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155

. 424

Io Die

Könige der Germanen.

Das Wefen des älteften Königthums der germanifchen Stämme

und

feine Geftjihte bis zut Auflöfung des Gurolingiften Beides,

Nach den Quellen dargeftellt von Felix Dahn. Aicbenter Band. Die Franfen unter den Merovingen. Dritte Abtheilung.

Feipiig, Drud und Verlag von Breitlopf und Härtel 1895.

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Inhalts-Vezzeigniß.

IV. Gerichtshoheit. Gerichtsweſen S. 1—70. I. Allgemeines ©. 1—23. 1. Der Grundſatz des angebornen Rechts ©. 1—16. A. Allgemeines. Berfahren S. 10—13. B. Die einzelnen Rechtsgebiete S. 13—16. I. Strafrecht S. 13—14. 1. Wergeld und Bußen ©. 13—14. 2. Deffentlihe Strafen und deren Abldfung ©. 14. DO. Privatrecht S. 14—16. 1. Vertragsrecht ©. 14—15. 2. Familienrecht ©. 15—16. 3. Sachenrecht ©. 16. 4. Erbrecht ©. 16. Professiones juris ©. 16—19. Rechtlofigleit des Yremben S. 19—20. Die Juden S. 19—20. Mauchfaltigkeit und Einheitlichleit der Rechtsgeftaltung S. 20—23.

D. Die Rechtspflege. Einleitung. Die Grundbegriffe S. 23—28.

II. Bann und Friede tm Befonderen. Dingmwefen. Diugpflicht. Urtheil- findung ©. 28—38,.

IV. Die Gerichte: Arten; Abflufungen; Gemeinfames und Ber- fhiedenes. Insbeſondere das Königsgericht. Der König und die Rechts⸗ pflege &. 38—55.

V. Grundzüge des Verfahrens S. 55—70.

V. Berwaltungshoheit S. 70—178.

VL Finanzhoheit. Finanzweſen S. 79—181.

A. Allgemeines S. 79—89. 1. Römifcher Einfluß. Der Fiscus. Kein Bodenregal &. 79—83. 2. Statsgut glei Königsgnt ©. 83—86. 3. Der Schatz, thesaurus ©. 866—89.

B. Die Einnahmen ©. 89—168. 1. Die Krongüter &. 89-96. 2. Die Steuern ©. 96—129.

IV

I. Allgemeines S. 96—108. a) Das vorgefunbene und beibehaltene Römifhe S. 96—101. b) Stenerliften S. 101—102. e) Steuerbefreiungen S. 103—105. d) Stenerbrud ©. 105—108. IL Steuer-Arten ©. 108—128. a) Die unmittelbaren Steuern ©. 108—118. a) Die Grundfleuer ©. 108—111. 4) Die Kopffteuer ©. 111—115. y) Bejondere Steuern und Abgaben ©. 116—118. b) Die mittelbaren Steuern (Zölle und Gebühren) S. 119—128. a) Allgemeines &. 119—125. PB) Namen und Arten ©. 125—128. 3. Nubbringende Hobeltsrechte S. 129—146. 1. Strafgelder. Confiscation S. 129—135. II Müngboheit ©. 135— 146. 4. Zinſe u. Fronden, Natural-Abgaben u. Natural-teiftungen S. 146—154. 5. Einnahmen aus Hilfsgeldern, Beute, Schakungen, Geſchenken. Andere Einnahmen ©. 154—168. 1. Hilfsgelber S. 154. U. Beute S. 155—156. III. Schatzungen ©. 156—160. IV. Freiwillige, halbfreiwillige Ehrengefchente, zuletzt nicht mehr frei- willige, fonbern rechtsnothwendig gewordne Gaben ©. 160—168. C. Ausgaben ©. 168—175. 1. Berleihungen. Andere Ausgaben ©. 168—175. I. Verleihungen S. 168—173. II. Andere Ausgaben ©. 173—175. D. Sinanz-Beamte Finanz -Mißbräude S. 175—181. VD. Kirchenhoheit. Kirhenwefen S. 182—360. 1. Chlodovechs Zaufe Berbreitung bes Chriftentbums ©. 182—193. II. Statsfirhe. Zwangsglaube Fortdauer von Heidenthum S. 193—215. DI. Rechte des Königs gegenüber ber Kirche ©. 215— 220. IV. Kirhenverfaffung, Rechte und Vorrechte der Kirche und ber Geiftliden ©. 221—342. 1. Die Provinzen und Didcefen. Die Metropoliten ©. 221—230. 2. Die Biſchöfe S. 230—262. a) Beflellung und Abfegung S. 230—242. b) Germaniſche Biichäfe auf ben meroningifchen Concilien S. 243—248. c) Recht und Machtſtellung ©. 248—262. . Die übrigen Geiftlihen ©. 263—269. 4. Geiftlihe Gerichtsbarkeit S. 270—279. a) Gerichtsbarkeit ber Biſchöfe S. 270—271. b) Gerichtsbarkeit Über Geiftlide S. 271—279. 5. Die geiftliche Zuchtgewalt Über Laten &. 279—284.

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V

6. Andere Rechte der Kirche und der Geiſtlichen S. 284—293. 1. Das Kirchenvermögen S. 293—319. 8. Eoncilten S. 319328. 9. Klöfer. Kloſterweſen S. 328—342, V. Berhältnig zum Pabft S. 342—360.

VIII. Gebietshoheit &. 360—362. IX. Bertretungsboheit ©. 363—366. C. Sefammteigenart bes merovingiſchen Stats- und Abnigthums

S.

J.

II.

367—579. Einleitung. Allgemeines. Ueberſicht S. 367—380. 1. Segenfäge und Widerſprüche S. 367—368. 2. Römisches und Germanijches S. 369-—374. 3. Statsredhtliches und Privatrechtiich-Perfünliches S. 374—380. Das Königthbum im Einzelnen S. 381—511. 1. Abfolutismus. Willkür. Milderungen ©. 381—391. a) Allgemeines S. 381—383. b) Der Abſolutismus auf ben einzelnen Gebieten bes Rechtslebens S. 383—389. a) Berorbnung ©. 383. 4) Strafrecht und Strafverfahren S. 384387. y) Berwaltung ©. 387—388. d) Privatreht ©. 388— 389. a) Vermögensreht S. 388. b) Familienrecht ©. 388—389. - c) Erbrecht S. 389. 6) Vertretungshoheit S. 389. c) Milderungen der Willkür ©. 389—391. 2. Zreue-Pflicht und Treue⸗Eid des Volles S. 392—402. a) Die Trene-Pflicht des Volles S. 392—393. b) Der Treue⸗Eid bes Bolles S. 393—400. c) Kein Eid des Könige 400-402. 3. Königefhug und Königsfriede 402—414. a) Allgemeines S. 402—404. b) $rieblofigleit &. 404—405. c) Sermo, verbum regis 405—406. d) Beſouderer Königsſchutz 407—414. a) Allgemeines. Die Perſonen dieſes Schutes S. 407—409. 4) Wirkungen S. 409413. y) Erhöhter Friebe für den König S. 414. 4. Königebann ©. 414—418. 5. Thronfolge S. 418—440. a) Allgemeines. Thronfolgeorbuung. Thronfähigleit S.418—434. b) Formen. NRegierungsantritt S. 434—435. c) Birkungen ©. 435. d) Regierungsfäbigleit S. 436—440. 6. Regentſchaft. Muntſchaft Über den König S. 440—446.

VI

7. Die Reichstheilungen und das Verhältniß der Theilreiche unter

00

10.

einander und zum Gefammtreih ©. 446—478.

a) Die merovingiſchen Reichstheilungen ©. 446—473.

b) Das Berhältniß der Theilreiche unter einander und zu bem Sefammtreih S. 473—478.

. Titel, Tracht und Abzeichen des Könige ©. 478-494.

a) Titel ©. 478—483. b) Tracht und Abzeichen S. 483—494.

. Sof. Palatium S. 494—510.

a) Die Namen ©. 494. b) Die Königsfike S. 494—496. c) Hofbeamte S. 497—503. a. Die Namen ©. 497—499. 8. Einzelne Aemter S. 499-503. d) Höflinge S. 503—506. e) Hof⸗Knaben S. 507—509. f) Außerorbentlih Beauftragte S. 509510. Die Königin S. 510-511.

III. Schranken des Königthums ©. 512572.

1.

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4.

Ueberbleibfel der alten Volksfreiheit. Die Verſammlungen vom Dorfding bis zum Hofgericht und Reichstag S. 512—530.

a) Allgemeines. UWeberfiht &. 512—513.

b) Die Lerfammlungen im Einzelnen ©. 513—517.

c) Heeresverfammlung. Märzfeld ©. 517519.

d) Hof und Reihe-Tage ©. 519-530.

. Der Abel S. 530—537,

a) Allgemeines. Ueberſicht S. 530—531. b) Die ſchädlichen Wirkungen des Dienftabels S. 531—537.

. Die Immunitäten &. 537—570.

a) Allgemeines ©. 537—539.

b) Entfiehung. Inhalt. Rechtseigenart &. 539—554.

c) Verſchiedenheit des Inhalts im Einzelnen. Beſchränktheit und Unbefhränftheit der Immunitäten ©. 555559.

d) Insbeſ. die Gerichtsbarkeit in den Immunitäten ©. 559—567.

e) Die Immunität von Krongut und Gütern bes Weltabels S. 567—568.

f) Rüdblid S. 568—570,

Die Kirche &. 570-572.

IV. Rüdblid ©. 573—579,

1.

Vollsfreiheit ©. 573576.

2. Abſolutismus S. 576—579. Berichtigungen und Nachträge &. 580—581.

IV. Gerichtshoheit. Gerichtsweſen.

I. Allgemeines.

1. Der Grundſatz des angebornen Rechts.

Man) hat neuerdings wieder?) behauptet, erft die Franken hätten das fogenannte „Perfonalitätsprineip”, d. h. ben Grundſatz ber ange⸗ bornen Rechte, aufgebracht, derſelbe fei nicht ur- und nicht gemein- germanifch. Letztere beiden Begriffe find jeboch fcharf zu trennen: urgermanifch war jener Grundſatz nicht, wohl aber, nachdem er, und wo er überhaupt eintreten Tonnte, gemein-germanifch, Teineswegs blos oder auch nur zu früheſt fränkifch.

Urgermanifch konnte er nicht fein: denn urgermanifch war bie Nechtlofigleit des Fremden.

Bon „Widerftreit der Sagungen“ war gar feine Rebe: das Voll fand nie andres Recht als das eigne: das Necht eines Stammes. fremden Tonnte gar nie in Betracht Tommen.

Dies ift aber in alle Wege nicht ver fpätere Landrechts grund«- ſatz, das „Zerritorialprincip*, nach dem Grundſatz: »quidquid in territorio, de territorioe: denn es gab in jener unfeßhaften Urzeit noch gar fein »territorium« d. h. kein dauernd beherrichtes Stats- gebiet. Nur der Volksgenoſſe Stammesgenoffe war rechts» fähig, und fein Recht war eben Volksrecht Stammesrecht.

1) Brunner I. ©. 254. 259 f. Deutſche Rechtsgeſchichte I. 1887.

2) Schon Rogge, das Gerichtsweien der Germanen, hatte ben Grundſatz erft in ben Reichen ver VBöllerwandberung, wenn auch nicht gerade in bem ber Franken, entfteben laſſen: ihm war gefolgt von Savigny, Geichichte bes römifchen Rechtes im Mittelalter, ber aber in ver 2. Ausgabe 1834 I. S. 117 feine Aufftellungen nah 3. Grimm's, Deutſche Rechtsalterthümer 1. Ausgabe 1828 ©. 398 Wiber- ſpruch eingeſchränkt Hat.

Dahn, Könige der Germanen. VII 3. 1

2

Als nun aber zuerft größere Neiche errichtet wurden, in welchen zwar Ein Stamm, ter Reichsgründende, ber vorberrfchende war, eine Anzahl anderer aber keineswegs verknechtet, ſondern als gleichberech- tigte Glieder aufgenommen wurden, da mußten bie Germanen mit begrifflicher Nothwendigkeit von ihrer Grundauffaſſung alles echtes als Genoſſenrechts und alles Gerichts als Genofjengerichts!) zu jenem Sate gelangen.

Iſt das Recht die Ueberzeugung der Lebensgenofien, fo ift ber Stammfremte entweber rechtlos ober, falls er, troß ber Stamm- fremde, nicht ale Stats fremd gilt, eben die Meberzeugung feiner Lebensgenoffen (und die Seine), und nur biefe, ift für ihn verpflichtend: haben die Germanen doch in hochfinniger Weile ſogar auf die nicht zum Bolt zäblenven, des Volksrechts unfähigen Unfreien ben gleichen Gedanken angewendet in Hofrecht und Hofgericht 2).

Dean pflegt anzunehmen, bie erfte Anwendung des Grundjates bes angebornen Rechts fei ven Germanen aufgebrängt worden gegen: über den Römern, bie fie in Gallien und den andern römiſchen Pro- vinzen bei beren Weberlegenbeit an Zahl und Bildung weder hätten ausrotten noch verknechten können. Allein das ift irrig.

Zange vor der Bejekung römischer Provinzen haben bie Ger— manen durch Eroberung große Reiche errichtet: es genügt an Maro- bod und Ermanrich zu erinnern: auch nach Abzug aller römiſch⸗rheto⸗ riſchen Uebertreibung bei jenem und aller jagenhaften bei dieſem, bleibt joviel übrig, daß beide außer über ihre Marlomannen und Oftgoten über zahlreiche germanifche Völkerſchaften fehen wir von den finni- fchen, ſlaviſchen und andern ungermanifchen ab, berrichten, bie fie gewiß weber verfnechteten noch nach markomanniſchem ober oft- gotifchem Necht zu leben zwangen, fondern eben nach wie vor ber Er- oberung nach ihrem angebornen Stammesrecht leben Tiefen.

Auch in dem fchon viel früher von Ariovift errichteten Neich in Gallien lebten Germanen verfchievener Völkerfchaften und Gallier neben einander. So wenig wir von dieſem Furzlebigen „State“ wiflen, es ift wohl ausgefchlofien, vie Kelten, bie keinesfalls verknechtet, nur mit ©eifelftellung, Landabnahme und Schagung belajtet worden waren, nicht nach keltiſchem Recht lebend zu denken: dies begegnet nicht in ihren Klagen bei Caeſar und ebenfowenig ift anzunehmen, Ariovift

1) Urgeſch. I. S. 95, D. Geſch. Ib. 640. 642. 649. 676f. 2) D. ©. Ib. ©. 466. 473. 495. 499. 551. 608.

3

habe bie 320000 Germanen verjchiedenfter Stämme gezwungen, nad feinem wahrjcheinlich markomanniſchen Recht zu leben. Völlig ausgefchloffen tft dies bei denjenigen Germanen, die fchon lange vor Artovift ſich auf dem Tinten Rheinufer nievergelaffen hatten: Triboker, Bangionen, Nemeter: allein auch die aus weiter Berne von ber kimbriſchen Halbinfel her!) zugewanberten Haruden und Sebufier wurden doch ficher nicht gezwungen, nach dem fremden Necht ver inebifchen Marlomannen zu leben: fo dürfen wir auch in biejem früheften uns bezeugten Germanenreich von Angehörigen verfchiepner Völkerſchaften den Grundſatz des angebornen Rechts wenigftens mit Wahricheinlichkeit vermuthen.

Sehen wir aber hiervon ab, auch unter den Germanenreichen der fogenannten Völkerwanderung tft das fränlifche weber das früheſte noch das einzige, das jenen Grundſatz verwendet: er war dem ger- mantichen Rechtsgedanken unausweichbar.

In dem Reiche der Vandalen in Spanien?) (410-428), alfo lange vor Chlogio, Childirich, Chlodovech, Tebten höchſt wahrfchein- fih Alanen (feit 418) mit Römern nach ihrem Necht: jeder Zweifel aber ift ausgefchloffen, daß in deren afritanifchem eich?) vie Römer, jo gut wie gewiß iſt, baß bie unterworfenen Mauruſier nach ihrem Recht lebten. |

In dem Reiche der Weitgoten in Gallien leben feit 416, alſo lange vor Chlodovech ſchon, dann ebenfo in ihrem fpanifchen fett c. 460 die Römer nach römifchen, die Juden nach jübifchem Recht: (erft gegen Ente bes Reiches wurbe die völlig romanifirte Lex Visigo- thorum auch auf die Römer ausgebehnt‘)); das Gleiche gilt fo gut wie zweifellos von ven Nömern im fuebifchen Galläcien>).

In dem Reich Obovalars (feit 476: aljo ebenfalls vor Chlodo⸗ vech) lebten die Römer nach römischen Recht, die germanifchen Söld⸗ ner doch gewiß nicht nach römiſchem, fondern nach tem ihrer meift gotiſchen Stämme®).

In dem Reiche der DOftgoten in Italien leben (jeit 493 alfo gleichzeitig Chlodovech —) die Römer nach römiſchem Recht: wohl

1) D. ©. Ia. ©. 110. 2) Könige I. S. 143. 3) Ebenda ©. 152.

4) Könige V. ©. 196. 6) VI2. ©. 546.

6) Könige II. ©. 37 f.

4

auch die Gepiden nach gepibifchem: denn es ift Ausnahme, daß ihnen das altgermanifche Fehderecht burch das Hierin zwingenve öffentliche oftgotifche Neichsrecht entzogen!) wird; ferner fuhren ohne Zweifel tie von Theoberih aufgenommenen Alamannen?) fort, nach ihrem Necht zu leben, ta wir fie in biefem nach 536 und in aller Folgezeit, ja fo- gar bie für fich abgejchloffen Lebenden Rugier?) in Italien nad rugiſchem antreffen.

Nur die beiden Inappen Edicte der Könige Theoderich und Atha- larich jollten in allen rein gotifchen, rein römiſchen und gemifchten Fällen als oftgotifches NReichsrecht angewendet werden: fie ſind völlig romanifirt 9).

In dein Reich der Burgunden 443 (alfo lange vor Chlobo- vech) Lebten bie Nömer nach römischen, bie Burgunden nach bur- gundifchem Recht: nur foweit die ftarf romanifirte Lex Burgundio- num Beftimmungen enthielt, follte diefe, in gemiſchten Fällen, auch auf Römer angewendet werten, aljo als Reichsrecht, wie bie oftgotifchen Edicte: in rein römischen Fällen lebten die Römer nach ver Lex Romana Burgundionum ).

In dem Reiche der Langobarven in Italien‘) feit 568 (alfo allerdings nach Chlodovech) gelten Grundſätze, die doch gewiß nicht aus dem Frankenrecht entlehnt find: gegen folche Herübernahme Tpricht nicht nur das gleich von Anfang feinpliche Verhältniß beiter Neiche”), stärker noch die erhebliche Abweichung. Denn in dem Langobarben- reich finden wir eine merfwürbige Webergangsftufe zwiichen dem alten urgermanifchen Recht und dem Grundjag bes angebornen Rechts.

Gegenüber Langobarden und Römern gilt von Anfang an wie in all biefen Reihen ver Grundſatz des angebornen Rechts: da- gegen für Angehörige anderer Völker hat das rauhere Necht der Lang⸗ bärte den alten Grundſatz ber Nechtlofigkeit des Fremden noch geraume Zeit wenigftens als Regel feitgehalten: ver »warlg)gangus« ift rechtlos: nur der König fann ihn fchügen, und bann ift e8 eben Sache des Königs, dabei zu beftimmen, ob der Schügling nach feinem angebornen

1) Könige DI. ©. 24. 29.

2) D. 6.1 ©. 76. 117f.

3) Könige U. ©. 227.

4) Könige IV. ©. 137.

5) Urgeſch. IV. ©. 116.

6) Urgefch. IV. ©. 189.

7) Urgeſch. III. ©. 146. IV. ©. 214.

5

oder nach des Königs (— langobardiſchem —) Recht zu leben hat. Es iſt noch durchaus nicht beachtet, daß dieſer Abweichung vom frän⸗ fiichen Recht und ber Feſthaltung der alten NRechtlofigleit des Fremden (abgefehen von ben Römern) die ganz verfchievene Stellung folcher Fremder im Langobardenreih zu Grunde lag: biefe waren hier wirf- lich »warlg)gangi« d.h. dem Reiche nicht angehörige „Wolf8"-, (Fremd)⸗ gänger: denn außer Langobarden und Römern lebte Tein felbftändiger geichloffener ?) Stamm in viefem Reich: anders im Stat der Mero- vingen, wo (außer Franken und Römern) Goten, Burgunden, Kelten und alle rechtsrheinifhen Germanen in Frage kamen: nur für biefe Reichsangehörigen aber galt im Merovingenftat ver Grund» fat des angebornen Rechts, nicht für andere Fremde, die ver- einzelt in das Reich aclangten: alfo nicht 3. B. für Juden, für Lan- gobarven, für Römer aus Italien ober Byzanz, für Angelfachien, * für Slaven und Aoaren: es beftand alfo genau befehen im Lango- barden- und im Frankenreich der gleiche Grundſatz: Rechtloſigkeit ber Neichsfremden (abgefehen von Gefandten), Schu des ange- bornen Rechts blos für veich8angehörige Stammfremte: nur daß die Anwendung jenes Grundfates im Franlenreich mit feinen 13 Arten (Salier, Uferfranten, Chamaven, Kelten, Römer, Bur- gunven, Goten, Heſſen, Alamannen, Baiern, Thüringe, Friſen, Sachſen) verſchiedenſtämmiger Neichsangehöriger fich anders geftaltete al® bei ven Langobarden, bie nur noch Römer als Reichsangehörige zählen: die mit eingewanberten Sachſen zogen bald wieder ab: wie man zu erflären pflegt, weil ihnen die Langobarden nicht verftattet hätten, untereinander (und in Mifchfällen) nah „Sachlenrecht” zu leben: allein welchen Grund zu fol gehäſſigem Verbot hätten die Langobarven gehabt? Weßhalb follten fie ihren germaniichen Mitfiegern verweigert haben, was fte den befiegten und anfangs fo hart behandelten Römern vergönnten? Bielmehr ift zu vermutben, weil fie den Sachjen nicht verftatteten, unabhängig von dem Lango- bardenkönig einen Sonverftat zu bilden. Daß die Worte des Pau- us?) dies in feiner Redeweiſe bebeuten können, nicht nothwendig

1) Denn die Urgeſch. IV. S. 206 angeführten Spiitter fremder Böller fommen nicht in Betracht, und die Sachen zogen fchon a. 572 ab.

2) Historia Langobardorum ed. Waits II. 6. Certum est autem, hos Saxones ideo ad Italiam cum uxoribus et parvulis advenisse, ut in ea habi- tare deberent; sed quantum datur intellegi, noluerunt Langobardorum im-

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in jenem, allerdings bem Buchſtaben mehr entiprechenten Sinne gebeutet werben müffen, ſteht feit: dann würde aber doch Alles eher iprechen für diefe als für die herrichende Deutung !).

Auch bei Baiern und Alamannen lebten die Römer, folang und wo fie fich in größeren Maffen erhalten hatten, wie 3. B. in Grau» bünden, nach römiſchem Recht?). Es ift aber ganz unmöglich, anzu⸗ nehmen, das fei ein erft durch die Franken eingeführter Zuftand: glaubt man, die Römer hätten feit der alamannifchen Eroberung (fchon unter Gallienus! c. 258) unb ber markomanniſchen Einwanderung (c. 490— 500) unter alamanniſchem und markomanniſchem echte gelebt und erjt durch bie Franken die dazu doch wahrlich keinen Grund gehabt Hätten! jet ihnen plöglich nach etwa zweihundert- breißig und nach 60 Jahren ihr römifches Necht wieder von den Todten auferwect und zum Gefchen? gemacht worden? Die Franken ließen vielmehr in Alamannien und Baiern wie das meifte Vorgefundene*® jo auch ben vorgefundenen Grundſatz der angebornen Rechte einfach fort beftehen, führten ihn nicht erit ein.

Was endlih die Franken felbit anlangt, fo haben ihre Könige ganz wie die Langobarden Neichsfremde (abgejehen von Ge- fandten) als rechtlofe angeſehen oder aus freier Wahl ihnen ben bejonderen Königsſchutz gewährt und hiebei dann entweder fie nach dem angebornen Recht ober nach dem des Königs (ebenjo wie vom König geftiftete Klöfter) leben Laffen: den Juden haben fie immer nur aus Gnade, nicht kraft eines Rechts ter Juden hierauf, wie es bie Römer auf ihr römijches Necht hatten wie es fcheint, in rein jüdifchen Fällen nach jüdiſchem Recht zu leben verftattet.

Bei den Nordgermanen galt bis in fpäte Zeit in gewiſſem Sinne bie Nechtlofigleit des Reichsfremden (freilich auch manche Ausnahme zu Gunften gleichiprachiger) : wenigftens wird noch nach Weftgotalag (mandr. 9) der Todtſchläger eines folchen weder friedlos noch land⸗

periis subjacere: das geht nur anf ftatsrechtliche Unterorbnung. Nun fährt Paulus fort: sed neque eis a Langobardis permissum est, in proprio jure subsistere ideoque aestimantur ad suam patriam repedasse: das kaun zwar auf die Frage des Wiberftreits ber Sayungen bezogen werben, allein nad bem Vorausgegangenen liegt die ſprachlich ebenfalla mögliche Ueberfegung näher: „anbrer- feits wollten ihnen aber aud die Langobarben nicht verflatten, im ſelbſtändiger Rechtftellung zu verharren: in praprio jure: ganz gleih dv auzorouie.

1) Der ich ſelbſt früher folgte Urgeſch. IV. ©. 211.

2) ©. die Beläge Urgeſch. IV. S. 92.

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flüchtig noch ättarbot- pflichtig.. Wie es in ben norbgermanifchen Neihen mehrfacher Stämme ftand, ift ſchwer zu ſagen 1).

Dei den Angelfachjen in England galt zweifellos der Grundſatz ber angebornen ‚Rechte für die Dänen, höchſt wahrfcheinlich aber auch (im Anfang) für Angeln, Sachſen und Jüten, bie in einem fremd- ftammigen Stat, 3. B. aljo Oftfachfen, bie in Weſſer lebten. Freie Römer blieben wohl nicht auf der Infel übrig. Wohl aber fcheint auch für die unterworfnen Kelten, die in fehr erheblicher Zahl frei blieben, jener Grundſatz angewendet worden zu fein: baß fie fpäter ein Wergeld erhielten, beweift das Gegentheil durchaus nicht, wie das bem Römer im Frankenreich beigelegte Wergeld zeigt, der im Uebrigen gleichwohl unzweifelhaft nach römiſchem Necht lebte. Andere Anhalts⸗ punkte in den angeljächfiichen Quellen fehlen gänzlih. Ohne Zweifel üben die Oftfachfen in England Stranvrecht gegen Schiffbrüchige und Wrad im Yahre 6772).

Terner ift zu erinnern, baß der Kirche und ben einzelnen Geift- lichen gegenüber im Frankenreich (aber auch im Vandalen⸗, Oft- und Weftgoten-, Burgunden-, Langobarben-Reich, ebenfo bei Alamannen und Baiern, d. 5. alfo überall wo es überhaupt katholiſche ober ari⸗ anifche Kirchen gab) von den Germanen ver gleihe Grundſatz ange- wenbet wurbe und zwar fogar noch von heidniſchen Franken und Langobarden (Alamannen und Baiern?) gegenüber chriftlichen, von arinnischen Germanen gegenüber Tatholiichen wie arianiſchen (abgefehen von Zeiten der Verfolgung, in denen aber Rechtloſigkeit der verfolgten Kirche doch auch Teineswegs ausgefprochen wurbe), von katholiſchen gegenüber arinnifchen und Tatholifchen Kirchen und Geiftlichen. Im erfter Reihe ließen fie die Kirchen nach ihrem „perjönlichen” Sonber- vecht, d. 5. dem Tanonifchen, leben, in zweiter nach römifchenm und zwar nicht aus Rathlofigkeit, ſondern aus obigem Grundſatz: »ecclesia est Romana, vivit (secundum) legem Romanam«°). ‘Die einzel» nen Geiftlichen lebten in aM diefen Reichen in erfter Reihe nach ihrem befonderen Standesrecht, dem kanoniſchen, in zweiter aber nicht, wie

1) Bgl. Wilda, das Strafrecht der Germanen ©. 672, von Amira, Pauls Grundriß ber germantichen Philologie IL. ©. 124, Kenfer, effterladte skrifter U. 1 ©. 298. Konrad von Maurer jchreibt mir gütig durch Oskar Brenner (Münden unterm 2. VI. 90 nnd 3. VII. 90): „mehr als bei Wilda verzeichnet ſteht, iR vom Norden nicht befaunt.“

2) Urgeſch. III. S. 708 f.

3) Lex Rib. 58, 1.

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man früher meinte!), von Anfang an nach römiſchem Recht, fondern gemäß dem auch auf fie angewenbeten Grunbfag nach ihrem ange bornen Stammesreht, ausgenommen im Nangobarbenreich, weil bier (anfangs) alle Geiftlichen Römer gewejen waren: nachdem nun zuerft in Italien die Geiftlihen (in zweiter Reihe) nach römiſchem Necht gelebt hatten, dies aber durch das Frankenrecht erichüttert wor- ben war, ſetzte die Kirche erft nach?) Gregor VII. dieſen Grundſatz durch: ein bedeutungsſchweres Stegeszeichen des bilbebrandifchen Geiftes —: es jollte männiglich zum Bewußtfein gebracht werben, daß die römifche Priefterweihe an dem Menfchen von feiner angebornen Natur und Vollesart nichts mehr übrig läßt.

Betrachten wir nun das Necht im Frankenreich im Einzelnen.

Man?) meint, der fragliche Grundſatz, von Anfang an nicht im fränfifchen Reiche vorhanden, fei nur ausgebildet worten, den Saliern den Genuß ihres Stammesrechts in ben verſchiedenen Rechtsgebieten zu verichaffen, über welche fie fich verbreitet hatten, und dann babe man, um ber Gegenfeitigleit willen, ven andern Stämmen das Gleiche gewähren müfjen: wir fahen aber, die andern Weiche, in welchen jener Beweggrund ganz fehlte, baben fehr lange vor umd gleichzeitig mit und unabhängig von ten Franken das Gleiche gethan.

Nachdem überhaupt einmal der Grundſatz der Nechtlofigkeit des Stammfremben, der ausfchließenden Geltung des Nechtes des Stammes in feinem Gebiet aufgegeben war, Tonnte man, wie wir faben (oben ©. 2), nach ver germanifchen Grundauffaſſung vom Recht ale Ge- noffenrecht zu anderem Ergebniß gar nicht gelangen: ver Stammfremde mußte vechtlo8 fein oder nach feinem Stammesrecht leben.

Das galt aber vor Allem nicht von ben herrfchenden Saliern, fondern eben von den Römern, die als gleichberechtigte Glieder des States aufgenommen wurden. Dadurch daß die Römer zunächft allein genannt werden, es war eben ver thatfächlich weitaus wichtigfte Tall‘), fo wichtig, daß er von 600—7685) immer wieber einge.

1) Bon jeher lehrte ich fo gegen bie herrſchende Meinung; jetzt auch Löning II. ©. 286, Brunner I. ©. 269.

2) Schon früher wieder in Stalten, |. Langobarben.

3) Brunner I. ©. 260; über ven gleichen Grundſatz bei den Römern Wlafjal, römifche Proceßgeſetze LI. ©. 159.

4) Chlothach. II. praeceptio e. 4 Cap. I. p. 19 inter Romanus negutia causarum romanis legebus praecepemus terminari.

5) Pippini Capit. Aquitanicum 768 c. 10 Cap. I. 43.

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Ihärft wird darf man fich nicht zu ber Annahme verleiten laffen, ber Grundſatz Babe nur für vie Römer gegolten. Auch pas Bur- gundenrecht führt nur die Römer an, und doch wilfen wirt), daß außer dem burgunbifchen und römifchen noch gar viele andere Rechte im ehemaligen Königreich Burgund galten. Nun war aber dies Ge⸗ biet einfach fränkiſche Provinz, und jene Erfcheinung war nicht bejon- ders burgunbifch, ſondern Folge des gemein-fränkifchen, ja jet fchon lange gemein-germanifchen Grundſatzes?).

Richtig ift: die Lex Salica fpricht jenen Grundfag nicht aus?): - aber nicht deßhalb, weil er nicht gegolten hätte, fondern weil dieſe ja keineswegs erfchöpfende Aufzeichnung die Trage überhaupt nicht be- handelt: denn ebenfowenig enthält fie irgend etwas, was für bas Zerritorialprincip fpräche.

Durchaus nicht darf man!) die Zufäge einer alten Hanpfchrift >), wonach der Römer dem falifchen Beweisrecht unterworfen wird, hiefür anführen. Hier wird nur ausnahmsweife der Römer zum Unfchulds- und Eidhelfereid zugelaffen, bei der Raubklage eines Saliers: das war eine Vergünftigung, die in einem Mifchfal in rein römiſchen Fällen barf der Römer nicht zu biefem erwünfchten Beweismittel greifen! dem Römer um ber Billigfeit willen eingeräumt wird, da fonft der- felbe bei Umkehrung ver Parteiftellung im Vergleich mit dem Salier all zu übel daran gewefen wäre: wie ja auch der zweifellos nach römischen Recht lebende Römer des Uferfrantenrechts aus dem gleichen Grunde ber billigen Gleichſtellung ausnahmsweife in ein andres wichtiges Stüd germanischen Rechts eintreten darf: in das Wergeld. Es ift alfo mit nichten anzunehmen, daß das Uferfrantenrecht®) jenen Sat, ber ja dann eine grundftürzende Neuerung gewejen wäre, nur jo nebenher plöglich eingeführt hätte. Auch würbe pas ja nur für bie Ufer- franten gewirkt haben: worauf follte denn dann bie fpätere zweifellofe Geltung auch im Gebiet des falifchen Rechts zurüdgeführt werben? Die Lex Ribuaria bat vielmehr nur ausgefprochen und auf einzelne Fälle ausprüdlich angewendet, was fchon vorher falifches und ufer-

1) Durch Agobarb von Lyon f. unten. Liber in legem Gundobadam Mon. Germ. hist. Legg. III. c. 4 p. 504.

2) Genaueres über das fpätere Fremdenrecht |. Karolinger.

3) Brunner I. ©. 260.

4) Mit Brunner a. a. O.

5) Der Wolffenbüttelfchen ed. Heflele Cop. 2 XIV. 2, Spalte 83.

6) 31, 3. 4. 61, 2.

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fränkiſches, überhaupt fränkifches Neichsrecht war in Anwendung auf alle reichsangehörigen Stämme, ausgenommen (von Anfang) bie Juden und (fpäter) die Slaven: vie Kelten in ver Bretagne lebten wohl nach feltifchem Necht, zweifellos in vein keltiſchen Fällen (was ja fogar den Juden in rein jüdiſchen verftattet ward) !), obzwar ein beftimmtes Zeugniß fehlt. Nach Einverleibung ber Langobarden lebten dieſe auch nördlich der Alpen nad Langobardenrecht?). In gemifchten Fällen?) galten die folgenden Grunbfäge:

A. Allgemeines. Verfahren.

ever vertheidigt fich im bürgerlichen und im Strafverfahren zunächft und regelmäßig nach feinem Recht. Sagt aber Lex Rib. 31, 3 in judicio interpellatus sicut lex loci continet ubi natus fuit sic respondeat; jo ift biefer Ausdruck ungenau: er fett nur voraus, daß ber Vater ehelicher Kinder dem Stamm angeböre, deſſen Recht an dem Geburtsort des Kindes gilt: aber der in Köln ge- borne Ehe-Sohn eines Römers lebte nicht nach uferfränliichen, ſon⸗ dern nah römiſchem Net‘). Ja, da Eidhelfer für Freiheit und Erbe in der Heimat am ficherften und leichteften zu finden waren, fonnte der bierüber auswärts Belangte verlangen, in feiner Heimat ſchwören zu dürfen >).

Dur ſtammfremde Zeugen allein Tonnte ver Beklagte nicht über- führt werben, mindeftens Ein Stammgenofje beffelben mußte unter jenen Zeugen fein: eine ſtarke Bethätigung des Gedankens des Genoffengerihts‘). ‘Daran nüpfte wohl auch, aber freilich mehr noch an den falfehen Vorwurf, den Juden veritatte ihr Geſetz Meineid wider Nicht-Iuten, das noch ſpät im Mittelalter geltende Verbot, Chriften durch nur jüdiſche Zeugen überführen zu laffen.

1) ©. dieſe.

2) Bon v. Savigny I. S. 120 verneint, von Waitz mit Hecht, aber ohne Belag bejaht und num von Brunner a. a. DO. durch ein Beiſpiel bewiefen. Klein⸗ mayer, Juvavia, Urkunden p. 257, allerdings erſt vom Sabre 1058: aber bier beweift je Späteres befto mehr.

3) D. ©. Ib. ©. 552—555, Urgeſch. IV. ©. 39.

4) Richtig das Capit. Pippins von 790 c.4 I. p. 101, de vero statu in- genuitatis aut aliis quaerelis unusquisque secundum suam legem se ipsum defendat.

5) Cap. leg. add. v. 816 c. 2 I. p. 268.

6) Agobard. liber in Leg. Gundob. c.4 Leg. III. p. 504.

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Daher darf der Erwerber von Liegenichaften fordern, daß ber Beränßerer Zeugen feines Stammesrechts zuziehe, auf daß er nöthigen- falls deren Zeugniß wider fich gelten laſſen muß, nur im Nothfall andere !).

Daher legte man auch bei den Richtern Werth darauf, baß fie jelbft nach dem Nechte lebten, das fie meiftens in ihrem Gerichts⸗ iprengel anzuwenven hatten: wieder eine ſtarke WBethätigung bes Gedankens des Genoſſen⸗Rechts und »Gerichts. Daher verlangte man auch gerade von Nichtern »confessiones juris«?). Ganz unbegreif- (ich ift e8 aber, wie man?) biefen Gedanken dahin verunftaltenn in fein Gegentheil verfehren Tann, ver Richter habe ftets nach feinem perſönlichen Rechte gerichtet, zumal auch gebannt. Das verftößt auf das Allerärgfte wider den Grundgedanken germanifchen Nechts. Jenes fchöne Weisthum, welches gebietet, demjenigen neuen Richter mit den Waffen von der Gaugränze abzuwehren, ver auf bie Frage, welches Rechtes er walten wolle, folches, das er finde, oder folches, das er bringe? antworte: „ſolches, das er bringe“, ift dann Unfinn. Und Unſinn ift dann auch, daß der Richter bei ſchwerſter Strafe ange- wiefen wird, jeden nach deſſen perfönlichem Necht zu behanveln. Wird bier der fonft anerkannte?) Grundſatz der angebornen Rechte plößlich vergefien?_ Ober hatte ver Richter das angeborne Recht, nach feinem Recht zu richten? Jene Behauptung verftößt auf das Schlimmite gegen Buchftaben und Geiſt des germanifchen Nechtes5).

1) Cap. leg. addend. v. 818/9 c. 6 I. p. 182 adhibeat ... vel de suis pagensibus vel de aliis qui eadem lege vivant (wie der Beräußerer).

2) S. unten.

3) Sohm S. 173 f.; über Genofjengericht bei den Römern Wlaſſak a. a. O. &. 208. 210. 214. 4) Auch von Sohm.

5) Mit Hecht bezeichnet es Brunner I. ©. 264 als undenkbar, daß ein Frauke als Graf in Alamannien uach feinem fränkiſchen Hecht mit 13 ftatt nach alaman- niſchem mit 5 sol. gebannt habe, und mit Grund frägt er: „und mit wie viel hätte ein Graf gebannt, ber nad römiſchem Recht lebte?" So gelangt man anf den glänzendſten Wegen und mit ben glänzendſten Mitteln zuweilen zu ben allergrößten SIrrtblimern. Cap. mies. spec. oc. 48 I. p. 104 iſt (auch ohne v. Bethmann⸗Hollwegs V. S. 75 gewaltfame Aenderung) keine Stüge für jene Unmöglichkeit: der König will nur hienach bie Richter für bie verfchiebnen Hechts- gebiete wählen: nach Thunlichkeit: wir finden Salier überall als Richter: follen diefe vielleicht Römer in Benevent nah falifchem Recht gerichtet Haben? Im c. 57 L c. banni, quos comites et judices faciunt, secundum legem unius- cujusque componantur iſt unusquisque ja doch ber zu Bannenbe, nicht ber Richter.

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Welch heilloſe Rechtsverwirrung, welche Unficherheit mußte ent- . ftehen, wenn in einem alamanniſchen Gau hintereinander ein Alamanne, Baier, Römer, Salier, Uferfrante, Thüring richtete! Wozu dann noch das Stammesrecht jedes Stammes fo eiferfüchtig auf ber Dingftätte feftftellen? Die Leute lebten ja kann in Alamannien nach allen mög- (then Rechten, und der alamannifche Graf, der in Spoleto alaman- niſches Recht ſprach, wußte am Ende gar nicht mehr, was einftweilen in Alamannien eingeführt war! Auch Tonnte hienach ber König alle außerfränkiihen Stammesrechte außer Kraft fegen, indem er nur Franken zu Richtern beftellte; auch das römiſche Recht hätte er auf biefem einfachen Weg einführen können !

Ehefrauen traten, falls der Bräutigam die Muntfchaft erworben hatte, in das Necht ihres Mannes, andernfalls verblieben fie wie in Muntichaft jo im Necht ihres Muntwalts!).

Die Wittwe blieb in Necht und Muntjchaft der Sippe ihres Mannes 2).

Dei Ehelindern war maßgebend das Stammesrecht des Vaters, bei unehelichen der Mutter: das hätte auch bei Ehebruchkintern gelten müſſen: (diefe wurden urfprünglich in heibnifcher Zeit vielleicht getötet ?), die langobardiſche Nechtspflege gab ihnen bie Wahl 3).

Der Freigelaßne lebte nach tem Recht nicht feines Herrn, jondern feiner Freilaffung, was meift tbatfächlich, aber nicht nothwendig recht⸗ lich zuſammenfiel: die Freilaffung durch einen Franken, aber in römi- ſcher oder Firchlicher Form machte zum Römer, die durch Schakwurf oder die zum Litus zum Franken: ver fränkiſche Herr konnte alfo den Knecht zum Römer oder zum Franken machen ?).

Die Kirche als Römerin lebte nach römifchem Recht, foweit ihr Sonderrecht (das Tanonifche) Feine Beſtimmungen enthält). Aber der Kirche gefchenkte Liegenſchaften wurben nach dem Recht bes Schen- fers vertheidigt ‚(oben ©. 11), und von dem König geitiftete ober fonft in deſſen Eigenthbum oder unter beſonders verliehenem Schute ftehende Kirchen und Klöſter Tebten nach dem Recht des Königs, aljo

1) Baufteine VI. ©. 165.

2) Eine Ausnahme im fpäteren Langobardenrecht: Lothar I. Cap. I. 319 |. Langobarben.

3) Brunner I. ©. 268.

4) Lex Rib. 57. 58. 61.

5) Lex Rib. 58,1 secundum legem Romanam, quam ecclesia vivit, oben ©. 7.

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bi8 751 nach ſaliſchem, von ta ab vom König neugegrünbete nach uferfränkiſchem Recht. Daher mag gegen ben Anfpruch eines Kloſters, ein Lönigliches zu fein, geltend gemacht werben, daß es ja weber nach jenem noch nach diefem, ſondern nach römischen echt lebe !).

B. Die einzelnen Rechtsgebiete. Il. Strafredt.

1. Wergeld und Bußen.

Da tas „Manngelp“ (ebenjo die in Theilen teffelben ausgedrück⸗ ten Bußen) der Sippe den Werth des Mannes (oder dieſem bie er» fittne Verlegung) nach eigner Wertbung erjegen fol, muß bei Töd⸗ tung oder Verletzung das Necht des Getödteten oder Verletzten maß- gebend fein, d. 5. bie Veranſchlagung durch dieſe felbft?2).

Im Ergebniß ftimmte biemit überein bie WBegrünbung®), daß badurch bie Feindſchaft (Fehde) des Verletzten ober ber Sippe bes Getöbteten abgelauft, alfo der Kaufpreis von biejen, d. b. nach deren Recht beftimmt werden müſſe. So entfcheidet in der That ein Capi- tular Pippins von Italien von 7904: bei einem Vergeben, aus bem Fehde erwachlen kann, joll der Schulvige die Buße leiften (emendet) gemäß dem Rechte deſſen, wider den er fich verjchulbigt Hat. Mit Necht zieht mans) Hieher auch jene Verordnung Ludwigs J., wonach bie Verlegung eines Saliers nach ber alten Währung ber Lex Salica zu büßen fei: allerdings lag barin bei ver fonftigen Währungsminde- rung eine Straferhöhung, auf ſächſiſche oder frifiiche Gewaltthätigfeit gegen Salier zielend ®).

1) Brummer, Zeugen u. Inquiſ. S. 83; es iſt das Klofter Anifola im Streit mit dem Bisthum Le Mans.

2) Bol. Wilde ©. 366 f.

3) Brunner I. ©. 261.

4) Capit. I. p. 201 ce. 4.

5) Brunner I. ©. 261.

6) Capit. leg. addita c. 3 I. p. 268. Ein weiteres Beilpiel, Diebſtahl und Hausfriedensbruch, nach dem Hecht des Beftohlnen bei Brunner a. a. O.

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2. Deffentliche Strafen und deren Ablöfung.

a) Hier gilt urfprünglich das Recht des Thäters, nicht des Ver: legten, da der obige Geſichtspunkt wegfällt und zumal bei dem Los— fauf des eignen Lebens durch Zahlung des (eignen) Wergelves nur das angeborne maßgebend fein Fonnte. ‘Dies war wohl der Ausgange- punct gewefen: in leichteren Fällen, wo bie Loskaufſumme meift in Bruchtheilen des Wergelves beftand, warb tann derſelbe Gedanke durchgeführt 1).

b) Süngerer, vorgejchrittner Nechtsbildung gehört e8 an, wird in folden Fällen nicht mehr das Recht des Thäters, fondern zumal bei der (nicht abgelöften) öffentlichen Strafe das Necht des Begehungs⸗ orts angemwenbet: jene Friebensorbnung, bie über dem Begehungsort ſchwebt und daher durch die That verletzt wird.

Das ift wohl der Ausbrud des gereifteren fränkiſchen Nechts- gedanfens, der eben zufällig in Verorbnungen für Sachfen oder Lango- barden bervortritt, ohne daß man um deßwillen ven Gedanken für fächfifch oder langobarbifch haften vürfte?).

II. Brivatregt. 1. Bertragsredt.

a) Jeder Vertragende verpflichtet fich nach feinem Necht; wer eine wadia ober eine carta hingiebt, giebt fie daher nach feinem Necht?). Daher

b) wird das Eigentbum an Grundftüden nach tem Necht bes Veräußerers übertragen, weil nur bieburch diefer fein Recht verliert und zur Gewährfchaft verpflichtet wird. Indeſſen fängt hier bereits an das Necht ver belegnen Sache hervorzutreten, wie es fpäter 5. B. im Sachienfpiegel*) wenigftens bei Erbgrundſtücken das der Perfonen

1) ©. Lex Rib. 31. 4 damnatus . . secundum legem propriam non secundum Ribuariam (der Berlette ift Uferfranle) damnum sustineat; ebenio fol der libertus, ber civis Romanus, nah römifhen Recht (in ſolchem Fall) gerichtet werben 1. c. 61, 2.

2) &. den Eoder Spangenberg zur L. Saxon., v. Richthofen zur L. 8. &. 2, dann ſ. „Langobarden” und „Sachen“.

3) ©. Langobarben.

4) I. Artikel 30.

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verdrängt: freilich nicht unmittelbar, fondern auf dem Umweg, baß ber neue Erwerber das Grundſtück vertheidigte nach dem Recht feines Ver⸗ änßerers (— boch meist zugleich dem Recht der belegenen Sache —), den er als Gewähren ftellen, ober deſſen Erwerbstitel er darweiſen mußte: alfo zunächft aus Gründen der Erleichterung und der Sicherung bes Beweifes!). Daher follten insbeſondere Kirchengüter nach dem echt der Schenker vertheidigt werden bürfen: eine Nechtswohlthat Karls des Großen, da nın 3. B. die Kirche alle feine und feiner Ahnen Schenkungen nach ribuarifchem Recht vertheibigen burfte?)., Später hat man dann wohl, um ganz ficher zu gehen, die Formen der mehreren etwa in Frage kommenden Rechte gehäuft?).

2. Familienrecht.

a) Verlobung. a. Gemäß dem Grundſatz über Vertragsverpflich- tung) verpflichtet fich der Bräutigam nach feinem Recht 3. DB. zur Zahlung des Muntichates: jo Chlodovech gegenüber ver Burgunderin Hrothehild nach faliichem Necht: »per solidum et denarium«>), was noch 904 begegnet®).

ß. Aber das dem Muntwalt für Ablöfung der Muntichaft zu Leiſtende beftimmt fid wie oben (S. 13) Wergeld und Buße nah dem Recht deſſen, dem abgelöft werden foll: d. h. nach bem Necht des Muntwalts, das ja ftetS das der Braut ift: daher muß ber Römer, der eine Germanin heirathet?), Muntſchatz zahlen, ver Germane, ver eine Römerin freit, nicht: daher muß ver falifchen Wittwe (deren Muntwalt) auch von dem nichtfalifhen Bräutigam der »Reipus« entrichtet werben: daher entäußert fi der Muntwalt bei ber Trauung feines Nechtes und verpflichtet fi nur nah feinem Recht. Dagegen verfteht fih, daß der Ehemann, um fich zu ver⸗ pflichten, bei Zumendungen an die Fran (Morgengabe, Witthum) fich nad feinem Rechte binden mußs): ber Franke beftellt der Ehefrau (in Italien) eine tertia, der Langobarde eine quarta®).

1) So überzeugend Brunner I. ©. 265.

2) Ludwig I. wieberholt dies c. 820, Cap. c. 3 I. p. 297.

3) Stobbe VI. 32. 4) Dben ©. 14.

5) Greg. Tur. U. 28, Urgeſch. W. ©. 50.

6) ©. die Stelle ans Bernard, chartes de Cluny bei Brunner I. ©. 206. 7) (S. Langobarben.) Liutpr. 127, Cartularium Langob. N. 16.

6) S. Burgunben.

9) Schröder, GüterR. L S. 20.

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y. Aber die folgerichtige Forderung ber germanifchen Rechte, daß bei Mifchehen die Stammesrechte beider Betheiligten einzuhalten feien, wurbe von ber Kirche wegen Aufrechthaltung des Sacraments ber Ehe belämpft, als ein Franke ein Sachfenweib verließ, mit ber er nur nach Sachjenrecht vermählt wart).

b) Die Muntjchaft richtet fich nach dem Necht des Mündels: daher auch vie über die Kirchen, die Vogtei?).

3. Sachenrecht.

a) Bei Grundſtücken zuerft bringt aber nur ſehr allmälig das Recht der belegen Sache durch.

b) Daß fich der als Knecht beanfpruchte Freie nach feinem Recht vertheidigt, folgt aus dem Obigen (S. 10): allein das Erlöfchen bes Rechts des Eigenthümers an dem entlanfenen Unfreien warb fachen- rechtlich beurtheilt, d.h. die Verjährungsfrist gegen den römifchen Eigen- thümer war die römiſche von 30 Jahren, der Germane verfchwieg fih gar nicht oder eben nur nach germaniſchem Necht?).

4. Erbrecht.

Entſcheidend ift das Necht bes Erblaffers, nicht des Erben: der⸗ jelbe gehörte, obwohl alles germanifche Erbreht nur ein auf den Todesfall angemwendetes Samilienrecht ift, nicht nothwendig demfelben Stammesrecht an wie der Erblaffer: 3. B. die Römerin, bie einen Franken geheiratbet, warb bei unbeerbter Ehe von ihren römijchen Gefchwiftern beerbt, aber nach fränkiſchem Necht. Und bei ber bereits zu großem Theil aufgenommenen legtwilligen Verfügung galt ebenfalls das Necht des Erblaffers, alfo des PVerfügers, nicht des in ber Ur» funde eingefegten Erben over Vermächtnißnehmers ).

Die Durcheinandermifchung von Angehörigen verfchievener Völker war in manchen XTheilen bes Reiches fehr ftart: mag die befannte

1) Ce. Tribur. v. 895. Manft XIX. ©. 154.

2) Cap. von 782 c.5 I. p. 192 viduas et orfanos tutorem habeant juxta illarum legem c. 6 advocatus... sacramenta pro causa ecclesiae .. deducere possit sicut lex ipsorum (= ipsarum) est.

3) Capit. von 804(?) I. p. 206.

4) S. Langobarben.

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Angabe Agobards von Lyon für Burgund von den fünf (burgundifch, römiſch, ſaliſch, ripuariſch, alamannifch waren offenbar gemeint) häufig nebeneinander vorkommenden Nechten auch in etwas übertreiben, Salier waren über das ganze Neich bin angefiebelt und in Italien, in Rom zumal, wohnten außer Römern und Langobarden zahlreich Franken beider Nechte, Alamannen, Baiern, lebten al8 Pilger Angel: fachfen und Iren.

Der daber drohenden Nechtsunficherheit zu begegnen denn aus Arglift oder aus Irrthum konnte gar leicht ein Rechtsgeſchäft in Vor- ausfegung eines nicht anzuwenbenten Rechts alfo ungültig ge ſchloſſen werden —, ward die Einrichtung der professiones juris getroffen.

Am Früheften begegnet in Italien die ausprüdliche Angabe des Stammesrechts der Urkundenden: fo 7671), 769 zu Brescia, wo ber Gote Stavila, civis Brescianus vivens legem Gothorum, ur- funbet 2).

Wie in Privaturfunden erjcheint auch in Gerichtsurkunden am Vrüheften in Italien die Angabe des Stammesrechts der Handelnden: begreiflih, da in Gegenden ſtark gemifchter Bevölkerung wie im Lango- barbenreich die Nechtsficherheit das am ‘Dringenbften erheifchte. Die jüngeren professiones juris?) mögen baraus entjtanven fein, daß im Proceß der Richter vor Allem die Streitenden fragte: » qua nam vivis lege?«e und bie Antwort zu Protofoll nahm‘); erft jpäter finden fich ſolche Erklärungen auch außerhalb Italiens und bezeichnendermaßen ebenfalls zuerft in Gegenden ſtark gemifchter Be⸗ vöfferung, wie Septimanien, wo fich die Goten zum Theil, fo in Narbonne, die Erhaltung ihres Nechtes vor Anjchluß an bie Franken

1) Troya, Cod. dipl. Lang. V. p. 430 N. 880.

2) Daß dieſer Oftgote, nicht Weſtgote war, bat Bruuner I. S. 271 ſehr ſchön dargethan (daß ſich erft allmälig feit c. 840 in biefen ttaltenifchen Urkunden ein beftimmter Gebrauch für Angabe des Stammesrechts ausgeprägt hat, zeigt derſelbe, Urkunde I. S. 105). Damit ift aber auch glänzend bewiefen mein Sat, baf bie Oftgoten im oftgotifhen Reich nach oftgotifhem Rechte gelebt hatten, Könige IV. ©. 1375|. Was zwei Jahrhunderte fpäter einem vereinzelt übrig gebliebnen ver- ftattet war, foll unter Theoderich und Bitigis nicht verftattet geweien fein?

3) Das diefer Ausdrud nicht quellenmäßig, erinnert mit Recht Brunner 1. S. 272.

4; Cartularium Langobardicum N. 17—20.

Tahn, Könige der Germanen. VII. 3. 2

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ausprüdlich vorbehalten hatten und maffenhaft Römer lebten !), und in Burgund).

Daher erhalten die Königsboten Auftrag, vor Beginn bes Ver— fahrend das Stammesrecht der Vetheiligten zu erfragen?). Zumal Grafen und andere Nichter follten ihr Recht angeben, nicht, weil jeber Richter nach feinem (!) Recht gerichtet hätte*), ſondern weil e8 wün- fchenswertb war, daß der Nichter das in den meiften Fällen in feinem Bezirk anzuwendende Recht als fein eigenes gut Tenne: denn von Anwendung immer deſſelben Rechts Tonnte doch ja nicht bie Sprache fein.

Dagegen ift die Annahme) aufzugeben, e8 babe allgemein jeder Selbftändige einmal vor der Behörde öffentlich fein Stammesrecht anzugeben gehabt: eine ſolche Verordnung Lothars 8) für Rom von 827 ift ohne Vorgang und Nachfolge.

Der Necdhtsunficherheit, die durch Aenderung des Rechts eines DBetheiligten z. B. eines Weibes durch Heirath, eines Laien durch Ein- tritt in ben geiftlihen Stand entjtehen Tonnte, begegnete man burch den Grundſatz, daß das urfprüngliche Necht maßgebend bleibe, alfo 3. B. das langobarbifche, obgleich die Langobardin einen Römer ge- heiratbet, obwohl der Langobarde Geiftlicher geworben (einige Zeit lang: f. aber oben ©. 7 und 8) ).

Selbitverftändlih waren biefe höchſt wichtigen Grunpfäße zwin- gendes Bffentliches Necht, und nicht durch Wahl und Willfür Eonnte ber Einzelne leben, nach welchem Recht er wollte, fondern nur er- Hören, nach welchen er leben mußte). Vielmehr erblidten vie Unterthanen in dieſem Recht, nur nach dem Stammesrecht gerichtet zu werden, das Wejentlichfte ihrer „Freiheit”: wiederholt Tießen fie

1) Noch 933 (gerade in Narbonne) Gallia Christiana VI. Instrumenta p. 423 N. 14 erklärt ein Salier befonders fein ſaliſch Recht.

2) ©. die Stelle von Agobarb Mon. Germ. hist. Legg. IL. c. 4 p. 504 und die Beläge für Angabe falifchen, burgundiſchen, römijchen Rechts von 816—912 bei Brunner I. ©. 272.

3) Capit. Missor. I. p. 67 per singulos inquirant quale habeant legem c. 5 ex nomine (f. natione?).

4) Gegen dieſen ungeheuerlichen Sat f. oben ©. 11.

5) v. Savignys I. ©. 148; dawider ſchon Gaupp ©. 244.

6) Lotharii Constitutio Romana c. 5 Cap. I. p. 323.

7) ©. Langobarben.

8) Segen biefe Meinung ſchon von Savigny I. S. 154, VII S. 3. Pade- letti, Archivio storico Ser. III. T. XX. p. 434.

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fih das von ten Königen verbriefen: und dann foll!) der König biejes jo eiferfüchtig gehütete Recht auf die einfachite Weife haben ver- eiteln können, intem er den Alamannen einen fräntiichen Grafen ſchickte!

Durch ven Grundſatz des angebornen Nechts warb an ber Recht- lofigfeit des Fremden nichts geändert: benn jener fchügte nur bie Neichsangehörigen fremden Stammes: Reichsfremde blieben an fich rechtlos, wollte nicht ein NeichSangehöriger, zumal der König jelbft, ihnen feinen Schu gewähren. Mit Unrecht wird diefe gemein- ariſche Nechtlofigkeit des Fremden beftritten 2).

Der König pflegte nun aber Fremde, bie feinen andern Schuß- herrn gefunden, in feinen Schuß zu nehmen): auch bier wie bei ten Zangobarven*) Heißt der fo gefchükte Fremde warlg)gengus, angel- ſächſiſch vaergenga, langobardiſch waregangus. Das Wort wird verſchieden erklärt: ver, altnordiſch Wohnung, alſo der Haus⸗gänger, ber, heimathlos, die Häuſer Anderer aufjucht®), over von wara, Wah⸗ rung, Schuß, alſo Schußgänger®). Die lockende Deutung ?): Wolf⸗ gänger, got. vargs, altnorb. vargr, Wolf, Friedloſer, ift wohl nicht haltbar wegen bes fehlenden zweiten g im Inlaut: boch finvet fich einmal 8) die Schreibung warcgangus.

Damals war in ver That ber ‚El⸗lende“ d. h. der außer (des Heimath-) Landes, ver Elende“, althochdeutſch ali-lanti?), der Fremde (daher ali-sat, el-sass Fremd⸗ſitz, Neu-fig der Alamannen im Unter- ſchied von ber alten Heimath rechts vom Rhein), lateinifch peregrinus (daraus fpäter pelerin, Pilgrim), alienigena, albanus. Dies leitet man!) von alibi ab.

Im römifchen Neich hatten die Juden nur in rein jübifchen Tällen ihre praeceptores zu Schiebsrichtern nach jüdiſchem Recht

1) Nah Sohm a. a. O.

2) Zum Theil au von Wilda ©. 672. S. aber die Beläge bei 3. Grimm, D. RA. ©. 398. Urgeſch. III. ©. 700.

3) Lex Cham. c. 9.

4) ©. dieſe.

5) Grimm, RA. S. 396.

6) Schade, Sp. 1096 (vgl. Wolfgang, Wolfgänger Bor: und Geſchlechts⸗ namen), Graff I. S. 907.

7) Rogge's, Gerichtsweſen S. 54.

8) Leg. IV. p. 222. 9) Schade Sp. 11.

10) Die, Wörterb. Ilc.; Brunner I. S. 274; über »aubaine« f. unten „Finanz. bobeit”.

2*

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beftellen bürfen, was 3. B. noch in dus Edict Theoderichs!) über- gegangen ift, im Webrigen wurben fie dem gemeinen Recht unter: worfen, durften nicht etwa nach ihrem Necht als Stammesrecht Teben 2).

Daran ſchloß das Merovingenreich fih an. Die Juden galten nicht als Römer, ſondern als vechtlofe Fremde, die nur durch Könige- ſchutz vechtsfähig wurden, nicht etwa ein Recht darauf hatten, wie bie Römer, nach römischen Recht zu leben?): in rein jübifchen Fällen übten ihre Xehrer Schievsrichterihaft nach jüdiſchem Recht, in ger miſchten Fällen wurben fie von den fränkifchen Gerichten nicht nach jüdifhem Recht, fondern nach der lex loci t. h. aljo im Süden nach römiſchem, im Norden nach germanifchem Recht gerichtet *). Nur biefe grundfätliche Nechtlofigkeit ver Juden erflärt doch auch unter einem Chilperich fogar ten willfürlichen Wechfel zwiſchen Duldung und bärtefter Verfolgung aus Glaubenshaß over wohl mehr noch aus Habgier).

Neben ſolcher Manchfaltigkeit ver Rechtsbildung ſchon ver- möge des bis ins XIII. und XIV. Jahrhundert aufrecht erhaltnen Grund⸗ ſatzes ber perſönlichen Stammesrechte ®), wirkten aber auch umgekehrt allerlei Urſachen auf gleichförmige NechtSgeftaltung bin. ‘Denn bie Regel des Grundfages ver perjönlichen Rechte vertrug fich jehr wohl mit der Ausnahme von Nechte-Geboten und -DVerboten, die Reiche» recht fein, auf alle Angehörige des Neiches, ohne Rückſicht des Stammes, angewendet werden wollten: hatten doch 3. B. die Edicte ber Oftgoten-Sönige ebenfalls Neichsrecht geichaffen, das vor oftgoti« ſchem und römifchem in jedem Fall gelten follte?).

1) 8 143, Könige IV. ©. 97.

2) Codex Theodosianus II. 1 c. 10. Judaei romano et communi jure viventes . . sub legibus nostris sint.

3) Gegen dieſe Annahme von Wait II. 1 S. 270 und E. Löning II. ©. 52, IV. ©. 237, fon Klimrath I. p. 405; dann Brunner I. ©. 273.

4) ©. Karolinger, unter benen erſt die Duellen reicher fließen. Doc bringt ſchon bei Gregor VII. 23 ein Iude zwei Chriften als Zeugen der Mahnung eines Ehriften mit, Urgeſch. III. ©. 316, offenbar, um fi das Zeugniß befier zu

ern. na 5) Greg. Tur. VI. 16. 17, Urgeſch. ©. 252.

6) Die Lehre Sohms von ber Berbrängung aller Stammesrechte durch das fräntifche „Univerfalrecht” wirb aud von Brunner II. ©. 141 eingeſchränkt auf „eine Anzahl procekrechtlicher Inſtitute“.

7) Könige IV. ©. 137.

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Auch ift zu erinnern, daß e8 ein ausgevehntes und wichtiges Gebiet gab, auf welchem einheitliches Recht galt: das fränkiſche Kirchenrecht, das fich nicht auf kirchliche Strafen beſchränkte und auf alle Chriften im Reich, Germanen jedes Stammes wie Römer, Anwendung fand: Heiden follten nicht mehr geduldet werden, Juden wurden gnadenweiſe und auf Witerruf geduldet.

Sodann die NReichsgefeßgebung, tie Stammesredht brach, zumal aber oft ergänzte; man!) ift ja fogar zu dem völlig quellenwibrigen Ergebniß gelangt, das fränkiſche Necht habe alle andern Stammes- rechte verdrängt. Aber abgejeben von dieſer Webertreibung iſt nicht zu verfennen, daß das einheitliche Reichsrecht von dem fräntifchen getragen und gefärbt war, ba vie beiden Stönigsgefchlechter eben fräntifche und auch die Berather der Könige meiftens Franfen over, wenn auch nicht Franken, doch von den Anjchauungen des Hofes von Jugend auf beberricht waren.

Dem entipricht unter ven falifchen Merovingen das Hervortreten bes jalifchen, unter den uferfräntiichen Arnulfingen das tes ripuariſchen Rechts.

Zumal centralifirende Einrichtungen und der Stärkung der Krone bienende brangen aus dem fränfifchen Recht in alle Stammesrechte ein, auf deren Aufzeichnung ver König ja ftarf einwirkte, vie er gleich- mäßig burch feine Gapitularien, wie durch die Nechtiprechung bes Hof- gericht8 und die Ausführungsverorbnungen an feine Grafen und Königs⸗ boten beeinflußte.

Wenn ſchon unter den Merovingen Verbreitung des falifchen Rechts, erfichtliche Vereinheitlichung des Rechts, zumal auf Tirchlichem Boden wahrzunehmen ift?), jo mußte fich dies bei dem Trachten Karls nach dem einheitlichen Gottesftat auf Erben gewaltig fteigern: wie er tenn nad) 800 wenigftens für bie brei fränfifchen Gruppen ein- beitliches Recht herjtellen wollte): nach feinem Tode fuchte zumal vie fränkische Kirche hierin Lothars Wünfchen entſprechend —, gegen- über dem brohenden Zerfalle des Reichs auch vie Nechtseinheit als zufammenbaltenvde Klammer zu empfehlen ®).

1) Sohm, Fränkiſches Recht und römifches Recht 3.7 |. R.G. 1. 62, dagegen aber D. Geſch. Ib. S. 414. 549, Heufler I. S. 21, Brunner I. ©. 239.

2) AU. M. Brunner I. ©. 258.

3) Einhard, v. Caroli c. 29, Urgeſch. III. ©. 1098, IV. ©.49, D. ©. 66, Ib. ©. 584.

4) ©. die befannte Stelle Agobarbs von Lyon adversus legem Gundobadi

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Ferner ijt zu erinnern, daß die Aufzeichnung eines Stammes rechts meift unter Einfluß, ja völlig nach dem Vorbild eines anderen gefhah, wobei keineswegs immer urjprüngliche Nechtsähnlichkeit die Auswahl beftimmte, ſondern das Eingreifen bes Frankenkönigs unter Rückſicht auf die Kirche: jo hat, abgefehen von dem noch nicht genü- gend aufgehellten Verhältniß zwijchen weftgotifchem Ytecht einerfeits, burgundifhem und falifchem andrerfeits 1), das Baiernrecht nicht nur aus dem nahe verwandten und benachbarten Alamannenrecht, auch aus dem ber völlig ſtammfremden, fernen Weftgoten gefchöpft, fo jchließt fich das Uferfrantenrecht oft als bloße Umfchreibung an das falifche, fo bat Karl die Aufzeichnung des Sachfen- und Norbthüringen-Nechts nach feinem dem uferfräntifchen Recht bewirkt. Deßhalb ift bie Ur-übereinftimmung des fränfifchen mit dem ingväoniſchen Recht boch nur mit Vorficht zu behaupten! Hier fehen wir ja die erft ganz ſpäte Verfrankung des Sachjenrechts vor Augen.

Einheitlich, gleichmäßig wirkte ferner die römische Formularjuris- prubenz?) auf alle Germanen, die dieſem Einfluß überhaupt aus—⸗ gefegt waren, aljo alle im Süden und Weiten, währenn eine gleich- mäßige Einwirkung bes germanischen Rechts auf das römijche nicht wohl?) anzunehmen ift, da ja diefe Stammesrechte *) ungleiche Einrich- tungen enthielten: nur dem Stammesrecht des nächften Germanen- volfes näherte fich etwa auch das ber Römer: fo ber in Italien dem langobarbifchen.

Mans) Hat fcharffinnig darauf Hingewiefen, daß auch jenes römiſche Vulgärrecht fich ſehr verſchieden geitaltet Habe, da in Italien und Iſtrien die juftinianeifche Geſetzgebung eingeführt war, dagegen in Rhätien, Südgallien, Burgund das römiſche Necht auf älteren

liber oben ©. 9: nur Ein Herrſcher und nach deſſen lex, alfo der uferfräntifchen, jollten alle Reichsangehörigen leben: das war Wunſch, aber eben nicht Wirk⸗ lichkeit.

1) ©. dieſe. Brunner I S. 256 nimmt Borfprung ber „Eurichichen (?)” antiqua an.

2) ©. Fränlifhe Forſchungen.

3) Mit Brunner I. ©. 257.

4) Wie gerade die von ihm angeführten Beifpiele zeigen.

5) Brunner I. S. 255. Ueber bie Umgeftaltung bes römischen Rechts zu einem römifchen Vulgär⸗Recht ganz entfprechend ber des Schrift-Lateins zur bem Bulgärslatein ale Grundlage ber romanishen Sprachen ſ. vortrefflih Brunner a. a. O.; ich habe das von je jo vorgetragen und bies römische Recht Das der For⸗ mular⸗Jurisprudenz“ genannt.

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Grundlagen, auch auf der weftgotifchen und burgundifchen Lex Romana berubte; dazu trat ber verfchieven wirkende Einfluß verſchiedner ger: manifcher Rechte und abweichendes Gewohnheitsrecht, jo daß auch für das römiſche Necht wie für die germanifchen in den meiften Land⸗ Ichaften eine befonvere lex loci galt, worunter örtliches Recht übrigens aljo römiſches wie germanifches im Unterſchied von fräntifhem NReichsrecht zu verfteben ift!): ohne Zweifel wäre bie Lex Romana Utinensis als »lex loci« bezeichnet worden. Frei— (ih Tann ber allgemeine Ausprud, je nach dem Gegenfat in ver Stelle, vielleicht auch Stammesrecht, zumal enger begränztes, im Unterfchieb von umfafjenderen Rechtsquellen bezeichnen: 3. B. die Lex Chama- vorum war »lex locie im Hamaland im Unterſchied von Neichsrecht und von ber für bie Mehrzahl ver uferfräntifchen Gaue geltenten Lex Ribuariorum.

DO. Die Rechtspflege.

Einleitung. Die Grundbegriffe.

Der Zwed bes Nechtsgangs ift Herftellung und Gewähr bes Friedens?).

Der Friede iſt nach germaniſcher Auffaſſung die Wahrung der vom Recht anerkannten äußeren Menſchenverhältniſſe. Die Aufrecht- haltung des Friedens in biefem Sinn ift der höchſte (— weltliche —) Zwed des States, der außerdem, feit Erhebung (ober richtiger: Herab- würbigung) bes ChriftentHums zum Zwangsglauben, auch noch eine halb geiftliche Aufgabe: Pflicht und Recht ver Schirmoogtet über bie Kirche Hat.

Zur Wahrung des Frievens?) daher fchließen bie Theilfönige Verträge.

Noch immer beruht tie Rechtspflege auf dem Einen Stützbalken germanifcher Freiheit, ver Spaltung von „Bann“ und „Zuom”). Der

mn

Gegenſatz zum Reichsrecht und zum romaniſchen erblickt, Waitz III S. 349 Brunner I. ©. 256.

2, L. Rib. 89 ut pax perpetua stabilis permaneat.

3) pro tenore pacis Chloth. et Child. p. 7.

4) D. ©. Ia. ©. 201 b. ©. 639.

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König hat und übt durch feine Beamten ven Gerichts. Bann“, das Volt jelbft oder durch feine gelorenen Vertreter findet das Urtheil, im Anfang auch noch, wie es fcheinen will, unter Leitung feiner geforenen Vorſtände: bie Vollftredung des Urtheils (bald auch bie Leitung bes Gerichts) hat der König, er übt fie durch die Zwangs— gewalt feiner Königsbeamten, äußerften Falls durch Verhängung ber Tobesftrafe oder der Friedloſigkeit.

Distringere ift der technijche Ausdruck für das zwangsweiſe An- halten zum Nechtsgehorfam ?).

Nah dem Grundjag von Genofjenrecht und Genoffengericht, ſowie ber Spaltung von Bann und Tuom?) werben bie Urtheile in bem mallus gefunden von ben (gemein- oter ebel-)freien, unbefcholtenen, auf Grundeigen angefeffenen Gemeindegenoſſen, die als Urtheilfinver „Rahinburgen“?) heißen.

Den Bann, d. 5. die Berufung ber gebotnen, bie Eröffnung, Hegung der gebotnen und ungebotnen Dinge, die Wahrung bes Ding- friedens, zum Theil auch die Vollftredung der Urtbeile hat ver judex, Richter, der in den Hundertſchaften centenarius, thunginus, hunno heißt ®).

Die Abſchließung von Nechtsgejchäften, alles, was zur freiwilligen Gerichtsbarkeit gehört, ift, dem Weſen aller Vorcultur, aller Un- mittelbarkeit und Jugendlichkeit der Völker entſprechend, an feierliche finnbilvliche und finulich-wirkfame Formen gebunden 5).

Der Fehdegang®) wird zwar nicht völlig verboten”), aber erheb- lich eingejchränft.

Der Königsgraf und der Gefchäbigte zufammen verklagen ven „Waldgänger" bei vem König, ter ihm dann feinen Schuß entzieht®).

Die Sippe muß ven ihr angehörigen Webelthäter vor Gericht

1) 3. 8. Ed. Guntchramni c. 12 distringat legalis ultio judiecum quos non corrigit praedicatio sacerdotum.

2), D. ©. Ia. ©. 200—203, Ib. ©. 640. 642. 649. 676.

3) D. ©. Ib. ©. 457. 561. 649. 654f. 658 f.

4 D. ©. Ib. ©. 238f., S. 591. 647. 660, oben ©. 126 f.

5) Siehe die bemunderungswürbige Darftellung ber Formen⸗ und Sinnbilbder bei Jakob Grimm, Deutfche Rechtsalterthümer S. 1—207.

6) Ueber Fehdegang und Nechtsgang f. Baufteine II. 1880, S. 70—128. Fränkiſche Forſchungen.

7) A. M. Bethmann⸗Hollweg J. S. 464.

8) Ed. Chilp. c. 11.

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jtellen, der von dem Königsbeamten und dem Gejchäpigten zur Buße: zablung gefucht wird !).

Bann bebeutet aber auch den („gebannten“) Friedenſchutz und vie „Verbannung“, d. h. ven Unfrieden, in welchen der Bannbrecher geräth ?).

Bannus heißt einmal das Bannrecht, das jus sub mulcta ju- bendi aut vetandi, das Recht, unter Androhung einer Vermögens» ftrafe zu gebieten ober zu verbieten.

Zweitens ber einzelne kraft dieſes Rechts erlaffene Befehl, vie Jussio3).

Drittens der Betrag bes Banngeldes: ebenjo bei Verlegung des Heerbannes ).

Die Hauptfälle, in welchen das Banngeld verwirkt ift, find: Befreiung eines gefangnen Verbrechers 5), Flucht des Auffichtsbeamten fammt dem gefangnen Verbrecher, [3. B. Dieb), Weigerung der Hilfe gegenüber dem Gentenar oder jebem andern Richter wider einen Verbrecher ?), Befikergreifung eines vom König einem Andern ge jchenften®). (Häufig werben aber in ven Schenfungsurkunden für An- taftung der Schenkung noch viel höhere Bußen an ben Verlegten ober Wetten an den Fiscus angebroht), Entführung eines im Töniglichen Schutze ſtehenden Mannes oder Weibes (tabularıus, femina ober baro) aus tiefem Schuge?), Verſagung der Aufnahme eines im könig— lichen Auftrag Entſendeten 10). Dann bie verfchievenen Fälle des Un- gehorfams gegen den Heerbann 1}).

1) Ed. Chilp. e. 11 si in presentia nec agens nec parentes ipsum ad- ducere possunt.

2) Allerdings jünger: Capitularien Karls von 801—813. I. p. 172 von 809. l. c. p. 148.

3) L. Rib. 65 de eo qui bannum non adimplet.

4) Greg. Tur. V. 26, Urgeſch. III. S. 202. (Chilperid) bannus jussit exigi pro eo quod in exercetu non ambolsssent. Diplom. N. 95a. quicquid fisco de freda aut harebannus poterat sperare (bie gleiche Doppelbebeutung bat angelfähfiid mund = pax und = mulcta), jünger iſt bannus = jus banniendi.

5) Diebes: L. Rib. 79. 1. 2.

6) a. a. O. 4., vgl. 87.

7) Childib. deer. c. 9.

8) L. Rib. 60, 3.

9) L. Rib. 58, 12.

10) L. Rib. 65, 3.

11) Greg. Tur. VII. 42, Urgeſch. III. ©. 339 edictum a judieibus datum est, ut qui in hac expeditione tardi fuerant damnarentur.

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Dan ftreitet nun über das Verhältniß bes Frievensgeldes!) zum Bann. Nach einer fcharffinnigen Auffaffung?) foll der Bann bie privatrechtlich gebachte „Buße“ für Verlegung des Nechts des Königs fein wie jede privatrechtliche Buße für Verlegung der Rechte eines Privaten: der König habe eben das Necht des Befehle wie z. B. der Eigenthümer das Necht des Befiges, und das „Königsbanngeld” ift bie Buße für Verlegung dieſes (privaten, perfönlichen) Rechts, wie fonft eine Buße für Befisftörung des Eigenthümers zu bezahlen ift.

Nach anderer Meinung?) ift das Banngeld Strafe nach Amts» gewalt, „kraft obrigfeitlichen Willens" im Gegenſatz zur Strafe nad Volksrecht. Allein das ift nicht nur eine lebiglich „moderne Abftrac- tion"), es wiberftreitet geradezu beftimmter Weberlieferung, wo⸗ nach die Verletzung der Wehrpflicht auh „nach Volksrecht“, d. h. von jeher, auch bei Völkern ohne Könige, mit fehweriter Strafe be- droht ward). Die ganze Aufftellung eines bejonteren neben tem „Vollsrecht“ ftehenden Amtsrechts erweift fich auch hier als ebenfo un» möglich wie unnöthig ®).

Man muß aber überhaupt compositio, fredus, bannus’), Buße an ven Verletten, und öffentliche Vermögensjtrafe an ven Stat völlig auseinanderhalten®): bei königloſen Völkern verfiel letztere dem Volk, d. b. eben dem Stat: bei Völlern mit Königen von Anfang an bem König für den Stat: die Könige hatten von Anfang an ba Necht, gewiſſe Banne zu erlaffen, 3. B. das Aufgebot zu dem von bem- Volt befchloffenen Kriege, und die Straf-(Bann-)Beträge für Verlegung folcher Gebote zu beziehen: der Unterjchieb der Merovingen- zeit von ber Urzeit liegt alfo durchaus nicht darin, daß nun Friedens» und Bann⸗Geld dem König ftatt dem Volke bezahlt werben muß, bei Völkern mit Königen war das von je gefehehen fonvern barin, daß nun die Könige in viel häufigeren Fällen „bannen“ burften, d. h. das Verordnungsrecht der Imperatoren überkommen hatten und, unter

1) D. G. Ib. S. 703.

2) Bon Waitz Ob. S. 286.

3) Sohm ©. 105.

4) Waitz IIb. ©. 288.

5) Tacitus Germ. c. 4. ®D. ©. Ia. ©. 216. 224. 228. 267.

6) Waitz a. a. D. hatte alfo gar nicht nöthig, darauf hinzuweiſen, daß le- gibus mannire (32 L. R.) und legibus bannire neben einander vorlommen.

7) D. ©. Ia. ©. 219. 229. 232., Ib. ©. 703.

8) Dies gegen Waitz a. a. DO. und Sohm ©. 109.

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Androhung des germaniichen Banngeldes, auch gegen Germanen übten. Der Friede war früher Volksfriede gewejen.

Allein bei Völkern mit Königen hatte eben der König begrifflich war er ja lebiglich ein republicanifcher Beamter zwar den Bann im Namen des Volles geübt, jedoch die Frievensgelver als Theil feiner „Beſoldung“ fozufagen für fich behalten. Jetzt war der Meroving Monarch: d. b. Träger ver Statsgewalt kraft eignen Rechts, der Volks» frievde war Königsfriede geworben: „kraft eignen Rechts” nicht mehr im Namen bes Volles bezog er nun die Strafgelver für Ver⸗ legung feines Königsfrievens: und eine Verlegung des Friebens, eben bes Königsfriedens, war es nun auch, wenn jemand einen vom König innerhalb feiner Zuſtändigkeit erlaffenen Bann brach.

Es gab nun begrifflich feinen Unterſchied mehr zwifchen Friedens⸗ bruch und Bannbruch, Friedensgeld und Banngeld: denn der „Friede“ wurde dem König gebrochen, ganz wie ber von ihm erlaffene „Dann“. Es ift daher ganz ſchlußbündig und folgeftreng, daß all- mälig ber Unterfchied zwifchen Banngeld und Friedensgeld völlig ver- ſchwindet!): man kann ebenjo gut fagen: ver Bann trat an die Stelle bes Friedens?), wie umgelehrt: ber Friedensſchutz war in ven Schuß bes Königsbannes getreten).

Daher werben denn Trievensgeld, Heerbannsgeld und Steuer (stuofa)*) als ganz gleichartige Begriffe zufammengeftellt, d. h. Leiftungen an den Fiscus aus äffentlichrechtlichen Gründen, die erften beiden Strafgelver>) ; erft fpäter heißt auch der Betrag, ben abhängige, aber freie homines an ihren Senior bafür zahlen, daß er ihnen bie Wehrpflicht dem State gegenüber ablöft, haribannus oder hostenditium.

Wenn dagegen der fredus höher als der bannus gewejen wäre, beließ man e8 bei jenem und bannte die That nicht.

Dean will Frievensbann, Berwaltungsbann, Berorbnungsbann unterjcheiden®). Indeſſen: jeder Bann ift „VBerordnungsbann“, d. h

1) Aber nicht tritt der Bann in das Syſtem ber compositio, wie Sohm 8.109, fondern, will man das jo ausbrüden, in das bes Friedensgeldes.

2) So Waitz.

3) Dies gegen Wait a. 0. D. Sohm S. 109. Wilde ©. 470. Woringen Bei- träge ©. 109. Köflin 3. f. D. R. XIII. ©. 424.

4) ©. unten Finanzhoheit.

5) Dipl. N. 28a. freda nec sthopha nec herebanno, N. 95a. de freda aut harebannus.

6) Brunner II. ©. 37.

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Ausübung der Verordnungsgewalt (neben ver Gejeßgebungshoheit und innerhalb der Schranten des Geſetzes)!), auch der Friebens- und ver Verwaltungs-Bann: und jeder Bann ift „Frietensbann‘, da ter Schuß bes Trievens (im weitelten Sinn) Zwed der gefammten Rechts- orbnung ift. Der „Verwaltungsbann“ endlich Löft fich auf in die ver- ſchiedenen Hoheitsrechte des Königs als Heer-Bann, Gerichts-Bann, Polizei-Bann, Finanz Bann, Kirchen-Hoheit.

IH. Bann und Friede im Befonderen.

Dingweſen. Dingpflidt. Urtheilfinpung.

Das Bannrecht des Königs ift die Grundlage feiner Veroro- nungsgewalt2) und aljo des fogenannten Königs- und Amts-Rechts“ neben Gefetesrecht und Gewohnheitsrecht.

Die Bannfälle find aber durch Geſetz oder Gemwohnheitsrecht feftgelegt (f. oben VII. 2. S. 37—45): nur durch Geſetz können fie ver- mehrt werden: ohne deren Vorausjegung darf der König nicht bannen: hätte der König alles Beliebige bei beliebig hoher Vermögensftrafe gebieten oder verbieten dürfen, wäre bie Verfaffung ber freien Franken Despotismus und das ganze VBerfaffungsrecht auf ven Sat zufammen- geichrumpft gewejen: ut quodcumque regi placuerit, legis habeat vigorem 3).

»Legibus« d. h. für einen ter gejeglichen Bannfälle muß ge- bannt fein, fol das Banngeld durch vie Verlegung verwirkt fein ®). Jene (8) Banne blieben nun aber Teineswegs die Einzigen: vielmehr behielt ſich ſpäter Karl vor, neben dieſen ftändigen®) nach Bedürfniß andere namhaft zu machen‘). Erſt unter den Arnulfingen wird dann auch ber Königsbann verboppelt oder verbreifacht”).. Solche Erhöhung des Königsbannes fteht aber auch unter Karl fogar nicht vem König allein zu, betarf der Zuftimmung des Neichötages oder eines Stammes:

1) VII. 2. ©. 32. 2) Oben VII. 2. ©. 34f.

3) Segen diefen ſtarken Irrthum Sohms (er bat ihn zurückgenommen) D. G. Ib. ©. 523, richtig auch Brunner DO. ©. 35.

4) Lex Rib. |. c.

5) Cap. I. p. 15 (haec octo capitula in assiduitate).

6) Ob auch bier immer nur legibus? © D. ©. Ib. ©. 523 f.

7) Cap. I. p. 104, p. 207 (v. 800—810, 819).

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tages), alſo eines Reichs⸗ oder Stammes-Gejeted. Sogar in Sachſen will ſelbſt Karl nur mit Zuftimmung ber Franken und ber (freien) Sachſen im Fall ver Noth das Banngeld erhöhen bis auf 100, 120, zuletzt bis auf 1000 sol.2), und auch Ludwig I. holte erft bes Reichs⸗ tages Zuftimmung ein, für Ungehorfam beliebig hohe Bannmette an- proben zu bürfen?).

Die Bannftrafe befteht regelmäßig (Ausnahmen im Heerbann und bei bejonterem Treueverband gegenüber tem König)*‘) nur in Vermögensftrafe und biefe it gefeglich abgeftuft nach der Schwere bes Falles: fo droht fehon die Lex Salica) 15 sol. für Haufung und Hofung des Friedlofen. Regelmäßig aber beträgt der Königsbann 60 sol.®). Der Halbfreie zahlt nur 30 sol.?), und fpäter wird im Uferfrantenrecht der Bann von 15 in obigem Fall auf 60 sol. erhöht, welchen Betrag arnulfingifche Eapitularien ganz allgemein durchführen 8). Bei dem Unfreien tritt auch hier Geißelung an Stelle des Banngeldes, falls der Herr dies nicht entrichten will). Da der Bann Tönigliche Verordnung ift, miuß er nicht in das Stammesrecht aufgenommen werben: nur foviel ift alfo an dem Nebeneinanter von „Königsrecht" und „Vollsrecht“ richtig: im Widerſpruch mit tem „Stammesrecht“ ober einem Neichögefek wäre der Bann nichtig gewejen. ‘Der König kann aber feine Banne ohne gerichtliches Verfahren burch feine Be- amten vollftreden laffen, das ift ver Grund, weßhalb wir Gerichts» urtheile über folche nicht in die Stammesrechte aufgenommene Banne nicht finden —; daß er das Gericht nicht anrufen purfte, behauptet man obne Beweis: aber der andere Weg führte rafcher zum Ziel. War dagegen der Bann Stammesrecht geworben, mußte bei Ab- leugnung ter Schuld der Richter entfcheiden 19).

1! Ausgenommen das Langobarbenreich Cap. I. p. 211, doch wird hier viel: leiht Zuſtimmung des fränkischen Reichsſtags vorausgefekt.

2) Cap. Saxon. c. 9., Cap. I. p. 72.

3) 1. c. I. p. 284, c. 16.

4) Greg. Tur. I. 37, VIII. 30, Urgeſch. II. ©. 63. 373 f.

6) 56. 106.

6) L. Rib. 35. 60, Ed. Childib. II. v. 596, Cap. I. p. 17. ce. 9.

7) Lex Rib. 65.

8) Cap. ſchon Pippins von 755, Cap. I. p. 31. e. 1—4.

9) Ansigisi III. 60 servus pro banno disciplinae corporali subjaceat, j. Könige VI2. ©. 198-202, Weftgotifhe Studien ©. 155—165 unb oben Unfreie VII. 1. S. 2905. fowie Fränkiſche Forſchungen, Strafrecht.

10) Nur fo viel it Brunner 1. S. 277. 380, II. ©. 41 nachzugeben.

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Der Fiscus muß aljo die Bannſchuld meiſt nicht erft einklagen; fie gilt als vollsfundig, wird daher ohne vorangegangenes Streitverfahren burch die Beamten beigetrieben !), wenigftens jevesfalls das Heerbann- gelb, nöthigenfalls durch Pfanpnahme.

Der erhöhte Friede ift alter Volksfriede over königlicher Bann⸗ friebe 2).

Schon von jeher hatte erhöhter Volksfriede geſchützt den König und bie Menfchen oder Sachen, welche ihm verbunden waren.

Verlegung ober Tödtung des Königs war ſchon vom alten Volks⸗ recht ſchwer bedroht worven. Nunmehr wird darin das römijche crimen laesae majestatis gefunden und gejtraft.

Beſonders befrienete Sachen werben wie fehon in altgermanifcher Zeit) durch ven Königsbann geſchützt; aber auch gewöhnlichen Grund- ftüden kann folder Schuß beſonders gewährt werben wie einzelnen Perjonen: die Verlegung wird dann mit dem Königsbann von 60 sol. gebüßt, vorbehaltlich ver Androhung noch höherer Wette.

Schon unter Chlodovech erfcheint ein befonberer auf einem Bann, einem Gewaltverbot und einem Schußgebot des Königs!) begründeter Königsfriede: ein folches praeceptum (praeceptio) hat Chlo- boveh 507 an all’ fein Heer erlaffen vor dem Einbringen in das Weitgotenland zum Schuß des Kirchengeräthed (ministerium), ber Nonnen, religiöien Wittwen, ©eiftlichen, deren Söhne und ber Wittwen in beren häuslicher Gemeinfchaft, auch ber Unfreien ver Kirchen gegen Plünderung, Gewalt, Kriegsgefangenfichaft: er verheißt, biefe feine »praeceptio« aufrecht zu halten und zur Geltung zu bringen (irmare). Wider dieſen Bann Gefangene follen von den Bifchöfen zu dem König ſelbſt geſandt werben behufs Prüfung bes alles. Genau werben bier unterfchieden folche, die extra pace (sc. nostra) und bie, welche in pace nostra gefangen worben: für jene können bie Bifchöfe nur Empfehlungsbriefe (apostolia) ausftellen.

Kraft ihrer Verorbnungshoheit und Strafgerichtshoheit beftrafen bie Könige die Verlegung ihrer decreta (ohne Reichstag erlaflen) fogar

1) Greg. Tur. V. 26, X. 7, Urgeſch. IH. ©. 203, 474, ebenjo in karolin⸗ gifcher Zeit Cap. de exercitalibus, Cap. I. p. 165.

2) Ueber den allgemeinen Königsfrieben und ben bejonderen Königsſchutz D. ©. La. ©. 251. 252, b. ©. 438. 442. 453. 525f. 656. 679. Brunner DI. ©. 11. Schröder ? ©. 112. 116 und unten: Gejammtart des Königthums.

3) D. ©. Ia. S. 251.

4) S. unten Sefammtart des Königthums.

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mit dem Tode!). Dagegen nicht unter biefen Gefichtspuntt beſonders ertheilten Schutzes fällt e8?) wohl, wenn Königswälder und Königs- waſſer durch den Königsbann gegen Sagen und Fiſchen durch Unbe- fugte gefchütt werben: das ift der allgemeine höhere Königsfriebe, ber alles dem König Zugehörige ſchützt. Erſt fpäter, als ſolcher Schuß (Bann) auch den Grundſtücken von Privaten verliehen wird, er- jcheint dies al8 befondere Bannung einzelner Wälder und Waffer, wie folche auch anderen Grundftüden Privater befonvers verliehen werben mag, 3. B. bei ber Klage um Grundeigen und ber Friebe wirkung nach Urtheil oder Auflaffung und Einweifung?).

In vielen germanischen) Nechten waltet ein erhöhter Friede in dem palatium, ter Burg u. f. w. des Königs. Aber in mero- vingifcher Zeit und auch in karolingifcher bis 884 findet fih im Sran- tenrecht hiervon feine Spur. Sogar wo Karl von Vergeben, be» gangen im Königshof, fpricht, behält er nur dem König das Urtheil vor, erhöhter Friede wird dabei nicht geltend gemacht, was doch unvermeiblich war, wenn er beſtands). Es wird alſo boch wohl nicht angeben, viefen Pfalzfrieven bei Baiern, Alamannen, Friſen, Sad- en‘) nur als Abglanz”) des fräntifchen zu faſſen, ber nirgend vor 884 bezeugt iſt: und dieſer unter Karlmann 8) kann recht wohl umgelehrt aus dem echt jener nicht-fränliichen Stämme herüber- genommen fein. Am wenigften ift der Pfalzfrieve abzuleiten aus ber „priefterlichen Bedeutung des Königsbanns in heidniſcher Zeit)“; denn jolche bat nie beſtanden: vielmehr ift an ven Dingfrieven zu denken, ſeitdem ver Königshof neben und an Stelle des alten Dinge Gerichts- jtätte geworben.

1) Pact. Child. et Chloth. c. 18.

2) Wie Brunner D. S. 38 will.

3) Zeumer, Form. p. 362.

4) Ueber Rorbgermanen und Angelſachſen |. Brunner II. ©. 45, über Ala- mannen, Baiern, Frifen, Sachen, Langobarben ſ. dieſe.

5) Cap. I. p. 171.

6) Der hurrätifche Biſchofsfriede Capitula Remedii c. 3 ift bem lango-» bardiſchen Königsfriebeun fo genau ähnlich, daß Entlehnung angenommen werben muß, bie bei dem innigen Zuſammenhang beider romantfcher Länder fehr nahe lag.

7) Brunner II. ©. 46.

8) Leg. I. p. 551. 9, Brunner II ©. 45.

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Da für diefe Zeit Verfammlungen des ganzen Gaues nicht be- zeugt find, muß man annehmen, daß der mallus einer Hunvertfchaft zuftändig war, wenn auch beide Parteien verſchiedenen Humbertichaften angehörten; nach welchen Grunpfägen bie Zuftänpigfeit ſich richtete, fönnen wir nur nach Aehnlichkeiten vermuthen: Gerichtsftand ver belegenen Sache, des Hantgemals bes Beklagten, des Wohnfites, bes DBegehungsortes: jo mochte auch nöthigenfall® das Verfahren vor einem zweiten mallus des gleichen Gaues fortgeführt werben. (S. unten).

Es beiteht wie allgemeine Wehrpflicht fo allgemeine Dingpflicht aller (jelbftftändigen) Freien: diefe Pflicht warb aber, dem Gedanken bes Genofjenrehts und Genofjengerichts gemäß, vor Allem!) ale ſtolzes Recht und wichtigſtes Bollwerk der Freien empfunden ?): erft fpäter ward dieſe Wohlthat durch ven Mißbrauch des Bannrechts ber Grafen zur verberblichen Plage, zu einem ftärkften Mittel, vie Zahl ber Gemeinfreien zu mindern?).

Dingpflicht für alle Dingberechtigten beftand fpäter wenigftens auch bei ven Franken, wie fie bei Alamannen und Baiern bezeugt ift (f. diefe); mindeftens für die gebotenen ‘Dinge: denn ver Miß— brauch des Dingbannes durch die Grafen war ja ein Hauptmittel berfelben, die Gemeinfreien in Abhängigkeit zu zwingen‘). Für bie ältere Zeit gebricht e8 bei ven Franken an beftimmten Zeugniffen: doch wird man Fortbeftand des Altgermanifchen auch bier vermuthen bürfen >).

Dingberechtigt find alle wehrfähigen unbefcholtenen Gemeinfreien: auch die Römer (ſ. unten), vermuthlich auch vie wehrfähigen, aber noch in Muntichaft ftehenden Söhne:®) ſchon wegen bes vielleicht noch immer nicht ganz geldjten Zuſammenhanges des Dinges mit ber Heeresverfammlung: ftimmberechtigt aber waren in Verwaltungsjachen

1) Anders freilich, aber gewiß unrichtig, Schröder ? ©. 24.

2) ©. ©. Ib. ©. 640. 642. 649. 676.

3) Gegen Opet's Beftreitung der allgemeinen Dingpflicht, zum Theil auch Ernſt Mayer's (Götting. Gel. Anz. 1891) S. 350 fehr treffend Brunner II. S. 217.

4) D. ©. Ib. ©. 659.

5) D. ©. Ia. ©. 201. Dingpflict, weil Wehrpflicht, und weil bie Volks— verfammlung Heeresverfammlung, |. Alamannen.

6) Entſchied bei den jungen Römern die Volljährigkeit oder die Wehrfähigleit?

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und Wrtbeilen im Gericht nur die Grunbeigner!). Dafür?) ſpricht boch ſtark, daß man ja fogar für Zeugen, Eibhelfer, felbft für den Kläger Grundeigen (= Vermögen) zur Gewähr für mögliche Schäbigung bes Beklagten forderte: follte man von dem Urtheiler nicht gleiche Gewähr für wifjentliches Falſchurtheil erheifcht Haben? Wenn wieberholt eine „Menge von Franten“3) ohne Erwähnung ihres Grundeigens auf dem mallus genannt wird, fo beweift das Schweigen um fo weniger, als ja gewiß auch gar Viele, die nicht (Nachinburgen) Urtheiler waren, bort erjchienen.

Auf die „Vollfreien” ) d. h. eben die ©rundeignerd) geben bie ehrenden Auszeichnungen, mit welchen vie Urtheiler benannt werben: bie primores urbis®): ein Bürger von Tours verklagt zwei Nachbarn um Verbrechen vor dem öffentlichen Gericht, judicium publicum = mallus: ta legen bie »primores urbis« durch ihren Urtheilipruch (sententia) den Angeſchuldigten den Unſchuldseid auf.

Es find die magnifici”T) (und venerabiles) rei publicae viri, mit benen ber Graf zu Gericht figt®) alfo nicht alle Bürger als folhe —, vor welchen man Tlagt?), die boni viri!), die ganz regel: mäßig als Urtheiler vorausgeſetzt werben 11) ; es find bie fieben »rachym- burgii antrutiones boni credentes«!2) (boni=boni viri, cre- dentes bie guten Leumund Haben)... An Kirchen-Gläubige ift nicht

1) So auch Wait IIb. ©. 143 gegen Sohm ©. 335f., der freilich richtig zu nächſt nur „Vollfreibeit“ verlangt und ebenjo richtig beftreitet, daß es ganz zweifellofe Quellenbeläge für unjere Anficht giebt. Allein thatfächlich waren alle ſelbſtändigen Bollfreien gewiß Grund. Eigner von Allod (ober fpäter bierin gleichgeftellten Beneficien).

2) Und gegen Sohm.

3) V. St. Amandi, Bifchof von Maftricht, geft. c. 679, von Baudemund geft. c. 680) A. 8. 6. Febr. I. p. 848. c. 12, (quod = cum) comes quidam ex genere Francorum cognomine Dotto congregata non minima multitudine Francorum in urbe Tornaco, ut erat illi injunetum ad dirimendas rese- deret actiones.

4) Sohm a. a. O.

5) Waitz a. a. O.

6) Greg. Tur. gl. mart. I. 33.

7) Oben VII 1. ©. 184f.

8) Form. Andecay. 32.

8) 10.1. c.

10) &. oben VOL 1. ©. 184.

11) Form. Marc. II. 9, Andeec. 5. 6. 43. 47, Turon. 30, Senon. 10. 17.

12) Des Ed. Chilp. c. 7. 8.

Dahn, Könige der Germanen, VII 3, 3

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zu benfen; baß antrutio nicht antrustio, ift gewiß: antrustiones gab es boch nicht überall im Land, und fie hatten mit ver Rechtspflege nichts zu thun!). Damit fteht nicht in Widerſpruch, daß es andere Male nur beißt: judicium civium2); ber Leſer wußte damals ſchon, welche Bürger hier urtheilten. Erſt in larolingifcher Zeit heißen fie pagenses, weil erft Karl tie Gaubinge allgemein wieber ein» führte).

Das Urtheil wird gefunden von meift 7 Rachinburgen‘), ber bie Gewähr für das gefundene Urtheil wie ein Bürge trägtd). Sie werben wie fpäter die Schöffen von dem Grafen aus den Angejehenften (und gewiß nur aus Grundeignern) in der Huntertichaft gewählt und finden das Urtheil als Vertreter bes Umſtands, ber ihrem Ausſpruch auf Anrufung einer Partei widerjprechen fanı. Ganz wie fpäter bie Schöffen d. h. vie Schöffenbaren, im Mittelalter die Schöffenbürtigen heißen Rachinburgen auch folche, die nicht im vorliegenden Fall Ra⸗ chinburgen find, aber ſonſt. Sie find weber die ganze Gerichts- gemeinde noch Zeugen (testes: folche werden von ben Parteien zus gezogen, die Volkskundigkeit des vor Gericht Geſchehenden zu fichern, und neben den NRachinburgen genannt) 6), noch alleinige Urtheiler”). Daber werben unterjchieten »r. qui resedebante, das find bie im Einzelfall das Urtheil findenven, und: »vel adstabant«; das find bie im Umſtand mit Umherſtehenden, welche auch als Zeugen verwandt werben können, beren Vollwort aber bei ber Urtbeilfchelte angerufen wird. ‘Die Annahme von vier Bänken®) ift fchon®) widerlegt; gemeint find die vier Wände bes eignen Hauſes des Getöbteten 1%. Diefe fränkifchen vollfreien

1) Es gebt auf trät: Sohm, Proceß S. 204. Seniores bei Greg. Tur. IV. 2, VII. 21, Urgeſch. II, ©. 100, 368 und oft find bie proceres.

2) Greg. Tur. VOL 47, Urgeſch. III. ©. 343.

3) Form. Bignon. 13. (a. 768—772).

4) L. S. 57, R. 32, 3.

5) Ich folge nun der Erffärung I. Grimme R.⸗A. ©. 774 (nit mehr feiner frühern S. 294) ragin = Rath, burgio = Bürge, [früher reg. Verſtärkungsſylbe, burgio = Bürger oder Träger], ebenfo Schade S. 698.

6) L. S. 56, 1. Ed. Chilp. c. 10 vieini (= testes) et rachymburgi.

7) Richtig gegen Ältere und von Fustel de Coulanges, Beauchet und Beaudouin p. 26f. erneute Irrthümer Brunner II. ©. 220.

8 Bei Sohm, Proceß ©. 155 (Septem causae VII. 6. siquis franco inter quatuor solia oceiserit).

9) Bon Heſſel's L. S.

10) Vgl. auh W. Sidel, Götting. Gel. Anz. 1888. ©. 627f.

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(grundeignenden) Urtheiler, die Vorläufer der fpäteren Schöffen, hießen als folche Rathsbürgen, vd. h. Urtheilbürgen, rachinburgen !): fie bildeten aber noch nicht einen gejchloffenen, etwa gar erblichen Stand: auch die Schöffen wurden ja erſt allmählig aus „Ichöffen- baren” „Ichöffenbürtige” Männer.

Ohne jeden Zweifel nahmen auch die Nömer unter ben gleichen Borausfegungen?) an diefer Urtheilfindung Theil; gab e8 doch für fie weder Sonberbeamte noch Sondergerichte. Wo in rein römischen oder in gemifchen Fällen?) römiſches Hecht zur Anwendung kam, werden eben nur Römer das Urtheil gefunden ober wird ter Graf, wenn nicht Römer als Urtheiler, doch einen römischen Nechtöverftän- digen (in Sübgallien) beigezogen haben ®).

Bei den Romanen Südgallieng warb auch unter fräntifcher Herrihaft lange Zeit nach römischer Weife Tas Urtheil nicht von einem Umstand gefällt, fondern vom Richter jelbft, der nur geiftliche und weltliche Berather beizog; erft ſpät brangen bier als Urtheil- finder Schöffen eins). Das Genauere ift in anderem Zufammenhang barzuftellen.

Auch Geiftliche wirken in dieſen Gerichten als Urtheilfinder®). Die Formeln fegen neben den magnifici viri als Urtheiler vor- aus auch venerabiles viri”): das find aber nach dem allgemeinen Sprachhgebrauh Geiftliche. Während fonft die Kirche ber argen Berweltlichung der Geiftlichen in vielen Richtungen entgegentritt, tie- jelben auch als Kläger wie als Bellagte von dem weltlichen Gericht

1) L. Sal. 50. 56. 57. Rib. 32, 2. 55. Ed. Chilp. c. 8. 10. Form. Andec. 50; von a. 772 Bignon. 27, von c. 770 Senon. rec. 1. 46. Ich ent- nehme Wait IIb. ©. 143, daß das Wort no in fpäteren Gloſſen auftaucht aber wohl nur in fränkiſchen? und bier mit landrehtaere erläutert wird.

2) Nicht nur die Decurionen = Curialen wie v. Sav. I. 88 87. 99, wenn auch thatſächlich alle Curialen Grundeigner unb wohl bie meiften Grundeigner in den Stäbten Eurtalen waren. Sehr treffend bemerkt Wait IIb. ©. 149, hätte e8 römische Sondergerichte gegeben, wäre die Vorſchrift Chloth. praec. (ſ. unten Anm. 3) nicht erforderlich geweſen.

3) Chloth. praec. c. 4 inter Romanus negutia causarum Romanis legebus praecipemus terminari.

4) Hierüber Eichhorn, 3. f. geih. RW. VIII ©. 310.

5) Ebenſo Sidel, Schöffengeriht, 3. |. R.-&. VI. ©. 30.

6) Greg. Tur. (aber wo? nicht V. 49, wie Wait ©. 144) cum senioribus vel laicis vel clericis.

7) Form. Andecar. 10. 32.

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abzuziehen fucht!), warb doch jene Betheiligung in biefer Zeit ihnen noch nicht verwehrt; offenbar gebieh bie Theilnahme fo angefehener, ge- bildeter, zumal auch bes römiſchen Rechtes (ſchon vom Tanonifchen ber) mehr als Laien kundiger Männer ver Rechtspflege zum Vortheil, und bie Kirche mochte wohl ihre Anſchauungen gern auch in weltlichen Gerichten vertreten fehen.

Die Ding-Frift läuft von der feierlichen „Legung“, Aufhebung des Dinge; der erfte Tag bes breitägigen Dinge war (wenigftens im IX. Sahrhundert) meift ein Montag oder Donnerftag. Allein bies war mannigfaltig geftaltet.

Während das Alamannen- und das Baiern⸗Recht (f. beide) be- ftimmte Tage für das ungebotene Ding vorfchreiben, gebricht e8 an folder Zahlangabe den fränkischen echten: doch fcheint auch bier bie Siebenzahl zu Grunde zu liegen: fieben Nächte (wenigftens für das solem collocare, d. h. das ungehorfame Ausbleiben bes Gegners feft- jtellen) 2), vierzehn 3), zwanzig‘), vierzig), achtzig®).

Det Alamannen und Baiern?) ift der Samftag Gerichtstag, bei ven Franken und Antern fcheint es ver Dienftag geweſen zu fein®): ber Tag des Ziu, des Kriegsgottes.

Dies beftätigt in höchſt erwünfchter Weife noch unbeachtet ben burch neuere Funde aufgebedten Zuſammenhang dieſes Gottes mit ber Rechtspflege).

Das zunächft Befrembliche, ven Sriegsgott als Gerichtsgott zu finden, verjchwindet bei ber Erwägung, daß Tius uriprünglich ber oberfte, alle Xebensgebiete überherrfchende Gott war: erft fpäter warb er hierin verbrängt von Obhin-Wotan und warb nun auf ben Krieg

1) ©. unten ©. 40 und „Kirchenhoheit”.

2) L. Sal. 52, ferner Addit. II. c. 8 super noctes 7, dann super noctes 14.

3) Addit. II. c. 8. L. Rib. 30, 1. 2. 33, 2. 66, 1. 72, 2.

4) Wohl ftatt 21: Pact. Child. et Ch. c. 5.

5) Wohl ftatt 42: 42 genau Ed. Chilp. e. 8. Form. Bign. 12. L. Sal. 56. L. Rib. ?

6) Wohl flatt 84: L. Rib.

7) ©. beide.

8) S. die Beläge bei Grimm, R.-A. ©. 818f. für Norwegen, Medlenburg, Heften, Lübeck, Weftfalen, Rheinland und andere von Kranken befiebelte Land⸗ ſchaften.

9) S. Weinhold, Tius Things, Zeitſchrift für D. Philologie XXI. 1888. Siebs, Things und die Alaiſiagen, ebenda XXIV., ©. 433. Anders Jaeckel, die Alatfiagen Bede und Fimmilene 1891, ebenda XXII. 3. 1889.

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befchränft: aus jener älteren Zeit alfo rührt es noch, daß er vor ober neben Forfete!) als Gerichtsgott erjcheint. Dann aber Tonnte, ja mußte der Zius-Tag Dienftag, alamannifch noch Heute Zieftig, ber Zag bes Gerichtes fein.

Daß auch bie ungebotenen “Dinge jevesmal angezeigt wurben?), ift ein Selbftwiderfpruh: dann würden bie ungebotenen zu gebo- tenen. Ebenfo tft e8 ganz unbegründet 3), fchon vor Karl dem Großen Beichräntung der ungebotenen Dinge auf zwei im Jahr anzunehmen. Gebotene Dinge werben berufen in bringenden Tällen‘), dazu zählen in gewiſſem Sinne auch die Gerichtshandblungen außerhalb Streitverfahrensd).. Auch dies tft eine öffentliche und (vor Karl dem Großen) allgemein zu fuchende Verfammlung, daher wird auch hier ver Schild tes Königs over Grafen over deſſen Vertreters auf: gehängt®).

Da das ungebotene echte Ding nichts anders ift als bie alte Gauverfammlung?), erklärt es fich, daß basfelbe vie gleiche Dauer zu haben pflegt wie dieſe, nämlich brei Tage (oben ©. 36). Nicht die karolingiſchen und noch fpäteren Beifpieles), die alten germanifchen Beläge?) erhärten, daß es nur Zufall gewejen ift, wird uns in mero- pingifcher Zeit (etwa 620) diefe Frift nur zweimal bezeugt 1%): striduum legebus custodivit et solsodivit«: d. h. erft nach Ablauf des britten Tages Tonnte das Ausbleiben des Gegners feftgeftellt werben, weil eben das Ding drei Tage je von klimmender bis zu ſinkender Sonne währte.

1) D. ©. Ia. ©. 287.

2) Wie Sohm II. S. 308: zweifelnd Wat IIb. ©. 138, der mit Unrecht hierfür L. Al. 36, 1. 2. und L. Baj. II. 14 anführt, nur »si neoesse est« Ab⸗ weihung. Der Richter beftimmt blos im Boraus (etwa für ein Jahr?), ob „ber Friede ſchwach im Lande” und wo (In Batern) im Gau getagt wird, da im Gau mehrere Malſtätten waren, dagegen in ber alamanutichen Hundertſchaft nur Eine.

3) Wie Sohm ©. 397.

4) Davon fchweigt feltfamerweife Watt IIb. S. 141.

5) Richtig Sohm ©. 391.

6) Wie Sohm S. 371 dies zugeben und doch behaupten kann, das ungebotne Ding ſei („nad Volksrecht“) kein Gericht geweien, bleibt äthſelhaft.

7) Könige J. ©. 13f., D. G. Ia. ©. 185. 203.

8 Bel Sohm ©. 304.

9) Tacitus Germ. co. 11. et alter et tertius dies... . absumitur, was übrigens auch Sohm a. a. DO. anführt.

10) Form. Andecav. 13. 14. (So wieberholt ſpäter das Kofgericht).

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IV. Die Gerichte: Arten; Abftufungen; Gemeinfames und Derfchiedenes.

Insbefondere das Königsgeriht. Der König und die Rechtspflege.

Die Gliederung der Ding- Gebiete, auch die Zeit und Zahl ver Ding-Tage (oben ©. 36, 37) waren von Anfang bei ben verjchiebnen Stämmen und auch innerhalb vieler landſchaftlich verfchievden, und ſogar das karolingiſche Trachten nach Gleichmäßigkeit ift hier keines— wege hurchgetrungen!).

Wir unterfcheiden in auffteigenver Reihe: das Gericht der ‘Dorf. Ihaft oder Höferfchaft?), der Hunvertichaft und das Königsgericht.

Ein Grafengeriht über ven Gau, die Grafihaft hat es in merovingifcher Zeit?) nie gegeben, fondern über dem Gericht ber Hundertichaften nur das des Königs t).

Der Gau wird zwar als der gefetliche ©erichtsiprengel des Grafen vorausgejegt5), aber e8 giebt feinen „mallus des Gaues“, nur inner« balb desſelben mehrere malli ver Hundertichaften over, wo dieſe fehlen, anderer Gliederungen des Gaues.

Das orbentlide Ding der Franken ift alfo ver mallus ber Hunbertichaft over fonftigen Gauglieverung: bier hält der Graf (ober fein Vertreter) alle 6 Wochen das ungebotne echte Ding, das drei Tage währt. (Wenigftens bei den Saliern). Gemäß der Rechnung nach der Meonpzeit®) ergiebt fich für die Regel ein Durchſchnitt von 42 Nächten = 6 Wochen”); die Lex Salica ſchwankt bemgemäß

1) So mit Recht auch Brunner II. S. 217, anders Sohm, das fräntifche Net, a. a. O.

2) Das alte Sippegericht ift ſchon im dem Gemeinbeftat im Wejentlichen durch das Gemeinde» Dorf⸗ oder Höfers)Sericht erſetzt.

3) Wie Geppert will, Beiträge zur Lehre von ber Gerichtsbarkeit der Lex Salica ©. 28.

4) (Herzogs und), f. oben VII. 2. ©. 164.

5) Chilp. Ed. c. 11 malus homo qui male in pago faciat.

6) Tac. Germ. c. 11. D. ©. Ia. ©. 201.

7) Dies hat Brunner II. ©. 217 gegen 'Thonissen, Organisation p. 378 unb befien unfelbftändige Breit-treter Beauchet p. 6, Beaudouin p. 564 unwider-⸗ leglih dargewieſen.

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zwifchen 40!) und 422) Nächten, die Lex Ripuariorum zwifchen 40 [oder Doppelfrift 80%] und 42 [Doppelfrift = 841)) Nächten. Jedoch beſtand bei den Uferfranken eine Drittelfrift von 14 Nächten, bie aber nicht5) aus den gebotnen Dingen entſtanden tft: folche waren doch nicht an regelmäßige Wieberfehr gebunden. So fielen auf ven Sau jährlich acht (oder neun) echte Dinge®). Neben ben echten un- gebotnen Dingen (oben ©. 37) konnte der Graf oder Gentenar ge- botene berufen: der Richter konnte Hierzu beliebig Viele als Rachin⸗ burgen bannen: gerade der hiermit getriebene Mißbrauch forderte fpäter Karls Abhilfe heraus.

Ueber dem Grafen fteht wie im Heerbann fo im Gerichtebann ber dux (Herzog); auch er bat ben Gerichtöbann; das wirb ebenfo wie von dem Grafen (für die Zeugen) voransgefekt”). Einmal kann er wahrjcheinlih an des Grafen Statt den Vorſitz in jedem mallus in der Provinz führen, an welchen er kommt). Ferner kann in manchen Fällen gegen das Urtheil des Grafengerichts Abhilfe bei dem Herzog gejucht werben: er wirb als Oberrichter über ben Grafen feiner Provinz vorausgefegt, wo im römiſchen Sinn bei der Erfigung ver höhere Gerichtsfprengel bie Unterfcheidung von »inter praesentes« und »inter absentes« in Trage fommt?). Da aber wenigitend Gericht » Verfammlungen für eine ganze Provinz auch nicht regelmäßig vorkamen, mußten wohl Streitfachen unter Ange- hörigen verſchiedner Gaue nach den gleichen Zuſtändigkeitsgrundſätzen regelmäßig vor das Königsgericht gebracht werben: vechts vom Rhein aber vor den Herzog der Alamannen, Baiern, Thüringe: ob auch in Gallien vor den dem Herzog entfprechenden dux ift zweifelhaft, boch wenigſtens als Ausnahme nicht unwahrfcheinlich, wenn z. B. ver dux eine Verfammlung berief.

Jene Unterfcheivung des „ungebotnen“ (mallus legitimus, placi-

1) 47, 1. 50, 1. 56. 74. 106.

2) 78, 7 und (Doppelfrif) 2><42 = 84,1. c.

3) L. R. 30, 2. 33, 2. 59, 4. 67, 2. 72, 2.

4) 31, 1, ebenfo das Chamavenrecht, L. Cham. 44.

5) Wie Brumuer a. a. O. meint.

6) Brunner a. a. ©.

7) Lex Rib. 50, 1 si quis testis ad mallo ante... comite seu aut duce patrieio vel rege necesse habuerit.

8 Nach Vorbild des Königs und des missus. Doch ift Dies ungewiß.

9) Darauf bat Brunner II. ©. 156 zuerft hingewieſen.

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tum legitimum, weil in ver Abhaltungszeit, Wieterfehr durch das Recht ein für alle mal beftimmt) echten Dinges von dem „gebotenen“ ift altgermaniſch): (daher legitimum im gleichen Sinn auch in ber Lex Salica)?): denn daß der Ausdruck erft in farolingifcher Zeit wieder bezeugt ift?), beruht nur auf Zufall.

Ueber das Sonderrecht der Geiftlichen vor Gerichtt) genügt hier das Folgende: ein Geiftlicher foll nicht den antern vor dem welt« lichen Gericht belangen®), überhaupt nur mit Verftattung des Biſchofs por dieſem klagen, auch fich vertheibigen®) ; auch Laien bürfen Geift- liche nur mit bifchöflicher Verftattung vor dem weltlichen Richter be- langen”), ebenfo fogar Freigelaffne und Schüglinge ver Kirche (fowie Wittwen und Waifen)®).

