474-483 MAI 1918 XX. JAHR

DIE FACKEL

HERAUSGEBER

KARL KRAUS

INHALT:

Der begabte Czernin / Glossen / Das technoromantische Abenteuer / Für Lammasch / Inschriften / Der darbend«? Bürger / Glossen / Notizen / Bange Stunde / Halbschlaf / Das zweite Sonett / An eine Falte / Suchen und Finden / Die Flamme der Epimeleia / Programme / Glossen / Ein Staats- streich / Inschriften / Am Sarg Alexander Girardis / Der Well- spiegel / Glossen / Zum ewigen Frieden.

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VERLAG DER SCHRIFTEN VON KARL KRAU!

<KURT WOLFF)

SITTLICHKEIT UND KRIMINALITÄT 2. Auflag SPRÜCHE UND WIDERSPRÜCHE 3. Auflag

DIE CHINESISCHE MAUER 3. Auflag

HEINE UND DIE FOLGEN 3. Auflag

PRO DOMO ET MUNDO 2 Auflag

2 NESTROY UND DIE NACHWELT 1916 WORTE IN VERSEN I 7 WORTE IN VERSEN II 1018 WORTE IN VERSEN III Im Druck: NACHTS

UNTERGANG DER WELT DURCH SCHWARZE MAOI1

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D I E> FACKEL

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INHALT des vorigen, zweifachen Heftes 472/473, 25. Oktober 1917 Epigramme und andere Gedichte

Das vorliegende Heft eröffnet den XX. Jahrgang der Facke

DIE FACKEL

Nr. 474—483 23. MAI 1918 XX. JAHR

Der begabte Czernin

Dieser Aufsatz, in der Schweiz entstanden, ist wie fast alles dort im Februar Geschriebene, da es erscheint, von der Zeit überholt; vieles war schon veraltet, als es geschrieben wurde. Den früheren Heften der Fackel haftet dieser Fehler nicht mehr in demselben Maße an, und je weiter sie zurückliegen, umsoweniger. So besteht denn die Hoffnung, daß auch dieses Heft die Zeit überholen wird. Bis dahin sollten ihm die Leser erspart bleiben, deren Aufmerksamkeit vom Zeitpunkt abgelenkt ist. Sie mögen sich mit der Versicherung begnügen, daß der um die Aktualität unbesorgte Verfasser einen vom Krieg handelnden Aufsatz lieber nach dem Friedensschluß als vorher erscheinen lassen wollte.

Immerhin ist es schon ein Fortschritt, daß ein von einem Minister handelnder Aufsatz nafch dessen Demission erscheint, wenngleich auch nach der Verleihung des Ehrenbürgerrechtes von Wien, dessen die dankbare Gemeinde einen Mann für würdig erachtet, dem sie das Wort vom Brotfrieden und das Versprechen von Getreide aus der Ukraine, also unter allen Umständen die Befriedigung unserer Nahrungsphantasie verdankt. Wer für den übrigen Reichtum an Ehren, der sich dem Grafen Czernin jetzt darbietet, um eine Erklärung verlegen ist, sollte nicht übersehen, daß dieses Land auch unbegrenzte Möglich- keiten hat, geniale Staatsmänner hervorzubringen. Es bedarf zu einem solchen bloß der Erkenntnis, daß die hier zusammen- wohnenden Nationen, vor allem Tschechen und Deutsche einander mit grimmigerem Hasse verfolgen, als jede der Gruppen jeden der Feinde, und des Mutes, von der amtlichen Norm, die

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ein verbindliches Lächeln zwischen den Gegensätzen vorschreibt, einmal abzuweichen. Hat sich ein österreichischer Staatsmann zu dem Entschluß durchgerungen, die eine der beiden Parteien des Hochverrats zu beschuldigen, so kann er sicher sein, so- lange er sichs nicht überlegt, von der andern mit Kundgebungen gefeiert zu werden, vor denen die Popularität des entlassenen Bismarck sich ins Kleingedruckte der Weltgeschichte zurückzieht, wiewohl doch weder die Gedanken noch die Erinnerungen des Grafen Czernin darnach angetan sind, die Klio zu einer Umgruppierung zu veranlassen. In Wahrheit hat die Gewöhnung an die Erlebnisse der Quantität seit dem Jahre 1914 uns ver- gessen lassen, daß vordem schon der zehnte Teil einer heutigen Weltblamage ausgereicht hätte, um einen Minister des Äußern zu Falle zu bringen. Die meisten Betrachter sehen an dem Grafen Czernin nur den Vorzug, sich zu seinem Nachteil von den Standes- und Amtsgenossen durch den Mangel an Formen zu unterscheiden, und da in dieser beispiellosen Zeit die schillernde Mittelmäßigkeit für Persönlichkeit gehalten wird, so glaubt man allgemein, es sei schon das höchste Glück der Erdenkinder, kein Burian zu sein. Man vergißt, daß das zwar viel, aber beiweitem noch nicht alles ist. Immerhin wäre doch auch ein Maßstab denkbar, nach dem dtr Graf Czernin in der Weltgeschichte etwa als der Mann fortleben würde, der dem Präsidenten Wilson die Antwort schuldig geblieben ist und der sich später nur sehr unzulänglich damit entschuldigt hat, daß sie ihm der deutsche Reichskanzler aus dem Munde genommen habe. Ob ihn freilich sein Schweigen mehr als sein Reden dem Dank der Nachlebenden empfehlen möchte, müßte dahingestellt bleiben; denn als der Mann der zweiteiligen Rede, der Kant und Krupp zur Einheit verbunden hat, witd der Graf Czernin so bald nicht aus dem Gedächtnis verschwinden. Nach diesem Höhepunkt mußte es rapid abwärts gehen. Später, als er vor erstaunten Gemeinderäten den Grundstein zum Wiener Ehren- bürgerrecht legte, hat er nur die Konsequenz aus seiner Budapester Haltung gezogen. Nichts blieb ihm übrig, als den Konflikt zwischen den zwei Seelen in seiner Brust auszutragen und die Bekenner des ersten Teils seiner Rede als Defaitisten,

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die Anhänger des zweiten Teils als Annexionisten zu tadeln. Freilich, die schöne Angelegenheit Clemenceau, in der die ehr- liche Verlogenheit unserer Presse es Schritt für Schritt ermög- licht hat, die Wahrheit zu erkennen, die auszusprechen der Wahrhaftigkeit noch lange nicht möglich sein wird, wäre uns und der Welt erspart geblieben, wenn statt eines Genies ein Fadian regiert hätte. Die Frage, ob der Graf Armand sich dem Grafen Revertera verwandter gefühlt hat, als der Graf Revertera dem Grafen Armand, ist nicht zu erörtern und auch sonst hat sich viel zugetragen, woran nicht zu drehn noch zu deuteln ist. Immerhin kann man sagen und von Glück sagen, daß die Persönlichkeit des Grafen Czernin dessen Amtsführung überlebt hat, da doch leicht der umgekehrte Fall hätte eintreten können. Er hat von sich selbst erklärt, er gehöre dorthin, wo die Frieden geschlossen werden. Wünschen wir ihm und uns, daß die Frieden, die er geschlossen hat inklusive den Brot- frieden — sein Gewissen dereinst nicht schwerer belasten mögen, als der Krieg das Gewissen jener, die ihn beschlossen haben, und daß der Anlaß zu der hier veröffentlichten Betrachtung, so überholt er im Augenblick ist, nicht dereinst wieder aktuell werde. Während unser Seidler mitten im Weltkrieg als Dramatiker durchgefallen ist und dadurch vor weitern Allotria bewahrt bleibt, hat unser Czernin sich leider als vorzüglicher Feuilletonist bewährt, und so peinlich es ist, einen Ministerpräsidenten zu haben, der im Deutschen Volkstheater gespielt wurde, so ist es doch noch viel betrüblicher, daß ein Minister des Äußern den Zeitpunkt der europäischen Heilsbotschaft mit einer Gewandtheit verspielt, die ihn in der Art, vor dem jüngsten Gericht die scherz- hafteZeugenmieneaufzusetzen,Talenten wie Hirschfeld überlegen erscheinen läßt und an sonnigem Naturburschentum Hans Müllern an die Seite rückt. Schon der echt feuilletonistische Einfall, die Re- naissance der christlichen Idee an eine Frist zu binden, nach deren Ablauf die weltzerstörenden Gewalten sich nicht mehr gebunden erachten,

hat ja Chefredakteuren die Bewunderung des geschickten »Handgriffs« abgerungen. Nach dem Canossagang zum Antichrist und nachdem die Preßkanaille aller offiziösen Schattierungen auf Wilsons Vorschlag losgelassen wurde, folgte die zweite evangelische Causerie, die diesmal schon in der gleichzeitigen Hertlingschen Absage befristet war, so daß sich man sollte keine der beiden Reden aus dem Zusammenhang beider reißen das Ganze als eine in der diplomatischen Belletristik neue und reizvolle Etüde, so zwischen Janus und doppelter Buchhaltung, herausstellte. Während im allgemein menschlichen Teil Hertling, Biograph des heiligen Augustinus, mehr Gewicht auf die bekannte Frage, wer angefangen hat, legte, war Czernin durchaus zum Aufhören bereit und dem ausgesprochenen Verzicht auf den Verzichtfrieden, der jenem gelang, entsprach dieser durch einen deutlich unausgesprochenen Nichtverzicht auf Annexionen. Im neutralen Ausland, übermittelt durch das Wiener Korrespondenzbureau, las man's so:

.. .der Minister nahm keinen Anstand zu erklären, daß er in den letzten Vorschlägen Wilsons eine bedeutende Annäherung an den österreichisch- deutschen Standpunkt finde, und daß darunter sich einzelne befinden, denen wir sogar mit großer Freude zustimmen können. Der Minister müsse aber vorausschicken: 1. daß er, soweit diese Vorschläge sich auf unsere Verbündeten beziehen, bezüglich des deutschen Besitzes von Belgien und bezüglich der Türkei, getreu den übernommenen Bundespflichten, für die Verteidigung der Bundes- genossen bis zürn Äußersten zu gehen fest entschlossen sei. Den vorkriegerischen Bestand unserer Bundesgenossen werden wir verteidigen wie den eigenen.

Das war nun freilich noch deutlicher als man es erwartet hätte, und nur wer wie ich weiß, daß ein fehlendes Komma den Sinn der Schöpfung umdrehen kann, erkannte zur Not, daß hier so etwas passiert sein müsse. In einem auch sonst durch die Geschicklich- keit unseres Korrespondenzbureaus verstümmelten Satz mußte an der entscheidenden Stelle die Trennung,

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die das Schwert der Interpunktion zwischen dem" deutschen Besitz und Belgien immerhin bewirken möchte, aufgehoben sein. Aber wer denn außer mir wäre Pedant genug, derlei für wesentlich zu halten? Worte entscheiden zwar jetzt über die Eventualität, ob hunderttausend Menschen auf einen Gashieb um- kommen sollen, und ob noch etliche Millionen sterben müssen, ehe das entscheidende Wort gesprochen wird aber auf einen Beistrich wird's doch nicht ankommen? Als ich's in der Neuen Zürcher Zeitung las, dachte ich an die Aufgabe, die sich hier dem Übersetzer bot, der's soeben der französischen Presse telegraphierte. Wie das wirkte, war am übernächsten Tag zu lesen :

Paris Bedenklich sei, daß Graf Czernin sich hin- sichtlich Belgiens so undeutlich äußere.

Nun, der Schreibfehler war nur Trabant und Helfer der Undeutlichkeit und da schließlich selbst das Wiener Korrespondenzbureau einsieht, daß, wenn auf ein richtig geschriebenes Wort ein Regiment Toter komme, ein falsch geschriebenes eine Division kosten kann nach diesem Kriege wird auch die übrig gebliebene Menschheit mit mir die Gefahren des Drucks überschätzen , so erschien in der Neuen Zürcher Zeitung die folgende von mir annähernd antizipierte

Berichtigung zur Rede des Grafen Czernin.

Das Wiener Korr. -Bureau ersucht uns, in der Rede Czernins bei der Erwähnung der Wilsonschen Vorschläge folgendes richtigzu- stellen: Der Minister müsse aber vorausschicken 1. soweit sich die Vorschläge auf unsere Verbündeten beziehen es ist von dem deutschen Besitz, von Belgien und vom türkischen Reich darin die Rede , erkläre ich, daß ich getreu den übernommenen Bundespflichten . . .

Ich glaube nicht, daß viele Leser die winzig gedruckte Notiz bemerkt, auch nur wenige die Rede

nachgelesen haben und daß der Fall einem unserer für Bridgespielen bezahlten Berner Diplomaten Kopf- zerbrechen verursacht hat. Nur der Prinz Alexander zu Hohenlohe einer jener spärlichen Deutschen, die durch menschenmöglichesDenken um eine Berichtigung der internationalen Ansichten über Deutschland bemüht sind stellte in eben jener Zeitung fest:

In der ersten Übermittlung seiner Worte war durch Weg- lassung eines Kommas der Satz arg entstellt worden, und es war von einem >deutschen Besitz von Belgien« die Rede, was zu den verschiedensten Auslegungen Anlaß geben konnte.

Nun kann man nicht oft genug sagen, daß nicht nur der Stil, sondern auch der Druckfehler der Mensch ist und daß dergleichen nebst den »ver- schiedensten Auslegungen«, die die Folge sind, den Staatsmännern derZentralmächte keineswegs passieren könnte, wenn sie sich hinsichtlich Belgiens einmal deutlich äußern wollten. Der Graf Czernin sagt in dem, was er sagen wollte, auch nicht gerade etwas, was nicht zu den verschiedensten Auslegungen Anlaß geben könnte. Er koordiniert den deutschen Besitz und Belgien, indem er sie als Inhalt der Wilson'schen Vorschläge zitiert, und gibt, indem er hinterdrein von der Verteidigung des »vorkriegerischen Bestandes« spricht, zu verstehen, daß Österreich für die deutschen Ansprüche auf Belgien, das ja selbst nach Ansicht des Wolffbüros nicht zum vorkriegerischen Bestand des Bundesgenossen gehört, eigentlich, nun ja, allerdings, vermutlich nicht eintreten werde. Es ist für den delphischen Charakter dieser Auffassung bezeichnend, daß selbst die Berichtigung nicht nur als solche wertlos, sondern geradezu eine Handhabe für weitere Auslegungen war; denn bei Weg- lassung des Schlusses vom vorkriegerischen Bestand und welcher Leser nimmt sich wie gesagt die Mühe, auf den berichtigten Druck zurückzugreifen ,

wird trotz dem eingesetzten Komma noch viel weniger als in der fehlerhaften Fassung gesagt, was Österreich von -Belgien eigentlich halte; im Gegenteil erweckt nun der pathetische Ausklang in die übernommenen Bundespflichten erst recht den Eindruck, daß eben diese sich auf Belgien beziehen sollen, welches ganz so wie der deutsche Besitz und wie das türkische Reich verteidigt werden sollen, unddaß die Berichtigung eben .den Zweck habe, gegen alle Mißdeutungen der Bündnistreue jene Absicht zu unterstreichen, gegen allen Glauben an unsere Besinnungsfähigkeit, der nach der ersten Fassung immerhin noch Platz greifen konnte denn damals konnte ein aufmerksamer Leser vielleicht doch auf den Sinn kommen, nämlich den unseres Wunsches, nur den vorkriegerischen Besitzstand zu verteidigen, und schließlich merken, daß hier ein Druck- oder Schreibfehler passiert war. Die kluge Berichtigung unseres Korrespondenzbureaus, die erst der Prinz Hohenlohe erläutert hat, mußte wie eine Korrektur der richtigen und nicht der falschen Auffassung wirken, wie eine feierliche Betonung der Absicht, die übernommenen Bundes- pflichten getreu auch auf Belgien zu erstrecken. Und wenn der Graf Czernin selbst das Glück hat, in England eine Presse zu finden, die sich bemüht, seine Gedanken über Belgien zu erraten, wer schützt ihn und seine Völker gegen eine mißdeutende feindliche Regierung, der die Preßagenturen einen Text zutragen, welcher das vom Wiener Korrespon- denzbureau gelieferte Monstrum in getreuer Über- setzung wiedergibt und darum für gefälscht gilt? Daß von der kleinlichen Korrektur, wie sie mir beliebt, bis zur blutigen Lesart von Versailles ein Schritt sein kann, dürfte die folgende Meldung mit erschreckender Deutlichkeit dartun:

Amsterdam, 11. Februar. Die , Daily News' bezeichnen die amtliche Erklärung über die Ergebnisse der Versailler Konferenz ....

als beunruhigend, insbesondere die bemerkenswerte Entscheidung, daß die Rede des Grafen Czernin keiner Erwiderung wert sei. E i n wichtiger Teil dieser Rede sei von den Preßagenturen ganz anders wiedergegeben worden, als er in dem von den deutschen Blättern mitgeteilten Original lautet. Die, wie die , Daily News' andeuten, vielleicht nicht bloß versehentlich unterlaufene Entstellung eines wichtigen Teiles der Rede des Giafen Czernin hei der Übermittlung an die englische Presse wird von dem Blatte durch Gegenüberstellung der vom Reuterschen Büro verbreiteten Fassung und der Übersetzung des Originaltextes dargetan. Das Blatt wolle es unerörtert lassen, wen die Verantwortung für die Entstellung bei der Wiedergabe der Rede des Grafen Gzernin treffe; es halte es aber für außerordentlich wichtig, festzustellen, ob der Versailler Konferenz bei der fraglichen Ent- scheidung die falsche Fassung der Rede des Grafen Czernin vorgelegen w a r oder aber der amtliche Text, der in Verbindung mit der warmen Zustimmung zu der Botschaft des Präsidenten Wilson an den Kongreß ein sehr bezeichnendes Abgehen von einer Eroberungspolitik erkennen lasse. Wir vermögen, schließt das Blatt, die in Versailles eingenommene Haltung mit dem amtlichen Text der Rede des Grafen Czernin nicht zu vereinen. Das Parlament muß daher auf einer Aufklärung bestehen ....

Auch der .Manchester Guardian' widmet dieser Angelegenheit einen Leitartikel, in dem er sagt: Der Unterschied ist sehr bedeutend, und es ist nicht leicht verständlich, wie die telegraphische Fassung so schlimm mißraten konnte. Da die Richtigkeit der Meldungen von förmlichen Erklärungen der feindlichen Staaten von der größten Bedeutung ist, so ersuchen wir die Behörden, Ermittlungen darüber anzustellen, wie die Irrtümer in diesem Falle entstanden sind.

Das wäre nicht schwer zu ermitteln. Die Lügen des Auslands sind oft unsere Wahrheiten und zur eigenen Lücke bedarfs nicht der feindlichen Tücke. Wenn die diplomatische Sprache die ihr gewachsene Reportage findet, so darf man sich über Schwerhörigkeit in weit entfernten Gegenden nicht wundern, sondern muß eben in Geduld zuwarten, bis die Technik, die das Hindernis der Entfernung bei Gasangriffen aus dem Wege geräumt hat, auch für die ungestörte Gedankenübertragung Vorsorge trifft. Wir haben es erlebt, daß ein nicht unwichtiger Funkspruch der russischen Regierung, jener Aufruf »An alle!«, der den

Waffenstillstand angeboten hat, vom Grafen Czernin zwar allen, aber nicht in allen Teilen übermittelt werden konnte. Der Unvollkommenheit der Technik oder dem störenden Eingriff der revolutionären Natur wurde es zugeschrieben, daß er »verstümmelte ein- gelangt war, bis zur Ehre jener Gewalten festgestellt und vom Minister ehrlich, aber nicht ohne Selbst- behauptung zugegeben wurde, daß die Verstümmlung erst nach dem Eintreffen durch eine andere Gewalt erfolgt war, die lediglich in dem Bestreben gehandelt hat, wieder eine andere Gewalt, nämlich die russische Revolution, in Österreich nicht aufkommen zu lassen. Wenn solche Dinge passieren können, ist Vorsicht bei Übermittlung von Depeschen, deren Inhalt eine nicht minder wichtige, wenn auch keineswegs revolutionäre Regierungserklärung bildet, gewiß empfehlenswert. Wäre es den Feinden sonst zu verübeln, wenn sie das Datum einer Ver- stümmlung auch hier zurückverlegen wollten? Wird ihnen zum Beispiel eine Replik des Grafen Czernin gegen Trotzky in der folgenden Fassung, die das Züricher Blatt vom Wiener Korrespondenz- bureau bezieht, dargeboten :

In Erwiderung hierauf führte der Minister des Äußern, Graf Czernin, aus, es sei notwendig, darauf hinzuweisen, daß die Delegationen der verhandelnden Mächte nicht hieher gekommen seien, um einen geistigen Ringkampf auszuführen, oder um zu versuchen, ob und inwieweit es möglich sei, zu einer Verständigung zu gelangen

ist es dann ein Wunder, wenn d^r böse Wille die Version verbreitet, die Zentralmächte machten aus ihren Annexionswünschen schon gar kein Hehl mehr, denn sie hätten in Brest-Litowsk selbst zugegeben, daß sie gar nicht den Wunsch haben, zu einer Verständigung zu gelangen ! Zwischen einem »oder« und einem »sondern« kann eine Welt von Feindschaft liegen, die berichtigend aus' den Angeln zu heben, sich das Korrespondenzbureau diesmal nicht mehr die Mühe

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nimmt.*) Wozu denn auch? Ist denn nicht selbst das österreichische Strafgesetz fehlbar? Wurde nicht nach dem § 490 jahrelang falsch judiziert, weil sich dort »hinreichende Gründe ergeben«, statt »ergaben«, während zum Glück die in dem gleichen Strafgesetz- buch geahndeten »Vergehen gegen die Pos tanstalten« unbestraft blieben, weil man denn doch eingesehen haben mag, daß sie nicht so bedenklich verlaufen wie die Vergehen gegen die »Pestanstalten«. Das Wiener Korrespondenzbureau aber berichtigt wohl jene Fehler nicht gern, die im Ausland zu seiner Ver- wechslung mit dem Wolffbüro beitragen können.

Es läßt sich, annexionistischer als die deutsche Presse veranlagt, von dieser in einem andern Fall die Berichtigung besorgen. Für Zürich enthielt der offizielle Wiener Bericht die Stelle:

»Deutschland und Österreich-Ungarn haben nicht die Absicht, sich jetzt diese besetzten Gebiete (Kurland, Litauen und Polen; einzuverleiben.«

Das Züricher Blatt stellt fest, daß »dieser Text nie berichtigt wurde«, und teilt mit, daß deutsche Blätter nachträglich auf die Variante aufmerksam machen, die sie selbst veröffentlicht haben:

»Deutschland und Österreich-Ungarn haben nicht die Absicht, sich die jetzt von ihnen besetzten Gebiete einzuverleiben. <

»Ist dem so, wie man bis auf weiteres annehmen darf«, meint das Züricher Blatt (nämlich, daß die deutsche Fassung die richtige ist, nämlich, ciaß Deutschland und Österreich nicht diese Absicht haben), »so entfallen natürlich auch alle Folgerungen, die aus dem Wortlaute des Wiener Berichtes in der ,N. Z. Z.' gezogen wurden.« Die der feindlichen Presse freilich haben sich inzwischen festgesetzt.

*) Der Verlauf der Begebenheiten hat gezeigt, daß das »oder« richtig war. Sie waren tatsächlich nicht nach Brest-Litowsk gekommen, um zu versuchen, ob und inwieweit es möglich sei, zu einer Verständigung zu gelangen.

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Der Graf Czernin aber, der als begabter Feuilletonist doch Wert darauf legen müßte, daß ihm seine Pointen nicht verdorben werden, und der darum das Korrespondenzbureau an Haupt und Gliedern reformieren sollte, begnügt sich damit, vor Delegierten seine stilistische Begabung gegen den Vorwurf der Unklarheit zu verteidigen, die doch gerade ihr Wesen und ihren aparten Reiz ausmacht. Er weiß wohl selbst nicht, daß sein Talent, nicht nur mißverstanden, sondern auch entstellt zu werden, die Kriegsliteratur um eines ihrer spannendsten Kapitel bereichert hat. Aber gewiß wird man auch einmal sagen können, daß ein gut Teil der großenZeituns durch seine witzigen Auseinandersetzungen mit jenen vertrieben wurde, die von ihm sachliche Aufklärung verlangt hatten.

. . . Dann hat mir der Herr Abgeordnete Dr. Ellenbogen wieder eine meiner Illusionen genommen. Ich hatte immer geglaubt, daß ich die deutsche Sprache ziemlich beherrsche. Der Herr Delegierte aber hat mir vorgeworfen, daß ich wieder unklar und verworren spreche.

Im Gegensatze zum Grafen Czernin beherrsche ich, wie ich wiederholt eingestanden habe, die deutsche Sprache ganz und gar nicht, sondern lasse mich von ihr und weit lieber als vom Grafen Czernin beherrschen, dem es ja auch viel besser gelingt, die Sprache zu beherrschen als jene, die sie sprechen. Trotzdem oder vielleicht eben deshalb weiß ich, daß gerade jene vom Grafen Czernin gemeinte Fähigkeit, die Sprache zu annektieren, die Möglich- keit nicht ausschließt, sich unklar und verworren in wichtigen Dingen, zum Beispiel über Annexions- absichten auszudrücken, ja daß sie sie nicht nur nicht ausschließt, sondern manchmal sogar einschließt, so daß diese Möglichkeit geradezu zur Fähigkeit wird. Darum hat auch der Delegierte sehr richtig dem Grafen Czernin zugerufen:

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Gestern haben Sie gezeigt, daß Sie die deutsche Sprache wirklich meisterhaft beherrschen!

Der Graf Czernin jedoch faßte diese Bekräftigung nicht nur als Kompliment, sondern auch als Revo- kation auf, als einen Versuch des Delegierten, seine Äußerung abzuleugnen, und fuhr entschieden depre- zierend fort:

Ich bitte, im Zusammenhang mit meiner gestrigen Rede wurde unter Hinweis auf die Stelle über Italien, Rumänien und Serbien meine Redeweise unklar genannt, in der .Arbeiter-Zeitung' steht dasselbe. Ich gehe auf das Thema nicht weiter ein, wer mich verstehen wollte, konnte mich verstehen ....

Der Graf Czernin, der eine witzige Ader hat, versteht dennoch den Witz nicht, der ihm ernstlich die Unklarheit in gewissen Europa betreffenden Angelegenheiten als Sprachbeherrschung auslegt. Ihm ist im Gegensatz zu vielen andern Redensarten die oft zitierte Erkenntnis nicht geläufig, daß sich der Meister des Stils in dem, was er weise verschweigt, zeige. Er versteht nicht, daß die, die »ihn verstehen wollen«, zwar seine Unklarheit verstehen, auch deren Absicht verstehen, aber keinesfalls deren Grund. Er versteht aber auch nicht, daß es viel mehr auf jene ankommt, die ihn nicht verstehen wollen, nämlich auf die Feinde, die zwar gleichfalls seine Unklarheit verstehen, aber die er einmal zwingen müßte, seine Klarheit zu verstehen, wozu allerdings nicht Sprachkunst, sondern nur Staats- kunst notwendig wäre. Kann denn der Graf Czernin, selbst wenn man ihm im Gegensatz zu seinem Sprach- kritiker zubilligen ^wollte, daß er sich in der »Stelle über Italien, Rumänien und Serbien« einer klaren Rede- weise beflissen habe, kann er im Ernst behaupten, daß sein Wort über Belgien, das selbst die Auf- klärung des Korrespondenzbureaus nicht klarer machen konnte, die Ansprüche erfüllt hat, die die fremdsprachigen Völker an einen deutschen

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Redner heutzutag nun einmal stellen? Wird er gegen- über der französischen Presse sich mit Recht beklagen können, daß sie ihm seine Illusion, ein deutscher Sprachbeherrscher zu sein, genommen habe? Er würde unrecht tun, die Deutlichkeit, die sie in diesem Punkte vermißt, für einen literarischen und nicht für einen politischen Vorzug zu halten, auf dessen Zuerkennung aus künstlerischem Ehrgeiz zu bestehen und zu glauben, der ganze Jammer, in dem die Welt lebt, sei der, daß die Feinde den Grafen Czernin für einen unzulänglichen Stilisten halten. Sie tun aber das Gegenteil, sie halten ihn für einen Meister des Stils, für einen Sprachbeherrscher, ja für einen Sprachimperialisten, und sehnen sich mit den Freunden danach, daß er einmal, einmal nur, im aller- schlechtesten Deutsch ein klares und deutliches Wort spreche, und zwar so klar, daß es sogar die deutschen Bundesgenossen verstehen. Tief gekränkt und wie jenem Abgeordneten gegenüber auf dem irrigen Standpunkt, daß Deutlichkeit und Sprachkunst identisch seien und weil er ein Sprachkünstler ist, er deshalb auch deutlich gesprochen haben müsse, läßt er durch sein , Fremdenblatt' dem Versailler Kriegsrat versichern, er habe »in deutlichster und klarster Weise« einen Frieden ohne Annexionen proklamiert, und diu Retourkutsche auffahren, die Feinde hätten wohlweislich vermieden, »mit deut- lichen Worten das Ziel zu bezeichnen«, das sie durch Fortsetzung des Krieges erreichen wollen, vielmehr »ihrer Gewohnheit gemäß ihre Bestrebungen in einer Hülle allgemeiner Phrasen gehalten«. Der Graf Czernin weiß aber natürlich nicht, daß er hier nichts anderes zurückgegeben hat als das Kompliment, daß auch die feindlichen Staatsmänner ihre Sprachen beherrschen. Vielleicht ist der Unter- schied der zwischen der Tüchtigkeit, das, was man nicht sagen will, wirksam auszusprechen, und

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der Gewandtheit, das, was man sagen soll, weise zu verschweigen. Die Entscheidung, auf welcher Seite die virtuosere Fähigkeit geglänzt hat, interessiert indes die wartenden Völker nicht so sehr wie die Frage, wie lange sie ob für Leitartikel oder Feuilleton dem Talent, durch Worte Taten zu prolongieren, Opfer bringen sollen. Was immer die andern für große Leitartikler sein mögen, wir haben mit uns selbst zu schaffen, und der Graf Czernin tut unrecht, die Dinge, auf die es für Leben und Sterben ankommt, gleich mir, einem politisch uninteressierten Wort- fetischisten, auf das Sprachgebiet hinüberzuspielen. Kurzum, wäre er kein Sprachbeherrscher, so würde er sich klar aussprechen und die Zentral- mächte hätten zwar um einen Feuilletonisten weniger, aber um einen Staatsmann mehr, was umso notwendiger wäre, als sonst keiner da ist. Das ist ja eben der Fehler, daß in diesen Reichen, in denen nicht zuletzt auch die Sprache nach Selbstbestimmung ringt, diese just in dem Augen- blick so absolut beherrscht wird, wo es sich um die Freiheit ihrer Sprecher handelt, und daß unser diplomatisches Vorgehen nur dort »eine deutliche Sprache spricht«, wo es sie vermissen läßt.

Wenn ich aber bezüglich der Überschätzung der Sprache den Grafen Czernin mit mir verglichen habe, so möchte ich ihn bezüglich deren Gebrauchs, der ja immer eine Folge der Beherrschung ist, lieber mit jenen vergleichen, denen ich ihn schon durch die Bezeichnung »Feuilletonist« an die Seite stellen wollte. Was ist er denn anderes, wenn er die russische Revolution für den »einzigen Exportartikel« erklärt, der von dort zu beziehen sei und den er ablehne? Es ist ein Apercu, das von der falschen Voraussetzung lebt, daß bei uns die russische Revolution ausbrechen könnte, die sich ja allerdings nicht exportieren läßt; die witzige Ausflucht einer

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Politik, die von der Vernachlässigung der Frage lebt, ob solch ein »Artikel« es ist von dem Verhältnis einer Regierung und nicht einer Handelskammer zum Problem der Freiheit die Rede nicht am Ende im Lande selbst erzeugt werden könnte. Die Fähigkeit, mit einer leicht faßlichen Anwendung aus einer trivialen Sphäre um die schwierigsten Dinge herumzukommen, verläßt den Grafen Czernin keinen Augenblick. Da er seine Antwort an die Delegierten mit der zierlichen Bemerkung einleitet, er möchte »nur aus dem großen Bukett von Anregungen und Angriffen einige Blumen herausnehmen und sich an denselben erfreuen«, so beweist er, ehe es ihm mißlingt dieses Bukett zu zerpflücken, daß er immerhin die Fähigkeit besitzt, eine Schmucknotiz mit falschen Bildern zu besetzen. Auch die Versicherung, daß die Rede des Generals Hoffmann »einen Sturm im Glase Wasser ent- fesselt« habe, läßt ihn nach dieser Richtung orientiert erscheinen. Echtfeuilletonistisch, eine Pointe, wie geschaffen die Heiterkeit der Delegierten in ernster Zeit zu wecken, ist auch der Einfall, mit dem der Graf Czernin die Zumutung, daß zwischen ihm und Trotzky eine Ähnlichkeit bestehe, abweist. Ein Minister hatte es zur Beruhigung der Opposition behauptet und ein tschechischer Abgeordneter den Volkskommissär gegen den Vergleich in Schutz genommen. Beides reizt die Schlagfertigkeit des Grafen Czernin wie folgt :

.... Ich gestehe jedoch, daß es auch nicht meine Ambition ist, dem Herrn Trotzky zu gleichen, und in einem Punkt besteht zwischen mir und Herrn Trotzky jedenfalls ein Unterschied: Wir sind beide und das ist ein merkwürdiges Zusammentreffen in unsere respektiven Heimaten gefahren, um das Vertrauensvotum der respektiven verfassungsmäßigen Korporationen zu erlangen; Herrn Trotzky ist das mißlungen und er hat als Antwort Maschinengewehre auffahren lassen und die Konstituante auseinandergetrieben. Wenn Sie mir dasselbe machen, lasse ich keine Matrosen kommen, sondern demissioniere. (Heiterkeit.) Was

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freiheitlicher und demokratischer ist, überlasse ich Ihrer Beurteilung. (Lebhafter Beifall.)

Der Graf Czernin scherzt und es ist die Eigen- tümlichkeit der Feuilletonisten, lachend die Unwahr- heit zu sagen und mit einer scheinbaren Schlüssigkeit Trümpfe auszuspielen. Nur schade, daß in einer ganzen Delegation sich kein einziger Witzkopf findet, der keinen Spaß versteht und den Causeur auf den größeren Unterschied zwischen ihm und Trotzky aufmerksam macht : daß dieser in seiner respektiven Heimat ein System repräsentiert, das sich eben, wie es die Gewalt und selbst die Gewalt der Freiheit immer zu tun pflegt, mit Gewalt erhaltea will, während der Graf Czernin nur das zufällige Organ eines andern Systems vorstellt, welches nach dem konstitutionellen Opfer eines jeweiligen Angestellten in seiner wesent- lichen Macht erhalten bliebe, aber den Widerstand, der sich gegen diese selbst erhöbe, sehr wohl mit den Mitteln der russischen Demokratie aus dem Weg zu räumen wüßte. Der Graf Czernin und auch der Herr von Bilinski, der sich mit ihm in den königlich polnischen Spaß teilte, hätten unschwer darauf aufmerksam gemacht werden können, daß zwischen der bedrohten Revolution, die Trotzky heißt, und dem Minister einer keineswegs bedrohten Monarchie aller- dings ein Unterschied besteht was aber nur eine nüchterne Feststellung gewesen wäre, mit der in einer heitern Debatte über den Weltki ieg kein Staat zu machen ist und nicht einmal der des Herrn v. Bilinski. Die brillante Laune des Grafen Czernin jedoch, die die Anfechtungen der Logik so wenig wie die des Geschmacks fürchtet, findet ihren glücklichsten Ausdruck in der Verteidigung des Generals Hoffmann:

Als ich in Brest von der Aufregung gehört habe, die diese Rede hervorgerufen hat, habe ich darüber, aufrichtig gesagt, herzlich gelacht. Dort hat sich kein Mensch darüber aufgeregt. Auch nicht Herr Trotzky, der gestern von Dr. Ellenbogen mit Nachsicht der Taxe in den Adelsstand

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erhoben worden ist (Heiterkeit). Also Herr von Trotzky hat dem General geantwortet, wenn er ihm sage, daß Rußland von den Deutschen besetzt sei, so gebe er ihm darauf die Antwort, daß der Kaukasus und die Türkei von Russen besetzt seien, das eine sei das andere wert. An dieser Rede, man mag sie mehr oder weniger schön finden, sterben wird niemand daran, weder Herr Trotzky noch General Hotfmann, noch der Friede .... Ich glaube, das Wiener Parlament bietet ein Beispiel, daß kräftige Worte möglich sind, ohne daß man daran stirbt, denn wenn man daran sterben würde, dann gäbe es schon viele Leichen im Paria me n t. (Heiterkeit.)

Die berühmte Erkenntnis vom Wesen der Staats- kunst wird sich künftig als ein vermehrtes Staunen äußern: mit wie wenig Weisheit die Völker regiert werden, aber mit v/ie viel Mangel an Würde. Die Schalheit des Motivs »mit Nachsicht der Taxe« und der Wendung »Also Herr von Trotzky« könnte schon einen, dem diese Jammerzeit einen Funken Hoffnung übrig gelassen hätte, lebensüberdrüssig machen. Der unleugbar adelige Czernin reproduziert einen Scherz, den nicht nur jeder Wiener Kaffe^haus- besucher seit der Türkenbelagerung, sondern vor dem frozzelnden Minister der gefrozzelte Delegierte selbst gemacht hat, dieser aber mit einer berechtigten Wendung gegen das Korrespondenzbureau, dem wieso manches andere die Nobilitierung des Herrn Trotzky geglückt war. Es wäre wahrlich besser, wenn die Standesgenossen des Grafen Czernin vermeiden wollten, sich von Familien, die nicht durchs eigene Blut, sondern durch das der andern empor- gekommen sind und im Krieg zufällig nicht getötet oder wenigstens eingesperrt, sondern geadelt wurden, zum Essen einladen zu lassen, als daß sie von der überwältigenden Komik jener Antithese zehren. Viel weniger lustig ist jedenfalls die zwischen der Munterkeit des Grafen Czernin, der »herzlich gelacht« hat, und der Erbitterung jener vielen, denen die Reiterattaque auf den Verhandlungstisch von Brest- Litowsk nicht eben als das Resultat erschien, auf

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das sie gewartet hatten. Wäre selbst der Vergleich einer Parlamentssitzung mit einer Friedenskonferenz, also die Gleichstellung von berufsmäßig zankenden Parteivertretern, zwischen denen nicht das Wort, sondern die Abstimmung entscheidet, mit Staats- vertretern, die zum Frieden zusammenkommen, nicht so durchbohrend scharfsinnig, man müßte doch über die Feinfühligkeit staunen, die die aus der landes- üblichen Gemütsschlamperei bezogene Redensart »sterben wird niemand dran« unermüdlich abwandelt und nicht einmal dessen inrre wird, daß dieses zur mundfaulen Phrase erstarrte Achselzucken hier ausnahmsweise wirklich in einer Sphäre betätigt wird, in der man an Worten stirbt. Als ob es das größte Unglück wäre, daß die, die sie sprechen oder unmittelbar hören, daran sterben könnten! Die schöne Vorstellung, daß es »dann schon viele Leichen im Parlament gäbe«, die doch nur witzige Schlagkraft hätte, wenn die Prämisse (daß man an einem kräftigen Wort stirbt), vom Redner nicht konstruiert, sondern nur beantwortet wäre nicht einmal diese anschauliche Konsequenz bringt ihn zu der Besinnung, daß es die vielen Leichen auf anderen Plätzen derzeit schon gibt, und zu dem Gedanken, daß zu deren Vermehrung der Ton auf einer Friedens- konferenz sehr wohl beitragen könnte. Denn wenngleich der Zusatz, daß auch der Friede nicht daran sterben werde, den Redner scheinbar einer ernsteren Möglichkeit bewußt zeigt, so ist doch eben in dieser Personifika- tion des sterbenden oder nicht sterbenden Friedens, die salopp wie ein wurstiges »Malheur!« oder »Tun S'lhnen nix an» angereiht wird, das Bewußtsein, daß der Inhalt des Krieges das reale Sterben ist, völlig ausgeschaltet. Die Gedankenlosigkeit eines, der über die Materie zu bestimmen hat, sollte wahrlich nicht so weit gehen wie die aller fühllosen Zeugen, die von ihr die Worte beziehen, ohne sich an sie erinnert zu

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fühlen, und ein Staatsmann, der im Weltkrieg das Wort »sterben« bildlich oder in einem andern Zusammenhang als dem mit der großen Realität aus- sprechen wollte, dürfte höchstens bekennen, daß ihm das Wort auf der Zunge sterbe.

Was aber soll man zu einem Staatsmann und Aristokraten sagen, dem die Materie des Welttods so wenig gegenwärtig ist, daß ihm ein Spassettl vom Sterben über die Lippe kommt, und den der Zeitpunkt weder davon abhält, es zu wiederholen, noch solcher Eifer zum Bewußtsein des Zeitpunkts bringt; der völlig beziehungslos Redensarten wählt, die eine empfindende Hörerschaft in traurige Erinnerung und eine taktvolle in Verlegenheit für den unbefangenen Sprecher versetzen müssen. Und was soll man zu einer Delegation sagen, deren Gemütsverfassung das Protokoll an dieser Stelle mit der kürzesten Charakteristik »(Heiterkeit)« gerecht wird? Das ist die Auslese jener Menschheit, der der Fortschritt so sehr alle Phantasie ausgehungert hat, daß ihr heute der Vorstellungsersatz von ein paar schmierigen Phrasen das geistige Durchhalten durch die größte Quantität an Erlebnissen ermöglicht. Das rechnet mit Offensiven ohne Gesicht und Gehör für die Ungezählten, die daran blind und taub werden, und würde staunen, daß hinter der Generalstabs- meldung »Nichts Neues« immerhin die Begebenheit von ein paar Lungenschüssen sich abgespielt hat. Und sie ahnen weder, daß die Bedingungen des Ereignisses auch die ihrer Unbewegtheit sind, noch daß sich der Schall an ihrer Atonie steigert. Oder wie Büchner sagt : »Sie hören nicht, daß jedes dieser Worte das Röcheln eines Opfers ist. Geht einmal euern Phrasen nach, bis zu dem Punkte, wo sie verkörpert werden. Blickt um euch, das alles habt ihr gesprochen, es ist eine mimische Übersetzung eurer Worte .... Man arbeitet heut-

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zutag alles in Menschenfleisch. Das ist der Fluch unserer Zeit.«

Ein wahrer Staatsmann aber wäre nicht der, der den Handel abschließt, sondern der die Geister zur Besin- nung dieses Handels bringt, zum Entsetzen vor sich selbst, und niemals dürfte er, anstatt sie aus dieser Niederungheraufzuführen,mitihnenbeiderSpassigkeit, die es dort gibt und die die Armut der Vorstellung entschädigt, einverständlich verweilen. Indes, der Graf Czernin gilt nicht nur jenen Zufriedenen, deren politischer Humor sich mit der Scherzfrage: »Was ist das Gegenteil von Apponyi? A Pferd!« abfindet, nicht nur jenen Relativisten, die die staatsmännischen Fähigkeiten nach dem geringen Maß dessen, was man von einem Mitglied des Jockeyklubs verlangen kann, abschätzen, für einen großen Staatsmann, ja Bürgen eines neuen Zeitalters, und dies, wiewohl man schnell genug erkannt haben müßte, daß ein Minister der menschheitlichen Ideen, die er äußert, nur dann würdig ist und durch sie, die ja die Ideen anderer sind, wächst, wenn er sie zur Tat werden läßt. Obzwar nun der Graf Czernin die Frist, die er an ihre Erfüllung geknüpft hat, verstreichen ließ, wird er von den einen, und weil er es tat, von den andern hoch eingeschätzt, und von den dritten just wegen der Gabe, zwei Ideale gleichzeitig nicht zu enttäuschen, zwischen Humanität und Schwertbereitschaft geistig durchzuhalten und trotz einem Studium bei Lammasch und Förster nach Tische, da man's anders las, zwischen Hindenburg undLudendorff sitzen zu bleiben und sich gleich dem Kollegen Paul Goldmann ins Ohr flüstern zu lassen, daß Macht vor jenes Recht geht, welches eben noch vor die Macht gegangen war. Nehmt alles nur in allem, der Graf Czernin erscheint allen zusammen als eine Erfüllung des Wiener Friseur- gesprächs, im Verlauf dessen unterm Einseifen die Worte hervorgesprudelt werden: »Einen Bismarck

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braucheten mr halt!«, und nicht etwa bloß darum, weil Tun wie Reden an die Gewohnheiten des Metiers erinnert. Nein, die frappante Ähnlichkeit, größer als die mit Trotzky, hält alle in Banden. Der Bismarck, den mr halt braucheten, ist niemand anderer als der Graf Czernin. Ein Vergleich mit der Emser Depesche ist an dieser Realisierung eines alten Lieblingswunschesder Wiener Friseureund der über den Löffel Barbierten keineswegs schuld, da ja die letzten halbwegs zweckdienlichen deutsch-französischen oder deutsch-russischen Analoga, die berühmten »Bomben auf Nürnberg« oder die Extraausgabe des , Lokal- anzeigers'nicht in Österreich hergestellt wurden und der verstümmelt eingelangte Funkspruch der Petersburger Regierung weniger einen diplomatischen als einen literarischen Treffer bedeutet. Was bewirkt also, daß man in der Identität dieses Perückenbismarck kein Haar findet? Ganz gewiß die gleiche Mischung von Talent und Genie. Nur werden selbst die größten Czernin-Verehrer nicht übersehen können, daß die Verteilung der beiden Qualitäten bei beiden Persönlich- keiten eine verschiedene ist. Denn während Bismarck als Mensch ein Genie war und als Staatsdiener, wie es ja auch nicht anders sein kann, nur ein Talent Politiker, Bankdirektoren, Bauhandwerker sind auf der höchsten Stufe ihrer Vollkommenheit Talente , gilt für Czernin die Umkehrung. Der allgemeinen Vermutung, daß er ein Genie von einem Staatsmann ist, gesellt sich meine Überzeugung von seinen allgemeinen Talenten. Bismarck wie Czernin haben außerhalb der Verpflichtung ihres Berufs Worte geprägt, die Flügel bekommen haben, und der Unterschied dürfte, den Kraftmaßen von künst- lerischer Schöpfung und gefälliger Unterhaltung entsprechend, in aviatischer Hinsicht etwa der zwischen der Naturgewalt des Adlerfluges sein und der Tüchtigkeit, die einen Motordefekt erleidet.

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Doch muß man es wohl für ausgeschlossen halten, daß Bismarck, wenn er es je für nötig erachtet hätte, sich undeutlich auszudrücken, dies unter Hinweis auf seine Sprachkünstlerschaft, die ein höheres Lebensgut als alle Staatspraktiken deckte, abgeleugnet hätte. Daß seine dialektische Leidenschaft nie mit der Czerninschen Methode, »aus dem großen Bukett von Anregungen und Angriffen einige Blumen herauszunehmen,« ausgekommen wäre, daran kann auch nicht der geringste Zweifel bestehen und der Schlager, daß an kräftigen Worten bei einer Friedens- verhandlung nicht einmal die Menschheit, geschweige denn die anwesenden Unterhändler sterben, weil es sonst schon viele Leichen im Parlament gäbe, wäre ihm bei der größten Selbstüberwindung nicht eingefallen. Wie er mit annexionsgierigen Generalen fertig wurde und um wie viel mächtiger sein Wort war als die Faust, die auf den Verhandlungstisch zu schlagen eben dadurch verhindert war, ist geschichtsbekannt. Was er getan hat, war nicht immer für die Menschheit nützlich, aber was er gesprochen hat, nie das Stichwort der schlimmeren Tat. Seine Sprache, nicht Dienerin seiner Pläne, war die Selbstherrscherin seiner Gedanken, seine Aussprüche, Frucht und nicht Schale, Geschöpfe und nicht Redensarten, wachsen durch die Zeit, und sein Wort von den Leuten, die ihren Beruf verfehlt haben, das ursprünglich auf die Journalisten gemünzt war, läßt sich noch heute auf die Vertreter eines anderen Berufes anwenden, die nicht Journalisten geworden sind.

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Glossen

Niemand geringerer als

. . Die Wirkung des Stückes auf das Publikum wurde bereits erwähnt. Sittlicher Ernst und Kraft der Q.esinnung sind ihm eigen. Es kommt den tiefsten und reinsten Stimmungen, welche die kriegerische Gegenwart ausgelöst hat, entgegen. Es ist eine Abkehr von der Ironie, es kennt nicht die Angst vor der Begeisterung. Vor herzhaftem Lachen in den trefflich gestalteten Massenszenen scheut es ebensowenig zurück wie vor dem befreienden Weinen. Das Deutsche Volkstheater hat sich mit redlichem Bemühen und schönem Gelingen um Regie. Darstellung und Aus- stattung bemüht ....

Der Kritiker hatte natürlich keine Ahnung, wer sich hinter dem Pseudonym »Wilhelm Engelhardt« verbarg. Niemand hatte keine Ahnung. Im Hause saßen zufällig sämtliche Ministerialbeamte Wiens und keiner hatte eine Ahnung. Banhans bemerkte unter andern Beck, Beck Bleyleben, sie alleCwiklinski, und keiner hatte eine Ahnung. Zwar, daß der Abend eine besondere Weihe hatte, spürte jeder. Ging es doch um nichts Geringeres a!s um die Kriegsanleihe. Die Vorstellung stand im Zeichen. Sie fand als Festvorstellung in einem Rahmen statt, und schon ein anderer bedeutender Poet war vorher zu Worte gekommen :

Vor Beginn des Stückes hatte Herr Klitsch einen Kriegsanleihe- aufruf aus der Feder Heinrich Glücksmanns gesprochen, dem Herz- Kchkeit, feuriger Schwung und nicht in letzter Linie literarischer Geschmack nachgerühmt werden darf. St g.

Nachdem auf diese Art Wärme ins Haus gekommen war, stellte sich alsbald der Erfolg für den unbekannten Autor ein, der sein Inkognito abserlut nicht lüften wollte. Wiewohl niemand eine Ahnung hatte, erneuerte sich der herzliche Beifall nach allen Aktschlüssen. Der Regisseur konnte im Namen des Dichters danken, ohne ihn aber zu verraten. Plötzlich ging ein Gei um, und in einem Nachtrag zur Kritik, die sich von ihrem sachlichen Standpunkt durch derlei keineswegs ablenken ließ, wird von dem Gerücht Notiz genommen:

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Der Zuschauerraum machte htute einen ganz ungewöhnlichen Eindruck. Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, der gegen- wärtige Ministerpräsident und gewesene Minister- präsidenten, die Mitglieder des Ministeriums Seidler, viele Sektions- t-hefs, Ministerialräte und andere Mitglieder der hohen Bureaukratie waren anwesend. Über den Verfasser wurde im Saale folgen- des bekannt: Das Stück ist von Dr. Ernst Ritter von S e i d 1 e r vor vier oder fünf Jahren verfaßt worden, al s er Sekt ion s- chef im Acker bauministerium war, weit mehrMuße hatte und weniger mit Sorgen beladen gewesen ist als gegenwärtig. Das Stück enthält gar keinen Anklang an die Kriegszeit und an die großen und schweren Verhältnisse, die jetzt der Obhut des Doktor von Seidler anvertraut sind.

Müssen die Biamten aber paff gewesen sein! Er selbst saß drin, hatte natürlich auch keine Ahnung, daß sie grad heut ihm das Stück aufführen werden, und schon gar nicht, daß irgendeiner seiner Leirf! eine Ahnung haben könnte. Zufällig waren sie alle da, das traf sich großartig, und als es sich dann wie ein Lauffeuer verbreitete, daß das Stück vom Seidler sei, riefen alle wie aus einem Munde: »Da schau her, vom Seidler! Gratuliere Exlenz!» Das Lauffeuer drang bis zum Referenten für »Gesellschaftliches im Zwibchenakt«, der zum Glück anwesend war, und nur eine Stimme, die zufällig auch er vernahm, gab es, daß das Drama, wiewohl es historisch ist, selbstverständlich gar keinen Anklang an die Kriegszeit, nämlich an die Verhältnisse, die der Obhut unseres Seidler anvertraut sind, enthält, das hätte sich auch nicht gehört, weil es zu persönlich gewesen wäre. Also das muß man anerkennen: nicht die leiseste Anspielung auf Kohlen, Kartoffeln und derlei Ressorts. Bis zum Kritiker selbst aber, den kein Gerücht zu beeinflussen gewagt hätte, drang es nicht, er saß da und ließ das Werk auf sich wirken, spürte wohl den Ernst heraus, aber nicht den Seidler, hörte auf der Bühne nebst befreiendem Weinen herz- haftes Lachen im Publikum sämtlicher Rangsklassen war letzteres ge4Hßt und fand, was den Zusammenhang des Werkes mit großen und schweren Verhältnissen betrifft, daß es den tiefsten und reinsten Stimmungen nebbich, welche die kriegerische Gegenwart »ausgelöst« hat, entgegenkommt. Nichts brachte ihn

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auf die Vermutung, daß das Stück von einem höheren Funktionär sein müsse, nicht einmal der Umstand, daß es ein so entgegen- kommendes Stück ist. Das Parlament scheint bis dato auch keine Ahnung zu haben. Sonst hätte es sich wohl dafür interessieren müssen, ob ein Ministerpräsident gut tut, mitten in den großen und schweren Verhältnissen, die seiner Obhut anvertraut sind, unter Ausschüttung sämtlicher Ministerien, zuerst seine Tochter als Schauspielerin und dann sich selbst als Autor dem Staatsbürger vorzustellen, was an und für sich doch einen Übeln Anklang an die Kriegszeit ergibt, insbesondere aber als Verfasser eines Stückes, das den Titel »Durch Feuer und Eisen« führt und den tiefsten und reinsten Stimmungen der Gegenwart durch den Gedanken, daß es halt im Völkerleben auf die Macht ankommt, und durch Variationen über das Motiv »Gott strafe England« gerecht wird. Unter vielen anderen kann auch dieser Dichter von Glück sagen, daß ich nicht mehr ins Theater gehe. Ich hätte obstruiert, Zwischenrufe gemacht und, ohne das Massen- aufgebot von Biamten zu einem Jambendrama des Vorgesetzten als ein Privatvergnügen gelten zu lassen, die Herren aufgefordert, nach diesen im Schweiß ihres Angesichtes erledigten fünf Akten schleunig zu den noch unerledigten zu schauen!

Autor und Direktor

Vom 8. Februar 1918:

Demission der Regierung.

Nach 5 Uhr nachmittags machte der Präsident Dr. Groß dem Abgeordnetenhause folgende Mitteilung : Eingetretene Ereignisse machen eine Unterbrechung der Verhandlungen des Hauses not- wendig. Ich habe soeben von dem Herrn Ministerpräsidenten Dr. Ritter v. Seidler die Mitteilung erhalten, daß die Regierung Seiner Majestät ihre Demission überreicht hat

Direktor Wallner demissioniert. teilt uns

mit, daß Direktor Wallner dem Vereinsausschuß am 6. d. schriftlich seine Demission für den Schluß des zweiten Vertragsjahres angeboten habe.

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Von einem Mann namens Ernst Posse

Über die Ernennung les Barons Burian zum Minister des Äußern schreibt die >Köln. Zeitung«: Baron Burian ist ein zäher und erprobter Kämpfer, der als Vorgänger des Grafen Czernin, dessen Nachfolger er ist, seinen Mann gestellt hat. In erfreulicher Erinnerung sind noch seine Noten an Amerika, mit denen er der professionellen amerikanischen Ungezogenheit Wilsons heim- leuchtete und dem Selbslbeherrscher der Vereinigten Staaten die Lebensart beibrachte, die im Verkehr der zivilisierten Länder und ihrer amtlichen Behörden untereinander unerläßlich ist.

Ein Kronzeuge für die österreichische Regierung .

Um Cholm:

»...Auch der Präsident der Vereinigten Staaten hat in seinem öffentlichen Gedankenaustausch mit uns den Satz geprägt, daß Völker und Provinzen nicht von einer Staats- hoheit in eine andere herumgeschoben werden sollen, als ob es sich lediglich um Gegenstände oder Steine in einem Spiel handelte, daß also Veränderungen nicht ohne die Zustimmung der Völker vorgenommen werden sollen . . .

Der Seidler, ein Intimus Wilsons, scheint demnach im Aus- tausch dieselben Gedanken zurückzugeben. Der Krieg dreht sich nur noch um die bedauerliche Tatsache, daß auch die Völker an diesem Gedanken festhalten.

Ein Ausspruch

Der Kriegsminister erklärte: Was das feindliche Ausland

denkt, kann uns gleichgültig sein.

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Nimmermehr!

Der Leitartikler:

. . . Das deutsche Volk soll durch militärische Not zur Revolte veranlaßt werden, es soll sich mit seiner Regierung entzweien und es zu dem bringen, was in dieser Note die Selbst- befreiung genannt wird.

Allein das deutsche Volk wird sich nicht beugen und nicht brechen lassen

Auf Deutsch

Burian, der nüchterne Burian, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Opernsänger, der als Lohengrin anläßlich der Verabschiedung des Schwans Czernin sich einen Rausch angetrunken hat, darf sich schon am ersten Tage seiner Amts- führung nachsagen lassen, daß er deutscher fühlt als schreibt. War es nach dem kaiserlichen Handschreiben dem Grafen Czernin vergönnt, »mit in vorderster Linie« die ersten Friedensschlüsse vermitteln zu können, so will der Burian den Weg nicht aus dem Auge verlieren, auf dem jener grund- legende und wichtige Etappen zurücklegte«. Den Grafen Hertling aber bat er, Hochdieselben möchten >das Vertrauen und Entgegenkommen«, dessen sich sein Amtsvorgänger >in so hohem Maße erfreuen durfte«, auch seiner Person »entgegenbringen«. Denn »die Befestigung und der Ausbau« des und so weiter »bildete seit jeher die Grundlage« seines politischen Denkens und Fühlens, und er erachte es als seine vornehmste Pflicht, auf dieser unverrückbaren Grundlage auch fernerhin also auf der Grundlage des Ausbaues »we i ter- zubauen«. So führt diese babylonische Verwirrung einer und derselben Sprache, an der man jetzt ausschließlich das deutsche Wesen erkennt, zu dem Zweifel, ob der grundlegende Ausbau des Bündnisses wirklich identisch mit der grundlegenden Etappe zum Frieden ist und ob uns selbst ein entgegengebrachtes Ent- gegenkommen vor dem Schicksal bewahren wird, dem wir entgegengehen.

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Osterreich 1918

Zur Beaufsichtigung unsres Personals suchen wir einen

Reichsdeutschen der keine Arbeit scheut und wo notwendig, zugreift. Schrift- liche Offerten an Peter & Wannack, Neu-Purkersdorf, Post Tullnerbach I. 2490

Zur Beaufsichtigung unsres Personals suchen wir eine

Reichsdeutsche die keine Arbeit scheut und wo notwendig, zugreift. Schrift- liche Offerten an Peter & Wannak, Neu-Purkersdorf, Post Tullnerbach I. 2491

Eine neue Naturgewalt

Das Bündnis steht fest und die Depeschen der beiden Kaiser

haben den Ton eines Gelübdes. Am Tage von Armentieres wird Clemenceau erfahren, daß auch sein Text des Briefes gegen die Naturgewalt der Bündnispolitik nichts vermochte.

Fremdwörterschutz

Viel ist's ja nicht, was von all meinem Sehnen nach Abbau der Kriegsschande hier Erfüllung fand. Immerhin macht's ein Scherflein zur Wiederherstellung des Menschenverstands.

Wiederherstellung verdeutschter Fremdwörter

Wien. 20. Oktober. Der Chef des Generalstabes hat mit Erlaß Pers. Nr. 23.490 von 1917 verfügt: Seine k. u. k. Apostolische Majestät geruhten Allergnädigst anzuordnen, daß hinsichtlich jener eingelebten Fremdwörter, welche durch ungewohnte Neubildungen ersetzt wurden, der frühere Sprachgebrauch wieder herzu- stellen ist und daß eine Zusammenstellung der nunmehr wieder

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anzuwendenden Ausdrücke verlautbart werde, auf deren Gebrauch strenge zu sehen ist.

Es sind daher künftig im dienstlichen Verkehr und sinngemäß für alle Formen und Zusammensetzungen folgende Wörter anzuwenden: Adresse, Aspirant, Auto, Automobil, Bibliothek, Distanz, Generator, Hughes, Instruktion, Kuvert, Legitimation, Loris, Motor, Motorwagen, Organisation, Pare (Mehrzahl Parien), Photographie, Radio, Rezepisse, Rubrum, Telegraph, Telephon, Terrain, Urgenz. Etwaige Ergänzungs- anträge können eingesendet werden.

Bei dieser Gelegenheit wird aufmerksam gemacht, daß Abweich- ungen von der Geschäftsordnung durch Anlehnung an die deutsche Geschäftsordnung nicht statthaft sind. Weiter sind künftig gesuchte Neubildungen von Wörtern durch Aneinanderreihen von Anfangsbuchstaben oder Anfangssilben zu unterlassen.

Ohne daß ich je besonderen Wert auf die Erhaltung der Worte, ja Begriffe Aspirant, Instruktion und Rubrum gelegt hatte und ohne daß ich weiß, was Loris sonst noch außer einem Pseudonym für Hofmannsthal bedeutet, welchen Namen aus dem Kriegsverkehr zu ziehen gewiß auch wünschenswert wäre, und wie- wohl sich die Reihe jener Termini um weit kostbarere Fremdwörter vermehren ließe, die der deutschen Sprache, jawohl der deutschen Sprache ab 1914 durch den vorgeschriebenen Volkheitskoller (Nationalismus) gestohlen (requiriert) wurden, muß ich doch sagen, daß es ein sympathischer (anmutender) Erlaß ist. Wenn ich auch nicht weiß, was die deutsche Geschäftsordnung ist, so finde ich jedenfalls das Verbot, sich an sie anzulehnen, herz- erfreuend. Daß das Verbot der Aneinanderreihung von Anfangs- buchstaben im AOK (sprich Aokah) seinen Ursprung hat, ist geradezu rührend, ja das der Kuppelung von Wort- trümmern zu Geschäftszwecken möchte uns, die wir zwischen Berlin und Budapest ohnehin kaum mehr das nackte Sprach- leben fristen, von arger Bedrängnis befreien und uns vor der Ausbreitung von Kriegsseuchen wie der Miag und Ufa, von den tödlichen Anschlägen dieser Wafa und Iwumba, vor dem Hexensabbath einer Rohö und Gekawe bewahren. Der Übel größtes aber ist die Oezeg. Denn hierin ist Budapest und Berlin. Das Volk Schopenhauers, das die Welt als Wille und Vorstellung leichter zu regieren glaubt, wenn es eine Telegrammadresse

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aus ihr macht und diese womöglich noch Drahtanschrift nennt, und die ungarischen Handeljuden, die auch keine Zeit haben: das ist die Geistesfinna, deren Betrieb uns jene zur Straßenplage gewordenen Sprachschiebereien beschert hat und in einer trotz jenem Erlaß von der Heeresleitung protegierten »Sawerb« ihren Triumph erlebt. Während aber hier bloß der Plusmachersinn am Sprachminus arbeitet, ist bei der verbalen Ersatzwirtschaft der Stolz des blockierten Mitteleuropäers am Werke. Einer der stärksten Beweise für völkische Selbstbesinnung ist wohl, daß dieselben Leute, die ehedem höchstens zehn Prozent genommen hätten, gegenwärtig nicht unter 50 v. H. verdienen dürfen. Dieses gräßliche »v. H.« keine Abkürzung für Hofmannsthal wird aber nicht bloß von den Alldeutschen, sondern auch von den Antikorruptionisten angewendet, die den Preistreibern auf die Finger sehen und unter ihre ethischen Pflichten auch die sogenannte Sprachreinigung aufgenommen haben. Nun gibt es zwar wirklich Menschen, die »Anschrift« sagen können ich habe einmal auf der Reise im »Abteil« einen solchen gehört , aber zweifelhaft bleibt es wohl, ob je einer, und wenn er es ein Jahrzehnt lang zur Verblüffung der Leser schriebe, »vom Hundert« in den Mund nehmen würde. Die den Sprachersatz einbürgern und in knapper Zeit die letzten Fremdwörter »eindeutschen« möchten, wären kaum imstande, die Wortabteile, die sie schreiben, zu schlucken. Leider muß gesagt werden, daß auch die sozial- demokratische Publizistik wie den Hunden jetzt auch so manchem treuen Fremdwort die Existenz verargt und so wahr es ist, daß Hunde öfter von Menschen gegessen werden als ihnen »das Essen wegnehmen«, so haben in diesen notigen Zeiten die Sprach- reiniger mehr Sprachgut verzehrt, als die Fremdwörter je von der Sprache genommen haben. Ehrliche Leute und zu solchen zähle ich die sozialdemokratischen Schriftsteller sollten auf ein Interesse verzichten, in dessen Sphäre sie die Anrainer der letzten Menschenkategorie, nämlich der Alldeutschen sind, die durch keinen noch so großmütigen Verzicht auf Fremdwörter vergessen machen werden, daß sie die deutsche Welt um das eine, fluchwürdigste: »Annexionen« bereichert haben. Wäre Sprache eine Addition von Wörtern, so ließe sich ja aut

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die Untersuchung von Gewinn und Verlust eingehen. Aber die Sprachreiniger wissen nicht einmal, daß es nicht die Sprache ist, was sie reinigen. Ich lasse mich gern auf die Prüfung ein, ob ein Aufsatz, den ein solcher in lauter garantiert deutschen Vokabeln schreibt, mehr von deutscher Sprache haben wird als einer von mir, der nur aus Fremdwörtern besteht!

Sawerb

der Todeslaut der Menschheit.

Der am Freitag stattgefundene Kinoabend der Werbe- abteilung der S a s c h a-F i 1 m f a b r i k machte sowohl der Idee als ihren Veranstaltern alle Ehre. Zahlreiche Person lichkeiten der Wiener Gesellschaft, unter anderen Kriegsminister v. Stöger-Steiner, die Sektionschefs . . der Generaldirektor . . der Kommandant des Kriegs- pressequartiers . . Exner . . Generaldirektor . . die kaiserlichen Räte . . Generalsekretär . . Regierungsrat Neumann, General- sekretär . . wohnten der Vorstellung biszum Ende bei und äußerten sich in sehr anerkennenswerter Weise über die höchst gelungenen Aufnahmen, die alle unter der Leitung des Direktors Reich der S a w e r b hergestellt wurden.

Den Anfang machte höchst eindrucksvoll ein Auszug aus dem großen Film der P o 1 d i hütte höchste Bewunderung.

. . Konserven . . W e t z 1 e r . . Kiralyhida die Her- stellung der Haubitzen und der 42-Zentimeter-Geschosse, das Verladen von großkalibrigen Minenwerfern ungeahnten Einblick in die Welt des unermüdlichsten Schaffens

Winterbilder vom Semmering ManfredWeiß A.-G. in Budapest. Es muß gleich gesagt werden höchste Stufe Die Bewunderung dieses Films äußerte sich auch allgemein und Chef der Sascha-Filmfabrik Graf Kolowrat und der Direktor

der Werbeabteilung Herr Reich wurden allgemein beglückwünscht

vom Zerschlagen der Glocken bis zur Herstellung derlnfaruteriepatronenein großer Teil der Fabrikationszweige gezeigt wurde. Man konnte sehen, wie die Glocken ihre Umwandlung zum Kupfer erfuhren und wie aus diesem das Messing entstand, wie aus Eisenabfällen wieder Stahl wurde, aus diesem die Artilleriegeschosse bis zu ihrer gänzlichen Vollendung. Trotzdem der Film etwas länger war als die anderen, konnte man

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deutlich bei den vielen anwesenden Fachleuten bemerken, daß er das Interesse im höchsten Grade wachhielt.

Als Abschluß der Industriefilme wurde uns von derSchaf- schur bis zur Marschkompagnie der ganze Werdegang

einer Soldatenmontur gezeigt Wilhelm Beck & Söhne

begannen mit einer landschaftlich reizendenSzene

ausderSchafzucht bis zur Übernahme des fertigen Tuches im k. u. k. Monturdepot und von dort wieder zurück in die Kon- fektionsfabriken. Wir konnten sehen, wie die höchste Aus- nützung der menschlichen Leistung durch die genial erdachte Maschine erzielt wird

Als Schlußpunkt und was Bildschönheit anbelangt, auch als Glanzpunkt des Programms gelangte der Film Budapest zur Aufführung und entließ das zahlreiche und dankbare Publikum mit dem Gefühl, daß hier eine Arbeit geleistet wurde, zuweicher wir uns als Österreicher stolz b e k e n n e n d ü r f e n.

Bitte, ich nicht! Atembeschwerden. Singultus. Heißt Sawerb. Chef ist Graf. Von der Schafschur bis zur Marschkompagnie. Vom Zerschlagen der Glocken bis zu ihrer Vollendung als Infanteriepatronen. Ach, sie erfuhren es! Vom Idyll bis zum k. u. k. Monturdepot. Von Watteau bis Manfred Weiß A.-G. Poldihütte. Budapest. Kiralyhida. Semmering. Wetzler. Konserven. Haubitzen. Generaldirektoren. Generalsekretäre. Generale. Der Weiß heißt Manfred. Ein Kolowrat heißt Sascha. Wird von Neumann beglückwünscht: Servus Sascha! Ganz recht geschieht ihm. Glanzpunkt gelangt anbelangt Kann nicht weiter. Sehe Blut von Millionen. Millionen von Blut. Sawerb

Die Entschädigten

Die Blinden haben's gut. Nicht nur weil sie nicht lesen können, daß auch die Bankdirektoren Leitner und Fischl anwesend waren, als es galt, der Neuen Freien Presse für ihre aufopfernde Sammeltätigkeit zu danken. Sie ahnen nicht, wie viel Leute aus dem Grund in die Zeitung kommen, weil

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sie blind geworden sind. Leider ist ihnen dadurch auch die Tat- sache entgangen, daß ein Kommerzialrat bei dieser Gelegenheit ein Gedicht von Ottokar Kernstock vorgetragen hat, dessen Tendenz es ist, die Blinden einigermaßen für ihr Los zu entschädigen, wiewohl sie eigentlich schon dadurch entschädigt sind, daß der Kommerzialrat geadelt wurde. Kernstock versichert also, daß den Armen, die >die roten Rosen und die gelben Halme« nicht schauen dürfen, >des Mitleids allererste Palme< gebührt. >Drum bangt nicht, Österreichs blinde Schwertgenossen, weil euch der Quell des Sehens ausgeflossen«, mahnt der Dichter die Blinden. Aber auch den andern Invaliden wird insofern eine Entschädigung zuteil, als Kernstock ihnen nachrühmt, daß sie>geschmückt mitWunden und mit Ehren in die geliebte Heimat wiederkehren«. Kein Zweifel, sie würden, wenn der Weltkrieg noch einmal von vorn anfangen sollte, sich gar kein anderes Schicksal wünschen. Die Lahmen nicht und nicht die Blinden. Fraglich bleibt nur, ob auch die sehenden Dichter und die beweglichen Kommerzialräte in solchem Falle bereit wären, mit ihnen zu tauschen.

Rassenunterschiede

In Rom werden die Verwundeten zur Aufpeitschung der Kriegslust durch die Straßen geführt. In Berlin werden sie von Mitgliedern der Vaterlandspartei geprügelt. In Wien wirken sie in Theatervorstellungen mit.

Unterricht

Man unterscheidet zweierlei Material, das Munitionsmaterial und das andere, welch letzteres auch >rollende Ersätze« genannt

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wird. »Die Abnützung des Materials ist eine enorme«, sagte der Kriegsminister. Nämlich so:

Die lange Dauer des Krieges warf ja auch die bisher landläufigen Anschauungen über eine Maximalzahl von zu leistenden scharfen Schüssenaus einem Geschützrohre (der sogenannten »Lebensdauer« der Rohre) über den Haufen.

Ich muß gestehen, daß ich mir darüber, also über die Lebensdauer eines Rohres, nie eine Anschauung gebildet hatte. Ich war da wirklich ganz unvorbereitet. Jetzt weiß ich schon einiges.

Gut getroffen

Selbstbildnis. Zeichnung von Leutnant F. F. Brockmüller, Westfront.

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Die überlegene Wirkung unserer Gase

der deutschen:

Berlin, 25. Febr. (Wolf f.)

Der Aufruf des Genfer Roten Kreuzes mag von gutem Willen eingegeben sein. Er rechnet aber nicht mit den Tatsachen. Selbstverständlich ist die An- wendung jedes Kampfmittels zu verwerfen, das überflüssige Leiden schafft. Das tut das Gas aber nicht. Es ist vielmehr ein Kriegs- mittel geworden, das wie andere de 1 Gegner außer Gefecht zu

setzen sucht Wäre es nicht

ein unverantwortliches Versäumnis der deutschen militärischen Behörden gewesen, wenn sie nicht auch ihrerseits dieses Kampfmittel entwickelt hätten? Für den Schwächeren wird also die Propaganda gegen die betäubenden Gase ein will- kommenes Mittel zu dem Versuch sein, dem Stärkeren eine wirk- same Waffe aus der Hand zu schlagen. Es wird be- hauptet, militärische Kreise der Entente stehen dem Aufruf sym- pathisch gegenüber. Sollte das nicht einZeichen für die überlegene Wirkung

unserer Gase sein?

Wir Deutschen begrüßen alleVersuche, dem Völker- recht und der Mensch- lichkeit zum Siege zu verhelfen, mit Freude, wir lehnen es aber ab, uns übertölpeln zu lassen. Der Entwicklung der Angelegen- heit sehen wir mit Ruhe und gutem Gewissen entgegen.

Wie man sieht, sind die Gase einander überlegen. Die links aber wirken wohl noch mit einer größeren Kraft der ehrlichen

der englischen:

L o n d o n, 25. Februar.(R e u t e r.) Im Unterhaus fragte ein Abge- ordneter, ob etwas Wahres an der Meldung sei, daß die deutsche Regierung durch neutrale Kanäle die Anregung gegeben habe, daß der Gebrauch von giftigen Gasen verboten werden sollte, und ferner, ob und welche Stellung die englische Regierung zu diesem Vorschlag einnehmen wolle.

Minister Bonar Law antwortete, daß die deutsche Regierung keine derartige Anregung, gleich- viel in welcher Weise, gegeben habe. Ein anderes Mitglied fragte an, ob Bonar Law endgültig erklären wolle, daß die britische Regierung während des Krieges auf die Verwendung giftiger Gase nicht verzichten wolle, und ob es nicht Tatsache sei, daß England bessere Gase und bessere Schutz- maßnahmen gegen die deut- schen Gase besitze, was der Grund für ihre Be- schwerde sei.

Minister Bonar Law entgegnete, er wünschte ebenso wie der Vorredner davon überzeugt sein zu können, daß falls die Deutschen jemals einen solchen Vorschlag machten, sie dies nur tun würden, weil sie glaubten, nicht ein besseres Gas zu besitzen. Er sei aber nicht sicher, daß es sich nicht um einen Akt Täuschung handelt.

bloß der

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Überzeugung. Ein Gas ist doch kein Gift? Und wäre es eines, und das allerfurchtbarste, so schafft es doch gewiß keine über- flüssigen Leiden, indem es ja den Gegner sofort außer Gefecht setzt. Denn wir Deutschen wollen nichts anderes, a!s dem Völkerrecht und der Menschlichkeit na was denn nur, nun ja: zum Siege verhelfen. So haben wir denn das Kampfmittel entwickelt und sehen der Entwicklung der Angelegenheit, also der Entwicklung unserer Gase mit gutem Gewissen entgegen.

Wir Deutschen begrüßen alle Versuche, dem Völkerrecht und der Menschlichkeit zum Siege zu verhelfen, mit Freude, wir lehnen es aber ab, uns übertölpeln zu lassen

Ich kann nur danken und bewahren. Nie wäre es mir gelungen, die welthistorische Physiognomie dieser verfolgenden Unschuld so herauszubringen.

Mit G.

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Ein Wunder

■der Technik :

Der .Secolo' berichtet aus Rom: Am Sonntag fielen Tausende von Aufrufen v o m H i m m e 1, die zur Zeichnung der Anleihe ein- luden. Sie kamen von fünf Flugzeugen, in denen sich auch der Unterstaatssekretär für das Flugwesen, Chiesi, der Unterstaatssekretär des Schatzes, Bisacchi, und der Generaldirektor des Schatzamtes

befanden.

*

Biblisches

... die Rede des englischen Premierministers Lloyd-George zeigt, daß, wie der badische Thronfolger in der Ersten Kammer gesagt hat, das Moratorium der Bergpredigt noch nicht aufgehoben sei und die Blutopfer noch weiter gefordert werden. Das Wort, das dem Schlachtbankier so gut gefällt, hat der Prinz von Baden folgendermaßen zitiert:

. . . überall wird man des Moratoriums der Bergpredigt müde. Der eben verstorbene Christ Sir William Byles, der diese furcht- baren Worte vom Moratorium derBergpredigt, das heißt von der Außerkraftsetzung sprach, dachte dabei nicht an die unvermeidlichen Schrecken auf dem Schlachtfeld, sondern an die heidnische Sinnesart ...

Und weder der Prinz von Baden noch Sir William Byles dürften daran Gefallen finden, daß jener in der Zeit, da das Moratorium der Bergpredigt noch nicht aufgehoben ist, bereits wie folgt die Erlösung findet:

Großkapital

gesucht.

Wir benötigen Kapital für die in großartigem Maßstab

zu betreibende Herstellung der

Messiasräder

eine in allen Ländern patentierte Erfindung auch im

Frieden

sind berufen, die Gummireifen aus der Industrie endgültig zu verdrängen, so daß ihre fabriksmäßige Herstellung den Erzeugern voraussichtlich einen unabsehbaren Gewinn sichern wird. Probe mit 4 Messiasrädern auf einem 120 HP. Automobil glänzend gelungen. <3efl. Anträge unter »Messiasräder 64771« an die Annoncen- Expedition Josef Schwarz, Budapest, VI. Andrässy-ut 7, erbeten.

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Mein Ehrenwort, daß das nicht von mir ist

sondern in der Wiener Allgemeinen Zeitung, Organ des Aus- wärtigen Amtes, vom 12. März 1918 zu lesen war:

Künstlerbühne Ronacher.] Der aufregende Sketch »Morphium«, dessen Hauptrolle Rudolf Schildkraut allabendlich an der Künstler- bühne Ronacher auf Grund seiner an Nervenkliniken vorgenommenen Studien an Morphinisten mit erschütternder Lebenswahrheit zur Dar- stellung bringt, erhält das Publikum in höchster Spannung. Die Charakterisierung des im Morphiumrausch zum Gattenmörder gewordenen Barons gelingt dem Künstler in so meisterhafter Weise, daß die Zuschauer während der Aufführung des Einakters völlig in den Bann der Vorgänge auf der Bühne gezwungen wurden. Dieser Tage wurde ein Budapester Gast, der Kaufmann v. Pantz, von der Maske und dem Spiel Schild- krauts derart ergriffen, daß er ohnmächtig aus dem Saal getragen und vom Theaterarzt Dr. Heitier gelabt werden mußte. Am Samstag ereignete sich ein ähnlicher Zwischenfall. Ein Techniker geriet in Ekstase, wollte sich aber nicht dazu bequemen, den Saal zu verlassen, ehe der Vorhang gefallen war. Der junge Mann, den die Kunst Schildkrauts in so hohem Maße hin- gerissen hatte, erholte sich dann rasch und wohnte dem Rest der Elitevorstellung bis zumSchlussebei.

Höher dürften wir's kaum mehr bringen. Fs erklärt am Ende auch den Weltmord und alles. Ein Techniker geriet in Ekstase.

Die große Kanone

oder

Beweis gegen Barbarentum

Die Beschießung von Paris

Aus der großen Kanone in der Entfernung von hundert- zwanzig Kilometer.

Die Wirkung der großen Kanone wird in Paris ge- heimgehalten. Wir können nur aus einzelnen Mitteilungen schließen, daß sie einen sehrstarken Rückschlag auf dieStimmung hatte. . . .

. . . Aber diese Kanone hat noch etwas Besonderes. Der Gegner, der immer als Barbar geschildert wird, zeigt plötzlich ein technisches Leistungsvermögen,

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das alle bisherigen Vorstellungen von der Macht des Menschen über die Natur ändert und beinahe umwirft . . , . Die Kanone ist vielleicht psychologisch im jetzigen Feldzuge wichtiger als militärisch. In künftigen Zeiten mag ihr eine noch höhere Bedeutung vorbehalten bleiben.

Übrigens gehen die Ansichten auseinander, ob es bessei ist, daß die große Kanone, die wie man sieht wirklich etwas Besonderes hat, aus einer Entfernung von 120 Kilometern oder nur aus einer Entfernung von 100 Kilometern geschossen hat. Im ersten Fall ist die Kanone leistungsfähiger, im zweiten sind die Deutschen näher an Paris. Da wird einem die Wahl schwer. Man müßte die Pariser fragen, aber vor denen wird eben die Wirkung geheimgehalten. Sie wissen noch nicht, daß die Deutschen keine Barbaren sind.

Der Praeceptor Gcrmaniae

Berlin, 29. Jan. (Wolff.) In einer Ansprache, die der Chef des Hauses Krupp, Dr. Krupp von Bohlen und Halbach, zur Feier des »eburtstages des Kaisers an seine Beamten und Arbeiter hielt, sagte er u. a.: »Nach der schnöden Abweisung unseres, in der Sicherheit des vollsten Kraftgefühles abgegebenen Friedensangebotes wußte das deutsche Volk zu Anfang des vorigen Jahres, daß das Schwert doppelt geschliffen und die Büchse doppelt geladen werden mußte. Das ist 1917 geschehen. Allerorten regte es sich in deutschen Landen, wie es noch nie vorher gesehen worden war. Gewaltige Bauten schössen w i e P i 1 z e aus dem Boden. Sie haben ja hier in Essen unsere gewaltigen Hindenburgwerkstätten vor Augen, die an Ausdehnung alle bisherigen bei weitem überragen. Die Schätze der Erde wurden gehoben, und wo unserer Gegner schadenfrohes Grinsen Mängel und Fehler zu wittern glaubte, häuften sich Lager und Bestände. So wurde aus millionenfachem Zusammenarbeiten Großes erreicht, das den Größten unseres Volkes als Pflicht und Ziel erschienen war die Erfüllung des Hindenburgprogramms. Damit ist die Sicherung unserer kämpfenden Brüder durch Schild und Waffe selbst den Erzeugnissen dei ganzen Welt gegenüber gewährleistet.«

Ganz abgesehen davon, daß der Deutsche beim Wort »Essen« Vorstellungen hat, die ihm der Gedanke an den Herrn

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Krupp doch nur sehr unvollständig befriedigt, und lieber schon sehen würde, daß aus dem deutschen Boden Pilze wie gewaltige Bauten schießen statt umgekehrt, wobei es aber anerkennenswert ist, daß ein geistiger Führer des Deutschtums, wenn er vergleichsweise sagt, daß etwas aus dem Boden schießt, doch noch an die Pilze denkt statt an die Maschinengewehre, die er erzeugt ganz abgesehen davon muß man zugeben, daß dieser Cheff des Hauses Krupp wirklich das romantische Bedürfnis der deutschen Seele tadellos effektuiert. Daß er selbst der Erzeuger des doppelt geschliffenen Schwertes und der doppelt geladenen Büchse und somit an der schnöden Abweisung von Friedensangeboten einiger- maßen interessiert ist, hindert ihn nicht nur nicht daran, den Feind zu verunglimpfen, sondern auch die Konkurrenz schlecht zu machen. Aber es geschieht immerhin in der Sprache, die der Auseinandersetzung moderner Mordindustrien den Charakter des Turniers wenigstens auf deutscher Seite sichert, wo man mit Schwert und Büchse, Schild und Waffe, also recht- schaffenen mittelalterlichen Erzeugnissen, ernst aber zu- versichtlich den feindlichen Flammenwerfern, Gasgranaten und so Waren gegenübersteht und dennoch leistungsfähig bleibt.

Lionardo da Vinci

ist der Erfinder des Unterseeboots. Er schrieb :

> wie und warum ich nicht meine Art schreibe, unter dem Wasser zu bleiben, solang' ich bleiben kann . . ; und dies veröffentliche ich nicht oder erkläre es wegen der bösen Natur der Menschen, welche Art sie zu Ermordungen auf dem Grund des Meeres anwenden würden, indem sie den Boden der Schiffe brächen und selbige mitsamt den Menschen versenkten, die drinnen sind «

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Das technoromantische Abenteuer

Ich für meinen Teil war von Beginn dieser Aktion der Ansicht, daß der Kopfsturz der Menschenwürde von einem Gehirn- bazillus verursacht ist, dem nur die ihm selbst verfallene Wissen- schaft bislang nicht auf die Spur kommen konnte. Der Eindruck, daß die ganze aktiv und passiv am Opfer beteiligte Gemeinschaft aus spezifischen Tollhäuslern besteht, wird nicht so sehr durch die täglich gesteigerte Rapidität des Entschlusses, sich in Schmach und Schuld zu stürzen, bewirkt als durch die totale Fühllosigkeit im Angesicht der geistigen und ethischen Kontraste, zwischen denen sich dieses Schauerdrama abspielt. Man würde glauben, daß vorder Systematik der Fügung, daß allstündlich Gerechte den Tod in Feuer, Wasser, Erde oder Luft erleiden und in der gleichen Stunde ein Mann von der Engadiner Sonne beschienen wird, der als Zeichen seiner Zugehörigkeit zu einem »Bob« auf seinem Hanswurstkostüm die Aufschrift »The Tank« trägt; daß vor allen ständig geschauten oder gehörten Gegensätzen die Erkenntnis von der Schnödigkeit des ganzen Unternehmens zu einem Weltschrei aufbrechen müßte. Aber mehr noch als durch die Selbstverständlichkeit einer ungerechten Einteilung, vermöge deren es eine Protektion vor dem Tod und einen Loskauf vom Martyrium gibt und vermöge welcher selbst die Erinnyen, die diese Menschheit an ihre Fersen geheftet hat, prostituiert wurden, mehr noch wird durch ein anderes Moment das Bild des hirnzerfressenen Zeit- alters vollständig. Das ist jener Zustand einer Epoche, in dem sie die Konkurrenz der heterogensten Zeitcharaktere, die sich in ihr begegnen, erleidet, aber nicht mehr spürt. Das Phänomen, das ich in der Richtung des siegreichen Untergangs wirken sehe, ist das der »Gleichzeitigkeit«. Die Unmittelbarkeit des Anschlusses einer neuzeitlichen Erfindung, wonach mit einem Griff die Vergiftung einer Front und weiter Landstriche hinter ihr möglich ist, an ein Spiel mittelalterlicher Formen; die Verwendung einer verblichenen Heraldik im Ausgang von Aktionen, in denen Chemie und Physiologie Schulter an Schulter gekämpft haben das ist es, was die Lebewesen rapider noch hinraffen wird als das Gift selbst. Wenn der Aufruf des Genfer Roten Kreuzes fragt:

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Soll der Sieg sich in Schimpf und Schande wandeln, weil er nicht mehr der Tapferkeit, dem ehrlichen Kampf der Landeskinder zu danken sein wird? Soll der Gruß an den heimkehrenden Krieger nicht mehr dem Helden gelten, der ohne Zögern sein Leben für sein Vaterland in die Schanze schlug, sondern lediglich dem Mann, der sich ohne persönliche Gefahr seiner Feinde mittelst Gift entledigt hat unter fürchterlichsten Leiden seiner Opfer?

so ist zunächst zu sagen, daß speziell der deutsche Gott nicht nur in einer Gaswolke daherkommt, sondern auch aus der Maschine; daß auch an dem Zufall eines Minentreffers, einer Luft- bombe oder eines Torpedos, überhaupt an allen gegen die Quantität oder den unsichtbaren Feind gerichteten Aktionen Tapferkeit und ehrlicher Kampf deinen Anteil haben, an der Bewirkung nicht und nicht an der Erwartung; daß dem Mangel an Tapferkeit bei dem bewirkenden Teil eine Fülle von Martyrium beim erwartenden Teil entspricht; daß die eben hier berufene Schanze, in die man sein Leben für das Vaterland schlägt, zu jenen Kriegsbehelfen gehört, die heute am seltensten zur Verwendung gelangen, und daß vollends das Schwert seit jener historischen Reichstagsitzung vom 4. August 1914 in diesem Krieg überhaupt nicht mehr gezogen wurde. Ferner wäre beiläufig zu erwähnen daß die unsterbliche Ideologie, die sich auf den hero- ischen Begriff stützt, gelegentlich einmal, selbst wenn sie nicht im Anblick der neuzeitlichen Methoden sich problematisch vorkommen müßte, darüber nachdenklich werden könnte, ob denn auch der alte Krieg schön genug war, um die Herzensbildung von Generationen darauf einzurichten; ob denn die auf die Fortschritte der Technik kühn verzichtende Auseinander- setzung der Muskelkräfte just die edelste menschliche Betätigung vorstellt, und ob der seibst heute noch hin und wieder geübte ehrliche Kampf der Landeskinder, der darauf beruht, daß ein Landeskind dem andern in die Rippen sticht oder pollice verso behutsam die Augen zudrückt, die würdigste Grundlage der jahrhundertealten Erziehung zu vaterländischen Idealen geboten hat. Immerhin wäre es noch immer eine sittliche Aufgabe, den Kindern beizubringen, daß das Handgemenge vor dem Meuchelmord einen Ehrengrad voraus hat, und gar erst vor jenem, dessen anonymer Urheber sein Opfer in der anonymen Quantität findet. Was aber die Gase anbelangt, so ist freilich

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die begriffliche Distanz zwischen dem Instrument und der von ihm bezogenen Glorie die größte und schauerlichste, und was das Rote Kreuz hier, ach so vergebens, fühlt, ist von mir wiederholt und zuletzt durch die Erwägung der Möglichkeit ausgesprochen worden, jede Armee, die giftige Gase anwendet, wegen eines Verhaltens vor dem Feind, welches doch nach alt- militärischem Ehrbegriff das Gegenteil von Tapferkeit ist, aus dem Armeeverband zu entlassen. Im Wortspiel von einer chlor- reichen Offensive ist schließlich dieser ganze abominable Kontrast endgiltig abgebunden. Ein Kalauer könnte dieses Chaos bändigen, aber alles fernere Grauen durch die Vorstellung beschwichtigt werden, daß man die Wirksamkeit der beiderseitigen Chemie, anstatt sie an den Körpern der hunderttausende unschuldigen Laien zu erproben, durch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung der Laboratorien erweisen möchte. Seitdem sich die Tapferkeit mit der Technik eingelassen hat, hat sie vergessen, daß die Quantität immerhin die Grenze des Irrsinns hat und daß einmal der Punkt erreicht sein muß, wo das Vorwalten unmilitärischer Kräfte so deutlich wird, daß ihnen die Austragung des Wettstreites schicklicherweise überlassen werden müßte, auf eine Art nämlich, die die gleichzeitige Förderung staatlicher Machtinteressen, also die Vernichtung von Menschen- leben, ausschließt. Denn wenn man die menschliche Stimme, also auch das Kommando, auf Entfernungen wie Berlin-Wien übertragen kann, warum sollte es der Technik, die das Wunder von heute zur Kommodität von morgen macht, nicht möglich sein, einen Apparat zu erfinden, durch den es mittelst einer Druck-, Umschalte- oder Kurbelvorrichtung einem Militäruntauglichen gelingen könnte, von einem Berliner Schreibtisch aus London in die Luft zu sprengen und viceversa? Wenn Patriotismus die Hoffnung auf das Gelingen eines Gasangriffes ist und Hochverrat das Grauen davor wobei ich zum Beispiel einer der größten Hochverräter aller Schlachten und Zeiten bin , so kann der tödliche Humbug, ohne daß die Menschheit zugleich an Lächerlichkeit zugrunde geht, unmöglich anders als durch den Vorschlag beigelegt werden, die gegen- seitigen Erfindungen auf theoretischem Wege abzuschätzen und statt der f-'eldherrn wieder die Techniker zu Ehrendoktoren zu machen, meinetwegen zu solchen der Philosophie. Das Miß-

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Verhältnis zwischen der Tat und der mitgeschleppten Ideologie: davon allein kommt diese entsetzliche Gasluft, in der wir glorios ersticken. Eine bunte Tracht und die Pflicht, angesichts de; Vorgesetzten die Hand an die Stirn zu führen, und alles, was sonst damit zusammenhängt und vor dem Tod noch alles verlangt wird es mögen vortreffliche Gewohnheiten und Einrichtungen sein: nur, was sie gerade mit der neuzeitlichen Art des Sterbens zu schaffen haben, inwieweit sie sie fördern oder verhindern könnten das eben ist unerfindlich ! . . . Diesem ganzen Chaos von Begriffen, Pflichten, Leiden, Anforderungen, in das sich ein auch vordem nicht lastenfreies Leben kopfüber gestürzt hat, wächst hier eine Realität als Symbol zu. Wer, dereinen Beiwagen der Wiener Straßenbahn auch nur von fern betrachtet, hätte noch Hoffnung? Dieser Haufen von Schmutz und Elend, in dem das Menschen material in einer Art zusammengeknäult ist, bei der es auf die individuelle Zuteilung der Gliedmaßen kaum mehr ankommt man halte dies Bild fest und frage sich nun, ob dafür >Disziplin< noch Raum ist und gar für einen »Kontroll- dienst«, der feststellen soll, ob sie verletzt ward, indem Landstürmer, alte Landstürmer »vor mitfahrenden Offizieren nicht aufstehen oder ihnen nicht Platz machen«. Denn »die mitfahrenden Zivilpersonen nehmen dies selbstredend wahr und äußern sich auch über dieses disziplinlose und herausfordernde Benehmen der Mannschaft«. Dies aber hat kein Höllenbreughel erfunden. Der Teufel selbst, wenn er es sähe und hörte und schon eingequetscht drin stünde, allen Folgen der Seifenknappheit ausgesetzt, er hörte doch nichts als den selbstredenden Jammer der Menschheit und dazu eine arme Frauenstimme, die ihm beständig zuruft: »Bitte vorgehn! Jemand noch ohne Fahrschein? Vorgehn, bitte vorgehn!« Und der Regen regnet jeglichen Tag, und wieder drängt ein Troß aus Wallensteins Lager an, und jetzt pressen sie Tornister und Rucksäcke hinein, und dennoch hat der Gedanke noch Platz, der uns alle beherrscht, weil wir im unerforschlichen menschlichen Ratschluß gefunden haben, daß das Leben mit Not, Tod, Kot viel schöner ist. Aber halt, wenn noch Platz für Disziplin ist, so reichts auch noch für den Ehrbegriff. Die arme Stimme hat einem, der nicht vorgehen wollte, wiewohl er ein Hauptmann war, zugerufen, daß er keine Bildung nicht habe, denn sie

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wußte nicht, daß er ein Hauptmann war, weil er als solcher nicht bezeichnet war, sondern Zivilkleidung trug. Trotzdem erhielt er von der vorgesetzten Behörde den Auftrag, die Klage einzubringen. Sie hatte »Vorgehn!< gerufen, er aber rief, er wolle »den Platz nicht verlassen«. So hätte sie merken müssen, daß die Zivilkleidung nur ein Schein war. In der Verhandlung sagte sie, so etwas sei ihr, die »im Kriege in der Elektrischen an vieles gewöhnt sei< sie meinte aber den Weltkrieg , noch nicht vorgekommen. Der Hauptmann fragte sie erregt, ob sie ihn, da er in Zivil war, wohl für einen Drückeberger gehalten hätte. Sie erwiderte, solche Gedanken lägen ihr fern, denn »was hat der Krieg mit der Elektrischen zu tun?« Der Richter verurteilte sie, denn der Zivilist war ein Militär. All das gibt es, während es all das gibt! Auf einer Flucht rief einer, der zu befehlen hatte, einem der zu gehorchen hatte und dem ein Knopfloch offen stand, aus dem Automobil zu: »Sie dort JEquipieren Sie sich!« Und viele, die nicht mehr fliehen konnten, lagen in der Drina. In einem Krakauer Spital werden mit solchen, die an einer Gasvergiftung darniederliegen oder von einem Bauchschuß soweit hergestellt sind, Salutierübungen gemacht. Wunder über Wunder! Es sind die alten Ornamente zum neuen Wesen des Todes. Aber da dieser, frisch aus der Retorte entsprungen, noch keine neuen erfinden konnte, so kann die Macht der alten Ornamente nicht entbehren. Denn nicht allein dulce, auch decorum muß es sein! Nur daß die Macht den neuen Tod zu ihrer Erhaltung braucht, nur daß die alte Herrschaft nicht lieber abdankt, als ihre Stellung der Chemie zu verdanken, daß die Insignien auf die Chemikalien angewiesen sind das ist es, was unsere siegende Kultur unrettbar dem Gifttod geweiht hat. Die Menschheit, die ihre Phantasie an die Erfindungen verausgabt hat, kann sich deren Wirksamkeit nicht mehr vor- stellen — sonst würde sie aus Reue eben damit Selbstmord verüben! Aber da sie auch ihre Menschenwürde an die Erfindungen verausgabt hat, so lebt und stirbt sie für alle Macht, die sich solches Fortschritts gegen sie bedient. Die Unvorstellbarkeit der täglich erlebten Dinge, die Unvereinbarkeit der Macht und der Mittel, sie durchzusetzen, das ist der Zustand, und das technoromantische Abenteuer, in das wir uns eingelassen haben, wird, wie immer es ausgeht, dem Zustand ein Ende machen.

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Für Lammasch

Die politisch-geistige Gaswelle, der wir uns überlassen haben und die uns heillos in die ver- kehrte Richtung treibt, kann nicht verhindern, daß reinere und im tieferen Sinn patriotische Herzen unverändert und mit jeder Stunde nur noch inbrün- stiger das fühlen, was zu sagen manchmal verpönt ist. Allzuviele in diesem Lande, das so gern sein Wesen zum Opfer bringt, sind es nicht. Wenige sind es, die den Inbegriff eines gutgearteten Österreicher- tums bilden und den einzigen Schatz, der uns der Welt als dem Absatzmarkt innerer Werte die Pofelware scheint auf ihn definitiv verzichten zu wollen fürder empfehlen könnte. Aber zu diesen, deren Bild im Gasdunst so getrübt wird, daß Verdienst als Schuld und Treue als Verrat erscheint, gehört der Hofrat Heinrich Lammasch, den Weisheit und Leidenschaft mehr als die Pairswürde zieren, dessen Vorzug es ist, sich im Verkehr mit Historikern, Zeitungsreportern, Berufspolitikern und ähnlichen Parasiten am Geiste und am Blute jene Blöße zu geben, die seine Menschlichkeit ist, und der, wie die Neue Freie Presse meint, das Unglück gehabt hat, »in Widerspruch zu den Ansichten des Blattes gekommen zu sein«. Man wird mich, der in den unvergessenen Tagen, da die" echten Belgrader Bomben noch mit falschen Wiener Doku- menten gefüllt waren, ohne politischen Befähigungs- nachweis, bloß aus dem Anschauen und Anhören der einander gegenüberstehenden Parteien, die kommen- den Dinge so klar vorausgewußt hat, daß sich heute mein damaliger Aufsatz als das Ultimatum der Menschenwürde an eine kriegstolle Politik liest

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man wird mich der Pein überheben, die vorbild- liche geistige Bescheidenheit dieses Herrn Friedjung auch noch für die neueste Rettung des Kapitols darzutun. Dieser wandelnde Tonfall der Plattheit, dieses als Rest der Bundestreue noch vorrätige Öl der Beredsamkeit nein, nur die äußerste Kriegs- not des Geistes hat es möglich gemacht, daß so etwas wieder in unsere Hörweite zu treten wagte. Und dennoch wie kann dieses Land selbst in der trübsten Stunde seiner Selbstvergessenheit es dulden, es ertragen, daß solch ein etwas mit einem lebendigen Menschen wie Lammasch konfrontiert wird? Daß ein rückwärts gekehrter Reporter, der sich deshalb Historiker nennt und dessen Brauchbarkeit es überschätzen hieße, wenn man ihn in allen Sätteln ungerecht nennte, da sein Offizium immer nur der Kampf um die Vorherrschaft der Langeweile gewesen ist daß ein schlechter Offiziosus ernst- haft als sittlicher Widerpart eines Mannes in Betracht kommt, dessen Herz und Kopf in diesem Krieg nicht umgesattelt haben und in dem die Welt einst den einzigen Völkerrechtslehrer erkennen wird, dem Wissenschaft und Gewissen vom Einmarsch in Belgien nicht überrannt worden sind! Und dieser sollte jetzt die Beute der Aushorcher und inspirierten Nachrichter, der Gebärdenspäher und Geschichten- träger sein? Mit den jungen Temperamenten, die im Herrenhaus sitzen, möchte ich nicht zu streng ins Gericht gehen: sie hätten vermutlich auch den Kant niedergebrüllt, wenn er ihnen was aus seiner Schrift »Zum ewigen Frieden« zitiert hätte, den Bismarck, weil er sich mit Elsaß begnügen wollte, und der Herr Pattai hätte diesem zugerufen : »Wir sind die Sieger und wir verlangen auch die Palme!«, ohne zu wissen, wie sie aussieht und daß man schließlich doch nicht ungestraft unter ihr wandelt. Jenem aber, Immanuel Kant, hätte der Herr v. Plener vorgehalten, daß seine »Mentalität«

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»eigentlich mehr Verwandtschaft mit der Denkweise des Auslandes als mit der österreichischen habe«, ohne zu ahnen, daß das gar kein so übles Kompli- ment sei, und daß es eine Zeit gegeben hat, in der die österreichische Denkweise noch eine Verwandt- schaft mit der der Welt gehabt hat, und daß wir nichts flehentlicher vom deutschen Gott zu erbitten haben als: daß diese Tage noch einmal für uns anbrechen mögen! Aber wie ist doch diese Denkweise herab- gekommen, daß sie in die Lage kam, zwischen Lammasch und Friedjung zu wählen und sich in Diskussionen über dieses Thema überhaupt einlassen zu können ! Gegen einen Mutigen, der seine Vaterlands- liebe mit seiner Popularität bezahlt, und für einen Gefäl- ligen, der nach Berlin geht, ihn dafür zu denunzieren. Welche Kriegsnot des Herzens, hier die Entscheidung zu verfehlen! Ich bin vielleicht nicht der schlechteste, nicht der unwürdigste Österreicher, aber das muß ich sagen : daß ich bei der Wahl zwischen der Nibelungentreue des Herrn Friedjung und einem »Anschlag« des Professors Lammasch im Schlaf das Vaterland ins Verderben zu treiben bereit bin ! Und wie kann dieses Vaterland sich Witzblätter halten, die einen Mann bespeien, der nicht nur in Ehren grau geworden ist, was man bekanntlich nicht von jedem Herrenhausmitglied behaupten kann, sondern dessen Altersweisheit zum Ehrenbesitz. eben dieses Vaterlandes gehört? Dessen Konservatismus Leben genug bat, um gegen die Verödung der alten Güter im Dienste des Antichrist Opposition zu machen? Und wie kann dieses Vaterland, das diesen Weltuntergang nicht in seinen alten Knochen spürt, sondern im Gegenteil die Welt frisch »aufgemacht« sieht, so vom Wege irren, daß es seine journalistischen Söldner den Mann als einen Ideologen geringfügig machen läßt, der doch das rechte Gegenteil davon ist, nämlich jener Real- politiker der idealen Forderung, der heute durch

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Auflösung des alten politischen Inventars die Welt rettet! Denn während deutsche Ideologie die Menschheit aus der Politik erbaut, bezweckt dieser Idealismus nichts anderes, als endlich einmal die Politik auf der Idee der Menschheit einzurichten. Wahrlich, daß es noch Menschen gibt, denen das Bewußtsein, in dieser Zeit zu leben, Schamgefühl verursacht, ist nicht hoch genug anzuschlagen ! Begeistert trete ich an ihre Seite und bin ent- schlossen, sie im Angesicht jeder Macht des Übel- wollens und der Verblendung zu schützen gegen die völlige Schamlosigkeit, die solchen Wert dem Zeitgeist preisgab. Der Hofrat Lammasch bleibe der Menschheit und dem Vaterland erhalten, damit sie wieder zueinander kommen ! So niedrig die Zeit ist, in der er lebt er lebe hoch !

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Inschriften

Czernins Verzicht

Wir wollen vom Feinde keinen Fußbreit haben, der Lohn des Friedens wird uns reichlich lohnen, und selbstlos gehn wir in den Schützengraben für bundesbrüderliche Annexionen.

Friedensbereitschaft

Herbeizuführen den Friedenstag,

schlug er mit dem Schwert

auf den Verhandlungstisch,

denn so 'n Vertrag

ist ja doch nur ein Wisch

und nicht der Rede wert,

und kriegt man ihn nicht, wie man mag,

so haut man den Verhandlungstisch

um die Erd',

die einem doch ohne Frag'

gehört !

Sprichwörter

Wer einstmals Fülle mochte mehren, dem sagte man, es möcht' umsonst geschehn, und weise diesem Drang zu wehren, wollt' man ihn durch das Wort belehren: er trüge Eulen nach Athen.

Die jetzt den Mangel noch vermindern

mit sieghaft mitleidloser Miene,

die soll man rasch entschlossen hindern.

Denn solch Beginnen bringt den Landeskindern

Getreide aus der Ukraine.

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Affaire Friedjung

Lang' hat in Nibelungenstaaten man durchgehalten und sich treu gefrettet. Nun tut man gütlich sich am Braten der Gans, die jüngst das Kapitol gerettet.

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Der darbende Bürger

Vor acht Jahren, in einem nicht mehr erhältlichen Hefte der Fackel, ist ein Aufsatz über den > Prozeß Fried jung« erschienen, in welchem ich lediglich aus Hören und Sehen der einander gegenüberstehenden Parteien, also aus einer Abschätzung von Persönlichkeitswerten zu politischen Folgerungen gelangte, die sich heute wie ein Motivenbericht zum Weltkrieg lesen. Es wird sich empfehlen, die erste Raumgelegenheit zum Wieder- abdruck dieses (wie ich jetzt erst erfahre, in dem Werke des Scotus viator über die südslavische Frage zitierten) Aufsatzes zu benützen. Der Grundgedanke, daß Österreich das Land ist, in dem keine Konsequenzen gezogen werden, ist unangetastet geblieben : sonst hätte man nicht diedes Weltkriegs gezogen. Die unsägliche deutsch- österreichische Banalität, die ich damals in der Stimme des Histori- kers Friedjung ihren Biedermannstonfall gegen Recht und Kultur mobil machen hörte, ist seither mit den Mitteln einer entwickelteren Mechanik über das Leben hinweggeschritten und die Ansicht, daß ein Volk, dessen Lieder Goethe, Wilhelm Humboldt und Jakob Grimm, Puschkin, Scott und Merimee begeistert haben, eine »Murdsbande« sei, hat triumphiert. Herr Friedjung aber, der Historiker der mit falschen Dokumenten gefüllten Belgrader Bomben, wirkt in unverminderter geistiger Frische fort und hat sich, wie ich aus einem Zitat der ,Arbeiter-Zeitung' ersehe, von seiner serbischen Vergangenheit nicht abschrecken lassen, sich für die .Vossische Zeitung' Gedanken über Serbiens Zukunft zu machen. Nur völlige Humorlosigkeit vermag ihn davor zu bewahren, vor dem Einfall, daß das serbische Volk »zu den Kriegsgewinnern gehört«, nicht zu erbleichen; sein Kriegs- gewinn bestehe darin, daß es »in Zukunft durch mehr politische und wirtschaftliche Bande mit dem Reich der Habsburger vir

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knüpft sein wird*. Ist nach meiner Definition der Historiker nur ein rückwärts gekehrter Schmock, so ist der Prophet nur ein vorwärts schauender Historiker. Bekäme Herr Friedjung, dem es nur deshalb nicht gelingen wird, das Öl seiner Beredsamkeit in den Weltbrand zu gießen, weil die Flammen an tödlicher Langeweile ersticken könnten, nur ein Quentchen Vorstellungs- kraft geschenkt, könnte er nur ein Millionstel der tragischen Gegenwart des serbischen Volkes mit seinem Gefühl erfassen der Witz, dieses den Kriegsgewinnern zuzuzählen, weil ihm das Los, dem zu entgehen es leidet, als Erlösung winke, dieser Witz würde ihn so kalt anstarren wie das Grab, das eine arme Seele sich selbst schaufeln muß. Herr Friedjung stellt >ein Minimum« von Forderungen auf Auslöschung des serbischen Staates, an deren tollhäuslerischem Plan, wie er behauptet, >sich nichts mehr ändern läßt«, ein Entwurf, den durch Druck weiterzuverbreiten man sich versagen darf, weil seine Authentizität nicht einmal so feststeht wie die serbischen Dokumente von anno dazumal und weil die Regierung vermutlich doch die Konsequenz gezogen hat, in diesem Fach auf die Mitwirkung des Herrn Friedjung zu verzichten und ihn seinen eigenen Forschungen zu überlassen. Nur so viel muß erwähnt werden, daß Herr Friedjung von den serbischen Bauern und deren Söhnen spricht, als ob viele von der Gattung noch vorhanden wären, und ferner, daß er es als »eine Sünde gegen den heiligen Geist einer gesunden Politik« bezeichnet, eine Vereinigung von Serbien und Montenegro zu dulden. Es ist zwar eine größere Sünde gegen den heiligen Geist, diesen für eine Berufsangelegenheit des Herrn Friedjung zu halten, aber man kann ja von solchen Leuten nicht ver- langen, daß sie sich von dem Inhalt dessen, was ihnen von der Zunge geht, erdrücken lassen. Wären sie sich der Tragweite ihrer Phrasen so sehr bewußt wie der Tragweite ihrer Kanonen, so wären ja diese nicht losgegangen. Daß das neue Österreich wirklich Lust haben sollte, mit den Geistern dieses Kalibers fortzuwursteln, muß nicht unbedingt daraus geschlossen werden, daß Herr Friedjung auch jetzt noch bei wichtigen Gelegenheiten als patriotischer Sachverständiger zugezogen wird. Zum Abschluß von »Kaiser Karls erstem Regierungsjahr« hat er sich mit einem

Feuilleton im Fremdenblatt eingestellt, von dem einige Sätze genügen dürften, um ihm bei den Volksschülern, die da kommen werden, zu schaden oder mindestens ein heiteres Andenken zu sichern :

... Es läßt sich aber nicht sondern, wieviel zu diesem größten Erfolge des Weltkriegs das Pflichtgefühl und die Vaterlandsliebe der Kämpfer beitrug, wieviel die Begeisterung für den unermüdlich tätigen jungen Herrscher, der die Herzen seiner Soldaten im S t u r m e zu ero b ern verstand und dessen B i 1 d sie bis nahe den Toren des einst meerbeherrschenden und noch immer gleich märchenhaft schönen Venedig geführt hat.

