengattung Leeuwenhoekia. „In L. enim labellum in flore expanso deflexum, causa irritante admota, cum impetu erigitur et cochleariformi sua lamina columnam erectam immobilem tegit“ ?). Merkwürdigerweise ist, wie es scheint, dieser Reizvorgang seit seiner Entdeckung vor mehr als 100 Jahren nicht mehr untersucht worden, ob- wohl einige Arten dieser Gattung z. B. in Westaustralien „häufig sind. t) Angeführt bei Ksurs, Handbuch III, 1 p. 212. ?\ R. Brows, Prodromus florae Novae Hollandiae. Ed. II. III p. 429 ($ 73) zitiert nach Gap. ER KERN Kran A A a3 “2 RT lat a « e%Y « Er fr f . Be x i X WE; * " Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 325 Es sind niedrige „einjährige“ !) Pflanzen mit kleinen Blüten, in denen das als Labellum (Z. Fig. 188) bezeichnete Blütenblatt durch Lage, Gestalt und lebhaftere Färbung von den vier übrigen sich unterscheidet. Während diese schief aufgerichtet sind, ist das Labellum nach außen abgebogen. Diese Abbiegung geschieht, wie ich annehmen möchte, durch stärkere Turgordehnurg auf der Oberseite, nicht wie bei der „Öffnung“ der vier übrigen Blumenblätter durch epinastisches Wachstum. Der basale Teil des Labellums ist auch bedeutend straffer und saftiger als der der vier übrigen Blumenblätter. Wahrscheinlich sind die Blüten auf Fremdbefruchtung an- gewiesen. Damit steht auch die Reizbarkeit im Zusammenhang. Durch den Reizvorgang wird ein auf dem Labellum gelandetes kleines Insekt (ähnlich wie in manchen Orchideenblüten) nach der „Säule“ (G Fig. 188) hin befördert werden, die hier, im Gegensatz zu Stylidium sichnichtbewegt. Da die Blüte proterandrisch ist (ich fand die Antheren schon in den geschlossenen Blütenknospen geöffnet), wird das Insekt sich in den jungen Blüten mit Pollen bestäuben in älteren ıhn auf die Narben bringen können. Ob etwa die eigenartigen ? Anhängsel und Vertiefungen im Labellum etwas zu bedeuten haben (Nektarien? bzw. Scheinnektarien oder Stellen, die für die Reiz- wahrnehmung in Betracht kommen), läßt sich natürlich nur an der lebenden Pflanze fest- stellen. (Ich untersuchte getrocknete am ‚Mt. Barker in Westaustralien gesammelte ‘ Pflanzen von L. stipata) — Wenn die obigen Annahmen zutreffen, dann sind diese Blüten interessante Parallelbildungen sowohl was die Entfaltung als was die Reizbarkeit betrifft, zu Orchideenblüten wie denen von Masdevallia muscosa u. a. (vgl.p.49). Selbstverständlich kann .nur an lebenden RR Pflanzen festgestellt werden, ob nicht Selbst- Fig. 188. a bestäubung (auch ohne die Erschütterung IE en 1 AUE AUE INCHESE &\ 5 Pflanzenreich). Z Labellum, A des Gynostemiums durch das reizbare Nektarium, @ Gynostemium. Labellum) möglich ist, namentlich bei Arten mit so kleinen, unscheinbaren Blüten wie die von L. pusilla. Sicher ist, daß der Bestäubungsapparat von Leeuwenhoekia mit Erfolg tätig ist, das ergibt sich aus dem reichen Samensatz (auf den diese ephemeren Pflanzen ja für ihr Weiterbestehen auch angewiesen sind) und ihrem häufigen Vorkommen. So auffallend die Reizbarkeit ist, so werden wir doch zweierlei nicht außer acht lassen dürfen: einmal das eben betonte Zustandekommen des Vorgangs durch Ausnutzung einer „labilen“ Ent- faltungsvorrichtung, sodann die Tatsache, daß die ganze Einrichtung — wie sie, falls Fremdbestäubung notwendig ist, oben angenommen wurde — nicht eine absolut, sondern eine relativ zweckmäßige ist, d. h. eine solche, die für eine Blütenkonstruktion wie die vorliegende paßt, aber an sich keine besseren Ergebnisse zeitigt als bei anderen Pflanzen sehr viel einfachere ohne Reizbewegungen vor sich gehende. !) Sie gehören offenbar der ephemeren auf feuchtem Sand in den Frühlingsmonaten auftretenden interessanten Vegetation an, zu der u. a. auch Polypompholyx zählt. 2) Ein Nektarium bzw. Nektarbehälter befindet sich gegenüber dem Labellum, es umgibt scheidenförmig den Griffel, und ist gegenüber dem Labellum mit einer Zugangs- öffnung versehen. « r N he } > Ta Se IRRE Ss 7° 50 326 Achter Abschnitt: Das ist ein Gesichtspunkt, den der Verf. schon früher hervorge- hoben hat). In diesem Falle also würde das heißen: Gegeben ein unbewegliches gerades Gynostemium mit durch Proterandrie erschwerter oder unmöglicher v2 Selbstbestäubung und die Dorsiventralität der Blüten, welche eine ab- weichende Ausbildung eines Blumenblattes zum Labellum bedingt, so ist 2 eine der möglichen erfolgreichen Lösungen der Bestäubungsfragen durch Br die Reizbarkeit des Labellums gegeben. Sie ist aber gegeben durch a: die Entfaltungsart, nicht gezüchtet. Wie sollte ein solcher Apparat durch Häufung kleiner Variationen zustande gekommen 'sein ? | Trifft die oben gegebene Deutung zu, so würden die näher unter- suchten Stylidiaceen (Stylidium, Leeuwenhoekia) mit Pollenausschleuderung versehen sein, aber in verschiedener Art bald bedingt durch die Nutation und Hemmung des Gynostemiums, bald durch die Reizbewegung des Labellums. Daß bei Loranthusblüten merkwürdige Entfaltungsspannungen auftreten, ist schon öfters beschrieben worden ?). Genauer untersucht hat VOLKENS?) einige davon. Er schildert z. B. für Loranthus Ehlersi, daß die Staubfäden inner- halb der geschlossenen Blüten in einem Zustand der Spannung seien. „Sie haben das Bestreben, sich besonders an ihrer Innenseite zu ver- kürzen, was bei völligem Ungehindertsein eine spiralige Einrollung be- dingen würde.“ Woraus VoLKEns dieses Verkürzungsbestreben geschlossen hat, erwähnt er leider nicht. — Die Spannung wäre natürlich dieselbe, wenn die Außenseite der Staubfäden stärker wächst als die Innenseite, die Einkrümmung aber durch das Festhalten der Antheren innerhalb des Perigons verhindert wird. Dabei wirkt ein Auswuchs des Filaments noch als besondere Sperrvorrichtung. Er „drückt die Antheren gegen die sie umschließende Hohlkugelwandung ') und verhindert sie, dem Zuge nach unten durch ein Ausweichen nach der Mittellinie der Blüte hin nach- zugeben“ ?). Der Zug der Filamente nach unten bedinge, daß die Blüten- hülle zunächst in 4 seitliche Längsspalten sich öffnet, während die Spitze noch geschlossen bleibt®). Wenn auch hier die Offnung eimtritt, so rollen. sich die gespannten Filamente blitzschnell nach innen ein, die Staubbeutel explodieren, die 4 Zipfel der Blumenkrone biegen sich nach außen. Die Staubfäden sind nach dieser Darstellung also ebenso wie bei L. laci- niatus an dem Öffnungsvorgang der Blütenhülle beteiligt. Im übrigen möchte ich annehmen, daß hier wie bei den Urticaceen eine durch Wachstum (nicht durch Verkürzen der Staubfäden) bedingte Ent- faltungsspannung vorliegt. Die Bestäubung erfolgt durch Honigvögel. r 78 Du eo TE ne { 1 2# ANY Bi he 2er e » > - a ee U e ER 5 R= a ee, Zei IR, rs e !) GOEBEL, Pflanzenbiol. Schilderungen p. 2. ®) Vgl. z. B. M. Norrn, Recollections of a happy life II, 267. A loranthus (tree- parasite, called by Anglo-natives „honey-suckle“) was very interesting. When I touched e the end of the bud, if ripe, it suddendy burst, and the petals sprang backwards, while Rs the pistil in the middle, which was curved like the spring of a watch was jerked out = a yard or more“. x ») G. Vorkens, Über die Bestäubung einiger Loranthaceen und Proteaceen, Fest- schrift für ScHwEnDeEneEr, Berlin 1899 p. 2öl ff. *) Der Blütenhülle. °) Dies ist aber, wie es scheint, nur aus der Lage erschlossen. Ob nach Entfernung des Auswuchses eine Lagenänderung eintritt, ist nicht festgestellt. %) Das dürfte fraglich sein, da, wie das spätere Einrollen zeigt, schon in der _ ; Blütenhülle eine Spannung vorhanden ist. Vgl. das unten über Grevillea vestita Gesagte. Wenn die Blütenhülle auf der Innenseite stärker wächst, als auf der Außen- seite und an der Spitze sich zunächst nicht öffnen kann. wird sich die Spaltenbildung auch ergeben. - Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 327 „Unvermeidlich dabei ist, daß die sich erhebenden Wolken von Pollen wenigstens teilweise haften bleiben, wenn nicht am Schnabel selbst, so doch in dem Federpinsel, den die meisten über dem Schnabelansatz besitzen.“ VOLKENS schildert dann weiter die Blüte von Protea kilimandscharica, bei der der Griffel in der einseitig aufgeschlitzten Perigonröhre hinten und vorne festsitzt und sich beim Wachstum stark konvex herausbiegt; schließlich bringt er den Endteil der Blüte zur „Explosion“. Ich möchte diese, hier wie in anderen Fällen, für eine „zufällige“ Nebenerscheinung der Entfaltungsspannung halten. Sie findet auch keineswegs bei allen Proteaceenblüten statt. Zwei Grevillea-Arten, die ich untersuchte, mögen zum Vergleich mit der von VOLKENS beschriebenen Protea hier kurze Erwähnung finden. Die zierlichen Blüten von Gr. vestita (Fig. 189 III u. IV sind — abgesehen vom Gynaeceum — radiär. Sie besitzen eine weiß gefärbte Blütenhülle von nur etwa 3!/, mm Länge — eine Be- PN r Y stäubung durch Honig- =. J Ph vögel wird wegen ihrer Kleinheit also ‘nicht in f Betracht kommen. Die Blütenhülle öffnet sich zunächst in vier Spalten. Man könnte annehmen, daß dabei das Gynaeceum mitwirkt, denn man findet es innerhalb der Blüten- knospe stark gekrümmt (vgl. Fig.189, 111), während es sich später wieder ge- radestreckt. Indes liegt die Sache hier ähnlich wie bei Vitis. ; Die .Blütenhülle Fig. 189. I und /I Grevillea rosmarinifolia, Blüten- sucht innen sich zu ver- entfaltung.. P Pollenmassen am Pollenhalter. III Gr. längern, wird an der Um- vestita. Blütenentfaltung. K Kappe, F Fruchtknoten, bieeune nach außen aber N Narbe, Ph Pollenhalter, St Staubblätter. Tu. 172xX, d ei ee z : Bir INDIE, WAR, urch das Zusammen kleben der oberen Teile der Blumenkronenzipfel verhindert. Bei der Ausbauchung nach außen öffnet sie sich in den Linien des geringsten Widerstandes. Man überzeugt sich davon leicht, wenn man die Blütenhülle unten oder oben durchschneidet, die Zipfel biegen sich dann sofort scharf nach außen. Das Gynaeceum aber wird in seinem Längenwachstum behindert, zumal es mit seiner kegel- förmig verbreiterten Spitze zwischen den 4 Staubblättern feststeckt. Ob die Trennung der vier Zipfel der Blütenhülle durch deren eigene Spannung oder durch den Druck des (ynaeceums oder durch Zusammenwirken beider bedingt wird, ist nicht von erheblichem Interesse. Jedenfalls rollen sich die vier Zipfel der Blütenhülle mitsamt den ihnen „angewachsenen“ Staubblättern uhrfederförmig nach außen zurück. Der „Sinn“ dieser Einrichtung ist aber nicht der einer Pollenexplosion !. Der Blütenstaub !) Wie seinerzeit Bentuam annahm (G. Bentuam, Notes on the styles of Australian Proteaceae, Journ. of the Linnean Soc. Vol. XIII 1873 p. 59). Bext#am untersuchte fast nur Herbariummaterial. 328 Achter Abschnitt: bleibt vielmehr auf der kegelförmig verbreiterten Spitze des Griffels kleben, welche als „Pollenhalter“ dient. Die Narbe entwickelt sich erst später, wodurch Fremdbestäubung ermöglicht wird. Grevillea rosmarinifolia (Fig. 189, /, ZI) hat ausgeprägt dorsiventrale, schon im Knospenzustand stark nach unten eingekrümmte Blüten. Der Griffel ist hier oben scheibenförmig verbreitert und sehr kräftig. Er biegt sich demgemäß, da er in der Blüte keinen Raum findet, lange vor der eigentlichen Offnung aus einem Längsspalt auf der Oberseite der Blumenkrone bogen- förmig heraus, während er an der Spitze noch in dem ungeöffneten, fester zusammenhaltenden Teil der Blütenhülle feststeckt. Er wird hier den Staubblättern so dicht angepreßt, daß er schließlich, wenn auch der apikale Teil der Blütenhülle einseitig auseinanderweicht, den Pollen, der innerhalb der geschlossenen Blütenhülle geöffneten Antheren säuberlich in acht Packeten (Fig. 189, IT) auf seiner verbreiterten Scheibe entnimmt. Die geöffnete Blüte bringt, wie dies ja auch von anderen Proteaceen bekannt ist, überraschende Mengen von Nektar hervor. Der Pollen wird dem Blütenbesucher von dem konvex gebogenen Griffel von oben her an- gestreift werden. Man kann vielleicht sagen, die Entfaltungsspannung des Griffels sichere in Verbindung mit der als Pollenhalter ausgebildeten Scheibe (die aber keine auffallenden Einrichtungen zum Festhalten des Pollens aufweist), dessen sichere Herausbeförderung, indem sie sich den in der Blüte geöffneten Staubbeuteln fest anpresse. Indes sehen wir ın in anderen Fällen dasselbe durch das Wachstum des Griffels ohne Spannung einfacher erreicht. Es geht so, es ginge aber auch anders! s5. Kalmia. Das eigentümliche Verhalten von Kalmia hat KoELREUTER 1772 zu- erst beobachtet, später ist es noch oft erwähnt worden — ein Beweis dafür, wie merkwürdig man es fand. Mepiıcvs schildert es!) (1803) folgendermaßen: Kalmia latifolia und K. angustifolia haben zehn Staubfäden, die in den zehn Höhlen der Blumenblätter stecken, die der Herr vox Linx& Nektarhöhlen nennt. An- fänglich, wenn die Blüte sich entfaltet, passen die Staubfäden der Länge nach just hinein, nachher aber wachsen die Fäden, und es entsteht hier- durch zwischen dem Blumenblatte und dem Staubbeutel eine beträchtliche Höhlung, die der nun länger gewordene Faden des Staubfadens bildet. Hebt man um diese Zeit den Faden ein wenig, so springt der Staubbeutel mit Heftigkeit in die Höhe, stäubt seinen Samenstaub aus, zieht sich an das Pistill hin und beugt sich fast an dasselbe. Wenn die Blüte schon dunkelrot ist, und an dem Staubbeutel sich der gelbliche Blumenstaub zeigt, alsdann ist die Springkraft der Staub- fäden am stärksten; sie spritzen ihren Blumenstaub alsdann mit einem Geräusch hinweg, und ziehen sich so heftig bei, daß sie sich mit dem’ Staubbeutel ... ganz krumm beugen“ ... Auch SprEnGEL hat Kalmia eine ausführliche Besprechung gewidmet. „Diese Blume“ sagt er ?), „verdient, nebst ihren Gattungsverwandten so sehr, als irgend eine andere, für ein Wunder der Natur gehalten zu werden !) FrıeD. Cas. Mevıcvs, Von der Neigung der Pflanzen sich zu begatten I p. 128--139. Auf p. 274 führt er an, daß Korrreuner 1772 im Schwetziuger Hofgarten die merk- würdige Eigenschaft von Kalmia zuerst bemerkt habe (Abh. der Kurpfälz. Ak. Vol. 1). 2) Chr. K. Sprenger, Das entdeckte Geheimnis der Natur (179) p. 239. Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 329 wegen der besonderen Einrichtung ihrer Staubgefäße. KOELREUTER hat dieselbe zuerst bemerkt und dem Mepıcus gezeigt. Die zehn Staubgefäße. stecken nämlich mit den Antheren in eben so vielen Höhlen, welche der Kronensaum hat. Da nun die Filamente länger sind als der Abstand dieser Höhlen von der Öffnung der Kronenröhre, so müssen sie natürlich bogenförmig gekrümmt sein. Berührt man nun ein Staubgefäß ein wenig, so springt es aus der Höhle heraus, fährt in die Höhe und steht gerade. Das haben die beiden genannten Männer für Reizbarkeit gehalten, es ist aber weiter nichts als Elastizität“. Dieser Beschreibung ist (außer Einzelheiten, wie z. B. die Art der Auslösung) kaum etwas beizufügen, als daß man neuerdings diese Ein- richtung nicht mehr wie SPRENGEL als eine zur Selbst- sondern als eine zur Fremdbestäubung dienende deutet. Es fragt sich, wie die Spannung bzw. das Auftreten der Aussackungen der Blumenkrone, in welcher die Staubbeutel liegen, zustandekommt, oder mit anderen Worten was ist dabei der aktive Teil: die Staubblätter oder die Blumenkrone, entsteht also die Aussackung durch den Druck eines Staubblattes, oder wächst dieses in die Aussackung hinein? Das erstere schien mir zunächst wahrscheinlicher. Man bemerkt schon längere Zeit vor der Entfaltung der Blüten die zehn Aussackungen der Blumenkrone. Ich dachte mir, sie __ Eh) RR LING kämen dadurch zustande, daß die Fig. 190. Kalmia angustifolia. / Entfaltete Blüte (4 X) von außen: man sieht, daß die Blumenkrone durch das Wachs- Antheren in sackartigen Ausstülpungen der tum der gegen sie anstoßenden Blumenkrone stecken, mit Ausnahme des links Staubblätter hervorgewölbt werde. vom Griffel stehenden, welches losgelöst ist. So scheint auch KOELREUTER den IT Halbschematischer Längsschnitt durch eine jüngere Blüte (stärker vergr.). A Aussackungen Vorgang aufgefaßt zu haben. . der Blumenkrone, in welchen die Antheren Die Untersuchung von Kalmia später stecken. angustifolia zeigte indes, daß die Entwicklung anders verläuft. Denn es sind die Aussackungen der Blumen- krone vorhanden, ehe die Antheren sie berühren. Sie sind also nicht durch das Wachstum der Filamente veranlaßt. Daß sie mit dem Vor- handensein der Staubblätter in Beziehung stehen (ebenso wie die Aus- sackungen des zierlichen roten Ringes auf dem unteren Teil der Blumen- krone) ist zweifellos. Aber diese Beziehungen sind keine grob mechanischen. Durch die Verlängerung der Filamente kommen die Antheren dann in die Aussackungen zu liegen, und da sie an ihnen eine Hemmung finden, ent- steht die von Mepvıcus beschriebene Spannung. Bei den von mir unter- suchten Blüten von Kalmia angustifolia war übrigens die „Springkraft“ der Staubfäden eine geringe, doch mag das darauf beruht haben, daß die ganze Pflanze nicht sehr kräftig war. Die Meinungen darüber, ob die Loslösung der Staubbeutel auch ohne Erschütterung erfolge, sind geteilt. Mevıcvs (später DRUDE) u. a. waren der Ansicht, daß die Antheren sich von selbst aus den Höhlen befreien. Andere bestreiten das. Schon SPRENGEL vermutet, daß das nur bei alten, dem Verwelken nahen Blüten geschehe. Ich hüllte zwei noch ungeöffnete Blütenstände von Kalmia 330 Achter Abschnitt: glauca in Papier ein. Es zeigte sich später, daß die meisten Staubblätter in ihrer gekrümmten Lage geblieben und schließlich vertrocknet!) waren. Einige hatten sich losgelöst. Bei den nicht eingebundenen Blüten war das letztere durchgehends der Fall. Die, bei denen das unter der Hülle geschehen war, könnten das auch infolge der Erschütterung der Hülle durch Regentropfen u. a. getan haben. Ich bin also der Meinung, daß eine spontane Loslösung der Staubblätter für gewöhnlich nicht erfolgt. Die Frage, ob die Schnellbewegung der Kalmiablüten gegenüber dem Ver- halten verwandter Pflanzen, die sie nicht zeigen (z. B. Rhododendron), eine zweckmäßige „Anpassung“ darstelle, wird sich wohl nur am natürlichen Standort der Pflanze entscheiden lassen. Man könnte eine Anpassung in dem Verhalten der Staublätter vermuten, wenn etwa der Pollen besonders gegen Nässe empfindlich oder die Blütezeit bzw. die Zeit, in der die Narbe bestäubungsfähig ist, eine besonders kurze sein sollte. Ich vermute aber, daß man auch hier von einer „special adaptation“?) kaum wird reden können. Vom rein teleologischen Standpunkt aus könnte man sagen, die Taschen der Blumenkrone, in denen die Antheren liegen, seien für diese verbreitet. Tatsächlich sehen wir aber nur, daß die Antheren nicht aus den Taschen heraus können — ebenso wie die im „Kiel“ einer Papiliona- ceenblüte liegenden. . Diese an sich unzweckmäßige Eigentümlichkeit wird durch die Elastizität der Filamente aufgewogen. Es liegt aber derzeit kein Grund vor anzunehmen, daß die Fremdbestäubung der Blüte nicht ebensogut erfolgen würde, wenn die Aussackungen der Blumenkrone unter- bleiben und die Staubfäden demgemäß gerade wachsen würden. Doch ist zu entscheiden, ob die Blüten selbstfertil sind oder nicht?). Man ist ja von der Meinung, daß Selbstbestäubung womöglich vermieden werde, ab- gekommen und es ist möglich, daß bei Kalmia durch das Ausschleudern des Pollens auch Selbstbestäubung eintritt, die bei den Formen, bei denen die Filamente kürzer sind als der Griffel (z. B.K. angustifolia), sonst nicht wohl stattfinden könnte. $ 6. Urticifloren. Oft beschrieben — aber wie aus der nachstehenden Darstellung hervor- gehen dürfte auch jetzt noch keineswegs vollständig aufgeklärt — sind die Schnellbewegungen welche die Filamente mancher Urticifloren ausführen. Es kann auf die geschichtliche Darstellung bei Mepıcus verwiesen werden ?). Erwähnt sei nur, daß schon JoHAnn BauvHın 1600 die Pollenaus- streuung bei Parietaria beschrieb und daß B. Sränerın 1721 nicht nur hervorhob, daß man „diese freiwillige Bewegung durch äußere reitze be- fördern könne“, sondern auch betonte, daß die Staubblätter in der Blüte zunächst durch eine Hemmung festgehalten seien (als solche betrachtete er das Fruchtknotenrudiment), von welcher sie sich später loslösen. !) Das Ergebnis stimmte also ganz überein mit dem von Bear, welches Darwın (Die Wirkungen der Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreich, Deutsche Übers. 1577 p. 345) anführt. ?) Asa Gray, Struetural botany 1885 p. 229. >) Blüten, die ich künstlich mit ihrem eigenen Pollen bestäubte, setzten Früchte an. Indes waren sie (durch einen Zufall) eines künstlichen Schutzes gegen Fremdbestäubung verlustig gegangen, so daß letztere immerhin noch möglich war. CE Mevıcus, Pflanzenphysiologische Abhandlungen I (1803) p. 68. Mepmwus war ei der (auch neuerdings noch vertretenen) Ansicht, daß bei den Urtieaceen die Staubbeutel reizbar seien. a 2 BED, si rd ke h „ D u De ee, rn B TEE ee nt Pr BR a Em en Badar er RT a A EM ET, Tyan a Ar N Er , fe a RT. 1 a ee AR Rh ee De NE he 7 ; . ER. < + L Pe Bam . na . Im r i TEN er Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 331 AskknasY!) gibt den früheren Angaben gegenüber zwar nichts wesentlich Neues, aber sucht den Vorgang etwas eingehender festzustellen. „Das Explodieren der Staubgefäße von Parietaria beruht darauf, daß eine Hemmung entfernt wird, und damit das turgeszierende elastische zusammen- gedrückte Gewebe der Vorderseite des Staubfadens seiner Spannung freien Lauf lassen kann. Die Hemmung liegt zunächst dort, wo die Anthere den Staubfaden umfaßt; das Anhaften der Anthere am Staubfaden wird durch den Druck veranlaßt, dem das ganze Staubgefäß zwischen Sepalum und Fruchtknoten ausgesetzt ist, hält aber auch nach Entfernung dieses Druckes noch eine kurze Zeit an.“ ASKENASY ist der Meinung, daß die „Auslösung“ der Schnellbewegung erfolge, sobald eine Loslösung der Antheren vom Filament eintritt, sei es durch Erschütterung oder dadurch, daß die Anthere z. B. durch Über- - bringen in Alkohol oder heißes Wasser sich zusammenziehe und dadurch loslöse. Er schließt sich damit der schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ®) betonten Auf- fassung an, die Bewegung der Urticaceenstaubblätter sei kein Reizvorgang, sondern eine ein- fache Spannungsausgleichung. Auch PFEFFER?) führt die Schnellbewegungder Urtica- ceenstaubblätter (denen er, wie unten gezeigt werden soll, nach nicht zutreffenden Literatur- angaben auch die von „Spinacia, Atriplex und einigen anderen Fie. 191. Urtica dioica. Entfaltete männliche Pflanzen“ anreiht) unter den Blüte10%X. In der Mitte das Fruchtknotenrudiment. Vorgängen an, bei denen es sich nicht um „eigentliche physiologische Reaktionen“ handle. Die Be- wegungen sollen durch die Turgorenergie bzw. durch die davon abhängige Gewebespannung vermittelt werden. Es ist tatsächlich leicht zu sehen, daß die Filamente in der reifen Blüte gespannt sind, und am Losschnellen durch eine Hemmung verhindert werden. Wenn man diese aufhebt, dadurch, daß man die Anthere aus ihrer Lage bringt, so erfolgt das Losschnellen. Es ist für unsere Frage- stellung von untergeordneter Bedeutung, ob die Hemmung bedingt wird durch die Anpressung der Antheren gegen das Fruchtknotenrudiment (bei Urtica Fig. 191), durch den gegenseitigen Druck der dicken Antheren, oder durch Einpressen des Filaments in eine Furche der Anthere. Wenn der Schnellvorgang nur durch äußere Einwirkungen in Tätigkeit gesetzt wird, so mußte man diese Einwirkungen als solche betrachten, welche geeignet sind, die mechanische Hemmung der Schnellbewegung auf- zuheben. Das trifft aber keineswegs allgemein zu. . *) ASKENAsY, Über explodierende Staubgefäße, Abhandl. des naturw.-med. Vereins in Heidelberg. N. F. 2. Bd. (1880) p. 274. ®) Vgl. z. B. J. E. Smir#, Some observations no the irritability -of vegetables. Ref. in RoemER & Usterı, Annalen der Botanik III (1798) p. 78. - ) Pflanzenphysiologie 2. Aufl. p. 537, 539. 332 \ - Achter Abschnitt: Am schönsten tritt die Bewegung vielleicht hervor an der in botanischen. Gärten vielfach kultivierten Gattung Pellionia, namentlich P. Daveauana .(Fig. 193). Sie ist wie die meisten anderen Urticaceen diöcisch. Die. männlichen Blüten sind hier besonders groß. Es ist ein reizender Anblick, wenn zahlreiche Blüten kurz hintereinander sich öffnen. Die vorher grün- liche unscheinbare Infloreszenz erscheint jetzt durch die zahlreichen weißen Staubbeutel wie mit zarten Schneeflocken bedeckt (Fig. 193). Das Aufblühen erfolgte in meinen Versuchen (vorausgesetzt natürlich, daß die Blütenknospen nicht zu jung waren): Fig. 192. Pilea crassifolia. Männliche Blüte, die sich in 5 %/, iger Salpeterlösung teilweise geöfinet hat. Die zwei Staub- Fig.193. Pellionia Daveauana. Teil eines blätter st, und s/, sind noch nicht zurück- Blütenstandes mit geölineten Blüten. geschlagen. Schwach vergr. 1. Als die Pflanzen aus dem feuchten Gewächshaus in trockene Luft kamen. 2. Als sie von einem Zimmer mit 17° in einen Wärmekasten mit 30° gebracht wurden oder (nach längerem Verweilen in diesem feucht gehaltenen _ Kasten) in das Zimmer zurück. 3. Wenn eine Infloreszenz aus Luft in warmes Wasser gebracht wurde, dessen Temperatur höher war als die der Luft. Auch bei in kaltes Wasser gelegten Blütenständen fand Explosion zahlreicher Blüten statt, aber erst nach längerer Zeit. 4. Ebenso, nur weniger regelmäßig, in einer 5°, igen Salpeterlösung. 5. Wenn man auf eine Blütenknospe einen Tropfen Alkohol bringt, erfolgt ebenso meist rasch das Aufblühen. ‚Ja es genügt schon, eine In- floreszenz von Pellionia abzuschneiden und im Gewächshaus in der Hand zu behalten, um eine Offnung von Blüten herbeizuführen, während 'an der unverletzten Pflanze kein Aufblühen eintrat. Ich nahm zunächst an, es handle sich dabei um einen durch das Abtrennen von der Pflanze bedingten Reiz. Indes dürfte auch hier die Transpirationssteigerung und die durch das Halten in der Hand bedingte Temperatursteigerung genügen, um die Wirkung hervorzurufen. Daß auch eine Berührung oder Erschütterung der Blüte genügen kann, um die darin elastisch gespannten Staubfäden zur Explosion zu bringen, braucht kaum erwähnt zu werden. Dieselben Erfahrungen machte ich mit Pilea crassifolia, welche große, Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten, 333 reichblütige männliche Blütenstände bildet, die man auch in wenigen Minuten zum Offnen zahlreicher Blüten veranlassen kann. Wir sehen also, daß der Vorgang sehr unter dem Einfluß äußerer Bedmgungen steht. Dem entspricht, daß man auch in der freien Natur die Pollenabschleuderung bei Urtica dioica vorzugsweise zur Mittagszeit bei hellen Sonnenschein vor sich gehen sieht. Wenn die Blüten sich öffnen, schnellen die Staubfäden, die vorher nach innen gebogen waren, nach außen und der Pollen wird in Gestalt kleiner Wölkchen fortgeschleudert. Wie erfolgt diese Bewegung? Zunächst war mir von Interesse bei Pellionia festzustellen, daß das Auseinanderweichen der Blütenhülle nicht, wie das sonst üblich ist, ein aktives, durch „Epinastie“ bedingtes, sondern ein passives, durch die Ausdehnung der Staubblattfilamente veranlaßtes ist — eine Tatsache, die bisher übersehen wurde. Man kann sie nicht nur unter dem Präpariermikroskop unmittelbar verfolgen, sondern auch leicht darlegen dadurch, daß man in einer geöffneten Blüte die Staubblätter entfernt: die Blütenhülle schließt sich dann wieder). Das stimmt auch damit, daß die Blüten- hülle der weiblichen Blüte geschlossen bleibt: der durch die Filamente ge- gebenen.Offnungsapparat fällt hier weg. Selbstverständlich können bei anderen Formen mit dünnen Blütenhüllblättern diese durch die Staubfäden so herab- drückt und gedehnt werden, daß sie nach der Entfernung der letzteren sich nicht mehr zurückbiegen. Die Filamente zeigen einen ausge- sprochen dorsiventralen Bau. Dieser äußert sich schon’ darin, daß in der Knospenlage die Zellen der Außenseite viel länger und weniger zahlreich sind als die der konkaven Innenseite (Fig.194). Fig. 194. Längsschnitt durch ein Fila- Erstere werden auch z. B. bei Pellionia ment von Pellionia Daveauana in der ie : ; Knospenlage. Bedeutende Längenver- später collenchymatisch verdickt. Ur- schiedenheit der Zellen auf der Innen- sprünglich sind die Filamente ganz und der Außenseite. spannungslos, ihre Einbiegung erfolgt also lediglich durch stärkeres Wachstum der Außenseite (Hyponastie). Einzelne Schriftsteller haben besonderen Wert darauf gelest, daß an der konkaven Seite der Filamente zahlreiche quer gewölbte Leisten oder Rippen vorhanden seien, die z. B. ErpmAann (1795) mit den Ringen einer (Gransgurgel verglich und als Gelenkbildungen auffaßte. Dafür bietet aber der Offnungsvorgang, soweit ich ihn verfolgte, keine Anhaltspunkte. Das Zurückbiegen der Filamente geht einheitlich, nicht in Gelenken vor sich, abgesehen etwa von dem an der stärksten Ein- krümmungsstelle gelegenen Teil des Filamentes. Die Faltenbildung beruht vielmehr wesentlich auf denselben Ursachen, wie die an dem konkav . ') Bei den Urtieifloren mit geraden Filamenten, z. B. bei Cannabis öffnen sich die Perigone dagegen in gewöhnlicher Weise. e le De A Eu. > Pe Te a 0 Be 7 x gs i A > r aA An 7 d . & K re. Y z 334 Achter Abschnitt: werdenden Teile eines aktiven Gelenkes (p. 79), d.h. die Zellen sind dort zusammengedrückt. Die Zellen auf der Konkavseite wachsen auch an den eingebogenen Filamenten. Sie werden aber durch die Lage des Filamentes im Wachstum gehemmt. Da die Epidermis der Konkavseite stärker in die Länge wächst, als die darunter liegenden Zellen, so muß sie Querrunzeln bilden. Die unter ihr liegenden Zellen sind protoplasmareicher als die an der Konvex- seite, dem auf sie ausgeübten Drucke entsprechend verlängern sie sich rechtwinklig zur Epidermis. Beachtenswert ist auch, daß das Filament unmittelbar unter der Anthere ein passives Gelenk, d. h. eine verdünnte Stelle ausgebildet hat, welches eine Drehung der Anthere bei,der Filamentstreckung erleichtert. Dadurch wird die Ausschleuderung des Pollens nach außen wesentlich begünstigt: die Anthere klappt im Moment der Geradstreckung des Fila- ments um und schleudert den Pollen heraus — die Antherenwand selbst ist dabei aber gar nicht beteiligt. Es sei bei dieser Gelegenheit auch auf dem eigentümlichen Antherenbau hingewiesen. Die Antheren der mit losschnellenden Staubfäden versehenen Urticaceen haben nämlich, soweit meine Untersuchungen reichen, fast alle kein Endothezium. Ich fand ein solches weder bei Urtica noch .bei Pilea, Laportea und. Parietaria'), während es z. B. bei Cannabis und Dorstenia vorhanden ist. Es dürfte sich bei den genannten (Grattungen um eine Rückbildung handeln — vielleicht veranlaßt durch die starke Ent- wicklung des Filaments oder durch die lange Einpressung der Antheren in der Blüte. Es sei daran errinnert, daß solche Rückbildungen auch bei einigen Wasserpflanzen vorkommen. Die Einwirkung äußerer Faktoren auf das Losschnellen hat AsKEnasY, wie erwähnt, rein mechanisch aufgefaßt. Das ist gewiß auch vielfach zu- treffend. Wenn sich z. B. die Blüten in trockener Luft, bei Einbringung in eine Salpeterlösung oder durch Betupfen mit Alkohol öffnen, so könnte das darauf beruhen, daß durch eine Volumverringerung der Blütenhülle ein Druck auf die Staubblätter hervorgebracht wird, der eine Loslösung der Antheren bedingt. Das scheint mir wahrscheinlicher als Askexasy's Annahme „daß diese Medien zunächst eine Zusammenziehung der Anthere, und damit eine Loslösung derselben vom Filament bewirken“. Auch die Einwirkung der Erwärmung denkt sich Askenasy in ähnlicher Weise. Aber daß hier eine „Zusammenziehung der Anthere“ eintrete, scheint mir nicht sehr wahrschemlich. Wenn man Staubblätter mit dem zuge- hörigen Perigonblatt in eingekrümmter Lage freilegt und in Wasser bringt, kann man durch ein unter den ÖObjekttisch gehaltenes brennendes Zünd- holz leicht die Explosion auslösen. Weshalb sich in warmem Wasser die Anthere zusammenziehen sollte, ist nicht einzusehen. Die Temperatur- erhöhung steigert vielmehr offenbar das Ausdehnungsbestreben der Fila- mentoberseite. Dasselbe gilt auch für andere Einwirkungen. Sie wirken als Reize. Während mir zunächst Askenasy’s mechanische Auffassung der Wirkung des Alkohols usw. einleuchtend schien, wurde ich durch be- stimmte Wahrnehmungen veranlaßt, mich der schon von älteren Autoren (z. B. Nass) geäußerten Auffassung anzuschließen, daß die Geradestreckung !) Auch Procris hat kein Endothezium, die Antherenwand ist im reifen Zustand einschichtig und mit Schleimzellen versehen. Dagegen besitzen die Antheren von Brous- sonetia eine eigenartig ausgebildete Faserschicht — ob Endo- oder Exothezium wurde nicht untersucht. Das spricht mit für die Annahme, daß essich bei den anderen Formen mit Pollenausschleuderung um eine Rückbildung des Antherenbaues handle. des Pollens — auch hier offenbar infolge » Eder er Kr aan, I RN N 4 NP EEE u: are 4 d P DIE Cr a Ada 9) VOBREE N Tr TE a N a s 23 Do 3 18 . j , > ) / ir Es ei $ \ Berl Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 335 der Filamente durch äußere Reize (ganz abgesehen von mechanischen) ausgelöst werden kann. Besonders günstig sind- für solche Versuche die Blüten von Brous- sonetia papyrifera, weil bei ihnen die Öffnung nicht so plötzlich erfolgt wie bei den meisten anderen derartigen Urticifloren. Die Blüten verharren längere Zeit in einem halb geöffneten Zustand wie, er in Fig. 195 skizziert ist. Das bietet die Möglichkeit, mit einem Pinsel oder einer Nadel kleine Mengen von Terpentinöl oder Alkohol unter dem Präpariermikroskop auf die Filamente zu bringen, ohne daß die Antheren damit in ‚Berührung kommen und ohne daß durch Erschütterung ihre Bewegung ausgelöst wird. Ist dies richtig erfolgt, so schießen die betupften Filamente los. Das kann also nicht durch Aufhebung der Hemmung der Anthere, sondern durch Beeinflussung der Filamentspannung (da deren Ausgleich spontan erst nach einiger Zeit eingetreten wäre) bedingt worden sein. Ein Blütenstand von Pilea crassifolia, der 5 Tage abgeschnitten mit der Schnitt- fläche in Wasser gestanden hatte, wurde in eine Schale mit Atherdampf gebracht. In kurzer Zeit begann die Ausschleuderung eines Reizes, der auf die Streckung der Filamente ausgeübt wurde. Mit anderen Worten: Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei dem Ausschleudern der Urticaceen-Anthe- ren nicht immer um die Ausgleichung von schon bestehenden Spannungen, sondern Fig. 195. Braussonetia papyrifera in um eine Beeinflussung der Spannungsgröße Öffnung begrifiene Blüte. f Filament, durch Steigerung, sei es des Turgors A Anthere, p Blütenhülle. oder des Wachstums der adaxialen Filamentseite, die durch äußere Reize beeinflußt werden kann. Man hat das wohl nicht zugeben wollen, weil so klar zutage liegt, daß man, wenn die Spannung einen bestimmten Grad erreicht hat, leicht allein durch mechanische Anstöße die Schnellbe- wegung auslösen kann. Da dieser aber eine durch das antagonistische Verhalten lebender Zellen bedingte Spannung zugrunde liegt, so ist nicht einzusehen, weshalb sie nicht durch äußere Reize beeinflußt werden sollte. Auch eine reife Frucht von Impatiens wird bei Erwärmung (selbst wenn eine Transpirationssteigerung z. B. durch Untertauchen ganz ausge- schlossen ist) wahrscheinlich durch Turgorsteigerung zur Explosion ge- bracht werden können, während diese sonst erst später eingetreten wäre. Die mitgeteilten Beobachtungen lassen mich nicht zweifeln, daß entgegen der herrschenden Ansicht auch die Filamente der genannten Urticaceen „reizbar“ sind — wie denn Reizbarkeit eine allgemeine Eigenschaft leben- den Zellen ist. Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen wie die einzelnen Bedingungen einwirken — ob rein mechanisch oder als Reiz. Es’ genüge betont zu haben, daß außer den rein mechanischen Auslösungen der Filamentspannung Reizvorgänge hier vorkommen, die bisherige Auf- fassung also eine einseitige war. Was die bei Kalmia berührte Frage nach einem etwaigen besonderen Nutzen des Ausschleuderungsvorganges bei den Urticifloren anbetrifit, so 3536 Achter Abschnitt: kann es sich natürlich nicht um die Zweckmäßigkeit des Vorganges an sich handeln. Denn daß er eine erfolgreiche Art der Pollenverbreitung darstellt, ist ja ohne weiteres klar, da alle die Arten, welche sie zeigen, Samen in Menge bilden. Es fragt sich vielmehr lediglich, ob irgendwelche (sründe vorliegen, die ihn für die Urticifloren zweckmäßiger als die ge- wöhnliche Art der Pollenverbreitung bei windblütigen Pflanzen erscheinen lassen, wobei der Pollen durch den Wind herausgeschüttelt wird. Man kann nicht etwa sagen, daß die Staubblätter der Urticaceen dafür nicht geeignet seien. Die Filamente sind lang genug um ein solches Heraus- schütteln zu ermöglichen. Aber andere Gründe könnten z. B. sein: Emp- findlichkeit des Pollens gegen Nässe, kurze Dauer der Belegungsfähigkeit der Narben, Entleerung des Pollens unter für seine Verbreitung ganz be- sonders günstigen Umständen. Keiner dieser Gründe trifft nach unseren jetzigen Kenntnissen zu. „Sämtliche untersuchten Urtica-Arten (U. urens, U. dioica, U. piluli- fera) — sagt Liprorss !) — besitzen exponierte Sexualorgane und führen einen gegen Nässe völlig resistenten Pollen.“ Die Narben fand ich bei U. dioica stundenlang frischbleibend und es liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß sie nicht auch ihre Belegungsfähig- keit während dieser Zeit beibehalten. Was aber die Bedingungen des Vorgangs der Pollenausschleuderung anbetrifft, so sahen wir, daß allerdings höhere Temperatur und Trocken- heit ihn begünstigen, aber daß auch andere, für die Pollenverbreitung nicht in Betracht kommende Einflüsse das Explodieren auslösen können. Zudem sind Trockenheit und höhere Temperatur auch die Faktoren, welche das „normale“ Offnen der Staubbeutel begünstigen. Von einer besonderen Anpassung kann man also bei der Pollenausschleuderung der Urtieifloren nicht sprechen. Auch bei einer allmählichen Entleerung würde die Bestäubung wohl ebenso gesichert sein. Wenn also, wie MEvırus erzählt, bei Forskohlea tenacissima der Staubbeutel seinen Blumenstaub mit solcher Heftigkeit ausstäubt, „daß es ein lautes Getöne und einen Knall verursacht“, so werden wir darin eben- sowenig eine besondere zielstrebige Entfaltungsbewegung erblicken, als wenn eine Stanhopeablüte oder ein Palmenspatha plötzlich und mit Geräusch sich öffnet. Es ist eine durch Entfaltungsspannung bedingte Bewegung. Aber das Ergebnis wäre kein für die Bestäubung weniger günstiges, wenn die Pollenausstreuung ohne eine solche Spannung verliefe. Merkwürdigerweise ist übrigens, daß bei einer Anzahl hierhergehöriger - Pflanzen die Früchte auf ganz ähnliche Weise weggeschleudert werden ?) wie in den männlichen Blüten der Pollen — hier wird die Entfaltungs- spannung der Staminodien benutzt. Wäre die Pollenausschleuderung eine besonders vorteilhafte Einrich- tung, so müßte man erwarten, daß sie eine bei windblütigen Pflanzen weite Verbreitung besitze. Sie findet sich aber nicht einmal bei allen Urticifloren, deren Filamente im Knospenzustand eingekrümmt sind. Bei Dorstenia z. B. tritt ein Offnen der Perigonblätter überhaupt nicht mehr ein, es wäre dies auch bei der dichten Zusammendrängung der Blüten in der Infloreszenz mit erheblichen Schwierigkeiten verknüpft. Die Filamente wachsen in gekrümmtem Zustand über die Blüte heraus, !) B. Liprorss, Weitere Beiträge zur Biologie des Pollens. Jahrb. für wissensch. Bot. XXXILI (1899) p. 276. ?) Vgl. Goeser, Schleuderfrüchte bei Urtieifloren. Flora 108 (1915) p. 327. "a a Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 337 etwa wie ein gekrümmtes Hypokotyl aus dem Boden. Wie letzteres die Kotyledonen dann bei weiterem Wachstum herauszieht, so das Filament von Dorstenia die zunächst noch in der Blütenhülle steckende Anthere. Ist diese an der Oberfläche des Blütenstandes angelangt, so öffnet sie sich und das Filament streckt sich mehr gerade. Aber ein wirkliches Wegschleudern des Pollens findet nicht statt, dazu ist das Filament offen- bar auch zu schwach gebaut. Dorstenia besitzt übrigens — im Gegensatz zu den pollenschnellenden Urticaceen — ein wohl entwickeltes Endothezium. Man könnte auch das Fehlen des Endotheziums sozusagen für die Schnell- bewegung verantwortlich machen, indem man annimmt, daß das Aufreißen der Antherenfächer hier durch die Erschütterung beim Zurückschnellen der Filamente erfolge, während es sonst beim Fehlen eines Endotheziums unterbleiben würde. Ein gewisser Zusammenhang zwischen beiden Er- scheinungen dürfte auch bestehen. Es konnte die Ausbildung des Endo- theziums unterbleiben, weil die Offnung der Antheren ohnedies stattfindet. Aber das ist der hier vertretenen Auffassung zufolge nicht eine primäre, sondern eine sekundäre Erscheinung. Auch sahen wir, daß eine Urticacee mit explodierenden Antheren eine wohl entwickelte Faserschicht besitzt, die allein schon zur Öffnung der Anthere genügen würde. Außerdem findet die Offnung der Antheren bei Urtica z. B. spontan, also nicht erst durch die Erschütterung veranlaßt, statt. Letztere schleudert den Pollen nur .heraus!'). $ 6. Pollenausschleuderung in anderen Familien. Für die Auffassung der Pollenausschleuderung als Anpassungserschei- nung ist es, wie schon betont wurde, von Wichtigkeit, ob sie bei den Urticifloren als vereinzelte Erscheinung auftritt, oder ob auch andere Familien denselben Vorgang aufweisen. Darauf einzugehen wird um so weniger überflüssig sein, als alte Literatur- angaben ohne Prüfung immer wiederholt worden sind. Bei Gmeuin?) findet sich die Angabe, daß die Antheren einiger Chenopodium-Arten sowie die von Spinacia oleracea und Atriplex patula (wie die einiger Urticaceen) „ad contactum stimulantis apieis cultelli“ viel Pollen ausschleudern sollen. Bei Chenopodium habe das 1751. ALBRECHT v. Hauer beobachtet, aber der Elastizität zugeschrieben. Mepıcus hat namentlich das Verhalten von Spinacia beschrieben. Er sagt, daß die Staubfäden sich nach und nach gerade strecken, auch oft sich zurück- biegen, sie führen aber keine Schnellbewegung aus. „Berührt man um diese Zeit, wenn der Staubbeutel auf beiden Seiten geborsten ist, und man den Blumenstaub schon sieht, denselben ?), so ist dieser Staubkolben äußerst reizbar, und schnellt mit der größten Heftigkeit den Blumenstaub hin- weg.“ In Wirklichkeit ist aber eine Reizbarkeit hier nicht vorhanden. Die Anthere öffnet sich, indem sich die Wand an zwei Stellen ausein- anderkrümmt. Außerhalb des Endotheziums liegen aber noch lebende chlorophylihaltige Zellen, die der Öffnungsbewegung zunächst Widerstand leisten. Berührt man eine solche Anthere, so sieht man wohl Pollen weg- ») Daß nicht die Öffnung der elastisch gespannten Pollenfachwandungen die Aus- schleuderung bedingt (wie in einem Lehrbuch angegeben wird) braucht kaum betont zu werden. ?, De irritabilitate (1758) p. 301. 3) Dies unglückselige Wort bezieht sich natürlich auf den Staubbeutel, nicht auf den Blütenstaub! G. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 22 338 Achter Abschnitt: 2 stäuben, teils infolge der Erschütterung der auf dünnem Filament stehen- den dicken Anthere, teils weil die gespannte Antherenwand kleine Ver- änderungen erfährt. Aber von einer „Heftigkeit* habe ich nichts bemerkt (es sei denn, daß man die Anthere erschüttert) und zur Entleerung der Antheren ist auch kein mechanischer Reiz .notwendig, diese erfolgt, auch wenn keine Erschütterung erfolgt durch die starke Schrumpfung der Antheren- wand. Demnach liegt weder Explosion noch eine Reizerscheinung bei der Pollenentleerung von Spinacia vor. (Übrigens konnte ich auch andere Angaben von Mepıcvs, wie die, daß die Narben von Lobelia für Berührung reizbar seien, nicht bestätigen) Wenn also PFEFFER!) noch neuerdings als Beispiel von Schnellbewegungen die Staubgefäße von Parietaria, Urtica, Pilea, Spinacia, Atriplex und einigen anderen Pflanzen anführt, so sind diese Angaben für die genannten Chenopodiaceen nicht richtig, aber sie sind auch sonst in der Literatur öfters aufgetreten. DELPINo ?) führt eine Angabe von PHILIBERT an, wonach bei Atriplex hortensis die Staubblätter seismonastisch reizbar sein sollen „nous vimes A la loupe ces etamines se mouvoir rapidement, se courber, et se heurter ensuite tontes cing par les anthöres, produire de nouveau une semblable explosion de leur poussiere fecondante“. Schon SCHELVER?) hatte neben einer Anzahl von Urticaceen eine plötzliche und auffallende Explosion der Antheren auch behauptet bei Chenopodium-Arten, einer Anzahl Orchideen, Atriplex patula, Stachys annua, Änemone alpina, Spinacia oleracea u.a. Schon das Sammelsurium der Liste zeigt, daß hier verschiedene Dinge zusammengeworfen sind. Auch bei Atriplex findet keine Ausschleuderung des Pollens statt *). Untersucht wurde Atriplex littoralis. Man kann an Blütenständen, die am frühen Morgen abgeschnitten wurden, leicht unter dem Präpariermikro- skop den Öffnungsvor gang verfolgen. Die Perigonblätter sind in der Knospe über die vor ihnen stehenden Staubblätter hergekrümmt. Aber die Filamente sind nicht wie bei den erwähnten Urticaceen eingekrümmt, sondern fast gerade. Die Blüte öffnet sich langsam. Daß dabei die Perigonblätter sich passiv verhalten, läßt sich daraus schließen, daß sie sich später wieder einkrümmen, wenn die Filamente an ihnen vorbeigeglitten sind. Die Antheren öffnen sich lang- sam, der Pollen wird ganz allmählich herausgepreßt. Da die Filamente lang und dünn sind, kann er leicht herausgeschüttelt werden. Aber auch wenn keine Erschütterung eintritt, bedingt die starke Schrumpfung der Antherenwände eine fast vollständige Pollenentleerung. Die Ansicht, daß eine Ausschleuderung stattfinde, ist vielleicht dadurch entstanden, daß die Perigonblätter sich später wieder nach innen krümmen, es sieht dann so aus, als ob zwischen ihnen und den Filamenten eine starke Spannung be- standen hätte. Bei Atr. hortensis fand ich ein übereinstimmendes Verhalten. Wenn man die verschieden alten Blüten beobachtet, so sieht man, daß das vorher geschlossene Perigon durch die Volumzunahme der Staubblätter sich oben öffnet. Die ursprünglich eingekrümmten Blätter !) W. PFEFFER, Pflanzenphysiologie 2. Aufl. II p. 539 (1904). *) Osservazioni I p. 40. 3) F. J. ScheLver, Kritik der Lehre von den Geschlechtern der Pflanze, Heidel- berg 1817. Ein Buch das trotz (oder wegen?) seiner scheinbar tiefsinnigen in Wirklichkeit sinnlosen Redensarten seinerzeit Aufsehen erregte. *) Mepiovus sagt von Atr. patula „Berührt man... den Staubbeutel, so ist er äußerst reitzend, und breiter während der Erschütterung den Blumenstaub aus“ Be te ie Wa) An ee Eee RT hat ud £ . 7 . IR, va Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 339 der Blütenhülle werden durch das Wachstum der Filamente nach außen gedrückt. Man kann sie aber unter dem Präpariermikroskop von den Staub- blättern ablösen, ohne daß diese irgendwie eine Schnellbewegung ausführen. Wie PHILLBERT zu seiner Angabe kam, vermag ich nicht zu sagen — vielleicht waren die Staubblätter durch irgendwelche abnormen Verhält- nisse miteinander verschränkt und führten deshalb bei der Streckung, von der ihnen aufgedrungenen Spannung befreit, Bewegungen aus. Ich habe bei zahlreichen untersuchten Blüten niemals etwas Derartiges wahrnehmen können. Daß andere Arten von Atriplex sich anders verhalten sollten, ist zwar möglich, aber recht unwahrscheinlich — man wird die Gattung ruhig unter den pollenausschleudernden streichen können — ebenso wie Spinacia und die anderen Chenopodiaceen. Die Urticaceen bleiben also allein übrig, wenigstens als Pflanzen, bei denen die Ausschleuderung im wesentlichen durch die Filamente erfolst. Die Pollenausschleuderung ist also eine bei windblütigen Pflanzen verhältnismäßige seltene Erscheinung. Die meisten zeigen — abgesehen von der Veränderung der Antherenwand — ein pas- sives Verhalten der Antheren und Filamente. Nur Ricinus macht eine weitere Ausnahme. DeELrIno !) beobachtete, daß der Pollen in Wölkchen ausstäubt. Die Wände der Antheren schlagen sich zu- rück, werden auf der Innen- seite konvex und schnellen dann zurück, wobei der Pollen ausgeschleudert wird, was sich innerhalb einer Minute abspielt. Die Tatsache selbst (die wenig Beachtung fand) ist zweifellos. Freilich wird der Fig. 196. Rieinus communis. Links Oberansicht der Pollen nur auf kurze Ent- Anthere mit Starkzellen, rechts mit faserig verdickten fernungen und nicht immer (Ringzellen). (Die Verdickung ist nur bei einigen ein- vollständig herausgeworfen. | Die Antherenwand klappt zunächst auf — dann erfolgt ein Ruck und Ausschleuderung — einigermaßen ähnlich wie bei einem Polypodiaceen- sporangium. Schon dieser Vergleich zeigt, daß der Verf. Denrıno’s Annahme, die Ausschleuderung werde bedingt durch plötzliche Turgoränderungen in ver- schiedenen Regionen der Klappen (rapidi mutazioni di turgore in regioni diversi di dette valve) nicht zustimmen kann. Der Bau der Antherenwand ist ein sehr merkwürdiger. Da er, soweit mir bekannt, nirgends beschrieben ist, mag er hier kurz erwähnt werden. Bezeichnen wir die der Spalte der Anthere zugekehrte Seite als die Ober- seite, die gegenüberliegende als die Unterseite, so ist zunächst zu erwähnen, daß beide ungleich gebaut sind. Sie stimmen aber beide darin überein, daß (wie bei den oben erwähnten Urticaceen), kein Endothezium, sondern ein Exothezium vorhanden ist. Auf der Oberseite und einem Teile der Unterseite besteht dies aus Zellen, deren Längsachse meist annähernd quer zum Spalt, in dem sich die Anthere öffnet, liegt. Diese Zellen haben teils ring-, teils schrauben- ı) F. Derpiso, anemofilia e scatto dalle antere presso il Rieinus communis (Osser: vazioni et note botaniche, Decuria prima, Malpighia III (1889). 22* ob 4 n N a ! a “ a ae u ß y _ . u, a « DD N me Kar v ur ME; al r „t ng BF \ Sy B I /! , a 340 Achter Abschnitt: förmig angeordnete Verdickungsleisten. Sie erinnern an die Wandzellen der Equisetumsporangien. Sie seien der Kürze halber als „Ring“zellen bezeichnet, obwohl ja nicht bei allen Ringe vorhanden sind. Sie nehmen den größten Teil der Exotheziumoberfläche ein. Auf der Unterseite be- findet sich eine Gruppe von Zellen mit anderer Wandverdickung. Die Innenwand ist stark verdickt, auf die Seitenwände gehen von dieser dicken Platte Verdickungsleisten über. Bei einer Oberansicht entsteht der Eindruck, als ob man es mit Zellen mit stark verdickten getüpfelten Seitenwänden zu tun habe. Sie seien als „Starkzellen“ bezeichnet. Diese gehen übrigens an der Grenze gegen die Zellen mit ring- bzw. spiraligen Verdickungen in diese allmählich über. Gegen die Konnektivzellen hin kommen zartwandige Zellen und solche mit schwachen ringförmigen Wand- verdickungen vor. Sie mögen „Schwachzellen“ heißen. Der Offnungs- vorgang spielt sich meiner Ansicht nach in folgender Weise ab. Beim Schwinden des Füllwassers der Zellen werden sich die beiden verschiedenen Zellformen verschieden verhalten. Die „Starkzellen“ werden nach außen sich einbiegen. Die ganze Platte von Starkzellen sucht eine konkave Ge- stalt anzunehmen. Sie wird daran aber zunächst gehindert durch die Ringzellen. Diese werden sich bei der Austrocknung hauptsächlich in der Längsrichtung verkürzen. Sie üben dadurch auf die Platte von Stark- zellen, mit der sie verbunden sind, und ebenso auf die Offnungslinie der Pollensäcke einen Zug aus. Schließlich reißt die Antherenwand der Länge nach auf, die Platte von Starkzellen krümmt sich nach außen konkav ein, wird dann durch die Elastizität der verdickten, gespannten Wandpartie konvex und wirft den Pollen mit einem Ruck hinaus. Dabei funktionieren die den Starkzellen gegen das Konnektiv hin angrenzenden Schwachzellen als ein Gelenk, welches die rasche Bewegung der Stark- zellplatte gestattet. Auf die merkwürdige Wandverdickung von Ricinus und ihre phyloge- netische Deutung kann hier nicht näher eingegangen werden. Ich möchte nur erwähnen, daß ich bei einigen anderen auf das Geradewohl heraus- gegriffenen Euphorbiaceen kein Exothezium, sondern ein Endothezium fand, das z. B. bei Uroton Zellen wesentlich von dem Bau der „Starkzellen“ von ‚Ricinus besaß. Ich betrachte das Vorkommen eines Exotheziums bei Ricinus ebensowenig wie das bei den genannten Urticifloren als etwas „Primitives“, sondern als eine Reduktionserscheinung. Darüber wird an anderer Stelle zu berichten sein. Wenn also auch Ricinus ein Beispiel von Pollenausschleuderung bietet, so sei doch noch einmal hervorgehoben, daß diese bei verhältnismäßig nur wenigen wind- blütigen Pflanzen vorkommt und daß derzeit kein Grund vorliegt, sie als eine besonders vorteilhafte Einrichtung zu betrachten. Sie findet statt aus „inneren Gründen“, denen etwas näher nachzugehen oben versucht wurde. Das ist derzeit möglich, soweit es sich um die Abhängigkeit des Verstäubungsvorganges von den Bauverhältnissen handelt. Wie die letzteren selbst zustandegekommen sind ist uns durchaus verborgen. $ 8 Schon bei den Urticaceen handelt es sich, wie nachzuweisen versucht wurde, zum Teil um „Reizbewegungen“ der Staubblätter. Solche sind bei Pflanzen, die ihren Pollen nicht ausschleudern, viel weiter verbreitet. Diese Reizbewegungen wurden allgemein als Einrichtungen zur Be- stäubung betrachtet, zuerst als solche für Selbstbestäubung später als solche für Fremdbestäubung. Wie weit das zutrifft wird im folgenden zu prüfen sein. \ 25 x ” ER KERNE ZN N c Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten, 341 Für unsere Fragestellung von besonderem Interesse sind die Blüten mancher Cistineen. Daß bei dieser Familie Arten mit seismonastisch reizbaren Staubfäden vorhanden sind, ist seit langer Zeit bekannt ?). ‚Als besonders günstige Art erwies sich Helianthemum apenninum Lam et. DC. dessen f. roseum vielfach in den Garten als reich und schön blühende Zierpflanze gezogen wird. In den frisch geöffneten Blüten bilden die Staubblätter einen um- gekehrten das Pistill an seiner Basis umgebenden Kegel (Fig. 197 links). Reizt man die Staubblätter durch einen Stoß, so bewegen sie sich augen- blicklich nach außen (Fig. 197 rechts), breiten sich also aus, um nach einiger Zeit in ihre frühere Lage zurückzukehren. Fig. 197. Helianthemum apenninum. Links Staubblätter ungereizt, rechts gereizt. Für unsere Zwecke von besonderer Bedeutung ist die Tat- sache, daß in älteren Blüten eine Auswärtsbewegung der Staubblätter ohne Reizung („autonom“) erfolgt. Sie ist also eine Entfaltungsbewegung, die aber auch durch Reize herbeigeführt werden kann. Die Reizbewegung erfolgt wohl, ebenso wie bei den sich senkenden Mimosablattstielen, durch Verkürzung einer an der Basis der Staubfäden liegenden kurzen, hier aber nicht als Gelenk ausgebildeten Zone. Wie ich früher ausführte ?), ist es wahrscheinlich, daß so auch die Entfaltungs- bewegung erfolgt. Gewöhnlich wird sie als epinastische Wachstums- bewegung aufgefaßt. Hel. apenninum ist viel reizbarer als Cistus salvifolius. Bei dieser Pflanze ist nach Kor eine Verbiegung des Filamentes’ notwendig, um .!) Schon seit See. VaırLant (Discours sur la structure des fleurs 1717). F. Kxorr, Zur Okologie und Reizphysiologie der Androeceums von Cistus salvifolius, Jahrb. für w. Bot. LIV (1914) gibt an, Hanseırc habe zuerst die Reizbarkeit der Cistus-Staubfäden festgestellt. Das trifft nicht zu. Die Gattung Helianthemum war früher mit Cistus ver- einigt. Bei ihr ist aber die Reizbarkeit der Staubblätter schon seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts bekannt. KoELREUTER hebt hervor, daß ohne Zweifel die Reizbarkeit vielen Arten aus dem Cistusgeschlechte zukomme. Paru, in seiner durch den Wett- bewerb mit H. Monr bekannten Preisschrift „Uber das Winden der Pflanzen, Stuttgart 1827 p. 2 erwähnt die Reizbewegungen von Cistus. Gemeint ist aber wahrscheinlich Helianthemum. ?2) Rumphiusphänomen p. 164. 342 Achter Abschnitt: die Reizbewegung herbeizuführen. Bei Hel. apenninum genügt eine Be- rührung oder ein leichter Stoß !). Ja selbst ohne einen solchen kann eine Bewegung erfolgen. Als ich Blütenstände morgens (zur Beobachtung im Zimmer) im Freien abschnitt, bemerkte ich, daß (nach einer Minute) die Staubblattkegel der Blüten langsam auseinandergingen ?), um später dann wieder die rückgängige Bewegung auszuführen. Und als ich Blumen- blätter aufgeblühter Blüten abschnitt, ergab sich dieselbe Bewegung. Noch rascher geht sie vor sich, wenn man Blumenblätter stark versengt. Dabei wurde Bedacht darauf genommen, die Staubblätter nicht etwa durch Er- schütterung mechanisch zu reizen. Und wenn auch bei den ziemlich langen dünnen, oben einen Staubbeutel tragenden Staubfäden Erschütterung sich nicht leicht ganz vermeiden läßt, so zeigt sich doch, daß die Staubfäden traumatonastisch reizbar sind und daß eine Fortleitung des Reizes von der verletzten Stelle nach dem Androezeum hin (und, wie kaum zu bezweifeln ist auch innerhalb des Androezeums) stattfindet. Setzt man Glyzerin oder einen Tropfen 5°/,ige Salpeterlösung auf die Basis der Staubfäden, so erfolgt gleichfalls eine Auswärtskrümmung (die natürlich nicht zu ver- wechseln ist mit der durch Adhäsion der dünnen Staubfäden auch an einen Wassertropfen erfolgenden). Ebenso wirkt Alkohol — die Bewegung geht aber bald darauf zurück — wahrscheinlich deshalb, weil auf die Ver- kürzung der Außenseite rasch eine solche der Innenseite folgt. In der Natur handelt es sich nur um seismonastische Bewegungen- Trotzdem ist eine anscheinend gänzlich nutzlose Reizfortleitung vorhanden, welche unmöglich „im Kampf ums Dasein erworben“ sein kann! Solche Fälle geben Veranlassung, auch bei anderen Pflanzen mit Reizfortleitung einen „Zweck“ nicht ohne weiteres anzunehmen. Über die Bedeutung der Reizbewegungen sagt KOELREUTER?), der sie eingehend bespricht: „Die Absicht bey dieser Bewegung, zu welcher die Insekten eben so wohl, als zu der vorerwähnten öfteren Anlaß geben, mag wohl keine andere seyn, als die Bestäubung des Stigma zu befördern, nur muß es einen etwas befremden, daß die Natur sich dieses Mittels gerade in einem solchen Falle bedient haben sollte, wo es scheint, daß dieser Endzweck bey einem so reichlichen Vorrathe von Saamenstaub auch - ohne dasselbe durch diese Creaturen zu erreichen stünde.“ Damit nahm er einen viel kritischeren Standpunkt ein, als fast alle die, welche nach ihm den „Endzweck“ dieser Reizbewegung zu ermitteln gesucht haben! Daß dieser nicht, wie zunächst geglaubt wurde, in der Herbeiführung von Selbstbestäubung*) liegen kann geht schon daraus hervor, daß diese bei Verschluß der Blüten ohnedies stattfindet. Sie ist übrigens offenbar nicht bei allen Arten von Erfolg’). Es wäre ja auch sonderbar, daß die Staubblätter zum Zwecke der Selbstbestäubung sich nach außen bewegen. Mepıcus’ Annahme, daß bei der Rückwärts- !, T'emperaturerniedrigung setzt die Reizbarkeit sehr herab. An kühlen Tagen verhält sich die Pflanze ähnlich wie Cistus salvifolius, d. h. zeigt die Staubblattbewegung nur infolge sehr derber mechanischer Anstöße. 2) Es sind die Pflanzen (ebenso wie die Mimosen) nicht stets gleich stark reizbar. Die, auf welche sich die angeführte Beobachtung bezieht, waren es in hohem Grade. 3) J. G. KOELREUTER, Dritte Fortsetzung der vorläufigen Nachricht von einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen, Leipzig 1766 p. 133. *) Mevıcvs a. a. 0. p. 130 sagt: „Nachher ziehen sie sich um desto stärker zu dem Pistill zu, welches die Staubbeutel bestäuben.“ 5) Bei Hel. apenninum konnte ich trotz zahlreicher Bestäubungen keinen Samen- ansatz erzielen. e ‘ nr h ur s ab. a u ee rn Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 343 bewegung der Staubblätter, diese sich dem Pistill mit ihren Staubbeuteln auflegen, und so die Narbe bestäuben, trifft jedenfalls nicht allgemein zu. Wenn also die Annahme, die Reizbarkeit sei für die Selbstbestäubung berechnet, nicht zutrifft, so mußte sie für die teleologische Betrachtung natürlich in den Dienst der Fremdbestäubung treten. H. MüLLER nahm (für H. vulgare) an, daß viele Insekten durch die Reizbewegungen der Staubblätter erschreckt die nächsten Blüten von der Mitte aus befliegen, also die Narbe durch mitgebrachte Pollen bestäuben. Mit Recht bezweifelt das BriQurr ') — er fand, daß die Hummeln sich um die Reizbewegungen der Staubfäden sehr wenig kümmern und die Blüten fast ausschließlich von den Blumenblättern her besuchen. Er sagt von den Staubfäden „celles ci, violemment irritees, se recourbent rapidement vers l’exterieur en frottant leurs antheres extrorses contre l’abdomen et les flancs du visiteur, qui est bientöt completement soupoudr&e de pollen“. Letzterer kann dann entweder zur Selbstbestäubung dienen, oder auf andere Blüten übertragen werden. Wenn man die Größenverhältnisse von Bienen und Hummeln einer- seits, die der Helianthemumblüte andererseits vergleicht, so wird man sich dem schon von KOELREUTER geäußerten Bedenken anschließen müssen. Denn die genannten Insekten würden bei einem Besuche der Blüten auch ohne die Reizbarkeit der Staubblätter sich mit Pollen bestäuben müssen ?), den sie auf andere Blüten übertragen können. Auch das Be- denken, daß ohne die Reizbewegungen der Staubblätter eine Pollenver- schwendung eintreten könnte, weil Pollen aus den ausgebreiteten Staub- blättern nutzlos auf die Blumenblätter fallen könnte, kann ich nicht teilen. Pollen ist ja in großer Menge vorhanden, es braucht nicht sparsam damit umgegangen zu werden. Die von mir beobachteten Blüten wurden sehr reichlich von Bienen besucht. Diese beuteten den Blütenstaub (das Einzige, was ihnen in den ' Blüten dargeboten wird, trotzdem die Blumenblätter an ihrer Basis „Saft- male“ haben) nicht etwa von außen her, also von dem Raume zwischen Blumenblättern und Staubblattkegel her aus. Sie stürzten sich vielmehr unmittelbar auf den letzteren und bearbeiteten ihn energisch mit den Beinen. Diese hielten den Staubblattkegel zunächst zusammen. Die Reizbewegung der. Staubblätter nach außen trat erst ein, nachdem die Biene die Blüte verlassen hatte! Sie kann also wenigstens für diese Blütenbesucher gar nichts nützen. Letztere sind aber ohne Zweifel die häufigsten und wirk- samsten. Die Annahme: die Reizbarkeit sei eigentlich für kleine Insekten „berechnet“ wäre also eine sehr kühne.. Man kann auch nicht einen Nutzen konstruieren, dadurch, daß man annimmt, daß die Ausbreitung der Staubblätter nach außen ein Signal für die Blütenbesucher (Pollen schon ausgebeutet!) sei und ihnen so Zeit erspare. Denn die Staubblätter kehren ja bald nach der Reizung in ihre ursprüngliche Lage zurück. !) J. Briquer, Etudes de biologie florale dans les alpes occidentales, Bull. du Laboratoire de botanique generäle de l’universite de Geneve Vol. I 1 Geneve 18%. Brıquer betrachtet die Frage nach der biologischen Bedeutung der Reizbarkeit als eine „question delicate* und kommt zum Ergebnis „qu’ilny avait pas une relation tres etroite entre irritabilit& et la pollination“. Doch meint er, daß die Reizbewegung der Staub- blätter beim Blütenbesuch durch Hummeln bedinge, daß die Antheren ihren Pollen gegen Abdomen und Flanken des Insektes abstreifen, was ich bei Bienen, wie weiterhin anzu- führen sein wird, nicht wahrnahm. 2?) HaBERLANDT (a. a. O. p. 56) erwähnt, daß er eine kleine Wespe rings um die Basis des Staubfadenbüschel herumkriechen und die Staubblattbewegung. auslösen sah. Aber ob diese Wespe bei der Pollenübertragung beteiligt war, wurde, wie es scheint, nieht festgestellt. - Kereh; 1: Ba 5, ERE TE ER 344 ee, N Achter Abschnitt: Die teleologische Deutung der Reizbewegungen hat für die Helian- themumblüte bis jetzt kein positives, wohl aber drei negative Ergebnisse gehabt, nämlich: 1. Die Deutung als ausschließliche Einrichtung für Selbstbestäubune. 2. H. Müurer’s unhaltbare Annahme einer Schreckbewegung (nach Analogie mit ‚Berberis). 3. Das Ubersehen der spontanen Auswärtsbewegung und der Reiz- ‚fortleitung — beides Tatsachen, die für Bewertung der Reizbewegungen der Helianthemumstaubblätter von Bedeutung sind. 4. Die Annahme, daß die Reizbewegungen der Staubblätter zum Be-: pudern der Apiden mit Pollen dienen. Auf die Verschiedenheit in der Reizbarkeit der Staubblätter bei den einzelnen Arten dieser Gattung soll hier nicht eingegangen werden. Es sei nur daran erinnert, daß keineswegs alle Arten reizbare Staubblätter besitzen, auch die schließliche Auswärtsbewegung bei der Entfaltung geht offenbar bei den einzelnen Arten in verschiedenem Ausmaße vor sich, sie braucht den Betrag, welcher bei der Reizung eintritt, natürlich nicht zu erreichen. Die genauer untersuchten Cistus-Arten verhalten sich im wesent- lichen wie Helianthemum appeninum. Reizbar sind aber nur die Staubblätter der weißblühenden Cistus-Arten. Die Bedeutung der Einrichtung sieht‘ Knxors darin, daß, wenn die Staubblätter zusammengeneigt sind (während die Narbe, die hier tiefer steht, mehr verdeckt ist), die Pollenausnützung günstiger sei, im Stadium der Zurückkrümmung der Staubblätter aber die, Narbe mehr zur Geltung komme. Einerseits aber wird der „weibliche“ Zustand der Blüten ja auch ohne Reizbewegungen hergestellt, andererseits ist die Narbe bei Helianthemum appeninum auch dann zugänglich, wenn die Staubblätter noch kegelförmig zusammengeneigt sind. Auf diese Pflanze, deren Staubblätter so viel reizbarer sind als die von Cistus, kann also die Knotrv’sche Anschauung keine Anwendung finden. Kxors kam auf seine Deutung wohl durch eine Bemerkung Bonxer’s, der sagt, daß er bei den rotblühenden Cistus-Arten keine Spur von Reizbarkeit bemerkt habe. Bei diesen stehe aber die Narbe gewöhnlich etwas über den gedrängten Staub- blattpinsel hervor. Bei Helianthemum aber sind sowohl bei Arten mit kurzen als bei solchen mit langen Griffeln die Staubfäden reizbar. Die Kxnorr’sche Deutung stimmt hier nicht. Eine vergleichende Betrachtung der Cistineen-Staubblattreizbarkeit führt vielmehr, wie mir scheint zu dem Schlusse, daß ein erheblicher Nutzen davon nicht einzusehen ist. Wenn Menpıcus (a. a. O. p. 29) bei Helianthemum vulgare angibt, die Blüten seien „bei der Kühlung“ am reizbarsten, bei trockener und starker Hitze hingegen gänzlich und zu allen Zeiten unempfindlich, so handelt es sich dabei offenbar nur um eine Trockenstarre !), die man auch herbeiführen kann, wenn man abgeschnittene Blütenstände etwas anwelken läßt. Die Temperatur als solche dürfte dabei nicht in Betracht kommen. T'hermonastische Bewegungen konnte ich bei Hel. appeninum nicht finden. Bei Mesembryanthemum dolabriforme beobachtete ich eine ähn- liche seismonastische (nur schwächere) Auswärtsbewegung der Staubfäden wie bei den Cistineen. Hanscıre führt M. pyropaeum als reizbar an, wie es scheint ist das bei dieser Art in höherem Maße als bei der soeben genannten der Fall. Indes soll darauf ebensowenig eingegangen werden als auf die Portulacaceen (P. oleracea, grandiflora, Talinum patens) mit reizbaren Staubblättern. Erwähnt sei nur, daß bei Mesembryanthemum die Staubblatt- !) Vgl. auch Brıigquer a. a. 0. a Ne .