Genaueres über bie Verfaffung und Zuftändigfeit ver Gerichte ift nicht Hier, ift andern Orts auszuführen: nur Ein Gericht muß dies Wert feiner Aufgabe nach eingehend erörtern: das Königegericht und das Einwirlen des Königs auf die Rechtspflege überhaupt.

Das Königsgericht heißt merovingiſch mallus®), stappulum regis 1%), ante regem, ad palatium, ante regis praesentiam.

Das Königsgericht 1!) ift nicht Reichsverſammlung (f. dieſe): es be- fteht aus den Beamten mit ven geiftlichen und weltlichen Großen, bie zur Zeit gerade den König umgeben: Zahl und Art feiner lieber

1) D. ©. Ia. ©. 203.

2) 46. 50.

3) Waitz IIb. ©. 141, Sohm ©. 360.

4) Sohm, Gerichtsverfaſſung, S. 339, die geiftliche Gerichtsbarleit im frän- kiſchen Reich, 3. |. Kirchen: R. IX. S. 195. Löning ©. 312f. Zorn, Lehr: buch des Kirchenrechts 1888, S. 67. Niſſl, der Gerichteftanb bes Klerus im fränkiſchen Reich 1886, ©. 30. Löning, Litterariſches Centralblatt 1887 Nov. 24. Weyl, S. 36—39. D. ©. Ib. S. 671—675, unten Kirchenhoheit.

5) Cc. Autissiodor. c. 35. Maassen, p. 178. Matiscon. L. c. 8.1. c. p. 155.

6) Cc. Remense c. 6. Flodoard II. 5. Ce. Aurel. IV. c. 13. ce. 20. Paris V. c. 4. 1. c. p. 185. Clippiac. c. 7. 1. c. p. 196 (207).

Le.

8) Ce. Matise. II. c. 7. 12. 1. c. p. 163 seq.

9) L. Sal. 46., Rib. 50.

10) L. Rib. 33, 1. 67, 5. 75. 3. Grimm, R.Alterth. ©. 804.

11) Unbegrünbet find die Aufftellungen von Barchewitz, das Königsgericht der Merovinger und Karolinger 1882: danach foll fi das Königsgericht erft feit 613 entwidelt finden, ber König allein bis dahin als Feldherr und Nachfolger der Im: peratoren völlig unbejchräufte Strafgewalt gehabt haben (bie Hatte weber jener noch piefer), dann erft habe ber Adel und das Hausmeterthum der Arnulfingen dem König

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jteht daher keineswegs feft: denn nicht nur dieſe Großen wechfelten die Bischöfe, Herzoge, Grafen befuchten meift nur vorübergehend den Hof —, auch nicht alle Hofbeamten waren ftetS anwefend, weilten als Gefandte, Feldherrn, außerorventlihe Beauftragte oft im Aus» ande oder in ven Provinzen. Die maßgebende Formel!) zählt ale porausgejegte Glieder des Hofgerichts auf: Biſchöfe, optimates, den major domus, duces, patricii, referendarii, domestici, seni- skalken, cubicularii, den comes palatii und andere zahlreiche »fidelesa (die fich zufällig am Hofe befinden) 2).

Das Hofgeriht war ein Gericht?), wenn auch zuweilen eine Neihsverfammlung, die zugleich als Königsgericht handelte, in polt- tiſchen Procefien außer dem ftrengen Recht politiiche Erwägungen be- rädjichtigte: e8 war ein Gericht, denn e8 fand, wie jedes damalige Gericht, Urtheile durch feine Glieder, unter Vorſitz eines Richters, hier des Königs oder feines Vertreters. Und weil e8 Gericht war, hieß e8 auch Gericht, d. h. mallus‘). Der Ausländer wirb ges Inden, „auf 84 Nächte vor des Königs Staffel“ d. h. Nichtftätte, ad regis staffolo (stafpolum), eigentlich Gerüft, erhöhtes Gezimmer, nicht blos Richtblocks), wo des Königs Nichterftuhl fteht. Daß feine Stelle erhalten ift, in der der Zuſatz publicus ober auch legitimus fteht, ift Zufall): war es etwa nicht »legitimus«, d. h. durch bie Rechtsordnung beftellt?

Selbjtverftändlich hatte urfprünglich auch ber König Gericht unter freiem Himmel gehalten, an ven zugleich dem Opfer bienenden ‘Ding- ftätten”). Bedeutſam ragt noch aus dieſer Zeit für mallus das Wort mallo-Berg herüber. Noch 589 fpricht Childibert II. er ift offen- bar im Balaft, die Angefchuldigten verhörend, gedacht —: „Sehet hinaus ins Gericht (auf daß wir die Wahrheit erforfchen). Da wurben fie

zunächſt die Gerichtsbarkeit im bürgerlichen Berfahren abgenommen. Allein ſchon Greg. Tur. VII. 22. 23. X. 38, Urgefch. IIL ©. 315—317, 453 kennt das Könige gericht im weiteften Umfang, auch außerhalb bes bürgerlichen Verfahrens.

1) Marc. Form. I. 25.

2) Ebenfo 1. c. 34—37. 41.

3) Sehr mit Unrecht beftreitet das Sohm ©. 302.

4) L. Sal. 46 in mallo ante regem (nicht: »aut ante regem«, vgl. Beh⸗ renb L. Rib. 33, 1).

5) So frififch: Schade und Weigand s. h. v., vgl. engliſch staple.

6) Anders Sohm S. 362 und Walt IIb. ©. 183.

7) ©. über die Dertlichleiten 3. Grimm RA. S. 79%.

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hinaus geführt und famen mit tem König vor das Gericht“: d. h. wohl in den gallifchen Städten auf ven Markt⸗ over jonft größten Plag).

Aber in ver Regel warb doch nun das Hofgericht in ten palatia abgehalten, ober etwa im Hofe unmittelbar vor venjelben auf den zum Eingang emporführenden Steinjtaffeln oder auf der Einen breiten oberjten Baluftraten ähnlichen Steinftaffel. So verfteht man erft rihtig das Wort ad regis stapp(u)lum?).

Das Königsgericht hat jo wenig ftändigen Eik, wie der König jelbft: e8 folgt ver Perfon des Königs, der in feinem Weich umber- zieht, in bie wechfelnten Stäbte, palatia, villae feines Aufenthalts. Chilperich) hält Gericht zu Baris?), zu Melun‘), Compiegne®) ; Sunthramn zu Lyon6), Chälons”), zu Braines), Arvern?) ; Chil- bibert II. zu Chaͤlons a. 5911%), Beslingen!!), zu Verdun 12).

Das Verhältniß von Reichsverſammlung und Hofgericht ift alfo das folgende: ter König Tann jede Reichsverſammlung fofort zum Hof: gericht geftalten, aber Teineswegs ift jedes Hofgericht Reichsverſamm⸗ lung. Jenes gefhah 3. DB. offenbar, al am 28. Februar 693 Chlo- bovech III. von zwölf Biſchöfen, zwölf »optimates« (ohne Amtsan- gabe), dann 9 comites, 8 grafiones, 4 domestici, 4 referen- darii, 2 seniskalken, 1 comes palatii „und noch gar vielen anderen Getreuen“ das Urtheil in Sachen Ingramn gegen Amalbercht im Ungeborjamsverfahren finten läßt!8). Aehnliche Fälle find nicht felten.

Keineswegs bildet alfo ein folches in einer Reichsverſammlung abgehaltenes Königsgeriht einen Gegenfak zu tem gewöhnlichen

1) Greg. Tur. IX. 38, Urgeſch. III. p. 453. ©. darüber Tardif p. 180.

2) J. Grimm 1. c. ©. 804. Oben ©. 41 und L. R. 33,1 (vel ad eum locum ubi mallus est!. 67, 5. 75.

3) Na dem Concil). Greg. V. 17, Urgeſch. IL. ©. 187.

4) VI. 32, Urgeſch. III. ©. 270.

5) VI. 35, Urgeſch. III. ©. 275.

6) Nach dem Eoncil) V. 20, Urgeſch. III. ©. 197.

7) (Nah dem Concil) V. 31, Urgeſch. III. S. 204.

8) V. 46, Urgeſch. III. ©. 226.

9) VIH. 30, Urgef. DI. ©. 378.

10) X. 9, Urgef. III. ©. 481.

11) VII. 21, Urgeſch. III. ©. 368; wo a. 586? IX. 9, Urgeſch. III. ©. 411; wo a. 589? IX. 38, Urgeſch. IL. ©. 453?

12) X. 19, Urgeſch. II. ©. 498.

13) Dipl. 66, Urgeſch. III. ©. 731.

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Königsgericht 1): felbftverftändlich fonnte der König (oder Hausmeier) auch mit dem Märzfeld ein Hofgericht verbinden?): die Zuſtändigkeit bes Palatinms ift daher als orbentlichen und außerorventlichen Ges richtshofs eine ſehr manchfaltige und ausgebehnte.

Das Hofgeriht war jetzt dasjenige Gericht, das bie fehwerften Strafen ausſprach: der Palaft des Könige war an die Stelle ber alten Voltsverfammlung getreten und fo kenn auch das Königsgericht an die Stelle des alten Volksgerichtes: nicht gerade ver Völferfchaft 3} oder doch nur bei ven Völkern und in ber Zeit, bei denen und in welcher bereits alle Gaue zu Einem Stat der Völkerſchaft zufammen- gefaßt waren: daß dies bei den Völkerſchaften, welche tie Mittel- Gruppe ver Salier und die ber Uferfranten bilteten, fchon erreicht war vor Chlodovech, tft nicht anzunehmen. Chlodovech ſelbſt be- berrichte Anfangs nur ein paar Gaue ber Salier. ‘Daher verhängt ſchon nach ver Lex Salica jtatt des Volksdings der König die Fried- Iofigfeit über den Ungehoriamen®). Später wird fie durch bejtimmte Einzeljtrafen faft völlig verdrängt, aber, wo fie noch erjcheint, ſpricht fie der König ausd). Werner wird bie Tobesitrafe über freie (und angefehenere) Franken nur vom Königsgericht ausgefprochen‘). Der Richter läßt den Räuber binden, auf daß er, falls er ein Franke, vor den König geftellt, wenn er eine geringere Perfon, auf vem led gehängt werde”). in überjchworener Dieb wird gebunden, darf nicht ohne Urtheil des Königs frei gegeben, foll nach Urtheil des Könige gehängt werdend). Auch Bortunat?) ſetzt voraus (ut assolet), daß ber Verbreher vom König zur Hinrichtung ge- ſchickt wird.

1) Wie Pardessus, Loi Salique p. 566.

2) Nichts andres geſchieht v. St. Salvii (erft unter Karl Martell), Biſchof von Amiens, geft. c. 613, 11. San. I. p. 704.

3) Wie Wait IIb. ©. 185.

4) L. S. 56, 2; bagegen bei Leichenberaubung tritt fie noch durch Spruch des Volksdinges ein, wie es jcheint, 55, 2.

5) Chilper. Edict. c. 10. (Cap. addit. 6. 18. ed. Behrend p. 96) ipsum mittemus foras nostro sermone ut quicumque eum invenerit quomodo sic ante pavido interfitiat.

6) Thonissen, m&moire sur les peines capitales dans la l&gislation Mero- vingienne 1877.

7) Childib. decr. 8.

8) L. Rib. 73, 1. 79.

9) V. St. Rad. c. 10.

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Ebenfo entjcheivet der König über vie Auslieferung des Der- ſchuldeten in die Hand der Verletzten zu beliebiger Rache!). Aber auch andere, beſonders wichtige, außerorbentliche Rechtshandlungen ber ftreitigen und ber freiwilligen Gerichtsbarkeit müffen vor dem König geichehen und zwar nicht vor dem König allein, fonbern vor tem König im Hofgeriht —: fo bie Stellung eines auswär- tigen Gewähren, von bem ver Beklagte bie abgeforverte Fahrhabe erworben ?), die legtiwillige Zuwendung von Grundeigen durch einen Kinderloſen 3).

Ferner giebt es gefreite Perfonen und Sachen, über bie gleich im erften Rechtsgang nur ber König richtet. Dahin zählen die Königs» ſchützlinge) für ven Schügling (und fein »mithioe) 5), wenigftens, wenn er behauptet, vie Sache könne ohne fchweren Nachtheil (absque ejus grave dispendio) für ihn nicht braußen im Gau entichieven werben.

Der König Tann aber auch jeden Mechteftreit, felbft folche, bei denen er oder feine Schüßlinge nicht betheiligt find, gleich im erften Rechtsgang vor fein Pfalzgericht zieben®). Werner gehen Klagen und Beichwerben gegen die Beamten wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt oder Nicht- Erfüllung der Amtspfliht an ven König”). Treffend fol- gert man) ganz allgemein aus Cloth. II. Const. c. 16: »in nostri absentia ab episcopis castigetur« (judex), daß, fall® ver König erreichbar, Klagen gegen ben ungerechten Richter an den König gehen (alfo auch wohl Beſchwerden über den Centenar?). Daſſelbe gilt von den Hofbeamten: ward doch zwifchen Hof- und Stats-Beamten überhaupt nicht unterjchieden 10) und hatten doch jene ohnehin ben Ge— vichtsftand des Wohnorts (regelmäßig) da, wo der König Hof hielt.

1) Chilp. Ed. c. 8.

2) L. R. 33, 1 ad regis staplum.

3) 1. cc. 48.

4) Form. Marc. I. 24.

5) Keineswegs alle feine fideles oder leudes, auch nicht die antrustiones als folche: diefe waren aber wohl meift Königsſchützlinge.

6) Brunner II. ©. 74.

7) Greg. Tur. X. 5 (ein vicarius), Urgeſch. III. S. 470 und oft: Herzoge und Grafen.

8) Wait IIb. ©. 188.

9) Anders Waig IIb. S. 190 (über Radhinburgen ?)

10) Oben VII 2. &. 79.

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Den weltlichen Beamten ſtehen die geiftlichen Großen auch hierin fofern gleich, als fie überhaupt wor weltliches Gericht gehören 1). Zunächſt gehen Klagen gegen Bilchöfe?) an ben Metropoliten: bei Verbrechen wirb in ber Regel das Urtheil von einer Verſammlung von Biſchöfen gefprochen, aber auf Gebot des Königs®). Ja, biejer jtraft wohl auch felbft). So König Theuderich I. Defideratus von Verbun durch Gütereinziehung und Leibesſtrafen. Chilverich II. zieht lediglich „bie Erften des Palaftes” zu beim Gericht über Sanct Leo» begar: fie urtheilen, er könne ihn hinrichten laffen; wenn ex ihm bas Leben fchenke, folle er ihn für immer in das Klofter Luxeuil ver bannen).

Zur Verantwortung zieht der König die Biſchöfe gar oft®). Abt DBertigifel Hat ein placitum vor dem König mit dem patricius Philipp wegen der von biefem vorenthaltenen ministeriales 7).

Bei Amtsentfegung des Biſchofs durch das Bifchofsgericht trat auch Gütereinziehung ein: diefe war aber weltliche Strafe und warb durch das Königegericht verhängt: dafür fpricht wenigftens, daß für bie Erlaffung derfelben dieſes, nicht jenes, zuftäntig ift®). Gefreite Sachen, die vor das Königsgericht gehörten, waren auch Streitigkeiten um Srongüter?).

Der Grund, aus welchem die Zuftändigfeit des Königsgerichts als ein Vortheil erfchien, war für die Königsfchüglinge die beſondere

1) S. unten Kirchenhoheit.

2) (Yusbefonbere Cc. Par. V.c. 4. ed. Maassen p. 185, aber nicht nur von andern Biſchöfen erhoben). Cc. Matiscon. II. 9. Maassen p. 163.

3) So richtig Löning S. 517 gegen Sohm, 3. f. KR. X. ©. 248, ber jebe weltliche Gerichtsbarkeit bei bifchöflichen Verbrechen beftreitet.

4) Greg. Tur. III. 34. 35, Urgeſch. III. S. 95f. supplicia.

5) V. 8t. Leodig. c. 6, vgl. Urgefch. III. ©. 681f., S. Kruſch, die ältefte vita St. L. Neues Archiv XVI ©. 565.

6) Greg. Tur. V. 18, VI. 11. 22. 24, VIII. 7. 43, Urgeſch. III. &. 188f. 243. 258. 259. 351. 396.

7) Epist. Bertig. ad Desiderium ed. Arndt, Epistol. Merov. p. 203.

8) So mit Recht gegen Sohm a. a. O., Wait IIb. ©. 189: nad) Dipl. N. 48, Theuderich III. gegen Ehramlin von Evreur (15. IX. 677).

9) „Die meiften Töniglichen placita ... beziehen ſich auf Streitigfeiten über den Befis von Bütern.. . . Löntglicher Verleihung. Zum Theil find es .. Schein- proceffe, die nur den Zweck hatten, eine Lönigliche Beflätigung im ber Form eines Urtheils zu erlangen.” Waitz IIb. ©. 190, Brunner, Gerichtsgeugniß S. 137. Gegen die Eonftruction jurgia palatii flatt jurgia altercantium Dipl. N. 41 bei Bethm.-Hollweg I. ©. 436 richtig Waitz a. a. O.

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Verwendung des Königs für deren Recht: dann wohl auch die freiere Würdigung der Billigkeit, obzwar doch auch das Königsgericht nach Recht, nicht nach Zweckmäßigkeit zu urtheilen hatte). Sehr oft richtet das Königsgericht in zweiten Nechtsgang, als Obergericht.

Und doch war eine wahre Berufung wie im römijchen, Tanonifchen, gemeinen Verfahren mit dem Genofjengericht un- vereinbar 2).

Allein der König als oberfter Schirmer bes Rechts Tonnte ftets angerufen werten in außerorvdentlicher Weile: an genauer Regelung biefer feiner Angehung fehlte es freilich. Aber er foll „aller Leute Nechtsfachen mit gerechtem Urtheil zum Ende führen®), wem ber Herr der Herrſchaft Sorge übertrug, hat Aller Nechtsftreitigleiten in forgfältiger Prüfung zu enticheiden“ Hier tritt aber ſchon die Vor- ftelung, vom Gottes-Stat Hinzu. Jedoch kann man ſtets den König anrufen wegen Nechtsverweigerung: der König ertheilt dann zunächit dem Grafen den Auftrag, dem Kläger zu feinem echte zu verhelfen, und, falls er dies nicht vermag, ben Ungeborfamen, unter Abnahme von Bürgen, zu beftimmter Tagfahrt vor ven König felbft zu ftellen. Eine Urkunde diefes Inhalts führt einen beftinmten Namen: fie heißt carta audientialis?®).

Sind beide Parteien mit dem Urtheil tes Eritrichters nicht zus

1) Brunner, Inquifition ©. 113, Schwurgeridte S. 73, Gerichtszeugniß S. 151. Zu wenig bo als Gericht faßt das Königsgeriht Sohm, Ger.» Berf. S. 165.

2) Richtig Pernice, p. 18, Thomas, Oberhof ©. 5, Wait IIb. ©. 187.

3) Form. Marc. I. 25; aber daß Sachen „ohne befonbere Gründe” von bem König entjchieden werben, Wait IIb. S. 186, folgt nicht aus dem Fehlen ver An⸗ gabe folder Gründe in der Fafjung ber Formeln wie Marc. I. 37. 38 und ber Urkunde 49 von Theuberih III. a. 679.

4) Marc. Form. I. 28, p. 60 ille rex vero (hierüber d. 5. über ben Dativ Sidel, Urkundenlehre 8 59) inlustris illo comite. Fidelis .. noster illi ad presentiam nostram venieng clementiam regni nostri suggessit, eo quod paginsis vester illi eidem terra sua in loco nuncupante illo per fortia tul- lisset et post se reteneat injusti et nulla justitia ex hoc aput ipsum con- sequere possit: propterea ordinatione praesenti ad vos direximus, per qua omnino jobemus, ut ipso illo taliter constringatis, qualiter, si ita agitur, ac causa contra jam dicto illo legibus studeat emendare. Certe si noluerit et vos rectae non finitur, memorato illo, tultis fidejussoribus kalendas illas ad nostram eum cum omnibus modis diregire studeatis presentiam. Bgl. Brunner, Entflehung der Schwurgerichte ©. 80.

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frieven, können fie vertragsmweife fich eine Tagfahrt vor dem König anberaumen }).

Wegen ungerechter Zwangsvollftredung durch ven Grafen finvet Beſchwerde und Verhandlung vor dem König ftatt?). Aber ganz allgemein Tann nad uferfränkiſchem Necht der Bellagte, gegen ben nach fiebenmaligem ungehorfamem Ausbleiben VBollftredung beran- fchreitet, fein Schwert vor bie Schwelle feines Hauſes legen und damit Kampf vor dem König herbeiführen ?).

Nah ſaliſchem Recht Lädt der Kläger ven Beklagten, ber fich vor Gericht nicht ftellt oder dem Urtheil der Rachinburgen nicht nach- fommt, vor ben König über 14 Nächte. Ericheint er nicht und wird durch im Ganzen 12 Zeugen viefer mehrfache Ungehorfam des Be⸗ Hagten erwiejen, fo entzieht ihm ver König feinen Schu, was nun ebenjo wirkt wie ehebem ber Verluſt des Volksfriedens, d. h. bie Friedloſigkeit *).

Die Ladungen ergehen durch indiculi, d. h. befontere königliche Schreiben, die aber auch anderen Inhalt haben können: 3. B. durch einen indiculus befiehlt Dagobert dem Erzbiſchof Sulpitius von Bourges eine Bifchofsweihe:), bei Markulf heißt amtlich ein folcher Weihauftrag indiculus®). Aber auch ein Brief anderen Gebotinhalts heißt indiculus”). Gleichbedeutend fteht praeceptum?). Der Unterfchiep®), wonach praeceptum höhere Bedeutung und das Sigel, indiculus nur bie Unterfchrift des Königs getragen habe, ift unbegründet. Es be- gegnen fehr verfchievene Bedeutungen auch fonft von indiculus!).

1) So die Juden von Tours uud Injuriosus Greg. Tur. VIL 23, Urgeſch. LI. ©. 316.

2) Edict. Chilp. ce. 8.

8) L. Rib. 32, A.

4) L. Sal. 56, de eum qui ad mallum venire. contemnit. ©. barüber Baufteine II. S. 62.

5) V. St. Desider. Cat. c. 8. 6) Form. I. 8: indiculus regis ad episcopum ut alium benedicat. 7) So epist. Sigiberti ad Desid. Cat. ed. Arndt, 1. c. p. 207. 212.

8) Marc. Form. 1. 5.

9) Bei Bignon. 1. c.

10) Form. Marc. I. 26. 27, Auftrag und erft in zweiter Reihe Ladung Auftrag an einen Bifchof, feinen Geiftlihen zur Rechtgewährung zu zwingen. Sohm, 3. f. KR. IX. S. 715. Brunner, Schwurgerihte S. 76—78. Greg. Tur. V. 44, Chilperichs irrlehreriſcher Auftrag an bie Biſchöfe. Indiculus heißt

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Ungebotene d. 5. alſo fonder Anfage in beftimmter 3eitfolge abgehaltene Königsdinge find nicht wohl anzunehmen. Einmal ver- änderte ber König durch unabläffiges Umberreifen im Lande, Jagden, Teldzüge feinen Aufenthalt jo Häufig und fo plöglich, daß fein Aufent- baltsort auf Wochen hinaus im voraus nicht zu beftimmen war. Sodann hätte doch wohl das Königsding gar manchen Dienftag nichts zu Crledigendes gefunden. Endlich aber Tonnte ja der König im Fall des Bedürfniſſes ftets fofort feinen Hof als Hof- gericht berufen: weder beftimmte Zahl noch Stellung der Ur- theiler war vorgefchrieben hierfür. Man bat freilich angenommen, ben erften jedes Monats fei Königsgericht gehalten worben!). Daß in ben Formeln?) einigemale die Kalenden als Gerichtstag genannt werden aber ein Tag mußte wohl bezeichnet werben —, ift eben formelhaft?). Wäre es Wirklichleit geweien, jo müßte von ven uns erhaltenen Urkunden doch eine erhebliche Zahl an einem Erften aus- geftellt fein; e8 ift aber nur bei Einer) einzigen von ven 15 merovin⸗ gifchen Königsgerichtsurtunden (placita) der Fall. Sollten die un- gebotenen zu den gebotenen fich verhalten haben wie 14:1?

Aber auch von den chartae wäre zu erwarten, daß ihrer eine größere Zahl an den Tagen ausgeftellt worden, an denen viele geiftliche und weltliche Große das (ungebotene) Königsgericht beſuchten: jedoch von den 82 chartae find auch nur 10 an einem Erſten gegeben.

Dagegen von den 103 falfhen chartae faliche placita liegen nicht vor find 15 von einem Erſten batiert (ftatt ver Ver: hältnißzahl 12). Offenbar nicht, weil dies befonbers wahrfcheinlich ausfah wir fanden das Gegentheil —, fondern weil pie Formeln biefen Tag gewährten. Sogar, wenn man gegen unfere Meinung noch verwerthet die breitägige Dauer des Königsgerichts (f. unten), aljo auch die an einem 2. oder 3. des Monats gehaltenen placita gegen ung aufrechnet, ift nur noch je Ein placitum von einem 2. und einem 3.

jeder Brief, zumal mit einem Auftrag, fo der Brunichildens Fredig. IV. 40. Einmal ladet der Kläger unter Königsfigel Form. Senon. 26 (»indieulum re- gale«); zahlreiche indicula andern Inhalts (karolingiſch) vgl. »Indieulus Arnonise. 1) Waitz IIb. S. 194. Allein ohne zwingende Gründe. 2) Marc. I. 28. 29. 37, Turon. 33. 3) Manchmal fehlt eine Zagbeflimmung Marc. I. 26. 27. Bgl. Brunner II. ©. 138. 4) Diplom. 60.

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anzuführen, während andere placita fo nahe vor jenen 3 Tagen gehalten wurden, wie es gewiß nicht gefchehen wäre, fand vom 1.—3. ein ungebotenes® placitum jtatt: z. B. am 24., am 2. und Lesten des Februar 702 und 693. Warum nicht in biefen beiden Fällen noch 4 Tage oder gar nur 1 Tag warten auf das nächfte un- gebotene Ding? Daß dagegen einmal ein gebotenes Ding auf einen Eriten anberaumt wirbi), beweift nichts für die ungebotenen: daß aber ein gebotenes auf zwei Tage vor einem Erften angejegt wird 2), beweift wohl, daß an jenem Erften nicht ohnehin Königsgericht ge- balten warb.

Endlich ift nicht wahrfcheinlih, man werde, während man fonft bei Gerichtsfriften nach vierzehn Nächten rechnete, bier eine nicht mit fieben theilbare Zahl angeſetzt haben?).

Wie die niederen Gerichte tagt auch das Königsgericht drei Tage: wenigftend war dies bie durch das Geſetz daher fo oft: »ut lex habuit« bejtimmte Frift, während deren der Erfchienene auf den Ausbleibenden warten muß: erft nach deren Ablauf Tann er ihm „die Sonne ſetzen“, sol satire, d. h. fein ungehorfames Ausbleiben gerichtlich feftftellen‘). Selbftverjtännfich Fonnte noch länger gewartet werben, ba ter König und fein Hof dauernd beifammen blieben und es auf Einzelne, die den Hof etwa verließen, nicht ankam.

Drei Tage wartet daher auch Injuriofus bei dem Königsgericht (placitum) Chilbiberts II. auf bie klagenden Juden bis Sonnenunter- gang’).

Da e8 an jeder gejetlichen Regelung ber Zufammenjekung bes Königsgerichts fehlt, der König jeden Augenblid aus ben jeweilig am Hof Anwefenden daſſelbe bilden kann, jchillern Königsgericht und Königsrath nicht eben zum Vortheil veiner Rechtspflege! in einanter über.

Wie das Hofgericht in Rechtsfragen auch ftatlihe und Zweck— mäßigfeitsgründe heran zog, fo wurben bie Höflinge zu Ver—⸗ fammlungen berufen, die halb Gericht, Halb Statsrath waren: fie

1) D. 60. 2) D. 49. 3) 141, 42 (dafiir 40. D. 59) 84. 4) Per triduo seo per pluris dies D. 60, per triduum aut per amplius 66, ebenso die Formeln Senon. 26, brei Xage Marc. I. 37, Turon. 33. 5) Greg. Tur. VIL 23, Urgeſch. III. ©. 317 (a. 584). Dahn, Könige der Germanen. VI. 3. 4

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biegen ebenfalls placita. So bei Klagen gegen Glieder des Königs- baufes: fo verweift Guntchramn das Verlangen Childiberts II., Fre- bigunbis wegen ihrer Morde zur Strafe auszuliefern, an ein pla- citum !).

Hier ift gemeint nicht eine Verfammlung ver Großen nur Gunt- chramns, fondern eine Zufammenkunft beider Könige felbft, gefolgt von ihren Großen: zunächſt wird Childibert bierbei nur vertreten durch feine Vornehmen?), jpäter aber fommen Oheim und Neffe zu« fammen in einem »placitum«, in welchem fie bie Unterſuchung gegen Hochverräther führen, aber auch einen Exrbvertrag fchließen 3). Dagegen ift e8 kein „Sericht“, nur eine Befragung von Bilchöfen als Ver: tretern der Billigkeit, nicht einmal ein Schiedsgericht, was Guntchramn im Jahre 573 zu Baris veranftaltet: nur feine Bilchöfe verfammelt er, bamit fie fich äußern über die zwifchen ihm und Sigibert I. ftreitigen Tragen!). Und auch der Tag von Andelot (587) war nicht ein Schiebs- gericht der Großen, dem fich beide Könige unterworfen hätten, fon- bern eine wölferrechtliche Verjammlung, in welcher die beiten Könige, unterftügt von ihren vermittelnden geiftlichen und weltlichen Großen >), bie zwifchen beiden Theilreichen ftreitigen ragen beriethen und be- gliden und einen neuen gegenfeitigen Erbeinjegungsvertrag, aber auch einen Bünbnißvertrag fchloffen: das tft weber ein Reichstag denn 2 Reiche find vertreten noch ein Gericht).

Begrifflich zu ſcheiden aljo?), ſowohl von Königsgericht wie von Reichstag, in denen beiden nur der König Eines (Theil⸗) Reiches oder unter Chlothachar I. und II. des Gejammtreiches den Vorfig hat, find, obwohl auch fie placita beißen, alfo ſolche völkerrechtliche Verſammlungen ber Könige zweier Theilreihe und ihrer Großen, in welchen Nechts- fragen nicht durch NRichterfpruch entſchieden werben können, auch nicht einmal durch Schiebeipruch, ſondern burch Vergleiche und Verzichte erledigt werben, durch völferrechtlihen Vertrag: und burch völfer- rechtlichen Vertrag werben dann auf diefen Verfammlungen auch jene Erbverbrüberungen hbergeftellt, drohende Kriege abgewendet, Bünd⸗

1) Greg. Tur. VII 7, Urgeſch. III. ©. 298.

2) Greg. Tur. VOL. 13. 14, Urgeſch. S. 301—303.

3) 1, e. VO. 33, Urgeſch. IH. ©. 328.

4) IV. 47, Urgeſch. ©. 153. III. Cc. Paris ed. Maassen p. 146.

5! Greg. Tur. IX. 20 mediantibus sacerdotibus atque proceribus. 6) Anders fcheint es Wait IIb. ©. 197, ſ. aber Urgeſch. IH. ©. 431. 7) Hieran fehlt es bei Waitz IIb. ©. 197—199.

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niffe gegen andere Xheilveiche, gegen Goten oder Langobarden oder andere Fremdmächte gejchloffen.

So hält Childibert 585 Hof in der villa Belsonancum mitten im Ardennerwald, (Beslingen in Luxemburg)!). Zunächit ift dieſe Verfammlung „Hofrath*, bei dem Brunichildis völferrechtliche Beſchlüſſe zur Befreiung ihrer Tochter aus byzantiniſcher Gefangenfchaft bei allen Großen betreibt. Dann aber verwandelt fich der Hofrath in das Hofgericht, über Guntchramn Bofo zu urtheilen; da ex fich wiber bie erhobenen Anklagen nicht vertheidigen kann, fondern heimlich ent- flieht, wird ihm alles abgejprochen, was er in Clermont vom König geſchenkt erhalten Batte?).

Zu einer Hofverfammlung, nicht Concil, aber auch nicht Gericht, beruft Guntchramn drei Biichöfe nach Paris. Zu dieſem placitum bringt der König zahlreiche domestici und Grafen mit: es handelt fih®) um die Laufe Chlothachars IL.

Man darf nicht*) hieher zählen ven (micht ausgeführten) Plan von 607/8: die Königinnen Brunichild und Bilichild follten eine Zufammen- kunft (allervings auch placetus genannt) Halten, den Frieden zwifchen Theuderich II. und Theudibert II. zu vermitteln: dies hätte nur eine wirkliche völferrechtlihe Verfammlung ter Könige und Großen beiber Neiche vorbereiten follen?).

Dagegen trat zwei Jahre darauf (609/10) eine wirkliche völferrecht- fiche Verſammlung zufammen zu Seltz, wo vie beiden Brüder nach bem Urtheil ver Franken ven entbrannten Krieg beenven follten 9).

Theuderich erfcheint mit einer Schar, escaritus, (f. oben IL 2. ©. 267) von nur 10000, aber Theubibert mit einem gewaltigen Heer

1) ©. Urgeſch. III. ©. 368 au Greg. Tur. VOIL 21.

2) L c. Ch. rex aput B... cum suis conjungitur ibique B. regina om- nibus prioribus ... questa est... pro Ingunde filia, quae adhuo in Africa tenebatur . . Tunc contra Bosonem Guntchramnum causa (b. h. peinliche Au⸗ Hage) exoritur... sed cum ad placitum in villam (B.) Ch. cum proceribus suis convenisset et Guntchramnus interpellatus etc.

3) Greg. Tur. X. 28, Urgef. III. ©. 511. Anders Waig IIb. ©. 199.

4) Mit Waitz IIb. ©. 197.

5) Fred. IV. c. 35. p. 134, Urgeſch. IIL ©. 573. Zu dem dort angeführten Deutungen ber Gaue »Colerensis« und »Suentenensis« |. jet noch Schrider, ältefte Gränzen und Gaue im Elfaß, Straßburger Studien 1884; vgl. aud Digot DO. p. 334. _

6; Fred. 1. c. 37 unde placetus inter his duos regis ut Francorum ju- dicio finiretur Saloissa castro instituunt, vgl. Urgeſch. III. ©. 587.

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wie zur Schlacht, und eingefchüchtert wird jener zu erheblichen Ab- tretungen freilich vertragsmäßigen gezwungen).

Drei Iahre fpäter ſchlägt Chlothachar II. Brunichilten vor, der Schiebfpruch (von beiden) auszuwählender Franken folle zwifchen ihnen entfcheiben, dem wolle er fich unterwerfen: auch bier ift an eine völfer- rechtliche Verſammlung von Vertretern ber beiven Weiche, nicht an einen Reichstag Eines Neiches oder ein eigentliches Gericht gebacht 2).

Zu einer folhen Verfammlung fam es nicht, va Brunichildig burch die jehr häßlichen Ränke Arnulfs und Pippins und ten verrä- theriſchen Abfall ihrer Großen dem Sohn ihrer Topfeintin in bie Hände gefpielt ward: derſelbe fcheint die fcheußliche Zerfleifchung ber Greifin durch eine Art von Schein-Gericht bejchönigt zu haben: „bie Heere der Franken und Burgunden verbündeten ſich und Alle jchrieen, Brunichildis fei des ſchmählichſten Todes würtig"?).

Dies war weder Heeresverfammlung noch Königsgericht noch völferrechtliche Verfammlung, fonvdern ein graufam Gaukelſpiel.

Gar nicht, wenigftens nicht nothwendig um Verfammlungen, fon- bern um (fehriftlich errichtete) wölferrechtliche Verträge zwifchen ven Theil— reichen hanvelt e8 fih, wenn bie am Hof des unmündigen Chilvibert II. thatfächlich die Negentichaft übenden Großen, Egidius von Rheims und feine Genoffen, mit Chilperich fchriftlich vereinbaren, Guntchramn zu ftürgen und feine Stäbte unter einander zu vertheilen t).

Ebenfo, wenn die Brüder fich verpflichten, nicht ohne Einwilligung des Andern Paris zu betreten: heißt e8 hiervon anderwärts 5), daß tiefer Vertrag „mit den Franken“ gefchloffen worben, fo weift dies doch nur auf Vermittelung der Großen bei Abjchluß des Vertrages hin.

1) 1. c. conpulsus .. timore perterritus ... per pactionis vinculum fir- mavit.

2) 1. c. 40. Chlotharius respondebat et per suos legatus ... mandabat, judicio Francorum electorum quicquid .. a Francis inter eosdem judicabatur pollicetur esset implere, vgl. Urgeſchichte III. ©. 596.

3) Liber historiae Francorum 40, coadunato exercitu Francorum et Burgundionum in unum cunctis vociferantibus etc. Fredigar IV. 12 weiß nichts von einem Urtheil des Heeres ober einem Gericht der Großen Chlothachars wie v. St. Desiderii Viennensis, Biſchof von Vienne, geft. 608, 23. Mai V. p. 254. congregata .. optimatum suorum curia .. judicantium Francis eam indomitis equis praecepit religari.

4) Greg. Tur. VII. 6, Urgeſch. III. ©. 296f., anders fcheint es Wait IIb. ©. 198.

5) In der fogen. Hist. epitom. 90, d. h. Fredig. III. p. 118.

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Eine gefreite Stellung Hat der König im Beweisrecht: „ber König lügt nicht“: fein einfaches Wort bat vollen Glauben, fein Ber- treter in der Klage hat nicht den fonft erforverlihen Vor⸗Eid zu ihwören: fein Zeugniß in Wort oder Urkunde darf bei Todesſtrafe im Nechtsftreit nicht angezweifelt werben.

Der König hat zunächſt aber Teinen unmittelbaren Einfluß auf bie Nechtfprechung außerhalb des Königsgerichtsi).

Schon Chilperich bedroht die Umgebung des orbentlichen Richters unter Anrufung des Königsgerichts mit Nechtsfälligkeit 2), offenbar auch, um ber Ueberhäufung biefes Gerichts wie der Zerrüttung bes Nechts- ganges, der Mißachtung der orbentlichen Unter-Gerichte vorzubeugen.

Der König übt eine außerordentliche Gerichtsbarkeit, d. h. in unklarer Mifhung von Urtheil und Begnadigung (Entbinpuug) ent jcheidet er oft nicht nach ftrengem Recht gleichgültig übrigens, ob Königsrecht (vd. h. Verordnung und Reichsgeſetz) oder Volksrecht (d. h. Stammesgefeg und Stammesgerwohnheitsrecht) dadurch umgangen, ge beugt, abgeäntert wurbe?). Aber daß das Königsgericht eine Art »court of equity« gewejen, bie ein ganz anderes Recht, eben eine equitable jurisdietion geübt babe, daß etwa, wie das präto- rifhe und äpilitifche Recht in ven bonae fidei neben ben stricti juris actiones, das Königsgericht ein ganz anderes Nechtsfuften eben ter aequitas im Gegenſatz zu dem jus strietum des Vollsrechts angewendet habe —, ift doch noch nicht?) erwieſen.

Die Schukbriefe verfprechen nur in der Neclamationsclaufel, ber König als Schutzherr werde „Milde“, „Billigkeit“, Gnade“ walten laſſen, Abſchwächung von im Einzelfall allzuhart erſcheinenden Strafen: das iſt eben Begnadigung; mehr kann man auch in fpät faro- Iingifcher Zeit nicht erblidenS) : »propter aequitatis judicium« ijt nicht Amtsname für eine befonvere Art won Gericht, fondern bebeutet „weil bort die aequitas, das materielle Recht, am Meiften gewahrt wird“,

Sofern überhaupt die Billigfeit (richtiger die Begnadigung, in unklarer Miſchung mit der Nechtiprechung) in dem merovingifchen

1) Brunner II. ©. 134 läßt die ganze Gerichtsbarkeit vom Boll auf ben König übergehen: er meint unter Gerichtsbarkeit Gerichtshoheit.

2) Ed. Chilp. c. 9, Cap. I. p. 10.

3) So viel it Brunner II. ©. 135 einzuräumen.

4) Bon Brunner II. ©. 135.

5) Iu Hincmar de ordine pal. c. 21.

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Königsgericht anzunehmen tft, kann fie doch gewiß nicht!), aus ber von dem imperatorifchen consistorium principis anzumwendenben aequitas abgeleitet werben: follte Chlodovech die fraglichen Confti- tutionen in dem Codex Theobofians 2), oder fpäter Chilvibert II. auch bie in dem Cober Juſtinians ?) gefannt haben *)?

Das Königsgericht als Billigfeitsgericht foll 3. B. bei der fonft allzuftrengen Behandlung abfichtlofer Miſſethat im Volksgericht durch fönigliche Milverung abhelfen.

Geringſtes Gewicht darf bei folcher Beweisführung nad

unferen Grundfägend) auf die fogenannten fränkischen Tochter- rechte gelegt worden, d. h. Aufzeichnungen in Gebieten, in welchen früher vie Lex Salica und Lex Ripuaria galten, bie auch wohl theil- weife beibehalten, aber durch neue Nechtsbildungen im Lauf von 8 bis 9 Jahrhunderten! doch weientlich verändert wurden. Co wenig bie Lex Saxonum von 803 für das Necht bes Sachien- ſpiegels von 1232, fo wenig ift für das flanprifche Necht von 1300 bie Lex Salica von 480 over auch ein Gapitular von 800 noch grundlegend. Gegen bieje ftrenge zu wahrenden Grunbfüte verftößt bie fo beliebte Verwerthung der „ZTochterrechte* ®). Unter Karl dem Großen bat die theofratifche Auffaffung, wonach Religion, Sittlichkeit, Milde, Gnade auch in der Rechtspflege vom Kaifer zur Geltung zu bringen find, allerdings erheblich auf Beugung bes fchroffen Rechts durch Gnade und um ter Billigleit willen ein- gewirkt.

Außerorbentlich ift die Königsgerichtsharkfeit auch darin, daß ber König und zwar nicht nur zu Gunften von Königsſchützlingen ſchon im erften Nechtsgang jeden Nechtsftreit von dem orbentlichen

1) Mit Bruuuer II. ©. 136.

2) 1.2, 3.

3) I. 14, 9.

4) Brunner LU. ©. 136 weift ja ſelbſt auf die bei Norbgermanen und Angel- fachfen erſcheinende „Rechtsleichterung“ (»lihtinge«) (Konrad (von) Maurer, bie Rechtsrichtung des Älteren isländiſchen Rechts S. 126, v. Amira, in Paul's Grund» riß II. 2. ©. 188, Lehmann, Königsfriede S. 40f. 90f.) Hin: auch Diefe, gewiß ohne römische Beeinfluffung, beruht wohl auf (unflarer) Hereinzicehung der Beguadigung in die Rechtſprechung.

5) S. Vorwort zu Könige J. VOL. und Baufteine VI. ©. 193.

6) Dies gegen Brunner, Berliner Sit.-Ber. 1890. XXXV. ©. 820. R.G. II. ©. 136.

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Volks⸗Gericht oder Beamten hinweg an fein Pfalzgericht ziehen kann!), indem der König einem Kläger, ver fich unmittelbar an ihn wendet, ein „bevingtes Mandat” (wie man fpäter gejagt haben würbe) an ven Beklagten zuftellt, in welchem dieſer aufgefordert wird, ven Kläger Haglos zu ftellen over, falls er deſſen Anfpruch nicht aner- fenne, fi an beftimmter Tagfahrt vor dem König zu ftellen und zu verantworten. Der Befehl heißt commonitorium, indiculus commo- nitorius, was übrigens auch andbersartige Weiſungen bebeutet?). Statt deſſen kann der König auch dem ordentlichen Nichter den bedingten Auftrag ertheilen, dem Kläger fein Recht zu verjchaffen over, falls fich Anſtände ergeben, namentlich wohl der Richter von deſſen Anfpruch fich nicht überzeugen Tann, den Beklagten vor ben König zu ftellen®); auch ein voll beglaubigter münblicher Befehl des Königs genügt ?).

V. Grundzüge des Derfahrens 5).

Der Grundſatz des Genoffengerihts und die Trennung von „Bann“ und Tuom“ (Urtheilfindung) find als Regel aufrecht erhalten.

Man darf fih durch die Ausprudsweife der Quellen nicht zu bem Irrthum verleiten laffen, als habe ver Graf over judex allein handelnd geurtheilt: das Gericht ift bei Strafe von allen Freien zu juchen, offenbar vor Allem deßhalb, weil die Mitwirkung des Volkes bei der Urtheilfindung oder doch die Gutheißung bes von dem Richter vorgeſchlagenen Urtheils unentbehrlih war. Seit Aufzeichnung bes

1) Oben ©. 44.

2) Du Cange IV. p. 342, Form. Marc. 1. 26. I. 29 jobemus ut hoc (con- tra illum) legibus studeatis emendare, certe si nolueretis et aliquid contra hoc habueretis quod opponere, non aliter fiat nisi vosmet ipsi per hunc indecolum commoneti kalendas illas . . ad nostram veniatis presentiam, eidem ob hoc integrum et legalem dare responso.

3) Form. Marc. L 27.

4) Cap. Aquisgran. V. 809, ich entnehme biefe Stelle Brunner IL. ©. 137.

5) Genaueres ſ. in ben „Fränkifhen Forſchungen“, ähnlich den „weſtgotiſchen Studien”. Waitz, Das alte Recht S. 155f. B.-G. IIb. ©. 109. Sohm, der Proceß ber Lex Salica 18. Behrend, zum Proceß der Lex Salica. Thonissen p. 275. Betbmann-Hollweg I. &. 265. 2. v. Maurer, Gerichtsverfafjung S. 24. Zopfl, Ewa Chamavorum S. 91. Brunner II. S. 325—531, Schröber? S. 348— 377.

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Stammrechts bat der Richter vor Allem tie genaue Anwendung gerade ber gefchriebenen, oft erſt neuerlich feſtgeſtellten Faſſung zu überwachen 1).

Er unterfuchte vorher den Fall, entjchied, ob er zum Urtheil reif, verlas, was das Geſetz darüber vorjchrieb und machte hiernach ben Urtbeilsvorjchlag, dem jeder der Dinggenofjen widerjprechen Tonnte, dem aber in der Regel ausprüdlich, zuweilen auch wohl nur ftill- ichweigend beigetreten wurbe: fo war auch hierbei ver Grundſatz bes Genoffenrechts und Genoffengerihts gewahrt ?).

Was nun bie Leitung, die Abhaltung des ordentlichen Gerichtes anlangt, fo fteht viefe noch mach der Lex Salica dem Centenar in ber Hundertſchaft zu 3); tiefer hatte aber nie*) die Bedeutung, bie neben bem comes tem Centenar bei Alamannen, tem judex bei den Baiern zulam (f. beide): er war bei den Franken als Richter das, was [päter ber Gaugraf warb.

Das erklärt fich ſehr leicht als Weberbleibfel aus ven alten Zu- ftänden des Bauftates, da der Gauksönig (oder Gaurichter) zwiſchen fich und ven Vorftehern der wenigen Hunbertfchaften, in die wo fie eben vorkommen (f. oben VII 1. S. 84) ver Gau fich glieberte, einen Zwijchen- Beamten nicht hatte. Als nun aber mehrere, zu- legt alle Gaue, zunächft der Salier, unter Einem Gejammtlönig biefer Mittelgruppe zufammengefaßt wurben, als für jeden Gau für Kriegs-, Verwaltungs-, Finanz-Zwede ein Königsbeamter, der Graf, zur Hälfte römischen LUrjprungs (oben VII. 2. ©. 90f.), beftellt wurde, da ward tiefem wie der Heer-, Polizei und Finanz: Bann auch der Gerichtsbann vom König mit ver Wirkung übertragen, daß der Graf, ohne doch den Kentenar neben fich oder als feinen Vertreter ganz auszufchließen, ber orventliche Nichter in dem ganzen Gau warb: babei wurden aber die alten Gerichtsjtätten, tie mallbergi ter einzelnen Hundertichaften, nicht geändert: ein Gauding, das nicht (al8 orbent- liches Gericht) beftanden Hatte, ward auch jet nicht neu eingeführt: vielmehr hielt der Graf oder deſſen Vertreter, in vem Gau umber- veifend, an ben einzelnen Gerichtsftätten ver Hunbertfchaften, in Gegen- wart und Mitwirkung des Centenars, das ungebotene und, im Bes bürfnißfall, das gebotene ‘Ding.

1) Bgl. Balern.

2) S. D. G. Ib. ©. 640. 642. 649. 676, richtig Wait IIb. ©. 157[. 3) ©. Walt, bas alte Recht. Verf. Ila. ©. 83, b. ©. 159.

4 Wie Ebeling, ftatliche Gewalten ©. 31.

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Diefe einleuchtende Annahme erklärt mühelos und ungefünftelt Alles: namentlich auch, daß in ber älteften Aufzeichnung ver Lex Salica vor Chlodovech oder doch vor deſſen Alleinherrichaft über alle falifchen Gaue noch der alte Zuftand vorausgejegt wird, daß aber ſchon die älteſten vielleicht noch unter Chlodovech (??) Hinzu: gefügten Zuſätze an Stelle des Centenars den Königsgrafen für ben ganzen Gau treten lafjen!). Dies bezeugen ganz regelmäßig bie Bormeln?) und bie Urkunden des VI— VII. Iahrhunderts: nur aus- nahmsweife fteht ftatt comes judex?): pas kann aber auch ber comes ober fein vicarıus fein: allerbings auch etwa der Gentenar, wenn biefer ben comes vertritt, aber Fraft eignen Rechts ift der Cen⸗ tenar nicht mehr Leiter des ordentlichen Dings.

Sehr bezeichnend ift, daß bie älteſten Zuſätze noch für nöthig er- achten, ausbrüclich zu fagen, daß der »judex in mallo«, ber „or- bentliche Richter“, ter comes ober grafio fei: da8 war eben früher in der lex nicht der Graf, ſondern der Centenar geivejen?‘).

Daß bier alfo der Königebeamte an Stelle des Hundertſchafts⸗ vorſtehers trat, erklärt fich einfach aus ver Nothwendigkeit, überhaupt al8 allgemeinen Vertreter des Königs in allen Dingen einen Gau- Beamten aufzuftellen, ber früher unter dem Gau⸗König oder Gau- Richter feinen Plag fand: aber durchaus nicht daraus, daß nun „Königsrecht“, „Amtsrecht" an Stelle des „Volksrechts“ getreten war >): die Lex Salica blieb nach wie vor, was fie war: aufgezeichnetes, zum Theil verändertes und nun, nach Sanction des Königs, als Geſetz veröffentlichtes Volksrecht, das früher ver Gentenar, ber „Volksbeamte“, wie fpäter ver Graf, ver Königsbeamte“, anzuwenden hatte: dadurch warb das Geſetz durchaus nicht „Amtsrecht”, „Königsrecht“.

Außer dem Grafen erfcheinen als Richter nur Herzoge, Biſchöfe, dieſe gelegentlich auch neben dem Grafen‘) andere außerorbent-

1) Boretius bei Behrenb L. S. ©. 88: „dieſe Capitel find offenbar fehr alt, baben theilweife in fpäteren Weberarbeitungen bes Vollsrechts ſelbſt Aufnahme gefunden, laſſen fich aber: . . beftimmten Königen over Jahren nicht zujchreiben”.

2) Form. Andecav. von 12. 32. 49. Marc. I. 8. 28. Bignon. 8. 9. 27.

3) So in L. Rib. 31, 7. 77. Childib. deer. c. 6. Childib. et Chloth. pactus c. 13.

4) Cap. I. 7. Behrend-Boretius p. 90 in mallo judici hoo est comite aut grafione; ebenfo 9. p. 91 judex hoc est comes aut grafio.

5) Wie Sohm a. a. DO.

6) f. Kirchenhoheit, Biſchöfe.

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ih vom König zu Richtern beftellte Geiftliche!) oder weltliche DBe- auftragte 2).

Das Umberreifen und Gerichthalten tes Grafen fchiltern gar oft Gregor von Tours?) und die Heiligenleben: und bie Formeln fegen e8 voraus: wenn ert) die Sauleute an geeigneten Orten in den Städten, Dörfern und Burgen zur Vereidung für den neuen König beruft, fo werden das wohl meift bie Gerichtsftätten gewejen fein, an welchen er fonft das Ding abhielt. Beſondere Gerichtsftätten für das Grafending, verichieden von ben Orten, wo ber Gentenar dingte, kannte die Mero⸗ pingenzeit, wie gejagt, nicht, überhaupt nicht ein von dem Grafending verſchiedenes zu andern Zeiten gehaltenes Centenarding. Länger) als bei den falifchen Hat fich bei den Uferfranfen bie Gerichtsbarkeit des Gentenars neben ber bes Grafen erhalten: bei unferen Annahmen ſehr begreiflich, weil in Ripuarien und dem übrigen Auftraften bie falifche, romanifirende Königsgewalt erft fpäter durchdrang. An einer Stelle nennt die Lex Ribuariorum auch ben Centenar neben bem comes und dux als möglichen PVorjtand bes mallus®). Dagegen fehlt er an einer andern, wo alle Richterbeamten aufgezählt werben folfen, nicht nıır optimates ?); denn das Gefe warnt vor Beſtechung, alfo doch nur alle Richter): im zudicto resedens, heißt es.

Jene erjte Stelle denkt alfo wohl an ven (auch bei Saliern und Alamannen möglichen Tall ver ausnahmsweilen Dertretung bes Grafen durch den Gentenar. Denn als eine Erinnerung an frühere Zuftände®) könnte die Stelle doch nur aus Verſehen ftehen geblieben fein. Doc kam ſolche Vertretung fo felten vor, daß ung weber in den Urkunden noch in den Formeln ein Beiſpiel erhalten ift.

1) Form. Andecav.

2) (missi) |. oben VII. 2. ©. 248.

3) 3.8. VIIL 18, Urgeſch. III. ©. 363 causarum accionem agere coepit, exinde dum pagum urbis in hoc officio eircuiret etc.

4) Mare. I. 40.

5) Aber nicht für immer wie Bernice, Graf ©. 137.

6) L. R. 50, 1 ad mallum ante centenarium vel comitem vel ante ducem.

7) Wie Betbmann-Hollweg I ©. 424.

8) L. R. 88. (90) ut nemo munera in judicio accipiat, hoc autem consensu et consilio seu paterna traditione et legis consuetudinem super omnia jubemus, ut nullus obtimatis, major domus, domesticus, comes, gravio, cancellarius vel quibuslibet gradibus sublimitas in provincia Ribuaria in judicio resedens munera ad judicio pervertendo non recipiat.

9) Waik IIb. ©. 161.

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Der Graf (f. diefen oben VII. 2. ©. 101) hat nun wie die vor—⸗ beugende und die verfolgende Strafpolizei, fo auch die Strafgerichts- barkeit: ja er fällt das Strafurtheil!): er verurtheilt den Dieb erft zur Folter (supplicio), dann zum Galgen (patibulo) 2).

So ſcheint alfo hier doch etwa in Herübernahme bes römiſchen Einzelrichterg das Urtheil von bem Grafen allein zu ergehen: bafür önnten auch Königsgebote angeführt werben, die ven Richter-Grafen für ungerechte Urtheile verantwortlich machen in Abweſenheit des Königs jollen die Bifchöfe mit geiftlichen Strafen einfchreiten —: er fol felbft auf deren Vermahnung ein verfehrtes Urtheil verbeffern?). In allen Nechtsfällen ſoll „vie Vorfchrift des alten Rechts“ eingehalten werten und kein von irgend einem - Richter ergangenes Urtheil gültig fein, das Geſetz und Billigfeit verlegt‘). Das justa judicia dare ijt Pflicht aller Richter). Vorausgeſetzt wird, daß ter Richter „für fich allein" (per se) im Straf» und im bürgerlichen Verfahren richtet und verurtbeilt; nur über Geiftliche wird ihm dies Recht entzogen ®). Wie ift dieſe Abweichung von dem Grundſatz bes Genoffengerichts benn es gilt bafjelbe in vein fränkischen Fällen, nicht nur in römifchen und gemifchten zu erklären? Gewiß nicht geht es an’), in allen biefen Fällen in dem »judicarex dem Richter nur die Gerichtöfeitung, nicht die Urtheilſchöpfung felbft beigelegt finden zu wollen: bas iſt mit der Verbefferung nach geiftlicher Vermahnung u. |. w. doch un⸗ vereinbar.

Noch weniger Hilft hier die Annahmes), an manchen vieler Stellen fei nicht ver Graf, fonbern ver Centenar gemeint: wohl ift

1) Greg. Tur. gl. mart. I. 73.

2) Ebenfo gl. confese. c. 101. Der Graf von Angouldlme comes urbis Equolensis, fure invento ac auppliciis dedito patibulo condemnari prae- cepit: heißt das bier, er ertbeilt ben Borfchlag? Nein! condemnari bebeutet bier (feltfamer Weiſe) den Befehl der VBollftredung: das beweiſen bie zahlreichen Fälle, in benen der Graf das Strafurtbeil, Tod, Berflimmelung, Geißelung ausfprict. Greg. Tur. V. 21. VI. 8. 24. X. 6, Mir. St. Mart. II. 35. III. 53, IV. 16. 35. 39. 40, gl. conf. c. 101, Urgeſch. IH. &. 199. 239. 259. 472, ebenfo befiehlt v. St. Amandi c. 12 ber Graf Dotto, den Dieb an den Galgen zu knüpfen.

3) Chloth. praec. c. 6.

4) c.1.].c.

5) Guntehr. Edict. p. 12.

6) Chloth. II. Edict. c. 4 per se distringere aut damnare.

7) Mit Siegel J. &. 106. Bethmann⸗Hollweg I. ©. 434. Waitz IIb. ©. 101.

8, Don Wait Ib. ©. 164.

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bies möglich, va zuweilen der Centenar judex heißt!): allein dann fehrt nur dieſelbe Trage wieder bei dem Centenar, ter ja nach dem Senofjengerichtsgrundfag ebenfalls nicht allein urtbeilt.

Uebrigens hießen judices auch andere Beamte: alle, die mit dem Richten zu thun haben: 3. B. begreifen tie »Formulae Andecaven- ses«?) unter ben judices?) den Centenar*) ober mehrere Centenare beffelben Gaue85) oder, wie am wahrfcheinlichften, neben ten vicini (unbeftimmt) nur eben ben Richter, der bie verbrannte Urkunde unter- zeichnet hatte®), „ver öffenliche Richter des Drts“?).

Dabei Tann man auch nicht in den mehreren gleichzeitig han⸗ beinden®) judices over überhaupt in ben judices (5. B. praeceptio Chlothachars), etwa Rachinburgen fehen wollen): venn damals hießen niemals die Urtheilfinver, wie freilich die [päteren Schöffen, »judices«!?).

Dean wirb daher nur in Unterfcheidung etwa bes rechts- rheinischen Landes: denn bei Alamannen und Baiern!!) kehrt bafjelbe wieder und bed von zahlreichen germanifchen Siedelungen be» bedten Norboftgalliens einerfeit8 und ber ſtark romanifirten und verein- zelten Srantennieberlaffungen im Süden und Weften anbrerjeits fagen können: manchmal, im Norboften, drückt jene Faſſung lebiglich aus, daß der Graf und fonftige Richter das Urtheil vorbereitete, vorfchlug, begründete und dadurch fo ftarken Einfluß auf die Urtbeilfinpung der Dinggenoffen übte, daß die Quellen kurzweg ihn allein urtheilen laffen: fo auch bei Mamannen und Baiern —; im Südweſten dagegen mag in Ermangelung ausreichender Germanen und in Folge ber ſtarken Nomanifirung rein germanifche Fälle kommen bier

1) Childib. deer. c. 9 si quis centenario aut cuilibet judice noluerit ad male factorem adjuvare; aber auf Fortun. v. St. Germani c. 38 darf mar fih nur berufen, hält man irrig tribunus und centenarius für Eins. ©. D. ©. Ib. ©. 94.

2) 33 und 31.

3) Sohm: »judeci«.

4) Sohm ©. 195.

5) So Walt IIb. ©. 164.

6) (vicinus et) judez, qui in ipga cautione fuerunt.

7) (judiei publico et vicinis circa manentis Form. 31 judicis .. et vicinis circa manentis.. et universa parocia (= Hundertſchaft nah Sohm [?]) illa.

8) Form. Andec. 31.

9) Wie Pardessus p. 575.

10) So richtig v. Sybel ©. 387. 11) f. beibe.

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viel feltener vor als römifche und gemifchte ber Graf in ter That oft wider das Gefe gleich dem römischen Einzelrichter allein geur- theilt haben, indem bie Dinggenoffen nur felten wiberjprechenp eingriffen, was ihnen dem Nechte nach freilich immer noch zuftand: nur daß jett in folchen Gegenden vie felten angewenbete und gerade beßhalb wenig georbnete Uebung tes Rechts leicht einer gewaltthätigen Einmifchung ähnlich warte. Daher wohl jene vielen und merkwürdigen Fälle, die zwifchen Urtheilfindung und Urtbeilftörung durch die Menge in der Mitte zu ſchwanken fcheinen.

Der „Richter“ wird gebeten um Freilaffung eines Unterfuhungs- (Strafe) Gefangenen: aber das Volk“ widerſetzt fich und ſchreit: „wird ber freigelaffen, find Land und Richter gar fchlimm daran“: da fann er nicht freigelaffen werden!,, Das war wohl nicht „Urtheil- findung“ der Menge! Ein andermal wird von den Frohnboten (lic- tores) vor das Gericht Graf Dodo's zu Tournay ein Angefchuldigter geftellt, den alles Volk durch Zuruf des Todes würdig nennt2). „Denn er war ein Dieb“ u. |. w. Aber doch ift e8 der Graf, der, allein bandelnd, ihn zum ©algen verurtheilt: auch das iſt nicht „Urtheil- findung“ durch das Volk.

Schöffen im fpäteren Sinne, d. h. einzelne aus ter Gefammt- heit der Freien ausgewählte, förmlich beftellte Urtheiler?) giebt es in merovingifcher Zeit weber dem Namen (scabini) noch ver Sache nad‘).

Auch vie im Süden zuweilen?) genannten auditores, d. h. Ur- theiler, find nicht Schöffen im fpäteren Sinne, fonbern bafjelbe, was bie fränkiſchen Rachinburgen, d. h. Dinggenoffen, die im einzelnen Ball im Namen und unter Einjpruchrecht ver Geſammtheit zunächft das Urtbeil finden.

Der Unterjchied zwifchen Rachinburgen und Schöffen liegt barin, daß erftere ſtets erjt für den einzelnen all, dieſe für immer als Urtbeilfinder beftellt, durch die Freien auf Lebenszeit gewählt wurben und ein Mindeſtmaß von Grundeigen erreichen mußten®).

1) Greg. Tur. VI. 8, Urgeſch. ID. S. 239.

2) V. St. Amandi c. 12 quem omnis turba acclamabat dignum esse morte.

3) Wie Waitz IIb. S. 165 will.

4) Wie Merkel bei Saviguy VII. ©. 6. Waig, Götting. gel. Anz. 1856 ©. 1566, 1864 ©. 350, IIb. ©. 163, Hermann S. 165 und unten Arnulfingen.

5) Form. Andecav. 12, Turon. 39, v. Maurer, Gerichtsv. ©. 15.

6) Waitz Hat feine frühere Anficht Rachinburgen —= alle Dingberedtigten), das alte Recht S. 151 f. der von jeher herrſchenden und richtigen unterworfen

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Wahrjcheinlich ſaßen pie je (zwölf oder) fieben Nachinburgen, die im Einzelfall das Urtbeil fanden, währent bie Webrigen umber- ſtanden, „ven Umſtand“ bildeten: auch dieſe waren und hießen Rachin- burgen wie heute Gefchworene find und heißen nicht nur tie zwölf bes inzelfalles: daher können auch biefe „jehr zahlreichen”, welche (figen oder) umher ftehen, Rachinburgen heißen). (S. oben ©. 34).

Was die Gerichtsftätte betrifft, ift zwifchen dem rechtscheinifchen Land und Gallien zu fcheiden: dort tagte man, wie von je ber, wohl faft ausfchließend unter freiem Himmel, an den uralten Maljtätten, bie zum Theil bis in das ſpäte Mittelalter geblieben find: etwa ausgenommen die wenigen erhaltenen Römerftäbte, vie palatia oder Baſiliken darboten.

Aber auch im Norden und Oſten von Gallien fam das Wagen un Freien häufig vor: nur in dem Süden und Wejten (— freilich auch zumeilen im Norboften in den größeren Städten —) wurde das Gericht, zum Theil wohl im Anſchluß an die römische Ueberlieferung, in Hallen over auch in palatia und in Baſiliken gehalten, letzteres ward fpäter von der Kirche aus guten Gründen verboten.

Der Gerichtsort?), der mallus, mallobergus, ftand durch Ge- wohnbeitsrecht feft, zumal eben, wo in alter Weife im Freien getagt wurde. Daß der Richter ihn bei gebotenem Ding ebenfo wie ben Tag beftimmte, kam vor), aber gewiß als jeltene Ausnahme ver: möge befonverer Gründe. Schon die zahlreichen auf Münzen ver- zeichneten malli: 3. ®. mallo Materiaco, mallo Mauriaco, mallo Campione, mallo Sativii®) erweijen fich als feſt ftehente.

Neben dem Richter (thunginus aut centenarius) wird ein Schild an einem Speer aufgeftedt: doch wohl nicht blos in den beiden Vällen 5), in welchen zufällig deſſen gebacht wird: es find bie ein-

Ob. ©. 165, f. bafelbft die Literatur von Rogge bis Sohm, Proceß ©. 154, 8.8. ©. 373, aber richtig weift er Hermann’s S. 196 Begründung ab, »pares« bebente „Beamte: gerade das bebeutet es nie.

1) Form. Senon. rec. 6 presente quam plures viris racimburgis, qui ibidem .. ad judicia terminandum resedebant vel adstabant: gewiß nicht blos eine Rebewenbung, richtig Waik IIb. ©. 166 gegen Thonissen.

2) I. Grimm, D. RA. ©. 793 f.

3) Wenigftens bei den Baiern L. B. DI. 14.

4) Ponton d’Am&court, essai sur la numismatique M&rovingienne 1864 p. 28, dazu Wait, Götting. gel. Anz. 1865. ©. 1012.

5) L. Sal. ed. Behrend 44, 1. 46, 1.

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zigen, welche die Anfagung (indicare) des Gerichts erwähnen fon- dern immer: obzwar freilich bei tem reipus!) der Schild zur Wär gung ber brei solidi aeque pensantes dienen mochte: aber bei dem adrhamire 2) fehlt folche Verwendung 3).

Der Richter muß einen Schreiber neben fich haben, weil bei wichtigen Gefchäften, pie gerichtlich errichtet werben, bie Urkunde (testa- mentum) jofort im mallus gefertigt wird, won dem cancellarius®),

Nur der älteften jalifchen Zeit und nur dem faliichen Gebiete gehören an bie Salebaronen®). Sie find fprachlich und fachlich Eins mit den gotischen Sajonen-Sagjonen 9) : e8 tft der »causarum vir«?), ein ſehr wejentlicher Hinweis®). (©. oben VII. 2. ©. 145).

Der wenig jüngere Name Skuldahisk, Schufcheifch, bedeutet fachlich daſſelbe. Der Salebaro wird vom König ernannt. (S. oben ©. 138).

Außerdem umgeben den Richter Frohnboten, Büttel: wohl von jeher, da ausfchließend®) dem Kläger die Vollftredung doch niemals überlaffen war.

Diefe Gerichtspiener, Büttel, Frohnboten heißen oft in ven tomanifirenden, alterthümelnden und gern gelehrt fcheinenden Heiligen⸗ leben »lictores«; bie echt-römifchen »lictores« find lange verſchwunden,

1) 44.

2) 46.

3) Der Richter fit nach fpäteren Zeugniffen auf erhöhtem Play R.A. ©. 763, aber auf v. St. Amantii c. 2. p. 55 (nicht von Fortunatus) darf man ſich nicht mit Watt IIb. S. 167 berufen. Hier ift ber römtfche »praeses« auf dem Forum von Rhodez gemeint: Amantius ſtirbt c. 487: damals war Rhobez noch lange nicht fränkiſch, fondern weſtgotiſch.

4) L. Rib. 69, 1—5; 88 bebrobt feine Beſtechung.

5) Ueber dieſe bat das Richtige zuerft, in verbienftlichfter Weife, Sohm S. 84 a. a. D. gefunden; vgl. Waitz Ia. 101, IIb. 165. Das alte Recht ©. 64. Schröbder?, Brunner a. a. O. oben VII. 2. ©. 146, „ganz abentenerlih” nennt Wait Ila. ©. 101 die Anfichten Hermann’s, Schöffengeriht S. 71. Hiernach And die Satebarone Schultheiße mit Gerichtsbarkeit „In allen Biertelögerichten“, von denen aber niemand nichts weiß! Außer ber Lex Sal. nennt fie nur Eine Urkunde (Pardessus I. p. 88) des faltfchen Landes, über deſſen Grenzen hinaus fih ihre Einſetzung vielleicht nie erſtreckte.

6) S. Könige III. S. 180, VI? S. 348.

7) vir baro, saka = Rechtsſache got. Ulfila ed. Massmann s. h. v., ebenfo althochdeutſch Schabe s. h. v.

8) Der bei Sohm und ben ihm Kolgenden fehlt.

9) Wie Siegel S. 240, Thonissen ©. 328.

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jpätere römische Gerichtstiener gewiß nur mit ftarfen Umwandelungen herüber genommen worden: lictores iſt alfo nur Redensart!), wie etwa gut fräntifche Heerführer von ten Heiligenleben »tribuni militume ge- nannt werben.

Die Urtheilenden werten als bie „Sitenven“ bezeichnet?).

Der Bänke waren es fpäter vier: daher wenigftens fpäter flan- driſch das Gericht „Vier⸗ſchäre“s) Heißt. Sie wurden fo eng zufammen« geſchoben, „verſchränkt“, daß fie einen abgefchloffenen Raum bilveten, innerhalb deſſen ber erhöhte, gefteigerte Dingfrieve waltete‘).

Sieben Rachinburgen werden vorausgefegt: können einmal nicht fieben Tommen, jollen drei fommen und bie echte-Noth ihrer Genoffen por Gericht bezeugen). Daß es urfprünglich zwölf fein mußten, woraus erft fpäter die Mehrheit von 12 7 geworben, folgt jebes- falls nicht aus ber fonftigen Häufigkeit ver Zwölfzahl in andern Fällen‘), vielmehr ift doch recht unwahrfcheinlich, daß man die Möglichkeit von Stimmengleichheit fo fehr erleichtert habe”). Mehr als fieben follten wohl erjcheinen*), damit aus ber großen Zahl im Einzelfall vie fieben für die Bänke gewählt werten mochten?).

Der Kläger foll die fieben gewählt haben!0). Wahrſcheinlich ift aber wegen der wiederholten Bezugnahme auf mehr als fieben —: ber Richter wählte zwölf, an fieben von biefen richtete ver Kläger zu- nächft die Urtheilsfrage, vorbehaltlich des Rechtes der fünf, zu wiber-

1) Du Cange gewährt gar feine lietores aus diefer Zeit.

2) L. Sal. 57, Ed. Chilp. ce. 8, ebenfo Graf 2c. Form. Senon. rec. 1. 3. 6. Andeg. 32. Zahlreiche Beläge aus fpäterer Zeit RA. a. a. O.

3) Thonissen ©. 51.

4) Nah Som. Man nimmt aber jebt an, daß die Schwellen (Wände) des Hanfes gemeint find, f. oben ©. 34.

5) Ed. Chilp. c. 8 si toti venire non possint, tunc veniant tres de ipsis et pro paris suis sunia nuntiant.

6) Wie Waitz IIb. ©. 166 fo auch Bethmann⸗Hollweg a. a. O.

7) Segen die Zwölfzahl Cohn, Yuftizverweigerung ©. 16. Thonissen ©. 45.

8) Daher L. Sal. 57, septem de illis rachimburgis.

9) Warum follten nicht auf dreien je zwei, auf einer Einer fiten? Dies gegen Wait a. a. DO. Nimmt man an, baß bie Parteien 2c. den umfchränkten Raum nicht befchreiten durften, muß man bie Urtheiler fih den Rüden zukehren laſſen! Im Mittelalter finden fihd nur drei Reiben Bänke die Vorderſeite bleibt offen oder zwei einander gegenüber (ober gar nur Eine im Hintergrund). Vgl. R.⸗A. a. a. 0.

10) Sohm S. 19.

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iprechen !), (daher gelten zunächft nur jene fieben als urtheilpflichtig, d. h. nur fie find wegen Urtheilsweigerung ftrafbar). Jedoch ift ver &e- danke des GenoffengerichtS dadurch gewahrt, daß die Rachinburgen nur als Vertreter der gefammten Dinggenoſſen erfcheinen, deren Entſcheidung bie Partei durch Urtheilfchelte herbeiführen kann: urfprünglich Hatte wohl auch ter Nichter, ja vielleicht ber Umſtand von fih aus folhe Enticheidung der Gefammtheit über das Erfturtheil bewirken mögen: „vie Anweſenden alle wurten als bei dem Urtheil mitthätig be- trachtet: was die Einzelnen als Recht erkannten, galt als die Ent- ſcheidung Aller, die verfammelt waren und ihre Zuftimmung fund geben mochten“?), alfo auch ihre Verwerfung mußten ausiprechen bürfen.

Daraus allein erflärt es ſich auch, daß unerachtet jener Sieben» zahl doch fo häufig alle Erfchienenen als Urtheiler bezeichnet werben: das ift die Anerkennung des Genofjengerichts im Grundſatz, fo ftart und oft berfelbe auch thatjächlich in ver Anwendung aus Gründen ber Bequemlichkeit, ver Vereinfachung u. f. w. durch die Thätigfeit des Grafen, Centenars, judex, in ven Hintergrund gebrängt wurbe)).

Auf denfelben Grundſätzen wie bie Rechtspflege der gemeinen Ge- richte beruht auch bie ber Immunitätsgerichte, d. h. auf der Scheidung von Bann und Tuom und auf dem Gedanken des Genoffengerichts: bier trıtt der Immmnitätsherr, alfo Biſchof, Abt, weltlicher Senior, Fiscus, an Stelle des Grafen: oder der nothwendige, geletliche (bei geiftlichen Immunitäten) oder der freiwillig beftellte Vertreter handelt an bes Immunitätsheren ftatt als Richter, das Urtheil wird gefunden von den Nechtsgenofjen in ver Immunität. Anfangs nehmen noch bie Aebte felbft den Nichterftuhl ein‘), ſpäter wird dies Geiftlichen ver- boten: ein praepositus®) oter agens®) vertritt fie: leßterer ift ohne

1) So fhon Merkel, 3. |. R.G. J. S. 165, dann Bethmann⸗Hollweg.

2) So treffend Waitz IIb. S. 107, der nur leider den Begriff des Ge nofiengerichts nie erfaßt hat.

3) Daher Form. Senon. rec. 6 „jehr viele“ Rachinburgen urtheilen oder ſonſt die vielen boni, magnifici viri; ebenſo im Königsgericht. Ueber dieſe »Voll-bord«e Sohm S. 373, dagegen Thonissen ©. 46, vgl. Thevenin, Revue hist. de droit IV. p. 455; immerhin waren boch bie Rachinburgen feineswegs blos „Schieberichter”.

4) Form. Andecav. 10. 29. 30. 47. {Turon. 39 ein venerabilis = Geiftliher).

5) 1. c. 16. 24.

6). c. 11. 13. 14. 28.

Dahn, Könige der Germanen. VI. 3. 5

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Zweifel, was ja auch fonjt der agens, ein weltlicher Beamter des Klofters!).

Das Urtheil wird aber auch hier von einer Mehrzahl von Geift- lichen und Weltlichen gefunven?).

Innerhalb ihrer Zuftändigleit find bie Immunitätsgerichte durch» aus „wahre“ Gerichte3), Teineswegs den Töniglichen „öffentlichen“ Ge⸗ richten gegenüber uneigentliche und nichts weniger als bloße Schiete- gerichtet); denn Dingzwang zog ben ©erichtspflichtigen vor das Immunitätss wie vor das „Öffentliche“ Gericht und bie Urtheile beider waren gleich volljtredbar.

-.—_-

Auszuſcheiden, hier nicht zu behandeln find die geiſtlichen Gerichte 5), bie der Biſchof nach kanoniſchem Recht abbält: ob über einen That- beftand baneben nach weltlichem Recht gerichtet wird, ift gleichgültig: beite Verfahren berühren fich nicht: erft fpäter warb aus dem „Gottes» ſtat“ die Folgerung gezogen, daß Kirchenbann vie Reichsacht zur Folge haben müfje und umgelehrt®).

Der ftreng formaliftiiche Charakter des gefammten Verfahrens: vechts und des Strafrechts erhellt wie bei ten Langobarden”?) aus ver argliftigen Heimjuchung durch Weiber jo bei den Saltern (noch Ende des IX. Jahrhunderts) aus der Berufung ehemaliger Hausbefiger auf den Verluſt ihrer (durch die Normannen verbrannten) Häufer für Straflofigteit, da fie nach der Lex Salica rechtmäßig nur „in ihrem Haufe“ geladen werden könnten (secundum legem ad domum): Karl ver Kahle muß fich bequemen, unter ausprüdlicher Aenderung des Gefeges, fortab auf tem Grundftüd laden zu laffen, wo das Haus geftanden?).

Der Kläger, nicht der Graf oder ein anderer Beamter, lädt.

1) Anders und trrig Sohm ©. 364.

2) Form. Andecav. 10 reliquis viris venerabilibus (= Geiſtlichen) atque magnificis (= Weltlihen) 24 reliquis hominibus qui cum eo adherunt.

3) Anders und irrig, ohne Duellenanbalt, Sohm ©. 349.

4) Wie Löning ©. 743.

5) Ueber die geiftlichen Gerichte, ſowie über bie Gerichtsbarkeit Über Geiftfiche in weltlichen, bürgerlichen und Straffachen, |. Kirchenhoheit, Kirchenweſen.

6) S. Karolinger.

7) ©. biefe.

8) Capit. Caroli Calvi Leg. I. p. 489. c. 6.

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Bei der Ladung muß ſich der Kläger auf das Gefe berufen !).

In der entiprechenven Stelle ver Lex Salica?) heißt es: »si quis ad mallum legibus dominicis mannitus fueritw. Es ift durch⸗ aus unwahrfcheinlich, daß hierin ein begrifflicher Unterjchied Liegen follte, fo daß der Salier „unter Töniglicher Autorität” 3) gelaven hätte, ber Uferfranke nicht, oder daß jener „nach Königsrecht“ klagte und zulett ben König anrufen konnte‘): Tonnte das der Uferfrante nicht ?5) oder fo, daß jene Ladung unter Töniglichem Sigel erfolgte‘), was doch unmöglich bei jeder Klage im ganzen Weich gefchehen‘, Tonnte: wenn eine Formel”) apud nostro signaculo homine alico mannire läßt, fo handelt e8 fich hier um die Ladung vor das König 8 gericht. Vielmehr foll der Zufag dominicis nur befagen, daß das Gefe vom König ausgeht: in ver L. R. wird dies als felbjtverftändlich weg- gelafjen.

Manchmal wird Scheinbar nur Krankheit als echte Noth angeſehen 8); boch ift dies fpäter jedesfalls nur noch als Haupt-Beiſpiel echter Noth - verftanden worden und vielleicht fchon damals.

Schon in früh merovingifcher Zeit zeigen fich erhebliche Aende⸗ rungen des altfalifhen Verfahrens ®): der Richter greift, ſchon in Unterfuchung des Sachverhalts, mehr felbftthätig ein 10).

Bon Stellvertretung wird fpäter häufiger Gebrauch gemacht: bie Heinen Breien begeben fich gerade auch deßhalb gern in ben Schub eines senior, um burch biefen vor Gericht vertreten zu werben 1).

Das orventliche voransgefegte Beweismittel ift der Unfchulbseid mit Eibhelfern: nur wenn die Eibhilfe verfagt, wirb zum Ordal ober gerichtlichen Kampf gegriffen als letztem Nothbehelf!2).

Der Eiphelferbeweis tritt mehr hervor, aber der Zuſammenhang

1) L. R. 32, 1 si quis legibus ad mallum mannitus fuerit. 2) I. 1. 3) Waitz, d. alte R. S. 155. 4) Bethmaun⸗Hollweg J. S. 498. 5) S. dagegen oben S. 44. 6) Waitz IIb. ©. 170. 7) Senon. 26. 8) L. Rib. 65, 1. 9) Sehr verbienftlich gezeigt von Sohm, Proc. ©. 190 f. 10) Sohm, a.a.D. ©. 19. Bethmann⸗Hollweg I. ©. 501. 11) Marc. Form. I. 21—24. Brunner, mithio und sperantes VII. 1. ©. 246. 12) L. R. 31,5 si .. juratores invenire non potuerit, ad ignem seu ad sortem se excusare studeat, Bauſteine II. ©. 35. 5%

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ber Eibhilfe mit ber Sippe mehr zurüd, offenbar, weil das Beiſammen⸗ fieveln ver Geſippen nicht mehr fo fehr vie Regel biltete.

Die Zahl und Art der Eiphelfer wird num genauer abgeftuft, jo jett auch nach dem Stande).

Für Entrichtung bes Friedensgeldes an den Richter durch den Ver⸗ legten, an welchen zunächft dies wie die Buße zu entrichten ift, wirb Zeugenform vorgejchrieben 2).

Almählig dringt aus dem romanischen Verfahren ver Urkunten- beweis ein?).

Hinter dem Unſchuldseid ftehen als Noth-Mittel tes Beweiſes Kampf aber nur im uferfräntiichen ), nicht im falifchen Recht und Gottesurtheil. Iener war urjprünglich durchaus nicht Gottesurtheild), fondern ein Stüd Fehdegang, das in ven Rechtsgang eingejchaltet ward, eine vorentſcheidende Frage zu löfen, die durch Eid nicht zu enticheiten war, weil e8 fich nicht um eigenes Thun oder Unterlaffen des Beklagten

- bandelte: anſtatt nun den NRechtegang ganz fallen zu lafjen und ben Fehdegang zu entfeffeln, ließ man eine bejchräntte Fehde (aber nicht immer nur auf bie beiden Parteien beſchränkt: auch Zeugen, . Eibhelfer bis zu vielen Paren hatten zu kämpfen) für biefe Trage zu und fuhr nach deren Entjcheivung durch den Kampf im NRechtsgang weiter®).

Gewiſſe außerordentliche Handlungen und Verfahren bedürfen ter töniglichen Genehmigung: jo die Zuſchiebung tes Keffelfangs”.

1) Zuerft Cap. addit. Behrend p. 91; über die Zwölfzahl Cap. 4. Waitz, d. alte R. S. 172. Bethmann⸗Hollweg I. ©. 510. Zöpfel, Ewa Chamavorum ©. 92. Thonissen ©. 355. 2) Lex Rib. 89.

3) Ueber Verbreitung des Urkundenweſens aus Italien zunächſt über Neuftrien, dann auch Über Auftraften, rechts vom Rhein befonders in Alamannien und Baiern, nur fpärlih in Friesland und Sachſen, fowie der weſtfränkiſchen Yormeln auch über das Oftland, f. die grundlegenden Darftellungen von Brunner, Urkunde und R.G. I. ©. 284.

4) L. R. 32, 4. 57, 2. 59,4. 67,5.

5) Das Wort bei Greg. Tur. VUI. 14, Urgefch. III. ©. 302f., ponens hoc in judieium Dei ift noch nicht techniſch: bei dem Zweilampf von 591 Greg. Tur.X.9, Urgeſch. III. ©. 481 fehlt jede ſolche Färbung durchaus, und der (Tangobarbifche) Fall bei Fredigar c. 51 beweift audh nur, daß im Allgemeinen nun bie Borftellung auflam, Gott werde das Hecht ſchützen; über die Entwidlung zum wahren Gottesurtheil f. Baufteine II. ©. 121.

6) S. Baufteine II. S. 76f. D. ©. Ib.

7) Cap. add. 4. Leg. II. p. 12 (Behrend p. 111) si quis alterum ad cali- dam provocaverit praeter evisionem dominicam, 12 sol. Wette: Boretius Lieft jussionem.

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Tür Eid, Kampf oder Gottesurtheil wird dann ein fpäterer Tag anberaumt!): gelämpft wird vor dem König?), geichworen in ver Kirche!) an tem Altar, auf ten Weberbleibfeln ter Heiligen („uppen Hilgen“, Sachfenfpiegel).

Der Keflelfang und das Los ift alfo wie das Gottesurtheil über⸗ haupt nur Noth⸗Beweis⸗Mittel, falls die Eibhilfe verfagt®).

Zum Keſſelfang Tann ver Gegner nur gemäß Befehl des Königs angehalten werten®).

Aber auch ter Treigeborne kann ale Dieb zum Keffelfang auf. gefortert werben ®).

Das Los⸗Ordal?) wurde urfprünglich durch Runenftäbe vollzogen: es war gar nicht ein Gottesurtheil im gleichen Sinne wie etwa ber Keſſelfang, da bei gleicher Zahl von weißen und fchwarzen Lofen bie Götter nicht ein Wunder zu thun hatten, den Angeklagten zu retten: nur etwa falls Ein weißes Los unter einer großen Zahl von ſchwarzen zu ziehen gewelen wäre: das ift jeboch nirgend bezeugt.

Die Karolinger begünftigten das Kreuzurtbeil®), d. h. Kläger und Beklagter ftanten unter einem Kreuz, ſelbſt mit ten wagrecht ausge⸗ ftrediten Armen ein Kreuz bildend: wer früher die Arme fenkte, galt als überwunden: auch dies ift mehr dem gerichtlichen Kampf als dem Gottes⸗ urtheil im urſprünglichen Sinne gleich zu ftellen, da auch bier bie Ausficht des Erliegens auf beiden Seiten gleich, Teineswegs der Be— Hagte nur durch Eingreifen der Götter zu retten ift.

Doch werden nun allmälig auch die fogenannten materiellen, tationellen Beweismittel häufiger angewendet, in manchen Fällen zuerft zugelaffen: fo der Zeugen- und zumal ber Urkunden- Beweis ?).

Der Folter werten wie Knechte nun auch freie Branfen unter» worfen 1%): viele Beiſpiele gewährt Gregor !!).

1) Form. Sen. rec. p. 214, ebenfo im Alemannenrecht L. A. 36, 2.

2) L. R. l.c. Greg. Tur. X.9 (Chundo), Urgeſch. III. ©. 481 nad L. Baj. vor dem Herzog (in curte ducis) ober fonft wo II. 11, vgl. 17, 2. L. Alam. 87.

3) Form. Sen. 21, aber f. auch N. 22.

) L R. 31, 5.

5) L. 8. Behrend p. 111.

6) Child. et Chloth. pact. c. 4.

7) L. R. 31,5.

8) Stare ad crucem et cadere Form. Sal. Bignon. N. 13 (larolingifd)).

9) Pardessus, Loi Salique ©. 635.

10) Baufteine VI. S. 1f. Bethmaun⸗Hollweg &. 512.

11) Könige VIL 1. S. 290— 298.

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Nach erbrachtem Beweis wird das Urtheil gefunden und, wo thun- ich, fofort volfftredt und beurkundet) vom Richter: nur Bußen oder Schuldforderungen müffen unter Zuziehung von Nachinburgen ein- geheifcht werben?), zwar ift Privatpfändung ohne Richters-Urlaub jett verboten®), aber die Haftung des Verurtheilten mit feinem Vermögen ift erweitert, fo daß Friedloſigkeit und Königsftrafe jeltener eintritt *).

Berufung gegen das Urtheil des Volkes ift nicht denkbar: auch als thatfächlich nicht mehr das ganze Volk, nur Nachinburgen oder gar nur ber Richter das Urtheil ausiprachen, galten fie doch als Ver⸗ treter des ganzen Volles: nur dies leßtere eben Tonnte beftritten wer⸗ ben in einer Urtbeilfchelte, tie vorwarf, das Urtheil entipreche aus Arglift oder aus Irrſal nicht der Weberzeugung ver Geſammtheit. Urjprünglich konnte und mußte dieſe Schelte wohl fofort ausgejprochen und durch Befragung des Umftanbs entichieven werben: doch ift uns biefer Rechtsbeftann nicht mehr bezeugt 5), nur eine Strafllage wegen Ur- theilsweigerung oder Falſchurtheil der Rachinburgen ®): Später warb bie Urtbeiljchelte durch Kampf durchgeführt: vielleicht ging die Urtheil« ichelte früher immer an ven König”). Das fräntiihe Strafrecht und Strafverfahren wird (wie bei den Weftgoten in ven „weftgotiichen Stu- dien“) in den „Fränkifchen Forſchungen“ bargeftellt werten.

V. Berwaltungshoßeit?).

Bon dem Verwaltungsbann = Polizeibann ift der bisher bargeftellte Gerichts und Heerbann als Mittel für die Gerichts- und Kriegs⸗Hoheit abzufcheiven. Der Verwaltungsbann dient ale Mittel vem Zmed ver

1) Form. Andec. Senon.

2) Nach Lex Sal.

3) Cap. addit. 10 ed. Behrend p. 91; in das Baiernrecht 13, 1 aus L. Visig. (Weftgot. Stubien ©. 8486) herübergenommen.

4) Add.c.a. L. Rib. 32; Sohm, Proc. ©. 198; Berhmann - Hollweg ©. 521.

5) Bethmann⸗Hollweg I. & 481.

6) L. Sal. 48, 2. 57, 3.

7) Ueber das Alamannenrecht L. A. 41, 3, ſ. diefe und Watt IIb. 174; Eid born 8 80; Unger S. 122; Thomas, der Oberhof zu Frankfurt S. 16; 3. Grimm, Borrebe daſelbſt p. XI.

8) Das Meifte des Hierbergebörigen ift ohne genaueres Eingehen auf bie (nicht Rechts⸗, fondern) Eultur-Zuftände nicht darzuftellen und daher in bie „frän«

No

1

Berwaltungshoheit, taneben fteht noch ber Finanzbann und das!) ftatliche Necht über die Kirche (Kirchenhoheit) als Mittel zum Zweck ber Finanz» und Kirchenhoheit2), während ber Verorbnungsbann d. h. das Verorbnungsrecht jenen Bannen nicht neben geordnet, jonbern Mittel zum Zwed ihrer Aller ift und neben ver Gefeßgebungshoheit im engern Sinn zu ber Geſetzgebungshoheit im weiteren Sinne zählt. Dagegen hat es nichts zu thun mit bem Verwaltungsbann, wenn einmal Charibert I. a. 562 Bilchöfe für Verlegung der Befehle feines Vaters bezüglich einer Biſchofswahl in Gelpftrafe von 1000 sol. und andern entfprechenden Beträgen nimmt: auch Kirchenhoheit ijt das nicht, vielmehr ziemlich willfürliche Uebung der Strafgemwalt, ganz ebenfo wie wenn ber erzürnte König ten wider feinen Willen erhobenen Biſchof auf einen mit Dornen gefüllten Wagen werfen und in Verbannung jtoßen läßt).

Alles Wefentliche in der Verwaltung ift faft ausſchließend römifch *) aus dem vwortrefflihen Grunde, daß es in ver germanifchen Urzeit bie meiften diefer Dinge gar nicht gegeben, höchftens in ber Gemeinde, nicht im Stat eine „Verwaltung“ beftanden hatte. Das fchließt Ver⸗ änberungen des vorgefundenen Römiſchen burch die Merovingen keines⸗ wegs aus das Nömifche mußte den neuen Verhältnifien angepaßt werden —, und man fann durchaus nicht) jede dieſer Veränderungen eine Verfchlechterung, einen. Verfall nennen. Allerdings hörten auch zahlreiche römische Verwaltungseinrichtungen ftatliche, wie bie Reichspoft (unten) und ſtädtiſche wie bie Spiele, öffentliche Bäder und dergleichen auf.

Allein der Merovingenftat war, neuzeitliche Ausdrücke zu brauchen, doch keineswegs nur ein Nechteftat im Sinne Kants, er war auch „Bolizeiftat“: d. h. auch die Pflege ver Volkswohlfahrt war feine Aufgabe: freilich war die „Polizei“ zumeift Sicherheits. und Straf- polizei (Verhütung von Verbrechen, Auffpürung von Verbrechern zum Zwed ver Strafgerichtsbarfeit), dann Beſchützung, Beförberung, Aus-

kiſchen Forſchungen“ verwieſen; über die unter Karl dem Großen umfaſſend be- triebene Eulturpflege vgl. auch Band VIIL

1) Anders Brunner II. ©. 38.

2) Sie fehlen bei Brunner II. ©. 38.

3) Greg. Tur. V. 26, Urgeſch. III. S. 202.

4) Dies verlennt Waitz IIb. S. 356.

5) Mit Guerard, Irminon I. p. 112f., 159.

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breitung der Zwangßreligion (j. unten „Kirchenboheit“) : aber es finden fich doch auch in merovingifcher Zeit Schon wie fpäter umfaſſend unter Karl dem Großen Pflege der VBollswohlfahrt auch neben jenen beiden Gebieten. Iſt gar oft von publica utilitas!), publica jura, publicae curae bie Rebe?), fo ift das zwar gewiß nicht bloß eine „abgelernte römifche Phrafe” 3).

Aber jene Ausprüde gehen doch fait ausichließend auf die Auf- rechthaltung des Friedens einmal unter ben Theilreichen, dann, inner« halb jedes Theilreiches, gegen vie Empörungen und Fehden der Großen‘) und Verbrechen jeder Art). Man muß bie einzelnen Gebiete ker Wohlfahrtspflege neben ver Sicherbeitspolizei doch mit Mühe juchen unter ben weltlichen Geſetzen: und die Concilienfchlüffee) behandeln fie nur von ber firchlich-fittlichen Seite ber.

Sit auch auf formelhafte Wendungen nicht viel zu geben, welche bie vielforgende Beichäftigung des Königs mit dem Zuftande des States erwähnen, jo darf man doch tie Verwaltungsthätigfeit fchon der Meroningen im Vergleich mit dem altgermanifchen Stat nicht unterfchägen?), und. unter Karl dem Großen, unter dem jene Formel ®) aufgezeichnet ward, darf die Verwaltungsthätigfeit großartig genannt werden. Am Nothwendigften und deßhalb am Reichiten entwidelt war im Merovingenreich freilich, wie gejagt, die Sicherheit3- Polizei : dahin zählt auch das Geſetz und ver Vertrag über die Spurfolge (ſ. unten).

Die Strafpolizei, Sicherheitspolizei wirb nicht nur durch Geſetz und Verorbnung in dem einzelnen Theilreich, auch burch völkerrecht⸗ liche Verträge zwiſchen den Theilreichen gehanphabt: tarauf zielen tie

1) Greg. Tur. IX. 8, Urgeſch. III. ©. 408, contra utilitatem publicam.

2) Andere Stellen bei Waitz IIb. ©. 355.

3) Wie v. Inama»Sternegg I. S. 56: fo mit Recht Waib a. a. O. IIb. ©. 118. 324. 355.

4) Greg. Tur. IX. 10, Urgeſch. III. ©. 413, tam pro vitae nostrae, d. h. Gunthramns und Chilbiberts II, commodo quam pro utilitatibus publicis (bie öffentlichen Intereſſen“.

5) Dies gegen Waib a. a. O.

6) Bezeichnend für die kirchliche Auffafiung von Aufgabe und Pflicht bes Königthums die exhortatio ad regem Francorum (Chlodovech II. od. Sigibert III.) bei Digot. III. p. 350.

7) Wie Wait IIb. ©. 358, der eben faſt nichts Römisches in diefem State anerkennen will.

8) Mare. 1. 5.

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Verordnungen von Ehilperih und bie Verträge (pro tenore pacis) von Childibert und Chlothachar, die Errichtung und DVerbefferung ter Scharwache zumal gegen Räuber und Diebe (ſ. oben VII. 1. ©. 84—93 und unten ©. 74). Und es tft doch offenbar nicht blos die Abficht, dem Fiscus Frievensgeld und Wette zu wahren, ſondern bie weiterblidende, gefährliche Verbrecher kennen zu lernen und unſchädlich zu machen, was tem Verbot zu Grunde liegt, fich mit dem Räuber, Dieb, Todt- fchläger des Geſippen außergerichtlich zu verftäntigen.

Schwache Anfänge der Sicherheits- und Wohlfahrts- Polizei fine fhon in altgermanifcher Zeit anzunehmen: ohne Deichſchutz und Deich- zwang waren vie Küften der Nordſee wohl nie bewohnbar: bie kimbriſche Sturmfluth, die keineswegs Sage fein muß, beweift est).

Auch die Nöthigung, Banggruben gegen wilde Thiere anzulegen, ift vielleicht fchon urgermanifch.

Und bezeugt ift, daß ſchon vor Einführung der Spurfolge im VI Jahrhundert in ven Dörfern nächtlihe Wachen gegen “Diebe und Räuber beftanden, tie wahrjcheinlich im Reihendienſt abgehalten wurben: weil biefe ihren Zwed oft nicht erreichen, werben als eine neue Einrichtung bie Spur-Scharen ter Hundertichaften eingeführt 2).

Weil nun ehedem bie Spurfolge jedes Centenars mit ber Gränze ber Hundertſchaft (felbftwerftännlich erjt vecht mit ber Grenze bes Theilreichs) ihr Ende fand und deßhalb die Diebe leicht entlamen, zumal im geheimen Einvernehmen mit ven Behörden ober ber trustis der eigenen Hundertſchaft, beftimmt ber Bertrag der Könige Chlo- thachar und Chilbibert, daß die Spurfolge auch in fremde Hunbert- ſchaften und in das andere Theilreich hinein folle fortgeführt werben dürfen. Vollſtändig der Sicherheitspolizei gehört alfo an dieſe Einrich- tung, die man ungeeignet „Sejammtbürgfcheft* genannt und für alt» und gemeinsgermanifch erklärt bat. Die decretio will an bie Stelle der bisherigen Nachtwacdhen, die im Einvernehmen mit ben Dieben (latro fur) dieſe entwifchen laffen, eine neue Maßregel ſetzen d).

1) D. ©. Ia. S. 315.

2) Decretio Chloth. regis c. 9, Paet. Child. et Chloth. c. 16. 17.

3) 1. c. deoretum est, ut, qui(a) ad vigilias constitutas nocturnas (con- stituti?) fures non caperent, eo quod per diversa intercedente conludio sce- lera sua pretermissas custodias exercerent, centenas fierent. Sollte nicht

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Aus dem Vertrag erhellt, daß wenigftens ven neuſtriſch⸗burgun⸗ diſchen Gebieten beiter Könige damals noch die Eintheilung in Hundert: Ichaften unbefannt war. Denn die Könige verordnen, daß jetzt erſt Sentenen errichtet, daß Vorftände dieſer Centenen unter tem Namen »centenarii« gewählt und daß die Spurfolge gegenüber Dieben, tie Haftung der Hunbertichaft gegenüber ven Beftohlenen und der Erfag- anfpruch gegenüber den Dieben oder den Gentenen, in beren Gebiet bie Diebes-Spur erlifcht, auf dieſe neu gejchaffnen Gentenen gebaut werben follen?!).

Die Centene ift dabei ein Verband von Menſchen, nicht ein räumlicher.

Die Hundert find nicht blos bie trustis, die „Centſchar“, welche verfolgen ſoll?), fondern zugleich die Hundertſchaftsgemeinde. Die trustis felbft heißt zwar centena®), aber doch find folgepflichtig (bei einer Bannbuße von 5 solidi) nur tie Wehrfähigen ver Hundertſchafts⸗ gemeinte. Daraus folgt, daß bier die centena neu gefchaffen wurbe: denn fonft hätte auch die trustis nicht, wie zweifellos hier gejchieht, neu gefchaffen werben müſſen. Daß bie trustis nur je zehn Köpfe betragen habe, ift eine willfürliche Behauptung *), und daß bie electi centenarii die Glieder ber Folgeſchar, nicht bie Voriteber ter Hundertſchaftsgemeinde fein follen®), widerſtrebt dem allgemeinen Sprach- gebrauch der Quellen. (S. oben VII. 1. ©. 86. 2. ©. 126).

Wahricheinlich foliten in Gegenden, wo noch keine Hundertichaften beſtanden, jett folche nach auſtraſiſchem Vorbild eingeführt und jedes» falles mit der „Spurfolge* (zweifelhaft, ob auch mit dem übrigen Verrichtungen der auftrafifchen Hunbertichaftsgemeinve) betraut werben, bie durch eine uralte trustis®) ſchon in dem älteften Capitular ”)

quia zu lejen fein? ſchon Zilius befferte fo. Das a ift vom Schreiber wegen des darauf folgenden zweiten a ausgelaffen worben. Richtig wirb es wohl lauten: ut, quia, qui ad vigilias constituti nocturnas fures non capiunt.

1) Pactus ce. 8.

2) Wie Sohm ©. 185.

3) /e.9 = 0.10).

4) Sohm's a.a. O.

5) Sohm ©. 188.

6) Aber gewiß nicht find Die alten ad wactas constituti Uinfreie, wie Sohm ©. 186. Das follen pueri regis fein. Als ob ſolche königliche unfreie Gens⸗ darmen in jebem Dorfe zu finden gewefen wären! Sie find nur am Hof und in töniglidhen villae.

7) Zur Lex Salica Heſſels p. 66.

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beforgt wird. Im Auftrafien dagegen hat daher jpäter Chilvibert II. tie Gentenen nicht erft neu zu fchaffen, fonvdern nur die Art ber Haftung und ber Verfolgung neu einzufchärfen !).

Weſentlich erleichtert, ja zum Theil erſetzt warb gar manche Ver- richtung der Strafpolizei durch einen allgemein anerlannten Grundſatz ber Bürgerpflicht: es galt als nicht nur fittliche, als Rechtspflicht bes freien Mannes, den Verbrecher, den Schädiger auch eines Andern zu ergreifen, zu verfolgen, um ihn dem Richter zu ftellen. Won ber That Hinweg ift dem Verbrecher nachzufegen unter Erhebung bes G&e- rüftes in lanbüblicher und der That angepaßter Faſſung: „Diebio!* „Raubio!“ „(Feurio!)“ „Mordio!“

Wer daher, gemahnt zur Spurfolge (sequela), dieſer nicht nach- geht, zahlt fünf solidi wohl nicht dem Beſchädigten, fondern bem Richter Wette ober an bie Hunbertfchaft. Wird die Spur bes Näubers feftgeftellt, ift er fofort over in der Folge in Geldbuße zu neh» men (multandus). Ergreift der Verfolger felbft (allein) „feinen Dieb“, erhält er die ganze Diebsbuße allein, wird er von ber verfolgenden Schar (per trustem, eben ber Hunbertichaft) ergriffen, fo wirb bie Diebsbuße zwifchen ihr und dem Beftohlenen je zur Hälfte getheilt, und bie trustis d. h. die Centene, bie ja die Hauptfache dem Be» jtohlenen bereits erjegt hatte, verlangt nun diefe von dem ‘Dieb?).

Das Gerüfte nicht zu erheben oder dem vernommenen, dem Landſchrei, nicht zu folgen ift alfo ftrafbare Unterlaffung?).

In altgermanifcher Zeit vollzieht der verfolgende Haufe gleich jelbft die Strafe an dem Ergriffenen und bei gewiflen auch die Götter verlegenden Verbrechen vie ſühnende Zerftörung ber Heimftätte bes Berbrechers ober des Haufes der Begehung. Auf jener Grundlage ruht auch fo die (vorübergehende) meroningifche Spurfolge bei Diebftahl. Ddrer Graf, Vicar, Centenar bannte feine Dingpflichtigen zur Ver⸗ folgung bei Wette von 5 solidi®), fpäter5) unter Königsbann; (unter

1) Decretio c. 9. 11, ce. 12.

2) Ebendies verfügt die decretio Chilbiberts IL. vom 29. Febr. 596 1. 0. c. 11 similiter convenit, ut si furtus factus fuerit capitale de praesenti centena restituat et causa (l. causam) centenarius cum centena requirat.

3) L. Cham. 31. 37, 4 sol., fpäter 60 sol., auch ben Unfreien wurden nun 60 Streiche gedroht.

4) Decr. Child. et Chloth. I. 1. ce.

5) Nach Decr. Child. II. c. 9. 1. c. p. 17.

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ben Karolingen wird biefe Verpflichtung folgerichtig aus dem Unterthanen⸗ eid abgeleitet). Er konnte aber auch feine Dingleute anhalten, bie Gränzen, die Ortichaft, zumal Nachts!), fowie auch Gefangene zu bes wachen, fich zu verbürgen als fidejussores, fie ficher vor den König zu geleiten unter Haftung wegen ihres Entlommens?).

So ſendet Guntchramn die Gaulente von Blois und Orleans nah Tours, um dort abwechjelnd Eberulf bewachen zu laffen in feiner Zufluchtsftätte bei Sanct Martin 3).

Es gefchieht auch manches für den Verkehr: in Hafen-, Schiff- fahrts-, Zollpolize. Die Schiffe follen viefelben Häfen anlaufen, „bie fie zur Zeit der früheren Könige, unferer Ahnen, anzulaufen pflegten“ t).

Sagenhaft ift zwar der Straßenbau Brunichilvens5), aber wohl ber Ausdruck der Anerkennung ihrer Fürſorge für das ganze Voll im Gegenſatz zum Adel. Doch giebt es viae publicae wie bei Baiern®) und Burgunden”); auch bier auf dem Lande und in Stäpten wie Worms und Mainz.

Beſonderer Straßenfriede fchütte des „Könige Straße“ ®).

Es fehlt nicht Gränzpolizei und Frembenpolizei; Gränzſperre er- folgt im Krieg, aber auch im Frieden bei Verfeindung ber Herricher ber Theilreiche ?) ; pagegen bei hergeftellter Freundfchaft wird vie Frei: zügigfeit aus einem Theilreich in das andere vertragsmäßig gewähr- leiſtet 19).

Das römische NeichSpoftwefen 1!) Hat fich hier nicht wie bei Oſt⸗ und

1) L. Cham. 36.

2) L. Rib. 73, 4. Heinze, zur Gejchichte der Sicherbeitsflellung im ger- manifhen Strafverfahren, 3. f. R.G. X. S. 450.

3) Greg. Tur. VII. 21, Urgeſch. III. ©. 312... ut oustodiretur Aurelia- nenses atque Blesenses vicissim ad has excubias veniebant; auf die Dauer von 15 Tagen.

4) D. 23. a. 651.

5) Digot. II. p. 155.

6) L. B. 10. 19.

7) 27,3. R. Rom. B. 17, 1.

8 D. ©. Ia. ©. 251.

9) Greg. Tur. VI. 19. VIII. 30. IX. 1. 28. 32, Ungefs, III. ©. 256. 399. 440. 445.

10) ®ertrag von Andelot von a. 587. Greg. Tur. IX. 20, Urgeſch. II. ©. 424. 11) Codex Theodos. VI. 29, 5. vm. 6. IX. 3, 7; über das oſt⸗ und weſt⸗

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Weft-Goten erhalten!). Jedoch wurden zahlreiche Naturalleiftungen und Fronden, welche die Unterthanen des römiſchen Neiches ver Poſt geſchuldet Hatten, unter ven alten Namen in Anfpruch genommen von tem König und deſſen fänmtlichen Beamten, auch ven fremden Ge⸗ fandten auf ihrem Wege zu une von dem König?).

Evectio ift Beförderung durch Pferbe (veredi, keltiſch), Beipferde paraveredi (daher unfer „Pferb“), angariae, Wagen, Vorfpann, (pa- rangariae).

So jendet Childibert II. feine Diener aus, mittelft „Zwangsbeförbe- rung von Statswegen“, das Vermögen bes Empörers Rauching aller Drten einzuziehen).

Königsbann droht für Verweigerung ber Aufnahme und Ber- pflegung (hospitium) von Königsbeamten und Gelandtent).

AU das Hergebrachte ift ihnen täglich aber nur an ben ber- tömmlichen oder geziemenden Orten auf ber Hin- und auf der Rück⸗Reiſe zu leiften.

Die Beamten erhoben die fo genau beftimmten Neichniffes) von ben Einzelhöfen wohl nach deren Umfang: auch diefe Beiträge heißen wie bie (farolingifchen) für den Heerbann®) stipendia, conjectus, conjectura.. Bei der Braut-Reife von Ehilperihs Tochter nach Spanien werben auch die Armen gezwungen, vie Verpflegung des überaus zahlreichen Gefolges durch folche conjecturae zu bejtreiten. Der Fiscus leiftet gar nichts dazu”).

Bei Verleihung der Immunität wird ven Beamten auch ausbrüd- (ich unterfagt, paratas (scilicet epulas) oder mansiones zu heifchen 3).

gotische Poſtweſen, Könige II. S. 105. VI2. S. 285; bafelbft Die Literatur; Hart⸗ mann, Geſchichte des PBoftweiens, ferner Otto Hirſchfeld, Unterfuhungen auf dem Gebiete der römischen Berwaltungsgeichichte I. 1877. S. 100. Marquardt Momm- fen I?. 1881. ©. 560. Karlowa I. ©. 875.

1) Ueber bie Burgunden f. diefe.

2) Die Nicht-Erfüllung dieſer Pflichten wirb mit dem’ gönigebann bedroht; unten „Finanzhoheit“.

3) Pueris distinatis cum evectione publica. Greg. Tur. IX. 9, Urgeſch. II. ©. 470.

4) L. Rib. 65, 3.

5) Form. Imper. N. 7.

6) S. darüber „Karolinger”.

7) Greg. Tur. VI. 45, Urgeſch. III. ©. 286.

8) Form. Marc. I. 3.

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In Südgallien Hatte fich wenigftens noch zu Ende des V. Jahr⸗ hunderts manch Stüd römifchen Handels- und Markt-Wejens !) erhalten. Apollinaris Sidonius?) berichtet ung von einem adstipulator ido- neus, Namens Prudens, defjen Name in der Formula nundinarum eingefchrieben fei, er verbürgt fich für den Verkauf einer Sklavin. Es ſcheint, daß ber Stat ein Verzeichniß einer Art gewerbmäßiger Mäkler aufftellte, vie fich für bie von ihnen vermittelten Gefchäfte ver- bürgen durften?). Weber Münz-, Maß- und Gewichts-Wefen |. „frän- kiſche Forſchungen“ und „Finanzhoheit“.

Die Armenpflege ruhte faſt ausſchließend in den Händen der Kirche, deren canones einen Theil der Einnahmen hierfür beſtimmten. Doch werden in den romaniſchen Städten Südgalliens die milden Stiftungen nicht alle erloſchen ſein, im oſtgotiſchen Italien wenigſtens beſtanden ſolche fort). Die (Biſchofs⸗Kirchen führten Liſten über bie von ihnen zu verſorgenden Armen ihrer Stadt: dieſe hießen von ſoſcher »matricula« »matriculariie ).

Die matricularii haben die Beleuchtung ber Kirche zu bejorgen: baber für »luminariac jtiften ſoviel heißt al8 für die Armen ®).

Matricula wird auch geradezu für pie Gejammtheit der in dieſe Lifte eingetragenen Armen gebraucht ?).

Doch fuchten fich die Kirchen mit allem Grund des Uebermaßes folcher Leiftungen zu erwehren und jchärften ein, daß jede Stabt- gemeinde fich zunächft ihrer Armen anzunehmen habes): auf dem flachen Lande gab e8 freie Arme kaum: ber Unfreien und Freigelaffnen mußten fich Herr und Freilaffer im Nothfall annehmen bei Ver- luft ihrer Rechte —, und freie SKleingütler, die in Noth geriethen, ver- wandelten fich bald im Unfreie eines Herrn ober boch in Brödlinge eines Brodherrn®).

1) ©. über Handel und Handelsrecht der Weſtgoten, Bauſteine II. S. 301f.

2) Fpistolae VI. 4.

3) Aehnlich Esmein, mélanges p. 365—377. Brunner II. S. 239.

4) Baufteine IL ©. 275, Cassiodor. Var. XII. 9.

5) Greg. Tur. virt. St. Jul. ce. 38, St. Mart. I. c. 31. DI. c. 22. III. c. 14; auch das Armen-Haus ber Kirche heißt fo.

6) Bgl. Greg. Tur. VII. 29, Urgeſch. III. ©. 320.

7) Ven. Fort. v. St. Rad. XVII. 39. praeter cotidianam mensam, qua refovebat (sic) matriculam.

8) Coneil. Turon. II. 5 ed. Maassen.

9) S. Könige VL2 ©. 133.

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VI. Sinanzdoßeit, Sinanzwelen.

A. Allgemeines.

1. Römiſcher Einfluß. Der Fiscus. Kein Bodenregal.

Auf dem Gebiet des Statshaushalts muß der Einfluß des vor⸗ gefundenen Römifchen auf den Frankenſtat auch von folchen zugegeben werben, bie fonft jebe berartige Einwirkung faft völlig leugnen !): im altgermanifchen Stat Teinerlei Steuerpflicht, ausgenommen etwa Beiträge zu den Opferfeiten 2), im fränfifchen Stat Fortfegung des imperatorifchen Befteuerungsrechts gegenüber ven Romanen und als- bald Ausbehnung befjelben über die Germanen, Fortbeftand auch im Allgemeinen aller Rechte auf andere Vermögensleiftungen, bie ber römiſche Stat gegenüber feinen Unterthanen hergebracht hatte3).

Das Königs» oder Krongut befteht zu großem Theil aus Gütern, bie dem römiſchen Fiscus gehört hatten).

»Fiscus« wird ganz in römifchem Sinne gejagt in Gefegen, Formeln, Urkunden, Heiligenleben und Gejchichtswerten >).

1) So Wait, Deutfche Verfaffungsgeihichte IIb. ©. 246. 1852.

2) Dahn, der Werdegang bes Statsgedantens bei ven Weftgermanen, Hirth's Annalen 1891.

3) Daß „vom ganzen Inhalt der Löniglihen Rechte nur ber Name Fiscus an römiſchen Urjprung erinnere”, kann mar Watt IIb. ©. 103 durchaus nicht zugeben: das gefammte Finanz⸗(Münz⸗, Zoll, Steuer-)weien, das allermeifte von der Verwaltung, vieles vom Aemterweſen, manches im Strafrecht war römifch.

4) Iſt die Urkunde Dagoberts I. Diplomata 1872, N. 44, in ber dem Klofter Weißenburg geſchenkt werben „bie Bäder jenfeit des Rheins, quas Antonius (l. Antoninus) et Adrianus quondam imperatores suo opere aedificaverunt« ganz umanzweifelig? Schwerlid! S. Gaupp, Germanifche Anfiebelungen und Landtheilungen 1844.

5) In Geſetzen: Lex Ribuaria ed. Sohm; in $ormeln: Formulae Mar- culfi monachi; in den Heiligen-KXeben: Gregorii Turonensis miracula Sancti Julian, Monum. Germ. hist. Scriptores rerum Merovingicarum I. 2 ed. Krusch 1885. Audoen, vita Sancti Eligii I. 20 ed. d’Achery, Spicilegium V (1658) p. 156. Häufig: »fisci ditiones«: Fredigar, Chronicon c. 80, Monum. Germ. Hist. Scriptor. Merov. II. ed. Krusch 1888. Urgeſchichte

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»Fiscalis« ift gleich königlich: baher »judex fiscalis«, was keines⸗ wegs einen „Biscal“, fondern jeden Föniglichen Beamten bezeichnet: fo!) jeten Richterbeamten.

Publicus ober fiscalis heißt eben alles dem König oder tem State zuftehente: fo vie Münze (moneta), die Münzftätte (officina)?); regalis (regius), fiscalis, dominicus, publicus werben als gleich- beveutend gebraucht: »res publica« jedoch gilt in höchft bezeichnen ver Weife für Rom und Byzanz: {nur ausnahmsweife einmal be- beutet?) ex res publicae praedio ten fräntifchen Fiscus); daher nennt Frebigundis den Statsichag, im Unterfchieve von ihrem Brivat- eigen, thesauri publici®). Daher werden obige Ausprüde auch ge« bäuft z. B. judex pudlicus ex fisco nostro®).

„Biscalifche* und andere Häufer werben zwar unterjchieven, aber gleichmäßig behanbelt®).

Alle auf Krongütern Sitzenden beißen homines fisci, ohne Unter- ſcheidung von Freien und Unfreien?).

Auch jede Caſſe des Fiscus hieß »fiscus«: daher in der Mehrzahl „Allee was im Speiergau ad fiscos nostros gehört 8)“.

Fiscus heißt aber auch das einzelne Krongut oder ein Inbegriff von Gütern, die aus wirtbichaftlichen, thatfächlichen, gefchichtlichen Gründen als ein Zufammengehöriges, einheitlich verwaltetes Ganzes gelten; aljo fiscus = villa), und wie man beute eine ehemalige

III. 1883. ©. 645). Diplomata N. 74; mit Unrecht beftreitet von Sybel, Ent- ftehung bes Deutfchen Königthums? 1881. S. 484, daß dies „Güter des Fiscus“ bedeute; Fiscus bebeutet bald das ganze Statsvermögen, bald auch eine einzelne Domäne.

1) L. Rib. 89.

2) Audoen. v. St. Eligii I. 3.

3) Greg. Tur. mir. St. Juliani c. 22.

4) Greg. Tur. VI. 45, Urgeſchichte III. ©. 285.

5) Diplomata N. 23.

6) Pactum Childiberti et Chlothachariü regum p. 7. c. 16. Capitularia regum Francorum ed. Boretius p. 3.

7) Dipl. N. 24.

8) Dipl. N. 24.

9) So Pardessus Diplomata, Chartae, epistolae, leges prius collecta a de Brequigny et la Porte du Theil I. 1843. p. 104. Cusiacum .. et Muros- natum fiscos (ich entnehme dies Wait IIb. ©. 321). D. N. 87: in fisco nostro Vetus Clippiaco v. St. Eucherii (Biſchof von Orleans, geft. a. 738) Acta Sanc- torum ed. Bolland. 20. Febr. III. p. 217. c. 8. Vernum, fiscum publicae ditionis.