Kein Volksschüler wird sich hier durch das Ineinandergreifen zweier Offensiven in dem Genuß der Beschreibung Venedigs irre machen lassen. Alles andere läßt sich schon durch bloße Andeutung genießen:

Im Sonnenglanz des Sieges das treulose Rumänien

durch die Klammer des Herrscherhauses zusammengehalten treue

Hingabe an die schweren Pflichten seines Amtes die Liebe seiner Völker erwarb ein Füllhorn von Gaben über das Reich der Habsburger ausgeschüttet das innige Verhältnis des Herrschers zur Gattin und den Kindern Wohlfahrt des Reiches zu verwalten und zu mehren allgemeine Bestürzung über die Lebensgefahr, in der der Kaiser in den Sturz wellen schwebte durch eigene Kaltblütigkeit wie durch den Opfermut seiner Umgebung in die Bresche zu treten tapferen Bundesgenossen Proben seiner uner- schütterlichen Bundestreue ablegte ehrenvollen, das Reich gegen künftige Angriffe sichernden Frieden

So weit das Schöngeistige. Die Gesinnung des Herrn Friedjung dokumentiert sich in Sätzen wie diesen:

Metall im Blute ist für die Paladine des Herrschers ebenso notwendig wie das Eisen in der Faust.

(Paladin bedeutet ursprünglich nicht nur »Hofritter«, sondern auch »irrender Ritter, Abenteurer«.)

. . .seine (Deutschlands) ans Wunderbare grenzende militärische Tüchtigkeit.

Unerschütterlich mußte darauf beharrt werden, daß nur von Siegen auf den Schlachtfeldern dieEntscheidung kommen könne.

Nie riß der Gedankenaustausch zwischen Wien und Berlin ab ... . Gerade in den gefährlichen Sommertagen dieses Jahres

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(Herr Friedjung meint die Zeit, da man auf die Welterlösung

hoffen durfte)

formte sich der herrliche Plan zur Niederwerfung Italiens im Geiste der verbündeten Herrscher, bei den Beratungen der Generalstäbe.

Nun aber wieder zum Schöngeistigen, weil es doch echter ist als die Gesinnung eines Menschen, der den Krieg nur aus dem eigenen Geschichtswerk kennt, serbische Bomben nur aus seinen Dokumenten und der seine Begeisterung für Ekrasit und Cyankali gewiß nicht teilt. Der ganze Schönbart, der sich sträuben würde, wenn er die Wirkungen eines Bauchschusses auch nur zu Gesicht bekäme, steckt doch ehrlich in dem folgenden Satz:

Mit heller Freude nahmen die Völker Österreichs und Ungarns die Berichte auf über die Fürsorge des Kaisers für d e n Soldaten und den darbenden Bürger, über seinen gewinnenden Umgang mit den Kriegern an der Front, mit den Verwundeten und Leidenden in den Spitälern.

Ei siehe da, fürwahr, ich höre den Friedjung von 1909: »Als unser erhabener Monarch Tausende und Abertausende unserer Brüder und Söhne zu den Waffen rief . . Spürt man, was in jenem Satz geleistet ist? Wie hier die -durch alle Fibel- und Zeitungsbravheit durchgebrachte Einteilung der Staatsbürgerpflichten in einem Punkte renoviert wurde? >Der Soldat« hat zu kämpfen, die Verwundeten sie lassen sich schon eher als Plural gebrauchen haben zu leiden, und der Bürger? Der hat ei, siehe da durchzuhalten, also müßte wohl von dem ausdauernden Bürger oder von dem hoffenden Bürger die Rede sein? Aber da wäre doch wieder die Fürsorge nicht am Platze. Also wird der darbende Bürger wie ein längst vorrätiger Typus, als eine Selbstverständlichkeit, eingeführt und er wirkt auch im Munde des Friedjung sofort als abge- tackelte Phrase. Denn wie der Dichter die Kraft hat, ein altes Wort zum erstenmal zu sagen, so hat der Schönredner, ei, siehe da, die Kraft, einen neuen Begriff da ja das Darben des Bürgers doch nur eine vorübergehende Erscheinung sein kann wie eine abgegriffene Floskel hinauszustellen. Ich glaube, wenn der Friedjung am ersten Schöpfungstag

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dazugetreten wäre, so wäre die Welt als Phrase zur Welt ge- kommen und Qott hätte gesagt: Ei siehe da, es ist gut. Der darbende Bürger erweist sich als eine außerordentlich wichtige Bereicherung unseres heimischen Vorstellungsschatzes, er hat eine Lebenskraft, als ob er schon immer gedarbt hätte, als ob er weiter darben müßte und auch dazu entschlossen wäre, weil sich das so gehört. »Es ist doch merkwürdig» klingt es vom sonoren Friedjungschen Organ , wie sich der darbende Bürger in dem Moment seiner Erschaffung bereits eingebürgert hat. Ich höre Herrn Friedjung sprechen und ich sehe den Bürger darben. Der darbende Bürger sieht so aus:

Bürgern <"~^ii£dBauer

$<m als ir@0o»#

St KRIEGS- ANLEIHE

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Glossen

Die Adresse

Daß mir nach dreimonatiger Abwesenheit die Tobsucht der Zeit als ein brüllender Berg von Briefen und Drucksorten und jeglicher durch meine Entfernung rebellisch gewordener Dummheit den Weg zum Schreibtisch versperrt, ist schließlich in der Natur der mich umgebenden Dinge begründet. Daß tausend Menschenhände arbeiten, tausend Füße laufen mußten, damit dieses aussichtslose Nichts aus tausend Gehirnen meine Einsicht in die schlechte Ökonomie unseres Lebens vermehre, nehme ich als unabwendbar hin. Daß mit Exh. Nr. 6027 ad Erlaß des k. u. k. Kriegsministeriums Präs. Nr. 20692 v. 1917 die Verwaltung des Kaiserhuldigungswerkes der k. u. k. Luftfahr- truppe, die im Einvernehmen mit dem k. u. k. Kriegsarchiv eine Huldigung für Seine Majestät in der Weise ins Leben gerufen hat, daß die Leistungen der k. u. k. Luftfahrtruppe in einem Kaiserhuldigungswerke, welches Seiner Majestät vorgelegt wird, für ewige Zeiten für ewige Zeiten! festgehalten werden, durch welches Werk eine Würdigung der Leistungen der k. u. k. Luftfahrtruppe im In- und neutralen Auslande bezweckt wird, also an die Firma Karl Kraus das höfliche Ersuchen ergehen läßt, diese Kaiserhuldigungsaktion gleich den anderen maßgebenden Industrieunternehmungen gütigst fördern zu wollen, die beigefaltete Subskriptionsliste Nr. 16786 wieder anherzusenden und u. a. zur Kenntnis zu nehmen, daß die Namen der Subskribenten der Ausgabe I zum Preise von K 500 pro Stück in dem Seiner Majestät zu überreichenden Kaiserhuldigungswerke verewigt werden, und daß also die Verwaltung wirklich einen Augenblick glaubt, daß die Firma Karl Kraus nicht zögern werde es sei! All dies ist gut, natürlich und begreiflich. Warum aber die Schriftleitung des täglich in einer Auflage von 120000 Stück erscheinenden Düsseldorfer General-Anzeigers mir mitteilt, daß dieser ab 1. Januar 1918 den Titel »»Düsseldorfer Nachrichten«

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führen wird, während hingegen alle übrigen Einrichtungen, namentlich die redaktionelle Richtung, das Format und die Erscheinungsweise unverändert bleiben, daß die Telegrammadresse vom 1. Januar 1918 ab »Nachrichten Düsseldorf« lautet, während die Postschließfach- und Fernsprechnummern wie bisher bestehen bleiben ich habe über die Sache in der letzten Zeit viel nach- gedacht, es interessiert mich, beschäftigt mich angelegentlich, aber ich weiß nicht, welches Merkmal meines geistigen Wesens meine Empfänglichkeit den Leuten in Düsseldorf verraten haben mag, und das allein verdrießt mich. Wohl weiß ich, daß der Urgrund all dieses Verdrusses die Mechanik eines Adreßkatalogs ist. Aber diese Erkenntnis eben fördert den Verdruß. Die Summe von Beleidigung, die mir das Bewußtsein meiner Zeitgenossen täglich zufügt, wiegt nichts neben den Zumutungen des blinden Registers. Wenn es mir schon nicht gelingt, in die Literatur- geschichte zu kommen, so habe ich wenigstens den Lehmann gebeten, mich zu löschen. Er tat es. Ich bin keine Wiener Adresse mehr. Das ist der erste Schritt zum Erfolg. Jetzt gilt es das Telefonbuch. Hierauf: wie sage ichs dem »Kürschner«? Doch »immer höher muß ich steigen, immer weiter muß ich schauen«. Mich treibt der höchste Ehrgeiz: das Loch im Register der Welt zu sein!

Bis auf den letzten Mann

3. April, Seite 4:

Czernin schloß, Land- und Seekrieg zu einer verzückten Apotheose verbindend :

» . . . Ein jeder Österreicher, ein jeder Ungar muß in die Bresche treten. Niemand hat das Recht, abseits zu bleiben, es gilt den letzten, den entscheidenden Kampf. Alle Mann auf Deck, dann werden wir siegen!« Seite 10:

Wien, 2. April. (Die Begnadigung Leopold Hilsners.) Leopold Hilsner, über dessen Begnadigung nach lSjähriger Kerkerhaft wir im Abendblatt berichtet haben, ist, wie verlautet, nach Verlassen der

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Strafanstalt in Stein, wo er zuletzt interniert gewesen war, der Musterungskommission zur Prüfung seiner körperlichen Eignung für die militärische Dienstleistung überstellt worden.

4. April:

» Wie bei jeder Begnadigung hat sich auch in diesem Falle das Justizministerium vergewissert, daß für ein Unterkommen dei Begnadigten Vorsorge getroffen ist.«

Landsknechte

. . . Ein Blendereignis mit schwindelerregenden Ziffern, diese Lizitation des Bildernachlasses Ludwig Lobmeyrs, mit ihrem Gesamt- ergebnis von beinahe 3XJ2 Millionen Kronen I Mit Preissprüngen von 10.000 Kronen gleich geschahen die Überbietungen. Not und Über- fluß scheinen die Zwillingskinder des Krieges zu sein. Ströme Qeldes Hießen gemischt mit den Strömen des Blutes. Ich komme über den Eindruck nicht hinweg, daß etwaswild Landsknechthaftes, an die bizarren Greuel des Dreißigjährigen Krieges ge- mahnend, in diesem flotthandigen Hinauswerfen des Geldes ist. Mitten in dem allgemeinen Jammer zogen d i e Landsknechte daher mit gefülltem Beutel und waren »splendid« in Ihrer Art, kargten nicht mit den Talern und ließen sich's und anderen wohl geschehen, denen dieses Nichtkargen zugute kam. Ähnliches hab' ich ja schon in Wien erlebt, die ähnliche Sorglosigkeit im Zahlen von > Höchstpreisen«, im Sichüber- bieten und Nichtbeachten der Ziffer, wenn man nur den Trumpf ausspielen kann im Erreichen des Lebensgenusses. Das waren d i e Jahre des Gründungsschwindels, die dem »großen Krach« vorangingen.

Die zweite Ähnlichkeit ist frappanter. An den langen Nasen zu erkennen, die sie schon haben und noch kriegen werden, die wilden Bilanzknechte, die sich bei der Lobmeyr- Auktion, hei, zusammenfanden !

Hans Müller war dabei

Er gedenkt nicht allein der Bresthaften, die im Spittel sind, nein auch jener, die jetzt aus der Gefangenschaft endlich zu ihren Lieben beim Kader heimkehren. Und wer wie er

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daran denkt, nämlich an das, was sie mitgemacht haben, nicht an das, was ihnen bevorsteht

den wird es in sein Inneres hinein schauern, als blickte er jäh durch einen Spalt in die letzte Glut des Erlebens.

Wie geschah's, daß Müller so mitfühlen lernte?

Ich war dabei im November,

Piave?

als ein junger Austauschinvalide, Oberleutnant mit kürzer gewordenem Bein auf dem Bahnhofe von seiner Familie erwartet wurde. . . .

Die mit gutem Beispiel vorangehen und die ihnen folgen

. . . Schließlich erklärte der Generaloberst: Unsere Truppen nahmen den Befehl, nach zweijähriger heldenmütiger Verteidigung den Vormarsch anzutreten, als Erlösung auf. Mit dem Vormarsch in Feindesland wurde ihr heißester Wunsch erfüllt. Frisch, munter und mit Begeisterung ertragen sie alle Mühen der mit der Offensive verbundenen langen Märsche.

Heute morgens begeben sich die Schriftsteller Franz Karl Ginzkey (Wien), Dr. Max Halbe (München), Felix Saiten (Wien) und Dr. Ludwig Thoma (München) an die Front gegen Italien.

Der Katzeimacher

d' Annunzio ist schlecht auf uns zu sprechen. Zum Glück gibt es d'Annunzio-Ersatz. Ein anderer italienischer Autor will um jeden Preis zu den Unsrigen gehören. Es ist Terramare. Er hat einem Mitarbeiter der , Mittagszeitung' seine geheime Sehnsucht anvertraut:

Bei Georg v. Terramare.

Vor Jahren schon trug ich mich mit dem Gedanken, einen Prinz Eugen-Roman zu schreiben. Im Frühjahr des Jahres 1914,

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da ich mich nach schwerer Krankheit in Karlsbad zur Kur befand, befiel m i c h, da ich in meiner Gesundheit wieder langsam erstarkte, die Idee, Prinz Eugen in den Mittelpunkt eines heiteren Werkes, eines historischen Lustspiels zu stellen. Und da setzte ich mich eines Tages hin und schrieb das Stück bis auf die beiden letzten Szenen des dritten Aktes in drei Tagen nieder.

Das ist schnell. Warum hat er sich so beeilt? Weil das christlich-germanische Schönheitsideal des Burgtheaterdirektors es nicht erwarten konnte. Was aber könnte noch besser sein als ein Österreicher? Ein Italiener, der um jeden Preis ein Öster- reicher sein will.

Terramare betont, es sei ihm seit Jugend stets der Gedanke vorgeschwebt, ein österreichischer Schriftsteller zu sein, und diese besondere Akzentuierung des Österreichertums, das zu sich Vertrauen haben müsse, liege auch dieser unter seinen vielen Arbeiten zugrunde. Und er will auch weiterhin in erster Linie als Österreicher schaffen. . .

In erster Linie? Piave-Front? Ich gehe weiter. Mir nämlich schwebt unter solchen Umständen der Gedanke vor, ein italienischer Schriftsteller zu sein. Nur haperts leider mit der Sprache. Das einzige italienische Wort, das ich übersetzen kann, ist Terramare. Das heißt auf deutsch : Eisler.

Eine übertriebene Meldung

Gabriele d'Annun/.io gefangen?

(Telegramm der .Neuen Freien Presse".)

Genf, 20. November. Der seit neun Tagen abgängige Gabriele d'Annunzio gilt, nach einer »Figaro«-Meldung aus Rom, als gefangen.

Hier ist über eine Gefangennahme d'Annunzios nichts bekannt.

Gleich hinten erfolgt die Aufklärung. Die Österreicher haben nicht ihn gefangen, wohl aber seinen Film, und führen diesen ohne Nennung des Autors auf. Mit einem Wort:

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A 1 1 e i n a u f f ii Ii r u n g s r e c h t I ü r ganz Wien!

Der Kampf um die Weltherrschaft !

Das Publikum wird im eigenen Interesse gebeten, sicli die Karten im

Vorverkauf zu besorgen.

1917

Aus einem kriegspresseamtlichen Film : »Unsere Sturmtrupps rocken vor, unmittelbar gefolgt von den Filmtrupps.«

Da können ja die Beutelrupps gar nicht nachkommen.

Der Schächter

Von der Abendblattfront drangen (iurgellaute: Bestes Fortschreiten unserer Offensive gegen

Italien. Mitteilung Dr. Wekerles über den Beginn unserer

Offensive. Günstige Nachrichten über die Angriffsschlacht. Die Angriffsschlacht und der Friede. (Unter diesem Titel wird mitgeteilt, daß der italienische Bericht »sich nur auf Äußerlichkeiten bezieht« und »nur von beiderseitigem Trompielfeuer, von der Verwendung der Gase und vom schlechten Wetter erzählt.)

Die Angriffsschlacht gegen Italien. Die Angriffsschlacht gegen Italien ist jetzt das größte militärische und politische Ereignis im Kriege. Auch die Entente

hat das Bewußtsein die große Schlacht, die gestern begonnen

hat -

Die Angriffsschlacht und die bevorstehende Bündniskonferenz in Paris. Durch die A n g r i f f s s c h 1 a c h t der Mittelmächte gegen Italien hat sich jedoch

Die Angriffsschlacht und die Ministerkrise. Die Psychologie der A n g r i f f s s c h 1 a c h t ist wichtig

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Ein Soldat steht in den Bergen bei Asiago auf der Wache

Ein Soldat steht in den Bergen bei Asiago auf der Wache. Der Mantel schützt in solchen Höhen gegen den Winterfrost nur wenig, der Atem schlägt sich in Eis nieder, der Sturm durchschauest den Körper und das Auge späht durch die

. Finsternis der Nacht nicht bloß nach dem Feinde, sondern auch nach der Lawine, die schon so viel hoffnungsvolle Jugend aus dem Leben gerissen und mit dem Leichentuch von Schnee zugedeckt hat. Der Soldat, der unter den ernstesten Gefahren, bedroht von den Schrecken der Natur und von den mörderischen Erfindungen des menschlichen Geistes seine Pflicht erfüllt, ist Wähler. Er denkt in der Einsamkeit der Felsenwildnis an den Abge- ordneten, dem er seine Stimme gegeben hat und von dem er glaubt, daß er für ihn sorge. . . . Der Soldat auf der Wache bei Asiago ist vergessen und die Anleihe, die für seine Ernährung und für sein Wohlbefinden die Mittel aufbringen soll, wird nicht

bewilligt.

Gut, nicht jeder muß das nachmauscheln können. Aber wer es nicht hört, verdient wirklich nicht, in dieser Zeit zu leben. Seit der Nase der Kleopatra dürfte es der einprägsamste Beginn eines Leitartikels sein. Die »Stimmungen« des in den Bergen von Asiago auf Wache stehenden Soldaten, der an seinen Abgeordneten denkt und betrübt ist, weil die Mittel für die mörder- ischen Erfindungen des menschlichen Geistes nicht bewilligt werden, wenn sich schon die Schrecken der Natur nicht abwenden lassen sie werden ein Dokument von den Gefahren bleiben, denen dieses Hinterland ausgesetzt war. Denn der Soldat draußen denkt nur an seinen Abgeordneten. Aber wir müssen an unser Herrenhausmitglied denken.

«Die innere Krise und der Sieg auf dem Kemmelberge bei Ypern.

Wie kommt das zu dem? Auf dem kürzesten Weg:

die innere Politik braucht das Einvernehmen mit zehn Millionen

Deutschen, deren Stammesgenossen heute die Franzosen und die Engländer auf dem Kemmelberge geschlagen haben.

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Das kann man nicht oft genug hören!

1. Spalte :

Anerkennung des Kaisers für den Grafen Czernln.

Für den Ausbau und die Vertiefung der Bündnispolitik.

seine Anerkennung für den konsequenten Ausbau und die Vertiefung der Bündnispolitik ausgesprochen.

2. Spalte:

Der große Sieg und die Anerkennung für den Grafen Czernin.

Konsequenter Ausbau und Vertiefung der Bündnispolitik.

die Anerkennung für den Ausbau und für die Ver- tiefung der Bündnispolitik ausgesprochen. Das ist Aus- bau und Vertiefung der Bündnispolitik

konnte er . . das Bewußtsein haben, daß auch er durch den Ausbau und die Vertiefung der Bündnis- politik — leise angedeutet in der Depesche des Kaisers Karl an den Kaiser Wilhelm. Du hast in selbstloser Sach- lichkeit, telegraphiert Kaiser Karl, meinem Oberbefehl eine Reihe Deiner prächtigen Divisiorien zur Verfügung gestellt. Selbstlos und sachlich hat er seine Truppen nach dem Süden geschickt Weil dies geschehen ist, konnte dem Grafen Czernin nachgerühmt werden,

:i. Spalte:

daß er das Bündnis ausgebaut und vertieft habe.

Das Bündnis . . mußte auch in diesen Fragen ausgebaut und vertieft werden. Graf Czernin hat sich . . nicht hindern lassen, das Bündnis mit Deutschland auszu- bauen und zu vertiefen

Das Bündnis, dessen Aushau und Vertiefung retten die Menschheit.

Die zu dem Heil, das ilir widerfahren ist, auch das noch

anhören darf !

Angriff tschechischer Überläufer mit schwerer Artillerie auf deutsche Truppen

Die Tschechen nach dem Kampfe umzingelt.

Wien, 12. März —Auf dem Marsche zu den Getreide- scheunen der Ukraine stellten sich den Deutschen tschechische ObeTUufe! entgegen. Sie hatten schwere Artillerie und

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kämpften als Verbündete der Roten Garde gegen die Verbündeten von Österreich Allein so verderbt auch die Überläufer sind, welche die Waffe gegen ihre früheren Kampfgefährten und deren Verbündete ergreifen ... der Kampf mit schwerer Artillerie bei B a c h m a t s c h in der Ukraine reizt den Widerwillen noch mehr.

Aber der Kampf mit schwerer Artillerie zur Unterstützung der Roten Garde bei Bachmatsch in der Ukraine war mehr als Verrat. Vielleicht sind es ihre greisen Eltern, die Brüder und Schwestern, die hungern und denen aus der Ukraine durch den Marsch der verbündeten Truppen baldige Hilfe werden soll. Mit schwerer Artillerie ausziehen, um den eigenen Volksgenossen zu Hause das Brot wegzunehmen . . . das ist, nach der Politik des Herzens beurteilt, schlimmer als Verrat.

Nationale Überreizung konnte die bei Bach matsch in der Ukraine mit schwerer Artillerie ausrückenden Überläufer nicht zum Angriffe hingerissen haben.

Der tschechische Bauer, dessen Sohn vielleicht bei Bach matsch in der Ukraine gekämpft hat, ist der schroffste Gegensatz zu den seltsamen Ausbreitern der Revolution, der sich vorstellen läß^ . . . Der Sohn, der vielleicht ein Überläufer geworden ist^^Ümpit jedoch mit der Roten Garde, mit den Bolschewiki, die kein Privateigentum an Grund und Boden zulassen und in den Sparkassen wegnehmen, was der Einleger über zehntausend Rubel hat. Das ist Entartung, Gehässigkeit ohne Sinn und ohne Hemmung.

Der ist unverwüstlich. Also mit schwerer Artillerie no wenn's noch leichte Artillerie gewesen wäre : das ist von allen »Verderbtheiten« »vielleicht« jene, die die Einbildungskraft mer kann sich vorstellen am lebhaftesten beschäftigt seit den Tagen, da der Beweis dafür, daß die Russen den Flanken- angriff lieben, aus den »Verwundungen unserer Soldaten an den Außenseiten der Arme und der Beine« hergestellt wurde. Rituelleres als diese Schlacht von »Bachmatsch« aber ward nie zuvor ver- nommen. Doch soll es während meiner Abwesenheit wieder im üemäuer der Entente gerieselt haben.

Der Schlachtbankier

. . . Aber durch den Rückzug der Italiener vom Isonzo .... wird die politische Belastung von England so schwer und in den Augen des russischen Volkes ist das britische Reicii mit dem Groll über die politische Zahlungsunfähigkeit belastet. Rumänien verwünscht ebenfalls den Tag, an dem es den englischen

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Verheißungen geglaubt hat, und auch das ist eine Belastung.

Die Belastung der englischen Diplomatie gegenüber den Ver- bündeten, das fortwährende Hinausschieben fälliger Keller- wechsel auf den Endsieg Denn eine neue Zahlungs- unfähigkeit ist jetzt offenkundig geworden und der beständige Hinweis auf die militärischen Zuschüsse aus den Vereinigten

Staaten Auch in der Politik hat jeder Wechsel, der nicht

bezahlt werden kann, die Folge, daß sämtliche in Umlauf gebrachte Schuldversprechungen einen geringeren Wert haben. Italien ist für die Entente eine militärische

Verlustpost geworden Die Politik der Einkreisung ist z a h 1 u n g s u n f ä h i g.

Nibelungentreue

Auch das warme und überaus wertvolle Freundschaftsverhältnis zwischen unserem Institut und der Direktion der Diskontogesellschaft sowie den Bankhäusern S. Bleichröder und Mendelssohn & Co. in Berlin

Laut darf man's ja nicht sagen, aber da nf^pt' ich auch

gern einen Keil hineintreiben!

* *

Schreie

Meldung über Aufwerfen der F r i e d e n s f r a g e

durch Italien.

Auf der Pariser Konferenz.

Der Kaiser an die Armee.

Bewunderung der ganzen Bevölkerung für ihre

Leistungen.

Der schönste Untertitel

Abreise des Grafen Czernin nach Bukarest.

Übermorgen Samstag.

Neue Bezeichnungen

Die Ostersch lacht.

Karfreitagsgefecht um Conchy sü.lösllich von Montdiilier

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Stellen wir uns vor

Die Entente würde von einem fast unbegreiflichen Irrtum geblendet sein, wenn sie meinen sollte, nach einem Sonderfrieden zwischen Rußland und den Mittelmächten den Krieg noch längere Zeit fortschleppen zu können. Es würde nicht gehen wegen der militärischen Kräfte, die frei werden und zur Verfügung der Mittel- mächte wären; es würde nicht gehen wegen der weit größeren Ausnützungsfähigkeit der Fahrbettiebsmittel auf den kürzeren Strecken .... Eine Fülle von Zwangsmitteln, gegen die sich die Entente nicht wehren könnte, würde zum Frieden drängen. Stellen wir uns vor, daß die Gefangenen zurückkehren, eine Million, vielleicht noch mehr. Darunter meistens junge Leute, kriegserfahrene Soldaten, gehärtet im Klima von Sibirien.

Und auf diese maßlose Dreckigkeit antworten tausende von Vätern der gesund Zurückkehrenden nicht mit einer Watschen, sondern mit Fortsetzung des Abonnements!

Die in die Heimat einrücken werden

. . . Der Bürgermeister bat sodann den Minister, dahirr zu wirken, daß die Kriegsgefangenen bald in die Heimat zurück- kehren können ....

. . . Der Minister versicherte dann noch, daß das Menschen- mögliche geschehen werde, damit alle in Rußland befindlichen österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen dem getroffenen Abkommen gemäß möglichst bald in ihreHelmat zurückkehren können ....

Das Mutteraug

. . . Der Landesverteidigungsminister Czapp beantwortet die

/dringlichen Anfragen betreffend die zurückkehrenden Kriegsgefangenen

und erklärt, die Militärverwaltung begrüße herzlich

die Rückkehr der in russischer Kriegsgefangenschaft befindlich

gewesenen Soldaten.

Heimkehrend gemacht

daß sämtliche in Rußland befindlichen Kriegsgefangenen freizulassen sind. Nach Ablauf dieser Frist werden die heimkehrenden Gefangenen zu ihren Ersatzkörpern e i n- rückend gemacht und erhalten von diesen einen vierwöchigen

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Urlaub. Alles zu veranlassen, was eine weitere

Verbesserung des Loses unserer zurückkehrenden Kriegsgefangenen herbeizuführen vermag.

Die bisher zurückgekommenen Kriegsgefangenen sind im allgemeinen gesund und kräftig

Die gefangenen Heimgekehrten

. . . Die Behauptung, daß die Heimkehrenden, wenn sie fehl diensttauglich sind, sofort in Marschformationen eingeteilt wurden, ist unrichtig. (Beifall.)

Ein Winkelried

Gerda Walde ruft auf:

Es gibt nur einen Erfolg: Den Enderfolg!

Die siebente Kriegsanleihe soll ihn besiegeln. Nurnichtnach- lassen, nur nicht mürbe werden in letzter Stunde! Keinem unserer -Krieger wird es einfallen, plötzlich im entscheidenden Sturmangriff zurückzubleiben. Ebensowenig darf jetzt zu Hause auch nur ein einziger mit seinem Gelde fehlen. Mit der siebenten Kriegsanleihe muß der Sieg erfochten werden. Dann ist der Frieden sicher!

Darum zeichnet

Welch ein Staat. Welch eine Zeit.

Das Unbeschreibliche, hier ist's getan

. . . Das Artillerieduell schnellte zeitweilig zu eine« Heftigkeit von ungeheurer Dimension an. Selbst in der Höhe von Graz konnte es gehört werden.

Die Stimmung der Truppen ist eine nicht zu überbietende. Die Wegnahme von F 1 i t s c h durch die bewährten alpenländischen Truppen bedeutet den Höhepunkt des ersten Tages ....

In dieser Form also lese ich die Todesanzeige des edelsten Freundes und von Tausenden mit ihm. Einer, der nicht dabei war und dem es, als er in Wien, nicht einmal in Graz, im Kaffeehaus saß, das Kriegspressequartier genehmigt hat, meldet es seinem Blatt.

GO

Notizen

In memoriain Franz J a n o w i t z (Gesprochen am 18. November 1917)

Ich könnte diese Vorlesung nicht abhalten und nicht beginnen, ohne eines jungen Freundes zu gedenken, der heute in diesem Saal zu sitzen so sehr gewünscht hatte. Er ist daran verhindert worden. Denn er ist als eins der Millionen Opfer, aber als eines der teuersten, dieses feigen Meuchelmords, zu dem sich die Menschheit verurteilt hat, am 4. November seinen Wunden erlegen. Nach meinem edlen Franz Grüner, der, glück- licher, durch "die Entscheidung einer Sekunde hingerafft wurde, hat nun auch dieses seltene Herz zu schlagen aufgehört und das schmale Feld meines menschlichen Umgangs, so furchtbar in das weite Feld der Unmenschlichkeit einbezogen, ist nun recht verödet, seit mir auch dieser Lichtpunkt erloschen ist. Versuchte ich die geistige Luftlinie zu ziehen zwischen den Bestrebungen jener Vampyre, die noch mehr Blut, heute noch, wollen, und dem allerstillsten, allerehrlichsten Leben dieses jungen Dichters, der, nicht zum Landsknecht geboren, durch vier durchgerackerte Jahre sein mildes Herz trug und in Schützen- gräben das Geheimnis der Jahreszeiten und die Unbegreiflich keit dieser Menschenzeiten gefühlt hat versuchte ich diesen Kontrast durchzudenken, ich würde, selbst ich, unter dem Unmaß der Empfindungen zusammenbrechen! Hätte die Staatsweisheit dieser Welt nur so viel Vorstellungsvermögen gehabt, zu erkennen, daß die Erhaltung des wertvollsten Menschengutes wichtiger sei als die Bereithaltung des Menschenmaterials, sie wäre andere Wege gewandelt. Da aber dieser wahrhaft Unschuldige ein reiner Dichter war, so war er zwar zum Landsknecht verurteilt aber ein Literat zu werden, dazu hat ihn selbst ein Leben der Not und der Blick auf den Tod nicht vermocht! Je mehr solcher wenigen unbefleckbaren Seelen mir entrückt werden, die das

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Sterben im Krieg dem Schreiben für den Krieg vorgezogen haben, umso inbrünstiger wird meine Verachtung für jene, welche sich der Glorie verschrieben haben, um ihren Begleiterscheinungen zu entgehen; welche die ihnen vergönnte Selbstrettung durch die Propaganda für den Tod der Wertvollem erkaufen müssen: und keiner von ihnen möge auf den Frieden hoffen, weil ihm der vielleicht die Chance bringt, daß ich dann seinen Gruß auf der Straße erwidere. Nie wird für mich alles vorbei sein! Franz Janowitz war einer von den andern, deren Verbannung in dasGrauen mir keinen Augenblick dieser bangen Zeit unvorstellbar gewesen ist ; deren Wertlosigkeit wie ein Gebot zur Rache vor meiner Seele stand und mich verpflichtet hat, unter dem Druck der herzlähmenden Kontraste eben noch nach dem Ausdruck für Schmerz und Schmach dieser Gegenwart zu ringen. Ich hasse diese, und ihn habe ich geliebt. Sein Andenken sei geheiligt ! Es werde in einem Band Gedichte bewahrt, den der mühselige Rest seines jungen Lebens als Ruf der Sehnsucht hinterlassen hat. Ihn mit irgendwelchem Miß- und Neugetöne einer sogenannten jungen Generation konfrontieren zu wollen, wäre sündhaft. Wenn ein Mensch so echter Art auch sterben mußte, es genügt, daß er gelebt hat, um es mit einer ganzen Richtung von Betrügern und Natur- verrätern aufzunehmen. Nach jener Zeit, da ich um mich noch Raum zur Förderung, zur Förderung des Verrats an mir hatte, trat er zu mir, und war mehr wert als alle. Ich wartete auf sein Buch und mußte mich mit der Feldpost begnügen. Aus einem bescheidenen Heftchen, das er im Jährte 1Q13 nur wider- willig einer fragwürdigen Anthologie einverleiben ließ, ertöne nun seine Stimme, so leise, so tief. Mögen jene unter meinen Hörern, die in der Sprache ein Menschenantlitz zu erkennen vermögen, den Verlust ermessen, den sie durch den Tod eines Unbekannten erlitten haben.

Es gäbe eine Sühne für alle Kriegsdichtung von vier Jahren. Wenn sie sich in ihr Nichts auflösen wollte angesichts dieses erhabenen Heldengedichts, das in Form einer Feldpost- karte an die Familie des Verstorbenen gelangt ist :

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K. u. k. Feldspital 1301 am 6/11 1917 Hochgeehrter Herr! Erlaube mir mit zitternder Hand mitzuteilen, daß mein Herr Leutnant Janowitz den 4. November seinen Wunden erlag. Mir wurde trotz meines Bittens nicht erlaubt, mit seinen Sachen zu Euch zu kommen.

Hab wohl viel Thränen vergossen für den H. Ehre seinem Andenken. Mein innigstes Beileid. Gott hat es gewollt. Ich komm wieder zur Kompagnie.

Sein tr. Diener Josef Qreunz.

Und angesichts dieses Dokuments: Eine Karte, die ich dem Verwundeten geschrieben hatte zur Beantwortung eines Tele- gramms brauchte das Feldspital sechs Wochen und die nach seinem Tod einlangte, ist später mit dem folgenden Vermerk zurückgekommen:

Abgeschoben. Aufenthalt unbekannt.

»W ie sehr ich wieder Liebe zu der Klasse von Menschen gekriegt habe, die man die niedre nennt, die aber gewiß vor Gott die höchste ist! Da sind doch alle Tugenden bei- sammen, Beschränktheit, Genügsamkeit, ge- rader Sinn, Treue, Freude über das leidlichste Gute, Harmlosigkeit, Dulden Dulden Aus- harren — Goethe an Frau von Stein 1777.

Das vorliegende Heft enthält nebstspäter Geschriebenem -r- nur den kleineren Teil der im Februar und in der ersten Märzhälfte entstandenen Manuskripte und Dokumentensammlungen. Die täglich vermehrte Schwierigkeit der Drucklegung hat die Verteilung des Materials auf die folgenden, hiedurch noch > unaktuelleren« Hefte notwendig gemacht. Die ungeheure Fülle des ausden ersten Kriegs- monaten Aufbewahrten, die mich immer wieder brüllend mahnt, sie ins Gedächtnis der Nachwelt zu erlösen, soll nach dem Krieg

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wenigstens die Form einer Tatsacliengruppierung erhalten. Verloren wird nichts gehen, was mein Blick gestreift hat. Doch muß immer wieder gebeten werden: Zuzug fernzuhalten! Da schon die Zeit die Bitte nicht erhört, mögen es ihre Genossen tun.

Der Mißton der Zeit ist diesmal nur gelegentlich ihrem erbärmlichsten Instrument abgenommen; er war auf allerlei Umwegen zu mir gedrungen. Längere Reisen bringen jene Erholung, die eine Entfernung vom Anblick der Neuen Freien Presse bewirkt.

Nachrufe für Wedekind. Der Plauderer der Neuen Freien Presse hat, da er den Menschen rasch antreten muß, nicht Zeit, die Biographie zu überblicken. So passiert das folgende. Wede- kind war beinahe gleichalterig mit Gerhart Hauptmann:

Wedekinds literarisches Schaffen setzte jedoch um Ja h r- zehnte später ein, w i e das seines Altersgenossen.

Die Grammatik ließe erraten, daß Wedekinds Schaffen w i e das Hauptmanns um Jahrzehnte später als das Goethes ein- gesetzt hat. Gemeint ist aber wohl, daß Wedekind so um dreißig bis vierzig Jahre später als Hauptmann zu produzieren begonnen hat. Das wäre so zwischen 1920 und 1930. Nun habe ich zwar »Vor Sonnenaufgang< 1890, »Friedensfest« 1891, »Frühlings Erwachen« jedoch 1892 kennen gelernt und Wedekind hatte auch schon vorher geschrieben und produziert. Zehn Zeilen tiefer wird denn auch bereits ein Ausgleich der Zeiten versucht:

Zwischen Hauptmanns > Friedensfest« und Wedekinds »Frühlingserwachen« liegen einige Jahre.

Auch diese geben schließlich klein bei.

. . . 1904, als »Frühlingserwachen«, sein zwölf Jahre früher entstandenes Jugendwerk . . aufgeführt wurde.

Ebenso gut wie über die Anfänge ist der Biograph über das Ende des Lebens informiert.

Er hat die Kriegszeit zum großen Teil in der Schweiz zu- gebracht und sich dort zur Aufgabe gestellt, in öffentlichen Vor- trägen gegen die Verunglimpfung deutschen Wesens und deutscher Art aufzutreten.

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Diese Propaganda-Tätigkeit hat Wedekind in Gesprächen, die ich ebendort mit ihm über deutsches Wesen und deutsche Art geführt habe, vor mir streng zu verbergen gewußt. Ich ver- mute, daß eine Verwechslung mit Hans Müller vorliegt, der aber Heimarbeiter ist.

Herr Wittmann hinwiederum hat an Wedekind einige herzige Fragen, auf die dieser >die Antwort schuldig bleibt«, doch wenn er lebte, sicher mit einem »Verrdammt!« antworten würde. Er war nämlich leider und darin konnte er mit Müller nicht verwechselt werden immer nur negativ, nicht positiv und konnte nur niederreißen, nicht aufbauen :

... er verneint bloß. In seiner Kindertragödie, die zum Selbstmord des vierzehnjährigen Moritz führt, sagt er es nicht besti r%m t , welche Methode der Kindererziehung er für die gute hält, er geißelt nur die schlechte. Wir sehen in seinen Werken die verhängnisvolle Dämonie des Weibes, aber wie sie abwehren? Die bodenlose Niedertracht des Mannes, aber wie sie entwurzeln? Die Verderbnis der ganzen Menschheit, aber wie sie bekämpfen? Der Dichter bleibt uns auf alle Fragen die Ant- wort schuldig.

Das literarische Wien hat sich, seit Kürnbergers Tagen, immer wieder »im Spiegel eines Sarges« von seiner kläglichsten Seite gezeigt. Aber schon lange nicht so jämmerlich wie bei Frank Wedekinds Tod, dem es offenbar nachgetragen, wenn auch nicht nachgerufen wurde, daß ich im Jahre 1905 die >Büch9e der Pandora« aufgeführt habe.

Bibliographisches. »Karl Kraus und die Sprache« von Leopold L i e g 1 e r (Verlag der Buchhandlung Richard Länyi Wien 1918, Vortrag, gehalten am 24. November 1917.)

»Karl Kraus« von Otto Stoeßl, .Marsyas' Berlin, Heft 1. Karl Lohs: Anknüpfung an Karl Kraus' »Worte in Versen«, .Die Wage', XXI. Nr. 8. Paul Hatvani: Von und über Karl Kraus, ,Die Weltbühne' (der , Schaubühne' XIV. Jahr), Nr. 17. Und Notizen in anderen Heften.

.Arbeiter-Zeitung', 30. März 1917: Vorlesung Karl Kraus. Zahlreich« Zitierungen in Tagesblättern und Revuen.

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Berichtigung. In Nr. 462—471, S. 22, 18. Zeile bilde statt »bilden«; S 99, 10. Zeile von unten, entprach statt »entspach« ; S. 139, 14. Zeile von unten, Kultur, wahrlich statt »Kultur wahrlich«; S. 141, 14. und 15. Zeile, der ich .... halte statt »der .... hält«; ebenda 18. Zeile sehe, und statt >sehe und«. In dem Gedicht »Verlöbnis« S. 80, 1. Zeile von statt »vor«.

In Nr. 472/73, S. 21, 1. Zeile wohlerzogne statt »wohl- erzogene«; S. 29, 7. Zeile Andern statt »anderen«. (Und noch etliche kleine Varianten in der Buchausgabe.)

Ende Dezember 1917 sind die ersten Exemplare von »Worte in Versen III« im Verlag der Schriften von Karl Kraus, Leipzig, erschienen. Der Band enthält:

Vergelt's Gott! / Der Siebenschläfer Wiedersehn mit Schmetterlingen / Verlöbnis / Der Anlaß / Aufforderung / Inschriften T Der Mann und das Wort / Kompetenz vor der Sprache / Der Satiriker geißelt die Schwächen / Inschriften / Der Bauer, der Hund und der Soldat / Vision des Erblindeten / Meinem Franz Grüner / Die letzte Nacht (aus dem Epilog zu der Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit«) / Meinem Franz Janowitz / Zwei Soldatenlieder / Krieg / Inschriften / Kunterbunt Wahnschaffe/ Der Heldensarg / Inschriften / Goethe-Ähnlichkeit Ich und der Stoff / Phantasie an eine Entrückte / Jugend Es werde Licht / Vallorbe.

Die »Inschriften« enthalten :

I: Bitte an Verehrer / Sonderbare Gäste / Die Zwangs- lage / Den Psychoanalytikern / Die Satire ist wehrlos / Instanz des Keimes / Wie man's anpackt / Höllenangst / Warnung des Lesers / Deutsche Literaturgeschichte / Dienst der Kunst / Der Vorleser / Das abgeschaffte Orchester / Die Claque / Einem Polyhistor / Das Originalgenie / Der Erotiker/ Klassiker-Aus- gaben / Die neue Generation / Täuschung / Der Übermannenden / Eifersucht ist immer unberechtigt / Der Anstoß / Die Geschlechter / Kompliment/ Begehrlichkeit / Dank / Grabschrift für Elisabeth R.

II: Beschwörung des bösen Geistes / Glossen werden Symbole / Gerhart Hauptmann / Richard Dehmel / An denselben / Hugo v. Hofmannsthal / Derselbe / Artur Schnitzler / Bahrs Himmelfahrt / Prager Klassiker / Berichtigung / Die Kunst sich zu freuen / P. A. / Marmor-Chronik / Luxusdrucke ' Der neiu- Wiener / Der triftige Grund / Für Nichtraucher / Die kranke Valuta / Czernins Rede / Der neue Pair / Auszeichnung eines Überlebenden / Die Kriegsberichterstatterin / Ehrendoktorate / Der Bericht vom Tag.

III: Kineinatographischer Heldentod / Tradition Bomben auf den Ölberg / Der Flieger / Der neue Krieg / Sieges- feier / Zwischen den Schlachten / Vorräte / Ausgleich / Knappes Leben / Kriegsküche / Die Redensart /. Propaganda / Burgtheater- Tradition / Oirardi im Burgtheater / Der Ruf der Wienerstadt / Der Fremdenverkehr / Die Instrumente / Unsere Post / Repressalien / Etymologie / Sprachgebrauch / Vergnügungsanzeiger / Ersatz / Zeichen und Wunder / Revolution in Deutschland / In eigener Regie / Revolution / Die Balten und die Letten / Die deutsche Schuldfrage / Wie es kam / Expansion / Made in Oermany / Verkehrte Götterwelt / Mit Qott.

IV: Bunte Welt / Die Werte / Das Lebensmittel / So lesen wir alle Tage / Zusammenhänge / Der Geschäftskrieg / Der allgemeine Verteidigungskrieg / Die Schuldfrage / Einem Strategen / Aschermittwoch / Linguistik / Vor dem Helden- tod / Jahreszeit / Die Tauglichen und die Untauglichen / Wahlspruch / Sinn und Gedanke / Ein leicht verständliches Epigramm / Unterricht / Es klingt anders / Die Schwärmer / Der Hörerin.

Bisher ungedruckt: Vergelt 's Gott ! / Der Siebenschläfer / Der Anlaß / Kompetenz vor der Sprache / Der Bauer, der Hund und der Soldat / Vision des Erblindeten / Meinem Franz Grüner/ Die letzte Nacht / Meinem Franz Janowitz ; Krieg / Kunter- bunt / Phantasie an eine Entrückte / Es werde Licht. Die In- schriften: Dienst der Kunst; Der Übermannenden; Grabschrift für Elisabeth R.; Artur Schnitzler; Der neue Krieg; Etymologie; Bunte Welt; Sinn und Gedanke; Ein leicht verständliches Epi- gramm; Unterricht; Der Hörerin.

Der Druck ist diesmal nicht mehr durch die Leipziger Firma Drugulin, sondern durch die Wiener Buchdruckerei Jahoda & Siegel erfolgt, und es ist nicht nur ein >schöner Druck*, sondern auch ein guter geworden. Freilich ist zu bedenken, daß in einem jener Betriebe, die den Romanbedarf neudeutscher Verleger zu decken haben, die Sicherheit des Wortes sich nicht von selbst versteht und daß es schon meiner Zudringlichkeit bedarf, um dort textliche Ansprüche noch über ausgedruckte Bogen hinaus durchzusetzen, während die mir benachbarte Druckerei seit achtzehn Jahren auf die Maßlosigkeit, die den Druck des vorgeschriebenen, freilich endlos korrigierten Wortes begehrt, red- lich eingestellt ist. Jedannoch oder eben darum: sollte noch einmal siehe die Bemerkung in Nr. 462/471 jene >Bugra« Zustande- kommen, so müßte ein Exemplar der > Worte in Versen III« ausge-

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stellt werden, um den Leuten zu zeigen, was Gewissenhaftigkeit, das ist die Buchstabenfrömmigkeit alter Drucker, mit dem Minimum an leiblichen und technischen Mitteln, das ihr die schnöde Zeit gelassen hat, hervorzubringen imstande war. Die Druckerei Jahoda & Siegel, die seit so vielen Jahren dem einen Wunsch, den ich habe, Erfüllung gibt, ist die einzige österreichische Tatsache, die mir patriotische Empfindungen zu wecken vermag.

Der Druckereibesitzer, der dies während des Drucks ge- lesen hat, wehrt sich vergebens durch die folgende Warnung;

16. April 1918. Sehr geehrter Herr Kraus!

Die ehrenvolle Nennung unseres Namens in der bei- liegenden Notiz läßt mich erröten. Sie ist ja nur zum geringen Teile verdient, zum größeren fällt das Verdienst auf Sie, der Sie mit der größten Energie und Selbstaufopferung an meiner Druckerei ein Erziehungswerk vollbrachten, wie nur Sie es voll- bringen konnten. Mein geringes Verdienst könnte höchstens in der willigen Anpassung an Ihre oft schwer erfüllbaren Wünsche gefunden werden. Das würde nun ohne Zweifel jeder andere Buchdrucker, der nur Ihrem Wirken die gleiche Begeisterung gezollt hätte, auch fertig gebracht haben, und es rechtfertigt nach meiner Ansicht durchaus nicht die so ehrenvolle Erwähnung und den Vergleich mit einer allerorten anerkannten und berühmten Anstalt. Der Vergleich scheint außerdem so kraß, daß mancher Leser, wenn auch nicht Versteher Ihrer Werke auf den Gedanken kommen könnte, daß Sie denn doch auch jemandem zu Liebe etwas schreiben. Freilich bei Leuten, die Sie durch Ihr Wirken genau kennen, wird ein solcher Gedanke nicht auftauchen. Die Zumutungen der andern zu ignorieren ist eine von Ihnen seit jeher geübte Gepflogenheit. Trotzdem: wenn auch nur der dümmste Ihrer Leser einen Augenblick lany die Empfindung haben sollte, daß dahinter die Erfüllung eines Wunsches steckt, so wäre mir das Ihretwegen noch mehr als meinetwegen peinlich. Es wäre darum zu erwägen, ob nicht diese öffentliche Anerkennung besser unterbleiben würde. Es liegt mir ja ferne, eine Beeinflussung Ihres Wollens zu versuchen und ich gebe es Ihnen nur zu bedenken. Genehmigen Sie den Ausdruck meiner unwandelbaren Verehrung

Georg Jahoda.

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Dazu sei eines treuen Mitarbeiters gedacht, den eben jene Zeitumstände, welche die Verminderung eines Druckereipersonals zum Zweck anderer Beschäftigung bewirken, dem Werk der Fackel für immer entrückt haben. Franz Koch hat als Setzerlehrling im Alter von siebzehn Jahren an einem Teil der Kriegshefte der Fackel gesetzt, bis er gezwungen war, ihren ganzen Inhalt zu erleben. Nicht lange war's ihm vergönnt ; schon einige Monate, nachdem er einrückend gemacht war, mußte er in Italien den tödlichen Zufall erleiden. Kurz vorher hatte seine Mutter den älteren Sohn verloren. Es ist nur eine persönliche Empfindung, daß ein guter Setzer der Fackel ein Bataillon von jenem Gelichter aufwiegt, dessen Kriegsgesänge an den Pranger meines Druckes zu stellen er geholfen hat. Aber der Verlust eines guten Menschen, und eines siebzehnjährigen dazu, ist der allgemeinen Teilnahme wert und eines auch durch stündliche Wiederholung nicht abzuschwächenden Staunens über den Widersinn der Zeitdinge.

Bange Stunde

Gebannt steh' ich auf diesem Fleck

und kann nicht zurück und kann nicht weg

und suche mit dreimal flehenden Händen,

ein sicheres Schicksal abzuwenden.

Alles um mich in den bangen Stunden

hat Macht über mich, der gebannt und gebunden.

Gelingt's mir, nur dies und nicht das zu denken,

so wird mich mein Wille zum Ausgang lenken,

und ich weiß mir, der Sklave dem Herren, Dank,

entrinn' ich nur diesmal noch meinem Zwang.

Dort wäre der Weg: wo der Zweifel steht,

ob rechts oder links es sich besser geht.

Ich könnte fliegen, ich möchte eilen,

undgeschwind noch beschwör'ich dieZeit,zu verweilen.

Ich schlage mich durch, ich krieche und hinke,

wie fass' ich die Klinke? Wie faßt mich die Klinke!

Schnell könnten drei Wünsche mir noch verderben:

Herrgott, so laß meine Freunde nicht sterben

was hältst du mich, scheinbare Vorhangfalte,

was will mir das Fiebergesicht, das alte

Gott, rette mir jenen, behüte mir diesen,

bewahr ihm das Auge für Wunder und Wiesen

wie kränkt' ich mich damals, ich wollte nicht warten,

denn ich war krank und die andern im Garten,

eine Spieldose hat die Gavotte gespielt,

ein Gesicht im Vorhang hat nach mir gezielt

Gott, hilf ihnen, die die Zeit mir verwehte,

und die längst nicht glauben, daß ich für sie bete,

und jenen, die du zu dir schon entboten,

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vergiß nicht die Toten, vergiß nicht die Toten !

der Einen aber hier auf dem Bilde,

es lächelt zu meinem Aufruhr so milde,

und dieser aber, o daß ich's nicht dächte,

wenn nicht das Denken Erfüllung mir brächte,

ihr mögest du Leben und Leben und Leben

in vielfach lebendiger Fülle geben

und wirken, daß ihr in unendlichen Lenzen

wie Sonne und Mond die Züge erglänzen,

und für mich selbst, o hör den unendlichen Jammer,

bitt' ich, daß ich in dieser Kammer,

geschmiedet an aller Erden Qual

mich zu Formen erlöse ohne Zähl,

und aus dem vorbestimmten Kreise

mir erbarmungslos und ausnahmsweise

gestattet wäre, zu entrinnen

um immer von neuem zu beginnen,

denn es lähmt mir das Herz, daß einst hinter mir

sich schließe die vorbereitete Tür,

und an dem Gedanken, mich nicht zu beerben,

würd' ich ganz sicher noch einmal sterben!

Laß es nicht zu und lasse mich bleiben,

und bin ich erst fertig, beginn' ich zu schreiben,

denn dem das Wort den Ursinn gelichtet,

sieh, der hat nie zu Ende gedichtet,

und war ich stets des Anfangs gewärtig,

war Leben im Wort: so werd' ich nicht fertig!

Hier ist mir ein heiliges Räthsel gewesen,

ich habe in Hieroglyphen gelesen.

Nie lass' ich das dreimal lebendige Wort,

verstummend in dein undenkliches Dort,

nie lass' ich den Streit und den Zweifel hierniedeu

für jenen unwiderleglichen Frieden.

Nie mögst du von diesem Sessel mich heben.

Lieber den Tod als nicht mehr zu leben !

Nicht feige fleh' ich um meine Errettung;

doch hängen in blutig gespürter Verkettung

an meiner Gestalt die vielen Gestalten,

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die du zu bewahren mir vorbehalten,

und in dem schmerzbeseligten Bund

unzählige Stimmen an meinem Mund.

Sie nachzuschaffen hast du mich gelehrt,

die von dir sich zum eigenen Abbild verkehrt ;

und gleich' ich nicht jenen, die du erschaffen,

so kannst du mich nicht zu dir entraffen.

Drum laß aus dem marschbereiten Haufen

zurück mich in deine Ewigkeit laufen,

und gib mich mir wieder Stück um Stück!

Mit Macht reiß' ich sonst mein Gedächtnis zurück,

um nimmer zu denken, was noch nicht geschah

ich will ja nicht weg, ich bleibe doch da!

Was ist das nur heut, was ist das nur hier,

wie dreht sich und droht mir, wie knarrt mir die Tür,

wie rennt mir die Stunde in rasendem Lauf,

wie halten mich alle die Dinge hier auf,

und Falten und Kanten, sie starren mich an,

des Zufalls unseligsten Unterthan!

Gebannt und gebunden steh' ich auf dem Fleck,

und kann nicht zurück, und will nicht weg .

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Halbschlaf

Bevor ich war und wenn ich nicht mehr bin, wie war ich da, wie werde ich da sein? Zuweilen dringen Duft und Rausch und Schein vom Ende her und von dem Anbeginn.

Hab* ich geschlafen? Eben schlaf ich ein, und nun verwaltet mich ein andrer Sinn, noch bin ich außerhalb, schon bin ich drin, noch weiß ich es, und füge mich schon drein.

Dies Ding dort ruft, als hätt' ich's oft geschaut, und dies da blickt wie ein vertrauter Ton, und an den Wänden wird es bunt und laut.

Dort wartet lang' mein ungeborner Sohn, hier stellt sich vor die vorbestimmte Braut, und was ich damals war, das bin ich schon.

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Das zweite Sonett der Louise Lab6

0 schöne Augen, Blicke abgewendet,

o Seufzer, Klagen, o vergossne Thränen,

o dunkle Nächte, die durchwacht mein Wähnen,

o lichter Tag, vergebens mir verendet !

O Trauer du, da Sehnsucht stets verweilt, o alle Übel wider mich bereitet, o tausend Tode rings um mich gebreitet, o Ewigkeit der Qual, da Zeit enteilt!

O Geigenton des Leids, Musik im Schmerz, o Lächeln, Stirn und Haar, o edle Hand zu viele Flammen für ein armes Herz !

Weh dir, der alle diese Feuer trägt, daß du sie an mein Leben hast gelegt, und bleibst von jedem Funken ninverbrannt !

Nach dem Original und einer vorhandenen Übertragung

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An eine Falte

Wie Gottes Athem seine Fluren fächelt,

so wird es leicht und licht

in diesem klaren Angesicht.

Es hat die Erde gern

und schwebt ihr fern

und liebt und lächelt.

Und Gottes Finger bildete den Bug

vom Ebenbilde.

Es zieht so milde

hin über alles Leid,

und es verzeiht

der edle Zug.

In dich, o unvergeßlich feine Falte,

betend versanken

meine Gedanken.

Daß diese letzte Spur

seiner Natur

mir Gott erhalte!

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Suchen und Finden

Die Dinge sind schon an der Fläche tief, du mußt sie nur mit Ehrfurcht sagen. Willst du dich aber weiter wagen, so weist sich's oft, daß dich kein Rätsel rief.

Beneide nicht, die allen Sinn benagen und den Gedanken, der da schlief, eh' er durch ihre Tageszeiten lief, gefühllos weckten durch ihr lautes Fragen.

Sieh das Gewohnte stets zum ersten Mal. Dann hat sich alles Suchen dir gelohnt, das Vorgefundne fügt sich deiner Wahl.

Bleibt nur, was ruht, von deinem Drang verschont,

so wird dir das Entlegene banal,'

und neu das Nahe und wie ungewohnt !

Die Flamme der Epimeleta

(»Pandora«)

Meinen Dankrui, für mich selbst nur : Ihr bedürft's nicht, aber hört ihn! Eines Gottes Wort- und Weltbrand, Goethes Sprachflamm' hüllt mein Haupt ein

Epimetheus' angstverbrannte Tochter reißt mich mit dem Feuer, das sie ausruft, himmelaufwärts, rettet Ursprung aller Weibmacht, und im Weltsturz steht das Wort auf, nun als Wunder von dem letzten hin zum ersten Tag der Schöpfung wieder aufragt's!

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Wen erschlägt es? Jene Schuld, wem droht und winkt sie, schreckhaft Auge, ins Gericht hin ? Diesen hier nicht, die zugrund gehn, doch zum Grund nicht ! Mit verpichten Sinnen leben Rauchgeborne, nie Entflammte, unverzückter Zeiten Wegwurf.

Und vergebens strebt zum Himmel Feuersäule meines Danks an Gott und Goethe!

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Programme

Mittlerer Konzerthaussaal :

17. Oktober 1917, 7 Uhr:

I. Im Namen Goethes! / Friedrich Hölderlin: Vom deutschen Volk / Wie ein König, mit Bomben beladen, wie ein Gott! / Ein anderer Ton / Aus: Und der Herrgott lacht! / Der Irrsinnige auf dem Einspännergaul / Eine Quelle der Ver- jüngung / Vision / Vor Abgang des Zuges / Wie die Hunde durchhalten / Der deutsche Professor / Na und ihr zwee beede? / Ein Kapitel aus Frangois Rabelais' Gargantua: Wie etliche von Pikrochollers Hauptleuten ihn durch hitzige Rat- schläge in Gefahr brachten. II. Epigramme: Wahnschaffe; Der Heldensarg; Zwei Soldatenlieder. Der Flieger; Ehren- doktorate; Der Bericht vom Tag; Die Kriegsberichterstatterin; Die Werte; Das Lebensmittel; So lesen wir alle Tage; Knappes Leben; Die kranke Valuta; Der triftige Grund; Zusammenhänge; Propaganda; Der Fremdenverkehr; Die Instrumente; Repressalien; Ersatz; Die Balten und die Letten; Der neue Pair; Glossen werden Symbole; Bahrs Himmelfahrt; Richard Dehmel; An den- selben; Hugo von Hofmannsthal; Derselbe; Luxusdrucke; ,Die neue Generation; Eifersucht ist immer unberechtigt; Der Vor- leser; Deutsche Literaturgeschichte; In eigener Regie / Deutscher Bildungshunger / Ein Bild / Das letzte Rätsel / Ein unheimlicher Korrespondent / Verwandlungen / Wenn einmal alles vorbei / Vom Glück / Schonet die Kinder! III. Das übervolle Haus jubelte den Helden begeistert zu, die stramm salutierend dankten.

(Ein Teil des Ertrages für den Verein »Mariahilfer Kinder- freunde« und einen notleidenden Lehrer.)

*

Kleiner Konzerthaussaal :

11. November, 3 Uhr:

I. Ein Kapitel aus dem »Abenteuerlichen Simplicissimus< von Hans Jacob Christoffels von Grimmeishausen (1669) / Tro- phäen / Zeichen und Wunder / Also was soll ich Ihnen sagen / Eine Quelle der Verjüngung / Vision / Wie es in London zugeht, das ist wirklich nicht mehr zu glauben / Ich stoß dir die Augen aus / Sie wollen von uns nichts wissen /Eine große Meuterei in der englischen Flotte / Weltalldarin / Überraschungen / Was sich am Ende der Zeit begab / Eine prinzipielle Erklärung. II. Epigramme / Schonet die Kinder! / Epigramme Im Namen Goethes! / Gebet.

(Ein Teil des Ertrages für die Mutter zweier Kriegskrüppel und eine andere notleidende Frau.)

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18. November, halb 3 Uhr:

l.In mem oriam FranzJanowitz(mit einigen Gedichten) Ein Kapitel aus dem abenteuerlichen Simplicissimus< von Hans Jacob Christoffels von Qrimmelshausen (1669) / Trophäen / Brief aus dem Publikum über dieses / Worte von Charles Baudelaire Also was soll ich Ihnen sagen / Überraschungen / Eine Quelle der Verjüngung / Zur Darnachachtimg / Sie wollen von uns nichts wissen ! / Die russischen Gefangenen lernen Deutsch / Ein Irrsinniger auf dem Einspännergaul / Militarismus / Ein Bild / Szene in einem Palais / Schön brav sein, Wotan / Vom Glück / Das übervolle Haus jubelte den Helden begeistert zu, die stramm salutierend dankten. II. Epigramme / Er- fahrungen / Mit einem vollen Tropfen Druckerschwärze gesalbt (»Die Bedeutung der Presse im Weltkrieg«) / Im Namen Goethes! / Eine prinzipielle Erklärung.

(Ein Teil des Ertrages für das »Heim für tuberkulöse Kinder«.)

25. November, halb 3 Uhr:

Verlorne Liebesmüh', Lustspiel in fünf Aufzügen von Shakespeare, übersetzt von Wolf Graf Baudissin, Schlegel- Tieck'sche Ausgabe (»Liebes Leid und Lust«.) Mit Benützung der Heinrich Voss'schen Übersetzung bearbeitet vom Vorleser.

(Nach dem zweiten und nach dem dritten Aufzug eine Pause. Musik zu dem Lied des Pagen Motte im ersten und zweiten, zum Lied des Frühlings [Motte) und des Winters [Schädel] im fünften Aufzug: Egon Kornauth.)

Programm-Anmerkung zur 2. Szene des 111. Aufzuges:

Goethe in »Wahrheit und Dichtung«, elftes Buch: ». . . Niemand war vielleicht eben deswegen fähiger als er (Reinhold Lenz), die Ausschweifungen und Auswüchse des Shakes- peareschen Genies zu empfinden und nachzubilden . . Er behandelt seinen Autor mit großer Freiheit, ist nichts weniger als knapp und treu, aber er weiß sich die Rüstung oder vielmehr die Possenjacke seines Vorgängers so gut anzupassen, sich seinen Gebärden so humoristisch gleichzustellen, daß er demjenigen, den solche Dinge anmuteten, gewiß Beifall abgewann.

Die Absurditäten der Clowns machten besonders unsere ganze Glückseligkeit, und wir priesen Lenzen als einen begünstigten Menschen, da Ihm jenes Epitaphium des von der Prinzessin geschossenen Wildes folgendermaßen gelungen war:

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Die schöne Prinzessin schoß und traf

Eines jungen Hirschleins Leben;

Es fiel dahin in schweren Schlaf,

Und wird ein Brätlein geben.

Der Jagdhund boll! Ein L zu Hirsch,

So wird es denn ein Hirschel;

Doch setzt ein römisch L zu Hirsch,

So macht es fünfzig Hirschel.

Ich mache hundert Hirsche draus,

Schreib Hirscheil mit zwei LLen.« So Goethe, der noch berichtet, wie diese Lenz'sche Übertragung von der Straßburger Tischgesellschaft auf einen Rittmeister, der vom Pferde gestürzt war, variiert wurde. Wie unverdient Goethes Anerkennung des nüchternen und den Charakter des Originals völlig ver- fehlenden Lenz'schen Versuches war, zeigen erst die späteren Über- setzungen. Der Schulmeister Holofernes kündigt das Epitaph mit dem Ver- sprechen ah, er wolle »die Alliteration in etwas vorwalten lassen, denn das zeuget von Leichtigkeit«. Die Erfüllung, die Lenz schuldig bleibt, gelingt bei Heinrich Voß wie folgt r*

Preis dir, Prinzeß, du pirschtest brav und brachtest prächtig Wildpret; Ein Spießer sonst, Gespießter nun, gespießt von deinem Spieße. Hell gellt Gebell; zum Spießer 1, ein Spießerl springt vom Wildbett; Des Spießers Spieß den Spießer spießt; hallali hallt die Wiese; Dein Spieß spießt fünfzig Spießer, wHlst du L zum Spieß gesellen; Ein Spießer hundert Spießer wird, fügst du ihm bei zwei LLen.

Zu einem über die Clownerie des alliterierenden Schulmeisters hinausragenden, stellenweise dichterischen Gebilde wird der Scherz bei Baudissin :

Straff spannt die Schöne, schnellt und schießt ein Spießtier

schlank und schmächtig ; Man nannt' es Spießhirsch, denn am Spieß spießt ihn der

Speisemeister. Hierauf verspeist mit Gabeln wirds ein Gabelhirsch, so dächt' ich, Und weil die Schützin Kronen trägt, mit Recht ein Kronhirsch heißt er. Hell gellt die Jagd: nehmt vom Gebell zu Hirsch eins von

den L len, Sinds fünfzig Hirschel: noch ein L, so tat sie hundert fällen.

Nathanael sagt dazu :»Wie schmeidig bewegt er der Verse zähen Fußl«, was er, trotz Goethe, zur Lenz'schen Fassung mit Unrecht gesagt hätte.

(Der volle Ertrag für das »Heim für tuberkulöse Kinder«.;

2. Dezember, halb 3 Uhr:

1. Worte in Versen: Mit der Uhr in der Hand / Krieg Der Bauer, der Hund und der Soldat / Als Bobby starb /

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An einen alten Lehrer / Jugend / Fahrt ins Fextal / »Alle Vögel sind schon da« / Meinem Franz Qrüner / Kriegsberichterstatter / Meinem Franz Janowitz / Bunte Welt / Der Heldensarg / Kompe- tenz vor der Sprache / Unterricht / Abenteuer der Arbeit / Wiedersehn mit Schmetterlingen / Vallorbe.

II. Zum dritten Male: Hannele Matterns Himmel- fahrt, Traumdichtung in zwei Teilen von Gerhart Hauptmann. (Begleitende Musik: Dr. Egon Kornauth.)

Programmbemerkung: Der Zusammenbruch des Dichters, der heute zwischen fragwürdigen Dramen Aufrufe für die Kriegs- anleihe verfaßt, macht es zur Pflicht, ihn vor Verwechslung mit ihm selbst zu schützen und immer wieder auf die Wunder seiner Jugend hinzuweisen.

(Der volle Ertrag für den Arbeiterverein »Kinderfreunde«.) *

9. Dezember, halb 4 Uhr:

I. Pa n d o r a, ein Festspiel (Fragment) von Q o e t h e.

II. Szenen aus: Die letzte Nacht, Epilog zu der Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus (Drei sterbende Soldaten. Männliche und weibliche Gasmaske. Zwei Kriegskorre- spondenten. Ein Feldwebel. Die Kriegskorrespondentin. Ein Toten- kopfhusar.) Der General ; Doktor ing. Abendroth aus Berlin ; Der Er- blindete; Fressack und Naschkatz, Hyänen; Der Herr der Hyänen; Drei gelegentliche Mitarbeiter; Stimmen von unten; Stimmen von oben; Zwei Ordonnanzen ; Die Kinooperateure; Eine Stimme von unten; Eine Stimme von oben; Die Stimme Gottes. (Die Szenen mit den in Klammern angeführten Erscheinungen wurden nicht vorgelesen.) \

Programmbemerkung: Das übliche Saalerlebnis, daß gewisse Solisten der Hörerschaft das Vergnügen über die leichte Agnoszierung zeit- und ortsbekannter Namen und Klänge nicht unterdrücken können, möge dem Vorleser diesmal erspart bleiben. Er ist nicht darauf erpicht, solche Beweise der Eingeweihtheit, solche Bekenntnisse der Bekannt- schaft und Verwandtschaft mit den trostlosen Anlässen seiner Ge- staltung als Erfolg einzuheimsen. Die Übernahme der komischen Trivialität in das Grauen sollte das Unglück, in dieser Zeit und au diesem Ort zu leben, tiefer fühlen lassen und keineswegs damit ver- söhnen. Da die Absicht fehlschlägt, flüchtet der Vorleser oft genug zu Shakespeare und Andern, froh der verminderten Gefolgschaft und des Zurückbleibens jener, die an solchen Abenden > nicht auf ihre Kosten kommen«. Goethe wäre ein vollkommener Schutz, wenn er den Abend füllte. Da es nicht der Fall ist und eben diesmal die Meinung Platz greifen könnte, daß ein Wiener Weltuntergang ein Spassettl sei, möge die Bitte helfen, in der Erheiterung Maß zu halten. Hilft sie nicht, so ist von jenen besseren Teilen des Publikums, deren Erschütterung bis zur Garderobe und sogar darüber hinaus vorhält und deren Empfänglichkeit oder Würde

diese Vorlesungen nicht völlig zur beschämten Preisgabe eines Geheim nisses macht, zu erwarten, daß sie die unbewegten Lacher und Freunde stofflicher Reize zurechtzischen werden, so daß solche es künftig vor- ziehen, anstatt in diesem Saal bei den Quellen ihrer Belustigung ein- zukehren. Zur leichteren Orientierung, welche Hörer hier gemeint sind, diene das Gefühl jener, die sich durch diese Erklärung getroffen fühlen oder soeben etwa zu dem Ausruf »Das hat die Welt nicht gesehn l< geneigt wären. Ihnen wird, mit der Beruhigung, daß Goethe sie ohnedies langweilen dürfte, anheimgestellt, sich vor Beginn geräusch- los zu entfernen und ihr Eintrittsgeld an der Kassa zu beheben. (Der volle Ertrag für den Arbeiterverein »Kinderfreunde«.)

16. Dezember, halb 4 Uhr:

I. Aus »Demokritos« (Karl Julius Weber), mit Vorbemer- kung / Es ist alles da, es ist nicht so wie bei arme Leute / Der Untergang der Verite / Mit einem vollen Tropfen Drucker- schwärze gesalbt (»Die Bedeutung der Presse im Weltkrieg«) / Stellen wir uns vor (Ein Satz) / Ein Bild / Szene in einem Palais / Ein Winkelried / Schon wieder eine Forderung! / Das letzte Duell / Der jüngste Ehrendoktor / Ein Irrsinniger auf dem Einspännergaul / Schonet die Kinder! / Denn wir sind ein Kulturvolk / Lied des Alldeutschen. II. Szenen aus: Die letzte Nacht, Epilog zu der Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit.« (Diesmal auch: Männliche und weibliche Oasmaske.)

Program mbemerkung ähnlich wie am 9. Dezember.

(Ein Teil des Ertrages für eine Arme, der beide Söhne getötet wurden.)

27. März 1918, 6 Uhr:

Das technoromantische Abenteuer / Von der Sinai- Iront / Ein Kantianer und Kant / Um Mißverständnissen vor- zubeugen / Von Goethe / Erfahrungen / Ei-Ersatz Dottofix / Die europäische Melange / Papierknappheit in Österreich / Das kann man nicht oft genug hören / Für Lammasch. IL Wie Hinden- burg und Ludendorff unter Paul Goldmanns Einwirkung zu Pazifisten wurden / Vor dem Einschlafen der Welt / Die mit gutem Beispiel vorangehen und die ihnen folgen / Die Kriegs- schreiber nach dem Krieg ' Der Katzelmacher / Das Lied vom armen Kind. Von Frank Wedekind f (Erst- druck in der Fackel 1904) / Unsere Pallas Athene ! / Kriegsmüde / Lied des Alldeutschen. III. Der Bauer, der Hund und der Soldat / Aus: Die letzte Nacht: Hyänen-Szene / Zum ewigen Frieden.

Programmbemerkung wie oben.

(Ein Teil des Ertrages für den Arbeiterverein » Kinder- freunde«.)

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30. März, halb 7 Uhr:

I. Das technoromantische Abenteuer / Von der Sinai-Front / Ein Kantianer und Kant / Um Mißverständnissen vorzubeugen / Von Lionardo da Vinci / Von Goethe / Er- fahrungen / EiTirsatz Dottofix / Die europäische Melange / Papier- knappheit in Österreich / Das kann man nicht oft genug hören / Für Lammasch. II. Wie Hindenburg und Ludendorff unter Paul Qoldmanns Einwirkung zu Pazifisten wurden / Vor dem Einschlafen der Welt / Die mit gutem Beispiel vorangehen und die ihnen folgen / Epigramme / Das Lied vom armen Kind. Von Frank Wedekind | / Unsere Pallas Athene! / Kriegsmüde / Die Kriegsschreiber nach dem Krieg. III. Der Bauer, der Hund und der Soldat / Zum ewigen Frieden.

(Ein Teil des Ertrages für den Arbeiterverein »Kinder- freunde«.)

14. April, halb 4 Uhr:

I. Worte in Versen: Goethe-Ähnlichkeit / Abenteuer der Arbeit / Memoiren / Sonnenthal / Wiedersehn mit Schmetter- lingen / Der Reim / Der Anlaß / Der Ratgeber / Bange Stunde Verlöbnis / Die Flamme der Epimeleia.

II. Helena (Faust, der Tragödie zweiter Teil, III. Akt.) Von Goethe. (Begleitende Musik.)

Auf dem Programm waren, zusammengestellt aus einer Sammlung von Aussprüchen Goethes über den Faust, die folgenden Zitate gedruckt: \

> Je inkommensurabler und für den Verstand unfaß- licher eine poetische Produktion, desto besser.«

Gespräch mit Eckermann, 6. Mai 1827.

»— mit einem Worte, ich verwünsche alles, was diesem Publikum irgend an mir gefällt. Ich weiß, daß es dem Tag und daß der Tag ihm angehört; aber ich will nun einmal nicht für den Tag leben .... Ja, wenn ich es nur jedahin noch bringen könnte, daß ich ein Werk verfaßte aber ich bin zu alt dazu , daß die Deutschen mich so ein fünfzig oder hundert Jahre hintereinander recht gründlich verwünschten und aller Orten und Enden mir nichts als Übles nachsagten ; das sollte mich außer Maßen ergötzen.... Sie mögen mich nicht ! Das matte Wort! Ich mag sie auch nicht! Ich habe es ihnen nie recht zu Danke gemacht! . . Gespräch mit Falk, 21. (?) Juni 1816.

Ein versiegeltes Paket lag auf dem Tisch. Goethe legte seine Hand darauf. »Was ist das?« sagte er: »Es ist die , Helena', die

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an Cotta zum Druck abgeht.« Ich empfand bei diesen Worten mehr, als ich sagen konnte, ich fühlte die Bedeutung.des Augen- blicks. »Ich habe«, sagte Goethe, »bis jetzt immer noch

Kleinigkeiten daran zu tun und nachzuhelfen gefunden. Endlich aber muß es genug sein .... Es mag nun seine Schicksale erleben! Was mich tröstet, ist, daß die Kultur in Deutschland doch jetzt unglaublich hoch steht und man also nicht zu fürchten hat, daß eine solche Produktion lange unverstanden und ohne Wirkung bleiben werde.«

Gespräch mit Eckermann, 29. Januar 1827.

>— Sie haben vollkommen recht«, sagte Goethe; »auch kommt es bei einer solchen Komposition bloß darauf an, daß die einzelnen Massen bedeutend und klar seien, während es als ein Ganzes immer inkommensurabel bleibt, aber ebendeswegen, gleich einem unaufgelösten Problem, die Menschen zu wieder- holter Betrachtung immer wieder anlockt.«

Gespräch mit Eckermann, 13. Februar- 1831.

» - Wenn das alles so zur Erscheinung käme«, sagte ich, »wie Sie es gedacht haben, das Publikum müßte vor Erstaunen dasitzen und gestehen, daß es ihm an Geist und Sinnen fehle, den Reichtum solcher Erscheinungen würdig aufzunehmen. »Geht nur«, sagte Goethe, »und laßt mir das Publikum, von dem ich nichts hören mag. Die Hauptsache ist, daß es geschrieben steht; mag nun die Welt damit gebaren, so gut sie kann, und es benützen, so weit sie es fähig ist.« Gespräch mit Eckermann, 20. Dezember 1829.

Es ist mir, teurer verehrter Freund, höchst wohltätig, wenn ich erfahre, daß meine ältesten, edelsten Zeitgenossen sich mit »Helena« beschäftigen, da dieses Werk als ein Erzeugnis vieler Jahre, mir gegenwärtig ebenso wunderbar vorkommt als die hohen Bäume in meinem Garten am Stern, welche, doch noch jünger als diese poetische Konzeption, zu einer Höhe heran- gewachsen sind, daß ein Wirkliches, welches man selbst verur- sachte, als ein Wunderbares, Unglaubliches, nicht zu Erlebendes erscheint Brief an Knebelj 14 November 1827.

»Sie (.Helena'; ist eine fünfzigjährige Konzeption. Ein- zelnes rührt aus den ersten Zeiten her, in denen ich an den .Faust' ging, andres entstand zu den verschiedensten Zeiten meines Lebens. Als ich daran ging, alles in einen Guß zu bringen, wußte ich lange nicht, was ich damit machen sollte. Endlich fiel mirs wie Schuppen von den Augen; ich wußte: nur so kann es sein und nicht anders!«

Owpräch mit C. Kraukling, 1. September 1828.

Ganz ohne Frage würd es mir unendlich Freude machen, meinen werten, durchaus dankbar anerkannten, weitverteilten Freunden auch bei Lebzeiten diese sehr ernsten Scherze zu widmen, mitzuteilen und ihre Erwiderung zu vernehmen. Der Tag aber ist wirklich so absurd und konfus, daß ich mich überzeuge, meine redlichen, lange verfolgten Bemühungen um dieses seltsame Qebäu würden schlecht belohnt und, an den Strand getrieben, wie ein Wrack in Trümmern daliegen und von dem Dünenschutt der Stunden zunächst überschüttet werden. Verwirrende Lehre zu ver- wirrtem Handel waltet über die Welt, und ich habe nichts angelegentlicher zu tun, als dasjenige, was an mir ist und geblieben ist, womöglich zu steigern und meine Eigen- tümlichkeiten zu kohobieren, wie Sie es, würdiger Freund, auf Ihrer Burg auch bewerkstelligen.

Brief an W. von Humboldt, 17. März 1832 (fünf Tage vor Goethes Tod>.

(Der volle Ertrag für den Arbeiterverein »Kinderfreunde« und die Kinder-Schutz- und Rettungs-Gesellschaft.)

22. April, halb 7 Uhr:

I. Hölderlin: Vom deutschen Volk/ Von der Sinai-Front / Ein Kantianer und Kant / Um Mißverständnissen vorzubeugen / Von Lionardo da Vinci / Von Goethe (Zwei Zitate) Hungersnot in England / Getreide aus der Ukraine / Eine Quelle der Verjüngung / Das kann man nicht oft genug hören /Für Lammasch. II. Am Sarg Alexander Girardis/ Glück / Ein Bild / Mit einem vollen Tropfen Druckerschwärze gesalbt / Vor dem Einschlafen der Welt / Szene in einem Palais / Fürs Vaterland / Zur Darnachachtung /' Unsere Pallas Athene ! / Kriegsmüde / Die Kriegsschreiber nach dem Krieg. III. Der Bauer, der Hund und der Soldat / Zum ewigen Frieden.

(Ein Teil des Ertrages für den Arbeiterverein »Kinder- freunde«.)

Glossen

Wie Hindenburg und Ludendorff unter Paul Goldmauns Einwirkung zu Pazifisten wurden

Als Paul Goldmann zu Hindenburg und Ludendorff ging, stand auf dem Niederwald die Germania und hob mit hochgestrecktem Arme die deutsche Kaiserkrone in den Morgen- himmel. Das tut sie zwar immer, aber es gibt Tage, an denen »Allegorien, sonst konventionell und leer, plötzlich Bedeutigig und Inhalt durch die Ereignisse bekommen.« Heute ist solch ein Tag. Hindenburg und Ludendorff erwarten jien Besuch Faul Goldmanns, »den vierten seit Beginn des Krieges<, und die Härte dieser Kriegszeiten könnte nicht sinnfälliger zum Ausdruck kommen.

Heute hat die Germania auf dem Niederwald einen starken Ausdruck. Ruhig, unerschütterlich steht sie, hält das Symbol des deutschen Reiches, die Kaiserkrone, empor und wendet den Blick nach Frankreich: »Ihr werdet sie nicht herunterholen!«

Dem Paul Goldmann ist sie geneigt, ihm gibt sie Ernst aber Zuversicht, und ich erinnere mich aus Friedenszeiten an eine Eisenbahnfahrt durch Südtirol, da ein Offizier eingestiegen war und ein älterer Herr neben mir, der offenbar Biach hieß, den Blick von ihm nicht abwendend, zu seiner Gattin die Wortesprach: »Das ist also das sogenannte Tridanto!« >Tridantino«, verbesserte die Gattin. Er aber fuhr fort: »Ja, das möchten sie haben, die Herren Italiener, das schmecket ihnen. Aber sie kriegen es nicht!« Die Prophezeiung hat sich erfüllt; doch unvergeßlich bleibt mir die Haltung des Offiziers, der ich muß es trotz allen Erlebnissen dieser Kriegsjahre hervorheben schamrot wurde. Er hatte ganz gewiß keinen Festungsplan verraten, aber er fühlte sich mit dem Feind verbunden und verraten an den innern Feind, an jene geheimnisvolle Macht, die heute in Gestalt des Paul Goldmann ihre Siegesgewißheit auf die Germania stützt und darin leider sowohl von Hindenburg als auch von Ludendorff bestärkt wird.

Die Unteilbarkeit der Individualität, die diese beide Namen trägt, kommt schon in dem Titel des Interviews »Hindenburg und Ludendorff über Krieg und Frieden< zum Ausdruck, und mit höchster Spannung folgt man dem Prozeß, wie sich in den grundverschiedenen Diskussionsgegenständen die Einheit der Persönlichkeit zur. Geltung bringt. Das wird wesentlich dadurch erleichtert, daß Hindenburg und Ludendorff gemein- schaftlich eine Villa bewohnen, und da auch der Empfang zu gleicher Zeit stattfindet, so ist die Einheit des Ortes, der Zeit und des Frühstücks gewahrt, bei dem freilich »dem Qast die hohe Ehre zuteil wird, zwischen dem Generalfeldmarschall und dem Generalquartiermeister sitzen zu dürfen«. Es ist, in eifter Epoche, in der alles photographiert wird, ein unwieder- bringlicher Verlust, daß eine wenngleich noch so plastische Schilderung dieser Szene nicht vom Bilde unterstützt wird. Ehe man Platz nimmt, drückt Hindenburg »dem Gaste die Hand mit seiner mächtigen Rechten (einer Löwenpranke) und begrüßt ihn mit der herzgewinnenden Güte, die ihm eigen ist«. Daß an demselben Tag ein anderer Feuilletongast von der zarten Hand Hindenburgs gesprochen hat, ist vielleicht darauf zurück- zuführen, daß er den schmächtigeren Ludendorff beschreiben wollte, der bekanntlich die rechte Hand Hindenburgs ist. I.udendorffs Aussehen ist nach Goldmann, der besser auseinander- halten kann, »unverändert das gleiche wie vor einem, vor zwei, vor drei Jahren«, also wie bei den früheren Besuchen Goldmanns, nur daß sein Charakterkopf natürlich noch durchgeistigter geworden ist. Auch Goldmann hat sich in all der Zeit nicht verändert, höchstens daß er noch zudringlicher geworden ist. Da Hindenburg und Ludendorff darauf gefaßt sind und Goldmann trotzdem zum vierten Mal empfangen, suchen sie wenigstens das Verfahren tunlichst abzukürzen, indem sie, ohne erst die Fragen abzuwarten, gleich alle Antworten erteilen, alternierend und einander ergänzend, indem sie so einerseits alles Wissenwerte an den Goldmann bringen, andererseits jedoch streng auf die Wahrung der Einheit bedacht sind. Sie, die sonst Schulter an Schulter miteinandergehen, sind diesmal zwar durch die Gestalt des Paul Qoldmann getrennt, aber gerade darum »chelnen ihre

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Stimmen, die von rechts und links auf ihn eindringen, wie eine einzige zu klingen. Der Grundgedanke des Gespräches ist, daß man bis zum Endsieg durchhalten muß, einstimmig versichern beide, daß es schwer ist, aber darüber, daß es gelingen wird, herrscht unter ihnen nur eine Stimme.

»Es steht alles gut«, beginnt Hindenburg das Gespräch. Und Ludendorf f bekräftigt: »Die Kriegslage berechtigt zur größten Zuversicht.«

Ob Goldmann es notiert oder im Kopf behalten hat, erfahren wir nicht, so oder so muß es schwer gewesen sein, den sich kreuzenden und doch wieder findenden Gedanken- gängen zu folgen.

»Überwintern müssen wir freilich«, fährt Hindenburg fort

Ludendorff fügt hinzu: »Den Termin des Friedens bestimmen können wir natürlich nicht «

Die lapidare Wucht dieser Äußerungen verführt beinahe zu der Vorstellung, daß Goldmann schwerhörig ist und nach- dem er aufgefaßt hat, befriedigt nach der rechten und dann nach der linken Seite nickt. Doch gelingt es ihm zuweilen, die beiden Flügelmänner mit einer Frage zu überraschen. So sieht er wohl ein, daß sich über das »Wann« des Friedens bestimmte Angaben nicht machen lassen. Aber vielleicht über das »Wie?« Und stellt nun die Frage, die wohl jedem daheim am Herzen liegen mag: »Durch welche Mittel wird der Friede am sichersten herbeigeführt?« Da nun Goldmann das Glück hat, den beiden maßgebendsten Heerführern am Herzen zu liegen, so kann man^ wohl auf die Antwort gespannt sein:

»Der Friede wird umso eher herbeigeführt werden,

antwortet Ludendorff

je günstiger unsere Kriegslage wird. Noch steht die Tat über dem Wort«.

Und Hindenburg:

» Deshalb sollten wir jetzt nicht mehr vom Frieden sprechen

Trotzdem, das Eis ist gebrochen.

»Den Anfang

fährt Ludendorff fort

scheinen die Russen machen zu wollen i

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Und Hindenburg?

»Ein Waffenstillstand von einer Dauer von drei Monaten, von dem öfter gesprochen wird,

führt Ludendorff weiter aus

ist reichlich lang.«

Und Hindenburg?? Ludendorff macht eine Pause des Nachdenkens

und spricht weiter: >Wenn mir jemand sagt, die russische Revolution sei ein Glücksfall für uns gewesen, so protestiere ich immer. Die Revolution in Rußland war kein Glücksfall, sondern die natürliche und notwendige Folge unserer Kriegführung. Mit dem modernen Kriege hat es eine eigene Bewandtnis «

Und Hindenburg??? Da muß eine technische Störung ein- getreten sein. Goldmann erklärt, >was im Anschluß hieran über den Frieden mit Rußland gesprochen wurde, entziehe sich in seinen Einzelheiten der Veröffentlichung«. Er ist also im Besitze eines Generalstabsgeheimnisses und verrät es um keinen Preis der Welt.

Nur so viel darf vielleicht mitgeteilt werden, daß Hindenburg und Ludendorff einen Frieden wünschen, der möglichst sichere und stabile Verhältnisse schafft, einen solchen Frieden, der uns gesicherte Grenzverhältnisse und eine freie wirtschaftliche Betätigung in der Welt und auf dem Weltmeer bringt.

Das ist überraschend, man hatte immer gefürchtet, Hindenburg und Ludendorff würden einem Verzichtfrieden das Wort reden oder gar die Abtretung Elsaß-Lothringens betreiben. Natürlich will sich weder Hindenburg noch Ludendorff heute binden.

Hindenburg und Ludendorff sind der Meinung, daß die Ansichten über den Frieden nicht unveränderlich sein können, da sie von der Kriegslage abhängen.

Hindenburg speziell meint, vielleicht reiße in Rußland schließlich »irgendein Gewaltmensch die Macht an sich und peitscht das kriegsmüde russische Heer noch zu einer letzten Anstrengung auf.«

»Auch über die Lage an der Westfront kann ich mich mit voller Beruhigung und Zuversicht aussprechen«

versichert Hindenburg. Ludendorff knüpft daran

noch folgendes:

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Goldmann möchte wissen, was von dem Obersten Kriegsrat zu erwarten sei, den die Ententejetzt einzusetzen im Begriffe ist.

Hindenburg lacht

Qoldmann legt den Finger auf die elsaß-lothringische Frage.

»Für die Franzosen mag es eine elsaß-lothringische Frage geben,

antwortet Ludendorff

für Deutschland gibt es keine. «

Goldmanri, ein ungestümer Mahner, verweist auf Amerika.

»Die Reklame,

äußert Hindenburg

mit der Amerika seine Kriegsleistungen ankündigt, ist imposant und des Landes würdig, das einen Barnum hervorgebracht hat. Nun wollen wir erst einmal abwarten, ob die Leistungen selbst ebenso imposant sein werden. <

Hindenburg entwickelt den Gedanken, daß Amerika seit seinem Eintritt in den Krieg tatsächlich bestrebt sei, ein großes Heer zu schaffen, denn im Frieden hätte es das schon deshalb nicht können, weil Japan nicht ruhig zugesehen hätte. Aber jetzt muß man sich fragen, ob die Amerikaner »nichts Gescheiteres zu tun haben«, als dieses große Heer nach Europa zu schaffen und damit ihr eigenes Land wehrlos zu machen, für den Fall, daß Japan und so weiter. Was die Amerikaner aber getan hätten, wenn zur Zeit, da sie das Heer noch nicht hatten, Japan und so weiter das just erfährt Goldmann nicht. Er errät aber gewiß, daß Hindenburg meint, die Amerikaner hätten das Heer gegen Japan aufgestellt. Und dann der herrschende Tonnagemangel! Und die U-Boote! »Kurzum,« sagt Hindenburg, »das große amerikanische Heer steht noch in nebelhafter Ferne.« Goldmann hat eine Frage auf dem Herzen, die an das Problem des U-Bootkrieges streift.

Ludendorff übernimmt e s,

die Antwort zu erteilen. » Wir haben nicht daran gedacht, daß unsere U-Boote England in ein paar Monaten aus- hungern würden. Unser Ziel war nicht, England aus- zuhungern, sondern es zum Frieden geneigter zu machen. <

Ludendorff fährt fort. Und Hindenburg?

Ludendorff hat die Operationen in Italien erwähnt, und die Unterhaltung geht jetzt zu ihnen über.

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Nun ist die Reihe an Hindenburg. Er spricht vom vortrefflichen Zusammenarbeiten, »im Wetteifer mit unseren Deutschen« hätten sich die österreichisch-ungarischen Soldaten tapfer geschlagen. Ludendorff schließt sich an. Von allen Kriegsschauplätzen ist schon die Rede gewesen, Goldmann ver- mißt jetzt nur noch den Balkan. Hindenburg beruhigt ihn mit der Versicherung, daß dort die Lage unverändert sei.

Das Mittagmahl ist gegessen, der Kaffee getrunken. Der General- feldmarschall hebt die Tafel auf.

Qoldmann hat gleich im Anfang erzählt, daß das Mittag- essen »von militärischer Einfachheit« gewesen sei, der Kaffee allerdings aus echten Bohnen gemacht und nicht, wie man etwa vermuten könnte, identisch mit jenem, >den in dieser schweren Kriegszeit einem Teil des deutschen Volkes ein immerhin echt d e u tsch er Baum, die Eiche, liefert« ein schalkhafter Hinweis auf ein nationales Vorrecht, das allerdings bisher nur unterschiedslos die alldeutschen Schweine genossen hatten. Nachdem Qoldmann also den letzten Rest Bohnenkaffees, den es in Deutschland noch gegeben hat, ausgetrunken hat, verab- schiedet sich Hindenburg von dem Gaste, der offenbar nicht gehen will, indem er die Worte spricht:

»Wenn wir noch eine Zeitlang Kraft und Oeduld haben, bringen wir's zum guten Ende. Das sagen Sie in Österreich- Ungarn mit einem schönen Gruß von mir!«

Das waren aber noch nicht die letzten Worte. Goldiuann steht und zaudert. Noch hat Ludendorff nicht Abschied genommen. Goldmann wartet. Da reißt Ludendorff Hindenburgs Geduld, und er spricht etwas, was Goldmann nicht ohne vor- bereitenden Kommentar wiedergeben möchte.

Die Abschiedsworte des Generalquartiermeisters spielen darauf an, daß der Schreiber dieser Zeilen bisher in jedem Kriegsherbst einmal an der Tafel des Feldmarschalls hat sitzen dürfen, und lauten: »Sie sind heute vielleicht zum letztenmal bei uns gewesen. < Paul Goldmann.

Hat es je einen selbstloseren Berichterstatter gegeben? Natürlich hat Ludendorff gemeint, vor dem fünften Besuch werde der Friede kommen. Ja, er hofft es sogar. Er \\m\ darin dürfte wohl Hindenburg mit ihm einer Meinung sein

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sie beide, Hindenburg und Ludendorff denken: Soll in Gottes Namen wieder der Friede kommen, ehe der Paul Qoldmann wieder kommt! Er faßt das »ehe« als eine Präposition der Zeil auf, sie jedoch als eine Präposition der Wahl. Denn sie sind keine Jusqu'auboutisten. Sie sind, Hindenburg und Ludendorff, in diesem Fall zu einem Verzichtfrieden bereit!

An der Tafel

Berlin, 15. Oktober. Ein K r i egsber ichter s t atter des ,L o k a 1 a n z e i g e r', der sich gegenwärtig in Rumänien aufhält, hatte Gelegenheit, während der Reise des deutschen Kaisers in Rumänien, einer Tafel beizuwohnen. In dem sehr lebhaften Gespräch an der Tafel äußerte sich der Kaiser über die fruchtbare rumänische Tief- ebene: > Ist das nicht ein gesegnetes, reiches Land! Sehen Sie diesen schwarzen, fetten Boden, diese Riesenschober I Das ist Brot für das Land und für das Heer. Nein der Gott, der uns das wachsen läßt, der will uns nicht a 1 s K n e c h t e. Da ist mir eben die Jungfernrede des neuen Ministerpräsidenten Painleve" vorgelegt worden. . . . was sind das wieder für volltönende Phrasen und keine Spur von tiefen Gründen hinter all diesen Worten. < Er wendete sich dabei an den Offizier und sagt: >Sie können den Text dann vorlesen.« .... Schließlich kam das Gespräch auf die Ernährung. Der Kaiser sagte: »Es ist des Deutschen unwürdig, reichlich zu leben, während die Besten sich einschränken. Was wir an Nahrungsmitteln besitzen, ist ein gemeinsames Gut, das bei gerechter Verwaltung wohl ausreicht, uns durch unbeschränkte Zeit genügend zu ernähren, was uns die Möglichkeit, den letzten Sieg mit Ruhe zu erwarten, verbürgt.«

Der Gott, der uns das wachsen läßt . . .

Vor dem Verein für öffentliche Gesundheitspflege sprach gestern abend Geheimrat Professor Juckenack über die E r s a t z m i 1 1 e 1 , die die Not des Krieges und der Scharfsinn d'er Erfinder

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der Bevölkerung Deutschlands über den Hals geschickt hat. . . . Fleisch wurde aus Kleintieren, Seetieren mit Essigzusatz schmackhaft gemacht. Leberwurst wurde aus Stärkekleister und rotgefärbtem Gemüse hergestellt, wobei für die Fettklümpchen Kartoffelstückchen zugesetzt wurden. Der in neuester Zeit auf der Bildfläche erschienene Käseersatz erstand aus Molken, BerlinerQuark mitPaprikaersatz und gab sich als Ungarischer Liptauer aus. Öl wurde aus Paraffin gemacht und für Kartoffelpuffer verwendet, bis infolge vielfacher Erkrankungen die Behörde einschritt. Gänsefett bereitete man aus Dachsfett, Eier-Ersatz aus Schlemmkreide mit Backpulver, Kaviar aus gefärbtem Fischroggen, Brot wurde aus Strohmehl gebacken . . . .

Ei-Ersatz Dottofix

wenn er- uns nichts gebracht hätte, der Krieg, als das und außer- dem ><Hausmacher-Eiernudeln« so war er nicht zu führen! Ja, hätte doch ein Antidämon am 31. Juli 1914 (oder schon etwas früher) dem Grafen Berchtold und dem Bethmann Hollweg zugeflüstert: Ei-Ersatz Dottofix! Sie hätten 's nicht getan, bei Gott, sie hätten's nicht getan. Und gar mancher wäre auch durch die rechtzeitige Warnung >Tor, was beginnst du, du wirst zwar Prestige, aber keineColgatd- Rasiercreme haben einst!< dazu gebracht worden, es lieber mit einer Entspannung zu versuchen. Jetzt haben sie nur zwischen Ei-Ersatz Dottofix und Eier-Ersatz aus Schlemm- kreide mit Backpulver die Wahl und wenn sie jenem nicht trauen und Zahnpulver-Ersatz nicht essen wollen, so bleiben ihnen nur die Hausmacher-Eiernudeln. Und darum Räuber und Mörder! Das Blut von zehn Millionen Toten das konnte sich keiner, vorstellen. Aber vielleicht hätte es genügt, das Zauberwort auszusprechen: Die Schuhbandeln werden ausgehen ! >Ja was hat denn der Schlachtenruhm mit Schuhbandeln zu tun?« Also die Zündhölzchen werden alle sein! »Nicht doch: was haben denn Zündhölzchen mit unserer artilleristischen Überlegenheit zu schaffen?« So hätte denn gesagt werden müssen, was wir haben werden. Ach, die losgelassene Maschinenbestie wäre

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still gestanden, wenn einer Phantasie und Mut genug besessen hätte, vom Belt bis Banjaluka einen Ruf wie Donnerhall brausen zu lassen: Ei-Ersatz Dottofix!

Getreide aus der Ukraine

»Wieder Vizepräsident der Wiener Börse für landwirtschaftliche Produkte, M. Kohn, in de; .Neuen Freien Presse' vom 14. Februar berichtet, wird in den nächsten Tagen eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet sein, die das Getreide in der Ukraine aufkaufen und nach Sulina und Braila senden will.«

Man weiß liicht, welche Qetreidevorräte in der Ukraine überschüssig sind. Man weiß nicht, ob die Bauern in der Ukraine ihr Getreide werden schnell verkaufen wollen. Man weiß nicht, ob das Tauwetter die Straßen der Ukraine nicht in Moräste verwandeln wird. Man weiß nicht, ob es Bahnen in der Ukraine gibt. Man weiß nicht, ob die Anschlüsse an diese Bahnen in der Ukraine hergestellt werden können. Man weiß nicht, wer in der Ukraine über die Häfen des Schwarzen Meeres verfügt. Man weiß nicht, wer über wen in der Ukraine gesiegt hat. Man weiß nicht, ob die Regierung der Ukraine, die den Frieden geschlossen hat, in der Ukraine regiert oder schon getötet ist. Man weiß nicht, ob man die Ukraine, mit der man Frieden geschlossen hat, nicht wird erobern müssen. Man weiß nicht, ob das Getreide in der Ukraine noch vorhanden ist. Man weiß nur, daß die Ukraine durch ihren Getreidereichtum bekannt ist und daß am läge nach dem Friedensschluß mit der Ukraine Herr Kohn eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet hat, um das' Getreide in der Ukraine aufzukaufen und aus der Ukraine herauszubringen, was aus der Ukraine herauszubringen ist, damit wir doch Getreide aus der Ukraine bekommen.

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Ein logischer Schluß des Grafen Czernin

Und wenn ich zugebe, daß die heutigen Zuschübe aus der Ukraine noch gering sind und gesteigert werden müssen, so bleibt doch der logische Schluß, daß unsere Verpflegslage ohne diese Zuschübe bedeutend schlechter wäre.

Der Tritt ins Leben

[Das Jubilflum der Brotkarte.) Morgen werden es drei Jahre sein, daß die Brot- und Mehlkarte ins L e t> e n trat. . . .

Peripetie

Dasselbe gilt von Serbien, von dem Graf Czernin wünscht, daß es recht bald sein eigenstes Interesse einsehen und sich mit den Zentralmächten verständigen möge. . . . Der serbische Bauer will eine solche Politik nicht, sondern er will im Frieden mit seinem natürlichen Nachbar leben, der auch der beste Abnehmer seiner wirtschaftlichen Produkte ist

Wahr, wahr! Der Krieg ist die Folge der verschmähten serbischen Schweine und die erwünschten serbischen Schweine sind die Folge des Kriegs.

In flagranti

Daß das breiteste Lügenmaul in seiner Mission, die Welt zu verpesten, sich auch nicht durch die Nachbarschaft der Wahr- heit beirren läßt, das zu erleben war seit dem Ausbruch dieser Pest täglich Gelegenheit, indem nicht nur »was Brot in einer Sprache, Oift heißt in der andern Zunge«, sondern auch

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Tatsachen und ihre-* Kommentare in einem schönen Schulter an Schulter - Verhältnis der Unverträglichkeit belassen wurden. Ein rührendes Beispiel bietet hiefür der 24. Oktober: der Leitartikel über eine Lloyd-George-Rede und das umgewendete Blatt, wo dieser selbst steht.

Benedikt:

. . . Wenn der Götze von Potsdam nicht sollte zerschmettert werden können, würden Brasilien und Peru ihren Kaffee, ihren Kakao und ihre Baumwolle den deutschen Kaufleuten nicht liefern. Welcher Mangel an Durchdachtheit! Deutschland kann siegen oder unterliegen. Wenn es siegen würde, könnte es gewiß Handels- kriege, welche auch die Vereinigten Staaten nicht wollen, im Friedens- vertrage verhindern; wenn es unterliegen sollte, würde es so zerbrochen aus dem Kampfe hervorgehen, daß* die Nichtlieferung von Kaffee oder Kakao der mildeste seiner Schmerzen wäre ....

Immerhin würde auch die Baumwolle fehlen wie sie in der Argumentation fehlt, da es nützlicher schien, bloß auf Kaffee und Kakao einen logischen Schluß zu machen. Was aber sagte Lloyd-George: Deutschland erging sich in ein Gelächter, als es hörte, daß China, Bra- silien, Peru und Guatemala den Krieg erklärt hatten. Sein Lachen beginnt hohl zu werden. Es beginnt zu verstehen, was das bedeutet. Diese Länder erzeugen Nahrung und Rohstoffe für die Welt, n i ch t nur Luxusbedürfnisse wie Tee, Kaffee, Kakao und Tabak, sondern Getreide, Baumwolle, Wolle, Häute, öl Kupfer, Mangan und andere wichtige Mineralien und Metalle sowie Rohmaterial. . . .

Aber daß was fehlen wird, ficht den Deutschen, der da ficht, so wenig an, wie den Österreicher, der da liest, daß was fehlt.

Hungersnot in England

Berlin, 4. April.

Das Wolffsche Bureau meldet : Ein bezeichnendes Licht auf die englischen Verhältnisse werfen Briefe, die bei englischen Gefangenen gefunden wurden. . . .

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In allen Briefen kehrt der Jamme1',uber die L e b e n s m i 1 1 e 1- misere wieder. In einem Briefe heißt es: Um Kartoffeln müssen wir geradezu kämpfen. Wir sind halb verhungert. Nichts ist zu bekommen. Die Lage ist ernst, die Ernährung entsetzlich. . . .

Eine Arbeiterfrau aus Reading schreibt am 1 . März : Ihr bekommt jetzt keinen Urlaub, weil ihr die hiesigen Zustände nicht sehen sollet. Es wird uns Frauen überlassen bleiben, diesen Krieg zu beenden. Die Lebensmittelfrage muß schließlich das Ende herbeiführen.

Noch deutlicher schreibt ein Dockarbeiter aus London am 20. März: Wenn der Krieg noch lange dauert, fangen wir hier an!

Solche Nachrichten aus der Heimat wirken auf die Soldaten an der Front ungünstig ein, wie ein aus dem Felde datierter Brief vom 15. März beweist, in dem der Absender im Schützengraben schreibt : Die Engländer werden es nicht mehr lange aushalten können, da die Lebensmittel so schrecklich knapp sind.

Es heißt gewiß die englischen Zustände nicht zu schwarz sehen, wenn man annimmt, daß die Lebensmittelmisere, die nach dem Brief der Arbeiterfrau aus Reading am 1. März so unerträgliche Formen hatte, sich bereits am 25. Februar fühlbar gemacht haben muß. Tatsächlich ist denn von der , Arbeiter-Zeitung' auch die folgende, bei diesem Datum ab- schließende Beobachtung publiziert worden, in der die englischen Wucherpreise zu gebührender Würdigung kommen:

Der Glasarbeiter Rudolf Walland, derzeit wohnhaft in Zuck- inantl Nr. 164, war während der ganzen Kriegszeit in England als Glasarbeiter beschäftigt. Am 25. Februar d. J. wurde er nach Öster- reich ausgeliefert, weil er an einem hartnäckigen Kehlkopfleiden schwer erkrankt ist. Er wurde mit seiner Frau und vier Kindern auf einem englischen Munitionsdampfer nach Holland gebracht und kam von dort in seine Heimat nach Österreich. Walland schildert die Verhältnisse bis zu seiner Abreise am 25. Februar recht ausführlich. Alle Lebens- und Bedarfsartikel waren bis zu dieser Zeit mit Ausnahme von Zuckw ohne Marken und uneingeschränkt und zu ganz mäßigen Preisen zu haben. Zucker wurde ab Oktober 1917 auf Marken gegeben und zwar 'A Kilogramm für die Woche und für den Kopf. Zur Zeit seiner Abreise am 25. Februar wurden Marken für Fleisch und Butter eingeführt, doch kann er nicht angeben, in welcher Quantität es zugewiesen wird. Die Preise für Kleidung, Wäsche und Schuhe sind eigentlich noch Friedenspreise. Walland hat sich vor seiner Abreise

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in London einen hochfeinen Kammgarnanzug gekauft und dafür 90 Kronen nach unserem Geld bezahlt. Für ein Paar tadellose Schuhe hat er knapp vor seiner Abreise 30 Kronen gezahlt. Die übrigen Lebensmittelpreise gibt er zur Zeit seiner Abreise wie folgt an:

Schilling Pence Kronen

1 Kilogramm Bohnenkaffee 4 = 4-80

1 » Reis 10 = L—

1 » Erbsen 1 8 = 2

1 » Bohnen 1 8 = 2

1 > gute Butter 5 = 6-

1 » Fett 3 <ao 3-60

1 > Speck 3 4 = 4

1 > Kindfleisch je nach Qualität . . j . ~ e.fi,.

1 > Schweinefleisch 5 6*

1 » Kartoffeln 2 = —20

1 » Zucker 11 = MO

1 Liter Milch 8= —-80

1 Kilogramm Mehl, weiß 6 = *60

3 Stück Toiletteseife 6= —-60

Walland war während der ganzen Kriegszeit nicht interniert, sondern hat als freier Arbeiter in einer Glasfabrik unbeschränkt gearbeitet und mit seiner Familie in London gewohnt.

Ein besonders bezeichnendes Licht fällt hier auf den Preis für angeblich gute Butter. Man denke: für ein Kilogramm sage und schreibe 6 Kronen, während es bei uns ehedem höchstens 5 gekostet hat und auch jetzt zehn Deka höchstens 5>/2 Kronen kosten würden, wenn sie zu kriegen wären. Daß in England Toiletteseife zu haben ist, wird wohl nur als ein Beweis mehr dafür anzu- sehen sein, daß sie dort eben »mit dem Krieg tändeln«. Charakteristisch ist auch die Milchverschwendung. Je genauer man die Tabelle ansieht, desto näher läge allerdings die Ver- suchung, die Niedrigkeit der Preise einzuräumen. Zwei Momente jedoch sind es, die es empfehlenswert erscheinen lassen, das Gefühl des Neides hinter die Pflicht des Zweifels zurückzustellen. Zunächst ist zu sagen, daß der Brief, da er nicht vom Wolff-Büro verbreitet wurde, das Merkmal der Unwahrhaftigkeit auf der Stirn trägt. Dann aber wäre, selbst wenn man dem Beobachter den subjektiven guten Glauben einräumen wollte, der Einwand naheliegend, daß er eben in Erwartung der Heimkehr nach

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Österreich unwillkürlich von den österreichischen Ernährungs Verhältnissen auf die englischen geschlossen hat, und daß seine nur zu berechtigten Hoffnungen die eben überstandene Leidens- zeit in besserem Licht erscheinen ließen und auf sein Urteil abgefärbt haben. Es liegt einfach eine Verwechslung vor. Der Nachweis, daß die Butter bei uns nicht auch sechs Kronen kostet, ist nur deshalb zufällig nicht zu erbringen, weil der Butter zufällig nicht zu haben ist.

Neue Nahrung zugeführt

... Ihr Korrespondent ist, dank des freundlichen Entgegen kommens des Unterstaatssekretärs Herrn v. Braun vom Kriegs- ernihrungsamt in der Lage, Ihnen die Ergebnisse eines Interviews mit diesem hervorragenden deutschen Fachmann mitteilen zu können . . .

Die Lage ist besser als vor einem Jahr. Ja, damals stand es schlecht, da »hatten wir den Kohlrübenwinter, der an die Widerstandskraft und Disziplin des Volkes die größten An- forderungen stellte«. (Und noch dazu einen Kohlrübenwinter ohne Kohle, und wiewohl es schon damals glänzend stand, so läßt sich doch heute sagen, daß es damals schlecht stand, aber heute glänzend.) Wir haben Kartoffeln. Wie stehts mit Brot und Fleisch? »Ich glaube nicht, daß eine Herabsetzung der Brotration nötig sein wird« und »die Fleischration ist für die Bevölkerung in den Großstädten in der bisherigen Höhe gesichert«. Wie steht es aber, fragt der Interviewer, mit der Fettration? Da ist bald geholfen. Die Fettknappheit läßt sich zwar während des Krieges nicht beheben, aber wir schaffend dennoch.

Die Behörden müssen nur darauf bedacht sein, Ausgleich mittel zu finden, und das ist geschehen. Man hat für diesen Winter große Mengen guter Brotaufstrichmittel herstellen lassen, dfe zurzeit zur Verteilung gelangen und von der Bevölkerung überall gern genommen werden.

Der Interviewer ist nicht neugierig zu erfahren, woraus die Brotaufstrichmittel bestehen. Er ist gewiß überzeugt, daß sie

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schon die richtigen Ausgleichmittel und bekömmlich sein werden. Man bekommt sie nämlich. Er verläßt sich darin ganz auf den hervorragenden deutschen Fachmann, der schon im Jahre 1914 eine Schrift »Kann Deutschland durch Hunger besiegt werden?* geschrieben hat. Es steht jedenfalls famos, und der Ernährer braucht gar nicht mit der Wahrheit hinterm Berg zu halten, wenn sich etwa da und dort noch Übelstände fühlbar machen sollten. Dies und das sei schließlich so oder so zu erklären.

Endlich fehlt wohl heute noch einer Anzahl von Landwirten die Kenntnis von den wirtschaftlichen Zusammenhängen im Kriege, was umso weniger verwunderlich erscheint, als ja die Volkswirt schaftlichen Kenntnisse sich bei unserem Eintritt in den Krieg überall, bei Behörden wie bei der Bevölkerung, als recht mangelhaft erwiesen.