-) Dig Pi Be N TRANS e: * & A N hi} . 4 Rh h * mug. He 5 er ee 2 > Le, & ’ Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 345 reizbarkeit auf einzelne Arten beschränkt und auch bei den Portulacaceen nicht allgemein ist. Daß die Arten, welche die Staubblattreizbarkeit be- sitzen, dadurch anderen gegenüber im Vorteil sind, ist ebensowenig nach- gewiesen, als daß sie nahe verwandte Formen mit nicht reizbaren Staub- blättern verdrängt hätten. Sparmannia. Die Blüten dieser Tiliacee sind im Knospenstadium scharf nach unten gekrümmt. Sie erheben sich beim Aufblühen so, daß der Griffel etwa unter einem Winkel von 45° nach unten sieht. Die gealterte Blüte richtet sich auf, auch wenn keine Befruchtung stattgefunden hat. Die Untersuchungen beziehen sich meist auf die bei uns oft kultivierte südafrikanische Sparmannia africana, deren stattliche Blüten durch die zahlreichen mit gefärbten Filamenten ‚versehenen Staubblätter (deren äußere als Staminodien ausgebildet sind) besonders hervortreten. Die Reizbewegungen der Staubblätter (und Staminodien) gleichen in- sofern denen der Cistineen, als diese infolge eines mechanischen Reizes sich nach außen bewegen !). Was die Bedeutung der Reizbewegung betrifft, so meint HABERLANDT, daß sie für die fertilen Staubblätter den Sinn habe, die offenen Antheren mit den betreffenden Organen der die Blüten besuchenden Insekten in Berührung zu bringen und sie mit Pollen zu beladen. Die Reizbarkeit der Staminodien erscheine zunächst ganz zwecklos. Aber er findet doch eine biologisch bedeutungsvolle Funktion auch für sie. Denn, da, wie schon MORREN !) beobachtet hat, innerhalb des Androezeums eine Reizfort- pflanzung stattfindet, so folgt der Reizbewegung des Staminodiums auch die einer größeren oder geringeren Zahl benachbarter Staubblätter. HABERLANDT ist der Ansicht, man könne die Staminodien mit vollem Recht als „Sinnesorgane für Berührungsreize“ bezeichnen. Hier ist auf Grund eines rein hypothetisch angenommenen Nutzens der Reiz- bewegung der Staubblätter und der weiteren Annahme, die Reizfortleitung müsse doch etwas zu bedeuten haben, eine Folgerung gezogen, die geist- reich aber wenig überzeugend ist. Nehmen wir an, die von Rına Scott?) gegebene Zeichnung des Bienenbesuches auf einer Sparmanniablüte entspreche den natürlichen Verhältnissen, so fliegt die Biene auf das nach unten gekehrte Staubblatt- büschel an (also — mutatis mutandis — ähnlich, wie es oben für Helian- themum geschildert wurde). Wenn sich die Staubblätter bewegen, so be- wegt sich nur ein kleiner. Teil auf das Insekt zu, die anderen — falls eine ausgiebige Reizbewegung stattfindet — von ihm weg. Bei der Leb- haftigkeit der Insekten scheint mir ein Nutzen der ersten Bewegung sehr fraglich, der zweiten sicher nicht vorhanden. Das Insekt wird nämlich nicht erst warten bis die Staubblätter sich ihm zubewegt haben. Es ist rascher in seinen Bewegungen als die Pflanze und faßt die Staubblätter mit seinen Beinen zusammen, um den Pollen ausbeuten zu können. Aus der Tatsache, daß die Staminodien den Reiz fortleiten, kann man aber auf ihre Funktion als „Sinnesorgane“ doch wohl ebensowenig sicher schließen, als man daraus, daß ein Wundreiz von den Blumenblättern ı) Vgl. z. B. Cu. Morren, M&m. de l’acad. roy. de Bruxelles Vol. XIV 1841, HABERLANDT, Sinnesorgane im Pflanzenreich 2. Aufl. p. 41, Leipzig. 1906. HABERLANDT findet, daß namentlich eine Biegung des Filamentes zur Reizung führt. 2) Rısa Scorr, on th movements of the flowers of Sparmannia africana etc. Ann. of Botany Vol. XVII (1906). . 346 Achter Abschnitt: von Helianthemum apenninum auf die Staubblätter weitergeleitet wird, folgern wird, daß diese Reizfortleitung eine für die Pflanze bedeutungsvolle sei!). Welche Funktion die Staminodien haben, ist nicht bekannt). Für unser Auge wirken sie durch ihre Gelbfärbung als auffallender „Schau- apparat“, der sich von-der weißen Blumenkrone und den. braunen Staub- fäden stark abhebt. Aber nach den neueren Untersuchungen über das Sehvermögen der Insekten ist nicht ohne weiteres klar, ob auch für sie die Staminodien die Blüte auffallender machen. Ein Nutzen der Reizbarkeit der Staubblätter ist für Sparmannia bis jetzt ebensowenig nachgewiesen wie für die Cistineen. Bei der zierlichen Sparmannia palmata ist ohne weiteres klar, daß die Staminodien keine „Sinnesorgane“ sein können. Sie sind in den nur etwa 2!/, cm (Staubblattkegel oben etwa 1 cm) im Durchmesser auf- . weisenden Blüten in viel geringerer Zahl als bei Sp. africana vorhanden. In einer Blüte zählte ich beiläufig ein Dutzend Staminodien. Sie weichen in ihrer Färbung nicht von der der fertilen Staubblätter ab und sind kürzer als diese. Auch konnte ich eine Reizbewegung der Staubblätter nach alleiniger Reizung eines Staminodiums nicht beobachten, obwohl die Staubblätter selbst hier sehr reizbar sind. Da der Abstand der Staub- blätter von der Blütenhülle ein geringer ist, so wird ein anfliegendes In- sekt sofort mit den Staubblättern in Berührung kommen, die ganzen Ver- hältnisse liegen ähnlich wie bei Helianthemum. Wie dort nehmen wir an, daß die ohne Reizung erfolgende Auswärtsbewegung der Staubblätter aus der Knospenlage durch eine Turgorverminderung auf der Außenseite be- dingt ist, und daß diese infolge von Stößen noch stärker ausfällt, eine Auswärtsbewegung, für welche ein besonderer Nutzen bis jetzt zwar ver- mutet aber durchaus nicht erwiesen wurde. -Abutilon. ‘Daß die Filamente von Abutilon indicum (,„Sida americana“) nach ihrer Entfaltung infolge einer Berührung bzw. eines Stoßes Bewegungen ausführen, hat schon Mepıcus beobachtet ?). Die’Staubblätter stehen so dicht und haben so kurze Filamente, daß es kaum möglich sein dürfte, die Reizbarkeit der letzteren als eine für die Pollenübertragung bedeutsame aufzufassen. Selbst HABERLANDT *) be- schränkt sich darauf zu sagen: „Nach Frırz MÜLLER sind Kolibris die Bestäuber der brasilianischen 'Abutilon-Arten. Die Reizbewegungen der Staubblätter werden wohl dabei wie in anderen derartigen Fällen die Pollen- abladung auf den Besucher begünstigen.“ Da diese Annahme nicht näher begründet, sondern nur ein Analogieschluß ist, bedarf sie auch keiner Kritik. Für uns läßt sich zunächst aus der Reizbarkeit der Abutilon- filamente nur folgern, daß bei ihrer Entfaltungsbewegung Turgorspannung beteiligt ist. Wer die bürstenartige Anordnung der Antheren bedenkt, in der ein Kolibrischnabel- oder kopf beim Anstreifen eine Menge Pollen mit bekommt, wird es nicht für sehr wahrscheinlich halten, daß die Staub- blätter dazu wesentlich mit beitragen, wenn sie infolge eines Reizes sich nach der berührten Seite zu bewegen. !) Das im ersten Fall ein „normaler“, im zweiten ein „abnormer“ Reiz in Betracht - kommt, kann keinen wesentlichen Unterschied begründen. Es handelt sich ganz allge- mein um die Frage, ob Fortleitung eines Reizes eine Anpassungseigenschaft ist. ?) Vgl. auch FanmıLrer, Flora 82 (1896) p. 156. >) A. a. O. (1805) p. 140. 4) G. HABERLANDT, Sinnesorgane im Pflanzenreich 2. Aufl. 1906 p. 34. 4 Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 347 Opuntiat) (Fig. 198). Zum weiteren Vergleich mit den Cistineen mögen hier kurz auch die Reizbewegungen bei Opuntia-Arten angeführt werden. Untersucht wurden O. Salmiana..O. monacantha, ©. Dillenii. Bei diesen Arten sind zahlreiche Staubblätter vorhanden, über welche sich der Griffel mit der Narbe soweit erhebt, daß die Staubbeutel, wenn sie sich nach dem Griffel hin bewegen, die Narbe nicht berühren können’). Die Bewegung der Staubblätter ist hier nämlich umgekehrt wie bei den Cistineen. Ur- sprünglich stehen sie dichtgedrängt um den Griffel. Dann breiten sie sich aus, infolge eines mechanischen. Reizes (z. B. Verbiegung) aber be- wegen sie sich wieder nach innen. Fig. 195. Opuntia monacantha. Links Blüte mit ungereizten, rechts mit gereizten Staubblättern. Als Bestäuber werden Bienen genannt. Der „Nutzen“ der Reiz- barkeit der Filamente ist hier noch fraglicher als bei den Cistineen. Höchstens könnte man allenfalls sagen, daß die Bienen mit dem Pollen- sammeln etwas rascher fertig werden, wenn sie durch das Zusammenneigen der Staubblätter diese mehr im großen ausbeuten können. Aber als eine für die Pflanze wichtige Eigenschaft würde man das doch wohl nur bei Blüten betrachten können, die nur sehr kurze Zeit geöffnet sind wie die mancher nachtblütigen Cereus-Arten, bei denen die Staubblätter übrigens teilweise auch reizbar sind. Die Blüten der genannten Opuntia-Arten !) Nach Meovıcvs ist die Reizbarkeit der Opuntia-Staubblätter zum erstenmal von Dunamen du Monczau (trait& des arbres et arbustes, qui se cultivent en France en pleine terre 1755) beschrieben worden. ?) Dies ist dagegen der Fall bei O. vulgaris (vel. A. Scuurz, Beitr. zur Kenntnis der Bestäubungseinriehtungen. Bibl. bot. Heft 17 p. 80). Selbstbestäubung ist hier nach SchuLz immer von Erfolg. Indes ist die Pflanze nach Ganone apogam und es wird sich fragen, ob zur Bildung der „Adventivembryonen“ der durch die Pollenschläuche ausgeübte Reiz (um mehr kann es sich ja nicht handeln) notwendig ist. va BE ER DIE vr I % hi g: » 348 - Achter Abschnitt: aber fand ich keineswegs von so kurzer Dauer — im Vaterland mit der viel größeren Lichtintensität mag sie eine kürzere sein. Keinenfalls kann es sich hier um eine Einrichtung zur Selbstbestäubung handeln, wie man bei O. vulgaris annehmen könnte. Die Reizbarkeit der Opuntiastaubfäden steht für uns — ebenso wie bei Berberis — damit im Zusammenhang, daß die Entfaltungsbewegung durch eine stärkere Turgordehnung auf der Oberseite der Filamente bedingt wird. Das bietet die Möglichkeit einer seismonastischen Reizbarkeit. Einen Nutzen dieser Reizbarkeit wird man erst dann annehmen können, wenn er wirklich nachgewiesen ist. Einstweilen können wir ihr weder „Ziel“ noch „Zweck“ zuschreiben, sondern betrachten sie als Begleit- erscheinung des Entfaltungsvorganges. S 9. Berberis. Die Tatsache, daß die Staubblätter von Berberis, die in der ent- falteten Blüte vom Fruchtknoten abspreizen, infolge einer Erschütterung eine rasche Bewegung zum Fruchtknoten hin ausführen war schon im 18. Jahrhundert bekannt (so Lınxt und DuHamen), und schgQn SMITH er- kannte, daß nur die Oberseite der Staubblattbasis reizbar ist, und dab hier infolge der Reizung eine Verkürzung eintritt '), während ein Schütteln der Zweige die Bewegung nicht auslöse. Was die teleologische Deutung der Bewegung betrifft, so) wiederholt sich die auch bei anderen Pflanzen mit reizbaren Staubblättetn erwähnte “ Geschichte: erst sah man in der Reizbarkeit der Staubblätter einv besonders + zweckmäßige Einrichtung zur Selbstbestäubung), dann, als INZU ER in { Mißkredit kam, zur Fremdbestäubung, drittens übersah man, ın diesen | Deutungen befangen, vollständig die ursprüngliche Bedeutung des ne monastisch reizbaren Schwellgewebes auf der Oberseite der Filamentbasi 5 Daß dies vor allem bei der Entfaltung beteiligt ist, wurde vom Verf. her- vorgehoben ?). Ursprünglich, in der Knospenlage, liegen die. Filament der Länge nach dem Fruchtknoten an, wie das den Raumverhältnissen ın' der Knospe entspricht. Bei der Entfaltung entfernen sich die Filamente vom Fruchtknoten nicht einfach durch stärkeres Wachstum der Oberseite, sondern durch die Ausdehnung der an der Basis der Oberseite gelegenen Schwellgewebes. Solche Schwellgewebe sind ja auch sonst verbreitet (vgl. p. 83ff.). Die Filamente spreizen jetzt vom Fruchtknoten ab. Da aber das Schwellgewebe sich infolge einer Reizung verkürzt, so schnellt das Staubblatt, z. B. wenn es durch ein Insekt berührt wird, auf den Fruchtknoten zu. Nach Sprexser’s Schilderung legt sich dabei die „innere staubvolle Seite seiner Staubbälge dicht an das Stigma an“. Als solches hatte er den Rand der Narbenscheibe erkannt, der klebrig ist. Das ist auch eine durchaus einleuchtende Deutung des Vorgangs. Die Antheren öffnen sich mit Klappen, die den klebrigen Pollen mit- nehmen. Dieser würde von selbst nicht auf die Narbe gelangen. Insekten, welche die stark duftenden und mit Nektarien versehenen Blüten be- suchen, würden allerdings auch ohne Staubblattreizbarkeit die Selbst- “ !) Vgl. Roemer und Usrerı, Annalen der Botanik III p. 78 (1798). 2) KOELREUTER, nouvelles observations et experiences sur l’irritabilite des &tamines de l’&pine vinette {Berberis vulgaris) Acta acad. Imp. Petrop. VI (1790) p. 207—216. Ebenso später Cnr. K. SpRENGEL. 3) GoEBEL, Das Rumphiusphänomen p. 104. 'Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 349 bestäubung bewirken können. Immerhin würde durch den Klappmecha- nismus dieser Vorgang in sicherer Weise ausgeführt werden. Die neuere Blütenbiologie betrachtet den Vorgang als für Fremd- bestäubung bestimmt. Wenn man die Raumverhältnisse in den geöffneten Blüten betrachtet, sieht man aber ohne weiteres, daß auch ohne die Reiz- bewegung der Staubblätter Insekten wie Bienen, Wespen und nicht all- zukleine Fliegen sich mit Pollen behaften müssen, der nun beim Besuch einer anderen Blüte auf deren Narbe abgestreift werden kann. Der Ab- stand zwischen den mit gespreizten Klappen versehenen Antheren und der Narbe betrug bei den untersuchten Blüten höchstens 2 mm. Während SPRENGEL den Rand der Narbenscheibe als eigentliches Stigma erkannt hatte, findet sich bei Kırcaner!) eine andere Deutung. KIRCHNER sagt vom Fruchtknoten (a. a. ©. p. 136): „dessen Scheitel ist von einer etwas vorspringenden Scheibe gekrönt, deren obere Fläche die ‚Narbe darstellt.“ Dem Rand der Fläche schreibt er nicht Narben-, sondern eine andere Funktion zu (p. 138). „Wenn die Antheren nach der Reizung den Insektenkörper verfehlen, so treffen sie auf den Rand der Narbenscheibe und setzen den Pollen hier ab; dieser Rand ist mit steifen, ‚klebrigen Haaren besetzt, welche die Pollenkörner, die hier nicht keimen?), festhalten, bis sie von Insekten gelegentlich abgeholt werden.“ Es soll hier also eine Art Sammelhaare vorhanden sein. Indes kann ich die angeführte Annahme nicht bestätigen, denn die Pollenkörner keimen gerade hier am Rande, den SPRENGEL schon voll- ständig richtig als Narbe erkannt hatte. Der obere Teil der Scheibe, den v. KIRCHNER als eigentliche Narbe betrachtet, ist zwar mit kurzen Papillen besetzt, aber ich habe hier Pollen nicht keimen sehen — obwohl das auch vorkommen mag —, während an dem klebrigen Rand Pollenschläuche in Menge leicht nachweisbar waren. Ich führte diese Angaben an, weil sie in lehrreicher Weise zeigen, daß rein theoretische Annahmen wie die, daß Reizbarkeit der Staub- blätter unter allen Umständen für die Bestäubung sehr wichtig sein müsse und daß Selbstbestäubung höchstens als Notbehelf in Betracht komme, zu unhaltbaren Deutungen geführt haben. Dabei ist nicht einmal festgestellt, ob bei Berberis Selbstbestäubung von Erfolg ist oder nicht. Um das zu ermitteln, schloß ich Blütenstände von B. vulgaris vor dem Aufblühen durch Papierhülsen vom Insektenbesuche ab. Die Hülsen wurden gelegentlich geschüttelt, um eine Selbstbestäubung zu erleichtern °). Es ergab sich, daß Selbstbestäubung von Erfolg ist. In einer Hülle waren z. B. drei Blütenstände mit 41 Blüten, davon schwollen 21 zur Frucht an, 20 nicht. In einer zweiten Hülle war das Verhalten der befruchteten zu den unbefruchteten Blüten ein ungünstigeres, in die dritte war eine Raupe gekommen, die alles abgefressen hatte. Aber der Versuch zeigt jeden- falls, daß Selbstbestäubung von Erfolg ist. Viele der angeschwollenen Fruchtknoten fielen später wieder ab, nur wenige ergaben reife Früchte. Indes war auch bei den stark vergrößerten offenbar Befruchtung ein- getreten. Diese wäre wohl in ausgedehnterem Maße erfolgt, wenn die !) O. v. Kırcaner, Blumen und Insekten (1911). ?) Sperrung’ von mir. G. ?) Nach verschiedenen Autoren sollen die Antheren beim Verwelken der Blüten „von selbst“ mit der Narbe in Berührung kommen. Wie, wird nicht gesagt. Ich konnte keine Bewegung der Filamente nach innen beim Welken beobachten, wohl aber war zu beobachten, daß an alten Blüten die Blumenblätter sich nach innen hin aufrichteten und auch die Staubblätter dadurch nach innen gedrängt wurden. Ob aber in diesem Zustand noch eine Bestäubung stattfinden kann ist sehr zweifelhaft. 350 i Achter Abschnitt: Blüten künstlich selbstbestäubt worden wären. Das Schütteln der Papier- hülsen ist natürlich nur ein roher Versuch die Selbstbestäubung herbei- zuführen. Er genügt aber im vorliegenden Falle zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage. | Übrigens sind die Angaben der verschiedenen Schriftsteller über das Verhalten der blütenbesuchenden Insekten nicht übereinstimmend, viel- leicht deshalb, weil sie sich auf verschiedene Insekten beziehen. SPRENGEL sagt von „den kleinen schwarzen Fliegen“, welche die Blüten besuchen, dab sie sogar, „wenn man sie stößt, mit großer Gleichgültigkeit sitzen bleiben“. Spätere Autoren!) aber scheinen andere Erfahrungen gemacht zu haben. „Meist verlassen dann (nach der Reizung der Staubblätter) die Insekten die eben besuchte Blüte und begeben sich zu einer anderen, so daß sie an dieser, wenn sie mit der bestäubten Seite die Narbe berühren, Fremdbestäubung bewirken.“ Wir sehen also: wenn „das Insekt“ Selbstbestäubung bewirken soll, bleibt es „mit großer Gleichgültigkeit sitzen“. Wenn es aber für die Fremdbestäubung wirken soll, muß es „durch den Schlag erschreckt“ die Blüte verlassen! Nach KIRcHNeER?) tut es das nur, solange ihm der Vorgang neu ist, später gewöhnt es sich daran, was ja gegenüber dem Stumpfsinn der Sprenger’schen Fliegen bei höher entwickelten Insekten ganz gut möglich ist. Indes ist aus der kurzen Angabe nicht zu ent- nehmen, wie man festgestellt hat, daß die betreffenden Insekten sich an den Reizvorgang gewöhnen. Denn daraus, daß sie verschieden auf diesen reagieren, kann man natürlich nicht schließen, dab die einen die Sache mit Gemütsruhe ansehen, weil sie sie schon kennen, die anderen aber fortfliegen, weil sie noch Anfänger sind. Mir liegen über diese Frage keine eigenen Beobachtungen vor. Indes möchte ich annehmen, daß auch durch Insekten (von denen die ver- schiedenen Arten sich wohl auch verschieden verhalten) gar nicht selten Selbstbestäubung bewirkt wird. Ein Beweis dafür, daß die Reizbewegungen von Berberis „offenbar darauf berechnet sind, durch Insekten, welche die Blüten des Honigs wegen besuchen, ausgelöst zu werden, ... wobei der Blütenstaub an dem Insektenkörper hängen bleibt um später auf die Narbe einer anderen Blüte abgestreift zu werden“ °), scheint mir bis jetzt nicht erbracht zu sein. Nachgewiesen ist nur, daß die Reizbarkeit für die Bestäubung in Tätigkeit gesetzt werden kann, nicht aber, daß sie für die Bestäubung notwendig oder von besonderem Nutzen ist. Eine Reizfortleitung (bei Versengen eines Staubblattes durch .ein Brennglas) wurde von SCHULTZ-SCHULTZENSTEIN angegeben. Ich konnte bei Anbrennen eine Fortleitung — bei gehöriger Vorsicht — nicht be- obachten; vielleicht beruht also die erwähnte Angabe auf einer durch Reizung mehrerer Staubblätter bedingten Täuschung. Die Bewegung der Staubblätter kann außer durch Berührung auch durch hohe Tempe- raturen, Elektrizität, Chloroform, Essigsäure, Jodjodkaliumlösung usw. herbeigeführt werden *), Reizbarkeiten, die normal natürlich gar nicht in Betracht kommen. Ebensowenig wie die Reizbarkeit eine Anpassung an die Einwirkung !) Knuru, Handbuch I p. 58. 2). A278..0/:.198, 3) Sachs, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie II. Aufl. p. 685. 4) Vgl. Juer, Einige Beobachtungen an reizbaren Staubfäden in Botaniska studier- tillägnade R. F. Kyerıman, Upsala 1906. ne Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 351 eines dieser Reizmittel ist, braucht sie auch als Anpassung an die Fremdbestäubung entstanden zu sein — wohl aber wird (wie in anderen Fällen) dabei der Entfaltungsmechanismus anderweitig ausgenützt. $S 10. Kompositen '). Bei den Staubfäden vieler Kompositen sind zwei mit der Entfaltungs- bewegung (wie gezeigt werden soll) zusammenhängende Erscheinungen be- merkenswert: einerseits die bei manchen eintretende spontane Ver- kürzung der Filamente beim Abblühen (was auch für den Griffel nicht weniger Formen gilt), andererseits deren Reizbarkeit für Erschütterung. Die letztere ist viel auffallender als die erstere und wurde deshalb früh schon wahrgenommen. Die Zusammenziehung der Filamente von Uentaurea infolge eines Be- rührungsreizes soll nach Mevıcus ?) schon 1651 PETER BoRELLI beobachtet haben. Indessen habe ich seine auch von K. SPRENGEL?) zitierte Schrift nicht einsehen können. Jedenfalls dürfte die Erscheinung durch die früher oft zitierte — mir gleichfalls nicht zugängliche — Schrift des Grafen Dar Covoro weiter bekannt geworden sein ®). KOELREUTER°) und viele andere haben sich dann weiter damit beschäftigt. Schon KOELREUTER (der den Vorgang als eine durch Insekten in Tätigkeit gesetzte Einrichtung zur Selbstbestäubung deutete) meint (a. a. O. p- 129) „ohne Zweifel wird diese Eigenschaft durch die ganze Klasse der zusammengesetzten Blumen hindurch von einem sehr weiten und vielleicht allgemeinen Umfange seyn, und bloß der Unterschied dabey stattfinden, daß die, durch eine äußere Kraft erregte Bewegung ..bey einigen Pflanzen sehr stark in die Augen fällt, bey anderen hingegen wieder ein merkliches schwächer und bey vielen bloßen Augen gar nicht sichtbar ist“. Das hat sich später durchaus bestätigt. Ehe auf die Verbreitung der Filamentreizbarkeit eingegangen wird, sei diese an dem bekannten, oft besprochenen Beispiel von Centaurea kurz erläutert. Es wird das nicht ganz überflüssig sein, da selbst neuerdings noch unzutreffende Darstellungen in den Lehrbüchern sich finden. In einem findet sich z. B. eine Abbildung, in welcher der „Griffel“ (in Wirklichkeit die beiden noch aufeinanderliegenden Narbenäste) schon im un- gereizten Zustand aus der Staubbeutelröhre heraussieht. Nichts- destoweniger soll er später nach der Filamentreizung den Pollen vor sich herschieben! Das ist aber nicht möglich, denn es würde unter den Narben- ästen kein Pollen mehr liegen. Auch hat sich in der Abbildung der Griffel (nicht nur die Filamente) nach der Reizung verkürzt! Bekanntlich sind die Antheren zu einer Röhre verklebt, welche den Griffel umgibt. Diese Röhre ist durch die Konnektivschuppen (die be- sonders fest miteinander zusammenhängen) stark verlängert. Der Griffel hat bei manchen (nicht bei allen) Arten unterhalb der Narbenäste eine mit „Fegehaaren“ besetzte Anschwellung. Bei der untersuchten Ü. wochi- nensis (einer „Form“ von Ü. can war diese Anschwellung nicht vor- = Die auffallenden Erkkalkungespscheinuhgen der Staubblätter. 2, EN: Den pflanzen-physiolog. Abh. I (1803) p. 60. ») Kurt Sprenger (Von dem Bau und der Natur der Gewächse, Halle 1812 p. 302) gibt an „Hist. et obs. phys. med. cent. 1. obs. 100“. a) Discorso dell’ iritabilita di aleuni fiori Firenze 1764. °) Dritte Fortsetzung usw., Leipzig 1766 $ 66 (p. 125ff.). RES EB N a a ar | RR 352 Achter Abschnitt: : 1 handen (Fig. 199, II). Der Pollen wird nach innen entleert, liest also in einer durch die verlängerte Antherenröhre gebildeten Kammer, die 7 nach unten durch den Griffel abgeschlossen ist. | A Die Filamente sind ursprünglich gerade. Ihre Verlängerung beruht — | wenigstens zum Teil — auf Turgordehnung. Sie können sich aber, da 23 die Antherenröhre durch den Griffel sozusagen festgehalten wird, zunächst nicht in gerader Richtung verlängern, und biegen deshalb nach außen aus. Reizbar sind sie aber auch so lange sie gerade sind. Wenn der Griffel Br wächst, können sich auch die Filamente geradestrecken. Die Blüten sind nektarreich und werden durch Insekten viel besucht. Eine Berührung f der Filamente veranlaßt deren Verkürzung, die Staubblattröhre wird am . BR Griffel herabgezogen und durch diesen ein Teil des ıK Pollens aus der Spitze der Staubblattröhre herausgepreßt. Übrigens sind die Filamente nicht nur für Erschütterung, er. sondern auch für chemische und thermische Reize empfänglich '). Diese Einrichtung zur Pollenentleerung ist gewiß eine sehr schöne, zumal auch die Beschaffenheit dr Filamente mit dazu beiträgt, daß ein in die Blüte ein- geführter Insektenrüssel oder eine Biegung der Blüte eine Reizung herbeiführt. Diese Filamente sind bekannt- lich mit Haaren ziemlich dicht besetzt (vgl. Fig. 199, I). Wenn wir diese auch nicht als „Sinnesorgane“ be- trachten können, da die Reizempfindlichkeit an den glatten Stellen nicht geringer ist als an den Haaren, so vergrößern sie doch die Oberflächen der Filamente und damit die Wahrscheinlichkeit der Reizung erheblich. Aber es ist folgendes zu bemerken: Fig. 199. Centaurea 1. Zum Hinausschaffen des Pollens aus der Antheren- wochinensis 8 X. I „öhre ist — was meist übersehen wurde — der Reiz- Staubblattröhre nach Entfernung der Blu- Yorgang nicht notwendig°). Schützt man Centaurea- menkrone, A Anthe- blütenköpfe vor Insektenbesuch und Erschütterung, so renfortsätze. 1/ stär- wächst wie bei so vielen anderen Kompositen mit nicht ker vergr. Die noch ejzharen Staubfäden der Griffel durch die Antheren- zusammenliegenden “ - > 3 Narben außen mit föhre durch, und es sammelt sich an deren Spitze ein Fegehaaren. lockeres Pulver an. Dieses fällt, wenn kein Insekten- besuch stattfindet, schließlich ab. 2. Das Zusammenfallen von Pollenentleerung und Insektenbesuch wird Y eine Ersparung an Pollen herbeiführen, auch den Pollen gegen Be- nässung schützen. Aber dieser Vorteil erscheint nicht als ein sehr wichtiger. Die Pollenbildung bei den Kompositen ist eine sehr reichliche im Verhältnis zu den zu befruchtenden Samenanlagen. Die Blüten eines „Kopfes“ blühen nacheinander auf; selbst wenn Pollen verloren geht, ist die Bestäubung doch gesichert. Der Pollen selbst aber ist — wenigstens was die unmittelbare Einwirkung anbetrifft — nicht etwa gegen Benetzung . sehr empfindlich. Pollen, den ich 24 Stunden in Regenwasser gelegt ı) Vel. H. O. Jver, Einige Beobachtungen an reizbaren Staubfäden in Botaniska studier tillägnade R. P. Kserıman, Upsala 190R. 2) Goesen a a. O. p. 101. Brıquer, welcher den Vorgang der Pollenentleerung eingehend schildert. sagt z. B., wenn der Griffel sich verlängert und zum letztenmal seine Anschwellung durch die Pollenkammer stoße, gebe es darin keinen Pollen mehr. Das gilt natürlich nur dann, wenn die Blüte vorher reichlichen Insekterbesuch erhalten hat. Vgl. J. Briguer, Monographie des Centaurces des Alpes maritimes, Bäle et Geneve (1902) p. 34. ER N a Nr Er } . Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 353 ‚hatte, war größtenteils anscheinend noch ganz normal, keine geplatzten Körner waren darunter, vielmehr hatte die große Mehrzahl an Volumen zugenommen und die Intine an den drei „Keimporen“ hervorgewölbt. Die wenigen zurückgebliebenen waren offenbar vorher schon verkümmert. Ob dieser Pollen weniger keimfähig ist als trocken gebliebener, vermag ich nicht zu sagen. Bekanntlich ist die Keimung des Kompositenpollens auf künst- lichen Nährsubstraten bis jetzt nicht gelungen. Die Reizbarkeit der Staubblätter ist auch hier eine sekundäre Er- scheinung, die mit Entfaltungsvorgängen zusammenhängt und weder auf Insektenbesuch berechnet noch durch diesen allmählich herangezüchtet ist. Die Verbreitung der Reizbarkeit der Filamente der Kompositen ist öfters erörtert worden. Schon im Jahre 1768 hat J. F. Gmetm !) verschiedene Kompositen auf die Reizbarkeit ihrer Staubfäden untersucht. Er schildert bei Carduus, Oentaurea u. a. den Vorgang fast ebenso (aber auch ebensowenig genau) wie er in einem Lehrbuch von 1917 dargestellt ist (a. a. O. p. 298): „Stilus elasticus et hactenus impeditus, quo minus exir&t e carcere suo, nunc retracta vagina ?) inde prodibat, polline plurimo obsitus, quem in tran- situ par vaginam recipiebat.“ Weniger auffallend fand er den Vorgang bei Inula Helenium, Carthamus tinctorius, Centaurea solstitialis, Tanacetum vulgare und noch „obscurior“ bei Tragopogon orientalis, Picris echioides, Lampsana communis, Xeranthenum annuum, Matricaria Parthenium, Achillea Millefolium, Calendula officinalis u. a. — Bei anderen konnte er gar keine Reizbarkeit finden, so bei Tussilago farfara, Senecio vulgaris, Bellis perennis u.a. Die Liste ist dann später von verschiedenen Autoren, die ihren Vorgänger aus dem 18. Jahrhundert nicht kannten, ergänzt worden. Devpmo°) schließt sich der Ansicht KoELrEUTEr’s (ohne ihn zu nennen) an. „Ma non & nelle sole cinarocefale che si manifesta tale fenomeno, lo lo riscontrai pilı o meno accentuato nel Silphium perfoliatum, in aleuni Aster, in alcune Eliantee, ed & verisimile che abbia luogo, se non in tutte almeno nella maggior parte delle composte.“ Dagegen zählt JuEL *), der eine Liste von reizbaren und nichtreizbaren Kompositenstaubfäden gibt, z. B. Silphium perfoliatum unter den nicht- reizbaren auf. Er ist der Meinung, daß nur bei den Blüten, die er dem Cynareen-Typus zuzählt (Antherenröhre lang und schmal, spitz und zu- weilen gekrümmt, oft von festem Bau und mit einem Pollenmagazin ober- halb der Pollensäcke), die Reizbarkeit der Filamente für die Exposition des Pollens wichtig sein kann, bei den Cichorieen mit reizbaren Staub- fäden aber scheine die Kontraktilität in dieser Beziehung ganz bedeutungs- los zu sein. Sie könne aber auch eine andere Wirkung haben, indem bei einseitiger Reizung die Antherenröhre sich (wie der Arctotisgriffel) nach der berührten Seite hinneige. Dadurch könne vielleicht die Pollen- übertragung auf das Insekt begünstigt werden. Weshalb ich mich dieser Vermutung — die offenbar von der Anschauung ausgeht, daß die Reiz- barkeit doch irgendeinen Nutzen haben werde — nicht anschließen kann, ist bei Besprechung der Arctotisgriffel dargelegt. !) F. Gmeum, Irritabilitas vegetabilium in singulis plantarum partibus explorata ete. in ©. F. Lupwıs, Deleetus opusculorum, Lipsiae 1790 p. 272#f. ?, Antherenröhre. °®) J. Detpıno, ulterori osservazioni sulla dicogamia nel regno vegetale (Estratto dagli Atti della societa italiana di scienze naturali Vol. XI e. XII Milano 1868—69). *) OÖ. JueL, Om pollinationsapparaten hos familien Compositae, Svensk Botanisk tidskrift (1908) Dd. 2. 23 - &oebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 354 "Achter Abschnitt: Nach einem Referat im Botan. Zentralblatt!) hat J. SmarL 233 Kompositen untersucht und bei 149 Reizbarkeit der Staubfäden ge- funden. Sie fehlte nur bei den Eupatorieen und Vernoniaceen. Bei Mutisieen fand sich eine „explosive irritability* bei den Cichorieen eine eigentümliche langsame Bewegung. Daß die Reizbarkeit in vielen Fällen, so z. B. bei Taraxacum officinale, welches apogam ist (aber offenbar auch in anderen) nutzlos ist, ist nicht zu beweifeln. Hier kann man aber mit Recht auf die Tatsache hinweisen, daß die Apogamie eine nachträglich entstandene sei und daß ursprünglich die Reizbarkeit der Filamente im Dienste der Bestäubung gestanden sein könne. Man könnte z. B. annehmen, daß durch die Art der Pollen-Abgabe dieser vor der schädlichen Einwirkung der Durchnässung geschützt sei, indem er erst dann, wenn ein Insekt die Blüte besuche, entleert werde. Wenn das zutrifft, so wäre zu erwarten, daß reizbare Filamente nament- lich bei solehen Kompositen vorkommen, deren Blüten sich an niederschlags- reichen Standorten entfalten. z HanscırG ?) gibt eine Liste von Cynareen mit reizbaren Staubblättern. Darunter befinden sich Pflanzen der verschiedensten Standorte nament- lich eine größere Anzahl, die regenarmen (Gegenden angehören, wie ÖOnopordon graecum und OÖ, illyricum, Cousinia, Echinops, Xeran- themum-Arten und andere, ferner von anderen Kompositen das bekannte aus der Kapflora stammende Unkraut Uryptostema calendulacea, und solche die aus anderen Trockengebieten stammen, wie Rhodanthe u. a. Dab diesen die Reizbarkeit ihrer Filamente zum Schutz des Pollens gegen Nässe angezüchtet sein sollte ist doch ganz ausgeschlossen. Wenn man aber für Pflanzen unserer Flora einen besonderen Vorteil darin sehen wollte, daß die Pollentleerung nur bei schönem Wetter, wenn die Insekten fliegen, stattfinde, so wäre das nicht zutreffend. Denn auch bei Regenwetter wächst, wenn die Temperatur nicht zu niedrig ist, der Griffel hervor und fegt den Pollen heraus. Es wird also auch ohne daß die Reizbarkeit der Staubfäden in Betrieb gesetzt wird, erreicht, daß der Pollen „aus den geöffneten Antheren ausgestreut und durch Insekten, welche die Kreuzung vermitteln, übertragen werden kann“ (HasscırG a. a. O.). Das habe ich früher nachgewiesen ?). Wie das Zitat aus HanscIkG zeigt (das sich auf die Staubfäden — Reiz- bewegungen der Üynareen bezieht), war man aber vielfach offenbar der Ansicht, daß die Reizbewegungen für die Pollenentleerung notwendig seien. Diese Reizbewegungen zogen so sehr die Blicke auf sich, daß man gar nicht mehr fragte, was geschieht denn, wenn sie unterbleiben ? HanssırG hat übrigens trotz seines unkritischen teleologischen Stand- punktes als Ergebnis seiner (im wesentlichen statistischen) Untersuchungen hervorgehoben, daß die Reizbarkeit der Staubfäden wie die der Narben im Pflanzenreich nur sporadisch verbreitet sei. 5 Daß die Reizbarkeit in verschiedenem Grade auftritt, geht schon aus den bisherigen Beobachtungen hervor und wird sich leicht durch weitere Untersuchungen belegen lassen. So ist z. B. nach Pr£rrer und HaBEr- LANDT*) die Reizbarkeit der Filamente von Echinops exaltatus eine ») Bd. 137 (1918) Nr. 15 (Das Original in Annals of Botany XXXI 1917 war mir wegen des Krieges nicht zugänglich). 2?) Phytodynamische Untersuchungen (1895) p. 141 mit späteren Nachträgen. '- 3) GoEBEL, Rumphiusphänomen p. 107. *) Vgl. HABertannr, Sinnesorgane im Pflanzenreich (1901) p. 45. 'Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 355 wenig ausgiebig. Und nach dem unten mitzuteilenden ist anzunehmen, daß alle die Staubblätter in Kompositenblüten, welche sich bei normalem Verlauf der Entfaltung „spontan“ verkürzen, eine Verkürzung auch infolge von Reizung erfahren können, wenn der „Reiz“ stark ‘genug ist. Die spontane Verkürzung der Filamente beim Abblühen kann sowohl bei „reizbaren“ als bei nicht reizbaren Staubblättern hervortreten. Es wird darauf bei Besprechung der Griffelverkürzung zurückzukommen sein. Hier mag anhangsweise eine weiterer Klärung bedürftige Mitteilung von FORBES über eine Entfaltungsbewegung in den Blüten einer mono- kotylen Pflanze angeführt werden — nur um die Aufmerksamkeit derer, denen die Pflanze zugänglich ist, darauf zu lenken. Forses!) macht über die letzten Stadien der Blüte von Curcuma Zerumbet eine merkwürdige, mir nicht verständliche Angabe. „Wenn die Blüte befruchtet ist, verdicken sich die Staubfäden in ihrem mittleren Teil, ziehen sich spiralig zusammen und bringen so das Perianth nebst Staubfäden und Pistill auf den Boden der Spatha, wo sie in Sicherheit sind, und einer anderen Blüte Platz machen.“ Unverständlich ist mir die Angabe, weil in der Blüte nur Ein Staub- blatt vorhanden ist, das ziemlich hoch inseriert ist, so daß nicht einzu- sehen ist, wie es das Perianth herabziehen kann. Außerdem kann ja höchstens dessen Beseitigung, nicht seine „Sicherheit“ in Betracht kommen. — Denn was sollte es nach dem Verblühen noch eines Schutzes bedürfen ? Ein solcher könnte nur für das Pistill in Betracht kommen. Aber da der Fruchtknoten unterständig ist, kann er durch die Bewegung des Perianths usw. nicht „in Sicherheit gebracht“ werden. $ 11. Reizbare Narben. Die seismonastische Reizbarkeit der Narben entdeckte KOELREUTER bei Martynia annua und Bignonia radicans?). Er gab seiner Entdeckung auch sofort eine teleologische Deutung. „Der Endzweck von dieser ebenso merkwürdigen Eigenschaft, die ich an der ersten noch bey meinem Auf- enthalte in Petersburg, ?) und an der anderen in Carlsruh entdeckt habe, ist aller Wahrscheinlichkeit nach dieser, daß der Saamenstaub, indem er auf bemeldte Art eingeschlossen und zusammengepreßt wird, vor allen äußerlichen Zufällen gesichert seyn, die Saamenfeuchtigkeit desto leichter von sich geben und die Befruchtung dadurch befördert und auf keinerley Weise gestöret werden möge.“ Später sind noch einige andere Pflanzen mit reizbaren Narben be- kannt geworden. So einige Acanthaceen, Bignoniaceen, Lentibulariaceen *) und Scrophulariaceen. Die Angabe von Mevıcvs, daß auch bei Lobelia-Arten die Narben in einem bestimmten Entwicklungsstadium reizbar seien, konnte ich eben- h; !) H. O. Forses, Wanderungen eines Naturforschers im malay. Archipel, Deutsche Übersetzung I p. 266. ?) Dritte Fortsetzung usw. (1766) p. 134 ff. ®) Von wo K. 1761 nach Deutschland zurückkehrte. Vgl. Beurens, J. G. Koer- REUTER, Karlsruhe 1894 p. 2. *) Reizbare Narben werden angegeben von Utr. vulgaris. Bei U. montana und M. uliginosa zwei tropischen Landutrikularien konnte ich keine Reizbarkeit der Narben wahrnehmen. Falls alle Landutrikularien sich so verhalten sollten — was natürlich erst festgestellt werden müßte — wäre die Reizbarkeit der Narben bzw. des unteren Narbenlappens nnr auf einen kleinen Teil der zahlreichen Arten beschränkt. Auch Pinguicula hat, soweit untersucht, keine reizbaren Narben. 23* 356 Achter Abschnitt: sowenig wie GÄRTNER!) bestätigen. Übrigens verhalten sich: selbst ver- wandte Pflanzen verschieden. So sind z. B. die Narben von Torenia Fournieri reizbar, die von T. exappendiculata nicht. °) Die Reizbarkeit der Narben tritt besonders dann deutlich hervor, wenn im geöffneten Zustand zwei auseinanderklaffende Lappen vorhanden sind, die bei Berührung zusammenklappen (Fig. 200). Wenn dieser Vorgang eine zweckmäßige Anpassungserscheinung ist, so muß sich das aus den besonderen bei den betreffenden Pflanzen bestehenden Verhältnissen heraus begründen lassen, sonst wäre das ver- hältnismäßig seltene Auftreten der Reizbarkeit teleologisch nicht verständlich. Für uns ist vor allem wichtig ‚hervorzuheben, daß es sich bei den Reizbewegungen der Narben ebenso wie das für die der Staubblätter nachgewiesen wurde, darum handelt, daß der Entfaltungsmechanismus auch nach der Entfaltung wieder in Betrieb gesetzt werden kann. Wo zwei gleiche Narben- lappen vorhanden sind, wie z. B. bei Mimulus, liegen diese ur- sprünglich dicht aufeinander. Die Ausbreitung erfolgt da- durch, daß die Turgordehnung auf der Oberseite eine stärkere ist als auf der Unterseite. Dem- gemäß erfolgt, wie schon (GÄRTNER?) für Mimulus cardi- nalis feststellte, bei „Dürsten“ Verschluß der Narbenlappen — der natürlich auch auf andere Weise durch Wasserverlust (z.B. Plasmolyse) herbeigeführt wer- den kann. Auch fand er, daß Fortleitung des Reizes von einem Narbenlappen auf den . Fig. 200. Incarvillea Delavayi. Blüte / mit aus- anderen stattfand, was Lurz einanderspreizenden, // mit geschlossenen Narben- auch für einige andere Pflanzen lappen (Blumenkrone entfernt). bestätigt hat. Die teleologische Deutung der Reizbarkeit der Narben hat sich genau in derselben Richtung bewegt wie die der Reizbarkeit der Staubblätter, d. h. zunächst Deutung als Ein- richtung für Selbst-, dann für Fremdbestäubung. Die erstere Deutung trat, wie die eben angeführte Außerung KOEFLREUTER’s zeigt, schon bei der Entdeckung der Narbenreizbarkeit auf. Sie ist später öfters wiederholt !) K. F. Gärtner, Versuche und Beobachtungen (1844) p. 300. ?) Vgl. C. Lurz, Untersuchungen über reizbare Narben. Zeitschrift für Botanik T1L-.(1911)p. 289: 3) GÄRTNER, Versuche und Beobachtungen über die Befruchtungsorgane der voll- kommenen Gewächse, Stuttgart 1844 p. 265. Beiläufig bemerkt ist es ein Mißverständnis wenn GÄRTNER auf Grund seiner Äußerung auf p. 323 die Ansicht zugeschrieben wird, daß er die Reizbewegung der Narbe für notwendig zur Befruchtung halte. Er meint dort etwas anderes. — Es ist natürlich nicht notwendig, daß alle infolge von Turgor- dehnung geöffneten Narben seismonastisch reizbare sind, wenigstens nicht in erheb- lichem Maße. Hanscırc fand z. B. bei den Narbenästen von Silphium perfoliatam, daß sie in trockener Luft oder bei Bestreichung mit Salzlösungen sich langsam schlossen — also sich ebenso verhielten, wie die Mimulusnarben GÄrTners. Sie waren also auch dureh Turgordehnung geöffnet. \ Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 357 worden — mit einer Zuversichtlichkeit, welche der moderner teleolo- gischer Deutungen nichts nachgibt. Für die zweilappigen reizbaren Narben meinte z. B. Cm. MOoRREN „on ne peut pas meconnaitre que dans les plantes de ces familles, le rapprochement subit des deux levres primitivement beautes du stigmate _ au moment oü le pollen tombe dessus, ne soit trös-propre A amener limpregnation et par suite la fecondation. Oela saute aux yeux.“ Zunächst sei bemerkt, daß die Bestäubung an sich, wenn sie ohne Erschütterung erfolgt, noch keineswegs den plötzlichen Verschluß der Narbenlappen herbeiführt. Das wurde nur angenommen, weil es zu der Annahme, daß die Reizbarkeit im Dienste der Bestäubung stehe, paßte. Aber auch wenn man voraussetzt, daß bei einer durch Insekten aus- geführten Bestäubung stets auch eine Erschütterung eintrete, die die Reiz- bewegung auslöst, ist der Nutzen für die Bestäubung noch kein selbst- verständlicher. KOELREUTER's Annahme beruht ja auf der falschen Annahme, daß der Pollen auf der Narbe platze und die zur Be- fruchtung notwendige Flüssigkeit austreten lasse. Das könnte durch den Narbenverschluß allerdings begünstigt werden. Aber da wir wissen, daß diese Annahme nicht zutrifft, könnte es sich nur um Festhalten des Pollens oder um Begünstigung der Schlauchbildung handeln. Ersteres kommt nicht in Betracht, da die Narbe ohnedies zum Festhalten des Pollen (durch den Besitz von Papillen usw.) eingerichtet ist. Letzteres wäre nur dann von Bedeutung, wenn ohne Narbenverschluß die Schlauchbildung nicht oder weniger gut eintreten würde. Das ist aber nicht der Fall!l. Es kann also, wie auch Lurtz neuerdings hervorhebt, ein besonderer Vorteil für die Schlauchbildung im Narbenverschluß nicht erblickt werden. Wohl aber könnte dieser im Dienste der Fremdbestäubung stehen. Es war wohl zuerst Barauın ?), der hervorhob, daß bei Mimulus die oberhalb der Staubblätter stehende geöffnete Narbe zunächst mit dem die Blüte besuchenden Insektenkörper in Berührung komme, wobei die Reiz- bewegung eintritt, welche verhindert, daß Pollen aus den Staubblättern derselben Blüte beim Rückzug des Insekts auf die Narbe gelangt. Diese Deutung wurde dann von H. MÜLLER u. a. angenommen; und, blieb in der Blütenbiologie die herrschende. Miıyosar?) z. B. untersuchte die Reizbarkeit der Narben bei einigen ' Serophulariaceen, namentlich Mazus rugosus. Beide Narbenlappen sind reizbar, indes tritt die Bewegung bei dem weit zurückgebogenen unteren Lappen viel auffallender hervor. Die Reizbewegung wird durch eine Apiden-Art (Eucera sp.) ausgelöst. Mıyosar schließt sich der Deutung von H. MÜLLER an, zumal die Reizbarkeit nicht wohl ein Schutz gegen Regen und Wind sein könne, d. h. es solle die Selbstbestäubung verhindert . werden. Lurz geht auf diese Auffassung des Nutzens der Reizbewegung nicht ein. !) Bei Diplacus glutinosus Öffnet sich die Narbe auch nach der Bestäubung, um sich dann nach einigen Stunden — offenbar infolge der Einwirkung des Pollens auf die turgeszierenden Zellen zu schließen. Es steht also auch hier die Reizbarkeit der Narben- lappen in keiner unmittelbaren Beziehung zur Schlauchbildung (vel. F. E. Lroyp, Certain phases of the behavior of the Stigmalips in Diplacus glutinosus Nuce. The Plant world Vol. 14 (1911) p. 257—267. 2) Barauın, Beobachtungen über die Bestäubung einiger Pflanzen. Botan. Zeitung: XXVIII (1870) p. 53—55. ») M. Mıyosas, notes on the irritability of the Stigma, Journal of the College of science, Vol. IV Pt. I (1891). Die ältere Literatur scheint dem Verf. nicht vorgelegen zu haben. 358 Achter Abschnitt: Daß sie keine fest begründete ist, geht, wie'mir scheint, aus folgen- dem hervor. 1. Die Verhinderung der Selbstbestäubung würde nur dann von Be- deutung sein, wenn diese gegenüber der Fremdbestäubung erhebliche Nachteile bieten würde. Wir verdanken Darwın den Nachweis, daß bei Mimulus luteus gekreuzte Pflanzen bedeutend kräftiger waren als selbst- befruchtete. Aber es trat unter den letzteren auch eine Pflanze auf, die sehr kräftig war und nach Selbstbefruchtung in den folgenden Generationen immer fruchtbarer wurde, auch an Höhe die gekreuzten Pflanzen über- traf. Es wäre also wünschenswert, die Versuche an Pflanzen zu wieder- holen, welche nicht wie die Mimulus-Arten unserer Gärten aus Kreuzungen hervorgegangen sind. Nehmen wir aber auch an, daß Fremdbestäubung vorteilhafter sei als Selbstbestäubung, so braucht doch die Narbenreizbarkeit noch nicht als ein Mittel zur Verhinderung der letzteren betrachtet zu werden. 2. Denn z. B. bei Mimulus luteus wird nur die Unterlippe der Narbe beim Insektenbesuch gereizt. Aber auch die Oberlippe ist reizbar, und es kann sogar von ihr aus die Reizbewegung auf die Oberlippe über- tragen werden. Die Oberlippe ist also anscheinend reizbar, ohne daß diese Reizbarkeit für die Bestäubung in Betracht kommt. Dasselbe kann man auch für die Unterlippe annehmen. 5. Kleine Fliegen (die ich in größerer Anzahl in den Blüten antraf) können auf den Narbenpapillen herum sich bewegen ohne eine Reizbe- wegung auszulösen. Sie waren teilweise mit Pollen beladen, können: also Selbstbestäubung herbeiführen. ; Für kleine Insekten kommt also die Reizbarkeit der Narbe als Mittel gegen Selbstbestäubung nicht in Betracht. Übrigens ist nach Darwıx !) Mimulus luteus in hohem Grade fruchtbar, wenn Insekten (d. h. wohl größere Insekten) ausgeschlossen werden. Die Reizbarkeit der Narben ist also kein sicherer „Schutz“ gegen Selbstbestäubung, höchstens gegen die durch größere Insekten etwa eintretende. 4. Faßt man nur die letzteren in das Auge, und läßt man ferner den Vorteil der Fremdbestäubung gelten, so kann man zugeben, daß die Selbst- bestäubung beim Insektenbesuch durch den Narbenverschluß erschwert oder verhindert wird. Aber dazu hätte wohl auch eine passive Beweg- lichkeit des unteren Narbenlappens genügt! Außerdem würde die Fremd- bestäubung vermöge der Lage der Narben, falls das Insekt diese schon mit Pollen beladen berührt, ohnedies zuerst eintreten. Wenn also der eigene Pollen nicht ohnedies „präponderant“ ist. wird die Selbstbestäubung keine Wirkung haben. Wenn aber z. B. nachgewiesen würde, daß die mit nicht reizbaren Narben versehenen Arten, z. B. Torenia exappendi- culata?) selbststeril sind, die mit reizbaren Narben versehenen Torenia- Arten aber nicht, so würde dadurch die Reizbarkeit der Narben bei dieser wichtiger erscheinen, als man sie derzeit 'einschätzen kann. Die Ansicht Burcks, welcher meinte, die Schließbewegung der Narben sei ein Schutzmittel gegen die Keimmung fremden Pollens, ist meiner Ansicht nach durch Lurz hinreichend widerlegt, so daß hier nicht weiter darauf eingegangen zu werden braucht. Alle die ökologischen Deutungen, welche auf der Ausführung einer durch zwei Narbenlappen ausgeführten Schließbewegung aufgebaut sind, Ar 8:03, ?2) Die Art war mir leider nicht zur Untersuchung zugänglich. _ Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 359 können natürlich nicht ohne’ weiteres in Betracht kommen, wenn nur Ein reizbarer Narbenlappen vorhanden ist. Aber auch für diese Reizbewegung wiederholt sich die Reihenfolge der Deutung: erst Anpassung für Selbst- ‚ dann für Fremdbestäubung. Sehen wir also, inwieweit diese Deutung eine überzeugende ist. Das Verhalten der Narben der Strobilanthes (Goldfussia)-Arten und dessen Deutung ist besonders lehrreich. Wie bei einer Anzahl anderer Acanthaceen ist von den beiden .Narbenlappen nur der untere!) entwickelt, der aussieht, wie eine un- mittelbare Fortsetzung des Griffels. was wohl bedingt hat, daß immer noch teilweise von einer Reizbarkeit des „Griffels“ die Rede ist, während es sich, wie in anderen Fällen, um eine Reizbarkeit der Narbe handelt. Diese wurde von ÜH. MORREN?) entdeckt. Der Narbenast ist (durch stärkere Turgeszenz der Zellen der Oberseite) konkav nach oben gekrümmt, mechanische, thermische u. a. Reize bedingen eine Verkürzung der vorher konvexen Unterseite und Geradestreckung des Narbenastes (Fig. 201). Im Knospenstadium der Blüte steht der entwickelte Narbenast — er mag der Plusast heißen — annähernd in der Verlängerung Ei des (riffels, dann biegt er sich zurück. In- 2 folge eines Reizes streckt er sich annähernd a wieder in die Knospenlage (Fig. 201). 2: „La cause finale de ce mouvement saute “ _ 3 = » —_ MORREN ?). / ehe meint ) Sehen wir Fig. 201. Längsschnitt durch eine ob das zutrifft. ii } x Blüte von Strobilanthes isophyllus. Die Staubfäden sind kürzer als der @ Griffel. Der größere Narben- Griffel. Dieser liegt in einer rinnenförmigen lappen in 7 in der Lage, die er im ‚Vertiefung ‘der Blumenkrone, die seitlich \wngereizten Zustande einnimmt, 2 in Reizstellung. X der kleinere behaart ist. Narbenlappen. Die Antheren entlassen ihren Pollen in die Haare, welche auf der Innenseite der Korolle stehen. Wenn nun durch einen Reiz die Narbe „viendra se plaeer entre ces poils ou sur eux; le pollen est alors applique sur la surface qu'il doit impregner“. MOoRREN hat auch an Gewächshauspflanzen beobachtet, daß Ameisen den Pollen auf jene Haare brachten und die Reiz- bewegung des Narbenlappens auslösten. „O’est indubitablement ainsi que la fecondation s’opere dans cette jolie plante“ — leider sagte er nicht, ob die „ohne Zweifel“ so bestäubten Pflanzen Samen ansetzten *). Jedenfalls ist er also der Meinung, daß die Reizbarkeit der Narbe die Selbstbestäubung ermöglicht. Die Morren’sche Auffassung ist aber nichts als eine Vermutung, von der wir z. B. für Str. Dyerianus mit Sicherheit sagen können, daß sie nicht zutrifft. Denn bei dieser Art ragt der Endteil des Griffels mit der Narbe über die erwähnte Rinne hinaus, und es kann keine Rede davon sein, daß die Reizbewegung der Narbe die Aufnahme von Pollenkörnern, die auf :: *) Infolge der Resupination der Blüte ist er nach oben gekehrt! (vgl. p. 246 u. 247). . ?) Ca. MorrEs, recherches sur le mouvement et l’anatomie du Style de Goldfusia anisophylla, M&moire lu a l’acad&mie de Bruxelles le 2. fevrier 1839. Ra. DEBIAN *) Im Münchener botanischen Garten, der mehrere Strobilanthes-Arten in zahlreichen Exemplaren besitzt (Str. isophyllus, St. glomeratus, Dycerianus u. a.) konnte ich keinen Samenansatz wahrnehmen, obwohl Ameisen auch hier vorhanden sind und die Narben Pollenschläuche aufwiesen. x 360 Achter Abschnitt: der Blumenkronenröhre liegen, bezwecken könnte. Für die anderen Arten wird dasselbe gelten. Daß auch die für reizbare Narben mit „Verschluß“ infolge der Reizbewegung geltend gemachten teleologischen Gesichtspunkte für die einseitig entwickelten Narben keine Anwendung finden können ist ohne weiteres klar. Es blieb also, unter dem Einfluß der Anschauung der „Schädlichkeit der Fremdbestäubung“ nur noch übrig, auch die Reizbarkeit der Acantha- ceen-Narben trotz MORREN’s „saute aux yeus“ und „indubitablement“ als Einrichtung zur Verhütung von Selbstbestäubung zu deuten! Das geschah — nach dem Muster der Deutung von Mimulus u. a. — durch TRELEASE). Er hat die Resupination der Blüte nicht beobachtet (vgl. p. 247), meint der Griffel (nicht nur die Narbe) sei reizbar und: stellt sich den Vorgang folgendermaßen vor „A bee enters a flower and causes the depression of the style. This occurs so rapidly that before the imsect has finished gathering nectar the stigma is safely pressed against the co- rolla and receives none of the pollen from this flower. It remains in its retreat until the bee has gone to other plants, when it rises agaın.. A bee laden with pollen from other flowers could not fail to deposit some of it upon the stigma before its movement occurred“. Selbstbestäubung sei nicht ausgeschlossen, wurde aber nicht beobachtet. Dabei ist nicht hinreichend berücksichtigt, dab infolge der Resupina- tion der Blüte die Narbenfläche nach unten, nicht nach oben sieht. Wenn ein Insekt aus der Blüte sich zurückzieht, kommt es also mit der der kurzen Narbenpapillen tragenden Seite der Narben nicht in Berührung °), das könnte höchstens bei einer Drehung des Griffels eintreten, die anzu- nehmen kein Grund vorliegt. Ehe man aber die Einrichtungen zur Verhütung von Selbstbestäubung durch Insekten erörtert, müßte doch erst nachgewiesen sein, dab diese, falls sie eintritt, von Erfolg ist. Denn eine selbststerile Pflanze braucht doch keinen besonderen Apparat zur Verhütung eines Vorganges, der keine Folgen hat! Wir müßten also — ganz abgesehen davon, daß die TrELEASE'sche Deutung nicht durch die Ausbildung der Blüte begründet werden kann — fordern, daß erst nachgewiesen würde, 1. daß Selbstbestäubung bei mangeln- der Reizbarkeit der Narben durch Insektenbesuch eintreten müßte, 2. daß sie zur Befruchtung führt, 3. daß diese weniger gute Ergebnisse hat als Fremdbestäubung. Letztere wird dadurch, daß die Narben die Staubblätter überragen, ja ohnedies die Regel sein. Keine der drei angeführten Forderungen ist bis jetzt für die Acantha- ceen mit reizbaren Narben erfüllt. Die Deutungen des Nutzens der Reiz- barkeit der Narben sind also bis jetzt nur unbegründete Vermutungen, die ausgingen von der Überzeugung, daß Selbstbestäubung vermieden werden müsse. Zusammenfassung. Reizbare Narben sind als verhältnismäßig recht seltenes Vorkommnis bei einigen Pflanzen aus verschiedenen Dikotylen- familien bekannt. Die Reizbarkeit steht damit im Zusammenhang, daß diese Narben ihre Entfaltungsbewegung statt wie sonst durch Wachstum durch stärkere Turgordehnung auf der Oberseite ausführen. ı) W. TRELEASE, on the structures whith favor Cross fertilization in several plants, Proceedings of the Boston society of natural history Vol. XXI (1881) p. 433#t. 2) TRELEASE meint, wenigstens an der Spitze der Narbe müsse das der Fall sein. „> Yan u. Tuc Vi) ee, % I, ar A me N N EN RN n lernt} ER 1 ’ N 7 1 - en RE An Zur Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 361 Damit braucht eine auffallende seismonastische Reizbarkeit nicht ver- bunden zu sein. Aber es ist die Möglichkeit dazu gegeben. Diese ist nach unseren derzeitigen Kenntnissen ganz „zufällig“ aufgetreten. Denn ein Nutzen dieser Reizbarkeit ist zwar oft als unzweifelhaft hingestellt aber nie nachgewiesen worden. Selbst wenn man einen solchen noch auffinden sollte, würde er nur eine Begleiterscheinung der Entfaltungsbewegung darstellen, nicht aber eine durch allmähliche Anhäufung kleiner vorteilhafter Variationen erworbene Eigenschaft. s $ 12. Entfaltungs- und Reizbewegungen des Griffels. Die Bewegungen, welche durch Wachstum des Griffels bedingt werden, können hier außer Betracht bleiben. Es handelt sich lediglich um einige von dem gewöhnlichen Verhalten abweichende Fälle, in welchen der Griffel reizbar ist. Die Reizbarkeit der Griffel von Arctotis ist dreimal nacheinander „entdeckt“ worden — weil der zweite und dritte Beobachter die Ver- öffentlichungen ihrer Vorgänger übersehen hatten. Die erste mir bekannt gewordene Beschreibung findet sich in „The botanical register“ (The designs by Sydenham Edwards) !) Vol. I, London 1815. Es wird dort für Arctotis aureola (p. 32) und A. aspera (p. 34) die Zusammensetzung der Blütenköpfe aus fertilen Randblüten und sterilen Scheibenblüten geschildert. Deren „Narben“ fegen den Pollen aus der Antherenröhre heraus und bieten dadurch die Möglichkeit „to afford it from this new position the means of an access necessary to the otherwise unprovided stigmas of the surrounding ray“ ... When recently emerged and charged with pollen they bend and incline themselves with a lively motion on the slightest touch, but always in the direction whence the impulse came; and in so doing necessarily part with a portion of the pollen that covers them“. Die durch Honigabsonderung angezogenen Insekten können dann den Pollen auf die Randblüten bringen. Der Griffel, durch dessen Ausdehnung und Zusammenziehung die Narbe sich vor- und zurück- biege, scheine aus einer kautschukähnlichen Substanz zu bestehen, die sehr elastisch se. Auch wird schon beobachtet, daß später er sich „gradually within the cavity of the now empty anthers“ zurückzieht; vielleicht war das die erste Beobachtung einer spontanen Griffelverkürzung. Fast 40 Jahre später war es D. MÜLLER ?), welcher eine Reizbarkeit des Griffels bei Arctotis breviscapa, A. lanata und Uryptostemma calendu- lacea angab. Wenn er das sterile Pistill der ersteren berührte, so krümmte es sich nach der berührten Seite hin — berührte er die entgegengesetzte "Seite, so richtete das Pistill sich wieder auf und bog sich dann nach der anderen Seite hinüber. Er beobachtete auch die nachträgliche Verkürzung des Griffels. | Auf die Angaben von Minpen’s wird unten zurückzukommen sein. !) Als Textverfasser ist J. B. Ker zu betrachten, „Autor est omnium descriptionum plantarum in Botanical Register annorum 1815—24 quae signum in calee non gerunt“ (Pritzel, Thesaurus Ed. II 1872 p. 162). Ker’s Beobachtung ist übrigens keineswegs ganz unbeachtet geblieben, sie wird z. B. angeführt von Gärtner (Versuche und Beob- achtungen usw.) p. 257. 2) D. MürLer, Über die Reizbarkeit der Genitalien bei einigen Kompositen. Bot. Zeit. 11 (1853) p. 789. Von späteren Autoren seien genannt: M. v. Mınpen, Reizbare Griffel bei Aretotis-Arten Flora 88 (1901) p. 238 und HABERLANDT, Sinnesorgane im Pflanzenreich 1. Aufl. (1901) p. 60. w “ - 362 Achter Abschnitt: HABERLANDT bestätigte die Angaben von MÜLLER und v. Mıspex. Eine streifende Berührung genüge nicht zum Zustandekommen der Reizbewegung. Bei Biegung des Griffels dagegen krümme er sich um einen Winkel bis zu ca. 60° nach der berührten Seite hin. | Ich untersuchte die schön blühende, auch wegen der „Nutationen“ ihrer Infloreszenzstiele merkwürdige Arctotis stoechadifolia (Fig. 202). Man findet an noch nicht ganz aufgeblüten Blütenköpfen zunächst (wenn man von den Randblüten absieht) außen einen Kranz von Röhren- blüten, an denen die Griffel sich schon so verkürzt haben, daß die Narben kaum über die Blumenkrone hervorragen. Dann kommt ein Ring von Blüten, bei welchen die Griffel mit ihren eigenartigen weißen Pollen- bürsten etwa 5 mm weit hervorragen (Fig. 202). Sie gehen nach außen in das Verkürzungsstadium über. Innen sind die noch ungeöffneten Röhrenblüten. Wenn sie sich entfalten, sieht man, was schon Ker auffiel und auch v. Mısvex für die von ihm untersuchte Art hervorgehoben hat, daß die Verlängerung des Griffels nach dem Auseinandertreten der Blumenkronen- zipfel sehr rasch erfolgt. Offenbar war vorher eine Spannung zwischen dem Griffel und der Antherenkappe vorhanden. Wenn letztere auseinandergebogen ist, er- folgt dann rasch die Griffelverlängerung. Biegt man mit einer Präpariernadel die Griffel, so führen sie rasch eine Bewegung in der der Biegungsrichtung entgegenge- setzten Richtung — also in der Richtung in welcher eine Druckspannung im Griffel eintritt — aus. Sie wird rasch rückgängig gemacht. Bei der zu den Arctotideen gehörigen Gattung Gazzania konnte ich eine Reak- Fig 202. Stück eines Blütenkopfes tion des Griffels auf Biegung nicht be- von Aretotis stoechadifolia Man obachten, sie tritt übrigens auch bei Arctotis sieht beiden hinteren Blüten dielange nicht stets gleich auffallend hervor. Daß Griffelbürste, bei den vorderen ist die Bewegung bei Arctotis durch Ver- diese ‘schon 'stark "verkürzt. änderung der Turgorspannung auf einer Seite (auf der bei der Biegung gedehnten) bedingt wird, läßt sich leicht zeigen, wenn man die Griffel einseitig mit einer 5 °/,igen Salpeterlösung bestreicht oder mit einer heißen Nadel berührt. Bei der Biegung dürfte es sich um eine durch diese bedingte teilweise Entspannung der Membranen auf der gedehnten Seite handeln, die bald wieder rückgängig gemacht wird. Tatsächlich sind die Griffel sehr dehnbar, damit dürfte auch ihr rasches Wachstum nach der Öffnung der Blumenkrone zusammenhängen. Es handelt sich bei der Verlängerung zum großen Teil um eine Turgor- dehnung, welche bei Verminderung des Turgordruckes rückgängig gemacht werden kann. -So, fand bei Plasmolyse eine Verkürzung der Griffellänge um 20°, statt, und wenn man die Blüten längere Zeit in einer hyper- tonischen Salpeterlösung liegen läßt, tritt eine ebenso starke Verkürzung des Griffels ein, als sie normal beim Abblühen stattfindet. Auch in diesem Falle-tritt also eine Herabsetzung des Turgors der aktiv gespannten Zellen des Griffels’ ein. Das Leitbündel des letzteren zeigt nach der Verkürzung Fe 5 a 4 4 » a EEE eR Ä ER RER u a or 3 BL,“ Yy Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 363 einen Beechlangelten Verlauf — es hat also die Verkürzung nicht mitge- macht "und ‚ist "deshalb für den Griffel zu lang geworden. Legt man Griffel, die sich schon verkürzt haben, in Wasser, so tritt, falls die Blüte nicht schon zu alt ist, wieder eine Verlängerung ein. Diese führt aber nicht bis zu der vorherigen Maximallänge zurück. Es ist also wohl anzunehmen, daß bei der Verkürzung nicht nur Wasser, sondern auch osmotisch wirksame Substanzen aus dem Griffel auswandern. Dieser ist übrigens im verkürzten Zustand nicht etwa welk geworden. Wenn man ihn freilegt, die Blüte am Fruchtknoten faßt und horizontal hält, so senkt sich der Griffel nicht. Dasselbe wurde bei anderen Kompositen mit Griffelverkürzung be- obachtet. Kehren wir indes zurück zu der Frage nach dem Nutzen der Reiz- bewegungen des Griffels. KEr nahm, wie aus seiner mitgeteilten Äußerung hervorgeht, an, daß sie für die Bestäubung der Randblüten des Köpfchens von Bedeutung sei. Das könnte nur mit Hilfe von Insekten stattfinden. Dagegen bestehen dieselben Bedenken wie gegen die Deutungen, die mit einer Fremdbe- stäubung rechnen. In beiden Fällen handelt sich darum, ob die Reizbar- keit der sterilen Griffel die Pollenübertragung erleichtert oder nicht. Ersteres nimmt v. Mınpen in derselben Weise an wie KEr. Er sagt: „Ein Druck von Seiten eines Insekts auf die Griffel wird mit einer Biegung nach entgegengesetzter Seite beantwortet. Die Folge wird sein, daß die reich mit Pollen bedeckten äußeren Narbenflächen 1) sich dem, Tierkörper nähern oder sich vielleicht dicht an ihn anschmiegen. Leicht wird so die Übertragung des Pollens auf das Insekt stattfinden können.