81 Domäne wohl noch „Domaine“ nennt, nachdem fie ein Privater er—⸗ worben, hieß auch damals ein Privatgut geworbenes Krongut noch immer „Fiscus“.

Bon höchiter Bedeutung freilich wäre gewefen in biejem Finanz- recht ein angeblich ſchon merovingiiches „Boden Regal“, ein „Ober: Eigenthum“ tes Königs an allem Grund und Boden in feinem Reich, woraus dann ein Berg-, Salz und Jagd⸗Regal abgeleitet wird !). Allein e8 warb nachgewiefen 2), daß ein jolches Boten» Regal ſammt feinen Ausflüffen nicht beftanven hat. Weber im altgermanijchen Etat ift an derartiges zu denken, noch an Entjtehung „aus ter altrömijchen Anſchauung von dem Eigenthume des States am Provincialboden“: Ichwerlich doch kannten bie Salier dieſe altrömiſche Anfchauung, ichwerlich wollte ein unter Chlogio oder Chilvirich einwanbernder freier Franke in feinem Volleigen fich deßhalb befchränten laffen, weil ehe- mals der römifche Fiscus feit 476 gab es feinen mehr im Abend⸗ lande! römifchen Provinzialen gegenüber folche Anfchauung gehabt hatte. Vene Annahme beruht meift auf Verwechjelung von Gebiets» hoheit mit privatem Vermögensrecht: in andern Fällen liegt volles privatrechtliches Eigenthum des Fiscus vor, in wieder andern das Des mächtigungsrecht des Königs gegenüber allen herrenlofen Sachen Grundſtücken wie Fahrhabe in feinem Reich; ferner griff der König wie in andere Rechte, fo auch in das Grundeigen ber Unterthanen willfürlich ein, ohne vaß immer wie jeboch zuweilen gefchieht dawider bie Nechtshilfe mit Erfolg angerufen wirb: werben doch manch» mal vom Königsgericht felbft folche Eingriffe von Königsbeamten ge: ahndet, die bei Annahme des behaupteten Regals voll begründet wären. Das angebliche Berg, Salz: und Jagd⸗Regal, welches das Obereigenthum beweifen foll, Tann felbft nicht bewiefen, wohl aber widerlegt werten und einzelne Verfügungen über bie Wälder ver Ge- meinden das Eigenthum der Genofjenichaft an jenen Wäldern ift ganz unzweifelhaft!) fließen durchaus nicht aus einem Obereigen- thum des Königs, fondern aus ver Gebietshoheit und, wie wir heute jagen würben, aus der „Cultur⸗, Wald-, Forſt⸗ und Iagbpolizei“, ferner aus einem ftatlichen Enteignungrecht und endlich aus einer ftatlicheu Obervormundſchaft über vie Gemeinden in ihrer Vermögensverwaltung.

1) Bon R. Schröder, Deutiche Rechtsgeſchichte 1889. ©. 189. 204. 2S. 205. 2; Dahn, Deutfhe Geſchichte Ib. S. 483. 697; übereinftimmend jett auch Brunner II. ©. 237. 3) ©. oben VOL 2. ©. 3. 6. Dahn, Könige der Bermanen. VII. 3, 6

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Daß der Stat über die Wafferftraßen, d. h. die jchiff- und flöß- baren Flüffe, auch über die Seehäfen, wie über die Königsftraßen (viae publicae), Heerftraßen, verfügt, 3. B. fie beliebig fperrt und be- waht!), das folgt nicht aus einem „ivealen” (was foll das heißen ?) Obereigentbum des Königs, fondern einmal aus der Gebietshoheit und Straßenpolizei, zum Theil aber auch aus einem feineswegs „idealen“, fonvern jehr wirklichen vollen Privat» Eigenthbum des Fiscus wie an Öffentlichen Sachen (res publicae = regiae fiscales f. oben ©. 80), jo an berrenlojem Boden, erworben kraft des Bemächtigungsrechts ber Krone an folchem.

Am Deutlichiten zeigt fich das Unrichtige jener Annahme bei ber ganz verfchiebenen rechtlichen Behandlung von Almänndewald und bis- ber berrenlofem Robwalb.

Eigenthum der Gemeinde an ver Almännbe zu beftreiten, ift beil- licht unmöglich: wer foll denn der Eigenthümer fein? Doch wahrlich nicht der König! Auch nicht „Obereigenthümer*. Denn die Gemeinde, alleinhandelnd, räumt den Gemeindegenoffen an ter Almännde Nup- ungsrechte ein, ja fie verftattet Fremden, alleinhandelnd, Anfieblung, Rodung, Nukung von Almännveland: beides ohne den König zu be- fragen. Und dabei foll dieſer Eigenthümer over „befjer“ Obereigen⸗ thümer fein? Gerade der Vergleich der Nechtsverhältniffe an bisher berrenlofem Rodwald und an Almänndewald ift von ſchlagender Be—⸗ weistraft: das Rodland fteht im alleinigen und Voll⸗Eigenthum des Königs: daher ift bier jede Nieberlaffung, Nutzung, Rodung an könig- fihe Genehmigung gebunden: die Almännde fteht im alleinigen und Boll» Eigenthfum ter Gemeinde, daher ift bier jede Nieberlaffung, Nugung, Rodung nicht an Königliche, nur an Gemeintegenehmigung gebunden.

Nicht vermöge Eigentums over auch nur „Obereigenthums“, lebig- lich Traft feiner damals weife angewandten Polizeihoheit Tann ber König andrerfeits befehlen, Stüde des Almänndewaldes zu roden und anfzutbeilen, ganz wie im State bes aufgellärten Abfolutismus im vorigen Jahrhundert bie Landesherrn in Deutjchland kraft einer da» mals unweife angewenbeten Bolizeihoheit („Eulturpofizei”) die Auf- theilung und Rodung ter Gemeindewälder befahlen, ohne doch das Eigentbum oder an den Allovialgütern auch nur „Obereigenthum“ zu baben.

1) Gregor. Turon. VI. 11. IX. 20. 32. Urgefch. III. ©. 429. 445. 446.

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Warum hatte die Gemeinde alfo folhe und nicht ver König Nutzungs⸗ und NRobungsrechte an der Almännde? Antwort: weil die Gemeinde Eigentbum an der Almännde batte!), und nicht ber König. Ä "

Warum hatte nicht die Gemeinde, fondern ber König folche Rechte an dem (bisher ober wieder) berrenlofen Debland ? Antwort: weil ber König Eigenthum daran hatte, und nicht die Gemeinde.

2. Statsgut glei Königsgut.

Es bejtand Feine Scheidung von Königs und von Statsgut: hierin trafen übrigens bie noch unentwidelten germanifchen Auf: faffungen in allen diefen Neichen ver Vandalen?), Oftgoten?), Bur⸗ gunven‘), Zangobarben>), (anders nur aus Tirchenrechtlichen Ein- flüffen Weftgoten)6) mit den im römifchen SKatferreich befte- henden Zuftänden zufammen, vie ebenfall® das »aerarium Caesaris« und ben »fiscuse des States nicht mehr unterjchieten.

Daher wird von einem Bermächtniß, das dem König perfönlich (aus Dankbarkeit für frühere Schenkungen) zugewenbet wird, gejagt, e8 fei beftimmt: „dem Reiche“).

Kraft feiner Finanzhoheit verfügt der König unbefchräntt und unüberwacht über alle Statsmittel zu perfönlichen wie ftatlichen Aus- gaben. Nur ein rein Thatfächliches ift es, nicht Anerkennung eines Nechts der Franlen oder der Großen, erflärt einmal Frebigundis, fie babe Ausftener und Mitgift ihrer Tochter aus ihrem Privatver- mögen, nicht ans den Schäßen der früheren Könige ober des States bejtritten 8) ; auch Chilperichs perfönliches Vermögen ift Statsgut, aber nicht das feiner Königin: daher kann, wie bei Goten®), has

1) Bas Schröber a. a. D. mit Unrecht Ieugnet.

2) Könige I. 1861. ©. 2031.

3) Ebenda II. 1866. ©. 136.

4) Urgeſch. IV. 1889. ©. 115.

5) Ebenda ©. 294.

6) Könige VI2. 1885. ©. 249.

7) Testamentum Bertchramni, Pardessus, Diplom. I. p. 201.

8) Greg. Tur. VI. 45, Urgefh. III. ©. 284 (non) quicquam hic de the- sauris anteriorum regum . . nihil de thesauris publicis: beide find auch hier gleichgeftellt.

9) Könige VI. S. 249.

6*

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Krongut wohl auch einmal bei ber Jahresſchatzung der Langobarden!) »Francorum aerariae heißen: aber doch ift nicht das Voll Eigen- thümer dieſes Vermögens, es dient nur den Zwecken bes Frankenreichs und auch den privaten bes Frankenkönigs. Ganz ebenfo hieß auch wohl das palatium des Königs palatium Francorum ?).

Da nun alfo auch die Föniglihen Domänen, die villae und vici, wie die Burgen den Statszweden dienen und dem fiscus pu- blicus gehören, erklärt es fich durchaus, daß auch fie wie als regia fo al8 publica bezeichnet werten: vicus publicus, civitas publica, palatium publicum, castrum publicum 3), beſonders Häufig in Baiern‘) und in fpäterer Zeit, aber doch auch fonft>).

Ganz andern Sinn hat ed dagegen, wird einmal in Baiern im Unterfhied von Siedelungen von Unfreien, die, Leute wie Land, im Eigenthum eines Privaten ftehen, eine villa, ein vicus als publica, publicus bezeichnet: das drückt die Freiheit ber Leute, ihr Volleigen am Land aus und daß ihr Grunbeigen nur der ©ebietshoheit des States unterftellt it, feinem Privateigenthbum, namentlich auch nicht®) bem BPrivateigen bes Königs (oter Herzog in Baiern) wie befjen Domanialgüter: villa publica regia im erften Sinn ift Privat- gut bes Königs, weil Statsgut, villa publica im zweiten ift Privat- gut und bes freien Unterthans.

Die privatrechtlihe Auffaffung des Statsvermögens zeigt fich beutlich auch darin, daß nußbringende Hoheitsrechte der Krone, z. B. fogar die GerichtShoheit, wie nutzbringendes Privateigenthbum an einer villa, einem Walde betrachtet und veräußert werben: fo übrigens auch im ganzen Mittelalter. Keineswegs aber folgt hieraus ein privat» rechtliches Eigenthum, auch nur „Obereigenthbum“, an dem Stats-

ee

1) Fredig. c. 45, Urgeſch. II. S. 607.

2) Vit. Sanct. Leodegarii c. 1. Acta Sanctor. ed. Bolland, 2. Oct. I. p. 463 seq. |

3) Karl. Martell. Diplom. p. 100. N. 1213.

4) ©. dieſe in ben Freifinger Urkunden.

5) Pippin Diplom. p. 164. 167. N. I. 18. 22. C. Rhem. can. 15. ed. Mansi X. p. 1202, in civitatibus et in vicis publicis und Aigrad von St. Wan⸗ brille, geft. vor 702, im Leben St. Ansbert von Rouen, geft. 695. Analecota Bollandina I. p. 178. c. 25 de vicis publieis; fo beißt fhon bei Jonas v. St. Columbani ed. Mabillon Acta Sanctorum ordinis St. Benedicti, Saeculum II. p. 28. c. 31. 32 eine villa regia villa publica.

6) Hierin muß man Wait IIb. S. 323 beftimmt widerſprechen.

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gebiet als ſolchem: an dieſem bejteht nur ftatsrechtliche Gebiets- hoheit.

War alſo auch kein Unterſchied zwiſchen Privateigen des Königs und fiscaliſchem bes States, fo Tann man doch nicht fagen!), daß all dies Eigen „vem ganzen Geſchlecht angehörte”. Das Königsgefchlecht war nicht juriftifche Perſon und konnte daher fein Eigen haben: viel- mehr hat ver König allein, als natürliches Nechtsfubject, Eigenthum an dem aus Öffentlich rechtlichen wie aus privatrechtlichen Titeln ber» rührenden Vermögen ver Krone wie feiner Perſon. Ein befonberes »folcland« wie bei den Angeljachfen ift dem Frankenreiche fremd 2).

Aber ver Name fiscus für Statsgut, aus dem Römiſchen herüber: genommen von Anfang an, daher fchon in ber Lex Salica ift hierfür beibehalten worben bis in bie Tarolingifche Zeit, und wenn auch wegen der Auffaffung alles Statsguts als Privateigen des Königs (wie freilich auch umgekehrt) die Bolgen des römiſchen Begriffs ber juriftifchen Perfon' des Fiscus nicht ftreng durchgeführt werben, fo fehlt e8 doch keineswegs an Einwirkungen biejes Begriffes, und man Tann alfo durchaus nicht behanpten?), jener römifche Begriff und Aus⸗ drud „trägt für die Auffaffung nichts aus“: denn es fehlt nicht an Stellen, in welchen ber Fiscus von dem Privatvermögen bes Königs unterfchieven wird wenigſtens der Bezeichnung nacht): daneben gab es doch auch andres Königsgut, meiſtens allerdings ift Fiscus Statögut und Tönigliches Privateigen zuſammens). Der Fiscus ift nicht eine gemeinfchaftliche Caffe der Franken 6) und auch nicht regel» mäßig vom Königsgut zu fcheiben?).

1) Mit Waitz Ilb. ©. 317.

2) Eine Scheidung von privatem Königsgut und Statsgut findet ſich nicht nur bei Angelfahfen Follland —, auch bei Weftgoten, Könige VI2, ©. 269.

3) Mit Waitz IIb. ©. 320. |

4) Diplom. N. l. quicquid est fisci nostri; 25 villam quam usque nunc fiscus noster tenuit.

5) Zahlreiche Beläge bei Gregor V. 3 villas quas ei rex a fisco indulserat; X. 21 debitum fisco servitium; VI. 23 compositiones . . fisco debitas; Ur- gefhichte III. S. 168. 502. 259. Fredigar c. 27 Liber Historiae Francorum c. 42 ed. Krusch 1. c.; in ben Urkunden, Diplom. N. 15. 23. 24. 28. 30. 38. 40. 67. 89 quod fiscus noster sperare potest, quod ad partes f. n. reddere debuerunt, quod f. n. conguevit exigere. Pardessus II. p. 300.

6) So noch nad Aelteren Luden, Geichichte bes teutichen Volles III. 1827. S. 259.

7) Wie Guerard, Polyptychon Irminonis 1844. p. 48.

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So entſchieden nun alfo das Statsgut als privatrechtliches Eigen des Königs bezeichnet wird, es gebricht doch nicht völlig an ber Erkenntniß, daß das Krongut Statsgut fei, wie auch bei Weftgoten wohl von bem thesaurus etc. Gotorum geiprochen wird. „Deffent- liches Gut”, „fiscaliſches“ wird in einem Athen mit Königsgut ge- braucht und der Stat als vermögensrechtliches Rechtsſubject beißt ‚Fiscus“: das ift römiſch, und doch nicht blos das Wort, auch ber Begriff. Daß es auch in altgermanifcher Zeit Statsland wie Ge⸗ meinveland gab, ift zwar (nicht nur des angelfächfiichen Folclands wegen) anzunehmen, allein in ven merovingifchen Ausdrücken fiscus ober publicus liegt ausjchließend Nachwirkung Fortführung viel- mehr des Römifchen, wie bie gleich bedeutenden Ausprüde sacer ?), sacratissimus 2) beweifen.

3. Der Schatz, thesaurus,

Zu dem Statsgut oder Königsgut zählt auch der Königshort over Statsihat?), ver thesaurus. Andere Namen dafür find aerarium, publicum t), [aerarium publicum braucht Gregor von Tours gleich- beveutend mit Fiscus®) und mit thesauri regales]®), sacellum pu- blicum ?): fchon dies widerlegt die Scheidung ®) zwiſchen Statsichat und Königsſchatz. Steht in publico (im Sinne von in fisco) allein, fo tft wohl zu ergänzen: aerario®). Zweifelhaft bagegen erfcheint,

1) Pardessus II. p. 211. 255. 333. Form. Marc. I. 1. 3.

2) Diplom. (Grimoald. L) p. 91.

3) ©. über benfelben bei Bandalen, Of- und Weit-Goten Könige I. ©. 209, III. ©. 138, VI?. ©. 268. Ueber dies Wort, gotiſch huzd, angelf. hord, vgl. 3%. Grinim, Weigand, Schade, Kluge. Aus griechiſch thesauros warb althochd. tr&so, trisur, franzöfifch tr&sor, altfpanijch tresoro.

4) Greg. Tur. VIII. 36; IX. 9. 10. Gesta Dagoberti ed. Krusch ]. c. c. 19, Urgeih. IIL S. 389. 413.

5) Bgl. VI. 28 mit VIII 36. ©. 264, Urgeſch. ©. 264. ©. 389.

6) Diplomata N. 67. 74 = fisei ditiones = nostris aerariis in berfelben Urkunde.

7) X. 19, Urgeſch. ©. 421.

8) Digats, Histoire du royaume d’Austrasie 1864. III. p. 37.

9) Chlothacharii Edictum, Capitularia ed. Boretius c. 23 cellarensis in publico non exigatur. Greg. Tur. de glor. Confessor. c. 63 (tributa) . redduntur in publico (oben ©. 256).

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ob!) ein Eingebannter, der »de publicor zu Angers zu ernähren ift, bem Aerar der Stadt oder dem bes States überwiefen wird.

Zwar wird manchmal das Wort thesaurus in fo weiten Sinne gebraucht, daß es alle Fahrhabe tes Königs einfchließt?): aber nicht felten find andrerfeits die Stellen, in welchen eine örtlich beftimmte Anhäufung von Geld, Waffen, Schmud, Geräth des Könige etiva in der Hauptſtadt des Reiches oder in einem palatium anderwärts gemeint iſt. Auf Näume der Aufbewahrung weifen Ausprüde wie regestum?), cellarsum fisci‘). Bier liegen auch die Steuer⸗vLiſten 5): aber Urkunden wurden in bem Föniglichen thesaurus doch wohl nur dann aufbewahrt, wenn fie, wie eben ein Steuerbuch, fich unmittelbar auf Statseinnahmen bezogen ®). Thesaurus wird aber auch im weitern Sinne, gleich fiscus, gebraucht: fo fließt auch die Grundfteuer in ven thesaurus?),. In biefen allgemeinen Schatz ſtrömen alle Einnahmen, in Geld oder in Naturalien, aus allen Nechtsgründen, Zinfe von aus⸗ geliehenen Gütern, Friebensgelver, Banngelber, Kaufpreiſe, Schatung unterworfner Völker, byzantinifche, langobarbifche Hilfsgelver, Beute: antheile; aber in ben »thesaurus regis«, ber in ber »aula regis« liegt, fließen auch alle Steuern, fo der gefammte »census«, eines Gaues 3).

Ganz die gleiche wichtige Rolle wie in den übrigen Germanen» veichen biefer Zeit fpielt auch bei ben Merovingen ver Königshort, biefer Schat, thesaurus. Es wird ausbrüdlich hervorgehoben, daß er wie das Neich felbjt vererbt, getheilt, erobert, übertragen, verloren wird. Nicht geringer als des Meiches ſelbſt ift feine Wichtigkeit: begreiflih, denn neben der Landleihe war die Spendung aus bem Schatz das wichtigfte Regierungsmittel im Inneren und nach Außen:

1) Greg. Tur. V. 41, Urgeſch. IH. ©. 214.

2) So Waitz IIb. ©. 321.

3) Greg. Tur. IX. 10; X. 19, Urgefch. III. ©. 413. 499. Du Cange, glos- sarium mediae et infimae latinitatis ed. Favre VII. 1886, fo in aerarii publiei registu Greg. Tur. IX. 9, Urgeſch. III. S. 411f.

4) Diplomata N. 61.

5) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441; in regis thesauro (in tessauro nostro Diplomata N. 67 liegt eine Urkunde) gleichbebeutend auch hierin regestum: scripta in regestum Chilperici reperta Greg. Tur. X. 19, Urgeſch. III. ©. 499.

6) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 444.

7) Coneilium Arvernense ed. Bouquet. Recueil des historiens des Gaules et de la France 1738 seq. IV. p. 58.

8) Audoen v. St. Eligii I. 3.

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in Belohnung, Anfeuerung, Beſtechung, Gewinnung von Berbün- beten. Gleich nach Chlothachars L Tod reißt Chilperich „des Vaters Schäße, bie zu Brennacum gehäuft lagen“, an fich, fucht die mädh- tigeren Franten auf und unterwirft fie feiner Herrfchaft, „vurch Ge- ſchenke fie gewinnenb“ 1).

Schon ber Sohn und Mörder Sigiberts von Köln läßt Chlodo⸗ vech wiffen: „des Vaters Reich und Hort hab’ ih in Händen” beide gewinnt dann Chlodovech?); ebenfo die der anderen Gau«- föniges). Beim Tode Chilviberts I. nimmt deſſen Reich und Schäße Chlothachar J.y. Nahezu formelhaft wird dies wiederholt; jo von Guntchramn, ber das „ganze Reich Chariberts I. mit deſſen Schäten“ in Anſpruch nimmt5). Gfeicherinaßen wie Gregor nennt auch Tre bigar ganz regelmäßig das „Reich der Franken“ (oder Chlothachars II. oter Chariberts IL) und deſſen „Schäge” zufammen®) : jo nehmen in ben leßten beiden Stellen noch Pippin IL. und Karl der Hammer mit ber Perſon der Könige Theuderichs III. und Chilperich& IT. zugleich beren Schäße in ihre Gewalt. Sa, die Schäte werben noch vor dem Reiche genannt”). Bei der Theilung bes Weiche, bei der Beerbung des Waters verlangt ein Bruder auch ven entjprechenven ‘Theil des Schakes: ver Geſammtſchatz (Dagoberts I.) wird Vertretern ber beiden Theilreiche vorgewiefen und zu gleichen Theilen vertheilt, (nur von der Errungenſchaft Dagoberts, nicht auch an dem von ihm vor: gefundenen Schag erhält die Königin-Wittwe Nantchild ein Drittel)®) obwohl Dagobert Sigibert III. bei veffen Erhebung zum König von Auftrafien einen „genügenden’ Schatz zugetheilt Hatte). Die Königin befaß ihren befonteren Schag: Fredigundis hatte einen fo gewaltigen angefammelt, daß Chilperich faft bedenklich warb 10), ja fogar für jeben ihrer Heinen Knaben hatte fie bereit$ vor beren frühen Tode je einen

1) Greg. Tur. IV. 22, Urgeſch. IH. ©. 123.

2) Greg. Tur. I. 40, Urgeſch. III. ©. 66.

3) II. 41. 42, Urgeſch. II. ©. 67.

4) IV. 20, Urgeſch. IV. ©. 121.

5) VII. 6, Urgeſch. III. ©. 296.

6) C. 42. 57. 67. 100. 107.

7) Liber Hist. Franc. ed. Krusch ce. 33 von Brunichildis.

8) So ift doch das de quod D. adquisierat zu verfiehen, Fredig. c. 85. 9) C. 75.

10: Greg. Tur. vgl. IV. 28, VI. 45, Urgeſch. III. ©. 133. 235.

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Schatz angelegt 1); felbftverftänblich wird das Wort »thesaurus« auch für die Schäge von Unterthanen gebraudht?).. Der Schag befteht aus gemünztem Gold und Silber), dann aus Schmud und Geräth aller Art, Loftbaren Steinen®), Halskettend): aber auch Waffen, Wagen, edle Roſſe gehören dazu).

B. Die Einnahmen.

1. Die Krongüter.

Auch bier, in Domänen-Recht und »-Verwaltung, ift fehr viel Rö⸗ mifches beibehalten worben: 3. DB. Name und Amt bes eigentlichen Domänenbeamten, de8 domesticus’?).

Das Grumdeigen ter Krone des States war fehr um- faffend: außer dem dem Königshaus wie jever Sippe nach tem Maß- ftab des Bedürfniſſes alſo fehr reich! zugetheilten Haus-Eigen

«erwarb ber merovingifche Fiscus alle vergefunvenen römifch-fiscalifchen Güter und die gewiß fehr ausgebehnten Ländereien, bie von ben bis— herigen Eignern bei dem Einbringen ber Franken geräumt ober burch ven Fall ihrer Eigner herrenlos oder zur Strafe wegen Widerſtandes eingezogen wurben: ſolche Strafeinziehung wirkte dann fort und fort bei ben unabläffigen wirklichen oder8) behaupteten Empdrungen ver Großen: ohne daß doch freilich diefe Erwerbungen bie unaufbörlichen Berlufte durch Vergabungen an Kirchen, Klöfter, geiftliche und weltliche

1) Greg. Tur. IV. 35, Urgeſch. III. ©. 140.

2) Greg. Tur. VII. 40, IX. 9, Urgeſch. III. ©. 338. 409; Fredig. c. 4.

3) Daran ift Greg. VI. 75, Urgeſch. IIL ©. 285 zu denlen wegen bes barauf folgenden Schmudes, der offenbar auch aus Gold oder Silber beſtand.

4) Greg. Tur. V. 34, Urgeſch. IH. S. 209.

5) Ebenda; über Schmud und Loftbare Gewande ber Königin Venantius Fortun. V. 67 vita Sanctae Radeg. Monum. Germ. histor. auctorum anti- quissimorum IV. 2 ed. Krusch 1885. c. 13.

6) Fredig. IV. ce. 60 cupiditates instineto super rebus ecelesiarum et leudibus sagace desiderio vellit omnibus undique exspoliis novos inplere thinsauros. Hier weift Wait IIb. S. 332 mit Zug die Abſchwächungen Pauls von Roth, Geſchichte des Beneficiaiweiens 1850. S. 320 zurüd, ber nur an Edel⸗ metalle oder einzelne Prachtſtücke bentt.

7) Oben VOL 2. ©. 172.

8) Man wird ca. 700 Gallien zu 1/; im Eigenthum der Krone, 1/; im Eigenthum der Kirchen, 1/; in dem von Privaten vermuthen dürfen.

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Große erfegen konnten, an denen bie fränfifcpe wie fpäter bie beutfche Königsmacht verbluten jollte.

Das Krongut beftand nun in ganzen »villaee, d. h. Landhäuſern, einem Haupthof, sala dominica, mit einer höchſt ausgebehnen Zu- behör von andern Häufern für bie freien, halbfreien, unfreien Bebauer, mit Wäldern, Wieſen, Weiden, Aedern, Gewäflern, mit Reb⸗, Obit- und Gemüfegärten, und mit ben zahlreichen Nukungsrechten jeder Art (Jagd, Fiſcherei, Mühlen, Waffer « Gerechtigfeiten, Holzungs- und Weide⸗Rechte) an benachbarten Grundſtücken ver Gemeinden und ber Privaten. Alſo Aderland: baber agre fiscales!), possessionum fiscalium ?), domus fiscalis?), villa fiscalis‘), villa regia®), silva regalis®), silva dominica?), venna dominica Vorrichtungen zum Fiſchfang und Necht, fie zu nuken®), famuli fiscalis?) (sic), ve- nitoris fiscalis, servus!P), jumentorum fescalium (sic) custodes 1!), porcaris fescalis!2) (sic), Aomines fesci!?) (sic).

Es gab große villae mit zahlreichen Gebäuden, fo daß fich das Ganze einem Dorfe gleich ftellte, aber auch ganz Heine (villulae) !4), aus Einem Gehöft beftehent.

Schon tur die Einziehungen wegen Hochverraths!5) erklärt es fich, daß der König in allen Theilen feines Reiches verftreut Land eignet, nur vie Kirche jever Provinz ift noch allgegenwärtiger in jedem Gau.

Nicht jo planmäßig wie die Kirche Bargeld verwendet, Yand und Leute zu erfaufen, aber doch auch häufig genug vermehrt vie Krone ihre Liegenfchaften durch Kauf, freilich nicht ausreichend, die unabläffig

1) Greg. Tur. IX. 20, Urgef. III. ©. 431f.

2) praedia 1. c. X. 19, Urgeſch. HI. ©. 498.

3) VI. 45, Urgeſch. III. ©. 484.

4) VI. 32, Urgeſch. II. S. 269. Form. Marc. I. 52.

5) v. St. Radeg. c. 1.

6) Greg. Tur. X. 10, Urgeſch. II. ©. 4831.

7) Diplom. N. 21.

8) Dipl. N. 21, Du Cange VII. p. 271.

9) Fortun. v. St. Germani c. 14.

10) Greg. Tur. V. 48, Urgefd. III. ©. 221—231.

11) Greg. Tur. VII. 40, Urgeſch. III. ©. 393.

12) Chloth. II. Edict. ce. 23.

13) D. N. 24.

14) Pardessus II. p. 226.

15) Ueber die unabläffige Vermehrung des Kronguts durch Einziehung, auch durch herrenlos werbenbes Land v. Roth, Ben. S. 68.

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rieſelnden Verſchenkungen und Verleihungen von Krongut zu beden. Im 9. Jahrhundert follen Krongüter nur durch Königsurkunde auf ven fiegreichen Kläger übergehen‘). Auch eingetaufcht wurden Güter häufig?).

Bon ten Römern überlommen war die Einrichtung, daß bie fiscalifchen Güter und deren Bewohner nicht unter ben Statsbeamten ihrer Provinz Herzog, Graf, vicarius ftanden, fondern unter befonveren Domänen-Beamten: viefe altrömifche Scheivung wird im Frankenreich bis zu deſſen Ente beibehalten.

Dagegen beſtand vie?) behauptete Unbelangbarkeit des Fiscus feineswegs: nur hatte ber Fiscus bei vem Streitverfahren erhebliche Ausnahmsrechte: der König erfchten nicht in Perfon, fondern durch einen beliebig gekornen Dertreter‘), ferner konnte biefer Vertreter bie vor dem Grafengericht angebrachte Sache an das Pfalzgericht ziehen (Neclamationsrecht)5), endlich Tonnte berfelbe ftatt des gewöhnlichen Deweisverfahrens mit den nur formalen Beweismitteln des Volks⸗ gerichts einen vom Nichter erhobenen Ingquifitionsbeweis veranlaffen, wobei eibliche Kundichaft von glaubhaften Nachbarn over fonftigen Nechts- und Lebens⸗Genoſſen als Auskunfts⸗Perſonen erhoben ward).

Verichieden von jener reclamatio des Fiscalvertretere war das Recht des Könige, für jedes Tiscalftreitverfahren gleich von Anfang ben gefreiten Gerichtsftand vor dem Pfalzgericht in Anfpruch zu nehmen ?), wie er ja jeben Nechtsftreit auch anderer Parteien fofort vor das Pfalzgericht ziehen konnte (oben ©. 41).

Jenen Irrthum von der Unbelangbarkeit des Fiscus haben ver- anlaßt zwei Vorrechte der Krone im Verfahren: war der Fiscus ver- urtheilt, fo erklärte er ſich nicht wie andere Beklagte für fachfällig, fondern der König erließ eine Verfügung, ven Gegner Haglos zu jtellen, zumal alſo dem Kläger das Klagegut herauszugeben. (Solcher

1) ©. den früheften Belag 818/9 bei Brunner II. ©. 74.

2) Kauf und Tauſch. Form. Marc. I. 30. Diplom. 40. 62. 67. Gesta Dagoberti c. 37.

3) Ben Paul von Roth, Ber. S. 223, Feudal. S. 224f., Gohm ©. 24f., Schröber? S. 114f. Dawider überzeugend Brunner, Zeugen- und Inquiſitione⸗ Beweis ©. 60, Schwnrgeridhte ©. 707.

4) Brunner, Zeugen S. 60. 78.

5) Brunner, R.⸗Geſch. IL. S. 50. 73.

6) Brunner, Schwurgerichte S. 87, R.-®. II. ©. 524.

7) Belipiele bei Brunner, Zeugenbeweis ©. 63.

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Defehl Ionnte dem Fiscal auch fchon im Voraus für den Fall ver Verurtheilung ertheilt fein!).) Berner war Vollftredung in Königsgut ebenfo ausgefchloffen wie Friedloslegung des Königs; hätte er fich doch felbft frieblos Tegen müffen, und die Bannung (missio in bannum regis) der Grundſtücke hätte viefe ja wieder in die Hand des Könige zurüdgeführt 2).

Andere Vorrechte der Krongüter find ber durch Königsſchutz erhöhte Friede (f. oben ©. 19, 27, 30,44) und die Immunität, welche bier am frübeften erfcheint, aus dem römiſchen Finanzrecht beibehalten.

An Kronwältern erhielten die Bauern ber Nachbargemeinden oft ein Schweinemaftrecht (Bucheder- und Eichel-Majt) gegen einen Schweinezehnten wie das auch unter Privaten häufig vorlam). Das⸗ jelbe bebeutet4) cellariensis. Bier heißt es: „in einem Jahre, das feine Weide (pastio) gewährte, die Schweine zu mäften (saginarı), ſoll von Statöwegen (in publico) auch bie cellarinsis (sc. exactio, census) nicht eingeforvert werben“. Cellarium hieß im römischen Reich vie Verpflegung in Naturalien, welche faiferlihe Sentlinge in ben Provinzen zu fordern batten®), daher dann alle Naturalabgaben an Zebensmitteln, welche in ein »cellarium« floffen. Daher deutſch „Keller“: deutſche Gloſſen gewähren: kellera, promptuaria.

Der Fiscus bezog alfo von Privaten für Verftattung ver Schweine- maft in den Statswälvern ftatt Geldes eine Abgabe in ven gemäfteten Schweinen®) ; verjagten in einem Jahre die Eicheln und Buch edern, ſoll auch die Abgabe entfallen”). Jedoch ven Kirchen wird ſpäter 8) dieſer Schweinzehnt erlaffen wie die Acker⸗Gelder, d. b. alſo, wie ſolche Zuſammenſtellung zeigt, andere Gebühren für ähnliche Nutzungsrechte an Königsland. Agraria ſind alle Abgaben von einem

1) S. beide Fälle bei Brunner II. S. 74.

2) So vortrefflich Brunner a. a. O.

3) Bgl. Die weſtgotiſchen Rechtsſätze, Weſtg. Studien ©. 97f. decimae por- corum, praeceptio Chloth. II. c. 11. Cap. I. p. 19.

4) Ed. Chl. c. 23. I. p. 23.

5) Cod. Tbeodos. c. 3. 1.10.— e.6. XL 1. c. 32. VIL 4, gleichbedeutend sellarionsis species c. 32. VII. 4. c. 16. XI. 28.

6) Ebenſo wie weftgotiihe Private, Könige VI?. ©. 281, Weftgot. Studien ©. * hier ein Zehntel der weidenden Thiere, ebenſo merovingiſch, wie aus Praec. c. 4 erhellt.

7) Ed. o. 21. 23. 8) Durch Praec. c. 11.

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ager: fo fon römiſch!): alfo nicht nur Rottlandzehnten (Zehnten von Neubrudh)?).

Pascuaria find Weidegelder, d. h. alle Vergütungen für Weibe- recht auf fremdem (nicht blos Töniglichem) Bopen?).

Ein „Forſtregal“ d. h. ein ausfchließendes Necht des Königs, Wälder zu eignen, Hat es nie, auch im Mittelalter nicht, gegeben. Der König zählte zu feinem gewaltigen Grunteigen auch viele Wälver, ganz einfach, weil Urwald rechts vom Rhein und Urwald und wieder Wald gewordenes Bauland links vom Rhein fehr häufig waren. Und er bebrohte mit feinem Bann das Sagen und Holen u. f. w. (oben ©. 81) in biefem feinem Eigenthum, b. 5. er bannte bie Wälder, fo in ven Vogefen machte fie zu Bannwäldern.

Alfo auch wegen tiefer Bannwälver kann doch eift allgemeines Recht des Königs als folchen auf Wälder durchaus nicht anerkannt werben. Daß, abgefehen von dem BPrivateigenthfum bes Königs (— Statseigen), auch ſonſt „große Wälder (aber eines Andern) dem Ge- brauch des Königs namentlich der Jagd vorbehalten waren“5), ift durchaus unerweislich, ebenjo, daß ber Ausdruck „Forft” damals fhon dies beveutet habe: wenn Forſt dies fpäter bebeuten kann (nicht muß), fo liegt eben in Mitte das Auflommen der Iagdregalität, vie biefer Zeit fremd ift. ‘Die für die andere Meinung angeführten Stellen beziehen fi) auf Wälder im Privateigen des Königs‘) oder auf be» fonvders erworbene Rechtsgründe oder auf Gemeindewälder, in welchen ber König oft ein auf Gewährenlaffen, oft auf Gewohnheit?) begrün« detes Jagdrecht, öfter wohl ein Jagen ohne jedes Recht übte.

1) c. 11. Cod. Theodos. de Veteran., dann Form. Marc. II. 36 reditus terrae vel pascyarium aut agrarium; ebenfo pascuarium aut agrarium aut carropera L. Baj. I. 13 tributa hoc est agrarium; praeceptio Chloth. 1. c. agraria, pascuaria vel decimas porcorum.

2) Wie Brunner 11. ©. 75.

3) Deutlich L. Wisig. 15. VIII. 8 aliena pascua . . invadere praesumit sine pascuario, Weftgot. Studien ©. 97, Könige VI? ©. 280. L. Baj. I. 14, 1 pascuarium desolvat secundum usum provinciae.

4) Wie Waik IIb. ©. 316. 5) Waitz a. a. O.

6) So überall, wo bie forestis als nostra, dominica bezeichnet wird. Diplom. N. 22. Sigibert III. für Remaclus; ebenfo dominica N. 29. 87.

7) Diplom. N. 11. p. 63 quiequid ibidem a longo tempore fiscus fuit aut in giro tenuit vel foristariae (l. 11) nostri usque nunc defensarunt. Daß Forſt urfprünglid = „Götterhain” geweien, ift einer ber vielen Irrthümer in Künßberg, germaniihes Alterthum ©. 232.

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Die Erklärung!) von Forft, for-eht als Föhr-icht, Föhrenwald ift ſtark beftritten und bie Ableitung aus lateinisch foras „was draußen ift, nicht betreten werben darf“, vorherrfchenn 2). Forſt ift aber jedes⸗ fall8 der „Bannwald”, der (durch Bann oder Zaun) „eingehegte‘, im Gegenſatz zu bem offnen, auch ver Benugung offnen Mark⸗Wald, Almännde-Walb.

Neuerdings ift jene Erklärung als Föhrenwald wieber vertheidigt worben?). Dafür würbe fprechen, daß die Almänndewälder wegen ber wichtigen Maftungsrechte vor Allem aus „eckernden“ Bäumen d. h. Eichen und Buchen, aljo aus Laubwald, im Unterſchied vom Nabel- holz beitehen mußten.

Später „forftete“, „bannte” der König auch Wälder von Privaten, b. b. er bedrohte zum Vortheil der Privaten mit dem Königsbann das Sagen und Holzen auch in folchen: den Uebergang hatte wohl bie Bannbuße gebilvet, die befonders vom König befrievete Güter allge mein ſchützte: dann warb folcher „Bannfrieve” Waldungen beſonders verliehen.

Ebenfo wie Bannwälver gab es Bannwaſſer, deren Beftfchung bei Banngeld verboten ward, zuerft Tönigliche, dann auch private. Da nun auch bier von foresta piscationis, foresta piscium in aqua gefprochen wirb, ift foresta überhaupt (silva forestata, foresta venationis, forestis nostra = piscationes) doch wohl eher von foras, (draußen, Fernhaltung) abzuleiten als von Föhret), wonach das Wort erft fpäter vom Wald auf das Wafler übertragen fein müßte).

Das. angebliche „Bergregal“®) hat fo wenig wie das behauptete Jagd» (oder gar Forft-)Negal beſtanden. (S. oben ©. 81).

Aus welchem Grund alfo auch König Dagobert I. jedes andere

1) Salob Grimm's Wörterbuch IV.1. ©. 3.

2) Schade ©. 215 und Weigand I. ©. 562.

3) Durch Kluge ©. 87.

4) 3. Srimm, W.⸗B. IV.1. ©. 3.

5) Diez, W.⸗B. 8. v. forestis.

6) Schon behauptet von Arndt, zur Geſchichte und Theorie des Bergregals 1879. ©. bagegen Literarifches Centralblatt 1880 N. 17. Schröder, die Franken und ihr Recht S. 80. v. Inama-Sternegg, zur Berfaflungsgeichichte der Deutihen Salinen, Situngsberichte der Wiener Alad. d. W. 111, S. 570. D. Wirthſchaftsgeſchichte J. S. 425, II. ©. 355. Schmoller, Jahrbuch XV. ©. 650. 675. D. G. Ib. ©. 699. Schwantend Brunner 11. 76. VBgl. Urgeid. IV. ©. 27; ältere Literatur bei Grüter, de regali metallorum jure 1867. Kommer Zeitichrift flir Bergrecht 1869 N. 3. ©. 378.

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Jahr ein Antheil an dem Ertrag eines Bleibergwerts zulam!), feineswegs vermöge eines Berg⸗Regals.

Daß der König herrenlofje Grundſtücke, die Metalle oder Salz bargen, fich anzueignen das Recht hatte, verfteht ſich von felbft, ift aber Folge feines allgemeinen Rechts auf herrenlofes Land, nicht eines Berg⸗ oder Salzregals; daß er aber das ausfchließenne Recht auf Gewinnung ter Berg. und Salzſchätze, aljo auch in dem Boden von Privaten oder Gemeinden, t. b. eben das Berg⸗ und Salz⸗Regal gehabt habe, ift durchaus unerweislih. Daß ter fränkiiche Fiscus von dem römifchen Fiscus viele Bergwerke überlommen haben mag, ift für die Negalität ohne jede Bedeutung. Daß ver König wie feine Wälder fo feine Bergwerke durch den Königsbann fhüsgt, ift unerweislich, zwar wahrfcheinlich, aber für ein Bergregal jo wenig beweifend, als die gebannten Wälver ein ausfchließennes Recht bes Königs beweijen, Wälter zu eignen oder darin zu jagen. Blei⸗ und Salzzehnten beweifen für bie Negalität ebenfalls lediglich gar nichts: fie find wie andere Zehnten bei Schenkungen löniglicher Berg- werke an Private vorbehalten worden. Endlich aber wird das angeb- liche Regal dadurch ſchon widerlegt, daß neben ven Kronbergwerlen jolde von Kirchen und anderen Privaten bezeugt find, welche in beren Eigenthum, uidt nur Pacht oder Ausübung von verlies henem SKronregal ftehen: daß dies Eigenthfum manchmal auf Schenkung durch den Fiscus beruht, ändert hieran nichts: in andern Fällen ift früheres fiscaltiches Eigentbum nicht nachweisbar. Daß in Baiern die Agilolfingen Bergwerke zu Eigen bejaßen, beweift für das Regal abermals gar nichts: auch Andere eigneten Bergwerke in Baiern.

Sn Bajuvarien (auch Defterreich), Böhmen, Mähren, im fächfi- ſchen Erzgebirge führt der Bergbau nicht auf fränkiſche Colonifation zurüd: daß gelegentlich fräntifhe Coloniften in Bergſchatz⸗Landen ſchürften und fchachteten, kann für fränfifches Berg. Regal doch wahrlich nicht das Mindeſte beweifen?).

Der Abbau wird betrieben durch (wohl meift unfreie) operatores, bie von majores, ganz wie fonft bie übrigen servi auf ben villae

1) Gesta Dagoberti c. 40 plumbum ... ex metallo censitum.in secundo semper anno solvebatur, vgl. Lehuerou p. 312.

2) AU dies gegen die dem Regal zuneigenden Ausführungen bei Brunner II. ©. 76.

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ber Privaten und Könige, aber auch von Bergmeiftern, d. 5. technifch gejchulten Leitern, magistri, zum Bau angehalten werten. Der Er- trag fließt in die camera des Herrn und Bergmwerfeigners, ver einen Theil davon ben Arbeitern als Lohn belaffen kann, aber Un- freien gegenüber jelbftverftäntlich nicht muß. Das Verbältniß kann fihb auch jo geftalten, daß umgekehrt der Rohertrag ven magistri, majores, operarii verbleibt, nur ein Theil davon an ven Herrn und Eigenthümer abzuführen ift!).

2. Die Steuern.

. I. Allgemeines. a. Das vorgefundene und beibehaltene Römiſche.

Das gefammte römiſche Steuerwefen (Grundſteuer, Kopfiteuer, Gewerbefteuer, Zölle, Wege-, Brüden-Geld) beftand auch nach ver fräntifchen Eroberung zu nächſt in ganz Gallien unverändert?) fort: dies ift bie Regel: dies muß in allen Fällen vorausgefekt, das Gegen- theil al8 Ausnahme bewiefen werben. Auch alle römischen Einrich- tungen, welche jenem Zwecke bienten Aemter, Steuerliften be- itanden zunächft und regelmäßig fort: daher 3. B. auch vie ſchon von römiſchen Imperatoren verliehenen Steuerbefreiungen?) oder Um— wandelungen, 3. B. von Naturalabgaben in Geld für Clermont- Terrand, bie von Marimus (a. 383—388) gewährt und offenbar noch zu Gregors Zeit eingehalten wurden‘).

Mit Unrecht beftreitet man) bie Fortdauer der römischen Ein» richtungen auf biefem Gebiet: nicht nur die alten Namen: exactor,

1) Registrum Prumiense c. 41, Beyer, Mittelr.-Urk.-®. I. p. 164.

2, Allzufrüh läßt Brunner II. S. 3 die römischen Steuern in privatrechtliche Laften übergeben.

3) Eine von Kaifer Leo Lyon im Umkreiſe von 3 Meilen gewährte beftand noch zu Gregors Tagen (590), Greg. Tur. gloria confessorum c. 63 ed. Krusch: tributum in tertio eirca muros miliario populis cede, bittet Sanct Helias.. (Leo) tributum petitum civitati concedit unde usque hodie circa muros vrbis illius in tertio milliario non redduntur in publico. Die Ueberlieferung, wenn gleich Kirchenfage, zeigt, was man für möglich hielt.

4) Greg. Tur. vitae Patrum I. p. 669 ed. Krusch: ut Arverna civitas quae tributa in specie triticea ac vinaria dependebat, in auro dissolveret, quia oum gravi labore poenu inferebantur imperiali.

5) Bor Allen Waitz IIb. ©. 270.

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polyptychon, discutere, auch bie alten Dinge find im Wefentlichen erhalten: Lie neuen vulgärlateiniihen Namen (capitulare, descriptores) find nur eben in ven „claffifch“ Iateinifchen römischen Duellen nicht gebraucht: dem Leben waren fie gewiß nicht fremd ge: wejen. Wichtig ift nur: die alten in römifcher Zeit feft geregelten und nach Bebürfniß erneuten Einrichtungen geriethen jet vielfach in Unflarheit und, nah Beraltung wegen verfäumter Nachbefferung und Nichtigerhaltung, griff wohl oft Willfür gewaltthätig zu: das Steuer: wejen war vömijch geblieben, auch mit feinen alten römiſchen Schäden: nur bie Zerrüttung und Unficherbeit, vie einriffen, waren Folgen ber fränkiſchen Eroberung.

Daher berufen fi) die Könige bei Erhebung der Steuern ftets auf das Gewohnheitsrecht?), „fie verlangen bie Steuern wie zu Zeiten ber früheren Könige” und biefe verlangten fie wie zu Zeiten ber Imperatoren fie verjprechen, das Herkömmliche am Steuern nicht zu erhöhen, was jelbftverftändfich gelegentliche Berichtigungen ber veralteten Anschläge, auch wohl Steigerungen nicht ausschließt.

Daber bleiben auch die römischen Namen: tributum?), census), exactio®), functio5), functio tributoria®), wörtlich aus dem Ro⸗ mifchen beibehalten wie im Oftgotenreich”?): functio et actio®), red- hibitio®): functio heißt zwar wörtlich „Leiftung“, alfo „Arbeit“, wird aber auch ebenfo oft von Abgaben in Geld ober Früchten gebraucht 10).

1) Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441.

2) Greg. Tur. VII. 23, VIII 15, Urgeſchichte III. ©. 316. 358. Gloria Mar- tyrum ed. Krusch 1. ce. c. 44.

3) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. II. ©. 441; vita Sancti Aridii (Biſchof von Saint Yrieir, geftorben 581; ed. Bolland. Acta Sanctorum 25. Auguſt V. p. 178 (ogl. p. 182 seq.) c. 12 Audoen, vita St. Eligii 1. ec. I. 15. 32. Concilium Rhemense ed. Mansi ]. c. canon 7.

4) Vita Sanctae Balthildis, geflorben um 680, ed. Krusch 1. c. c. 6.

5) Greg. Tur. V. 20. 29, Urgeſch. W. ©. 197. 203,

6) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441. Pardessus, Diplomata I. p. 86. 94. 109.

7) Cassiodorus Variarum libri III. 40, Könige III. ©. 139.

8) Formulae Marculfi I. 1.

9) Diplomata N. 31. 38. 40.

10) Greg. Tur. V. 28, Urgeid. III. ©. 203 von Rebland eine Amphora Wein, aber auch von anbern Fänbereien und von Unfreien viele andere »functionis« (sic); ebenfo Concilium Claromontanum ed. Bouquet l. c. IV. p. 58 con- suetudinariam (inferre) functionem.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 17

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ber Privaten und Könige, aber auch von Bergmeiftern, d. b. technifch gejchulten Leitern, magistri, zum Bau angehalten werten. Der Er⸗ trag fließt in die camera des Herrn und Bergwerfeigners, ver einen Theil davon ben Arbeitern als Lohn belaffen kann, aber Un- freien gegenüber felbftverftänplich nicht muß. Das Verhältniß kann fih auch fo gejtalten, daß umgelehrt ber Rohertrag ben magistri, majores, operarii verbleibt, nur ein Theil davon an ben Herrn und Eigenthümer abzuführen ift!).

2. Die Steuern.

. I. Allgemeines. a. Das vorgefundene und beibehaltene Römiſche.

Das gefammte römische Steuerweien (Grundfteuer, Kopffteuer, Gewerbefteuer, Zölle, Wege-, Brücken⸗-Geld) beftand auch nach ber fräntifchen Eroberung zunächft in ganz Gallien unverändert?) fort: bies ift die Regel: dies muß in allen Fällen vorausgejekt, das Gegen- tbeil al8 Ausnahme bewiejen werben. Auch alle römifchen Einrich- tungen, welche jenem Zwecke bienten Aemter, Steuerliften be- ftanden zunächft und regelmäßig fort: daher 3. B. auch bie ſchon von römijchen Imperatoren verliehenen Steuerbefreiungen?) over Um- wanbelungen, 3. B. von Naturalabgaben in Geld für Elermont- Terrand, bie von Marimus (a. 383—388) gewährt und offenbar noch zu Gregors Zeit eingehalten wurben ‘).

Mit Unrecht beftreitet man) die Fortdauer der römiſchen Ein» richtungen auf biefem Gebiet: nicht nur die alten Namen: exactor,

1) Registrum Prumiense c. 41, Beyer, Mittelr.-Urk.-B. I. p. 164.

2) Allzufrüh läßt Brunner II. S. 3 die römischen Steuern in privatrechtliche Laften übergeben.

3) Eine von Kaiſer Leo yon im Umkreiſe von 3 Meilen gewährte beftand noch zu Gregors Tagen (590), Greg. Tur. gloria confessorum ce. 63 ed. Krusch: tributum in tertio eirca muros miliario populis cede, bittet Sanct Helias.. (Leo) tributum petitum civitati concedit unde usque hodie eirca muros vrbis illius in tertio milliario non redduntur in publico. Die Ueberlieferung, wenn gleich Kirchenfage, zeigt, was man für möglich hielt.

4) Greg. Tur. vitae Patrum I. p. 669 ed. Krusch: ut Arverna civitas quae tributa in specie triticea ac vinaria dependebat, in auro dissolveret, quia cum gravi labore poenu inferebantur imperiali.

5) Bor Allen Waig IIb. ©. 270.

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polyptychon, discutere, auch bie alten Dinge find im Wefentlichen erhalten: tie neuen vulgärlateinifchen Namen (capitulare, descriptores) find nur eben in den „claſſiſch“— lateinifchen römiſchen Duellen nicht gebraucht: tem Leben waren fie gewiß nicht fremd ge« weſen. Richtig ift nur: die alten in römifcher Zeit feft geregelten und nach Bedürfniß erneuten Einrichtungen geriethen jett vielfach in Unflarbeit und, nach BVeraltung wegen verfäumter Nachbefferung und Nichtigerhaltung, griff wohl oft Willfür gewaltthätig zu: das Steuer: wejen war römijch geblieben, auch mit feinen alten römiſchen Schäden: nur die Zerrüttung und Unficherheit, die einriffen, waren Folgen ber fränfifhen Eroberung.

Daher berufen fi die Könige bei Erhebung der Steuern ftets auf das Gewohnheitsrehht!), „fie verlangen die Steuern wie zu Zeiten ber früheren Könige” und dieſe verlangten fie wie zu Zeiten ber Imperatoren fie verfprechen, das Herkömmliche am Steuern nicht zu erhöhen, was felbtverftändfich gelegentliche Berichtigungen ber veralteten Anfchläge, auch wohl Steigerungen nicht ausſchließt.

Daber bleiben auch die römijchen Namen: tributum 2), census), exactio?), functio5), functio tributoria®), wörtlih aus dem Rö⸗ mifchen beibehalten wie im Oftgotenreich”): functio et actio®), red- hibitio 9): functio heißt zwar wörtlich „Xeiftung“, alſo „Arbeit“, wird aber auch ebenjo oft von Abgaben in Geld oder Früchten gebraucht 19).

1) Tur. IX. 30, Urgeſch. IH. ©. 441.

2) Greg. Tur. VII. 23, VIII. 15, Urgeſchichte III. ©. 316. 358. Gloria Mar- tyram ed. Krusch 1. c. c. 44,

3) Greg. Tur. IX. 30, Urgefh. III. ©. 441; vita Sancti Aridii (Bifchof von Saint Yrieix, geftorben 581; ed. Bolland. Acta Sanctorum 25. Auguft V. p. 178 (ogl. p. 182 seq.) c. 12 Audoen, vita St. Eligii 1. c. L 15. 32. Coneilium Rhemense ed. Mansi ]. c. canon 7.

4) Vita Sanctae Balthildis, geftorben um 680, ed. Krusch |. c. ce. 6.

6) Greg. Tur. V, 20. 29, Urgeſch. II. ©. 197. 203.

6) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441. Pardessus, Diplomata I. p. 86. 94. 109.

7) Cassiodorus Variarum libri DI. 40, Könige III. ©. 139.

8) Formulae Marculfi I. 1.

9) Diplomata N. 31. 38. 40.

10) Greg. Tur. V. 28, Urgef&. III. ©. 203 von Rebland eine Amphora Wein, aber auch von andern Ländereien unb von linfreien viele anbere »functionis« (sic); ebenfo Coneilium Claromontanum ed. Bouquet 1. c. IV. p. 58 con- suetudinariam (inferre) functionem.

Dahn, Könige der Germanen. VI. 3, 17

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polyptycum (moAörrvxor)!) ftebt fchon in dem Codex Theodo- sianus für Steuerliften?), ebenfo im Oſtgoten⸗8) und im Weft- goten- Recht), Auch die Zinsliften von Privaten hießen fo: zum Beiſpiel das »polyptychon Irminonis« für St. Germain-des-prös. Ob die neben ven beibehaltnen zweifellos römischen neu auftauchenden Arten von Wege-Gelvern und vergleichen uns fonft nicht überlieferte römiſche oder neue merovingifche Einrichtungen find, ift oft zweifelig (ſ. unten Zölle).

Nach beibehaltner römischer Weife wurden die Steuern am 1. März ausgejchrieben 5), ver Vorſchrift nach jährlich: das warb aber offenbar nicht eingehalten, ſonſt hätten die Stenerliften nicht fo oft völlig ver- alten und ben veränderten Verhältniffen nicht mehr entiprechen können 6).

Mit dem fräntiihen Märzfeld bat jene Friftbeftimmung nichts zu Schaffen: die Stener warb eben wie bei den Römern 6 Monate vor ter Fälligkeit (1. September) ausgefchrieben.

Aber auch die Meinung”) ift unbegründet, die römischen Steuern feien in Frankreich in private Leiftungen einzelner Untertanen über- gegangen: das ift für bie merovingijche und auch noch für bie faro- (ingifche Zeit unrichtig®).

Gegen bie öffentlichrechtliche Art der Steuer beweift es durchaus nicht), daß der König einem Privaten verftattet, fie in einem biefem geſchenkten Krongut von den bisher Stenerpflichtigen nach wie vor zu erheben 1%): das ift einfach die pofitive Wirkung der Immunität.

1) Formulae Marculfi I. 19 (publicum p.).

2) C. 2, Cod. 11. 26, c. 13. 1. c. 11. 28 de indulgentia debitorum.

3) Cassiod. Var. V. 14. 39, Könige III ©. 40f.

4) Lex Visigothorum XII. 2. 13; Könige VI? ©. 254.

5) Greg. Tur. V. 4: im Jahre 579 ſchickt fi ein Königsbote an, die Bürger von Poitiers am 1. März heimzuſuchen und zu ſchädigen, wohl durch Strafen für Steuerrüdftände V. 28, Urgefch. III. S. 203: im Jahre 576 rottet fih das Volf von Limoges am 1. März zufammen, ben Stenerausfchreiber zu erfchlagen.

6) Greg. Tur. IX. 30, X. 7 per longum tempus et succedentum genera- tiones, Urgefd. II. ©. 441. 473.

7) Sranzöfifher Forſcher: Waig IIb. ©. 271 räumt ihr noch zuviel ein.

8) Anders wohl im franzöfiichen Mittelalter feit c. 900. Allerdings be merft Waitz a. a. D. mit Recht, die Bezeichnung des tributum etc. als »publi- cume beweije nichts, da Alles, was dem König zugehört, alfo genannt wird.

9) Wie Waitz Ib. ©. 272 meint.

10) Audoen. v. St. Eligii I. 15.

x

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Da der König über Statseinnahmen auch zu feinen privaten Zweden verfügt, kann er das Beſteuerungsrecht des States einem Privaten, z. B. einem Bisthum oder Klofter oder der Königin, abtreten und biefem hat fortab der Steuerpflichtige ben Steuerbetrag zu entrichten: aber nun ift er nicht mehr Steuer, fondern privater Zins, ganz ebenfo wie wenn der König den privaten Zins von einem Krongut einem beliebigen Privaten abtritt?).

Der König konnte nun aber auch feine Steuerforderung (Grund⸗, Kopffteuer, andere Leiftungen) gegen freie Untertbanen an Geiftliche oder weltliche Große abtreten: auch an Heilige, d. h. Bisthümer, Klöfter, Kirchen. Dies war fo, ſcharf gevacht, das Rechtsverhältniß; da num aber nicht mehr ver Stat, fondern ein Privater der Empfänger der Schatzung war, erſchien freilich wider alle Rechtsvernunft! ber Schatende mehr als vor folcher Abtretung in feiner Freiheit ge- mindert: der Grunpftenerpflichtige erfchien nun einem privaten Lant- Leibe Nehmer und daher Zinspflichtigen gleih 2). So hatte König Pippin Sanct Gallen gejchentt „ven census, ben gewijfe liberi ho- mines bem fiscus entrichtet hatten 3)”.

Rechtlich, zumal privatrechtlich betrachtet Tag in folcher Ab⸗ tretung der Steuerforverung burch den König nichts andres als in ber Abtretung eines privatrechtlichen Landzinſes des Landempfängers burch den Landleiher an einen anderen Privaten, eine Kirche oder andere Perfonen. So der Vater des Alamannenherzogs Liutfrid an das Klofter Weißenburg ®).

Die geſammte Steuer (census) eines Gaues (3. B. von Limoges) fol dem König auf einmal in ben thesaurus gefenbet werden: e8 war üblich 5), den Betrag in „Ichönen, neu geprägten, reinen und vothen Stüden“ an die aula des Königs: zu fchidlen.

nr

1) Wie in ber Urkunde für Le Mans, Dipl. N. 67 (von a. 667) p. 184: daß fie falſch, fteht hiefür nicht im Wege.

2) Chilberihe IL (a. 673) Diplom. N, 30 homines illos . . quantum cuique .. ad parti fisco nostro retebant (= reddebant, nicht retenebant wie 8. Bert) tam freda quam reliquas funciones . . abbate ad monasteriolo ... Coniluentis visi fuimus concessisse.

3) Codex diplomaticus Sangallensis ed. Wartmann Traditiones San- gallenses N. 312,

4) Traditiones Wizenburgenses ed. Zeuss 1842. N. 12.

5) Juxta ritum: Audoen. v. St. Eligü I. 3.

7*

100

Manchmal warb aber durch Vertrag mit dem Fiscus für einen beftimmten Steuerbezirt ftatt der wechſelnden Einſchätzung ein feiter Abichlagsbetrag der Steuer vereinbart, der dann eingejenvet warb an ven König ohne Verrichtungen der descriptores und exactores: das hieß remissaria (sc. pecunia). So von dem Klofter von Angers!) und wahrſcheinlich auch von der Kirche von Le Mans?). Steuer- verzug batte Einziehung ober doch Pfändung und Verfilberung bes pflichtigen Grundſtücks zur Folge: fo erfahren wir von ven bem State grundſteuerpflichtigen Ländereien der Kirche von Arvern, bie von Hinterfafjen bebaut waren; Childibert II. verjprach hierin Scho- nung?).

Noch immer find wie zu vömifcher Zeit die Steuereinnehmer (exactores) für die (Örund-)Steuerausfälle haftbar und erleiden da⸗ her burch Zerjplitterung des Grundeigens und Verſchwinden deſſelben in neue nicht befannte und nicht verfolgbare Hände ftarfe PVerlufte: Chilvibert befreite fie für Arvern von biejer Gefahr‘).

Diefe Verpflichtung erklärt e8, auch ohne Annahme von Steuer- pacht, daß ein Graf und ein Vicar, um bie fällige Steuerſchuld von ihrem Gau rechtzeitig zahlen zu können, fich von einem Juden Geld leihen).

Auch für Steuer- wie für PVerwaltungszwede ift das Reich ge- glievert in civitates®) und deren Gebiete: nach Stäbten werden bie

1) Neben den solidi inferendalis Dipl. N. 74 p. 65 sex sol. de remissaria auri pagensis . . per abbatem ipsum aut per missos suos annis singulis in sacellum publicum. -

2) Dipl. N. 85 p. 199 (200 sol. inferendales und) 200 alios auro pagen- ses... ad fiscum .. de villa... curtis... ecelesiis monasteriis .. in sacello publico:.. ipsi pontificis aut per missos suos .. debeant reddere.

3) ©. bie eingehende Auslegung ber Stelle Greg. Tur. X. 7 in Urgefch. III. ©. 473.

4) Greg. Tur. X. 7, Urgeſch. III. ©. 473.

5) Greg. Tur. VII. 23, Urgeſch. II. ©. 316.

6) Ueber die Erhebung der Grund- und andern Steuern nad Städten und Stadtgebieten Greg. Tur. V. 26, Urgeſch. III. ©. 203, tributa vel omnia quae inde (von ber eivitas Venetorum, Vannes) debebantur annis singulis VI. 22, Urgeſch. III. ©. 258, X. 7. ©. 473 cuncta . . urbium tributa in... urbe Ar- verna Childiberthus rex omnem tributum tam ecclesiis quam monasteriis concessit; einntal jhidt der König feine diseriptores in Pectavo, was Stadt und Landſchaft in Poitier® beveutet, Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. II. ©. 441; ebenda nach Tours.

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neuen Stenerliften angelegt !). „Einmal wurden den Einwohnern Steuern und Abgaben (tributa vel census) von ben SKönigen ausgefchrieben, biefe Verpflichtung warb auf alle Stäbte Gallien fehr forgfältig angewandt 2)“.

b. Steuerliften.

Zunächſt waren die vorgefundenen römiſchen Steuerliften bei. behalten, die Steuern von Römern und Franken nach jenen alten An⸗ Ihlägen erhoben worden. Sie werben immer vorausgefegt und oft genannt. Der Graf (Gaifo von Tours) heiſcht auf Grund ber alten Stenerliften die Stenern?). ‘Die Steuerliften heißen discriptiones, libri discriptionum‘): discribere urbem hieß eine Stabt (neu) zur Beftenerung einfchägen®). Andere Namen ver libri discriptionum®) find capitulare, capitularium, wohl, weil fie in Abfchnitte geglie- dert waren?) ; aber auch jede Heine Schrift mochte fo heißen®).

Die Urfchrift der Steuerliften warb als Grundlage fiscalifcher Einnahmen in dem königlichen Schak verwahrt?), wo vermuthlich ſchon damals eine beſondere Archivabtheilung beftand, in welcher, wie in ben Kirchen. und Kloſter⸗Archiven, auch bie Liften der Zinfe und Frohnden für die an Hinterfaffen ausgeliehenen Krongüter ver- wahrt werben mochten. Abfchriften lagen in ven Archiven der Grafen und Vicare.

Unter Childibert II. beruft man fi für bie Steuerpflicht von Tours auf die Aufzeichnungen liber, capitularium) ver Steuerbe-

1) Greg. Tur. V. 34, Urgeſch. DI. ©. 209 libros (descriptionum) qui de civitatibus suis (d. 5. Frebigunbens) venerant; daher diseribere urbem IX. 30. 1. c., Urgeſch. DIL. ©. 441.

2) V. St. Aridii Bouquet Il. c. IIL p. 413.

3) Greg. Tur. IX. 30 coepit exegere (sic) tributa, Urgeſch. TIL ©. 441.

4) Greg. Tur. V. 28. 44, Urgeſch. III. ©. 203. 209, v. St. Aridii Bouq. II. p. 413 libros ipsos quibus inseriptus pro gravi censu populus .. tenebatur afflictus.

5) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441 discriptam urbem Thoronicam Chlotari regis tempore manifestum est librique illi ad regis praesentiam abierunt.

6) Greg. Tur. V. 28. 34, Urgeſch. IX. 30.

7) Greg. Tur. IX. 30.

8) Du Cange II. p. 139.

9) Greg. Tur. IX. 30, Urgefch. III. ©. 441 thesaurus regis..

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träge, wie fie zur Zeit ber früheren Könige entrichtet wurben !). Auf Geſetz und Gewohnheit beruht die Steuerpflicht, neue Auflagen die felbftverftändlich gelegentlich auch verfügt wurden veripricht ein König einmal, nicht einzuführen.

Dft entipraden fie nad Ablauf von Yahrhunderten nicht mehr der Wirklichkeit: der Werth mochte geftiegen fein, Stenerbefreiungen waren oft nicht eingetragen, ebenfo oft nicht das Erlöfchen von ſolchen 3. B. durch Uebergang von SKirchengütern in weltliche, von Töniglichen in private Hand; zumal in ven Liſten ver Kopffteuerpflichtigen mochten längft Verftorbene noch fortgeführt, da⸗ gegen neue Steuerpflichtige nicht eingetragen fein. So war e8 nicht blos Habſucht mochte auch diefe bei dem Gatten Frebigundens mitwirfen —, war vollberechtigter Eifer für die Wohlfahrt des States, d. 5. bier für die begründeten Anfprüche ber Statscaffe und für bie gerechte Vertheilung ver Statslaften, wenn Chilperich eine grünbliche Prüfung und in vielen Fällen eine Neuerung, Ergänzung, Yenberung ver alten Steuerliften vornehmen ließ 2). Begreiflicherweiſe bezweckte bie Steuererneuerung meift eine Steuervermehrung burch Heranziehung bisher UWebergangener, wohl auch durch Erhöhung des bisherigen Steuerfages: 3. DB. von Weinbergen je eine Amphora Wein von einer Aripennis Nebland, dann von andrem Bauland und von Un⸗ freien 3).

Verwirrung, Uneinbringbarkeit der Grundſteuer mußte entftehen durch Unterlaffung der Erneuerung der Stenerliften: die in ben alten Liften eingetragnen Eigentbümer waren geftorben, bie Güter burch mehrere Hände, ja burch mwechjelnde Gejchlechter gegangen, bie ber: maligen Rechts⸗ und Pflichten-Nachfolger, zumal bei Theilungen, ſchwer oder gar nicht nachzumweifen‘). Da forvert denn wohl ver Bilchof auf, neue Stenerliften anzufertigen, weil bie veralteten, unrichtig ge- worden, zu fchwere Laften Wittwen und Waifen und anderen Schwachen aufbürben 5).

1) Greg. Tur. IX. 30, Urgefd. III. ©. 443.

2) Nicht Einführung unerhörter, neuer Arten von Laften wie Mably, obser- vations sur l’histoire de France 1788. I. p. 237; descriptiones novae find nicht: »descriptions qui etaient une nouveaut£«.

3) Greg. Tur. V. 28, Urgeſch. III. ©. 203.

4) Greg. Tur. IX. 30, X. 7, Urgeſch. III. ©. 441. 473.

5) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441.

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c. Steuerbefreiungen.

Mittellofe, zumal auch arme Wittwen und Waifen, bfieben nach überlommener römischer Einrichtung von Kopf und anbrer Steuer freit). Wittwen, Waifen, Schwache (debiles) d. h. an Mitteln Arme und Unkräftige (infirmi) waren zu Unrecht belaftet worden durch den Wegfall, 3. B. den Tod Steuer-Fräftiger: fie werden nun befreit 2).

Zu den vorgefunbenen römischen Steuerbefreiungen traten als⸗ bald zahlreiche neu von den Königen verliehene: an Städte: fo ver- zichtete Chlothachar I. auf die Beftenerung von Tours der Stabt?).

Aber allgemeine Befreiung der Bisthumskirchen, anderer Kirchen und ber einzelnen Geiftlichen von der Grundſteuer beftand fo wenig, baß die Steuer vielmehr als gewohnheitsrechtliche Leiftung auch bei ihnen vorausgeſetzt wirbt): foll diefe Regel nicht eintreten, bedarf e8 beſonderer Freiung durch den König, bie freilich gar häufig ger währt wurbe, aber manchmal nur für die Rüdftände der Steuern, während dieſe felbft, wenn auch glimpflicher, auch jpäter noch ein- getrieben wurben. So für Arvern?).

Andrerjeits beruft fih ein Biſchof auf die unter feinem Vor» gänger beftandene Steuerfreiheit der Bürger: der König will bie er früher nicht zu Steuerpflichtigen Hatte, auch jet nicht belaften „und wirflich wagt fortab feiner ber Löniglichen Männer mehr, tie Stabt Bourges mit ſolchen Steuern zu belaſten e)“.)

Biſchof Euphronius von Tours fügt nicht nur feine Kirchen, bie ganze Bevölkerung der Stadt und ihres Gebietes gegen Wieber- einführung erlaffener Beſteuerung).

1) Greg. Tur. IX. 30, Urgefd. III. S. 441.

2) Nach Venantius Fortunatus, opera poetica. Mon. Germ. hist. Auctor. antiquise. IV. 1 ed. Leo carminum X. 11. p. 246 follen bie descriptores bie inopes, egentes erleichtern.

3) Ueber Chlothachars Verheißungen betreffs der Steuererleichterung v. Roth, Benefictalmefen ©. 88f. 90f.

4) Concilium Arvernense ed. Bouquet ]. c.

6) Greg. Tur. X. 7, Urgeſch. III. ©. 473 (a. 590).

6) Vita Sancti Austrigiseli (Bifchof von Bourges, geft. 624), ed. Bolland. A. 8. 20. Mai V. p. 229, vgl. VII. p. 820. e. 2. 3.

7) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 442.

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Einmal verbrennt ein König in fcheuer Ehrfurcht vor Sanct Martin das Steuerbuch von Tours: aber „böfe Menfchen“ bewahren heimlich eine Abfchrift auf, die fpäter geltend gemacht wirbt).

Chilvibert II. erließ in Clermont⸗Ferrand die Rückſtände ber Steuer von Kirchen, Klöftern, Geiftlichen und firchlichen Grundholden, d. 5. den bäuerlichen Grundholden der Kirchen?): denn »ofhicium« bebeutet hier bereit8 wie zweifellos fpäter®) ein Tirchliches Dienftgut, wahrſcheinlich ausgeliehen zu Beſitz, Verwaltung und Niekbrauch, zur Belohnung für eine der Kirche zu leiftende amtliche DVerrichtung (rofficiume). Das folgende »possessio« und »excolere« beweift, daß nicht an ein Kirchenamt zu denken ift, das boch weder dem Fiscus fteuerfchuldig fein noch wegen Zahlungsräditand verwirkt werben, noch „im Wechfel ver Gejchlechter vererbt, noch in Theile geſtückelt werden“ kann: es find Vorläufer der fpäteren Amtslehen: ver villicus, fore- starius 2c. der Kirche erhielt für feine ‘Dienfte ſolche Leihgüter: er zahlte, außer dem census an vie Kirche, für dieſe die Grundſteuer an den Stat (fpäter die Aufticale im Unterfchied von ver Dominicals Steuer). Gerieth er in Steuerverzug, fo daß ter fiscalifchke exactor einfchritt, fo z0g die Kirche wegen folder Saumfal das Gut ein (revocare), nicht ver Stat, der e8 ja nicht gegeben hatte. ‘Das er- Märt, daß die exactores dieſe Steuer nicht mehr zufammenbringen können, wenn die Güter, die ja thatfächlich längſt erblich geworben, im Wechfel der Gejchlechter auf viele Erben zeriplittert übergegangen waren. Chilbibert befieblt, wegen dieſer Rückſtände follen bie firch- lihen Grundholden nicht mehr abgemeiert werben.

Bei Löniglichen Landſchenkungen beftand die Steuerfreiheit des bisherigen Krongutes regelmäßig fort: dies ift ja gerade ber Urſprung ber jpäteren Immunität in ihrem. älteren verneinenden (negativen) Be⸗ ftandtheil. Daher erklärt fich*), daß in ven Immunitätsurfunden bie Befreiung von ber Grundſteuer nicht ausdrücklich zugefichert wird: bieje verſtand fich ja bei Königsſchenkungen von bisher fteuerfreiem Lande

1) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. IIL ©. 444.

2) Greg. Tur. X. 7, Urgeſch. III. S. 473 quicumque ecclesiae offictum excolebat .. ita emendavit ut ... quod super hoc (b. h. de his fundis) fisco debetur, nec exactore (l. exactorem) damna percuterent nec ecelesiae cul- torem tarditas de officio aliqua revocaret.

3) Du Cange bat nur jüngere Beläge.

4) Dies gegen Lezardiere, Theorie des loix politiques 1841. III. p. 290.

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von jelbft: und alsbald tritt das bejahenbe (pofitive) Recht des Be⸗ ſchenkten Hinzu, von ben Einwohnern an des Könige Statt folche Leiftungen für fich zu erheben. Ausdrückliche Belaftung der verſchenkten bisher fteuerfreien Güter ift nirgend bezeugt. Dagegen bei Beneficien und andern Formen der Landleihe verjteht fih bie Steuerfreiheit feineswegs von felbft, muß vielmehr ausbrüdlich verliehen werben.

d. Steuerbrud.

Schwer laftete feit Jahrhunderten fchon der Drud des römiſchen Steuer⸗Syſtems auf ven Provincialen: die Grundſätze deſſelben an fich waren vielfach ſchädlich: und nun trat zu dem geſetzlichen Gebrauch jener ungebheuerliche Mißbrauch, der, wie bie gleichzeitigen Quellen bezeugen, vie Steuerpflichtigen zum wirtbichaftlichen Untergang, zur Verzweiflung, zur Flucht auf die Berge, in vie Wälder ober zu ben Germanen trieb, bei denen man biefe Plage nicht antraf, von deren fieghaften Eindringen man die Erlöfung von diefem wie von fo man⸗ chem andern jchweren Schaden im römischen Statsweien geradezu er- fehnte und erhoffte!). Und wirklich ftellten einfichtige Germanenkönige wobhlwollend gar manche jener vorgefundenen Mißbräuche ab?). Allein ba felbftverftändlich vie Römer als Steuerbeamte nicht entbehrt werben fonnten, wurden jene Mißbräuche nicht mit der Wurzel ausgeriffen: fie kehrten bald wieder: und zur Aenderung des ganzen Syſtems fehlte e8 den Germanen an Einficht: Abſchaffung der römifchen Steuern, Einführung der germanifchen Steuerfreiheit in den neuen Mifchreichen aber war ausgefchloffen durch den Fortbeſtand der aller: meiften bisherigen Ausgaben des römiſchen States: ja, das Bedürfniß bes States, Teineswegs nur die Habgier der Könige, forberte, daß bie bisherige Steuerfreiheit der Germanen aufhörte, daß bie Steuerpflicht auch auf fie übertragen warb, bie ja nun ebenſo gut wie die Römer bie Vortheile ver reicheren Statseinrichtungen genofjen: bie Provin- cialen allein die Laſten tragen zu laflen wäre nit nur unbillig, unmöglich wäre e8 geweien: follten 3. B. alle die Grundſtücke, welche von Germanen erworben worben waren, nicht mehr Grundjteuer ent- richten ?

1) ©. Dahn, Prokopius von Caefarea 1865. S. 286. 2) So Theoderich ber Große, Könige II. S. 136.

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Es beftanden daher wie in den gotifchen und andern germanifchen Reichen auch im Merovingenftat die römifchen Steuern in Gallien im Ganzen und Großen regelmäßig nicht nur fort, fie wurden, obzwar nicht ohne heftigen Wiberftand, auch auf bie Franken ausgebehnt!).

Unter allen fräftigen Regierungen wird über Steuerbrud geklagt (zumal von den Kirchen und Geiftlichen!): fo unter Chilperich, und in ber fpäteren Zeit unter Chifvibert II. und Dagobert L.2), unter Protadius, Ebroin, dann Karl Martell?): fehr begreiflich, va bie Krone bei dem fie verderblich ausſaugenden Lanbleihe-Syitem neuer Mittel bringenb bedurfte.

Die Abneigung der Germanen gegen bie Steuergewalt des States ergriff auch die doch fo lange fchon daran gewöhnten Provin- cialen: auch fie und zwar nicht nur bie Geiſtlichen erbliden in jeder neuen Steuer eine „ungewohnte Vergewaltigung“, einen „abjcheu- lichen Zins, inconsueta violentia, eine ruchlofe (impia, nefanda) Heiſchungꝰ ).

Manche Steuerpflichtige gaben lieber ihren Grundbeſitz auf, als daß ſie die neuen Steuern entrichtet hätten: zu Limoges verbrannte das Volk in hellem Aufruhr vie neuen Stenerliften®). Fredigundis ſieht in abergläubiſcher Gewiſſensangſt in dem Tod ihrer Kinder die Strafe für ten verſchärften Steuerdruck zumal gegenüber ten Kirchen und jest den Verzicht ihres Gatten auf die Steuerver- ihärfung durch, bie eigenhänpige Verbrennung ter aus den Städten eingelaufnen neuen Xiften und das Verbot weiterer »discriptiones« durch außerorventliche Senpboten ®).

1) Dies ift ſchon von Dubos, histoire critique de l’&tablissement de la monarchie frangaise 1742. VI. c. 14. III. p. 562f. ausgeführt und gegen Mon- tesquieu’s esprit des lois 1788. 4. I. Beſtreitung vertheibigt worben von zahl« reihen Franzoſen und Deutichen (wie Schäffner, Franzöfifche Hechisgefchichte II. Auf- fage 1859. I. ©. 191).

2) Daß dieſer die Statsfteuer in private Zinfe umzgeftaltet habe, behauptet jehbr mit Unredt Laferriere, histoire du droit civil de Rome et du droit Francais 1847. III. ©. 324.

3) Urgeſch. III. ©. 204. 563. 625. 693. 8277.

4) V. St. Austrigiseli e. 1 (Bifchof von Bourges, geft. 624); v. St. Sulpieii (II. e. 25) (Bijchof von Bourges, geft. 644) A. S. ed. Boll. 20. Mai V. p. 229. (VII. p. 820) A. S. ed. Boll. 17. San. II. p. 169, p. 174.

5) Greg. Tur. V. 28, Urgeſch. III. ©. 203.

6) L. c. V. 34, Urgeſch. III. S. 209; ebenfo das Leben des gleichzeitigen (geft. 591) Abtes Aridius won Yrieir, oben 1. c.

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Wie in Poitiers und Tours wieberholt, jo ſchützen auch in Bourges die Bifchöfe Auftrigifil und Sulpicius die Bürger und die Geiftlichen por einer ungewohnten Stener, die wie von Euphronius und Gregor als unerhörte Vergewaltigung empfunven wird !).

Chlotbachar I. läßt aus Ehrfurcht von Sanct Martin das neu- angelegte Steuerbuch von Tours verbrennen?).

Gegenüber dem empörten Widerſtand der Untertbanen gab Chil- perich feine Steuerverfchärfung auf und kehrte zu den Anſätzen Chlo- thachars I. zurüd), der, vielleicht?) bei ver Vereinung aller Theil⸗ reiche in feiner Hand, eine neue discriptio angeordnet hatte: feft fteht bies für das Gebiet Tours). Daß er von allen Kirchengütern ein Drittel ver Früchte als (Sahres-?) Abgabe verlangt babe, ift eine in joldem Umfang kaum glaubhafte, das Hergebrachte all zu gewaltjam überragende Belaftung: ſie wäre ja viel fchwerer geweien als bie fpäter fo viel beklagten Maßregeln Karl Martells®).

Sehr bezeichnend ift, daß man einen Beamten, den man nicht zurüd- kehren fehen will, ausſchickt, „die Steuern und das fonftige Necht des Fiscus aufzufpüren in Land und Stadt von ter Seine bis zum Meer“ ?).

Dft ift ſchwer zu erkennen, ob es fich hiebei und bei dem Wiber- Ipruch dagegen um Erhöhung ber alten oder um Einführung neuer Arten von Steuern handelt. So wenn Chlothachar II. verfpricht: „wo immer ein neuer Zins, ruchlos Hinzugefügt, vom Volk angefochten wird, ſoll nach gehöriger Unterjuchung barmberzige Abhilfe gewährt werben“ 3).

Zumweilen ift wohl an Neueinführung von Belaftungen durch Naturalreichniffe, Einquartierung, Verpflegung zu benfen: weniger an Zölle und Wegegelver, ba dieſe nicht bie eingejeffenen Gauleute, ſondern die Kauflente, vie ihre Waren begleiteten, trafen.

1) Greg. Tur. IX. 20, Urgefd. III. ©. 442.

2) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. II. ©. 444.

3) Greg. Tur. V. 28, Urgeſch. III. ©. 203.

4) So Waitz IIb. ©. 262.

5) L. c. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441.

6) Greg. Tur. IV. 2, Urgeſch. III. ©. 100. Chil. rex indixerat ut omnes ecolesiae regni sui tertiam partem fructuum fisco dissolverent.

7) Fred. IV. c. 24 ad fiscum inquirendum, Urgeſch. III. ©. 558.

8) Chloth. Edict. census novus impie addetus (sic) 0. 8 ed. Boretius Capitul. I. 1.

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Der Wiberftand der Franken gegen die Grundſteuer und gegen die Kopffteuer wurde anderwärtst) in feinen inneren Urfachen erklärt: bei der Kopfftener trat hinzu, daß fie auh im Römerſtat nur von ben Geringſten war .eingeforbert worben: ed gehörte aljo zu dem Be⸗ griff des »dene ingenuuse, daß er nicht Topffteuerpflichtig war).

IH. Steuer:Arten. a. Die unmittelbaren Steuern.

a. Die Grumdfteuer.

Census, auch tributum, ift Grundſteuer, aber auch Kopfiteuer; Abgaben an Private 3. B. von Hinterfaffen an ven Gutsherrn heißen ebenjo 3).

Die Römer hatten alle Grundſtücke abgefchätt und auf jede gleich. werthige Stenerftufe die gleiche Steuerlaft gelegt: aljo das Einfache oder die gleichen Mehrfach-Beträge der Steuer: feit Iulian war in Gallien das Siebenfache der Steuereinheit erhoben worden.

Das Einfachſte und Nächftliegende ift, anzunehmen, daß bie Franken es zunächft hiebei belteßen, d. h bei dem im Augenblicd ver Eroberung auf jeder possessio vorgefundnen Betrag: gerade das mußte dann in ber Folge bei veränverten Verhältniſſen oft höchſt ungerecht ericheinen: daraus erklären fich die häufigen Klagen der Befteuerten, 3. B. auch der Biſchöfe für ihre Bürger und andrerfeits die Verfuche ber Könige, vie zu gering bejteuerten ftärler herbeizuziehen.

gJedoch warb die Einrichtung ber römischen Grundſteuer einiger: maßen verändert: e8 warb nicht auf ben werfteuerbaren Boten 3. B.

1) Deutſche Geſchichte Ib. 1838. ©. 692.

2) Daher ift wohl Wait IIb. ©. 273 gegen Löning, Gejchichte des Deutſchen Kirchenrechtes II. 1878. ©. 166 Recht darin zu geben, daß Form. Mare. I. 19. p. 56 (de caput suum bene ingenuus . . et in poleptico publico censitus non est) nicht zwei verjchiedene Claſſen von Perfonen bezeichnet; weil bene in- genuus, ift er nicht Topffteuerpflichtig.

3) Aber nicht ausichließlich private Abgaben, wie Montesquieu XXX. 12 fehr mit Unrecht behauptet: j. oben ©. 262 tributum = Grunbfteuer Greg. Tur. _ X. 7, Urgef. II. ©. 473 divisis in multis partibus ipsis possessionibus collegi vix poterat hoc tributum. Gegen eine aus „Obereigenthum“ des Könige fließende allgemeine privatrehtlihe Zinspfliht alles Bodens (Schröber a. a. O.) nun auch Brunner II. ©. 237.

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eines Stadtgebiets ein beftimmterer Steuerbetrag vertheilt (impöt de repartition) 1), ſondern jedes Grundſtück mit einer für immer feft- gelegten Steuer belaftet (»impöt de quotite«), die aljo wie ein fefter Bodenzins wirkte und daher, wie eine Reallaft auf dem Gute haftend, auch auf einen folchen Erwerber überging, der bis dahin nur Kopfſteuer bezahlt Hatte: gleichviel, ob biefer unter Lebenden oder als Erbe erwarb.

Ward daher ein ftenerpflichtiges Grundſtück getheilt, 3. B. durch Erbgang, fo ging jeder Theil belaftet mit dem entfprechenden Steuer» betrag über?). Einmal wird uns angegeben, wie e8 leicht kommen fonnte, daß die wirklichen Verhältniffe ven Einträgen in ven Stener- (iften nicht mehr entfprachen: bei der Grundſteuer in Arvern waren im langen Zaufe der Zeit und im Wechfel ver Geſchlechter Die posses- siones (d. h. bie greumbftenerpflichtigen Beſitzungen) jo zeriplittert worden, daß die Steuer kaum noch eingetrieben werben konnte und bie baftpflichtigen Erheber große Verlufte erlitten).

Die Grundfteuer, tributum, ift an ven König ver belegenen Sache zu zablen, d. h. ter Untertban des burgundiſchen Königs zahlt für feine in Neuftrien gelegenen Grundftüde die Grunbftener dem neuftrifchen König; dies zweifellofe Recht wird gegen Antaftung ber Theilkönige ausbrüdlich gewahrt ®).

Die römifche Statsgrunditener Tonnte auch in Früchten, 3. B. Waigen und Wein, beftehen: die Umwandlung in eine Gelbabgabe galt (zuweilen) als Wohlthat 5).

Die Grundftenerpflicht dev Franken in den Landſchaften, in welchen fich die römischen Steuereinrichtungen überhaupt erhalten hatten, ift zweifellos. Ganz undenkbar ift, daß jebesmal ein Grundſtück aus ber Steuerlifte und Steuerpflicht gefchieven wäre, fobald e8 von einem Römer ein Franke erwarb).

1) Laferriere III. p. 324.

2) Greg. Tur. X. 7, Urgeſch. III. ©. 473.

3) Greg. Tur. X. 7, Urgeſch. II. ©. 473.

4) Concilium Arvernense Bouquet IV. p. 58. (fehlt bei Maassen).

5) Greg. Tur. V. Patr. Illidius ed. Krusch ce. 1 p. 669 quia cum gravi labore poenu inferebantur imperiali.

6) Das Richtige fhon bei Dubos a. a. O., dann bei Waitz IIb. ©. 275 und (neuerdings) bei v. Sybel a. a. O. ©. 412; auch Löbell, Gregor von Tours und feine Zeit, zweite Ausgabe, beforgt von Bernhardy 1869, ©. 165 (im Weſent⸗ lichen). Brunner II. ©. 235.

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Unbegründet ift auch die Unterſcheidung zwifchen dem urfprünglich bei der Einwanderung erworbenen Allod, der »sors«, ver »terra Salica« welche ſteuerfrei gewejen fein ſoll). Mit Necht Hat man?) bemerkt: das Wort „Allod“ in ſolchem Sinn fommt damals gar nicht vor, und bie römische Steuerfreiheit von Veteranenland ift auf die Franken auch bei deren älteren vertragsmäßigen Aufnahmen (als Söldner) ge- wiß nicht angewandt worben?).

Dagegen ift auf bie wenigen Franken, die (damals ſchon) Biſchöfe wurden, nicht‘) Gewicht zu legen, und daß das Vermögen ber Biſchöfe von dem ihrer Kirchen nicht ftreng unterſchieden worven fei, fann man nicht 5) behaupten: zahlreiche Concilien bringen auf folche Unterfcheidung.

Wie weit tie im Süden und Welten Galliens erbaltne Grund⸗ fteuer auch im Norden und Oſten beftehen blieb, ijt ſchwer abzu- gränzen: das bat wohl mit dem Vorbringen bicht angeftebelter Franken in ver Weife fich geändert, baß bie Steuergränze immer weiter zurüd- gebrängt warb: auch bie zunehmende Unabhängigfeit der fränkifchen Einwanderer mußte hierauf wirken: vor Childirich und Chlodovech mußten die Sranlen, 3. B. im IV. Jahrhundert auch im Norden bie Sage von ihrem römischen „König“ Aegidius bezeugt es fi den gemein-römifchen Stenereinrichtungen tiefer beugen als unter jenen Merovingen: auf dem rechten Rheinufer erlofeh mit ber Nömerherr- Schaft auch was von Steuerweſen hier etwa errichtet war: bie Ver⸗ fuhe 3. B. Chilperichs, bie Steuern zu „berichtigen“, d. h. zu er- ſchweren 6), [nicht, neue einzuführen,] erftredten fich wohl ſchwerlich auf feine altfalifchen Gebiete”), und man griff, wollte man bie Ein- nahmen fteigern, wohl eher zu ber roheren Arte), eine allgemeine Kopfftener auszufchreiben, als die Grundſteuer in bisher. grunditeuer-

1) So wie bie Älteren Franzofen und auch noch Deutfchen, Eichhorn, Deutſche Stats und Rechtsgeſchichte, 5. Auflage 1843. I. ©. 674; Pardessus, Loi Salique 1843. p. 539. 559: nur den Römern durch Franken abgelauftes u. ſ. w. Land jei fteuerpflichtig gewejen und gerade für dies hätten Die Franken oft Die Steuer ge weigert.

2) Waitz IIb. ©. 276.

3) Treffend Waitz a. a. O.

4) Mit Waitz IIb. ©. 277.

5) Mit Wait a. 0.0.

6) Greg. Tur. V. 28, Urgeſch. III. ©. 203.

7) Anders Löning a. a. O. ©. 163.

8) So treffend Waitz IIb. ©. 219.

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freien nordöſtlichen Landſchaften einzuführen; fo ift wohl auch ber Verſuch unter Theudibert I. [a. 548) aufzufaffen!), ver, wie fpätere Wiederholungen, an bem Freiheitstrog ter „Franken“ nur tiefe werben hier genannt fcheiterte.

Daß die „reiheit“ der Franken deren Grundftenerpflicht aus- geſchloſſen habe, ift burch nichts begrüntet, die römifchen possessores waren nicht minder „frei" 2).

Aber auch weber bie juriftiichen Perjonen ber Kirchen?) und Klöfter waren als folhe von der Grundſteuer befreit noch bie ein- zelnen Geijtlihen von ber Grund- oder Kopf-Steuer: vielmehr wird bie Grundſteuer (tributum) der grundeignenden Bifchöfe und andern Geiftlichen wie die der Laien (saeculares) al8 eine gewohnheite- rechtliche Leiftung bezeichnet*); doch wurben beiden ſolche Freiungen gar oft durch Tönigliche Verleibungen ertbeilt).

So erließ Chilvibert II. ca. 590 allen Kirchen, Klöftern und Geiftlihen in Arvern, auch ven Leihbefigern von Kirchengut jebe Steuer 6). Zahlreiche Beifpiele finden fich in den Urkunten.

8. Die Kopffteuer.

Die Kopffterer beißt publicus census?), aber auch tributum®), Dieje gleiche Benennung verdunkelt oft die Art der gemeinten Steuer:

1) Greg. Tur. III. 36, Urgeſch. III. ©. 298.

2) Sp richtig Waitz IIb. ©. 218: Dagegen die Zinfung von fränfiichen Bene ficien hätte hier nicht herangezogen werben bürfen: fie beruht auf privatrechtlicher, vertragsmäßiger Uebernahme als Gegenleiftung für privat(vermögens)rechtliche Bortheile.

3) Consuetudinaria functio, Concilium Arvernense |. c.

4) Greg. Tur. III. 25, Urgeſch. IH. ©. 871 tributum quod fisco .. ab ecelesiis in Arverno . . reddebatur, auch die Befchwerbe in dem Briefe Gregors des Großen epist. IX. 110 ed. Ewald-Hartmann Hagt nur über Unmaf hierin, fest aber Steuerpflicht voraus: si ab eis illicita quaerantur . . quibus etiam licita relaxantur.

5) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 442 v. St. Sulpieii (IL) c. 24. 25.

6) Greg. Tur. X. 7, Urgeſch. III. 473.

7) Concilium Rhemense can. 7 bei Flodoard historia Rhemensis ecclesiae VI. 5. ed. Heller et Waitz, Monum. Germ. histor. Seriptor. XIH {bier wohl nicht auch Grundſteuer).

8) Tributa ve/ census v. St. Aridii Bouquet 1. c. III. p. 413; tributum für Kopfſteuer Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. II. S. 442.

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jo läßt Chilbibert II. im Jahre 589 in BPoitierd auf Verlangen tes Biſchofs die Stenerliften prüfen und berichtigen gegenüber ben An⸗ ichlägen zur Zeit feines Vaters Sigibert J.: „venn Viele von jenen tamals Steuerpflichtigen waren geftorben und deßhalb laftete die Wucht ter Steuer (tributi pondus) auf Wittwen und Waifen und ſchwachen Perſonen“. Gemeint ift daher (oben ©. 103, dann ©. 104) wohl bie Kopffteuer. Seine außerorbentlihen Beauftragten unterjuchten nun Alles, befreiten bie „Armen und Schwachen“ und unterwarfen jene (bisher nicht Getroffenen) der öffentlichen Steuer, welche vie Ge- rechtigfeit als fteuerpflichtig erwies ?).

Römische Kopfitener zahlte nur, wer feine Gruntfteuer zahlte; alfo in ben meisten Fällen ärmere, geringere Leute, da nach römischer Sitte, wer es irgend vermochte, in eigenem Haufe wohnte: ebenjo wohnte felbftverjtändlih! der Germane nicht „zur Miethe, fondern im eigenen ober zur Leibe erhaltenen Gehöft. Daher erklärt ſich, daß bie Kopffteuerpflicht Anzeichen geringerer Stellung ift.

Gewiß erlofch daher die Kopffteuer eines bisher Grundbeſitzloſen, wenn biefer ein grundftenerpflichtiges Grundſtück erwarb 2).

Dagegen hatte ver Kopfitenerpflichtige felbjtverftändlich auch für feine Kinder Kopfjteuer zu zahlen, ta fie ja die Standes und Ver mögens-Stellung theilten, bie ihn felbft biefer Steuer unterwarf: in Wahrheit waren die Kinder ſelbſt die Steuerpflichtigen, ver Water zahlte nur für fie. ‘Die Laft warb fo jchwer empfunden, daß fie zu Kindsmord oder doch zur Vernachläffigung des Kinderaufbringens in mörberifcher Abficht drängte. Sancta Balthildis jchritt gegen biefe Gräuel ein?). Umgekehrt, feheint es, entrichtet für bie ſteuerpflichtige arme Wittwe ter Sohn die Stenerjhuld®).

Daß aber vie Kopfftener auf alle Freie, auch bie reichen Grund⸗ ftenerpflichtigen, ausgebehnt wurde, oder werben follte, läßt fich nicht5) annehmen.

Aus ter Sage von Ehilverih und Wiomad e8 tft die Freund« ſchaftsſage darf man nicht folgern, der Römer Aegidius habe als

1) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441.

2) Allerdings warb zumeilen verſucht, bie Kopffteuer auch auf Die Grund⸗ eigner zu übertragen, aber nicht mit bleibendem Erfolg; vgl. v. Roth, Ben. ©. 87.

9) V. St. Balthildis ed. Krusch 1. ce. p. 477. ce. 6, Urgeſch. III. ©. 669.

4) Fisci debiti reditus: vita Sancti Paterni, Mönd in St.-Pierre-le-Vif zu Sens, geftorben um 726; ed. Mabillon 1. c. Saeculum III. p. 463. c. 5.

5) Mit Waitz IIb. ©. 266.

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Frankenkönig wirklich alle Franken einer Kopfftener von 1, dann 3 solidi unterwerfen wollen: ber gefchichtliche Kern ift wohl nur ver Widerwille der Franken gegen bie damals noch völlig ungewohnte Be- ftenerung, bie der Römer fcharf handhabte): »parum adtributi sunts, jagt ber argliftige Bösrather: »superbia delirant«e: das ift bie alt- germanifche „Freiheit“ und ihr zorniger Steuer-Haf.

Die Kopffteuer war, wie gefagt, ſchon vor ber fräntifchen Er- oberung nur von den niedrigsten Schichten der römischen freien Be⸗ völkerung erhoben worden: das war einer der Gründe, aus welchen nunmehr ben Franken ber Kopfftenerpflichtige zwar noch als frei (ingenuus), aber nicht mehr als vollfrei (dere ingenuus) galt2). Die Kopfftener ſchloß aber doch durchaus nicht die wahre Freiheit aus?) im Gegentbeil: nur Freie waren fteuerpflichtig, nicht Unfreie: aber die geſellſchaftliche Stellung warb dadurch berabgebrüdt, weil, wie ſchon im Römerreich nur geringe Leute ihr unterworfen geweſen, auch jet alle Weichen, d. h. Grunpftenerpflichtigen von ihr befreit waren: auch mochte die altgermanifche Auffaffung einwirken, daß nur Knechte oder Hinterfaffen zinften.

Und anderen Sinn kann es auch nicht haben, wirb einmal ges Hogt, Franken, die unter Chilvibert I. „vollfreie“ (ingenui) gewefen, feien unter Chilperich der Kopfftener unterworfen worden“). Nicht rechtlicher Verluſt der Freiheit, nur Herabbeugung der thatjächlichen Stellung ift gemeint: ähnlich wie ‘Dagobert I. vorgeworfen wird, er habe das Bolt durch (Kopf-) Steuern „gedehmüthigt“: dies bezeichnet®) treffend gerade die gefellichaftliche Minderung, nicht etiwa vechtliche Knechtung.

Der Ausdruck der Quellen bei den Steueraufſtänden läßt nicht immer erkennen, ob Kopf⸗ ober Grundſteuer oder noch andere Arten von Leiftungen gemeint find. So heißt e8 unter Theudibert L.®) von Bar- thenius: „bie Franken haften ihn arg, weil er ihnen Steuern, tributa, auferlegt hatte. So unter Chilperih von dem Grafen (judex)

1) Historia epitomata (bie fogenannte) c. 11. ed. Krusch (Fredigar).

2) Form. Marc. I. 19; f. oben ©. 108.

3) Wie Waitz IIb. ©. 273.

4) Greg. Tur. VII. 15 Francos .. qui ingenui fuerant publico tributo subegit, Urgeſch. IH. ©. 307.

5) V. St. Wilfridi Bouquet III. p. 602, Urgeſch. IU. ©. 625 populum tri- butis humilians.

6) Greg. Tur. II. 36, Urgef. III. ©. 98.

Dahn, Könige der Germanen. VII $. 8

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Audo und dem Praefelten Mummolus!); meift eben wohl Kopfftener, weil biefe eine Antaftung der Ehrenftellung wenn auch nicht ber Freiheit bedeutete. Sehr mit Unrecht aber will man?) mit folchen Stellen Freiheit der Franlen von jeder Steuer beweifen.

Auf ganz anderem Gedankengang beruht es, wenn auch bes Frei- gebornen perſönliche Schatungspflicht gegenüber vem König als eine Minderung der Freiheit erjcheint. Nicht die Grundſteuer Hatte biefe Wirkung und nicht um Zins von geliehenem Königslande handelt es ſich hiebei, ſondern um bie Kopfftener?).

So Tann ber »bene ingenuus« bemjenigen entgegengeftelit werben, ber in polebtico (polyptycho) publico censitus est d. 6. in {tie Lifte der Kopfitenerpflichtigen eingetragen: ſehr bezeichnend ift babei ba® dene ingenuus: ingenuus ift aljo auch der censitus noch, aber nicht mehr »bene« ingenuus: frei, aber nicht mehr hervorragend!). Achnlich Heißt es: ber Richter Audo, ein Werkeug Fredigundens, unterwarf viele Franken, welche unter -Chilperich I. frei (ingenui) gewefen waren, ber öffentlihen Schakung 5).

Dies iſt nicht‘) daraus zu erklären, daß das Untertbanenver- hältniß lediglich als privater Dienft für den König aufgefaßt wurde. Vielmehr rührt eg von der fränfiichen Seite ber angefehen baher, daß in altgermanifcher Zeit Steuern unbelannt und Xeute, die ohne Lanbleife einem Andern ſchatzten, nicht Vollfreie, mindeſtens Schußhörige gewejen waren.

Dann aber von ber römifchen Seite ber betrachtet baber, baß bie Topfiteuerpflichtigen Römer keineswegs hochſtehende, ſondern

1) L. c. VII. 15, Urgeſch. III. ©. 307.

2) So die meiften Franzoſen: Pardessus, Loi Salique p. 559; Guizot, Essais sur l'histoire de France 1823. p. 97, au Warnlönig und Stein, fran- zöfifche Stats- und Rechtsgeſchichte I. 1846. ©. 157.

3) Waig IIb. ©. 258: „Da fie (die Germanen) niemals t?) Die perſönlichen Rechte des Königs und die ſtatlichen Befugniſſe zu trennen wußten, fo mußte auch jede wahre Steuer faſt nothwendig als ein Zins erſcheinen, den man dem Herrſcher als feinem Herrn zu entrichten hatte; und es erklärt ſich, wie namentlich die Verpflichtung zur Perfonenfteuer jeberzeit (?) als eine Minderung der freiheit, als das Zeichen einer gewiſſen Hörigleit angefehen warb.“

4) Form. Marc. I. 19 si... ille de caput suum bene ingenuus esse vi- detur et in poleptico publico censitus non est.

5) Greg. Tur. VII. 15, Urgeſch. III. ©. 307.

6) Mit Waitz IIb. S. 258.

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zwar perjönlich frei, aber bie geringften, niebrigften Schichten ber Bevölkerung waren.

Nur uneigentlich Tann man von einer Kopffteuer ber Knechte iprechen: nicht ber Knecht, der ja fein Nechtsfubjeet war, zahlte fie, fondern der Eigenthümer biefer werthoolliten Sahrhabe, wie von feinen Grundftüden, 3. B. von feinen Nebgärten!).

Die Vorſchrift, daß Steuerpflichtige (vquos publicus census spectat«e) nicht ohne Tönigliche ober richterliche Verſtattung in ben geiftlichen Stand treten bürfen?), bezieht fich wohl nur auf die Kopf- ſteuer). Der Grund ift aber durchaus nicht?) Rückſicht auf bie Ehre dieſes Standes, weil diefe Steuer die Freiheit minverte: nicht des States, der Kirche Sorge wäre das gewejen und des Biſchofs, nicht des Königs, Berftattung in ſolchem Ball verlangt worden. Sondern ed waltete bie fiscalifhe Erwägung, daß Geiftliche zwar nicht an fich, wohl aber zahlreiche Kirchen und burch deren Privileg auch ihre Geiftlichen fteuerfrei waren, fo daß dem ‚König nicht bie Vermehrung dieſer aus der Zahl bisher Steuerpflichtiger erwünfcht fein konnte: aus ähnlichem Grunde (bezüglich der Wehrpflicht wohl) hatte fchon das erfte Concil von Orleans von 5115) ganz allgemein königliche Verftattung für Eintritt in den geiftfichen Stand gefordert.

Waren num auch urjprünglich die Geiftlichen keineswegs von ber Kopffteuer befreit, fo Hatten doch fo viele Kirchen und Klöſter dieſe Sreiung für ihre Angehörigen allmälig erworben, daß man ben Kopfftenerpflichtigen den Eintritt in jenen over den Mönchs⸗Stand (ad religionem se sociare) nur nad Verftattung bes Königs ober feines Beamten erlaubte®). Daß bier an Unfreie gedacht ſei?), ift unmöglich: erſtens zahlten Unfreie feine Statsftener (j. oben ©. 113), und zweitens durften Unfreie nicht Priefter werben.

1) Greg. Tur. V. 28, Urgeſch. III. ©. 203; andere Wait IIb. ©. 266.

2) Cc. Rhem. c. 7 bei Flodoard II. 5; dann Concilium Clippiacense c. 7 ed. Friedrich, drei unebirte Concilien aus ber Merovingenzeit 1867. p. 63.

3) So auch Wait IIb. ©. 274.

4) Wie Waitz a. a. O.

5) C. 4 ed. Maassen p. 1; Löning ©. 169.

6) Conc. Rhem. can. 7 bei Flodoard, hist. Rhem. II. 5.

7) Pardessus, Loi Salique p. 521.

8*

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y. Beſondere Steuern und Abgaben.

Den Steuern, tributa, Grund» und Kopfiteuern, werben oft andere „Leiftungen” an bie Seite geftellt: nicht immer Frohnden, denn fie werben „eingefanbt“ (inferre)!).

Verſchieden von ber Erhebung ber gemeinen Steuern nad Städten und Stadtgebieten (oben S. 100) tft die durch befonbere Vorgänge begründete Verpflichtung einzelner Städte zu befonderen Abgaben: nicht immer ift deutlich, ob jenes oder dieſes gemeint fei.

Scharf zu feheiden?) von der Grund⸗- und jeber andern Stats» fteuer find die Ackergelder (agraria) 5), Weidegelder (pascuaria) ®) und Schweinezehnten (decimae porcorum)), die vielfah an ben Fiscus entrichtet wurden und Chlothachar II. den fie fchuldenten Kirchen erließ‘). Diefelben find nicht öffentlichrechtlicher, find vein privatrechtlicher Natur, find vertragsmäßig übernommene Gegenlei- ftungen für Ueberlafjung von Kronländereien zur Beaderung oder Be⸗ weidung und von Kronwäldern zur Schweinemaft gegen einen Zehnt ber gemäfteten Thiere. Letztere Einrichtung, offenbar von ben Ger⸗ manen vorgefunden, ift im MWeftgotenrecht als vein privatrechtliche in Privatwäldern reich entwidelt”) und zeigt uns beutlich, daß auch im Frankenreich dabei weder an Steuern noh an Einfluß von „Dbereigenthum* urfprünglich des Imperators, dann der Frankenkönige an allem Provinzialboven zu denken ijt®).

1) V. St. Austrigiseli ec. 1 ut .. tributa vel quaeque exigenda erant jussu regis exigeret et ei inferret.

2) Schärfer ale Wait IIb. S. 279 thut.

3) Du Cange I. p. 146, Digot. III. p. 19 erflärt fie trrig für die Grund⸗ ſteuer.

4) Du Cange VI. p. 193.

5) Fehlt bei Du Cange III. p. 25.

6) Praeceptio Chloth. II. c. 11. ed. Boretius 1. c. ita ut actor aut decima- tur (sic) in rebus ecclesiae nullus accedat.

7) L. Wisig. VIIL 1—4; Könige VL? S. 281; Weftgot. Studien 1874. ©. 617.

8) Diefen alten Irrthum Birnbaums, die rechtliche Natur des Zehnten 1831. ©. 74. 125, ben fhon von Savigny, vermiſchte Schriften II. ©. 166, wiberlegte, hätte Schröder, Forſch. z. D. Geſch. XIX. ©. 148, Franken ©. 77, nit von ben Tobten auferweden follen. ©. gegen ihn die fhlagenden Gründe bei Wait IIb.

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Schon die Lex Salica joll und zwar auch bei vechtsrheinifchen Franken in Heffen! folches Recht Chlopovech8 kennen! !) Und wenn ber König, während nach biefer Lehre die Römer ihre possessio mit Grundfteuer behielten, ven germanischen Gemeinden das Kron⸗ land unter folchen Laften überwies, wie kommt es doch, daß gerade bie Kirchen (bis auf Chlothachar II.) befonders fie zu tragen hatten ? Die Kirchen lebten nach römiſchem Recht und zahlten zweifellos Grund- ſteuer: aljo witerfpricht ihre Belaftung mit Weide u. |. w. Geld ichlagend obiger Unterfcheitung 2).

Privaten Schentern ſchuldete man dieſe Ader- und Weibegelber ganz wie Frohnden (carroperae), wie fie jelbftverftänplich auch bem Fiscus bezahlt werben können). Im Baternrecht zahlen tie Co⸗ onen der Kirche an dieſe unter andern Leiftungen auch das agra- rium, Diefe privaten Zinfe au das agrarium beſtanden oft in einem Theil des Nobertrages der Früchte und zwar häufig in einem Zehent, zu entrichten auch an weltliche Berechtigte).

Dean befreit ausprüdlich und beſonders durch ein Zuſatzprivi⸗ legium auch von biefen Zinfen und Leiftungen, welche tabei beſtimmt als privatrechtliche ben Statsftenern entgegengeftellt werben). Daher finden wir folche Leiftungen auch von Privaten bei Lanpfchenkungen an Private den Befchenkten bald auferlegt, bald erlaffen®).

Auch von Freigelafinen, die aus irgend einem Grund unter feinem beſonderen Schute ftanden nicht von ehemaligen Kronknechten nur

©. 280 und vergl. auch Dahn, D. ©. Ib. ©. 483. 697. Weber fol Zehntrecht ber Kaiſer noch deſſen Uebergang auf die Könige flieht zu erweiſen.

1) So Schröder a. a. D.: die Auslegung von Ed. Chilp. ed. Boretius c. ift gewiß verfehlt.

2) Umgekehrt hielt Eichhorn a. a. D. 8 172 ©. 676 diefe Abgaben gerade für Leiftungen der Provinclalen.

3) Greg. Tur. de Glor. Mart. ed. Krusch II. 17 pascuaria quae fisco debebantur: dieſe mußten durchaus nicht alle urfprünglich kaiſerlich geweſen fein, wie Dubos ©. 559 meint.

4) Pardessus Diplomata II. p. 236. Man erläßt bier: omnes decimas de suprascriptis villis, tam de annonis quam de agrario etc. Du Cange j. oben ©. 116 und »decimaen.

5) Bgl. Dipl. N. 54 (a. 692) reddita terrae . . nec funchiones publicas (publicam functionem): Chlothach. praec. ed. Boretius 1. e. c. 11.

6) Form. Marc. II. 36 Landſchenkung: (jure proprietario) ita ut nulla functione (aber hier nicht publica) aut reditus terrae vel pascuario aut agrario, carropera aut quodcumque diei potest exinde solvere . . debeatis.

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oder von den durch Schagwurf freigelafinen erhob ver König einen Schug-Zins, der dem litimonium gli. Vertrat dagegen die Kirche ben Freigelafinen auch gegenüber dem Fiscus, fo nahm fie das ver- erbliche Recht auf das Schutzgeld!) in Anſpruch.

Remissaria joll2) eine befonvere Art von Abgaben fein (wovon und wie erhoben?), nach Anbern 3) entweber dies ober die Hinfchaffung ber Steuer. Wahrjcheinlich aber ift e8 eine für gewiſſe Beſitzungen vereinbarte Abfindungsſumme, welche jährlich‘) entrichtet wurde); (oben ©. 100).

Zwar häufiger in Farolingifcher Zeit, aber doch auch fchon 665 6) erjheint eine stuopha, stopha genannte Abgabe neben Heerbann und fredum: ber Beiname Ostar-stuopha begegnet zwar exit Enbe des IX. Sahrhunderts?), weift aber doch wohl auf eine uralte, zu dem heibni« ihen Oſtara⸗Feſt fällige Gabe Hin, vielleicht zum Opferſchmaus: venn fie bejteht in jungen Schweinen), Hühnern, Eiern, Honig und Holz; in Geld, Oftergeld), offenbar erſt fpäter: da nun biefe Opferbeiträge bie einzigen Zwangsabgaben waren, war auch biefe „Steuer“, steora ges nannte Yeiftung vielleicht von Anfang an nicht blos freiwillige Ehren- gabe, ſondern in ber That die frühefte „Steuer“ 10).

1) Oecursum, Du Cange VI. p. 27 == exactio Concilium Parisiense III. (a. 2 c. 9 ed. Maassen p. 146.

2) Nah Du Cange VII. d. 120.

3) Lehu£rou, histoire des institutions Mörovingiennes 1842 p. . 286.

4) Nicht ein für allemal, wie Watt IIb. ©. 269: jährlich zahlt das Klofter zu Angers (und der Bifhof von Le Mans) 200 solidi »de remissaria« Diplo- mata N. 74 p. 65 (c. a. 705).

. 5) Die Unechtheit Ießterer Urkunde hebt ihre Beweiskraft hiefür nicht auf.

6) Urkunde von Childerich II. für Die Marienkirche zu Speier 664—665 Pertz D.N. 28, p. 27; dann beftätigt v. Karl 782, Muhblbacher N. 245, ferner Form. Imperial. 43 für bie Vogeſen c. 820.

D Arnulf a. 898, Müuhlbacher N. 1894. .

8) Daber Oftar-frijling bei Shabe ©. 668, aud die Oftergans daſelbſt iſt wohl nicht * „Sans aus dem Oſten ()“, vgl. Ofter-fladen, brod; dagegen das Oſter⸗ lamm iſt jüdiſch⸗chriſtlich. |

9) Zeuss, Tradit. Wizzenb. N. 12 neque freta neque stufa, nec herebanno 312. p. 20. 305. 10) Ueber den Namen: I. Grimm R.⸗A. ©. 298 dachte an stouf, Becher c. 365. Fehlt bei Schade ©. 668 und 887 ostar-stuofa. Du Cange stopharius und steura VII. p. 236 bat feinen früheren Belag als 898. Wie hoch in karolingiſche Zeit noch emporreicht der medem, bie fiebente Garbe meift vom Neubruch, f. Schrö- ber Korih. XIX. ©. 152, 3.7.8.6. IL ©. 67, Brunner II. ©. 236, fteht dahin.

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b. Die mittelbaren Steuern (Zölle uud Gebühren).

@. Allgemeines.

Wie die unmittelbaren Steuern und bie Naturalleiftungen ver Untertbanen, das Münzwefen und (mit Ausnahme ber freiwilligen Ehrengaben) das ganze Finanz⸗Recht!) iſt auch das gefammte Zoll-?), Wegegelver-, Aufichlag- und Gebühren-Wefen aus ben vorgefundenen römischen) Einrichtungen überlommen und mit geringen Aende— rungen beibehalten. Aus ber »societe barbare« find fie feineswegs abzuleiten: weber aus dem „Obereigenthume” des Königs über das ganze Neich*‘) noch aus dem angeblichen Recht jedes Eigenthümers, Zölle auf fenem Boden zu erheben, alfo auch des Königs, aber folgeweife angeblich nur auf den Krongütern, während fie boch in bem ganzen Meich, 3. B. in Stäbten, vorlommen).

Es find nicht bloße Einfuhrzölle: denn zwar werben fie zuterft bei ver erften Zollftätte erhoben, welche die Waren vom Ausland her erreichen, aber ganz ebenjo bei jeber weiteren Zollftätte im Inland. Gehen die Waren aus einem Theilreich in das anbere, erhebt bie fette Zolfftätte des erjten und bie erfte bes zweiten Theilreichs Zoll, ganz ebenfo wie, wenn bie-Ware aus einem Frankenreich in das Aus- land gebt, die letzte fränkifche Zolljtätte ven Zoll erhebt: ob dann auch die erfte ausländiſche, entjcheivet das Recht viejes Auslands. „Ausgangs⸗Zoll“ kann man den von ber legten fränkischen Zollftätte erhobenen Zoll Hiernach nicht wohl nennen. Wohl aber beftanben Ausfuhr-Verbote für. gewiffe Waren: chriftliche Unfreie und Waffen

1) Andere Wait IIb. ©. 299.

2) Die Sache ift im Frankenreich fo wenig urgermaniſch wie ber Name, ven man Kluge S. 387, Brunner IL. ©. 328 um fo weniger aus dem Germanifchen ‚zablen“, ableiten follte, ale das gotifche »tulls« nicht nur nicht nachweisbar, viel- mehr durch möta (Maut) erſetzt if: das Wort flamımt aus dem Iateinifchen telo- nium == griechiſch zerwrıor Zoll; daher heißt heute uoch der Ort bei Meran, wo. die römifche Zollſtätte land, mit Erhaltung ber aulautenben tenuis: „bie Töll“,

3) Mit den meiften älteren Franzoſen.

4) Das foll die „Srunbherrlichleit” bei Hüllmann, Geichichte bes Urfprumge ber Stände in Deutſchland, 2. Auflage 1830 S. 229 bebeuten.

5} Wie Lezardiöre III. p. 31.

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joliten nicht ad paganos, extra fines regni, provinciae verkauft werben.

Bei der Einfuhr fremter Waren gab es „Differential-Tarife*: das heit die gleiche Ware aus verfchievenen Ländern, von Einführern verfchiedenen Stammes, wurbe verjchieben verzolitt).

Als reine Binanzzölle Finnen diefe Abgaben aljo beliebig oft im Inland erhoben werben?) : eine Ware, welche zwanzig Zollftätten be rührt, muß zwanzig Mal Zoll zahlen: ver König kann beliebig viele Zollftätten im Neich errichten, wenn er nicht zu Gunften eines mit dem Zollrecht Beſchenkten auf Mehrung ver Zollitätten in ver Nähe verzichtet bat: denn jelbftverftännlich warb eine Handelsſtraße befto mehr gemieden, je mehr Zollichranten fie fperrten.