Eine ehrliche Erkenntnis, nur verschiebt sich der Unterschied insofern zugunsten des Bauern, als dieser ja noch immer nicht zu wissen braucht, wie man eine Schlacht gewinnt, während der General nicht gewußt hat, daß man dabei die Butter verliert. Um die wirtschaftlichen Zusammenhänge muß sich nicht der kümmern, der etwas von der Wirtschaft versteht, sondern der sie durch einen Krieg zu zerstören im Begriffe ist. Aber das ist eben beim besten Willen nicht gelungen, es steht famos und »die wachsende Kritik an dem Kriegswirtschaftssystem«, nach der sich der Interviewer erkundigt, ist ganz und gar unbegründet.

Die Zeitung, der so beruhigende Aufschlüsse erteilt werden, ist der der deutschen Sache stets gewogene , Berner Bund', und in gesperrtem Druck steht für den, der schon aus der flüchtigen Durchsicht Beruhigung über die Lage Deutschlands schöpfen will, plötzlich eine Wendung da, die gar keinen Zweifel mehr

übrig läßt, daß es famos steht. Die Wendung lautet: > * neue

Nahrung zugeführt«. Man mag immerhin zugeben, daß man aus einem Interview, welches »Die Ernährungsverhältnisse Deutschlands« betitelt ist, auf den ersten Blick einen günstigen Eindruck gewinnen muß, wenn weit und breit keine Stelle in dem Artikel gesperrt gedruckt erscheint außer den Worten: neue Nahrung zugeführt. Nun also, denkt man sich, da erspar' ich mir die ganze Lektüre, es kommt aus Rumänien, oder aha die bekannte italienische Beute, aber nein, dasteht ja »Rußland«,

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also schon aus der Ukraine, na wie dem immer sei, sie haben jedenfalls neue Nahrung zugeführt bekommen, ja die Deutschen, die schaffen es, denen kann's nicht fehlen, es steht famos . . .

Nun, es gibt so gespenstische Erfüllungen, ich erlebe es immer wieder. In sprachzerfallener Zeit steht auf einmal ein Wort vor mir, ein Tonfall, eine Form, und ich weiß, das kommt einmal, das wird Lügenwirklichkeit. Und so fiel mir neulich, da ich mir Beispiele für die furchtbare Konkurrenz der Redensart mit dem jetzt erlebten und nie vorgestellten Inhalt einfallen ließ, diese Kriegsmöglichkeit ein: Das Wolff-Büro wird melden, das Ende der Streikbewegung werde der Zuversicht, daß Deutschland durchhalten könne, neue Nahrung zuführen, und schon das Druckbild der Meldung wird eine glänzende Bestätigung ergeben. So ähnlich ist's eingetroffen, der deutsche Ernährungs- fachmann ist in der angenehmen Lage, nicht in Abrede stellen zu können:

. . . Die infolge der Verhandlungen mit Kußland belebte I'riedenssehnsucht und Hoffnung auch auf friedliche Wirtschafts Verhältnisse hat der Opposition gegen die Zwangswirtschaft unstreitig neue Nahrung zu geffihrt. .. . %

Mit einem vollen Tropfen Druckerschwärze gesalbt

Die Bedeutung der Presse im Weltkriege. Schwer und langsam hat sich in der deutschen Diplomatie die Erkenntnis, welche ungeheure Macht die Presse ist, durchgerungen und jetzt kann man endlich Diplomaten davon reden hören, daß sie die hier einschlägigen Zusammenhänge voll ermessen. So hat letzthin der deutsche Gesandte in Sofia, Graf Obern dort f, als er mit deutschen Schriftleitern, die Gäste ihrer Kollegen waren, zu Tische saß, recht verständige Worte gesprochen. Der Graf sagte: Meine verehrten Gäste I Ich freue mich jedesmal, wenn mir vergönnt ist, hier im Hause, über dem das schwarz-weiß-rote Banner weht, deutsche und bulgarische Freunde zu gemütlichem Gedankenaustausch zu vereinen. Heute aberfreue ich mich ganz besonders. Denn Sie, meine verehrten Herren von der deutschen und bulgarischen Presse, darf ich als Kollege n willkommen heißen. Ja, mögen wir auch ein oder das andere Mal etwas an einander auszusetzen

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haben, wie das zwischenZunftgenossen vorkommen kann, Diplomatie und Presse gehören eng zusammen. Kein guter Journalist ohne diplomatisches Empfinden, und kein brauchbarer Diplomat, der nicht mit einem vollen TropfenDruckerschwärzefür seinen Beruf gesalbt wäre. Ich sage Beruf, das Wort ist zu gering. Es ist eine Kunst, eine hohe Kunst, die wir ausüben, und das Instrument, auf dem wir spielen, ist das edelste, das sich denken läßt, es ist die Seele der Völker! Was Diplomatie and Presse geeinigt vermögen, hat uns dieser Welt- krieg gezeigt. Vom Feinde soll man lernen. Wenn wir die Reihe der diplomatischen Größen der Entente an unserem Sinn vorüberziehen lassen und dabei Namen wie Times und Reuter, Matin, Havas, Nowoje Wremja hören, nicht zu gedenken der kleinen Satelliten in Rom, Bukarest, Belgrad, dann müssen wir gestehen, daß hier ein Bund auftrat, der Erfolge aufweisen kann. Erfolge an Lügen und Verblendung, Wut und Haß, wie sie die Welt nie zuvor gesehen. Ja, es ist ein mächtiger Bund und schreckhaft anzuschauen, und dennoch nur ein künstlich aufgetriebener Koloß, der eines Tages bersten wird. Denn es fehlt ihm der Leben spendende und erhaltende Geist, die Wahrheit. Die ficht auf unserer Seite. Mit ihr und für sie streiten S i e, meine Herren von der bulgarischen und deutschen Presse, in der stolzen Erkenntnis, daß jeder Erfolg, den die Wahrheit erringt, auch einen Erfolg für unsere gemeinsame Sache bedeutet. Ja, an dem Tage, an dem den Völkern, die man gegen uns in einen vergeblichen Kampf treibt, endlich die Schuppen von den Augen fallen, am Tage, an dem sie erkennen werden, wie wir wirklich dastehen, wie unüber- windlich gerüstet von innen und von außen, an dem Tage endet der Weltkrieg ....

Na, und die Bomben auf Nürnberg, mit denen er angefangen hat?

Arbeitsteilung

Während Hindenburg und Ludendorf f es bequem hatten, dein zwischen ihnen sitzenden Paul Goldmann abwechselnd ins Ohr zu flüstern, mußten Hindenburg und Ludendorff zwischen den beiden Tischen hin- und hergehen, an welchen die Vertreter der Wiener Presse in Gruppen Platz genommen hatten, um zu hören, was Hindenburg und Ludendorff ihnen anzuver- trauen hatten. Die Arbeitsteilung vollzog sich folgendermaßen:

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Am 30. November um halb 9 Uhr abends wurden die Vertreter der österreichischen und ungarischen Presse, die vorher in getrennten Gruppen die deutsche Westfront bereist hatten, im Großen Haupt- quartier empfangen. . . . Hierauf lud Hindenburg einen Teil der Gäste ein, an einem runden Tische Platz zu nehmen und ein Glas Bier mit ihm zu leeren. An einem zweitenTisch versammelte Generalquartiermeister I. udendorff den anderen Teil der Reisegesellschaft um sich. . . . Nach einiger Zeit erhob sich Hindenburg, um an seine m Tische Lud endorff Platz zu machen, während er selbst sich in den anstoßenden Raum begab, um sich den von ihm noch nicht ins Gespräch gezogenen Gästen zu widmen. Nach einstündigem Bei- sammensein verabschiedeten sich die beiden Heerführer, d a wichtige Ereignisse an der Westfront sie zu nächtlicher Arbeit riefen.

Das sah Auernheimer ein und dankte nur noch dafür, daß es ihnen vergönnt gewesen sei, »nach dem wunderbaren Triebwerk des Heeres nun auch den Qenius, der es verkörpert und beseelt, leibhaftig zu begrüßen«, womit allerdings nur Hindenburg ohne Ludendorff berücksichtigt war.

»Auszudrücken,« fuhr er fort, »was uns in diesem Augenblicke bewegt, fühlen wir uns, die wir mit dem Gebrauch des Wortes vertraut sind, aber eben darum auch seine Grenzen kennen, am wenigsten imstande. Gestatten Eure Exzellenz mir daher nur, auszusprechen, daß wir uns der geschichtlichen Bedeutung dieser Stunde vollauf bewußt sind, bewußt auch der Bedeutung, die sie in der Geschichte der Presse hat«. . . .

Hindenburg erwiderte mit folgenden Worten : > - einen großen Teil der Verdienste als ehrlicher Mann abschieben auf Ludendorff unsere treuen Bundesgenossen mit der Todesverachtung die Vertreter der Presse des befreundeten, in treuer Waffenbrüderschaft verbundenen Staates Ich zweifle nicht, daß alles gut enden wird, das sagen Sie in Ihrer Heimat.«

Kein Zweifel, es muß irgendeinmal gut enden, wenn /ur Todesverachtung noch die Achtung vor der Presse dazukommt.

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Ein Staatsstreich

In dem Staat, in dem für Papiergeld die Bedeckung des Goldes fehlt und für Zeitungspapier die der Wahrheit (aber nicht die der Valuta), kann es sogar geschehen, daß eine Redaktion coram publico einen Meinungswechsel nicht allein vornimmt, sondern ankündigt, also die Absicht einbekennt, statt der ihr bisher honorierten Meinung fortan eine neue, von einem andern Geld- geber bestellte, zu vertreten. Es versteht sich in Anbetracht des Umstandes, daß die Gehirnerweichung der Leser mit der Charakterlosigkeit der Schreiber gleichen Schritt gehalten hat, von selbst, daß dem unveränderten redaktionellen Ensemble auch eine kaum alterierte Abonnentenliste entsprechen wird. Die österreichische Spezialität dieser Erscheinung wäre aber nicht apart genug, wenn sich der Gesinnungswechsel auf alle Fragen des öffentlichen Lebens gleichmäßig erstrecken müßte. Der neue Geldgeber hat vielmehr beschlossen, die Weltanschauung seines Personals, die in eine Stellung zur innern Politik und eine Stellung zum Ministerium des Äußern zerfällt, nur bezüglich des Herrn Seidler zu verändern, bezüglich des Grafen Czernin aber auf sich beruhen zu lassen, so daß die Leser, die ja doch hauptsächlich erfahren wollen, wer wo abgestiegen ist und welche was angehabt hat, in den politischen Begleiterscheinungen unseres Kulturlebens nur einen geringen Unterschied merken werden, den sie vielleicht überhaupt nicht merken würden, wenn man sie nicht darauf aufmerksam gemacht hätte. Wie man sieht, handelt es sich um das , Fremdenblatt' und es ist vielleicht wirklich ungerecht, bei einem solchen Blatt von Gesinnungs- wechsel zu sprechen. Aber unser Ministerium des Äußern, das die Ehrlichkeit hat, sich einer journalistischen Beziehung, die es unterhält, nicht zu schämen, hat es sich nicht nehmen

IM

lassen, den Umschwung der Dinge in einer feierlichen Note zu proklamieren. Und zwar so :

Das ,Fremdenblatt', das bis vor kurzem als offiziöses Organ der österreichischen Regierung galt,

(vermutlich der österreichiscbenRegierung.die das nicht genau wu ßte i wird nunmehr zu den Fragen der inneren Politik selbständig (es dürfte dies das einzige Selbstbestimmungsreclit sein, das in unzweideutiger Weise zugestanden wind)

und nach einem von ihm heute veröffentlichten Programm Stellung nehmen und kann daher jetzt in diesen Angelegenheiten nicht mehr als offiziös angesehen werden. Die Stellung dieses Blattes zu Fragen der auswärtigen Politik, in welchen es wiederholt die Ansichten des Ministeriums des Äußern zum Ausdruck bringt, bleibt unberührt. Ohne hiemit für alle die Außenpolitik betreffenden Äußerungen des .Fremdenblattes' eine Haftung zu über- nehmen, erklärt das Ministerium des Äußern, daß es jede Verantwortung für die Ausführungen der genannten Zeitung ablehnt, welche die innere Politik und die Verwaltung betreffen.

Aber wer ist denn dann für die in dieses Ressort fallenden Überzeugungen verantwortlich? Doch nicht am Ende die Redaktion, die schreibt, oder gar der verantwortliche Redakteur, der nicht liest? Jedenfalls nicht mehr das Ministerratspräsidium, denn das .Fremdenblatt' hat sich gegen die innere Regierung freie Hand vorbehalten, so weit das einer Hand möglich ist, die gegen- über der äußern Regierung offen bleibt. Das .Fremdenblatt' hat aber die neue Ära wirklich mit einer schwungvollen Attaque gegen den Herrn Seidler eingeleitet, und ließ dieser geradezu ein Programm folgen, aus dem hervorging, daß es die Ordnung der innern Dinge nunmehr selbst in die Hand nehmen wolle. Wenn man sich gerade im Ausland aufhält, da solch ein Staatsstreich sich begibt, so erfährt man es natürlich als eine hochoffizielle Meldung:

Wien, 1. Febr. (W. K.-B.) Das .Fremdenblatt' kennzeichnet in seinem heutigen Leitartikel seine künftige Stellung zur innern Politik. Die Ereignisse der letzten Jahre hätten bewiesen, daß das deutsche Volk in Österreich der Eckpfeiler dieses Staates ist. Dem Heldenmut in der Feldschlacht kam die Opferwilligkeit im Hinter- land gleich. Es liegt uns fern aber niemand kann leugnen

Durchhalten Was wir dazu beitragen können, damit

dem deutschen Volke werde, was ihm zukommt . . werden wir tun. Das Blatt erklärt sodann, mit aller Kraft und F. n t-

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seh iedenheit die höchsten staatlichen Interessen gegen dir umstürzlerischen, auf die Zerreißung Österreichs hinzielenden Bestrebungen verteidigen, auf die Förderung der erwerbenden Klassen durch den Staat hinwirken und den modernen Geist des Wirtschaftslebens auf das kräftigste unterstützen zu wollen.

Und natürlich auch vom modernen Geist des Wirtschafts- lebens auf das kräftigste unterstützt werden zu wollen. Daß ein solches Papier, das von einer Aktiengesellschaft redigiert wird und dessen nationalökonomischer Fachmann von Partezetteln Tantiemen nimmt, an der Wiedergeburt dieses Staates beteiligt sein will, ist wahrhaft tröstlich.

Es schließt: Ein Österreich, das in der Welt geachtet wird, das in der Monarchie den ihm zustehenden Einfluß besitzt, in welchem die Deutschen die ihnen gebührende Stellung, in dem alle Völker die Gewähr für ihre wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung finden, in dem allen zerstörenden Kräften entschlossen entgegengetreten wird, ein solches Österreich, denken wir, daß aus dem Kriege entstehe. An der Erreichung dieses Zieles, erklärt das Blatt, mit voller Objektivität, aber auch mit der nötigen Entschiedenheit mithelfen zu wollen.

Daß ich in einem Österreich, an dessen Sicherung das ,1-remdenblatt' mitgewirkt hat, nicht lange durchhalten werde, das kann man sich schon denken. Das sympathische Wiener Korrespondenzbureau hat nichts eiligeres zu tun, als dem ungeduldigen Ausland zu versichern, daß nunmehr das , Fremden- blatt' die Konsolidierung unserer Verhältnisse in die Hand genommen hat, es also mit den bekannten Aufteilungsplänen unserer Feinde wieder einmal Essig ist (den wir aber leider noch immer nicht hereinkriegen können). Jedoch schon um der Even- tualität, daß das , Fremdenblatt' Ordnung machen könnte, vorzu- beugen, sollten sich die Nationen so schnell als möglich ver- söhnen, denen ohnedies reichlich übel davon sein dürfte, fort- während von der ihnen gebührenden Stellung und von der Gewähr für ihre wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung lesen zu müssen, wobei selbstverständlich immer den Deutschen, deren kulturelle Entwicklung ja bereits abgeschlossen ist, die Stellung gebührt. Aber den Scherz solcher Programmatik beiseite: sollte denn das Blutopfer nicht wenigstens die eine Entschädigung bringen, daß jene Profession, die es bewirkt hat, mundtot gemacht

wird? Sollte es möglich sein, daß wir über Leichenberge geschritten sind, um von einer Papier-, Zucker- oder Waffenfabrik gemietete Talente sich als Geburtshelfer der Zukunft uns vorstellen zu lassen? Ich für meine Person lege gar keinen Wert darauf, daß das Gerücht von einem Besitzwechsel des Fremden- blatts auf Wahrheit beruhe. Ich räume gern ein, daß die Redakteure einer Wiener Zeitung nicht so gesinnungslos sind, sich vom Morgenblatt zum Abendblatt einem neuen Geldgeber anzupassen, und daß der Überzeugungswechsel also vielmehr im Auftrag des alten Geldgebers erfolgt sein kann, der nur eine neue Gesinnung hat, weil er nämlich einen schwerindustriellen Zuschuß bekommt. Fern sei es von mir, selbst einer Aktien- gesellschaft zuzutrauen, daß sie ihr geistiges Inventar so ohne weiters an eine andere verkaufe, da ja auch in ihrem eigenen Schöße das Bedürfnis nach einer politischen Neuorientierung rege werden mag. Wie dem immer sei und wenn selbst die Redakteure den Abschied nahmen, weil sie zu charaktervoll sind, um einen politischen Standpunkt, der ihnen durch Jahr- zehnte »stagelgrün auflag«, mit einem ganz ungewohnten zu vertauschen, der Hauptspaß bleibt doch, daß die Abonnenten bleiben und daß die Wiener Idiotie das Vertrauen jener nord- deutschen Konsortien, die jetzt hierzulande umgehen, nicht ent- täuscht. Wenn dieses Gesindel von Meinungsaufkäufern die Wahl hat, zur Durchsetzung ihrer schuftigen Wünsche, zur Propagierung des Gedankens, daß der Krieg bis zur völligen Auspovernng Österreichs fortgesetzt werden muß, neue Blätter in Wien zu gründen oder einen Stock von Abonnenten schon vorzufinden, so wären sie noch dümmer als dieser Stock, wenn sie sich nicht fürs zweite entschieden. Die unsägliche Schmach, daß die Empfänglichkeit des Zeitungslesers gekauft werden kann, ohne daß sie gefragt wird, dürfte kaum ein Abonnent des Fretjiden- blatts fühlen der frißt, wenn nur der Druck der gleiche bleibt, die Weltanschauung des Siegers von Königgrätz so gern wie die des Besiegten, und der Regierung fällt es nicht ein, die geistige Wehrlosigkeit gegen diese neuestens so smart betriebene Ausbeutung zu schützen, im Gegenteil, das Ministerium des Äußern bleibt mit dem , Fremdenblatt' auf Gedeih und Verderb

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verbunden. Was aber das Innere anlangt, so will ja der neue Kurs unter Umständen gar oppositionell sein, und das, Fremden- blatt' wird lieber gratis in allen Hotelzimmern als gegen Bezahlung in einem Kabinett aufliegen, in dem keine Ordnung herrscht, und an Kraft und Enschiedenheit mit den strengsten Masseusen, deren Annoncen es bringt, wetteifern. Es gibt nun leider kein Preßgesetz, das eine Redaktion, wem immer sie gehöre, auf wessen Wink immer sie Meinungen apportieren mag, zwingen könnte, mit einem feierlichen politischen Programm auch die Photographien der Leute, die es verfaßt haben, zu veröffentlichen. Die Kirche hat längst auf die Initiative verzichtet, am Glück des Staates mitzuwirken, aber daß die Leute, die den Krumm- stab im Gesicht tragen, dazu kapabel sind, das scheint einem offiziellen Nachrichtenbureau keinen Augenblick zweifelhaft. So habe ich es im Ausland gelesen und infolgedessen den Entschluß gefaßt, zurückzukehren. Im Ausland schämt man sich hin und wieder, ein Österreicher zu sein, und da geht der Patriot lieber gleich dorthin, wo man sich nicht mehr schämt.

Inschriften

Die unzulängliche Macht

Was uns so radikal verheert,

was uns durch Macht geführt zum Dreck,

war neben Herzverhärtung Hirnerweichen.

Nicht Bosheit, Dummheit hat uns aufgezehrt. Wir waren fähig zu dem schlimmsten Zweck, unfähig aber, diesen zu erreichen.

Rekonvaleszenz

Die Welt soll am deutschen Wesen gesunden ? So zahlen wir erst die Erholungsspesen und gehen selber dann in die Kur ! Nicht allzuweit : wir brauchen ja nur zu sorgen, bis unser deutsches Wesen von Potsdam nach Weimar zurückgefunden.

Am Scheideweg

Der Freund hat für zehn Tage Mehl euch verheißen, der Feind euch fürs Leben die Freiheit gewährt. Ich rat' euch, nachdem ihr das Mehl verzehrt, getrost in die andere Speise zu beißen.

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Straßenrufe

Hätt' man mich gefragt, ich hätte die Zeit mir gewählt, in die ich geboren, sie mir ausgesucht nach der Neuigkeit, die der Tag mir ruft in die Ohren.

O könnt' ich noch einmal zurück aAs der Qual ! Wie lärmen doch Handel und Händel ! Einst hatte die Zeit ach hätt' ich die Wahl - nur die Neuigkeit: »Kaufts an Lavendel!«

Jetzt kreischt mir am Sonntag die Vettel ins Ohr als verkörperte Weltgeschichte, die den Sieg gewann und den Athem verlor: »Extraausgabe! Beide Berichte!«

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Am Sarg Alexander Girardis

trete die Trauer zurück und lasse den Wunsch die Wache halten: der erbarmende Genius der Vergangen- heit möge die unbefugten Leidtragenden verjagen, dorthin, wo sie in Blut und Schmutz Freudenfeste feiern, dorthin, wo der unerbittliche Zeitgeist sie treffen will und sie ihn. Die unbefugten Leidtragenden, die nur der letzte Verzicht auf ein Schamgefühl ermutigen kann, um Girardi zu klagen, sind die Henkersknechte eines Lebens, das sie gezwungen haben, sein eigenes Grab zu schaufeln. Die unbe- fugten Leidtragenden, die tieftrauernd von aller Scham Verlassenen, sind aber auch die Bewohner einer Theaterstadt, die ihrem Ruin als Zuschauerin bis zum Schluß beiwohnt, sind die Verräter eines Volkstums, die ihr Gewand verkauft haben, um in die Hölle zu fahren; ihre Heiligtümer in Aktien- gesellschaften verwandelt sahen, ihre Wahrzeichen umgelogen, und nun in den Weltuntergang als Tanz- operette mit Berliner Text und Budapester Melodie hineinrennen. Nicht der Hingang, sondern das Dasein dieses einzigen Girardi war beweinenswert. Denn wenn alles Menschentum der Kulisse nur ein Wert- maß der Zeit ist und einem unholden Gegenwärtigen nur ein Widerwärtiges gemäß sein kann, das die noch lebendigen Sinne fliehen mögen, so waren sie vor Girardis Ton rettungslos einer unerfüllbaren Sehnsucht preisgegeben; denn dieses Bühnenleben war das Maß des Unermeßlichen, das uns verloren ist. Da stand durch drei Jahrzehnte ein Gast der Zeit in ihrem unsäglichen Ensemble, und es war von tragischer Wirkung, wie die Natur zur letzten Aussprache mit einer Entmenschtheit kam, die eben noch Nerven hat, sich kinematographisch zu erleben. Doch ihrer Schmach unbewußt, treibt diese Zeit-

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genossenschaft auch Firlefanz * mit den Reliquien, stellt sie in einem Etablissement aus, das außen von Marmor ist und innen ohne Geist, und geriet also auf den kindischen Einfall, einem Girardi das Burg- theater zu eröffnen, anstatt es ihm zu Ehren zuzu- sperren. Aber er wußte nicht, wie ihm geschah, und er ging dahin, ohne zu merken, daß sie ihm ein Bein abgenommen hatten. Wir aber sollen es merken. Nichts bleibt zu tun, als es zu wissen. Und da Girardi hinging, ist erst wahr geworden, was ich damals, gerade vor zehn Jahren, gewußt habe,, als er aus Ekel an einem berlinisierten Wien nach Berlin ging. Ich hab's ihm nachgerufen und uns, dem Volk, das seine Selbstbestimmung in der Hingabe an sein Verhängnis betätigt. Ich fragte, ob es denn der Donau nicht nahegehe, daß sie jetzt über Passau nach Berlin fließt und in die Nordsee mündet; und meinte, daß die Wiener Kultur tot sein müsse, wenn ihr das Herz herausgeschnitten wurde und sie dennoch weiterleben kann. Die Weltausstellungsreife der Wiener Eigenart, schrieb ich, das ethnologische Interesse, das man jetzt an uns nimmt, die Zärtlich- keit der Berliner für uns dies alles ist fast so tragisch wie unsere Unempfindlichkeit gegen solches Schicksal. »Wir freuen uns, wie sie Stück für Stück von uns ausprobieren und immer mehr Geschmack an unsern Spezialitäten haben und so lange an allem, was wir haben, teilnehmen, bis sie uns eines Tages ganz haben werden. Sie setzen den Wiener auf ihren Schoß, schaukeln ihn und versichern ihm, daß er nicht untergeht; das macht beiden Teilen Spaß und ist ein Zeitvertreib, der über den lang- weiligen Ernst eines Fäulnisprozesses hinüberhilft. Wir sind auf unsere Tradition stolz gewesen, aber wir waren nicht imstande, die Spesen ihrer Erhaltung aufzubringen. Unsere Gegenwart war tot, unsere Zukunft ungewiß, aber unsere Vergangenheit war uns geblieben. Sollten wir auch die verkommen

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lassen? Da war es 'doch klüger, sie einem Volk in Kommission zu geben, das eine hinreichend starke Gegenwart hat, um sich auch noch den Luxus einer fremden Vergangenheit leisten zu können .... Bis die Hypertrophie der technischen Entwicklung, der die Gehirne nicht gewachsen sind, zum allgemeinen Krach führt, ist es das Schicksal der von Müttern gebornen, rindfleischessenden Völker, von den maschinengebornen und maschinell genährten Völkern verschlungen zu werden.« 1908 war's, als ich es schrieb. Der Zeitenschauer, der uns anpackt, wenn wir jetzt mit einem Fuß noch auf dem Franziskanerplatz stehen und mit dem andern schon vor dem Haus, in dem das Kaiser Wilhelm -Kaffee etabliert ist, erstarrt zu der ohnmächtigen Erkenntnis, daß der Fortschritt dieses Haus bejaht und die Bombe jenen Platz zerstören würde. Und fern bleiben wir der Trauer, wenn die Zeit nicht nur die Macht hat, den Wert zu morden, sondern auch den Mut, ihn zu beklagen!

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Der Weltspiegel

Der Kronprinz bei den Flammenwerfern der 5. Armee. Zur Begrüßung des Kronprinzen wird durch Flammen ein >W< gebildet.

Wie kam mir dies Gesicht? Stand dies Weh, triumphal zu Flammen aufgerichtet, Flammen, die hundert Söhne von hundert Müttern verzehren werden, vor meinem Aug, als ich in der Nacht der Menschheit träumen ging? Da ich einschlief, hatte ich den , Weltspiegel' in der Hand; der gab nur meinem Traum zurück, was aus ihm als Erdenfluch zum Himmel stieg: das Wort, das am Ende war, und dieses seine Initiale. Doch als ich erwachte, hatte ich den , Weltspiegel' zur Hand und von allen Seiten sah ich die Welt sich spiegeln und bedachte also ihren Sinn:

Die Technik hat nicht allein das für sich, daß sie die Menschheit in einen Dreckhaufen verwandelt hat, sondern daß man ihn auch a tempo in Wort und Bild vorgesetzt bekommen kann. In den Kinematographien gehe ich nun nicht, weil ich die Nachbarschaft von Schieberhuldinnen, die beim Anblick der Somme-Schlacht >Gott wie interessant!« sagen, nicht ohne Anwandiungen von Lust, nämlich zu einer im zivilen Leben strafbaren Handlung, ertragen könnte und weil ich ja doch nie

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das Glück haben würde, einen ehedem glorreichen Heerführer vor der gefilmten Prozedur hinfallender Menschenleiber zwanzig- mal hintereinander »Bumsti!« sagen zu hören. Dagegen vergönne ich mir gelegentlich den Blick in eine der vielen illustrierten Zeit- schriften, denen es die technische Entwicklung ermöglicht, eben jene Lebensstarre, an der sie einen so bedeutenden Anteil hat, in ihrer bunten Vielgestalt vorzuführen, und da finde ich denn, wie's die Jahreszeit bietet, alles beisammen, was zwischen Draht- verhau und Schminkschatulle heutzutage alles da ist, indem es ja nicht so ist wie bei arme Leute. Wie praktisch zum Beispiel, gleich auf dem Titelblatt Kühlmann in der Uniform eines Ulanen- offiziers sehen zu können, wie er dem gleichfalls verkleideten, aber halb abgewendeten Czernin die treue Rechte reicht, während sein zugespitzter Mund auf die Formel »Keine Annexionen und keine Kontributionen« zu pfeifen scheint. Brest-Litowsk, mag es auch die andern menschlichen Berufe enttäuscht haben, dem Photographen bot es .eine Fülle von Anregungen. Aus dieser Dunkelkammer des Friedens sind immerhin »Bilder vom russisch- deutschen Waffenstillstand« hervorgegangen, die die beiden Parteien in freundnachbarlichem Warenverkehr zeigen und auf den preußischen Gesichtern ein unverkennbares Behagen, sich mal zu den »Panjebrüdern«: herabzulassen. Unschwer gelingt es mir, den Besitzer von Schneid und Monokel da im Vordergrund als jenen Leutnant zu agnoszieren, der einst einem verbündeten General die Worte zugerufen hat: »Na, sagen Se mal Exzellenz, könnt Ihr denn nich von alleene mit dem ollen Uschook fertich werden?« Der olle Uschook ist ein zu Beginn der Weltgeschichte vielgenannter Paß, durch dessen Behauptung es gelungen ist, Mitteleuropa vor dem Ansturm der Barbaren zu behüten. Sollte es aber doch nicht der hier abgebildete Leutnant gewesen sein, so war es ein anderer, der genau so aussieht. Während dir Verhandlungen in Brest-Litowsk ihren Fortgang nehmen, werden sie von einem Eheidyll unterbrochen, indem ein junges, aber hohes Paar auf einem Gang durch die Straßen Berlins begriffen ist, sie ein Guckindiewelt, er ernst aber zuversichtlich, gleichwohl ein wenig nachdenklich über die Frage, nicht wo, sondern ob man heute zu mittag speisen werde, da man doch von einem Gang durch die Straßen Berlins Appetit bekommen hat. Wie

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anders der hohe, aber alte Herr, der 9oeben den Festgottesdienst in Brest-Litowsk verläßt, mein erster Qriechisch-Professor in Uniform, er ist vergnügt, sein Gang etwas schwankend, er hebt die Hand, senkt den Kopf, als sagte er gerade: >Tja der Trotzky, der Trotzky macht die ganze Klasse rebellisch«. Ein Vorfugsschüler, der Czemin, steht in Uniform Habtacht vor diesem Monolog und freut sich. Während sich das begibt, bricht eine Tochter des Exkönigs von Griechenland, die mit Mutter und Schwestern Schulter an Schulter beim Eislauf am Dolder in Zürich aufgestellt ist, in ein schallendes Gelächter aus. Die andern folgen ihrem Beispiel. Ihr Lachen steckt an, schon lacht die ganze Reihe. So aus vollem Halse habe ich noch nie lachen gesehen. Warum lacht sie? Weil am Piaveuferin aller Eile hergestellte provisorische Schützen- gräben zu sehen sind? Oder weil Marguerite Vivian Vnrton Thomason, eine/amerikanische Schönheit, sich kürzlich zum dritten Malevermählt hat, diesmal mitdem jungen Grafen Christian Günther von Bernstorff? Oder weil Rinder als Zugtiere in Berlin ver- wendet werden? Weil in einem Pariser Militärspital einem Schwerverwundeten Blut aus einem anderen Körper eingelassen wird? Weil der Sanitäter Willy Haehnel bereits 400 Konzerte, u. a. auch solche des Blüthner-Orchesters an der Front und Etappe geleitet hat? Weil man Badewasser durch ultraviolette Strahlen entkeimen kann? Die Töchter des Königs von Griechenland stehen da, wie sich ehedem die feschen Nachtigallen von Wien oder Berlin stellten vor uns hin. Es klingt wie: >Fesch, schick, wirklich indresant, können Sie uns vor sich sehn, wir sind, das weiß ein jeder, anerkannt als Eulen von Athen. Tschau!« Übrigens, das photographische Treiben der Familie, an allen belebten Punkten der Schweiz und zumal in St. Moritz, ist wirklich sehenswert, es zeigt die abgelegte Königswürde in allen Situationen, die natürlich kein Wiener, Berliner oder Pester Jud, dessen Adelsbrief die Kurliste ist, ungenützt vorübergehen läßt. Er stellt sach dazu; wird auch öfter vorgestellt. Der König hat das gern; er hält das, was ihm in Lugano passiert ist, für standes- unwürdiger als den Umgang mit dem über die Grenze arrivierten Auswurf der Zentralstaaten. Er denkt: warum nicht, man ist im Leben nur einmal ein Märtyrer. Alles, was unter der Engadiner Sonne schiebt und rodelt, um den Krieg nicht in einem Erdloch zu

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verbringen, oder was sich kurzerhand au Bern >attachieren« ließ, um sich nicht erst in Wien entheben lassen zu müssen, wimmelt um die Majestät. Es sind Menschen und ich hatte sie mit Originalaufnahmen verwechselt. Aber was macht denn die Gräfin Julius Andrassy im Spital in Budapest? Sie läßt sich photo- graphieren, während sie verklärten Blickes einem anscheinend den besseren Ständen angehörenden Helden einen Löffel Medizin verabreicht, den er mit zager Hand und im Vollgefühl der Situation gerührt entgegennimmt? Warum tut sie das, die Samariterin? Warum hat sie dem Photographen nicht gesagt, er möge warten, bis der Patient die Medizin genommen habe? Im Hintergrund hängt jene ominöse Balkankarte, bei deren Studiuni einst Conrad v. Hötzendorf überrascht wurde. Ob wohl solche Genrebilder in und vor dem Weltkrieg auch auf dem Balkan entstanden sind? Krankenpflegerin ist ein schöner Beruf, fürwahr, aber gleich darunter sind englische Frauen als Bahnarbeiter und das »Todesbataillon« der Petersburgerinnen zu sehen und auch diese Berufe stehen da, als ob sie wüßten, daß sie in die illustrierten Zeitschriften kommen werden. Wie anders die holde deutsche Maid dort, die sich lächelnd an einer Vorrichtung zu schaffen macht, die ein Brunnen sein dürfte. Sie windet wohl Wäsche, singt sich eins und so. Nicht doch. Die Gebrauchsanweisung steht darunter: »Die breiartige Pulvermasse wird durch eine Rohranlage mittels Druckes in die Zenlrifugen geschwemmt und durch Schleudern vom Wasser befreit.« Das Ganze ist eine Abend- stimmung und heißt: Aus einer deutschen Pulverfabrik. Die Sache will's und freudig schafft die Maid. Ob auch sie weiß, daß sie, eine unter Millionen deutscher Frauen, ihre Züge im , Weltspiegel' schauen werde? Aber nicht immer ist es dem Photographen gewährt, das volle Menschenleben dort, wo es interessant ist, anzupacken oder die Zeit am sausenden Webstuhl zu erwischen. Während es zum Beispiel ohneweiters gelingt, den Justizsoldaten dabei zu ertappen, wieer Dokumenteausdem Caillaux- Prozeß zur Verwahrung in den Gerichtspalast bringt, eine Situation, die zwar äußerlich nichts Auffälliges hat und mit einem tausendmal geübten Verfahren eine Ähnlichkeit aufweisen dürfte, aber doch durch den Inhalt der Dokumente sehenswert ist bedarf es der Intervention des Malers, um sich vorzustellen, wie Joseph

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Caillaux, der frühere französische Premierminister in seinem Arbeitszimmer bei Anhörung seines Verhaftungsbefehles dasitzt, der ihm durch den Pariser Festungskommissär Priollet vorgelesen wird. Ein Photograph hatte nicht Zutritt, da es sich ja um keine so allgemein zugängliche Gelegenheit gehandelt hat, wie wenn ein Generalstabschef die Balkankarte studiert. Umso reichlicher ist die Ausbeute, die er auf der Straße vornehmen kann, unter den vielen offiziellen Persönlichkeiten, die eine Sitzung, und wäre es selbst die geheimste, verlassen oder sich in ein öffentliches Gebäude begeben. Die Quadrille dieser Schrittmacher, die gerade zum Veitstanz ausholen, der Fallsucht erliegen, von der Beriberi- Krankheit heimgesucht werden oder auch nur turnen wollen, tiefe Kniebeuge machen und dergleichen Allotria treiben, stellt sich bei jeder nur möglichen Gelegenheit zusammen. Darin sind sie alle, diese Persönlichkeiten, die der Photograph auf der Straße getroffen hat, einander gleich. Sie nehmen's nicht ernst, sie sind zu allerlei Unfug aufgelegt. Wie besonnen dagegen die Haltung jener Auserwählten, die ihn ruhig in Ihrem Heim erwarten können. Solche Aufnahmen, zumeist dem Reich der Kunst angehörender Individualitäten, dienen dann nicht nur einem längst gefühlten Bedürfnis, sondern bieten auch durch ihren idyllischen Charakter eine erfreuliche Abwechslung zwischen den Familienbildern der Munitionserzeugung. Da heißt es plötzlich: »Ein interessantes Paar«, aber nicht Hindenburg und Ludendorff sind es, sondern der bekannte Maler Eugen Spiro und seine Gattin Elisabeth Saenger-Sethe, die Tochter der ausgezeichneten Geigerin Irma Saenger-Sethe und des hervorragenden Publizisten Prof. Dr. S. Saenger, woraus vor allem die Erkenntnis hervorgeht, daß sie Spiro-Saenger-Sethe heißt. Gleich daneben scheint der Titel »Polnische Wirtschaft« auf arge Übelstände hinzuweisen, aber wir bekommen im Gegenteil das erfreuliche Bild zu sehen: Eine Kuh als Adoptivmutter verwaister Ferkel, und finden, daß dies im Grunde menschlicheren Charakter hat, als alles, was rings- herum an Szenen aus dem deutschen Kriegs- und Familienleben gezeigt wird. Diese Kuh scheint mir auch insofern Beachtung zu verdienen, als sie sich unbeobachtet fühlt und weit und breit das einzige Gottesgeschöpf ist, das ohne jede Pose seine Pflicht erfüllt und, nicht ahnend, daß sie's für die , Woche' tue, vom

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Photographien dabei betreten wurde. Von der Bestimmung der Qenreszene, die uns die gefeierte deutsche kgl. Hofschauspielerin Tilla Durieux mit ihren Lieblingstieren vorführt, dürfte wenigstens sie informiert gewesen sein. Während nämlich Margaret Wilson, dieTochter des amerikanischen Präsidenten, als eifrige Anhängerin des Schneeschuhlaufens in einer Stimmung ist, als ob sie heut dijr Welt eine Haxen ausreißen wollte, wirft die Durieux, deren Kleid, Tischdecke, Sophakissen und Papagei das gleiche kunst- gewerbliche Muster aufweisen, diesem, dem Papagei, einen strengen Blick zu. Es scheint sich da um eine mindestens so ernste Angelegenheit zu handeln wie dort beim Abfeuern eines deutschen Fliegerabwehrgeschützes; daß es, wenn einmal festgehackt, nach oben und unten schießen kann, ist selbstverständlich. Aber nicht alle Berliner kühnen jetzt ihres behaglichen Heimes froh werden. Da laut einer Verordnung des Berliner Stadtmagistrates die Haus- bewohner den Schnee vor ihren Häusern kehren müssen, was manch einen Berliner schon zur schlagfertigen Anwendung des Sprich- wortes, daß jeder vor seiner Tür zu kehren habe, veranlaßt hat, so begeben sich heute alle Stände ohne Unterschied des Standes an die Schneeschippearbeit. Voran zwei schicke JÖhren, die sonst lieber in die Reinhardtschule gehen; dann ein älterer Schieber im Pelz; in einiger Entfernung, die Schaufel auf die leichte Achsel nehmend, ein resignierter junger Mann, sein Liedchen trauernd, ehedem mag das Trottoir der Friedrichstraße sgjne Domäne gewesen sein, nun muß man's hinnehmen; zum Schluß der Reihe der Rechtsanwalt Krotoschiner II. Was ist das aber gegen das Straßenbild, das Bern bietet, wenn der Neujahrsempfang der bei der Schweiz beglaubigten fremden Diplomaten im Bundeshause stattfindet? Sie gehen alle dahin, die Männer, deren Beruf der überlebende Teil der Menschheit eine pietätvolle Erinnerung bewahrt. Ja, das sind sie alle, die ihr Möglichstes getan haben, die für ihr Vaterland repräsentieren, spionieren, koitieren, Bridge spielen und die, was immer man gegen sie einwenden möge, alles in allem ihre verfluchte Pflicht und Schuftigkeit tun. Ja, so sind sie, die Herren vom diplomatischen Corps de ballett, so sehen sie aus, so gehen sie, jeder Staat auf seine Art, zu Neujahr ins Bundeshaus. Die Engländer schicken sich an, die Belgier zögern, die Italiener schreiten, die Serben

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springen, die Amerikaner gehen, die Franzosen spazieren, die Deutschen marschieren, na und die Österreicher? Die stehen da und lassen sich photographieren. Der Unterschied ist exemplarisch: wie die Bundesbrüder es ernst nehmen, eine förmliche Offensive gegen das Bundeshaus durchführen und egal druff losgehen zum Neujahrsempfang, während die Unsern es so aufzufassen scheinen, daß sie nunmehr das ganze glückliche neue Jahr hindurch damit beschäftigt sein werden, auf die Gratulation zum nächsten zu warten. Wir sind die einzige Vertretung eines europäischen Staates, die dem Leser eines illustrierten Blattes direkt vis-ä-vis steht. Alle machen ein freundliches Gesicht und der uniformierte Feschak in der Mitte freut sich sichtlich, daß er hier sein kann und nicht dort sein muß, wo der Neujahrsempfang von Hand- granaten bereitet wird. Sehn's so heiter ist das Leben bei uns in Bern .... Aber was ist das! Faschingin Flandern? Masken- scherze unweit hinter der Front? Vor einem Hexenkessel sitzt etwas Undefinierbares und hält etwas Undefinierbares auf dem Schoß. Walpurgisnacht. Deutsche Kavallerie reitet über den Blocksberg. Und da müssen denn Mutter und Kind in ihrer ausgeräumten Hütte sitzen und: >tragen beständig Gasmasken«. Das Kind wird vor dem Wolf in Großmutters Bett nicht mehr erschrecken. Aber es lernt das Gruseln wieder, wenn man ihm dereinst erzählt, daß dies und das und noch etwas und überhaupt alles für den Weltspiegel geschah.

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Glossen

Der Geist

Hindenburg sagte zu Auernheimer, als die Rede auf die englischen Tanks kam:

>Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn eine Armee versucht, durch derlei mechanische Erfindungen zu ersetzen, was ihr an lebendigem Geiste abgeht. D e r G e i s t ist unersetzlich . .

Hindenburg meinte aber nicht den Geist Auernheimers, sondern, wie dieser selbst zugibt, den Geist, von dem Tolstoi in »Krieg und Frieden« spricht:

»Er (Kutusow) wußte, daß das Schicksal der Schlachten entschieden wird nicht durch die Anordnungen des Oberbefehlshabers, nicht durch die Aufstellung der Truppen, nicht durch die Zahl der Kanonen und die Summe der Gefallenen, sondern durch jene unberechenbare Kraft, die der Geist des Heeres genannt wird . .

Und Durchbruchswirkungen erzielen kann, wie bei einer nicht mechanischen, sondern mehr chemischen Kriegführung das Gas des Heeres.

> Die Mitwirkung „der Technik an den Problemen der Übergangswirtschaft.«

Das gibts auch ? Bis jetzt hatten wir nur die Mitwirkung der Technik an den Problemen der Übergangswirtschaft zu spüren bekommen.

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Cui prodest?

(Manfred W e i s - A. G.) Aus Budapest wird uns telegraphiert : Die Manfred Weissche Munitions-A. G. veröffentlicht heute ihre Jahresbilanz, aus der hervorgeht, daß sich bei einem Aktienkapital von 35 Millionen Kronen, Reserven von 9 Millionen und Abschrei- bungen von 20 Millionen, ein Reingewinn von 11,500.000 Kronen ergibt. Die Aktien der Gesellschaft befinden sich, wie bekannt, aus- schließlich im Besitz der Familie Manfred Weis.

Die Aktionäre sind also blutsverwandt.

Seit dein Krieg, in dem der Luxus gestiegen ist

Bezirksrichter Dr. Pohl : Was kosteten diese Shawls in Friedenszeiten ? Angekl. : Derartige sehr fein aus- geführte Seidenshawls kamen in Friedenszeiten überhaupt nicht auf den Markt;, sie werden erst seit dem Krieg, indem der Luxus gestiegen ist, erzeugt. Der Richter sprach den Angeklagten frei, weil die Besichtigung der Shawls lehre, daß sie besonders fein seien, so daß es sich nicht um Gegenstände handle, die einem Lebensbedürfnis dienen, sondern um reine Luxuswaren, auf die die Preistreibereiverordnung keine An- wendung finde.

Das ist gerecht, daß der Händler frei ausgeht. Aber warum werden die Kunden nicht verhaftet?

Nach dem Krieg, wenn der Aufschwung kommt

>. . . Wir als Stadtverordnete sehen aber, wie ein Hotel nach dem anderen in Berlin geschlossen wird, um eine Kriegs- gesellschaft aufzunehmen, und wir sehen, wie schwer es einem Fremden, der nach Berlin kommt, fällt, Unterkunft zu finden. Wie soll das nach dem Kriege werden, wenn der Auf- schwung komm t?<

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Es ändert sich die Zeit

Wien, 14. Febr. Nur die der reichsdeutschen Schwer- industrie nahestehende .Zeit' beflegelt Wilson.

Die Wiener Note besteht darin, daß hier alles möglich ist und man durch nichts unmöglich wird. So war die .Zeit' durch viele Jahre möglich und wird künftig nicht unmöglich sein. Auf das Programm, durch Unbestechlichkeit Aufsehen zu erregen, gegründet, hat sie, wie bekannt, nach Kräften durch- gehalten und ist, wie erinnerlich, durch Verkehr mit reichen Leuten der Gefahr begegnet, sich prostituieren zu müssen. Im Krieg unterschied sie sich von der andern Wiener Presse durch eine ausgesprochen schwerindustriefeindliche Haltung, die ihr nichts eintrug als den törichten Verdacht, von der Entente gekauft zu sein. Da aber dies zu wenig war und der Krieg zu lange dauert, raffte sie sich eines Tages dazu auf, der Gedankenwelt der Schwerindustrie, deren Vertreter zur An- knüpfung journalistischer Geschäftsverbindungen gerade Wien und die Provinz bereisten, näherzutreten. Es versteht sich von selbst, daß die Herausgeber der ,Zeit' von dem Augenblick an, da sie sich zu solchem Opfer alles dessen, was ihnen bis dahin heilig war, entschlossen hatten, nicht mehr die ,Zeit' heraus- geben konnten. Nie wären sie imstande gewesen, ihre Feder in den Dienst einer ihnen unsympathischen , ja bis dahin bekämpften politischen Gesinnung zu stellen. Was in fremde Hände übergeht, ist eben nicht der Charakter eines Publizisten der ist unzerstörbar , sondern nur sein Lebenswerk und die Abonnentenliste. So wie der Wiener sein Gewand verkauft, um in den Himmel zu fahren, so verzichtend haben die Herren Singerund Kanner, die zwar keine bodenwüchsigen Wiener sind, aber doch lange genug in Wien gelebt haben, um sich aus- zukennen, das Zeitliche gesegnet und sind nach St. Moritz abgereist.

133 Au« großer Zeit

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SOHLEN DUM* TREU ©UND'

Männer der Tat

Aber es kam auch hier schon vor, daß Direktor Karezag ein Libretto innerhalb 24 Stunden annahm. Ein Mann der raschen Entscheidungen Ist der neue Burgtheaterdirektor. Er nahm die neueste Komödie von Hans Müller innerhalb eines Tages an . . .

Herr Reimers.

i;m

Den Lear spielt

* «

*

Der jüngste Ehrendoktor

Der Verleger des, Berliner Tageblatt' Rudolf Mosse Ist von der Universität Heidelberg zum Ehrendoktor c r-n a n n t worden.

Du Stadt an Ehren reich !

Czernin und Goethe

Den Wiener Gemeinderäten hat der üraf Czernin zugerufen: .... und ich möchte an das schöne Wort Goethes erinnern :

> Weibisches Zagen,

Ängstliches Klagen,

Wendet kein Elend,

Macht dich nicht frei.

Allen Gewalten

Zum Trutz sich erhalten,

Nimmer sich beugen,

Kräftig sich zeigen,

Rufet die Hilfe

Der Götter herbei,«

Die Version »Rufet die Arme der Götter herbei« ist offenbar wegen der Mißdeutungsmöglichkeit »Armee der Götter« (Herr der Heerscharen) geflissentlich vermieden worden. Ich hätte erwartet, daß Czernin, wenn er schon Goethe zitiert, von den »drei maßvollen, aber ehrenvollen Frieden«, die er bisher ge- schlossen hat, eher das Folgende heimbringen würde:

Verflucht sei, wer nach falschem Rat,

Mit überfrechem Mut,

Das was der Corse-Franke tat,

Nun als ein Deutscher tut.

Fr fühle spät, er fühle früh,

Es sei ein dauernd Recht;

Ihm geh' es, trotz Gewalt und Müh',

Ihm und den Seinen schlecht!

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Goethe hat mit Czernin eben gemeinsam, daß er sieh nicht nur gegen die Defaitisten, sondern auch gegen die Annexionisten wendet. Ich aber lasse mir von ihnen beiden nicht zweimal sagen, daß man allen Gewalten zum Trutz sich erhalten muß was, wie ich hoffe, mir sogar besser als dem Grafen Czernin gelingen wird.

Czernins Mut

Ich werde auf diesem von mir eingeschlagenen Wege rück- sichtslos fortschreiten und den Kampf mit jedem aufnehmen, der sich mir dabei in den Weg stellt.

Ganz recht hat er. Wenn ich die Zensur hätt', ließ' ich auch den Czernin konfiszieren.

Jetzt erklärt sich Czernins Schweigen

Zu der Antwort des Herrn Präsidenten kann ich nur sagen, daß ich es für ^ehr wertvoll halte, daß der deutsche Reichskanzler in seiner ausgezeichneten Rede vom 25. Februar mir die Antwort aus dem Munde genommen und erklärt hat, die vier von Herrn Wilson in seiner Rede am 11. Februar entwickelten Grundsätze seien »eine Basis, auf welcher der allgemeine Friede erörtert werden kaniu.

Klärung

Den Vorwürfen, daß er sich nicht klar und deutlich aus- spreche, hat der Graf Czernin durch die folgende scharfsinnige Darlegung einmal die Spitze abgebrochen:

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. . . Ein unfreundlicher Akt gegen die russische Regierung sei in dem Friedensschlüsse mit der Ukraine nicht zu erblicken. Der Vierbund habe mit der Ukraine keinen Bundes-, sondern einen Friedens- vertrag unterzeichnet. Die Ukraine sei also für den Vierbund durch diesen Vertrag nicht etwa ein Verbündeter, sondern ein neutraler Staat geworden. Komme der Vierbund auch mit der russischen Regierung zu einem Friedensschlüsse, so werde Rußland für den Vier- bund g leich falls ein n e u t r a 1 e r Staat sein. Die Beziehungen des Vierbundes zur Ukraine und seine Beziehungen zu Rußland würden in diesem Falle dieselben sein. Ein Unterschied würde nur dann bestehen, wenn der Vierbund zu keinem Frieden mit dem Rat der Volkskommissäre gelange, denn in diesem Falle hätte der Vierbund die ukrainischen Gebiete als neutral, die dem Einfluß des Rates der Volkskommissäre unterstehenden Gebiete aber bis auf weiteres als feindlich zu betrachten. . . .

Das hat doch wahrhaftig Hand und Fuß. Nur daß dieser, der Fuß, um die Sache wieder ein wenig zu verwirren, gleich darauf für den neutralen Staat wie für einen Verbündeten ein- geschritten ist.

Der zweite Teil

. . . Irn Zusammenhange hiemit hat er (Graf Karolyi) meiner Budapester R-ede einige wohlwollende Worte gewidmet, zu meinem Erstaunen aber nur deren erstem Teil, wahrend er den zweiten totgeschwiegen hat Dieser zweitt- Teil ändert aber das ganze Charakteristikum der Rede.

Wie richtig das ist, hat die Antwort der Welt, vor der dieser zweite Teil leider nicht totgeschwiegen wurde und deren Erstaunen einem Zwitter galt, bewiesen. DasganzeCharakteristikum war geändert. Der erste Teil der Dichtung war Friede, der zweite Teil war Faust. »Es ist nichts mit die zweiten Teil'«, sagt Nestroy. Aber wenn schon nicht die Ansicht einer Welt von Feinden, so hätte der folgende von Czernins Presse totgeschwiegene (hier nach dem Protokoll zitierte) meisterliche Passus der Herrenhausrede des Hofrats l.ammascli ihn belehren können, daß seine Wert

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Schätzung des >zweiten Teils« unbegründet ist. Hofrat Lammasch, der Richter von Haag, dessen Zeugenschaft für Haag alle Mörser übertönen müßte, ist mit dem Grafen Czernin so sehr der Meinung, daß jener zweite Teil das ganze Charakteristikum der Rede ändere, daß er beinahe die Identität des Redners zu bezweifeln wünscht. Hört hört:

Die Rede in Budapest muß ich, wie bereits gesagt, auf das allerwärmste begrüßen. Nur hätte ich in einer Beziehung einen kleinen Wunsch ihr gegenüber gehabt: daß die idealen allgemeinen Ausführungen unseres Ministers für auswärtige Angelegenheiten eine etwas konkretere Gestalt angenommen hätten und daß sie wenigstens in großen Zügen eingegangen wären auf eine Reihe von durchaus realisierbaren, durchaus praktikablen Vorschlägen, die in der letzten Zeit nach der Richtung der Entwicklung der zwischenstaatlichen Organisationen, für die Organisation der Schiedsgerichte und insbesondere der internationalen Vermittlungsinstanzen, gemacht worden sind. Allerdings muß ich auch auf den Umstand hinweisen, den Seine Durchlaucht Fürst Auersperg gerade vorhin berührt hat, daß jene Rede ich muß in gewissem Sinne sagen: leider eine Dinerrede gewesen ist, wobei es ja nicht möglich gewesen ist, auf solche Details mehr theoretischer, vielleicht mehr wissenschaftlicher Art einzugehen; aber es ist ja ungemein zu bedauern, daß der Leiter unserer auswärtigen Politik nur so selten Gelegenheit hat, öffentlich und amtlich sich über die wichtigsten Fragen seines Ressorts zu äußern und sich dazu zu einem Diner in Budapest flüchten muß.

In Bezug auf die Schiedsgerichtsbarkeit muß ich in Parenthese etwas auf die Ausführungen Seiner Durchlaucht meines unmittelbaren Herrn Vorredners eingehen. Ich kenne die Praxis der Börsenschieds- gerichte nicht, aber ich bin überzeugt, daß die Praxis der internationalen Schiedsgerichte jene Anforderungen, von denen offenbar Seine Durchlaucht überzeugt ist, daß ihnen die Börsen- schiedsgerichte nicht ganz entsprechen, befriedigen würde. Ich kann aus mehrfacher Erfahrung sprechen. Ich habe viermal die Ehre gehabt, bei internationalen Schiedsgerichten im Haag zu fungieren, dreimal als deren Vorsitzender; ich habe mit 14 internationalen Schiedsrichtern dabei zu tun gehabt und i c li muß sagen, mit Ausnahme eines einzigen ich kann ihn hier ruhig nennen, jetzt besonders, da wir im Kriegszustande mit dem betreffenden Staate sind, es war de/ russische Justizminister Murawiew , daß mit Ausnahme dieses einzigen, alle diese Schiedsrichter vollkommen auf der Höhe ihrer Aufgabe standen, was ihre Kenntnisse betrifft und was vor allem ihre Unbefangenheit betrifft. Ich kann mit größter Entschiedenheit und Gewissenhaftigkeit aus-

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sprechen, daß der Oberrichter von Kanada in allen denjenigen Fällen, in denen England, beziehungsweise Kanada und Neufundland im Unrechte gewesen ist, gegen England entschieden hat und daß ebenso der Oberrichter des Staates Delaware in allen denjenigen Fällen gegen Amerika entschieden hat, in denen Amerika im Unrechte gewesen ist. Ich kann ebenso mit voller Gewißheil beteuern, daß der belgische Ministerpräsident Beernaert, der von Venezuela als Schiedsrichter bestellt worden war, gegen den Staat, von dem er als Schiedsrichter bestellt worden war, gegen Venezuela, gestimmt hat und daß der holländische Minister des Innern Savornin-Lohmann, der in einem anderen Falle von Frankreich als Schiedsrichter bestimmt worden wari gegen Frankreich gestimmt hat. Ich bin vollkommen überzeugt, daß es bei nur einigermaßen vorsichtiger Auswahl möglich sein wird, unbefangene Männer, insbesondere aus den mehr neutralen Staaten, aus den skandinavischen Staaten und aus Holland sowie aus Belgien von dort vielleicht jetzt nicht mehr mit derselben Sicherheit wie früher und aus der Schweiz zu gewinnen, welche nicht bloß mit Sachkenntnis, sondern auch mit Unbefangenheit zu entscheiden in der Lage sind.

In Bezug auf die Rede des Ministers des Auswärtigen in Budapest möchte ich noch eines erwähnen. Ich finde es vollkommen begreiflich, daß ein Staatsmann, der im Inneren seines Herzens für Annexionen ist ich meine damit durchaus nicht Seine Exzellenz den Grafen C z e r n i n, ich spreche im allgemeinen , wenn er auf solche im konkreten Falle verzichtet, dabei den Vorbehalt macht, daß, wenn der Krieg fortgesetzt und die Kriegslage in Zukunft eine noch günstigere sein würde, er eine gewisse Revision der Friedensbedingungen, die er in Aussicht genommen hat, vorschlagen und insbesondere auf eine weitergehende strategische Sicherung der Grenzen hinwirken würde. Das ist als Schreckschuß gewiß höchst angebracht. Aber ich kann mir nicht gut vorstellen, daß ein Staatsmann, der sich zur Überzeugung durchgerungen hat, daß das Gewaltprinzip abgewirtschaftet hat, daß an Stelle der Herrschaft der Gewalt die Herrschaft des Rechtes aufgerichtet werden müsse, daß ein Staatsmann, der zur Überzeugung gekommen ist, es sei an der Zeit, eine zwischenstaatliche Organisation aufzurichten und an Stelle der ewigen Kriegsbereitschaft eine Bereitschaft zum frieden zu errichten, daß dieser Staatsmann, wenn er das ausspricht, dies als eine befristete Erklärung abgibt.

Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß er das Oberhaupt als eine Konzession für die Feind«

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auffaßt, was doch nur ein Ergebnis seiner Einsicht in den Gang der Entwicklung der menschlichen Dinge ist. Der Staatsmann, der sich bereit erklärt, in einen Friedensbund, in eine zwischenstaatliche Organisation einzutreten, der tritt damit in eine wechselseitige Versicherungsgesellschaft der Staaten ein, die allen zum Vorteile gereicht, nicht bloß seinem Staate, sondern ebenso auch allen übrigen; heute mir, morgen dir. Eine solche Erklärung kann ich mir nicht gut als eine befristete, als eine resolutiv bedingte vorstellen. Ich fasse daher auch die Erklärung des Grafen Czernin in diesem Punkte nicht als eine resolutiv bedingte auf. Wenn diese Erklärung aber bestimmt und deutlich auch in diesem Punkte als eine definitive wäre abgegeben worden, so würde es wieder den Gegnern schwerer geworden sein, weiterhin noch von unserem Eroberungswillen zu sprechen und uns Vorwürfe zu machen, daß wir doch immer nach der Wiederkehr des Gewaltprinzips ringen. Dann würde diese Erklärung allerdings bei jener Partei, die den heiligen Namen des Vaterlandes für sich ganz besonders usurpiert, wahrscheinlich noch ungünstiger aufgenommen worden sein, als es ohnedies der Fall gewesen ist. Aber daran ist nichts zu ändern. Wenn diese Erklärung einmal im definitiven Sinne abgegeben würde, so würde sie noch viel günstiger in den neutralen Staaten und insbesondere bei den Feinden aufgenommen werden, vielleicht nicht bei den Regierungen der feind- lichen Staaten, an die sie gerichtet ist, aber bei den Völkern der feindlichen Staaten, die dann um so mehr veranlaßt gewesen wären und um so mehr Anlaß und Mittel gehabt hätten, auf ihre Regierungen im Sinne des Friedens zu drücken, und man hätte dann auch nicht im Auslande sagen können : desinit in pisce m.

Klarer, klüger, menschlicher, geistiger kann nicht gesprochen werden. Demnach wäre wohl das Erstaunen darüber, daß der Qraf Czernin seinen zweiten Teil stolz reklamiert, berechtigter als seine Verwunderung, daß der Graf Karolyi ihn totschweigt. Nein, es ist nichts mit die zweiten Teil'!

Gegen Wilson, der gegen den Militarismus war

». . . Wir dürfen nicht mit Deutschland verbündet sein, wobei er selbst zugibt, daß wir den Amerikanern bisher keinen Schaden

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zugefügt haben. Deutschland soll keinen Kaiser haben, obgleich dieser gerade jetzt das allgemeine Stimmrecht im preußischen Landtag durchzufechten hat. . . .<

Umschwung

Berlin, 3. März (Wolff) - Nicht verwunderlich ist es, daß die französischen Rechthaber - -

Ja, man beginnt eben doch endlieh auch dort zwischen den Machthabers und den Rechthabern zu unterscheiden.

An einem Tag

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An einem Friedenstag

>Dank Gottes gnädigem Beistand haben wir jnit der Ukraine Frieden geschlossen. Unsere siegreichen Waffen und unsere mit unver- drossener Ausdauer verfolgte aufrichtige Friedenspolitik haben die erste Frucht des um unsere Erhaltung geführten Verteidigungs- kampfes gezeitigt. Im Verein mit meinen schwer geprüften Vöikem vertraue ich darauf, daß nach dem ersten für uns so eifreulichen Friedensschlußbald der allgemeine Friede der leidenden Menschheit gegönnt sein werde.

Unter dem Eindruck dieses Friedens mit der Ukraine wendet sich unser Blick voll Sympathie jenem strebsamen jungen Volke zu, in dessen Herzen zuerst unter unseren Gegnern das Gefühl der Nächstenliebe wirksam wurde und welches nach in zahlreichen Schlachten bewiesener Tapferkeit auch dazu genügende Entschlossen- heit besaß, um seiner besseren Überzeugung vor aller Welt durch dieTatAusdruck zu verleihen ....

Habe ich mich schon vom ersten Augenblick an, als ich den Thron meiner erlauchten Vor- fahren bestieg, eins gefühlt mit meinen Völkern in dem felsen- festen Entschluß, den uns aufge- drängten Kampf bis zur Erreichung eines ehrenhaften Friedens aus- /.ufechten, so fühle ich mich um so mehr eins mit ihnen in dieser Stunde, in welcher nunmehr der erste Schritt zur Verwirklichung dieses Zieles erfolgt ist. Mit Bewunderung und liebevoller Anerkennung für die fast über-

» . . .-Es hat unser Herrgott entschieden mit unserem deutschen Volke noch etwas vor Wir

Deutschen, die wir noch Ideale haben, sollen für die Herbeiführung besserer Zeiten wirken. Wir sollen kämplen für Recht, Treue und Sit! lichkeit. Unser Herr- gott will den Frieden haben, aber einen solchen, in dem die Welt sich anstrengt, das Recht und das Gute zu tun. Wir sollen der Welt den Frieden bringen, Wir werden es tun auf jede Art.

Gestern i s t's im Güt- lichen gelungen. Der Feind, der von unseren Heeren gesch lagen ist, sieht ein, daß es nichts mehr nützt, zu fechten, und der uns die Hand entgegenhält, der erhält auch unsere Hand. Wir schlagen ein. Aber der, der den Frieden nicht an- nehmen will, sondern im Gegen- teil, seines eigenen und unseres Volkes Blut vergießend, den Frieden nicht haben will, d e r muß dazu gezwungen werden . . . .

Mit den Nachbarvölkern wollen wir in Freundschaft leben, aber vorher muß der Sieg der deutschen Waffen anerkannt werden. Unsere Truppen werden ihn weiter unter unserem großen Hindenburg er- fechten. Dann wird der Friede kommen, ein Friede, wie er not- wendig ist für eine starke

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menschliche Ausdauer und unvergleichliche Opferfreudigkeil meiner heldenhaftenTruppen sowie jener, die täglich daheim nicht mindere Aufopferung bekunden, blicke ich voll Zuversicht in eine nahe, glücklichere Zukunft.

Der Allmächtige segne uns weiter mit Kraft und Ausdauer, auf daß wir nicht nur fürunsundunsere tieuen Verbündeten, sondern auch für die ganze Menschheit den end- gültigen Frieden erreichen.«

Zukunft des Deutschen Reiches, und der den Gang der Weltgeschichte be- einflussen wird. Dazu müssen uns die- gewal- tigen Mäch te des Hi mmels beistehen, dazu muß ein jeder von euch, vom Schul- kind bis zum Greise hinauf, immer nur dem einen Gedanken leben : Sieg und ein deutscher Friede. Das deutsche Vater- land soll leben! Hurra!«

Der Unterschied ist der: Qott will den Frieden und der deutsche Gott »will den Frieden, wenn auch nicht den Frieden um jeden Preis«, das hei Bt, noch lieber als den Frieden hat er den Sieg.

Ein sonderbarer Schwärmer

Der Prinz Max von Baden zu einem Vertreter des Wolff:

Trotzky proklamiert ein Weltenschicksal, das er herbeiführen will. Gegen Ideen muß man auch mit Ideen kämpfen. Gewiß, wir kämpfen für unser Dasein und unsere wirtschaftlichen Entwicklungs- möglichkeiten. Aber der Gedanke der Selbsterhaltung, wenn er allein steht, läßt große menschliche Krallquellen unerschlossen. Wir müssen der Weltunordnung Trotzkys, die die Freiheit zerstört, eine Weltordnung entgegensetzen, die die Freiheit schützt. Deutschland soll es getrost bekennen, daß es das Glück und das Recht anderer Völker in seinen nationalen Willen aufnimmt Unser Name darf nicht nur innerhalb unserer Grenzen einen guten Klang haben. Alle großen Nationen müssen einen Weltzustand anstreben, wo ihr Namen mit Furcht und Hoffnung überall dort genannt wird, wo Unrecht geschieht. Hier darf Deutschland nicht auf die moralische Weltgeltung verzichten. Das hieße einen V e r z i c h t f r i e d e n anstreben.

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Friedensbereitschaft

Der Glaube, daß Deutschland Krieg um des Krieges willen, sozusagen mars pour mars führt, ist irrig, v. Kühlmann sagte ausdrücklich:

...Auch li e » t e noch sind wir bereit, einen Frieden zu schließen, der u n s e r n Interessen entspricht.

Schlechtes Benehmen

I

. . . Rußland verzichtet auf jede Einmischungen die innern Verhältnisse dieser Gebiete. Deutschland und Österreich-Ungarn beabsichtigen, das künftige Schicksal dieser Gebiete im Benehmen mit deren Bevölkerung zu bestimmen.

Freiheitsdrang bei den Letten

Wolft Die besser gestellten Letten, insbe- sondere die Gesindewirte, warten sehnsüchtig auf den Einzug der Deutschen, nicht etwa zur vorübergehenden Sicherung ihres Lebens und Besitzes, sondern zum Zweck vollständigen Anschlusses Estlands und Livlands an Deutschland .... Sowohl in Estland wie in Livland werden eifrig Unterschriften für den Anschluß an Deutschland gesammelt. Viele estnische Bauern weigerten sich, die ihnen zugeteilten Güter zu übernehmen, auf denen sie bisher die Angestellten ihrer Gutsherren waren. Sie wurden dann von den bolschewikischen Soldaten zur Übernahme der Güter ge- zwungen.

Unbeschreibliches Aufatmen in Rußland

Wolff Der systematische, streifenweise erfolgende Vor- marsch der Deutschen wird nach allgemeiner Ansicht

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der Bevölkerung von Riga und ganz Kurland in den befreiten Gebieten ein unbeschreibliches Aufatmen hervorrufen und die endliche Erfüllung des langgehegten dringenden Wunsches in letzter Stunde bringen.

Beispiele für schmachvolle Erniedrigung

>. . . Es ist bitter, sein ganzes Leben als Gouvernante dir zweihundert Rubel in der Provinz herumzuwandern, aber ich weiß, daß meine Schwester lieber als Neger zu einem PIantagenbe%itzer oder als lettischer Bauer zu einem Deutschen in den Ostseeprovinzen sich verdingen würde, als sich durch die Verbindung mit einem Manne zu besudeln, den sie nicht achtet aus persönlichem Vorteil bloß

Dostojewski, Raskolnikoff.

Erwachen In Rußland

W o 1 f f Die Einwohner nahmen den Einzug der Deutschen ruhig und gleichmütig, in ihr Schicksal ergeben, auf. Die Ukrainer und die Großrussen sehen in den Deutschen die Retter vor den zuchtlosen Räuber- und Mörderbanden. Aber sie brechen nicht in lauten Jubel aus. Aber jetzt sind die Deutschen da, die Deutschen das heißt die Wiederkehr von Zucht und Ordnung man sieht wieder elegante Damen und russische Offiziere in g u t sitzenden neuen Uniformen. Die russischen Soldaten fangen wieder an, ihre Vorgesetzten zu grüßen, und alles erwacht wie aus einem bösen wilden Traum

Das sind Brave!

W o 1 f f Unsere Gefangenen in Rußland benutzen die Unord- nung im Lande und die immer schwächer werdende Besetzung der feindlichen Stellungen, um zu unstrer Front zurück-

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zugelangen. Schon sind viele Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften zurückgekehrt. Die russische Propaganda macht keinen Eindruck auf sie. Sie verlachen sie und erklären ausnahmslos, für eine solche Wirtschaft, wie sie in Rußland herrscht, bedankten sie sich. Dort lernten sie erst die Ordnung und die Sicherheit in der Heimat richtig schätzen. Auch die noch in Rußland zurückgehaltenen Kameraden dächten ebenso und verlachten die feindlichen Versuche, sie von der weltbeglückenden Idee der russischen Umstürzler zu überzeugen.

Hoffnung auf Japan

» ... Im Zusammenhange mit diesen Fragen sei auch der Einfluß gestreift, den eine Besetzung der östlichsten Distrikte also zum Beispiel des Amurgebietes durch die Japaner auf die Lage unserer zahlreichen, dort befindlichen Kriegsgefangenen ausüben könnte. Vorweg sei bemerkt, daß eine japanische Okkupation aller Voraussicht nach keine Verschlechterung ihres Loses zur Folge haben dürfte. Der japanischenOrganisationdürfte es bald gelingen, geordnete Verhältnisse, also insbesondere hygienische Unter- bringung, ausreichende Verpflegung und ordnungsmäßige Auszahlung der Gagen und Arbeitslöhne, zu schaffen. Überdies ist der Japaner bestrebt, als Kulturfaktor voll genommen zu werden. Seiner Denkungsart widerspricht es, Wehrlose zu mißhandeln oder zu demütigen.«

»Der Japaner«, weiland gelbes Raubgesindel, scheint also langsam zum Kulturniveau der kriegführenden Staaten Europas, in denen Gefangenen bekanntlich nie Ohrfeigen statt eines Strohlagers gewährt werden, emporzureifen.

Ein sonderbarer Fall

Wolff In dem Augenblick der Unterzeichnung schon eingeleitete Truppenbewegungen wurden ausdrücklich ausgenommen. Die Truppenbewegungen, die noch nach dem 15. Dezember statt- fanden, waren sämtlich bereits vor oder in dem Augenblick der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages eingeleitet....

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Halluzination

Im , Lokalanzeiger' heißt es: Daß die Mitteilung vom Wieder- beginn der Friedensverhandlungen in Brest - Litowsk keine besonders starke Bewegung hervorrief, will an sich nicht viel besagen. Man weiß nachgerade, was man von Trotzky und Genossen zu halten hat. Aber man muß natürlich mit den Leuten verhandeln, solange sie das heutige Rußland vertreten ....

Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an, wenn ich den Holzbock das Wort >Bolschewiki« aussprechen höre. Du ahnst es nicht, was da mit der obern Hälfte der Berliner Schnauze vorgeht. Ich aber leide so sehr unter der Gabe, mir das alles vergegenwärtigen zu können!

Die Namen

Der >Hauptschriftleiter« der Kölnischen Zeitung heißt bekanntlich Ernst Posse, der der Münchner Neuesten Nach- richten aber Ernst Posselt. Wem das nicht zu denken gibt!

Wie viel wiegt die Lüders?

Aus einem Originalbericht des Neuen Wiener Journals:

». . . Mitten unter ihnen und alle überragend der Gast, den das Frauenstimmrechtskomitee nach Wien geladen, Frau Doktor Maria Elisabeth Lüders. »Hundertachtundsiebzig Zentimeter lang, hundeitzwölf Pfund schwer«, gibt sie selbst lachend ihre »Personalien< an, und eigentlich enthalten schon diese Worte jene Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit, durch die es dieser Frau möglich war, ein pracht- voll ausgearbeitetes Netz gründlich systemisierter Frauenarbeit über ganz Deutschland auszubreiten.

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Man frage einmal eine Reihe von Damen nach ihrer Körpergröße und ihrem Ge w i c h t, die wenigsten werden imstande sein, darüber sofort genaue Auskunft geben zu können. Aber diese preußische Beamtentochter aus Schleswig-Holstein betrachtet es als ihre Pflicht, sich und andere genau zu kennen, um Klarheit für ihre Handlungsweise zu haben.

Auch sie hat sich dazu erst durchringen müssen. Stürmerund Dränger wissen selten gleich, was sie wollen, nur daß sie etwas wollen, empfinden sie mit machtvoller Stärke . . .

Michaelis

» Daß die Aufklärung für die Soldaten unbedingt erforderlich ist, daß eine geistige und sittliche Fürsorge für die Soldaten im Felde ein dringendes Bedürfnis ist, das unter- schreiben alle, welche die Verhältnisse draußen kennen Es sind Kinos eingerichtet, Feldpredigten Diese ganze Organisation ist hinausgetragen bis nach Mazedonien; durch Soldatenheime ist sie gefördert worden, in denen die Feldgrauen draußen einen gewissen Ersatz erhalten sollen für die Heimat «

Heimatin oder Heimatol?

Vor dem Einschlafen der Welt

> Durch die Einkreisungspolitik König Eduards ward der Traum der Koalitionen zur Wirklichkeit. Dem englischen Imperialismus stand das aufstrebende, erstarkende Deutsche Reich im Wege. In der französischen Revanchesucht und im russischen Expansivstreben fand dieser britische Imperialismus «

Nicht von Bethinann, auch nicht von Michaelis, sondern von Hertling und seinen Nachfolgern. Es war einmal ein Märchen, das währte schon tausendundeine Nacht. Aber nun ist's schon weiter, und so geht es weiter, immer weiter bis zum jüngsten Tag, und die Friedensbedingung wird sein, es ihnen ins Gesicht

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sagen zu dürfen. Da war also der englische Imperialisn'ius und die französische Revanchesucht und das russische Expansiv- streben, und da gingen sie denn hin und nahmen Bomben und warfen sie auf Nürnberg. Und so ist es gekommen. Und dann trat noch die italienische Treulosigkeit hinzu. Und nun will Amerika aus Reklamesucht nicht zurückbleiben.

Pariser Sensationspresse

>Le Journal«, »Echo de Paris« und »L'heure« behandeln die Mitteilungen Clemenceaus (über den Brief des Kaisers) in sensatio- nellster Form Alle französischen Zeitungsstimmen zeigen

das Bestreben, aus der Angelegenheit möglichst großes Kapital zu schlagen.

Veränderung in Frankreich

Er Clemenceau) bildet sich vielleicht ein, Österreich zu kennen, weil er in Zeiten, da Frankreich durch eine ruhige und besonnene Politik ein blühendes, glückliches Land gewesen ist, zu den ständigen Besuchern von Karlsbad gehörte.

Herentgegen sich in Österreich nichts verändert hat.

Ausschnitt aus der Wiener Allgemeinen Zeitung

Für unsere öffentliche Meinung ist die Angelegenheit mit der hochsinnigen Kundgebung Kaiser Karls erledigt. Für die Frankreichs freilich eröffnet sich jetzt das Feld einer höchst notwendigen und dabei sehr verantwortungsvollen Tätigkeit. Sie wird sich die Frage vorlegen müssen, ob dieser Mann, der mit einer Lüge Reiche zu retten und Schlachten zu gewinnen sucht, geeignet ist, weiter die Geschicke der ihm anvertrauten Millionen zu lenken.

KAPELLE WILLY KLEINBERG

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Neue Musikalien

San's net grantig.

Kinder halt's mi z'ruckl

Gebt's ma ä Gewähr äher !

Dort, wo der Herrgott die Hand außastreckt.

Nur dich mein Wien, möcht ich wiederseh'n.

Da möcht selbst der Herrgott ein Wiener sein.

Küssen kann nur eine Wienerin.

Das ist Dulli!

Auf dem Friedhof La B a s s £ e.

Mizzerl, Mizzerl, sei doch netter. M. 150

Werde mein. M. 2

Schön war der Tanz, aber spiel'n tan s' 'n net.

Sauber lauft's.

Ein Tampus vom Schampus.

Zwa Jücker, die ka Peitschen brauchen.

San ma fesch.

Das sind die Frauen und Mädchen von Wien.

Ich denk an dich, du schöner Kärntnerring.

Mein Mann ist bis sechs Uhr im Bankverein.

Denk an dein Wien.

Dann trinkt ma' s letzte Tröpferl aus!

Und wenn i Wasser saufen muß. M. 150

Nobel geht die Welt zugrund. M. 1*50

Fürs Vaterland

Ausschnitt aus einem Zeitungsartikel. Der Anfang mit dem Namen des Autors fehlt. Raten!

...Wer dem Vaterland am meisten bringt, den läßt es willig vor; wer sich bloß besser geboren dünkt, den weist es zurück. Alle gelten ihm gleich, die gleich bereit fürs Vaterland sind. Aber von jedem heischt es, daß ihm das gemeinsame Vaterland mehr als die Nation sei: das Gefühl, der heiligen österrei- chischenErde zu gehören, nicht das Blut macht den Österreicher. Ein geistiges Erleben unserer alten Erde hat uns dieser Krieg gebracht und jetzt haben wir keine Ruhe mehr, bis wir auch den Ausdruck, die politische Form dieser unserer tiefen Erdgemeinsamkeit gefunden haben werden! Das Land, unser

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altes Land ist's, von dem wir nicht lassen können, für das wir zu jedem Opfer bereit sind ; wissen selber nicht warum, wissen nur, daß es uns teurer als selbst das eigene Leben, daß es uns über alles lieb ist! Und war's uns so teuer und lieb, daß wir selbst das eigene Leben dafür nicht achten wollten, so werden wir ihm wohl auch den eitlen Plunder von nationaler Selbstsucht, Übeihebung und Machtgier noch opfern können . . .

Wissen selber nicht warum, wissen nur, daß das vom Hermann Bahr sein muß! Deutlich höre ich die Austria, die sich der ungestümen Annäherung eines alten Drahrers nicht erwehren kann andere Herren wollen doch auch berücksichtigt sein, wer dem Vaterland am meisten bringt, den läßt es willig vor , deutlich höre ich sie sagen: Gehn S' weg, Sie Braver!

Der Chor in der modernen Tragödie

Aus den vielen Urteilen, durch die die Herren König und Koretz die Bestrebungen böhmischer Köchinnen und Abwasch- frauen auf Losreißung eines Teiles von dem einheitlichen Staats- verbande stigmatisiert haben, tobt mir dieser Gesang im Ohr:

Die Olga Hans ist sechsundvierzig Jahre alt; sie war gleichfalls

in der Küche tätig. Sie soll >Ende Oktober, Anfang November 1914« folgende zwei Aussprüche gemacht haben: »Sie sollen nicht dumm sein und die Gewehre und alles wegwerfen, die Gewehre zerbrechen und sagen, sie haben Rheumatismus; sie werden doch gescheit sein und auf die Brüder nicht schießen«; » Drei Teile sind Sokoln und ein Teil die anderen, sie sollen zwischen die Brüder schießen«. zu dreizehn Jahren schweren Kerkers, mit allen erwähnten Verschärfungen, verurteilt.

Anna Hunacek, gleichfalls ganz unbescholten, soll »Ende Oktober, Anfang November 1914« folgende Äußerungen gemacht haben: »Sie sollen nicht dumm sein und die Gewehre und alles wegwerfen, die Gewehre zerbrechen und sagen, sie haben Rheumatismus, sie werden doch gescheit sein und auf die Brüder nicht

schießen«; »In Böhmen kein König, kein Kaiser, Republik«.

zehn Jahre schweren K e r k e r s, mit allen Verschärfungen.

Es ist ein altes dramaturgisches Problem, ob der ganze Chor die Verse zu sprechen hat oder nur die Chorführerin oder gar nur der Koretz.

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Was es gibt

Über eine entsetzliche Lehrlingsmißhandlung hatte gestern das Bezirksgericht Döbling zu urteilen. Der Schmiedemeister Anton Ecker war da der Angeklagte. Im Dezember vorigen Jahres fiel der schwächliche und geistig zurückgebliebene Lehrling Johann M. bei der Arbeit vorErschöpfung zusammen. „Du bist ein Faulenzer und simulierst!" schrie ihn darauf der Meister an und versetzte ihm solche Faustschläge, daß dem Jungen das Blut aus Nase und Mund quoll. In der Verhandlung gab der Lehrling an, daß acht Tage vor den letzten Weihnachten, als er einige Eisenstücke nicht gleich finden konnte, ihn der Meister mit einem glühenden Eisenstück, das er gerade in der Hand hatte, in den Bauch stieß. Bezirksrichter Dr. Dörr : Das kann doch nicht wahr sein, das wäre ja entsetzlichl Statt aller Antwort entblößte der Junge seinen Bauchund zeigte dem Richter eine handgroße schlecht verheilteBrandwunde auf der linken Bauchhälfte. Richter (zum Angeklagten): Was sagen Sie zu dieser Roheit? Angekl: Na, wenn man an' Zorn hat, tut man gar viel. Ich bin ihm halt unvorsichtigerweise angekommen. Der Richter ließ einen Amtsarzt rufen. Dieser untersuchte den Lehrling und gab an, daß die Wunde äußerst schmerzhaft gewesen sein und mindestens eine achttägige Heilungsdauer in Anspruch genommen haben muß Der Richter verurteilte den Lehrlingsschinder zueinerWoche Arrest und außerdem zur Zahlung von hundert Kronen Schmerzens- geld an den Lehrling.

Daß eine Zivilisation, die mit glühenden Eisenstücken nicht nur die Erwachsenen über 17 bedroht, sondern sie schon Kindern in den Bauch treibt, einer Justiz begegnet, die dafür eine Woche Arrest zu vergeben hat, ist wohl in Ordnung. Der achttägigen Heilungsdauer entspricht eine Woche Arrest. Der Richter, der es sah und entsetzlich fand, gab dafür eine Woche Arrest. In demselben Staat könnte ich dafür, daß ich den Herrn Hans Müller durch die Meinung, sein Empfangdurch den deutschen Kaiser sei unglaublich >Das kann doch nicht wahr sein, das wäre ja entsetzlich!« sagte ich, aber kein Richter würde es wiederholen , »der Lüge beschuldigt«, also gekränkt habe, von Gesetzwegen sechs Monate bis zu einem Jahr bekommen. Wir sterben an den Kontrasten. Aber daß sich die Tollheit noch in Normen und Formen auslebt, das macht uns tragisch. Ich werde da wirklich nicht mehr lange mitmachen können.

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Unsere Pallas Athene !

Gestern früh gab ein Soldat von einem Straßenbahnwagen aus bei der Haltestelle vor dem Parlamentsgebäude gegen die vor diesem stehende Statue der Pallas Athene zwei scharfe Schüsse aus einem Gewehr ab. Der Mann wurde von einem Offizier und zwei Soldaten entwaffnet und das Gewehr entladen. Der Soldat, der offenbar geistes- gestört ist

Wieso? Die kann einen schon aufregen. Ich war nicht im Krieg und trage kein Gewehr bei mir. Aber so oft ich die sehe, in ihrer vollkommenen Nichtbeziehung zu den Dingen, die in dem Haus di in und außerhalb vorgehen, höchstens daß einem der Abgeordnete Groß einfällt oder daß einem jetzt um das viele Stearin leid ist wie sie dasteht, ein Denkmal des Wiener Schönheitssinnes, so eine noch immer fesche Hausmeisterin des hohen Hauses oder Verkörperung des Ideals halt von etwas Idealem oder Antikem oder in der Art, die meisten Passanten glauben jetzt, daß es die Austria ist oder die Germania, aber die Gebildeten wissen, daß es eine Palastathene ist, eigentlich gehört sie vors Burgtheater, weil sie akkurat aso aussieht, wie ich mir das christlichgermanische Schönheitsideal des Herrn Dr. von Millenkovich in antiker Gewandung vurstelle so oft ich die sehe: was ist, frage ich da, aus all den Arbeitskräften geworden, die das in den Neunzigerjahren hinpappen mußten, ja die Katzeimacher die haben mit ihnerem Colleoni einpacken können aus Furcht vor uns, aber unserer Pallas Athene, der kann nichts g'schehn, in dem Punkt sind wir sicher, sie steht einmal da, keine feindliche Bombe, keine Kugel wird die treffen, und wenn jetzt einer von den Unsrigen sich so weit hat hinreißen lassen, so handelt es sich um die Tat eines offenbar Geistesgestörten, man darf nicht generalisieren, solche Leute soll man nicht auf die heimischen Kunstschätze loslassen, sondern soll sie einrückend machen, die Pallas Athene die muß uns erhalten bleiben im Weltkrieg, war' nicht schlecht und so oft ich die sehe und alles andere rings herum sehe und höre, da spür' ich ordentlich, daß ich kein Gewehr bei mir trage !

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Kriegsmüde

das ist das dümmste von allen Worten, die die Zeit hat. Kriegsmüde sein das heißt müde sein des Mordes, müde des Raubes, müde der Lüge, müde der Dummheit, müde des Hungers, müde der Krankheit, müde des Schmutzes, müde des Chaos. War man je zu all dem frisch und munter? So wäre Kriegsmüdigkeit wahrlich ein Zustand, der keine Rettung verdient. Kriegsmüde hat man immer zu sein, das heißt, nicht nachdem, sondern ehe man den Krieg begonnen hat. Aus Kriegsmüdigkeit werde der Krieg nicht beendet, sondern unterlassen. Staaten, die im vierten Jahr der Kriegführung kriegsmüde sind, haben nichts besseres verdient als durchhalten!

Nachzutragen

wäre viel. Was hier aufbewahrt wurde, macht beiweitem nicht die Hälfte jenes Materials aus, das mir als die dokumentarische Verlassenschaft dieses Spuks von Blut und Dreck zugefallen ist. Nie mehr ach wird die nachdrängende Gewalt der Begeben- heiten erlauben, die erlösende Leidenschaft des Zitats und der Photographie an jenen Beginn der großen Zeit zu wenden, deren geistigen Insult überlebt zu haben im Gedenken an ihre Märtyrer ein ewiger Vorwurf bleiben wird. Fände ich nur auf den ersten Griff die autotypierte Feldpostkarte, die in den Tagen, da eben für Henker und Schieber das goldene Zeitalter anbrach, der Sieger von Lemberg an den bedeutendsten Kaffee- sieder der Epoche gerichtet hat, den unvergeßlichen Gruß jenes Auffenberg an jenen Riedl, beginnend mit den Worten >In dieser Stunde . . ! Würde man mir's denn ohne Unter- stützung durch den Photographen glauben? Da ja sowieso alles, was sich begibt, von mir erfunden ist, habe ich einen schweren Stand und hätte ich Müllers Berufung zu Wilhelm II. nicht klischieren lassen, hieße ich ein Verleumder, der der Nach- welt einreden möchte, alles, was er erfand, habe sich zugetragen, während ich doch in Wahrheit nur alles, was sich zuge- tragen, erfand. Eine Probe : man glaubt mir doch sicher nicht, daß die B. Z. am Mittag möge, seitdem die erscheint, die Sonne ein schlechtes Gewissen haben! , daß also dieser

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von Wiener Juden Schulter an Schulter mit Ullstein vollführte Anschlag gegen die Ehre der Menschheit die Versenkung der »Lusitania« mit dem Ausruf begleitet hat: Angesagt gilt doppelt!

Weimarisches Deutschland

Der Prinz als Operationszuschauer. Aus Weimar wird berichtet: Im Laufe des Disziplinarverfahrens gegen den Leiter der Weimarer Frauenklinik, Prof. Henkel, der, wie gemeldet, mit Urteil des Gerichtes seines Amtes enthoben wurde, kam bekanntlich auch zutage, daß Prof. Henkel eine Operation an einer Frau vorzeitig nur deshalb vorgenommen hat, um einem Prinzen zu Lippe Gelegenheit zu geben, der Operation als Zuschauer beizuwohnen. Diese Affäre kam am Montag vor Schluß des Beweisverfahrens noch einmal zur Sprache. Wie sich dieser Fall zutrug, schilderte ein Assistenzarzt in folgender Weise: >Prof. Henkel fragte Prof. Busse: ,lst nichts mehr zum Operieren da?' Prof. Busse verneinte, und darauf sagte Prof. Henkel: ,Wir müssen aber noch etwas operieren.' Prof. Busse sagte, es sei nichts da; ich hatte das Empfinden, als ob er nicht wolle. Da sagte Prof. Henkel: ,Sie haben doch noch einen Fall, bringen Sie den mal herein.' Prof. Busse sagte, die Patientin habe gerade gefrühstückt, aber Prof. Henkel meinte: .Das macht nichts.' Der Fall wurde dann vorbereitet und der Patientin der Magen ausgepumpt. Die Frau war sehr erregt darüber, daß sie plötzlich operiert werden sollte, und es gab eine sehr unangenehme Szene. Sie wurde sehr schnell operiert und alles schien sehr schön zu gehen. Plötzlich zupfte mich eine Schwester am Rock und ich sah, wie die Frau in den letzten Zügen lag Ich gab ihr noch ein paar Kampferinjektionen, aber es half nichts, s i e s t a r b. Ich ging hinein und sagte es Prof. Henkel, der stumm nickte Ich weiß das noch ganz genau, denn dies war ein Ereignis für mich, wie man es nicht jeden Tag hat. Der Prinz zu Lippe sagte zu Professor Henkel: ,D a haben Sie ganz ausgezeichnet operiert, ich werde das sofort meiner Schwester mitteilen." Ich hatte das instinktive Gefühl, daß, wenn der Prinz den tragischen Aus- gang gewußt hätte, er anders gesprochen haben würde. Ich sprach über den Vorgang mit einem anderen Assistenz- arzt, der mir etwas erwiderte, was mich völlig niederschlug. Er sagte nämlich: ,Henkel ist doch der größte Verbrecher.'

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Ein Kantianer un

». . . Es hat das Jahr 1917 mit seinen großen Schlachten gezeigt, daß das deutsche Volk einen unbedingt sicheren Ver- bündeten in dem Herrn der Heerscharen dort oben hat. Auf den kann es sich bombenfest verlassen, ohne ihn wäre es nicht gegangen . . . Schon gestern habe ich in der Um- gebung von Verdun eure Kameraden gesprochen und gesehen, unddawar es wie eine Witterung von Morgenluft, die durch die Ge- müter ging. . . . Was noch vor uns steht, wissen wir nicht. Wie aber in diesen letzten vier Jahren Gottes Hand sichtbar regiert hat, Ver- rat bestraft und tapferes Ausharren belohnt, das habt ihr alle gesehen, und daraus können wir die feste Zuversicht schöpfen, daß auch fernerhin der Herr der Heerscharen mituns ist. Will der Feind den Frieden nicht, dann müssen wir der Welt den Frieden bringen dadurch, dsß wir mit eiserner Faust und m i t blitze ndemSch werte die Pforten einschlagen bei denen, die den Frieden nicht wollen.«

»Der völlige Sieg im Osten er- füllt mich mit tiefer Dankbarkeit. Er läßt uns wieder einen der großen Momente erleben, in denen wir ehrfürchtig Gottes Walten in der Geschichte bewundern können. Welch eine Wen- dung durch GottesFügung! Die Heldentaten unserer Truppen, die Erfolge unserer großen Feld- herren, die bewunderungswürdigen Leistungen der Heimat wurzeln letzten Endes in den sittlichen Kräften, im

d Kant

»Nach einem been- digten Kriege, beim Friedensschlüsse, möchte es wohl für ein Volk nicht unschicklich sein, daß nach dem Dankfeste ein Bußtag ausge- schrieben würde, den Himmel im Namen des Staats um Gnade für die große Versündi- gung anzurufen, die das menschliche Ge- schlecht sich noch immer zu schulden kommen läßt, sich keiner gesetzlichen Verfassung im Ver- hältnis auf andere Völker fügen zu wollen, sondern stolz auf seine Unabhängigkeit lieber das barbarische ^littel des Krieges (wodurch doch das, was gesucht 'wird, nämlich das Recht eines jeden Staats, nicht ausgemacht wird) zu gebrauchen. Die Dankfeste während dem Kriege über einen erföchte nen Sieg, die Hymnen, die (auf gut israelitisch) dem Herrn der Heerschaaren gesungen werden, stehen mit der moralischen Idee des

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kategorischen Imperativ, Vaters der Menschen

die unserm Volk in harter Schule j n n i ch t m i n d e r starkem

anerzogen sind . . . ,, ...

»...Um so dankbarer wird ge- Kontrast; weil Sie außer

rade in Ostpreußen das 0 o 1 1 e s- der Gleichgültigkeit

ge rieht im Osten empfunden wegen der Art, wie Völker

werden. UnserenSieg v e r- jhr gegenseitiges Recht danken wir nicht zum , /,.

mindesten den s i 1 1- suchen (die traurig

liehen und geistigen genug ist), noch eine

Gütern, die der große Freude h i n e i n b r i n g e n,

Weise von Königsberg recht viel Menschen

oder ihr Glück zer-

unserem Volke geschenkt hat.... Gott helfe weiter bis zum endgültigen Siege nichtet zu haben.«

Um Mißverständnissen vorzubeugen

erkläre ich, daß ich »Habt acht!«, »Marsch marsch!«, »Immer feste druff!« und »Durchhalten!« nicht als Beispiele für meinen kategorischen Imperativ vorgesehen habe. Kant m. p.

Die Kriegsschreiber nach dem Krieg

Jerome K. Jerome in den , Daily News':

. . . Dieser Vorwurf gilt jedoch nicht nur den Zentralmächten. Ich sehe keinen Grund, an der Aufrichtigkeit eines Bekehrten zu zweifeln, der von seiner Verrücktheit bekehrt wurde, weil er während vier Jahren deren verheerende Resultate gesehen hat. Es gibt sogar welche unter ihnen, die von Anfang an ihr Knie nie vor Baal gebeugt haben.

Ich möchte die denkenden Männer und Frauen der alliierten Länder bewegen, sich mit ihnen zu verbinden; sie sollen helfen, in der ganzen Welt eine Lebensauffassung zu bilden, die den Krieg unmöglich macht. Ich glaube, daß wir nach diesem schrecklichen Blutopfer nicht mehr durch eine Flut von dummen Gedichten und Geschichten, die den Krieg ver- herrlichen, zu leiden haben werden: daß unsere Knaben und Mädchen nicht mehr wie früher mit Büchern und Gedichten aufgezogen werden, die dazu dienen, die natürliche Anlage des Menschen zum Töten noch zu erhöhen. Ich glaube nicht, meinem eigenen Berufe eine erhabene Wichtigkeit beizumessen, wenn ich die Überzeugung ausspreche, daß seit dem

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Entstehen der Presse die Lust der Welt zur Kriegführung durch die Schriftsteller noch sehr erhöht wurde. Wenn das so fortgehen würde, könnten wir jeden Traum für einen dauernden Frieden aufgeben. Wenn sich die Schriftsteller aller Länder, durch Maler und Musiker unterstützt, nach dem Kriege nicht Selbstverleugnung auferlegen, wird die nächste Generation sicher mit einem Hunger nach Krieg aufwachsen. (Davor bleibe sie durch einen andern Hunger, mit dem sie aufwachsen wird, bewahrt.)

Man kann die Teufelsmusik nicht immer spielen, ohne zu bewirken, daß die jungen Leute auch nach ihrer Melodie tanzen ....Eine schwere Verantwortung wird auf diejenigen fallen, die aus Gewinnsucht fortfahren, mit ihren tierischen Instinkten zu spielen.

Von einer Fortsetzung des Gewerbes kann keine Rede sein. Eine allseitige Friedensbedingung wird den Tag festsetzen müssen, an welchem gleichzeitig in sämtlichen Staaten auf offenem Markt vor den auf Tribünen sitzenden Invaliden die Kriegslyriker und alle, die mit dem Wort zur Tat geholfen haben, dadurch von ihr befreit waren und ihre schmähliche Rettung nicht allein mit dem Ruin anderer erkauft, sondern noch mit Gewinn belohnt sahen, zusammen- getrieben und ausgepeitscht werden. Ich werde, wenn Wilson das nicht verlangt und erreicht, nach Friedensschluß nicht ruhen, für unser eigenesSchuldgebiet diese Prozedur zu befür- worten und dahin zu wirken, daß eine Pro- skriptionsliste angelegt werde, damit, wenn schon die Rücksicht auf unhaltbare Staats- gesetze, welche die leibliche Sicherheit und Ehre von Me n seh h ei t sver br ech er n schützen, die. Initiative lähmen sollte, das immer erneute Gedächtnis dessen, was jene nicht erleben mußten, die es propagiert haben, ihr Gewissen bis zur Selbstvernichtung foltere. Ich denke dabei nicht nur an solche, die sich freiwillig an der Glorifi- zierung von Minenvolltreffern betätigt haben, sondern vor allem an jene, die sich hinterher auf einen angeblichen Zwang berufen

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und eben das, was sie am schwersten belastet, als Entschuldigung geltend machen, kurzum an jene, die den Weltsturm unter eigenen Obdächern mitmachen durften, wo sie allerdings zum Dank hiefür seine Schönheit zu rekommandieren genötigt waren. Da aber hier der Zwang nur eine Konsequenz der Wahl ist, indem man wohl von staatswegen gezwungen werden kann, zu sterben, aber nicht zu schreiben, und nur dann auch zum Schreiben gezwungen werden kann, wenn man dieses dem Sterben vorgezogen und also Protektion die Alternative ermöglicht hat; da es sich ferner in solchen Fällen beileibe nicht um diese Alternative, sondern höchstens um die Vermeidung von Spitalauskehren, Brotschupfen, Kanzleidienst und sonstige gefahrlose Notwendigkeiten handelt und selbst diesen noch die lyrische oder feuilletonistische Verklärung von Gasangriffen vorgezogen wurde; da sie mir gegenüber die Beteuerung parat haben, sie hätten »nicht töten wollen«, wo sie durch ihre Literatur doch weit mehr Tod verbreitet haben als sie je durch ihre Taten vermocht hätten, geschweige denn durch ihren Etappendienst so werde ich gerade in diesen Fällen auf die uner- bittlichen Repressalien des wieder erwachenden Schamgefühles dringen. Umso entschiedener dort, wo vor den Instanzen der Presse und derQlorie die vorgeschriebene Gesinnung und die völlig unver- bindliche Uniform, beide mit mehr Anspruch auf Ehre als Gefahr, stolz getragen und gleichzeitig mir gegenüber, vor der weit unerbitt- licheren Front meines Gewissens, die Entschuldigung des Zwanges versucht wurde. Die Nichterwiderung des Grußes, welchen Rang sie dann immer treffen mag, wird mir bei weitem nicht Genüge tun. Ich werde dahin wirken, daß jene, die dadurch oder davon gelebt haben, daß andere gestorben sind; die mit ihrer Feder andern zu Unternehmungen Mut machten, vor denen sie sich mit Recht gescheut haben; die durch Begeisterung für Angelegen- heiten, von denen sie mit Recht entfernt sein wollten, an viel- facher Blutschuld teilhatten und im sicheren Rückhalt lyrischer Auditoriate dieses Weltgericht überleben durften kenntlich gemacht werden, damit nicht mehr »die Lust der Welt zur Kriegführung durch die Schriftsteller erhöht« werde, sondern die Unlust der Welt an den Schriftstellern aufwachse zur Räch« für unsere erschlagenen Freunde!

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Zum ewigen Frieden

> Bei dem traurigen Anblick nicht sowohl der Übel, die das menschliche Geschlecht aus Naturursachen drücken, als vielmehr derjenigen, welche die Menschen sich untereinander selbst anthun, erheitert sich doch das

Gemüth durch die Aussicht, es könne künftig besser werden; und zwar mit un- eigennützigem Wohlwollen, wenn wir längst im Grabe sein und die Früchte, die wir zum Teil selbst gesät haben, nicht einernten werden.«

Nie las ein Blick, von Thränen übermannt, ein Wort wie dieses von Immanuel Kant.

Bei Gott, kein Trost des Himmels übertrifft die heilige Hoffnung dieser Grabesschrift.

Dies Grab ist ein erhabener Verzicht: »Mir wird es finster, und es werde Licht!«

Für alles Werden, das am Menschsein krankt, stirbt der Unsterbliche. Er glaubt und dankt.

Ihm hellt den Abschied von dem dunklen Tag, daß dir noch einst die Sonne scheinen mag.

Durchs Höllentor des Heute und Hienieden vertrauend träumt er hin zum ewigen Frieden.

Er sagt es, und die Welt ist wieder wahr,

und Gottes Herz erschließt sich mit »und zwar«.

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Urkundlich wird es; nimmt der Glaube Teil, so widerfährt euch das verheißne Heil.

O rettet aus dem Unheil euch zum Geist, der euch aus euch die guten Wege weist!

Welch eine Menschheit! Welch ein hehrer Hirt! Weh dem, den der Entsager nicht beirrt!

Weh, wenn im deutschen Wahn die Welt verschlief das letzte deutsche Wunder, das sie rief!

Bis an die Sterne reichte einst ein Zwerg. Sein irdisch Reich war nur ein Königsberg.

Doch über jedes Königs Burg und Wahn schritt eines Weltalls treuer Untertan.

Sein Wort gebietet über Schwert und Macht und seine Bürgschaft löst aus Schuld und Nacht.

Und seines Herzens heiliger Morgenröte Blutschande weicht : daß Mensch den Menschen töte.

Im Weltbrand bleibt das Wort ihr eingebrannt: Zum ewigen Frieden von Immanuel Kant!

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KARL KRAUS

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STR. 484-498 OKTOBER 1918 AA.JAm

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INHALT:

Ausgebaut und vertieft / Glossen / Auf hoher See / Inschriften Ein Mord im Weltkrieg / Glossen / Ein Staatsverbrechen i Shakespeare und Jugend / Krieg / Ich und das Ichbin Meinem Franz Janowitz / Die letzte Nacht / Meinem Fra Grüner / Notizen / Der Bauer, der Hund und der Soldat Vorlesungen in Berlin / Glossen / Das verjüngte Osterreich Gerüchte { Glossen / Eine prinzipielle Erklärung.

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(KÜRTWOLFF)

[908 SITTLICHKEIT UND KRIMINALITÄT 2. Auflag

1909 SPRUCHE UND WIDERSPRÜCHE 3. Auflage

1910 OSE' CHINESISCHE MAUER demnächst 4. Auflage

1911 HEINE UND DIE FOLÖEN 3, Auflage

1912 PRO DOMO ET MUNDO 2. Auflage 1912 NESTROY UND DIE NACHWELT

1916 WORTE IN VERSEN I demnächst 2. Auilage

1917 WORTE IN VERSEN II

1918 WORTE IN VERSEN HI .7i Druck: NACHTS

UNTERGANG DER WELT DURCH SCHWARZE MAGIE lu '' ziehen durch alle Buchhandlungen und durch den Verlag Leipzig» Kreuzctraße 3 b

Im Frühjahr 1918 erschien:

KARL KRAUS UND DIE SPRACHE

VON LEOPOLD LIEQLER Preis K 1.50 (M 1. --)

Verlag der Buchhandlung Richard Länyi, Wien, I. Kärntnerstr. 44 !

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18 Nummern K 4.50 13 Kummern ML 4.— 18 Nummern K 6.—

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XHALT des vorigen, zehnfachen Heftes 474/483, 23. Mai 1918 )er begabte Czernin / Glossen / Das techncom antisch« Abenteuer / Für Lammasch / Inschriften / Der darbende Bürger / Glossen / Notizen / Bange Stunde- / Halbschlaf / )as zweite Sonett / An eine Falte / Suchen und Finden / )ie Flamme der Epimeleia / Programme / Glossen / Ein Staats treich / Inschriften / Am Sarg Alexander Girardis / Der Welt Spiegel Glossen / Zum ewigen Frieden.

Nr. 499 und Nr. 500 werden in rascher Folge erscheinen.

DIE FACKEL

Nr. 484—498 15. OKTOBER 1918 XX. JAHR

Ausgebaut und vertieft

September 1918

Der geistige Tiefstand, der diese Katastrophe ermöglicht hat und dessen Vertiefung durch eben diese Katastrophe ausgebaut wurde, enthüllt sich am greifbarsten in der völligen Ausgesetztheit, in der sich die Gehirne vor dem Schlagwort befinden. Wehrloser und gebannter ist kein Schaf vor der Boa constrictor als der durchhaltende Verstand vor der Phrase. Sein Opfer ist aber umso tragischer, als er zugleich das Subjekt und das Objekt der Fütterung ist. Gelingt es einem jener Menschen, die in Ämtern sitzen und deren Aufgabe es ist, die Knappheit an Phantasie oder Lebensmitteln in ein dürftiges Deutsch zu übersetzen, ein solches Merk- wort zu finden, so kann man sicher sein, daß der darbende Bürger durch Monate daran zu zehren haben wird, bis von ihm nichts übrig bleibt. Der Effekt wäre freilich ein auch nicht annähernd so ausgiebiger, wenn die Sprache der Ämter nicht ein Sprachrohr hätte, durch das jede Botschaft erst schmackhaft wird, oder vielmehr, wenn es nicht hier- zulande einen so hervorragenden Wiederkäuer gäbe, dessen täglich zweimal zwanzigmal produzierte Tätigkeit ein Schlagwort erst appetitlich macht. Die bürokratische Kost, die einem vielleicht widerstehen möchte, wenn sie nicht vom Speichelfluß dieser Beredsamkeit aufgeweicht würde, ist nach solcher Prozedur nicht wiederzuerkennen, und es ist am Ende ganz sonderbar, wie die abgelegenste Kanzleiphrase als frische Jargonwendung wirkt, nachdem sie jener in den Mund genommen hat. Als vor dem Krieg einmal der Betmann Hohlweg, der doch weit eher ein Pastor

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als ein Rabbiner ist, die Bereitwilligkeit Deutsch- lands, für den Bundesgenossen zu »fechten«, aus- gesprochen hatte, war durch Tage der Schrei eines Echos hörbar, dessen Unaufhörlichkeit die Klang- farbe hatte : Er hat gesagt, er wird für uns fechten, fechten wird er für uns hat er gesagt. Ebenso unerbittlich hat dieser Vorbeter aller Blutandachten in der Gelegenheit gehaust, die durch das Schlagwort »Entspannung« bezeichnet war. Ein solches Schlag- wort versetzt ihn in eine derartige Aufregung, daß man glaubt, der unaufhörliche Schlag, mit dem er das Gehirn des Lesers trifft, werde schließlich ihn treffen. Wenn man dereinst versuchen sollte, die geistige Akustik dieser Zeit nach ihrem durch- dringendsten Geräusch darzustellen, so wird man über die Tragfähigkeit ihres Gehörs noch mehr staunen als über die ihrer Scham. Denn es kann heute kein noch so armseliger Lebenslaut der Staatsdummheit erfunden, um die Menschheit über den Mangel ihrer Selbstverständlichkeiten zu betrügen ausgestoßen werden, ohne daß er in diesem Schalltrichter zum Losungswort einer Weltentscheidung würde. Die Spei- würdigkeit dieses Zeitalters ist aber wohl noch nie so plastisch an uns herangetreten wie in der Orgie dieses Merkworts, vom Ausbau und von der Vertiefung. Entseelter und so um den Sinn des Dings gebracht war die Papiersprache, die wir in diesem Krieg ausatmen, noch nie, und die Gewure, die imstande war, durch Wochen an dem ausgespucktesten Surrogat zu schlingen, verdient schon allen Respekt. Es war rein so, als ob die Borniertheit, die dergleichen erfindet, die Absicht gehabt hätte, durch Hinwerfen eines Brockens das furchtbare Haustier, das wir uns halten, rabiat zu machen, wissend, daß es sich auf so etwas werfen und daß es dann ein Schau- spiel geben werde und eine Ablenkung für die vielen, denen etwas Gebackenes oder Gebratenes lieber ist als etwas Ausgebautes und Vertieftes.

Schon etliche Monate vorher rollte der erste Donner, und ich habe eine Probe davon gegeben, die aus- gereicht hat, um den Überdruß an der Sache im Ekel am Wort fühlen zu lassen. Damals war es der Graf Czernin, dem nicht oft genug nachgesagt werden konnte, daß er ausgebaut und vertieft habe, und ich überschrieb es: »Das kann man nicht oft genug hören«. Dennoch war's nur ein lächerliches Vorspiel im Vergleich zu dem was kommen sollte; »ein Tändeln« mit der Idee, wie das Großmaul in stillern Stunden zu sagen pflegt. Das Trommel- feuer, das nun anhub, sollte alles Erlebte über- treffen. So ausgebaut und vertieft ward nie zuvor. Wären die Menschen, denen das angetan wird, noch imstande, die völlige Erstarrtheit des vorgeschrie- benen Denkens, die solche Gassenhauer des politischen Optimismus entstehen läßt, zu spüren, sie hätten sich dagegen aufgebäumt; sie hätten den Erfindern, den Ingenieuren des Ausbaues und der Vertiefung begreiflich gemacht, daß es zur Not angeht, eine öde Sache durch ein ödes Bild anschaulich zu machen, daß es aber unmöglich ist, sie durch zwei öde Bilder anschau- lich zu machen, weil hierdurch nicht die Realität, die verglichen werden soll, die politische, sondern wieder nur die Realität, mit der verglichen werden soll, die technische, anschaulich gemacht wird, indem ja der technische Ausbau von der technischen Vertiefung im Sinne verschieden ist, der bildliche jedoch mit der bildlichen so sehr zusammenfällt, daß er eben zusammenfällt. Wer zum erstenmal vom Ausbau eines Bündnisses gesprochen hat, der hat nicht gerade die Sprache bereichert, wenn er schon das Heil der Menschheit vermehrt hat; wer aber vom Ausbau und von der Vertiefung eines Bündnisses gesprochen hat, der hat der Sprache einen heil- losen Verlust beigebracht. Wie nun ein Korybant in dieser dürftigen Gelegenheit gerast hat; welch einem Rausch der Nüchternheit wir standhalten

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mußten ; wie dieser Exzeß rapid auf alle benachbarten Lebensgebiete übergriff, so daß rechts und links nun auf einmal auch alles andere ausgebaut und vertieft war, alle andern Bündnisse, bei Freund und Feind, und beinahe sogar das, was wirklich den Sinn dieses Verfahrens vertrug, als etwa eine Eisenbahn oder ein Kanal; vor allem aber, wie der Wahnsinn dieser Kuppelung offenbar war, wenn die beiden Methoden getrennt wurden, so als ob wirklich der Ausbau des Bündnisses etwas anderes zu bedeuten hätte als dessen Vertiefung das zeigt der folgende Strudel, der nur ein Zitat aus dem Katarakt vorstellt, welcher verheerend, von keiner beschwörenden Vernunft aufgehalten, aller Papiernot trotzend, epidemischer als alle spanische Krankheit über unser politisches Terrain dahingegangen ist:

13. Mai: Ausbau und Vertiefung des Bündnisses.

hiebei ergab sich volles Einvernehmen in allen diesen

Fragen und der Entschluß, das bestehende Bündnisverhältnis auszubauen und zu vertiefen.

