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Die Geheimniſſe en Der

alten Egipzier.

Eine wahre

Zauber⸗ und Geiſteg esch e e

des achtzehnten Jahrhunderts

N von | K. H. Spieß.

Mit einem Kupfer.

D 15

Le bei Friedrich At Leo, 1799.

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Die Geheimniſſe der alten Egipzier.

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3. Theil. 4

Sprache, aber die Alte gab durch Pan⸗ tomime zu verſtehen, daß ſie dieſe Sprache nicht verſtehe, ſchritt aber doch vorwaͤrts, und oͤfnete die Thuͤr eines Gemachs. Zwei Fremde, dem Scheine nach Araber, wuͤnſchen dich zu ſprechen, ſoll ich ſie einlaſſen? rief ſie mit fragen⸗ der Stimme und in deutſcher Sprache ins Innere deſſelben, und ein troknes Ja ſcholl ihr in eben dieſer Sprache entgegen. Der Ungluͤklichen Blik hei⸗ terte ſich maͤchtig, als ſie auf ſo uner⸗ wartete Art die deutſche Sprache hoͤrten, Landsleute und Freunde zu treffen hofs ten. Eben wollten ſie ſich als dieſe bei der Magd introduziren, als dieſe ihnen einen Wink zum Eintritte gab, und ſich, wie fie ſprechen wollten, ſchleunig ents fernte. Sie traten nun ins Gemach.

Ein Greis, welcher beim erſten Anblikke ſehr hohes Alter, aber doch noch maͤnn— liche Kraft und Stärke verfündigte, ſas in einem Lehnſtuhle und blikte ernſt nach ihnen hin. Er war auf deutſche Art, aber hoͤchſt einfach gekleidet, es dekte ein langer, ſchneeweißer Bart ſeine Bruſt, und gab ihm ein morgenlaͤndiſches Anſe⸗ hen. Was wollt, was ſucht ihr hier? fragte der Alte mit aufmerkſamen Blikke, in arabiſcher Sprache, und zog haſtig an einer Glokke, welche nahe bei ſeinem Lehnſtuhle hing. Vier Juͤnglinge, die eben ſo wie er gekleidet waren, traten ſchnell ein, und ſtellten ſich mit drohen dem Blikke an die Seite des Alten. Friedrich errieth ſogleich die Urſache der Handlung des Alten und des drohenden Bliks der Juͤnglinge. Seine und des

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Grafens Kleidung bewies, daß fie Ara⸗ ber aus der Wuͤſte wären, und berech— tigte eben ſo natuͤrlich den Alten und feine Hausgenoſſen, ſich gegen einen fols chen Beſuch, der Raubluſt zu verrathen ſchien, in Vertheidigungsſtand zu ſezzen. Er hofte dieſen widrigen Eindruk ſogleich dadurch ganz zu vernichten, wenn er den Alten in deutſcher Sprache anredete. Wir ſind, ſprach er daher, zwei ungluͤkliche Deutſche, welche in der Wuͤſte von den wilden Arabern all des ihrigen beraubt, in ſchmaͤhliche Gefangenſchaft geſchlept, und endlich durch Gottes Huͤlfe daraus er⸗ loͤßt wurden, wir hoͤrten, daß dieſes Haus ein Kriſt bewohne, wir vernahmen mit groͤßter Freude, daß dieſer Kriſt ein Deutſcher ſei, und hoffen nun mit Ge⸗ wißheit

Schon beim Anfange dieſer Rede verfinſterte ſich das Geſicht des Alten, er winkte haſtig mit der Hand, damit Friedrich ſchweigen moͤge, wie er aber nicht enden wollte, ſo ſtand er ſchnell von ſeinem Sizze auf, entfernte ſich mit den Juͤnglingen in ein Nebengemach, und Friedrich mußte ſchweigen, weil ihn niemand mehr hoͤren konnte. Er blikte ſtaunend den Grafen an, welcher dieſe Handlung ebenfalls nicht faſſen konnte, und daher gleich ihm ſchwieg. Noch hatten ſie ihrer Verwunderung und Be— ſorgniß keine Worte gegeben, als die alte Magd aus dem Gemache hervor— trat, in welches der Greis ſo ſchnell entflohen war. Ihr ſeid Deutſche? fragte ſie mit laͤchelnder Miene.

Graf. Wir ſind es, uͤberdies hoͤchſt

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ungluͤklich, und hoften bei unſern Lands; leuten Troſt und Unterſtuͤzzung zu finden.

Die Alte. Hoft und erwartet ſie mit Gewißheit.

Friedrich. Nach ſolch einem Ems pfange? g

Die Alte. Er darf euch nicht kuͤmmern, denn er war ſehr natürlich.

Friedrich. Iſt der Greis dein Herr?

Die Alte. Mein Herr und mein Freund.

Graf. Iſt er nicht gleich dir ein Deutſcher?

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Die Alte. Er iſts.

Friedrich. Warum hoͤrte er uns nicht? Warum ſprach er nicht mit uns?

Die Alte. Weil er nicht wollte, weil er zu Damaskus lebt, wo ihn nie— mand zwingt, anzuhoͤren, was er nicht hoͤren will.

Graf. Ein ſonderbarer Mann.

Die Alte. Er iſt einer der beſten

denſchen auf Erden, und wenn er

ſtirbt, ſo giebts hienieden keinen mehr, der ihm gleicht.

Friedrich. Und doch hoͤrte er uns nicht, wande uns den Ruͤkken, als

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wir ihm unſer Ungluͤk klagen woll⸗ ten 5

Die Alte. Nicht aus Mangel an Mitleid, ſondern weil er euch nicht hoͤ. ren wollte, nicht hoͤren konnte.

Friedrich. Nicht wollte? Nicht konnte? ö |

Die Alte. Es giebt der Geheim⸗ niſſe mehr auf Erden. Habt ihr ſie alle geloͤßt? |

Graf. (ſeufzend) O nein! Die Alte. Warum wollt ihr die⸗

ſes nicht ehren? Ich habe den Auftrag, euch zu warten und zu pflegen. Folgt

mir, damit ich meine Pflicht erfüllen kann. g

Die Alte ging nun voran, die Freunde folgten, und wurden von ihr nach einem Hintergebaͤude, und dort in ein ſchoͤnes Gemach geleitet, welches eine ſehr reizende Ausſicht in einen groſſen und herrlich gepflegten Garten gewaͤhrte. Sie erblikten in dieſem Gemache zwei Ruhebetten, und manches andere, was dieſe fördern konnte, und fie fo lange entbehrt hatten. Ehe fie noch weiter mit der Alten fprechen konnten, war dieſe verſchwunden, erſchien aber bald mit Speiſe und Trank, und bat die Freunde mit inniger Aufrichtigkeit, ſichs recht wohl ſchmekken zu laſſen. Beide langten gierig zu, und die Alte laͤchelte

freundlich, wie ſie alles ſchnell vergehen ten. So gut iſts euch wohl lange nicht worden? fragte ſie am Ende. Schon lange nicht, ſeufzte der Graf. Und wird uns vielleicht auch lange nicht mehr ſo gut werden, fuͤgte Friedrich hinzu. Da ſeid ohne Sorgen, entgegnete die Alte, denn, wenn ihr Jahrelang und all eure Lebenszeit hier weilen wollt, ſo wird ſichs mit Gottes Huͤlfe wohl mehren, aber nie mindern.

Friedrich (voll Erſtaunen) Weib, ich verſtehe, ich begreife dich nicht.

Die Alte. Ich ſpreche doch ſo deutlich. ü

Graf. Wer iſt dein Herr?

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Die Alte. Ein Menſch, der Gott ehrt, und liebt!

Friedrich. O es muß ein a Mann fein,

Die Alte. Selten? Da habt ihe recht, denn ich ſah außer ihm noch u nen, der ihm gleicht.

Graf. Bringe ihm unſern heiſſen Dank, ſage ihm

Die Alte. Er iſt kein Freund des Dankes. Was er thut, thut er aus Pflicht, und erwartet 2 keinen Lohn dafuͤr. N

Graf. Koͤnnen wir ihn nicht ſprechen?

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Die Alte. Nein! . eee Warum 1 5 11

Die Alt te. Weil er mit euch nicht e kann. |

Fffedech . Bi 0. ih näher erklaͤren?

Die Alte. Nein! Graf. Dann ſtehts übel mit uns.

Die Alte. Ich kann dies Uebel nicht ergruͤnden. i

Friedrich. Uns iſt nicht mit Speiſe und Trank, nicht mit unthaͤti⸗

=

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gem Leben gedient. Hofnungen, Aus ſichten, die wir fuͤr Gewisheit nehmen konnten, entriſſen uns dem Vaterlande und fuͤhrten uns in die Wuͤſte, wo wie nicht fanden, was wir ſuchten. Der Wunſch, ruͤkkehren zu koͤnnen ins Vaters land

Graf. Wird nun groß und anhal⸗ tend in uns, iſt das einzige Ziel, nach welchem wir ſtreben.

Die Alte. Und welches ihr wahr⸗ ſcheinlich auch erringen werdet.

Graf. Wie iſt dies moͤglich ? Zwei Goloſtuͤkke, welche uns unſer Retter, der großmuͤthigſte unter den Menfchen; beim Abſchiede in die Hand druͤkte, find um

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fer. ganzes Vermögen. Wie können wir mit dieſen unſer Vaterland erreichen? Hätten wir deinen Herrn ſprechen, haͤte ten wir ihm unſer Ungluͤk a: nn nen, ff

Die Alte. Was ihr nicht vermögt, das vermag ich. Ich darf ungehindert mit ihm ſprechen. 74 650

Graf. O dann ſage ihm, daß ich anſehnliche Guͤter und groſſes Vermögen in Deutſchland beſizze, kein Geſchenk, nur Unterſtuͤzzung von ihm fordere, und jeden Pfennig, den er mir h dop⸗ pelt erſezzen will.

Die Alte. Das 1 55 Im

nicht, Graf

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Graf. 80 will mich mit einem ſchweren Eide verbinden.

Die Alte. O weh euch, ihr er— haltet nichts, koͤnnt am Ende froh ſein, wenn er euch ſein Mitleid nicht entzieht, denn ſeine Achtung verliehrt ihr durch ſolche Antraͤge auf der Stelle.

Friedrich. Warum? Weswegen?

Die Alte. Ihr koͤnnt noch fragen, da ich ihn euch als den Seltenſten, als den Einzigen ſeiner Art geſchildert habe? Waͤre er dies, wenn er Erſaz fuͤr Wohl⸗ thaten annehmen, dieſen durch einen Eid ſichern koͤnnte? Laßt mich reden und handeln, ich hoffe euch gute e zu bringen.

3. Theil. B

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EEE EEE EEE ERST DEE Graf. Unſer Dank wird n 1

Graͤnzen ſein. e in

Die Alte. Sprecht ihr ſchon wies der vom Danke, da ich euch doch ſchon ausdruͤklich geſagt habe, daß dieſer hier eine Muͤnze ſei, die niemand annimmt, und man euch uͤberdies für einen Betruͤ⸗ ger haͤlt, wenn ihr ſie ihm mit Gewalt aufdringt? Mit Dank bezahlt man keine Wohlthat, nicht die geringſte Gabe

Friedrich. Wenn man aber auf ſer dieſem nichts beſizt, was Pa N koͤnne?

Die Alte. O ihr ſeid Thoren! Menſchen, wie man ſie uͤberall triſt und findet. Wer kann euch den Vorſaz rau⸗

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ben, daß ihr irgend einem Ungluͤklichen vergelten wollt, was man euch in eurem Ungluͤkke Gutes that? Was du willſt, daß man dir thue, das thue einem ans dern auch. Dies iſt ein Gebot, deſſen Erfuͤllung wir uns in dieſem Hauſe nach allen Kraͤften angelegen ſein laſſen; ge⸗ denkt ſeiner bei allen euern Handlungen, und die Bewohner deſſelben werden euch als Freunde ehren, aber auch eben ſo ſtark verachten, wenn ihr von dieſer einzig wahren Lehre abweicht. Merkt euch dies feſt, praͤgt's euch wohl ein, es wird euch treflich nuͤzzen. Ich ſollte nicht ſo viel ſchwazzen, denn viele Worte find unnuͤz, und ſolch ein Unterricht kann euch zum ſchaͤndlichſten der Laſter, zur Heuchelei verleiten, aber Vaterlandsliebe muß doch kein Unding ſein, ſie regt ſich g B 2

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maͤchtig in meinem Herzen, und zwingt mich wider Willen, euch nuͤßlich zu werden. Doch Handlung iſt beſſer als Geſchwaͤz, ich gehe, um euch bald den Entſchluß meines Freundes zu bringen, denn dies iſt er, ob er En mein Herr ſein koͤnnte. 1 l 0 Sie eilte nun fort, und uͤberließ die Geretteten ihrem eignen Nachdenken, es verlohr ſich bald im innigen Danke gegen Gott, der ſie ſo abſichtlich in das Haus eines der ſeltenſten Menfchenfreuns de geleitet hahe. Bald ward auch der Wunſch in ihnen rege, den edlen, ums erreichbaren Araber feine: groſſe Hands lung, die er an ihnen übte, nach Ver⸗ dierſt vergelten zu koͤnnen. Schon ſuch⸗ ten beide den ſichern Weg auszuſpaͤhen,

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wie fie ihm bei ihrer Ruͤkkehr nach Deutſchland Tauſend Goldſtuͤkke uͤterſen— den, und dadurch zu dem Gluͤklichſten feiner Nazion erheben koͤnnten, ſchon ges noſſen ſie die Freude uͤber dies unver⸗ hofte Geſchenk mit ihm, als die Alte wieder laͤchelnd ins Gemach trat.

Friedrich. Du bringſt gute Bot⸗ ſchaft, dein Lächeln verkuͤndigt fie.

Die Alte. Ob ſie euch behagen wird, weiß ich eben nicht, aber gut und bieder iſt fie, denn fie kommt von meis nem Herrn. Ich trug ihm euren Wunſch auf eine Art vor, durch welche ich ſichere Erfuͤllung deſſelben zu erreis chen hofte, aber ich trog mich diesmal doch. Es ſind Thoren, ſprach er, ge—

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woͤhnliche Menſchen, die fliegen wollen, ehe ihnen die Federn gewachſen find, Hager, wie der Hunger ſelbſt, gierig nach Speiſe, wie der Geier, welcher ſich in die Thierleere Wuͤſte verirrt hat, traten fie in mein Gemach, und wüns ſchen izt ſchon eine Reiſe zu unterneh⸗ men, die nur ein geſunder, geſtaͤrkter Koͤrper zu vollenden faͤhig iſt. Es ſind Thoren, die uͤber Abgruͤnde nach dem Ziele ſpringen wollen. Erſt ſollen fie ih⸗ ren Koͤrper ſtaͤrken, die Wunden, welche ihnen die Sklavenpeitſche hieb, heilen, dann ſollen ſie ihren Wunſch wiederho⸗ len, und ich werde ihn zu erfuͤllen ſu⸗ chen. Sage ihnen, daß der Landmann nicht pfluͤgt und ſaͤet, wenn Schnee die Erde dekt, und der Kluge keine Reiſe unternimmt, wenn er elend und ſiech iſt.

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Graf. Ein ſeltner, ein auſſerordent⸗ licher Mann.

Friedrich. Der aber unſern innig⸗ ſten Dank verdient

Die Alte. Pſt! Pſt! Gedenkt meiner Lehre! Er ſendet euch Kleider, wie wir ſie in dieſem Hauſe zu tragen gewohnt ſind, ſie ſind nicht

praͤchtig, aber rein und ſauber Er

waͤhnt, daß ihr ſolche beduͤrft, weil man ſie in der Wuͤſte als Sklave nur ſelten wechſeln kann. Bedient euch ſolcher, denn Reinlichkeit mehrt die Kräfte, mel che ihr ſamlen ſollt.

Bei dieſen Worten rief fie einen als ten Diener herein, der dieſe auf dem

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Arme trug, und ſie durch deutliche aber ſtumme Mienen zum Anziehen er⸗ mahnte. Vollzieht ſeinen Willen, ſprach die Alte, ſprecht aber nicht mit ihm, denn er wird euch doch nicht antworten. Er iſt auch ein Deutſcher, kann gleich mir nur dieſe Sprache reden und verſte⸗ hen, aber ſeit zwanzig Jahren ſpricht er kein Wort mehr, und wird, ſo lange er lebt, nicht mehr ſprechen. Es iſt fein freier Wille, den ihr ehren müßt. Nach dieſem den Freunden ſehr auffal⸗ lenden Unterrichte entfernte ſie ſich, um ihnen Gelegenheit zu goͤnnen, ihre Klei⸗ der zu wechſeln, und was ihnen am angenehmſten war, ſie ſo lange entbehrt hatten weiſſe Waͤſche anzuziehen. Der ſtumme Alte ſammlete jeden Lums pen, den fie von ſich warfen, ſorgfaͤltig,

zuſammen, und eilte am Ende damit nach der Thuͤre.

Graf. (ihn aufhaltend) Laß dieſe Kleider hier, dir nuͤzzen fie nichts, und mir ſollen ſie zum ewigen Andenken mei— nes Ungluͤks dienen.

Der ſtumme Alte weigerte ſich deſ⸗ ſen, und wie auch Friedrich die Bitte wiederholte, ſo trat die Alte ein.

Die Alte. Dachte ichs doch, daß es ſo kommen wuͤrde, deswegen weilte ich in der Naͤhe. Die Kleider müßt ihr dem Alten laſſen, er hat den Auf⸗ trag, fie in einem beſondern Gemache aufzubewahren, wo ſchon bundert aͤhn⸗ liche an den Waͤnden haͤngen. Wenn mein

—ä—ä3jäẽ sn Herr ſtill und finſter wird, ſich wahrſchein⸗ lich verfloßner Zeiten erinnert, ſo ſchleicht er nach dieſem Gemache, weilt dort eini⸗ ge Zeit, und kehrt immer ruhig und hei⸗ ter zurük. Goͤnnt ihm dieſe Erholung, ſie wird durch eure Kleider ſicher ge⸗ mehrt. Waͤren es Juwelen, ent⸗ gegnete der Graf, wir wuͤrden ſie ihm eben fo willig uͤberlaſſen, wenn ihr Ans blik ihm auch nur eine Minute feines Let bens verſuͤſſen koͤnnte. 2 5

Die Alte. Ihr ſprecht allzuhoch fuͤr uns, es graͤnzt ans Uebertriebne, und ſo etwas ſcheint oder iſt gar unwahr⸗ ſcheinlich. Doch ich wills ſo genau mit euch nicht nehmen, denn man gewohnt die Komplimente wies Vorwärtsſchreiten, je oͤfterer man ſich übt, je welter bringt

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mans, und im lieben Deutſchland find ſie fo gaͤnge und gebe geworden, daß ſte die achte Muͤnze der Wahrheit verdrängen, und oft mit let angenommen werden.

Die Alte ſchwazte noch lange in dieſem Tone fort, denn Schwazhaſtigkeit war ihr groͤßter Fehler, aber dabei beſas ſie doch die einem Schwaͤzer ſonſt ganz unbekannte Eigenſchaft, nichts zu erzählen, was fie nicht erzählen ſollte. Die Freunde muͤh⸗ ten ſich daher vergebens, irgend etwas zu erfahren, was fie näher mit ihrem ſonder⸗ baren Hauswirthe bekannt gemacht haͤtte. So oft ſie fragten, ſo oft wich auch die verſchwiegne Alte dieſen Fragen auf eine geſchikte Art aus, lenkte allmaͤlich wieder in ihr gewoͤhnliches Gleis ein, und pre» digte den armen Wanderern häufig praktt⸗

28 —— —— TEE EEE ET ſche Moral, die fie in mancherlei Denk ſpruͤ⸗ chen vortrug, welche fie ſich fleiſſig geſam let zu haben ſchien. Ob die Freunde gleich noch volle zwei Stunden mit ihr ſprachen, ſo wußten ſie doch am Ende nichts weiter, als daß ihr Haus wirth ein Deutſcher ſei, groſſes Vermoͤgen beſizze, und izt zu Das maskus wohne. Die Predigten der Alten erregten was eine aͤuſſerſt gewoͤhnliche Wirkung vieler Predigten iſt endlich den Schlaf in der Freunde Augen, und wie fie dies bemerkte, ſo trat fie gutmuͤ⸗ thig ab, um ſie im Genuſſe deſſelben nicht zu ſtoͤhren. Beide benuzten die guͤnſtige Gelegenheit, ſanken aufs weiche Ruhebet⸗ te, und erwachten erſt am andern Mor gen. 5

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Ein vollſtaͤndiger Bemeiß: Warum fie nicht fruͤ⸗ her erwachten?

Keiner meiner Leſer wird ſich wohl wundern: warum die Freunde ſo lange und anhaltend ruhten? und ſollte ja ir⸗ gend einem dieſe Frage beifallen, ſo bitte ich ihn, ſich zu erinnern, daß die armen Schlaͤfer eine Wuͤſte durchreißten, unter Palmirens Ruinen Nächte durchwachten, und nun zu genüͤſſen ſuchten, was fie fo lange entbehrt hatten. Verſchlaͤft man doch oft ganze Tage, wenn man auch nur eine halbe Nacht beim Tanze oder am Spiel⸗ tiſche durchwacht hat, wie kann man's al⸗ ſo Wie? Was? Soll ich ſchwei⸗

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gen? Fuͤhlen ſie das Paſſende dieſes Glsichniſſes in feiner ganzen Stärke? 3? Um ſo beſſer! Dann kann ich ohne Do: wurf zur Fortſezzung meine r Geſchichte ſchreiten, und meine Helden, ohne ihren weitern Einwurf der Unwahrſcheinlichkeit zu fuͤrchten noch einen vollen Tag ſchlafen laſſen Aber Ehre, dem Ehre ges buͤhrt, ſie erwachten fruͤher, und der Graf ſchon zu eben der angenehmen Zeit, als die holde Morgenſonne mit ihren erſten Strahlen das Fenſter des Gemachs be⸗ leuchtete. Ich uͤberhuͤpfe die Zeit, welche er bedurfte, um fein, Gedächtnis zu er⸗ forſchen, und ſich zu erinnern: wie un⸗ glüklich er noch ehegeſtern war, wie gluͤk⸗ lich er geſtern geworden ſei? Im Vollge⸗ muſſe dieſes Giuͤks trat er ans Fenſter, oͤfnete ſolches, und blikte gedankenvoll in

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die Zweige der Granatenbaͤume, welche die Gegend des Gartens rings umher bes ſchatteten. Eben fuͤllte Sehnſucht nach dem geliebten Vaterlande ſein Herz, eben ſchien der Dunſt der Schwaͤrmerei zu wei⸗ chen, und den hellen Strahlen der Ders nunft Raum zu goͤnnen, als ſein Auge unwillkuͤrlich eine weiſſe Geſtalt unter den Daumen erblikte, weiche ihn mit einmal in ſeinen Betrachtungen ſtoͤhrte, und feine ganze Aufmerkſamkeit feſſelte. Ein Mäds chen, dies bewieß der leichte Gang und die ſchlanke Geſtalt, war emſig beſchaͤftigt, die Blumen zu begieſſen, welche unter den Baͤumen bluͤhten. Ihre Kleidung war ein Gemiſch von morgenlaͤndiſcher und euros cpaͤiſcher Tracht, doch ſchien die leztere die erſtere zu verdraͤngen, und deutlich zu be⸗ weiſen, daß fie geſchaͤzt werde. Ein duͤn⸗

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ner Schleier dekte das Geſicht des Mad. chens, aber ein paar feurige Augen ſtrahli ten unter dieſem merkbar, wenigſtens fühle te der Graf ihre Wirkung, und wuͤnſchte den laͤſtigen Schleier zu entfernen. Bald ward fein Wunſch erfüllt, eine Lilie, de ren Blätter und Blumen ſich welkend fen ten, zog die Aufmerkſamkeit des Maͤd⸗ chens an, ſie ſchien die Urſache ihres Wel⸗ tens prüfen zu wollen, und ſchlug aus dieſer Abſicht ihren Schleier zuruͤk. Staus nend, feinem Auge, feinem Gedaͤchtniſſe nicht trauend, und doch immer mehr und mehr durch wiederholte Prüfung übers zeugt, ſtand der Graf ohne Bewegung da, indem das Mädchen theilnehmend und mit ſchmachtendem, trauernden Blikke die verwelkte Blume betrachtete. Gott im Himmel! Sie iſts! Sie iſts! rief er end⸗

lich

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lich unwillkuͤrlich aus, und wekte durch dieſen Ausruf den noch ſchlafenden Fried rich. Wer iſts? fragte dieſer haſtig, und rieb die noch ſchlaftrunkenen Augen. Sie iſts theuerer Freund, ſie iſts! rief der Graf aufs neue, indem er mit einem Sprunge am Ruhebette Friedrichs ſtand, ihn haſtig empor riß, und zum Fenſter leitete. Ja, Maͤchte des Himmels, fie iſts, die Unverkennbare, fie iſts! rief nun auch Friedrich aus, und wekte das Maͤd⸗ chen aus ihrer tiefſinnigen Betrachtung. Sie blikte ſchüchtern empor, machte eine Bewegung mit der Hand, als ob ſie ihren Schleier fallen und herasziehen wolle, aber bald ſank ihre Hand kraftlos zuruͤk, und ihr Blik blieb auf den Freunden haf⸗ ten. Sie finds! Er iſts! rief auch fie end⸗ lich aus und wie die Freunde ihr zurie⸗ 3. Theil⸗ 8

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fen: Ja, goͤttliche, wir finds! fo ſank fie vom Sturme ihrer Empfindung ai fen ohnmaͤchtig zu Boden.

Schon ſtand der Gif auf der Mitte des Fenſters, und wuͤrde, ohne der Ges fahr zu achten, den hohen Sprung in den Garten gewagt haben, wenn ihn nicht der minder entzüfte Friedrich zurük geriſſen und in ſchneller Eile bewieſen hätte, daß man dieſen Zwek auf einem andern Wege beſſer, wenigſtens ſicherer erreichen koͤnne. Er fuͤhrte ihn aus dieſer Abſicht nach der Thuͤre, und der Graf ließ ſich willig lei⸗ ten, weil ſeine Einbildungskraft die Stelle der Augen vertrat, und ihm in ihrem Zauberſpiegel immer noch das ohnmaͤch⸗ tige Maͤdchen lebhaft darſtellte. Sie erreichten bald die Treppe, den Vorhof,

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kamen aus dieſem in einen zweiten, tap⸗ ten lange darinne umher, fanden aber nie was ſie ſo emſig ſuchten die Thuͤre, welche zum Garten leitete. Als ſie lange vergebens geſucht hatten, und uͤberdies keinen Menſchen ſahen, der ſie haͤtte zu rechte weiſen koͤnnen, ſo verlohr die Macht der Einbildungskraft allmaͤlich ihre Stärke, der Graf wollte das ohn mächtige Mädchen wieder wirklich fehen, und eilte ungeachtet Friedrich noch laͤn⸗ ger ſuchen wollte nach dem Gemache zuruͤk.

1

ur Oy

Frage: Wer i ſt denn das ohnmaͤchtige Maͤdchen?

Antwort: Vielleicht er⸗ fahren wirs bald.

Un den gefährlichen Sprung nach dem Garten zu verhuͤten, folgte auch Friedrich, und würde wahrſcheinlich zu ſpaͤt gekom⸗ men fein, wenn nicht gröffere und flärkere Hinderniſſe das Wagſtuͤk verrilelt hätten Feſte, eiſerne Stangen, welche die Fen⸗ ſter beſchirmten, und die vorher weder der Graf noch Friedrich beobachtet halte, mach⸗ ten den Sprung unmöglich. Auch ware dieſer zu ſpaͤt erfolgt, weil das ohnmaͤch⸗ tige Madchen bereits verſchwunden, und

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bei der ſorgfaͤltigſten Spaͤhe aller ihrer Augen nicht mehr zu entdekken war. Sms mer hoften und wuͤnſchten ſie, die wohl⸗ thaͤtige Erſcheinung aufs neue zu erblikken, aber da bei dieſem Hoffen und Harren eine Stunde verfloß, ſo beſchloſſen ſie weislich, die gutherzige Alte aufzuſuchen, um bei ihr den Aufenthaltsort des Mauͤdchens auszuforſchen. Wie ſie aus dieſer Abſicht nach der Thuͤre eilten, fanden ſie ſolche von auſſen feſt verriegelt, und ungeachtet ihres ungeſtuͤmen, heftigen Klopfens ward ſolche doch nicht geoͤfnet. i

Der Graf ſtuͤrzte, als er ſich muͤde ge⸗ klopft hatte, auf fein Ruhebette, und rang ſchweigend die Haͤnde. Friedrich ſchlich zum Fenſter, und von da wieder zur Thuͤre, verſuchte die leztere zu oͤfnen,

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durch das erſtere das verſchwundne Mäds chen zu erblikken, aber alle ſeine Muͤhe war vergebens, und er blieb am Ende auch ſchweigend und ſtaunend auf feinem Ruhe bette ſizzen. Einzelne Worte, und Aus druͤk⸗ ke, welche in der Folge die Freunde ab⸗ wechſelnd ausſprachen, verbreiten kein ſtaͤr⸗ keres Licht, und wuͤrden von mir willig uͤberhuͤpft werden, wenn es nicht Pflicht wäre, fie der Neugierde meiner Leſer auf⸗ zutiſchen. Wir ſind ver lohren! Eine hoͤhe⸗ re Macht hindert jede unſrer Unterneh⸗ mungen! Wir vermögen ihr nicht zu wi derſtehen! Wir koͤnnen und werden das groſſe Ziel nicht erringen! So ſeufzten die Freunde, bis der Mittag nahte.

Um dieſe Zeit oͤfnete ſich die Thuͤre, und die Alte trat mit Speiſen in der Hand

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ein. Neue Hofnung belebte die Trauern⸗

den. Kaum hatte fie die Schuͤſſeln auf

den Tiſch geſtellt, als die Freunde fie has

bichtsaͤhnlich links und rechts pakten, und folgendes zu fragen begannen.

Graf. Iſt dieſen Morgen nicht in dieſem Garten ein Maͤdchen ohnmaͤchtig

geworden?

Die Alte. So ſcheints, denn ich fand es leblos am Boden liegen. |

Graf und Friedrich. Wo iſt fie? Die Alte. In ihrem Gemache.

Graf. Wir muͤſſen ſie ſehen und ſprechen.

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Friedrich. Ja, das müſſen wir,

Die Alte. Darf, kann nicht ger ſchehen. ' ae

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Graf. Warum nicht?

Die Alte. Weils mein Herr nicht erlaubt. 140 .

Friedrich. O dann iſt er unſer Ti⸗ ran, nicht unſer Wohlthaͤter! O wenn er wuͤßte!

Graf. Ich will mit ihm ſprechen, ich will i e

Die Alte. Vergebne Muͤhe, er kann und wird mit dir nicht ſprechen.

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Graf. Und das Maͤdchen auch nicht? e e

Die Alte. So ſcheints.

Graf. Ah, dann muß Gewalt fies gen! Er iſt ein Zauberer, der ſie gefan⸗ gen Hält, der fie vielleicht quält, der O Menes wird mir beiſtehen, ich muß ſie ſprechen.

Die Alte. (kalt) So verſuchts, wenn ihr euch ſtark genug duͤnkt.

Ohne ihre weitern Worte zu hoͤren, ſtuͤrzten die Freunde aus dem Gemache nach dem erſten Hofe, die Thäre, durch welche fie eintraten, verſchloß ſich ſchnell hinter ihnen, und wie ſie cinen andern

te Ausgang ſuchten, fanden fie ſolchen ebens ſals verſchloſſen. Anfangs tobten fie gleich dem gefangnen Loͤwen, wie aber niemand ihr Toben zu achten ſchien, und tiefe Stil le rings umher herrſchte, gingen fie ſchwei— gend und mit in einander geſchlagenen Ar⸗ men in ihrem Gefaͤngniſſe auf und nieder. Endlich oͤfnete ſich ein Senfter, und die Alte ſah herab. Wollt ihr nicht eſſen, die Speiſen ſind aufs neue gewaͤrmt? fragte ſie gutherzig.

Der Graf. (voll Wuth) Spoͤtterin, mißbrauche deine Macht immer, mich wird ſie nicht demuͤthigen.

Die Alte. (mit Ernst) Tobt nach Wohlgefallen, aber bedenkt auch, daß uns nuͤzzes Toben nichts fruchtet. Die Thuͤre

43 nach euerm Gemache iſt geoͤfnet, geht und genuͤßt die harrenden Speiſen. Wenn ihr dies thut, und ruhig die Enthuͤllung euers Schikſals erwartet, ſo beſuche ich euch. Wollt ihr aber meinen Rath nicht achten, ſo koͤnnt ihr Monate lang noch eben fo vergebens trozzen. Bei dieſen Wors ten ſchloß die Alte das Fenſter, und die Freunde befolgten ihren Rath, weil er ihnen das einzige Mittel ſchien, ih⸗ rem Ziele näher zu ruͤkken.

Wenn heftige Leidenſchaften toben, ſo müſſen die Sinne des Koͤrpers ſchweigend gehorchen, und der Leitung der erſteen fols gen. Dies war die Urſache, daß die noch nuͤchternen Freunde auch izt noch keinen Hunger fuͤhlten, aber ſie hatten beſchloſſen, dem Rathe der Alten zu gehorchen, began⸗

nen zu eſſen, und aflen, ohne daß fie es wähnten, wekker, weil der Sinn des Get nuſſes nun wirder ſein Recht eroberte. Still aber tiefdenkend ſchlichen ſie eben ufs neue im Gemache auf und ab, und blikten nebenbei ſehnſuchtsvoll, aber ver⸗ gebens nach dem Garten, als die Alte zu ihnen ins Gemach trat.

Die Alte. Ihr habt meines Nas thes geachtet, und ich komme, mein Ver⸗ ſprechen zu erfüllen,

Graf. Weib, haſt du je geliebt?

Die Alte. (im feſten Tone) Nein, Gott ſei Dank, nein!

Graf. O dann, dann Kannſt

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du wenigſtens Mitleid und Erbarmen mit den Leiden deines Nebenmenſchen fuͤhlen? i 7

Die Alte. O ja herzliches und inni⸗ ges, aber ich kann auch ſchweigen.

Graf. Und mußt du ſchweizen, wenn 2 7 *

ich in meinen weitern Fragen des Maͤd— chens gedenke, das ich dieſen Morgen im Garten ah?

Die Alte. Ich muß.

Graf. Dann habe ich nichts mehr zu fragen, dann uͤberlaß mich meinem Kummer, und ſieh zu, wie er mich lang ſam toͤdet. 18

1

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Die Alte. Das verhüte Gott.

Friedrich. Und doch wirds und muß es ſo kommen. Sei barmherziger, als dein ſeltner, aber auch auſſerſt hartherziger Herr. Das Gluͤk unſers Lebens, die Ruhe unſrer Tage, unſer ganzes Wohl und namloſe Freude ruht in deinen Haͤn⸗ den, wir erreichen und genuͤſſen alles, wenn du uns mit dem Maͤdchen, welches wir dieſen Morgen im Sarten ſahen, nur eine kurze Zeit, nur einige Minuten ſprechen läßt. Kann Belohnung dein Herz reizen, ſo geloben wir, dich koͤniglich zu beloh⸗ nen, dich hoch zu erheben

Die Alte. (klat und ernſt) Meine Treue iſt mir um keinen Preiß feil, auch ein Koͤnig kann mir ſie nicht bezahlen.

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Graf. So laß wenigſtens Mitleid dein Herz beſiegen. 5

Die Alte. Es iſt dieſem gewiß nicht fremd, aber es beſtreitet meine Pflicht ich kann, ich darfs nicht hoͤren. Doch viel leicht finde ich ein anders Mittel, das eben ſo ſchnell, wenigſtens leichter zum Zwekke fuͤhrt. Verſteht ihr mehrere Sprachen, als die deutſche?

Graf. Wir ſprechen auch franzsſiſch, italieniſch, engliſch Die Alte. Dies nüzt alles nichts,

ich waͤhnte

Friedrich. Wir verſtehen auch Tas teiniſch, griechiſch, hebraͤiſch, und koͤnnen

uns im Nothfalle in dieſen Sprachen aus⸗ druͤtken. F 1 36 8 1

Die Alte. Griechiſch? Hebraͤiſch? A die lezte nicht die Spende der Juden?

1 Die its. 5

b Die Alte. TR 1 0 058 Aber wo finden wir einen Dollmetſcher, und was nuͤzt im Grunde dieſer? Ich glaubte, ihr ſpraͤcht auch en 32209

Graf. Aus dieſe Sad baten win; 8 n ei ee e

Die Alte. Gelaͤufig? Wenigſtens verſtaͤndlich ? P , 1 Bey ie Be

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Friedrich. Jeder Araber verſtand uns bisher, und lobte unſre reine Aus ſprache.

Die Alte. Dann ififeuch mit einmal geholfen, dann koͤnnt ihr ungehindert mit meinem Herrn ſprechen, ihm in dieſer Sprache eure Noth vortragen, und ſeine Huͤlfe heiſchen. Aber merkis euch wohl, praͤgts euch feſt ein, nur in dieſer Sprache koͤnnt ihr mit ihm reden, er wird auf der Stelle das Geſpraͤch enden, es ſicher nie mehr beginnen, wenn ihr meinen Rath nicht ſtreng befolgt.

Friedrich. Und doch iſt er ein Deut⸗ ſcher?

Die Alte. Dies kuͤmmert euch 5. Theil. D

50 eng nichts. Genug, daß er nur arabiſch mit euch ſprechen darf. Folgt mir, ich will euch bei ihm melden, ſprecht dann dreuſt und offen, aber vermeidet jede Lüge, und hütet euch, eine andre Sprache zu reden, ſonſt hat euer Geſpraͤch auf immer geendet. 133

Die Freunde gelobten, alles ſorgfaͤltig zu befolgen, und eilten der Alten nach, die ſie ins Gemach ihres Herrn fuͤhrte.

Ein Geſpraͤch, welches ſchnell endet. |

Die Alte trat ein, nicht lange harrten auch ſie, und wurden von ihr ins Innere des Gemachs geführt. Nur arabiſch, fluͤ⸗ ſterte die Alte leiſe, und wie die Freunde

*

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ihr Verſprechen durch Mienen wiederhol⸗ ten, ſo entfernte ſie ſich. Der Greis ſas auf feinem Lehnſtuhle, ſtuͤzte mit der Rech⸗ ten ſein zitterndes Haupt, und blikte feſt, aber gutmuͤthig auf die Juͤnglinge, welche ihn ehrerbietig gruͤßten. Sprecht ihr aras biſch? fragte er in dieſer Sprache haſtig. Wir ſprechen es, entgegneten beide in eben dieſer Sprache. |

Der Greis. (ſanft) So ſprecht, ich höre,

Graf. Wir find Ungluͤkliche, die deines Rathes, Schuzzes, Mitleids und deiner Huͤlfe beduͤrfen.

Der Greis. Ihr fordert viel.

D 2

52 Friedrich Und du kannſts doch fo leicht gewaͤhren.

Der Greis. Um ſo beſſer.

Graf. Wir erblikten dieſen Morgen ein Mädchen in deinem Garten

Der Greis. Leicht möglich!

Graf. Wahrſcheinlich uͤbſt du Barm⸗ herzigkeit an ihm, und haſt es, als es dem ſchreklichſten Schikſale entrann, deines Schuzzes gewuͤrdigt.

Greis. Es hat mich noch nie ge⸗ reut.

Friedrich. Und wird dich auch nie

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reuen. Wir kennen dies Mädchen, wir wuͤnſchen ſehnlichſt, mit 1 zu ſpre⸗ ORT

Graf. Ein Geſpraͤch mit dlieſer Hol den kann uns unausſprechlich gluͤklich machen, wenigſtens belehren: ob wir laͤn⸗ ger kaͤmpfen, oder der zu bene Gewalt weichen müflen,

Greis. Chafig) Ihr ſeid Thoren!

Graf. Moͤglich, daß wirs ſind, wenn wir länger ein unerreichbares Ziel zu ers ringen ſuchen, aber nur ein Gefptäch mit dieſem Maͤdchen kann uns belehren und überzeugen. Sei barmherzig, uns erhoͤre unſre Bitte, die Erfüllung derſelben koſtet dich nur ein Wort, und dies einzige Wort

kann vielleicht das ganze Menſchenge⸗ ſchlecht gluͤklich machen.

Greis. (noch haſtiger) Ihr ſeid Hamit 1

8 n Gir ile kilſchwes, gend den Ausbruch deines edierte Zornes dulden, denn :

Greis. Unverdient? Ihr ſeid Tho⸗ ren und Schwaͤrmer, Spielzeuge heilloſer Voͤſewichte. Das ſage ich, und was ich ſage, iſt Wahrheit, der in meiner Gegen⸗ wart niemand widerſprechen darf. 11

Graf. unſer Schikſal ſteht in deinen Haͤnden, wir muͤſſen ſchweigen und zulden.

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Greis. Nein, ihr ſollt einſehen, erkennen, bereuen! Doch wie vermoͤgt ihr dies? War eure Reife nicht nach Palmirens Ruinen beſtimmt?

Graf. Sie wars! Nach tauſend Gar fahren, nach ſchreklich geduldeter Skla— verei erreichten wir ſolche gluͤklich.

Greis. Und ihr ſeht noch nicht heller? Und ihr wollt noch nicht geftes hen, daß ihr Schwaͤrmer und Thoren ſeid? O Menſchen! O Exropaͤer, was iſt aus euch geworden, ſeit ich euch fliehe und verachte? Ihr wart unter Palmirens Ruinen? Und ihe hoft, waͤhnt, glaubt noch? Ä

Friedrich. Verſchwunden war all

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unſre Hofnung, die Ueberzeugung, daß hoͤhere und feindliche Gewalt unſern Zwek hindere, hatte ſie getoͤdet, aber der Anblik des Maͤdchens, welches wir dieſen Morgen im Garten ſahen, wekte ſie aufs neue. Sicher biſt du von der Abſicht unſerer Reiſe, von der Gröffe und Wichtigkeit unſers Ziels unterrich⸗ tet, und kannſt daher am beſten urthei⸗ len: wie ſehr wir nach Aufklaͤrung ſchmachten?

Greis. Das war einmal ein Wort zu rechter Zeit. Aufklaͤrung iſt das eins zige, was ihr hoffen und wuͤnſchen muͤßt. Heil euch, daß ſie euch werden kann. Dreimal Heil euch, wenn ſie euch noch nuͤzt. Ich will beides nach Kraͤſten foͤrdern, doch eins müßt ihr mir

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geloben (die Freunde wol⸗ len ſprechen) Pſt! Ich fordere keinen Eid, ich haſſe dies Ungeheuer, das Geis ern aͤhnlich ain Bande des menſchlichen Gluͤks nagt, ich heiſche blos euer Wort, ein einfaches Ja! Weh euch aber, wenn ihts nicht h dem ſtaͤrkſten Eide ach tet.

5 riedrich. Wir werdens 0 und erfuͤllen.

Greis. Das Maͤdchen, welches ihr heute ſaht, iſt faͤhig, euch volle Auf⸗ klaͤrung zu gewähren, dieſe wird Vor— wuͤrfe und Rache in eurem Herzen wei ken, und ihr müßt beides ſtandhaft zu unterdruͤkken geloben.

Graf. Wir geloben es.

Friedrich. Wir

Greis. (ihm ins Wort fallend) Was kannſe du dieſer Verſicherung noch beit fügen? Thor, lerne Zeit und Worte ſchaͤzt zen, ich daͤchte, du haͤtteſt beide genug | verſchwendet. Geht! Die Alte wird euch zum Gegenſtande eures Wunſches fuͤhren. Benuͤzt meine Guͤte, aber miß⸗ braucht ſie nicht. Geht, ohne Dank, ich kenne ſeinen Werth, und verachte ihn. |

Noch wollten die Jünglinge mehr ſprechen, aber er hoͤrte ſie nicht, gebot aufs neue, und fie entfernten ſich ſchnell, weil ſie erſt izt einſahen, daß ſie durch laͤngeres Geſpraͤch nur die Erfuͤllung ih⸗ rer Wuͤnſche verzoͤgerten. Die Alte

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hatte das Gebot ihres Herrn vernom⸗ men, und leitete fie durch einen langen, am Ende verſchloſſenen Gang nach dem Gemache des Mädchens,

Endlich leuchtet die Sonne der Aufklaͤrung, hell und klar.

Haſtig folgten die Juͤnglinge, hoff end und fuͤrchtend traten ſie ein. Das Maͤdchen ſas tiefſinnig und trauernd auf ſeinem Lager. Gleich einem ent⸗ dekten Rehe fuhr es geſchrekt empor, und ſank bald kraftlos zuruͤk, die Wan gen, welche ſo oft aͤchte Verraͤther des Herzens ‚find, gluͤhten bald gleich einer

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friſchen Roſe, und bleichten eben ſo ſchnell zur Farbe der Lilie. Er iſts, Gott im Himmel, er iſts! ſtammlete ſie im weinenden Tone. Sie iſts! rief der Graf im Taumel des Vergnuͤgens, und ſtuͤrzte zu des Mädchens Fuͤſſen nieder. Die Alte blieb an der Thuͤre des Ge⸗ maches ſtehen, faltete ſchweigend die Haͤnde, und zitterte mit ihren groſſen Augenliedern, um die emporquellenden Thraͤnen zu faſſen. Friedrich ſtand in der Mitte des Gemachs, ſtarrte ſehn⸗ ſuchtsvoll nach den Vereinten, und harr te aͤngſtlich der Aufklärung, welche, feis ner Meinung nach, nun ſchnell uns bald Afochen mußte.

Aber dieſe tn noch Tange nicht, beide ſchienen blos das Gluͤk des Wie

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derſehns zu fühlen, ſich nur mit dem Genuſſe deſſelben zu laben, und wenn auch der Graf durch Ausrufungen und einzelne Fragen die Dirne zur naͤhern Erklärung zu leiten begann, ſo ſuchte dieſe doch ſolche maͤchtig zu hindern, um noch laͤnger zu genuͤſſen, was vielleicht vollkommne Aufklaͤrung rauben konne. Waͤre Friedrich nicht Vermittler und Leiter geworden, fo würde ich ganz ge⸗ wiß meine Leſer noch mit der Geſchichte eines langen Tages unterhalten muͤſſen, in welchem die Geſchichte nicht um eine Linie vorwaͤrts geſchritten waͤre. Aber Friedrichen lag aͤhnlicher Wunſch auf dem Herzen, noch andere und ſtaͤrkere Empfindungen regten ſich in dieſem, als er das Gluͤk der Liebenden erblikte, und er fragte und forfchte daher ſo anhaltend

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und lange, bis endlich der Graf aus feinem Taumel erwachte, aus Freund: ſchaft ſich mit ihm vereinigte, und nun auch ſo lange forſchte und fragte, bis Fraͤulein Karoline endlich antworten und erklaͤren mußte.

Wies Was? Fraͤulein Karoline wär re das Mädchen, welches der Graf im Garten erblikte, und nun ſprechen konn⸗ te? Ja, meine ſchoͤnen Leſerinnen, ia ſie iſt es! Eben die Karoline, welche in der Grotte die Nimphe ſpielte, ſich in den Grafen verliebte, ihm dann nach Zuͤrich nachreißte? Ja, eben dieſe wars. Eben dieſe, welche nachher von dem heil; loſen Grafen Wilhelm nach einem Kos ſter geſandt und dort eingekerkert wur⸗ de? Richtig, eben dieſe! Ich

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verſprach meinen Leſern, ihrer noch ein mal in dieſer Geſchichte zu gedenken, und ich erfuͤlle nun mein Wort Aber, ums Himmels willen, wie kommt dieſe nach Damaskus? Wie iſts moͤglich, daß ein junges, unerfahrnes Maͤdchen, ohne Geld, ohne Unterſtuͤzzung eine ſolche Reiſe wagen kann? Welcher Dichter ſei er auch noch fo kuͤhn iſt fähig, ein ſolches Mädchen, ohne die Wahr— ſcheinlichkeit zu beleidigen, uͤber Land und Meer, durch barbariſche Horden und Wuͤſteneien bis nach Damaskus zu leiten? Der Liebe, meine Schoͤ⸗

nen, iſt nichts unmoͤglich. Dieſer Saz iſt ein Hauptartikel des Katechismuſes der Liebe, und wenn man mit ſolchen Beweiſen ſeine Gegner bekaͤmpfen kann, ſo hats mit der Wahrſcheinlichkeit keine

64 r 2. > 1 Ole Noth. Erzaͤhlen Sie alfoh —— Dies wuͤrde ich ſchon laͤngſt gethan ha⸗ ben, wenn ſie mich nicht immer durch ihre Einwuͤrfe in meinem ee gu Bad hätten. N J uͤhergehe all die Fragen, mit welchen in der Folge die Juͤnglinge die arme Karoline beſtuͤrmten und quaͤlten Ich verſchweige ihre Antworten, welche nach und nach den groͤßten Theil der Betrügereien enthuͤlten, durch welche die Aermſten zu einer ſolchen gefahrvollen Reiſe verleitet wurden, denn ich habe ſolche meinen Leſern ſchon deutlicher er⸗ klaͤrt, als Karoline ſolches zu thun vers mochte. Ich kehre ohne Aufenthalt zu der armen Gefangnen ins Kloſter zurüf, und beginne mit ihr die Reiſe nach Das maskus

maskus. Die Acbtiffin des Kloſters, eine biedre, redliche, aber auch in den Vor⸗ urtheilen ihres Standes tief eingeweihte, und ſehr bigot denkende Frau nahm jes des Wort, welches Karolinens Begleiter bei ihr ſprachen, fur aͤchte reine Wahr— heit, ſie machte ſichs zur Pflicht, das verlohrne Schaaf der Kirche wieder reu⸗ end in die ofnen Arme zu führen, und opferte einen Theil der folgenden Nacht dem Nachdenken uͤber die erforderlichen Mittel auf. Ihr ſchiens ſehr natuͤrlich, daß die heilloſe Liebe das arme Kind verleitet und verfuͤhrt habe, und ſie waͤhnte, daß man dieſen hundertkoͤpfigen Teufel nur durch fleiſſigen Unterricht in der Religion, durch Häufige Uebung ſtrenger Bußwerke aus dem Herzen der Verfuͤhrten verjagen koͤnne, fie berief das 3. Theil. E

her am andern Morgen den Beichtvater des Kloſters nach dem Gemache, unter⸗ richtete ihn in allem Noͤthigen und fort derte am Ende von ihm, daß er das gute Werk beginnen, und das verſührte Maͤdchen zur enmülgen Nonne ma⸗ chen fa % W :

Den Veichtvatsr, ein Mann nach dem Herzen Gottes, ein Prieſter, wie es ihrer nur wenige giebt, und doch nach dem Wunſche aller ſo viele geben ſollte, hörte, das Gebot der Aebtiſſin mit Auf⸗ merkſamkeit an, und gelobte, es nach Kraͤften zu erfuͤllen, doch forderte er ausdruͤklich, daß man ihm die Wahl der Mittel unbedingt uͤberlaſſen, und vor⸗ zuͤglich das ſeelenkranke Maͤdchen mit aͤuſſerſter Sanftmuth behandeln muͤſſe.

Die Aebtiſſin verhieß Gewährung, und Pater Euſtach, fo nannte ſich der Win dige, ging nach Karolinens Zelle, um mit ihr troͤſtend zu ſprechen.