Man legte daher die Zollftätten an Orte, die burchichritten S) werben mußten: Häfen (portaticus), Brüden (pontaticus), Furten, Canäle, Bergpäfle, Thore ter Städte und Burgen: fo berührten fich Zölle mit Wege-, Brüden-, Hafen-Gelbern (f. unten S. 127), nur baß Teßtere auch von ber Perfon des Neifenven, nicht von feinen Waren, erhoben werben fonnten; thatſächlich wurben fie aber von ber Berfon allein felten erhoben.

An dem Beitimmungsort der Ware als folchem wurbe biefe nicht verzolft, wohl aber felbjtverftändlich bei der Einbringung in biefen Ort, wenn bier eine Zollftätte war.

Dean ftreitet, ob ber Zoll nur von den Kaufleuten erhoben wurde, fo daß die Ware zollfrei wurde, wenn fie ber Nichtlaufmann,

1) Urkunde für St. Denis Diplomata spuria N. 23. p. 140, angebli vom 30. Juli 629 (die Unechtheit fchließt die Beweiskraft hierfür nicht aus): Zölle verjchieben für die qui veniunt de ultra mare, dann für die Saxones, Wicarii (von Wichern), Rothomenses und ceteri pagenses de alias civitates.

2) Bortrefflich Waitz IIb. S. 300: („bie Zölle) werben gezahlt, überall, wo eine Ware eine beſtimmte Zollflätte paffiert: und foldde find immer eben ba an⸗ gelegt, wo eim lebhafterer Verkehr flattfinbet, nicht blos an ben Häfen ober an den Gränzen, fondern auch In aller bebeutenden Städten. Die Entrichtung bes Zolls an Einer Stätte ſchützt nicht gegen die wieberholte Korberung innerhalb derſelben Gränzen, und von beftimmten Zoll⸗Linien wußte mar ebenfo wenig . . wie von ber Erhebung ber Zölle an dem Ort, wohin die Waren beflimmt waren, fondern fo oft dieſe einer Zollflätte begegneten, mußten fie Die feſtgeſetzte Abgabe entrichten.“

3) Trexitus = transitus Dipl. N. 51. p. 64 von Thenderich III. (etwa a. 680).

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ber fie erworben, vom Markte nach Haufe führte !), oder ob der Zoll bie Ware als folche in jeber Hand traf?). Gewiß ift das Letztere dem Grundfag nah das Richtige. Sonft hätten die Zollbefrei- ungen für bie Klöfter Teinen Werth gehabt?), wenn z. B. Boten vom Klofter St. Denis zu Paris in Marfeille gekauft batten und das Ein- gefaufte nun in das Kloſter brachten: wir erfahren nun aber, daß 3. B. St. Denis gerade für viefen Fall‘) Befreiung für alle Zollftätten erhält, welche auf dem Wege zwifchen Marjeille und St. Denis liegen und an welchen ohne jolche Befreiung jedesmal wieder Zoll wäre zu entrichten gewejend). Dafür fpricht auch enticheidend bie Geſchichte ber Zölle in Gallien: dieje find vie altrömifchen: bie Römer aber erhoben die Zölle feineswegs nur von den Kaufleuten der Barbaren, ſolche gab e8 ja gar nicht fondern von den Waren, bie, aus Barbarenland eingeführt, irgendwo die Zolllinie (urjprünglicd rechts vom Rhein ben Limes) burchichritten, wer immer ber Träger ber Ware war, auch von Römern, welche in Barbarenland Zoll- pflichtiges gefauft hatten und behufs Verzehrung nach Gallien brachten.

Uebrigens bat für das Frankenreich die Sache deßhalb geringere Debeutung, weil es in ben allermeiften Fällen eben doch Kaufleute waren, bie Zollpflichtiges mit fich führten und zwar zum Zweck bes Verkaufs.

Zölle wurden von allen Waren erhoben nach willkürlicher Feſt⸗ ſetzung des Fiscus: fie find reine Finanzzölle, wie in der Antike, nicht Schutzzölle. Wie reich der Ertrag fein mußte, zeigt, daß von einer einzigen Zollftätte und nur von Einer Zoll-Art, dem fossaticum, an Klofter Corbie jährlich abgegeben werden: und das war doch

1) So Falk, Gejchichte des Deutfchen Zollweſens S. 10; ihm folgt Brunner II. ©. 239,

2) So Waitz IIb. ©. 300.

3) &o treffend Waitz a. a. O.

4) Gesta Dagob. ed. Krusch |. e. cap. 18. p. 406, f. unten Dipl. N. 61. 82.

5) Formul. Marc. Supplem. ed. Zeumer 1. c. I. p. 107. Marseille, (Telloneo) Fog Les Martigues, (f. Jacobs in Revue des societes savantes des departements II. Serie, VII. Tome 1862 p. 250). (Fossis), Arles, Avignon, [Sorgues, (Suggione: fo Rozitre Recueil gen£ral des formules usit&es dans lempire des Franes du V. au X, sitele I—III. 18591871 I. p. 50); zweifel⸗ baft: nah Zeumer a. a. DO. eher als Sisteron wie Pardessus 1. c. ober ale Sigonee wie Guérard) Valence, Vienne, Lyon, Chälons-sur-Saöne.

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gewiß höchitens ein Zehnt! 10 Pfund Del, 30 Maß garum [yaeov, aber nicht mehr Fiſchbrühe, fonvern ein unbelanntes!) Gewürz), 30 Pfund Pfeffer (damals ſehr theuer), 130 Pfund Kümmel, 2 Pf. Karioſile (?) 2), + Pf. Zimmet, 2 Pf. Lavendel (Narde), 30 Pf. costum (Bitterwurzel), 50 Pfund Datteln, 100 Pf. Beigen, 100 Pf. Man- bein, 30 Pf. Piftacien, 100 Pf. Oliven, 50 Pf. Hitrio?), 150 Pf. Kichererbfen, 20 Pf. Neis (oridia ftatt devLor), 10 Pf. aurum pimentum, „Gold⸗Piment“? Hier nicht das belannte Getränk (aus Honig und Wein) , fondern ein fonft zwifchen Pfeffer und Zimmet genanntes Gewürz), zehn Häute von Cordoba⸗Leders) und zehn seoda-pelles®). Es ift nicht eben viel, gegenüber all’ jenen Leder: biſſen, daß fich die Mönche nur 10 Hefte (tomi) Schreibpapier aus- gebeten haben!

Der Zoll warb meiftens nicht in Geld entrichtet, fondern in einem beftimmten Theil ver Waren felbft: daher kann 5. B. der Fiscus von dem Zoll zu Foſſas dem Klofter Corbie alle jene Gewürze in Ausficht ftellen?).. In andern Fällen werben veriprochen 100 solidi aus einem Zoll, aber nicht in Geld, fondern Waren in ſolchem Werth. betrag; auch follen die Wagen, welche diefe Waren abführen, überall zolffrei fein. Das ift der Sinn der folgenden Verleihung:

Dagobert I. ſchenkte St. Denis aus feinem Zoll zu Marfeille jähr- ih 100 sol. an Del, das feine Beamten nach dem Hafenpreis nur fcheinbar „für ven Fiscus“ Tauften (quasi ad opus regis studiose emerent t. h. aljo wohl beſonders gutes) und dann bort ben Klojter- boten übergaben, die e8 auf ſechs Wagen (plaustra) zollfrei über bie Zollftätten von Marſeille (alfo lag diefe hinter dem Bafen in ber Stabt), Foz⸗les⸗Martigues, Valence, Lyon und alle andern bis in bas Klofter fahren burften®).

1) Du Cange IV. p. 38.

2) Fehlt bei Du Cange, auch bei Heyd, Geſchichte des Levantehandels Il. 1879.

3) Du Cange IV. p. 206 („eine Art Gewürz“) führt nur dieſe Stelle an.

4) Du Cange VI. p. 317; über die bier genannten Pflanzen ſ. Fiſcher⸗Beu⸗ zon a. a. O.

5) Cordevisae pelles 1 c. II. p. 562.- -

6) Häute, mit Talg bearbeitet, von seupum?? &o Du Cange VI. p. 426, ber nur biefe Stelle kennt.

7) D. N. 86. &. 369.

8) Gesta Dagob. c. 18. p. 416. Beftätigt wird. bie. Schenkung durch Chlodo⸗ vech III. und Chilperich II., a. 692. D.N. 61, a. 716, D. N. 82, bier 10 Wagen (carra).

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Der Zoll wird verfchieven berechnet: einmal nach ganzen Wagen- oder Schiffs-Lapungen !), aber auch nach dem Werth der Ware.

Früher hatten bie Könige, wie bemerft (oben ©. 120), die Zahl ber Zollftätten und ver. zollpflichtigen Waren beliebig vermehren fönnen: Chlothachar IL. drangen die Großen, denen er ven Sieg ver- bankte, auch hierin Beſchränkungen auf?): das bis auf den Tod Sigi- berts L, Guntchramns, Chilperichs übliche Maß ſollte nicht über⸗ ſchritten werden können.

Reichlich floſſen die Erträge von Zöllen von den zu Jahrmärkten (marcadus) zufammenftröntenden Waren: z. B. zu dem berühmten Sahrmarkt am Tage bes heiligen Dionyſios zu Sanct Denis®); um einen folchen neu gegründeten Markt zu heben, verzichtete wohl ber König für einige Zeit auf ven Zoll: fo auf 2 Jahre für St. Denis t). Ein nicht geringes Geſchenk war es alſo, als König Dagobert I. Sanct Denis den ganzen Zoll überließ, den er bisher von dem vierwöchigen Detobermarkte zu St. Denis erhoben hatte>).

Der Graf von Paris beanfpruchte die Hälfte des Ertrages dieſes Zolles, warb aber abgewiejen durch Childibert IIL.®); fpäter erhob baffelbe Amt hievon eine Abgabe, welche dann durch König Pippin ebenfall® aufgehoben ward). -

Ebenfo ſchenkte Sigibert TIL ven Klöftern Stablo und Malmeby ven Zoll an ber Loiremünbung®). Wir erfahren babei, daß man Zölle bisher dadurch zu umgehen fuchte, daß man an ungewohnten

1) Diplom. N. 51. a. c. 681 de quantacumque carra... tam carrale quam de navigale N. 86 a. 716 de... evectione tam carrale quam havale: zu Land ober zu Wafler, vgl. Form. Marc. I. Supplem. p. 107 oben & —. Das de carra deci D.N. 61 a. 692, D. N. 82 a. 716 de carra (K. Pertz carradeci (?!)) ift wohl von (Theodor von) Sidel, Beiträge zur Diplomatif I-VIL Sitzungs⸗ berichte der k. k. Alademie der Wiſſenſchaften zn Wien L 1862, H. V. ©. 43 richtig in decem gebeflert.

2) Chloth. Edictum ed. Boretius 1. c. c. 9.

3) 9. October, Urgeſch. IIL ©. 743.

4) Echter Inhalt der verfälfchten Urkunde D. spuria N. 23,

5) Bgl. die Urkunden Dipl spuria N. 23 (bem wejentlihen Inhalt nach echt) D. N. 77 a. 710 von Childibert IIL und von König Pippin Bouquet V. p. 689, Urgeſch. III. ©. 949.

6) D. N. 77.

7) Bouquet V. p. 689.

8) Dipl. N. 23 a. 651; die hier genaunten Flüfie Taunuccus und Itta, ber Ort Sellis, der pagus Leodiensis bleiben bei 8. Bert ungebeutet.

124

Drten auf privaten Grundftüden die Waren landete, was bier ver- boten wird. Falſch find andere Zollſchenkungen für Kirchen: zu Tour⸗ nat!) von Chilperih, zu Worms von Dagobert I.2), zu Bourges von Chlodomer, Sohn Chlothachars III. 3).

Wie einem Heiligen, d. h. einem Klofter, einer Kirche, Tonnte ver König auch einem weltlichen Großen einen Zoll fchenten und biefer wieber einer Kirche. So ſchenkt Rohing Sanct Willibrord einen bisher Rohing zuftehenden Zoll?). Das ift wohl aus ber fränkifchen privatrechtlichen Auffaffung der Finanzrechte des States zu erflären®): römiſch vechtlich könnte e8 doch nur bie Abtretung bes Erträgniſſes eines gepachteten Zolles gewejen fein, und das liegt bier nicht vor.

Der König kann Zollbefreiung von allen oder von einzelnen Waren jchenten negative Immunität): jo auf zwei Jahre für ven Marktzoll zu Saint Denis‘), für andere Zölle”), Chlotbachar III. für Corbie®), [auch eine päpftliche Zollimmunität?) begegnet) für Biſchof Nivard von Rheims 1%): dann aber auch Kaufleuten 3. B. Juden 11); auch das Recht, den bisher fiscalifchen Zoll für eigene Rechnung zu erheben (poſitive Immunität) 12). Sigibert III. ſchenkt Klofter Stablo den bisher ftatlichen Schiffzoll (vogatium), Uferzoll (ripaticum) und SBafenzoll13) nebſt den fiscaliſchen Kronknechten, die biefe Gebühren erhoben, zu eigen; auch bie halbfreien bisherigen Königsgrunpholden und Schüglinge (qui ibi aspicere videntur) werten dem Klofter abgetreten 1).

1) a. 562, Spur. N. 14.

2) a. 627, N. 21; im Lobdengau.

3) a. 674, Sp. N. 71. p. 188.

4) Pardessus Diplomata II. p. 348.

5) Anders Kalle a. a. O. ©. 7.

6) Diplom. Spur. N. 23. p. 141 (angeblich a. 629). 7) D. N. 51. p. 46 (a. 681).

8) D. N. 38. p. 35. a. 660, fpäte Beiipiele von Pippin für Honau D. Arm. N. 19. p. 105.

9) Pardessus Il. Diplomata p. 86.

10) v. St. Nivardi, geftorben etwa 672, von Almann, Mönch von Hautvillers, geftorben nad) 882, Acta Sanct. ed. Bolland. 1. Sept. p. 280 praeceptum immu- nitatis . . super teloneis et quibusdam tributis.

11) Form. Imper. 30. 31. 37.

12) Diplom. N. 77. p. 68 (a. 710).

13) ©. unten ©. 127 an ber Loire (nicht näher beſtimmbar, wo?)

14) D. N. 23.

125

Zollimmunität wirb fpäter verlieben von König Pippin für Honau!), Nigobert von Rheims trachtet Zollerlaßverfügungen für jeine Kirche zu erbalten?).

ß. Namen und Arten.

Den Uebergang von ben Zöllen zu ben Gebühren bilden bie Hafen⸗Gelder: dieſe wurben erhoben von ben beladen einlaufenven Schiffen: navalis evectio, das ift aljo ein Bafengelo?), nicht zu verwechfeln mit dem »carrale« ober »navigale« d. h. einem echten Warenzoll, ver nach der Zahl der Karren over Schiffe, nicht nach dem Werth der Ware, berechnet ward‘) (ſ. oben ©. 120). Dagegen reine Gebühren find die Zahlungen, welche für Ausladung ber Fracht auf das Ufer bezahlt werden, ripaticum).

Außerdem werben noch ſehr verjchievene und vielnamige Gebühren erhoben für Benutung der Land- und Wafler-Straßen und anderer Verkehrsmittel, wie Brüden u. few. Dahin zählen: cespetaticus, Rafengeld, Entſchädigung für Betretung des Raſens, entweber neben den Landftraßen®) over neben ver Wafferftraße des Fluſſes bei dem zu Berge-Ziehen der Schiffe auf dem Leinpfad (marche-pied) ’’); foraticus®), doch eher Marktgeld (von forum) als Einfuhrgelo °);

1) D. Arnulf. N. 19. p. 105. c. a. 748. |

2) Flodoard. Historia eeclesiae Rhemensis I. 1. Ser. XIII p. 460.

3) Dipl. N. 23 a. 651 teloneum ad portum f. oben (S. 120) navalis evectio.

4) Diplom. N. 51 a. 681 de quantacumque carra . .. tam carrale quam navigale .. de ipsa carra exigere.. non praesumatur; Diplom. N. 86 a. 716 de evectione tam carrale quam navigale.

5) Dipl. N. 23 in telones aut quolibed ripatico; Du Cange VII. p. 192.

6) So Falle ©. 15.

7) So Pastoret, Ordonnances XVI. p. 70, vgl. Du Cange HI. p. 278, ber auch karolingiſche Beläge anführt von 782, 806, 814 und von Karl dem Kablen; aber ganz verfchieben find die hier angeführten Gebühren für Raſen⸗,Wälle bei Be- feftigungen und ebenjo verſchieden Pachtgelder flir Ueberlafjung fiscalifcher Ländereien (Wieſen) wie im Oftgotenreich nach römiſcher Ueberlieferung Cassiodor. Var. V.14; D.N. 55 nec salutatico nec cespetatico Suppl. Form. Marc. 1. nec a. neo. c. Die Urkunde von Dagobert vom 30. VII. 629. Diplom. I. p. 140 wage ih nur mit Vorbehalt zu verwerthen; (nach Brunner a. a. D. für das Anlegen von Schiffen).

8) Die falihe Urkunde Dagobert’8 Dip. p. 141.

9) Bon Foras: Jacobs Revue arch£ologique IX. 1866 p. 193; jedes Falles falſch Du Cange III. p. 546, (der außer unferer Stelle nur noch die Form. Bignon.

126

laudaticus und salutaticus!), nicht „Friedensſchutzgebühr2): in folcher Bebeutung kommt salus pax damals nicht vor, auch wiberjtreitet bie8 der Gleichftellung mit laudaticus: vielmehr ein Begrüßungs- (salutare) und Ehrungs- (laudare) Geld gegenüber ber Statsbehörbe des Ortes, mit welchem das Recht, überhaupt ven Handel bier eröffnen zu dürfen, erfauft wurde ®): [fo auch noch in fpäteren Jahrhunderten )]; mestaticus, ganz gewiß nicht „Meß-Gelp“5), ſon⸗ bern von mesta®), terminus, Meilenftein, Gebühr für Aufftellung der Meilenfteine; navigius?), Schiffsgebühr für das Vorbeifahren, Durchfahren eines Schiffes auf Strömen zu entrichten, öfter navi- gatum®), auch fpäter navaticum: aber zur Zeit Karls des Großen ift navaticum ber Beitrag, der zur Ausrüftung von Schiffen witer bie Normannen gezahlt werben mußte); ebenfo bie Gebühr für Be⸗ nutzung der Fähre bei Weberfchreitung eines Fluſſes, naulum 10), passionaticus!!), Durchgangegeld, pontaticus, Brüdengebübr 12), auferlegt fowohl Schiffen, welche unter ven Brücken burchfubren, als Waren, welche über bie Brüden befördert wurden 13); por-

c. 45 für dieſe Zeit anführt) die Gleichſtellung mit foragium, einer Abgabe von verzapftem Wein ober Bier.

1) D.N. 55. p. 45 (a. 683) salutaticus p. 141 auch laudaticus.

2) Wie Falle a. a. O.

3) So gewiß richtig Wait IIb. S. 305. „Anmelpungsgebühr” nach Brunner I. ©. 239.

4) Du Cange V. 42 giebt keine Begriffserflärung von 1.; er führt nur noch eine Urkunde von Ludwig I. von 816 an, Behreiung von Sciffsgeblihren zu Bunften eines Kloſters.

5) Wie Waitz IIb, ©. 305.

6) Du Cange V. p. 368.

7) So aufer D. spur. p. 141 nur noch einmal bei Du Cange V. p. 579.

8) Urkunde Karls von 781 1. c.

9) Cap. von 810 ed. Boretius ce. 15.

10) Diplom. N. 1. a. c. 510 (verfälſcht) p. 3 absque ... naulo (sic) exac- tione; N. 23. p. 23 (a. 651) vogatio super fluvio Ligeris. Bei Du Cange fehlen Beläge für diefe Zeit; naulum = »aödo», navis vectura.

11) Nur in ber zweifeligen Urkunde Dagoberts 1. c.; auch Du Cange VII. p. 198 kennt keine andere Stelle.

12) D. N. 38. 55. 61. 82 [Form. Marc. I. Supplem. ed. Zeumer p. 107]; für Corbie.

13) Andere merowingifhe und karolingiſche Beläge bei Du Cange VI. p. 407. Capitul. von 803. 805. 809 ed. Boretius 1. c. Karl ber Große ſchärft ein: Brüdengeld bat nicht zu zahlen, wer, ohne ber Brüde zu bebürfen, vortheilhafter

u

127

taticus, damals Thorgeld von porta, nicht Hafengeld von portus'!); pulveraticus, wohl nicht im Allgemeinen Straßen- (Kies“⸗) Geld?), fonbern Gebühr von ben Fremden erhoben, von dem frem den Staub an ihren Füßen ?); rivaticus®), ripaticus, Ufergeld, auch repaticus; rodaticus (rotaticus) 5), Rabgeld, für den Schaten, den die Räder auf den Radſtraßen (via rotabilis) anrichten: ba diefe Abgabe alt- römiſch ift®), wirb auch bei ven fprachlich und fachlich ganz ähnlichen römifcher Urfprung zu vermuthen fein”), Saumaticus®), (Saum) Sattel» Gebühr, fpäter dann wohl Saum-Thier-Gebühr; themo- naticus von temo, Deichjel, Deichjelgelb ); vogatium, von vogare, rudern, fchiffen, foviel wie naulum!°) (f. oben ©, 126); vultaticus!!), verborben aus voltaticus, Gebühr für den Schaden, ven bie Umbrehung

anderwärts überſetzt; dem Erbauer einer Brüde wirb zuweilen das Recht auf Brüdengeld gewährt, den Brüdenbau- Fronpflihtigen das Brüdengeld erlaflen. Cap. von 820. c. 3. 1. c. p. 294,

1) Dipl. N. 55.

2) Wie Waig IIb. S. 304 und Brunner II. ©. 239.

3) So Pastoret XVI. p. 71 ganz im Geiſt der damaligen Sprache: sur la poussitre des »pieds«; nicht im ber altrömifchen Bebentung: „Gelb für Mühung“ C. 16. Cod. Theod. VII. 13. Im Oſtgotenreich f. Cassiod. Var. XII. 15 eine Gebühr für Mühewaltung der Richter: bier aber Straßengelo Form. Linden- brog. 11. 12; Dipl. N. 55 vor Theuder IV. (683); Cap. Car. M. v. 805 ed. Boretius, fpäter ganz allgemein jede Abgabe, fo unter Ludwig L Cap. v. 836.

4) D. spur. N. 23. p. 141; Du Cange VII. 192. Aus merovingifcher Zeit nur Diplom. Sigib. apud Henschen S. Sig. 1. Febr. V. N. 27 echt? fonft nur tarolingifche Beläge.

5) D.N. 55 infra urbes vel in mercatus N. 61. 82; Du Cange VII. p. 221; dann von Chlod. III. für St. Denis, au Pippin und Ludwig I., f. oben ©. 123.

6) 21 Cod. Theodos. de cursu publico VIII. 5.

7) Segen Waitz IIb. ©. 305.

8) Nur D. spur. N. 23. p. 141; (fehlt bei Du Cange bier und auch unter sagma, sagmaticus), von griechiſch aaryue, Sattel.

9) D. spur. N. 23. p. 141, ih fand es nur noch einmal unter Ludwig J.; Doublet p. 732.

10) Aus diefer Zeit nur bie eine Stelle von St. Remaclus, Biſchof von Maft- richt, Abt von Stavelot, geſt. c. 668 A. S. ed. Bolland, 3. Sept. I. p. 692: te- lonea quae ad portum Vetraria sunt super fluvios Taunaco et Itta et portum qui dieitur Sellis et Vogatium super fluvium Ligerim ipsi adhuc viventi sancto Remaclo tradidit. In der Urkunde von 651 Sigibert III. oben S. 123,

11) D. spur. N. 23. p. 141; Du Cange VIII. p. 396, zweimal unter Karl, einmal unter Ludwig I.

128

bes Wagenrates den Straßen zufügt!); transiturae sc. pecuniae, Uebergangsgelver, ſcheint alle dieſe Gebühren zuſammenzufaſſen 2).

Der Urfprung diefer Leiftungen ift bejtritten. Die meiften ber Namen find uns in Quellen aus römifcher Zeit nicht erhalten. In⸗ beffen darf doch von bier aus nicht ohne Weiteres gefolgert werben), daß diefe Einrichtungen alle dem römischen Necht fremd gewejen und erst durch Willtür ber fpäteren Merovingen eingeführt worden find. Denn die Namen, fänmtlich lateinifch, find ben zweifellos römischen ganz entſprechend gebilvet, und wir haben ja über biefe römifchen Einrichtungen nicht gerade reich fließende Quellen.

Die bisher behandelten „Zölle find zuweilen Gebühren db. h. Zahlungen, bie an den Stat zu leiften find für eine Mühwaltung bes States oder für Benützung einer ftatlichen, vom Stat gefchaffnen Einrichtung: Straßen, Brüden, Häfen.

Gar nichts gemein hat e8 mit dem jährlich von Erträgnifien erbobnen orbentlichen Zehnt, wenn einmal dem König der zehnte Theil einer Erbichaft zugefprochen wird, weil ein Königsbote die Erbtheilung vollzogen hat: dies ift eine Gebühr und zwar eine ungebührlich hohe —, die fonft nirgends, namentlich nicht im römischen echt), bezeugt, eine recht willfürliche, jpäte und kurzlebige Finanzerfindung war: erft in ber Markulfihen Sammlung taucht fie auf und damit zugleich beinahe für immer wieder unter>).

Nur in einem ungefähr gleichzeitigen, wenn nicht jüngeren Capi- tular Karls von 813°) wird fie noch erwähnt; bier werben nur bie werthvollſten Theile des Nachlaſſes Grundſtücke und Linfreie nambaft gemacht, aber die Gebühr ift ziemlich Hoch: ver zehnte Un⸗ freie, und die zehnte Ruthe (virga) Landes verfallen dem königlichen

missus’?).

1) So Pippin a. 759 1. c., anders Brunner a. a. O.

2) Du Cange VIIL p. 154 (unter »Transitorium«); alte, Zeitſchrift |. D. Eulturgefhichte 1860, ©. 30.

3) Wie Wait IIb. ©. 305; anders Falle ©. 26.

4) v. Savigny IL. ©. 128.

5) Form. Marc. I. 20, ber »suntellitis« bier ift wohl von Zeumer richtig erHlärt als satellitis nit wie Waitz IIb. ©. 284 will »sunte litise, was foll »sunte« fein?

6) Aquisgran. c. 7. Leg. I. p. 171 de hereditate inter heredes si con- tentiose egerint et rex missum suum ad illam divisionem transmiserit, de- cimum mancipium et decimam virgam hereditatis fisco regis datur.

7) Cap. I. p. 171. 801—813.

129

3. Nutzbringende Hoheitsrechte. I. Strafgelder. Conſiscation.

Andere Einnahmen des königlichen fiscus find bie Vermögens⸗ ftrafen im weiteften Sinne: Banngelver, aljo die Wetten !), bie Frie⸗ bensgelber, fofern fie nicht (1/s) der Graf einbehalten burfte.

Das Friedensgeld war in ben Gauen mit Königen von jeher dem König entrichtet worden ?). Die Stelle in des Tacitus Germania cap. 12: »pars mulctae regi vel civitatie läßt nur die Ueberjegung zu: in Staten mit Königen dem König, in Staten ohne Könige dem Volt: nicht erſt „Ipäter“?) ift in Staten mit Königen die Wette‘) dem König entrichtet worden, fondern von jeher. ‘Doch foll ber Richter das Friedensgeld (freda) nicht früher einbeifchen, als bis vie. Buße dem Geſchädigten entrichtet ift.

Unrichtig verwechfelt man die Buße mit dem Banngeld. Wenn wegen Verlegung Föniglichen ober richterlichen Bannes eine Gelpleiftung zu entrichten iſt, fo ift dies nicht Buße, „bei ber e8 an einem bes ftimmten Verlegten fehlt“d), ſondern es ift eine Sffentliche Strafe, bie dem König verfällt, ver oft ein Drittel davon dem zuftändigen DBe- amten als Erjag des fehlenden Amtsgehalts überläßt. Auch das ift imrig, baß die Strafe®) dem Beamten und erjt „durch ihn“ bem König zufalle: gerade umgelehrt verhält es fich.

An Stelle der älteren Bannbuße von 12 oder 15 solidi?) trat fpäter der Königebann von 60 solidi, in Folge der Zunahme ber Töniglichen Macht und ber Abnahme bes Werthes des Geldes). „Wer zum Nuten in Sachen bes Königs, fei es zum Kriege, fei es zu anbrem Nugen, aufgeboten, nicht gehorcht, und nicht durch Krank:

1) Nicht die „Bußen” wie Wait ©. 105.

2) D. ©. Ib. ©. 229.

3) Wie Waitz IIb. ©. 285.

4) Richt „Buße“, wie er fagt.

5) So Walt IIb. S. 286, ein folcher fteht gar oft daneben mit feinem An-

fpruch eben auf „Buße“.

6) Nah Waitz a. a. O.

7) Wilda S. 359.

8) L. Rib. 65, 1. Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 9

130

heit abgehalten ift, foll um 60 sol. gebüßt werben“. Diefer Nicht- befolgung Zöniglichen Befehls werben dann andere Unterlaffungen ober Handlungen gleich geftellt, die Willen oder Recht des Königs ver- legen?!).

Ueber die Art ver Entrichtung des Friedensgeldes beftimmt das Geſetz: es foll nicht dem zuftändigen Richter unmittelbar bezahlt werben, fondern bei Entrichtung der Buße foll dem Empfänger, ver e8 dann dem Michter zuzuftellen hat, vor Zeugen das Friebensgeld für den Richter bezahlt werben?). Der Zwed ift wohl einerfeits, zu verhüten, daß der Schuldige durch bloße Beſtechung bes Richters durch das Frievensgeld ohne Befriedigung des Verletzten ablomme, anbererjeits, daß dem König die ihm gebührenvden zwei Drittel des Friedensgeldes von dem Richter unterfchlagen werben; enplich ſoll vie Zeugenöffentlichkeit jeder künftigen Erneuerung des Anfpruch® zuvor fommen?).

Aus Gründen der Statseinnahmen wohl vor Allem um ben König und den Grafen nicht um Wette, Friedensgeld, Bann zu kürzen, ift e8 verboten, fi) mit „feinem” Diebe (Räuber) heimlich d. h. ohne Auziehung des Richters abzufinden und Deube und Buße von ihm zu nehmen: es geht uns wider ben Dann, daß dies ebenfo hart wie der Raub alfo mit dem Tode beitraft wird‘). Aber viel- leicht follte hierdurch auch die Entvedung bes gemeingefährlichen Ge- meinbegenoffen gefichert werben, was wegen ber gefährlichen Zulaffung jedes Linbefcholtenen zum Haupt» und zum Eidhelfer⸗Eid fehr wüns ichenswerth, ja unerläßlich war.

So wichtig fcheint der Ertrag bei den nußbringenven Hoheits- rechten, die der Graf ausübt, (z. B. auch bei dem Gerichtsbann) daß, wird ber Ertrag derfelben einem Bisthum überwiefen, fogar auch bie Ernennung des Grafen biefem mit übertragen wird: freilich war thatjächlich für den Biſchof in ſolchem Ball vie Perfönlichkeit des Grafen allentfcheivend für den Werth jenes Rechtes).

1) Ueber die Heerbann-Gelbfirafe, f. oben Heerbann VIL. 2. ©. 257,

2) Lex. Rib. 89.

3) 1. c. ut pax perpetua stabilis permaneat.

4) Child. ed. Chloth. pact. c. 3 siquis furtum suum invenerit et occulte sine judice compositionem acceperit, latroni similis est. Ebenſo Deecr. Chloth, c. 13,

5) Audoen. v. St. Eligii I. 32.

131

Wegen biefes hohen Vermögenswerthes werben Gerichtsbarkeit, (fredi), da8 Recht, Bürgen zu heifchen, mansiones, paratae und alfe Gefälle an den Fiscus in Eine Reihe geitellt!). Infofern aber auch nur infofern ift e8 richtig, daß man zwiſchen dem privat- rechtlichen Eigenthun des Fiscus und der Gebiets⸗, Gerichts⸗, Finanz-, überhaupt Stat8-Hoheit der Krone nicht immer manchmal aber doch unterfchied, wenigſtens wo es jih um nutzbringende Ho- heitsrechte hanbelte: dagegen 3. B. das Gejekgebungsrecht warb nicht privatrechtlich aufgefaßt.

Den Wetten nahe ftehen bie Loskaufgelder, durch welche ſich ber zu einer fchwereren Strafe Verurtheilte los, der Friedloſe in ven Königs- frieden, der Verungnadete in bie Königsgnade wieder einkauft?).

Terner find bier zu nennen bie Brüche?) für Anfechtung oder Verlegung königlicher Verleihungen, in den Urkunden neben ven Bußen an den Berlegten ganz regelmäßig angebroht‘). Oft erhalten ber Fiscus und ber Verlegte gleichviel5), Anderwärts®) erhält ver Fiscus eine größere oder Heinere Summe,

Weiter die Vertragsftrafen, die für Vertragsverlegungen wie an ben Verlegten fo an den Fiscus zu zahlen find”).

Ganz regelmäßig und oft fehr erheblich vermehrten das Krongut bie unabläffigen Einziehungen von Vermögen bei den unabläffigen, wirklichen oder angeblichen Treuenerlegungen der Großen.

Berurtheilung zum Tode hatte regelmäßig Anfall des Vermögens an die Krone zur Folge.

Inwiefern tiefe Gütereinziehung germanifche, inwiefern römifche Wurzel bat, ift zweifelig ®).

1) Form. Mara. 1. 3.

2) Schon bei Greg. 'Tur. häufig.

3) muleta, fo richtig die Trad. Sangallensis 6. 12 nnd 41.

4) ©. bie zahlreichen Beläge aus ben Diplomata, 3.8. N. 94, Theuderich IV. 3. II. a. 726.

5) Form. Andecav. 32, inter tibi et fisco; Marc. II. 1 socitu quoque tam in progecutione quam in exactione sacratissimo fisco; II. 17 sociato fisco; 4 cum cogente fisco, wohl nur durch Verſehen Diplom. p. 101 blos co- gente fisco ftatt cum c. f., vgl. Pardessus I. p. 136. II. p. 210. 221.

6) 1. e. p. 244.

7) Brunner, 3.2 |. 8-6. V. S. 75.

8) Bol. Wilda S. 520, Waitz IIa. ©. 101, IIb. S. 291. Das alte Recht ©. 201.

9*

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Nicht ohne Weiteres darf Nordiſches aus ganz fpäter Aufzeich- nung auf Merovingifches übertragen werden: die Friedloſigkeit, bei welcher das Vermögen des Aechters (nach Befriedigung ber Gläubiger) als berrenlofes Gut dem State verfiel, tft in biefer Geftalt und Aus» bildung für das Frankenreich bes VI. bis VIII. Jahrhunderts nicht bezeugt: immerhin mögen ähnliche Rechtsgedanken babei mitgewirkt haben, wenn damals »infidelitass mit Gütereinziefung neben ober ohne Todesſtrafe bedroht war: die Todesſtrafe wegen Untreue war wohl von jeher wenigftens im Merovingenreih von Rechts⸗ wegen mit Einziehung verbunden. So fagt ſchon das Uferfranfenrecht?): „wenn ein Mann dem König ungetreu geworten, bat er das Leben verwirft (de vita conponat) und all fein Vermögen foll dem Fiscus verfallen.”

Selbjtverftändlich tritt die Einziehung auch ein, wenn bie Todes— itrafe durch anderswie erfolgten Tod des Verbrechers, 3. B. Fallen in dem Aufrubrgefecht, oder durch Flucht unmöglich geworben 2).

Auch kann der König von ber Todesſtrafe begnabigen, dagegen bie Einziehung aufrecht halten und ebenfo kann er dieſe auf bie früher von der Krone gejchenkten Güter befchränten: viefe gelten felbftwer- ftändlich ganz beſonders als verwirkt, weil, unter Vorausfegung ver Treue, für vergangene wie für fünftige Treudienſte als Lohn ge- geben: fo fagt eine Urkunde: „mit Recht verlieren bie beneficia, vie deren Spentern nicht blos undankbar, untreu fich erwielen“. Gleichwohl werden dann nicht nur die von ber Krone verliehenen, werben alle Güter des Ungetreuen eingezogen ?).

Der König Tann aber auch umgekehrt den Hochverräther bin- richten, dejjen Nachlaß aber ganz over doch das Erbgut, im Unter: fchied von dem von ber Krone Herrührenden im Gnadenweg auf die Erben übergeben laſſen. Von allen diefen Möglichkeiten kennen wir Beläge®).

Indeſſen, ob ſchon vor Chilvirich der Begriff der Untreue gegen den König, biefür Frieblofigfeit und Gütereinziehung beftand bei ven

1) 69,1.

2) So wohl Diplom. N. 46.

3) Diplom. N. 46. a. Theuderichs III. 4. IX. a. 677.

4) Gesta Dagob. c. 35 secundum legem Romanam . .. omnes res pa- ternas perdiderunt cumque omnia ad regalem fiscum fuissent recepta: in diefem von dem Bater Ererbten können aber auch königliche Schenkungen enthalten jein: doch handelt es fich bier nicht um Hochverrath ſ. unten S. 133 Anm. 5.

133

ſpäter al8 „Franken“ zufammengefaßten Völkerſchaften, das willen wir nicht. Und jebesfalls hat hier jehr frühe das römiſche Strafrecht eingewirkt, mit feinem »crimen laesae majestatise und der hierauf gefegten Gütereinziehfung. Offenbar griffen die Germanen-Könige auf römiſchem Boden bei Weftgoten!), Oftgoten?), Wandalen 3) ift e8 nit anders fo raſch wie thunlich zu biefer Hauptwaffe des römischen Abfolutismus, und fo bat vielleicht fogar fchon bei Auf- zeichnung des Uferfrankenrechts das römiſche Majeftätsverbrechen die Sütereinziehung bereingezogen: befto leichter, weil etwa bereit8 bei ber altgermanifhen Frieblofigteit ähnliche Wirkungen eintraten: jedoch jevesfalls in anderem Nechtszufammenhang: denn des Frieplofen Gut ward zunächft herrenlos und verfiel dann erſt als ſolches dem Stat, während im römifchen Recht das Eigenthum fofort auf den Fiscus übergeht. Anbrerfeits darf man freilich nicht jtets bei dem Wort »crimen laesae majestatis« an Aufnahme des römifchen Begriffs mit allen Bolgerungen denken: Bifchöfe und Heiligenleben romanifiren gar gern in ihren Austrüden‘). Es ift unter einzelnen römiſchen Ein» flüffen, aber nicht ohne überwiegend germanifche Beftanbtheile ber neue VBerbrechensbegriff der »infidelitase erwachfen, ber dann nur mit jenem römifhen Namen befleivet und mit ber römiſchen wie germanifchen Gütereinziehung bedroht ward: ähnlich wie Aemter, wie bie Sprache, wie bie Lebensfitte damals, aus germanifchen und römiſchen Beftand- ſtücken zuſammengeſchmolzen, als ein Neues fich entwidelten. Dagegen ftreng römifch zwar ift e8 gemeint, heißt e8: „nach ber Lex Romana von den Großen tes Reiches verurtheilt, verloren bie Söhne (des Herzogs Sabrigifel) alles Vatergut (omnes paternas possessiones), und Alles warb vom fäniglichen Fiscus eingezogen >). Allein bier handelt es fich nicht um Hochverrath, fontern Unterlaffung ber Verfolgung bes Mörders des Vaters durch tie Söhne nach ber Lex Romana Visigotorum®), wo aber nur gejagt ift: ber Erbe kann die Erbſchaft nicht antreten, bis die Verfolgung burchgeführt ift.

1) Bei Weftgoten, Könige V. ©. 210, VI.? ©. 156. Weftgotifhe Stubien ©. 186.

2) III. ©. 150, IV. ©. 67.

3) I. ©. 238. 241. 250.

4) So Greg. Tur. V. 26, Urgeich. III. ©. 202 ob crimen magistatis (sic) laesi (sic) judicio mortis susceptum . . res omnes fisco conlatae.

5) Gesta Dagoberti c. 35. p. 413 a.

6) Paulus III. 7,1 ed. Haenel p. 384.

134

Auch in andern Fällen ift, ganz abgefehen von Hochverrath, bie römifche confiscatio einfach herübergenommen worben wie im Kirchen!) fo im Stats-Strafreht für Entführung?) und wegen Verwandten⸗ Mordes oder Blutichande ?).

Im Wege der Begnatigung wurde zuweilen das bereits Ein- gezogene zurückgegeben *).

Allein regelmäßig war bier wie im Weftgotenitat und aus dem gleichen Gründen) die Einziehung ver Güter des verrätherifchen ober doch gefährlichen Dienſtadels vie ſchneidigſte Waffe in dem Kampfe gegen biefe Großen, beren Macht eben gerabe in ihrem Neichthum, zumal an Land und an abhängig auf ihrer Scholle Sitzenden, beftand: folche, wenn nicht binrichten, doch verarmen und mit ihren Gütern treue Anhänger belohnen, war damals ein Hauptmittel der Statskunſt und Statsgewalt. So ſchenkt Guntchramn bie eingezogenen Güter des Eberulf feinen Getreuen®).

Und bei jenem dem Hochverrath durch Hinrichtung oder Mord zuvortommenden Verfahren der Merovingen, in welchem die Voll» ftredung dem Urtheil vorberging?),, geſchah es wohl, daß ohne auch nur nachträglich erwiefene Schuld Vornehme geftraft wurden, deren einzige Verbrechen ihr Reichthum war. So „Itrafte Chilperih gar oft die Leute ungerecht um ihres Reichthums willen"®), Dies, von dem Gatten Fredigundens voll glaublich, wird auch von Brunichiltis und Dagobert I. behauptet: hier ift aber bie Abgunft ver Quelle?) gegen beide in Anrechnung zu bringen.

Dei ven merovingiſchen Hauskriegen find in den Cinziehungen zwei Fälle auseinander zu halten 10). Einmal ftrafte der burgundiiche

1) Ce. Rhem. c. 10, Flodoard. II. 5.

2) Decr. Childib. ce. 4: nicht verbotne Ehe, wie Waig IIb. ©. 292, Blut- ſchande L. Rib. 69, 2.

3) L. Rib. 69, 2. Si autem quis proximum sanguinis interficerit, vel incestum commiserit, exilio susteniat et omnes ris guas fisco censeantur.

4) Greg. V. 24, VII. 10, VIIL 6, Urgeich. III. ©. 200. 300. 351.

5) Könige VI? ©. 1551.

6) Greg. Tur. VII. 29, Urgeſch. III. S. 320; aber nicht hierher tft mit Waitz IIb. a. a. O. zu ftellen IX. 19, Urgeich. IL ©. 421; bier erfolgt die Ein- ziehung wegen Töbtung eines Schüßlings ber Regentin, nicht wegen Hochverrathe.

7) Urgeſch. III. ©. All.

8) Greg. Tur. VI. 46, Urgefd. II. ©. 287.

9) Fredig. c. 21. 80.

10) Die Waitz IIb. ©. 293 zufammenmwirft.

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König als Hochverrath die Zuwendung feiner Unterthbanen zu dem neu⸗ itrifhen!) und andrerfeitS behandelte er das Vermögen ber neuftrifchen Untertbanen und biefe jelbft als Gegenftand der Kriegsbeute.

Auch das Vermögen ber Frieblofen fällt nunmehr an die Krone: Doch wohl erſt jpäter: anfangs verlor ver Friedloſe vermuthlich nicht das Eigenthum, nur deſſen Schug: dann warb ber König ber aus- ſchließlich Bemächtigungsberechtigte, erſt zulegt erwarb der Fiscus burch die Friebloslegung fofort und von Rechtswegen Eigenthum.

Aehnlich wie im Weftgotenrecht zieht auch bier ber Fiscus Un⸗ freie ein, welche Juden ihrem Bekenntniß zuführen wollen 2).

U. Münzhobheit.

Diefes Gebiet iſt geradezu bezeichnend für die Beibehaltung bes porgefundenen römifchen, aber auch für vie felbftändige fränkiſche Umgeftaltung des Vorgefundnen, wie ſolche Mifchung von Beidem in fo vielen Erfcheinungen der Merovingenzeit uns entgegentritt3).

Den Beitreitern ftarker Herübernahme des Nömifchen in ben Merovingenftat muß man vor Allem vor Augen halten vie merovin- giichen Münzen: zunächft ohne jede Veränverung haben die Franken das vorgefundene römiſche Münzwejen beibehalten. Selbitverftännfich ! Hatten fie doch Jahrhunderte hindurch in Sallien nach biefem Syſtem gelebt, bevor ihre Könige ſelbſt münzten: und als fie auch biefes Hoheitsrecht dem Imperator abbrangen, übernahmen fie es zunächft ohne weitere Aenderungen; ſolche ftellten fich erft allmälig eint).

1) Wobei die Einziehung durchaus nicht nur bie Königsſchenkungen traf, wie Wait I. 323, IIb. ©. 293.

2) Cc. Rhem. c. 13, Flodoard. II. 5, vgl. Weftgot. Stubien, S. 180; zog er regelmäßig auch die nach römiſchem Recht ungültigen Schenlungen unter Ehe⸗ gatten ein, fo daß Form. Marc. I. 12 eine Ausnahme im Wege bes Privilegs vorausſetzt? Dem römiſchen Recht ift Einziehung folder Schenkungen unbelannt.

3) Guérard I. p. 112f., 943. Müller, Deutſche Münzgefchichte I. 1860. Waitz, Über die Münzverbältniffe in ben älteren Rechtsblihern des fränkiſchen Reiches, Abhandl. d. Götting. Geſellſchaft ver Wilfenfchaften IX. 1861. Waitz, D. V.G. II. 2. ©. 306f., IV. &. 80. Soetbeer, Beiträge zur Gefchichte bes Geld⸗ und Münzwefens in Deutſchland, Forſch. 3. D. Geſch. I. II. IV. VL, da⸗ ſelbſt zahlreiche franzöfijche und beigifche Literatur. Cheberg, das Ältere Deutſche Münzweien 1879. Bon InamaSternegg I. S. 184f. Grote, Münzftubien I.

4) Der pactus Child. et Chloth. c. 5 wie bie Lex Salica rechuet nad Tremiffen und solidi.

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So wurbe, unter Beibehaltung ber römiſchen Maße, Gewichte (das Pfund), und Münzen!), das Münzfyftem fchon vor (und in) ber Lex Salica geändert, doch nicht verfchlechtert: auch warb lange Zeit vollwichtig geprägt?).. Was bie »tronia« bebeutet, die Chilperich?) beibehalten willen will, „wie fie unter feinem Vater und Großvater” (alfo ſchon unter Chlodovech) beftand „und Uebelthäter follen unterdrückt werben”), ift zweifelig. Während man »trutina« (die Wage) lefen 5), alfo Sorge für richtig Gewicht, annehmen will oder telonia (Zoll)e), ift doch wegen ber ‚Unterdrückung ber Webelthäter" wie in dem Pactus wohl eher an trotia, (fo bie ältefte Schreibung) trustis, Sicher: heits⸗Wache zu benfen”).

‚Die Franken fanden in Gallien als römifche Münzen vor ben Solofolidus 1/72, [feit c. 650 1/4] Pfund Goldes, ven Gold» triens, bie tremissis 1/, solidusS) 1a, Pfund Goldes, die Silber-Siliqua, 24 —=1 Goldſolidus, und Kupfermünzen.

Bald nach der Reichsgründung nahmen bie Salier eine Münz- nenerung vor, nach ber nicht mehr 24, fondern 20 Silbermünzen auf ben solidus gingen: man nannte biefe neuen Silberlinge Denare. Wahrfcheinlih?) war der Grund bie arge Unterwürbigfeit ber ftets minberwerthiger ausgeprägten siliquae: mehr wirkte dies als das ba- malige Berhältniß des Silbers zum Golb: denn follte das Silber in ber kurzen Zwifchenzeit von Verhältniß von 1 zu 6 auf 1 zu 10 herab- geſunken fein? Warum?

Jene Umbildung bes Verhältniffes von Gold zu Silber und Kupfer!) geſchah Teineswegs durch Willkür der Merovingen, fondern geftaltete fich von jelbft aus Angebot und Nachfrage und nicht burch Geſetz, auf einmal, fondern burch Gewohnheit, allmählich: keineswegs

1) S. Fränkiſche Forſchuugen.

2) Soetbeer a. a. O. Waitz IIb. ©. 356. 3) Ed. c. 10.

4) 1. c. et mali homines reprimantur. 5) Pertz, Leg. IL p. 11.

6) So Pardessus Chartes I. p. 145.

7) So Boretius bei Behrend p. 109.

8) L. Sal. 35, 4. Cod. VI. L. Rib. 23, pactus pro tenore p. c. 6. Re-

capitul. Leg. Sal. A. 4. B. 5.

9), So Soetbeer a. a. D. 10) Waitz IIb. ©. 306.

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fofort mit ber fränkiſchen Eroberung und etwa durch Geſetz Childirichs trat das Suftem ein, das wir in der Lex Salica finden).

Die Lex rechnet nach den vorgefundenen römifchen Gold⸗soldi: römiſch Tamen auf 1 solidus 24 siliquae: bie Lex rechnet aber nach Denaren, von benen 40 auf 1 ©olb-solidus gehen: wann biefe Aenderung eintrat, wiffen wir nicht: vor 4802)?

Der Grund lag wohl in ber Abnahme des Evelmetalls in Gallien feit vem Vorbringen der Franken: viel Gold und Silber warb von den flüchtenden fenatorifchen Familien nah Südgallien und Italien mitgenommen, anbres warb in ber Kriegsnoth vergraben und nie mehr wiever behoben: zahlreich find Funde von Urnen, gefüllt mit Gold und Silber, Münzen und Schmud: anderes ging auf ber Slucht oder als Beute verloren: ber Vorrath ſank etwa von 5 auf 3. So fing man an die Kleinmünze minderwertbig auszuprägen; ftatt 24 (entfprechend 24: 40 3:5) gingen nun 40 Kleinmünzen auf ben solidus, und dieje nannte man jegt fie von ben alten siliquae zu ſcheiden, mit nevem Namen: denarü?).

Jener Grund Abnahme des Silber erflärt, daß die neue Währung fih nicht an vie römifche fchloß, auch nicht als Bruchtheil: benn burchaus nicht find‘) die denarii —= !/, siliqua, vielmehr war bie siliqua !/g,, ber denarius 1/,, des solidus; aljo verhielten fich siliqua und denarius wie 1/, zu 1/,. Daß der solidus vollwertbiger geprägt warb als in römiſcher Zeit, iſt ausgefchloffen: er blieb, bie Kleinmünze warb verfchlechtert.

So läßt ſich der Streit über die Entftehungszeit?) der neuen Währung beilegen: zunächit wird gerechnet nach (solidi und) sili- quae, fpäter nach (solidi und) denarii: daß in ber Lex Salica felbft eine Umrechnung ftattgefunden habe ver solidi in denarii®) „oder ber denarii in solidi?), ift gleich unwahrjcheinlih: das Neben-

1) Ueber die Aenderung des Münzſyſtems unter König Bippin, f. Karo- lingiſche Zeit.

2) Ein merovingifcher Goldſolidus 194, Mark, ein ſaliſcher Denar alfo Hr Marl, nicht ganz !/s Marl.

3) Anders Waitz IIb. ©. 306.

4) Wie Grote will I. S. 800.

5) Zwiſchen Soetbeer I. ©. 585, v. Inama-Sternegg I. 188 gegen Waitz IIb. S. 806; ich flimme jenen im Ergebniß bei, aber meine Begründung iſt anders und neu.

6) So Soetbeer I. S. 591.

7) So Waitz, Münzverhältniſſe S. 5.

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einander, wobei bie denarii regelmäßig voranftehen, iſt das ur» fprüngliche.

Daher entftand auch ſchon in ber frühelten Zeit ver Lex Salica das Bebürfnig, nach Hunderten (schunnase) 1) von Denarien zu rechnen d. h. deren Werth feftzuftellen: das wäre nicht fo früh ein- getreten, hätte bie Lex nicht von Anfang nad Denarien gerechnet. Dan darf daher annehmen: bie Rechnung nach ‘Denarien verbreitete fih in Gallien bald nach Errichtung bes merovingiſchen Königthums (450), drang mit biefem von Nordweſt nach Süd und Oft und war zur Zeit ber erften Aufzeichnung ber Lex Salica bereit eingewurzelt.

Wie das ganze Münzwefen, das Münzſyſtem, die Währung un- verändert burch die Frauken von ben Römern übernommen wurbe, fo auch die gefammte Technik der Ausmünzung, nur daß biefe aus Mangel an gefchietten Münzern nachdem bie römifchen geflohen oder ausgeftorben ſtark verrohte, (ebenfo bei Weft- und Oſt⸗ Öoten) 2).

Man ließ zunächſt die römiſchen Münzer in ben eroberten Stäbten wie bisher fortarbeiten mit ven bisher benügten Stempeln: nach veren Verluft wurden neue, ven alten völlig gleid nur eben plump nach gefchaffen?).

Anfangs d. b. bis auf Theudibert I. prägten bie römifchen Münzer in ven fränkiſchen Münzftätten nur bie Kaifernamen auf die Münzen und auch Theudibert I. bis zur Abtretung der Provence und bis zu den reichen Goldzahlungen der Byzantiner und der Oftgoten. Nach beren Empfang ließ Theudibert feinen Namen und fein Bild auf bie Goldmünzen fegen‘) und zwar offenbar kraft eigner Willkür, nicht nach Verftattung des Kaifers, deren Prokop durchaus gefchweigt.

War die Anmaßung, jo war e8 boch keineswegs vorübergehende): es blieb nun dabeis): und durchaus nicht bebeuten die Namen ber Münzer ftatt der Könige auf ven Münzen, daß die Merovingen nur

1) Jakob Grimm in Merkels Lex Sal. p. XVI.

2) Könige VL? ©. 266. III. ©. 148.

3) So wies zuerfi nad) Lenormant; wohl mehr als „wahrfcheinlich”, wie Soetbeer I. ©. 602.

4) Procop. b. G. II. 33, Dahn, Prokop ©. 128.

5) Wie Digot III. p. 43, ber erft feit c. 620 Königsmünzen anerlennen will, aber zu biejem Behuf die der Nachfolger Theudiberts irrig fpäteren Königen zuweiſt.

6) Siehe die Liſte der Königsmünzen bei Soetbeer I. ©. 607; über die Wechjel im Gepräge Müller I. ©. 183.

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in anßerorventlihen Fällen wagten, den Kaiſern gegenüber Bildniß und Namen auf die Stüde zu ſetzen!).

Geprägt wurden in Gold ganze solidi und viel zahlreicher?) Drittelftüde, trientes (= 4 Marl 16 = 8 siliquae —= 13 de- narüi) 3).

Zur Beftätigung unferer Annahme ver anfangs völlig unver: änderten Yortführung der römischen Münzung dient, daß auch das römische Werthverhältniß beibehalten warb: aus einem Pfund Gold wurden 72 fränkifche wie römifche solidi geprägt: ja, ein volles Jahr⸗ hundert (450 550) ward hieran grunbfäglich nicht gerührt: Ver⸗ fchlechterungen im Einzelnen find ungebührliche Ausnahmen.

Erſt etwa in den Bruderfriegen des VI. Sahrhunderts (550—570) warb der Münzfuß um 1/ verleichtert, indem man nun (ftatt 72) 84 solidi aus dem Pfund jchlug?).

Das deutſche Neich prägt heute aus 1 Pfund Gold rund 1400 Mark, daraus ergiebt fich daß der alte römiſche Goldſolidus, ver 1/,, Pfund Gold betrug, beträchtlih mehr als 12 M. 50 an Goldwerth hatte, nämlich faft 20 Mark (19*/,), dagegen der merovingifche Golpfolidus von 1/4 Pfund Gold entiprach einem heutigen Betrag von 162/, Marl.

Daß der Anmaßer Gundovald) zuerft dieſe Münzverfchlechterung vorgenommen babe, ift eine willtürliche Vermuthung). Schon vorher findet fih®) der leichtere Münzfuß.

Es muß vielmehr ein allgemeiner Grund gefucht werben, ber ſchwerlich in einer Veränderung des DVerhältnifjes des Goldes zum Silber gefunden werben Tann?): denn wie eine folde Schwankung Heinere Stüdelung des Pfundes Gol an fich bewirken follte, ift nicht abzufehen: das Verhältniß der Silbervenare zum Goldſolidus blieb das gleiche: fo daß nun freilich 40 Silber-Denare = 1/,, ftatt 1/7, Pfund Gold, 1 Denar 1/ggeo ftatt 1/zaso Pfund Gold varftellten, jo daß das Silber im Verhältniß zum Gold um 1/5 gejunten war.

Es war alfo das Ausgebot von Gold gefunfen oder das von Silber im PVerbältnig zum Golde gejtiegen: daß fich ohne denkbare

1) Wie Digot a. a. O.

2) Aber ſeit wann überhaupt? Bgl. Eheberg ©. 4. 3) Entbedt von Duchalais, f. Waitz, Münzverh. S. 8, Soetbeer I. S. 620. ° 4) Urgeſch. IIL ©. 318.

5) Lenormant's.

6) Nachgewieſen von Soetbeer I. ©. 620. 7) Mit von Inama-Sternegg I. S. 189.

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Entlehnung oder Nachahmung das gleiche bei Wejtgoten und in ber Folge bei Langobarben findet, weift auf eine gleichzeitig gemeinfam wirkende Urſache in jenen Reichen Hint).

Was die Silbermünzen anlangt, fo follten aus einem Pfund Silber 300 Silberdenare geprägt werben 2).

Ob die nicht jelten erhaltenen Stüde fchwereren Gepräges auf zufälliger Abweichung oder vorübergebenver Aenverung des Münzfußes beruben?), fteht dahin: doch iſt letzteres wahrjcheinlicher: bagegen find bie zahlreichen minderwerthigen, meift älteren, römiſchen Stüde nicht eigentlich aus Meünzverjchlechterung zu erklären, fonbern aus ber Bedeutung des Denars als bloßer Scheivemünze, als welche auch bie nicht zahlreichen Theildenarjtüde und Kupfermünzen zu betrachten find ®).

Auf den Kupfermünzen ftehen die Namen ber merovingifchen Könige, dagegen nicht immer und nur ausnahmsweife auf Silber- benaren und deren XTheilen?).

Ziemlich dunkel bfeibt, ob auch bei Uferfranken wie zweifellos bei Alamannen und Baiern römifche vollausgeprägte Silberbenare (vedht8 vom Rhein saigae genannt) im Umlauf blieben bis zur Zeit ber Aufzeichnung ber (beiden) fräntifchen leges (3 fräntifche Denare einer saiga, die aber zuweilen auch noch denarius hieß). Man wird ſolche römiſche Silbervollvenare in der Uebergangszeit annehmen müfjen®).

Die Goldmünzen tragen in der Regel ven Namen ihres Münz- meiſters (monetarius) in Abkürzung, manchmal neben tem bes Königs: es iſt bezeichnend und erflärlich, daß im Anfang meift die Münzer niht Germanen find”). Viele Namen von Münzern find auf

1) Könige VI.2 ©. 2631.

2) So ridtig Guerard, Irminon p. 117, Soetbeer ©. 628, irrig bagegen Grote S. 821f.

3) Soetbeer ©. 632.

4) Soetbeer I. ©. 637.

5) Eine folde von Thenbibert J. f. Cochet, Revue arch&ologique 1869.

©. 443f. 6) Sp gegen Waitz Abhandl. richtig Soetbeer II. S. 314 wegen L. Rib. 36, 12 ° si eum argento solvere contigerit, pro solido 12 denarios . . . sicut anti-

quitus constitutum est: ſchwerlich iſt das fpäterer Zuſatz und jebesfalls beweift die Stelle au dann alte Währung; bagegen für bie Salter fcheint man (Soet⸗ beer II. ©. 556) da8 Gleiche wenigftens nicht außer Zweifel geftellt zu haben:

1) Eligius, andere Beifpiele bei Soetbeer I. S. 609.

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Münzen erhalten, wenige bei Schriftitellern!), ſpäter felbjtverftänd- ich auch Germanen: jo Abbo in dem boch weit wejtlichen Limoges zur Zeit des Sanct Eligius?), ber zugleich ein berühmter Goldſchmied (faber aurifex) war. Aber fchon früher begegnen germanijche Münzer in Auftrafien, wo faft 50 Münzftätten bezeugt find®), barunter fehr frühe Meg und Köln: aber auch Bafel, Straßburg, Speier, Worms, Mainz, Andernach, Zülpih, Saarburg, Nimwegen, Durſtede, Maaft- richt, Namur, Tournai, Cambrai, Toul und Verbun.

Auf dem rechten Rheinufer find aber für das fräntifche Gebiet in Merovingenzeit Münzftätten nicht bezeugt.

In Ermangelung eines Königenamens findet ſich dann wohl das »palatiume, der »fiscus« als Prägeftätte angeführt, zumal wenn eben für Rechnung des States gemünzt wurde, nicht für einen Privaten.

Denn offenbar hatten auch Private das Recht, aus Gold oder Silber (auch Kupfer?) gegen Erlegung eine® vom State beftimmten Schlagichates für eigene Rechnung burch bie föniglichen Münzer prägen zu laffen und zwar an jedem Ort im ganzen Weiche, wo das thatfählih möglich war.

Letztere bier zuerſt hervorgehobene Annahme erflärt eine Reihe von bisher unerklärt gebliebenen Erjcheinungen im merovingifchen Münzweſen. Vor Allem die erftaunlich große Zahl der auf ven Münzen angegebenen Prägeftätten, tie von 721 feftftehenven*) bis zu

Zaufenden5) berechnet wird.

Die große Zahl diefer Namen läßt ſich aus ben bisher ange- nommenen Gründen, mögen bieje auch alle mitgewirkt haben, allein nicht erklären.

Erſt in Tarolingifher und noch jpäterer Zeit erhalten Stäbte, Klöfter u. |. w. das Necht, zur Zeit der in ihnen häufiger abgehal- tenen Jahrmärkte münzen zu laſſen s). Solche Municipal-Münzen, Stabt-Münzen, Kirchen⸗Münzen, welche doch nur größeren Städten’)

1) Audoen. v. St. Eligii I. 3, v. St. Aridii (Tours) c. 8.

2) Audoen. v. St. Eligii I. 3.

3) Digot II. &. 501.

4) Barthelemy, liste des noms de lieux inscrits sur les monnaies mero- vingiennes 1865.

5) Ponton d’Ame£court, essai sur la numismatique merovingienne 1864, dazu Wait, Gött. gel. Anz. 1865. ©. 1018.

6) Soetbeer II. ©. 301.

7) So Paris, obzwar ber monetarius urbis P. (oben vicus Parisiorum)

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oder Kirchen zu prägen verftattet warb, erklären nicht die Namen ganz unerbeblicher Ortichaften auf zahlreichen Stüden.

Noch viel ſpäterer Zeit gehört e8 an, daß das Münzrecht (durch Lehen!) an Private übertragen und nun von biefen beliebig an allen Orten, in welchen fie Grund eigneten, ausgeübt wurde. Im folder Schrankenloſigkeit) fam das früher faum jemals vor und fchon gar nit in merovingifcher Zeit. Am wenigften aber darf man?) be baupten, jedermann habe an jedem Ort beliebig felbjt münzen dürfen, bie Namen bezeichneten nur Orte, die Kirchen oder Großen (nicht ber Krone) Abgaben fehulveten und dieſe in felbft geprägtem Geld ent- richteten! Solche Münz-Anarchie ift nicht nur mit dem Münzregal, ift mit jever Münzhoheit unvereinbar.

Aber auch die Meinung?) ift weber nothwendig noch auch nur wahrſcheinlich, daß die Münzer im Lauf der Zeit das Gefchäft mehr ſelbſtändig, ohne wirkliche Verleihung, in eignem Namen und dann auch zu eignem Vortheil, handhabten. Nichts zwingt ober berechtigt auch nur zu biefer Annahme Vielmehr war das Mlünzrecht aus ber Imperatoren Hand als Kronrecht überfommen und warb ausfchließlich von Töniglichen Münzmeiftern, monetarii, als Statsbeamten ausgeübt, fofern nicht, ausnahmeweife und fpät, Stäbten ober Stiften die Aus- übung bes Regale nicht das Regal felbft im Wege tes Pri- vilegs übertragen warb.

Die Nennung der Münzmeifter bezwedte wohl vor Allem bie Feftftellung der Verantwortung für die einzelnen Stüde.

Die große Zahl der Ortsnamen auf ven Münzen erflärt fich aber num fehr einfach daraus, daß, neben den Münzmeiftern, bie dauernd in den königlichen palatiat) und Hauptſtädten befchäftigt waren, an⸗ bere Münzbeamte im Auftrag des Königs im Reich umher zogen und an jedem Ort, wohin fie famen, auf Verlangen für Städte, Kirchen,

Greg. Tur. glor. confess. c. 103 p. 813 auch königlicher Münzmeifter im pala- tium zu Paris fein könnte.

1) Wie Fillon, lettres sur quelques monnaies francgaises inedites 1862 und considerations historiques et artistiques sur les monnaies de France 1852 behauptet,

2) Mit Barthelemy, &tude sur les monnoyers, les noms de lieux et la fabrication de monnaie, Revue arch£ol. 1865, I. p. 5f.

3) Bon Wait IIb. ©. 310.

4) Ueber biefe Pfalzmünzen ſ. Ponton d’Ame£court, monnaies merovingiennes du palais et de l’&cole 1862 p. 138.

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Klöſter oder Private!) gegen Schlagſchatz münzten, wobei (auf Koften ver Betbeiligten ?) ein Stempel mit dem Orts» (oft auch mit dem Münzer-)Namen, ebenfalls zum Zwed ber Sicherung, aber auch aus anderen Gründen 3. B. ber Auszeichnung u. ſ. w. eingeprägt warb.

Daraus erklärt fi auch zwanglos, daß häufig Gerichtsftätten, malli, zugleih Münzftätten find?): bier war das Bedürfniß nach neuem, vollwichtigem Geld, in welchem die Bußen und Wetten ver- langt wurben, häufig und ftarl. Dagegen Tann man nicht 3) annehmen, das Bebürfnig für Abgaben Habe ſolche. Münzftätten herbeigeführt: denn Abgaben wurden an jeder Stelle des Gaues erhoben, und daß das Steutergeld immer erft neu gemünzt warb, ehe es dem König eingefanbt warb, ift durchaus unhaltbar®).

Bei unferer Annahme verfteht fich von felbft, daß die Namen ber Münzorte immer häufiger werben). Nur diefen Sinn kann es haben, daß auf ven Münzen felbft angegeben wird, für weſſen Nechnung fie geprägt werben: ratio (ratione) fisci, ratio domni, ecclesiae, ratio basilicae, ratio sancti monasterii.

Daß die Münzer urfprünglic” Statsbeamte waren, wird burch bie römifche Weberlieferung, durch die Uebereinftimmung in den antern Sermanenreichen auf römiſchem Boden‘) und die merovingifchen Quellen ſelbſt ausprüdlich beftätigt ”): 3. B. in Limoges münzt der monetarius als Königsbeamter für den König).

Eine Aenderung biefes Verhältniffes ift im Frankenreich nicht nach⸗ weisbar. Am Wenigften darf man?) aus den Bezeichnungen vmonetarius

1) Dies ift nicht berüdfitigt von Müller I. S. 206, Digot III. ©. 55, Waitz IIb. 311 und, fo weit ich fehe, allen Vorgängern.

2) Zahlreiche Beläge bei Ponton d’Ame£court a. a. O., 3.8. mallus Mauriacus.

3) Mit Fossati, de ratione nummorum, memorie della reale Accademia di Torino Ser. II. Tom. V. p..60; Robert, consid®rations sur la monnaie à Y&poque Romaine.

4) Folgt namentlih aus Audoen. v. St. Eligii I. 3, wo nur bie Ein- fendung in neuen Stüden, nidt die Neu-Prägung bes Steuergelves als »rituse bezeichnet wird.

5) Ponton d’Ame&court, monnaies M£&rovingiennes du palais et de l'é0ole 1862 p. 132.

6) Oſt⸗ und Weſt⸗Goten Könige III. S. 148, VL2 &. 266.

7) Audoen. v. St. Eligii I. 3 publica fiscalis monetae officina in urbe Lemovicina.

8) II. 76 moneta publica.

9, Mit Soetbeer II. ©. 296.

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publicuse, »fiscalise, »regise, »regiuse folgern, e8 habe daneben auch private gegeben; fonft müßten wir auch private Herzoge und Grafen neben ben königlichen aufftellen. Wenn in fpät meropingifcher Zeit einzelne Vornehme felbftändig!) Münzen zu prägen fcheinen, fo ift biefe Selbſtändigkeit des Nechtes eben ein Schein: entweber es handelt fich um wiberrechtliche Turzlebige Anmaßung, um nur That: fächliches, oder um Webertragung des Rechts, deren Beurkundung uns freilich manchmal verloren?); oder e8 ward in jenen wirren Zeiten ſchwachen Königthums zwifhen Prägung gegen Schlagichag, ver oft vorenthalten werben mochte, und Prägung Traft eignen Nechts nicht fcharf genug gefchieven: dafür fpricht, daß bei Goldmünzen ber Verfuch nicht gewagt wird, nur bei Silberbenaren.

Die Bezeichnung der Münzftätte, officina, mit einem Perjonen- namen?) kann den Namen des Münzers bebeuten oder auch eines Privaten, in deſſen Werkftätte dev umherreiſende königliche Münzer münzte: durchaus nicht beweift ver Sondername der officina ein privates Münzrecht.

Verbindungen von Münzern zu gemeinfamem Betrieb wie bie ipäten „Münzerhäufer*, „Münzer⸗Zechen“, werben in biefe Zeit nur burch arge Verfrühung aus dem Mittelalter zurücverlegt. Insbeſon⸗ dere find die Schola-Münzen *) nicht fo zu beuten: dieſe wurben offenbar in der im Palaſt gehaltnen Hofſchule (schola palatina) geprägt: fchwerlich doch für deren befonveren Gebrauh wir wiſſen nicht von erheblichen Ausgaben verfelben —, eher vielleicht behufs Ausbil: bung gejchulter Münzmeifter; doch bleibt das Ganze bunfel.

Außer nach gemünztem Metall ward auch wohl nach Pfunden (pondus, libra) und Unzen (uncia, ver 12. Theil des Pfunpes 2 %th) von Gold und Silber gerechnet), zumal bei größeren Zah- lungen [Beifpiele finden fich bei Gregor, (auch unter ‘Dagobert I. und in ben Urkunden)], aber nicht in Barren®).

1) Müller ©. 147, Soetbeer LI. 299.

2) Denn bie Verleihung des Münzrechts an Le Mans von Theuderich IL. D. N. 193 iſt eben eine „Le Mans'ſche Urkunde” d. h. eine Fälſchung.

3) Beifpiele bei Müller 1. S. 208; übrigens frägt ſich noch, ob die beigefügten Namen nicht zuweilen Ortsnamen find,

4) in scola fit, in scola, escolare mon., escolaris moneta. So Waitz IIb. ©. 312; oder monetarius? Ponton |. c.

5) Form. Mare. II. N. 23. 24.

6) Richtig gegen Grote I. ©. 818 Watt, Münzverhältniſſe ©. 10.

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Die Frage, ob viel oder wenig Gelb im Umlauf war, läßt fich nur mit Uinterfcheidungen ber Zeiten und der Landſchaften beant- worten: die Erbeutung unter Chlodovech, die reichen Zahlungen ver Byzantiner und Oftgoten unter Theudibert I. führten viel Geld in das Land: fpäter dann unter Karl die unermeßliche Avarenbeute von a. 795. Dffenbar war auch in dem altromanifchen Süden und Weiten Galliens viel mehr Geld im Umlauf als im ärmeren und weniger verrömerten Nordoften jowie vollends auf dem rechten Rhein⸗Ufer.

Außer der Krone verfügten bie Kirchen und Klöfter über erftaun- (ihe Summen auf einmal: dieſe ſehen wir in klügſter, aber für bie Krone und bie mittlern und Heinen Gemeinfreien ftatlich höchſt verberblicher Wirthichaftführung unabläffig und überall Grundeigen zuſammenkaufen: daß das volkswirthſchaftlich günftig wirkte, darf die Schäbigung des States durch Aufjaugen der Heineren Freien nicht unterfchägen laſſen. Seltner finden fich folche Geltausgaben des weltlichen Adels).

Daß aber die mittleren und vollends die kleineren Freien regel- mäßig nicht viel Bargeld beſaßen, erhellt ſchlagend varaus?), daß das Geſetz fo oft vorausfegt, die Wetten und Bußen Tönnen von ihnen nicht in Münzen, müfjen in andrer Fahrhabe, ja auch in Grunpftüden geleiftet werben, weßhalb das Geſetz felbft gleich bie Werthe aufzählt, zu welchen folche Güter an Zahlungsftatt genommen werden müfjen und gegeben werben bürfen. Dieſe für bie Wirth. ihaftszuftände lehrreichen Angaben find nicht bier zu verwerthen?).

Daber follen die Rachinburgen bei ver Pfändung auch die Werthe ber Grundſtücke hiernach abſchätzen“): Grundſtücke waren nach (älteren) jalifchem Recht) (anders Alamannen und Baiern, f. diefe) pfanbfrei.

Mit Recht hat man) erinnert, wie ter ununterbrochene Abgang

1) Bgl. Soetbeer II. ©. 303f., Müller I. S. 344; einmal aber doch 24,000 so- lidi auf einmal.

2) So vortrefflich Wait IIb. S. 314 über »inter-et«, d. h. entweder in Geld oder andern Sachen, Waitz, Götting. gel. Anz. 1850. ©. 629, Soetbeer II. ©. 304.

3) S. fränkiſche Korfhungen; gegen v. Inama-Sternegg’s verbienftliche Aus- führungen, Jahrb. f. Rationaldtonomie I. ©. 197, iſt nur einzuwenden, daß das geringe Schwanken der Wertbe doch auch wohl auf bloßem Feithalten ber früheren, obzwar vielleicht veralteten Anfchläge beruhen mag.

4) L. Rib. 36, 11.

5) L. Sal. 50, 2; Waitz II. 1. ©. 92.

6) Waitz IIb. ©. 315.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 10

146

ver Münzen tamals nicht wie bei uns burch ununterbrochene Neu- gewinnung ver Evelmetalle und? Münzung ausgeglichen warb; denn von Bergbau im Merovingenreiche fehlt nahezu jede Spur. Auch Goldwäſcherei wird nie erwähnt. Nur einmal läßt Prokop!) viefe Könige münzen „aus den Metallen in Gallien. Will man das auch, was wohl näher liegt, auf Bergbau, nicht auf Einfchmelzung be- ziehen 2), fo beweift doch dieſe vereinzelte Angabe zum Jahre c. 550 um fo weniger für tauernden Betrieb, als Feine der vielen Urkunden, bie fih auf Landſchenkungen beziehen und oft bie geringfügigften Er- trägniffe und Befugniffe aufzählen, ver Webertragung des Bergbau- rechts erwähnt. Erſt in Farolingifcher Zeit werben einmal »gafer- garias hochofinnas« genannt, was als Hochöfen gedeutet wird).

4. Zinje und Fronden, Natural-Abgaben und Natural>Leiftungen.

Ein großer Theil ver Geldausgaben des heutigen States für Kaufpreife und Arbeitslohn ward dem damaligen, ja auch noch dem jpätmittelalterlihen eripart burch die Naturallieferungen (Zinfe) und bie Sronarbeiten ber Unterthbanen. Der heutige Stat muß 3. DB. bei einem Feftungsbau Steine, Holz, Eifen, Rafen kaufen und die Arbeiter miethben. Damals wurben jene Stoffe von ben Untertbanen geliefert, unentgeltlih, und von ihnen ober ihren Unfreien unentgeltlich ver- arbeitet.

Auf privatrechtlihen Anfprücen dagegen beruhen bie meiften Naturalabgaben an den Fiscus; aber auch die Grundſteuer ward zu- weilen in Früchten erhoben 3. B. von jeder aripennis Land ein Maß Weint). Bei Schenkungen an Kirchen faßt der König bald alle Ab- gaben ber Gauleute eines Gaues an den Fiscus zufanmmen (dev Immunität pofitiver Beftanbtheil enthält gerade bie Öffentlichen Steuern und Leiftungen), bald nur die Abgaben von Krongütern 5).

1)b. G. III. 33.

2) Anders Waitz a. a. O.

3) Pardessus II. p. 189.

4) Greg. Tur. V. 28, Urgeſch. IL. ©. 203.

5) So wohl Diplom. N. 24 von Sigibert III., da bier nur von Natural» Abgaben die Rebe if.

147

Solche Naturalabgaben an ven Fiscus von Krongütern beftanden in Getreide (annona) !), Wein?), Honig?), Rindvieht), Schweinen >). Annona (neben agrarium) iſt eine Jahresabgabe in Früchten (Lebens- mitteln ®) ?).

Daß der Schweinezehnt eine Gegenleiftung für die Eichelmaft, wird, wie im Weftgotenrecht, jo bier ausprüdlich gejagt: „wenn es feine Weide (passio pastio) giebt, die Schweine davon zu mäften, joll keine Kellerabgabe vom Volle verlangt werben“”).

Dffenbar konnte ein folcher Schweinezehnt (wie bei den Goten) auch Privaten gejchuldet werden: daß uns für dieſe Zeit®) überhaupt Deläge von weltlichen Privat-Zehnten fehlen, ift vielleicht nur Zufall. Einen Schweinezehnten im Speiergau, ven bisher der Fiscus bezog, tritt Sigibert III. im Jahre 653 dem Bisthum Speier ab.

Zuweilen begegnen fchon in jener Zeit „Apaerationen“, d. h. es werten turch Vertrag Naturalabgaben (inferendae) in Gelvzahlungen umgewandelt 9).

Die Freien find ferner verpflichtet, wie des Königs Boten und Deamte, die Gefandten von dem König und an den König ?®) (f. unten), jo den König felbft und feinen Hof zu haufen, zu Herbergen und zu bofen: »hospitium«e heißt dieſe Leiftung. Der König und fein Hof hatte nur deßhalb wenig Anlaß, von dieſem Necht Gebrauch zu machen, weil ihm in feinem ganzen Reiche jo viele palatia und villae bereit ftanden, daß er in jeder Tagereiſe eigne »mansio« erreichen

1) Diplom. N. 24.

2) 1. c.

3) l. c.

4) ]. c.

5) 1. c.

6) Pardess. II. p. 226.

7) Chloth. Edict. c. 23 cellarinsis (sc. census): Abgabe für das »cellarium«, zu dem auch ber Vorrath an Schweinefleifh, Sped und andren Lebensmitteln gehörte.

8) Anders in farolingifcher: Tradit. Wizenb. von 764. p. 193.

9) So die falfhen Urkunden für Le Mans Diplom. N. 84. 86 p. 199. 201, die aber eben die echten vorausſetzen.

10) Lex Rib. 65, 3 legatarium regis vel ad regem seu in utilitatem regis pergentem hospicio suscipere; auf ber Weigerung ſteht des Königs Bann von 60 solidi, nur vom König verliehene Immunität befreit von biefer Verpflichtung.

10*

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mochte. Daher nahm fremde Bewirthung, wenn einmal gewährt, mehr die Eigenart gaftliher Einladung an).

Dis aufs Aeußerſte brauchte und mißbrauchte folche Rechte freilich ein Chilperich: nicht nur im eignen Lande bei dem Heeresauf- gebot 3. B. in Baris?), auch im Frieden: z. B. bei Vermählung feiner Tochter Nigunthis, wobei die Stäbte ten ungebeuren Hoch» zeitözug unterhalten mußten: der König batte befohlen, aus feinem Fiscus nichts zu leiften. Alles mußten die Armen durch ihre Beiträge aufbringen ?).

Die Leiftungen an die königlichen Beamten und Geſandten) auf deren Reifen erfcheinen uns unmäßig boch: es ift zwar ber ge- ringe Taufchwerth gewöhnlicher Naturalien in jener Zeit in Erwägung zu ziehen: allein auch theuere, feltene Nahrungs: und Genußmittel werben abverlangt. So nennt eine Formel Markulfs neben Pferten (paravereda) und Wagen (carrarum angaria)5) für die Beförberung ausgejuchte und leere Schmäufe.

Derfelbe Markulf überliefert uns eine folche tractaturia, tracturia (epistola) für einen Bifchof und einen Weltgroßen, die als Geſandte bes Königs reifen, gerichtet an alle Beamten: außer Pferden und Bei- pferden find zu liefern Weißbrod, sequente®) (?), Wein, Bier, Sped, Schweine, Ferkel, Widder, Yämmer, Gänfe, Faſanen, Hühner, Eier, Del Zettbrühe?), Bitterwurz (costum: eine inbifche aromatifche Wurzel), cariofilum®), spicus, (l. spica, Lavendel, Spilenart

1) So vortrefflih Waitz IIb. S. 293, 3. B. Guntchramus in Orleans VIIL 1, Urgeſch. III. ©. 345.

2) Greg. Tur. VI. 31, Urgeſch. III. ©. 267.

3) Greg. Tur. VI. 45, Urgei. III. ©. 285 de pauperum conjectures: aber diefe »conjecturae« haben nichts gemein (wie Watt Ib. ©. 296 glaubt) mit dem fpäteren »conjectuse Karls des Großen. ©. Band VII.

4) Form. Marc. I. 11 tracturia ligatariorum vel minima facienda istius instar.

5) Form. Mare. II. 1.

6) Kann bier nicht wie fonft (Du Cange VI. ©. 432) junge Hühner u. |. w., die der Mutter nachfolgen, bedeuten, ba von modii bie Rebe ift.

7) Aber was für eine? »Garum« (Du Cange IV. 38 läßt es unerklärt) Fifch- brühe?? (fo urfprünglid) ober ein Gewürz? oder ein Getränl? die Stellung zwiſchen Del und Honig weiſt doch auf ein Flüſſiges.

8) Du Cange II. p. 170 cario-bellum = catholicon armoricum (armu- ricon iſt Meerrettig). Vgl. jett vor Allem v. Fiſcher⸗Benzon, altdeutſche Garten: flora 1894 ©. 73. 181—183.

149

oder Narde?)!), Zimmt?), granomastice?), dactalus®) (Datteln), pistacias (Piftacien), amandolas (Manveln)®), cereos liberales ®) (Wachslerzen ??) oder librales (Pfundkerzen?) over liberales (feinere Kerzen?), Salz, Gemüfe, Holz, Badeln (facolas), Karren, Heu für vie Pferde?) und ebenfo für vie Pferde suflusum, Aufſchüttung ®).

Die Tarolingiihe Formel fett nicht nur reiche Entfaltung ber Bollswirthichaft voraus, fie ift auch offenbar nur für Italien und

1) Italieniſch spico, altfranzöfiih espigadner, mit Süßbuft erfüllen, Du Cange VII. p. 554, v. Sifher-Benzon ©. 211.

2) cinamus flatt cinamomum; v. Fiicher-Benzon ©. 189. 200.

3) Fehlt bei Du Cange: mastix, mastice ift Del ober wohlriechenb Harz von mastix, uaoriyn, ber Baum pistacia lentisous v. Fifher-Benzon ©. 217, gra- num, Korn. Mein bochverehrter Amtsgenofie Ferdinand Cohn fchreibt mir zu obigen Pflanzennamen gütevoll: (23. XI. 94.) »Pistacia lentiscous, an ben Küften des Mittelmeeres Buſchwald (macchia) bildend, (lentisco) liefert Maſtix. Spicus ift eine mir nicht befannte Form, vermuthlich ftatt spica; dies bezieht fih auf zwei verfchiebene Arome: Lavandula spica, Lavendel und Valeriana celtica, Speit, Leltifche Narbe. Vermuthlich ift Lavendel gemeint, doch tft Dies wohl nur aus dem AZufammenhang zu erfehen. Cariofilum ift bie Gewürznelke, unter dieſem Namen Ihon bei Plinius; troß feines griechifchen Anjcheins ift e8 doch ein Lehn- wort aus einer orientalifhen Sprade, ba die Gewürznelke mit einem Kern- ober Nuß-blatt (xagvoypvrror) nichts zu thun bat: italienijch garofalo, im Arabifchen »karanful«; al® im 15. Jahrh. die Nelke, man weiß; nicht, woher, in bie italieni- ſchen Bärten kam, erhielt fie wegen bes ähnlichen Geruch auch ben Namen ber Gewürznelte (garofalo), franz. giroflee. (Nelle von naegelein, clavus, wegen ber Seftalt) Costum, costus ift eine aromatifhe Wurzel, die ſchon im Alter: tum aus Arabien oder Indien eingeführt wurbe, bei Horaz, Ovid, Columella, Dioscorides erwähnt. Theophilactus fchidte dem heiligen Bonifactus Costus, Zimmt und Xerostyrax. Die Wurzel flamımt von einer Compofite Aplotaxis (Saussurea) auriculata; doch warnt fhon Dioscorides vor VBerfälihungen, und im Mittelalter galt als Costus bie Wurzel von aromatifchen limbelliferen und Com⸗ pofiten, befonbere Alant (Inula Helenium). Ein Würzburger Eober aus dem 9. Jahrh. Führt unter den Gewürzen (pigmenta) auf u. a. Costus, Cinnamomum, Gariofllae, Piper, Gingiber. Catholicon aremoricum ift ſicher Meerrettig, Coch- learia armoracea, nad) der angeblichen Heimath. Das »catholicon« war mir nit belannt.“

4) Sehlt bei Du Cange ; v. Fiſcher⸗Benzon ©. 198.

5) v. Fiſcher⸗Benzon ©. 159.

6) Fehlt bei Du Cange.

7) ®gl. Marc. Form. II. 1 caballorum pastus.

8) Aber von was? Wohl von Hafer? Du Cange VII. p. 650 zählt außer biefer Stelle nur noch eine auf von Albrih von Le Mans IV. 56, wo es heit: suffusum de avena.

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Süpfranfreich berechnet: denn weiter nörblich konnten bie Unter- thanen unmöglich Faſanen, Datteln, Zimmet, Piftacien und Mandeln liefern.

Allerdings zählt ſchon faft ein Jahrhundert früher eine Urkunde Chilperichs II. von 716!) ſolche und noch andere thenere Nahrungs⸗ und Genuß - Mittel auf?): allein bier handelt e8 fi um Antbeile bes Klofters Corbie an den Zöllen, welche ver Stat von allen Waren erhob 3): daher konnten auch die koſtſpieligſten feltenften Gewürze und Aehnliches aufgeführt werden. Sehr lehrreich ift es nun aber, mit dieſer Liſte die ver Reichniſſe zu vergleichen, welche ven abhofenven Boten des Klofters zu gewähren find; hier ift von folchen Feinſchmack⸗ Dingen wie in der Markulfihen Formel gar feine Rebe: vielmehr heißt e8 nur:

10 Pferde und Beipferde, 10 Fein⸗Weiß⸗ Brode, 20 sequentes (geringere? |. oben ©. 145), 1 Maß Wein, 2 Maß Bier, 10 Pfund Sped, 20 Pfund Fleifch (welcher Art?), 12 Pfund cassio (= casia, wilder Zimmt)?), 20 Pfund Erbjen, 1 caper (Ziege), 5 Hühner, 10 Eier, 2 Pfund Oel, 1 Pfund Brühe »garuma (oben ©. 148) ; da» gegen nur 1 Unze Pfeffer, 2 Unzen Zimmt (man fieht, wie werth- voll diefe beiden Gewürze!), dann Salz, 12 Karren von Station zu Station, Holz, Eifig, Gemüſe zur Genüge. Gewiß ift hierd) von ver Zeiftung für bie ganze Reife, in der Formel nur für je einen Tag die Rede.

Da es fich bier nur um Boten eines Klofters handelt, ift oben für Biſchof und vir inluster offenbar erheblich mehr anzufegen, jo baß die Belaftung nicht leicht erfcheint. Hier wird ausdrücklich her⸗ vorgehoben, daß dieſe Leiftung fortab jährlich zu gewähren fei, ohne baß die Klojterboten jedesmal eine neue »tracturia« vorweiſen müffen.

Ebenfo bedarf der Graf bei Reifen in feiner Graffchaft Feiner beſonderen tractaturia für mansio (Dach und Fach), Pferte und Borfpann.

1) Dipl. N. 86. p. 76.

2) Die in der Formel nicht ausgefüllten Beträge werben bier in ber Ur- kunde natürlich ansgefüllt.

3) ©. daher dieſe oben ©. 120.

4) Zimmtlorber, (laurus casius Linnei)? ungewiß. Du Cange II. p. 206 jührt nur diefe Stelle an, ohne Erklärung.

5) Wie Wait IIb. ©. 297 vermuthet.

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Die Bewirthung heift wie in römifcher Zeit humanitas!), pastus, paratas?) (sc. epulas) facere.

Das hospitium 3) der Unterthanen machte Geldausgaben der Krone für Ausgaben der Geſandten im Inland faſt überflüſſig: an fremden Höfen, in fremden Ländern, beſtand die entſprechende Ver⸗ pflichtung der Herrſcher und der Unterthanen ); nur ausnahmsweiſe wird daher zuweilen ein Gelpbeitrag (supplementum) an bie eignen Gejandten erwähnt). Aber nicht gehört hierher®) vie Weberweifung des Unterhalts des Geſandten ver Bretagne, Biſchofs Eunius, auf bie Stadt Angers; berjelbe wird, ohne Rückſicht auf das Völkerrecht, a. 580 von Chilperich (exilium)?) eingebannt und muß nun felbjtver- ſtändlich erhalten werben.

Das hospitium umfaßte vor Allen die mansio, die Aufnahme unter Dach und Fach, dann die Verpflegung (paratae sc. epulae, pastus) ; beide werben in ben Immunitäts- und übrigen Urkunden meist zufammengefaßt®). Durch Brauch und Mißbrauch waren noch Gaftgaben (munera), („abgefchlichene”) Neifegefchenfe (munuscula insidiosa), Ehrengaben (gratiosa), ausgefucht feine Gelage (exquisita et lauta convivia) hinzugekommen, bie vor Allem bei den Freiungen bejeitigt werben®). Im andern Fällen erhoben vie Beamten ftatt der Hanfung und Unterhaltung Gelpgebühren zu vertragnen (oder will kürlichen!) Anfchlägen 10).

Im Auftrag und zum Vortheil (utilitas) des Königs reiften aber nicht blos feine Beamten, zogen auch feine Heermänner durch das Land: daher hatten dieſe wenigftens das Recht, Holz und Waſſer für ih, Gras für ihre Pferde zu fordern, nicht aber Haufung oder Ber» pflegung. Auf Waffer und Gras hatte ſchon Chlodovech fogar in Feindesland bie Forberungen feines Heeres befchränft, aber freilich

1) Marc. L. c.

2)1.c. 13.

3) L. R. 65, 3.

4) 3. B. bei den Burgunden L. Burg. 38.

5) J. Jonas v. St. Columbani c. 61 cum supplemento legatione fungi. 6; Wie Waitz IIb. ©. 296 will.

7 Greg. Tur. V. 40, Urgeſch. III. ©. 2131.

8) Form. Marc. I. 3. 4, Diplom. N. 31. 55. 63. 74.

9) Form. Mare. II. 1.

10) Testam. Wideradi Pardessus II. p. 325f. mansionaticos aut repastus.

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nur auf den Befigungen des heiligen Dlartinus!),,. So gebot das Recht. In Wirklichkeit hauften die meropingifchen Heere in der Hei— math fo ſchrecklich wie in Feindesland?).

Auch die Weiterbeförderung (evectio, evectio publica) mit Roß (veredi, paraveredi: daher „Pferb”) und Wagen für Mann unt Gepäd gehörte hieher?). Blieben für diefe Dinge im Allgemeinen bie römischen Einrichtungen) erhalten, jo beftand doch bei den Franken nicht wie bei Vandalens) und Oftgoten®) das römische Poftwejen bes States mit feinen stationes fort”).

Auch Unfreie ver Krone, im königlichen Auftrag reifend, erhalten bas Recht ber evectio®), wie andrerfeit8 auch bie ordentlichen Orts⸗ behörden, die Grafen, Spannbienfte (angariae und parangariae, carroperae) von den Amtspflichtigen verlangen bürfen, aber auch Handarbeit, Fronden 3. B. zur Herftellung ober zur Beſſerung von Straßen, Brüden, Burgen: und zwar keineswegs nur von Hinter- faffen ver Krone oder aus privatrechtlihen Gründen, wie fie z. 2. auch Privaten gegenüber deren Abhängige verpflichteten); vielmehr find auch hier die ftatsrechtlichen Laften der römiſchen Provinciafen, wie fie für dieſe fortbeftanden, auf die germanifchen Unterthanen übertragen worben, und nicht einmal tie Franken haben dies immer als Folgen privatrechtlicher Abhängigkeit des Grundbeſitzes auffaffen können!).

Eine königliche Urkunde (tractoria), die auch tas Maß!t) ver zu

1) Greg. Tur. II. 37, Urgeſch. III. S. 62.

2) S. die Beläge Urgeſch. III. ©. 481.

3) Form. Marc. I. 11 evectio et humanitas.

4) Notitia dignitatum ed. Böcking p. XV. Cod. Justin. ed. Krüger de cursu publico, XII. 50 (51) angariis et parangariis, Cod. Theodos. ed. Goto- fredus VIII. de cursu publico, angariig et stativis.

5) Könige I. ©. 197.

6) Könige III. ©. 165.

7) Cod. Just. 1. ec. 51 (52) de tractoriis et stativis.

8) Greg. Tur. IX. 9, Urgeſch. III. ©. 410 pueris destinatis cum e. publica.

9) S. oben VII. 1. S. 223 (Abhängigkeitsverhältnifſe).

10) Anders Wait IIb. S. 299, der auch hier den Fortbeſtand römiſcher Ein- richtungen verlennt.

11) Du Cange VIII. p. 144 (aud) tractatoria): Beförderung und Verpflegung: wie häufig und wichtig dieſe Art von Schreiben war, erhellt daraus, baf in Tarolingifcher Zeit jede Königsurkunde beliebigen Inhalts tractoria heißen mag: 3. B. Karls des Großen Zollerlaß für Saint Denis. (Auch bier iſt Name und Sade römiſch Cod. Theodos. Cod. Just. 1. c. oben Anm. 4).

153 gewährenven Leiſtungen aufzählt, dient dem Beamten als Ausweis: jte fann von Tall zu Fall!) oder ein für allemal?) Beamten (missi) mit beftimmtem Auftrag errichtet werben.

Diefe Verpflichtungen trafen nicht nur tie Krongüter, auch nicht blo8 die Römer?), fondern alle Unterthanen, der Natur der Sache nach vor Allem die Grundeigner: zu einer Neallaft wurde fie nur ba, wo fie ftändig, 3. B. für jährlich mit beſtimmtem Auftrag reiſende missi®), zu entrichten war>).

Der Auftrag in ber tractoria richtet fih an alle orbentlichen Beamten der von dem Neifenden berührten Orte, auf daß fie ihm jowohl auf den Krongütern als bei den Untertbanen das Vorgefchrie- bene verſchafften.

Zum größten Theil römifchen Urfprunges find dieſe Natural- leiftungen und Fronden, die auch noch den römifchen Namen) functio publica tragen 7).

Ob die Verpflichtung, den König (und deſſen Gefolge) zu haufen, zu hofen und zu bewirthen auf altgermanifche Gaftung 8) zurücdzuführen ift, erfcheint für das Frankenreich zweifelhaft: vie überkommene römische Pflicht gegen Beamte könnte leicht auf ven König und auf die Franken ausgedehnt worden fein. Bewirthet ver Franke Hozin (Hozinus) König Chlothachar I. und deſſen Gefolge‘), fo wird doch feine Rechts» pflicht Hiezu erwähnt. Dagegen bie wohl urfprünglich römifche Necht 8- pflicht erklärt es, daß die geiftlichen und weltlichen Großen, benen allen die thatfächliche Aufnahme des Königs und feines Hofes mögli war, wenigitens bie Koften von ihren Grundholden ein» trieben. Die zu leiftenden Nahrungsmittel heißen pastus over auch

1) Greg. Tur. IX. 9, Urgeſch. III. &. 410.

2) Diplom. N. 86. a. perpetualiter, absque renovata tractoria annis singulis dare praecipimus.

3) Wie Eichhorn 8 88.

4) Dipl. N. 86 vom 29. IV. 716, 3. B. bier bie beſchenkten Kiöfter.

5) So ift wohl 8. v. Maurer, Sronhöfe I. S. 432 mit Waitz IIb. ©. 297 zu vereinen.

6) Cassiodor. Var. V. 14. 39, Könige III. S. 147. L. Visig. V. 4. 19, Könige VI? ©. 260; daſelbſt bie Literatur.

7) Ueber diefe unmittelbaren und umentgeltlichen Leiftungen an ber Yinanz- Steuern flatt ſ. auch Brunner II ©. 3.

8) K. Lehmann, Abhandlungen zur germanifchen, insbeſondere nordiſchen Rechtsgeſchichte 1888: darüber v. Amira, Bötting. gel. Anz. 1889 S. 270.

9) v. St. Vedasti c. 7.

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fodrum !); urfprünglich bebeutete fodrum, Zutter, nur das Pferbe- futter; fo wenn Karl verbietet, Geſchäfte Nachts zu fchließen, aus» genommen über Lebensmittel und (Pferbe-) Futter (vivanda et fadro), wie es die Neijenten?) bevürfen. Auch das Recht auf Pferde und Beipferbe (veredi und paraveredi) ift aus dem Römiſchen von ben Deamten auf den König übertragen?).

5. Einnahmen aus Hilfsgelvdern, Beute, Schagungen, Geſchenken. Andere Einnahmen.

I. Hllfsgelder.

Sehr beträchtliche Einnahmen bezogen die Merovingen zuweilen turch die Gelber, die fie fih von andern Reichen für Waffenhilfe be- zahlen ließen: eine Hilfe, die fie dann auch wohl gar nicht leifteten, obwohl fie folche beiven Kriegführenden zugejagt hatten: fo währent ber Kämpfe der Dftgoten gegen die Bhyzantiner‘), wo fie von Beiden große Geldſummen, von den Goten auch Landabtretungen genommen hatten, darauf lange Zeit gar nichts thaten und, als fie enplich in Italien erichienen, Beide angriffen und für ſich felbft Eroberungen machten! Die zahlreichen Goldmünzen Theudiberts I. (oben ©. 138) find wohl aus jenen Goldzahlungen hervorgegangen: bitter muß fich ber Sohn von Byzanz die Treulofigfeit des Vaters vorwerfen lafjen?). Ganz ähnlih nahm fpäter Chilvibert II. erhebliche Hilfsgelver für Bekämpfung ver Langobarden in Italien®), die er lange läſſig betrieb und wieder ganz einftellte, als ihm deren Könige ebenfalls Geld boten und zahlten?).

1) Fodrum regale, verſchieden von den Leiftungen an das durchziehende Heer, fo Cap. Ludov. v. 796 (altfranz. feurre),. Dazu vita Ludov. ad. h. a.

2) Cap. V. cap. 2. Beläge für pastus bei Du Cange VI. ©. 206 erft umter Karl dem Kabhlen.

3) ©. Poftwefen Könige I. ©. 65, UI. S. 97, VL? ©. 285.

4) Könige II. ©. 220, Urgeſch. I. ©. 263, III. ©. 91.

5) Urgeſch. III. ©. 94 (Brief Theudebalbe).

6) 50,000 solidi von Mauritius Greg. Tur. VI. 42, Urgeſch. III. ©. 283.

7) Urgeſch. III. ©. 441.

155

II. Beute.

Der König erhält ferner einen Theil ver Beute!): aber das Heer, nicht er, beftimmt die Vertheilung, auch gegen feinen Willen?). Ja, bie Franken zwingen wohl den wiberftrebenven König zur Kriegführung um der Beute willen. So gegen die Sachfen, gegen die Burgunden; weigert er den Krieg, jo drohen fie mit Abfall: er beichwichtigt fie, indem er fie zum zweiten Mal vie bereits nievergeworfne Auvergne durch Plünderung beftrafen läßt?).

Erſt in Tarolingifher Zeit ordnet die DVertheilung ver König ®).

Dieſe Kriegsbeute bildete eine fehr bebeutende Einnahmequelle für bie Krone: nach dem damaligen Kriegsrecht (das niemand graufamer als bie Römer geübt Hat) verfiel nicht nur alles Vermögen der Angehörigen bes befriegten States, unterlagen auch viefe felbft, die Wehrun- fähigen wie die Krieger mit ihren Leibern ber Eigenthumserwerbung (durch Bemächtigung) des Siegers: auch bei ven Hauskriegen ber Mero- bingen unter einander galt bafjelbe: auch Geiſeln verfallen bei Frie- densbruch der DVerfnechtung5), durfte man fie ja fogar tödten. ‘Die Grundſätze der DBeutevertheilung kennen wir nit. Somohl ver Gedanke, daß jeder Krieger behält, was er erbeutet, als ver des Zu: jammenmwerfens aller Beute und tarauf folgenter verhältnißmäßiger Vertheilung taucht auf: der König erhält felbftverftändlich feinen An- theil: wohl einen weitgemefinen —.

Daher kann ein Meroving dem Andern für Theilnahme an bem Krieg gegen die Thüringe einen Theil der Beute verjprechen ®). Daher werden ſchon im Voraus ten Kriegern Gold und Silber foviel

1) „Auch wenn er bei bem Feldzuge nicht gegenwärtig geweſen“, jagt Waitz IIb. S. 294, aber die von ihm angeführte Stelle Greg. Tur. Mirac. St. Juliani hau-— belt von burgundiſcher, nicht von fränkifcher Erbeutung Wait hält bie Nechte der im Frankenreiche ſpäter vereinten Stämme nicht genug auseinander j. VII. 1. p. VL —, und überdies bringen die Krieger König Oundebad ben Krug nicht von Rechts wegen, fondern vielmehr im Gegentheil ob »gratiam conquirendam se,

2) Greg. Tur. II. 27, Urgeſch. IH. ©. 47.

3: Urgefch. III. ©. 83.

4; Waitz IV. ©. 102.

5: Greg. III. 15, Urgeſch. III. 79.

6) Greg. Tur. III. 7, Urgeih. III. S. 77.

156

ihr Herz verlangen mag, Vieh, Unfreie, Gewante im Weberfluß verheißen). Nach welchem Maßſtab zwiſchen dem König und ven einzelnen Kriegern getheilt wurde, wiſſen wir, wie gefagt, nicht: doch muß Chlodovech das ftrenge Theilungsrecht anerlennen?).. Nur „bitten“ fann er, ihm über tas ihm Gebührende hinaus einen Krug zu gewähren, und ein fchlichter Wehrmann darf ihm jagen: „Nichts wirft du von binnen tragen, als was bein gerechter Antheil dir gewährt”.

An Loſung ift hier troß des Ausdrucks »sors« nicht zu benten?).

III. Schatungen.

Seine und Icharf zutreffende Auffaffung®) ift es, vie Leiftungen fremder Völker an den Frankenkönig wegen Verlegung feiner Rechte al8 „große Bußen“ zu betrachten für Beleitigungen, die er erfahren bat. Daher der Ausdruck compositio, Beilegung, für folde Zah. lungen ber Kelten in der Bretagne), der Sachſen an Chlothachar 1.9), Theodahads wegen Amalaſwinthens Ermorvbung”). ‘Dagegen find Zandabtretungen 3. B. der Dftgeten®), um das Bündniß der Mero- vingen zu erfaufen, fo wenig?) hieher zu ziehen wie andrerfeitS mero- vingifche bei ver Vermählung Gaileſwinthens 19).

Ohne Zweifel warb auch das Kron- und Privat-Gut der Königs- häufer unterworfner Völker dem fränkiſchen Königsgut einverleibt: alfo ver burgundiſchen, alamannifchen, thüringifchen Könige und bie fiscaliihen in den eroberten weftgotiihen und ben abgetretenen oſt⸗ gotifchen Gebieten !).

%

1) Greg. Tur. III. 11, Urgeſch. II. ©. 76.

2) 1. c. II. 27, Urgefch. III. ©. 47 ibi cuncta quae adquisita sunt divi- denda erunt.

3) Und noch weniger mit Wait IIb. ©. 294 v. St. Eusieii l. c., wo ja ber König gerade im Gegentheil befichlt, jedem nah Würbigung des Ein- zeiten, »secundum acceptationem personae«, ben geleifteten Dienft (aus ber Beute) zu vergelten.

4) Bon Waitz IL ©. 295.

5) Greg. Tur. IX. 18, Urgeſch. II. ©. 421.

6) hist. epitomata c. 51.

7) o. 44. Die beiden lebten fagenbaft.

8) Könige II. S. 210f., Urgeſch. I. ©. 2627.

9, Mit Wait a. a. O.

10) Könige V. ©. 126.

11) Lieber königliche Güter in Baiern ſ. bieie

157

Was aber das den Feinden jenfeit der Neichsgränze abgewonnene Land angeht, Tann man leineswegs !) ohne Unterſcheidung Alles in das Eigenthum des Königs übergehen laffen: das gilt nur von bem bem befriegten König ober fonftigem Statsoberhaupt gehörigen Land: baber vielleicht der große fräntifche Kronbefig in ehemals alamanni- ihem Lande, 3. B. ber Wetterau ?).

Terner verfiel dem fränkifchen Fiscus das Grundeigen von Kriegs- gefangenen, aljo verfnechteten Feinden, ber Boden von folchen, bie, ohne Kriegsgefangene zu fein, fich bebingungslos ergaben, und von ſolchen, vie früher perfönliche Freiheit und Grundeigen bei der Erge- bung behalten, aber fpäter durch Wiedererhebung verwirkt hatten (wie bei den Sachjen) : jedoch gar nicht taran zu denken ift, daß bei ber Einverleidung von Alamannien, Burgund, Thüringen, Provence, Rhätien, Baiern, Frisland, Sachen, Langobardien alles diefen Feinden abgenommene Gebiet Königseigen geworben wäre. Wenn dies fpäter bei Arabern, Avaren, Slaven (unter ben Karolingen) anders fich ge- ftaltet, jo lag einer ver obigen Ausnahmsfälle vor.

Und auch wo Zins ver verbleibenden Bevölkerung auferlegt wird, beweift dies nicht Eigentbum tes Frankenkönigs an der Scholle. Die weitgotiihe Bevölkerung in Septimanien hat ſich bei ver Unter- werfung?) unter König Pippin fogar ihr Stammesrecht vertragsmäßig vorbehalten ?).

Nicht eigentliche Steuern find jährliche Abgaben, die urjprünglich im Kriege befiegten, aber nicht gleich völlig dem Reich einverleibten, ſondern nur zur Schagungspflicht herangezwungenen Völkerſchaften oder Sauen an den Grenzen auferlegt, dann aber auch wohl beibehalten wurden, wann bie Pflichtigen fpäter in den Neichsverband einbezogen wurben.

Diefe Annahme erklärt manche fonjt befrembenve Erjcheinung.

Daß die Germanen befiegten Völkerſchaften ſolche Schagungen auferlegten, iſt als uralte und gemein-germanifche Sitte bezeugt’).

Urfprünglic auferlegt in der Zeit, ta Rinder (und Roſſe) das

1) Mit Brunner DI. ©. 76.

2) Arnold, Anſiedlungen ©. 210.

3) Urgeſch. II. S. 919, Brunner II. ©. 76, Wait IV.

4) Ueber die Verfügung über feptimanifche Gränzgrundſtücke durch Karl. |. Karol. und einftweilen Urgeſch. III. ©. 1037.

5) Schon Ariovift: Caesar b. G. I. 31. 32. 44. S. Könige I. ©. 102.

153

Metaligeld vertraten, wurden fie in folcher Leiftung oft auch nad Aufnahme tes Metallgelves beibehalten oder in neuen Fällen nach bem alten Vorbild eingerichtet. Daher beftehen dieſe Schatungen (inferendae) fo häufig in Kühen: einige fächfifche Gaue an der thü— ringiſchen Gränze waren ſchon von Chlothachar I. Ichatungspflichtig gemacht und, nach einem Abfchättelungsverfuh, von viefem König unerachtet anfänglichen Mißerfolgs wieder hierzu angehalten wor. ben!). Karl Martell ftellte dieſe Schakung, vie wohl feit c. 660 war verweigert worden, wieber her).

Wir erfahren nun, daß dieſe Iahres-Schagung in 500 Kühen beftand; Dagobert I. hatte fie erlaffen?). Pippin hatte ſächſiſchen Gauen eine Schakung von 300 Roſſen auferlegt, die jährlich an fein Hofgericht zu bringen waren‘). Kühe werden auch unter ber Metall geldherrſchaft fo häufig als Zins gegeben, taß unter inferendae (scilicet res) d. h. dem Fiscus Einzubringenves oft5) Kühe (vaccae) verftanten werven®); daneben ftehen aber auch solidi inferendales und auch anderes omnia (l. omne) exactum’), undicumque ju- vamen$) heißt fo?).

Die fpät mittelalterlihen Quellen über die Kämpfe zwifchen Franken und Sachen einerfeits, Xhüringen anbrerfeits find zwar, ſchon weil ftart von Sage gefärbt, mit Vorficht zu behandeln: doch ijt nicht unwahrſcheinlich, daß ſchon Theuderich I. ven unterworfnen Thüringen eine Schweinefchagung auferlegt habe, die bis zu Anfang bes XI. Jahrhunderts entrichtet wurde 1. Wenn nun aber das Klofter Le Mans dem König eine Iahresabgabe von 100 Kühen ent- richtete, die fpäter in eine Geltzahlung von je zwei solidi für das

1) Greg. Tur. IV. 14, Urgeſch. II. ©. 113. Fredig. contin. c. 117, Ur gef. III. ©. 635.

2) Urgeſch. III. &. 780. 813.

3) Fredig. c. 74, Urgeſch. III. ©. 636.

4) Annal. Laur. maj. Ser. I. p. 140.

5) Noch weiter gebt Waitz IIb. S. 259.

6) Du Cange IV. p. 353.

7) Pardessus II. p. 330.

8) l. c. p. 478.

9) Die Art Abgabe, welche remissaria heißt Diplom. 74, bleibt unerklärt auch bei Du Cange VII. p. 120, f. aber oben ©. 118.

10) ©. die Beläge bei Waitz IIb. ©. 253.

159

Stüd!) umgewandelt wurde, fo kann biefe Xeiftung nicht füglich 2) in folgen Zufammenhang gebracht werden: man müßte Unterwerfung bes anfrührerifchen Klofters durch einen merovingifchen Theilkönig annehmen —: vielmehr ift wohl vertragsmäßige Beſtellung für irgend eine Tönigliche Gegenleiftung anzunehmen. Der Urfprung der „Feudal⸗ Zinſe“ ift darin gewiß nicht?) zu fuchen.

Daß auch den Alamannen bei ihrer Unterwerfung eine ähnliche Schakung auferlegt wurde, wäre nicht gerade unmöglich, würde auch ber ihnen im Uebrigen gewährten Gleichberechtigung mit ben Franken nicht wiberftreiten: biefe Fam auch den Thüringen zu: allein die alten Quellen 5. B. Prokop, Caſſiodor wiffen nichts hievon, und bie jpäten Gesta Francorum‘), die dies behaupten, find fo ruhmrebig, baß fie das Gleiche von Italien und den Langobarden prahlen und zwar zu einer Zeit, da dieſe noch gar nicht in Italien waren5)I Auch bei ven Baiern findet fich feine Schagung an vie Merovingen.

In andern Fällen bejteht die Schagung befiegter Könige ober Völker ausprüdlih in Geld: fo bei den Langobarben®); daſſelbe ift auch bei Stillfehweigen zu vermuthen: fo zahlen die Burgunden Go- bigifel und Gundebad jährlichen Zribut an Chlodovech?), fpäter bie Wasconen?) an Theuderich IL. und Theubibert II. und fogar, aber nur angeblich, ein gothiſcher Herzog in Cantabrien an die Franken⸗ tönige bis a. 612°).

1, „Etwas mehr als man fonft ven Werth derjelben rechnete“, meint Wait IIb. ©. 252. Ebenſo aber rechnet Cap. Wormac. von 829 c. 13 Ser. I. p. 852: duos solidos pro una vacca.

2) Mit Waib a. a. O.

3) Mit Pardessus II. p. 330. 478.

4) 0. 10. 15.

5) Letsteres bemerkt fehr richtig Waitz IIb. ©. 253.

6) Angeblich jährlih 12,000 sol. ©. aber bagegen Urgeſch. IH. ©. 607 und „Langobarden“: e8 war mehr Loslauf von ben Angriffen ber Merovingen, ſ. oben ©. 154.

7) Mit Unrecht bezweifelt von Binding I. S. 161 gegen Gregor II. 32, Prokop b. G. I. 13 ſpricht freilich won ber völligen Einverleibung a. 534: mr xuper £uunacav, Bovpyorliovss T& E0TEER yxovv, Unroyeipiav Es üna- yayny popov dxınoavzo, vgl. Urgefh. IV. ©. 109f. Die Kelten in ber Bre- tagne verbankten ihrem frühen und freiwilligen Anſchluß an Chlodovech Urgefch. III. ©. 45, D. ©. Ib. ©. 69, daß fie von Schagung verfchont blieben Prok. 1. c. IV. 20.

8) Fredig. c. 31, Urgefch. III. ©. 551.

9) ec. 33, ſ. aber Könige VL? ©. 325; fo jet auch Krusch, Fredig. p. 133.

160

Wenn [außer Burgunden, Langobarden, Sachſen vor teren Ein» verleibung] auch bereitS einverleibte Völker Schatzungen entrichteten, bie nicht von dem Einzelnen, fondern von ber ganzen Landſchaft er- hoben wurden, wie tie von den Thüringen (oben ©. 157)!), dann jpäter von Aquitanien?), Benevent?), ver Bretagne‘), fo erklärt fich das offenbar auch aus Schagungen, die diefen Gebieten vor ihrer ersten Unterwerfung over nach einer Empörung und Wieberunterwerfung waren auferlegt worben?®).

IV. Freiwillige, halbfreiwillige Ehrengefhenke, zuleht nit mehr freiwillige, fondern rechtsnothwendig gewordne Gaben.

Ferner find als Einnahmen zu nennen die uralten freiwilligen Ehrengeſchenke ver Vollsgenoffen an ven König, wie fie fih an bie heibnifchen Opfer-Fefte zu fchließen pflegten. Die Eigenart freiwilliger Gaben haben fie auch bann bewahrt, wenn fie mit einer gewiffen Regelmäßigfeit gegeben werben, bie in Wahrheit von einer Verpflich⸗ tung nicht mehr weit abfteht: immerhin bleiben fte bloße Sitte, Ge⸗ pflogenheit, die nur fittlich begründet, nicht erzwingbar war.

Schon Tacitus berichtet, daß in den Völferfchaften den Gaukönigen und Gaugrafen freiwillige Ehrengefchenfe an Hausthieren oder an Ge- treide von einzelnen Gebern [— nicht ven Statswegen —] nach der Sitte [— nicht nach Rechtszwang —] dargebracht wurden, bie, zunächft al8 Ehrungen angenommen, auch den Berürfniffen vienten®). “Diefe ganz freiwilligen Ehrengaben find von den gewohnheitsrechtlich vor⸗ gefchriebnen Opferftenern d. h. Opfers Beiträgen, urjprünglich in Natu- ralien, begrifflich zu fcheiten, fielen aber thatfächlich wohl manchmal zuſammen.

Abgeſehen von jenen (zu vermuthenden) Opferſteuern gab es im altgermaniſchen Stat keine Steuern, die freie Statsangehörige be— zahlt hätten: erſcheinen ſolche im merovingiſchen Stat, ſo ſind ſie alſo nicht fränkiſchen, ſondern römischen Urfprungs ?).

1) Seit Theuberih I, Wait II. 2. ©. 253. 2) Urgeih. IL. ©. 919.

3) Urgeſch. IH. ©. 1005.

4) census regius Wais IV. ©. 104, 113. 5) ©. oben ©. 167.

6) Tac. Germ. e. 15.

7) ©. oben ©. 97.

161

In merovingifcher Zeit find daher die uralten urfprünglich heid⸗ nifchen Jahresgaben, dona annualia, noch wirkliche, freiwillig bar- gebrachte Geſchenke: d. 5. e8 beginnt jetzt vielleicht wohl mehr als freie Sitte wirkliches Gewohnheitsreht zu werben, etwas barzıt- bringen, aber dag Maß der Leiftung war noch beliebig wie urjprüng- lich die Leiftung felbft: bie Zeit und ber Ort waren ver Tag ber Heeresverfammlung auf dem Märzfeld. (S. unten Verfammlungen, Schranken des Königthums)1). In arnulfingifcher Zeit warb dies alles geregeltes Königsrecht und erzwingbare Unterthanenpflicht.

Diefer Stufe der Entwidelung gehört an die unter Ludwig I. (818 oder 820?) ergangene Verorpnung, die den ärmeren Klöftern das servitium d. h. den Inbegriff der vermögenswerthlichen Pflicht⸗Lei⸗ ftungen, wozu nun auch bie „Geſchenke“ zählten, fowie die Kriegs⸗— leiftungen ermäßigt und eine hieran fich ſchließende, aber nicht rich- tige (abfichtlich gefälfchte?) Lifte von Klöftern, die von Kriegs— und Bermögensleiftung befreit find: regelmäßig haben fie beide Leiſtungen zu tragen?).

Außerordentliche zufällige Einnahmen find auch die ber chrift- lichen Zeit angehörigen Geſchenke, die von Einzelnen zumal aber bon juriftiichen PBerjonen, Kirchen und Klöftern völlig freiwillig dargebracht werben.

Dahin zählen die »eulogiae« ver Bisthümer und Abteien: ur— Iprünglich geweihte Brode, dann auch andere Speifen, wie fie Geift- liche auszutauschen pflegten®): zunächft das heilige Abenpmahl, dann ber Teig, aus dem das Abendmahlbrod gefertigt wurbe, fpäter erjt auch 4) jene Speifegejchente der Geiftlichen, endlich alle Geſchenke, auch in &elb5).