Wichtige Ergebnisse der Kaiserzusammenkunft. Ausbau undVertiefung des bestehenden Bündnisverhält- nisses.

wurde im vollen Einvernehmen der Entschluß gefaßt, das

bestehende Bündnisverhältnis auszubauen und zu ver- tiefen. In welcher Form der Ausbau und die Ver- tiefung geschehen sollen, wird heute noch nicht mitgeteilt.

Der Krieg hat den Ausbau und die Vertiefung

des Bündnisses zur Notwendigkeit gemacht. In welcher Richtung dieser Ausbau und die Vertief u ng sich vollziehen sollen,

wird in der amtlichen Mitteilung nicht angedeutet. Gewiß

wird es der Wunsch der beiderseitigen Generalstäbe sein, den Vorteil, den die Monarchie und Deutschland . . durch den Grundsatz hatten, der im Kriege Schulter an Schulter genannt wurde, auch künftig zu behalten, auszubauen und zu vertiefen.

Mitteilungen von unterrichteter Seite.

Wir müssen also an dem Defensivbündnis festhalten und

für einen Ausbau und eine Vertiefung dieses Bünd- nisses . . nur andere Vorbedingungen schaffen.

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14. Mai:

Ausbau und Vertiefung des Bündnisses mit

Deutschland.

Volles Einvernehmen über das künftige Verhältnis.

und die von ihnen geschaffenen Tatsachen sollen durch

Ausbau und Vertiefung zur Regel für die Zukunft erhoben werden. Wir brauchen nur den Ereignissen des Krieges zu folgen, um zu verstehen, warum der Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses unvermeid- lich geworden sind. Die Einheit der Front für die Mittelmächte ist eine zureichende Ursache für die militärische Vertiefung des Bündnisses.

Nun und der Ausbau? Geduld:

Der Plan, den Mittelmächten die Rohstoffe auch nach dem Kriege zu entziehen, wird mit der Nachricht vom wirtschaftlichen Ausbau des Bündnisses beantwortet.

Der Ausbau des Bündnisses mit Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht.

Das Bündnis mit Deutschland. Der Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses zwischen der Monarchie und Deutschland haben einen Zu- sammenhang mit der polnischen Frage

Nachrichten über gefälschte deutsche Friedensangebote.

Wahr ist der Ausbau und die Vertiefung des

Bündnisses zwischen der Monarchie und Deutschland

Die Erneuerung des Bündnisses mit Deutschland.

Die amtliche Mitteilung, daß bei der Kaiserzusammenkunft im deutschen großen Hauptquartier der Ausbau und die Vertiefung des zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn bestehenden Bündnisses abgeschlossen worden ist, wird von der Berliner Presse erörtert.

15. Mai:

Sie (die Welt) wird damit rechnen müssen, daß England mit seinen vierhundert Millionen Einwohnern . . die Beziehungen zu den_ Vereinigten Staaten ausbaut und vertieft, um seine Überlegenheit in der Versorgung mit Rohstoffen noch zu vermehren. Welchen Einfluß könnten die Nachrichten über den Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses auf die Politik der Entente haben? Die Wirkung dürfte nach- haltig sein.

Der Schluß aus diesen Worten ist gerechtfertigt, daß der wesentliche Zweck des Ausbaues und der Vertiefung in der Öffentlichkeit richtig erkannt worden sei.

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16. Mai: In dieser letzten Stunde der Monarchenbegegnung fühlten aber alle Zeugen dieses historischen Ereignisses, daß der Bund zwischen beiden Mittelmächten . . in des Wo rtes wahrster Bedeutung vertieft worden ist. die Grundlagen einer wesentlichen Vertiefung

Der Ausbau des Bündnisses und die Entente. . . . der Ausbau und die Vertiefung des Bündnisses mußten unter solchen Umständen die Entente überraschen.

Der Ausbau des Bündisses und die polnische Frage. Der Ausbau der Technischen Hochschule und der Stadtrat. Wiener Börse: und die große Bedeutung des politischen und militärischen Ausbaues des Bündnisses wurde weiter eingehend besprochen. Insbesondere wurde hervorgehoben, daß die Vertiefung

23. Mai:

Es ist anzunehmen, daß bei dieser Gelegenheit auch die Besprechungen über die zur Vertiefung und zum Aus- bau des Bündnisses zu treffenden Vereinbarungen beginnen werden.

24. Mai:

Der Ausbau des wirtschaftlichen Bündnisses mit Deutschland.

.... deshalb ist es von besonderem Interessse, zu hören, was dieses hervorragende Mitglied des Kabinetts Wekerle über die Beschlüsse betreffend den Ausbau des wirtschaftlichen Bündnisses mit Deutschland sagt. ... >. . . Ich selbst strebte immer eine Vertiefung des Wirtschaftsverhältnisses zum Deutschen Reiche an . . .* 4. Juni:

... die Welt hörte die Verkündigung, daß der Ent- schluß gefaßt worden sei, das Bündnis auszubauen und zu vertiefen Die Vertiefung des Bündnisses werden die Monarchie und Deutschland nach dem Kriege als Bedürfnis

empfinden Sicherheit kann nur werden durch Ausbau

und Vertiefung des Bündnisses. Budget, Anleihen und

Steuern können nicht warten, bis das Bündnis mit Deutschland politisch, militärisch und wirtschaftlich ausgebaut ist. Konstantinopel, 4. Juni :

.... In Besprechung der Vertiefung des Bündnisses der Mittelmächte erklärte Redner .... Dr. Friedjung schloß mit einem dreifachen Hoch und Eljen auf den Ausbau und die Dauer des Bündnisses der beiden Mittelmächte mit der Türkei.

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5. Juni:

Das Bündnis und seine Vertiefung.

die erste Frage galt der Vertiefung des Bünd- nisses der Mittelmächte

Der Ausbau des österreichisch-ungarisch-deutschen Bündnisses in militärischer Beziehung.

Die Vertiefung des Bündnisses auch in mili- tärischer Hinsicht ist darum eine unbedingte Notwendigkeit.

Dr. Wekerle und Graf Tisza über die Vertief ung des Bündnisses.

Äußerungen von einer Seite gefallen sind, die gegen eine

Vertiefung des Bündnisses Bedenken hegte.

13. Juni: Der Ausbau des Sieges bei Noyon. Graf Burian über die Vertiefung des Bündnisses.

1. Juli: Die Beratungen in Salzburg über den Ausbau des Bündnisses.

sind die leitenden Auffassungen bei der wirtschaftlichen

Vertiefung des Bündnisses Wirtschaftsgebiet, dessen Grundmauern in Salzburg aufgerichtet werden sollen

Und noch im September konnte dieser von keiner Materialnot abgeschreckte Förderer des Bau- gewerbes die Genugtuung erleben, daß der deutsche Kaiser dem Hetman nachrühmte, er habe »die Ukraine zu einem neuen geordneten Staatswesen aus- zubauen begonnen«, worauf der Hetman der Hoffnung Ausdruck gab, daß »die Beziehungen zwischen dem mächtigen deutschen Reiche und der Ukraine sich immer mehr vertiefen werden«. Inzwischen hatte sich aber bereits eine Folge der Vertiefung des andern Bündnisses gezeigt:

Berlin, 23. Mai. (Privattelegramm des .Neuen Wiener Journals') Die ,Tägliche Rundschau' meldet aus dem Haag: ,T i m e s' melden aus Turin, daß die italienische Börse seit der deutsch-österreichischen Kaiserzusammenkunft eine bemerkenswert flaue Stimmung zeige. Man glaubt, daß die Italiener durch die Tiefe des Bündnisses sehr enttäuscht worden sind.

Der Ausbau hingegen scheint vorläufig noch keinen Eindruck auf sie zu machen. Immerhin mehrten sich von Tag zu Tag die Symptome, die es dem publizistischen Wortführer der Zentralmächte rätlich

erscheinen ließen, die Entente darüber zu beruhigen, daß man auch hier einem Völkerbund nicht mehr abgeneigt sei und daß >die Einrichtung der Schieds- gerichte nach dem Kriege stark ausgebaut werden müsse*.

Was aber, kann man fragen, wäre geschehen, wenn ein sogenannter Staatsmann, also der Vertreter eines zumeist verfehlten Berufs, der, wie nicht allein der Fall des Herrn Kühlmann beweist, nicht einmal die Fähigkeit zum Privatmann hat, die Parole aus- gegeben hätte, die Verhandlungen seien angebahnt und in Fluß gebracht worden?*) Das Geringste wäre gewesen, daß nunmehr im gespenstischen Gehorsam, mit dem die Phrase überallhin und noch in ihr eigenes Gebiet folgt auch die Schiffahrt zwischen Wien und Budapest in Fluß gebracht und eine neue Zugsverbindung zwischen Wien und Berlin angebahnt würde. Da aber in solchem Fall die Gefahr der Koffereinbrüche und der Postdieb- stähle in hohem Grade besteht, so wurde für alle Fälle rechtzeitig verlautbart:

Die Abwehrmaßregeln gegen die Diebstähle an Postgütern, die bereits getroffen wurden, sind im unablässigen Ausbau begriffen.

Was nützt das aber? Da eben in den Zeiten des Ausbaus und auch der Vertiefung die Eisenbahn- diebstähle überhandgenommen haben, so bleibt nichts übrig, als das Reisegepäck versichern zu lassen. Da müßten aber die Versicherungsgesellschaften auch nach dem Rechten sehn:

Ein Ausbau der Bestimmungen über die Versicherung des Reisegepäcks ist heute umso dringlicher, als die beraubten Objekte von den Eisenbahndieben geradezu kunstgerecht behandelt werden.

*) Kaum gedacht, wird es von einer Geisterhand dieser unter- nehmenden Wirklichkeit einverleibt. Ein Anfang wäre gemacht, denn die offizielle Erklärung liegt vor, daß die Verhandlungen, »die von dem Grundgedanken ausgehen, das Bundesverhältnis zu vertiefen, zurzeit noch im Flusse sind«.

Etwa so wie die Seele der Völker von den Diplomaten. Welche Feinheiten da möglich sind, welche Komplikationen da eintreten können, zeigt ein Vorfall, der sich beim Ausbau und bei der Ver- tiefung zugetragen hat. Nämlich das Bündnis, kaum ausgebaut und vertieft, ist plötzlich noch »ausgelegt« worden. Die neuerlichen Beratungen im deutschen Hauptquartier haben amtliche Mitteilungen zur Folge gehabt und diese einen Veitstanz, der alle bisherige Leidenschaft als den Zustand der Totenstarre erscheinen läßt. »Die Fassung in Wien und Berlin« bringt den Unglücklichen derart aus der Fassung, daß er zuerst nur zu jappen beginnt, bis er in unartikulierten Lauten hervorbringt, was ihn eigentlich so aufregt. Wir hören, daß es der Ausbau sei, vermissen die Vertiefung und erfahren:

Eine genaue Prüfung des Textes, der in Wien und Berlin veröffentlichten Mitteilung zeigt einen Unterschied, der in die Augen springt.

Und nun fängt er an in die Augen zu springen, er, jener.

Die beiden Communiques sind in den Sätzen, in den Ausdrücken und in den spärlichen Mitteilungen gleichlautend, mit einer einzigen Ausnahme.

Nein, die erfahren wir noch lange nicht.

In Wien und Berlin wird gesagt In Wien und Berlin wird erzählt In Wien und Berlin wird mit- geteilt da ist volle Gleichheit im Inhalte und in der Form.

wird mit Genugtuung aufgenommen werden. Denn nichts

kann wichtiger sein als der Felsblock nichts kann das Gefühl der Sicherheit mehr befestigen

Nun also. Und der Unterschied?

Das in Wien veröffentlichte Communique sagt, die Zu- sammenkunft der beiden Kaiser habe auch festgestellt, »daß die erlauchten Monarchen an ihren im Mai gefaßten bündnis- vertiefenden Beschlüssen festhalten«. Das in Berlin ver- öffentlichte Communique sagt, die Zusammenkunft habe »auch diegleiche und treueste Ausleg ungdesBündnisses festgestellt«. Wenn der Satz über das Festhalten an de» Mai- beschlüssen, betreffend die Vertiefung des Bündnisses, im Wiener Communique in ein Verhältnis gebracht wird zu dem

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Satze über die gleiche und treueste Au siegung des Bündnisses im Berliner Communique, so ergibt sich kein Widerspruch, sondern nur die Tatsache, daß in jeder der beiden Mitteilungen von etwas anderem gesprochen wird.

Nun also.

Die gleiche und treueste Auslegung des Bünd- nisses kann nicht im Gegensatze zu den Maibeschlüssen über die Vertiefung des Bündnisses sein und diese wäre undenkbar ohne die gleiche' und die treueste Auslegung des jetzigen Bündnisses.

Gewiß nicht.

Aber dem deutschen Publikum wird etwas mitgeteilt, was das Wiener Communique nicht sagt, und umgekehrt. Es handelt sich um Erklärungen, die, nebeneinandergestellt und in einem und demselben Communique veröffentlicht, nichts Auffallendes •hätten. Sie fallen nur auf, weil in einem Communique vom Festhalten an der Bündnis Vertiefung nichts zu lesen ist und in dem anderen wieder nichts von der gleichen und treuesten Auslegung des jetzigen Bündnisses. Mitteilungen über die Zusammenkunft der Kaiser pflegen im Einvernehmen verfaßt und dem Publikum zugänglich gemacht zu werden. Graf Burian war somit einverstanden mit dem Hinweise auf die gleiche und treueste Auslegung des Bündnisses und Graf Hertling hat der Feststellung zugestimmt, daß die beiden Kaiser an ihren im Mai gefaßten bündnis vertiefenden Beschlüssen festhalten. Beide Staatsmänner sprechen aus beiden Communiques und keiner von ihnen kann über die Zusammenkunft sagen, was der andere nicht billigt.

Gewiß nicht. So weit wären wir also beruhigt, sind es aber noch immer nicht. Denn es ist nicht nur die Auslegung des Bündnisses auszulegen, sondern die gleiche und treueste Auslegung des Bündnisses und nicht nur des Bündnisses, sondern des jetzigen Bündnisses im Gegensatz zum Bündnisse als solchem, und hinter den Gitterstäben dieser Begriffe hin und her gejagt, in der Selbstqual viel- facher Zwangshandlung heillos verzappelt, verröchelt der auslegende Verstand ins Delirium.

Aber die Ungleichheit der Fassung dürfte trotzdem nicht grundlos sein. Die Andeutung ist zu erkennen, daß die Monarchie bei der Vertiefung des Bündnisses nach den im Mai gefaßten Beschlüssen die polnische Frage zur Lösung bringen will. Graf Burian hat sie schon im Juni damit in Zusammenhang gebracht.

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Deshalb wird die Vertiefung des Bündnisses im Wiener Communique unterstrichen. Das Berliner Communique spricht von der gleichen und treuesten Auslegung des jetzigen Bündnisses. Es will dessen Bestand und Wirkung in keine Ab- hängigkeit von den schwebenden Fragen des Ausbaues sowie von der austro-polnischen Lösung bringen ....

Denn das fehlte noch! Die Vertiefung kann aus- gelegt, aber der Ausbau kann doch nicht verlegt werden.

Auch die treueste Auslegung des Bündnisses Ist das noch die gleiche? Er ermattet! ist, wie das Berliner Communique sagt, in der Monarchie und in Deutschland gleich. Graf Burian will die Vertiefung des Bündnisses und Graf Hertling auch. Der deutsche Reichs- kanzler will aber das jetzige Bündnis, selbst wenn es nicht vertieft werden könnte. Die Monarchie teilt diese Ansicht. Die Grundauffassungen über das Zusammenstehen kommen aus Notwendigkeiten. Die treueste Auslegung des Bündnisses ist wechselseitige Unterstützung an den Fronten gegen den Feind. Das tut die Entente; das sollten die Mittelmächte tun.

Sie tun es, weiß Gott, sie tun es, auch wenn ihnen einer nicht so heftig zuredete und selbst wenn's ihnen übel ausgelegt werden sollte. Welch ein Bild vertiefter Nibelungentreue, wenn zwischen den beiden Schultern dieser Kopf steht, immer in siedender Sorge um die gegenseitigen Bündnis- pflichten, zu deren Wahrung er schließlich noch dieses Opfer auf sich nimmt:

Berlin, 20. August.

Gegenüber gewissen Auffassungen in der Presse wird in hiesigen informierten Kreisen betont, daß bis heute eine amt- liche Erklärung über Einzelheiten der Besprechungen im Großen Hauptquartier nicht veröffentlicht wurde. Von einem Unterschied zwischen dem deutschen und österreichischen amtlichen Bericht über die Zusammenkunft könne keine Rede sein.

Welch ein Abschluß der geredeten Unendlichkeit! Nein, ehe das noch geschah, war's toll genug. Ohne alle Auslegung: Das war kein Schlagwort mehr, das war ein Fluch: Ausgebaut und vertieft sollst du werden! Und ein Schlachtbankier, der sich sonst wahrlich mehr aufs Einnehmen als aufs Auslegen versteht, ahndete die Sünden der Väter und es war ein Strafgericht über

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die lesende Menschheit wie nie zuvor. Denn keinen von allen jenen, die da schreiben, liest man mehr mit den Ohren als diesen da. Nie aber ist so der ganze Inhalt einer Zeit Geräusch geworden, nie so der Bund von Ton und Ding, einer hoffnungslosen Welt und eines verzweifelten Rhythmus, ausgebaut und vertieft gewesen, und schwer lastete es auf Hirn und Herz jener Minderheit, die noch spürt, was ihr getan wird und deren Scham das Wort so viel wie die Tat gilt. Was diese bedeutet, das empfand sie, und daß sie es täglich zu hören bekam, das machte sie mir zum erbarmenswürdigsten Ohrenzeugen eines Ver- hängnisses. Und als ich ihr darum, den ganzen Explosivstoff erfassend, den hier die dämonische Regie des Zufalls just damals in denselben Kübel trug, das da vorlas:

Die chinesisch-japanische Militärkonvention.

Volle Herrschaft Japans in China.

Bern, 30. Mai.

Der »Shanghai Gazette« zufolge haben die geheimen Ab- machungen der eben zustandegekommenen Militärkonvention zwischen Japan und China folgenden Inhalt:

Die chinesische Polizei wird von Japan neu organisiert.

Japan übernimmt die Leitung sämtlicher chinesischer Arsenale und Werften.

Japan erhält das Recht, in allen Teilen Chinas Eisen und Kohle zu fördern.

Japan erhält alle geforderten Privilegien in der äußeren und in der inneren Mongolei, ferner in der Mandschurei.

Schließlich sind eine Anzahl von Maßnahmen getroffen, die das Finanz- und Ernährungswesen Chinas japanischem

Einfluß unterwerfen

da war eine Stille atemloser Bejahung, in die ich zu noch nie erlebter Tragödienwirkung und zu einem Beifall, der die überstandene Orgie über- dröhnte, mit dem schlichten Nachsatz fuhr:

Mit einem Wort das Bündnis zwischen Japan und China ist ausgebaut und vertieft.

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Glossen

In unserer äußeren Politik steuern wir Gott sei Dank den deutschen Kurs

rief Czernin daseinstrunken, und er sage dies und das > nicht für unsere Regierung und nicht für irgend eine maßgebende Stelle des Reiches, weil sie alle Gott sei Dank darin einig sind, das Bündnis zu halten*. Nun, über Glaubenssachen läßt sich so wenig streiten wie über Geschmackssachen. Das Gemüts- leben des Grafen Czernin bleibe seine Angelegenheit wie das Privatleben des Herrn v. Kühlmann, und was Bukarest anlangt, so genüge den Völkern zu erfahren, daß dort Friede geschlossen wurde. Immerhin dürfte die Gehirntätigkeit des Grafen Czernin ein öffentliches Interesse beanspruchen. Auf welchen Gedanken- gängen heutzutage ein Staatscauseur vor Herrenhausmitgliedern und Zeitungslesern flanieren kann, ersieht man aus der Art, wie dieser Czernin sein Brest-Litowsk verteidigt:

Auch mir wäre eine andere, konsolidiertere und vor allem auch eine weniger rote Regierung lieber gewesen. Aber diese Regierung war nicht vorhanden und ich konnte sie nicht scharfen. Die großen deutschen Siege, die märchenhaften Erfolge der deutschen Armee wären nicht eingetreten, wenn nicht der Brest-Litowsker Friede es ermöglicht hätte, die Truppen an die Westfront abzuziehen. Wenn die Herren, die den Friedensschluß in Brest tadeln, wüßten, welche Anstrengung die Entente gemacht hat, ihn zu verhindern, dann würden sie vielleicht milder über unsere Tätigkeit denken. Und der scheußliche Gesandtenmord an Graf Mirbach, ist er nicht ein neuer Beweis, welche Anstrengungen die Entente macht, um den Frieden im Osten wieder durch den Kriegszustand zu ersetzen ?

Von allen Formen der Blödmacherei, die seit August 1914 in Schwang sind, dürfte hier die wirkungsvollste erfaßt sein. Indem man eben das, was die schwerste Anklage rechtfertigt, mit ernsthafter Miene als Argument der Verteidigung vorbringt, kann man es erleben, daß jeder Angriff mühelos abjewiesen wird. Jene deutsche Taktik der verfolgenden Unschuld, die einen

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Überschuß an Wehrhaftigkeit und ein Defizit an Wahrhaftigkeit zu einem die Welt restlos befriedigenden Ausgleich bringt, ist so sehr die Force des Grafen Czemin, daß der Ausgang seiner Karriere in einem Engagement bei Wolff wirklich nur eine Frage der großen Zeit ist. Er verblüfft seine Hörer, indem er einfach die Prämisse einschiebt, seine Tadler hätten ihm einen Frieden zum Vorwurf gemacht, der die Entente befriedigt. Der Schwindel besteht in der Verwendung des schlichtpatriotischen Gedankens, die Beunruhigung des Feindes sei ein Erfolg. Daß der Sieg- frieden, dessen sich der Graf Czemin rühmt und dessen Tat- sache er zu beweisen sucht, eben das ist, was ihm zum Vorwurf gemacht wurde, und daß der Gesandtenmord just das Böse ist, welches vom Fluch der bösen Tat geboren wird das ihm zuzurufen, würde sich kein Hörer aufraffen, weil man zumeist im Leben von der Schlagfertigkeit eines, der sich dumm stellt, um die andern dumm zu machen, aufs Haupt geschlagen ist. Auf den Einwand, daß der Friede von Brest-Litowsk ein schlechter Friede sei, weil er die Welt in Unruhe erhalte, erwidert der Graf Czernin nichts weiter, als daß der Tadel schon deshalb unberechtigt sei, weil der Friede von Brest-Litowsk die Feinde in Wut gebracht habe. Nicht nur in unserer äußeren Politik steuern wir, Gott sei Dank, den deutschen Kurs, sondern auch in den Methoden, sie zu rechtfertigen.

Vor der nackten Fälschung der Tatsachen

Wenn die Lüge ein Kriegsmittel ist, so ist jene Lüge, deren Inhalt die Behauptung ist, daß der andere gelogen hat, ein Dumdum-Geschoß. Der Gipfel der technischen Entwicklung ist in der ministeriell-journalistischen Debatte über den Fall Revertera erreicht worden, und zwar mit der Erörterung der völlig belanglosen Frage, ob die unter Clemenceau geführten Be- sprechungen die Fortsetzung der unter Painleve geführten oder neue waren. Aus der völlig belanglosen Mitteilung des ehemaligen Ministerpräsidenten, daß ihm von einer Fortsetzung der im Au- gust geführten Besprechungen bis zu seinem Rücktritt im No- vember 1917 nichts bekannt sei, wird von dem Bankhalter aller

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Lügen das folgende Kapital geschlagen, dessen Zinsen auf das Konto der europäischen Bedeutung Painleves gebucht werden:

Es ist vollständig unwahr, daß der Ministerpräsident Clemenceau nur die begonnenen Unterredungen zwischen dem Grafen Revertera und dem Grafen Armand habe fortsetzen lassen. Diese Gespräche waren im August des Jahres 1917 beendigt. Im November wurde nach dem Rücktritte des Ministeriums PainlevS das Kabinett Clemen- ceau gebildet. Die Unterredungen im Februar des Jahres 1918 sind daher nicht die Fortsetzung der früheren gewesen. S i e mußten unter dem M i n i s t e r iu m C 1 e m e n c e a u und mit dessen Wissen und Erlaubnis frisch aufge- nommen werden. Aus diesem Grunde könnte gewiß kein Vorwurf gegen Clemenceau erhoben werden. Aber ganz unbe- greiflich ist die Verwegenheit, mit welcher er den von ihm selbst zugegebenen Sachverhalt erst durch die Beschuldigung der Lüge wegstreiten wollte, bis die veröffentlichten Einzelheiten und die Erklärung des früheren Ministerpräsidenten Painleve ihn gezwungen haben, unter allerlei Entstellungen den- noch den Kernpunkt, um den sich die ganze Polemik dreht, zuzugeben. Die Aussprache über den Frieden in Freiburg hat stattgefunden und Clemenceau ist von seinem eigenen Vorgänger darin widerlegt, daß er sie nicht angeordnet, sondern nur nicht unterbrochen habe. Das ist nackte Fälschung der Tatsachen.

Ohne Zweifel. Denn die Besprechungen sind unter Clemenceau und mit dessen Wissen und Erlaubnis tatsächlich frisch aufgenommen worden. Clemenceau sagt hierüber:

Major Armand konnte sich also über eine Bitte des Grafen Revertera neuerlich nach der Schweiz begeben.

Czernin drückt dies so aus:

Erst im Jänner 1918 nahm Graf Armand, diesmal im Auftrag Herrn Clemenceau s, mit dem Grafen Revertera neuerlich Fühlung.

Wer sich im Fuchsbau deutscher Verlautbarungen nur halbwegs auskennt, spürt, daß hier eine wahre Mitteilung, >diesmal im Auftrag Herrn Clemenceaus<, dem Zweck unterstellt werden soll, an eine Initiative Clemenceaus glauben zu machen. Aber sein > Auftrag« mußte ohneZweifel ergehen, von wem immer die Initiative ergangen sein mochte, und wenn er neue Besprechungen zuge- lassen hat, so dürfte ihm das, wenn's herauskommt, weniger schaden als wenn er die alten herbeigeführt hätte. Der Enthüller

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schrickt gleichwohl nicht vor dem Äußersten zurück: »Sie mußten unter dem Ministerium Clemenceau und mit dessen Wissen und Erlaubnis frisch aufgenommen werden.« Bei genauerem Hinsehen erweist es sich als eine unbestreitbare Wahrheit. Denn, siehe da, es war damals schon Clemenceau und nicht mehr Painleve derMann und darum tatsächlich in der Lage, von den Besprechungen zu wissen und sie zu erlauben. Daß sie aber darum nicht die Fortsetzung der früheren waren, ist nicht ganz so einleuchtend wie der Schluß, daß sie eben darum die Fortsetzung der früheren waren. Sie wären nur dann nicht die Fortsetzung der früheren gewesen, wenn etwa nicht mehr Revertera mit Armand, sondern Armand mit Revertera verhandelt hätte oder etwa nicht über die Möglichkeit zu einem Frieden, sondern über die weit geringere Möglichkeit, zur Wahrheit zu gelangen. Und dennoch gelingt dies manchmal, wenn auch nicht durch Besprechungen, sondern durch Enthüllungen. Der Graf Czernin enthüllt, daß die Be- sprechungen, die er auch in der Ära Clemenceaus fortgesetzt oder vielmehr erneuert haben wollte, ohne die Bewilligung des neuen französischen Ministerpräsidenten nicht möglich gewesen wären. Die Enthüllung des Grafen Czernin, daß Clemenceau franzö- sischer Ministerpräsident ist, ist gewiß verblüffend, wenn auch bei weitem nicht so zufriedenstellend wie der Gegenbeweis Clemenceaus, daß der Graf Czernin nicht mehr österreichischer Minister des Äußern ist.

No also !

Die Affaire Clemenceau-Czernin oder Armand-Revertera aus dem Weichselzopf ministeriell -journalistischer Drehung gelöst :

A. sagt plötzlich: B. hat mich angepumpt. B. sagt: A. lügt. Die Freunde des A. sagen: Kunststück, einfach alles ableugnen! Oder da ja diese beispiellose Wirklichkeit doch immer noch eindringlicher wirkt als jedes Beispiel der Leitartikler schreibt:

Clemenceau sagt: Graf Czernin hat gelogen. Nun fragen wir, ob Graf Armand nie gelebt, nie mit dem Grafen Revertera in der Schweiz über den Frieden gesprochen,

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ihn nie gesehen und nie gekannt habe, ob die Unterredungen erfun- den und die Einzelheiten ein Hirngespinst seien. Das wird kein einziger Franzose glauben.

Muß er auch nicht. B., von den Tölpeln gereizt, antwor- tet: Hat gelebt, hat gesprochen, hat gesehen und gekannt. Alles ist wahr, nur: umgekehrt. Oder: Nicht ich habe den A., sondern der A. hat mich angepumpt; die »Einzelheiten« stimmen; darin lügt A. durchaus nicht, angepumpt wurde fürwahr, aber nicht er von mir, sondern ich von ihm. No also, ruft A. strahlend, es ist also doch wahr! Oder amtlich so:

Gegenüber der ersten kurzen Erklärung Clemenceaus, mit welcher dieser den Grafen Czernin der Lüge geziehen hatte, wird dem nunmehr vorliegenden Communique des französischen Minister- ratspräsidiums vom 6. d. mit Befriedigung das Zugeständ- nis entnommen, daß zwischen den beiden Vertrauens- männern der Regierungen Österreich-Ungarns und Frankreichs Bespre- chungen über die Friedensfrage stattgefunden haben.

Und journalistisch:

Clemenceau hat sich durch seine Unwahrhaftigkeit bloßgestellt.

Wenn er jetzt gezwungen ist, mit allen Verdrehungen und

Wendungen den sachlichen Inhalt der Rede zu bestätigen, so ist das eine schwere Niederlage, die seine Persönlichkeit ent- wertet —

Er habe das, »worauf es ankommt, zugeben müssen«: die Friedensbesprechungen in Freiburg. Daß gepumpt wurde.

Wie durfte er sich erdreisten, unter solchen Verhältnissen kurzweg von einer Lüge zu reden Wir lassen uns auf die abstoßende Kleinlichkeit, mit der Clemenceau sich damit brüsten will, die Unterredungen haben über Wunsch der Monarchie stattgefunden, gar nicht ein. Die Aussprache über den Frieden in Freiburg hat stattgefunden

Die Einzelheiten stimmen, sie näher zu betrachten wäre von abstoßender Kleinlichkeit. Die Wahrheit hat sich durch- gesetzt. Der Leitartikler behält das letzte Wort:

Er (Clemenceau) kann jedoch an der Lüge fallen, die er dem Grafen Czernin vorgeworfen hat.

Einer ist tatsächlich an der Lüge gefallen. Wieder stim- men die Einzelheiten. Oder ist einer vielleicht nicht an der Lüge geFallen? No also!

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Im Sturze

Madrid, 4. Juli. Der Sturz Clemenceaus nähert sich dem Stadium der Verwirklichung . . . .

Die schlauen Franzosen

Nicht unerwähnt bleibe noch, daß die Franzosen selbst sich gerade den Grafen Armand als Unterhändler ausgesucht haben, weil sie wußten, daß er ein Verwandter Reverteras sei.

Während die Österreicher, nicht ahnend, daß Revertera ein Verwandter Armands sei, beinahe in die Falle gegangen wären.

Im Dschungel

Wir lassen uns auf die abstoßende Kleinlichkeit, mit der Clemenceau sich damit brüsten will, die Unterredungen haben über Wunsch der Monarchie stattgefunden, gar nicht ein. Wer den läppischen Ruhm sucht, daß er nicht einmal auf vertraulichem Wege Wie sticht die Erklärung des Grafen Czernin davon ab, daß er nie verbergen würde, die Anregung zu einer Friedensbesprechung gegeben zu haben.

Nämlich so:

»Im Juli 1917 wurde Graf Revertera von einer neutralen Mittelsperson «im Namen der französischen Regierung aufgefordert Die Initiative zu dieser Anknüpfung ist also von französischer Seite ausgegangen. Von dieser i m Auftrage der französischen Regierung gestellten Anfrage Erst im Jänner 1918 nahm Graf Armand, diesmal im Auftrage Herrn Clemenceaus, mit dem Grafen Revertera neuerlich Fühlung Angeregt von französischer Seite «

»So weit die Feststellung der Tatsachen. Im übrigen sei nur bemerkt«, daß Graf Czernin seinerseits keinen Grund sehen würde, es abzuleugnen wenn , da er »im Gegensatze zu Herrn Clemenceau« glaubt, daß es kein Vorwurf für eine Regierung sein kann, Versuche zur Herbeiführung . Wie wahr! Aber warum hat er ihn erhoben? Und noch dazu, da nicht nur der Vorwurf unberechtigt, sondern auch die Tatsache, auf die er sich stützt, falsch ist! Wenn A den B. angepumpt hat,

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wie kann er mit der Enthüllung, daß B. ihn angepumpt habe, den B. blamieren wollen? Und gar nachträglich den B., der das Faktum leugnet, darüber belehren wollen, daß das Anpumpen keine Schande sei? Beneidenswert die Menschheit, die hier an eine Ethik glaubt und von einer Logik überzeugt wird.

Der Kernpunkt

. . . Durch die von Herrn Clemenceau aufgeworfene Streitfrage ist übrigens die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Kernpunkte der Äußerung des Grafen Czernin abgelenkt worden. Das Wesentliche daran war nicht so sehr, wer die Besprechungen vor Beginn der Westoffensive angeregt, sondern wer sie zerschlagen hat. Und das hat Herr Clemenceau bisher nicht geleugnet, daß er sicli geweigert hat, auf der Basis des Ver- zichtsauf d e n R ü c k erw e rb Eis a ß -L o t h r i nge n s in Verhandlungen einzutreten.

Nein, das hat er vorher nicht geleugnet und nachher sogar zugegeben. »Wer sie zerschlagen hat« in Sperrdruck steht es , das war er. Und da, wer sie zerschlagen hat, in der Regel der andere sein dürfte und der, der sie angeregt hat, der eine, so sollte dem Zugeständnis Clemenceaus, daß er sie zer- schlagen hat, das Czernins entsprechen, daß er sie angeregt hat. Denn das wäre doch etwas zu viel enthüllt: daß einer die Besprechungen zugleich angeregt und zerschlagen habe.

Ein Gelehrter mit europäischem Ruf

Painleve war einmal ein Gelehrter mit europäischem Rufe. Dann wurde er Krieg ist Krieg eine Null. Dann wider- sprach er scheinbar— dem Clemenceau in einem unwesent- lichen Punkt. Das heißt also auf Seite 1 , daß diesjm »die Maske vom Gesicht heruntergerissen wurde« und zwar »nicht etwa vom Grafen Czernin, sondern von dem ehemaligen

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französischen Ministerpräsidenten Painleve, von einem Gelehrten mit europäischem Rufe«. In der Hauptsache aber auf Seite 3 teilt dieser mit:

Im Laufe des Jahres 1917 wurden von Österreic h-U n g a r n mehrere Versuche gemacht, um offizielle Gespräche mit Persönlichkeiten der Entente einzuleiten. Insbesondere wurde im Juni 1917 von der zweiten Abteilung gemeldet, daß eine österreichische Persönlichkeit, der Graf Revertera, durch Vermittlung eines Schweizers zu wiederholten Malen darauf gedrungen habe, eine private Unterredung mit einem entfernten Verwandten, dem Major Armand, Offizier in der zweiten Abteilung, abzuhalten.

Auch in dem unwesentlichen Punkt daß die Bespre- chungen fortgesetzt und überhaupt nicht abgebrochen worden seien widerspricht Painlev6 nicht, sondern er erklärt nur, daß er davon keine Kenntnis habe und nach der Erklärung Clemenceaus annehme, >daß es Revertera war, der auf die Sache wieder zurückgekommen ist«. Das heißt auf ministeriell:

Clemenceau wird daher von seinem Vorgänger Painleve i n einer jeden Zweifel ausschließenden Welse dementiert.

Titel: >Eine Widerlegung Clemenceaus durch Painlevd«. Und wie übersetzt man den durch einen Gelehrten mit europä- ischem Rufe verfaßten Text ins Deutsche?

Anfang August erschien nun irudieser Angelegen- heit bei dem Grafen Revertera dessen Verwandter Graf Armand . . . . Graf Revertera nahm bei diesem Anlaß Eröffnungen über die Friedensfrage vom Grafen Armand entgegen und hatte die Aufgabe, festzustellen, ob Aussicht vorhanden sei

Unaufgeklärt bleibt nunmehr nur, warum Armand bei Revertera in Fribourg und nicht lieber Revertera bei Armand in St. Gallen erschienen ist. Ich muß einen Gelehrten mit

europäischem Rufe fragen.

Eröffnungen Ober die Friedensfrage

Der ,Matin' erzählt, daß sich bei der berühmten Schweizer Zusammenkunft zwischen General Smuts und Graf Mensdorff der afrikanische General höchst unfein benommen habe. Smuts begann das Gespräch: »Also Ihr wollt einen Sonderfrieden.« Da Graf Mensdorff,

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etwas betreten über soviel Mangel an diplomatischer Höflichkeit, schwieg, wiederholte Smuts: >Ja oder nein.< Mensdorff schwieg immer noch, worauf der General >Guten Abend« sagte. Damit sei die Unterhaltung zu Ende gewesen.

Der ,Matin' lügt offenbar. Wahr dürfte die folgende Version sein: >In dieser Angelegenheit erschien nun bei dem Grafen Mensdorff der General Smuts. Graf Mensdorff nahm bei diesem Anlaß Eröffnungen über die Friedensfrage vom General Smuts entgegen.«

Der Katserbrief

. . . Wie sich für den unbefangenen Beurteiler ergibt, steht die Beweiskraft der in der Erklärung gemachten Behauptung mit der Stärke der Worte in scharfem Widerspruch. Wir haben erwartet, daß Herr Clemenceau uns ein Original oder ein photographisches Schriftstück vorweisen werde.

Viel Originale wird Clemenceau nicht besessen haben; aber daß er auch nur eines davon der Neuen Freien Presse vorweisen werde, war zu viel erwartet. Immerhin macht der unbefangene Beurteiler kein Hehl daraus, daß er so etwas erwartet hat.

In Erwartung

. . . Über die Behauptungen Clemenceaus, betreffend Briefe des Kaisers Karl, wird auf die heutigen offiziellen Veröffentlichungen hingewiesen, durch welche diese Briefe als absolut falsch und erfunden bezeichnet werden. Clemenceau gibt ja auch keine weiteren Einzelnheiten über diese Briefe und erwähnt gar nicht, was sonst in diesen Briefen enthalten sein soll. Doch wir können in Ruhe weitereEnthüllungen abwarten. Eine etwaige Wiedergabe von Facsimiles wird sich zweifellos als Schwindel, als Fälschung herausstellen. Denn daß diese Briefe Falsifikate sein müssen, steht heute absolut fest.

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Selbstverständliches

In der Stellung zur Affaire Clemenceau ist von unserer Presse immer der Nagel auf den Kopf getroffen worden. Zum Beispiel so:

. . . Daß mit einer Persönlichkeit von derartigen Begriffen niemals mehr Verhandlungen geführt werden können, ist selbstverständlich.

O hört des armen Mannes Bitte!

. . . Alle Redner gaben in beredten Worten dem Wunsche Kurlands nach einer Personalunion mit Deutschland Ausdruck Mit beschwörenden Worten bäten sie den Kaiser aufs neue, den kurländischen Herzogshut anzunehmen und die Hände nicht zurück- zuweisen, die sich den deutschen Brüdern entgegenstrecken.

Der loyale Hertling

ist wohl noch schwerer durchzuhalten als der langweilige Michaelis:

Wir stehen auf dem Boden des Friedens von Brest-Litowsk und wollen diesen Frieden in loyaler Weise ausgeführt sehen .... Wir sind geneigt, an die Loyalität der gegenwärtigen russischen Regierung uns gegenüber zu glauben. Wir sind insbesondere geneigt, an die Loyalität des Vertreters der russischen Regierung hier in Berlin zu glauben .... Wir stellen uns auf den loyalen Boden des Friedens von Brest-Litowsk .... Aber ich wiederhole, unser Prinzip ist: Wir stehen auf dem Boden des Friedens von Brest-Litowsk und wir wollen den Frieden loyal ausführen; wir wollen mit der gegenwärtigen Regierung loyal verhandeln .... Wir stehen so, daß wir loyal mit der jetzigen russischen Regierung verhandeln ....

Das ist absolut tödlich. In einem einzigen Absatz siebenfach loyal. Der loyale Boden von Brest-Litowsk als solcher dürfte sachlich und sprachlich ein Unikum in der Weltgeschichte sein. Dieses Deutschland ist das Wunder aller Wunder: so wenig Öl zu haben und doch so viel Salbung!

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Ein rechter Burian

hat gleichzeitig für Österreich-Ungarn gesprochen oder vielmehr sprechen lassen. Dem loyalen Boden eines Friedens entspricht bei uns der >willige Kern« eines Bündnisses. Aber auch ein »weittragendes Ziel« kommt noch für uns in Betracht und ferner die Versicherung, daß »über den Verhandlungen zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland ein Grundsatz schwebt«. Es ist ja kein Zweifel, daß die Vertreter der Zentralstaaten tüchtiger, gescheiter und vor allem ehrlicher sind als die Staatsmänner der Entente. Fraglich ist nur, ob das Französisch und Englisch, das diese zur Welt sprechen, nicht besser ist als das Deutsch der Unsrigen. Aber darauf kommt es freilich nicht aR. Die Hauptsache ist nicht, daß die Sprache, sondern daß die Sache gut ist, und da drückt die tote Welt schon gern ein Auge zu.

Der nüchterne Burian

Beim Personenwechsel im Ministerium des Äußern, zu dessen Feier sich bekanntlich der böhmische Tenor Burian einen Rausch angetrunken hat, konnte nicht oft genug festgestellt werden, daß der Nachfolger des Grafen Czernin ein anderer sei.

Wien, 17. April.

Baron Burian hat auch über sich selbst ein nüchternes Urteil. Er sieht die eigene Person, wie sie von der Wirklichkeit sich, abhebt .... Er hat die Neigung zur Gegenständlichkeit im Denken und wird diese Stimmungen ohne Rücksicht auf das eigene Selbst- gefühl mit derselben Pflichtmäßigkeit und Erfahrung prüfen wie

Mit einem Wort, wie es jener andere in dem Zustand gewiß nicht vermöchte.

Der Ministerwechsel im Ministerium des Äußern

. . . Am späteren Abend waren die Zimmer noch beleuchtet und im Hause war ein beständiges Kommen und Gehen.

Das dürfte sich nicht nur auf Burian-Czernin und Czernin- Burian, sondern auch auf Burian-Czernin beziehen.

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Wie der Teufel von der Wand vertrieben wurde

.... Hätten wir gehandelt, wie die Herren vom Polenklub ■es heute verlangen, so hätten wir nicht nur den ukrainischen Frieden zerschlagen, wir hätten auch die zarten Fäden zerrissen, die vielleicht zum allgemeinen Frieden führen können, und die Stimmen, die sich zur Verteidigung einer solchen Regierung erhoben hätten, wären, wenn sich überhaupt welche erhoben hätten

•(vielleicht doch)

verschwunden unter dem brausenden Orkan der Empörung aller österreichischen Völker. (Leb- hafter, langanhaltender Beifall und Hände- klatschen.)

Also Seidler. Auch Kühlmann stimmt, wenngleich etwas gedämpft, in die Anerkennung der ausgebliebenen Revolution ein:

.... Die erdrückende Mehrheit des deutschen Volkes hätte (zwar nicht die Regierung erdrückt, aber immerhin) ein solches Vorgehen nicht verstanden und ein Vorgehen unter Opferung des so erwünschten Friedens aufs schärfste, ich glaube mit Recht, mißbilligt.

Aber wenn die Regierungen schon so etwas zu denken erlauben, läßt sich denn denken, daß sie etwas getan hätten, was solche Wirkung hat? Und ist diese nur in einem Fall denkbar, den's nicht gegeben hat, so daß also die von den Regierungen anerkannte Folge zum Glück abgewendet wurde? Nein, der Teufel wird nur an die Wand der Vergangenheit gemalt, und wenn auto- kratische Unfehlbarkeit sich auf die demokratische Selbst- bestimmung stützt, so kann der Syllogismus des lebhaftesten Beifalls sicher sein. »Wir verstehn uns, was? Hinausgeworfen hättet ihr uns!« »Bravo! Dableiben!«

Vom Brotfrieden

.... Es steht außer Zweifel, daß die in der Ukraine lagernden Getreidevorräte unvergleichlich größer sind, als das Quantum, welches wir momentan transportieren könnten, sagte Seidler. Kühlmann, etwas gedämpft und, da er kein Schrift- steller ist, in minderm Deutsch:

Die Vorräte in der Ukraine sind größer, als wir transportieren können.

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Es ist platterdings unmöglich, herauszubringen, ob der Ton auf der Hoffnung oder auf der Enttäuschung liegt. Da aber immerhin festzustehen scheint, daß, je weniger wir heraus- bekommen, umsomehr drin sein muß, so triumphiert über die Erkenntnis, daß es kein Getreide aus der Ukraine gibt, immerhin der Trost, daß es Getreide in der Ukraine gibt, und das Durchhalten wird zum Kinderspiel, wenn einen der sichere Brotfriede sowohl für das Brot wie für den Frieden entschädigt.

Der Besten Einer

Wahrhaftig, sage ich, wir würden schon an der Schwelle des Friedens stehen, hätten vielleicht schon den Krieg beendigt, wenn es nicht, besonders in Österreich, doch leider auch bei uns gewissenlose Leute gegeben hätte, die aus den Leiden der Nation für ihre elenden Zwecke Kapital schlagen und sich nicht schämen, ihre Sucht nach dem Frieden und nach dem Paktieren in einer Weise zu betonen

Wenn der Leser diese Zeilen liest, werde ich inmitten tapferer, treuer, für ihr Vaterland zu allem bereiter ungarischer Husaren sein. Tisza.

Aus der Kinderstube

Berlin, 31. Jänner. Das Wolffsche Büro meldet aus Kopen- hagen: In London ist die Nachricht vom Streik in Deutschland mit heller Freude aufgenommen worden. Das Ereignis wurde in London durch Extrablätter mit der Überschrift »Der Zusammen- bruch der Mittelmächte« bekanntgegeben.

Da das Gegenteil wahr ist und in London der deutsche Streik nicht ernst genommen wurde, stellt sich die Situation in der politischen Kinderstube wie folgt dar: Über den österreichischen Streik schwieg Wolfff, weil solche Geschichten nun einmal nicht für Kinder passen, für die nur Geschichten vom Wolff passen, und weil, solange Soldaten gespielt wird, nicht Wu-Wu gemacht

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werden soll. Als aber dann böse Beispiele gute Sitten zu verderben drohten und der Lärm in der Nachbarschaft gehört werden konnte, rief die deutsche Erzieherin: »Schämt ihr euch denn nicht, da seht doch man hin, wie sich die Miß nebenan freut, die so brave Jungens hat, sie erzählt es ihnen schon und alle zeigen mit dem Finger auf euch, da, guckt mal, wie sie rübergucken und euch auslachen. Seid man stille, damit ihr das Lachen hören könnt !< Und als es dann stille geworden war, hörte man von drüben nur die Worte: »So artig seid ihr doch nicht wie jene!« und es lachte die Nachbarschaft.

Ein zwiespältiger Fall

und der Verdacht war

nicht abzuweisen, drängte sich viel- mehr geradezu auf, daß es den imperialistischen Einflüssen . . gelungen sei, den Willen zum allgemeinen Frieden zu verge- waltigen, daß der Plan besteht, mit dem Sonderfrieden in Rußland nur die erwünschte Möglichkeit zu gewinnen, das Morden im Westen unter besseren Aussichten fortzusetzen, den Frieden in Rußland zu imperialistischen Er- oberungstendenzen nach dem Westen hin auszubeuten. Es ent- stand nicht bloß der Verdacht, sondern diese Absicht bestand ; und gegen sie richtete sich die tapfere Aktion der Arbeiter, und wenn diese Absicht, wie aus der heutigen Rede Czernins zu folgern ist, nun aufgegeben ist, so ist das mit ein Erfolg der Tat der Arbeiter und wahrlich ein

Graf Czernin hat offen- sichtlich das Bestreben, seine Politik von den deutschen An- nexionsabsichten zu scheiden, und er hat darüber auch einige wichtige Bemerkungen gemacht. Ausdrück- lich erklärt er, daß er für die Verteidigung wohlgemerkt: für die Verteidigung! der Bundes- genossen »bis zum Äußersten zu gehen fest entschlossen ist«, daß wir »den vorkriegerischen Besitzstand« unserer Bundes- genossen verteidigen werden wie den eigenen. Aber um bei seiner Formel zu bleiben, würde die Offensive im Westen, die nun in der menschenmörderischesten Weise geplant ist, zur »Verteidi- gung Straßburgs« geführt werden? Die würde zu Eroberungszwecken unternommen werden I

sehr ersprießlicher Erfolg.

So wäre denn die aufgegebene Absicht schon in der nächsten Spalte geplant und der Erfolg der Arbeiterdemonstration

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wie die Anerkennung des Grafen Czernin damit hinfällig eine mehrfache Wendung, die den Tatsachen vielleicht näher kommen dürfte. Und selbst wenn die westliche Offensive nicht zu Eroberungs-, sondern garantiert zu Verteidigungszwecken unternommen würde, sollte der östliche Sonderfriede ihr nicht auch dann frommen? Wie können zugleich die Verteidigungs- zwecke zugestanden. und »das Morden im Westen unter bessern Aussichten« inhirjJP sein? Oder so: Die Eroberungsabsicht ist aufgegeben, die Verteidigungsabsicht bleibt bestehen, stellt sich aber als Eroberungsabsicht heraus, und die Handlung als solche, wie immer sie sich deklarieren mag, ist nicht aufgegeben. Kurzum, bei aller Sympathie für die Ehrlichkeit, mit der unsere Sozialdemokratie den Zustand als unerträglich empfindet, und für Mut und Lauterkeit ihres publizistischen Bekenntnisses Politik ist an und für sich ein schwerer Standpunkt, Politik im Krieg ein noch schwererer, und solange der Graf Örindur nicht Minister des Äußern ist, wird der Zwiespalt der Natur unerklärlich bleiben.

Wie hätten sie sich verhalten, wenn

Der Abgeordnete Dr. Lodginan kam vorige Woche in einer Wahlversammlung in Aussig auf das Verhältnis des Grafen Stürgkh zu den deutschen Forderungen zu sprechen Er sei kurz vor dem Tode des Grafen Stürgkn in die Lage gekommen, mit dein Minister- präsidenten über die Kreisverfassung in Böhmen zu sprechen Graf Stürgkh habe sich ihm gegenüber, ohne das Bewußt- sein, eine Ungeheuerlichkeit zu sagen, folgendermaßen geäußert: »Ja, die deutschen Herren bezichtigen die Tschechen des Hochverrats. Ich frage, wie hätten sie sich verhalten, wenn wir gegen Deutschland marschiert wären?« Für den Grafen Stürgkh war es eben keine naturgemäße Entwicklung der Jahre seit 1866, daß wir an der Seite Deutschlands marschieren mußten, sondern nur eine zufällige Konstellation.

Die , Arbeiter-Zeitung' zitiert in diesem Zusammenhang auch die außerordentlich günstige Zeugenaussage des Grafen Stürgkh im Prozeß Kramarz. Sollte jenes Wort nicht, über eine Amnestie hinaus, zu einer Staatsreue über das, was seit 1914 gegen Österreicher unternommen wurde, verpflichten? So oft ich jenen weißpudelbärtigen Polen sehe, der im Sommer 1907

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das Weltunheil bewirkt hat, sehe ich die winzige Quantität Staats- weisheit, die zwischen den Begriffen Patriotismus und Hochverrat umschaltet, und beziehe das Gebrüll wie die Wehklage von Millionen und alle historische Notwendigkeit, von der all dies hinterdrein gedeckt wird, auf den dürftigen Einzelfall, mit dem sich nie rechnen und so selten abrechnen läßt.

Frage

Sollte der Weltkrieg nicht dadurch entstanden sein, daß eben die Gendarmen, die in Sarajevo gefehlt haben, in Belgrad intervenieren wollten?

Haarsträubendes

Der deutsche Botschafter in London:

Nachträglich erfuhr ich, daß bei der entscheidenden Bespre- chung inPotsdam am 5. J ul i die Wiener Anträgedieunbedingle Zustimmung aller Persönlichkeiten fanden, und zwar mit dem Zusätze, es. werde auch nicht schaden, wenn daraus ein Krieg mit Rußland entstehen sollte. So heißt es wenigstens im österreichischen Protokoll, das Graf Mensdorff in London erhielt.

Die Zeitung :

Die Geschichte von dem Telegramm an den Grafen Mensdorff, worin angeblich nach dem Kriegsrate in Potsdam, der überhaupt nicht stattgefunden hat, dem Botschafter von Wien mitgeteilt worden wäre, ein Krieg mit Rußland würde nicht schaden, ist so haar- sträubend, daß es ganz unverständlich bleibt, wie Fürst Lichnowsk y, der die Formen des Wiener Ballplatzes aus eigener F.rfahrung kennt, an solche Märchen auch nur einen Augenblick glauben konnte.

Wenn der deutsche Botschafter in London von einem Protokoll spricht, das der österreichische Botschafter in London erhalten habe, so muß er es gesehen und nicht bloß davon gehört haben. Die Feststellung der Wahrheit, deren Wesen die Formen des Wiener Ballplatzes doch gewiß nicht widerstreben, wäre durch Befragung des österreichischen Kollegen ermöglicht.

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Am haarsträubendste» wäre die Tatsache, daß Deutschland einen Botschafter in Uondon gehabt hätte, der solche Dinge behauptet, ohne sie zu wissen.

Die Sprache der Diplomaten

... Ich (Mühion) war während dieser Zeit in Berlin und äußerte zu Helfferich, daß ich den Ton und den Inhalt des Ultimatums geradezu ungeheuerlich finde. Helfferich meinte aber, das klinge nur so in deutscher Übersetzung; er habe es in französischer Sprache zu sehen bekommen und da könne man es keineswegs als übertrieben empfinden.

Und trotzdem auf der Basis des französischen Originals ist der Weltkrieg entstanden! Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist; und ganz besonders, nachdem man unhöflich war.

Anweisung für den Frieden

... Da wird es nötig sein, in der Arbeit die Beharrlichkeit, die Leidenschaftlichkeit zu haben, die den deutschen Kaufmann so groß und in der Entente so gefürchtet hat werden lassen.

Damit noch einmal der Weltkrieg ausbricht.

Kein Geschäft

Berlin, 14. April. (Eigener Drahtbericht.) Der Kriegsbericht- erstatter des » Lokalanzeigers < Karl Rosner

(Sohn des braven Wiener Buchhändlers)

der die Erlaubnis erhielt, mit Kaiser Wilhelm auf dem westlichen Kriegsschauplatz zusammenzukommen, notiert in seinem heutigen Be- richte folgenden Vorgang: Kaiser Wilhelm, der zu Füßen der Höhe Gouceaucourt über die ungeheuere Breite des Schlachtfeldes schaut, ruft mich zu sich, nimmt mich amArm und sagt: > Sehen Sie, hier allein im Umkreis liegen neun zerschossene englische Tanks; damit haben die Engländer auch kein Geschäft gemacht.«

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Der Kriegshetzer

Lloyd-George:

... In allen Ländern sind die besten Köpfe der Wissen- schaft von nationalem Wetteifer, nationalem Haß und nationalen Hoffnungen angespornt, ihre Kräfte für zehn, zwanzig oder dreißig Jahre der Aufgabe zu weihen, die zerstörenden Wirkungen jener furchtbaren Werkzeuge zu vergrößern, deren Macht sich den kriegführenden Völkern erst jetzt innerhalb der letzten beiden Monate erschlossen hat. Dem müssen wir ein für allemal ein Ende machen. Lloyd-George führte weiter aus: Die Luftwaffe, in ihren Anfängen unbedeutend, und die Waffe der Tiefe sind außerordentlich entwickelt worden, und ebenso all die chemischen Elemente, die zum erstenmal ausgenützt werden. Wenn sich das nach dreißig Jahren wissenschaftlicher Arbeit und Anwendung wiederholt, glauben Sie mir, dann sind Männer und Frauen hier in dieser Halle, die den Tod der Zivilisation mitansehen werden. Einem Streit dieser Art muß jetzt ein Ende gesetzt werden. Es ist wesentlich für die zukünftige Wohlfahrt des Menschengeschlechts, daß eine Entscheidung jetzt in diesem Kampfe erreicht wird, durch die die rohe Gewalt für immer vom Thron gestoßen wird, damit unsere Kinder nicht zu Furchtbarkeiten und Schrecken verurteilt seien, die die lebhafteste Einbildungskraft nicht auszumalen vermag. Deshalb setzen wir alle unsere Kraft darein, einen richtigen Ausgang dieses Streites jetzt zu erzielen.

Benedikt:

Wir glauben noch immer nicht, daß die englische Nation solche Verderbtheiten billigen und noch längere Zeit ertragen werde.

Die Pflege der Wissenschaft in der Anwendung auf das Leben

aber was ist Hindenburg und Ludendorff unmöglich. Die deutsche Armee hat einen großen Sieg errungen.

Eine geheimnisvolle Kanone schleudert aus einer Entfernung

von hundertzwanzig Kilometern schwere Bomben in die Stadt. Auch ein mutiges Volk wird von so vielen Unheimlichkeiten verängstigt, von Geschossen, die aus den Wolken niederfallen, von Nachrichten über die schreckliche Wirkung der Gase und von der Sorge um die Angehörigen.

-Hindenburg und Ludendorff sind das Gefäß, das diese nationalen Vorzüge in sich aufgenommen hat.

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Gesiegt hat jedoch auch die Pflege der Wissenschaft in der Anwendung auf das Leben. Die Kanonen, die Paris aus der Entfernung von hundertzwanzig Kilometer beschießen, wären ohne die Mitarbeit der Forscher an den deutschen Hochschulen, ohne den Sinn des ganzen deutschen Volkes für industrielle Macht- entfaltung und ohne das innere Verwachsen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft nie entstanden. Der deutsche Professor gewinnt Schlachten wie einst der preußische Lehrer, und wieder kommt in Erinnerung

Die Pflege der deutschen Wissenschaft in der Anwendung auf das Leben von Pariser Kirchenbesuchern! Aber was wäre diesem Dreckgehirn unmöglich? Hindenburg und Ludendorff zusammen ein Gefäß, dessen Inhalt die technisch-kapitalistisch- jüdisch-preußische Weltanschauung bildet.

Nicht übertrieben

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aller

Zeiten!

Der Siegeslauf

. . . Die Truppen des General- . . . Ein großer wichtiger Schritt

obersten Grafen Kirchbach haben zur Herbeiführung der Beendigung

Livland und Estland zur Unter- des Weltkrieges ist gemacht worden

und der rnedensgedanke wird

Stützung der bedrängten Bewohner j seinem Siegeslauf nicht

im Siegeszuge durch- mehr lange aufzuhalten

eilt. sein.

Aber doch noch eher als die Deutschen. Und überhaupt: solange von einem Siegeslauf des Friedensgedankens gesprochen werden kann, solange der letzte terminologische Rest dieser welt- strangulierenden Ideologie nicht aus den Hirnen gejätet ist, wird immer noch ein Siegeslauf deutlicher in Erscheinung treten als ein Friedensgedanke. Nichts bleibt der bedrohten Welt übrig, als die Deutschen in ihrem Siegeszuge weiterlaufen zu lassen

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und Spalier zu bilden. Dann führt sich das Ding vielleicht doch einmal ad absurdum und was am Ziel ankommt, ist der Friedensgedanke.

Denn auch die Oberste Heeresleitung führt den Krieg nicht um des Krieges willen

. . . Wenn sich solche Möglichkeiten zeigen, wenn eine ernste Friedensneigung auf der anderen Seite hervortritt, dann werden wir sofort darauf eingehen, das heißt wir werden sie nicht zurückstoßen, wir werden zunächst in kleinem Kreise sprechen. Ich kann Ihnen auch sagen, daß dieser Standpunkt nicht etwa nur mein Standpunkt ist, sondern daß dieser Standpunkt auch von der Obersten Heeresleitung ausdrücklich geteilt wird. Denn auch die Oberste Heeresleitung führt den Krieg nicht um des Krieges willen, sondern auch die Oberste Heeresleitung hat mir gesagt, sobald sich ein ernster Friedenswille auf der anderen Seite bemerkbar macht, müssen wir der Sache nachgehen.

Nein, so was! »Die Sache«, die »im Westen gemacht wird«, sollte also nicht der Sieg, sondern der Friede sein ?

Was ist der Unterschied zwischen Kühlmann und Czernin?

Kühlmann, der Inkonsequente, zieht eine Rede durch eine andere Rede zurück. Czernin durch dieselbe!

Die Kombination

Wenn er so fortfährt, der Graf Czernin, so wird er wohl keinen mehr verführen

schließt nach Erörterung eines Czemin-Stückels, der Bot- schaft an den König von Rumänien, die Arbeiter-Zeitung, die ihn

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»eine Kombination von Metternich und Wilson« nennt. Man könnte ihn sogar auch eine Kombination von Macchiavelli und Kant nennen, aber ich habe ihn längst als eine Kombination von mehr papiernen Kräften erkannt: er ist ein Zeitungs- blatt, durch das in der Mitte ein Strich läuft, oben ein deutsch- treuer Leitartikel in unverläßlichem Deutsch, unten ein Feuilleton von einem weltbürgerlichen Kommis den Strich entlang die Prostitution von allem. Die Kombination von allem; kein Charakter, sondern eine Kombination. Ich halte ihn für den zweideutigsten Typus unserer ganzen Publizität, dessen Geschick- lichkeit aber bei weitem nicht hinreichen würde, einen französischen Zeitungsleser zu düpieren. Daß er erst fortfahren muß, um endlich auch keinen Menschen in Österreich mehr zu verführen, vermehrt die ganze Hoffnungslosigkeit unseres Lebens. Spät genug haben die paar rechtlichen Leute, die es hierzulande gibt, viel zu spät nach der Selbstenthüllung, mit der der Graf Czernin ihnen zuvorkam-, haben sie eine Individualität erkannt, deren Reiz nichts als ein standeswidriges Talent war, dessen Mangel den Durchschnittsaristokraten adelt, einen Menschen, der in keinem verantwortlichen Augenblick seines Daseins, von einer gesunden Friedensrede bis zu einem bresthaften Frieden, ein Charakter war, aber in jedem eine Kombination.

Czernins Bruder

ist auch nicht ohne:

bereit, die versöhnende Hand auszustrecken, sobald sich drüben die Vernunft und das Bewußtsein Bahn bricht, daß es höhere Ideale gibt als schnöde Eroberungsgier. Das letzte Jahr war reich an Ereignissen und Erfolgen. Es brachte uns die Friedensschlüsse von Brest-Litowsk und Bukarest, die großen Siege in Italien Zar Ferdinand hurra!

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So siehste aus

... In dem Augenblicke trat Staatssekretär v. Hintze in den Saal, eine schlanke, sehr sympathische Erscheinung, die ganz den Eindruck eines Diplomaten macht.

Hierauf hielt Staatssekretär v. Hintze eine längere Rede, in der er dieBedeutungderPressehervorhob und Mitteilungen über den Verlauf der Wiener Besprechungen machte.

Hintze

Auch in den Reichen einer vollkommenen geistigen Unter- ernährung, die, selbst zum Anspruch zu schwach, sich noch im fünften Jahr mit Gedanken wie »Schulter an Schulter« und »Durchhalten« abgefunden sieht, muß das Niveau dieses Herrn v. Hintze Verwunderung erregen. In einer Rede, die die Neue Freie Presse »formvollendet« nennt und in der er sich »als treuer Anhänger des Bündnisses bekannt« habe man hatte offenbar erwartet, daß der deutsche Staatssekretär in Wien für den Abfall Österreichs agitieren werde -, ist es ihm schier gelungen, die unterste Grenze der Möglichkeiten zu erreichen, innerhalb deren sich eine von keiner Weltrealität eingeschüchterte Fibelmechanik auslebt.

Der Staatssekretär wies auf die hohe Bedeutung der Presse als einen wichtigen Faktor des öffentlichen Lebens hin, welche i m Verein mit der Armee im Felde der Diplomatie den Verteidigungskrieg gegen die Entente mit gewinnen helfen müsse.

Diese Charakterisierung der Gedanken des Herrn v. Hintze, in der die Armee und die mit dem opfervolleren Teil der Auf- gabe betraute Presse als die unterstützenden Faktoren der Diplomatie erscheinen, ist des geistigen Gehalts der Rede keineswegs unwürdig. Doch muß man, um Hintze zu erfassen, ihn selbst hören. Darum sei für alle Zeiten, denen das heutige fragwürdige Papier eine Kenntnis der unsern ermöglichen wird, bewahrt, was im fünften Kriegsjahr in deutscher Sprache, aus dem Munde eines Lenkers deutscher Geschicke, möglich war.

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Nachdem Hintze erklärt hatte, daß er in der Presse »einen so wichtigen Faktor des öffentlichen Lebens« sehe und »eine seiner wichtigsten Aufgaben« das Bestreben sei, alles zu unterstützen, was uns einem ehrenvollen Frieden näher bringen kann, wobei natürlich »die Waffen des Geistes eine einflußreiche Rolle spielen, die ebenso wichtig ist wie die der Waffen im Felde und der Diplomatie*, sagte er wörtlich:

Nicht zum erstenmal komme ich nach Wien. Immer wieder packt mich die Wucht der Vergangenheit der österreichisch- ungarischen Monarchie, ihre Glorie und Ruhm, die in den ehrwürdigen Bauten und Denkmälern in Wien ihren Ausdruck finden.

Ohne die Wucht der Zukunft der Monarchie speziell zu berühren, machte er hierauf der Gegenwart ein Kompliment:

Ich habe mich an den regen Wiener Straßen- bildern gefreut und mit besonderer Freude ersehen, daß es dem Optimismus des Wieners gelungen ist, diese vier schweren Kriegsjahre so gut zu überstehen.

Wie rege es auf der Ankunftseite des Nordwestbahnhofs aussieht, weiß ich nicht genau; auf der Abfahrtseite dürfte Hintze, selbst auf dem kurzen Weg zum Salonwagen, schon einige Eindrücke von dem optimistischen Leben und Treiben der Wiener bekommen haben.

Es muß ein starkes Quantum an Vertrauen vorhanden sein, um

Um zu glauben, daß ? Nein: um unser Ziel bald zu erreichen.

Aber zur Erreichung eines Zieles braucht man kein Ver- trauen; nur zum Glauben an die Erreichung eines Ziels. Der Satz beginnt gut, verhaspelt sich dann aber.

Wenn sich auch zuweilen zweifelnde Stimmen dagegen erhoben haben, so habe ich mich durch eigenen Augenschein davon überzeugt, daß solchen Meinungen kein Gewicht beizulegen ist.

Wie Hintze diesen Augenschein vorgenommen hat, sagt

er nicht, dagegen sagt er von den Journalisten, daß sie »als die

Schreiber der täglichen Eindrücke« berufen seien,

das Zusammenschmelzen und die Harmonie unserer Völker zu fördern.

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Das wurde noch in Sperrdruck gebracht. Ob es je mit der Harmonie gelungen ist, bleibe dahingestellt; das Zusammen- schmelzen der Völker ist der Presse als einem so wichtigen Faktor in der Kriegführung zweifellos geglückt. Aber diese Aufgabe sei nicht immer leicht, meint Hintze, »wenn die Nachrichten nicht von Triumph und Lorbeeren melden«:

Wenn wir manchmal auf diese verzichten und aus strategischen Gründen eine taktische Rückverlegung der Truppen vornehmen müssen, so

hat das, wie man ja längst weiß, gar nichts zu bedeuten. Es können nicht immer Lorbeeren blühen, oder auch so:

Es können nicht immer Rosen blühen. Der Krieg ist kein Rosen- garten, in dem man spazieren geht; wenn man Rosen pflücken will, muß man auch einen Dornenstich gewärtigen.

Demnach scheint der Krieg, da bekanntlich keine Dornen ohne Rosen, doch ein Rosengarten zu sein. Wo sollten denn sonst auf einmal die Dornen herkommen? Es wäre denn, daß man ihn einem Dornengarten vergleichen wollte. Hier ist das Malheur passiert, daß zwei notorische Eigenschaften der Rose: Dornen zu haben undangenehm zusein, Schulter an Schulter aneinandergeraten sind. Aber das hat, wie man ja längst weiß, gar nichts zu bedeuten. Es führt irgendwie zum Sprichwort: Keine Presse ohne Zensur. Versteht sich, in den feindlichen Staaten. Bei uns gibt's so was nicht:

Wir in Deutschland und Österreich-Ungarn halten an einer freien Presse selbst unter dem Zwange des Krieges fest.

Was zum Beispiel der Fall der Arbeiter-Zeitung anläßlich der Besprechung dieses Hintze-Wortes dartut. Wir sind ganz andere Kerle. Bei unseren Gegnern dagegen stehen die Journalisten unter der Kontrolle des Staates.

Man denke. Und nicht nur unter der Kontrolle, was man so unter Kontrolle versteht, sondern es kommt noch doller, die halten gleich die freie Presse selbst fest:

Ein Zeitungsschreiber, der nicht die Regierungsstimmen vertritt, wandert bei ihnen einfach ins Zuchthaus.

Was zum Beispiel die Kritik unfähiger Generale durch die englischen und französischen Zeitungsschreiber tagtäglich beweist. Wahrscheinlich werden sie alle am Abend eingesperrt.

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Das aber widerstrebt unserer Auffassung. Solche Maßnahmen sind für andere Länder, aber nicht für uns Deutsche. Es ist besser, daß Regierung und Presse miteinander arbeiten.

So daß, wenn die Zeitungsschreiber die Regierungsstimmen vertreten, dann viceversa auch die Regierung die Preßstimmen zur Geltung kommen läßt.

Dies sage ich nicht, um Wohlwollen zu erringen, sondern es ist meine innerste Überzeugung. Ein Zusammen- arbeiten kann ungemein nützen, ein Gegenüberstehen ungemein schaden.

Und wie zwischen Regierung und Presse, so auch zwischen den verbündeten Staaten.

Durch Opfer, Leiden und Triumphe unauflöslich aneinander gekettet, wird sich unser Schicksal gemeinsam erfüllen.

Diese Nuance des Schulter an Schulter, die scheinbar eine Erschwerung ist, in Wahrheit aber eine Vertiefung, ist ein Gedanke, durch den sich Hintze von seinen Vorgängern unterscheidet. Hintze ist neuerungssüchtig, aber er geht aufs Ganze und verpönt die Surrogate:

Wenn ich meine Eindrücke zusammenfasse, so muß ich sagen: Unser Bündnis ist ein wirkliches »Bündnis«. . Ich gebrauche ausdrücklich das Wort > Bündnis« ohne jeden Zusatz. Irgendein adjektivisches Beiwort würde den Begriff nur abschwächen können.

Ohne zu wissen, ob nicht unter seinen Hörern leiden- schaftliche Anhänger von adjektivischen Beiwörtern seien, bat Hintze sie, »diese Auffassung ein Echo in der hiesigen Presse finden zu lassen«. Am gleichen Tage empfing er einen, der für spanische Blätter korrespondiert, aber Gaiger heißt, und unterhielt sich mit ihm in zwanglosem, jedoch spanischem Gespräche. Auf deutsch lautet eine Stelle:

Es ist richtig, daß die Note Spaniens diesmal einige Härten enthielt; wir glaubten jedoch darüber schon aus dem Grunde hinweggehen zu können, weil Spanien im Kriege sich unserer Lands- leute über See in wärmster Weise angenommen und w i r Spanien dafür dankbar sind. Diese Dankbarkeit, bekanntlich ein echt deutscher Charakterzug, beeinflußt auch unser politisches Verhalten.

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Sie war zwar nicht imstande, das Verhalten gegenüber den spanischen Landsleuten unter See zu beeinflussen, deren sich Deutschland im Kriege irgendwie angenommen hat, aber die Hoffnung besteht, daß Spanien sich eben dafür dankbar zeigen, also bekanntlich einen echt deutschen Charakterzug zur Geltung bringen wird. Nun, wie immer es ausgehen mag, dieser Hintze wäre besser zu vermeiden gewesen. In so ernsten Zeiten ist es geraten, einer ganzen mißgünstigen Welt nicht Persönlich- keiten gegenüberzustellen, die sich kaum an der dürftigsten Kon- versation im deutschen Heim beteiligen könnten. Der neue deutsche Staatssekretär ist ein Mann, der uns nicht nur zum Stolz auf unsere Vergangenheit, sondern auch zum Stolz auf unsern Seidler ein Recht gibt, ja zu dem Übermut, den Burian für ein Genie zu halten.

Aber, aber!

Burian hat dem Chefredakteur des .Fremdenblatt' eine Mitteilung gemacht:

Das »deutsche Joche ist für Österreich-Ungarn das Joch der beiderseitigen felsenfesten Freundschaft und vollen Rücksichtnahme auf die Interessen beider Teile. Anders wäre das Verhältnis zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland nicht einen Augenblick möglich. Muß man denn noch immer das oft gehörte Wort zitieren :

Nur die allefdümmsten Kälber Wählen ihre Schlächter selber.

Nein, man hätte nicht müssen.

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Auf hoher See

»Wie wir uns der Welle entgegenstemmen müssen« rief einst der Kapitän Seidler, als er auf hoher See um die Rettung eines Budgetprovisoriums rang

»welche, aus dem Nordosten heranrollend, schon den Boden unserer wirtschaftlichen Kultur bedroht, können wir uns ander- seits nicht dem Gedanken verschließen «

Da ich das Gefühl hatte, daß es schon kein Gedanke sein werde, verschloß ich mich der weiteren Lektüre und dachte darüber nach, wie es denn komme, daß so viele tüchtige Männer unseres öffentlichen Lebens zwar Karriere gemacht, aber den Beruf verfehlt haben. Während unser Czernin heute sicher den Brotfrieden darum gäbe, wenn er, anstatt ihn zu schließen, berufen gewesen wäre, ihn in einer Sonntagsplauderei zu besprechen, trauert unser Seidler einer versunkenen Hoffnung seiner Jugendtage nach, die ihm ein noch weiteres Gebiet eröffnet hätte, nämlich nicht die Freie Presse, sondern das freie Meer. Im Ernst, Seidler, der von außen als eine der drolligsten Gestalten der Weltgeschichte erscheint und im tiefsten Grunde seines Seelenlebens eine tragische Figur ist, muß in seiner Kindheit von dem stürmischen Wunsche durchwogt gewesen sein, Matrose zu werden. Man kann es unschwer daraus schließen, daß ihm von allen Phrasengebieten keines so zugäng- lich ist wie jenes, auf dem die Vergleiche aus dem Marineleben wachsen. Wenn er nur den Mund aufmacht, so kann man, topp, darauf wetten, daß der in das schwankende Staatsleben verschlagene See- mann zum Vorschein kommen wird. Eine alte Teerjacke, dieser Seidler, hei! Weiß Gott, keine Landratte! In dem Moment, als er ins Kabinett eintrat, wußte er auch schon, daß es eine Kajüte sei. Da er aber nun einmal ans Ruder gelangt war, ging er sofort auf Deck, rief alle Mann an Bord und nun galt es, das

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Staatsschiff mit fester Hand, eh schon wissen. Im Parlament freilich hatte er nicht so sehr das Gefühl, das Staatsschiff in den sicheren Hafen gebracht zu haben, sondern dünkte ihm vielmehr, daß die Regierungsbank eine Sandbank sei, auf der er aufgefahren war und nun festsaß. Dieses Festsitzen war ihm aber eine solche Passion, daß er geradezu der Meinung war, den Passagieren (sprich: Passascheren) sei es um nichts anderes zu tun und wenn sie sich trotzdem beklagten und ihrerseits der Meinung waren, das Ziel der Fahrt sei denn doch ein anderes und der dauernde Ruhestand wäre eigentlich nicht auf der Sandbank, sondern wo anders zu suchen, damit nämlich nicht die ganze Schiffahrt zu dauerndem Ruhestand verurteilt sei, so war er um eine Antwort nicht verlegen, in der nebst der alten seemännischen Tüchtigkeit auch die Kenntnis der neueren Methoden der maritimen Kriegführung bemerkbar wurde:

. . . Geben Sie mir freies Meer, dann werden Sie leicht erkennen, daß ich zu fahren vermag; aber es ist das Schicksal dieser Regierung, daß sie in den Sturm, unter Klippen politischer Natur, ja geradezu zwischen Minenfelder geworfen worden ist . . .

So daß also die Sandbank noch die einzige Rettung für. Mann und Maus wäre. In Wahrheit jedoch kann der Kapitän noch von Glück sagen, daß auch die Minenfelder gleich den Klippen, von denen es ja ausdrücklich zugegeben ist, politischer Natur sind, nicht so sehr ein Erlebnis als ein Ornament. Man stelle sich, wenns anders wäre, den Herrn Seidler vor. Natürlich würde ich, wenn ich auf der kommenden Friedenskonferenz mein Selbstbestimmungsrecht durchsetzen könnte, mich nicht von einem Herrn regieren lassen, der, ganz abgesehen davon, daß erzwischen den diesbezüglichen Minenfeldern gefährliche Theater- stücke schreibt und sie nicht verbietet, sondern aufführen läßt, eine Redensart in einem Moment gebraucht, in welchem un- blutiger Inhalt so vielfach lebendig wurde. Denn gewiß würden die, denen es geschah, nie auch nur annähernd so pathetisch davon zu sprechen wagen wie so ein nach allen Windrichtungen verbindlicher Bureaukapitän, der von sich behauptet, er hätte »trotzdem den Kurs eingehalten«. Man müßte den Weltkrieg wirklich von vorn anfangen, wenn man ihn überstanden haben

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sollte, ohne wenigstens von einem geistigen Typus befreit zu sein, der sich nur durch den Rettungsgürtel der schäbigsten Schablone über Wasser halten kann. Es hat mir nie eingehen wollen, daß so etwas eine »Regierung« sein könne und daß einer in der Lage sein soll, mir das Maß von Freiheit und anderen Lebensmitteln zu bestimmen, mit dem ich keine zwei Worte zu sprechen imstande wäre. Man kann es einem intelligenten Abgeordneten schon nachfühlen, daß es ihn eine ziemliche Überwindung kosten muß, vor einer solchen Autorität erst umständlich zu begründen, warum man ihr das Vertrauen ver- weigere. Als Seidler wieder einmal um die Rettung des Budget- provisoriums rang, spürte er den Hohn nicht, mit dem ein Sozialdemokrat zur hohen Sandbank hinaufrief:

Wenn die Regierung das Staatsschiff vor den Klippen retten will, muß sie es hinausführen auf die hohe See großer sozialer und politischer Reformen.

Seidler schwamm in Seligkeit, weil ihm die Sphäre, in der er sich heimisch fühlt, selbst von der Opposition zuerkannt war. Ich lasse mich aber hängen und wär's vom König oder vom Peutelschmied , wenn er nicht damals, als er die Depu- tation der deutschen Mannen vor den -Thron führte und dabei stand, als der Herr Ornik aus Pettau die Worte ausrief:

Majestät! Wir litten inständigst, durch den Steuer- mann des Staates auch ohne Parlament die Staats- notwendigkeiten zu prüfen

wenn er nicht damals Autorfreuden erlebt hat. Ich habe Wilhelm Engelhardts Dichtung > Durch Feuer und Eisen« nicht gelesen, aber ich möchte wetten, daß das Pathos ihrer kriegs- tüchtigen Sprache von Seeluft geschwellt ist. Wie aber, frage ich, kommt ein solcher Genius dazu, die erste Rangsklasse im Staat innezuhaben? Muß ich mich schon von einem Volkstheaterautor regieren lassen, dann lieber gleich vom Hermann Bahr! Der schwätzt doch was vom neuen Österreich und der Lebensabend vergeht uns wie geschmiert. Aber so ein Musterknabe, der im Matrosenanzug Karriere gemacht hat und sich im Kabinett wie in der Kajüte und in dieser wie in der Kinderstube bewegt, ist nicht mein Fall. Ich weiß es positiv: Als man ihn einst

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fragte: Ernst], was willst du werden?, rief er: Tapitän! Als es dann Ernst wurde und man ihn fragte: Was bist du?, rief er: Tapitän!! Und als es noch ernster wurde und man ihn fragte: Was willst du bleiben?, rief er: Tapitän!!! Des freuten sich die Ratten, ehe sie das sinkende Schiff verließen.

Postscr i pt u m. Es ist ein eigenes Verhängnis, daß die Feuilletonisten unseres Chaos und die Admirale unseres Festlands die Feder schon hingelegt haben, beziehungsweise nicht mehr am Ruder sind, wenn meine Würdigung vor den Leser kommt, so daß es den Anschein hat, sie wäre schon als Nachruf geschrieben. Das ist aber nur insoferne richtig, als alles was ich schreibe, irgendwie zum Nachruf taugt. Seidler ein Hintze, der seinen Beruf verfehlt hat und, wenn's noch eine Gerechtigkeit gibt, einmal das Marinekommando erhalten wird, das jener abgelegt hat Seidler beteuerte noch, daß er »den deutschen Kurs einhalten« wolle, und schon glaubte man, Unterseeboote wären ihm zu Hilfe gekommen, oder die Direktion habe die Preisgabe des Schiffes beschlossen, um das kostbare Leben des Kapitäns zu retten. Da kam es im letzten Augen- blick doch anders. Ein westlicher Wind brachte die Ent- schließung. Die ganze Fahrt mit ihren ernsthaften Gefahren war ein Gspaß gewesen, eine Amerikareise des Männerge- sangvereins. Da aber eben Amerika es war, das uns wegen der seinerzeitigen Landung des Männergesangvereins den Krieg erklärt hat, so wurden wir doch stutzig und entschlossen uns, lieber Mann und Maus zu retten und den Kapitän, der sich ans Ruder klammerte, über Bord zu werfen, auf die Gefahr hin, daß die Haifische seekrank werden und den Delphinen das Singen vergeht. '

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Inschriften

Orakel

»Sag an,

wer wird in diesen Kriegen

unterliegen?«

»Der tapfere Mann.«

>Der kann nur siegen!«

»Wohlan !

Weil er nur siegen kann.«

Vorsicht!

Die feindliehen Tröpfe

zerbrachen sich die Köpfe,

um Lügen auszuhecken.

Wir wissen, was wahr ist,

die größere Gefahr ist,

daß sie unsre Wahrheiten entdecken.

Feindliche Propaganda

Gerüchte und Lügen sind abgeprallt an unsrem Ehrenschilde. Wer uns so schwarz in schwarz gemalt, der traf sich selber im Bilde.

Nun haben sie erst unsre Ehre verletzt, uns gereizt wie mit rotem Tuche. Denn deutsche Wahrheit ward übersetzt aus dem deutschen Fliegerbuche.

M

Hurra!

Kein größres Glück kann einem Sieger widerfahren,

als wenn er sich zurückzieht, zum Verdruß

des Feinds. Der fühlt sein ganzes Ungemach.

Er folgt enttäuscht und zögernd nach,

und während er den Sieger suchen muß,

kann der die Kräfte für den nächsten Rückzug sparen.

Verzicht

Laßt uns nach der Ehre streben, Sieg sei unser täglich Brot. Unerschwinglich ist das Leben und umsonst ist nur der Tod.

Wien im Krieg

Im allergemütlichsten Frieden

zur Not zusammen ging's.

Der Wachmann am Weg auf die Wieden

der mahnte und bat: Bitte links!

Zu unserem Seelenheile brauchten wir keine Disziplin. Wir waren im Gegenteile die Bewohner der Hauptstadt Wien.

Im Schlendern und Spazieren haben wir vom Weg uns entfernt. Nun mußten wir marschieren, noch ehe wir gehen gelernt.

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Ein Mord im Weltkrieg

Wenn in einem Ringstraßenhotel ein Mord geschieht, so sind folgende Begleiterscheinungen zu beobachten. Die Straße liegt im strahlenden Sonnenlicht da, vor dem Hotel jedoch brechen sich die Wellen des Menschenstroms. Warum sie das tun, ist rätselhaft, aber es ist so. Plaudernd, lachend, flirtend drängen sich die Korsobesucher aneinander vorüber. Sie ahnen natürlich gar nichts. Denn wenn sie was ahneten, würden sie ja die Polizei ver- ständigen, die arme Kammerfrau Earl dort oben retten und den Emo Davit entlarven. In den bequemen, eleganten Korbstühlen in der Hoteleinfahrt sitzen vornehme Fremde, aus Brunn, vielleicht gar aus Pest, denn die Bagasch aus Paris und London kann jetzt leider nicht kommen. Daß die Korbstühle bequem und elegant sind, versteht sich bei einem erstklassigen Hotel von selbst, muß aber doch in Anbetracht der Mißgunst der Entente erwähnt werden. Was tun die vornehmen Fremden? Sie betrachten selbstredend das Straßenbild. Welches Straßenbild? No, das sich ihnen darbietet, nach- laufen wem sie ihm ! Wie ist das Straßenbild ? Eines der schönsten, der farbenreichsten, der groß- städtischesten, das (nicht: die) Wien aufzuweisen vermag. Und zur selben Stunde? Spielt sich oben im Hotel ein furchtbarer Kampf auf Leben und Tod ab, ein Kampf zwischen dem Mörder und seinem Opfer. Also ein Nahkampf, in jeglicher Hinsicht. Was sich sonst noch irgendwo in weiterer Entfernung von den plaudernden, lachenden, flirtenden Wienern und den sie betrachtenden Fremden abspielt, tut nichts zur Sache und steht im Generalstabs- bericht, zusammengefaßt in den Worten: Nichts

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Neues. Würde aber auch, selbst wenns am Piave etwas bewegter zuginge, keine Attraktion mehr aus- üben. Nicht was dort unten geschieht, sondern was dort oben geschieht, ist ein Fall, der den Korso und sein Spalier eine Woche lang in Atem halten wird. Die Kontraste sind aber auch gar zu kraß. Das Leben geht weiter (Zifferer) und oben sinkt blutüberströmt das Opfer zu Boden. Warum hat man es nicht gehört? Sehr einfach: Die schweren Portieren des mit allem Komfort und Luxus aus- gestatteten Zimmers Kleinigkeit, Bristol! ersticken seinen Todesschrei, lassen das verzweifelte Röcheln ungehört verhallen. Die schweren Portieren sollte man abschaffen. Der Mörder hält den Atem an. Das hat man gehört. Wahrscheinlich, weil sich sofort herausstellen wird, daß das Domestikenzimmer eine einfache Einrichtung hat. Auch bezüglich desMord- instrumentes gehen die Meinungen einer und derselben Zeitung auseinander. Es war ein Schlegel, wie ihn Böttcher, ein Klopfer, wie ihn Fleischhauer, eine Keule, wie sie Athleten, oder eine Handgranate, wie sie Kinder gebrauchen und wie sie in einem vornehmen Stadt- geschäft erstanden wird, oder werden könnte, wenn das Spielzeug nicht das letzte in seiner Art gewesen wäre, das sich auf Lager befunden hat. Der Absatz dürfte schon zu Weihnachten ein reißender gewesen sein, so daß nach Ostern das letzte Exemplar ein Raubmörder erstehen konnte. Die Sensation einer Stadt ist aber nicht dieses Faktum, sondern der Mord; nicht die Perspektive in die ungezählten Morde, die waren und sein werden, sondern der eine, denn er geschah im Hotel Bristol, das, wenn es auch den veränderten Zeitumständen entsprechend sich mit einem Rost- raum statt eines Grillroom bescheiden muß, unter allen Umständen ein fashionables Etablissement bleibt. In dem vornehmen Stadtgeschäft, wo man die Handgranaten für Kinder bekommt, weiß man sich

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genau an den Käufer zu erinnern, nur schwankt man, ob er die Handgranate für Kinder vor zwei Monaten oder gestern Nachmittag, kurz vor der Bluttat, gekauft hat. Doch hat der Leser, da die beiden Versionen Spalte an Spalte stehen, eine leichte Übersicht und kann selbst ent- scheiden. Jedenfalls wächst die Sensation erheblich, wenn man erfährt, daß das Instrument zu einer Bluttat, die in einem vornehmen Stadthotel passiert ist, in einem vornehmen Stadtgeschäft gekauft wurde. Was folgt aber daraus. Ein Leitartikel in einem vornehmen Weltblatt mit der Aufschrift »Der Raub- mord im Hotel« und mit dem Untertitel, der die Wahrheit deutlich genug ausspricht: »Bedürfnis nach stärkerem Schutz für Sicherheit«. Wie soll diese, dieser oder dieses garantiert, durchgeführt oder erfüllt werden? Dazu gehört Psychologie, denn: »vielleicht« ist dieser Vorfall nur die Wieder- holung u. s. w., Lesage hat jedoch in seinem Dienerroman recht und »wir möchten uns nicht« bei Rückblicken aufhalten, aber wir tun es doch, und zwar gelangen wir von Lesage auf dem kürzesten Weg zurück über das Hotel Bristol zum Räuberhaupt- mann Grasel, der »auf« dem Galgen geendet hat, nachdem er auf dem Holländerdörfl bei der Sophienalpe verhaftet worden war, von wo nur ein Katzensprung über Taine zum Grafen Stadion und zum Freiherrn von Stein ist, von dem wir über Eipel- dau wieder zum Räuberhauptmann Grasel zurück- gelangen, nicht ohne die schlichte Erkenntnis: »Lange Kriege sind nicht gut für die sittliche Entwicklung. Der Abscheu vor Blutschuld stumpft sich ab.« Blättern wir jedoch um, so erfahren wir zu unserer Freude, daß der Hofrat Moriz Stukart, in dessen Ressort zwar der Mordfall nicht gehört er ist Verwaltungsrat der Münchengrätzer Schuhfabrik , sich gleichwohl für ihn interessiert zeigt. Er tritt eben in seine

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eigenen Fußstapfen und nennt sich, um darzutun, daß er seinen Anspruch auf Reklame bei einem Raub- mord noch nicht verwirkt habe, einfach: »Gewesener Chef des Sicherheitsbureaus der Wiener Polizei«. Dieser Stukart, der darin ein wenig an den pensionier- ten Artisten aus der »Prinzessin von Trapezunt« erinnert, der noch im Wohlstand das Heben schwerer Gegenstände nicht lassen kann, oder doch an den Berthold Frischauer, der noch angesichts einer 1 20 Kilo- meter-Kanone sich als Unser Pariser Korrespondent betätigt und des zum Zeichen sogar in Paris Steuer zahlt, der Stukart also kann den Gedanken einfach nicht ertragen, daßes schöne Raubmorde geben und ei nimmer leben soll. Seine Pensionierung aber verschafft ihm den unleugbaren Vorteil, daß er zur Mitteilung seiner sachverständigen Ansicht nicht mehr auf den Reporter warten muß, sondern die Artikel zum Preise seiner Findigkeit gleich selbst schreiben kann. Er erzählt, daß er bereits heute früh von einer befreun- deten Familie, die in einem der vornehmsten Hotels in Wien logiert, telephonisch angerufen und ange- fragt worden sei, was sie, seiner Meinung nach, »in betreff der Verbesserung der Sicherheit« das bekannte Bedürfnis nach Vermehrung der Sicherheit für Erhöhung des Schutzes in ihrer Wohnung vorkehren »oder ob sie nicht ihre Wohnung in dem Hotel aufgeben solle«. Stukart antwortete seinen Freunden, »sie sollten nur ruhig in ihrem Hotel verbleiben«, was gewiß das richtigste ist. Sonst aber, nachdem wir bezüglich der Sicherheit einer ein- zelnen in den Brennpunkt unseres Interesses gerückten Mischpoche beruhigt sind, begnügt sich der Fachmann damit, Mißtrauen gegen die Tätig- keit seines Nachfolgers zu erregen, und verlangt nichts weniger, als daß der Kriminalpolizist »sich frei wie der Vogel in der Luft bewegen soll«. Durch die »Unzahl von Beamten«, die heute am Tatort

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erscheinen, und unter denen der Name Stukart fehlt, würden nur die Spuren verwischt. Der Wunsch, daß dies im vorliegenden Falle bereits geschehen sei, hat gewiß weder im Herzen eines pensionier- ten Kriminalpolizisten, das ja keine Mördergrube ist, noch zwischen den Zeilen Raum, wohl aber die Hoffnung, daß »die Zahl der Verbrechen geringer werden« möge, auf daß es dem Nachfolger nicht mehr gelänge, sie zu entdecken. Die Entschädigung, die Herrn Stukart dafür zuteil wird, daß er nicht mehr in der Lage ist, es nicht zu können, ist reichlich. Es gelingt dem gewesenen Chef des Sicherheits- bureaus der Wiener Polizei, die Presse an der Verwischung der Spuren des vorliegenden Mordfalls tätig zu sehen, und er kann es erleben, wie dem heutigen Chef des Sicherheitsbureaus der Wiener Polizei durch Indiskretion, Geschrei und vorzeitigen Tadel die Arbeit erschwert wird. Als es dann trotzdem dem heutigen Chef des Sicherheitsbureaus gelang, hatte dieselbe Presse allerdings die Stirn, die »zielbewußte, energische und unermüdliche Arbeit der Polizei«, der sie eben noch Planlosigkeit, Untüchtigkeit und Langsamkeit zum Vorwurf gemacht hatte, herauszustreichen und zu schreiben : »Wer der emsigen, klug kombinierenden Tätigkeit der Beamten in diesen Tagen zusah, mußte sie bewundern«. »Eine objektive Berichterstat- tung muß konstatieren«, daß der Chef des Sicher- heitsbureaus »trotz verwirrender Widersprüche«, die die Berichterstattung eingeworfen hatte, und »trotz scheinbarer Aufklärung belastender Momente«, die sie wie eine fieberhaft tätige Gegenpolizei zu Gunsten des Herrn Emo David ehe dessen originalitalienische Herkunft feststand betrieben hatte, »keinen Augenblick irre wurde«. Mit welcher Dreistigkeit der Versuch des Irremachens unternom- men und wie durch die berüchtigte Methode der »Laienfragen« die Absicht betätigt wurde, die

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Polizei ins Verhör zu nehmen, zeigt die folgende Jargonprobe :

Die Polizeibehörde scheint eher dem Glauben zuzuneigen, daß Emo D. der Mordtat tatsächlich nicht fern steht. Um so merkwürdiger berührt es, daß die große Öffentlichkeit über eine Reihe von Fragen zur Stunde noch nicht aufgeklärt ist, die sich auch dem Laien in Untersuchungs- fragen aufdrängen. Wie steht es zunächst mit den Fingerabdrücken? Heute wird freilich offiziös versichert, daß der Mörder nicht unbedingt sich über und über mit Blut besudelt haben müsse, daß er auch nicht unter allen Umständen in das Blut seines Opfers hinein- getreten sein dürfte. Vor Tische las man anders! . . . Sind dem in Verwahrungshaft Befindlichen die Fingerabdrücke bereits abgenommen worden? Sind diese Abnahmen mit den zahlreichen Abdrücken, die sich am Tatort vorgefunden haben müssen, verglichen worden, und welche Resultate hat diese Vergleichung gezeitigt? . . . Ist diese Untersuchung vorgenommen worden, und welches Resultat hat sie gezeitigt? . . . Die Polizei- behörde muß also die Frage beantworten, ob und wo es ihm in der Zwischenzeit möglich gewesen ist, seine Schuhe derart gründ- lich zu reinigen, daß sie auch nicht die geringsten Blutflecker. aufwiesen.

Sie hat die Laienfragen bekanntlich damit beantwortet, daß der Emo D. nicht selbst Hand ange- legt und nicht persönlich in das Blut seines Opfers getreten ist. Aber sie hat es versäumt, von einem Meinungshändler, der kein Problem unberührt lassen kann und auf jedem Tatort die Spuren seiner Zudringlichkeit zurückläßt, Fingerabdrücke zu machen. Nach Tische las mans anders und der Laie mußte sich entschließen, den Fachmann zu bewundern, was freilich einer nicht minder unappetitlichen Regung entsprang, da ja Kriminalpolizisten zwar Tadel ver- dienen, wenn sie einen Raubmörder entwischen lassen, aber beileibe keine Reklame, wenn sie ihn fangen, indem sie dadurch erst ihre Daseinsberechti- gung erweisen und hinter ihrer eigentlichen Ver- pflichtung, Raubmorde zu verhindern, immer noch zurückbleiben. Aber die Wiener Tradition, vom Schau- platz einer Schandtat journalistische Ehren aufzuheben,

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muß in dem enthaltsamen Nachfolger fortleben. Stukart, der vergebens gehofft hat, daß sie mit seiner Karriere abgeschlossen und in den Schuhen eines Raubmörders stecken geblieben sei, wird immerhin noch die Entschädigung zuteil, daß ihm eine so objektive Berichterstattung geschwind mit einer Erinnerung an den Fall Hugo Schenk zuhilfe kommt, wo sich »der junge Stukart« auch nicht irremachen ließ und sich bekanntlich die Sporen verdient hat, also an eine Zeit, wo noch keine Aussicht war, daß er dereinst sogar an Stiefeln ver- dienen werde. Aber der Glücksfall? daß der entlarvte Davit »wir werden darauf aufmerksam gemacht, daß dies die richtige Schreibweise *des aus alter, rein italienischer Familie stammenden Mannes ist« in Riedls Cafe de l'Europe verkehrt hat, gibt Gelegenheit, noch andere Wiener Renommeen an dem ausgiebigen Ertrag der Affäre zu beteiligen. »Im Cafe de l'Europe erzählt man, daß Davit wohl nicht als Stammgast bezeichnet werden könne.« Das denn doch nicht. Und es ist »selbstverständlich, daß man in diesem Kaffeehausbetrieb, der doch so viele laufende Kund- schaft besitzt, sich an einzelne Personen, die keine besonderen Wünsche äußern, nicht genauer erinnert.« Bedürfte es noch eines Beweises für die Größe dieses Betriebs, so wäre er hier gegeben. Was aber die bekannte Aufmerksamkeit desPersonals betrifft, so kann versichert werden: »Vom letzten Tage selbstver- ständlich ist bekannt, daß er ruhig und heiter mit seiner Kollegin die illustrierten Blätter durchblätterte. Auch als er das Kaffeehaus verließ, zeigte er keine besondere Erregung.« Da geht er hin, dachten die Marqueure, gleich wird er den Raubmord im Hotel Bristol arranschirn und nix laßt er sich anmerken . . . Eine analoge Wahrnehmung gibt auch die Gesangs- lehrerin des Mörders zu, nachdem sie der Präsident gefragt hat: »Konnte man ihm damals in der letzten

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Stunde, die er am Tage des Mordes genommen, ansehen, daß er sich zur Assistenz an einer blutigen Mordtat begibt?« Durchaus nicht, er hat sich verstellt; sie hätte ihn durchschaut, wenn er selbst der Täter gewesen wäre. Ganz ahnungslos dagegen war die Ver- sicherungsgesellschaft, bei der der Täter, der damals noch David hieß und eine Seele von einem Menschen war, angestellt gewesen ist. Sein Vorgesetzter sagte einem unserer Mitarbeiter: »Ich bin starr! Ich verliere den Glauben an die Menschheit, wenn so etwas möglich ist! Ich und die Bürokollegen Davids hätten für seine Unschuld die Hände ins Feuer gelegt.« Die Versicherungsgesellschaft, deren Prokurist ver- hältnismäßig spät den Glauben an die Menschheit verloren hat, erst im vierten Kriegsjahr nach der Überführung des Emo David, ist zum Glück keine Feuerversicherungsgesellschaft. Die Presse aber schwankte keinen Augenblick, Davit preiszugeben, und ging so weit, ihn mit einer Rücksichtslosigkeit nach allen Seiten den »Strategen des Mordes« zu nennen, der »mit der Vorsicht der Feigheit es ver- mied, mit dem Blut seines Opfers in Berührung zu kommen«. Dieser mutige Griff, durch den zwei Ver- gleichswelten überraschend zur Deckung gelangten, glückte ihr auch mit dem geheimnisvollen Schlüssel, der in der Mordaffäre eine Rolle spielt. Nachdem der Schlüssel gefehlt hatte, der Schlüssel verleugnet worden war, der Schlüssel verschwunden, der Schlüssel gefunden, der Schlüssel im Überzieher vergessen und schon von einem Geheimnis des Schlüssels die Rede gewesen war, hieß es, daß der Schlüssel des Geheim- nisses nunmehr vorhanden sei, denn dieser Schlüssel war das Fehlen des Überziehers, in welchem der Schlüssel war, dessen Geheimnis nunmehr tatsächlich aufgeklärt schien. Trotzdem behält die Affäre ihr Rätsel, wie überhaupt jeder Wiener Mordfall einen gewissen Schleier, sein gwisses Quisiquasi auch

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nach der Entdeckung nicht abzulegen pflegt. Die zahlreichen Nichtbeteiligten, die bei solchen Gelegen- heiten in die Aktion verwickelt sind, handeln wie unter dem Banne einer Mitwisserschaft und unter der Verpflichtung, sie erst nach Preisgabe des Opfers zu verraten. Sie benehmen sich wie der Chor, der eine Operettenhandlung mit jener verständnis- innigen Teilnahmslosigkeit begleitet, zu der ihn fünf- hundert en suite -Vorstellungen berechtigen, und was da auftritt, Gäste, Kellner, Hotelbedienstete, Passanten, Gefolge, um ein paar Schwimmtempi des Entsetzens zur Handlung beizusteuern, bewegt sich nicht anders, als ob es an der Todesstarre des Opfers beteiligt wäre. Kein Zweifel, daß die klischierte Art, in der diese Erzählungen und Mitteilungen von Augen- und Ohrenzeugen mit Glasaugen und Wachs- ohren gehalten sind, den lebendigen Inhalt einer Wiener Begebenheit ebenso zuverlässig wiedergibt, wie die hin- reißend starren Formen unseres Meisters Schönpflug die Fülle einer Welt, die eines Tages von selbst in Ein- rückendgemachte und Tachinierer zerfiel. Auch die Episodisten, der brave Vater des entarteten Kurt Franke, dessen Verbrechen von der Presse als eine Frucht der von ihr geförderten Kinoerziehung durchschaut wird und der zu ihm die Worte spricht: »Aber Vater, wofür halten Sie mich denn ? I' w e r d' doch n i t a so was tun«, das freiherrliche Ehepaar Vivante, das pantomimisch im Hintergrund die aufbewahrten Gold- stücke zu zählen hat, sie alle spielen nur die Rolle von Geschöpfen, denen der Odem von einem Polizei- offizial eingehaucht ward. Bei allem berechtigten Stolz auf die Mondainität eines Falles, der einmal nicht auf dem Eiterleinplatz, sondern auf der Ring- straße spielt, darf man nie vergessen, daß wir doch im Bereich einer Schöpfung leben, in der das Weib eine »Prifate« ist, zumeist eine Hilfsarbeiterin, während der Mann sich schon bei der Verabreichung

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des Schandlohns der späteren Einwendung des groben Undanks bewußt zeigt, wobei ihm ein »Vertrauter« hilft, welcher den Weg zum Baum des Lebens behütet. Liebes- Leid und Lust, Tod und Leben, alles entspringt und mündet hier in einem Amtszimmer der ungelüfteten Geheimnisse und man kann von Glück sagen, daß der Mörder oder sein Opfer oder der Unterstandgeber oder Aftermieter, der Vorschubleister, der Kronzeuge in diesem Falle nicht Sikora heißt. Auf welchen Rostraum das Leben im Hotel Bristol heute angewiesen ist, zeigt das Protokoll mit der Emma Freifrau von Vivante:

Ich bin mit der Familie Emo Davits entfernt verwandt. . . . Dieser verkehrte naturgemäß in unserem Hause in Wien, besonders seit Mitte 1917 kam er fast täglich zu uns ins Hotel, war etwa viermal wöchentlich bei uns zum Abendbrot. Er holte sich auch täglich zwischen 4 und 5 Uhr dasSchwarzbrot undhatte, wenigstens äußerlich, dasBenehmen eines Gentlemans. Die Earl kannte er schon seit sechzehn Jahren. Diese war unsere Vertraute, der Verkehr zwischen Emo und ihr naturgemäß ein herzlicher und vertraulicher.

Dieses Wort »naturgemäß« ist eine öster- reichische Zwangsform des amtlichen und volkstüm- lichen Denkens und bezeichnet das, was nicht auf den ersten Augenschein naturgemäß ist. Der scharfe Blick des Vertrauten dringt durch alle Falten. Eine Bedienstete des Hotels erzählt, die Earl habe ihr am Vormittag ihres letzten Lebenstages mitgeteilt, sie sei vom Mörder eingeladen worden, mit ihm den Abend im Kaiser- garten zu verbringen. »Sie freue sich, und wolle ihre besten Kleider anlegen, um möglichst schön auszusehen.« Ob es das ausgesprochene Motiv oder nur Interpretation ist, man spürt, wie hier das Protokollarische ein Leben bekommt. Das wahre Leben aber kommt erst in einen Mordfall, wenn die Betrachtung von einer höheren Warte einsetzt und die Untersuchung auf die Konfession des Mörders überzugreifen beginnt. Während die liberale Presse

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sich vor den Möglichkeiten, die der Name David ihr an die Hand gab, gegründeter Zweifel an seiner Schuld nicht erwehren konnte und bereit schien, sich der Zeugenaussage zu entschlagen, war für die antisemitische Presse der entgegengesetzte Weg der einzig gangbare und mit jedem Tage, der die Indizien häufte, wurde es ihr offenbarer, daß der Mörder ein Jud sei. Als dann die Neue Freie Presse mit der Überführung Davids auch die Enthüllung seiner rein italienischen Abstammung melden konnte und der Mörder somit überführt war, eigentlich Davit zu heißen, da legte die Reichspost das umfassende Geständnis ab, daß ihr die Religion und der Stamm- baum des Mörders gleichgiltig seien. Um aber die letzten Zweifel in dieser Richtung auszumerzen, war die Sonn- und Montagszeitung in der Lage, bekanntzu- geben, daß Davit ein frommer Katholik sei, der es nicht unterlassen habe, die jährliche Beichte und sogar noch einen Buchstaben abzulegen: »Er heißt, wie uns mitgeteilt wird, tatsächlich Davi (ohne t)«, was immerhin viel ist, da er bekanntlich zuerst, als er noch David hieß, nur kurzweg D. genannt ward. Mit einem Wort, von welcher Seite immer dieses Wien einen Mordfall antritt, immer bleibt es Wien und immer hat es der Welt etwas Besonderes zu sagen. Das Besonderste aber an ihm ist die völlige Schamlosigkeit, mit der es seine Interessen aus dem Weltgeschehen heraushebt und im Ange- sicht des Weltmordes seinen Lokalfall auszuleben begehrt. Die Menschheit, die auf dieser Insel der Unseligen wohnt, glaubt wirklich, mit der zudring- lichen Armut, die sie wochenlang von einem Raub- mord leben läßt, weil er in der »City« passiert ist, die Auhnerksamkeit der Welt zu erregen. Diese unbeirrbare Großstadtsucht, die noch aus einem Hotelmord Hoffnungen auf Hebung des Fremdenverkehrs schöpft, da sie selbst aus der Asche des Weltbrands

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einen verjüngten Suckfüll aufsteigen sieht, ahnt nicht, wie verächtlich sie einem Ausland erscheinen muß, dessen Städte unter Bomben und vor Kanonen ihren Geschmack an andern Lokalreizen längst geopfert haben und im Erleben und Gedenken des Ereig- nisses so vieler Saisons mortes Trauerwürde tragen. Die plaudernden, lachenden, flirtenden Korsobesucher und die vornehmen Fremden in den bequemen Korbstühlen, diese Untermenschheit, deren Blut- und Wissensdurst das Rinnsal der Lokalberichte aus- schlürft, kommt nicht auf die Idee, daß sie, da nur die Begebenheiten des Hinterlands ihr vorstellbar sind, noch eine Spur von Anstand beweisen könnte, wenn sie statt den Zufallsfakten einer zeitlosen Kriminalität lieber den täglichen Hungermorden hingegeben wäre. Des Todeszwangs wie jeder mensch- lichen Regung enthoben, wird ihr frontentfernter Schlaf von keinem letzten Schrei der Märtyrer, von keinem Gedanken an die schuldlosen Opfer der Maschinenwillkür wie der Militärjudikatur gestört; aber ihr furchtbares Überleben bleibt auch unerschüttert von den Kontrasten, die ihnen die Not vor das freche Gesicht stellt. Wo ist, da d i e ihnen nicht an den Leib kann, der Zuchtmeister, der dieses Gesindel zu Paaren triebe? Der kleine Junge mit dem Ruck- sack, den ungarische Grenzpolizisten über Waggon- dächer zu Tode jagen, ist keine Ringstraßensensation, aber wert, daß eine ganze Stadt Trauerfahnen aus- steckt! Er hatte keine Zeit mehr zu spielen und seine Eltern hatten ihn um Kartoffeln geschickt, anstatt ihm in einem vornehmen Stadtgeschäft eine Handgranate zu kaufen. Mit solchem Spielzeug hätte er selber töten gelernt. Aber es müßte schon eine echte Handgranate sein, mit der man emen Korso aufscheuchen könnte, der im Krieg noch einen Mord und vor dem Weltuntergang noch eine Sensation braucht!