“ Das ist natürlich nur eine Zur echtlegung und zwar eine, welche mir durchaus nicht überzeugend erscheint. Die prachtvollen Pollenbürsten stehen aufrecht da, sie halten den Pollen nur locker fest. Ihr Abstand voneinander beträgt nur etwa 1 mm. Nach den (mir nur aus einem Zitat bei Kuxtz, I, p. 233, bekannten) Beobachtungen von Scorr ELrior werden in Südafrika die Blütenköpfe von Arctotis aspera — ebenso wie die verwandter Formen — von Käfern besucht. Wenn das nicht ganz winzige Tierchen sind, so müssen sie auch, ohne daß die Reizbewegungen eintreten, beim Herumkriechen Pollen genug abbekommen — wie das ja auch bei ver- wandten Kompositen mit nicht reizbaren Griffeln der Fall ist. An den Griffeln der Randblüten, in denen die Staubblätter verkümmert sind und die Pollenbürste fehlt, konnte ich keine Reizbarkeit wahrnehmen. Das könnte man mit als Stütze für die Annahme, daß die Reizbarkeit im Dienste der Pollenübertragung steht, anführen. Indes geht auch die Ent- faltung der Griffel der Randblüten, da sie nicht von einer Staubblattröhre umgeben sind, unter anderen Umständen vor sich, als die des Griffels der Röhrenblüten, und damit dürfte auch der Mangel an Reizbarkeit in erster Linie zusammenhängen. Wenn also nicht eine eingehende Untersuchung an den natürlichen Standorten besondere Beziehungen zwischen der Reizbarkeit der Griffel und der Bestäubung aufdeckt, wird man annehmen dürfen, daß die Reizbarkeit hier ebenso wie bei den Staubblättern von Berberis eine Begleiterscheinung der Entfaltung ist, die bei der Bestäubung in Tätigkeit gesetzt werden kann, ohne für diese eine derzeit nachweisbare besondere Bedeutung zu haben. ", Gemeint ist jedenfalls die mit sehr kurzen Papillen besetzte Fegebürste, die mit „Narbenflächen* gar nichts zu tun hat. G. [ 364 Re Achter Abschnitt: Es soll unten gezeigt werden, daß eine Verkürzung des Kompositen- griffels infolge von Biegungen eine verbreitete Erscheinung ist, daß also bei Arctotis nur in gesteigertem Maße eine Entfaltungsbewegung auftritt, welche sich — und zwar zweifellos nutzlos — auch sonst findet. Indes sei zunächst auf die weite Verbreitung der spontanen Verkürzung der Kompositengriffel hingewiesen. In den Büchern!) wird diese als Merkwürdigkeit für einige Kompositen angeführt. Indes sind das nur solche, bei denen die Griffelverkürzung besonders augenfällig ist. Dazu gehören z. B. die Arctotideen Cryptostemma und Gazzania. Bei den als Zierpflanzen in den Gärten vielfach gezogenen Arten G. splendens und G. longiscapa konnte ich eine auffällige seismonastische Reizbarkeit, wie schon erwähnt wurde, nicht wahrnehmen, sondern lediglich eine spontane Verkürzung des Griffels. ee Fig. 203. Gazzania splendens. /I jüngere Fig. 204. Centaurea nervosa. // jüngere Blüte, der Griffel endigt in dielange Pollen- Blüte: Staubblattröhre vom Griffel durch- bürste und ragt weit über die Blumenkrone wachsen, beide ragen weit über die Blumen- hervor. Tältere Blüte: der Griffel hat sich krone hervor. / ältere Blüte. Staubblatt- so verkürzt, daß kaum noch die beiden röhre und Griffel haben sich in die Blumen- zurückgerollten Narben aus der Blumen- krone zurückgezogen. krone hervorsehen (4 X). Fig. 203, II stellt eine vollständig aufgeblüte Röhrenblüte dar. Über dem (in der Abbildung nicht sichtbaren) oberen Teil der Staubblattröhre erhebt sich der in eine, mit Pollen behaftete Griffelbürste endigende Griffel. Später entfalten sich die Narben. Der Pollen wird von blüten- besuchenden Insekten abgestreift oder fällt ab. Nun tritt eine starke Ver- kürzung des Griffels ein, so stark, daß die Narben die Blumenkrone be- rühren, während sie vorher weit über sie hervorragten (Fig. 203, I). Dieselbe Erscheinung, und zwar sowohl für die Griffel als für die Filamente findet sich bei vielen anderen Kompositen — sie hat aber bis jetzt wenig Beachtung gefunden. Daß bei Centaurea eine Verkürzung der Filamente eintritt. — fast I) z. B. Knut II p. 283. « ' Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 365 auf die Hälfte der ursprünglichen Länge — hat schon CoHn beobachtet '). Merkwürdigerweise gibt er von einer Verkürzung des Griffels (als spon- tane Entfaltunesbeweeung) nichts an. Daß eine solche auch bei Oentaurea erfolgt, zeigt ein Vergleich von Fig. 204 I und II. Daß diese Entfaltungsbewegungen bei den Kompositen weit verbreitet sind, mögen einige beliebig herausgegriffene Beispiele zeigen. So Achillea millefolium, Chrysanthemum leucanthemum, Cosmos bipinnata, Erigeron caucasicum, Helianthus giganteus. Ja bei einigen ist nicht nur eine Ver- kürzung von Filamenten und Griffeln, sondern auch eine solche der Blumenkrone wahrnehmbar. So besonders auffallend bei Dahlia variabilis?. Man sieht bei der einfach blühenden Form die Röhrenblüten ursprünglich über ihre Deck- blätter hervorragen, und ebenso über die Blumenkrone die Staubblattröhre und die Griffeläste. Später verkriechen sich nicht nur die letzteren in die Blumenkrone; auch diese verkürzt sich, so daß sie nicht mehr über ihr Deckblatt hervorragt. Das tritt in ein und demselben aufgeblühten Blütenkopf deutlich hervor, wenn man die inneren mit den äußeren älteren Röhrenblüten vergleicht. Eine teleologische Deutung der Griffelverkürzung hat HILDEBRAND ) gegeben. Er erwähnt sie bei Bellis perennis und sagt „Nachdem der Griffel einige Zeit in diesem Zustand verharrt, verkürzt derselbe sich wieder, so daß der Narbenteil wieder in die Blumenkrone zurücktritt; hierdurch steht die Narbe nicht mehr im Wege der Insekten, so daß an sie, die schon bestäubt, nicht fort und fort “unnötig Pollen abgewischt werden kann, jedenfalls eine Einrichtung, welche der Pollenverschwendung sehr vorbeugt. “Ahnliches findet sich auch bei mehreren anderen Kom- positen“. Diese Deutung geht aus von drei Annahmen, 1. der, daß die Griffel- verkürzung eine Folge der Bestäubung sei, 2. der, daß falls sie unterbliebe, noch Pollen an die "Narben verschwendet werden könnte, 3. der, daß den Kompositen eine solche „Verschwendung“ nachteilig wäre. Alle diese Voraussetzungen sind teils irrig, teils unbewiesen. Bei Arctotis stoechadifolia z. B. beginnt die Verkürzung des Griffels schon mit der Entfaltung der Narbenlappen. Er ist hier an den Röhren- blüten aber ebensowenig "bestäubungsfähig als in denen von Calendula, bei denen ich gleichfalls Verkürzung feststellen konnte. Eine Abhängigkeit von der Bestäubune also ist hier und ebenso wohl auch in zahlreichen anderen Fällen nicht vorhanden. Befruchtete Narben aber pflegen ihre Aufnahmefähigkeit für Pollen bald (durch Verschrumpfen, Einrollen usw., zu verlieren. Wenn man ferner bedenkt, daß bei den gewöhnlichen Kom- positen 20 Pollensäcke auf Eine Samenanlage kommen, so wird man nicht einsehen, weshalb hier eine Pollenverschwendung ängstlich vermieden werden sollte. Als das Primäre erscheint uns jedenfalls, daß es diesen Pflanzen, bildlich ausgedrückt, nicht der Mühe wert war, so kurzlebige Gebilde wie Staubfäden und Griffel ihre Entfaltung überall auf dem sonst üblichen !) F. Conn, Kontraktile Gewebe im Pflanzenreich. Jahresber. der Schles. Gesellsch. für vaterl. Kultur (1861). ?) Die Verkürzung der Filamente ist erwähnt in Epwarns Bot. magazine I p. 53. Der Verf. meint, sie seien elastisch, werden noch durch den Griffel passiv gedehnt und ziehen sich dann wieder zusammen. 3) F. Hınpeprann, Über die Geschlechtsverhältnisse bei den Kompositen. Acta Acad. „eopold. Carol. Vol. XXXV (1869) p. 24. 366 Äehter Abschnitt: Wege des Streckungswachstums erreichen zu lassen. Sie dehnte sie, in manchen Fällen auch die Blumenkronen einfach durch Turgor. Daraus ergab sich dann einerseits die spontane nachträgliche Verkürzung, anderer: seits — aber nicht notwendig — bei manchen eine Reizbarkeit. Die Kompositen sind auch nicht die einzigen Pflanzen, die eine nach- trägliche Verkürzung der Filamente aufweisen. Eine solche findet auch z. B. bei Convolvulaceen statt, von denen BURGERSTEIN sagt „Es findet noch während der Anthese Längenwachstum der Filamente statt. Nach der Anthese tritt — offenbar infolge von Turgorveränderung — eine Ver- kürzung der Staubfäden und des Griffels ein“). Ich glaube nicht, daß man darauf die HıLpesranp’sche Zweckdeutung anwenden kann. Als Beispiel sei noch angeführt: Die Blüten von, Bupthalmum salieifolium zeigen folgende Entwick- lungszustände der Offnungsbewegung. Zunächst erhebt sich über die Blumenkrone der Staubblattkegel, so, daß er etwa die doppelte Höhe der Blumenblattzipfel erreicht. Die Filamente sind reizbar, der in ihnen ein- geschlossene mit ‚Fegehaaren versehene Griffel fegt also bei Berührung Pollen heraus. Dann sieht man die Staubblattröhre sich in die Blumen- krone zurückziehen, während der Griffel weiter aus ihr hervorragt, er ist . also noch gewachsen. Endlich verkürzt sich auch der Griffel, so daß die Narben eben noch aus der Blumenkronenröhre heraussehen. Ist die oben dargelegte Anschauung richtig, so mußte erwartet werden, daß ähnlich, wie es z. B. stark und schwächer reizbare Mimosenblätter gibt, so auch die Griffel anderer Kompositen als die bis jetzt als reizbar bekannten mechanisch reizbar sein werden. Der Versuch zeigte, daß die Annahme richtig war. Es wurde bei einigen Kompositengriffeln untersucht, ob eine Ver- kürzung des Griffels nach mechanischer Reizung (Hin- und Herbiegen mit der Nadel) eintrete. Die Messungen erfolgten '/,—1 Stunde nach der Reizung. Sie ergaben bei Helenium autumnale eine maximale Verkürzung um 12,7°, der ursprünglichen Länge. Im Durchschnitt (von 10 Messungen) betrug die Verkürzung 6,75°,. Bei Plasmolyse betrug sie 21,5° ,, im Maximum 24°/,. Es konnte auch hier durch Plasmolyse ein ‘Verschwinden des Griffels in der. Antherenröhre herbeigeführt werden. Ohne Zweifel wird eine Verkürzung der Staubblätter infolge von mechanischer Reizung auch bei solchen Filamenten von Kompositenblüten sich herbeiführen lassen, die bis jetzt nicht für „reizbar“ galten. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß bei den reizbaren Griffeln ebenso wie bei den reizbaren Staubblättern die Reizbarkeit im Zusammen- hang steht damit, daß Turgorveränderungen mit der Entfaltungsbewegung verbunden sind. Es liege kein Grund vor, die Reizbarkeit als Anpassung zu betrachten. Sie kann nützlich sein, und da die Blüten vieler Öentaurea- Arten infolge ihrer reichlichen Nektarabsonderung sehr viel Insektenbesuch erhalten, so macht das Herausbürsten des Blütenstaubes auf den Beobachter den Eindruck einer für die Pflanze ungemein wichtigen Einrichtung. Aber selbst wenn sie das wäre, würde es sich nur um die Ausnützung einer Eigenschaft handeln, die nicht „ad hoc“ erworben wurde. Die infolge der Reizung eintretende Verkürzung ist nur die (vorübergehende und später wieder rückgängig gemachte) Beschleunigung eines Vorganges, der später von selbst eintritt, ohne daß diese Verkürzung als eine Anpassungserschei- nung betrachtet werden könnte. 7 !) A. Burgerstein, Einige Beobachtungen an den Blüten der Convolvulaceen, Ber. der d. bot. Gesellsch. VII (1889) p. 370. re Bes Arntinltunge- und Reizbewegungen in Blüten. 367 Anhang. Einige Messungen (ausgeführt von Herrn Dr. EsENBECK) er- gaben folgendes. Gaillardia hybrida. Messungen einzelner Griffel er Entwicklungsstadien vor und nach Plasmolyse (m. Leitz Ok2, Obj. 1”, ohne Tubusauszug, 1 Teilstr. d. Ok. Mikrometers — 45,83 # rund 46 u). ” Griffel-Länge NE % vor nach | Verkürzung Nr. Differenz | in ® : re Plasmolyse in 10%, KNO;-Lsg. Kr 10 er Be Teilstr. | Teilstr. 1 150 Mikrometerteile 124 Mikrometerteile| 26 Mikr.-Tl. ZN 2 107 > | 77 7 30 5 28,0 „ 3 35 » 87 » a 5: 4 210 ie 178 » 32 R 152, 5 110 = 89 ® 21 br LIT, 6 120 B 90 5 30 25,0, 7 125 e ‚100 r 25 20,0 „ 8 189 e ‚166 £ 23 x 122, 9 DB: 130 k 22 S 143 „ 10 200 * ‚170 % 30 y 150, 11 90 a 74 \ 16 R Dt; Durchschnittl. Verkürzung rund 175°, Gaillardia bybrida, meist jüngere Stadien. Nr. vor Plasmolyse nach Plasmolyse Differenz 1 109 Mikr.-Teile 106 Mikr.-Teile — 3 2 110 > 115 +5 3 107 E 110 x + 3 4 105 a 105 * 0 5 183 5 175 S — 8 6 205 a 205 $ 0 7 200 E 170 2 — 30 8 205 2 180 = — 25 9 115 = 108 “ — 17 10 105 = 107 x + 2 Bei jüngeren Griffeln tritt wenig oder fast keine Verkürzung ein, oft sogar eine geringere Verlängerung, welche aber noch innerhalb der Fehler- grenze liegen dürfte. - Bei älteren Griffeln ist die Verkürzung eine regelmäßige, im Maximum über 25 °), im Minimum ca. 12 yo der Gesamtlänge im Durchschnitt ca. 17',°, 368 . - Achter Absehnitt: Helenium autumnale. 1; 2 iffelverkürzung durch Plasmolyse in 10%, KNO, Lssg. Gesamtlänge | sichtbarer Teil | Dauer der Er: Lfde Nr. | ges Grifiels | des Griffels ‚ Plasmolyse Verkürzung % | | l 1 125 Mikr.-Tl. | 30 Mikr.-TI. 56 Min. 30 Mikr.-TI. | 24 % 2 125 An |. 80 E 12bB 232 25 = 20 7% 3 125 4 | 30 TE 25 x 20 5 4 125 % |:..29 h Dar aı 30 3 24 „ 5 127 j 1 DV Y BI. BR e 2a 6 123 ; 26 x Du 23 4 18.4.5 7 126 ° er “ ee 26 H 20,6 „ 8 118 = | 20 & DI H 20 { u ER» 9 129 ne 34 A D4r-ı 29 : 22,4 10 129 x 33 6 bb, 29 i 22,4 , Durchschnitt: | 21,5% Bei annähernd gleicher Dauer der Plasmolyse, meist ca. 1 Std., ver- schwindet der sichtbare Teil des Griffels der im ganzen plasmolysierten Griffel meist vollständig, verkürzt sich also nahezu um !/,! 2. Dune durch re (Hin- u. een mit in. Lide Nr.| Gesamtl s T Een Verk in. %/o ‚fde Nr. esamtlänge ichtbarer Teil folgte in /erkürzun 0 ; n.d. Reizung ® ausgedrückt 1 120 Mikr.-Tl. 25 Mikr.-Tl. | 60 Min. 15 Mikr.-Tl. 12,5% 2 21ER; SE SERER a: DR 15 7% 12,7% 3 104 = 15 I BI" _ . — 4 125 L 27 x Klar 1° 4 10,4 , 5 122 ä 27 % 174,46, _ $ — 6 118 2 23 x aa ma 10 = 84 „ 7 120 5 25 ” 4325 10 E 9,3% 8 111 Ru 22 r I ET, Das 9 113 S 23 E ES Tran 3 ss 2,6 „ 10 117 e 22 “ BI 7 ” | Ga Durchsch.: 6,75% Die Messungen erfolgten 1 Std. bis ?/, Std. nach Reizung. Die Ver- kürzung war im höchsten Falle etwa halb so stark wie die durch Plasmo- lyse erzielte. $ 13. Im vorstehenden wurde versucht nachzuweisen, daß eine Anzahl von Reizbewegungen in Blüten, denen man bis jetzt ein bestimmtes „Ziel“ und einen besonderen „Zweck“ zuschrieb, nicht als Anpassungen entstanden sind, sondern mit der Art und Weise der Entfaltung in engster Beziehung stehen. Dieses Ergebnis veranlaßte die weitere Fragestellung, ob nicht seis- monastische Reizbarkeit bei Blüten weiter verbreitet sei als man ange- nommen hatte. Daß dies tatsächlich der Fall ist, und zwar ohne daß irgendeine Anpassungserscheinung vorliegt, dürfte sich aus folgenden Beobachtungen ergeben. i 1. Es wurde vermutet, daß Pflanzen, welche nyktinastische Wachstums- bewegungen ausführen, auch für Erschütterung reizbar sein könnten. Be Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 369 Untersucht wurden Blütenköpfe von Kompositen (Bellis, Taraxacum), die Blumenkronen einiger Gentiana-Arten und die Blätter von Pistia stratiotes. Bei allen genannten Pflanzen konnten Bewegungen infolge von Erschütterung festgestellt werden. ; 1. Die Randblüten von Taraxacum officinale und Bellis perennis zeigten nach einer Reihe von (mit dem Finger ausgeführten) Stößen ‚eine deut- liche Aufwärtskrümmung, entsprechend der bei der Schlafbewegung aus- geführten. Bei Bellis kann sie — allerdings ziemlich langsam — fast bis zum „Schluß“ des Blütenkopfes führen. Fig. 205 zeigt rechts ein ungereiztes, links ein gereiztes Blütenköpfehen von Bellis — der Unterschied beider tritt deutlich hervor, obwohl bei dem gereizten die Randblüten sich nur etwa um 90° nach oben bewegt haben. Die „gereizten“ (aber später wieder ausgebreiteten) Blütenköpfe gingen abends früher in Schlafstellung über als die ungereizten. Daß die „gereizten“ Blütenköpfe auf Lichtreize rascher reagieren als die ungereizten läßt sich auch sonst zeigen. Bringt man z. B. einen „gereizten“ und einen ungereizten Blütenstand von Tara- xacum aus voller Sonne nachmittags in ein nicht besonntes Zimmer, so schheßt sich der „gereizte“ Blütenstand bald vollständig, der ungereizte erst viel später. Es hat hier also, wie es scheint, eine „Summation“ von Reizen stattgefunden, entsprechend der, wie sie auch sonst bei Annahme der „Schlafstellung“ !) sich beobachten läßt. 2. Blumenkronen, die seismonastische ‚Reizbarkeit Fig. 205. Bellis perennis, rechts ungereizt, links besitzen, waren bis jetzt nicht gereizt. mit Sicherheit bekannt. Die einzige, in der Literatur öfters erwähnte Angabe bezieht sich auf eine Pflanze, die vollständig verschollen ist. Durroc#eEr ?) hat — wahrscheinlich nach mündlicher Mitteilung — eine Angabe von Turrın erwähnt: „Mais il est quelques cas oü cette incur- vation oscillataire s’effectue dans plusieurs .sens differents, tel est, par exemple, le phenomene que presente une plante du genre Ipomoea, ob- servee aux Antilles par M. Turpın, plante encore inedite, qu'il-designe sous le nom d’Ipomoea sensitiva. Le tissu membraneux de la corolle campa- nulee de cette plante est soutenu par des filets ou par des nervures qui, au moindre attouchement, se plissent ou s’incurvent sinueusement, de maniere a entrainer le tissu membraneux de la corolle, laquelle, de cette maniere, se ferme completement; elle ne tarde point A s’ouvrir de nouveau lorsque la cause qui avait determine sa plicature a cesse d’agir.“ Es ist merk- würdig, daß diese Pflanze, obwohl sie in einem leicht zugänglichen Floren- gebiete gefunden wurde, ganz verschollen ist. Herrn Geh. Rat URBAN in Berlin (einem vorzüglichen Kenner der Antillenflora) ist, wie er mir mit- teilte, eine Ipomoea mit reizbaren Blumenkronen nicht bekannt. Die Ipo- moea sensitiva scheint also nirgends oder unter einem anderen Namen be- !) Vgl. Gorser, Das Rumphiusphänomen a. a. 0. ?®) Durrocher, Recherches anatomiques et physiologiques sur la structure intime des animaux et des vegetaux (1824) p. 64. Goebel. Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 24 370 Achter Abschnitt: schrieben und Turrın’s Beobachtung nie mehr wiederholt zu sein. Die von mir untersuchten in- und Br ländischen. Convolvulaceenblüten zeigten keine reizbaren Korollen. Nur bei Convolvulus arvensis gelang es bis jetzt an stark durch die Luft bewegten Blüten die ursprünglich fast radförmig ausgebreitete Blumenkrone deutlich zu einer Hebung (ja bei manchen Blüten fast bis zum Verschluß) zu bringen, so daß sie trichterförmig wurde. Das beruht offenbar auf einer Turgorverminderung auf der Oberseite, Aber nicht die ganze Blumenkrone ist dabei aktiv. Bekanntlich haben die Convolvulaceen an ihren Blumenkronen fünf derber gebaute, meist auch durch ihre Färbung hervortretende, den mittleren Teilen der verwachsenen Blumenblätter entsprechende Längs- streifen. Diese sind in dem unteren zylindrischen bei Ipomoea ziemlich langen Teile der Blumenkrone fast allein vorhanden. Jm oberen Teil sind zwischen ihnen die die Hauptfläche der Blumenkrone bildenden zarter gebauten (sewebeteile sozusagen eingeschaltet. Die derberen Teile, die asymmetrisch gebaut und deshalb etwas gedreht sind, sind im Knospenzustand der Blüte allein nach außen gekehrt. Die zarteren Teile sind zwischen ihnen nach innen gefaltet. Die ersteren stellen also fünf flache Stäbe dar, welche oben zusammenneigend, auch wenn die Blumenkrone sich über den Kelch hinaus verlängert hat, einen wirksamen Abschluß der Knospe nach außen bilden. Wenn sich die Blüte entfaltet, so verhalten sie sich wie die Rippen eines Schirmes, welche die zwischen ihnen befindliche Schirmfläche aus- spannen. Wenn die Blumenkrone nach Bewegung in trockener Luft sich auf- richtet, so beruht das auf einer Turgorverminderung auf der Oberseite — die Entfaltung also auf einer Turgorsteigerung. Diese biegt die aktiven Teile der Blumenkrone nach außen. Sie überwinden dabei den Wieder- stand ihrer unteren Seite und entfalten (im wörtlichen Sinne) die ur- sprünglich 'eingefalteten Teile der Blumenkrone. Dementsprechend tritt bei Wasserentziehung eine Hebung (Einwärtsbewegung) der Blumenkrone ein, z. B. wenn man diese fünf Streifen innen mit Glyzerin bestreicht. Das zeigt, daß bei der Ausbreitung (nachdem Wachstum vorausgegangen war) stärkere Turgordehnung auf der Oberseite eintritt, nach deren Auf- hebung eine Rückwärtsbewegung einsetzt. Diese tritt normal ein, wenn die Blüte sich abends schließt. Die Turgorverminderung findet auch infolge der künstlichen Bewegung der Blüte statt. Daß es sich dabei um durch Transpiration bedingten Wasserverlust handelt, ähnlich wie dies p. 44 für Leersiablätter angegeben wurde, ist an- zunehmen. Aber sobald beim Entfaltungsvorgang Turgor bestimmend mit- wirkt, ist auch die Möglichkeit von dessen Änderung durch Erschütterung gegeben. Turrıy hat wahrscheinlich eine Convolvulacee beobachtet, bei der eine seismonastische Reizbarkeit deutlich ausgeprägt ist. Der Fall würde sich dann unserer Deutung der seismonastischen Reizbarkeit mancher Staubblätter ohne weiteres anschließen. Wir sehen aus dem soeben Angeführten wie eng die eigenartige Aus- bildung der Convolvulaceenblumenkrone mit deren Entfaltungsvorgang, zusammenhängt. Man kann die erstere nur im Zusammenhang mit dem letzteren verstehen. Trotzdem konnte ich in der Literatur nichts darüber finden, mit Ausnahme einer Angabe von DuTrocHer, auf welche ich auch erst nachträglich aufmerksam wurde. re _ Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. byal Durrocarr !) führte den Vorgang der Entfaltung bei Mirabilis und lpomoea purpurea auf den Antagonismus zweier in den „nervures“ der Korolle befindlicher Gewebe zurück. Das eine obere sucht sich („par impletion de liquide avec exces) nach außen zu krümmen. Beim Verschluß dagegen krümmt sich ein „tissu fibreux“ nach innen durch „oxygenation“. Daß es sich bei den Öonvolvulaceen nicht um „nervures“, sondern um die Mittelstücke der Korollenblätter (die von mehreren Nerven durchzogen sind) handelt, braucht kaum bemerkt zu werden. Im übrigen ist die Ent- faltungsbewegung von der Schließbewegung dadurch verschieden, daß die erstere durch stärkere Turgordehnung der Oberseite der aktiven Teile der Blumenkrone erfolgt, letztere durch hyponastisches Wachstum. Das ist daraus zu schließen (Messungen wurden nicht vorgenommen), daß wohl erstere, nicht aber letztere durch Plasmolyse rückgängig zu machen ist, und daß die Schließbewegung nicht erfolgt, wenn die Blüten in ausgekochtes Wasser oder einen stark luftverdünnten Raum („Vakuum“) gebracht worden. DurrocHkrT's Beobachtung, daß die Schließbewegung durch „oxy- genation“ erfolgt, würde also bedeuten, daß das hyponastische Wachstum (welches die Schließbewegung bedingt, bei der die dünnen Teile der Blumen- krone sich wieder passiv verhalten) bei Sauerstoffmangel ausbleibt. — Bei anderen einheimischen Pflanzen ist seismonastische Reizbarkeit viel mehr entwickelt. Das zeigte mir zunächst eine Beobachtung an Gentiana utriculosa, die an manchen Stellen Oberbayerns, z. B. am Wörthsee in Menge wächst. Abgepflückte an einem windigen Tage in der Hand getragene Pflanzen schlossen die Blüten. Die Blumenkronen gingen mehr oder minder voll- ständig in die gedrehte Knospenlage zurück. Das erfolste bei den einzelnen Blüten mit verschiedener Schnelligkeit. Bei einer Blüte z. B. begann diese Schließbewegung nach 3 Minuten und war nach 8 Minuten . beendet, nach einer Viertelstunde waren drei Blüten geschlossen, nur die oberste brauchte dazu über eine halbe Stunde. Selbstverständlich konnte der Vorgang verschiedene Ursachen haben, z. B. Wasserverlust infolge des Abpflückens, verminderte Lichtintensität, Wundreiz usw. Nach einiger Zeit trat wieder Offnungsbewegung ein. Ich stellte die Pflanzen in Wasser und legte eine mit geöffneten Blüten ohne Wasser auf den Tisch. Trotzdem die Pflanze Welkerscheinungen zeigte, trat kein Verschluß der Blüten ein. Dieser erfolgte aber in kurzer Zeit, wenn die Pflanzen tüchtig geschüttelt wurden. Eine Untersuchung an im Boden stehenden Pflanzen — bei denen die Wirkung eines Wundreizes ausgeschlossen war — zeigte dann auch, : daß sie durch Schütteln zum Schließen der Blumenkrone gebracht werden konnten. Die einzelnen Blüten reagierten auch hier — wahrscheinlich je nach ihrem Alter — verschieden rasch. Bei einer Blüte begann die Schließbewegung nach 4 Minuten und war nach 6 Minuten fast beendet. Wind, von bei uns gewöhnlicher Stärke ist bei Pflanzen, die so geringe Höhe aufweisen wie G. utriculosa, nahe dem Boden zu schwach, um die Schließbewegung zu bedingen. Es wurde versucht, ob die Blüten nicht für Berührung reizbar seien, namentlich am Eingang der Blumenkrone, an welchem sich die „Zwischen- zipfel“ befinden, die beim Entfaltungsvorgang wohl besonders beteiligt sind. Das Ergebnis war aber ein negatives. Uber den Vorgang, der bei !) DurrocHer, Du reveil et du sommeil des plantes. Ann. d. sc. nat. II Ser. t. 6 (1837) und M&moires pour servir etc. (1837) I p. 412. 24* 372 | Achter Absehnitt: der Reizbewegung eintritt, wurden keine näheren Untersuchungen angestellt, da es hier nur auf die Frage nach der Verbreitung und dem Nutz en seismonastischer Reizbewegungen nicht auf die Ar t ihrer Ausführung ankommt. Fig. 206. Gentiana utrieulosa. Oberer Fig. 207. Gentiana utrieulosa. Dieselbe Teil einer blühenden Pflanze. Pflanze wie Fig. 206 nach seismonastischer Reizung. Bemerkt sei nur folgendes. In Betracht kommt beim Schließen des Blumenkronenzipfels einerseits eine Aufwärts-, andererseits eine Seitwärts- bewegung. Als aktiv an den Bewegungen beteiligt betrachtete ich zunächst den Teil der Blumenkrone, der auch bei der Entfaltung i in Betracht kommt. Das sind für die Seitwärtsbewegung wahrscheinlich die in der Knospen- lage nach innen geschlagenen gefalteten Teile der Blumenkrone, von denen einer in Fig. 208 1I mit A BC bezeichnet ist. Wenn der Schenkel A B am Volumen zunimmt wird eine. Entfaltung, also eine Offnungsbewegung eintreten. Hat diese stattgefunden, so wird der Entfaltungsvorgang ent- weder durch eine Zunahme von BC oder eine Abnahme von AB eintreten. Daß außer dieser Bewegung noch eine Auf- und Abwärtsbewegung der Blumenkronenzipfel in Betracht kommt, ist mir kaum zweifelhaft.!) Da 2) Möglich ist es natürlich auch, daß die Zwischenzipfel sich passiv verhalten. Nur "Entfaltungs- und Reizbewegungen in Blüten. 323 die Bewegung in manchen Blüten rasch vor sich geht, so ist es wahr- scheinlich, daß es sich um eine Variationsbewegung handelt und daß auch beim Aufblühen Turgordehnung mitwirkt, wie dies bei Convolvulus arvensis oben gezeigt wurde. Offenbar ist die „Reizbarkeit“ der Blumenkronen bei Gentiana-Arten weiter verbreitet. Wenigstens fand ich, daß bei G. verna jüngere Blüten infolge von Schütteln oder wiederholten Stößen gleichfalls (wenngleich nicht immer vollständige) Schließbewegungen ausführten. Nur ging die Bewegung wesentlich langsamer als bei G. utriculosa vor sich. In einem ‚Falle z. B. (an einem kühlen Frühlingstage) dauerte es über eine Viertel- stunde bis an der jüngsten von drei Blüten der Verschluß eingetreten war, bei den zwei anderen hatten sich nur einzelne Blumenblätter erhoben. Fig. 208. Gentiana utrieulosa. Querschnitte durch geschlossene Blüten (/ u. 17) . und geöffnete (III u. IV). I höher als II, IV 0,7 mm höher als III. Bald nach dem Schluß setzte wieder die Offnungsbewegung ein. Ebenso waren solche Bewegungen bei Erythraea centaurium an jungen Blüten zu erzielen, wenngleich sie hier recht langsam erfolgten. Offenbar ist also seismonastische Reizbarkeit der Blumenkrone bei . Grentianeen in verschiedenem Grade bei einer Anzahl von Arten verbreitet. Herr Prof. v. KıRCHNER, dem ich meine Beobachtung mitteilte, machte mich aufmerksam auf die Veröffentlichung von R. SEEGER „Uber einen neuen Fall von Reizbarkeit der Blumenkrone durch Berührung, beobachtet an Gentiana prostrata Haenke“ !). SBEGER beobachtete, daß ein kleines Insekt, welches auf der Blumen- krone von G. prostrata herumkroch, schließlich in deren röhrenförmigen Teil eindrang. Kaum war es darinnen, da begann auch schon die Blumen- krone sich zu schließen. Ein Schließen der Blumenkrone ließ sich auch künstlich stets bei Berührung des Röhreneingangs, besonders der Stellen am Ansatz der „Intrapetalzipfel“ herbeiführen. eingehende Untersuchung kann darüber entscheiden. Im letzteren Fall wäre das Ver- halten dann entsprechend dem für Convolvulaceen oben geschilderten. 1) Sitz.-Ber. der kaiserl. Akademie der Wissensch. in Wien. Mathem.-naturw. Klasse Bd. 121 Abt. 1. Dez. 1912, - 374 ° Achter Abschnitt: Ohne Zweifel besteht eine Übereinstimmung in der Art wie die Be- wegung der Blumenkrone bei beiden Gentiana-Arten erfolgt!). Aber es scheinen doch auch Verschiedenheiten zu bestehen. Denn SEEGER hebt ausdrücklich hervor, daß bei der von ihm untersuchten Art Erschütterung nicht als Reiz wirkt (p. 11 des S.-A.), während dies bei G. utriculosa, wie wir sahen, der Fall ist. Dagegen konnte ich bei der letzteren durch „Berührung“ keine Schließbewegung auslösen, auch nicht bei Blumen- kronen, die sich als gut seismonastisch reizbar erwiesen. Wenn SEEGER meint, die ganze Einrichtung habe ja jedenfalls eine blütenbiologische Funktion und dafür den Ausdruck „Klappfallentypus“ vorschlägt, so darf das zunächst natürlich nur als eine Vermutung bezeichnet werden, die der allgemein teleologischen Richtung entspricht, aber mir selbst für Gentiana prostrata mehr als zweifelhaft erscheint. Für G. utriculosa und die andern oben angeführten Arten wüßte ich einen Nutzen der seis- monastischen Reizbarkeit nicht anzugeben. Es sind das Pflanzen, bei denen der Offnungsmechanismus der Blüten auch nach der Entfaltung wieder in Tätigkeit gesetzt werden kann. Die Blüten sind ausgesprochen photo- und thermonastisch und das wird ihnen wohl auch von Nutzen sein, obwohl ein wirklicher Nachweis auch dafür fehlt. Die seismonastische Reizbarkeit aber wird von den Pflanzen, so weit wir derzeit wissen, kaum je benützt. Wäre das nicht der Fall, so hätte sie nicht so lange unbeachtet bleiben können — (entiana utriculosa ist ja an vielen Standorten häufig und durch ihre prachtvoll blauen Blüten auffallend genug. Trotzdem ist die seis- monastische Reizbarkeit, welche eines der auffallendsten Beispiele für diesen Vorgang bei europäischen Pflanzen darstellt, bis jetzt der Be- obachtung entgangen. Man kann also nicht sagen, daß die einmal erworbene leichte „Beweglichkeit“ der Blumenblätter in den Dienst eines anderen Bedürfnisses gestellt worden sei. Weder ist es wahrscheinlich, daß die photo- und thermonastische Reizbarkeit dieser Blüten erworben ist, noch daß sie „Bedürfnisse“ spüren. 3. Dasselbe gilt für vegetative Organe. Pistia "stratiotes ist eine schwimmende Wasserflanze. Die Blätter der Blattrosette breiten sich tagsüber flach aus. Nachts findet — soweit sie nicht schon in den Dauer- zustand übergegangen sind — eine Aufrichtung statt. ä Nimmt man am Tage eine Blattrosette und schüttelt sie, so findet gleichfalls eine Erhebung der Blätter statt. Man kann bezweifeln, daß es sich bei den hier kurz beschriebenen Erscheinungen um Reizbewegungen handle. Sie können dadurch herver- gebracht sein, daß auf der konkav werdenden Seite durch Dehnung eine Turgorverminderung bzw. eine stärkere Dehnung oder Erschlaffung der Zellmembranen eintrat als auf der — ja ohnedies anders gebauten — konvexen. Es wäre der Vorgang dann ein ähnlicher wie der welcher — wie: zuerst HOFMEISTER fand — bei wachsenden Sprossen durch Stöße, Schläge und Erschütterung herbeigeführt werden kann. Es tritt bei ihnen eine Krümmung des Gipfels ein, die Erschütterungskrümmung ?), die auf einer !) Auch darin, daß G. prostrata sehr empfindlich ist für Temperaturschwankungen und bei Temperaturabnahme auch im Lichte ihre Blumenkronen schließt, bei Temperatur- zunahme auch nachts öffnet. Man kann daraus aber nicht ohne weiteres schließen „Vom Licht ist auch bei ihr der Öffnungszustand der Blumenkrone unabhängig“ (SEEGER a. a. O. p. 7), sondern zunächst nur, daß die Blüten stärker thermonastisch als photonastisch reizbar sind.» ?) Sachs, Lehrbuch der Botanik IV. Aufl. mie X u, Entfaltunes- und Reizbewegungen in Blüten. 375 Verlängerung der konvexen, einer Verkürzung der konkaven Seite beruht. Sie rührt nach den Untersuchungen von PRILLIEUXx und SacHs von der sehr unvollkommenen Elastizität und großen Biegsamkeit der krümmungs- fähigen Stelle her. Bei den Blüten und Blättern, die oben erwähnt wurden, liegt die Sache insofern anders, als die Biegung nicht in beliebiger (durch die Beugung bzw. die Richtung der Erschütterung) bestimmten Richtung herbeigeführt werden kann. Es handelt sich eben um dorsiventrale Organe, deren Ober- und Unterseiten sich verschieden verhalten und die sich stets nur in Einer Richtung krümmen. Aber ein prinzipieller Unter- schied gegenüber der Reizbewegungen scheint mir nicht vorzuliegen. Daß sich deren: strenge Abgrenzung von den übrigen Lebenstätigkeiten ohnedies nicht wird aufrechterhalten lassen, wurde ja bei verschiedener (relegenheiten erwähnt (z. B. bei den Schnellbewegungen der Urticaceen- staubfäden). Es schien deshalb berechtigt, die zuletzt angeführten Be- wegungen hier anzureihen — ganz ohne Rücksicht darauf, wie sie ausgeführt werden. Sie zeigen (jedenfalls für unsere jetzige Auffassung) keinen Anpassungscharakter. Es handelt sich um eine Fähigkeit der Blumenkrone, die für gewöhnlich gar nicht ausgenützt wird. Wir schließen daraus, daß auch für die anderen Fälle seismonastischer Reizbarkeit der Blütenorgane keine Nötigung vorliegt, ihnen von vornherein „Ziele“, „Zwecke“ und „Aufgaben“ zuzuschreiben, obwohl sie nachträglich ausgenützt werden können. Man wird auch nicht sagen können, die zuletzt beschriebenen Fälle von seismonastischer Reizbarkeit seien anders aufzu- fassen als die der Staubfäden vieler Kompositenblüten. Erstere seien nur Begleiterscheinungen photo- bzw. thermonastischer Reizbarkeit, letztere seien nur, oder doch vorwiegend seismonastischh Eine solche Unter- scheidung wäre schon deshalb eine künstliche, weil auch die Kompositen- staubfäden keineswegs nur seismonastisch reizbar sind. In beiden Fällen handelt es sich nur um die Reizbarkeit des Protoplasmas überhaupt, die für verschiedene Reize verschieden stark sein kann — eine Reizbarkeit, die nicht erst erworben zu werden. brauchte, weil sie eine Grundeigenschaft des Protoplasmas darstellt, deren Außerung nur nicht überall sichtbar ist. Neunter Abschnitt: Die Sensitiven. s 1. Einleitung. Als „Sensitiven*“ bezeichnet man entsprechend der geschichtlichen Entwicklung dieses Wortes Pflanzen, deren Blätter stark seismonastisch reizbar sind. Sie lassen sich natürlich nicht scharf abgrenzen, und es kommt für uns, wenn wir die Bedeutung der seismonastischen Reizbärkeit kennen lernen wollen, auch nicht nur diese allein in Betracht, sondern das (sesamtverhalten der Pflanzen gegenüber äußeren Einwirkungen. Die Art der Ausführung der Bewegungen bleibt auch hier Br unserer Untersuchung. Erwähnt sei nur folgendes: Sensitive Pflanzen sind ausgezeichnet durch besonders stark : ausge- prägte Dorsiventralität ihrer Spannungsgelenke. Wenn wir bei einer Pflanze mit einem nicht sensitiven Gelenk den Parenchymmantel erschlaffen lassen oder ihn entfernen, so senkt sich das Blatt, welches vorher durch das Spannungsgelenk in seiner Lage gehalten wurde, auch herunter.. Die obere und die untere Hälfte des Grelenkpolsters haben zwar nicht ganz die gleichen Eigenschaften, sind aber doch viel weniger voneinander verschieden, als bei den sensitiven, bei denen die Turgeszenzänderung stets auf der einen Hälfte des Gelenkpolsters leichter vor sich geht als auf der andern. Für die Auffassung der Bedeutung dieser Reizbewegungen wäre es notwendig, die Gesamtheit der Lebensbedingungen dieser Pflanzen zu kennen. Das ist aber bis jetzt nur unvollständig der Fall. Vielfach sind die Deutungen auch sehr einseitig ausgefallen. Man hat z. B. die seis- monastischen Reizbewegungen der Blätter oft als Schutzmittel gegen Tier- fraß aufgefaßt. Ein solches Schutzmittel ist nun von ganz anderer Be- deutung für eine Pflanze, deren Vermehrungsmittel geringe sind, als für eine, die Samen in Menge und auf kürzestem und sicherstem Wege, durch Selbstbestäubung hervorbringt. Bei der ersteren wird ein Schutzmittel gegen Tierfraß eine viel größere Bedeutung haben als bei letzterer. Tat- sächlich sind aber eine ganze Anzahl von Sensitiven mit sehr reichlicher Samenbildung ausgerüstet, und stellen deshalb (nicht etwa wegen ihrer Sensitivität) gemeine Tropenunkräuter dar. Wir werden ferner nicht außer Acht lassen dürfen, daß eine Pflanze, die sozusagen „aus dem Vollen* lebt, wie dies bei vielen Tropenpflanzen der Fall ist, sich auch nicht un- mittelbar nützliche Vorgänge leisten kann, die bei Pflanzen, die unter so viel härteren Lebensbedingungen stehen, wie die Mitteleuropas, nicht wohl erwartet werden können. Es scheint mir also nicht zufällig, daß fast alle Sensitiven Tropenpflanzen sind. Die, welche, wie z. B. Dionaea, außertropischen Gebieten angehören, Die Sensitiven. 377 sind Pflanzen die unter besonderen, von denen der Mehrzahl anderer Pflanzen abweichenden Lebensbedingungen vorkommen. Daß zwischen Sensitiven und Nichtsensitiven sich keine scharfen (srenzen ziehen lassen ist schon hervorgehoben worden. Dagegen ist besonders zu betonen, daß es sich bei den Bewegungen ‚der ersteren um eine Ausnutzung von Entfaltungseinrichtungen handelt. Daß dies lange nicht beachtet wurde, hängt damit zusammen, daß die Reizbewegungen so viel auffallender hervortreten als die Entfaltungsbe- wegungen, und eben dadurch auch zu teleologischen Deutungen auf- forderten. Es schien von Interesse, den Eindruck, den diese Sensitiven bei ihrem ersten Bekanntwerden auf die Naturforscher gemacht haben, in einer kurzen geschichtlichen Darstellung zu verfolgen. Wenn uns auch die Vorstellungen, zu denen diese Pflanzen Veranlassung & geben, jetzt, wo meist nur. der Mechanismus der Bewegung als Gegenstand der Forschung gilt, scheinbar recht ferne liegen, so wird sich “doch fragen, ob wir in der sonstigen Deutung dieser Reizbewegungen so sehr viel weiter gekommen sind als die Alten, und ob der Unterschied nicht hauptsächlich darin liegt, daß bei diesen der a Rh noch naiver zutage tritt als bei uns. ‘Wenn wir dabei von den seismonastisch reizbaren Pflanzen ausgehen, so ist nicht zu vergessen, daß keine dieser Pflanzen nur seismonastisch reizbar ist. Eine vergleichende Beobachtung zeigt, daß die E mpfindlich- keit für andere Reize eine bei den einzelnen Pflanzen sehr v erschie- dene ist. ‘ Die teleologischen Deutungsversuche für die seismonastischen Bewe- gungen werden bei den einzelnen Pflanzen erörtert werden. Hier sei nur noch darauf hingewiesen, wie leicht man durch teleologische Erwägungen zu unrichtigen Annahmen gelangen kann. So meinte z. B. E. MORREN ! 12 die Sensitiven seien gegen Wind und Regen, an die sie gewöhnt seien, un- empfindlich, offenbar deshalb, weil der Nutzen der Reizbarkeit in diesem Falle nicht einzusehen war. Derartige Vermutungen kann aber nur jemand äußern, der Mimosen nur in Topfkultur beobachtet hat. Denn daß z. B. Mimosa pudica auch bei Erschütterung durch - Wind oder Regen ihre seismonastischen Bewegungen ausführt, "ist in den Tropen leicht zu be- obachten. $ 2. Geschichtliches. Die Literatur über Mimosa und andere seismonastisch reizbare Pflanzen ist eine so umfangreiche, daß schon aus äußeren Gründen keine Rede davon sein kann, sie vollständig anzuführen. Für uns handelt es sich, wie erwähnt, auch nur um die Auf- fassung der Reizbewegung, nicht um die Art und die Bedingungen ihrer Ausführung. Wir können darin drei Richtungen unterscheiden, die zeitlich teils aufeinander folgen, teils nebeneinander herlaufen. Die eine ist die, welche in den Reizbewegungen psychische Vorgänge sieht, oder doch etwas diesen Gleichartiges. Die andere Frage ist die nach dem Zustande- kommen und die dritte nach dem Zweck der Bewegungen. Ein kurzer Überblick über die geschichtliche Entwicklung dieser Richtungen ist viel- !) E. Morken, La sensibilite et la motilite des vegetaux, Bruxelles 1885 p. 37. 378 . Neunter Abschnitt: leicht auch deshalb nicht überflüssig, weil die bisherigen Ausgaben, darüber nicht selten ganz unzutreffend sind. Wenn z. B. gesagt wird, man sei ursprünglich von der bestimmten Überzeugung ausgegangen, daß man die Bewegungen der Pflanzen keineswegs mit den freiwilligen Bewegungen der Tiere vergleichen dürfe, sondern daß es sich dabei um Erscheinungen handle, wie sie auch in der unbelebten Natur zu finden seien !), so kann ich dem nicht zustimmen. Die ältere Literatur ergibt im Gegenteil eine überwiegend anthropomorphistisch-psychische Auffassung der Reizbewe- gungen. Der wichtigste Fortschritt bestand meiner Ansicht nach auch keineswegs, wie vielfach angenommen wird, in der Auffassung der Reizbewe- gungen als Auslösungsvorgänge — für die es übrigens schon bei alten Autoren Anläufe gibt —, sondern in dem Nachweis ihrer allgemeinen Verbreitung. Die erste Erwähnung der Mimosenbewegungen ist allerdings schon von einem Versuche, sie kausal verständlich zu machen, begleitet.‘ "Es mag das daher rühren, daß der Schriftsteller, dem wir sie verdanken (THeo- PHRAST)?), nur vom Hörensagen — paoiv — berichtet. Es handelt sich um ‚die in Oberägypten wachsende Mimosa asperata, von der THEOPHRAST an- führt, daß ihre Blättchen bei Berührung wie welk (ögrreo dpavamvousva) zusammenfallen, nach einiger Zeit aber wieder aufleben und „Faller“, was BRETZL mit „straff auseinanderspreizen“ übersetzt. Vielleicht ist damit aber mehr die Farbenveränderung durch Herstellung der grünen Blattfläche gemeint. Es ist lehrreich, wie ÜAMERARIUS in seiner unten an- zuführenden Abhandlung die Stelle übersetzt „ubi autem quis attigerit ramulos folia quasi hebetata concidere ajunt atque hinc post aliquod tem- pus revivescere denuo folia sua explicare“. Hier ist aus dem „Ver-. trocknen“ schon ein „Entkräften“ oder „Ermatten“, von welchem sich das Blatt beim Wiederaufleben erholt, geworden. Das war ganz im Sinne der mittelalterlichen Botanik. Diese knüpfte nicht an THEoPHRrAsT's Mitteilung an, da die von diesem geschilderte Pflanze verschollen war. Der Verkehr mit den Gegenden, in denen sie wächst, hörte für die Europäer lange Zeit auf. Es ist also leicht begreiflich, daß Tarorurasr's Erzählung bald vergessen wurde. Erst die Entdeckung Amerikas und die Fahrten nach Indien brachten neue seismonastisch reizbare Pflanzen — namentlich Mimosa pudica und Biophytum — zur Kenntnis, und bald wurden solche Pflanzen auch in die europäischen Gärten eingeführt. Die ersten Berichte darüber finden sich jedenfalls bei spanischen und portugiesischen Autoren. Ihnen habe ich nicht nachgespürt, sondern mich mit solchen aus zweiter Hand begnügt. Diese zeigen zwei Eigenschaften, die in der populären Literatur ständig wiederkehren: einmal die Neigung zu wirkungsvoller Übertreibung und dann die, daß dieselben Wendungen und Deutungen immer wieder abgeschrieben werden, so daß man schließ- lich nur mit großer Mühe feststellen könnte, wer als deren eigentlicher Urheber zu betrachten ist. Mir genügte es, das ehrwürdige Alter einzelner Behauptungen nach- weisen zu können. So findet sich z. B. die Annahme, daß schon die I Hy: u Die Bewegungserscheinungen im Pflanzenreich. Kultur der Gegenwart III, IV 3 (1914). 2) THEOPHRAST, Historia plantarum IV 2, 11. Vgl. darüber namentlich Brerzr,, Botanische Forschungen des Alexanderzuges, Leipzig 1903 p. 128, wo auch Mitteilungen von Schweinfurth sich finden. Tueorurasr lebte etwa 3908305 v. Chr. Die Sensitiven. / 379 ' Annäherung eines Menschen seismonastische Bewegungen auslösen können schon bei SCALIGER !). Er meint übrigens ganz klar, daß die Pflanze entweder die Luftbewegung wahrnehme, oder, wegen der Bewegung des Bodens, den Druck auf die Wurzeln, erwähnt aber eine Angabe von APrProLoporus von einer Pflanze die er Aeschynomene (Schampflanze) nannte, „quia admotam manum refugiat foliorum contractione“ — womit eine rein psychische Deutung gegeben war. Man ging soweit, daß man der Pflanze die Fähigkeit zuschrieb, selbst den Wunsch eines Änfassens von seiten eines Menschen wahrzunehmen. Man glaubt einen der „Pflanzenpsychologen“ zu hören die in der popu- lären Literatur unserer Tage eine Zeitlang auftraten, wenn man in Bavams Pinax (1623, p. 359) liest „Si quis eam apprehendere cupiat folia illico contrahit et sub tenues ramulos abscondit. Si vero quis ap- prehendat, subito licet adeo marcida conspicitur ut exsiccata existimetur“. Und noch im nächsten Jahrhundert schreibt ‘BoxnET (considerations sur les corps organises?) diese „psychologische“ Darstellung ab, indem er sagt „die furchtsame empfindliche Pflanze oder die Mimose flieht die Hand, welche sich ihr nähert; sie kriecht schnell zusammen, und diese Bewegung schemt, wegen der Ähnlichkeit mit dem, was in Tieren vor- geht, diese Pflanze zu demjenigen Gliede zu machen, welches das Gewächs- reich mit dem Tierreich verknüpfet“. Besonderen Einfluß hatte ein Werk von Crzusıus ®), in welchem die Mitteilungen von GARCIA DE ORTA und ÜHRISTOPHORUS A (lOSTA aus dem Spanischen in das Lateinische übersetzt und bearbeitet wurden. Es schadete dabei nicht viel, daß Ost- und Westindisches einigermaßen durcheinanderging. In beiden Tropengebieten hatte man ja „lebendige“, d. h. mit leicht sichtbaren Bewegungen ausgestattete Pflanzen entdeckt! Schon diese Bezeichnung, welche in dem Gattungsnamen Biophytum sich bis auf unsere Zeit erhalten hat, hätte zeigen können, daß man die Reiz- bewegungen der Pflanzen durchaus nicht als etwas betrachtete, was auch in der unbelebten Natur zu finden sei. Als „herba viva“ wird sowohl Biophytum als Mimosa bezeichnet. Es heißt darüber: „die Natur dieser Pflanze ist so merkwürdig, daß der menschliche Geist ihr nicht nachkommen kann. Denn wenn sie am schönsten grünt, ist sie lieblich anzusehen. Wenn sie jemand anzufassen wünscht, zieht sie sofort die Blätter zusammen und verbirgt sie unter die zarten Zweigchen. Wenn man sie aber anfaßt, wird sie plötzlich so welk, daß man glaubt, sie vertrockne. Was aber noch bewunderungswürdiger ist: Wenn man die Hand zurückzieht, gewinnt sie sofort ihren früheren Glanz zurück, und so oft wird sie welk und ergrünt wieder als man sie anfaßt und die Hand wieder zurückzieht. Mir ist aber berichtet worden, ein gewisser Philosoph in Malabar sei über dem zu großen Eifer, die Nätur dieser Pflanze zu ergründen, verrückt geworden *).“ Die fabelhaften medizinischen „facultates“ dieser Pflanze (die, wenn sie wahr wären, 2) JuLıt ÖAESARIS SCALIGERI, Exoticarum exereitationum liber quintus deceimus de subtilitate, Lutetiae 1557 p. 248, zweites Blatt. 2) Deutsche Übersetzung von Tırıvs 2. Aufl. (1772) p. 46. 3) CAROLI ÜLusIr, ... . exoticorum libri decem 1608 (Neuntes Buch). *) Der Unglückliche ist aber zum Lohne von fast jedem mittelalterlichen botanischen Schriftsteller erwähnt und dadurch damals bekannter geworden, als jetzt die meisten Antoren, die ohne Verlust ihres Verstandes sich mit „Sensitiven“ befaßt haben! Pe AT 380 Neunter Abschnitt: längst zu ihrer Vertilgung geführt hätten !)) mögen im Original nachgelesen werden! Außerdem wird im nächsten Kapitel die herba Mimosa besprochen, der Namen rühre daher „quoniam manu admota senescit et marcescit ?), manu vero remota pristinam viriditatem recipit sed non adeo celeriter ut prior“. Auch die Schlafbewegungen werden angeführt, wobei (von Cusius) hervorgehoben wird, daß viele Pflanzen, namentlich Leguminosen, nachts „sich zusammenzuziehen und zusammenzudrücken“ pflegen. Besonders wird dies p. 271 von den Tamarindenbäumen hervorgehoben. Was die Wortbedeutung von Mimosa betrifft, so ist sie offenbar auf das portugiesische mimoso (zart, fein) zurückzuführen — die auch aufge- tauchte Meinung die Bezeichnung rühre her von „mimen ?) — von der Nachahmung tierischer Bewegungen — ist offenbar gekünstelt. Vielmehr spiegelt sich in der Bezeichnung derselbe Eindruck wieder wie in anderen Namen. Man fand in den seismonastischen Bewegungen der Sensitiven die Außerungen einer „feinen“ („mimoso“) Psyche, aus. demselben Grunde nannte man sie „schamhaft“ „pudica®“ — was ja auch der als Gattungs- bezeichnung benutzte Namen Aeschynomene bedeutet oder „keusch“ (Mim. casta), empfindlich (M. sensitiva), „zart“ (M. delicata) — anderer Bezeich- nungen wie viva, verecunda, dormiens, somnians usw. nicht zu ge- denken. Die Liste wäre gewiß noch größer, wenn nicht auch der mensch- liche Wortschatz für zarte Seelenregungen (aus leicht begreiflichen Gründen) ein so geringer wäre! Die späteren Schriftsteller bieten nichts Neues. ; En MARGGRAF erwähnt*) zwei Mimosa-Arten, von denen die eine der Abbildung nach der Mimosa pudica sehr ähnlich ist, aber, da sie als aus- dauernd bezeichnet wird, handelt es sich wohl um eine andere Art, viel- leicht M. asperata. Sie wird als „Caaeo seu herba viva“ bezeichnet und folgendermaßen geschildert, „Herba inodora sed saporis subduleis. Mira- bilis autem, nam manu, pede aut baculo tacta, statim contrahit se et com- ponit, brevi autem post iterum se explicat, quod ab astante videri potest. Etiam circa solis occasum quasi tristitia affecta sese componit“. Etwas eingehender behandelt die Sensitiven GuLiELMı Pısoxıs mediei .Amstelodamensis de Indiae Utriusque Re naturali et medica libri quatuor- decim (Amstelaedami apud Ludovicum et Danielem Elzevirios 1658). Die Abbildungen sind dieselben wie in dem vorerwähnten Werk, aber die Angaben viel eingehender. Hier taucht schon der Namen „herba casta“ auf und wird erwähnt, daß die Portugiesen die Pflanze „erva Mimosa“ nennen „Mira- bilis (heißt es a. a. O. p. 202) sane planta, quod vel levissime manu, baculo, vel afflatu tacta se contrahet et mox se componat. Ipse vidi silentibus ven- tis integros campos his plantis obsitos foliis expansis; mox, vel oris vel aurae marinae levissimo afflatu folla omnium concidisse, et in momento se explicuisse“. Es wird auch angegeben „Sole quoque cadente senescere, orl- 9) Ähnlich, wie es vom „Negundo“ (a. a. O. p. 281) heißt: „Adeo frequens est hujus arboris usus ad medendum in illis regionibus, ut nisi Deus praecisos ramulos multipliei foetura renasei faceret jam diu fuissent consumptae arbores“. 2) Also dieselbe Anschauung, die schon bei TurornrAsT auftritt, den ÜULusıus jedenfalls kannte. 3) Sie findet sich schon bei Fay. Vgl. auch GAROVAGLIO, Descrizione di una nova specie di Sensitiva arborea (Mem. del Reale Istituto Lombardo di scienze e lettere Vol. XI Milano 1870) „Che anzi da questa proprietä il genere ha tolto il nome, il quale suona in nostra lingna imitatriei, con che si viene a dire, che cotali piante simulano. im qualche maniera i moti spontanei degli animali“. he *) In Pıso and. MarsGrar, Historia naturalis Brasiliae 1648 Lib. II p. 72. Die+Sensitiven. 381 ente vero denuo revivescere verissimum est“. Es ist das ein sehr hübsches — wie das Zitat aus CrLusıus zeigt leider nicht neues — Bild für die Schlafbewegung, denn tatsächlich macht eine schlafende Mimosa einen greisenhaften Eindruck gegenüber einer „wachenden“. Pıso bzw. Bonrtıus ist aber nicht einverstanden mit den Auffassungen, die man über die seismonastischen Bewegungen geäußert hat. „Sunt qui motum spontaneum et sensum illi male tribuunt“. Jedenfalls ist das caput XXXII „de herba sentiente et pudica, quam Lusitani Yerva sentida y vergonhada appellant“ geschichtlich recht inter- ressant. Die Herba sentiens ist Biophytum sensitivum (die aber für eine Papilonacee gehalten wird). Es heißt „Auf den ersten Blick und bei oberflächlicher Betrachtung erscheint es wunderbar, daß diese Pflanze sich von der Berührung des Menschen zurückzieht. Wenn ich aber sehe, daß das bei vielen anderen Pflanzen vorkommt, so höre ich auf, mich zu wundern. Denn man kann z- B. sehen, wie der Samen des Sauerklees, wenn er gedrückt wird, herausspringt und der menschlichen Hand ent- flieht... . Außerdem muß man die Eselsgurke, aus der man das Ela- terium macht, bei der Reife, wenn man sie ernten will mit einem Tuch einhüllen, sonst springt sie mit Geräusch auf und entwischt den Händen, welche sie pflücken wollen. „Notum quoque de herbae illius siliquis, quam Noli me tangere in Patria vocant, quam etiam tactum, ubi matur- uere, eifugiant. Ttaque non est, quod putemus miraculum hoc pecularie huic plantae esse; ne dum in hac re nimis altum philosophemur idem nobis accıidat quod Christophorus a Costa refert evenisse philosopho Malaba- rensi, qui prae nimis accurata hujus herbae contemplatione amens red- ditus sit“). Das ist, wie es scheint, der erste Versuch einer physiolo- gischen Auffassung des Reizphänomens. Sie stellt jedenfalls einen berech- tigten und durchaus neuen Versuch dar, die Erscheinung aus ihrer ver-' einzelten Stellung zu befreien und auf sonst bei Pflanzen verbreitete Erscheinungen — hier die Gewebespannung — zurückzuführen. Daß der Versuch nur teilweise geglückt ist, braucht kaum erwähnt zu werden. Die zum Vergleich herangezogenen Schleudermechanismen funktionieren nur einmal — ein Mimosenblatt aber geht nach der Reizbewegung wieder in die ungereizte Stellung zurück und ist aufs neue reizbar, und das fanden auch schon die ältesten Beobachter mit Recht besonders merk- würdig. Pıso gibt auch an (Lib. V p. 304), daß in den Mimosen ein für den Menschen gefährliches Gift enthalten sein solle „folia in pulverem redacta et exigua quantitate aliquoties exhibita, clam exitium hominibus inferunt, pecoribus alimentalia existunt“. Von einer Giftwirkung der Mimosablätter ist sonst nirgends die Rede, daß sie von Tieren gefressen werden zeigt auch A. v. HumBoLpr's später anzuführende Angabe. Schon aus den wenigen oben gegebenen Zitaten tritt hervor, daß die Autoren, welche die Sensitiven besprachen, diese meist nicht aus eigener Anschauung kannten und deshalb die Angaben ihrer Vorgänger mehr. oder minder gleichartig wiederholten. Aber schon im 17. Jahrhundert kamen Sensitive nach Europa. Das ermöglichte die erste experimentelle Unter- suchung. Eine solche findet sich in einem, in der Geschichte der Zellen- lehre oft genannten Werk in R. Hook#’s Micrographia°) Dort werden mitgeteilt „observations on the humble and sensible plants in Mr. Chiffins garden in Saint James Park made August the 9 10BED: Um !) Dieselbe Schanergeschichte auch bei Rumphius. ?) Micrographia, or some physiological descriptions of minute bodies ete. by R. Hook, London 1667 p. 116. 382: Neunter Abschnitt: welche Arten es sich bei der humble und der sensitive plant handelt. wırd sich kaum mehr feststellen lassen. Mit Mimosa pudica stimmt die Ab- bildung der letzteren jedenfalls nicht überein. HooKE beschreibt die Schließbewegung infolge von Erschütterung (bei einer Art ist dazu „somewhat a handstroke“ notwendig) und hat sie auch erreicht durch „dropping a drop of Aqua fortis on the sprig between the leaves“, wobei eine Fortleitung des Reizes stattfand. Dasselbe erfolgte infolge von Ver- wundung,, (Abschneiden von Blättchen). Auch ein stark riechendes äthe- risches Öl brachte Schluß der Blätter hervor, ebenso die Brennlinse. Man sieht also, wie alt der bekannte Verletzungsversuch einer ausgiebigen Reizung durch Anbrennen ist. Auch machte schon Hookn die später oft wiederholte Beobachtung „The humble plant“ (wahrscheinlich Mimosa pudica) fell (d. h. die Blätter, von Hooke als branches bezeichnet, senkten sich nach abwärts) „upon taking off the glass where-with it was covered“. Wenn es kalt war, erfolgte aber beim Abnehmen nur Schluß der Fieder- blättchen. Seine Beobachtung über den Austritt von Safttropfen aus abge- schnittenen Zweigen führten ihn zu der Annahme, daß die seismonastische Reizbarkeit mit der Saftbewegung in Zusammenhang steht. Durch den bei der Reizung ausgeübten stärkeren Druck werde der Saft nach abwärts gepreßt, nach den Blattgelenken und bringe durch Verkürzung der Blatt- nerven eine Aufwärtsbewegung der Fiederblättchen zustande. Die Ur- sachen der Bewegung seien weit verschieden von denen der hygrosko- pischen Bewegungen. Damit war die wichtige Tatsache festgestellt, daß Mimosa außer der seismonastischen Reizbarkeit noch eine ganze Anzahl anderer besitzt. Die schon früher aufgetretenen Bestrebungen das Problem aus einem anthro- pomorphistisch-psy chologischen zu einem naturwissenschaftlichen zu machen, fanden damit eine bedeutende Stütze. Auch in der Folge haben sich die Botaniker — längst ehe es eine mit exakten Methoden arbeitende Pflanzenphysiologie gab — vielfach mit Mimosa beschäftigt. Einiges davon mag angeführt sein. Der berühmte Namen des Begründers der Sexualtheorie bei den Pflanzen, R. J. CAmERARIUS ließe erwarten, daß in der Abhandlung „Disquisitio botanica de herba mimosa sen sensiente“ !) originelle Beobachtungen zu finden seien. Leider ist dies nicht der Fall — es ist eine rein „akade- EIER mische“, d. h. nichts wesentlich Neues bietende Abhandlung, die nur An- gaben anderer kritisch bespricht, aber für die allgemeinen Anschauungen über Pflanzen von Interesse ist. ÜAMERARIUS meint, die Schwierigkeit, die Bewegungen der Sensitiven zu verstehen, werde behoben, „si plantis sensus tribuantur“, und wenn man annehme, daß das Fühlkraut durch die Kontraktion seiner Blätter zeige, daß es die Berührung perzipiert habe (attactum se percepisse).. Die von Bonrtius angenommene Übereinstimmung der Mimosablattbewegung mit den Schleuderbewegungen wird verneint, mit der Begründung, daß es sich bei letzterer nur um eine „impetu et violentia“ erfolgende Be- wegung handle, bei Mimosa um eine, die mit Erschlaffen (wie beim Welken und Altern) zusammenhänge. Namentlich aber gehen die erstgenannten nur einmal, die der Mimosen wiederholt vor sich (vires recolligit, in pristinum redit). Bei jenen Schleuderbewegungen der Im- patiensfrüchte usw. handle es sich um dasselbe wie bei einem gespannten ı) Tübingen 1658. | BE " =. a Pan ec re Zi. © + IT EB; EEE Er DS a A re Marder $ tin Die Sensitiven. 383 Bogen. (,„Auslösung“*)). Bei der Mimosa wird aber das Vorhandensein von „Sensus“ verneint, vielmehr die Bewegung mit der Wasserbewegung in Zusammenhang gebracht. Die dabei entwickelten Vorstellungen hier wiederzugeben, scheint nicht erforderlich. Im 18. Jahrhundert war Mimosa pudica in den europäischen Gärten offenbar schon weiter verbreitet, denn pu FAY) nennt sie „cette merve- ille dans les jardins oü elle se trouve“. Seine mit pu HAMmEL unter- nommenen Versuche ergaben u. a, daß der Winkel, den die Blätter mit dem Stamm machen, zu verschiedenen Tageszeiten ein verschiedener ist, daß Mimosa auch thermonastisch reizbar ist, und daß bei dem HookE- schen Experiment (Reizbewegung durch Abhebung einer Glasglocke) die Bewegung nicht durch Erschütterung, sondern nur durch „la difference de l’air exterieur et de celui qui etoit renferme sous la cloche“ bedingt werde. Daß es sich dabei um eine bei Sensitiven weitverbreitete hygronasti- sche Reizbarkeit handelt, ist erst sehr viel später nachgewiesen worden’). Die Angaben, welche DuHAmEL selbst in seiner berühmten „physique des arbres“ *) gemacht hat, gehen über die von pu FAY mitgeteilten nicht wesentlich hinaus. DuHAMEL betont besonders, daß die Reizung um so weiter sich erstrecke, je stärker sie sei, daß sie auf verschiedenartige Weise (durch Erschüttern, Reiben, Temperaturdifferenzen, Chemikalien) erfolgen könne, und daß die Gelenke sich zwar bei der Reizung (teilweise) zusammenziehen, aber dabei so steif werden, daß sie bei gewaltsamer Lagenveränderung abbrechen. Mit modernen Ansichten über die Stimulatoren bzw. die sogenannten Sinnesorgane berührt er sich durch folgende Bemerkung (die ich nach der deutschen Übersetzung’) von ÖLHAFEN anführe). „Es scheint sogar, daß in diesem Gewerb ©) einige Orter empfindlicher sind, als die anderen. Denn wenn man ganz leis mit der Spitze einer Nadel einen kleinen 2 weißen Punkt ?) kratzet, der an dem Gewerb eines Blatleins auf dem Stiel des gefiederten Blattes ist, so biegt sich derselbe sogleich, welches nicht so geschwind noch so leicht geschiehet, wenn dergleichen Reitzung an irgend einem anderen Teil des Blätleins vorgenommen wird“. Auch die schon HookE bekannte Fortleitung des Wundreizes hat er genau darge- stellt, die Reizbarkeit der Staubfäden von Opuntia, Berberis und Helian- themum war ihm bekannt, er sieht in ihnen Bewegungen ähnlich denen der Mimosablätter. Eingehende Beobachtungen über Mimosa hat auch SiGwArT °) — wie es scheint ohne seine Vorgänge zu kennen — angestellt. Er erwähnt, daß die Schlafbewegungen am oberen und vorderen Ende des Blattes und der ganzen Pflanze beginnen, während die Expansionsbewegung (beim Erwachen) im entgegengesetzten Sinne verlaufe. Nachts sei aber ein ewiger Wechsel der Bewegung an der nie ruhenden Pflanze, denn auch am Tage seien Öszillationen vorhanden ?). Sie sei am Tage mehr durch äußere, nachts !) Man sieht daraus, wie alt das auch neuerdings oft gebrauchte Bild ist. ?) Observations sur la Sensitive par M. pu Far, M&moires de l’academie des sciences, Paris 1736. 3) GoeseL, Das Rumphiusphänomen. Biol. Zentralblatt 1916 XXXVI p. 64. *) Übers. „Naturgeschichte derer Bäume“ (Nürnberg 1765 II p. 124 fi.). 5) II. Teil, Nürnberg 1765 p. 127. %) Dem Gelenkpolster. G. r ?) Offenbar eines der Haare auf dem Gelenkpolster. G. ®) G. C. C. Sıswarrt, Bemerkungen über die Bewegungen der Mimosa pudica ete Archiv für Physiologie von J. C. Reır und $S. H. F. Autenkıer# XII. Bd., Halle 1815. ®) Mit diesen Anschauungen stimmen ganz die von Darwın später mitgeteilten 384 Neunter Abschnitt: durch innere Einflüsse beschäftigt, auch in den Variationen der Magnet- nadel bemerke man eine ähnliche Periodizität, die eine Folge der organi- schen Verhältnisse der Individuen im ganzen Organismus der Erde zu sein scheine. Was das Licht betrifft, so fand er, daß, wenn man eine Pflanze aus dem Schatten plötzlich ın das helle Tageslicht bringe, nach einer Weile (nicht sogleich, wie bei Erschütterung) “ein Blattstiel nach dem andern „falle“. Dasselbe trete auch um Mitternacht ein, wenn man schnell Licht herbeibringt. Abgeschnittenen Blätter konnte er durch eine künst- liche Finsternis und Wiedererhellung vier- bis fünfmal zum Schließen und Öffnen bringen. Es war das in einer viel umstrittenen Frage (der der unmittelbaren Abhängigkeit der „Schlafbewegung“* vom Lichte) ein Er- gebnis, das gewöhnlich DECANDOLLE zugeschrieben wird. DECANDOLLE!) unterscheidet zwischen excitabilit€ und irritabilite. Unter der ersteren versteht er ganz im allgemeinen die Eigenschaften des Lebens („cette cause plus occulte mais tres-reelle, la vie ou l’exeitabi- lite vitale“) — eine Ausführung, welche die sonst diesem Botaniker eigene Klarheit sehr vermissen läßt. Die irritabilit6 dagegen äußert sich bei den Tieren im Zusammenziehen der Muskeln. Die Reizbarkeit der Staub- blätter von Berberis, die der Filamente mancher Kompositen, der Opuntia- staubblätter, der Droseratentakeln, der Dionaeablätter dagegen seien doch nur einige seltene Ausnahmefälle bei den Pflanzen, man könne sie nicht der „irritabilit6“, sondern nur der „simple excitabilit€* zuzählen. Als Grund dafür führt er auch an,, daß einige der auffallendsten Reizerschei- nungen doch nur eine Wiederholung der durch allgemeine Lebensbe- dingungen (agents generaux) bedingten Einwirkungen seien. Das ist eine Auffassung, die sich nicht als fruchtbringend erwiesen hat. Sie wird hier‘ auch nur deshalb angeführt, -weil DECANDOLLE sie benützt, um Rechen- schaft zu geben über die gewiß merkwürdige Erscheinung, daß die Sensi- tiven auf so verschiedene Reize mit Blattbewegungen antworten. Er kommt dabei zu einer Anschauung, der auch neuerdings in der Literatur (ohne ihn zu nennen) Ausdruck gegeben wurde. Er meint, es sei eine besondere Wirkung des Lichtes, die Offnungs- und Schließbewegung des Mimosablattes herbeizuführen. Die mechanische Reizung bedinge „acci- dentellement“ dieselben Bewegungen... Damit stimmt überein z. B. eine Außerung von Mac FARLANE ?). Dieser sucht sich die Reizbarkeit mancher Pflanzen für Stöße, die doch an- scheinend ganz nutzlos sei, dadurch zu erklären, daß er sagt, „wenn Pflanzen für Licht oder Wärmereize empfindlich seien, so müßten sie auch seismonastisch reizbar sein, obwohl sie keinen Nutzen davon haben „since contraction-sensitivity involves response to all forms of energy“. Diese Ausführung scheint mir aber nicht überzeugend. Man kann wohl sagen, wenn ein "Organ für Erschütterung reizbar ist, ist es gleich- giltig, wie diese zustande kommt, ob durch Berührung, Wind, Regen usw. Daß aber ein für Licht reizbares Organ für Erschütteru ung usw. reizbar sein soll, ist nur dann einleuchtend, wenn man, wie schon H. v. Monu ss tat, alle Protoplasten als „im allgemeinen mit Reizbarkeit begabt“ überein, „that Ba which sleep eontinue to move during the whole twenty four hours; they move, however, more quickly when going to sleep and when awakıng than at other times (Mov. of pl. p. 403). ı) A. P. Drcannorte, Physiologie vegetale 1832 I p. 2#i. ?2) Mac FARLANE, Irrito- eontractility in plants, Biological lectures delivered der the marine biolog. laboratory of Woods Hole, Boston 1894 p. 206. Die Sensitiven. | 385 auffaßt. Diese allgemeine Reizbarkeit ist dann aber auch nicht speziell für Wärme- und Lichtreize erworben. Sie kann sich namentlich bei turgeszierenden Pflanzenteilen äußern. Sie kann nützlich sein, kann aber auch nur als Begleiterscheinung anderer Funktionen auftreten. Dafür wurden ja namentlich bei den Blüten Beispiele angeführt, bei denen keine Rede davon sein kann, daß die seismonastische Reizbarkeit als Nebenerscheinung ‚von photonastischer oder thermonastischer aufzufassen wäre. Auch hat schon Darwın !) darauf hingewiesen, daß z. B. bei den Kotyledonen seis- monastische und photonastische Reizbarkeit keineswegs Hand in Hand gehen. So ist auch Phyllanthus Urinaria photonastisch viel reizbarer als Mimosa, seismonastisch aber viel weniger. Es sind also photonastische und seismonastische Reizbarkeit nicht notwendig in gleicher Stärke verbunden. Daß alle Reizerscheinungen auf elektrochemischen Veränderungen in den Zellen beruhen, ist außerordentlich wahrscheinlich, aber nicht alle Reize haben bei allen Pflanzen dieselbe Wirkung. - Wir können die Reizbarkeit in turgeszierenden Pflanzenteilen ver- gleichen mit der „Sensibilität“ explosiver Substanzen. Diese ist bekannt- lich eine sehr verschiedene: die einen sind sensibel für die geringste Temperaturerhöhung, andere für einen Stoß, wieder andere für Reibung. Die Sensibilität ist (durch verschiedene Zusätze) beeinflußbar. Man kann aber einen und denselben Explosivstoff, z. B. Nitroglyzerin, durch ver- schieden äußere Anstöße zum Explodieren bringen, wenn auch der innere Vorgang immer derselbe bleibt. Alle die Ausführungen über die ver- schiedenartige Reizbarkeit von Mimosa und anderen Pflanzen führen, wie mir scheint, auch zu keiner anderen Anschauung als der, die sich aus dem soeben angeführten Vergleiche ergibt. Die fernere Untersuchung der Sensitiven wandte sich nach den klas- sischen Arbeiten von DUTROCHET, BRÜCKE u.a. vor allem der Aufklärung des Bewegungsmechanismus zu, namentlich dem der Mimosablätter. Auf die diesem gewidmeten Untersuchungen ist hier nicht einzugehen. Es sei also nur noch einmal betont, daß man früh schon erkannte, daß die so auffallend hervortretende seismonastische Reizbarkeit bei Mimosa keines- wegs die einzige ist, daß diese vielmehr auch photonastische, hygronastische, thermonastische und traumonastische Bewegungen ausführen kann, womit die Liste noch keineswegs abgeschlossen ist. Für unsere Fragestellung handelt es sich zunächst darum, ob wir die seismonastischen Bewegungen von Mimosa derzeit als Anpassungserschei- nungen betrachten können oder nicht — in zweiter Linie gilt natürlich dieselbe Frage für die anderen Reizbewegungen. Um für die Entscheidung dieser Fragen Anhaltspunkte zu gewinnen, ist es notwendig, zunächst auf die Standorts- und auf die Wachstumsverhältnisse etwas näher einzugehen. Die andern wichtigeren Sensitiven sollen für sich besprochen und dabei jeweils auch die teleologischen Deutungen erörtert werden. $ 3. Standorts- und Wuchsverhältnisse. Wenn ich im folgenden einige Angaben über die’ Standortsverhältnisse der seismonastisch reizbaren Mimosen wiedergebe, so geschieht das namentlich um auf die Unvollständigkeit unserer Kenntnisse der Lebensbedingungen dieser Pflanzen hinzuweisen. Wir wissen nicht einmal welche Lebens-. dauer Mimosa pudica erreicht. In Europa wird sie als „einjährige“ !) Power of movement p. 128. &oebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 25 386 Neunter Abschnitt: Pflanze gezogen, und es ist wahrscheinlich, daß sie auch in den Tropen nur einmal fruchtet. Aber wie lange sie in der Heimat dazu braucht und ob das Absterben in bestimmter Beziehung zu äußeren Verhält- nissen — etwa in der Trockenperiode — eintritt, habe ich nicht ermitteln können und habe leider auch selbst, obwohl ich zweimal Gelegenheit dazu gehabt hätte, nicht darauf geachtet. Man sieht sich eine Pflanze,’ die man schon von Europa her so gut zu kennen glaubt, meist nicht 'näher an — zumal es sich ja um ein „Unkraut“ handelt, das sich auch in anderen Tropenländern als seiner amerikanischen Heimat verbreitet hat. Es sei bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, daß auch andere Sensitiven zu den tropischen Unkräutern gehören, so z. B. Biophytum sensitivum, Phyllanthus urinaria u. a. Die Frage knüpft sich daran, ob ste ihre weite Verbreitung vielleicht ihrer „Reizbarkeit“ verdanken, oder ob diese eine Luxusanpassung darstellt, welche sich Pflanzen, welche — was tatsächlich bei allen genannten zutrifft — leicht und reichlich Samen hervorbringen und großes Wuchsvermögen und rasch arbeitende Vege- tationsorgane besitzen, leisten können ? Zunächst sei indes erwähnt, daß, wenn wir auch über die Lebensdauer von Mimosa pudica nicht genauer unterrichtet sind, doch kein Zweifel darüber besteht, daß die meisten anderen Mimosen ziemlich langlebige Sträucher sind. Für die Beurteilung der Bedeutung der Reizbarkeit der Blätter von Mimosa pudica kommen natürlich vor allem die Lebensbedingungen in ihrer südamerikanischen Heimat in Betracht. Die Angaben der Reisenden sind leider. recht allgemein gehalten. Wir wissen wohl, daß sie an offenen Standorten, auf Savannen, an sandigen Ufern, Weideplätzen usw. vorkommt; daß sie auch gegen zeitweiligen Wassermangel nicht allzu empflindlich sein kann, zeigt z. B. ihr Vor- kommen auf St. Thomas und den Llano’s von Venezuela. Für die Standortverhältnisse seien einige Belege gegeben, die sich teils auf Mim. pudica, teils auf andere stark sensitire Mimosa-Arten beziehen. In Humboldt et Boupland, „Voyage“ (VI partie, botanique, Mimoses et autres plantes Legumineuses) wird (p. 19) von Mim. intermedia an- geführt „Notre plante croit dans les vastes savanes que s’etendent depuis les montagnes de Villa de Cura et de la chäine cötiere jusqu’aux rives de l’Orenoque, surtout dans les Llanos de Calabozo. Elle y porte ainsi que toutes les especes & feuilles irritables, le nom de Dormidera, et con- tribue singulierement ä la bonte des päturages“ !) (sowohl Sproßachse wie Blätter tragen Stacheln, die der Abbildung nach kleiner sind als die von M. pudica, jedenfalls aber das Gefressenwerden durch Rinder und Pferde nicht verhindern)! Dies hebt HumsotLpvrt auch bei anderer Gelegenheit hervor’). Er sagt von den venezolanischen Llanos: „Nur hier und da mischt sich eine krautartige Dikotyledone, die dem Rindvieh und den verwilderten Pferden so angenehme ganz niedere Sensitive (Mimosa intermedia und M. dormiens) unter die Gramineen.