Ehe ich dies merkwürdige Geſpraͤch erzaͤhle muß ich meine Leſer vorher zur beſſern Belehrung mit dem Karakter des wuͤrdigen Prieſters näher bekannt ma⸗ chen. Sein Vater, der Regierungsrath eines Reichsfuͤrſten, ließ ihn als die ein zige Frucht einer ſehr vergnuͤgten Ehe aufs ſorgfaͤltigſte und beſte erziehen wid) mete ihn dem Studium der Rechte, und ſande ihn auf eine auslaͤndiſche Uni verſitaͤt. Eben hatte der hofnungs volle Süngling fein Studium mit Rühm vol— lendet, und wollte ſich eben mit dein Doktorhute kroͤnen laſſen, als ihm die

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C0 0 ET TE EEE NETTE, ſchroͤkliche Nachricht ward, daß fein Bar ter, vom Schlage getroffen, ploͤzlich ges ſtorben ſei. Er eilte heim, fand die Thüren feines väterlichen Hauſes verſie, gelt, und traf ſeine Mutter, von allem entbloͤßt, in einem der ſchlechteſten Haus ſer der Stadt auf dem Krankenlager. Aus ihrem Munde erfuhr er erſt die Ueſache des Todes ſeines Vaters, der Krankheit ſeiner Mutter, und ſeines eig⸗ nen Ungluͤks. Seinem Vater war vom Fuͤrſten eine beträchtliche Kaſſe zur Ver⸗ waltung und Obforge anvertraut worden, lange fuͤhrte er ſolche mit Redlichkeit und Treue, als aber ſeine Kraͤfte ſich minderten, und er mehrere Ruhe zu ge⸗ nuͤſſen wuͤnſchte, ſo vertraute er unter feiner Buͤrgſchaft und Dafuͤrhaftung, die Aufſicht dieſer Kaſſe einem Manne,

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für deſſen Redlichkeit er ohne Gefahr zu buͤrgen glaudte. Das Anſehen des alten Regierungsrathes am Hofe des Fuͤrſten war groß und feſt, er legte, wie ehe und zuvor unter feines Namens Unter ſchrift jaͤhrliche Rechnung ab, und keiner der übrigen Raͤthe wagte es, die Rich⸗ tigkeit derſelben zu pruͤfen, oder die Kaſſe zu unte ſuchen. Einige Jahre nachher ſtarb der alte Fuͤrſt, der neue Regent gebot eine genaue Unterſuchung aller Kaſſen ſeines Landes, ſie erfolgte, und in der Kaſſe des alten Regierungs⸗ rathes fand ſich ein Defekt von vierzig tauſend Gulden. Der treuloſe Verwal— ter entfloh, Euſtachs Vater hatte für feine Treue Buͤrgſchaft geleiſtet, ein jäs her Schlagfluß endete beim Ueberdlikke ſeines kuͤnftigen Schikſals ſein Leben,

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TREE ER,

und all fein Vermögen und Haabe ward konfiszirt, um damit einen Theil des Kaſſenreſtes zu erſezzen. Vergebens wagte es der unſchuldige Sohn, für ſei, ne kranke Mutter um Unterſtuͤzzung bei dem jungen Fauͤrſten zu flehen, dieſer achtete, des Beiſpiels wegen, Strenge für hoͤchſt noͤthig, weigerte jede Unter⸗ ſtuͤzzung, und erklaͤrte dem weinenden Junglinge offen, daß er auch dem Sohne die unveizeihliche Nachlaͤſſigkeit des Va⸗ ters gedenken, ihn nie in ſeinem Lande anſtellen werde. Dieſe unerwartete und ſchrekliche Nachricht vollendete das Leis den ſeiner kranken Mutter, ſie verſchied einige Wochen nachher in den Armen N und ten Leiche ward

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Grabe een W e

Als ihr Grab mit Erde geluͤllt war, und auch die alte Magd nach der Stadt | ruͤkkehrte, wanderte Euſtach auf der Heer— ſtraſſe, die nahe am Kirchhofe voruͤber ging, ohne Plan und Abſicht weiter. Sein Schmerz und das tief verwundende Gefuͤhl ungerecht geduldeter Grauſamkeit war ſein Gefaͤhrde auf dieſer abſichtsloſen Reiſe. Erſt am dritten Tage feiner Wan⸗ derſchaft erinnerte er ſich eines Onkels, der ehemals Moͤnch geworden war, nun als Abt eines reichen Ziſterzienſer-Kloſters die ruhigſten Tage genoß, und einen huͤlfloſen Vetter leicht unterſtuͤzzen und ernaͤhren konnte. Er leitete ſeine Schritte nach dieſem Kloſter, langte hoͤchſt ermuͤ— det dort an, und fand alle feine Hof⸗ nungen erfuͤllt. Der alte, wuͤrdige Abt empfing den Sohn feines ungluͤklichen

Bruders mit ofnen Armen, verſprach ſogleich ſein Vater zu werden, und trat, um ſein Wort zu beweiſen, zur vollen Schatulle, um dem neuen Sohne eine Summe aus zuzahlen, mit welcher er feine Studien vollenden koͤnne. Aber dem jungen Miſantropen war die Welt mit allem ihren Tande und Truge zum Ekel geworden, er wuͤnſchte ſehnlichſt, nicht mehr unter ihren Fallſtrikken einher zu wallen, und fand inniges Behagen an der Einſamkeit und anſcheinenden Ruhe des Kloſters Er entdekte dieſen Wunſch ſeinem Onkel, der wuͤrdige Alte hinderte ihn nicht, aber er fürderte ihn auch eben ſo wenig. Ich goͤnne dir, ſprach er, freie Wahl, ehe man aber waͤhlt, muß man vorher pruͤfen. Ein volles Jahr werde ich dich daher als Gaſt behandeln, und

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biſt du nach dieſer Friſt noch entſchloſſen, ein Moͤnch zu werden, ſo will ich dich mit Freuden in ihre Mitte fuͤhren. Ob gleich der junge Vetter vieles gegen dieſe lange Pruͤfungszeit einzuwenden hatte, ſie ſo gar als unnoͤthig und unnuͤz er⸗ klaͤrte, ſo mußte er ſie doch nach dem Willen des kluͤgern Alten ganz vollenden. Dieſer muͤhte ſich unter dieſer Friſt ſo gar oft, ihn fuͤr die Freuden der Welt aufs neue empfaͤnglich zu machen, aber Euſtachs krankes Herz fand ſolche ges ſchmaklos und leer, immer erinnerte er ſich ſeines ungluͤklichen Vaters, ſeiner ſterbenden Mutter, und haßte die Men ſchen, welche ihm ſolche durch grauſame Haͤrte entriſſen hatten. Ich flehe, mich aufzunehmen in den Orden der Ruhe und Einſamkeit, ich gelobe, feine Pflichten

ſtreng zu erfüllen, und mit meinem Ger bete den boͤſen Menſchen zu nuͤizen, da ich fie nicht zu beſſern vermag. So ſprach er am Ende des Prufungs jahres zu ſeinem Onkel, und dieſer hinderte nun nicht laͤnger die Erfüllung einer Bitte, welche er als feften Entſchluß achten mußte. Eben ſo freudig als Euſtach das Novizenkleid anzog, legte er auch das Geluͤbde der Moͤnche ab, und ſtudierte dann mit ſeltnem Eifer die Theologie, welche ihn am Ende zur Prieſterwuͤrde fähig machte. Wie er dieſe erhalten hatte, nun unthaͤtig im Kloſter leben, immer ſchweigen, und nur taͤglich Pſalmen fin» gen konnte, fühlte er freilich, daß auf dieſer Erde keine Vollkommenheit zu fin den ſei, und der Stand eines Moͤnches ſchwer auf den Fittigen eines thaͤtigen

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Geiſtes ruhe, ober er war auch entſchloſ⸗ fen genug, ſich geduldig in, fein Schikſal zu fügen; und des Augenbliks ruhig zu harren, in welchem er aus ſeiner einfas men Zelle hervortreten, und Seelenhirte der ungluͤklichen Menſchen werden koͤnne. Lange harrte er vergebens, denn fein Onkel war indes geſtorben, und ein an derer zum Abte erwaͤhlt worden, der ſeine Verdienſte nicht kannte, wenigſtens nicht achtete. Erſt nach zwanzig Jahren, die Euſtach redlich zur groͤſſern Kenntniß benuzt hatte, forderte die Aebt ſſin des Kloſters zu —l einen ruhigen, ſtillen und gutdenkenden Mann zum Beichtvater ihrer Nonnen Ruhiger und ſtiller lebte im ganzen Kloſter keiner als Euſtach, er ward daher vom Abte dazu ernannt, und trat fein Amt mit dem feſten Vor jazze

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an, die Pflichten deſſelben nach ihrem ganzen Umfange zu erfüllen. Bald ward er auch von allen Nonnen gleich einem Vater geliebt und geehrt, denn er troͤſtete die Trauernden, ſalbte die Wunden der Leidenden, und vernichtete durch Gruͤnde die aͤngſtlichen Zweifel der Unſchuldigen, welche jedes Wort und jeden unwillkür⸗ lichen Blik fuͤr eine verdammungswuͤrdige Suͤnde achteten. Noch nie hatte er ge liebt den Drang dieſer Leidenſchaft zwar oft gefühlt, aber ihn immer durch feſte Grundſaͤzze bekaͤmpft, und war in dieſem oft tobenden Kampfe eben ſunfzig Jahr alt geworden, als er in die Zelle trat, in welcher Fraͤulein Karoline gefan⸗ gen ſas.

Sein Anblik ſchrekte ſie, denn ſie

ſchleß vom Aeuſſern aufs Innere, und erwartete von einem Moͤnche eine harte Strafpredigt, die fie nicht verdient hatte. Euſtach fuͤhlte den widrigen Eindruk, welchen er auf Katelinens Herz machte, und ſuchte ihn durch ſanfte Worte zu tilgen, aber feine Abſicht mißlang anfangs ganz, weil ſie ihn fuͤr einen Heuchler nahm, der fie zu fangen und zu Beiträgen gekommen ſei, ſie antwortete daher aͤuſſerſt wenig, und oft dann gar nicht, wenn Euſtach ihre Antwort am begierigſten ers wartete. Am Ende des erſten Geſpraͤchs erklärte fie feſt und entſchloſſen, daß alle Bosheit und Tuͤkke der Menſchen, alle Gewalt, die ihnen vergoͤnnt ſei, nicht faͤhig ſein wuͤrde, ſie zu zwingen, die Religion ihrer Vaͤter zu verlaͤugnen, und eine andre zu waͤhlen, deren Grundſaͤzze

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ſie zwar ehre, aber deswegen noch nicht für überzeugend achte. Der würdige Prieſter fand dieſe feſte Erklärung nach feinem Sinne, und ging, um der Mehl tiſſin offen zu erklaͤren, daß man die Geſangne ganz verkenne, ſie keineswegs fuͤr eine Wahnſinnige und Verierte ſon⸗ dern für eine Ungluͤkliche nehmen muͤſſe, an welcher Schikſal und wahrſcheinlich gar Liſt und Betruͤgerei ihre Tuͤkke uͤben wolle. Aber dieſe ofne Erklaͤrung miß⸗ fiel der Aebtiſſin im hohen Grade, ſie entgegnete, daß ſie ſich ſtark genug fuͤhle, den Starrſinn des Maͤdchens zu bre⸗ chen, und die noͤthige Bekehrung dieſer Suͤnderin ſelbſt zu uͤbernehmen, wenn er, deſſen Pflicht es ſei, ſich ſo ſchnell durch liſtige Ligen bethoͤren und abſchrek⸗ ken laſſe. Euſtach war klug genug, das

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ſchrekliche Ungluͤk, in welches er die arme Leidende ſtuͤrzen würde, ganz zu ‚übers blikken, und verſprach, noch einen neuen Verſuch zu wagen, ehe er ſolche der Leis tung der Aebtiſſin uͤberlaſſe. Dieſe war damit zufrieden, und Cuſtach beſuchte am andern Mergen Karolinen aufs neue.

Wahrheit, Redlichkeit und Bieder⸗

fin‘ wird oft verkannt und verachtet; | aber findet eine dieſer erhabnen Tugen⸗ den Gelegenheit, anhaltend zu wͤrken, ſo iſt ihe Sieg gewiß und entſcheidend. Solch einen Sieg errang auch der red. liche Euſtach beim zweiten Beſuche. Ras toline ward nach und nach uͤberzeugt, daß ein Heuchler nicht ſo innig und theilnehmend ſprechen koͤnne, ſie oͤfnete

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ihm ihr Herz, und er ward noch an dieſem Tage der Vertraute ihrer ganzen Geſchichte. Der feſte, unnachahmliche und eben ſo unbeſchreibliche Ton und | Ausdruk, mit welchem nur allein die Wahrheit zu ſprechen fähig iſt, übers zeugte Euſtachen vollkommen, aber kei⸗ nesweges die Aebtiſſin, welche die ganze Geſchichte, als ihr ſolche der Prieſter wieder erzählte, fuͤr neue Liſt und Trug nahm, und feſt darauf beſtand, daß er feine Pflicht erfüllen, und Karolinen zum reuenden Kinde ihrer Kirche ma⸗ chen ſollte. Euſtach verſprachs mit dem Munde, aber er beſchloß auch eben ſo feft in ſeinem Herzen, die arme Ungluͤk⸗ liche nicht zu zwingen, die Wahrheit ih⸗ rer Geſchichte ſtreng zu pruͤfen, und faͤnde er ſie aͤcht, ſie aus den Haͤnden

| einer

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zu

———

einer Frau zu retten, die nicht aus Vorſaz, ſondern durch frommen Eifer verleitet, ſie auf ünmer ungluͤklich und elend machen wollte. Karoline hatte in ihrer Erzaͤhlung eine Menge Perſonen genannt, welche wenigſtens die Reiſe des Grafens beſtaͤtigen konnten, er ſchrieb an einige derſelben, ehe er aber noch die Antwort erhielt, war er durch den naͤhern Umgang mit Karolinen ſchon überzeugt worden, daß ſie keiner Ver ſtellung, keines Truges fähig ſei. Ihre Klagen über den Verluſt des innig ges liebten Graſens, ihre Begierde, dieſen mit dem Verluſte ihres Lebens willig zu retten, machten tiefen Eindruk auf fein Herz, er begann die Ungluͤkliche als ſein eignes Kind zu betrachten, und als dieſes auf das innigſte zu lieben. Sein 3. Theil. 8

es

Herz hatte noch nie die Macht der Liebe gefühlt, auch izt bekaͤmpfte er ſolche mit Standhaftigkeit, aber er war, durch Zeit und Gelegenheit geſchwaͤcht, nicht fähig, ihre Kraft ganz zu vernichten, ſie verſtekte ſich hinter die maͤchtige Schuzwehr der vaͤterlichen Liebe, und da dieſe ſeinen Grundſaͤzzen nicht wie⸗ derſprach, ſo oͤfnete er ihr willig fein Herz, und liebte Kerolinen als Vater zaͤrtlicher und inniger, als je der eif⸗ rigſte Liebhaber ſeine Geliebte lieben kann, und lieben wird. Dieſer wohls thaͤtige Trug, den diesmal die Liebe übte, artete nie in das kleinſte Verbres chen aus; durch ſtrenge Grundſaͤzze ges feſſelt, war fein Herz mit dem Vater⸗ namen eben fo zufrieden, wie der Liebs haber mit dem Namen Gatte, und wenn

c

er ſich fein Kind ruhig und gluͤklich dachte, fo war er eden fo vergnuͤgt, als wenn ſich der leztere die Seliebte ſeines Herzens an ſeiner Seite am Altare vor⸗ ſtellt. Sie zu retten, war nun ſein einziges Beſtreben, und da Koroline dieſe Rettung für ganz unnuz achtete, wenn fie nicht ihrem geliebten Grafen nacheilen und auch dieſen retten koͤnne, ſo wars dem liebenden Vater wohl nicht zu verdenken, und bei dem enthuͤllten Zuſtande feines Herzens wohl eben ſo wenig unnatürlich, wenn er die Hofnung zu dieſer moͤglichen Rettung in Karoli⸗ nens Herzen nicht allein nahrte, ſondern auch würklich nach allen Kräften förderte. Der Gedanke, Karolinen nicht mehr als ſein Kind zu ſehen, ſich von ihrer mes lodiſchen Stimme nicht mehr Vater ge⸗

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nannt zu hoͤren, war ihm bereits ſchrek⸗ licher als der Tod, fuͤrchterlicher als die Schande geworden, welche, bei Ausfühs rung feines Vorhabens, ſeinen Ruf, feinen guten Namen zu beflekken drohte, ihm war auſſer Karolinen auf der ganzen Welt alles gleichguͤltig, ſelbſt ſein Ges wiſſen achtete die Zerſtoͤrung des ſchrekli⸗ chen Betrugs, die Rettung des unglük⸗ lichen Graſens, und die Vereinigung zweier Geliebten fuͤr ein nuͤzlichers Werk, als unthaͤtiges Kloſterleben, und wenn Herz und Gewiſſen in guter Eintracht leben, ſo moͤgen alle andre Leidenſchaften gegen ſolche kaͤmpfen, ſie nn idie Alliirten doch nicht.

Sed ging kein 1 des Trugs aus des edlen Prieſters Munde, izt be⸗

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trog und hinterging er die Aebtiſſin täge lich mit der ſtets ſtaͤrkern Verſicherung, daß die Verirrte Reue fuͤhle, bald ganz uͤberzeugt in den Schoos der Kirche ruͤk— kehren, und als Nonne das Geluͤbde der ewigen Keuſchheit freiwillig ablegen werde. Er übte dieſen Trug, um indes Zeit zu gewinnen, ſeinen Plan ſicher und gut ausführen zu koͤnnen. Karoli⸗ nens Flucht aus dem Kloſter war leicht und mit gar keiner Geſahr verbunden, denn er konnte als Beichtvater ungehins dert durch einen Gang, welcher das Kloſtee mit den Wohnungen der Abtei verband, zu jeder Stunde in die Zellen der Nonnen gelangen, und ſein geliebtes Kind eben ſo ſicher durch dieſen nach ſei. nem Zimmer führen, aus welchem er even ſo unbeobachtet zu allen Zeiten die

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Abtei verleſſen konnte, aber er mußte zu fruͤhe Entdekkung, Nachſezzung und dann die ſchwere Rache des beleid igten Kloſters fürchten, und dieſe nach allen Kraͤften zu hemmen, wenigſtens zu eur ſchweren ſuchen. Jedes Jahr beſuchte er die Brüdeg ſeines Ordens Die Zeit, in welcher er gewöhnlich dieſen Beſuch ablegte, erſchien izt, und er beſchloß, ſie zur Förderung der Flucht zu verwenden, Karoline weinte, als er dieſer Reiſe ge⸗ dachte, aber ſie faßte ſich eben ſo ſtand⸗ haft, als er ihr die Nothwendigkeit der⸗ ſelben bewieß und beſchloß, feinem wei: ſen Rathe zu Folge, ſich unter dieſer Zeit ſo zu betragen, daß alle Nonnen ſamt der Aebtiſſin an der baldigen Vollendung ihrer Bekehrung nicht zwei⸗ feln ſollten. Anſtatt nach feinem Kloſter

zu reiſen, nahm Euſtach feinen Weg nach einer nah gelegnen Hauptſtadt, ließ ſich dort zwei Moͤnchskleider, welche die Glieder des Ordens der Teinitaren tragen, verfertigen, und reiſte dann nach einem andern Städtchen, deſſen Bas wohner ſich zur Augsburger Konfeſſion bekannten. Die Moͤnche der Trinitaren haben das Geluͤbde, gefangne Kriſten aus den Haͤnden der unglaͤubigen Tuͤr⸗ ken und Barbaren zu erloͤſeu, ſie wan⸗ dern oft in der Welt umher, um zu dieſer Abſicht Geld zu ſammeln, werden auf jedem kriſtlichen Schiffe willig auf; genommen, und ſelbſt unter den Tuͤrken ruhig geduldet, wenn fie, um ihr Ge— luͤbde zu erfuͤllen, dieſe Laͤnder betreten, weil ſie den Herren der armen Sklaven Gewinn bringen, und ſich vorzuͤglich

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auch nicht weigern, diejenigen zu loͤſen, die Alter und Krankheit zur Arbeit und zum Verkaufe gleich umüͤchtig gemacht hat. Er waͤhlte alſo dieſen Anzug für ſich und Karolinen nicht allein aus der Abſicht, um unentdekt mit ihr zu fliehen, ſondern auch mit ihr in jene Länder gelangen zu koͤnnen, in welchen fie, ungeachtet feiner. gruͤndlichen Vorftellang eines wiedrigen Erfolgs, ihren geliebten Grafen aufſu⸗ chen, von ſeiner Schwärmerei heilen, und aus der drohenden Gefahr retten wollte. Strengeker Leſer, ſpottet nicht uͤber den Schwachen, welcher durch die Bitten und Klagen der Unglüklichen verleit⸗ tet, dieſem Rieſenplan endlich beitrat, und nach Kräften auszuführen beſchloß, ich habe euch ſein Herz ſchon entfaltet, und wer in ſolcher Lage, unter ſolchen Um⸗

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ſtaͤn den nicht allein eben ſo ſchwach, ſon⸗ dern auch noch unedler und eigennüzziger handelt, der hebe den erſten Stein gegen ihn auf. Ich wenigſtens erklaͤre offen: herzig, daß ich dem wuͤrdigen Prieſter auch dann noch meine volle Achtung und Verehrung zollen werde, wenn er in trug⸗ voller Verkleidung mit einem Maͤdchen an der Hand die Welt durchreiſt, denn ſeine Abſicht war edel und gut, er mißbrauchte die Gelegenheit, welche ſich ihm fo oft und mannichfaltig darbot, nicht ein einzi— gesmal, er bekaͤmpfte eine Leidenſchaft, die ſich unter ſolchen Umſtaͤnden taͤglich mehren mußte, und ich wette, daß alle meine Leſer dieſem Edlen am Ende willig mit der Maͤrtirerkrone zieren werden. Ohne ihre Erklaͤrung izt ſchon zu erwar— ten oder zu heiſchen, kehre ich zur wei⸗

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tern Erzählung meiner Geſchichte zum ch, 5% 1

an | . Euſtach kannte in dem Städtchen, welches er izt beſuchte, den Pfarrer deſ⸗ ſelben. Dieſer hatte einſt aus Neugierde mit ſeiner Frau das Nonnenkloſter beſucht, var von Euſtachen mit vorzuͤglicher Ach⸗ tung empfangen worden, und mit der ums geheuchelten Verſicherung abgereiſt, daß er ihn nicht allein als einen wuͤrdigen Prieſter ſeiner Religion verehre, ſondern auch einſt thaͤtig zu vergelten wuͤnſche, wos für er izt Schuldner bleiben muͤſſe. Dies fen Pfarrer wählte Euſtach nun izt abs ſichtlich zum Beſoͤrderer feines Plans. Er vertraute ihm, daß man ein evangeli⸗ ſches Fräulein aus ihm zwar unbekannter, aber ganz gewiß unredlicher Abſicht nach

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dem Nonnenkloſter gebracht, und die Aeb⸗ tiſſin durch Gold und noch glaͤnzendere Verſprechungen verleitet habe, fir mit Ge⸗ walt zur Annahme der katoliſchen Reli⸗ gion und des Kloſtergelübdes zu zwingen, er erklaͤrte ſtanshaft, daß er dieſe unedle, gewiſſenloſe Handlung nicht billige, das Fraͤulein retten, und in die Arme ihrer Freunde rülkfuͤhren wolle, wenn er als ſtaͤrker intreſſirter Theil ihm feine Hülfe und Unterſtuͤztzung nicht weigern werde. Der Pfarrer verſprach alles zu leiſten, was in ſeinen Kraͤften ſtehe, und Euſtach forderte nur einen treuen Knecht mit eis ner Kutſche, welcher feiner zur beſtimm— ten Zeit und Stunde an einem eben ſo ſicher beſtimmten Orte harren, ihn und die arme Gefangne in moͤglichſt ſchneller Eile bis an die Ufer des Bodenſees ſuͤhren

ſolle. Dieſe Bitte ward nicht allein wil⸗ lig angehoͤrt, fordern ihm auch die Er⸗ fuͤllung derſelben aufs heiligſte zugeſichert, und Euſtach eilte nun nach dem Nonnen⸗ kloſter zuruͤk, um fein geliebtes Kind mit dieſen freudenvollen Nachrichten zu troͤſten.

Sie hatte in der Zeit feiner Abwe⸗ ſenheit vieles geduldet. Vorzüglich quaͤ⸗ lend und laͤſtig waren ihr die Beſuche des Prieſters geworden, welcher indes des abweſenden Euſtachs Stelle bei den Nonnen vertrat, und durch eifrigen Uns terricht auch gerne ſein Scherflein zur Bekehrung der Verirrten beitragen wollte, nicht ſanft und gut wie Euſtach ſprach, ſondern ſtets mit Hoͤlle und ewiger Vers damnis drohte. Aber Euſtachs Erzaͤh⸗

lungen verſüßten ihr die geduldeten bittern Stunden, und erfüllten ihr Herz mit Wonne, als er ihr erklaͤrte, daß ſie morgen fhon in der Nacht die Reiſe antreten werde, welche fie, ihrer chimaͤriſchen Hof nung nach, bald in die Arme ihres Se liebten fuͤhren ſollte.

Euſtach hatte ſich die Zeit hindurch, in welcher er in dem Orden lehte, ein kleines Kapital geſammlet, welches etwas uͤber hundert Dukaten betrug; als er am Tage vor der beſtimmten Flucht den Ueber; reſt deſſelben prüfte, ſo fand er freilich, daß dieſer auf einer ſolchen Reiſe ſich bald ganz in Nichts verwandeln werde, aber er zagte und ſorgte deswegen gar nicht. Die Kleidung, welche er fuͤr ſich und ſeine Tochter abſichtlich gewaͤhlt hatte,

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berechtigte ihn, jeden Reichen im Namen der gefangnen Kriſtenſtlaven um Beittag, Unterfützung und Förderung feiner Reiſe anzuſprechen, und alles dieſes mit Rechte zu erwarten. Daß ſein Betrug, den er hier uͤbte, nicht entdekt werden koͤnne, hofte er um fo zuverſichtlicher, weil ein gluͤkliches Ungefähpr ihn auch mit den er⸗ forderlichen Atteſten und Paͤſſen ausruͤ⸗ ſtete, und vorzüglich zu dieſer Verkleidung verleitete. Ein Moͤnch und Prieſter der Trinitaren war mit feinem Loibruder vor kurzem krank und elend im Nonnenkloſter angelangt, hatte dort gute Aufnahme ge⸗ funden, wurde aher ſtets kraͤnker und find: am dritten Tage feiner Ankunft. Der Lacbruder kehrte in fein Kloſter zuruͤl, und vergaß die Paͤſſe und Atteſte mitzu⸗ nehmen, welche der WVerſtorbne bisher in

Verwahrung gehabt hatte; erſt als man das Zimmer auftaͤumte, in welchem er vollendet hatte, fand man fie nebſt meh⸗ rern Schriften auf einem Tiſche und uͤber⸗ gab fie dem Beichtvater des Kloſters zur nöthigen Ueberſicht. Euſtach vergaß an⸗ fangs, dieſe Dokumente an den Obern des Ordens zu Ha nden, und hielt ſie endlich abſichtlich uruͤk, weil er feinen Plan darauf zu gründen begann, denn dieſe Papiere waren ihm wörklich bei feinem Vor haben vom ausgebteitetſten Nuz⸗ zen, weil er ſich ihrer, da die Geſtalt des Verſtorbnen darinne nicht geſchildert war, uͤberall bedienen, und ſelbſt in ents fernten Ländern fin den Kloͤſtern dieſes Ordens einkehren, und Unt'erſtuͤzzung fors dern konnte; eben ſo verdachtlos konnte die verkleidete Karoline an ſeiner Seite

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wandern, weil jeder ſie fuͤr den Laibru⸗ der nehmen mußte, welcher in den Paͤſſen und Dokumenten genannt war. Als am Abende nachher die Nonnen ihr Abend⸗ gebet vollendet hatten, kein flammendes Laͤmpchen ihre Zellen mehr erleuchtete, und ſie feſt ſchliefen, weil ſie ſchon mit dei erſten Hahnenrufe wieder nach ihrem Khore eilen mußten, ſchlich Euſtach nach Karolinens Zelle, ergriff ihre zitternde Hand, und leitete ſie ungehindert nach ſeinem Zimmer. Dort mußte ſie ſich in einer Nebenkammer in den Moͤnchs habit huͤllen, und wie auch er angekleidet war, durch die Gaͤnge der Abtei nach dem Garten folgen, aus weichem ſie ungehin⸗ dert, da er den Schluͤſſel der hintern Thuͤre beſaß, ins Freie gelangen konnten. Ehe ſie den Garten erreichten, begegneten

ihnen

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ihnen die zwei Nachtwaͤchter des Kloſters; Karoline zitterte und bebte, und Euſtach wußte nicht, was er ſagen und beginnen ſollte, aber Bloͤdſinn und Aberglaube ward diesmal ihr Retter, die weiſe Tracht der Trinitaren ſchrekte die Wächter, fie ſtuz⸗ ten mächtig, kehrten den Schein ihrer Later⸗ nen furchtſam nach den Kommenden, und wie fie in dieſen Trinitarmoͤnche erkannten, fo flohen fie eilend, weil fie hoͤchſt wahrs ſcheinlich glaubten, daß der erſt feit kurzen verſtorbne Mönch ſoukhaft umherwandle. Euſtach ſah fie fliehen, errieth die Ur ſache, und ſchritt nun wakker vorwaͤrts, um mit ſeinem geliebten Kinde den Garten zu erreichen Sie durchwanderten dieſen gluͤklich, erreichten eben jo gluͤklich ein Waͤldchen, und trafen dort die Kutſche, wel⸗ che Euſtach bei ſeinem Freunde beſtellt hatte. 3. Theil. &

98 J ðÄ dd TREE NETTER EEE EN Raſch gings nun vorwärts, und am Mittage des andern Tages hielten ſie am Ufer des Bodenſees ſtille. Der Kutſcher ſchied hier, mit Danke fuͤr ſeinen men⸗ ſchenfreundlichen Herrn beladen, von ihnen, und beide wanderten nach Lindau, deſſen Thuͤrme ſchon vor ihnen lagen. Als fie dort anlangten, wehte eben der Wind nach den Gegenden der Schweiz. Euſtach eilte nach dem Hafen, fand dort ein fer gelfertiges Schiff, und ehe noch drei Stunden verfloſſen waren, betrat er und Karoline die Ufer eines Landes, nach welchem ſich jeder Fluͤchtling, jeder Un⸗ gluͤkliche fo herzlich ſehnt, und in mels chem fo viele derſelben Schuz und Ruhe gefunden haben. Euſtach ſuchte hier beir des nicht, denn ſeine Tochter trieb ihn maͤchtig, ſo ſchnell als moͤglich mit ihr

gen Zürich zu eilen, weil fie dort nähere Nachrichten von der weitern Reiſe ihres theuern Grafens zu erfahren hofſte. Der ſchwere, aus groben Tuch verfertigte Moͤnchshabit war ihren Schultern eine ungewohnte Salt, fie erlag, als ſie am

andern Morgen St. Gallen erreichten, unter dieſer, und Euſtach wagte es, die Mönche dieſes berühmten Keoſters für ſei⸗ nen kranken Mitbruder um einen Wagen anzuſprechen, und ſeine Bitte fand um ſo williger Erhoͤrung, weil der Liſtige ihnen verſprach, ihrer in feinem Gebete zu Je— ruſalem zu gedenken, wohin er zu reiſen vorgab.

Auf dieſe Art erreichten die Fluͤcht⸗ linge ohne Anſtand die ſchöne Stadt Zuͤ— rich, nur roͤtheten ſich Karonnens Wan

G 2

100 gen allemal mächtig, wenn die offenherzis gen, nicht katoliſchen Schweizer den Eu⸗ ſtach mit Vorwuͤrfen uͤberhaͤuften, daß er ein ſo ſchoͤnes, junges Blut den Gefahren der Reiſe aus ſezze, und in der weiten Welt umherſchleppe. Euſtach ſchuͤzte freis

lich den blinden Gehorſam vor, i den jedes | Mitglied feines Ordens fihmören müßte, und behauptete mit unter, daß nicht ger wohnte Beſchwerden um fo verdienftlis cher wären, aber die treuherzigen Schweis zer wollten dieſes Verdienſt nicht einſehen, und behaupteten dagegen, das es beſſer ſei wenn ſolch ein ſchwacher Juͤngling noch unter der Obſorge ſeiner Eltern weile, und erſt bei reiferer Vernunft und aͤltern Jahren einen ſolchen beſchwerlichen Stand wähle, doch fchöpfte keiner den Ver⸗ dacht einer moͤglichen Verkleidung,

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SS - rr und die Flüchtlinge reißten ungehindert weiter. |

In Zürich erfuhr Euſtach, daß der deutſche Graf, welcher in dem beruͤhmten Gaſthofe zum Schwerde gewohnt hatte, ſchon lange abgereißt ſei, und, wie ein Reiſender erſt vor kurzen erzaͤhlte, auf dem St. Bernhardsberge beinahe in Schnee und Eis erfrohren waͤre, wenn die Moͤnche des dortigen Kloſters ihn nicht gerettet und ſeine weitere Reiſe nach Italien gefoͤrdert haͤtten. Euſtach ver— ſchwieg ſeiner Tochter abſichtlich die Ge⸗ fahr, in welcher ſich ihr Geliebter befun⸗ den hatte, erzaͤhlte ihr nur ſeine weitere Reiſe, und ſie beſchwor ihren Vater, nun recht ſchnell dieſer Spur nach zu eilen, um den Grafen wo moͤglich noch an den Ufern

des Meeres zu erreichen. Er erkannte die Nothwendigkeit dieſer Eile gleich ihr, that alles, was in ſeinen Kraͤften ſtand, um ſolche zu foͤrdern, beſorgte Wagen und Pferde, und uͤberſtieg auf dem Ruͤkken der Maulthiere mit der izt ſehr muthigen Ras roline die fürchterliche Spitze des St. Bernhardstergs, Er kehrte zwar gleich

ellen Reiſenden auch in dem Kloſter ein,

wo der Graf ebenfalls übernachter hatte, aber er huͤtete ſich abſichtlich, bei den Moͤn⸗ chen nach ihm zu forſchen, weil er mit vollem Rechte befürchtete, daß fie fein Un gluͤk erzählen, und dadurch Ka olinens Herz mit Angſt und Qual fuͤllen wuͤrden.

Als ſie Italiens Gefilde erreichten, mußten ſie ihre Eile hemmen, den Eu— fuchs Boͤrſe war nun bis auf den Boden

103 geleert, und er mußte ſich izt, zu Fuſſe wandernd, ſeiner Paͤſſe bedienen, um ſich und ſeiner Karoline Nahrung und Un— terhalt zu verſchaffen. Er fand ſolche ſtets reichlich, aber das noͤthige Suchen verzoͤgerte ihre Reiſe auch maͤchtig, doch klagte Karoline nie über dies unvermeid— liche Schikſal, und war feſt entſchloſſen, ihrem Geliebten auch uͤbers Meer bis un⸗ ter Palmirens Ruinen und bis an die Waſſerfaͤlle des Nils nachzufolgen. Eu— fach bezweifelte zwar anfangs die Mögs lichkeit der Ausfuͤhrung, aber da dieſer Zweifel Karolinens Herz aͤuſſerſt betruͤbte, ſo ſchwieg er bald, und ſtaͤrkte am Ende ſo gar ſein Kind in dieſer kuͤhnen Hof⸗ nung. 5

Stets waren ſie ſo gluͤklich, die Spur

104 a dd d der weitern Reiſe des Grabens zu ent⸗ dekken, und langten, von dieſer geleitet, endlich wohlbehalten zu Marfeille an. Euſtachs Börfe hatte ſich unter dieſer Zeit mächtig gefüllt, je näher die Wandernden dem Ufer des Meeres kamen, je reichli⸗ chere Wohlthaten empfingen ſie, weil je⸗ der der Spender irgend einen Freund oder Anverwanden auf dem Meere hatte, und daher gegründet waͤhnte, daß dieſer viel leicht in der Sklaverei ſchmachten, und eine anſehnliche Gabe vielleicht ſein Elend enden könne. Euſtach ſparte überdies abs ſichtlich, weil er uͤberzeugt war, daß ſein Kind auf dem Meere manches bedürfen werde, was er nicht ohne Geld erhalten koͤnne, auch milderte ſelbſt der Gedanke ſeine ſtets ſich mehrende Qual, daß er wahrſcheinlich eine Wallfahrt nach dem

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heiligen Lande unternehmen, und dort am Grabe des Welterloͤſers dem Allgü⸗ tigen ſein namenloſes Leiden klagen Füns ne. Sein namenloſes Leiden? Ja, meine verehrungswuͤrdigen Leſer, dies duldete er taͤglich und ſtuͤndlich, und da wir eben zu Marfeille angelangt find, wo es der Zubereitungen zur weitern Reiſe ſo manche bedarf, ſo wird hier die beſte Gelegenheit fein, fie mit der Urſache dieſes Leidens naͤher bekannt zu machen. Ich habe ihnen ſchon ehemals das Herz des Aermſten geoͤfnet, und fie überzeugt, daß Liebe die maͤchtige Triebfeder war, welche ihn zu Karolinens Rettung, und zu einer That verleitete, die ihn in den Augen aller ſeiner Mitbruͤder und des größten Theils feiner Bekannten zu ei⸗ nem Meineidizen herabwuͤrdigte. Frei⸗

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lich verbarg ſich dieſe Liebe anfangs uns ter dem Dekmantel vaͤterlicher Zaͤrtlich⸗ keit, aber da ſie dieſe Hülle nicht mehr noͤthig erachtete, da ihr ſolche nicht mehr gnuͤgte, ſo warf ſie ſolche muthig ab, ward von Euſtachs Grundſaͤzzen zwar eben fo muthig bekaͤmpft, aber nie übers wunden, und uͤberraſchte ihn oft bei Gelegenheiten, wo er ſich ſicher duͤnkte. So zaͤrtlich, fo feft, fo anhaͤngend und über alles erhaben liebten noch wenige irdiſche Menſchen, wie Euſtach nach und nach ſeine Tochter zu lieben begann. Zeit und Gelegenheit foͤrderten dieſe Liebe gleich maͤchtig und ſtark. Karoline, die ſich Eaſtachen nur ais ihren Vater dachte, ihn nur als dirfen liebte und ehrte, ruhte oft unbeſorgt auf einem Strohlager an ſeiner Seite, enthuͤllte

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oft, wo fie nicht Ueberraſchung beſorgte, in unſchuldigen Vertrauen ihre Reize. Was bei dieſem Anblikke Euſtach dul⸗ dete und litt, kann nur derjenige erınch ſen und fuͤhlen, der ſich in aͤhnlicher Lage befand, und durch Achte Grundſaͤze oder unuͤberwindliche Hinderniſſe abge⸗ halten ward, ſeine Leidenſchaft zu ent⸗ dekken, oder mit ſtaͤrkerer Hofnung zu naͤhren. Oft uber waͤltigte den Dulder zwar der allmaͤchtige Drang, er ſtürzte nach feiner innig Geliebten hin, ſchloß fie in feine Arme, und dritte fie an fein brennendes Herz, aber immer ward in dieſem gefährlichen Zuſtande fein zar— tes Gewiſſen rege, entnervte fernen Muth, und wenn dann Karoline die Beweiſe ſeiner Zaͤrtlichkeit mißdeutete, ihn theuerſter, beſter Vater nannte, ſo

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ſtammlete er ihr ein geliebtes Kind ent⸗ gegen, ob gleich ſein Herz ganz anders dachte und fühlte. Oft ergrif ihn ſchuͤt⸗ telnd die graͤßliche Vorſtellung, daß er den Abgott ſeines Herzens einem andern in die Arme führe, und bald zuſehen werde, wie dieſer in ihren weichen Ars men ruhen, ſie kuͤſſen, herzen und zum Weibe waͤhlen wuͤrde, dann war ſein Zuſtand ſchreklich, dann waͤre er ſicher ein Opfer der Verzweiflung geworden, wenn ihn nicht immer die ſuͤſſe Hofnung gelabt haͤtte, daß ſie ihn nicht finden, endlich im Suchen ermuͤden, und ihm dann Gelegenheit goͤnnen werde, ihr auf immer ſeinen Schuz und ſeine Hand anzubieten, und doch that Euſtach alles, was er noͤthig und naͤzlich fand, um den umherirrenden, verhaßten Graſen

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zu finden. Es waͤre ihm ein leichtes und bei ſeiner Leidenſchaft ein ſehr ver⸗ zeihungswuͤrdiges Verbrechen geweſen, wenn er die Unerfahrne auf Aswege ger leitet, und ſeine Beute auf immer ge— ſichert haͤtte, aber ſolch eine That be⸗ ſtritten feine Grundſaͤzze, fein Gewiſſen,

das nur dann ſchweigen mußte, wenn

der Sturm der ſchreklichen Leidenſchaft zu heftig tobte. Er glich vollkommen einer Eiche, die der Sturm zwar oft

tief beugt, aber doch nicht entwurzelt.

Denkt euch nun, liebe Leſer, in dieſe ſchrekliche Lage, ſtellt euch vor, daß der funfzigjaͤhrige Euſtach feinen ſtarken Koͤr⸗ per nie durch irgend einen uͤbermaͤſſigen Genuß der Leidenſchaften ſchwaͤchte, daß noch alle Kraft des Mannes in ihm ver⸗ ſammlet war, in ihm lebte und webte,

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und ihr werdet euch eine ſchwache Vor ſtellung ſeines Kampfes, ſeiner Leiden machen, ihm euer Mitleid eben fo wer nig, wie eure Bewundeeung verſagen konnen, denn dieſe verdient er würklich im hoͤchſten Grade. Wer unter euch haͤrte jo anhaltend gelitten, und fo tapfer

gekämpft? .

In Morſeilſe, in dieſer volkreichen Stadt, die ſo ganz dem tobenden Meere gleicht, an deſſen Ufern ſie thront, ſchwand die Spur, welche fie bisher dem Gra⸗ fen nach geleitet hatte. Gleich den Wo gen des Meers wallte Tag und Nacht ein gedraͤngter Haufe Volks durch die Hauptſtraſſen dieſer Stadt, und wenn Euſtach es wagte, ſich unter dieſen zu miſchen, und Nachfrage zu beginnen,

fo ward er gemeiniglich verhöhnt und vers fpottet, weil er einem Thoren glich, der einen einzelnen Regentropfen im Meere ſuchen und finden will. Mit raſtloſer Mühe durchſpaͤhte er alle oͤffentliche Gaſt⸗ hoͤfe der Stadt, konnte, wenn auch jeder. ihm Wahrheit verkuͤndigte, doch in allen dieſen keine Nachricht finden, weil der Graf nie einen derſelden, und nach ge woͤhnlichem Gebrauche aller Fremden das Haus eines Bürgers im Hafen bewohnt hatte. Karoline trauerte innig, toenn er ohne Nachricht in die Herberge ruͤkkehrte, und dieſe Trauer bewog Euſtachen ſteis zur neuen Spaͤhe, als er aber einen Monden lang vergebens ſpaͤhte, und endlich mit der

Nachricht heimkehrte, daß im Hafen ein

ſeegelfertiges Schif liege, welches mit dem erſten Winde nach Alexandrette ſeegeln

112 werde, da flehte Karoline, daß er auf dieſem für fie und ihn einen Plaz mies then möge, weil fie feſt uͤberzeugt zu ſein glaubte, daß der Graf ſchon laͤngſt nach Palmirens Ruinen abgereiſt ſei, und man ihn nur dort ſuchen und fin— den koͤnne. Euſtach glaubte mit ihr ein gleiches, und eilte, ihren Wunſch zu ers füllen.

Der Schifskapitain war zum Gluͤkke ein Mann, der die Religion und ihre Diener hochehrte. Schon als Knabe war er in die Sklaverei der Türken get rathen, und durch den Orden der Trinis taren aus dieſer erloͤßt worden, er freute ſich daher hoch, einem Mitgliede dieſes menſchenfreundlichen Ordens nuͤßlich wert den zu können, bot ihm willig den bes

ſten

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ſten Platz auf feinem Schiffe, und freien Unterhalt bis nach Alexandrette. So ſehr dieſe Nachricht Karolinens Her; er— freute, eben ſo ſehr aͤngſtigte ſie auch auf der andern Seite Euſtachens nicht ungegruͤndete Furcht, daß auf einem Schiffe Karolinens Geſchlecht ſehr leicht entdekt werden koͤnne, weil jeder Zweif— ler Zeit und Gelegenheit in Fuͤlle habe, ſie naͤher zu betrachten, und zu belau— ſchen. Um ſie dem gierigen Blikke der Matroſen zu entziehen, und dieſe von ‚näherer Prüfung abzuhalten, rieth da⸗ her Euſtach weislich, daß ſie ihr ſchoͤ— nes Geſichte, weiches bei allen Muͤh— ſeligkeiten der Reiſe, durch die Hoffnung geſtaͤrkt, gleich einer friſchen Roſe bluͤh⸗ te, entſtellen, und mit einer Okererde faͤrben ſollte. Karoline fand dieſen Rath 3. Theil. 9

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nuͤklich, machte Verſuche, und dieſe gelangen ſo vortreflih, daß ſich Enſtach ſelbſt aufrichtig darob freute, weil dieſe ihm alle die Reize verbargen, welche ſo oft und unwillkührlich den 0 Kampf in ihm erneuerten.

Schon am dritten Tage nachher be⸗ ſtieg er mit ſeinem verſtellten Laibruder das Schiff Er und diefir Hö.te es gleich gerne, wie alle Gegenwaͤrtige den aͤrmſten ob feiner kranken und bleichen Geſichts⸗ farbe bemitleideten, und mir Rechte zwei. ſelten, ob er die Reiſe zur See uͤberleben werde. Der menſchenſrenadliche Kapitain gab Euſtachen ſelbſt den Rath, daß er den kranken Mitbruder am Lande luͤklaſ⸗ fen möge, da aber dieſer die ſtrenge Pflicht feines Gelüͤbdes vorſchuͤzte, und behaup—

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tete, daß ihm Gehorſam und Erfüllung feines Auftrags angenehmer als laͤngeres Leben ſein muͤſſe, ſo nahm er ihn willig auf, und verſprach fuͤr ſeine Geſundheit vaͤterlich zu ſorgen. Aus dieſer Abſicht wieß er beiden eine kleine Kajuͤte neben der ſeinigen an, und da beide bald fer; krank wurden, ſo verpflegte man ſie in dieſer ſorgfaͤltig und reichlich. Die Fahrt war. überaus gluͤklich, der Kapitain vers ſicherte, daß er fie ſchon oft, aber nie fo ungehindert gemacht habe, und war ge⸗ fällig genug, ſie dem Gebete des Prie⸗ ſters zu verdanken. Sie ankerten gluͤk⸗ lich an Siriens Ufern in Alexandrettens Hafen, und der Kapitain uͤberließ die Wanderer nun ihrem eigenen Schikſale, nach dem er ſie aufs beſte und dringendſte dem Konſul ſeiner Nazion empfohlen 2 2

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hatte. Dieſer forſchte bei Euſtachen nach der Abſicht und dem Ziele feiner Reiſe. Euſtach war ſchon von lange her auf dieſe Frage gefaßt, und erzaͤhlte, wie er von feinem Orden den ernſten Auftrag erhal⸗ ten habe, einem vornehmen deutſchen Herrn nachzuſpaͤhen, der die Ruinen Palmirens und die Waſſerfaͤlle des Nils zu ſehen, nach den Morgenlaͤndern gereißt, und wahrſcheinlich in die Sklaverei der Araber gefallen ſei, aus welcher er ihn dann erloͤſen ſollte. Der Konſul, welcher die groſſen Hinderniſſe dieſer Unterneh⸗ mung nur allzuwohl einſah, wiederrieth Euſtachen dies Wagſtuͤk ernſtlich, und bes wieß ihm nebenbei, daß er hoͤchſt wahr- ſcheinlich ſelbſt in die ſchrekliche Sklaverei der nomadiſchen Araber gerathen koͤnne, weil dieſe den Orden der Trinitaren nicht

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kennen, noch weniger ehren, und daher ganz gewiß den unberuſnen Loskaͤufer ſamt feinem Löfegeld in Empfang neh⸗ men wuͤrden. Da aber Euſtach alle dieſe Hinderniſſe zwar einſah, aber jedoch nicht fuͤrchtete, fo empfahl ihn der Konſul eini⸗ gen kriſtlichen Kaufleuten zu Aleppo und Damaskus, und gab ihm uͤberdies Unter⸗ richt, wie er dieſe Staͤdte, welche nach Palmirens Ruinen naͤher lagen, mit Sicherheit erreichen koͤnne.

Karoline war auf der Reiſe immer ſtill und traurig, izt da ſie den Hafen ver⸗ ließ, und gen Aleppo wanderte, war ſie muthig und froͤhlich. Eine geheime Ahn⸗ dung, die ſie nicht zu unterdruͤkken vermoch⸗ te, ließ ſie hoffen, daß ſir ihren Geliebten unter Palmirens Ruinen ſicher treffen wers

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de, und dieſe Hofnung verringerte in ihren Augen jede Gefahr, mit welcher ſie Euſtach izt abſichtlich bekannt zu machen begann. Gott wird uns ſchuͤzzen und glüklich ans Ziel ſuͤhren! ſprach ſie ſtets, achtete der ungewoͤhnlichen Hizze nicht, und trabte auf ihrem Pferde weiter, welches Euſtach fuͤr ſich und ſie bis Aleppo miethen mußte, weil kein Reiſender vermoͤg einem Geſezze zu Fuſſe von Alexandrette nach Aleppo reis ſen darf.

Schon am dritten Tage, als die Pil⸗ grime Aleppos Thuͤrme gluͤklich erreichten, fühlte Euſtach deutlich, daß die geheimen Leiden ſeines Herzens, verbunden mit dem ungewoͤhnlichen Klima, ſehr ſtark auf ſei⸗ nen Koͤrper zu wirken begannen. Er liebte Karolinen zu ſehr, um durch dieſe Nachricht

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——

ihr mit freudiger Hofnung gefuͤlltes Herz zu betruͤben, er verbarg ſein doppeltes Lei⸗ den ſorgfaͤltig vor ihr, und da ſie mehr als einmal auf ſchleunige Abreiſe drang, ſo ſanumlete er alle feine Kräfte, um dieſe zu fördern, und reißte mit ihr in Geſellſchaft einer kleinen Karavane nach Damaskus ab. Ehe fie aber dieſe Stadt erreichten mehrte ſich Euſtachs Krankheit, die wahrſcheinlich eines der hefſtigſten, hizzigen Fieber war, ſo ſtark, daß er, ſeiner Sinne nicht mehr mächtig, am Abende nach einer Kavane ges tra zen werden mußte, im Irrwahne der weinenden Karoline ſeine heftige Liebe ge⸗ ſtand und ſchilderte, und am Morgen, ehe der Tag graute, in ihren Armen verſchied, und ſein namloſes Leiden endete.