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Glossen

Eine bombensichere Gegend

Sieht man, wie die jungen Frauen, die kleinen Bureau- und Ladenmädchen, die älteren HerreninZivil und die jungen »besten« männlichen Jahrgänge in Uniform um die Ecke biegen oder Spalierstehen, so wird man unwillkürlich an die vielfachen Wandlungen erinnert, die auch die Ecke miterlebt hat. Seit Jahr und Tag aber sieht die Ecke wieder so aus wie ehedem, es sind scheinbar dieselben Wiener Mädchen, dieselben graziösen Wiener Frauen, das- selbe Wiener Tempo des behaglichen Schlenderns. Nur das Spalier ist ganz und gar militärisch geworden. Der elegante Herr, schlank wie ein Pfeifenröhrl und tiptop vom Zylinder bis zu den Lack- stiefeln, trägt Uniform und seine Brust schmücken Tapferkeitsauszeich- nungen. Da sieht man achtzehnjährige Leutnants mit allen Medaillen von der »Goldenen« bis zur »Bronzenen< und man darf feststellen, daß unsere Wiener Mädchen schon sehr viel Verständnis für so etwas haben, ganz genau die Bedeutung der Eisernen Krone mit den Schwertern auf dem Rock eines blutjungen Oberleutnants zu bewerten verstehen und dem blonden Fähnrich mit der »großen Silbernen < und dem Eisernen Kreuz die reizendsten Blicke voll Anerkennung zuwerfen.

Die Wirkung des neuen Sterns

auf jenen, der um 6 Uhr Abend zu leuchten beginnt, war erhebend. Wir konnten beobachten, wie jener unsere in Kampf und Hader verstrickte Welt mit der Frage nach ewigen Rätseln überrascht, unsere vielumstrittenen Probleme und Ziele gleichsam in den Schatten rückt und uns zur Besinnung ruft, nach Höherem die Gedanken zu richten und die irdischen Aufgaben i n einer Annäherungan die hohen und fernen Ziele der Wissenschaft zu erblicken. Ja, so ein neuer Stern bringt uns nur in Verlegenheit.

Das merke ich gerade nicht.

. . . Aber heute will ein solcher neuer Stern nicht gedeutet, er will wissenschaftlich erklärt und ergründet sein und mahnt an die Schuld der Wissenschaft, die sie gegenüber dem ganzen großen Firmament, demTräger der letzenRätsel, hat. Darum ist dieser neue Stern, der uns 14 Tage sichtbar bleiben soll, nicht weniger froh zu

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begrüßen. Lenkt er uns doch ein wenig ab von der anhaltenden Kriegsstimmung dieser Tage, richtet er unseren Blick doch aus dem erdenschweren Düster zum Himmel empor, eine Mahnung zu höherem Streben, eine Erinnerung an die Welt des forschenden Geistes.

Als ob nicht eine Luftbombe schon genug dazu beitrüge, von Torpedos und Grünkreuzgranaten gar nicht zu reden. Und als ob nicht der neue Stern uns wieder an unsere irdischen Angelegenheiten mahnte, wenn ein Professor der Urania-Sternwarte seinen »Standort« beschreibt. Nein, kein neuer Stern wird uns von unsererGedankenwelt ablenken. Wenn die Wissenschaft mitden letzten ewigen Rätseln fertig geworden ist, ihre Schuld an das ganze große Firmament abgetragen und uns die Standorte sämtlicher Sterne verraten hat, wir halten durch und immer noch wird es geschehen, daß ein Juwelier einem Kriegsgewinner ein Ding vorweist, das besser als sie alle funkelt, und es mit den Worten empfiehlt: »Herr Generaldirektor, munitiös gearbeitet!«

Deutsche Bombenexplosion

oder

Pariser Nachtleben in deutscher Beleuchtung

Ein deutscher Flieger schildert in der .Kölnischen Zeitung' seine Empfindungen beim Fluge über Paris:

Paris ist das Herz Frankreichs. Wo könnte man welschen Haß besser treffen als in seinen Mauern? Hüte dich Paris!

Zwei Motore dröhnen in Vollgas und ziehen uns hinauf, dem Ziele zu. Hell leuchtet vor uns als Wegweiser das Sternbild des Orion. Immer gerade ausl Da ein schwacher Licht- schein im Dunst: Paris. Ob sie drunten jetzt Alarm blasen? Und ich stelle mir vor, wie sie zu ihren Abwehrgeschützen, zu ihren Flugzeugen rennen, wie im Durcheinander der Verkehr stockt, wie sie aus ihren Nachtcafös, aus ihren Betten in die kalten Keller fahren. - Und jetzt liegt sie unter mir, die Seinestadt. Ein Lichtermeer, ein Häusermeer. Ich sehe alles ganz deutlich: den Mont- martre, die bunten Signallaternen des Nordbahnhofs, die Seine mit ihren Brücken, den Ostbahnhof, den Lichterkranz des Place de

Triomphe. Und die Hand greift an den Abzug.

Ich sehe die Einschläge, wie wenn morsches Holz und Gestein in Feuer auseinanderfliegen. Unsere Arbeit ist getanl

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Heimwärts den Kurs ! Noch einmal blicke ich zurück zwischen

Schrapnellen und Leuchtschirmen. Deutsche Bomben- explosion. Dann geht es geradewegs nach Hause. Wir landen glücklich. Glücklich kehren auch die anderen Kameraden vom Geschwader zurück. Ob Paris uns schon vergessen hat?

Opern- Kino

Untergang von Pompeji

Sensationsdrama in 5 Akten.

Lustspiel.

Kriegsberichte.

Leben und Treiben

Kaiser Wilhelm auf dem Winterberge.

Berlin, 31. Mai (Tel. der .Wiener Mittags- zeitung") Der Bericht- erstatter des .Lokalan- zeiger" meldet vom Schlachtfelde an der Aisne: Genau 24 Stunden, nachdem unsere Truppen die Engländer auf dem Winterberge niederge- kämpft hatten, ist der Kaiser heute in dem unter dem Feuer des Krieges vom Erdboden verschwundenen Craonne erschienen, um von dort aus die so lange um- kämpfte Höhe, welche nun schon tief im neu- gewonnenen Lande liegt, zu besichtigen und von ihrer beherrschenden Stellung aus einen Blick über das Schlachtfeld zu tun. Ist Craonne jetzt eine ausgelöschte Stadt, so ist diese einstige waldige Höhe ein großer aufge- wühlter Kreidetrichter. Unsere Leute waren eben dabei, die Toten zu be- | graben und das über- j reiche verlassene Material i zu sichten. Der Kaiser war

eben in der Betrachtung des überwältigenden Panoramas begriffen, als Hindenburg erschien. Der Kaiser hatte ihm ge- stern von seiner Absicht, denWinterberg zu bestei- gen,gesprochen und sagte, daß er das Glück, von dieser neugewonnenen Höhe das Land zu über- blicken, doppelt stark empfinde, weil er es mit Hindenburg teile, dessen Arbeit so gewaltigen An- teil habe an der Führung der Schlacht.

Gemein^ am mit Hinden- burg besichtigte der Kaiser zwischen Gräbern und Trichtern, zwischen Drahtverhauen und Ein- schlagslöchern die alten Stellungen des Damen- weges. Zwischen unzähli- gen vorwärtsdringenden Kolonnen schritten beide durch und nahmen den Weg zurück nach Cra- onne. In diesem Trichter- lande trafen sie uner- wartet auf denKron- p r i n z e n. Vater und Sohn begrüßten einander aufs herzlichste, vom Jubel der Truppen begleitet.

Waren Sie schon im

Bar! Kaiser Wilhelm-Kaffee - Bar!

Haben Sie schon Macho gehört ? Die ganze Stadt spricht davon! Vornehmste Unterhaltung, vorzügliche Küche vor und nach dem Theater. Entree frei! 1. Bez., Weihburggasse 10, Nähe Stephansplatz, 4. Haus von Zwieback, Kärntnerstraße.

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Die Sache im Westen wird gemacht

Der Riesenerfolg im Westen

Berlins konnte nur erreicht werden, weil die Hausfrauen, die durch die oft höchst minderwertigen und scharfen Waschmittel mit Recht mißtrauisch geworden waren, sich von der hervorragenden Güte unseres Waschmittels selbst überzeugt haben. Mit Freude denken sie jetzt wieder an den Waschtag, da sie selbst im Frieden nicht so saubere Wäsche bekamen, wie nach Gebrauch unseres Sauerstoff-Extraktes Ozon. Keine Verluste mehr durch Auslaufen oder Eintrocknen, wie es bei den Schmierwasch- mitteln vorkommt. Wer einmal das selbsttätige Waschmittel

OZON angewendet hat, benutzt es immer wieder, denn Ozon greift die Wäsche nicht an und ist garantiert chlorfrei und unschädlich. Ozon erspart Wäsche. Ozon erspart Arbeit. Ozon erspart Zeit. Ozon erspart Geld. Ozon wäscht von selbst. Vom Kriegsausschuß genehmigt. Von maßgebenden Stellen glänzend begutachtet

Nachbarin, euer Ozon!

Die Metapher

... Er verteilt ein Reich, das ungebrochen, stärker denn je aus diesem Kriege hervorgegangen ist und das gemeinsam mit dem treuen Bundesgenossen eben dabei ist, das dritte Verräternest auszu- heben. Serbien und Rumänien haben die verdiente Strafe für ihre Treulosigkeit empfangen. Beide existieren nicht oder kaum mehr, und Italien empfängt gerade den Todesstoß mitten ins zuckende Herz.

So weit von den Dingen sind jetzt die Worte, daß dem Buben, der's für die Schmucknotiz brauchte, nicht einmal der Tod des Jagdtiers, von dem's bezogen ist, nahe war. Sonst wäre er erschrocken. Aber daß jener Todesstoß das Sterben von gar vielen jungen Menschen drüben bedeutet und von gar vielen auch hüben, unter denen seinesgleichen nicht war, das ahnte er nicht.

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Sonst wäre er, eh ers aufschrieb, gestorben. Ja, das schreibt sich so hin. Tragisch ist es, daß gerade diese Sprache so zum Rückhalt aller Phantasieleere, so zum Hinterhalt aller Schäbigkeit werden konnte !

Überlebende

Während ein Teil der Menschheit am Piave starb, ist in Wien das Folgende geschehen und berichtet worden:

Vor dem Landesgerichtsrat Dr. Weiß des Bezirksgerichtes Josef- stadt hatte sich gestern der Kaufmann Simon Weißenstein gegen eine Ehrenbeleidigungsklage zu verantworten, die derFirmeninhaber Alexander Joachin eingebracht hatte. Joachin befand sich am 31. März 1918 im Cafe Mariahilf und spielte mit einigen Bekannten Karten. Da trat der Beschuldigte an den Tisch und sagte zu ihm: >Sie Gauner, Sie haben Butter am Kopf. Wenn man mit Hunden schlafen geht, steht man mit Flöhen aufU Da Herr Joachin auf diese Anrede erwidert haben soll: >Sie sind der Hund!«, wurde von Weißen- stein eine Gegenklage eingebracht. Bei der gestrigen Verhandlung gab Weißenstein zu, die inkriminierte Äußerung gebraucht zu haben, er sei aber von Joachin provoziert worden. Als er das Kaffeehaus betrat, habe nämlich Herr Joachin vor ihm ausgespuckt. Er habe darauf nicht reagiert; erst als ihm Joachin den Vorwurf machte, er habe einen falschen Eid abgelegt, sei er in große Erregung geraten und habe sich zu der inkriminierten Äußerung hinreißen lassen. . . . Weißenstein: Herr Richter, ich bin unschuldig! Herr Joachin läßt mich nicht in Ruhe, ich bitte ihm aufzutragen, daß er mich in Zukunft nicht mehr verfolgt. Joachin: Ich habe das nicht getan. Ich bin viel zu intelligent, als daß ich jemanden verfolge. . . Weißenstein: Ich denke mir meinen Teil und bin mit dem einverstanden, was Sie, Herr Landesgerichtsrat, vorgeschlagen haben. Hierauf wurden beide Klagen zurückgezogen und der Richter ver- kündete den Freispruch.

Der Tierschutzverein hat es offenbar bisher nicht verstanden, den Gerichten eine Klagelegitimation für Hunde plausibel zu machen, und immer bleiben diese darauf angewiesen, sich ihren Teil über die Menschen, unter denen sie leben müssen, und insbesondere über die Kultur der Zentralstaaten zu denken. Das Armeeoberkommando sollte aber in der Anerkennung triftiger Gründe für die Ausstellung von Schweizer Pässen weitherziger sein.

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Plato führt

Plato war ein Rennpferd, ßurscherl ein anderes. Mehr wird eine kommende Welt von dieser Epoche nicht zu wissen brauchen, um den Wunsch zu spüren, aus dem gemeinsamen Ewigkeitsverband auszutreten. Aber sie empfange mehr aus dem Sprach- und Vorstellungsschatz eines frontbewahrten Auswurfs, zu dessen Gewinn und Vergnügen anno Piave ein »Derby« abgehalten wurde:

. . . Aber es geschah dabei kein Wunder oder sonst etwas, das zu Bedenken Anlaß geben kann, Reichenau hatte das Rennen vor acht Tagen gebraucht, um in Form zu kommen . .

Von den anderen gefiel Szepike am besten, er sah imponierend aus und erwarb sich bei der Musterung noch viele Anhänger, auch Plato wurde gelobt. . . .

... der Stall selbst war darauf nicht gefaßt und die Erklärung hiefür liegt eben darin, daß Reichenau damals nicht so weit in der Verfassung war wie diesmal. . . .

Der Begleitschmock des Fachmanns, der die »Schönheits- konkurrenz und Toillettenschau« zu schildern hat, spricht von den »ehrfurchtgebietend tadellosen jungen Leuten, die, unbekümmert um die Vorschriften des Volksbekleidungsamtes, noch immer berückend gut gekleidet sind«. Aber sind die denn nicht gefallen? Nicht doch:

Nur der Derbyzylinder scheint im Aussterben begriffen zu sein.

Er habe »diesmal bloß zwei, drei Vertreter entsendet«. Ferner erfahren wir, daß es 1918 »die überzeugtesten und nun schwer enttäuschten Burscherl-Enthusiasten« gegeben hat.

. . . Man sieht nur gespannte Mienen und Blicke, hört abgerissene Rufe : Plato führt! Burscherl bleibt zurück I . . . Plato I . . Reichenau kommt vor! . . Und da ist auch schon alles entschieden und vorüber.

Wäre es! Plato hat doch nicht geführt. Es geschah kein Wunder oder sonst etwas, das zu Bedenken Anlaß geben kann. Aber das Bild eines Platonikers von 1918 sollte man der Nachwelt bewahren.

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Rumaroma

Der fixe Satan, der uns den Tisch des Lebens und Denkens bereitet hat, läßt in dem Wirbel von Salatfix, Dottofix, Teefix, Punschfix uns kaum der grauenhaften Symbolik all der Namen innewerden, die in Schall und Rauch dieser Scheinwelt geboren wurden, und zerrt das müde Ohr in solche Debatte:

Erklärung.

Wir teilen dem p. t. Publikum mit, daß die K r i t i k ü b e r »T e e f i x«, welches von der Firma Leopold Kollmann, Wien, in Handel gebracht wurde, keinen Zusammenhang mit unserem Erzeugnis »Deutschers Teefix«, K u n s t tee-Essenz, hat ....

Wir verwenden für unser Erzeugnis Blätter und Blüten, welche vom hohen k. k. Kriegsministerium in Erman- gelung von Teewärmstens zur Tee-Erzeugung empfohlen und auch gesammelt wurden. Unsere Ware ist gut und schmackhaft, so daß sie wirklich als Tee mit Rumaroma zu gebrauchen ist.

Nachdem der Name »Teefix« unserer gesetzlich geschützten Marke »Deutschers Teefix« ähnlich klingt, werden wir dies- bezüglich bei den Behörden anfragen und eventueller Benach- teiligung unseres Markenschutzes, die sich da ergeben, Schritte unternehmen.

Wir ersuchen das p. t. Publikum auf unsere gesetzlich geschützte Marke »Deutschers Teefix« zu achten und selbe überall verlangen und wird das p. t. Publikum ganz bestimmt reell bedient werden.

M. Deutscher & Co., M i s t e k.

Wenn man mich rechtzeitig, vor 1874, darauf aufmerksam gemacht hätte, daß ich in die Zeit, in der diese Auseinander- setzung spielt, geraten würde, ich hätte abgesagt. Dies alles ist deutscher als Teefix und es ist wahrhaftig die Sprache, die unser Karma spricht. Es ist Kunstkritik und Schlachtbericht zugleich. Es sind die Herren des Lebens und jeder Widerstand vergeblich. Es sind die Sieger von Rumaroma, und dies ist glorreicher als Rawaruska, das für mich schon in der unbeschreiblichen Lippenstellung deutsch- österreichischer Erzähler einen tödlichen Klang hat. Aber in der Erkenntnis, daß das Deutsche immer noch einer Steigerung fähig und das Jüdische doch noch deutscher ist, entsteht mir wie in einer

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Gaswolke homunkulushaft der fixe Vertreter dieser Zeit, der Blätter und Blüten vom hohen Kriegsministerium empfohlen wurden, der der Messias ein Gummiersatz ist und Kruzifix ein Gott aus Granaten.

Das deutsche Wunder, der Neid der Welt

Ernst ist das deutsche Volk. Was es zu vollbringen hat, ist stets durchdacht und planmäßig. In der Fähigkeit, schöpfe- risch zu gestalten, dem Mangel die Erfindung entgegenzustellen, die Kräfte zusammenzufassen und sie den Notwendigkeiten des Krieges unterzuordnen, ist Deutschland so groß, daß selbst die Feinde zur Nachahmung gezwungen sind. . . . Die Verbündeten sehen mit Bewunderung, was eine einzige Nation, umstellt von Gegnerschaften auf der ganzen Erde, zu leisten vermag. . . .

Zum Beispiel :

Von einem neuen Wunder der Chemie, der aus Norddeutschland eingeführten, angeblich nahezu fünfzigprozentigen eiweißhaltigen soge- nannten Mineralnährhefe, lesen wir in der .Münchener Post' : Die Mineralnährhefe sei ursprünglich nur in den Volksküchen verwendet und an die Verbraucher erst dann verteilt worden, als die Hausfrauenvereinigung und die Hauswirtschaftliche Beratungsstelle erklärt hatten, daß die Mineralnährhefe in Bezug auf den Nährwert der Brauereinährhefe gleichkomme . . . Wir bestreiten nun nicht etwa, daß zur Herstellung der Mineral- nährhefe auch einwandfreie Rohstoffe verwendet werden. Doch halten wir an der Behauptung fest, daß der Eiweißgehalt der Mineralnährhefe, der ihren Nährwert auf den dabei doch alles ankommt bestimmt, vorzugsweise durch die Verwendung von Harnstoff gewonnen wird. Wer daran vielleicht noch zweifeln sollte, den verweisen wir auf einen in der .Chemikerzeitung' veröffentlichten Bericht über die 66. Generalversammlung des Vereins der Spiritus- fabrikanten Deutschlands in Berlin am 22. Februar d. J. Bei dieser Gelegenheit feierte der Geheime Regierungsrat Professor Dr. M. Delbrück (Berlin) in einem Rückblick auf die Arbeiten des vergangenen Jahres als glänzenden Triumph des reinen Geistes über die rohe Materie die neueste Errungenschaft ernster Forschung mit folgenden, von höchstem Gelehrtenstolz zeugenden Worten: »Eine schon 1915 begonnene Arbeitseinrichtung wurde aufs neue mit großem Erfolg aufgenommen: das ist

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die Ersetzung des schwefelsauren Ammoniaks bei der Erzeugung der Hefe durch Harnstoff Ist aber der Harnstoff so zu verwenden, so liegt auch dieMöglichkeit vor, in derselben Richtung den Harn und die Jauche 'heranzuziehen.« Die Wissenschaft triumphiert. Das Werk ist gelungen. Die Chemie hat das Wunder bewirkt. Aus Harnstoff wird Nährhefe erzeugt, deren Eiweißgehalt hohen Nährwert besitzt ! Was sich eindeutsches Forscherhirn in strenger Arbeit mühsam abgerungen hat, das verstehen findigeKapitalisten in reichen Gewinn auszumünzen. Und darum kostet das Kilogramm Mineralnährhefe, gleich 3.60 Mark! Schade nur, daß das Zeug trotz des verschwenderischen Beisatzes unheimlicher Mengen des heute ach so raren Zuckers immer noch so grauenhaft schmeckt und gar so abscheulich stinkt. Der unangenehme Geruch der Mineralnähr- hefe, den selbst die bayrische Lebensmittelstelle wiederholt beanstandet hat. wird ? gläubigen Käufern damit zu erklären versucht, daß man einfach behauptet, die Mineralnährhefe sei aus Fischmehl hergestellt. Ebenso wie man dem Heringsgeruch eine so harmlose Deutung zu geben wagt, wird natürlich auch der ekle Petroleum- gesch mack leicht auf Fischtran zurückzuführen sein. Daß dies eine grobe Täuschung des Publikums ist, scheint ja heute keine Rolle mehr zu spielen. Der üble Geruch und der widerliche Geschmack sollen sich beim Kochen vollständig verlieren. Das glauben nicht einmal die Volksküchengäste, die zuerst den Vorzug genossen, mit diesem »einwandfreien« Ersatznährmittel beglückt zu werden. Wenn man sich aber gar zu der kühnen Behauptung versteigen will, daß die Mineralnährhefe den Speisen einen »feinen Wohlgeschmack« gebe, so grenzt das schon an Wahnwitz. Warum hat man denn die* Frage der Gesundheitszuträglichkeit nicht geprüft ? Nach Sachver- ständigengutachten, die allerdings aus besseren Zeiten stammen, kann ein Nahrungs- oder Genußmittel, das an sich nicht gesundheitsnachteilig ist, gesundheitsstörend, ja sogar gesundheitsschädlich wirken, wenn die Art der Herstellung oder die Zusammensetzung der verwendeten Materialien geeignet ist, Ekel zu erregen. Darum verschone man uns in Bayern wenigstens mit einem so zweifelhaften Ersatznährmittel.

Was man sich in Deutschland gefallen läßt

[Theater in Frankfurt a. M.] Rudolf Lothars »Metternich- p a s t e t e«, die das Schauspielhaus als leichtbekömmliches, schmackhaftes Weihnachts g e b ä c k auf eleganter Schüssel anrichtete, ist als Hohelied der kulinarischen Genüsse,

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der Galgenhumor rationierter Enthaltsamkeit. Ein Phantasiekitzel des lüsternen Gaumens, der aufreizend wirken könnte, wäre er nicht durch Witz und Laune des appetitlichen Einfalls behaglich abgelenkt. In der bunten Gesellschaft um des beruh mten Wiener Gastwirts Wiesinger Feinschmeckertafel schnuppern wohlkonterfeite Typen die erlesenen Küchen- düfte, und die Geschichte von dem Proletarier mit dem Aristokraten- dünkel, der sich noch rechtzeitig zu seinen Kochtöpfen und ins solide Ehejoch zurückzieht, wird zu harmlos heiterem Spiel, das bei der hiesigen reichsdeutschen Erstaufführung lebhaften Anklang fand. Der anwesende Autor verzeichnete eine stattliche Anzahl von Hervorrufen.

Im Frieden hätten sie vielleicht gekotzt. Jetzt regen sie sich nur auf und verhelfen dem lieben Schneck dankbar zu etwas Kriegsgewinn. Diesen Märtyrern ist wirklich nicht zu helfen.

Der Maßstab

Wolff Sollten aber die Dampfer, wie anzunehmen ist, nicht nur Munition, sondern auch Geschütze oder Lebensmittel an Bord geführt haben, so wäre der Schaden für die Feinde nicht geringer. Mit einer solchen Ladung Brotgetreide reicht zum Beispiel ein feind- liches Heer von einer Million Mann Stärke nach deutschen Sätzen gut ein Vierteljahr lang aus.

Wolff

. . . Die Stimmung der am Angriff beteiligten Truppen ist glänzend. Obwohl sie drei Tage ohneSchlaf sind, läßt die Siegesfreude sie alle Strapazen vergessen. Das ist glaubhaft. Noch glaubhafter ist dieses: Die Verpflegung aus der englischen Beute ist vortrefflich. Überall finden die deutschen Sturmtruppen Tabak, Zigaretten, Konserven und noch andere willkommene Dinge.

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Klarstellung

. . . Keinesfalls aber sind Mehl- oder Getreidesendungen galizischer Provenienz in die Ukraine abgegangen.

Nämlich für die Armee. Es mußte festgestellt werden, weil offenbar Gerüchte umgingen, daß das Getreide aus der Ukraine, das nicht wir, aber die Deutschen bekommen, aus Öster- reich in die Ukraine und von da nach Deutschland gehe, damit die Deutschen Getreide aus der Ukraine bekommen.

Immer noch mehr Gäste

Rowno wurde vom Feinde gesäubert An Gefangenen ein kommandierender General, mehrere Divisionskom- mandanten, 425 Offiziere und 8700 Mann

Das ist gscheit, sollen sich die armen Teufel auch einmal satt essen.

Die offen geäußerte Freude über das Gefangensein

schafft für den Mangel an Widerstandskraft günstige

seelische Voraussetzungen

W o 1 f f Die Gefangenen bestätigen in allem die Annahmen

der deutschen Führung. Der Gegner war diesmal auf den Stoß vorbereitet. . . . Das deutsche Artilleriefeuer scheint einen großen Teii des Gegners völlig entnervt zu haben. Die mit Nachdruck zur Schau getragene Kriegsmüdigkeit unddie offen geäußerte Freude über das Gefangensein mag für diesen Mangel an Wider- standskraft günstige seelische Voraussetzungen geschaffen haben.

Wir haben in diesem Kriege auch in dem Punkt umgelernt,

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daß wir bisher eher der Meinung waren, daß der Mangel an Widerstandskraft günstige seelische Voraussetzungen für die Gefangennahme und für die darüber offen geäußerte Freude schafft.

Exegese

In zwei Schulter an Schulter abgedruckten Berichten fiel mir die Verschiedenheit auf: »unter Mitwirkung der unver- gleichlichen Stoßkraft deutscher Truppen« und »und die mit unüberwindlicher Stoßkraft vorgehenden deutschen Streitkräfte«. Ferner: sollte man im vierten Jahr der Erkenntnis nicht auf die stets gleichlautende Wendung verzichten wollen: »In frischem Draufgehen erzwangen sich . . .«?

Vor dem Anfangsstadium

Lebhafte Genugtuung in Berlin

Berlin, 17. Juni. Die Nachrichten von dem erfolgreichen Vor- stoß der Österreicher gegen Italien haben hier lebhafte Genugtuung ausgelöst. . . . Die gesamte Presse enthält sich vorläufig aller kritischen Betrachtungen, da das Unternehmen in seinem Anfangs- stadium ist.

Als ich Anfangs Mai in Berlin war, konnte ich bereits lebhafte Ungeduld beobachten. In der Friedrichstraße schritt manch ein Berliner Schieber mit einem Wiener Schieber Schulter an Schulter. Aber manchmal stieß einer und man hörte die unwirsche Frage: »Wann geht Ihr denn los?« Antwort: »Weiß ich?« Oder zwei, die einander verstanden, begrüßten einander mit schlichtem Treugruß: «Nanu?« »Nuna!«

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Waffenbrüder

Gelegentlich des Unfugs, der > Waffenbrüderliche Ärzte- tagung« hieß, hatte man überhaupt nicht mehr das Gelühl, daß wie sonst Streber von Fleisch und Blut zusammen- kommen, um sich gegenseitig etwas vorzumachen, was in die Zeitung kommen soll, sondern es schien eine Monstreversamm- lung der selbstredenden Phrasen zu sein. Die Entmenschung, die in der Idee steckt, Ärzte als »Waffenbrüder« figurieren zu lassen, und dies nicht etwa im ehrlichen Sinne von Menschen- materiallieferanten und A-Befundleistern, sondern im Zeichen der über Wurfminen waltenden Humanität das allein hätte schon ausgereicht, um einen Dickhäuter nervenkrank zu machen. Nun aber denke man sich das noch mit der ganzen ausgewaschenen Terminologie der Bündnistreue ausgerüstet, die ebenso von den andern Waffenbrüderinnungen getragen werden könnte, so ergibt sich eine Zusammenstellung von Panzer und Vollbart, wie sie ehedem nur bei jenen Gelegenheiten zu beobachten war, wo erwachsene Leute einander plötzlich und grundlos mit »Lu-lu!« anredeten und eine Gestalt, die aus einem Spitzbauch, einer Glatze und einer Brille bestand, »Herrlichkeit« tituliert ward, jene Leute, die sich im Frieden Schlaraffen nannten ein Ehrennamen, dem die geänderten Daseinsbedin- gungen vollends die Geltung entziehen mußten , sind heute froh, mit heiler Haut in der Waffenbrüderlichkeit ein Unterkommen gefunden zu haben. Gewohnt, in Not und Tod ihren Obmann zu stellen, haben sie im Treubund den passenden Ersatz für die verlorene Vereinsmeierei erkannt und können ein Leben, das in »Fühlungnahme« besteht, mit Erfolg fortsetzen. Während die draußen in den Schützengräben auf die Hinrichtung warten, findet man sich in der Sorge um den Fremdenverkehr und in sonstigen humanitären Verrichtungen zusammen und ist entschlossen, »die einheitliche Front unserer Kulturarbeit« herzustellen, was nur Reklame und gar keine Gefahr bringt, da erfahrungsgemäß außer mir kein Feind auf diese Front schießt. Während sich draußen die Dinge begeben, die es leider gibt, werden drinnen die Ornamente des blutigen Seins entrollt und jene Fahnen

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hochgehalten, die draußen längst durch wirksame Chemikalien ersetzt sind, und wirklich und wahrhaftig ruft der präsidierende Fürstenberg die Worte aus: »Schwere Wunden hat der Krieg geschlagen, sie zu heilen ist unsere erste und vornehmste Pflicht.« Aber da es doch tatsächlich Ärzte sind, die an dieser Pflicht des Fürstenberg teilhaben sollen, so stellt er ihnen das Zeugnis aus, die ärztliche Wissenschaft sei, »nach allen Seiten abgeschlossen durch einen Wall von Schützengräben, aus- schließlich auf sich selbst angewiesen, und was sie geschaffen hat, das schuf sie aus ureigener Kraft«. Also ohne Fühlung- nahme mit den französischen Ärzten, die allerdings das gleiche Schicksal und das gleiche Verdienst haben. »Keine Anregung drang aus dem Feindesland zu ihr«, setzt Fürstenberg erläuternd hinzu. Ein Ministerialdirektor aus Berlin ich höre ihn ist eher geneigt, diese Hindernisse der Vorsehung hoch anzurechnen, da ja sie eben den Treubund geschaffen haben, »der nicht mit dem Kriege endigen«, durch den aber leider auch der Krieg nicht endigen wird. »Im Sturm des Krieges«, ruft er, »verspüren wir vielmehr den Hauch des göttlichen Geistes, der uns gebietet, fortan gemeinsame Wege zu wandeln. Zusammen zu sterben haben wir gelernt; wir müssen, wir werden noch lernen, zusammen zu leben.« Und nun, vor dieser Aussicht, ist die ganze Gesellschaft von Ärzten, Würdenträgern und sonstigen Verehrern des Zeitalters vom Begriff der Bündnistreue derart fasziniert, daß ein förmliches Coriandoliwerfen mit den einschlägigen Bezeichnungen anhebt. Der Generalstabsarzt Hofrat Professor Dr. v. Hochenegg war, als sich mir dabei der Magen umdrehte, verhindert, mir die erste ärztliche Hilfe zu leisten, denn er war gerade mit einer loyalen Behandlung des Protektorats beschäftigt und mit der Begrüßung sowohl der »in waffenbrüderlicher Gemeinschaft verbündeten Ärzte« wie der »angesehenen behördlichen Vertreter der in Bündnistreue uns verbündeten Staaten«, worauf der Herr Kollege und Vorstand der ärztlichen Abteilung der Ungarischen Waffenbrüderlichen Vereinigung »in schwungvollen Worten die Leistungen der Krieger feierte«, nicht ohne auch über die Friedens- aufgaben der Waffenbrüderlichen Vereinigung zu sprechen sowie vom festen Band des Dualismus, von welchem Band er wörtlich

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sagte, daß es > heute ebenso wie vor einem halben Jahrhundert durch die wohltätige, zartfühlende Kaiserin und Königin, die mit dem Strahlenglanz ihrer Jugend, ihrer Schönheit und Herzens- güte die Härten des Krieges mildert, noch enger geknüpft wird«. Nachdem sich dies begeben hatte und die Menschenfreunde waffenbrüderlich auseinandergegangen waren, erfolgte, was vor- auszusehen und nicht länger mehr zurückzuhalten war, der hinter dem Hochenegg schon lauernde Suckfüll trat auf die Szene und »im Anschluß an die Tagung der ärztlichen Abteilungen der waffenbrüderlichen Veieinigungen fand ein Gedankenaustausch statt«, nämlich unter Vertretern der »Fach- gruppen für Fremdenverkehr der waffenbrtiderlichen Vereinigung«. Wir waren bis auf den Kern der Waffenbrüderlichkeit vorge- drungen, bis zu der nie zu begrabenden Hoffnung, daß, was immer auch noch kommen mag, den Wirts- und Wurzbestrebungen zugute kommen werde. In Not und Tod ist das bekannte Frosch- schenkelexperiment ausführbar: man reiße diesem Kadaver der Gemütlichkeit die letzte Haxen aus, sage vor derselben ganz leise, ganz gemütlich das Wort »Fremdenverkehr!«, und man wird sehen, wie sie zu tanzen beginnt. Österreich lebt, und aus diesem Bedürfnis nach Fühlungnahme entstand der Geselligkeits- klub »D' Waffenbrüder«.

Aus eiserner Zeit

Im Festsaale des Korpskommandogebäudes dekorierte Sonntag Stadtkommandant GM. v. Mossigg eine Anzahl Offiziere der Kriegervereine mit den Auszeichnungen, die ihnen der Kaiser in Anerkennung ihrer seit Kriegsbeginn mit aufopfernder Pflichttreue geleisteten Dienste verliehen, darunter den Kompagniekom- mandanten des Marinekriegervereines »Tegetthoff« Ludwig Riedl (Kriegsdekoration zum Ritterkreuz des Franz Josefs-Ordens).

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Neoromantik

Blut und Eisen schufen* unlösliche Bande zwischen Euch und Euren aktiven Kameraden, in Not und Tod erprobte Schicksals- gemeinschaft hat uns für immer geeint.

Die Vorbereitungen zur Schaffung solcher Vereine oder zur

Ausgestaltung schon bestehender wären unter Beobachtung der unter einem ausgegebenen Leitlinien für die Gründung von Vereinen und Vereinigungen nichtaktiver Offiziere und Gleichgestellter unverzüglich in Angriff zu nehmen.

Freiherr v. Stöger-Steiner m. p. Generaloberst.

Heldensage

dem Generalmajor Ernst D i e t e r i c h (Prädikat »N o r d g o t h e n«)

Das ist einmal eine Nuance in der Liste der Nowotny von Eichensieg, Schlepitschka von Schlachtenwert und Husserl von Feldsturm. Nur wird es sich späterhin doch zeigen müssen, ob auch die neuen technischen Mittel der Glorie die Eignung haben, Embleme und Prädikate abzugeben, etwa: Viktor Nowak (Prädikat »Minenfeld«) oder Franz Kratochwil (Ehrenwort »Edler«, Prädikat »Grünkreuz«) oder Vinzenz Dudek von Drahtverhau. Warum nicht? Nach hundert Jahren wär's romantisch.

Edda

»Sie haben recht«, sagte Kaiser Wilhelm IL im Hauptquartier zum Dichter Max Bewer vom Lokalanzeiger,

»Hindenburg ist unser Wotan und I. u d t n d o r f f der Siegfried unserer Zeit«

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Aus der Ordination

[Kaiser Wilhelm und die > Enthüllungen < des amerikanischen Zahnarztes Dr. Davis.] Die .Times' fahren mit der Publikation der Erinnerungen des amerikanischen Zahnarztes Dr. Davis fort, der seine eigenartige Auffassung vom ärztlichen Berufs- geheimnis in diesen Memoiren in der merkwürdigsten Weise betätigt.

Da der Zahnarzt die politischen Äußerungen, die in der Ordination gefallen sind, und nicht das Leiden des Patienten verrät, so ist der Vorwurf der Verletzung des ärztlichen Berufs- geheimnisses eine Dummheit. Der Esel scheint zu glauben, daß der Dr. Davis nicht Zahnarzt, sondern etwa Nervenarzt ist.

Einzel Unternehmungen

Ein Soldat, der offenbar nicht im Vollbesitze seiner Vernunft war, erregte vorgestern auf dem Franzensrirg beträchtliches Aufsehen. Er erkletterte, nachdem er sich teilweise entkleidet hatte, das Liebenberg-Denkmal und stach mit dem Rufe: >Du Hundl Du Italiener!« mit dem Messer gegen das Porträtmedaillon Lieben- bergs und gegen die Figur des Löwen ....

Die Pallas Athene, im Verdacht eine Griechin zu sein, steht demnach als verfolgte Unschuld nicht mehr allein auf der Welt und der Tegetthoff sowie die Maria Theresia sollen in- zwischen nachgefolgt sein. Wenn die irrsinnigen Soldaten Raison annehmen und sich, eines Führers durch die Sehenswürdigkeiten Wiens bedienen wollten, könnte die Aktion planvoll zu Ende geführt werden. Was ist denn mit den Flußgöttern an der Albrechtsrampe? Mit dem Canon vor dem Stadtpark? Na, und der Radetzky vor dem Kriegsministerium, ist der vielleicht kein Feind? In Deutschland wird die Sache organisiert, die Denkmäler werden einfach eingezogen, das heißt, wenn sie aus Bronze sind. Die Wiener Methode hat den Vorteil, daß das Material keine Rolle spielt. Aber solange Jas Unternehmen nicht vom Kriegsministerium

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in die Hand genommen wird, sondern der Initiative einzelner herumziehender Soldaten, vermutlich >Heimkehrer« oder am Ende gar »Tachinierer€, überlassen bleibt, besteht die Gefahr, daß solche Vorstöße ohne Entwicklung bleiben und daß wir das einzige anständige Ergebnis des Weltkriegs, die Befreiung Wiens von seinen Denkmälern, nicht erleben werden.

Alles für die Kunst

Zum Schutze der Kunstdenkmäler in den besetzten italienischen Gebieten haben die beiderseitigen Heeresleitungen die weitestgehenden Maßnahmen getroffen. eine eigene Kunstkommission

Besondere Referenten bereisen das besetzte Gebiet die w i r k 1 i c h

wertvollen Denkmäler im allgemeinen nirgends n e n'n e n s w e r t e n

Schaden gelitten Namentlich sind die Kirchen fast überall

unversehrt. Einige wenige Ausnahmen sind durch Zufalls- treffer der Artillerie oder der Flieger verursacht worden. Bedeutend ist der Schaden nicht. Wertvolle Bilder aus Kirchen, Museen und aus Privatbesitz waren schon seit langer Zelt von den Italienern selbst entfernt worden; angeblich sind sie geborgen oder meist nach Florenz zur Restaurierung gebracht worden Das Stadtbild als Ganzes ist meist unversehrt geblieben. Die zahl- reichen Paläste des friaulischen Adels in Udine und die vielen Landschlösser sind äußerlich unberührt.

Alles gerettet. Aber Zerstörungen im Feindesland geschehen doch nie mit Absicht? Und Treffer sind doch immer Zufalls- treffer? Wer kann denn für die Richtung einer Bombe garantieren?

Der Feuilletonist am Piave

Er ist als Mitglied der Kunstkommission oder als deren begleitender Schilderer in Venetien einmarschiert und beschreibt es in Zürich. Einleitung:

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Als Wanderer war man in einer Zeit, die eben noch nicht die große Zeit war, aber eine glücklichere, so oft im Lande der Sonne gewesen: nicht als Reisender. Und hatte mit den Leuten drunten gelebt wie einer von ihnen.

Es ist nicht mehr wie damals. Krieg. Verwüstung. Durch wen ?

Den mancherlei Privatpalästen des Friauler Adels ist es beim Rückzug der Italiener und in der herrenlosen Über- gangszeit nicht eben so gut ergangen. Es scheint manche gegeben zu haben, die ein Stückchen Weltuntergang nahe sahen und rasch noch vorher die Freuden der Welt, von denen sie bisher ausgeschlossen waren, verkosten wollten. Die ersten Ein- quartierten werden wohl auch nicht in der Verfassung gewesen sein, weiter das asketische Leben vom Karst inmitten des natürlichsten Überflusses zu führen. Es ist nur zu begreiflich.

Aber seither waltet volle Strenge. Den operierenden

Truppen sind die Kunstwerke in ihrem Bereich genau bezeichnet. Alle Sorgfalt konnte aber natürlich nur dem Gut gelten, das man noch vorfand.

Zwar :

Den Italienern kann man das Zeugnis nicht versagen, daß sie im besetzten und nun wieder befreiten österreichischen Gebiet Kunst- werke geschont haben.

Jedoch :

Der Übergang von der italienischen zur österreichischen Besetzung vollzog sich hier ganz jäh. Herrensitze dieses schönen Gebietes wie z. B. Fiumicello bei Aquileja, sahen im Innern schlimm genug aus, und der Rückzug hat dort schlimmer gewütet als in den Palästen von Udine.

Nun aber ist hüben und drüben die neutralen Leser können eine Freude haben alles in schönster Ordnung.

Und damit schwindet das Grauen der unbewohnten Wohnungen, und eine Gefahr für die Häuser und Bilder und für das Bild des Landes selbst kann nur noch von drüben, von der anderen Seite, kommen. Wer mit den Friulanern gut sprechen kann, dem sagen sie, daß sie es sich weit schlimmer gedacht hätten. Und wer für Pordenone, Conegliano, Belluno und Feltre bangt, möge erfahren, daß nur noch die eigenen Landsleute diesen schönen Städtchen schaden können.

Das Land wäre also zufrieden, wie in jener Zeit vor dem Kriege, in jener glücklicheren Zeit?

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Schluß:

Was diesem Lande fehlt, das fehlt der ganzen Erde: der Friede. Und von der Barbarei des Krieges hat es sicherlich weniger gesehen als von der Barbarei der Vorkriegs- zeit, unter der wir alle gelitten haben.

Der Arme! Was muß der gelitten haben, ehe er ins Kriegsarchiv kam! Er hat den Krieg, beziehungsweise dessen Archiv, gar nicht erwarten können. Die Zeit vor dem Krieg, die sich anfänglich als eine glückliche Zeit anließ, stellt sich zum Schluß als eine barbarische heraus, unter der auch die Leute am Piave und speziell die Friulaner furchtbar gelitten haben. Auch sie haben es nicht erwarten können. Alles sehnte sich. Und als er dann endlich kam, der Krieg, da waren sie alle froh, daß es nun mit der Barbarei ein Ende hatte. Denn von der Barbarei des Krieges, von der Gerüchte umgingen, haben sie, die Friulaner, so wenig zu sehen bekommen, daß sie oft glaubten, der Piave fließe am Kriegsarchiv vorbei.

Von der Front

Komponist Oberleutnant Hans Zieger vom Festungs- artillerieregiment Nr. 7, der seit Kriegsbeginn an der Front steht und mit dem Militärverdienstkreuz, beiden Signum laudis und dem Karl-Truppen- kreuz dekoriert ist, hat sein Schaffen auch im Felde fortgesetzt. Er hat die Operette „Eine Brautnacht" aus der Feder des Wiener Schriftstellers Moritz Band komponiert.

Neues Verdienst

(Verleihungen.) Der Kaiser hat verliehen: das Ritterkreuz des

Franz Josef-Ordens mit der Kriegsdekoration: inAnerkennung

hervorragender künstlerischer Leistungen vor dem Feinde dem akademischen Maler Leo Schneider

Vor dem Sturm

[Ein <J u g e n -T i t e 1 b 1 a tt von der Hand des deutschenKronprinzen.) Die Münchner »Jugend« wird Anfang Mai eine Zeichnung des deutschen Kronprinzen veröffentlichen, die

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dieser selbst der Schriftleitung mit dem Wunsche übersenden ließ, sie als TitelblaU zu veröffentlichen. Das farbige Blatt stellt einen Soldaten der Sturmtruppe dar, in der rechten Hand das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett. Die Arbeit entstand an der Front mitten in den Vorbereitungen zur großen Offensive.

Während der Offensive

[Erich Jan Hanussens telepathische Seance] im großen Konzert- haussaale fand vor vollem Hause mit ebenso großem Erfolge statt wie das erstemal. In der Hofloge fanden sich abermals Erzherzog Leopold Salvator, Erzherzogin Blanka mit ihren Töchtern ein. Das Publikum wählte diesmal zu seinen Vertrauens- männern den anwesenden F e 1 d m a r s c h a 1 1 C o n r a d v. Hötzendorf und Herrn Dr. Siegfried Türkei, Vorstand der Physiologischen Gesellschaft, welch letzterer auch die äußerst, gelungenen Experimente leitete. Die Überwachungskommission von Medizinern und mehreren Offizieren, vom Publikum ebenfalls gewählt, führte stets den Telepathen außerhalb des Saales, während im Saale die auszuführenden Experimente bestimmt wurden. Verblüffend wirkte wieder das Auffinden von gedachten Personen, die Handlungen auszuführen hatten, ebenso als der Telepath eine Stecknadel fand, die vorher in der Quaste des aus der H o f 1 o g e herabhängenden Teppichs versteckt worden war ....

Ob auch die tschechischen Verräter gesucht wurden, sagt der Bericht nicht. In der ersten Veranstaltung war Herr Reimers Vertrauensmann, und ein Bekannter erzählte mir, daß ihm toten- übel wurde, als ein Breitmaul von einem Generaldirektor, Verwaltungsrat oder so was aus diesem Anlaß »Bravo Reimers« rief. Daß beim Auftreten des Vertrauensmannes Österreichs in diesem Milieu nicht Hoch gerufen oder der Radetzky-Marsch intoniert wurde, beweist wohl, daß das Konzertpublikum bereits kriegsmüde ist.

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An der Plavefront

(Ein Renkonter an der Piavefront.) Eine am 23. Juni d. J. in Manzano am P i a v e gefallene Beleidigung bildete heute beim Strafbezirksgerichte Josefstadt den Gegenstand einer Ehren- beleidigungsklage, welche der Varietödirektor Karl Edler gegen den Kapellmeister Edmund Kellner angestrengt hatte. Wie in der durch Dr. Sp. vertretenen Klage ausgeführt wurde, hatte der Kläger im Juni dieses Jahres mit einem Artistenensemble mehrere Vorstellungen an der Piavefront gegeben. Am 23. Juni befand sich der Kläger mit mehreren Mitgliedern seines Ensembles in der Offiziersmesse in Manzano. Während des Mittagessens sprach man über die Vorstellungen des Frontvariet£s. Einer der Herren lobte es, daß die Vorstellungen einen glatten Verlauf nehmen und daß insbesondere die anderwärts oft vorkommenden langen Pausen bei diesen Vorstellungen nicht eintreten. Der Kapellmeister Kellner machte nun die Bemerkung, daß es dennoch bei Vorstellungen des Herrn Edler nicht gar so glatt abgehe. Als der Direktor über diese in Gegenwart vieler Offiziere gemachte Bemerkung sich aufhielt, sagte ihm Kellner: »Was weißt du, du schläfst ja während der Vorstellung.« Im weiteren Verlaufe des Wortwechsels soll der Kapellmeister dem Direktor mit Ohrfeigen gedroht und ihm zugerufen haben: »Du bist ja ein Niemand Diese Äußerungen bildeten den Gegenstand der eingangs erwähnten Klage. . . . Nachdem zwei Zeugen, die bei dem erwähnten Wortwechsel an der Piavefront anwesend waren, die Angabe des Klägers bestätigt hatten, verurteilte der Richter den Angeklagten wegen Ehrenbeleidigung zu einer Geldstrafe von 100 Kronen.

Viel glatter soll es ebendaselbst beim Gastspiel des Hofopemballets abgegangen sein.

Sturmtrupps

. . . Dreißig neue Wiener Operetten! Die Wiener Operette bereitet für die kommende Saison eine heftige Offensive vor. Ein Operettenstatistiker teilt mit, daß für die neue Spielzeit nicht weniger als dreißig neue Operetten drohen. Wie in den letzten Jahren werden Fall und Lehär, Kaiman und Strauß, Nedbal und Eysler als Sturm- truppen vorgeschickt. . . . Die Phalanx der bewährten Operetten komponisten und Buchmacher ist eben nicht zu brechen!

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In der Kampfzone

Andere Kommandos suchte im Auftrage des Kaisers Feldmarschall Erzherzog Friedrich auf, der bis in dieKampf- zone vordrang, um möglichst vielen Truppen, die der Monarch nicht sehen konnte, den kaiserlichen Gruß zu überbringen und sich von ihrer Schlagfertigkeit und ihrem durchwegs vorzüglichen Geiste Überzeugung zu verschaffen.

Es war ein Film

E i n 1 a c

u n g

zur

P r e i s v e r Heute Donnerstag den 23. wird auf der Terrasse des

eilung

Mai, mittags lh 1 Uhr Kursalons im Stadtpark

Herr Hubert Marischka vom Theater an der Wien

jener Dame, welche das VIII. Kriegsani

größte Opfer für die eihe bringt,

einen Kuß ve

r a b r e i c h e n.

Das Komitee.

An der Spitze der Kriegszeitungen stand es, den Offen- siven voran, im vierten Jahr, eine Fata morgana auf dem Wüstenweg. Es war ein Film. . .

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Gerichtssaalbericht

- Mitte November redete sich Direktor Wallner aus, er könne jetzt nicht zehn Proben abhalten, er müsse das Stück des Ministerpräsidenten aufführen, beschwor ihn, von dem Termin abzustehen und versprach ihm unter Ehrenwort

Unsere Zeitungen sollte man wirklich nicht ins Ausland lassen.

Lauter Rücktrittsgründe

Im Gespräche mit einem unserer Mitarbeiter äußerte

sich Hofrat v. Millenkovich diesbezüglich in folgender Weise: Mir

ist jedenfalls nichts davon bekannt, daß mein Rücktritt unmittelbar bevorsteht Zunächst wird »Hamlet« in Szene gehen mit Harry Waiden und in völlig neuer Ausstattung. Die Uraufführung

der ersten Neuheit, Hans Müllers Schauspie! > Der Schöpfer«, wird den Abschluß dieser Festwoche bilden. Sie sehen, ich habe reichliche Arbeit vor mir und wirklich keine Zeit und Muße, mich bei den Gerüchten von meinem Kücktritt aufzuhalten.

Der kommende Mann

-- . Von dorther kommt die Meldung, daß . . die höchsten in Betracht kommenden Amtsstellen bezüglich der Nachfolgerwahl schon einen Entschluß gefaßt haben, der dahin geht, die Direktion einer der bekanntesten literarischen Persönlich- keiten Österreichs unserer Zeit anzutragen.

Ob es nicht zugleich einer der hervorragendsten Katholiken Salzburgs der letzten Saison ist?

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Der Poldi

^Anfang August

Der neuernannte Generalintendant der beidejf Wiener Hoftheater Freih. v. Andrian-Werburg äußert sich in einem Gespräche mit einem Mitarbeiter des ,N. W. Tagbl.': Das neue Amt, zu dem ich berufen bin, tritt an mich mit Anforderungen heran, an die ich mich erst gewöhnen muß . . . . Ich werde vorerst nach Deutschland reisen und mich dort mit verschiedenen Intendanten in Verbindung setzen. In einer Richtung jedoch bin ich schon heute in der Lage, ein Programm mitzuteilen. Die beiden Hoftheater müssen in jeder Weise beispielgebend für alle Bühnen, insbesondere für die Bühnen Österreichs werden .... Es soll nicht mehr gesagt werden dürfen, daß der Österreicher ins Ausland gehen müsse, um Anerkennung zu finden ....

Um das zu verhindern, will der Herr v. Andrian ins Ausland gehen und sich dort erkundigen, wie man es macht, daß die Wiener Hoftheater für das Ausland beispielgebend werden, und wenn er er kann noch nicht sagen, »wie lange seine Studien dauern werden < dereinst zurückkehrt, so werden wir unsere Wunder erleben. Mindestens werden dann die Wiener Hoftheater für die Bühnen Österreichs, also für Linz und Graz, maßgebend sein, was ja schon lange nicht mehr der Fall war und für ein Regime Andrian immerhin eine Leistung wäre. Wenn man nun bedenkt, wie peinlich heute das Reisen im Allgemeinen und das Reisen nach Deutschland im Besondern ist, so kann man die Opferwilligkeit des Herrn v. Andrian nicht hoch genug anschlagen. Ob sein Wunsch, sich mit deutschen Intendanten über die Hebung des Wiener Theaterniveaus zu beraten, von der deutschen Paßstelle als ein triftiger Grund zur Ausreise anerkannt würde, mag zweifelhaft sein; jedenfalls ist zu hoffen, daß ihm von der österreichischen Regierung für ein so vergebliches Beginnen, wie es der Ausbau und die Vertiefung des Burg- theaterensembles wäre, kein Salonwagen zur Verfügung gestellt werden wird. Es könnte aber bei einer Gelegenheit, wie sie die Berufung eines neuen Hoftheaterintendanten bedeutet, die Frage laut werden, warum man für ein solches Amt nicht den Fähigsten aussucht, nämlich mich, dessen kleiner Finger nicht nur ein besserer Hoftheaterintendant ist als der Herr v. Andrian, sondern auch ein

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besserer Burgtheaterdirektor, als der Herr Bahr sein wird, und zudem ein besserer Schauspieler, als das ganze Burgtheaterensemble seit zwanzig Jahren gewesen ist. Die Frage würde von den Maßgebenden mit demselben Hohngelächter beantwortet werden, das ich für die Zumutung bereit hätte, eine Lebensaufgabe in der Betätigung meiner weitaus geringsten Qualität einzugehen, für eine Zumutung, von der ich überzeugt bin, daß sie mir ein letzter Respekt, der den sonst instinktverlassenen Instanzen mir gegenüber eignet, bisher erspart hat. Die Unmöglichkeit, daß sich eine lebendige Kraft in der Niederung heutiger Bühnenreformen versuche, ist identisch mit der Unmöglichkeit, dem Burgtheater aufzuhelfen. Von allen verlorenen Posten, die diese Zeit zu vergeben hat, ist der eines Burgtheaterleiters der hoffnungsloseste, weil die Erkenntnis, daß die Zeit ihre Kunst hat, ausschließlich für das Gewerbe zutrifft, das man heute Theaterkunst nennt. In diesem Sinne mag es durchaus zeitgemäß anmuten, daß ein Dilettant, der bisher Diplomat war, also gewohnt, ein Rotbuch von einer Schmink- schatulle nicht unterscheiden zu können, zum obersten Chef der Hofbühnen ausersehen wurde. Die Beziehungen des Herrn von Andrian zum Theater könnten eben noch darin bestehen, daß er einmal eine pretiöse, aber nicht kostbare Novellegeschrieben hat, von der nach der Prophezeiung des Herrn Bahr Europa sprechen sollte was aber trotz der Enttäuschung, die damals Europa dem Autor wie dem Kritiker bereitet hat, eher die künftigen Beziehungen des Herrn Bahr zum Burgtheater rechtfertigen dürfte. Wenn Herr v. Andrian sich an die Anforderungen seines neuen Amtes erst gewöhnt haben wird, dürfte es sich herausstellen, daß Herr Bahr zwar ein ebenso schlechter Burgtheaterdirektor wie Prophet ist, aber ich jedenfalls ein besserer Prophet als er. Ich kann nicht leugnen, daß mein Vorurteil gegen Herrn v. Andrian kein selbständiges ist, sondern wesentlich beeinflußt von meinem Vorurteil gegen Herrn Bahr, der ihn, während er sonst vielleicht bloß nicht existiert hätte, zwanzig Jahre vorher schon unmöglich gemacht hat und seit damals nicht vergebens auf den Dank hiefür gewartet haben dürfte. Ich habe den heutigen Hoftheaterintendanten eben in jener Zeit kennen gelernt, in der die großen Burgschauspieler auszusterben begannen, und ich kenne ihn sehr genau, da er

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ein Jahr hindurch täglich im Cafe Griensteidl mit der Frage an mich herantrat: »Gut'n Obend, wor der Bohr nit do?< Er scheint schon damals den Bohr für den Burgtheaterposten gesucht zu haben und er stellte die Frage mit jener »dunkeln Stimme», an die sich der Bohr noch viele Jahre später erinnert hat, als er dem lieben Hugo zurief: »Nun müßt ihr aber doch bald in Warschau sein!« und ihn bat, den Poldi, den Freiherrn v. Andrian, den österreichischen Generalkonsul zu grüßen, wähnend, daß dieser nach dem Einmarsch der Österreicher im Allgemeinen und des Leutnants Hofmannsthal im Besonderen noch dort amtiere und in den Amtsstunden, »und während draußen die Trommeln schlagen«, Baudelaire deklamierend herumstapfe. Der Poldi hatte nämlich seit den Tagen, da Europa von ihm sprechen sollte, diplomatische Karriere gemacht, was mir immer erstaunlich war, da ich nie glauben konnte, daß einer, der jünger ist als ich und gewiß nicht gescheiter,- schon Generalkonsul oder gar Gesandter und bevollmächtigter -Minister sein könne. Europa dürfte es so wenig wie ich geglaubt haben; immerhin muß ich aber dem Verfasser des »Garten der Erkenntnis« nachrühmen, daß ihm während seiner Tätigkeit bei der Okkupation er blieb dort irgendetwas die Preußen auf die Nerven gegangen sein sollen. Das ist viel, das ist gut für die Politik, wenn es auch vielleicht nicht für die General- intendantur ausreicht und gewiß nicht für eine solche, die sich erst durch Erkundigung bei deutschen Kollegen Animo holen will. Was sein literarisches Urteil betrifft, so ist aus seinen Anfängen nur das treffende Wort bekannt: »Der Goethe is ganz g'scheidt«, jener Goethe, neben den Andrians Entdecker diesen gestellt hatte, und daß ihm später unter allen deutschen Micheln nur jener Robert Michel imponiert hat, der ihm in militär- diplomatischer Literaturmission attachiert blieb, bis er ihm als Major in die Intendanz gefolgt ist. Sonst wüßte ich nichts für und nichts gegen den neuen Intendanten vorzubringen. Er ist am Beginn seiner Laufbahn durch Herrn Bahr geschädigt worden, und erst ich habe dafür gesorgt, daß Europa von ihm spreche, als Herr Bahr sich ihn Baudelaire deklamierend vorstellte, damals, als er den Hofmannsthal in Warschau einrückend gemacht hat. Die Unmöglichkeit des Herrn v. Andrian für

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den Posten eines Hoftheaterintendanten leuchtet mir durchaus nicht ein, in einer Zeit, die einen Volkstheaterautor, der ein Budget- provisoriutn nicht bekommt, deshalb gleich als Direktor der Kabinettskanzlei walten sieht, wie mir überhaupt in diesem tragischen Karneval und in diesem provisorischen Staatswesen nichts Unmög- liches aufstoßen kann, das mir nicht auf den ersten Blick plausibel ist, und wenn ich dem neuen Mann nicht gerade schmeichle, so mag das seine Utsache in der Erkenntnis haben, daß ein Versuch, mein Drama »Die letzten Tage der Menschheit« dem Burgtheater anzubieten, aussichtslos wäre.

Der Zeit ihre Kunst

Der Kaiser hat das von Fritz Hampel verfaßte vaterländische Gedicht »Der Tiroler Waschtl« angenommen und in die Fidei- kommißbibliothek aufnehmen lassen. Dem Autor wurde durch den Statthalter der Dank bekanntgegeben.

Die Gelegenheit

Leopold Andrians Gedichte sind im Verbige der Zilverdistel in einer einmaligen Auflage von 150 Exemplaren erschienen und durch Buchhändler Hugo Heller, Wien, 1. Bezirk, Bauernmarkt 3, zu beziehen.

Robert Michels zwei Novellenbücher »Die Verhüllte« (ge- bunden 7 K 60 h) und »Geschichten von Insekten« (gebunden 9 K 50 h) sind bei Buchhändler Hugo Heller, Wien, 1. Bezirk, Bauern- markt 3, vorrätig. Provinz- und Feldpostversand prompt.

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Worauf man stolz sein kann

In der Leo-Gesellschaft hat Hofrat v. Millenkovich . . eine Art Rechenschaftsbericht über die fünf Vierteljahre seiner Burg- theaterdirektion erstattet. Er rühmte sich, jüngere, wenig beachtete Kräfte gefördert, zuerst in tragenden Rollen vor das Publikum gestellt zu haben .... Ferner habe er Reimers den Lear spielen lassen und für Waiden war zu Beginn der diesjährigen Spielzeit der Hamlet bestimmt.

Eine äußerst vorsichtige Fassung

Hermann Bahr wird voraussichtlich die Stelle eines dramatur- gischen Leiters des Hofburgtheaters einnehmen .... Da der Vertrag Bahrs kein langfristiger sein wird, liegt die Annahme nahe, daß er sowohl als auch die leitenden Stellen die Ab- sicht haben festzustellen, ob die Möglichkeit vorliegt, daß die neue Leitung eine alle Teile befriedigende Lösung der Burgtheaterkrise bilden könnte.

Die Antwort auf die gewundene Karriere dieses Satzes lautet kurz: Nein!

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Ein Staatsverbrechen an Shakespeare und Jugend

Die folgende Eingabe ist unbeantwortet geblieben: An das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht!

12. Juni 1918

Das Hofburgtheater hat am 29. Mai eine Frei- vorstellung von Shakespeares »König Lear« für Mittel- und Hochschüler veranstaltet. Der Unter- zeichnete hat das Werk am 30. Mai zu wohltätigen Zwecken im Kleinen Konzerthaussaale vorgelesen und auf der Rückseite des Programms, das er hier beilegt, die schauspielerische und szenische Unzu- länglichkeit der heutigen Burgtheateraufführung an einigen drastischen Beispielen dargetan. Das Niveau dieser Aufführung ist ein derart niedriges und ihr Stil eine derartige Vergewaltigung Shakespeareschen Wortes und Wesens, daß jugendliche Zeugen des da Geschauten und Gehörten, das ihnen zu Studienzwecken geboten wird, Eindrücke nachhause tragen müssen, welche die verständnisvollste Lektüre nicht mehr ausmerzen kann. Wenn sie von dieser Darstellung nichts im Gedächtnis behielten als die eindringliche erotische Belebung der Szene, in der Regan dem Haushofmeister ihren Auftrag erteilt, so müßte man zugeben, daß hier einem Dichter ein zu großes Opfer auferlegt sei, um die Phantasie von Gymnasiasten anzuregen. Wenn- gleich der Staat zum großen Leidwesen solcher, die an der Bewahrung künstlerischen Erbgutes ein Interesse haben und sich das Recht anmaßen, es erforderlichen Falles zu vertreten, nicht die Befugnis hat, eine Verunstaltung klassischer Dichtungen zu verbieten, so sollte er nach der Meinung des Unter- zeichneten doch eingreifen, wo der Versuch gewagt

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wird, die studierende Jugend unter dem Vorwand belehrender Absicht zum Anblick der vollkommenen Mißgestalt herbeizulocken. Es wäre demnach, so meint der Unterzeichnete, Sache der Unterrichts- verwaltung, anstatt den Besuch einer Freivorstellung des heutigen Burgtheaters zu erlauben, ihn mit allen Mitteln zu verhindern. Der Unterzeichnete müßte es sich nun wie jeder, der ungefragt eine Meinung aus- spricht, gefallen lassen, daß ihm die Kompetenz hiezu bestritten wird, wenn nicht zum Glück der Besuch einer »König Lear«-Vorstellung, die nicht gerade eine Freivorstellung für Studenten ist, jedem gestattet und darum die Überprüfung des Urteils im weitesten Umfang ermöglicht wäre. Er zweifelt keinen Augenblick, daß vor allem die Instanz, die zur Wahrnehmung kultureller Interessen im Staate berufen ist, die Unvereinbar- keit einer solchen Aufführung mit den Ansprüchen der Jugendbildung erkennen würde und sich in ihrem Mißbehagen selbst nicht durch die Erwägung beirren ließe, daß ein ihr ehemals zugehöriger Beamter heute eben jener Theaterdirektor ist, der zum Mißgriff einer solchen »Lear« -Vorstellung den weit bedenklicheren gefügt hat, sie Unerwachsenen anzubieten. Der Unterzeichnete würde aber von dem Recht, das er sich nimmt, den in einem übel beratenen und anders beschäftigten Zeitalter mißhandelten Genius zu schützen, kaum in der vor- liegenden Form Gebrauch machen, wenn er sich nicht auch die Kraft zuerkennte, diesen Schutz selbst- tätig wirksam auszuüben. Der Zweck dieser Mitteilung ist das Ersuchen an das k. k. Ministerium, ihm den Weg zu zeigen, auf dem er zu solchem Ziel gelangen könnte. Denn er hat die Absicht, die wichtigste Schöpfung des größten Dramatikers aller Zeiten den- selben Schülern der Wiener Lehranstalten vorzuführen, die sie in der Gestalt jener Freivorstellung des Burg-

theaters kennen gelernt haben. Er bittet deshalb die Unterrichtsverwaltung, ihn an die Stelle zu weisen, die in der Lage wäre, ihm ein genaues Verzeichnis aller damals mit Freikarten versehenen Schulen und Jahrgänge zur Verfügung zu stellen. Die Vorlesung würde im Großen Konzerthaussaale stattfinden und von den Eintrittskarten würden nur so viele zu öffentlichem Verkauf gelangen, als notwendig wäre, um die Kosten der Veranstaltung zu decken ; alle übrigen, also die weitaus überwiegende Mehrzahl und mehr als das Burgtheä'fer Personen faßt, den Studenten geschenkt werden. Der Unterzeichnete spricht die Hoffnung aus, daß die Unterrichts- verwaltung dieses pädagogische Vorhaben fördern werde, und sie selbst wird auf Wunsch über genügend Eintrittskarten verfügen können, daß alle ihre Organe in der Lage wären, sich von der Würdigkeit dieser Darbietung zu überzeugen, wenn sie es schon durch Zufall unterlassen haben, die Unwürdigkeit jener andern zu beobachten. Hat ihn zu seiner ersten »Lear«-Vorlesung die Absicht bestimmt, die Spuren der Unkunst zu verwischen, und ist ihm dfes ohne jeden Apparat theatralischer wie publi- zistischer Inszenierung vor einer bewegten Zeugen- schaft gelungen, so liegt ihm nun umsomehr der Wunsch am Herzen, einer irregeführten Jugend das dichterische Urbild wieder herzustellen. Nicht zuletzt aber leitet ihn und hierin weiß er sich der Unterstützung eines k. k. Ministeriums sicher die patriotische Erwägung, daß, wenn wir Österreicher vor der Welt stolz darauf sind, feindliche Ausländer nicht mißhandelt zu haben, Shakespeare doch nicht eine Ausnahme machen könne.

Karl Kraus.

Beilage.

Der Vortrag macht nicht den Anspruch, große Schatten des Burgtheaters zu beschwören, sondern nur, die Spuren der

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Herren Wüllner, Reimers und ihrer Mittäter zu verwischen und die Dichtung wieder einzuweihen.

Die Unsäglichkeit der heutigen Burgtheateraufführung, die noch tief unter dem Niveau der einer niedrigen Zeit erreich- baren schauspielerischen Möglichkeiten bleibt, also beinahe an das christlichgermanische Schönheitsideal der Direktion hinan- reicht, gehört von allem Reichtum der Formen und Nuancen abgesehen, in dem sich der leibhaftige Mangel in Spiel, Regie und Szene auslebt durch etliche einprägsame Momente der Theatergeschichte an. Ein Kritiker hat anerkannt, daß die Regie unter anderen die Szene wieder hergestellt habe, >in der der Haushof- meister Oswald als Liebhaber erscheint«. Als diese nie gestrichene, aber auch nie geschriebene Szene ist jene zu verstehen, in der Regan dem Haushofmeister, also einem für Geld empfänglichen Schranzen, einem von der Sorte, die »Bursche« oder »Schurk'« tituliert wird, einen Brief Qonerils an Edmund abnimmt und ihn nebenher auffordert, den Grafen Gloster aus dem Weg zu räumen: »Ein reicher Lohn wird dem, der ihn erschlägt.« Eine der typischen Szenen, in welchen andeutend oder geradezu königliche Verbrecher bei Shakespeare ihre Instrumente anwerben. Bei der Begegnung mit dem blinden Gloster ruft der gedungene Mörder: »Ein Preis verdient! Willkommen!« Jene, für das Ver- ständnis der Handlung kaum notwendige Auseinandersetzung wird im heutigen Burgtheater buhlerisch flüsternd, mit einem Spiel der Blicke und Finger, Schulter an Schulter von einer Schlange (die es doch aber auf den Edmund abgesehen hat) und einem noch immer stattlichen Operettentenor geführt und über den reichen Lohn, der diesem winkt, läßt die indiskrete Regie dem Ahnungsvermögen jugendlicher Galeriebesucher keinen Zweifel. Dagegen wird das schweigende Herz der Handlung: des Narren Hingegebenheit an Cordeliens Schicksal das in einem einzigen Satz zu wundervollem Klingen kommt, in einem naturalistischen Nebenbei verödet. Ein Ritter Lears spricht zu diesem die Worte: »Seit die junge Prinzessin nach Frankreich ging, hat sich der Narr sehr abgehärmt.« Dies und nichts anderes ist der tragische Wendepunkt der Handlung; hier rollt der erste Donner; hier beginnt, noch vorder entsetzlichen Enttäuschung

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an den beiden Töchtern, Lears Erkenntnis zum Wahnsinn zu erwachen. Diese und ungezählte andere Herrlichkeiten sind in der kläglichen Wüllnerei, psychologisierenden Impotenz einer neuberlinischen Regie und einer zwischen schlechtestem Reinhardt und bester Muskete erdachten Mandelbogen- szenerie untergegangen. Was soll man zu der Nuance sagen, daß der Kent den Oswald wirklich anspuckt und den Vorsatz: >Fürs erste schlaf ich was, dann kann ich pfeifen« so aus- führt, daß er eine lange Weile hindurch pfeift, bevor er schläft. Oder daß die Anweisung »Schloß des Grafen Gloster« auf einer Szene, die nicht das Pathos zu weiten Hallen findet, ihre Ver- wirklichung in einem Speiszimmer bei Glosters findet, in das der heimkehrende Familienvater eintritt, wobei ihm ein kostümierter Statist den Monolog zu unterbrechen hat, indem er ihm Mantel und Mütze abnimmt. Die ganze Winzigkeit einer großen Zeit, in der Schauspieler nicht mehr in Distanz zu einander sprechen können und in der Körpernähe auch nicht, die ganze Frechheit dieser Kunstgewerblerei, die alle ihr entrückte Größe auf einen elenden Zimmerton herabstimmt, der Menschheit ganzer Jammer faßt einen bei solchem Theatererlebnis an. »Da könnte wohl der Mensch in salz'ge Tränen vergehn, wie Kannen seine Augen brauchend, des Herbstes Staub zu löschen«, dem wahnsinnigen Lear gleich wenn man sich nicht heiter erinnerte, daß der urkomische Professor der Psychiatrie, der ihn spielt und den das Publikum auf dem Vortragspodium unent- wegt ernst nimmt, eben dabei eine Geste macht, die über seine papierene Tragik ein erklärendes Löschpapier breitet. Und anstatt diesem Herrn Wüllner in Sälen und Theatern ein »Kommentar überflüssig!« entgegenzubrüllen, jubelt die Jugend dieser Tage einem Schulmeister zu, gegen den der Gregori ein Schüler und der selige Strakosch ein Meister war. Die Fähigkeit des Herrn Reimers, einen weißen Vollbart zu tragen, steht über allen kunstkritischen Erwägungen, und Blitz und Donner in der Heideszene beweisen, daß auch im heutigen Burgtheater die Elemente entfesselt sind. Ach, Sonnenthals Herzkrampf, der den Töchtern alles gab und dem Vater mehr, als er dem König schuldig blieb, und erklärend nichts hinzutat, was der

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Dichter mit Recht versäumt hatte denn es war einmal ein König, der, unbegreiflich wie's einmal im Märchen ist, so und so getan hat : vor wessen Aug und Ohr die Aufführung des Jahres 1890 steht, der muß es unfaßbar finden, daß das Theatergewissen einer Stadt diesen Wandel der Dinge ohne Aufschrei und mit Applaus hinnehmen konnte.

Unschwer würde dem Vorleser eine vollkommene stimm- liche Rekonstruktion jener Bühnengestalt gelingen; doch darf nur ein, wenngleich unvermeidliches, Anklingen dem Zweck des Vortrags entsprechen, der nicht das Burgtheater aus der Schmach zurücktragen will, sondern die entehrte Dichtung in das Reich des Shakespeareschen Worts.

Eine Erledigung dieser Eingabe ist auch nach einem Mahnschreiben nicht erfolgt, wodurch das päda- gogische Werk in seiner Vorbereitung gehemmt, wenn nicht vereitelt wurde. Die Antwort, die der Unterrichts- minister schuldig blieb, wird er im Parlament nach- zuholen haben. Die dort an ihn gerichtete Frage wird die Sache selbst betreffen wie die Formen des behördlichen Interesses, die noch verständlich wären, wenn es sich um den Plan einer Hamlet-Vorlesung gehandelt hätte. Die Interpellation wird aber das Zitat von dem Übermut der Ämter und der Schmach, die Unwert schweigendem Verdienst erweist, keines- wegs vermeiden.

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Krieg

Der Bauer bat:

»Herr, dies hier ist mein letzter Rock

und all mein Gut ist dieser Bienenstock.

Bewach' ihn Gott und ein Soldat,

daß die Soldaten ihn nicht nehmen!«

»Ein braver Mann hat so was nicht vonnöten!«

Der stiehlt nicht Bienen. Der kann Bienen töten.

Denn Krieg ist Krieg, da hilft kein Grämen.

Bei Nacht geschah's, die Nacht schwieg still

im Garten Lärm, und jener eilt zu retten

und er begegnet ihren Bajonetten,

da er es ihnen wehren will.

Denn Krieg ist Krieg, der Herrgott mag's bedauern,

und was da ist, das ist gewesen

und ohne Furcht und Federlesen

zerschlugen sie den Bienenstock dem Bauern.

Es tagt, 'nen Bettel bietet man ihm an.

»Behaltet's, Herr!« »Ist's dir zu wenig, Schuft?«

die Stimme des Gewissens ruft.

»Ich will kein Geld! Nur sehn, wer es getan!«

Sie stehen mit erwartungsvollen Mienen,

da führt man jenen Führer her

der Rotte, die den Stock zerbrochen.

»Ich bin entschädigt! Dies ist mehr!

Sie haben ihm die Stirn zerstochen!

Denn Krieg ist Krieg. O meine braven Bienen!«

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Ich und das Ichbin

Schweiz, Februar 1918

Weifel, Werfel richtig, das ist der, der das Gefühl von einsamen Harfenistinnen in Kurkapellen kennt, das Gefühl von schüchternen Gouvernanten im fremden Familienkreis sowie das Gefühl von Debütanten, die sich zitternd vor den Souffleurkasten stellen. Ganz recht, das wird ihm in jeder Rezension bestätigt und man zweifelt umsoweniger daran, als ers ja selber zugibt. Und es ist nicht etwa bloß die Inhaltsangabe eines Gedichtes, sondern auch die ganze Form solcher grenzenlosen Zeilen denn so sind nun einmal die Verse dieser Kosmischen, nanafas, also auch die Zeile , und es ist der Inhalt des ganzen Dichters dazu. Er kennt das Gefühl, er hat mitgemacht, nicht etwa das eigene Erlebnis das wäre nicht der Rede wert , aber das, was die andern mitmachen, die es nicht mitmachen, sondern nur erleben; alle Erlebnisse alier Mitlebenden, Freud und Leid aller Kreatur und auch alle Erlebensmöglichkeiten aller Seelen im Weltenraum. Er hat sich die ganze Karriere des Faust erspart, indem er trotz den vielfachen Erfahrungen, die er auf diese Art zwar nicht gemacht hat, aber mitgemacht, bei der Schönheit des Augen- blicks verweilend, seine Genußfähigkeit durch alle fremden Schick- sale trägt. Wohl stand er auf eigenen Kindesbeinen, da gab's noch allerhand9 persönliche Erlebnisse, da ging noch etwas in ihm vor, aber dann kam es über ihn und riß ihn fort zur Menschheit und darüber hinaus zuGott, dem er die Freude über die Schöpfung sowie auch die spätere Reue lebhaft nachfühlen kann. Mitmachend am sausenden Webstuhl der Zeit, der Gottheit lebendiges Kleid mit- wirkend, rastloser Seelenwanderer, restloser Bejaher dessen, was ist, immer in Mitleidenschaft gezogen, erfaßt er den Schicksals- augenblick im Leben des Nächsten und des Fernsten, was ihm gleichfalls in jeder Rezension bestätigt wird. »Das ist doch unvergeßlich in dem Gedicht , Malheur' ausgesprochen«, lesen wir, »nämlich der Augenblick, wo das Dienstmädchen« Werfel kennt das Gefühl »vor den Gästen die Schüssel fallen läßt.«

Das Mädchen aber stand regungslos, wie in unnatürlichen Schlaf gesenkt, Krampfhaft die Arme zu einer rettenden Geste verrenkt. Jedoch dem Mitleid der Gäste hatte sich scheues Erstaunen zugesellt. Denn sie sahen plötzlich Eine mitten in ein Schicksal gestellt.

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Ein Versteher, ein Verzeiher, dessen Gefühl gleich jener rettenden Geste die sittliche Wirkung des Malheurs auf die Gäste beistellt, während in der Hausfrau die Empfindungen der Scham und der Wut bis zu dem eben noch unterdrückten Ausruf »Trampel!« wogen, aber von jenem weltsichern Takt mit Erfolg kaschiert werden, der dem Zwischenfall keine Bedeutung beimißt, was in französischen Parlamenten »la seance continue« formuliert wird, in israelitischen Gesellschaften jedoch »Malheur !< Nun sind diese unvergeßlichen Verse zwar um keinen Hauch mehr deutsche Dichtung als ein Bericht, dessen die in Mit- leidenschaft gezogene Hausfrau selbst fähig wäre, und nichts anderes als die nebenbei gereimte psychologisch-adjektivische Prosa jedes beliebigen kleinen Literaten, wie sie heute für jede Buchkritik, Schmucknotiz, Gerichtssaalschilderung in jeder Wiener, Berliner und vor allem Prager Redaktion verlangt wird, lyrischer Feuilletonismus, an die Lyrik zurückgegeben, die wieder mit gewollten, weil nicht anders gekonnten Prosaismen die Fülle der leersten Gesichte aufreiht, ein sprachliches Nebenher, das nun einmal die neue Art des Sehens und Fühlens darstellen soll, kurzum die Inhaltsangabe eines Werfel'schen Gedichtes, wenn es nicht dieses selbst wäre. Doch die Lockerung der Sprachfessel, das erstemal von Heine, dann von Nietzsche, nun von Rilke gewährt, die Umgänglichkeit mit Wort und Ding, die es doch beide nicht so leicht haben wollen, zueirfander zu kommen, entzückt die neuen Literaturjournalisten, weil jeder mehr noch als alles mitzumachende Erlebnis die Chance spürt, daß sogar er das zustandebrächte. Deshalb muß die Ahnungslosigkeit des Schweizer Kritikers auffallen, dem der seelische Jargon solcher Schildereien »unvergeßlich« ist, und muß die unbefangene Flachheit bestaunt werden, die nach Peter Altenbergs Momentaufnahmen aus dem Leben von Dienstboten und aller mit Blick und Griff erfaßter und ins Leben gerissener Menschheit, nach diesen Wundern der Täglichkeit, wo Herz und Laune zur Lyrik eines Worts verschweben, von solchen Gefühlsplaudereien, die nur die umständliche Inhaltsangabe einer Leere sind, Aufhebens zu machen wagt. Das bewundert die Werfel'sche Gabe, zu wissen und auszusprechen, was in jeder andern Seele vorgeht, und spürt nicht, daß hier ein Schein der Fülle von einem wesentlichen

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Mangel glänzt und daß der berühmte Gallimathias von »der Schwäche Kraft« hier wirklich einmal einen Zustand bezeichnet. In solchen Gedichten wie dem von der > Witwe am Bette ihres Sohnes« so findet jener Zürcher Enthusiast, dem ich viel heitere Einsicht in die neueste Literatur verdanke und an dessen Hand ich am liebsten die Irrwege der Entwicklung durchspaziere »erkennt man unschwer, daß es immer wieder Sphären des Unausprechlichen gibt, die auf des Dichters Wort harren«. Freilich ; doch werden sie, wenn sie auf Werfeis Wort geharrt haben, noch lange unausgesprochen bleiben. Denn schon die Apostrophe:

Mein Kind, mein Da-sein, mein Tod ist in der Begriffsspaltung des mittleren Hauptwortes reinster Feuilletonismus, der wohl die poetische Gegebenheit von »Dasein« .an dieser Stelle spürt und zu umgehen weiß, aber zum völlig unpoetischen »Leben« nicht die Kraft hat. Dem Rezensenten freilich gefällt das so gut, daß er, was nicht einmal einen Sinn ergibt, gleich von einer Mensch-heit spricht, deren Idee Werfel betone. Von einem Gedicht, das den »Urgegensatz der Väter und Söhne« nicht etwa in die Psychoanalyse, sondern in ein angeblich »neues Pathos« stellt, sagt jener: »Das ist nicht Schiller mehr, ist durchaus Franz Werfel«. Also Schiller von Rilke, nämlich auf die Art, »wie wir einst in grenzenlosem Lieben Spaße der Unendlichkeit getrieben« und wie nun »in einer wunderbaren, leisen Rührung stürzt der Raum.« Diesem neuen Pathos, dem ein ehr- licher Eidgenosse nicht umhin kann doch etwas Schiller anzumerken, weil es sich an Formen wie »geuß« ergetzt liegt, wie man sieht, »jede geblähte Geste fern«. Gleichwohl muß der Kritiker »Krämpfe des Gefühles« rühmend feststellen. Aber die metaphysischen Blähungen, die zwischen den Kulissen des Alls ihre Spaße der Unendlichkeit rumoren lassen, sind eben der Reiz, der in Verbindung mit dem zeitgebornen Talent der Impression der Werfel'schen Lyrik ihre durchschlagende Wirkung verschafft hat. Das Kindheits- erlebnis, das die Sprache noch halten konnte, hätte beiweitem nicht zu den Effekten gelangt, deren eine aus Mangel an Schwerpunkt in den Äther greifende Gefühlsberedtheit sicher sein kann.

Dieser Dichter nun, dessen psychischer Geschlechtscharakter sich wie der so vieler Zeit- und Geschlechtsgenossen in der

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Lust verrät, sein Ich, das er an die Welt hingegeben hat, gegen mich zu behaupten, nennt sich selbst »unmittelbar und einfach*, fragt mich, wo in meiner Lyrik »nur ein unmittelbarer, aus einer Existenz und nicht aus einer Raison geborener Vers« sei als ob er diese Frage nicht hymnisch beantwortet hätte und zählt sich im Gegensatz zu mir, der kein » Ichbin < sei, den Schöpfern zu, »die durch sich selbst fliegen können über tausend Meere«. Und dennoch war er, als er einst in grenzenlosem Lieben sich auf einem mir benachbarten Planeten beschied und die Ewigkeit nur für die Treue in Anspruch nahm, die er »dem Menschen und Künstler< schuldig zu sein glaubte, ein besserer Euphorion als später, da er wie in die fremden Schicksale sicli ins fremde Pathos einzuleben wußte, das freilich genügsamen Hörern wie neu erscheint.

»Hört ihr Kinderlieder singen, Gleich ist's euer eigner Scherz; Seht ihr mich im Takte springen, Hüpft euch allsogleich das Herz.«

»Kaum ins Leben eingerufen, Heitrem Tag gegeben kaum, Sehnest du von Schwindelstufen Dich zu schmerzen vollen Raum.«

Ach, der Urgegensatz von Vätern und Söhnen!

»Bändigel Bändige Eltern zuliebe Überlebendige, Heftige Triebe!«

» Dorthin 1 Ich mußl Ich mußt Gönnt mir den Flug!« »Ikarus! Ikarus! Jammer genug.«

Aber aus den Exuvien, die ich als Phorkyas in die Höhe hebe, kann immer wieder ein neuer Werfel erstehen:

Und kann ich die Talente nicht verleihen, Verborg' ich wenigstens das Kleid.

Wobei nicht zu vergessen ist, daß das Kleid eben die Talente sind. Immer bleibt es die Biographie dieser Leicht- beschwingten, »Sonne-durchstrahlten Äther kühn und mutwillig Durchflatternden«:

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So auch er, der behendeste,

Daß er Dieben und Schälken,

Votteilsuchenden allen auch

Ewig günstiger Dämon sei,

Dies betätigt er alsobald

Durch gewandteste Künste.

Schnell des Meeres Beherrscher stiehlt

Er den Trident, ja dem Ares selbst

Schlau das Schwert aus der Scheide .

Wie das?

Nein, nicht ein Kind bin ich erschienen, in Waffen kommt der Jüngling an . . .

Wie das?

Träumt ihr den Friedenstag? Träume, wer träumen mag. Krieg 1 ist das Losungswort. Sieg! und so klingt es fort.

Aber das ist nur der Welt, nicht des Weltfreunds Sehnsucht; und Byrons Krieg war ein anderer als der, der nicht Werfeis Krieg ist. Gleichwohl kann der besorgte Zürcher einen herzbewegenden Hinweis nicht unterlassen, daß »auch um diesen menschheits- gläubigen Dichter Mars und die Musen streiten«, ohne aber den Lesern die Beruhigung zu erteilen, daß Mars nachgegeben hat, was er in allen Fällen tut, wo die Musen ihm entweder durch ihre martialische Gesinnung imponieren oder sich wenigstens zu Kanzleiarbeiten im Kriegspressequartier verwenden lassen. Hätte Mars nicht nachgegeben, so hätte sich ja auch kein Zürcher Werfel-Abend als das Ereignis der literarischen Saison ankündigen lassen. Das war er allerdings in einer Stadt, die in der Epoche der durch Paßvisa geregelten Völkerwanderung mit dem Berliner Schiebertum dessen geistige Kultur importiert hat. Nie zuvor mag es einen Lyriker gegeben haben, der auch der Klingklang der Heine'schen Freiheitslockung bietet da kein Pendant so das Zeug hatte, den Leuten zum Herzen zu sprechen, die keines haben, und der einer Rasse, die ohne schlechtes Gewissen ihr Lebensgeschäft macht, das momentan ein Todesgeschäft ist, ein Bedürfnis nach Beruhigung, das sie nicht spürt, so vollkommen gedeckt hat. Auf dem Wege von Christus fort, wieder auf dem Äser- weg, treffen sie irgendwo den Dichter, deranstatt sie zurückzutreiben,

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Ersatz anbietet. Diese Lyrik ist der Gutschein, der den Unberufenen auf die Seligkeit ausgestellt wird. Was braucht man der Jauche mehr zu sagen, als daß sich auch in ihr die ewigen Sterne spiegeln und gerade in ihr, weil derzeit auf Erden kein anderer Spiegel vorhanden ist! Und wenn man es noch dazu teils in virtuosen, teils in angenehm mystischen Versen sagt, die zwischen Berlin W und den Äonen kein Gefühl des Schauderns voreinander aufkommen lassen, so sind mit einem Schlage eine Vertrautheit und eine Beliebtheit hergestellt, elementar wie sonst nur Entfernung und Befremdung, wenn Kunst und Menge aufeinander geraten. Wer könnte, da dieser Dichter den einzigen bescheidenen Wunsch hat, dir, o Mensch, verwandt zu sein, widerstehen? Der Welt- freund, der diese Sehnsucht nicht unter Flüchen vor der Welt bekennt, sondern ihr, wie sie ist, umarmend, ins Ohr singt, dürfte ein Allerweltsfreund sein. Das Entzücken der so in camera caritatis sub specie aeternitatis angesprochenen Welt ist grenzenlos wie die Liebe, die sich überall dorthin, wo es etwas zu fühlen gibt, goetheisch wühlt und aus der sprachlichen Landschaft des ersten > Faust« in die Seelen spült. Mein Mentor durch diese Gefühlszone, der nicht fühlt, wie hier ein erborgter Ton einem Himmelsparvenütum zuspricht, ist außer sich, denn er hat Werfein, den er bisher nur gelesen hatte, gehört, schwelgt nun erst recht im »neuen Weltgefühl« und nennt die Gedichte, die es verkünden, »unsere vitalste Angelegenheit: das Da-sein«. Die Menschheitsstimme ist diesem Dichter »der Sopran Gottes«, bemerkt er, anstatt lieber zu bemerken, daß dieser Dichter ein Tenor der Schöpfung ist. Nein, »wäre er mit heiserer und siebenfach belegter Stimme erschienen, man hätte doch einen gewalttätigen, einen rasenden und ekstatischen Willen gefühlt, der die Stimmbänder bezwungen, der in der Menschenstimme über Orgelton, Pauke und Posaune geboten hätte«, wiewohl sie doch eigentlich nur der Sopran Gottes ist. Aber es sind wohl die »zwo Gewuren« gemeint, die in meiner elysischen Hymne gepriesen werden und die über eine siebenfach belegte Stimme Indisposition des Psalmisten gesiegt hätten. Denn siehe:

Das geschriebene und geprägte Wort riß Franz Werfel wieder an sich, hielt es in der Schwebe, auf Sternen und Wolken, schmiß es über Meridiane, über die Erdkugel hin und schlang es zurück in seinen

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Busen und scVienkte es den Vers feierlich zelebrierend den Menschen, die auf den Stühlen erst festgeschraubt saßen, bis sie, von jedem Argwohn befreit, von jener so geheimnisvoll Willige und Laue bezwingenden Eintracht der Empfindung ergriffen, in die Sphäre des Enthusiasmus glitten, mit dem Dichterlitten, seiner Hingabe hingegeben, seinem Erleben, seinem Beben, seinem Schweben.

Zuerst las er das bekannte Programm der Weltfreundschaft: was er alles kennt und wie er weiß, was sie alle durchgemacht haben bis herunter zum Kuli. >Er schämt sich dieses harten Wortes durchmachen selbst in der beschwingtesten Rede nicht«, rühmt der Zürcher, der eben noch nie in Prag gewesen ist und nicht weiß, was sie dorten täglich entweder durchmachen müssen oder mitmachen können. Dann las er ein Gedicht, durch das >alle lyrische Prahlerei mit der Erlebnisfülle und der erlittenen Pein ins Mark getroffen ist«. Werfel tut keineswegs unrecht, diesen Subjektivismus ins Mark zu treffen. Denn es ist in der Welt- literatur schon manchmal vorgekommen, daß der Subjektivismus in der Lyrik ein Mark hatte, während die lyrische Protzerei mit der fernen Erlebnisfülle und der durchgemachten Pein des andern, die jedes Gedicht als eine Gebrauchsanweisung für Nächstenliebe von sich gibt, innen und außen von fremdem Leben borgt. Etwa so:

Ich bin gesund,

Und weiß noch nicht, wie Greise rosten. Ich hielt mich nie an groben Pfosten Wie Frauen in der schweren Stund!

Nie war ich ein Kind, zermalmt in den Fabriken

dieser elenden Zeit, mit Ärmchen ganz benarbt!

Nie hab ich im Asyl gedarbt,

Weiß nicht, wie sich Mütter die Augen aussticken,

Weiß nicht die Qual, wenn Kaiserinnen nicken.

Ihr alle, die ihr starbt, ich weiß nicht, wie ihr starbt.

Und weiß es doch. Welch ein mit Gefühl gefüllter Hohl- raum! Wie hart in Raum und Reim stoßen sich die Sachen: die Greise, die rosten, an den gewiß seltenen Fall, daß Frauen in der schweren Stund sich an Pfosten halten, deren Merkmal, grob zu sein, sowohl der Anschauung wie dem Schmerzmotiv genügen soll. Wie kommt die Absicht dem Unvermögen zu Hilfe, und einzig das Bekenntnis des Dichters, selbst noch nicht die schwere Stunde durchgemacht zu haben, scheint als ein Naturlaut

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aus femininen Seelengründen und von tiefgefühlter Unfruchtbarkeit her zu dringen. Aber er, der nie in der Lage war und nicht weiß, wie Kaiserinnen nicken ein ungemein suggestives Beispiel aus dem Vorrat von Weltleid und aus der Reihe alles dessen, was es gibt , will auch hier nur zerknirscht bekennen, was er doch alles fühlt, ahnt und eben, wenn schon nicht durch-, so doch wenigstens mitgemacht hat. Ist solches nun sprachlich die Willkür der Sprödigkeit, die von einer Erscheinung bloß die abseitige Eigenschaft oder das vom Zufall berührte Merkmal aussagt (nickende Kaiserinnen, Niederkunft an groben Pfosten); jene technische Errungenschaft der letzten zehn Jahre, die die deutsche Lyrik als Übersetzung aus irgendwo wirken läßt; jene Geschicklichkeit, zu können, was man nicht kann; jene Verfügsamkeit, der zwar die vorhandene Phantasie der Phrase (>Dasein<) widerstrebt, aber die vorhandene Plastik der Jargon- wendung (»durchmachen<, »sich die Augen aussticken«) gefällt so hat der Kritiker recht, als Verse »wie sie die Lyrik der vorletzten Zeit längst nicht mehr kannte*, die folgenden hervorzuheben :

Du auch, Wort, praßte auf, das ich in Ahnung brauche! Geuß unverzehrbar Dich durchs All: Wir sind!

Denn die vorletzte Zeit ist glücklich zwischen dem älteren Schillerton und dem neueren Prager Judendeutsch durchgerutscht. Der vorvorletzten Zeit jedoch den Überschwang der Wortformen zu entlehnen, die Petrefakte der schönen Seele mit neuzeitlichen Tränen aufzuweichen, zeugt von einer naiven Unredlichkeit, die fast wieder einem Original zugehören könnte. Das gebärdet sich, als ob aus- gerechnet die zwei Seelen, die in der Brust des literarischen Zwitters wohnen, sich in das Vermächtnis der Dioskuren zu teilen hätten. Dieser von der Natur überreich Ausgestattete tut mir und sich selbst Unrecht, zu vermuten, daß ich »mein Wissen über ihn aus dem journalistischen Waschzettel, der gerade in Umlauf ist, übernehme.« Wiewohl ein Waschzettel über einen Lyriker oft bessern Aufschluß gibt als sein Buch und fast so guten wie sein Charakter, und wenn es gleich richtig ist, daß ich bei der Lektüre vieler Bücher, die mir mit vergötternden Widmungen zugeschickt wurden, nicht über diese hinaus- gekommen bin, so hat mir doch bei andern die Erinnerung, daß

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mir ein guter Teil schon aus dem Manuskript bekannt war und daß ich manch einem Stück selbst zum Druck verholten habe, auch das Studium des Restes zur Pflicht gemacht. Daß mir eine begeisterte Rezension, aus der sich gewiß ein paar Wasch- zettel gewinnen ließen, beim Zitieren hilft und daß mir ihre Tiraden für den Eindruck der Werfel'schen Lyrik bezeichnend sind, entspricht nun einmal meiner Gewohnheit, alles, was mir aus der Zeit geboren scheint, durch deren eigentümlichstes Medium zu betrachten, wissend, daß ich so bequemer auf den Grund der Erscheinungen komme als wenn ich mich an sie selber hielte. Brauche ich mehr von einem Lyriker zu wissen, als daß ein Berliner Literaturkommis, der als Lebenslaufbursch in den ersten Verlagshandlungen praktiziert hat, ihm als »Künstler der neuen Generation« nachrühmt:

Man hat ihn gefeiert. Hunderte von Aufsätzen sind über ihn geschrieben worden. Politiker wie Ästheten zitieren seine Verse, vor- nehme Frauen legen seine Gedichte auf ihren Nachttisch und Ibsen in wehmütigen Stunden darin. Denn dieser junge Dichter streichelt ihre Gefühle, er verzärtelt sie ... . Einen seiner Urgesänge widmet er dem »guten Menschen« .... Etwas Christi ich-Prometheisches ist in ihm .... Er steht zur Linken Heinrich Manns und Rene' Schickeies als der Jüngste und Zukunftsreichste. Neben dem polyphonen Orchester des voltaiiischen Geistes und der nervösen Violine des elsässischen Kosmopoliten tönt gewaltig zum Welt- gericht rufend die Posaune dieses ekstatischen Lyrikers.

Nun, ich würde mein Instrument nicht zugleich mit dieser Musik zur Geltung bringen wollen und gewiß nie zugeben, daß meine Urgesänge auf jenen Nachttisch gelegt werden. Solchem Waschzettel, der sich nach der neuen Schmonzesweis' »einen Versuch« nennt, »eine Andeutung von dem hymnischen Wesen des Dichters zu geben«, verdanke ich den immerhin wertvollen Aufschluß, daß »der Ethiker Werfel der Ekstatikerin Heinrich Manns, der Madame Legros ähnelt«. Ich kenne diese Gestalt nicht, bin aber von der seelischen Identität überzeugt und halte es für einen Beweis von Instinkt, den die Literaten füreinander haben, daß hier ein Vergleich mit Danton glücklich vermieden wurde. Und ist es nicht dankenswert, Verse, die man sonst erst in einem Buch suchen müßte, gleich als Zitate vorzufinden?

Warum hast Du mich mit diesem Feind erschaffen?

Mein Vater, warum mich zu dieser Zwieheit gemacht?

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Und gar einen Urgesang wie diesen:

Daß den Busen du erweiterst, Mußt du freundlich sein, Mußt du höflich sein, Mußt du gut sein, Mußt du brav sein.

Die Posaune kann auch Schalmeien und an der Echtheit •dieses Hirtentons, der einen Hölty beschämt, üben sich jetzt allerorten die Berliner Literaten in christlicher Nächstenliebe. Aber der von Natur herzensgute Schweizer, der einen unsichern Kantonisten nicht zu durchschauen vermag und nicht ahnt, daß sich das neue Pathos erst dann ins All ergeußt, wenn die Um in die Moldau fleußt, hat es mir auch nicht unbequem gemacht. Sogar von seiner Druckanordnung profitiere ich; denn an Zufälle glaube ich nicht:

Es geht um unser Leben, um die Existenz der Dinge, der Natur und der Kreatur, deren Wertet- kenntnis nur durch die totale, bedingungslose, ufer- lose schöpferische Liebe uns wiedergegeben werden kann.

In diesem Sinne räumt er ein, daß der Dichter »nicht nur die eigene Vollendung des Wortes besitzt, sondern die Sprachvollendung eines Jahrhunderts erworben hat, das den ganzen Goethe beerben konnte«. Er hält das für eine An- erkennung; ich glaube, wenn's keine Verleumdung ist, so ist es ein Steckbrief, der den Verdächtigen noch vor dem Betreten der Nachwelt erreichen muß. Aus der wievielten Hand jene Verlassen- schaft auf Werfein übergegangen ist, kann nicht mehr festgestellt werden, aber immerhin erwarb er es, um es zu besitzen, wie er die eigene Vollendung des Wortes besitzt, von der ich indes auch glaube, daß sie, wenn sie besitzbar ist, erwerbbar oder ererbbar sein muß und nicht angeboren. Diese Sprachkönner- schaft verfügt vornehmlich über zwei Tonarten: die hohe und die tiefe. Die tiefe ist erreicht, wenn der Sopran als Mensch- heitstriller durchs Grenzenlose in ein »erhabenes Wirrsal< über- geht, das aber den eben noch hingerissenen Hörer durchaus nicht chokiert. Denn es ist ein schon gut abgelegenes Mysterium,

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an dem sich keiner mehr den Kopf zerbricht, welchen im Gegenteil etwas metaphysischer Dampf angenehm einhüllt, zumal wenn der Stern der Weltfreundschaft immerzu hindurchleuchtet. Wie hoffnungslos unbegleitbar wirkt daneben die Sehnsucht des einzigen männlichen Lyrikers von heute, der Else Lasker-Schüler, »Ich will in das Grenzenlose, zu mir zurück.< Noch am Ziel des Werfel'schen Tiefgangs wird der entzückte Betrachter auf Beispiele einer Nächstenliebe stoßen, die ihn durch ihre zugleich abgründige und sympathischeGedanklichkeit an den HerzpunktderWerfel'schen Anschauung von Gott über die Welt reißen. Wahr, wahr, der Mensch ist von tausend Rätseln umgeben (was ist der Mensch), >zwischen denen wir lächeln, atmen und schreiten«, und den Verstand, der sich an ihnen vergreifen möchte, diesen Verstand der »Statisten der Lebendigkeiten« (was ist der Feuilletonist), weist Werfet, so sagt sein Erklärer, »auf den Löwenzahn, von dessen Leiden der Wissende selbst nicht ergründet, wie dem Löwenzahn zu Mute ist, wenn das Kind seine Krone zerbläst«. Hier, vor diesem Gedanken, in dem alles Rätsel und sogar das, was sogar der Wissende schon weiß, nämlich daß wir nichts wissen können, eingeschlossen ist, konnte sich der Schwärmer nicht mehr zurückhalten und brach in einen Satz aus, aus dessen Irrungen und Wirrungen, Gründen und Abgründen, Schöpfung und Chaos, Unerforschlichkeiten und vor allem Unermeßlichkeiten der Lesezirkel Hottingen wie ein Pharus in Sperrdruck hervorragt:

Wir fühlten es, wie Werfel hier im Namen aller sprach, die »dem Chaos der Gefühle einen Kanon« geben, im Namen eines Geschlechtes, das nicht satt an dem Faßbaren bleibt, sondejn in die unerforschlichen Gründe des Herzens dringt, selig und beglückt, wenn es trunken von neuen Ahnungen und Offenbarungen ins_unermeßliche All der gefühlten Welt ausschwärmt, ungekränkt, wenn die" weisen Magier aus dem Morgenlande dieser Jugend, die sich nicht am Gegebenen beruhigen kann, die »Verwirrung des Gefühls« vorwerfen, wie es einmal Goethe Kleist vorhalten mußte aus jenem naturnotwendigen Gegensatz der Väter und Söhne heraus, des Alters und der Jugend, die sich zu dem vom Lesezirkel Hottingen angeregten literarischen Abend in gleicher Bereitschaft des Verständnisses zusammenfanden, so daß die Alten und Jungen in Werfel- Tönen sprechen konnten: »Doch auch uns sind Abende beschieden, an des Tisches hauserhabenen Frieden . . .«, wo die gesetzten Meister wie Hans Sachs den Vogel lobten, »dem der Schnabel so hold gewachsen«, während die Jugend unbedingte Begeisterung dem Dichter zu erkennen gab, der mit einer vorbildlichen

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innern Vorbereitung und mit einer Meisterschaft, die beinahe zu meisterhaft werden könnte, für seine Welt im Gedichte hinreißendes Zeugnis ablegte.

Nachdem sich dieses zugetragen hatte und wir nicht ohne den glücklichen Zufall der Entdeckung, daß ein Ekstatiker am Ende doch ein Macher sein könnte, aus diesem Taifun gerettet waren, geschah ein Übriges. Nicht nur die Spracheist der Mensch, nicht allein daß jeder auch den Waschzettel hat, den er ver- dient, sondern unschuldig kommt keiner selbst zu einer Notiz unter >Lokales-:

Man erlebte gestern das fast Unglaubliche: Was denn? Hatten sich in der Bahnhofstraße die Schieber zusammengerottet und für die Beendigung des Weltkrieges demonstriert? War die Krone auf 38 gestiegen? nachdem Franz Werfel sich in der Veranstaltung des Lesezirkels mit einer hinreißenden Inbrunst der Wiederschöpfung seiner Dichtungen, seiner Rhapsodien hingegeben hatte, wohnte er noch wachen, scharf prüfenden Geistes der in den neuen Tag übergreifenden Hauptprobe seiner >Troerinnen« bei seiner > Troerinnen« ; denn ihre Sprache, ihre Form ist ganz sein eigen, will nicht Euripides sein. Man spürte durchweg die Hingabe unseres Oberregisseurs Danegger an die wahrlich nicht leichte Aufgabe dieser Wiedergabe. . . . Die heutige Aufführung dürfte Franz Werfel, dem gestern die Jungmannschaft, die neue Generation feurig huldigte, aber auch die altern und alten Jahr- gänge dankbare Aufmerksamkeit schenkten, einen zweiten tiefen Erfolg bringen.

Es ist ein Wunder, glaubet nur. (Goethe.)

Jedoch dem Mitleid der Gäste hatte sich scheues Erstaunen zugesellt. Denn sie sahen plötzlich Eine (Einen) mitten in ein Schicksal gestellt. (Werfel.)

Denn wer der Welt Freund ist, wird Gottes Feind sein.

(Jakobus.)

Was nun mich selbst betrifft, so wird man schwer der Verlockung widerstehen können, meine Stellung gegenüber einem -der beliebtesten Pantheisten der Jetztzeit, in dessen Anerkennung

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sich sogar der Urgegensatz der Väter und Söhne, in Prag sowohl wie in den Metropolen, ja neuestens sogar im neutralen Ausland beruhigt hat, auf die Motive des blassen Neides und der gemeinen Rachsucht zurückzuführen. Beide Vorwürfe wären unzutreffend. Der des blassen Neides, mit dem Herr Werfel selbst nicht" zurückhält, wenn er nicht gerade versichert, daß er mich liebe und das Leben ohne mich schwer sei, könnte schon darum nicht berechtigt sein, weil die Qualität der beneideten Leistung außerhalb meiner von mir selbst erkannten Grenzen und der Erfolg so sehr jenseits meiner Wünsche liegt, daß ich es als das einzige Selbstmordmotiv anerkennen würde, wenn mir das Malheur mit dem Dienstmädchen passiert wäre, und daß ich es für die einzige Rechtfertigung meines Da-seins halte, die Werke von Franz Werfel nicht geschrieben zu haben. Man ahnt gar nicht, bis zu welchen Exzessen des Größenwahns mich in mancher Stunde das Bewußtsein treibt, kein Attest in der Hand zu haben, daß ich erst dann meine eigene Sprache schreibe, wenn ich Euripides übersetze, und wie sehr ich diesen toten Griechen im Grund beklage, daß er gar nicht gefragt wurde, ob seine Sprache von Franz Werfel sein will. Wenn mich eine weltfreundliche Fee eines Morgens mit der Mitteilung weckte, daß Werfeis Verse von nun an nicht mehr von Goethe, Schiller, Klopstock, Laforgue und Rilke, sondern von mir seien, bei Gott, ich nähm's nicht an! So glücklich preise ich mich, lieber Verse geschrieben zu haben, die aus keiner Existenz, als solche, die aus mehreren Existenzen geboren sind. So bin ich nun einmal, und wer mich anders sieht, ver- wechselt die Eigenschaft der Schadenfreude, die auch keine schöne Eigenschaft ist, deren ich mich aber in geistigen Dingen ohneweiters schuldig bekenne, mit der Eigenschaft des Neides, die mir nur vor den jetzt rarer gewordenen materiellen Besitztümern wie Zigarren, Butter, Eier, Mehl, anhaftet, sagen wir vor einer Torte, die ein Ge- dicht ist, aber keineswegs vor Gedichten, die noch süßer sind und doch nicht alle werden. Liegt die Leistung jenseits meines Vermögens, ihr Genuß jenseits meines Geschmackes, so bliebe nur noch die Leistungsfähigkeit des Vortragenden, die physische Ausdauer als Gegenstand des Neides übrig, aber gerade mit der könnte ich zur Not konkurrieren und wenn ich die Presse von der Zeugenschaft nicht ausschlösse, sie ein paar dutzendmal im

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Jahr ein Lokalereignis erleben lassen. Was den Wert der Darbietung anbelangt, so gibt es keinen, der so einsichtig und ungeduldig im Schatten zu stehen wüßte wie ich, und darin weiß ich mich hors concours. Nie würde ich bezweifeln, daß eine Volksabstimmung zugunsten eines Aufbauers gegen einen Niederreißer entscheiden würde, für den Rhapsoden, der aufs Ganze der Weltschöpfung geht, gegen den Pedanten, der ein Haar darin findet, nämlich die Erde und etwa noch den Planeten des Herrn Werfel, weshalb ich mich ihr gar nicht erst aussetze. Neben dem unwiderstehlichen Vertreter Gottes, der nicht nur den »Menschen und Dingen« mit Liebe zusetzt, sondern vom Erlebnis des Seins schlechtweg so Besitz ergriffen hat, daß es ihm zum Erlebnis des Habens geworden ist, neben einem solchen unwiderleglichen Ichbin bin ich nur ein armer Worthascher. Wer wüßte das besser als ich und sperrte sich selbstgenügsamer in seine Grenzen?

So eigensinnig lebe ich von der Lust, der Welt Werte abzulehnen und in der Verkehrung mir den Verkehr der Welt zu ersetzen, daß ich nicht nur für mich nach dem Verzicht strebe, sondern mir noch in jedem Falle, wo einer von mir weg in den Erfolg gegangen ist, einen persönlichen Mißerfolg zurechne, so daß ich mich am Ende des einzigen Talents werde beschuldigen müssen, in Menschen geirrt zu haben, worauf die gerechte Strafe steht, nicht auslernen zu dürfen. Umso größer das Glück, manchmal doch zu sehen, wie zwischen einem Gedicht und einem Mann kein Erdenrest bleibt, aus dem der Erfolg wächst. Daß er Einem erspart geblieben wäre, einem, um den auch Mars und die Musen gestritten haben, einem Gleichalterigen und Landsmann des Franz Werfel; daß er ihm erspart geblieben wäre, hätte auch Mars nicht die Oberhand behalten das weiß ich besser als man die Dinge weiß, die man schon erfahren hat. Was Franz Janowitz in den vier Jahren seines Kriegslebens und vorher geschwiegen hat, könnte dennoch einmal lauter und lauterer sprechen als die Werfel'sche Posaune, und gegenüber einer Literaturkritik, die dann von einem Nachfolger auf den Gedankenpfaden der Allfreund- schaft reden könnte, wird es geboten sein, rechtzeitig darzutun, wie vor einem, der an seinem Ursprung blieb, ein anderer, der um fremden Ursprung schwirren konnte, Schein und Schall voraushatte. Was zugleich uns Entfernte entschuldigen mag, die

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gegen den Zauber einer neuen Gefühlswelt sich kritisch nicht widerstandsfähiger zeigen mußten als Herr Werfel produktiv, und mein immerhin rechtzeitig aufgetauchtes Mißtrauen bestätigen wird. Ein geistiges Ding kann eine Zeitlang echt scheinen, weil sein Stoff die Echtheit ist, aber es verrät sich bei näherer Kenntnis dessen, der's trägt, und daß sich dann auch noch der Schöpfer dazu findet, ist nur die erwartete Entscheidung in jenem einzigen Bereiche, in dem es noch eine Gerechtsame gibt. Ich möchte schon heute der Prager Literatur in allen Zentren des Geisteslebens den Rat geben, sich mit ihren Erfolgen zu begnügen und den Schatten Franz Janowitz, der bei den schweigenden Lebzeiten des Dichtersauf ihr Da-sein und Dortensein gedrückt hat, nicht ihren Gestalten anzureihen, wozu sie bereits schüchterne Anstalten trifft. Er ist heute nicht wehrloser, er würde jetzt erst sprechen. Die Sprache finden, bei der er immer war und die er selbst im Trommelfeuer zu hören gewollt hat. Was dieser Franz Janowitz auf einer Feldpostkarte über das Geheimnis eines Vokals aussagen konnte, in einem meiner versgewordenen Worte, die so weit von dem Anspruch entfernt sind, sich durch das All zu ergeußen, das sollte wohl einen Franz Werfel, der mir »Wortdienst Götzendienst!« zugerufen hat, beschämen. Er, der Schöpfer, der durch sich selbst fliegen kann über tausend Meere und wie erst hinweg über meine Grenzen, überschätzt mich dennoch, wenn er höhnt, daß meine Qualen »nicht den Menschen und Dingen, die ich zu Worte bringe, gelten, sondern dem Worte selbst«. Das hält er für armselig genug. Ach, es ist weit schlimmer um mich bestellt, denn wenn ich nur unter solchem Zustand litte, so könnte ich mich davon befreien, indem ich mich von den Menschen und Dingen befreie, die ich, wie Herr Werfel sich das vorstellt, zu Worte bringen will und doch nicht müßte. Es ist schön von ihm und zeugt von seiner selbst mich umfassenden Nächstenliebe, daß er bereit ist, dieses Leid mit mir durch- zumachen. Aber weiter könnte sein lebendiges Mitgefühl kaum dringen, nämlich bis dorthin, wo eben das beginnt, was er nicht versteht. Denn es ist nichts geringeres Herr Werfel erschrecke nicht , als daß die Menschen und Dinge, von denen ich mich längst befreit hätte, wenn's nur drauf ankäme, sie zu Wort zu bringen etwas dagegen haben! Und darin ist jene Qual

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enthalten, die so schwer mitzumachen ist und bitter wie ihr Bekenntnis:

Wer sprechen kann, der lache

und spreche von den Dingen.