“ In seiner Reisebeschreibung?) sagt er: „Die Weiden, wo‘ diese Sensitiven vorkommen, werden teurer als andere verkauft.“ ı) HumsoLot, Voyage aux regions equinoxiales du nouveau monde II p. 166,00 2) A. v. Humsorpr, Ansichten der Natur, Stuttgart 1871 p. 73. Po 3) Deutsche Übersetzung der „relation historique“ von H. Haurr II p. 392. Die Sensitiven. 387 An einer anderen Stelle seines Reiseberichtes') erzählt A. v. Hum- BOLDT von den östlichen venezolanischen Llanos „wir fanden hier- den Boden durch die Trockenheit nicht so stark aufgesprungen wie in .den Llanos von Calabozo. Ein paar Regengüsse hatten der Vegetation neues Leben gegeben. Kleine Grasarten und besonders jene krautartigen Sensi- tiven, von denen das halbwilde Vieh so fett wird, bildeten einen dichten Rasen.“ ... Welche Schlüsse man aus dieser Kits ziehen kann, ‘wird erst bei Besprechung des Nutzens der seismonastischen Bewegungen zu. er- örtern sein. Dafür ist auch von Bedeutung, daß nicht alle Sensitiven so niedrig bleiben wie M. pudica. Indes sei zunächst noch eine weitere Bemerkung Humsoupr's angeführt, die für die Lebensverhältnisse der Mimosen von Bedeutung ist. ; In seiner Reisebeschreibung ?) erzählt Humsoupt, die Tamurosgeier seien so träge, daß sie, lange ehe die Sonne untergeht, aufsitzen und erst wieder erwachen, wenn ihre Scheibe bereits über dem Horizont steht. „Es ist, als ob die Bäume mit gefiederten Blättern nicht minder träge wären. Die Mimosen und Tamarinden schließen bei heiterem Himmel ihre Blätter 25—30 Minuten vor Sonnenuntergang, und sie öffnen sie am Morgen erst wenn die Scheibe bereits eben so lange am Himmel steht.... Die sogenannten Sinnpflanzen und anderen Schotengewächse mit feinen zarten Blättern empfinden, scheint es, da sie den Tag über an ein sehr ‚starkes Licht gewöhnt sind, abends die geringste Abnahme in der Stärke der Lichtstrahlen, so daß für diese Gewächse, dort wie bei uns, die Nacht eintritt, bevor die Sonnenscheibe ganz verschwunden ist. Aber wie kommt es, daß in einem Erdstriche, wo es fast gar keine Dämmerung gibt, die ersten Sonnenstrahlen die Blätter nicht um so stärker aufregen, da durch die Abwesenheit des Lichtes ihre Reizbarkeit gesteigert worden seyn muß? Läßt sich vielleicht annehmen, daß die Feuchtigkeit, die sich durch die Erkaltung der Blätter infolge der nächtlichen Wärmestrahlung auf dem Parenchym niederschlägt, die Wirkung der ersten Sonnenstrahlen hindert ? In unsern Himmelsstrichen erwachen die Schotengewächse mit reizbaren Blättern schon ehe die Sonne sich zeigt, in der Morgendämmerung.“ — Daraus ergibt sich, daß in der Heimat der Mimosen der Tauniederschlag durch die Schlafbewegungen nicht — jedenfalls nicht immer — ver- hindert wird. Um- einen wirksamen Schutz gegen Betauung kann es sich also bei den Schlafbewegungen ausdauernder Mimosen wenigstens in dieser Zeit nicht handeln — auch nicht um Transpirationsförderung. In der Regen- zeit sind die Verhältnisse anders. , Aber Humsoupr’s Angaben zeigen ja, daß er die Mimosen stark betaut antraf. Leider erfahren wir nicht, ob die „einjährigen“ Formen, wie Mimosa pudica°), nur während der Regen- zeit vegetieren und nach dieser absterben, oder etwa wenigstens an feuchteren Stellen (am Rande von Wasseransammlungen usw.) in der Trockenzeit weiter vegetieren. eigen Reisende haben den Angaben HumsoLpr’s — an denen zu !) A. v. Humsoror’s Reise in die Äquinoctial-Gegenden des neuen Kontinents. Deutsche Bearb. von H. Haurr, Stuttgart 1860 IV p. 315. 9%) A. v. Humsoupr’s Reise in die Aquinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. In deutscher Bearbeitung von H. Hıurr I (1859) (p. 402). ») Es ist „also mit Angaben, wie der in der Flora brasiliensis, daß M. pudica eine „planta annua“ sei, nicht viel anzufangen. 25* 388 Neunter Abschnitt: zweifeln kein Grund vorliegt — nichts Wesentliches hinzugefügt. So z. B. C. Sacaus!). Erwähnt sei nur, daß nach dessen Wahrnehmungen in manchen Strecken der Llanos 5 Monate des Jahres hindurch kem Regen fällt, und die Trockenheit der Luft so groß ist, daß trotz starker Nachtkühle nicht die geringste Taubildung stattfindet. Anders ist es z. B. auf den hochgelegenen Savannen Britisch-Guianas, auf denen Mimosa pudica auch verbreitet ist. Ernst (Idea general de la flora de Venezuela, Boletin del Ministerio de Obras publicas 1891 No. 77) hebt ebenso wie SAacHs hervor, dab die Waldlosigkeit der Llanos den im 16. Jahrhundert eingeführten Viehherden zuzuschreiben sei („A estos animales debe atribuirse la gran escazes de vejetales lefiosas en las llanuras“). Außer den überwiegenden Gräsern und grasähnlichen Monokotylen finden sich (abgesehen von Sträuchern ‘ und Bäumen) zwischen den Gräsern krautige Leguminosen (Mimosa, Aes- chynomene, Desmanthus, Zornia, Eriosema), Kompositen, Labiaten, Ver- benaceen usw. — Nähere Angaben über die Sensitiven macht aber auch | Ernst nicht. Ich weise auf diese Mängel hin in der Hoffnung, daß sie U zur genaueren Beobachtung der Lebensbedingungen der sensitivren Mimosen | Veranlassung geben mögen. Mimosen sind namentlich auch in den Savannen Guianas verbreitet, welche viel höher liegen als die venezolanischen Llanos.. An sandigen Uferstellen blüht dort Mimosa pudica nach SCHOMBURGK das ganze Jahr hindurch ?). Sie sind (offenbar durch ihr reich entwickeltes Wurzel- system) imstande auch in der trockenen Jahreszeit auszuhalten, werden aber — wenigstens während des Tages — während des größten Teiles des Jahres jedenfalls keiner Einrichtungen zur Förderung der Transpiration bedürfen. In der Savanne von Britisch-Guiana herrscht nach SCHOMBURGK nur Eine Regenzeit von Ende April bis Ende Juli oder Anfang August, während deren die Regenhöhe über 2 m beträgt. In der trockenen Jahreszeit trieft des Morgens alles von Tau im Gegensatz zu dem oben erwähnten Verhalten, das C. Sacus für manche Strecken der Llanos an- gegeben hat. , Von afrikanischen Mimosen (speziell Mimosa asperata) berichtet . Bruce£?) „Both these beautiful shrubs vere found upon the banks of the river Arno. The soil is black mould, with a great mixture or composition of rotten putrified leaves, thinly covering the rock in the temperate part of Abyssinia. What I have to observe of both these shrubs is, that they shut their leaves upon the violent rains of winter, and are never fully # expanded till the sun and fair season again return.“ Das ist eine Angabe, die für die Okologie der Mimosa-Blattbewegungen 4 vielleicht von Wichtigkeit ist. Sie ist, aber, soweit mir bekannt, seither von keinem anderen Reisenden bestätigt worden. f Viele, aber keineswegs alle Mimosa-Arten sind mit Stacheln versehen, denen einzelne Schriftsteller eine besondere Bedeutung als Schutzorgane deshalb zugeschrieben haben, weil sie nach Ausführung der seismonasti- Bewegungen besonders drohend hervortreten. Mimosa asperata z. B. hat Stacheln auf den Sproßachsen und Blättern. Wenn (wie dies wohl der Fall sein wird) die Blattfiedern des doppelt —. a ae 1) C. Sacas, Aus den Llanos 1879 p. 113, 128. 2) Womit natürlich nicht gesagt ist, wie lange eine einzelne Pflanze blüht. (SCHOMBURGK, Reisen in Brithisch-Guiana III p. 860.) 2 Bruck, Travels to discover the source of tho Nile. Vol. V. Select specimens of natural history, London 1730 p. 36. Die Sensitiven. 389 gefiederten Blattes in der Reizstellung nach abwärts gerichtet sind, so treten die auf der Blattspindel befindlichen Stacheln allerdings so auf- fallend hervor, daß phantasievolle Okologen sagen könnten, die Pflanze „tletsche“ ihre Stacheln wie manche Tiere ihre Zähne. Keine Stacheln fand ich z. B. an Herbarexemplaren von M. aurivilla, acutistipula, camporum. Bei Mimosa sensitiva, die mit langen dünnen Sproßachsen ausgerüstet ist, dienen die Stacheln offenbar wie bei vielen Brombeer-Arten als Kletter- organe. Wahrscheinlich sind die stachellosen Formen solche, welche an schattigeren feuchteren Standorten wachsen, als die stark stacheligen. Jedenfalls haben die als Sumpfpflanzen lebenden Aeschynomene — bzw. Neptunia-Arten, welche stark sensitive Blätter haben, keine Stacheln !) — nicht etwa deshalb, weil sie durch ihr Wachstum an bzw. auf dem Wasser ohnedies gegen tierische Angriffe besser geschützt sind, sondern weil hygrophile Pflanzen überhaupt weniger zur Verdornung neigen als „xerophile“. Zu letzteren können — wenigstens während eines Teiles der Vegetationsperiorde — auch Pflanzen zählen, die an Flußufern wachsen — also anscheinend hygrophil sind, namentlich an solchen Flüssen, deren Wasserstand ein periodisch stark veränderlicher ist und bei un- günstigen Bodenverhältnissen. . Die Mimosa asperata Afrikas (die erste Mimose, die man als Sensi- tive kennen lernte) fand SCHWEINFURTH?) bei den Schillukinseln des weißen Nil in Gestalt undurchdringlicher „Dornverhaue“ die Inselufer um- gürten. Weiter südlich fand sich die Pflanze als Einfriedigung aller Ufer der fließenden Bäche hart am Wasser. „Die zahllosen Stacheln dieses Strauchs sind von derartiger Festigkeit und Schärfe, daß man sich ihrer kaum mit Lederstiefeln erwehren kann“ ?). Eine derartig bewehrte Pflanze braucht also nicht erst durch die Reizbewegungen ihrer Blätter ihre Stacheln zu „fletschen“, wie man dies bei M. pudica angenommen hat, oder sich durch diese Bewegungen den Angriffen höherer Tiere zu ent- ziehen. Trotzdem sind die Blätter auch bei ihr in hohem Grade sensitiv! Auch die südamerikanische M. asperata ist eine Flußuferpflanze „perhaps the commonest of all plants on the muddy shores of the Amazon and the river Guayaquil“*. Sie ist während der jährlichen Über- schwemmungen dort jedenfalls längere Zeit unter Wasser. Daß auch baumartige Mimosen, bei denen eine Beschädigung durch weidende Tiere doch höchstens im Jugendstadium in Betracht kommen könnte, eine seismonastische Reizbarkeit besitzen, welche hinter der der niedrig bleibenden Mimosa pudica — an die man gewöhnlich allein denkt — nicht zurücksteht, geht z. B. aus GAROVAGLIo’s p. 380 angeführter Mitteilung hervor. Seine Pflanze (der M. asperata L. und M. pellita Willd. nahe- stehend) erreichte mit 4 Jahren (bei Topfkultur) eine Höhe von 2 m, ge- hörte also, zumal das Wachstum im freien Land ein rascheres gewesen wäre, zu den Formen, deren Laubkronen nur für größere Tiere — die in den Tropenniederungen Südamerikas nicht vorhanden sind — erreich- bar war. Schrankia hamata, welche nach ScHIEDE?°) ebenso sensitiv ist !) Auch nieht Mimosa viva L., die in Jamaica „auf Weiden“ (in pastures, GRISEBACH, flora of the W. Ind. isl. p. 218) vorkommt. Eine Korrelation zwischen Reizbarkeit und Bestachelung ist jedenfalls nicht vorhanden. Dem Namen nach zu urteilen, dürfte M. viva stark seismonastisch reizbar sein. - j ?) G. SCHWEINFURT#, Im Herzen Afrikas 3. Aufl. 1919 p. 29. >») A. a. O0. p. 428. *) SprucE, Notes of a botanist on the Amazon and Andes. Vol. II (1908) p. 284. 5) Linnaea IV 1829 p. 206. 390 Neunter Abschnitt: wie Mimosa pudica, fand dieser Reisende auf Sandhügeln bei Veracruz in Mexiko — also an sehr trockenen Standorten zusammen mit Tribulus maximus, Portulacaceen und anderen Pflanzen mit xerophilem Gepräge. Wir dürfen nach dem vorstehenden wohl sagen, daß die sensitiven Mimosen an recht verschiedenen Standorten vorkommen, da die einen Vegetationsgebieten entstammen, die während des größeren Teiles des Jahres niederschlagsarm sind, andere in sehr regenreichen Gebieten bzw. in Sümpfen wachsen, daß neben niedrigbleibenden auch kletternde und baumartige Formen sich finden. Daß Mimosen mit reizbaren Blättern auch als Unterholz vorkommen, ergibt sich aus einer Angabe Darwm’s !), über ihr Vorkommen in Wäldern nördlich von Kap Frio in Brasilien „The later in some parts covered the surface with a brushwood only a few inches high. In walking across these thick beds of mimosae a bread track was marked by the change of shade produced by the drooping of their sensitive petioles.“ $ 4. Die Wasserökonomie von Mimosa. Für die Biologie von Mimosa wichtig ist die Tatsache, daß sie ein sehr stark entwickeltes Wurzelsystem besitzt. Das zeigte z. B. eine m Wasserkultur gezogene nicht besonders kräftige Pflanze. Das Frischgewicht der ganzen Pflanze betrug: 59,45 g, das Sproßsystem wog: 36,35 g, die Wurzel: 23,1 Trockengewicht der ganzen Pflanze 13, 24 g (77,7 °j, Wasser) Es des Sproßsystems 10, 63 8 der Wurzel 2.69 g (88,7 9%, u Asche, Sproß 0,62 (5,7 °/, der Trockensubstanz) Wurzel 0, 34 g 22) A3,7% 4 ). Eine Transpirationsbestimmung ae Wägung ergab: an einem be- wölkten regnerischen Tag bei 75 °/, rel. Luftfeuchtigkeit in einer Stunde (3215 —4"15) 2,45 g Gewichtsverlust (= fast 7 °/, des Frischgewichts des Sprosses). An einem sonnigen Tag (aber teilweiser Bewölkung) bei 61 °,, rel. Luftfeuchtigkeit in einer halben Stunde 3?2—3+32 4,25 g — in einer Stunde also 8,5 g oder über 23 °/, des Frischgewichtes — also eine sehr beträchtliche W asserabgabe, die aber leicht durch das umfangreiche Wurzel- system gedeckt werden kann. Dieses macht auch verständlich. daß die Pflanze an trockenen Standorten wachsen kann. Die Wirkung der Reiz- stellung der Blätter auf die Transpiration wurde durch Ablesung am Potometer bestimmt. Wie zu erwarten war, ergab sich stets eine Ver: minderung von freilich ungleichem Betrag. Die Zahlen geben cm-Teil- striche der Glasröhre in 5 Minuten an: V. 16. 3-5" Nachm. Temp. 34° ungereizt 29,5 gereizt 24,5 j 25,8 Er a 29,5 er Transpirationsverminderung im Mittel 30 ®, ) CH. Darwıs, A naturalists voyages etc. p. 25. ®) Wodurch der auffallend hohe asealt der Wurzel bedingt ist, vermag ich nicht zu sagen. Die Sensitiven. 391 Noch bedeutender war der Ausschlag als eine Pflanze aus dem Schatten (Temp. 32°) in die Sonne gebracht wurde. Im Schatten war ‚die Transpiration 26,5, in der Sonne 42, in der Sonne gereizt 22,1 — also eine Transpirationsverminderung auf fast 50 %,. Diese Bestimmungen (deren Zahl ja hätte bedeutend größer sein sollen) wurden nicht unternommen um den Wasserhaushalt der Pflanze festzustellen, sondern nur, um Anhaltspunkte für eine Vor- stellung über den Einfluß der seismonastischen Bewegungen auf die Lebensvorgänge von Mimosa zu gewinnen. Der Schluß der Blätter ist nur ein kurz andauernder. Aber wenn die Reizung sich oft wiederholt, so kann sie, wie gezeigt werden soll, doch das ganze Wachstum der Pflanze erheblich beeinflussen. Dabei kommt nicht nur die Transpiration, sondern auch die Assimilation in Betracht — aber erstere wohl in über- wiegendem Maße. Zur genaueren Prüfung wurde folgende Versuchsreihe durchgeführt. Fig. 209. Zwei ursprünglich gleich große Pflanzen von Mimosa pudica nach drei Wochen Rechts täglich 12 mal gereizt, links ungereizt. (Verkl.) 24 gleich große und kräftige Keimpflanzen wurden am 6. Juni 1913 in zwei Gruppen geteilt, die in derselben Erdmischung, in gleich großen Töpfen, in demselben Gewächshaus nebeneinanderstehend, soweit irgend- möglich denselben, äußeren Bedingungen ausgesetzt waren. Die eine Gruppe wurde von 6" morgens bis 6% abends jede Stunde einmal gereizt, so daß Schluß sämtlicher Blätter eintrat. Bei der anderen Gruppe fand eine 'absichtliche Reizung nicht statt — gelegentlich beim Gießen usw. sind jedenfalls Reizungen erfolgt, wie auch manchmal die Reizung der ersten Gruppe, die der Verf. nicht immer überwachen konnte, ausgeblieben sein .mag. '_ Das Ergebnis war jedenfalls schon nach drei Wochen ein sehr auf- fallendes: die nicht gereizten Pflanzen (UG) waren be- -trächtlich größer als die gereizten (G) (Fig. 209). Zur näheren Feststellung wurde die Länge der Sproßachsen gemessen und die Zahl der entfalteten Blätter festgestellt. Beides ist nicht ganz genau möglich ; die Längenmessung wegen der Blätter, welche die Endknospe bilden und däs Sproßende einhüllen, die Blattzahl, weil zwischen entfalteten und un- 392 Neunter Abschnitt: entfalteten alle Übergänge bestehen 1). Indes kommen, wie das folgende zeigen wird, beide Fehlerquellen nicht in Betracht, weil sie am ‚End- ergebnis nichts ändern. Länge der Sproßachsen nach drei Wochen: & UG. #27 8 * 31 8,5 2 7.4 2,2 6,5 2 4,5 2,3 4,5 3 52 1,8 10,2 2,7 5,5 2,8 5 2,9 8,5 2,5 7,2 30,0 81,0 Es war also die Gesamtlänge der ungereizten Sprosse fast mal (2,7 mal) so groß wie die der ungereizten. Dagegen war die Zahl der entfalteten Blätter bei beiden dieselbe (69 und 68) — die geringe Verschiedenheit liest, wie oben erwähnt, inner- halb der Fehlerquelle. Die mit * bezeichneten Pflanzen der G-Reihe hatten basale Seiten- sprosse mit horizontaler Wachstumsrichtung angelegt. Es ist das eine Erscheinung, die später noch auffallender sich zeigte. Sie ist offenbar korrelativ bedingt durch die Hemmung des Längenwachstums, welche in der G-Reihe so stark hervortrat. Die Ng-Reihe zeigte zu dieser Zeit noch keinerlei Seitensprosse. Gegen Ende Juli (24. VII) zeigte sich, daß die Blütenbildung bei den ungereizten (UG) früher eintrat als bei den gereizten, was auf der Nichtstörung der Assimilationstätigkeit beruhen dürfte. Die Pflanzen waren zu dieser Zeit alle verzweigt, aber in sehr ungleichem Maße. Die Hauptsprosse waren bei @ durchschnittlich etwas über 14 cm, bei UG 39 cm lang (1:2,8). Das Verhältnis der Haupt- zu den Seitensprossen war bei @ 1:1,4, bei UG 1:0,8. Die Förderung der Seitensprosse bei @ ist also hier auf- fallend hervorgetreten. Die Gesamtlänge aller Sprosse (also Haupt- und Seitensprosse zusammengerechnet) betrug: G 402, UG 716,5, also 1:1,9. Es ist für die Gereizten also etwas weniger ungünstig als am Anfang. Das dürfte darauf beruhen 1. daß im Laufe der Entwicklung das W.urzel- system im Verhältnis zum oberirdischen Teile der Pflanze stärker als am Anfang sich ausbildet, wobei da die Töpfe dieselben bleiben, die UG ver- hältnismäßig im Nachteil sind; 2. daß die horizontal wachsenden Sprosse von der öfteren Reizung weniger stark beeinflußt werden als die aufrecht wachsenden. Immerhin überwiegen die Ungereizten die Gereizten noch fast um das doppelte. !) Erstere wurden allein gezählt, weil es uumöglich ist, die unentfalteten sicher abzuschätzen Er Kt; 2 “ 4 5 Die Sensitiven. ; 393 Am 9. August wurde der Versuch abgebrochen, da die Pflanzen jetzt fast alle blühten. Es ergab sich, daß die Zahl der entfalteten Blätter auch jetzt bei beiden Gruppen beinahe dieselbe geblieben war: G 292, UG 286 — der Unterschied liegt bei 24 Pflanzen auch hier noch innerhalb der wahr- scheinlichen Fehler bzw. der Unsicherheit beim Zählen, denn es waren an den unteren Teilen der Pflanzen schon einzelne Blätter abgefallen, von denen eines oder das andere bei der Zählung übersehen worden sein konnte. Die Blätter von UG waren größer als die von @. Die Gesamt- länge der Hauptsprosse (H) und der Seitensprosse (S) betrug: H S G 296 UG 719 (1:2,4) G 495 UG 808 1:1,7 (resamtlänge: G 791 UG1527—=1:198. ‘ - Der Unterschied wäre bei im freien Grunde stehenden Pflanzen sicher noch bedeutender gewesen als bei den in Töpfen stehenden. Die größeren (UG) mußten (wie oben erwähnt) dabei durch die Hemmung ihres "Wurzel- "systems verhältnismäßig mehr leiden als die kleinen. Am 10. August wurden die Pflanzen aus der Erde genommen, die Wurzeln abgewaschen und mit Filtrierpapier von dem anhängenden Wasser befreit. Das Frischgewicht betrug bei G@ 198g, bei VG 288,8 g, also 1:31:45, | Trockengewicht & 3l, Ira 55,45 1 31,58 Asche G 322 2, UG 425 —=1:1,32 Asche in °/, der Trockensubstanz G 10, 93, UG 13,30 Es war also der Aschengehalt der gereizten Pflanzen um 2,4 '/, niedriger als der ungereizten, was mit dafür spricht, daß das Zurück- bleiben der ungereizten Pflanzen in erster Linie auf einer Störung der 'Wasserbewegung beruht — die anderen oben angeführten Verschieden- heiten sind sekundäre Folgen davon. So das Kleinerbleiben der Blätter, die Verminderung des Trockengewichtes, das relative Uberwiegen der Seitenachsen. Es wurde ja auch nachgewiesen, daß die Transpiration in- folge der Reizung sinkt und zudem kommt auch bei der Reizung eine Wasserverschiebung (die die normale stören kann) in Betracht. In zweiter - Linie wird, wie schon erwähnt, auch die zeitweilige Verminderung der Assimilationstätigkeit infolge der Reizung auf das Zurückbleiben der Pflanzen einwirken können !). Der Versuch zeigte also, daß täglich 12 mal gereizte Pflanzen be- trächtlich hinter den ungereizten (bzw. nur zufällig gereizten) zurückbleiben. Man kann daraus natürlich nicht schließen, daß die seismonastische Reiz- barkeit bei wildwachsenden Pflanzen ebenso nachteilig wirke wie in dem geschilderten Versuch. Einerseits kann man die Zahl der im Versuche angewanden täglichen Reizungen als eine über das normale Maß hinaus- gehende betrachten, andererseits könnten ja die Reizbewegungen in der freien Natur einen Erfolg gehabt haben, dessen Nutzen den Schaden über- wiegt (Abwehr von Tieren usw.). Das alles ist ohne weiteres zuzugeben. Aber sicher treten auch im Vaterlande zahllose nutzlose Reizungen bei den Mimosen auf. Merkwürdigerweise hat, wie es scheint, niemand be- ı) Nimmt man an, daß die gereizten Blätter 5 Minuten geschlossen bleiben, so wird bei 12maliger Reizung sich schon ein Blattschluß von 1 Stunde täglich ergeben, der jedenfalls eine Verminderung der C-Assimilation bedingt. Außerdem ist natürlich _ der Energieaufwand für die Bewegungen zu Besizenen: 394 Neunter Abschnitt: achtet, daß diese für die Pflanze auch Nachteile mit sich führen. Man hat immer nur gefragt, inwiefern die seismonastischen Bewegungen vor- teilhaft sein könnten. So lange aber nicht ein bestimmter Nutzen der seismonastischen Reizbarkeit erwiesen ist, ist auch die Auffassung zulässig, daß die Reizbewegungen an sich nutzlos, und wenn sie oft wiederholt eintreten, sogar nachteilig sind, daß aber eine ‘rasch : wachsende und kräftig sich ernährende Pflanze wie Mimosa pudica, auch sich diese. „über- triebene“ Reizbarkeit ohne allzugroßen Schaden leisten kann. | Eine prinzipiell teleologische Betrachtung könnte auch dann, wenn man die Reizbewegung an sich nicht als Anpassung betrachtet gelten läßt, doch einen Nutzen davon darin sehen, daß .durch- wiederholte. Reiz- bewegungen, wie oben nachgewiesen wurde, die Bildung niederliegender Seitensprosse gefördert wird, welche in Trockenperioden weniger starke Wasserdampfabgabe aufweisen werden als die Hauptsprosse'). Darauf einzugehen scheint nicht erforderlich. Von Interesse aber wäre es, zu prüfen, ob nicht dasselbe Ergebnis überhaupt dann eintritt, wenn die Wasserversorgung eine einigermaßen schwierige wird, also z. B.”bei starker 'Transpiration, trockenem Boden usw. die Bildung niederliegender Seiten- sprosse begünstigt wird. Eine Gewöhnung an den Reiz, derart, daß die Blätter sich auch bei dessen Ausbleiben geschlossen hätten, trat nicht ein. Wohl aber zeigten die G-Pflanzen abends „Ermüdungserscheinungen“, d.h. waren weniger reizbar als am Morgen. Daß Mimosa pudica, abgesehen von den „Schlafbewegungen und den durch Verletzungen, Chemikalien usw. hervorgerufenen, auch ander- weitig reizbar ist, wird zwar in der älteren, oft aber nicht in der neueren Literatur die allein den Mechanismus der seismonastischen Bewegung zu besprechen pflegt — angegeben. Tatsächlich ist Mimosa. photonastisch, thermo- und hygronastisch reizbar, aber in viel geringerem Grade als andere Sensitiven, z. B. Biophytum oder Phyllanthus. Es wird also bei den Sensitiven die verschiedene Reizbarkeit durchaus nicht gleichartig entwickelt, ein stark seismonastisches Blatt kann viel weniger photonastisch, hygronastisch usw. reizbar sein, als ein schwach seismonastisch reizbares. T'hermonastische Reizbewegungen durch erhöhte Temperatur wurden schon von Rog. HookE beobachtet. HOoFMEISTER erwähnt, daß eine Senkung der Blätter und Erhebung der Finderblättchen schon eintritt, wenn ein 'erwärmtes (nicht heißes) Stück Metall dem Blatte genähbert wird. FEE gibt an, daß Begießen mit sehr kaltem Wasser zur Reizbewegung führe. Ich erhielt dabei meist keine Reaktion, das Wasser wurde durch Einlegen von Eisstückchen auf 1° abgekühlt. Als dagegen eine Mimose 10 cm von einem Eisblock in eine Glaswanne gestellt wurde, zeigte (bei einer Temperatur des Raumes von 32°) nach wenig mehr als ’/, Minute das dem Eisblock nächste Blatt Reizstellung. Die Temperatur in unmittel- barer Nähe der Pflanze betrug (nach längerem Hängen des T'hermo- meters) 15°. Daß Mimosa durch starke Beleuchtung zum Zusammenschlagen | der Blattfiedern gebracht werden kann, ist von SIGWART u. a. hervor- < I I) Sacns, Vorles. über Pflanzenphysiologie-2. Aufl. p. 673 (1887) sagt: „Im freien Lande, zumal bei starkem Sonnenschein wachsend, bildet sie mehrere kräftige, oft 60 bis SO cm lange Laubsprosse, welche auf der Erde hingestreckt liegen; im Zimmer da- gegen, d. h. bei schwächerer Beleuchtung, wächst der Hauptsproß aufrecht und nur einige untere Seitensprosse ragen schief hinaus“. Hier kommen aber viel verwickeltere Verhältnisse in Betracht als bei Pflanzen, die unter gleichen äußeren Bedingungen wachsen. Die Sensitiven. 39 gehoben worden. Ich erhielt auch bei „schlafenden“ Pflanzen, die stark be- leuchtet wurden, Senkung des Blattstiels. Doch tritt diese photonastische Reizbarkeit in der freien Natur meist nicht hervor — offenbar findet eine Reizung nur bei plötzlicher starker Lichteinwirkung statt oder wenn ein hygronastischer und ein photonastischer Reiz zusammen einwirken. Das trat in meinem „Sensitivenhaus“ !) deutlich hervor. Wenn ich an einem sonnigen Tage die Schattendecke entfernte, so erhoben sich die Fiederblättchen an den ausgepflanzten Mimosen nur wenig. An denen, die in Töpfen standen dagegen schlossen sich die Blättchen fast oder ganz vollständig’). Letztere Pflanzen waren natürlich viel weniger mit Wasser versorgt als erstere. Übrigens scheint es mir wahrschemlich, daß es sich bei dem sog. „Tagesschlaf“ nicht um eine direkte Wirkung des Lichtes auf die Gelenkpolster, sondern um eine indirekte, durch Transpirations- steigerung bedingte, handelt. Daß Mimosa hygronastisch reizbar ist, ergibt sich schon aus der oben angeführten Bemerkung von R. Hooke. Aber die hygronastische Reiz- barkeit ist eine viel geringere als die mancher ÖOxalideen, Phyllanthus- Arten u.a. Mimosen, die unter Glasglocken gehalten wurden, zeigten bei deren Abnahme gewöhnlich höchstens eine schwache Aufrichtung der Fiedern ®). Es ist anzunehmen, daß solche Pflanzen, die sich dauernd in einer wasserdampfreichen Atmosphäre befanden, hygronastisch reizbarer sein werden als andere. Auch bei diesen führte das Verbringen in trockene Luft dann be- sonders einen Schluß der Fiederblättchen herbei, wenn die Wasserauf- nahme durch die Wurzeln stark herabgesetzt war, also trockener Boden und trockene Luft zusammenwirkten. Eine aktive Senkung des Blattstieles aber wurde auch unter diesen Umständen nicht beobachtet, da das Gelenkpolster schlaff geworden war. Wenn man eine solche Mimose begießt, so tritt eine Offnungsbewegung der ‚Fieder bei sonst gleichbleibenden Belichtungs- und Temperatur- verhältnissen ein. Es sei folgendes Beispiel angeführt. Eine junge Pflanze zeigte die drei untersten Blätter geschlossen, bei den nächst oberen waren die Fiedern etwas aufgerichtet, aber nicht geschlossen. 3°54 wurde be- gossen. Das vierte Blatt zeigte infolgedessen nach 7 Minuten an den Spitzen der beiden Fiedern Schluß der Fiederblättchen, der aber bald vorüberging. Die zwei nächst unteren Blätter zeigten eine langsame, in einer Stunde noch nicht ganz zu Ende geführte Offnungsbewegung, das unterste war auch nach einer Stunde noch geschlossen. Offenbar war es schon wenig beweglich geworden. Erst nach einer weiteren Stunde waren die Fiedern geöffnet, obwohl es unterdes nahe an „Schlafenszeit“ für Mimosa geworden war. Es wird unten nachzuweisen sein, daß, was bisher merkwürdigerweise übersehen wurde, bei trocken gehaltenen Mimosen, deren Blätter noch geöffnet sind, das Begießen allein die Blattbewegung auslöst. Hier ist das nur im Zusammenhang mit der Besprechung der hygronastischen Be- wegung zu erwähnen. ?) Einem nach Süden gelegenen kleinen Gewächshaus, in welchem die frei in ein Beet ausgepflanzten Sensitiven im Sommer ohne Heizung vortrefilich wuchsen. 2) Ebenso trat an troeken gehaltenen Pflanzen die nyktinastische Bewegung früher ein als an daneben stehenden feucht gehaltenen I 3) Auch Pre£rrer sagt: „An recht empfindlichen Objekten verursacht aber das Übertragen aus einer dampfgesättigten Atmosphäre in eine an Wasserdampf ärmere Luft häufig eine Reizung (Prerrer, Über Fortpflanzung des Reizes bei Mimosa. Jahrb. f. w. Botanik IX (1873) p. 316 Anm. 2). r ; - R 396 Neunter Abschnitt: N ‚ Wenn man sich fragt, ob die thermo, photo-!) und hygronastischen Bewegungen bei Mimosa pudica etwa als vorteilhafte Erwerbungen im Kampf ums Dasein betrachtet werden können, so wird es wohl kaum jemand geben, der diese Frage bejahen wird. Man wird zwar nicht in Abrede stellen, daß z. B. die Fähigkeit die Fiedern infolge der Einwirkung Se von starker Insolation und Trockenheit des Bodens zu schließen eine i Herabsetzung der Transpiration bedingen wird. Aber einerseits dürfte i das in der freien Natur nur selten vorkommen, andererseits ist wichtiger RE als diese Bewegung die starke Entwicklung des Wurzelsystems, vielleicht auch dessen Fähigkeit, aus verhältnismäßig trockenem Boden noch Wasser 7 zu entnehmen. Welchen Nutzen sollte es aber haben, wenn die vorher schwach beleuchteten Blätter sich bei plötzlicher starker Beleuchtung schließen, während z. B. „Tagesschlaf“, d. h. Profilstellung der Blätter wie er bei anderen Sensitiven vorkommt, bei Mimosa pudica — meines Wissens an den natürlichen Standorten noch nicht beobachtet worden ist. Und welchen Nutzen sollte die chemonastische Reizbarkeit haben, die X in der freien Natur überhaupt nicht in Bewegung gesetzt wird, sondern ' 2: nur eine im Laboratorium verwirklichte ist. Man’ wird zunächst nur sagen können, daß diese Sensitive eine Anzahl von „Potenzen“ besitzt, die ihr nicht wohl angezüchtet sein können. Das wird auch aus dem folgenden | hervorgehen. S 6. Einige Bemerkungen über Reizleitung bei Mimosa. Die schon durch R. HookE erkannte rasch verlaufende Reizfort- leitung bei Mimosa hat ohne Zweifel viel dazu beigetragen, daß man den Reizbewegungen dieser Pflanze „Ziel und Zweck“ zuschrieb. Denn wenn { die Reaktion auf einen Reiz sich nicht auf das diesem unmittelbar aus- gesetzte Organ beschränkt, sondern auch bei nicht direkt gereizten auftritt, so, lag es nahe, darin eine Bestätigung der Ansicht zu sehen, daß es sich bei den Reizbewegungen um etwas für die Pflanze besonders bedeutsames handeln müsse. Es ist deshalb die Reizfortleitung auch für unsere Frage- stellung wichtig, Wie seit mehr als 200 Jahren bekannt ist, trıtt sie besonders auffallend nach Verletzungen hervor. Aber sie ist keineswegs auf diese beschränkt. | Es ist zwar — auch in neuerer Zeit — angegeben worden, eine Reiz- fortpflanzung finde bei der seismonastischen Reizung nicht statt. Eine solche Angabe beruht aber nur auf unvollständiger Beobachtung an wenig stark reizbaren Pflanzen. Hat man gut reizbare vor sich, so überzeugt man sich leicht, daß der Erschütterungsreiz von der Spitze einer Blattfieder aus weiter geleitet wird.?) Wenn das, wie lange bekannt ist, bei weniger stark reizbaren Pflanzen beim Verwundungsreiz leichter hervortritt, so gschieht das, weil dieser stärker einwirkt als der durch Berührung bedingte Erschütterungsreiz. Diese Reizleitung hat dann wohl mit zur weitern Verbreitung der Tierschutzhypothese beigetragen. Aber eine Reizfortleitung findet auch statt, wo diese Hypothese versagt, nämlich von den Wurzeln aus. Man könnte zwar annehmen, die bekannte Tatsache, daß durch die Bewegungen eines Pferdes Mimosen durch die Bodenerschütterung in !) Von den „Schlafbewegungen“, die besonders besprochen werden sollen, sehen wir hier ab. ?2) Auch an weniger stark reizbaren Pflanzen kann man ohne Verletzung oder An- sengung die Reizfortleitung zeigen, wenn man die beiden Endblättchen einer Fieder ’ zwischen Daumen und Zeigefinger zusammenbiegt. . j — =“ Die Sensitiven. 397 ziemlicher Entfernung gereizt werden können, beruhe auf einer Reizbarkeit der Wurzeln und diese könne die Pflanze nach den oben kurz dargelegten Vermutungen vor Tieren schützen. Aber zweifellos wird durch die Boden- erschütterung auch der oberirdische Teil der Pflanze in Erschütterung versetzt, was zur Reizung vollständig ausreicht. Die Wurzeln von Mimosa zeigen denselben unangenehmen Geruch wie z. B. die von einigen Albizzia-Arten. Es ist möglich, daß sie darin einen Schutz gegen Verletzung durch Tiere haben. Die Tatsache, daß eine Verletzung der Wurzeln zu einer Reizbewegung der Blätter führt, aber ist jedenfalls von besonderem Interesse. Nachgewiesen wurde sie schon durch DUTROocHET, welcher durch be- sießen der Pflanzen mit Schwefelsäure, welche die Wurzeln selbstverständ- lich stark verletzte sofortige Reizbewegung der Blätter hervorrief. Borzı!) erreichte dasselbe durch Abschneiden oder Zusammendrücken stärkerer Wurzeln in einer Nährstofflösung-Kultur. Der Reiz wurde in 3—5 Minuten auf eine Strecke von 15—20 cm weitergeleitet. HABERLANDT ?) konnte eine Reizung nur bei Durchschneiden der Hauptwurzel erzielen, welche die von ihm als Reizleitungszellen betrachteten Schläuche enthalten. Die Frage, ob nur die Hauptwurzel imstande ist, bei Verletzung den Wundreiz weiterzuleiten, bedarf wohl noch weiterer Untersuchung. Bei uns handelt es sich vor allem darum, ob diese Fähig- keit der Wurzel eine für die Pflanze bedeutungsvolle oder gleichgiltige ist. Meiner Ansicht nach ist sie, wenn man von der Annahme, es handle sich bei den Blattbewegungen um Schutzvorrichtungen, ausgeht, nicht ohne Hilfshypothesen verständlich. Was sollte es der Pflanze nützen, wenn eine Verletzung der Hauptwurzel eine Reizbewegung der Blätter auslöst ? Und weshalb sollten gerade bei Mimosa®) Wurzelverletzungen auftreten ? Ein Nutzen auf dem Boden der üblichen Schutzdeutungen ist nicht ab- zusehen. Daß die Reizleitungsfähigkeit der Wurzeln nach anderer Richtung von Bedeutung sein könnte, z. B. für den Ausgleich elektrischer Spannungen, ist natürlich denkbar. Borzı benutzt die Reizleitungsfähigkeit der Wurzeln um gegen HABER- LANvT’s Annahme, die Reizleitung im Sprosse erfolge in besonderen gerb- stoffreichen Schläuchen der Rinde, Einspruch zu erheben. Diese fehlen, wie er glaubte, in den Wurzeln, während HABERLANDT sie in den Haupt- wurzeln nachweisen konnte. Es ist hier nicht der Ort, auf diese physio- - logische Frage einzugehen. Erwähnt sei nur folgendes: Mimosa pudica ist auch — unter Vermeidung jeder Erschütterung — reizbar durch Biegung der Sproßachsen. Diese, für die Frage nach der Reizfortflanzung bedeutsame Tatsache scheint bisher übersehen worden zu sein. Wenn man längere Sprosse zur Verfügung hat, so ist es nicht allzuschwer, sie mit einiger Vorsicht ohne Berührung von Blättern und ohne Erschütterung zu biegen. Ist die Pilanze- einigermaßen reizbar, so sah ich dann sofort Reizbewegung der Blätter eintreten und zwar zuerst auf der Konvexseite des ge- bogenen Stengels. Die Veranlassung des Versuches war die Erwägung, daß bei Biegung” eines gereizten Gelenkes auch das Leitbündel gebogen *) A. Borzı, L’apparato di moto delle Sensitive. Rivista di seienze biologiche IV 1899. 2): "HABERLANDT, Physiolog. Pflanzenanatomie 5. Aufl p. 606. Da nicht alle Wurzeln gleich stark traumatonastisch reizbar sind. ist es verständlich, daß Dassex die Reizleitung durch die Wurzeln ganz in Abrede stellen-konnte. ?) Bezüglich Euyaangiıe vgl. die Ausführungen in „Rumphiusphänomen“, 398 Neunter Abschnitt: wird und dadurch eine Spannung der in den Leitbündeln vorhandenen Wasserfäden zustandekommen könne. Ob diese unmittelbar oder durch die mit der Spannung eintretende Erzeugung (bzw. Verstärkung) elektrischer Ströme wirkt, bleibt dahingestellt. Gegen diese Vorstellung läßt sich einwenden, daß bei der Biegung ja auch das Rindengewebe beeinflußt werde, in welchem (nach HABErLAnDT's Auffassung) reizleitende Zellen vorhanden sein sollen. Es wurde deshalb die Rinde vollständig abgeschält und abgeschabt (was nachher durch mikroskopische Untersuchung festgestellt wurde), und der Sproß, unten festgehalten, so gebogen, daß nur die geschälte Stelle für die Biegung in Betracht kam. Auch dann erfolgte Reizung. Wenn man dazu den bekannten alten Versuch nimmt, der zeigt, daß an einem festgehaltenen Sproß, in welchem man mit einem scharfen Messer unter Vermeidung von Erschütterung einen Einschnitt macht, die Reizung erfolgt, sobald das Messer in den Holzkörper eindringt (und dadurch eine Wasser- verschiebung veranlaßt), so wird man nicht daran zweifeln können, daß jede Wasserbewegung in den Leitungsbahnen als Reiz wirkt. So konnte ich auch eine Reizbewegung herbeiführen durch Anziehen einer Klemm- schraube an einer entrindeten Sproßstelle und deren Anbrennen. Der Versuch gelingt nicht immer, wurde aber oft ausgeführt. Die Fortleitung des Reizes erfolgte dabei gewöhnlich nur nach oben, manchmal auch nach unten. Sie erfolgte zuweilen recht rasch (25 cm in einer Minute). Eine Reizfortleitung über die Schälstelle erfolgte auch, wenn unterhalb dieser die Rinde angebrannt wurde. Ist die Schälstelle aber geklemmt, so scheint ein unter ihr angebrachter Reiz nur schwer über sie weggeleitet zu werden. Die lebenden Zellen des Holzkörpers für diese Reaktionen verantwortlich zu machen scheint mir nicht tunlich, weil bewiesen ist, daß der Reiz auch über abgebrühte Stellen hingeleitet wird. Diese Wahrnehmungen sprechen meiner Ansicht nach durchaus für die alte Anschauung, daß der Reiz durch eine Wasserverschiebung in den Gefäßbahnen fortgeleitet‘ wird. HABERLANDT's Annahme eines im „Leptom“ vorhandenen spezifischen (durch Schlauchzellen gebildeten) Reiz- leitungssystemes halte ich ebensowenig wie andere Autoren für zutreffend '). Die aus diesen Zellen beim Anschneiden hervortretende Flüssigkeit dürfte vielmehr für die Reizfortleitung nicht in Betracht kommen. Die angeführten Erfahrungen gaben Veranlassung zu der Vermutung, daß eine rasche Wasserverschiebung auch ohne Biegung die Reiz- bewegung auslösen könne. Um diese Vermutung zu prüfen, ließ ich die Erde in Mimosatöpfen stark austrocknen, so, daß noch kein Schluß der Blätter eintrat. Dann wurde mit Wasser, dessen Temperatur mit der des Raumes, in welchem die Töpfe standen, übereinstimmte, so begossen, daß dabei jede Erschütterung und jede Berührung eines Blattes sorgfältig _ vermieden wurde. Die untersten Blätter wurden deshalb am Tage vorher (soweit dies nötig war) entfernt. Es zeigte sich, daß die Vermutung richtig war, denn in zahlreichen Fällen trat infolge des Begießens Hebung oder Schluß der Blattfiedern ein — teils vollständig an einem Blatte, teils stellenweise. Die Reihenfolge war nicht immer gleich. Zuweilen war sie die, daß die untersten Blätter damit begannen, die oberen nachfolgten. Doch fehlte es nicht an zahlreichen Ausnahmen, z. B. schlossen sich die terminalen Fiederblättchen eines höherstehenden Blattes, ohne daß eines 1) Vgl. K. Linspauer, Zur Kenntnis der Reizleitungsbahnen bei Mimosa pudica. Ber. der. d. bot. Gesellsch. XXXII (1914) p. 601. Die Sensitiven. 399 der unteren eine Bewegung zeigte, oder es trat diese erst später ein. Als Regel wüßte ich nur anzugeben, daß die Schließbewegung an der Spitze der Blattfiedern begann und nach der Basis — meist sehr rasch, etwa wie beim Ansengen — fortschritt, entweder ganz, oder sie blieb z. B. in der Mitte des Blattes stehen. Oft schließen sich hintereinander drei Fiedern des Blattes, die vierte bleibt offen oder folgt erst später. | Die Verschiedenheiten hängen wohl meist damit zusammen, daß die Blättchen ungleich empfindlich sind. Im allgemeinen sind die apikalen, als die jüngsten wohl die reizbarsten. Selten sieht man das Zusammen- klappen nicht an der Spitze, sondern an einem andern Teil der Blattfieder auftreten. Man bemerkt auch bei mechanischen Reizungen häufig, daß einzelne Fiedern übersprungen werden oder träger sich verhalten. Andererseits ist auch die Wurzeltätigkeit, sowie die Wasserleitung in der Sproßachse offenbar nicht immer gleich. Die Wasseraufnahme kann z.B. durch allzustarke Austrocknung, durch ein weniger gut entwickeltes Wurzel- system usw. leiden. An dem durch zahlreiche Beobachtungen festgestellten positiven Ergebnis können also auch gelegentliche „Versager“ nichts ändern. In einem Einzelfall, der als Beispiel herausgegriffen sei, begann die Bewegung 7 !/, Minuten nach dem Begießen und führte an einem Blatt sogar. zur Senkung des Hauptblattstiels. Bei einer anderen Pflanze trat Schluß der Blättchen an der Spitze einer mehrere Zentimeter vom Boden entfernten Fieder schon nach 2 Minuten ein (bei 35°). Bei einer daneben stehenden senkten sich nach dem Begießen rasch die vier untersten Blätter. An zwei weiter nach oben stehenden legten sich die Fiedern zum Teil zusammen, zum Teil hoben sie sich nur. Die Gegenbewegung setzt dann meist rasch ein. Das Bild ist also kein einheitliches, die Tatsache selbst aber ist sicher. Es ist merkwürdig, daß man bei der viel untersuchten Pflanze die „Reiz- barkeit durch Begießen“ bis jetzt übersehen hat. Daß es sich um eine Reizung durch Wasserverschiebung (bzw. das dadurch bedingte elektrische Potential) handelt, geht, wie mir scheint, aus dem ganzen Sachverhalt hervor. Man kann auch unmittelbar durch Turgor- steigerung Bewegungen hervorrufen. Bei einer Pflanze von Phyllanthus urinaria, die in Schlafstellung übergegangen war, wurden einem Kurztrieb alle Blätter bis auf Eines genommen. Dieses zeigte nach 5 Minuten eine deutliche Offnungsbewegung, schloß sich dann aber wieder. Pflanzen der- selben Art, die in Schlafstellung unter eine Glasglocke mit feuchter Luft gebracht wurden, zeigten nach kurzer Zeit eine rasch verlaufende, aber bald zurückgehende ÖOffnungsbewegung. Trocken gehaltene, schon in Schlafstellung übergegangene junge Mimosa-Pflanzen, konnten durch Be- gießen nicht zur Offnung der Blätter veranlaßt werden, wohl aber trat gelegentlich Senkung eines Blattstiels ein — Tatsachen, die, wie mir scheint, weiter dafür sprechen, daß es sich bei der Reizbewegung infolge von Begießen um eine Reizleitung, nicht um eine unmittelbare Beeinflussung der Gelenkpolster durch starke Wasseraufnahme der einen Seite handelt. Uberraschend war mir die Erfahrung, daß Mimosa pudica imstande ist einen Aerenchymmantel zu bilden, der hinter dem für Neptunia bekannten an Dicke kaum zurückbleibt. Versenkt man eine Pflanze so in Wasser, daß die Basis des Stämmchens davon bedeckt ist, so wird diese bald weißlich — das erste Anzeichen der Bildung des „Luftgewebes“. Es bildet sich ein dicker Mantel davon in dem von Wasser bedeckten Stamm- tel. Aber auch über diesen hinauf erstreckt sich die Aerenchymbildung, 400 Neunter Absehnitt: wie das früher auch von anderen Pflanzen beschrieben wurde). Bald brachen auch Adventivwurzeln aus dem unteren Teil des Stammes hervor und die im Topf befindlichen Wurzeln wuchsen über die (von Wasser bedeckte) Erdoberfläche hervor — kurz, Mimosa pudica verhält sich unter diesen Umständen wie eine echte Sumpfpflanze. Ob sie von dieser Be- fähigung wohl an ihrem natürlichen Standort Gebrauch macht? Möglich ist das schon, da ja die Savannen, auf denen sie wächst, in der Regenzeit oft überschwemmt sind. Aber auch darüber sind wir bis jetzt nicht unter- richtet. Es ist ja auch möglich, daß M. pudica eine Fähigkeit, die bei verwandten Formen sich so auffallend äußert, in für gewöhnlich „latentem“ Zustand besitzt. Jedenfalls leidet die seismonastische Reizbarkeit von M. pudica nicht im geringsten, wenn man sie als Sumpfpflanze kultiviert, ob- wohl das gewiß nicht ihren gewöhnlichen Standortsverhältnissen entspricht. SCHENCK ?), welcher die Verbreitung der Aerenchymbildung untersucht hat, führt nur eine Mimosa. M. cinerea als Aerenchymbildner an. Das ist aber „ein am Rande von Tümpeln oder auf sumpfigen Wiesen kriechender kleiner Strauch“ (a. a. O.p. 534), bei welchem diese Befähigung weniger verwunderlich ist als bei einer Savannenpflanze wie M. pudica. Deren „Potenz“ Aerenchym zu bilden ist — soweit das derzeit sich beurteilen läßt — eine solche, von der die Pflanze unter ihren gewöhn- lichen Lebensbedingungen keinen Gebrauch macht — ebenso wie das mit den oben kurz erörterten nastischen Reizbewegungen der Fall ist. - Die Frage ist nun, ob die seismonastischen Reizbewegungen ein „Ziel und einen Zweck“ erkennen lassen ? S 7. Die teleologischen Deutungen der seismonastischen Reiz- bewegungen. Die Deutung der Reizbewegungen war, wie aus den geschichtlichen Darlegungen hervorgeht, ursprünglich eine „psychologische“, d. h. eine eng anthropomorphistische, man betrachtet seismonastisch reizbare Pflanzen als „schamhafte“, „keusche“ oder „scheue“ und ließ solche mit Schlaf- bewegungen diese ausführen aus Trauer über den, Untergang der Sonne, oder faßte den Vorgang als ein Altern, den des Offnens am Morgen als ein Wiederaufleben auf. An einen Nutzen der Bewegung für die Pflanze aber haben die älteren Autoren meist nicht gedacht. So gibt z. B. Meven in seinem „Neuen System der Pflanzenphysiologie“ ?) auf Grund eigener Beobachtungen eine eingehende Darstellung der Mimosabewegungen ohne jeden Hirweis auf ihre etwaige Bedeutung für die Pflanze. . Um so mehr haben sich im Laufe des 19. Jahrhunderts. die Er- örterungen gehäuft, welche die seismonastischen Bewegungen der Mimosen als Schutz gegen Tierfraß, Hagel oder Regen zu erweisen suchten. Wer die Annahme von der Bedeutung der seismonastischen Reizbarkeit als Schutz gegen Tierfraß zuerst geäußert hat, vermag ich nicht zu sagen. ‚Jedenfalls ist sie keine ganz neue. Denn schon VAUCHER ?) sagt: „Dans les sensitives, il (— ce mouvement —) est destine a defendre la plante contre la dent des aniımaux“. !) Gorser, Pflanzenphysiologische Schilderungen II (1893) p. 260. 2) H. Schenck, Über das Aerenchym ete. Jahrb. f. wiss. Bot. XX (1889). 3) III, Berlin 1839 p. 516—539. *) VaucHer, Histoire physiol. II (Paris 1841) p. 177. a Re A 1. Die Sensitiven. 401 .. Die Schutzhypothese tritt in verschiedener Gestalt auf: als Abschüttel- und .als Schreckdeutung. a) Abschütteldeutung. PFEFFER u. a. nehmen an, daß kleine Tiere, wie Insekten (oder deren Larven) durch die Reizbewegung der Blätter abgeschüttelt werden können, sei es, daß sie die Reizbewegung durch Erschütterung oder durch Wund- reiz (beim Anfressen des Blattes) verursachen. Aber zunächst müßte festgestellt werden, ob die Mimosen überhaupt solche tierischen Feinde, deren sie sich durch Abschütteln erwehren können, haben. Bis jetzt hat noch niemand kleine Tiere, welche Mimosen fressen würden, nachgewiesen. Die „Abschüttelungshypothese“ unterschätzt auch, wie ich glaube, den festen Halt, welchen Insekten ihre 6 Beine ermöglichen. Ich brachte ein kräftiges Marienkäferchen auf eine Mimose, die so empfind- lich war, daß auch bei Erschütterungsreiz Reizfortpflanzung eintrat. Wenn es über die Blattoberseite lief (angenehmer schien ihm die Blattunterseite zu sein) brachte es die Blattfiedern zur Ausführung der Reizbewegung !). Aber es stürzte durchaus nicht ab, sondern ließ sich mit dem Fieder- blättchen, auf dem es saß, ruhig nach oben hinbringen und lief auf der Kante der zusammengefalteten Fiederblättchen anscheinend ohne besondere Gemütsbewegung weiter ?). Jedenfalls hätte es die Fiederblättchen ruhig abfressen können, wenn es gewollt hätte — bekanntlich zieht es animalische Nahrung vor. Auf den Blattkissen des Hauptblattstiels löste es beim darüberlaufen keine Reizbewegung aus. Selbstverständlich zeigt die Beobachtung nur, daß kleine Käfer durch die Reizbewegung nicht abgeschüttelt zu werden brauchen, sie schließt nicht aus, daß es andere Insekten geben mag, die sich anders verhalten, und man kann gegen den Versuch dasselbe anwenden wie gegen den ‚JOHOW-STAHL’schen Ziegenversuch (s. u.). Aber er bringt doch wenigstens ‚eine, wenn auch nicht entscheidende Beobachtung, während der Ab- schüttelhypothese keine solche, sondern nur der Wunsch einer teleo- logischen Erklärung zugrunde liegt. Es wäre sehr erwünscht zu erfahren, wie Raupen sich zu den Mimosablättern verhalten. zumal angegeben wird, daß von solchen Leguminosen im Amazonengebiet mit Vorliebe gefressen werden?). b) Schreckdeutung. Diese bezieht sich auf größere pflanzenfressende Tiere. Sie tritt auf in verschiedener Ausbildung. Die eine Richtung, vertreten durch Heın- RICHER ®), stellt das durch die seismonastischen Bewegungen veränderte Aussehen der Pflanzen in den Vordergrund. Dieses soll die Tiere ab- schrecken, da die Pflanzen auf einmal kahl und sehr wenig einladend aus- sehen und die Tiere plötzlich sozusagen einem „fraßleeren“ Raume gegen- überstehen. Eine solche Deutung kann nahegelegt werden dort, wo Mi- mosen in größerer Menge zusammen vorkommen. Ich möchte bezweifeln, ' !) Von der Blattunterseite aus fand eine Reizung nicht statt. Konsequente An- hänger der Abschüttelbypothese könnten annehmen, daß die auf der Unterseite der Blattspindel vorhandenen Haare Insekten von dieser Seite abhalten sollen. 2) Dasselbe tat ein anderer kleiner grüner Käfer. Daß dieser schließlich von dem Blatte abflog, ist wohl dadurch bedingt, ‘daß er nichts damit anzufangen wußte. 3) Spruce, Notes of a botanist on the Amazon and Andes. Vol. II p. 364: „Of plants which afford food for caterpillars l,eguminosae hold decidedly the first place...“ Die starke Assimilationstätigkeit der Leguminosen befähigt sie aber offenbar auch ohne Schutz durch seismonastische Reizbewegungen den Raupenfraß auszuhalten. t 4) Vgl. Jost, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie 3. Aufl. p. 691 Anm. 25. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 26 402 Nor Ahreniek daß dies an den natürlichen (nicht vom Menschen veränderten) Stand- orten der Fall ist. Man darf auf diese von den Beobachtungen im tropischen Asien ebenso wenig schließen als von dem Vorkommen unserer Ackerunkräuter auf das an ihren (der Einwirkung des Menschen ent- zogenen) ursprünglichen Standorten. Ba Außerdem zeigen ja Humsoupr’s Mitteilüngen, daß die Sensitiven trotz ihrer Bewegungen auf den Llanos von Pferden und Rindern &e- fressen werden '). X Be Die zweite Art der Schreckdeutung lest mehr Gewicht darauf, dab infolge der Blattbewegungen die Stacheln zur Geltung kommen. Es sei betreffs der Bestachelung auf das p. 588 Gesagte verwiesen und nur noch erwähnt, daß Wautacz?) die Bedeutung der Bestachelung zum Teil als Schutzvorrichtung nicht gegen das Gefressenwerden, sondern gegen die zahllosen Stöße, welche die zarten Pflanzen sonst treffen würden, auf- gefaßt hat. Ä Josow und Stanu haben versucht, die Schreckdeutung durch die Beobachtung zu stützen, daß Ziegen ihnen zur Verfügung gestellte Mimosen nicht fraßen. £ Wie früher hervorgehoben wurde ?), beweisen diese Beobachtungen nichts für den Nutzen der seismonastischen Reizbarkeit der Mimosen unter natürlichen Verhältnissen, denn die Ziegen sind erst durch den Menschen in Südamerika eingeführt, und daß man aus ihrem Verhalten gegenüber den Mimosen keine allgemeinen Schlüsse auf alle Tiere ziehen kann, geht schon aus den öfters erwähnten Angaben Humsoupr's hervor. Es müßte nachgewiesen werden, welche größeren, in Süd- amerika wild vorkommenden Tiere als Verzehrer der Mimosen in Betracht kommen und ob diese sich tatsächlich durch die seismonastischen Blatt- bewegungen abschrecken lassen. Darüber liegen leider keine Beobachtungen _ vor. Diese wären namentlich erwünscht für die kleinen Llanoshirsche. Wenn Humsgoupr’s Angaben, daß die Pferde und Rinder der venezolanischen Ilanos die sensitivren Mimosen mit Vorliebe fressen, richtig ist — und ? (>) = es liegt derzeit kein Grund vor sie zu bezweifeln — so würde übrigens die Schutzbedeutung der seismonastischen Reizbarkeit selbst dann eine nicht sonderlich hoch einzuschätzende sein, wenn wirklich die Llanoshirsche ‘sich den Mimosen gegenüber verhalten würden wie die Ziegen. Denn obwohl die (in Südamerika gleichfalls vom Menschen eingeführten) Pferde und Rinder (welche nach Humsoror die Sensitiven mit Vorliebe fressen und nach manchen Autoren die Bewaldung der Llanos verhindern) in den Llanos zeitweise zur ungeheuren Menge sich vermehrten und gewib sehr viel mehr Nahrung beanspruchten als die kleinen Lilanoshirsche, wachsen die Sensitiven dort noch in großer Menge. — Sie yerdanken das offenbar hauptsächlich ihrer reichlichen Samenbildung, der Fähigkeit, rasch zu wachsen und unter wechselnden äußeren Bedingungen auszudauern. Wir wissen freilich nicht, ob nicht die einzelnen Mimosa-Arten auch von Pferden und Rindern verschieden bewertet werden, derart etwa, daß die, welche vom Fraß am meisten leiden würden, diesem vermöge ihrer sonstigen Eigenschaften am wenigsten ausgesetzt sind. Zum mindesten aber ist so viel sicher, ‚daß 1) Dasselbe gibt Neer, Biologie der Pflanzen (1913) p. 570 für Samoa an. ®) A. R. Warrack, A narrative of travels on the Amazon and Rio negro 1853. 2-12: „They are all more or less armed with sharp prickles, which may partly answer the purpose of guarding their delicate frames from some of the numerous shocks they would otherwise receive.“ & 3) GOEBEL, a. a. O. p. 110. Daselbst Literaturangaben. Die Sensitiven. 403 1. manche „sensitive“ Mimosen trotz der Sensitivität gefressen werden, und daß sie darunter keinen ihren Bestand bedrohenden Schaden leiden, 2. daß bei Mimosa pudica die seismonastische Reizbarkeit als Schutz gegen ae Tiere, die in der Heimat dieser Pflanzen vorkommen, ebensowenie nachgewi iesen ist, wie ein Schutz gegen Fraßbeschädigung durch kleinere Tiere. c) Schutz gegen Hagel und Regen. Auch diese Deutung tritt, wenigstens was den Schutz gegen Regen be- trifft, in zwei Formen auf: es kann sich dabei um mechanische oder um andere Einwirkungen handen. Beim Hagel kommen natürlich nur die mechanischen in Betracht. | Sachs?) hatte in Würzburg beobachtet, daß bei Hagelwetter seine im Freien stehenden Mimosen unbeschädigt blieben, während andere krautige Pflanzen stark an Hagelschlag litten. Da es aber in den tropischen Niederungen, in denen Mimosa zuhause ist, nicht oder doch nur ganz ausnahmsweise hagelt, so kann die seis- monastische Reizbarkeit nicht als Schutzeinrichtung gegen Hagel zustande- gekommen sein, ganz abgesehen davon, daß, wie Verf. früher ausführte, ein Schutz gegen Hagel auch bei Pflanzen, die ihm ausgesetzt sind, nur sehr wenig in Betracht kommen wird. — Die Beobachtung von SacHs ist aber von Interesse deshalb, weil sie zeigt, daß Reizbewegungen einer Pflanze unter Umständen nützlich sein können, die normal nie bei ihr eintreten, denn von selbst würde Mimosa natürlich nie sich nach Europa verbreiten können. Die Sachs’sche Beobachtung führte später wohl auch zur Annahme, daß zwar nicht mechanischer Schutz gegen Hagel, wohl aber gegen Tropenregen der Sinn der seismonastischen Bewegungen sein könne. WIESNER ?) hat aber nachgewiesen, daß die mechanischen Einwirkungen des Regens auf Pflanzen nicht so erhebliche sind wie teilweise angenommen worden war. Es ist auch durchaus nicht verständlich, weshalb ein so reichgegliedertes Blatt wie das von Mimosa, wenn man sich die Reizbarkeit der Gelenke wegdenkt, vom Regen geschädigt werden sollte — höchstens könnte man sagen, die aktive Gelenktätigkeit bei starkem Regen ersetze die bei anderen Pflanzen nur passive. Das wäre aber nichts weniger als eine „Anpassung“ ?). Dagegen betrachtet WIESNER Mimosa als eme „ombrophobe“ Pflanze, welche in ihrer sefsmonastischen Reizbarkeit ein so vollkommenes Regen- schutzmittel ausgebildet habe, daß sie selbst starke lange Regen unbe- schadet vertrage ”(a. 330. 280). Der zarte Wachsüberzug der Blättchen würde, wenn er frei läge, durch Regen baldigst abgewaschen werden. Zwischen die Blättchen des gereizten Blattes aber könne kein Wasser eindringen. Das Verhalten der Mimosabllätter ist verschieden je nach der Regen- stärke. Bei dauerndem Regen von 0,002—0,020 mm Höhe in der Minute bleibt die Pflanze regungslos. Bu kreniet die Regenhöhe 0,125 mm in . der Minute, so tritt Reizbewegung ein. Im vollen Maße aber erfolgt diese nur beim plötzlichen Niederfall schwerer Regentropfen. Wie bei anderen mechanischen Reizen tritt aber, wie es scheint, auch hier, wenigstens was das Senken des Blattstiels betrifft, eine Gewöhnung ein. Zweifellos gibt !) J. Sacns, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie 1. Aufl., Leipzig 1882 p. 800. IT. WIESNER, Untersuchungen über die mechanische Wirkung des Regens auf die Pflanze. Annales du jardin botanique de Buitenzorg. Vol. XIV (1897). 3) Es sei auch darauf hingewiesen, daß Mimosa sensitiva (—=M. albida), welche im Verhältnis zu M. pudica sehr große breite — also mechanischen Insulten mehr ausge- setzte Blattfiedern hat — nicht stärker, sondern bedeutend schwächer sensitiv ist als M. pudica. 26* 404 Neunter Abschnitt: es ombrophobe ‚Pflanzen, welche eben deshalb, weil sie lange andauernden starken Regen nicht ertragen, in regenreichen Tropengegenden, in denen sie sonst gedeihen könnten zugrunde gehen. Aber gehört Mimosa dazu’? Wiesner führt!) als Beweis für den ombrophoben Charakter von Mimosa pudica an: 1. Blätter ?) mit freigelegten Oberseiten gehen in starker Traufe nach 8—10 Tagen zugrunde Abgeschnittene Sprosse erhielten sich 1 bis 3 Wochen frisch. - 2. Zweige von Mimosa pudica beginnen sich im absolut feuchten Raum schon nach 5—8 Tagen zu entblättern. 3. Die Fäulnis des zerkleinerten Laubes beginnt sehr früh (schon nach 20 Stunden). Auf Grund dieser und anderer Tatsachen scheint ihm die Erklärung, „daß die Reizbarkeit das ombrophobe Blatt von Mimosa pudica vor früh- zeitigen Zugrundegehen durch die Wirkung des Regens zu schützen hat“ annehmbar zu sein. In des Verf.s öfters angeführten Abhandlung”) wurde zugegeben, daß die seismonastische Reizbarkeit trotz der von WIEsNER ermittelten embrophoben Beschaffenheit von Mimosa dazu beigetragen haben möge, daß die Pflanze auch in so regenreiche Gebiete wie Westjava sich ver- breitet habe. Es wurde aber betont, daß die Heimat der Mimosen nicht im Monsungebiet, sondern in den wesentlich niederschlagsärmeren Savannen Südamerikas sei. Für ein solches Gebiet aber sei wohl ein besonderer Regenschutz nicht erforderlich. Gegen diese Ausführung ließe sich einwenden, daß zwar in den Savannen Südamerikas die Gesamthöhe des jährlichen Niederschlages hinter der Westjavas erheblich zurückbleibe, daß das aber wesentlich durch lange Trockenperioden bedingt sei und daß in der Regenzeit Nieder- schläge von langer Dauer und von bedeutender Stärke vorkommen. Ein Schutz gegen Regen würde also auch in dem Savannengebiet einer aus- gesprochen ombrophoben Pflanze für das Uberstehen der Regenzeit zugute kommen können. Die Mimosen würden sich dann in der Regenzeit ähnlich passiv verhalten, wie unsere laubabwerfenden Bäume im Winter. Dazu . würde auch stimmen, was JAMES BRUCE von afrikanischen Mimosen angibt, die ihre Blätter während der ganzen Regenzeit geschlossen haben und erst in der schönen Jahreszeit wieder öffnen. (Ganz abgesehen davon, daß wir nicht wissen, wodurch in diesem Falle das Geschlossenbleiben der Blätter bedingt wird (möglicherweise könnte es auch eine „Kältestarre“ sein), scheinen mir die vorliegenden Beobach- tungen noch nicht genügend, um WıEsner’s Deutung als erwiesen zu be- trachten. Von den künstlichen Bedingungen des Experimentes kann man noch nicht auf das Verhalten an den natürlichen Standorten schließen, von den Erfahrungen an abgeschnittenen Blättern nicht auf das von an der Pflanze befindlichen. Vor allem ist nicht zu vergessen, daß die Blätter ja ohnedies nur etwa die Hälfte der Zeit ausgebreitet sind, weil sie nachts die „Schlafstellung“ einnehmen — gerade nachts pflegt aber auch in der tropischen Regenzeit der meiste Regen zu fallen. Die Blätter müßten also besonders stark „ombrophob“ sein, wenn sie noch eine besondere !) J. Wırsser, Über den vorherrschend embrophilen Charakter des Laubes der Tropengewächse. Sitz.-Ber. der Kaiserl. Ak. der Wissenschaften in Wien, Math.-naturw. Klasse Bd. CIII 1894. ?2) d. h. abgeschnittene. 3) A.2.0.p. 11. Die Sensitiven. 