Nun wurden freilich folche Geſchenke Klöftern als Ehren⸗Ver⸗ pflichtungen auferlegt durch die Sitte, die allmälig durch hinzu- tretenden Glauben an die Nechtsnothwendigkeit zum Gewohnheitsrecht werden mochten: ſehr bezeichnenb ift, daß im Leben Sanct Balthil-

1) Chronicon Lauriss. min. Ser. I. p. 116 in die Martis campo secun- dum antiquam consuetudinem dona illis regibus a populo offerebantur.

2) Notitia de servitio monasteriorum Cap. I. p. 349. Biüdert, bie foge- nannte N. d. s. m., Berichte der Kgl. Sächſ. Geſellſch. d. W. 19. VII. 1890.

3) Greg. Tur. IV. 36, Urgeſch. III. S. 143. Du Cange III. p. 332.

4) Du Cange s. h. v. Nro. 3.

5) Du Cange l. c. Nro. 4.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 11

162

tens!) die eine Bearbeitung von bloßer „Ziemlichkeit” (decentissimum), bie andre von Gewohnheit (Gewohnheitsrecht? consuetudo) fpricht bei den tem König, ver Königin und ten proceres in verbienter Ehrung immer zu fentenvden »eulogiaer.

Zulegt hießen auch vertrags⸗ oter geſetz-⸗nothwendige Leiftungen eulogiae?).

Solhe Schenkungen unter Lebenden find ſehr oft fimoniftifche für Verleihung von Kirchenämtern;; aber auch für weltliche Aemter entrichtete man dem König Geſchenke: z. B. für bie Herzogsmwürte ‚unermeßliche Summen“ Nicetins, als er bie Graffchaft von Clermont verloren hatte, fich num aber um ben ducatus über Elermont, Rodez und Uses bewarb*), over fie nähern fich remuneratorifchen nur thatfächlid —, fofern fie für früher empfangene Wohlthaten geipenvet werben, etwa auch für Schenkungen aus Krongut, aus denen nun Theile zurüd geſchenkt werben 5).

Neben den Jahresgeſchenken wurden außerordentliche Ehrengaben (dona, donativa, expendia) dargebracht: nach bloßer Gepflo- genheit —.

Zur Hochzeit der Königstochter Geſchenke zu bringen, war vielleicht ſchon altgermaniſche Sitte: bei Rigunthens Brautfahrt half freilich wohl die Furcht vor Chilperich hiebei gewaltig nach!““ Da brachten die „Franken“ alfo nach Gregors Sprachgebrauch nicht die Römer, was immerhin auf germanifche Sitte weift, und zwar bie Gemein- freien, auch das niedere Volk viele Geſchenke: Gold, Silber, Roſſe,

1) Ed. Krusch. c. 12. p. 498.

2) Du Cange N. 5. freiwillige waren die von Defiberius von Cahors an König Sigibert III. gefandten sanctae e. Epist. ed. Arndt p. 207, aber worin beftanden fie?

3) Viele Beläge bei Greg. Tur. z3. ®. v. Patr. VI. 3 jam tunc (a. c. 530) germen i.lud iniquum coeperat pullulare, ut sacerdotium aut venderetur a regibus aut compararetur a clericis. ®gl. VI. 39. VIII. 22. X. 26, Urgeſch. DI. ©. 281. 399. 507,

““.. 4) Greg. Tur. VIII. 18. 30. 43, Urgeſch. III. S. 363. 376. 396, f. unten Kirchenhoheit. Vgl. IV. 42, Urgeſch. IIL ©. 147. Der Graf von Aurerre [hidt Geichente an ben König, auf daß ihm das Amt (actio) erneuert werbe.

5) Testam. Bertchramni Pardessus I. p. 201 de eo quod gloria vestra nobis contulit praesumentes in hoc testamento nostro vestram celsitudinem memorare oflerimus . . regno vestro de muneribus vestris .... villas..: hoc celsitudo vestra in suam recipiat dominationem.

6) Greg. Tur. VI. 43, Urgefh. III. &. 396,

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bie Meiften Gewante, „und jeder (d. 5. jeder Franke) brachte ein Geſchenk (donativum), wie er es vermochte”.

Wieterholt müſſen die Beamten, die agentes, abgemahnt werben, jolche „freiwillige" Gaben als „gefchulbete" einzutreiben, wann publica gaudia verkündet werben: das heißt die Erhebung eines Königs oder Vermählung oder Bartſchur (barbatoria) oder Schwertleite des Königs⸗ ſohnes ).

Auch auf ſeinen Reiſen, wann der König bei den Bürgern gaſtete, z. B. Guntchramn in Tours, war es Sitte, ihm Geſchenke zu reichen, die er freilich erwidern mußte?).

Hieher zählen auch letztwillige Zuwendungen an ten König: ebenfo an bie Königin).

Zu unterſcheiden von ten rein freiwilligen find folche Gejchente, wie fie mißbräuchlich zuweilen beißen manchmal fteht aber auch das allein richtige census‘) —, tie auf einer vertragsmäßigen oder durch Vermächtniß, vielleicht auch durch Gelübte:) auferlegten Verpflichtung beruhen: daher kann eine folde Gabe wie dem König auch feiner Gemahlin oder einem Biſchofe gejchultet werden: bie Formel berüd- füchtigt auch folhe Empfänger. Advent oder Weihnachten Tann tabei durch Vertrag ober durch Gewohnheit als Erfüllungszeit beftimmt fein ®).

Die Ueberfchrift ver Formel lautet: quomodo post (b. h. ad) nativitatem domini ad regi, regina vel ad episcopo visitationis directas scribatur. »Visitatio« beißt die Gabe, weil fie bei tem Beſuch geleiftet wurte, den Abhängige (3. B. auch bäuerliche Hinter» jaffen) ihrem Dberen wenigjtens einmal jährlich fchulveten. Daß dies

1) Hierüber |. Grimm R.⸗A. ©. 146, Urgeſch. IH. S. 814 oder andere publica gaudia: Lex Romana Curiensis VII. 4 nihil invitum ad populum nee dona nec nulla expendia exsequantur.

2) Greg. Tur. VIII. 1, Urgeſch. III. ©. 344f.

3) Testam. Bertchramni Pardessus I. p. 201 f. Abbonis epistola ed. Arndt p. 210 (für Dagobert).

4) Form. Marc. II. 44 censum debita subjectionis desolvere.

5) »ex voto«: fo l. c. Der porcus majalis »vokivus« laun ein Abgabe» ihwein an ben König ſchon deßhalb nicht geweſen fein, weil man nicht das „Gelübde“ ablegt, Steuern zu zahlen!

6) 1.c. dum generaliter dominicae nativitatis exultamus adventum, cen- sum debita (l. debitae?) subjectionis desolvere perorguemus (sic!) ex voto... ideo salutationum munia cum eologias peculiaris patroni vestri sancti illius (d. 5. deſſen Gegen ift darauf erbeten worden) [si ad regil: clementiae vestrae direximus [si ad episcopo]: sanctitati vestrae.

11*

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befonders häufig zu Weihnachten geſchah!), kann auf alte heidniſche Tefte zur Winterfonnenwenve 2), aber freilich auch auf ba8 chriftliche Feſt zurück gehen: und daß oft Fiſche den Gegenftand bilden, erklärt fich ebenfo wieder aus chriftlichen Faſten wie aus heibnifchem Fifch- Gericht als Feſt-Schmaus. Vertragsmäßige?) Gaben wurden dann wohl auf bie gleiche Feftzeit wie die gewohnheitsrechtlichen verlegt.

Auf folhem uraltem heidniſchem Gemwohnheitsrecht beruhte es auch wahrſcheinlich, taß die Freien bei bem großen Frühjahrsding und ehemaligen Srühlingsopfer, aus welchem pas ſpätere Märzfeld noch allein übrig geblieben war, dem König Ehrengaben tes Heeres dar- zubringen pflegten: fchwerlic war dies urfprünglich ganz freiwillig, vielmehr wohl ein geichulveter‘) Opferbeitrag gewefen: im Franken— ftat freilich Hatte jetzt der merovingiſche König gewiß nicht mit Nechts- zwang bie Gabe an fich, gejchweige einen bejtimmten Wertb ver- felben zu heiſchen. Auch in Farolingifcher Zeit noch 7505) wird die Märzfeldgabe an vie Meroningen erwähnt und als alte Gewohn- heit ausdrücklich bezeichnet®). Jährliche“ Geſchenke werben auch noch zu 833 und 837 berichtet”).

Es jcheint auch biebei aus einer bloßen ©epflogenheit, einer ohne Meberzeugung von rechtlicher Verpflichtung geübten Sitte ver Ehrung bes Königs manchmal allmälig ein Gewohnheitsrecht geworben zu fein: und vielleicht finten wir folche Gaben zuweilen gerade in dem Weber- gangszuſtand aus der freien Sitte in ein Gewohnbeitsrecht; aus ber „Bitte” in eine Noth⸗Bitte“, „Gewalt⸗Bitte 8)“. So jteht es vielleicht mit ber ostar-stuopha genannten Abgabe, die, auch als

1) Unter den von Du Cange VIII p. 355 angeführten 6 Fällen find 3 zu Weihnachten und einer zu Sanct Thomas, 21. Dec.

2) ©. oben ©. 163.

3) Die Beifpiele bei Du Cange find aber alle viel jünger als meroningifch, und wenn in Tarolingifcher Zeit Klöfter für ven Königsſchutz Waffen, Roſſe unb Anderes vertragsmäßig zu leiften haben, fo ift nicht ohne Weiteres merovin- giſcher Urfprung bes Bertrages anzunehmen, anders Wait IIb. ©. 249.

4) S. unten ©. 165.

5) Annal. Laur. minor. Ser. I. p. 116.

6)1.c. In die... Martis campo secundum antiquam consuetudinem dona illis regibus a populo oflerebantur.

7) Annal. Bertin. Ser. I. p. 430.

8 I. Grimm, Rechtsalterthümer S. 298, aber feine Ableitung von stuofa aus Stauf= Becher befrienigt nicht; Über „Steuer” Weigand II. S. 815. Schade ©. 888.

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steora, Steuer, bezeichnet, tem König um bie chriftliche Dfterzeit dar⸗ gebracht wurde in Landſchaften am Main, die urfprünglich thüringifch gewefen, aber jrühb und ſtark von Franken befiedelt worben waren.

Man bat vie „Ofterzeit” auf die Frühlingsverfammlung!) d. h. alſo das Märzfeld bezogen. Allein tiefere Begründung wird das fränkiſche Märzfeld ver chriftlichen Zeit felbft zurüdführen auf ein heidniſches Frühlingsopferfeft, auf das heidniſche Ofterfeft?): dieſes große Frühlings-Opfer ward eben an dem großen Frühlings⸗Ding dargebracdht, in welchem ungebotenen als Vollsverfammlung oft ber Krieg beichloffen, aus welchem hinweg das Volksheer in ven be- ichloffenen Krieg geführt ward.

Tür bie Beziehung ver als DOfterftuofa geſpendeten Gaben auf ein aus dieſen von dem König zu bringendes Frühlings-Opfer fpricht die Art jener Gaben: Lämmer, Eier (da8 Oftar-Ei iſt altheibnifch), Hühner, Honig, Holz (urfprünglich zum Opferfeuer ? wie zum Sonnwenbfeuer heute noch Holz beigeftenert werben muß)?), Gewande (neue, feftliche ?): wenn tiefe Gaben durch Geld erfegt werten, ift das fpäte Neuerung. Als Opfergabe war die Spende vielleicht von Anfang an nicht ganz freiwillig, fonvern rechtsnothwendig an fi, wenn auch der Betrag urfprünglich nicht feſt ftand ?).

Pippin und Karlmann fchenken ver Würzburger Kirche ven Zehnten ver Schagung, welche tie Oſtfranken und Slaven (das find die all- mälig von Thüringen bis Bamberg vorgefchobnen Wenten, [dem nicht ſlaviſchen Urfprung der Gabe beweilt ihr urgermanifcher Name], bie man felbftverftänplich nicht Leichter befteuerte als die dortigen Oft: Franken) jährlich an den Fiscus entrichten, „welche Schatzung in ihrer Sprache steora oder ostar-stuopha heißt, fei e8 in Honig oder in Uebergewanben 5) ober in irgend anterer Abgabe, die bisher aus ven Gauen ber Oſtfranken (an ven Fiscus) entrichtet wurde“.

Die Franken um Lorfch zahlen von bem mansus eines Frei— gebornen zur (ad) »osterstopha« einen Frifchling, eine »ovina«®) im

1) Watts IIb. ©. 254.

2) Ueber die Göttin Ostara I. Grimm, D. Mythol. S. 267. 268. 740. 920. Simrod, D.M. S. 404. 407. 417. Dahn, Walhall S. 139.

3) Dahn, Bavaria I. S. 371. 374, Baufteine I. ©. 223.

4) Monumenta Boica XXVIII. 1. p. 98.

5) paltenis, ſ. Du Cange VI. p. 123, fpäter palt-rock, baraus neufran- zöſiſch paletrock, paletot.

6) Fehlt Du Cange VI. p. 80: nur »ovinum« Schaffäfe.

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Werthe von 1 solidus, 2 Hühner, 12 Eier, auch wieder (mie oben) 5 Wagen (carradas) Holz’), anderwärts ale (de) osterstuapha 4 De- nare (adaeratio: wofür?), 1 Huhn, 10 Eier, 2 Wagen Holz 2): das wieberhofte Holzliefern weift wohl, wie gejagt, auf (alte) Opferfeuer. Aber wie das Oftara-Opfer war auch die ostarstuofa nicht auf bie Franken beſchränkt: bei ven Alamannen um Weißenburg heißt eben- falls ein öſterlicher Zins „Oftergelt"3).

Dann kommt stuofa als Abgabe auch ohne Beziehung auf Djtar und Franken vor: Chilverich II. verbietet bei der Immunität für tie Kirche zu Speier*) ten Königsbeamten, in den Kirchengehöften zu erbeben Trievensgelter, stopha ober Heerbann-Gelver. Ebenfo ftehen diefe drei auch font nebeneinanter (freta, stuafa, harıbannus) 5).

Es muß unentichieven bleiben, ob stuofa eine allen Unterthanen (Örundeignern ?) al8 folchen obliegenve öffentliche Steuer ober eine nur von Einzelnen durch Vertrag aus befonveren Gründen 3. 2. Ueberlaffung von Statsboden zur Anfievelung übernommene pris vatrechtliche Verpflichtung ®) war: bagegen eine ganz freiwillige Ehren- gabe war fie vielleicht nie, jedesfalls nicht mehr fpäter?).

Aber freilich: da das alte echt keinerlei Steuerpflicht für Perſon ober Grundeigen gekannt hatte, beftand ftetS die Neigung, ſolche Ab⸗ gaben al8 Zeichen eine® bejonderen privatrechtlichen Abhängigfeits- verhältnifjes der Perfon oder des Grunpftüds von König und Fiscus aufzufaffen.

Erblojes Gut Sippebarers) oder Entfippter?) fällt an die Krone,

1) Traditiones Lauresh. 3675, III. p. 317.

2) J. c. 3672, 1. c. p. 212.

3) Trad. Wizz. ed. Zeuss, p. 305 Nr. 312, bier bereits in Gelb: 7 unciae de huobis, qui census vocantur »ostergelt«.

4) Diplom. N. 28. p. 27 (a. 664—666). Schröder erllärt dieſe stuofa als einen Grundzins = ber agraria in Chloth. II. praeceptio, Franken S. 72; aber stuof-chorn ift erft jünger.

5) Bei Alamannen, ſ. diefe Trad. Wizenb. 12. p. 20.

6) Aus Glossa Pithoe. zu L. Sal, Laspeyres p. 110 stopharius dieitur qui censum regi solvit, folgt nicht, ob ber census Grundſteuer ober bier doch wohl eher privater Gutszins mar.

7) Nah Waitz IIb. S. 255 ein Mittelving zwifchen freiwilliger Gabe und wirllichem Zins.

8) L. Sal. 60, 3.

. 9 L Sal. 62, 2.

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nur das Grumbeigen, (in Ermangelung auch nur von Söhnen) an bie Gemeinde (nicht an die Zöchter) !).

Zu dem erbloſen Gut gehört auch ver Nachlaß folcher, veren Mundwalt in Ermangelung eines Schwertmagen ber König ift, ferner unter gleicher VBorausfegung der reipus bei Wieberverheirathung ber Wittwe?); aber auch das Wergeld bezieht der König als allgemeiner Schutzherr bei Tod over Zöbtung folcher, die ter Erben und ver Sippe aus irgend einem Grunde barben und über tie ver König ben jonft von der Sippe gewährten Schuß erftredt batte?), vor Allem ver Volksfremden in feinem Schuß‘).

Die Tremten heißen albani, daher fpäter das Recht, ihren Nachlaß einzuziehen, jus albanagii, droit d’aubaine: [nach ver herr- ſchenden Anficht wird das auf alibi zurüdgeführt, aber mit zweifeligem Recht 5j], wozu auch ſchon in merovingifcher Zeit®) tie Judenſchutz⸗ gelter zählen.

An die Krone fällt auch das Wergeld und Erbe ter durch Schagwurf Freigelafinen und der cartularıi ohne Schützer.

Die Krone erhebt ferner ein Schußgelo für bie defensio von Treigelafinen.

Der König hat endlich das ausſchließende Bemächtigungsrecht gegenüber berrenlofen Grundſtücken aber nicht fchon Eigenthum,

1) Lex Salica 44, 10.

2) L. Rit, 47, 4. 61,1. Form. imperial. (lfarolingif) N. 38.

3) Lex Chamav. c. 9 (600 sol.).

4) Der zu früh verftorbene Amtsgenoffe Gaſpary ſchrieb mir darüber am 24. VI. 1890: »Aubaine ift fem. vou aubain „Frembling”, weldhes Diez, Et. W. II. ec. in ber That von alibi herleiten möchte, indem er anbere Derivate mit -anus von Abverbien vergleicht: lointain (longitanus), ancien (ante-anus), prochain (prope-anus). Aber mittellat. ſollte man fi) dann wenigftens alibanus erwarten, unb ferner fieht man, daß jene Abverbien bei ber Ableitung ihren vo» califhen Auslaut behalten, aljo alibi-anus, was *augenin ergeben müßte, wie cambiare-changer, rabies-rage etc. Der Ausfall bes erften i, als tonlos vor bem Tone, iſt regelrecht. Diez erwähnt auch ahd. elibenzo, früher alibento, weift es aber ab, wegen bes t, das nicht verſchwinden konnte Die Etym. Albanus (eigentl. Schotte ꝛc.) If} von Caseneuve und Du Cange und bietet lautlich Feine Schwierigkeiten; Über das Hiftorifche Tann ich micht entſcheiden. Littr& enticheidet nicht. Die anderen Etymologien, bie man verfucht hat, find ganz närriſch;“ |. Anhang.

5) Anders Brunner II. ©. 71, f. aber Greg. Tur. VI. 5. 17, Urgeſch. III. S. 231. 253.

6) Zeumer, über bie VBeerbung der Freigelafinen durch den Fiscus, Forſch. 32. © XXIII. €. 190, allerdings nur farolingifche Beläge 3. 8. L. Cham. c. 12.

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fobald es herrenlos, 3. B. aufgegeben, wird: er muß, um Eigenthum zu erwerben, erft Beſitz davon ergreifen: aber nur Er darf das: dann erjt wird es fein Eigentbum; im Leben warb tiefe Unter- ſcheidung freilich nicht ftreng durchgeführt. Ueber das fo neu ange eignete Land verfügte bie Krone frei ad opus, ad partem regis; oft ward e8 ber nächiten Gemeinte gegen Zins (servitium) oder auch wohl, zumal Kirchen, unentgeltlich zur Nutzung überlaffen, was von Schen- fung tes Eigenthums doch zu fcheiten ift.

C. Ausgaben. 1. Berleihbungen. Andere Ausgaben.

I. Verleihungen.

Die weitgeftredten Ländereien, die der König vom kaiſerlichen Fiscus oder von beſiegten Königsgefchlechtern überfommen oder ale herrenlos oder turch Einziehung erworben hatte, wurben von Anfang an mafjenhaft zu Eigen ober zu Nießbrauh!) mit vorbehaltnem Zins an Private des Dienſtadels, Gemeinten, fpäter an Kirchen und Klöfter gegeben: oder tiefen wurden einzelne Nukungsrechte (Holzung, Weide, Schweinemaft, Eichel- und Eckern⸗-Recht) gegen Geldzins oder Zehntleiftung eingeräumt. Wurde tann igäter Kirchen Immunität gewährt, jo befreite man fie, wie von den öffentlichen Steuern (functio publica), auch von dieſem privaten Entgelt).

Wir jahen?), wie die unabläffig riefelnden DVergabungen des Kronguts vie wichtigjte thatfächliche Grundlage tes Königthums ab» jpülten: verbienftlich daher und echt ftatSmännifch war das Beſtreben hervorragender Könige, wie Chilperich *), Brunichiltis), Dagobert L®),

1) Ueber den Rechtsinhalt diefer Verleihungen Eigenthbum cher beſchränkter Leihbeſitz? ſ. unten Beneflcien.

2) Das find nicht Ausflüffe Laiferlichen ober königlichen Eigenthums, wie Birnbaum S. 76, oder Obereigenthbums, Schröder a. a. DO.

3) D. G. J. ©. 478f.

4) Urgeſch. III. ©. 258.

5) Protadius: Fred. c. 37, Urgeſch. III. ©. 565.

6, ©. Urgeſch. III. ©. 625f.

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und Hausmeier wie Ehroin!), Karl Martell?), fowie antrer Beamter, biefer Verſchleuderung zu wehren, das Verliehene nach Kräften wieter beran zu ziehen, die Einnahmen aus Steuern und allen nußbrin- genden Hoheitsrechten zu fteigern: mögen babei felbftifche Beweggründe ber Hab- und Herrfch-Gier oft mitgewirkt, die Finanz-Strenge zur Finanz⸗Härte mißbraucht und gefteigert haben: grunpfäglich müffen wir bie zumal von Kirchen und Geiftlichen fo oft erhobenen Klagen dieſes Inhalts für unbegründet, ftrenge Anziehung ver Finanz- rechte für erfprießlich, Heilfam und nothwendig erklären.

Daß die Kirche laut und oft Hagte, erklärt fich leicht aus ihrem gewaltigen Neichthum gerade an Grunteigen und Colonen. Maßlofe Uebertreibungen find bievon bei dem befannten Theologenftil abzuziehen. So ift zwar voll glaublich, daß Dagobert I. in feiner fpäteren Zeit, für die ihn die Kirche denn auch in einem neronifchen Abfall aus un- glanblichen Tugenden in unglaubliche Lafter ftürzen läßt, „ven Klöftern ber Heiligen Vieles nahm, was er feinen Kriegern zutheilte, weil er durch zahlreiche Kriege mit wechjelnden Geſchicken in Noth gebracht war“, jo taß er 3. B. tem Klofter Vertavum (Vertou), „wo e8 gar edle Güter gab“, die Hälfte für den Fiscus abnahm und nur bie Hälfte beließ: taß er das aber ganz allgemein gethan, ift eine unftatthafte Verall- gemeinerung und daß er Vertavum von ber verbliebenen Häljte ſpäter nochmal bie Hälfte, alfo drei Viertel des Ganzen vaubte, eine un. glaubhafte Webertreibung ?).

Immerhin hatte fchon Chlothachar I. einmal von ten Kirchen ten britten Theil ihrer Iahreseinnahmen verlangt?): e8 bejteht fein Grund, biefe Angabe zu bezweifeln, (er verzichtete auf die Durchführung), und auch Dagobert I. bat „neue Schäte häufen wollen, auf Stoften bes Gutes der Kirchen und feiner weltlichen Untertbanen, alle überall ausplündernd”: aber daß dies nur aus Trieb ter Habgier gefchehen, ift unwahrjcheinlich. Hat doch terfelbe Herricher bis zulett, auch nach jeiner „Verjchlimmerung*, Kirchen und Armen reiche Wohlthaten zu- gemwentet: und die Kriegsnoth“ war wahrlich nicht erfunden.

1) ©. Urgeſch. II. ©. 671.

2) Greg. Tur. IV. 2, Urgeſch. III. S. 100f.

3) Miracula St. Martini Vertaviensis, Abt von Bertou, geft. 601. A. S. ed. B. 24. Oct. p. 810, der Waitz IIb. ©. 331 um fo weniger hätte folgen follen, als die vita erft in den Tagen allgemeiner heftiger und [— damals —] begründeter Klagen der Kirche Über den Drud ber Hausmeier verfaßt ward.

4) Urgeſch. III. ©. 99.

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Da nun gerate an bie Kirchen in maßlofefter Weile Krongut vergabt worden, lag es betürftigen ober auch Habgierigen Königen nabe, dieſe von ihren Vorfahren oder auch von ihnen ſelbſt gewährten Bergabungen zurüd zu nehmen: eben deßhalb laſſen vie Kirchen in den Schenkungsurkunden fo oft für ſolche Anfechtung bie ſchwerſten Berfluchungen oder Geldſtrafen feitftellen. Und eben deßhalb verbieten bie Concilien in Jahrhunderte hindurch (vom VI. bis ins X. Jahr⸗ hundert) wieberholten canones ben Gläubigen, von ben Königen ein- gezogenes Kirchengut als Beneficium oder Eigen anzunehmen: tenn zur Gewinnung ober Belohnung von weltlihen Großen vor Allem wurben tie fo eingezogenen Güter verwenbet.

Gegen die Meinung‘), daß tie Einziehung deßhalb erfolgte, weil bie Stiftungen, denen vie eingezgognen Güter gehörten, in andern Theilreichen lagen, beweift entjcheivend, daß folche Einziehungen oft genug ſich nur innerhalb des Theilreiches, in dem das Kloſter lag, be- wegten und 3. B. nach 843 je im Weftfränkifchen, Lothariſchen, Dft- fräntifchen Neiche für Kirchen, die ausschließlich je dieſen angehörten 2}. Bogen könnte man füllen mit ven Verboten der Concilien unb ben Berfprechungen ber Könige, Kirchengüter nicht anzutaften over ben Raub ihrer Vorgänger herauszugeben 3).

Am weiteften ging in willfürlicher Verfügung nicht nur über das Vermögen ver Kirche, auch über vie Biſchofs- und Abt-Aemter jelbft Karl Martell: die arge Zerrüttung des Lantes, bie Erjchöpfung bes Kronguts, die unabläffigen Kämpfe gegen innere und äußere Feinde, zumal bie Araber, und daher das Bebürfniß, bie weltlichen Großen zu gewinnen, Triegsfähig zu machen, zu belohnen, brängten zu folcher Selbfthilfe, und die gewaltige Kraft des Helven ſcheint auch ber Kirche gegenüber härter gewefen zu fein al8 Vater, Söhne und Enkel. Nun, ber Erretter der Kirche vor tem Islam warb wegen jener Eingriffe in ihre Rechte in den tiefiten Pfuhl der Hölle hinunter verdammt t).

Wenn nun aber auch ein König auf bie wirkliche Einziehung ter Steuer verzichtet, befteht in vielen Fällen doch die Steuerpflicht als folche fort. So ift e8 wohl zu erklären ober durch Neueinführung von Steuern durch einen fpäteren König —, taß, obwohl Childibert II.

1) Bauls von Roth Ben. ©. 320.

2) S. Dimmler I. Il.

3) 3.8. Greg. Tur. VII. 7, Urgeid. III. ©. 297f. 4) Urgeſch. III. ©. 766.

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ber Stadt Zours Stenerbefreiung bewilligt Hatte, fpäter Dagobert I. bie ganze Steuer, welche biefelbe dem Fiscus entrichtete, der Kirche von Tours abtrat!), was nicht?) nur eine Beftätigung ver früheren Freiung (um der Kirche willen) beveutet.

Sehr verichieben hievon ift e8 doch®), überträgt ver König durch Stiftung tie Einkünfte einer Stadt einem Bisthum, die einer Land- ihaft einem Klofter: bier wird nicht nur für Lebzeiten des Bifchofe oder Abtes, für immer d. h. fo lang die juriftiiche Perſon des Bis— thums, des Klofters befteht, dem Fiscus biefe Einnahme entzogen: jo verleiht Dagobert I. der Kirche zu Tours die Abgaben der Stadt und folgeweife ſogar das Necht, den Grafen von Tours zu ernennen ®). Achnliche Rechte, dux und comes zu wählen, für Bifchof und Gauleute von Le Mans, angeblih von Chlothachar II. verliehen, von Chil- dibert III. beftätigt®), beruhen auf Fälfehungen: ebenfo auf Erfindung vie Abtretung der Einnahmen aus dem Gau von Nheims an Remi— gius durch Chlodovech 9.

Hier befteht alfo die Schenkung des Königs an eine Kirche darin, baß er ihr abtritt, was eine Stadt ober einzelne Steuerpflichtige bis- ber dem Fiscus an Steuer entrichteten: dies bleibt aber num nicht Steuer, wirb ein privater Zins, und burchaus nicht?) „fcheivet bier: durch der abgetretne aus der Statsunterthänigkeit und tritt nur ber Kirche gegenüber in Abhängigkeit“: es ift lediglich Abtretung bes ver: mögensrechtlichen Anſpruchs, nicht der ftatsrechtlichen Gewalt.

. Und durchaus nicht, auch nicht „gewifjermaßen“®) werten bie Steuer- unt Zins-Pflichtigen, die bisher frei waren, ber Hoheit tes Dritten unterworfen ?), an welchen fie fortab an des Fiscus ftatt Steuer

1) Audoenus v. St. Eligii I. 32 omnem censum qui rei publicae solve- batur ad integrum Dagobertus rex eidem ecclesiae indulsit atque per char- tam confirmarvit. "

2) Wie Lehutrou p. 291 will.

3) Dies gegen Walt IIb. ©. 334.

4) Audoen. v. St. Eligii I. 32, oben VIL. 2. ©. 106.

5) D. N. 82. p. 196.

6) v. St. Remigii, danach Flo. hist. Rhem. I. 14. Ser. XII. p. 425. Waitz denkt wohl mit Grund am eine Erfindung Hinkmars von Rheims.

7) Wie Waitz IIb. S. 264.

8 Wie Waitz Ilb. S. 335 will.

9) Waitz a. a. O. Es fehlt, wie nicht felten bei dem hochverdienten Meifter, an der juriftifhen Auffaffung, jo hier an der Scheibung von Statsrecht und Privatrecht.

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und Zins zu entrichten haben: es liegt auch hier nur eine privatrechtliche Abtretung ter Forderung des Königs gegen die Pflichtigen an jenen Dritten vor, wie jeder Private die Forterung gegen feinen Schuloner einem Dritten überweifen fann. Allerdings kann der König jedes nutzbringende Hobeitsrecht zur Ausübung Andern verichenfen, auch Gerichts-Hoheit und Polizei: allein der Beſchenkte übt tiefe Gewalten dann doch nicht kraft eignen Rechts, fontern als übertragene: die Gerichtspflichtigen bleiben nur dem König untergeben, ganz ebenfo wie fie nicht „Unterthbanen“ des Königsgrafen gewejen waren, ber mit Königebann über fie gerichtet hatte. Aber andrerfeits wird in den Hänten der Bejchentten der Ertrag des Hoheitsrechts und beffen Ausübung felbjt ein rein privatrechtliches Vermögensrecht.

Beides zeigt jich deutlich darin, vaß auch nur ein Theil des Zolles oter der Waren den Gegenftand der Abtretung bilden fann: hundert solidi von tem Zoll zu Marſeille an St. Denis!), ein Theil der Waren zu Foſſes an ECorbie?). Kamen auch ähnliche Meberweifungen von Einkünften aus Hoheitsrechten ſchon in fpät rämijcher Zeit vor?) und bilden auch im fpäteren Lehensweſen gerade folche Rechte häufig den Gegenjtand der Feuda, fo ift doch ſowohl Ableitung dieſer mero- vingifchen wie vollends der jüngeren feudalen Verleihungen aus jenen römischen Abtretungen ganz bovenlos‘). Das Wort »honor«, das jolche Mebertragung beveuten fol, wird für römifche Steuern nie ge« braucht und bezeichnet dann allerdings Lehen und andere Vermögens» vortbeile, aber erjt in viel jüngerer Zeit).

Bei ſolchen Verleihungen ift übrigens ftets zu unterfuchen geboten, aber nicht immer leicht erkennbar, ob das Eigenthum an bisher fiscalifchen Grundſtücken oter nur ver Inbegriff der von und auf ihnen bisher vom Fiscus erhobnen Leiſtungens) ven Gegenftand der Schenkung biltet.

1) D. N. 61. Chlodovech III. a. 692.

2) D. 86. Chilperich 1I. a. 716, |. oben S. 122.

3) Championniere, de la propriet& des eaux courantes p. 130. Secretan memoires de l'histoire de la Suisse Romande XVI.

4) So mit Recht Wait IIb. ©. 335.

5) Du Cange IV. p. 228 bringt das ältefte Beifpiel erſt aus ben Capitu⸗ larien; und wenn bie v. St. Eusicii (der allerdings ſchon 542 als Abt von Selles-sur-Cher ftarb) cinen honor nennt, den ber König super fluvium Chari, iein Fahren⸗ oder Brüden- ober Zollgelv) hat, fo ift dies bei ber fo fpäten Auf: zeichnung der vita durchaus unbeweijenb.

6) Letzteres iſt der Ball v. St. Ansberti c. 25 censum qui de vicis publicıs

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In vielen Fällen dagegen erläßt der König ter Kirche eine Ab» gabe over gar alle Abgaben enpgültig und hebt tie Steuerpflicht als ſolche auf.

II. Andere Ansgaben.

Wir fahen, wie zahlreiche Ausgaben des heutigen States in Deamtenbefoldung, in Kaufpreifen und Dienftlöhnen durch Natural- fteferungen und Frohnden erjpart blieben!).

Straßen-, Burgen-, Brüden-Bauten wurden ben Untertbanen aufgebürbet 2), die Naturallieferungen und Frohnarbeiten zu Teiften hatten. Die Erhaltung, Ausbefferung, Erweiterung ver Töniglichen villae wurden von deren eigenen vorweg genommenen Erträgniſſen beftritten. Die Wehrpflicht ver Freien jchloß deren eigene Ausrü- jtung, Bewaffnung, Verpflegung ein: ergänzend half die Beute nach, bie Plünderung: nur allzuoft im eignen wie in Feindes Land. Geldgehalt warb den Beamten gar nicht, Sold nur ganz ausnahme- weife beſondern gemietheten Gewaffneten des Königs oder der Beamten bezahlt: weit aus die meisten folcher Diener waren die oben (VIL 1. ©. 203. 212) erörterten Schüßlinge, abhängigen Vafallen, auch Uns freie. Der Gehalt ter Beamten beftand in Amtslehen, Theilen (ſpäter meift Dritteln) ver Strafgelver und Naturalleiftungen der Amtspflichtigen (ſ. oben ©. 146).

Zahlreiche Krongüter werden daher als Amtsbeneficien an Ge⸗ haltes ftatt den Beamten auf Amtszeit, geiftlichen und weltlichen Großen zu Belohnung und Anfpornung ber Treue verliehen 3).

Unbeſchränkt verfügt ter König über alle Statsmittel Affentlich- oder privatsrechtliher Art zu feinen privaten ober zu State« zweden. .

Zu biefen Verwendungen zählt der Unterhalt des Töniglichen Haufes und aller in vemfelben (ſehr zahlreich) Lebenden.

canonico ordine (Zehnten? Pachtgelber?) ad partem pontificis persolvi con- sueverant; bie vici find publici geblieben, nicht ecclesiastici geworben. Die Schenkung von Lobdenburg an die Peter- und Paullirche zu Worms, D. spuria N. 21 von Dagobert I. ift falich: fie follte wie Zolle und Marft- Recht fo Eigen- thum übertragen.

1) Oben ©. 148.

2) S. oben Naturallieferungen und Frohnden.

3) S. oben VII. 2. S. 83 und unten Beneficialmefen.

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Ferner find anzuführen Gefchenfe an fremte Fürften und veren Gefandte, an weltliche Große tes eignen Reiches, auch ver Nachbar- veiche, jene zu belohnen, biefe zu beftechen und abfpänftig zu machen ; an Kirchen und Klöfter oft Iahreszahlungen: an Wein 300 modii, ebenjoviel an Waitzen, 100 sol. für Kleider von bvem Burgundenkönig Hilperit (c. a. 480) an bis auf Gregors von Tours Zeiten !), tann Almofen an Arme ?).

Altgermaniich ferner ift tie Ehrenpflicht des Königs zur „Milte* d. h. zu freigebiger Spende aus dem Königshort: jo wenn der König belohnt belohnen ſoll treu geleitete Dienfte?).

Aber er erſetzt pflichtgemäß auch Kriegsfchäten feinen Getreuen ®).

Der König giebt ven Bürgern einer Stadt (datis ex publico expensis) ein Freutenmahl wegen Befegung des Biſchofſtuhls >).

Die Königin und bie königlichen Kinder, leßtere bereits in fehr zartem Alter, wenigftens bie Kinder der babebeflifjenen Fredigundis ©), erhielten je ihren befonderen „Schaß“, ber ebenso zufammengefegt war wie der königliche; dann tie Königin Lanpbefig mit allem Zubehör als Privateigenthfum (patrimonium), aber auch in dem Sinne ganze Städte und Landſchaften, daß teren Steuern und fonftigen Erträg- niffe ftatt an ven königlichen Fiscus an den „Schatz“ der Königin von ben Eöniglichen Beamten biefer Gegenden abgeführt wurten. Fredi⸗ gundis unterfcheivet folgende Exrwerbsquellen ihres gewaltigen Ver— mögend (patrimonium):

1) Schenkungen Chilperihe, 2) eigne Errungenſchaft aus ven ihr vom König überwieinen Häufern, fo Früchte ihrer Ländereien, 3) Abgaben (tributa), 4) Schenkungen der Untertanen. So zählt auch der Vertrag von Andelot Stäbte, Ländereien und (Frucht- und Geld⸗) Einkünfte ver Königin auf, die fie als dos und Morgengabe erhalten hatte”).

Königin Radigundis ſchied von allen Abgaben (tributa), tie ihr

I) Greg. Tur. v. Patrum I. ce. 5.

2) Venant. Fortunat. v. St. Paterni ce. 12, v. St. Arnulfi c. 4.

3) Form Marc. I. 14. 17. 31.

4) Form. Marc. I. 33 necesse est . . a regale releventur clementia (= „Milde«) qui damnietate ab hostibus vel passi sunt violentia.

5) Greg. Tur. v. Patr. VI. c. 3. a. 525.

6) Greg. Tur. VI. 36, Urgefh. III. ©. 276.

7) Greg. Tur. IX. 20 eivitates, agri, reditus, Urgefch. III. ©. 425.

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zufielen, im Voraus ein Zehntel für bie Kirche aus!). Königin Theu- dichildis, Zochter der Königin Suavegotta und Theuderichs L.2), [nicht zu verwechjeln mit Theudogildis, Gattin Chariberts, vie nach deſſen Tod Guntchramn in das Klofter zu Arles fhicte?)], bringt ein Tribun Nunninus Abgaben (tributa) nach Arvern (Clermont : Ferrand)*). Derfelben übertrug Biſchof Mapinius von Rheims einen Theil ber villa Virisiacum durch Precariebrief zum Nießbrauch ). Selbitver- ftänblich verfügte die Königin über Privat-Beamte, vie ihr Vermögen verwalteten, verfchieten von ben Statsbeamten, die ihr die Abgaben folcher Städte zu bringen hatten: ein folcher war obiger tribunus®): dagegen hat bie Königin ihre eignen majores domus, domestici, villici (oben VII. 2. ©. 172f. 187f.): ein domesticus ter Königin Radigundis war wohl Gunduar, »reginae egregiae patrimonia celsa gubernans«?). Iedoch ift nicht daran zu denken, daß gewiſſe Güter oder bie Einkünfte gewilfer Städte etwa von Nechtsiwegen wie ein haus—⸗ gejeßliches Witthum over Morgengabe bauernd je ber Königin gehört hätten; ihr Gatte allein verfügte dies je für feine Gemahlin.

D. Sinanz-Beamte. Finanz Migbräude.

Das ganze Shftem ter römifchen Finanzverwaltung blieb im Wefentlihen erhalten: vaher®) bleiben auch die römifchen Namen: tributum), census 10), exactio !!), functio12), wörtlich aus dem

1) Ven. Fortun. v. St. Rad. c. 3.

2) Flodoard. (894—966) hist. Rhem. II. 1 ed. Heller et Waitz, Mon. Germ. h. Ser. XIII. p. 406.

3) Greg. Tur. IV. 26, Urgeſch. IH. ©. 131.

4) Greg. Tur. glor. confessor. c. 40.

5) Flod. 1. c.

6) Oben VII. 2. ©. 142.

7) Ven. Fort. VII. 17. p. 172.

8, Oben S. 79.

9) Greg. Tur. VII. 23. VIU. 15, Urgefd. III. ©. 316. 358. Gloria mar- tyrum 44.

10) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441, v. St. Aredii. Bouquet, 1. c. II. p. 48 v. St. Eligii I. 15. 32. Ce. Rem. c. 7.

11) v. St. Balthildis c. 6.

12) Greg. Tur. V. 20. 29, Urgeſch. DI. &. 197. 203, tributaria IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441, Pardessus 1. c. I. p. 86. 94. 109.

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Römiſchen beibehalten wie im Ojftgotenreich I), functio et actio?, redhibitio 3), fiscus®).

Das Steuerbuch, wie es unter Charibert für Tours angelegt wurde, beißt capitulare, capitularium, liber discriptionum)).

Die mit der Aufzeichnung ber Steuern beauftragten Beamten heißen deßhalb discriptores®), verfchieven won den Steuererhebern, exactores’),

Die discriptiones wurden zufammengefaßt in ein Steuerbuch, liber®), das dem König dann eingefandt wird: bie Urfchrift wird in bem thesaurus bed Königs aufbewahrt ®).

Es ift zweifelhaft, ob darnach wie Vögte andrer weltlicher Immus nitäten damals auch ſchon Fiscal-Vögte anzunehmen fine.

Der Fiscus wird wor Gericht vertreten durch den Verwalter ber betheiligten villa oder durch den fonft zuftändigen Beamten 1%): auch wurden ähnlich wie ſchon im römischen Recht ftatt ver orbent- lichen!) Kron⸗Fiscale (rationales) außerordentliche defensores beftellt: ob man dieſe Vögte nennen will12) oder nicht13), ift ein Wortftreit; feinesfalls freilih waren fie fo feſt georbnet und jo gefetlich noth- wendig wie bie Kirchenvögte,

Jeder Richter, zumal der Graf, heißt judex fiscalis!*).

Aber der Graf hat regelmäßig feineswegs 15) die Verwaltung ber

1) Cassiod. Var. III. 40, Könige III. S. 193f.

2) Formulae Mareculfi II. 1.

3) Diplomata N. 31. 38. 40.

4) Lex Ribuaria 57, 4 f. n. heredem relinquat. Formulae Marculfi I. 3 a fisco damnum grave sustineat Greg. Tur. Mir. St. Jul. ed. Krusch 1885 c. 17. Audoen. v. St. Eligii I. 20 ed. d’Achery. Spicilegium V. 1658 p. 156. Fredigar. ed. Krusch c. 80, Urgeſchichte III. Form. Mare. 1. 8. D. N. 74, mit Unrecht beftreitet Sybel ©. 484, daß das Güter des Fiscus bebeute.

5) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441.

6) Greg. Tur. IX. 30.

7) X. 3, Urgeſch. III. ©. 466.

8; IX. 30.

91.c.

10) VIL 2. ©. 147f.

11) S. Brunner, Zeugen-Beweis ©. 75.

12) Wie Kraufe, Missi S. 96.

13) Wie Brunner a. a. O.

14) L. Rib. 89

15) Sp gegen Sohm ©. 16 Brunner II. S. 124, der insbefondere das Capi- tulare de disciplina palatii c. 2. Cap. L p. 298 (auch ba8 Cap. Wormat.

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Krongüter in feiner Grafichaft, nur feines Amtsbeneficiums, das aber lange Zeit außerhalb feiner Grafichaft lag: vielmehr verwaltet bie villae in ven Provinzen der domesticus').

Auch die Haftung der Steuereintreiber (und Steuerpächter?)?) für Steuerausfälle ihres Steuerbezirks war?) beibehalten: jo werben die exactores im Gebiet von Arvern (Elermont- Serrand) geradezu „ausgeraubt” (exspoliati) vom Fiscus, weil hier die Grundſteuer faſt gar nicht mehr eingefammelt werden konnte, da in ber langen Zeit feit ver legten Feftftellung viele Gejchlechter aufeinanvergefolgt und bie grundfteuerpflichtigen Güter (das heißt »possessio« ganz begriffsitreng) in viele Theile zerfplittert waren; man muß binzut) denken: „und beren Eigenthümer fchwer zu ermitteln waren“: benn bie Theile gingen ja mit ihrer entfprechenden Steuerlaft befchwert über. Der Wortlaut verftattet nicht, an Erlaß der Steuerpflicht für die Zukunft, nur ber Steuerrüdftände zu denken).

Zur Berichtigung der Steuerlijien Tann ter König beliebige Große aus feinem Palaft entjenden: fo ten Majordomus, einen Pfalz- grafen ®), einen Referendarius 7), vie fich freilich auch hiebei gelegentlich bereichern (durch Beftechung oder durch Unterſchlagung ber wiber- rechtlich erpreßten Steuern). Gerade dieſe Berichtigungen vufen dann oft Anftände und Aufftände hervor.

Ungewohnte neue Befteuerung wird wohl gar als Raub (spolium) bezeichnet ®).

Cap. v. 829. c. 10. 1. c. p. 14) richtig auslegt. Die actores, bie nicht comites find, find Hofbeamte, nicht ländliche actores, alfo werben burchaus nicht comites als ländliche actores als Regel vorausgeſetzt.

1) S. oben ©. 100. Weber domestici im Römiſchen Mommien, observa- tiones epigraphicae 35, ephemeris epigraph. V. ©. 142, aber ber domesticus bei Fortunat. v. St. Rad. I. 2. 10 ift nicht nur Hausgenofje im Allgemeinen: er bekleidet ein beftimmtes Amt; über karolingiſche domestici f. die Stellen bei Waitz IH. ©. 539 und unten „Karolinger”.

2) So Digot IH. p. 25, aber doch zu wenig geftütt.

3) Wie im dem beiden gotischen Reichen Könige VI.2 ©. 254.

4) Greg. Tur. X. 7, Urgeſch. DII. S. 472f., daſelbſt die ausführliche Erflärung der jchwierigen Stelle, zumal gegen Guadet unb Tarane.

5) Es heißt quod fisco debetur auch künftig. Dies gegen Wait IIb. S. 268.

6) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441.

7) VI. 28, Urgeſch. III. S. 264.

8) Greg. Tur. IX. 30 neque ullam novam ordinationem se inflicturum super eos, quod pertineret ad spolium, Urgeſch. III. ©. 441.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 12

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Die Einheit des Königlichen Privatguts mit dem Statsgut be- wirkt, daß Föniglihe Hausbeamte zugleih die Finanzbeamten des States find: fo in den oberften Stufen bis zu den niebrigften herab. Der Vorfteher des Königlichen Haufes, der major domus, verfügt zugleich über die Verleihung ver Statsgüter als beneficia: gerade bies warb (ſpäter) zugleich ein wichtigfter Ausdruck und ein ftärkfter Grund feiner Vorherrſchafty. Der thesaurarius?) ift zugleich Hausbeamter und Finanzminifter; ja der domesticus, der recht eigentlich die Finanzverwaltung in ver Provinz übt, bat Namen und Amt ur- ſprünglich als Hausbiener?), ver keineswegs von Anfang Provincial- beamter war oder doch nur Beamter einer domus regia in der Pro- pinz: gerade teßhalb hat er es vor allem mit ver Vermögensver⸗ waltung, ver Leitung db. h. Ueberwachung ver Bewirthichaftung ver Krongüter in der Provinz zu thun, nicht mit der Erhebung ber Statsftenern von den Privatgütern ober ber Kopfſteuer. Umgekehrt bat dieſer zunächſt ver öffentliche, ber Statsbeamte, ber Graf zu walten t), ver aber vermöge jener Einheit auch wohl gelegentlich und aus⸗ nahmsweiſe in die Domänenverwaltung eingreift und vie Erträgniffe ber Statsabgaben in das Privateigenthum des Königs-fiscus abführt, ebenjo wie vie öffentlichen Bann, Friedens: und Wett-Gelver. Wie bie Kopfftener®) treibt und ſchickt er die Erträgniffe der Brücken⸗, Wege-, Hafen-Gelvder und ver Warenzölle ein: daher ergehen die Ur- kunden ver Befreiung von ſolchen Laften an bie Herzoge, Patricier und Grafen®): der Graf von Baris beftreitet deßhalb Sanct Denis fein Zollreht”). Der Graf ift alfo, weil er ven Finanzbann hat, auch weientlih Finanz-Beamter. Aber fiscalis udeæ bezeichnet ihn doch nur als königlichen (fiscalis publicus = regius, oben ©. 80); freilich zählt er zu ben curam publicam agentes, auch jus fisci agentes?). |

1) S. oben VO. 2. ©. 187f. 2) ©. Dielen. 3) Oben VII. 2. ©. 1731.

4) Greg. Tur. VI. 22, Urgeſch. III. ©. 258 novos comites ordinat et cuncta jubet sibi urbium tributa differri IX. 30, Urgeſch. I. ©. 441 eunte... comite ut debitum fisco servitium solite deberet inferre V. 27. VII. 23, Urgeſch. DIL ©. 203.

5) Greg. Tur. VIL 15, Urgeſch. III. S. 316.

6) D.N. 51. Form. Marc. Supplem. 1.

7) D. N. 17.

8, Mehr liegt doch auch nicht in v. St. Sigiramni (Abt von Longoretum, Lonrey, St. Cyran-du-Jambot, geftorben c. 655 ed. Analecta Bollandiana III.

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Unter dem Grafen üben auch die vicarıi, tribuni, Schuloheifchen 1) Verrichtungen der Königlichen Finanzhoheit.

Wahrfcheinlich Hat bier ganz wie bei den Weftgoten und aus ben gleichen Grünten ber villicus, actor einer königlichen villa, wie er die Erträgniffe der von ihm verwalteten Domäne dem Schat ein- fandte, auch von den Nachbarn, bie auf eigner Scholle faßen, bie Naturalskeiftungen fowie vie fonftigen Statd-Abgaben erhoben und mit eingefandt. Und da nun jeder, ver Abgaben, auch private, ein- trieb, exactor genannt werden mochte?), hießen um befwillen fo auch wohl dieſe Domänenverwalter, aber ebenfo auch andere, eigentliche Statsbeamte, B. Herzoge und Grafen?), wenn auch keineswegs nur bie Grafen).

Allein höchſt wahrjcheinlich 3) gab es neben dieſen gelegentlichen exactores berufsmäßige Hebungsbeamte. Dies Amt fcheint bie vexac- tura« ®) zu fein: aber oft bleibt unerfennbar, wer unter ven exactores zu verftehen jei?): der nur einmal®) genannte assessor, assisor ift, wenigjtens nach dem Sprachgebrauch |päterer Quellen?) zu urtheilen, eher bei der Vertheilung als bei der Eintreibung ber Steuern thätig.

Aehnlich verhielt e8 fich bei Erhebung der Zölle: zuweilen find ed Domänenverwalter 10), welche bie Zölle erheben, die an ver auf dem Krongut oder in ber Nähe belegenen Zollftätte fällig werben: (ebenfo wie ten Zehnt irgend welches Urſprungs). Jene können auch

p. 379 c.7 qui tune . . videbatur rector (= comes) praefatae eivitatis sub ditione fisci (= publica).

1) ©. über biefe drei Beamten oben VII. 2. ©. 122. 126. 138.

2) Daher auch exactores eines Biſchofs Pardessus II. p. 254.

3) So D.N. 84. p. 198 duci et comiti ceterisque fisci exactoribus. Die Unechtheit der Urkunde fchließt die Beweiskraft für den Sprachgebraud nicht aus: die von Waitz Ilb. ©. 325 angeführte Urkunde von St. Denis exactorum re- gionum quos dicunt graffiones iſt mir unerreichbar.

4) Wie Jakobs p. 80.

5) Anders Wait IIb. S. 326. \

6) v. St. Wandrigiseli c. 3 ed. Arndt p. 31; der Pfalzgraf ift nicht mit Lehuerou hierher zu ziehen.

7) Greg. Tur. X. 7, Urgeſch. II. ©. 473 multum jam exactores hujus tributi expoliati erant: bier wohl alle für Ausfälle haftenden Beamte.

8) v. Sulpitii (Pii DL), Bifhof von Bourges, gefl. 644 A. S. ed. Boll. 17. Jan. II. p. 169.

9) Siche biefelben bei Du Cange I. p. 434.

10) Praec. Chloth. ce. 111.

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Unfreie fein!). Aber ohne Zweifel ftanden daneben berufsmäßige Zollmeifter?) von angejehener Amtswürde, bie zur thatfächlichen Ein- treibung niedere Vollftredungsbeamte: Hafen-Wärter, Brücken⸗, Thor-Wärter verwenteten, bie dann ebenfall® Unfreie des Königs fein Tonnten. Daher mag letztere der König ſammt tem Zollrecht verfchenten?). Dagobert I. verſchenkt an St. Denis ein Thor von Paris neben dem Kerker des Glaucinus, welches Thor „feinem“ Händler Salomon, wohl einem Juden, unterftellt war mit allen Zöllnern d. 5. Zollerhebern, wie fie zu ber königlichen Kammer ge- hörten: „das Thor“ db. h. tie Erträgniſſe des Thorzolls: „fein“ Händler Salomon war ein Unfreier, ver mit verſchenkt wurde, ganz ebenjo ?) wie die gleichzeitig verjchenkten areae innerhalb und außer balb ter Stadt Paris.

Dagegen bie Förſter, forestarii, silvarum custodes, find aus. jchließlih Domänenbeamte, da ein ftatliches Forſt- oder Jagd⸗Regal in feiner Weiſe beftand, Statsbeamte alſo in Privatwältern nichts zu fuchen noch zu jagen hatten).

Viscalifhe Unterbeamte find die Schweinehirten (porcarii fes- calis: sic!): aber auch fo tief Stehende verüben Ungebühr gegen Private ®).

Denn in ben argen Mipbräuchen römifcher Finanzverwaltung”)

1) D.N. ı5 (villa regia) ubi M. servus noster custus praeesse videtur.

2) Ce. Matisc. I. a. 583. can. 13, Maassen p. 158. D. N. 51. 82 telonearii, f. oben ©. 180.

3) D. N. 23. Sigibert ſchenkt Zölle und Gebühren, bie judices und agentes erheben Iaffen, dazu die homines qui in ipsos portus commanent vel eos custodiunt aut ibi aspicere (= pertinere) videntur.

4) Gesta Dagoberti c. 34. p. 413 quam negociator suus Salomon eo tempore praevidebat cum omnibus teloneis gquemadmodum ad suam cameram deservire videbatur; daß bie verlorne Urkunde ohne Zweifel falſch war, hebt ihre Beweistraft für das damals Uebliche nicht auf.

5) Greg. Tur. X. 10, Urgeſch. III. ©. 481. terrarum vel silvarum ad regem pertinentium servator. Alkuin, v. St. Richarii c. 12 regius forestarius v. St. Filiberti c. 13, Abt von Jumieges, geft. 684. A. S.ed. B. 20. Aug. IV. p. 76 forestarii D. N. 29. 71. 87 (ber venator fommt erft fpäter wor). Leber die höher als Zöllner und Förſter ftehenden Münzmeiſter, deren Kunft und Treue feltner zu finden war, f. oben Münzweſen ©. 143.

6) Chloth. II. Ed. 21. .

7) Könige III. VI. 2. ©. 274. Dahn, Prokop ©. 268.

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trat zivar vorübergehend einige Beſſerung ein!). Allein va bie Haf- tung des Finanzbeamten für die Ausfälle fortbeftand, dieſer jein Amt häufig zum Zweck ber Bereicherung theuer durch Beftechung ober Ge: ichenfe faufte und wie, es fcheint, oft an Juden die Steuer: einhebung verpachtete, jo lebten die überkommenen nie ganz erlojchenen Uebelſtände ver römiſchen Finanzwirthſchaft bald wieer auf, Wie es icheinen will, gab e8 Gefellfchaften, zumal von Juden, die fich dazu verftanten , folche Arten von Stenerpachtung ben Grafen gegenüber zu übernehmen mit wucherifcher Ausbeutung biefes Betriebes?) oder bie den Grafen ven fälligen Betrag gegen Wucherzinfen vorjchoffen. Auf tem Weg aus der Taſche des Steuerpflichtigen in ven Schatz des Königs ging allzuviel an Beamte und Wucherer verloren, ver Schat blieb leer und der Untertban warb dennoch ausgejogen: bie Heiligen find Tag und Nacht an ber Arbeit, bie Thüren ber Gefäng- niffe der Steuer- oder Strafgelder-Schulpner zu öffnen?). Daß auch bie legteren feharf gefaßt wurden, tafür jorgte ter Graf, der ja ein Drittel der Strafſummen für fich erhob: bei freudigen Gefchehnifien erließ dann freilich wohl fogar ein Chilperich die Steuer- und Straf- Schulden und gab die Schuldgefangenen frei).

Die Herzoge, Grafen, domestici reißen Güter, die fie ver- walten follen, als ihr Eigenthum an fich, plünvern fie aus, behalten bie gejammten Crträgnifje®).

1) S. VII. 2. ©. 88.

2) So deute ih (ähnlich Digot III. p. 26) die Stelle (freilich fehr zweifeliger Lesart Sirmonds, anders Boretius) in Chloth. II. Ediet. c. 10 Capit. p. 22, wo dem Juden verboten wirb: »se quaestuoso ordine sociare« . . (publicas actiones agere); unmöglih Tann das ben Zuben den SHanbelsbetrieb verbieten follen.

3) Fortunat. v. St. Germani co. 30. 37. 39. 61. 68.

4) Greg. Tur. VI. 23, Urgeſch. III. ©. 2581.

5) Audoen. v. St. Eligii . . duces ... et domestiei spatiosas surripiunt villas; viele Beifpiele bei Gregor. Tur., vgl. auch die Lex Romana Curiensis: obwohl erſt c. 850 entftanden, barf fie für Dlerovingifches hier verwerthet werben, wo e8 fih um fpätere Mißbräuche offenbar uralter Gebräuche handelt.

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VIEL Kirchenhoheit. Kirchen weſen.)

I. Chlodovechs Taufe. Verbreitung des Chriſtenthums.

Ueber Chlodovechs Taufe, deren Gründe und Vorbereitungen, deren rechtliche Geſtaltung und rechtliche Wirkung auf das Volk der Franken iſt anderwärts ſchon eingehend gehandelt worben 2).

Die Annahme des Chriſtenthums durch die Franken war nur eine Frage der Zeit geweſen: ſie war eine nothwendige Folge des Eintritts in die geſammten römiſchen Bildungsverhältniſſe Galliens, wenigſtens in den Städten und deren reich angebauten Umgebungen: der germaniſche Götterdienſt ſetzte das Leben eines Waldvolkes in der freien Natur voraus: in Gallien gab es nur in wenigen Landſchaften, in den Vogeſen, in den Sümpfen der Schelde noch ungerodetes oder wieder zu Wald und Buſch gewachſenes Land: und hier hat ſich denn auch wie überhaupt auf dem flachen Land im „Gau“ pagus (f. oden VII. 1. ©. 55, daher pagani Heiten d. h. Heibebewohner, im Unterfchied von dem chriftlichen Städtebewohner) im Gegenjat zu ben Stätten das Heidenthum auf vem linken Rhein⸗Ufer bis auf tie Tage Sanct Amands, Ende des VII. Jahrhunderts, erhalten (f. unten). Aber in Paris, in Tours, in Orldans, in Marfeille konnte man nicht Wotan und Donar die alten Opfer „im Schauer heiliger Haine“ ?) barbringen, Konnte man nicht die Göttin Nerthus aus der See auf

1) Rettberg, Kirchengefchichte Deutſchlands I. 1846. II. 1848. Hegel, bie Einführung des Chriftenthbums bei den Germanen 1856. Friedrich, Kirchen- gefchichte Deutſchlands I. 1867. II. 1869. Hinfhius, Kirchenrecht ber Katho- Iifen und Proteftanten I—IV. 2. 1869—1887. (Edgar) Löning, Gejchichte des Deutfchen Kirchenrechts I. II. 1878. v. Hafe, Kirchengeſchichte I. 1885. II. 1890. Haud, Kirchengeſchichte Deutichlands I. 1887. Nichter-Dove, Lehrbud bes Kirchenrechts, 8. Auflage, durch Kahl 1886. Zorn, Lehrbud des Kirchenrechts 1888. Sohm, Kirchenrecht I. Die gefchichtlichen Grundlagen 1892. D. ©. Ib. S. 720f., Urgeſch. IV. ©. 68 |. Weyl, das fränkiſche Statslirchenrecht zur Zeit der Merovinger, Gierkes Unterfuchungen XXVII. 1888. Karl Müller, Kirchen: gefehichte I. 1892.

2) Urgeſch. UI. ©. 49. D. ©. Ib. ©. 81f. Die Annahme des Chriften- tbums durch die Franken als eines „römiſchen Erbes“ wird aufgefaßt auch von Haud I ©. 4; vgl. Rettberg I. S. 270; Friebrih I. ©. 57; Zorn 51—75; von Hafe II. 1. S. 18; 8. Müller I. S. 290; Haud I. ©. 106—114.

3) Tacitus, Germania c. 6.39: »auguriis patrum et prisca formidine sacra«.

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fteigen fehen. Das Chriſtenthum mit feinem glänzenven, alle Sinne berückenden Gottesbienft eine jehr wichtige Rolle fpielte viefer fromme Zauber bei der Taufe Chlodovechs wie unzähligemale jpäter in den reich geſchmückten Bafiliten der Stäbte war ein Stüd ber römischen Bildung, des römischen Lebens überhaupt, in das man nothgebrungen und unvermeidbar mit eintrat!).

Dies waren die allgemeinen Vorausfegungen und bie tiefft lie» genden Gründe des unvermeidlichen Ereignifjes: jelbftverftänplich wur⸗ ben fie Gregors und ver Zeitgenoffen Augen völlig verhält durch das Weihrauchgewölk des Mirakels, ber übernatürlichen Gängelung des heidnifchen Königs zu dem Zaufbeden Bin.

Allein was Gregor von den im Einzelnen hervertretenten Einflüffen der Menſchen und der Dinge berichtet, ift voll glaublich: die Königin, Sanct Nemigius, die Noth der Alamannenfchladht.

Ob freilich die Franlen zunächft ihr König und die Seinen arianifch over Fatholifch werden würben, das war offenbar geraume Zeit fehr zweifelig. „Innere Gründe” famen babei am Wenigften zur Wirkung: die barjpaltenden Unterfcheidungen von Chrifti Weſen als »0u00VaLog« Oder »Öuosodorog« waren für ben äußerſt weltlichen Sinn Chlodovechs wohl weber anziehend noch verjtändlih. Wie wei- land Goten, Zangobarben (auch Burgunden) arianifch geworben waren, weil in jenen Donaulanden bamals ber Arianismus überwog und von Kaiſer Valens eifrig verbreitet wurde?), nicht?), weil der Arianismus ihrem Glauben an viele Götter näher ftand: als ob nicht die Drei« einigfeit auch bei den katholiſch gewordnen Germanen in trei Haupt- Götter, dann die Erzengel, Engel und heiligen Männer und Frauen in viele Götter und Göttinnen zweiter unb britter Ordnung umge- ftaltet worden wären! ganz ebenfo gaben bei Chlodovech äußere Umftänte die Entjcheitung.

Er jelbjt bewährte gegenüber beiten Belenntniffen, fo lange er Heite war, jene Dulpfamteit, die der Glaube an viele Götter zu ge- währen pflegt und ben das germanifche Heitenthbum überall zu feinen Berterben! dem eindringenden Chriftenthum entgegen brachte: er vermählte eine Schwefter Autefleva dem Arianer Theoberich zu

1) Bgl. D. ©. Ib. ©. 87. Mit großartiger, feltener Unbefangenheit würdigt biefe Dinge v. Hafe II. 1. S. 31.

2) Credidere presbyteris quos Valens imperator misit Orosius VII. 33.

3) Wie H. Rüdert meinte.

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Ravenna !): fie trat doch wohl ficher in deſſen Belenntniß ein, und vielleicht war es ihr Einfluß gewefen, ver auch eine zweite Schwefter Lantechiltis dem Arianismus zugeführt batte?). An DVerfuchen ver Arianer, ihn zu ihrer Zaufe zu gewinnen, fehlte es nicht: denn biefe Ketzer (schismatum sectatores) find e8 offenbar, die, wie Avitus von Vienne Hagt, fich bemühten, „vie Schärfe feiner Geiftesfeinheit” (vestrae subtilitatis acrimoniam) unter dem Schein-Namen bes Chriften- thums zu umfchleiern und zu verfchatten“ 3).

Den Sieg des Katholicismus aber bereitete vor wie fo oft wie bei Zangobarden und Angelfachfen: fo jchloß ſich fchen bei ven Marlomannen im IV. Iahrhuntert eine Königin Fritigil an Sanct Ambrofiust) ein Weib, eine Königin: Hrothehilvis, die Tochter des katholiſchen Burgundenkönigs.

Mit welchem Erfolg ihr Eifer ſchon vor der Alamannenſchlacht gearbeitet hatte, erhellt daraus, daß ſie den Gatten dahin gebracht hatte, den erſten Knaben und, als dieſer noch im Taufgewand ge— jtorben war, fogar auch einen zweiten taufen zu laffen, obzwar ber König in echt heibnifcher Sinnesart in dem Tode des Erften bie Strafe ver erzürnten Götter erblidt hatted). Das beweift fchla- gend, daß in ber That auch Chlobovech felbft ven Webertritt zum Chriftentfpum und zwar zum Katholicismus lebiglich als Frage der Zeit anfahb: denn die Zukunft feines Volkes hatte er mit der fatholifhen Taufe feines Sohnes bereits endgültig dem Katholicismug zugedacht: nur für fich felbft zögerte ex noch: fo daß alfo das voll glaubhafte, in ber Gefahr der Alamannen- ſchlacht geleiftete Gelübbe nur für den König felbft und für ven fofortigen Webertritt ohne weiteres Zögern enticheitend warb: twohlweislich verlangt der fchlaue Meroving von „dem Gott Hrothe- hildens“, wie er fagt, won „dem Gott der Römer“, wie die Arianer ven fatholifchen Herrgott nannten), Vorausbezahlung: erft muß er ihm den Sieg fpenden, dann veripricht er, an ihn glauben zu wollen”).

1) Greg. Tur. IH. 31, Urgeſch. III. ©. 50.

2) Greg. Tur. II. 31, Urgeſch. III. S. 30.

3) Christiani nominis obumbratione velare nisi sunt Aviti epist. 41. p.56. 4) Könige J. ©. 112.

5) Urgefh. III. ©. 51.

6) Greg. Tur. glor. mart. I. c. 25. 80.

7) Greg. Tur. II. 30, Urgeſch. III. ©. 51.

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Der Einfluß ver Gattin warb jebesfalls, auch bie Umechtbeit des Driefes angenommen, weſentlich unterftüßt durch jenen geiftig hoch bedeutenden Biſchof von Rheims, der denn auch ver eigentliche Macher und PBeranftalter der Zaufbandlung!) mit ihrem wohl berechneten Slanz-Gepränge warb.

Valid aber wie das ganze Teftament bes heiligen Nemigius?) ift auch die Berühmung in bemfelben, wie der Biſchof von Rheims das Geſchlecht ver Merovingen zur Herrichaft über das Frankenreich „aus- erwählt“ (!), fo follten auch feine Nachfolger daſſelbe wieder abjegen bürfen 9).

Wie wenig innerliche fittliche Beweggründe an ber Annahme bes Chriſtenthums Theil hatten, erhellt baraus, daß Chlodovech feine icheußlichften Mord⸗ und Tücke⸗Thaten erſt als Chrift verübte; auch barin übrigens nur „ein zweiter Conſtantinus“.

Nachdem Gregor diefe Gräuel erzählt Hat, fchließt er falbungs- voll: „ven Gott warf täglich Chlodovechs Feinde unfer feine Hand, weil er rechten Herzens vor Gott wandelte und that, was wohlgefällig war vor Gottes Augen“), d. b. der fromme und gutmüthige Gregor will nicht etwa fagen, daß jene Morde in Gottes Augen wohlgefällig waren, fonbern er denkt an den vorher gefchilverten Tatholifchen Kreuz⸗ zug gegen bie gotifchen Keker, und dies Verdienſt wiegt bei Gott und Gregor das Dutend Mordfrevel bei Weiten auf.

Selbftverftändfich Fonnte der König die freien Franken nicht zwingen, katholiſch zu werben: bie (angeblich) 3000, bie mit ihm bie Zaufe nahmen, thaten dies freiwilligd).. Doch liegt bier eine fo weit ich jehe unlösbare Schivierigfeit.

Einerfeits ift unferes Willens nie ein „Geſetz“ d. b. ein Gebot bes Königs unter Zuftimmung ber Heeresverfammlung (— eine Volks⸗

1) Ueber die Taufe Chlodovechs |. Greg. Tur. II. 29—31; die kurze vita St. Remigii (Remedii) [ed. Krusch Mon. Germ. hist. auetor. antiqu. IV. 2. p. 64. Berolini 1885 (nicht von V. Fortunatus: f. bafelbft p. XXII.) und bie Literatur dazu bei Krufch in Wattenbach I.] enthält Über die Taufe nichts, nur bie größere bei Martene, Thesaurus Anecdotorum III. p. 1006 und bie höchſt bedenfliche von Hintmar von Rheims, Acta Sanctorum ed. Bolland. 1. Oct. I. p. 131. Löning DO. ©. 6f.

2) Pardessus I. p. 90.

3) Waitzſäcker, 3. f. hiſtor. Theol. 1858. ©. 417.

4) II. 40, Urgeſch. II. ©. 67.

5) Urgeſch. III. S. 59. D. ©. Ib. ©. 88.

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verfammlung älterer Art gab es nicht mehr, einen „Reichstag“ noch nicht!) —) noch auch eine königliche „Verordnung“ (ohne ſolche Zu⸗ ftimmung) ergangen, bie das Heidenthum abgefchafft, ven Katholicismus zur Swangsreligion erklärt und das Verharren im Heibenthbum ganz allgemein mir Strafe bedroht hätte. Daraus erflärt ſich das Ver- balten ver Bekehrer in noch viel fpäterer Zeit: fie fuchen meift bie Heiden zu überzeugen, brauchen zwar auch wohl Gewalt gegen bie Heiligtümer des Heidenthums, rufen auch ein (— jebt erft zu er- laffendes —) Verbot des Heidenthums für einzelne Landſchaften bervor fo unter Dagobert 1.2): aber fie treten nicht auf, wie bie Rechtgläubigen gegen vie Keger, wie fpäter Karl gegen bie Sachen: fie fegen nicht ein allgemeines firafrechtliches Verbot des heibnifchen Götterbienftes voraus. Ein folches beftand eben offenbar nicht, fonjt hätten fie fich ficher darauf berufen.

Alfo wäre die Lehre) richtig, das Frankenreich habe nicht feit Chlodovech bereit8 das Chriftentbum zur Statsreligion erklärt und Heiden wie Ketzer verfolgt?

Doch nicht! Denn ſchon die Kirchenverfammlung zu Orleans von 511 verfolgt Arianer und heidniſche Gebräuche *).

Allerdings Holt Chlobovech vor feiner Taufe für ſich die Zus ſtimmung des Volkes eind), allein nur aus Klugheit, nicht aus Nechts- nothwenbigkeit. Ohne Zweifel hatte ber König, wie jever Franke, das Recht, Chrift zu werben: aber anprerfeits hätten auch wohl die Franken bas Recht gehabt, den König,’ ber die alten Götter verließ, ihrerfeits zu verlafien. Daß Chlodovech ven Franken noch die Taufe nicht be- fehlen kann weter Recht noch Macht dazu hatte verfteht fi: Dagobert I. thut e86): er Hatte fchwerlich das Recht, nunmehr aber bie Macht dazu?).

Das Zwangschriftenthum als k. merovingiiche Statsreligion ift ihon für das VI. und VII. Jahrhundert nachzumeifen ©, Arianer

1) ©. unten Schranten bes Königthume.

2) Urgeſch. III. ©. 616.

3) Lönings II. ©. 56f.

4) S. unten Zwangsglaube und Statskirche.

5) Greg. Tur. IL. 31, Urgeſch. III. ©. 50.

6) Urgefh. II. ©. 617.

7) Dies gegen Löning, ihm folgt Brunner I ©. 191. 8‘ ©. unten.

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Monotheliften, Heiden werben verfolgt, Belehrern wird zur Zwangs- taufe ter weltlihe Arm zur Verfügung geftellt: nicht „Zoleranz“!), Ohnmacht und Vollbefchäftigung durch andere Aufgaben ift der Grund, baß die Merovingen die oftrheinifchen Stämme unbelehrt ließen; bas Chriftentbum war dem Grundſatz nah ſchon bald nach Chlodo⸗ vechs Taufe politiiche Grundlage der Neichseinheit.

Muß man fehon vor der Taufe Chlodovechs das freundliche Ver- halten ber katholischen Kirche zu den Franken, deren duldſames Heiden. thum fie mit allem Grund ber verhaßten und ihrerſeits mit allem Grund gegen den Katholicismus argwöhnifchen Seerei der Goten und Burgunden vorzog, als fehwerwiegenten Vortheil in Anfchlag bringen?), fo drang nun das chriftliche und Firchliche Weſen unauf- haltſam, wie weiland in das Leben bes römijchen Neiches, fo in alles Geäter und jede Regung bes fränfifchen States ein. Vor allem bie Erfolge gegen vie fegerifchen Goten wurden burch die Mithilfe bes Katholicismus gewonnen.

Die Heiligen im Himmel verhalfen durch Wunter?), wirkfamer noch die Biſchöfe auf Erden durch vielfachen DVerrath den frommen Franken zum Sieg.

Sanct Hilarius begrüßt ben heranrückenden Chlodovech, „va er zum Kampf gegen das Ketzervolk“ feine gewaffneten Scharen ins Feld führt, von feiner Baftlica zu Poitiers aus durch eine Fadel- fäufe und mahnt‘ ihn zu fofortigem Angriff: wir erfahren, taß vie Schlacht ſchon ver morgens 9 Uhr entichieven war!), obwohl bie Erichlagnen „Hügel“ bifteten. Mit Recht vergleicht ver Verfaffer dies Sadelwunder mit dem ter Feuerfäule für die Juden, und kaum wußte

1) Wie Drummer L ©. 191.

2) Mehr ale Waitz ©. 40 dies thut; richtiger Lehuerou, histoire des in- stitutions M£rovingiennes 1842. p. 262; Friedrich I. ©. 27, Hand I. S. 103.

3) Urgeſch. II. ©. 62. Könige V. S. 107—110. Venantius Fortunatus de virtutibus St. Hilarii ed. Krusch VII. 20. Eine von ben Heiligen gejanbte Hindin weift dem Heer eine Kurt über bie angefchrwollene Vienne.

4) Sollte wielleiht auf dieſe verrätherifche Mahnung zu ſofortigem Angriff hin ber Kampf, der mit Hügeln von Leichen fchon vor 9 Uhr „Über alle menfchlichen Biünfche hinaus fieghaft” endete, durch Ueberfall noch in der Nacht begonnen haben? Weber den Ort f. außer ben Könige V. a. a. O. angeführten Schriften, jest Longnon, geographie de la Gaule p. 518. Kaufmann, in v. Sybels bil. 3. XXX. &. 16. L£vesque, Notes sur St. Maixent. Le campus Voeladensis (Niort.) 1881 biieb mir unzugänglid.

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ter Rhetor, wie tieffinnig fein Wort war, daß Chloboveh „als ein zweiter Conſtantinus“ gegen ben Artaner Alarich auftrat: in ber That ein zweiter Begründer einer Tatholifchen Statsfirche, wie jener (oder vielmehr in Wahrheit erft feine Nachfolger) für das römische, fo dieſer für das Frankenreich!).

Und nicht nur der ‚Befreier“ Chlodovech faßte den Krieg gegen bie Weftgoten als einen Kriegszug des Katholicismus gegen ven Ketzer⸗ glauben auf?), auch die „Befreiten“ dachten ebenjo: „als bie fromme ruhmvolle Srantenberrichaft, des chriftlichen Glaubens Dienerin, bie Stadt Rhodez fich unterwarf, intem bie Gunft der Bevölkerung mit ihr im Einverftänpniß war“ 3).

Nemigius von Rheims rühmt, daß Chlodovech, nicht nur Tauf- Delenner, Prebiger (praedicator), auh Schirmherr des Fatholifchen Glaubens geweſen fei‘).

Und müffen auch die gefälichten Ausiprüche des Pabſtes Ana⸗ itafins und des Aoitus wegfallen, die Xebensbefchreibung des gleich- zeitigen Abtes Sanct Marimin von Sanct Mesmin (Miciacum), ver 520 ftarb, bezeugt unverbächtig die Würdigung des Schrittes durch bie Zeitgenoſſen 3).

Selbftverftändlich hinderte fein katholiſches Belenntniß ven Diero- ping nicht im Mindeften, fich bei diefem Kreuzzug gegen die arianifchen Weftgoten mit ben ebenfo arianifchen Burgunden zu verbünven 6), wie er kurz zuvor mit dem jegt befämpften Alarich II. ſich verbündet Hatte”) und wie fpäter Chlodovechs Söhne mit ven arianifchen Oftgoten zu- fammen fich gegen bie inzwifchen katholiſch gewordenen Burgunten verbündeten. Der katholiſche Slaubenseifer Chlodovechs diente alfo, ob⸗ zwar nicht erheuchelt, vor allem als politifches Mittel oder bielt boch nicht davon ab, auch den Artanismus als folches zu verwenden ®).

1) 1. c. credebat (St. Hilarius) sibi contra Halaricum Arianum iterum redire Constantinum.

2) Greg. Tur. II. 37, Urgefd. III. ©. 63. D. ©. Ib. ©. 96.

3) v. St. Dalmathii, ep. Rutenensis ed. Bouquet III. p. 420, geft. 580, postquam pia et inclyta et christianae religionis cultrix Francorum ditio Rutenam urbem conjurante sibi populi ejus favore subjecit.

4) Epistol. ad episcopos Epist. ed. Gundlach p. 114.

5) Ed. Mabillon Acta Sanctorum ordinis St. Benedicti, Saec. I. p. 581. c. 1 /aus ber Mitte des VI. Zahrhunderte).

6) Könige V. ©. 105.

7) Könige V. ©. 103.

8} Procop. b. G. I. 12, Urgeſch. III. S. 90f. IV. S. 110. Weber das Bündniß

189

Aber auch die Fortichritte des KönigthHums im Inneren wurden ganz wejentlich geförtert turch die Mitwirkung ver katholischen Kirche: bie Verföhnung der Nömer mit der Frankenherrſchaft warb durch bie Slaubensgemeinfchaft erheblich erleichtert, ja die Herftellung des fran- zöfiichen Mifchvolfes durch bie jest erft ermöglichte Ehegenofjenfchaft begrüntet '), ver Gehorfam gegenüber der Krone warb tem unbot- mäßigen germanifchen, dem verwilterten vömifchen Abel von ben Biſchöfen zur Gewiſſensſache gemacht, zahlreiche Einrichtungen des States, ja der ganze Stat felbjt wurden dem Volt, weil von ber Kirche gut gebeißen, als von Gott gewollt dargeftellt.

Die Biſchöfe lehren, daß Gott ven Meroving unmittelbar zum Herricher feines Volkes beftellt habe: er ift ein (ihr) „von Gott be- ftellter Diener“ 2).

Zu Gunften des Königthums wird das Wort des Apofteld ver- werthet: „Jede Obrigkeit ift von Gott georpnet”?).

Der Schmeicheldichter Fortunat nennt Childibert I. „unfern Mel- hifedech, zugleich König und Hobepriefter, ver als Laie das Werk der Religion verrichtet“. Ebenſo wird Chlothachar I. gelobt als „gerecht in feinen Werfen und gleichwie ein Priefter lebend in ver Welt“ 5).

. Aber bdiefen theofratifchen Rechten entfprechen bie theofratifchen Pflichten: denn vor Allem dazu hat Gott dem König Macht gegeben, daß er die Kirche fchüte, bereichere: baburch erwirbt er Gottes Segen für feine Regierung auf Erben und das Heil feiner Seele im Himmel. Sp in den Formeln und zahllojen Urkindenanfängen: »pro mercedis nostrae augmento«®). Neben der Statsregierung ift Friedeſchutz ber

ber Kranken und Oftgoten wider Burgund f. Binding ©. 252, Jahn II. ©. 221, Löning U. 16, Junghans ©. 72, vgl. Caſſiodor VIII. 10: ob a. 500 oder a. 523?

1) Ueber die hohe Wichtigkeit der Annahme des Katholiciemus und des Bünb- nifjes mit ben Bifchdfen jet auch Brunner IL ©. 189, Löning II. ©. 10.

2) Exhortatio ad Francorum regem ed. Mai, nova scriptorum veterum ceollectio VI. 2. p. HI— VII: ministrum te Dei esse scias ad hoc constitutum ab ipso ut quicumque bona faciunt te habeant misericordem adjutorem.

3) So In den Formeln Lindenbrog. 4.

4) Melchisedech noster merito rex atque sacerdos

Complevit laicus religionis opus.

Bgl. aber das Urtheil Gregors von Zours, Urgeſch. III. S. 116.

5) Exhortatio 1. c., er lebte aber in Wahrheit in der anftößigften Biel weiberei.

6) D. (d. h. Diplomata) N. 52. p. 47.

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Kirchen und Klöfter feine höchſte Pflicht, Wohlthätigkeit gegen fie größte Förderung des Neiches durch Gottes Gnade!) Die die Dir Ichöfe hierbei leitenden Borftellungen find bem alten Teſtament ent: nommen.

Unermüblich lehren von Remigius an die Bilchöfe, der König folle ftets ihren Rath einholen und befolgen, dann werbe fein Reich blühen und gebeihen?). Es ift der Weisheit Anfang und Ende für ben guten Gregor von Tours. Man fehe fein Wohlgefallen an Gunt- hramns Bilchofsverehrung ?).

Für die Germanen ward dem Königthum die mythologiſche Weihe, bie in ber Heibenzeit ver Glaube an bie göttliche Abkunft des Königs- geſchlechts gewährt hatte, erjegt purch bie Weihe von Seite des neuen Glaubens, und es dauerte nur ein Menfchenalter, bis ein Sproß bee Meer⸗Wichts Chlodovechs Enkel: Guntchramn ein chriftlicher Heiliger ward und Wunder wirkte fchon bei lebendem Leibe.

In allen Stammesrechten, bie jünger als das falifche, tritt ber Einfluß ver Kirche deutlich hervor: ja nach dem dem uferfräntiichen, alamannifchen und baterifchen Necht gemeinfamen Vorwort!) wird als Zwed der neuen Rechtsaufzeichnungen geradezu die Verdrängung bes Heibnifchen in den Vollsrechten durch das Chriftliche ausgefprochen.

Die Einflüffe der Kirche auf das Necht find baher früh ftart und mannigfaltig: zumal in der Lage der Unfreien, dann im Straf- recht und Strafverfahren wird manches gemildert: immer bleiben fie noch hart genug. Der Gefichtspunft der Sünde, die Betonung ber fubjectiven Verſchuldung gegenüber dem fachlich angerichteten Scha⸗ ben tritt ftärler hervor, im Cherecht werben neue Eheverbote wegen Berwandtichaft eingeführt 5), heidniſche Formen und Rechtsgebräuche

1) Marc. Form. 1. 3.

2) Remigius ad Chlodov. ed. Gundlach 1. c. p. 113. Sacerdotibus tuis honorem debebis deferre et ad eorum consilia semper recurrere; quod si tibi bene cum illis convenerit, provincia tua melius poterit constare.

3) Urgeſch. III. ©. 345.

4) Legg. III. p. 259 quae erant secundum consuetudinem paganorum mutavit secundum legem Christianorum; anders Löning II. ©. 28.

5) Childib. decr. c. 2; Lex Sal. 13, 11. Tert 3. Bedroht das Ce. Rhem. a. 627—630. c. 8, Maassen p. 204 ſolche Ehemänner mit Berluft aller Aemter, fo geht das wohl auf Ältere canones (auch auf byzantinifches Hecht?) zurück; bie Heirath ift auch Nonnen und religiosae unterfagt Chloth. praeceptio c. 9. Ediet. c. 18.

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befämpft, 3. DB. das Chrenecrube - werfen, das zur Heibenzeit üblich war!), die heidniſchen Gottesurtheile werden in chriftliche Formen gekleidet, auch neue chriftliche Arten KKreuzprobe?), geweihter Biffen), eingeführt, ber gerichtliche Kampf, ber urfprünglih durchaus nicht Gottesurtheil, nur ein Stück beſchränkten Fehdegangs, eingejchoben in ven Rahmen des Nechtsgangs, gewejen war, wird nun?) als Gottes- urtheil geftaltet, die Kirche forgt wohlweislich dafür, daß das Beilpruch- recht des Erben gegen Vergabungen an bie Kirche unter Lebenden und auf den Todesfall am Früheften befeitigt ober bejchränft wird. An ber Spike des Alamannen- und des Baiern-Rechts fteht jene Fromme Neuerung, bezeichnenb für ven Geift, der diefe Aufzeichnung beherrfchte.

Dezeichnend für die DVerchriftenung bes States ſchon Bier liegen die Anfänge jener Verquidung von Stat und Kirche, jener auguftinischen Theokratie im Frankenreich, die dann fpäter allherrſchend wird iſt auch bereits Chlodovechs Brief an bie Bifchöfe Galliens nach dem Sieg über vie ketzeriſchen Goten ?).

Chlodovech redet fie an: „heilige und des apoftolifchen Sites höchſt würbige Herrn“: dann nochmal ebenfo, nur ftatt: „Herrn“ „Väter“ (»papae!«e). Er erinnert, wie er feinem Heer fchon vor dem Einrüden in das Gebiet der Goten befohlen habe (praeceptum), daß fih feiner an dem „Minifterium“, d. h. Geräth der Kirchen, an ben Nonnen und den vergelübbeten:) Wittwen vergreifen bürfe, ebenfo wenig an ben Geiftlichen, teren Kindern und in deren Häuſern woh- nenden Wittwen; auch die Unfreien der Kirchen müſſen gejchont und, wenn gefangen, herausgegeben werben, falls der Biſchof beſchwört, daß man fie wirklich Kirchen geraubt habe. Allein auch andern Ge— fangenen, die erwiefenermaßen „frieb[o8“ (extra pace) d. h. von feinem

1) L. Sal. 99. Text 4.

2) Aber erft jpäter, Baufteine II. S. 41. 50.

3) Baufteine II. S. 80f.

4) Ed. Boretius Capitularia Mon. Germ. hist. Legg. Sectio II. Tom 1. 1. 1881. p. 1, vgl. Maaßen, Gefchichte ver Quellen und ber Riteratur bes lanonifchen Rechts I. p. 345; ob am die zu Orleans Berfammelten gerichtet, ift zweifelhaft. Ueber die günftige Stellung ſchon Chlodovechs zu ber dem Königthum unterge- orbneten fränkifchen Reichskicche, |. Brunner II. ©. 8. In einer Reihe von anderen Nenerungen vermag ich aber nicht mit Wait IIb. ©. 361 Einfluß der Kirche zu erbliden, abgefehen von der Kenntniß des römischen Rechts, die fie verbreitete.

5) Religiosae, f. unten Klofterweien.

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ſolchen Frieden geſchützt gefangen worben find, bürfen vie Biſchöfe »apostolia« d. h. Schutz⸗ und Empfehlungs-Briefe mitgeben, bie alfo die Freilaffung oder doch milde Behandlung als Ehriftenpflicht einjchärften ?).

„Solche Geijtliche oder Laien dagegen, die in unferem Frieden (»in pace nostra« db. 5. troß des von uns gewährten befonveren Schuges) fortgefchleppt wurden“, follen zum Könige gefandt werben, vorausgeſetzt, daß bie Biſchöfe die Echtheit ihrer mit ihrem Sigel innerhalb verjehenen (Schuß-)Briefe anerkennen: dann wird ber König feinen obenerwähnten Befehl (praeceptio), d. h. ver Schonung an ſolchen aufrecht halten und burchführen. Nur bittet unfer Volt (po- pulus exercitus, eben „Heervolf" oder Volksheer)?), daß tie Di- ichöfe jeden ſolchen Schügling die Wahrheit feiner Angaben erft be- ihwören lafjen, denn „bei Vielen find Erfintungen und Betrügereien aufgebedt worden“. Er jchließt mit ber Bitte, fie mögen für ihn beten. Außer mit Nemigius von Rheims und Avitus von Dienne ſtand Chlodovech in Freundſchaft mit Sunct Vebaftus, ver ben burch Remigius wierer aufgerichteten Stuhl zu Arras erhielt?): er war be- liebt am königlichen Hof. Sanct Eptatius erhebt er eifrig zum Bifchof von Aurerret), Biſchof Melanins von Rennes Heißt fein tüchtiger Rathgeber 5).

Schon Chlovdovech®) erkannte aljo fehr ſcharf die gewaltige Er- höhung königlichen Anfehens durch die myſtiſch-theokratiſche Lehre von der unmittelbar göttlichen Einſetzung und Berufung des einzelnen Herrichers, von dem Königthum von Gottes Gnaden“ in biefent Sinn: ſchon bei ter Taufe Chlodovechs tritt jene theokratiſche Fär-

1) Weber dieſes Recht der Bifchdfe, das ber König alfo Hier ausdrücklich an⸗ erlennt, f. bie Angaben bei Boretius p. 2.

2) Oben VII. 2. ©. 252.

3) Vita St. Vedasti A. S. 6. Febr. II. p. 792 gratus penes aulam regiam.

4) Vita St. Ept. ]. c. 24. Aug. IV. p. 778.

5) Strenuus consiliarius, vita St. Mel. l. c. 6. Jan. I. p. 328; über ben Priefter Eufpicius, auf befien Bitten er Verdun verfhont und der ihm dann ins Lager folgen muß, f. vita St. Maximini c. 11. 1. c. 28. Jul. V. p. 76: wann iſt diefe Belagerung anzufegen? Nach der Taufe? Sollte nicht ein fo hriftenfreund- licher Heide auch ſchon vor der Taufe dem Chriftengott in befien Kirche für ben auf ihn zurüdgeführten Sieg haben danken können? Der Artaner Totila dault in ber katholiſchen Peterstirche.

6) Auch nach Abzug ber von Havet aufgebedten Fälſchungen.

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bung bes Königthums auf, die unter Karl dem Großen Teineswegs ihren Anfang!), nur ihren großartigen Abſchluß findet.

Der Vebertritt des Königs zum Chriſtenthum zog aber zunächit boch nur bie dem König, dem Hof, den Bilchöfen, den Vornehmen angebörigen oder nahe ſtehenden Kreife nach?). Es ift daher zu er- klären, daß von den Beiligen fränfifcher Abftammung fo häufig bie edle Geburt bezeugt wird ?).

Allein auch noch lange nach Chlodovech mußte die Ausjchließlichkeit bes katholiſchen Bekenntniſſes des Frankenkönigs gegenüber ven Heiden und den artanifchen Königen der Goten und Langobarben fchwer ins Gewicht fallen. Auch nachdem ver Katholicismus bei ben Goten ben König gewonnen und bei den Langobarden durch die Königin Theodo⸗ lindis Raum zu errobern begonnen hatte, rühmt boch noch Fein Ge- ringerer als ver große Gregor von Chilvibert II., er verhalte fich zu ben andern Königen wie bie andern Könige zu den gewöhnlichen Men- fen: „König fein ift nichts beſondres da das auch auch andre find, Tatholifcher König fein, was andre nicht erreicht Haben das ift ein Großes... Was andre Könige zu haben fich (nur) be- rühmen, ihr habt es 9.

II. Statskirche. Zwangsglaube. Fortdauer von heidenthum.

Sehr mit Unrecht leugnet mans), daß ſchon im früheſten Mero⸗ vingenreich das Chriſtenthum Zwangsglaube, die Kirche Statskirche war, Ketzer und Heiden verfolgt wurden. Schon Chlodovech auf dem Concil zu Orleans (a. 511) nimmt ten Arianern, den Goten, die

1) S. meine Abhandlung über die Entfiehung bes römischen Kaiſerthums fränkiſcher und deutſcher Nation. Baufteine IL. 1880. ©. 380.

2) So jene breitanfend, Greg. Tur. II. 29— 31, die fofort mit ihm bie Taufe nahmen.

3) Wie allerdings and fehr oft von dem galliſchen Heiligen römiſcher Ab» funft, fiehe die Zuſammenſtellung in den fräntifchen Forſchungen.

4) Registr. VI. 6. Esse . . regem, quia sunt et alii, non mirum est, sed esse catholicum quod alii non merentur, hoc satis est . .; quidquid .. ceteri reges habere gloriantur habere, habetis.

5) Löning II. ©. 34. 41: er muß „Ausnahmen“ einräumen, bie aber viel- mehr den Grundſatz bes Zwangsglaubens beweiſen: anf bie Häufigkeit ber Fälle der Anwendung kann e8 für den Grundſatz nicht anlommen. Der Brief des Avitus, der Chlodovech zur Berfolgung bed Heidenthums aufforbert,

Dahn, Könige der Bermanen. VU. 3. 13

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Kirchen, „bie fie in ihrer Verkehrtheit bisher gehabt hatten“). Aria- nifcher Gottesbienft (in Kirchen) wird vom Stat nicht mehr gebulbet: ift das nicht Verfolgung? ?). Und das Concil bedroht Laien wie Geiftlihe wegen heibnifcher Gebräuche: divinatio, auguria, sortes mit Ercommmunication 3): dieſe aber hatte, wie wir fehen werben, auch weltliche Nachtbeile im Gefolge.

Vielfach haben die Franken den Arianern damals nicht nur die Gebäude, auch bie Geräthe des Gottesdienſtes) geraubt und ben tatholifchen Kirchen als Gefchenfe dargebracht, was Avitus von Vienne (im Burgundenreiche) freilih in edler Empfindung mißbilligt5), ber auch die ehemals arianischen Kirchen nicht wie das Concil mit über- nehmen wollte.

Nicht nur der Priefter von ber Secte ter Bonofianer oter ir« gend anberer Ketzer, ber einen von ihm gewonnenen Katholiken nochmal tauft, auch der Graf, ter biegegen nicht einfchreitet, wird mit Excommunication bedroht), „venn wir haben bekanntlich tatholifhe Könige”?); deutlicher kann ver theokratifche Grund ber Dienftbarfeit des weltlichen Armes für die Kirche doch nicht ausge: brüdt werben: ber Graf foll tie Schulvigen „vor den Glauben (tie Treue?) und vor die Rechtspflege des Königs. zwingen“ ®).

Die bloße Zugehörigkeit zu einer Secte war im Allgemein ı nicht ftrafbar, aber jeden Augenblid konnte fie auf Antrag ber Kirche itrafbar gemacht werben.

und die angeblich hierauf ruhenbe vita St. Dominii Lemovicensis anachoretae, wonach Chlodovech alle Heibentempel verbrennt, bie Löning II. S. 26 anführt, find allerdings falſch und bemeisunträftig.

1) (Die Eoncilien werben nach der Ausgabe von Maaßen angeführt) can. 10. p.5 de basilicis, quas in perversitate sua Goti hactenus habuerunt.

2) Und Löning fagt ©. 34: „weder gegen Juden und Heiden, noch gegen Keber warb von ber Statsgewalt ein Zwang geübt“. Allerdings wurben bie ein- zelnen Goten nicht gezwungen, katholiſch zu werben: dazu waren es doch zu Viele. Arianiſche Geiftliche, die aufrichtig Übertraten, follten PBriefter bleiben und vom katholiſchen Bifchof ein Amt erhalten können, was Rom nicht zuließ.

3) can. 30. p. 9.

4) ministeria, ſ. Du Cange s. h. v. patena, patera.

5) Epist. (zwifchen 516 und dem Concil von Epao) 2. IX. 517.

6) Cc. III. Aurel. a. 538 unter Childibert I. can. 31.

7) can. 31 quia reges nos constat habere catholicos.

8) 1. c. si... rebaptizantes non statim adstrinzerit et ad regis fidem atque justitiam adduxerit.

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Einen Beweis für die religiöſe Duldſamkeit der Merovingen kann man auch nicht!) darin erbliden, daß fie gleich nach ihren Eroberungen in Italien und Alamannten fräntifhe Biſchöfe in brei römifche Städte legten, troß ber fehismatifchen Bekenntniſſe der dortigen Kirchen: das war Eroberungsgier und Huge, kraftvolle Hanphabung der Kirchen- bobeit?).

Schon vor Chlodovech hatten St. Germanus von Aurerre (geft. a. 448) und St. Xupus von Troyes (a. 429—479) die pelagianifche Keßerei in der Bretagne zu befämpfen gehabt, nach ver das Kind von zwei Getauften auch ohne Taufe felig werben Fonnte?).

Die formale gefegliche Grundlage für das Einfchreiten auch gegen bie Heiden wie gegen gewiſſe Secten von Ketzern (unten ©. 207) gewährte dann feit a. 507 wenigftens gegenüber Römern ein von Chlodovech bereit8 in Geltung vorgefundnes römiſches Geſetz, bie Novelle von Theodoſius IL, bie in bie Lex Romana Visi- gotorum aufgenommen war und nad a. 507 nicht nur nach wie vor in dem ehemals weftgotifchen Gebiet, auch fonft vielfach in Gallien für die Römer in Geltung blieb: fo in Burgund, wo fie bie Lex Romana Burgundionum verbrängte. Dieſe Novelle droht Todesſtrafe und Vermögenseinziehung jedem, ber irgendwo fich bei einem Opfer betbeiligtd). ‘Die Novelle fest felbftverftänblich, wie Römer als Thäter, fo römifches (auch griechifches, Teltifches, orien- talifches), nicht germanifches Heidenthum als Thatbeftand voraus: unter diefen Vorausfegungen konnte das Geſetz ftets im Frankenreich angewendet werden. Daß es bie fogenannte weſtgotiſche Interpre- tatio übergeht‘), fteht dem nicht im Wege, und baß feiner ver im fränfifhen Reiche gefertigten Auszüge diefer Beftimmung Erwähnung thue”), wird widerlegt durch Die epitome monachi, die im VII. Iahr-

1) Mit Löning IL ©. 118. Richtiger Hauck I. S. 119, der aber doch auch von Chlodovech bis Childibert Eultusfreiheit annimmt.

2) ©. unten Diöeeſen.

3) Vita St. Genovefae ed. Köhler c. 2. p. 2.

4) Tit. III. 8 8. Haenel p. 258.

5) 88. l. c. quicumque in quolibet loco (nidht modo) in sacrıfcio fuerit comprehensus. Löning ©. 57 fagt alfo zuviel mit dem Ausbrud: „in irgend einer Weife den Glauben an die alten Bötter bekennen“.

6) Löning a. a. O.

7) Zöning ebenda.

13*

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hundert im Frankenreich verfaßt wurbe!) und fagt: paganos vero in Jortunas et sanguinem ira nostra consurgat, wörtlich wie bie Novelle felbft, die übrigens ben in Mißwachs und Verkehrung ber Jahreszeiten geäußerten Zorn Gottes über die Fortbauer des Heiben- thums burch beffen Ausrottung abwenden will: das Geſetz Hagt in Iehrreicher Sprache, wie zäh, wie burch „unzählige Geſetze“ nicht zu unterbrüden das Heidenthum fei.

Salt jene Novelle nur den Römern und dem antilen Heiden⸗ thum, ftand doch nichts im Wege, die theokratiſche Verfolgung ber Nichtchriſten durch Kirchen- und Stats-Gefete auf alle anpren Heiden und alles andre Heidenthum auch Germanen und germaniiches auszubehnen. Und fo geichah'e.

Auf das Allerfchärfite mit Androhung zwangsweiler Vor⸗ führung vor fein Königsgericht fchreitet fchon Chlodovechs Sohn Childibert L (a. 511—558) gegen das Heidenthum ein und zwar unter ausbrüdlicher Hervorhebung ber theofratifchen Beweggründe und Wahn vorftellungen: „wir glauben, daß unter Gottes Gunft es fowohl un- ſrem Seelenheil, als dem Heil unſres Volles zuträglich fei, wenn bas chriftliche Wolf die Verehrung ver Götzenbilder aufgiebt und vor Gott, dem wir volle Treue gelobt haben foweit er fich berabläßt, une bazu feinen @eift einzuflößen ?2), in Neinheit bienen. Und weil es Noth thut, daß die Menge (plebs), die der Biſchöfe Gebot nicht nach Gebühr befolgt, auch durch unfern Bann (inperio) gezüchtigt werde, haben wir beichloffen, dieſe Urkunde allgemein überalihin auszuſenden, mit dem Banngebot, daß, wer auf geichehene Mahnung?), von feinem Grundſtück, wo immer es fet, errichtete (ötter-)Bilver oder den Dä⸗ monen geweihte Götzenbilder, von Menfchenhand gemacht, nicht fofort nieberreißt ober bie Bilchöfe an deren Zerftörung binbert, Bürgen *) ftellen muß und nicht anders Ort und Stelle verlaffen varf, als in- dem er uns vor Augen geführt wird.“ Iſt das etwa nicht Durch⸗ führung eines Zwangsglaubens und nicht Verfolgung bes Heiden⸗ thums ? 5).

1) Haenel p. 259.

2) YAuguftins lux interior, gratia infusa, Gnabenwahl.

3) Wohl zunächſt durch die Biſchöfe, daun durch die Grafen.

4) Legg. 1. 1. c. 1.

5) Und Löning IL. ©. 34 fagt: „ber Stat überließ es ber Kirche, Durch ihre eignen Disciplinarmittel bie von dem einheitlichen Glauben Abweichenben

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Die bier zur Zerftörung verurtheilten simulacra und idola find ohne Zweifel mit verſchwindenden Ausnahmen nicht germanifche, fon- bern jener Miſchung von Teltifchen und römiſchen Göttergeftalten und Sötterbienften angehörig, die in Gallien, wie auch fonft in Provinzen mit Beltifch-römifcher Bevölkerung 1), fich fo außerorbentlich manchfaltig und üppig entwidelten. Weit Unrecht hat man das bisher?) oft ver- fannt: auch die Schilverung im Leben Sanct Columba's von ben ver- fallnen Göttertempeln und Götterbilonifien in den Vogeſen einer offenbar ziemlich großartigen Anlage gebt nicht auf Alamannifches, ſondern auf Keltifch-Römifches>).

Denn beruht auch des Tacitus Bericht‘) von ber völligen Bilo- lofigfeit germanifchen ®ottesbienftes anf ſtarker Uebertreibung: immer- hin waren germanifche Götterbilder und Tempel wenig zahlreich und am Wenigften ift daran zu denken, daß die Franken folche in großer Zahl nach Gallien mitgebracht oder in biefem Lande von 480—550 häufig neu errichtet hätten: es Handelt fich aber doch bei ven bier auf dem länblichen Selbe ſtehenden offenbar um größere, nicht um jene Heinen Bildchen, die allerdings vielfach als Amulette getragen oder auf oder an dem Herb angebracht wurden.

Dagegen ber zweite Theil des Föniglichen Verbotes wendet fich, in engem Anfchluß an Concilienbefchläffe und Bußorbnungen, gegen Gebräuche, die ebenfo dem germanifchen wie dem römifchen und fel- tifchen Leben, zumal gewiffen Feſten, angehörten und die bier vor Allem um ihres Zuſammenhangs mit bem Heidentbum, aber auch aus chriſtlich⸗ asketiſchen und wohl auch das foll nicht beftritten werden aus fittenpolizeilichen Gründen befämpft werben, va fich wohl zuweilen Völlerei und allerlei ausgelafiner Unfug in Worten und Werfen mißbräuchlich an jene jo berechtigte, aber dem welt- ſcheuen Moͤnchthum fo verhaßte heidniſche Weltfreudigkeit gefchloffen hatten.

„Unfere Pflicht iſt es“, fährt ver König fort, „zu berathen, wie bas in Freveln gegen Gott verübte Unrecht zu ftrafen fei und, weil

zurückzuführen und Durch geiſtliche Ueberrebung (!) Heiden und Juden zum Chriſtenthum zu belehren”.

1) Urgeſch. II. ©. 421.

2) Auch mein großer Meifter Jakob Grimm in feiner unfterblichen Dentichen Mythologie.

3) Urgeſch. W. ©. 533$.

4) Germania c. 9. D. G. Ia. ©. 289.

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unfer Glaube verlangt, das auszuführen, was der Bifchof am Altare lehrt, was immer von Evangelium, Propheten und Apofteln verkündet ift (joweit und Gott das Verftänpniß ſchenkt). Klage erging an uns, im Volle gejchähen viele Neligionsfrevel (sacrilegia), wo» durch Gott beleidigt und die Völker durch die Sünde in den (ewigen) Tod geftürzt werben: Tänzerinnen!) trieben fich in ven Dörfern (Ge- höften, villas) umber, die Nächte durchwachend mit Trunkenheit, Boffen und Liedern: fogar an ben heiligen Tagen Dftern, Weihnachten und ben andern Feiertagen und in ber dem Tag bes Herrn vorhergehenden Nacht: al dies, wodurch Gott anerlanntermaßen beleidigt wird, ver- bieten wir durchaus zu thun. Wer immer nah Mahnung der Bifchöfe und (vel) unfrem Bann (praecepto) jene Sacrilegien zu verüben wagt, ber, fo befehlen wir, erhalte, wenn ein Unfreier, 100 Geißel- hiebe, wenn er aber ein Freier (freigeborner ? ingenuus) ober eine ehren» reichere Perfon iſt ...“ Der Schluß ift leiver verloren: vielleicht war auch bier Stellung vor den König behufs Entfcheivung vorgefchrieben. Man?) hat vermuthet, daß er Einbannung (Einfperrung) enthielt: wie fie biefem ein Brief Gregors androht: „auf daß, wer auf beilfame Worte nicht hört, durch Qualen des Lebens zur Gefundung des Geiftes gelange*. Allein jchwerlich doch hat ver Pabft (a. 590) jene merovin- giſche Verordnung (vor 559) gekannt und nachgebilvet.

Iſt das nicht ftatliche Verfolgung des Heidenthume ?

Der König nahm alfo allerdings?), wo es ihm gerabe beliebte, das Recht in Anſpruch, Anbersgläubige Ketzer, Juden und Hei- ben als Berächter von Religion und Stat mit ſchweren Strafen.

1) dansatrices wollen ſtatt bansatrices Petrus Delalande in supplem. ad Sirmond. Conceil. Gall. p. 340 und Andre lefen: über „Zanz“, das bie romanifchen Spraden (dansare u. f. w.) aus altbochbeutich »danson« (ziehen, hinter fich ber- ziehen) entnommen hatten und num tn ber neuen Bebentung „tanzen“ erft feit dem XI. Jahrhundert wieber in das Deutſche, Englifche, Nordiſche zuriidwanberte, ſ. Diez, Wörterbuch J. 3. S. 150, Kluge 340, Weigand II. S. 876, Schade ©. 922, Lexer ©. 264. Du Cange I. ©. 561 gewährt nur dieſe eine Stelle, auch dieſe umherziehenden Tanzweiber weifen nicht auf germanifchen, auf römiſch⸗keltiſchen Urfprung der bier befämpften Sitten, obwohl Germanifches ber Art nicht ganz fehlt: freilich frägt ſich dabei, ob das nicht erft aus Romantichem herübergenommen tft: vgl. die (fpäten) Schilverungen der zügellofen Frauen am Rhein ebenfalls an hoben Feittagen 3. Grimm, D. M. I. ©. 239.

2) Rettberg I. S. 287 bat Epist. ad Jannarium IX. 2. 65.

3) Gegen Löning II. 157.

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3. B. Ausweifung zu verfolgen und zur Annahme des rechten Glaubens, 3. B. durch Zwangstaufe von Heiden, zu nöthigen.

Unter Theuderich I. (512—534) verbrennt Sanct Gallus, (päter Biſchof von Clermont, gejt. 553), heimlich ein heidniſches Heiligthum in einem Hain bei Köln, in bem Opferſchmäuſe gehalten wurden: daß kranke Glieder in Holzbilvern als Gelübde vargebracht werben, ift ebenfo germanifch wie keltiſch. Die Heiden, durch ven auffteigenben Rauch herbeigezogen, verfolgen ven bavon laufenden Diakon mit ge- züdten Schwertern bis vor den König: ber aber, ftatt zu ftrafen, Shüßt die Weihthumfchänder!). Gregor freut fich, daß die „dummen Heiden“ (absentibus stultis paganis) zu fpät kommen; ber Heilige aber beklagte fpäter, durch fein Davonlaufen ven Blutzeugentod ver- mieden zu haben. Der Zorn ber Heiden ift Gregor ein furor »im- probuse. Daß die Heiden nicht auch noch für das Opfer beftraft werben, beweift, daß damals ein allgemeines Verbot des Heidenthums noch nicht erlaffen war wie unter Ehilbibert 1.

Mehr Muth als ver heilige Mann bewährte eine heilige Frau: Sancta Radegundis, bie auf einer Reife „eingeladen zum Male bei ber matrona Anfifriv“2), erfährt, daß in der Nähe ein Heiligthum (fanum) der „Franken“ verehrt werde: alfo bier zweifellos ein germanifches fofort reitet fie hin, denn „teuflifche machinamenta“ bürfen nicht verehrt werben und läßt das Weihthum burch ihre Diener (famulis) fte reift mit regia pompa verbrennen: bie Franken fuchen e8 mit Schwertern und Stöden zu vertheibigen und mit allem ZTeufelslärm (cum omni strepitu diabolico) : aber die heilige Königin rührt ihr Pferd nicht von ber Stelle, bis das Heiligtum verbrannt ift: bas ift bie chriftliche „Toleranz“ und Enthaltung von Heidenverfolgung?).

Und ift es nicht etwa weltliche Strafe, vom weltlichen Nichter auf Anrufen der Kirche verhängt, wenn das Concil von Eauze von 5514) zwar Vornehme, die Zauberſprüche über Zrinfhörner fprechen,

1) Greg. Tur. v. Patrum VI. 2. ed. Krusch p. 681.

2) Ohne Grund nimmt Nettberg I. S. 286 an, es fei auf ihrer Reife aus Thüringen in das Frankenland gefcheben.

3) V. St. Radegundis, Baudonivia II. c. 2 ed. Krusch Merov. II. p. 380 (ſchrieb erft nach a. 600, nicht 580), danach ift VII. 1. p. XVI. zu beflern. Der Borfall geſchah etwa 533.

4) can. 3. Maassen p. 114, de in cantatoribus vel eis qui instinctu di- aboli cornua praecantare (Hefele III. ©. 9) dicuntur, si superiores personae sunt a liminibus excommunicatione pellantur ecclesiae humiliores vero per-

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nur mit Ercommunication ftrafen, Geringe aber und Unfreie vom Richter ergreifen und geißeln läßt, „auf daß fie, wenn nicht durch die Furcht vor Gott, durch Prügel gebefjert werben“ 1): daß dies urfprünglich weft. gotifch Necht?) gewejen fein mag, fteht nicht im Wege: num gehörte dies Gebiet zum Frankenreich.

Und in dem Edict Guntchramns®), dad er an das Goncil zu Mäcon*) richtet, ftellt er nicht nur ganz allgemein den weltlichen Arm zur Verfügung, diejenigen zu ftrafen, vie den bifchöflichen Verboten, alfo auch beibnifcher Gebräuche, nicht geborchen 5); neben biefen mehr lebrbaften Grundſatz ftellt ver König, als weltliches Necht, in Beitä- tigung ber Bejchlüffe des Concils o), das befondere Verbot der Arbeit (ausgenommen die unumgängliche Bereitung von Lebensmitteln) und der Nechtiprechung an Feiertagen. Dies Verbot traf offenbar in feiner Allgemeinheit Heiden wie Chriften”).

Aber auch die Ausweifung aus dem Bisthum ift doch nicht nur „polizeiliche Maßregel“8), auch eine folche ift doch Uebung welt- licher Gewalt ift au Strafe und fie wird von den Biſchöfen verhängt, auch wohl ausgeführt: nicht nur jener Ausländer, ber zu Autun die monotheletifche Ketzerei verbreitet hatte, warb auf Betreiben von Sanct Audoen und Sanct Eligius durch das V. Concil von Or⸗ leang?) aus dem ganzen Neich ausgewiefen, auch Inländer werden aus dem Bisthum vertrieben: fo Buhlinnen von Geiftlihen!. Biſchof Ragnemod von Paris verbannt a. 587 einen falfchen Wunderthäter aus feiner Didcefe!!). Läßt man dieſe Verbannten „nur dem tbat« ſächlichen Einfluß der Biſchöfe weichen”12), jo würde hoch ohne Zweifel

sonae vel servi correpti a judice fustigentur, ut, si se timorem (lies timore) Dei corrigi forte dissimulant, velut seriptum est, verberibus corrigantur.

1) Hinſchins IV. ©. 802.

2) L. V. VI. 2. 6. Weſtgot. Stubien S. 186. 234.

3) Aus Peronne vom 10. XI. 585.

4) a. 585 (feit 23. X.?)

5) Cap. L. 1. p. 12. Distringat legalis ultio judicum, quos non corrigit canonica praedicatio sacerdotum: das iſt's!

6) can. 1. 2. Maassen p. 165. 166.

7) Cap. l. c. p. 1.

8) Wie Löning II. ©. 467.

9) Gwiſchen 639 und 13. Mai 641) Maassen p. 207.

10) Ce. IV. Aurel. von 541. c. 29. Maassen p. 93, vgl. Hinſchius IV. S. 804.

11) Urgeſch. III. ©. 405.

12) Löning II. ©. 468.

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den Widerſtrebenden anf Anrufen der Bifchöfe ber Graf gezwungen haben: jevesfalles treffen biefe weltliche Anoronungen in Ausführung ftatlicher Verfolgungsgeſetze.

Allerdings befchäftigen fich die Eoncilien häufiger mit heibnifchen Gebräuchen Getaufter al® noch ungetaufter Heiben!).

Und vor Allem: ver Stat führte damals fchon, was man fehr mit Unrecht beftreitet, Firchliche VBorfchriften mit weltlichem Zwang, mit weltlihen Strafen dur: nicht nur gegen Heiden und Keger, auch gegen Nechtgläubige, die kirchliche Gebote verlegen: fo bezüglich der Sonntagsrube.

Das II. Eoncit von Mäcon von 5852) hatte unter ven fehwerften Strafen ftrenge Sonn- und Feſt⸗Tagsfeier eingejchärft: jede Thätigkeit vor Gericht und auf dem Feld tft verboten: wer vor Gericht auftritt, wird fachfällig (1), der Geiftliche wird auf 6 Monate fuspenbirt, ber Eolone oder Unfreie, der auf dem Feld arbeitet, wird gegeißelt: das war zwar als „geiftlidhe” Strafe, wie ja Prügel überhaupt, gemeint, trat aber doch auch fleiſchlich ziemlich ſpürbar in Erfcheinung. König Guntchramm erließ ein Edict, in dem er allen weltlichen Be⸗ amten befiehlt, das burchzuführen alfo 3. B. die Geißelung an dem Wiberftrebenden zu vollziehen und gegen Dartnädige wirb bie weltliche Strafe durch ben weltlichen Richter gebroht®), d. h. der Königsbann von 60 sol. Wie kann man dem gegenüber beftreiten, baß ſchon ber Merovingenftat Tirchliche Vorſchriften zwangsweife durch weltliche Strafen burchführte ?

Noch viel unmittelbarer, nicht erft Hinter erfolglos gebliebenen Kirchenftrafen, fchreitet Childibert II. in feinem Decret von a. 596 gegen Verlegung ber Tirchlichen Feiertagsgebote ein: wer am Sonntag eine nicht zur Erhaltung des Lebens umnerläßliche Arbeit verrichtet, wird mit einer weltlichen Vermögensftrafe, einer Wette an ven König von 15, 71/2 und 3 sol. (abgeftuft für Salier, Römer, Unfreie: letzteren droht Geißelung, falls der Herr die Wette nicht zahlt) beftraft‘). Das ging fpäter in das Frifenrecht®) über. Aber noch viel fchärfer in

1) Ein Unterfchieb, der von Waitz II. S. 85 nicht gemacht wirb, ber zu oft an beibnifche Franuken links vom Rheine denkt. Bgl. bie Cc. IV. Aurel. a. 542. c. 15. 16. II. Turon. a. 567. can. 17. 22. Autiss. (ua) 573, vor 603) c. 1.3.4. Maassen p. 9. 126. 128. 179.

2) can. 1. Maassen p. 165.

3) Ed. Guntchr. Legg. I. p. 4.

4) Decr. Childib. D. c. 14.1. o. 5) L. Fr. XVII. ce. 1.

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das c. 620 aufgezeichnete Alamannen- und |päter in das nachgebilbete (farolingifche) Baiernrecht: der Sonntags arbeitende Knecht wird ge- getißelt, ver Freie nach breimaliger Abmahnung mit Einziehung bes Drittels feines Vermögens und bei Rüdfall mit Ver⸗ knechtung) geftraft.

Und das follen nicht weltliche Strafen für Verlegung Tirchlicher Gebote fein!

Später ward dieſe undurchführbare Strenge auf das Verbot ver Teldarbeit?2) und von Karl auf Abhaltung von Gericht an Sonn- tagen®) beſchränkt, nachdem ſchon früher die Strafe ver Sachfällig- feit, die weltlich Recht geworben, vergejfen worden war; ja als fic Sanct Praejectus von Clermont weigert, an bem (Bigilien-)Sonn- abend vor Oſtern vor dem Gericht König Childerichs II. fich einzulaffen, wird er dazu gezwungen‘).

Wieberholt jchärfte Pabſt Pelagius I. Ehifvibert I. (a. 556) ein bie beſondere Pflicht), Keterei und Glaubensipaltung in feinen Reichen zu verbieten, und ber König, ber, wie wir ſahen (oben ©. 196), gegen bie Heiden einfchritt, hat vermutblich die noch tiefer gehaßten Kleber nicht verfchont.