Mir wird es nie gelingen,

sie bringen mich zur Sprache.

Der Glückspilz des Wortes freilich, dem es zur Verfügung steht und dem der Schnabel hold gewachsen ist, um von allem und zu allem, was es gibt, zu sprechen und vor allen, die es gibt dessen Anteil gilt unmittelbar den Menschen und Dingen und ihm bleibt selbst jene formale Wortmühe erspart, als die er meinen Zustand begreifen möchte. Was weiß denn ein Weltfreund von meinem Elend? Ahnt er, daß die erreichte Menschenbrüderschaft eine Schlaraffengemütlichkeit ist neben der furchtbar zärtlichen Innung der Worte; und daß seine Gefühlsamkeit um die Dinge ein Kinderspiel ist neben Lust und Schmerz jener Mitwisserschaft, welche die Anziehungskraft der Laute erlebt? Und daß die Anziehungskraft der Leute in solchem Stadium keine Ablenkung vermag? Hat ein Voyeur der Menschenliebe je in dieses Reich der Leidenschaften geschaut? Ein Shakespeare mag seine Silbenstecher verspotten, da sein Spott zugleich sie erhöht, indem er sie um eines Shakespeareschen Zuges willen und mit Shakespeareschem Wortwitz verspottet und ihnen Sätze in den Mund legt, die seines Spottes spotten. Aber ich bin kein allitterierender Schulmeister und Herr Werfel, der sich von Shakespeare schon durch die Fähigkeit, keinen Wortwitz machen zu können, unterscheidet, spottet nicht einmal seiner selbst und weiß bloß nicht wie. Er hat wirklich nebst den vielen Dingen, die ihm unmittelbar ans Herz gewachsen sind und die er bloß nicht kennt, von jenen keine Ahnung, zu denen man keine andere Beziehung als die der Ahnung haben kann. Es ist eben leichter, sich in die Lage eines Schiffsheizers, sogar in das Schicksal eines Dienstmädchens, das die Schüssel fallen läßt, ja selbst in die Situtation einer schwangeren Frau zu versetzen als in die ganz andern Umstände, die bei meinem Schreiben vorwalten. Heißer habe ichs, ungeschickter mache ichs und schmerzlicher ist es. Wenn Herr Werfel aber schon nicht weiß, wie sich Mütter die Augen aussticken, geschweige

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denn die Qual, wenn Kaiserinnen nicken, so sollte er auch so bescheiden sein, sich in eine Erörterung meiner Passion nicht einzulassen, umsoweniger als man nach seinem eigenen Eingeständnis nie wissen kann, wie dem Löwenzahn zumute ist, wenn ein Kind an ihn rührt, und ich ihm gern zu verstehen gebe, daß meine Wertlosigkeit sich nur auf den Anlaß und nicht auf den Erreger erstreckt »Mein Mut ist Löwenzahn!« So eng meine Grenzen, so lebhaft mein Wunsch, daß sie von außen nicht überschritten werden, und daß ein Anrainer der ewigen Sphären darauf verzichte, in der meinigen nachzuschauen und meine Abenteuer der Arbeit mitzumachen. Er ist entschädigt. Ihm schenkte nicht allein des Gesanges Gabe, der Lieder süßen Mund Apoll, damit sich eine erholungsbedürftige Zeit daran erquicke, er ist auch, um tieferem Bedürfnis zu genügen, des Gottes voll mein Eidgenosse beschwor es; ein Götzen- diener des Worts würde vergebens, erfolglos, es bestreiten. Aber Neid könnte dem, der im Genuß der Entsagung schwelgt, nicht vorgeworfen werden. Bliebe nur die Rache.

Ich wüßte nun zwar keinen bessern Grund, um mich an einem schlechten Gedicht zu rächen, als das schlechte Gedicht, und könnte darauf verweisen, daß meine Angriffe, seitdem ich Krieg führe, ihr Motiv an der Stirn tragen, die ich offen allen Feinden biete mit Ausnahme jener, denen ich den Rücken biete, weil sie ihre eigene Berechnung oder Hysterie zum Maß meiner Taten machen. Daß ich einen Weltkrieg führe, mag für die Krapüle noch immer auf verletzte Eitelkeit oder auf den Papierkorb, den ich von einem Zeitungsherausgeber erhalten haben soll, zurückzuführen sein, und die Judengasse glaubt noch immer nicht, daß ihre Psychologie ein triftigerer Grund ist, sie zu verpönen, als der Tatbestand, den sie fingiert. Wie vermöchte der Ehrenschild vor einem Lebenswerk unversehrt den Sagenkreisen zu entkommen, in denen die Tat ein Geschäft und der Angriff eine Repressalie ist? Wo gibt es eine Rettung vor denen, deren Beruf ist, nicht zu glauben? Wo wäre in dieser Welt der Geschichtenträger, Kaffeebrüder und Mollusken, über deren Wesenlosigkeit mich die Panzer tracht dieser Jahre nicht getäuscht hat, eine Klarstellung männlicher Dinge möglich? Wenn ich es auf diese Region abgesehen habe, so kann freilich

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mein Angriff den persönlichen Ursprung so wenig verleugnen wie die persönliche Richtung. Um zum Urteil über die sprachlich manifestierte, sprachlich verkleidete Unpersönlichkeit zu gelangen, hat es immer wieder des persönlichen Aufschlusses bedurft, und ich bekenne mich nicht nur dieser Methode der literarischen Urteils- bildung schuldig, sondern auch der Kurzsichtigkeit, die mir manch einen Vers schön erscheinen ließ, ehe er mir eben das fragwürdige Gesicht zuwandte, das mir die Seele seines Autors offenbarte. Ein Gedicht ist so lange gut, bis man weiß, von wem es ist, und ich maße mir an, von sprachlichen Dingen so viel zu verstehen, daß ich den ganzen Menschen dazu brauche, um seinen Vers beurteilen zu können. Er ist zugleich gut und schlecht, und ehe man das zweite weiß, ist man gerne gewillt, das erste zu glauben. Denn eben das ist dieser Spielart gegeben, zu zeigen was sie nicht hat, und so hat auch sie teil an dem großen Geheimnis der Sprache, die eben dort, wo nicht Wesen ist, umso mehr Schein zuläßt. Vermag sie kein Wunder, so vermag sie doch den Zauber. So herzgebunden ist die Sprache der Lyrik, daß sie es entweder hat oder verhüllt, was sie nicht hat. Bis man das erkannt hat, gilt es immer wieder kennen zu lernen. Der Satzbau, der auf dem Flugsand der Hysterie steht, besteht nicht und der Seele, deren Grundgefühl die Unruhe des verirrten Geschlechts und deren haltbares Erlebnis die eigene Unsicherheit ist, traue ich den schönsten Vers nicht zu, den sie geschrieben hat. Lyrik ist entweder die Flucht des Stärkeren vor dem Leben oder des Schwächeren vor sich selbst. Zumeist kommt man ihr erst auf den Grund, wenn man auf keinen stößt, und manch ein Ichbin ist mir begegnet, das sich lange dieser Prüfung entzog und erst bewiesen hat, daß ihm das Ich fehle, als es dieses gegen mich behaupten wollte. Und vor solchen Offen- barungen sollte eine wahrhafte Literaturkritik Halt machen? Ein Lyriker selbst hat, da auch nach seiner Ansicht > nicht Hoheit und Niedrigkeit zugleich in einem Herzen wohnen können«, einmal zu- gegeben, daß das Werturteil über den Menschen das über den Lyriker bedeutet. Gegen welche literarische Betätigung wäre denn auch die persönliche Methode der Urteilsbildung weniger anfechtbar als gegen die allerpersönlichste? Was ich aber persönlich vergelte, ist nie die Handlung oder Gesinnung, die den Charakter

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anders deuten ließ, sondern einzig und allein das Gedicht. Dieses ist mir angetan. Die Handlung auch dann nicht, wenn sie mir angetan wäre. Das Gedicht aber läßt mich nicht verzeihen und nicht vergessen, daß ich es früher anders angeschaut habe, und weil vor der geistigen Front nur das unerbittliche Muß gilt, und weil mir das Problem der Deckung von Wort und Wesen unvermeidlich ist wie ein Schicksal, so gibt es da nichts als Erkenntnis und Bekenntnis, auf die Gefahr hin, daß ein Tölpel, ein Schuft, ein Gerücht oder wie das weglagernde Ding sonst heiße, eben das > persönliche Motiv«, welches doch das einzige Motiv ist, nicht Selbstmord in dieser Welt zu begehen, mir enthüllend auf den Rücken schreibe.

Meine Rachsucht wird offenbar: Handlungen, die mir nicht angetan sind, können mir eine Persönlichkeit aufschließen und das »persönliche Motiv*, an dem ausschließlich das Objekt beteiligt ist und das Subjekt nur als erkennender, nicht als- leidender Faktort ist der Hebel der Wendung, die der Flachsinn immer nur von einem verletzten persönlichen Interesse herleitet. Wenn ich einen Antialkoholiker auf Grund persönlicher Erfahrung entlarve, so wird diese als die schmerzliche Enttäuschung verdächtigt werden, daß er meinen Wein ausgetrunken habe. Wiewohl meine Erkenntnis seiner Persönlichkeit darum nicht minder stichhaltig wäre, so wird sie von einer Ethik, die nur das persönliche Interesse als den Beweggrund aller menschlichen Entschließungen begreift, selbst dann entwertet, wenn sie auf der Grundlage einer streng objektiven Erfahrung zustandekommt. Im Angesicht solcher sittlicher Kompetenz jedoch empfiehlt es sich, das persönliche Motiv als das einzige sachliche zu bejahen, solange daran nur die Persönlichkeit des Angegriffenen und nicht das persönliche Interesse des Angreifers beteiligt ist. Der Verdacht kann sich, um dennoch »Rache« zu vermuten, vor solcher Hartnäckigkeit ja getrost auf die Wahrnehmung zurückziehen, daß eine Kritik als Antwort auf eine Kritik erfolgt. Diese Entwertung könnte meinem Urteil tatsächlich, wenngleich erst jetzt widerfahren. Denn der Dichter hat einen »Offenen Brief« an mich veröffentlicht, mit dem er nicht nur den gern eingeräumten Unterschied zwischen seiner Weite und meiner Enge gründlich ausschöpft, sondern auch bis auf die psychische Wurzel meiner

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unfreundlichen Weltbetrach tung vordringt und an diesem Fall die Problematik, die zwischen Schreiben und Leben spielt, mit der ganzen Selbstaufopferung, deren die psychoanalytische Methode fähig ist, entblößt. Indem er die Distanz zwischen einem Satiriker und der Menschheit auftut, erkenne ich wieder nur die zwischen einem Vers und einem Menschen. Ich sei, enthüllt der Verfasser der »Metaphysik des Drehs«, ein Hysteriker, ich sei es; was ich schreibe, sei ein >sublimierter Alibi- beweis«, ich führte > Dialoge mit einem scheinbaren Partner«, ich sei kein Ichbin, ich sei ein >ichsüchtiger Selbstmordkandidat«, ein »Feigling und Drückeberger des Zerfalls«, »kein wirklicher Mensch« (welcher Entdeckung sogar ein tätiger Mitstreiter des Herrn Werfel, der mich vorher »christushaft« befunden hatte, zustimmen mußte); ich sei einer, dessen Schicksal es ist, die Welt aus dem Zeitungsblatt zu erleben, »wie es in anderem Sinne das Schicksal der ganzen Zeitgenossenschaft ist«, die Welt sei aber »nicht identisch mit der Zeitung« (an welchem Wider- spruch aber die Welt und nicht der Weltfreund schuld ist); ich mache schlechte Witze, die Herrn Werfel in der Hand bleiben und dann wirklich ein Dreck sind ; ich sei ein Taschenspieler, treibe Gespensterpolitik, liebe Seitenblicke, publiziere Privatbriefe (was ich doch nur tue, bevor sie als offene erscheinen), kurz und gut, ich habe mich seit der Stunde, die gebieterisch und unverrück- bar den Planeten des Herrn Werfel an den meinen band, sehr veiändert. Nun könnte ich wohl zugeben, daß ich mich dem Eindruck solcher Konstatierungen nicht leicht entziehen kann und daß immerhin, wenn ich nicht schon zum Glück mein endgiltiges Vorurteil über die Werfel'sche Lyrik hätte, dieses noch durch das polemische Betragen des Dichters ungünstig beeinflußt werden könnte, das ja reichlich jene Aufschlüsse über den Menschen liefert, die die Maske des Reims so diskret vorenthält. Ich möchte der ungebundenen Sprache des Dichters das Ver- dienst nicht abstreiten, wenn schon nicht an seiner Wertung, so doch an dem Entschluß, sie zu Wort zu bringen, mitgewirkt zu haben. Mehr als ein Waschzettel, in dessen Adjektiven ich das Echo der Persönlichkeit höre; mehr selbst als jene Kritik, deren Jauchzer nur die bequemen Stichworte der Negation waren und die ich nicht zitiert, sondern reklamiert habe,

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weil sie schlechthin meine in Begeisterung übersetzten Original- bedenken darbieten. Die Anregung, sie zu äußern, habe ich doch dem Werfel'schen Artikel, diesem Dialog mit einem sehr realen Partner, zu verdanken. Einen besseren Kommentator, einen unmittelbarem, hätte dieser Autor nicht finden können als sich selbst. Wann hat denn jemals ein Schreibender mit stärkerer Unbefangenheit das Bekenntnis abgelegt, daß das einzige Erleb- nis, welches er selbst durchzumachen hat und wenn ihn die Liebe in alle Welten entführte, das des Wortes, ihn entwerte! Wann hätte ein Künstler mit geringerem Ahnungsvermögen den tiefsten erotischen Zusammenhang, den mit der Sprache, zum Kult der Form herabgesetzt, die Verankerung der Welt im Wortwesen zum ästhetischen Sport! Wenn ich Herrn Werfel sagte, daß, wer dem Wort näher ist, auch den Menschen und den Dingen näher ist; daß in der Claudius'schen Zeile »'s ist leider Krieg«, das »leider« den größten Komparativ von Leid bedeutet und daß davor alles mitgemachte Leid der Werfel'schen Liebe wie ein gemachtes Mitleid in Nichts vergeht; daß ein Wort am rechten Ort das Herz selbst am rechten Fleck ist; und daß nicht allein im kleinsten meiner Versworte mehr Existenz ist als in seinem ganzen lyrischen Da -sein, nein, in meiner letzten Glosse, nein, in meinem letzten Zitat einer Lokalnotiz, in einem Titel, einem Komma, einer Druck- anordnung, einem Umbruch, einem Zwischenraum zwischen Worten mehr Leben, Liebe, Leid und Lyrik ist als in seiner ganzen Schöpfung er würde es nicht glauben, nicht verstehen und gegen solchen Götzendienst der Letter sich auf seine anerkannte Parteinahme für die Menschen und Dinge berufen. Ich nehme sie nur beim Wort und was bei diesem Verfahren von Herrn Werfel übrig bleibt, dürfte man merken. Es könnte auf Rache zurück- zuführen sein, denn einen schlechten Polemiker zitieren, heißt schon sich an ihm rächen. Nur daß ich beim redlichsten Willen kein anderes Motiv für diese Rache zugeben könnte als sein eigenes Wort. Den Beweggrund gekränkter Eitelkeit oder erlittener Ein- buße muß ich in Abrede stellen. Da der Werfel'sche Angriff das Urteil der mir kompetenten Öffentlichkeit nicht beeinflussen wird, indem er mir weder bei mir schaden noch mich bei meinem scheinbaren Partner blamieren kann, so hat der

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Wunsch, Werfeis Tun ihm vor seinem viel breiteren Forum zu vergelten, keinen Raum in meiner Seele. Rachsüchtig bin ich nicht, und kein gerechter Beurteiler wird in meiner Kritik, die eine lyrische Unermeßlickeit auf eine begrenzte Persönlichkeit herab- zustimmen sucht, Spuren dieser unedlen Regung auffinden können. Hätte ich auf den »Offenen Brief« reagieren wollen, wie er es verdient hat, so hätte sich mir ein ganz anderes Mittel geboten, und ich kann verraten, daß ich sowohl den Einflüsterungen meines scheinbaren Partners wie dem Drän- gen mancher besseren Freunde widerstehen mußte, die mich zu einer überaus gehässigen, teuflischen, ja geradezu persönlichen Abwehr überreden wollten. Was sie mir rieten, war die Feder sträubt sich, es anzudeuten nichts anderes als was ich, um mir in einem äußersten Falle Ruhe zu verschaffen, notge- drungen schon einmal in der deutschen Literatur getan habe, nämlich vis-ä-vis dem Alfred Kerr. Ich habe mich damals hin- reißen lassen. Aber ich verschmähe es heute, dieses unfaire Mittel anzuwenden, das gegen einen Berufspolemiker, der nicht Ruhe geben wollte, als ultima ratio seine befreiende und vernichtende Wirkung geübt hat, jedoch in der Defensive gegen einen Welt- freund, der nur einmal aus der Rolle gefallen ist, unerlaubt wäre. Ich hoffe nicht, daß ich doch noch einmal dazu genötigt sein werde oder daß mein Partner und die andern Ratgeber mich so weit treiben. Ihr Rat war Rache. Unerbittlich zu sein. Keinen Pardon zu geben; sondern schonungslos den Angriff des Franz Werfe! nein, so bin ich nicht abzudrucken!

115 Meinem Franz Janowitz

(getötet am 4. November 1917;

Ein Landsknecht du? Vier Jahre deines Seins hast du dein frühlinghaites Herz getragen durch Blut und Kot und alle Peil* und Plagen und wurdest der Millionen Opfer eins?

Und durftest, was du mußtest, uns nicht sagen und fühltest Vogelsang des grünen Rains und lebtest stumm am Rande dieses Scheins und fromm genug, um ferner nicht zu fragen.

Und da dein reines Herz erstickt in Kot, das Mitgefühl der Zeit mußt du entbehren. Ein treuer Bursch nur stand bei deinem Tod.

Doch seine Thränen wird die Welt vermehren, färbt einst nicht Blut mehr, färbt die Scham sie rot. Bis dahin mag sie ihre Henker ehren!

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Die letzte Nacht

(Aus dem Epilog zu der Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit«.)

Der Horizont ist eine Flammenwand. Nachdem Gasmasken, sterbende Soldaten, ein General, Kriegskorrespondenten, ein Totenkopfhusar, der Doktor ing. Abendroth aus Berlin und andere Erscheinungen gesprochen haben, setzen die folgenden Auftritte ein. (An diese schließen sich die Wechselreden von drei gelegentlichen Mitarbeitern an, hierauf Rufe von Kriegern, Ordonnanzen und Kinooperateuren, Stimmen aus dem Kosmos und die Stimme Gottes.)

Es wird dunkel. Es erscheinen Hyänen, die Menschengesichter tragen.

Als Sprecher die Hyänen Fressack und Naschkatz. Sie kauern vor

den Leichen und sprechen, rechts und links, in ihr Ohr.

Fressack

Wenn Sie vielleicht was bedarfen, wenn Sie vielleicht

was bedarfen, wir sind da, wir tragen Gesichter als Larven. Doch erschrecken Sie nicht vor Barten und Mähnen: wir sind keine Menschen, wir sind nur Hyänen! Nur daß Ihr Opfer umsonst nicht wäre, sind wir hier am Platz, auf dem Felde der Ehre. Bedarfen Sie nichts, nehmen wir Ihnen was ab, was solin Sie mit Schmuck und Barschaft ins Grab!

Naschkatz

Ihr seid nebbich froh, daß alles erledigt. Für eure Verluste haben wir uns entschädigt. Auf unseren Rat gingt ihr frisch in das Feld, gabt ihr euer Blut, nahmen wir euer Geld. Damit wir gewinnen, mußtet ihr wagen, jetzt gilt's noch ein Scherflein beizutragen. Wenn ihr auch besiegt seid, wir werden doch siegen. Das Blut ist gesunken, das Fleisch ist gestiegen.

Fressack

Ihr könnt euch in dem Punkt auf uns verlassen: bald wird euch des Kaisers Rock nicht mehr passen. Mit euren Granaten und Bomben und Minen fahrt weiter so fort und laßt uns verdienen. Das ist ein Vergnügen, herum hier zu lungern, ihr braucht nicht zu frieren, ihr braucht nicht zu

hungern! Wir wissen es doch, unser Ehrenwort, heuer sind Kohle und Fett noch dreimal so teuer!

Naschkatz

Wir sagen es ins Ohr euch, ihr solltet uns danken: dadurch daß ihr hier liegt, gehts besser den Banken. Durch die Bank konnten sie das Kapital sich

vermehren, die Fusion ..mit der Schlachtbank kann man ihnen

nicht wehren. Ihr könnt noch von Glück sagen, so ruhig zu liegen, wenn zugleich mit den Kugeln die Tausender fliegen. Doch ihr seid entschädigt: ein jeder ein Held! Ihr schwimmt ja in Blut, und wir nur in Geld.

Fressack

Ihr werdet doch fortleben in den Annalen!

Umsonst ist der Tod, doch dafür muß man zahlen.

Wir haben den Krieg ja nicht angefangen.

Wir haben ihn nur gewünscht, aber ihr seid gegangen!

Von unsern Verdiensten wird niemand singen,

euch müssen doch schon die Ohren klingen!

Von euch werden euere Enkel noch sagen.

So solln sich die unsern über uns nicht beklagen.

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Naschkatz

Meine Kinder warn auf ein Haar an die Front

gekommen. Zum Glück aber hat man sie nicht genommen. Der eine is für Hintertürin zu ehrlich, er is im Geschäft einfach unentbehrlich. Der andere is zu stolz, so war ich für ihn oben, a conto dessen is er heute enthoben. Aufs Jahr lass' ich meinen Jüngsten entheben. Ihr wart auch einmal jung da soll man erleben !

Fressack

Mein Bub hat ka Protektion, doch er hat sichs

gerichtet,

der andere hat Talent, er hat über Siege gedichtet.

In demselben Moment, wie ihn das Vaterland rief,

macht der Jung ein Gedicht und kommt ins Archiv.

Er will aber hinaus statt bei Hoehn is ihm lieber

er geht, und wird gleich Dramaturg bei Ben Tiber.

Bittsie drin muß er schreiben, was sich draußen

ereignet !

Der Jüngste is nebbich ungeeignet.

Naschkatz

Ihr könnt nicht genug die Mezzie euch preisen, ihr starbt doch für Wolle, wir leben für Eisen. Und wir müssen gestern und heute und morgen uns noch für Leder und Seife und Tafelöl sorgen. Freihändig offeriert man und erlebt noch die Schand, ein Dutzend Waggons bleibt einem in der Hand! Jetzt gehts noch, doch im Frieden da sag ich

von Glück, wenn, Gott geb, entsteht eine Waffenfabrik.

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Fressack

Gott verhüte das Unglück, wer redt heut von Frieden, wir haben uns zur Not mit der Kriegsnot beschieden. Wir liefern und leisten, und geben auch was her dann warn wir geliefert, und das war ein Malheur. Was heißt Waffenfabrik, ich bin zufrieden mit Skoda, die Wirkung wie treffend beschreibt Roda Roda. Wenn ihr schon genug habt, so laßt nackt euch

begraben, meine Frau will einen neuen Pelzmantel haben.

Naschkatz

Ihr könnt es uns glauben, das Leben ist sauer, ihr Toten, ihr solltet für uns tragen Trauer. Wenn sich einmal herausstellt, man hat umsonst

sich geplagt, das Friedensrisiko Ihnen gesagt! Wie wenig bleibt einem, denn für meinen Sohn kauf ich jetzt ein Gut, und mein Freund wird Baron. Einem jeden das Seine. Dem Helden das Grab. Wir sind die Hyänen. Uns bleibt nur der Schab!

Chor der Hyänen

So sei's! So sei's! Doch nur leis! Nur leis! Die Schlacht war heiß und durch eueren Schweiß und durch unseren Fleiß ist gestiegen der Preis. Gott weiß, Gott weiß. Noch drei Waggon Reis und noch drei Waggon Mais stehn auf dem Geleis. Steh auf, geh leis! Wir schließen den Kreis. So sei's! So sei's!

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Tango der Hyänen um die Leichen. Die Flammenwand im Hintergrund ist inzwischen verschwunden. Ein schwefelgelber Schein bedeckt den Horizont. Es erscheint die riesenhafte Silhouette des Herrn der Hyänen. In diesem Augenblick stehn die Hyänen still und bilden Gruppen.

Der Herr der Hyänen

Schwarzer, graumelierter, wolliger, ganz kurzer Backen- und Kinnbart, der das Gesicht wie ein Fell umgibt und mit ebensolcher Haarhaube verwachsen scheint; energisch gebogene Nase; große gewölbte Augen mit vielem Weiß und kleiner stechender Pupille. Die Gestalt ist gedrungen und hat etwas Tapirartiges. Jackettanzug mit Piqueweste. Der rechte Fuß in ausschreitender Haltung. Die linke Hand, zur Faust geballt, ruht an der Hosentasche, die rechte weist mit gestrecktem Zeigefinger, auf dem ein Brillant funkelt, auf die Hyänen.

Habt acht! Und steht mir grade!

Ich komme zur Parade,

und es gefällt mir gut.

Ihr habt die Schlacht gewonnen!

Nun ist die Zeit begonnen!

Nun zeiget euren Mut!

Müßt nicht mit leisen Tritten

den Tod um Beute bitten.

Weh dem, der jetzt noch schleicht!

Nein, sollt mit freiem Fuße

ihn treten, Gott zum Gruße!

Denn jetzt ist es erreicht!

Und der es einst vollbrachte, an seinem Kreuz verschmachte, wert, daß man ihn vergißt. Ich tref an seine Stelle, die Hölle ist die Helle! Ich bin der Antichrist.

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Dank steigt von allen Dächern, daß jener zwischen Schachern nun auch sein Spiel vollbracht. Sein bißchen Blut, verronnen ist's kläglich an den Tonnen der unverbrauchten Macht!

Die Liebe ist gelindert! Sie hat es nicht verhindert, was nun zum Glück geschah. So hört, ihr wahrhaft Frommen, das Heil ist doch gekommen, der Antichrist ist nah!

Die nie besiegte Rache half der gerechten Sache, ich war ihr gutes Schwert! Sie zogen blank vom Leder dank meiner guten Feder. Die Macht nur ist der Wert!

Aus diesem großen Ringen mit vielen Silberlingen gehn siegreich wir hervor. So schließen sich zum Ringe die altgedachten Dinge. Das Kreuz den Krieg verlor!

Und die gekreuzigt hatten, wir treten aus dem Schatten mit gutem Judaslohn! Mich schickt ein andrer Vater! Von seinem Schmerztheater tritt ab der Menschensohn.

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Er weicht dem guten Bösen. Er wollt' die Welt erlösen; sie ist von ihm erlöst. Damit sie ohne Reue, was sie erlöst hat, freue und für den Himmel tröst'!

Der Haß mußt' sich empören. Um nimmer aufzuhören, war Liebe nicht gemacht. Dank dieser Weltverheerung gilt eine ewige Währung, zu der der Teufel lacht!

Geht auch die Welt auf Krücken, der Fortschritt mußte glücken, ging aufs Geschäft er aus. Was Gott nicht will, gelingt doch, der Teufel selber hinkt doch und macht sich nichts daraus.

Mit invalider Ferse geht dennoch er zur Börse und treibt den Preis hinauf. Dort ist's gottlob nicht heilig, der Teufel hat's nicht eilig und läßt der Welt den Lauf.

Ich bin sein erster Faktor, ich bin des Worts Redaktor, das an dem Ende steht. Ich kann die Seelen packen und trete auf den Nacken von aller Majestät!

VAÖ

Ich züchtige die Geister. Drum zollet eurem Meister den schuldigen Tribut. Nach diesen großen Taten auf größern Inseraten die neue Macht beruht.

Das Leben abzutasten mit unbeirrtem Hasten, seid, Brüder, mir bereit. Versteht der Zukunft Zeichen, tastet noch ab die Leichen, in Ziffern spricht die Zeit!

Laßt keine Werte liegen, die dann die andern kriegen, macht eure Sache ganz! Tragt ein in die Annalen die intressantern Zahlen und macht mir Blutbilanz 1

Der alte Pakt zerreiße! So wahr ich Moriz heiße, der Wurf ist uns geglückt! Weil jener andre Hirte sich ganz gewaltig irrte! Ich heiße Benedikt!

Ich bin gottlob verwandt nicht, die andere Welt sie ahnt nicht, daß ich ein andrer Papst. Denn alle an mich glauben, die wuchern und die rauben und die im Krieg gegrapst.

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Die Frechen und die Feigen vor meinem Thron sich neigen, denn nun erst gilt das Geld. Daß nie der Zauber weiche von diesem meinem Reiche! Es ist von dieser Welt!

Ging' es nicht über Leichen, die dicken, schweren Reichen das Reich erreichten nie. Steht auch die Welt in Flammen, wir finden uns zusammen, durch schwärzliche Magie!

Durch die geheime Finte zum Treubund rief die Tinte die Technik und den Tod. Mögt nie den Dank vergessen den Blut- und Druckerpressen. Ihr habt es schwarz auf rot!

Ich traf mit Druckerschwärze den Erzfeind in das Herze! Und weil es ihm geschah, sollt ihr den Nächsten hassen, um Judaslohn verlassen der Antichrist ist da!

Walzer der Hyänen um die Leichen.

Die Hyän en

So sei's! So sei's! Wir treten mit Mut. Wir treten nicht leis. Wir trinken das Blut!

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Wir treten mit Mut. Wir trinken es heiß. Wir treiben das Blut. Wir treiben den Preis!

Vergossen, vergessen, genossen, gegessen, wir prassen und pressen, wir treiben den Preist

So sei's! So sei's! Wir treiben es mit Mut. Die Schlacht war heiß. Wir pressen das Blut!

Nicht sinke der Mut. Wir bleiben im Kreis. Wir treiben das Blut. Nicht sinke der Preis!

Vergossen, vergessen, genossen, gegessen, wir fressen und pressen, wir treiben den Preis!

Wir treten und treiben und trinken das Blut. Wir pressen es gut!

Wir treten und treiben und trinken es heiß. Wir treiben den Preis!

Schlaft gut, schlaft gut! Wir treten nicht leis. Eia popeia! So sei's! So sei's!

Die Hyänen lagern sich über die Leichen. Drei gelegentliche Mitarbeiter erscheinen.

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Meinem Franz Grüner

(getötet am 19. Juni 1917)

Wo bleibst du denn? Andacht und Wissenschaft will ich von deiner reinen Stirne lesen. Welch öder Zufall hat dich mir entrafft? Was triebst du dort, wo du zuletzt gewesen?

Lebhafter Hörer sprachst du mir vom Geist, wie ward dem unruhvollen Herzen stille. Du frommer Forscher. Sprich, da du es weißt: Wohin wies dich der unerforschte Wille?

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Notizen

Romain Rolland, von dem ich überzeugt bin, daß die Feinschmeckerischen seine Werke um seines Namens willen lieben, gehört zu jenen manchen Autoren, die es mit der Menschheit von der Schweiz aus gut meinen, während ich zum Beispiel, der doch auch einiges auf dem Herzen hat und sich gleichfalls öfter in der Schweiz aufhält, dortselbst schweige und wenn ich's schon gar nicht mehr bei mir behalten kann, nach Berlin fahre, ganz abgesehen davon, daß ich ja während des Krieges in einem andern Zentralstaate mehr gesagt habe als sämtlichen Miß- vergnügten zwischen Basel und Genf je einfallen könnte. Wohl beklage ich eine Ordnung der politischen Dinge, die einem nicht mehr wie anno Herwegh die fürstliche Gunst einer Ver- bannung in die Schweiz schenkt, sondern einen erst nach Beibringung eines »triftigen Grundes« und Bestehung sonstiger Greuel der Erlaubnis der »Ausreise« teilhaftig werden läßt. Aber weil dies so ist und weil man ja doch auch von der Erlaubnis einer Rückkehr Gebrauch macht, solange man ein Verbot der Rückkehr nicht erlangen kann, da man ja immer wieder zu Hause zu tun hat, ehe man mit den Vorbereitungen zur endgiltigen Selbst- verbannung fertig ist, so würde ich es nicht für zimmerrein halten, hinter dem Rücken des Inlands das zu sagen, was man ihm ins Gesicht sagen kann. Ich lebe also in der Schweiz als ein Privatmann, der sich aus unüberwindlicher Abneigung gegen die Ringstraße in die Berge begeben hat, entschlossen, diese Antipathie vor den Bergen zu verheimlichen und erst der Ringstraße wieder zu verraten. Andere halten es anders. Die guten Europäer aus Wien, Berlin und Budapest, die sich in Zürich zusammenfinden, werden dort als solche anerkannt, wiewohl sie bisher keinen Versuch gemacht haben, auch daheim diese Ge- sinnung zu betätigen, wo sie im Gegenteil fürs .Donauland' zu sterben bereit sind, und es gelingt ihnen sogar, bei den guten Europäern aus Paris, die es schon eher sind, aber auch besser täten, es daheim zu sein, Kredit zu finden. Was sich aus der geringeren Routine des guten Europäertums derer aus Paris

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erklären könnte. So kommt es/daß Herr Stefan Zweig eine Dichtung in Zürich aufführen läßt und Romain Rolland infolgedessen wohl mit Recht so übersetzt das schöne Bild bringt : »Nach den starren Schrecken der ersten Kriegszeit ergrünte von neuem die geknebelte Kunst« und von einem unaufhaltsamen Sang der Seele spricht, der aus ihrem Schmerz hervorquoll. Ferner:

So hat ein großherziger Dichter das Beispiel der überragenden Freiheit des Geistes geschaffen. Andere stellen sich Angesicht zu Angesicht gegen die Verbrechender Zeit, sie messen sich mit der Macht, die sie vernichtet .... Hier sieht die gefriedigte Seele den tragischen Strom der Gegenwart vor sich hin- ziehen; aber sie quält sich nicht mehr, weil sie den Lauf der Strömung bis ans Ende überblickt; sie mengt sich den jahrhundertstarken Kräften, dem geruhigen Geschick, das sie in Ewigkeit zu schreiten weiß.

Herr Romain Rolland hat gewiß nie etwas von der Fackel gehört. Aber er hat ganz recht, sich einen Gegensatz vorzustellen: Andere messen sich mit der Macht, stellen sich Angesicht zu Angesicht gegen die Verbrechen der Zeit, deren Opfer jene sind, die im Schützengraben Jugend oder Leben verlieren müssen, und wieder andere, nämlich die gefriedigten Seelen des Kriegsarchivs mengen sich den jahrhunderistarken Kräften, dem geruhigen Geschick, quälen sich nicht mehr, weil sie den Lauf der Strömung bis ans Ende überblicken, und werden sogar auf Propaganda in die Schweiz geschickt.

Was vom »Jeremias« des Herrn Zweig auszusagen ist:

. . . tiefes inneres Erleben unserer heutigen Nöte lieh die Klangfarben; Bekenntnishaftes eines kulturweisen Menschen leuchtet überall durch ....

Was der Jeremias des Herrn Zweig von sich aussagt:

... ich habe gekündet, weil ich meinete, er werde mich zum Lügner machen, und werde retten Jerusalem.

Demnach wäre auch Jeremias während des chaldäischen Feldzuges Prophet im hebräischen Kriegsarchiv gewesen.

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Noch ein Fall von Dioskurentum, der in Zürich beobachtet wurde :

. . . Fritz von Unruh muß mit Goethes Faust völlig durchtränkt sein. Der Rhythmenreichtum des zweiten Teiles ist ganz in sein Ohr eingegangen, und die bedeutungsschwere, gedrungene, wort- kühne Diktion von Goethes Altersstil erblüht unter seiner Hand zu neuem, schwellendem Leben, so daß ein schillerisch flutendes Pathos in all diese prachtvollen Formgebilde hineinströmt.

Das ist gewiß bedenklich, im Gegensatz zum Fall Werfel betrifft es aber einen Schreibenden, der auch ein Erlebender war und keinesfalls für den Besprechenden verantwortlich gemacht werden kann. Dieser heißt mit Recht Trog, während der andere der beiden kritischen Dioskuren nur Korrodi heißt.

Der zweite, der Werfelfreund, hat den Humor, gelegentlich zu bemerken, »daß gegenwärtig eine maßstablose und maßlose Superlativkritik im Schwange ist, die die Bewunderung der Verleger, doch nicht der Leser finden wird«. Und er zweifelt, >ob Salomo auch den Kritiker meint, wenn er spricht: ,Ein Mann wird durch den Mund des, der ihn lobt, bewährt, wie das Silber im Tiegel und das Qold im Ofen.'« Derselbige sagt dem Alfred Kerr zum fünfzigsten Geburtstag nach, »Herrisches und Herrliches« sei im Vorwort seines Buches zu lesen, Sätze wie: »Die wert- vollsten Feststellungen brauchen nicht an den wertvollsten Dramen gemacht zu sein« und »Dies Buch, das Eintagsfliegen fängt, ist keine«. Und der Leser müsse Kerrs Selbsturteil akzeptieren, »denn könnte er besser formulieren als mit dem schon erwähnten, aber der Wiederholung würdigen Satze: , Dies Buch, das Eintagsfliegen fängt, ist keine'?« Gewiß nicht, denn ein armer Teufel oder ein Frosch fangen Fliegen, aber die Fliege selbst kann so was nicht. Ein Beweis für »diese singulare Kunst der Kritik« : Kerr schreibe »als strotzender Sprößling einer sehr jungen Kultur« (was keineswegs bezweifelt werden soll) »ohne Pietät vor allzu pietätvoll bewahrtem literarischen Erbe anläßlich der Amphitryonfabel Kleists: ,Daß ein Mythos die Dinge so darstellt, geht mich einen Quark an. Ich lebe 191 5.'« Nun ist das nicht so sehr ein Verstoß gegen

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die Pietät vor dem literarischen Erbe Kleists die sei dem Preußen gewährt , als die Verletzung der Pietät vor allem Erbe, .das der Mensch vom Menschen übernommen hat, das man Kultur nennt und das alle die Güter in sich begreift, die bis zur Errichtung des Kurfürstendamms vorhanden und geheiligt waren. Daß Herr Kerr 1915 lebt, braucht er einem nicht erst zu sagen. Es ist die Weltanschauung, der wir das- so datierte Ereignis verdanken. Den schuldigen Mann geht's Grausen an; den Neutralen freut's.

Solche Zeitschrift in des Juweliers Auslage.

Wie der wahrhaft Fromme Andacht nicht mit der Masse ver- richtet, ist mit dem Kunstwerk der Verständige am liebsten allein.

Carl Sternheim.

Daß Herr Sternheim, der diese Worte einem Berliner Büttenkleinod widmet, seine Andacht am liebsten vor einer Juwelierauslage verrichtet, habe ich, wenn ich mit einem Kunst- werk seiner Sprache allein war, eben daraus entnommen.

Literarische Bühnen sind solche, die am Sonntagnachmittag aus Unfähigkeit, den Böhm in Amerika zu spielen, einen Besucher des Caf£ Central einer Schar von Besuchern des Cafe Central erzählen lassen, wie voll von Ekstasen, Sehnsuchten und neuen Lebensinhalten gewisse Besucher des Cafe Central sind, und hierauf Belege für diese Ansicht von engagierten weiblichen Mitgliedern vorlesen lassen, die im Cafe Central gelernt haben, daß es keine dankbarere Rolle gibt als so einen geformten Ausdruck letzter Möglichkeiten aus einer Gesamteinstellung wesentlich geschauter Ballungen des Ichbin. Oder mit einem Wort: . . . Das Wesen der Dichtkunst von heute sind die elastischen Beziehungen, für die es eine logische Manufaktur nicht gibt, ebensowenig irgend einen Grenz fall. Die Maßstäbe dieser Kunst sind relative, sie federn. Redner schloß mit der Mahnung: Nehmen Sie die Dichter elastisch, trachten Sie hinter den Menschen zu kommen. Wir sind alle ein Ganzes, das sich sammelt. Und wenn es sich gesammelt hat, dann kann es einmal heißen : Das Ganze m a r s ch I

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der schönen Frau unter den Weihnachtsbaum zu legen.

Jeder, der es sieht und durchblättert, wird es besitzen wollen, um wieder und wieder danach zu greifen.

Das ist aber nicht die in Berlin erschienene Anthologie von Klosettpapier mit aufgedruckten »Lügen unserer Feinde«, sondern eine andere patriotische Publikation, nämlich der in Wien erschienene »Donauland-Almanach«.

Dichtungen von . . Czokor (»Marschkompagnie<), Paul Stefan und ein reizend überlegenes Verslein von Albert Ehrenstein

(Vermutlich nicht identisch mit dem Autor des »Tubutsch«)

erheben sich aus dem Leid dieser Tage . . Kernstock .... Eine reiche lyrische Lese auch sonst : wir verneigen uns vor Rilke, grüßen Ginzkey . . Stefan Zweig, freuen uns über . . Max Brod, Hugo Salus .... Bartsch, Strobl, Hans Müller .... eine amüsante Geschichte von Roda Roda. . . .

Wir grüßen zwar nicht und freuen uns auch nicht, würden uns aber vor Rilke verneigen, wenn er es nur einmal vermeiden wollte, sich in solcher Gesellschaft und an solchem Orte blicken zu lassen.

Aus der Mittagszeitung vom 17. Oktober 1917: und dafür sorgen würde, daß auch der Unfug mit den unbeleuchteten Automobils aufhöre. Das Rätsel des Karl Kraus: Trösten Sie sich! Niemand nimmt den eingebildeten Schwätzer ernst, der, durch eine Schar unreifer Schwärmer in seinem Wahn bestärkt, sich gottähnlich dünkt. Es ist schade, Papier an ihn zu verschwenden. Man wird sich in ruhigeren Zeiten mit dieser spezifisch wienerischen Karikatur beschäftigen und namentlich das Verhalten des bewußten Herrn im Krieg kennzeichnen. Im allgemeinen verdient er nur Mitleid. Er ist nichts und kann nichts, nur schimpfen, geifern, besudeln. Und er hat Geld . . .

Kaufe Oold ! 1 4kar. Gold von K 5.80 bis K 6.80 per Gramm. Feingold K 1 0. Falsche Zähne bis K 2.80 pro Stück, Gebisse bis K 160.

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»Literarhistoriker. Ihre Mitteilung, daß Nestroys Werke nicht von Karl Kraus sind, haben wir mit großer Überraschung zur Kenntnis genommen.«

Out gegeben. Es ist die Antwort auf den Versuch, einen Theaterjournalisten ohne jeden Tadel für seine Unbildung, mit einer stilkritischen Studie über die tiefere Berechtigung seines Irrtums, darauf aufmerksam zu machen, daß ein Nestroysches Wort nicht von Shakespeare ist. Wie beneide ich die Zeitungs- leute um ihr Talent. Sie können an mir zu Satirikern werden.

, Die Österreichisch-Ungarische Buchhändler-Correspondenz', Offizielles Organ des Vereines der österr.-ungar. Buchhändler, hat am 3. November 1917 den folgenden Brief abgeschickt:

An die Redaktion der .Fackel' in Wien. Sehr geehrte Herren!

Es wird uns mitgeteilt, daß Sie in Ihrer Nummer vom 9. Oktober unter der Überschrift »Es ist vollbracht« ein Inserat abgedruckt haben, welches angeblich in unserem Blatte enthalten gewesen ist.

Unsere Administration teilt uns mit, daß dieses Inserat nicht in unserem Blatte erschienen ist.

Wir ersuchen Sie daher uns mitzuteilen, ob Sie selbst in der nächsten Nummer Ihres Blattes eine diesbezügliche Berichtigung veranlassen wollen.

Hochachtungsvoll Carl Junker.

Die dritte Mitteilung ist nicht erfolgt. Das Wort »nicht« ist in dem mit Schreibmaschine geschriebenen Original mit Tinte unterstrichen. Die Berechtigung solchen Nachdrucks ist aber nicht größer als die des Nachdruckes aus der Buchhändler- Correspondenz. Was zur Abfassung des Briefes geführt hat, dürfte das Staunen des Redakteurs gewesen sein: »Was? So eine Annnonce soll bei uns erschienen sein? Nicht möglich! Unglaublich!« Denn was die Welt immer tut, sie glaubt's nicht, wenn sie's in der Fackel wied«rholt findet. Der Fall liegt leider

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ähnlich wie mit meinem Staunen über den Empfang des Hans Müller durch seine Majestät den deutschen Kaiser. Der Unter- schied ist freilich, abgesehen vom Format, der, daß meine Weigerung, den Angaben Müllers Glauben zu schenken, pure Heuchelei ist, da ich ihnen ja selbst durch eine photographische Reproduktion Verbreitung und Verewigung verschafft habe, während das »Unglaublich!« des Mannes von der Buchhändler- Correspondenz ihn zum Ansinnen einer Berichtigung verführt hat. Nie werde ich Müllern zumuten, daß er, so erstrebenswert es wäre, seine Behauptung der Audienz revoziere; aber von mir zu verlangen, daß ich die Tatsache jener Annonce in Abrede stelle, wäre doch noch mehr verlangt. Wohl, dort liegt Müllers Aussage vor, an der nicht zu zweifeln ist, wenn sich auch die Audienz selbst leider nicht photographisch beweisen läßt. Hier aber liegt mehr vor: nicht bloß meine Aussage, daß jene Annonce erschienen sei, sondern : die Annonce. Hier könnte die Tatsache selbst photographiert werden. Dessen bedarf's aber wohl nicht, da ja das Original in einer Nummer der Buchhändler- Correspondenz steht, die gewiß noch in einer hinreichenden Anzahl von Exemplaren vorhanden sein dürfte, deren jedes einzelne dem Redakteur beweisen wird, daß die Annonce erschienen ist, und somit den Ausruf : > Unglaublich!« rechtfertigen könnte. Da jener Nachdruck natürlich kein »Angriff« gegen eine Redaktion war, die so etwas aufnimmt, so braucht man auch nicht erst zu sagen, daß ihr Verschulden größer ist, wenn sie sich mit dem Annoncenteil zwar identifiziert, aber diesen so wenig liest, daß sie eine dort erschienene Annonce ableugnen kann. Sie liest auch die Fackel nicht und wenn ihr nicht zufällig »mit- geteilt« worden wäre, daß die Fackel jene Annonce reproduziert hat, so wäre es am Ende unberichtigt geblieben. Zum Glück ist die Mitteilung, die ihr hierüber zugegangen ist, zuverlässiger als die Mitteilung ihrer Administration. Denn die Kuriosität des Falles wird dadurch vervollständigt, daß auch die Admini- stration den Annoncenteil nicht liest und sich nun beide in dem Entschluß vereinigen, ihrem Erstaunen über solch eine Annonce mir gegenüber Ausdruck zu geben. Aber ich habe ja, wiewohl ich dieses Erstaunen teile, nie daran gezweifelt, daß

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das »Kreuz mit dem 14 Stationen, zeitgemäß, zugkräftig für Schaufenster« in der Österr.-Ungar. BuchhändlerCorrespondenz vom 16. Mai 1917, LVIII Nr. 20, S. 225, erschienen ist.

Bibliographisches. Das neue Deutschland VI. 21, 1. August: »Karl Kraus« von Paul Nicolaus (Konstanz) und Nachwort der Redaktion. Verschiedene Hefte der ,Weltbühne'. Heidelberger Neueste Nachrichten, 20. Juli: >Über Karl Kraus« von Hermann Bagusche. Hinweise und Zitate in Zeitschriften und Tagesblättern.

»Fremdwörterhatz und Fremdvölkerhaß.« Eine Streitschrift gegen die Sprachreinigung. Von Leo Spitzer, Privatdozent an der Universität Wien. (Wien 1918 bei Manz.)

Kleiner Konzerthaussaal, 21. Mai, 7 Uhr: I. Ältere Ansichten über das U-Boot (Herder, Französische Admirale, Lionardo da Vinci) / Mit der Uhr in der Hand / Beim Anblick eines sonderbaren Plakates / Der Präceptor Oermaniae / Hungersnot in England / Getreide aus der Ukraine / Epigramme: Sprichwörter; Straßenrufe; Friedensbereitschaft; Rekonvaleszenz; Der Heldensarg / Auf Deutsch / Der Irrsinnige auf dem Einspännergaul / Ein Kapitel aus Frangois Rabelais' Gargantua (Wie etliche von Pikrochollers Hauptleuten ihn durch hitzige Ratschläge in Gefahr brachten.) / Diplomaten (mit Vorwort). II. Vor Abgang des Zugs/ Szene in einem Palais / Glück / Unsere Pallas Athene ! / Neue Musikalien / Der Weltspiegel / Czernin und Goethe/ Ein Kantianer und Kant / Die Kriegsschreiber nach dem Krieg/ Der Bauer, der Hund und der Soldat / Zum ewigen Frieden.

Ein Teil des Ertrages für den Arbeiterverein »Kinder- freunde«.

30. Mai, halb 7 Uhr:

»König Lear«, Tragödie in fünf Aufzügen von Shakespeare, nach Wolf Graf v. Baudissin (Schlegel- Tieck'sche Ausgabe) und anderen Übersetzern bearbeitet.

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Nach dem 1., 3., 4. Aufzug eine ganz kurze, nach dem

2. eine längere Pause. Musik hinter der Szene vor Beginn (Mozart: 1. Satz der D-dur-Sinfonie), zwischen dem 2. und

3. Aufzug (Bach: Orgel-Präludium in c-moll): Frau Emilie Laske und Dr. Victor Junk; während der Zeltszene des 4. Auf- zugs (komponiert und gespielt von Dr. Victor Junk).

Der volle Ertrag für den Arbeiterverein »Kinderfreunde«, den »Verein von Kinderfreunden in Wien« und eine schwer- kranke Frau.

(Den auf der Rückseite des Personen Verzeichnisses gedruckten Text siehe S. 88).

17. September, halb 7 Uhr: »König Lear«, wie oben (Gluck: Ouvertüre zu »Iphigenie in Aulis«; Bach: Präludium in b-moll aus dem Wohltemperierten Klavier; Zeltmusik: Dr. Victor Junk).

Der volle Ertrag für den Arbeiterverein »Kinderfreunde« und einige Notleidende.

7.1t

I. Je

Juni, 7 Uhr:

Jean Paul: Friedenspredigt an den Fürsten vor dem Kriege (aus »Levana oder Erzieh-Lehre«) / Der Krieg, wie er im Schulbuch steht, und wie er nicht im Schulbuch steht (Heutiges und »Kriegslied« von Matthias Claudius) / Ein 2 xh jähriges Kind zeichnet Kriegsanleihe / Eingedeutschtes / Die große Kanone oder: Beweis gegen Barbarentum / Glück / Vision / Getreide aus der Ukraine / Das kann man nicht oft genug hören / Die chinesisch-japanische Militär konvention: Volle Herrschaft Japans in China / Ein Irrsinniger auf dem Einspännergaul / Czernin und Goethe / Um Mißverständnissen vorzubeugen / Ein Kapitel aus Francois Rabelais' Gargantua (Wie etliche von Pikrochollers Hauptleuten ihn durch hitzige Ratschläge in Gefahr brachten.) / Eine angenehme Menage. II. Der Welt- spie g e 1 / Niemand geringerer als / Vor Abgang des Zugs / Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem / Diplomaten. III. Der Bauer, der Hund und der Soldat / Eine prinzi- pielle Erklärung.

Ein Teil des Ertrages für den Arbeiterverein »Kinder- freunde«.

Einleitung zu »Ein Irrsinniger auf dem Einspännergaul«: Auch das »kann man nicht oft genug hören«. Es ist ein Re- pertoirestück, das nun mit jeder Vorlesung verständlicher wird. Und ich werde es erst absetzen, wenn einmal der sonderbare Reiter absitzt.

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Zwischen dem Kapitel aus Gargantua und »Eine ange- nehme Menage«:

Dies also ist von Francois Rabelais geschrieben worden. Aber ich meine, alles französisch -Parlieren muß jetzt aufhören, sprechen wir lieber unser deutsches Platt! Zum Beispiel so:

Es ist vielleicht noch auszurechnen, wie viel Zeit und Blei in der großen Zeit und im neuen Deutschland durch die Ausrottung der meisten Apostrophe in den Druckereien für Munitionsbeschaffung und sonstige Kriegsdienstleistung schon gewonnen wurde. In der Insel-Ausgabe der »Pandora« hat das Verfahren bei allerlei kunstgewerblicher Entschädigung die volle Anschaulichkeit einer Tempelschändung. Dieses Sprachheiligtum dürfte auf Goethes Volk ohnedies durch die Weisung des Prometheus Eindruck gemacht haben: »Nur Waffen schafft! Geschaffen habt ihr alles dann«, wobei freilich bereits der Nachsatz: »auch derbster Söhne übermäß'gen Vollgenuß« auf immer stärkere Zweifel stößt. Der deutsche Apostrophenraub, der den Indikativ »ich raub'« nicht mehr vom Imperativ »raub« unterscheiden läßt und den Konjunktiv des Imperfekts »ich schrieb'« nicht mehr vom Indikativ »ich schrieb«, macht jede moderne Ausgabe eines Klassikerwerkes schon zur Augenqual, wenn nicht zur vorgestellten Ohrenpein. Abgesehen von der Verwechslungsgefahr, die zur Not durch den Sinn paralysiert wird, ist das eindeutige Monstrum zum Beispiel eines »ich band« unerträglich. Diese Zeitsparmaschinen ahnen nicht die Bedeutung eines im Apostroph nachschwingenden Vokals und setzen auch getrost ein raumhaftes »lang« für das zeithafte »lang'«, um somit in beiden Fällen »lank« auszusprechen. Der Inseldruck der »Pandora« ist ferner dadurch ausgezeichnet, daß das Ende der Dichtung genau bis zum Rand einer rechten Seite reicht, so daß der keinen Abschluß gewahrende, von keiner Abschluß- linie gewarnte Leser die Rede der Eos fortsetzen möchte und umblättert, um weiterzulesen, wodurch das Pathos dieses wundervollen Ausgangs zerknickt wird. Die primitivste, von der stilistischen Notwendigkeit erschaffene Druckerregel, daß ein Abschluß von weither sichtbar sei und ein Werk weder

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rechts unten noch links oben ende, damit eben der Leser rechtzeitig den geistigen Atem auf das Ende einstelle, wird hier mit einer den erhabenen Abklang, also den Gedanken tötenden Ruppigkeit mißachtet. Der Leser muß umsomehr glauben, daß noch etwas folge, weil er ja noch Blätter in der Hand hält, die ihn dann freilich mit literarhistorischen Zusätzen überraschen. Der Umstand, daß die »Pandora« ein Fragment ist, also ein Werk, dessen Abschluß aus keinem dichterischen Plan erfolgt war, könnte den Barbarismus nicht als Absicht rechtfertigen, da ja der Akt als solcher kein Fragment ist; auch wenn noch ein weiterer Akt folgte, wäre ja jener zu Ende und dürfte nicht rechts unten zu Ende sein. Es ist nichts als Fühllosigkeit, deutsche Raumgewinnsucht und jene typographische Unfähigkeit, die mir seinerzeit die »Luxusausgabe« der Chinesischen Mauer zu einem sechs Monate dauernden Leidenskapitel gemacht hat. Von einem Wiener Sachverständigen mußte die berühmte Leipziger Firma (Poeschel &Trepte, deren dekorativen Leistungen auf der »Bugra« Feuilletons in deutschen Blättern gewidmet wurden und die eine der Nährmütter des bibliophilen Snobismus ist), immer wieder belehrt werden, wie man den Druck mit dem auf jene Art verpatzten Schluß (damals links oben statt rechts Mitte) umgestalte; wie man Zitate einzustellen habe; daß das Wort »neugeboren« nicht nach »neuge« abzuteilen sei u. dgl. Doch sind dies abgesehen von der Vernichtung des Schluß- gedankens — Dinge, die hauptsächlich nur die Ehre des Druckers berühren. Was aber das Heil des Geistes, die Sicherheit des textlichen Bestandes anlangt, so läßt sich summarisch behaupten, daß in Deutschland das Schicksal der deutschen Klassiker besiegelt ist; denn kein Vermerk >Vor Nachdruck wird gewarnU (der hier kein materielles Autorrecht mehr zu schützen hätte) bewahrt das geistige Gut vor Einbruch. Welche Instanz aber sollte den Dichter vor den Gefahren des Nachdruckes behüten, den Leser davor warnen, da jedem Greisler dessen Vorteile zustehen? Ist einer dreißig Jahre tot, so fressen ihn, zugunsten der Volksbildung, die Verleger. Bezeichnend für die stumpfe Ahnungslosigkeit der »Herausgeber«, dieser für Leichen- schändung bezahlten Literaturbuben, wären hunderte von

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klassischen Versen und Sätzen. Das eindringliche Beispiel aus Lichtenberg, das durch die Jahrzehnte fortgewälzt wird, habe ich illustriert; jammervolle Verwüstungen am Worte Goethes, Schillers, Jean Pauls könnte ich zitieren. In der heiligen »Pandora* hat der Inselmensch den Setzer an einem der bedeutendsten Verse sich austoben lassen oder, wenn er den Gedanken für einen Druckfehler hielt, bewußt und gewissenhaft die infamste Änderung bewerkstelligt. Prometheus ruft den Kriegern zu:

Aufl rasch Vergnügte, Schnellen Strichs 1 Der barsch Besiegte Habe sichs!

Der Dichter nennt mit einer kostbaren Abbreviatur die Nutznießer eines Sturmlebens, worin der Genuß gepflückt und halbgenossen vertan wird eine ganze, in Weinfässern mündende Offensive ist darin : »rasch Vergnügte«. Dem" Drucker oder dem Literaten schien's logischer so:

Auf, rasch I Vergnügte

schnellen Strichs! Der barsch besiegte Gedanke habe sichs! Die Krieger sind schlechthin vergnügt, weil ihnen > Immer feste druff!« zugerufen wird. Die Leser gleichfalls. Und ich wette hundert versenkte Tonnen gegen eine, daß diese Darlegung den Insel-Verlag und die nach dessen Vorlage weiterdruckenden Verschleißer nicht abhalten wird, die deutschere Version bei- zubehalten.

Ich habe lange nicht die Razzia auf Literarhistoriker fortgesetzt. Inzwischen hat aber Herr Walzel in Dresden Scherers Literaturgeschichte fortgesetzt, was bei weitem nicht so dringend war. Da auch das Werk selbst dazugedruckt wurde, ist ein dicker Band entstanden, der mit dem folgenden Schleifentext den Käufer lockt:

Die vorliegende Ausgabe des berühmten Scherer'schen Werkes, fortgeführt bis in die jüngste Oegenwart von dem bekannten Literarhistoriker

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Geh. Hofrat Professor Dr. Walzel, Dresden, ist die erste und einzige Literaturgeschichte, welche die Darstellung deutschen Schrifttums bis auf die letzten Neuerscheinungen bringt und auch zu den noch im Kampfe der T a g e s m e i n u n ge n stehenden Autoren Stellung nimmt.

Wenn sich nur jeder der von Herrn Walzel genannten Zeitgenossen das Werk kauft, so dürfte sich dem Verleger der historische Maßstab rentieren. Daß kaum ein expressionistisches Tinterl übersehen ist, während ich >auch zu den noch im Kampfe der Tagesmeinungen stehenden Autoren < nicht gehöre, versteht sich von selbst. Die historische Gilde, die mit der gewissen groß- zügigen Stupidität Zusammenhänge herzustellen und Erscheinun- gen zu registrieren versteht und neuestens auch an den Kaffee- häusern nicht vorübergeht, weiß ganz genau, wie höllisch undank- bar es wäre, zu mir »Stellung« zu nehmen, da ja die einzige Stellung, in der ich mir einen Literarhistoriker oder sonstigen Journalisten mir vis-ä-vis denken kann, eben nicht die vis-ä-vis, sondern hinter meinem Rücken ist. Allerdings hätten sie nichtauf solche Separatwünsche Rücksicht zu nehmen, sondern hätten die Pflicht gegen ihr Publikum und gegen die Nachwelt, die sie objektiv zu informieren vorgeben, die Existenz der Fackel, beileihe nicht den Wert des Werkes, wohl aber Tatsache und Wirkung gebührend auf dem Papier zu verzeichnen, das die Not der Zeit dem literarhistorischen Unfug in so reichem Maß zur Verfügung gestellt hat. Daß sie's nicht tun, bekräftigt meine alte Ansicht, daß ein Historiker nur ein rückwärts gekehrter Journalist ist, der die einzige Ehrenpflicht, die der Stand kennt: die Unbequemen totzuschweigen, in scheinbar höheren Wirkungskreis übernimmt. Herr Walzel, dessen Schönbart viel eher nach einem Scherer verlangt als ein Scherer nach der eigenen Verlängerung, wird freilich sagen, daß die Tatsache der Nichtnennung meines Namens die Ursache meiner abfälligen Kritik seines Werkes ist, aber da hätte er vollkommen recht. Ich bin wie jeder andere in der Lage, aus einem maßlos grotesken Faktum Schlüsse auf die wissenschaftliche Qualität einer Leistung zu ziehen, deren weitere Prüfung, so überflüssig sie ist, in jeder Zeile dieser von superiorer Unkenntnis künstlerischer Dinge besorgten Arbeit das Vorurteil, das sich auf

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ein Namens- und Sachregister stützt, gutheißt. Der Ignorant meines Daseins erfüllt eben vollauf die Erwartung, die man an das Erscheinen einer Literaturgeschichte in dieser Zeit und in diesen Ländern knüpfen kann. Denn wenn es auch seit zehn Jahren vorkommen soll, daß der Deutsch-Unterricht in Mittelschulen die Satzbildung an Proben aus der Fackel darstellt, so bleibt die germanistische und literarhistorische Hochschul- wissenschaft in jenem Punkt ein für allemal nach dem Rache- bedürfnis der Tagespresse orientiert. Großsprecherei ist nur die Be- hauptung jenes Schleifentextes, daß das Pensum des Herrn Walzel die erste und einzige Literaturgeschichte sei, die auch zu den noch im Kampfe der Tagesmeinungen stehenden Autoren Stellung nimmt. Nichts was Herr Walzel unternimmt oder unterläßt, hat er vor den andern voraus. Vielmehr haben in den letzten Jahren etliche Professionisten es fertig gebracht, Herrn Stefan Zweig und sonstige Manufaktoren sub specie aeternitatis anzusehen und von mir nichts zu wissen, mit der einzigen Ausnahme jenes Wiener Schwachkopfs, der für ein deutsches Konversationslexikon das Kapitel österreichische Literatur« zu bearbeiten hat und meinen Namen im Zusammenhang mit einem Schlüsselroman erwähnt, dessen medizinischer Ursprung in Gerichtsakten wie in den vor und nach der Entstehung an mich gerichteten Liebesbriefen seines hochwertigen Schöpfers bezeichnet ist. In einem > Fortsetzung folgt« hatte ich seinerzeit den Entschluß bekundet, dieses düsterste Hysteriekapitel des Romans meines literarischen Lebens zu eröffnen, aber,, gelähmt vom Grauen vor der durch jedwede Beachtung genährten Haßliebe, die zu erwidern ich so wenig wie zu ersticken fähig bin, es unterlassen, mit dem Vorsatz, späterhin doch einmal in einem die ganze Passion meines Wirkens umfassenden Dokumentenwerk den furchtbaren Einklang der Zwitterseele mit allen Berufen und Instanzen unseres Lebens (Literatur, Presse, Medizin, ja selbst Gerichtsbarkeit) und die unerschöpfliche Pein, in die ich noch durch jede Abwehraktion geriet, darzustellen. Der Fachmann im Konversationslexikon weist eine solche Passivpost als meines Daseins Ruhm und Inhalt aus, und für die sonstige Literaturgeschichte leben fort die Quallen, die zitternd in meinem Licht Farben spielen konnten; ich aber war nicht.

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Der Bauer, der Hund und der Soldat

(Wolhynien)

»Der Hund ist krank! Was fehlt dem armen Hunde?«

»Er ist verwundet, Herr. Das ist der Krieg,

und davon eben hat er seine Wunde«

Der Bauer sprach's und streichelt' ihn und schwieg.

»Wie aber, wann und wo empfing die Wunde der arme Hund? Er kann ja gar nicht gehn!« »Herr, es ist Krieg und da ist es dem Hunde, er stand so da, da ist es ihm geschehn.

Der Hund stand da und da kam ein Soldat, der ging vorbei und stach nach meinem Hunde, der keinem Menschen was zu leide tat, nie biß er wen, nun hat er seine Wunde.

Seht ihn nur an, es war ein gutes Tier, er dient mir lang', und in der weiten Runde der beste Schäferhund, er führte mir das Vieh allein, nun hat er seine Wunde.

Seht, wie er hinkt. Das tut er seit der Stunde, da der Soldat vorbeikam, der Soldat, der stach nach meinem alten Schäferhunde, der keinen Menschen noch gebissen hat.«

»Und warum, glaubt ihr, bracht' er ihm die Wunde, der Mann dem Hund die schwere Wunde bei? Der Hund ist stumm, sein Blick befiehlt dem Munde für ihn zu sprechen, sprecht nur frank und frei.«

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»Wir wissen's nicht. Doch wißt ihr's selbst wie wir, daß Krieg ist. Mir und meinem armen Hunde und Gott und jedem Kind und auch dem Tier ist es bekannt, und Krieg schlägt jede Wunde.

Ich sagt's euch Herr, der Mann war ein Soldat und wer die Waffe hat, der schlägt die Wunde. Wißt ihr denn nicht, wie viel's geschlagen hat in dieser gottgesandten Zeit und Stunde?«

»So solltet ihr, daß er vom Schmerz gesunde, das arme Tier sogleich mit Gift vergeben. Erschießt ihr ihn, wißt ihr, daß eine Wunde auch Wohltat sei, und helft ihm aus dem Leben!«

»Ach Herr, ich ließ' es nimmermehr geschehn, ich kann nur leiden mit dem armen Hunde. 's ist Krieg, ich kann ein Huhn nicht sterben sehn, 's ist Krieg, da, wißt ihr, gibt es manche Wunde.

Der Hund war gut, vorbei ist's mit dem Hunde, seit der Soldat vorbeiging, 's ist der Krieg. Man muß es nehmen, was sie bringt die Stunde.« Der Bauer sprach's und streichelt' ihn und schwieg.

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Vorlesungen in Berlin

Klindworth-Scharwenka-Saal :

5. Mai, 12 Uhr:

I. Jean Pauls Friedenspredigt an den Fürsten vor dem Kriege (aus >Levana oder Erzieh-Lehre<) / Beim Anblick eines sonder- baren Plakates / Unsere Pallas Athene! / Getreide aus der Ukraine / Vision / Elegie auf den Tod eines Lautes / Vor Abgang des Zugs / Diplomaten.

II. »Di e beiden Nach twandler« von Nestroy (Musikbegleitung: Max Saal).

III. Der Bauer, der Hund und der Soldat /Die Kriegsschreiber nach dem Krieg.

(Eine Inhaltsangabe der »Beiden Nachtwandler wurde aus- gegeben.)

6. Mai, 7 Uhr:

I. »Hanneles Himmelfahrt« von Gerhart Hauptmann (Musikbegleitung : Max Saal).

II. Beim Anblick einer Schwangeren / Grabschrift / Vor einem Springbrunnen / Wiedersehn mit Schmetterlingen / Als Bobby starb / An einen alten Lehrer / Der Reim / Unterricht / Abenteuer der Arbeit / Bange Stunde / Gebet.

7. Mai, 7 Uhr: %

I. »T i m o n von Athen« von Shakespeare (aus den ersten drei Aufzügen).

II. Diana-Kriegsschokolade / Aus dem Reich der Schaffner / Ein Bild / Die Schalek und der einfache Mann / Epigramme: Der Bericht vom Tag; Die Werte; Das Lebensmittel; So lesen wir alle Tage; Luxusdrucke; Die neue Generation / Kompetenz vor der Sprache / Ein Kapitel aus Rabelais' Gargantua (Wie etliche von Pikrochollers Hauptleuten ihn durch hitzige Ratschläge in Gefahr brachten.) / Der Bauer, der Hund und der Soldat / Die Kriegsschreiber nach dem Krieg.

8. Mai, 7 Uhr:

I. Kierkegaard über die Journalisten / Vor Abgang des Zugs / Getreide aus der Ukraine / Unsere Pallas Athene! / Szene in einem Palais / Der Anlaß / Memoiren / Fahrt ins Fextal / Jugend / Matthias Claudius und wir (mit

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Gedichten) / Über chinesische Kriegs lyrik (Der müde Soldat; Der Werber; Krieg in der Wüste Gobi; Nachts im Zelt.) / Das Lied vom armen Kind von Frank W e d e k i n d / Mit der Uhr in der Hand / Gebet an die Sonne von Gibeon.

II. Meinem Franz Janowitz / Die letzte Nacht (Hyänen-Szene) / Der Bauer, der Hund und der Soldat / Um Mißverständnissen vorzubeugen /Ein Kantianer und Kant / Zum ewigen Frieden.

Die Vorlesungen haben für die deutschen Kriegsblinden statt- gefunden; der volle Reinertrag Mk 202047 ist dem Kriegs- blindenheim, Berlin W. Bellevuestraße 12, zugewendet worden.

Die Tagespresse war nicht eingeladen worden. Trotzdem sind unter anderm im .Berliner Tageblatt' (6. Mai, »Karl Kraus liest. . Von Adolf .Läpp), .Berliner Volkszeitung' (7. Mai, »Bei Karl Kraus.« Von Max Schach), .National-Zeitung' (7. Mai), an- geblich auch in einem alldeutschen Blatt ausführliche Be- sprechungen erschienen.

.Berliner Börsen-Courier' (9. Mai, »Karl Kraus als Vor- leser.« Von Herbert Ihering):

Der Vorleser Karl Kraus ist eine notwendige Ergänzung und Fortsetzung des Schriftstellers. Die Energie, die seiner Satire den Ausdruck gibt, das TemoMament, das seinem Pathos die Schwere und Dicke fernhält, stehen hinter seinem rezitatorischen Vortrag und nehmen ihm, gerade wenn Kraus sich selbst liest, alles kleinlich Propagandistische und aufdringlich Agitatorische. Kraus bleibt hell, scharf, präzise, plastisch. Er hat nicht die Eitelkeit des Schriftstellers, der seinem geschriebenen Wort als Vorleser damit zu dienen glaubt, daß er es unberührt läßt und ohne mimische Unterbrechung als Klang und logisches Zeichen dem Zuhörer einhämmert. Dem Wesen der Sprache tiefer vertraut, trägt Kraus das Bewußtsein des Unterschiedes zwischen dem geschriebenen und dem gesprochenen Wort als Erlebnis in sich und die konzentrierte Formulierung seiner satirischen Kapitel ist ihm nicht Hindernis, sondern Anreger, die Sätze aufzulösen und noch einmal aus einer mimischen Improvisation heraus entstehen zu lassen. Wir erleben das Wunder: ethischer Wille und geistige Leidenschaft als schöpferische Kräfte einer schauspielerischen Kunst.

Die mimische Phantasie des Karl Kraus gestaltet die schrift- stall«risch schon auf einen letzten Ausdruck gebrachte Situation noch einmal und führt sie mit derselben Intensität und satiriichen Tendenz

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weiter Es ist genial, wie Kraus ein veröffenüichtes Interview mit Beth- mann Hollweg auf dem Anhalter Bahnhof pantomimisch illustriert, wie er bei den aus dem Zuge heraus gesprochenen Worten des Reichskanzlers die Hand als Sprachrohr an den Mund legt und damit den Augenblick ironisiert- der Sprecher muß sich im Lärm des Bahnhofs ver- ständlich machen; und gleichzeitig die Verdickung solcher Zweckge- spräche preisgibt: der Redner spricht für ein riesenhaftes Zeitungspubhkum, das wir als Zuhörer vor ihm sehen; und schließlich den Berichterstatter - polemisch trifft: dieser verdeutlicht die Worte noch einmal, damit sie auch die Galerie hört. Wie Kraus hier mit einer einzigen Gebärde die Leserschaft eines großen Blattes als Massenansammlung beschwort, so gelingt es ihm oft, durch einen Tonfall Worte und Einrichtungen zu entwerten. Er sagt: >Heilbäder«, und wir lachen. Er hat eine unnachahmliche sanfte Bosheit für das Wort »Lebensmittelkarten- Abmeldeschein«, und es erscheint uns als Gespenst. Er hat eine plastische Ironie des österreichischen Dialekts, die den Staat lebendig macht. Und das Meisterhafte ist, daß Kraus, mag er »K. u. K.« sagen oder einen Diplomaten reden lassen, niemals karikiert, sondern mit einer instinktiven und zugleich bewußten Sicherheit des künsüerischen Taktes die Satire aus dem Wesen der Sprache zieht, und Menschen und Dinge von ihrem eigenen Charakter verhöhnen läßt. Darum führt ihn keine Gebärde zu weit, und jeder Schlag der geöffneten oder geballten Faust, jedes Ausholen und fechtende Vorstoßen des Armes, wie jedes lässige Spielen mit dem beweglichen Handgelenk sind verbunden mit der Tendenz, die der Vorgang selbst in sich hat. Und diese sachliche Energie ermöglicht es Kraus, umzuschlagen und ohne Riß aus dem Witz den tragischen Ernst zu entwickeln. Er hat eine solche Leiden- schaft des Wortspieles und einen solchen Fanatismus der rezitatorischen Wiedergabe, daß die ironische Pointe notwendig diese Steigerung fordert, und daß das einzelne Wort fähig gemacht wird, Perspektiven des Grauens und des Leidens zu erschließen.

Diese tragische Kraft legitimiert erst die Satire des Karl Kraus. Und die innere Verbundenheit des Rezitators mit dem Schriftsteller macht es notwendig, daß Kraus fremde Dichtungen, wie Nestroys »Beide Nachtwandler« nicht mimisch erlösen kann. Die geistige Leidenschaft, die ihm als gestaltende Kraft aus dem eigenen Werk zuströmt, trägt er in das fremde hinein und wird dort, was er bei sich selbst vermeidet: Werbend und agitatorisch.

Die Bemerkung über den Nachtwandler-Vortrag ist grund- falsch. Die Taubheit der Berliner Hörer für Nestroy, der der Vorleser diesen Genius allerdings aufgedrängt hat, wird hier mit der Stummheit einer Kraft verwechselt, die gerade den Berlinern durch >Timon« und »Hannele« bewiesen hat, daß sie fremde Dichtungen sehr wohl mimisch erlösen kann. Hätte der

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Kritiker diese durchschlagenden Beweise erlebt und sich nicht mit dem Eindruck des ersten Vortrags begnügt, so hätte er nicht aus diesem den rein intellektuellen Fehlschluß auf eine agitatorische und darum versagende Absicht geschöpft, sondern mit der Fähigkeit der Beobachtung, die er an dem lebendigen Vortrag der »Eigenen Schriften« bekundet, erkannt, daß dieselbe Kraft noch weit unmittelbarer den fremden Dichtungen zugute komme. Der Vorleser, der darüber schließlich auch ein Urteil hat, muß bekennen, daß ihm als Hörer sein Vortrag der einzigartigen Nestroy'schen Nachtwandler hundertmal erquicklicher ist als die Darbietung jedes eigenen Werkes, welche vor einer stofflich befangenen und häufig unerfreulichen Menge immer wieder eine Überwindung des Schamgefühls kostet, die aber nicht immer gelingt.

Hiezu aus dem Aufsatz der , Weltbühne' (16. Mai, »Vorleser Karl Kraus.« Von Siegfried Jacobsohn):

Daß seine vier Abende die Theatersaison aufwiegen, wäre

kein hohes Lob; da diese Theatersaison nichts wiegt. Aber er nahm* es mit jeder auf. Wenn er Dramatiker liest wie Nestroy, Hauptmann, Shakespeare, so ist das nicht Ersatz für die Bühne : sondern die Bühne mit ihrem gewaltigen Apparat ist ein unvollkommener Ersatz für die eine Stimme, die aus ihrer Fülle mühelos ganze Ensembles versieht. Ein unvollkommener Ersatz deswegen, weil selbst der bedeutendste Regisseur besonders günstige, also äußerst selten vorhandene Umstände nötig hat, um seinen Geist in sämtliche Spieler zu treiben, von denen ein einziger eine Szene zerstören kann: während Der hier Regisseur und sein Menschenmaterial in einer Person ist, eine addierte und multiplizierte Schöpferwollust verspürt und von dieser fähig gemacht wird, sich beflügelt über tote Punkte zu schwingen.

Und wenn man sich nachträglich, aus der Erinnerung, die Totalität dieses Sprechkunstwerkes, des schlesisch-mystischen . . wieder- herstellt und mit dem ersten, dem wienerisch-drastischen, vergleicht und dazu das dritte, das klassisch-anklägerische, heranzieht: dann staunt man doch, wie nicht allein innerhalb jedes einzelnen jedes Teilchen blitz- blank gegossen ist, sondern wie auch die Atmosphäre der drei Dramen- gebilde, die Aura der drei Dramenbildner unverwechselbar glänzt. Girardi, die Blüteperiode Brahms und das ganze große Burgtheater einer längst versunkenen Zeit: das alles hat ein unendlich musikalisches Ohr in sich eingefangen und gibt eine Kehle von unbegrenzter Aus- drucks-Stärke und -Feinheit zurück.

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Deutsche Montags-Zeitung (13. Mai, »Karl Kraus.« Von Peter Altschul):

Es steht ein Mann vor uns, der ein Kämpfer ist; ein Mann, des heißesten Lebens voll. Es steht ein Mensch vor uns, den wir lieben.

Sein Beruf? Der AntiJournalist. Der Tagesschriftsteller, dessen Werke unsere Enkel lesen werden. Er packt das Sein in den alltäglichsten Begebenheiten: da wird es unter seinen Händen menschliches Schicksal.

Sein Thema? Das Leben. Und wo er's faßt, greift er in Menschenschande. Er bausche es auf? Ach, man weint bei seinem trostlosen Spott, der unser Herz bluten macht: daß die Menschen so jämmerlich sind.

Sein Ziel? Die Sauberkeit, die Anständigkeit. Und wenn ihr das Wort richtig begreift: die Moral. Hier gilt es den Kampf gegen menschlichste Art. Hier dienen die Fanfarenstöße dem letzten Ziel: Gesinnung, Leute, Gesinnung! Sie mangelt allerenden. Die Charaktere fehlen überall.

So müssen wir zu Karl Kraus wallfahren. Hier steht ein Charakter, mächtig, massiv und groß. Hier bewundern wir, die wir schwächer sind, vieles am Mann: den Mut des Wortes, das er hinter jene hertreibt, die er verachtet, die Größe der Kraft, mit der er, einem versengenden Blitze gleich, in die Abgründe morscher Seelen niederfährt, das rastlose Streben eines ganzen Lebens für eine Auf- gabe, die heute noch uns unerfüllbar scheint; ja und wir bewundern voll Staunen und voll Liebe die unnahbare Lauterkeit eines Herzens, das unbestechlich wacht.

Wen bekämpft er? Sie alle, die heute vorne stehen und leeren Geistes sind: Maulhelden, die Völker regieren, Phrasenmacher, die Zeitungen schreiben, Dichterlein, die leere Blätter ohne Zwang füllen. Sie alle, der Menschheit Feinde, verfolgt sein Haß; er zeigt die Hohlheit ihrer Worte, die Irrwege ihrer Leitung, den Schwulst ihres Stiles, die Bürgerlichkeit ihrer Träume. Er zeigte uns die Gefahren. Sahen wir sie?

Wir dachten nicht immer so. Wir haben früher seine Hefte lächelnd gelesen. Wir achteten ihn; doch der Fanatiker ging auf Wegen, die uns unbedeutend schienen. Kleine, wurmstichige, krakehlende Menschen: übersah Karl Kraus, daß sie alle eines Achsel- zuckens, nie eines Kampfes wert waren? Wir wußten es besser; wir standen über ihm. Wir lachten. (Vergebung!) Denn wir wollten zu anderem Gipfel.

Dann kam es. Und als die Erde zusammenstürzte, begriffen wir seines tiefen Geistes einen starken Hauch. Wir sahen klar und schämten uns. Hatte er Hereinbrechendes nicht vorhergesagt? Daß sie ihr Ziel erreichen, die Welt in Flammen setzen würden? Nun

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brannte siel Da kamen wir zu ihm; da blieben wir hinter ihm; und begriffen: bei ihm ist sie, die neue, die ewig alte, die anständige, die menschliche Oesinnungl Der neue Tag dämmerte: wir ahnten das Ziel seines Handelns. Wir sahen die Methode: wiederholen, wiederholen, zehnmal es ihnen einbläuen! Zehn Jahre es immer von neuem schreien, bis sie es hören werden: daß sie schmutzig sind und voll unertragbarer Jämmerlichkeit. Bis sie eines Tages aufhorchen werden. Wann wird das sein?

Ich weiß es nicht. Heute hassen sie ihn. Heute sind sie noch obenauf, in aller Welt obenauf. Sie tun ihn mit Scherzen ab und mit Verleumdungen. Das muß wohl so sein. Es erfüllt sich Prophetenschicksal.

Man sagt, daß sein schönstes Werk seine Gedichte seien. Freunde singen Hymnen auf die Form seiner Sprache und auf den Stil seiner Sätze. Ich glaube es. Ich weiß es nicht genau. Ich denke, daß sein reiner Geist wichtiger ist und sein klares Herz; ich fühle, daß die Lauterkeit seines Strebens leuchtet, daß die Glut seiner Worte zündet. Ich schätze eine Form, die wohl vollendet ist; ich liebe die Gesinnung, die anständig ist. Denn, nicht wahr, Freunde, wir wissen es:

Über allem Streben Menschlichkeit!

Nun haben wir ihn hören dürfen. Nun haben wir seinen hochschultrigen Köiper sehen können, diese ausdruckstiefen, ewig kämpfenden Hände, seinen Kopf, der wie ein mahnendes Menetekel über die Menschen schaut. Nun haben wir seine Stimme vernommen, die rauh ist wie Novemberwind und scharf wie Stahl und laut wie eine Kampfposaune. Nun haben wir es erlebt, daß wir unbeweglich und festgebannt dasaßen und uns nicht schützen konnten. Er kam über uns wie ein Träger des göttlichen Zornes, er sandte in unsere Herzen Klagelaute, er füllte uns mit großem Schmerz: unsere Hände wurden feucht, unsere ausgedörrten Seelen frisch getränkt. Da wir ihn hinter matter Lampe aufstehen sahen, wurden wir fromm in einem neuen Glauben.

Da wußten wir, es kommt die Zeit, Karl Kraus es kommt unsere Zeit. Dann wollen wir den Kampf beginnen.

Denn unser ist das neue Werk!

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Glossen

Vor dem Endsieg

> Ein Wiener Arbeiterverein hatte einen Universitätslehrer gebeten, einen Vortrag, der viel Beifall gefunden hatte, zu wiederholen. Er erhielt darauf folgende Antwort: ,Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß ich durch Unterernährung und Hungerleiden derart herabgekommen bin, daß ich mich auf die Erfüllung meiner Lehramtspflichten beschränken muß. Ich hätte auch den Vortrag in

der Gesellschaft nicht gehalten, wenn ich ihn nicht schon

im Dezember versprochen hätte, wo ich noch verhältnismäßig besser beisammen war. Wenn ich einen Vortrag über das gewöhnliche Maß meiner täglichen Vorlesungen hinaus halte, habe ich am folgenden Tag unangenehmste Herzzustände und Ohnmachtsanwandlungen. Unter anderen Umständen hätte ich Ihrem Wunsch sehr gern entsprochen.'«

Die Vorbedingung alles Lebens

Je schmerzlicher wir es erfahren haben (daß in Budapest ein paar Tage die Zeitungen nicht erschienen sind), desto fester werden wir es unserer Seele einprägen, daß der bürgerlichen Gesellschaft die Zeitung das ist, was Luft und Licht jeglichem Lebewesen: die Vorbadingung alias Lebens. Pester Lloyd.

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Ersatzkörper

wurden auf Perron V Kriegsinvalide verladen, die von der dortigen Invalidenschule zu ihren Ersatzkörpern rück- befördert werden.

Ja, in solchem Zusammenhang fühlt man doch den Sinn dieses rätselhaft furchtbaren Wortes.

Schadenersatz

Justizminister Dr. R. v. Schauer: In der furchtbaren Not und Gefahr, in der sich der Staat besonders vor der glücklichen Wendung im Kriege befand, haben Angehörige der bewaffneten Macht und staatliche Organe bei der Bekämpfung oder Abwehr von Angriffen gegen den Staat mitunter die Zonen des rechtlichen Verfahrens ganz außer Acht gelassen und es kam wohl auch vor, daß rechtswidrig Leben und Freiheit verletzt worden ist und damit das Rechtsbewußtsein schwer gekränkt wurde. Dem durch solches Fehlgehen der Schutztätigkeit des Staates beleidigten Rechtsgefühl soll Genug- tuung geboten und der verursachte Schaden gutgemacht werden, insbesondere wenn sich jemand das Recht über das Leben anmaßte, dem es nach den Gesetzen nicht zukam oder wenn die gesetzliche Feststellung, daß der Beschuldigte das Leben verwirkt habe, unter- blieben ist.... Selbstverständlich muß der Staat eine Ersatzpflicht ablehnen, wenn die rechtswidrige Tötung oder Verletzung mit der Ausübung der Dienstgewalt in keinem Zusammenhange stand, wenn etwa Soldaten gelegentlich einer Plünderung oder in einem Streit oder bei sexuellen Ausschreitungen schwere Gewalttaten verübten.

Der rechtswidrig Getötete bekommt also das Leben nur ersetzt, wenn die Tötung zwar nicht in Ausübung der Dienst- gewalt, aber im Zusammenhang mit der Ausübung der Dienst- gewalt erfolgt ist. Im andern Fall wird er auf den Weg zum jüngsten Gericht verwiesen.

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Die Reihe

Mit Rücksicht darauf, daß der Angeklagte

Hryb 26 Jahre alt und des Lesens und Schreibens unkundig ist, somit keine Bildung hat, sowie angesichts dessen, daß die Schuld des Angeklagten Hryb dem Standgericht die kleinste mit Rück s ich t auf die Schuld der anderen Mitangeklagten zu sein schien, hat das Standgericht beschlossen, daß die gegen den Angeklagten Hryb gemäß § 444 M.-St.-P.-O. ausgesprochene Todesstrafe dieser Angeklagte als erster abzubüßen hat.

Die über den Angeklagten Struk verhängte Todesstrafe soll derselbe als zweiter abbüßen, weil seine Schuld im Verhältnis zur Schuld des Erstangeklagten krasser ist.

Mit Rücksicht darauf, daß der Angeklagte Maeyjiczyn durch längere Zeit mit den Russen in Verbindung gestanden ist, wurde beschlossen, daß er als dritter die Todesstrafe abzubüßen hat.

Unter einem wurde beschlossen, daß dieser Angeklagte in Würdigung der ihm zur Last gelegten Tat die Todesstrafe als vierter in der Reihe abzubüßen hat.

Die über ihn gemäß § 444 M.-St.-P.-O. verhängte Strafe soll Angeklagter Dzus als fünfter verbüßen, weil seine lügnerische Verteidigung darauf hinwies, daß er den Russen vollauf ergeben war.

und hat diese Strafe in Würdigung seiner Handlungs- weise als sechster abzubüßen.

Die Todesstrafe hat der Angeklagte Kowal als der siebente abzubüßen.

Nachdem dem Fedynyczyn zwei strafbare Handlungen

zur Last fallen, soll er die Todesstrafe als achter verbüßen.

Mit Rücksicht auf die Schwere der dem Fedor Budz zur Last gelegten Tat soll derselbe die Strafe als neunter abbüßen.

Die auferlegte Strafe hat Petro Dzus als zehnter abzubüßen, mit Rücksicht auf die Schwere seines Verschuldens.

hat das Standgericht angenommen, daß seine Schuld die größte ist und daß er eben die gegen ihn verhängte Todesstrafe als letzter abzubüßen hat.

Wer ist es, der so an der Schwelle des Jenseits Ordnung hält? Der den Menschen in letzter Stunde die Vorteile der Bildung, des Lesen- und Schreibenkönnens schätzen gelehrt hat und das Glück der Jugend? Denn die andern, Familienväter mit vier bis neun Kindern, zum Teil Greise, mußten je um ein Weilchen länger leben. Wer ist es, der so an der Schwelle des großen Geheimnisses regiert hat und so Klarheit schuf? Es waren,

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am 14. Oktober 1914, elf Todesurteile auf Grund einer einzigen Zeugenaussage, und über den Verfasser berichtet die , Arbeiter- Zeitung' vom 7. Febmar 1918:

Der Verhandlungsleiter Dr. Stanislaus v. Zagorski, vor dem Kriege Advokat in Lemberg, hat während des Krieges eine sehr umfangreiche Tätigkeit ausgeübt; er war in der Lage, mehr als hundert Todesurteile auszusprechen und in Vollzug zu setzen. Er hat seine Aufgabe so ernst genommen, daß er nicht nur allen von ihm verkündeten Aufhängungen persönlich beiwohnte, sondern sich sogar erbot, bei der Exekution der von seinen Amtskollegen ge- fällten Todesurteile zu assistieren. Unter anderen hat er im Herbst 1914 in Munkacs (Ungarn) drei galizische Flüchtlinge : Pfarrer Roman Beresowszkyi, Leo Kob- lanskyi und Ssemen Zhabjak verurteilt und das Todesurteil »In Vollzug gesetzt«. Bei der Wiederauf- nahme der Sache vor dem Militärgericht in Stryi wurde durch das Urteil dieses Gerichtes vom 17. Jänner d. J. festgestellt, daß die Verurteilten ganz unschuldig waren. Im Jahre 1915 hat sich der Allgemeine ukrainische Nationalrat über das Vorgehen des v. Zagorski beim k. u. k. Armeeoberkommando beschwert. Dr. v. Zagorski wurde seither zum Hauptmann befördert und zum Justizreferenten beim k. u. k. Korps Hoffmann ernannt.

Sein Name wird in der Mythologie dieses Krieges neben den vier Gewaltigen, den Koretz, König, Preminger, Peutlschmied fortleben und selbst jenem Leutnant Widmann, der in der serbischen Sage eine so große Rolle spielt, an die Seite gestellt werden.

EH

- Er (der Vorfall) zeigt, wie ungezähmt die Bestie im Menschen immer noch lä*uert . . und welch unermeßliches, nutzloses, nie mehr gutzumachendes Unheil sie anrichtet, wenn die Bestie einmal ihre Ketten sprengt. Was wir übrigens, seit vier Jahren, auchsonstschonerkannthaben. f. s.

Nämlich der Verfasser des vor vier Jahren erschienenen Feuilletons >Es muß sein!«

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Lange vor dem Erwachen

Mancherlei Perspektiven würden sich unserem Auge eröffnen.

Das italienische Heer hat schon einmal einen gewaltigen Schlag erlitten, von dem es sich nur mühsam erholt hat. Wir wollen nicht in Zukunftsträumen schwelgen, doch ist es denkbar, daß bei Wiederholung solcher Schläge ein Zusammen- bruch des italienischen Heeres in den Bereich der Möglichkeit rücken könnte. Ein solcher Preis wäre des Einsatzes wert.

Anhauch und Auftakt

Die Angriffsschlacht gegen Italien Günstige Nachrichten vom heutigen Tage

Wien, 15. Juni.

Der heutige Tag hat unserer Armee Erfolg gebracht. An zwei Fronten, vom Norden in der Gegend der Sieben Gemeinden und vom Westen über die Piave hinweg, sind unsere Truppen in die feind- lichen Linien eingebrochen.

Wir spüren aus den Worten des Kriegspresse- quartiers den Anhauch des Geschichtlichen. Was haben die Feinde alles getan, um uns herabzusetzen. ... Nun werden sie schreien nach der amerikanischen Unterstützung, nach diesem Irrlicht der Entente, dem sie nacheilt und das sie immer tiefer hineinführt in den Sumpf, in Niederlage und Verderbnis. Noch ist nichts Näheres bekannt und die nächsten Tage müssen abge- wartet werden. Aber schon jetzt empfinden wir den Geist des Sieges und die ganze Monarchie begleitet mit lebhaftester Spannung diese Schlacht, die mit einem prächtigen Auf- takt und mit einem bedeutsamen Erfolge begonnen hat.

Die nächsten Tage sollten immer abgewartet werden, ehe man diese Stimme losläßt.

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Der Beweis

machte Ministerpräsident Dr. Wekerle heute folgende Mitteilungen: Zunächst stelle ich fest, daß wir mit voller Auf- richtigkeit ohne jede Schönfärberei Kriegsnachrichten veröffentlichen. Als Beweis will ich nur darauf verweisen, daß unsere eigenen Berichte stets den wahren Tatbestand enthalten .... und auf Grund dessen will ich den Tatbestand der Wahrheit entsprechend beleuchten. (Beifall.)

Aus der Riesenzeit

Das Haus weiß, daß wir am Piave . . vorgedrungen sind, und . . nachdem die Erhaltung unserer Stellungen mit riesigen Verlusten verbunden gewesen wäre, uns am Piave zurückgezogen haben Gegenüber den Riesenzahlen (der Gefan- genen), welche diesbezüglich kolportiert wurden, will ich . . feststellen die Verluste waren leider riesig Diese Zahl (der Gefangenen) kann bei der Offensive und dem Rückzug nicht a 1 s überaus riesig bezeichnet werden Dies zur Grundlage genommen, haben wir einen riesigen, sehr bedauerlichen Verlust erlitten

So ist es

der aber im Vergleich zur zehnten und elften italienischen Offensive die damals erlittenen Verluste nicht überschreitet, j i gegenüber diesen zurückbleibt, denn in der zehnten und elften italienischen Offensive hatten wir Verluste von 80.000 b i s 100.000 Mann. Jetzt aber ist unser Verlust gleichfalls an- nähernd 100.000 Mann. Diesen bedauerlichen Umstand bin icli gezwungen zu konstatieren.

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Das Verbluten Frankreichs für England

Wenn ich trotz dieser traurigen Ereignisse aus dem Ganzen die Folgerungen ableite, so steht es ohne Zweifel fest, daß wir den Italienern bedeutende Verluste verursacht und sie verhindert haben, einen erheblichen Teil ihrer Truppen an die Westfront zu schicken, was im Interesse der gemeinschaftlichen Kriegführung ohne Zweifel ein Ziel ist, das zu erreichen jedenfalls unsere Pflicht war. Diesen Zweck haben wir auch erreicht. So traurig auch die Ergebnisse sind, glaube ich, wenn wir die Geschehnisse in ihrer Gesamtheit in Betracht ziehen

Genau wie in Frankreich

. . . Lord Rothermere verlangt genau wie in Frankreich kriegs- gerichtliche Feststellung, ob keine unnötigen und unzweckmäßigen Menschenopfer durch untüchtige Generale veranlaßt worden sind.

Der Schlachtbankier

hat am 1. Januar 1918, als so etwa fünfzehn Millionen erschlagen waren, mit der folgenden Feststellung Jahrgang und Tagwerk begonnen:

Der Krieg schlägt die Völker dreifach : Schlechtes Geld, Mangel und Hochpreise.

Derselbe

Bei der Verrechnung der beiderseitigen Erschlagenen am Piave, bedauernd, achselzuckend:

Der Krieg ist grausam und verlangt Opfer.

Bei den Gefangenen war eine Aktivpost:

Wenn wir die Bilanz ziehen, so ergibt sich noch immer zu unseren Gunsten einPlus von zirka 4 0.0 0 0 Mann.

Und der ging unerschlagen aus dem Weltmord hervor!

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Ein inhaltsschweres Wort

Das muß ein starkes Erlebnis gewesen sein, der Kaiser,

umgeben von den vielen tausend Männern und Frauen, die in den

Anlagen von Friedrich Krupp, deren Hauptbesitzer gegenwärtig

Herr v. Bohlen ist, beschäftigt werden. Die Geschichte dieser welt- berühmten Unternehmung kann in einem Wort erzählt werden : Gußstahl.

Gotha 1919

[Leopold Pollack Freiherr v. Parnegg.] Dem Großindustriellen Leopold Pollack Edlen v. Parnegg in Wien wurde der österreichische Freiherrnstand verliehen. Freiherr v. Pollack nimmt in der österreichischen Textilindustrie eine hervorragende Stellung ein. Er war der erste, der in Österreich die Großerzeugung feiner Fabrikate, der Baumwollwarenbuntweberei, aufnahm, wodurch auf diesem Gebiete die ausländische insbesondere die englische Konkurrenz in Österreich aus dem Felde geschlagen und ein lebhafter Export erzielt wurde.

Also eigentlich für Schlachtenruhm. Aber irgendwie müssen diese Verdienste damit zusammenhängen, daß man es jetzt mit der Konkurrenz der englischen Armeen zu tun hat. Sicher ist nur, daß dafür in der Wertung großer Männer die englische Konkurrenz es mit uns nicht aufnehmen kann; denn keineswegs würden sie dort etwa den Pollackwitz machen, einen Besieger der Brünner War' fortan als Lord anzusprechen. Dieses Händler- und Söldnervolk unterscheidet sich von dem Volk der Helden und Idealisten merkwürdigerweise dadurch, daß es bei moralischen Werten, wie Adel und Einfluß, keinen Tarif kennt. Es wäre also ausgeschlossen, daß zum Beispiel, wenn ein Mister Pollack den Wunsch hätte, Sir zu werden und nicht zufrieden damit, gar Lord, ein Mister Hummer oder sonst ein Gemeiner, der Einfluß abzugeben hat, weil er irgendwelche mandatferne Zwecke verfolgt, zu Lloyd George liefe und für 10.000 Pfund was etwa der Summe von einer Million Kronen entspräche das Geschäft gemacht wäre. Gott strafe England, aber in diesen Belangen nationaler Ehre verstehen sie, wie die Lady Pollack sagen würde, die Hors d'oeuvres zu wahren.

Schwer nachzusprechen

[Auszeichnung des ehrenamtlichen fach- männischen Beirates der Lebensmittelaktion der Wiener Zeitungsangestellten.] Der Kaiser hat dem Wiener Großkaufmann Herrn Hugo Selkes in seiner Eigenschaft als ehrenamtlicher fachmännischer Beirat der Lebensmittelaktion der Wiener Zeitungsangestellten den Titel eines kaiserlichen Rates verliehen. Kaiserlicher Rat Hugo Selkes

Rubrik Inland

»Der Präsident trug namens des Österreichischen Jugendreichs- bundes die alleruntertänigste Bitte vor, für die allergnädigste Übernahme des allerhöchsten Protektorates und für die allergnädigste Ernennung des Präsidenten den alleruntertänigsten Dank allergnädigst entgegen- nehmen zu wollen.«

Das wird die Welt zum Glück deshalb nicht erfahren, weil es in keine andere Sprache zu übersetzen wäre.

Ein kaiserlicher Rat

Aus der Masse jener, denen man es an der Nase ansieht, daß es 50.000 Kronen gekostet hat, ragen zwei interessante kaiser- liche Räte hervor. Der eine trotzt allen Gefahren und Grenz- hindernissen, um jährlich einmal, er hat ein Gelübde getan, die Ruine Habsburg in der Schweiz zu besuchen. Ich war nur einmal dort, aber es hat sich gelohnt; denn ich habe auf meine Frage, ob schon ein Mitglied des Kaiserhauses die Ruine besucht habe, von der Ruinenkellnerin die Antwort erhalten: >0 ja, der Herr kaiserliche Rat kommt jedes Jahr!« Der andere bringt Anregungen. Sei es, daß es erwünscht wäre eine Jubiläumsmarke einzuführen, oder praktisch, Tramwaykarten zu sammeln, er regt unter allen Umständen an. Und ist's nicht immer was Nützliches, so ist es doch was Apartes:

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[Der Girardi-Hut.] Kaiserlicher Rat Dr. Moritz Putzker, Brunn, schreibt uns: Diese Volkstümlichkeit des Künstlers brachte es auch mit sich, daß bekanntlich die Hutmachergenossenschaft in Wien, die in Friedenszeiten zu Beginn jeder Jahressaison den Hutmodellen einen Namen beizulegen pflegte, einen Strohhut Girardi taufte. Das Aussehen dieses Hutmodells scheint mir der Grund zu dessen Benennung gewesen zu sein. Es war ein einfacher, mit einer geraden Krempe versehener, nur mit einem schlichten Bande gezierter Hut, der in symbolischer Weise die persönlichen Eigen- schaften Girardis wiedergab. Wie dieser Hut waren namentlich die Grundeigenschaften Girardis, Einfachheit, Gradheit und Unaufdring- lichkeit.

. Ein interessanter kaiserlicher Rat das.

Gedenktage

Es sind nunmehr gerade 225 Jahre und das Professoren- kollegium hat aus diesem Anlaß eine intime Feierlichkeit veran- staltet —

Es sind in diesem Herbste gerade einundvierzig Jahre her, daß sie (Josefine Wessely) mit der Cousine Reserl zaghaft an die Tür der >Frau Direktor< klopfte

Das Ende eines eigenartigen Blattes

Die .Newyorker Staatszeitung' hat ihr Erscheinen eingestellt. Damit hat die systematische Hetze in Amerika gegen die Deutschen wieder zu einem Erfolg geführt, indem sie der bedeutendsten deutsch- amerikanischen Zeitung ein Ende bereitete. Besonders das Sonntags- blatt erfreute sich großer Beliebtheit und Verbreitung in ganz Amerika; durch den Nachdruck der besten deutschen Romane und Novellen hielt es seine Leser über die geistige Entwicklung Deutschlands im laufenden, und die eigenartige Rubrik >Aus der alten Heimat«, die in kurzer Form alle Todes- fälle, Heiraten, Lokalereignisse und sonstigen Begebenheiten in allen Städten und Dörfern Deutschlands und Deutschösterreichs registrierte, verschaffte der Zeitung eine außerordentlich hohe Auflage ....

Kein Wunder, daß das den Amerikanern auf die Dauer zu viel wurde.

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Ein Führer der Menschheit

Der Präsident der Concordia, der Ehrlich heißt und seinerzeit dem Benedikt mit dem Diktum den Rücken gekehrt haben soll: Ich geh, ich hab genug!, der ehemalige Börsenjournalist, der das geistige Wien vertritt, kann seinen Ursprung nicht verleugnen, indem er sich gleich seinem früheren Chef im Kriege auf der Gedankenflucht befindet:

und fuhr dann fort: Vom Tage, dessen Geschehen wir zu erfassen haben, erhielten wir den Namen Journalisten. Seit fast vier Jahren ist der schreckliche Krieg das tägliche Ereignis.

Das ist gar kein so loser Zusammenhang, als es scheint.

So wenden sich auch heute unsere Gedanken den furchtbar spannen- den Ereignissen zu, die sich im Westen vollziehen. Wir wünschen den deutschen Waffenbrüdern den vollen, den entscheidenden Erfolg, der dem mörderischen Ringen der Menschheit ein Ende bereitet und den dauernden Frieden bringt. Wir sind überzeugt, daß auch die Völker, die im Banne wahnwitziger Führer stehen, sowohl die Franzosen, als auch die Engländer, in ihrem Innern das rasche Ende des Blutvergießens herbeisehnen.

Der Zusatz »sowohl die Franzosen, als auch die Engländer« war bloß durch den Hinweis auf die wahnwitzigen Führer geboten, aber zu den Völkern, die das Ende des Blutvergießens herbeisehnen, gehören natürlich auch wir.

Im Zeichen Schillers ist die > Concordia« vor 59 Jahren gegründet worden. Zu seinen unsterblichen Idealen, für die wir uns begeistern, zählt auch das Weltbürgertum. Nach wie vor werden wir dem Genie huldigen, wo immer es in die Erscheinung tritt.

Nur wird sich leider das Genie nicht immer von der Concordia huldigen lassen.

Und wenn soeben von hoher Warte verkündet wurde, die Akademie der Wissenschaft sei in erster Linie berufen, die zerrissenen geistigen Fäden wieder anzuknüpfen, so wagen wir hinzuzufügen, daß nicht in letzter Linie auch die Presse dazu berufen ist.

Gemacht; aber wir würden dann schier die von der Concordia angeknüpften geistigen Fäden für eine Spule Zwirn hergeben.

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Eine Herzensangelegenheit

Vertreter der reichsdeutschen Tageszeitungen sind als Gäste der »Concordia« und des »Deutsch-österreichischen Schriftstellervereines < in Wien eingetroffen .... Die Männer, die stets in stiller Zurück- gezogenheit ihre Arbeit leisten, treten heute als liebe Gäste vor die Wiener Öffentlichkeit. Freudig bewegt schlagen ihnen die Herzen der Wiener entgegen.

Bis auf meines.

Es ist von mir

Die deutschen Gäste fanden alles nach Wunsch bereitet vor. Der Graf Burian versicherte ihnen, daß der Ausbau des Bündnisses eine logische Folge der Entwicklung sei, während hingegen der Präsident der Concordia der Vertiefung des Bündnisses gedachte sowie des geistigen Bandes, das die Presse um die verbündeten Reiche schließt, worauf ein gewisser Rippler das Gelübde tat, die Beziehungen der reichsdeutschen zur Wiener Presse »auszugestalten und zu vertiefen« und über- haupt die geistige Waffengemeinschaft zu stählen. Nachdem im Laufe des Abends noch andere und zwar bedeutsame Reden gehalten worden waren, welche die Vertiefung des Bundes- gedankens betrafen, bewies der Botschafter Graf Wedel, daß er »die Psychologie hat, welche Lord Grey den deutschen Diplomaten absprechen wollte«, indem er die Erkennt- nis aussprach, daß Österreich-Ungarn und Deutschland Nachbar- staaten sind. Auch zitierte er Schopenhauer, aber nicht die Stellen über die Zeitungsschmierer, sondern den Ausspruch, es sei eine der weisesten Lebensregeln, die Menschen zu nehmen wie sie sind, und nicht, wie man sie haben möchte. Das gelte auch im Völkerleben. Die Aufgabe der Diplomatie sei es, moralische Eroberungen zu machen. Man müsse die Wesensart anderer Völker verstehen und berücksichtigen. Offenbar meinte er, daß Österreich noch ein Feld für die deutsche Diplomatie sei, nach- dem es ihr mit der ganzen übrigen Welt bereits gelungen ist. Den

ibi

Pressevertretern galt das Kompliment, daß sie mit geistigen Waffen kämpfen. Es freute ihn sehr, daß er Gelegenheit habe. »Sind doch« Diplomatie und Presse verwandte Berufe und so. Die Presse habe die hohe Aufgabe, die Wahrheit zu verkünden. »Was gut und dauernd ist in dieser Welt, beruht auf Erkenntnis der Wahrheit. Was nicht echt ist, hat keinen bleibenden Bestand«. Wahr ist zum Beispiel, daß Österreich und Deutschland Nachbarstaaten sind. Ferner, daß Botschafter Graf Wedel die Erschienenen mit gewinnender Liebenswürdigkeit begrüßte. Der Abgeordnete Groß hingegen würdigte den Besuch der reichs- deutschen Pressevertreter und die damit verbundenen Gastmähler vom Gesichtspunkt der Aufgabe von Presse und Parlament, die Bevölkerung »zum Aushalten, zum Ertragen und zum Durch- halten aufzumuntern«. Hierauf wurden allen von allen die Honneurs gemacht. Auch hier geschieht, was längst geschah, spricht Mephistopheles. Esentwickelte sich denn auch sofortjeneangeregte, gemütlich frohe Stimmung, die das beste Zeichen für die Gastlichkeit des Hauses ist. Zwanglose Gruppen bildeten sich, alte Bekanntschaften wurden erneuert, neue angeknüpft. Die freundlichen Beziehungen zwischen dem Reich und der Monarchie zeigten sich auch in dem gemütlichen Verkehr zwischen den deutschen Gästen und den Wiener Kollegen. Daß auch die Zeijfragen eingehende Erörterung fanden, versteht sich von selbst. Wie überhaupt alles. Da neben der Diplomatie auch die Generalität vertreten war, wurde »naturgemäß« auch vom Kriege gesprochen, vor allem von der Westfront, und die Zuversichtlichkeit, mit der hier von sachverständiger Seite die Kriegslage beurteilt wurde, trug nicht wenig dazu bei, die Stimmung angeregt und froh zu erhalten .... Salkind . . Mandl . . Hermann Bahr, Hugo v. Hofmanns- thal, Rudolf Hans Bartsch, Dr. Hans Müller . . Andrian . . Burian . . Tressler . . Im Namen der österreichisch- ungarischen Wehrmacht entbot Kriegsminister v. Stöger-Steiner den Gästen den soldatischen Willkommgruß .... Ich habe das alles zitiert, weil es aber doch von mir ist, lieber gleich in meinen Text aufgenommen. Ich könnte eigentlich meine Mission heute mit der autorrechtlichen Verwahrung

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abschließen, daß alles was besteht und wert ist, daß es zu Grunde geht, von mir ist. Eine bessere Schöpfung spreche ich mir nicht zu. Der Grubenhund war nur ein Spaß. Aber der Fenriswolf, der umgeht, ist vom gleichen Geschlecht. Wie mühsam ist es, einen Text zu zitieren, den man selbst verfaßt hat ! Die Qual dieser Agnoszierungen hat mir den Tag und die Nacht verschüttet. Ich habe nichts als das Glück der Hoffnung, daß mir das Plagiat vernichtet wird.