Karolinens Lage war nun allerdings

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ſchreklich und hoͤchſt gefaͤhrlich, in einem fremden Lande, unter einer wilden, unge⸗ ſitteten Nazion ihres einzigen S chuzzes bes raubt, und nicht mehr fähig, die Verklei⸗ dung, in welcher ſie ſich befand, gehörig und mit Vortheil zu benuzzen. Anfangs wollte ſie an des Vollendeten Seite den Tod, als ihren einzigen Troſt, erwarten, als aber einige kriſtliche Kaufleute, welche ſich unter dem Zuge befanden, ſie in italie⸗ niſcher Sprache troͤſtend anredeten, und verſicherten, daß ſie in Damaskus einige katholiſche Kloͤſter, und in dieſen gewiß Unterſtuͤzzung und Huͤlfe finden werde ſo beſchloß ſie, dem Rathe dieſer Maͤnner zu folgen , und in der Geſtalt eines Laibru⸗ ders unter ihrem Schuzze bis nach Da⸗ maskus zu reiſen. Ehe ſie dieſen Ent⸗ ſchluß faßte, hatte ſich die Karavane bes

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reits in reiſefertigen Stand geſezt, ver⸗ gebens flehte ſie die Kaufleute, daß ſie laͤnger weilen, und ihren toden Freund begraben helfen ſollten. Sie ſchuͤzten den Mangel der Zeit vor, verſicherten, daß ſchon andere Reiſende dieſen Liebesdienſt gezwungen erfüllen würden, und riethen ihr nur, ſich des Geldes zu bemaͤchtigen, welches ihr Freund wahrſcheinlich bei ſich getragen habe. Aber dieſe Handlung hatten ſchon, als die Ungluͤkliche mit den Kauf: leuten ſprach, einige der Knechte unter⸗ nommen, ſie fand keinen Pfennig bei dem Verſtorbnen, ſein Geldbeutel war ver— ſchwunden, und Karoline achtete in der Groͤſſe ihres Jammers dieſen Verfuft nicht, fühlte nur das Schrekliche des Abs ſchieds und der Trennung, und ward, ohne daß fire wuͤnſchte und wollte, nach

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dem Kamele geleitet, welches fie zu Aleppo zum erſtenmale beſtiegen hatte. Zum Gluͤkke erinnerte ſie ſich, als ſie nach und nach das Schrekliche ihres Zuſtan⸗ des überdachte, und zu fallen ſuchte, daß Euſtach die Kamele, als er ſie mie⸗ thete, ſogleich im Voraus bezahlen muß⸗ te, und ſorgte nicht mehr fuͤr den an⸗ dern Morgen, weil ſie auf der Reiſe mit Speiſe, und uͤberdies mit einigen Goldſtuͤkken verſehen war, die ihr Eus ſtach laͤngſt ſchon zum Gebrauche bei ir— gend einem unvorgeſehenen Zufall in den Aermel ihres Kleides eingenaͤht hatte. Die vollkommne Vernichtung all ih⸗ ter Hofnung, die ſchrekliche Ausſicht, daß ſie lebenslang in dieſem fremden Lan⸗ de wuͤrde verweilen, vielleicht die haͤr⸗ teſte Sklaverei dulden muͤſſen, beſchaͤf⸗

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seo

tigten und quaͤlten izt ihr Herz, und lieſſen die em den Verluſt eines Freun⸗ des, den ſie wirklich als Vater ehrte und liebte, noch tiefer fuͤhlen. Ihr Auge wurde nie trokken, und heil ihr, daß fie weinen konnte, ſonſt wuͤrde wahrſcheinlich auch der unermeßliche See⸗ lenſchmerz ihren Koͤrper uͤberwaͤltigt ha⸗ ben. Erſt izt ward ihr ihre Verkleidung verabſcheuungswuͤrdig und unertraͤglich, weil fie erſt izt all die Gefahren übers dachte, in welche ſie eine ſchnelle Ent⸗ dekkung ſtuͤrzen koͤnne. Nur dann wur⸗ de fie ruhiger, als fie feſt bei ſich bes ſchloſſen hatte, zu Damaskus irgend eine Kriſtenfrau aufzuſuchen, ihr Ge— ſchlecht dieſer zu entdekken, und fie fles hentlich zu bitten, ſie als Magd auf und anzunehmen.

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Die Reiſe bis gen Damaskus wur⸗ de- glüklich vollendet, niemand achtete des trauernden Moͤnchs, aber jeder der Reiſenden ehrte doch ſeine Trauer, in ſo weit, daß er ihn ungehindert und ruhig neben ſich ziehen ließ. An den Thoren von Damaskus hielt die Karavane, je⸗ der verließ ſein Kamel, beſorgte ſein Gepaͤkke, und eilte feinen Geſchaͤften nach, nur einer der Kaufleute war ſo menſchenfreundlich, der armen Verlaß⸗ nen Folge zu winken. Er leitete ſie durch verſchiedne Gaſſen, zeigte ihr end⸗ lich eine Straſſe, in welcher ſie, ſeiner Verſicherung nach, Keiſten und Unter⸗ ſtuͤzzung finden würde, und eilte dann ſchnell weiter, um, wie er vorgab, ſein Gepaͤkke zu beſorgen.

Hier ſtand nun Karoline allein und

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verlaſſen. Viele hundert Meilen von ih rem Vaterlande und Freunden entfernt, mitten unter einem Volke, das aͤuſſerſt barbariſch denkt, und deſſen Sprache ſie

nicht einmal ſprechen konnte. Ohne Be,

wußtſein, nur mit dem ſchreklichen Zus ſtande beſchaͤftigt, wankte fie in der bei zeichneten Straſſe vorwärts, und ſauk endlich matt und entkraͤftet auf der ſtei⸗ nernen Schwelle eines Hauſes nieder. Sie lehnte ſich in einen Winkel der vers

ſchloßnen Thuͤre, und ſtaͤrkte den Vor

ſaz, hier durch den Tod ihre Leiden zu enden. Viele gingen voruͤber, keiner ſchien ihrer zu achten, und der Abend nahte doch maͤchtig. Endlich oͤfnete ſich ein Theil der verſchloßnen Thuͤre, eine alte Frau trat mit einem Kruge in der Hand heraus, und blieb, wie ſie den

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Moͤnch erblikte, ſtaunend ſtehen. Ra roline blikte ſtumm, aber ahnend und hoffend mit weinenden Augen zu ihr hin⸗ auf. Was wollt, was ſucht ihr hier, ehrwuͤrdiger Herr? fragte endlich die Alte in deutſcher Sprache. Gott, du haſt mein Flehen erhoͤrt, und willſt mich nicht auf ewig verſtoſſen! entgegnete Ka⸗ roline in eben dieſer Sprache, und das

Geſicht der Alten laͤchelte freundlich. Ein

Deutſcher! rief ſie freudenvoll aus. Aber

ein Moͤnch fügte fie langſam hinzu, und ihre Mine ward ernſter.

Karoline. Wenn du menſchliches Gefühl kennſt, wenn du, wie deine Sprache verkündigt, eine Kriſtin biſt, fo erharme dich des elendeſten deiner Mits bruͤder, rette ihn vom nahen Tode.

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een Nimm mich auf in deine friedliche Woh nung, ich will dir all mein Ledelanı als Knecht, als Magd treu und ergeben dienen.

D ie Alte. (voll Mitleid) Gern woll te ich dich aufnehmen in mein Kaͤmmer— lein, willig durch ſorgfaͤltige Pflege dein bleiches Angeſicht farben, und deinen matten Koͤrper ſtaͤrken, damit du weiter wandern koͤnnteſt, aber du biſt ein Moͤnch,

ich kann, ich darf dich nicht einfuͤhren in dieſes Haus. Mein Herr ſonſt ganz

Mitleid und Güte, nur hier aͤuſſerſte

Strenge, hats verboten Ich wuͤrde

gleich dir, ausgeſtoſſen von ihm, auf der Straſſe huͤlflos verſchmachten muͤſ— ſen, wenn ich ſein Gebot zu uͤbertreten wagte. |

Karoline. O der Barbar! O der . ge Menſchenſeind! Doch ich will nicht gleiches mit gleichem vergelten. In meinem lezten Augenblik⸗ ke, der ohne Rettung bald nahen wird, will ich den Barmherzigen anflehen, daß er ihm die Thuͤre des Himmels oͤfne, ob er mie gleich hienieden die ſeinige nicht geoͤfnet hat. 11 110

Die Alte. Armer Junge, du ſollſt nicht verſchmachten, ſammle deine Krafte, und folge mir, ich will dich zu 3 Kapuzienern Führen, die unfern von

hier ein Hoſpizium halten. Sie werden ihren Glaubensgenoſſen ſorgfaͤltig pfle⸗ gen, und ihn zur fernern Reiſe ſtaͤr⸗ ken.

Karo⸗

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Karoline. (bitter) Ihren Gau: bensgenoſſen? Biſt du's, iſt's dein Herr nicht auch?

Die Alte. Nein, weder ich, noch er! Wir ſind zwar Kriſten, aber wir glauben nicht alles, was die katholiſche Kirche zu glauben befiehlt, wir

Karoline. (ergreift haſtig ihre Hand) Mutter, nimm mich auf, du biſt mein Glaubensgenoſſe Ich bin kein Moͤnch, zog nur dieſe Kleidung an, um in die; ſem Lande weiter wandern zu koͤnnen.

Die Alte. Kein Mönch? Wie kannſt du dieſes beweiſen?

Karoline. Sehe leicht und ſchnell! 3. Theil, J

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(blikt in der eben menſchenleeren Straſſe ſchüchtern umher, und enthüllt daun ſchnell iören Buſen) Blikke her, und urtheile: Ob ich ein Moͤnch ſein kann?

Die Alte. Gott im Himmel! Du biſt ein Weib! |

Karoline. Ja, ein Weib, und eine der ungluͤklichſten deines Geſchlechts! Erbarme dich meiner, und nimm mich in dein Kämmerlein auf! Laß mich dort, wenn du mir nicht nuͤzzen kannſt, wer nigſtens ruhig ſterben.

„Die Alte. Ich will ja herzlich

gerne, ich werde alles O du haſt

mein ganzes Mitleid! Harre hier

meiner nur ein wenig ich will erſt mit 5 |

| | | |

|

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meinem Herrn ſprechen, denn ohne ihn vermag ich nichts.

Karoline. So eile! Gott ſtaͤrke deine Fuͤrſprache, und erweiche fein Herz.

Die Alte ging, und kehrte bald freund⸗ lich laͤchelnd zuruͤk. Mit eben dieſem laͤchelnden Blikke reichte fie Karolinen die Hand. Komm, armes, krankes Kind, ich darf dich aufnehmen in mein Räms merlein, und pflegen nach Wohlgefallen. Wenn deine Kraͤfte ſich mehren, mußt du mir deine Geſchichte erzaͤhlen und biſt du dann unverdient ungluͤklich, haben boͤſe Menſchen dich aus deinem Vater⸗ lande verjagt, fo biſt du all dein Lebe— lang der Huͤlfe und Unterſtüzzung mein es Herrn würdig, kannſt fie kuͤhn fordern,

2

132 und mich eine Luͤgnerin ſchelten, wenn er fie dir je weigert. Was bes ginnſt du?

Karoline. (auf der Schwelle in be⸗ tender Stellung kniend) Ich bitte Gott um Vergebung, denn ich habe bereits an ſeiner unendlichen Barmherzigkeit gezweifelt.

Die Alte. (ſie aufhebend) Komm und genuͤſſe fie, denn du bedarfſt ſchleu⸗ nige e |

Die Alte leitete fie nun durch die Thuͤre des Hauſes nach einem reinlichen Gemache, brachte ihr noch am nemlichen Tage weibliche Kleider, und ward ihre emſige Waͤrterin. Karoline empfing die erſtern mit groͤßter Freude, denn ſeit ſie

der Hofnung, ihren Geliebten noch ferner ſuchen zu koͤnnen, entſagen mußte, war ihr nichts ſo unertraͤgſich als ihre Ver⸗ kleidung geweſen, ſie verſchwendete alle ihre Kraͤfte, um ſich nur ſchnell der Moͤnchskutte zu entledigen, und in die

weiblichen Kleider zu huͤllen. Staunend

ſtand die Alte da, und laͤchelte heiter und froͤhlich, wie Karoline ihr noch immer ge⸗ faͤrbtes Angeſicht mit emſigen Fleiſſe reis nigte, und ſich nach und nach ein zwar bleiches, aber doch ſchoͤnes Maͤdchengeſicht enthuͤllte. Voll Freude eilte ſie mit dieſer Nachricht zu ihrem Herrn, und brachte Karolinen die Verſicherung, daß auch er darob gelaͤchelt habe. Acht Tage genoß Karoline ſchon in dieſem Haufe die emſtsſte Wartung und Pflege, hatte aber inter dieſer Zeit noch niemanden als die Alte ge

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fehon und geſprochen, war auch von deſer nech nie uber ihre Geſchichte befragt wor den. Izt, da ſich ihre Kräfte mehrten, die Roſen ihres Angeſichts wieder ſichtbar zu werden begannen, Bat fie die Alte ſelbſt, ihre Guͤte zu vollenden, und ſie zu den Fuͤſſen ihres Herrn zu ſuͤhren, damit fie ihn für die genoſſenen Wohithaten danken, und um fernern Schuz anflehen könne,

Die Alte. (laͤchelnd) Er fordert deinen Dank nicht, und ſeines Schuzzes jft jeder Ungluͤkliche gewiß.

Karoline. Nein, ich muß ihn ſe⸗ hen, ich muß ihm danken!

Die Alte Traure nicht, liebes Kind, wenn ich dir dieſe Hofnung ganz

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rauben muß. Frage, und forfihe nicht, denn ich kann und darf dir die Urſache dies fee Weigerung noch nicht erklaͤren, aber deswegen ſei ganz ruhig, denn wenn er auch nie mit dir ſprechen kann, ſo wird deswegen ſeine Guͤte gegen dich nicht er⸗ muͤden. Er ſpricht von dir, er wuͤnſcht dich in der Ferne zu ſehen, und er wirds ſtatt Danks annehmen, wenn du mit mir nach ſeinem ſchoͤnen Garten ſpazieren gehſt. Zage nicht, die Abſicht, warum er dich zu ſehen wuͤnſcht, iſt edel, er iſt ein Greis, von dem du keine unedle erwarten kannſt.

Karoline war zu dieſem Spaziergange bereit und willig, und wanderte lange mit zwar wehmuͤthiger, aber doch ſtandhafter

„Empfindung unter den Blumen und men des Gartens umher, ſo emſig ihr

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ſchuͤchternes Auge auch ſpaͤhte, fo erblikte ſie doch niemanden im Garten, oder an den Fenſtern, die nach dieſem gingen. Mein Herr, ſprach die Alte am Abende zu, ihr, hat dich geſehen, und fein Auge hat mit Wohlgefallen auf deinem leidenden Geſichte geruht, er wuͤnſcht deine Leidens⸗ geſchichte durch mich zu erfahren, nicht, bloſſe Neugierde, ſondern Sehnſucht nach Unterricht wie er dich fuͤr die Zukunft behandeln ſoll, iſt die Triebfeder dieſes Wunſches. Willſt du dieſe befriedigen, ſo wirds dich ſicher nicht reuen. Karoline war bereit, diofe billige Forderung mit Freuden zu erfüllen, und erzaͤhlte der ten mit groͤßter Aufrichtigkeit die ganze Geſchichte ihres Lebens. Dieſe erzaͤhlte ſie am andern Morgen ihrem Herrn, und einige Tage nachher änderte ſich Karolis |

137 r eg * - >

nens Schikſal um ein groſſes. Bisher hatte die gutherzige Alte ihre Kammer mit ihr getheilt, ißt ward fie von dieſer nach einigen ſehr reizenden Gemaͤchern, gefuhrt, und ihr bedeutet, daß dieſe zu ihrer kuͤnf— tigen Wohnung beſtimmt waͤren. Karo⸗ line fand in dieſen alle mögliche Bequem lichkeiten, und vorzuͤglich eine Menge ſchoͤ⸗ ner Kleider, die zu ihrem künftigen Ge⸗ brauch beſtimmt waren. Zwei Madchen, die aber nur arabiſch ſprachen ſtanden im Vorgemache, und die Alte erklaͤrte, daß ſie ihr kuͤnftig dienen wuͤrden. Mit Recht ſtaunte Karoline uber dieſe ploͤzliche Veränderung, mit eben dieſem Rechte ver⸗ muthete ſie aber auch Schlangen unter den ſchoͤnen Roſen, welche ihr überall entgegen dufteten, und ward ſichtbar traurig. Die Alte ſah ihre Trauer, bemerkte die

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Urſache derſelben, und ſuchte ſie nach Kraͤf⸗ ten zu troͤſten. Deine Trauer, ſprach ſie, macht deinem Herzen Ehre, iſt ein Bes weiß deiner Unſchuld, und wird meinen Herrn, wenn ich fie ihm verkuͤndige, ent zükken. Füͤrchte nichts, er liebt dich, aber nicht als Wollüͤſtling, ſondern als ein Bas ter, der dich wie ſein eignes Kind betrach⸗ tet, weil dein ſanfter Blik ſein Herz an ſich gezogen hat. Nie weinte in dieſem Hauſe, ſeit es mein Herr bewohnt, die Unſchuld, nie wird fie hier weinen, fo lange er und ſeine Nachkommen leben.

Karoline. Gweifelnd) Aber dies ge, heimnisvolle Betragen, dieſe ſich taͤglich mehrenden Wohlthaten, die ich nicht forde⸗ re, für welche man nicht einmal Dank heiſcht?

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Die Alte, Ich kann und will dies nicht verdenken, wenn du meinen Herrn gleich andern Menſchen beurtheilſt, die nie ohne Eigennuz und leider nur hoͤchſt ſelten ohne boͤſe Abſicht handeln, ader ich hoffe dich im Kurzem vom Gegentheile zu uͤber⸗ zeugen und bis dahin ſei ruhig, und genuͤſſe des Gluͤks, das dir fo lange ges raubt ward. | |

Mit diefen Worten entfernte fie fi, und überließ Karolinen ihrem eignen Nachdenken, welches ihre Trauer nicht minderte, ſondern mehrte. Unmoͤglich konnte fie ſich uͤberzeugen, daß ein Frem⸗ der in einem fo entfernten Lande ein au: mes huͤlfloſes Mädchen, das er nur ein: mal fah, nie ſprach, gleich einem eignen Kinde behandeln, ihr ohne Abſicht ſo groſſe, unerwartete Wohlthatnn erweiſen

würde, Diefe Ueberzeugung verleitete fie zu einer noch weit ſtaͤrker quaͤlenden Vor⸗ ſtellung, ſie nahm die Erzaͤhlung der Al⸗ ten fuͤr ein Maͤhrchen, und dieſe fuͤr eine liſtige Kuplerin, welche ihr Ver rauen auf die abſcheulichſte Art gemiß⸗ braucht, und ſie hoͤchſt wahrſcheinlich an einen vornehmen Tuͤrken als Kebsweib verkauft habe. Dieſe mit vielen und mancherlei Gruͤnden unterſtuͤzte Vermu⸗ thung nahm Plaz in ihrem Herzen, und quaͤlte fie raſtlos. Feſt beſchloß fie for gleich, lieber den Tod zu waͤhlen, als in den Armen eines Barbaren zu ruhen, und trank nicht, als ihr ihre Diene⸗ rinnen am Abende Speiſe brachten, weil fie einen Schlaftrunk ahnete, und ſchlief die ganze Nacht nicht, weil a ie 8 00 befuͤrchtite.

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Am Morgen traf ſie die Alte noch

ſchlaflos weinend auf ihrem Lager, vers

wieß ihr gutherzig das wenige Zutrauen, welches ſie in ihre Verſicherung geſetzt habe, und verfündigte ihr dann, daß ihr Herr ſie zur Vernichtung dieſes Argwohns ſehen, und ungehindert in der- Mitte feiner Familie umher wandern laf⸗ fen wolle, wenn fie dagegen feierlich vers ſprechen und geloben wolle, nie in feis ner Gegenwart ein lautes Wort zu fpres chen. Dieſe Bedingung, fuhr die Alte fort, als Karoline ſie forſchend anſtaun⸗ te, wird allerdings izt deinen ungegruͤn⸗ deten Verdacht mehren, aber ſie iſt hoͤchſt noͤthig, weil du ſonſt meinen Herrn nie ſehen, dich folglich nie von der Nichtig⸗ keit deines Zweifels überzeugen kannſt. Ein Geluͤbde, das er in der Gröſſe few

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nes gerechten Schmerzes leiſtete, und unverbruͤchlich zu halten beſchloß, verhins det ihn, ob er gleich ein Deutſcher iſt, mit niemanden, als mit mir, in diefer Sprache zu ſprechen. Wer ihn in die ſer Sprache anredet, muß ſeine Gegen⸗ wart meiden, und wird von ihm nicht angehoͤrt. Willſt du ihn alſo ſehen, und durch Ueberzeugung deinen ungegründeten Argwohn vernichten, ſo fuͤge dich der noͤt thigen Forderung.

Karoline, welche alles, nur nicht die quaͤlende Ungewißheit und Furcht laͤnger ertragen wollte, gelobte die Stumme zu ſpielen, und ward nun ins Gemach ihr res ſeltnen Wohlthaͤters geführt. Der Ans blik des ehrwuͤrdigen Grelſes uͤberzeugte fie ſogleich, daß ihre Furcht ungegruͤndet

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ſei, fie aͤuſſerte daruͤher heftige Freude, und ſuchte ſie dadurch auszudruͤkken, daß ſie des Alten Hand ergrif, kuͤßte und mit Thraͤnen des Dankes benezte. Der Greis ward fihtber gerührt, legte ſeg⸗ nend ſeine Hand auf ihr Haupt, und kuͤßte ihre Stirne, beide ſchienen in dies ſem feierlichen Augenblikke ein Geluͤbde zu vollenden. Du ſollſt meine Tochter ſein und bleiben! ſprach der geruͤhrte Blik des Greiſes. Ich werde dich ewig als meinen Woehlthaͤter und Vater ehren und lieben! erwiederte Karolinens ſpre chendes Auge.

Einſt beſaß er, ſprach die Alte, wie ſie Karolinen wieder nach ihrem Zimmer fuͤhrte, auch eine Tochter, die er als das Ebenbild ſeines geliebten Weibes innigſt

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liebte. Beide wurden ihm auf die graut ſaimſte Art entriſſen, du ſollſt ihm igt €; ſatz fuͤr die Verlöhtnen werden, denn er behauptet feſt, daß dein Blik und Auge dem ihrigen taͤuſchend gleiche. Ach, wenn ich nur, entgegnete Karoline, mit ihm reden, ihm die Empfindungen mei⸗ nes Herzens enthuͤllen koͤnnte, er wuͤrde ſich dann noch mehr überzeugen, daß ich des Gluͤks, welches er mich wuͤrdigt, nicht unwerth ſei. Auch dazu, verſi cher⸗ te nun die Alte, koͤnne Rath werben, wenn Karoline noch jung und leicht faſ⸗

ſend, die Mühe nicht ſcheuen, und die⸗

arabiſche Sprache lernen wolle denn in

dieſer koͤnne und werde der neue Vater

herzlich gerne mit ihr ſprechen, und ihr dann ſein Leiden und Schikſal ſelbſt er⸗ zaͤhlen. ER natuͤrlich wars, daß Ra

roline

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roline nun eiftig wuͤnſchte, eine Spras che zu erlernen, welche ſie nicht allein von der läſtigen Rolle einer Stummen befreite, ſondern auch faͤhig machte, mit ihrem Vater ſprechen zu koͤnnen. Die Alte hinterbrachte dieſen Wunſch ſogleich ihrem Herrn, und von dieſem die Nach⸗ richt zuruͤk, daß er noch heute einen Lehrmeiſter beſtellen werde, wenn Karo line die italieniſche oder franzoͤſiſche Spra⸗ che verſtehe, weil jener nur in dieſen Sprachen Unterricht ertheilen koͤnne. Die Gluͤkliche jubelte laut, als fie dieſe Bots ſchaft hoͤrte, denn ſie ſprach ſehr gut franzöſiſch, und erwartete mit groͤßtem Verlangen den arabiſchen Sprach meiſter.

Ehe dieſer erſchien, ward Karoline, als ein Kind des Hauſes, zum Mittags- 3. Theil. K

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male berufen, ihr aber auch wiederholt bedeutet, daß fie mit keinem der Anwe⸗ ſenden anders als arabiſch ſprechen duͤrf⸗ te, und ſolglich bis zur Kenntniß dieſer Sprache ſtumm bleiben muͤſſe. Sie er⸗ ſchrak maͤchtig, und ihre Wangen faͤrb⸗ ten ſich hochroth, als fie izt an der Sei⸗ te des Greiſes vier ſchoͤne und mann⸗ bare Juͤnglinge erblifte, die mit freund licher, doch ſtummer Miene grüßten, und ihr ſehr offen und treuherzig die Hand zum Wiükomme boten. Ihre Verlegenheit, welche neuen Argwohn vers rieth, blieb dem Greiſe nicht unbemerkt, ehe er ſich noch zum Tiſche ſezte, winkte er der Alten, ſprach heimlich mit ihr, und dieſe leitete Kar olinen nach einem Erker. Dieſe vier Juͤnglinge, ſprach ſie zur zitternden Karoline, find die Soͤhne meis

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nes Herrn, und folglich deine Brüder. Liebe ſie als dieſe, und verbanne den entehrenden Verdacht, daß einer derſel— ben faͤhig ſein koͤnnte, deine Ruhe zu zerſtoͤcen, fie lieben gleich ihrem Vater Tugend und Religion, hangen feft an ihren Grundſaͤtzen, und handeln nur nach dieſen. Karolinens Muth ward durch dieſe Verſicherung aufs neue belebt, ſie trat dankbar laͤchelnd an die Seite des Ereiſes, und faltete andaͤchtig ihre Haͤn⸗ de, als er in arabiſcher Sprache das Tiſchgebet ſprach. Die Alte und noch ein aͤlterer Diener nahmen gleich allen uͤbrigen Plaz am Tiſche, der mit guten, aber nicht uͤberfluͤſſigen Speiſen beſezt war. Anfangs ward wenig geſprochen, ſpaͤter begann aber zwiſchen dem Alten und feinen Söhnen ein anhaltendes Ges na

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foräch, und Karoline merkte deutlich, daß fie der Inhalt deſſelben ſei. Doch ber leidigte, fo ſorgfaͤltig fie auch ſpaͤhte, kein kuͤhner Blik der Juͤnglinge ihr Au⸗ ge, und ſie verließ das Gemach mit der feften Ueberzeugung, daß fie unter Tu⸗ gendhaften wohne, aber auch mit dem ernſten Vorſazze, alles anzuwenden, um bald fähig zu fein, mit dieſen feltnen Menſchen ſprechen zu koͤnnen.

Ihrem Wunſche gemäß, erſchien der Sprachmeiſter noch am nemlichen Tage. Er war ein alter, unglüklicher, franzoͤſi⸗ ſcher Kaufmann, der durch kuͤhne Spe kulazion, durch ungluͤkliche Stuͤrme fein groſſes Verwoͤgen verlohren hatte „it de⸗ nen ankommenden Schiffen als Dollmets ſcher diente, und uͤberdies von dem rei

149 chen Halden, ſo nannte er Karolinens neuen Vater, mit kaͤglichen Wohlthaten unterſtüzt wurde. Nach Aut vieler al ten Leute war er auſſerſt ſchwazhaft, wollte Karolinen feine ganze Lebensge⸗ ſchichte erzaͤhlen, und dagegen die ihrige hoͤren. Nur mit vieler Mühe bewieß fie ihm, daß dies nicht der Endzwek ſeiner Gegenwart ſei, und ob er gleich einige Stunden bei ihr weilte, ſo konnte doch Karoline nur einen Morgengruß und eis nen herzlichen Dank von ihm in arabi⸗ Wi Spe 1 lernen. 130

Sie e dieſe wenigen Worte beim folgenden Fruͤhſtuͤkke, und der Alte laͤchelte aͤuſſerſt zufrieden. Durch dieſen großen Lohn aufgemuntert, verwande Karoline alle ihre Stunden in der Folge

150 zu Erlernung dieſer Sprache, übte ſich ſteis mit ihren Dienerinnen in diefer, und wie ein Monden verfloſſen war, fa konnte fie zum Erſtaunen aller ſchon vies les ſprechen, noch mehreres verſtehen. Die Freude des Alten und ſeiner Kin: der war darüber rein und groß, alle liebten ſie aufrichtig, und lobten ihren Fleiß anhaltend, fie ward als die Toch⸗ ter des Hauſes geehrt, und konnte nach eignem Wohlgefallen in dem ſchoͤnen Gars ten, der das Haus umgab, der Blumen pflegen. Oft, wenn ſie dann einſam um⸗ her wandelte, die Größe ihres Gluͤkkes fühlte, und dem Geber deſſelben mit dankbarem Gebete ehrte, verbitterte das Andenken an ihren geliebten Grafen ihr freudiges Gefuͤhl um ein groſſes. Sie

liebte ihn immer noch heiß und innig,

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ſah ihn in der duͤrren Wuͤſte huͤlflos ums - herirren, erblikte ihn noch oͤfterer im ſchreklichen Sklavenjoche, und weihte ihm fo häufige Thraͤnen, daß die Spur ren derſelben oft noch ſichtbar auf ihrem Geſichte glaͤnzten, wenn fie in der Ges ſell ſchaft ihrer Wohlthaͤter erſcheinen muß⸗ te. Obgleich der Greis oft nach der Ues ſache dieſer Thraͤnen ſorſchte, fo. vers ſchwieg fie doch Karoline eben ſo ſorg— faͤltig weil ſie ſich ihrer hofaung⸗ loſen Liebe ſchaͤmte, und die Gefühle derſel⸗ ben zu unterdruͤkken hofte.

Vergebens hatte ſich unter dieſer Zeit Karoline bemuͤht, ihren Vater fanıt feis ner Familie naͤher kennen zu lernen, und ihr raͤthſelhaftes Betragen, ihren Ab⸗ ſcheu fuͤr alle europaͤiſche Sprachen zu

152 85 RR. 3 Ü .

entdekken Der geſchwaͤlzige Sprachmei⸗ ſtor konnte ihr welter nichts erzählen, als daß der reiche Halden ein Deutſcher ſei, welcher ſich vor zwanzig Jahren in Damaskus etablirt habe, ſein Vermd⸗ gen durch ausgebreitete, gluͤkliche Hand⸗ lung täglich mehre, noch zwei Haͤuſer in Damaskus, und in dieſen ein Komptote beſtzze, welches mit vielen fremden Län dern und ihren vornehmſten Handels haͤu⸗ ſern in Verbindung ſtehe. Warum er aber von allen Geſchäften entfernt, ein⸗ ſam in dieſem Haufe lebe, nur wohlthaͤt tige Handlungen uͤbe, und ſeine Soͤhne ebenſalls ſo einſam erziehe, darͤͤber konn⸗ te er keine befriedigende Antwort erthel⸗ len, und nannte dieſen Eniſchluß eine Laune, die reichen Leuten gewohnlich ei⸗ gen ſel. Die alte Dienerin wäre frei⸗

lich fähig geweſen, ihr das ganze Schik—

ſal ihres Vaters zu erzaͤhlen, aber ſtren— ger Verbot hemmte ihre Zunge. Wenn du einſt vollkommen arabiſch ſprechen kannſt, ſagte ſie ſtets, ſo wird dich mein Herr ſchon zum Vertrauten feines Schik⸗ fals machen, bis dahin harre in Ges duld, denn ich kann und darf meine are nicht verigjen® 292 sinn;

Wie Karoline drei Monate in die

ſem Hauſe durchlebt hatte, und ſie nun beinahe vollkommen arabiſch verſtand, und es gebrochen ſprach, ward fie zur unge woͤhnlichen Stunde zu ihrem guten Va⸗ ter berufen. Geſtern, ſprach er, war dein Auge ſehr geroͤthet. Warum weinſt du immer im Verborgnen? Darf dein Var ter die Urſache deines Kummers e wiſſen? f An its

Karoline. (ſchwieg verlegen?

Der Greis. Wenn deine Schams

hactigkeit dir zu reden verbietet, fo will ich deines Herzens Dollmetſcher werden. Du liebſt, liebſt hofnungslos, ſehnſt dich nach einem Geliebten, den boͤſe Menſchen und eigne Schwaͤrmerei nach der Wuͤſte jagten, der dort wahrſcheinlich ſchon ſein Leiden geendet hat. Schon lange be⸗ merkte ich deinen Kummer, und ſuchte ihn nach Kraͤften zu lindern, alle meine Korreſpondenten und Handlungsglieder mußten in der Naͤhe und Ferne nach den Irrenden ſorſchen, alle ihre einge gangne Nachrichten beweiſen, daß keine Spur von ihm zu entdekken ſei. Es thut meinem Herzen weh, daß ich dir dieſe Hofnung rauben muß, aber es iſt

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vaͤterliche Pflicht, dich dem Kummer zu entreiſſen. Du mußt ihn uͤberwinden, da Erfuͤllung deines Wunſches nicht mehr moͤglich, und laͤngere Hofnung Thorheit iſt. Ich erwarte dieſe Pflicht von dir, denn eine Kriſtin muß ſich zu troͤſten wiſſen, und nicht verzweiſelnd wimmern, wenn Gott ihr einen Wunſch verſagt. Wenn du meinen Rath ehren, dein gu⸗ tes Auge nicht mehr mit unnuͤzzen Thraͤ⸗ nen roͤthen wirſt, will ich mehr mit dir ſprechen, und dir ein Mittel zeigen, durch welches du vielleicht hienieden noch gluͤk⸗ lich ſein kannſt. 5

Karolinens Herz faßte zwar dieſen weiſen Rath, aber es war mit dem ber ſten Vorſazze nicht vermoͤgend, ihn aus zufuͤhren, immer ſtand des Grafen rei⸗

zende Geſtalt bor ihten Augen, ſtets bet gleitete ſie dieſe auf ihren einſamen Spa⸗ ziergaͤngen, und erneuerte in ihr den Vorſaz, ewig über den Verluſt des innig Geliebten zu trauern. Freilich verbarg fie dieſen Vorſaz in ihrem Innern, ert ſchien nie mehr mit geröthetem Auge vor ihrem Wohlthaͤter, aber die Wunde ih⸗ res Helzens heilte des wegen doch nicht, vergroͤſſerte ſich vielmohr zum unheilbaren Schaden, weil niemand ſie mit Troſt ſalbte. Mit Furcht und banger Ahn⸗ dung gewahrte ſie daher einige Wahn nachher, daß der aͤlteſte Sohn ihres Wohlthaͤters fein Ruge mit ſeurigem und hoffenden Blikke auf ſie lichte Er war in allem Beteacht ein ſehr ſchöͤner Juͤng⸗ ling, und gewiß faͤhlg, das kaltſinnigſte Maͤdchen zur Liebe zu reizen, aber Ka⸗

2555 * ² F ll —öQU —— +———

157 rolinens Herz liebte ſchen einen andern, und verwarf dieſen Reiz mit Standhaf⸗ tigkeit. Sie ward verlegen, wenn er fie anblikte, fie zagte und zitterte, wenn er mit ihr arabiſch ſprach, und vermoch⸗ te nicht, ihm zu antworten Der redli⸗ che Vater, welcher die Liebe ſeines Soh⸗ nes kannte und billigte, that alles, um ſie zu ſerdern, und nahm gleich allen, die etwas ſehnlich wuͤnſchen, dieſe Sim⸗ ptomen ihrer Verlegenheit für Kennzei⸗ chen der entſtehenden Liebe. Jakob, ſo

nannte ſich fein Erſtgebohrner, ward da⸗

her zur Thaͤtigkeit von ihm ermuntert, und da er wahrhaft zu lieben begann, ſo vergaß er oft ſeine Geſchaͤfte, und ſchlich Karolinen in den Garten nach, wenn fie dort ungeſtört trauern wollte.

Schon hatte er Tags vorher von Lies

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be mit ihr geſprochen, ſchon hatte fie in

der folgenden ſchlafloſen Nacht beſchloſ⸗ ſen, ihm jede Hofnung zu rauben, die unheilbare Wunde ihres Herzens zu zei⸗

gen, und ſein Mitleid anzuflehen, als fie mit dieſem Entſchluſſe beſchaͤftigt, nach dem Garten wanderte, und dort ſo un⸗ verhoft den Geliebten am Fenſter erblik⸗ te. Sie nahm feine Geſtelt für eine dro⸗ hende Erſcheinung und ernſte Mahnung, ihm auch im Tode treu zu bleiben, und ſank in Ohnmacht. Der Sohn ihres Wohlthaͤters, der eben die Entſcheidung feines Schikſals aus ihrem Munde zu hoͤz⸗ ten hofte, und ihr nachgeſchlichen war, hoͤrte ihren Ausruf, ſah fein Ohnmacht ſinken, und eilte nach der Alten Rum ſie mit ihrer Huͤlfe nach ihrem Gemache zu tragen. Aus dem Flügel des Hauſes,

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welchen die irrenden Juͤnglinge bewohn⸗ ten, führte keine Thuͤre nach dem Gar ten, des wegen ſuchten ſie ſelche vergebens, und mußten endlich wieder unbefriedigt nach ihrem Gemache ruͤkkehren. Indes ſie izt erſt die ſchon laͤngſt vorhandnen Gitter der Fenſter erblikten, und die Nim⸗ phe vergebens im Garten ſuchten, ev wachte Karoline aus ihrer Ohnmacht, aber ſie war noch lange nicht faͤhig, ſich die Erſcheinung auf natuͤrliche Art vorzuſtel⸗ len, fie ſprach in wahnſinnigen Ausdrüßs ken davon, und da die Alte mit Recht bes fuͤrchtete, daß die Juͤnglinge Karolinen ſuchen, und durch jaͤhen Anblik ihren Tod bewuͤrken koͤnnten, fo eilte fie, die Thuͤre des Gemachs, in welchem ſie ſich befan⸗ den, von auſſen zu verriegeln. Daher kams, daß dieſe ſolche nicht zu oͤfnen

vermochten, und von der Alten abermals in den Hof eingeſperrt wurden, als ſie mit Gewalt und ohne Vorbereitung ins Gemach der kranken Karoline dringen wollten. 1

So wird mir doch fede Freude des Lebens verbittert, nie ein Lieblings wunſch meines Herzens befriedigt! rief der Greis etwas haſtig aus, als ihm dieſe Begeben heit erzählt ward, aber er faßte ſich eben fo ſchnell, und ſprach ſanft: Gott ſei ger lobt, will er mich auch nicht ganz gluͤklich machen, ſo goͤnnt er mir doch das Bergnüs gen, das Gluͤk anderer zu foͤrdern. Und iſts nicht ein groſſes, wenn ich die Bos⸗ heit der frechen Menſchen vernichte, irren de Schwaͤrmer ihres Irrthums uͤberzeuge,

und dem traurenden Maͤdchen den Gelieb⸗ ten

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ten ihres Herzeus wieder ſchenke? Vers geſſen ſei meine Ruhe, und das Gluͤk meines Sohnes, es mußte für ihn kein aͤchtes ſein, da die allgewaltige Hand des Herrn es hinderte. Mit dieſem eds len Entſchluſſe begab er ſich nach Karoli nens Gemach, und ſuchte ſie zu uͤber⸗ zeugen, daß ſie keine Erſcheinung eines Geiſtes, ſondern die wunderbar Gerette— ten würklich ſah, künftig noch oft ſehen und ſprechen koͤnne. Die Vorſtellung des Greiſes wuͤrkte, ſie traute ſeinen Wor— ten, aber ihre Thraͤnen floffen reichlicher, und fie rang verzweiflungs voll die Haͤn⸗ de, denn eine andere noch quaͤlendere Vorſtellung bemaͤchtigte ſich izt ihres Her— zens. Was nüsts, rief fie aus, wenn er wuͤrklich gerettet iſt, und unter dem Schuzze des beſten der Menſchen 3. Theil. L

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P/ EEE Aq EEE EEE GE EEE) leßt? Was nuͤzt mirs, wenn ich ihm izt entdeffen muß, daß ich den fihreklis chen Trug, der ihn in ſo großes Ungluͤk ſtuͤrzte, foͤrdern half? Er wird er muß mich deswegen verachten, er liebte nur die Nimphe, welche ihn von einem uͤberirdiſchen Weſen beſtimmt ward, und wird die Betruͤgerin haſſen.

Obgleich der Alte alles anwande, um ihr das Gegentheil, und aus ihrer eignen Erzählung ihre Unſchuld an dem geuͤbten Betruge zu beweiſen, ſo waren ſeine Worte doch nicht faͤhig, ihre Furcht zu hindern. Sie wuͤnſchte innig, den Grafen zu ſprechen, aber wenn man ihr Gewähs . rung dieſes Wunſches zuſicherte, fo bes gann ſie aufs neue zu zittern, und bat dieſe noch zu verzögern. Deswegen muß

>= 163

ten die Juͤnglinge fo lange in der Uns gewißheit ſchmachten, und würden noch laͤnger nach Aufklaͤrung geſeufzt haben, wenn Karoline nicht die lange Nacht hin— durch durch eigne Ueberlegung ſich übers zeugt haͤtte, daß der Graf ihre Unſchuld, die Begierde ihn zu retten, einſehen, und ihr wenigſtens die Gefahren einer ſo wei— ten Reiſe mit Dank lohnen muͤſſe. Als dem Greiſe daher am andern Morgen Karolinens Entſchluß kund ward, und er uͤberdies mit den Juͤnglingen ſelbſt fpres chen konnte, ſo ſande er dieſe zu ihr, und überließ in ſtoiſcher Ruhe die Leitung des Schikſals ſeines angenomnen Kindes dem Ewigen, deſſen weiſe Fuͤgung er ſtets und innig ehrte. 5 Indes er ruhig harrte, hatte Karon L 2 i

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line einen ſchweren Kampf zu vollenden. Der Graf und Friedrich hörten zwar ihre Erzählung, und die Enthuͤllung des ſchaͤnd⸗ lichen Betrugs, mit welchem man ſie hintergangen hatte, ruhig und gelaſſen an, aber ſie waren noch weit entfernt, Erzaͤhlung und Enthuͤllung fuͤr aͤcht und wahr zu achten. Anfangs nahmen ſie alles ſo gar nur fuͤr eine Probe, mit welcher die Tochter des unſterblichen Me⸗ nes ihren Glauben und Standhaftigkeit pruͤfen wolle, und wie Karoline dieſen Schein mit vielen Gegengruͤnden zu ent⸗ kraͤften ſuchte, fo war Friedrich ſehr ges neigt, die Gegenwart der Nimphe fuͤr ein trugvolles Blendwerk eines boͤſen Geis ſtes zu achten, der bloß deswegen all' ihre Hofnungen durch eine luͤgenhafte und ſcheinbare Erzaͤhlung vernichten wollte,

um dadurch die Möglichkeit einer weitern Reiſe zu hindern, und ſie vielleicht vom nahen Ziele auf immer zu entfernen. Er machte nicht allein den Grafen auf die Möglichkeit eines ſolchen Betrugs aufs merkſam, ſondern erinnerte ihn uͤberdies auch an die Warnung des Menes zu Zr rich, welcher ihnen ausdruͤklich geboten hatte, daß ſie auf ihrer Wallfahrt nach dem Ziele keiner Erſcheinung trauen folls ten, wenn fir auch noch ſo taͤuſchend waͤre. N a Der Graf, den zum groͤßten Glätte wuͤrkliche Liebe zu Karolinen feſſelte, wankte gleich einem Rohre hin und her, bald zweifelte er gleich Friedrichen an der Wahrheit der Aufklaͤrung, bald hielte er fie für aͤcht und wahr, wenn er in Ka:

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rolinens ſchmachtenden Augen den Beweiß der Gegenliebe und die feſte Verſicherung

las, daß ſie ihn um alle Schaͤzze der

Erde und des Himmels mit keinem Worte taͤuſchen werde, und obgleich Friedrich immer bewieß, daß nur ein Theil der Wunder, welche ſie geſehen hatten, durch Scheinbeweiſe widerlegt wären, und die

weit groͤſſern, welche ihnen an den Ufern f

der Sil, auf dem St. Bernhardsberge und zu Marſeille begegnet waͤren, noch in voller Kraft glaͤnzten, ſo ſchwieg der Graf doch nachdenkend ſtille, wenn Ka⸗ roline behauptete, daß die Rotte der boͤ— ſen Buben ihnen ganz gewiß bis an die Ufer des Meers nachgefolgt ſei, und ſie immer durch neuen und ſtaͤrkern Betrug getaͤuſcht habe, um fie ſchneller und ſiche⸗ rer aus Europa zu entfernen. Beides,

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ſprach der lange fämpfende Graf am Ende, iſt moͤglich und wahrſcheinlich, ich muß Zeit haben, um einen Entſchluß zu faſſen, und aͤchte Wahrheit zu ergründen. Mors gen ſehe ich dich wieder, und wenn du alle meine Zweifel loͤſen, und meine Hof— nung ſtaͤrken kannſt, fo kehre ich an deiz ner Seite in mein Vaterland zuruͤk, wo ich zwar nicht ein ſo hohes Ziel erreichen, aber doch irdiſch gluͤklich zu leben vers mag.

Mit dieſen Worten ſchied er von Karolinen, und Friedrich folgte willig, weil er feinen Freund zu überzeugen hof: te, daß die Erſcheinung der trugvollen Nimphe ein Blendwerk des Beelzebubs ſei. Aber dieſe Hofnung ward nicht er— fuͤllt, die Liebe, welche alles uͤberwindet,

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miſchte fih in den Kampf, und vollent dete diesmal zu Gunſten der Vernunft den Sieg. Schon als der Graf Karolinen zum erſtenmale im Garten als eine verkleidete Nimphe erblikte, machte ſie auf ſein freies Herz einen bleibenden Eindruk, der ſich zu Zürich hoch mehrte, izt da er alles genau erwog, die Moͤglichkeit des ſchaͤndlichen Betrugs einſah, und nun überlegte, daß eben dies holde Made chen aus Liebe zu ihm ihr Vaterland verlaſſen habe, ihm uͤbers Meer bis nach Sirien gefolgt ſei, fo ward der heiſſe

Wunſch, ſie dafuͤr zu lohnen, mit ihr. is )

und in ihren Armen zu leben, das einzige Ziel, nach welchem er ſtrebte. Des unglaublichen Friedrichs Zweifel bet rührten nur ſein Ohr, aber nicht fein Herz, und er ſuchte ſie izt ſelbſt zu ents

kraͤften. Menes, ſprach er, berief uns nach den Ruinen Palmirens, verſprach uns dort Lohn, und weitere Förderung zum Ziele. Wir erreichten dieſe Ruinen, wir irrten troſtios darinne umher, und fanden nicht, was wir ſuchten. Soll, kann dies Probe unſers Muths, Pruͤ⸗ fung unſrer Standhaftigkeit fein? Dann wäre Menes nicht gut und weiſe weil er unſre feſte Hofuung taͤuſcht, dann kann er es uns nicht verargen, wenn wir fein Verſprechen für. Trug und Taͤuſchung halten, weil er es nicht erfüllte, und uns ohne Huͤife weiter ziehen ließ. b

Mit dieſen und ähnlichen Grunden widerſtand er jedem Aufalle, den Fried⸗

gerröthe den neuen Tag verkuͤndigte, fo

rich auſs neue wagte, und wie die Mor⸗

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nn zn ee war in feinem Herzen der Entſchluß ger reift: Heimzuk⸗hren in fein Vaterland, und dort im Arme der Geliebten ein Gluͤk zu genüflen, das zwar nicht hoch und groß, wie das Verheißne, aber nicht minder reizend ſei. Er uͤberließ Friedri⸗ chen die ferie Wahl: Ob er noch laͤnger am Rande des Verderbens weilen, oder ihm folgen wolle? Fetedrich erklärte ſich nach langem Kampfe fuͤr das Leztere. Kann der Freund meiner Seele, ſprach er, den groſſen Lohn nicht wit mir ges nuͤſſen, fo will auch ich dem Genuſſe des ſelben entſagen, und, ſo lange ich lebe, mit ihm gleiches Schikſal theilen. Der Graf dankte innig für dieſen Beweiß aͤch⸗ ter Freundſchaft, verſprach ſie zu loh⸗ nen, all' ſein Lebelang, und eilte nun zu

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Karolinen, um dieſe zu gleichem Ent⸗

ſchluſſe zu bereden.

Der Bund der Liebe wird ge⸗ ſchloſſen, und alle Hinder⸗ niſſe werden gluͤklich ent⸗ fernt.

Er traf Karolinen harrend, hoffend und fuͤrchtend, fein erſter Blik war Troſt fuͤr ſie, denn er verkuͤndigte Liebe, und wo dieſe herrſcht, da muß alles gehorchen,

oder kraftlos verſtummen. Jedes ſeiner

Worte, das er ſprach, war Troſt fuͤr ihre leidende Seele, und Balſam fuͤr ihr vers wundetes Herz, ihre kuͤhnſte Hornung wandelte ſich in Gewißheit, das entfernte

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Ziel naͤherte ſich unaufhaltſam, fie fühlte ſich belohnt und gluͤklich, und ob fie gleich zitternd und bebend verſtummte, als der Graf Zuſage ewiger Liebe von ihr heiſchte, fo ward er doch von der Gewißheit derſel⸗ ben überzeugt, und wie fie endlich weinend in ſeine Arme ſtuͤrzte, und den Bund der innigſten Liebe mit einem feurigen Kuſſe beſtaͤtigte, da fuͤhlte er ſich gluͤklicher und ſeliger, als am Urquelle des Lebens und aller Kenntniſſe. Wir kehren ins Vater⸗ land zuruͤk, und vergeſſen dort die Schwaͤrmerei, welche uns zwar oft an den Rand des Verderbens fuͤhrte, aber am Ende doch unausſprechlich gluͤklich machte! So rief der Graf voll Entzuͤkken aus, eben fo lallte es Karoline im Stillen nach, aber der kalte Friedrich begann die Wonne mit der Frage zu ſtöͤhren: Wie fie

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ohne Geld und Unterſtuͤzzung wohl heim⸗ kehren koͤnnten? Freilich hatte weder der Graf noch Karoline dieſe wichtige Frage bisher erwogen, und da fie izt zur Er waͤ⸗ gung vorgelegt wurde, ſo truͤßte fie zwar der Liebenden Angeſicht, machte es aber nicht hofnungslos, denn beide meinten und glaubten, daß der edle Greis ihre Neiſe gewiß durch kraͤftige Unterſtuͤzzung fördern werde, da der Graf ihn uͤberdies vollen Erſaz aller Unkeſteu mit Gewisheit ver⸗ heiſſen koͤnne. Um ihre Vermuthung in angenehme Gewißheit zu verwandeln, eilte der Graf ſogleich nach dem Gemache des Greiſes, Friedrich folgte, nicht um des Grafens Bitte zu foͤrdern, ſondern um ſich ſchweigend zu uͤberzeugen: Ob er aller Hof nung entfagen müffe? Denn immer hing ſein Herz noch an dem mannichfaltigen

Blendwerke, immer nahm er noch Karo⸗ linen fuͤr ein Trugbild des Teufels, der ſie durch ihre Lokkungen auf ewig von dem erhabnen Ziele entfernen wollte. Ders damme ihn nicht, trauter Leſer, prüfe dich vielmehr ſelbſt, und du wirſt dich uͤberzeugen, daß Aberglaube, Vorurtheil und gereizte Schwaͤrmerei dem boͤſen Uns kraute gleiche, das des fleiſſigen Gaͤrtners Hand nur mit der groͤßten Sorgfalt ver⸗ nichten kann, die geringſte Faſer, wel⸗ che, wenn er auch die Wurzel zerſtoͤrt, im Boden zuruͤkbleibt, keimt aufs neue, und wird bald zur Wurzel, die neue Aeſte verbreitet. Hätte nicht zuͤrnt nicht, holde Schoͤnen, wenn ich die gute Geles genheit nüzze, und mein Gleichnis fort ſezze Haͤtte nicht ein ſtaͤrkeres Un⸗ kraut die noch fruchtbarere Liebe in des

r 75

TER DIESE TEST FE TETEEE EEE TTEREEETEEETTATWAIEIT TEE TRLZETEN

Grafens Herzen Wurzel gefaßt, er würs de gleich Friedrichen noch lange gezweis felt, vielleicht durch uͤbereilte Flucht ſich mit ihm ins unaufhaltſame Verderben geſtuͤrzt haben. Das Herz des Men— ſchen gleicht vollkommen einer weichen Wachstafel, in welche ſich ohne Hinder niß Bilder aller Art eindruͤkken laſſen, aber eben dieſe Eindruͤkke haben die bes ſondere Eigenſchaft, daß ſie, je laͤnger ſie ungeſtoͤrt beſtehen, bis zur Feſtigkeit des Marmors verhaͤrten, und jedem neuen Eindrukke trozzen. Nur das alles verhee rende Feuer der Liebe vermag ſolche zu ſchmelzen, und der Juͤngling, oder das Mädchen, welcher und welches zum erſten⸗ male mit inniger Heftigkeit liebt, ſteht da⸗ her entweder in Gefahr, ſich von der Bahn der Tugend zu entfernen, oder hat

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Hofnung von der Bahn des Laſters auf den Pfad der Tugend ruͤkgeführt zu were | den. Ueberhuͤrft dieſe Bemerkung nicht leichtſinnig, prüft. fie vielmehr mahdens kend und for chend, und ihr werdet euch ſtaunend „überzeugen, daß ſehr oft, viel leicht immer die Liebe den Karakter des Menſchen beſtimmt, ihn entweder befe⸗ ſtigt, oder auch zum Erſtaunen aller auf die auffallendſte Art umwandelt. Auf⸗ merkſame Eltern waͤre dies nicht Stof zur wichtigſten Betrachtung fuͤr euch, nicht ein bedeutender Wink, wie ihr das Herz eurer Kinder ſichern oder wenigſtens lei⸗ ten koͤnnt?