Steichzeitig hat Theuderich J., Chlodovechs andrer Sohn, nicht nur chriftliche Kirchen wieder hergeftellt, jondern auch Heiden aus- gerottet, wie fein Sohn Theudibert I. von ihm rühmt. Das kann nur Heiden in feinem Neiche meinen, außerfräntifche Heiden hat er nicht befämpft. Und Juſtinian müfje®) fich freuen, jchreibt er, über alle Machtausbreitungen Theuderichs als Machtausbreitungen ver Ka⸗ tholtfchen 7).

Im Jahre 567 bekämpft das Concil von Tours ſowohl zweifellos römijches Heidenthum bie Feier des Gottes Janus am 1. Januar

1) Lex Alam. Hloth. 38, additio I. ad Leg. Bajuv., verboten wird, Rinder vor den Pflug zu [pannen, mit bem Wagen zu fahren, Gras ober Korn zu ſchnei⸗ den ober zu ärndten.

2) Cc. I. Cabillon a. 573—603. can. 16. Maassen p. 181.

3) Ce. Arelat. 813. can. 16. Mansi XIV. p. 61 und bie Übrigen biefes Jahres.

4) Urgeſch. II. S. 687.

5) ed. Gundlach p. 79 convenit . . peculiarem curam . . impendere.

6) Epistola Theudib. ed. Gundlach p. 133 loca sacrosancta ... paganorum excidio . . in meliori culmine revocarvit.

7) de profeetu catholicorum |. c.

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wie die Verehrung von Felſen, Bäumen und Quellen und das Ver⸗ zehren von den Dämonen geweihten Speiſen, d. b. wohl Opferſchmäuſe!), was ebenjowohl germanifch wie Teltifch « römisches Heiventhum fein Tann. Chriftlicher Gebrauch war e8 dagegen, an St. Petri Stuhlfeier den Zobten gewiſſe Speifen zu opfern?): verboten wird nur, nad Uebung dieſes chriftlichen Gebrauchs in der Kirche zu Haufe am heid— nifchen Opferfehmaus Theil zu nehmen.

Im Leben bes heiligen Nicetius von Trier, geft. c. 570, wird erzählt, daß ein Auvergnate, ber zur See nach Italien reift, ver ein- zige Chrift auf dem Schiff ift unter einer Menge von heibnifchem Landvolk, das in Sturmesgefahr Jupiter, Mercur, Minerva und Venus anruft; nur der Auvergnate vertraut auf Sanct Nicetius und mahnt bie Heiden, zu dem Gotte des Nicetius zu beten, ganz wie Chlodovech den Gott Hrothehildens anruft 3).

Im Jahre c. 578 verbietet das Concil zu Auzxerre‘), Gelübde barzubringen an Dornbüfchen, heiligen Bäumen und Quellen.

Im September a. 597 mahnt Gregor der Große Brunidhilven, für ihr Seelenheil (pro vestra mercede) die Schismatiter in ihrem Weiche, bie das Concil von Chalcebon verwerfen, zur Einheit der Kirche zurüd zu rufen, zugleich verlangt er von ihr Unterbrüdung des Heidenthums: fie fol ihren Unterthanen mit Gewalt wehren (restringat), den Göten- bildern zu opfern, Bäume zu verehren, abgejchnittne Thierhäupter den Göttern darzubringen: „denn fogar Getaufte, welche vie Kirchen be- ſuchen, laſſen, wie wir Hören, nicht von tem Dienft der Dämonen“).

1) Ce. Turon. a. 567 can. 23. (22) p. 133. Schon das II. Cc. von Orleans von 533 can. 20 und bas III. Co. von Orleans von 541 can. 15 hatte Getauften ben Genuß von Opferfleifch verboten.

2) intritas, nicht intrinitas wie Du Cange IV. p. 405: „Eingeweichtes”, &ußgoxn.

3) Greg. Tur. vitae patrum XVII. 5. Löning II. ©. 58 bat dies mißver⸗ fanden: nit St. Nicetins ſelbſt fährt nah Stalten, er vielmehr auf einem Fluß (fluvius) auf ber Rüdreife von den merovingiſchen Königen in Gallien fondern jener Auvergnate, ber das Gelübde getban, umverjchoren zu gehen, bis er den Heiligen von Angeficht gejehen.

4) can. 3. Maassen p. 178.

5) Registr. VIII. 4 (IL. 1.p. 7) ed. Hartmann ut idolis non immolent, cultores arborum non existant, de animalium capitibus sacrificia sacrilega non exhibeant; außer den von Hartmann ]. c. angeführten Stellen vgl. I. Grimm, D. Mytbol. II. ©. 614.

204

Wenige Jahre vorher berichtet Agathias!) von ten Alamannen: „fie verehren Bäume, Zlußwirbel (deiyea rorau@v), Hügel (Aopovs), Telfen (pagayyas) und bringen biefen, wie in heiligen Handlungen, Noffe, Rinder und andere ungezählte Opfer dar, indem fie ihnen bie Häupter abjchneiden“?).

Letzteres ift gewiß germanijch, und auch bie Verehrung von „Höl- zern und Steinen”®) Tann germanifch (langobarbifch) *) fein wie bie ber Angeln), allein ver Ausdruck wird ganz allgemein von „Bögenbienft“ gebraucht, auch wo, wie auf Eorfica®), an Germanen nicht zu denken ift.

Mebrigens unterläßt Gregor nicht, mit jener feelenbezwingenben Klugheit der Kirche, die alle Töne, wie ter Belohnung fo ver Ein- ſchüchterung anzufchlagen verfteht, die Regentin vor ven Strafen fünt- baften Gewährenlaffen® zu warnen: damals war ihr Land fchwer be» brängt von den Avaren”), deren man fich, zugleich durch Chlothachar LI. und Xcheubibert II. bebräut, nicht zu erwehren vermochte. Gregor droht, Gott werde dieſe Peſt eines ungläubigen Volles über ihr Neich als Strafruthe verhängen wie über andere Keterreiche, d. 5. das by⸗ > zantinifche.

Sanct Lupus von Sens, geft. a. 623, wird verbannt in ben neuftriichen Gau Vinimacus: dort waltet ein beibnifcher Herzog (dux, vielleicht = comes?), der den Heiligen auf ein Landgut Andeſagina an der Ancia vermweift nahe der Somme: bier waren Heidentempel (templa planatica, von srAaynrınds, in bie Irre gehend, „Irrfal- Tempel“), in denen noch Decurionen Götterbienft verrichteten. Der Heilige belehrt ven dux „und eine große Menge des fränkischen Heer- voll8®), die noch in den Striden des Irrſals lag“?).

1)1 7.

2) Kaparouoürres Enıdssabovaıw. Weber die Pferbelöpfe bei den Heiben $. Orimm, D. Mytbol. I. ©. 621.

3) Bei Terracina ligna et lapides VIII. 19.

4) Aber der arbor quem rustiei »sanctivum« vocant ift doch wohl nicht fangobarbifh, nicht Sanguinus wie Du Cange VII. p. 302, sanctivus nicht Ueberfeßung eines Tangobarbiihen „Weih-Baums“: (Liutpr. 84; ebenda über Quellen (fontanae)»-Berehrung): es find die »arbores sacrivae«, bei benen Ge⸗ lübde zu leiſten und Opfer darzubringen das Eoncil von Auxerre von 578 can. 3 verbietet; oben S. 203.

5) Reg. VII. 29. 6\) Reg. VID. 1.

7) Paul. Diacon. IV. 12, Urgeſch. II. ©. 643.

8) plurimum Francorum exereitum, f. oben ©. 252.

9) A. 8. 1. Sept. I. p. 256.

205

Um das Jahr 626 befiehlt Dagobert, alle Heiden im Gau von Gent mit Gewalt zur Taufe zu zwingen: wenn bas nicht Glaubens⸗ zwang ift, giebt e8 überhaupt feinen ?!).

Man?) bat es als Beweis der Duldung und Gegenbeweis gegen tbeofratifchen Glaubenszwang wider das Heidenthum hervorgehoben, bag wenigftens in zwei Fällen eine bejonvers eingebolte Erlaubniß bes Königs, Heiden befehren zu bürfen, erwähnt wird. Einmal wird Sanct Amanpus diefe Verftattung als Gegenleiftung dafür nerfprochen, baß er bie früher abgelehnte Taufpathenſchaft bei einem Sohn (geb. a. 610) des Königs übernehme), und ein ehemaliger Notarius bes Könige Theuderich IL. erbittet pie Erlaubniß, den Heiden prebigen zu bürfen®. Allein das beweift eher für das Gegentheil. Das oft be- zeugte äußerſt gewaltthätige Auftreten ber weihthumſchänderiſchen Be⸗ lehrer St. Columba, der das Opfer bei Bregenz durch Zertrüm- merung des Opferfaffes ftört, St. Bonifatius, ver die heilige Eiche fällt mußte oder Tonnte doch den Widerſtand ver in ihren beiligften Gefühlen verlegten Heiden herausfordern, denn nicht nur Ehriften haben Heiligtümer! und ſchon deßhalb mußte fich der Bekehrer vor Beginn feiner Thätigkeit des Schutzes des Königs verfichern, ber nicht verweigert werben konnte, war die Belehrung ausprüdlich verftattet.

Selbftverftänzlich erheifcht jener Grundſatz nicht, daß num wirklich in jedem Einzelfall die Kirche bei Bekämpfung von Ketern over Heiden auch den weltlichen Arm anrief: fo wird wenigftens feiner Unterftügung geichwiegen was durchaus nicht beweift, daß fie fehlte bei ber Belehrung der Heiden (Burgunden ober (eher) Kelto-Nomanen ?), bie St. Euftafius (Abt von Luxeuil, geft. c. a. 625) c. a. 600 im Gebiet ber Waraffer, des »pais de Varais« bei Bejancon am Doubs, be trieb®) und ber photinianifchen (Srriehren über Dreieinigkeit und

1) Baudemundus: vita St. Amandi A. 8. ed. Boll. 6. Febr. I. p. 848. c. 11. ex jussis regis ut si quis se sponte per baptismi lavacrım regenerare no- luisset, coactus a rege ablueretur baptismate. Der Verſuch Lönings II. ©. 45. 60. 61, diefen Zwang hinweg zu deuten, iſt völlig mißlungen; richtig ſchließt Zorn ©. 53 Inden von biefem Zwang aus.

2) Löning II. ©. 60. 3)le. ec. 16.

4) V. St. Eustasii (geft. a. 625) A. S. ed. Boll. 29. Mart. III. p. 786.

5) Vita St. Eustasii auctore Jona, danach v. St. Agili uub St. Salabergae A. S. ed. Boll. 29. März III. p. 786. Agilus, Abt von Rebais, geft. c. a. 650. 1. c. 30. Aug. VL. p. 566. Salaberga, Aebtiffin zu Laon, geft. 665. 1. c. 22. Sept. V. p. 521.

206

Naturen Ehrifti) und der bonofianifchen (Verwerfung des Mariencults und Berfittlichung des Lebens) Keter. Die Heiligenlegenten lieben e8, vie Bekehrungen lediglich burch die inneren Vorzüge und bie Wunder des Chriftenthums bewirkt hinzuftellen, der weltlichen Zwangs⸗ nachhilfe zu geſchweigen: Sanct Bonifatius bat aber lettere für un- entbehrlich erklärt!).

Muß doch der Stat den Bilchöfen den weltlichen Arm leihen, auch äußerliche Strafen, Geißelung, Einfperrung an Wiperftrebenpen vollftreden?). Werner ftraft der Stat bald in erjter Reihe neben ber Kirche weltlich, oder er erzwingt die kirchliche Strafe, oder er ſtraft weltlich bei Unwirkſamkeit der Kirchenftrafen.

Im VII Iahrhundert war die Lehre der Monotbeleten, bie in Chriftus zwar zwei Naturen, aber nur Einen Willen annahmen, von Pabſt Honorius für rechtgläubig erklärt, aber nach deſſen Tod (a. 638) von einem Concil zu Nom als ketzeriſch verworfen worben, und Pabſt Martin I. fandte a. 649 das DVerbammungsurtbeil an König Sigi bert III. und feine Bifchöfe mit der Aufforderung, ihm zu beilfen, biefe Keterei zu unterbrüden 3); er verlangt Entſendung fränkiſcher Prieftr nah Nom zur gemeinfamen Belämpfung ber im Oſtreich herrſchenden Ketzerei). ALS aber ein folcher Keter (vertrieben aus bem bizantinifchen Weiche, a partibus transmarinis) nach Gallien fam und zu Autun feine Lehre verbreitete, veranlaßten Sanct Eligius und Sanct Audoen bie Berufung eines Concils nah Orleans, das ihn „mit Schimpf und Schande aus Gallien ausweift“5).

Das ift doch nicht „eine nur Tirchliche, getjtliche Strafe“: aller: dings foll die Vertreibung durch die Biſchöfe gefchehen, allein fonber Zweifel würde bei Widerſtand der Keker der Stat den weltlichen Arm zur Vertreibung geliehen baben®).

Aehnlich verhält es fich in anderen Fällen, in denen zunächit zwar

1) Urgeſch. III. ©. 817.

2) Anders Löning IL. &. 36. 56. 209. 492, ber ©. 36 jagt, ber Stat babe nicht ber Kirche feine weltliche Macht zu Gebote geftellt, um die von ihr ver- bängten Strafen zur Durchführung zu bringen: „nur in vereinzelten Fällen“ ſei das geſchehen: es geſchah aber grundſätzlich.

3) Vita St. Eligii II. 88 ob haeresim comprimendam.

4) Bgl. Urgeſch. III. ©. 657, wo ftatt Martin V. Martin I. zu leſen.

5) Nach 639 unter Chlodoweh II. und vor 13. V. 641 f. Maassen |. c. p. 208, Kruſch, Forſch. XXL. ©. 470.

6) Anders Löning II. ©. 48. 50.

207

die Biſchöfe Fraft ihrer geiftlichen Zuchtgewalt Einbannung in ein Klofter, Ausbannung aus der Didcefe oder aus dem ganzen (Theils)Reiche verfügen, aber ohne Zweifel bei Wiperftand ben weltlichen Arm anrufen Tonnten, wie fie das ja gegen das Heidenthum wieberholt gethan haben: eine Wahrfagerin wird verhaftet, falfche Wunderthäter zu Tours und zu Paris werben eingefperrt oder ver- trieben!!).

Die römischen Ketergejege hatte umgeftaltet die Lex Romana Visigotorum, bie für den größten Theil ber fatholifchen Unterthanen bes Frankenreichs in Kraft blieb: nur die Hier namentlich aufge- zählten Secten: Manichäer, Eunomianer, Montaniften, Photinianer, Cataphrygen, Prisciliianiften, Ascodrogen, Hhybroparaftaten, Bor- boriten und Ophiten follten allein noch unter die von ben Ketzer⸗ gefegen aufgenommenen?) Keterftrafen fallen?. Unmöglich hätte Chlodovech die große Zahl unterworfner arianifcher Goten, die felbjt« verjtändlich im Gotenrecht nicht als Ketzer gegolten hatten, nun jenen Secten ohne Weiteres gleichftellen können: aber nicht deßhalb wohl geſchah es, daß man biefe Beftimmungen ver L. R. V. im Franten- reich, wie es fcheint, überhaupt nicht anwandte‘): Tamen doch jene Serten bier (damals) nicht vor: die in ben fpäteren Concilien (bes VD. Jahrhunderts)*) vorausgefegten find andere. Erhalten haben fih die Bonofianer, Bhotinianer®).

Auch gegen die Juden wurden die Folgerungen aus dem „chrift- lichen Stat“ gezogen: feineswegs als Römer und daher als den Franken gleichberechtigte Statsangehörige geltend”), ſondern ſchon vor Ehlobo- vech als Vollsfremte und nun, feit der Verchriftenung bes States, auch noch als Ungläubige rvechtlos, mußten fie den aus Gnade und auf Widerruf gewährten Königsſchutz theuer erlaufen: einjtweilen ließ man fie in rein jübifchen Fällen nach jüdiſchem Recht leben: daher führen Juden einen Glaubens- und Vollsgenoffen, der fich weigert, fih dem Judenrecht zu fügen, in Feſſeln gejchloffen über bie Straße

1) Greg. Tur. VII. 46. IX. 6, Urgeſch. III. S. 340. 405.

2) Novella Theodosii DI. tit. 3 $ 1. 89. a. 438 ed. Haenel p. 258.

3) Bgl. die Interpretatio p. 258. J. co.

4) Vgl. Löning I. ©. 43.

5) Cc. Rhem. v. 625. c. 4 (Flodoardus H. 5), Clipp. 626/27 (27. Sept.) Ce. p. 197. 0. 5.

6) So Löning II. ©. 49.

7) Wie Löning II. ©. 51, f. dagegen VII. 1. ©. 307.

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bei Civray-sur-Cher, aber fofort befreit ihn ohne Weiteres ein chrift« licher Biſchof!).

Jeden Augenblid Tann der König den zugeficherten Schub zurüd- nehmen unb ben Juden zur Taufe zwingen: bewirbt fich ein Sube auch nur um ein Amt, wirb er fofort mit feinem ganzen Hauſe mit Gewalt getauft?).. Daher zwingt Chilperih in plößlichem Umſchlag ber Laune feine bisher begünftigten Juden zur Zaufe®), ebenfo nöthigt Biſchof Avitus die Juden zu Clermont, bie fich der Taufe weigern, zur Auswanderung ®).

Später mahnt Pabft Gregor der Große die Bilchöfe Theodor von Marſeille und Virgilius von Arles, die Juden nicht, wie bisher mit Gewalt, fondern durch die Prebigt zu befehren >).

Während in dem nicht theokratiichen Oftgotenftat Tiheoderich ber Große die Ehriften gezwungen hatte, die von ihnen zerftörten Syna⸗ gogen auf ihre Koften wierer herzuftellen, durften die Juden im Mero⸗ pingenreih weder nette Synagogen bauen, noch zerfallene ober von ben Chriſten zerftörte herftellen: Guntchramn verweigerte ihnen a. 585 zu Orleans nicht nur die Statshilfe (ope publica) hiezu, er verbietet ihnen auch die Herftellung aus eignen Mitteln) ver längft won ben Chriſten zerftörten.

Andere Beichräntungen ver Juden, aus dem römischen Recht bei- behalten, beruhen fchon in bviefem zum Theil wenigftens auch auf theofratifhen Gründen, manche freilich nur auf Miktrauen und gering- ſchätziger Abneigung.

So wieberbolten nicht nur Concilien?), auch Geſetzes) die Ver- bote, daß Juden öffentliche Aemter, 3. B. Zollämter, andere Finanz. ämter (quaestuosus ordo)®) befleiven in Stat oder &emeinde.

1) V. St. Germani »quia se recusarit legibus subdi Judaicise: doch nicht fih weigern, Jude zu bleiben.

2) Friedrich Ce. ©. 12.

3) Greg. Tur. VI. 17, Urgef. II. ©. 253. Ein allgemeines Taufgebot Waitz II. ©. 151 Hat er aber nicht erlafien.

4). c.

5) Registrum 1. 67.

6) Greg. Tur. VIII. 1, Urgeſch. III. ©. 345.

7) I. von Clermont von 535 c. 9. I. Matisc. von 581. c.13. Ce. Paris von a. 614. c. 17, von Rheims 624/25. c. 11, von Clichy v. 626. c. 13.

8) Das Epict von 614. ce. 10.

9) Waitz IL ©. 625.

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Chriftfiche Unfreie durften fie wohl halten!), aber vie unab- läffigen Belehrungsverfuche an ihrem chriftlichen Gefinde werben ſchon vom römischen Necht mit dem Tode beproht: Concilien fprechen ven Berluft des Unfreien an den Fiscus aus; bie Bebingung bes Weber» tritts zum Judenthum bei der Freilaffung wird geftrichen?).

Das römische Recht feit Iuftinian, auch das weftgotifche?), ver- bot ven Juden, chriftliche Unfreie überhaupt zu eignen: aber dies warb nicht einmal im byzantiniſchen Reich turchgeführt: Gregor, der das bei Brunichilvis ohne Erfolg beantragt®), muß Elagen, daß im byzan⸗ tiniſchen Neapel die Juden im Frankenreich erfaufte Ehriften als Knechte halten ®).

Dagegen brang das römiiche Verbot, chriftliche Unfreie neu zu erwerben, mit Abſchwächungen wenigftens in das Frankenreich ein: ſolche Ankäufe follten ungültig fein, ober es follte Loch jeder Chrift einen einem Juden entlaufenen chriftlichen Unfreien fpäter jeden Unfreien zu billigem Preife fpäter ein für allemal um 12 sol. freifaufen können 86).

Dagegen ſcheint nicht genug bezeugt, daß auf Wunſch des Kaiſers Heraflius, wie Sifibut der Weftgote, Dagobert I. a. 629 ein allges meines Zaufgebot für alle Juden erlaffen habe: jebesfalls warb es nicht ausgeführt 7).

Selbftverftändlich waren Ehen zwifchen Chriften und Juden wie nach römiſchem und wejtgotiichem®), jo nach fränkiſchem (Kirchen-) Recht verboten: fie find ungültig und werden wie Ehebruch bejtraft®). Nicht römiſchen Urfprungs ift das Fünigliche (erſt dann auch Firchliche)

1) Anders und irrig Waitz II. ©. 210.

2) S. Fränkiſche Forſchungen.

3) Könige VL? S. 413 ſ. Weftgot. Studien 13f.

4) Registr. IX. 109. a. 599.

5) IX. 36. a. 599, ich entnehme letzteres Töning II. ©. 55.

6) Co. Rhem. Clipp. ce. 13. Aurel. IV. c. 30. I. Matise. c. 16, f. frän⸗ liſche Forſch.

7) Vgl. Könige V. S. 180 über bie ſtark ſagenhaft durch Traumgefichte ex post gefärbten Berichte; anders Löning II. S. 56.

8) Könige VL? ©. 413f. Weſtgotiſche Studien S. 13f.

9) Ce. Aurel. II. a. 533. c. 19. Clermont a. 535. c. 6. Aurel. III. a. 538. c. 13. IV. von 541. c. 31.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 14

210

Verbot Childiberts I. für die Juden, fich zwifchen Gründonnerftag und DOfterfonntag auf den öffentlichen Strafen und Plätzen zu zeigen!).

So waren Stat und Kirche fchon damals gar vielfach verquidt: ber Gedanke gegenfeitiger Ergänzung, ber fpäter unter dem großen Karl fo ftark hervortritt, 3. DB. in dem Nebeneinander je eines geift- lichen und eines weltlichen Großen als Königsboten, fehlte ſchon da⸗ mals nicht: warb er doch ſchon in dem Römerreich feit Eonftan- tins IL. vorgefunden.

Schon jegt ift auch noch lange nicht bie theofratifche Auffaffung von Kirche und Stat als Einer unfcheibbaren, nur in zwei Halbfugeln geglieberten Einheit zu folder Schärfe burchgedrungen wie unter Karl dem Großen hat doch die Ausſtoßung aus der Kirche auch fchwerfte weltliche Strafen zur Folge. Wer wegen Ungehorfams gegen feinen Biſchof aus der Kirchengemeinfchaft gefchloffen ift, wird auch aus dem palatium des Königs geftoßen und bat all fein Vermögen an feine Erben verwirkt?).

Chilvibert IL. ſchreitet dabei mit den fehwerften Strafen ein, bie Soncilienfchlüffe gegen verbotne Ehen durchzuführen: Todesſtrafe droht er (594 zu Attigny) für Eingehung folcher: fchon gefchloffene follen von ten Biſchöfen gelöft werden, Ungehorfame werben ercommunicirt und nun auch vom Hofe ausgefchloffen, und verwirken ihnen ihr Ver- mögen an ihre Erben. Die ſchon früher auf Märzfeldern zu Anter- nah, Maftricht, Köln erlaffenen Gejege werben 596 zu Köln zuſammen⸗ gefaßt veröffentlicht).

Ganz ebenfo foll vie wegen Verlegung des kirchlichen Eheverbots erfolgte Ausftoßung aus der Kirchengemeinfchaft tie Wirkung haben, daß, nach Anzeige durch die Geiſtlichen an den König und die „Richter“ (d. h. zuftändigen Behörben), ter Ausgeftoßne in dem palatium nicht mehr dienen, feine Slage vor Gericht verfolgen kann (ein Stüd Recht: (ofigkeit) und fein Vermögen an feine Erben verliert ®).

1) Ce. Aurel. III. c. 30 »quasi insultationis causa« Co. Matisc. c. 13 secundum edictum domini . . Childiberti.

2) Childib. decr. c. 2 qui . . episcopo suo noluerit audire et excom- municatus fuerit, .. de palatio nostro sit omnino extraneus et omnes res suas parentibus legitimis amittat. Ridtig Zorn ©. 54.

3) Cap. I. 1. p. 15. c.2 qui nolent säcerdotis sui medicamenta sustinere.

4) Ce. Rhem. c. 10. Flodoard. I. 5 neque in palatio militiam neque agendarum causarum licentiam habeat,

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Tolgerichtig Hätte nun auch bie Aechtung, die ftatliche Schließung aus dem Rechtsſchutz, die Stoßung aus der Kirchengemeinfchaft müffen zur Folge haben, wie dies dem Grundſatz nach jpäter wenig- ſtens von ber Kirche auch anerkannt, aber (aus guten Gründen!) nicht buechgeführt wurbe: doch finden ſich in einzelnen Fällen wenigftens bamals fchon Anwendungen biefes Grundſatzes: wer gegen das Gebot bes Königs Gefangene gefangen behält, foll von ver Kirche ausgefchloffen werben!): allerbings ift biefer Fall nicht ganz beweisträftig, da bie Mißhandlung oder wiberrechtliche Fefthaltung von Gefangnen auch gegen Kirchenverbote verftieß, und feineswegs in allen Fällen follte bamals fchon Ungehorjam gegen den König Kirchenbann zur Folge haben.

Sehr zweifelig ift der Sinn eines Gebotes Chlothachars IL.2); daß bienach der Biſchof den König im Hofgericht vertreten follte®), ist falich: vielmehr werden hier gedroht geiftliche Strafen‘) für eine That, die nicht nur Rechtsbruch, auch Sünde war; das ift wohl ber Grund, daß der König die geiftlihe Strafe mit beranzieht: bie weltliche bleibt unausgefprochen vorbehalten).

Selbitverftändlich gelang e8 auch ben vereinten Kräften von Kirche und Stat nicht, alle Vorftellungen und Gebräuche des Heidenthums auszurotten: gerade die unaufhörlihen Verbote in den Concilien« ihlüffen, Bußordnungen und weltlichen Geſetzen ®) zeigen dies ja, und es ift bekannt, daß bis heute in allerlei Aberglauben und Uebungen bes Lanboolls in Frankreich wie in Deutfchland”) und Defterreich zum großen heil noch eine Fülle urfprünglich heibnifcher Anfchauungen erhalten ift, vie freilich fchon feit länger als einem Jahrtauſend von der Kirche mit großer Klugheit im chriftliche Formen gekleidet find. Kein Wunder daher, daß Sanct Vedaſt, der ſchon 540 ftirbt,

in dem palatium und an dem Tiſche Chlothachars I. noch Heiden antrifft®).

1) Ce. Lugdun. I. 567 oder 570 c. 3. Maassen p. 140.

2) praec. c. 6 si judex aliquem contra legem injuste damnaverit, in nostri absentia ab episcopis castigetur.

3) Naudet p. 548. Waitz IIb. ©. 67.

4) Richtig Löning S. 269. 536. Waitz IIb. ©. 68.

5) S. unten Gerichtsbarkeit der Geiftlichen unb über Geiftliche.

6) S. Fränkiſche Forſchungen.

7) Altgermantiches Heibenthbum im beutichen Volksleben der Gegenwart, Bau- fteine I. 1879. S. 193f., vgl. Rettberg I. ©. 280, v. Safe U. 1. S. 48 f., Frie⸗ drich II. ©. 147.

8) A. S. ed. Boll. 6. $ebr. II. p. 792.

14*

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Die Krieger Theudiberts J. die a. 539 am Bo Menfchenopfer barbrachten!), waren wohl heibnifche Alamannen. Sanct Wulflaich findet c. a. 580 zu Epofium (Carignan, früher Yooc?, am Chiers) die Bevölkerung durchaus heibnifch: er zerftört ein Bild ber Diana: d. h. wohl der Feltifch-römifchen Mifchgöttin 2).

Ein Hug gewähltes, unzähligemale mit Erfolg angewandtes Mittel beftanp darin, heidniſche Gebräuche, Feſte, Weiheftätten zu ver- hriftenen: dies Verfahren, das Gregor der Große bei Belehrung ber Angelfachfen empfahl?) und Bonifatius anwandte, indem er aus ber gefällten Donar-Eiche an verfelben Stelle ein chriftlich Bethaus zimmern ließ*), wird fehr bezeichnend gejchildert bei der Umwandlung römifch- heipnifcher Gebräuche, vie fich an den See von Javols bei den mon- tagnes d’Aubrac5) fnüpften.

Hier fiebelten nicht Germanen: vie Gebräuche gehen bis c. a. 366 hinauf, e8 handelt ſich aljo um (Keltiſch⸗ Römiſches.

An einem gewiffen Tage z0g jährlich eine Menge Landvolks an ben See, ihm Spendungen barzubringen: Xinnentüher und Woll- tücher, zu männlicher Tracht geeignet, Wolloließe, vie Meiften aber Scheiben von Käfe, Wachs, Brod und andern Sachen, jever nach Ver: mögen, warfen fie hinein. Mit Wagen kamen fie angefahren, Speifen und Getränke mitführend, fchlachteten (Dpfer-)Thiere und ſchmauſten bier fo drei Tage: am vierten, wann fie aufbrachen, Hinabzufteigen, überfiel fie jedes Iahr ein furchtbare® Gewitter mit Blitzen, Donner und Hagel, daß Keiner mit dem Leben davon zu kommen bofite.

Bon dieſem offenbar altkeltiichen Götterfeſt, bei dem bie in ben See geworfnen Mannskleider vielleicht Erinnerungen an Menſchen⸗ opfer find, ift das Landvolk auch in chriftlicher Zeit nicht abzubringen, . bis ein Bifchof von Javols die Gebeine des heiligen Hilarius ziemlich fern vom Ufer des Sees beftattet in einer bier errichteten Baſilika und bie Leute nun die herfömmlichen Gaben, ftatt in ben See zu werfen, im Grabe bes Heiligen darbringen, wobei dann auch das Unwetter nicht mehr wieberfehrt®).

1) Proc. b. G. II. ©. 25.

2) Greg. Tur. VIII. 15, Urgeſch. III. ©. 359. 3) Banftelne J. ©. 195.

4) Baufteine I. ©. 196.

5) Longnon p. 529.

6) Greg. Tur. glor. confess. c. 2.

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Diefe Umwandlung fällt wohl in das V. (oder VL?) Yahr- hundert: Sanct Hilarins ftirbt 366, und dann heißt es »post multa tempora«, (übrigens hat Gregor bier vielleicht Hilarius von Javols mit Hilarius von Poitiers verwechlelt).

Aber nicht immer halfen diefe Mittel: vielmehr Klagen bie Con- cilien immer wieber über bie umausreißbaren Wurzeln des Heiden— thums: es wurzelte eben in der Volksſeele und der Volksgeſchichte, ber uralten, geliebten Weberlieferung.

Daher finden ‚die Bekehrer noch im VII. Jahrhundert in manchen Gegenden, auch auf dem linken Rheinufer, veiche und nicht immer leichte Arbeit. So hatte Sanct Amandus, c. 571 in Aquitanien ge- boren, c. 630 nicht nur Waskonen im Sübweften und Slaven im Dften das Evangelium verkündet, auch in der Umgebung von Tournai, von Gent, in Brabant, an ber Schelve „eidenvölker“ (gentes) zu befehren. Mögen die an der Schelve noch nie getaufte Frifen gewejen fein, es müfjen auch Franken in jenen Landfchaften gelebt haben, bie das Chriftenthum noch nie angenommen oder wieber abgeftreift hatten, wie ja auch das Land hier zum Theil noch nie gerodet, zum Theil wieder verwildert und verwalbet war).

Sanct Amand, aus Rom (zum zweiten Mal) zurüdgelehrt, er- fährt von einem Gau am jenfeitigen Ufer der Schelde, Namens Gent (pagum praeter fluenta Sceldi, cui vocabulum est Gandavum), deſſen Bewohner ber böſe Feind dermaßen in feinen Neken verſtrickt hält, daß fie, von Gott laffend?), Bäume und Hölzer an Gottes ftatt verehrten, (das find wohl germaniicher Wald⸗Cult und Hol - Bilder), Weihthümer und Götzenbilder anbeteten. Wegen der Wildheit des Volkes und der Unfruchtbarkeit des wüftliegenden Landes Hatten fich alle Priefter von der Prebigt des Heils daſelbſt Hinweggezogen und Niemand wagte, dort das Wort des Herrn zu verkünden. Und ber Heilige, der doch fchon manches Wunder gewirkt, was thut er? Er verläßt fich für die Belehrung dieſer Heiden burchaus nicht auf fein

1) Vita St. Amandi von deſſen Schüler Baudemund Igeft. c. 680), Mönch in bem von Amanbus geftifteten Kloſter Elnon bei Zournai, fpäter St. Amand, ed. Krusch. M. G. h. Ser. rer. Mer. II. 1889, vgl. Rettberg I. ©. 554. II. ©. 506. |

2) Relicto Deo: das kann Rüdfall ins Heidenthum beventen, aber auch nad der damaligen Theologie Abfall von einer voransgejehten Uroffen- barung Gottes.

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Gebet, jeine Wunderkraft und die inneren Vorzüge des Chriſtenthums, fondern „ben Herrn König von Auftrafien“ ruft er an, auf daß biefer burch die gewaffnete Zwangsgewalt bes States bie Heiden, bie trogig bie Zaufe ablehnen, durch feinen Königsbann!) zum Chriftentbum zwinge. Er erbittet fich durch Bifchof Aichar von Noyon die Bann- befehle vom König und erhält fie?). Dabei ift dem frommen und tobesmuthigen Manne gewiß zu glauben, daß er „weniger aus Furcht für fein Leben als aus Erbarmen mit ihrem Irrſal“ diefen Zwang und die Waffen bes Königs angerufen babe: d. h. weil er ſah, daß fie ohne Zwang nicht von ihren Göttern laffen würden. Aber auch ber Zwang ftieß auf zähen, zornigen Wiberftand: „es ift nicht zu jagen, welche Unbilden der Heilige dort für Chriftus auszuftehen batte, wie oft er von ben Bauern, ben Weibern ſchmählich zurüdgeftoßen, ja wieberholt in den Strom geworfen wurde”. So verlogen ift das Ge- rede von ber inneren Sehnjucht der Germanen nach dem Chriftenthum ! Sie haben ihm vielmehr, wo und fo lange fie konnten, auf das Hef- tigfte wiberftrebt und e8 nur als ein Stüd der römischen, fpäter frän- tiihen, noch ſpäter beutichen Bildung und meift durch die Waffen gezwungen angenommen.

Aber noch ein Menfchenalter fpäter c. 650 findet Sanct Eligius (Saint Eloy, geſt. 658), wie fein Lebensbeſchreiber Sanct Aupoen ?) berichtet, die Bewohner dieſer Landſchaften „großentheils im Irrfal des Heidenthums und allerlei Aberglauben befangen“. Und auch noch zu Ende des VIL Iahrhunderts Sanct Lambert, Bilchof von Tongern und Maftricht, geftorben etwa 708%).

Neben ven auf Anrufen der Kirche verhängten oder auch von fich aus vom Stat gebrohten weltlichen Strafen, Berfolgungen und Unter- brüdungen ſtehen dann die geiftlichen Strafen und Zuchtmittel für Ver- gehen vor Laien wie Geiftlichen gegen firchliche Gebote: dieſe Bußen,

1) Coactus a rege. 2) percepta a rege potestate; über das Geltungsgebiet dieſes Bannes, Lö⸗ ning I. ©. 60. 3) Geftorben 683 ale Biſchof von Rouen, A. S. Boll. 24. Aug. V. p. 805. 4) ©. deſſen ältefte Lebensbeſchreibung von Godiſkalk, Canonicus zu Lüttich, etwa 770 ed. Acta Sanctorum ed. Bolland. 17. Sept. V. p. 574 und bie Schriften über ihn bei Kruſch in Wattenbach I. ©. 430.

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bie auch in Geißelung und Einfperrung zumal in Klöftern —, dann in Faſten und Gebeten befteben können, find in meift jüngeren Samm- lungen aufgezählt.

Diefe „Bußbücher“ entwideln eine erfchredende Fallmeiſterei ber Laſter; bei jenen eifrigen Chriften Geiftlichen wie Laien werben Zuftände von unglaublicher Scheußlichleit vorausgeſetzt, empörent zu- mal in gefchlechtlichen ‘Dingen und wibernatürlichen Laftern; das rauhe, ja oft rohe germanifche Heidenthum, deſſen Anjchauungen und Ge: bräuche aber durch finnige, innige Poeſie geadelt wurden, wußte von jenen Freveln nichts, die griechifch-römifche Fäulniß einerfeits und Widerftrebung der Natur gegen chriftlich-mönchifche Weltflucht andrer⸗ ſeits erzeugten.

III. Rechte des Königs gegenüber der Kirche.

Die hohe Verehrung Chlodovechs und feiner Nachfolger für bie Kirche, die Begünftigung berfelben und bas enge Bündniß mit dem Biſchofthum ſchloß aber durchaus nicht die kraftvollſte Geltendmachung ber Föniglichen Rechte, der Statsgewalt gegenüber ver Kirche aus: ja ber Frankenkönig nimmt eine weiter greifende SKirchenhoheit in An- ſpruch al8 vor ihm der römische Imperator!), wenigftens feit Ende bes V. Jahrhunderts im Abenpland: früher war des Kaifers Wille auch in rein Firchlichen Dingen entſcheidend gewefen. Seit in Italien und Spanien arianifche Herricher walteten, konnte bie Kirche biefen gleiche Machtftellung nicht einräumen?) und auch gegenüber dem fernen Imperator in Byzanz war fie nun z. B. unter Gelafius felbftftändiger aufgetreten.

Der Gründe, aus welchen Aufrichtung ver Herrichaft ver Kirche über ten Stat etwa nach Meufter des Weftgotifchen feit ver Be⸗ fehrung von a. 586 bier nicht glückte, vielmehr umgekehrt ihre Beugung unter ven fräntifchen Stat gelang ?), gab es viele: fo die faft

1) Dies hat verbienftlich dargewieſen Löning I. ©. 158. IL. ©. 4. 256. Bol. Waitz ©. 197, D. ©. Ib. &. 720—744, Urgeſch. IV. ©. 68—76.

2) So treffend Löning II. ©. 5.

3) Ueber die weitgehenden Rechte ver merovingiſchen Kirchenhoheit, Die fchon Chlodovech wie einen »rocher de bronce« ftabilirt bat, Haud I. ©. 85. 125, Lö— ning II. ©. 158 f. 256, Hinſchius II. 2. ©. 516, von Haſe S. 18—50, K. Müller ©. 293.

4) &o richtig Löning II. ©. 185.

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völlige Löſung von Rom, bie durch ben ſchwach⸗ und furzelebigen päbft« lichen Vicariat von Arles!) nicht verhindert ward; dann die Seltenheit von Eoncilien für das ganze Reich: die Concilien in den Theilreichen batten geringere Anjehen: daher auch die Abhängigkeit aller Eon- cilien?) von ber Königlichen Berufung ober doch Verftattung. Diefe war freilich fchon mehr Ausbrud?) als Urfache ter allgemeinen Unter- fügung der Kirche.

Der König übt auch über die Gerftlichen, ja über die Kirche ſelbſt eine fcharfe Herrſch-Gewalt: und zwar nicht nur in rein weltlichen und in „gemifchten”, auch in rein Tirchlichen Dingen: fchon Chlodovech erzwingt eine Priefterweihe fogar durch einen Dann wie Sanct Re- migius gegen bie canonest),; auch ein Gregor von Tours wagt nicht, einen Geächteten und Ercommunicirten wieder in bie Kirchengemein- ſchaft aufzunehmen, bis e8 (nicht ter König, fondern) die Königin (Fredigundis!) befohlen®). König Theuderich I. verpflanzt gewaltfam viele Geiftliche aus Clermont nach Zrier®). Guntchramn oronet „wie ein Biſchof“ Kirchengebete und Baften an zur Belämpfung ver Drüfen« peft?): dagegen ift es ein Geringes weil Weltliheg —, daß er feinen Bilchöfen befiehlt, einen andern Bilchof zu haufen, zu hofen und zu begen®).

Daß niemand Geiftlicher werden darf ohne Statsverftattung, ift aber nicht ein Beweis hiefür): denn der Betreffende ift ja noch Laie. Auch ift dies ja burchaus nichts Neues: vielmehr war jchon unter den Imperatoren allen curialifchen Familien ber Eintritt in ven Klerus verboten gewefen: ihr Vermögen, ihre Kräfte follten aus» ichließend der Gemeinde, dem State dienen, nur Armen war ber geift- liche Stand offen; Curialifche, die wiberjeglich die Weihen genommen, werden durch Statszwang wieder in Weltliche verwandelt 10. Im Frankenreich liegt der Grund gleichen Verbote darin, daß ©eiftliche

1) S. unten, Berbältniß zum Pabſt.

2) ©. dieſe unten.

3) Anders Löning a. a. O.

4) Epistol. ed. Gundlach p. 114, f. unten Bifchöfe, Machtſtellung. 5) Greg. Tur. VI. 32, Urgeſch. II. ©. 269.

6) Greg. Tur. vitae patrum VI. 2.

7) Greg. Tur. IX. 21, Urgeſch. III. ©. 433.

8) 1. c. VI. 36. ©. 279.

9, Wie Waitz IIb. ©. 68.

10) Löning I. ©. 149f.

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vieler Kirchen durch Freiungen der Steuerpflicht minder als Laien unterftellt oder ihr wie der Wehrpflicht ganz entzogen waren und ber Stat folhe Minderung feiner Einnahmen und Wehrkraft nicht ohne Ueberwachung und Einfpruch hinnehmen Tonnte. (Oben ©. 103. VII. 2. S. 265).

Daß Chlodovech ſchon vor dem Concil ein ſolches Geſetz erlafjen!) und das Concil nur bie Einhaltung (observandum esse) beſchloſſen babe, ift nicht wahrjcheinlich und Liegt Teinesfalles in ven Worten: noch weniger freilich, daß die Kirche von fich aus freiwillig folche Beſchränkung ganz gegen ihre Gepflogenheiten! fich auferlegt habe?). Vielmehr faßte das Concil damals ten Willen des Königs zu einem Canon, da es ja ohne diefen Willen doch keinen im Stat als Recht geltenden Canon erlafjen konnte: nur verlangte e8 die Ver- günftigung, daß Abkömmlinge (Klii) von Geiftlichen in drei Graben jener königlichen Verſtattung nicht bedürfen follten?). Der Wortlaut läßt zweifelhaft, ob Abftammung in Einem diefer Grade genügend ober in allen dreien erforberlid war. Ganz verehrt ift der Einfall‘), als ob hiedurch biefe Priejterlinge in allen Stüden ber ftatlichen Gerichts- barkeit entzogen und ber bifchöflichen unterftellt worben feien, alfo eine erbliche gefreite Priefterariftofratie, von der nie auch nur der Verſuch einer Geltendmachung bezeugt wird. Daß bie geforderte Vergünftigung von Chlodovech anerkannt und aljo Rechtens wurde, ift unwahrjchein- (ich: niemals begegnet in ver Folge eine Berufung darauf.

Daber erklärt der König, er werbe biefe Erlaubniß nur ertheilen, wenn ber bisherige Laie zwar frei, Unfreie durften nach (römiſchem und nach) Kirchenrecht nicht geweiht werben®) aber auch nicht in das öffentliche Steuerbuch preletico (= polyptycho) publico®) ein» getragen fei (was bei Unfreien ausgefchloffen war) 7): gemeint ift nicht bie Grundftener, die auch Geiftliche (wie Kirchen) regelmäßig zahlten,

1) Wie Löning II. ©. 159.

2) ®ie Digot IL. p. 110.

3) Cc. Aurel I. c. 4. ed. Maassen p. 4 ita, ut filii clericorum id est patrum, avorum ac proavorum, quos supradieto ordine parentum constat ob- servationi subjunetos, in episcoporum potestate ac districtione consistant.

4) Beuchenels a. a. O.

5) Ce. Aurel. III. c. 28. Maassen p. 81.

6) Marculfi Formulae I. 19 ed. Zeumer 1882. p. 15. Oben Finanzhoheit S. 101.

7) Oben ©. 113.

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fondern bie Kopffteuer !), von ver tie Geiftlichen zwar auch nicht?) grunbfäglich, aber fehr Häufig durch befonvere Freiung entbunden waren.

Der König beftraft auch Bilchöfe?).

Die Könige löften den Zuſammenhang fränkiſcher Bisthumtheile mit gotifchen, langobarbifchen, byzantiniſchen Bisthümern ®).

Dagegen mifchten fich bie Merovingen nicht wie bie Imperatoren und wie beſonders rückſichtslos Karls) (a. 794. 809) in die Lehre der Kirche. (Vebrigens erneute Karl in feinem Kaiſerthum bie ſchon feit Conftan- tinus I. von den Imperatoren eingenommene Stellung ver Kirche gegen- über, wonach er „nicht wie bie übrigen Laien unter ter unbetingten firchlichen Leitung des Klerus ftand, fonvern, ſelbſt vom göttlichen Geiſt infpirirt, das von Gott eingefete Werkzeug war zur Wahrung ber kirchlichen Einheit und Nechtgläubigfeit"®), als Priefter und Herrfcher zugleich, al „Sieger im Krieg und Lehrer des Glaubens“, ver von?) Gott eingefegte Bifchof, ber unter ven „ftreitenden Gliedern ber Kirche” ven Frieden Gottes zu wahren hat) 8). In merovingifcher Zeit finden fich diefe aus dem Byzantiniſchen des IV. und V. Jahr⸗ hunderts herübergenommenen Vorftellungen nicht fo faft bei ven Kö—⸗ nigen als bei ben Bifchöfen. Die meiften Merovingen hatten wohl ſchon zu wenig Bildung und Sinn für foldhe Einmifchung, freilich ber weitaus geiftreichite und weitaus bösartigfte unter ihnen, Chil- perich (561—584), der in Verſen wie in Theologie liebhaberte, ver⸗ juchte einmal, feine fegerifche Lehrmeinung von ber Dreieinigfeit, bie er ſchlechthin „Gott“ genannt, nicht in bie drei Perſonen unterjchieden wiffen wollte, ven Bilchöfen Gregor von Tours und Salvius von Albi aufzureben: jedoch auf ihre fchroffe Ablehnung gab er es fofort auf?).

Schon die Merovingen gerietben vielfach in Streit mit der Kirche: feineswegs nur über die Gränzen ver ftatlichen Gerichtsbarkeit über

1) Oben ©. 111.

2) Wie Löning II. S. 166 meint.

3) Greg. V. 13. 21. 49. VIII. 12, Urgeſch. III. ©. 178. 199. 231. 354. IV. 2. ©. Ib. ©. 672. S. unten Gerichtsbarkeit über Geiftliche.

4) Löning II. 129. 213, Zorn ©. 54. S. unten Biſchöfe, Diöcefen.

5) Urgeſch. III. ©. 1049. 1135.

6) Löning II. ©. 3.

7) Ce. Chalcedon von a. 451.

8) Eusebius vita Constantini I. c. 44.

9) Greg. Tur. IV. 45, Urgeſch. III. ©. 217.

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bie Geiftlichen 1), auch auf Gebieten, in denen das gute Necht auf Seite der Kirche ftand: fo in der fehamlos geübten Simonie bei Be- fegung ber geiftlichen Aemter?), dann in ber Zerreißung von Dis: thümern nach den Gränzen ber Theilreiche!) und dem Verbot, Eon» cilien in fremden Theilreichen zu bejuchen t).

Das LU. Concil von Tours (18. XL) a. 567 fpricht den Grundſatz aus: „tein Menſch darf ven Borzug haben vor einem Gebot des Herrn und fein Amt (actio), feine Perſon weltliher Art darf jene ſchrecken, bie Chriſtus mit der Hoffnung bes Kreuzes gewaffnet hat“. Bon ber Verpflichtung, zweimal ober doch wenigftens einmal im Sabre das Provincialconcil zu befuchen, foll vie Berufung auf Verhinderung durch irgend eine Perfon eine Fönigliche ober private nicht befreien: ... „[onvern wie gefagt, auch das Hinverniß Königlichen Be: fehls (impedimentum ordinationis regiae) foll nicht vom Concil fern Halten”: „auch königliches Gebot darf nicht geiftlichem Werk vor- gehen“).

Gelegentlich jagt einmal auch ein einzelner Bifchof, nur „in guten Dingen” bürfe man dem König gehorjamen ®).

Sehr bemerkensiwertb tritt in dem Briefwechjel ver Bifchöfe unter einander das klare Bewußtſein hervor, wie nothwendig einerfeits ihr feftes Zuſammenſtehen auch gegen vie weltliche Macht ift und wie gewaltig jie andrerſeits durch folche Einheit, die ven Weltleuten fehlt, vaftehen, wie eine verſchanzte und ſtarke Veſte auf unerfchütter- licher Grundlage. Biſchof Mappinins von Rheims bellagt, daß er nicht gewußt habe, das Eoncil zu Toul werde die Sache des Biſchofs Nicetius von Trier verhandeln, der von ven Weltleuten hart ange» fochten ward, weil er einige Franken wegen Geſchlechtsſünden er- communicirt habe, fonft wäre er nicht weggeblieben: er tabelt ben Amtsbruder leife, daß er es dem König überlaffen, ihm von ver Sache

1) Wie Brunner IL ©. 214.

2) S. unten Beſtellung der Biſchöfe.

3) &. unten Diöcefen.

4) ©. ebenda S. 221.

5) Ce. Merov. p. 123. can. 1.

6) Brief des Biſchoſs Mappinins von Rheims an Nicetins von Trier Epist. p-. 126 quamquam parere nos regiis praeceptis ın bonis rebus et conveniat et libeat, ebenfo wärbe er die Mahnung bes Amtsbruders befolgt haben.

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zu fchreiben: „denn alle Bilchöfe müflen ſtets gemeinfame Sache machen“!). |

Sa, ber durch Erziehung, planmäßige Schulung, häufige Synoden unb lebhaften Briefwechfel gefeftigte Stanbesgeift ter Bifchöfe, das immer großartiger fich entfaltende Syſtem der Tirchlichen Herrichaft führte nicht nur einen Eifergeift wie bem heißblütigen Iren Sanct Columba?), führte auch fo gutartige Naturen wie Gregor von Tours zu Starker geiftlicher Weberhebung und zu jener offnen Verachtung der Statsgewalt als folder nicht etwa nur böfer Könige und Be⸗ amter —, bie fich ebenfalls nur aus jenem „Syſtem“ erklärt, aus Sanct Auguftins Lehre vom Verhältniß der Heiligen, von Gott gegründeten Kirche zu dem Stat, ber, eine Folge der Erbfünde, nur ein noth- wendiges Uebel und zum Untergang „zugleich mit dem Teufel“ vor- beftimmt ift. Kirche verhält fich zu Stat wie Geift zu Bleifch, wie Himmel zu Erbe, wie Heiligkeit zu Sünbe.

Auch in fittlichen Dingen haben wieberholt wadere Biſchöfe und Geiftliche die Merovingen ver Kirchen- Zucht und ⸗Strafe unterworfen, zumal wegen DBerlegung ber firchlichen Ehevorfchriften: fo warb Chlo- bomer verwarnt von St. Avitus von Mich (a. 524)3), wurde Cha- ribert I. (561—567), der feinen mehreren andern Weibern auch noch bie Nonne Marcovefa gejellte, von Sanct Germanus von Paris ge- bannt, Theuberich II. (a. 596—613) ward von Sanct Columba mit dem Banne bebroht?). Nicetius von Trier unterwarf Theuderich I. ber Kirchenzucht, excommunicirte wiederholt, ohne das gebrohte Exil zu fcheuen, Chlothachar IL (a, 511—561) (wie andre „Branten‘“) wegen Gefchlechtsvergeben ®). Aber viel fehlte daran, daß bie Kirche in allen Fällen, 3. B. auch bei ten vielen offenkundigen Mordthaten Chilperichs und Fretigundens, ihre Schuldigkeit gethan hätte®).

1) Epist. I. p. 126. gl. aber ven merkwürdigen Brief Kruſch in Ser. rer. merov. I. p. 733.

2) Urgeſch. III. ©. 5751.

3) Greg. Tur. III. 6, Urgeſch. III. ©. 74.

4) Bol. Kayſer über das Leben und die Schriften des heiligen Nicetius. Ich entnehme dies Kruſch Sor. rer. merov. I. 2. p. 733.

5) Greg. Tur. IV. 26. V. 20, Urgeſch. III. ©. 129, v. Patrum XVII. 2, Fredigar. V. 36, Urgefd. III. ©. 574.

6) Urgeih. III. S. 133—550.

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IV. Kirchenverfaffung, Rechte und Dorrechte der Kirche und der Geiftlichen.

1. Die Provinzen und Didcefen. Die Metropoliten.

Die Franken fanden die Bisthümer eingerichtet und befegt vor in Süd-Gallien: in wie weit in Burgund und im weftgotifchen Gallien an Stelle over vielmehr meiftens an Seite der Tatholifchen arianifche Biſchöfe getreten waren, ift nicht zur Genüge zu überfehen. Arianifche Biſchöfe werden hier vielfach genannt?).

Auch in Mittelfrankreich hatten zahlreiche Bisthümer die Zeit ber Kämpfe überbauert.

Dagegen in Norboftgallien und auf dem rechten Rheinufer waren in ben ſchweren Stürmen feit Anfang bes V. Jahrhunderts (zumal 406 und 451) bie Firchlichen Einrichtungen zerftört oder unterbrochen, und es ift zweifelhaft zum Theil, wann fie im VI. und VII. Jahr⸗ hundert wieder bergeftellt wurden: Bisthümer oder doch einzelne Kirchen begegnen in Mainz, Worms, Speier, Trier, Köln, Toul, Zongern, Maftriht, Straßburg, Conftanz?) (?), dann ſüdlich ber Donau zu Windiſch, zu Chur in Noricum und an ber unteren Donau zu Lorch, Tiburnia, Celleja?).

1) Könige VL? ©. 360f.

2) Ich folge bier Haud, die Biichofswahlen unter den Meroningen 1883 und Deutſche Kirchengefchichte I. 1887. ©. 102. Bol. Friedrich IL S. 221, K. Müller 1.©. 339. Vgl. aber auch Gu&rard, Annuaire historique publi& par la sociste de l’'histoire de France pour l’ann&e 1836 und Desnoyers, topographie ecele- siastique de la France pendant le moyen äge, ebenda 1853 und 1859. In ber vortreffliden Darftelung der Berbreitung des Chriſtenthums am Rhein bei Hauck J. S.7 f. ift nur zu bemerken: daraus, daß c. 180 Ehriften &v Tepuaviaıs d. h. in den römiſchen Provinzen Germania I und II von Irenaeus ganz glaubhaft bezeugt find, folgt Doch durchaus nicht, daß dieſe Ehriften Germanen waren: a. 180 gab es in Mainz Germanen nur als römische Sölbner oder Gefangne.

3) Ueber das Bisthum Augsburg: Nettberg I. ©. 219, Friedrich I. &. 333, IL ©. 943. Baſel: Nettberg I. ©. 215, Friedrich I. ©. 327. I. ©. 447. 542 Chur: Rettberg I. S. 217, Friebrid I. S. 330. TI. S. 454. 616. Conftanz: 1. ce. 553. Köln: Rettberg I. S. 199, Friedrich I. S. 277. IL. ©. 290. Mainz: Rettberg I. ©. 207, Friedrich I. ©. 311. II. ©. 355. Meb: Rettberg I. S. 197, über Toul und Berbun ©. 198, Friedrich I. ©. 260. II. ©. 231. 252. Regensburg: Rett-

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Schon Chlodovech baute zahlreiche Kirchen neu von Grund auf, ftellte verlafjene ber und errichtete einige Klöfter!).

Jedoch auch in den Stammfigen ber Salier entftanven verfallne Disthümer aufs Neue bereits unter Chlodovech (oder deſſen Söhnen): jo warb Arras (Atrebatum civitas) durch Remigius wieder hergeftellt und mit Sambrai verbunden).

. Die Metropolitan-Würbe beftand in Gallien meiftens fort (nicht rechts vom Rhein). Aber allmälig erlofchen bie wichtigften Vorrechte bes Metropoliten t): die Genehmigung der Wahl der Bifchdfe feiner Provinz?) und vie Berufung von Provincialconcilien. Jene trat vor ben gejeglichen und wibergefeglichen Eingriffen des Könige zurüd, biefe verlor an DBebeutung, wie bie Provincialconcilien überhaupt, beren Zufammentritt, burch die Kämpfe zwifchen ven Theilreichen er- ſchwert, nicht vorſchriftsmäßig erwirkt ward), Das Recht, deren Acten vor den einfachen Biſchöfen zu unterzeichnen, haben fie aber behauptet (mit brei Ausnahmen) ?).

Die Beftellung des Metropoliten gefchieht wie bie jedes andern Biſchofs (ſ. unten): nur follten alle Biſchöfe feiner Provinz ihn ein« ftimmig wählen und er in deren Gegenwart von einem andern Metro-

berg I. ©. 220, Friedrich I. ©. 333. Seben (Sabiona): Rettberg I. S. 217, Frie⸗ vrih II. ©. 333. Speier: Rettberg I. ©. 327. II. ©. 383. Straßburg: Rettberg 1. ©. 215, Friedrich I. ©. 327. II. ©. 452. 502. Trier: Rettberg I. S. 180—197, Friedrich II. ©. 167. Worms: Rettberg I. S. 212, Friedrid I. S. 315. II. ©. 374.

1) Vita St. Melanii A. S. 6. Sam. I. p. 329; die Schenkung für Eufpicius und Lupicin D. I. p. 1.

2) Vita St. Vedasti, geftorben 540; ed. Acta Sanctor. Bolland. 6. Febr. I. p. 792; fpäter au von Alkuin (geft. 804), ſ. D. ©. IL. ©. 382. 1. c. p. 794; die Schriften darüber bei Kruſch in Wattenbach I. ©. 448.

3) Retiberg I. ©. 239, Waitz IIb. ©. 65, Löning I. ©. 198. Der Name archi-episcopus fommt für die Metropolitane damals noch nicht vor (v. Görres, die Entftehungszelt des Archiepistopats und des Metropolitenrangs der Trierifchen Kirche, Forſch. z. D. ©. XVI 1876. ©. 202f.), auch die Verleihung des palliums (Hinfhius IL. 2. ©. 23) verleiht ihm nicht: fo richtig gegen ältere Annahmen Löning II. ©. 202. Ueber das allmälige Auflommen der Titel metropolita, pa- triarcha, oekumenikos, dann felten archiepiscopus Hinjchtus I. ©. 546: nur dreimal im merovingifcher Zeit und ſtets gleichbebeutend mit Metropolit Löning II. 94.

4) Ueber die Gründe vortrefflih Löning II. ©. 197.

5) ©. Biſchofswahlen.

6) ©. fränkische Forſchungen, Eoncilien.

7) So ridtig Löning II. ©. 100 gegen v. Görres.

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politen geweiht werben !). Die Metropoliten heißen amtlich wie bie andern Biſchöfe episcopi und .domini apostoliei: ja, ver Verſuch, ihren Stuhl als apostolica sedes zu bezeichnen, wird von ber Krone fchroff zurückgewieſen.

Bezeichnend für die geringe Neigung des Königs, Vorrechte des Metropoliten anzuerkennen, ift biebei die Aeußerung bes ergrinmmten Königs Charibert I. gegenüber einem Priefter, der ihm einen Segens- wunſch bes „apoftolifchen Stuhls“ überbringen will. „Warft Du in Nom und bringft mir einen Gruß bes Pabſtes?“ fährt ibn ber König an. Nein, muß der Priefter fagen, er meine ven Metropolitan Leontius von Bordeaux. Der König, der das felbftverftänpfich wußte, beftraft ihn und ven „apoftolifchen" Metropolitan fehr hart).

Auch das Necht des Metropoliten, die Suffragane feiner Provinz zu weiben, wirb durch königliche Wilffür zur Seite geichoben: fchon Chlothachar I. befahl, daß Emerius zum Biſchof von Saintes ges weiht werde in Abwefenheit des Meetropoliten Reontius von Borbeaur, ber das auf einem Eoncil zu Saintes (a. 562 over 564) ohne Erfolg anfocht: er mußte den großen Königsbann von 1000 solidi bezahlen). Und als auf Sigiberts IL Befehl ftatt des Metropoliten von Sens ber von Rheims ben vom König neu geichaffnen Biſchof von Cha- taudun geweiht hatte, beichräntt fih das TIL (nah Sirmond TV.) Concil zu Paris von a. 573, ftatt ber Tanonifch gebotnen Abjegung, nur einen Verweis auszujprechen t).

Dem zu Folge verwandelte fich das Necht des Metropoliten, ven freigewählten Biſchof zu weihen, in die Pflicht, den vom König be- ftellten zu weiben5).. So regelmäßig erging folcher Königsbefehl, zu weihen, daß Formeln bafür errichtet wurden‘): fogar den Tag ber Weihe ten erften Sonntag nad Oſtern fchreibt Dagobert I. (a. 630) Sulpicius von Bourges vor für die Weihung des Defiderius zu Cahors7). Die Concilien II und ILL von Orleans von 533 und 538)

1) Ce. Aurel. II. a. 533 can. 7. III. von 538 c. 3, Maassen p. 62. 73. 2) Greg. Tur. IV. 26, Urgeſch. III. ©. 129.

3) l. ce.

4) Maassen p. 147.

5) So treffend Löning S. 212. Bgl. Zorn ©. 37.

6) Marc. L 5. 6.

7) Pardessus Dipl. II. 7. N. 251, vgl. Epist. Merov. p. 200.

8) can. 1 und 3. Maassen p. 61 und 72.

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hatten unter Guntchramm freilich noch das Erfcheinen zur Weihe auf ben Ruf des Metropoliten eingeſchärft. Mean!) hat gezeigt, wie auch bie andern Vorrechte der Metropoliten, die noch im VL Jahrhundert anerkannt find, allmälig erlofchen. Ein neues Recht tagegen wäre den Metropoliten (von Thon) Mearfeille durch Gregor den Großen 602 eingeräumt worben, nämlich ftatt eines erkrankten Suffraganen zu weiben, während das V. Concil von Orleans a. 5492) dies verboten hatte. Allein es ift nicht anzunehmen, daß über jenen Tall hinaus dies Necht angewenvet worben if. Und mande Be— fugniffe ver Metropoliten im Goten- und Burgunven-Neih, 5 B. Mitwirkung bei der Veräußerung von Kirchengut, BVifitationen in den Suffraganiprengeln, Verftattung von Reifen ver Geiftlichen find in bem merovingifchen Reich ven Metropoliten von Anfang an nicht?) zugefomment). Jedoch bie lange herrſchende Meinungd), daß fich ber Metropolitanverbanp im Frankenreich zu Ende bes VII. Sahrhunderts völlig aufgelöft habe, ift unbegrünbet: er beſtand a. 696 in Sen, Rouen, Tours (bier noch 720) und fogar in dem mehr zerrütteten Auftrafien zu Rheims. Die entgegenftehente Klage des heiligen Boni. fatius ift übertrieben und bezieht fich wohl zumeift auf das (auftrafifche) Reich Karlmanns 9).

In der Sprache ver Kirche ift provincia das Gebiet des Metro- politen, das oft, aber nicht immer, mit ber ftatlichen provincia ſich bedt?).

Die Lehre, das Frankenreich babe fih, d.h. feine Provinzen nach den Gränzen ver Bisthümer gegliedert, iſt heute aufgegeben: umgelehrt, wie wir jehen werben®), glieverten und theilten die Mero- pingen vorgefundene Bisthümer nach den Gränzen ihres Reiches ®).

1) Löning ©. 214.

2) Maassen p. 103 can. 8.

3) Anders nur der päbftliche Vicar zu Arles, f. unten Verhältniß zum Pabſt.

4) So überzeugend Löning ©. 214f.

5) Bon Richter-Dove, Hefele, auch Wait, f. die Stellen bei Löning.

6) Vgl. Löning S. 217, der Die oben angeführten Metropoliten nachweiſt.

7) Du Cange Cap. ecel. von 818/9. c. 6. Cap. I. p. 277.

8) ©. unten.

9) In wiefern im römiſchen Imperium bie Sprengel von »patriarchae« mit römifchen Provinzen zufammenflelen, barliber vgl. Hinſchius L ©. 548f.

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Ganz anders erflärt es ſich, daß in Gallien nun bie »comitatus« ber Grafen Häufig mit den Diöcefen ter Biſchöfe zufammenfallen: war doch bie civitas und ihr territorium ber Eintheilungsgrund für beidet): neben tem episcopus civitatis fteht (regelmäßig) ber comes civitatis.

In der Hauptftadt der provincia hat wie der dux fo der Metro⸗ politan feinen Si (archiepiscopus kommt damals im Frankenreiche nicht vor) und wie der dux feine Grafen, bat der Metropolit feine Suffragan-Bifchöfe unter ſich, die in jeder größeren civitas ihren Sig und fie fowie deren territorium zur Didcefe haben.

An den vorgefundenen kirchlichen Eintheilungen in Mittel- und Süd⸗Gallien warb durch die fränkische Eroberung nichts geändert.

Es beitanden in merovingifcher Zeit der Metropolitanverband Köln, entiprechend ver römischen Provinz Germania secunda, mit dem Suffraganbistfum Tongern, das c. 540 nach Maftricht, im VIIL Sahrhundert nach Lüttich verlegt warb?). Dagegen verlor der Bifchof von Mainz die Metropolitangewalt über Straßburg, Speier und Worms?) in Germania prima, was durch die langen Kämpfe von Franken, Aamannen, Burgunden und Römern in biefen Zandfchaften ‘) hinreichend erklärt wird. Trier in Belgica secunda behauptete bie Metropolitanftellung über Met, Toul und Verdun 5).

In Belgica secunda blieb zwar Rheims diefe Würde: noch unter Chlodovech (?) gründete Remigius das neue Bisthum Laon: allein vie ftarfe Anſiedelung beibnifcher Salier in dieſen Gegenden veranlaßte®) die Verichmelzung von je zwei Bisſsthümern jedes einzeln zu ſchwach von Chriften bevöffert, zu gering mit Kirchen und Gütern ausgeftattet zu Einem: fo von Arras und Cam- brai?), von Vennand und Tournai (a. 532), (leteres ein Hauptfig heibnifcher Franken, daher auh ber Stuhl von Vennand früher

1) Anbers Guerard essai sur le syst&me des divisions p. 45f. 84, Sohm S. 202, Löning II. ©. 99; vgl. Zorn ©. 54. 2) Rettberg I. S. 551, Friedrich II. ©. 318, Löning U. ©. 163, Zorn ©. 56. 3) VI. 1. ©. 93f. Maaßen, Geſchichte der Quellen ©. 624. 4) Urgeſch. II. ©. 223. 5) Uber das Privileg von a. 667 für das St. Deodatkloſter iſt falih; Görz, mittelrheinifche Regeften 1876. ©. Alf. 6) Das bat Löning II. S. 106 ſehr wahrſcheinlich gemacht. 7) Vita St. Vedasti o. 5. Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 15

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ſchon nah Noyon verlegt worden war)!) und von Boulogne und Teronanne?).

In ber provincia maxima Sequanorum verlor ber Metropolit von Beſancon dieſe Rechte?) über bie Biſchöfe von Avenches, [c. 625 nach Lauſanne verlegt], Belley (uriprünglih Nyon ??), Windiſch und Augft (feit c. a. 600 Bafel): Winpifch erlifcht feit c. 550 und erfcheint feit 614 als untergeben einem neuen Bisthum Conftanz®).

In Rhaetia prima batte der Stuhl von Chur unter Mailand gehört, nach der Abtretung Rhätiens von den Oftgoten an bie Franken a. 536 warb aber gewiß biefer Zuſammenhang von den Merovingen auf- gehoben) f. unten und erſt nach Einverleibung Mailants (778) in bie farolingifche Herrfchaft wieder bergeftellt (vor 842), bis Chur 843 abermals von Stalien gelöft und Mainz unterworfen wurbe.

Dem Metropolitan von Arles wurten fchon vor ber merovin⸗ gifehen Zeit die Bisthümer der Gallia Narbonnensis untergeben ?) und mahrfcheinlich auch bie ber Alpes maritimae: Embrun (Ebre- dunum) und feit der fräntifchen Herrfchaft auch da von Uſez (Ucetia), das früher ver Narbonnensis I und tem Metropofiten von Narbonne zugebört hatte ®).

Klugheit und ſtarkes ftatliches Selbftgefühl zeigten vie Mero- vingen darin, daß fie die vorgefundene Unterordnung fränkiſcher Bis: tbümer unter einen außer⸗fränkiſchen Metropolitan nicht duldeten: To riffen fie drei Bisthümer, fobald fie die Städte gewonnen, von dem Metropoliten der byzantiniſchen Provinz Aquileja los.

1) Vita St. Medardi c. 4 (nit von Ven. Fortun. wie Löniug, ber aber mit $ug ber vita St. Eleutherii (c. a. 870!) alle Glaubwürdigkeit abipricht).

2) Jonas, vita St. Eustasii c. 5, vita St. Agili c. 7. Unzugänglidh blieb mir Haignere, &tude historique sur l’existence d’un siège Episcopale dans la ville de Boulogne avant le VII. sièele 1856.

3) So überzeugend Löniug II. S. 108.

4) Arndt, Marius von Avenches 1873. ©. 29f.

5) Vita St. Galli ed. Meyer von Knonau Mittheilungen 2c. o. 26.

6) Richtig gegen Frievrih IL. ©. 625 Löning II. S. 111; vgl. Planta, Das alte Rhätten 1872. ©. 236.

7) ©. unten: Picarlat.

8) Greg. Tur. VI. 7, Urgeſch. III. ©. 238 über das nur kurz fränkiſche, fpäter 589 weftgotiiche Bisthum Lobeve und das 535 wahrſcheinlich Bourges zu⸗ getheilte [feit 531 oder erft 567? Richter I. ©. 54. 68) fränkiſche von Toulouſe Greg. Tur. III. 10. Gegen Digots I. ©. 374 Annahme eines lobovechifchen, damals von Rheims gelöften, fpäter wieder zu Rheims gefchlagenen Bisthums Mouzon, |. auch Löning II. ©. 128.

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Schwierigkeiten der Namen begegnen bier allerdings. Im Jahre 591 erinnern ſchismatiſche Biſchöfe!) Kaifer Mauritius?), daß unter Juſtinian I. (627—565) fräntifhe Metropoliten in brei Sprengeln biefer Provinz Biſchöfe eingefegt haben und daß die fränkifchen Bi⸗ ſchöfe alle Stühle ver Provinz befett haben würden, hätte Juſtinian nicht gewehrt. Mit Recht bat man längft?) ausgeführt, daß dies gefchah während der Eroberungen Theudiberts I. in Italien, zumal auch in Venetien a. 539-5534). Damals nun befegten fränkiſche Metropoliten auf Befehl des Königs drei Stühle jener Provinz, gemäß jenem durchgehend feftgehaltnen Grundſatz merovingifcher Kirchenhoheit >). Die drei Bisthümer find Tiburnia in Noricum (Debern in Kärnten), Augsburg‘) (Augustana) und Verona”).

Augsburg gehörte, wenn nicht ſchon nach Chlodovechs Steg, doch jebesfalles feit 536 zu dem Frankenreich, und Derona®) warb wohl 539 erobert, jevesfalles noch bis gegen das Jahr 551/552 von ben Franken behauptet). Während Verona, gewiß auch Tiburnia nach Theudibert I. wieder verloren gingen, blieb Augsburg fränkiſcher Bifchofs-

1) S. unten Berhältnig zum Pabft.

2) Mansi IX. p. 400.

3) Heinrih Rüdert in der Abhandlung de commercio regum Francorum cum imperatoribus Orientis 1865. p. 15.

4) Urgeſch. III. ©. 9. D. ©. Ib. ©. 120,

5) ©. unten ©. 228. 229.

6) Nicht Lorch in Norieum, wie Friedrich Kirchengefchtchte I. ©. 352.

7) Zweifellos ift nur das erfte, aber auch für bie beiden andern hat Löning U. ©. 114f., zumal gegen Friedrich IL. S. 647 und das Zeitalter des heiligen Rupert 1866. ©. 10, nahezu Überzeugende Gründe beigebracht, f. dort auch bie Literatur.

8) Wohl mit Hecht las fchon Hansiz, Germania sacra I. Coroll. 1 ftatt Beconensis, Beronensis = Veronensis. Nicht Betovensis, von Böttan in Ban- nonien, das niemals unter Aquileja ſtand und feit c. 350 keinen Biſchof mehr batte, vgl. Al. Huber, ecclesia Petena, Archiv für öfterr. Geſch XXXVMI. 1867. &. 10. Chriſtenthum in Süpoftbeutfchlann (1874) II. ©. 134, aber aud nit Salzburg wie Huber a. a. DO. und Hefele? II. S. 918f.: denn weder war Salzburg ein Bisthum in Römerzeit (Rettberg I. S. 222), noch hat es St. Rupert fon o. a. 580 als Bisthyum gegrlinbet, ſondern c. a. 696 Wattenbach, Hebel. berger Jahrbücher 1870. S. 26. Riezler, Entftebungszeit der L. Bajuv., F. 3. D. ©. XVI. 1876. &. 411. Mit Recht weift Löniug II. ©. 115 den Gedanken an die rhätifhen Breonen am Brenner, Könige II. S. 5, zurüd, wonach Seben (fpäter Brixen) ober ein unbelannter Ort gemeint wäre.

9) Procop. b. G. IV. 33, Könige II. &. 219. 238, Urgeſch. I. S. 266. Auge burg und Berona flanden alſo nicht unter Mailand, fondern nnter Aquileja.

15*

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jig!). Allerdings find erft feit Karl Martell Augsburger Bilchöfe ficher nachweisbar 2).

In der provincia Viennensis beftanden unter dem Metros politen zu Vienne (wie unter den Burgunvenlönigen fo) unter ten Merovingen fort bie Suffragane zu Genf (Genoba), Grenoble (Gratianopolis), Viviers (Vivarium) und Balence (Valencia), dann in ber provincia Alpium Graiarum das Bistum Zarantaife (Ta- rantasia) und Octodurum (Martigny), ſpäter (vor 585) Sedunum (Sitten) 3).

Auch für die a. 574/75 den Langobarden entriffenen Gebiete von Aoſta und Sufa (Augusta et Siusium civitates) und ben oberen Theil des Dora-Balten-Thales (Ametegis vallis) wird von Gunt— chramn ein neues Bisthum in Maurienne begründet‘), um es dem langobarbifchen Bifchof von Zurin troß deſſen Einfpruche zu ent: reißen. Was der fonft jo Firchenfromme Guntchramn 5) gefchaffen, blieb von feinen Nachfolgern aufrecht erhalten, unbeachtet ter Mahnungen

1) Irrig meint Friedrich, St. Rupert ©. 13, jener Brief von 591 fee bie drei Städte noch als von Franken beſetzt voraus: aber andrerſeits fagt er auch nicht gerade, wie Löning II. ©. 117, Juſtinian ſchon babe auch jene brei fränkifchen Biſchöfe wieder vertrieben: niei . . Justiniani . . jussione commotio partium nostrarum permota (remota?) fuisset .. paene omnes ecclesias.. Galliarum sacerdotes pervaserant: nur leßteres alfo warb wohl verhindert.

2) Denn gegen bie von Friebrich II. & 650 in feiner Biſchofsreihe bis c. 600 verwertbete vita St. Magni, f. Wattenbach I. S. 284: „eine häßliche VBetrügerei”.. „ein von den gröbften . . Fehlern emtitelltes Plagiat“ (von etwa a. 890), vgl. Rettberg II. ©. 150.

3) Gelpke, Kirchengefchichte der Schweiz I. ©. 91. II. ©. 104. Ce. Matiscon. II. (a. 585) ed. Maassen p. 164. Weber das von Guntchramn neu errichtete Bi8- thum Maurienne f. unten. Weber die Unterorbnung von Sitten und Maurienne (und deren Stellung zu Tarantaife) unter Vienne f. Löning IL. ©. 121, ber mit Hecht Metropoliten „zweiten Ranges“ gegen Friedrich, Concilien beftreitet.

4) Zwar ift ber Bericht won Fredig. V. 45 im Uebrigen ſtark fagenhaft (vgl. Pabſt Forſch. z. D. ©. II. ©. 420), allein dieſe Lanbabtretungen find Durch andere Quellen außer Zweifel geftellt. Bor 568 gehörten jene Gebiete zu ber Provinz ber eotttihen Alpen und (großentbeils) zum Sprengel des Biſchofs von Zurin; vgl. Greg. Tur. gl. mart. I. 13. p. 497 und bie Literatur bajelbft und bei Longnon p. 431; über das Erfcheinen der Bifchdfe von Maurienne auf ben burgundiſchen Concilien von 581. 585. 650 f. dieſe und „fränkifche Forſchungen“. Das bisher unter Mailand ſtehende Bistum Aoſta ging nun ein, wie es fcheint, jo Löning LI. ©. 119.

5) ©. Urgeſch. III. S. 379. 433.

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der Turiner Biſchöfe fo Urſicin und fogar Gregors tes Großen heftiger Briefe an Brunichildis und deren Entel').

Wahrfcheinlich?) beruhte auch die Errichtung eines bejonberen Bisthums Aresitum (a. 566—573) (Arfat)?) mit nur 15 (ehemals gotischen) Gemeinden auf dem gleichen Grundjag: man löfte dieſe ®e- meinden von tem weftgotifchen Bisthum Lodeve!). Gregor von Tours nennt Aresitum nur vicus; e8 warb wohl jett erft »municipiuma®): bie Nechtsverwahrung bes benachbarten Biſchofs von Rhodez, der bie 15 Gemeinden für fich verlangte, gründete vielleicht auf ber Gering⸗ fügigfeit des neuen Bisthums, die aber bie Könige von ihrem wich- tigen kirchen⸗ſtatsrechtlichen Grundſatz auch in biefem Balle nicht ab« drängte.

Doch vereitelte die Kirche mit beſtem Recht! die Verſuche, die Bisthümer an die ſo oft wechſelnden und beſtrittenen Gränzen ber Theilreiche zu binden. So weiſt Biſchof Leo von Sens a. 5409) den Verſuch Childiberts J., ſeine Stadt Melun aus dem Verband des Theudibert J. gehörigen Bisthums Sens zu löſen und zu einem eignen Bisthum zu erheben, auf das Schärfſte zurück unter Androhung der Anrufung des Pabſtes und ver Ercommunication ?). Desgleichen drohte das Gefammt-Concil III zu Paris a. 573 (11. IX.) Allen ven Bann, bie den von Sigibert I. neu errichteten Bifchofftuhl feiner Stadt Chäteaudun anerkennen würten: er hatte Chätenubun von Chartres losgeriffen und feinem Metropoliten zu Rheims, dem jchlimmen Ränte Ihmied Egidius, unterjtellt, weil Chartres (unter dem Stuble von Sens) zu Chilperichs Theil gehörte). Zwar Sigibert wich vor einem ſehr kräftigen Schreiben des Concils nicht zurüd, aber nach feinem Tode fette Chartres die Herftellung des alten Zuftandes durch, un« erachtet der Bemühungen des Biſchofs von Chäteaudun Promotus?).

1) Regist. IX. 115. 116. S. unten Berhältniß zum Pabſt.

2) ©. Löning II. ©. 127.

3) Ozindensis? So Löning II. S. 127. Eher dech = Uszetensis.

4) V. 5, Urgefh. IL. S. 172.

5) (Arisido), ſ. prov. Galliar., Gu£rard, essai p. 27.

6) Löning II. ©. 122.

7) Epist. Merov. ed. Gundlach p. 437.

8) Bgl. Greg. Tur. IV. 50, VII. 29. und IX. 20 (Bertrag von Andelot), Urgefch. III. 158. 320 und 424.

9 S. den Hilferuf des Pappolus von Chartres an das Eoncil bei Maassen p. 147, den Brief der Concilsbifhöfe an Egidius p. 148, an König Sigibert 1.

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Jedoch in Einer hier einfchlägigen Trage gelang es ver Kirche nicht, den Anſpruch durchzuſetzen, daß ihre canones ven ftatsrecht- lichen Grundſätzen über bie Hoheitsrechte der Theilherrſcher vorgehen: fein Biſchof durfte nach dieſen Grundſätzen ohne königliche Verftattung ein anbres Theilreich auffuchen fo wenig wie ein anbrer Unter: than (— |. unten Geſammteigenart, Abjolutismus —): bie Kirche fchrieb den Beſuch der vom Wetropolitan berufnen Concilien auch den Suffra- ganen in einem andern Xheilreiche vor, und das III. Concil von Or- leans a. 538 (7. V.) drohte ausdrücklich Kirchenftrafe auch folchen Biſchöfen, vie ihr Ausbleiben mit der Zugehörigkeit zu einem anbern Theilreiche (und ver fehlenden föniglichen Verftattung) entſchuldigen wollten ?).

Allein dem gegenüber wahrte ver Stat auf das Schärffte fein Verbotrecht unter Sigibert ILL. von Auftrafien?); bier alfo beſtand ein unausgetragner Streit zwilchen Kirchen- und Statsrecht in Mero- bingenzenzeit, wie man folchen zu Unrecht leugnet ?).

Meiſt erſtreckt fich die “Diöcefe des Biſchofs über das territorium ber Stadt eines Bifchofsfiges: daher mag die Diöcefe fein terri- torium heißen, wie die Stabt feine Stabt*), lange bevor und ohne baß er Immunität oder gar die Graffchaftsrechte über Gebiet und Stabt gewann.

2. Die Biſchöfe.

a) Schelung nnd Abfekung.>)

Das von Chlodovech vorgefunvene Tanonifche Recht verorbnete für die Beſetzung eines erlevigten Biſchofsſtuhls: Wahl durch Geift-

p. 149: fie ſtellen fih an, als könnten fie faum glauben, er habe bie »scandala » wiffentlich zugelaffen Gregor VII. 17, Urgeſch. III. ©. 309, ganz leife drohen fie mit dem Zorne Gottes. Promotus unterzeichnet das II. Ce. von Mäcon a. 585 al® episcopus sedem non habene.

1) Co. Mer. ed. Maassen c. 1. p. 72.

2) Durch Grimoald c. a. 650, Urgeſch. III. ©. 659.

3) Oben ©. 219.

4) Cc. Mansi IX. p. 866 territorium civitatis vestrae.

5) Staubenmeier, Geſchichte der Bilchofswahlen S. 82. Guisot, essais p. 224, Histoire I. p. 130. 443. Naubet ©. 548. F. Roth, der Zuſtand Gal- liene S. 8; von dem Einfluß ber Geiftlichlelt unter ben Merovingen 1830. S. 10.

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(iche und Volt der Stäbte, fowie bes Landvolks bes Sprengels!), Zuftimmung der Biſchöfe derſelben Provinz und tes Metropoliten ?): und das verlangten auch unter den Merovingen immer wieber bie Kicchenverfammlungen?).

Aber die Merovingen, ſchon Chlodovech, nahmen ein echt, bie Wahl zu beftätigen oder zu verwerfen, in Anfpruch: und die Eoncilien erfannten nun auch die königliche Beftätigung als weſentliches Er- forderniß an ®), fo daß alfo nun nad) Kirchen. und Stats⸗Recht zu einer gültigen Bifchofsbeftellung gehörten: 1) Wahl burch den Klerus und 2) die Gemeinde, 3) Zuftimmung des Metropoliten, 4) ber Bi— fchöfe ter Provinz und endlich 5) Wahlbeftätigung durch den König).

Die Beftellung der Biſchöfe follte alfo in ber Weife geichehen, daß Klerus und Laien der Didcefe den Bilchof wählten, dem König

Löbell S. 317. Rettberg I. S 180f., v. Hafe Kirchengeſch. II. S. 134, Hinfchtus I. ©. 239. 516, Friedrich, Kirchengeſch. I. ©. 50. 270, Köning II. ©. 172. 256. Haud, Kirchengeſch. I. S. 125. 185, Waitz IIb. S. 723, D. ©. Ib. ©. 723. Brunner II. ©. 13. 314, Schröder ©. 143.

1) Vita St. Germani Autissiod. c. 9 plebs urbana ve} rustica; andere Beläge bei Löning LI. ©. 173, der mit Recht nur thatfächliches, nicht rechtliches Uebergewicht der Bornehmen bei ber Wahl annimmt, wenn auch einmal die plebs von dem »senatus« von Drleans berufen wirb: vgl. vita St. Eucherii c. 1; fefte Wahlordnung gebrach. Ein durch ben Metropoliten beftellter visitator follte ber Wahl beiwohnen und das deeretum über die vollzgogene Wahl neben ben Wählern unterzeihnen und beglaubigen. So Pabſt Symmachus a. 513 an Cae⸗ ſarius von Arles, Epist. ed. Gundlach p. 39, Arnold ©. 191. Der bieranf qn den König (mit dem decretum) gefaudte Antrag auf Beftätigung ber Wahl, ber die Uebereinftimmung bezeugen mußte, hieß consensus: ſ. unten bie Beläge aus Gregor; fo ift wohl Löning II. S. 174 mit Löbell ©. 272 und v. Giefebrecht zu vereinen.

2; Wie ſtand es aber bis c. 476 in Gallien mit ber Faiferlihen Ge— nehbmigung? Ueber Stalien |. Könige III. S. 200f.; im Oſtrreich griff ber Ab- folutismus rüdfichtslos durch: in Gallien die höchſten Beamten, aber nicht kraft Rechtens? fo Löning II. ©. 175.

3) Ce. I. Arvern. c. 2. a. 535. Aurelian. III. c. 3. a. 538. Paris. III. c. 8. a. 573. V.a. 614. c. 1. Rem. c. 27. a. 627. 630. Clippiac. I. c. 28. a. 626. III. Cabilon. c. 10. a. 639—651. Latun. a. 673—675.

4; Cc. Aurel. V. a. 549. 0.10. Maassen p. 99 cum voluntate regis juxta electionem cleri ac plebis. .

5) Beiſpiele dieſes den Geſetzen entiprechenben Hergangs Greg. Tur., Ur- geſch. IIL. ſ. unten ©. 232 Anm. 6, vgl. Raynouard, droit munieipal II. p. 80f., aber ſchon die manchenorts geltenden Borfchriften für Vorbereitung ber Wahl: Gebet, dreitägiges Faften n. f. w., ſ. Löning IL. S. 187, werben felten eingehalten.

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biervon in einer Wahlurkunde (consensus)!) Anzeige machten und ihn um Ernennung des Vorgefchlagenen baten, bie dieſer aber auch chne Angabe von Gründen verweigern Tonnte: dies Verfahren mußte fo lange fortgejegt werben, bis ein Vorſchlag des Königs Zujtimmung fand 2).

Auf den eingefenbeten libellus, »consensus«?°), ergeht bei Be⸗ ftätigung der Wahl ein decretum regale!). Oder auch: ver König erläßt5) vorher das regale decretum und es folgt die Wahl des Volles und Zuftimmung ber Bifchöfe.

Aber thatſächlich war der Hergang in nur allzu vielen Fällen ganz anters: der König ernennt gar oft) einfach ten Bilchof, allein handelnd 7). "

Schon Chlopoveh und feine Bekehrerin, vie heilige Hrothilb, dann Chilpibert II. geben, ohne bie fanonifche Zuftimmung eines Con⸗ cils, vertriebnen gotifhen und burgundiſchen Biſchöfen erledigte Bie⸗ thümer in ihrem Reichs): Aprunculus von Langres und Quintianus von Rhorez?) erhalten Clermont, Fronimius von Agde Vence, zwei Durgunden Zoure.

1; Es wurde gar oft fohildert Gregor den Hergang bie Urkunde über die von Klerus und Boll vollzogne Wahl dem König zur Beſtätigung eingefandt. 2) ©. bie zahlreihen Beläge bei Greg. Tur., Urgeſch. III. f. unten Aum. 6.

3) Greg. Tur. IV. 35. V. 5, Urgeſch. Form. Mare. I. 7.

4) v. St. Leobini (aber nidht von Venant. Fortun., wie noch Waitz IIb. ©. 62 annahm, ſ. Krusch, Fort. II. p. XXVIII), Biſchof von Chartres, get. c. 556 ed. Krusch XIV. p. 78.

5) v. St. Quinidii, Bifchof von Vaiſon, geft. 518 A. S. ed. Bolland. 15. Febr. II. p. 829. Einige Bifchöfe wiberfpredden der Ordination des Heiligen, weil feine Najenipite vom Krebs ergriffen war, aber fie bringen nicht durch.

6) Vergl. die verſchiedenen Vorgänge bei Greg. Tur. III. 2. 17. IV. 5. 11. 15. 18. 26. 35. V. 46. VI. 7. 9. 15. 36. VII. 17. 31. VID. 2. 20. 39. IX. 24. X. 26, Urgeih. III. ©. 102. 106. 114. 119. 140. 219. 238. 240. 251. 279. 309. 325—327. 346f. 367. 391. 437. 507. Cinzelne noch von Löning II. S. 175 ver- wertbete Briefe des Remigius von Rheims find nun als Fälfhungen erkannt, vgl. Gundlach, Neues Arhiv XIII.; fpätere Fälle Tanonifchsrichtigen Vorgehens (unter Dagobert I. 8. IV. a. 629) zu Cahors (Defiberius) ſ. D. N. 13.

7) Dagegen eifert Cc. Paris. III. a. c. 8 si per ordinationem regiam... culmen pervadere aliquis nimia temeritate praesumpserit: es fehlte alfo doch nit an Wiberftand, wenigftens gegen ven Grunbfat; anders Löning IL. ©. 176, ber allerdings mit Recht den all bes Evodius von Javols Greg. Tur. vitae patrum VI. 4 ausſchließt.

8, ©. die Beläge Urgefch. III. ©. 437, Greg. Tur. X. 31.

9) D. ©. Ib. S. 9.

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Schon Chlodovech bejett, auch allein bantelnd, die Stühle von Verdun!) und Auzerre?), Theuderich I. den zu Arvern?), Chlodomer und fogar Chlodovechs Wittwe ven von Tours).

Childibert I. befiehlt durch „Decret“, ven Mönch Leobin zum Nach: folger des Biſchofs Aetherius von Chartres zu wählen (nach 541), und als nach erfolgter Wahl bie Weihe von einzelnen Bilchöfen aus gutem Tanonifchen Grunde verweigert wird, erfolgt fie boch5); ober ber König befiehlt nach Berathung mit den geiftlichen und weltlichen Großen zwar feines Hofes, aber ohne jede Mitwirkung von Geiftlich- feit, Gemeinde, Metropolit und Mitbifchöfen ®).

So häufig fam dies vor, daß in ber Folge fogar Formeln für biefen witer-fanonifchen Königsbefehl verfaßt wurben, in denen ber Metropolit mit feinen Suffraganbifchöfen einfach angewiejen wird, den vom König Bezeichneten, ohne irgend eine vorgängige Wahlver- handlung, zu weihen”), neben ver Formel für den kanoniſch richtigen Vorgang: die Gemeinde richtet unter Beilegung ber Wahlurkunpe (consensus) die Bittichrift (deprecatoria scedola) um Beftätigung an ten König®).

Auch in ftreitigen Wahlen entjcheivet zuweilen ftatt des Concils ber König, wie ihm auch wohl mehrere zur Auswahl vorgefchlagen werben‘). Das VBeftätigungsrecht des Königs war von ber Kirche

1) Vita St. Maximini A. S. Juli V. p. 76.

2) Hierfür mußte er erfi die Erlaubniß des Burgundenkönigs Gundebad ein- holen, ba fein Erlorener, St. Eptabius, burgundifcher Untertban war. Vita St. Eptad. 1. ce., Gundlach I. c. Aug. IV. p. 778, aber der Brief von St. Remigins, ber ganz allgemein Chlodovech auctor episcopatus aller Biſchöfe nennt, ift wohl falſch (7), f. oben Anm. 6 und fränttiche Korfchungen.

3) Unter Verwerfung bes kanoniſch gewählten Greg. Tur. D. 36. II. 2 vitae patrum a. 515 Quintianus von Rhodez.

4) a. 517 Greg. Tur. III. 17.

5) Vita St. Leobini ed. Krusch |. c. 14.

6) Der letzten brei Recht betont biergegen Ce. Paris. UI. a. 557. c. 8.1. c. nullus civibus invitis ordinetur episcopus . . non principis imperio ne- que . . contra metropolis voluntatem vel episcoporum comprovincialium, ſ. aber 3. 8. Greg. Tur. IV. 7. 35. VIII. 22, Urgefh. III. ©. 119. 140. 369. Uebrigens Tag in dem Kanon keine Beftreitung des Beſtätigungsrechts des Königs, wie es noch a. 549 ausdrücklich anerfannt worden war, nur follte ber Befehl des Königs allein nicht genügen.

7) Form. Mare. I. ©. 6.

8) 1. c. 7.

9) Beläge für Beides bei Löning II. S. 177.

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als auch für fie verbindlich wohl ſchon unter Chlodovech und jebes- falles ausprüdlich anerkannt auf dem V. Concil von Orleans von 5491), weßhalb fich im Jahre 554 ein Priefter nicht ohne König Theudibalds Zuftimmung zum Biſchof von Arvern wählen zu laſſen erHlärt, währene bie Bifchöfe meinen, fie werben das mit beffen Großen er fei ja noch ein Kind! ſchon bereinigen: fie ver» heißen ihm Erſatz bes ihm etwa trobenden Schadens, d. b. offenbar ver Bannbußen. Sehr mit Unrecht tadelt Gregor von Tours ben „eiteln Eigendünkel“ des Priefters (Cato), ver erklärt, nur auf „Ea- nonifche Weife*, d. h. unter Beſtätigung des Könige die Wahl an- nehmen zu’wollen 2): auch Gregor ift eben, obwohl in minderem Maß als andere Priefter ver Zeit, 3. B. Sanct Columba?), ein Verächter ber Statsgewalt im Vergleich mit bifchöflicher Herrlichkeit. Weil bie fönigliche Beſtätigungsurkunde unentbehrlich war, fälfchte man fie auch wohl. So hatte fih Biſchof Chramlin von Embrun per falsam. cartam eines Stuhles bemächtigt: von dem Concil zu Maslay a. 679/80 war er abgefegt und mit Tebenslänglicher Einbannung t) geftraft worden: mit dieſem exilium war regelmäßig Vermögens einziehung verbunden. König Theuderich III. beläßt ihm im Gnaben- wege fein Eigen und vermeift ihn in das Klofter St. Denis). Ueber die Gültigfeit abgefchloffener Wahlen follten, abgefehen von dem Ball von Mehr-wahlen, Meetropolit und Provincialconcil ent- ſcheiden 6, aber die Könige griffen auch wohl in folhen Fällen durch, ohne irgend bie kanoniſchen Vorausfegungen einzuhalten. Der König errichtet fogar und befegt allein hantelnd, ohne Biſchöfe oder gar ven Pabſt zu fragen neue Bisthümer, bejonders um feine Didcejen nicht theilweife fremden Statsgewalten unterftellt zu willen”). Es war noch nicht das Schlimmfte, wenn?) irgend ein „eraffer Laie“, etwa ein alter Feldherr oder Statsmann, auf dieſem Weg eine Alters: verforgung, eine Nubeftelle fand, tie wegen ter Ehre und wegen

1) l. ec. 10. Maassen p. 103.

2) Greg. Tur. IV. 6, Urgeſch. III. ©. 105.

3) Urgeſch. III. ©. 575.

4) Exilium, nicht Berbannung aus dem Reiche, |. Könige VL? ©. 155, Weſtgot. Studien S. 193 und fräntifhe Forfhungen.

5) 16. September 679,80, aber nicht wie Karl Pers D. N. 44. a. 617.

6) Ce. Paris. III. c. 8. a. 557.

7) ©. oben „Diödcefen“.

8 Wie fo oft, Löning II. S. 190f.

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bes Meichthums, des mächtigen Einfluffes biefer Würden auch eifrig gejucht wurden: gar oft lag Beſtechung, bie plumpite Form ber „Simonie*!), zu Grunde.

Die kirchlichen Klagen über Simonie, fehr alt, ſchon in römifcher Zeit vollbegründet, füllen daher die ganze merovingifche und arnuls fingifche Zeit?2). Sogar ein fo frommer, ja beiliger König wie Gunt- chramn wird hierin troß ber erbaulichften Beſſerungsgelübde 8) immer wieber arg rüdfällig ®).

Die Fälle, daß ein König für die Beſetzung Gefchente annimmt, bilden bie allgemeine Regel), daß er fie ausichlägt, ift feltene Aus- nahme). Unter Theuderich I. jchon 511—534 werben die Biſchofs⸗ würden wie Waren gekauft und verkauft”).

In den Formeln wird vorausgefeßt, daß „vertragsmäßig“ (placito instituto) feftgejtellt wird, wie viel tem König an „Ger ſchenken“ (dona) zu entrichten ift für die Würbe einer Aebtiffin ®). Es kann faum ärger als unter vem frommen Ountchramn geworten fein unter Brunichildis“), die ihr großer Freund Gregor abmahnte, bis Dagobert I.

Die Geiftlichkeit ſchickt daher zugleich mit ver Wahlurkunde (con- sensus) „Geſchenke“ an den König, die Beftätigung ver Wahl zu be- treiben 19).

Als feltne Ausnahme wird es ſchon 525 hervorgehoben, daß

1) Bl. Löning II. ©. 180f.

2) Wie übrigens auch die folgenden Jahrhunderte über 1122 hinaus.

3) Greg. Tur. VI. 39, Urgeſch. III. ©. 281.

4) VI. 7, Urgeſch. III. ©. 238.

5) Greg. Tur. VIII. 22. X. 26, Urgeſch. III. ©. 369. 507, viele Beläge bei Löbell ©. 272.

6) VI. 39, Urgeſch. III. ©. 281.

7) Greg. Tur. vit. patrum VI. 3.

8) Form. Bitur. N. 18.

9) ®ie Audoen. v. St. Eligii II. 1 behauptet: ſwas Übrigens mit Vorficht, (wie die ganz grundloſe Fabel bei Fredig. V. 19 gar. nicht) zu verwerthen ift, anders Löning II. ©. 189] crudeliter in diebus illis simoniaca heresis pullu- labat (wohl nad Greg. 1. c.) maximeque de temporibus Brunichildae . usque ad tempora Dagoberti regis violabat hoc contagium catholicam fidem. Da beichlofien Alle, gemäß des Könige Befehl, „daß Keiner für Zahlung eines Preifes zur bifchöflihen Würbe gelangen jolle. Es hat nicht lange gewirkt.

10) Greg. Tur. v. Patr. e. VI. St. Gallus Arverni clerici cum consensu .. et multa munera ad regem (Theuderich I. a. 525) vengyunt.

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St. Gallus fi rühmen mochte, für die Biſchofswürde zu Elermont- Ferrand nicht mehr als einen triens ausgegeben zu haben: das Trint- gelv für ven Koch, der das vom König den Bürgern gefpenvete Freuden⸗ mahl bereitet batte!).

Im Jahre 592/93 Tauft fich vollends ein ſyriſcher Händler (ne- gotiator) den Bilchofftab von Paris?): wobei die Beſtechung zu- gleih der Gemeinde, der Geiftlihen, bes Könige, des Metropoliten und ber Provincialbiichöfe nothwendig werben Tonnte.

Wiederholte Eoncilienichlüffe?) hatten jo wenig gefruchtet, daß Gregor a. 595 fchreibt, er habe erfahren, in Gallien und Germanien ge- lange kein Menjch unentgeltlich zu einer Weihe‘). Unermüdlich mahnt der große Pabft Brunichilten, fie möge wider die Simonie ein Concil berufen5) Theuderich II. und Theudibert II.®), ebenſo die galliichen Biihöfen). Es Half auf die Dauer fo wenig wie Gefege fpäterer Herrfcher wie Dagoberts 1.8) und ver Heiligen Balthilvis). Viel⸗ mehr fteigerte fich mit der Verweltlichung und Verwilderung der ganzen fränkiſchen Kirche auch die Simonie in den Wirren ber lebten mero- vingifchen Zeit und erreichte ihren Gipfel auch nach Abzug aller Uebertreibung bei St. Bonifatius unter Karl Martell.

Auch gegen bie Verleihung von Bisthümern 1%) und Abteien an Laien wendet fich, wie viele Vorgänger, Pabft Gregor der Große!!). Die Concilien fordern als Vorausſetzung ber Biſchofsweihe längere Zeit mönchiſchen Lebens und wifjenfchaftlicher Vorbereitung, conver- satio 12), d. h. mönchiſches Leben !3).

1) Greg. Tur. v. Patr. VI. ce. 3.

2) Greg. Tur. X. 26, Urgeſch. IIII. ©. 507.

3) Ce. Aurel. I. a. 533. can. 4. Arvern. I. a. 535. can. 2. Aurel. V. a. 549. can. 10. Cabillon. I. a. 579. can. 16. Maassen p. 61. 65. 100. 151.

4) Registr. 1. c.

5) a. 598. 599. 601 Regist.

6) Registr. 1. c.

7) Registr. 599, f. unten Berhältnig zum Pabftthum.

8) Vita St. Eligüi 1. c., Urgeſch. III. ©. 623.

9) Vita ed. Krusch c. 2, Urgeſch. II. ©. 669.

. 10) Felix IV. 3. $ebr. 528 an Caesarius v. Arles ed. Gundlach p. 45, vgl. Arnold, Eaefarius S. 310: der Biſchofscandidat follte 30 Jahre zählen, Die nieberen Weihen empfangen haben.

11) Regesta V. 53. 55. a. 595 an Birgilius von Arles IX. 109. 110.

12) Ce. Aurel. V. a.

13) Greg. M. dialog. II. 1 sanctae conversationis habitum X. p. 131. V. St. Desiderii Cadyre. ed. Labbe, Bibliotheca c. 9 nova I. p. 699. c. 7

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Tehlten die Könige durch Simonie und durch eigenmächtige Be⸗ feßung der Stühle, jo verftieß nicht minder gegen bie canones bie alte und zähe und weitverbreitete Unfitte, daß ber Biſchof feinen Nach- folger gerabezu ernannte, ebenfalls oft aus fimoniftifchen Beweg⸗ gründen, und mit wenig verjchleierter Umgehung wirklicher Wahl‘). Häufig holten fie dabei wenigftens die Genehmigung des Königs ein: viele Fälle der Art berichtet Gregor und zwar ohne Zabel, ja bei von ihm hoch gefeierten Männern?) : treffend hat man bemerft3), daß durch dies freilich unfanonifche Verfahren Simonie, Wahllämpfe und Be- ftellung Unwürbiger ausgefchloffen werten Eonnten. Der Nachfolger bes bi. Zetricus von Langres ward ſchon bei deſſen Xebzeiten vom König beftellt und von dem Metropoliten fogar ſchon zum Bilchof geweiht, aber bis zur Erledigung des Stuhles als Archipresbpter zu Zonnere verwendet?). Daburch wurde doch nur. plump umgangen das alte Verbot, daß Ein Bisthum nicht won zweien bejeßt fein dürfe eine Art „Bigamie” wegen ber müftifchen Ehe des Biſchofs mit ber Kirche ; freilich Hatte fogar bie hl. Hrotehildis zwei Biſchöfe zugleih in Tours eingefegt®). Die Concilien V. von Orleans von 549) und von Paris von 6147) verboten auf pas Strengjte, daß fortab bei Lebzeiten eines Biichofs von irgend wen König ober Bifchof oder Wählern ein Nachfolger beftimmt over das Bisthum ange-

sub habitu saeculari Christi militem agere ac mores angelicos et sacer- dotalem conversationem habere. Das ward aus bem oftgotifhen Ce. IV. Arel. can. 2 von 524 ed. Maassen p. 36 für das Frantenreich wieberholt durch die Ce. III. und V. von Orldaus a. 538 und 549 can. 6 und 9, Maassen p. 74 und p. 103. Für Nichteinhaltung dieſer Frift warb Suspenfion vom Amt gebrobt, eingehalten ward fie 3. B. vom Herzog Auftrap, als er Bifchof von Poitters warb, Greg. Tur. IV. 18, Urgef. III. ©. 118. Guntdramn hatte eidlich auch dieſem Mißbrauch abgefagt, was ihn aber nicht abhielt, doch wieber ben Laien Deſiderius aus Habgier zum Biſchof von Eaufe zu beftellen; quid pectora humana non cogit auri sacra fames, fenfzt [mit einem Lieblingscitat!i Gregor VI. 22, Urgeſch. III. ©. 369.

1) Schon Concilien von 341 und 405 eifern dagegen, ſ. Hinſchius II. 2. ©. 519, Löning S. 194.

2) Greg. IV. 18. V. 5. VI. 15, Urgeſch. II. ©. 118. 170f. 251f.

3) Löning a. a. O.

4) Greg. Tur. V. 5, Urgeſch. III. ©. 172, vgl. Auftrap von Poitters IV. 18, Urgeſch. III. S. 119.

5) Greg. Tur. III. 17. X. 31, Urgeſch. W. ©. 518f.

6) ed. Maassen p. 104. can. 12.

7) can. 3.1. c. p. 186.

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jtrebt werde. Im feinem Edict!) machte Chlothachar diefen Canon zu weltlichem Recht und verfpradh, bauach zu handeln.

Behalten wurde aber die Vorfchrift weber ftets von Biſchöfen noch von Königen: Auftrigifil von Bourges beſtellte ſich St. Sulpicius zum Nachfolger?), St. Sulpicius ebenfo unter Zuftimmung bes Königs Vulfoled zum Nachfolger und Mitbifchof?), Avitus von Clermont c. 690 unter Zuftimmung Theuderichs III. St. Bonitus zum Nachfolger *).

Wie wenig bie früheren Verbote fruchteten, zeigt ihre Wieder⸗ bolung auf den Concilien IH. von Chälons®) und von St. Jean⸗ be-2osne®), wo der Biſchof, der fich feinen Nachfolger beftellt, fogar (can. 22) mit Abjetung bebroht wird.

Die Biſchöfe wagen es wohl au, ohne jede Befragung bes Königs oder bes Metropoliten den Stuhl zu befegen: aber es be- kömmt dann ihnen und ihrem Günftling oft nicht gut ?).

Die Weihe der Metropoliten mußte burch alle Biſchöfe der Pro- vinz geicheben®): aber gerate in Gallien unter ven Merovingen kam auch die Weihe durch andere Metropoliten vor). Der Biſchof von Arles weihte vermöge feines Primates die Bifchöfe der Viennensis provincia fowie ber beiden Narbonnenses !?).

Scharf wahrt ver König fein Recht und feinen (oder feines Vaters) Willen bei Beſetzung der Bisthümer: Auflehnung Hiegegen ftraft er mit Geldbrüchen und mit Verbannung willfürlich 11), ja graufam. Im Jahre 560/561 hatte Chlothachar I. den Stuhl von Saintes durch Emerius befegt ohne Befragung des Metropofiten Leontins von Borbeaur, ter Unterthan feines ihm feindlichen Bruders Childiberts I. war; man fieht, die Theilkönige wollten ven Theilveichen gegenüber das Gleiche burchfegen, wie gegenüber Fremdſtaten, d. h. den Metropolitenverband

1) c. 2.

2) v. St. Sulpieii I. c. 8.

3) v. St. Sulp. D. c. 2.

4) v. St. Boniti, Mabillon III. 1. p. 90.

5) a. 639—654. X. 24 ed. Maassen p. 209. can. 4.

6) Latun. a. 673—675, 1. ce. p. 217. can. 6. 16. 22.

7) Greg. Tur. IV. 6. 7. VIII. 22, Urgeſch. II. ©. 104. 369. 8) Ce. Tolet. IV. a. 633. c. 5 $ 1, Könige VI2 ©. 434. 9) Ce. Aurel. III. a. 538. c. 3.

10) Epistola Zosimi ad episcopos Galliae a. 417. Maassen IV. p. 359. 11) Greg. Tur. IV. 26, Urgef. IH. ©. 129.

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nicht anerfennen!). Allein gleich nach Chlothachars Tod berief Leon- tius ein Eoncil feiner Provinz: dieſes entjettte gemäß dem III. Concil von Paris?) Emerius, wählte einen Bordelaiſer Briefter, Heraclius, zum Biſchof und erbat jchriftlih bie Betätigung von Chlothachars Sohn und Nachfolger Charibert J. Mehr vorfichtig als den canones gerecht enthielt fi St. Eufronius, Biſchof von Zours, der Unter: ichreibung dieſer Forderung: er ahnte was geſchah: der Sohn er- grimmte beftig über biefe Mißachtung des Willens feines Waters, „meinft du“, ruft er, „es lebt kein Sohn König Chlothachars mehr, ten Willen des Vaters aufrecht zu halten ?*, feste fofort Emerius wieder ein, ließ ten Bittſteller Heraclius, als er vor ihm zu erfcheinen wagte, auf einen mit Gedörn gefüllten Laftwagen werfen und in Einbannung fchleppen und ftrafte Leontins um 1000 solidi, was man?) als ben verzehnfachten „großen“ Königsbann auffaßt, und die antern Bi⸗ ichöfe nach ihrem Vermögen. Seltjam ift, daß diesmal ber fonft fo bifchofeifrige Gregor ohne ein Wort des Tadels darin nur die Sühne für eine dem König angethane Beleidigung findet.

Und ter König wahrt auch in der Folge fein Necht mit Nachbrud.

Als das V. Concil von Paris ter Mitwirkung des Königs ges fchweigt, hebt dieſer fie in feinem bie Concil&befchlüffe erft zu welt lichem Recht geſtaltenden Edict ausprüdlich hervor‘), obwohl er ven Biſchöfen feine Erhebung nicht minder als den Weltgroßen verbantte und gleich zu Anfang feiner Regierung der Kirche Zugeftänbniffe machte.

Dei vielem Anlaß fügt er bei: „gehört aber ber Gewählte dem palatium an, foll er bei entjprechendem Verdienſt der Perjon und ber Gelehrſamkeit orbinixt werben“). Der Sinn biefes Zufates ift zweifelhaft‘). Es ift doch wohl bei der Wahl wie im vorher-

1) Oben ©. 229.

2) a. 557. ce. 8.

3) Sohm ©. 172.

4) Ed. Chloth. c. 1 quia metropolitano ordinari debet cum provinciali- bus a clero et populo eligatur, si persona condigna fuerit, per ordinationem principis ordinetur; certe si de palatio eligitur, per meritum personae et doetrinae ordinetur; über das Verhältniß des Epicts zum Eoncil: Rettberg 1. ©. 292.

5) Ed. Chloth. 1. e.

6) Bgl. Lesardiere II. p. 245. Sohm a. a. O. S. 182. 2öning I. ©. 182. Waitz IIb. S. 61. D. G. Ib. ©. 7241.

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gehenden Sag an Fanonifche Wahl (veligitur«) durch die Geift- lichen, nicht an einfeitige Ernennung durch den König zu denken: alfo ferner auch an Geiftliche als Gewählte: zu dem palatium ge hörten doch auch Geiftliche, obzwar meift Laien: vielleicht follte nicht nur das altherlömmliche Erforberniß ter »scientia«!) für Geiftliche bei der Biſchofswahl wiederholt, auch die fo oft früher geübte?) Wahl unmwürbiger und ungelehrter Laien aus dem palatium vom König für die Zukunft als unftatthaft anerkannt werben.

In Anwendung diefer Grundſätze wird alsbald (a. 629) ein Hof- beamter, allerdings ein Laie, Defiberius, der thesaurarius Dagoberts II., zum Bifchof von Cahors von Klerus und Volt gewählt, dann vom König beftätigt, „weil fein Leben und Wandel Allen würdig und lobens- werth galt“?). Das fehr berechtigte Beſtreben ver Kirche, die Ver: weltlichung der VBisthümer durch die Ernennung von Laien Welt- großen zu verhüten, die aus weltlichen Gründen gegen weltliche Vergütung *) diefe Würden anftrebten und erhielten, führte zu den Con⸗ cilienfchlüffen von Nheims>) und Elichy von 626 oder 627. 27. IX.®), bie, alten päbjtlichen Decreten gemäß, verlangten, der Candidat müſſe dem Klerus (und zwar ber fraglichen Didcefe) angehören: das verftieß aber gegen das Statsgefek won 614 (f. oben S. 240) und warb nicht weltliches Recht, da ver König es nicht beftätigte, vielmehr an feinem Necht fefthielt und oft fo eben 629 tanach handelte.

Allerdings fprechen beite canones nur von indigenae, allein barunter find wohl Angehörige des Didcefanclerus zu verftehen?). Ebenso jcheiterten die Verſuche anderer Concilien, dem Metropoliten und den andern Bifchöfen der Provinz das Necht zu fichern, vom König beftätigte Wahlen zu prüfen und unfanonifch Gewählten die

1) Hinſchins J. S. 19.

2) ©. die zahlreichen Beläge aus Gregor bei Löning S. 191: 5 Referen⸗ barien, 1 rector provinciae, 1 major domus, 2 ©rafen.

3) D. N. IV. p. 8. 13. 15. 629.

4) ©. oben Simonie.

5) can. 25. a. 621—630. Maassen p. 202.

6) can. 28. Maassen p. 200.

7) Ueber die ordinatores, die bei Verletzung dieſer Vorſchrift auf 3 Jahre ſuspendirt werben follen f. Hinfhius IV. ©. 810. Schon c. a. 545 hatte fich Biſchof Dalmatius von Rhodez beim König erbeten, baf er keinen extraneus zu feinem Nachfolger beftelle, Greg. Tur. V. 47, Urgeſch. III. ©. 2297.

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Weihe zu verſagen!). Kein all ift befannt, in bem dem Weihe befehl?) (jussio) eines Königs getrogt worden wäre), 3. B. Dago- berts II. für Deſiderius von Cahors an Sulpicius von Bourges i).

Und wird berichtet, daß ein Laie ein Graf ohne Willen von Clerus oder Volt oder Biſchöfen oder König fich eines Bisthums babbaft gemacht habe), Graf Agatheus von Nantes und von Rennes bemächtigt fi) des Zocus episcopatus in biejen beiben Stäpten, fo ift. doch hierunter wohl nur die Anmaßung der Ein- fünfte, ber Verwaltung, ber Ausübung der weltlichen Rechte des Bisthums zu verftehen, nicht, daß ver Graf ſelbſt Biſchof geworben ®).

Im Anfang finden wir jelbftverftändlich nur Römer d. h. eben Katholiken als Biſchöfe und Geiftliche ?).

Wenn nun allmälig etwa feit c. 600 germanifche Namen von Biſchöfen und Aebten häufiger als früher begegnen®), fo ift dieſe Er- fheinung ganz gewiß nicht zu erklären?) aus einem Kampf bes rö- mifchen und bes fräntifchen Episcopats: von einem folchen ift in ven Quellen nicht8 zu verfpüren, abgefehen von dem ganz allgemein biefe Zeit durchziehenden Gegenfat tes völlig romanifirten Sübens und bes gar nicht oder wenig romanifirten Nordens bes Reiches, wie er fich 3. B. höchſt bezeichnend ausbrüdt in ver Weigerung eines nort- galliſchen Biſchofs übrigens höchitwahrfcheinlich (nach dem Namen: Domnolus) eines Römers —, ein Bisthum in ber viel tiefer romani- firten und viel höher gebilveten Provincia in Avignon zu übernehmen, weil er nicht in feiner Unbildung den vortigen „Philofophen und Sena-

1) Ce. Aurel. II. vom 22. VI. a. 533. e. 7, nit 2, wie Löning a. a. O. Ce. Aurel. can, 10. 11, vgl. Hinfhius II. S. 518. 549. Maassen p. 61. 99.

2) Ständige Formeln für ſolche bet Markulf I. 7.

3) Pardessus II. 7. N. 251.

4) Löning II. S. 184 führt einen Sal an, wo a. 545 die von Childibert I. bes fohlne, wegen kanoniſchen Mangels verweigerte Eonfecration, doch durchgeſetzt wird.

5) v. St. Hermenlandi, Abt von Aindre, geft. 720. A. S. ed. Boll. 25. März III. p. 576.

6) So gewiß richtig Löning II. S. 263$. auch für Chur, wo eine Art Ber erbung ber weltlichen und ber bifchöflichen Gewalt in Einer Sippe ftattfand.

7) ©. unten ©. 243f.

8) Waitz Ib. ©. 62 und die dort angeführten: Staudenmeier S. 52, Guisgot, essais p. 224; unten ©. 213.

9) Mit Drapeyron, de la substitution d'un &piscopat germain & l’Episco- pat romain en Gaule 1875. Dagegen treffend Löning II. S. 285.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 16

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toren“, d. 5. dem grammatijch-rhetorifch- bialektifch gebilveten, fogar weltlichen Adel zum Gejpötte werben will').

Ja nicht einmal ift wahrſcheinlich?), daß bie Könige abfichtlich Franken in tie Bisthümer gefegt hätten, „um bie Kirche mehr und mehr an die herrfchende Gewalt zu knüpfen“. Dazu beftand c. 600 gar kein Grund: eine gefügigere Biſchofſchaft Tonnte fich die Krone nicht wünfchen als die vamalige, und der Gegenſatz zwiſchen Römer⸗ tbum und Germanenthum, wie er früher bis zur Taufe Chlodovechs beftanden haben mochte und fpäter feit c. 630 und zumal 650—700 wieder bervortritt in dem Streben Auftrafiens, fich von Neuftrien zu löfen, war damals noch nicht vorhanden.

Vielmehr erklärt fi die Erfcheinung, obne Annahme irgend welcher Abfichtlichleit der Krone, einmal taraus, daß im Fortſchritt ber Menfchenalter felbftverjtänblich immer zahlreicher germanifche Ge⸗ ſchlechter in römifcher und Firchlicher Bildung heranwuchſen, dann aber leider! aus der zunehmenden Verweltlichung ber Kirche: ger manifche Herzoge und Grafen und andere Laien trachteten jett viel eifriger als früher nah Bisthümern und Abteien, ba fie, ohne viel geiftliche Leiftungen zu erfordern, aus rein weltlichen Gründen ange- ftrebt und verliehen wurden.