405 Vorrichtung zum Regenschutz am Tage bedürfen würden, oder man müßte die nyktinastischen Bewegungen auch in den Dienst der Ombrophobie stellen! Eine so starke ombrophobische Empfindlichkeit geht aber auch aus WıEsner’s Angaben nicht hervor. Diese beziehen sich auf Bedingungen, die in der Natur nicht gegeben sind. Auch daß Mimosa-Arten mit reizbaren Blättern einerseits, wie z. B. Mimosa Spegazzinii in Argentinien’ in relativ regenarmen Gegenden, andererseits wie die am Amazonenstr om wachsenden in "regenreichen vorkommen, scheint mir nicht für Wıesner’s Deutung zu . sprechen. Vor allem aber scheint mir die Ombrophobie bei Mimosa pudica picht wirklich nachgewiesen zu sein. Denn weder würde sich die freie Oberseite auch beim stärksten Regen 8—10 Tage in starker Traufe be- finden, noch beweist das frühe Eintreten der Fäulnis zerkleinerter Blätter etwas für die Beschädigung frischer Blätter durch Regen, noch auch kann die Entblätterung von Zweigen nach einem 5—Stägigen Aufenthalt im absolut feuchten Raum die Ombrophobie in der freien Natur be- gründen. Denn zweifellos verhalten sich abgeschnittene Zweige anders als normal bewurzelte Pflanzen. Außerdem wäre die Ombrophobie anderer seismonastisch reizbarer Pflanzen zu prüfen, namentlich in der Heimat der betreffenden Pflanzen. Aber selbst wenn sich dort WıEsner’s Deutung für Mimosa pudica als richtig erweisen wollte, könnte ich das nicht als Grund für den Satz be- trachten, „daß die Reizbewegungen der Mimosa pudica den Zweck hatten, das stark ombrophobe Laub dieser Pflanze vor rascherem Zugrunde- gehen durch starken Regen zu schützen!) — man könnte wohl mit dem- selben Recht sagen, daß sie in Würzburg den Zweck hätten, die zarten Blätter vor Hagelschlag zu schützen. In beiden Fällen handelt es sich doch um ein post hoc nicht um ein propter hoc, d.h. eine in der Pflanze liegende Fähigkeit kann vielleicht unter bestimmten Umständen von Nutzen sein, sie ist aber nicht des Nutzens wegen entstanden. Über die verschiedene Ausbildung der seismonastischen Reizbarkeit bei den verschiedenen Arten von Mimosa liegen meines Wissens keine genaueren Untersuchungen vor. Doch ist sicher, daß innerhalb der Gattung beträchtliche Verschiedenheiten herrschen. In unseren Gewächs- häusern wird außer Mimosa pudica meist nur M. sensitiva (albida) gezogen, deren seismonastische Reizbarkeit hinter der von M. pudica jedenfalls zurücksteht. Ende April fand ich nur die jüngeren Blätter stärker reizbar — die älteren führten infolge eines Stoßes, der die jüngeren zum Zu- sammenklappen brachte, nur eine Senkung des Blattstiels aus). Das ist nur eine Außerung einer auch sonst bekannten Erscheinung, nämlich der, daß die Reizbarkeit der Gelenkpolster mit dem Alter ab- nimmt. Diese Abnahme ist eine verhältnismäßig unbedeutende bei M. pudica. Aber sie spricht sich auch bei dieser darin aus, daß jüngere Blätter früher in die Schlafstellung übergehen als ältere — bei letzteren tritt sie manchmal nicht vollständig ein. Wahrscheinlich entspricht dieser Verschiedenheit auch eine solche in der seismonastischen Reizbarkeit. Die alten oder aus einem anderen Grunde wenig empfindlichen Mimosa- blätter entsprechen dann den jüngeren anderer weniger reizbarer Arten. Das scheint mir auch aus dem Verhalten der mexikanischen M. acantho- carpa hervorzugehen. Sie bildet einen langlebigen Strauch, der wenigstens in der Kultur „winterkahl“ ist. Unter jedem Blatt stehen zwei sehr !) WIEsNER, Biologie der Pflanzen 3. Aufl. p. 138. ?) Selbstverständlich können die einzelnen Pflanzen sich verschieden verhalten. 406 Neunter Abschnitt: starke nach unten gekrümmte Dornen. Die Blätter fand ich seismonastisch wenig reizbar, die jüngeren mehr als die älteren. Letztere brachten es nur zu einer schwachen Hebung der Blätter, erstere zu einer stärkeren sich dem „Schluß“ nähernden. Die Bewegung erfolgte aber so langsam, daß an eine Abschreckung oder Abschüttelung von Tieren nicht zu denken. ist. Eine deutliche Bewegung der Fiedern oder des ganzen Blattes trat nicht ein. Es beschränkte sich also die Reizbewegung auf die Vorgänge, welche bei M. pudica bei für sie schwachen Reizen eintreten. Ss 8. Verbreitung der seismonastischen Reizbarkeit bei den Leguminosen. Für die Frage nach der Bedeutung der seismonastischen Reizbarkeit ist es natürlich von Wichtigkeit zu wissen, ob sie auf einzelne Gattungen bzw. Arten beschränkt oder weiter verbreitet ist, und ob sie in verschie- denem Grade auftritt. Wenn es z. B. Pflanzen geben sollte, welche dieselbe seismonastische Reizbarkeit wie Mimosa pudica | besitzen, aber andere Standorts- und Lebens- verhältnisse aufweisen, so würden die für die letztere aufgestellten An- nahmen selbstverständlich sehr an Gewicht verlieren — ebenso würde für schwache seismonastische Reizbarkeit der für die starke angenommenen Nutzen nicht wohl gelten können. Zunächst sei eine Gattung besprochen, die zu den ausgesprochenen Sensitiven gehört. Neptu nia') ist besonders bekannt geworden durch das merkwürdige „Aerenchym“, das a Stämme, soweit sie in Wasser sich ausbreiten, überzieht A): Die Pflanze breit sich auf den Wasserspiegel oder auf sumpfigem (rund annähernd in horizontaler Lage aus. Sie ist — wie so viele Wasser- und Sumpfpflanzen — ausgezeichnet “durch sehr rasches Wachstum. Selbst in unseren Gew ächshäusern bilden sich in wenigen Wochen meterlange Sprosse aus. Dieses rasche Wachstum in Verbindung mit reichlicher Samenbildung ist wohl auch das beste „Schutzmittel“ der Pflanze, denn "sie hat einen süßlichen Geschmack und ist dem Tierfraß wohl ausgesetzt. Sie ist ganz unbewehrt, und daß die seismonastische Reizbarkeit — die mindestens ebenso groß ist, wie bei Mimosa — ihr Schutz gewähren sollte, ist ebenso unbewiesen wie bei letzterer Pflanze. Die Blattfiedern führen auf Stoßreize bei älteren Blättern nur eine unbedeutende Senkung aus, während die Fiederblättchen nach oben zusammenklappen. Bei jüngeren Blättern ist die Senkung der Blattfiedern nach Stoßreizen eine bedeutendere, man kann oft Verschiedenheiten an ein demselben Blatte wahrnehmen, derart, daß die Endfiedern sich .) Die untersuchte Art war N. plena. °) Vgl. die geschichtlichen Angaben in Gorser, Pflanzenbiolog. Schilderungen II (1891) p. 256. Von neueren Autoren sei angeführt SPRUCH, „It was strange, also, to see great yuantities of a floating sensitive plant, Neptunia oleracea, whose slender tubular stems were coated with cottony felt of an inch in thickness, as buoyant as cork, serving to sustain completely out of water the heads of pale yellow tlowers and the delicate bipinnate leaves which shrank up at our approach. The same plant occurs here and there, in shallow waters troughout the Amazon valley...and also in the western side of the Andes, on the borders of the Pacific; and it reappeas in China, where indeed it was first found and described by Loureiro (Sprucr, Notes of a botanist on the Amazon and Andes I p. 115). Daß das Aerenchym nicht als Anpassung zum Schwimmen zu betrachten, ist. braucht kaum mehr betont zu werden. u ae RR % Apın a a ” aa R N « { y a Ken 2 ’ \ Die Sensitiven. 407 stärker senken als die seitlichen. Schon nach sehr kurzer Zeit — in weniger als einer Minute — also viel rascher als bei Mimosa setzt die Offnungsbewegung wieder ein. Dementsprechend sind auch die Schlafbewegungen dadurch auffallend, daß sie von verschieden alten Blättern in verschiedener Weise vollzogen werden, die Fiedern junger Blätter und die Endfiedern etwas älterer sind, nämlich nach abwärts gekrümmt, was bei den älteren nicht der Fall ist. Diese ‚legen sich vielmehr der Blattspindel an. Die Dorsiventralität der Sprosse macht sich geltend nicht nur in Stellung der Infloreszenzen. die der vieler Papilionaceen !) entspricht, (alle Infloreszenzen auf der Oberseite, auf der Unter- seite in jeder Blattachsel eine Seitenknospe) dem plagiotropen Wuchs (der, wenn man die Sprosse künst- lich aufbindet, an den über den Stab herauswachsenden Enden sofort wieder eintritt), der. verschiedenen Färbung von Ober- und Unterseite der Sproßachse usw., sondern auch darin, daß nachts die Sproßoberseite in der wach- senden Region eine Wachs- tumssteigerung gegenüber der Sproßunterseite erfährt, was an vertikal aufgebunde- nen Sprossen besonders deut- lich. hervortritt. An diesen — namentlich wenn die Ober- seite nach Osten gekehrt ist — tritt auch besonders deut- lich: die rasche Orientierung der Blätter zum Licht auf- fallend hervor, morgens sind x Fig. 210. Neptunia plena, aufgebundene Sprosse. alle Blattfl; ichen nach Osten i Morgens alle Blätter nach Osten gekehrt. gedreht (Fig. 210), abends _ nach - Westen, In dieser Stellung treten die Blätter auch in die Schlafbewegung ein und konvergieren dementsprechend alle nach der Westseite. Dabei war auffallend, daß die Blätter der aufgebundenen Sprosse erheblich früher in die Schlafbewegung eintraten - als die der auf dem Wasserspiegel ausgebreiteten. Vermutlich hat das denselben Grund, aus welchem Pflanzen mit mangelhaftem Wurzel- system früher in die Schlafbewegung eintreten, als solche mit einem gut entwickelten ?). Die Wasserversorgung ist an den aufgebundenen Sprossen Be eine weniger ausgiebige als an den niederliegenden mit zahlreichen =) Val. z. B. Vieia Cracea, GosBEL, Organographie 2. Aufl. Fig. 278, 279 p. 306. =} GOEBEL, Rumphiusphänomen p. 59. 408 Neunter Abschnitt: Adventivwurzeln versehenen, bei denen zudem auch die Transpiration eine geringere sein wird, als an den vertikal stehenden. Diese sind also bezüg- lich der Wasserversorgung ungünstiger daran. . DR Die Gelenkbildung der Infloreszenzen wurde schon früher erwähnt (p- 74). Abgesehen von dem Besitze steriler Blüten an der Basis der Infloreszenzen die sich durch die lebhaft gefärbten Blumenblätter und Staminodien!) sehr von den unscheinbaren fertilen Blüten unterschieden, sind die Blütenstände auch dadurch merkwürdig, daß sie kurz vor dem Aufblühen durch eine Krümmung des oberen Endes des Infloreszensstiels die Spitze mit den fertilen Blüten nach unten richten, so daß der leuchtend gelbe Schopf der sterilen Blüten nach oben sieht. Vermutlich erfolgt die Bestäubung der Blüten durch schwebende oder sich anklammernde Insekten — eine Selbstbestäubung ist für gewöhnlich ausgeschlossen. Künstlich bestäubte Blüten ließen die Fruchtknoten sehr rasch zu Früchten aus- wachsen, die Infloreszenzachse richteten sich dann wieder fast gerade, die Frucht selbst (die rasch reift) stellt sich horizontal. Die Frage nach dem Nutzen der seismonastischen Reizbarkeit auch für Neptunia zu erörtern ist nicht erforderlich. Es ergibt sich ja aus dem Gesasten, daß ein Zusammenwirken von seismonastischen Bewegungen und Bestachelung als Schutz gegen Tierfraß nicht stattfinden kann. Daß größere Tiere sich durch Blätter, die (unter günstigen äußeren Bedingungen) nur so kurz geschlossen bleiben, abschrecken lassen sollten, erscheint sehr unwahrscheinlich und das Los der (bis jetzt nur theoretisch erschlossenen) von den Blättern ins Wasser geschüttelten Kleintiere auszumalen' mag denen überlassen bleiben, die diesen Vorgang wirklich beobachten sollten. Nur auf Eines mag hier noch hingewiesen werden: darauf, daß stark seismonastische Blätter meist solche sind, deren Fiederblätter verhältnis- mäßig klein sind. | Es sind mir keine mit stark reizbaren Teilblättchen versehenen Leguminosen ?) bekannt, bei denen die Größe der Teilblättchen wesentlich über die der Mimosafiederblättchen hinausginge. Wenn die Hagel-, Regen-, Tierschutztheorie zuträfe, müßte man aber doch eher erwarten, daß große, diesen Insulten mehr ausgesetzte Blättchen lebhaft reizbar seien. Anderer- seits sind z. B. die Blättchen von Cassia mimosoides, welche, wie schon der Artnamen besagt, denen der Mimosa pudica an Größe und Gestalt gleichen, stark seismonastisch reizbar. Auch die unten zu erwähnenden Biophytumblätter erinnern an die der Mimosen. Bei größeren Blättern würde auch schon eine leichte Bewegung durch Wind, wenn sie ebenso reizbar wären wie die der Mimosen, eine Reizbewegung veranlassen. Es scheint mir nicht erforderlich, hier die verschiedenen Leguminosen aufzuzählen, bei denen die seismonastische Reizbarkeit in geringerem Grade auftritt. Allgemein bekannt ist ja seit langer Zeit, daß z. B. die Blätter von Robinia Pseudacacia nur nach starkem Schütteln seismonastische Be- wegungen ausführen, für welche die Deutung als Tierschutz nicht ın !) Man findet alle Übergänge von ihnen zu den Staubblättern. Auf die sterilen Blüten folgten bei den von mir untersuchten Pflanzen männliche, nur die 3—6 obersten waren Zwitterblüten. In den männlichen Blüten (deren Vorhandensein in den mir zu- gänglichen Diagnosen nicht erwähnt wird) ist nur ein verkümmerter Fruchtknoten vor- handen, der viel kürzer bleibt als die Filamente der Staubblätter. Das Konnektiv endigt in einer sonderbaren gestielten Drüse, die wohl eine Art Nektarium darstellt. Es sind also an der Infloreszenz dreierlei Blüten vorhanden: neutrale, männliche und Zwitter- blüten, eine Arbeitsteilung, welche an die für manche Kompositen bekannte erinnert. 2) Betr. der Oxalideen liegt die Sache etwas anders, vgl. unten. r 7 Die Sensitiven. 409 Betracht kommen kann — ebensowenig wohl die Ombrophobie, der Hagel- schutz usw. HanscIRG, der eine große Anzahl Leguminosen auf Seismonastie durch- untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis „die Empfindlichkeit der voll- kommen ausgewachsenen Laubblätter gegen mechanische Erschütterungen ist bloß bei einigen Mimosa-, Neptunia-, Desmanthus-, Crotalaria-, Cassia-, Adenanthera-, Albizzia-Arten in höherem Grade entwickelt ...“ Das Vorkommen von Pflanzen mit schwach seismonastisch reizbaren Blättern ist bei dem hier vertretenen Standpunkt (wonach [nach unseren jetzigen Kenntnissen] die Seismonastie nur eine Begleiterscheinung an mit Spannungsgelenken versehenen Blättern darstellt) von vornherein zu er- warten. Es ist ja dieselbe Tatsache, die z. B. bei den seismonastisch reizbaren Organen der Kompositenblüten dargelegt wurde. In beiden Fällen liest für uns kein Grund vor eine im Kampf ums Dasein erreichte, all- mähliche Steigerung in der seismonastischen Empfindlichkeit anzunehmen, die in Formen wie M. pudica ihren höchsten Grad erreicht hätte. Anders argumentiert die Nützlichkeitslehre. Wenn ich zwei Pflanzen habe, von denen die eine stark, die andere schwach seismonastisch reizbar ist, so wird das von der Selektionstheorie dahin aufgefaßt werden, daß die stärker reizbare aus einer schwächer reiz- baren hervorgegangen sei, derart, daß die stärker reizbaren Variationen ihre schwächer reizbaren Verwandten durch den Besitz dieser im Kampf ums Dasein vorteilhaften Eigenschaften verdrängt haben. Bei den schwächer reizbaren Arten seien solche Variationen dagegen nicht aufgetreten, die an sich gleichgültige schwache Reizbarkeit habe sich deshalb erhalten. Wenn diese Auffassung nicht rein in der Luft schweben soll, so muß sie imstande sein, den Nutzen starker seismonastischen Reizbarkeit auch jetzt noch nachzuweisen. Denn es ist, wie wir sahen, auch die Auffassung möglich, daß die starke seismonastische Reizbarkeit ebenso gleichgültig für das „Uberleben des Passendsten“ sei, wie die schwache. So lange ein Nutzen starker seismonastischer Reizbarkeit nicht erwiesen ist, ist diese Auffassung eine besser begründete als die andere. 5 9. Desmodium gyrans. Wenn diese berühmte Pflanze hier im Anschluß an die übrigen Leguminosen besprochen wird, so geschieht dies nicht wegen ihrer, nur wenig ausgeprägten seismonastischen Reizbarkeit, sondern weil bei ihr die „spontanen“ Bewegungen viel auffallender als bei anderen Leguminosen hervortreten und natürlich auch für diese die Frage naheliegt, ob sie als funktionell wichtig aufgefaßt werden können. Es wiederholt sich ja bei ‘ihnen dieselbe Erscheinung wie bei der seismonastischen Reizbarkeit. In einzelnen Fällen treten sie auffallend hervor. Bei den meisten verlaufen sie so langsam, daß sie der oberflächlichen Beobachtung entgehen. Eine Pflanze, die so rasche „spontane“ Bewegungen zeigt, wie Des- modium gyrans mußte also das Interesse nicht weniger auf sich ziehen als die, welche mit Reizbewegungen ausgerüstet sind. Die erste Beschreibung scheint die von BROUSSONET zu sein!) Er führt an „diese sonderbare Pflanze wurde zu Bengalen an feuchten und !) Journal de physique 1787. Vgl. die Wiedergabe („Uber die Ahnlichkeit zwischen den Bewegungen der Tiere und der Pflanzen nebst Beschreibung einer Art von Schild- klee (sainfoin), dessen Blätter in einer beständigen Bewegung sind, von Herrn Broussoner in Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte VI, 3, Gotha 17% p. 44 \ a 410 Neunter Abschnitt: Be thonigen Ortern in den Gegenden von Dakka durch Mızapy Moxsox ent- _ 7 deckt“, nach deren Manuskripten, sowie nach eigenen Beobachtungen die A Pflanze beschrieben wird. Hervorgehoben wird, daß an den dreizähligen % Blättern das Mittelblatt am Tage wagerecht und unbeweglich sei '), nachts x aber sich abwärts krümme. Die Seitenblättchen dagegen seien in be- 2. ständiger kreisender Bewegung, zu welcher sie in der Heimat zwei Minuten k gebrauchen. Für die (weiterhin anzuführende) Srtaur’sche Deutung von u Interesse ist die Angabe „sobald die größeren Blätter vom Winde bewegt werden, hört jene (die Bewegung bei den kleineren) auf“, sowie die, daß die Blätter bei heißem Sonnenschein unbeweglich bei warmer und feuchter Witterung aber sehr beweglich seien. BrovssoxET hat auch schon eine teleologische — einigermaßen an N die Staur'sche erinnernde — Deutung der Blättchenbewegung gegeben. ER Er meint, daß die Bewegung der Blättchen auf dünnen Stielen dazu 7 diene „die Perspiration zu befördern“. Auch sonst klingt seine Auffassung der Blättchenbewegung an moderne an. So wenn er fragt „könnte man sie nicht gewissermaßen mit den Schlägen des Herzens vergleichen ?“ Bose ?) findet 1906 bei ihr „a resemblance to those of the animal heart“. Freilich meint Broussoxer das hauptsächlich so, daß er sich denkt, die Blätter erreichen durch ihre Bewegung den Umlauf der Säfte, „so wie das Herz durch sein Zusammenziehen den Umlauf des Blutes unterhält“. Wertvoller als Broussox£r's Erzählung ist eine Abhandlung des be- riihmten Arztes HurrLaxD (in demselben Bändchen der genannten Zeit- schrift #)) welcher diese dunkle und außerordentliche Erscheinung“ nicht „ohne ein gewisses Gefühl der Teilnehmung“ betrachtete. Auch er unter- scheidet die „unabhängige“ (autonome) oder willkürliche Bewegung der Seitenfiedern von den unwillkürlichen (vom Lichtwechsel abhängigen) der Endblättchen. Die Stellung der letzteren sei aber fast jede Stunde des Tages verschieden. Bei diffusem Lichte steht die Blattfläche horizontal, wenn die Sonne daranf scheine, gehe die Pflanze in den Zustand der Erektion über „bis endlich Stiel und Blatt eine Linie ausmachen, die » gerade in die Achse der Sonne zu stehen kommt“ *). Dieselbe Richtung nehme der Stamm an, der dann oft einige Stunden ganz schief stehe. ‚Darauf folge dann später die Nachtstellung, wobei aber keine Erschlaffung erfolge, sondern die Gelenke ganz straff seien. „Im höchsten Grade der Erektion, bei voller Mittagssonne, bemerkte ich sehr deutlich eine zitternde, oft schlagende Bewegung der Blätter und der ganzen Pflanze.“ Sie ist für geringe Schwankungen der Lichtintensität reizbar, aber Mondlicht und das stärkste künstliche Licht wirke nicht auf sie — die Versuche bezüg- lich der Einwirkung der Elektrizität können außer Betracht bleiben °). Druck, Stoß, Reizen und Stechen mit einer Nadel wirkten nicht ein, ebensowenig Temperaturdifferenzen, kaustische Flüssigkeiten usw. Die Bewegung der kleinen Blättchen sah HUFELAND zuweilen in einer Minute een ullsichei — sie geht auch nachts weiter und wird weder durch ein Bestreichen mit Öl nöch durch Durchschneiden des Blatt- [57 a4 Br. !, Dabei wird die unten zu erwähnende starke photonastische TEE der Blättchen übersehen. G. .) J. C. Bosr, Plant response (1906) p. 4. 3) Über die Bewegungen des Hedysarum gyrans und die Wirkung der Elektrizität auf dasselbe (a. a. O. p. 5). Der Verf. ist dort nicht genannt, daß es HureLaxn war, geht aus Mevens Angabe (Pflanzenphysiol. III p. 553) hervor. ) Es dürfte dies eine der frübesten Angaben über Profilstellung der Blätter sein. ) Vol. darüber J. ©. Bose a. a. O Ol A u‘ BE Die Sensitiven. _ ” stiels unterbrochen. Dagegen wurden die Bewegungen schwächer, wenn die Haare, die am unteren Ende des Blattstiels an diese Blättchen sich erstrecken, abgeschnitten werden. Das „einfache elektrische Bad“, mochte es: positiv "oder negativ sein, das auf die großen Blätter ganz unwirksam war, brachte , ‚allemal ein lebhaftes und schnelleres Balanzieren der Seiten- blättchen hervor“ — selbst bei einer Pflanze, welche vorher a gar keine Bewegungen gezeigt hatte. Schließlich erklärt Hurknann 23) „wir müssen also die Fähigkeit, gewisse Reize zu perzipieren A nach Ver- hältnis des Reizes und der Empfänglichkeit des Subjekts verschiedentlich affıziert zu werden, als eine wesentliche Eigenschaft der ganzen organisierten Welt annehmen“. Also mit anderen Worten, „Reizbarkeit ist "die grobe Kraft, die über das Tier- und Pflanzenreich verbreitet, und der Grund jeder organischen Bewegung ist“. Als Beleg dafür führt er auch die Reizbarkeit mancher Staubfäden an („fast bey allen zusammengesetzten Blumen !) ist eine Verkürzung der Staubfäden, nach V erschiedenheit der Witterung, durch Berührung usw. sehr bemerklich“). Darwın ?) hat später festgestellt, daß starker und plötzlicher Temperatur- abfall eine Abwärtskrümmung des terminalen Blättchens bedingt. Auch seismonastische Bewegungen (ein „Sinken des Terminalblättchens auf 45° unter den Horizont“) können herbeigeführt werden — bei den Seiten- blättchen aber nicht. Diese sind in einem offenbar verkümmerten Zustand. Indes hat die Reduktion wesentlich nur die Blattfläche, nicht aber das Gelenk betroffen, das zwar dünner aber kauın kürzer ist als das der End- blättchen. Einen Nutzen der Bewegung nimmt Darwın nicht an. Dagegen sieht StauL®) in der Bewegung der Seitenblättchen eine „aktive Erschütterungs- vorrichtung“ ‚ welche im Dienste der Transpirationsförderung steht. „Die mit Transpirationswasserdampf beladenen Luftschichten werden von den Blattflächen weggeschleudert und durch trockenere Luft ersetzt.“ Wirk- liche Erschütterungen habe ich nur sehr selten beobachten können — sie treten wahrscheinlich nur bei Hemmung der Bewegung auf. Für gewöhn- lieh blieben die Pflanzen trotz lebhafter Blättchenbewegung g ganz ruhig. Und daß die Blättchenbewegung die Luftschichten in erheblichem Maße wegschleudern sollte ist kaum anzunehmen. Ein experimenteller Beweis für diese Anschauung liegt jedenfalls nicht vor. Srtahn selbst gibt zu, daß die Beschaffenheit der Standorte von Desmodium nicht genüge, um das Bedürfnis nach Transpirationssteigerung verständlich zu machen. Denn Desmodium gyrans ist ein Unkraut, das auf offenen Grasfluren, in Gärten usw. auftritt, aber auch unter Bäumen wachsen kann *). Auch wenn man zugibt, dab gemäß der Srtanv’schen Auffassung die Erschütterungen eine Tran- spirationssteigerung bedingen, so fehlt doch ein Nachweis, wie ausgiebig diese ist, und ob diese Steigerung irgend in Betracht kommt gegenüber der durch die Dünnheit der Blätter und andere Faktoren gegebenen Tran- spirationsgröße. Jedenfalls wird ein — auch ein nicht sehr starker — Windhauch,. der die Desmodien trifft, mehr ausmachen als ihre Schüttel- bewegungen. Wenn man ferner bedenkt, daß auch baum- und strauch- ı\ !) d. h. Kompositen. G. *, The Power, of movements p. 359. °) E. Stanı, Über den Pflanzenschlaf und verwandte Erscheinungen. Botan. Zeitung 1897 p. 9. *) Übrigens sind wohl alle derartige Unkräuter rasch wachsende Pflanzen, bei denen man auf einen verhältnismäßig bedeutenden Verbrauch von Aschenbestandteilen und demgemäß auch Wasser schließen kann. VL NE en AED N 412 -Neunter Abschnitt: artige Oxalideen lebhafte autonome Blattbewegungen ausführen, obwohl hier eine Transpirationssteigerung doch wohl nicht beabsichtigt sein kann, ferner daß eine ganze Anzahl von Pflanzen mit Spannungsgelenken ( viel- leicht alle!) ebenfalls (scheinbar) autonome Blattbewegungen ausführen, die aber so langsam verlaufen, daß sie als „Schüttelbewegungen“ nicht ‘in Betracht kommen, so wird man sich der Stant'schen Deutung wohl nicht anschließen können. Man kann vielmehr sagen, daß derzeit die Auf- fassung: die Seitenblättchen von D. gyrans führen rasche Bewegungen aus, die dadurch bedingt sind, daß die Verkümmerung wesentlich nur die Blatt- fläche, nicht aber das Gelenkpolster betroffen hat, ohne daß diese Be- wegungen einen nachgewiesenen Nutzen haben — zum mindesten ebenso berechtigt ist als die Staur'sche. Die Blättclien können diese Bewegungen um so mehr ohne wesentliche Benachteiligung der Pflanze ausführen? als der dazu erforderliche Arbeitsaufwand wegen ihrer Kleinheit ein geringer ist und auch eine Verminderung der Assimilationstätickeit bei den kleinen Blättchen nicht in Betracht kommt. Solange also ein Nutzen der Blättchenbewegung nicht nachgewiesen ist, ist ebenso berechtigt die Annahme, es handle sich um eine nutzlose, aber auch nicht schädliche Erscheinung. Von diesem Standpunkt aus ist es auch nicht verwunderlich, dab durch die Nachtstellung der Endfiedern (sie krümmen sich geonyktinastisch nach abwärts) vielfach die sonst fortdauernde Bewegung der Seitenfiedern (welche eingeklemmt werden) gehemmt wird — nur die obersten können sich frei bewegen. Auffallend ' war auch bei Desmodium gyrans, daß die Pflanzen mit schlechter Bewurzelung früher in die Schlafstellung eintraten als die mit guten Wurzeln. Ich konnte daran den Pflanzen ohne weiteres ansehen, ob sie gut bewurzelt waren oder nicht. Im übrigen muß bezüg- lich der vielen interessanten Eigenschaften dieser Pflanze ‚auf die physio- logische Literatur verwiesen werden. $ 10. Seismonastisch reizbare Pflanzen außerhalb der Gruppe der Leguminosen. Mit Recht hat schon DaAssen hervorgehoben, wie wichtig es ist, die Verbreitung irgendeiner Lebenserscheinung zu untersuchen „want man kan over het gewigt der levens werkingen in een natuurligh rijk alleen een war denkbeeld verkrijgen, door te onderzoeken in hoe verre dezelve algemeen zijn“ '). Er zählt als mit seismonastisch reizbaren Blättern ER N Pflanzen folgende auf: Droseraceen: Dionaea muscipula Oxaliden: Averrhoa Bilimbi Oxalis sensitiva (= Biophytum) Leguminosen: 8 Mimosa-Arten 6 Desmanthus-Arten 3 Aeschynomene-Arten 1 Smithia 1 Nauclea 1 Acacia J Aspalathus persica. Ar. a On 2M. Do gar 5 Br, a N 1 #5 Die Sensitiven. | 413 In der seither verflossenen Zeit ist zwar die weitere Verbreitung der seismonastischen Reizbarkeit!) innerhalb dieser Familien nachgewiesen worden — es-sei erinnert an das oben über Leguminosen angeführte und hingewiesen auf das weiterhin für die Oxalideen mitzuteilende — aber neu hinzugekommen sind eigentlich nur einige Euphorbiaceen (Phyllanthus und verwandte) und Marsilia. Nach wie vor ist also die Seismonastie auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von Pflanzen beschränkt. Das beweist natürlich nichts gegen deren Nutzen für die betreffenden Pflanzen. Auch die Parasiten, Insektivoren, Kletterpflanzen usw. sind ja unter den höheren Pflanzen durchaus in der Minderzahl. Trotzdem tritt bei ihnen die Be- ziehung der Organbildung zu den Lebensverhältnissen deutlich hervor. Die Frage ob auch bei der Seismonastie solche Beziehungen derzeit verkennbar sind, soll für die Oxalideen untersucht werden. Die beiden anderen Familien mögen nur kurz erwähnt werden. s$ 11. Einige Bemerkungen über seismonastische Droseraceen und Euphorbiaceen. ‚, Droseraceen. Die Bedeutung der „Klappfallbewegungen“ der Dionaea- und Aldrovandiablätter bedarf keiner Erörterung ?). Es genügt also, darauf hinzuweisen, wie sie zustande gekommen ist - um so mehr als dies bisher nicht geschah. Auch hier zeigt sich deutlich, daß die seismonastische Reiz- barkeit eine Ausnützung der Entfaltungsbewegung dar- stellt. Die beiden Blatthälften von Dionaea und Aldrovandia liegen im Knospenstadium aufeinander — wie das ja/auch sonst vorkommt ?). Sie entfernen sich voneinander bei der Entfaltung, aber nicht durch stärkeres Wachstum der Oberseite, sondern durch stärkere Turgordehnung der letzteren. Deren Plasmolyse führt also eine Rückkehr zum Knospen- stadium herbei. Ebenso wie in einer Blüte mit analogen Eigenschaften ist also die Entfaltung des Dionaeablattes eine labile oder reizbare, womit die Möglichkeit des Tierfanges gegeben war. Wie schon Darwın *) beobachtete schließen sich die Dionaeablätter in einer konzentrierten Zuckerlösung rasch — denselben Erfolg wird jede andere gegenüber dem turgeszierenden Parenchym der Blattoberseite hypertonische Lösung haben. Daß dabei die Basis der Fühlborsten haupt- sächlich in Betracht kommt, ist wohl darauf zurückzuführen, daß dort die Lösung am raschesten einwirken kann, weil die Zellwände für sie leichter permeabel sind. Es ist nicht zu verwundern, daß die Dionaeablätter auch sich schließen, wenn in trockener Luft die Glasglocken, mit denen sie bedeckt waren, entfernt werden’). In feuchter Luft gehaltene Pflanzen werden mehr Wasserdampf beim Übergang in trockene Luft verlieren als solche, die von vornherein in trockener Luft waren. Diese hygronastische Reizbarkeit wird aber für die Pflanze wohl kaum !) Vgl. Hanscıre. F 2) Vgl. z. B. die Darstellung in Gorse, Pflanzenbiolog. Schilderungen. 3) Dabei ist die Blattspreite nach dem Blattstiel hin gebogen. Sie führt eine Drehung um fast 180° aus durch epinastisches Wach.tum eines gelenkartigen Teiles zwischen ihr und dem verbreiterten Blattstiel (vgl. auch p. 102). *) Cu. Darwın, Insektenfressende Pflanzen. Deutsche Übers. (1877) p. 265. 5) H. Munk, Die elektrischen und Bewegungserscheinungen am Blatt der Dionaea muscipula, Leipzig 1876 p. 105. 414° - Neunter Abschnitt als eine wichtige betrachtet werden können. Daß bei starker Besonnung die Blätter sich schließen (namentlich wenn sie vorher schattig und feucht standen) halte ich für durchaus möglich, doch liegen mir darüber keine eigenen Beobachtungen vor. Überall also handelt es sich um durch die Eigenart des Entfaltungs- mechanismus bedingte Bewegungen. Ahnlich verhält sich übrigens Drosera insofern, als die Krümmungs- bewegungen der Tentakeln infolge von Reizen auch schon durch das Ver- halten im Knospenstadium vorgezeichnet sind. Die Tentakeln, namentlich die längsten dem Blattrand benachbarten sind ursprünglich nach innen eingekrümmt, weil sie dorsiventral sind ', Später werden sie gerade. Mechanische oder chemische Reize bedingen eine Einkrümmung "durch stärkeres Wachstum der Außenseite) nach innen, die eben deshalb in einer bestimmten Richtung vor sich geht, weil die Tentakeln dorsiventral sind. Auch die infolge des Tierfanges von manchen Droserablättern ausgeführten Einrollungen und Einkrümmungen zeigen dasselbe Verhalten. Auch sie entsprechen der Dorsiventralität, die sich auch bei der Entfaltung äußert. Bei Dr. capensis rollen sich alte Blätter nach oben ein — od durch Hypo- nastie oder andere Ursachen wurde nicht untersucht. Eine „nyktinastische“ Reizbarkeit ist von einzelnen Autoren für Dionaea angegeben worden. Die Blätter sollen nachts sich schließen. Ich habe davon nichts bemerken können. Es ist weder meine Absicht auf das Problem des Nutzens des Tier- fanges hier einzugehen ?) — für Dionaea ist ein solcher bekanntlich experi- mentell noch nicht festgestellt — noch auf das Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren, welche ihn ermöglichen, vielmehr sollte nur auf den Zusammenhang. der Fang- und der Entfaltungseinrichtungen hinge- wiesen werden. Vielleicht darf noch daran erinnert werden, daß die „Fühlborsten“ der Dionaeablätter früher teilweise als zur Erdolchung der sefangenen Tiere bestimmt betrachtet wurden — eine der nicht wenigen teleologischen Übereilungen, die später aufgegeben werden mußten. Euph orbiaceen. In Betracht kommen namentlich einige Phyll- anthusarten ?), die als Tropenunkräuter weit verbreitet sind, wie z. B. .Phyllanthus Urinaria und Ph. Niruri. Bei Ph. Urinaria zeigte sich, daß die Pflanze zwar schwach seismonastisch, aber ausgesprochen traumatonastisch, photonastisch, hygronastisch und thermonastisch ist. Namentlich tritt bei den traumatonastischen Reizbewegungen die Reizfortleitung deutlich hervor. Bei starker Verletzung der W urzeln tritt „Schluß“ der Blätter auf („Rumphiusphänomen“), die Erscheinung der „Summierung“ von Reizen läßt sich hier besonders leicht nachweisen. So kann z. B. infolge eines Wundreizes, der keine Blattbewegung zur Folge hatte, die Schlafbewegung früher eintreten usw. Der Zusammenhang der Reizbewegungen mit der Wasserversorgung trat kaum weniger deutlich hervor als bei Mimosa — offenbar kann nach einer (a. a. O. p. 65) angeführten Beobachtung eine rasche Wasserverschiebung ohne sonstigen Reiz die Blattbewegung veran- Bi Pr das oben auch für Mimosa gezeigt wurde. !) Ob die später durch Reize bedingte Einkrümmung der Tentakeln bei allen in ihrer Richtung durch ihre Dorsiventralität gegeben ist, sei hier nicht erörtert. Bei den randständigen ist das jedenfalls so. 2) Früher (Pflanzenbiol. Schilderungen II) habe ich darzulegen versucht, daß der Tierfang sich durch Ausnutzung von ursprünglich im Dienste der Wasserökonomie stehenden Einrichtungen entwickelte. 3) Vgl. GorseEr, a. a. O. (Rumphiusphänomen). - Die Sensitiven. 415 _»Ein Nutzen der Reizbewegung ist nicht nachgewiesen. Er ist für die Seismonastie und Traumatonastie auch sehr unwahrscheinlich — jedenfalls werden die Pflanzen trotz dieser Reizbewegungen in ihrer Heimat von Insekten stark befressen. Das können sie auch ohne stark gefährdet zu sein ertragen, da sie rasch wachsen, viele Samen bilden und diese sehr wirksam verbreiten. Daß die photo- und hygronastische Reizbarkeit (namentlich wenn sie beide zusammenwirken) unter Umständen der Pflanze nützlich sein können ist wahrscheinlich. Daß sich aber auch dann nur um Ausnutzung der Entfaltungsvorriehtungen handelt, braucht kaum betont zu werden. $ 12. Geschichtliches über Biophytum. Den oben (p. 379) gemachten Angaben über diese Pflanze, die. unter den Oxalideen zuerst als „sensitiv“ erkannt wurde, sei hier noch einiges hinzugefügt. Handelt es sich doch um eine Gattung, deren Arten in den Tropen der alten und der neuen Welt verbreitet sind, ganz abgesehen davon, daß „Bioph. sensitivum“ künstlich — vom Menschen — aus seiner südasiatischen Heimat nach Zentralamerika gebracht wurde und so ein (segenstück zu Mimosa pudica darstellt, bei der das Umgekehrte der Fall war. Auf Rumpnivs’ Mitteilungen sei dabei um so mehr hingewiesen, als sie einen besonders deutlichen Beleg für die oben erwähnte anthropo- morphistisch-psychologische Auffassung der Reizbewegungen bietet. Auf welche Biophytum-Art sich die Schilderung in seinem berühmten „Herbarıum amboiense“ bezieht, bleibe dahingestellt. Ubrigens kannte er die Mit- teilungen von Acosta, Bontius usw. wahrscheinlich durch das Werk von CLusıus. Treffend vergleicht er den Habitus der Pflanze mit dem einer Kokos- palme im kleinen und schildert sehr auschaulich, wie die Samen, wenn die Sonne auf die geöffneten Früchte scheint, fortgeschleudert werden '). „Res maxime porro miranda est, quod hujus plantulae foliola nullum tactum hominum, animalium, vel aliarum rerum ferre possint, ne quidem pluviarum, vel venti, immo dquod subtilius adhuc est, ne oris quidem halitum, si enim leviter modo tangantur, vel granula quaedam arenae in illa projiciantur, mox sese deorsum claudunt, ac contrahunt, ıta ut nil purpurei ?) conspici possit.“ Er meint diese Stellung werde so lange bei- behalten, bis die Menschen oder Tiere, welche die Reizung veranlaßt haben „ad quandam distantiam abierint“. Auch nachts und bei regnerischem und stürmischem Wetter finde die Abwärtsbewegung der Fiederblättchen statt, doch sei die Reizbarkeit nicht immer dieselbe, auch bei den einzelnen Pflanzen verschieden. Morgens vor acht?) und an älteren Pflanzen sei z. B. die Reizbarkeit eine geringere. Biophytum komme an Wegen, in Gärten usw. vor. (Gegen Boxrtıus’ Vergleich der Blattreizbarkeit mit den Bewegungen der Oxalisfrucht, denen von Ecbalium und: Impatiens wendet Rumrnıus mit Recht ein, daß „meer verborgenheit in dezes kruids natuur“ zu finden sei (als in jenen Fällen), bh Vel..p. 89. ?) d.h. von der dunkler gefärbten Blattunterseite, von der R. annimmt „det purpur is de schaamtte van dit kruidje“. 3) Was hauptsächlich von der niedrigen Temperatur bedingt sein wird. 416 Neunter Abschnitt: da es zweifellos besondere Bewegungsorgane besitze !), ebenso wie unsere Ellenbogen ausweisen, daß der Arm sich nur nach einwärts schließen könne. Die Sonnenstrahlen bedingen die Ausbreitung, wenn die Blätter darin durch Berührung gestört werden, müssen sie „naturalem sequentes actum“ sich nach unten hin schließen. Er nimmt an, daß die zarten Wurzelfasern die durch Annäherung eines Tieres oder eines Menschen verursachte Erschütterung der Erde wahrnehmen und die Bewegung durch das Mark nach oben leiten. Diese Vermutung findet sich, wie früher (p. 379) angeführt, schon bei Scaliger — sie zeigt, daß man an eine Art Reizfortleitung auch bei Pflanzen schon in alter Zeit dachte. Trotzdem Biophytum also frühzeitig schon als „Sensitive“ bekannt geworden war, ist es doch viel weniger untersucht worden als Mimosa pudica, bei der die seismonastische Reizbarkeit so viel auffallender zutage tritt. Es hängt das wohl damit zusammen, daß Biophytum viel später als Mimosa in die europäischen Gewächshäuser eingeführt worden ist. MEYER ?) z.B. hatte sie lebend nicht gesehen und führt nur Rumraıus als Gewährs- mann an. Die Pflanze scheint also selbst in dem großen Berliner botanischen Garten um 1830 nicht vorhanden gewesen zu sein. Im Zeitalter der Tropenreisen mußte sich die Aufmerksamkeit natür- lich auch unserer Pflanze wieder zuwenden. In dem bekannten Buche von CH. und F. Darwın über die Be- wegungen der Pflanzen finden sich auch einige Beobachtungen über Biophytum, namentlich über die Schlafbewegungen. HABERLANDT?) hat in Buitenzorg die seismonastischen Bewegungen von B. sensitivum näher untersucht, auf seine Ansicht, betreffs des Vor- handenseins von besonderen, der Reizwahrnehmung dienenden Organen wird später einzugehen sein. Was die Bedeutung der seismonastischen Bewegungen betrifft, so faßte man sie auf als Abwehrbewegungen gegen Tiere, ähnlich wie bei Mimosa pudica. Allerdings besitzt Biophytum keine Stacheln wie die letztgenannte Pflanze und andere Mimosa-Arten. An einen mechanischen Schutz gegen größere Tiere und an eine Abschreckung von solchen dadurch, daß durch die Blattbewegungen die Bewehrung der Pflanze deutlicher hervortritt, wird also von vornherein nicht zu denken sein. Dagegen hat man die Reizbarkeit von Biophytum mit einem Schutz- bedürfnis gegenüber kleinen Tieren in Verbindung gebracht. Bei Bio- phytum sensitivum kommt zu deren Abwehr, abgesehen von den „Schlaf- bewegungen“ die Abwärtsbewegung der Fiederblättchen infolge von Erschütterung oder Verwundung in Betracht. Das geht namentlich auch aus einer Außerung HABERLANDT’s *) hervor, der es für wahrscheinlich hält, daß auf einem — einseitig entwickelten — (sewebepolster stehende Borstenhaare von Biophytum die Bedeutung von „Fühlhaaren“ haben. Er sagt „Wenn also ein Insekt über die Oberseite der Blattspindel kriecht, so versperrt ihm bei jedem Fiederblattpaare die eine Reuse bildende Querreihe von steifen Haaren den Weg. Versucht das Insekt, darüber zu kriechen, so verbiegt es die Haare, die Fiederblättchen senken !) Wodurch natürlich eine wiederholte Ausführung der Bewegung ermöglicht wird, während jene Früchte nur eine einmalige ausführen. ?®) F. I. F. Meyen, Neues System der Pflanzen-Physiologie III (1839) p. 541. %) G. HABERLANDT, Über die Reizbewegungen und die Reizfortleitung bei Biophytum sensitivum DC. Annales du jard. bot. de Buitenzorg 2. Suppl&ment 1898 p. 33. *) G. HaBERLANDT, Sinnesorgane im Pflanzenreich 2. Aufl., Leipzig 1906, p. 112. IN r$ SE N er a - Die Sensitiven. 417 sich, und das Insekt verliert das Gleichgewicht oder ergreift erschreckt die Flucht. Das Gleiche wird eintreten, wenn das Insekt über die Ober- seite der Blattspreiten kriecht. Die geschilderte Verteilung der Haare drängt wenigstens zu dieser Vermutung, deren Richtigkeit natürlich nur durch eingehende Beobachtungen in der Heimat der Pflanze erwiesen werden könnte.“ Dem letzteren Satze wird man um so mehr beistimmen müssen, als das von HABERLANDT mit künstlerischer Anschaulichkeit ausgemalte Bild ja ausschließlich aus bis jetzt unerwiesenen Vermutungen aufgebaut ist. Diese wären etwa folgende: 1. Biophytum wird von Insekten aufgesucht und würde von ihnen geschädigt, wenn es nicht Abwehrmaßregeln entwickelt hätte. 2. Diese bestehen in der seismonastischen Reizbewegung, die, be- günstigt durch die eigenartige Anordnung der „Fühlhaare“, das Tier ab- schüttelt oder abschreckt. 3. Das Tier ist ein kriechendes, denn wenn es krabbelt (und nicht ganz kurze Beine hat), werden die (bei B. somnulentum etwa 1 mm langen) dünnen Haare es nicht viel stören. 4. Es kriecht entlang der Blattspindel und reizt dabei die Fühlborsten. (Bequemer wäre sein Weg auf der Fläche, die durch dienahe zusammen- stehenden Fiedern gebildet wird.) 5. Es muß selbst recht empfindlich oder wackelig sein, denn sonst bliebe es ruhig auf der Blattspindel sitzen, wenn die Fiederblättchen nach abwärts sich bewegen und fräße in aller Ruhe die Blättchen ab, die, auch wenn sie nach abwärts gerichtet sind, ja leicht von jener aus zu er- reichen sind. In meinen Kulturen war B. somnulentum oft böse von Schildläusen befallen, welche die Pflanzen auch erheblich schädigten. Die Schildläuse befielen die Gelenke, diese sind ja, wie früher erwähnt (wenigstens in den Gewächshäusern) geradezu Indikatoren von Gelenken. Die Tiere saßen ruhig an den basalen Gelenken der Blätter und Infloreszenzen, die Blatt- bewegungen stören sie also nicht im mindesten. Ob das-auch im Vater- lande der Pflanzen so ist, ist damit natürlich noch nicht erwiesen. Kultivierte Pflanzen, die sich unter unnatürlichen Verhältnissen befinden, sind ja häufig Insektenschäden mehr ausgesetzt als wildwachsende. Immerhin geht aus der Beobachtung so viel hervor, daß B. somnulentum in der Sensitivität . seiner Blätter keinen Schutz gegen Schildläuse besitzt. Es wird weiterhin anzuführen sein, daß bei dieser Art den HABERLAnDT'schen „Fühlhaaren“ , ” ‘ ganz entsprechend gebaute Borstenhaare auch an Stellen vorkommen, an denen sie die den Fühlhaaren zugeschriebene Funktion unmöglich haben können. Es wird dort auf diese und andere teleologische Deutungen noch einzutreten sein. Die Reizbewegungen einer javanischen Biophytum-Art, des B. apo- discias sind neuerdings von F. ©. v. FABER !) in einer vorläufigen Mitteilung geschildert worden. Sie unterscheidet sich von den beiden anderen bis jetzt in Java be- kannten Arten dadurch, daß auch die Blattspindel seismonastische Reiz- bewegungen ausführt. Bei Verletzung eines der Endblättchen hebt sich kurz darauf die ganze Spindel in die Höhe und pflanzt den Reiz auf die ta ı) F. C. von Faser, Biophytum apodiscias, eine neue sensitive Pflanze auf Java. Ber. der d. botan. Gesellsch. Bd. XXXI (1913) p. 282. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 27 418 Neunter Abschnitt: anderen Blätter fort, die sich gleichfalls heben. Auch die nyktinastische Bewegung findet nach aufwärts statt. Die Schlaf- und Reizbewegungen der Blattspindeln gehen bei B. apodiscias also in umgekehrter Richtung vor sich als bei dem unten zu schildernden B. somnulentum, bei dem die Gelenke der Blattspindeln auch seismonastisch reizbar sind, nur in geringerem Grade als bei B. apodiscias. v. FABER scheint den ökologischen Deutungen der Reizbewegungen von Biophytum skeptisch gegenüberzustehen, meint aber „Will man ‚der auffallenden Bewegung der Blätter von B. apodiscias eine ökologische Bedeutung zumessen, so wäre eine solche vielleicht darin zu erblicken, daß sich die Blattspindeln nach Reizung (z. B. durch Regen) heben und so die Blüten schützen“. Wollte man dieser Vermutung zustimmen, so wäre erst nachzuweisen 1. daß die Blüten von B. apodiscias schutzbedürftig sind — während die von B. sensitivum und B. somnulentum sich ohne den Schutz der Blätter ganz wohl befinden, 2. daß der durch Schließen der Blumenkrone bedingte „Schutz“ unzureichend ist — vermutlich sind ja auch die Blüten von B. apodiscias nur wenige Stunden am Tage geöffnet. Selbst wenn der Regen Blüten schädigen sollte, ist wohl in der Bildung neuer Blütenknospen ein wirksamerer . „Schutz“ gegeben als in der Auf- richtung der Blätter. Interessant ist, daß nach v. Fager’s Untersuchungen Bioph. apodiscias nicht nur thermo-, sondern auch stark hygronastisch ist. Es dürfte das für alle Pflanzen mit reizbarenen Blättern zutreffen, die sehr niederschlagsreichen Gebieten mit großer Luftfeuchtigkeit entstammen, während die ursprünglich im Savannengebiet Südamerikas beheimatete Mimosa in dieser Beziehung viel weniger empfindlich ist. Merkwürdig ist auch, daß die Schlafbewegungen von B. apodiscias nicht nur geonastische sind, sondern daß man durch Umkehrung der Pflanze auch die Schlafbewegung umkehren kann — was meines Wissens bis jetzt bei anderen Pflanzen nicht gelungen ist. Die Reizleitung (nach Verletzung) war eine raschere als bei B. sensi- tivum, 20—25 mm in der Sekunde gegen 17—20 mm. Es zeigt sich also, daß in der Gattung Biophytum eine ähnliche Ab- stufung der Reizbarkeit sich vorfindet wie in der (sattung Mimosa, welche von Biophytum in hygronastischer — wahrscheinlich auch photonastischer Reizbarkeit übertroffen wird. Innerhalb der Oxalideen sind die Biophytum- Arten wohl die seismonastisch am meisten reizbaren. Die Gattung Bio- phytum ist habituell dadurch ausgezeichnet, daß sie — im Gegensatz zu den meist dreizähligen Blättern der Oxalisarten gefiederte Blätter besitzt, die Fiederblättchen sind erheblich kleiner als die Blätter der Oxalis-Arten. Die Standorte scheinen ziemlich verschiedenartig zu sein. Während Biophytum sensitivum und die ihm ähnlichen Arten ver- breitete Ruderalpflanzen sind, wächst B. castum im dichtesten schattigen Wald !). Wenn man bei offenen Standorten allenfalls an einen Schutz gegen die mechanische Wirkung des Regens denken könnte, oder an Ombrophobie, ist ersteres wenigstens für B. castum nach den Standortsverhältnissen von vornherein mehr als unwahrscheinlich. !) Zuccarisı, Monographie der Oxalis-Arten. Denkschr. derK.bayer. Ak.d. Wissemsch: X, 1828 p. 60. AL De Die Sensitiven. 419 '$ 13. Die Biophytum-Arten der botanischen Gärten. - Ehe ich auf die Reizerscheinungen von Biophytum näher eingehe, wie sie an kultivierten Pflanzen sich zeigen, muß noch die Benennung die in der Kultur befindlichen Arten besprochen werden. Denn in manchen Gärten wird unter dem Namen B. sensitivum. eine Pflanze kultiviert, die sicher eine andere Art ist. Schon HABERLANDT !) unterscheidet ein „B. sensitivum Graz“ und ein „B. sensitivum Buitenzorg“. Das Biophytum sensitivum „Graz“ blüht ebenso wie das in Buitenzorg gelb und erinnert nach HABERLANDT im Habitus und der Gestalt der Fiederblättchen mehr an das süd- amerikanische B. dormiens. Das ist bei der in München (und auch einigen anderen Gärten, z. B. Darmstadt und Jena) als B. sensitivum kultivierten Pflanze nicht der Fall, sie ist also offenbar auch von dem B. sensitivum Graz verschieden. Woher sie stammt ist nicht mehr fest- zustellen. Freilich liest von vornherein die Annahme nahe, daß die nach einzelnen getrockneten Exemplaren entworfenen Diagnosen unvollständig und deshalb irreleitend sein können. Denn die Pflanzen verändern manche diagnostisch verwertete Eigentümlichkeiten im Verlauf der Entwicklung. Sehen wir ganz ab von der Zahl und Größe der Fiederblättchen, so ist namentlich folgendes zu nennen. Die ersten Infloreszenzen junger Pflanzen des Münchener Biophytum sind z. B. mit viel kürzeren und dünneren Stielen versehen als die älterer Pflanzen und namentlich auch mit viel weniger Blüten. Ebenso ist die Länge des Blütenstiels eine andere als die der Fruchtstiele — alle diese Merkmale aber spielen in den Diagnosen eine Rolle, während ihre Veränderlichkeit im Verlauf der. Entwicklung keine Beachtung fand. Leider stimmt unsere Art mit keiner andern in den mir zugäng- lichen systematischen Werken beschriebenen überein. Sie weicht von den Diagnosen in Zuccarınt’s Monographie ?) ebenso ab, wie von denen im Prodromus und in der „Flora brasiliensis“, von denen doch wohl kaum anzunehmen ist, daß sie alle einfach aus Zuccarını abgeschrieben sind ? Sie kann nicht B. somnians sein, wegen der Blattgestalt, nicht B. dormiens, weil die Infloreszenzen nicht sitzend, die Blüten nicht langge- stielt sind, nicht B. dendroides, weil die Frucht nicht eine „capsula ovato- globosa apice pilosiuscula loculis 1—2 spermis“ ist. — Nolens volens muß ihr deshalb — da man sie doch, weil sie sicher nicht B. sensitivum ist, auch nicht als B. sensitivum München bezeichnen kann — ein besonderer Namen gegeben werden. Sie mag also als B. somnulentum (wegen der Schlafbewe- gungen ihrer Infloreszenzen) bezeichnet werden, auch auf die Gefahr hin, daß sie später als Synonym zu einer andern, bis jetzt nicht zutreffend beschrie- benen Art gezogen wird. Ich wollte sie ursprünglich als B. dendroides be- zeichnen, da sie mit Herbarexemplaren dieser Art habituell übereinstimmt. Sie dürfte dieser Art nahestehen, aber die Angaben über die Fruchtbeschaffen- heit von B. dendroides lauten so bestimmt, daß an eine Vereinigung mit ihr nicht zu denken ist. Da B. dendroides in Brasilien wächst, so ver- -mute ich, daß auch B. somnulentum von dort stammt. Sie könnte mit anderen Pflanzen leicht in unsere Gewächshäuser unabsichtlich einge- schleppt worden sein. Die Samen gehen, wenn die Pflanze einmal da ist, ) A. a. O. p. 110 Anm. ?) J. G. Zuccarısı, Monographie der amer. Oxalis-Arten, Denkschr. der Münchener Akademie 1828, und Nachtrag dazu ibid. 1832. 27* 420 Neunter Abschnitt: überall als „Unkraut“ auf, weil sie in Menge gebildet und wirksam ver- breitet werden. Die folgende Beschreibung wird genügen, um die Pflanze wieder zu erkennen — und das ist schließlich die Hauptsache. Schon die Blütenfarbe ist von der von B. sensitivum unterschieden. Die über ein 1 cm langen, oben 0,5 cm breiten, nach unten sehr stark verschmälerten Blumenblätter sind oben rötlich — meist mit dunkel- roten (bzw. purpurnen) Nervenstreifen. In ihrem verschmälerten Teile sind die Blumenblätter gelblich. Die Kelchblätter sind 0,8 mm bis 1 cm lang!), 2 mm breit mit einem mehr oder minder deutlich hervortretenden hyalinen Saum versehen und von 7 einander parallelen Längsstreifen durchzogen. Sie laufen spitz zu und haben eine doppelte Behaarung: einmal die bei Lupenbetrachtung allein sichtbaren Borstenhaare, die wegen ihres Baues unten noch besonders zu erwähnen sein werden und anderer- seits Drüsenhaare, welche so kurz sind, daß sie äußerlich nicht hervor- treten. Die Blüteh öffnen sich nur einmal und nur für kurze Zeit, meist nur zwischen 10 und 12". (Je nach Witterungsverhältnissen können natürlich auch Ausnahmen eintreten ?), manche öffnen sich auch gar nicht.) Das kann auch ohne Schaden für die Befruchtung unterbleiben, da, wenigstens in der Kultur, nur Selbstbestäubung stattfindet ?). Diese ist dadurch mög- lich, daß zwar die äußeren Staubblätter kürzer, die inneren aber etwas länger als die Griffel oder gleichlang mit diesen sind. Ihre Filamente‘ sind außen behaart. Die Fruchtknoten enthalten in jedem Fache normal 6 Samen (die Zahl kann durch Fehlschlagen kleiner werden, zuweilen sind auch 8 vor- handen), die Früchte *) bleiben kürzer als die Kelchblätter, die sie während der Reife umhüllen. Ihre Offnung wurde p. 98 beschrieben, der Durch- messer der geöffneten Frucht beträgt über 2 cm. Die Samen sind dunkelbraun, etwa 1", mm lang, 1 mm breit. Sie haben eine abgeflachte und eine mehr gewölbte Seite. Auf erstere stehen die Höcker der Samenschale (nach Entfernung der „Schwellschicht“) in dunklere Längslinien angeordnet. Jede Blüte hat ein pfriemen- förmiges Deckblatt und zwei mit diesem fast gleichlange, an der Basis der Blüte stehenbleibende Vorblätter, die mit den Deckblättern, in den Dia- gnosen als „Brakteen“ bezeichnet werden. Beide haben ähnliche Be- haarung wie die Kelchblätter. Die Deckblätter erreichen zur Blütezeit etwa die Hälfte der Länge der Kelchblätter und sind etwa doppelt so lang als der Blütenstiel, der eine Quergliederung aufweist. In den Dia- gnosen wird auf die Länge des Blütenstiels Wert gelegt, aber nicht er- wähnt, daß diese sich bei der Fruchtentwicklung bedeutend ändert. Der Blütenstiel (bzw. Fruchtstiel) streckt sich dabei auf die doppelte Länge und kann so auch das Deckblatt überragen — was aber nicht immer er- !) Also etwa doppelt so lang, als die von Zuccarinı a. a. Tab. V Fig. 6 in nat. Größe abgebildeten von OÖ. dormiens. °) So traf ich Ende Oktober nach einem trüben Tag morgens 8h in Öffnung be- griffene Blüten. >) Darwın (Die verschiedenen Blütenformen an Pflanzen der männlichen Art, Deutsche Übersetzung 1877 p. 278) gibt von „B. sensitivum“ aus Ceylon kleine, kleisto- game Blüten an, und zwar übereinstimmend mit den chasmogamen jeweils lang-, mittel- und kurzgrifielige. Das ist nicht so sehr auffallend, wenn man die kleistogamen Blüten als Hemmungsbildungen betrachtet. *) Auch sie sind von denen von OÖ. dormiens unterschieden, die ZuccArını beschreibt als „capsula ovato-globosa, pentagona, ... calyce vix longior“. 4 a a DE Fre ae BSR & an a, f Die Sensitiven. 421 folgt. Es braucht kaum erwähnt zu werden, ‘daß das die Ausbreitung und die spätere Angliederung der Fruchtknoten sehr erleichtert. Die Infloreszenzen sind in biologischer Beziehung ausgezeichnet durch ihre unten ausführlicher zu erörtenden Schlafbewegungen, auf welche sich auch der Artnamen bezieht. Sie besitzen behaarte Stiele von 3,9—7 cm Länge, die oben angeschwollen sind und unten ein 0,5 cm langes (Gelenk besitzen, an: welchem man deutlich zwei Teile, einen oberen dunkleren und einen unteren helleren unterscheiden kann, die beide auch anatomische Verschiedenheiten aufweisen. Der obere dürfte den Querfalten nach das eigentliche Gelenk darstellen, der untere ist der beim Abgliedern stehen- bleibende Teil. . Die Behaarung der Blätter entspricht im allgemeinen der von HABERr- LANDT für das „Biophytum sensitivum Graz“ erwähnten. Es sind also zweierlei Haare vorhanden —- einfache Borstenhaare und die von Haser- LANDT als „Fühlhaare“ gedeuteten Polsterhaare — diese stehen aber nicht nur auf der Oberseite der Spindel (bei den Ansatzstellen der Fiederblätter, sondern auch auf den Fiederblättchen, teils über den Mittelnerven, teils über stärkeren Seitennerven. Auf sie wird später zurückzukommen sein, hier sei nur bemerkt, daß das basale Polster (bei den median stehenden Haaren) stets auf der nach der Spitze des Blattes oder Blättchens hin gelegenen Seite sich befindet. Was die sonstigen Vegetationsorgane anbetrifft,, so sei erwähnt. daß die Pflanze eine mehrjährige Lebensdauer besitzt. Altere Exemplare sind wiederholt verzweigt und besitzen eine Sproßachse von über '/, cm Durch- messer, in deren Holz man Andeutungen von Jahresringen unterscheiden kann; die Zweige sind mit Blattansätzen dicht bedeckt. Die Blätter er- reichen an kräftigen Pflanzen eine Länge von über 11cm mit über 20 Blattpaaren. Die Samen keimen in kurzer Zeit — wenn man eine Pflanze in einem Erdbeete kultiviert, so ist sie bald von zahlreichen Keimpflanzen, die aus den weggeschleuderten Samen hervorgegangen sind, umgeben. Man über- zeugt sich so am einfachsten von der ungemeinen Vermehrungsfähigkeit der Pflanze, deren Samen wie die so vieler den feuchten Tropengebiet angehöriger anderer keine Ruheperiode bedürfen. Die Keimpflanzen ge- langen rasch zur Blüte, sie können also nach einigen Wochen wieder selbst Samen bilden. Die beschriebene Art ist wesentlich kräftiger und widerstandsfähiger als B. sensitivum, die ihren Namen, auch abgesehen von der seismona- stischen Reizbarkeit, mit Recht trägt. Herr Dr. H. Hırııer, Konservator am Rijksherbarium Leiden teilt mir brieflich mit, daß in diesem folgende Biophytum-Arten aus Java liegen. 1. B. sensitivum, Blätter lang, vieljochig, Pedunculi lang, Kelchblätter länger als der Pedicellus und die reife Kapsel. 2. B. Reinwardtianum Klotzsch. Blätter etwas kürzer. Blättchen im Verhältnis zur Länge breiter, unterseits lauchgrün. Pedunculi lang, Kelch- blätter so lang als die Kapsel, aber kürzer als der Pedicellus. 3. B. Apodiscias Turcz. Blätter kurz, wenigjochig; Blättchen breit, mit stark hervortretenden Nerven. Blütendolden in der Rosette sitzend (daher das Synonym B. sessile). — Um eine javanische Art dürfte es sich also bei B. somnulentum nicht handeln. Es sei erwähnt, daß die seismonastische Reizbarkeit der Blätter an den Pflanzen am deutlichsten sich äußerte, die in einem lockeren, gut 422 Neunter Abschnitt: durchlüftetten Boden wuchsen, z. B. bei solchen, die aus weggeschleuderten Samen auf Orchideenkörben aufgegangen waren, während bei älteren, in schwerem, nassen Boden wachsenden die Reizbarkeit stark zurücktrat. Diagnose: Bioph. somnulentum. Caule lignoso, in plantis vetustiori- bus ramoso, hypocotylo pilis retrorsum spectantibus et pilis parvis glandu- losis (cum cellula terminali demum brunescente) subtomentoso, serius foliorum delapsorum cicatrieibus subanulato. Folia paripinnata usque 12 cm longa. Rhachis pubescens. Folia supra partim pilosa, subtus pur- purascentia. Pedicelli multiflori, flores singulos per longum tempus pro- ferentes, motu periodico praediti. Bracteae dimidio flore breviores. Flores corolla alba purpurascente intus flavescente, striata. Capsula ca. 0,6—1 cm longa, ovato-cylindrica, firma, calyce brevior, semina sex in quovis loculo, longitudinaliter rugosa, brunea. Aus dem Berliner botanischen Garten erhielt ich durch die Freund- lichkeit von Prof. HABERLANDT eine gelbblühende Biophytum-Art, deren Bezeichnung als B. sensitivum richtig sein dürfte — obwohl ja auch dieser Namen jedenfalls noch eine Sammelart umfaßt. Sie ist ausgezeichnet durch die mehr blaugrüne (wahrscheinlich von einem Wachsüberzug her- rührende) Färbung ihrer Blätter, die drüsige Behaarung ihrer Infloreszenz- stiele und Kelchblätter an denen die Borstenhaare mit Polster fehlen. Statt ihrer sind nur einzellige Borstenhaare vorhanden, während die Drüsen- haare Zellreihen darstellen. Ferner durch die geringere Größe der In- floreszenzen Blüten, Früchte und Samen. Die Infloreszenzstiele waren nur 4 cm lang, der Durchmesser der geöffneten Frucht betrug nur 9 mm (statt über 2 cm bei B. somnulentum), die Samen (höchstens 4 in jedem Abschnitt der Frucht, bisweilen nur einer) sind hellbraun, die helle Schleuder- schicht der Samenschale ist dünner als bei B. somnulentum und die Samenschale mit viel stärker ausgeprägten, annähernd querverlaufenden Vorsprüngen versehen. Die Blumenblätter hängen mit ihrem unteren Teile so fest: zusammen, daß sie eine Röhre bilden, die nur an der Basis, wo die drei Nerven zu- sammenlaufen, wieder in fünf freie Teile ausgeht. Die fünf kleineren Staubhlätter sind etwa so hoch als die ausge- breiteten Narben, die von den längeren beträchtlich überragt werden. Diese sind fast doppelt so lang als die Narbenhöhe. Sie haben außen auf ihren Filamenten ein nicht sehr hervortretende Behaarung durch Borstenhaare und kleine Drüsenhaare. Die angeführten Eigentümlichkeiten werden genügen, um die Pflanze wieder zu erkennen. Ein näheres Ein- gehen auf die Artunterschiede muß einer Monographie überlassen bleiben. Hier kam es nur darauf an, die hauptsächlich untersuchte Art zu kenn- zeichnen. n s 14. Biologische Eigentümlichkeiten von Bioph. somnulentum, 1. Die Fühlhaare. Bekanntlich hat HABERLANDT ') eigenartig gebaute Haarbildungen bei Bioph. sensitivum als „Fühlborsten“ betrachtet. Einerseits, weil eine seis- monastische Reizbewegung eintritt, wenn man diese Haare verbiegt, berührt oder wenn man mit einer Nadel leicht streichend darüber fährt, anderer- seits, weil sie in bestimmter Verteilung auftreten — sie kommen bei dem !) G. HABERLANDT, Sinnesorgane im Pflanzenreich zur Perzeption mechaniseher Reize. Zweite Aufl., Leipzig 1906 p. 130 ff. ® - Die Sensitiven. 423 von ihm untersuchten Biophytum (B. sensitivum Graz) nur auf der Blattspindel und den Fiederblättchen vor. Außerdem aber besitzen die Haare einen eigentümlichen anatomischen Bau — nämlich ein einseitig angebrachtes (Fewebepolster, von dem H. vermutet, daß es darauf eingerichtet sei, nach Art der unteren Hälften eines Gelenkpolsters zusammengedrückt zu werden, bzw. sich wieder auszudehnen. Die Polsterzellen sollen den Reiz als „Sinneszellen“ perzipieren, wie die „Gelenkzellen“ der Fühlborsten von Aldrovandia oder Dionaea. HABERLANDT hält seine Deutung auch einer von RENNER!) geltend gemachten anderen Auffassung gegenüber aufrecht. Wenn wir zunächst die Verteilung dieser mit einseitigem Basalpolster versehenen Haare betrachten, so spricht diese bei B. sensitivum für HABEr- LANDT’s Auffassung. Aber bei B. somnulentum finden sich solche Polster- haare, wie sie kurz genannt sein mögen, auch an Stellen, wo sie weder als Fühlhaare noch als Stimulatoren in Betracht kommen können, nämlich an den Kelchblättern, Deckblättern und Vorblättern der Blüten, also an Blattorganen, denen eine seismonastische BReizbarkeit nicht zu- kommt. Die Polster sind hier sogar besonders schön ausge- gebildet. Sie liegen alle auf der der Spitze dieser Blätter zugekehrten Seite der Polster- x De haare. N Sie zeigen zwar kleine Unterschiede gegenüber den : auf den reizbaren Laubblättern ' befindlichen, aber sind doch im wesentlichen nach demselben Fig. 211. Biophytum somnulentum. Oben „Fühl- „Plane wie diese gebaut. In haare“ vom Blatt, unten Borstenhaare vom Kelch Fig. 211 stellen die oberen (nur der untere Teil gezeichnet). Abbildungen einem Laubblatt, die unteren einem Kelchblatt entnommene Borstenhaare dar. Bei den ersteren ist das einzellige Haar selbst weiter und dickwandiger, das Polster weniger stark entwickelt als bei letzteren. RN Man kann natürlich trotzdem annehmen, daß die „Fühlborsten“ auf den Laubblättern als solche funktionieren, indem bei ihnen das bei den Borsten- haaren der Kelchblätter nicht reizbare (oder doch als solches nicht wirkende) Polster reizbar geworden se. Aber das könnte nur dann als gesichert betrachtet werden, wenn wirklich die Reizbarkeit des Polsters an den Fühlborsten auf der Blattfläche sicher nachgewiesen wäre, was bis jetzt nicht der Fall ist. Dagegen ist es zweifellos, daß das Polster wie in anderen von REnnEr beschriebenen Fällen das ursprünglich der Blattfläche anliegende Borstenhaar aufrichtet. Das ist jedenfalls seine primäre Funktion. HABERLANDT’s Annahme, daß es sich um Sinnesorgane handle und daß eine „Umwandlung von steifen Haaren zu Perzeptions- organen“ stattgefunden habe, würde an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn ein bestimmter Nutzen der seismonastischen Bewegung nachgewiesen wäre. „Diese spielt aber gegenüber der hygronastischen und photonastischen », 0. Renner, Zur Morphologie und Ökologie der pflanzlichen Behaarung. Flora 99 (1909) p. 143, 151. Haserranor, Flora 99 p. 280ff. Resser, ibid. 100 p. 141. 424 Neunter Abschnitt: Reizbarkeit, soweit wir derzeit beurteilen können, bei Biophytum nur eine untergeordnete Stelle. Wenn also auch die Polsterhaare als „Stimulatoren“ wirken mögen, so können wir sie doch nicht als Sinnesorgane betrachten. Auf das Vorkommen der als Stimulatoren bezeichneten Haare ist ja 'auch von früheren Forschern schon hingewiesen worden. So abgesehen von der p. 383 angeführten Bemerkung von DuHAmern für Mimosa durch Sıcns!). „Bei den Bewegungsorganen der Haupt- und Nebenstiele genügt eine leise Berührung der Haare auf der Unterseite, um. die Bewegung zu veranlassen. . . .“ Es scheint mir aber kein Grund für die Annahme vorzuliegen, diese Haare ständen da, umi die Reizbewegung leichter herbeizuführen. Daß sie dazu nicht notwendig sind, ist ja bekannt. Sie erscheinen uns zunächst also nur als „zufällig“ vorhandene Stimulatoren. Sind sie das, so ist auch ihr Vorkommen auf nicht reizbaren Blättern verständlich, dem Gewebepolster an ihrer Basis würde dann nur eine mechanische Bedeutung, nicht aber die einer Reizperzeption zukommen. Auch daß sie als „Stimulatoren“ wirksam sein können, wäre so lange nichi als Ausnützung einer ursprünglich einem andern „Zweck“ dienen- den Struktur zu betrachten, als der Nutzen der seismonastischen Be- wegungen für die Pflanze nicht nachgewiesen ist. Jedenfalls kann man für B. somnulentum aus der Verteilung der Polsterhaare keinen Grund für die von HABERLANDT gegebene Deutung ableiten. Welche Funktion ihnen ursprünglich zukommt, ist nicht bekannt. Man könnte an einen Schutz „gegen Ankriechen“ von kleinen Tieren denken und die oben geschilderte Lage, des Polsters sowie die Tatsache, daß am Hypokotyl die einfachen Borstenhaare abwärtsgerichtet sind, damit in Verbindung bringen. Indes wäre eine solche Deutung natürlich auch nur dann:mehr als eine bloße Vermutung, wenn sich zeigen ließe, daß Bio- phytum eines Schutzes gegen kleine kriechende Tiere (die ja allein in Be- tracht kommen könnten) wirklich bedarf. | 2. Die Schlafbewegungen der Infloreszenzen. Biophytum somnulentum ist auch dadurch merkwürdig, daß nicht nur die Blätter, sondern auch die Blütenstände vermöge ihres basalen Gelenkes periodische Bewegungen sehr ausgesprochener Art ausführen. Die jungen Blütenstände kommen zunächst aufrecht zur Entwicklung. Sie besitzen cymös angeordnete Blüten, die sich demgemäß ungleichzeitig entfalten, derart, daß jeweils nur Eine Blüte sich öffnet. Sy Übrigens findet die Entfaltung der Blüten und die Öffnung der Früchte auch an nicht aufrechtstehenden Infloreszenzachsen statt. Die Früchte stellen sich aber dabei durch eine entsprechende Krümmung ihres Stieles annähernd horizontal. Die periodischen Bewegungen der Blütenstände beginnen schon. vor der Entfaltung der ersten Blüten. Nur ist die Bewegung zunächst eine weniger ausgiebige als später. Sie geht — entsprechend der lange fort- dauernden Entfaltung neuer Blüten — auffallend lange vor sich. Die Zeitdauer wird wohl je nach der Beschaffenheit der Pflanze und je nach äußeren Verhältnissen eine verschiedene sein. Bei drei bezeichneten In- floreszenzen betrug sie bei zweien über 6, bei einer über 8 Wochen. Der Ausschlag der Bewegung vermindert sich gegen das Ende bin: die Auf- 1) J. Sacus, Lehrbuch der Botanik 4. Aufl. 1874 p. 862. x Die Sensitiven. 