Der gutherzige Alte empfing die Juͤng⸗ linge mit freundlicher Mine. Habt ihr euch uͤberzeugt, ſeht ihr nun ein, daß ich

euch

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euch mit Recht Thoren und Schwaͤrmer nannte? ſo fragte er laͤchelnd.

Der Graf. Wir fuͤhlen tief, was wir waren, wir bereuen unſre Thorheit, und hoffen, daß du der Edle fein wirſt, der unſer Elend endet.

Greis. Wenn ichs vermag, ſo for— dert dreuſt, denn ich bin ſtets zur Er— fuͤllung meiner Pflicht bereit.

Graf. Ruͤkkehr in unſer Vaterland iſt der einzige Wunſch unſers Herzens. Ich beſizze dort ein Vermoͤgen, das mich herrlich naͤhren, und mie ruhige Tage

gewähren kann. 8

Greis. Macht Reichthum gluͤklich? 3. Theil. M |

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Graf. O nein, aber er fördert doch hienieden unſer Gluͤk. Iſt man nicht gluͤklich, wenn man der Geliebten feines Herzens manchen Wunſch gewaͤhren, das Elend ſeiner Mitbruͤder lindern kann?

Greis. Man duͤnkt ſichs wenigſtens. (etwas ent) So liebt dich mein ange⸗ nommines Kind er

Graf Kann ich daran zweifeln, da fie aus Liebe zu mir

Greis. Ich weiß, was du ſagen Waal Bi auch du in de en di: herzlich }

Graf O ich liebe fie innig und zaͤrtiich, ich werde es ihr ewig danken, daß ſie mich vom Verderben rettete, mir

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in der Tiefe des Abgrunds ihre gl che An bot.

Greis. Der Ewige ſegne eure lie be, und mache euch fo glüͤklich, wie ihrs wuͤnſcht und hoft. Zieht in Frieden nach eurer Heimath, mein Gebet wird euch begleiten. 1

Graf. Gern erfuͤllten wir dein ſuͤſſes Gebot, aber unuͤberwindliche Hinderniſſe zwingen uns, zu deiner Guͤte Zuflucht zu nehmen. Wir ſind zwar durch eine Art von Wunder der ſchreklichſten Skla⸗ verei entronnen, aber unſer Vermoͤgen ward eine Beute heiloſer Betrüger, wir

Greis. (ernſt) Könnt ihr zweifeln? Könnt ihrs wuͤrklich? M 2

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Graf. Nein, wir zweifeln nicht, daß deine graͤnzenloſe Guͤte uns in den Stand ſezjen wird, unſre Reiſe ohne Hinderniß zu beginnen. Ich gelobe dir dagegen, ſogleich hei meiner Ankunft im Vaterlande jede Auslage mit dem innig ſten Danke zu erſtatten, und

Graf. Wenn du alles erwaͤgen willſt, gewiß nicht. Ich bin nicht arm, ich kann mich ohne Scheu reich nennen. Soll ich nun die Summe, welche du mir auf fo großmuͤthige Art zur Reiſe nicht dar⸗ leihen, ſondern ſchenken willſt, andern Duͤrftigern und Huͤlfloſern rauben?

Greis. Das ſollſt du nicht.

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Graf. Dann kanns dich auch nicht beleidigen, wenn ich dir einen Wechſel über dein Darlehen ausſtelle, ihn feiner Zeit richtig bezahle, damit du aufs neue Elende begluͤkken kannſt.

Greis. Giebts keine Arme und Nothleidende in deinem Vaterlande?

Graf. Leider, giebts ihrer viele!

Greis. So ſei und bleibe hiermit dein Wechſel an dieſe ausgeſtellt, ihnen kannſt du die Summe, welche ich dir uͤbergebe, ruͤkzahlen, und dann iſt auf der Stelle unſre Rechnung geſchloſſen.

Graf. Groſſer, unerreichbarer Mann a a

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Greis. Ich fordere keinen Dank,

weil ich ihn nicht verdiene, denn du haſt

verſprochen, alles ſamt Zinſen zu erſtat⸗

ten, und dann iſt meine Handlung kei⸗

nes Dankes werth.

Graf. Ehrwürdiger, fo nimm ihn wenigſtens im Namen der fernen Ars men, die deine wohlthaͤtige Hand auf fo edle Art erquikt. Ich wenigſtens will es ihnen zur ſtrengſten Pflicht machen, daß ſie unaufhörlich ihres unbekannten Wohithaͤters in ihrem Gebete gedenken ſollen. |

Greis. (etwas bitter) Auch in Se⸗ dom und Gomorra gabs noch einige Ge⸗ rechte, deren Gebet Gott hoͤrte, ich will alſo deine Bedingung nicht verſchmaͤhen.

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ſſich faſſend) Haſt du nun geen⸗ det? Bleibt dir kein Wunſch zur Erſfuͤl— lung uͤbrig?

Graf. Bis izt keiner, als daß du mich und die Meinen, bis ich meine Reiſe beginnen kann, deines fernern Schuzzes wuͤrdigſt, und mir ihn auch zur Foͤrderung dieſer Reiſe verleihſt.

Greis. Sonſt keiner? Undankba⸗ rer, keiner? (der Graf ſchweigt nachdenkend file) So muß ich dich wohl ſelbſt an deine Pflicht erinnern. Diſt du nicht noch ein Schuldner des edlen Arabers, der dem Gewinne, den er aus deiner Knechtſchaft loͤſen konnte, auf ſo groß⸗ muͤthige Art entſagte? der lieber daheim Vorwürfe und Kraͤnkungen dulden, als

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dich auf immer wagen machen woll⸗ le?

Graf. O Gott, ja, ich bin ſein Schuldner, und watden es een ewig bleiben.

Greis. Pfui des Gedankens! drei, mal Hohn dieſem Vorſazze, er müßte dir die lezte Stunde deines Lebens vers bittern, und die ewigen Freuden vers mindern.

Graf. Du ſprichſt wahr, aber wie wird ihn mein Geſchenk erreichen, wenn ich zur Bezahlung deſſelben fähig bin?

Greis. Als ich durch meine Magd deine Geſchichte, und die unerreichbare

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That des teilen» Arabers erfuhr, ſande ich ſogleich Eilboten in die Wuͤſte nach, um ihn auszukunden, und zu mir zu fuͤhren. Darf ich der Nachricht eines Ruͤkkehrenden trauen, ſo wird er heute noch bei mir erſcheinen. Ich will mich dann am Anblikke des Edlen laben, in— des du deine Schuld nach Kräften tilgſt, und ihn daheim fuͤr Kraͤnkung ſicherſt.

Graf. (traurig) Vermag dies mein graͤnzenloſer Dank? Und kann ich ihm jezt etwas anders als dieſen e i

Greis. Wer? Was bin ich? Haſt du mich nicht zu deinem Rentmeiſter bes ſtellt? Willſt du nicht wieder erſtatten, was ich darleihe? Du beſtimmſt, und m zahle! |

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Graf. Thue beides, ich will und kann deine graͤnzenloſe Guͤte nicht durch ee mi BERN

Greis. Du et, und ich

Graf. Wie kann ich beſtimmen! Waͤre ich daheim, und wollte ich die That nach Würden lohnen, fo würde und muͤß⸗ te ich mein ganzes Vermoͤgen mit ihm theilen. Wie kann ich izt eine ähnliche Summe von dir heiſchen? Wie koͤnnteſt du 1 e In io a Bat rn

Pe Dem Ewigen bei 90 ich koͤnnte beides, aber ſolch eine Summe wuͤrde den Edlen in der Wuͤſte nicht gluͤk lich, wahrſcheinlich höchſt unglüͤklich mar

- ſ—— E Aʒi m —[„ . . —GG————————————çꝙ—»[—ßViCi

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chen. Ich wollte nur die Groͤſſe deines Edelmuths kennen lernen, izt da ich fle bewährt gefunden habe, will ich deine Bitte erhören, das Geſchenk oder wich mehr den hochverdienten Lohn noch beſter Kenntniß beſtunmen und bezahlen. (Der Graf will ſprechen) Du willſt fragen, wie du dieſe neue Summe mir wieder erſtat. ten ſollſt? Gonne mir Zeit zur hoͤchſt nös thigen Erholung, und ich will dirs beſtim— men. (Er wird ſichtbar traurig, Thraͤnen füllen fein helles Auge, und beuezzen feinen Silberbart) Es irrt wollte Gott ich

koͤnnte mit Gewißheit ſagen, es irrte

einſt in Deutſchland ein Mann umher, deſſen Herz redlich und bieder dachte, und deſſen Gewiſſen keine boͤſe That beſchwer— te, aber gottloſe Boͤſewichte, Tirannen der Menſchen, Woͤlfe in Schaafskleidern

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quaͤlten ihn und mich ohne Unterlaß, vers jagten mich aus meinem Vaterlonde, und raubten ihm ſeinen Verſtand. Als ich mein Weib und meine Kinder dem drohenden Elende und Jammer entriß, die groͤſſere Hälfte meines Haabes den Wuͤttrichen zur Beute ließ, und nur die Kleineres rettete, da folgte er mir mit dem feſten Eneſchluſſe, unter Türken und Heiden Schuz und Men. ſchen zu ſuchen, die ſich in Europa in Ti⸗ ger verwandelt zu haben ſchienen. Wie wir aber nur halb gerettet, und noch im— mer kuͤhner Verfolgung ausgeſezt „zagend auf dem Ruͤkken des Rheins hinab nach Holland ſchwammen, da fühlte und ſah ich deutlich, daß der ſchreklichſte Wahnſinn ſein Meiſter geworden ſei. Er begann zu ſchwarmen, er verſprach, mich und die Meinen nach der Inſel des Glaubens zu

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führen, und wie ſich unverſehens ein Ge⸗ witterſturm erhob, und unſer Schif an einer kleinen Inſel des Rheins "vorüber jagte, da ſprang der Ungluͤkliche mit dem Ausruffe: Feſter Glaube trügt nie! in die Wellen, und ward von ihnen ans nahe Ufer geſchleudert. Ich ſah, wie er auf dieſem munter empor ſprang, wie er uns Nachfolge zuwinkte, aber der Schiffer konnte des Sturmes wegen nicht landen, wir mußten noch Meilen weit

dem Triebe des Windes folgen, und wie wir endlich landeten, und ich zu ſeiner Huͤlfe zuruͤkeilte, da traf ich ihn nicht mehr auf der Inſel, erfuhr nur, daß ihn ein Fiſcher gluͤklich ans Land geführt habe, und mußte der weitern Nachſpaͤhe aufs eiligſte entſagen, weil ich die Sys hunde meiner Verfolger in der Nähe er

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blikte. Nur mit Muͤhe, nur mit Gotz tes Huͤlfe erreichte ich die Meinigen wie, der, und floh unter ſeinem Schuzze un⸗ aufhaltſam weiter. Nie hoͤrte und ſah ich etwas mehr von ihm, ob ich gleich meine Nachſorſchung von Holland aus verdoppelte, ſie bis izt unablaͤſſig durch meine Korreſpondenten fortſezze; aber dies fen kalten Herzen bringt dieſe Nachſpaͤ⸗ he keinen Gewinn, ſie betreiben dies mir ſo wichtige, Gefchäft wahrſcheinlich mit groͤßter Nachlaͤſſigkeit, und trauen mir nicht, wenn ich, um ihren Eifer zu wekken, groſſen Gewinn verheiſſe. Dir lege ich nun dieſes Geſchaͤft ans Herz, dich beſeelt Dankbarkeit, und die⸗ ſer iſt nichts unmoͤglich, wenigſtens nichts zu ſchwer. Sollte es dir gelingen, folls teſt du den armen Wahnſinnigen erblik⸗

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ken, der dich ſtillſchweigend anſtarrt, end⸗ lich durch eine reizende Beſchreibung zur Reiſe nach der Inſel des Glaubens vers leiten will, und dir immer zuruft: Feſter Glaube truͤgt nie! ſo erbarme dich ſeiner, fuͤhre ihn nach deiner Wohnung, pflege ihn gleich einen Vater, und verſuͤſſe ihm mit allen deinen Kraͤften die lezten Schrit⸗ te ſeines Dornenpfades. Du wirſt da⸗ durch nicht allein das Wenige, was ich thue, reichlich vergelten, ſondern mich auch zu deinem ewigen Schuldner machen, denn du haͤtteſt einen edlen Menſchen ge⸗ rettet, haͤtteſt meinen Bruder ge⸗ naͤhrt und gepflegt.

Graf. (vol Erſtaunen) Deinen Bru⸗ der?

eg e Seinen Bruder? ee Greld Gehe er 1 mit mir unter dem Herzen einer guten Mut- ter, und, wie ſie meinem Vater in die Ewigkeit nachfolgte, da gebot ſie mir, den juͤngern Bruder, den unmuͤndigen Knaben nach Kraͤften zu unterſtuͤzzen. Lange erfuͤllte ich ihr leztes Gebot, erzog ihn in der Furcht des Herrn, und ſah die Fruͤchte meines Fleiſſes herrlich ge⸗ deihen, aber nun iſt er mir entriſſen, und ich muß ohne Nachricht von da von hinnen ſcheiden.

Graf. War er ni dee dir ein Greis?

Greis. Er zaͤhlt nur zehn Jahre ſeines

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feines Lebens weniger als ich, und da ich mich izt dem ſiebenzigſten nähere, fo naht auch er dem Alter, hats vielleicht ſchon erreicht, da Noth und Elend das Alter maͤchtig an ſich zieht.

Graf. War er nicht eine gute Kopfslaͤnge kleiner als du?

Greis. (erwartungsvoll) Haſt du ihn vielleicht ehe ſchon geſehn? Ja, er wars! 56 4 29025

Friedrich. Waren nicht in feiner rechten Hand hebraͤiſche, unvergängliche Buchſtaben eingegraben, die den Namen Jehova ausdruͤkten? |

Greis. Ja! O Gstt, ja! Die

3. Theil. N

194 R RAR : Liebe zu dieſem groſſen Namen war ſtets in ſeinem Herzen rege, er wollte, als er Lehrer unſrer Gemeinde wurde, auch ſeine Sinne damit beſchaͤftigen, und grub ſich dieſes Wort nach Pilgerart in ſeine Rechte. Ihr habt ihn alſo geſe⸗ hen, geſprochen? Wie? Wo? Wann? Graf. Wir ſahen, und ſprachen ihn, fein Wahnſian, den wir damals anders nahmen, rettete unſer Leben, ihn verdanken wirs, daß wir vor dir ſte⸗ hen.

Greis. O erzaͤhlt, erzaͤhlt! Wo kann ich ihn ſuchen und finden?

Graf. Ehe ich beginne, muß ich dich vorher fragen: Ob es deinem Her⸗

195

.

zen Ernſt war', als du deine Erzählung mit dem Wunſche begannſt, daß es dir angehm ſei, wenn er nicht 1 hienie⸗

den walle?

Greis. Der Wunſch war acht, wenn ich ihn mir krank, elend und huͤlf⸗ los dachte, aber er wird ſich zur kein— ſten Freude, zum Gegentheile wandeln, wenn du mir Wege und Mittel zeigst, wie ich ſein Elend mildern, ihn in mei ne Arme luͤkfuͤhren kann.

Graf. Vermoͤchte ich dies, fo wir de ich mich gluͤklich ſchaͤßzzen.

Greis. Der Name des Herrn ſei gelobt! Er hat alſo feine Wallfahrt hie⸗ nieden geendet, er iſt hinuͤber gegangen

N 2

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zur unvergaͤnglichen Freude, zum ewigen Lohn. Mein klagender Mund ſchweigt, mein Kummer endet, wenn ihr dies mit Gewißheit beweiſen koͤnnt.

Graf. Leider, vermoͤgen wirs!

Friedrich. Dieſel Hände haben ihn ins Grab getragen, und Steine vor die Oefnung gewalzt, damit kein wildes Thier feinen Körper zerreiſſe, er ruht weit von hier entfernt, an dem merk⸗ würbdigfien, aber auch unbekannteſten Or⸗ te der Erde, er ſtarb in der ſichern Ve berzeugung, daß feſter Glaube nie treu 9 |

Graf. Und wird dort die Beſtaͤtt⸗ gung dieſes Glaubens gefunden haben.

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Auf wiederholtes Verlangen des Greis ſes erzaͤhlte nun der Graf die ganze Ge⸗ ſchichte des wunderbaren Alten, den ſie auf dein Schiffe trafen, und der ſie, als eben diefes Schiff ſcheiterte, durch ſeinen innigen Ausruf zum Sprunge ins Waſ— ſer verleitete, und dadurch ihr Leben rettete. Der Greis hoͤrte aufmerkſam und theilnehmend zu, er bewunderte die Geſchichte, welche ſich fein ungluͤklicher Bruder in den Stunden des Wahnſinns erfunden hatte, er ehrte ſein Andenken mit aͤchten Thraͤnen, wenn er uͤberlegte, daß der Ungluͤkliche wahrſcheinlich aus der Abſicht, um feinem Bruder zu fols gen, bis an die Ufer des mittellaͤndiſchen Meers vorgedrungen ſei, und endlich fein Ende in den Wellen des groſſen Ozeans gefunden hahe. Die Befchreis

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bung der unbekannten Juſel, ie Schil⸗ derung der treflichen Menſch en die dort lebten, die Art, wie ſi ie die gefauznen Kriſten behandelten, war für den Greis äuſſerſt wichtig. Bände eure Zunge kein Eid, und koͤnntet ih mir die Lage die⸗ fer Jaſel mit Gowißheit hoſtimmen, ich würde mein hohes Alter vergeſſen, und hineilen, um in dem Regenten dieſes glͤͤklichen Volks den Groͤßten der Sterb⸗ lichen zu verehren. So ſprach er oft, wenn die Freunde in ihrer Erzählung ruhten, oder uͤberlegten, ob ſie dies und jenes ohne Verlozzung ihres Eides dem iminer Fragenden erzählen und erklaren könnten. Der Greis hatte durch Karo linen die Geſchichte der Jünglinge bis nach Zurich vernolninen, aüch hatte ihm die Alte manches wieder erzählt, Was

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dieſe ihr am erſten Tage ihres Daſeins vertraut hatten; aber es waren nur Bruchſtuͤkke, die izt den Alten begieri ger nach der Kenntniß des Ganzen mach⸗ ten, und Beide waren willig, ihm alles genau zu erzaͤhlen. 5

Er ſtaunte mit Recht uber die Groͤſ ſe des Betrugs, welchen man an den Freunden ſo lange und anhaltend geuͤbt hatte, aber er fand ihn ganz zuſammen⸗ haͤngend mit dem bereits bekannten, und dem Endzwekke der Betruͤger ganz an⸗ gemeſſen. Sein heller Verſtand entdekte jede verborgne Triebfeder und die Urſa che derſelben, er mühte ſich, ſie den Juͤnglingen zu erklären, und ſie dadurch von dem moͤglichen Anfalle einer neuen Schwaͤrmerei zu heilen! Seine edle Ab ſicht gelang zum groͤßten Theile vollkom⸗

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RN N e e 5

men, ſelbſt Friedrich, den auf fo uners wartete Art die Exſcheinung des wunder baren Alten und ſeiner miſtiſchen Re⸗ den aufs natuͤrlichſte erklaͤrt wurden, wankte in feinem feſten Glauben an alle die trugvollen Wunder, ſah die Wahr, ſcheinlichkeit des Betrugs ein, und mißs billigte die Reiſe nach dem Vaterlande nicht mehr, weil er nur dort vollkommne Ueberzeug ung finden konnte. Freilich ent⸗ dekte ſein Hang zur Schwärmerei in der Erzählung ihrer fernern Geſchichte un⸗ verhoft neue Nahrung, als der erzaͤhlen⸗ de Graf des reichen Perſers gedachte, der von ihrer ganzen wundervollen Ges ſchichte nicht allein durch eine Erſchei⸗ nung unterrichtet war, ſondern auch von ihnen auf eben fo wundervolle Art plöys lich von «feiner Taubheit geheilt wur de.

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Er fragte triumphirend: Ob hier auch noch die europaͤiſchen Betrüger wuͤrken | konnten, und wie's nur wahrſcheinlich und möglich ſei, daß dieſe ihnen bis zur uns bekannten Inſel, und von da bis nach Baſſora folgen konnten? Aber der kluge Alte verbreitete bald durch ſeine hellen Fragen Licht in dieſer Dunkelheit, und zwang am Ende auch Friedrichen Webers zeugung ab. Er forſchte vorzuͤglich: Ob ſie dem Juden, bei welchem ſie zu Baſ⸗ ſorg wohnten, ihre Schaͤzze ſehen lieſſen, und uͤberdies in ihrem Gemache von dem Endzwekke ihrer Reiſe ſprachen? Die Freunde mußren beides bejahen, und Friedrich konnte dem Grafen nicht widerſprechen, als er ſich erinnerte, daß fie allein ſtundenlang von dem Endzwek⸗ ke ihrer Reiſe, von den vielen Wundern,

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welche ſich auf dieſer zugetragen hatten, mit einander ſprachen, ſondern ſich auch überdies in dieſem Geſpräche aus der Abſicht der arabiſchen Sprache bedienten, um ſich in dieſer beſſer zu uͤben, und nun war es dem Greiſe leicht, auch die⸗ ſes teugvolle Wunder durch Verbindung der erfolgten 3 auf die natürlich N ſte Art 1 nun u bee Wi

Dem Juden, deſſen Haus ihr ber wohntet, gelüftete, ſprach er, nach euren Schaͤtze n, in feinem Haufe konnte er fie euch ohne gegründeten Verdacht nicht rau⸗ ben, und auf der weitern Reiſe noch we⸗ niger, weil ihr nicht allein, ſondern un⸗ ter dem Schuzze einer Karavanne weite zogt, er mußte alſo ein Mittel ſuchen, euch dem Schuzze derſelben zu entziehen,

er behorchte aus dieſer Abſicht euer Ge⸗ ſpraͤch, ward eurer Schwaͤrmerei kundig, und benuzte ſolche zu feinem Vortheile. Denkt euch den Perſer, und dies muͤßt ihr, als einen Helfershelfer des raubbe⸗ gierigen Juden, und alles Wunderbare verſchwindet, und der Betrug ſteht klar und offen da. Er ſtellte ſich taub, er reizte als dieſer eure Aufmerkſamkeit, er zögerte mit der Entwiklung abſichtlich bis zur nahen Abreiſe der Karavanne, und folgte euch liſtig nach, als ihr ihn geheilt zu haben glaubtet. Er war gewiß,

daß ihr euch blindlings feiner Leitung übers laſſen würdet, wenn er euch erzaͤhlte , daß

er euch auf Geheiß des groſſen Menes folge, und benuzte die Bruchſtuͤkke eures Geſpraͤchs auf die liſtigſſe Art, um die Gewißheit ſeiner Sendung zu beweiſen.

Deutlicher als alles, beweißt offenbaren Betrug die Verzögerung der Reiſe von Bagdad bis Ana, und von da bis in die Wuͤſte, weil er dadurch Zeit gewins nen wollte, euch in die Haͤnde entfern⸗ ter Araber zu liefern, und dadurch die mögliche Entdekkung des Trugs zu hin— dern. Ihr waͤhntet, daß er das Geleir te der Araber durch die Wuͤſte erwarte, und er ſande Boten nach Raͤubern aus, die euch auf immer eure Freiheit rauben ſollten. Hatten, wie ihr irrig wähnt, mur die gewahlten Begleiter an euch und

ihm treulos gehondelt, hätten dieſe die Rauber zu euch geführt, ſo wuͤrden fie auch den Perſer auf ähnliche Art behan⸗ delt, ihn weniger als euch die Freiheit ger laſſen haben, da er leichter als ihr die That ahnden, und die Verbrecher zur

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Strafe ziehen konnte, aber er kehrte ganz gewiß zu eben der Zeit, als ihr den Arabern uͤberliefert wurdet, nach Ana zurük, und freute ſich des geſicher⸗ ten Raubes 3% cn Der Graf nahm dieſe Erklarung ganz für wahr an, nur Friedrich fand im En de derſelben Stof zu neuem Zweifel, und zur Entſchuldigung des Perſers, den er ſich nicht treulos denken konnte. Verzeih, entgegnete er dem Greiſe, wenn ich dich mit eignen Worten bekaͤmpfe. Du behaupteſt mit Recht, daß unſre Be⸗ gleiter, wenn ſie wirklich treulos an uns und dem Perſer handelten, dem leztern nicht die Freiheit gewaͤhren konnten, aber ich behaupte mit noch weit groͤſſerem Rech⸗ te, daß er noch weniger gleiches Schikſal

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tit uns genüͤſſen konnte, da dieſe ſchaͤnd⸗ lichen Buben zu genau wußten, daß er in ganz Arabien Freunde und Handlung sver— wande hatte, durch deren Huͤlfe er ſich und uns ſogleich der Sklaverei entriſſen hätte. Ihre Sicherheit heiſchte daher wahrſcheinlich "feinen Tod und die Ver- nichtung feines bekannten Körpers, indes man uns vielleicht aus Mitleid, vielleicht durch höhere Gewalt gezwungen, ein ans deres Schikſal bereitete. Der Greis bes laͤchelte mitleidig die Scharſſinnigkeit Fried⸗ richs, mit welcher er die kleine Schwache benuzte, um damit ſein ganz zerruͤttetes Bollwerk zu dekken, er muͤhte ſich auch, dieſe ſchwache Hülle durch den Beweiß zu vernichten, daß derjenige, welcher eines Mordes faͤhig ſei, auch mehrere ohne Ge⸗ wiſſensruͤge begehe. Aber der Jude, fuhr

EEE EA

EC 207

er in ſeinem Beweiſe fort, der Raub und Trug wahrſcheinlich fuͤr kein Verbrechen achtete, zagte doch fuͤr den Verbrechen, wenigſtens fuͤr den Folgen eines Mords, und ihm gnuͤgte nur euer Schaz, nicht der Verluſt eures Lebens, das er euch ohne dieſen willig goͤnnte, und um deswillen den Raub auch ruhiger genoß. Waren ubrigens die Moͤrder durch höhere Gewalt von der Verlezzung eures Körpers abge— halten worden, ſo begreife ich nicht, wa rum dieſe Höhere Gewalt nicht thaͤtiger wuͤrk⸗ te, als ihr unter den Ruinen Palmirens huͤlflos umher irrtet? Warum fie ihre Zus ſage, durch die fie euch zu dieſer Raiſe be⸗ wog, nicht erfüllte, euch vielmehr aufs neue der Willkuͤhr des Atabers uͤberließ?

Friedrich. Vielleicht war eben die⸗

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fe Gewält damals gehemmt, vielleicht, nach den geſundnen HM zu aun ganz un BE un 0

re (laͤchelnd) Nun, fo laß fie dann zerſtoͤrt fein, denn eben dieſe Ueber zeugung zwingt dich, die weitern Verſuche aufzugeben, und in dein Vaterland ruͤkzu⸗ kehren, dort, hoffe lich, wirſt du! Stof genug finden, dich eines andern zu beleh⸗ ren, und deine a ie; zu be⸗ lachen.

Ich habe mich vielleicht allzulange mit den Zweifeln des armen Friedrichs bei ſchaͤftigt, aber ich achte dieſen Auffents halt für noͤthig, um dadurch theils den Betrug des Perſers meinen Leſern zu ent haͤllen, theils fie immer ſtaͤrker zu übers

zeugen,

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zeugen, daß man nur nach und nach und mit groͤßter Anſtrengung einmal gefaßte Meinungen und Irrthuͤmer uͤberwinden kann. Sie gleichen einer Klette, die mit hundert Haͤkchen an unſrer Kleidung hängt, und ſind einer ſchweren Krankheit aͤhnlich, nach deren Ende man nur langſam neue Kräfte ſammlen kann.

Erzaͤhlte der merkwuͤrdige Greis nicht auch feine Le⸗ bensgeſchichte?

Er erzählte fie den Freunden, und ob ich

gleich nicht gerne Epiſode auf Epiſode haus

fe, fo acht ichs doch diesmal für Pflicht,

ſie meinen Leſern wieder zu erzaͤhlen, weil 3. Theil. O

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fein ſeltnes Betragen gewiß ſchon oft ihre Neugierde reizte, und den Wunſch naͤhrer Bekanntſchaft mit dieſem merkwuͤrdigen | Manne in ihnen erregte. Jakob, fo nann⸗ te ſich der Greis, war der Sohn eines reichen Menoniſten, der in der Pſalz die bekannte Kolonie derſelben gruͤnden half, und durch anhaltenden Fleiß ſeiner Fami lie groſſes Vermoͤgen erworben hatte. Als er alt und lebensſatt ſtarb, fuͤhlte der Sohn zwar tief, daß er den beſten der Vaͤter zur Erde beſtatte, aber er blikte doch auch getroͤſtet auf feinen weis tern Pfad, wenn er uͤberlegte, daß er ruhig und zufrieden an der Seite eines Weibes leben koͤnne, deren Schoͤnheit fein Auge, deren Tugend fein Herz ent zuͤkte. Sein guter Vater hatte fie ihm unter den Toͤchtern feiner Glaubensge⸗

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noſſen auserkohren, und wie er als ihr Gatte freier umherblikte, fo überzeugte er ſich taͤglich, daß er das ſchoͤnſte und beſte Weib beſizze. Er liebte ſie mit in⸗ nigſter, mit derjenigen Zaͤrtlichkeit, die man um deswillen, weil ſie nicht durch Worte ausgedruͤkt werden kann, graͤn— zenlos nennt, und wenn er, von Ge— ſchaͤften ermuͤdet, in ihren Armen ruhte, fo duͤnkte er ſich gluͤklicher als ein Mos narch auf ſeinem feſten Throne. Die Vermehrung feines Gluͤks, das Begins nen einer Schwangerſchaft, die mit an— haltender Schwaͤche begleitet war, zwang ihn, ſeine geliebte Gattin nach einem Bade zu fuͤhren. Er lebte dort mit ihr nach gewoͤhnlicher Sitte ſehr einſam, und freute ſich innig der taͤglichen Beſſe⸗ rung, aber er konnte es nicht hindern, 9 2

212 wenn die haͤufig anweſenden Badegaͤſte die Schoͤnheit ſeines Weibes begaften, bewunderten, und bald und anhaltend lobpreißten. Ein Heer von ſogenannten Anbetern, welches ſich ſtets um ſie her verſammlete, und auf allen ihren Spas ziergaͤngen begleitete, wurde bald ihr und ihm gleich laͤſtig, fie verlieſſen end» lich mit doppeltem Vergnuͤgen den Bruns nen, weil er ihnen nicht allein Geſund⸗ heit, ſondern auch die Ueberzeugung ge⸗ waͤhrt hatte, daß ſtille Einſamkeit zum Genuſſe reiner Liebe hoͤchſt unentbehr⸗ lich ſei. Johanna, ſo nannte ſich die ſchoͤne Menoniſtin, gebahr in der Folge ihrem Gatten den vierten Sohn, und erfreute dadurch ſein Vaterherz um ein groͤſſes. Als fie wieder vollkommen ge ſund und gleich einer Roſe bluͤhend ihre

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Geſchaͤfte verwaltete, trat fie einſt zit. ternd und bleich ins Gemach ihres Gar ten. Du haſt, ſprach ſie, indes ich Mutter ward, einen jungen, fremden Menſchen in deine Dienſte genommen? Das hab ich, antwortete Jakob, weil er hoͤchſt ungluͤklich und elend war, mein Mitleid bedurfte, und es izt durch em ſige, treue Dienſte lohnet.

Johanna. Tkuͤgt mich mein Aus ge nicht ganz, warnt mich mein Herz nicht vergebens, ſo iſt dieſer junge Menſch der nemliche kuͤhne Juͤngling, welcher mich, mit Stern und Orden geziert, im Bade unaufhoͤrlich verfolgte, mir ſchaͤnd⸗ liche Liebesworte ins Ohr fluͤſterte, und mich mehr als einmal verſicherte, daß er mich beſizzen oder ſterben muͤſſe. Pruͤ⸗

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.

fe meine Ahnung, und entferne die Ges fahr, ehe ſie mir ſchaͤdlich werden kann.

Der erſtaunte Jakob berief ſogleich den jungen Menſchen zu ſich, zaͤhlte ihm ſeinen verdienten Lohn auf, und gebot ihm in kurzen Worten, ſein Haus zu verlaſſen, und ſein Gluͤk anderswo zu ſuchen. Die dringenden, heftigen Bitten, mit welchen ihn nun der Juͤng⸗ ling zu beſtuͤrmen begann, vermehrten feinen Verdacht, er beſtand feſt auf Ent⸗ ſernung, ließ die Urſache derſelben im Zsene nicht undeutlich merken, und der Juͤngling entfernte ſich nun ſtolz, aber auch mit drohenden Worten, die Jakob nicht weiter achtete.

Bald hernach riefen ihn dringende

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Geſchaͤfte nach dem Jahrmarkt einer nas hen Stadt, fein Bruder, Lehrer der Ges meinde, begleitete ihn auf dieſer Reiſe, und Johanna blieb ruhig daheim, weil ſie ain Abende wiederzukehren verſprachen. Auch betrieben ſie ihre Geſchaͤfte mit Eis fer, und eine unwillkürliche, aͤngſtliche Ahnung trieb Jakoben zur rechten Zeit nach Hauſe. Als ihnen ſchon 5 fried⸗ liche Wohnung durchs nahe Gebuͤſch, welches ſie eben durchwanderten, entgegen blikte, hörten fie in der Nähe ein flars kes, huͤlferufendes Geſchrei, ſie verdop⸗ pelten ihre Schritte, und erblikten Jo⸗ hannen in den Armen vier bewafneter Männer, welche fie abſeits zu ſchleppen ſuchten. Der friedfertige Jakob, deſſen Hand noch nie ein Mordgewehr beruͤhrt hatte, drang gleich einem Loͤwen, dem

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man ſein Junges rauben will, auf den Haufen ein. Zwei Kugeln, welche ihm entgegen flogen, und von denen eine feis nen linken Arm empfindlich ſtroifte, hemm⸗ ten ſeine Eile und ſeinen Muth nicht, er entriß mit einer unnachahmlichen Stärke einem der Raͤuber fein Schwerd, mit welchem er ihn zu ermorden drohte, hieb damit nach einem andern, und wie er wieder ſeiner Denkungskraft faͤhig war, fo lag Johanna ohnmaͤchtig in feinen Ar: men, aber einer der Raͤuber töchelte am Boden, und die Uebrigen waren entflo⸗ hen. Sein Bruder lehnte an dem Stamme einer Eiche, und ſuchte ſich nur mit Mühe aufrecht zu erhalten, denn ei— ner der fliehenden Rauber hatte ihn, als er ſeine Flucht hindern wollte, mit dem Hefte ſeines Schwerdes einen ſo

*

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ſtarken Stoß auf die Bruſt verſezt, daß er kaum zu athmen vermochte. Vergebens rufte daher dieſen Jakob zum Beiſtande ſeiner huͤlfloſen Frau herbei, denn er ver⸗ mochte fie nicht weiter zu ſchleppen, und mußte in der bangen Erwartung eines neuen Ueberfalls des Augenbliks ihrer Erwachung harren. Lange zoͤgerte dieſe, lange verſchwendete Jakob feine Ueberre⸗ dungskraft, ehe die Geaͤngſtigte einſah, daß ſie gerettet, und in den ſchuͤzzenden Armen ihres Mannes ſei. Einige Bau, ern, welche mit einem Wagen voruͤberzo⸗

gen, wurden endlich feine Retter, fie

unterſtuͤßten die Schwache, und führten

din durch Jakob ſchwer am Haupte vers

wundeten Raͤuber zum Gerichte. Ehe ſie dort mit ihm anlangten, hatte er ſchon geendet, und ſie konnten nur den toden

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Koͤrper uͤberliefern. Jakob wurde ſchon am andern Morgen vors Gericht berufen, erzaͤhlte die ganze Geſchichte der Wahr⸗ heit gemaͤß, bewieß ſie durch ſeine Wunde, und durch ſeines Bruders Verlezzung. Auch beſtaͤtigte ſein Weib nicht allein dieſe Ausſage, ſondern fügte noch hinzu, daß dieſe unbekannten Maͤnner ſie, als ſie ihrem Manne entgegen gehen wollte, im Gebuͤſche überfallen, und ſeitwaͤrts ges ſchleppt hatten. Das Gericht unterſuchte den toden Koͤrper, und da es bei ihm nicht allein Uhr und Börſe, ſondern noch andre Koſtbarkeiten fand, fo ſchloß es ſehr natürlich, daß der Entſeelte kein ges meiner Raͤuber, ſondern der Helfershel⸗ fer eines vornehmen Herrn war, der hoͤchſt wahrſcheinlich das ſchoͤne Weib des Menoniſten entführen und rauben wollte.

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Jakob ward bis zur weitern Aufklärung der Dinge, und gegen das Verſprechen, ſich iederzeit vor Gerichte zu ſtellen, nach Haufe entlaſſen, und hofte mit Grunde,

daß ihm die hoͤchſte Nothwehr und die

Rettung ſeines geliebten Weibes nicht

als Verbrechen angerechnet werden koͤnne.

Am Abende des dritten Tags nach dieſer ſchreklichen Begebenheit, als er eben mit feinem Weibe und Bruder uͤberlegte: Ob er nach Ausgang des Prozeſſes nicht

lieber dieſe gefährliche Gegend verlaſſen,

als ſtets in Furcht und Angſt leben folls

te? ward fein Haus mit Soldaten be,

ſezt, und das Gericht trat mit ſeinen Dienern in das friedliche Zimmer der Ungluͤklichen. Ohne der Urſache einer fo ſchreklichen Handlung zu gedenken, ward

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Jakob und fein Bruder ſogleich abgeſon⸗ dert bewacht, dann begann eine ſtrenge Unterfuhung des ganzen Hauſes, und aller darinne vorhandnen Kuͤſten und Kaͤ⸗ ſten. Wie man einen kleinen Wand⸗ ſchrank, zu welchem Jakob den Schluͤſt ſel in ſeiner Taſche trug, oͤfnete, ſo fand man darinne eine goldne mit Juwelen beſezte Uhr, einen noch koſtbarern Ring, und eine mit dreihundert Louisdor's ge⸗ füllte Boͤrſe. Ah, Raͤuber und Mörder, rieſen nun die anweſenden Kommiſſairs einſtimmig, biſt du nun enthüllt und entdekt? Dein Lohn ſoll deinem Verbre⸗ chen angemeſſen fein! Mit dieſen Wor— ten gaben fie ſogleich Befehl zum Auf⸗ bruche, und Jakob ward ſogleich ſamt ſeinen Bruder, ohne daß man ihrer Klagen achtete, nach dem Gefängnille

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geſchleppt. Ehe ich aber fortfahre, das Leiden dieſer Unſchuldigen zu ſchildern, muß ich vorher das boshafte Gewebe enthuͤllen, durch welches ſie in dieſes Labirinth verwikkelt wurden.

Kurz nachher, als Jakob feine Aus ſage vor Gerichte geleiſtet hatte, trat einer der Bewohner des Staͤdtchens, in welchem die Richter wohnten, vor ihre Schranken, und behauptete, daß er in dem Ermordeten den ehemaligen Kam— merdiener eines benachbarten Grafens deutlich erkenne, und es ſich zu beeiden getraue, daß es wuͤrklich ſein Koͤrper ſei. Da die Beſizzungen dieſes Grafens nicht unter der Landeshoheit dieſes Staates ſtanden, fo berichtete man ſchleunigſt dieſe Ausſage an das graͤfliche Gerichte, bat

um naͤhere Prüfung des Toden, und

dann um Auftiärung Zwei Tage nach⸗ her erſchien der Graf mit einigen Begleitern ſelbſt vor Gerichte, erkannte ſogleich in dem Toden feinen Kammer, diener, und erzaͤhlte nun folgende Ge⸗ ſchichte. Ich wollte, ſprach er, vor vier Tagen in Begleitung meines Kammer⸗ dieners, zweier Reitknechte und eines Jaͤgers nach D zum Beſuche reiten, die gewoͤhnliche Straſſe dahin ſchlaͤngelt fi), wie bekannt, bei L wegen des Fluſſes rechts hinauf, und geht dann links an dieſem wieder herab, ich wollte, da es ſchon ſpaͤt war, und ein Gewit⸗ ter drohte, den langen Umweg nicht machen, ſezte durch den Fluß, und ritt auf Nainen und Seitenwegen nach der Straſſe. Wie wir aus dieſer Abſicht

19) 4 *

ein Gebuͤſch durchritten, fiel mir ein braungekleideter Mann in den Zuͤgel, und ein anderer naͤherte ſich meinem Jaͤger. Beide drohten uns zu pfaͤnden, weil wir uͤber Felder und Wieſen geritten waͤren. Ehe ich zu antworten vermochte, hatte ſich der andere ſchon des Hirſchfaͤngers, welchen mein Jaͤger an der Seite fuͤhrte, bemaͤchtigt, und hieb damit meinen Kam⸗ merdiener, der eben den Zuͤgel meines Pferdes befreien wollte, ſo heftig in den Kopf, daß fein Blut mich ganz beſprü te, und er ohnmaͤchtig vom Pferde ſan Meine zwei Reitknechte, die gleich mir nicht das geringſte Gewehr bei ſich fuͤhr⸗ ten, entflohen eiligſt, weil ſie Mord ah⸗ neten, und ob der Jäger gleich ſeine beit den Piſtolen auf die Raͤuber losdruͤkte, auch wuͤrklich den Moͤrder meines Kam⸗

3 E 0

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merdieners mit einer derſelben verwundete, ſo riſſen mich die Ränder doch vom Pfers de, und der Jaͤger entfloh ebenfalls, weil er Tritte hoͤrte, und mehrere Raͤuber in der Naͤhe vermuthete. Ich laͤugne es nicht, daß ich izt, von allen verlaflen, ans haltend um mein Leben flehte, freiwillig meinen Ring, meine Uhr und Boͤrſe zur Rettung deſſelben darbot, und es dadurch auch wuͤrklich rettete, denn fie nahmen es ſtillſchweigend an, und ſchlichen durchs Gebuͤſch weiter. Da ſie ſich nach eben der Seite wanden, auf welcher man nach D gelangt, fo wagte ichs nicht, ihnen zu folgen, und jagte wieder ruͤkwaͤrts, wo ich am Fluſſe meine Reitknechte traf, und mit ihnen nach Hauſe eilte. Mein Jaͤger kam mir erſt weit ſpaͤter nach, er war auf ſeiner Flucht mit dem Pferde

| geſtuͤrzt,

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geftürge, und mußte nahe am blutigen Schauplazze liegen bleiben, weil er ſich den Fuß verrenkt hatte, und das ſcheue Pferd entflohen war. Er konnte deutlich durchs Gebüſch nach dem Orte hinblikken, wo mein Kammerdiener ſeinen Todes kampf roͤchelte, und ſah, kurz nach mei⸗ ner Entfernung, die Näußer auf dieſen Plaz ruͤkkehren. Eben wollten. fir auch des Kammerdieners Taſchen unterſuchen, und wahrſcheinlich alles, was er bei ſich hatte, rauben, als ein junges Weib durchs Gebuͤſch hervordrang Was geht denn, rief ſie augſtvoll aus, hier vor? Ich habe Schuͤſſe gehort! Gottes Barm⸗ herzigkeit, wer hat denn dieſen ermor⸗ det? So fragte, und forſchte ſie un⸗ aufhörlich, und obgleich die Männer fie auf alle Art zu beruhigen und zum 3. Theil. P

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Stillſchweigen zu bereden ſuchten, fo jammerte ſie doch ſchreklich, und des wieß dadurch deutlich, daß ſie an dem Verbrechen ihres Mannes ganz unſchul⸗ dig ſei. Wie man endlich das klagende Weib beruhigte, und ſie, da fie wuͤrk⸗ lich aus Jammer ohnmaͤchtig ward, von dem Schauplazze des Verbrechens entfernte, wußte mein Jaͤger nicht zu erzaͤhlen, denn die Moͤrder blikten im⸗ mer furchtfam und ſchuͤchtern nach allen Seiten umher, er fuͤrchtete entdekt zu werden, kroch durchs Gebuͤſch nach eis ner Wieſe, fand dort ſein Pferd weis dend, und folgte mir auf dieſem nach. Ich ſande ſogleich viele vertraute Leute nach dee Gegend, um ingeßeim den Raͤubern und Mördern nachzuſpaͤhen, weil ich ſicher vermuthete, daß fie den

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Koͤr per meines treuen Dieners im Ver⸗ borgnen verſcharren, und dadurch ihre Schandthat verbergen wurden. Ehe dieſe ruͤtkehrten, erhielt ich die Nachricht vom Gerichte, und erwartete nun mit groͤßter Sehnſucht den Erfolg meiner Späher, um die Moͤrder ſogleich vor Gerichte anklagen zu koͤnnen. Mir ward durch ſie mancherlei Nachricht, aber doch keine ſichere, bis endlich geſtern Abends meine mit auf der Spaͤhe begrifne Reit, knechte die Wohnung der Moͤrder und ihren Namen entdekten, und ich bin nun mit den noͤthigen Zeugen herbei geeilt, um über dieſe Boͤſewichte Rache zu heiſchen. Er beſchuldigte nun den armen Jakob und ſeinen Bruder des Raubes und Mordes, bat, ſeinen Jaͤger und die beiden Reitknechte uͤber eben

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ER»—Ἀäiʃ8—ʒ dieſen Umſtand zu verhöten, und wie dieſes geſchehen war und die Richter den als reich bekannten Jakob wohl eis nes Mordes, aber doch keines Straſſen⸗ raubes fähig achteten, fo drang er vor⸗ zuͤglich darauf, beide Bruͤder nicht allein auf feine Gefahr ſchnell zu verhaften, ſondern auch im Haufe alles aufs ges nauſte zu unterſuchen, um ſich vielleicht durch die Entdekkung der geraubten Stüffe von der Wahrheit feiner Ausſage zu uͤberzeugen. Er ſande deswegen einen ſeiner Leute mit dahin ab, damit dieſer mit eignen Augen beobachten ſolle, 06 das Gericht feine Schuldigkeit ſtreng ers fuͤlle, und drehte mit der Klage am lan⸗ der fuͤrſtlichen Hofe, wenn man nicht alles genau befolge, und der arme Jakoß ward nun fasst feinen Bruder als ein üͤber⸗

wießner Räuber und Mörder ins Ges ſaͤngniß geſchleppft . 18 6011

Als dicſes geſchah, erzählte man dem Grafen die Ausſage des Jakobs, welches er in Geſellſchaft ſeines Weibes und Bruders vor Gerichte geleiſtet hatte. Er aͤuſſerte groſſes und anhaltendes Er: ſtaunen über die Lift und Ranke dieſer gottloſen Leute, entſchuldigte aber neben bei auf eine feine Art das junge Weib, welches nach ſeiner Vermuthung wahr⸗ ſcheinlich gezwungen, oder auch, um ihrem Manne das Leben zu retten, freiwillig dieſe Anklage beſtaͤtigte. Er bewieß mit Gründen, daß ein Weib nicht ſchuldig ſei, ihren Mann als einen Moͤrder vor Gerichte anzuklagen, auch nicht dieſer Verlaͤugnung wegen, da fie nicht Kennt

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nis und Antheil am Morde und Raube hatte, vom Gerichte beſtraft werden könne. Die Rihter nahmen dieſe listige Ent ſchuldigung fur den Beweiß eines guten Herzens, machten dem Grafen Lobſpruͤche daruͤber, und erwarteten nun mit ihm den Ausgang der Unterſuchung und die Ankunft der Gefangnen. Ueber den Aus; gang der erſtern konnte der gewiſſenloſe Wolluͤſtling ganz ruhig fein, einer feiner Diener war ſchon vorher, um den Ges genſtand ſeiner Wuͤnſche zu beobachten, in Jakobs Dienſte getreten. Er hatte ihm von der Reiſe deſſelben uicht allein Nachricht gegeben, ſondern auch gegen Abend unter allerhand liſtigen Vorwand alle Leute aus dem Hauſe entfernt, weil der Graf Johannen um eben dieſe Zeit aus dem Garten, in welchem ſie in einer

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Laube ſas, mit Gewalt entfuͤhren wollte, aber Johanna war, ohne dem verkleide⸗ ten Buben etwas davon zu entdekken, durch die hintre Thuͤre des Gartens ihr rem Manne entgegen gegangen. Erſt, da das Bubenſtuͤk ausgeführt werden ſoll⸗ te, entdekte man ihre Abweſenheit, fpähte ihr eiligſt nach, und traf ſie in dem Ges buͤſche, in welchem ſie durch ihren Mann aus den Haͤnden der Raͤuber errettet wur de. Der Verraͤther und Stifter alles dieſes Unheils blieb in Jakobs Dienſten, und erhielt, wie der ermordete Kamier⸗ diener erkannt wurde, insgeheim von feis nem Grafen den ſchleunigen Auftrag, die Uhr, Boͤrſe und den Ring des Grafen auf geſchikte Art in irgend ein Behälts niß zu verbergen, zu welchem Jakob den Schluͤſſel gewöhnlich bei ſich fuhrte.