Auf eitel Selbittäufchung beruht daher auch tie Annahme), ber „römiſche“ Episcopat in Gallien babe fi in tem Kampfe zwiichen ven Meropingen und dem Dienftabel feit etwa 580 an bie Mero- vingen, ber „fränkifche” an ben Dienftadel geichloffen und daher fei jener mit tem alten Königshaufe zufammen gefallen: während doch auch unter ven Arnulfingen und KRarolingen noch fo viele „Römer bie Biſchofsſtühle füllen!

Abfegen kann ten Bifchof nicht der König, nur das Concil, richten den abgefettten wegen Hochverraths der König*) und von den weltlichen Strafen begnabigen.

1) Greg. Tur. VI. 9, Urgeſch. III. ©. 241.

2) Wie Waitz Ilb. S. 63 will.

3) Drapeyrons a. a. O.

4) ©. unten Geridhtsbarkeit, Concilien und fränkiſche Forſchungen.

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b) Germanifhe Bifhöfe auf den meroningifhen Concilien.

Germanifche Bifchöfe auf den merovingifchen Eoncilien erfcheinen und vermehren fich in folgenver Weiſe:

Daß etwa 12 Jahre nach Chlodovechs Taufe auf dem Concil zu Orlans 511 unter 32 Bifchöfen fchon zwei Germanen, Gildared von Rouen und Lithared von Uxuma (?) find!), ift auffallend: unter ben 25 des nächften von Epao a. 517 ift nicht Ein germanifcher Name2); boch ift bei biefer ganzen Unterſuchung zu erinnern, daß zwar gewiß fein Romane einen germanifchen, wohl aber viele Germanen biblifche, ſonſt chriftliche oder „fromme* Namen (Theophilos u. f. w.) trugen, zumal gerade, falls fie Geiftlich wurden, wenigftens folche Beinamen annahmen; ebenfo unter den 10 bes Concils zu Lyon (516—523) 3), unter den 13 von Arles von 5242); ten 16 von Charpentras von 5275); Heiner unter den 20 von Drange von 529%); nur Einer (Sariattho) 7) unter den 12 zu Vaiſon 5298); den 14 zu Marfeille von 533°), unter ben 30 bes II. zu Orleans von 535109); unter ben 15 des I. zu Clermont vom gleichen Jahr, Feiner !1); in dem IH. zu Orleans von 538 unter 19 Bifchöfen Einer (Theudobaud von Lurenil) und unter 7 Prieftern Einer (Baudaſt) als Vertreter des Biſchofs von Aorandhes; in dem IV. daſelbſt von 541 unter 53 nur 1 Briefter (Baudaſt), verfelbe (bier Baudard genannt)12) in dem V. dafelbft von 549 und unter 50 Bifchöfen nur Theudobaud von Luxeuil; unter den 21 Prieftern u. f. w. erfcheinen nun doch zahlreichere Ger⸗

1) Maassen p. 15. 2) Maassen p. 31.

3) Maassen p. 35. 4) Maassen p. 40. 5) Maassen p. 44. 6) Maassen p. 55.

7) Offenbar Eharietto, |. Urgeſch. II. S. 310; [unbelannten Stuhles.] a. 587 erfcheint ein Charietto von Genf; unten S. 245.

8) Maassen p. 58.

9) Maassen p. 64.

10) Maassen p. 70.

11) Lauto von Eonftantine ift vielleicht nicht, wie Rettberg I. S. 289 meint, Germane, fondern Lautus (anders allerdings Förſtemaun S. 839) und Con- ftantine ift jebesfalles nicht Eonftanz, fondern Briovera (jet nach dieſem Heiligen 25 benannt) in ber Normandie; er farb c. 568.

12) Maassen p. 96.

16*

244

manen: bie Biſchöfe Saffarach !) von Paris, Theudobaud, Biſchof⸗Abt von Lureuil, Liubvin (Teubenus) von Chartres, Chlodo?) von Zoul, Medovech von Meaur?); der Name des Biſchofs von Seulis ift arg verberbt, aber doch wohl von ben Abfchreibern für germanijch gehalten worden: denn fie haben aus Gono-tiern oder Gonoti-gern, Gunaute- gern (vgl. Chnobomar), einfach Fribigern, Frebiern gemacht. ‘Der Ger- mane Genobaud von Laͤon ift vertreten durch den Germanen Medulf, ber Bifchof von Limoges durch Bautard (Bautichart ?), auch Febidiolus ift vielleicht germanifch (vgl. Fabigaud, Febis, Teva, Fava bei Förſte⸗ mann ©. 403).

Es iſt Höchft bebeutfam und lehrreich, daß vie germanifchen Namen mehr dem Norboften bes Weiches angehören, das ungleich bichter al® das Land ſüdweſtlich der Loire von Germanen befiebelt war ®).

Unter ven 9 Bifchöfen des Concils zu Eauze von 551 ift kein Germane®); unter den 26 des I. Concils zu Paris von 552 wieder Medovech von Meaur und Liubvin von Chartres®). Tief im Süben auf dem II. Eoncil zu Arles von 554 unter ven 19 nicht Einer”); unter den 8 auf vem I. zu Tours von 567 nur Leudobaud von Sa- gium (See; an der Orne)d); Keiner unter 14 auf dem I. Concil zu "non 567 oder 5709); dagegen unter ven 15 des II. zu Paris (556 —573) Gonothigern!%) von Seulis und Chardarich (unbelannten Stuhles)11); unter den 32 Bifchöfen des III. zu Paris von 573 Aunachar von Aurerre, Leudobaud von See; und in Vertretung Nichomars von Orleans der Priefter Launoveh 12): es ift wohl mehr als Zufall, daß fich wiederholt Germanen durch Germanen vertreten laffen; unter den 8 des IV. Concils zu Lyon von 583 Ragnovald

1) Fehlt bei Kettberg 1. c., |. aber Könige I. ©. 59, VL? ©. 476.

2) (?) Fehlt bei Rettberg I. ©. 289.

3) Aregius von Nevers wage ich wegen Arebius nicht als Arigis zu beuten. Maassen p. 108; anders Rettberg I. ©. 289.

4) VII 1. ©. 41. Im Anfang bis c. 760 überwiegen freilich auch in Auftrafien Römer auf den Stühlen Trier, Mainz, Köln, Meb.

5) Maassen p. 115. 6) Maassen p. 117.

7) Maassen p. 119. 8) Maassen p. 138.

9) Maassen p. 140.

10) So diesmal alle (5) Handſchriften Chnodogerns.

11) Maassen p. 145.

12) Maassen p. 150.

nn

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von Valence!); unter den 21. des I. zu Mäcon vom gleichen Jahre Aunachar von Aurerre (bier „Autrica“), derſelbe Ragnovald, Mummo- [182) von Langres?) ; unter den 17 des Concils von PValence vom gleichen Jahr Ragnovald und Charietto von Genf). Die Zunahme der Germanen tft deutlich wahrnehmbar, feit 567 fehlen fie nun nie mehr ganz, volle 8: alfo 1/, unter ven 66 auf dem LI. Concil zu Mäcon von 585: Berthramn von Bordeaux, Aunachar von Aurerre, Ragnovald von Valence, Ragnebod von Paris, Mummolus von Lan- gres, Baudigiſel von Celomant (?), Eharietto von Genf, Magnulf von Toulouſe: alfo auch fo tief fühlich wie Toulouſe und Bordeaux und in bebveutenden Stühlen 5) ; unter den 44 PBrieftern®), Aebten, Diaconen bes Concils zu Auxerre (576—603) ift die Zahl der Ger⸗ manen fehr beträchtlich: man fieht, die nieberen Weihen erlangten fie viel häufiger: nicht weniger als 22, nämlich Aunachar, Venobaud, Abt von St. Germain-des-Pres bei Paris (des berühmten Kloſters), ein Priefter gleichen Namens, Abt Trancolus, zwei Audovine, Aubo- bins, Rorich, Addo, Sindulf, Theudmuth, Leudigifel, Ballomer, Ge- nulf, Baudovin, Thenbulf, Niobaud, Sevard, Baderich, Triobaud, Launopin (Launodius), Romachar, Audila (Gote?): alſo nunmehr vie volle Hälfte”) in einem ziemlich weit ſüdweſtlich nahe der Loire gelegnen Bisthum: dieſe hohe Zahl läßt die Zeit wohl gegen das Jahr 600 herabrüden.

In dem großen Eoncil zu Paris von 614, in dem auch Auftrafien wie Nenftrien und Burgund vertreten war, find unter ven 79 Biſchöfen 41 Germanen: Hildulf von Rouen, Auftrigifel von Bourges, Arnigifel von Bordeaux, Sumachs) von Rheims, Leodemund von Eauze, Rocco von Aguftipunum (sic: Autun), Aubobertb von Saintes, Bertchramn von Le Mans, Magnobad von Angers, Eunoald von Poitiers, Hair moald von Rennes, Leodoald von Baheur, Hildoald von Avranches, Guduald zu Uzes, Liudigifel von Orleans, Fredemund von Aluta (?), Thendoald von Chartres, Hiltigifel von Toulouſe, Leodamund von

1) Maassen p. 151.

2) Bon Förftemann als germanifch beanſprucht S. 937.

3) Maassen p. 160.

4) Maassen p. 163.

5) Maassen p. 172.

6) Germaniſche Biſchöfe fehlen, außer Aunachar dem Borfigenben, 2 Maassen p. 184.

8) Oder hebräiſch: Saroch?

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Valleſſe (?), Gaugerich von Marace, Raurich von Nevers, Lopachar von Yverdun (Ebritunum), Walato von Gap, Chamnigifel von Loronia(?), Gundovald von Meaur, Rigobert von Laon, Berachund von Amiens, Erminulf von Evreux, Eudila von Zoul, Verthmund von Nocciomo (?), Berthulf von Varnacio (?), Flavard von Agens, Launomund von Luxeuil, Bettulf von Maftricht, Drakovald von Sitten, Biligifel von Toulouſe, Leudomer von EChälons, Harimer von Verbun, Anferich von Soiſſons, Anjoald von Straßburg, Hilderich von Speier und Aggo von Perigeur!). Alfo mehr als die Hälfte Man fieht, wie feit Mitte des VI. Jahrhunderts ganz außerorventlich der Eintritt ber Germanen in die Bifchoffige zugenommen bat: und zwar ift es bebeutfam, daß wir fie jett nicht nur in Auftraften, in Speier, Straß: burg, taß wir fie ganz ebenfo im tiefften Süden in Zouloufe und im fernften Nordweſten in ber Bretagne antreffen. Ferner find gerade bie polittfch, Firchlich und dem Reichthum nach wichtigften Stühle in ihrem Beſitz. Paris wie Orleans wie Borbeaur: den Romanen find im Ganzen nur 38 und von beteutenteren Stellungen blos ver- blieben: Köln, Sens, Cahors, Troyes, Thon, Arles, Vienne, Rouen, Chur, Amiens, Marfeille: doch Fönnen, wie bemerkt (oben ©. 243) unter ben ungermanifchen Namen biefer Bifchöfe auch manche Ger- manen verholen fein.

Unter den 42 Bifchöfen des Concils von Clippiacum von 626/7 finden wir die 26 Germanen: Landolen von Vienne, Mederich von Sens, Medigifil von Tours, Aſodoald von Agen, Hainoald von Laon, Ragnobert von Bayeur, Haidoind von Le Mans, Magnobod von An gers, Liobard von Nantes, Auderih von Aur, Bertdigifil von Char: tres, Balladius (?) von Aurerre, Raurich von Nevers, Hildoald von Avranches, Leodoberht von Paris, Babo von Autun, Billigifel von Zouloufe, Aigahard von Nymwegen, Gunboald von Meaur, Anjarich von Soiffons, Godo von Verdun, Aigomar von Senlis, Arnulf von Mes, Kuniberth (Honoberthus) von Köln, Moboald von Langres, Abt Audo von Orleans; alfo faſt 62 vom Hundert. Zu beachten ift, daß in manchen Bisthümern z. B. Avranches vie Germanen ſich dauernd behaupten?).

Auf dem Eoncil, das Sonatius von Rheims zwilchen 627 und 630 wohl zu Rheims verfammelte, treffen wir unter 40 Biſchöfen

1) Maassen p. 190. 2) Maassen p. 200.

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25 Germanen: (Sonatius jelbft war auf den Germanen Romuff gefolgt), Arnulf von Met, Theoverich von Lyon, Sindulf von Vienne, Medi⸗ gifil von Tours, Modoald von Trier, Kunibert von Köln, Richer von Sens, Modoald von Langres!), Ragnobert von Bayeur, Childoald von Avranches, Bertigifil von Chartres, Gundoald von Meaur, Leude⸗ bert von Paris, Chainoald von Laon, Godo von Verdun, Aufarich von Soiffons, Bertoald von Cambrai, Agomar von Senlis, Lupoald von Mainz, Billigifel von Zouloufe, Auderich von Aux, Emmo (? Arefetenfis), Chaboind von Le Mans, Magnebot von Angers, Leo- bard von Nantes: alfo jet jchon 62 vom Hunbert?). Auf dem 1I. Concil von Chälons von 639—654 zählen wir unter 45 Bifchöfen und 6 Aebten ꝛc. 25 germanifche Biſchöfe und 5 Aebte: Kanderich von Lyon, Landalen von Vienne, Auboin von Rouen, Ulfolend von Bourges, Bertoald von Langres, Audo von Orleans, Malard von Chartres, Leuſus (Laiſo ?) von Troyes, Baudomer von Darantafla (Taran- taife), Inſild von Valence, Betto von Troyes, Arrich von Laufanne, Bertofred von Amiens, Amlachar von Seez, Launobod von Luxeuil, Ragnarich von Evreux, Betto von Julia-Bona (?), Abt DBetto, Archidiacon Chaddo, Abt Germoald für Aubobert von Paris, Abt Chagnoald für Chaboald von Le Mans, Abt Bertolf für Rioter von Rennes, aljo von 51 ®enannten 30 Germanen, etwa 60 vom Hundert.

Dagegen fällt auf, daß auf dem fürlichen Provincial-Eoncil zu Bordeaux von 663—675 von 18 Theilnehmern 11 Germanen find: Ado von Bourges, Ermenomar von Perigeur, Leutad von Aug, Gun- dulf Bafatenfis (?) (Bajas), Agnobert von Saintes, Bafolen von Lec- ture, Sefemund Caferamnie?), Maurolen (Cojeramnis?), Beto von Cahors, Sibovald von Agens, Abt Onoald aus Albit); alfo 61 vom Huntert. Es ift das lette merovingifche Concil: während bis c. 550 Germanen oft völlig fehlen, überfchreiten fie feit 614 die Häffte>).

1) Es ift längſt bemerft, daß im Mittelalter gewifle Namen in gewiſſen Zeiten befonders häufig wieberfehren: im VII. Sahrhunbert war es ähnlich.

2) Maassen p. 203.

3) Maassen p. 8. Ferner Artemon? Hartemund ? von Ellerona ?

4, Maassen p. 213.

5) IH finde nachträglih, daß ſchon Friebrih II. S. 116 eine Zufammen- ftellung aus den Coneilsunterſchriften gegeben bat. Aber fie iſt ungenügend. Innocentius ift ihm ein germanifcher Name S. 116! ebenfo Aregius, ebenfo

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Gern möchte man dies ganz auffallende Eindringen!) von Ger- manen in die Kirche ausſchließend auf einen Fortſchritt ihrer Bildung zurücdführen und gewiß ift dies zu großem Theil begründet, zumal wenn man erwägt, daß a. 581 fogar ein romanifcher Biſchof fürchtete, nach Süpgallien unter bie tortige höhere d. 5. romaniſche Bildung verfegt zu werden?). Auch ift wohl ber Erkräftigung bes auftrafifchen d. h. germanischen Selbftbewußtjeinsg Rechnung zu tragen, das feit 614 wiederholt deutlich hervortritt und einen befonvern auftraftfchen König in Meg ertrogt?). Allein leider wird man wohl zugeben müffen, baß biefes Einbringen von Germanen in bie Bisthümer und Abteien ſeit etwa 580 dem Tode des immerhin fircheneifrigen Guntchramn in traurigem Zuſammenhang fteht mit der argen Verweltlichung und Verwilderung ver Kirche, die, feit c. 600 ſteigend, c. 740 ihren Gipfel erreichte: bei gleicher oder fogar überlegner Begabung ver Germanen ftanden fie doch meift tief unter ver Bildungsftufe ver Romanen obzwar die geiftliche (Klofter-)Erziehung *) hier eine gewiffe Ausgleichung herbeiführte: e8 war aber boch wohl fehr oft bie viel beklagte Simonie, die tapfere, tüchtige, aber Tirchlich wenig geichulte Ger⸗ manen zur Belohnung für weltliche Dienfte auf tie Bifchofsftühle hob, die fie aus rein weltlichen Gründen anftrebten. Sie hielten in ber Kirche felbft Schmaufereien und Gelage mit Geiftlichen und Laien ab, wobei Spiellente und Zänzerinnen nicht fehlten 5).

c) Recht und Mact-Itellung.

Die Biſchöfe ſchon Chlodovechs nach 507 heißen: »domini sancti et apostolica sede dignissimie, auch »papae«; ihr Titel, den ihnen ſchon Chlodovech beifegt, ift: »beatitudo vestra«®); die »rectores,

Chaletricus (Kelte). Auch wird in gerader Umkehrung bes Richtigen angenommen, Romanen hätten oft germanifche Namen angenommen ©. 117.

1) Ergänzung germanifcher Namen für Geiftliche aus Gregor, Fredigar und ben Heiligenleben aus meinen Sammlungen f. fränkiſchen Forſchungen.

2) Greg. Tur. VI. 9, Urgeſch. III. ©. 241.

3) Urgeſch. III. ©. 607. 637.

4, Sinfhius IV. 2. ©. 491.

5) Vgl. Löning II. ©. 461.

6) Chlodov. epist. ad ep.

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rectores ecclesiarum«!), die »domini et patres nostri episcopi« werben vor ben weltlichen »obtimates« genannt?).

Die Bifchöfe ftehen auch darin den weltlichen potentes gleich, baß fie, d. 5. ihre Kirchen, oft Grunbftüde in viel mehr als Einem Gau eignen 3): ja, ver Grundbeſitz ter Kirchen und Klöfter war fchon deßhalb noch viel mehr als der von Laien über alle Xheile des Neiches verftreut, weil auch in den der Biſchofskirche meilt dem Grab eines weitberüähmten Heiligen fernen Landſchaften Frömmigkeit!) beffen Schuß fuchte.

Damals taucht zuerft bei Biſchöfen nicht bei Königen! ter Ausbrud auf: »gratia Dei (b. h. non propriis meritis) episcopus« (Turonensis, Rhemensis), aljo durchaus nicht in tem fpäter von ben Königen 3. B. den Stuarts für ihr »right divine« gemeinten Sinn der miralelhaften Auswahl für den Thron fchon vor ber Ge⸗ burt: ftatsrechtlich drückt das Wort nur das Selbſtverſtändliche aus, daß in der Monarchie ver Monarch Träger der Statsgewalt, nicht als Deamter und im Auftrag bes Volles, fontern kraft eignen Rechtes ift.

Wie gratia Dei ijt ein anprer Ausdruck der bifchöflichen Demuth mediocritas nostra).

Schon feit Conftantin war die Machtftellung der Biſchöfe in ihren Städten und Sprengeln rechtlich und thatjächlich ſtets geftiegen®).

Die Annahme bes Chriſtenthums durch Chlobovech in dem recht- gläubigen Bekenntniß wurde als Ereigniß von weltgefchichtlicher DBe- beutung bereits gewürbigt ”): nichts hat fo ſtark tazu beigetragen, ten Trankenftat zu ber führenden Macht in Europa von a. 500 bis a. 900 zu machen: e8 waren aber gerade Lie Biſchöfe, die in dem genialen Aufbau der Kirche, ven Frankenkönigen auch für ihre ftatlichen, welt» lihen Zwede vie werthooflite Hilfe leifteten.

In ihrem Streben nah Erweiterung und auch nach Befeftigung ber Macht funten die Könige Feine wirkfamere Waffe als die Lehre ber Biſchöfe, welche die Gehorfamspflicht gegenüber ber von Gott

1) Ce. Arvern. Maassen p. 161 (epistola).

2) Form. Mare. I. 25. Ed. Chloth. c. 19. p. 23 episcopi vel potentes,

3) Ed. Chl. II. c. 19.

4) ©. unten Kirchenvermögen, Schenkungen.

5) Ce. Matiscon. II. c. 11. p. 168 servus servorum Des. Cat. ed. Arndt p. 207.

6) Bergl. Hinſchius IL. S. 1f., Löning II. ©. 223, Hand I. ©. 125.

7) D. G. Ib. ©. 53, Urgeſch. III. S. 43—70; oben ©. 182.

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gejegten Obrigfeit einfchärften: gab e& Doch in der merovingifchen Zeit jelten Kampf zwifchen Stat und Kirche: die Kirche fah in dem Sönig- thum ihren Schüger und vergalt ſolchem Schuß durch Hervorkehrung biefer ihrer Lehren: fpäter bat fie dann freilich das „man muß Gott mehr geborchen als ten Menjchen“ Fräftig geltend gemacht.’

Zum Lohn für diefe Bundesgenoſſenſchaft erhielten tie Biſchöfe von ten Königen für fich, ihre Kirchen, Befigungen, ihre Geiftlichen und ihre Hinterfaffen die manchfaltigften und wichtigften Bevorrech⸗ tungen und Freiungen ').

Dazu trat der durch unabläffitge Schenkungen und Vermächtniſſe unabläffig anwachjende Reichthum ver Bifchofskirchen?).

Ganz gewaltiges Uebergewicht gab der Kirche der Vorzug, daß fie die einzig feft zufammengejchlofjene und zugleich weiſe geglieberte, d. h. „organifirte” Macht war in einer Zeit, ta der römifche Stat zer- fallen und der fräntifche noch nicht ausgebaut war.

Ein einheitlicher Geift durchdrang bie Kirche, verband vie Biſchöfe, erfchien in den Kirchenverfammlungen, während im Frankenſtat bie verjchiebenften Geifter und Gewalten wider einander in tobenbem Kampfe lagen.

Der Bilchof übt die Disciplinargewalt über feine Geiftlichen: bie Berufung gegen fein Urtheil an bie Provincialfynode hörte mit diefer felbft auf?): und den König oder andere Laien um Schuß gegen dieſes Urtheil (Geißelung, Einbannung (jogenanntes exilium) in ein Klofter, Suspenfton, Degradation) anzurufen, warb durch die Con⸗ cilien unterfagt. |

Aber die Könige ermahnen tie Bifchöfe, auch die Laien, zumal auch die Beamten unter ihre geiftliche Zucht zu nehmen ®).

Dagegen mußten bamals ſchon nicht erft feit Bonifatius die Statsbeamten auf Anrufen ver Bifchöfe die von dieſen verhängten Strafen zwangsweiſe vollftreden 5).

1) ©. unten Schranten des Königthums, Immunitäten und (Karolinger) Beneflcien.

2) ©. unten Kirchenvermögen.

3) ©. oben S. 216. 222 und unten Concilien ſowie die fränfiihen For⸗ ſchungen.

4) Ce. Turon. v. 567. c. 26, Maassen p. 123, judices.. qui pauperes opprimunt si commoniti a pontifice suo non se emendaverint, excommuni- centur; über Chloth. Ediet. c. 6 f. oben Guntchramn. Edict. a. 685. Legg. I. p. 3 und geiftliche Gerichtsbarkeit.

5) ©. oben Zwangsglaube; Löning II. ©. 492; Zorn ©. 66.

251

Auch die Excommunication hatte bereitd weltliche Straffolgen. Sanct Columba führte dann aus der angelfächfifch-irifchen Kirche bie neue Bußdisciplin ein, wonach auch Laien nach ter Möglichkeit ber Kkofterzucht unterworfen wurden, auch für bloße Gedankenſünden, welche die eingefchärfte geheime Beichte dem Briefter aufdeden mußte: bie arge Entartung ber fränkiſchen Geiftlichleit und vie Weberbleibfel bes Heidenthums ſollten dadurch ausgerottet werben: wie die Er- fahrung lehrte, fonver Erfolg.

Die Bußen beftanden in Gebet, Faften, Geißelung, Enthaltung vom ehelichen Xeben, Berfagung des Abendmahls!).

Iſt der König, wie es feit Chilvibert II. und Chlothachar LI. immer häufiger ber Fall war, minberjährig, dann nehmen fich wie bie weltlichen?) fo auch vie geiftlichen Großen über tas Recht allerlei heraus?).

Die höchſt einflußgewaltige Stellung des Biſchofs auch in ben weltlichen Angelegenheiten feiner Stadt und feines Bisthums wurbe auch durch die Einfegung ver Königsgrafen nicht befeitigt.

Die Nenbefegung des Biſchofſtuhls war jo wichtig und erfreulich, baß fie durch ein vom König gejpendetes Freudenmahl gefeiert wurbe®).

Der Biſchof leiftet wie jeder Unterthan dem König ven Eib ber Treue nicht einen befonderen „Biſchofseid“ —, muß wie jeber Unterthan ber Labung des Königs in das palatium folgen: folches Königsgebot entbinbet fogar von der Erfüllung kirchlicher Pflichten, ber Nefidenzpflicht zu Weihnachten und Oftern®), darf wie jeder Unter- tban ohne PVerftattung das Theilreich nicht verlaffen, bei Meidung ver Verfolgung wegen infidelitas®).

Sa, felbft ein Sanct Remigius entſchuldigt fogar eine wiber- fanonifche Weihe vor den ihn fcheltenven Bijchöfen mit dem Befehl bes Königs Chlodovech, deſſen Verbienfte um die Kirche das wohl aufiwiegen?).

1) S. Wafferfchleben, Bußordnungen 1851.

2) Greg. Tur., Urgeſch. III. ©. 305. 307. 385. 409. 502.

3) Greg. IV. 6, Urgeſch. III. &. 104f., rex vero parvulus est! fprechen fie.

4) Greg. Tur. v. Patr. c. VI. 3. p. 682.

5) Löning II. ©. 254.

6) ©. unten: Gefammteigenart.

7) Epistol. ed. Gundlach p. 114: regionum praesul, custos patriae, gen- tium (ba8 find bie heibnifhen Alamannen und vielleicht auch bie ketzeriſchen ©oten) triumphator injunxit. (Echtheit zweifelhaft.)

252

Der Biſchof vertrat, erjeßte den fehlenden Grafen, fogar in fo unlirchlihen Dingen wie der Sriegsvertheibigung ber Stadt. Wie ſchon Sanct Anian durch Wunder Orleans vor Attila gerettet, fo leiten auch fpäter noch Biſchöfe die Vertheidigung ihrer Stabt: freie (ich gegen bie canones, aber nicht immer auch nur von ber Geift- lichkeit deßhalb fo verurtheilt, wie e8 Salonius und Sagittarius geſchah!). In manchen Fällen war das Eintreten des Biſchofs für den Grafen zum Schuge der Stabt wenigftens fittlich voll gerecht- fertigt 2).

So wenden die Bilchöfe nicht nur von den Kirchengütern, auch von ben Bürgern ihrer Stadt neue Befteuerungen im Streite mit den Grafen ab?).

Der Biſchof veranlaßt Berichtigung ver veralteten und ungerechten Steuern zu Boitiers, und zu Tours macht Biſchof Gregor gegen bie Königsboten *) althergebrachte Steuerbefreiungen geltend.

Gar oft weiß auch der DBifchof die Bürger zu bewegen, einen feiner Verwandten oder Freunde ſich als Grafen ihrer Stabt vom König zu erbitten und biefen auch wohl durch ‚Geſchenke“ zur Will. fährbe zu ftimmen.

Mehr aber als folch thatfächlicher Einfluß auf vie Beftellung des Grafen ihrer Stadt, ein Einjegungsrechtd) ftand dem Biſchof nicht zu und am Wenigften „wegen ber Erhebung ber königlichen Ein- fünfte”, abgefehen von ganz beſonders gelagerten Ausnahmefällen ®).

Und mehr als folche thatfächliche Beherrſchung wollen auch nicht befagen ältere Stellen, die dem Bifchof die Leitung der Stabt zu- iprechen?): over fie meinen nur das kirchliche Regiment, heißt doch der Biſchof auch in Infchriften »rector«®); ähnlich die Stellen?) für

1) Greg. Tur. IV. 42, Urgeſch. III. ©. 147.

2) Bergl. oben ©. 103f., Bertharius von Chartres vita Bouquet UI. p. 489, Lupus, Erzbiſchof von Sens (geft. 683), vita A. S. ed. Boll. 1. Sept. I. p. 255.

3) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 441, v. St. Austrigiseli, Bifchof von Bourges, geft. 624, A. S. ed. Bolland. 20. Mai V. p. 229 (VII. p. 821).

4) Greg. Tur. IX. 30, Urgefd. III. ©. 443.

5) Wie Waitz IIb. ©. 60.

6) Bgl. oben „Graf“.

7) Greg. Tur. de gl. mart. I. 33 (den Waitz S. 64 anführt), wo Krufch Lieft qui tunc urbem episcopatu (nidht in episcopatu) regebat.

8) So richtig Löning ©. 249. 255.

9 Bei Wait S. 64 3.3. quo Assoricus (Bifdhof von Langreb) tenet regimen.

253

Dijon, für %yon, wo Lupus »caput urbis« heißt. Dagegen in fpäterer Zeit mag manchmal wenigftens die Herrfchaft über die Immu⸗ nität oder beſonderer Töniglicher Auftrag gemeint jein?).

Was man aber für einen „Rath“ des Biſchofs ſeit c. 660 bei- gebracht Hat, unter deſſen Mitwirkung er die Verwaltung der welt- lichen Dinge in der Stadt geführt habe?), beſchränkt fich Doch auf das ziemlich Selbitverftänbliche, daß er, nach beliebiger, wechſelnder Auswahl des Vertrauens, bald diefe, bald jene angejebenen Beiftlichen und Laien ver Stabt zur Berathung beizog: dies vein Thatfächliche berubte nicht auf Rechtszwang und führte nie zu irgend einer redht- lihen Einrichtung.

Urſprünglich beſchränkte fi Die weltliche Meachtftellung des Biſchofs auf Südgallien, wo ſie althergebracht war: ſpäter aber kam am Rhein in Metz (Arnulf) und Köln (Kunibert), in Chur, dann an ber Donau in Baiern (Salzburg, Treifing) Achnliches auf. Daher ziehen die Könige für den Abfall einer Stadt deren Biſchof zur NRechenfchaft?).

Hoch ragte auch das perfönliche Anfehen, tas die Männer auf biefen Stühlen meift mit beftem Recht genofjen: denn in thatfächlich faft erblicher Folge aus ben ebelften, vornehmſten Gefchlechtern ber Stabt over Landſchaft gingen fie hervor: fo waren alle Vorgänger Gregors auf dem Stuhl von Zourst), mit Ausnahme von fünfen, Zugehörige feines Haufes, das auch oft ven Stab zu Clermont führte®), wie das feiner Mutter zu Langres®). Aehnliches gilt aber auch fpäter

1) Bgl. die Stellen über Arnulf von Meb vita c. 8 urbem ad gubernandum suscepit; v. St. Leodeg. c. 8 principatum in urbe Cabilone habuerat episco- patus et Abbo collega qui civitatem Valentiam habuerat in dominsum co. 10. Bobani qui. . fuerat de episcopatu Valentiae urbis dejectus Augustidunum adsignaverunt in dominsum; anders Löning a. a. O.

2) Löning II. S. 251—254.

3) So Guntchramn Marovech von Poitiers, der in ber That ſchuldig war und durch Einſchmelzung der Kirchengeräthe fih und die Bürger loslaufte. Greg. Tur. VII. 24, Urgefc. III. &. 317, vgl. Rigobert von Rheims unter Karl Martell, Urgeih. IH. ©. 767.

4) Greg. Tur. V. 30, Urgeſch. II. ©. 203, Wait IIb. ©. 58. 64. D. ©. Ib. ©. 730; andere Beläge bei Löning II. ©. 223.

5) L c. IV. 5, Urgeſch. IIL ©. 102.

6) L ec. IH. 15. IV. 16, Urgeſch. III. ©. 82. 115.

254

noch und von ben rheinifhen Städten, 3. B. in Trier!). Solche „ſenatoriſche“ Gejchlechter hießen dann auch domus infulatae 2).

Die Vorſchrift des Concils von Rheims®), daß nur (incolae loci illius) Eingeborne des Sprengel8 (der Stabt ?) Biſchöfe werben jollen, hat alfo dieſe Erjcheinung nicht erft berbeigeführt*), bie, viel älter, fchon in ver Machtftellung des römischen Provincialavdels des IV. und V. Jahrhunderts mwurzeltd), wohl aber hat fie dazu beige- tragen, die (thatfächliche) Erblichleit noch häufiger zu machen, wie bie Vererbung des Grafenamts durch eine Ähnliche Vorfchrift von 614 befördert wart.

Zugleih waren die Biſchöfe die Vertreter ver neuen chriftlichen und ſoweit fie mit biejer vereinbar fchien, worüber freilich bie verjchietenen Richtungen in ber Kirche höchſt verfchievener Meinung waren) der alten griechifch-römischen Bildung.

Ja, das Einfluthen ber Feßerifchen oder heinnifchen Barbaren erhöhte geradezu ihre Bedeutung, ihr Anfehen, ihren Einfluß: denn naturgemäß wurden fie bie Vertreter und Beſchützer ber katholiſchen d. 5. der römifchen Bevölkerung gegen den germanifchen Grafen und beffen fegerifche, heibnifche, zur Gewaltthat witer die Provincialen neigenden Stamm» und Glaubensgenofjen?).

1) Bafinus, dann ber Neffe Liutwin, dann deſſen Sohn Milo (aber nicht ganz zweifellos). Achnliches in Paris Greg. Tur. X. 20, Urgeſch. III. ©. 502, in Nantes VI. 15, Urgeſch. III. S. 502, über Rhodez, Perigeur, Meaur, Cahors, Baifon, Löning ©. 224. In Metz folgt auf Arnulf 627 der Sohn Chlodulf 656.

2) Könige V. VL? ©. 384. 3) Flodoard. II. 5 can. 27.

4) Andere Wait ©. 64.

5) Könige V. ©. 9.

6) Müller, Kirchengefchichte I. S. 309; Arnold, Caeſarius ©. 19. 76. 85.

7) V. St. Aniani Aurelian. ed. Du Chesne I. p. 521. Die von Waitz 5. 58 angeführte v. St. Desiderii Lingonensis, Bifhof von Langres, iſt erft im VII. Jahrhundert von Warnachar von Langres verfaßt A. S. ed. Bolland. 23. Mai V. p. 245, Greg. Tur. IV. 39. V. 36. VI. 37, Urgeſch. III. ©. 211. 280. Bol. D. ©. Ib. ©. 721: „In den fchweren Stürmen des V. Jahrhunderts hatten die Bifchöfe mit ihren weltlichen Brüdern, Bettern und Schwägern bie Stadt gar oft vertheibigt, geleitet, auch wohl dur Mirafel gerettet. Nach bem Siege der Germanen gewannen fie eine neue wichtige Stellung: fie murben bie natürlichen Vertreter ber katholiſchen, der römischen Bevölkerung gegen bie heidniſchen oder Teßerifchen Barbaren, auch gegenüber dem Grafen des Königs: und zog ihnen dieſe Aufgabe gegenüber Arianerı oder Heiden oft Berfolgungen zu, gegenüber ven katholiſch geworduen Franfen war ihnen fchließlid obzwar e8 an harten Stößen nicht fehlte der Steg ficher.“

255

Der Natur ber Sache nach hatten fie zumal bie. unteren Schichten ber römijchen Bevölkerung zu fchügen: bie Unfreien!), dann, nach alten kanoniſchen Satungen, die Treigelaffenen?), die Wittwen und Waifen ?), die Armen überhaupt‘), Findelkinder“), Gefangne®). Dazu trat nun aber bie fittliche Hoheit ihres geiftlichen Amtes, dazu bie geiftige Weberlegenheit ihrer ſei e8 antiken, fei es chriftlihen Bildung, bazu bald die Wirkung des gewaltigen Bisthumvermögens”). AU das und das politifche Bebürfniß ber Könige, fich ihres Nathes, ihres entſcheidenden Einfluffes auf bie Stäbter®), ihrer Mitwirkung gegen Heiden, Ketzer, trogige Vornehme zu bedienen, endlich ihre oft ſchon zu Lebzeiten gefeierte Heiligleit gewährte ihnen ſittlich und thatjächlich eine Machtitellung, bie noch weit binausragte über ihre ebenfalls fehr erheblichen vom Recht anerkannten Befugniffe?).

Das Wergeld tes Biſchofs beträgt nach falifchem Recht 900, nach uferfräntifchem 800 solidi, alfo, falls der Bifchof Römer war, bas 9 und 8 fache feines Geburtsgeltes, währenn e8 bei Graf und An- truftio nur verbreifacht wird: bei den Alamannen bat ver Bifchof das gleiche Wergeld, wie ver Herzog, bei den Baiern ein noch höheres.

Endlich muß ehrfurchtvoll anerkannt werden, daß bie chriftliche Kirche, welche von je ihr Großartiges als Leidende und Ningente, ihr Einpörendes als Unterbrüderin und Herrjcherin geleiftet hat, da⸗ mals auch in ber Sturmfluth von inneren römifchen Wirren und von teerifchen "und heibnifchen Anbrängern eine ganze Reihe an Geift,

1) Löning U. ©. 227.

2) ©. oben VII. 1. S. 257. die in kirchlichen Formen frei gelafinen, Löning U. ©. 227—240.

3) Löning DI. ©. 240.

4) Ueber die firchliche Armenpflege ſ. oben Polizei. Die Kirche führte Liften, matriculae, über bie von ihr dauernd linterftüßten, die dafür ihr bei ber Be⸗ leuchtung ber Gebäude Dienfte zu leiften hatten, matricularii, Urgejch. III. ©. 323. Venant. Fort. vita St. Albin. Andegav. c. 550. ed. Krusch IX. 125. p. 30, in alimoniis pauperum, in defensione ceivium.

5) Löning II. ©. 246.

6) Urgeſch. III. S. 294. Hierbei griffen fie aber au durch Miralel fo ſtörſam im die Rechtspflege, daß Die babei viel geicholtenen Grafen bie Bifchöfe und ihre Wunder weit hinweg wünſchen mochten! ©. fränkiſche Forſchungen.

7) S. unten Kirchenvermögen.

8) 3. B. auch in Beilegung von Streithändeln, Urgeſch. II. ©. 341.

9) Vgl. auch D. ©. Ib. ©. 72f.

256

Kraft und Muth hervorragender Männer für tie Bilchofsfige und Abteien gebiltet bat.

Bald freilich Hat ſich das geäntert: gerade feit unb weil bie Biſchöfe fo glänzende Machtftellung auch in weltlichen Dingen ge- wonnen hatten, brängten fich oft fehr LUngeeignete zu diefer Würte, warb das Amt Mittel zu ſehr ungeiftlichen Zwecken!).

Dft, zumal in der fpäteren Merovingen⸗ und beginnenden Arnul- fingenzeit, tritt in dem unabläffigen Eingreifen in bie Kriegs⸗ und Friedenshändel ihrer Diöceſe lediglich die arge Verweltlichung und Verwilderung zu Tage, die Biſchöfe und Aebte erfaßt hatte. Seit- dem biefe geiftlihen Würden Neichtbum, Anjeben, Einfluß, ja vor: herrſchende Macht auch in weltlichen Dingen, im Rath ver Könige, in ber Leitung ber ftatlichen provincia gewährten, wurden biefe Stellen von Geiftlichen, ja von „craffen Laien” auf das Gierigſte ge- fucht: alte Grafen?), ausgebiente Herzoge und andre hohe welt- lihe Stats- oder Hof⸗)Beamte ließen fih, wenn fie nicht mehr recht waffenrüftig, oft ſchon lange vor ver Erledigung als eine Art Ruhepoften zur Belohnung treuer Dienfte von den Königen Dis: thümer und Abteien verfprechen und fpäter übertragen, bie fie dann mit einem Minveftmaß von Firchlicher Bildung und Gefinnung ver- walteten®‘. Die vornehmen Hofbeamten, tie Biſchöfe geworben, wie ter thesaurarius Dagoberts J., Defiverius von Cahors und Sankt Audoen von Cahors, verwertheten wohl zur Mehrung ihrer Macht ihre alten Verbindungen mit dem Hof und deſſen Großen®).

Selbſtverſtändlich behielten folche Weltlinge, auch nachdem fie Bifchöfe geworden, ihre Frauen und zeugten auch noch Kinder, ob- wohl feit dem Concil von Elvira (305 oder 306) im Abenbland all- mählig ver Coelibat wenigftens von Bifchöfen geforbert wird: oder doch bie Enthaltung des Umgangs mit ihren Frauen‘). Im Jahre 385 wird

1) ©. oben S. 248.

2) Greg. Tur. VI. 33. VIIL 22, Urgeſch. III. ©. 280. 369.

3) Von dieſen führt Wait IIb. ©. 62 an: Defiderius von Cahors, Arnulf von Met, Eligius von Noyon, Nivarb von Rheims: die Zahl Tieße fich leicht mehren.

4) Oben S. 236.

5) Mit Recht verweift Löning S. 225 auf den Briefwechſel diefes Deſiderius mit dem major domus, ſ. jet Arndt, epistolae p. 129f., (ogl. Urgefch. III. ©. 659) und andere.

6) Mansi l. c. c. 33.

251

dies (in Rom) auf alle Priefter bis einjchließlich des Diacons, 446 bes Subdiacons ausgedehnt. In Gallien ergingen Concilienbefchlüffe, wo» nach Geiftliche mit Kindern die höheren Weihen nicht erlangen follten und wonach bei der Weihe ein Keufchheitsgelühbe verlangt ward, wäh» vend andere Synoden den Geiftlichen, ber in erfter Ehe mit einer Nicht-Wittwe verheirathet ift, ohme Weiteres zulaffen. Nachdem nun aber feit c. 530 ganz allgemein „craffe Laien“, verheirathete, zu Bis ſchöfen erhoben wurden, konnten jene Forderungen nicht mehr burch- gefegt werben‘).

Welch’ arge Verwilderung Bifchöfe und niebre Geiftliche ſchon zur Zeit Gregors von Tours ergriffen hatte, geht aus zahlreichen Schil- berungen biefes Mannes hervor, dem boch nichts mehr am Herzen (ag, als die Verberrlihung von Bifchöfen?). Im VII. Jahrhundert und im VII. bis auf Bonifatius warb es wahrlich nicht befler. Gregor der Große Hagt bitter darüber bei Brunichilvis 3). Die Furzen Neformbeftrebungen Sanct Columba’st), ber die äußerfte VBerwahr- lofung der Geiftlichen vorfand®), waren mehr Hitig als erfolgreich, und zu Ende des Jahrhunderts fpricht das Concil von Borbeaur a. 663—675°) von ber allgemeinen Verachtung der Biſchöfe durch ihren Klerus, der allen gefchlechtlichen Laftern fröhnt, in Kriegs⸗ und Jagdgewanden Waffen trägt, Hund und Habicht auf die Jagd führt oder auch wohl offen und heimlich Wuchergejchäfte treibt ?).

Ueber die Gründe dieſer entjelichen Entfittlichung der Geiftlichen wie der Laten warb anberwärts®) eingehend gehandelt: die Mifchung germanifcher Robeit und romanifcher Fäulniß Hätte aber biefe Wir- tungen nicht erzeugen können, wäre nicht die „hriftlihe Moral“, nicht wie fie Chriftus gelehrt, fondern wie ſie jene Zeit mißverftanden hat,

1) S. die Zufammenftelung ver ſchwankenden, einander vielfach wiberftrei- tenden canones bei Hinſchius I. ©. 148: die firengeren doch fchon fett 401, dann 441. 443. 461. 506. 533. 535. 538. 541. 567. 581. 583. 585: Dagegen wieber 453. 511. 517. 549.

2) Vgl. Urgeſch. IH. ©. 109. 149. 171. 215. 277. 351. 365. 391. 395 und die Sammlung folcher Verbrecher aus Gregor bei Löbell ©. 250.

3) ©. unten Babftbriefe.

4) Urgefe. III. ©. 5531.

5) Jonas, v. St. Col. ce. 11.

6) Proemium, Maassen p. 215.

7) Beweiſe all diefer Dinge aus den Eoncilien, f. fränkiſche Forſchungen und einftweilen Löning I. ©. 331.

8) Urgef. III. ©. 523.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 17

258

in ihrer Zuſammenſetzung aus feiger Höllenfurcht, plumper, gewerbe- mäßig betriebner Beſtechung der Heiligen und Berechnung auf bie grob-finnlich ausgemalten Freuden des Himmels, felbft im höchften Maß unfittlih geweien: daß gerade Biſchöfe und Geiftliche zu dem Abſchaum der Zeit gehören, die rohen Weltgroßen an Scheußlichkeit oft überbieten, zeigt, wie bie eingehende Befaffung mit biefer Art von Ehriftentbum mehr ſchadete denn nüßte.

Solche Lafter waren tem rauhen, aber Eeufchen Leben und ver finnigen und erhabenen Sittenlehre bes germanifchen Heidenthums fremd geweſen. Bergleiht man mit ben wiberwillig abgegebenen Zeugniffen Gregors und ber Concilien das Bild, das bie Heiligen- Leben von ihren gleichzeitigen Belven entwerfen, jo kann man, ganz abgefehen von der handgreiflihen Schablonenhaftigfeit und deßhalb Unglaubwürbigtfeit, die wibernatürliden Tugenden biefer Selbftab- töbtung auch dann nicht eben Hoch anfchlagen, wenn man alle bie Hunderte und Taufende von Mirakeln glaubt, vie fie zur Belohnung und in Bewährung jener Tugenden wirken burften.

Die »irregularitas ex defectu scientiae« ging felbft bei Bi⸗ ihöfen und Aebten häufig fo weit, daß fie nicht lefen Tonnten !): das IV. Concil von Toledo a. 633 hatte für das Gotenreich ein Mindeſt⸗ maß von Kenntniffen aufgeftellt?).

Gar vielen diefer Triegerifchen Bifchöfe 3) Hebte die sirregularitas ex defectu plenae lenitatis« an.

Solche Herrjchfüchtige greifen dann gewaltig in bie inneren Wirren ber meropingifchen Theilreiche ein: Egidius von Rheims war lange Zeit der leitende aber böfe! Geift an dem Hofe bes Knaben Childibert IL.®).

So mächtig und daher wohl auch fo gefährlich5) waren biefe Kirchenfürften, daß fie wie die weltlichen Großen nicht ohne

1) Beifpiele bei v. Roth, Ben. ©. 333 und Marini diplomatica pontificia 1541. p. 46.

2) Könige VI.2 ©. 495.

3) Ueber das Verbot der Waffenführung ver Geiftlichen, Hefele III. ©. 31, Hinſchius I. ©. 26.

4) Greg. Tur. IX. 19, Urgeſch. III. ©. 501.

5) Brunner II. ©. 312 führt trefflich aus, wie die Kirche ſowohl den Mero- vingen als den Karolingen feindlich entgegentrat, nachbem fie mit jener Hilfe ihre Zwecke erreicht hatte. Chlothachar II. drangen, wie die Weltgroßen, auch bie

259

Verftattung des Königs das Neid auch nicht ein Theilreih verlaffen dürfen, um in ein außerfräntifches Neid oter in ein andres Theilreich zu reifen: das kann bereitS wie infidelitas an⸗ gejehen werben).

Seit c. 650 ziehen auch die Biſchöfe an ver Spike ihrer Reifigen in Fehde und Krieg?), nicht in Erfüllung ber Heerbannpfliht von biefer waren fie ja perjönlich befreit, da fie die Waffen nicht führen burften! vielmehr äußerlich in Ausübung ihrer Heer- bannrechte über die Immunitätslente und als seniores ihrer vassi und andern homines?); ber innerlihe Grund war ihre arge Ver—⸗ weltlichung.

Das Verbot der canones für Biſchöfe, Statsämter zu ver- walten, warb Teinesfalles eingehalten *): in ſehr vielen Fällen werben Biſchöfe vom König als Gefandte an andre Theilreiche, an den Kaifer, ben Langobardenkönig, geſchickt)). Gefandte find aber ohne Zweifel als ſolche Staatsbeamte: denn fie üben ein Hoheitsrecht des States, bier bie Vertretungshoheit, in deſſen Auftrag aus: auf die Dauer der Berrihtung kommt für den Begriff des Amtes nichts an.

Wir fahen dann Biſchöfe wie Arnulf von Meg, Kunibert von

Biſchöfe Zugeftänbniffe ab, und Biſchöfe treten dann, „Reich und Statsgewalt zer- jegend und auflödjend*, ſchon unter Lubwig I. und zumal umter deſſen Söhnen auf. Aber ſchon 510, nicht erft feit ber Saecularifation Karl Martells, beſtand das enge Bündniß, ja bie theofratifche Berquidung von Stat und Kirche, bie In Karls Kaiſerthum nur die Krönung findet.

1) Dagegen ift es nicht eine befonbere Pflicht ber Biſchöſe, dem Ruf bes Königs an den Hof zu folgen oder fih als Geſandte verfehiden zu laffen: das galt von allen Unterthanen, nur daß Bildung und Anſehen Bijchöfe, Achte, überhaupt Geiftliche Hierzu viel häufiger und flärker empfahlen; a. M., ſcheint es, W. Sidel Bötting. gel. Anz. 1890. S. 230; Brunner II. ©. 313; richtig aber diefer gegen Fustel de Coulanges, Monarchie p. 141, ber meint, auch ben Hof habe ein Höfling nicht ohne befondere Erlaubniß verlafien dürfen; das gilt nur von Hof- Beamten, ober fonft durch beſondere Berpflihtung, 3. B. Antruftionat, an den Sof gebundene.

2) Schon früher hatten fie löblich auf ihre Koften Beiefligungen ihrer Städte angelegt: fo Nicetius von Trier (528—566) zur Beherrſchung ber Mofel, Ven. Fort. carm. III. 12. ed. Leo p. 64.

3) ©. oben Kriegsweien VII 2. ©. 252.

4) Ganz anders Löning II. ©. 263, ber aber felbft einen Diakon als (Ge: meinbe)Beamten zugeben muß.

5) S. Bertretungshobeit.

17?

260

Köln, Leobigar von Autun als oberfte weltliche Beamte Palaft unt Neich beberrichen !).

So häufig fam das vor, daß man Formeln für die Beftallung auch von Biſchöfen als Geſandten verfaßte?). So ericheint Egidius von Rheims dreimal als Geſandter Childiberts II. bei Guntchramn?), die Biſchöfe Namatius von Orleans und Bertchramn von Le Mans als deſſen Gefandte bei ven Bretonen*), Felix von Nantes ebenfo bei Gunthramn), und will man es nicht als Statsamt gelten laſſen, wenn fchon unter Chlodovech ein Sanct Nemigius, fpäter dann zahl- reiche andere Biſchöfe, wie Egidius von Rheims und viele fonft neben ben weltlichen Hofgroßen ten „Rath“ des Königs bilden®), wie in ber Verwaltung jo bei der Gejeßgebung: Chlothachar II. erläßt fein Edict von 614: „mit den Bilchöfen und großen Optimaten" und Palaft und Reich beherrſchen, jo ift Doch ihre richterliche Thätigkeit im Bofgericht ohne Zweifel eine amtliche: es ift nur Zufall, daß bie frühefte uns erhaltene Urkunde, die des Nathes auch der Biſchöfe gebentt, erft von 653 ift”) und die frübefte, vie fie als Urtheiler im Hofgerichte nennt, von 658%. Und wenn fchon unter König Pippin brei feiner referendarii®) Geiftliche find), fo wird Aehnliches ob unbezengt wohl auch fchon früher anzunehmen fein 11).

1) Wenn auch nicht gerade als Hausmeier. &. über Leodigar Urgeſch. III. ©. 681; Könige VII. 2. S. 217. Darüber, daß nicht alle, nur gewiſſe Statsämter, mit dem geiftlichen Stand unvereinbar find, ſ. Hinſchius I. ©. 36. 137. Löning II. ©. 262 nimmt an, nicht das kanoniſche Verbot, planmäßige Statskunft der Mero- vingen babe bie Geiftlihen von den Statsämtern ausgeſchloſſen; aber auch ohne Amt beberrfchten merovingiſche Biſchöfe oft den Stat: jener angebliche Jwed wäre alfo doch nicht erreicht worden; übrigens bat Löning a. a. DO. verbienftlich Die Fälle widerlegt, in benen man bisher Biſchöfe in Grafen- und Hausmeier-Aemtern Amulf, Kunibert, Leobigar, Ehlobulf) finden wollte. Umgekehrt find häufig Re⸗ ferendarien und andere Hofbeamte Bifchöfe geworben: f. oben VII. 2. ©. 231 (Referendarien).

2) Form. Mare. I. 11.

3) Greg. Tur. VI. 3. 31. VII. 14, Urgeſch. III. &. 233. 265. 303.

4) IX. 18, Urgeſch. III. ©. 421.

5) IX. 20, Urgeſch. III. ©. 431.

6) VIL. 2. ©. 227.

7) Dipl. I. N. 19.

8) 1. c. N. 36.

9) Stumpf, Hiftor. Zeitihr. XIX. ©. 344, f. oben VII. 2. ©. 231.

10) Sidel, Urkundenlehre ©. 74. 11) Anders Löning II. ©. 260.

261

Nur ausnahmsweife wird einmal einem Biſchof Ausübung ber Amtshoheit in Ernennung des Grafen!) feiner Stadt übertragen: von ‘Dagobert I. für das Bisſsthum Tours?). Die andern Fälle, in benen angeblich der Biſchof jelbft Graf der Stadt gewejen oder dieſen ernannt baben fol, find als Mißverſtändniſſe, Fälfehungen und Ver⸗ frühungen nachgewiejen ?).

Später tradhtet ein Biſchof gar nach Herftellung einer unab- bängigen weltlichen Herrfchaft, einem ducatus ähnlich, und nur ein außergewöhnlich verftändiges Blitz⸗Mirakel, das ihn auf einer feiner Heerfahrten todt vom Roſſe wirft, macht biefem beginnenten „geiftlichen Stat” im Herzen des Tranfenreiches ein erfreuliches Enpe‘). (a. 720.)

Aehnlich verjperrt Biſchof NRigobert von Rheims dem Hausmeier Karl vie Thore feiner Stadt, den Ausgang des Krieges zu erwarten?).

Dabei wurde aber von Königen und von Bewerbern das Lafter ber Simonie immer wieber®) auf das Dffenfte, Unbefangenfte, Scham- [ofefte betrieben; Bisthümer und Abteien wurden gegen Geld verkauft”).

Wenn dieſe „Keterei“ befonders von ben Tagen Brunichildens bi8 auf die Zeiten ‘Dagoberts zunahm®), fo war daran nicht Brunichildis, fondern bie gerade damals wachſende Zerrüttung in allen drei Theilreichen Schuld; e8 wird nun wieber einmal „von dem König und von Allen“ befchloffen, fortab follen Bijchofs- würden nicht mehr gelauft werden. Aber dies Unweſen ftieg mit ber Berweltlihung der Kirche noch immer höher, erreichte wohl den Gipfel unter Karl dem Hammer und warb auch durch des Bonifatius große Befferungen nur auf Turze Zeit gemindert. Beſonders bezeich- nend ift es, daß man bie Entrichtung ber bem König für geiftliche Würden geleifteten Geſchenke „in dem befohlenen Betrag” ganz unbe- fangen in die Formeln über folche Amtsverleihung aufnahm?) Im

1) Anbers freilich Löning a. a. O.

2) ©. darüber VII. 2. ©. 106f.

3) Bon Wait II. S. 378 und Löning II. ©. 270.

4) Urgeſch. III. ©. 768.

5) Urgeſch. III. ©. 767. D. ©. Ib. ©. 222.

6) Oben S. 235.

7) Greg. Tur. v. Patrum (St. Gallus) VI. 3. p. 6 jam tunc (nämlich a. 525 unter König Thenderidh) germen illud iniquum coeperat pullulare, ut sacer- dotium (= episcopatus) aut venderetur a regibus aut compararetur a clericis.

8) Nach Audoen. v. St. Eligi I. 1.

9) Form. Biturig. (a. 710-770) N. 18. p. 178: e8 handelt fi um bie Würde ber Aebtiffin bes heiligen Kreuzkloſters zu Poitiers.

262

öffentlicher Verſammlung (in placito) follen dieſe Geſchenke übergeben werben; ohne Erfolg eiferten dawider Päbfte!) und Concilien: felbft König Guntchramn, fo bifchofergeben, daß fogar Gregor von Tours mit ihm hierin zufrieden ift, fo Kirchenfromm und heilig, daß fchon bie Sranjen feines Mantels Wunder thun, fröhnte, trog allen Ver- fprechungen der Beſſerung, immer wieber biefer einträglichen Sünde auf das Befliſſenſte.

Die eingeholte Zuftimmung bes Kaifers bei Verleihung bes Palliums?) durch den Pabſt an Metropoliten wird in drei von fünf fräntifhen Fällen erwähnt, in zwei fränkischen und in italifchen, illyriſchen, fpanifchen Fällen nicht erwähnt®). Die Verleihung erfolgte nur auf bringendes Erfuchen (fortiter poscenti)‘. Das wichtigfte mit dem Pallium verbundene Vorrecht: die Befugniß des palliirten Biſchofs, vor den andern gleich nach dem Metropoliten die Eoncils- acten zu unterzeichnen, ba6 Gregor der Große eingefchärft Hatte, wurbe auf den fränkischen Neichsconcilien Teineswegs anerkanntS).

Eine geringere Auszeichnung war bie päbjtliche Verleihung ver dalmatica, die fonft nur römifche Diacone tragen durften, an gallifche: 3. B. an die der Kirche zu Arles durch Pabft Symmachus ®), was aber jpäter nur noch Biſchöfen oder etwa Archiviaconen bewilligt warb”).

Wanderbifchäfe ohne feiten Sprengel und chor-episcopi, Hilfe bifchöfe, werben auf Betreiben der orventlichen Biſchöfe feit c. a. 850 nicht mehr veritattet.

1) So Gregor ber Große oben ©. 236.

2) Ueber das Pallium f. die reiche Literatur bei Phillips V. S. 615, Hinſchius 1. ©. 209, Löning I. ©. 96. 202. Die Abbildungen bei Wharton B. Marriot, vestiarium christianum 1868. p. 204 blieben mir unzugänglid.

3) ©. die Literatur Über bie lebhaft beſtrittne Nothwendigkeit folder Zu⸗ fimmung bei Löning II. S. 92f., defien Annahme Nothwendigkeit bei Ber- leihbung an Bifchöfe, die nicht dem Kaifer unterflanden unvereinbar ift mit ber Berleihung an Leander von Sevilla ohne Befragung des Kaiſers. Könige V. ©. 169. VI? ©. 404-405. Bgl. Amold, Caeſarius S. 276.

4) Reg. Greg. M. VIII. 4.

5) ©. die Beläge bei Löning II. ©. 95; ebenda über archi-episcopus ober episcopus Cc. I. Mat. v. 586. o. 6.

6) Arnold, Caeſarius S. 279.

7) Greg. Registr. IX. 107.

263

3. Die übrigen Geiſtlichen.

Der Eintritt in ben geiftlihen Stand bebarf ber ftatlichen Er- laubniß !).

Die Hauptgründe hierfür waren, baß baburch ber bisherige Laie fich der Wehrpflicht ganz und mancher Steuerlaft tbeilweije entzog, 3. B. der Kopfftener?). Deßhalb wird Kopfitenerpflichtigen vie Er- laubniß jo häufig, ja regelmäßig verweigert, daß bieje Verweigerung fogar in eine Formel Aufnahme fand). Uebrigens war dieſe nicht römifche Befreiung von der Kopfſteuer jevesfalls erft nach Chlo- dovechs Taufe, wohl erft 550—600, eingeführt worden“). Später verfuchte die Kirche das Kinwilligungsrecht des Könige auf bie Kopfftenerpflichtigen zu befchränten. So bie Eoncilien von Rheims c. a. 627 und (I.) von Clichh von a. 6265). Aber dieſe Beſchlüſſe ſchufen nur geiftliches Recht, nicht ftatliches, da ber König fie offen- bar nicht als folches veröffentlicht hat‘). Es find auch aus ben Heiligenleben zahlreihe zehn Beifpiele der nachgefuchten Ver- ftattung ſolchen Eintritt beizubringen”?), wobei freilich zu berüdfich- tigen ift, daß dies ganz formelhaft wiederkehrt. ‘Der weltflüchtige Heilige hat erſt den Widerftand ver Weltgroßen zu überwinden, bevor er feinen frommen Willen durchſetzt. Sind aber auch manche Fälle nach ber Schablone gearbeitet, immerhin zeigen fie, was vorkam und was nach der Meinung ber zeitgenöffifchen LXefer vorkommen fonnte. Karl ber Große fogar, gewiß ein Freund ber Geiftlichen, hat aus Rückſicht auf die Wehr- und auf die Steuer-Pflicht ausprüdlich das Erforberniß der Statsgenehmigung wieberholt?). Allgemeine Befreiung von ber

1) Ce. I. Aurel. a. 511. c. 4 ed. Maassen p. 4 nullus saecularium ad clericatus offiecium praesumatur, nisi aut cum regis jussione aut cum judicis voluntate. Dazu Form. Marc. I. 19. Bei Löning zahlreihe Beläge aus ben Heiligenleben.

2) Ueber die Steuerpflicht der Kirchen und die Wehrpflicht ihrer freien Hinter⸗ ſaſſen als Regel, aber deren häufige Durchbrechung durch beſondere Privilegien ſ. oben S. 103 und VII. 2. ©. 265.

3) Bgl. sben ©. 112 und Löning II. ©. 166.

4) Form. Mare. 1. 19.

5) can. 6. ed. Maassen p. 203. c. 7. 1. c. p. 198.

6) Bgl. Löning a. a. O.

7) Löning a. a. O.

8) Cap. missor. Thionrv. von a. 805. 0. 15.

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Grundſteuer fam weder ven Beiftlichen noch ven Kirchen und Klöſtern als ſolchen zu, warb freilich in ſehr zahlreichen Einzelfällen ge- währt !).

Andrerfeits jollte Niemand gegen feinen Willen gejchoren, zum Mönch oder Geiftlichen gemacht werben: allein wie bei ben Weftgoten?) war dies bei den Franken ein beliebtes Mittel des Königs, politifche Gegner unfchäplich zu machen, der Biichöfe, Reiche zu berauben, ta fie nach dem Tode der Geiftlichen deren Vermögen, ven Erben vor- enthaltend, einzogen, was fpäter wegen Mißbrauch verboten wurde®). So hatte Bertchramm von Borbeaur den Kaufmann Eufronius wider Willen gefchoren „weil er gierig nach veffen Vermögen trachtete”. Be⸗ greiflicherweife fühlte fich der Gefchorene dadurch nicht vergeiftlicht und ließ fein Har wieder wachfen t).

Unfreie dürfen erft nach Erhebung zu Vollfreien geweiht werben (defectus libertatis). Dieje römifchen Beitimmungen galten wie im Weftgotenrecht5) auch im Trantenreich®), ſpäter warb nur Zuftimmung des Herrn verlangt?).

Treigelaffene niedren Rechts ftanten hierin wie Colonen und Leten den Unfreien gleich (fall8 nicht ungenauer Ausdruck täufcht); vereinzelt findet fich®) das Verbot, Treigelaffene über den Subbiaconat hinauf fteigen zu laſſen.

Bor dem 25. Jahr foll niemand die Weihe als Diacon, vor dem 30. als Priefter und Biſchof erhalten?).

Niemand fol ferner die Priefterweihe empfangen, ber nicht ein Jahr vorher Geiftlich geworben: aber die Könige erhoben craffe Laien

1) ©. oben ©. 103f. 108.

2) Könige V. ©. 19.

3) Cc. V. Paris. a. 614. Maassen p. 185.

4) Greg. Tur. VII. 31, Urgeſch. III. ©. 325.

5) L. Rom, Visig. Nov. Valent. III. 12. $ 6.

6) Ce. III. Aurel. c. 26. a. 538. p. 72 (über die Pflicht boppelten Erſatzes Ce. Aurel. I. c. 8. 9. ©. Ib. ©. 463).

7) Ce. Aurel. a. 549. p. 99, aud die Lex Rib. 36 fett unfreie Priefter voraus; ob aber D. N. 75. Chilviberts III. von a. 716 Madalgisil servus noster wirklich Knecht ober nur „treuer Diener" als Rebensart ift, fteht doch dahin.

8) Maaßen, Gejchichte ©. 592.

9) Ce. III. Aurel. von 538. can. 6. Maassen p. 72 defectus juventutis in Wiederholung weft- und oft-gotifcher canonee.

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fofort zu Bifchöfen und Erzprieftern, die dann nicht einmal geiftliche Tracht anlegten!).

Bon äffentliher Buße betroffen Gewejene und in zweiter Ehe Lebende oder mit einer Wittwe Verbeirathete ſollen nicht geweiht werben bürfen?). .

Biſchöfe und niedre Geiftlihe Haben nach Tanonifcher Vorfchrift bie ‚Reſidenzpflicht', d. b. ver Biſchof darf die Provinz nicht ohne Ver⸗ ftattung des Metropoliten?), ver Geiftliche nicht das Bisthum ohne bie des Biſchofs verlaffen. Die Päbfte ließen nur ihren PVicar, ven Metropoliten von Arles, die Päffe für das Verlaffen von Gallien, zu- mal für Reifen nah Rom, ven Bilchöfen ausftellen‘) : außerdem war bie Erlaubniß des Theillönigs für das Verlaffen feines Theilreichs wie für Laien auch für geiftliche Unterthanen erforderlich), auch ſchon in merovingifcher wie unbeftritten in Tarolingifcher Zeit: die Verfolgung wegen infidelitas fonnte fonft zumal ven jo gefährlichen Bifchöfen proben. Grimoald fest als geltend Recht voraus, daß nicht einmal ber Beſuch eines Concils in einem andern Theilreich einem Biſchof ohne Königliche Verftattung freifteht) und fchärft das nur auf's Neue ein’).

Innerhalb des Bistums follte der Biſchof regelmäßig®) in ver Biſchofſtadt feinen Wohnfig haben und jetesfalls an ven hoben Feier- tagen bier die Meffe lefen: entbindend auch hievon wirkte, wie immer®), Gebot, Berufung, Verfendung turh ven König. Vielen Verdruß machten ven Concilien tie clerici girovaci!®) d. 5. bie fich ohne

1) Ce. Cabillon. a. 579. Maassen p. 151. Latunense a. 673—675. 1. c. p. 217.

2) Ueber die ſchwankenden Vorſchriften über ben Coelibat |. oben ©. 256. Ce. Aurel. IV. 541. c. 10. Maassen p. 86, dann Löning II. S. 316—324.

3) ©. oben ©. 225.

4) ©. unten.

5) Zweifelnb Löning II. ©. 326.

6) Urgefch. III. ©. 659.

7) Greg. Tur. IX. 40, Urgeſch. III. ©. 458f., die acceptae litterae find frei- ih eher Auftrags- und Empfehlungs-, als Verftattungs-Briefe: aber bie licentia, die Ehilperih II. 715—720 einem Bifchof von Rennes für die Reiſe nah Rom ertheilt, müſſen doch nicht Berfrühungen Flodoards fein; zweifelnd Löning a. a. O.

8) Der Fall von Langres und Dijon Greg. Tur. IH. c. 19, oben (castrum) VII. 1. S. 97 ift do nur auf Herkommen oder andern Gründen berubende Aus- nahme.

9) Oben ©. 216.

10) Epistol. Desiderii Caturc. Arndt p. 207.

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bifchöfliche BVerftattung (apostolia, litterae formatae, |. Vicar) vom Ort ihrer Kirche, ja aus vem Bisthum entfernten und umhertrieben: fie und die Bifchöfe, die fie aufnehmen und fogar anjtellen, ſowie Nicht: Biſchöfe (Aebte, Priefter, Laien), die folche Neifebriefe ausftellen, wer⸗ ben ſchwer bebroht!). Die Formeln dieſer Verftattungsbriefe?) zeigen, daß die Empfehlungen nicht nur an Geiftliche, auch, wie die des Königs für feine Beamten, an die Ortsbehörve gerichtet waren. So empfiehlt Defiverins von Cahors den mit einem Knecht von ihm nach Spanien entfandten Priefter Antedius nicht blos den Biſchöfen und Achten, auch ben »sublimes und magnifici viri, den Grafen, Tribunen, Defen- foren, Centenen (d. h. Sentenaren) und allen weltlichen ober kirchlichen Beamten ?)*.

Mit dem defectus scientiae‘) mußte e8 im Laufe des VI. und VI. Jahrhunderts immer gelinder genommen worden. Sanct Caeſa⸗ rius von Arles hatte keinen zum Diacon geweiht der nicht viermal das alte und viermal das neue Teſtament geleſen hattes), aber das Latein auch der von Geiſtlichen verfaßten Schriftwerke des VI. und VII. Jahrhunderts iſt harſträubend und kaum beſſer als das der von Laien errichteten Urkunden: das vierte Concil von Orleans) verlangt vom Diacon nur, daß er Lefen und Schreiben kann und bie Tauf- formel kennt.

Der Weihe wenigjtens zum Diacon foll eine Unterfuchung vorber- gehen, ob kein Ausfchließungsgrund vorliege?).

Unter dem Bifchof al8 dem Haupt der Diöcefe ftehen in mandh- faltiger Gliederung Geiftliche geringerer Weihen, Rechte und Der: pflichtungen, alle ihm zum Gehorſam verbunden. Gleichbedeutend mit Didcefe fteht territorium civitatis®), auch civitas allein, wie bei dem Grafen?) und aus dem gleihen Grunde, Sit des Amtes aber

1) ©. die Beläge bei Löning IL. ©. 337.

2) Marc. II. 49 und anbere.

3) agentibus Arndt |. c.

4) ©. oben ©. 258.

5) Vita St. Caes. I. 18. Arnold, Caeſarius a. a. O.

6) c. 16.

7) Ce. Elusan. a. 551. p. 113.

8) Ueber die Bedeutung dieſes Wortes f. oben VII. 1. ©. 93; über bie Didcefanconcklien f. unten Eoncilien und fränkiſche Forſchungen.

9) Oben ©. M0f.

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nicht auf die Stadt beſchränkt, auch das territorium, ben Gau des offnen Landes umfaſſend.

Wir haben bier nur hervorzubeben, was tie Beziehungen dieſer Geiftlichen zur Statsorbnung angeht.

Der ordentliche Ortsgeiftliche, ver presbyter, ift ver parochus, ver Pfarrer!); wie fih Gau und Pfarrei verhielten, wiſſen wir nicht: aber e8 beftand hierin Teine Einheit: dieſe Glieverungen waren beide geihichtlid unabhängig von einander entftanden?): parochia wird übrigens auch gleichbedeutend mit Diöceſe gebraucht, wie umge- fehrt dioecesis auch nur die Pfarrei (parochia) bezeichnen mag?)

Seit dem Anfang des VI. Jahrhunderts werben tie Verhältniſſe auf dem flachen Lande genauer geregelt: nun werben unterfchieden Pfarr- oder Tauf⸗Kirchen, meist auf bifchöflichen Gütern, in welchen ber vom Bifchof beftellte presbyter alle4) nicht ausſchließend dem Bifchof zufommenden gottesbienftlieden Handlungen vormimmts), im Gegenſatz zu bloßen Bethäufern (oratoria) und Capellen. Seit c. a. 550 beißt jener presbyter archipresbyter und nimmt ungefähr eine ähnliche übergeordnete und beauffichtigenve Stellung gegenüber dem ländlichen Klerus) ein wie ber Archibiacon zunächit gegenüber dem ftädtifchen ).

Dft ftanden auch Pfarr⸗Kirchen und kleinere (oratoria, basi- licae, martyria), im @igenthum des Erbauers, ver fie auf eignem Boden errichtet hatte, und dann ernannte biefer ben Geiftlichen wie bei ben Privatklöftern den Abts). Die Errichtung bevarf (wohl auch ba- mals fchon) der Zuftimmung des Bifchofs, ver vorher ausreichende Ausstattung für den Unterhalt ver Geiftlichen verlangt®), ſowie fpäter bie Verwendung geeigneter (3. B. nicht craffer Laien) Männer, denen

1) Hinſchius IL. 1. ©. 265.

2) ©. Löning II. ©. 346 und bie Literatur daſelbſt.

3) Beide Bedeutungen in Einer Stelle zugleich bei Greg. Tur. IV. 18, Ur. geih. HI. ©. 119.

4) ©. deren Aufzählung bei Hinſchius II. S. 38, Löning S.222, Zom S.295f.

5) Er allein darf taufen, prebigen und an ben großen Felertagen in ber Pfarrkirche die Meſſe lefen.

6) Biele Fälle bei Gregor, Urgefch. III. und in feinen Heiligenleben.

7) Löning ©. 333, Zorn ©. 69.

8) Löning II. ©. 357. S. auch Kirchenvermögen und Klofterweien.

9) Ce. IV. Aurel. a. 541. can. 33. Maassen p. 95.

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nach der Ernennung dur den Eigenthümer doch das geiftliche Amt erft no vom Biſchof übertragen wirb!).

Sole Kirhen im Eigenthume des Laien-Örundeigners fuchte dann wohl eine andere Kirche an fich zu bringen?).

Der erfte?) und wichtigfte Gehülfe des Biſchofs iſt der Ardhi- biacon; er vertritt ven Bifchof in Handhabung der äußern Verwaltung®), ber geiftlichen Zucht, dann vor dem König und vor den Gerichten, fofern bies nicht (jpäter) Sache des Vogtes. Im Auftrag des Biſchofs [zu fräntifcher Zeit bedurfte e8 noch befondern Auftrags, wie es fcheint] 5) kann er Streit unter ven Geiftlichen entſcheiden ®), und da die Kirche ver- langte und zum Theil durchſetzte?), daß der Richter Streitverfahren zwifchen Geiftlichen und Laien fowie auch gegen Wittwen und Waifen erft nach Benachrichtigung des Biſchofs auf daß dieſer ericheinen könne eröffnen dürfe, der Biſchof aber ganz regelmäßig fich Lieber burch den Archibiacon vertreten ließ freilich nicht von Amtswegen®), fo geſchah es, daß gerade der Archidiacon am Häufigften in Be- rübrung, auch wohl Wiberftreit mit der Statsgewalt gerietb; auch vie fonntägliche Auffuchung und „Zröftung“ der (Unterfuchungs- und Straf) Gefangnen (incarcerati), die der Biſchof ihm zu übertragen pflegte®), brachte ihn leicht in folche Beziehungen und Gegenſätze.

Daher wählte man zum Archiviacon gern rechtsfundige Männer: fo der Bischof von Poitiers feinen Neffen Sanct Leodigar, der freilich für weltlich Necht, Stat und Statsbeherrſchung mehr Sinn als für das Himmelreich batte!).

1) Oder doch werben foll: benn das Leben war auch hierin anders als bie Lehre.

2) So Sanct Denis D. 68. a. 695.

3) Obwohl er, blos Diacon, den Prieſtern in der Weihe nachſtand.

4) Hinſchius II. ©. 183. Löning II. ©. 333. Zorn ©. 62.

5) So Löning II. ©. 335, anders Hinfhius II. S. 186.

6) Ce. I. Matisc. a. 583. can. 8. Maassen p. 157.

7) ©. unten Gerichtsbarkeit der Geiftlihen und über Geiftlihe S. 270. 271f.

8) Andere Grea, essai historique sur les archidiacres, Bibliotheque de Yecole des chartes III. 2. p. 50.

9) Ce. V. Aurel. a. 549. c. 20. Maassen p. 107.

10) ©. Urgeſch. II. ©. 681. ©. die verſchiednen vitae bei Kruſch: c. I. cum mundanae legis censuram non ignorarit secularium terribilis judex (beim Streitverfahren mit Geiftlichen) fuit. Ursin. c. 2. pontificii juris et civilis agnitione pene omnes ejus parochiae (= Bisthum), quam administrandam susceperat antecedebat; mit $ng bemerkt aber Löning I. ©. 336, baß biefer um⸗ fafiende Verwaltungsauftrag auf bem befonderen Verhältniß von Oheim und Neffe, nicht auf allgemeinem Amtsrecht beruhte.

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Mit biefer juriftiichen und Verwaltungsthätigfeit des Archidiacons ob in Einer Diöcefe mehrere nebeneinander ftehen Tonnten, tft be- ftritten!) hängt e8 zufammen, daß er die Aufficyt über den Lant- Merus zu führen pflegt, der zumal an Privatkirchen?) fi) oft auf bie weltlichen Grundeigner (potentes) ftüßte gegen ben eignen Bifchof?) ; daher hat er auch bie »tabulae secundum legem Romanamı« für bie tabularii (die Freigelaſſenen coram episcopo in ecclesia)*) zu verfaffen: erd) ift oft Verweſer eines erledigten Bisthums 6). Uebrigens kann der Bifchof den Archidiacon wieder zum einfachen Diacon machen und durch einen nun erhöhten Diacon erfegen ”).

Das Kirchennermögen verwaltet ver vicedominus?): er forgt für den Unterhalt der Geiftlichen, beauffichtigt die Bewirthichaftung ber Landgüter, zumal auch die Unfreien: deßhalb foll der Richter Kicchentnechte (nur wegen Diebſtahls?) erft nach Benachrichtigung be8 vicedominus oder des Archibiacons®) verhaften over ftrafen!) bei Meidung einjähriger Excommunication. Die übrigen ſtädtiſchen Geiſtlichen gelten alle nur als Geiftliche der bifchöflichen Hauptkirche; einige von ihnen follen Haus⸗ und Schlafgemach des Biſchofs theilen als Zeugen der Unfträflichleit feines Wanpelsit).

Zu unterfcheiven von ven Geiftlichen find tonfurirte Laien, reli- giosi 12), wie die religiosae, bie beftimmte Tracht tragen mußten, ohne Nonnen zu fein??).

1) Dagegen Sriebrih II. S. 317, der aber fehr mit Unrecht ben Brief des Sanct Remigius von Rheims (a. 500-533) an Biſchof Falco von Lüttich für falſch erflärt: [derfelbe ift auch von Gundlach epist. p. 115 als echt aufgenommen]. Falco hatte in Mouzon (Mosomagus, hierüber |. Longnon) mehrere Archidiacone

neben einander beftellt. 2) ©. oben ©. 268. 3) Ce. IV. Aurel. a. 541. c. 26. Maassen p. 93. 4) VII. 1. ©. 202.

5) As Borftand der bifchöflichen Eancelei? So Löning II. 339.

6) Brief Agapets an Caeſarius von Arles von 535. S. unten Berbältniß zum Pabſt. Arnold, Caeſarius S. 388 f.

7) Es ift beftritten: f. aber Urgeſch. III. ©. 105. 452. Weber Vertretung des Biſchofs bei sedes impedita Hinſchius II. S. 249.

8) Daher „Bitthum“; Immer wohl = oeconomus? Greg. M. Registr. VI. 55. a. 596. == rector domus ecolesiae. Löning II. ©. 344.

9) Oben ©. 268.

10) Gesta pontificum Autissiodor. c. 24.

11) Urgeſch. III. ©. 142. 279.

12) Ueber die Scheerung der Geiſtlichen Phillips I. ©. 301. Hinſchius I. S. 104. Löning D. ©. 277. 13) Könige VL? S. 408.

270

4. Geiſtliche Gerichtsbarkeit.

a) Gerichtsbarkeit der Biſchöſe.

Die Gerichtsbarkeit des Biſchofs neben dem Grafen!) findet nicht „befonders“2) ftatt, wo es fih um Wittwen, Waifen, Arme, Frei- gelaffene und andere hantelt, vie im Schuß der Kirche ftanden“: fonvern das Recht des Biſchofs bezüglich folder Kirchenfchüglinge?) ift begrifflich ein ganz anberes als das feiner fonft etwa bethä- tigten Mitwirkung bei ter Rechtfprechung ®).

Der Biſchof ift zur Theilnahme an dem &rafengericht [nicht nur „bielleicht*]5) immer berechtigt, um feine Pflichten in Befchirmung ber Wittwen, Waifen und ver Kirchenfchüglinge erfüllen zu können: baber erjcheint er bei &regor oft in Perfon bei dem Grafengericht, ſpäter vertreten durch den Vogt.

Daß aber der Biſchof mitwirkt im Gericht, Hagt ein Abt gegen einen dem Klofter fich entziehenven Uinfreien®), beruht auf ganz andern bejonderen Gründen: hier muß ber Biſchof beigezogen werben, weil es fih um ein Recht ver Kirche handelt”).

1) Ueber die Theilnahme der Biſchöſe an den Grafengerichten oben ©. 57 und Watt IIb. S. 59. Löning II. ©. 273. 686. v. Safe II. 1. S. 35. Zorn &.64. D. ©. Ib. ©. 722; befonders aber bie grumbbauenden Ausführungen von Sohm, 3. f. Kirchenrecht X. &. 221, Reichsverfafiung S. 340. Der Stat gebietet Auweſenheit bes Biſchofs in Sachen ber (firchlih?) Freigelaffenen und bei Streitigkeiten von Grunbholben ber Kirche mit Nicht-Grundholben, |. Sohm, 3. RR. X. S. 222. Erſcheint der Biſchof, ſteht ihm eine Art Ehrenvorſitz“, aber nicht an bes Grafen ftatt die alleinige Pflegung des Dinges zu. So tft wohl Sohm und Löning II. S. 535 mit Waitz IIb. ©. 60 zu vereinen.

2) Wie Waitz IIb. ©. 60.

3) Ueber die Gerichtsbarkeit der Biſchöſe Aber ihre Hinterfaflen f. unten Immunität und Watt IIb. ©. 59.

4) Weber praeceptio Chloth. c. 4: angeblih Einfegung eines gemifchten Ge⸗ richtes über Geiſtliche in Straffachen, wobei Biſchof und Graf gleichrechtig handeln follen, fo Waitz IIb. ©. 60. 168f., f. unten.

5) Waitz IIb. ©. 59.

6) Form. Senon. recent. N. 3. p. 312. Sohm, 3. f. K.R. X. ©. 221. Waitz IIb. ©. 60.

7) Form. Andecav. N. 32. p. 15 igitur cum pro utilitate ecclesiae vel principale negucio apostolecus vir d. illi episcopus neo non et inlustro vir illi comus (sic) in civitate Andecave cum reliquis venerabilibus atque magni- ficis rei publiei viris resedissit.

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Gregor von Tours!) follte nicht?) als Beweis für dies Recht ber Bilchöfe angeführt werden: denn er ftellt e8 in Einem Athem gleich den Ärgften Breveln und Rechtsbrüchen des nämlichen Bifchofs?).

b) Gerichtsbarkeit über Geikliche.

Urfprüngli konnte jede Klage gegen Geiftliche in bürgerlichen und Strafverfahren, auch zwiſchen Geiftlichen, auch in Ehefachen, vor das weltliche Gericht gebracht werben‘). Allmählig aber, zunächft nur durch kanoniſche Vorjchriften, fuchte die Kirche die Geiftlichen von ver Zwangsgewalt des weltlichen Richters in bürgerlichen und in Straf: fahen zu befreien: fie verbot den Geiftlichen, bei tem weltlichen Richter zu Magen, verwies fie an den Biſchof ober ten von biefem beauftragten Diacon >).

Es ift lehrreich, die fteigenden Anjprüche ber Kirche auch auf biefem Gebiet zu verfolgen.

Noch das erjte Concil von Orleans von a. 511°) hatte vor Kurzem erft war die Staatsfirche errichtet den Laien, ter Geiftfiche vor dem weltlichen Gericht verklagt, nur dann mit geift- licher Strafe bevroht, wenn Verläumbung vorlag. Auch no 517 verftattete da8 Concil von Epao dem Geiftlihen, ſich gegenüber ben Laien» Kläger vor dem weltlichen Gericht zu vertheibigen?). Aber zwei Iahrzehnte fpäter wird ven Laien ſchon verboten, Geiftliche ohne Erlaubniß des Biſchofs vor dem Nichter zu verklagen). ‘Den

1) VIII. 39, Urgefch. III. ©. 391 cotidiae cum judicibus causas disoutere, militias saeculares exercere.

2) Bon Wait IIb. ©. 59.

3) }. c. Saevire in alios, alios caedibus agere .. manibus propriis ver- berare.

4) Das bat gegen bie früher herrſchende Anficht, 3. B. noch bei Dove, de juris dietionis ecclesiasticae apud Germanos Gallosque progressu 1855 hoch- verbienftlich dargemwiefen Sohm, 3. f. KR. X. S. 197, vgl. Löning II. ©. 508. D. G. Ib. S. 671. Hinſchius IV. 2. S. 849. v. Haſe ll. 1. S. 35. Zorn ©. 64. Bol. zumal folgende Eonctlien: I. Matisc. c. 7. 11.7.9. 12. Autissiod. c. 43. V. Paris. c. 5—7. Maassen p. 187. Rhem. c. 6. Clippiacum c. 7. Maassen p. 197. IH. Cabillon. c. 11. Maassen p. 210.

5) Cc. Autissiod. c. 43. Masssen p. 183.

6) can. 6. Maassen p. 4.

7) can. 11. Maassen p. 22.

8) Ce. III. Aurel. v. 538. can. 32.

272

Biſchof darf man ſchon gar nicht mehr vor tem ftatlihen Richter verklagen, fontern nach fruchtlofem BVerftändigungsverfuch muß ver Metropolit um Beſtellung eines Schiedsgericht angegangen werben. Wird die Klage abgewiefen oder fügt fich der Biſchof nicht, tritt Er- communication des Klägers over des Bifchofs ein!). Eine erhebliche und kecke Steigerung dieſer Anfprüche ift, daß auch ter Richter, der, tem weltlichen Recht, wie er muß, [— benn all’ dieſe canones waren noch nicht weltliches Recht —] gehorfam, über einen geiftlichen Kläger over Beklagten ohne ausprüdliche Verftattung des Biſchofs das Verfahren eröffnet, ebenfo der ſchwerſten geiftlichen Strafe Ercommunication verfällt?).

Geringeren Geiftlichen, die Geiftliche vor dem königlichen Richter verklagen, werben bie befannten 39 Hiebe, höheren 30 Tage Ein- iperrung in Ausficht gejtellt?).

Biſchöfe follen ihren bürgerlichen Streit unter einander binnen Fahresfrift durch Vergleich oder durch Schiedsrichter, gewählt aus ben beiberfeitigen Prieftern, beilegen: Weigerung, fih tem Schiebsfpruch zu fügen, bejtraft das Concil!).

Ueber dieſe Schievsgerichte hinausſchreitend gebot das IL. Concil von Lyons), daß den Streit von Biſchöfen deſſelben Metropoliten dieſer und das Provincialconcil, ven von Biſchöfen verſchiedener Me—⸗ tropoliten dieſe entſcheiden ſollten: das ward von dem grundlegenden Concil IV von Paris von 614°) beſtätigt.

Jene hochfahrende Verachtung bes Werthes von Recht und Stat burch die Kirche, die für die Anfchauung dieſer Jahrhunderte kenn⸗ zeichnend ift”), wird auch al8 Grund biefes geforderten Vorrechts offen ausgefprochen: „es ift ein Trevel, daß ein Bifchof auf Befehl deſſen (des

1) Ce. V. Aurel. von a. 549. c. 17. p. 99. Cc. II. Matisc. von 585. c. 9. p. 163.

2) Ce. IV. Aurel. a. 541. c. 20. Maassen p. 87, ebenfo bie fpäteren Eon: cifien I. a. 583 und II. von Mäcon a. 585. ec. 7 und 9 (10) p. 155 und p. 164. Ce. Autissiod. von a. 573—603. e. 43. Maassen p. 182. IV. Paris. von 614. can. 6. Maassen p. 187.

3) Ce. I. Matisc. c. 8 von 583. Maassen p. 156.

4) Cc. IV. Aurel. von 541. can. 12. Maassen p. 86f. Cc. II. Tur. von 567. c. 2. p. 121.

5) a. 570. c. 1. Maassen p. 139.

6) c. 13. Maassen p. 189.

7) Urgeſch. III. ©. 583.

273

Richters) ans der Kirche vorgeführt wird, für ven er Gott bittet und bem er das Abenpmahl reicht!” Da nun aber ter Stat bis 614 biefe Concilienfchlüffe keineswegs als weltliches Recht anerkannte, mußten fich einerfeits bie Bijchöfe gar oft bequemen, jene Verſtattung zu ertbeilen?), und traten andrerfeits die Geiftlichen auch ohne folche Verſtattung als Kläger und Beklagte häufig genug vor dem weltlichen Richter auf?).

Die Forderung der Kirche, daß Biſchsfe nicht unter der Straf⸗ gewalt des States ſtehen ſollten, nur unter der der Concilien, die im römiſchen Reich ſogar nur kurze Zeit (Conſtitution von Conſtantius IL), in ben beiden gotiſchen nie*) anerkannt worden war, warb auch vom fränfifhen Stat nicht gewährtd). Nur faben wir, daß ber König im Wege der DBegnabigung gar oft bie Zobesftrafe in Einbannung (exilium), meift in ein Slofter, verwandelt, 3. B. bei Egidius von Rheims 6), aber auch Hinrichtungen begegnen: Leodigar, Diddo und Andre?) und daß er regelmäßig aber nicht rechtsnothwendig vor» her ein Concil beruft, wor dem er oder ein Anderer ven Bifchof anſchuldigt. Nah der geiftlihen Verurtheilung durch das Eoncil pflegt dann bie burch ben weltlichen Richter zu folgen: jedoch oft richtet der König fofort, ohne vorgängige Handlung eines Eoncils 9).

Auch wo jenes geiftliche Verfahren vor dem Concil vorausging und nur gelinde Kirchenftrafe ausgefprochen war, ftrafte der König doch den Bilhof mit Einbannung?) a. 577. Wenig jpäter wird bafjelbe verhängt über Salonius und Sagittarius 19).

1) Cc. Matisc. II. von 585. can. 9. ]. c. [pro quo nit pro qua, wie Löning IL ©. 510).

2) Ce. Epaon. von 517. c. 11 und Co. IV. Aurel. von 541. c. 20. p. 91. Maassen p. 22.

3) Bgl. die vielen Beläge aus Gregor, Urgefch. III. und Sohm a.a.D. &.207.

4) Im Weſtgotiſchen wenigſtens nicht thatfächlih, obwohl jene Eonftitution in die Lex Rom. Visig. anfgenommen war, Weflgot. Studien, 5. 170.

5) Gegen dieſe von P. v. Roth, 3. f. R.G. V. S. 6f., aufgeftellte, von Sohm S. 248, Watt II. S. 507, Dove S. 648 gebilligte Annahme mit Recht Löning IL ©. 517.

6), Urgeſch. IIL ©. 499. 7) Urgeſch. III. ©. 696.

8) Die von Löning angeführten Fälle aus Gregor, Fredigar, von Chlothachar I. bis Ende des VIL Jahrhunderts, den Heiligenleben Könnten noch gemehrt werben: vgl. Urgeſch. II. ©. 197. 203. 244 f. 277. 499.

9) Prätertatus von Rouen, Urgefch. III. &. 193.

10) a. a. O. 198. Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 18

2712

Bifchof darf man ſchon gar nicht mehr vor tem ftatlichen Richter verklagen, fontern nach fruchtlofem VBerftändigungsverfuch muß ber Metropolit um Beftellung eines Schiebsgerichtd angegangen werben. Wird die Klage abgewiejen oder fügt fich der Bifchof nicht, tritt Er- communication des Klägers oder bes Bifchofs ein!). Eine erhebliche und tele Steigerung diefer Anfprüche ift, daß auch ker Nichter, ver, tem weltlichen Recht, wie er muß, [— denn all’ dieſe canones waren noch nicht weltliches Recht —] gehorfam, über einen geiftlichen Kläger over Dellagten ohne ausprüdliche Verftattung des Biſchofs das Verfahren eröffnet, ebenfo der fchwerften geiftlichen Strafe Ercommunication verfällt?).

Geringeren Geiſtlichen, die Geiſtliche vor dem königlichen Richter verklagen, werben bie bekannten 39 Hiebe, höheren 30 Tage Ein- ſperrung in Ausficht geitellt?).

Biſchöfe follen ihren bürgerlichen Streit unter einander binnen Iahresfrift durch Vergleich oder durch Schiedsrichter, gewählt aus ben beiberfeitigen Prieftern, beilegen: Weigerung, ſich tem Schiedsſpruch zu fügen, beftraft das Concil!).

Ueber dieſe Schiedsgerichte hinausſchreitend gebot das II. Concil von Lyon), daß den Streit von Bilchöfen deſſelben Metropoliten biefer und das Provincialconcil, ven von Biſchöfen verfchiedener Me- tropoliten dieſe entſcheiden follten: das ward von dem grundlegenven Concil IV von Paris von 614°) beftätigt.

Jene hochfahrende Verachtung des Werthes von Recht und Stat burch die Kirche, die für die Anfchauung biefer Jahrhunderte Tenn- zeichnend ift?), wird auch al8 Grund biefes geforberten Vorrechts offen ausgefprochen: „es ift ein Frevel, daß ein Biſchof auf Befehl deſſen (des

1) Ce. V. Aurel. von a. 549. c. 17. p. 99. Ce. II. Matise. von 585. c. 9. p- 163.

2) Cc. IV. Aurel. a. 541. c. 20. Maassen p. 87, ebenfo bie fpäteren Con: cilien I. a. 583 und II. von Mäcon a. 585. c. 7 und 9 (10) p. 155 und p. 164. Ce. Autissiod. von a. 573—603. c. 43. Maassen p. 182. IV. Paris. von 614. can. 6. Maassen p. 187.

3) Ce. I. Matisc. c. 8 von 583. Maassen p. 156.

4) Ce. IV. Aurel. von 541. can. 12. Maassen p. 86f. Ce. II. Tur. von 567. ©. 2. p. 121.

5) a. 570. e. 1. Maassen p. 139.

6) c. 13. Maassen p. 189.

7) Urgeſch. IH. ©. 583.

273

Richters) aus der Kirche vorgeführt wird, für den er Gott bittet und bem er das Abenpmahl reicht!)." Da nun aber ter Stat bis 614 biefe Concilienfchläffe Teineswegs als weltliches Recht anerkannte, mußten fich einerfeits bie Bifchöfe gar oft bequemen, jene Verſtattung zu ertbeilen?), und traten anbrerfeits bie Geiftlichen auch ohne folche Veritattung als Kläger und Bellagte häufig genug vor dem weltlichen Richter auf?).

Die Forderung der Kirche, daß Biſchöfe nicht unter der Straf: gewalt des States ftehen follten, nur unter ber ber Concilien, bie im römijchen Reich fogar nur kurze Zeit (Conftitution von Conftantius IL), in den beiden gotifchen nie) anerlannt worden war, warb auch vom fränkiſchen Stat nicht gewährtd). Nur fahen wir, daß ber König im Wege der Begnadigung gar oft die Todesſtrafe in Einbannung (exilium), meift in ein Klofter, verwandelt, 3. B. bei Egidius von Rheims 6), aber auch Hinrichtungen begegnen: Leodigar, Diddo und Andre?) und daß er regelmäßig aber nicht rechtsnothwendig vor- her ein Eonril beruft, vor dem er ober ein Anderer ben Bifchof anfchulpigt. Nach der geiftlichen Verurtheilung durch das. Concil pflegt dann bie durch ben weltlichen Richter zu folgen: jeboch oft richtet der König jofort, ohne vorgängige Handlung eines Concils 9).

Auch wo jenes geiftliche Verfahren vor dem Concil vorausging und nur gelinde Sirchenftrafe ausgefprochen war, ftrafte der König bob den Biſchof mit Einbannung?) a. 577. Wenig fpäter wirb daffelbe verhängt über Salonius und Sagittarius 19).

1) Cc. Matisc. II. von 585. can. 9. l. c. [pro quo nit pro qua, wie Löning II. S. 510].

2) Ce. Epaon. von 517. ec. 11 und Co. IV. Aurel. von 541. c. 20. p. 91. Maassen p. 22.

3) Bgl. die vielen Beläge aus Gregor, Urgefh. III. und Sohm a. a. O. S. 207.

4) Im Weftgotifchen wenigſtens wicht thatfächlich, obwohl jene Conſtitution in die Lex Rom. Visig. aufgenommen war, Weflgot. Studien, 5. 170.

5) Gegen dieſe von P. 9. Roth, 3. |. R.G. V. S. 6f., aufgeftellte, von Sohm S. 248, Wait II. ©. 507, Dove S. 648 gebilligte Annahme mit Recht Löning IL ©. 517.

6), Urgeſch. IIL ©. 499. 7) Urgeſch. III. ©. 696.

8) Die von Löning angeführten Fälle aus Gregor, Frebigar, von Chlothachar I. bis Ende des VII. Jahrhunderts, ven Heiligenleben könnten noch gemehrt werben: vgl. Urgeſch. III. ©. 197. 203. 244 f. 277. 499,

9) Prätertatus von Rouen, Urgeſch. IH. ©. 193.

10) a. a. ©. 198. Dahn, Könige der Bermanen. VII. 3, 18

274

Der Verſuch des II. Concils von Mäcon von 5831), mit Be rufung auf die »sacratissimae leges« (d. 5. jene Conftitution von Conſtantius, die man wohl aus der Lex Romana Visigotorum fannte ſ. oben) unter Androhung ber Ercommunication den Richter abzuhalten, einen Bifchof aus ver Kirche zur Strafverhandlung vorführen zu laffen, (j. oben ©. 272), ſcheiterte. Denn mehrere Jahre nach dieſem Concil a. 590 verhaftet Chilvibert II. ohne vorgängige Befragung eines Concils Egidius von Rheims?).

In den (zwei) Fällen von Leodigar (673, 678) und von Chramlin von Embrun (677) wurden die Bifchöfe zwar zuerft vor Concilien ge- ftellt, vann aber vom Königsgericht zu Tod und lebenslänglicher Ein- bannung verurtbeilt?).

Erft bei der Ehlothachar IL von weltlichen und geiftlichem Abel abgerungenen magna charta von 614 fette die Kirche die Anerlen« nung zwar nicht aller, aber doch vieler ihrer Anfprüche, wie fie folche foeben auf dem V. Eoncil zu Paris zufammengefaßt hatte, auch auf biefem Gebiet, wie z. B. bei ven reilaffungen (VI. 1. ©. 262), von Seite des States durch. Dies ift nun im Einzelnen barzuftellen.

I. Bei der weltlichen Gerichtsbarkeit über bie Geiftlichen ift zu unterjcheiden einmal zwijchen ven Biſchöfen einerfeitS und allen andern Geiſtlichen andrerſeits, ſodann, wie wir fahen, zwifchen der Zeit vor und nach dem Edict Chlothachars IL. von 614.

Die Biſchöfe ftehen im Allgemeinen wie alle Untertbanen unter ber ftatlichen Gerichtsbarkeit. Nur in den ſchwerſten Verbrechens» fällen (bei drohender Todesſtrafe over Friedloſigkeit) iſt erſtens das Königsgericht ausſchließend zuſtändig und darf auch dies erſt urtheilen, nachdem ein Concil auf Antrag des Königs die Schuld feſtgeſtellt und den Biſchof entſetzt hat: vor der Anklage bei dem Concil pflegt der König durch eine Art von Vorunterſuchung, die er Biſchöfen und Weltgroßen überträgt, ſich von ber Schwere des Verdachts zu über- zeugen.

Spricht das Concil frei, kann das Königsgericht gar nicht ver- handeln, gefchweige verurtbeilen; andernfalls verhängt e8 bie nach dem weltlichen Necht treffende Strafe, die der König freilich gar oft durch Begnadigung milvert oder ganz erläßt (f. oben ©. 272, unten ©. 289).

1) can. 8. Maassen p. 157. 2) a. a. O. 499. 3) Urgeſch. III. S. 689. 697.

275

Bon biefer Regel eines Vorverfahrens vor dem Eoncil hat aber die germanifche Rechtsauffaſſung!) die Ausnahme der handhaften That ober des Geftänbniffes vurchgefegt: in biefen Fällen läßt der König ein Königsgericht urtheilen ohne?) vorgängiges Verfahren vor einem Concil oder, erfolgt in dieſem das Geftänpniß?), ohne oder vor Ent- ſetzung durch das Concil: beides oder doch das Eritere erflärte bie Kirche für Rechtsbruch.

Bezüglich der niebrigeren Geiftlichen verlangte vor 614 bie Kirche, ber Stat folle gegen fie überhaupt nicht gerichtlich einfchreiten ober irgend welchen Gerichtszwang üben (distringere) vor Verftändigung des Biſchofs). Was diefer dann zu thun befugt war, erhellt nicht beutlich, aber offenbar follte er vorher die Sache unterfuchen, günftigen Falls den Richter von dem Einfchreiten abmahnen und, falls biefer beharrte, ihn mit Kirchenftrafe belegen und ſich des Beſchuldigten in bem Verfahren annehmen, auch wohl zwifchen ihm und bem Kläger einen Vergleich zu vermitteln verfuchen. Gerade über biefe Befugniffe bes Bifchof8 fcheint nun im VI. Jahrhundert und zu Anfang des VIL Streit zwiſchen Stat und Kirche geführt und zu deſſen . Betlegung Chlothachar II. durch die geiftlichen Großen, denen er ganz wejentlich ben Sieg mit verbankte5), genöthigt worben zu fein: felbftverjtänd- ih in einer der Kirche höchſt vortheilhaften Weife.

Das einfchlägige Eapitel 4°) des Edicts von 614 iſt fehr ver- zwickt abgefaßt, vielleicht”), weil bei vem Hin- und Her⸗Markten zwifchen

1) So gewiß richtig Brunner II. ©. 314.

2) Greg. Tur. V. 20. VII. 27, Urgeſch. IH. S. 197. 319.

3) So bei Prätertatus von Greg. Tur. V. 18, Urgeſch. III. S. 188—193.

4) ©. oben die Eoncilienfchlüffe von 541 und 585 bei Brunner, Hinſchius U. ©. 315.

5) Urgefh. III. S. 595. D. &. Ib. ©. 169.

6) p. 21 ut nullus judicum de qualebit ordine clerecus (fie: clericos) de civilibus causis [praeter eriminale negucia (sic)] per se distringere aut damnare praesumat, nisi convincitur manefestus (sic); [excepto presbytero aut diacono]; qui convieti fuerint de crimine capitali, juxta canones distrin- gantur et cum ponteficibus examinentur; bie eingellanmerten [ ] Stellen ent- balten wohl bie im Wege der Verhandlung eingefügten Ausnahmen. Maassen p. 55. V. Paris o. 4. Maassen p. 187. Bgl. Dove, de jurisd. p. 43, Kirchen⸗R. (Richter, 7. Aufl. S. 648). Lehuärou, Instit. Caroling. p. 503. Sohm, 3. f. KR. X. S. 260. Löning II. ©. 512. 528. Nifl a. a. O. Waitz IIb. ©. 59. 169. 243.

7) So vermuthet Brunner I. ©. 315.

18*

2716

König und Biſchofſchaft in die urfprüngliche Vorlage der Krone Zu- geftänpniffe dieſer erſt allmälig in Zwifchenfägen eingefchoben wurden. Der wahrfcheinliche!) Sinn tft ber folgende: er enthält Nachgiebig- feiten auf beiden Seiten.

Es iſt zu fcheiden zwifchen (nur [?] ſchwerſten, crimine capitali) Straffällen?) und andern Strafe und den Eivil-Fällen (criminale negucia). In Straffällen, bie mit dem Tod (auch ber Frieblofig- teit?) bebroht waren, machte der Stat nur Ein Zugeſtändniß: er unterſchied fortab zwifchen Prieftern und Diaconen einerjeitS und Subdiaconen und noch niedrigeren Geiftlichen andrerſeits: für letztere hielt er fein bisheriges Recht aufrecht (alſo alleiniges Handeln bei handhafter That oder Geſtändniß)?).

Diacone und BPriefter aber (die ja auch ein Verfahren vor dem Concil verlangen konnten, f. oben ©. 275) wurden fortab dieſem Allein- handeln bes States entrüdt und infofern ähnlich wie die Biſchöfe be= hanbelt, als in allen fchwerften Fällen, auch bei handhafter That, ber Richter vorher ven Bifchof verftändigen muß, ver dann handelt wie vor 6144). Insbeſondere aber follte hiedurch ver Bifchof [allein ober auf einem Concil] vorher die Abſetzung des Priefterd oder Diacons bewirken können, bamit bie Verurtheilung und Beftrafung nicht einen folchen Geiftlihen noch im Amte treffe und die Würde bes Standes gewahrt bleibe. Darin lag unzweifelhaft ein Zugeſtändniß ber Krone über das Bisherige binaus®), und füglich mochte ein fpäteres®) Concil anerfennen, das Edict von 614 „enthalte nichts dem katholischen Glauben und der kirchlichen Vorſchrift Widerſtreitendes!“

Zweifelhaft iſt, ob der Richter fortab auch bei Prieſtern und Diaconen an eine Freiſprechung in dem geiſtlichen Vorverfahren

1) Mehr iſt kaum zu ſagen; ich folge in der Auslegung Waitz Ib. ©. 243, Hinſchius IV. S. 860 und Brunner a. a. O. gegen Nißl ©. 15.59. 121. 201.

2) Denen aber, wie e8 fcheint, die civiles causae nicht als „civilprocefiuale“ entgegengeftellt werben: vielmehr umfafien bie civiles causae alle Fälle „welt- lichen“ „Ratlihen” (= civiles) Verfahrens. |

3) Da manefestus convincitur handhafte That, nicht blos Ueberführung überhaupt bebentet [— das wäre convineitur allein —], bat Brunner a. a. O. meines Erachtens gegen Nißl S. 121, bem bie Meiften gefolgt find, überzeugend bargetban, vielfach abweichend Löning IL. ©. 526.

4) ©. oben ©. 274.

5) Anders Brunner II. ©. 315.

6) Nicht näher beflimmbar, vgl. Nißl ©. 205.

277

"gebunden fein follte wie bei Bifchöfen!): doch ift Dies eher?) zu ver- neinen.

H. Bezüglich der Gerichtögewalt in casus minores d. h. allen bürgerlichen und in leichteren Straffällen über alle Geiftliche außer ven Biſchöfen machte bie Krone ebenfall$ eine wichtige Einräumung, infofern das Alleinhandeln des States nicht nur, wie bisher fchon?), ausgejchloffen ?), fondern bie bis dahin von ver Krone, wie es fcheint, noch (f. oben S. 275) beftrittne Befugniß des Biſchofs anerkannt wurde, ganz wie ein Immunitätsherr den Streit zwifchen feinem Geiftlichen und dem Kläger allein zu entjcheiden>).

III. Bezüglid der Bilhdfe warb an dem vor 614 geltenden (freilich beftrittnen)®) Recht nichts geändert”).

1) ©. oben ©. 274.

2) Mit Hinfhius IV. ©. 860 und Brunner II. ©. 316 gegen Nißl a. a. O.

3) Oben ©. 274. 4) Nißl ©. 201.

5) Brunner II. ©. 316 führt an: Form. Marc. I. 27, wo distriotio bes Biſchofs gegenüber einem ihm untergebnen Abt, Geiftlichen oder homo voraus gejetst wird, ber dem Kläger einen Knecht entzogen bat; und allerbings blos bei dem homo fonnte doch die Immunität bes Biſchofs der Rechtsgrund fein. Nur falls der Biſchof den Kläger nicht zu feinem. Recht gelangen laſſen will oder kann, fchreitet ber Richter ein.

6) S. oben 275.

7) Die Anfichten über den Sinn des Ediets auch in biefen Fragen gehen weit auseinander. Beleitigt hat bie ältere Annahme von gemiſchten, d. b. aus Geiftlihen und Weltlichen gebilbeten, bie werbienftlihe Abbanblung von Sohm ©. 259: diefer will nun nach c. 4 nur den Bifchof und das geiftliche Gericht in Straf⸗ fachen über Geiftliche urtheilen laſſen, jeboch kann ber Richter die VBeflrafung nach geiftlichem Recht fordern. Allein Löning II. S. 527 hat gezeigt, daß fogar Bifchöfe im merovingifchen Reiche nicht dem weltlichen Strafrichter entrüdt waren, und Waitz IIb. ©. 488, daß ja bei Sohms Auslegung der König mehr gewährt hätte als das Eoncil von 614 verlangt Hatte. Schlagenb beweift für bie Auslegung von Löning, daß ja auch das folgende Eoncil von Rheims 627—630. can. 6. Maassen p. 203 nur forbert, daß ber Bifchof das Einfchreiten bes Richters billige, vgl. Dove ©. 649. Der König will nur, Daß mach dem Urtbeil des weltlichen Richters noch die geiftliche Strafe folge. Daher, wie Löning a. a. DO. bemerft, fann fi das III. Concil von Chälons von 639—654. can. 11. Maassen p. 20 auch nur auf canones, nicht auf das Ediet berufen gegen bie gewaltjame Vor⸗ führung ber Geiftlichen vor den Richter. Vgl. Hinſchius IV. ©. 797. In laro- lingifcher Zeit richtet zweifellos der weltliche Straf-Richter iiber Geiftliche, |. unten (eben deßhalb hat aber vielleicht Adrevalb von Fleury, geft. 878, befien Bericht Löning verwerthet, den Rechtsgang feiner Zeit in das Jahr 675 hinaufgerückt). Mit Recht bemerkt Löning, die Kirche werbe wohl nicht ein 614 erworbenes Vor⸗ recht wieder verloren haben.

278

IV. Im bürgerlichen Verfahren um Grundeigen oder Freiheit müſſen alle Geiftliche, auch Bifchöfe, ohne geiftlihe Vorunterjuchung vor bem ftatlichen Richter auftreten als Bellagte wie als Kläger, vor- bebaltlich ihres Rechtes, fich vertreten zu lafien!) und ver bifchöflichen Gerichtsbarkeit über Immunitätsleute?); in andern Fällen des bürger- lihen Verfahrens darf aber der Nichter auch über niedre Geiftliche nicht ohne Wiſſen des Biſchofs fprechen ?).

Daß jedoch Chlothachar‘) bei Abwefenheit des Königs Ein- ſchreiten der Biſchöfe mit weltlichen Strafen oder gar ganz allgemein bie Befugniß derſelben, Grafenurtheile al8 weltliches Obergericht zu ändern, eingeführt habe wodurch das fränkiſche Biſchofthum eine ähnliche Statsbeherrichung wie das weftgotifche würde gewonnen haben ift mit nichten anzunehmen. Das »castigare« bebeutet in der Sprache ter Zeit nur geiftiche Strafen; ber König konnte ſonder Zweifel einen Vertreter bejtellen: dann ging die Beſchwerde an biefen und, was man ganz überjehben bat dann follte nicht der Biſchof das Erfturtbeil aufheben, fondern der Rich— ter felbft, nachdem ihm geiftliche Strafe (castigatio) das Gewiffen erſchüttert bat >).

Es lag aber nahe, dem Biſchof dieſe ihm ohnehin zukommende Pflicht einzufchärfen, ta er ja häufig, wie wir (oben ©. 270) fahen, neben dem Grafen in teffen Ding anweſend war fogar eine Art Ehrenvorfig neben biefem einnahm und fo alfo fih von eines Urtheils Ungerechtigkeit oft ohne Nachforichung®) überzeugen Eonnte.

Formeln?) und Königsurtheile®) zeigen, wie um Laufe des VIL Jahr⸗ hunderts diefe Vorfchriften angewandt wurden ?).

1) ©. unten Bögte ©. 292. 2) ©. dieſe unten.

3) Ausgenommen bei handhafter That, Die, wie Löning II. S. 512 richtig bemerkt, bei Schulden aus Vergeben auch im bürgerlichen Verfahren vorlommen kann; vgl. die gegen Sohm ©. 258 fon von Wait II. ©. 488, dann von Dove in Richter-Dove ©. 648 gegebne Auslegung bes fehwierigen Kapitels 4.

4) Praeceptio c. 6 si judex aliquem contra legem injuste damnaverit, in nostri absentia ab episcopis castigetur, ut quod perpere judicavit ver- satim melius discussione habeta emendare procuret.

5) ©. oben ©. 211.

6) Das ift noch nicht beachtet, fo weit ich fehe.

7) Marculf I. 27.

8) D. N. 60. p. 53 von Chlodovech III. 692, Urgeſch. III. ©. 730, f. bort bie Erörterung des Berfahrens.

9) Vgl. Löning II. ©. 513f., der nachweift, daß das Vor-Verfahren vor dem

279

Dem Berbot an die Geiftlichen, fich von ven weltlichen Gerichten richten zu laſſen, innig verwandt ift das Verbot!), daß die Geiftlichen „mit Hintantfegung des Bifchofs zum König oder mächtigen Leuten ober irgenbwohin gehen over fich Schugheren fuchen“,

Sehr beveutend ward bie Stellung ver Kirche zur Krone wie in andern Stüden jo auch in biefer Frage der Stats-Gerichtsbarteit über Geiftliche umgeftaltet unter den Karolingen, zumeijt durch Karl ben Großen und zwar gerade vermöge deſſen Theokratismus zu weiteft gehenver Unterwerfung unter die Statögewalt?).

5. Die geiftlihde Zuchtgewalt über Laien.

Die firchliche Zuchtgewalt befchäftigt uns bier nur, foweit fie fich auch Über die Laien erftredte, wobei fie, wie wir fahen®), ben weltlichen Arm zur Zwangsvollftredung anrufen konnte‘). Mit Bug bat man?) beklagt, daß die Concilien des VI. und VII. Jahrhunderts fich viel mehr mit den Stanbes-Ehren und »Vortheilen der Geiftlichkeit, 3. B. ben Gerichtsftandsfreiungen, ter Durchführung ber bierarchifchen Ordnungen, ber Einprägung höchſt äußerlicher chriftlicher Lebensformen und dem Schuß bes Kirchenvermögens®) befaßten, als daß fie die furchtbare Entfittlichung der Zeit, die Verbrechen und Lafter jeder Art bekämpft hätten”). Und um bie große „fociale” d. h. wirthichaftliche Frage jener Zeit: bie Unterbrüdung und Verknechtung ber Kleinfreien durch den Weltavel bat fich die Kirche mit Ausnahme von 3 canones von 567 und 5858) überall gar nicht gelümmert.

Biſchof Fein Straf-Berfahren, ſondern ein gütliher Sühneverfuch war, ber oft (f. Testament. Bertchramni von 615) gelingen mochte: fcheiterte er, fo mußte nun ber Bifchof ven Geiftlihen wor ben weltlichen Richter ftellen.

1) Ce. V. Paris. von 614. c. 5. ed. Maassen p. 187.

2) ©. Band VIII: Kirchenhoheit, Geſammtcharalter des Königthums, theo- fratifches Kaiferthum.

3) Oben ©. 193.

4) Hiuſchius IV. 2. ©. 343. 797. 837; v. Safe II. 1. ©. 50; Zorn ©. 64.

5) Löning I. ©. 4507.

6) S. unten ©. 293.

7) ©. die wenigen Warnungen vor Mord, Tobtichlag, Raub, Meineib, Ber⸗ läumbung, Yreibeitsberaubung, Erfehleihung von Bräuten ober Gütern bei Lö⸗ ning D. ©. 482.

8) Den beiben von Löning a. a. D. angeführten füge ich bei Co. II. Matisc.

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Dagegen wird ver Kirchenbann gedroht auf vom Bifchof zu bejtimmende Zeit, wenn ein vornehmer Xaie (quis saecularium honoratorum) einen Geiſtlichen „auch ber geringeren Grabe" auf der Straße begegnet und es unterläßt, bie von dem Concil vor- geichriebene Begrüßung des Geiftlichen vorzunehmen: find beite zu Pferd, muß nämlich der Laie den Hut abnehmen und fich verbeugen, ift nur der Laie zu Pferd, muß er abfteigen und vefgleichen thun. Solche Maßregeln echter Pfaffen-Hoffahrt befchäftigen vie 66 verfammelten Biſchöfe!) in den Tagen, ba eine Frebigundis vor aller Augen in Mord» blut watet: nie ift die Kirche gegen fie eingefchritten. Und ftatt wenigftens bei ven Geiftlichen felbft die unglaublichen Lafter zu befämpfen, die der gute Gregor wiberftrebend ſchildert, eifern vie Biſchöfe gegen Laien, die am Sonntag arbeiten?), zwingen in vier Eoncilien®) die Laien (cives), zumal gerabe die Vornehmen!), Weih- nachten, Oſtern, Pfingften aus ber villa in vie Bifchofftabt zu fommen, um bort ben Segen bes Biſchofs zu erbitten: fie dürfen bei biefer Feier nicht in ihren Landkirchen die Meſſe hören! Daß dies nur den Vornehmen auferlegt wird, zeigt, daß nicht pas Seelenheil ber Chriften, ſondern bie feftzubaltende Beugung ber Großen unter ten Krummſtab ver Zwed war; auch follte wohl die Löſung ver Privatlicchen und ihrer Eigner vom Bifchof verhütet werben. Die Verpflichtung ver Laien, breimal im Jahre bei Meidung bes Kirchen- bannes das Abenpmahl zu nehmen, von dem gotifchen Eoncil von Agde von 5062) auferlegt, wird im Frankenreich erft von Karl eingeführt®). Jeden heidniſchen Aberglauben bejtraften viefelben Biſchöfe, vie nicht

c. 8, wo das kirchliche Zufluchtsrecht nicht nur Verbrechern, auch deuen gewährt wird, „welde, bie Bergewaltigung der Mächtigen nicht ertragenb“, im den Schos ihrer Mutter, ber Kirche, geflüchtet find: potentum importunia non sustinens 8ua6 gremium matris ecclesiae petierit: ein bebeutjames Zeichen ber Zeit, diefe Gleichftelung ber wirtbfchaftlih Schwachen mit den Berbrechern: ge meint find offenbar vor Allem Schuldner, die ber mächtige Gläubiger bebrängt.

1) Ce. Matisc. von a. 585. c. 15. Maassen p. 170.

2) Bgl. oben S. 200. Hinfhius IV. 1. ©. 279.

3) So ſchon das erfte von Orleans a. 511. can. 25. Maassen p. 8.