Ein Austausch von Zitaten

fand im Rathaus statt. Ein gewisser Piper, dem der Stephansturm imponiert, gab die Erklärung ab, daß das österreichische Wesen in der Reichshauptstadt verkörpert sei; »das Wort Grillparzers ,In deinem Lager ist Österreich ' muß überhaupt auf Wien angewendet werden«. Dieser talentvolle Vorschlag fand den Beifall des Herrn Weiskirchner, der aber sofort, um allfälligen Enttäuschungen vorzubeugen, mit der stolzen Versicherung antwortete: »Wir sind nicht mehr das Volk der Phäaken!« Weiß Gott, das sind wir nicht mehr! Da die Phäaken tatsächlich keine Durchhalter waren und der genügsamste Phäake drei fleischlose Tage in der Woche nicht ertragen hätte, so ist der Protest des Bürgermeisters gegen das Zitat immerhin am Platze. Was die Wiener heute im Gegenteil sind, das auszudrücken gelang ihm unschwer in dem Satz: »Wir Wiener sind uns bewußt unserer Verantwortung als Bollwerk gegen Osten Ob da auf die uns verbündeten Türken oder nur auf unsere Feinde, die Ungarn angespielt war, darauf kam es den reichs- deutschen Gästen weiter nicht an, denen schon die Erhebung einer offenen Stadt zum Rang eines Bollwerks eine gewisse Genugtuung bereiten mochte.

Von den Schlagworten

Spitzmüller sprach:

» Ich meine hauptsächlich Verflachung durch Schlag- worte. Namentlich in Österreich weniger in Ungarn, wo eine intensivere politische Schulung besteht ist es üblich, die Schlag-

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worte in das Volk gelangen zu lassen, ohne darauf zu reagieren und ohne das Volk zu schützen vor den Gefahren, die daraus erwachsen. Die Entente hat das System der Betörung durch Schlagworte mit einer Kunst betrieben, die überrascht und verblüfft. «

Vom Stählen

Eines der häufigsten Worte ist jetzt das Wort »stählen«, fast so häufig wie das ähnliche. In den wenigen Tagen, da die deutschen Journalisten hier zu Oast waren, wurde die geistige Waffengemeinschaft gestählt. Dann lief ein Telegramm des deutschen Kaisers ein, in welchem zur Stählung des entschlosse- nen Willens aufgemuntert wurde, worauf der Generalstabschef, der wie der Kriegsminister und der Vorstand des Kriegspresse- quartiers den Journalisten einen soldatischen Willkommgruß entbot, die Ansicht aussprach, daß die Presse »die Psyche des Volkes zu beleben, dieselbe aufzuklären und den Willen desselben zu stählen hat«. Ganz zutreffend bemerkte derselbe:

Volk und Heer sind heute eins. Die Stimmung des Volkes spiegelt sich an der Front wieder, ebenso wie die Ereignisse an der Front auf die Heimat rückwirken.

Im Zeichen Beethovens

Am Abend trafen sich die Gäste beim Heurigen in Döbling (Josef Winter in der Grinzingerstraße) zu einem von der Deutsch-österreichischen Schriftstellergenossenschaft veranstalteten wienerischen Abschiedsabend.

Präsident Puch stein der Schriftstellergenossenschaft begrüßte die Erschienenen mii herzlichen Worten, in welchen er auf die lokalhistorische Bedeutung der Stätte des Zusammen- seins verwies, die einstens den Wiener Poeten Winkel darstellte, in welchem Saar und Bauernfeld dichteten, Schubert und Beethoven komponierten,vd ie also wie keine zweite geeignet sei, wieder Männer der Feder und der Kunst zu ver- einigen.

Während des Abends fanden auch einige der anwesenden Kunstkräfte Gelegenheit, die Gäste mit echt wienerischen Darbietungen zu erfreuen, so Frau Gabriele Modi, Herr Huber . . Fräulein Grell Fuchs . . Herr Kumpa . . und Herr Theodor Weiser

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Zusammengewachsen

Das Problem dieses Österreich ist nicht, daß sich die Nationen nicht vertragen, sondern daß sie, die nichtdeutschen, einen Staat, der unaufhörlich versichert, daß er sie beglücke, nicht vertragen und daß sie es auch nicht tun würden, wenn's ihm gelänge, das heißt wenn die Regierungsmaxime »Mir san ja eh die reinen Lamperln« täglich in beglückende Tat umgesetzt würde. Ihre, ihrer aller Eigenart ist es eben, nicht zu wollen, und seine ist es, da halt nix machen zu können. Dieser Wider- spruch lebt sich »naturgemäß« im nationalen Streit aus. Der Herr von Hussarek scheint dies, wiewohl er vornehmlich der Träger jener Regierungsmaxime ist, begriffen zu haben. Denn ihm ist bei rechter Gelegenheit, vor reichsdeutschen Journalisten, die rechte Formel geglückt:

Im Laufe der Jahrhunderte unter dem glorreichen Scepter unseres Kaiserhauses zusammengewachsen, sind die österreichischen Lande die Heimstatt eines Österreichertums geworden, das

Fünfzig Jahre Nationalitätenstreit können nicht bündiger formuliert werden.

Sie werden sich überzeugen

Die deutschen Journalisten haben auch einen Ausflug nach Budapest gemacht. Es versteht sich von selbst, daß auch dort vertieft und geschultert wurde und daß an reichbesetzten Tafeln das Bündnis in Fleisch und Blut überging. Zumal der Handelsminister Baron Szterenyi-Stern, auf den dieses gefährliche Gleichnis eine spezielle Wirkung ausübt, war es, der sein Scherflein hiezu beitrug. Dafür verlangte er aber auch von den Fremden, die voraussichtlich zwei bis drei Fleischtage in Budapest zubringen wollten, nicht wenig.

»Wenn Sie,« sagte der Minister, »hier Land und Leute wirklich kennen lernen werden, werden Sie sich davon überzeugen, daß diese Bestrebungen, unsere staatliche Selbständigkeit innerhalb der Monarchie zum Ausdrucke zu bringen, immer im Interesse der Stärke der Monarchie liegen. (Lebhafter Beifall und Hände- klatschen.) —

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Der Minister verwies darauf, daß die Gäste, wenn sie das Land kennen lernen werden, sich davon überzeugen werden, daß in Ungarn jede Nationalität ohne Rücksicht auf ihre Sprache oder Religion vollständig freies Recht hat, ihre nationale Eigenart in Kirche und Schule zu entwickeln.

Natürlich werden so talentvolle Studienreisende wie die Berliner Journalisten das alles in zwei Tagen eher heraus haben als andere in zwei Jahren, und die Kenntnis des Landes wird sich von selbst einstellen, wenn sie es mit so umgänglichen Leuten wie diesem ungarischen Handelsminister zu tun haben. Hierauf sprach ein anderer Budapester, der

unter stürmischem Beifall der Anwesenden daran erinnerte, daß nunmehr unsere Soldaten vor Verdun Schulter an Schulter mit unseren Bundes- genossen kämpfen.

Die bei St. Mihiel dürften an demselben Tage mit Begeisterung dieser Schulter an Schulter für sie essenden Nach- hut der Hinterländer gedacht haben.

Sie haben sich überzeugt

nachdem sie, ein paar Tage in Budapest gut gegessen hatten. Beim Abschiedsbankett konnte deshalb Baron Stern sagen:

Ihre Anwesenheit bei uns war sehr kurz bemessen. Diese kurze Zeit genügte Ihnen aber, um über Land und Leute in gar mancher Beziehung sich ein Urteil bilden zu können. Wir zeigen Ihnen keine Potemkinschen Dörfer. Sie konnten uns in unserem alltäglichen Leben sehen. Und wenn ich mich da frage, was Sie bei uns gesehen haben, muß ich mir sagen, daß Sie vorerst eine blühende Großstadt sahen Sie konnten eine Nation kennen lernen, welche zwar an Zahl

gering, aber bestrebt ist, sich den großen Kulturnationen anzureihen

Und wenn Sie sich der Mühe unterzogen, uns etwas näher kennen zu lernen, konnten Sie, ja mußten Sie erkennen, daß diese Nation einen althergebrachten, festen Charakter- zug besitzt: Anhänglichkeit und Treue.

Seit mehr als einem Jahrtausend stammt dieser C h a r a k t e r z u g. Er ist aus dem geschichtlichen

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Blutvertrag entstanden, den die sieben Stämme vor ihrer Einwanderung in ihr neues Vaterland schlössen.

(Fünf scheinen zurückgeblieben zu sein.)

Diese Treue mußten Sie bei uns auch unserem Bundes- genossen, dem Deutschen Reiche, gegenüber gesehen haben, mit welchem unsere Monarchie ihren geschriebenen Bündnisvertrag in diesem Kriege auch durch einen Blutvertrag bekräftigte. Sie konnten sehen und Sie mußten sehen, daß fest und treu steht nicht nur die Wacht am Rhein sondern auch an der Donau. Mit dieser Treue verabschieden wir uns von Ihnen und rufen Ihnen herzlich zu : Auf baldiges Wiedersehen!

Unverantwortliche Elemente

Der in hundert Tischreden bis zum Erbrechen als wich- tigster Faktor im Krieg angehimmelte Journalismus wird an dem Tag, da Faktoren für den Frieden gesucht werden, in der Burianschen Note wie folgt definiert:

A peine enonc^e et avant meme que l'adversaire ait pu y repondre officiellement, toute döclaration des hommes d'Etat au pouvoir est discut^e passionnement et avec exag^ration p a r des personnes non responsable s.

Oder auf deutsch:

Jede Kundgebung der führenden Staatsmänner wird, sowie sie stattgefunden hat und noch ehe die zuständigen Stellen der Gegenseite darauf erwidern können, zum Gegenstand einer leiden- schaftlichen oder übertreibenden Besprechung unverantwort- licher Elemente.

Besonders in der deutschen Übersetzung dürften wir der Wahrheit über die papierenen Mordbrenner näher kommen als es noch tags zuvor dem Burian und sonstigen Amtsstellen gelungen ist. B e i Tische las man's anders.

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Mitteilungen von informierter Seite

Dem Umstände, daß unsere Regierung gerade jetzt mit ihrer Annäherung hervortritt, werden von Denkenden kaum etwa politische Rücksichten oder Rücksichtnahme auf die augenblickliche militärische Lage zugeschrieben werden.

Was alles passieren kann

Die Hoffnung der Entente auf den inneren Zusammenbruch der Mittelmächte.

Für Deutschland können wir sicher sagen, daß es unbeirrt von allen Meinungsverschiedenheiten in diesem Wett- kampfe an Ausdauer und innerer Kraft nicht unterliegen wird, so viel Mühe sich auch unsere Feinde geben, Uneinigkeit zwischen uns zu säen.

Aus der Rede des Vizekanzlers. Der Sperrdruck ist der Neuen Freien Presse passiert.

Zwei Seelen und ein Gedanke, Zwei Herzen und ein Schlag

Das Friedensangebot des Grafen Burian. 22.000 Kilogramm Bomben auf Paris geworfen.

Expose

Stöger-Steiner sprach:

». . . Das moderne Schlachtfeld im Unterschiede von jenem der vergangenen Kriege war uns zum Bewußtsein gekommen . . . wir ahnten, daß Massenkämpfe bevorstehen werden .... Leider

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mußte sich die Kriegsverwaltung vielfach der finanziellen Leistungs- fähigkeit der Monarchie anpassen und mußte, sich der Wucht dieses Arguments unterordnend, mit schwerem Herzen manches zurückstellen. So blieb denn gegenüber den glücklicheren Nachbarn unser Rüstzeug für den Krieg rückständig . . .

Heimleuchtungen

Wolf f In den drei Nächten des l.,2. und 3. d. belegten die

deutschen Bombengeschwader militärische Ziele hinter der französischen und englischen Front in zahlreichen Flügen mit der Riesensumme von 201.2 57 Kilogramm Bomben. ausgiebig mit Bomben beworfen. Zahlreiche Brände und Explosionen bezeichneten noch stundenlang nach dem Angriff die Wirkung der deutschen

Bomben. Zahlreiche Brände und Explosionen . . leuchteten

den deutschen Fliegern noch lange auf ihrem H e i m f 1 u g e.

Allerlei Polizei

> . . . Ebensowie auch der bestorganisierte Sicherheitsdienst es nicht verhüten kann, daß in einer Großstadt bisweilen bei Nacht und Nebelwetter Einbrüche verübt werden, ist auch die wachsamste Flotte nicht in der Lage, absolut zu verhindern, daß ab und zu an irgendeiner Stelle einer mehrere hundert Meilen langen Küste Hand- streiche, die mit einem minimalen Apparat ins Werk gesetzt werden und kleinen Zielen gelten, gelingen . . .

Der Vergleich stimmt nicht, weil doch die Polizei nicht ihren Ruhm darin erblickt, das nächste Mal beim Einbrecher einzubrechen und überhaupt Offensiven zu unternehmen. Wenn er aber stimmt, so wird sich in der Kriegsgeschichte schon auch zu dem Fall ein Pendant finden, daß gerade damals im Hotel Bristol bei hellichtem Tag eine Offensive verübt worden ist.

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Fragen an Mörder

Präsident (zu Davit): Sie hatten Verhältnisse?

Angeklagter (fest): Nein, niemals.

Präsident: Wir haben kein Interesse in diesem Prozeß, die Namen derselben zu wissen, aber wir wissen die Namen von mindestens zwei Damen.

Angeklagter (ausweichend): Bekanntschaften.

Präsident: Aber eine war eine sehr »weitgehende« Bekannt- schaft. —

Staatsanwalt (zu Franke): Haben Sie Verhältnisse gehabt?

Angeklagter: Beziehungen zu einer Dame. Direkt ein Ver- hältnis war es nicht.

Staatsanwalt: Sie waren auch Stammgast in öffentlichen Häusern?

Angeklagter: Ich war häufig dort, das muß ich zugeben.

Staatsanwalt: Mit einem Freimädchen haben Sie auch ein Verhältnis gehabt?

Angeklagter: Ich habe sie mit Geld unterstützt.

Staatsanwalt (zu Davit): Haben Sie in Brunn ein Verhältnis gehabt?

Angeklagter: Nein, das ist eine Verleumdung.

(Verleumdung ist der Vorwurf eines Verbrechens.)

Staatsanwalt: Haben Sie in Wien Verhältnisse gehabt?

Angeklagter: Verhältnisse nicht, nur Freundschaften.

Staatsanwalt: Die Freundschaft ging aber so weit, daß wir das in Wien ein Verhältnis nennen. So viel Ehre sollten Sie doch im Leibe haben, daß Sie uns nicht zwingen, die Namen dieser Frauen hieher in den Gerichts- saal zu zerren.

(Davit gibt an, daß er in Wien mit zwei Damen intime Beziehungen unterhalten habe.)

Staatsanwalt: Endlich geben Sie das zu, es genügt mir. Auf Namen verzichte ich. Wir wollen hier keine Schmutzwäsche aufwühlen.

Unwillkürlich muß er denken

... So verschiedenartig nun in ihrem Äußern und in ihrem ganzen Wesen diese beiden Menschen sind, so spürt man doch sehr stark den verwandtschaftlichen Zug, der sie verbindet. Unwillkürlich muß man

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an die Brüder Karamasow aus dem großen Roman Dostojewskis denken, an den wilden, ungestümen Mitja und an den sanften, knabenhaften Aljoscha.

Nämlich Herr Zifferer, nämlich über die beiden Raubmörder vom Hotel Bristol. Besonders der Vergleich des Kurt Franke mit Aljoscha, der sich einem aufdrängt, hat etwas Bestechendes. In einem Kulturstaat, dessen größte Zeitung so etwas gebracht hätte, würden der Verfasser und der Herausgeber sich bis zum Lebens- ende nicht auf die Straße trauen und hierauf keinen Kadisch erhalten.

Ein rasender Schmock

Wer vor dem Weltuntergang sich noch einen heiteren

Abend antun will, versäume nicht, die Wiener Allgemeine

Zeitung zu abonnieren. Dort gibts täglich was in diesem Oenre:

[Die gerächten Berge.] Die Verurteilung des Mörders Rahner

hat den giäßlichen Vorfall wieder in Erinnerung gebracht, der sich

im Vorjahre in dem Wiener Waldgebirge abspielte. Hier liegt

ein Fall vor, wo die strafende Gerechtigkeit beinahe verzweifelnd nach Sühne ausblickt, um so viel Tücke zu ahnden Der Friede der Berge wurde gestört, der von dem Wiener stets hoch und heilig gehalten wird. Dort draußen in der erhabenen Natur der Alpennähe hat er seine Sehnsuchten und Träume aus dem Trubel der Großstadt gerettet, dort steht sein weihevoller Altar, zu dem er gern und freudig seine Zuflucht nimmt, der ihn noch nie enttäuscht hat und den er vor Menschentücke und Menschenbosheit gefeit glaubt. Freilich wohnt und lauert auch in diesen Bergen der Tod. Oft genug dringt schmerzliche Botschaft aus den zerklüfteten Hängen und Firnen des Wienerwaldes, aber dieser Tod inmitten gigantischer Natur, von ihr selbst gefordert, hat etwas ungemein Reines und Opferhaftes an sich in dem Maße, wie er jedem gesellschaftlichen all- täglichen Leben fernliegt. Auch Therese Preinfalk glaubte man lange als Opfer der Berge betrachten zu müssen, bis ihr Ende eine um so erschütterndere, verdammenswertere Aufklärung erfuhr und man den Übeltäter suchen mußte, der sich nicht scheute, im Angesichte der von allen Wienern und allen fühlenden Menschen verehrten majestätischen Natur der Alpen die scheußlichste Verbrechenstat zu verüben.

Gehst denn nicht.

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Allerlei Umgang

Im Gegensatz zu Schopenhauer, halte ich nicht anonyme Seh impf briefe, sondern solche mit vollem Namen für eine Feigheit. Die Feigheit des Anonymen tritt für mich so wenig in Erscheinung wie er selbst, ich weiß nicht, wer feige ist, ich merke nur den Drang mir eine Ansicht bekanntzugeben, die das Fehlen der Unterschrift eher zur typischen macht und durch deren Mitteilung der Schreiber, der das Opfer seiner Persönlichkeit bringt, sich ein Verdienst erwerben kann, auf dessen Ehre er verzichtet. Keine Person, sondern eine Ansicht tritt an mich heran. Mit dem unterzeichneten Schimpfbrief jedoch tritt vor der Ansicht die Person an mich heran. Ich habe aber keine Verbindung mit ihr gesucht und da im gesellschaftlichen Leben nur auf Grund einer schon vorhandenen persönlichen Verbindung eine ebensolche Äußerung erfolgen kann, so drängt sich jener in meine Intimität, der, ohne mich persönlich zu kennen, mich persönlich anspricht. Weil er dies aber auf mündliche Weise keineswegs zu tun wagte und weil er mich zu gut par distance kennt, um nicht zu wissen, daß ich eine solche Annäherung auf der Straße durch Weitergehen, in einem Lokal durch Herbeirufung des Kellners vereiteln würde, so benützt er, indem er den schriftlichen Weg betritt, eine Gelegenheit, die ihn unsichtbar und mich zum wehrlosen Partner seiner Ansprache macht, und indem es ihm gelingt, eine Äußerung an den Mann zu bringen, der sich dieser Mann sonst unfehlbar entzogen hätte, handelt er feige, zwar nicht wie der anonyme Briefschreiber im Sinne jener mich nicht berührenden Feigheit, bei welcher Handlung und Persönlichkeit nicht zur Deckung kommen, sondern im Sinne der Feigheit, bei welcher Absicht und Form nicht zur Deckung kommen und die einen technischen Vorteil listig ausnützt, um ohne persönlichen Nachteil mich belästigen zu können. Die so häufig geübte Methode, einem andern ohne Gefahr der Verlegenheit seine Meinung zu sagen, wird schon durch die Möglichkeit absurd, daß der Korrespondent an dem Empfänger späterhin grußlos und wunschlos vorbeigeht, ohne auch nur von dem Verlangen aufgehalten zu sein, sich nach der Wirkung seines Briefes zu erkundigen. Hundert anonyme Briefe

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stellen an meine Nerven keine so bittere Zumutung wie die Zuvor- kommenheit eines Unbekannten, der sich mir mit vollem Namen und Adresse unsichtbar gegenüberstellt. Ist die Ansicht, die er mir offeriert, die er mir unter meine Nase reibt, ohne daß ich seine Hand zurückschlagen kann, in schmähendem Ton gehalten, so steht der Fall noch günstig, weil da die Behörde Schutz gewähren kann. Nicht gegen Beleidigung die Ehre des Briefempfängers fühlt sich nicht verletzt und könnte sich gegen die Insulte in geschlossenem Brief nicht wehren , wohl aber gegen Belästigung. Weit fühlbarer jedoch, wenngleich polizeilich nicht faßbar, ist die Belästigung durch Briefe,die nichtdurch Schmähung abzuschrecken, sondern durch Belehrung zu bessern suchen. Gegen deren Absender gibt es nur, wenn sie sich auf ihre Legitimation als »ständige Abnehmer« berufen, einen Schutz: die Entlassung aus dem Abonnentenverbande. Die Wehrlosigkeit vor der Intelligenz, die irgendein schäbiges Fachwissen gegen einen geistigen Zusammen- hang ausspielen möchte, in dem die objektive Erweislichkeit gar keinen Ausschlag gibt; die Ohnmacht vor einem Besserwissen, das einer glücklich entstofflichten Welt ihre öden Sachverhalte reklamiert; die Bedrängnis durch die Grammatiker, die im Phono- gramm der Zeit Sprachschnitzer anstreichen das sind Gefühle, denen in den allermeisten Fällen jeder Schutz versagt bleibt. Fast noch schlimmer aber als jene, die eine persönliche Beziehung herstellen, um eine unfreundliche Meinung anbringen zu können, sind solche, die eine persönliche Beziehung vortäuschen, um zu einer Freundlichkeit berechtigt zu sein. So wie es Leute gibt, die mich, wenn sie mit andern gehen, grüßen, obwohl ich sie bei diesem Anlaß zum erstenmal sehe, so scheint sich ein Unbekannter Gewinn davon zu versprechen, daß er mir »aus angenehmer Sylvestergesellschaft« mit fünf andern einen Gruß schickt, was gewiß nur eine harmlose Zudringlichkeit wäre, wenn er bloß sich mit vollem Namen, aber nicht mich bloß beim Vornamen nennte. X. schrieb mir, er könne mir gar nicht sagen, wie glücklich er sei, daß ich mich zu den Bestrebungen der Schlaraffia bekehrt habe, der-Y., der mich besucht hätte, habe ihm von meiner Wandlung Mitteilung gemacht. Ich ahne gar nicht, wie viel Leute bei mir ein- und ausgehen, und es ist jammerschade, daß ich die

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Gesellschaft, deren Mittelpunkt ich bin, so gar nicht frequentiere. Aber vielleicht tue ichs doch und weiß es nur nicht. Denn ich erlebe so viel, wenn ich allein bin, daß ich mir manchmal hinterdrein sage: vielleicht sind wirklich alle die Leute im Zimmer gewesen.

Flieger über Rodaun

. . . Das Geschwader passierte um 9 Uhr 20 Minuten Rodaunin

schätzungsweise 2200 Meter Höhe Eines der italienischen Flugzeuge

kehrte über der Stadtgrenze um und passierte nach 1 0 Minuten m i t absteigender Tendenz wieder Rodaun. . . .

Offenbar hat d'Annunzio bei Herrn Hofmannsthal notlanden und ihn fragen wollen, ob er ihm einen Gegenbesuch machen werde, aber rechtzeitig erfahren, daß dieser seit 1914 in Russisch- Polen kämpfe.

Bedingung: Leder

[Der Wiener Buchhandel im Kriege.] Zu den Qeschältsleuten, deren ganzer Betrieb in der Kfiegszelt eine gründliche Umwälzung erfahren hat, zählt nicht in letzter Linie der Buchhändler. D i e geistige Verfassung des Bücher lesenden und des Bücher kaufenden Publikums ist eine ganz andere geworden . . . Nicht allein in den vordersten Parkettreihen des Theaters und des Konzertsaales, nicht nur im Laden des Pelzhändlers und des Juweliers sieht man die neuen Reichen. Sie stellen sich auch zu ihrer Ehre sei es gesagt in hellen Hauten in der Buch- handlung ein. Nichts wäre leichter und billiger, als jene mit wohlfeilem Spott zu bedenken, die sich ihre Bibliothek nach den Weisungen des Verkäufers in der Buchhandlung zusammenstellen. Nur gedankenloser Snobismus wird sich über den naiven Respekt vor der Bildung, die scheue Kniebeuge vor dem Wissen, die sich in diesem

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wahllosen Massenankauf von Büchern ausspricht, lustig machen. Wenn nicht diesen Käufern selbst, so zumindest ihren Söhnen und Töchtern wird solche Anschaffung in absehbarer Zeit noch andere Freude bereiten als die ein wenig äußerliche, am Ledereinband und am Goldschnitt. Der Ledereinband, so erzählt uns ein hervorragender Wiener Buchhändler, ist gegenwärtig das Gesuchteste, nicht nur bei uns in Wien, sondern ganz ebenso draußen im Deutschen Reiche, dort vielleicht noch mehr. Der älteste Schmöker, der sich eines Ledereinbandes rühmen kann, wird im Handumdrehen abgesetzt. Überhaupt sind gute Tage für die Luxusausgaben, für numerierte Exemplare von Büchern und derlei Kostbarkeiten mehr gekommen. Man braucht sich aber durchaus nicht einzubilden, daß diese neugebackenen Bibliophilen durchaus Kriegsgewinner seien .. . Daß einer von der Straße her die Handlung betritt und um 150, um 200, ja um 300 K Büchereinkäufe macht, ist durchaus keine Seltenheit. Mit einem lachenden, einem weinenden Auge sieht der Buchhändler auf diese Erscheinung. Er sehnt sich nach den Intellektuellen mit der Jahresrechnung, die in der Friedenszeit die angesehensten Kunden der Buchhändler waten. Sie sind leider im Aussterben begriffen . . . .

Weiß Gott, das sind sie; und eben darum hebt sich das Geschäft und werden die Lederbände und Luxusausgaben gekauft, an deren Preise mein billiger Spott freilich nicht hinanreicht. Die Leute, die heute von der Straße her die Buchhandlung betreten was sie freilich auch vor dem Krieg zu tun pflegten , müssen aber, wiewohl sie die höchsten Lederpreise für Literatur zahlen, deshalb keine Kriegsgewinner sein. Zu ihrer Ehre sei es gesagt, daß sie so handeln ohne zu handeln und wählen ohne zu wählen, sie wollen eben ihre scheue Kniebeuge vor dem Wissen wagen und der Inhalt des Lederbandes wird den Kindern und Kindeskindern zugutekommen. Nun würde ich ja gern dem hervorragenden Buchhändler, der diese Information hergegeben hat, wenn ich wüßte, wo er zu finden ist und wär's der Hugo Heller , das Schaufenster, das durch Leder die neue Kundschaft lockt, einschlagen und ihn zu dem Geständnis bringen, daß die vielbegehrten Einbände aus Menschenhaut hergestellt sind. Viel ehrlicher gibt den mir längst bekannten Sachverhalt eine andere Kapazität des »Weihnachtsgeschäftes« zu, deren

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Gutachten sich geradezu als Inhaltsangabe meines Epigrammes »Luxusdrucke« darstellt:

Der furchtbare Weltkrieg, der so viele Kulturwerke vernichtet, zeitigt auch Erscheinungen, die wir nicht zu bedauern brauchen. Unter diesen rangiert der ungeheure Aufschwung des Buchhandels, der einen Verschleiß geistiger Werke bedeutet, gewiß nicht an letzter Stelle. Mag sein, daß die Menschen, in Ermangelung anderer Geschenkartikel, sich mehr dem Kauf von Büchern, die noch in hinreichender Menge vorhanden sind, zuwenden der Sturm auf die Buchhandlungen bleibt im merhin ein erfreuliches Moment.

Ins Gewicht fällt die Tatsache, daß die Preise der Bücher nur wenig gestiegen sind. Der von den Buchhändlern vereinbarte Zuschlag von 10 Prozent spielt gewiß keine Rolle und die übrigen Preissteigerungen sind im Verhältnis zu denjenigen anderer Artikel kaum bemerkbar. Daß die Bücher überhaupt teurer geworden sind, daran ist übrigens nur die Verteuerung des Einbandmaterials schuld.

Unter den Käufern bemerkt man auch vielfach Kriegsgewinner. So wollten einige beispielsweise nur »numerierte Ausgaben auf Büttenpapier«. Vor einigen Tagen hat in einem Stadtgeschäft ein Herr um zirka 2000 Kronen Bücher gekauft, mit der Bedingung, daß ihm nur solche Exemplare geliefert werden dürfen, die in Leder gebunden sind.

Das ist ja alles von mir, bis auf den herzigen Gedankenstrich, der aber wie die Freude an der Übereinstimmung mit meinem Epigramm aussieht. Also es stimmt alles, Leder ist Bedingung, Bütten versteht sich von selbst, und die Kuppler dieser Bedürfnisse, die uns einreden wollen, daß sie mit einem lachenden, einem weinenden Auge die Unsummen einsacken, nennen sich wie einst Buchhändler. Geist ist so teuer wie Fleisch geworden und wird versteckt wie dieses, damit er noch teurer werde. Aber mit zynischer Offenheit wird dafür jene Literatur verleugnet, die das viele Blut und Geld in Umlauf gebracht, den ganzen Zustand verklärt hat und nun plötzlich der neuen Kundschaft nicht mehr paßt:

Für den Fachmann erscheint es geradezu phantastisch, daß, im Falle das Geschäft so weitergeht, bald sämtliche, darunter die hartnäckigsten Ladenhüter aus dem Buchhandel verschwinden werden. Unanbringlich ist nur die sogenannte Kriegsliteratur mit Kriegsgedichten wird man einheizen können.

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Sie haben ihre Schuldigkeit getan. Nicht mehr Schwert und Leier, sondern nur noch Leder und Bütten. Die Hyänen brauchen keinen Tyrtäus, die Wucherer verabschieden die Barden. Die haben ihre Pflicht erfüllt, sie haben zum großen Opferfest geholfen, und jene, denen es gefrommt hat, wollen nicht, daß ihre Enkel an die verwickelten Umstände erinnert werden, denen sie Leder und Luxus, Bilder und Bütten, Wälder und Wappen zu verdanken haben.

Gerichtsbekannt

Vors.: Und dann? Angekl. (mit gepreßter Stimme): Da dachte ich mir, daß manche Menschen viel haben und andere nichts. Vors. : Draußen an der Front blutet der Soldat und daheim erwirbt der Kriegsgewinner Reich- tümer. In den Bergschroffen hungert der Soldat, weil es mit ungeheuren Schwierigkeiten verbunden ist, die Nahrungsmittel hinaufzuschaffen. Das ist allgemein bekannt, diese Gegen- sätze merken Sie auf der Straße, im täglichen Leben. Daß Ihnen .das so plötzlich in den Kopf gestiegen ist?...

Ich würde mit dieser Erkenntnis im Kopf, auch wenn sie mir erst allmählich in diesen gestiegen wäre, nicht fünf Minuten lang Helfer der irdischen Gerechtigkeit sein können. Der sie ausgesprochen hat, ist aber gleichzeitig ein Helfer der Glorie. Einer, von dem der Gerichtssaalreporter wahrscheinlich seiner- zeit erzählt hat, daß er das Schwert der Themis mit dem des Ares vertauscht habe, wiewohl dieses heutzutag auch nur als Redensart funktioniert. Ein Strafrichter, der das Strafgericht der Mensch- heit, bei dem die Unschuldigen zum Tode verurteilt und die Prozeßkosten den Schuldigen zugesprochen werden, mit Jubel begrüßt haben soll. Mit einem Wort Herr OLG. von Würth. Nun, nachdem er sich die Sporen, jenen in diesem Krieg gleich- falls so selten gewordenen Gebrauchsgegenstand verdient hat und sogar Major geworden ist, nun hat er es auch noch zu der Erkenntnis von der neuen Lebenseinteilung gebracht, nämlich daß draußen der Soldat blutet und hungert und daheim der Kriegsgewinner Reich-

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tümer erwirbt, und kann wieder über solche richten, die daheim hungern und denen die Erkenntnis nicht erst in drei Jahren Weltgerichtspraxis, sondern plötzlich in den Kopf gestiegen ist. Immerhin hat die militärische Verwendung eines Richters den Erfolg, daß der kontrastvolle Notstand der Welt, der mit dem Fremdwort Glorie bezeichnet wird, nunmehr gerichtsbekannt ist.

Merk's Wien!

>Der durch die lange Dauer des Krieges gesteigerte Existenz- kampf Aller gegen Alle nimmt in letzter Zeit Formen an, die einen jeden Einsichtigen mit ehrlichem Widerwillen, ja sogar mit Abscheu erfüllen müssen . . .

Kein Hirtenbrief, sondern die Besitzerin eines der bekanntesten Theaterkartenbureaus schreibt uns.

Bei den Töchtern

(Schweizer Stimmung)

Zürich, 6. Febr. Die anfänglich vermißte Tochter ist wohl- behalten aufgefunden worden.

Wessen Tochter? Keines Vaters Tochter, sondern Tochter schlechtweg; also eines Geschäftsinhabers Tochter oder wohl, was noch häufiger vorkommt, eines Gastwirts Tochter, also eine sogenannte Saaltochter. Was ist das? Ein elbisch Wesen, nicht zu haschen, erscheint auf keinen Ruf, nicht zu halten, wenn sie erscheint. Die Töchter sind entweder gutartig oder bösartig. Die Bösartigen schweigen und versagen; die Gutartigen sagen

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»Gern« und »Dochdochc, aber tun es auch nicht. Die Saaltöchter bewegen sich im Saal wie die Rheintöchter, doch ihr Wesen ist noch schwerer zu ergründen. Wer aber in die Mysterien der »Hotellerie« eingedrungen ist, wem es vorbehalten war, zu den Töchtern hinabzusteigen, der faßt sie auch nicht. Ich 'bin lange Zeit bei den Töchtern gewesen und weiß nur das eine, daß sie jedem faustischen Drang eine Nase drehen und jedem Kommentar widerstehen. »Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit; von ihnen sprechen ist Verlegenheit....« Heiliges Urgeheimnis tiefsten Dichterworts, verzeih die Profanation im Anblick dieser »urchigen« Wirklichkeit von Essen und Trinken aber die ist dem Fremden wahrlich von allen Schleiern und Schauern umgeben. Eine plagt mich. Ich werde mich bei Herrn Hürlimann über seine Tochter beschweren. Aber vielleicht steckt sie immer bei ihm, und gleichwohl wär's nicht Blutschande. Jetzt schwebt sie am Büfett entlang, und doch war's wieder nichts. Die Zeit verrinnt mit der Lektüre von etwas, dasZürizitig heißt, vorn lese ich von den Sorgen und Hoffnungen, der Rettung und Erhaltung der Hotellerie, hinten fällt mir auf, wie häufig eine Tochter gesucht wird; und nun, heute, ist eine gefunden worden. Aber die eine, die meine, vermisse ich noch immer. Dann habe ich Zeit, nach- zudenken, warum hier eigentlich alle Menschen, also Wirte sowohl wie Gäste, Hürlimann heißen. Ich . wollte »Schweizerbürger« werden, denn immer nur Österreicher sein verträgt man auf die Dauer auch nicht. Da höre ich vom Nachbartisch das folgende Zwiegespräch : »Ja sagen Sie Herr Hürlimann, sind Sie eigentlach geschäftlach da?« »Wie? Ich bin gesundheitlach, sportlach und geschäftlach da, Herr Hürlimann.« »Wie? Wirklach? Ich hatte äben geglaubt, daß Sie Ihre Geschäfte schriftlach abwickeln?« »Wie? Nein äben, äben, auch mündlach.« »Wie? Aber da können doch leicht Irrtümer vorkommen?« »Wie? Ja, sehn Sie, irren ist menschlach.« Die Tochter schwebt am Büfett hin. Ich habe nur noch die Frage am Herzen: »Wo gahts da uße?«

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Ein Wort

Aus einem Schweizer Blatt:

mußte aber meine Gründlichkeit mit einer langen Wartefrist

büßen, denn inzwischen waren alle Tische im obern Raum besetzt worden; aber ich fand doch noch köstliche Kriegsleckerbissen an dem prunkvollen Büfett.

Wie es Schweizerbürger gibt, gibt es auch Schweizer- schmöcke. Ob es Neutralitätsbruch wäre, wenn sich in solchem Fall ein französischer und ein deutscher Internierter, die ja beide nach langer Wartezeit einen Kriegsleckerbissen gekostet haben mögen, auf eine Ohrfeige einigen wollten?

Phantastisches

[Die Verpflegung der ungarischen Delegations- mitglieder in Wien.] Der ungarische Minister am Hoflager,

Graf Aladar Zichy über die Frage der Verpflegung

der ungarischen Delegationsmitglieder durchaus nicht meine Angelegenheit, für die Verpflegung der ungarischen Delegationsmitglieder während ihres Wiener Aufenthaltes Sorge zu tragen mich dafür interessiert sowie das Dienstpersonal, die während der Delegationstagung durch Arbeiten überaus in Anspruch genommen

sind klaglos verköstigt werden können

mit dieser Angelegenheit betraut ein Hotelier in

der Nähe des Ministeriums sich bereit erklärt hat kriegsmäßigen Mittags- und Abendtisch vorzusorgen Nachrichten, daß Wiener Hotelbesitzer und Gastwirte a n d i e Verpflegung der Herrn Delegierten selbst irgend welche Bedingung geknüpft hätten, auf Unrichtigkeit von einem Mitbringen von Lebensmitteln aus Ungarn ist mir nichts bekannt für ein Büfett im Ungarischen Hause Vorsorge getroffen sein, dessen Beistellung ein Wiener Restaurateur zuge- sagt hat.

Eigentlich wäre es die Angelegenheit der ungarischen Delegationsmitglieder gewesen, rechtzeitig, nämlich schon im Juli 1914, Vorsorge zu treffen.

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Es ist alles da, es ist nicht so wie bei arme Leute

Das Wolffsche Büro meldet: Die englischen Zeitungen verbreiten seit einiger Zeit wieder einmal allerlei Mitteilungen über den angeblich schlechten Ernährungszustand der deutschen Bevölkerung .... Es spricht nicht gerade für die große Kriegs- freudigkeit unter dem englischen Volke, wenn seine Stimmung immer wieder durch die Verbreitung solcher Nachrichten gehoben werden muß, die allesamt mit den Tatsachen in direktem Wider- spruch stehen. So ergab eine soeben abgehaltene Rundfrage bei sechstausend größeren deutschen Krankenkassen, daß die Erkrankungen unter den Versicherten, bei Männern wie bei Frauen, in ständigem Rückgang begriffen sind. Ärztlicherseits wurde dabei ausdrücklich die Bekömmlichkeit der gegenwärtigen Kriegskost festgestellt . . . Der Ärzteausschuß für Groß-Berlin insbesondere hat festgestellt, daß die einfache Lebensweise im Kriege für viele Personen direkt gesundheitsfördernde Wirkun- gen hatte, weil jetzt jeder, auch der Wohlhabende, in der Aufnahme von Eiweißkörpern und Fett und im Genuß von Spirituosen, Tabak und sonstigen anregenden Mitteln enthaltsamer leben muß. Infolgedessen ist auch die Sterb- lichkeit in den unbemittelten Kreisen Berlins nicht größer als in den bemittelten. Im allgemeinen sind nach den ärztlichen Feststellungen die Krankenhäuser im Kriege weit weniger belegt als in Friedenszeiten. Stoff- -^echselerkrankungen, wie die Zuckerruhr, gehen in den meisten Fällen zurück oder schwinden völlig. Auch die nahe- liegende Befürchtung, daß die Kriegskost für die Jugend nach- teilige Folgen haben werde, hat sich glücklicherweise nicht erfüllt. Durch eine Rundfrage bei Schulärzten wurde festgestellt, daß eine gesundheitliche Schädigung bei den Kindern nicht eingetreten ist. Für Säuglinge insbesondere wird in völlig ausreichender und vorbildlicher Weise gesorgt . . .

Ach, wenn es doch immer so bliebe! Oder: Das war eine herrliche Zeit! Oder wie sagt doch Alletter (Schöpfer des »Obu«)? So ähnlich wie: Ach könnt' ich noch einmal so leben! Aber wahr ist und bleibt, daß es nicht gerade für die Kriegsfreudigkeit unter dem englischen Volke spricht, wenn seine Stimmung immer wieder durch die Verbreitung solcher Nachrichten gehoben werden muß, die allesamt mit den Tat-

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Sachen in direktem Widerspruch stehen. Wie z. B., daß es den Deutschen schlecht geht und den Engländern gut. Wie es mit London in dem Punkt steht, ist unbekannt, aber sicher ist, daß heute die Sterblichkeit in den unbemittelten Kreisen Berlins nicht größer ist als in den bemittelten.

Ein Vorschlag zur Güte

Der Dichter Emil Ertl, einer der tüchtigsten Staackmänner, schlägt vor, die siebente Kriegsanleihe die achte war damals noch nicht »Wahrheitsanleihe« zu nennen.

Weil unser Sieg der Wahrheit endlich doch zu ihrem Rechte verhelfen muß und wird! Weil die Bedingung erfolgreicher Friedensverhandlungen die Wahrheit sein muß, nämlich: amtliche Richtigstellung aller Lügen und Verleumdungen, mit denen unwürdige Machthaber und Zeitungsschreiber der Ententeländer ihre eigenen Völker und die Welt betrogen, vergiftet und mißleitet haben ....

Lügen der Entente

Lynchjustiz an, einer Kartoffelkäuferin. Wien, 28. Juni. In Stammersdorf bei Wien wurde gestern eine bisher unbekannte Frau, die dort Kartoffeln gekauft hatte, von anderen, aus Wien gekommenen Personen, die nichts mehr bekommen hatten, überfallen und erschlagen. Die Leiche wurde fürchterlich zugerichtet, da die Leute auf ihr herumtraten.

Kinder als Leichenträger. In Raudnig in der Aussiger Gegend ereignete sich der Fall, daß zwei Kinder den Sarg mit der Leiche eines verstorbenen Kindes zum Friedhof trugen. Der Vater eingerückt, die Mutter krank, blieben nur Kinder zur Fortschaffung auf den Friedhof übrig. Auf dem Wege ließen sie den Sarg fallen und Leiche und Zubehör rollten in das anstoßende Rübenfeld. Die Kinder schleppten beides wieder zum Sarge und setzten dann ihren Weg fort.

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Ausbau und Vertiefung

schwirrten an einem Tage so durch die Kolumnen, daß diese Nachbarschaft sich einstellen mußte:

Erst die Zukunft wird uns die Bedeutung dieser Stunde voll und ganz würdigen lassen. In dieser letzten Stunde der Monarchenbegegnung fühlten aber alle Zeugen dieses historischen Ereignisses, daß der Bund zwischen beiden Mittelmächten, deren Monarchen hier Seite an Seite standen, in des Wortes vollster Bedeutung vertieft worden ist.

Neuerliche Verschlechterung der Wohnungsverhältnisse Wiens. Und nun ging es Spalte an Spalte:

Neuerliche Erhöhung der Milchpreise in Wien. Herabsetzung der Brotration in Deutschland von Mitte Juni an.

Ob Ausbau Herabsetzung und also Vertiefung Erhöhung bedeutet, ließ sich in dem Chaos nicht unterscheiden.

Ah da schau i ja

8. Juni 1918:

Ob sich diese Erwartung erfüllen wird, mag dahingestellt

bleiben. Aber sicher ist, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse Jedes Einzelnen in England unter dem Drucke des Unterseebootkrieges sind, wenn es auch gelungen sein mag, den Nahrungsmangel bisher zu begrenzen, durch eine kluge Preispolitik solche Ausschreitungen, wie sie Österreich zerrütten und olrne Notwendigkeit herunterbringen, zu verhüten und auch die Verbindung mit der Armee in Frankreich aufrechtzuerhalten.

Die Bahn des Lasters

Und so ist es denn kein Wunder, daß sich in Mürzzuschlag

der Fall ereignete, daß ein ganzer Waggon Tabak ausgeplündert wurde. Stand nämlich in genannter Station ein Güterzug, in

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dem auch ein Waggon mit der Aufschrift »Tabake einrangiert war. Ein Personenzug rollte ein und blieb stehen. Mehrere Fahrgäste bemerkten die lockende Aufschrift, eilten zu dem Waggon, öffneten ihn und begannen ihn auszuräumen. Böses Beispiel verdirbt gute Sitten! Kaum war die Öffnung des Waggons bemerkt worden, als von allen Seiten Bahnbedienstete, Arbeiter, selbst Frauen und Kinder herbeieilten und sich förmlich um den Tabak rauften. Und als endlich Polizeiorgane einschreiten wollten, war der Waggon schon längst leer Aus diesem Grunde heraus sind alle die unzähligen Post- und Bahnhofsdiebstähle zu erklären. Die stete Besorgnis vor dem drohenden Hungergespenst läßt die Leute alle Besinnung verlieren, ihr Rechtsbewußtsein wird gelockert, und haben sie einmal diese Bahn beschritten, so weichen sie von ihr nicht mehr ab.

Und was sie einmal haben, das genießen sie dann auch in vollen Zügen.

Ein Blick in die Zukunft

[Die neuen Bestimmungen bezüglich des Eisenbahngepäcks.] Wir erhalten folgende Zuschrift: Es werden sich die widerlichsten Szenen im Gepäcksraum abspielen. . . .

Mir scheint, die neuen Bestimmungen bezüglich des Eisenbahngepäcks hats immer schon gegeben.

Eine Überschrift

Von allen Überschriften, die dieser Krieg gebracht hat, war doch die schönste, die mich jetzt aus einem vergilbten Ausschnitt anlächelt. In den Vereinigten Staaten war die Präsidentenwahl noch unentschieden. Da packte das Neue Wiener Journal die Situation zu balkendicken Lettern zusammen:

Beispielloses Chaos in Amerika.

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Das verjüngte Österreich

Das Wunder dieser Stunden vor dem Kehraus ist die scheinbare Unveränderlichkeit einer Lebens- form, die sich auf dauernden Bestand eingerichtet hat und vorbei an der nur in Druckerschwärze erlebten Kriegshölle, vorbei an Lues und Läusen aus einer Friedenswelt in eine Friedenswelt herüberzuleben hofft. Wäre, wenn's mit rechten Dingen zuginge, die seit jeher fühlbare Erscheinung, daß nur Schwach- köpfe und Windbeutel das öffentliche Interesse okku- pieren, in solcher Verdickung derzeit möglich ? Wäre es denkbar, daß hinter der Realität von Tanks, Flammen- werfern, Minen und Grünkreuzgranaten solch ein Gekröse im Nebel der Redensarten fortwuchern könnte und die Frechheit hätte, von »geistigen Waffen« zu reden? Daß die zweibeinigen Phrasen es wagen würden, unsern tausendmal erlebten Überdruß so schamlos zu ignorieren und als Entschädigung für allen tragischen Verlust dieser Zeiten, für den organisierten Raub an Gut und Blut, für den gott- losen Eingriff in Glück und Leben und alle Schicksals- und Schöpferrechte sich selbst uns anzubieten, ihr Nichts, ihr Minus, das, an unser Dasein angehängt, es bankerott macht? Die Qual der Sicherheit, im täglichen Zeitungsblatt die Anwesenheit dieser Konkursmasse festzustellen, den täglich überbotenen Exaltationen dieser von Fibelromantik* geblähten Saldokontowelt, diesem Gefühlsbarock einer aus- gearteten Mechanik beizuwohnen, ist wahrlich ein grausameres Verhängnis als alle Schmach, die die

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infamste aller Zeiten den Körpern angetan hat. Hunger ist nichts neben dem Erdulden der Vor- stellung, daß gleichzeitig an Tafeln so etwas von so etwas gesprochen wurde und daß es Ohren gibt, die es gehört haben. Kam es aus Mündern? Sind diese Menschen wie wir geschaffen? Den Magen haben sie, wo wir das Herz haben. Kein Zwerchfell scheidet ihr Oben und Unten, darum erschüttert sie kein Gelächter über sich selbst. Wer aber, der lachen könnte, wo ein Treubund zum Vorwand für Nachtmähler dient, vermöchte das Erlebnis dieser reichsdeutschen Kollegenwoche, diese Orgie einer Verlogenheit, die die Welt noch immer für ein mit Butzenscheiben verziertes Warenhaus ansieht, nachzuschildern? Die grauenvolle Zuversicht einer Taubheit, die keine Stummheit ist, und einer Blindheit, die den Ascher- mittwoch des tragischen Karnevals nicht herankommen sieht, das Lallen eines Optimismus, der die Menschheit ringsherum für so verblödet hält wie ihre Wortführer, das unbewegte Anbieten desselben falschen Papiers, das Ehre, Vorsicht und der Ekel an solchen Versuchen hundertmal abgelehnt haben, diese unerschrockene Belästigung einer Menschenwürde, die sich mit den Händen nur die Ohren zuhält, weil sie noch nicht die Kurage hat loszuhaun wer, der Nerven hatte, es zu überstehn, hätte die Kraft es abzubilden? Nein, es ist das Wunder dieser Stunden, daß die Larven und Lemuren, daß die längst Toten, denen wir den Untergang verdanken, ihm mit zuversichtlichen Mienen assistieren können, ja daß sie, von keiner Hohnfalte des Schicksals oder der Satire in ihr Nichts gescheucht, uns eine verschönte Welt, eine erhebende Zeit, ja ein »ver- jüngtes Österreich« vorzuspiegeln wagen. Und für den unwahrscheinlichen Fall, daß die Zukunft dieser Welt und dieses Staates noch einige Aufnahmsfähigkeit für die Möglichkeiten der Gegenwart übrig haben wird, sei ihr der Trinkspruch, den der Führer des

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geistigen Wien, ein ehemaliger Börsenjournalist, vor den Vertretern des geistigen Berlin gehalten hat, aufbewahrt:

Betrachte ich die Versammlung, so entrollt sich mir ein er heb e n de s Bild. Vor meinem geistigen Auge schweben die Genien der Freundschaft und der Treue. Der Bund, der vor mehr als 40 Jahren geschlossen wurde zur Abwehr habgieriger Feinde und zur Verteidigung unseres Seins, der Bund, um den der fürchterliche Weltbrand wütet, hat die Feuer- probe bestanden. Das Herzblut des Volkes hat den Bund besiegelt. Treue und Freundschaft den Bürgen und Zahlern. Rückhaltlos haben die beiden erlauchten Herrscher, die jetzt mit Krone und Zepter beliehen sind, den Bund als heiliges Erbe übernommen, in Treue gehütet und mit dem Volk in Waffen unerschüttert aufrechterhalten. Den beiden Fürsten, die den Willen und die Stärke des Volkes, dessen volles Empfinden und friedfertiges Sehnen verkörpern, den Trägern der staatlichen Machtfülle, bringen die Männer, die den Pulsschlag der öffentlichen Meinung hören, bringen alle, die hier im Saale vereinigt sind, in geziemender Ehrerbietung ihre Huldigung dar.

Um dem Ausdruck zu geben, gestatten Sie, daß ich Sie einlade, ein dreifaches Hoch auf Se. Majestät Kaiser Wilhelm II. und Se. Majestät Kaiser Karl I. auszubringen. Hoch! Hoch! Hoch! Freundschaft und Treue, wiederhole ich, geben der heutigen Festversammlung das Gepräge. Sendboten unserer treuesten Freunde sitzen an der heutigen Tafel. Ich grüße die Herolde, die mit der geistigen Waffe für den Treubund kämpften, ich grüße die Abgesandten, ich kann sagen, die außerordent- lichen Gesandten der reichsdeutschen Presse, w</nn Sie wollen, des deutschen Volkes.

Aus der mächtig und prächtig aufgestiegenen Metropole und aus anderen uns trauten, blühenden Städten des deutschen Reiches, aus München, Frankfurt, Hamburg und Königsberg sind Sie nach Wien, in die altehrwürdige Stadt an der Donau, gekommen. >Deutsch ist der Strom, er brauste schon im Lied der Nibelungen«, so rief Anastasius Grün den Nord- und Süddeutschen zu, die im Jahre 1868 zum Schützenfeste sich in Wien eingefunden hatten. Auf deutschem Boden, wo das deutsche Lied dem deutschen Herzen klingt, heiße ich Sie, meine liehen Kameraden, von ganzem Herzen willkommen. ... Es ist eil bis in die ältesten Zeiten reichender schöner Brauch, daß Gesandte mit allem erdenklichen Prunk und Ghtnz empfangen werden. Diesen Prunk und Glanz bieten uns die hohen Staats- würdenträger und die vielen anderen illustren Persön- lichkeiten, die unserer Einladung Folge zu leisten die Güte hatten.

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Aus Freundschaft und Treue quellen Anerkennung und Dank- barkeit. Wenn die motdenden und sengenden Ein- dringlinge vertrieben sind und wenn kaum ein Stückchen unseres heimatlichen Bodens von Feinden besetzt ist, wenn wir bei aller Entbehrung und Entsagung, die ja auch unsere Wider- sacher bedrängen, in hoffnungsvoller Stimmung am häuslichen Herde sitzen dürfen, so danken wir dies den tapferen Soldaten, die mit ihren Leibern einen unüberwindlichen Wall um uns bilden, und den ruhmreichen Feldherren, die an der Spitze unserer Armeen stehen. . . .

. . . Das Bleibende »in der Erscheinungen Fluchte ist die Presse. Ich sage nicht ider ruhende Pol«, denfl die Presse ist ruhelos, in fortwährender Bewegung, sie ist das Perpetuum mobile. . . .

Wir, meine lieben Kameraden aus dem Deutschen Reiche, sind zu jeder Stunde für den Treubund eingestanden, alle, ohne Unterschied der Parteien. . . .

Lassen Sie mich mit einigen Versen aus dem Bundesliede schließen, das Ernst Moritz Arndt vor mehr als hundert Jahren ertönen ließ:

Es lebe alte deutsche Treue,

Es lebe deutscher Glaube hoch !

Mit diesen wollen wir bestehen,

S i e sind des Bundes Schild und Hort.

Fürwahr, es muß die Welt vergehen,

Vergeht das feste Männerwort. . . .

Ich erhebe mein Glas auf die unerschütterliche, unverbrüch- liche Einigkeit der bundestreuen Presse im Deutschen Reiche und in Österreich-Ungarn Hoch! hochl hoch!

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Die Gerüchte

In Wien waren Gerüchte verbreitet, daß in ganz Österreich Gerüchte verbreitet seien, es seien in Wien Gerüchte verbreitet, mehr wurde über das Wesen der Gerüchte nicht gesagt, als daß das Wesen der Gerüchte eben darin bestehe, daß man es nicht sagen könne, man war nur auf Gerüchte angewiesen, um überhaupt herauszubekommen, was es für Gerüchte eigentlich seien, und so gingen denn in ganz Österreich Gerüchte von Mund zu Mund, die nichts geringeres besagen wollten, als daß in Wien Gerüchte verbleitet seien, es seien in ganz Österreich Gerüchte verbreitet. Dazu kam allerdings noch ein konkreter Umstand, der den Gerüchten die sonst meistens vermißte Nahrung gab, nämlich die Verlautbarung der österreichischen Regierung, welche feststellte, daß Gerüchte verbreitet seien, die ausdrückliche Warnung enthielt, sie zu glauben oder zu verbreiten und die Aufforderung, sich an deren Unterdrückung tunlichst auf das energischeste zu beteiligen. Hiezu kam noch eine ganz gleich- lautende Erklärung der ungarischen Regierung, welche davon ausging, daß die Gerüchte auch in Budapest und in ganz Ungarn verbreitet seien, ohne daß man freilich auch dort mehr wußte, als daß Gerüchte verbreitet seien, was bald ein jeder Mensch in Ungarn wie in Österreich gerüchtweise erfahren hatte. Auch dort ergab sich ganz wie hier für die Bevölkerung die loyale Pflicht, den Gerüchten tunlichst auf das energischeste entgegen- zutreten, was sich auch jedermann zu Herzen nahm und dergestalt ausführte, daß einer den andern fragte, ob er schon von den Gerüchten gehört habe, und wenn dies verneint wurde, ihn bat, sie nicht zu glauben, sondern ihnen erforderlichenfalls tunlichst auf das energischeste entgegenzutreten. Diese Prozedur wurde aber namentlich in der diesseitigen Territorialhälfte der Gerüchte mit besonderer Energie durchgeführt. Zuerst erfolgte eine feierliche Eröffnung der Gerüchte, indem nämlich die Abgeordneten Teufel, Pantz und Waldner, von denen jeder einzelne nur ein

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Drittel ist und die deshalb nur zusammen ausgehen, beim Ministerpräsidenten Dr. von Seidler erschienen, um ihn auf die seit einigen Tagen in Umlauf befindlichen Gerüchte aufmerksam zu machen. Dr. v. Seid ler gab zur Antwort, daß ihm die in Frage stehenden und im Umlauf befindlichen Gerüchte wohl bekannt seien. Bei dieser Gelegenheit erfuhr man zum ersten- mal, daß die Gerüchte das angestammte Herrscherhaus betreffen und daß die Verbreiter der Gerüchte den Glauben der Bevölkerung an dasselbe vergiften wollten. Der Ministerpräsident beteuerte, daß diese Gerüchte unwahr seien, was aber die Abgeordneten Teufel, Pantz und Waldner schon wußten und was sich nach dem § 63 bezw. § 64, die ja keinen Wahrheitsbeweis zulassen, von selbst versteht, so daß eigentlich der Dr. v. Seidler, der sich für die Unwahrheit der Gerüchte >verbürgt< hat, gegen diese Paragraphen, die schon die Möglichkeit eines solchen Gedankens ahnden, verstoßen hat. Kein vernünftiger Mensch, meinte der Ministerpräsident, werde an derartigen Unsinn glauben. Trotz- dem trat er ihm auf das energischeste entgegen und vergaß nur zu erwähnen, daß Unvernunft hier geradezu ein Verbrechensmerkmal ist, indem das Gesetz vom Staatsbürger nicht so sehr Vernunft als Ehrfurcht verlangt. Interessante Aufschlüsse gab er jedoch, und mit ihm der ungarische Ministerpräsident, über die Provenienz der Gerüchte. Schon in der offiziellen Verlautbarung waren die Gerüchte verzeichnet worden, daß die Gerüchte »im Frieden jeweils von einer einzigen phantasievollen Persönlichkeit aus- gingen und es lange Zeit währte, bis sie breitere Massen erfaßten <; anders jetzt. Dasselbe Gerücht sei »zur Ursprungszeit jedesmal an ganz verschiedeneu Stellen gleichzeitig zu vernehmen, weshalb die Annahme gerechtfertigt sei, daß man es mit einer Organisation der Gerüchte zu tun habe«. Das war ungemein spannend und es fehlte nur noch eine Andeutung darüber, ob die Gleichzeitigkeit der Verbreitung desselben Gerüchtes durch Lokalaugenschein, Gehörproben oder dergleichen erhoben wurde. Seidler sowohl wie Wekerle zogen aus den gemachten Wahrnehmungen den Schluß, daß die Verbreitung der Gerüchte »ein neues Zeichen der aus den Reihen unserer Feinde kommenden Versuche« sei, Verwirrung zu stiften; sie gehöre »in das Arsenal unserer

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Gegner«, die keine Mittel scheuen, um das Qefüge der Monarchie zu erschüttern sowie die Bande der Liebe und Verehrung zu lockern. Diese Vermutung beruht indes ganz bestimmt auf einem übertriebenen Gerücht, das zur Ursprungszeit gleichzeitig in Wien und in Budapest zu vernehmen war, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, daß man es mit einer Organisation zu tun hat Ich speziell habe schon des öfteren der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Lügen der Entente im allgemeinen lange nicht so gefährlich sind wie unsere Wahrheiten und daß sie deshalb bei weitem nicht so viel Verwirrung anrichten können. Wenn wir den vierjährigen Lügenfeldzug der Entente Über- blicken, so müssen wir so wahrheitsliebend sein, zuzugeben, daß die Lügen der Feindespresse über unsere Zustände dort, wo sie nicht geradezu die Übersetzung unserer Fakten waren, diesen höchstens um ein paar Tage, Wochen, sagen wir Monate voraus- geeilt sind. Kein Redakteur des ,Figaro' wird für seine schaden- frohen, sich am fremden Hunger mästenden Leser Schlimmeres über unsere Ernährungsverhältnisse erfinden können, als der Bürgermeister von Wien dem Grafen Czernin nach seiner Heim- kehr vom abgeschlossenen Brotfrieden gesagt hat, und wenn in der ganzen feindlichen Welt als die erste Tat der Northcliffe- Propaganda eine allerdings grauenhafte, auf den ersten Blick verleumderische Darstellung des deutschen Fliegerwesens ver- breitet wurde, so darf man anderseits nicht übersehen, daß es sich um eine wörtliche Übersetzung der Schrift des Freiherrn von Richthofen gehandelt hat. Ich habe schon oft gesagt, daß sich statt eines Einfuhrverbots der feindlichen Literatur ein Ausfuhrverbot der vaterländischen sehr empfehlen würde, weil dann die Lügen der Feinde, die heute bloß wir nicht zu lesen kriegen, auch im Auslande nicht verbreitet wären. Was nun die Gerüchte betrifft, so hegt es mir mindestens so fern wie dem Dr. v. Seidler, sie in die Kategorie jener Wahrheiten zu stellen, die wir uns selbst verdient haben, und ich wäre sogar bereit, wenn ich eine Ahnung hätte, was es für Gerüchte sind, ihnen tunlichst auf das energischeste engegenzutreten. Das einzige, was ich von ihnen sicher weiß, ist, daß sie zwar Lügen enthalten, aber solche, die ganz wie die Wahrheiten, die uns als Lügen vorkommen, bei

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uns selbst gewachsen sind und nicht im Arsenal der Entente, sondern in der alldeutschen Presse hergestellt wurden. Dies ist denn auch der einzige Anhaltspunkt, den ich habe, um mir vom Wesen der Gerüchte eine Vorstellung machen zu können. » Zum Wesen ihrer Erfinder gehört es sicherlich, sie vorsichtig der Entente zuzuschieben, was immerhin der bessere Teil der Tapferkeit ist, da ohne die Ablenkung durch den Ruf > Haltet den Verleumder!« möglicherweise dessen Feststellung erfolgt wäre. Gerüchte haben nun nicht nur die Eigenschaft, daß sie sich wie ein Lauffeuer verbreiten, sondern daß sogar noch die Löschaktion zur Verbreitung beiträgt, und es ist immerhin die Frage möglich, ob die Verwirrung, die die Feinde bei uns zu allem Überfluß stiften wollten, nicht eher durch geheimnisvolle Andeutungen über solche Absichten herbeigeführt wird. Denn es ist eine Erfahrung, daß in einem ohnedies schon aufgeregten Publikum durch die plötzliche Versicherung, es liege gar kein Grund zur Beunruhigung vor, diese gern entsteht und daß der Ausruf »Es brennt nicht!« eine panikartige Wirkung hat, in deren Rauch die Negation erstickt. Ferner ist zu bemerken, daß Gerüchte noch mehr als die Katastrophen, auf die sie hinzielen, dem Gesetz der Serie unterworfen sind. Denn kaum hatte der Dr. v. Seidler sich gegen sie gewendet, so wurde alles was er tat zum Gerücht. Er hatte das Malheur, eine nächtliche Konferenz der Parteiführer einzuberufen, die gar keinen und darum auch keinen geheimnisvollen Zweck hatte, wohl aber die Folge, daß sofort »die verschiedenartigsten, ganz abenteuerlichen Gerüchte verbreitet« waren, denen er neuerdings auf das energischeste engegentreten mußte. Man wird dereinst von ihm sagen können, daß er, ohne die Kolportage in Österreich freigegeben zu haben, doch viel zur Förderung jener Literatur beigetragen hat, der sie hauptsächlich zugutegekommen wäre. Kein Tag ohne Gerüchte. Da geschah es zum Beispiel, daß »in Paris und Rom Gerüchte über einen Wechsel in höheren Kommandostellen der österreichisch-ungarischen Armee verbreitet« wurden, gegen die aber, damit sie nicht auch bei uns eindringen, rechtzeitig in einer amtlichen Erklärung auf das energischeste eingeschritten wurde, in welcher dargelegt war, es handle sich um

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eine Stimmungsmache der Entente, um ein Manöver unserer Gegner, die, wie schon der Ministerpräsident jüngst betont habe, »kein Mittel scheuen, um das Gefüge der Monarchie zu •erschüttern«. In diesem Fall gelang es tatsächlich, das Gerücht zum Schweigen zu bringen, ehe es zur Wahrheit wurde, denn schon ein paar Tage später war die feindliche Lüge mit einer vaterländischen Tatsache identisch, das Manöver beruhte auf einem strategischen Rückzug, und die Enthebung des Conrad von Hötzendorf, die Ernennung eines neuen Heeresgruppenkomman- danten und eines neuen Armeekommandanten wurde amtlich gemeldet. In diesem Falle also durfte das Publikum erfahren, was der Inhalt der Gerüchte sei, war aber leider nicht mehr in der Lage, ihnen entgegenzutreten. Was die anderen Gerüchte betrifft, so wäre es immerhin trostvoll, wenn das Arsenal unserer Gegner nichts anderes enthielte als sie. Aber vielleicht besteht doch die Hoffnung, daß es seinen Betrieb nicht später als die alldeutsche Presse den ihren einstellt. Geschähe wenigstens das letztere, so wäre der Fall gewiß seltener zu verzeichnen, daß Gerüchte nicht nur als Kriegsmittel, sondern sogar als Kriegsgrund Verwendung finden. Es besteht kern Zweifel, daß die Bomben, die auf Nürnberg geworfen wurden, ehe Deutschland Frankreich den Krieg erklärte, dem Arsenal der Entente entstammt wären, wenn nicht die Gerüchte, daß sie auf Nürnberg geworfen wurden, dem Arsenal der alldeutschen Kriegspropaganda entstammt wären. Seit dem Tage, an dem diese Gerüchte verbreitet, und noch lange, nachdem sie vom Oberbürgermeisteramt von Nürnberg dementiert waren, sind den Gerüchten Türen und Tore, offene Städte und andere Festungen geöffnet, und gewiß ist, daß durch Gerüchte, die ja imstande sind, einen Krieg zu stiften, wenn's diesen einmal gibt, auch noch Verwirrung gestiftet werden kann. Das ist vornehmlich in Staaten möglich, deren Lebensinhalt die Organisation ist und deren Bürger Maschinen sind, jeder ein- zelne zum Bollwerk gegen den feindlichen Siegeswillen wie geschaffen. Daß gegen solche Anlagen Versuche, sie zu unter- minieren und Verwirrung zu stiften, unternommen werden mögen, ist begreiflich und eine Berufung auf die feindliche Absicht, es durch Gerüchte zu bewerkstelligen, durchaus sinnvoll. Auf

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Staaten jedoch, deren Lebensinhalt schon in Friedenszeiten der Pallawatsch war und deren Angehörige selbst als Gerüchte umgehen, wären solche Machinationen schwerlich von Einfluß. Der einzige Zustand, der hier, wo sich keine Talente in der Stille und im Strom der Welt keine Charaktere, sondern Gruppen bilden, noch gestiftet werden könnte, wäre nicht der der Verwirrung, sondern der Ordnung. Aber daß der Wunsch, hier Ordnung zu machen, gerade bei den Feinden, bestehe, hat noch kein Gerücht und nicht einmal die Beilage der .Leipziger Neuesten Nachrichten' behauptet. Drum:

Laßt mich der Regierung ein Loblied singen,

damit sich die Feinde gehörig giften.

Denn nimmermehr wird es ihnen gelingen,

in unseren Reihen Verwirrung zu stiften!

Die weise Vorsicht warnte bei Zeiten,

Gerüchte zu glauben und zu verbreiten.

Sie mahnte, das Unkraut auszujäten

und den Gerüchten energisch entgegenzutreten.

Denn solche Gerüchte, wie sattsam bekannt,

sind doch eine Mache der Entente.

Hat man die Quelle nur, den Lauf

hält jeder gleich mit Empörung auf.

So riß denn jeder sich um die Ehre,

daß energisch er den Gerüchten wehre,

und jeder fragte jeden empört,

ob er schon so etwas gehört,

und jeder erwiderte beklommen,

daß auch er schon von den Gerüchten vernommen,

so daß keiner im Land mehr das Faktum bestreitet :

Die Feinde haben Gerüchte verbreitet.

Sie im Keim zu ersticken, ist keiner faul

und jeder steht da mit offenem Maul,

zu spucken in alle Feindessuppen.

Es bilden sich schon die bekannten Gruppen.

Bald gab es Gerüchte ohne Zahl

und jedes schwoll an zur Ohrenqual,

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doch niemand wußte, welches der Feind

Verwirrung zu stiften hatte gemeint.

Denn solcher Art sind seine Schliche:

ist man den Gerüchten auf der Spur,

und hat man sie schon, so vermißt man nur

noch von den Gerüchten das eigentliche.

Doch jeder schwört, kriegt er's zu fassen,

es sollte ihm ordentlich Haare lassen.

Drum ist auch jeder mit Recht beflissen,

was man nicht sagen darf, doch zu wissen.

Und weit und breit im Publikum

gab' jeder jedem viel darum,

wenn er ihn nicht mehr mit Gerüchten quälte,

sondern ihm die Gerüchte erzählte.

Und es erhob sich ein großes Geschrei,

was in den Gerüchten enthalten sei.

Jedoch sie zu glauben, war keiner verleitet,

denn sie waren ja doch von den Feinden verbreitet.

Drum eben gab es ein Fürchten und Flüchten

vor den verbreiteten Gerüchten,

es liefen die Männer, die Kinder, die Damen,

sobald nur die Gerüchte kamen,

und alle gelobten, darüber zu wachen,

um einander aufmerksam zu machen,

und den Gerüchten entgegen aus ihren Betten

sprangen sie, um sich davor zu retten,

und alles rief und riet und rannte,

bis Stadt und Land wie ein Lauffeuer brannte.

Nur durchgehalten, nur durchgefrettet

schon ruft eine Stimme: Alles gerettet!

Drum sei der Regierung ein Loblied gesungen, die Feinde aber sollen sich giften. Denn ihnen ist es fürwahr nicht gelungen, in unseren Reihen Verwirrung zu stiften!

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Glossen

Beobachtungen in Deutschland

Die Gerüchte sind dort folgendermaßen festgestellt worden : ». . . Wir stellen sie gleichzeitig in der Schweiz, in Holland und Dänemark fest. Von dort breiten sie sich wellenartig über ganz Deutschland aus oder aber sie tauchen gleichzeitig, in unsinnigen Einzelheiten übereinstimmend, in den entlegensten Gegenden unserer Heimat auf und nehmen von da aus ihren Weg über das ganze übrige Heimatsgebiet.«

Verräter

Hindenburg:

. . . Und schließlich verwendet der Feind nicht den ungefähr- lichsten seiner in Druckerschwärze getauchten Giftpfeile, wenn er Äußerungen deutscher Männer und deutscher Zeitungen abwirft. Die Äußerungen deutscher Zeitungen sind aus dem Zusammenhang gerissen. Bei Äußerungen Deutscher, die wiedergegeben werden, denket daran, daß es Verräter am Vaterlande in jeder Zeit gegeben hat, bewußte und unbewußte.

Zum Beispiel Goethe, Hölderlin, Claudius, Jean Paul, Lichtenberg, Schopenhauer, Kant, Bismarck und Luther.

Das moralische Moment

Zu den Geräuschen, die das Trommelfell der Menschheit seit vier Jahren verträgt, gehört nebst den täglichen Hinweisen auf erzielte gute Wirkungen und Fortschritte, nebst dem unermüdlich betonten Streben nach »Aufklärung« die immer wiederkehrende Hervor- hebung des »moralischen Moments«. Man müßte glauben, daß durch eine derartige Anhäufung von moralischen Momenten in allen Lagern, wie sie in keinem früheren Stadium menschlicher

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Entwicklung beobachtet wurde, bereits ein verklärter Zustand sämtlicher einander mit Ekrasit verständigender Nationen erzielt sein müsse. Ein neutraler, also von Natur objektiver Betrachter dieser Dinge, der mich durch den nach allen Seiten konzilianten Ton beruhigt, versichert zum Beispiel, daß eine neugeschaffene Fliegerart sich »als wirksames und besonders moralisch wirkendes Verfolgungsmittel bewährt«, weshalb ihr, auf welcher Seite immer sie sich betätigen mag, ein »wirksames moralisches Moment innewohnt«. Allerdings kann derselbe Betrachter nicht umhin, zu bedauern, daß im Haag kein Verbot der Bombenwürfe zustandegekommen ist, denn wenn auch ein solches Verbot heutzutage keine Wirkung hätte, so wäre dadurch doch »eine erhöhte moralische Verantwortlichkeit stipuliert worden«. Da es mithin schwer ist, auf die Moral von der Geschichte zu kommen, und man nicht weiß, ob das moralische Moment mehr im Ge- brauch oder in der Unterlassung zu erblicken ist, begnügt man sich damit, aus einer so belehrenden Darstellung einer mensch- lichen Errungenschaft, die es auf den Tod von Säuglingen ab- gesehen hat, wenigstens zu erfahren, daß nicht etwa erst der militärische Feuereifer diplomatische Abmachungen in der Luft zerrissen hat, sondern daß schon im Jahre 1907 deutsche, französische und russische Zivilisten im Haag, die man vermutlich mit einem krepierenden Frosch davonjagen könnte, sich nicht entschließen konnten, die künftige Anwendung des technischen Fortschritts auf die Zertrümmerung von Kirchen, Museen, Spitälern, Schul- und Schlafzimmern grundsätzlich abzulehnen. Denn um dies zu tun, hätten sie den Bombenwurf als solchen ablehnen müssen, da ja die primitivste Vorstellung vom Wesen der »Luftwaffe« sie darüber orientieren konnte, daß mit ihr sicherer getötet als getroffen wird. Indem sie sich aber nur der Beschießung offener Städte und Plätze, »mit welchen Mitteln es auch sei«, widersetzten, haben sie eben diese sowohl dem unvermeidlichen Irrtum wie der Absicht, die sich auf ihn berufen kann, wie der Rache, die antwortet, preisgegeben und so der unendlichen Folge von Unter- nehmungen, denen ein wirksames moralisches Moment innewohnt.

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Luftkrieg

Innsbruck, 22. Febr. (Wiener Korr.-Bureau.) Mittwoch nach- mittag überflogen vier feindliche Flieger und ein großes, mit einem Maschinengewehr ausgerüstetes Kampfflugzeug von Süden kom- mend die Stadt Innsbruck und warfen ungefähr acht leichtere Bomben ab, von zehn bis fünfundzwanzig Kilogramm, da- runter drei Brandbomben. Die- selben explodierten und richteten an verschiedenen Stellen der Stadt Sachschaden an. Der Angriff forderte auch Opfer; eine Frau wurde getötet, zwei Personen wurden erheblich, mehrere leicht verletzt. Der Kampfflieger ging bis auf 300 Meter herunter und beschoß zwei glücklicher- weise leerstehende Malteser Verwundetenzüge mit Maschinengewehrfeuer.

Rom, 22. Febr. (Stefani.) Die Feinde führten vergangene Nacht drei Flüge über P a d u a aus. Der erste dauerte von 7 Uhr 20 bis 8 Uhr 20 abends, der zweite von 9 Uhr 50 bis 10 Uhr 20 und der dritte von 12 Uhr 10 bis 3 Uhr nachts. Die deutschen Flieger warfen mit gewohnter Roheit Bomben ab, unter anderm auch auf ein Privat- spital, in dem zwei Schwestern und eine Arbeiterin getötet wurden, ferner auf einen Kai, auf dem vier ältere Frauen getötet und ein kleines Kind verletzt wurden. Einige Gebäude wurden zerstört, andere beschädigt. Die Bevölkerung, die schon lange unter diesen barbarischen Akten zu leiden hat, bewahrte trotzdem eine stolze und ruhige Haltung.

Das und nicht mehr ist die Rubrik »Luftkrieg<. In der Zeitung untereinander, hier nebeneinander. Der Mechanismus läßt nichts zu wünschen, nichts zu verdammen übrig. Satzbild, Wortbild, Textbild alles kommt zur Deckung. Kein Millimeter Unterschied. Vielleicht wäre doch ein Ausgleich der Wirklich- keiten auf dieser Basis möglich.

Höher geht's nimmer

. . . Auf Bozen wurden 15 Bomben geworfen, von denen eine die Baracken traf, die von Kriegsgefangenen bewohnt waren. 8 Kriegsgefangene wurden getötet und 20 verwundet.

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Was könnte eine Kriegführung, deren Ingenium sie allseits mit dem stupidesten Zufall verbündet hat, besser ehren als solches Ergebnis? Nun fehlt nur noch zur Kompletierung der Planhaftigkeit dieser Weltdinge, daß irgendwo ein Schrei nach Repressalien eine Fliegeraktion zur Tötung österreichischer Kriegsgefangener verlangt: schlägst du deinen Krieger, schlag' ich meinen Krieger. Da der Schwachsinn den Mechanismus der Bestialität nicht mehr handhaben kann und den Ereignissen nur so nachtorkelt, wäre selbst solcher Wunsch bei einem leidenschaftlichen Hasser der > Katzeimacher« möglich, wobei es Mühe kosten würde, diesen auf die Verkehrtheit der angeregten »Rebrassalien« aufmerksam zu machen.

Aus dem Fenriswolff-Bfiro

In 24 Stunden wurden 6 0.000 Kilogramm Bomben auf feindliche Ziele abgeworfen. Ganz Dünkirchen steht in Flammen. Unsere Bombengeschwader haben in den letzten Tagen, vor allem am 1. Oktober, Außerordentliches geleistet neuerdings mit 14.400 Kilogramm Sprengstoff

beworfen über 40.000 Kilogramm Bomben. In St. Omer-Boulogne

entstanden starke Brände. erneut mit Bomben angegriffen. In London zeugten mehrere Brände von der Wirkung.

In der Festung Dünkirchen riefen besonders gute Würfe in der Nacht vom 28. auf den 29. September Brände hervor, die an den riesenhaften Vorräten, die hier angehäuft sind, reichste Nahrung fanden. Nach 24- Stunden stellten die Flieger fest, daß derBrand noch nicht gelöschtwar, sondern weiter um sich gegriffen hatte. 48 Stunden später beobachteten sie, daß die Feuersbrunst sich über einen ganzen Stadtteil aus- gebreitet hat, und heute nacht konnten sie melden, daß ganz Dünkirchen ein Raub der Flammen geworden ist.

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Eine wahre Meldung

Die Bedeutung Belgiens für Deutschlands Verteidigung.

Das Wolffsche Bureau meldet : Die neuen Fliegerangriffe auf eine Reihe offener Städte Westdeutschlands haben zwar keinen militärischen Schaden hervorgerufen, beweisen aber von neuem, wie stark die Notwendigkeit für Deutschland war, die Basis der feindlichen Flieger möglichst weit zurückzudrängen. Hätten die Flieger der Entente heute die Maaslinie oder Belgien als Basis für ihre Angriffe, so müßte damit gerechnet werden, daß nicht nur der Westen Deutschlands, sondern auch das Herz des Landes den Bomben der feindlichen Aeroplane ausgesetzt wäre ....

Das ist nur zu wahr, und der Sachverhalt ist ebenso vernünftig wie die Aussage ehrlich. Wohl ließe sich einwenden, daß die feindlichen Flieger höchstwahrscheinlich gar nicht aufgestiegen wären, wenn man ihre Basis nicht so weit zurück- gedrängt hätte. Aber ebenso einleuchtend ist auch wieder, daß man sich doch in einem Verteidigungskrieg gegen die Angriffe, die eine Folge der Verteidigung sind, verteidigen muß und wenn man einmal angefangen hat, nämlich die Basis der feindlichen Flieger zurückzudrängen, das dadurch Deutschland einverleibte Gebiet gegen die dadurch hervorgerufenen Angriffe der feindlichen Flieger schützen und deren Basis noch weiter zurückverlegen muß, so weit, bis durch Einverleibung des Erdkreises den feindlichen Fliegern jede Basis entzogeti ist.

Originaltelegramm

Die ottomanische Universität hat für den Friedens-Nobel-Preis den deutschen Kaiser vorgeschlagen.

Von der Blattfront

(Ein Zitat konfisziert)

» Die Sache im Westen wird gemacht, aber wir müssen Geduld üben.

Alles französisch-Parlieren muß aufhören. Sprechen wir lieber unser deutsches Platt.«

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Ja von wem denn?

Dann richtete Graf Conrad das Wort an die jüngsten Theresienritter. Die von so vielen angefeindete, von ihren Völkern aber abgöttisch geliebte Kaiserin Maria Theresia sei es ge- wesen, die nach der Schlacht von Kolin

Kruzitürken !

Das Handschreiben des Sultans.

KB Konstantinopel, 21. Mai. Das heutige Amtsblatt veröffent- licht den Menschur, das ist das kaiserliche Handschreiben, womit Kaiser Karl zum Marschall der ottomanischen Armee ernannt wird. Das in den althergebrachten Wendungen der ottomanischen Hofsprache abgefaßte Dokument lautet in der Übersetzung wie folgt:

Wir, durch die Gnade des Herrn Padischah von Turkistan und der Länder und Städte, die der Sultan innehat . . indem wir ein neues Zeichen der aufrichtigen Freundschaft geben, die seit jeher zwischen unseren Häusern bestand und die durch den Abschluß des innigen Bündnisses ihren höchsten Grad erreicht indem er die Gnade haben möge, ihnen eines Tages die Wohltaten eines ehrenhaften und dauernden Friedens zu gewähren und auf das beste die herzliche jahrhundertalte, innige Bundesfreundschaft . . zwischen unserem und Ihrem großmächtigen Reiche erhalten. Gegeben am achten des Monats Chaban im Jahre 1336.

Das Amtsblatt veröffentlicht ferner einen Bericht über das gestrige Galadiner und den Wortlaut der hierbei gewechselten Trink- sprüche, was eine Neuerung darstellt.

Es ist die einzige.

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Ei siehe da

der Friedjung hat in Konstantinopel, wohin die österreichischen und ungarischen Journalisten gefahren sind, um zu früh- stücken, obgleich das auch dort schwer sein soll, den Aus- bau sowohl als die Vertiefung des Bündnisses mit der Türkei vorgenommen und auf dieses Ereignis sowohl ein Hoch als auch ein Eljen ausgebracht. Aber er ging noch weiter.

Er feierte die von beiden Reichen vollbrachten Leistungen neben den glänzenden Taten Deutschlands und fuhr sodann fort: Zwei Ereignisse haben auf mich einen tiefen Eindruck gemacht. Zunächst die elegante Art und Weise, mit der die ottomanische Revolution sich vollzog, während in Frankreich und in England die Revolution viel Blut und die Häupter von Königen kostete, und die russische Revolution das ganze russische Reich zerstörte. Sie haben durch die Revolution die Türkei groß gemacht. Sodann

Ei siehe da, aber wenn jemand nun den Deutschen oder Österreichern im Sinne Friedjungs zurufen wollte: Da nehmt euch ein Beispiel an den Türken, machet es nicht wie die Fran- zosen oder Russen, machet es elegant - wer weiß, ob, sodann, der Herr Friedjung im Sinne der ihn inspirierenden Regierungen nicht von einem »Anschlag« spräche! Eiei siehe da traun fürwahr baß nicht doch.

Eine große Meuterei in der englischen Flotte

Unter diesem Titel ist, um die Begebenheit in der deut- schen Flotte wirksam zu paralysieren, das Folgende erschienen:

Wien, 16. Oktober. Wir erhalten von ausgezeichneter Seite eine Zuschrift, worin anläßlich der Übertreibung, mit der in den feindlichen Ländern die versuchte Meuterei von drei deutschen Matrosen beurteilt worden ist, an den großen Aufstandsversuch der englischen Flotte in den letzten Jahren des achtzehnten Jahrhunderts im Kriege mit Frankreich erinnert wird.

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Die Zuschrift lautet : > Hochgeehrter Herr! Sie sollten angesichts der Aufbauschung des Meutereiversuches der drei deutschen Matrosen durch die Ententepresse als historische Reminiszenz auf die große Meuterei der englischen Kanalflotte im Jahre 1797 hin- weisen, welche in Spithead in the Nore vierundzwanzig Segelschiffe umfaßte und nur mit großer Mühe, teilweise durch Konzessionen seitens der Admiralität, teilweise durch Gewalt, erstickt werden konnte. Einige Wochen hindurch war dann England in größter Beunruhigung, um so mehr als das französische Direktorium eine Invasion in Irland plante, um dieses Land gegen England zu insurgieren.«

Die Meuterei, an die der geehrte Einsender erinnert, ergriff fast die ganze Flotte des Admirals Duncan. Die Meuterer blockierten die Themse mit sechsundzwanzig Kriegsschiffen. Dieser Aufruhr schien das Vorspiel einer Revolution zu sein. Es gelang jedoch der Admiralität, nach und nach den Gehorsam wieder herzustellen und den Anführer Richard Parker gefangen zu nehmen. Eine Erzählung von Marryat gibt eine Schilderung der Meuterei und deren Ursachen.

Und bekanntlich ist in Frankreich die Revolution aus- gebrochen.

Himmelschreiendes aus Paris und Wiener Flüsterpreise

Paris hatte vor fünfzig Jahren bewegte Erlebnisse .... Ich erwarte, sagte er (Moltke) in diesem vertraulichen Briefe, mehr von der wachsenden Not. Die Gaslaternen werden nicht mehr ange- zündet, die Kohle fehlt, so daß trotz des strengen Winters nicht ge- heizt werden kann. Ein Pfund Butter kostet zwanzig Francs, ein Huhn hat den gleichen Preis und ein Koch erzählt, daß er der Frau des Fleischhauers nur durch allerlei Versprechungen ein Rindsfilet abschmeicheln konnte. Das deutsche Volk teilte die Auffassung des Schlachten- meisters nicht ....

Man bittet, den Schlachten meister nicht mit dem Fleisch- hauer zu verwechseln. Aber daß etwa eine Verwechslung der Pariser Zustände von 1871 mit den hiesigen von heute platz- greifen könnte, ist nicht zu befürchten. Immerhin heißt es schon zwei Wochen später:

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Der Preis des Mehles im Schleichhandel ist beiläufig vierzehn Kronen. In der Heimlichkeit, wo solche Geschäfte abgeschlossen werden, sind auch schon höhere Ziffern genannt worden. . . . Butter ist ein Nahrungsmittel, das selbst wohlhabende Menschen kaum noch anfassen können. Der Flüsterpreis soll mehr als vierzig Kronen betragen. Von diesen Ziffern werden noch die Kindeskinder sprechen. Bibliotheken werden sich aus den Büchern auftürmen, worin aus den Zeugnissen unserer Gegenwart die Erklärung so außerordentlicher Vorgänge versucht werden wird. Staunen werden die Forscher über die Erscheinung -

Und diese Franzosen haben noch immer nicht genug. Was aber den Flüsterpreis von vierzig Kronen für Butter betrifft, von dem noch die Kindeskinder sprechen werden, so ist zu bemerken, daß ihn schon längst keiner der Großväter gehört hat, weil jetzt laut achtundsiebzig verlangt werden.

(Hier warf der sonst nur schlechte Satiriker unterbrechende Setzerlehrling die vorlaute Bemerkung ein: Siebenundachtzig, wenn das erscheint!)

Warum ?

Während das Mehl in Prag schon 16 K kostete, wurde in Linz ein Preis von 8 K fürs Kilo geflüstert.

Nicht zu machen

... Die > Rheinisch-Westfälische Zeitung« wünscht, daß unsere leitenden Staatsmänner (nach englischem Muster) bei Banketten und Frühstücken, bei Kongressen, in Versammlungen und Handelskammersitzungen auftreten und dort die Lügen des Auslandes widerlegen.

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Eine Beschwerde mit ernsterem Hintergrund, als es dem flüchtigen Blicke scheinen möchte

Die Rede des Grafen Czernin, deien vielverheißende politische Bedeutung klar zutage liegt, regt zu ein paar Betrachtungen an; Anlaß dazu ist die Gelegenheit, bei der sie gehalten wurde. >Beim Dintr des ungarischen Ministerpräsidenten.« Beim Dinerl Ist es wirklich notwendig, heute noch immer von einem Diner zu reden? Würde ein Mittagessen nicht auch dann genügen, wenn sich große Herren zusammen an den Tisch setzen? Nicht weil wir mit Frankreich im Kriege sind, ist das französische Wort zu bemängeln; auch im tiefsten Frieden wäre es unnötig, ja unwürdig, eine Sache deshalb französisch zu bezeichnen, weil man sie vornehmer sagen will. Die Zeit sollte doch schon vorüber sein; man wird so lange nicht voll auf uns hören, solange wir uns nicht entschließen können, in jedem Sinne deutsch zu reden. Die Zeit der Diners sollte vorbei sein; wir gönnen den Lenkern unserer Geschicke gern, daß sie sich zur Tafel setzen, wo wir schon mit einem ganz gewöhnlichen Essen zufrieden wären; aber ein ehrlich deutsches Mittagessen soll es sein und nicht länger ein Diner wie zu der Zeit, da alles welsch war.

Ernster aber als diese Beschwerde obwohl auch sie ernsteren Hintergrund hat, als es dem flüchtigen Blicke scheinen möchte sind die folgenden

Unzeitgemäße Redensarten

Der ungarische Handelsminister Stern versichert unaufhörlich, daß das Bündnis der Völker längst zu Fleisch und Blut ge- worden sei. Ich habe schon einmal im Krieg vor dieser Redens- art gewarnt. Sie ist immer und zumal im vorliegenden Falle deplaziert: was das Fleisch betrifft, als Lüge, und was das Blut betrifft, als Wahrheit. Bei dieser Gelegenheit soll auch empfohlen werden, von der Phrase »billig wie Brombeeren« tunlichst Umgang zu nehmen, zumal für eine Scherzhaftigkeit, wie sie kürzlich zu lesen war: daß die Hoffnungen der feindlichen Staatsmänner billig wie Brombeeren seien. Die Preissteigerung, die bei uns selbst die Früchte des Waldes erfahren haben, könnte uns nach- gerade die Hoffnungen der feindlichen Staatsmänner in einem

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anderen Lichte erscheinen lassen und bei weitem nicht so unerschwinglich wie unsere Brombeeren. Den Staatsmännern und Publizisten der Lebensmittelmächte wäre dringend eine Revision ihrer Sprache, die noch zu viel Viktualien enthält, anzuraten. Es ist schwer, durchzuhalten, wenn man bei jedem Brocken der Sprache an jeden Brocken erinnert wird. Ich habe diesen Mißstand in einem Klagelied dargestellt, das ich mir demnächst einem Publikum aufzutischen erlauben werde, welches fleischfreie Wochen leichter als phrasenfreie Tage verträgt.

Propaganda

So oft ich in der Schweiz war, konnte ich mich von den Erfolgen der deutschen Propaganda, die sich nicht mit der Aufklärung in Wort und Schrift bescheidet, sondern auch werktätig durch Beispiele zu wirken und zu werben versteht, überzeugen:

Deutsche Internierte haben auf der Rütli-Wiese eine Hindenburg-Feier abgehalten, wobei der Festredner den Rütli- schwur mit dem Fahneneid verglich und erklärte, daß über dem Schwurplatz der deutsche Geist schwebe. In Genf wurde eine Frau gesehen, die eine Brosche mit der Inschrift »Gott strafe England!« trug. Auf der Zürcher Straßenbahn schlug ein Herr Lärm, weil französisch gesprochen wurde. In einer Konditorei am Thunersee bestand eine Damengesellschaft darauf, daß die Verkäuferin >Sahne« statt Creme sage, und verließ das Lokal, weil es nicht geschah. - In Lugano bewogen reichs- deutsche Gäste den Hotelier, den feindlichen Konsuln die Hotelwohnung zu kündigen. Als in einem Coupe auf der Drahtseilbahn in St. Moritz fremde Sprachen gesprochen wurden, sangen zwei deutsche Kriegswucherer, wie ich deren noch nie geschaut habe, kugelrunde Ungetüme, zwei Meter tief, doppelbreit, vierfaches Kinn, blau rasiert, Wadenstrümpfe: »Deutschland, Deutschland über alles!«

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Der Feind

Der englische Oberbefehlshaber Sir Douglas Haig gedenkt in einem amtlichen Bericht anerkennend eines deutschen Offiziers, der bei Flesquieres mit hervorragender Tapferkeit gegen die Tanks kämpfte. Die ,Daily News' veröffentlichte über den Vorgang folgende Mit- teilung eines Augenzeugen:

Unsere Leute waren fast traurig, daß sie ihn der- art erledigt hatten, denn er verdiente zu leben. Ich glaube, es war der schönste Fall von Tapfer- keit undHeroismus, der mir vorgekommen ist.

Einem Bericht des .Teplitzer Anzeigers' über eine Gemeinde- ausschußsitzung entnehmen wir: > Unter anderem wurde auch noch beschlossen, die dem in Teplitz am 22. März 1917 verstorbenen kriegsgefangenen Fran- zosen Paul Marquis, der zur Arbeitsleistung auf dem k. u. k. Militärschacht in Zinn- wald kommandiert war und in Teplitz beerdigt liegt, von seinen Kame- raden gewidmete Gedenktafel vom hiesigen Fried- hof zu entfernen.«

Mitropa

Die Nachricht im heutigen Abendblatte der > Neuen Freien Presse < , daß die Royal Society alle ausländischen Mit- glieder aus Mitteleuropa ausschließen wolle

Daß sie sie ausschließen wolle, hat sich sofort als Lüge herausgestellt. Aber, daß sie nicht die Macht hat, sie aus Mittel- europa auszuschließen, ist wahr. Andernfalls ließe ich mich gleich als Mitglied aufnehmen, um solches Benefiz zu erlangen. Denn der Gesellschaft Mitteleuropa anzugehören wird auf die Dauer doch mit Unbequemlichkeiten, jedenfalls mit Reiseschwierigkeiten verbunden sein, zumal da man nur auf die Schlafwagengesellschaft ».Mitropa« angewiesen sein wird.

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Die Sieger

Drei Budapester Kriegsgewinner, die sich auch nach der Sperrstunde noch in einem Unterhaltungslokal bei Champagner vergnügten, empfanden plötzlich den Mangel weiblicher Gesellschaft äußerst unangenehm und waren sehr erfreut, als eine Artistin herbei- geholt wurde, die bereit war, ihnen Gesellschaft zu leisten. Zwischen den drei Millionären kam es nun zu einem Wettstreit um das Mädchen, dem immer größere Summen geboten wurden. Endlich verfielen die Herren darauf, das Mädchen zu versteigern. Einer der Herren, der Fetthändler Kovacs, trug schließlich mit 50.000 Kronen den Sieg davon. Er stellte auch sogleich einen Scheck aus und übergab ihn dem Mädchen.

Damit aber das Mädchen das Geld nicht beheben könne, stellte er das Datum mit der Jahres- zahl 1917 aus. Das Mädchen verbesserte aber die Zahl auf 1918 und behob das Geld. Als Kovacs dies erfuhr, drohte er, falls das Mädchen ihm nicht wenigstens 20.000 Kronen zurückgäbe, mit einer Anzeige. Das Mädchen wandte sich an einen Rechtsanwalt, der einen Schadenersatzprozeß anstrengte und eine Entschädigung von 200.000 Kronen für die verloren gegangene Unschuld des Mädchens verlangt.

Eine Frau P. aus Charlotten- burg unternahm eine Reise und lernte auf der Eisenbahn einen Landwirt aus Ottorowo, Kreis Samter, kennen, dessen entgegen- kommendes Wesen sie ermutigte, in einem Briefe an ihn die An- knüpfung geschäftlicher Bezie- hungen zu versuchen. Sie erhielt darauf folgende Antwort:

Ottorowo, Kreis Samter, den 2. September 1918. Sehr geehrte Frau P . . ., ihren werten Brief erhalten, und daraus ersehen, das sie sich etwas Lebensmittel gern holen wollen. Nun will ich auch ihnen entgegenkommen. Und können sie nach Samter kommen u. zwar müssen sie Morgens um 6 Uhr dasein. . . Ich bringe ihnen 20 Stk. Eier 15 Pfd. Mehl Vz Ctr. Kartoffeln etwas Gurken und 2 Pfd Fleisch auch 3 Pfd Käse. Ich will für die Sachen kein Geld. Mus ihnen aber gestehen, ich will mal gutLiben. Also sie wissen was ich will. Wenn wir uns erst kennen, können sie alle Monat kommen u. ich werde sie schon immer was besorgen. Also bestimmt Freitag. Wenn nicht bitte um Antwort.

Es grust unter einem süssen Kuss ihr H. S

Eros, Ares und Ceres sie sind ihr Geld wert. So und nicht anders ist die Menschheit beschaifen, für die die Menschheit in den Tod gegangen ist.

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Es gibt keine Schweißfüße mehr

Diese ein wenig großsprecherische deutsche Annonce wird hinreichend Lügen gestraft durch die Propaganda, die neuestens ein Verlag macht, der sich , Verlag Englands »Kultur«' nennt und schon durch die Anführungszeichen und vollends die im Titel des Werkes: .Englands »Kultur« in > barbarischer« Beleuchtung' die ganze Hoffnungslosigkeit einer Zeit- und vor allem Raumgenossen- schaft mit den Inhabern einer solchen Unternehmung dartut. Die schlichte, aber geschäftlich nicht aussichtslose Idee, durch eine Übersetzung aus alten englischen Zeitungsartikeln darzutun, daß es auch in London einmal einen Salon Tuschl gegeben hat, wobei schweinische Kapitelüberschriften die »barbarische« Beleuchtung besorgen, wird in einem Buchhändlerorgan wie folgt kommentiert:

Dieses Buch wurde fälschlich des pornographischen Inhalts geziehen

Eine Verwahrung, die dem deutschen Mann die Sortimenter keineswegs abspenstig machen wird

- doch nur von Leuten, welche den wahren und patriolischen Zweck der Herausgabe dieser unsauberen Materie verkennen.

Und nun kommt der Zweck, der so deutsch ist wie die Sprache, in der er einbekannt wird. Wörtlich:

Das Buch soll die Schändlichkeit dieses Volkes, wenigstens in dieser Richtung, kennen lernen, hassen und bezwecken, daß unsere Industrie und Gewerbe die Sucht nach ausländischen Einkäufen überflüssig macht.

Ich habe mir oft vergebens vorzustellen gesucht, wie die bekannte Lage der Deutschen in Österreich aussieht. Dieser Satz dürfte annähernd ein Bild geben. So und nicht anders stehn wir vor England da. Ein Glück, daß das nicht ins Englische übersetzt werden kann. Ich fürchte aber, daß eine der Bedingungen der Friedenskonferenz die Auflösung von Gustav Feitzingers Bücherverlag Wien 3/2 Krieglergasse 18 sein wird. Dann dürfte freilich jene Annonce erfüllt sein.

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Englands bedrängte Finanzlage

Die Notenpresse als Schöpferin trügerischen

Wohlstandes.'

Telegramm unseres Korrespondenten.

Bern, 12. August. Im Oberhause lenkte Lord Inchcape die Aufmerksamkeit auf die bedrohliche Finanzlage Englands Es sei nicht zu leugnen, daß die finanzielle Lage der Feinde noch schlimmer sei als die der Verbündeten, mit einer einzigen Ausnahme; aber all dies sei nur ein geringer Trost. Unsere innere Währung ist nur eine Papierwährung. Wir besitzen nicht weniger als 260 Millionen Pfund Sterling im Umlauf, die nur durch einen geringen Prozentsatz Goldes gedeckt sind. Der Überschuß ist nur durch Schatzscheine der Regierung gewährleistet. Dies scheint eine überaus leichte Methode zu sein, den Krieg zu finanzieren; aber dieselbe Notenpresse hat Rußland ruiniert. Auch jedes andere Land leidet schwer an den Folgen dieses Systems, das eine Zeitlang über finanzielle Schwierigkeiten hinweghilft, letzten Endes aber immer eine sich stetig entwertende Währung und ebenso stetig steigende Preise bedeutet.

Aber all dies ist nur ein geringer Trost.

Verdrossenheit in der Entente

Verdrossenheit in der Entente.

Bevorstehende Ministerkrise in Frankreich und steigende Verwirrung in Rußland.

Die Entente hat die große Gabe der Haltung. Sie will

so lange als möglich den Schein bewahren Aber diese Fähigkeit

der Selbstbeherrschung vermag dennoch auf die Dauer nicht zu verbergen, wie es im Innern aussieht, wie unsicher der Boden ist, auf dem sie sich bewegt Wirtschaftliche Not, politische Vertändelung in Frankreich, dumpfe Unzufriedenheit in Italien, Chaos in Rußland und in England und Amerika schrankenlose Unterdrückung der Friedenssehnsucht. Der vierte Kriegswinter beginnt mit heftiger Verdrossenheit in der Entente.

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Aber damit es ist seit vier Jahren ein geschriebenes Kopf- wackeln — damit hat doch schon der erste begonnen? Das wird eine Anekdote werden: »Was sagen Sie, Kohn sein Plafond is zusammgestürzt!< »Wieso ?< »Ich hab deutlich gehört, es rieselt im Gemäuer.« »Was Sie nicht sagen! Grad war ich bei ihm und hab nix bemerkt.« »Das schaut nur so aus, aber ich sag Ihnen, ihm is mies zu wohnen, es rieselt im Gemäuer. Sie können von hier hören.« »Ich hör nix.« »Mir kommt vor wie ein Geräusch.« »Was für ein Geräusch, lassen Sie mich aus mit Geräusche, ich hör kein Geräusch.« »Sie hören kein Geräusch? Kleinigkeit, was dort rieselt!« »Natürlich! Wissen Sie was das is, das is die Wasserleitung!« »Na also sehn Sie, was hab ich gesagt?« »Sie haben gesagt, Kohn sein Plafond is zusamm- gestürzt.« »Ich hab gesagt, es rieselt im Gemäuer.« »Aber es is doch die Wasserleitung!« »No is das vielleicht gar nix? Fort fließt Wasser!« »Wieso? Wenn er will, dreht er ab. Und schon hat er abgedreht!« »Sehn Sie, was hab ich gesagt? Er hat genug, ihm is schon mies!« »Wovor?« »Vor dem Geriesel! Ich sag Ihnen, ein Glück, im Nu war sein Plafond zusamm- gestürzt!«

Dem Toten geht's bereits schlecht

Ich sammle die Klischees, mit denen in der gehirnfreiesten aller Zeiten die Zwangsdummheit regaliert wurde. Eine Prämie bekommt:

»Die Entente verbirgt sich noch hinter großen Worten, aber sie fühlt bereits ihre Schwäche.«

Wenn der Großmauschel diesen Gedanken der Staatsfibel übernimmt, so ist doch etwas Pikanterie dabei, indem nämlich ein seit vier Jahren täglich und abendlich beschrieenes Debacle, das aber unter fortwährendem Gemäuergeriesel zusehends milder wurde, jetzt nur mehr den Untertitel erhält:

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Zunehmendes Schwächegefühl in der Entente. Sie ist hin, kein Hahn kräht mehr nach ihr. Man zweifelt an ihrem Aufkommen. Wenn das so weiter geht, ist ihr nicht mehr zu helfen. Schlecht geht's ihr. Die ist auch nicht mehr das was sie einmal war. Ihr geht es bereits schlecht. Während die Glückliche starb, haben wir so alle Tage gelebt. Nein, ich tausch' mit keinem Engländer!

Strategischer Rückzug

Es ist eine böse Zeit für Frankreich, für die Entente und wohl auch für die übrige Welt.

Es rieselt im Gemäuer

In den Tagen, da wieder die alte Siegfriedstellung in Sicht kommt; da man in Deutschland einig ist, daß der Krieg nicht militärisch entschieden werden kann; da auf die vom Feind unbemerkten Rückzüge Kant- Zitate in deutschen Reden zögernd folgen, aber nicht allein Krupp durch Kant, sondern auch Wolff durch Solf ersetzt wird ist es unausbleiblich, daß auch der Wiener -Leitartikler für einen Verständigungsfrieden zu haben ist, was sich freilich auf seine Weise wie folgt kundgibt:

Wir müssen uns in die Entente hineindenken.

Die Zeit ist sehr ernst. Aber desto mehr ist es

nützlich zu vermeiden, daß die Urteile über die Entente auch noch

durch den Aberglauben befangen werden.

Daß es im Gemäuer rieselt? Mit nichten, daß sie eine neue Ostfront noch aufstellen könne.

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Vielleicht wird schon morgen mehr Klarheit über die neue Durchbruchsschlacht sein. Die Zeiten sind hart.

Somit wäre also auch die alte Morizstellung wieder bezogen.

Joab mein Sohn, in was bist du gekommen für einer abscheulichen Period'!

Engländer und Franzosen schießen weltberühmte 'Kathe- dralen zusammen. Unschätzbare Werke großer Baukünstler, Denkmale, errichtet aus dem Kuhstg-efühle der Zeit, in der sie entstanden sind, werden vernichtet und lassen sich kaum mehr ersetzen. Dörfer und sogar Städte verschwinden. Bäume und Sträucher werden niedergeschlagen, Felder unterhöhlt oder zerstampft. Schrecklich ist der Krieg von heutzutage.

Trost im Exil

Wie wärmt es im »neutralen Ausland« ein Wort, bei dem mir übel wird, wenn's der die Paßvisumklauselanweisung ausstellende Vertreter des Vaterlandes sagt; ein Begriff, bei dem man sich von all dem erholt , wie wärmt es dort, etwas über die Heimat vom Korr.-Büro (sprich Korrbüro) zu erfahren. Das, Neue Wiener Tagblatt' bezeichnet das Vorgehen Deutschlands im Osten als notwendige Aufgabe. Das beruhigt mich. Balfours Rezept, in das Bündnis Österreich-Ungarns mit Deutschland einen Keil zu treiben, werde nicht verfangen. Na Gott sei Dank! Das »Extrablatt* stellt fest, daß der Schritt Deutschlands in vollem Einvernehmen mit Österreich-Ungarn erfolgte, und

drückt die Hoffnung aus Da dürfte der Wülson zuspirrn

können.

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Wilson soll gesagt haben

». . . Der Gedanke an die einfachen Menschen hier und überall in der Welt, an die Menschen, die sich keines Vorrechtes erfreuen und sehr einfache und sophistische Maßstäbe für Recht und Unrecht haben, ist die Luft, die alle Regierungen künftig atmen müssen, wenn sie lebensfähig sein wollen.«

Wie es gemacht wird

. . . Asquith verlangt selbst für den Fall der Schiedsgerichte die Anwendung militärischen und wirtschaftlichen Zwanges und spricht von allen Grundsätzen Wilsons, wie v,on öligen Gemeinplätzen.

Er hat nämlich von denen Czernins gesprochen.

Verstaatlichung

Das Ziel der inneren Politik muß sein, den Czechen zum Bewußtsein zu bringen, daß sie nach dem Verlaufe dieses Krieges ihre Zukunft durch eine Verständigung mit den Deutschen, durch eine Verstaatlichung ihrer Politik . . den welthistorischen Verhältnissen anpassen und nüchtern klären müssen.

Ja das wollen sie ja!

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Vorteile des Friedens mit Rußland

Wir müssen uns hineindenken in die Spannungen lange vor dem Morde in Sarajewo, an die beständige Sorge wegen der Pläne in Petersburg und wegen der Feindseligkeiten des Botschafters Iswolsky. Wir haben alle miterlebt die Morgen, die vergällt waren durch Berichte über russische Absichten und Gehässigkeiten, durch Kummer über Umtriebe des Gesandten in Belgrad und Streitigkeiten in Montenegro und Albanien. Unbedeutende Vorfälle wurden beängstigend im fahlen Lichte zuckender Blitze in der Weltpolitik. Das Gewaltige dieser Veränderung wird anschaulicher in einem kleinen Ausschnitte aus der bürgerlichen Lebensweise. Der Friede sichert ein Frühstück ohne Rußland. Nicht mehr in der äußeren und vor allem auch nicht in der inneren Politik beständig an russische Herrscher, Parteien, Verschwörungen und Rüstungen denken müssen, wird erlösend sein, Befreiung der Kräfte, ein Gefühl nie vorher gekannter Ruhe. In Milliarden ausrechnen können wir das nicht. Es gibt jedoch Milliarden, die sich nicht zählen lassen.

Der Friede sichert ein Frühstück ohne Rußland, aber nicht ohne die Freie Presse. Das ist denn doch ein etwas ver- hatschter Ausgang des Weltkriegs. Aber wie immer die Welt nun laufen mag, das Vorher und das Nachher bleiben in unver- geßlichen Tonfällen festgehalten. Was überstanden ist: »Wir müssen uns hineindenken in die Spannungen und wir haben alle miterlebt die Morgen, die vergällt waren durch Berichte«. (Wobei der kleine Ausschnitt aus der bürgerlichen Lebensweise bloß in der Konstatierung besteht, daß da gefrühstückt wird.) Nun aber der Jauchzer, der Ausdruck für die höchste Entzückung, wenn der Dulder aus Kerkernacht in den Tag der Freiheit tritt oder dem Liebenden die Stunde erfüllter Sehnsucht schlägt: »In Milliarden ausrechnen können wir das nicht. Es gibt jedoch Milliarden, die sich nicht zählen lassen.« Der Pathetiker eines früheren Jahrhunderts hatte, den damaligen bescheidenem Ver- hältnissen entsprechend, für den Hochstand der Gefühle höchstens den Ausdruck: >Seid umschlungen Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt Nebbich. Wenn das Herz Benedikts seine Schläge zu zählen beginnt, sind Schillers Wonnen ein Pappenstiel gegen heutzutag.

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Ein Herzensschrei

.... Die englische Regierung hat den Krieg durch eine Preß- politik vorbereitet, deren psychologischen Scharfblick und modernes Anpassungsvermögen auch der Gegner anerkennen muß. W i e töricht sind die Menschen in den Parlamenten und sonst im öffentlichen Leben, die sich an der Presse reiben, statt durch sie Einfluß in der Welt zu gewinnen, Wohlwollen in der Fremde und Opferbereitschaft zu Hause zu verbreiten ; wie kleinlich und wie veraltet sind die Urteile, die sich nicht erweitern können zur Auffassung von Erscheinungen, die gerade in diesem Kriege die Wichtigkeit der Presse Allen, welche sie früher nicht begreifen wollten, nur zu deutlich bewiesen haben. England hat Anhänger und Freunde in der Presse auf dem ganzen Erdenrund. . . . Die Presse wird durch Achtung vor der Presse gewonnen . . . Hochmut, der sich in äußerer Freundlichkeit versteckt, Dünkel in herab- lassenden Formen und Mangel jeder tieferen Einsicht stoßen ab, und so kann es geschehen, daß Länder, die längst begriffen haben, was die Presse ist, und sich ihr näher fühlen, werktätige Verteidiger finden, zum großen Schaden zurückgebliebener Staaten.

Wie könnte Österreich dastehn! Es sind die günstigsten Vorbedingungen da. Es hat einen Benedikt und macht keinen Gebrauch von der Mezzie. England hat nur den Northcliffe, der doch keine Individualität ist.

Lord Northcliffe ist für die Presse selbst immer schädlich gewesen. Er hat ihr vielfach genommen, was sie unbedingt braucht, ein freieres G e w ä h r e n 1 a s s e n der Persönlichkeit und ein genügend breites Feld für die publizistische Individualität. Er ist der Massenfabrikant, der Inhaber vieler Zeitungen, und solches Zusammenkoppeln tut nicht gut, weil der Leser aus dem Blatt den Menschen spüren will, der zu ihm spricht, auch wenn er ihn nicht kennt.