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Ungeachtet der meineidige Diener in allen Raͤnken wohl erfahren, und in der Aus; führung derſelben aͤuſſerſt geſchikt wor, ſo vergingen doch zwei Tage, ehe er ſei⸗ nen Auftrag ausführen konnte. In der darauf folgenden Nacht erhielt der Graf von dleſer gluͤklichen Ausführung Nach, richt, eilte ſogleich zum Gerichte, begann kuhn ſeine erdichtete Klage, und wor des guten Erfolgs derſelben im Voraus ge⸗ Wwiß.. zin ae Euch, theure Leſer, die ihr im Ge fühl eures guten und unverdorbnen Heu zens die Möglichkeit dieſer Schandthat bezweifelt, muß ich was ich ſckon dͤf⸗ ters that nochmals ſagen, daß dem Wolluͤſtlinge kein Verbrechen zu groß, keine Schandthat zu abſchrekkend ſei,

wenn er nut dadurch fein na zendes Se fühl befriedigen, oder ouch nur zur Be friebigung deſſelben neue Hofnung (he pfen kann. Kein Böſewicht er ſei's aus irgend einer andern Asdſicht han delt ſo raſch, ſo anhaltend grauſam und boͤſe wie der vollkommne Wolläaͤſtling. Stellt Galgen und Nad hinter das Opfer, welches er feiner unkändigen Lei denſchaft bringen will, und es wird ihn nicht ſchrekken; ſchuͤzt es mit hundert Wächtern, und er wird hundert Meu⸗ chelmoͤrder dingen, um jene zu morden, und das unbeſchuͤzte Lamm zu rauben. Des Graſens Handlung ward hier uͤber⸗ dies durch eine beinahe gleich maͤchtige Triebfeder beſeelt. Der erkannte Körper des ermordeten Kammerdieners erregte ſchweren Verdacht; ſeine Ehre ward durch

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dieſen beleidigt und gekraͤnkt, er mußte dieſe retten und vertheidigen. Was kum merte es ihn, wenn dadurch ein oder zwei gewoͤhnliche Menſchen hoͤchſt ungluͤk⸗ lich wurden, und ihr Blut vergieſſen mußten, um ſeine beflekte Ehre damit rein zu waſchen. Dieſe Menſchen ſtan! den ihm überdies im Wege, hinderten ihn hartnaͤkkig an der Befriedigung ſei⸗ ner Begierde, und ſo machte er ja zwei Würfe mit einem Steine, rettete feine Ehre, und konnte ſich am Ende leicht des huͤlfloſen Weibes bemaͤchtigen. Du ſchauderſt ob dieſer Hoͤllenmoral, auch ich ſchaudre mit dir, aber deswegen bleibts doch gewiß und ausgemacht, daß boͤſe Menſchen in ähnlichen Gelegenheiten auf ähnliche Art handeln, und frech genug | ſind, dieſe abſcheuliche Handlung eine

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feine Wendung des widrigen Schikſals und Zufalls zu nennen. Heil dir, wenn du das Schrekliche derſelben einſiehſt und fuͤhlſt! Heil mir, wenn dir meine mars nende Stimme einſt . und mne 15 kae n VE g

Als die PR mit Ketten bes laſteten Brüder vor Gerichte erſchienen, und die Abgeſanden zum Erſtaunen der Richter die Beweiſe ihres Raubes dar⸗ reichten, war der Graf ſamt ſeinen er⸗ kauften Buben noch gegenwaͤrtig, und beftättigte es mit ihnen eidlich, daß die gegenwaͤrtigen Geſangnen die nemlichen Maͤnner waͤren, welche ſeinen Kammer⸗ diener ermordeten, und ihn beraubten. Der gegenwärtige Jakob ſchwieg ſtau⸗ nend, wie aber das Verhoͤr geendet war,

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ſo ſprach er: Ich bin ganz unſchuldig, und hoffe mich mit Gottes Huͤlſe gegen alle dieſe Teufel, welche in mkenſchlicher Geſtalt ver mir ſtehen, ſtandhaſt zu vers thadigen. Sie handeln zwar ſo liſtig wie dieſe, aber fie find nicht ſo maͤch⸗ tig, und koͤnnen ihre Geſtalt nicht ver andern. Man achtete dieſer merkwuͤrdi⸗ gen Rede nicht, nahm beide fuͤr uͤher⸗ wieſne Verbrecher, und ſande ſie mit der ſchreklichen Verſicherung nach dem Ker⸗ ker, daß die Schmerzen der Tortur ih⸗ re Zunge: e un Bekeunmniſſe i e an it un 8

e WR 9055 mit t öleſtr Dube vollkommen zufrieden nach Hauſe, und ſtudirte von nun an emſig uͤber den Ent⸗ wurf eines neuen Plans, durch deſſen

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Huͤlfe er die ungluͤkliche Frau, die er deswegen abſichtlich unſchuldig geſchildert hatte, in fein Nez lokken wollte, aber er ward einige Tage nachher mitten in ſeiner Sicherheit durch einen Boten des Gerichts gewaltig erſchrekt. Die Vers brecher, ſchrieb man ihm, behaupteten dreuſt, daß der Herr Graf die ganze Geſchichte des Raubes zur Rettung feis ner Ehre erdichtet habe, und wuͤrklich die Frau des Jakobs entfuͤhren wollte. Dieſe Behauptung, verſicherten die Rich ter, würde ohne Beweiſe den Gang des Prozeſſes nicht hindern, da aber beide zum Beweiſe ihrer Anklage dreuſt ber haupteten, daß der Herr Graf ſchon laͤngſt unedle Abſicht zur Verführung des Weides geaͤuſſert, und unter andern ſich als ein verkleideter Gartner einen Mo⸗

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nat lang in Jakobs Hauſe aufgehalten habe, ſo werde die Gegenwart des Herrn Grafens vor Gerichte um ſo noͤthiger, weil die Verbrecher nicht allein durch ihr Hausgeſinde, ſondern auch durch mehrer re Glieder ihrer Gemeinde beweiſen woll ten, daß Hochderſelbe und der verkleide te Gaͤrtner ſich vollkommen aͤhnlich, und ſolglich eine und die nemliche Perſon waͤre. Man erwarte daher die guͤtige Erklaͤrung, wenn er zur hoͤchſtnoͤthigen Konfrontazion erſcheinen wolle, um zu eben dieſer Zeit die aufgerufnen Zeugen vorladen zu koͤnnen.

Der Graf ſande dieſe Erklaͤrung nicht, verſprach ſie naͤchſtens nachzutragen, und ging nun mit feinen Getreuen zu Ra⸗ the, wie er die neue Vos heit der But

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ben, denn fo nannte er ihre redliche Selbſtvertheidigung, zu Schanden machen koͤnne. Anfangs waren alle einſtimmig, daß er nicht erſcheinen, kuͤhn alles laͤug⸗ nen und mit einer Klage an hoͤhere Stel⸗ len drohen ſolle, als wan aber überlege te, daß dies nur Aufſchub gewähren, und gar Verdacht erregen koͤnne, fo ſuch⸗ te man andere Huͤlfsmittel, und wollte eben alle Zeugen verdaͤchtig machen, als die unerwartete Nachricht eintraf, daß der verkleidete Diener, welcher noch im mer in Jakobs Hauſe lebte, durch die ſchreklichen Klagen des Weibes geruͤhrt worden ſei, und wirklich drehe, die gan ze Sache vor Gericht anzuzeigen, wenn man den unſchuldigen Gatten nicht ret⸗ te, und den Jammer des Weibes ſtille. Der Tod des Verraͤthers wurde ſogleich

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beſchloſſen, da man dieſen Entſſchluß aber nur bei guter Gelegenheit ausuͤben konnte, und nicht uͤberzeugt war, ob er nicht ſchon manches entdekt habe, ſo wählte, man fis ſtigere Mittel, und fuͤhrte dieſe auch eben ſo gluͤklich aus. Ein geheimer Abgeſander des Graſens reißte eilig nach dem Staͤdt⸗ chen, in welchem Jakob mit ſeinem Brut der gefangen ſas, er ſprach mit dem Ker⸗ kermeiſter, und vertraute ihm, daß ſſein menſchenſreundlicher Graf nicht das Blut der Räuber fordere, und fig gerne dem raͤchenden Arme der Gerechtigkeit entreiſ⸗ ſen wolle, wenn er ihm ſeine Hülfe nicht verſagen werde. Du kannſt, fuhr der Abgeſande fort, bei dieſer Handlung uns endlich viel gewinnen, und nur deinen tlenden Dienit, der dir kaum troknes Brod gewaͤhrt, verliehren. Es war ſehe

natür⸗

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natürlich, daß der arme Kerkermeiſter nach der Menge des Gewinnes forſchte, und wie ihm der Abgeſande nicht allein einen vollen Beutel Golds zeigte, ſon— dern auch nebenbei im Namen des Gra⸗ fens einen weit eintraͤglichern Dienſt zus ſicherte, ſo gelobte er alles, was in ſei⸗ nen Kräften ſtehe, zu unternehmen, um die menſchenfreundliche Abſicht des Gras fens zu foͤrdern. Der Abgeſande vers langte nun mit den Gefangnen zu ſpre— chen, und der beſtochne Kerkermeiſter fuͤhrte ihn in die Grube, in welcher ſie ſchmachteten. Arme Ungluͤkliche, ſprach der Liſtige mit verſtelltem Tone und heuchleriſchen Miene, ich komme euer Elend zu ſehen, und mich durch dieſen

ſchreklichen Anblik in meinem Vorſazze zu

ſtaͤrken. Ich habe das Gewebe der Bos; 5. Theil. Q

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heit durchblikt, ich finde euch rein und unſchuldig, aber auch das erſtere ſo kuͤnſt, lich und feſt gefponnen, daß niemand es zerreiſſen, und die dahinter verborgne Tuͤkte enthuͤllen kann. Ihr muͤßt ſchrek⸗ lich und ſchmaͤhlich am Hochgerichte blut ten, und euer Gedächtnis wird mit Naub und Mord gebrandmarkt werden. Wahnt nicht, daß die aufgerufnen Zeu⸗ gen euch retten werden, ſie ſind bereits als verdächtig verworfen, weil fie alle Glieder eures Glaubens ſind, die, wie man behauptet, alles anwenden, um ei⸗ nen ihrer Mitbruͤder vom ſchaͤndlichen Tode zu retten. Morgen wird man euch zur Marterbank ſchleppen, und durch die ſchreklichen Schmerzen dekſelben das Ges ſtaͤndnis eines nicht beganznen Verbre⸗ chens von euch erpreſſen. Nur ein Mit

1

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tel zur Rettung iſt übrig, und ich kom⸗ me euch zu fragen: Ob ihr ſolches waͤh⸗ len wollt? |

Jakob. Engel des Himmels nen ne es, und wir wollen dir ewig dan⸗ ken. ;

Der Abgeſande. Ihr muͤßt dem Tode und euern Verfolgern aufs ſchleu— nigſte entfliehen. Staunt nicht uͤber dies fen Vorſchlag, die Aus fuͤhrung deſſelben iſt leicht und moͤglich, ich habe keine Ko ſten geſpart, um die leidende Unſchuld dem wuͤthenden Rachen des Tiegers zu entreiſſen. Der Kerkermeiſter, den ich ſuͤr dieſen Dienſt bezahle, und vor jeder Verantwortung ſchuͤzze, wird euch um Mitternacht aus euerm Kerker nach eis

Q 2

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ü! En EEEEEEENEEEEIESTEBETNERERBERSEETTERNDEREEEREEEEG nem Plazze führen, wo meine Pferde ſchon euer harren. Die Graͤnze iſt nicht weit entfernt, ihr werdet ſie noch vor Tages Anbruche erreichen. Flieht dann eiligſt nach Holland hinab, ſchift nach Amerika über, und ihr werdet dort Bruͤ⸗ der finden, die euch aufnehmen, und in deren Mitte ihr euer Leben ruhig bes ſchluͤſſen könnt. Ehe meine Begleiter von euch ſcheiden, werden ſie euch die usthigen Paͤſſe zu eurer Reiſe und auch ſo viel Geld einhaͤndigen, als ihr zur ſchleunigen Foͤrderung derſelben von noͤthen habt. Alles iſt vorbereitet, und ich harre nur eures Entſchluſſes, um noch dieſe Nacht alles gluͤklich auszut⸗ fuͤhren. De

Man verſezze ſich in die Lage der

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Ungluͤklichen, blikke mit allem Bewufts fein reiner Unſchuld vergebens nach Ret— tung umher, ſehe Tortur und Hochge— richt fuͤrchterlich winken, und verdenke es ihnen dann noch, wenn ſie dankend vor ihrem verſtellten großmuͤthigen Erret⸗ ter niederſanken, und es zeitlebens nicht zu vergeſſen gelobten, daß er in der Tiefe ihres Jammers ſich ihrer erbarmt habe. Zufrieden mit ihnen und der gluͤk⸗ lichen Ausfuͤhrung des Plans vetließ ſie nun der Heuchler, um alles noͤthige mit dem Kerkermeiſter zu verabreden. Der durch Gold geblendete Arme war zu al⸗ lem bereit und willig, er verſprach zur beſtimmten Stunde die Gefangnen zu entfeſſeln, in die Hände des Abgeſanden zu uͤberliefern, dann ſogleich durch die ſchwaͤchſte Seite der Mauer ein Loch zu

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brechen, und am Morgen vorzugeben, daß die Befreiten durch dieſes entflohen wären.“ Man konnte ihn dann hoͤchſtens nur einer nachlaͤſſigen Wachſamkeit be⸗ ſchuldigen, und feines Dienſtes entſezzen, für welchen er ſchon im Voraus durch das 5 eines weit en ent⸗ ſchaͤdigt war. | eee WS Die Ausführung dieſes Plans toni dem Grafen allerdings eine anſehnliche Summe, aber ſie war zur Rettung ſei⸗ ner Ehre hoͤchſt nothwendig, befreite ihn aus aller Verlegenheit, warf ſchwarzen Schatten auf die Entflohnen, bewieß das Bewußtſein ihres Verbrechens, und lie⸗ fer te überdies, da die Konfiskation von Jakobs Vermögen der Flucht folgen muß te, das nun arme und huͤlfloſe Weib um ſo ſchneller in ſeine Arme. |

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| Ehe noch die Mitternachtsſtunde bes gann, ward Jakob ſamt ſeinen Bruder wuͤrklich aus dem Kerker befreit, und durch drei unbekannte Perſonen aus der Stadt und nach einem einſamen Plazze begleitet, wo ein leichter Wagen, mit vier Pferden beſpannt, ihrer harrte, ſie aufnahm, und mit ihnen aͤuſſerſt ſchnell fortrollte. Ehe ihre Begleiter fie vers lieſſen, uͤberreichte ihnen einer derſelben einige Papiere und eine volle Boͤrſe. Dies iſt, ſprach er leiſe, euer Reiſe— geld, dies ſind die noͤthigen Paͤſſe, reißt gluͤklich, und gedenkt in eurem Gebete eures Erretters. Sie vermochten nicht zu danken, denn wie fie im hoͤchſten Ge fühle dieſer groſſen Wohlthat nach Wor— ten rangen, rollte der Wagen fort, und ſie konnten nur zu Gott für ihren Wohl—

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[So a a ll U) thaͤter beten. Der Kutſcher jagte auf lauter Seitenwegen unablaͤßlich fort, ver⸗ mied alle Dörfer, und hielt endlich, als der Tag zu grauen begann, in einem Walde ſtille“ Izt, ſprach er, ſeid ihr ſchon zwei Stunden weit von eurem Bar terlande entfernt, ſteigt aus, ich vermag euch nicht weiter zu führen wandelt links hinab, fo werdet ihr ein Dorf er⸗ reichen, wo ihr bei dem Witthe deſſel⸗ ben, wenn ihr euch als reiſende Kaufleus te nennt, ſogleich friſche Pferde zu eu— rer weitern Reiſe erhalten werdet. Weicht aber ja nicht von der Straſſe ab, ſonſt wuͤrdet ihr euch ſicher in dieſem groſſen Walde verirren. Mit dieſen Worten verließ er ſie, und die Geretten athme⸗ ten nun freier, ſie hatten die ganze Zeit hindurch kein Wort mit einander geſpro⸗

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chen, immer aͤngſtigte die Furcht eines ungluͤklichen Ausgangs ihr Herz, iumer fürchteten ſie neuen Jammer, und ſtets ſchien ihnen ihre Rettung ein wohlthaͤt tiger Traum, den ſie nicht zu ſtoͤren mag? ten. Izt, da ſie ſich ſelbſt uͤbetlaſſen waren, kehrte ihre Ueberlegungskraft zur kuͤk, es tagte ſchon ſtaͤrker, Jakob zog die Paͤſſe heraus, um aus dieſen zu entnehmen, wie ſie ſich nennen, fuͤr was ſie ſich ausgeben ſollten. Er ſtaunte, als er ſtatt dieſer zwei leere Bogen Par pier in ſeiner Taſche fand, er zeigte ſie ſeinem Bruder, und dieſer ſtaunte mit ihm. Jakob grif nun nach der empfang⸗ nen Boͤrſe, unterſuchte den Inhalt, und fand fie zu feinem noch groͤſſern Erſtau⸗ nen mit ſogenannten Nuͤrnberger Zahl⸗ oder Rechenpfennigen gefullt. Wie find

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hintergangen, wir find ſchaͤndlich betros gen! Man hat uns zur Flucht verleitet, um uns ſtrafharer zu wachen!) rief izt Jakobs Bruder aus, und Jakob fügte hinzu: Ach mein Weib, mein unglükli— ches Weib! 7

Merkwuͤrdig iſts immer, aber wenn man feine Lage prüft, nicht unwahrfcheins lich, daß Jakob, feiner eignen Verſiche⸗ rung nach, von Anbeginn ſeiner Flucht bis zu dieſem Augenblikke nie feines ges liebten Weibes gedachte, nie überlegte, was aus ihr werden, was nach ſeiner Flucht mit ihr geſchehen koͤnne. Seine Seele war die ganze Zeit nur mit die⸗ fer beſchaͤftigt, die Drohung der nahen Tortur, der ſchreklichen Hinrichtung be⸗ ſchaͤftigte vollauf ſeine Einbildungskraft,

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kein anderes Bild konnte in dem Spies gel derſelben Plaz finden‘, izt ſchwanden dieſe, und ſein huͤlfloſes Weib ſtand haͤn⸗ deringend vor ihm. Er hoͤrte, wie ſie unablaͤßtich rufte: Du haſt mich verlaſ— fen, der Wuth meiner Verfolger preiß gegeben! Er ſtand ſchnell auf, wandte ſich ruͤkwaͤrts, und eilte in dem Ueber maaſe feiner Empfindung dem Huͤlfe rus fenden Weibe entgegen. Sein Bruder, den wahrſcheinlich ſchon die Fittige des Wahnſinnes zu dekken begannen, folgte ihm ſtillſchweigend, und warnte ihn nicht, als er ſich mit ſchnellen Schritten dem Lande aufs neue naͤherte, in i der Tod . harte.

Noch ruhten die meiſten Bewohner deſſelben, als ſie ſchon in ihrer haſtigen

252 Eile die Graͤnze erreicht hatten, und ſich

nun einem Staͤdtchen naͤherten, in wel⸗

chem Jakob allgemein bekannt war. Eben ſchritt er vor einem Garten, der einſam an der Straſſe lag, haſtig voruͤber, als ein Mann im Schlafrokke aus der na⸗ hen Thuͤre herausſprang, ihn bei der Hand faßte, und mit den Worten: Um Gotteswillen, wo kommſt du her? Wo willſt du hin? aus ſeiner Betaͤubung wekte. Keiner der Wanderer vermochte zu antworten, doch lieſſen ſie ſich willig von dem Fragenden nach dem nahen Gars

tenhauſe leiten. Hier ward endlich dem

Freunde, der aufs ſorgfaͤltigſte forſchte, Erklärung und Erzaͤhlung ihres ganzen Unglüks, das er bis auf die unternomm⸗ ne Flucht ſchon kannte. Und wo willſt du izt hin? fragte am Ende aufs neue

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der theilnehmende Freund. Zu meinem Weibe, zu meinen Kindern, antwortete Jakob. Ich will ſie, fuhr er fort, mit mir nehmen, ſie ſchuͤzzen vor dem Raube der Wolluͤſtigen, und wenn ich ſie nicht vertheidigen kann, willig mit ihnen flers ben. Der kluͤgere Freund widerrieth hoͤchſt natuͤrlich dies Vorhaben aufs ſtaͤrkſte, be⸗ wieß durch unumſtoͤßliche Gruͤnde, daß dieſer Schritt ihn aufs neue in die Haͤnde feiner Feinde liefere, und feinen ſchmaͤli— chen Tod um ſo ſicherer befoͤrdere, weil er ſich durch die gewagte Flucht noch ſtrafba⸗ rer und verdaͤchtiger gemacht habe. Du biſt, ſprach der Redliche, in deinem Zus ſtande jeder Handlung unſaͤhig, laß mich ſtatt deiner handeln. Um das Gewebe der Bosheit zu vernichten, um eine unſchul⸗ dige Familie zu retten, wage ich alles,

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was meine Krafte vermoͤgen. Ich will hin zu deinem Wetbe, ich will ihre Flucht foͤrdern, will einen Theil deines Vermös gens retten, und dich dann gluͤklich uͤber die Graͤnze geleiten. Ich kenne die Ge⸗ ſinnungen deiner Gemeinde, ich habe mit einigen Gliedern derſelben ſeit deiner um gluͤklichen Gefangenſchaft geſprochen, ſie ſind von deiner Unſchuld uͤberzeugt, ſie wenden alles an, um zum Beſten deines Weibes und deiner Kinder einen Theil deines Vermoͤgens zu retten und zu vers bergen, ſie werden ſich uͤber die Nachricht deiner moͤglichen Rettung freuen, und mein Vorhaben gewiß unterſtuͤzzen. Hier in dieſem einſamen Hauſe biſt du indes ſicher, niemand wird dich hier ſuchen, und für die Treue meines Weibes, die euch

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mit Speiſe und Trank verforgen wird, kann ich mit voller Gewißheit buͤrgen.

Jakob war mit dieſem Vorſchlage ganz zufrieden, harrte im verborgenſten Gemache des Hauſes ſeines ruͤkkehrenden Freundes, und ward indes von ſeinem Weibe ſorgfaͤltig gepflegt. Drei Tage und Naͤchte harrten die ungluͤklichen Bruͤder einſam und ſchweigend, ſprachen kein Wort mit einander, fuͤhlten nur immer das Un— gluͤkliche ihres Zuſtandes. Jakob ward noch durch die Hofnung gelabt, daß er ſein Weib und Kinder wieder ſehen wuͤr— dr, aber ſein armer Bruder fand keine Stuͤzze, worauf er feine ſchwere Buͤrde lehnen konnte, tiefe, unheilbare Schwer— muth bemaͤchtigte ſich immer ſtaͤrker feis nes Herzens. In der dritten Nacht wek⸗

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. T. te ein Geraͤuſch den armen Jakob aus ſei⸗ nem. Schlummer, fein Weib mit dem juͤngſten Sohne auf dem Arme, mit den uͤbrigen an der Hand, ſtuͤrzte zu ihm ins Gemach, und ſank ſchwach und ohnmaͤch⸗ tig in feine ausgeſtrekten Arme. Der ſeltne Freund und zwei Mitglieder von Jakobs Gemeinde waren ihre Begleiter, ſahen ſtumm der Freude zu, welche die Unglüͤklichen fühlten, und ſtoͤrten endlich den Genuß derſelben, um ſie noch dieſe Nacht uͤber die Graͤnze zu foͤrdern. Sie brachten fuͤr Jakob und ſeinen Bruder andere Kleider mit ſich, und obgleich der leztere ſolche nicht anziehen wollte, fo mußte er endlich doch den Bitten der Ue⸗ vun eh |

Ehe noch der en er 0 ten

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ten alle ſchon gluͤklich die Graͤnze erreicht, und wie ſich der Mittag naͤherte, trafen ſie in einem Dorfe ein, welches nahe an den Ufern des Rheins lag. Ihre Freun— de, welche ſie bis dahin begleitet hatten, führten fie nach einem bereitſtehenden Schiffe, welches ſchon aus dieſer Abſicht gemiethet und beſtellt war, und die un⸗ gluͤkliche Familie ohne Aufenthalt nach Holland fuͤhren ſollte. Hier trafen ſie eine Magd und einen Diener, welche Johannens Flucht gefoͤrdert hatten, und nun entſchloſſen waren, mit ihrem guten Herrn die ganze Welt zu durchreiſen. Jakob ward durch dieſen Beweiß inniger Treue mehr als durch die Nachricht ge: ruͤhrt, daß ein betraͤchtlicher Theil ſeines baaren Vermoͤgens gluͤklich gerettet ſei, und ſich in guten Wechſeln auf Amfters 3. Theil. R

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dam in den Händen feines Weibes befins de. Er fühlte die Groͤſſe der Wohlthat und Fuͤrſorge ſeiner Freunde nur um des: willen fo innig, weil er mit feinem Reis be und Kindern nicht fuͤr Mangel zogen durfte, und vorzuͤglich die Treue ſeiner Diener lohnen konnte. si

Da die ganze Gemeinde, in welcher Jakob bisher gelebt hatte, das Vor haben des Freundes mit größter Theilnahme bes foͤrderte, ſo war Johannens Flucht ſamt ihren Kindern moͤglich und leicht Schon vorher hatten die Redlichen Gelegenheit gefunden, die Wechſel und Schuldbriefe dem Auge der Kommiſſairs zu entziehen, und verwendeten ſie nun auf ſolche Art, daß er ohne Anſtand das Geld dafuͤr in Amſterdam heben konnte. Um die Ver⸗

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folger, und ſelbſt das Gerichte irre zu fuͤhren, ſanden ſie in der nemlichen Nacht zwei Kutſchen aus dem Orte, in welchem Johanna wohnte, auf der Straſſe nach der Schweiz fort, und geleiteten indes Johannen nebſt ihren Kindern nach einem Walde, wo ſchon beſtellte Wagen ihrer harsten, um fie an das Ufer des Rheins zu führen. Sie hoften nicht ohne Grund, daß man denen Kutſchen nachſpaͤhen, und ihnen indes Zeit zur Flucht gönnen wers de. Auch ward dieſe Liſt anfangs mit dem gluͤklichſten Erfolge gekroͤnt, aber der wolluͤſtige Graf, der über die Flucht feis nes Opfers raßte, entdekte die aͤchte Spur doch am Ende, und wuͤrde gewiß neues Ungluͤk über die Armen verbreitet haben, wenn nicht die Allmacht ſie geſchuͤzt und bewahrt haͤtte, denn dieſer empfahlen die R 7

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2 2 5 5 > f

treuen Freunde die Ungluͤklichen aufs eif⸗ rigſte, als das Schiff auf dem Ruͤkken des Rheins hinabſchwamm. Jakob war entſchloſſen, mit feiner Familie von Hol land aus nach Amerika zu flüchten, und dort in einer Gemeinde feiner Brüder, entfernt von ſeinen Feinden, Gluͤk und Ruhe zu ſuchen, die in Europa ſo ſchrek⸗ lich geſtoͤrt wurde. Seine Freunde vors ſprachen ihm, zu Beförderung feiner Abs ſicht nach Amſterdam Empfehlungsſchrei— ben nachzuſenden, und er gelobte ihnen dagegen, unter einer verabredeten Addreſſe von feinem kuͤnftigen Schikſale ſtets Nach⸗ richt zu geben. Aber der Menſch denkt, und Gott lenkt, des ungluͤklichen Jakobs harrten noch ſtaͤrkele und gröffere Pruͤ⸗ fungen, die ſeinen ganzen Plan vernich⸗

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teten, und ihn endlich, zum Lohne reif, nach Damas kus fuͤhrten.

Schon am erſten Tage ſeiner neuen Flucht ward er vollkommen uͤberzeugt, daß ſein armer Bruder wuͤrklich wahn— ſinnig ſei, weder ihn noch ſein Weib mehr kenne, und ihre gluͤkliche Verei⸗ nigung nicht fuͤhle. Am zweiten Tage entſprang er, wie ich ſchon erzaͤhlt habe, aus dem Schiffe, und der ihn ſu— chende Bruder mußte eilends nach dieſem zuruͤkfliehen, weil er in einem Gaſthofe, in welchem er Nachfrage nach ihm hal⸗ ten wollte, feinen aͤrgſten Feind, den ruchloſen Grafen, am Fenſter erblikte. Ohne zu bedenken, daß dieſe Nachricht fo ſchrekliche Folgen haben koͤnne, ents dekte er fie bei feiner gluͤklichen Ruͤkkehr

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RA ET feinem Weibe. Johanna bebte darüber sure, ſah ſich und ihren Gatten ſchon wieder in den Haͤnden ihres grauſamen Verfolgers, und unterlag dieſer ſchrek⸗ lichen Vorſtellung. Eine anhaltende Ohn⸗ macht, aus welcher ſie Jakob Stunden lang vergebens zu wekken ſuchte, war der Vorbote eines heftigen hizzigen Fiebers, das ihren Koͤrper und Geiſt auf gleich ſtarke Art zerruͤttete. Sie kannte ihren Mann und ihre Kinder nicht, ſie achtete in der Folge ſogar ihren geliebten Gatten fuͤr den wolluͤſtigen Grafen, und raßte, wenn er ſich ihrem Lager näherte, DU gleich der Schiffer wegen widrigen Wind und Nebel zwei Tage lang an dem Ufer eines kleinen Dorfes weilen mußte, ſo konnte Jakob doch nicht die Huͤlſe eines Arzies erhalten, weil nach der Aus ſage

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der abgeſchikten Boten keiner in dieſer Gegend zu finden war, und er ſich ſelbſt nicht ans Land wagen konnte.

Wie die unalükliche Familie Holland und die Stadt Rotterdam erreichte, war Johannens Krankheit ſchon unheilbar und feine einzige Tochter auch mit diefer ans geſtekt worden. Dies verkuͤndigte der herbeigerufne, hartherzige Arzt dem ar⸗ men Jakob ohne Schonung, und ehe dieſer die Groͤſſe ſeines neuen Ungluͤks zu faſſen vermochte, ſtarb ſein geliebtes, trautes Weib in ſeinen Armen, und die Tochter folgte ihr einige Stunden nach— her. Der einzige Troſt, welcher ihm noch vor dem Ende feines Weibes ges waͤhrt wurde, war Ruͤkkehr ihrer Ver— nunft, ſie ſegnete in den ruͤhrendſten

264 . ³oV d AAA ³˙ A EEEEEn Terszarrut

Ausdruͤkken ihre Kinder, nahm Abſchied von dem Geliebten ihres Herzens, und ſchied mit der Ueherzeugung von ihm, daß nur jenſeits Ruhe und Gluͤbſeligkeit zu finden ſei. Jakobs Zuſtand war als ler Empfindung und daher auch jeder Beſchreibung unfaͤhig, er ſas ſtarr und todenbleich neben der Leiche feines Weis bes und Kindes, er ſchien nichts zu dem ken, nichts zu fuͤhlen, und fuͤhlte doch graͤßliche Schmerzen, die in feinem In⸗ nern wuͤtheten, und die aͤuſſern Theile feines Körpers jeder Bewegung beraub— ten. Mit größter Anſtrengung und Muͤ⸗ he wankte er endlich eben fo ſchweigend hinter dem Sarge ſeiner Gattin und Kindes, als man aber beide ins Grab ſenkte und ſein ſuchender Blik auch nicht mehr ihren Sarg fand, da zerbrach

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der wuͤthende Schmerz die Feſſela der betaͤubenden Verzweiflung, ſein Mund oͤfnete ſich zu Klagen. Leb wohl, ſchrie er in einem Tone, der aller Anweſenden Herzen erſchuͤtterte, leb wohl unvergeß— liches Weib und Kind, und nimm die Ueberzeugung mit dir, daß meine Ruhe und Freude mit die begraben wird. Wie der Huͤgel des Grabes geformt war, und nun jeder Fremde zu weitern Geſchaͤften forteilte, ſank der verlaßne Gatte auf ſeine Knie nieder, legte ſeine Linke auf den Hügel, und hob die Rechte zum Himmel empor. Ich will fort, ſprach er, ich will Gott, du hoͤrſts, ich will fliehen die Ungeheuer, die deinen Namen mit Worten lobpreiſen, und mit laſterhaften Werken ſchaͤnden, ich will lieber unter Tuͤrken und Heiden, unter

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wilden Thieren in der Wuͤſte, als länger unter den Ungeheuern wohnen, die ſich Kriſten nennen, und Werkzeuge des Teufels ſind. Erſtarren ſoll mein Fuß, wenn er je wieder deutſchen Boden bes teitt, und verſtummen foll meine Zunge, wenn ſie ferner die Sprache meines Va⸗ terlaundes, die Sprache des Trugs und der Bosheit ſpricht! Die alte Waͤrterin, welche neben ihm ſtand, und dies ſchrekliche Geluͤbde hoͤrte, ergrif izt den juͤngſten ſeiner Soͤhne, und ſtellte ihn auf den Grabhuͤgel. Sollen dieſe armen Waiſen, ſprach ſie weinend, nicht mehr die Stimme ihres Vaters verſte⸗ hen? Willſt du ſie ganz verſtoſſen? Dieſe Handlung machte Eindruk auf das Herz des mit Verzweiflung Kaͤm⸗ pfenden. Nur mit meinen Kindern,

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fuhr er fort, will ich dieſe verhaßte Sprache noch fo lange reden, bis ſie eine andere verſtehen. Nur mit dieſer treuen Waͤrterin meines Weibes will ich fie bis an das Ende ihrer Tage fire: chen, aber ſonſt mit keinem Sterblichen! Und nun fort, fort von hier, mein Ge⸗ luͤbde muß bald, muß eilend beginnen, es wird mich zur Thaͤtigkeit ſpornen, die mir mangelt. Dieſe Hand voll Er⸗

de ſei das einzige Andenken, was ich aus Europa mit mir nehme, finde ich einſt eine Wuſte, wo ich ruhen kann, ſo will ich in dieſe eine Blume pflan⸗ zen, und mir denken, ſo bluͤhte ſie einſt, ehe der Hauch der Bosheit ſie vernich⸗ tete.

Als er dieſe Worte ausgeſprochen

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hatte, rafte er wuͤrklich einige Hände voll Erde zuſammen, und eilte haſtig fort, ohne ſeinen Kindern Nachfolge zu gebieten. Die treue Waͤrterin leitete ſie ihm nach, nur der alte Diener weilte noch länger, das Geluͤbse feines Herrn hatte ſeinem Herzen wohlgefallen, er wollte ein aͤhnliches leiſten, ging noch weiter als dieſer, und gelobte, ſo lange er leben wuͤrde, nie mehr ein Wort zu ſprechen, weil er in dieſem Augenblilke die Sprache der Menſchen für die Urs heberin alles Boͤſen achtete, und nicht laͤnger mit ihnen in Gemeinſchaft leben wollte. Er entdekte, als er heim kam, feinem Herrn das geleiſtete Geluͤbde fchrifts lich, und dieſer beſtaͤrkte ihn nicht allein durch uͤbertriebne Lobſpruͤche in dieſer Schwaͤrmerei, fondern verſicherte auch,

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daß er ohne weiters ein ähnliches Ges luͤbde leiſten wuͤrde, wenn dieſes nicht ſeinen kuͤnftigen Plan ſtoͤhre. Dieſen auszuführen, war nun fein einziges Bes ſtreben. Die verlohrne Thaͤtigkeit kehrte izt geſtaͤrkt zuruͤk, aber fie ward auch ganz allein zur Ausführung feines Ges luͤbdes verwandt. Ehe drei Tage verfloſ⸗ fen, hatte er ſchon Ainſterdam erreicht, ſeine Wechſel umgeſezt, und beſtieg am vierten ein Schiff, welches ihn nach dem mittellaͤndiſchen Meere fuͤhren ſoll— te. Er erreichte dies gluͤklich, und eben fo ungehindert den Hafen von Alerans drette, in welchem er nur ſo lange weils te, bis eine Karavanne ihn und ſeine Familie nach Damaskus geleitete. Er wollte von da aus nach der Wuͤſte zie hen, und feinem Vorſazze getreu, unter

270 ZVV einer Horde friedlicher Araber feine Tas ge enden, aber hier fuͤhlte er erſt, daß er ohne Kenntniß der arabiſchen Spra⸗ che feinen Endzwek nicht ausführen koͤn⸗ ne, und miethete aus dieſer Abſicht im Hauſe eines alten Kaufmanns eine Woh nung. Laͤnger als ſechs Monate ver⸗ ſchwendete er alle Stunden des Tages, um mit ſeinen Kindern dieſe Sprache zu erlernen, wie er aber dieſe und mit ihr die unuͤberwindlichen Hinderniſſe, wel⸗ che ſein Vorhaben bekaͤmpften, begrif und einſah, ſo wankte er ſeiner Kinder wegen in der Ausfuͤhrung, ward durch Bekanntſchaft, Gelegenheit und Ueberre⸗ dung zu einigen gluͤklichen Geſchaͤften verleitet, und entſchloß ſich in der Fol⸗ ge, in Damaskus ſeine Tage zu enden, da er hier wuͤrklich unter Heiden und

471

Tuͤrken lebte, und fein Geluͤbde ganz er fuͤllt hatte. Anfangs war fein Haß gegen. alle Kriſten anhaltend und heftig. Er ſprach izt nur arabiſch, wollte keine der kriſtlichen Speachen mehr ſprechen, und auch mit keinem Kriſten Handlung trei ben, aber eben dieſer Haß wandelte ihn endlich, ſo parador auch dieſe Behauptung ſcheinen mag, zum thaͤtigſten Menſchen⸗ freunde, zum eifrigſten Beſchuͤzzer der Kriſten um. Er uͤberhaäufte dieſe mit Wohlthaten, um ſie zu belehren, wie ein aͤchter Kriſt handeln muͤſſe, er verkaufte ihnen ſeine Waaren auf die redlichſte Art, um ſie zu uͤberzeugen, daß ein wahrer Kriſt keines Betrugs faͤhig ſei, kurz er wurde ihr und aller Menſchen Wohlthaͤ— ter, weil anhaltendes, immer fi meh⸗ rendes Gluͤk feine Gefuͤhle wekte, fein

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Herz weicher und empfindſamer machte,

und ihm Auswege zeigte, wie er ſeinen Haß auf eine edlere Art befriedigen koͤnne. Wie die Juͤnglinge in ſeinem Hauſe Schuz und Huͤlfe fanden, war Jakob in ganz Sirien als der reichſte Kaufmann,

aber auch als der edelſte Menſchenfreund

bekannt. Die Kriſten ehrten ihn, weil

er fie ſchuͤzte, und die Bewohner des Lan⸗ des liebten ihn, weil er nur ihre Sprache

redete, und ſich nie einen Betrug gegen ſie erlaubte. Die Schilderung, welche ich ehe ſchon von ihm machte, und die Erzählung ſeiner Handlungen uͤberhebt mich izt der Mühe, feinen Karakter weit.

laͤuftiger zu beſchreiben. Er war, wie's

allen Geluͤbden dieſer Art ergeht, von feis nem Geluͤbde ganz abgewichen, aber er er⸗ füllte das Aeuſſere und Mechaniſche deflels

ben

373. LS

ben noch mit Aengſtlichkeit. Er ſprach nur mit der Alten deutſch, mit allen uͤbri⸗ gen Menſchen nur arabiſch, er unterdrüßs te ſtreng den Wunſch, je wieder nach Eu— ropa ruͤkzukehren, und dekte ſeine unzaͤh⸗ ligen Wohlthaten mit einer Art von Haͤr⸗ te, die Haß verrathen ſollte, im Grunde aber feine Handlung in ein helltes und ſchoͤneres Licht ſezte. Seine Soͤhne waren laͤngſt mannbar geworden, und wuͤnſchten ein Weib zu lieben, aber er hinderte die Ausführung dieſes Wunſches, weil er keine ihrer wuͤrdig zu Damaskus fand, und fie mit keiner Araberin verehes

lichen wollte, doch ertheilte er ihnen im

Voraus die Erlaubnis, nach ſeinem Tode

eine Reiſe nach Europa zu unternehmen,

ſich dort eine Gattin zu wählen, und mit

ihr nach Sirien ruͤkzukehren. Ob fies tha⸗ 3. Theil. S

274

n y ³ d ten, und die Befriedigung ihres Muns ſches fanden, wird vielleicht noch in der Folge dieſer Geſchichte erzählt werden.

Izt eilte der Graf auf des Greiſes Geheiß zu Karolinen, und brachte ihr die angenehme Gewißheit, daß nun nichts ihre Ruͤkkehr nach dem Vaterlande hin dern koͤnne. Eben entwarfen ſie, nach Art aller Liebenden, die reizendſten Plaͤ⸗ ne zum Genuſſe ihres kuͤnftigen Lebens, als die alte Magd erſchien, und alle ſchleu⸗ nigſt nach dem Gemache ihres Herrn berief, der ihrer Erklaͤrung nach, noch nie ſo an⸗ haltend und freundlich gelächelt habe. n eilten dahin, und erblikten— 5

D Ni Ws

Wen fanden? wen erblikten ſie?

955 edlen, großmuͤthigen Araber, deſ⸗ Hand der Greis feſt in der ſeinigen hielt, und ihn mit Ehrfurcht betrachtete. Gut, daß ihr kommt, ſprach der Greis, als fie eintraten, denn ich finde keine Worte, welche fähig find‘, dieſem ſeltnen Manne meine . 1 106 W

ei und Friedrich. Unſer Wohlthaͤter, unſer Erretter!

Greis. Gum Araber) Edelſter der Menſchen, kennſt du dieſe? S 2

2 76

7 pero

Der Araber. Ja, ich kenne fie,

und freue mich, daß es ihnen bei dir wohl geht. Haͤtteſt du mich auch bles dieſer

Ueberzeugung wegen aus der Wuͤſte ruͤk⸗ führen laſſen, fo danke ich dir doch dafür, denn ich wuͤnſchte es ſo ſehnlich, ſo herz⸗

. e en, e | Greis. O du biſt groß! O du biſt wuͤrdig! Doch was nuͤzzen Wors te, wo Handlungen reden muͤſſen. Haſt du dich noch nie gluͤklich geträumt?

Der Araber. Wie verſtehſt du das? Anh,

N

Der Greis. Haſt du nie in muͤſ⸗ ſigen Stunden erwogen und überlegt: Was

du beduͤrfteſt, um hienieden gluͤklich zu ſein?

277

Der Araber. Das habe ich nie gethan, denn ſolch ein Traum wuͤrde mich nur unglüflicher, und mir meine Armuth ſuͤhlbarer gemacht haben.

Greis. O daß du ſo ganz recht haſt! Aber, wenn ich dich zu dieſem Trau— me auffordere, wenn ich dir Erfuͤllung defs ſelben im Voraus verſpreche?

Araber. Dann aher wirſt, kannſt du auch Wort halten?

Greis. Nimm meine Hand zum Unterpfande.

1

Araber. Ich nehme fie und trau me: Ich habe zehn Kamele, aber um gluͤklich zu ſein, um meine Kinder auch

278

gluͤklich zu machen, bedarf ich ihrer die Summe iſt zu hoch, ich kann fie nicht beſtimmen bedarf ich ihrer noch fünf⸗ mal mehr, als ich habe. Ich weide zwei mal zehn Ziegen, aber ſollte ich mich ganz gluͤklich duͤnken, fo müßte ich noch zehn⸗ mal fo viel mein nennen koͤnnen.

Greis. Gnuͤgſamer Mann!

Araber. Harre mit deinem Lobe, denn mein Traum iſt noch nicht geendet. Das Gewand meiner Kinder und meines Weibes iſt veraltet, um ſie froh und ver⸗ gnuͤgt neben mir ſizzen zu ſehen, und aleis ches Vergnuͤgen mit ihnen zu genüffen, muͤßte ich ihnen neue, und überdies noch ein Feierkleld kaufen koͤnnen.

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Greis. Dann wen du en

Araber. . dann wäre . und koͤnnte ich dann noch viermal zehn Gold⸗ ſtuͤkke zu den bereits Geſammleten legen, koͤnnte ich dieſe aufbewahren bis zur Zeit der Noth, wenn mein Akker keinen Mais trägt, fo wäre ich aller Sorge entledigt, ſo koͤnnte ich ruhig auf meiner Dekke ſchlummern, und jeden fragen: Ob er ei⸗ nen Gluͤklichern als mich kenne?

Greis. Kin du son

Araber, Laß mich noch weiter forſchen! Der Gluͤkliche bedarf ſo viel, dies fuͤhle ich ſchon im Traume, und in der Wuͤrklichkeit ſicher noch ſtaͤrker. (denkend) Mein groſſes Glut würde die

280 3 N Neider wekken, doch dieſe kuͤmmern mich nicht. Mein Gluͤk wuͤrde in der Wuͤſte weit und breit bekannt werden, und raub— ſuͤchtige Horden herbeilokken. Wie ſchuͤz⸗ ze ich dann meine Heerde? Wie verthei⸗ dige ich ſie? Zehn Feuerſchluͤnde und das Noͤthige dazu koͤnnen und werden mich gegen hundert Raͤuber ſchuͤzzen, meine Bruͤder mir ergeben, und meinen Namen in der Wuͤſte furchtbar machen. Dieſe muͤßte ich alſo zur Befeſtigung meines Gluͤkkes 3 Greis. Aber dann wan du 0 hochgeloben nn)

Araber. Wine Macht nie zu mißb rauchen, fie nur zur Vertheidigung meines Haabes und meiner Mitbruͤder

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zu verwenden. Dies gelobe ich in deine Hand, und im Namen des Gottes, der dich und mich beſchuͤzt.

Greis. Gum Grafen) Gedenke mei⸗ ner Zuſage: Du ed und ich er⸗ fülle. |

Graf. O theurer Freund, erfuͤlle feine Wuͤnſche, ich werde dirs ewig dans ken.

Greis. (um Araber) Harre hier bis Morgen, ſei bis dahin der geehrteſte meis ner Säfte, und deine Wuͤnſche ſollen er— fuͤllt werden.

Araber. Meine Wuͤnſche? Alle? Alle? Kriſt, du verheißt zu viel, du

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willſt mich taͤuſchen, um mich ungluͤkli⸗ cher zu machen. Alle? Unmoͤglich 1 Alle? Einer wäre ſchon mehr, als ich fordern koͤnnte!

Greis. Morgen, wenn du aus ziehſt, ſollſt du fünf mal zehn Kamele, und zehn mal zehn Ziegen vor dir her⸗ treiben, die Kamele ſollen Feierkleider fuͤr dich und deine Kinder tragen, unter dieſen wirſt du ſamt allen Zugehoͤr die Feulrſchluͤnde finden, und die Goldſtuͤkke, welche dich fuͤr Mangel ſchuͤzzen ſollen, werden dir die Erloͤßten beim Abſchiede in die Hand drüffen, du thatſt ein gieis ches und dein herrlicher Saame muß dir Fruͤchte tragen, Um dich auf deiner Reiſe Für jeden Ueber ſall zu ſchuͤzzen, werde ich für Begleiter ſorgen, die dich

‚253

ſicher bis zu deiner Hütte geleiten, und mir die frohe Nachricht bringen, daß du in den Armen der Deinen ruhſt.

Araber. (auſſer ſich) Vergieb! Ver: zeih! Aber ich muß ich muß dich fragen: Ob du mich nicht taͤuſchſt?

Greis. Habe ich dir nicht meine Hand zum Unterpfande gereicht? Reiche ich ſie dir nicht aufs neue?

Araber. (ſie druͤkkend) Der All⸗ maͤchtige ſiehts und hoͤrt's!

*

Greis. Und wirds richten! 5

Araber. Und lohnen! Ja, lohnen muß er dieſe That!

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Graf. Lohn kann der Schuldner nicht erwarten, dir nur gebührt er.

Araber. Kriſt! Wer hätte das ges dacht! Ref, vergiß des Ungemachs, welches du in meiner Hüfte mannichfal⸗ tig duldeteſt! Mein Herz! Ich kann dirs nicht beſchreiben, was es fuͤhlt Aber es witd euch nie vergeſſen, und wenn der Gott der Araber auch deines Vaterlandes Gott iſt, ſo wird er mein Gebet hören, und dich noch gluͤk⸗ licher als mich machen.

Der edle Araber mußte in der Folge Plaz am Tiſche des Greiſes nehmen, nicht ſein linkes Betragen bei einem ſo ungewohnten Male, ſondern der immer ſich mehrende Ausbruch feiner Freude ber

285 luſtigte die ganze Geſellſchaft. Stets zaͤhlte er feine Wuͤnſche zuſammen, und blikte bei jedem in des Greiſes Geſichte, ob er ihm auch noch Erfüllung zuwinke. Immer erregte er neue Zweifel, um neue Verſicherung zu hoͤren. Oft war ſeinem Begriffe die Anzahl der Kamele und Ziegen zu groß, und dann forderte er Maiskoͤrner, um durch Huͤlfe derſel— ben die Zahl derſelben ſich beſſer verfinns lichen zu koͤnnen. Die ganze folgende Nacht hoͤrte man ihn im Gemache auf und nieder wandeln, erſt am Morgen ruhte er, und wie man ihn zum Ems pfange der ſchon bereitſtehenden Sehen ke wekte, hatte man lange Zeit nöthig, um ihn zu überzeugen, daß fein Gluͤk Würklichkeit und kein Traum ſei.