425° richtung wird immer unvollständiger und unterbleibt endlich ganz. Schließ- lich wird die Infloreszenz abgegliedert. Unterdes haben sich mehrere neue ausgebildet. Als Beispiel sei angeführt: ein Blütenstand, der morgens 9" unter einem Winkel von 45° aufgerichtet war, war “schon 3 Uhr nachmittags scharf nach unten gekrümmt, so daß er einen Weg von beinahe 135° zurückleste. Am andern Morgen war er wieder aufgerichtet, am Nach- mittag nach unten geschlagen. Die Bewegungen der Infloreszenzen (welche in dieser Form, wie es scheint, bis jetzt bei keiner anderen Pflanze bekannt sind) legen zwei Fragen nahe: die, wodurch sie veranlaßt sind, und die, ob sie für die Pflanze, von Bedeutung sind. Die erste Frage bietet zwei Beantwortungsmöglichkeiten. Es kann sich entweder handeln um eine Schlafbewegung wie bei den Blättern oder um eine durch die periodische Entwicklung der Blüten bzw. der Früchte beeinflußtee Daß solche vorkommen, ist ja in Abschnitt III an einer Anzahl von Beispielen dargelegt, und es wäre ganz gut möglich, daß bei Blütenständen, in denen die Entwicklung neuer Blüten auf einen so langen Zeitraum wie bei B. somnulentum sich erstreckt, jeweils einzelne Blüten oder. Früchte bestimmend auf das Verhalten des Infloreszenzstieles ein- wirken, etwa wie bei Stellaria media. Um diese Frage zu prüfen wurden bei einigen in gesenkter Stellung befindlichen Infloreszenzen die Blüten und jungen Früchte entfernt. Zunächst fand eine Aufrichtung statt. Ob diese auf den Wund- reiz oder auf die Aufhebung der Belastung des Infloreszenzstiels zurück- zuführen ist, wurde nicht untersucht. Jedenfalls führten die Stiele weiterhin noch periodische Bewegungen aus, senkten sich also abends und hoben sich morgens. Es handelt sich bei dieser Bewegung also offenbar nicht um eine durch die Blüten bzw. Früchte, sondern ebenso wie bei den nyktinastischen Blattbewegungen um eine, durch die Außenwelt veranlaßte. Daß es tatsächlich sich um „Schlat- bewegungen“!) handelt, läßt sich leicht feststellen. Sie gehen so lange weiter, bis die Gelenke außer Betrieb gesetzt werden, w obei u. a. die Ab- wanderung der Zellinhaltsstoffe der Gelenkzellen in andere Organe (de heranreifenden Früchte usw.) von Bedeutung sein wird. Freilich verhalten sich nicht alle Pflanzen gleich. Alte verzweigte Exemplare zeigten die Schlafbewegung der Infloreszenzen nicht, sie be- fanden sich offenbar in einem ziemlich torpiden Zustand, während jüngere Stöcke sehr energische Bewegungen ausführen. Die nyktinastischen Bewegungen der Infloreszenzen waren mir nament- lich auch deshalb von Interesse, weil man auf sie die für die nyktinasti- schen Blattbewegungen versuchten teleologische Erwägungen doch wohl nicht anwenden kann. Weder an Schutz gegen Betauung (bzw. an Förderung der Transpiration) noch an einen solchen gegen nächtliche Wärmestrahlung usw.,ist hier zu denken. Dieser Schutz müßte ja den Blüten oder den heranreifenden Früchten zugute kommen. Aber die Blüten sind, wie wir sahen, am Tage nur ganz kurz, nachts also gar nicht geöffnet. Die junge "Frucht ist ohnedies dauernd im Kelche geborgen. Erst beim Öffnen der Kapsel wird dieser auseinanderge- bogen. Daß ein „Schutz“ gegen das Gefressenwerden durch Tiere beab- !) Bezüglich der Einwirkung von Schwerkraft ist das für die Blätter Angeführte zu vergleichen. { 426 Neunter Abschnitt: sichtigt werden sollte, ist gleichfalls sehr unwahrscheinlich. Das Perikarp ist dünn und zäh') — die fleischige äußere Schicht der Samenschalen (die später als Ejakulator dient) ist auch nicht verlockend — und außer- dem kommen die Früchte ja den Tag über wieder nach oben! b Ich kann also in dem merkwürdigen Vorgang derzeit nur eine Äußerung der von der Außenwelt beeinflußten Periodizität der Pflanze sehen, ohne dab diese einen Nutzen erkennen ließe. Von befreundeter Seite wurde mir die Meinung geäußert, die merk- würdigen Schlafbewegungen der Infloreszenzen von B. somnulentum seien zwar nicht für diese selbst, aber insofern von Bedeutung, als bei deren Ausbleiben die Schlafbewegungen der Blätter mechanisch gehemmt würde. Die Infloreszenzen müßten also „mitmachen“ um die Blattbewegung — deren Nützlichkeit vorausgesetzt wird — nicht zu stören. Ich kann diese Deutung aber nicht für zutreffend halten. Wenn wir sie prüfen, so ist zunächst das zeitlich verschiedene Ver- halten der Infloreszenzen zu beachten. Diese stehen ursprünglich aufrecht in der Blattkrone. Sie führen dann, wie wir sahen, noch ehe die erste Blüte sich entfaltet, Schlafbewegungen aus. Das geschieht zu einer Zeit, in der sie über den Blättern stehen. Sie können deren Schlafbewegungen um so weniger hemmen, als ja die jungen Blätter zunächst sich überhaupt nicht oder nur wenig nach unten biegen. Die Infloreszenzen leben aber, wie berichtet wurde, recht lange. Es entwickelt sich die Laubkrone weiter und die älteren Infloreszenzen stehen nun nicht mehr über ihr, sondern zwischen deren Blättern. Da sie kürzer sind als die Blätter, kann man allerdings für die alten Infloreszenzen zu der oben erwähnten Vermutung gelangen: es könnte eine stetig aufgerichtet bleibende Infloreszenz die Ab- wärtsbiegung eines über ihr stehenden Blattes hemmen. Aber einerseits steht nur selten ein Blatt gerade über einer Infloreszenz, so daß es dieser nicht ausweichen kann. Andererseits geht die Senkung der Blätter mit erheblichem Kraftaufwand vor sich, so daß die Infloreszenzen für sie kein Hindernis bieten. Namentlich dann nicht, wenn die Infloreszenzen lang aufrecht blieben — eine Stellung, die ja erst durch die Schlafbe- -wegung aufgegeben wird. Die Blätter können um so leichter ausweichen, ‚als sie einen fiederlosen Blattstiel besitzen. Es wurden an einer Pflanze eine Anzahl Infloreszenzen in vertikaler Richtung an einen Stab festge- bunden. Es zeigte sich, daß, obwohl hier unnatürlich erschwerte Be- dingungen gegeben waren, die Blätter, die sich über den Infloreszenzen entwickelten, höchstens ganz vorübergehend in ihrer Abwärtsbewegung ge- hemmt waren. Sie brachten es leicht fertig, sich von dem Hindernis zu befreien und sich sogar an dem Holzstab vorbeizuschieben, die Blattgelenke sind stärker als die Infloreszenzgelenke.e An meinen Pflanzen waren ältere Infloreszenzen manchmal nicht mehr imstande, sich zwischen den Blättern zur Tagstellung hinaufzuarbeiten. Werden die Blätter ausein- andergebogen, so richteten sich die Infloreszenzen auf. Für andere Biophytum-Arten habe. ich nur eine kurze Ansape) von Darwin ?) über B. sensitivum finden können. Es heißt über sie „In the middle of the day it stands vertically up, or at a high angle; in the afternoon it sinks, and in the evening projects horizontally, or almost !) Bei Oxalis sepium wurden Früchte, die ich eingebunden hatte, um die Samen zu ernten, von Tieren gefressen. Deren Perikarp ist aber viel saftiger, als das der Biophytumfrüchte. ?) Darwın, Power of movement in plants p. 224. He Be 2 0 ar 9,0 Ä Die Sensitiven. 427 horizontally, rising again durnig the night“. Hier ist die „nyktinastische* Bewegung also eine weniger ausgiebige als bei B. somnulentum. S$ 15. Die Reizbewegungen der Blätter von B. somnulentum. Die seismonastische Reizbarkeit bedarf keiner besonderen Besprechung, da sie mit der für B. sensitivum bekannten übereinstimmt Ebensowenig als bei dieser Art ist sie bis jetzt als eine Anpassungser- seheinung erwiesen. Um so näher liegt die Frage, ob vielleicht die Empfänglichkeit für andere. als mechanische Reize für die Pflanze von größerer Bedeutung ist. A. Reizwirkung durch Begießen. a bei Biophytum läßt sich die für Mimosa festgestellte Reizwir- kung des Begießens nach Trockenhaltung_ feststellen. Selbstverständlich darf letztere nicht so weit gehen, daß eine hygronastische Abwärtsbewegung . der Blätter stattfand. Sind diese noch ausgebreitet und wurde der Topf, dessen Erde möglichst ausgetrocknet war, begossen, so trat bei den Blättern der jungen Pflanzen (nur solche wurden daraufhin untersucht) Abwärtsbewegung ein, und zwar, wie zu erwarten war, bei den jüngsten, empfindlichsten zuerst. Wir sehen also, daß diese Erscheinung nicht auf Mimosa, bei der sie p. 398 zuerst nachgewiesen wurde, beschränkt ist. Es ist kaum notwendig hervorzuheben, daß auch hier dieser merkwürdige Vor- gang nicht eine Anpassungserscheinung darstellt. B. Hygronastische Reizbarkeit. Wenn Biophytum unter einer Glasglocke, also in feuchter, „gespannter“ Luft gezogen wird, so zeigen die Blätter reichlich Tropfenausscheidung. Nimmt man die Glocke ab, so kann man — vorausgesetzt, daß die Luft außerhalb nicht außergewöhnlich feucht und die Pflanze hinreichend reizbar ist — verfolgen, wie in kürzester Zeit die Fiederblättchen hygro- nastische Bewegungen ausführen, indem sie sich nach unten schlagen. Das Bild, welches sich dabei ergibt, erinnert lebhaft an das für die Reizfort- leitung bei an der Spitze gereizten Mimosafiedern bekannte: Die Bewegung geht (und zwar rasch) von der Spitze nach der Blattbasis hin, dasselbe tritt übrigens auch beim Schütteln des ganzen Blattes ein. Es dürfte darauf beruhen, daß die jüngeren Fiedern reizbarer sind als ältere, die jüngsten Fiedern sind aber die an der Spitze befindlichen. Dem entspricht auch, daß die Schlafbewegung durch Abwärtssenken der Blättchen an der Spitze der Blätter beginnt (besonders bei jungen Blättern) und nach der Basis hin fortschreitet. Die hygronastische Empfindlichkeit von Biophytum zeigt sich auch darin, daß trocken gehaltene Pflanzen die Fiederblättchen nach abwärts schlagen und sie nach dem "Begießen wieder ausbreiten, eine Erscheinung. die nicht mit den unten zu erwähnenden photonastischen zu verwechseln ist, Man kann diesen Vorgang vergleichen mit der Blatteinrollung, die bei manchen Gräsern, wenn sie trocken gehalten werden, eintritt. Daß er mit einer Transpirationsverminderung verbunden ist, braucht nicht be- sonders erwähnt zu werden. Der Einfluß der Bewurzelung auf die Reizbarkeit, der bei anderen Pflanzen festgestellt wurde !), tritt auch bei Biophytum deutlich hervor. 3) GoEBeL, Das Rumphiusphänomen a. a. 0. 428 Neunter Abschnitt: a: | Wenn man Pflanzen versetzt (und dabei die Wurzeln beschädigt), so treten solche Pflanzen viel früher in die Reizstellung durch Belichtung ein als andere, gut bewurzelte unmittelbar danebenstehende. Ihre Blätter führen auch bei jugendlichen Pflanzen die starke abendliche Senkung aus, welche an den danebenstehenden gleichaltrigen unterbleibt'. Die zwei Arten N sind aber in dieser Hinsicht sehr ungleich empfindlich, B. sensitivum viel - | mehr als B. somnulentum. Ersteres kann nach Verpflanzen (mit Wurzel- beschädigung) tagelang mit nach abwärts geklappten Fiederblättchen da: ; stehen, weil der empfindliche untere Grelenkteil nicht hinreichend turges- ziert, ersteres übersteht das Verpflanzen selbst bei roher Behandlung rasch. Fig. 212. Biophytum somnulentum. Pflanze des Versuchshauses in Schlaf- stellung (dieselbe, die in Fig. 213 abge- Fie. 215. Biophytum somnulentum am Tage (die- bildet ist), starke Senkung der Blätter. selbe Pflanze wie die in Fig. 212 abgebildete). (‘. Photonastie. B. somnulentum ist ferner — wie wohl alle Oxalideen — stark photonastisch. = Wenn bei Sonnenschein das Schattengitter meines „Sensitiven”hauses aufgezogen wurde, klappten sofort die Blättchen herunter. Auch hier findet das bei den jüngsten Blättern bzw. am einzelnen Blatte bei den jüngsten Blattfiedern zuerst statt. Wenn ein Blatt einer Pflanze durch ein anderes beschattet war, bleibt es zunächst noch ausgebreitet — ent- fernt man das beschattende Blatt (einer anderen Pflanze) so tritt sofort auch bei dem beschattet gewesenen Blatt die Reizbewegung ein — ein Beweis dafür, daß nur der Lichtreiz wirksam war. Demgemäß ist es auch nicht zu verwundern, daß an ein und demselben Blatte die beschatteten Fiedern ausgebreitet, die besonnten nach unten geschlagen sein können. Man könnte vermuten, daß die photonastische Reizbarkeit eigentlich mit der hygronastischen zusammenfalle, indem die erstere auf einer durch E das Licht bedingten Transpirationssteigerung beruhe. Ohne Zweifel wirken photonastische und hygronastische Reizbarkeit oft zusammen. Daß dem Lichte aber auch unmittelbar, d. h. ohne seine Einwirkung, auf die Transpiration eine Reizwirkung zukommt, zeigt die Tatsache, daß !) Daß es sich dabei um eine Schwächung des unteren Gelenkteiles infolge unge- j nügender Wasserversorgung handelt, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Daß , wurzelschwache Pflanzen hygronastisch empfindlicher sind als wurzelstarke, kann man als eine vorteilhafte Eigenschaft betrachten, weil ihre Transpiration durch die Abwärts- bewegung herabgesetzt wird. Daß aber dieselbe Erscheinung auch dann auftritt, wenn sie nicht zweckmäßig ist, zeigt das Verhalten beim Begießen von Trockenpflanzen. Die Sensitiven. 429 sie auch bei Pflanzen, die in Wasser versenkt sind, sich zeigt. Die Ver- senkung in Wasser hebt weder die seismo- noch die ‚photonastische Reiz- barkeit auf, wenn sie auch sich schwächer äußert als an der Luft. Wenn man versenkte Pflanzen in volle Sonne stellt’), tritt nach einiger Zeit Senkung der Fiedern ein, bringt man sie in den Schatten, so breiten sie sich wieder aus. Die photonastische Reizbarkeit von Biophytum ist schon früheren Beobachtern aufgefallen. Fig. 214. Biophytum somnulentum, Pflanze in Schlafstellung aus einem andern Ge- wächshaus zur selben Zeit aufgenommen wie die in Fig. 2 abgebildeten. Die Blätter viel weniger tief gesenkt. STAHL sagt (a. a. OÖ. p. 91 Anm. 2): „Der Ubergang der Flächen- stellung zur Profilstellung geschieht auch bei Tropenpflanzeh meist so lang- sam, daß er nicht direkt mit den Augen verfolgt werden kann. Nur bei Biophytum sensitivum und Verwandten schlagen sich die Fiedern bei Be- sonnung ebenso rasch abwärts, als dies infolge von Berührung einzutreten pflegt. Obwohl ich diese Erscheinung nicht weiter verfolgt habe, glaube ich doch annehmen zu müssen, daß die Abwärtsbewegung hier durch einen Lichtreiz hervorgerufen wird.“ Das ist gewiß zutreffend. Aber die photonastische Reizbarkeit wirkt in der freien Natur meist mit der hygronastischen zusammen und ist bei den einzelnen Pflanzen auch je nach ihrem Zustand verschieden. Deshalb kann ich mich Srtauts Auffassung nur mit einer Einschränkung an- schließen. Wenn ich eine Biophytumpflanze unter eine Glasglocke in einen feuchten Raum bringe, nimmt sie bei derselben Beleuchtungsstärke (die kleine Lichtschwächung durch die Glasglocke kann nicht in Betracht !) Es ist dabei möglich, daß durch aufsteigende Lufthlasen Erschütterungen ein- treten können, die seismonastische Senkung zur Folge haben. Solche Fälle wurden natürlich ausgeschieden. 430 Neunter Abschnitt: kommen), bei der unbedeckt, trocken gehaltene Pflanzen „Profilstellung*“ annehmen, Flächenstellung ein — vorausgesetzt, daß beide miteinander zu vergleichende Pflanzen gut bewurzelt sind. Eine schlecht bewurzelte ist auch unter einer Glasglocke empfindlicher, sie kann ihre Fiedern. ab- wärts schlagen unter derselben Beleuchtung, bei der gut bewurzelte sie ausbreiten. Wenn die Sonne weggeht, breiten sich auch bei der unter Glasglocke befindlichen Pflanze die Fiedern wieder aus. Nimmt man sie heraus, so klappen sie an den jüngeren Blättern sofort, an den älteren etwas langsamer nach unten, während die daneben stehenden gut bewurzelten Pflanzen natürlich unverändert, d. h. ausgebreitet bleiben. Daß man die Bewegungen des „Tagschlafes“ bei Pflanzen wie Bio- phytum teilweise noch als heliotropische bezeichnet, ist gewiß nicht berech- tigt. Es handelt sich um keine Örientierungsbewegung, sondern um eine ungleiche Beeinflußbarkeit des zwei Gelenkpolsterhälften durch das Licht, eleicheültie von welcher Richtung dies einfällt. Wahrscheinlich wird der Turgor der unteren Gelenkhältte, die ja die eigentlich empfindliche ist, durch den Lichtreiz heruntergesetzt. Anders ist es bei Robinia, Erythrina indica und Ulitoria ternatea '), bei denen die Richtung der Blättchen keineswegs stets vertikal ist, vielmehr mit der des stärksten Lichtes zusammenfällt.e. Wir haben also zweierlei Fälle zu unterscheiden. Die Bewegung der Blättchen nach oben dürfte stets eine hygronastische sein, dazu kann sich aber eine photonastische gesellen (diese offenbar nur in wenigen Fällen). Die „Schlafbewesungen*“ von B. somnulentum bedürfen um so mehr einer besonderen Besprechung, als sie denen von B. sensitivum gegen- über Besonderheiten aufweisen. Bei letzterer Art richten sich die Blätter in der Schlafstellung, wie Üs. und F. Darwın sowie HABERLANDT be- merken, beträchtlich aufwärts. Die Hebung des Blattstiels beträgt bei jüngeren Blättern oft mehr als 50°. Bei B. apodiscias ist sie nach v. Fager’s kurzer Schilderung offenbar noch eine stärkere. Bei B. somnulentum ist zu unterscheiden zwischen dem Verhalten junger noch wachsender Blätter, dem der jüngeren ausgewachsenen und dem älterer ansgewachsener. Die jungen Blätter von Biophytum sind anfangs mit der Blattspindel fast halbkreisförmig nach unten gekrümmt, die Fiederblättchen nach ab- wärts geschlagen. Später streckt sich die Rhachis von unten nach oben fortschreitend gerade. Die Fiederblättchen heben sich (durch die Tätig- keit ihres Gelenkpolsters) und breiten sich flach aus. Betrachtet man aber ein noch nicht ausgewachsenes Blatt, das sich am Tage soeben ge- rade gestreckt hatte, abends, so sieht man, daß es sich an der Spitze wieder konkay nach unten eingekrümmt hat. Es wird also das Wachstum der Blattoberseite abends gesteigert. Die Schlafbewegung trat bei meinen Pflanzen in verschiedener Weise auf. Die einen zeigten alle Blätter mit Ausnahme der jüngst entfalteten in der Nachtstellung, nicht nur mit nach unten gefalteten Fiedern — auch das ganze Blatt war scharf nach unten gekrümmt (Fig. 212). Das waren die empfindlicheren Pflanzen. Die anderen begnügten sich der Hauptsache nach mit der Blättchenbewegung ohne eine auffallende Ab- wärtskrümmung des ganzen Blattes. Es waren ältere Pflanzen, die gut bewurzelt aber weniger empfindlich waren (Fig. 214). Daß in der Tat die Bewurzelung — auf der ja die Wasserversorgung 2) Vol. bez. der letzteren: Bose, Plant response. % IEI# ; n3 De er Re: | x " ig BET cn AR jr . AL, zn u, „ = Bi A, - I A Ä VE vr “ } 2 Die Sensitiven. 431 der Pflanze beruht — hier ebenso wie bei der photonastischen Bewegung von großem Einfluß ist, zeigt die Beobachtung, daß die Senkung an frei im Beet aufgezogenen, also besonders gut bewurzelten Pflanzen, zur selben Abendstunde, in welcher sie danebenstehende, also den gleichen äußeren Bedingungen ausgesetzte Pflanzen zeigten, nicht vorhanden war. Es ergab sich, daß auch bei den „empfindlichen“ Pflanzen die Ab- wärtssenkung älterer Blätter nicht eine rein photonastische ist. Sie unter- blieb an einigen (nicht aber allen) Pflanzen, die mit einem Topf oder einer Glasglocke bedeckt — also in einer an Wasserdampf reichen bzw. gesättigten Atmosphäre waren. | Unter diesen Umständen konnte die — wie wir im Anschluß an das bei anderen Pflanzen festgestellte wohl annehmen dürfen — abends "gesteigerte Turgeszenz der oberen Gelenkpolsterhälfte die der unteren nicht überwinden — die Blätter senkten sich also nicht. Und bei den mit einem Topf bedeckten Pflanzen waren, "als man den ersteren ab- nahm, morgens alle Blätter — mit Ausnahme der bewegungslos gewordenen ältesten — steil aufgerichtet: Die „Turgeszenz“ ') der unteren Gelenk- polsterhälfte hat sich nachts stärker gesteigert als die der oberen und die Einwirkung des Lichtes, welche morgens schon wieder eine, wenngleich schwache Senkung bedingt, fiel bei der bedeckten Pflanze weg. Das abendliche Senken ist also eine hygronyktinastische Bewegung. Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, daß von einem Welken des unteren Gelenkpolsters nicht die Rede sein kann. Die Bewegung wird "auch hier durch einen Antagonismus der beiden Gelenkpolsterhälften bedingt. So ist etwas zu verstehen, was mir anfangs sonderbar vorkam. Als ich eine Pflanze, von denen, die die abendliche Senkung nicht ausführten obwohl sie in demselben Gewächshaus standen, in welchem andere dies taten, aus der Erde nahm, und mit dem Wurzelballen (der natürlich be- schädigt worden war) auf die Erde setzte, führten ihre Blätter die abend- liche Senkung aus — die untere Gelenkpolsterhälfte ist für Schädigungen des Wurzelsystems offenbar empfindlicher als die obere. Hygronastische Bewegungen sind es wohl auch, welche eine Verschieden- heit der Auffassung der Schlafbewegungen von Mimosa bedingt haben. Prerrer?) sagt von Mimosa: „Bei Mimosa pudica hängt es jedoch mit der abendlichen Stellungsänderung der sekundären Blattstiele (die sich am Abend nach vorn bewegen) zusammen, daß sich der primäre Blattstiel am Abend ansehnlich senkt und sich erst im Verlaufe der Nacht über die Tagstellung erhebt, obgleich während des Tages eine Verdunklung sogleich eine aufsteigende photanastische Bewegung verursacht.“ Er meint aber (a. a. O. p. 507 Anm. 2) es sei nicht ausgeschlossen, „daß die abendliche Senkung unter bestimmten Außenbedingungen nicht zustande kommt, wie das nach D. D. CunsınsHam (Annals of Royal Botanic. Garden Calcutta 1895 Bd. 6 p. 135) in Ostindien der Fall sein soll, oder daß die abendliche Senkung unter bestimmten Umständen auch ohne die Bewegung der sekundären Blattstiele ausgebildet wird.“ Nach den oben für Biophytum mitgeteilten Erfahrungen lag es nahe, anzunehmen, daß auch die abendliche Senkung der Mimosablätter eine hygronastisch mitbedingte sei. Daß eine solche in einem feuchten Tropen- R !) Der Ausdruck sei der Kürze halber gestattet, obwohl nicht geprüft wurde, ob es sich um eine Turgeszenz- oder eine Wachstumserscheinung handelt. ®) Pflanzenphysiologie II 2. Aufl. p. 506. b 3 5 RT BE aD FE ee a ET RN #53, 432 Neunter Abschnitt: klima an gut bewurzelten Pfanzen unterbleibt, während sie an ja stets mit einem abnormen Wurzelsystem versehenen Topfpflanzen in der relativ trockenen Luft der Laboratorien eintritt, wäre nach Analogie mit Bio- phytum nicht zu verwundern. Ebenso ist verständlich, daß dieselbe Bio- phytumpflanze, in einem Gewächshaus ihre Blätter in einer Nacht gesenkt, in einer anderen aufgerichtet zeigte. ‚Je nach den inneren und den äußeren Bedingungen kann der Vorgang verschieden verlaufen. Seine einzelnen Phasen würden nur bei einer Selbstregistrierung der Blattbewegung näher zu verfolgen sein. Die geschilderten Bewegungen bei B. somnulentum führen zu folgenden Schlußfolgerungen. Der Antagonismus der beiden Gelenkpolsterhälften am Blattstiel ist stark beeinflußbar, einerseits durch die Wurzeltätigkeit, andererseits durch Licht, Schwerkraft und Wasserdampfgehalt der Luft. Die Wurzeltätigkeit hängt ab von der Ausbildung des Wurzel- systems, und von äußeren Bedingungen. Auch ein gut entwickeltes Wurzelsystem wird aus einem trockenen, und ebenso aus einem aus mit Wasser übersättigtem oder stark abgekühltem Boden weniger Wasser aufnehmen als unter günstigen Bedingungen. Ist die Wasseraufnahme ungenügend, so findet keine Erhebung der Blättchen aus der Schlaf- stellung statt. Im folgenden seien die Pflanzen mit aus irgendeinem Grunde ver- minderten Wurzeltätigkeit als die schwächer bewurzelten bezeichnet. Bei gut bewurzelten Pflanzen treten die nyktinastischen Bewegungen des Blattstiels nur wenig hervor. Anders bei schwächer bewurzelten. Bei ihnen findet eine starke nächtliche Senkung des Blattstiels statt, weil die untere Gelenkpolsterhälfte nicht so stark der oberen Widerstand leisten kann. Sie ist aber nicht etwa erschlafft, die Bewegung ist viel- mehr eine durchaus aktive. Sie kann bei manchen Pflanzen (bei welchen hängt offenbar vom Zustand der Bewurzelung ab) durch starke Luft- feuchtigkeit verhindert, ja bei gut bewurzelten sogar ins Gegenteil — in eine Aufrichtung, verändert werden !). In diesem Falle hat also das untere (selenkpolster die Oberhand gewonnen. Kehren wir zu den Blättern zurück welche sich abends senken, so ergab sich weiter merkwürdigerweise, daß sie sich nur wieder aufrichten können, wenn das abaxiale Gelenkpolster nach unten gekehrt ist. Die Aufrichtung unterbleibt also bei Pflanzen, die am Klinostaten mit horizontaler Achse gedreht werden, ebenso wie bei umgekehrten. Es ist also die Aufrichtung des Blattes ein Vorgang, der nur bei einer bestimmten Lage des Gelenk- polsters.zum Erdradius vor sich geht, wobei, wie der Klinostatenversuch zeigt, nur die untere Gelenkpolsterhälfte in Betracht kommt. Diese kann auch am Tage nur unter der Einwirkung dieses Schwerkraftsreizes dem oberen Gelenkpolster Widerstand leisten — ändert man die Lage (durch Drehung am Klinostaten oder durch Umkehrung einer Pflanze), so tritt auch am Tage die Senkung der Blätter, — mit Ausnahme der kurz vor- her entfalteten — ein. Wenn aber — wie nach Analogie mit anderen Schlafbewegungen anzunehmen ist — gegen Abend die Turgeszenz im Gelenkpolster steigt und zwar im oberen Teil rascher als im unteren, so überwiegt die Spannung des oberen Teils auch den „Geotonus“ des unteren, es findet Senkung statt, die bei Wegfall des Geotonus nicht rückgängig gemacht wird. !) Dabei kann ein und dieselbe Pflanze sich je nach der Beeinflussung des Wurzel- systems zu verschiedenen Zeiten verschieden verhalten. Die Sensitiven. 433 . Eine Pflanze 'blieb 18 Tage auf dem Klinostaten. Während dieser ganzen Zeit blieben die Blätter, welche beim Beginn des Versuchs sich „abwärts“ (d. h. nach der Sproßachse zu) bewegt hatten, in dieser Stellung. Die neu entfalteten Blätter nahmen bei der Entfaltung zunächst eine zur Sproßachse rechtwinklige Richtung an und bewegten sich dann auch nach „abwärts“ !). Aber sie hoben sich morgens etwas vom Sproß ab, führten also einen Versuch zur Aufwärtsbewegung aus, der dann später wieder in Abwärtsbewegung überging. Nachdem die Pflanze vom Klino- staten abgenommen worden war, führten die sämtlichen Blätter (soweit sie noch nicht altersstarr waren) innerhalb kurzer Zeit?) die Aufwärts- bewegung in die normale „Tagesstellung“ aus. Die Infloreszenzen brachten es auf dem Klinostaten nicht zur vollen Aufrichtung der Tagesstellung, sie gelangten nur in eine Lage, in der sie mit der Sproßachse einen Winkel von 9u° machten. Daß das Verhalten der Blätter und Infloreszenzen auf dem Klino- staten nicht etwa den Erschütterungen durch das Drehwerk oder dem veränderten Lichtgenuß zuzuschreiben ist, geht schon aus dem überein- stimmenden Verhalten von Pflanzen, die, um 180° gedreht, still standen, hervor. Vielmehr handelt es sich darum, daß die Unterseite des Gelenk- polsters in ihrem Verhalten von der Schwerkraft beeinflußt wird, derart, daß sie nur dann, wenn sie nach unten gekehrt ist, der Oberseite Wider- stand leisten kann, sei es, daß sie durch die Schwerkraft zu stärkerem Wachstum oder stärkerem Turgor veranlaßt wird. Ersteres ist deshalb wahrscheinlich, weil eine Verlängerung des Gelenkpolsters nach der Ent- faltung des Blattes nachgewiesen werden konnte. Indes liegt die Unter- suchung dieser physiologischen Frage außerhalb des Rahmens unserer Dar- stellung. Erwähnt sei nur, daß die das zentrale Leitbündel umgebende Stärkescheide im Gelenk deutlich aui Ober- und Unterseite einen ver- schiedenen Bau aufweist. Sie ist auf der Unterseite stärker entwickelt als auf der Oberseite. Auf ersterer besteht sie aus 2—3 Lagen von Zellen (die übrigens gegen die Parenchymzellen hin nicht scharf ab- gegrenzt sind), auf letzterer aus einer. Es scheinen die Stärkekörner in dem unteren Teile der Stärkescheide auch größer zu sein als im oberen. Daß sie beweglich sind, d. h. infolge der Lagenveränderung des Blattes ihre Lage in der Zelle ändern, wurde festgestellt. Wenn sie, wie die be- kannte Theorie annimmt, als Statolithen funktionieren, wäre es deshalb ver- ständlich, daß die Unterseite des Gelenkpolsters für den Schwerkraftsreiz empfänglicher ist, als die Oberseite. ‘ Wir haben in B. somnulentum also eine Pflanze vor uns, bei der nicht nur das „Erwachen“ der Blätter am Morgen, sondern auch ihre normale Tagesstellung von der Schwerkraft beeinflußt wird: nur wenn die Unter- seite des Gelenkpolsters nach unten gekehrt ist, kann sie den Antagonismus der oberen Gelenkpolsterhälfte überwinden. Dieses, im einzelnen näher zu untersuchende, von verschiedenen Ein- flüssen abhängige Gegenspiel zwischen den beiden Gelenkpolsterhälften kann, wie mir scheint, derzeit nicht teleologisch gedeutet werden. Man kann die Abwärtsbewegung der Blätter minder gut bewurzelter Pflanzen doch nicht wohl als eine für diese wohltätige Schutzeinrichtung 1) Im Sinne der Sproßachse, nicht nach der Lage zur Erde! j 2) Diese konnte aus einem zufälligen Grunde nicht bestimmt werden, sie kann aber nicht länger als 3 Stunden betragen haben. Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 28 434 . Neunter Abschnitt: betrachten, welche gut bewurzelte Pflanzen nicht nötig haben. Und sollte es etwas anderes als ein „Zufall“ sein, daß diese Blätter die Schwerkraft zum „Aufwachen“ brauchen wie die „geonyktinastischen“ zum Einschlafen ? In beiden Fällen liegt, wie mir scheint, keine „Anpassung“ vor, son- dern eine, durch die Eigenheiten der lebenden Substanz dieser Pflanzen bedingte Reizbarkeit, die auch ganz gut fehlen könnte — wie sie bei den meisten anderen Pflanzen, soweit wir wissen, tatsächlich fehlt. Welchen Nutzen sollten die Pflanzen davon haben, daß sie eine bestimmte Lage zur Schwerkraft brauchen, um ihre Blätter in die Tagstellung überzuführen ? Aus diesen Gründen war mür das Verhalten von B. somnulentum von sroßem Interesse. Möglich, daß eingehendere Untersuchung das Bild der Pflanze anders gestaltet als es hier in groben Umrissen zu entwerfen versucht wurde. Jedenfalls wird aber aus dem Vorstehenden hervorgehen, wie unvollständig eine seit Jahren in unseren Gewächshäusern vielfach gezogene Pflanze noch bekannt ist. Ubrigens scheint es, daß die bei B. somnulentum beschriebenen Vor- gänge auch bei B. sensitivum, nur in viel geringerem Grade, sich finden. Die traumatonastischen und thermonastischen Bewegungen können außer Betracht bleiben, da man ihnen wohl von vornherein keine be- . sondere biologische Bedeutung zuschreiben wird. Um zu ermitteln, wie weit B. somnulentum ombrophob ist, wurden teils ganze Pflanzen im Topf, teils einzelne Blätter in Regenwasser und in einen warmen Raum gestellt. Z. B. wurde eine Pflanze am 7. Juli 6" abends mit dem Topf in eine Schale mit Wasser gebracht. Die Blätter entfalteten sich am anderen Morgen normal. Die Unterseiten der Blattfiedern erscheinen im Wasser durch eine anhängende Luftschicht silberig, sind also nicht benetzbar. Die Schlafbewegungen wurden auch die ganze Zeit, welche die Pflanze im Wasser zubrachte (4 Tage lang), fortgesetzt. Eine Beschädigung der Pflanze konnte — . abgesehen etwa von dem verfrühten Abfallen der Fiedern älterer schon abgelebter Blätter — nicht bemerkt werden, sie wuchs nach dieser Zeit weiter und die Blätter führten die üblichen Reiz- bewegungen aus. Rückblick. Die obige Schilderung zeigt, daß bei Biophytum im Gegensatz zu Mimosa die photonastische und hygronastische Reizbarkeit der seis- ee monastischen zum mindesten gleichkommen. Vermutlich sind beide — wenn sie überhaupt für das Leben der Pflanze von größerer Bedeutung sind — für diese auch wichtiger als jene. Das Gegenspiel der beiden antagonistischen Gelenkhälften des Haupt- blattstiels zeigte sich als ein von verschiedenen äußeren und inneren Ein- flüssen abhängiges. Die Oberseite ist die stärkere und weniger empfindliche. Ihr ist die Unterseite nur gewachsen, wenn sie durch eine gute Wasser- versorgung dazu geeignet wird, sie kann dann sogar nachts unter Um- ständen das Blatt nach oben richten, während sie bei schlechterer Wasser- versorgung nachgeben und das Blatt sich senken lassen muß. Die am Morgen eintretende Hebung kann sie nur unter Mitwirkung eines Schwer- kraftreizes zuwegebringen: die sonst übliche stärkere Turgeszenz genügt hier nicht. Am Klinostaten verfallen solche Pflanzen — was die Haupt- blattstiele betrifft — in einen Dauerschlaf. Die Gelenkpolster der Fieder- blättchen dagegen zeigen das übliche Verhalten. \ R en Die Sensitiven. i 435 Wir sehen in B. somnulentum ein besonders deutliches Beispiel da- für, daß ein Pflanzenorgan durch seine Struktur bedinste Bewegungen ausführt, ohne daß wir für diese „Ziel und Zweck“ angeben konnten. S 16. Averrhoa. Die baumförmigen Oxalideen A. Bilimbi und A. Carambola sollen hier nur kurz angeführt werden — sie verhalten sich im wesentlichen ebenso wie manche Oxalis-Arten, z. B. O. sepium. Wie diese zeigen die Fiederblättchen (welche mehrmals größer sind als die von Biophytum somnulentum) ausgesprochene „spontane“ Bewegungen, von denen DARwIN !) anführt, daß sie denen von D. gyrans gleichkommen. Daß, ebenso wie dies für B. sensitivum angeführt wurde, ihre nyktinastischen (wahr- scheinlich auch die seismonastischen) Bewegungen ziekzackförmig (mit Hebungen und Senkungen) erfolgen, dürfte darauf beruhen, daß diese Bewegungen nur eine Veränderung der spontanen Hebungs- und Senkungs- bewegungen darstellen, wobei die Senkung dadurch zustande kommt, daß die Abwärtsbewegung jedesmal verstärkt wird. Für die teleologische Deutung der spontanen Bewegungen ist es jedenfalls von Wichtigkeit, daß solche Bewegungen auch bei Bäumen vorkommen. Der von Stan für Desmodium gyrans aufgestellte teleologische Deutungsversuch scheint mir schon für diese Pflanze nicht zutreffend, auf die Averrhoabäume aber vollends nicht anwendbar zu sein. s 17. Oxalis. Die Schlafbewegungen von Ox. Acetosella und andere Arten waren lange bekannt, ehe man wahrnahm, daß viele Oxalis-Arten auch seis- monastische Reizbarkeit besitzen. Zuerst wurde das bei O. stricta be- obachtet — wie MOoRrREN ?) erzählt, dadurch, daß Studenten in Modena mit Stöcken auf Pflanzen schlugen und dabei auf die Bewegung -der Teilblättchen nach unten aufmerksam wurden. Schon daraus geht hervor, daß die seismonastische Reizbarkeit dieser in Europa verwilderten amerikanischen Art keine sehr erhebliche ist. Es mag deshalb zunächst das Verhalten einer besonders sensitiven Art kurz geschildert und daran die Erwähnung einiger anderer Arten angeknüpft werden. Diese Art, welche in allen botanischen Gärten zu finden sein sollte, ist Oxalis sepium. Es ist eine strauchige, reich verzweigte Pflanze, welche ausgepflanzt in einem ungeheizten nach Süden gelegenen Gewächshause in einem Sommer über 1 m lange Sprosse bildete, rötlich-weiße Blüten sowie Früchte in Menge hervorbrachte. Wie bei Biophytum somnulen- tum?) keimen die Samen sofort, längeres Austrocknen scheinen sie nicht zu vertragen. !) A.a.0.p. 330 und die dort angeführte Mitteilung von LyncH. — Meyen (a. a. 0. p. 341) stellt mit Unrecht die Reizbarkeit von Averrhoa in Abrede. Er konnte an kleinen und großen Bäumen der beiden Arten lediglich Schlafbewegungen aber keine seismonastischen beobachten. Vielleicht fiel seine Beobachtung in eine Zeit, in der die Temperatur zu niedrig war. Ein Gewächshausexemplar von A. Carambola fand ich stark seismonastisch reizbar, mindestens in demselben Grade wie Biophytum. ?2) Cm. Morren, Note sur l’exeitabilit& et le mouvement chez les Oxalis, Bull. de l’Acad. des sciences de Bruxelles 1839 P. II p. 68. Abgedruckt in Ann. des scienc. nat. II ser. t. 14 bot. (1840) p. 350. : ®) Die von B. sensitivum brauchten in meinen Kulturen längere Zeit zur Keimung. 28* 436 Neunter Abschnitt: Ich erhielt die Pflanze als „O. hedysaroides“. Dazu sei folgendes bemerkt: O. hedysaroides ist eine Pflanze aus Peru, die (wie in der Flora , brasiliensis t) angeführt wird) von Zuccarini mit der brasilianischen O. sepium verwechselt wurde. Es heißt dort „differt petiolis multo longioribus, foliolis subtus glaucis superne medio linea pallida notatis, racemulis brevioribus, filamentis longioribus lanuginoso-pilosis et praeprimis cap- sula ovato — globosa loculis monospermis“ —, während O. sepium drei- samige loculi hat. Da unsere Pflanzen reichlich fruchteten, so war leicht festzustellen, daß die als „O. hedysaroides“ bezeichneten Pflanzen nicht mit dieser, sondern mit O. sepium in der Mehrsamigkeit der Fruchtfächer und in der Beschaffenheit der Filamente übereinstimmt ?). Die Verwechslung der beiden Arten findet sich auch bei HıLpEBRAND ?), der ohne Begründung die Behauptung aufstellt, daß O. sepium = O. hedy- saroides H.B.K. sei. (Er meint, die Schlafbewegung der Blätter dieser Art gehe so vor sich, daß „die Unterseiten der Blätter so wenig wie möglich der Verdunstung ausgesetzt sind“ — eine Auffassung, welche der später zu erwähnenden StAnr’schen ganz entgegengesetzt ist.) O. sepium war offenbar auch die von H. Morısc# in Buitenzorg untersuchte OÖ. „hedy- saroides“*) H.B.K. Denn O. sepium ist ein brasilianisches Unkraut, das z. B. in der Umgegend von Rio de Janeiro wächst, von wo aus die Samen jedenfalls leichter auch in andere Tropengegenden verschleppt werden konnten als von Peru aus die der wirklichen O. hedysaroides. Es ist eine Pflanze, die dem Blattbau nach als Schattenpflanze zu be- trachten ist — wenigstens soweit man nach Gewächshauspflanzen urteilen kann. Der Flora brasiliensis gibt nur ganz unbestimmt an, sie wachse „locis montanis apricis umbrosisve“. Die Blätter schmecken schwach sauer. Namentlich junge Pflanzen führen bei Erschütterung rasch verlaufende Blattbewegungen aus. Aber der Ausschlag ist ein unbedeutender, die Senkung der Blättchen betrug (Anfang Februar) in einem Einzelfall nur etwa 20°°). Blätter älterer Pflanzen reagierten zu dieser Zeit langsamer, senkten sich aber tiefer (etwa um 40°). Erst weitere, kräftige Erschütte- rungen, z. B. wenn man die Blätter stark anbläst, so daß sie im Hauche flattern, führten die maximale Reizstellung — eine Senkung um etwa 90° (entsprechend der Schlafstellung) herbei. Bedeckt man die Pflanze von O. sepium mit einem Rezipienten, so zeigen die Blätter Guttation sowohl am Rand als auf der Oberfläche. Letztere besitzt zahlreiche Spaltöffnungen, die wohl auch als Wasser- spalten tätig sind. Ob am Rande die Ausscheidung etwa aus den dort befindlichen keulenförmigen Haaren erfolgt, wurde nicht näher untersucht. 0. sepium ist hygronastisch und photonastisch. Hygronastische Bewegungen treten ein, wenn man kleine Pflanzen mit einer Glasglocke bedeckt und diese ohne Erschütterung der Pflanze entfernt. Es erfolgt dann sofort eine Senkung der Blättchen, aber auch 1) Vol. XII. ?) Der Blütenfarbe nach gehört sie zur var. y picta. >) F. HınLpesrann, Die Lebensverhältnisse der Oxalis-Arten. Jena 1884 p. 10. *, H. Morıscnh, Über eine auffallend rasche autonome Blattbewegung bei Oxalis hedysaroides H B.K. Berichte der deutschen botan. Gesellsch. XXII (1904) Die mir von Morısc# freundlichst überlassenen Samen keimten leider nicht. Die Münchener Pflanzen stammen aus Budapest. wohin sie viel'eicht von Wien kamen. Die Narben standen bei der untersuchten Blütenform in derselben Höhe wie die längeren fünf Staub- blätter. es konnte also leicht Selbstbestäubung eintreten. 5) Es mag das damit zusammenhängen, daß die Gelenke sehr kurz sind. . Die Sensitiven. 437 hier war sie zunächst nur eine unbedeutende. Vielleicht kann sie aber bei starker Verschiedenheit im Wasserdampfgehalt bis zur vollständigen Abwärtsrichtung gesteigert werden. Daß die Ptlanze hygronastisch ist, zeigt sich auch sonst. Wenn man sie in kleine Töpfe pflanzt und die Erde austrocknen läßt, so senken sich zunächst die Fiederblättchen der untersten Blätter. Begießt man jetzt, so führen die weiter oben stehenden deutlich sichtbare Abwärts- bewegungen aus, ähnlich den Reizbewegungen nach Begießen, die oben für Mimosa pudica beschrieben wurden. Nach einiger Zeit gehen sie zurück. Die photonastische Empfindlichkeit ist eine stark ausgeprägte. Bringt man eine Pflanze aus dem Schatten in direktes Sonnenlicht, so tritt so- fort eine Senkung der Blättchen ein. Ein besonders merkwürdiges Bild bietet eine reichbeblätterte Pflanze, wenn abends ihre Blätter sich dazu anschicken, in die Schlafstellung über- zugehen. Zuerst geschieht das bei dem Endblättchen jedes dreizähligen Blattes. Erst in (kürzeren oder längeren) Zwischenräumen folgen die Seitenblättchen. Aber der Übergang in die Schlafstellung erfolgt nicht wie bei anderen Pflanzen durch eine stetige kaum merkliche Senkung, sondern mit deutlichen raschen Rucken. Meist traten zunächst zwei solcher mit kurzer Zwischenzeit auf, dann eine längere Ruhezeit. Ob während dieser etwa kleine, mit bloßem Auge nicht gut wahrnehmbare Bewegungen nach oben erfolgen, wurde nicht untersucht. ‚Jedenfalls gibt es wohl kaum eine andere Pflanze, bei welcher sich die Schlafbewegungen auffallender vorführen ließen, als O. sepium. Die Rucke sind wohl dadurch bedingt, daß der Widerstand des passiv zusammengedrückten Teiles des Gelenkpolsters jedesmal erst wieder über- wunden werden muß, ehe eine neue Kompression eintreten kann. Die traumatonastischen Reizbewegungen sind bei O. sepium wenig auffallend. Selbst wenn ein Blättchen so "stark versengt wird, dab mehr als die Hälfte der Blattfäche abstirbt, führt es nur eine unbedeutende Senkung aus. Fortleitung des Reizes findet statt, aber führt zu noch weniger ausgiebigen Bewegungen. Wie MouiscHh gefunden hat, zeichnen sich die Blättchen (ähnlich wie die von Averrhoa Bilimbi) auch durch auffallend rasch verlaufende „autonome“ Bewegungen aus, welche bei günstigen Außenbedingungen die von Hedysarım gyrans an Schnelligkeit übertreffen. Die Blattspitzen führen eine Senkung von 30—45° in einer oder wenigen Sekunden aus und legen dabei einen Weg von Y,—1'/, cm zurück. Wenn man be- denkt, daß das Klima in Rio während eines großen Teiles des Jahres verhältnismäßig trocken ist und daß die Bewegungen nur bei einer Tem- peratur von über 25° in erheblicherem Maße vor sich gehen. einer Tem- peratur, bei der das „Sättigungsdefizit“ der Luft ein größeres sein wird, als bei niedrigerer Temperatur, so wird man nicht geneigt sein, die Blättchenbewegung als im Dienste der ‚Transpirationsförderung stehend zu betrachten. Bei O. sepium sind die Blütenknospen nach abwärts gerichtet. Vor dem Aufblühen heben sie sich so, daß sie horizontal stehen, manchmal auch etwas nach oben. Nach der Befruchtung tritt wieder Senkung ein, die Früchte reifen in dieser Lage, dann richten sie sich vertikal auf und die Samen „explodieren“. Sie gelangen durch 5.Spalten in der Mitte der Fruchtblätter nach außen. Die Fruchtblätter bleiben aber mitein- ander vereinigt. Die aufrechte Stellung der Früchte erleichtert die Samen- 438 Neunter Abschnitt: verbreitung insofern, als die Wurfweite der Samen vergrößert wird: wenn die Samenabschleuderung in der nach unten gekehrten Lage eintreten würde, würden die Samen früher den Boden erreichen. Indes kommt ‘eine Aufrechtstellung der Früchte, wie die im 3. Abschnitt angeführten Fälle zeigen, auch unter Verhältnissen vor, in denen die soeben angeführte Erwägung nicht zutrifft. Ein Nutzen der seismonastischen Reizbewegungen von 0. sepium ist bis jetzt nicht erwiesen. Dasselbe gilt für andere Oxalis-Arten. Die einheimische ©. Acetosella wurde zuerst von F. CoHn näher untersucht '. Er wies nach, daß die Blätter seismonastisch reizbar sind, und daß dieselbe Bewegung auch durch Anbrennen der Blätter herbei- geführt werden kann, während eine Verwundung eines einzelnen Blättchens keine Bewegung der anderen auslöse. Auch in direktem Sonnenlicht wird die „Schlafstellung“ angenommen. Die zeitlich darauf folgenden Untersuchungen bezogen sich auf den Mechanismus der Bewegung, waren also rein " physiologischer Art und fallen deshalb außerhalb unserer Aufgabe. Dabei wurde eine Fortleitung des Reizes, wie sie bei Biophytum so leicht wahrnehmbar ist, ausdrücklich in Abrede gestellt. Aber trotz der verhältnismäßigen geringen Reizbarkeit findet eine Fortleitung des Reizes bei Oxalis Acetosella?) statt. Die Blätter sind auch thermo- und wahrscheinlich (wie dies für die von O. strieta a. a. OÖ. nachgewiesen wurde) hygronastisch reizbar. Ein Nutzen der seismonastischen Reizbewegungen ist bei diesen beiden in Europa weit verbreiteten Arten nicht nachgewiesen. Schutz gegen Tierfraß kann bei den langsam ausgeführten Bewegungen nicht in Betracht kommen, eben- Sowenig ist ein Schutz gegen Beschädigung durch Regen oder Hagel festgestellt (vgl. GOEBEL a.a.O.p. 81). Ubrigens senken sich die Blättchen beim Herannahen eines Gewitters meist schon durch die diesem voraus- gehende Lichtabnahme. Die photonastischen Bewegungen, welche bei starker Beleuchtung durch Abwärtssenken der Blättchen ausgeführt werden, können der Schattenpflanze O. Acetosella, wenn sie vorüber- gehend (etwa bei hohem Sonnenstand in einer Waldblöße) stärkerer Be- leuchtung ausgesetzt ist, nützlich sein. Indes wird sie an den meisten Standorten nicht in diese Lage kommen. Und die Sonnenpflanze O. strieta „gewöhnt“ sich an länger dauernde starke Beleuchtung”) und senkt ihre Blättchen nicht mehr — welkt übrigens auch, wenn das letztere ein- trat, rasch. Daß ein Nutzen für die seismonastischen Bewegungen der Oxalis- Arten nicht nachgewiesen ist, kann nicht überraschen, denn dasselbe gilt, wie wir oben sahen, für die Biophytum- Arten, bei denen die Reizbewegung sehr viel rascher verläuft. Am wenigsten bzw. gar nicht-seismonastisch reizbar dürften die Oxalis- Arten sein, welche auch keine nystinastischen Bewegungen ausführen. Es gehören dahin (nach HaxscıRe) namentlich eine Anzahl südafrikanischer Arten wie O. variabilis, hirta, flava, isopetala. Einige andere südafri- kanische Arten wie O. cernua und compressa haben zwar Schlafbewegungen, aber — namentlich die letztgenannte — viel weniger auffallende als wır sie z. B. bei O. Acetosella kennen. }) Fr. Conx, Über die Bewegungen bei unseren einheimischen Oxalis-Arten. Bericht über die Verhandl. der botan. Sektion der Schles. Gesellsch. 1859 p. 54. ?) GoeBEL, Das Rumphiusphänomen p. 74ff. ®) GOoEBET a. a. O Die Sensitiven. 439 Wenn man die Schlafbewegungen als eine Einrichtung zur Tran- spirationsförderung ansieht, ist es leicht verständlich, daß Pflanzen, die in einem niederschlagsarmen Gebiet vorkommen, sie nicht aufweisen. Hier kommt das nur insofern in Betracht, als der damit verbundene Mangel an seismonastischer Reizbarkeit mit dafür spricht, daß diese nur als Begleiterscheinung aufzufassen ist, und deshalb nicht notwendig auch an sich nützlich sein muß. Ob die Angabe, daß auch einige südamerikanische Arten (z. B. O. daph- naeformis) keine Schlafbewegungen und keine seismonastische Reizbarkeit aufweisen, zutrifft, bleibe dahingestellt. Am ehesten sollte man das an- nehmen von OÖ. carnosa, die mit ihren fleischigen Blättern sich deutlich als xerophile!) Pflanze zu erkennen gibt. Sie führt Schlafbewegungen aus, ist aber seismonastisch sehr wenig reizbar. Wenn auch im allgemeinen wohl ein Parallelismus zwischen seismonastischer Reizbarkeit und der Ausführung von Schlafbewegungen vorhanden sein dürfte, so braucht dieser doch nicht überall hervorzutreten, zumal die „Präsentationszeit“ in beiden Fällen doch offenbar eine sehr verschiedene ist. Weitere Unter- suchungen müssen zeigen, wie weit der Parallelismus geht. $ 18. Rückblick auf die Sensitiven. Die Folgerungen, die sich aus den vorstehenden Mitteilungen ergeben, stimmen überein mit denen, zu welchen die Betrachtung der reizbaren Blüten Veranlassung gab. Nur kommt bei den Sensitiven die aus- gesprochene Dorsiventralität ihrer Gelenkpolster in Betracht. Diese ur- sprünglich im Dienste der Entfaltung und der Erhaltung der Entfaltungs- stellung verwendet, ermöglicht mannigfaltige Bewegungen teils „auto- nome“, teils induzierte. Gerade die auffallendsten und am längsten be- kannten dieser Bewegungen — die seismonastischen — aber haben eine auch nur einigermaßen sichere teleologische Deutung bis jetzt nicht ge- funden. Es liegt von dem hier vertretenen Standpunkt aus auch keine Nötigung vor, ein Ziel und einen Zweck dieser Bewegungen zu fordern. Ebenso wie die Entfaltungsbewegungen können die Reizbewegungen, welche - durch Turgorvariation ausgeführt werden, unter Umständen nützlich sein. Auch dann aber liegt, wie in anderen Fällen eine nachträgliche Aus- nutzung vor, nicht eine allmählich herangezüchtete Anpassung. Es wird nicht überflüssig sein, zu untersuchen, ob diese Auffassung auch auf eine andere Gruppe von Reizbewegungen, die sogenannten nyktinastischen oder Schlafbewegungen anwendbar ist. ") Vgl. z. B. GoEBEL, Pflanzenbiolog. Schilderungen I p. 45 Fig. 46. Zehnter Abschnitt: Die Schlafbewegungen. $ 1. Einleitung. Unter „nyktinastischen“ oder „Schlafbewegungen“ ') verstehen wir — aus unten anzuführenden. Gründen — hier ganz allgemein die, welche abends eintreten und morgens wieder rückgängig gemacht werden — also ohne Rücksicht auf die äußeren und inneren Bedingungen, von welchen diese Bewegungen abhängen. Es wurde auf sie schon im bisherigen Verlauf der Darstellung mehrfach hingewiesen, waren sie doch die Reizbewegungen, welche der Mensch an Pflanzen zuerst wahrnahm (vgl. unten p.' 441). Wenn ihre ökologische Bedeutung hier besonders besprochen wird, so bedarf das der Begründung. Diese ist dadurch gegeben, daß auch diese Bewegungen zustandekommen durch Ausnützung von Entfaltungs- bewegungen. 2 a Zwar ist die früher öfters aufgestellte Behauptung, die nyktinastischen - Bewegungen stellten eine Rückkehr zu der im Knospenzustand einge- nommenen Lage.der Organe dar (wie H. v. Mont schon vor langer Zeit dargelegt hat), in dieser allgemeinen Form nicht richtig. Das zeigen schon die Blattorgane, die nachts sich abwärts bewegen, während sie im Knospen- zustand aufgerichtet waren. Als Beispiel sei das Verhalten der Rand- blüten von Ührysanthemum frutescens (Fig. 215, 216) genannt. Aber es handelt sich bei den Schlafbewegungen, welche durch Wachstumsver- schiedenheiten zustande kommen, ebenso um Beeinflussung von Epi- und Hyponastie wie bei der Entfaltung, bei den nyktinastischen Variationsbe- wegungen um Schwankungen in der Spannung auf den verschiedenen Seiten eines Spannungsgelenkes. Das sind also. gerade die bei der Ent- faltung und, was die Gelenke anbetrifft, bei dem Verharren im entfalteten Zustand beteiligten Vorgänge. Das ist von großer Bedeutung, wenn es sich um die hier allein zur Erörterung stehende Frage handelt, ob die nyktinastischen Bewegungen im Kampf ums Dasein erworbene Anpassungen darstellen (wie vielfach angenommen wurde), oder eine durch den Wechsel der Außenbedingungen veranlaßte Beeinflussung des Entfaltungsapparates, eine Beeinflussung, die unter Umständen für die Pflanze vorteilhaft sein kann, aber das nicht notwendig zu sein braucht. Die geschichtliche Entwicklung unserer Kenntnisse soll nicht im einzelnen verfolgt werden. Es sei nur erwähnt, daß die nyktinastischen Bewegungen an den Blättern mancher Bäume am auffallendsten hervor- treten. Es ist deshalb nicht zu verwundern, daß den Griechen bei dem ı) Daß dieser Ausdruck ein unzweckmäßiger ist, braucht kaum bemerkt zu werden. Er hat sich aber seit List eingebürgert und wird kaum mehr zu beseitigen sein. Die Schlafbewegungen. 441 Asienzuge Alexander des Großen zuerst das Verhalten von Tamarindus indica auffallen mußte, einem Baume, der häufig angepflanzt wird, und da er sehr bedeutende Größe erreichen kann, den Unterschied der Tag- und der Nachtstellung der Blätter besonders eindrücklich hervortreten läßt. Chrysanthemum frutesecens. Blütenköpfe in Tagstellung. Fig. 216. Chrysanthemum frutescens. Blütenköpfe in Nachtstellung. Es ging die Kenntnis dieser Bewegungen auch in Europa (wo kein Baum mit nyktinastischen Blattbewegungen einheimisch ist) keineswegs verloren. Sie sind vielmehr von Valerius Cordus und anderen mittelalterlichen Naturforschern erwähnt worden. Aber die nyktinastischen Bewegungen a 442 Zehnter Abschnitt: der krautartigen europäischen Pflanzen wurden wegen ihrer geringeren Augenfälligkeit nicht weiter beachtet. Deshalb waren es lange die Be- obachtungen an tropischen Holzpflanzen, welche das Interesse an diesen Bewegungen wachhielten. In RumrHivs’ „herbarium amboinense“ werden z. B. für eine ganze Reihe von Pflanzen Blattbewegungen beschrieben. So sagt er!) von „Tuoa“ (Aeschynomene grandiflora): „in ejus foliis observatur quoque natura seu qualitas solisequa, uti in Cristae Pavonis, Tamarindi similiumque plantarum foliis quae longos gerunt ordines parvorum conjunctorumque et oppositorum foliorum, quae .meridionali tempore penitus sunt explicata, vespertino autem tempore sese claudunt oblique antrorsum sub rachide, quaeque per totam noctem ita complicata et quasi clausa manent usque ad matutinum tempus, quum iterum sese erigunt sed non multum explicantur, donec sol ortus atque supra horizontum sit elevatus; sigue hujus arboris ramulus avellatur ejus folia quidem clauduntur sed nunquam iterum explicantur.*“ Dasselbe wird (Liber VI p. 66) auch von Caesalpinia Sappan angegeben, von der ausdrücklich bemerkt wird, daß man die Blätter nach dem Abschneiden eines Zweiges durch keine Kunst oder Kraft „offen“ erhalten könne — nicht einmal nach einer Viertelstunde trat eine Offnungsbewegung ein. — Diese Angabe beruht aber wohl darauf, daß die abgeschnittenen Zweige ohne Wasserzufuhr gelassen wurden. Abgeschnittene Blätter von Pithe- colobium Saman zeigten in Wasser liegend — wie das auch von Mimosa- blättern bekannt ist — mehrere Tage hindurch die „Schlafbewegung“, wenn auch die Tagstellung nur schwach angenommen wurde. Die Schließbewegung von Blättern (die oft seismonastisch sehr wenig reizbar sind) infolge von Verletzung der Wurzeln ist von Rumrnıus ent- deckt und deshalb vom Verf. als „Rumphiusphänomen“ bezeichnet worden ?). Sie wurde lange Zeit kaum beachtet. Sie tritt bei den verschiedenen Pflanzen ungleich rasch ein. So gehören Phyllanthus Niruri und Ph. Urinaria zu den rasch reagierenden Pflanzen, Pithecolobium Saman und Tamarindus indica zu den langsam reagierenden. Ein 10 Minuten vor fünf Uhr abgeschnittenes mit dem Stiel in Wasser gestelltes Blatt von Pithecolobium war z. B. 6"10 in voller „Schlafstellung“ während die nicht abgeschnittenen Blätter der daneben stehenden Pflanze noch in Tagstellung waren. Dasselbe war an einem abgeschnittenen Zweig von Tamarindus indica der Fall ?). Rumvrniıus führt für die Schlafstellung auch noch andere als die oben genannten Pflanzen an, z. B. Aegle Marmelos, deren Blätter sich nachts zurückbiegen und nach dem Stamm hinneigen. Die Bezeichnung „Schlaf“bewegungen ist wohl durch Linn& eingeführt worden, dem man den Hinweis darauf verdankt, daß auch viele europäische Pflanzen nyktinastische Bewegungen ausführen. Lıss# fielen die Schlafbewegungen (der Namen rührt wohl von ihm her) einzelner Leguminosen schon früh auf. Er erwähnt schon im Hortus Chiffortianus *) von Aeschynomene (deren seismonastische Reizbarkeit er — JR BER: ch ?) Goeger, Das Rumphiusphänomen. Biolog. Zentralblatt 1916. 3) Nieht alle Blätter verhalten sich gleich. Der abgeschnittene Zweig von Tama- rindus war am anderen Tag schon vor 3 Uhr mit seinen Blättern in die Schlafstellung übergegangen, verhielt sich also wie eine Pflanze mit schlechten Wurzeln (vgl. unten). *) 1737. Daß Linn& den Lebenserscheinungen der Pflanzen großes Interesse ent- gegenbrachte, geht aus zahlreichen in seinen Schriften zerstreuten Beobachtungen hervor. Diese haben aber seine Zeitgenossen und Nachfolger weniger beeinflußt als seine groß- artige systematische Tätigkeit. Die Schlafbewegungen. 445 vielleicht wegen zu niederer Temperatur — nicht bemerkte) „Omni nocte discedente sole, concinne folia claudit, et quasi visu polleret, dormit in proximum matutinum tempus, quo iterum expergefacta, folia expandit, et foholts superbit.“ Besonders bekannt geworden sind die Schlafbewegungen dann durch die p. 1 angeführte Abhandlung eines Schülers von Linx&, die freilich auf die vorlinne’ischen Schriftsteller keinerlei Rücksicht nimmt. Die Deutung der Schlafbewegungen war ebenso wie die der seis- monastischen Bewegungen anfangs” eine naiv-psychologische, dann eine teleologische. Die erstere (die wir auch bei RumpHıus finden) betrachtete die Schlafbewegungen als Zeichen der Trauer über den Untergang der Sonne. Die letztere, die wie p. 1 u. 2 angeführt ist, schon zu Lisne’s Zeiten geäußert wurde, fand in ihnen eine Schutzeinrichtung — eine Annahme, die in mehrfach veränderter Form bis auf unsere Tage herrschend ge-. blieben ist. Im folgenden sollen — ehe auf die jetzt herrschenden teleologischen Deutungen eingegangen wird — die durch Epi- bzw. Hyponastie bedingten Schlafbewegungen, dann die Variationsbewegungen besprochen werden. Diese Unterscheidung braucht nicht zusammenzufallen mit der: Schlaf- bewegungen ohne und solche mit Spannungsgelenken. Denn auch die letzteren können namentlich vor ihrer Fertigstellung Bewegungen durch Wachstumsverschiedenheit ausführen. Auf die früher schon besprochenen nyktinastischen Bewegungen von Neptunia, Biophytum u. a. sei verwiesen. Ss 2. Nyktinastische Bewegungen von Blättern ohne Spannungsgelenke. “ Bei einer Anzahl von Pflanzen zeigen die noch im Wachstum be- griffenen Blätter nyktinastische Bewegungen, die dazu führen, daß nachts bei den meisten die Blätter sich aufrichten, weniger häufig daß sie sich senken, noch seltener dazu, daß die Blattspreite eine Drehung erfährt. a b Fig. 217. Amarantus Blitum (verkl.). «a in Tages-, db in Nachtstellung nach Jocr. Die Pflanzen, deren Blätter sich senken (Fig. 217), sind meist solche, bei denen die Blätter infolge von Verdunkelung gesteigertes epinastisches, die 444 Zehnter Abschnitt: welche sich heben, solche, die hyponastisches Wachstum erfahren. Aber es braucht diese Beeinflußbarkeit keine so starke zu sein, daß sie immer auch in Gestalt von nyktinastischen Bewegungen auftritt. So führen z. B, die Sprosse von Mercurialis perennis (vol. p- . 16) keine Schlafbewegungen aus, während sie bei längerer Verdunkelung sich einkrümmen. Wir können also sagen, daß (durch Licht bedingte) Schlafbewegungen bei solchen Pflanzen auftreten, die für Schwankungen von Licht, Wärme u. a. besonders empfindlich sind. "Ähnliche Verschiedenheiten treten ja gegenüber un nischen Reizen auf (vgl. Abschnitt IX‘). Es fragt sich zunächst ob die Fähigkeit, solche Bewegungen auszu- führen mit den Lebensbedingungen der betreffenden Pflanzen in deutlich erkennbarer Beziehung SE Es sind Bienen? der verschiedensten Standorte, welche diese Schlaf- bewegung zeigen: von Wasserpflanzen seien hier genannt schwimmende Formen wie Pistia Stratiotes und Eichhornia crassipes, deren jüngere Blätter nachts sich aufriehten, von Sumpfpflanzen Jussiaea-Arten, Myrio- phyllum '), von Landpflanzen Ruderalpflanzen wie Stellarıa, Chenopodium und Amarantus, Waldpflanzen (bzw. Schattenpflanzen) wie Impatiens'noli tangere und Begonia valida, Pflanzen offener Standorte wie Pimelia-Arten, Nicotiana elauca u.a. Die einzelnen Arten einer Gattung verhalten sich oft verschieden, ohne daß es bis jetzt gelungen wäre, diese Verschiedenheit durch ‚eine solche der Lebensbedingungen verständlich zu machen. Von den zahlreichen Begonien unserer Gewächshäuser z. B. sind Schlaf- bewegungen bis jetzt nur für die noch nicht ganz entfalteten Blätter der strauchartig wachsenden mehrere Meter Höhe erreichenden Begonia valida bekannt ?). Während unsere einheimische Impatiens noli tangere (ebenso z. B. die bei uns oft verwilderte I. parviflora) „schläft“, habe ich bei den kultivierten Pflanzen von Imp. Holstii und I. Sultaniı keine nyktinastischen Bewegung die im Gewächshaus ausgepflanzt üppig wuchsen. Offenbar sind das -aber Pflanzen, deren Standortsverhältnisse denen von I. noli tangere gleichen — worauf schon hinweist, daß sie ebenso leicht welken wie diese. Selbst ein und dieselbe Pflanze kann sich je nach ihrem Alter ver- schieden verhalten. Sehen wir dabei ganz ab von den Kotyledonen, so sei z. B. Sida rhombifolia genannt, deren Blätter an sehr jungen Pflanzen, wie Darwın ?) bemerkt hat, nicht schlafen, während sie bei älteren das tun. Kausal dürfte die Verschiedenheit mit der stärkeren Entwicklung des Wurzelsystems bei älteren Pflanzen zusammenhängen. Wenn die Schlafbewegung der Blätter eine Transpirationsförderung bezwecken sollte, so würde man eine solche bei jüngeren Pflanzen wohl eher erwarten, als bei älteren. Zum Vergleich mit den später zu schildernden nyktinastischen Krümmungen mancher wachsenden Sproßachsen sei hier angeführt, daß auch bei Blättern nyktinastische Krümmungen einzelner Teile des Blattes vorkommen. Bei Sesbania aegyptiaca®*) z. B. führen die am Tage schon !) Bei Myriophyllum proserpinacoides — und wahrscheinlich REN anderen Arten- Sc auch die Wasserform Schlafbewegungen aus (vgl. z. B. Gorser, Exp. Morphol. 1908 p. 41, Fig. 19). ) Vgl. Gorser, Begonia valida, Flora 100 (1915) p. 347. ) Darwın, Bewegungsvermögen der Pflanzen. Deutsche Übersetzung p. 274. ) An kultivierten Pflanzen benbachtet. auch nicht bei solehen, Die Schlafbewegungen. 445 geradegestreckten aber noch nicht ausgewachsenen Teile der Blattspindel des langen, einfach gefiederten Blattes nachts eine Abwärtskrümmung aus, die mit der sonstigen, durch „Gelenke“ bedingten Bewegung dieser Blätter nichts zu tun hat, sondern durch stärkeres Wachstum der Oberseite der Blattspindel bedingt ist, morgens ist das Blatt wieder geradegestreckt. Ferner ist hervorzuheben, daß die nyktinastischen Bewegungen keines- wegs immer bis zur Annahme der Vertikalstellung gehen. Die Blätter von Malva rotundifolia z. B. bilden, wie schon RoscHinsky beobachtet hat, nachts einen spitzeren Winkel mit der Achse, wie am Tage, die Blattfläche stellt sich aber nicht vertikal, während die von M. verti- eillata durch eine Abwärtskrümmung des Blattstiels senkrecht nach unten gerichtet wird). Je nachdem die Bewegung des Blattes nach oben oder unten erfolgt, _ wird die Unterseite oder die Oberseite des Blattes nach außen gekehrt sein Da beide verschiedene anatomische und physiologische Eigenschaften haben, so ist es für die teleologische Deutung wichtig, festzustellen, ob bei nahe verwandten Pflanzen — bei denen man annehmen kann, daß die ent- sprechenden Blattflächen im wesentlichen dieselben Eigenschaften haben — die nächtliche Lage übereinstimmt oder nicht. Es sei deshalb erwähnt, daß Arten Einer Gattung sich verschieden verhalten können. So zeigen die Blätter von Atriplex hortensis nächtliche Hebung, die .von Atr. patula Senkung. Bei Sida Napaea senken sich die Blätter nachts bei S. rhombi- folia und retusa heben sie sich und werden dem Stamme angedrückt ?). Diese Erfahrungen sprechen von vornherein dafür, daß es sich um eine durch den dorsiventralen Bau des Blattes gegebene Verschiedenartigkeit handelt, ähnlich wie das für die Durchbruchskrümmungen angeführt wurde. Es wäre dann also nicht von größerer Bedeutung ob die nächtliche Krümmung des Blattes nach oben oder nach unten erfolgt. Wohl aber kann es auf die Lagenveränderung als solche ankommen, wie sie meist als eine Vertikalstellung der Blattflächen auftritt. Die Vertikalstellung als solche könnte natürlich auch durch eine Torsion herbeigeführt werden. Das geschieht aber offenbar nur sehr selten. Mir ist nur ein einziger Fall, der der jungen Blätter von Begonia valida be- kannt, die abends vertikal gestellt sind). Ich möchte das kausal damit in Zusammenhang bringen, daß die Begoniablätter asymmetrisch gebaut sind, und deshalb zu einer asymmetrischen Wachstumsverteilung nachts Gelegenheit gegeben ist. Dieses Verhalten ist auch insofern von Interesse, als hier besonders deutlich hervortritt, daß die nyktinastische Bewegung, wenn sie überhaupt eine Anpassungserscheinung darstellt, doch nur für das einzelne junge Blatt, nicht aber (oder nur ganz indirekt) für die ganze Pflanze in Betracht kommen kann. Es passen darauf also auf solche vertikal gestellte Blätter nicht die Deutungen, daß die nächtliche Aufwärtsbewegung einen Schutz der Knospen bedinge, worauf man namentlich auch wegen der Bewegungen der Kotyle- donen Gewicht legte, die bei einigen Pflanzen, bei denen die Blätter bzw. Blättchen sich abwärts bewegen nach oben hin stattfinden. Ein „Schutz“ dieser jungen Blätter selbst gegen Betauung oder Kältestrahlung kann natürlich auch für solche Einzelbewegungen angenommen werden. Doch sei hier schon hervorgehoben, daß letztere Annahme bei Tropenpflanzen, ı) VöcHring, Über die Lichtstellung der Laubblätter. Bot. Zeit. 1888, ®) Vgl. Darwın, Bewegungsvermögen, Deutsche Übers. p. 274. ®) GOEBEL, a. a. O. p. 349. 446 Zehnter Abschnitt: wie Pistia- und den australischen Pimelia- und Eutaxia-Arten nicht in Betracht kommt. Auch eine Betauung kann bei den nicht benetzbaren Blättern von Pistia und Myriophyllum nicht in erheblichem Maße mitwirken. Wenn man außerdem bedenkt: ! 