Der Leser in Wien spürt den Menschen, der Mensch faßt ihn zweimal im Tag am Rockknopf und jüdelt ihm ins Herz hinein. Und der Leser hat das gern, er läßt sich das gefallen, auch wenn er den Menschen nicht kennt, nein, weil er ihn nicht kennt. Denn wenn ihm die Photographie zum Frühstück beigelegt würde, er würde doch unfehlbar sich für den unpersönlicher

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aussehenden Northcliffe entscheiden und auf die Daily Mail abonnieren. Und dies ist vielleicht der Grund, warum zurück- gebliebene Staaten nicht zugreifen wollen. Der kulturelle Einfluß Benedikts lebt von der Unsichtbarkeit und ist größer, als die Individualität sich's in ihrer Bescheidenheit zutraut, weit größer als der Northcliffes. Aber vor einer offiziellen politischen Verbindung graust's den zurückgebliebenen Staaten, und das kann man ihnen schließlich nicht übelnehmen.

Der jüdische Indikativ

Ich habe den ganzen letzten Winter nicht mauscheln gehört, aber dies ist mir noch im Ohr:

Einer der größten Kenner von England, Sidney Webb, hat gesagt, nach diesem Kriege wird die Welt müde sein, frieren und hungern. W i r werden dafür sorgen müssen, daß wir der Hungersnot und der Revolution entgehen.

Hier führt das Selbstbestimmungsrecht der abhängigen Sätze zu bedenklichen Weiterungen.

Er sagte, es ist nicht zu leugnen, Italien hat eine ernste Niederlage erlitten, aber w i r brauchen nicht zu fürchten, daß das Ergebnis des Krieges davon beeinflußt werde.

Auch hier.

Nun mag Sonnino in Frankreich, in London und in dem so heiß geliebten Petersburg fragen, wie steht es um die Erfüllung des Aprilvertrages. Wo ist Istrien, wo Triest und wo Dalmatien?

Hier scheint das Selbstbestimmungsrecht auch nicht zu unsern Gunsten entschieden zu haben. Ganz unzweideutig dagegen ist :

Kerenski hat gesagt, Rußland ist erschöpft.

217 Das rabiate Ich

Es gibt kein Land, wo die Leute nicht heimlich flüstern, ich wollt', es wäre Schlafenszeit und alles war' vorüber.

Präsident Wilson hat einmal gesagt, ich lege das Ohr auf den Boden und horche auf die Wünsche des Landes.

Und alles bückt sich, flüstert, fragt: Was hat er gesagt?

Der Ton

Die Rettung des Kaisers aus ernster Lebensgefahr. In einem Torrente nahe bei Ruda.

Der Kaiser war in einer sehr ernsten Gefahr. Die Gedanken an die Folgen, welche dieser Vorfall hätte haben können, möchten wir nicht ausdenken. Die Rettung des Kaisers durch den Mut und die Entschlossenheit vortrefflicher Männer ist nicht nur die Befreiung von einer Sorge, sondern, fast möchten wir sagen, eine politische Notwendig- keit gewesen. Wir sind in einem der wichtigsten Abschnitte des Krieges und der Kaiser soll uns hinüberleiten aus dem Blutstrom zum ersehnten Frieden.

Aus dieser Mitteilung geht hervor, daß der Kaiser heute in

ernster Lebensgefahr geschwebt hat. Es wird besser sein, gar nicht an die Folgen zu denken, welche sich hätten daraus entwickeln können.

Die Schlacht am oberen Isonzo hat erst heute früh begonnen und wir möchten ihrem Verlaufe nicht vorgreifen.

Wer sich in die Italiener nur ein wenig hineindenkt, wird verstehen

und da kann der Schrecken sich auch über die Grenze verbreiten

Die italienische Grenze ist nahe und Schrecken dürfte sich bereits unter den Bewohnern verbreiten.

ohne die Möglichkeiten, die sich dem Nachdenken aufdrängen, schon jetzt, ehe das Werk vollendet ist, in den Einzelheiten zu erörtern.

- 218

Wir können uns vorstellen, wie er dort sitzt auf der Regierungsbank, im Palaste des Monte Citorio, ein düsterer, schweigsamer Mensch

und Spuren der Gedrücktheit werden erkennbar.

Vielleicht geht jetzt schon ein Flüstern durch die englische Gesellschaft, daß der Krieg sich nicht mehr bezahlt machen könne

Das Blei ist jedoch im Flügel.

Die Antwort ist die Vernichtung von Dünkirchen gewesen. Es scheint auch, daß die berühmte Towerbrücke in London teilweise zertrümmert worden sei. Ein Gerücht meldet, daß auch einer der Türme des Tower zusammengestürzt sei. Schreckliche Zeiten! Alle diese Berichte sind beklemmend.

Heute wird der größte Fliegererfolg gemeldet,

der jemals stattgefunden hat. In der Nacht vom 28. zum

29. September erschienen die Flugzeuge über der Stadt und die Phantasie kann sich ausmalen, wie die Bomben herunterdonnern und riesenhafte Flammen die Nacht erhellen.

Wenn der Vertrag über den Sonderfrieden unterzeichnet wird, ist Lloyd-George verloren und vielleicht auch Clemenceau. Dann werden die Engländer und die Franzosen das Gefühl haben, als würde eine Pulvermine aufgeflogen sein

(Gerade dies Gefühl müssen sie im Krieg schon öfter gehabt haben.)

Mitglieder des Oberhauses in England verlangen täglich den Verständigungsfrieden. Wilson ist vielleicht ein Reisender, der den Zug versäumt hat.

Die Schlacht an der Marne dauert fort. Der Krieg ist wie vor vier Jahren beinahe in die Nachbarschaft von Paris vorgerückt. W i r können uns denken, welchen Eindruck die Nachricht in Wien hervorrufen würde, daß eine große Schlacht in Gloggnilz oder Neun- kirchen stattfinde.

Nun werden sie schreien nach der amerikanischen Unterstützung, nach diesem Irrlicht der Entente, dem sie nacheilt und das sie immer tiefer hineinführt in den Sumpf, in Nieder- lage und Verderbnis.

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Was sind »Stimmungen«

von denen man täglich zu lesen bekommt? Ist es etwas, woran man verdient? Wird es an der Börse gehandelt? Nein, nichts Solides, nichts was man »abtasten« kann.

Denn die Stimmungen sind Schlüsse aus Vordersätzen unter- halb des Bewußtseins mit der Wirkung, daß sie dem berechnenden Urteil vorgreifen.

Ein Titel

Französische Ausreden über den langsamen Vormarsch. Nein, die läßt die Neue Presse nicht gelten.

Der Untertitel

Ei» Geschwader von italienischen Fliegern über Wien. Heute am Vormittag zwischen neun und zehn Uhr.

*

Die Entscheidung der Krise bevorstehend. Wahrscheinlich morgen.

*

Die Abreise des Grafen Czernin nach Bukarest. Übermorgen Samstag.

Titel und Untertitel

Der Friedensvertrag vom Moskauer Sowjet mit ungeheurer Mehrheit angenommen.

Von 195 Sowjets 110 für die Ratifizierung.

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Die wichtigsten Fragen der Monarchie im Fluß.

So, genau so hat es ausgesehen. Die Verwendung dieser fatalen Redensart als Aufschrift

hat eine Mauschelgewalt, die unter tausend deutschen Ohren kaum eins noch heute spürt. Ob wir bald aus dem Wasser sein werden, hat der Artikel nicht verraten.

Staatsprüfung

Wonach im Laufe des Tages folgte was am Abend wo?

Nach den ernsten Beratungen im Laufe des heutigen Tages folgte am Abend eine gesellige Veranstaltung in den Räumen des Ministerratspräsidiums.

Was führte rasch wozu?

Die Liebenswürdigkeit der Gastgeber und ein sorgsames, jedem Zwange freies Arrangement führte rasch zu einer belebten und ungezwungenen Unterhaltung der Gäste.

Wiederhole das Gesagte: Wovon war das Arrangement frei? Von jedem Zwange. Und wie war infolgedessen die Unter- haltung? Ungezwungen. Beweise es:

An kleinen Tischen fanden sich alte Freunde zusammen, neue Bekanntschaften wurden angeknüpft und

Was sonst? Was wird der Abend sonst gebracht oder herbeigeführt haben? Besteht eine Vermutung?

Der Abend wird manche wertvolle Anregung gebracht, manche Dauer versprechende Beziehung zwischen den deutschen und öster- reichisch-ungarischen Teilnehmern herbeigeführt haben.

Gut, fassen wir jetzt noch einmal zusammen, oder geben wir eine Schilderung, wie sie etwa ein anderer Gewährsmann entworfen hätte.

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Die mitten in den unruhevollen Zeiten des Weltkrieges tagenden und in eine ruhigere und glücklichere wirtschaftliche Zukunft voraus- blickenden deutsch - österreichisch -ungarischen Wirtschaftskonferenzen gaben heute abend dem Ministerpräsidenten Dr. Ernst Ritter v. Seidler und Frau Thea v. Seidler willkommenen Anlaß, die Teilnehmer an diesen Konferenzen

Aber was für welche denn, woher denn? Ordentlicher! Wie, aus dem deutschen Reiche? Noch ordentlicher!

Aus dem untrennbar verbündeten deutschen Reiche.

So ist's in Ordnung. Und woher noch? Aus Österreich- Ungarn? Keine Schlamperei, wenn ich bitten darf!

und aus den beiden Staaten der österreichisch-ungarischen Monarchie

Sowie?

sowie einen Kreis hervorragender Persönlichkeiten zu Gaste zu sehen.

Wobei war was doch über die gesellschaftliche Veranstaltung gebreitet?

bei aller Schlichtheit, die der Krieg gebietet, bei dem Ernst

Bei welchem Ernst?

der Zeit und der Gegenstände der Beratungen, war doch

Also was war gebreitet?

ein Hauch der gastlichen Gemütlichkeit

Der welchene ist das?

der den Ruf der Kaiserstadt in der ganzen Welt begründet hat.

Ah der, richtig, das hätt' ich beinah selbst vergessen. Was war das historisch bedeutsame und prunkvolle Palais?

ein würdiger Rahmen für den Empfang und

Aha, was taten der Hausherr Dr. Ritter v. Seidler und Frau v. Seidler? Sie wetteiferten Was zu tun? Von wem unterstützt?

unterstützt von den Herren des Ministerratspräsidiums, den Gästen den Aufenthalt an der gastlichen Stätte so angenehm als möglich zu gestalten.

222

Ist es gelungen? Hat's keiner bereut? Waren A leerschienen?

Zum heutigen Empfang waren etwa dreihundert Einladungen ergangen und es gab fast gar keine Absagen.

Was war schon bald nach 8 Uhr?

Schon bald nach 8 Uhr waren die Salons

Wovon gefüllt?

mit ihrem schönen künstlerischen Schmuck

Falsch. Wovon gefüllt?

von den Gästen gefüllt.

Was taten hierauf Dr. v. Seidler und Frau v. Seidler? Sie

hießen jeden neuen Gast herzlich willkommen.

So ist's recht. Was tat man unter den Anwesenden?

Unter den Anwesenden bemerkte man

Wen natürlich zuerst?

den Kriegsminister Freiherrn v. Stöger-Steiner

Wen noch?

Banhans . . Cwiklinsky . . Bleyleben . . Exner . . Sieghart . . Chlumecky . . Ruß . . Groß . .

Genug! Wie heißt der ungarische Handelsminister Stern?

Szterenyi.

Wo standen die deutschen Teilnehmer?

Im Mittelpunkte des Interesses.

Fahren Sie fort !

Ferner waren geladen Aus Ungarn waren außerdem

geladen Das Ministerratspräsidium war vertreten Ferner waren anwesend ferner waren erschienen

Ich sehe schon, Sie haben den Beamtenkalender gelernt. Sie haben seit den Empfängen unter Hohenwart, Taaffe, Badeni, Gautsch, Beck, Stürgkh nichts vergessen. Merken Sie es sich für Hussarek!

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Es kann passieren

daß ein Artikel, der die Demission des Herrn v. Seidler verlangt, »der nötige Ernst« betitelt ist und die Forderung aufstellt, es müsse dem Volke die Gewißheit werden, daß er »oben nicht fehlt«. Darum eben hat sich die Sache so lange hingezogen.

Der Admiral

... Im englischen Kabinett bestanden am 31. Juli 1914 zwei Gruppen .... Ganz allein stand in jenem Augenblick Winston Churchill, der als Erster Lord der Admiralität die Schiffe bereits hinter sich verbrannt und seine Pflicht getan hatte.

Erkundungsvorstoß in die Sprache

Daß die Sprache von Fachausdrücken des alten' Kriegs- handwerkes durchwirkt ist, merkt man erst, wenn sie jetzt mit den neuen termini technici zusammenstoßen oder zusammenfließen. Oder vielmehr: die deutsche Phantasie, die sich für deren Erwerbung aufgeopfert hat, merkt es nicht; und da die neuen technischen Methoden nicht die Kraft haben, Sprachgut zu hinterlassen, so wird, wenn nichts anderes, die alte Redensart den neuen Krieg überleben. Das Beispiel der bei einem erfolgreichen Gasangriff hochgehaltenen Fahne setzt sich endlos fort. Aber nicht nur der Anachronismus, den unser ganzes heroisches Denken vorstellt, auch die Gleichzeitigkeit von Tatmethode und Redensart kommt einer entseelten Sprache nicht mehr zum Gefühl. Daß einmal dem Papst nachgesagt wurde, er habe mit

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einer pazifistischen Forderung übers Ziel geschossen, war gewiß ein empfindlicher Vorwurf. Aber empfindlicher ist es, wenn es nicht karamboliert, sondern zusammengeht:

durch Einbruch in die gegnerischen Linien liefer in die gegnerischen Slellungslinien einzudringen Einblick in die von den vordersten Linien verschiedene Art der Truppenbelegung zu bekommen begibt sich die Erkundungsabteilung wieder in die eigenen Linien zurück In erster Linie ist daran zu erinnern, daß ein größerer deutscher Erkundungsvorstoß statt- gefunden hat

Mit solchen Kleinigkeiten habe ich mich im Weltkrieg abgegeben mein Herrgott, überzeugt, daß die großen Angelegen- heiten aus eben der Fähigkeit, sich bei einem Wort, bei einer Kriegserklärung nichts mehr vorzustellen, entstanden sind. Nach solchem Erkundungsvorstoß begebe ich mich in die eigene Sprache zurück.

Der Generalquartiermeister des Stils

Februar 1918

Kriegsminister v. Stein äußerte in einer Unterredung mit dem Berliner Korrespondenten des .Budapesti Hirlap'

(das hätte er nicht sollen)

u. a. : Unsere Lage an der Westfront sei gut. Gegenüber dem neuen Feinde Amerika seien wir gut gerüstet. Welche Bedeutung auch der Technik zukomme, die treibende, siegreiche Kraft bleibe immer der einzelne Mann. Audi den neuen Wunderwerken der Technik, den englischen Tanks, seien wir durch unsere Kanonen

beigekommen Ein voreiliger Verzicht auf die

Vorteile aus einem glücklich verlaufenen Kriege sei ein Zeichen der Schwäche . . . .

Der Herr General Stein hat sich im ersten Stadium der Begebenheit als Autor einer Literatur, deren Aktualität unser

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Interesse so lange wachhielt, bis sie uns ganz erschöpfte, nämlich der deutschen Generalstabsberichte, durch den Verzicht auf die Phrase, auf den handgreiflichsten Vorteil aus einem glücklich verlaufenden Krieg, bemerkbar gemacht. Außerdem hat der Generalquartiermeister durch die Einräumung der mutigen Ansicht, d4ß ein Erraffen der Vorteile aus einem glücklich verlaufenen Krieg eine kulturelle Katastrophe bedeute, wie der Zustand Deutschlands seit Sedan erschreckend dargetan habe, Aufsehen erregt. Dennoch und wenngleich der Herr v. Stein damals eine sympathischere Begleiterscheinung des Weltuntergangs war als etwa unsere Schalek, hätte man ihn der Bereitschaft, lieber ein Märtyrer seiner Ansicht als ein preußischer Kriegsminister zu werden, mit Unrecht überführt. Als solchem mag man ihm die Erkenntnis zugutehalten, daß die Technik, nämlich ein Tank, weniger als der einzelne Mann, nämlich die Kanone, tauge. Sie schließt durchaus keinen Widerspruch ein, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn auch bei der Artillerie ist immer mehr die treibende, siegreiche Kraft der einzelne Mann, der ja ganz gewiß zum Beispiel die große Kanone bedient hat, deren Einwirkung auf Pariser Kirchenbesucher mit Genugtuung festgestellt werden konnte, und der wohl auch einmal an dem Apparat beschäftigt sein wird, durch den vom Berliner Stützpunkt die Festung London in die Luft zu sprengen ohne Zweifel im Bereich der technischen Möglichkeiten gelegen ist. Aber auch abgesehen von dieser sachlichen Motivierung ließe sich die Ansicht des preußischen Kriegsministers schon rechtfertigen, wenn man dem Stilisten Stein die Fähigkeit zu bildlicher Ausdrucks- weise zuerkennt. Man müßte den Satz nur richtig zu lesen verstehen. Herr v. Stein spricht vom »einzelnen Mann« und rühmt dabei »unsere Kanonen«. »Kanone« ist in Preußen vielleicht eben aus dem Grund, weil dort der Technik »große Bedeutung zukommt« der Maßbegriff für Tüchtigkeit, und wie in Berlin vaschtehste etwa ein Weinreisender, ein »Dekorateur«, ein Kinoschauspieler oder sonst eine Kraft »'ne Kanone« heißt und sogar schon lange vor der Einwirkung auf Paris jeder Star »die große Kanone« hieß, so wollte Herr v. Stein offenbar auch die Soldaten, die einzelnen Männer, »unsere Kanonen« nennen.

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Möglicherweise wird sich, wenn der Krieg noch länger dauert und auch die kulturelle Einwirkung auf den Feind vonstatten geht, in England die Sitte herausbilden, die dortigen Individualitäten oder Kräfte »Tanks« zu nennen. Aber diesen wären unsere Kanonen versteht sich erst recht überlegen.

Beweis, daß der amerikanische Kriegsminister lügt

. . . Noch ein Wort des Kriegsministers v. Stein war wichtig. Er sagte, die Amerikaner bleiben an Zahl und Stärke weit hinter der Erwartung und den Nachrichten der Entente zurück. Diese Tatsache bedeutet eine der schwersten Ent- täuschungen der Entente und insbesondere Frankreichs. Der amerikanische Kriegsminister Baker hat behauptet, daß 700.000 Amerikaner an die französische Front geschickt worden seien. Wenn das richtig wäre, könnte Herr v. Stein nicht davon sprechen, daß die amerikanischen Truppen erheblich schwächer seien, als die Franzosen es erzählen.

Geographisch unbekannt

Englischer Bericht

Unser Angriff von heute morgen östlich von Ypern wurde auf einer Front von ungefähr acht Meilen . . ausgeführt .... Das Nord- landregiment nahm das Inverneßdickicht, australische Truppen stürmten den Glincorsewald und None Bosch, schottische Truppen im Vereine mit südafrikanischen Brigaden nahmen Potsdam Vampir(?) . . .

Mit Recht werden oft im Abdruck der feindlichen Berichte Fragezeichen hinter den Namen von Örtlichkeiten angebracht, die es anscheinend gar nicht gibt und mit deren Eroberung der Gegner offenbar renommieren will.

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Neuer Maßbegriff

. . . Gestern wurde aus Genf gemeldet, daß in Monaco eine Ministerkrise ausgebrochen ist! Die Welt hält den Atem an, die Armeen rüsten ab, denn Ungeheueres vollzieht sich. Das Land, das ein Mörser wegzuhusten imstande ist, ohne Minister !

Ein Konflikt zwischen einer Dame und einem Offizier

Irgendwo war zu lesen:

Zeugen "gesucht! Jene Damen und Herren, welche Augenzeugen des Vorfalles waren, wie ein Hauptmann am 21. Mai, um ljt 1 Uhr mittags, in einem 59er Wagen bei der Stiftskaserne eine Dame tätlich

beleidigte, werden gebeten, Namen und Adresse an Dr. Hans K.

einzusenden.

Wie, fragte man, das gibts? Ja das gibts, so leben wir alle Tage. Es wird noch Schönres geben, und mir wem infolgedessen - nimmer leben. Der Advokat scheint den Versuch gemacht zu haben, denselben Aufruf in das vornehmste Blatt der Residenz einrückend zu machen. Das gelang ihm aber nur unvollständig:

[Zeugen gesucht.] Jene Damen und Herren, die Augenzeugen eines Konflikts zwischen einer Dame und einem Offizier waren, der sich am 21. Mai um halb 1 Uhr mittags in einem 59 er Wagen bei der Stiftskaserne abspielte, werden gebeten, Namen und Adresse an Dr. Hans K. einzusenden.

» Pardon Herr Doktor, tätlich beleidigen, das geht nicht !< » Das finde ich auch, noch dazu eine Dame! Ich bin Ihnen dankbar, Herr Redakteur!« >Und ein Hauptmann! Das is zu stark!« >Nicht wahr! Ich bin Ihnen wirklich dankbar!« »Er is imstand und kommt noch über uns!« »Wir wollen nicht hoffen. Und Sie ficht ja das nicht an, Sie sind ja als unerschrockener Vorkämpfer bekannt.« »No ja, das is was anders. Wissen Sie was, wir wem sagen es war ein Konflikt mit einem Offizier. Da kann man auch

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glauben, sie hat ihn tätlich beleidigt und er sucht Zeugen. < »Ja, aber « >Nix aber, wir sind ein objektives Blatt und können nicht Partei ergreifen zwischen einem Hauptmann und einer Dame. Waren wir dabei? Etwas anderes wäre gewesen, wenn wir wären dabei gewesen. Da hätten Sie sehn sollen, ob der Hauptmann sich getraut hätte, die Dame tätlich zu beleidigen!« »Und wenn Sie einem Konflikt zwischen einer Dame und einem Offizier beigewohnt hätten?« »Mischt man sich auch nicht herein, aber man bringt!«

Wie kann man nur

kein Freund des Militarismus sein, wenn man In dieser möglicherweise bona fide ins Leben gerufenen Aktion ist eine Einmischung von unberufener Seite in die aus- schließlich der Entscheidung der verantwortlichen Re- gierungen vorbehaltenen Fragen zu erblicken und es wird befürchtet, daß der Internatio- nale Studienkongreß, wenn auch die Absicht ausdrücklich in Ab- rede gestellt wird, doch ver- suchen könnte, auf eine vorzeitige Beendigung des Krieges hinzuwir- ken, wodurch die Operationen der k. u. k. Armee ungünstig beeinflußt werden könnten. Es sind vertrauliche Er- hebungen zu pflegen und jene Persönlichkeiten namhaft zu machen, deren Teil- nahme an dieser Bewegung wahrscheinlich ist ... .

gleich daneben so etwas zu lesen kriegt : ... ist beschuldigt, die Mann- schaft seines Zuges in unerhörter Weise gepeinigt zu haben, wenn sie seinem Verlangen nach Tabak und Brot nicht nachkam . . . Gaben sie nichts, so habe er ganz ein- fach in der dienstfreien Zeit eine Koffervisite abgehalten, und wenn er Tabak oder Brot fand, habe er sich die Sachen sofort angeeignet, ohne einen Heller dafür zu bezahlen . . . Oft ließ er Gewehrgriffe machen, noch lieber aber kom- mandierte er so lange »Auf und nieder«, bis den Leuten das Blut aus Mund und Nase rann . . . .

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Es wird alles aufgebauscht

. . . Wenn trotzdem Beschwerden geführt werden, so könne es sich nur um Übergriffe untergeordneter Organe handeln.

Dies setzt, wenn's ehrlich gemeint ist, immerhin voraus, daß man eine Hinrichtung leichter erträgt, wenn sie nicht auch mit einer schmerzlichen Enttäuschung am Justizminister verbunden ist. Leider aber hat man es in den verschiedenen Lebenslagen zumeist mit dem Wachmann zu tun und weit öfter mit dem Feldwebel als mit dem General. Man darf aber eben deshalb nicht generalisieren. »Was machen S' denn für an Pahöl! Der was Ihnen in der Wachstuben eine Watschen gegeben hat, war ja nur ein untergeordnetes Organ, Sie Tepp!«

Das Menschenmaterial

Ein Erlaß der zehnten Abteilung des Kriegsministeriums vom 8. April bestimmt: Frontdiensttaugliche sowie frontdienstuntaugliche Professionisten-Heimkehrer sind an die Arbeitersammei- kader vorläufig nicht mehr abzugeben. Bereits an die Arbeiter- sammeikader abgegebene frontdiensttaugliche Heimkehrer-Professio- nisten sind sofort an die zuständigen Ersatzkörper zurück zu- in stradieren. An die Arbeitersammeikader abgegebene frontdienst- untaugliche Heimkehrer-Professionisten sind dort zu belassen, bestens zu disziplinieren und a u f entsprechende Arbeiten in geschlossenen Arbeitspartien heranzuziehen. Einzelabgaben jeder Art sind vollkommen unzulässig. Von den Arbeitersammeikaders an Betriebe bereits Abgegebene sind einzuziehen und gemäß obigem zu behandeln. . . . Etwa an die Betriebsabteilung Kleinmünchen

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bereits abgegebene Heimkehrer-Eisenbahner sind an die zuständigen Ersatzköiper zurückzuschieben.

Was, da staunt wohl selbst der Marsbewohner.

Neuorientierung

.... Hauptmann Polletin der Abteilung III U des Ministeriums für Landesverteidigung orientierte nun die Teilnehmer über Wesen, Zweck und Durchführung der vaterländischen Erziehung .... Er verteidigte vor allem das Ministerium für Landes- verteidigung gegen die Anklage, daß es in Fragen der Jugenderziehung nicht kompetent sei. Das Militär ist wie ein Fabrikant: aus Rohmaterial soll es Produkte machen, es ist also von großer Wichtigkeit, daß es gutes, ja besseres Material erhalte. Wir haben keine Garantie für einen künftigen Frieden, wir brauchen tüchtige Soldaten. Das Ministerium für Landesverteidigung hat Interesse an der Güte, an der Erstklassigkeit des Menschen- materials. Darum bekundet es lebhaftes Interesse für alles, was damit zusammenhängt : Mutterschutz, Säuglingsschutz, Kleinkinderfürsorge, Schulzwang, Frauenarbeit bei Nacht und auch für Jugenderziehung.

Der letzte Vortrag des ersten Tages war der des Regierungsrates Schiffner über die vaterländische Erziehung vom Standpunkte des Schulmannes und Erziehers. Mit begeisterten Worten erklärte er, daß wahrhaftige Schulmänner nur im Sinne der Wehrmacht und im Interesse der Wehrfähigkeit tätig sein können. Mit größerer Aus- führlichkeit ließ er sich über die Notwendigkeit der Ausbildung der Sinne aus, besonders des Gesichts und Gehörs, aber auch die übrigen Sinne dürfen nicht vernachlässigt werden. Zumindest ist darnach zu streben, daß die Organe nicht geschädigt, sondern gehegt und geschont werden.

Was wir von der ethischen Erziehung fordern, auch das stimme mit den militärischen Anforderungen überein ....

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Die Anwesenden zollten dem schönen und begeisterten Vortrage lebhaften Beifall.

Nachmittags begaben sich die Teilnehmer des Kurses auf den Kahlenberg und den Leopoldsberg, wo praktische Darbietungen der Jungmannschaft stattfanden.

Kindheit und Wiesenglück

[Verunglückte Kinder.] Aus Görz wird uns berichtet: In der Ortschaft Vipolze bei Görz fanden fünf Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren auf einer Wiese eine Handgranate, die sie zur Explosion brachten. Ein neunjähriger Knabe blieb auf der Stelle tot liegen. Ein anderer verschied während der Überführung ins Kranken- haus. Nach ärztlicher Aussage ist auch hinsichtlich der anderen schwerverletzten Kinder wenig Hoffnung, sie am Leben zu erhalten.

Ein Trauermantel, der letzte, folgte dem Zug.

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Eine prinzipielle Erklärung

November 1917

Es hat vor einigen Monaten einen Augenblick in der Weltgeschichte gegeben, wo die Hoffnung aufleuchtete, daß diese zerschundene Maschine, die Mensch genannt wird, wieder zum Menschen werden könnte, und weil diese Hoffnung in Österreich geboren wurde, war's auch die Hoffnung, ein Patriot zu sein, Patriot im edelsten, längst nicht mehr vor- rätigen, längst vergriffenen, längst ersetzten und ver- fälschten und nun plötzlich wieder lebendigen und heimatsberechtigten Sinne. Es waren Worte gesprochen worden, die mehr waren als Taten, denn sie waren die Erholung von Taten; Worte, deren letztes freilich wieder der Tat glich und darum dem Glauben die Aussicht auf Erfüllung entrückte. Dennoch, es war die Idee; nach dem verhängnisvollen Walten der Quantität doch etwas vom Geiste. Es war zum erstenmal aus dem Munde eines mitteleuropäischen Staatsmannes die Sehnsucht der Menschen bejaht worden, sich von dem furchtbarsten Erdenfluche,

Nun, da der externe Mitarbeiter der Neuen Freien Presse Czernin den als Handgriff einbekannten Vorschlag zur Welt- befreiung wieder als Evangelium reklamiert und nach Ausbruch des Friedens mit Rußland die Budapester Rede dort aufnehmen möchte, wo er sie unterbrochen hat; nun, da wir im Sinne der Wiener Rede in der äußern Politik zwar Qott sei Dank den deutschen Kurs steuern, aber im Sinne eines Wiener Zeitungs- artikels hoffentlich den Weltkurs steuern werden; nun, da die Möglichkeit einer militärischen Entscheidung von jenen Spielern bestritten wird, die alles auf eine günstige Kriegskarte gesetzt hatten, und Kant wieder öfter als Krupp zitiert wird mag die vor einem Jahr gehaltene, dann zweimal wiederholte Ansprache auch hier zu Ehren kommen.

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unter dem sie je seit Erschaffung ihren Nacken gebeugt hielt, durch ein Machtwort über sich selbst, also durch den Aufstand der Menschenwürde zu befreien, vom Militarismus nicht als einer wirtschaft- lichen Last allein, sondern von dem Alpdruck der militaristischen Lebensanschauung, und nicht mehr jener, die einst als das Vorrecht eines Berufs das Leben auf die Spitze eines Säbels gestellt hat, sondern der Geistesrichtung, die dasLeben unter dem Verhängnis tödlicher Zufallswirkungen und einer meuchelmörde- rischen Technik zum Ersatz für Menschenrechte und zur Sicherung merkantiler Interessen gefangen hält. Der Staat schien plötzlich der Menschheit Recht zu geben in ihrem bis dahin strafbaren Verlangen nach Selbstbefreiung aus der schmachvollsten Knechtschaft, in die ihr Erwerbsgeist die schuldige und unschuldige Kreatur gejagt hat, als ein organisiertes Schicksal über allem Lebendigen, Männern und Müttern, Säuglingen und Tieren, immer die würgende Faust zwischen die Sonne und dieses kurze Menschendasein gereckt. Daß diese Teufelsmacht es verstanden hatte, die Träger des staatlichen Machtideals herumzu- kriegen, sich gar die alte Glorie für ihre schmutzige Neuerung auszuleihen und schließlich durch den Tod der Menschheit zum hohnlachenden Triumph des Wuchers über den wehrlosen Schlachtensieg zu führen dies ungeheuerste Erlebnis behält durch alle Wirklichkeit hindurch die närrische Gestaltung eines Fiebertraums, und die unter uns nicht stehlen, sondern nur fühlen, müssen in einem narkotischen Zustand die Zeit durchschreiten, um dieses Unmaß von Phantastik außerhalb des Tollhauses durchzu- halten. Wie könnte uns Vernunft und Ehre sonst erlauben, Raumgenossen dieser Zeitgenossen zu sein? Wie könnten wir seit vier Jahren in dieser Hyänenluft den Lebensmut aufbringen, uns um das tägliche Brot zu quälen? Nun war's ein Augenblick,

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zu glauben, die Menschheit hätte die Prüfung bestanden und sei reif zur Reue. Nicht mehr werde es künftig die ingeniöse Phantasiearmut vermögen, uns in diese Delirien zu treiben. Der menschheits- widrige Gedanke, der den Lebenszweck dem Lebens- mittel und also dem Todesmittel unterstellt hat, liege in den letzten Zügen. Nicht fortsetzbar sei der Zustand, daß nicht nur einer Klasse von Bunt- gekleideten Gewalt über die Farblosen gegeben ist, sondern daß alle auf einmal durch ein Zauberwort bunt werden können, alle über alle Macht gewinnen, alle vor allen Ehre gewinnen, alle gezwungen sind, einander zu grüßen und allerhand Hochachtung vor einander zu haben. Ich, der ich vor der Gesellschaft umso weniger Hochachtung habe, je mehr sie in ihrem eigenen Ansehen steigt, der sie im Gegenteil erst dann auf das Tiefste mißachtet, sobald sie ihre abgelebten Machtvorstellungen mit ihrer frischen Raubgier verbündet, sich selbst zu wechselseitiger Bewucherung mobilisiert und einen Jargon aus Fibel und Börse nachbetet, wenns die gute Sache der allgemeinen Peinigung gilt ich muß bekennen, daß ich an den Entschluß zur Einkehr, an den Ernst der Erkenntnis, daß die Zukunft des Geschlechts bei Kant besser als bei Krupp aufgehoben sei, ernsthaft geglaubt habe. Die Einfalt kann eine Wahrheit nicht schnell genug erleben, und sie fühlt sich nicht beschämt, wenn sich herausstellt, daß ein Staats- mann zwar einmal die Wahrheit gesagt, aber an sie nicht geglaubt hat. Wenn's noch zu früh ist, warte nur balde wird die Weltanschauung, die diesen Krieg bewirkt hat und die sich mit Gott durch jeden Tag des Siegs widerlegt, sich, sagen wir bis zum letzten Hauch von Mann und Roß erledigt haben. Möge es dann noch Zeugen geben! Und hätte sie's freiwillig rechtzeitig getan, wie schön wäre es gewesen und hätte dem Krieg fast die Weihe eines Plans

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verliehn. Nun aber haben wir von Kant zu Krupp heimg'funden und in Tat und Wort neuerdings erfahren, daß wir bei jenem uns nur so pro forma aufgehalten haben und daß wir auch weiterhin damit vorlieb nehmen wollen, Feldherrn zu Ehrendoktoren der Philosophie zu machen. Und aus dem Munde des schlechtesten und deshalb wichtigsten Menschen, der heute in Österreich zur Öffentlichkeit spricht, haben wir Schwärmer die Aufklärung empfangen, daß die Botschaft der letzten sittlichen Errettung der Menschheit ein »Handgriff« war. Man höre:

Es liegt in der Persönlichkeit des Grafen Czernin, daß er das Verschleppen und Gehenlassen nicht leicht erträgt. Er hatte sofort das Bedürfnis, das Evangelium des Präsidenten Wilson, das jedoch nicht den Frieden, sondern den Krieg bringen sollte, i n unsere diplomatische Sprache zu übersetzen. Die Menschen, die vom Schwünge seiner Rede in Budapest gefesselt waren, haben zuweilen übersehen, welche praktische Ver- anlagung sich darin zeigte und wie groß die Verlegenheit der Entente über den Handgriff war, mit der ihr eine Waffe entwunden worden ist. Nicht etwa, daß Graf Czernin die Gesinnung, zu der er sich bekannte, nicht vollständig in sich aufgenommen hätte. Der Diplomat braucht solche Meinungen als Zielpunkte, aber das tägliche Leben hat auch andere Bedingungen.

Das tägliche Leben, das tägliche Sterben. Halten wir's durch! Warten wir ab, wie lange diese Bedingungen ihre Tragfähigkeit und Geltung bewahren. Es kommt die Zeit, wo stärker als der siegreichste Staat die Erkenntnis sein wird, daß kein Macht- zuwachs, aber selbst nicht die Machterhaltung den Verlust an Lebenswerten, den sie bedingen, lohnen kann. Ich spreche gegen die Hochverräter an der Menschheit! Ich spreche irn Namen einer Irredenta des sittlichen Ideals! Die in der deutschen Ideologie befangene Welt weiß es nicht aber ich habe schon im Jahre 1914 nicht gezweifelt, daß dies ein Religions- krieg ist, geführt von der nüchternsten Welt gegen

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eine, die die eigene Nüchternheit mit abgelegten Machtfetzen »aufmachen« und gar exportieren wollte. Ich erlebe die Genugtuung, daß diese schmerzlichste Intuition nun von Männern, die im praktischen Leben das Lügen nicht erlernt haben, bestätigt wird. Weder den, der nur geahnt, noch die, welche wissen, darf es bekümmern, daß die wahren Hochverräter an der Menschheit, und am Vaterland selbst, für diese Erkenntnis den Vorwurf des mangelnden Patriotismus bereit halten. Wie es die Staaten anstellen werden, das Glück ihrer Bürger mit jenen Interessen zu vermählen, die ihnen bisher die wichtigeren waren, darüber mögen sich Politiker den Kopf zerbrechen, wenn er ihnen nur erst einmal mit Ehrfurcht vor dem Sinn des Lebens angefüllt ist. Ich habe nur zu wissen, daß jener Staat der Sieger sein wird, der die größte moralische Macht aufbietet, dem, was er bisher als Übel empfunden hat, nicht zu wehren, und der im plötzlich ausbrechenden Wettabrüsten den andern voran sein wird. Es ist unmöglich, daß der Fortschritt in der Verbreitung giftiger Gase die Entwicklung eines Gedankens aufhalten kann; es sei denn, daß es ihm inzwischen gelingen könnte, die Menschheit in einen lorbeerumhüllten Leichnam zu verwandeln. Da ich Gottseidank nur Optimist und nicht Staatsmann bin, also auch keinesweg imstande, meine Überzeugung einer noch vorrätigen Kriegs- karte anzupassen und meinen Gottesglauben erforder- lichenfalls als Handgriff einzubekennen, so kann ich nicht anders als aussprechen, was ich zugunsten der Menschheit denke. Und selbst wenn das Aussprechen auf technische Schwierigkeiten stieße ich meine da nicht nur den Überfluß an Paragraphen, sondern auch die Not an Papier, die das Erscheinen meines Wortes in Frage stellt, während sie das Erscheinen der Zeitschande ermöglicht , nun, auch dann wäre das Denken stark genug, schon ganz von selbst

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durch die Dünste eines Zeitalters zu dringen. Denn das Ärgste was dem Menschen bekanntlich passieren kann, ist, daß er einrückend gemacht wird; nie aber könnte er nicht denkend gemacht werden und selbst der tödliche Zufall, dem er ausgesetzt wird, kann an der eingebornen Disposition nichts ändern, weil ein einmal gedachter Gedanke stärker ist als eine millionen- mal vollbrachte Tat. Die Kloake in einem Schützen- graben reinigen ist überdies eine belebende Separation von der Wirkungssphäre jener, die sich dort Schatz- gräber halten, und wo immer ich innerhalb dieser Zeit stünde, mein stummer Blick träfe sie vernich- tender, als sie mir leiblich nahe kommen könnte, und darüber hinaus! Mir, das mögen sich alle Rädels- führer dieser Gegenwart gesagt sein lassen, kann nichts mehr geschehn, seitdem ich eine Mannheit, die sich auf den Wink ihrer Habsucht der Maschine ergeben hat, für entehrt halte und eine Weibschaft nicht minder, welche ihr Instinkt nicht davor bewahrt hat, hierin eine Befriedigung ihres mütterlichen oder erotischen Stolzes zu erblicken. Die Hoffnung also, daß die Menschheit um ein paar Jahre früher als sie dazu gezwungen sein wird, an Gott glaube ist vorüber. Mir bleibt keine als die, daß die Zeit, von der jeder einzelne Staat glaubt, daß sie für ihn wirke, gegen sie alle wirkt. Die Menschheit aber, wenigstens die hiesige, 'scheint sich noch mit einer andern Hoffnung fretten zu wollen. Es ist die Hoffnung man lache nicht vor dem Tragischesten, das uns dieser Karneval beschert hat es ist die Hoffnung auf Hebung des Fremdenverkehrs. Wie das? Ich will es beweisen. .

Ein englischer Journalist hatte den törichten Einfall, den Deutschen aufzubringen, daß sie »aus Kadavern«, er meinte aus Soldatenleichen, Fett gewinnen. Die Deutschen, nicht faul, faßten gleich den Plan zu einer wissenschaftlichen Arbeit, die nun im

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Auftrag des Berliner Auswärtigen Amtes flott von statten geht der Beweis ist in meinen Händen , also den Plan zu einer wissenschaftlichen Arbeit zu internatio- nalen Propagandazwecken, wie es ausdrücklich heißt; sie sammeln wirklich und wahrhaftig Material, aus dem hervorgehen soll, daß die Engländer und Franzosen schon seit jeher aus Menschenleichen Fett und öl produziert haben. Diese Kulturpropaganda hat in den Tagen unserer Postulate nach einem Verständi- gungsfrieden praktisch eingesetzt. Der Unglücks- mensch, ein gewisser Schultze, den das Amt mit dieser Arbeit betraut hat, ist von einem Spaßvogel in Hamburg dazu verführt worden, mich um fach- männische Unterstützung, »aus dem Schatze meiner Kenntnisse« wie er sagt, anzugehen, wobei das Wort »ausgerechnet« zum erstenmal seit dessen Entstehung am Platz sein dürfte. Wollte ich das Dokument vorlesen, man würde an die Geistes- verfassung in Alldeutschland mit gesträubten Haaren glauben lernen. Das Werk wird den Titel führen: »Grab- und Leichenschändungen durch Engländer und Franzosen«, die deutsche Wissenschaft ist am Werke. Und Österreich? Österreich hat dafür den Fremdenverkehr. Das heißt, es hat ihn nicht und das war sein Verderben. Man lache nicht! Was, es mit der Fettgewinnung aus Soldatenleichen zu schaffen hat? Es ist das nämliche; man höre:

Der Fremdenverkehr nach dem Krieg.

Äußerungen des Leiters des niederösterreichischen

Landesverbandes für Fremdenverkehr Generalsekretär

Hauptmann Gerenyi.

Bekanntlich fand dieser Tage i m A n s c h 1 u ß an die Tagung der ärztlichen Abteilungen der waffenbrüderlichen Vereinigungen ein Gedankenaustausch unter Vertretern der FachgruppenfürFremdenverkehrder waffenbrüderlichen Vereinigung Deutschlands, Ungarns und Österreichs statt. Nun

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werden selbst verständlich die französischen und belgischen Fremden- verkehrsplätze aller Voraussicht nach von den Reichsdeutschen nicht aufgesucht werden. Für. die Nordseebäder bietet ja die deutsche Küste ausreichenden Ersatz. Die französische Riviera mit ihren klimatischen Vorzügen als Frühlings- und Herbstaufenthalt zu ersetzen, dazu ist sicherlich die österreichische Küste der Adria vorzüglich geeignet, die demnach auch einen großen Fremdenzufluß zu erwarten haben wird. Außerdem werden die Alpenländer mit ihren hervor- ragenden Kriegserinnerungen einen Anziehungspunkt des mitteleuropäischen Reisepublikums bilden, wie schließlich auch der pietätsvolle Besuch der Helden- gräber und Soldatenfriedhöfe eine lebhafte Verkehrs- bewegung zur Folge haben wird. Es handelt sich ja, unser Haus wiederum zu bestellen. . . .

Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben! sagt Jesajas. Und nichts, was wir seit dem 1. August 1914 mit starren Augen gelesen haben, vermöchte an dieses hinanzureichen. Gefallen zur Hebung des Fremdenverkehrs! Keine Heiterkeit, die sonst mit den Hanswurstiaden unserer Fremden- verkehrssehnsucht verbunden bleibt, dämpfe das Grauen dieser Idee. Als die Reste des Regiments von Uszieczko vor einem Theaterparkett defilieren mußten, wähnte ich, die Entmenschung sei nicht mehr zu überbieten. Nun aber sollen die Toten des Regiments zur Parade vor den zahlenden Besuchern! Gefallen zur Hebung des Fremdenverkehrs! Nein, aller Abscheu vor allem, was diese Zeit uns angetan hat, trete scheu zur Seite vor diesem Plan. Meine Metapher ist wahr geworden: Wir lugen, schrieb ich, noch auf Leichenfeldern nach einem Fremden- verkehr und wir können es uns nicht versagen, schrieb ich, die endlich herankommenden Hyänen zu würzen. Nun wird es mir buchstäblich erfüllt! Die Gesellschaft, die nach Heringsdorf ging, ehe sie der Menschheit den Krieg ansagte, soll unsere Soldatengräber besichtigen kommen, so hoffen wir Waffenbrüder. Wenn sich der noch lebendige seelische Rest in uns gegen diese Erfüllung, gegen diese

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Erwartung nicht aufbäumt, so werden es die irdischen Reste unserer Toten tun! Und wenn sie's nicht tun, weil selbst der Tod von dieser Diebszeit um sein Wunder geprellt wurde, wenn sich unter uns kein Rächer dieses Frevels erhebt ich werde fern von der Landesgrenze sein, innerhalb deren es sich begeben soll, in Gegenden, in denen die Sprache, die ich schreibe, nicht gesprochen und darum besser verstanden wird. Die Fremden mögen kommen um einen Einheimischen, der diese Blütenträume reifen sieht, wird es weniger geben. Ich bestelle mein Haus! Ich gehe zu den Fremden! Keine Macht wird stark genug sein, mich bei lebendigem Leib zu zwingen, der Mitbürger jener Menschen zu bleiben, die es erdacht haben und die es geschehen ließen. Denn nie, solange ich Atem habe, werde ich zugeben, daß mir meine Freunde getötet wurden, damit einer aus Berlin, der daran verdient hat, ihre Gräber besichtigen könne und Geld unter die Leute komme. Solange es unwidersprochen bleibt, solange nicht feierlich kundgemacht wird, daß es nie gesprochen wurde, erkläre ich den Staat und jeden seiner Bürger, die es gelesen oder durch meinen Bericht empfangen haben und es dennoch geschehen ließen, alle Amtlichkeit und Sozietät an dem Gottes- frevel für mitschuldig! Unwürdig des tragischen Inhalts dieser durchlittenen Jahre! Unwert der Ehre, daß ein toter Soldat in den Alpen begraben liegt! Und wehe der Gewalt, die die Wirksamkeit dieses Fluches anzutasten wagt!

Vorlesungen Karl Krau

Kleiner Konzerthaussaal

(III. Lothringerstraße 20)

Im Oktober:

Sonntag, 13., 6 Uhr

Donnerstag, 17., */2j7 Uhr

Sonntag. 27., 0 Uhr

Im November:

Freitag- 1.» 4 Uhr: Aus drei Akten des »Timon von Athen» und »Hanneie Matteres Himmelfahrt«

(mit M'iSikbegiettwg) (Unbestimmt :)

Sonntag, 10., 3 Uhr Sonntag, 17«, 3 Uhr Sonntag, 24., 3 Uhr

(Bei den Voiüescngcn aus eigenen Schriften ein Teil des Ertrags, ^H bei den anderen der volle Ertrag für wohltätige Zwecke.)

KARTEN an der Konzert hau ska^sa, HE. Loth ringt straße 25, bei Kehlendorfer, I. Krugerstraße 3 und dzr Buchhandlung Richard Lfiayi, I. Karntnerstraße 4

Herau5»ebrt nnti «r!#brarÜtetier Redakteur: Karl Kraus

HUV. lykO 1>X\.. *477/^^^J^ ^^ -fx-nk.- umu'

E FACKEL

HERAUSGEBER

KARL KRAU

INHALT:

Weltgericht / Lied des Alldeutschen / Mir san ja eh die reine -amperln / Österreichs Fürsprech bei Wilson / Heldengräber Hausmannskost / Absage / Die Sintflut.

Mit einem Bild

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Preis dieses Heftes:

60 Heller = 50 Pfennig:

VERLAG: ,DIE FACKEL', WIEN

m/2. HINTERE ZOLLAMTSSTRASSE 3 TELEPHON Nr. 187 ERSCHEINT MINDESTENS VIERMAL IM JAHRE.

VORLESUNG KARL KRAUS

Sonntag, 24. November, 3 Uhr: Aus eigenen Schrifter

VERLAG DER SCHRIFTEN VON KARL KRAU

(KURT WOLFF)

1908 SITTLICHKEIT UND KRIMINALITÄT 2. Auflaj

1909 SPRÜCHE UND WIDERSPRÜCHE 3. Auflaj

1910 DIE CHINESISCHE MAUER demnächst 4. Auflaj

1911 HEINE UND DIE FOLGEN 3. Auflaj

1912 PRO DOMO ET MUNDO 2. Aufla 1912 NESTROY UND DIE NACHWELT

1916 WORTE IN VERSEN I demnächst % Aufla

1917 WORTE IN VERSEN II

1918 WrORTE IN VERSEN III Im Druck: NACHTS

UNTERGANG DER WELT DURCH SCHWARZE MAG Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und durch den Verl Leipzig, Kreuzctraße 3b

Im Frühjahr 1918 erschien:

KARL KRAUS UND DIE SPRACHE

VON LEOPOLD LIEGLER Preis K 1.50 (M 1.— )

Verlag der Buchhandlung Richard Länyi, Wien, I. Kärntnerstr. 4

DIB JR iV O K J3> I

erscheint In zwangloser Folge. Das Abonnement erstreckt sich nicht auf einen Zeitraum, sondern auf c bestimmte Anzahl von Nummern. Für Österreich-Ungarn: Fürdas Deutsche Reich: Weitpostverein:

36 Nummern K 9.— 36 Nummern Mk. 8.— 36 Nummern K 12.-

INHALTdesvorigen,fünfzehnfachenHeftcs484/498,15.0ktoberl91 Ausgebaut und vertieft / Glossen / Auf hoher See / Inschriften Ein Mord im Weltkrieg / Glossen / Ein Staatsverbrechen Shakespeare und Jugend / Krieg / Ich und das Ichbin Meinem Franz Janowitz / Die letzte Nacht / Meinem Frs Grüner / Notizen / Der Bauer, der Hund und der Soldat •sungen in Berlin / Glossen / Das verjüngte Österreich Gerüchte / Glossen / Ein* prinzipielle Erklärung.

-ichst erscheint cm Sonderheft der Fackel außerhalb des Abonneme I und im Verlag erhältlich. Preis: K 2- I

ung für den Buchhandel: Richard Länyi, Wien.)

Deutsche Ansichtskarte

Franz Josef Huber's Kunstverl.-Anst. -München

UNSER KAISER IN HARNISCH!

In Treue und [jJljjj in Waffen fest!

»Wir Deutsche fürchten Gott und sonst absolut nichts und niemanden auf dieser Welt!«

Aus der Rede S. M. Wilhelm II., gehalten an Bord S. M. S. »Viktoria Luise« .

DIE FACKEL

Nr. 499—500 20. NOVEMBER 1918 XX. JAHR

Anfang Oktober 1918

Weltgericht

Der bis zum letzten Hauch von Mann und Roß beschworene Glaube, daß die Welt gottbehüte am deutschen Wesen genesen werde, ist begraben. Die Hoffnung, daß sie vom deutschen Wesen genesen werde, lebt auf. Und gottlob auch die Hoffnung, daß es von sich selbst genesen werde, zurückfinden von dem seinem Wert und seiner Sprache ungemäßen Wahn zu sich selbst und seinen guten Geistern, vom Export zu dem Platz an der Sonne seiner Naturgaben. Ehre einem verunglückten Volk, das sich bis zur Erkenntnis aufgeopfert hat Schande seinen Verleitern, mag nun Tücke oder Dummheit das größte aller welt- geschichtlichen Verbrechen begangen, das größte aller weltgeschichtlichen Opfer bewirkt haben! Das Erlebnis aber, daß eine Anschauung, zu der man sich als einer von den wenigen bekannt hat, von den vielen geteilt wird und fast gefahrlos geworden ist, und daß es nicht mehr den Kopf kostet, ihn behalten zu wollen ; dieses überraschende Abenteuer eines völligen Kurssturzes der Phrase, des Eintretens in das letzte, bitterste und doch beglückende Stadium der Nibelungenreue; diese rapide Verwandlung des Kühnsten in das Selbstverständliche enthebt mich nicht der Pflicht, es zu bekennen. Man bleibt doch immer der, der schon bei einem Durchbruch von Gorlice und noch früher, ja am ersten Tag dieses Spießrutenlaufs durch das Spalier der mechanisierten Phantasiearmut, an all diesen krieg- verlängernden Siegen vorbei, entlang dieser Tobsucht

einer Quantität, die nicht den Mut hatte, sich selbst zu berechnen geahnt, nein gewußt hat, daß mit einer von keinem Shakespeare zu erreichenden tragischen Folgerichtigkeit die Befreiung aus dem Zwang des Idols erfolgen und daß eines Tages, leider noch vor dem leiblichen Jammer, die größere geistige Not beendet sein werde, die da geboten hat, aus der Verächtlichkeit eine Tugend, aus der Verhaßtheit einen Erfolg, aus der Nichtswürdigkeit eine Ehre zu machen. Wollte man in den Gespenster- reichen dieser Lebensmittelmächte gespensterhaft deshalb, weil hier Börseaner die Sprache der Grüfte redeten und weil darin Macht war, Grüfte zu füllen, die Macht von Technik und Romantik in Einem, die Macht der sich automatisch entzündenden Phrase wollte man heute hier eine Abstimmung veranstalten, welcher Mitteleuropäer wohl am weitesten von der Möglichkeit entfernt war, einen Wehrmann zu benageln oder gar einem eisernen Hindenburg etwas ins Auge zu stoßen oder dem Geschmack jener Tage sonst was zuliebe zu tun, wo Fibel und Chemie, Ornamentik und Organisation, Schwachsinn und Bestialität Schulter an Schulter ihre unnennbaren Offensiven gegen die Menschenwürde unternahmen wohl wäre ich einer unter den wenigen, die in die engere Wahl kämen und denen nachgesagt werden müßte, daß sie sich weigernd und wehrend der heiligen Pflicht, diese unheilige Zeit zu vertreiben, entsprochen haben. Man wird mir, wenn man mir in diesen zweitausend Seiten der Kriegsfackel einem Bruchteil von dem, was technische und staatliche Hindernisse mir begrenzt haben keine positivere Leistung zuerkennt, immerhin das Zeugnis ausstellen, daß die schmutzige Zumutung der Macht an den Geist: Lüge für Wahrheit, Unrecht für Recht, Tollwut für Vernunft zu halten, von mir tagtäglich mühelos abgewiesen wurde. Denn der bessere Mut war der meine, im eigenen Lager den Feind zu

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sehen! Und wer die Furcht vor der wirkenden Macht nicht gekannt hat, dem, nur dem, steht es auch zu, kein Mitleid mit der gebrochenen Macht zu kennen. War doch die Gemütsverfassung, mit der ich mich vor das Angesicht dieser höchst subalternen Gewalttäter gestellt habe, durch alle Trauer hindurch, durch allen Schmerz und alle Scham hindurch stets die einer unbesiegbaren Heiterkeit. Und solche Zeugenschaft ist opfervoll genug. Denn gäbe es ein schwereres Durchhalten als lachen zu müssen, wo man aufschluchzend in den letzten Wald rennen möchte, den dieses organisierte Verhängnis noch nicht vergast hat? als das Unvermögen, einer Glorie, die in einer verelendeten, verhungerten, verlausten, verluderten Welt umging und in Rucksäcken ihre Lorbeern trug, die Glorie zu glauben? als den Fluch, standzuhalten diesem elenden Komplott von Schindern und Schiebern, das ein Volk mit dem Fusel des Schlacht- ruhms besoffen gemacht hat, um es abzuschlachten, und abgeschlachtet hat, um es auszurauben! Diesen Allerhöchstverrätern, die keinen Vorwand vater- ländischer Ehre gescheut haben, um sich selbst zuliebe den schuftigen Griff in die fremden Lebensgüter zu begehen; die mit jedem Atemzug jene abgelebten Vorstellungen geschändet haben, in deren Namen sie über Leben, Glück, Jugend, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Recht und Besitz der andern verfügten; hinter Fahnen ihr Diebsgeschäft betrieben und, herzlose Verwalter des feigen Maschinentods, die Menschheit an das Vaterland verraten haben und das Vaterland an ihre Niedertracht. Nun aber welche Wendung durch Gottes Fügung! Nun aber welche Atempause! Welch ein Lauschen auf den großen Hammer am Tor dieser Zeit; welch ein Spähen nach dem Licht, das in die Nacht dieser geistigen Burgverließe dringt; welch ein Beben in den Basalten, die nicht zu haben, Amerika es besser hat! Wenn dies keine Wende ist,

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hat der Planet noch keine erlebt! Wenn hier kein Fortinbras naht, hat es nie Trümmer einer Herrschaft gegeben, war nie eine aus den Fugen gegangene Zeit einzurichten. Wie Horatio empfange ich ihn:

Und laßt der Welt, die noch nicht weiß, mich sagen, Wie alles dies geschah; so sollt ihr hören Von Taten, fleischlich, blutig, unnatürlich, Zufälligen Gerichten, blindem Mord; Von Toden, durch Gewalt und List bewirkt, Und Planen, die verfehlt zurückgefallen Auf der Erfinder Haupt: dies alles kann ich Mit Wahrheit melden.

Und werde, da sie alle schon, diese- Macht- und Unrechthaber in der Nachbarschaft ihres Schicksals leben, dazu helfen, daß auch ihre Helfer, ihre Verführer, die Handlanger ruchlosesten Tag- werks, die journalistischen Rädelsführer dieses blutigen Betrugs, die Dekorateure des Untergangs, die Rekommandeure der Leichenfelder, die unfaß- baren Berichterstatter dieses tragischen Karnevals dingfest gemacht werden. Auch verbürge ich mich dafür, daß es dahin kommen wird, daß alle jene, die, soweit das Gehirnweichbild dieser Stadt sich dehnt und solange die Belange dieses Reiches reichen, eine der Blutpressen noch halten, für ehrlos erklärt werden. Weh dem, der den anonymen Henkern das neue Geschäft fördern wollte, ihnen, die nun, weil der wortgeborne Mord nicht mehr Gewinn, sondern Gefahr bringt, schon daran sind, die Mensch- lichkeit in eine Phrase zu verwandeln! Der panikartige Übergang ganzer Divisionen von Tellerleckern zu Wilson, die elende Bereitschaft, die Konjunktur des neuen Weltgefühls auszunützen, wird weder die Parasiten des entthronten Ideals noch deren ganzen Anhang davor schützen, erkannt und nach den Verdiensten ihrer doppelt gezählten Kriegsjahre

behandelt zu werden und so wahr mir Gott helfe, ich werde es mir angelegen sein lassen, daß alle jene, denen vierzehn fernhintreffende Punkte heute fast so imponieren wie gestern ein hundertzwanzig Kilometer-Geschütz, für eine Auszeichnung bei der nun weltmaßgebenden Stelle »eingegeben« werden. Gewaltiger als die Reue über die Tat fasse uns der Ekel am Wort und nehme so Besitz von den Gemütern, daß wir uns nie wieder Gut und Blut von jenen unverant- wortlichen Organen herauslocken lassen, die den Ruf des Vaterlands mißtönender wiedergaben und die sich nun unter den Stimmen des ewigen Friedens verstecken möchten. Wenn die große Zeit, die in unserer Zone die niedrigste war, nun endlich daran ist, eine große Zeit zu werden, so wird sie es uns sein, wenn wir dem unbrauchbaren politischen Hausrat mit einem zweiten Ruck auch allen geistigen Unrat nachwerfen, allen Trödel ausrangierter Vorstellungen und alles Inventar der professionellen Wortverbrecher und sie selbst! Es kommt der Tag, wo die Embleme und Ornamente der überstandenen Glorie uns zu ü bernächtigem Grauen anstarren werden wie Faschings- masken und fahle Schminkgesichter bei Sonnenlicht. Aber wenn wir, großmütig wie wir Menschenkinder sind, weil wir um eines Strahles der Freiheit willen gern alle Fieberträume der Nacht vergessen, die staatlichen Träger und Diener jener tödlichen Ideale pardonnieren möchten, und weil wir Mitleid mit ihrer Dummheit haben Gott schütze uns vor der Gnade, die wir an die publizistischen Zwischen- träger und Nutznießer vergeuden würden, an die Schriftgelehrten, die es schwarz auf rot gaben, als die Menschheit gekreuzigt wurde. Feder für Feder, Schuft für Schuft sollen sie uns das Blutbad, das sie uns gerüstet und gepriesen haben, ausgießen!

Lied des Alldeutschen

Barbarische Melodie

29. Oktober 1918 Nun, da die angestammte Verächtlichkeit Österreichs vor der von Gottes Gnaden fortgefristeten Hassenswürdigkeit Preußens um Beachtung ringt; da unser weiland Staat mit seinem letzten Seufzer bekundet hat, daß er seiner historischen Mission, zu spät Verrat zu üben, treu bleiben wolle; da ein Seelenbund, in dessen Namen die Welt zum Teufel gehen mußte, sich offiziell in jene Jauche aufgelöst hat, in der unser aller Leben schon erstickt war kann das gerechte Ohr des unerbittlich Zurück- hörenden das gräßliche Geräusch, den Lebens- und Todesinhalt dieser Jahre nicht vergessen, derin den folgenden Strophen mi'geteilt ist. Der Treubund mit diesem Partner war immer unmöglich, seine Lösung immer notwendig, zu Zeiten eine Ehrenpflicht; zu spät erfolgt, ist sie fast so unsittlich wie der Vertrag. Daß aber Österreich ein Opfer seiner tragischen Bestimmung ist, in ein schiefes Licht hinter dem Platz an der Sonne zu kommen, kann nicht vergessen machen, für welche Ideale es die ihm ungemäße heroische Montur durchgehalten hat. Dieses Lied, entstanden im Juli 1917, ist am 16. Dezember 1917 und am 27. März 1918 vorgetragen worden. Das erstemal: in der Stunde der Nachricht über den Waffenstillstand mit Rußland, des Auftakts zu Brest-Litowsk. >Trotz einer Extra- ausgabe« — so war der Vortrag eingeleitet >bleibt das I\uplet, das ich im Sommer verfaßt habe, leider Gottes aktuell, denn nach meiner wenn auch unmaßgeblichen, so doch öfter bewährten Ansicht bedeuten nicht nur Siege eine Verlängerung des Kriegs, sondern sogar Waffenstillstände den Beginn des Kriegs. Das Kuplet erschöpft das Problem Deutschlands an- nähernd so sehr, wie Deutschland die Welt.*) Das Unsägliche findet seinen Ausdruck in einer beispiellos barbarischen Melodie.« (Das musikalische Nachspiel stellt das Gelächter des Auslands dar.) Heute, da das Lied so tragisch verstummt ist, mag es die

*) Es erklärt ganz wie jene Ansichtskarte den Krieg, den Deutschland der Welt erklärt hat.

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zurückhörenden Zeitgenossen in jeder Strophe, nur zum Glück der Nachwelt in den letzten nicht, an seine furchtbare Wahrheit erinnern.

rtltmttiJ'J,

Ob unter See, ob in der Luft,

wen Kampf nicht freut, der ist ein Schuft.

Doch weil das Schuften ich gewohnt,

so schuft' ich nicht bloß an der Front,

ich kämpf auch schneidig und gewandt

und halte durch im Hinterland,

ich schufte früh, ich schufte spat,

die Schufte das erbittert hat.

Nur feste druff! Ich bin ein Deutscher!

Im Frieden schon war ich ein Knecht,

drum bin ich es im Krieg erst recht.

Hab stets geschuftet, stets geschafft,

vom Krieg alleine krieg' ich Kraft.

Weil ich schon vor dem Krieg gefrohnt,

hat sich die Front mir auch gelohnt.

Leicht lebt es sich als Arbeitsvieh

im Dienst der schweren Industrie.

Heil Krupp und Krieg! Ich bin ein Deutscher!

Ich scheue keine Müh' und Plag',

zu wenig Stunden hat der Tag.

Daß fester steh am Rhein die Wacht,

hab' ich die Nacht zum Tag gemacht.

Weil vor dem Krieg ich nicht geruht,

drum gibt es Krieg und uns gehts gut.

Wir schlagen uns mit Vehemenz

und schlagen kühn die Konkurrenz.

In Not und Tod: ich bin ein Deutscher!

Ich geb' mein deutsches Ehrenwort:

wir Deutsche brauchen mehr Export.

Um an der Sonne 'nen Platz zu haben,

gehn wir auch in den Schützengraben.

Zu bessrer Zukunft Expansionen

hilft uns so unbequemes Wohnen.

Einst fragt' ich nicht nach Gut und Geld,

der neue Deutsche ist ein Held.

Der neue Deutsche ist ein Deutscher!

Krieg dient uns, damit Waffen sind, wir drehn den Spieß, wer wagt gewinnt. Das Lebensmittet ist uns Zweck, drum nehmen wir vorlieb mit Dreck. Wir mischen Handel mit Gebet, die Kunst im Dienst des Kaufmanns steht. Es war einmal, doch jetzt ist's aus, Walhalla ist ein Warenhaus. Für Ideale lebt der Deutsche!

In solchem Leipziger Allerlei

lebt es sich fromm, jedoch nicht frei.

Fehlt es dann aber auf dem Tisch,

lebt es sich fröhlich, doch nicht frisch.

Lebt von der Hand sichs nur zum Mund,

so ist das Leben ungesund.

Denn mehr noch von dem Mund zur Hand

hält durch des Deutschen Vaterland.

Von Idealen lebt der Deutsche!

Für dies Prinzip, und es ist gut, schwimmt heute der Planet in Blut. Für Fertigware und Valuten muß heut' die ganze Menschheit bluten. Nehmt Gift für Brot, gebt Gold für Eisen und laßt den deutschen Gott uns preisen! Gebt Blut habt ihr das nicht gewußt? für Mark: das ist kein Kursverlust! Darum erhofft Profit der Deutsche!

Steht unsre Sache mal so so,

gibt Wahrheit uns das Wolffbüro.

Doch geht die andre Wahrheit aus,

verköstigen wir uns doch im Haus.

Fehlt selbst das Fremdwort Surrogat,

wir Deutsche wissen dennoch Rat.

Wir setzen prompt an seinen Platz

das gute deutsche Wort Ersatz.

Auf deutsch gesagt: ich bin ein Deutscher!

Der Hungerplan wird ausgelacht,

den Willen haben wir zur Macht.

Im U-Boot sitzend lachen wir

und sagen einfach: Machen wir;

um Zeit zu sparen, auch: m. w.

Die Schiffahrt lernt man auf der Spree.

Was nützt den Feinden alle List,

die Mahlzeit machen wir aus Mist.

Nicht unterkriegt der Krieg den Deutschen!

Und wenn die Welt voll Teufel war',

die Fibel sagt: Viel Feind, viel Ehr.

Drum: Deutschland über alles setzt

sich kühn hinweg zuguterletzt.

Weil bei uns alles schneidig ist,

die ganze Welt uns neidig ist.

Gott weiß allein, wir sind so brav,

wir wünschen, daß er England straf.

Beim deutschen Gott, ich bin ein Deutscher!

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Wir preisen Gott auf unsre Weise

wie vor dem Krieg zum alten Preise.

Zur Ehre Gottes, des gerechten,

woll'n wir auch gern im Schatten fechten.

Gäb's alleweil nur Sonnenschein,

man könnt' des Lebens sich nicht freun.

Das wahre Glück bringt Schießen nur,

drum gaudeamus igitur.

Ein muntrer Bursche bleibt der Deutsche!

Das eine aber weiß ich nur,

wir Deutsche haben mehr Kultur.

Kultur, bei allen andern Gaben,

ist mit das Beste, was wir haben.

Wir schwärmen für die Schlachtenlenker,

doch sind wir auch das Volk der Denker.

Gern woll'n für Schillern und selbst Goethen

wir ein »Denn er war unser« beten.

Mit Bildung schmückt sein Heim der Deutsche!

Deutsch ist das Herz, deutsch der Verstand, mit Gott für Krupp und Vaterland! Die Grenzen sichert Hindenburch, im Innern halt' ich selber durch. Wir Deutsche haben zu viel Glück; gehn wir bescheiden drum zurück, nimmt man, des Sieges sich zu freun, die eigne Siegfriedstellung ein. Hurra! sagt in dem Fall der Deutsche!

Wir sagen stolz: Viel Feind, viel Ehr'!

Belegte Brötchen gibts nicht mehr.

Und mangels derer unentwegt

die Welt mit Bomben wird belegt.

Uns hilft die deutsche Wissenschaft

nebst Gott, der eben England straft

und der den Menschen nur erschuf,

zu dreschen immer feste druff.

Denn Gottes Ebenbild ist nur der Deutsche!

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Noch lieber laßt uns als den Feind die Phrase dreschen, die uns eint. Am Ende wird die Wahrheit stehn: Der Kampf wird bis zum Ende gehn! Wir sorgen, daß uns nicht entgeh' das erzne Becken von Briey. Der Friede uns nicht intressiert, eh wir die Welt nicht annektiert. Die wenigstens gehört dem Deutschen!

Es geht uns doch nur um die Ehr'.

Nein, Belgien geben wir nicht her!

Wir halten rein das Ehrenkleid;

in Ehre wissen wir Bescheid.

Der Endsieg unser Recht beweist:

die Welt wird von uns eingekreist!

So muß und wird es uns gelingen,

die Pofelware anzubringen.

Ja, made in Germany ist doch der Deutsche!

Nur weil man etwas Sonne braucht,

haben wir die Welt in Nacht getaucht.

Mit Gift und Gasen, Dunst und Dämpfen

woll'n bis zum jüngsten Tag wir kämpfen.

Denn bis wir Gottes Donner hören,

muß unsrer uns Ersatz gewähren.

Drum überall und auf jeden Fall

braust unser Ruf wie Donnerhall.

Ist das nicht praktisch von dem Deutschen?

Schon brennt die Erde lichterloh dank unserm Fenriswolff-Büro. Solang es andere Völker gibt, ist leider unsres nicht beliebt. Wo man nichts auf die Waffe setzt, wird unsre Leistung unterschätzt. Die Welt will weniger Krawall, und unsrer braust wie Donnerhall. So hört man überall den Deutschen!

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Nach'm Krieg wird noch mehr Arbeet sein

und noch mehr Krieg und noch mehr Pein.

Wie freue ich mich heut' schon drauf,

die Liebe höret nimmer auf.

Ach, wenn nur schon der Friede war',

damit ich seiner müde war' !

Es gilt die Technik auszubaun.

Zum U-Boot haben wir Vertraun.

Den Fortschritt liebt nun 'mal der Deutsche

Wir woll'n die Wehrpflicht dann verschärfen,

die Kleinen lehren, Flammen werfen.

Wir woll'n indes auch für die Alten

die Kriegsdienstleistung beibehalten.

Was wir gelernt, nicht zu verlernen,

laßt uns vermehren die Kasernen.

Die Welt vom Frieden zu befrein,

steht fest und treu die Wacht am Rhein.

Aus der Geschichte lernt der Deutsche!

Und wenn die Welt voll Teufel war',

und wenn sie endlich menschenleer,

wenn's endlich mal verrichtet ist,

und jeder Feind vernichtet ist,

und wenn die Zukunft ungetrübt,

weil es dann nur noch Preußen gibt

nee, darauf fall'n wir nicht herein!

Fest steht und treu die Wacht am Rhein !

Und weiter kriegt und siegt der Deutsche !

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Mitte Oktober 1918-

Mir san ja eh die reinen Lamperln

Was Schiedsgericht und Völkerbund!

Sie Kellner, bringen S' ein paar Stamperln!

So etwas brauchen wir nicht und

mir san ja eh die reinen Lamperln !

Was Völkerbund und Schiedsgericht!

Wenn wir die Friedenspfeife rauchen,

so brauchen wir so etwas nicht,

denn mir wer'n doch kein Richter brauchen !

Kennt uns der Wülson von der Näh', macht sich die Weltgeschicht' von selber. Und Euer Gnaden wissen eh', die Hölle ist noch weit schwarzgelber.

Im Ernstfall wär'n wir ja geschnapst, die Welt soll Österreich nicht verlieren ! Drum wird, so hoffen wir, der Papst uns doch beim Wülson protegieren.

Der Wiener geht nicht unter und dann geht die G'schichte wie am SchnürL Gehn wir schon in den Völkerbund, so gehn wir durch ein Hintertürl !

Da kann man halt nix machen, doch es macht sich alstern alles gütlich. Wir pfeifen aus dem letzten Loch, doch pfeifen wir noch sehr gemütlich.

Wir hab'n ja niemanden gekränkt,

ich bitt' Sie, weg'n dem bisserl Sengen !

Zwar hab'n wir viele aufgehängt,

doch lass'n wir unsre Köpf nicht hängen.

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Dagegen hängt uns zum Genuß seit je der Himmel voller Geigen. Das werden wir beim Friedensschluß den Feinden wie den Freunden zeigen.

Da von der Nibelungen Spur wir uns ein Alzerl westwärts wandten, verlor'n wir doch nicht den Hamur, wir Burg- und Bettelmusikanten.

Nur zugeteilt, nicht aufgeteilt ! Als a Ganzer sein, wenn auch als Torso! Rasch sind die Wunden dann verheilt und nix mirkt man am Grabenkorso.

Mit der Ernährung hat es zwar noch vorderhand so manchen Haken. Doch heißen wir, das ist doch klar, dereinst das Volk noch der Phäaken.

Wir nannten unsere Helden brav, sie haben tapfer sich geschlagen und Jud und Christ, Portier und Graf sie werden sich Hab die Ehre sagen.

Wie schnell die große Zeit vergeht! Wem S' sehn, Euer Gnaden, auf die Wochen wird allseits, wie's da geht und steht, wieder von vorn in 'n Arsch gekrochen.

Auf demokratisch tut's es nicht, die Richtung wird uns wenig frommen. Wir woll'n nicht wegen der Weltgeschicht' um Eigenart und Trinkgeld kommen!

Was Völkerbund ! Das is doch stier !

Sie Kellner, bringen S' noch paar Stamperln !

Was Selbstbestimmung! Mir san mir,

und mir san eh die reinen Lamperln !

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Anfang Oktober 1918

Österreichs Fürsprech bei Wilson

Damit man an einem Beispiel sehe, von welcher Individualität sich die deutsch-österreichische Bürger- schaft die Lust zu diesem Kriege und hinterdrein die Reue hat beibringen lassen, sei die folgende Konfron- tierung zweier Dreckseelen, die in einer Brust wohnen, einer schlecht unterrichteten Mitwelt dargeboten und an eine besser zu unterrichtende Nachwelt weitergegeben. Das publizistische Ungeheuer, dessen Feder die Prokura des Blutschachers gerührt hat und dessen Wort, wenn nicht durch seine Feilheit, so durch die abscheuliche Klangfarbe einer zwischen Frechheit und Feigheit lebenden Gesinnung in die verhärteten Ohren dieser Zeit dringen- müßte, der unsittlichste Vertreter der mitteleuropäischen Öffentlichkeit hat durch Monate die hochherzige und weise Entschließung des Präsidenten Wilson als die Finte eines Pharisäers, als den moralheuchlerischen Vorwand eines Kriegs- gewinners in allen Rassetönen beschrieen und sein redlich Teil der Schuld an einem aussichtslosen Blutverlust übernommen. Und zwar so:

WennausderBotschaftWilsons nicht hundert- tausend Leichen herausstarrten, wenn sie nicht für Millionen neues Verderben, Krankheit und Hunger bedeutete, würde es verlockend sein, die Fertigkeit zu schildern ....Erwill seinen Krieg haben.... Die vierzehn Friedensbedingungen sind auch ein Plan der künftigen Landverteilung . . . . Die Unwahrhaftigkeit von Grundsätzen, die nicht für das eigene Land und nur für andere gelten sollen, ist vielleicht auch Hochmut, der im Deutschen und Österreicher untergeordnete Wesen sieht. . . . Die Botschaft hat natürlich auch den Zweck, die Verhandlungen in Brest- Litowsk zu sprengen, eine Arbeit, die Präsident Wilson übernommen hat, wie schon früher aus mancherlei Beziehungen zu Petersburg zu merken war. Präsident Wilson verdächtigt und hetzt.

Dasselbe Individuum, das jedem veränderten Kurs mit dem Bekenntnis gerecht wird, daß man

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sich in einen eben noch begeiferten Gegner »hinein- denken« müsse, weiß nun um Wilson wie folgt Bescheid :

Fr ist eine Persönlichkeit.... Er hat die Fähigkeit, die Einbildungskraft eines großen Landes zu erfüllen, und so ganz ist es seinem Willen Untertan, daß er nirgends Widerspruch zu fürchten braucht ....

Das große Land ist natürlich Amerika.

Wir müssen versuchen, in Wilson uns hinein- zudenken . . . . Wir müssen uns vorstellen, daß Wilson aus seinem innersten Gefühle sich für berufen hält, den demokratischen Gedanken zur Regierungsform der Weltgemeinschaft zu erheben, und daß er für diese Politik, die sich bei ihm bis zum Glaubenssatze steigert, genau so einen Feldzug unternimmt, wie Gustav Adolf über die Ostsee nach Deutschland gekommen ist, um für die protestantische Religion im dreißigjährigen Kriege zu kämpfen .... Denn jeder Mensch pflegt nach dem Antriebe seiner Natur zu handeln. Präsident Wilson hat puritanische Eigenschaften. Die vierzehn Punkte und deren Ergänzungen sind für ihn die neuen Gesetzestafeln für das kommende demokratische Zeitalter, u n d der Hügel, auf dem das Weiße Haus steht, ist der neue Berg Sinai . . . . Das Hochgefühl eines Erfolges wird Präsident Wilson haben. Die Entente mag sagen, was sie will; ohne seine Truppen, seine Lieferungen, sein Geld und seine Nahrungsmittel wäre sie jetzt in starker Bedrängnis....

Die puritanische Richtung seines innersten Wesens zeigt sich auch in dem fast biblischen Apostolat für ein mit Zwangsgewalt ausgestattetes Völkerrecht. Wenn das Recht eine Macht hätte, die größer wäre als die der Armeen, w ürde das Reich des beständigen Friedens anbrechen. Dann könnten die Rüstungen aufhören, die Schäden des Krieges rascher heilen, und die Summen, die für die Truppen ausgegeben worden sind, der allgemeinen Wohlfahrt dienen. Das paßt so ganz zu seiner Persönlichkeit, dieses Hinein- bohren in einen Rechtsgedanken, diese Erhöhun Rechtsbegriffes und des Rechtsschutzes .... Redlich enFrieden^ willen kann er nicht verwerfen.

Helfe Gott, daß er es nicht tue. Aber wenn er es nicht tun wird einen Fußtritt wird er doch, hoffen wir, übrig haben für solchen Fürsprech ! Und für alle jene, die das Stahlbad, das sie gerühmt haben, überleben konnten und sich nun auch aus der kalten Dusche retten möchten!

17

November 1918

Heldengräber

Es reut uns fürs Leben. Und auf dieser Sünde nie Freude, nie Glück, nie mehr Hoffnung sich gründe.

Es reut uns wohl alle, die wir's nicht verschuldet, uns reut die Geduld, mit der wir's geduldet.

Es reut uns, daß nächtlich im Bette wir ruhten bei diesem Verbluten der Edlen und Guten.

Es reut uns, die wir uns freuten und lachten

in der Zeit, die in Qual und in Schmutz sie verbrachten.

Es quält uns durchs Leben, beschmutzt uns das Leben, daß es diesen Krieg, diesen Kaiser gegeben.

Wir alle, wir alle, wir wollen uns kränken

und mit Grämen und Fluchen der Schande gedenken.

Nun ist sie vorüber und nichts wird uns freuen, vorüber die Sünde, nun wird es uns reuen.

Wir sehn nur Hyänen, wir hören nur Raben, dort sind sie verscharrt, dort sind sie begraben.

Ich aber schaue in rosiger Wolke

die Zukunft von dem mir vertrautesten Volke.

Das wird sich über den Untergang gfretten.

Denn es gibt Operetten und es gibt noch Soubretten.

Keine Laus, die es hat, läuft ihm über die Leber. Am Graben gibts halt keine Heldengräber.

Doch schade um jeden Zug'reisten wäre,

der sich nacher nicht anschaut die Felder der Ehre.

Für ein kleines Dussör wolln m'r gern ihn begleiten zu die Friedhof und sonstige Sehnswürdigkeiten.

Ist alles auch hin, lebt die Wienerstadt, der es gereicht zur Hebung des Fremdenverkehres.

1,

Hausmannskost

August 1918

Redensarten sind die Reste, die wir in den Mund noch kriegen als den Schmaus zum Siegesfeste, wenn den Hunger wir besiegen.

Sie sind unsre letzte Labe in den glorreich großen Tagen, da wir all mit unsrer- Habe unsre Haut zu Markte tragen.

Unser Mangel schmeckt noch besser, weil auch drüben manches Loch ist. Seelentrost für starke Esser heute mit der beste Koch ist.

Freilich, wenn von heut auf morgen schwindelnd steigen alle Taxen, ist den nächsten Nahrungssorgen meistenteils kein Kraut gewachsen.

Auf des Feindes Mangel zählen, schadenfroh ihm Rübchen schaben, macht noch nicht, daß sie ihm fehlen, doch auch nicht, daß wir sie haben.

Andernfalls, ich möchte wetten, würde Fülle uns betrüben. Wenn wir Kraut und Rüben hätten, lägen sie wie Kraut und Rüben.

Im chaotischen Betriebe nähren wir uns von Gerüchten, da nichts andres übrig bliebe, als den alten Kohl zu züchten.

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Doch um ihn nicht fett zu machen und den Friedensdrang zu stillen, opfern wir dem Höllenrachen mit vermehrtem Siegeswillen.

Jeden Tag ein neuer Treffer, daß die Lebenslust sich hebe. Ja, da lag' der Has' im Pfeffer, wenn es Has' und Pfeffer gäbe.

Fehlt das Fleisch, so gibt es Blut noch, weil die Weisheit so geruhte. Der Gehorsam und der Mut noch stecken uns im Fleisch und Blute.

Deutsch das Herz, deutsch der Verstand auch immer wird es so was geben. Könnte nur von deutscher Hand auch in den deutschen Mund man leben!

Uns die Siege zu versalzen, scheut der Gastwirt keine Mühe. Nur die Rechnung ist geschmalzen und der Gast sitzt in der Brühe.

Kommt der Appetit beim Siegen, soll man an kein Wunder glauben. Meist sind's Flieger, selten fliegen in das Maul gebratne Tauben.

Wie erklärt sich's dem Verstände, daß wir stets das Schwert noch zücken? Weil wir gern im Feindeslande irgendwo ein Hühnchen pflücken.

Des gerechten Gottes Zorn noch, ach, den müssen wir verschärfen. Wo gedeiht denn heut ein Korn noch, um die Flinte hinzuwerfen!

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Wie die neue Ernte, raten alle Bürger nur mit Bangen. Wissen bloß, daß blutige Saaten wieder glücklich aufgegangen.

Eine Schlachtbank läßt nie darben die dort angestellten Kunden. Raben haben, seit wir starben, täglich Nahrung noch gefunden.

Doch den Untertan verlockt hat, er besorgt es unterdessen, was man so ihm eingebrockt hat, bis zum Endsieg auszuessen.

Sitzt man mit Gemeinschaftsmägen an dem ungedeckten Tische: heute gibt es außer Schlägen höchstens etwa faule Fische.

Manche diplomat'sche Note

für die Welt nur ein Geräusch ist,

die im Friedensangebote

schmeckt, daß es nicht Fisch, nicht Fleisch ist.

Riecht man dann selbst hier den Braten, kriegt man ihn doch nicht zu schauen. Ich mag diesen Surrogaten, nein, beim deutschen Gott nicht trauen !

In Geheimrats Teufelsküche möcht' in keinen Topf ich gucken ; müßte wegen der Gerüche Hexen in die Suppe spucken.

Wovon man denn fett wird, war schon schwierig ehedem ergründet; während man seit manchem Jahr schon nicht mehr weiß, wovon man schwindet.

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Bleibt der Seele ein Gehäuse, wird der Mensch noch nicht begraben. Einstens hierzuland die Läuse auch nichts mehr zu beißen haben.

Von den deutschen Chemikalien scheint das Gas allein gediegen, während durch die Viktualien der, den's trifft, sofort bleibt liegen.

Um das Leben zu ersetzen, sinnt die Wissenschaft noch heute. Sonst ist alles da an Schätzen, nicht so wie bei arme Leute.

's ist wie einmal, da der Prahlhans

war der deutsche Küchenmeister;

doch das Mahl nicht mal vom Schmalhans,

denn die Soß nicht mal ein Kleister.

Eine schöne Soße war' das, wenn das nicht ein Fremdwort wäre. In der Tunke sein : auf Ehr' das fordert nationale Ehre.

Alle diese welschen Speisen sind ja doch zu gar nichts nütze. Unschwer ließe sich's beweisen mit ein wenig deutscher Grütze.

Üppigkeit von damals muß sich heute durch Entbehrung rächen. Ach, wie ließ' man mit Genuß sich wieder mal vom Hafer stechen!

Während wir um schlechte Währung mit noch minderm Vorrat geizen, blüht auf unterster Ernährung heute bloß des Wuchrers Weizen.

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Statt des Fleisches äße Leder schon der eingefleischte Sparer. Aber Leder, das weiß jeder, ist ja noch bei weitem rarer.

Daß dem Wirt schon alles Wurst ist, führt in Irrtum nur die Toren. Aber auch für ihren Durst ist Malz und Hopfen längst verloren.

Nimmer mag das Volk der Denker über seine Lage denken. Gern vermeiden seine Lenker reinen Wein ihm einzuschenken.

Aber Zuckerbrot und Peitsche nicht mehr der Erziehung ziemen ; denn es fehlt ja doch der deutsche Zucker und der deutsche Riemen.

Täglich sie die Milch der frommen Denkart diesem Volk entzogen. Kinder, die jetzt angekommen, haben Drachengift gesogen.

Totentanz ist's, sei der Titel Tango oder wieder Ländler. Hast du keine Lebensmittel, werde Lebensmittelhändler.

Hin ist hin, die Hetz ist hin und G'spaß gibt's keinen gegenwärtig. Krieg ist Krieg, sagt man in Wien und da gibt's keine Würstel, fertig.

Wenn das Schicksal sich vollendet, wird kein Kren mehr übrig bleiben, daß den Wiener man verwendet, um im Notfall Kren zu reiben.

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Dafür ist man kaum entschädigt durch ein kriegsgemäßes Leben, wozu mit der Sittenpredigt ihren Senf die Sieger geben.

Schnittlauch selbst auf allen Suppen, Zutat fremdem Wert und Werke, bilden sie um Gräber Gruppen, hoffend, daß man sie bemerke.

Hungert man im Hinterlande, bleibt der Mut doch ungebrochen jener, die am Weltenbrande ihre eigne Suppe kochen.

Nimmer würde sie's verdrießen und sie würden unablässig Öl noch in das Feuer gießen, damit aber ist es Essig.

Vor den furchtbaren Kontrasten ; lernt man diese Ordnung hassen, in der die Gerechten fasten und die Ungerechten prassen.

Diese Ersten, die sich mästen und sich selbst die Kreme heißen, wenn die namenlosen Besten ungezählt ins Gras doch beißen

keinen gibt es, der nicht nähme,

während andere verrecken.

Welch ein Abschaum diese Kreme!

Längst schon kann ich sie nicht schmecken!

Durchzuhalten, wird von Tröpfen manch ein Scherflein beigesteuert, wenn die Butter auf den Köpfen aller Schieber sich verteuert.

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Dazu würden Siegesweisen wie ein Ei dem andern gleichen, könnte man zu höchsten Preisen das Vergleichsobjekt erreichen.

Lange schon auf Mehl wir harren. Finden wir's, wenn wir es suchen? Da sagt man in Wien : Ja Schmarren ! In Berlin sagt man : Ja Kuchen !

Was du noch bekommen solltest, nicht bekömmlich ist's. Zum Hohne heißt's dort, wenn du fragen wolltest: »Gibt es Kaffee?« »Nicht die Bohne!«

Aber unser täglich Brot doch wird man uns wohl nicht verstecken ! Das gibt's in der Zeit der Not doch stets beim Bäcker ? Ja beim Backen !

Neue Nahrung ward dem Neide, nicht uns selbst: mit Duldermiene hörten wir von dem Getreide, lagernd in der Ukraine.

Billig wie die Brombeern waren nicht einmal die Brombeern heuer. Sie zu kriegen, war seit Jahren guter Rat nicht mehr so teuer.

Vor den Obstgeschäften standen viele Füchse auf der Lauer; wären Trauben noch vorhanden, keinem wären sie zu sauer.

Fruchtlos ferner uns zu freuen, ward von oben uns geheißen. Möchten gern, wenn wir ihn hätten, in den sauern Apfel beißen.

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Auch die Zuversicht, sie glaubt nur täglich noch den schummern Wandel. Fortan kriegt man überhaupt nur eine harte Nuß im Handel.

Über weitere Annexionen freuten wir uns ungeheuer, trügen gern zu allen Thronen die Kastanien aus dem Feuer.

Und mit diesen Staatsgewalten fast hätt' ich den Punkt vergessen war' es gut, sich zu verhalten und mit ihnen Kirschen essen.

Essen suchen selbst die Rüpel, die sich jenes Krupp erinnern, Herbergsvaters aller Krüppel, Vorbilds allen Kriegsgewinnern.

Schön ist es, im Sommer ländlich so im deutschen Wald zu wohnen. Wie die Pilze schießen endlich aus der Erde die Kanonen.

Aber diese herzlos harten Winter soll der Teufel holen. Wärmeres Wetter zu erwarten, sitzt man fluchend wie auf Kohlen.

Mit Tabak ist's noch viel schlimmer. Doch man wird ihn nicht mehr brauchen, wenn doch immerzu die Trümmer nur in diesem Kriege rauchen.

Jedenfalls bei weitem schärfer spürt den Mangel man an Zündern, da vermehrte Flammenwerfer solchen Notstand nicht vermindern.

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Opfervoll ist diese Prüfung, hält die Treu' durch Not und Tod man. Ach, des Bündnisses Vertiefung braucht wie einen Bissen Brot man.

Und den Ausbau, den verlangen Nibelungenpflichten eben. Auf den Speck sind wir gegangen, als wir unsern hingegeben.

Und wir müssen es beklagen, die wir Höchstes doch besessen : daß wir auf den Lorbeern lagen und sie nicht gleich aufgegessen.

Denn nach vielen Feindeslügen eine ward erst jetzt vernommen : daß die Deutschen dieses Siegen endlich einmal satt bekommen !

Absage

September 1918

Wo die Maschine mit dem Menschen rauft,

wo Blutverlust bedeutet Geld-Erraffen,

wo Hunger herrscht und Reichtum Nahrung kauft

mit solcher Menschheit hab* ich nichts zu schaffen !

Wo Männer ächten, was sie selbst begehrt, und wo die Sinne zu der Sünde finden, wo Liebe Schmach bringt und Natur entehrt mit solcher Mannheit kann mich nichts verbinden!

Wo Freigeborne jedem Schall und Schein gehorchen, ewiger Menschenfurcht verschworen, um als Tyrannen Sklaven noch zu sein, in solchen Reichen hab' ich nichts verloren.

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Wo Druck in jeder Form die Geister lähmt und wo die Phrase sich von selbst entzündet, wo Technik sich dem Tode anbequemt, in solcher Welt ist nicht mein Glück begründet.

Wo fauler Zauber allen Lebens Zweck dem schnöden Mittel heimlich längst vermietet, wie sehn' ich mich aus dieser Wohnung weg, in der ein Besen mir die Stirne bietet!

Wo Willkür, Wucher, Krankheit, Haß und Schmutz als die Verbündeten des Schlachtruhms schalten, da will ich kühn dem Vaterland zum Trutz mich für den allergrößten Feigling halten!

Wo Wissenschaft den Heldentod erfand,

in Gift und Gas die Glorie sich erneuert,

da hat sich mir das teure Vaterland,

denn Krieg ist Krieg, bedeutend noch verteuert.

Wo statt der Glocken die Kanonen nun die frommen Christen zum Gebete rufen, mit solchen hat der Teufel nichts zu tun, da sie auf Erden schon die Hölle schufen.

Wo Ehre fällt und Schande aufwärts steigt und heute gilt, wer gestern erst gestohlen gern hätt' ich Jenem doch den Weg gezeigt, daß er mir könnte diese Ordnung holen !

Wo sie vor jedem Sonnenuntergang durch Wort und Tat ihr Seelenheil verfluchen mein Leben und mein weiteres Leben lang hab' ich bei dem Gelichter nichts zu suchen !

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1. November 1918

Die Sintflut

die ein Aktenstück heraufbeschworen hat mag auch ihr strategisches Vorspiel beendet sein , ist unab- wendbar. Alles Märtyrertum dieser heillosen Jahre werde geweiht von dem Heldentum, welches der großen Vergeltung wissend entgegengeht, die als die Idee der blinden Naturgewalt Gerechte wie Ungerechte trifft. Die grauenhafte Offensive des Hungers, der Sturmlauf der durch die unselige Erlaubnis geweckten und abgerichteten, durch ein fluchwürdiges Kommando zugleich niedergehaltenen und verstärkten, durch den Zusammenbruch der elenden Scheinmacht entfesselten Triebe: dies Chaos mag dunkler sein als einer jener Siege, die, mit Gott und Gas errungen, in geraubten Weinfässern ersoffen sind Hand auf die Stelle, wo selbst dem Kriegsausbeuter ein Herz sitzen soll: ist das da nicht der Krieg als solcher? Der wieder in seine Naturrechte eingesetzte Krieg? Der Krieg, in dem nicht mehr die andern sterben, der Krieg, in dem nicht gelogen wird, der Krieg, den Hunger gewinnt, nachdem ihn Feldherrn und Diplomaten verloren haben, der Krieg, der beginnt, wenn die General- stabsberichte aufhören? Hand auf das Herz, dessen Habgier vom Welttod Gewinn und Ehre nahm denn lügen hilft nur, wenn das Vaterland die andern ruft : ist es zu Ende, wenn die Glorie auf dem eigenen Schindanger krepiert ist? Sind nicht nach der Ausein- andersetzung mit dem »Feind«, der, ein Bundes- genosse der Kriegsleiden, als Individuum immer nur unschuldigstes Opfer seines Mörders ist, sind nicht gemäß dem Diktat der unabsetzbaren Naturmächte alle Feindgefühle aufgespart für einen Haufen von Landsgenossen, die weitab von der Gefahr die Bestialisierung der Menschheit bejubelt und bedichtet,

29

die Effekte in Kinogenüssen und Zeitungstiteln erlebt haben und ihren Appetit von keiner Blut- vorstellung verderben, von keinem Gedanken an fremden Hunger und an fernen Tod verringern ließen? Nicht der Zusammenbruch von staatlichen Rumpelkammern und Kriegskartenhäusern, nicht diese Nochnichtdagewesenheit einer Niederlage vor dem Feind, sondern die panikartige Flucht des Vaterlandes vor seinen Beschützern zeichnet einen Ausgang, den die Urheber einer auf Quantität ein- gestellten Handlung selbst bei völligem Minus an Phantasie hätten berechnen können, wenn dem von Lesebuchidealen erfüllten Staatsgehirn nicht auch das Einmaleins abhanden gekommen wäre und somit die Fähigkeit, die Quantitäten an Menschen, Maschinen und Mehl mit einander zu messen. Überschätzer der Menschheit hätten die Gefahr, die heute den gelernten Siegern droht, schon acht Tage nach Kriegsbeginn von einem Aufstand der Menschenwürde erhofft, und es stellt der seelischen Tragfähigkeit dieser Tiergattung ein bedenklich gutes Zeugnis aus, daß ihre Auftraggeber, die für die Erweiterung von Absatzgebieten über Leben und Glück von Millionen verfügt haben, erst nach mehr als vier Jahren und erst von einer Revolution des Hungers die Geschäftsstörung befürchten müssen. Nun aber, da meine Ansage, die Front werde einmal ins Hinterland verlegt werden, bis zu der Not- wendigkeit einer Front gegen sie erfüllt ist, hat die Ideologie abgedankt, die durch ihre einzigartige Gewalt, Sachverhalte auszuschalten, dieses Unglück über uns gebracht hat, und jetzt, da wir sie stimmungshalber erst nötig hätten, da sich das Grauen nicht mehr irgendwo draußen abspielt, wohin wir zum Glück keine Reisegelegenheit hatten, von wo wir aber täglich auf dem Laufenden erhalten wurden, jetzt, da Sengen und Brennen zu einer Angelegenheit des Lokalberichts zu entarten droht,

30

jetzt, da man die Einteilung, wonach die andern starben und die einen logen, brauchen würde, sperrt das Kriegspressequartier zu, versagt die Kunst, die das Durchhalten fremder Leiden ermöglicht hat, verläßt uns die letzte persönliche Qualität, die in diesem Krieg zur Entfaltung kam : eine blutige Welt schönzufärben.

Kriege sind von ihren Folgen unterschieden durch Beschließbarkeit und durch Abwendbarkeit. Die Folgen kann nur der Selbstmord abwenden, das freiwillig dargebotene Bußopfer mildern. So erwächst denn den neuen Vaterländern eine heilige Pflicht zu Schutz und Sühne zugleich. Wenn die neuen Vaterländer, deren Lebensfähigkeit schon von dem Ruin des alten gestützt wird, nicht mit Sünde beladen vor die Welt treten wollen, so mögen sie, vor dem Jux der Zertrümmerung alter Fassaden und vor dem Spiel der Erfindung neuer Wappen, unverzüglich daran gehen, der Rache der geschän- deten Mannheit die Grenzen zu bestimmen und zum Schutze der Gerechten Anstalten zu treffen, daß die Ungerechten zwar mit ihrem wert- losen Leben, aber nicht mit ihrer wertvollen Beute das große Unglück, das sie angerichtet oder bei- fällig betrachtet haben, überleben dürfen. So mag man dazu schauen, daß alles vorbereitet sei zum Empfange jener, die sich der Staatskretinismus vor vier Jahren als die unter den Klängen der Burg- musik einziehenden Sieger vorgestellt hat, mit Auszeichnungen beladen und etwa noch mit Kriegs- andenken: Russenlebern und Serbenohren, die ein katholisches Blatt den in der Heimat wartenden Lieben von den Braven im Felde versprochen hatte. Sie mögen, und zerbrächen sie mit den alten Adlern sich die neuen Köpfe, dafür sorgen, daßdieimGeschmack der Zeitungs- fibel heimkehrenden und nun in der Tat bang erwarteten Helden vor allen in Betracht kommenden Bank- und Bauernhäusern Nahrung, Kleider,

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Schuhe und Barschaft vorfinden. Eine härtere Ver- geltung als diese Lieferpflicht an die Überlebenden und als die wochenlange Angst vor jenen »Eigenen«, zu deren Abwehr dasselbe ruchlose Gesindel, das einst, long long ago, »Gott strafe England« gebrüllt hat, heute den Feind herbeirufen möchte eine Strafe, die im alt- testamentarischen Sinn dieser Kriegshandlung auch dem rächenden Gedächtnis der Millionen Hingemordeten gerecht würde, wird der herzquälende Traum der Mütter und Bräute von einem Tod in Flammen oder Gasen auch den verruchtesten Akteuren und Claqueuren dieses Krieges nicht herabflehen.

Wohl aber bliebe, da alles programmgemäß verlaufen ist, und damit der tragische Karneval noch seinen Mittwoch finde, wo die Häupter mit geweihter Asche bestreut werden, die Veranstaltung eines großen Sühntags zu wünschen, welcher den mit Invaliden besetzten Tribünen die Demütigung der Generale, der besseren Kriegsgewinner, der schlechten Kriegs- schreiber vorzuführen hätte, kurzum jenes ganzen Packs von Ferntötern und Parforcejägern der Menschheit, dessen Lebensmut sich an gelungenen Durchbrüchen stärkte, das seiner friedlichen Tätigkeit nachging, die Brust voller Orden trug und aus Bor- dellen und Hauptquartieren Champagnerflaschen zum Fenster hinauswarf, während Millionen Sklaven dieser Ehrlosigkeit in Unterständen auf den Augenblick der Erlösung warteten, wo sie ihre Leiber vom Eisenhagel zerreißen lassen mußten. Nichts wäre so wirksam, um die Unschuldigen vor den Repressalien des Hungers zu schützen und vor der Elementar- kraft einer Wut, die aus dem gestohlenen Glück, aus der überwältigten Menschenehre und aus vier beschmutzten Jahren nach Hause rennt, als das Arrangement der Vorführung jener Elenden, die zur Hinausschiebung des unentrinnbaren Endes und zur Fortfristung ihres verkrachten Geschäfts so viel Piothesen brauchten, als sie Orden haben wollten,

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und so viel Lügen erfinden mußten, als sie Läuse mobilisiert hatten. Ich, der keinen Augenblick seit dem 1. August 1914 sich einen andern Endsieg als die Verwandlung der Erde in einen Dreckhaufen, keine andere Sühne als die Brandmarkung der Rädelsführer dieses größten Verbrechens der histo- rischen Zeitrechnung vorgestellt, keinen Gedanken der Sympathie für ein Vaterland rotgestreifter Mörder undDiebe, gewalttätiger Kretins und entgegenkommen- der Schufte gehabt und nie, vom konservativsten, patriotischesten Standpunkt aus, einen andern Wunsch als daß sich die nüchterne, fibelfreie, demokratische Zivilisation der Welt mit den zur Ausrottung dieser Unzucht, zur Abkürzung dieser Blut- schande leider Gottes nötigen Behelfen armiere, auf daß sie dem grauen Elend den bunten Rock abziehe und dieses von einer lausigen Glorie orna- mentierte Leben in die tabula rasa verwandle, auf der wieder Gottes Gras wächst ich stelle keine härtere Friedensbedingung und erachte das Welt- gewissen für befriedigt, wenn die Befehlshaber und Parasiten unserer in Tod, Not, Ruhm, Syphilis, Hunger, Dreck und Erzlüge verlorenen Tage, wenn die Schinder und Schieber unserer Schulter an Schulter durchgehaltenen, gemusterten, ein- rückend gemachten, ausgebauten und vertieften Dummheit mit dem Leben und ein paar Ohrfeigen davonkommen. Den Tirpitz zu torpedieren, statt daß ihn das Bild der zwei Kinderleichen von der »Lusitania« durchs Leben begleite; unsere kühnen Luftsieger ihre Wirkungen auf der Erde auskosten zu lassen ; die Ritter Krupp, Skoda und den romantischen Manfred Weiß zum Kirchenbesuch zu zwingen, wenn eine 120 Kilometer-Kanone zu arbeiten beginnt wäre verfehlt, weil erfahrungsgemäß in solchen Fällen nicht die militärischen Objekte, sondern die anständigen Menschen getroffen werden. Wenn aber etwa den Munitionsfabrikanten feierlich

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eröffnet würde, daß sie den Gesamtertrag ihrer Tätig- keit zu Gunsten der Invaliden erworben haben und nur noch den Kriegsblinden die Füße zu küssen hätten, so würde ich selbst auf die Erfüllung meines Lieblings- wunsches verzichten, Wilhelm II. und seine gesamten Söhne in der von den preußischen Hotelzimmer- bildern bekannten Stechschrittübung in einen Käfig abrücken zu sehen. Die befohlene Linie ist erreicht. Es ist erreicht! Ich, der an die von jenen Siegern geschändete deutsche Sprache glaubt, habe nie verschwiegen, daß ich für das einzige wahre Wort, das in diesen von einem Wolffbüro befriedigten Zeitläuften gesprochen wurde, jenes hielt, das ein russischer Minister am Kriegsbeginn gesprochen hat: daß dieser Krieg Österreichs eine Keckheit ist und es nur durch die Feststellung ergänzt, daß dieser Krieg Deutschlands eine Frechheit ist, damit das bundesbrüderliche Verhältnis zwischen Räuber und Dieb, Gehaßtem und Verachtetem auch im Punkt der Kriegsschuld zur vollen Anschauung komme. Und ich verschweige nicht, daß ich noch ein wahres Wort aus österreichischen Blättern, am Kriegsende, empfangen habe, das des Czechenführers, der mit jener Schmucklosigkeit, die allein schon deutsche Hirne in Harnisch bringen kann, den klarsten Sach- verhalt formuliert hat: daß für einen Krieg, der als eine Aktion der germanischen gegen die slawische Rasse ausgebrüllt wurde, seine Landsleute »keinen Blutstropfen freiwillig geopfert haben«. Die Frage, wie viel Blutstropfen die Deutschen geopfert hätten, wenn ihr Rassekrieg nicht zugleich ein Krieg der allgemeinen Wehrpflicht gewesen wäre, muß in einer Welt, die mit solcher Schmach auch die Pflicht zur Lüge auf sich nimmt, unbeantwortet bleiben. In einer österreichischen Welt, die Bomben in Belgrad, und in einer deutschen Welt, die Bomben auf Nürnberg herstellt, wenn sie sie braucht, und die beiderseits auf Gedeih und Verderb das Blaue vom

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Himmel heruntergelogen hat, um die Erde rot zu machen, und dabei die Keckheit und die Frechheit hatte, den Ehrenmann unter Staatsmännern, dessen Gestalt abwehrend vor dieser Kriegsschande stand, zum »Lügen-Grey« zu verunstalten. Nie habe ich mich in dieser patriotischen Pestluft anders als mit offenen Augen und zugehaltener Nase bewegt! Hätte dieses Vaterland, dem ich über alle Maße geistiger Kriegserlaubnis hinaus meine Über- zeugung in sein Doppelgesicht gesagt habe, es gewagt, meinen Körper anzutasten, ich hätte vor Gott und beim Feldwebel keine Erleichterungdieser Schmach gegen eine Belastung meines Gewissens eingetauscht und der hieramts durch Feigheit gemilderten Tücke bewiesen, welche Gedanken auch der Zwang noch erlaubt und welche man der eigenen Menschheit gegen ein fremdes Vaterland schuldig ist! Ich habe in all den Jahren, da Fibelverbrecher schalteten und Advokaturskandidaten sich ihnen für Enthebung vom Heldentod durch Henkersdienste gefällig zeigten, alle Märtyrer beweint, den Toten auf Feindesseite zuerkannt, daß sie, wenn nicht begeistert, wenn nicht freiwillig, doch im Joch einer Idee und nicht bloß eines schuftigen Willens und eines schlechten Geschäfts gefallen sind, und die belgischen Frank- tireure für Kämpfer gehalten. Nicht Grenzschwierig- keiten, sondern die Pflicht, vor dem eigenen Feind zu bestehen, das Bewußtsein, im Ertragen des gigantischen Ekels den teuern Opfern auf dieser Seite nahe zu sein, den vielfach tragischen, weil sie gegen dieselbe Erkenntnis, gegen die eigene Erkenntnis gestorben sind nur dies hat mich, den Untertan der deutschen Sprache, verhindert, die Konse- quenz einer Gesinnung zu ziehen, für deren Gefühl und Ausdruck ich von Unrechtswegen tausendfachen Tod durch die Hand eines Peutelschmied verdient habe. Nicht vor dem höchsten Auditor, der einst über die Anstifter und Helfer einer Aktion richten wird,

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durch welche die Edelsten hingeschlachtet und wie ein Stück Aas irgendwo verscharrt wurden, wo der Tränenblick der Sehnsucht von Müttern, Bräuten, Freunden ein Heldengrab sucht nicht vor Gott werde ich in Abrede stellen, daß der Kaiser als der erste verpflichtet war, den Fahneneid eines Kriegs zu brechen, dessen Ruhm von einem Schurkenstück der Technik geborgen, dessen Tapferkeit von der Feigheit anonymer Waffen und unsichtbarer Quanti- täten ersetzt, dessen Ehre von der Kompagnie der Selbstsucht und der Wissenschaft erstritten wurde, und dessen Verrat ich, immer bereit, der Menschheit gegen das Vaterland, dem Freund gegen den Feind beizustehn, mit vollem Bewußtsein auf mein ethisches Gewissen genommen hätte! Und heute, da ich sagen kann und muß, daß nur die Erbärm- lichkeit, deren eine schnöde Gewalt fähig ist, vor den Dokumenten ihrer Schmach und meines Zornes haltgemacht hat; heute, wo ich aussprechen kann, was in vier Jahrgängen der Fackel geschrieben steht, und was ich mit aller Pein der Kenntnis des Auslands entzogen habe, erkläre ich, daß ich, solange ich lebe, dafür besorgt sein werde, das Andenken wach zu rufen jener Ungezählten, die für eine Regung kulturellen Abscheus vor dem Blutgeschäft glorreicher Diebe, und der Myriaden, die zur Erhaltung solcher Bestrebungen aus dem Leben gerissen wurden!

Und erkläre : daß ich den wildesten Aufzug befreiter Sklaven für ein geordneteres und Gott gefälligeres Schauspiel halte als den reglementierten Auftrieb von Menschenvieh zum Tod für die fremde Idiotie, für das fremde Verbrechen! Was immer die Zeit, die wohl größer ist als ihr Vorspiel, das im August 1914 begonnen hat, an Enttäuschungen und Leiden noch bringen mag; welche Fieberträume die Ablösung der Macht, die Blut und Hunger schuf, durch Mächte, die den posthumen Kriegsgewinn erwarten, uns noch vorbehält; wie schmählich sich der Tonwechsel

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jener offenbart, die, im schmutzigen Maul noch den Kriegsgesang, schon den radikalen Inhalt zur Phrase verrufen haben und im nachgemachten Zeremoniell fremder Revolutionen nur mehr Habsbürger geltenlassen; wie überraschendunsdieVerwandlungdes Kriegspressequartiers in eine Rote Garde kommen mag ; wie verächtlich sich die Wagentürlaufmachervon gestern als Barrikadenbauer ausnehmen ; wie schäbig die Bereit- schaft aller Pöbelinstinkte und die Anschmarotzung der Schadenfreude an die Weltgeschichte anmutet, jene grundsätzliche Niedrigkeit, die nicht die Bedeutung des Sturzes erlebt, sondern sich an der Nicht- bedeutung des Gestürzten erhöht; wie scheußlich die Identität solcher, die heute auf Doppeladler Jagd machen, mit jenen sein mag, die einst das Abreißen fremdsprachiger Firmatafeln betrieben haben ; welch törichter Unfug es auch sei, Rosetten zu entfernen anstatt gleich Säbel in Verwahrung zu nehmen; wie unerquicklich die Freiheit durch ein- geschlagene Fensterscheiben einzieht; wie lästig ihr die Freibeuter aller Gesinnungen zulaufen und wie eifrig die Siegfriede von der vorigen Woche die Republik annektieren ; wie peinlich die Hysterie mit der Flamme, wie schrill der nationale Ton mit dem Weckruf der Welt vermengt sein mag ich beuge mich ehrfürchtig vor dem Wunder dieser Erweckung, und erwachte die Welt erst durch den Tod! Und vor jedem persönlichen Schicksal, das mir noch im letzten Atemzug die Genugtuung gönnte, die schlotterichte Majestät einer gefallenen Kriegs- gewalt zu schauen, die im Zusammenwirken von Glorie undSchurkerei gelebt und gegen ihren Plan durch Millionen Qualentode, durch die Labyrinthe des Irrsinns, der Lüge, der Verseuchung, des sittlichen und leiblichen Schmutzes die Menschheit zur Besinnung auf ein gottgemäßeres Leben zurückgeführt hat!

Herautgeber und ver»st»ortlicber Redaktiur: Karl Kram Druck ras Jah»da & Siegel, Wien. 111. Hintere loJanHatr. 3

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