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Der Greis) welcher ſchon einige Jah re fein Haus nicht verlaſſen hatte, ließ ſich izt nach dem vor der Stadt liegen⸗ den Plazze tragen, wo die Thiere ver⸗ ſammlet ſtanden. E eine Söhne und die beiden Freunde mußten ihn begleiten, der Araber folgte hoffend und fuͤrchtend nach, als er aber die Kamele und Zie gen würklich erblikte, als man ihm fol che vorzaͤhlte und uͤbergab, da war ſeine Freude graͤnzenlos, aber auch aller Aus! diuͤkke unfähig. Er lief lange Zeit ha; ſtig unter den ſchoͤnen Thieren umher, betrachtete dies und jenes mit vieler Aufmerkſamkeit nahte ſich feinen Wohl⸗ thaͤtern, wollte ſprechen, vermochts nicht, und begann fein Spiel aufs neue. Ends lich nahte der Augenblik des Abſchieds, die vom Greiſe geordneten Wächter bes

gannen die Thiere vorwärts zu treiben, der Araber folgte ſchnell, aber er kehrte auch eben ſo ſchnell zuruͤk. Friedrich und der Graf drükten ihm die vom Greiſe erhaltnen Goldſtuͤkke in die Hand, jeder gab ihrer mehrere, als die Wuͤnſche des Arabers geheiſcht hatten, er ſchiens am Gewichte zu fuͤhlen, ſein Herz brach, und Thraͤnen des Danks traͤufelten ſtatt Worbe auf die Hand der Geber. Er kon! «pt ſprechen, und die Groͤſſe der Geſahenke fallen. Noch, ſprach er in einem begeiſterten Tone zum Greiſe, noch bin ich nicht ganz gluͤklich, aber wenn ich fuͤnſmal zehn, und zehnmal zehn dei ner Mitbruͤder in der Sklaverei ſchmach⸗ tend treffe, ſie rette aus ihrem Elende, und erloͤßt nach deinem Hauſe fuͤhre, dann werde ich mich gluͤklicher als der

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Beherrſcher der Muſelmaͤnner duͤnken. Gott iſt gerecht, Gott lohnt jede gute That, dies hat er an mir bewieſen, dar um wuͤnſch ich dir nicht Gluͤk und Ser gen, er wird dirs ohnehin in Fülle ges ben, kein Sterblicher verdients ja mehr, wie du! | 2 18

Nach dieſen Worten eilte er feinen Karavanne nach, beſtieg eines der Kar mele, und lange ſahen ſie noch in der weiten Ebne feine empor geſtrekte Rech⸗ te, die wahrſcheinlich dem Ewigen fein Gluͤk verkünden ſollte. Wie endlich Menſch und Thier in der Ferne vor ihrem Blikke ſchwand, kehrten ſie nach der Stadt zuruͤk, keiner ſprach, alle fuͤhlten, und die Freunde uͤberzeugten ſich deutlich, daß es auch Freude und

Wonne

289 Wonne hienieden gaͤbe, welche man nicht durch fuͤrchterliche Abentheuer und Wun⸗ der zu erkaͤmpfen brauche.

neuer seen

Die Reife nach Europe,

Eure längere Gegenwart, ſprach der Greis noch am nemlichen Tage zu den Zänglins gen, wuͤrde mir wuͤrklich angenehm, und fuͤr meine truͤbe Laune nuͤzlich ſein, aber am Ende müßte doch der Abſchied erfoßs gen, und je länger er verzögert wird, je bitterer wuͤrde er ſchmekken, ich will

daher eure Neife nach Kraͤften fördern;

Gott gebe, daß euch die Ruͤkkehr nach eurem Vaterlande nie reut. Er traf nun 3. Theil. T

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auch wuͤrklich alle Anſtalten, um feine Kinder, fo nannte er Kardlinen und die Juͤnglinge bald und ſicher nach irgend einem der europäiſchen Hafen zu übers ſchiffen. Schon am ſechſten Tage mel⸗ dete ihm der Haſen Aufſeher zu Alerans drette, daß ein kriſtliches Kauffarteiſchif gelandet ſei, nur vorraͤthige Waaren la⸗ den, und dann mit dem erſten günstigen Winde nach Frankreichs Häfen ſeegeln werde. Er lobte den Kapitain des Schif— ſes als einen alten, redlichen Mann, der ſchon oft den Hafen beſucht habe, ehrlich handle und jeden Auftrag richtig nn und der Greis forderte die

Juͤnglinge vor ſich, um ihren Entſchluß zu hören. Er war bald und ſchnell ges faßt, der Graf liebte ſeine Karoline aufs zͤrtlichſte, er wuͤnſchte ſehnlichſt, ſich

29 K bald auf immer mit ihr zu verbinden, und bat daher den Greis, die ſchoͤne Gelegenheit zur Nuͤkkehr ins Vaterland nicht ungenuzt dorbeigehen zu laſſen. Auch vermag ichs nicht, erwiederte det Greis, laͤnger zu wählen, denn die gu te Jahrszeit, in welcher uns die europaͤit⸗ ſchen Schiffe mit Sicherheit beſuchen, naht ſich ſchon dem Ende, zoͤgerte ich länger, fo wurdet ihr mit widrigen Wins den zu kaͤmpfen, und ich die wichtige Sorge haben: Ob ihr euern Wunſch glüklich erreicht Härter? Schenkt mir noch zwei Tage, dann beginnt eure Neiſe im Namen des Herrn, ich will Anſtalt tref⸗ fen, daß bis dahin das Schif nicht abs ſeegle, und ihr alles zu eurem * ge bereit n f

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Die kurze Friſt, welche ſich der Greis bedungen hatte, verfloß ſchnell. Waͤhrend der Dauer derſelben ward beſchloſſen und ſeſtgeſezt, daß der Graf feine Ankunft an Europens Ufern dem Greiſe auf das ſchleunigſte und bei der Ruͤkkehr ins Va⸗ terland die Möglichkeit kund machen ſoll⸗ te: Ob feine Söhne, wenn fie eine Reis fe nach Europa unternehmen wuͤrden, dort eine Gattin finden koͤnnten, die mit ihnen nach Damaskus ruͤrkehren, und ſte wahrhaft gluͤklich machen wuͤrde? Die Eigenſchaften, welche ſolch eine Gattin haben muͤſſe, wurden von dem Alten ſorg⸗ fältig beſtimmt, und alle gelobten eins ſtimmig, Mühe und Kraft zu verſchwen⸗ den, um den groͤßten Wunſch ſeines ed⸗ len Herzens zu erfüllen. Am lezten Abende gab er ihnen die Addreſſen nach

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verſchiednen europäifchen Häfen, durch welche er ihre Briefe richtig zu erhalten hofte, zahlte ihnen eine Summe „wel: che ſie für jeden Mangel ſchuͤzzen konnte, und überreichte ihnen überdies noch Ans weiſungen an franzöſiſche Kaufleute, die bei ihrer Ankunft ſogleich zahlbar waren. Morgen, morgen ſehe ich euch ja noch! rief er wiederholt aus, wie die Juͤng⸗ linge zu danken ſuchten, und Karoline im Vollgefuͤhle ihres Dankes den herrli⸗ chen Alten umarmte, und ſeinen Silber⸗ bart mit Thränen betraͤufelte. Alſo bis Morgen! ſprachen alle, und eilten, um im Hauſe der edlen Gaſtfreiheit die Inte Nacht zu vollenden,

Aber wie ſtaunten und trauerten fie ain folgenden Morgen, als die Soͤh⸗

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ne des Ehrwuͤrdigen, zur Begleitung geruͤſtet, zu ihnen traten, und ihnen kund machten, daß der ‚Vater fie nicht mehr ſehen und ſprechen wolle. Ich kenne, ließ er ihnen ſagen, euer Herz, ich weiß, daß es des Dankes voll iſt, und ſchwerlich Worte finden wird, ihn aus zudruͤtken. Euer maͤchtiges Gefühl würde mein ſchwaches Herz zu ſtark preſt fen, ich muß es ſchonen, damit es nicht unterliege. Ich weiß, was ihr mir far gen wollt, und doch nicht ſagen koͤnnt. Zieht in Frieden, mein Segen wird euch überall begleiten, vergeßt mich und mei⸗ ne Aufträge nicht, und genuͤßt ruhig das Gluͤk, welches ihr iu Europa zu fins den hoft. Vergebens flehten die Dank⸗ baren um Aenderung des harten Borjays zes, ſie mußten ihn ſchweigend ehren,

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und ſcheiden. a will ihr Gefühl nicht ſchildern, denn es iſt keiner Beſchreibung ſaͤhig. Karoline lag weinend in der als ten Wärterin Armen, und nur die Ars me ihres Geliebten waren ſtark genug, ſie aus dieſen empor zu heben. Auch der ſtumme Alte ward nicht vergeſſen, er weinte bitterlich, and ſtammlete, fein Geluͤbde vergeſſend, ein trauriges Lebe wohl. 5 1

Die Söhne des Alten waren bis Alexandrette |. und Schuͤz⸗ zer, ſie hatten den ernſten vaͤterlichen Auftrag, die Reiſenden auf das Beſte dem franzoͤſiſchen Konſul, und durch dieſen dem Schifskapitain zu empfehlen, und da ſich jener eben zu Aleppo aufhielt, ſo empfingen ſie ſolche ſchriftlich. Karoline

beſuchte auf dieſer Reiſe das Grab des edlen Euſtachs mit ihren Geſaͤhrden. Seine heftige Liebe zu ihr war ihr aus den Papieren des Verſtorbnen bes kannt geworden, denn er hatte in den Stunden des allzugewaltigen Draugs verſchiedne Briefe geſchrieben, in welchen er ihr ſein Leiden lebhaft ſchilderte, aber dieſe Entdekkung hinderte ſie und den Grafen nicht, ihm aufrichtig zu danken, weil er ihr Gluͤk gefoͤrdert hatte. Wie fie zu Alexandrette Herberge geſucht und gefunden hatten, eilten die Soͤhne des Alten, ihre Aufträge an den Schifskapi⸗ tain zu vollenden. Sie trafen ihn in ei⸗ nem Koffeehauſe, und ihr Dollmetſcher verſicherte fie, daß er nicht allein die Rei⸗ ſenden willig aufnehmen, ſondern auch mit Gottes Hüͤlſe gluͤklich geleiten, und

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wie feinen Augapfel ſchuͤzzen werde. Sein Schif war ſchon geladen, und erwarrete nur guͤnſtigen Wind, um feine Seegel zu öfnen. Dieſe Nachricht erfüllte der Rei⸗ ſenden Herz mit einem Gemiſche von Freus de und Trauer. Freudenvoell war ihnen der Gedanke, daß fie ſich nun bald mit jes dem Windhauche dem Vaterlande naͤhern wuͤrden, traurig die Vorſtellung, daß ſie nun bald von den Lezten ihrer edlen Freuns de ſcheiden ſollten.

Auch die Soͤhne des Alten fuͤhlten die⸗ fe bevorſtehende Trennung tief, fie hatten die Juͤnglinge wuͤrklich lie bgewonnen, ſie wuͤnſchten länger mit ihnen zu leben, und der Aelteſte derſelben kaͤmpfte noch immer mit der Liebe zu Karolinen, welche in feis nem Herzen tiefe Wurzel gefaßt hatte

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Aber ſein Rast war der . eines Ricſen, er unterdruͤkte fie: mächtig und war der Erſte, welcher die Se heidenden an den „väterlichen Auftrag erinnerte. Sucht einßz und findet bald, ſprach er laͤchelnd, denn ich und meine Brüder führ len die Ueberzeugung tief, daß man nur in den Arnen einer guten Gattin gluͤk⸗ Inn leben könne. 5 i Schon am andern Tage brachte ein Abgeſander des Kapitains den Reiſenden die Nachricht, daß ein guͤnſtiger Wind zwar ſchwach zu wehen beginne, aber auch die ſichere Hofnung errege, daß er mit Eintritt der Nacht ſtaͤrker wehen werde. Er entbot daher mit Sonnen: untergange die Reiſenden nach dem Schif⸗ ſe, um dann ungehindert ieden guͤnſtigen

299 Augenblik nͤͤzzen zu können. Der Abs ſchied war traurig und herzangreifend, ieder hatte dem andern noch eiwas zu ſagen, noch Auſtraͤge zu geben, und haͤr⸗ ten die Fuhrer des harrenden Boots fie nicht zum Einſteigen ermahnt, ſie wuͤr⸗ den noch weit laͤnger gezaudert haben. Thraͤnen floſſen nun am Ufer und im rudernden Boote, noch auf dem Schiffe winkte man den am Ufer harrenden Ab⸗ ſchied und Dank zu, und betrat endlich mit trauerndem Herzen die Kajuͤte N wels che der Kapitain für reichlich geleiſtete Zahlung ganz allein zu ihrem Gebrauche beſtimmt hatte, und in welche ſie in Ab⸗ weſenheit deſſelben durch den Steuermann eingeführt wurden. |

Als bald nachher der Wind ſtaäͤrker

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zu wehen begann, erhlelte dieſer durch den noch immer im Hafen beſchaͤftigten Kapitain den Auſtrag, ihm ein Boot zu ſenden, und indes das Schif aus dem Hafen zu führen. Er vollzogs mit Eifer, und wie die Daͤmmekung eintrat, ſchwebte das Schif ſchon im ofnen Meere, erſt in dieſer erreichte fie das Boot, welches den Kapitain an Bord brachte, da es aber ſchon ſpaͤt war, und man überdies den Reiſenden ſagte, daß der Kapitain beim Abſchiede allzuviel nach gewöhnt: licher Sitte getrunken habe, ſo verſcho⸗ ben ſie billig naͤhere Bekanntſchaft mit ihm bis auf den folgenden Tag. Karos line hatte ſich auf der Landreiſe abermals als Mann verkleidet, ſelbſt der ehrwuͤr⸗ dige Greis billigte dieſe Verkleidung, weil ein reiſendes Frauenzimmer in dieſen Laͤn⸗

301

dern eine beſondre Seltenheit iſt, welche die Neugierde und oft auch die Begierden des Poͤbels erregt. Sie beſchloß, auch auf der Seereiſe dieſe Verkleidung beizu⸗ behalten, weil das rohe Schifsvolk mit dem Poͤbel der Morgenlaͤnder ſehr aͤhnlich denkt, und man verabredete nun, Karo⸗ linen fuͤr einen juͤngern Bruder des Glas fens auszugeben.

Die Nacht war ſchoͤn, der Wind aͤuſſerſt guͤnſtig, und wie Karoline am Morgen erwachte, erzählte ihr der Graf, welcher ſchon mit Friedrichen das Verdek beſtiegen hatte, daß man Siriens Kuͤſte nicht mehr ohne Fernglaͤſer ſehen koͤnne. Friedrich war zurukgeblieben, und goͤnnte den Liebenden Gelegenheit, ſich ferne Zu: kunft näher zu träumen, und von dem

302 —— = ER 4 5 Gluͤkke ihrer Liebe vertraulich zu ſchwaͤz zen. Aber bald ſtoͤhrte er dies angeneh⸗ me Geſpraͤch; mit blaſſem und verſtellten Angeſichte ſtürzte er in die Kajuͤte, wankte einigemal ſtillſchweigend darinne umher, und blikte mit grimmiger Miene nach den ee a hin.

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8 ebd BE Das en dich ſelbſt! Das Doch es iſt zu ſpaͤt! Wir ſind ſchaͤndlich hintergangen, betro⸗ gen! Ich ahnete es vorher, aber ich warnte vergebens, Liſt und blinde Liebe ſiegten, und nun ſtehen wir e am n

des Abgrun dss.

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Friedrich. Schweig, Schlange! und verbirg dich vor meinem Grimme! Mich taͤuſcheſt du nicht mehr! Alles iſt entdekt! Triumphire, ſpotte, entfliehe lu; belnd, und Ba in der Holle die 4 e a 3 au

Graf. Freund, was it N ig? meine Frage was iſt mit dir geſchehen? Mir wird um dei.

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imgpfedrt ch. (lachend) O beleidige die; ſen nicht, er ſah vorher hell und klar, aber du doch was nülzzen Vor; wuͤrfe, komm und blikke mit mir in den

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27 ; 0

ofnen Abgrund, und wiederhole dann dei⸗ nen Vorwurf noch einmal.

Nach dieſen Worten ergrif er des Grafens Hand, und zerrte ihn nach den Stuffen, welche aufs Verdek fuͤhrten. Karoline ſolgte nicht, fie war über, Fried⸗ richs ſchrekliche Vorwuͤrfe zu ſehr betrof⸗ fen, und harrte in banger Erwartung der Dinge, die da kommen ſollten. Balb mehrte ſich ihre Angſt noch weit ſtaͤrker, denn auch der Graf ſtuͤrzte mit gleich ver ſtoͤhrtem Blikke in die Kajüte herab. Er iſts! rief er angſtvoll aus, er iſts! Das rüber bleibt mir kein Zweiſel, aber daß dieſe dieſe (auf Karolinen deutend) mich taͤuſchen und ungluͤklich machen ſollte, bleibt meinem Herzen unbegreiflich.

Fried;

305 . Friedrich. Und doch beweißt es

der Erfolg, ihre Truageſtalt leitete uns aufs neue in ſeine Haͤnde, um uns ganz ungluͤklich zu machen, und auf immer vom Ziele zu entfernen. Durch Huͤlfe des Beelzebubs entrann er dem Tode, durch feine Unterſtuͤzzung erſchien er zu rechter Zeit im Hafen, wohin wir, Be⸗ trogne, geleitet wurden. Bald o zweifle nicht wird der Trug enden, und deine Geliebte lachend und ſpottend verſchwinden! Dann doch mir gnuͤgts, daß ich hell ſah, und zu rechter Zeit warnte! Der edeldenkende Greis, ſeine Söhne, die Ruͤkkehr des Arabers Alles war Trug und Blendwerk, alles eine liſtige Falle, um uns zu fangen. Nun ſind wirs, haben die Wahl, uns ins Meer zu ſtuͤrzen, oder zagend zu

3. Theil. u

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harren, in welchen verworfnen Winkel der Erde man uns ſchleppen wird

Mich beherrſcht nicht gleich Friedri⸗ chen wilder Zorn, ich fühle es alſo deut lich, daß ich die Achtung, welche ich mei⸗ nen Leſern ſchuldig bin, verlezzen wuͤrde, wenn ich fortfuͤhre, ſie gleich Friedrichen mit dunklen Reden und unbegreiflichen Vorwuͤrfen zu quälen. Ohne dies Gar ſpraͤch fortzuſezzen, und der aͤuſſerſt ſchlei⸗ chenden Aufklaͤrung zu harren, will ich lieber erzaͤhlen, was Friedrich ſah, und dann ſein Betragen ganz dem het mei ner Leſer uͤberlaſſen.

Wie ihn am Morgen der Graf auf dem Vedekke verließ, und er eben zum er⸗ ſtenmale mit unwillkuͤhrlicher Sehnſucht

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nach der Gegend blikte, in welcher Europa lag, trat der Kapitain des Schiffes aus ſeiner Kajuͤte hervor, und ſprach im laͤr⸗ menden Tone mit einigen nachläffigen Mar troſen. Der Ton feiner bekannten Stim— me wekte ihn aus ſeinem Traume, er blikte nach ihm hin, und blieb erſtarrt fies hen, denn ſo ſehr er ſich auch muͤhte, ſeine Entdekkung zu vernichten, ſo uͤberzeugte er ſich doch immer deutlicher, daß dieſer Ka— pitain der nemliche ſei, in deſſen Haͤnde ſie zu Marſeille geliefert wurden, und aus denen ſie der wunderbare Alte nahe an der Inſel durch einen kuͤhnen Sprung rettete. Er erinnerte ſich zwar eben fo lebhaft der Gewißheit, daß das Schiff an den Felſen der Inſel ſcheiterte, aber da er den Kapi⸗ tain wirklich lebend vor ſich ſtehen ſah, ſo wars ja leicht moͤglich, daß er auf irgend U 2

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eine Art dem Tode entrann, oder der ganze Schifbruch nur ein Trugbild ihres maͤchtigen Feindes des Satans war. Dieſe Idee erinnerte ihn nun ſehr natur lich an Karolinen, welche er in dieſem Au⸗ genblikke auch für ein Werkzeug deſſelben nahm, und dieſe Vorſt' lung gab ihm Kraft, ſich dem Blikke des Kapitains zu entziehen, und dies abſcheuliche Trugbild mit verdienten Vorwuͤrfen zu uͤberhaͤufen. Der Graf forfihte, als ihm Friedrich den Kapitain auf dem Verdekke zeigte, genau und emſig, aber er konnte Friedrichen, was er fo ſehnlich wuͤnſchte, keines Irr⸗ thums beſchuldigen. Die Geſtalt des hart⸗ herzigen Boͤſewichts war feinem Gedaͤcht— niſſe feſt eingepraͤgt, und wie er ſie mit der gegenwärtigen verglich, ſo erfolgte ſchrekliche Ueberzeugung. Doch hindert

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ihn die Liebe, Karolinen ebenfalls für ein ſchaͤndliches Trugbild zu achten, ſein Herz verwarf dieſen Gedanken hartnaͤkkig, und bewieß ihm ſtandhaft, daß der Kapitain ohne Wunder und Taͤuſchung dem Tode entrinnen, und wieder ein Schif führen konnte. Karolinens feſte Verſicherung, der unnachahmliche Blik der Liebe, ihre Thraͤnen, ihre Angſt, die ſie empfand, als ihr endlich nach langer Qual Aufklärung ward, beſtaͤrkten ihn immer mehr in ſeiner Meinung, und machten endlich ſelbſt Fried⸗ richen in feiner Ueberzeugung wankend; aber dies alles minderte die Gefahr nicht, in welcher ſie ſchwebten, wenn der Kapi⸗ tain ſie erkannte, und daß er ſie erkennen muͤſſe, daruͤber blieb ihnen kein Zweifel, weil ſie ſich auf der langen Reiſe ſeinem Blikke unmoͤglich entziehen konnten. Mam

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cherlei Plaͤne wurden zur Verminderung der Gefahr entworfen, aber immer fanden ſich unuͤberwindliche Schwürigkeiten, wel; che die Ausfuͤhrung derſelben hinderten. Gerne haͤtten die Freunde Karolinens Rath befolgt, und ihr Geſicht durch Far ben entſtellt, wenn dieſe Verſtellung nicht denen, die ſie geſtern auf dem Schiffe ſa⸗ hen und ſprachen, auffallen muͤßte und ſie ſogleich verrathen wuͤrde. Eben hatte man beſchloſſen, daß beide ſich krank ſtellen, Karoline ihre Waͤrterin fein, und iedes Beduͤrfnis nach der Kajuͤte tragen ſollte, als der Schiffskapitain eintrat Er war gekommen, die ihm fo theuer empfohlnen Reiſenden kennen zu lernen. Alle ſtarrten ihm in banger Erwartung entgegen auch ſchlens, als 06 fein Blik verlegen auf ihnen umherirre, und ehemalige Bekannt⸗

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ſchaft prüfe, aber bald ſchwand dieſe Ver⸗ muthung, denn der Kapitain ſprach un⸗ befangen, gedachte mit keiner fernern Miene oder einem bedeutenden Worte der ehemaligen Bekanntſchaft, ſondern fragte vielmehr: Wie ihnen die Reiſe durch Egipten behagt? Was fie merkwärs diges entdekt? Und wie viele Jahre ſie auf eine ſo gefaͤhrliche Reiſe verwendet hätten? Dieſe Fragen, welche er im um ſchuldigen Tone der Wißbegierde aus⸗ ſprach, gaben den Zagenden Muth zur Antwort. Sie erzaͤhlten, daß ſie nur die Ruinen von Palmita beſucht, und, durch nicht zu beſiegende Hinder niſſe abs geſchrekt, die weitere Reiſe unterlaſſen hätten. Der Schiſskapitain billigte dier fen Entſchluß, bewieß auf eine zwar ro⸗ he, aber doch gutherzige Act, daß alle

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diejenigen, welche, um einige Ruinen iu ſehen, Freiheit und Leben wagten, die groͤßten Thoren genannt zu werden ver⸗ dienten. Ueberhaupt, fuhr er fort, iſts daheim beſſer, als in fremden Landern oder auf den ſchwankenden Wellen deb ſtuͤrmiſchen See. Wollte Gott, ich koͤnnte gleich euch heim in mein Vater⸗ land kehren, und dort die Tage meines Lebens in Ruhe verleben, aber ich bin von Jugend | auf zum Dienſte der See erzogen, beſizze nichts auf dem feſten Lande, und muß alſo geduldig harren, bis mich endlich einmal ein hungriger Haifiſch in feinen Magen begraͤbt. Erſt kürzlich bin ich mit groͤßter Muͤhe dem Tode dieſer Art entronnen Und nun erzählte er ihnen: Wie er von Mars ſeille aus ein Schiff voll Verbrecher nach

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einer Kulonieraeführt, und, durch einen ſchreklichen Sturm verſchlagen, an einer unbekannten Inſel Schifbruch gelitten haͤtte. Unſer Schif, erzaͤhlte er, blieb zwiſchen ungeheuern Felſen ſtekken, und die Wuth der Wellen zerſchmetterte es bald. Ich ſtuͤrzte vom Verdekke herab in die See, ward von den Wellen hin und her geſchleudert, und wuͤrde bald kraftlos geſunken ſein, wenn ich nicht in der Naͤhe ein Boot erblikt haͤtte. Ich verſchwendete alle meine Kraͤfte, um mich durch die Brandung nach dieſem zu wen? den, erreichte es endlich gluͤttich, und fand, daß es mein eignes Boot ſes, wels ches einige Matrofen fruͤh genug in die See gelaſſen hatten, und, als ſie das Schif ohne Rettung erblikten, mit ihm entflohen waren. Sie nahmen mich wil⸗

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fig auf, und da der Wind ſich wande, ſo trieb er uns einige Lebens mise aus dem geſcheiterten Schiffe zu, durch de⸗ ren Huͤlſe wir wenigſtens unſer Leben zu friſten hoften. Gern hatten wir die vor uns liegenden Inſeln zu erreichen geſucht, aber der Sturm trieb uns unaufhaltſam fort, und am andern Morgen erblikten wir ſie nicht mehr, konnten ſie eben ſo wenig aufſuchen, da wir keine Segel hatten. Siebenzehn Tage ſchwebten wir

auf dem Meere, und hatten ſchon drei

Tage nichts mehr zu eſſen, als uns ein Portugieſiſches Schiff begegnete, und mitleidig aufnahm. Es fuͤhrte uns nach Goa, von da ging ich mit einem fran⸗ zoͤſiſchen Schiffe nach Alexandrette, und hatte dort das Gluͤk einen bekannten Pa⸗ tron zu finden, der mir die Fuͤhrung

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dieſes Schiffes nach Frankreich vertraute! Den groͤßten Theil meines Vermoͤgens habe ich durch den Schiſbruch verlohren, und bin nun gezwungen, aufs neue in der ſtuͤrmenden See umher zu kaͤmpfen, um entweder meinen Tod oder Unter ſtuͤzzung fürs nahende Alter zu fin den. In dieſem Tone ſprach er noch lange, und in der Folge oft mit ihnen, und überzeugte fie dadurch, daß er ſich ihrer nicht mehr errinnere, und folglich auch weder Rache noch Tuͤkke an ihnen üben werde. Doch ſtillte dieſe anſchein nende Ueberzeugung der Reiſenden Sorge nicht, ieden Tag war fie der Stof ihr rer Unterredung, ieden Tag erwogen ſie die Gründe, welche ihre Ruhe befeſti⸗ gen, ihre Unruhe vermehren konnten. Hätte er uns erkannt, ſprach Friedrich

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und der Graf, fo wuͤrde er uns nicht fo oft beſuchen, nicht die Geſchichte ſeines Schiſbruchs erzaͤhlt haben, weil eben dieſe uns uͤberzeugen müßte, daß er der Barbar war, welcher uns ſo ſchaͤndlich ſtahl fo tiranniſch behandelte Kann dies, entgegnete die furchtſamere Karoline, nicht auch Liſt fein, durch welche er euch eins ſchlaͤfern, und ungehindert in neues Uns gluͤk fuͤhren will? Ein Mann „der ehe⸗ mals ſo entſcheidend boͤſe handelte, iſt wohl einer ſolchen, und noch weit ſtaͤr⸗ kern Verſtellung faͤhig. Da die Freunde die Moͤglichkeit einer Liſt nicht zu laͤugnen vermochten, fo ward befchlofs fen, daß fie in dem erſten Hafen, in welt chem das Schiff auf ſeiner Reiſe landen wuͤrde, ſolches verlaſſen, und ihrer Ruhe und Sicherheit wegen ein anders beſtei⸗

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gen wollten. Oft war uͤbrigens auch der Graf zweifelhaft: Ob es nicht raͤthlicher gehandelt waͤre: Wenn er ſich geradezu dem Kapitain entdekke, ihm volle Ver⸗ zeihung zuſichere, und eine fo groſſe Des lohnung verheiſſe, die ſeinen Wunſch nach Ruhe auf einmal foͤrdern koͤnne? Aber die Uebrigen beſtritten dieſen Entſchluß immer gleich ſtark, bewieſen, daß es das groͤßte Wagſtuͤk ſei, und leicht den ge— wiſſenloſen Boͤſewicht ermuntern koͤnne, diejenigen zu vernichten, welche ihn, ſei— ner Meinung nach, nur ſo lange mit leeren Verheiſſungen troͤſteten, bis ſie in Sicherheit geſezt, ihn als einen Verbre— cher vor Gerichte fordern koͤnnten. Unter dieſem Zweifeln und Hoffen hörten fie einſt an einem fruͤhen Morgen Land auf dem Verdekke ruffen, ſie eilten dahin, und

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erfuhren aus dem Munde des Kapitains, daß fie ſich der Inſel Kandia naͤherten, und einiger Geſchaͤfte wegen in ihrem Has fen landen wuͤrden. Dieſe Nachricht ers fuͤllte ihr Herz mit größter Freude, denn ob ſie gleich wußten, daß dieſe Inſel von den Tuͤrken beherrſcht wuͤrde, ſo vermuthe⸗ ten ſie doch dort kriſtliche Konſulen, und beſchleſſen, unter dem Schuzze derſelben ſo lange zu weilen, bis ſie auf einem an⸗ dern Schiffe nach Europa uͤberſchiffen koͤnnten. Sie achteten die Ausführung dieſes Entſchluſſes fuͤr ſo dringender, weil ſeit einigen Tagen der Blik des Kapi⸗ tains tuͤkkiſcher und finſterer geworden war, er ſich ieden Abend aͤuſſerſt ſtark betrank, und in der Trunkenheit die Rei⸗ ſenden ſehr unanſtaͤndig behandelte.

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Froh und freudig klopfte ihr Herz, wie das Schif noch am nehmlichen Abende an der kleinen Inſel Dia, dem ehemals ſo beruͤhmten Kandia gegen uͤber, Anker warf. Die beſondere, aber auch vielen Zwang verrathende Freundlichkeit, mit welcher ſie der Kapitain an dieſem Abende behandelte, bewieß ihnen deutlich, daß er ſeine Tuͤkke zu verbergen ſuchte, und beſtaͤrkte fie in ihrem Vorhaben. Der Graf forſchte bei ihm: Ob irgend ein kriſtlicher Konſul, und vorzuͤglich ein fran⸗ zoͤſiſcher zu Kandia wohne? und da der Kapitain ſeine Frage bejahte, ſo aͤuſſerte er den Wunſch, dieſen leztern mit feis nen Freunden zu beſuchen, weil er einen ofnen Empfehlungsbrief an alle franzoͤſiſche Konſuls bei ſich fuͤhre, und es daher fuͤr feine Schuldigkeit achte, ihm feine Aufs

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wortung zu machen. Die Verſichrung des Kapitains, daß er fie ſelbſt bei dem Konſul einfuͤhren wolle, erfüllte des Gra fens Herz mit Freude, und minderte fie auch dann nicht, wie die aufmerkfame Karoline behauptete, daß der Kapitain über des Grafens Entſchluß ſehr erſchrok⸗ ken ſei, und ſichtbare Verlegenheit ger aͤuſſert habe. Am andern Morgen machte dieſe Bemerkung ſtaͤrkern Eindruk auf ſein Herz denn er erfuhr, daß der Ka⸗ pitain bereits in einem Boote nach Kan⸗ dia gegangen ſei, und den ausdruͤklichen Befehl hinterlaſſen habe, daß weder ein Matiofe noch ein Reiſender ſich bis zu ſeiner Ankunft vom Schiffe entfernen duͤr⸗ ſe. Vergebens forſchte er nach der Ur ſache dieſes ſtrengen Gebots, und erhielt nur die kahle Antwort, daß dies ein ſehr

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gewoͤhnliches Gebot ſei. Am Abende kehrte zwar der Kapitain zuruͤk, aber er war äuffe:ft betrunken, und unfähig irgend eine Frage zu beantworten.

Schon am Tage hatten die bekuͤm⸗ merten Freunde erfahren, daß am fol⸗ genden einige Waaren ein und ausgeladen werden würden, fie hoften daher, entwe⸗ der mit dieſen nach Kandia ſchiffen, oder wenigſtens an den Konſul einen Brief ſenden zu koͤnnen, in welchem ſie ihn auf das dringendſte baten, ſie feine: Schuzzes zu wuͤrdigen, und vom each abholen zu laſſen.

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Doch alle ihre Pläne wurden amfolgens:

den Morgen durch den Kapitain auf die angenehünſte Art vernichtet, er trat freund

3. Theil. *

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WEHREN ee

lich in ihre Kajuͤte, erzaͤhlte ihnen, daß er geſtern den franzoͤſiſchen Vizekonſul auf ſeinem Landhauſe beſucht, und von ihm den Auftrag erhalten hahe, die Rei- ſenden, welche ihn zu fprschen wuͤnſch⸗ ten, dahin zu ſuͤhren. Mein Auffent⸗ halt, fuͤgte er hinzu, wird ſich hier wen gen unvorgeſehner Hinderniſſe vielleicht einen halben Monden verzoͤgern, es ſteht alſo bei euch, dieſe Zeit hindurch die Gaſtfreiheit des Konſuls zu genuͤſſen, oder in einigen Tagen mit einem fran⸗ zoͤſſchen Schiffe, das an der noͤrdlichen Seite der Inſel gelandet iſt, nach eurem Vaterlande zu eilen. Doch mußt ihr in jes dem Falle fo gleich einen Entſchluß fallen, weil von dieſem die Nothwendigkeit ads hangt: Ob ihr euer Gepaͤkke in meinem Schiffe aufbewahren, oder ſogleich mit

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euch nehmen wollt? Keine Nachricht, und hätte ihnen Menes ſelbſt einen Bo ten geſandt, konnte fuͤr die Herzen der Reiſenden izt erfreulicher fein, fie vers nichtete mit einmal all ihren Kummer, befreite ſie ganz aus der Gewalt des Ras pitains, und ſicherte ihnen noch uͤberdies eine Gelegenheit, ſchnell und bald nach ihrem Vaterlande ruͤkzukehren. Sie dank⸗ ten daher dem Kapitain auf das innigſte für feine gütige Fuͤrſorge, ſchilderten ihm ihre Reiſe nach dem Vaterlande dringend, und die daraus entſpringende Nothwen⸗ digkeit, ſein Schif zu verlaſſen, und mit dem ſchneller abſegelnden dahin zu eilen. Er fand ihren Entſchluß ſehr weiſe, ge— bot ihr Gepaͤkke nach dem harrenden Boote zu tragen, und goͤnnte den Freunden indes Zeit, ſich zur Abfahrt * 2

vorzubereiten. Sie nahmen von allen,

die ihnen irgend einen Dienſt erwieſen hatten, mit freigebiger Hand Abſchied, und legten noch uͤberdies eine anſehnliche Summe beiſeite, mit welcher ſie den Kapitain belohnen wollten. Er verdients zwar nicht um uns, ſprach der Graf, wenn ich rükwärts denke, aber ich gebe es ihm mit dem westen Herzen, wenn . vorwärts blikke ee

Der ui Hauch ihres Kummers ſchwand, wie fie in das Boot fliegen, reine Freude fuͤllte ihr Herz, wie ſie endlich in Kandias ſeichtem Hafen lan deten, und die Ufer der Inſel betraten. Zu ihrem groͤßten Vergnuͤgen fanden fit ſchon bereitſtehende Roſſe, welche der Konſul mit dem Auftrage nach dem Ufer

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geſandt hatte, daß fie der Fremden har⸗ ren, und ſolche nach ſeinem Landhauſe geleiten ſellten. Karoline jagte zwar maͤchtig, als fie eines dieſer kleinen, aber ſehr muthigen Thiere beſteigen ſollte, da ihr aber der Graf Beiſtand zufluͤſter⸗ te, und ſie durch laͤngere Weigerung leicht ihr Geſchlecht verrathen konnte, ſo ſchwang ſie ſich muthig darauf, und der Zug ging vorwaͤrts, er fuͤhrte ſie durch die ehemals ſo beruͤhmte, izt ſo elende Stadt nach einer kleinen Ebne, in wel⸗ cher ſie unter den vielen Haͤuſern die Wohnung des Konſuls zu erblikken hof⸗ ten, aber ſie verwunderten ſich maͤchtig, als ihr Führer an dieſen voruͤberzog, und ſie eine ſteile Anhoͤhe auſwaͤrts leitete. Auf ihre Frage erhielten fie vom Kapi⸗ taine die Antwort, daß der Konſul der

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reinern Luft wegen eine Bergveſte zu ſei⸗ ner Wohnung gewaͤhlt habe, welche noch eine gute Stunde weit entfernt lage. Dieſe Antwort beruhigte ſie ganz, und fie lieſſen nun unbeſorgt ihre kuͤhnen Pfers de uͤber die Felſen klettern. Wie ſie eine kleine Eöne erreicht hatten, erblikten fie einen Trup Türken hinter ſich, welche die nemliche Straſſe herauf zogen, ihr beforgs ter Blik verrieth dem Kapitain ihre Angſt, er lächelte daruber, und fragte fie: Ob fie nie die Beſchreibung der Inſel Kandia, und in dieſer die Verſicherung aller Reis ſenden geleſen hätten, daß auf dieſer Ins ſel ein Diebſtahl oder ein Straſſenraub eine unerhoͤrte That ſei? Friedrich erinner te ſich deſſen, und nun ſprach man under ſorgt von den gluͤklichen Einwohnern, die keines Schloſſes bedurften, um ihr Leben

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und Vermögen vor Moͤrdern und Dieben zu ſchüzzen. Unter dieſen und andern Geſpraͤchen erreichten fie endlich die Berg veſte, welche an der Noroſeite auf einem kahlen Felſen thronte, Meer und Inſel weit und breit belugte, von den uͤbrigen Seiten aber mit einem groſſen Garten umfaßt war, aus welchem ihnen die Bluͤ⸗ then der Pomeranzen und Zitronen lieb⸗ lich entgegen dufteten. Den Genuß noch immer fuͤhlend, trabten fie über die Zuge bruͤkke, und achteten es nicht als dieſe hinter ihnen geluͤftet ward. Im weiten Vorhofe wars oͤde und leer, nur im Hintergrunde wieherten Roſſe aus den Staͤllen den Kommenden entgegen, und Hundegebelle erſchallte aus der Hoͤhe und Tiefe. Sie ſtiegen ſchweigend eine Mar⸗ mortreppe in die Hoͤhe, traten in einen

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Vorſaal, und durch dieſen in ein Gemach, deſſen Thuͤre der Sapitain dienſifreundlich oͤſnete. c ng

Trau, ſchau, wem!

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Ein alter, in Goldſtͤkken und Seide ge huͤllter Tuͤrke ſas auf weichen Polſtern hingeſtrekt in der Ekke, | um ihn her ftanı den bewafnete Trabanten, die mit ihren entbloͤßten Saͤbeln zu fchöggen und zu dro⸗ hen ſchienen. Dieſer Anblik war den Reiſenden befremdend und unerwartet, ſie ſtaunten einander fragend an, und eben wollte Friedrich bei dem Kapitaine ſorſchen: Ob der Konſul ein Tuͤrke ſei ?

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als der Alte in gebrochener italieniſcher Sprache folgendes Geſpraͤch begann.

Deer Tuͤrke. Ich habe dich fruͤher erwartet. Warum weilſt du ſo lange?

Kapit ain Ich habe die Reiſe nach Kräften gefoͤrdert, und harre nun meines Lohns.

Der Tur ke. Er wird dir ſicher werden, wenn du erfüllt, was du ver

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Kapitain. Du magſt ſelbſt ent⸗ ſcheiden. N

Der Türke. Wills auch! Welche unter ihnen iſt die fo geruͤhmte Schönheit?

Kapitain. (auf Karolinen deutend) Dieſe !! 8 Deer Tuͤrke. (zu einigen feiner Wa⸗ che) Fuͤhrt ſie naͤher, damit ich ſie genauer betrachten kann. (Die Wache vollzieht den Befehl, Karoline wirft ſich in des Grafens Arme, wird ihm aber mit Gewalt entriſſen und zu dem Alten geſchlept)

Deer Türke (ſie betrachtend) Beim Mahomed . du haſt mich nicht betrogen, Kriſt, du haft meine Erwartung übers troffen! Da der Preis ſchon beſtimmt iſt, bedarf ich dir das Lob nicht zu vers heelen, es vertheuert die Waare nicht. Ein Geſicht, wie ichs gern leiden mag, zwar bleich und blaß, aber ich weiß die Umſtaͤnde zu erwaͤgen, und bin verfichert;

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daß es ſich bald wieder roͤthen wird. (zur Wache) Fuͤhrt ſie fort, die Ver⸗ ſchnittnen follen fie uͤbernehmen, und die Weiber ſie ankleiden, dann will ich ſie wieder ſehen, ich hefe, ſie wird ere h |

Karoline. (welche die Wache fort führen will) Allmaͤchtiger, erbarme dich meiner! Freunde, ſchuͤzt mich!

Der Graf. (durch Karolinens Stim⸗ me aus feinem Erſtaunen gewekt, ſtuͤrzt herbei) Haltet, um des Allmaͤchtigen willen, hoͤrt mich! (in arabiſcher Sprache zu dem Tuͤrken) Wie kann dieſer namloſe Boͤſewicht freie Leute verkaufen? Wie kannſt du, edler Greis, ſich ſeines ſchreklichen een ſchuldig machen? | >

332 Der Tuͤrke. Faͤhrt fie fert!

Der Graf Haltet, nur einen Au genblik, haltet! (auf ſeine Knie ſtürzend) Erbarme dich ihrer und meiner! Hoͤre mich, hoͤre, wie wir getaͤuſcht, und ſchaͤndlich betrogen wurden! (Karoline ward auf den Wink des Alten ohnmaͤchtig fortge⸗ ſchlept) Erbarme dich! Trennung von mir wird ſie toͤden, ſieh, ſchon flieht ihe Le⸗ ben, und du wirſt vergebens auf ihrer Leis che deine Grauſamkeit beweinen.

Der Türke. Du ſprichſt gut ara⸗ kiſch, und wirſt mir dadurch ſchaͤzbarer. (um Kapitain) Du haſt mir beide zwar als Zugabe verheiffen, aber ich will mit dir nicht geizen, und dir den gewöhnlis chen Preis be ahlen. (zur Wache) Fuͤhrt

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fie fort, zuͤchtigt fie, wenn ſie toben, und feſſelt fie, wenn fie wuͤthen. Genu

Der Graf. Barbar! Nein! Nein! Edelſter, verehrungswürdigſter der Sterb. lichen, hoͤre mich nur! Ich will ſie, ich will mich loͤſen! Fordre, beſtimme den 0 und ich::

Der Tuͤrke. Fort mit ihnen, oder mein Zorn trift euch. (Der Graf wird . Friedrichen fortgeriſſen? i

Der Graf. Nur noch ein Wort mit dieſem! (auf den Kapitain deutend) Nur ein einziges Wort! (er entreißt ſei⸗ ne Rechte wuͤthend den Waͤchtern, zieht ſchnell eine Sakpiſtole bervor, und druͤkt ſie auf den Kapitain ab) Boͤſewicht, genuͤſſe dei,

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1 ai nr nen Lohn in Ruße! (Die Piſtole verſagt.) en 1 95 inn n 1 *

Der Kapitain. (lachend und ſpot⸗ tend) "Mühe dich nicht, ſie öſterer loszudrül; ken, der Erfolg bleibt ſich immer gleicht Du mußt mich fuͤr ſehr unvorſichtig acht ten, ſchon geſtern lies ich ſie entladen!

Der Tuͤrke. Fort mit den kuͤhnen Buben, werft; ſie ins tiefſte Geſaͤng⸗ niß, dort ſollen fie ſchmachten, his ſie zahmer werden. i

Bar Bu 1 5 vor 1 5. 1 r 19 Rp, EN re: 4157 Wu a 70 FM

Die armen Betrognen wurden nun ſortgeſchlept, und der heilloſe Kapitain empfing die verabredete Summe, nahm das Gepaͤkke und die Schaͤtze der Un⸗ gluͤklichen mit ſich, verkaufte das erſtere

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in Kandia, bereicherte mit den leztern feis nen Saͤlkel, nnd ſchifte noch am nemlichen Tage ruhig und vergnuͤgt von dannen. Die Fluͤche der Ungluͤklichen folgten ihm im ſchreklichen und vollen Maaſe, und wenn ſie guf den Maſten und Seegeln ſeines Schiffes haften, ſo muß ihre Schwere es in den ae des . res begraben. 155 Ungerne erblikke ich hier eine Luͤkke⸗ in meiner Geſchichte, noch mehr als un gerne fülle ich fie. mit Muthmaaſſungen aus, aber da ich die Gewißheit nicht ergründen. kann, fo find doch Muthmaaſ⸗ ſungen beſſer als gar nichts, und ich ei⸗ le, ſie meinen Leſern mitzutheilen. Heil mir, wenn ſie ihnen die Gewißheit er⸗ ſezzen. |

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Wahrſcheinlich erkannte der Kapitain die Reiſenden beim erſten Anblikke, ſicher achtete er Verſtellung fuͤr das Beſte, weil er auf dem Schiffe nicht handeln konn⸗ te, wie er zur Rettung ſeiner Sicher heit handeln wollte, ihm war das Schif nur zur Führung anvertraut, ein Kom miſſair der Eigenthuͤmer beſorgte die Handlungsgeſchaͤfte deſſelben, und wuͤrde natuͤrlich jede boͤſe That verrathen und geruͤgt haben; eben ſo natuͤrlich konnte er aber auch nicht die Reiſenden nach Frankreichs Hafen fuhren, weil er ſich durch heimliches Horchen uͤberzeugte, daß fie ihn kannten, feinen ehemaligen Men ſchenraub entdekken, und durchs Gericht ſchreklich ahnden wuͤrden. Daß er aber die Retſenden oft und vielmals in ges heim behorchen mußte, wird durch die

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Folge deutlich erwieſen, weil er Karolis nens Geſchlecht entdekte, und dieſe Ent⸗ dekkung auf ſo ſchrekliche Art zu ihrem Verderben nuͤzte. Unter welchem Vor— wande er uͤbrigens auf der Inſel Kan— dia landete, auf welche Art er die Unglüflihen dem Baſſa von Kandia verkaufte, kann ich freilich nicht erklaͤ⸗ ren, aber es giebt der Vorwaͤnde und Arten mancherlei, und ich uͤberlaſſe es ganz der Willkuͤhr meiner Leſer, die wahrſcheinlichſte zu waͤhlen, genug, daß die That ausgeführt, und meifterhaft vollen⸗ det wurde. Ihre Begierde, das Schif zu verlaſſen, und ſich in den Schuz des Konſuls zu werfen, gab hoͤchſt wahe⸗ ſcheinlich den Stof zu dieſer That, viels leicht würden fie auf dem Schiffe fi der rer ihr Ziel erreicht haben, wenn am 3. Theil. .

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e en nicht zu en b ee ihr Lebon geendet haͤtte e.

Die Muthmaſſungen enden, und die Geſchichte ſchreitet unaufbaltfam, weiter

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Um dieſe Zuſage zu en, eile ich ſogleich zu den Unglütlichen zuruͤk, ich . Karelinen unter den labenden Findrichen in einem finſtern, unterit⸗ diſchen Geſängniſſe, aber ich bin nicht fähig, ihren Zuſtand zu schildern, denn er war ſo ſchreklich, fo gränzenlos elend, daß alle menschliche Sprachen keinen

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Ausdruk für ihn enthalten, weil nur wenige der Menſchen ſolch namenloſes Ungluͤk fuͤhlen, und von der Zentnerlaſt zu Boden gedtuͤkt, ihr Gefühl nicht aus; zudruͤkken vermögen. Auch mangelte, um dieſe Wahrheit praktiſch zu beweiſen, die Sprache. Karoline erwachte aus ih⸗ rer Ohnmacht nur deswegen, um in eis ne ſtaͤrkere und anhaltendere ſinken zu koͤnnen. Der Graf, deſſen gluͤhende Einbildungskraft ſie in den Armen eines Barbaren erblikte, ſuchte vergebens feis ne Hände zu entfeſſeln, um den wollü⸗ ſtigen Voͤſewicht zu erdroſſeln, und Frie⸗ drich ſas ſtaunend und ſtill in einer Ek⸗ ke, und muͤhte ſich vergebens, das neue, unerwartete Ungluͤk zu begreifen und zu faſſen. Kein wohlthaͤtiger Strahl ers leuchtete die grauſende Finſternis, uͤber⸗

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all erblikte er namenloſes Elend, nir⸗ gends Rettung und Huͤlfe. Selbſt ſein Glaube an den Beiſtand des Menes ſank, und unterflüzte ihn nicht, ob er gleich einſig darnach haſchte.

Eine Nacht, ein Tag und wieder eis ne Nacht verfloß, ohne daß der Zuſtand der Ungluͤklichen ſich änderte, Seufzer waren ihre Worte, und bittre Thraͤnen ihre Labung, denn die Speiſen, welche man ihnen brachte, blieben unangeruͤhrt ſtehen, und der Vorſaz, durch den Hun⸗ gertod ihr Leiden zu enden, faßte tieſe Wurzel in ihrem Herzen, war dieſem ſogar der einzige Troſt, der es fuͤr na⸗ her Verzweiflung bewahrte. Am Mor- gen des zweiten Tags trat ein alter Tuͤrke in ihren Kerker, er wekte Hofnung

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in ihrem Herzen, als er ſtillſchweigend ihre Feſſeln loͤßte, aber er loͤſchte den glimmenden Funken ſchnell wieder, als er fie mit Peitſchenhieken begrüßte. Waͤhnt ihr, ſprach er im rauhen Tone, daß man euch nur füttern, nie nuͤzzen werde? Die Zeit der Ruhe hat geendet, und die Arbeit beginnt. Auf, und thäs tig zu ihr, ſonſt wird euch meine Peit— ſche ſchreklich zuͤchtigen. Zaͤhnknirſchend folgten fie zwar, aber fie folgten doch, weil

ihr Körper zu ſchwach war, dem Schmers

ze der Zuͤchtigung zu widerſtehen. Ihr Führer leitete fie nach einem groſſen Gars ten, deſſen hohe, unuͤberſteigliche Maus ern jeden Gedanken der Flucht unterdtuͤk— ten, deſſen wuͤſte und leere Plaͤzze ihnen Arbeit in Fuͤlle verkuͤndigten. Er ſtand mit ihnen an einem geoflen leeren Plazze

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ſtille, maß einen Theil deſſelben mit Schritten, bezeichnete dann den gemeßnen Theil, und ſprach: Dieſen Theil muͤßt ihr heute bis zum Untergange der Sonne

bearbeiten, denn ich werde ihn am Abens de beſaͤen. Treffe ich ihn um dieſe Zeit unvollendet, fo werdet ihr ſchreklich ges zuͤchtigt, denn mein Lohn gleicht der Ar- beit. Mit dieſen Worten verließ er fie, und Friedrich ergrif ſtillſchweigend das vor ihm liegende Werkzeug, um die Arbeit zu beginnen.

Graf. (bitter lachend) Und du willſt wuͤrklich arbeiten, wuͤrklich der Sklave des Barbaren werden, der mir meine Ras roline raubte? | Friedrich. Muß ich nicht, wenn

ich nicht blutige Streiche dulden will?

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Graf. Feige Meinme, ſo fuͤrchteſt du alſo den Tod, den Erloͤſer von allen Qualen? 120 \

Friedrich. Ich werde ihn ſtandhaft dulden, wenn er mich ergreift, aber noch hoffe ich.

Graf. Du hofſt noch? re

Friedrich. Waren wir nicht elen⸗ der und huͤlfloſer, als wir in Arabiens Wauͤſten gleich Ochſen pfluͤgten, und doch wurden wir ee

Graf. Aber Karoline? Denke ſie in dem Serail eines Tuͤrken, in den Haͤnden eines rohen Barbaren, und erfinde dann Mittel zu ihrer, zu unfeer Rettung!

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Ach, der Gedanke iſt qualvoller als der ſchreklichſte Tod, ich kann jenen nicht mehr denken, und will dieſen dulden. (Er wirft ſich zur Erde) Hier will ich feis ner harren, und umarmt er mich nicht fruͤher, ſo werden die Peitſchenhiebe des Wuͤtrichs ihn ſchon rufen.

Foiedrich antwortete nicht mehr, aber er arbeitete raſtlos, indes der ungluͤkliche Graf verzweiflungsvoll am Boden feufz te, und in ſeinem ſchreklichen Vorſazze verharrte. Als er eben den Schweiß von der Stirne wiſchte, und mitleids voll nach dem Grafen hinblikte, or ſich dieſer vom Boden.

ae Kanaft du mir Troft gewaͤh⸗ ren, kannſt du?

1. A 4

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Friedrich. Ich vermags, ich befizs ze ihn, und er ſtaͤrkt mich bei meiner Arbeit.

Graf. O fo fei barmherzig, kund theile ihn mit mie, ſonſt muß ich, ehe der Abend naht, Selbſtmoͤrder werden.