1. Daß oft nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Blätter — die alten, ausgewachsenen sind ja nicht daran beteiligt ') -— diese Schlaf- bewegung ausführt, 2. daß sie nur bei verhältnismäßig wenig Pflanzen auftritt, so wird man den bisherigen teleologischen Deutungen einigen Zweifel entgegen- bringen. Das gilt auch für die, welche sich auf die nyktinastischen Be- wegungen von Blättern, die Blüten oder Blütenständen angehören, heziehen. Die thermonastischen Bewegungen (entdeckt von HoFMmEISTER 1862), ferner das Verhalten mancher Frühlingspflanzen können hier außer Betracht bleiben. Ein Beispiel dafür wird später anzuführen sein. Hier mag es genügen, an einem anderen die Teleologie der nyktinastischen Blütenbewegungen zu prüfen. $3. Die Blütenstände der Kompositen und dorsiventrale Einzelblüten. Die Kompositenblütenköpfe zeigen bekanntlich häufig „Schlafbewe- gungen“ der Randblüten. Da diese in den meisten Fällen so verlaufen, daß die zungenförmigen Blüten sich über das Blütenköpfchen herlegen, so hat man das natürlich als eine „Schutzeinrichtung“ für die Röhrenblüten aufgefaßt. Es gibt indes auch Kompositenblütenköpfe, deren Randblüten sich nachts abwärts schlagen?). So die des aus den kanarischen Inseln stammenden Chrysanthemum frutescens (Fig. 215. 216). Es ist klar, daß hier von einem Schutz der inneren Blüten ®) nicht die Rede sein kann, höchstens könnte man annehmen, daß die Randblüten durch ihre Bewegung sich selbst „schützen“. Aber auf den kanarischen Inseln könnten sie doch wohl durch Wärmestrahlung nicht leiden. Auch wenn eine Betauung eintritt ist nicht anzunehmen, dab sie direkt oder indirekt schädlich wirkt. Blütenköpfe, die ich zwei Tage in Wasser hatte liegen lassen, waren — mit Ausnahme eines einzigen, schon älteren — durchaus unbeschädigt. Und wenn auch die Betauung bei den abwärts gerichteten Blüten eine geringere sein wird *), als an horizontal stehenden, so ist doch nicht nachgewiesen, daß eine etwaige Transpirations- steigerung (durch die geringere Betauung) für die Pflanze von Bedeutung ı) Es sei das besonders hervorgehoben, da man nach der Darstellung in manchen Büchern annehmen könnte, daß alle Blätter einer Pflanze die nyktinastische Wachs- tumsbewegung ausführen. Selbstverständlich ist die Dauer der Wachstumsfähigkeit bei den verschiedenen Pflanzen eine verschiedene. Aber es ist nicht zutreffend, wenn gesagt wird: „die in der Regel ungeteilten Blätter sind bei Tage ungefähr horizontal aus- gebreitet und stellen am Abend durch eine Krümmung im Blattstiel oder an der Basis der Blattlamina ihre Fläche lotrecht“. Es handelt sich nicht um „die“ Blätter sondern (wenigstens bei einer älteren Pflanze) nur um einen Teil davon — was für die teleologische Deutung von großer Bedeutung ist. Die etwas älteren Blätter führen nur kleinere, ganz erwachsene gar keine Bewegungen mehr aus. 2) Darauf hat schon Rover (sur les sommeil des plantes, Ann. d. science. nat. 5. Serie t. IX (1868) p. 356) hingewiesen. Er nennt außer Chr. frutescens: Anthemis Cotula, Pyrethrum ceorymbosum, Cosmos bipinnata. i 3) Die Annahme, es könne durch die abwärts geschlagenen Randblätter ein Schutz der Röhrenblüten gegen „unbefugte“ nächtliche Besucher erzielt werden, ist so wenig begründet, daß es nicht erforderlich ist, sie zu erörtern. *) Bei Chrysanthemum Leucanthemum fand ich die Randblüten (die nicht „schlafen “) morgens oft stark betanut. f ‚Die Schlafbewegungen. 447 ist. Auch sind die Kompositen, welche diese Art nyktinastischer Bewegung aufweisen, soweit sie mir bekannt sind, alle in wärmeren Ländern zu Hause. So Anthemis arvensis, austriaca, tinctoria, Matricaria Chamomilla (außer den oben genannten). Es mag noch Matricaria oreades eine westasiatische. Art, genannt sein. Die Randblüten sind anfangs aufrecht und von dem Involucrum nicht bedeckt — also offenbar nicht besonders „schutzbedürftig“. Sie wachsen in dieser Stellung heran, breiten sich dann horizontal aus und führen die nyktinastische Bewegung nach abwärts aus. Diese nyktinastischen Bewegungen gehen bei den angeführten bei uns als Ackerunkräuter auf- tretenden Arten, z. B. Anth. arvensis oft über 14 Tage weiter. Schließlich bleiben die Randblüten in der Abwärtsstellung stehen und gehen zugrunde. Die Empfindlichkeit für Lichtabnahme scheint bei diesen meist Gebieten mit starker Insolation entstammenden Pflanzen groß zu sein, da manche schon, wenn es noch ganz hell ist (6 Uhr abends), die Schlaf- bewegung zeigen. Daß sie auch thermonastisch reizbar sind, ist kaum zu bezweifeln. Daher dürfte es rühren, daß an kühlen Morgen bei uns Chrys. frutescens erst gegen Mittag die Schlafbewegung ganz rückgängig macht und andere Arten dies später tun, als es bei höherer Temperatur der Fall sein würde. Mir scheinen diese nyktinastischen Bewegungen ein Beispiel dafür zu sein, daß äußere Einflüsse imstande sind, den Entfaltungsapparat in Be- wegung zu setzen, ohne daß man darin eine Anpassung sehen könnte. Es lassen sich ja auch Hypothesen ersinnen, welche auch für diese — meist an sonnigen offenen Standorten wachsenden — Kompositen einen Zweck der nächtlichen Abwärtskrümmung ergeben würden. Aber ohne experimentelle Begründung wären solche Annahmen wertlos. Bei Anth. arvensis trat am Tage eine Senkung der Randblüten an abgeschnittenen Pflanzen in trockener Luft nach kurzer Zeit ein. Es ist ein auffallender Anblick, wenn man trotz heller Beleuchtung die Rand- blüten bis zum ‚Stiel hinabgeschlagen sieht. Daß das nicht eine einfache Welkerscheinung ist, zeigt die Umdrehung. Es ist also anzunehmen, daß die Senkung durch Verminderung der Turgorspannung der Unterseite er- folgte. Wie das bei der Schlafbewegung ist, bleibe dahingestellt. Wir sehen also in den Schlafbewegungen dieser Blüten zunächst nur eine durch die ungleiche Beeinflußbarkeit der beiden Seiten der Blumenkrone bedingte Erscheinung. Das schließt nicht aus, daß unter Umständen die nyktinastischen Wachstumsbewegungen für die Pflanze nützlich sein können. Aber sie sind nicht durch Summierung kleiner nützlicher Variationen herangezüchtet, sondern durch die Struktur der Blumenkronen von Anfang an gegeben, und werden ohne erkennbaren „Zweck und Ziel“ ausgeführt — wobei dieselben Verschiedenheiten auf- treten, die oben für die Laubblätter angeführt wurden. | Bei den Randblüten der Kompositenblütenköpfe handelt es sich um stark dorsiventrale Blüten. Anhangsweise mögen deshalb hier einige Beobachtungen über Schlaf- bewegungen an dorsiventralen Einzelblüten mitgeteilt werden und zwar aus dem Grunde, weil, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, die teleo- logische Deutung bei ihnen eine andere sein müßte, als bei den radiären, die gewöhnlich allein berücksichtigt werden'), Bei diesen liegen die 1) So fehlen z. B. die unten erwähnten Pflanzen in Hanscıre’s umfangreichen Listen von Blüten mit nyktinastischen Bewegungen. Er meint (Physiol. u. pbytodyn. Unters. p. 16), bei den Papilionaceen schließe sich die Krone erst beim Verwelken. A448 Zehnter Abschnitt üblichen Schutzdeutungen ja nahe genug, sie brauchen also hier nicht wiederholt zu werden. Auffallende nyktinastische Bewegungen bemerkte ich zunächst an den schönen großen Blüten der der südafrikanischen Flora angehörigen Polygala myrtifolia. Bekanntlich sind die Polygalablüten — deren morphologischer Aufbau hier nicht weiter in Betracht kommt — merkwürdige Parallel- bildungen zu denen der Papilionaceen; sie haben eine (aus Einem Blumen- blatt gebildete) „carina“, in der die Staubblätter und der Griffel einge- schlossen sind (C, Fig. 218, 7) und zwei aus blumenblattartig gefärbten stark vergrößerten Kelchblättern bestehende „Flügel“ — nur die Fahne fehlt, um die Analogie ganz herzustellen, wenn man nicht annehmen will, daß die Flügel funktionell die Fahne vertreten. P. myrtifolia gehört zu den Pflanzen mit unsymmetrischen Blüten !). Es spricht sich das namentlich darin aus, daß die Carina nur auf der einen Seite (in Fig. 218 I links) die zierliche Troddel trägt, die den Insekten als Anflugsplatz dient. Auch die Carina ist nicht gerade, sondern nach rechts abgebogen. Drückt man auf die Carina, so schleudert der Griffel den Pollen aus ihr heraus, wobei dieser, wie ich mich überzeugte, leicht auch auf die eigene Narbe ge- langen kann. Am Tage stehen die Flügel weit ab. Nachts aber sind die Flügel nicht aus- gebreitet, sondern liegen, wie im Knospenzustand, der Blüte Fir. 218. Polve: Arigölia, on ag. Pflanze nicht ein Schutz gegen IT in en Fonds die nn Te „nächtliche Wärmestrahlung“ stellung abstehenden, in Nachtstellung anliegen- beabsichtigt sein kann, daß für den Flügel, C Carina, Q Quaste \Troddel). das in der „carina“ einge- schlossenen Androeceum und (synaeceum auch kein Schutz gegen Tau und Regen und auch keine Transpirationsförderung in Betracht kommt, scheint mir klar zu liegen. Höchstens könnte man einen solchen Schutz für die Quaste ?) (9, Fig. 218, 7) annehmen. Aber diese ist meist gar nicht ganz bedeckt und auch wenig benetzbar. Selbstverständlich bedingt die nyktinastische Bewegung der Flügel (die offenbar an deren gelenkartig ausgebildeter Basis vor sich geht ?)) !) Das ist nicht berücksichtigt in dem von EıcHter (Blütendiagramme II p. 357, Fig. 140A) gegebenen Diagramm. Die Blüte ist dort zu einer symmetrischen zu- rechtgerückt. ?) Andere Polygala-Arten haben zwei Anhängsel an der Carina (z. B. P. ecomosa). Es scheint mir sicher, daß die Quaste von P. myrtifolia durch „\erwachsung“ zweier Anhängsel zustande gekommen ist. Die Asymmetrie tritt in der Knospe weniger stark hervor als an der entialteten Blüte Das r:chte äußere Kelchblatt greift über das linke über, ebenso in der entfalteren Blüte das rechte paarige Blumenblatt über das linke. Die @Quaste sitzt links die Carina ist etwas nach rechts gedıeht. Man kann also die rechte Hälfte als die geförderte bezeichnen. Dem entspricht, daß die Quaste (durch stärkeres Wachstum der rechten Seite) nach links hinüber gedrückt erscheint. >) In Wasser geleste Blüt-n öffuen sich auch bei starker Beleuchtung nicht, wohl infolge stärkerer Wasserauinalıme auf der Außenseite, als „uf der Innenseite. Wenn man sie aus dem Wasser nimmt, tritt nach einiger Zeit die Offnungsbewegung ein. Es bleibt dahingestellt, ob es sich um eine Variations- oder eine Wachstumsbewegung handelt. an. Daß damit bei einer Kap- il 5 3 Die Schlafbewegungen. . 449 eine bedeutende Oberflächenverringerung der Blüte — auf mehr als die Hälfte. Möglich, daß dadurch die Blüte nachts höher temperiert bleibt als das sonst der Fall sein würde, und daß dadurch Stoffwechselvorgänge begünstigt werden. Darüber läßt sich aber ohne Kenntnis der natürlichen Vegetationsbedingungen nichts Sicheres aussagen. Ahnlich wie diese Polygala verhalten sich einige Papilionaceenblüten !). Als Beispiel seien genannt: Vicia Faba und Pisum sativum. Besonders auffallend ist bei der erstgenannten, wie sehr die am Tage entfalteten mit abstehender Fahne versehenen Blüten nachts wieder in den. Knospen- zustand zurückkehren, in welchem die Fahne die übrigen Blütenteile ein- hüllt, so sehr, daß die Flügel mit ihren schwarzen Flecken nicht mehr sichtbar sind ?). Wie weit diese nyktinastischen Blütenbewegungen bei Papilionaceen verbreitet sind ist mir nicht bekannt — aber ich zweifle nicht, daß „schlafende“ Blüten bedeutend in der Minderzahl sind gegenüber nicht schlafenden. Bei diesen Papilionaceenblüten kann natürlich auch von Schutz der Quaste keine Rede sein, da sie keine haben und die ge- nannten beiden Kulturpflanzen entstammen Florengebieten, in denen auch von einem „Kälteschutz“ keine Rede sein kann. Wenn ein solcher „be- absichtigt“ wäre, so müßte man ihn doch am ersten etwa bei Pflanzen, die unserer Frühlingsflora angehören, erwarten. Ich konnte aber weder bei Orobus vernus noch bei Polygala Chamaebuxus an den Blüten „Schlaf“- bewegungen wahrnehmen. Wir sahen ja auch bei den Nutationen, daß diese in Gegenden mit besonders günstigen Vegetationsbedingungen reicher entwickelt sind als in andern. In den Tropen liegen die Verhältnisse anders. Doch. kann hier darauf nicht eingegangen werden. Es mag andern überlassen bleiben die nyktinastischen Bewegungen als zum Schutz gegen unerwünschte nächtliche Besucher der Blüten er- folgend zu deuten. $ 4. Nyktinastische Bewegungen von Sproßachsen. . Daß nicht nur wachsende Blätter „schlafen“, sondern auch Sproß- achsen hat schon BREMER?) am Beispiele einiger Blütenachsen ausgeführt. Er erzählt, daß „Euphorbia germanica“ (was damit gemeint ist habe ich nicht ermitteln können, es gibt keine Art dieses Namens) in jeder Nacht mit den dichotomen Strahlen der Blütendolde nicke, damit die umgekehrten Blüten zur Erde geneigt und die Antheren gegen Tau und Sturm geschützt werden. Dasselbe sei bei Geranium striatum und Ranunculus mit den Einzelblüten der Fall, bei Ageratum conyzoides mit den Blütenköpfchen solange sie noch nicht abgeblüht sind. Die neuere Okologie hat dem nicht gerade viel hinzugefügt. In Kerner’s Pflanzenleben *) findet sich z. B. eine längere Ausein- !) Wer die Schlafbewegungen der Papilionaceenblüten zuerst beobachtet hat ist fraglich. Scurank (Plantae rariores horti academici Monacensis fasc. II 1817) gibt von Crotalaria calyeina an, „sie schläft mit geschlossener Blume und Kelch von 5 Uhr abends bis 8 Uhr morgens“. Inudes scheint das eine Pflanze zu sein, welche wie Drosera ihre Blüten nur in direktem Sonnenschein öffnet. Vaucher gibt Nyktinastie der Blüten an für Ononis, Lathyrus „et la plupart des Viciees“. 2) Man kann die nyktinastischen Bewegungen leicht auch an abgeschnittenen Blüten, die man in Wasser stellt, betrachten. Indes finden sie nicht immer statt. Wo- durch das bedingt wird, sei hier nicht weiter erörtert. Auf VaucHer’s Angaben stieß ich erst, nachdem ich die Schlafbewegung bei den beiden genannten Papilionaceen, bei denen ich sie nach Analogie mit Polyg. myrtifolia vermutete beobachtet hatte. d), Somnus plantarum 1755 p. 349. *) 3. Auflage p. 474. 6oebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 29 RE \ FR ER a Fr Be En a 450 Zehnter Abschnitt: andersetzung darüber, daß die Blüten eines besonderen Schutzes gegen Wärmeverlust bedürfen. Damit stehen im Zusammenhang die Lagenver- änderungen, welche die Infloreszenz- oder die Blütenstiele mancher Pflanzen annehmen. Bekannt ist die nächtliche Einkrümmung der Stiele mancher Dolden wie Daucus Oarota, Falcaria Rivini u.a. Wenn KrRNER- Hansen behaupten, dadurch würden die Blütenknospen „gegen die für sie verderbliche nächtliche Strahlung“ geschützt und es bleibe ihnen die am Tage aufgenommene Wärme, wenn auch nicht vollständig, so doch größten- teils erhalten“, so fehlt dafür jeder experimentelle Beweis, diese oft nach- geschriebene Behauptung hat nicht mehr Grund als die von BREMER. Ebenso ist es irreleitend, wenn gesagt wird „Später, wenn einmal die Be- fruchtung stattgefunden hat, und die jungen Früchte sich ausbilden, ist die Notwendigkeit, die Staubgefäße!) und Narben gegen Ausstrahlung zu "schützen, nicht mehr vorhanden, und dann unterbleibt auch das periodische Nickendwerden der Dolden bei hereinbrechendem Abend“. Es unterbleibt, weil das Wachstum der Infloreszenzachsen erlischt. Wenn es mit Nutation weiterginge (wie dies bei manchen anderen Pflanzen der Fall ist), so würde man daraus geschlossen haben, daß auch die jungen Früchte be- sonders schutzbedürftig gegen Wärmestrahlung seien! Es sei auf die im III. Abschnitt gegebene Darstellung verwiesen. | Im folgenden sei an einigen Beispielen untersucht inwiefern die Schutzhypothese, die auf nordischen Boden erwachsen ist, sich auf Pflanzen anderer Florengebiete anwenden läßt. : Ageratum mexicanum = (conyzoides). Diese in unseren Gärten häufig als Zierpflanze gezogene Komposite ?) mag zur Erörterung der „Schlafbewegungen“ blühender Sprosse um.so mehr dienen, als sie schon von BREMER erwähnt wurde, und als an ihr die Unhaltbarkeit der Kerner’schen Wärmeschutzhypothese sich ohne weiteres erweisen läßt. | Die Pflanze gehört der „tierra templada* Mexikos an, sie wurde z. B. von ScHhrepe in der Umgebung Jalapa’s gesammelt, wo sie an Berg- Oo v) abhängen, auch als Ruderalpflanze wächst. Daß in diesem subtropischen Klima ein Schutz gegen nächtliche Wärmestrahlung erforderlich sein sollte und gerade dann, wenn die Pflanze blüht — denn vorher tritt keine erhebliche Nutation ein — ist schon recht unwahrscheinlich! Es werden die jungen Infloreszenzen, wie Fig. 219 zeigt, nach abwärts gebogen?) und richten sich morgens wieder auf. Die Schlafbewegung wird um so ausgesprochener, je mehr die Blütenkopfentwicklung fort- geschritten ist — vermutlich deshalb, weil dann auch das stärkste Wachstum der unter den Infloreszenzen befindlichen Internodien eintritt. Die auf- geblühten Infloreszenzen, welche doch, wie man annehmen sollte, mehr schutzbedürftig sind, als die von einem Involukrum umgebenen jungen Blütenköpfe, zeigen dagegen keine Krümmungsbewegung mehr. Die „nyktinastische“ Bewegung ist meiner Ansicht nach eine unter dem Einfluß der Schwerkraft eintretende. 1) Wann wird dieser ganz veraltete Ausdruck einmal aus der Literatur verschwinden ? 2) Sie geht beim ersten Frost zugrunde, läßt sich aber leicht durch Stecklinge vermehren. 3) So stark wie in dem abgebildeten Falle tritt die Krümmung aber nicht immer ein. Be: Die Schlafbewegungen, v 451 Die in Fig. 220 abgebildete Pflanze wurde am 8. September nach- mittags, noch ehe irgendeine Spur von Krümmung sich zeigte, auf dem Klinostaten mit horizontaler Achse der Rotation ausgesetzt. Es unterblieb nachts jede Krümmung'). Bei einer anderen Pflanze trat am Klinostaten eine schwache Krümmung ein. Ob diese schon vorher induziert war oder aus anderen Gründen auftrat, bleibe dahingestellt. Die Pflanze wurde dann am 9. September wieder abgenommen und aufrecht gestellt. Nachts 9 Uhr zeigte sie die „Schlaf“bewegung wenngleich nicht so stark wie am 7. September. Offenbar hatte die Wachstumsintensität mit fortschreitender Entwicklung der Infloreszenz abgenommen. Die in Gärten Fig. 219. Ageratum mexicanum. Fig. 220. Ageratum mexicanum. Nachtstellung. Derselbe Sproß in Tagstellung. vielfach gezogene „f. nana“ von Ageratum mexicanum zeigt die Schlaf- bewegung nicht oder nur ganz unbedeutend ?). Das hängt jedenfalls damit zusammen, daß das Längenwachstum der Internodien hier ein geringeres ist als bei der Normalform, was auch den buschigen Wuchs der „f. nana“ bedingt — eine ähnliche Erscheinung wie die oben (p. 122) angeführte, daß die Blütenstände von Lathyrus latifolius bei gemindertem (hier aber durch die Einwirkung äußerer Faktoren) Wachstum keine oder nur un- !) Horizontal gelegte Pflanzen richteten dementsprechend ihre jungen Infloreszenzen nachts nach abwärts. 2) Trotzdem habe ich nie beobachtet, daß die jungen Blütenstände bei uns durch Tau oder Wärmestrahlung gelitten hätten, obwohl dazu auf der Münchener Hochebene mehr Gelegenheit wäre als in Mexiko. 29* 452 + Zehnter Abschnitt: bedeutende Nutationskrümmung zeigt. Es wird weiterhin anzuführen sein, daß auch andere geonyktitropische Sprosse vorkommen. Hier sei zunächst noch auf eine Pflanze mit sehr schönen Schlaf- bewegungen der Infloreszenzen hingewiesen. Es ist dies Scabiosa prolifera, eine aus dem östlichen Teil des Mittelmeergebietes stammende Art. Hier werden auch die entfalteten Blütenköpfe (durch Wachstum der nächst unteren Internodien) nach abwärts gebogen, so daß sie dem Erdboden zugekehrt sind. Vom Kälteschutz dürfen wir auch hier absehen — er wäre bei Pflanzen, die in Syrien, auf Uypern usw. wachsen, doch wohl ein Luxus. Wie ist es mit dem Schutz des Pollens gegen Nässe? Ich verglich das Verhalten des Pollens der Dipsacee Üephalaria leucantha (mit nicht durch Schlafbewegung geschützten Blütenköpfen) mit dem von Scabiosa prolifera, gegenüber von Regenwasser. Der der ersteren Pflanze zeigt sich empfindlich. In Wasser trat zwar teilweise noch Aus- stülpen der Schläuche aber bald Platzen ein. In einer halben Stunde war dies bei den meisten der Fall. Bei Scabiosa prolifera dagegen nur bei wenigen. Der Pollen ist also entschieden viel mehr widerstandsfähig als der von Cephalaria, und wir werden, ganz abgesehen davon, daß an dem natürlichen Standort der Scabiosa prolifera zur Blütezeit Nieder- schläge wohl nur selten eintreten werden, die Schlafbewegung nicht als Schutz gegen Nässe betrachten können. Übrigens wäre festzustellen, ob ein solcher Schutz überhaupt von Bedeutung ist, d.h. ob tatsächlich die Bestäubung durch Befeuchtung un- geschützten Pollens in für die Pflanze empfindlicher Weise geschädigt werden kann. Denn einerseits findet eine sehr erhebliche Uberproduktion nicht nur von Pollen, sondern vielfach auch von Blüten statt, andererseits fragt es sich, ob, wenn die Antheren bei Befeuchtung geschlossen sind, wirklich der darin enthaltene Pollen noch durch Nässe notleidet. Auch die auf kurzen dünnen Stielchen sitzenden männlichen und weiblichen Blüten von Phyllanthus lathyroides, Ph. Urinaria u. a. führen Schlafbewegungen aus; indem sie sich nachts nach unten wenden, tags wieder aufrichten. Sie würden von den Blättern in der Schlafstellung ohnedies bedeckt werden — man kann aber vielleicht annehmen, daß das durch die Bewegung der Blüten selbst noch gründlicher geschieht, und diese dadurch eine höhere Temperatur beibehalten. Später, wenn die Blüten- bzw. Fruchtstiele länger geworden sind, sehen sie aber, wenn die Blätter Schlaf- stellung angenommen haben, unten heraus, sie reifen in „hängender“ Lage heran. Daß irgendeine „Schutz“vorrichtung für die kleinen grünlichen Früchtchen in Betracht kommen sollte, scheint mir mehr als unwahrscheinlich. Papilionaceen. Das eigentümliche Verhalten von Lotus ornithopodioides mag hier um so mehr erwähnt werden, als sich daran die hübsche von BREMER!) erzählte Geschichte knüpft, wonach weder Lixx# noch sein Gärtner an einer Pflanze, die tagsüber geblüht hatte, nachts Blüten finden konnten, obwohl diese „summa diligentia requisiti“ wurden. Schließlich stellte sich - heraus, daß sie „sub tribus foliis quasi sub tecto reconditi“ waren. Diese Entdeckung soll Lms&£ veranlaßt haben, die weite Verbreitung der Schlaf- bewegungen festzustellen. Es stammt also von dieser Beobachtung die Wiederaufnahme der Beobachtungen über Nyktinastie. 1) A. a. O. p. 348. . Die Schlafbewegungen. 453 Lotus ornithopodioides ist eine einjährige, dem Mittelmeergebiet ent- stammende Pflanze, die bei uns auf dem Gartenbeete niederliegende Sprosse bildet. In den Blattachseln dieser Sprosse entwickeln sich blühende Seiten- triebe bestehend aus einem mit einer Infloreszenz abschließenden Inter- nodium. Die Infloreszenzen sind tagsüber mehr oder weniger aufgerichtet, das unter ihnen stehende Blatt ist ausgebreitet. Unmittelbar unter der meist aus vier Blüten bestehenden Infloreszenz befindet sich nämlich ein ungestieltes Blatt mit drei Teilblättchen. Nachts stellen sich dessen drei Blättchen auf, so daß das mittlere die seitlichen deckt. Das Internodium unterhalb der Infloreszenz aber biegt sich so nach unten, daß die Unterseite des Infloreszenzblattes nach oben gekehrt ist, das Blatt also die Infloreszenz deckt und diese tatsächlich manchmal nicht ganz leicht zu sehen ist. 5 Der Zusammenhang der Bewegung der Infloreszenzachse mit der Dorsiventralität des’Sprosses ist ohne weiteres ersichtlich. Die „Schutztheorie“ wird natürlich darauf hinweisen, daß die In- floreszenzen durch die Bedeckung mit den drei Blättchen und die Abwärts- krümmung des unter ihr stehenden Internodiums trefflich „geschützt“ sei. Aber gegen welche Schädigung sollen sie geschützt werden? Schutz gegen Abkühlung durch Wärmestrahlung wird bei einer, in der Nähe der See wachsenden Mittelmeerpflanze nicht anzunehmen sein, auch wohl nicht eine bedeutende Transpirationsförderung'!). Staubblätter und Griffel sind in der Blüte ohnedies eingeschlossen, brauchen also nicht etwa gegen Nässe geschützt zu werden. Von tierischen Feinden ist nichts bekannt. Nachgewiesen ist ein Nutzen der auffallenden Schlafbewegung jeden- falls so wenig wie bei Ageratum. Beide sind Pflanzen, die in Gegenden wachsen, in denen sie weniger starken Schwankungen der Vegetations- bedingungen ausgesetzt sind, als unsere einheimischen Pflanzen. Nykti- nastische Bewegungen der Infloreszenzachsen weiß ich von letzteren nicht anzuführen — daß diese von Blättern nachts mehr oder minder gedeckt werden („ut in tuto sint“)?) ist nicht selten. $ 4. Schlafbewegungen von vegetativen Sprossen sind mir bei Pflanzen der mitteleuropäischen Flora nicht, weder aus eigener Anschauung noch aus der Literatur, bekannt geworden. Das ist für die teleologische Betrachtung etwas Unerwartetes. Denn wenn, wie diese annimmt, die nykti- nastischen Bewegungen Schutzbewegungen sind, namentlich gegen die „schäd- liche Wärmestrahlung“, so ist nicht einzusehen, weshalb die jungen Sprosse diesen Schutz weniger notwendig haben sollten als die oben genannten Infloreszenzen. Man müßte denn annehmen, sie seien weniger empfindlich als diese. Dafür liegt aber keine Begründung vor. Man kann auch nicht sagen, daß es gegen die „Natur“ vegetativer Sprosse sei, Schlafbewegungen auszuführen. Denn namentlich unter den T'ropenpflanzen gibt es eine ganze Anzahl, die solche Bewegungen ausführen. Daß es sich dabei vor allem um dorsiventrale Sprosse handelt, bei denen das Wachstum der Ober- und der Unterseite verschieden vom Lichte beeinflußt wird, mag besonders betont werden. Es wird das aus den folgenden Beispielen deut- lich hervorgehen. Die wachsenden -Phyllocladien von Phyllanthus lathyroides sind an der Spitze nachts scharf nach abwärts gekrümmt ?), so daß die Längsachse !) Die Pflanze welkt im abgeschnittenen Zustand leicht. Sie hat auf beiden Seiten des Blattes Spaltöffnungen. 2) BREMER a. a. O. p. 346. ; 3) Ich fand nachträglich folgende — vielleicht auf dieselbe Phyllanthusart sich 454 Zehnter Abschnitt: des fertigen Teiles und die des nach unten gekrümmten einen Winkel von etwa 90° miteinander machen. Man überzeugt sich leicht, daß das nicht etwa eine durch Erschlaffung der Gewebe bedingte Lastkrümmung ist. Bei Tage strecken sie sich gerade. Je mehr das Wachstum abnimmt, desto weniger stark ist die nyktinastische Krümmung, schließlich bleibt sie aus und das fertige Phyllocladium bleibt gerade. Fig. 221. Phyllanthus lathyroides. Sproßgipfel in Tagstellung (etwas angewelkt). Fig. 222. Phyllanthus lathyroides in Nachtstellung. Das junge Phyllocladium oben links an der Spitze stark eingebogen. Ei An ganz jungen Kurztrieben ist die Krümmung natürlich mehr an der Basis gelegen, sie schreitet allmählich gegen die "Spitze hin fort, und erlischt dort. Auch diese Krümmung ist eine geonyktitropische — wie wahrscheinlich manche andere, die man bisher als nur durch Lichtabnahme bedingt beziehende Stelle in einem Briefe von Fr. MüLLer an Darwın (More letters of CHARLES Darwın p. 364) „In this second species the tips of the branches also are curled down- wards ad night, by which movement the youngest leaves are yet better protected“. Die Schlafbewegungen. 455 _ betrachtet hat. Sie unterblieb an auf den Klinostaten gebrachten Pflanzen ebenso wie an Hauptsprossen, die senkrecht nach abwärts gebogen und in dieser Lage befestigt wurden. In beiden Fällen können aber andere Krümmungen, auf welche hier nicht näher einzugehen ist, das Bild stören. :Ahnliche Schlafbewegungen wachsender Zweigspitzen weist eine andere Euphorbiacee, Cicca disticha auf. Bei ihr führen auch die jungen Blätter der Zweige Schlafbewegungen aus, die alten nicht. Dagegen waren bei Phyll. niruri und Phyll. lathyroides die jungen Zweige (Langtriebe) nachts stärker aufgerichtet als am Tage. Es mag dahingestellt bleiben, ob das eine Wachstumserscheinung ist, oder ob sie bedingt ist dadurch, daß der Turgor der Sproßachsen tagsüber ein geringerer ist und sie deshalb durch ihr Gewicht stärker abgebogen werden, als nachts bei gesteigertem Turgor. Letzteres erscheint mir wahrscheinlicher. Fig. 223. Phyllanthus lathyroides in Schlafstellung. Cassia mimosoides unterscheidet sich dadurch von anderen Cassia- Arten, daß die Beblätterung eine zweizeilige ist und die Sprosse eigentlich dorsiventrale sind. Dementsprechend ist die End-Knospe, wie auch sonst vielfach nicht gerade, sondern hängt nach unten. Betrachtet man einen: solchen Sproß bei Nacht, so sieht man, daß die Krümmung viel stärker geworden ist, so daß jetzt eine Anzahl von jungen Blättern nach unten gekehrt sind, die es in der Tagstellung nicht waren. Die erwähnten Pflanzen sind solche, bei denen auch die Blätter ' Schlafbewegungen ausführen. Man kann natürlich annehmen, daß die jungen Blätter durch die nächtliche Abwärtskrümmung der Sproßachsen „noch mehr geschützt“ — weil mehr zwischen einander geschoben — seien. Darauf wird beim nächsten Fall kurz einzugehen sein. Die Schlafbewegungen der wachsenden Sprosse von Lagerstroemia speciosa sind von ÜoPELAnD in Manila näher verfolgt worden). Sie stimmen im wesentlichen bei dieser Lythracee mit denen oben von einer Euphorbiacee (Phyllanthus) und einer Caesalpiniacee (Uassia) erwähnten ı) E. B. Corerano, Daily growth movements of Lagerstroemia. The Philippine journal of Science ©. Botany. Vol. VIII No. 5 1913. Die Pflanze selbst ist mir nicht zugänglich, ich kann also nicht sagen, ob sie dorsiventrale Sprosse besitzt oder nicht 456 Zehnter Abschnitt: überein. D. h. es tritt: gegen Abend (aber natürlich viel früher schon - beginnend) eine Abwärtskrümmung ein, die gegen Morgen der Hauptsache nach wieder ausgeglichen wird. Dabei ist besonders bezeichnend, daß das Wachstum ein verhältnis- mäßig sehr rasch erfolgendes ist. Die wachsende Region ist denn auch eine lange, und einzelne der „Zonen“ (von je5 mm Länge), in welche die wachsende Region eingeteilt worden war, zeigten in 24 Stunden einen Zuwachs von 20°%,. Die Zweige waren 5 Uhr morgens annähernd gerade, und begannen sich um 11 Uhr abwärts zu krümmen. Diese Krümmung ging am schnellsten zwischen 3 und 5 Uhr vor sich und war abends zwischen 6 und 8 Uhr beendigt. Dabei ist die wachsende Region nachts länger als am Tage, d. h. also die basalen Zonen gehen am Tage rascher dem Ende der großen Wachstumsperiode entgegen als bei Nacht. In Betracht kommt Epinastie und Nyktigeotropismus. | COPELAND meint, die nyktinastischen Bewegungen von Lagerstroemia haben eine sehr deutliche biologische Bedeutung, Da er aber in den Tropen beobachtete, ruft er nicht die Wärmestrahlung an, sondern denkt an Beschädigungen durch den Wind und die Angriffe „of animals larger than insects“. „At night, when the exposure to the light and its ad- vantages it impossible, they assume a position in which they are protected from the day position.“ Wir erfahren aber leider nicht, ob der Wind und die größeren Tiere am Tage die zarten Lagerstroemiatriebe be- schädigen, bei Nacht aber nicht. Wäre das so, so wären sie allerdings sozusagen gegen 50°, der ihnen drohenden Gefahren versichert (voraus- gesetzt, daß die Aussicht auf Beschädigung Tag und Nacht gleich groß - ist und es sich nicht um Schutz gegen Nachttiere handelt). Aber einmal ist nicht einzusehen, weshalb eine nach unten gekrümmte Zweigspitze’durch Wind weniger leicht beschädigt werden sollte als eine gerade (da der Wind doch nur selten von oben einfällt und auch eine Verkürzung des Hebelarmes nicht wohl in Betracht kommen kann), sodann fehlt der oben verlangte Nachweis. Einstweilen also werden wir nur sagen können: Nyktinastische Be- wegungen an vegetativen Sprossen treten ein an den rasch wachsenden mehr oder minder ausgeprägt dorsiventralen Trieben mancher tropischer Pflanzen, bei denen sie wahrscheinlich ziemlich verbreitet sind. Das raschere Wachstum bedingt, daß die Wirkung der Epinastie und der geotropischen Empfindlichkeit mehr zur Geltung kommt als sonst. Ein Nutzen der Bewegung ist denkbar. Man kann z. B. (wie schon erwähnt wurde) darauf hinweisen, daß durch die Abwärtskrümmung der Zweig- spitzen die jungen Blätter noch mehr übereinander geschoben werden als dies ohnedies durch die Schlafstellung geschieht. Sie würden dadurch in eine noch geschütztere Lage kommen. Das wäre einleuchtend wenn nachgewiesen wäre, daß gerade die jungen Blätter nachts schutzbedürftiger sind als andere. Solange das nicht der Fall ist, wird man in den Schlafbewegungen der wachsenden Zweige mancher Tropenpflanzen ebenso wie in den starken „spontanen“ epinastischen Krümmungen der Sprosse von Corylus, Tilia u. a. (vgl. p. 100) nur einen Ausdruck ihrer Dorsiventralität sehen dürfen, die eine verschiedene Reaktion der Ober- und Unterseite auf die wechselnden Einflüsse der Außenwelt bedingt. Die Schlafbewegungen. 457 Zusammenfassung für die durch Wachstum erfolgenden nyktinastischen Bewegungen. Diese treten sowohl bei Blättern als bei Sproßachsen auf. Sie sind insofern ein Ausdruck der Dorsiventralität dieser Organe, als es sich in der Mehrzahl der Fälle um Beeinflussung der Epi- bzw. Hyponastie handelt, die eine Auf- oder Abwärtsbewegung bedingt. Bei asymmetrischem Bau kann auch eine Vertikalstellung der Blattspreite eintreten, derart, daß sie nicht eine Fläche nach oben, die andere nach unten kehrt. Auch kann die Nachtstellung geotropisch bedingt werden. Die für die nyktinastischen Bewegungen angenommenen Zweckmäßig- keitsbeziehungen erscheinen für Pflanzen, bei denen nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Blätter in die Schlafbewegung eintritt, wenig einleuchtend, doch soll darauf erst bei Besprechung der durch Gelenke ausgeführten Schlafbewegungen eingegangen werden. Jedenfalls liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, daß diese Schlaf- bewegungen allmählich durch Summierung kleiner vorteilhafter Ab- änderungen entstanden sein könnten. Sie stellen Reaktionen bestimmter Pflanzen auf Einflüsse der Außenwelt dar, die nützlich sein können, aber nicht nützlich sein müssen. Ein Unterschied zwischen den durch Wachstum und den durch Spannungsgelenke ausgeführten Schlafbewegungen dürfte auch darin bestehen, daß bei trocken gehaltenen Pflanzen der ersten Gruppe die nyktinastischen Bewegungen gehemmt, bei denen der letzteren, wie gezeigt werden soll, verfrüht werden. Der Wassermangel setzt das Wachstum herunter oder macht es ganz unmöglich, während er bei dem Spannungsgelenk (selbstverständlich nur so lange es noch straff genug ist) der „stärkeren“ Gelenkhälfte die Überwindung der schwächeren erleichtert. Wie die seismonastische Reizbarkeit treten übrigens auch die nykti- nastischen Bewegungen in verschieden starker Ausbildung auf. Die wenig ausgeprägten kommen für die teleologische Betrachtung nicht in Betracht. Desto wichtiger sind sie für die kausale. S 5. Die Schlafbewegungen treten bei den Gelenkpflanzen in- sofern viel auffallender als bei den bis jetzt betrachteten hervor — und das ist auch für die biologische Deutung von besonderem Gewichte —, als sie nicht nur an einem Teile der Blätter (bzw. Sproßachsen) den noch im Wachstum begriffenen, sondern bei allen aufzutreten pflegen. Indes ist auch hier das Verhalten nicht bei allen Pflanzen ein ganz übereinstimmendes. “ Zunächst sei erwähnt der Vorgang als solcher; die Verschiedenheiten, die sich dabei beobachten lassen, mögen im Anschluß daran Erwähnung finden. In ihrer äußeren Erscheinung sind die durch Gelenke bedingten Schlafbewegungen so verschieden, daß man sie schon frühzeitig nach Gruppen zu ordnen versucht hat. Schon in dem „somnus plantarum“ finden wir eine Anzahl solcher aufgestellt. Mir schien es am zweckmäßigsten die Einteilung in folgende (natürlich nicht scharf trennbare) Gruppen vorzunehmen: 1. Die Bewegung erfolgt der Hauptsache nach in Einer Ebene, sie ist also eine Auf- oder Abwärtsbewegung, wie sie auch bei den durch Wachstum bedingten Schlafbewegungen sich findet. 2. Die Bewegung ist mit einer Drehung verbunden. Diese Drehung kann verschieden weit gehen, es gibt alle Übergänge zwischen einer un- 458 Rear Zehnter Abschnitt: vollständigen und einer vollständigen. Bei Adenanthera z. B. beschränkt sie sich darauf, daß die am Tage horizontal ausgebreiteten Fiederblättchen nachts vertikal gestellt sind, so daß ein Rand nach oben sieht. Die Blättchen stehen sehr locker und können sich nicht durch gegenseitige Deckung „schützen“. Der Fall erinnert also an den von Begonia valida angeführten. Bei Cassia Sophora (Fig. 224) beginnt die Schlafbewegug eben so. Die Blättchen sind asymmetrisch; sie dr ehen sich zunächst so, daß der Rand der größeren Blatthälfte nach oben sieht. Dann aber findet eine weitere Drehung des Blättchens nach der Spitze des Blattes zu statt, die nun bedingt, daß die Unterseite . des Blättchens nach außen sieht. Wenn dies teilweise als „Rotation“ bezeichnet wird, so ist das eigentlich nicht zutreffend. Denn darunter wäre eine Drehung des Blattes um 360° zu verstehen. In Wirk- lichkeit dreht sich das Blatt zunächst um 90° und dann weiter in anderer Richtung um weniger als 90". Auf das verschiedene Fig. 224. Cassia Sophora. Pflanze, deren Blätter Verhalten der Arten einer die Nachtstellung noch nicht vollständig angenommen Gattung wird in $ 7 kurz haben. Am untersten Blatt links haben. die Fiedern einzugehen sein. erst die Vertikalstellung erreicht, dann folgt eine Drehung nach vorne. $ 6. Zusammenhang des Alters der Blätter und der Schlaf- bewegungen. Bei den Gelenkpflanzen ist das Verhalten ein verschiedenes. Bei den einen, z. B. Mimosa pudica, Leucaena glauca, führen alle Blätter, so- lange sie überhaupt lebenskräftig sind, Schlafbewegungen aus. 'Bei anderen treten Verschiedenheiten zwischen den jungen und alten Blättern ein. Und zwar in dreifacher Beziehung: einmal kann an den jungen Blättern die Schlafbewegung von der der älteren verschieden sein in der Art oder in der zeitlichen Reihenfolge, oder sie bleibt bei den letzteren ganz aus. Zunächst sei Mimosa Spegazzinii genannt. Die jungen Blätter biegen in Schlafstellune bei dieser Art ihren Blattstiel unter einem Winkel von 90° herunter, bei den älteren ist der Winkel 45° Man kann dies als eine Art Ubergang zu dem Ausbleiben ‚bzw. der Verminderung der DEN zung (für den Hauptblattstiel) be- trachten. Bezüglich der zeitlichen Reihenfolge gilt wohl für die meisten Pflanzen, daß die jungen Blätter früher die Schlafstellung einnehmen als die alten. Eine Ausnahme ist mir nur bei Orotalaria juncea bekannt (Fig. 225, 226). Die Pflanze wurde nicht näher untersucht, so daß ich für ihr abweichendes Die Schlafbewegungen. ; 459 Verhalten keinen Grund anzugeben vermag. Pflanzen, bei denen nur die jungen Blätter Schlafbewegungen ausführen, dürften unter den tropischen Leguminosen nicht ganz selten sein. Derartige Pflanzen verhalten sich dann ganz ähnlich wie die, bei. denen die Schlafbewegungen durch Wachstumsverschiedenheiten bedingt werden. Möglicherweise handelt es sich bei ihnen eben um solche Wachstumsdifferenzen in den Gelenken, nicht um Variationsbewegungen. CunnınGHAam!)nennt als Pflanzen, bei denen nur junge Blätter „schlafen“, z. B. Cassia alata?) und ©. sumatrana. An den Blättern der letzteren fehlen Schlafbewegungen bis zu einer bestimmten Zeit, treten dann mit stark beschleunigter Intensität auf, erreichen ein Maximum und hören auf. Während des größeren Teils des Lebens eines Blattes führt es keine Schlafbewegungen aus. Fig. 225. Crotalaria juncea in Tag- Fig. 226. Crotalaria juncea: die, stellung. unteren Blätter in Schlafstellung, die oberen noch nicht. £° Bei Pithecolobium Saman führt anfangs auch der Blattstiel Schlaf- bewegungen aus, indem er sich erhebt. Später wird er starr, während die Fiedern und Fiederblättchen noch die Schlafbewegung fortsetzen. Übrigens erklärt sich aus der größeren Reizbarkeit der jüngeren Blätter wohl z. B. die Beobachtung, daß im März im hiesigen Garten nur die jungen. Blätter von Calliandra tetragona die Schlafbewegungen t) D. D. CunsingHam, The causes of fluctuations in turgescence in the motor organs of leaves, Annals of the royal bot. garden Caleutta, Vol. VI (1895). Auf einige unhaltbare Anschauungen in dieser Abhandlung hinzuweisen, dürfte kaum erforderlich sein. Sie enthält aber beachtenswerte Beobachtungen. 2) p. 38 führt C. an, daß Pflanzen dieser Art, die in ziemlich kleinen Töpfen wuchsen 2 Uhr 30 Nachmittag in Schlafstellung waren, während unmittelbar daneben stehende Pflanzen, die im freien Grunde standen, noch die Tagstellung zeigten. Es läßt sich aus der Darstellung nicht entnehmen, ob die Topfpflanzen vorher Tagstellung der Blätter gezeigt hatten. Wahrscheinlich liegt eine hygronastische Bewegung vor, wie Verf. sie bei Phyllanthus Urinaria nachgewiesen hat. 460 Zehnter Abschnitt: ausführten, während die älteren sie zur Zeit der Beobachtung nicht zeigten. Unter den günstigeren Bedingungen im Sommer trat aber diese Ver- schiedenheit nicht hervor. Auch bei anderen Leguminosen zeigen zwar die jungen, nicht aber die vollständig ausgebildeten Blätter Schlafbewegungen. So bei Am- herstia nobilis und anderen laubausschüttenden Bäumen. Nach der (bei Brownea fast nicht auftretenden) Aufrichtung der Blattspindel führen die Blattfiedern noch eine kurze Zeit lang Schlafbewegungen aus!). Dann werden auch ihre Gelenke, ebenso wie das des Blaitstiels starr. Wahr- scheinlich handelt es sich um noch nicht ganz ausgewachsene Gelenke, welche auch die Schlaf- und Wachbewegungen durch Wachstumsdifferenzen vollziehen. Von Interesse ist auch eine Bemerkung von LixpLeEy ?) über die Blätter von Brownea grandiceps. „Every evening they rose up and lifted themselves from the blossoms to expose them to the dew, so that each evening these beautiful objects were uncovered; but as day advanced, the leaves gradually drooped, and bent down over the flowers to guard them from the rays of the sun“. Derartige Schlafbewegungen habe ich an den Browneablättern nicht beobachten können, vielleicht handelte es sich um bei dem „drooping“ um eine Welkeerscheinung. Jedenfalls aber ist es von Interesse zu sehen, daß Blattbewegungen, die man meist als Schutz gegen Betauung auffaßt, hier als im Interesse der Betauung er- folgend gedeutet werden. Daß dafür ebensowenig Grund vorliegt wie für dic Annahme die Blüten hätten einen Schutz gegen die Sonne not- wendig („die Lotusblume ängstigt sich vor der Sonne Pracht“), braucht kaum erwähnt zu werden. Das Verhalten von Cassia Sophora wurde oben schon erwähnt, hier sei folgendes hinzugefügt. Sie besitzt einfach unpaar gefiederte Blätter. Die Fiedern sind in der Knospenlage zusammengefaltet und stehen in einem späteren Ab- schnitt des Entfaltungsganges rechtwinklig von der Blattspindel ab, so daß der Rand der zusammengefalteten Fiedern nach oben sieht. Nachts findet eine starke Senkung-dieser Fiedern statt, um fast 90°. Indes müssen die Blätter ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht haben, um diese Bewegung ausführen zu können. Man hat häufig den sonderbaren An- blick, daß die unteren Fiedern eines solchen Blattes schlafen, die oberen nicht. Die Senkung geht jedenfalls vor sich durch stärkeres Wachstum der Gelenkoberseite. Solche Fiedern, die gerade entfaltet waren, nehmen an der Senkung- nicht teil — das Gelenkpolster ist offenbar hier aus- gewachsen, hat aber noch nicht die Ausbildung erreicht, welche zur Schlafbewegung der ausgewachsenen Blätter führt. Es ist klar, daß die Schlafbewegung der jungen Blätter von Cassia Sophora weder für Tran- spirationsförderung noch für Schutz gegen nächtliche Wärmestrahlung in Betracht kommen kann. Auch irgendein anderer Nutzen ist nicht abzusehen. Es ist selbstverständlich, daß dort, wo Unterschiede zwischen den Schlaf- bewegungen jüngerer und älterer Blätter bestehen, ganz allmähliche Ab- stufungen vorkommen können. So führt Darwın an®), daß die Blatt- stiele junger Blätter von Desmodium gyrans sich senkrecht erhoben, die älterer nur auf 46°, bei Cassia floribunda war der Winkel bei jungen 41°, !) Vgl. auch F. Czapex, Über die Blattentfaltung der Amherstien, Sitz.-Ber. der Kaiserl. Ak. der Wissensch. in Wien. - Math.-naturw. Klasse Bd. CXVIII I, 1909 p. 11. 2) Linpry, Botan. Register 1841 p. 30. ®) A. a. O. Übers. p. 345. Die Schlafbewegungen. 461 bei älteren 12°. Wir sehen darin ein Zeichen der auch sonst eintretenden Gelenkversteifung. Wenn.bei manchen Pflanzen die Keimlinge keine Schlafbewegung zeigen (vgl. das oben für Sida rhombifolia Angeführte), während ältere Pflanzen sie aufweisen, so kann das von der Wasserzufuhr, die durch die Bewurzelung bedingt wird, abhängen. Wenigstens zeigten mir Stecklinge von Calliandra tetragona so gut wie keine Schlafbewegungen, bis das» Wurzelsystem kräftig entwickelt war. Fig. 227. Phyllanthus Urinaria. Junge Pflanze Fig. 228. Dieselbe jange Pflanze von Phyllan- (unten die einfachen Primärblätter) in Tag- thus Urinaria in Nachtstellung. Primärblätter stellung. steil aufgerichtet. meist etwas schief zur Seite, Phyliokladienstiele gegenüber der Tagstellung etwas gesenkt. $ 7. Verschiedenheit in der Ausführung der Schlafbewegung in verschiedenen Altersstadien einer Pflanze und bei den einzelnen Arten einer Gattung. a) Unter den Pflanzen, deren sämtliche Blätter Schlafbewegungen ausführen, gibt es solche, deren Primärblätter anders „schlafen“ als die Folgeblätter. Läßt sich für diese Verschiedenheit ein Grund anführen? Teleologische Gesichtspunkte können dabei nicht wohl in Betracht kommen, wohl aber Beziehungen zu der senstigen Verschiedenheit zwischen den genannten Blattformen. Ihr verschiedenes Verhalten beruht nach meiner Auffassung auf einer Verschiedenheit der Gelenkausbildung. So bewegen sich die Primärblätter von Phyllanthus Urinaria (Fig. 227) nach aufwärts (zuweilen etwas schief), und legen ihre Oberseite der Sproßachse an, während die - an den Phyllokladien erst eine Drehung, dann eine Aufwärtsbewegung ausführen. Mit anderen Worten, die Gelenke der Primärblätter sind aber BE 462 / Zehnter Abschnitt: symmetrisch, die der Folgeblätter asymmetrisch gebaut. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß dies mit der Gesamtsymmetrie der Blätter zusammenhängt, denn die Primärblätter sind symmetrisch, die Folgeblätter entsprechend ihrem Vorkommen an den dorsiventralen Kurzzweigen asymmetrisch. (Vgl. das oben über Begonia valida Gesagte) Derselbe Gesichtspunkt findet Anwendung auf eine Anzahl von Fällen, in denen die Kotyledonen anders „schlafen“ als die später auftretenden Blätter. Bei anderen, z. B. bei Oxalis Valdiviana (Darwın a. a. O. p. 315), liegen Verschiedenheiten im Bau symmetrischer Gelenke vor: die Kotyledonen bewegen sich nyktinastisch aufwärts, die Teilblättchen der Folgeblätter abwärts. Da eine Schlafbewegung der Kotyledonen auch eintritt bei Arten, bei denen es sich wie bei Biophytum (Oxalis) sensitivum um einen Schutz gegen nächtliche Wärmestrahlung nicht handeln kann, so würde . nur ein Schutz der Knospe als biologische Bedeutung übrig bleiben — auch dieser Schutz ist aber rein hypothetisch. Es kommen aber auch Fälle vor, in denen es sich nicht um Symmetrie oder Asymmetrie der Gelenke, sondern um eine Verschiedenheit im Bau asymmetrischer Gelenke handelt. So scheint es — soweit sich aus den Literaturangaben ersehen läßt — bei einigen Melilotus-Arten zu sein. Darwın !) führt an, daß bei Melilotus taurica (in geringerem Grade auch bei M. macrorhiza und M. Petitpierriana) alle die zahlreichen kleinen und jungen Blättchen, die sich im Kalthause an einigen zurückgeschnittenen _ Pflanzen entwickelt hatten, anders schliefen als die alten Blätter. Sie krümmten ihre Fiedern nicht wie jene unter Drehung nach abwärts, sondern richteten sie nach oben. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß es sich dabei um einen „Rückschlag zur Jugendform“ ?) handelt. Ein solcher tritt ja beim Zu- rückschneiden nicht selten ein. Es handelt sich also offenbar um Pflanzen, deren Jugendblätter anders „schlafen“ als die Folgeblätter. Nur ist den Angaben nicht zu entnehmen, ob es sich um eine einfache oder um eine unter Drehung ausgeführte Aufwärtsbewegung handelt. Im ersteren Falle würde das Verhalten der Melilotus-Arten mit dem von Phyllanthus Urinaria erwähnten übereinstimmen, im zweiten würde es sich anschließen an die Verschiedenheiten, welche bei Arten Einer Gattung sich finden. Die Untersuchung von Keimpflanzen von Melilotus macrorhiza er- gab, daß die oben ausgesprochene Vermutung zutrifft. Die einfachen Blattspreiten der Primärblätter sind nachts steil aufgerichtet, eine Drehung findet dabei nicht statt, das Verhalten stimmt also in der Tat mit dem von Ph. Urinaria überein. b) Wie sich in den verschiedenen Altersstadien einer Pflanze Ver- schiedenheiten .in der Art der nyktinastischen Bewegung finden können, so treten solche auch auf zwischen den verschiedenen Arten einer Gattung. Diese sind, rein äußerlich betrachtet, zuweilen recht groß — indes handelt es sich bei genauerer Untersuchung doch meist nur um kleine Abweichungen im letzten Akt der Schlafbewegüng. Die ersten sind, soweit meine Beobachtungen reichen, bei Arten einer Gattung im wesentlichen übereinstimmend. Einige Beispiele mögen das erläutern. I) A. a. O0. p. 347. 2) Vgl. Goeser, Organographie 2. Aufl. p. 404. ger Die Schlafbewegungen. 463 Phyllanthus Urinaria und Phyllanthus lathyroides sind zwei Phyllanthus- Arten, deren Folgeblätter verschieden schlafen. Bei Ph. Urinaria sind alle Fiedern schief aufwärts, bei Ph. lathyroides abwärts gerichtet, in beiden Fällen so, daß die Unterseite der Fiedern nach außen gekehrt ist. Bei beiden Arten stimmt aber der erste Akt der Schlafbewegung überein. Hier, wie bei anderen eine Drehung ausführenden Blättern (auch bei Cassia Sophora Fig. 224) beginnt nämlich die Schlafbewegung damit, daß das Blättchen eine Drehung um annähernd 90° ausführt, so daß sein hinterer Rand nach oben sieht und die Blattfläche annähernd vertikal steht. Nur bildet sie bei Ph. Urinaria mit der Sproßachse einen nach vorn spitzen, bei Ph. lathyroides einen (annähernd) rechten Winkel. Dann setzt bei letzterer außer der weiteren Annäherung an die Achse eine Fig. 229. Cassia tomentosa in Fig. 230. Cassia tomentosa in Schlafstellung. Tagstellung. Unterseite der Blätter nach außen gekehrt. Abwärts-, bei ersterer eine Aufwärtsbewegung ein; würde nur eine Vor- wärtsbewegung stattfinden, so würden die Fiedern mit ihren Längsachsen der Sproßachse parallel aufeinanderliegen. So ist es bei Ph. Urinaria. Doch kommen bei allen Arten gelegentliche Abweichungen vor, die auf Verschiedenheiten in dem Verhalten der einzelnen Teile zurückzuführen sind. $ 8. Besonders eigentümlich ist das Verhalten von Oalliandra tetra- gona — der sich vielleicht andere Arten dieser Gattung anschließen. Die doppelt gefiederten Blätter sind seismonastisch reizbar, aber nur verhältnismäßig schwach. Es kommt bei stärkeren Reizungen zu einem Schluß der Fiederblättchen und einer — wenngleich nicht starken — Senkung der Fiedern. In der Schlafstellung bietet die Pflanze die stärkste Abweichung gegenüber der Tagstellung. Die älteren Blattstiele sind statt (annähernd 464 Zehnter Abschnitt: in’einem Winkel von fast 90°) von der Sproßachse abzustehen steil auf- gerichtet, die Fiedern scharf nach abwärts gerichtet, so daß sie fast oder ganz vertikal (mit der Spitze nach unten) stehen, die Fiederblättchen so zusammengefaltet, daß sie sich mit der Oberseite berühren. Um zu prüfen, wie weit diese Stellungsveränderung eine autonome ist, wurden zunächst 5 Uhr abends Zweige in horizontaler Stellung festgebunden und ganze Pflanzen horizontal gelegt. Fig. 231. Calliandra tetragona, links in Tag-, rechts in Nachtstellung. Es zeigte sich, daß nach 9 Uhr (zu einer Zeit, wo die Schlafstellung eingetreten war) die Blattstiele der ältern Blätter eine starke Hebung erfahren hatten. Die jüngsten zeigten keine Aufrichtung. Die Fiedern der aufgerichteten Blätter waren abwärts gekrümmt, aber ihre Längsachse fiel durchaus nicht immer annähernd mit der Vertikalen zusammen, manch- mal bildete sie mit dieser einen Winkel von etwa 45°. Andere Pflanzen wurden auf den Klinostaten so befestigt, daß ihre Längsachse mit der horizontalen Drehungsachse zusammenfiel. Die Annäherung der Blattstiele an die Sproßachse blieb bei den älteren Blättern vollständig aus, ebenso die Abwärtskrümmung der Fiedern. Nur das jüngste entfaltete Blatt zeigte auf dem Klinostaten eine „Aufrichtnung“, d. h. näherte seine Längs- achse der Sproßachse. Lassen wir dieses Blatt zunächst außer Betracht, so ist anzunehmen, daß bei Oalliandra ein Teil der Schlafbewegungen als „geonyktinastisch“ zu bezeichnen sind. Und zwar gehört dahin die Auf- richtung der Blätter und die Abwärtskrümmung der Fiedern, während die Einfaltung der Fiederblättchen autonom ist. Die Sehlafbewegungen. . - 465 Das Verhalten des jüngsten entfalteten Blattes kann auch entweder autonom oder induziert sein. Es kann das Gelenkpolster noch nicht ganz ausgewachsen sein und nachts sich auf der Außenseite stärker verlängern, Fig. 232. Pithecolobium Saman in Tagstellung Fig. 233. Pithecolobium Saman in (verkl.). Schlafstellung (verkl.) e Fig. 234. Mimosa pudica. Sproß in umgekehrter Lage festgebunden. Die Gelenke der Blätter stark aufwärts gekrümmt. als auf der Innenseite, oder es kann am frisch ausgewachsenen Gelenk- polster die Turgorveränderung ohne Induktion durch die Schwerkraft vor sich gehen. Möglich wäre aber auch, daß 1. die jungen Gelenkpolster be- Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 30 466 Zehnter Abschnitt: sonders für die geonyktinastische Induktion empfänglich sind, also sich aufrichten, auch wenn die Pflanze vorher nur kurze Zeit in ihrer aufrechten Stellung war, 2. daß das nicht der Fall ist, aber eine „Nachwirkung“ des früheren Verhaltens sich geltend macht, 3. daß das abweichende Verhalten durch die Einwirkung der Drehung (Erschütterung und wechselnde In- anspruchnahme des Gelenkpolsters) hervorgebracht wird. Daß junge Blätter anders sich bei der Schlafbewegung verhalten als ältere, sahen wir ja auch bei andern Pflanzen (z. B. Mimosa Spegazzinii), bei der die Blattstiele jüngerer Blätter scharf nach abwärts gekrümmt sind, während die älteren nur etwa einen R. mit der aufrecht gedachten Sproßachse machen. Fig. 235. Mimosa pudica in umgekehrter Stellung an einem Stab befestigt. Schlafstellung. Auch bei Pithecolobium Saman (Fig. 232, 233) tritt eine nyktinastische Aufrichtung der Blattstiele ein, wenngleich nicht so stark. wie bei Oalli- andra, während bei Mimosa bekanntlich eine Senkung stattfindet (vgl. Fig. 234, 235), welche bei umgekehrter Lage der Pflanze besonders auf- fallend hervortritt. $ 10. Zusammenhang der Schlafbewegungen mit der Verteilung der Spaltöffnungen. Es fragt sich, ob die Verschiedenheit in der Ausführung der Schlaf- bewegungen mit einer Verschiedenheit des Blattbaues in Beziehung steht. Es lag nahe, eine Beziehung aufzusuchen mit der Verteilung der Spaltöffnungen. NT IL Er r Fr j EYE j n Pr En „. . 2 k uw" 64 nn: Die Schlafbewegungen. 467 HıtDEBRAND!) hat bei Oxalis einen Zusammenhang zwischen der Verteilung der Spaltöffnungen am Blatte und den Schlafbewegungen fest- zustellen versucht. Er gibt an, daß diejenigen Blätter, welche nur auf der Unterseite Spaltöffnungen führen, eine Nachtstellung dadurch an- nehmen, daß die Teilblättchen sich nachts senken, wodurch die spalt- öffnungsführenden Unterseiten in eine „geschützte Lage“ kommen. So ist es bei Ox. acetosella, strieta und namentlich den amerikanischen Arten, wie O. Regnellii, Deppiı, sepium (= hedysaroides) u. a., seltener bei süd- afrikanischen, wie O. cernua und compressa. Viele andere südafrikanische Arten haben Spaltöffnungen nur auf der Oberseite. Diese führen (mit Ausnahme der sich ebenso verhaltenden amerikanischen O. lobata) keine Schlafbewegungen aus, doch seien ihre Blätter vielfach nicht horizontal, sondern mehr oder weniger geneigt gestellt (z. B. ©. versicolor) oder auf der Oberseite rinnig wie bei O. pentaphylla. Die Blättchen von O. lobata aber legen sich in der Schlafstellung mit der Oberseite zusammen. Die, welche auf beiden Seiten annähernd gleichmäßig Sp:ltöffnungen haben, verhalten sich verschieden: O. Smithii zeigt ausgesprochene, O. Piottae schwache Schlafbewegungen. Diese Tatsachen stimmen nicht mit Darwın’s Ansicht, „that when there is any difference in the degree of protection from radiation of the two surfaces of the leaves, it is always the upper surface which is the best protected“ ?), während sie sich mit der STAHL- schen Auffassung des Nutzens der Schlafbewegung vereinigen lassen. Indes läßt sich die Beziehung der Spaltöffnungen zur Schlafbewegung bei den Oxalideen nicht verallgemeinern.. Die Kotyledonen z. B. von - Biophytum sensitivum: bewegen sich nachts nach oben, obwohl sie auf ihrer Unterseite weit mehr Spaltöffnungen führen als auf ihrer Oberseite. Man kann ja sagen, bei der Schlafbewegung der.Kotyledonen handle es sich weniger um Transpirationsförderung als um den Schutz der Stamm- knospe und damit stehe die abweichende Bewegungsrichtung im Zusammen- hang. Aber wogegen soll eigentlich in den Tropen die Stammknospe nachts geschützt sein? Es ist der von HıLDEBRAND angegebene Zusammen- hang zwischen Spaltöffnungsverteilung und Schlafbewegung, trotzdem er bei den Oxalideen kein allgemeiner ist, ein sehr merkwürdiger. Aber es wäre auch möglich, daß die Verteilung der Spaltöffnungen kausal verknüpft ist mit einer Form der Dorsiventralität der Blättchengelenke, ohne daß der dadurch bedingten Schlafstellung eine besondere Bedeutung zukommt. Stauu°®) fand bei den von ihm untersuchten Pflanzen im allgemeinen dann die Unterseite besser als die Oberseite gegen Tauansatz geschützt, wenn sie am stärksten transpiriert, während, wenn die Oberseite Kobalt- papier rascher rötet als die Unterseite, sie die besser geschützte sei. Doch betont er, daß diese Beziehungen nicht allgemein vorhanden seien, bei Trifolium patense u. a. ist die allein Spaltöffnungen führende Blattunter- ı) F. Hırpesrano, Die Lebensverhältnisse der Oxalis-Arten, Jena 1884 p. 124. In diesem Buche werden eigentlich nicht die Lebens-, sondern die Wuchsverhältnisse der Oxalis-Arten geschildert (ohne Rücksicht auf die Literatur). .Die sonderbaren Angaben über die Zwiebelbildung von Ox. Coppoleri, fabifolia u. a. beruhen, soweit eine — nicht vollständig durchgeführte — Nachuntersuchung an O. fabifolia mir ein Urteil gestattet, auf einem Mißverständnis. Die Zwiebeln entstehen als Adventivsprosse an dem zentralen Teil der Wurzel, nicht an „den in die Tiefe dringenden verlängerten Stengelachsen“,. Das letztere schien mir ein kaum vorstellbarer Vorgang zu sein. Offenbar ist er auch in Wirklichkeit nicht vorhanden. 2) Darwım, The power of Movement in plants p. 325. 3) E. Stanz, Über den Pflanzenschlaf und verwandte Erscheinungen. Bot. Zeit. 1897 p. 84. 30* 468 Zehnter Abschnitt: seite der Betauung leichter zugänglich, was er durch eine Hilfshypothese | mit seiner Anschauung in Einklang zu bringen sucht. Auch H. Ersan!) hat — offenbar ohne Kenntnis der HILDEBRAND- schen Angaben — neuerdings untersucht, ob die Spaltöffnungen vorzugs- weise auf der bei der Schlafstellung geschützten Seite der Blätter vor- kommen oder nicht. Die Verf. gelangt zu dem Ergebnis, daß bei der Mehrzahl der untersuchten Pflanzen die Spaltöffnungen ausschließlich oder in überwiegender Menge auf den in der Schlafstellung „geschützten“ Blattseiten sich vorfinden. Indes hat sie selbst, wie vorher schon STAHL gegenteiliges Verhalten bei einigen Pflanzen nachgewiesen (Aeschynomene, Leucaena glauca, Phyllanthus Niruri). Die Zahl dieser Pflanzen dürfte bei weiterer Untersuchung steigen. Bei Phyllanthus lathyroides z. B. ist die Oberseite die geschützte, die Unterseite aber führt allein Spaltöffnungen. Fig. 236. Crotalaria Saltiana. Links in Tag-, rechts in Nachtstellung. Unterseite „geschützt“. Von einer allgemeinen Übereinstimmung kann also jedenfalls nicht wohl die Rede sein. Außerdem kommen ja selbstverständlich noch andere Um- stände in Betracht. So die Frage, ob die Spaltöffnungen der betreffenden Pflanzen nachts geschlossen sind oder nicht ?), verschiedener Bau, das Verhältnis zwischen kutikularer und stomatärer Transpiration u. a. So lange das verschiedene Verhalten der einzelnen Pflanzen nicht aufgeklärt ist, läßt sich eine durchgreifende Gesetzmäßigkeit in den Beziehungen zwischen Verteilung der Spaltöffnungen und "Schlafbewegung jedenfalls nicht erkennen. $ 11. Schlafbewegungen und Standortsverhältnisse. Wenn wir uns ebenso, wie das bei den mit gelenklosen Blättern ver- sehenen Pflanzen geschah, fragen, ob die Schlafbewegungen in Zusammen- hang stehen mit den Standortsverhältnissen (derart, daß sie an Pflanzen gr “unter bestimmten Lebensverhältnissen stehen, besonders häufig auf- 1) Marc. ErBan, Über die Verteilung der Spaltöffnungen in Beziehung zur Schlaf- stellung der Blätter. Ber. der deutschen botan. Gesellsch. Bd. XXXIV (1916) p. 880. ?) Vgl. darüber die Angaben bei Stan. VRR en er SE ST N RE P u Rt 2 dr A Die Schlafbewegungen. 469 . treten) oder, unabhängig von diesen, durch die systematische Verwandschaft bedingt sind, so können wir zwei Wege einschlagen: entweder man prüft bestimmte biologische Gruppen auf das Vorkommen von Schlafbewegungen oder man sieht innerhalb einer größeren Familie, deren Vertreter an sehr verschiedenen Standorten wachsen können, nach, ob sie ohne Unterschied mit Schlafbewegungen ausgerüstet sind. Zunächst mag der erste Weg gewählt sein. Es seien von einigen sehr verschiedenen Gruppen die „xerophilen“ und die „hygrophilen“ kurz erwähnt. 43 1. Xerophile Pflanzen. Manche xerophile Pflanzen haben Blätter, die so reduziert oder (wie z. B. die von Eucalyptus und die Phyllodien vieler Acacia-Arten) so orientiert sind, daß man von vornherein bei ihnen keine nyktinastischen Bewegungen erwarten kann. Bei anderen aber kommen sie vor. Es seien nur zwei Beispiele genannt: Eutaxia myrtifolia !) ist eine australische Papilionacee mit ledrigen Blättern, die (bei in München kultivierten Pflanzen) tagsüber in einem Winkel von 45° von der Sproßachse abstehen. Nachts richten sie sich, soweit sie nicht durch ihre Achselknospen daran gehindert sind, so auf, daß ihre spaltöffnungenführende Oberseite der Sproßachse anliegt. Melaleuca ericaefolia ?), eine australische Myrtacee, deren Blattbildung, wie schon der Artnamen besagt, gleichfalls „xerophilen“ Charakter trägt, richtet ihre Blätter nachts auf. Lotus mascaensis ist eine dem bekannten L. peliorrhynchus nahestehende., kanarische Pflanze, mit stark behaarten Blättchen. Diese zeigen eine deutliche Schlafbewegung, indem sie nachts sich erheben. Die starke Be- haarung und der sonstige Bau weisen auch bei dieser Pflanze auf „Xero- philie“ hin. Im allgemeinen läßt sich aber wohl sagen, daß bei xerophilen Pflanzen mit ihren oft stark reduzierten oder starren (nicht lange wachs- tumsfähig bleibenden und meist auch gelenklosen) und lederartigen Blättern Schlafbewegungen verhältnismäßig selten sind. Aber vorhanden sind sie bei einer Anzahl von Pflanzen, obwohl die Standortsverhältnisse nicht für die bis jetzt versuchten teleologischen Deutungen der Schlafbewegungen sprechen. Namentlich ist das, wie es scheint, der Fall bei Pflanzen, die Familien angehören, deren Blätter für nyktinastische Bewegungen geeignet sind. So finden wir z. B. solche bei Papilionaceen, die den verschiedensten Klimaten angehören, Goodia°?) von Australien, wie die oben genannten Lotus-Arten, Eutaxia u.a. Es wäre sehr erwünscht, wenn die Frage nach ‘ der Verbreitung der Schlafbewegungen in Gegenden mit überwiegend xerophytischen Charakter näher untersucht würde. 2. Bei Wasser- und Sumpfpflanzen dagegen sind Schlafbewe- gungen weit verbreitet. Es sei erinnert an Marsilia, Herminiera, Aeschy- nomene, Neptunia. Die drei letztgenannten Leguminosen ausgezeichnet durch raschen Wuchs (und offenbar mit starker Transpiration) haben die Eigentümlichkeit, daß ihre Blätter dem Lauf der Sonne folgen — also morgens nach Osten, abends nach Westen gerichtet sind. Es fiel mir an den Blättern von Sesbania aegyptiaca, die annähernd in der Nordsüdrichtung stehen (und nicht nach Westen gedreht sind), auf, daß 1) Abbildung bei GoEBEL, a. a. O0. p 2) Vgl. Boucht, Botan. Zeitung 1874 I "359. BE pubescens hat zwar dünne, aber dicht gebaute Blätter mit stark verdickten Außenmembranen, Schleimzellen in der Epidermis und eingesenkten Spaltöfinungen — ‚ also mit als „xerophytisch“ betrachteten Bauverhältnissen. 