Friedrich. Ohne Gottes Willen faͤllt kein Haar vom Haupte des Mens ſchen. Er hat deine Geliebte bis nach Sirien geleitet, er kann fie auch ſchüz zen und ſchirmen im Serail des Bar baren, er kann uns und ſie aus ſeinen Händen erretten. Dies iſt mein Troſt, den ich herzlich gerne mit dir theilen will.

Graf. Aber denke dir nur den

marterwolfen Gedanken wenn nun die ſchrekliche That das Maas des Boͤſe⸗ wichts füllen ſollte, wenn nun

Friedrich. Koͤnnteſt du dann wi⸗ derſtreben? Genug, ich hoffe! Auch ich warf mich anfangs in die Arme der Ver: zweiflung, auch ich erblikte rings umher dunkle Finſternis, als aber die Peitſchen⸗ hiebe des Tirannen mich aus meinem Tiefſinne wekten, als ich Licht und Son ne wieder erblikte, da durchſtrahlte Hof nung mein Herz, und ich arbeite, um noch laͤnger ra zu koͤnnen. |

| Graf. Auch wi inen Bei: ſpiele folgen, auch ich will hoffen, bis Ueberzeugung mich toͤdet,

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Uẽnd nun ergrif er haſtig den Spa: den, und arbeitete gleich Friedrichen raſt— los und thaͤtig. Schon wichen ihre Kräfte, ſchon widerſtand Schwachheit dem Willen, als man ihnen eine Schuͤſ⸗ ſel voll gekochten Reis brachte, und ſie zum Genuſſe rief. Sie verſchlukten mit Begierde die Speiſe, ruhten im Schat— ten, und fanden ſich bald ſo maͤchtig ge⸗ ſtaͤrkt, daß fie noch vor Sonnenunter⸗ gange ihr Tagwerk vollendeten. Ich bin mit euerm guten Willen zufrieden, ſprach der Auſſeher, als er am Abende erſchien, ich habe eure Kräfte nur verſucht, da ich fie aber thaͤtig finde, fo will ich fie kuͤnftig nicht verſchwenden. Mit dieſem Troſte entließ er ſie, und ſande ſie nach einem Gemache, in welchem ſie nicht

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mehr Ketten, ſondern Detten zu ihrer Ruheſtaͤtte fanden.

Dieſe unerwartete Milde gab Stof zum Geſprache, und ſtarkte die Ungluͤkli⸗ chen mit der Hofnung, daß vielleicht doch noch Rettung moͤglich ſei. Freilich gabs der Augenblikke und oft der Stun— den noch viele, in welchen der Graf mit Verzweiflung kaͤmpfte, aber Friedrich ſuchte ihn immer aufs neue zu troͤſten, und wenn die Gründe der Philoſophie und Religion nicht gehoͤrt wurden, ſo gedachte er oft einer uͤbernatuͤrlichen Ret⸗ tung, die er von der Hülfe des Menes erwartete. Der Graf ergrif ſie immer begierig, gleich einem im Strome Kaͤm⸗ pfenden, der nach jedem Strohhalme haſcht, und wenn er ſich auch getaͤuſcht

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fühle, doch feine Kräfte aufs neue ans ſtrengt, um eine flärfere Stuͤzze zu er⸗ reichen.

Auf dieſe Art verfloß ein halber Mon: den, in deſſen Zeitraume fie zwar tag lich im Garten arbeiten mußten, aber doch nie durch Schlaͤge mißhandelt, und immer beſſer und reichlicher geſpeißt wur⸗ den. Oft traf ſie ihr Aufſeher ruhend, aber nie ſtrafte er ſie deswegen, und er⸗ muͤdete ihr Fleiß allzuſtark, ſo ermahnte er ſie nur mit Worten. Ihr Zuſtand war alſo nicht mehr graͤnzenlos elend, wuͤr⸗ de manchen Ungluͤklichen, und ihnen ſelbſt ertraͤglich geſchienen haben, wenn nicht Karolinens Schikſal des Grafens Herz gefoltert, und Friedrichen innigſt geruͤhrt hätte. Es blieb ihnen zwar ganz unbe⸗

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kannt, denn der Aufſeher ſchwieg hart: näkkig, wenn fie nach ihr zu forſchen wag⸗ ten, aber eben dleſe Ungewißheit marter⸗ te und quaͤlte den Grafen, gab ſeiner Einbildungskraft Stof zu graͤßlichen Bil⸗ dern und wekte 1 Moe MARIN: 8 f a

Als er einſt mit dieſer kaͤmpfend, ſei⸗ nen Spaden an Friedrichs Seite mit bit⸗ tern Thraͤnen nezte, ging ein junger, ſchoͤ⸗ | ner Türke, den fie vorher noch nie geſehen hatten, einigemal bei ihnen voruͤher, er blikte mitleidsvoll nach den Arbeitenden hin, laͤchelte, wenn fie ſich demuthevolf neigten, und ſtand endlich dicht vor ih⸗ nen ſtille. Eure Arbeit muß ſehr ermuͤt dend fein, ſprach er in arabiſcher Sprache, mit einer Miene, die deutlich 1 n ſchenliebe bewieß. 5

Graf. Ste würde es nicht fein, wenn wir fie von Jugend auß en 92 55 n aber hi .

Der Jangli ng. Waren ehmals beſſere Tage euer Loos? Dann bedaure ich euch zwiefach. |

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Friedrich. Auch verdienen wirs, denn unter den Tauſenden, die vielleicht auf dieſer Inſel die Sklavenketten tragen, giebts gewiß keinen, der ſo unrecht, ſo ganz en Urſache duldet.

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Graf. (ihm einfallend, und vom in nern Drange hingeriſſen) Wir landeten als Reiſende auf dieſer Inſel, wir fliegen als Freunde, denen man Schuz zuſtcherte, an ihre Ufer, und wurden ſchaͤndlich uͤberli⸗

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ſtet und betrogen, in unverdiente Sklave rei geſchlept, gleich dem Viehe verkauft. Wenn du ein Juͤngling biſt, in deſſen Buſen ein edles Herz ſchlaͤgt, ſo gieb der Handlung den verdienten amen, und verdamme uns nicht, wenn wir murren.

Süngling. Hab ichs euch je ſchon verdacht, je ſchon verboten! Ich bewun⸗ dere vielmehr eure Geduld, und wuͤrde euch ernſtern Widerſtand nie verdenken.

Graf. Sind wir deſſen faͤhig? Wuͤrde es uns nicht ah agen als nuͤzzen?

Jauͤngling. Allerdings! Ihr hans delt kluͤger, als ich in eurer Lage zu hans deln vermögend waͤre, ich wuͤrde hart;

| naͤkkig

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näkkig widerſtreben, und unterliegen. Ich bedaure euch herzlich! *

Graf. Nimm dafuͤr unſern waͤrm⸗ ſten Dank zum Lohne, und rette uns, wenn du uns zu retten vermagſt.

Juͤngling. Retten? Stuͤnde Het: tung bei mir, wie gerne Und doch waͤre ſie moͤglich, wenn euer Muth euerm Ungluͤkke gleicht, wenn er wie dies ſes unendlich iſt. Aber hier vermag ich nicht mit euch zu ſprechen, wie ich ger⸗ ne ſprechen wollte, wenn der Abend naht, und ihr in euer Gefängnis tuͤk⸗ kehrt, will ich euch heimſuchen, und naͤ⸗ her euch pruͤfen. Gehabt euch indes wohl, und hoft, wenn ihr Muth ber fit. a

3. Theil. 8

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Graf. (ihm einige Schritte folgend) Gewaͤhre mir nur noch ein kurzes Ger hoͤr. Mit uns ward meine Geliebte, meine Verlobte in aͤhnliche Sklaverei, und nach des tiranniſchen Baſſa Serail geſchlevt, mein Herz ſchmachtet nach eis ner Nachricht von ihr, kannſt du es nicht laben? 9 ei Juͤngling. Ich vermags. Sie unterlag der Groͤſſe ihres Schmerzens, ein hizziges Fieber kaͤmpfte mit ihren, koͤrverlichen Kräften, und führte fie an den Rand des Grabes. Ihre Jugend und die Weisheit der Aerzte fuͤhrten ſie nur mit Mühe zuruͤk, izt beginnt fie, wie ich hoͤre gleich einer Roſe zu bluͤ⸗ hen, ob ſie gleich ihre Wangen taglich mit Thränen benezt. nur ihren Gelieb⸗ ten oder den Too heiſcht. |

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Graf. (zitternd) Und wird ihr keit ner ihrer Wuͤnſche gewaͤhrt?

Juͤngling. (laͤchelnd) Wie kannſt du fo albern fragen? Wird der Tiger wohl den Raub, welchen er nach ſeiner Hoͤle geſchlept hat, unbeſchaͤdigt zuruͤkgeben? Die Roſe bluͤht, und man wird ſie pfluͤk⸗ ken.

a Graf, Gott im Himmel erbarme ſich ihrer und meiner! (ſinkt zu Boden)

Deer Juͤngling. (ihn aufhebend) Ungluͤklicher verzweifle nicht, und faſſe Muth, der dir fo noͤthig iſt. Am Abens de komme ich zu dir, und zeige dir Mittel, wie du dich und ſie retten und

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356 0 8 as 1 rächen kannſt. Vis dahin harre und kampf REIN

Er ging, und der Graf blieb unbe weglich ſtehen, ſeine Einbildungskraft hatte das Bild, welches der Juͤngling nur flüchtig zeichnete innig gefaßt, mahl te es izt mit den hellſten Farben aus, und nun ſtands vor ſeiner Seele hell und klar, ſchreklich und ſcheußlich. Haͤt⸗ te Friedrich ihn nicht aus feinem Zus ſtande gewekt, nicht Worte des Troſtes zug fluͤſtert, er würde in die Arme des Wahnſinns geſunken ſein, und in dieſen | fein Leben wuͤthend geendet haben. Wil⸗ lig, aber freilich noch denkend und flaws rend, ſolgte er Friedrichen am Abende nach ihrem Gemache, und beide harrten nun ſehnſuchis voll des Kommenden. Schon

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ſank ihre Hofnung, als endlich die Nies gel raſſelten, und der Juͤngling eintrat. Er ging einigemal nachdenkend auf und nieder, endlich begann er alſo: Ich habe euch Hofnung zur Rettung verheiſſen, ich komme ſie zu beſtaͤtigen, aber ich muß vorher euch vieles und manches ents dekken, was zur Erklaͤrung des Ganzen noͤthig iſt. Der Baſſa, deſſen Sklaven ihr ſeid, nennt mich Sohn, und ich habe mich bisher eifrig bemüht, ihn als Vater zu ehren, ob er gleich dieſe Ehrfurcht nicht heiſchen und fordern kann, denn er iſt ich muß der Wahrheit dies Opfer bringen kein Vater ſeiner Kinder, iſt ein Ti⸗ rann, ein Boͤſewicht ſeltner Art. Denkt euch jedes, denkt euch das gaaͤßlichſte Las ſter, und er hats mehr als einmal began⸗ gen, denkt euch die ſchreklichſte Tirannei,

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und er hat fie an feinen Kindern und Sklaven veruͤbt. Vor einigen Jahren hatte ich noch ſechs Brüder, fie flachen alle unter feinen Streichen und mordreichen

ö Qualen „ich allein bin noch übrig, 9 80

140 taͤglich meines Todes. Friebrich. Schreklich! Sons!

Jüngling. Ja wah ſchetlth aber noch ſchreklicher, weil es wahr iſt. Viele hundert Sklaven wurden ſchon auf ſein Geheis zu Tode gemartert, erſt geſtern ſah ich zwei derſelben auf die ſchreklichſte Art gleich einem Baume lebendig durchſägen. Ich ſchauderte, als ſie jammerten, aber mein Vater lachte wild. Auch euch ſteht aͤhnliches Schikſal bevor, weigert ſich dei⸗

ne Geliebte noch laͤnger, ihn freiwillig

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zu umarmen, fo wird er ihr mit deinem Tode drohen, ihn unter den grauſamſten Qualen vollenden, und fie dann mit Ge walt zum Opfer zwingen.

Friedrich. Iſt dies die verheißne Hofnung?

Juͤngling. Ich muß euch die Gas fahr ſchildern, wenn ich euch anders ret⸗ ten will. Alle Bewohner der Inſel ſeuf— zen unter ſeiner Tirannei, ihre Klagen dringen bis nach Konſtantinopel, und ob er gleich die Ohren des Veziers mit Gol⸗ de verſtopft, fo wird die allgemeine Klage doch einſt durchdringen, und die rothe Schnure ſein verdienter Lohn werden, aber bis dieſe erſcheint, werden noch hunderte bluten, werdet ihr und ich m

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ſchon geduldet hahen, und die Geliebte deines 1 entehrt ſein.

Graf. Hüͤlſe! Huͤlfe!

Juͤͤngling. Sie ir in euern Händen, und ich komme ſie thaͤtig zu er, muntern. Schon lange habe ich die Ge— ſinnungen der Diener und Leute, welche den Tirannen umgeben, zu erforſchen ge ſucht. Sie wönſchen vereint, von dieſem Ungeheuer befreit zu werden, ſie wuͤrden laut jubeln, wenn dieſe Befreiung auf irgend eine Art erfolgte, aber fie befizyen nicht Muth oder vielmehr nicht Gelegen heit genug, ſie herbei zu ruffen. Auch kann ich ihnen dieſe Muthloſigkeit nicht ver denken, denn Religion und unabwend⸗ bare Gefahr kaͤmpft gegen ſie. Ein var

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ſcher Dolchſtich, wenn er ſchlaͤft, eine losgedruͤkte Kugel, wenn er einſam wars delt, hätte ihn laͤngſt aus der Zahl der Lebendigen getilgt, wenn die Religion, die ieder Muſelmann ſklaviſch ehrt, den zu dieſer That entſchloßnen nicht hinder— te, ſie verſagt demjenigen den Eintritt ins Paradies, welcher eines Rechtglaͤu⸗ bigen Blut vergießt, und gebietet iedem, welcher den Tod verdient, zu erdroßeln. Wie vermag dies aber ein oder der andre Entſchloßne, da er in dieſem Falle mit den Tirannen kaͤmpfen muͤßte, und ſicher unterliegen wuͤrde, weil ihm ungeachtet ſeines Alters niemand an Staͤrke gleicht? Oft habe ichs ſchon verfucht, alle zu ei— nem Entzwekke zu vereinigen, oft war wirklich ſchon der Strik bereitet, welcher das Ungeheuer von der Erde tilgen ſollte,

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aber dann vernichtete immer wieder die Vorſtellung der unausweichlichen Gefahr die Ausführung der That. Alle Verkuͤn⸗ dete mußten als erwieſen annehmen, daß die Mordthat ſtreng unterſucht, und ſicher an allen Dienern und Hausgenoſſen ſchreklich geahndet werden wuͤrde. Ih nen blieb alſo nach vollbr achter That nur chleunige Flucht uͤbrig, und da ſie ihrer Religion wegen nicht in das Land der Kriſten, immer nur zu andern Rechtglaͤu⸗ bigen fliehen können, fo ſchwebte ihr Le⸗ ben in täglicher Gefahr, und ihr Zuſtand glich vollkommen dem gegenwaͤrtigen, aus welchem ſie doch noch Rettung hoffen konnsen. Dies war bisher ſtets die Folge aller meiner Unternehmungen, die mich und ſo viele Unſchuldige aus der Hand des Verderbers retten konnten, aber nie

retteten. (Der Graf und Friedrich wollen ſprechen) Laßt mich enden, und ſaßt wobl, was ich ſage: Als ich eure Unslülsges ſchichte hoͤrte, euch ſchmachtend und iam⸗ mernd in Sklavenketten erblikte, da dachte ich, dies ſind die Retter, welche der Himmel zu unſrer aller Befreiung ſande, dies ſind die Rächer, welche weder Mes ligion noch Gefahr hindert, den Tiran⸗ nen zu töden, und ſich dadurch Freiheit und Rettung zu erwerben. Merkt auf, ob ich richtig geſchloſſen hae. Eure Religion wird, wie ich ſicher glaube, euch nicht die Selbſtvertheidigung unterſagen, und aͤchte Selb ſtvertheidigung iſt es, wenn ihr den Raͤuber eurer Freiheit und eurer Verlobten tödet, wenn ihr ihn durch dieſe That hindert, euch qualvoll zu morden, oder eure Geliebte zu entehren. Ge

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fahr ob fie gleich hier am Rande der Verzweiflung nicht erwogen werden kann koͤnnte euch alſo nur abſchrek⸗ ken, aber dieſe ganz von euch abzuwen⸗ den, ſteht bei mir. Hört, wie ich bes ginne! Jeden Monden, und ſelbſt izt liegen europaͤiſche Schiffe in unſern HA fen, ich beſtelle auf einem derſelben freie Ueberfahrt für euch, und wenn es die Seegel lüften will, beginnt ihr die That. Ich geleite euch dann ſamt eurer Gelieb⸗ ten mit reichlichem Reiſegelde verſehen ſicher zum Schiffe, und wenn es in der Ferne des Meers aus meinen Augen ſchwindet, kehre ich eift zuruͤk, um die That bekannt zu machen, um Rache uͤber die Thaͤter zu heiſchen. Freilich wird die erſtere auf euch fallen, und die Leztere euch zu ſuchen eilen, aber ihr ſeid ihr ſchon

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entflohen, erreicht gluͤklich euer Vaterland, indes euch mein und meiner Verbuͤnde⸗ ten Dank folgt, und wir uns, fuͤr ieder Verantwortung ſicher, haſtig in die Schaͤzze des Titannen theilen, ehe die Abgeſanden des Sultans erſcheinen, um fie nach Konſtantinopel zu ſchleppen. Die Ausführung der That will ich euch uͤbri⸗ gens ſo leicht als moͤglich, und ganz ge⸗ fahrlos machen. Entweder leite ich euch zur Nachtzeit mit ſcharfen Dolchen vers ſehen, zum Lager des Schlafenden oder ich führe ihn unter irgend einem Vor wande nach der entlegenſten Gegend des Gartens, wo ihr im Dikkichte verborgen, ihn feſt fallen, und mit einem wohlthaͤ⸗ tigen Schuſſe toͤden koͤnnt. Sprecht nun, was ich von euerm Muthe zu erwarten habe, und faßt euern Entſchluß ſchnell,

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wenn ihr euer Leben und die kaͤmpfende en retten wollt. Nun, i ſchweigt?

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45745 ; :

90 0 Dat if alles, ob RIES vers moͤgen, und auch in die Zukunft zu ba ten geloben. 6 u

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Juͤngling. (u Friedrichen) Und dus

Friedrich. Er ſprach, wie ich dachte. f N 17711 N E.

Jauͤngling. Ihr wollt alſo euer Leben nicht retten, eure Geliebte entehrt ſehen? . F e

Graf. Ehe ich ſolch eines Ver⸗ brechens mich theilhaftig mache, ehe ich mein Gewiſſen mit einem Vatermorde

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beflekke, will ich gerne ſterben, und ien⸗ feiis mit Recht Rache fordern.

Juͤngling. Schwaͤrmer! Iſt der Tirann euer Vater?

Graf. Iſt er nicht der deinige? Morden wir nicht auf dein Geheiß? Sind wir nicht deine Helfershelfer? Haͤtte dein Vater noch tauſende der Ver⸗ brechen mehr begangen, ſo geziemts dir nicht, ſein Richter, ſein Moͤrder zu wer— den, ſo mußt du ihn ſchuͤzzen und retten, wenn du's vermagſt. |

Friedrich. Als ob er dies nicht ſelbſt fuͤhlte und wuͤßte, nicht blos nur unſre Denkungsart pruͤfen, uns verſuchen wollte, ob wir graͤnzenloſe Boͤſewichte wäs

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von? Wie könnte ein fo edles, fo liebrei⸗ ches, von iedem Mordgedanken weit enti ferntes Geſicht eine ſo ſchwarze Seele dekken? Wie wärs möglich, daß nicht eis ner der hoͤlliſchen Zuͤge ſich unter dieſe Sanftmuth und Menſchenfreundlichkeit miſchen, und uns warnen ſollte? Edler Juͤngling, du Haft uns warlich nur ver ſucht, wir haben die Probe beſtanden, ſei dafuͤr unſer Freund, und rette uns / wenn Huͤlfe in deiner Macht ſteht.

Juͤngling. (entruͤſtet) Thoren! Doch nein, ich ſelbſt bin der groͤſſere Thor, weil ich mich ohne Vorſicht mit euch befaßte, die Soͤhne des Unglau⸗ bens einer muthigen That fähig achtete. Bleibt Sklaven, denn ihr verdients zu ſein, aber praͤgts euch auch feſt ein, daß

der

der kleinſte Verrath meiner Worte euern Tod fördert, von nun an werde ich euch zwar verachten, aber auch ſtreng bewa⸗ chen laſſen. Ihr bleibt alſo bei euerm Entſchluſſe? |

Graf. Wir bleibens, und bitten Gott, daß er dich für ſolch einer ne That in

Juͤngl in So gehabt euch wohl, find ſchweigt, wenn ihr laͤnger leben wollt.

Mit dieſer Drohung verließ er fie, und goͤnnte den Freunden Zeit und Ges legenheit, ſich einander ungehindert ihre Gedanken über dieſe unerwartete Begeben— heit mitzutheilen, ſie ſprachen bis der

Theil. Aa

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Tag graute, und endeten erſt) als ihr Führer fie zur Arbeit berief. Ihr Ent ſchluß blieb ſich bis dahin immer aͤhnlich, immer weiſe und gut, fie. achteten Karo: linens und ihrer Freiheit Raͤuber des Todes wuͤrdig, aber ſich unfaͤhig, ſein Meuchelmoͤrder, und die Helfershelfer eis nes Vatermeords zu werden. Der edle, fo ſanfte Juͤngling blieb ihnen übrigens ein unaufloͤßliches Näthfel, es lag Wider⸗ ſpruch in ſeinem Geſichte und in ſeinen Reden, der aͤuſſerſt kontraſtirte, und den Ungluͤklichen noch Hofnung goͤnnte, daß er vielleicht nur ihre Geſinnungen zu ers forſchen kam, und eines ſchwarzen Vaters mords nicht fähig ſei Aber bald ward dieſe Hofnung vernichtet, nur zu ſchnell ſahen fie ein, daß er die Tirannei ſeines Vaters nicht vergroͤſſernd geſchildert habe,

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und wahrſcheinlich, durch dieſe geaͤngſtigt, zu einem ſo ſchreklichen Vorhaben vers leitet wurde

Noch verkuͤndigte die Sonne nicht den Mittag, als the: Führer. bei ihnen erſchien, ihnen Nachfolge gebot, und ſie nach dem Gemache des Baſſas leitete. Er ruhte auf ſeidnen Dekken, ſein Blik war finfter und wild, drohte gleich dem gewoͤlkten Himmel mit fuͤrchterlichem Sturme. Lange ſprach er nicht, blikte nur dann und wann grimmig umher, end⸗ lich begann er: Um des Schazzes willen, ſprach er, der mir durch euch worden iſt, habe ich euch bisher nicht als erkaufte Sklaven behandelt, ich habe eure Kräfte geſchont, ſie durch gelinde Arbeit ſogar gemehrt, aber nun kann und wirds nicht

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mehr fo gehen, denn man mißbraucht meine graͤnzenloſe Güte, man Doch zu was der unnuͤzzen Worte fo viele mit euch, hoͤrt, ſaßt mich, und handelt dann, wies euch beliebt. Die Schoͤne, um deren willen ich eine ſo an⸗ ſehnliche Summe verſchwendete, will die Ehre nicht ſchaͤzzen, der ich fie wuͤrdig finde, ſie verachtet —- fühle die Eroͤſſe ihres Verbrechens meine innige Lie⸗ be, und geſteht mir dreuſt, daß ſie einem aus euch ihre Liebe gelobt habe, ihn bis in den Tod treu bleiben, und lieber dies ſen hundertmal dulden, als in meinen Atmen ruhen werde. Bie her achtete ich dieſe kuͤhne Erklärung für eine Folge ih rer Krankheit, da ſie aber der Arzt für geſund erklart, und fie jene noch immer wiederholt, ſo halte ich ſtrengere Mittel

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für nöthig. Schon geſtern machte ich ihr kund, daß ich den verfluchten Geliebten ihres Herzens vor ihren Augen fo lange ſchreklich martern und quaͤlen laſſen wuͤr⸗ de, bis ſie, durch Mitleid gezwungen, ihn durch freiwillige Entſagung aus den Haͤnden der Henker retten wuͤrde. Die Drohung machte Eindruk, und ich bin izt geſonnen, fie auszuführen, Wer un⸗ ter euch iſt der Kühne, welcher mir das Herz meiner Sklavin geraubt hat?

nA a Fa. 0 Graf. Ich bins, und fuͤhle Kraft und Muth in mir, deinen Qualen zu trozzen, die Verlobte mitten unter dieſen zur Standhaftigkeit zu ermahnen.

Friedrich. Und ich bin der Freund dieſer Ungluͤklichen, und werde, ſo lange

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ich athme, fie iin o, gehen 00 si u r

VBaſfa. Waͤrklich? Wir werden fer hen, ob ihr euren raſenden Entſchluß eben fo ſtandhaſt ausführen werdet. Bis dahin ſell noch meine Gute walten, bis dahin ſoll es euch noch vergönnt fein, zwiſchen qualvollein Tode und eurer Freiheit zu wahlen. Auf meinen Wink wird die Sklavin hier erſcheinen, ich werde mich entfernen, und ihr werdet ungehindert mit ihr ſprechen koͤnnen. Wird ſie durch euch überredet und be⸗ wogen, mir freiwillig ihre Liebe zu ſchen⸗ ken, und in meinen Armen als Gattin zu ruhen, ſo ſinken eure Sklavenketten, und ich gelobe euch beim Gtäbe des Pros pheten unbedingte Freiheit, ich laſſe euch

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um

ſogleich nach einem europaͤiſchen Schiffe leiten, fuͤlle eure Taſchen mit reichlichem Reiſegelde, und ſende euch ungehindert nach euerm Vaterlande. Seid ihr aber merkts wohl Seid ihr aber vermeſſen genug, fie in ihrem Starrſinne zu bes ſtaͤrken, fie durch Mienen oder Worte zur kuͤhnen Ausdauer zu ermahnen, fo beginnt morgen, wenn die Sonne am Himmel emporſteigt, eure Marter, und endet nicht eher, als bis fie Liebe ver⸗ heißt, oder eure verruchte Seele dem Körper entflieht; aber dann bleibt fie doch noch in meiner Gewalt, dann laffe ich fie wit Gewalt nach meinem Lager ſchlep⸗ pen, und genuͤſſe, was fie weigerte.

Ohne ihren Entſchluß zu hoͤren, vers tieß er raſch das Gemach, und bald her

nach trat Karoline, von zwei ſchwarzen Verſchnittnen geleitet, zu ihnen ein. Ihr Blik ſtartte wild zur Erde, als ſie ihn aber hob, und ihren Geliebten erkannte, ſchrie ſie laut auf, und ſank weinend in die Arme der Verſchnitenen zurük. We— der der Graf noch Ftiedrich vermochte zu ſprechen, die ſchreklichen Drohungen des Dallas preßten ihr Herz, und der Anblik des ungluͤklichen Opfers mehrte ihre Betäubung. Karoline hob ſich lang ſam empor, und nahte ſich wankend dem (Grafen. Sie faßte ſeine Hand, und ihr Blik ward ernſt. So wirds, forach fie im feierlichen Tone, wirklich möglich, was ich fur die groͤßte Unmoͤglichkeit ach. tete? So ſtehſt du wuͤrklich hier, um mich durch mitieidsvolle Mienen zu übers reden, daß ich deine Schwuͤre ewiger

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Treue vergeſſen, mich ſchaͤndlich opfern, und deine Freiheit durch den Verlaſt meis ner Ehre und Unſchuld erkaufen fell? Ich lachte kuͤhn, als mir der Wuͤtrich geſtern mit dieſer ſchreklichen Kraͤnkung drohte, und muß nun verzweifeln, da ich ſie erfuͤllt ſehe. J Graf. Theure, bis in den 0 bis ienſeits mir ewig unvergeßliche Ges liebte, du beleidigſt, du marterſt mich ſchreklich, wenn du mich dieſer Nieder- traͤchtigkeit faͤhig achteſt. Er heiſchte ſie zwar von mir, er gelobte mir Freiheit dagegen, er drohte mit endloſen Qualen, wenn ich ſein Gebot nicht erfuͤllen wuͤrde, aber ich ſtehe vor dir, feſt entſchleſſen, dieſe Qualen zu dulden, und dich mit dem lezten Worte meiner ſterbenden Zunge zum Haſſe gegen ihn zu ermahnen.

Karoline. (mit wilder Freude) Wirk lich? Wölklich? Gott ſei gelobt! Wink lich! Nun ſterbe ich ruhig, nun kann ich bich dort wieder zu umarmen hoffen.

ita N 8 4 5 7 b f 8 f 1385 l

Friedrich. Jenſeits haftet freilich nur uaſre Ausſicht, aber theure Freundin, ich kann dir die Groͤſſe dei⸗ nes Ungluͤks nicht verbergen! Auch ich bin entſchloſſen, lieber den ſchreklichſten Tod zu dulden, als durch niedertraͤchtige Worte meine Freiheit zu erkaufen, aber unſer Tod wird dich nicht retten, über unſre Leichen, ſo drohte er ſchreklich, will er dich mit Gewalt nach n La⸗ ger N will

Karoline. (mit rg kuͤm⸗ pfend, und doch froͤhlich und geſchwaͤzzig)

Dafuͤr iſt geſorgt! Das Wird, das kann er nicht und kvenn er die Möcht eines Gottes hatte. Eine Ktiſtenſtlavin Ich finde euch meiner wuͤrdig, und will als Schweſter die Beute mit euch theis Ten Eine Kriſtenſklavin fah meine namloſe Augſt, hoͤrte mein aͤngſtliches Wimmern, und erbarmte ſich dieſe Nacht meiner, ſie brachte mir Gift, fie verſtt cherte mich, daß es blözlich wuͤrke, und mehr als hinlaͤnglich ſei, um ſechs Per. ſonen zu toͤden. Ich habe ſchon im Vor: aus getheilt. (fie drükt dem Grafen ein klei. nes Paͤktchen in die Hand) Nimm, und iheile mit deinem Bruder. M dorgen wenn die Sonne Könnt ihr m : in euerm Ertatgnie ſehen? Wege f Friedrich. Sie vergoldet ede Melder ſeine ſchwarzen Gitter.

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Karoline. Alſo, morgen, wenn f ihr erſter Strahl am Firmamente em porſtrebt, wenn ihr Vorbote die Mor, d genröthe das kleinſte Woͤlkchen färbt, dann ergreift gleich mir die Pille, ver⸗ ſchlukt ſie ſtandhaft, und harrt in ihre Strahlen bllkkend des Todes; bald wird er kommen, und uns zugleich hinuͤber⸗ leiten zum Throne des Allbarmherzigen, der nicht rechten wird mit feinen, Kins dern, die bis zum lezten Augenblikke feis ner Huͤlſe harrten, und, wie ſie nicht erſchlen, ſich ſelbſt retteten, um ſeinen Lohn zu fordern. Merkts euch ja, nicht eher, nicht ſpaͤter! Ich würde zuͤrnen, wenn ich euch ſchon dort traͤfe, ich wuͤr⸗ de zagen, wenn ich euch nicht faͤnde. Zu⸗ gleich! Zugleich! Dies iſt ein ſo lieblicher und erquikkender Gedanke! Und der Wuͤt⸗

terich, wie er toben, wie er raſen wird, wenn er die Martern beginnen, mich zu feinem molläftigen Lager ſchleppen will, euch und mich tod, und auf unſerm blei⸗ chen Geſichte die Wahrheit entdekt, daß das Laſter nicht immer die Tugend befies gen kann. Iſt mein Plan nicht herrlich? Für er eure Erwartung ?

Graf. Er iſt deiner Liebe und Treue wuͤrdig, die ich jenfeits ewig, ewig ehren werde.

Friedrich. Wohl uns, daß wir ſo enden koͤnnen, Dank dir, Freundin, für. deinen Beiſtand und Huͤlfe.

Karoline. Noch eins! Der Tu rann droht zwar erſt Morgen mit eurer

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Qual, mit meinem Opfer, aber damit; er uns nicht in unſrer Sicherheit übern raſcht, nicht uns das einzige Rettungst mittel durch ſtaͤrkere Eile raubt, fo ach⸗ tet meines Raths, und reizt durch län. kere Weigerung feinen Zorn nicht. Ver ſprecht nichts, aber laßt ihn doch hoffen, daß das Beginnen eurer Qual mich in meinem Vorſazze wankend machen wuͤr⸗ de, bedingt euch noch morgen fruͤh eine Utterrezung mit mir, und bittet, daß er mir bis dahin ungeſtoͤrte Einſamkeit zur Ueberlegung goͤnne. (ſeufzend) Ich habe ſie ſo noͤthig, es iſt der lezte Tag meines Lebens, ich muß Doch jenſeits endet aller Sammer! (munter) Ich nehme nicht Ahſchied von dir, von euch! Wir ſehen uns ja bald, recht hald und auf ewig wieder! Dies ſei der Troſt

unſrer lezten Scheidung, ich faſſe ihn, und eile, ihn zu genuͤſſen! (ſie gebt fort; kehrt zuruͤf, und ſinkt weinend in des Grg⸗ fend Arme) Doch! Doch! Leb wohl hie nieden, Inniggeliebter, leb wohl! Sens ſeits! Morgen! Morgen ſehen wir uns wieder! (ſie entreißt ſich ſeinen Armen, und eilt fort |

Man denke fih nun das Gefühl des Geliebten, des theilnehmenden Freundes, man empfinde es, ſo gut man vermag, denn ich kanus nicht ſchildern, nicht durch Worte ausdruͤkken. Sie ſtanden, ſtaun⸗ ten und fühlten noch immer, als der Baſſa wieder ins Gemach trat, und Entſchei— dung forderte. Du goͤnnteſt ihr und uns, ſtammelte der Graf, Zeit zum Entſchluſſe bis morgen, wir hoffen und bitten daher, daß ſie uns werde,

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Baſſa. Es ſei, in ungeſtoͤrter Ein⸗ ſamkeit ſollt ihr bis Morgen euer Schi, ſal uͤberdenken koͤnnen. Auf einer Seite glänzt unbedingte Freiheit und Ruͤkkehr ins Vaterland, auf der andern Seite droht der qualvollſte Ted und am Ende die Gewißheit, daß das Maͤdchen doch in meinen Armen ruhen muß. Ich hoffe, die Wahl ſoll euch nicht ſchwer werden, die Friſt der Gnade iſt verlängert, mor, gen noch koͤnnt ihr zwiſchen Freiheit und Tod, morgen noch kann ſie zwiſchen dem glaͤnzendſten Gluͤkke und der haͤrtſten Tür rannei wählen. Geht, und ſeid weile, wenn ihr wiederkehrt.

Sie eilten haſtig von dannen, um dem Anblikke des Tirannen zu entflichen, aber ſie gingen bald langſamer, und ver⸗

ſanken

ſanken in ihren vorigen Tiefſinn, als der Aufſeher fie empfing, und nach ihrem Gefaͤngniſſe fuͤhrte. Lange ſchon hatte ſich dieſer entfernt, als fie erſt mit ei ander zu ſprechen begannen. Gedanken des Todes, und die nahe Verſtellung deſſelben war der Inhalt ihres Geſpraͤchs. Oft wagten ſies, nach Hofnungsſchimmer umher zu blikken, oft ward in Friedri— chen der Glaube rege, daß eine hoͤhere Macht fie nur prüfe, und Menes noch ihr Schuz und Retter werden wuͤrde, wenn er aber wieder die Umſtaͤnde forgs faͤltiger erwog, da ſank fein Muth, und Vorbereitung zum abgenoͤthigten Selbſt— morde fuͤllte ſein Herz, und ſtimmte es zur Wehmuth. Standhafter als er, be— trug ſich der Graf, die Liebe, welche auch in der Stunde des Todes nicht aus 5. Theil. Bb

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ee a EEE AAA ³A dem Herzen weicht, war feine: Stäzze und maͤchtige Troͤſt rin. Sie konnte ihm hienieden keinen Lohn mehr gewaͤh⸗ ren, aber ſie ſchilderte ihm mit Huͤlfe ihrer Dienerin der Einbildungskraft den jenſeitigen ſo ſchoͤn und reizend, immer⸗ dauernd und nie verſiegend, daß er die Stunde des Todes mit Begierde erwar⸗ tete, fie gerne früher herbeigeruffen haͤt⸗ te, wenn nicht die Geliebte den Augen⸗ blik deſſelben ausdruͤklich beſtimmt hätte.

Als der Abend nahte, forderte Fried⸗ rich das Gift, welches der Graf von Ka olinen empfangen hatte, theilte und prüfte es forgfältig, und ob er gleich nicht faͤhig war, den Namen und die Gattung deſſelben zu beſtimmen, fo ach tete er es doch für den getrokneten Saft

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eines Baumes oder einer Pflanze, mit welchem die wilden Voͤlker ihre Pfeile vergiften. Es iſt ſchnell wuͤrkend, und ſchnell toͤdend, ſprach er zu dem Gra— fen, als er ihm die Haͤlfte deſſelben reichte, und dies war reicher Troſt fuͤr ihn, mußte es auch fuͤr Friedrichen ſein, da er nur zwiſchen der ſanftern und grauſamern Art des Todes waͤhlen konnte, nirgends mehr Rettung erblikte.

Um die Mitternachtsſtunde, als eben ein traumreicher Schlummer ihre Augen ſchloß, raſſelten die Riegel, ſie fuhren erſchrokken empor, und der. Sohn des Baſſa trat mit einer Leuchte in der Hand ein. Wie ich vernommen habe, ſprach er ſanft und laͤchelnd, iſt ſchon der groͤß⸗ te Theil meiner Prophezeiung erfuͤllt

| Bb 2

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worden, morgen müßt ihr entweder die grauſamſten Qualen des bitterften Todes dulden, oder ohne die Geliebte eurer Seele weiter wandeln. Duldet ihr die Qualen auch ſtand haft, fo wird die Uns gluͤkliche doch des grau amen Wolluͤſtlings Opfer, waͤhlt ihr aber die Freiheit, und uͤberredet die Geliebte zur freiwilligen Umarmung, ſo folgt euch doch ihr Fluch, und jede Freude des Lebens wird von euch weichen. Ich hoffe daher, euch wil⸗ liger zu finden, und euern Dank zu ver⸗ dienen, wenn ich euch abermals Rettung biete. Morgen, wenn der Tag beginnt, ſegelt ein europaͤiſches Schif durchs ofne Meer nach den Ufern feines Vaterlan— des zuruͤk ein Plaz für euch und eure Geliebte iſt ſchon beſtellt, der Kapirain wird euch willig aufnehmen, und ſicher

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geleiten. In dieſer Hand erblikt ihr eis nen mit Gold gefuͤllten Beutel, und in dieſer zwei ſcharfe Dolche. Nehmt bei⸗ des, und folgt mir dreuſt, die Wachen ſchlafen feſt, die Verſchnittnen ſind be— ſtochen, ich leite euch zum Lager des ſchlafenden Tirannen, ein muthiger Stoß endet ſein verruchtes Leben, und eure Freiheit beginnt.

Graf Weiche von hinnen, freund— licher Satan, wir werden unſre Seele nie mit Meuchelmord beflekken, fie muß ſchuldlos vor ihrem Richter erſcheinen.

Juͤngling. Ungluͤkliche, bedenkt, was ihr thut. 5

Friedrich. Wir bedenkens, und

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bitten auch dich, ein gleiches zu thun. Vatermord iſt ein ſchrekliches Laſter, Va⸗ termord wird hier ſchreklich beſtraft, und jenſeits nie vergeben, bedenke dies, und vernichte deinen Vorſaz auf immer.

Juͤngling. Ihr wollt alſo nicht nehmen, nicht handeln?

Graf. Nein, wir wollen niht Va⸗ termoͤrder werden.

Juͤngling. So ſei Reue euer Loos, wenn die Huͤlfe unmoͤglich wird.

Friedrich. Sie wird ſich in un⸗ ſerm lezten Augenblikke zum Troſte wan⸗ deln, der uns ſtaͤrken muß.

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Jüngling. Lebt wohl! Es thut meinem Herzen weh, daß ich ſo edle Menſchen nur auf dem Marterblokke wieder ſehen kann, aber euer Starrſinn verdient die Qual. Lebt wohl, und des tet, damit ihr ſtandhaft endet.

Er ging haſtig fort, und die Freun de harrten ungeduldig des kommenden Tages. Die Entſagung der angebotnen Rettung war ihrem Herzen nicht ſchwer geworden. Schwermuth, die oft den Tod fo angenehm, fo wohlthaͤtig ſchil— dert, ihn den einzigen und bewaͤhrten Freund nennt, hatte ſchon feſten Siz in dieſem genommen, er wuͤrkte zauber— ähnlich. auf alle ihre Sinne, er hatte ſich zur Lieblingsidee gewandelt, deren Erfuͤllung ſie mit Begierde entgegen ſa—

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hen. Ihr Ziel glaͤnzte jenſeits, hienie⸗ den war aller Reiz verſchwunden, eine boͤſe That konnte ihm zwar wieder Das ſein geben, aber ſie entfernte vom weit glaͤnzendern Ziele, von immerdauernder Freude und ewiger Gluͤkſeligkeit. Wer je ſich in aͤhnlicher Lage befand, ſchon den Mohſaft der Schwermuth koſtete, wirds billigen, daß die Freunde lieber den Tod, als ſchaͤndliche Rettung waͤhl⸗ ten, indes tauſend andre in ihrer Lage den Tirannen gemordet haͤtten, um ſich und ihre Geliebte zu befreien.

Endlich daͤmmerte der junge Tag in Oſten, und freudige Sehnſucht verbrei⸗ tete ſich auf der bleichen Wange der zum Tode bereiteten Freunde. Ihr Auge ſtarrte nach der nahenden Morgenroͤthe,

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und ihre Hand hielt das Giſt bereit. Auch fie wird gleich uns ſtehen und hars ren! ſprach der Graf im ſchwaͤrmeriſchen Tone, und verſchlukte ſtandhaft das Gift, als der Saum einer Wolke ſich zu roͤthen begann. Friedrich folgte ſeinem Beiſpiele entſchloſſen, und nun wankten beide Hand in Hand nach ihrem Lager, um auf dieſem den Kampf des Todes zu erwarten. Anfangs vertrat die Eins bildungskraft die Wirkung des Giftes, ſie fuͤhlten ihre Glieder erſtarrt, und hoften ohne Schmerzen hinuͤber zu ſchlum⸗ mern, aber bald ſank die Kraft derſel⸗ ben, und ſie ſorſchten aͤngſtlich und wech⸗ ſelſeitig: Ob das Gift noch nicht wuͤr⸗ ke? Ob noch jeder ſeiner Sinne maͤchtig fi? Hoch mehcte ſich ihre Angſt, als die Sonne ſchon am Himmel glaͤnzte,

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und jeder noch immer ſich lebend und ohne loͤdende Würkung fuͤhlte.

Zittern und banges Beben ergrif fie, wie endlich die Riegel raſſelten, ihr Auft ſeher von einer zahlreichen Wache begleis | tet, zu ihnen eintrat, und fie vor das Angeſicht des Baſſa forderte. Verge⸗ bens haften fie, ihre Fuͤſſe würden ihr nen den Beiſtand verfagen, fie konnten leider noch ſtehen, gehen und der Was che folgen, die ſte nun zur Qual oder zum ſchreklichen Opfer fuͤhrte. Sie fan⸗ den niemanden im Saale, wohin man fie leitete, aber bald oͤfnete ſich ein Sei⸗ tengemach, und Karoline wurde von eit nigen Berfihnittnen unterſtuͤzt, hereinge— fuͤhrt. Ihre Schritte glichen dem Wan⸗ ken eines tödlich Vetwundeten, der, ins

dem er ſiakt, noch immer vorwaͤrts ſchrei⸗ ten will. Wir ſind hintergangen, wir find ſchaͤndlich betrogen, rief fie haͤnde⸗ ringend, wie ſie die Freunde erblikte, eben hat es mir die Ungluͤkliche geſtan⸗ den, daß ſie mir, um ſich fuͤr jeder Verantwortung zu ſchuͤzzen, ſtatt des Giftes einen wohlthaͤtigen, ſchmerzſtillen— den Saft reichte, der ſtatt zu toͤden, je- den Theil des Koͤrpers ſtaͤrkt, euch bleibt die Hofnung eines qualvollen, aber doch nahen Todes, aber mein Loos iſt ſchwar⸗ ze Verzweiflung, und ich hoffe zu Gott, daß ſie ſchneller als Gift wuͤrken ſoll. Doch nein, ihr ſollt nicht ſterben, ich will, ich muß euch retten, ich will dem Tirannen ſagen, daß eure Ueberredungs⸗ kraft

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Graf. (unwillig) Schweig, und vo: Bittere mir nicht durch neue Qual die lezten Augenblikke meines Lebens, ich ert rathe deinen Vorſaz, deine ſchrekliche Huͤl⸗ fe. und verachte fie, würde auch dich vers achten

Karoline. Theurer, nicht That nur Verſtellung ſoll dich retten, ſo bald ich euch in Sicherheit weiß

Graf. Willſt du fuͤr uns ſterben? Auch wir wiſſen zu ſterben, und verach⸗ ten eine Rettung, die deine Ehre und meine Liebe toͤdet.

Eben wollte Karoline durch neue Gründe ihren Plan unterſtuͤzzen, als der Baſſa eintrat, ſein grimmiger Blik

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verſcheuchte die Worte, welche eben Karo linens Zunge ausſprechen wollte, fie zit— terte und bebte, und ward auf des Baſ— ſas Wink von den Verſchnittnen nach eis nem andern Gemache gefuͤhrt, nur ihr brechendes Auge vermochte noch zu ſpre— chen, es nahm Abſchied von dem Gelteb⸗ ten, und winkte aufwärts gen Himmel. Der Baſſa ging lange mit in einander ge⸗ ſchlagnen Armen im Saale ſtillſchweigend auf und nieder, die Freunde ſtanden und harrten ihres Todesustheils. Seid ihr, fragte endlich der Baſſa im heftigſten To⸗ ne, zum quafvoliften Tode eutſchleſſen, | oder hat eure Vebervedungskeaft gewuͤrkt, und will ſie freiwillig in meinen Armen ruhen? |

Graf. (ſtandhaft) Wir ſind zum Ip

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de bereit und die Ungläkliche wird eher dieſen, als deine Umarmung wählen.

Baſſa. So eis dann. Euer Ur: theil iſt nun geſprochen, beim. Barte des groſſen Propheten ſchwoͤre ichs, kein Sterb⸗ licher ſolls hindern oder vernichten koͤnnen. (mit vieler Güte) Lebt wohl, einſt ſehen wir uns wahrſcheinlich wieder, und dann koͤnnt ihr vor Gottes Throne Rechenſchaft uͤber dies Urtheil fordern.

Graf. Zittre, wir werdens! Gott iſt ein gerechter Richter!

Baſſa. Das iſt er, aber er iſt auch barmherzig, und feine unendliche Barm⸗ herzigkeit iſt des Suͤnders Stuͤzze.

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Mit diefen Worten verließ er fie, und die Ungluͤklichen harrten zagend der Henker, welche das Urheil zu vollſtrek— ken erſcheinen ſollten, aber ſie erſchienen nicht, und die Furcht des Todes wich eben ſo wenig.

Die Wuͤrkung des Urtheils beginnt.

Endlich öfnete ſich hinter ihnen die This re, und ſechs bewafnete Maͤnner traten ein. Folgt uns, ſorach ihr Fuͤhrer, und die Freunde wankten in ihrer Mitte uͤber die Treppe nach dem Vorhofe. Sie glaub— ten dort die bereitſtehenden Henker zu er⸗

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blikken, und ſenkten abſichtlich ihr Auge, um ſich mit dieſer ſchreklichen Vorſtellung bekannt zu machen, aber bald hob das Wiehern herbeigeführter Roſſe ihr geſenk, tes Auge, ſie ſtaunten, als man ihnen gebot, ſolche zu beſteigen, ſie ſtaunten noch mehr, als der Zug über die herab⸗ gelaßne Zugbruͤkke ins Freie begann. Wohin fuͤhrt man uns? Worauf deutet dieſe Reiſe? fragten ſie unter einander, und bald hernach auch ihre Fuͤhrer, aber keiner antwortete, und der Zug ging doch vorwaͤrts, ſenkte ſich von der Hoͤhe herab nach den Ufern des Meers. Wie ſie die Ebne erreichten, erblikten ſie unter dem Schatten einiger Oehlbaͤume einen Haufen Gewafneter, deren Pferde im nahen Gra fe weideten. Die Gewafneten unterflügs ten einen Juͤngling, der in ihren Armen

lag,

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lag, und mit dem Tode zu kaͤmpfen ſchien. Ungluͤkliche ketten ſich ſo gerne an einander, der Blik der Freunde ruhte alſo auf dem Jünglinge, und wie fie naͤher kamen, ſtuͤrzte der Graf haſtig vom Roſſe, und zu des Janglings Fuͤſ⸗ fen nieder. Meine Karoline, ſchrie er, ich ſehe, ich habe dich wieder, nun kann und fell uns nur der Tod trennen! Der Süngling oͤfnete bei dieſen Wars ten feine Augen, und ſank in des Gras ſens Arme, denn es war wuͤrklich Ka: roline, welche die Verſchnittnen nach ei⸗ nem Gemache geleitet, dort, ungeachtet des heftigſten Widerſtandes, als Mann und mit den nemlichen Kleidern, welche fie auf ihrer Reiſe trug, bekleidet hats ten. Sie ward auf aͤhnliche Art nach dem Vorhofe, und aus dieſem ins Thal 3. Theil. Ce

herabgeleitet, hier hoben ſie ihre Fuͤhrer vom Roſſe, und Karoline kaͤmpfte mit anhaltenden Ohnmachten „weil ſie ihren Geliebten izt in Henkershaͤnden waͤhnte. Ihre Freude, ihn noch lebend wieder zu ſehen, war graͤnzenlos, ſie vergaß die Ungewißheit ihres künftigen Schik, ſals, die Gewißheit naher und neuer Trennung, ſie genoß nur die gegenwaͤrti⸗ gen Augenblikke, und ſtaͤrkte ihre Sinne in dieſem Genuſſe. Keiner der Gegen⸗ waͤrtigen ſtöhrte ihn, ſie wichen vielmehr ſorglos zuruͤt, und goͤnnten den Ungluͤkli⸗ chen ungehindert Gelegenheit, mit einans der zu ſprechen. Eben machte Friedrich die weiſe Anmerkung, daß dem lezten Sons nenblikke, der ſich durch ſchwarze Wolken ſtiehlt, heftiger Sturm folge, als einer der Fuͤhrer herbei trat, und die Gelabten

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zur weitern Reiſe ermahnte. Mit ihm! Nicht ohne ihn! rief Ka oline, und ſchlang ihre Arme um den Nakken des Grafens, aber die Waͤchter entriſſen fie ihrer Stüͤzje, hoben fie aufe Reß und geboten den Freunden, die ihrigen zu beſtei— gen. Sie winkten und ruften Kardlinen das lezte Lebewohl zu, aber es erſtarb auf ihrer Zunge, und neue Freude belebte ihr gepreßtes Herz, als ſie bemerkten, daß Karoline auf gleichem Wege mit ihnen weiter zog, und die Fuͤhrer es nicht bins derten, wie fie ihr zur Seite ritten.

Sie nahten ſich nun dem Ufer des Meers, und bald einer Bucht, in wel cher ein Boot vor Anker lag. Die Neffe ſtanden, die Reiter fliegen ab, und die Fuͤhrer leiteten die Freunde ſamt Karoli⸗

Ce 2

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nen nach dem Boote. Hoch klopfte ihr Herz, und labende Hofnung ſalbte die Wunden deſſelben, als fie im Boote kriſt⸗ liche Matroſen erblikten, und dieſe in frans zoͤſiſcher Sprache fragten: Ob fie nun uns gehindert fort rudern koͤnnten? Die Freun⸗ de vermochten dieſe Frage nicht zu beant⸗ worten, aber einer der Fuͤhrer thats an iht rer Stelle, und wie er mit den ſeinigen das Boot verlaſſen hatte, ruderten die Matroſen ſogleich nach dem Meere. Der Graf hielt feine Karoline am Arme, und Friedrich ſtand ihnen zur Seite, ſprachlos ſtaunten ſie bald nach dem deere, bald nach ihren Fuͤhrern zuruͤk, die ihre Pferde beſtiegen, und ſchnell aus ihren Augen verſchwanden. Der Staunenden Blik war nun ganz auf ihre neuen Fuͤhrer gerichtet, die emſig an der Küſte der Inſel weiter

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ruderten, immer wollten fie fragen, und. immer unterdruͤkten ſie dieſe Frage, weil fie ſich auf dem Meere fo frei und gluͤklich fühlten, und in dem Genuſſe dieſer uners warteten Seligkeit geſtoͤhrt zu werden fuͤrchteten. Endlich ſahen fie die Inſel Dia, auf welcher ſie einſt landeten, vor ſich liegen, der Hafen der ſelben war mit Schiffen bedekt, einige davon ſpannten eben ihre Segel. Der Graf drüfte Kar rolinen inniger an ſein Herz, aber Fried⸗ rich ſchauderte erſchrokken empor. Wie, wenn man, rief er haſtig, uns aufs neue in die Haͤnde des Boͤſewichts lieferte, der uns ſo ſchaͤndlich verkaufte, und nun wahr⸗ ſcheinlich morden wird. Das wird, das wolle Gott verhuͤten, ſeufzte Karoline, und das Boot ſtand am Borde eines ſegelferti⸗ gen Schiffes ſtille. Die Strikleiter ſank

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herab, die Matroſen ermahnten zum Auf ſteigen aber die Freunde zauderten und N überlegten,: ob fies wagen ſollten, endlich | ſtieg Karoline aufwärts, und der Graf folgte nebſt Friedrichen eilend nach, um

in iedem Falle ihre Schuͤzer und Retter

zu werden. Der Schifskapitain, ein Dann, den fie noch nie geſehen hatten, empfing ſie mit vieler Freude. Lange, ſprach er, weht der Wind ſchon guͤnſtig, lange harre ich euer. Haͤtte der Baſſa euch

mir nicht ſo dringend empfohlen, koͤnnte

er mir nicht ſo oft empfindlich ſchaden, ſo

oft vortheilhaſt nuͤgzzen, ich wurde meiner Zuſage vergeſſen haben, und ſchon laͤugſt

in der ofnen See ſeglen. Eile muß ſich

nun verdoppeln, um zu erſezzen, was wir

fo lange harrend verliehren mußten. Tre⸗

tet ein in eure Kajuͤte, euer Gepaͤk wird

497 ſogleich dahin getragen werden; wenn wir in oſner See ſchwimmen, und die entfern⸗ te Gefehr meine Sorgfalt mindert, will ich mich mühen, euch durch meine Gegen— wart die Langeweile der Reiſe zu verkür⸗ zen. Nach dieſen Worten winkte er einis gen Matroſen, welche ſie vom Verdekke nach einer ſchoͤnen Ko; uͤte leiteten, in wel⸗ cher fir alle Bequemlichkeiten fanden wel⸗ che die Seereiſe minder beſchwerlich mas chen können. Still und ſprachlos ſaſſen ſie da, ſtaunten noch immer, weil fir ſtets zur neuen Verwunderung Stof fanden; um vict-3 mehrte ſich dieſe, als bald herz nach die Matroſen zwei groſſe Kiſten her⸗ bei ſchlepten, und Friedrichen fragten: Ob ſonſt noch etwas im Beste vethanden ſei, welches ihnen angehoͤre, und herbei ges ſchaft werden muͤſſe? Da Friedrich es mit

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3 a

einem ſtillen Kopfſchütteln verneinte, fo entfernten ſich die Matroſen, und über lieſſen den Freunden ungehinderte Gelegen heit, ſich ihre Empfindungen mitzuth. it len, aber keine Sprache der Welt war ſa⸗ hig, dieſe auszudruͤkken, ſie waren eben fo groß, ſo unermeßlich, wie die Veräns derung ihres Schikſals. Vor kurzen war der Tod ihr einziges Ziel, durch ſchrekliche Drohungen geaͤngſtigt, durch des Tiran⸗ nen Zotn gequaͤlt, erblikten ſie uberall Henker und Werkzeuge der Quaſen, izt war mit einmal die Furcht des Todes von ihnen gewichen, der Tirann hatte ſie aus ſeiner Gewalt nach einem kriſtlichen Schiffe geſandt, das ſchon, vom Winde getrieben, unter ihnen wankte, und ſie ſtets weiter von ihm entfernte. Karoline hob hoffend und dankend ihre Haͤnde gen

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Himmel, ein Strom von Thraͤnen, der aus ihren Augen quel, ſollte ihr Gefuͤhl, ihren Dank aus druͤlkken, aber der ſorg⸗ ſame Graf mißkannte dies Gefuͤhl, er nahms fir Ausdruk des innern Kum⸗ mers, verſuchte ſeine Geliebte zu troͤ⸗ ſten, und dieſe unterdruͤkte die Thraͤnen, verwiſchte die Spur derſelben auf ihrem holden Angeſichte. Indem ſie aus die: ſer Abſicht ihr Schnupftuch herauszog, fielen zwei zuſammengeknuͤpfte Schluͤſſel auf die Erde, Friedrich hob ſie auf,

blikte nach den vor ihm ſtehenden Kiſten,

wagte einen Verſuch, und die Schloͤſſer wichen. Wie er die Dekken luͤftete, er⸗ grif neues Erſtaunen die Freunde. Die erſte der Kiſten war mit Kleidern und Waͤſche aller Art gefüllt, auf dieſen la⸗ gen drei ſchwere mit Gold gefüllte Baus

tel, jeden derſelben zierte eine Aufſchrift. Der Geliebten! ſtand auf dem groͤßten und ſchweiſten. Dem Geliebten! auf dem mittlern, und auf dem kleinſten: Dem Freunde! Die Aufſchriften waren in arsbifchee Sprache geſchrieben, und wie Friedrich fie las, ſo grif jeder mer chaniſch nach ſeinem Eigenthume, und ließ es wieder beinahe eben ſo ſchnell voll Erſtaunen ſinken. Die andre Kiſte war mit Erfriſchungen aller Art gefuͤllt, nichts war vergeſſen, was man in gluͤk⸗ lichen und widrigen Umſtaͤnden auf eis ner Seereiſe nuͤzzen und fordern konnte. Sie wankten von einer zur andern, ber trachteten bald dieſes, bald jenes, ſahen einander wechſelſeitig an, fragten lange mit Geberden und Mienen, bis endlich Friedeich Luft und Sprache gewann, und

411 —— rs nnre nun die Uebrigen mit feſtem Tone frag te: Wie man dies alles deuten koͤnne, deuten müͤſſe? Durch dieſe Frage ward gun freilich nichts erörtert, denn jeder fragte und ferſchte bald auf die newliche Art, und da jeder nicht antworten konn⸗ te, fo ward die nemliche Frage noch fo lange wiederholt, bis endlich abermals Friedrich ſie durch Muthmaſſungen zu keantworten ſuchte. Meiner Meinung nach, ſprach er, iſt die Wuͤrkung zu ſchnell und wunderbar, als daß ich nicht hoͤhere Macht vermuthen ſollte. Sichen hat dieſe in naͤchtlicher Erſcheinung auf das Herz des Tirannen ſo ſtark und mächtig gewuͤrkt, daß er wider Willen unſre Feſſeln loͤſen, uns Freiheit und Geſchenke ertheilen mußte, da er doch vorher mit Qualen und Tod drohte.

412 ———— ———— ˖—7iv— Noch lebt, noch wuͤrkt Menes, ſo ſehr auch der Schein widerſpricht, immer, ſelbſt in der nahen Todesgefahr baute ich auf ſeine Huͤlfe, und ſiehe, ſie iſt uns worden, vielleicht nur um des Glaus bens willen worden, den ich allein in meinem Herzen pflegts und naͤhrte. Wir derlegt mich, wenn ihrs vermoͤgt, aber ich hoffe, glaube und traue nun 055 und gewiſſer als a N

Triumphirende Freude erbte, ſich auf ſeinem Geſichte, als der Graf mit ſeiner Karoline ſchwieg, und nicht zu ur⸗ theilen wagte, weil ihm und ihr freilich auch alles unbegreiflich ſchien. Indes ſie daruber nachdachten, und die Urſachen der fo wunderbaren Wuͤrkung zu enthuͤl⸗ len ſuchten, ward Friedrich, deſſen Herz

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Gewißheit zu fallen glaubte, munter und thaͤtig, er fühlte: die Betuͤrfniſſe feis nes Körpers, ihm hungerte und durſte⸗ te, er lagerte ſich an der zweiten Kuͤſte, as und trank, und wunderte ſich, als die Uebrigen feine Einladung anzuneh— men weigerten. Ihm war fo wohl, daß er der ſo hart unterdruͤkten Schwaͤrmerei wieder Raum goͤnnen, und ſich unter dem Schuzze eines hoͤhern Weſen vor aller Gefahr geſichert denken konnte. Des Grafens Einwuͤrfe, die nach und nach laut begonnen, ſtoͤhrten fein Gluͤk nicht. Vergebens entgegnete jener, daß Menes hier nicht Retter und Sckuͤzeer fein. könne, weil das ſegelnde Schif fie wahrſcheinlich vom vorgeſchriebnen Ziele entferne, und nach Eurepa ruͤkfuͤhre. Seis, ſptach Friedrich, dann wird dort

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ſchon neuer Ruf unſer harren, dann wird ſich dort die Urſacke leicht enthül⸗ len, warum wir rükwaͤrts gehen muß ten, um wieder vorwärts ſchreiten zu koͤnnen. Vielleicht iſt die heftige Liebe deiner Nimphe die Schuld all unſers Unglurs, ich will fie für keine Trugge— ſtalt⸗achten, aber denke ich ſie mir auch acht und wahr, fo kann doch leicht ihre zu frühe Gegenwart den ganzen Plan geſtöhrt und vernichtet haben. Noch lange ſchwaͤrmte Friedrich in dies ſem Tone fort, aber das verliebte Paar achtete ſeiner Reden nicht, ſuchte viel⸗ mehr durch natuͤrliche Mittel den dichten Schleier des Raͤthſels zu luͤften, und beſckloß aus dieſer Abſicht unbemerkt bei dem Schikskapitaine zu forſchen: Wer Plaz auf feinem Schiffe für fie beſtellt,

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und, wohin er ſie zu führen, den Auf— trag erhalten habe? An der Entſcheidung dieſer lezten Frage hing ihrer Meinung nach auch die Entſcheidung ihres Gluͤk— kes, weil dies ganz weichen wuͤrde und muͤſſe, wenn der Kapjtain ſich vielleicht gegen den Baſſa verbunden habe, ſeine Sklaven auf irgend einer andern Inſel an irgend einen andern Vaſſen abzulie⸗ ſern. Dieſe moͤgliche Vorſtellung qvaͤlte und marterte ſchon ihr Herz maͤchtig, als der Kapitain zu ihnen eintrat. Vergebdt, ſprach er mit freundlichem Blikke, daß ich euch nicht fruͤher bewillkommte, aber ich konnte dieſe angenehme Pflicht nicht eher ers fuͤllen, als bis ich das Schif aus jeder Ge⸗ ſahr gerettet erblikte, bleibt der Wind uns ſo guͤnſtig, ſo wird unſre Fahrt die ange⸗ nehmſte, und die Reiſe ſehr kurz ſein.

416 5 Graf. Nach welchem a ſegelt das Schif eee |

Kapitaln. Seine Ladung 0 Bi Marſeille beſtunmt.

Graf. Werden wir nirgends lan⸗ den? i 70

Kapitain. Wir find mit allen Bes bürfniffen zu dieſer Reiſe verſehen, zwingt uns alſo nicht Sturm und Noth, einen Haſen zu ſuchen, ſo landen wir nirgends.

Graf. (mit freudigerm Tone) Iſt uns fer Reiſegeld bereits bedungen?

Kapitaln. Bedungen und bezahlt mit dem ausdruͤklichen Gebote, nichts mehr

417 . A A mehr anzunehmen, und die Reiſenden mit innigſter Sorgfalt zu geleiten. Sie ſcheinen darüber verwundert? Mir iſts warlich leid, daß ich dieſe Verwunde— rung nicht loͤſen kann, aber unſtreitig muͤſſen ſie ſich den Baſſa durch irgend eine Handlung zum dankbaren Freunde gemacht haben. Geſtern ließ er mich nach ſeinem Schloſſe fordern

Graf. Geſtern? Nach ſeinem Schloſſe?

Kapitain. Ja, und fragte mich:

Ob ich drei feiner innigſten Freunde, die

er dankbar liebe und ehre, bis nach

Marſeille mit mir nehmen, und fie

dort wohlbehalten ans Land ſezzen wol⸗

le? Ich verſprach das erſtere unbedingt, 3. Theil. Dod

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und geſobte das leztere nach meinen Kräften zu erfuͤllen. Er war mit dieſem Verſpre⸗ chen zwar zufrieden, aber er gebot mir noch uͤberdies, euch in Marſeille zu eis nem tuͤrkiſchen Kaufmann, deſſen Namen er mir kund machte, zu fuͤhren, und dort in eurer Gegenwart von ihm ein Zeugniß zu fordern, daß ich euch auf der Reiſe auf das anſtaͤndigſte behandelt, und gluͤklich nach Marſeillens Hafen ges führt hätte. Bringſt du mir, fügte er hinzu, dies Zeugniß bei deiner erſten Ans kunft, ſo will ich dirs nicht allein hoch lohnen, ſondern auch deinen künftigen Handel auf dieſer Inſel mit unumſchraͤnk⸗ ter Freiheit begaben. Sie koͤnnen leicht denken, daß ich ſolch einen groſſen Vor⸗ theil nicht miſſen will, und bitte daher, unbedingt auf meinem Schiffe zu befehs

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len, die mögliche Erfüllung jeder ihrer Wuͤnſche wird ſie dann überzeugen, daß ich mein Verſprechen zu erfuͤllen bemuͤht, und eines guten Zeugniſſes wuͤrdig ſei.

Er wollte noch weiter ſprechen, aber die Matroſen erblikten in der Ferne ein Seegel, kamen es ihm zu melden, und er eilte auf das Verdek, um jede noͤthi⸗ ge Vorſicht zu beobachten. Die Freuns de gewannen indes Zeit, ſich ihre Vers wunderung mitzutheilen. Friedrich war in ſeinem Glauben maͤchtig beſtaͤrkt worden, er behauptete ſteif und feſt, daß Menes unter der Geſtalt des Baſſa mit dem Kapitaine ſprach, ſie durch Blendwerk der Rache des Tirannen entzog, und durch bekoͤrperte Geiſter nach dem Boo— te leitete. Obgleich weder Karoline noch

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der Graf dieſer Deutung beiſtimmten, ſo waren ſie doch nicht vermoͤgend, den Schwaͤrmer durch Gegengruͤnde zu wis derlegen, weil fie ſelbſt nicht fähig was ren, das widerſprechende Betragen des Baſſa zu erklaͤren, der, indes er ihnen mit dem qualvollften Tode drohte, An⸗ ſtalten zu ihrer Freiheit traf. Selbſt der Kapitain konnte bei ſpaͤtrer Unterre⸗ dung kein Licht in dieſer Dunkelheit vers breiten, wiederholte nur immer die auflers ordentliche Sorgfalt, mit welcher der Baſ⸗ fa fie ihm empfohlen hatte. Sie beſchloſ⸗ ſen, den Kapitain nicht zum Vertrauten ihres wunderbaren Schikſals zu machen, und ſtoͤhrten, um ihres eignen Wohls wil⸗ len, den Wahn nicht, der ſie fuͤr geehrte Freunde des maͤchtigen Baſſa nahm. Wind und Wetter ſchien mit gleichem Wahne bes

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gabt zu ſein, und eben ſo ſehr das Gebot des Baſſa zu ehren, denn immer wehte der Wind guͤnſtig, nie truͤbten Ungewit— ter den Horizont, unter welchem fie fegels ten, immer zogen ſie nur in der Ferne vorüber, Ehe fies vermuthen und hoffen konnten, meldete ihnen der ſtets dienſtfer⸗ tige Kapitain, daß man Frankreichs Kuͤſten von ferne erblikke- Sie eilten aufs Vers def, ſahen die Ufer, welche das Meer engten, bald deutlicher, und landeten am andern Morgen gluͤklich in Marſeillens Hafen, den ſie einſt auf die ungluͤklichſte Art verlaſſen hatten.

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Ein Kapitel, in welchem jeder Leſer mehr, als er erwartet,

erfahren wird.

Auch auf dem feſten Lande, welches die Erloͤßten mit innigſtem Freudengefuͤhle be⸗ traten, blieb die Dienſtfertigkeit des Ka⸗ pitains unermüdet, er ſorgte für, eine bequeme Wohnung im ſchoͤnſten Theile des Hafens, er empfahl ſie der Füͤrſor⸗ ge und Unterſtuͤzzung des Eigenthuͤmers aufs dringendſte, und erſchien am an⸗ dern Morgen, um theils ihre neuen Bes fehle zu hoͤren, theils ſie zu bitten, mit ihm zu dem tuͤrkiſchen Kauſmann zu ge

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hen, und dort das verlangte Zeugniß auszuſtellen. Alle fanden ſich zur Erfuͤl— lung ſeiner Bitte bereit und willig, und folgten, wohin er ſie führte. Sie fan⸗ den dort einen ehrwuͤrdigen Greis, wel— chem der Kapitain ein Schreiben uͤber— reichte, welches er vom Baſſa zu Kant dia erhalten hatte. Der Geeis las es mit Ehrfurcht, fragte in eben dieſem Tone die Fremden: Ob ſie dies Zeugnis ausſtellen wollten? und wie ſie die Fra⸗ ge bejahten, ſo ward ein Notar beru⸗ fen, welcher es mit aller erforderlichen Formalitaͤt aufſezzen mußte. Schon hat⸗ ten alle das Zeugniß, ſo wie es der Baſſa in ſeinem Schreiben forderte, mit arabiſchen Buchſtaben unterſchrieben, eine graͤnzenloſe Dankſagung hinzugefuͤgt, und wollten nun vom Greiſe Abſchied neh⸗

men, als dieſer ihnen ein geſiegeltes Schreiben uͤberreichte, welches er als Einſchluß von dem Baſſa erhalten, und, laut ſeinem Auftrage, ihnen beim Ab⸗ ſchiede zu uͤbergeben hatte. Der Graf nahms mit Begierde, und eilte nun mit dem Uebrigen nach ſeiner Wohnung, weil er Aufklaͤrung darinne zu finden hofte, obgleich Friedrich feiner Erwars tung widerſprach. Schnell wurde das Siegel geloͤßt, als ſie ſich allein befan⸗ den, ſchnell begann der Graf laut zu leſen, indes Karoline voll Erwartung und Friedrich mit ſichthater e zuhoͤrte. 5

55 Mauch, gute Kriſten!“ ſo ſtands in arabiſchek Sprache geſchrieben, „nun erſt achte ich es fuͤr die gelegenſte Zeit,

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euch die Urſachen meiner fonderdaren Handlungen zu erklaͤren. Abſichtlich zoͤ— gerte ich ſo lange, um euch Gelegenheit zu gönnen, ſie zu unterſuchen, zu pruͤ⸗ fen, zu forſchen, zu erwägen, zu erklaͤ⸗ ren und zu richten, um euch zu beſchaͤ⸗ men, wenn ihr lieblos urtheiltet, um euch mit Ueberzeugung zu lohnen, wenn ihr die Wahrheit ergruͤndet habt. Hoͤrt meine Erzaͤhlung, und urtheilt dann, wies euch gut duͤnkt.

Friedrich. Er koͤnnte die Erzaͤht lung ganz erſparen, denn ich bin im Voraus uͤberzeugt, daß die wiederholte Erſcheinung des Menes ihn zu einer Handlung zwang, deren Verdienſt er izt gerne ernden moͤchte. Vorige Nacht war einer meiner Träume fo lebhaft, daß

Gr af. Huͤte dich, daß dein Traum dich nicht irre leite und beſchaͤme! Vor allen laß mich aber ungeſtoͤhrt weiter len fen, und urtheile dann erſt: (leſend) „Einer eurer Bruͤder, wahrlich keiner 6 der beſten, und Befehlshaber eines kriſt⸗ lichen Schiffes, trug mir, als er auf meiner Inſel landete, eine reizende Skla⸗ vin zum Verkauſe an, und erbot ſich freiwillig, mir noch überdies zwei ſtar⸗ ke, aber hoͤchſt beruͤchtigte Boͤſewichte als Sklaven unentgeldlich zu uͤberlaſſen, wenn ich den Peeis der erſtein nicht ſchmaͤlern wuͤrde. Ich forſchte nach die⸗ ſem, er war mir, wenn ich jugendliche Schoͤnheit vorausſezte, nicht zu hoch, und ich ging den Preis und Kauf ein, Es iſt moglich, daß ihr, euern Grund ſaͤzzen gemaͤß, Sklavenkauf verabſcheut,

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S

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es als ein ſchwarzes Laſter betrachtet,

aber ich bin nicht in euern Grund ſaͤ en

erzogen, und verehre einen andern Pro⸗ pheten. Der Meinige erlaubt mie, meh: rere Sklavinnen in meinem Harem zu halten, und meine Gaͤrten durch die Haͤnde gefeſſelter Unglaͤubiger zu pflegen. Ich uͤbte alſo eine erlaubte Handlung, als ich die Sklavin und euch kaufte, ich handelte nicht boͤſe, wie ich die erſtere nach meinem Harem und euch zur Ars beit nach dem Garten ſande. Rechtet mit euerm Bruder, wenn er euch unbe— fugt eure Freiheit raubte, und fordert dieſen vors Gerichte, wenn ſeine luͤgen⸗ hafte Zunge euch zu Boͤſewichtern ſelt⸗ ner Art machte. Der rechtmaͤſſige Kauf machte die Sklavin zu meinem Eigen⸗ thume, ich war daher berechtigt, ſie als

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dieſes zu behandeln, und zur Erfuͤllung

meines Willens zu zwingen. Ich geſte⸗

he es euch alſo eben ſo offen, daß mich nur ihre Krankheit an Ausuͤbung meis

nes Rechts hinderte, daß ich es eben,

wie dieſe endete, durch Gewalt zu uͤben beſchloß, als mein Sohn vor mein Las ger trat, und um geneigtes Gehör flehte. Er if ein Juͤngling ſeltner Art, fein Vers ſtand gleicht dem Lichtſtrahl, der durch die kleinſte Oefnung in die Finſterniß dringt, und ſein Herz weiß das Boͤſe vom Guten gleich der Spreu vom Waizen zu ſondern. Oft ſchon gab er mir Gelegenheit, ſeine richtige Beurtheilungskraft zu bewundern, er hat ſie mir auch izt geliefert. Vater, ſprach er mit feſtem Tone, iſts Pflicht, geraubtes Eigenthum dem beraubten Ber ſizzer zuruͤk zu ſtellen? Sie iſts, antworte!

„„

te ich. So ſchenke, entgegnete er, den

Sklaven, welche in deinem Garten arbeis ten, ihre Freiheit, und entlaß das geraub— te Mädchen aus deinem Harem, in wel— chem fie troſtlos jammert. Ich habe ges forſcht, gepruͤft und Wahrheit entdekt. Nicht die Sklaven, ſondern der Kapitain des Schiffes war ein Boͤſewicht ſeltner Art, ihm hatten ſie ſich als freie Reiſende zur Ueberfahrt nach ihrem Vaterlande ver— traut, er verſprach, ſie in die Wohnung des franzoͤſiſchen Konſuls zu leiten, und führte fie liſtig in die Sklaverei. Woullſt du das Verbrechen, welches er beging, fortſezzen, nicht enden? Willſt du ſein Mitgeſelle werden? Ich habe die Erzaͤh— lung ſeiner ſchwarzen Verraͤtherei nicht aus ihrem Munde erfahren. Ein Gries che, der von Alexandrette auf dem nemlis

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chen Schiffe überfhifte), erzaͤhlte mir dies, als ich forſchte, erzählte mir es ohne Ab. ſicht, weil er feſt glaubte, daß die Reiſem den ſich wuͤrklich noch im Haufe des Kom ſuls befaͤnden. Das waͤhnſt du, entgegt | nete ich, weil dein gutes Herz es wuͤnſcht, aber ich kenne die Liſt der Griechen befs fer, er wollte wahrſcheinlich, da dir Guͤ⸗ te und Redlichkeit im Angeſichte leuchtet, ſeine gefeſſelten Brüder durch dieſe eu dichtete Erzaͤhlung retten, mit ihnen die Zahl der Raͤuber vermehren, welche izt die Kuͤſten de Inſel fo unſicher machen. Vater, rief er nun aus, wenn dieſe Sklaven Boͤſewichte, wenn ſie eines Mordes faͤhig find, fo will ich aufhoͤ⸗ ren, die Menſchen kennen zu lernen, fo will ich alle haſſen und verachten. Ich habe in der Nähe und in der Ferne iht

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Angeſicht geprüft, es verkuͤndigt deutlich innre Herzensguͤte und ſchmerzhaftes Ge— fuͤhl uͤber ihr unverdientes Schikſal und den Verluſt ihrer Freiheit. Mit Gewiß— heit kann ich dir hier Prüfung und Pros be bieten, und werden ſie nicht aͤcht be— funden, ſo werde ich meinem Auge und Herzen nie mehr trauen, immer deinen erfahrungsreichen Roth heiſchen, wenns mich irre leiten will.

Ich weigerte, um die Menſchenkennt⸗ niß mit welcher dei Jüngling ſtets prahl— te, zu ergruͤnden, die Probe nicht, und entwarf den Plan ſelbſt dazu; doch muß⸗ te er mir geloben, weil ich ſeinem weis chen Herzen nicht traute, bis zur Vollens dung nicht von meiner Seite zu wei— chen, und mir Gelegenheit zu goͤnnen,

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jedes feiner Worte, welches er mit euch ſprechen wuͤrde, zu belauſchen und zu hören. Er verſprachs und die Probe bes gann. Ich darf fie euch nicht wiederho— len, ihr werdet euch ihrer noch allzuwohl erinnern. Er mußte, indem er uͤberzeugt war, daß ich horchte, mich als den ſchreklichſten Tirannen ſchildern, euch Freis heit und die Rettung der Geliebten vers heiſſen, wenn ihr die Welt von einem Ungeheuer befreien, und mich unter ſei⸗ ner Leitung morden wuͤrdet. Im Pla⸗ ne lag viel reizendes und lokkendes, und ich war uͤberzeugt, daß in eurer Lage, in euerm Zuſtande nur der geprüfte Neds liche, nur der wahrhaft Tugendhafte das ſchwere Verbrechen eines Vatermords evs waͤgen, der Hofnung zur Freiheit, zur Rettung der innig Geliebten entſagen wuͤr⸗

de,

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de, um ſein Gewiſſen nicht mit dieſem zu belaſten. Ihr widerſtandet, ihr kampf tet wakker, und mein Sohn erſchien mit ſolch einem triumphirenden Angeſichte vor mir, daß ich meine allzug oſſe Scham vers bergen, und, um ſie zu mindern, den Plan als unrichtig, und nicht gehoͤrig erwogen, verwerfen mußte. Nicht Redlichkeit und Tugend, ſprach ich, ſondern die Furcht, ob der Mord ge⸗ lingen koͤnne, nicht andre Huͤlfe er— ſcheinen werde, hat fie an der Theil, nahme des Verbrechens gehindert. Wahr— ſcheinlich nahmen ſie uͤberdies deine Erzaͤhlung meiner Laſterthaten nicht fuͤr aͤcht und wahr, weil die ſanfte Behand— lung fie vom Gegentheile uͤberzeugte, waheſcheinlich trauten fie daher auch dei— ner Verheiſſung nicht, und waͤhnten mit 3. Theil. Ee a

Grunde, daß wenn auch du den Mord billigen wuͤrdeſt, meine Getreuen mich boch raͤchen, und ſie ſchreklich morden koͤnnten. So raube ihnen dann, antwor⸗ tete er laͤchelnd, alle dieſe Zweifel , zeige dich ihnen als ein Tirann, drohe mit dem qualvollſten Tode, wenn ſie die Seas vin nicht zur freiwilligen Umarmung bes reden, laß mich dann am Ende, wenn iede Ausſicht einer Huͤlfe flieht, meinen Antrag wiederholen, und ich wollte mei⸗ nen Kopf wetten, ſie werden auch dann noch redlich und tugendhaſt handeln. Um dem kuͤhnen Juͤngling zu trozzen, nahm ich den Vorſchlag an, da ich mich aber in eure Lage verſezte, mein Herz und Gewiſſen pruͤfte, und dieſes mir deutlich verkuͤndigte, daß es bei ſolchen

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Umſtaͤnden den Mord des Wuͤterichs un— geſcheut wagen wuͤrde, ſo beſchloß ich ſchon im Vorans eure unbedingte Frei⸗ heit, wenn ihr auch der Verſuchung un— terliegen wuͤrdet. Ich traf alle Anſtalten dazu, und freute mich ſchon im Voraus euers Erſtaunens, wenn ihr im Augen— blikke des nahen und ſchreklichſten Todes euch frei fühlen und eure Geliebte ges rettet erblikken wuͤrdet. Ihr widerſtan— det doch, und mein verborgnes Auge blikte mit Ehrfurcht auf euch, auf die Unerreichbare, die vermeinten Gift mit euch theilte, um euch von der qualvollen Marter zu befreien, um jenſeits mit euch vereint leben zu koͤnnen. Schon damals würde alle meine Verſtellung geendet has ben, wenn der gutherzige Junge nicht zu ſtark und laut gejubelt hätte, ich wollte Era

436 nn ihn demuͤthigen, und ließ durch ihn den Antrag der Rettung wiederholen, aber ihr verharrtet ſtandhaft und edel, woll⸗ tet lieber ſterben als morden, und der Triumph meines Sohnes blieb entſchieden. Vergebt, verzeihts dem beſorgten Vater, daß er eure Qual, euren Kummer nicht in dieſem Augenblikke endete, ſein Herz heiſchte es, aber die kalte Vernunft ſuchte es zu hindern, weil der entzuͤkte Juͤng⸗ ling Geſinnungen aͤuſſerte, die fein zeits liches Gluͤk und meine kuͤnftige Ruhe ſtoͤhren konnten. Er behauptete dreuſt, daß nur ein Kriſt, getroͤſtet und geſtaͤrkt durch ſeine erhabne Religion, ſo groß und edel handeln koͤnne, er wollte dies durch eure Ausſage beweiſen, und ich mußte jedes Geſpraͤch mit ihm und euch hindern, um ihn in dem Glauben ſeiner

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Vaͤter nicht wankend zu erblikken. Des— wegen verſagte ich ihm ſeine Bitte, des— wegen durfte er, was er fo ſehnlich wuͤnſchte, nicht Verkuͤndiger eurer Frei— heit werden, und ich mußte wider Wils len euch bis am Morgen kaͤmpfen laſſen, weil ich ihn zu uͤberzeugen hofte, daß ihr am Ende doch noch unterliegen wir; det.

Zwar erfolgte nicht, was ich hofte, aber ich verhinderte doch die Unterredung, ließ euch, ehe ers vermuthen konnte, nach dem Hafen leiten, und trat erſt dann mit ihm ans Fenſter, als meine Wache euch bereits abwaͤrts fuͤhrte. Seine Thraͤnen folgten euch reichlich, immer— waͤhrende Achtung und Freundſchaft wird fuͤr euch in ſeinem Herzen wohnen. Nie

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werde ich die edlen Kämpfer vergeſſen, ſprach er oft, und ich hoffe, daß auch ihr ihn nicht vergeſſen werdet, denn er war euer Retter. N

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Uebermaas der Freude toͤdet oft ſchnel⸗ ler als Jammer und Elend, deswegen maͤſſigte ich ſolche weißlich, ließ euch eure Freiheit ahnen, aber nicht als Gewiß⸗ heit verkuͤndigen. Ich hoffe, ihr wers det mir dieſe Vorſicht danken, und mich auch eures Andenkens wuͤrdig finden. Viel wuͤrde ich uͤbrigens darum geben, wenn ich eure Geſpraͤche, eure Muth⸗ maſſungen haͤtte hoͤren koͤnnen, wenn ich wenigſtens izt in eurer Mitte ſtehen, und in euern Augen leſen koͤnnte: Ob ihr mich gerecht und billig beurtheilt, oder die ganze Zeit hindurch als einen wis

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thenden Tirannen verabſcheut habt? Ich verdiente dieſen Lohn, und es waͤre nur billiges Vergeltungsrecht, wenn ich euch be— ſchaͤmt erblikte, da ihr mich fo oft gedes muͤthigt habt. Lebt wohl, lebt in euerm Vaterlande zufrieden und glüklich, und ges denkt, wenn ihr eure freien Haͤnde zu Gott empor hebt, in eurem Gebete des alten Abduls und feines Sohnes Muſtapha.

Groß war des Grafens und Karo— linens Freude, rein und aͤcht Dank und Lob, welches fie anhaltend dem alten Abs dul und ſeinem Sohne zollten. Waͤre der erſtere gegenwaͤrtig geweſen, er wuͤrde bei ihnen nicht den erwarteten Lohn ge ſammlet haben, nur Friedrich haͤtte aus einer andern Urſache Stof dazu geliefert, denn er ſtand wirklich beſchaͤmt und ſtumm

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da, nicht weil er Abduls Großmuch ver⸗ kannt, fanden e das Schreiben all) feinen Glauben, all' feine Hefnung auf den Beiſtand des in vernichtet hat⸗ te. Karoline bemerkte zuerſt feine Bars legenheit, aber ſie war billlg und groß⸗ muͤthig genug, fie nicht zu ruͤgen, ihn nur zur Theilnahme aukzufordern, und dadurch Gelegenheit zu geben, ſie vor dem Grafen verbergen zu koͤnnen Er ſank geruͤhrt in die Arme deſſelben, ge⸗ lobte ernſtiich, ferner kein Wunder zu versmuthen, und bat ihn innig, das Ver⸗ gangne zu vergeſſen, und es ihm zu win; geben, wenn er ihn durch ſeinen Hang zur Schwaͤrmerei zu mancher Handlung uͤberredet, in manches nun gluͤklich uͤber⸗ ſtandnes Ungemach geſtuͤrſt habe. Der Graf, der ſich eben fo wenig rein fuͤhl

er!

——

te, wiederholte bei Friedrichen die nem⸗ liche Bitte, und nun ward der ſeſte Bund geſchloſſen, daß die Gefaͤhrten des Un⸗ gluͤes ſich nie trennen, ſtets als Freunde vereint leben, und im kuͤnftigen Glükke ihre Thorheiten und Schwärmersien ber lachen, aber auch nuͤzzen wollten.

Alle waren izt gleich zufrieden und thaͤtig, ſie entwarfen ein Schreiden an Ab⸗ dul und ſeinen Sohn, lohnten beide mit dem innigſten, heiſſeſten Danke, gelobten den edlen Freiheitsgeber ewig zu ehren, und baten den alten Tuͤrken aufs drin gend te, dieſen Beweiß ihres dankbaren Herzens ja bald und ſicher an den Baſſa abzuſenden. Ext als fie Auſtalten zur Abreiſe nach dem Vaterlande trafen, ge⸗ dachten fie ihres Wohlthaͤters, des alten

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J JE | Jakobs zu Damaskus. Er hatte ihnen Brieſe und Wechſel an einige Kaufleute mitgegeben, mit welchen er in Hand⸗ lungs Verbindungen ſtand, und die, ſei⸗ ner Verſicherung nach, ihre Briefe rich⸗ tig nach Damaskus foͤrdern wuͤrden, aber alle dieſe Briefe waren ein Raub des Böſewichts geworden, der ſie an den Baſſa verkaufte, fie kounten ſich der Na; men dieſer Kaufleute nicht mehr erin⸗ nern, forſchten vergebens bei allen vor⸗ zuͤglichen Kaufleuten Marſeillens: Ob ſie mit dem reichen Halden zu Damaskus in Koreſpondenz ſtaͤnden? Erhielten ſtets verneinende Antwort, und mußten end⸗ lich ihren Brief einem Bankier anvers trauen, der ihn durch den franzoͤſiſchen Konſul daſelbſt ſicher zu beſtellen verſprach, wenn anders dieſer Kaufmann zu Das

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maskus wohne und lebe. Zu mehrerer Sicherheit kopirten ſie dieſen Brief eini⸗ gemal, damit er mit verſchiednen Schiffen abgeſandt werden, und um ſo ſicherer dort eintreffen konnte. Sie berichteten ihrem Wohlthaͤter die ganze Geſchichte ih⸗ res Ungluͤks und Gluͤks, und ſanden ihm die Addreſſe, durch welche ſeine Antwort, der ſie mit Sehnſucht entgegen ſahen, richtig in ihre Haͤnde gelangen wuͤrde.

Die Reiſe nach dem Vater⸗ lande.

Nun feſſelte fie nichts mehr in Maus ſeille, ſie eilten uͤber Lion nach, der

Schweiz, und von da ohne Raſt ins ges liebte Deutſchland, welches ſie einſt im Taumel ihrer Schwärmerei gleichgültig und verachtend verlaffen halten. Oft fans den fie auf dieſer Reiſe Stof, an che malige Begebenheiten ruͤkzudenken, und wenn dann Schamroͤthe ihre Wangen ſaͤrbte, fo verdraͤngte die Vorſtellung kuͤnf⸗ tiger Freuden ſchnell dieſe unangenehme Empfindung. Anfangs wollte der Graf die Sichern auf ſeinen geraubten Guͤtern uͤberraſchen, und zur Verantwortung zie⸗ hen, aber Karolinens wiederholte Vor⸗ ſtellungen, und der Beweiß, daß die dort wirkende VBeſewichte ihm hoͤchſt wahr⸗ ſcheinlich ſchaden wuͤrden, ſchaden muͤßten, bewogen ihn, nach der Hauptſtadt zu ges hen, und dort vor dem Stuhle der Ges vechtigkeit fein geranstes Eigenthum, und

U

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die Strafe der Betruͤger zu heiſchen. Die Geſellſchaft erreichte fie gluͤklich, und alle Bewohner derſelben „welche den Gra— fen ehemals gekannt hatten, ſtaunten, wie fie ihn lebend und geſund erblikten. Aus ihrem Munde erfuhr er nun die Beſtaͤtigung der bereits erzaͤhlten Betruͤ⸗ gerei, und man legte ihm ſogar bei Ge— richte feinen mit allen Ferimalitäten be ſtaͤtigten Todenſchein vor. Freilich wurde dieſer durch feine Gegenwart ganz ents kraͤftet, aber er ſicherte doch auch ſeine raͤuberiſchen Freunde vor ieder Verant, wortung, weil ſie durch ihn zum Beſtz ſeiner Suͤter gelangt waren, und der Graf nicht von ihnen, ſondern von dem Ausſteller des Todenſcheins Erſaz fordern konnte. Ueberdies war der alte Oagkel ſchon geſtorben, und ſein Sohn hatte

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die Erbſchaft mit vollem Rechte angetres ten, mit eben dieſem Rechte To lange ges noſſen, bis der ruͤkkehrende Graf fein Eigenthum zuruͤkforderte. Um dies nun zu heiſchen, und dann des Beſizzers Ber truͤgerei zu erweiſen, ließ der Graf ihn vor Gericht laden, aber er erſchien nicht, ſein böſes Gewiſſen, die Ueberzeugung, daß alles entdekt ſei, jagte ihn uͤber die Graͤnze, und entzog ihm der Rache des Grafens und der ſtrafenden Gerechtigkeit. Er hatte bisher im Ueberfluſſe geſchwelgt, ſeine Unterthanen gequaͤlt und gemartert, izt mußte er, von einem einzigen Die⸗ ner begleitet, fluͤchtig und furchtſam in fremden Laͤndern umherirren, ſuchte ver⸗ gebens Huͤlfe und Schuz bei ſeinen ehe⸗ maligen Freunden, wurde von ihnen vers ſpottet und verachtet, und ſtarb endlich,

von Welluſt und Elend gleich ſtark ents kraͤftet, in einem Hospitale der barmher⸗ zigen Bruͤder.

Groß war die Freude der armen Un⸗ terthanen, als es ihnen kund ward, daß der menſchenfreundliche junge Graf aus fremden Laͤndern lebend ruͤkgekehrt ſei, noch groͤſſer ihr Jubel, als er ſelbſt auf feinen Suͤtern und in ihrer Mitte er—⸗ ſchien. Jeder ſuchte Meikmale feines Vergnuͤgens zu aͤuſſern, nur der alte Ober— amtmann, der Urheber des ganzen Ver⸗ fuͤhrungsplans, lag zaͤhnklappernd auf ſeinem weichen Lager, wuͤnſchte zu flies hen, und konnte nicht fliehen, weil Gicht und Podagra ihn feſſelten, und iede Bewegung ſtreng hinderten. In Angſt und Schrekken harrte er der Dig

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ee

ge, die da kommen wuͤrden, aber der Graf kuͤhlte ſich zu weich, um zu ſtrafen, zu edel, um ſich zu rächen, und gebot nur, daß er aus ſeinem Schloſſe weichen ſollte, wenn feine Krankheit ſich mindere. Doch konnte der ungluͤkliche Verbrecher dies Gebot nur nach feinem Tode erfuͤl⸗ len, die geduldete Angſt wirkte toͤdlich euf feinen entnervten Körper, er ſtarb am dritten Tage, und Karoline ward Mutter der Rn und unverforgs len Kinder.

Schon am achten Tage nach ſeiner Ruͤkkehe auf feine Güter reichte der Graf am Altare Karolinen ſeine Hand, und fie ſank als begluͤkte Gattin in feine Ars | me. Alle Bauern waren zugegen, wie er ſie als dieſe umarmte, und alle hoben

| ihre

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ihre Haͤnde dankend zu Gott empor, weil er ihnen in ihrem neuen Herrn nicht allein einen guͤtigen Vater, ſondern auch durch ihn eine liebevolle Mutter geſchenkt hatte.

Im ganzen Lande gabs nur wenige Ehen, die dieſer an Gluͤkſeeligkeit gli— chen, keine, welche ſie erreichte. Die Liebe der Gluͤklichen ſchien ſich mit ie, dem Tage zu mehren, fie glich der Fruͤh⸗ lingsſonne, die mit iedem neuen Tage mehr Waͤrme und Leben in der Natur verbreitet. Sonſt war das Schloß, in welchem dies gluͤkliche Paar wohnte, der Sammelplaz aller rauſchenden Vergnuͤ⸗ gen, die Wohnung der Wolluſt und Ueppigkeit geweſen, izt hatte haͤußliches Gluͤk, Ruhe, Zufriedenheit und Mens

3. Theil. 5

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. ESEREERMEBFEREN TREE ERUCRETRRHTENGHUNENERRENEUNmEmEU in u, ſchenfreundlichkeit ihren Siz darinne aufs geſchlagen. Alles, was der Graf unter⸗

nahm, ging gluͤklich von ſtatten, feine

Unterthanen wurden von ihm reichlich unterſtuͤzt, bald die reichſten und gluͤk⸗ lichſten Bauern der Gegend, und ihr dankbares Gebet befruchtete in Selder und Wieſen. |

Eben freute er ſich zum erſtenmale eines kuͤnſtigen Erbens, vertraute dem treuen Freunde Friedrich ſein Gluͤk, als ein Wagen im Schloßhofe ſtille ſtand. Er ahnete den Beſuch eines guten Freun des, eilte hinab zum Willkomm, und blieb erſtaunt ſtehen. Bianka, die liſtige Dir⸗ ne, welche ihn einſt zu Marſeille ſo an⸗ haltend äfte, fo taͤuſchend betrog, fo ſchaͤndlich beſtahl und lohnte, ſprang freu⸗

451 denvoll aus dem Wagen heraus, fan ungehindert in ‚feine Arme, nannte ihn Freund und Bruder, und prieß ſich gluͤk⸗ lich, daß nun ihr Leiden ende, weil ſie endlich einen Freund gefunden habe, der fie feines Schuzzes wuͤrdige. Wahrſchein⸗ lich hofte ſie, daß der Graf ihre Theil⸗ nahme am veruͤbten Bubenſtuͤkke noch nicht kenne, oder ſich durch eine neue, erdichtete Erzählung taͤuſchen laſſen wärs de, aber ſie betrog ſich diesmal in ihrer Meinung, der Graf hatte durch die ruͤk⸗ gelaßnen Diener des Grafen Willhelms alles erfahren, er ſtieß ſie mit Abſcheu von ſich, und gebot, ſie nach dem Ge⸗ faͤngniß zu fuͤhren. Sein Gebot ward mit tauſend Freuden erfuͤllt, denn auf dem ganzen Schloſſe war keiner vor han⸗ den, der nicht ehemals, als ſie noch die

Ff 2 ;

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Buhlerin Willhelms war, die Folgen ihr res Uebermuths geduldet haͤtte. Erſt im Gefaͤngniſſe erwog ſie ihre gefaͤhrliche La⸗ ge, und waͤhlte die guͤtige Karoline zu ihrer Fuͤrſprecherin. Sie geſtand ihr wil⸗ lig iede Theilnahme, welche ſie einſt an Graf Willhelms Thaten genommen hat⸗ te, und bekannte eben ſo offenherzig, daß ſie nur aus Noth, weil Graf Willhelm ſie auf ſeiner Flucht ſchaͤndlich verlaſſen habe, ruͤkgekehrt ſei, um vielleicht noch einmal den Grafen zu taͤuſchen, und ſei⸗ ne Guͤte zu mißbrauchen. Da ſie herz⸗ liche Reue aͤuſſerte, und in die Arme ihrer noch lebenden Mutter nach Italien ruͤkzukehren wuͤnſchte, ſo bat Karoline nicht vergebens, der Graf gab ihr hin⸗ laͤngliches Reiſegeld, um ihren guten Endſchtuß zu fördern, aber fie dankte

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nur mit Thraͤnen der Heuchelei, ſpotte⸗ te, wie fie ſich frei fühlte, des wohlthaͤ— tigen Thoren, eilte nach einer beruͤhm; ten Hauptſtadt, froͤhnte wie ehemals der Wolluſt, und ſtarb endlich verlaſſen und elend an den graͤßlichen Folgen einer Krankheit, mit welcher dies Ungeheuer feine eifrigen Diener lohnt.

Friedrich vergaß ſeine Schwaͤrmerei ganz, ward eifrig und thaͤtig, widmete ſich anhaltend dem Studium der Oeko— nomie, und brachte es in dieſer bald ſo weit, daß er ſeinem Freunde thaͤtig nuͤz⸗ te, und von ihm mit einem anſehnlichen Gehalte zum Oberamtmann all ſeiner Guͤter ernannt wurde. Er verwaltete dies Amt treu und klug, aber er ward bald traurig, und endlich wuͤrklich mes

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lancholiſch. Lange forfchte der Graf vers gebens nach der Urſache dieſer Verändern rung, nur mit Mühe oͤfnete er das Herz ſeines Freundes, und nun geſtand 9 er ihm, daß auch er ſeine ehemalige 3 Nimphe nicht vergeſſen könne, fie innig g liebe, und zu ehelichen wuͤnſche. Dieſe Nimphe war, wie ſich meine Leſer noch erinnern werden, eine Tochter des Ober— omtmanns, fie hatte den Betrug im Garten freiwillig mitgendt, war nach der Hand die Frau des verraͤtheriſchen Ber dienten geworden, und lebte izt als Wit⸗

we in einem benachbarten Dorfe elend

und duͤrftig, und nur durch Friedrichs geheime Wohlthaten unterſtuͤzt. Er hat;

te ſie geſehn, geſprochen, ihre Reue auf richtig, ihre Schönheit noch bluͤhender, und fie ganz feiner Liebe werth gefun,

F

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den, aber er ſcheute den Widerſpruch ſei

nes Freundes, die Vorwürfe, welche man ſeiner kuͤnftigen Frau machen koͤnn⸗ te, ſuchte ſeine Liebe zu bekaͤmpfen, und

konnte ſie doch nie uͤberwinden.

Der Graf verſprach nun mit ſeiner Karoline die Geſinnungen der Geliebten genau zu pruͤfen, und faͤnden ſie ſolche aͤcht, feine Liebe nach Kräften zu fürs dern. Minchen beſtand die Probe trefs lich, nur Gehorſam gegen den Vater hatte ſie zu dieſen Verbrechen verleitet, und Noth und Kummer ihre Seele von iedem Flekken gereinigt, ſie ward bald Friedrichs Frau, in der Felge Karoli— nens vertraute Freundin, beglükte ihren Gatten anhaltend, und er lebte in ihren Armen zufrieden und gluͤklich.

456 EN TEN EEE EEE Teaser; Sehnſuchtsvoll harrten die Freunde in der Folge einer Nachricht aus Das maskus entgegen, ſchrieben noch oft Brie fe, und fanden Einladung an die Soͤh⸗ ne des Alten, aber ſie erhielten nie eine Antwort. Nach immer fortgeſezter ges nauer Erkundigung, ward ihnen endlich die unerwartete, ſchrekliche Nachricht, daß, ungefaͤhr ein Jahr nach ihrer Ab⸗ reiſe, zwei maͤchtige Staͤmme der wilde⸗ ſten Araber die friedlichen Bewohner von Damaskus unvermuthet uͤberfallen, einen groſſen Theil derſelben getoͤdet, mehrere gefangen, und, mit geraubten Schaͤzzen beladen, nach der Wuͤſte geſchlept haͤtten. Hoͤchſt wahrſcheinlich, ſchrieb des Gra⸗ fens Korreſpondent, befand ſich unter den erſtern oder leztern die Familie, an welcher ſie ſo viel Theil nehmen, weil

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man mir wiederholt berichtet, daß in dieſer ſchreklichen Zeit der reiche Halden ſamt feinen Söhnen aus Damaskus ver⸗ ſchwand, und ſein Haus ein Raub der Flammen ward. Es waͤre ſchreklich, wenn dieſe Nachricht Wuͤrklichkeit ent hielte, wenn der verehrungswuͤrdige Alte unter den Schwerde der Araber blutete, oder gar als Sklave in ihren Huͤtten verſchmachtete.

Der Graf ließ ihm in feinem Gar ten ein praͤchtiges Denkmal errichten, und ſtiftete von der aͤhnlichen Summe, wel— che er aus feiner wohlthätigen Hand er— halten hatte, ein Hospital, das er Ja⸗ kobs Spital nannte. Bis an fein Ende muͤhte er ſich, beſſere Nachrichten aus Damaskus zu erhalten, aber immer

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blieben fie den erſtern gleich, und nie genoß er das Vergnuͤgen, den Aufent⸗ halt ſeiner Wohlthaͤter zu entdekken.

Ende?

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