470 Zehnter Abschnitt die Blattfiedern auf der Ostseite (rückwärts gekehrt) schon in der Schlaf- stellung sind, während die auf der besser beleuchteten Westseite stehenden erst in die, durch Drehung um 90° erreichte Vertikalstellung (welche der Schlafstellung vorausgeht) eingerückt sind — was einen sehr eigentümlichen Anblick bietet (Fig. 237). Es dürfte das darauf beruhen, daß die Ostseite die abends weniger gut beleuchtete ist. Denn die auf dieser stehenden Blätter gehen auch im ganzen früher in die Schlafstellung über, als die auf der Westseite stehenden. So sind also auch die Fiedern eines und desselben Blattes durch die verschiedene Lichtintensität veranlaßt ungleich- zeitig die nyktinastische Bewegung auszuführen, die darin besteht, daß die Fieder sich zunächst vertikal stellt und dann nach der Blattspitze hin bewegt. Bei den mit der Längsachse nach Westen stehenden Blättern gehen die rechten und die linken Fiederblättchen gleichzeitig „schlafen“ — sie sind auch gleich stark beleuchtet. Fig. 237. Sesbania aegyptiaca. Blatt, das im Begriff ist in die Schlafstellung über- zugehen, von Westen. Am häufigsten treten die Schlafbewegungen bei Pflanzen der Tropen auf. Das kann damit zusammenhängen, daß Familien, die mit Gelenken ver- sehene Blätter besitzen, wie die Papilionaceen und andere Leguminosen dort ihre Hauptentwicklung finden. Es ist damit aber noch nicht gesagt, daß die nyktinastischen Bewegungen diesen Pflanzen besondere Vorteile bieten. Es wurde bei Besprechung der Blattsensitivren an dem Beispiel von Mimosa gezeigt, daß die Arten dieser Gattung unter sehr verschieden- artigen äußeren Bedingungen vorkommen — alle näher untersuchten aber‘ zeigen nyktinastische Bewegungen. Diese sind also zunächst als Begleit- erscheinungen für das Auftreten der Spannungsgelenke zu betrachten. Die letzteren finden sich meist nur bei „zusammengesetzten“ Blättern, oder solchen, die sich von „zusammengesetzten“ Blättern ableiten lassen. Da diese bei Monokotylen nur ganz vereinzelt auftreten, so sind auch die nyktinastischen Bewegungen bei Monokotylen verhältnismäßig selten: Bei einer von Fr. MÜLLER beobachteten Olyra sinken die Blätter nachts vertikal herunter, während bei Olyra guianensis die Blattspreiten eine Bewegung nach der Achse hin ausführen. Ebenso verhalten sich nach Hanscırc !) die Blätter von Andropogon ceylanicus, die sich nachts an den Halm anlegen, „wobei sie mittelst ihres kurzen Blattstieles eine Toor- sion um fast 90° gegen die Lichtlage ausführen“ — eine Angabe, welche das Zustandekommen der Bewegung noch nicht aufklärt; es sei denn, daß die Lichtlage dieser Blätter eine „Profilstellung“* wäre. Die auch mit Gelenken bzw. gelenkartigen Teilen versehenen Blätter von Pharus und Bambusa führen keine nyktinastischen Bewegungen aus, wenigstens nicht die kultivierten Exemplare. 5 ee Pflanzenbiologische Untersuchungen 1904 p. 199. — Über die Stand- ortsverhältnisse dieses Grases ist z. B. aus Trimen. Handbook of the Flora of Ceylon. Vol. V nichts zu entnehmen. Die Schlafbewegungen. 471 $ 12. Schlafbewegung und Himmelsrichtung. Fr. MüLLer hat auf eine Pflanze hingewiesen, die bei Nacht die Himmelsgegenden anzeigt!). Es ist das eine Papilionacee mit dreizähligen Blättern Centrosema sp. Das Endblättchen war gegen Sonnenuntergang so gedreht, daß die Blattfläche vertikal und mit der oberen Fläche nach Westen gerichtet war, in dieser Stellung verharrt sie bis tief in die Nacht hinein. . Diese, zunächst ziemlich rätselhafte Erscheinung dürfte so zu ver- stehen sein, daß es sich um eine Pflanze handelt, die schon vor dem Eintritt der nyktinastischen Bewegung ihre Blattoberseite nach Westen dreht, weil sie dem Lauf der Sonne folgt. Das findet bei einer ganzen Anzahl von Papilionaceen statt. Oben wurde erwähnt, daß Neptunia und Herminiera ihre Blätter morgens ungemein deutlich nach Osten, abends nach Westen richten (Fig. 210). Wenn die Blattflächen sich noch bei annähernd horizontaler Beleuchtung rechtwinkelig zu den einfallenden Lichtstrahlen zu stellen suchen, so werden sie vertikal stehen. Hier kann also leicht die von MÜLLER beobachtete Stellung zustandekommen. In anderen Fällen wird aber die Richtung nach Westen nur eine annähernde sein und noch eine anderweitige Bewegung des Blattes dazu kommen (2. B. Zusammenlegung der Fiedern). Auch die Blüten von A. nemorosa nicken z. B. nachts alle nach der Seite hin, von der tagsüber das Licht kommt. Wenn die Pflanzen also z. B. an einem Waldrande wachsen, sind die nickenden Blüten alle nach außen gerichtet. Das beweist noch nicht, daß" die Dorsiventralität durch das Licht bestimmt wird. Sie kann ‚auch aus inneren Gründen vorhanden sein und eine Torsion kann dann den Anschein erwecken, als ob sie eine durch einseitige Beleuchtung ver- anlaßte sei. “ _ VAucHER?) hat schon darauf hingewiesen, daß die Blüten bzw. Blüten- knospen von dieser Pflanze nachts gesenkt, morgens aufgerichtet sind, bis schließlich die Aufrichtung unterbleibt und der Fruchtstand in nickender Stellung heranreift. Er gibt an, von den drei Hüllblättern stehe. eines höher als die anderen und habe einen verbreiterten Blattstiel?) „c’est du cötE oppose que siincline la fleur“. Eine solche Beziehung ist nach dem oben Mitgeteilten (vgl. z. B. Papaver p. 110) durchaus wahrscheinlich. (Vgl. das über A. baikalensis unten Gesagte) Es kann die Orientierung zum Lichte dann entweder durch eine Drehung des Blütenstieles oder des Schaftes unterhalb der Involukralblätter erfolgen. ) Fr. Mürzer, Eine Pflanze, welche bei Nacht die Himmelsgegenden anzeigt, Kosmos V p. 212. Vgl. auch Bremer, a. a. O. p. 345 „Colutea fruticosa sub somno foliola oblique flectit versus oceidentem solem“. 2) A 2..0. 1 p.'23: ®) Das trifit nach meinen Beobachtungen nicht zu. Die drei Blätter sind natür- lieb: nur zusammengerückt, d. h. stehen eigentlich auf ungleicher Höhe. Aber das mit dem breitesten Blattgrund ist das erste, unterste. Es ist das, welches bei Anemone ranunculoides eine Achselblüte besitzt (selten ist das auch noch beim nächsten Blatt der Fall. Daß VaucHer’s Annahme, zwei der Involukralblätter ständen weiter von- einander ab (als von dem zwischen ihnen stehenden) „afin de laisser une place libre an pedoneule et & la fleur qui se penchent tous les soirs“ nicht zutrifft, ist klar. Die Biegung geht gar nicht so weit, daß die Platzfrage in Betracht kommen könnte. Der Abstand der zwei oberen Blätter voneinander ist allerdings häufig größer als der jedes dieser Blätter von dem ersten. Aber aus dem genannten Grunde ist das für die Aus- führung der Krümmungsbewegung gleichgültig. 472 Zehnter Abschnitt: VöcHtınG !) fand bei Anemone stellata, daß die abendliche Krümmung nicht durch Licht, sondern durch Wärmeabnahme bedingt wird. Das gilt offenbar auch für A. nemorosa?). Ich brachte am 18. April drei Pflanzen mit abwärtsgekrümmten Blütenknospen (bzw. geschlossenen Blüten) in einen Raum, dessen Temperatur 20° betrug, Schon nach: einer Stunde waren sämtliche Blütenstiele aufgerichtet (obwohl es inzwischen’ ganz Nacht geworden war) und eine Blüte aufgeblüht. In diesem Raume. führten die Blütenstiele später keine Abwärtskrümmung mehr aus und die Blüten blieben geöffnet — wenigstens abends. Nachts wurden sie, nicht beobachtet. Auch nach dem Abblühen blieben die nur noch, mit jungen Früchten besetzten Blütenstiele aufrecht, ein Beweis dafür, daß die Abwärtskrümmung der Fruchtstiele nur eine „stehen gebliebene“ Schlafstellung, nicht eine durch die heranreifenden Früchte bedingte ist, Damit stimmt auch überein, daß nach F. BEnEcKE?) die Krümmungen der Blütenstiele auch dann noch fortgehen, wenn die Blüten entfernt wurden. Das beweist zwar nicht, daß die Blütenstiele und Perigonblätter. nicht auch photonastisch sind, sondern nur, daß sie (falls überhaupt. photonastisch) stärker thermonastisch sind‘). Für uns kommen aber nicht, spezielle physiologische Fragen in Betracht, sondern die Tatsache, daß. wir es auch hier mit einem Falle zu tun haben, in welchem dorsiven- trale Organe durch ungleiche Beeinflussung antagonistischer Seiten. Krümmungen ausführen. Denn daß die Blütenstiele der genannten Ane- mone-Arten trotz ihrer scheinbar radiären Ausbildung dorsiventral sind ist mir (im Gegensatz zu VÖCHTING), ebensowenig zweifelhaft, als daß die, nächtliche Abwärtskrümmung der Blüten von A. nemorosa — einer be-, kanntlich wenig empfindlichen Pflanze — keine „Schutz“bedeutung. hat. In einem Frühjahr trat zur Blütezeit von A. nemorosa Frost von — 4°. ein, die Pflanzen waren morgens mit Rauhreif bedeckt, hatten aber nicht gelitten. Zugleich sehen wir, daß ebenso wie die „Durchbruchskrümmungen“ auch die nyktinastischen Bewegungen durch recht verschiedene Faktoren bedingt werden — Licht, Wärme, Schwerkraft und wohl noch andere Kräfte können einwirken. Es dürfte deshalb zweckmäßig sein „nyktinastisch“ als eine Sammelbezeichnung für Bewegungen, die abends eintreten und morgens rückgängig gemacht werden — ganz gleichgültig wie sie entstehen — zu gebrauchen. $ Viel deutlicher als bei Anemone nemorosa ist die von VAUCHER entdeckte - (nur irrig aufgefaßte) Beziehung der Blütenstielkrümmung zum ersten Blatt bei Anemone baikalensis. Das erste Blatt des Involukrums ist hier meist schön daran leicht kenntlich, daß es größer ist, als die beiden andern, deren Abstand voneinander weiter ist, als der von dem ersten Blatte. Die’ Blüte führt hier eine Entfaltungskrümmung nach unten aus. Bei allen von über einem Dutzend untersuchten Pflanzen war die Stielkrümmung mit ihrer konvexen Seite dem ersten Involukralblatt zugekehrt. Gelegent- lich zeigte der Blütenstiel (der viel derber ist als bei A. nemorosa) auch ı) H. Vöchtine, Über den Einfluß der Wärme auf die Blütenbewegungen der Anemone stellata. Jahrb. f. wiss. Bot. XXI (1889) p. 285 ff. 2) Nachträglich fand ich eine kurze Angabe von B. Liprorss über diese Pflanze (vel. B. Livrorss, Über den Geotropismus einiger Frühlingspflanzen. Jahrb. f. wissensch. Botanik XXXVIII (1903) p. 368. 3) Ber der deutschen bot. Gesellsch. II (1884) p. 195. 4) Die einzelnen Arten verhalten sich bezüglich der Temperatureinwirkung ver- schieden. Die südeuropäische A. blanda z. B. zeigt an einem kühlen Frühlingsmorgen im Garten noch „Schlafstellung“, während die einheimische A. nemorosa schon auf- gerichtete Blüten aufweist. ar A a = ’ 7 x EISEN Y: ’ Sr yon = 4 ö ü vr N N B > 4 \ ar F ; A 7 Die Schlafbewegungen. | 473. sitliche Ablenkung — wahrscheinlich nach der Seite stärkerer Beleuchtung hin. Diese tritt später viel ausgesprochener auf. Es handelt sich hier. also um dieselben Beeinflussungen wie sie für die Nutation von Papaver,. den weiblichen Euphorbiablüten u. a. oben geschildert wurde. Sie macht. sich ebenso bei der Entfaltungs- wie bei der nyktinastischen Bewegung geltend. Die letztere wird von den Blütenstielen, die sich zum Aufblühen. gerade gerichtet haben, in derselben Ebene wie die, in der die Entfaltungs-. krümmung erfolgte, ausgeführt. Sie führt aber bei den beobachteten . Blüten (wenigstens bis 9 Uhr abends) nur bis zur Horizontalstellung. Bei dieser Gelegenheit mag erwähnt werden, daß auch bei anderen Pflanzen als A. nemorosa die durch niedere Temperatur bedingten. („psychroklinen“) Bewegungen nicht als „Schutzbewegungen“ gedeutet, werden können. So bei Senecio vulgaris — einer gegen Kälte sehr wider- standsfähigen Pflanze. Man könnte höchstens sagen, daß durch die Herab-. biegung der Sprosse diese die höhere Temperatur in der Nähe der Boden-. oberfläche für ihre Stoffwechselvorgänge usw. ausnützen können. In dem ‚kalten, windigen Frühjahr 1919 war es sehr auffallend, daß die Sträucher von Forsythia alle in ihren unteren Teilen zuerst aufblühten — offenbar weil näher dem Boden die Temperatur höher war als oben. Bei den Blütenstielen von Anemone nemorosa aber handelt es sich in der nykti-. nastischen Biegung um so geringe Höhenunterschiede, daß die Temperatur- differenzen außer Betracht bleiben können. , Kurz hingewiesen werden mag auch auf die sog. „horizontale Nutation“, die manche Pflanzen — und zwar, wie es scheint, vor allem solche, die (wie die Leguminosen) dorsiventrale Ausbildung der Sprosse erkennen, lassen !) —, zeigen. Bekanntlich besteht die Erscheinung darin, daß in „Laboratoriumsluft“ gehaltene Erbsen-, Wicken- und Linsenkeimlinge nicht. aufrecht, sondern (auch im Finstern) dem Boden angeschmiegt wachsen. Nach O. Richter ?) kommt_das durch Unterdrückung "des negativen Geo- tropismus zustande. Es äußert sich dann also nur die Dorsiventralität, des Hypokotyls durch einseitig stärkeres Wachstum. Seiner Abbildung nach (Fig. 11 Taf. Il a. a. 0.) liegen die Keimlinge alle mit derselben Seite dem Boden an. Wenn sie in reiner Luft negativ geotropisch nach oben wachsen, geschieht das also deshalb, weil die geotropische Wachstums-. steigerung der einen Flanke der „autonomen“ der andern das Gleichgewicht. hält. Der Antagonismus tritt hier also besonders deutlich hervor. Man könnte auch sagen, diese Keimlinge sind ihrem normalen Wuchs nach „phäno- typisch“ radiär und orthotrop, „genotypisch“ aber sind sie dorsiventral. Es ist auch ohne weiteres klar, daß die Lähmung des Geotropismus durch die Laboratoriumsluft nicht als eine Anpassungserscheinung be- trachtet werden kann. Ebensowenig die Steigerung der heliotropischen. Empfindlichkeit bei im Laboratoriumsluft erzogenen Keimpflanzen — eine Erscheinung, die erinnert an die Anderung der geotropischen Be- wegungen durch Kälte oder Licht — alles Reaktionen, die bedingt sind, durch im inneren Aufbau gegebene oder von außen induzierte Ungleichheit — Reaktionen, welche — wie wir so oft sahen — nützlich sein können, aber nicht nützlich sein müssen. $ 13. Die teleologische Deutung der Schlafbewegungen hat nament- lich durch Or. und F. Darwın eine nähere Fassung dahin erhalten, daß !) Darauf ist bisher nicht geachtet worden, weil die Symmetrieverhältnisse über- haupt, nur wenig Berücksichtigung fanden. . RicHTErR, Die horizontale Nutation. Sitz.-Ber. der kaiserl. Ak. der Wissensch. zu Wien, Mathem. -nat. Klasse Bd. CXIX Abt. I 1910. Daselbst weitere Literatur. 474 Zehnter Abschnitt: sie annahmen, es handle sich in erster Linie um Schutz gegen die schäd- lichen Folgen nächtlicher Abkühlung; eine Annahme, die auch durch einige experimentelle Erfahrungen gestützt wurde. Indes entging es den genannten Forschern nicht, daß diese Annahme auf Tropenpflanzen nicht wohl anwendbar sei. Gerade bei diesen ist aber, wie wir sahen, Nyktinastie viel weiter verbreitet, als z. B. bei den Pflanzen Mitteleuropas. Diese: Bedenken veranlaßten Stau?!) nach einer anderen Lösung des Problems zu suchen. Er findet diese „ebenso einfache als befriedigende Lösung“ darin, daß die Nachtstellung die Förderung der Transpiration der Blatt- spreiten- und mithin deren, Versorgung mit „mineralischen Nährstoffen“ bedinge. Das erfolge dadurch, daß durch die Schlafstellung die Betauung der Blätter vermieden (oder doch wesentlich vermindert) wird. „Ich be- trachte daher die Schlafstellung der Blattspreiten als eine Schutzeinrichtung gegen Taubeschlag und zwar im Interesse der stomatären Transpiration, deren Aufgabe es ist, die Assimilationsorgane mit mineralischen Nährstoffen zu versorgen?).“ Dies sei eine im Kampf ums Dasein erworbene Ein- richtung, die wiederholt im Pflanzenreich entstanden sei°®). Es sind dies zwei Anschauungen, die gesondert zu betrachten sind. Was die erste an- betrifft, so ist nicht zu vergessen, daß durch die Art der Schlafbewegungen x a r AT bei manchen Blättern, z. B. solchen, die ihre Fiedern zusammenlegen zu- nächst eine Transpirationsverminderung eintreten muß, wie das STAHL selbst für Amicia zygomeris zahlenmäßig festgestellt hat*. Ob diese Transpirationsminderung mehr als ausgeglichen wird, dadurch, daß das Blatt vermöge seiner geringeren Abkühlung doch mehr Wasserdampf abgibt, ist aber bis jetzt nicht bekannt. Zu einer festen Begründung der Starr’schen Anschauung scheint erforderlich, zu wissen, ob in der Tat die durch die Schlafbewegungen. ermöglichte Transpirationssteigerung im Gesammthaushalt der Pflanze ins Gewicht fällt?) — um so sehr, als dafür nach Stauı hauptsächlich nur die ersten Morgenstunden in Betracht kommen. Auch fällt ja keineswegs überall dort, wo nyktinastische Pflanzen vorkommen, in jeder Nacht Tau. Und ebensowenig ist Vertikalstellung ein Mittel zur vollständigen Verhinderung der Betauung. An taureichen Morgen traf ich z. B. die vertikal gestellten Blätter von Hydrocotyle bonariensis dicht mit Trautropfen besetzt. Man wird gewiß nicht leugnen, daß die Schlafstellung eine Verminderung der.Betauung bedingt und falls eine solche eintritt, eine raschere Trockenlegung der Blattspreite. Und wenn auch jede Anpassung, soweit sie als Schutz dient, namentlich für die extremen Fälle in Betracht kommt, so ist es für die oben aufge- worfene Bilanzfrage doch wohl nicht gleichgültig, daß — vielleicht ab- gesehen von den Bergwäldern der Tropen — Betauung nicht immer eintritt. Die Schlafbewegungen aber finden natürlich immer statt. Auch wenn man zugibt, daß die Stanr'sche Auffassung das richtige getroffen habe, kann man sich doch seiner weiteren Annahme, daß um dieses Vorteils willen „der ganze komplizierte Mechanismus der Schlaf- stellung erworben wurde“ (und zwar im Kampf ums Dasein) nicht an- schließen. Vielmehr würde auch in diesem Falle nur die Ausnutzung anderweitig bedingter Eigenschaften, nicht eine allmähliche durch !) E.Staur, Über den Pflanzenschlaf und verwandte Erscheinungen. Bot. Zeit. 1897. 2) A 8.0, P.r8l. 3, A. a. 0:29.82, 4) Aa. D.,D.020. 5) Es könnte ja auch sein, daß dadurch lediglich die durch die Schlafbewegung bedingte Transpirationsverminderung einigermaßen ausgeglichen wird. . a Ber Die Schlafbewegungen. 475 Selektion gesteigerte Erwerbung vorliegen. Wir wissen‘), daß nachts auch in. Sproßachsen der Turgor steigt und diese demzufolge einen srößeren Durchmesser als am Tage aufweisen. Wenn in einem dorsiven- tralen Spannungsgelenk derselbe Vorgang mit ungleicher Intensität oder Schnelligkeit vor sich geht und dadurch nyktinastische Bewegungen ein- treten, so ist das etwas, was die betreffenden Pflanzen nicht erst zu er- werben. brauchten, sondern durch ihre dorsiventrale Struktur schon be- saßen. Es kann diese Bewegung ihnen förderlich gewesen sein. Aber der Nachweis, daß dieser Vorteil im „Kampfe ums Dasein“ von Bedeutung war, ist nicht erbracht. Es ist auch z. B. nicht recht einzusehen, worin der Vorteil der nyktinastischen Aufrichtung der Blattstiele zusammenge- setzter Blätter wie die von Pithecolobium Saman und Calliandra (Fig. 231) bestehen soll, die Fiedern sind nach unten gerichtet, auf ihre Betauung kann die Aufrichtung des Blattstiels doch wohl keinen erheblichen Einfluß haben. Man kann ja eine günstigere Lastverteilung, Oberflächenverringe- rung usw. heranziehen, oder phylogenetische Erwägungen — aber eines klingt so wenig überzeugend wie das andere. Wenn aber diese nykti- nastischen Bewegungen nicht im Kampfe ums Dasein erworben sind, so wird es bei den andern wohl auch nicht anders sein. Ist das so, so brauchen sie auch nicht alle zweckmäßig zu sein. Bei den teleologischen Deutungen wird aber vorausgesetzt, daß alle nützlichen Eigenschaften der Pflanzen so entstanden seien. Auch sei erinnert an die nyktinastischen Bewegungen mancher Infloreszenzen, und die von Kompositen-Randblüten (p. 441), die doch wohl weder mit Taubeschlag ?) noch überhaupt mit Trans- pirationsverhältnissen zusammenhängen. Demgemäß wird man den Nutzen der nyktinastischen. Bewegungen noch nicht als einen sicher nachgewiesenen, zum mindesten aber nicht als einen allmählich im Kampf ums Dasein erworbenen betrachten können. Daß die nyktinastischen Bewegungen der Pflanze- nicht nachteilig sein werden, ist von vornherein anzunehmen. Der ‘zu ihrer Ausführung notwendige Energieaufwand wird kein sehr erheb- licher sein. Die vergleichende Betrachtung der nyktinastischen Bewegungen (soweit sie derzeit möglich ist) spricht also nicht für die von STAHL vertretene Ansicht über das Zustandekommen der nyktinastischen Bewegungen. Mit der Auffassung, daß die nyktinastischen Bewegungen nicht eine im Kampf ums Dasein „erworbene“ Anpassung, sondern eine ganz un- abhängig von der Erreichung irgendwelchen Vorteils aufgetretene Beein- flussung durch die periodischen Anderungen der Umwelt darstelle, stimmt auch die Erfahrung überein, daß sie unter sonst gleichbleibenden äußeren Bedingungen sehr stark von der Wurzeltätigkeit beeinflußt werden. Pflanzen, bei denen diese heruntergesetzt ist, wachen später auf und - schlafen früher ein als solche mit normaler Wurzeltätigkeit. Das wurde bei einer ganzen Anzahl von Pflanzen aus verschiedenen Familien (u. a. Euphor- biaceen, Papilionaceen) beobachtet. Z. B. traten von nebeneinanderstehen- den Topfpflanzen von Calliandra tetragona im Februar die einen gegen ?/, 2 Uhr, die andere um 6 Uhr in ihre — ungemein charakteristische — Schlafstellungein. Auch das „Aufwachen“ zeigte entsprechende Unterschiede. ) Vgl. G. Kraus, Die Gewebespannung des Stammes und ihre Folgen. Bot. Zeit. 1867 Nr. 14—17. : 2) Der auf den kanarischen Inseln öfters reichlich einzutreten scheint, für ein Blamenblatt aber — wenigstens nach unseren jetzigen Kenntnissen — nicht dieselbe Bedeutung wie für ein Laubblatt haben wird, es sei denn, daß man annimmt, die Iranspiration komme den heranreifenden Früchten zugute. 476 Zehnter Abschnitt: Die Untersuchung dieser Pflanzen zeigte, daß an den ersteren em’ Teil der Wurzeln abgestorben, also außer Funktion gesetzt war. Es wurde darauf eine gesunde Pflanze trocken gehalten. Das hathes zur Folge, daß sie jeden Tag ihre Blätter früher in die Schlafstellung eintreten ließ). Dabei verhielt sich ein horizontaler Ast anders als ein vertikaler. Die Blätter des ersteren nahmen die Schlafstellung früher an: als die des letzteren, was damit zusammenhängen dürfte, daß in dem. vertikalen Aste die Wasserbewegung eine gegenüber der im horizontalen. günstigere war. Je geringer die Wasserzufuhr ist, desto leichter wird die eine Gelenkhälfte bei der Steigerung des Turgors die andere über» winden können. Daß das bei den Pflanzen mit weniger guter Wasser-: versorgung schon am Tage eintritt, könnte man als Transpirationsschutz deuten, ebenso wie den „Tagesschlaf“ (vgl. Fig. 238, 239), von dem übrigens: wohl noch festzustellen sein dürfte, ob er nicht auf durch intensives Licht bedingter Transpirationssteigerung ‘beruht. Darauf weist nicht nur z. B. die Verschiedenheit zwischen der Stellung der Fiederblättchen an Robinia. Fig. 238. Junge Pflanze von Desmodium triquetrum. Morgens: Blätter flach ausgebreitet. zwischen Tages- und Nacht,schlaf“ hin, sondern auch die Tatsache, daß die Befähigung der Blätter mancher Pflanzen zu photonastischen Be, wegungen erst auftritt, bei Lichtintensitäten, welche die in Mitteleuropa üblichen überschreiten. In Lissabon z. B. beobachtete ich im August 1913 Vertikalstellung der Blätter in voller Sonne bei einer Anzahl von Bäumen, die sie bei uns nicht aufweisen. So bei Üeltis, die durch aktive Gelenkkrümmungen die Blätter abwärts und vertikal stellte. Für Tanacetum gilt ähnliches. KorzcHInskY°’) sah an einem sehr heißen Tage bei Sonnenschein in Südrußland viele Exemplare, welche ihre Blätter in einer vertikalen Ebene von NO. nach SW. ausgebreitet hatten — in Deutschland habe ich eine solche Stellung bis jetzt nicht angetroffen. Für Calliandra aber handelt es sich nur um ein Zusammenwirken von mangelnder Wasserversorgung und .der üblichen Schlafstellung. Dieselbe Stellung müßte also für die teleologische Betrachtung in einem !) Ebenso verhält sich Mimosa pudica. Von krautigen Pflanzen sei Oxalis strieta angeführt: trocken gehaltene Pflanzen gehen früher in die Schlafstellung über, als da- neben, aber mit dem Topf in Wasser stehende. Vgl. auch „Rumphiusphänomen“ a.a. O, 2) S. Korzcninsky, Über die Blattstellung von Tanacetum vulgare und Lactuea trariola. Kasan 1884. Die Schlafbewegungen. 477 > ‘ Falle als Einrichtung zum Transpirationsschutz im andern als solche zur Transpirationsförderung gelten. Das ist auch nach der hier vertretenen Auffassung möglich, aber in beiden Fällen würde es sich nur um eine sekundäre " Ausnutzung einer Reizbewegung handeln, die nicht als direkte Anpassung an eine bestimmte äußere Bedingung entstanden ist. Es darf somit gesagt werden, daß auch für die „Schlafbewegungen“ die Anschauungen berechtigt sind, welche in diesem Buche für andere Bewegungen vertreten wurden — Anschauungen, die hier noch einmal zu wiederholen kein Grund vorliegt. Es ist möglich, daß man für die „Schlafbewegungen“ später in anderer Weise, als dies bisher geschah, eine Funktion auffinden wird. Es könnte sich z. B. wie bei den Nutationen darum handeln, daß den Fig. 239. Desmodium triquetrum. Junge Pflanze in Mittagstellung. Krümmungen als solchen eine Bedeutung bei der Regulation des Stoff- wechsels zukommt oder daß bis jetzt nicht erkannte Beziehungen zur Außenwelt in Betracht kommen. Auch in diesem Falle aber bliebe der Satz bestehen, daß Anpassungen meist zustandekommen nicht durch 'Variieren nach beliebigen Richtungen, sondern durch Ausnützung der strukturell bedingten Fähigkeiten der Organismen und daß die Mannig- Taltigkeit der Formen nicht durch Selektion der relativ best ausgerüsteten entstanden ist. Man kann freilich den in dieser Darstellung gemachten Versuch, die Entfaltungsbewegungen als durch den Bau, vor allem die Symetrieverhält- nisse der einzelnen Pflanzenorgane bedingt nachzuweisen als berechtigt anerkennen aber hervorheben, diese Bauverhältnisse seien so, wie sie sind um diese Bewegungen zu ermöglichen. Damit aber wäre ein Gebiet be- treten, das über das der naturwissenschaftlichen oder physischen Unter- ‚suchung hinausgeht. also ein „meta“physisches. Namen- und Sachregister. (Ein * an der Zahl bedeutet Abbildung.) Absaugung in Früchten und Frucht- ständen 91. Abutilon sinense, Blattentfaltung 159. —, Reizbare Staubblätter 346, Acanthacee n, Blütenresupination 245 ff. Acer, Nutation der Blütenstände 9. Adiantum aethiopicum, Blattentfal- tung 176. Aegopodium Podagraria, epinasti- sches Wachstum im Dunkeln 175. — —, Blattentfaltung 25, 26*. Ageratum mexicanum, Schlafbewe- gung 4öl*, Ajuga orientalis, Resupination 253. Aldrovandia, Blattentfaltung 413. Allium, Biegung des’ Kotyledo 21. — Opbi ioscordo n, Entfaltungsnutation der Infloreszenz 144*, — ursinum, Blattdrehung 201. — —, Knospenquersehnitt 204*, Alnus, Nuration der Blütenstände 9. Alonsoa, Blütenresupination 284 ff. — incisaefolia, Resupination 286*. — Warscewiczii, Resupination 285*. Alstroemeria Li g tu, Blütenresupina- tion 290. — chilensis, Etiolierte Sprosse 202*, — psittacin a, Knospe 203*, _ —, Blattdrehung 200*, AmarantusB litum, Schlafbewegungen 445*, Amherstia nobilis, Laubausschüttung 1778. Ampelopsis, Nutation 101. Ampelideen, Nutation 101. Anchietia, Blütenresupination 289. Anemonebaikalensis, Krümmung des Blütenstiels 472. We nunculoides, Verstäubungsfolge — nemorosa, Nächtliche Krümmung des Blütenstiels 472. Angraecum superbum, Drehung der Blüten um 360° 278*. Anthemis arvensis, Nyktinastie der Randblüten 447. Anthoxanthum odoratum, der Schwellkörper 87. Anthurium, Blattentfaltung 164. — Veitchi i, Vertikalstellung der Blatt- spreiten 164*, — regale, Blattentfaltung 165*. — Scherzerianu m, Entfaltungsbewe- gung der Infloreszenz 166*. Aponogeton ulvaceus, Drehblatt 195*, Aposeris foetida, Nutation 130. Arachis, Hypogäische Fruchtreifung 2. Arctotis, E= stoechadifolia, Teil eines Blütem- kopfes 362*., — —, Entfaltungsbewegungen der Inflores- zenzen 130. Aroideen, Blattentfaltung 163. Arpophyllum, Blüten 269. Arundina speciosa, Bestäubung 280. Asymmetrie 183ff. Asymmetrische Gelenke 81. Aspidium Serra, Blattentfaltung 175. — aculeatum, Blattentfaltung 176. — lobatum, Blattentfaltung 175. Astilbe rivularis, Nutation 113. Ausnutzung, Prinzip der 5, 27. Atriplex, Pollenentleerung 338, 339. Averrhoa, Reizbewegungen der Blätter 435. Fehlen Balsamineen, Resupination 251. Bauhinia guianensis, gestaltung 249*, 250*. Begonia valida, Schlafbewegungen 444. Bellis perennis, Reizbarkeit der Zungenblüten 369*. Berberis, Reizbare Staubblätter 348 ff. Betula, Glanz junger Blätter 179. Biophytum apodiscias 417. — somnulentum 419ff. — —, Schwellkörper der Frucht 88*, — —, Haare 42%*, — —, Schlafbewegungen der Infloreszenzer 424 ff. —, Reizbewegungen der Blätter 427. Reizbarkeit des Griftels 361#. Nutation 101%. Barleria coerulea (strigosa), Blütem- " Wr Zr; DEN RETTET u u N Rn a TE ö * Namen- und Sachregister. 'Biophytum somnulentum, Tag- und Nachtstellung 428*, 429*. .—, Reizbewegungen 415 ff. Bixa Orellana, Blattentfaltung 167*. Blattentfaltung 156ff. Ö Brachypodium pinnatum, Öffnen der Spelzen 86*. — —, Resupination 209, 210. Bradburya, Resupination der Blüten 262. Broussonetia papyrifera, Blüte 335*. Brownea grandiceps, Laubausschüt- tung 1778. — —, Schlafbewegung 460. Bryonia dioica, Ausläufer 24. azphr)lun crenatum, Nutation 28*. Buphane disticha, Blattdrehung 197*. Buphthalmum salicifolium, Ver- kürzung von Staubblättern und Griffel 366. Cajophora, Drehfrucht 227*, 228. €Calanthe Masuca, Resupination der Blüten 238*. — veratrifolia, Abwärtskrümmung der Infloreszenz 276. — —, Samenansatz 280. Calliandra, Staubblattentfaltung 25. —, Schlafbewegung 464*, 476. Callisia repens, Chemonastische Krüm- mungen 12. Carpinus Betulus, Sproßnutation 100*, — —, Fruchtverbreitung 27. —, Nutation der männlichen Blütenstände 9. —, Sproßentfaltung 160. Cassia, Drehblüten 222. —, Schlafbewegungen 459. — corymbosa, Asymmetrische Blatt- gelenke 82*. Cassia glauca, Reaktion der Blätter auf Entfernung eines Fiederblättchens 11*., — glauca, Traumatonast. Krümmung 11*. — Sophora, Blätterin Nachtstellung 458*. — tomentosa, Schlafbewegung 463*, Castanea vesca, Nutation 99. Catasetum, Resupination 270. Catalpa, Blattentfaltung 159. ‚Centaurea,Staubblattreizbarkeit351,352. — wochinensis, Staubblattröhre und Griffel 352*. — nervosa, Griffelverkürzung 364*, Centropogon surinamense, Resupi- nation der Blüten 264, 265*. Centrosema, Schlafbewegung 471. Ceratophyllum, Abwärtskrümmung der Blätter im Finstern 13. 1; ei aecyparis,Örientierung der Blüten Chenopodium, Pollenentleerung 337. Chrysanthemum frutescens 441*. Cistineen, Reizbewegung der Staub- blätter 341. Cistus ladaniferus, Blüte 310. — salvifolius, Reizbare Staubblätter 341. Clematis Pitcheri, Nutation 113. Clitoria ternatea, scheinbare Resupi- nation 260*. « 479 Cobaea scandens, Nutation der Frucht- stiele 117*, 1 Cochliostema, gedrehte Antheren 225. Codiaeum variegatum, Drehblatt 193*, } Coleus Penzigii, Nutation der Inflores- zenz 106*. Colutea, Fruchtdrehung 29. Coniferen, Orientierungsbewegungen der Blüten 118ft. Convolvulus arvensis, Blütenentfal- tung 370. C . 1 7 olvulaceen, Staubblattverkürzung —, Blütenbildung 309. Corylus, Abwärtskrümmung der männ- lichen Blütenstände Y5*. —, Sproßentfaltung 160. Corynostylis, Blütenresupination 289. Costus, Drehsprosse 214 ff. — Fridrichseni, Sproßgipfel 216*. — Malortieanus, Sproßende von. oben 215*. —, Schema für den Zusammenhang von Blattasymmetrie und Drehung 217*, Crassulaceen, Bewegungen der Inflores- zenzen 128. Crotalaria juncea, 459*, Cueurbita, Blütenbildung 308*. — Pepo, weibl. Blüte 309*. Cuphea, Drehung der Blüten 252. Curcuma Zerumbet, Blüte 355. Cyclamen, postflorales Wachstum der Blütenstiele 144 ff. —p E rsicum, Abbiegung der Blütenstiele 145*, — neapolitanum, Einrollung der Blüten- stiele 145*. —, Infloreszenznutation 144 fi. Cymbidium, Blüten und Infloreszenzen 274, 276. Cyperus, Schwellkörper 8. — Papyrus, Schwellkörper 85*. Cypripedilum, Orientierung der Blüten 2 Schlafbewegung Cyrtant hus obliquus, Blattdrehung 197 ‚Cyrtanthera magnifica, Aufblühfolge 297*, Cytisus Laburnum, Resupination 237. Dahlia variabilis, Nachträgliche Ver- kürzung der Blumenkrone 365. Dendrobium 'commutatum, Samen- ansatz 280. Desmidiaceen, Asymmetrie 190. Desmidium Swartzii, Drehung 191*. Desmodium gyrans 409#. Diervilla, Verstäubungsfolge 303. Dionaea, Blattentfaltung 413. Dipsacus, Aufblühfolge und Fruchtge- wicht 296. Diplacus glutinosus, Reizbarkeit der Narben 357. Disa, Blüten 269 480 rR Wallichii, 168. Dorstenia, Pollenentleerung 336, 337. Drehblätter 193#f. Drehblüten 219f. Drehfrüchte 226ff. Drehwurzeln 233. Droseraceen, Blattentfaltung 161. Drosera capensis, Blattentfaltung 161*. — dichotoma, Blattentfaltung 162*, —, Dorsiventralität der Tentakeln 414. Droseraceen, Entfaltungsbewegungen . der Blütenstände 122 ff. Drosera, Öffnung der Blüten am Licht 98. — spathulata 122*, 123*, 124*. — capensis 124*. Drosophyllum, Blattentfaltung 162. Durchbruchskrümmungen 18. Echinops sphaerocephalus, Auf- blühfolge 298*. Eichhornia crassipes, Schlafbewe- gungen 444. — —, Postflorales Wachstum der Inflores- zenzstiele 148*, Elsholzia Patrinii, Entfaltungsbewe- gung der Infloreszenzen 107*, 108*, Enantiostylie 223. Enhalusacoroides, Postflorales Wachs- tum des weiblichen Infloreszenzstieles 153. Epidendrum cochleatum 269*. — Ruckerae, Blüte 269. Epimedium macranthum, Durch- bruehskrümmnng der Infloreszenz 22. Epipogon, Blüten 269. Eria Loheriana, Blüten 319*. Erodium ei cutarium, Traumatonasti- sche Krümmungen 11. —, Nutation der Blüten und Infloreszenzen 136 ff, 136*, 137*, Erythrina cerista galli, Resupination 261*. — caffra, Resupination 261. — Corrallodendron, Blüten 255. Erythraea, Drehung der Antheren 225. Eulophidium maculatum, Schnell- bewegung in den Blüten 320. E N a u rbia, Nutation der Fruchtstiele 1538. — helioscopia, Blütenstände 114*. Br Diagramm einer blühenden Pflanze 14* Eutaxia myrtifolia, Schlafbewegun- gen 469. Falcaria vulgaris, Entfaltungsbewe- gung der Infloreszenzen 125. Fagus silvatica, Einfluß des Regens auf junge Sprosse "160 — —, Nutation 100*. Fi n en a ria vern a, Durchbruchskrümmung .Frucht-Resupination 290. „Fühlhaare“ von Biophytum 423. &aillardia, Griffelverkürzung 367. Namen- und Sachregister. "Blattentfaltung Helichrysum, Gelenke der Involikeai 4 Helenium autumnale ‚ Verkürzung des - Galanthus nivalis, Hyponastie der # Blätter 13. dee \ Gazzania splendens, Grifielverkür- zung 364*, “oh Gethyllis spiralis, Blattdrehung 198. Gentiana utrieulosa, Reizbarkeit der Sr Blumenkronen 371 ff., 372%, 373*. — verna, Seismonastische Reizbarkeit der Blüten 373. — prostrata, reizbare Blüten 373. Geranium anemonaefolium, Nuta- Dr von Blüten und Infloreszenzen 134, En ‘ — —, Schwellkörper aus Staubblättern ge Pi bildet 134. ie Geraniaceen, Nutation von Blüten und Infloreszenzen 132#f. Geranium Robertianum 135. — sanguineum 155. Glanz junger Blätter 179. Gramineen, Aufblühfolge 29. Grevillea, Griffelkrümmung 25. nr — rosmarinifolia 327*, I) — vestita 327*. % Gongora truncata, Infloreszenzen und Blüten 276, 277*, Gyrosigma, Asymmetrie 189. Haemaria, Drehblüten 220*. Hedychium, Blütenresupination 289. Helianthemum apenninum, reizbare. Staubblätter 341*. —, Blütenbau 306. blätter 9. Helicteres, Drehfrüchte 226. — Isora, Drehfrüchte 227. Griffels infolge von Biegung und Plas- molyse 366, 368. Hemionitis arifolia, 162. Heterophyllie 27. Hickoria alba, Blattentfaltung 172%, be. Holosteum umbellatum ‚Bewegungen der Fruchtstiele 132. u Hyärocharideen, Postflorales Wachs-- tum der Blütenstiele 147. = Hydrocotyle umbellata v. bonari- } ensis, Blattentfaltung 169*. u Hyose yamus, Verstäubungsfolge 304*, KR Hypericum, Blütenbildung 308*. N Blattentfaltung Impatiens Holstii, Blüten 251*. — noli tangere, Bewegungen der In;@ floreszenzen 139 ff, 139*, — scabrida, Spirotrophie und Inilorer zenzbewegungen 140. — noli tangere, Lage der Blüten 252, — , Schlafbewegungen der Blätter 444. Ipomoea ceoccinea, Nutation der Frucht- stiele 116*. 2 es arnea, als Gelegenheitsschlingpflanze ” £ — sensitiva 369. Resupination der k ‚Namen- und Sachregister. Incarvillea Delavayi, Reizbare Nar- ben 356*. Iris unguiculata, Blattdrehung 19. —, Blattentfaltung 157. Isotoma longitlora, Blüte 263*, 264*. Juneus effusustf£. spiralis 194*, Jussiaea, Schlafbewegungen 444. Kalmia, Blüte 328 ft. 3 — angustifo lia, Blüte 329*. Kedrostis afri cana, Einrollung von Ranken, welche nicht „gefaßt“ haben 219*. Kleistogame Blüten 28. Kompositen, Nutation der Infloreszenzen 129#. —, Öffnung der Fruchtstände 89#f. ‚ Reizbare Staubblätter und Staubblatt- -yerkürzang 851. Kryptodorsiventrale Blüte 310, Labiaten, Resupination 253. Lagerstroemia speciosa, Schlafbewe- gungen 455. Laportea moroides, Blattstielepinastie wurzelkranker Pflanzen 171. Lasia aculeata, Infloreszenz 198*. Lathyrus, Entfaltungsbewegungen der Infloreszenzen 121. — heterophyllus, Unsymmetr. Blüten 225 — latifolius 122*, — —, Postflorale Grifielbewegung 288. Laubausschüttung 176f. Leeuwenhoekia, Reizbarkeit der Blüten 324. — Preissii, Blüte 325*. Lemnaceen, Asymmetrie 186. Leguminosen, Resupination 254. Limnobium Boseii, Abwärtskrümmung der Fruchtstiele 147*. Limnanthemum Humboldtii, Post- florale Krümmung der Blütenstiele 148. Lobelia, Reizbarkeit der Narben 338. rer: Resupination der Blüten Lotus mascaensis, Schlafbewegungen 469. — ornithopodioides, Schlafbewegun- gen 452. Lonicera coerulea, Einfluß des Regens auf junge Sprosse 160. Lopezia coronata, Blüte 321*. — .—, Bestäubung 320, 321*., — miniata 321. Lophanthus chinensis, ‘der Blüten 253. Loranthus, Schnellbewegungen in den Blüten 326. Luzula, Schwellkörper 87, 88*., Lyeaste Skinneri, Örientierung der Blüten 272. Lyehnis flos Narben 225. Lysimachia barystachya, der Infloreszenzen 104, 105*, Resupination euceuli, Drehung der Nutation Goebel, Entfaltungsbewegungen der Pflanze. 481 Macodes, Drehblüten 219. Macrozamia, Drehblätter 212, — secunda, Drehblätter 212%. Malaxis paludos a, Resupination 241, 269. Matricaria oreades 447. M : zus rugosus, Reizbarkeit der Narben 57. Medicago, Drehfrüchte 228. — Echinus, Frucht 229*, — lupulina, Frucht 228. — Murex, Frucht 228. — seutellata, Frucht 229*, Melaleuca ericaefolia, gungen 469. Melianthus major, Blüten 268*. Meliahthaceen, Resupination 267. Melilotus, Schlafbewegungen 462. Mercurialis perennis, Krümmung der _Sproßspitzen im Dunkeln 16, 17*. Mesembryanthemum dolabrifor- me, Reizbare Staubblätter 344. — pyropaeum , Reizbare Staubblätter 344. Microstylis, Blüten 269. Mimosa, Aörenchymbildung 39. —, Deutung der seismonastischen Reiz- bewegungen 400#. —, Hygronastie 39. —, Photonastie 394. —, Reizleitung 396. —, Reizung durch Begießen 395 ff. —, Vorkommen 386. E Wasserökonomie 390#f. — acanthocarpa 405. — asperata 388, 389. — en udiea, Gelenk der Infloreszenz 81*. Gereizte und ungereizte Pflanzen mach drei Wochen 391*. — —, Schlafstellung der Blätter 465*, 466*. Spegazzinii, "Gelenke 81*. Schlafbewe- Mimulus, Reizbarkeit der Narben 356#. Monstera deliciosa, Blattentfaltung 163*., Myriophyllum verticillatum, Ab- wärtskrümmung der Blätter im Dunkeln 14*, Myriophyllum Schlafbewegungen 444. Myrmekophile Farne 27. Neptunia oleracea, Reizbewegungen der Blätter 406 ff., 407*., Nigritella, Blüten 269. Nototrib 240. Nutationen 94ff. Nymphaea, ‚Postflorales Wachstum der Blütenstiele 149, Oberonia, Blüten 269. Ocimum Basilicum, Blüten 238, 240. — carnosum 239. Olyra, Schlafbewegungen 470. Ophrys apifera, Bestäubung 280. — myodes, Blüten 275*. Opuntia, Reizbare Staubblätter 347. — monacanth a, Staubblätter 347*, Orchideen, Blütenresupination 268. Orchis m aculata, Unterbleiben der Re- supination auf dem Klinostaten 282*. 3l rk RER RER ı a Ba u v ne IN 482 Orchis Morio, Rückdrehung des Frucht- knotens 275*. Orthonastie 17. Oxalis, Reizbewegungen der Blätter 435 ff. —, Verteilung der Spal töffnungen an „schlafenden“ Blättern 467. —"fabifolia, Zwiebelbildung 467. — sepium, Blattbewegungen 435 fl. Pancratium, Blattdrehung 198. Papaver, N utation der Blütenknospen 110#f. — somniferum, Nutation 110*. Paphiopedilum callosum 270*, 271, En a lD*, Papilionaceen mit Drehblüten 225. — -Infloreszenzen 120. — , Blütenresupination 254f. Parnassia palustris, folge 311*. Parthenocissus, Nutation 101 fi. Pedicularis , Asymmetrische Blüten 220. — rostrata, "Blüte 221*. Pelargonium echinatum, Nutation der Blüten und Infloreszenzen 132*, 133* — —, Schema dafür 133*. — odoratissimum, Nutation der In- floreszenzen und Blüten 134. Pellionia Daveauana, schleuderung 332*. — —, Staubblattlängsschnitt 333*. Pentstemo n, Verstäu bungsfolge 303. Peristrophe, Resupination der Blüten 247, 255* II. Petunia. Verstäubungsfolge und Staub- blattgröße 304. Phaca, Fruchtresupination 290. — alpina, Fruchtdrehung 291. Phajus Blumei ‚ Bestäubung 280. 'Pharus, Resupination der Blätter 204 ft — latifoliu s, Habitus 205*. ——, Blattquerschnitt 206*, 207*, ‚Phaseolu s, Drehblüten 223, 224. Philodendron speciosum, Blattent- faltung. 165. Phygelius capensis, Orientierung der Blüten 287, 288*. Phyllanthus lathyroides, Gelenkbau der Blätter 82*. — —, Schlafbewegungen 453, 454*, 455. —, Reizbewegungen der Blätter 414. — Urinari a, Schlafbewegung 461*. Physalis e dAulis ‚ Verstäubungsfolge 303* Verstäubungs- Pollenaus- Pilea crassifolia, Blüte 332*. Pimpinella saxifraga, Entfaltungs- bewegung der Infloreszenz 126*. N macrophyllum, Blattentfaltung 163* Pistia Stratiotes, 444. Pisum sativum, Schlafbewegung der Blüten 449. Pithecolobium Saman, tung 174*. — —, Schlafstellung der Blätter 465*. Schlafbewegungen Blattentfal- ‚Namen- und Sachregister. Plantago oe Verhalten des Basale. } teils der Infloreszenzen 124. ar Platystigma californicum, Dreh- ia frucht 22:*, 228. gi Pleetranthus glaucocalyx 239%. Poa annua, Gewicht der Früchte in ver- schiedenen Teilen der Infloreszenz 296. Polygala myrtifolia, Schlafbewegun- gen der Blüten 448*., — Senega, Drehwurzeln 233. Polygonum baldschuanicum, Blatt- entfaltung 158*. Polygonatum, ÖOrthotropie und Plagio- tropie 100. Pontederia azurea „Ab wärtsErinmunig der abgeblühten Infloreszenz 149%. Populus, Nutation der Blütenstände 95. Portulaca, Reizbare Staubblätter 344. Posoqueria fragrans 322. :; Proteaceen, Bestäubung 327. Prosopis pubescens, Frucht 229*, 231*. Er Wallichiana, Blattentfaltung 7 PterobryumSekt.Streptocarya228. Banken 218. Ranunculus, keln 15. Reseda, Anlegungs- und Verstäubungs- folge 302. Resupination 234 ff. — von Blüten 199#. Ricinus, Pollenentleerung 339. — comm unis ‚ Antherenbau 339*. Ruta, Verstäubungsfolge 312*. Saccolabium Sanderianum, Hängen- de Infloreszenzen 276*. Sachs’sche Krümmung 19. Salix, Einseitiges Aufblühen 29. Salvia nutans, Blüten 254. Satureja, Resupination 253. Schistanthe peduncularis, resupination 284. NE EEE nA teleol. De 1; — 44 Schlingpflanzen 218. Schwellkörper 8f. — der Gräser 84, 86. — an Palmenblättern 85. — von Stangeria 85. Schizanthu s, Schwellbewegungen "der Blüten 320. Schomburgkia u Een Gedrehte Perigonblätter 199. Schrankia hamata 389. Scorpiurus, Frucht 231. Serophulariaceen, Blütenresupination 24. Sedum reflexum, Nutation der Inflores- zenzen 129*, N) Ba ginella, Invers-dorsiventrale Blüten —, Nutation 100. Br Silene viridiflora, ni lonEeN gung der Infloreszenz 109*. Blüten- Blattentfaltung im Din- BEBRST Namen- und Sachregister. | - 483 Sem pervivum, Epinastie der Blätter 13. Senecio vulgaris, Schwell- und Schwin- degewebe 91*, Sensitive Pflanzen 376ff. Sesbania aegyptiaca, Schlafbewegun- gen wachsender Blätter 444. — —, Schlafbewegungen 470*. Solanum rostratum, Drehblüten 222. Solidago aspera, Nutation blühender Sprosse 129*. S on a raviolacea, Blattentfaltung 172*, ee annia africana, Blattentfaltung — —, Reizbare Staubblätter 345. — palmata, Reizbare Staubblätter 346. Spinacia, Pollenentleerung 337. Spirodela polyrrhiza, Asymmetrie 186*. S b 2 5 anthes, Drehung der Infloreszenz Spirulina, Asymmetrie 189. Stanhopea, Blütenorientierung 276. —, Entfaltung -der Blüten 318. Staurastrum controversum 191*. — gracile 191*. Stelis mierantha, Blüten 270. Stellaria media, Postflorale Nutation der Blütenstiele 132. Sternotrib 240. Streptocarpus, Fruchtbildung 232. Streptogyne, Narben 225. Streptoloma, Frucht 228. Streptopus 'amplexifolius, Bewe- gungen der Infloreszenzen 143*. Streptotheca indica, Asymmetrie 189. Strobilanthes isophyllus 245. — —, Blütenlängsscehnitt (mit reizbarer Narbe) 359*. —, Blütenresupination 245*. — "Dyerianus 246*. Stylidiaceen, Bewegungen des Gyno- stemiums 322 ff. Stylidium adnatum, Blüte 323*. Suceisa pratensis, "Aufblühfolge der Blüten 296, 297*. Surirella spiralis, Asymmetrie 189*., Sutherlandia frutescens, Frucht 293. Taraxacum officinale, „Reizbarkeit“ der Zungenblüten 369. — —, Offnen der Fruchtstände 90*, — —, Durch Bestäubung wieder geschlos- sen 90*. re chamaedrys, Bestäubung — resupinatum 253. — spinosum 253. TheobromaCacao,Blattentfaltung 168*. Thunbergia mysorensis, Resupina- tion der Blüten 237. Tilia, Abwärtskrümmung austreibender Knospen 100*., —, Sproßentfaltung 160. Thuya, Blütenorientierung 119. Trachymene coerulea,. Entfaltungs- bewegungen der Infloreszenzen 127*, Don atonastische Krümmungen Trevesia palmata, Blattentfaltung 168. Trifolium fragiferum, Resupination 259. — pratense, Aufblühfolge 29. — resupinatum, Blütenresupination 255* ff. — tomentosum, Resupination 259. .-Tropaeolum, Blattentfaltung 159. —, Verstäubungsfolge 304 ff. — majus, Blütenquerschnitte 305*. —, Verhalten der Fruchtstiele 118*. Torenia, Reizbarkeit per Narben 356. Torsionen bei der Entfaltung 183. Tussilago farfara, Postflorale Inflores- zenznutation 130. Typha angustifolia, 196*. ‘ Blattdrehung Umbelliferen, Entfaltungsbewegungen der Infloreszenzen 125#f. —, Verstäubungsfolge 302. U rera baceifer a, Blattstielepinastie wurzelkranker Pflanzen 171. Urticaceen, Pollenausschleuderung 331ff. —, Mangel des Endotheziums 334. Utrieulari a, Reizbarkeit der Narben 355. — reticulat a, Windende Infloreszenzen 144, Uvularia grandiflora, Gedrehte Peri- gonblätter 199. — —, Aufbau 143. Wallisneria, Postflorales Wachstum der Stiele weiblicher Infloreszenzen 149ff., 152*. — spiralis, Drehblätter 19. Veronicaspeciosa,Blattentfaltung 159. Verstäubungsfolge 298 F. Vieia Cracca, Nutation der dorsiven- tralen Infloreszenzen 121*. — Faba, Schlafbewegungen der Blüten 449. — oroboides, Ausläufer 24. Vidalia volubilis 192. Vincetoxicum fuscum, Infloreszenzen 144. Violaceen, Resupination 289. Viscaria oculata, Bestäubungsfolge 301*. . Vitis armata, Blattglanz 179. Xyris operculata, Blattdrehung 198. Zingiberaceen, Blütenresupination 289. 31* Organographie der Pilanzen insbesondere der Archegoniaten und Samenpflanzen. Von Dr. K. Goebel, Professor an der Universität München. Zweite, umgearbeitete Auflage. — Drei Teile. Erster Teil: Allgemeine Organographie. (X, 514 8. gr. 8%.) 1913. Preis: 16 Mark, geb. 20 Mark. Inhalt: Einleitung. Aufgaben der Organographie. I. Beziehungen zwischen Gestalt und Funktion. II. Die Organbildung auf den verschiedenen Stufen des Pflanzenreichs. Ill. Sym- metrieverhältnisse. IV. Umbildung, Verkümmerung, Verwachsung, Teilung. V. Verschiedenheit der Organbildung auf verschiedenen Entwicklungsstufen: Jugendformen und Folgeformen. EN Abhängigkeit der Organbildung von inneren und äußeren Faktoren. — Namen- und Sach- register. ; Zweiter Teil: Spezielle Organographie. Zwei Hefte. Preis: 24 Mark 50 Pf., geb. in einem Bande: 28 Mark. I, Heft: Bryophyten. Mit 438 Abbildungen im Text. (XII, S. 515—%2. gr. 8°.) 1915. Preis: 12 M. 50 Pf. Inhalt: I. Einleitung. 1. Kurze Uebersicht der Geschichte der Bryophytenforschung, Stellung der Bryophyten im System. 2. Die Sexualorgane der Bryophyten. 3. Vergleich. der Gametophyten und der Sporophyten beider Gruppen 4 Der innere Aufbau des Kapselteiles des Embryos. 5. ann zwischen dem Sporophyten und dem Gametophyten. 6. Einige Eigentüm- lichkeiten in Zellenbau, Stoffwechsel und Periodizität der Entwicklung. — II. Die Lebermoose. 1. Die Gestaltung der Vegetationsorgane. 2. Die anatomische Gliederung. 3. Die Beziehungen der Organbildung zu den Lebensbedingungen. 4. Ungeschlechtliche Vermehrung der Lebermoose. 5. Fertile Sprosse und Schutz der Sexualorgane. 6. Die Embryonen und Sporogonien. 7. Die Sporenkeimung.:— II. Die Laubmoose. 1. Die Vegetationsorgane. 2. Beziehungen der Laub- moose zur Außenwelt. 3. Ungeschlechtliche Vermehrung. 4. Gametangienstände und Sporogon- bildung. 5. Einrichtung der Sporenverbreitung. 2. Heft: Pteridophyten. Mit 293 Abbildungen im Text. (XVII, S. 905—1208. gr. 8°.) 1918. Preis: 12 Mark. Inhalt: I. Einleitung. - II Gametangien, Gametophyt und Embryobildung. 1. Die Embryo- bildung. 2. Die Gestaltung der Prothallien. 3. Die Embryobildung. — III. Gestaltung der Vege- tationsorgane. 1. Allgemeines. 2. Bewurzelung. 3. Sproßgestaltung bei den einzelnen Gruppen 4. Mutationen bei Farmen 5. Vegetative Vermehrung. — IV. Sporophille und Blüten. — V. Die - Sporangien und Sporen. — Nachträge, Namen- und Sachregister zu Band 2. } Der dritte Teil und damit der Schluß des Werkes ist in Vorbereitung. Literarisches Zentralblatt, 1918, Nr. 31: .. . Die Darstellung ist klar, die Abbildungen suchen an Genauigkeit ihres- gleichen. ... Hervorheben wollen wir, daß nicht nur der Fachmann das Buch mit Erfolg benutzen, sondern auch der Laie manche Abschnitte mit Genuß lesen wird. Zeitschrift f. Botanik, Bd. VIII, Heft 1: 2 2 .. . kein Leser wird das Buch aus der Hand legen, ohne aus ihm die: viel- fachsten Anregungen erhalten zu haben. Oltmanns. Naturwissenschaftliche Wochenschrift, 1916. Nr. 24, FE Von Goebel’s Buch gilt im eigentlichem Sinne, daß es in keiner botanischen Bibliothek fehlen solle, wie es ja tatsächlich kaum in einer fehlt. Es gibt trotz des bewußten Verzichtes auf jede Zusammentragung, der alles und jedes zu sammeln, das höchste Ziel ist, wegen des Reichtums der eigenen Beobachtungen und Erfah- rungen die wichtigste Quelle, die uns in der pflanzlichen Morphologie fließt. Man findet nicht viele Bücher von dem Umfange des Goebel’schen, die so eng mit dem Autor verwachsen sind, ein so starkes persönliches Gepräge tragen. Mit der Sicher-: heit eines Herrschers, der seinen Titel aus einer umfassenden, ins einzelne wie: ins allgemeine dringenden Forschertätigkeit herleitet, wird das Gesamtgebiet der Pflanzengestalten geschildert, die Organographie, wie Goebel diesen Zweig der Pflanzenkunde nennt. Verlag von Gusta v Fischer in Jena. At a PZZ t EU E a WERE a oe 2a: we ya £ £ 2 rue "sg ie, EN er: - E & u 7 r 1 ) Verlag von Gust A 0077777 nn U | p22 025 / Bau und Leben unserer Waldbäume, 9," M- Büsgen, an der Preuß, Forstakademie in Hann.-Münden. Zweite, u DIRRRRNEIUDER Auflage. Mit 129 Abbild. im Text. (VIII, 340 8. gr. 8°) 1917. Preis: 9 Mark. - Inhalt: 1. Die winterliche Tracht des Baumes. — 2. Ursachen der Baum- gestalt. — 3. Die Knospen. — 4. Eigenschaften und Lebenstätigkeit der Bildungs- ewebe des Baumes. — 5. Die Elemente des Holzkörpers der Bäume. — 6. Die aumrinde. — 7. Der Jahresring. — 8. Holzgewicht und Holzstruktur, — 9, Die Verkernung. — 10. Die Laubblätter. — 11. Die Wurzel und ihre Tätirkeit, — 12. Wasserversorgung des Baumes. — 13, Herkunft und Bedeutung der mineralischen Nährstoffe der Bäume. — 14. Stoffwandelung und -wanderung im Baumkörper, — 15. Einiges über Blühen, Fruchten und Keimen der Bäume, — Register, — av Fischer in Jena. TE . Versuche und Beobachtungen an höheren und Pflanzenphysiologie. niederen Pflanzen, einschließlich Bakteriologie und Hydrobiologie mit Planktonkunde, Von R. Kolkwitz. Mit 12 zum Teil farbigen Tafeln und 116 Abbildungen im Text. (V, 258 8. gr. 8°,) 1914. Preis: 9 Mark, geb. 11 Mark 50 Pf. Süddeutsche Apotheker-Zeitung, Nr. 43 vom 19, Mai 1914: Die Anschaffung der Kolkwitzschen Pflanzenphysiologie kann jedem, der für - diesen interessantesten Teil der Botanik Interesse hat, warm empfohlen werden, Die "Beschreibung der einzelnen Versuche ist so eingehend, daß man dieselben leicht, auch ‘ohne weitere Anleitung eines Lehrers, selbst ausführen kann. Schmiedel, Pathologische Pllanzeranatoiie. 1 vn Kom dar Prof. der Botanik an der Universität zu Bonn a. Rh. Mit 209 Abbild. im Text, Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. (XI, 447 8, gr. 8°.) 1916, } Preis: 14 Mark, geb. 17 Mark. ‘Zeitschrift für Botanik, Bd. VIII, Heft 6: . Man sieht es der neuen Auflage des bekannten und geschätzten Buches an, ' daß der Verfasser in den 13 Jahren seit dem Erscheinen der ersten Auflage auf dem behandelten Gebiet unermüdlich weitergearbeitet hat, und s0 hat das Buch in jeder . Hinsicht eine beträchtliche Erweiterung, Vertiefung nnd Vervollkommnung erfahren. .., " Alles in allem hat der Verfasser durch eine peinliche Berlicksichtigung der umfang- reichen und zerstreuten Literatur ein nahezu vollkommenes Bild dessen, was wir auf diesem Gebiet wissen, gegeben, und #0 ist zu erwarten, daß auch die neue Auf- lage in erhöhtem Maße anregend und befruchtend wirken wird. Beiträge zur entwicklungsmechanischen Anatomie der Pflanzen. Von Prof. Dr. Ernst Küster. 1. Heft: Zonenbildung in kolloidalen Medien. Mit 52 Abbildungen im Text. (X, 111 8. gr. 8°.) 1913. Preis: 4 Mark. Elemente der exakten Erblichkeitslehre mit 6rundzügen. der biologischen Variationsstatistik. Von Dr. W. Johannsen, Professor ord. der Pflanzenphysiologie an der Universität Kopenhagen. Zweite deutsche neubearbeitete und sehr erweiterte Ausgabe in dreißig Vorlesungen. Mit 33 Abb. im Text. (XI, 7238, gr. 8%.) 1913. Preis: 13 Mark, geb, 16 Mark 50 Pf. Zeitschrift für Abstammungslehre 1914: Eine vollständige, kritische zusammenfassende Darstellung des heutigen Standes der Vererbungslehre. Sie ist das Handbuch der Vererbungswissenschaft, in dem jeder, der auf diesem Gebiete arbeitet, nachschlagen wird, wenn er sich über irgendeine Teildisziplin unterrichten will. Baur, Von Dr. HansWi ukler, - Untersuchungen über Pfropfbastarde. "pro da, Botanik Tübingen. Erster Teil: Die unmittelbare gegenseitige Beeinflussung der Pfropfsymbionten, Mit2 Abb. im Text. (VIII, 186 8, gr.#°,) 1912, Preis: 6 Mark. Parthenogenesis und Apogamie im Pflanzenreiche, Von Dr. Hans Winkler, a. o. Prof, d. Botanik a. d. Univ. Tübingen. Mit 14 Abbild. im Text. (Abdruck aus Progressus rei botanieae, Bd. IT.) (166 8. gr. 8°.) 1908. Preis: 4 Mark 40 Pf. tg Pau til N N. F a We ee a ie 1 A A a ae De a TR mie Lv “ gi , / » ’ 0% un? Fu, I ‘ h ET ER RR N EEE eh II, En b) h . UM mare Eh K z ER Verlag von Gustaw Fischer in Jena. Der Spaltöffnungsapparat im Lichte der Phylogenie. Ein Beitrag zur „phylogenetischen Pflanzenbistologie‘“ von Dr. Otto Porsch, Assistent am botanischen Institut der Universität Wien. Mit4 Tafeln und 4 Abbildungen im Text. 1905. (XV, 196 S. gr. 8°.) Preis: 8 Mark. Inhalt: 1. Der Spaltöffnungsapparat als phyletisches Merkmal. — 2. Spalt- a öffnungsapparat und Vererbung. — 3. Spaltöffnungsapparat und biogenetisches Grundgesetz. — 4. Spallöffnungsapparat und Generationswechsel. EN: Naturwissenschaftliche Wochanschrift, N. F., Bd. V, Nr. 9: Be ... „ Porsch geht vergleichend den Bau des Spaltöffnungssystems der Bryophyten Pteridophyten, Gymnospermen und bei den Angiospermen durch und zeigt, daß die genannten vier Gruppen ebensoviele Abschnitte in dem Anpassungsprozeß der ur- sprünglich ausschließlich an das Wasserleben gebundenen Pflanze an das Landleben darstellen, und er macht auf anatomische Eigentümlichkeiten aufmerksam, die sich vielleicht als Erinnerungen an Verhältnisse bei Vorfahren deuten lassen. Versuch einer phylogenetischen Erklärung desEmbryo- 8 sackes und der doppelten Befruchtung der Angio- Vortrag gehalten auf der 79. Versammlung deutscher Natur- R spermen. forscher und Ärzte in Dresden am 16. September 1907 von Dr. Otto Porsch, Privatdozent für systematische Botanik an der Universität n Wien. Mit 14 Abb. im Text. (V, 49 S. gr. 8°) 1907. Preis: 1 Mark 50 Pf. / # Praktikum für morphologische, und systematische Botaı ik Hilfsbuch bei praktischen Übungen und Anleitung zum olanlKk. geipständigen Studien in der Morphologie und Systematik der Pflanzenwelt. Von Prof. Dr. Karl Schumanı, weil. Kustos am botanischen Museum und Privatdozent an der Universität zu Berlin. Mit 154 Abbildungen im Text. (VIII, 610 S. gr. 8%.) 1904. . Preis: 13 Mark. Englers botanische Jahrbücher, 1904, Bd. 34, Heft 3: Br Ein außerordentlich reicher Lehrstoff ist in diesem über 600 Seiten starken Buche zusammengebracht. ... ... Das Werk behandelt in einzelnen ausführlichen Kapiteln je eine Pflanzenart in morphologischer und systematischer Hinsicht in allen ihren Teilen von der Wurzel bis zum Fruchtknoten; daneben sind dann viel- fach Bemerkungen über verwandte Arten und Gruppen eingestreut. Die Anordnung des Stoffes ist eine chronologische, nicht eine systematische; es werden der Reihe nach Frühlings-, Sommer- und Herbstpflanzen behandelt, und zwar ist die Arbeit auf zwei Jahreskurse verteilt gedacht. , Grundlinien der Pflanzenmorphologie im Lichte der . _ Von Prof. Dr. H. Potonie, Vorsteher der Paläobota- Paläontologie. nischen Abteilung der preuß. geologischen Landesanstalt. Mit 175 Abbildungen im Text. Zweite, stark erweiterte Auflage ds Heftes: „Ein Blick in die Geschiehte der botanischen Morphologie und die Perikaulometheorie“.. (VII, 259 S. gr. 8°.) 1912. Preis: 7 Mark. Aus dem Vorwort: Das Buch behandelt in seiner jetzigen Form nur Grundlegendes; für das Spezielle gibt es eine umfangreiche, treffliche Literatur. Es ist aber nicht nur das Bestreben, die Gesamtbotanik in unserer Disziplin — also einschließlich der Paläobotanik — reden zu lassen, das mich zu einer eingehenderen Beschäftigung mit unserem Gegenstande veranlaßt hat, sondern ausgegangen ist mein Nachdenken über morphologische Probleme von der inihr herrschenden Unlogik, die zu beseitigen helfen, meine ursprüngliche Absicht war, eine Unlogik, die darin ihre Nahrung fand und findet, widerspruchsvoll auf der einen Seite in der Bahn der kritischen naturwissenschaftlichen Forschung mit ihren relativen Begriffen zu verfahren, auf der anderen aber absolute Begriffe aufzunehmen. . Beiträge zu einer Monographie. Von Alwin Berger. Mit’ ee Die Agaven. 79 Abbild. im Text und 2 Verbreitungskarten. (VII, 2888. gr. 8°.) 1915. Preis: 9 Mark. Schlesiens Pflanzenwelt. der Provinz. Von Dr. F. Pax, ord. Prof. der Botanik an der Universität Breslau. Mit 63 Abbildungen im Text und einer lithographischen Tafel. (VI, 314 S. gr. 8°.) 1915. Preis: 10 Mark. Er a, eng L; EEE 0 nu u ha rim Bastardierung als Ursache der Apogamie im Pflanzen- e ich Eine Hypothese zur experimentellen Vererbungs- und Abstam- reich. mungslehre. Von Dr. Alfred Ernst, Prof. der Botanik an der Universität Zürich Mit 172 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. (XV, 665 S. gr. 8°.) 1918. , Preis: 36 Mark. . Inhalt: Einleitung. — 1. Bisherige Untersuchungen über Vorkommen und Wesen von Parthenogenesis und verwandter Fortpflanzungserscheinungen im Pflanzenreich. 2. Bisherige Untersuchungen und Ansichten über Parthenogenesis von Chara erinita. 3. Ergebnisse eigener Untersuchungen über Amphimixis und Parthenogenesis bei Chara crinita. 4. Fragestellung, Arbeitsprogramme und bisherige Ergebnisse über experimentelle Erzeugung generativer und somatischer Partheno- genesis bei Chara crinita. 5. Bastardierung als Ursache der Entstehung und der Apogamie der diploiden Chara crinita. 6. Zur Definition von Parthenogenesis und Apogamie. 7. Ueber die Möglichkeit des Vorkommens und der experimentellen Er- zeugung von Bastard-Apogamiein anderen Verwandtschaftskreisen des Pflanzenreichs. 8. Vergleichung der Fortpflanzungsverhältnisse apogamer und hyprider Angiospermen. 9. Die Chromosomenzahlen von apogamen und hybriden Angiospermen. 10. Die Er- scheinungen der Pseudogamie im Lichte der Hypothese vom hybriden Ursprung der . Apogamie: Pseudogamie alsinduzierte apogame Entwicklung. 11. Hybrider Ursprung und Parthenokarpie. 12. Zur Kenntnis der Nucellarembryonie bei Angiospermen. 13. Ausdehnung der Bastardhypothese auf Pflanzen mitausschließlich vegetativer Propa- gation. 14. Andere Ursachen verminderter Fertilität, von Sterilität und vegetativer Ver- mehrung im Pflanzenreich. 15. Bastardierung und Apogamie, Artbegriff und Art- bildung. — Literaturverzeichnis und Autorenregister. Namen- und Sachregister. Botanische Jahrbücher Bd. 55, Heft 1:... Diese Inhaltsangabe möge genügen, um auf das wertvolle Buch aufmerksam zu machen, das für jeden wissenschaftlichen Botaniker schon als Nachschlagewerk unentbehrlich ist, anderseits aber vielfache Anregung zu weiteren Untersuchungen geben wird. E. Hedwigia, August 1919: ... Das Buch kann Anspruch machen, zum Ausgangspunkt für die Beantwortung zahlreicher umfangreicher und mannigfaltiger Fragestellungen ‚auf dem Gebiete der Vererbungs- und Abstammungslehre zu werden. G.H Die Naturwissenschaften, 1919, Heft 32:... Das ganze Werk des Verfassers wird als Arbeitshypothese sicher äußerst anregend wirken. E. G. Pringsheim, Halle. Zeitschritt für Pflanzenzüchtung, 1919: .. . Zweifellos wird das Buch zu vielen weiteren Arbeiten anregen und von jedem Botaniker eingesehen werden müssen. - Die Reizleitung und die reizleitenden Strukturen bei Ba se Abi dee Von Dr. B. Nemeö, Privatdozent der Botanik an der den Pflanzen. K.K. böhmischen Universität inPrag. Mit3 Tafeln und 10 Textabbildungen. (153 S. gr. 8°.) 1901. Preis: 7 Mark. Untersuchungen über Reizerscheinungen bei den Pflanzen Mit Berücksichtigung der Einwirkung von Gasen und der geo- « ° tropischen Reizerscheinungen. Von Warwara Polowzow. Mit 11 Abb. und 12 Kurven im Text. (IV, 2308. gr. 8°.) 1909. Preis: 6 Mark. Die Pflanzengallen (Ceeidien) Mittel- und Nordeuropas ihre Erreger und Biologie und Bestimmungstabellen. Von Dr. H. Ross, Konservator am Botanischen Museum in München. Mit 233 Figuren auf 10 Tafeln nach der Natur gezeichnet von Dr. G. Dunziger, München, und 24 Abbildungen im Text. (IX, 350 S. gr. 8%.) 1911. Preis: 9 Mark. R und der angrenzenden Gebiete. "Von Die Pflanzengallen Bayerns Dr. H. Boss, Konseryator am bota- nischen Museum München. Mit 325 Abbildungen von Dr. G. Dunziger. (XI, 104 S. gr 8°.) 1916. Preis: 2 Mark 50 Pf. Die Entstehung der Pflanzengallen, \erUsacht durch, Hyme- nopteren. . Von Prof. Dr. Werner Magnus. Mit 32 Abbildungen im Text und 4 Doppeltafeln. (VIII, 160 S. gr. 8°.) 1914. Preis: 9 Mark. Mathematische undmikroskopisch-anatomischeStudien 5 7 nebst Betrachtungen über den Schalenbau der über Blattstellungen Miliolinen. Von Dr. @. van Iterson jun. EN Prof. in Delft. Mit 16 Taf.u.110 Abb.i. Text. (XII,3318. gr.8°.) 1907. Preis: 20 Mark. SchwendenersVorlesungenüber mech. Probleme d. Botanik“ (1909,8.59,. In letzter Zeit hat die Blattstelluugsfrage durch G. von Iterson jun. eine sehr beachtenswerte Neubearbeitung erfahren. Sein Buch besteht aus einem ersten, von großer Sachkenntnis zeugenden mathematischen Teil, in welchem die Systeme tangierender Kreise auf einer Zylinderfläche, dann auf einer Kegelfläche usw. sowie auch verschiedene andere geometrische Beziehungen dargelegt sind, undeinem zweiten botanischen Teil, welcher die Beobachtungstatsachen und die hieraus b- geleiteten Folgerungen enthält. Das Werk zeichnet sich sowohl durch Gründ- Te der Ausführunger, als auch durch Originalität der Darstellung vor-- teilhaft aus. e Von Dr. Adolf Sperlich Untersuchungen an Blattgelenken. prystäozent der Foranik an der Universität Innsbruck. Erste Reihe. Mit 7 Tafeln und 7 Abbild. im Text. (Ausgeführt mit Benutzung der von Prof. Heinricher von seiner Studien- reise nach Java mitgebrachten Materialien). Herausgegeben teilweise mit Unterstützung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien aus dem Legate Scholz. (III, 108 S. gr. 8°.) 1910. Preis: 8 Mark. Bau und Funktion der Siebröhre der Angiospermen. Von Dr. Ernst Willy Schmidt, derzeitigem 1. Assistenten am botan. Institut der Universität Marburg. Mit 1 farbigen Tafel und 42 Abbild. im Text. (VI, 108 S. gr. 8°.) 1917. Preis: 4 Mark 50 Pf. F Unter allen Zellenarten des Angiospermen, Gymnospermen und Pteridophyten sind wohl die Siebröhren die am eingehendsten untersuchten. Dennoch sind manche ihrer morphologischen Eigenschaften noch nicht sicher festgestellt, und die Frage nach der physiologischen Leistung dieser in allen Sporophyten der genannten Pflanzen- gruppen vorhandenen Gebilde noch unklar. In der vorliegenden Schrift hat es der Verfasser unternommen, die Siebröhren und Geleitzellen der Angiospermen einer kritischen Untersuchung zu unterwerfen. Er hat die Literatur gesichtet und ver- sucht, noch fragliche Punkte zu klären und sicherzustellen. ! 5, . . .. Ss 1 j1 in Al Zur Phylogenie der Primulaceenblüte. Aumaaveer m © Blütenachse und Perianth. Von Dr. Salvator Thenen, botanisches Institut der Universität in Wien. Veröffentlicht mit Subvention der Akademie der Wissen- schaften in Wien aus den Erträgnissen des Scholz-Legates. Mit 9 Tafeln und 4 Abbild. im Text. (IV, 139 $. gr. 8%) 1911. Preis: 8 Mark. Der Blütenbau ‚ der zygomorphen Ranunculaceen und seine Bedeutung für die Stammesgeschichte der Helleboreen. Von Rudolf Schrödinger. Mit 95 Originalzeichnungen in 24 Textfiguren. (Abhandlungen der zool.-botan. Gesellschaft in Wien, Bd. IV, H.5.) (II, 648. w Lex.-8°.) 1909. Preis: 2 Mark 50 Pf. En Prinzipien der physikalisch-kausalen Blütenbiologie hr in ihrer Anwendung auf Bau und Entstehung des Blütenapparates des Cruci- feren. Von Dr. A. Günthart. Mit 136 Abbildungen im Text. (X, 172 8. R- gr. 8°.) 1910. Preis: 4 Mark 50 Pf. 3 Die in dieser Schrift niedergelegten Beobachtungsresultate sollen als einerstes Beispiel der hier vorgeschlagenen Betrachtungsweise der Blütenbiologie aufgefaßt werden. Es werden bier nur die morphologischen Merkmale der Cruciferenblüte, soweit sie für die- Bestäubung wichtig sind, behandelt, also die Insertion, Stellung und Entfaltung der Blütenteile, insbesondere die Ausbildung der Kelchsäcke, der Nektarien und der zur Honigbergung nützenden Vorrichtungen, sowie die Drehungen der inneren Staubblätter. Die Veränderungen in der Blüte, welche das Verhältnis a zwischen Autogamie und Kreuzung bestimmen, bleiben einer eventuellen späteren Bearbeitung vorbehalten. Der allgemeine Teil will nicht hypothetische Grundlagen schaffen, sondern eine Anzahl Begriffe definieren, deren Hilfe ermöglichen wird, die Ausdrucksweise des speziellen Teiles knapper und doch unzweideutig zu gestalten. Im Schlußteil werden die allgemeiner interessierenden Folgerungen gezogen. Be G. Pätz’sche Buchdr. Lippert & Co. G.m,b.H., Naumburg a. d. S. a 34 en TR bir Lrr Dr ren InKt vr rel IM h/ 1 * star hte ii DEr2 5 ie ee a Deren Ward ne Su [ar ee ee Fear irn - or - raten nee E31 or ee ei TR! es Bar EEE 275 2527 .i»'* Need ne a pr eergee HIrFESEIEIHIPERTHS Fern Here Bart at7252 ee 02505 * . s2 ‘ De ren Dr ee an Pr a ee a . vainanirir Fee irre an tr Tu rer Dearae ur meh - ee Ders . KHK * 27 ee Y 650207 starten er ee Barren ey Piwgrrereteshaerer 2 BE Er Ze Kran) eaRzrate sr I .—.. 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