4) superiorum uatalium Cc. Epaon. von a. 517. can. 35. Maassen p. 27, cives natu majores Cc. Arvern. von a. 535. c. XV. p. 69, priores cives Cc. IV. Aurel. von a. 541. c. 3. p. 88.

5) can. 18, f. Könige VL? ©. 422.

6) Ich entnehme dies Löning II. ©. 400.

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nur tief in chriftlichem ftalen, auch, wie Gregor von Tours, an das von der Kirche verworfne Bibelorakel glaubten?!).

Die Kirchenftrafen für Laien find öffentliche Bußen, Entziehung des Abenpmahls und Ausſchließung aus der Kirche, jetzt dadurch ver⸗ Schärft, daß auch Laien jeder Verkehr mit dem Gebannten bei Bann- fteafe verboten wird?). Aber e8 finten fih auch fchon Anfänge, bie fih vom fpäteren Interbiet nur burch den fehlenden Strafzwed unter- icheiden 3): nicht nur eine einzelne entweihte Kirche wird gefchloffen®), auch eine beftohlne —: und nach ber Ermordung bes Praetertatus von Rouen durch Fredigundis ſchloß Leudovald von Bayeux alle Kirchen bes Bisthums Rouen und hemmte fo allen Gottesbienft5). Der Mörverin aber that die Kirche nicht das Mindeſte zu Leine. Aller bings war fie zwiſchendurch fehr fromm: d. 5. erließ die Kirchenfteuern ®).

Durch Sanct Eolumba wurde nun die teifchsfchottifche Kloſter⸗ zucht mit ihrer Verpflichtung für die Mönche, auch bloße Gedanken⸗ fünden bem Abt zu beichten, im Frankenreich eingeführt und auch auf bie Laien ausgebehnt; die von dem Beichtvater auferlegte private Buße gilt nun als Strafe: fie hebt die Sünde auf unter Vermittelung ber Fürbitte des Priefters bei Gott”). Die in ten Bußbüchern®) ab« geftuften Strafen auch für Laien find: Gebete mit vorgefchriebenen Wiederholungen von Kniebeugungen, Erhebungen ver Hände gen Him- mel, Baften, Enthaltung vom ehelichen Verkehr, heimatlofes und waffenlofe® Umberzieben in ver Fremde, Wallfahrten unter ſchweren Ketten zu vielen Kirchen, Almofen, Hingabe des ganzen Vermögens an bie Armen, aber auch Verknechtung in das Eigenthum einer ent- weihten Kirche; andrerſeits werben auch für bloßes Unmaß, für Völlerei nun Laien mit Bußen bedroht. Sittlich. geradezu verberblich mußte aber wirken, daß Reiche bie Zaftenftrafen um Gelb ablöfen burften: 1 Zag Faſten bei Waffer und Brod Tann um 1 Denar?) abgelauft

1) gl. Urgefd. II. S. 117. 183.

2) Schon Ce. I. Aurel. 511. can. 11. Maassen p. 8.

3) Urgefh. IH. ©. 207.

4) Hinſchius IV. ©. 803.

5) Urgeſch. III. ©. 384.

6) Urgef. III. &. 103f.

7) gl. Löning II. ©. 473f. und die Literatur daſelbſt. Hinſchius IV. ©. 840.

8) Waſſerſchleben, oben S. 251, ihre Caſuiſtik in gefchlechtlichen Dingen iſt „nicht felten elelhaft*. Löning II. ©. 179.

9) Nicht ganz 50 Pfennige, oben S. 137.

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werben!), Allerdings follten Arme weniger zahlen müfjen als Reiche, Später aber fteigerte bie Kirche viefe Loskaufſummen in's Maß— Iofe2): nun muß der Reiche fein Wergeld alſo 200 ober 100 solidi in Geftalt von Grundeigen ber Kirche ſchenken und das Vier— fache verwenten auf Almojen, Treilaffung von Unfreien und Loskauf von Gefangenen. Ein Hohn auf alle Sittlichleit jedoch war es, daß ber Sünder fich einen Vertreter bejtellen konnte, ber für ihn faftete, betete, pfallirte gegen ein Almojen von Einem Denar!

Was die Zuchtgewalt der Biſchöfe über pie Geiftlichen betrifft, ift nur bervorzubeben, daß gegen deren Mißbrauch pas aus Bilchöfen beftehbende Concil ſchwachen Schuß gewährte. Es führte oft zu wilder Empörung des Klerus?) oder auch zur Anrufung des Schubes des States und der Welt-Großen.

Gerate biefen Weg aber, ber ja freilich zur Auflöſung aller firchlichen Ueber- und Unter-Orbnung hätte führen können, fuchten vie Biſchöfe durch ftrenge Strafanprohungen für Schügling und Schüger Abfegung, Wusichließung zu veriperren, Nach dem Vorgang früherer Concilien verbot das von Paris von 614 allen Geiftlichen (bet Meidung von Ausjchließung auch für den Schützer, ber ven Schützling nicht herausgiebt), fich ohne Erlaubniß ihres Biſchofs an ben König ober einen Vornehmen (potentiores homines) zu wenden, ausgenommen um Begnadigung wegen eines weltlichen Vergehens zu erbitten®). Chlothachar II, zur Willfährbe gegen vie Biſchöfe, veren Verrath ihn exrhobend), genöthigt, erhob dies burch Aufnahme in fein Edict zum weltlichen Recht und fügte nur bet, fehriftlicher und zwar eben wohl günftiger Beſcheid des Königs folle ben Geiftlichen in jedem Falle bei dem Biſchof entjchulpigen®). Zumal bie Geiftlichen

1) Poenitentiale Merseburg. c. 42.

2) Löning II. ©. 486.

3) Urgeſch. III. ©. 105. 485 und oft bei Gregor.

4) Cc. V. Paris. von 614. c. 5. Maassen p. 187 siquis clericus . . ad prineipem vel ad potentiores homines vel ubi et ubi ambularvit vel sibi patronum elegerit, non recipiatur praeter ut veniam debeat promereri. Löning IL ©. 493 bezieht mit Recht Ietttere Worte auf Begnadigung von welt. licher Strafe, nicht, wie Hefele III. ©. 68, Gengler Rechtsdenkmäler ©. 593 auf Verwendung beim Bifchof wegen eines kirchlichen Vergebene. Bgl. Hinfchius IV. ©. 843, 5) Urgefh. III. ©. 597.

6) Edict. c. 3 et si pro qualibet causa alfo nicht nur wegen Begnabigung principem expetierit et cum ipsius principis epistola ad episcopum fuerit reversus, excusatus recipiatur.

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on den Privatlicchen mochten ſich wohl häufig in ein weltliches Schup- verhältniß!) (mundeburdis) zu ten Sircheneignern begeben unter Wahrung ihrer perfönlichen Freiheit: ja dies ſchien fich gewiffermaßen von felbft zu erklären, ta fie ja von dem Ertrag der Scholle bes Grundherrn lebten: doch verbietet das Concil von Borbeaur?) aus brüdlich Begebung in folche mundeburdis?),

Die Strafen gegen Geiftliche waren völlige oter theilweife Entfernung vom Amt, Sperrung der Einkünfte, Einfperrung auch lebenslängliche in Klöfter, Geißelung bis zu ben beliebten 39 Streichen‘).

Der Stat griff in das Zuchtverfahren ver Kirche auch gegen Laien damals nicht ein, auch nicht in Glaubensfragen und innere Streitigkeiten ber Kirche: anders freilich Karl ver Große).

Während die Imperatoren ihnen unbeliebige Concilienfchlüffe einem neuen von ihnen berufenen Concil zur Prüfung, Beftätigung over Aenverung vorlegten, während Karl Concilien berief, fogar päbftliche Slaubenslehren zu verwerfen‘), nahmen bie Merovingen folches Recht nicht in Anfpruch: wohl beriefen auch fie Eoncilien, aber um bier Biſchöfe anzullagen?) oder Tirchliche Tragen felbftftänpig entfcheiten zu laffen: fie leiteten die Concilien nicht, auch wenn fie ihnen mit ihren Großen ohne Stimmrecht anmwohnten, beanftanveten ihre Befchlüffe nicht, wiefen vielmehr Beſchwerden von Geiftlichen und Laien gegen

1, Ueber Entfiehung des hievon verfchiebnen Kirchen-Patronats ſ. Hinfchtus IL. 2. ©. 618.

2) 663—675. can 2. Maassen p. 215.

3) Vgl. pie Formula Turonensis 43. ed. Zeumer p. 158 ut... ingenuili ordine . . obsequium tibi impendere debeam. Bgl. dazu Kaufmann in Eon- rads Jahrbüchern XXI. S. 120; bier iſt aber nicht von Geiftlicden befonbers bie Rebe.

4) Aus dem jüdiſchen Recht Korinther II. 11. 24, Arnold, Caeſarius v. Arles ©. 100; über den Einfluß des germanifchen Rechts: [Proceßbürgichaft, Reinigungs» eid] auf bas kirchliche Disciplinarverfahren auch gegen Geiftliche, ſ. Löning II. S. 500f.

5) ©. einftweilen Urgeſch. III. S. 1039, dann Karolinger: dort auch über ben Streit zwiſchen Sohm I. ©. 236 und Löning II S. 507, ber auch in farolin- gifcher Zeit nur in weltlichen Fragen und ben gemifchten ber Didcefangränzen ben Stat eingreifen fieht: aber unter Karl gab es gar keine kirchliche Frage, die niht auch eine ſtatliche gewefen wäre.

6) Urgeſch. IH. ©. 1039,

7) Urgeſch. III. ©. 193. 225. 500.

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Beichlüffe ver Eoncilien ab. Promotus von Chateaudun, vom III. Ec. von Paris 5731) abgefegt, wirb mit feiner Bitte um Wieberverleihung bes Stuhle von König Sigibert I. zurüdgewiefen, als Pappolen von Chartres dem König das Urtheil ver Biſchöfe vorlegt?). Vornehme in hoher Stellung bei Chilperich, bie in einer Baſilika zu Paris ge- Kümpft und fich an ven König gewandt hatten, werben nicht in Gnaden angenommen, ſondern an ben Biſchof verwiefen, auf daß dieſer über bie kirchliche Strafe befinde. Erſt nachtem fie die geiftliche Buße ge- leiftet, werben fie wieber in bie Kirchengemeinfchaft aufgenommen?). Der Grund war: „das Kirchenrecht war für ben Stat überhaupt nicht Recht“, daher konnte Verlegung firchlicher Normen den Stat nicht als Rechtsbruch in Bewegung bringen‘. Aber freilich fahen wir, daß der Stat kirchliche Vorfchriften gar oft durch feinen Zwang burchlette, nicht, weil fie „Recht“ waren, bevor ber Stat fie als ſolches anerkannte, ſondern deßhalb, weil er gar oft keineswegs immer eben foldhe durch Anerkennung, durch Erhebung zum Geſetz ausdrücklich zu weltlihem Recht machte (jo Guntchramn, Chil- bibert I., Chlothachar IL durch ihre Edicte) oder ohne ſolche aus— brüdlihe Anerkennung ftillfhweigenn eben durch bie ge» währte Bolljtredung: fo bei dem Vorgehen gegen Heiben, Keker, Aberglaubend). Das lettere ift eine fehr wichtige Ergänzung ber herr- chenden Lehre) und erklärt auch erft, inwiefern vie Kirchenlehre Zwangsglaube war: nämlich foweit der Stat das burch Geſetz oder Verordnung oder ftillfehweigend durch Verwaltung wollte.

6. Andere Rechte der Kirche und der Geiftlichen.

Das Zufluchtsrecht der Kirchengebäude?) warb von ben kirchlichen canones in einer Weiſe geftaltet, die das germanifche Wergeld und

1) Greg. Tur. VII. 17, Urgeſch. III. ©. 309.

2) Einleitung. Brief an Egivius von Rheims und an den König Maassen p. 147.

3) Bgl. Über die wichtige (in der Lesart jebesfalles verberbte) Stelle (ſ. nun ben Xert bei Kruſch V. 32) Urgeſch. III. S. 207. Baufleine II. ©. 99.

4) So richtig Sohm ©. 235.

5) Oben ©. 194.

6) Sowohl von Sohm als von Löning II. ©. 507.

7, Hinſchius IV. ©. 380.

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Bupfyften ale Erſatz ber von ber Kirche verworfnen Blutrache und Fehde ſehr gefchiekt zur Auspehnung ihrer Rechte verwerthete.

Schon das erfte Concil von Orleans!) von 511. betätigt das nach den »ecclesiastici canones«?) und ber Lex Romana?) Herge brachte, daß nämlich Mörder und Todtſchläger, Geſchlechtsverbrecher (adulteri, was nicht blos Chebrecher beveutet) und Diebe ſchon aus dem Atrium (Vorhof ver Baftlifa) oder dem Hauptgebäude ver Kirche oder dem (meift unmittelbar angebauten) Haufe des Biſchofs nicht mit Gewalt entfernt und nur dann ausgeliefert werden bürfen, wenn ber Ankläger (oder Richter), unter Verzicht auf die Blutrache, auf bie Evangelien gefehworen hat, daß fie von Zobes-, Verftümmlungs- und anbrer Leibesſtrafe befreit fein follen gegen bie Verpflichtung, dem Derlegten satisfactio®), aljo 3. B. Buße oder dem Erben bes Er- ſchlagenen Wergeld, zu leiften. Wer jenen Eid bricht, wird ausge Ihloffen von aller Katholiten Gemeinſchaft. Verläßt der Wlüchtling aus Furcht die Zuflucht, weil ver Verletzte ben Eid5) nicht leiftet, fo haftet die Kirche nicht. Hat ein Entführer mit ber Entführten Zu- flucht genommen, fo wird bie wider Willen Entführte vor Allem von ihm befreit: der Entführer, von Todes⸗ oder andrer Leibesftrafe ge- fidert, wird dem Muntwalt der Entführten verknechtet over er muß fich loskaufen: ebenfo ergeht es ihm,. hat bie Entführte vor ober nach ber Entführung eingewilligt: fie wird, vor Beitrafung gefichert, dem Bater (Muntwalt) zurücdgegeben.

Das IV. Eoncil von Orleans von 541°) fchließt den als Feind der Kirche von ber Kirche aus, bis zur Verbüßung einer vom Biſchoſ auferlegten Buße, ver einen Slüchtling mit Gewalt ober Lift aus der Kirche entfernt hat, ven er vor Allem ber Kirche wieber jtelen muß”). Das V. von 5498) wieberholt für Unfreie wegen jeder Verfchulbung die obigen Beftimmungen: Auslieferung gegen Eib bes Herrn für Straflofigkeit, Ercommunication des Eidbrüchigen, anbrerfeit8 zwangsweife Auslieferung bes Unfreien an ben Herrn,

1) c. 9. Maassen p. 168; vgl. Co. Epaon. v. 517. c. 39. Maassen p. 28. 2) Cc. von Orange von a. 441. c. 5, von Arles c. 450—506.

3) c. 4. Cod. Theodos. de his qui ad eccles. confug. IX. 45.

4) ? poenarum genere omni.

5) Anbers Hefele II. ©. 660, vgl. Hinſchius IV. ©. 384. 801.

6) can. 21. Maassen p. 92.

7) Bgl. Hinſchins IV. ©. 385.

8) can. 22. ]. c. p. 107.

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ber jenen Eid geleiftet bat, auf daß bie Kirche nicht wegen Vorent⸗ haltung bes Knechts belangt werben kann. Iſt der Herr Heide, das wird alfo a. 549 noch als fo Häufig vorausgeſetzt, daß es beſondere Regelung erheifcht over einer Ketzer⸗Secte angehörig [— Juden follten keine hriftlichen Knechte halten !), aber e8 wurden doch auch nichtchriftliche Unfreie und Ylüchtlinge überhaupt durch das Zu⸗ fluchtsrecht geſchützt —], jo muß er Chriften guten Glaubens ftellen, die an Stelle des Herrn dem Unfreien eiven: benn fie haben wegen Einbruch des Herrn die Ausfchließung zu fürchten.

Das VI. Concil von Mäcon von 585 ſtellt?) „vor den Mächtigen Flüchtige* (offenbar Schulpner) den Verbrechern im Schutrecht gleich ®). Kein noch fo hoher weltlicher Würbenträger wage, Gewalt gegen ihn zu brauchen: vor Allem ift das Ericheinen des Biſchofs anzurufen. „Denn wenn bie weltlichen Fürſten (b.b. die Imperatoren) nach ihren leges, benen Unverletbarkeit gewährt haben, bie zu ihren Bilbfäulen geflüchtet waren, wie viel mehr unantaftbar muß fein, wer den Schuß bes himm- liſchen Königreichs erlangt hat!“ Auch bei Auslieferung von Verbrechern foll der Biſchof Vergewaltigung der Wohnung des Herrn verhüten®). Uebrigens klagte das Concile) nicht mit Unrecht, wie viele Berichte Gregors beweifen, daß die Wilpheit und Xreulofigleit der Zeit das Zufluchtsrecht gar oft verlegte‘).

In allem Wefentlichen wurden biefe Forderungen ber Kirche wie von ben beiden gotifchen Neichen und dem burgunbilchen”) auch vom Meropingenreich anerlannt, wie außer den Gefegen®) andre Fälle bei Gregor vor Augen ftellen®).

Der Verbrecher (Räuber) muß zwar vom Biſchof aus ver Kirche geführt werben, im Uebrigen aber fchütt ſchon das Atrium ber Kirche

1) Oben ©. 209.

2) can. 8. Maassen p. 168.

3) Bgl. unten Kirchenzucht.

4) Das IH. Concil von Chälons a. 639—654. can. 17. Maassen p. 302 handelt nicht vom Zufluchtsrecht, wie Löning IL. ©. 453, ſondern verbietet nur Streit, Waffenzüden, Wunbung und Tödtung im Atrium ober Innenraum ber Kirche.

5) c. 8.

6) Urgeſch. III. ©. 111. 118. 166. 244. 301. 320.

7) ©. diefes und Könige III. ©. 190. VL? ©. 374—376 und Band IX.

8) S. unten ©. 287 Anm. 1.

9) Urgefh. III. S. 179, Firminus ©. 101, Merovech, Chilperichs Sohn, S. 400. 453.

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ben Räuber (latro) und andre Verbrecher „gemäß Webereinktunft mit ben Biſchöfen“). In Ermangelung eines gefchloffenen Atriums gilt ein halber Morgen rings um bie Kirche als befrievet. Der zuflüchtige Knecht wird nur gegen bie Zufage der DVerzeihung dem Herrn ausge: liefert: läßt aber der Priefter ihn ans der Kirche flüchten, muß er dem Herrn den Werth erfegen, ver, wird ber Flüchtling eingefangen, zurückzuzahlen ift?). Entführer und Entführte muß der Bifchof aus⸗ liefern: doch trifft fie ftatt der geſetzlichen Todesſtrafe nur Einbannung (exilium) 3).

Es waltete Kicchenfrieve: Tödtung in der Kirche wirb mit bem Zobe, Verwundung eines Geiftlichen in der Kirche mit breifacher compositio und dem Königsbann bebrobt‘). Die Perfonen der Geift« lichen und das Eigentum ber Kicche ftehen unter ver befonderen Für- forge und dem Nechtsichug des Könige. Wie fchon Chlodovech im Weftgotentriegd), erläßt Theuderich I. a. 532 in dem Krieg in ber Auvergne einen befonderen Königsfrieven, ver alles Land im Umkreis ber Bafilica von Brioude in Bannſchutz nimmt®).

Kicchenfahrnig wird durch dreifache Buße geichügt, in Nach- ahmung des Königsgutes”). Kirchenbrand wirb boppelt fo fchwer, wie Brand andrer Häufer, Grabraub in einer Kirche mehr als breimal jo ſchwer wie außer ber Kirche gebüßt®).

Ein befonderes Verbrechen ift die Verlegung von Geiftlichen allerdings noch nicht: nur fegen die Bußordnungen 9) und Kapitularien 1) erhöhte Bußen dafür an: jeboch wird die Körperverlegung ver Geift-

1) Child. et Chloth. pactus c. 14. Child. deer. c. 4. Wilda ©. 537, Sehr S. 376, Löbell S. 264, Hinſchius IV. S. 385, Löning ©. 536. Ganz ähnlich das Alamannenreht offenbar nach dieſem Decret L. A. Chloth. II. 1. 2. Legg. DU. p. 47 der Herr muß für die Verzeihung Bürgſchaft Leiften, ber Priefter den aus der Kicche flüchtigen Knecht aber verfolgen und ftellen ober erfegen; wer die Zuflucht bricht, zahlt dem König den Königsbann und ber Kirche eine Buße von 18 sol.

2) c. 15.1. c.

3) Deer. Child. II. von 596. c. 4. Legg. I. 12.

4) Cap. leg. add. 818/9. I. p. 281.

5) Oben S. 191.

6) Greg. Tur. Mir. St. Juliani c. 13.

7) L. Rib. 60, 8.

8) L. Sal. 55 (additam 1. 3. 4.) 16, 1.

9) Waſſerſchleben S. 188.

10) apud Theodonis villam Legg. II. append. p. 4: echt?

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lichen mit erhöhten Bußen, die Tödtung mit gefteigertem Wergeld ge- ahndet fchon im Salifchen und Uferfrantenrecht!); yon ben Franken ging das in das Alamannen-?) und Baiern⸗Recht?) über. Karls Eapitu- larien drohen in Sachfen für Tödtung fchon eines Diakons den Tod!).

Die Kirche verfuchte eine Zeit lang, bie Wergelver der erichlagenen Geiſtlichen ftatt der Erben in Anfpruch zu nehmen‘): aber biefe kanoniſch ganz folgeftreng und ſchlußbündig gedachte Erſetzung der Sippe burch bie geiftliche Mutter wie ja feit c. 1100 die Weihe des Geift- lichen auch deſſen Stammesrecht durch das römische erſetzte ver: ftieß doch allzubeftig gegen bie germantiche Auffaffung vom Weſen bes Wergelds nnd der Zugehörigkeit zur Sippe: ver Verfuch fcheiterte im Frankenrecht: er gelang bei Alamannen und Baiern®).

Auch bezüglich ihrer Unfreien genoß die Kirche manchfaltiger Vor⸗ rechte: fie werben vielfach den, Kronknechten gleichgeftellt: beide dürfen vor Gericht ſelbſt erjheinen ohne Vertretung durch ven villicus, fie bürfen ben Inhalt ihrer Unſchulds⸗Eide [unter Zuſtimmung des Gerichts] felbft feftftellen, ohne Die. vom Kläger geftellte Wortfaffung (tangano) ein- balten zu müffen”).

Bon einzelnen®), aber Teineswegs von allen perjönlichen Abgaben waren bie G@eiftlichen befreit.

Auch die niedern Geiftlichen leiten, wie die Bifchöfe, dem König ben Treueid, aber alle Geiftlichen find von der Wehrpflicht frei, ge mäß bem kanoniſchen Verbot, daß fie Waffen tragen: bei ber Verwelt⸗ lichung und Verwilderung ber Kirche im VI. und VIL. Jahrhundert warb das freilich nicht eingehalten?), und feit dem Auflommen ber

1) L. Sal. 259 ed. Merkel p. 80. Cap. ad L. Sal. a. 803. c. Legg. 1. p. 113. L. Rib. 38, 5—9. Epistol. ad Pippinum a. 1807.

2) L. Alam. Hloth. ed. Merkel 11—16.

3) L. Baj. 8—10.

4) Cap. Paderborn. von 777. c. 2. Legg. I. p. 48.

5) Löning II. ©. 260. 310. "

6) L. Al. XI 2. Baj. 1.9. co. 10.

7) Lex Rib. 58, 20, Sohm S. 126, Brunner, Zeugen ©. 43f.

8) Oben ©. 103f. Ce. Aurel. IV. a. 541. c. 13; über die Weſtgoten Cc. Tol. ID. a. 589. c. 69 von IV. a. 633. c. 47. Könige VL? ©. 256.

9, ©. oben S. 147: Die Biſchöfe (Salonius u. Sagittarius); außer dem Falle von 642, den Löning II. ©. 362 gegen v. Roth Feud. S. 317 beibringt, iſt für Waitz, Bafallit. S. 75 gegen v. Roth noch anzuführen Egidius von Rheims, Urgeſch. III. ©. 268.

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firhlichen Immunitäten mit Grafenrechten führen bie Biſchöfe und Aebte ihr Aufgebot ganz regelmäßig felbft in’s Feld, zumal unter Rarl!), aber auch ſchon unter Karl Martell?).

Dezüglich der Dingpflicht vermochte die Kirche ihre alten Verbote, daß Geiftlihe am Gericht theilnahmen, gegenüber ber germanifchen Grundanſchauung vom Genoffengericht nicht durchzuſetzen: dies Recht, biefe Pflicht aller Freien (micht nur Grundeigner) kam auch den Geift- lichen zu: zahlreiche Fälle ſchildert Gregor, in denen bie Biſchöfe neben den Laien im Grafengericht urtheilen: nur das Uebermaß, das ſich Hinzudrängen tabelt er: der Schulbige tft bezeichnendermaßen ein Germane: Baubigifel von Le Mans, früher Hausmeier?), der auch feine Ehefrau behalten hatte. Anprerfeits verbietet das IV. Eoncil von Drleans von a. 541) bei Kirchenftrafe für den Nichter, einen Geift- (ichen ohne bifchöfliche Erlaubniß zur Dingpflicht anzubalten, und das H. von Mäcon von 585 ftößt den Geiftlichen aus, ver bei Zobes- urtbeilen mitwirft oder ber Töbtung anwohnt >). |

Bedeutend eingefchräntt auf bie höheren Weihen werben biefe Verbote durch das I. Concil von Aurerre‘), vermuthlich wegen Undurchführbarkeit der fchärferen Beitimmungen”). ‘Die angeftrebte Befreiung der Geiftlihen von ber Vormundſchaftspflicht hatten fie wenigjtens bi8 541 nicht errungen, da fich das VI. Eoncil von Orleans auf das vom römischen Recht fchon den Heibenprieftern gewährte Vorrecht®) beruft: wahrjcheinlich erlangten fie e8 auch fpäter nicht: wie bei ber Dingpflicht ftand auch bier germanifche Anfchauung entgegen, die in biefem Stüd den (germanifchen) Geiftlichen nicht von ber Sippe- pflicht Löfen und beſonderem kanoniſchem Recht überlaffen wollte.

Der geiftlihe Stand ift thatſächlich ein ſtarker Strafmilbe- rungsgrund. Nicht nur wegen adulterium, auch wegen Töbtung, Hoch- verrath, laesae majestatis et proditionis patriae crimen von dem Concil von 579 verurtheilte Bifchöfe trifft neben der Entfegung nur

1) ©. unten Immunitäten und „Karolinger”.

2) Urgeidh. III. ©. 754 f.

3) Greg. Tur. VIII. c. 39, Urgeſch. ©. 390.

4) can. 13. Maassen p. 90.

5) Ce. II. Matisc. c. 19. Maassen p. 163.

6) c. 34. Maassen p. 182.

7) So Löuning IL. ©. 314, der, Hefele III. S. 42 folgend, dies Concil nad

dem (II.) von Mäcon anfest: Maassen p. 178 meint zwifchen 573 und 603.

8) Co. IV. Aurel. can. 13. Maassen p. 90. Dahn, Könige der Germanen. VII. 8. 19

290

Einbannung in eine Bafilila!); es ift zweifelig, ob das als eine Art Begnadigung zu denken ift.

Unabläffig und ungeftraft greifen bie Bifchöfe und andern Geift- lihen in bie Strafrechtspflege bald ohne Mirakel, bald indem fie durch ihre Gebete die Heiligen zu wunderthätigem Handeln gegen die Strafgewalt verführen. Die Heiligen würden heutzutage ununterbrochen wegen Befreiung von Gefangnen geahndet werden müflen: bie Straf-2) und Unterfuchungs-Gefängniffe feheinen nur dazu vorhanden, daß ihre Niegel und Schlöffer durch die Heiligen für die armen Spitbuben geöffnet werden: daß dieſe unfchuldig waren, wagen nicht einmal bie Heiligenleben zu behaupten, fo oft geſchieht es! Allein die eigenmächtige Befreiung von Gefangnen entfpricht jener mißverftanpnen und ver- zerrten Lehre von der hinzubaltenden andern Wange, mit welcher keine Rechtsordnung, Tein Strafrecht, fein Stat vereinbar ift.

Die Kirche lebt, wie wir fahen?), in erjter Reihe nach ihrem Sonderrecht, dem Tanonifchen; daß fie (in zweiter Reihe) nach römischen Necht lebte), erhellt auch daraus, daß die römiſche Verjährungsfrift zu ihren Gunften beftätigt wird5).

In manchen Dingen wird pas römifche Necht für die Kirche und bie einzelnen (nur römijchen??) Geiftlihen durch ven Einfluß des kanoniſchen Rechts, das auch in Statögejege eindrang, geändert, bem kirchlichen Sinn angepaßt: fo verlangt das Edict Chlothachars von 614°), daß auch bie Klagenverjährung nur bei von Anfang an gerechtfertigtem Beſitz wirken folle, was nach römijchem Recht nur bei der Erfitung verlangt ward.

In der älteren Zeit, gleich nach der Taufe Chlodovechs, waren nur Römer nievere Geiftliche: paher haben dieſe urjprünglich das römifche Wergeld von 100 sol. Als fpäter auch Germanen Geiftliche werben,

1) Greg. Tur. V. 19, Urgeſch. II. ©. 501.

2) 3. 8. Ven. v. St. Germ. c. 67.

3) Oben ©. 7.

4) Oben ©. 8.

5) Nicht erſt nen eingefllbrt durch Praec. Chloth. c. 11.

6) c. 13.

7) »mala fides super veniens non nocet«; bie zu Grunde liegenden Stellen find ver Lex Romana Visig. entnommen. Pauli Sent. V. 2. $ 4 Interpretatio: si tamen justum possidendi initium intercessisse probatur; L. Rom. V. Nov. Valent. IIL 8; vgl. Savigny II. ©. 97.

291

erhält jever das Wergeld feines Stammes!). Geiftliche der höheren Weihen vom Subdiacon aufwärts empfingen bann aber ein höheres Wergeld, zuweilen?) eine Verbreifachung des Stammeswergeldes wie der Graf: in ber richtigen Erkenntniß, daß Priefter und Biſchof für den König mindeſtens fo werthvolle Regierungswerkzenge waren wie ber Graf. Nach Alamannen- und Baierm Recht erhalten auch die niederen Geiftlichen gefteigertes Wergeld bei Tödtung in ber Kirche (im Dienft) und auch bei VBerwundung und Mißhandlung das drei⸗ fache ihres Stammesrechts?).

Der gefreite Gerichtsftand ter Bifchöfe und ber andern Geift- lichen ift bereits erörtert‘). Befreiung vom Zeugnißzwang wie im römiſchen Recht?) Tam ihnen fowenig wie die römifche und weftgotifche von ber Folter®) zu: Gregor erzählt viele derartige Vorkommniſſe), und auch das Edict Chlothachars II. von 614 bat fie nicht?) davon befreit.

Eines der allerwichtigften Vorrechte der Kirchen, bie Immunität, ift nicht Hier barzuftellen, gab es doch nicht nur Tirchliche Immunitäten fondern unter dem Geſichtspunkt der Schranken ber töniglichen Gewalt (j. unten „Sefammteigenart bes Königthums‘).

Dagegen ift bier fchon zu erörtern die Kirchenvogtei®), bie zwar

1) Treffend führt hierbei Löning II. S. 296 aus, wie biefe Wergeld-Be- flimmungen Rex Rib. 36, 5 teineswegs beweifen, daß bie Geiftlichen früher nach römiſchem, erft feit Karl (803) nach Stammesrecht gelebt hätten. Mayer, zur Ent- ftehung ber L. Rib. 1886. ©. 12, Schröber, 3. f. R.G.2 VII. ©. 25.

2) Die Hanbfchriften der Lex Rib. 36, 5 ſchwanken: Subbiacon 200, Diacon 300 oder 300 und 400, unter Karl 400 und 500.

3) ©. beide; und einftweilen L. Al. Hloth. XI. 2. XII. 2. XII—XVL L. Baj. I. 8—10.

4) ©. oben ©. 270—279.

5) Löning I. ©. 309.

6) Weſtgotiſche Studien S. 269. 282.

7) Urgeſch. III. ©. 212. 231. 280. 322f.

8) Wie Sohm a. a. O. ©. 265 annimmt.

9) Hier werben nur die eigentlichen Bögte bie der Kirchen Vögte, ad- vocati, genannt; ander Brunner IL ©. 303f., auf deſſen Darftellung der Bor- geihichte der kirchlichen Vögte Im Uebrigen verwiefen wirb, vgl. aud v. Beth⸗ mann-Hollmeg IH. S. 161, Hinſchius II. ©. 376f., Maaßen, Gefchichte ber Quellen des Tanoniihen Rechts S. 161 f., Über die defensores eccelesiarum im Oftgotenreich ſ. Cassiod. Var. II. 30, über die entfprechenden weftgottichen assertores mandatarii Könige VI? ©. 304—305. 350, über das burgundiſche Recht L. Rom. Burg. XI. und Könige IX.

19*

292

mit ber Immunität in Zufammenbang fteht, aber keineswegs nur anf biefe Anwendung findet.

Schon deßhalb mußten die Kirchen Vögte (Dingvögte) erhalten, weil jemand, ber auf Todes⸗ ober Verftümmelungs-Strafe erlannte, unfähig war, geweiht zu werben (irregularitas ex defectu plenae lenitatis). Dies, von weitgotifchen Eoncilien ausgefprochen!), war wohl auch im Merovingenreich bereits Gewohnbeitsrecht.

Die Vertreter ber Kirchen vor Gericht heißen advocati?) (vo- cati), auch defensores®) zuweilen: jedoch beveutet defensor oft einen ftäbtifchen, nicht einen Kirchlichen Beamten!) oder auch den Muntwalt eines Weibes®); feltner find die Namen actor, agens®), wie ja bie Beamten von weltlichen Privaten und bie Königlichen beißen.

rüber fchon verbieten die Eoncilien ven Geiftlichen, felbft vor Gericht aufzutreten, gebieten, daß dies durch advocati gefchehe?).

Allein wie fo viele andere Vorfchriften, welche die Verweltlichung ber Geiftlichen verhüten follten fo die Simonie der Könige wurben auch diefe immer wieber verlegt: wir jeben in vielen Fällen Biſchöfe, Aebte, andre Geiftliche als Kläger und Beklagte vor Gericht die Sache ihrer Kirche führen: Formeln fegen wenigftens voraus, daß fie neben dem advocatus vor bem comes hanteln?).

Dazu am, daß das weltliche Recht folch allgemeiner Vertretung entgegenftand: nur im bürgerlichen Verfahren verftattete fie das römifche Recht. Aber Teineswegs ja lebten alle Geiftlihen nur eben bie Römer damals fchon in zweiter Reihe nach römiſchem, vielmehr nach ihrem angebornen Recht, das die allgemeine Vertretung nicht verftattete. Biſchöfe feheinen allerdings?) allgemein dieſes Vor⸗ vecht durch merovingifches Geſetz erhalten zu haben ungewiß

1) Ce. Tol. IV. von a. 633. ec. 30, Emerit. von a. 666. c. 15, Tol. XI. von a. 675, vgl. Könige VI? ©. 434. 458. 460.

2) Form. Marc. I. 36 und oft.

3) Co. ed. Mansi XIV. p. 70. c. 50.

4) ©. VIL 2. ©. 147—154.

5) Metchelbed N. 372.

6) D. N. 60 von 692; causidici felten; nur farolingifh? |. Waitz IV. ©. 464.

7) Das von Löning II. ©. 534 angeführte Co. von St. Jean de Losne c. 671 ift keineswegs das Ältefte Beifpiel: nullus episcopus causas perferat nisi per advocatum.

8) Form. Pith. c. 75 ed. Zeumer p. 597.

9) Zweifelnd Brunner I. S. 304.

293

wann —, ba ja die canones ihnen bie Bertretung zur Pflicht machten: aber anderen Geiftlihen mußte biefer Vorzug beſonders vom König verliehen werben!), was auch burch Aufnahme in die mundeburdis regia einzelnen ®rieftern wie ben juriftifchen Perfonen ber Kirchen und Klöfter gewährt werben konnte. Königliche Geneh- migung für Beftellung eines Vogtes für Geiftliche ift zwar in faro- (ingifcher, nicht aber fchon in merovingifcher Zeit erforderlich 2).

7. Das Kirchenvermögen.

Das von Chlodovech vorgefundene Vermögen ber Kirchen war ſchon beträchtlich gewefen?) und e8 warb unabläffig gemehrt durch Schenfungen der Könige und der Privaten‘); bei biefen wirkte außer ver Frömmigkeit (f. unten ©. 295. 297) in vielen Fällen bie Abficht, den mächtigen Schuß ber Kirche zu gewinnen, bei Vorbehalt des Nießbrauchs an dem gefchenkten Land in ihren höheren, wohl georbneten Wirthichaftsbetrieb einzutreten: denn damals war wirklich „gut wohnen unter dem Krummftab“®), wenigftens beifer als unter dem Schwert ber weltlichen Großen. Diefe durch die canones eingefchärfte, durch regelmäßige Prüfung (visitatio) der Biſchöfe überwachte und geficherte pfleglichere Orbnung der Verwaltung mußte Wohlftand und Vermögen der geiftlichen Befigungen heben, wozu dann meift noch die Befreiung (negative Immunität) von allen Laften und Leiftungen trat, bie auf weltliche Güter prüdten.

1) Das läßt Marc. Form. I. 21 erlennen: einen Fall von 667 Chlothachar III. für einen Abt D. N. 43.

2) Anders Sohm ©. 226.

3) Anders Saud I ©. 128.

4) v. Safe IL 1. ©. 37, Zom ©. T1f.

5) Auch die Unfreien der Kirchen hatten es beffer als die von Laien: nicht nur ans rechtlichen (f. VIL 1. ©. 281f.) und wirtbfchaftlichen, auch aus fittlich religiöfen Gründen. Das Concil von Eaufe von a. 551. can. 6. Maassen p. 114 verfpricht den Scheulern von Kuechten, daß dieſe leichter belaftet werben follen als die von Laien intuitu pietatis et justitiae ... familiae Dei (b. h. der Kirchen) leviorem quam privatorum servi opere teneantur: bie Kirche erläßt ihnen von jett ab 1/4 Ihres Zinfes ober Frohns: das war einmal ein großes Werk chrifl- licher »caritas«, die auch damals freilich öfter geprebigt als gelibt warb; fiber ihre Borzugsrechte vor Gericht L. Rib. 58, 20 f. oben ©. 288.

294

Der über verſchiedne Provinzen verftreute Grundbeſitz der Bifchöfe noch mehr als der weltlichen Großen drohte fogar tie Zuftänpigfeit ber Beamten zu verwirren?).

Schon im Jahre 557 unter Chlothachar I. Hagen unzufriebne Laien, bie Genofjen des Königsjohnes Chramm: „Siebe, Sanct Martin (von Tours) und Sanct Martialis von Limoges, die Bekenner bes Herrn, haben dem Fiscus bereits nichts mehr übrig gelaffen 2) !“

Dei aller Webertreibung liegt doch ber Klage fchon Chilperiche Wahrheit zu Grunde: „fiehe, unfer Fiscus ift verarmt, fiehe da, umfere Schäte find auf die Kirchen übergegangen‘. Ueberkam aber ihn ober feine Fredigundis, bie ihn in folchen und anteren Dingen be- berrfchte die freilich voll triftig begrünbete heiße Furcht vor ber Hölle, fo häufte derſelbe Mann, „der nichts mehr haßte als die Kirchen“9), mit vollen Händen Gaben auf die gefürchteten Heiligen.

Planmäpigt) fehen wir überall die Kirchen aus ihren ftets reich vorhandenen Gelpmitteln Grundeigen anlaufen, weit über pas Maß bes Bedürfniſſes Hinaus: das V. Concil von Orleans von 5495) hatte allerdings vorgefchrieben, daß das zur Ausftattung der Kirche und dem Unterhalt ver Geiftlichen erforderliche Vermögen in Grunbbefig beftehen müſſe. Man®) bat wohl ohne ftarfe Uebertreibung ange- nommen, daß die Kirche um c. 700 ein Drittbeil alles gallifchen Bodens eignete. Andere?) bezweifeln das wegen ber großen Kron- wälber: aber wir willen, daß bie Kirchen und Klöfter auch ausge- behnten Waldbeſitz batten: 3. B. in den Vogeſen vie brei Klöſter Sanct Columba's Anagray, Luxenil und Tontaines (Anagrates, Luxovium, Fontanae)?).

1) Ed. Chl. ce. 19. p. 23.

2) Greg. Tur. IV. 16; felbftverftänpiich gehen fie bald Darauf zu Grunde, Urgeſch. IH. ©. 116.

3) Meint Gregor VI. 46, Urgeſch. III. S. 287 fehr übertreibenb von biefem „Nero und Herobes“ feiner Zett: denn mehr hate Ehilperich feine Brüder!

4) Greg. Tur. V. 3. 35. VI. 46, Urgeſch. TIL ©. 166f. 210. 286.

5) Maassen p. 101f.

6) Pant v. Roth, Ben. ©. 250.

7) Löning II. ©. 653.

8) ©. unten Klöfter; vgl. die großen Waldſcheukungen in ven Diplomata, Urgeih. III. ©. 659. 665—668, beſonders 673—678. 726. 729—734, beſonders 737—7142. 749—752. 779 den ganzen Walb von St. Cloud an St. Denis ©. 787 (Yo Wald), ©. 851.

ww

295

In Baiern war die Frömmigkeit oder doch das lebhafte Beftreben, ver Hölle zu entrinnen, fo ausufernd geworben, daß feit Mitte des VIII. Sahrhunderts die Herzoge in der Bejorgniß, die Kirche all mälig ihr ganzes Herzogthum erwerben zu fehen oder boch ungezählte Bewohner die weitgehenden Vorrechte der Kirchenleute genießen laffen zu müffen, Schenfungen an bie „tobte Hand“ an ihre Zuftimmung banden!). Das Concil von Dingolfing von a. 772 hebt die Be⸗ ſchränkung auf, aber erſt nach Taſſilo's Untergang bringt diefe Norm durch?).

Während nun die Römer im Merovingenreich durch bie römiſchen Pflichttheilsrechte einigermaßen gegen übermäßige Vergabungen an bie Kirche gejchütt waren, gebrach e8 an foldem Schuß den Tranten): nur die Vergabung des ganzen Vermögens ift bei beerbter Ehe ver- boten durch das Uferfranfenrecht*), felbftverftändlich vorbehaltlich der Zuftimmung der Kinder. Erſt karolingiſche Capitularien haben ähnlich wie das Baiernrecht (oben Anm. 2) übermäßige Zuwendungen an bie tobte Hand verboten?).

Es lag nun nahe, daß die Kirche die Anfechtung folcher Zuwen⸗ bungen mit geiftlichen Strafen bebrohte: das that fie denn auch in zahlreichen Eoncilienfchlüffen, von dem I. zu Orleans angefangen®) und zwar zunächſt in beicheivenem Maße: unter Chlodovech, kaum berrichend

1) S. Baiern.

2) Ich entnehme dies Löning II. S. 665, der zeigt, daß Königsgenehmigung im fränkiſchen Recht nur bei Verſchenkung des ganzen Vermögens au bie Kirche (per adfatomiam Lex Sal. 46) erforderlich war; bei den Burgunden hatte fchon bie alte Lex o. 24. 84 die Sippe gegen Veräußerung wenigftens ber urfprüng- lichen sors, Urgeſch. IV. ©. 115, geſchützt; ſ. Burgunden: bier wie bei den Baiern L.B.1. 1 wird vor Bergabungen an bie Kirche Abfchichtung der Söhne (vielleicht auch der Brüder) verlangt, wibrigenfalls dieſe ein Beiſpruchſsrecht (am Erbgut) haben; gleiches vermuthet wohl mit Hecht für die Alamannen Heusler, Gewere S. 45.

3) Ueber Baiern, Burgunden, Alamannen ſ. oben Anm. 2 und Band IX.

4) L. R. 48. 49.

5) ©. Karolinger, Band VIIL Bon Amira, Erbenfolge ©. 54, behauptet auch nach den fräntifchen Rechten ein Beifpruchsrecht der Kinder: aber ohne zwingenben Beweis: es hätten dann auch Töchter dieſes Recht gehabt: ſ. Greg. Tur. IX. 33, X. 12, Urgefch. TIL ©. 446. 486: aber bier handelt es fi mehr um Willkür and) In ben Urtheilen des Königs, denn um Recht. Das Recht der Erben war aljo bei den Franken doch nicht fo allgemein geihüßt, wie Löning IL ©. 685 annimmt: ſ. denſelben ſelbſt S. 682.

6) ©. die Zufammenftellung bei Löning IL. ©. 685.

296

geworben, bebroht fie (a, 511) mit dem Banne nur bewußt rechtswidrige, alfo argliftige Anfechtung unter VBerläumbung der Kirchet). Aber bald ging fie weiter.

Schon das V. Eoncil von Orleans von 549 nad erft 38jäh- tiger Herrichaft der Kirche wagt einen erheblichen Fortſchritt: nicht nur, wer mit Arglift gegen befires Willen „unter Verläumbung ber Kirche" das Gefchäft anficht, auch wer in gutem Glauben handelt, verfällt dem Kirchenbaun?), fo lang bis er das Entrißne zurüd- geftellt hat.

Allein, während bier doch noch gültige Zuwendungen an bie Kirche vorausgefegt werden (nelemosinas cum justitia delegatass), wird 18 Jahre fpäter eine fede Steigerung verfucht.

Das I. Eoncil von Lyon (a. 567 ober 570) beftraft nun vollends gar bie Anfechtung von Zuwendungen Geiftliher, auch wenn bie Anfehtung nah weltlihdem Recht vollbegründet (!), alfo feineswegs argliftig ift, mit der Ercommunication, und zwar währt biefe, bis der Kirche da8 ihr nicht gebührenne Geld zurück⸗ gegeben ift?).

Macht man aljo einen vechtsgültigen Anfpruch gegen eine rechts⸗ wibrige Bereicherung ber Kirche geltend, wird man als Ungläubiger (infidelis) mit dem Verluſt des Seelenheils bebroht: die Kirche miß- braucht ihre geiftlichen Mittel zur Bergung rechtswidriger Bereicherung. Auch diefe tief unfittlichen Maßregeln beruhen auf ver echt pfäffiſchen Ueberhebung über Necht und Stat, die biefe Priefter von dem fana⸗ tifhen Sanct Columba bis zu dem gutmüthigen Gregor von Tours befeeltt).

1) can. 6. Maassen p. 4.

2) can. 13. Maassen p. 104.

3) can. 2. Maassen p. 140. Quia multae tergiversationes {!) infidelium ecolesiam quaerunt privare donariis, id convenit inviolabiliter observari, ut testamenta, quae episcopi, presbyteri seu inferioris ordinis clerici vel dona- tiones vel quaecunque instrumenta propria voluntate confecerint, quibus aliquid ecclesiae ... conferre videantur, omni stabilitate subsistant, id spe- cialiter statuentes, ut quamvıs quorumcunque religiosorum voluntas . . ali- quid a legum secularium ordine visa fuerit discrepare, voluntas tamen defunc- torum debeat inconcussa manere... De quibus rebus siquis animae suae contemptor aliquid alienare praesumpserit, usque ad , . restitutionis rei ablatae tempus a consortio ecclesiastico vel omnium Christianorum con- vivio habeatur alienus.

4) Bgl. Urgeſch. II. ©. 583.

297

Dbiger Canon wird wörtlich wiederholt von dem V. Concil zu Paris von a. 6141), und es iſt bezeichnend für die damalige Demüthi⸗ gung ber Krone gegenüber der Kirche, die ihm hatte fiegen helfen, daß Chlothachar DIL. in feinem Geſetz dieſen maßlojen Anſpruch nicht nur nicht zurückweiſt, ſondern freilich in fehr allgemeinen Ausprüden anzuerlennen fcheint?).

Die gefährlichiten Bedroher des Kirchenvermögens waren aber freilich die Könige (und fpäter die Hausmeier) felbft: und zwar haben auch die frommften wie fie fih mit Simonie befledten (oben ©. 235) ihre Hände nicht rein von folchem Raube gehalten; die fürchter- lichft ausgemalten Höllenftrafen Tonnten nicht abhalten, da man ja hoffen konnte, durch fpätere Schenkungen bie Heiligen boch wieber zu verjöhnen: daher auch erklärt es fich, daß wir diefelben Männer wie Dagobert I. 3. B. als eifrige Beſchenker wie als Berauber ber Kirchen thätig finden ?).

Der Eine Hauptbeweggrund ber Schenkungen an bie Kirche war alfo oft ein höchſt unfittlicher, weil Gewinngter: Frömmigkeit“ d. 5. ſyſtematiſch betriebene Beftechung*) der Heiligen. Wie die Geiſt⸗ lichen oft durch empörende Mittel dieſe Wahnvorftellungen ausbeuteten, übrigens durchaus nicht immer nur als Heuchler, das warb fogar einem &iferer wie Karl zu wiberlich 5).

Als das beſchenkte Rechsſubject galt aber der Abſicht nach alles Ernftes der zu gewinnende Heilige, wenn auch felbjtwerftänplich ver im Himmel Lebende eines irdiſchen Vertreters beburfte: wie eine juriftifche Perfon, die ja auch ein »corpus mysticum« (vdtre morak) hieß. ALS dieſer Vertreter bes Heiligen erfchien nun bald die ju— riftiiche Perſon der Kirche, des Klofters; ihr gehörte in Ver⸗ tretung das Eigentum, und da nun auch biefer Vertreter als juriftiiche Perſon wieder ein Organ brauchte, fo warb ber Biſchof ber bifchöflichen Kirche oder der Abt des Klofters als dieſer gejegliche Ver-

1) can. 12. Maassen p. 189.

2) Const. Chl. c. 10 ut oblationes defunctorum ecclesiis deputatae nullorum competitionibus auferantur, praesenti constitutione praestamus: bier wirb alfo zwifchen begründeten und unbegründeten competitiones aud) vom König nicht gefchteben.

3) ©. Urgefch. III. ©. 625 und unten S. 302.

4) Selbfiverftändlih war bie Lehre der Kirche von ber Heiligenverebrung ganz anders als dieſe Prazis, f. Hinſchius IV. S. 239f.

5) Capit. a. 811. Leg. I. p. 162.

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treter und Verwalter des Bisthums- oder Klofter-Vermögens ange- ſehen). Daher mögen in obigen Sinn bie Kirchengüter gerapezu sres divini juris« genannt werben?), obwohl fie im Eigenthum ber Kirche fteben.

Man?) beftreitet den unmittelbaren Ablauf der Sünbenjtrafe durch Geſchenke an bie Heiligen und bemerkt mit Recht, daß 3. 3. Eligins von Noyon (a. 641—658) nur die von Neue begleitete Geld⸗ gabe als Gott wohlgefällig Hinftellt‘): das war bie reine Lehre ber Kirche: aber fie kam nicht im Entfernteften zur Geltung gegenüber ver überall auf das Plumpfte und Unfittlichite betriebenen Beftechung ber Heiligen. Diefe befondere „Sittlichkeit”, an fih unfittlih, mußte auf das Aeußerſte die allgemeinfte Unfittlichleit weiter verbreiten, ba Könige, Weltgroße und ver Kirchenlehre frembe Geiftliche bie ſcheußlichſten Verbrechen begingen in der Zuverficht und vorgefaßten Abficht, in ber Folge die Höllenftrafe durch Spendungen an Kirchen von ein bischen Reue begleitet abzuldjen.

Häufiger als vorbehaltlofe Schenkungen find begreiflichermaßen bie unter Vorbehalt des lebenslänglichen Nießbrauchs5) erfolgenden oder fpäter die, bei welchen bie Kirche ven Tebenslänglichen Unter- halt für ven Schenker und etwa deſſen Frau (und Wittwe) übernahm ®); zumal bei unbeerbter Ehe ward ein ſolcher Verpfrünbevertrag (praebenda

1) So ift wohl Gierle II. S. 527 zu vereinen mit Löning DI. ©. 633, ber doch der Bezeichnung bes Heiligen ale des Beichenkten zu wenig Rechnung trägt: ben Armen gehörte das Kicchenvermögen nicht im gleihen Sinne wie dem Hei figen: die Armen haben nur a) einen Anfpruc auf Zumwenbung b) der Früchte, c) zu einem Drittel, nicht a) Eigenthum au b) der Subftanz c) bes Ganzen.

2) Lex Rom. Visig. Gaii Justit. IX. (II. 1.) 8 1.

3) Löning II. ©. 38.

4) Homil. VOII. ed. Migne 87. p. 618.

5) Dabei brauchte ver Schenker den Befig keinen Augenblid aufzitgeben; er beſaß fortab für das Klofter (constitutum possessorium), vgl. Löning II. ©. 657; v. Roth Feud. fahte ſolche Geſchäfte als Schenkungen auf den Todesfall: das Eigen- thum geht aber jegt ſchon durch ausdrückliche oder ftillichweigenve Trabition Über: die Formeln freilich nennen auch dieſe Fälle donationes post obitum, weil fie erft dann voll wirkfam werben.

6) Ueber die verſchiednen Formen ber Schenkungen unb ber bebingten (5. ©. ben Nießbrauch vorbehaltenden v. Roth, Feud. S. 150. 156, Wait II. ©. 230) Bergabungen an bie Kirchen, f. die Iehrreihen Zufammenftellungen von Inama Srundb. S. 118 für Sanct Galler und von Wolff für Weißenburg im Elfaß; daraus erhellt (anders Löning UI. S. 658) für damals das ganz gewaltige Ueber gewicht der bloßen Schenkungen: fpäter nach ver theofratifchen Zeit Karls (768—814)

299

sc. alimenta) häufig geſchloſſen und damit die Aufnahme in ben Schuß der Kirche verbunten. Die Kirche zog Schenkungen unter Lebenden ven legtwilligen Verfügungen vor: einmal wegen deren Wider» rufbarkeit!), aber auch wegen ter Gefahr ver Anfechtung burch bie Erben, die unerachtet ber wie im burgunbifchen, alamannifchen, bairifchen auch im fränkiſchen Recht aufgeftellten Ausnahmen zu Gunften ver Kirche oft die germanifchem Recht?) wiberftreitenven Zeftamente angriffen?) und fo der Kirche leicht ven nicht immer un- begrünbetent) Vorwurf ber Erbichleicherei anbefteten >).

Diefer Nießbrauchvorbehalt war jo häufig, daß zahlreiche Formeln merovingiſche wie karolingiſche ihn aufnahmen ®).

Ein Anfang der fpäter jo wichtig geworbnen beneficia [feuda) oblata findet fich in jenen Geſchäften, in welchen ber Schenker bie ber Kirche zu Eigen gegebenen Grunpftüde zu Nießbrauch zurüd erhält, vielleicht neben andern Gütern ter Kirche, alle num aber mit einem Zins an bieje belaftet.

Auch zu Gunſten Dritter Tonnte der Schenker Vorbehalte und Auflagen machen, 3. B. die Kirche verpflichten, das Geſchenkte theil- weile den Armen zu fpenben over für ein Krankenhaus ver Kirche oder Anderer zu verwenden ober den Nießbrauch etwa nach dem Tode des Schenkers einem Andern (3. B. feiner Wittwe [f. oben ©. 298] ober feinen Kindern) ”) auf Lebenszeit zu gönnen. Sehr häufig behält ver Schenker fich oder um höheren Preis feinen Erben ein Wieber- faufsrecht vor ober bedroht die Kirche mit dem Verluft des Schent- guts an feine Erben für den Fall ver Antaftung durch die Selbftfucht ber Geiftlichen.

mit ihrer Hochfluth von Schenkungen werben (co. 830—900) die bedingten Ber- gabungen häufiger: im X. Jahrhundert müfjen die Kirchen mehr durch Kauf und zumal buch Tauſch ihr Grunbeigen erweitern und beſonders abrunden.

1) Zöning II. ©. 654.

2) Aber mos illius loci v. Roth ©. 152 iſt nit „germanifches Recht“, ſondern Sitte des Klofters, fo richtig Löning II. ©. 654.

3) v. Roth, Send. ©. 152.

4) S. Rarolinger (Karl d. ©r.).

5) Löning I. ©. 224 bemerkt, daß bereits Sayct Auguftin (c. a. 430) bie Kirchen gewarnt habe, fih als Erben einfegen zu laſſen.

6) Formulae Turonenses I. a. 6, ed. Zeumer p. 135, Form. 36. p. 157 donatio ad ecclesiam post obitum, Markulf II. 3, 6.

7) So Karlmann bei der großen Schentung an Stavelot und Malmeby von a. 747. D. N. 15 (maj. dom.), Urgeſch. III. ©. 849.

300

Die Kirche hatte, wie oft beflagt, (oben S. 297) zumal auch bie Beraubung durch den König ſelbſt abzuwehren.

Diefe Eingriffe des Königs erklären ſich einmal aus ber unleug- baren Noth der Statscaffe, die zum großen Theil durch maßlofe Ver- gabungen an bie Kirche herbeigeführt war), dann freilich auch aus ber Gewaltthätigfeit der ganzen Zeit; und bie Leichtigkeit (— auch bie ju- riftifche, |. unten S. 302 —) der Bereicherung mußte loden. Im dem Streit über das Recht des Klerus hiebei?) muß man im Wefentlichen ver Anficht beipflichten®), daß es ein Recht der Könige, über Kirchengut zu verfügen, (das er fich urfprünglich bei feinen Schenkungen an bie Kirchen vorbehalten, allmälig aber auf alles Kirchengut ausgebehnt babe), nicht gegeben Hat, daß vielmehr jene Eingriffe, die aber viel feltner vorfamen als die lagen ver Kirchen behaupten, wirkliche Rechts⸗ verletzungen waren‘).

Mit Recht hat man von jeher bemerkt, wie bei ven Bruderkriegen ber Theilreiche das Grundeigen der Angehörigen eines andern Theil⸗ reichs 3. B. von Auftrafiern, das in Neuftrien lag, nicht nur ber Plünderung, auch der Einziehung unterworfen warde). Nun war aber das Grundvermögen ber Kirchen noch viel mehr als das ver Welt- großen über alle drei ober vier Theilreiche verjtreut®) und warb baber Häufig von Einziehung betroffen bei den faft niemals ruhenden Be- feindungen ber Theillönige. Schon Theudibert L warnte das J. Concil von Elermont von a. 535 vor folchen Einziehungen geiftlicher wie welt- licher Güter, bie in feinem Theilreich lagen”).

1) Oben S. 294.

2) Zwiſchen Waitz IL ©. 254. 632, Baſſallität S. 70 und Paul von Roth Ben. ©. 316f., Feud. S. 76.

3) v. Rothe.

4) Einverflanden Maassen p. 135.

5) Wenn auch Teineswegs der Sat von Roths Ben. ©. 315 richtig ift, Daß auch im Frieden das Grunbeigen nur ber Untertbanen bes Theillünigs in feinem Theilreiche geſchützt warb.

6) Ueber die Gründe ſ. VII. 2. ©. 24.

8) Anhang zu dem Eoncilsacten: Brief an den König, Maassen p. 71: Ut dum unius regis quisque potestati ac dominio subjacet, in altersus sortem positam cujuscungue, ut adeolit (sic) impetitione non amitterit faoultatem .. ut tam rectores ecclesiarum vestrarum quam universi clerici atque aetiam secularis sub regni vestri conditioni manentis neo non ad domnorum regum patrım vestrorum dominium pertinentis de eo quod in sorte vestra est (sors tft Theilreichj et quod habere proprium semper visi sunt, extraneos non per-

301

Wie wenig biefe Verbote und Mahnungen fruchteten, zeigt ihre Wiederholung auf fpäteren Concilten: geiftvoll führt das III. Concil von Paris von a. 573 bie alle Reiche ver Erbe gleichmäßig umfaſſende Macht Gottes (d. h. ber Kirche) gegen diejenigen in's Feld, vie wegen ber Grenzen ber Reiche (per interregna) Gott (d. b. der Kirche) ihr Gut abftreiten wollen !).

Aber auch der eigne König beraubte feine Kirchen?); daß ber „Erftgeborne der Kirche", Chlodovech, das nur als Heibe gethan habe, erfcheint zweifelig, da feine chriftlichen Nachfolger bis über die Me- rovingenzeit hinaus die gleichen Sünben begingen. Meiftens nahmen bie Könige den Raub nicht für fih: fie gaben ihn drängenden Welt« großen Preis, deren ſtets wankende Treue ober über das geſetzliche Maß hinaus geforberte Kriegshilfe dadurch gefichert over erfauft werben follte. Dabei macht e8 mehr formalen denn inhaltlichen Unterfchien, ob ber König das Eigenthum an fih reißt und feinem Günftling fchenft oder ob er die Kirche zwingt, das Gut biefem al$ precarium ° zu verleihen, was bann meift Doch nicht precarium blieb. Solche pre- cariae regis, in arnulfingifcher Zeit fehr häufig, die fälfchlich jogenannte Säcularifation Karl Martells bebient fich meift dieſer Form tft wohl in merovingifcher Zeit auch ſchon vorgefommen. Denn bie Urkunde von 754 fest eine folche Kirchen-precaria König Chilviberts, auf feinen Befehl verliehen, voraus?): jedoch ift dies das einzige merovingifche Zeugniß. ‘Daher wenben fich bie Concilien mit ber ihnen eignenden Klugheit ausgefprohenermaßen meift nur gegen bie Empfänger folchen Kirchengutes, feltner und leifer gegen deren Räuber und Verleiber, ven König felbft. Die Verfprechungen ber Könige 3. 2.

mittatis existere, ut securus quicunque propriaetatem suam possidens debita trıbuta dessolvat domino, in cujus sortem possessio sua pervenit, quod et thesauris vestris omnino utilius esse censimus, si per piaetatem vestram salvata possessio consitudinariam intulerit functionem. Die widtige Stelle beweift 1) die Irrigkeit ber Aufftelung v. Rothe: denn die Schuglofigleit ber ſtatsfremden Eignern gehörigen GOüter wird ale Mißbrauch bezeugt; 2) bie Grund» Steuerpflicht gegenüber dem König bes Theilreichs der beleguen Sache, f. oben Grundftener.

1) Ce. II. Paris. a. 573. c. 1. Maassen p. 142: Iehrreich über bie bamaligen Kichengutsbebrohungen; wieberholt Cc. Tur. a. 567 c. 26 (25); ſehr mit Unrecht beftreitet Watt II. ©. 631, daß hier die Einziehung von Kirchengütern durch Könige andrer Theilreiche belämpft wir.

2) Cc. III. a. 573. Paris. c. 1. Maassen p. 146.

3) So richtig Röning II. ©. 692 gegen von Roth, Feud. S. 77.

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im Vertrag von Andelot, fich folcher Beraubungen zu enthalten, ja das Geraubte zurüdzugeben, wurben ebenfo wenig erfüllt wie bie Verzichte auf die Simonie. Mean!) bat verfucht, Dagoberts I. Raubgriffe zu leugnen: aber man Tann gegenüber Fredigar?) nur milvernde Um⸗ ftände geltend machen: die Notb und ambrerfeits frühere maßlofe Schenfungen?).

Wohl Tonnte die beraubte Kirche gegen den Fiscus ober den von ihm Beſchenkten Hagen: benn ber irrige Sat, baß ber König nicht verklagt werben Tonnte, berubt auf Berwechfelung mit ver Linanfecht- barkeit echter Königsgurkunden“). Allein ver König Tonnte folche Klage ausfchließen durch Ausftellung einer Königsurkunde, durch bie er fih oder dem Beſchenkten ober deſſen Nechtsnachfolger Eigenthum zufpradh: denn auf Anftreitung ber Wahrheit des Inhalts einer echten Königsurfunde ftand Todesſtrafes). Nur etwa die Fälſchung einer ſolchen Tonnte behanptet werben‘). Hatte der König für Anfechtung bes fraglichen Rechts eine Bannmwette gebroht, warb auch biefe ver- wirkt. Dagegen wird man nicht”) annehmen dürfen, baß jeder folche Erlaß unter „ftillfchweigender* Androhung der Bannwette erging: warum warb fie dann zuweilen beſonders beigefügt? Auch waren bie Bannſummen verjchieben abgeftuft.

Daher fuchen Concilienfchlüffe und Privilegien die Kirche gerade auch gegen ſolche Eingriffe der Königsmacht (»potestas regia«) zu hüten. Guntchramn hatte im Jahre 585 das Mönchsklofter des heiligen Marcellus bei Chälon-fur-Sadne gegründet und biefes wie das bes heiligen Symphorian war von ihm, dann von feiner Gemahlin Auſtrichildis und feinen (fpäter Gott geweihten) Töchtern Chlobiberga

1) v. Roth, Ben. ©. 320.

2) c. 60, f. Urgefh. III. ©. 625.

3) Ueber die Beraubung des Klofters Nivelles der arnulfingiichen Sancta Gertrudis (geft. a. 639), f. deren vita nun bei Krufch, Scr. Merov. II. p. 447 f.; ih babe früher, Bonnell folgend V. Ercurs S. 150, diefe vita als allzujung, Ur- geſch. III. ©. 707, nicht herangezogen, aber Wattenbadh I. S. 129 und Kruſch a. a. O. fowie Monod, Revue crit. 1873. DI. haben mich überzeugt, daß fie Anfang bes VIU. Jahrhunderts entftand: bier fol der Haß gegen ihren Vater Pippin I. die Könige zum Raub verführt haben.

4) ©. VII. 2. ©. 227—236.

5) L. Rib. 60, 6; f. oben Brunner, Urkunde a. a. O.

6) S. oben VII. 2. ©. 232.

7) Mit Löning DI. ©. 69.

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und Chlobibildis reich beſchenkt worden: im felben Jahr!) am 22. Juni bekräftigte auf des Königs burch den Neferendar?) Aſtlepiodot über- brachten Befehl ein Eoncil zu Valence die Unantaftbarkeit, zumal auch burch die regia potestas (feiner Nachfolger) ?).

Dei Schenkungen auf den Todesfall ficherte fich bie Kirche durch ben vom Schenker verlangten Verzicht auf den Widerruf, unter beftiger Selbftverfluchung für ven Fall des Verzichtbruchs durch den Schenker und ebenfolcher Verfluchung der Erben‘).

Wir erlannten aber, aus welchen Gründen biefe Drohungen auch bie Gläubigften nicht nothwendig abjchreden mußtend), und fahen, daß e8 gerade die Könige felbft waren, die nicht nur eigene und ihrer Vorgänger Schenkungen zurücknahmen, auch fonft geradezu das Kirchen⸗ gut beraubten.

Wirkſamer wären vielleiht die Bedrohungen mit anderen als himmliſchen und böllifchen Strafen gewejen, hätten fie burchgeführt werben Tönnen.

Denn es befrembet ſtark, daß in ben Schentungen an bie Kirchen und Klöfter Private andern Privaten für den Tall ver An- fehtung der Schenkung nicht nur himmliſche Strafen in Ausficht ftellen, auch Geldbußen an pas Klofter, Wetten an den Fiscus zu entrichten auflegen. Zwar ift uns auch nicht Ein Fall überliefert, in welchem ein folcher Anfpruch eingellagt wird, allein an ver auch irgendwie rechtlichen, nicht blos fittlich-religiöfen Wirkſamkeit jener Auf- lagen kann doch nicht gezweifelt werden®). Germaniſch ift folche Be⸗ ſchränkung des freien Mannes durch einen Andern nicht, vielmehr, wie das ganze Urkundenwefen, von den Römern berübergenommen. Aber echt römifch ift das doch auch nicht. Vielleicht ift zu vermuthen, daß eine Nachbildung vorliegt der fogenannten altheidniſchen „Sepulchral-Mtulten“, in welchen ebenfalls ein Privater, ber ein Grabmal errichtet, andern Privaten für Verlegung oder Veräußerung oder Verwendung zu andern

1) Nicht 589, wie Löning II. ©. 691.

2) Oben VII. 2. &. 230.

3) Maassen p. 163.

4) ©. Beläge bei vo. Roth, Feud. S. 154, ein Belfpiel von a. 670 bei Löning II. &. 654.

5) Oben ©. 298.

6) Die verbienftliche Ausführung von Richard Loning Vertragsbruch J. S. 534 löſt Doch auch nicht alle Fragen.

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Zweden eine an den Fiscus oder an die Stabt zu entrichtende DVer- mögensitrafe auferlegt.

Zwar begegnen foldde römische und griechiiche Infchriften über- wiegend in den dftlichen heilen des Neiches und meift in früheren Jahrhunderten, doch find fte gerade auch für Gallien (Nimes), bezeugt '). Das beiden Gebräuchen Gemeinfame wäre die ausnahmsweiſe durch Gewohnheitsrecht denn ein Geſetz biefes Inhalts ift nicht nach» zuweilen Privaten eingeräumte Befugniß, für einen Zwed der Pietät oder der Frömmigkeit, für beibnifche sacra ober chriftlichen Gottesbienft, Gelvftrafen anzudrohen. Gemeinfam ift auch beiden Sitten, taß neben ben VBermögensftrafen Verfluchungen dort in ben Haß äghptifcher, grie- hifcher, römiſcher Götter, hier echt alt-teftamentliche Heimfuchungen (Ausſatz, Verfehlungen werben durch die Erbe) ausgeiprochen werben.

Für die Schenfungen ber Könige an Kirchen und Klöfter galten feine anderen Grundſätze als für Schenfungen Anderer. Stanven die befchenktten Anftalten im Eigenthum ber Krone, fo entftand durch bie Schenkung kein neues Rechtsſubject, nur eine ſtets widerrufliche Ver⸗ wendung von einer Art von Königsvermögen für eine antere. Dagegen Schenkungen des Königs an felbitftändige Kirchen und Klöfter waren ebenjo unwiderruflich, übertrugen in Ermangelung befonberer uns nicht erhaltener Borbehalte ebenfo unbefchränttes Eigenthum wie die Ver⸗ gabungen anderer Schenfer?).

Die Schenkungen der Könige Tonnten in jedem Vermögensvortheil befteben: 3. B. in Befreiungen oder in Antheil an einem königlichen Zollrecht oder in pofitiver Immunität). St. Denis taufcht 695 das Privileg Dagobertst) mit Chilvibert III. gegen Grundeigen um®), aber

1) Merkel, über die fogenannten Sepuldhral-Multen, Leipzig 1892 (in ber Feſtſchrift für Ihering), gl. Löning, die Folgen bes Vertragsbruches. Die jüngften reihen bie warn ?

2) Wait IL. S. 247. 249 hätte gegenüber von Roth, Ben. S. 224, Feud. ©. 74 dies noch weiter als geſchehen einräumen follen; daß befchränktes, nicht voll ver⸗ erbliches, widerrufliches Eigenthum in dieſen Königsvergabungen gemeint fein tonnte, iſt Brunner zugugeben: aber das muß Im Einzelfall ausdrücklich geſagt fein: anderweitige Gepflogenbeit und alſo hiernach zu richtende Auslegung kommt allerdings hin und wieber, z. B. bei den agilolfingifhen Vergabungen vor: ob auch bei Gaben an Kirchen? ſ. Baiern.

3) S. unten Schranfen bes Königthume. S. oben S. 104 (Dagobert für Tours).

4) Oben Zölle ©. 121.

6) D. N. 67.

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716 anerlennt Chilperich II. das alte Recht des Klofterd auf bie 100 sol. aus dem Zoll von Marfeille?).

Neben ven Schenkungen unter Lebenden wurden aber Teſtamente zu Gunften von Kirchen und Klöftern von Römern auch in der Me—⸗ rovingenzeit häufig errichtet: eine große Zahl folder von Römern, bie Biſchöfe oder Aebte waren, find uns erhalten?) oder doch bezeugt?). Das fräntifche Necht hatte das Teſtament freilich nicht‘) den Franken zugänglich gemacht wie das weftgotifche S), burgunbifche®) und baierifche”). Denn das Teſtament blieb der Sippe nicht ohne Grund verhaft, das ihr fo gefährliche Nechtsgefchäft, in welchem ver Geſippe heimlich, nachdem er fein Leben lang alle Pflichten der Sippe für fih in An⸗ ſpruch genommen, deren in Recht und Billigleit wohl begründeten An- ſpruch auf fein Erbe bei Seite ſchiebt und, nur auf frembe, nicht auf eigne Koften freigebig, fein Vermögen im legten Augenblid Fremden zumwirft, nachdem er Eigenthum, Berwaltung und Fruchtertrag bis zum Tode genoffen. So lang die Sippe bie fchweren Sippepflichten [(Blutrache, Fehdehilfe, Eidhilfe, Wergeld- und andre Bußſchuld, Mund» ſchaft, Unterhalt, Verhütung ter Schuldknechtſchaft) bis ins VI. Glied zu tragen batte, war ihr ausſchließendes Recht auf Erhaltung des wichtigften Theils des Vermögens der Gefippen des Grundeigens im Mannftamm der Sippe voll begründet. Nur fehr langſam und mit Beſchränkungen drang daher die legtwillige Verfügung in den Rechten ber nicht romanifirten Germanenftämme damals fchon ein: zumal eben durch ven Einfluß der Kirche, zu deren Gunften bie meiften leßt« willigen Verfügungen erfolgten: übrigens nicht aus bloßer Habgier begünftigte bie Kirche folche Seelgeräthbe (snegotia, quibus animae post mortem consuliturs)8), fonbern weil fie in gutem Glauben es

1) D. N. 84, Urgeſch. III. ©. 778.

2) Sanct Caefarius von Arles, Abt Aredius, |. das Quellenverzeichniß VII 1. p. XLIV, aud von einem Laien, dem patricius Abbo.

3) Sanct Nicetins von Lyon, Deſiderius von Labors.

4) Denn daß Ed. Chloth. II. c. 6 von intestati fpricht, beweift durchaus nicht, daß Franken Teftamente errichten durften, fo gegen Walter II. ©. 253 mit Recht Löning II. S. 672.

5) Weftgotiihe Studien ©. 138.

6) L. Burg. 43, 1.

7) L. Baj. XV. 10, f. Burgunden und Baiern.

8 So häufig waren foldhe fremde Geſchäfte, daß bie Kirche die allerdings recht fühne Bermuthung aufftellen konnte, Ießtwillige Zuwendungen von Un- gefippen au ben Bifchof feien nicht für diefen, fonbern eben als „Seelgeräthe"

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 2

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für Ehriftenpflicht hielt, einen Theil des Vermögens frommen Zwecken zu opfern zum Verdank für die gnädige Berftattung Gottes, fich auf ben Tod vorbereiten zu dürfen, nicht unvorbereitet abgerufen zu werben. Nah Auflöſung des fränkiſchen Neiches ward das Teftament, foweit e8 aufgenommen war, von ben beutfchen Stämmen wieder vollitändig ausgeichieden und drang erſt in der zweiten Aufnahme bes römischen Nechts wieder ein, unter hartem Wiperftand des Sipperechts, das erft unterlag, als ihm mit dem Erlöjchen ver Sippepflichten ber aus- reichende Billigleitsgrund dahin ſchwand.

Es iſt lehrreich, daß die früheften nicht zu Gunften von Kirchen errichteten leßtwilligen Verfügungen bezweden, die Spindelmagen zu bedenken, deren Ausſchluß von den Liegenfchaften auch damals ſchon nicht mehr volibegründet ſchien.

Markulf entwirft Bormeln!) für Exrbeseinfegung der Tochter und ber Tochter Kinder. Bedeutſam ift, taß in einem andern Fall ein Zeitament beide Zwede zugleich anftrebt: die fräntifche Gattin bes dux Launobod, Beretrudis, fest ihre Tochter zur Erbin ein und legt ihr DVermächtniffe für Nonnenklöſter und Kirchen auf?). Dagegen werben bie Vornehmen Chilperichs, die vor ber erzwungnen Reiſe nach Spanien Zejtamente machten), wohl meift Römer gewefen fein.

Auch das von einem Franken errichtete Teftament Fam ſelbſt⸗ verſtändlich zur Ausführung, falls e8 nicht von den Sippe-Erben angefochten wurbe: dieſe unterließen das aber oft aus Frömmigkeit oder Burcht vor der Hölle oder was in biefem Fall ebenjo wirkte vor den Geiftlichen, wenn der im Teftament Bebachte eine Kirche, ein Klofter war, in welchem Fall ver Bifchof oder Abt fehr früh (aber feit wann ficher?) der zur Vertheirigung des Teſtaments durch das Tanonifche Necht Berufene, der ältefte „Zeftamentsvollitreder” war. Daß nun die fränfifchen Errichter von Teſtamenten meift Geift-

für feine Kirche beflimmt. Ce. Rem. v. a. 627—630. can. 20. Maassen p. 205 pontifices, quibus ... ab extraneis aliquid aut cum ecclesia aut sequestratim (!) dimittitur ... quia (nicht etwa si) ille qui donat pro remedio animae suae, non pro commodo sacerdotis probatur (!) offerre, non quasi suum proprium, sed quasi dimissum ecelesiae inter facultates ecolesiae computabunt. Das wird fo lang vermutbet, bis bie fineicommifjarifche Beſtimmung für einen Dritten bewieſen wirb.

1) II. 10. 12.

2) Greg. Tur. IX. 35, Urgeſch. II. ©. 450.

3) l. oc. VI. 45, Urgeſch. III. ©. 284.

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liche find: Biſchöfe, Aebte, Diacone Berthramm von Le Mans, Hadufwinth von Le Mans, Diacon Grimo von Triert), erklärt fich einfach aus ber frommen Gejinnung. Dagegen ift irrig die Annahme), bie Bifchöfe hätten nach den Eoncilien von Agve?) und Epaot), falls fie teftirten, einen Theil des Nachlafjes ihrer Kirche zuwenden müfjen: beutlich fagt das lettere Concil: nur dann, wenn er aus dem Kirchen- gut Anderen etwas zugewendet bat, muß er aus feinem Vermögen ebenfoviel der Kirche vermachen, was fich bei der Unveräußerlichkeit bes Kirchenguts von felbft veriteht>).

Daß folche Verpflichtung von ven Bilchöfen durchaus nicht an- erkannt war, bafür haben wir drei claffiiche Zeugen, nämlich drei Biſchöfe und Heilige. Als ein Geiftliher Sanct Nicetins von Thon geſchmäht hatte, weil dieſer feiner Kirche nichts vermacht, erjchien ihm ber Heilige in ber folgenden Nacht mit Sanct Iuftus und Sanct Eucherins (früheren Biſchöfen von Lyon), erhob vor biefen Anklage und auf deren Entjcheivung gegen den Schmäher prügelte ber Heilige btefen mit Fänften und broffelte ihn mit flachen Händen der Art, daß er, erwacht, mit gefehwollnem Halſe kaum fchluden konnte und 40 Tage unter fehweren Schmerzen zu Bette lag‘): bei einem Seiligen be- fremdet billig folhe Auffaffung ver chriftlichen carıtas. Und das waren bie fittlichen Ideale dieſer Chriſten.

Außer der frommen Gefinnung lag aber vielleicht nur eine Ber- muthung foll das fein noch ein Anderes der Erfcheinung zu Grunde, baß die fränkiſchen Errichter von Zeftamenten meift ®eiftliche find: zwar lebten, wie wir ſahen, Franken als Geiftliche nicht nach römifchen Recht?) in zweiter Reihe, wohl aber nach Tanonifhem in eriter, und

1) Löning II. S. 673, dort aber auch eim ober zwei fränfifche Laien.

2) Bon Löning II. ©. 675. 3)a.c.1. Manile.

4) von a. 617. c. 17. Maassen p. 23.

5) Denfelben Gedanken drückt ſchon das Concil von Agbe c. 33 aus mit einer Unterſcheidung für Söhne und Enkel des Bijchofs, vgl. Löning II. ©. 675 gegen Hefele S. 655. |

6) Greg. Tur. v. patr. VIIL 5. Derjelbe Heilige prügelte und broffelte, vom Himmel herabfteigend, Nachts ebenfo einen andern Geiftlihen wegen Un- gehorſams. So erzählt Gregor ehrfurchtvoll IV. 37, Urgefch. III. ©. 144. Sanct Nicetius war ja fein Großoheim. Aber auch weibliche Heilige prügelten in nächtlicher Erfheinung: fo Sancta Eulalia eigenhändig König Leovigild, Könige V. S. 142.

7) Greg. Tur. v. patr. VIII. 5 wirb allerbinge bie Lex Romana (3 oder 5tägige Friſt) für Eröffnung bes Xeftamentes (Pauli Sent. IV. 6) auf St. Ni- cetius angewandt: aber biefer war Römer.

20*

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vielleicht hatte ſich das (kanoniſche) Gewohnheitsrecht gebilvet, daß Geift- liche als folche die testamenti factio haben follten.

Auch durch Lönigliches Privileg wird einmal bie testamenti factio (activa) verliehen: Biſchof Bertchramn von Le Mans durch Chlothachar II., woraus freilich folgt, daß ein folches Gewohnheits⸗ recht aller Geiftlichen a. c. 620 noch nicht anerlannt war!). Mit Un- recht will man aus ber Stelle beweifen, Königejchentungen?) vererbten regelmäßig ohne folche befonvere Verftattung nicht. Erbgut und anderweitige Errungenfchaft werben ja den Königsfchenkungen hier gleichgeftellt: nicht die Vererbung an fi, die teftamentarifche bildet ven Gegenftand bes Privilegs.

Wohl zu unterjcheiden von folder Verleihung des Teftirrechts vor Errichtung des Teftaments find bie häufigen Fälle, in denen nach— träglich vie Beitätigung bes Teſtaments durch ven König erbeten und ge- währt wird: fo von Childibert DI. für Romulf von Rheims a. 577—599, ebenfo Sonatins von Rheims?). Dies gefchah ja gar oft bei jeder Art von Nechtsgejchäften‘). Dazu kam nun aber, daß Teftamente, und zwar nicht nur germanifche, damals überhaupt häufig) von ten Erben angefochten wurden, bie ven Kirchen die Erbichaft nicht gönnten. Noch Karla des Großen Zweifel an der Gültigkeit germanifcher Zeftamente müſſen von Alkuin®) befeitigt werden durch Berufung auf den Brief Pauli an die Hebräer?)!

Uebrigen® galten geraume Zeit nur bie bifchöflichen Kirchen als juriftifche Berfonen, die ja wohl meift auch die älteften im Bisthum waren: als fpäter auch andere (Land-)Kirchen auflamen, gehörte das zu ihrem Unterhalt Beftimmte doch durchaus nicht gleich ihnen, fondern,

1) Test. Bertchr. ed. Pardessus II. p. 199: ut de propria hereditate quod ex parentum successione habeo seu quod munere suo consecutus sum aut aliunde comparavi . , tam pro animae meae remedio („Seelgeräthe‘) quam pro propinquis meis seu fidelibus meis (aljo auch Ungefippen) deligare voluero liberum . . tribuit arbitrium.

2) ©. unten.

3) Ich entnehme dies Löning IL. ©. 674.

4) ©. unten ©. 312.

5) Aber die drei Anführungen bei Löning II. S. 674 ans Greg. Tur. IV. 52. VI. 46 und VO. 7 find alle brei falich.

6) Jaffe, Mon. Alc. VI. p. 806.

7) IX. 17, diagnen yag ini vexpois Beßaia Enei unnore ioyvsı öre CH ö diasEuevos: an fränkifche Teftamente dachte der Apoftel hierbei Doch ſchwerlich.

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wie bei den andern Kirchen in der Bifchofitabt, der Biſchofskirche, nur unter der Auflage der Verwentung ber Früchte für die Landkirche!): erft allmälig erlangten auch bie Landkirchen, die parochiales?), die An⸗ erfennung als juriftiiche Perfonen und Eigentbümerinnen des ihnen z. B. durch Zeftamente zugewenveten Vermögens); nur die Aufficht über bie Verwaltung ftand dann noch dem Bilchof. zu, deſſen Zuftim- mung auch zu den wichtigften Verfügungen eingeholt werben mußte‘).

Die Kirchen nehmen ein allgemeines Zehntrecht in Anfpruch >), nicht nur etwa gegenüber ihren Hinterfafjen, ſondern allgemein auf Grund des altteftamentlichen Levitenrechts.

Bald nach dem II. Concil zu Tours von 5079) forderten Eufronius von Tours und drei andere Biſchöfe behufs Abwendung eines drohenden himmlischen Strafgerichts (propter cladem) einen allgemeinen Zehnt, nicht nur, wie fonft, von Ader-, Reb⸗ und andern Obft-Früchten, Groß- und Klein⸗Vieh, auch von den Unfreien; und Aermere follen, in Er- mangelung von Unfreien !/, sol. für jeven Sohn zahlen. Schon 574 ſetzt Gregor?) vie Zehntpflicht ganz allgemein voraus, bevor fie auf dem Concil zu Mäcon 585 als folche bei Kirchenbann aufgeftelit b. b. erneut worden ward). Was die beilige Radigundis ihrem Klofter zuwandte, berubte Dagegen auf freiwilliger Stiftung ®). Uebrigens gelang es ber Kirche feineswegs, bies allgemeine Zehntrecht auch nur für Gallien durchzuſetzen 10).

1) Kirchen im Privateigenthbum der Grundherrn alfo Sachen konnten logiſcherweiſe Überhaupt nicht juriftifche Perjonen fein.

2) Ueber die Klöfter ſ. Klofterweien.

3) Die Darlegung diefer Entwidlung bei Löning II. S. 635f.

4) Gegen bie Lehre Fiders Über das Eigenthum des Reihe am Kirchengut, Wiener Sit.-Berichte LXXIL. S. 382f. 1873, (daß wenigftens In fpätkarolingifcher Zeit nur phyſtſche Perſonen, alſo nicht mehr wie in römifcher und merovingifcher Kirchen, Grundeigenthum erwerben founten), |. Band VIIL

5) Schon feit Sanct Hieronymus, gefl. a. 420, Löning II. S. 676.

6) Nicht Dies Concil ſelbſt: fo richtig gegen Retiberg II. ©. 712, Waitz II. ©. 586, Löning IL. ©. 677, wo aber (flatt clavem) cladem zu Iefen ift.

7) Greg. Tur. VI. 6, Urgeſch. II. ©. 235.

8) Ce. Matisc. II. von 585. e. 5. Maassen p. 166.

9) v. St. Radeg. I. 3.

10) Ueber die Kirchenzehnten ſ. Birnbaum, die rechtliche Natur des Zehnten, (1831) ©. 20f., Lesardiere III, p. 62; Lang, Steuerverfaffung ©. 34; Kühlen- thal, die Gefchichte des Deutfchen Zehntens; Hinſchius S. 15; v. Haſe II. 1. ©. 38; Löning II. ©. 679; über einen fpäter von der Kirche in Skandinavien verlangten

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Erft in Tarolingifcher Zeit errichten Private ganz regelmäßig Zehnten aus ihren &ütererträgniffen für bie von ihnen gegründeten Kirchen und Klöfter !) (ältere Urkunden biefes Inhalts 2) find falfch) —, oder fie ſchenken fremten Kirchen Grundſtücke, deren Unfreie ober freie Hinterfafien einen bisher dem Schenter entrichteten Zehnt nun ver Kirche Leiften follen. So Pippin dem Klofter Epternadh?). Dagegen iſt e8 ein fehr grobes Verjehen *), daß Karl Martell Sanct Willibrord einen Wald⸗Zehnt gejchenkt habe (715— 739): es hantelt fich hier um ben zehnten Theil des Eigenthums an einem Walod). Wahrfchein- lich ift im Jahre 653 Neueinführung 6) diefes Zehnten anzunehmen, wie auch im Uebrigen ein von allen andern Einnahmen tes Fiscus dem Bisthum zu entrichtender Zehnt erft fpäter eingeführt wird”).

Bei Zehnt-Schenkungen an die Kirche wird als Zweck der Unter- balt der Geiftlichen und der Armen angegeben ®).

Aber die ftat- und gemein-verberblichfte Art der Zuwendungen an bie Kirchen waren durchaus nicht Die Webertragungen von Eigen» thum und antern Vermögensrechten, fontern tie ftatliche Verleihung ber negativen und zumal ber pofitiven Immunitäten ber Freiungen und zumal der Benorrechtungen —, kraft beren das immune Gebiet einmal von Steuer und Gerichtöhoheit u. ſ. w. des States ausge- nommen, dann aber berechtigt ward, Steuerhoheit, Gerichtshoheit u. ſ. w. zu eignem Vortheil zu üben; dies warb ber Anfang tes Endes d. h. bie Auflöfung ver Statsgewalt in felbftändige örtliche Gewalten: dies

Zehnten vom Kapital, nicht won ben Früchten, wenigftens einmal im Leben zu entrichten, f. zu 8. von Maurer, Über den Hauptzehut einiger norbgermanticher Rechte 1875, |. Dahn, Baufleine II. &. 366.

1) Löning I. ©. 678f., Chrodegang von Met? Pardessus II. p. 398; über Freiſing f. Baiern.

2) So auch die noch von Waitz verwerthete angebliche von Theuderich 1V. von c. a. 730 für Sanct Bincenz zu Paris D. spur. N. 92.

3) e. a. 745. D. N. 24.

4) Bon Karl Per D. N. 13. p. 101.

5) ©. Urgeſch. III. ©. 787 totam decimam partem integram (silvae).

6) sic et homines fisci faciant decimas porcorum qui in forestis sa- gniatur (l. saginantur); |. oben ©. 92.

7) Die Gründe für bie Echtheit der Urkunde Sigiberts III. für Speier Diplom. N. 24 überwiegen. Bgl. oben S. 147, Löning II. S. 280 zweifelt mit Unredt, während er mit Zug die noch von Wait II. ©. 587 als echt verwerthete von Pabft Johann VI. für Klofter MontierrenDer verwirft.

8) Dipl. N. 24.

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ift unter dem Gefichtspunft der Schranken und ber Auflöfung ber königlichen Gewalt barzuftellen !).

Wir fahen?), bie Kirche lebte nach kanoniſchem, in zweiter Reihe nach römifchem Necht, die einzelnen Geiftlichen nach Tanonifchen, in zweiter Reihe nach ihrem angebornen Recht?): das gilt auch für bie Vermögensverhältniffe der Kirche. Das grumblegenvde I. Concil von Orleans von 511 erklärt: vor Allem einzuhalten ift, was die kirch⸗ lichen canones befchloffen haben und das römifche Recht beftimmt?®).

Daher wenden bie zahlreichen Formeln für zweifeitige Nechts- gejchäfte, bei tenen auch nur der Eine Vertragende bie Kirche ift, faft ſtets das römische Necht an: 3. DB. bei Schenkungen an die Kirche geht das Eigenthum nicht durch Auflaffung über, auch wenn ter Scenter Germane ift, fondern vömifch durch Tradition, (große) Schen- tungen an Kirchen werden nach römischer Vorjchrift gestis munici- palibus alligantur), alfo ähnlih wie heute in einfeitigen Hantels- gefchäften auch auf Nichtlaufleute regelmäßig Handelsrecht angewendet wird. In Mifchfällen verfagte ja ver Grundſatz ber perfönlichen Nechte®), und es mußte durch Geſetz'), Gemwohnheitsrecht oder Vertrag burchgegriffen werden. Die Kirche machte es offenbar meift ftilf- ſchweigend zur Bedingung, daß auch der germanifche Schenker fich hierbei bem römischen echt unterwarf.

Dafür ſpricht doch für jene Zeit entfcheidend, daß auch nicht Eine der fo zahlreichen Urkunden über Schenkungen an

1) S. unten Gefammteigenart.

2) Oben ©. 7.

3) Anfangs waren freilich nur Römer Geiftliche; gegen bie früher berrichende Lehre Savigny's, wonach bie Geiftlichen auch fpäter nach römiſchem Recht gelebt hätten, oben S. 241. 243.

4) can. 1. Maassen p. 8 id constituimus observandum quod ecclesiastici canones decreverunt et lex Romana constituit; vgl. Lex Rib. 58, 1 ecclesia vivit lege Romana.

5) Rad) Form. Marc. c.a. 680; Brunner I. ©. 405, II. 3, f. oben VII. 2. ©. 147. Zu früh alfo wohl läßt Löning IL &. 661 die insinuatio apud acta erlöſchen: auch die ganz fpäte Lex Rom. Curiensis (c. a. 850; Brunner I. &. 361) nennt noch die curiales und ihre gesta, nur Daneben im Notbfall offenbar bie »boni homines«; über biefen Begriff VII. 1. ©. 184; oben ©. 33; andere Sohm ©. 359 und Löning II. ©. 662.

6) Oben ©. 1f. 10f.

7) Das Burgundenrecht L. B. 60, 1 läßt dem Burgunden für testari und donare bie Wahl zwifchen beiden Rechten.

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Kirchen der germanischen Formen bes Eigenthumsübergangs, der Auf- laffung (traditio, Salung) und investitura, wie immer man biefe unterjcheiden möge!), erwähnt, während diefelben in zahlreichen Formeln und Urkunden der gleichen Zeit bei andern Schenkungen erfcheinen 2).

Die urlundliche Berbriefung (apud acta) war bei römifchen (großen) Schenkungen Wejensform, bei germanifchen urfprünglich durchaus nicht, fondern nur Beweismittel. Die germanifche Wefensform war die ſym⸗ boliſche Handlung mit geftabten Worten, eben die Auflaffung, die verpitio, scotatio in laisum, festucatio: weßhalb die Urkunde al8 testimonium in scripturam redactum, als Protokoll, den vollzogenen Formalact erzählt und bezeugt. Bei der Unficherheit der Zeit und der Naubgier ber Großen mußten freilich bie Kirchen höchften Werth auf dieſes Be- weismittel legen ®); daher laſſen fie ſich die Urkunde in mehreren Eremplaren ausjtellen oder vom König beftätigen oder fie tragen fie »propter tergiversationes malevolorum« in ihre Traditions⸗Bücher (3. B. Traditiones Wizzenburgenses, St. Gallenses) ein und es werben befondere Formeln aufgefett für die Erfegung einer verbrannten, geraubten‘) Urkunde durch Ausstellung einer neuen (apennis)5). Ein Exemplar ward alsdann öffentlich ausgehängt, ein andres, wo thun« (ich mit Töniglicher Beitätigung, dem Verlierer ausgehändigt: es hieß srelatum«, weil nach dem »referre« von Zeugen‘) verfaßt.

Sehr wichtig war für die Kirche wegen ber eigenartigen Ver: wendung, Verwaltung und Bewirtbichaftung ihrer Liegenſchaften ihr

1) Bol. Sohm, Eheſchließung ©. 80; Laband, vermögensrechtliche Klagen 1869. S. 272 Münchener Bierteljahrsfchrift XV.; Hensler, Gewere S. 42; Brunner, Senaer Lit. 3. 1876. Sp. 501: ich nenne Auflafjung = Salung die Uebertragung bes dinglichen Rechts mit oder ohne Beſitzübertragung; kommt dieſe geſondert vor, heißt fie investitura: fo im Volksrecht: im Lehurecht iſt investitura bie Ueber- tragung des „Untereigenthbums”, immissio die Einweiſung in ven Beſitz.

2) Ganz anders Löning II. S. 604, der daun annehmen muß, daß Die nad: folgende Urkunde „ſtillſchweigend zugleich für die geſchehene Auflaffung Zeugniß ablegte*. Allerdings fehr „ſtillſchweigend'! Warum foll denn nur bei beſchenkten Kirchen dies „ſtillſchweigend', damals ausnahmslos, bei gleichzeitig beſchenkten Anbern [3. 8. dem König Form. Marc. I. 13 per festucam visus est laisuver- pisse] nicht der Fall geweien fein?

3) S. Löning II. ©. 662.

4) ®gl. Chloth. III. D. N. 43. a, 666, Urgeſch. IL. S. 674 Klofter Beze in Burgund (Besua).

5) Marc. Form. I. 33. 34.

6) Du Cange 1. p. 309 bringt feine Erklärung bes Wortes: von appendix? Die bort vorhergehenden Wörter zeigen ähnliche Umwandlung.

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Vorrecht, daß gegen fie die Klagenverjährung nicht wirken follte. Denn fie gab die Güter als Precarien ven Geiftlichen zur Verwaltung und zum Unterhalt: nach dem für die Kirche maßgebenden römifchen Recht begann num aber vie Verjährung mit der Mebergabe an den Precariften: forderte die Kirche binnen 30 Jahren das Gut nicht zurüd, hatte fie ihre Eigenthumsflage verloren. . Deßhalb verlangte ſchon das I. Eoncil von Orleans (a. 511) jenes Ausnahmerecht!); ob es Chlodovech ge- währte, fcheint freilich zweifelhaft?): dafür würde fprechen, daß bald darauf der burgundifche König ein folches Geſetz erließ (auctoritas), das im Concil von Epao a. 517°) angeführt wirbt), ferner, daß auch ein fpätere® Concil das als unzweifelhaftes Recht binjtellt5). Allein wie dem fei, jebesfalles kam Chlothachar II. in feinem Edict dem Bedürfniß dadurch entgegen, baß er für bie Verjährung gerecht- fertigten Beſitz (justus titulus) von Anfang an verlangte: ben hatte der Precarift nicht, alſo verjährte tie Rückforderung ber Kirche nicht): ob dieſe Neuerung nur für Kirchen, Geiftliche und Römer (provinciales) oder für alle Untertbanen gelten ſollte, iſt beftritten ?).

Allerdings erfcheint dieſer beſondere Schuß überflüffig, wenn ganz allgemein fchon feit 511 die Verjährung zum Nachtheil der Kirche auch durch weltliches Recht ausgefchloffen war: man müßte etwa annehmen, daß dies wieder außer Anwendung gelommen wars), wie e8 ja auch biefer Beſtimmung Chlothachars ergehen follte). Obwohl nun feit c. a. 550 bie Concilien die Biſchöfe kanoniſch verpflichteten, die von ihren Vorgängern den Geijtlichen verliehenen »munificentiae« zu be- laſſen, blieben dieſe doch nach weltlichem Recht precariae, wurden

1) can. 23. Maassen p. 7.

2) Dagegen Löning II. ©. 292, der In anbrem Zuſammenhang dieſe Entwicklung zuerfi richtig bargeftellt bat.

3) can. 18. Maassen p. 23.

4) Denn die Auslegung Löninge a. a. DO. gegen Hefele III. S. 684, wonad) bie »auctoritas«e, d. h. Das Rechtsgebot des Königs nicht auf die Verleihung bes Gutes, fondern auf den Ausichluß der Berjährung gebt, iſt überzeugend.

5) Ce. IV. Aurel. a. 541. c. 18. 35. Maassen p. 91. 95; aber Ce. II. Aurel. a. 538. can. 17, das Löning a. a. O. anführt, enthält nichts bavon.

6) So ſcharfſiunig Löning II. ©. 293.

7) ©. über den Sprachgebrauch bei provinciales VII. 1. S. 103—110.

8) ©. unten.

9) can. 35 von Cc. IV. Aurel. tempora legibus constituta entſcheidet nicht, ba leges nur bie römifchen find,

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nicht Nießbrauch!), daher der nachfolgende Bifchof ven beliehenen Geiftlihen?) auch jet noch zu einem Tauſch des Gutes zwingen fann?).

Indeſſen, jene Beftimmung ver Concilien von Orleans von 511 und 541 wie bie Chlothachars warb jeresfalls nicht eingehalten: wenigftens läßt fogar ber Fircheneifrige ‚Karl die breißigjährige Ver⸗ jährung auch gegen die Kirche wirken‘); und wenn im IX. Jahrhundert einzelne Kirchen das Vorrecht erhielten, daß ihnen gegenüber der Be⸗ figer von Anfang an justus titulus haben muß), fo geht das gewiß nicht auf das langvergefine Edict von 614 zurüd, ſondern entfpricht ber ftarfen Betonung des Sittlihen im Tanonifchen Necht überhaupt: daher auch bei ter Erfikung nun gegen das römiiche Recht »mala fides super veniens nocet« d. 5. die Erfigung, bie in gutem Glauben begonnen war, bei Eintritt des Bewußtſeins des ungerecht- fertigten Beſitzes nicht fortgefeßt werben Tann.

Was bie Verwaltung bes Vermögens ter Kirchen und Klöfter anlangt, fo tft zu unterjcheiden. Die in Privateigenthum ftehenden batten feines: es war höchftens thatfächlich ein Theil des Vermögens bes Eigners wie ein römiſches peculium für ihren Unterhalt zugewiefen, verwaltet nicht von dem Prieſter ver Privatfirche als ſolchem, fondern von beren Eigner oder deſſen Bevollmächtigten, zu denen dann allerdings auch wohl jener Priefter beftellt werben konnte.

Das Vermögen felbjtändiger Kirchen oder Klöfter wird verwaltet unter Oberleitung bes Bifchofs oder Abts von dem vicedominus, oeconomus (f. oben ©. 269). Auf den bei großen Kirchen über das ganze Reich (3. B. von Freifing über Chiemfee bis Meran) vertheilten villae walteten wie auf benen ber Krone oder ber Weltgroßen agentes, villici, die wegen ihrer Gerichtsbarteit, 3. B. vermöge Immunität aud) über Freie, jevesfalls über die Unfreien der villa auch wohl judices beißen ®): 3. B. die »ecclesiae jJudices« (des Biſchofs) follen nicht bie

nn nn

1) So Löning II. S. 295 richtig gegen v. Roth, Feud. S. 147. 160.

2) ©. oben ©. 267.

3) Ce. III. Aurel. c. 17. Maassen p. 79, aber Cc. IV. Aurel. 18. Maassen p. 93 führt Löning mit Unrecht an, indem er commutare flatt communicare Iefen will: bier ift nicht won Taufch, fondern won Vertheilung unter ben Geift- Iihen die Rede. So auch Maaßen a. a. O.

4) Cap. v. Nov. 801 (Cap. I. p. 87) o. 16.

5) S. die Beläge bei Löning II. S. 296.

6) VII. 2. ©. 74f.

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Freiungen des Klofters- Murbach (Vivarium Peregrinorum) antaften!). Sie leiteten auch die Bewirthichaftung, erhoben und fandten ein bie Gefälle. Unter Chlothachar II. ward, wie für bie Königsgrafen, fo für diefe judices ber Geiftlihen und bes Weltadels Drtszwang ein⸗ geführt: d. h. fie follten bem Gebiet ihrer Amtsthätigfeit entftammen?). Amtsmißbrauch, zumal wohl Ausbehnung ihrer Zuſtändigkeit wird ihnen verboten ?).

Die Anficht‘), das germanifche Recht habe nur Menfchen, nicht juriſtiſchen Perfonen Eigenthum eingeräumt und bie Allmände? ftand fie nicht von jeher im Eigenthum ver Gemeinde? und dies fei früh auch in das fräntifche Kirchenrecht eingedrungen, ift völlig unbe- gründet. Das Tanonifche, dann das römifche Recht, nach dem vie Kirche lebte, unterfchied auf das Schärfite das Eigenthum des Biſchofs an feinem Privatvermögen von dem ber Kirche: das Weftgotenrecht®) führt das fo fcharf durch, wie ein Statshanshaltsgefeß unferer Zeit State» vermögen und Königseigen fcheitet: es find durchaus nicht nur Worte, es find an Rechtsfolgen ſchwere Sätze, welche die Eoncilien hierüber aufftellen: der Bifchof oder Abt wird überall als verantwortlicher Ver- walter fremden, von Bott, den Heiligen, ven Menfchen ihm anvertrauten Vermögens dargeftellt: daher er auch wie das Gemeinbeglied zur &e- meinbe, wie der Stiftungsverwalter zur Stiftung, wie der Vormund zum Mündel in alle möglichen Rechtsverhältniſſe treten kann: fo hat ber Abt von Stavelot vertragsmäßigen Nießbrauch an villae feines Kloſters e). Bezeichnend ift die alte Lehre der Kirche, daß fich ber Biſchof zu Gott verhalte wie der von einem Herrn über deſſen Gefinbe und Vermögen als Verwalter beftellte major domus’).

Die zuerft in Italien aufgejtellte, aber, wie es fcheinen will, auch in Spanien nicht ftreng®) vurchgeführte Viertheilung ver Früchte bes Kirchenvermögen® zur Verwendung 1) für ben Klerus, 2) ven Bifchof, 3) die Baulaft (fabrica), 4) die Armen ift im Frankenreich troß einzelner

1) D. N. 95 von Theuberih IV. 12. VII. 727.

2) c. 19. Legg. I. 15.

3) 1. o. 20.

4) Fickers, Eigenthum S. 30. 47.

5) Könige VI? ©. 382f.

6) D. Arnulf. N. 10. p. 98. N. 15. p. 102 von Karl Martell und Karlmann. 7) VI. 2. ©. 19.

8) Könige VI2 ©. 381.

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Anläufe vermutlich nicht durchgedrungen. Schon unter Chlodonech t) findet fi zwar tie PViertheilung ungefähr: aber ver Theil bes Biſchofs ift in dem ber Kleriker enthalten, der Loskauf der Gefangnen wird der Armenpflege gleichgeftellt: e8 werben nur bie auf ven Altar gelegten Spenden (zumal Belvfrüchte) zur Hälfte unter die Geiftlichen nad ihren Graden vertheilt?): fpätere Concilien ziehen dem Biſchof feine ſolchen Schranken mehr.

Die als Regel vom Kirchenrecht geforverte, aber doch vielfach von ihm felbft durch Ausnahme für gewifle Zwecke burchbrochne Un» veräußerlichkeit von Kirchengut?) warb vom Uferfrantenrecht nur fofern als weltlicheg Recht anerkannt, als bei Verlauf von Kirchentnechten ein Erſatzknecht gejtellt werden mußte). Das Alamannenrecht fügt binzu, daß Kirchengut nur durch Tauſch veräußert) und als Beweis» mittel gegen vie Kirche nur eine Urkunde zugelaffen werden barf®).

Zum Unterhalt der Geiftlichen an Privatlirchen ift deren Eigner verpflichtet: er muß vor ber Weihung berfelben bie gehörige Ausitattung’”) dem Biſchof beweifen. Bei felbitftändig gewordnen LandkirchenS) viente jenem Zweck deren Vermögen: alle anvern Geiftlichen hat ber Biſchof aus den Früchten des Bisthums⸗Gutes zu erhalten: dieſe »stipendia« lönnen nur wegen Verwirkung gejperrt werben.

Beſonders bebeutfam warb nun aber eine beſondere Form, in ber ber Unterhalt der Geiftlichen gewährt warb: vie der Precarie.

Entiprechend einer allgemeinen wirthichaftlihen Sitte ber Zeit, bie, zuerſt von ben Haiferlihen Statsgütern ausgehend, jchon vor ber fräntifhen Einwanderung von den Kirchen in Gallien?) nad» geahmt wurde, verlieh die Kirche zumal ven Landgeiftlichen geringere Güter als Precarie gegen Precariebrief!), um von deren Früchten zu leben !!). Wie jede Precarie, war auch eine folche beliebig wiberruflich,

1) Ce. I. Aurel. a. 511. e. 5. Maassen p. 4.

2) can. 14. 3) Löntng IL ©. 696. 4 ©. VI 1. S. 295. 5) Tit. 20. 6) Tit. 19.

7) Durch Grunbbefit |. oben S. 294.

8) Sinfhius II. 1. ©. 261.

9) Deren Grundſtücke damals ja meift gefchentte Fiscalgüter waren: unten Ammunitäten.

10) &. oben ©. 314. 267.

11) Siehe ſchon Co. I. Aurel. von a. 511. c.23. Maassen p. 7. Epao von a. 517. c. 8. Maassen p. 23; f. oben Berjährung.

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vorbehaltlich der Verpflichtung, nunmehr anderweitig oder auch durch eine andere Precarie für ben Unterhalt des Geiftlichen zu forgen: grundlofe Entziehung der vom Bor-Bifchof den Didcefan-Geiftlichen verliehenen Precarien wird von den Eoncilien verboten !); anders gegen- über Geiftlichen fremder Didcefen; doch Tann die Precarie wie jede Art von stipendium zur Strafe, auch wegen Mißwirthſchaft, entzogen werben 2).

Tolgenreich warb fpäter aber, daß die Kirche, wie die Krone und ver Weltadel auch an Raten Güter verlieh: urfprünglich nur in ber Form des Niepbrauchs oder fo, daß der etwa laienhafte Schenker von Eigen fich ven lebenslänglichen Nießbrauch vorbehalten hatte?) und jegt noch an einem andern Kirchengut Nießbrauch empfing‘). War nun auch mit dem Nießbrauch oder der Precarie nach römiſchem Necht eine Gegenleiftung an fich nicht verbunden, fo Tonnte fie boch in beiden Tällen beſonders übernommen werben, und es ift wahrjcheinlich, daß wenigftens Laien ſchon wiel früher an Kirchen für Leihgut verfchiepner Rechtsformen zinften, als bie uns erhaltnen Urkunden beweifen, wenn auch die falfchen Urkunden von Le Mans, c. 850 gejchmiebet, nur ſchwindelhaft bereits im V. Jahrhundert Zinspflicht der Landkirchen an bie bifchöfliche aufſtellens). Mit zweifelhaften Rechte nimmt man) an, bie früheſten Zinfe für Kirchengüter ſeien lediglich fogenannte „An« erkennungs⸗(Recognitions⸗) Zinſe“ gewefen, d. b. beſtimmt, das der Kirche allein zuſtehende Eigenthum ſtets jährlich in Erinnerung zu erhalten, ohne entfernt dem Werth der Nutzung zu entſprechen. Das wirthſchaft⸗ liche Bedürfniß, das zur Hingabe an Bewirthſchafter zwang un⸗ möglich konnte die Kirche überall ihre ſo weit über das ganze Reich zerſplitterten (ſ, oben S. 314) Güter ſelbſt bewirthſchaften wird ſchon früher gewirkt haben als uns bezeugt iſt. Schmählicher Mip- brauch wurde mit folchen bloßen Anerlennungszinfen im VIIL Jahr⸗ hundert vor ber Kirchenbefjerung des Bonifatius getrieben). Abt Teut⸗

1) Ce. III. Aurel. a. 538. o. 17 bei Maassen 20. p. 79.

2) Ce. IV. Aurel. e. 34. Maassen p. 95.

3) Form. Mare. II. 39. 40, f. oben ©. 298.

4) ©. oben ©. 299 und gegen Waig II. ©. 226, v. Roth, Feud. S. 150 bie überzeugende Darftellung Lönings II. ©. 706, der auch die Verleihung aus Wohlthätigleit oder Pflicht von der aus wirtbfchaftlichen Gründen unterjchetbet.

5) vgl. von Sidel, Regeften S. 288.

6) Waitz II. ©. 229; v. Roth, Feud. S. 167; Löning II. S. 708.

7) v. Roth, Send. S. 134.

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joind von Fontenay (a. 734—738) giebt die Kloftergüter feinen Ver⸗ wonbten und verfchiepnen Sönigsvafallen, gleichzeitig a. 734 erhält Graf Rothard 29 villae für einen Jahreszins von im Ganzen 60 sol., alfo zahlt je eine jährlich nur c. 24 Marti)! Die nach römiſchem Recht lebende Kirche bebiente fich neben ver entgeltlich geworbnen Precarie bei der Verleihung zu Zins befonbers häufig der Erbpacht (emphyteusise«); durchaus nicht, wie wir zeigten?), lag für ven Empfänger hierin eine Minderung ber Ehre oder gar ber freiheit: wir ſehen Königstöchter und vornehmſte Grafen in ſolchem Verhältniß zur Kirche, das vielmehr als ein frommed Wert Anſehen und ven Schuß des Heiligen eintrug?).

Allerdings erfuhren wie Precarie und Nießbrauch des römiſchen Rechts auch die römifche Erbpacdht nunmehr mianchfaltige Aenderungen, 3. B. durfte ber Pächter jet ohne Zuftimmung ber Kirche das Gut veräußern, felbftverftändlich nur fein Recht an dem Gut, nicht das Eigentbum. Hauptquellen find die Bormeln von Angers und von Zourst), in welchen Landſchaften jene Form der Landleihe vorherrfchte: auch hier übernahmen, wie die Formeln vorausfegen, gerade vornehme Laien ſolche Kirchengüter“). Kinmal freilich verkauft ein folches offenbar armes Erbpäcterpar ſogar feine Freiheit und behält babei das Bachtrecht gegenüber ver Kirche‘): der defensor principalis bes

1) v0. Roth a. a. O.

2) Oben VII. 1. S. 223.

3) S. VII. 1. S. 215 über die allmälige Umgeſtaltung der römiſchen, auch der kirchlichen Precarien (— Beneficien), urſprünglich auf 5 Jahre, dann auf Lebenszeit des Empfängers gegeben: das ward nun Regel, wenigſtens bei den beneficia [anders Löning ©. 717], dagegen Vererbung mußte beſonders beredet werben: fie wurden zu einer Art von weſeutlich entgeltlichem Nießbrauch, jo daß ber Zinsverzug Die Abmeierung zur Folge hatte. Die Sjährtge Friſt rührt von ber 5jährigen Amtsbauer des römiſchen Cenſors her, der nur für dieſe Zeit bie Fiscal⸗ güter vergeben konnte: daher dann auch die gleiche Frift für bie heidniſchen Tempel⸗ güter, die maflenhaft feit c. a. 340 ven Kirchen zufielen VII. 1. ©. 213; ber Precarift erhielt jetzt, abweichend vom römiſchen Recht, einen ſelbſtändigen Befitz⸗ ſchutz, eine Gewere (fo richtig zuerfi Heusler, Gewere S. 54), auch gegen ben Elgen- thümer, und er erwarb Eigenthum an ben Früchten ſchon burd die Trennung: nur bet Zinswerzug konnte ber Verleiher wie abmeiern fo auf bie Früchte greifen; von Roth, Feud. S. 185. 198 bat dies zwar meift durch Tarolingifche Quellen be. wieſen, es ift aber wohl auch ſchon (ſpät⸗ merovingiſch.

4) Zeumer S. 4 und ©. 130.

5) Nur einmal wird ein Laie als Verpächter gedacht F. And. 36. 6) Form. And. 25.

pr. -

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Vorfigenden ber curia, in deren acta das Recht an einem PBachtgut eingetragen wirbt), ift aber nicht ver Graf?).

Entgeltlichleit vd. b. ein Zins als Pachtſchilling wird durch ben Begriff ver Pacht als eines läftigen Nechtögefchäfts vorausgefegt?). Ob biefe Form erlofch, weil der Pächter das Eigenthum erworben‘), ift doch ungewiß: hiebei ift auch die Verdrängung fait aller andern Sormen der Lanbleihe im ganzen Weich burch die Beneftcien feit 740 zu erwägen.

8. Concilien).

Die Franken fanden die Einrichtung jährlich zweimaliger‘) Ber: fammlungen ver Biſchöfe je eines Metropoliten vor: dies bejtand fort, nur daß einmalige Verfammlung Regel warb’), womit Gregor ber Große ſich nothgedrungen begnügen wollte.

Allein nicht einmal diefe Minveftforderung ward erfüllt), und ver Verfall diefer Einrichtung war ebenfo Wirkung als weiter fteigernde Urfache des Verfalls des kirchlichen Lebens insgefammt: bie arg ver: weltlichten fimoniftiihden Metropolitane und. Bifchdfe hatten burchaus Tein Verlangen nach biefen überwachenden und richtenven Berfammlungen, auf denen fie auch die Metropolitane verklagt, Berufungen gegen ihre Enticheivungen auch an ven Pabft oter veffen Vicar erhoben werben konnten und follten®).

ı)l.e1.

2) Wie Löning II. ©. 718, f. oben defensor VII. 2. ©. 147.

3) Anders Löning II. S. 718, ver freilich aus andern Gründen zu bem gleichen Ergebniß gelangt. |

4) So Löning a. a. O.

5) Hier werben, ber Aufgabe dieſes Werles gemäß, nur bie Kirchenftatsrecht- lichen Seiten der Eoncilien dargeftellt, ähnlich der Behandlung ber weftgotifchen Concilien in VI?. Der fittengefhichtliche Inhalt ihrer canones foll in ben fränfifchen Forſchungen erörtert werben.

6) Ce. Nicaen, c. 5. Chalced. c. 9.

7) Ce. Aspasii ep. Elus. a. 551; Lezardidre II. p. 264; Hinfhins nQI. S. 473. 540f.; Löning IL S. 200. 203, 205. Arm an richtigen, aufgebaufcht durch lediglich eingebildeten Inhalt iſt die Abhandlung von, Bimbenet, ‚des conciles d'Orléẽéans oonsideres comme source du droit coutumier et comme prineipe de la constitution de l’&glise gauloise, Revue critige de L£gislation et de Jurisprudence XXI. XXIV (p. 260). XXV. 1862 - 64.

8 ©. die Einfhärfung auf dem II. Co. Tur. von 567. l. c. p. 122.

9) Löning II. ©. 208.

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Bald jeboch werben dieſe Erz-Sprengel-Synoden verbrängt durch Verfammlungen von Bifchöfen des Geſammtreichs!), zumal aber ber Biſchöfe je Eines Theilreiches: legtere wurden aus nahe liegenden Gründen praftifch die wichtigiten und von ven Theilfönigen begünftigt. Anfangs find Zheilreichsconcilien neben denen des Gefammtreichs fel- tener ausgenommen in dem Gebiet des frommen Guntchramn —; bagegen feit vem Zerfall ver Merovingenmacht (638) treten an Stelle ber Gefammtconcilien folche ver Zheilreiche.

Die Reich (oder meift Theilreichs⸗) Synoden treten nur zufammen, wenn fie der König beruft oder doch verftattet; (was urſprünglich bei ben Provincialiynoden der Metropoliten nicht der Fall geweſen war). Sie üben die Firchliche Geſetzgebung?), aber nicht fie allein: neben ihnen, ohne fie, auch der König.

So berief ſchon Chlodovech ein Reichsconcil nach Orleans 3), alle Biſchöfe (summi antistites) waren geladen‘), es erfchienen zwei und breißig 3).

Das Necht des Königs, die (großen) Concilien zu berufen fie hatten e8 von den Kaifern überlommen warb num bon der Kirche voll anerlannt®).

So tritt das II. Concil von Orléans a. 533 auf Befehl »ex prae- ceptione«r der mehreren Theilkönige zufammen: dies war nun er- forderlich, falls Biſchöfe nicht nur Eines Theilreichs fich verfammeln wollten, fegte”) aljo vertragsmäßige Verftändigung ver betreffenden Theillönige voraus®). Aber auch die Bifchöfe nur feines Theilveiche

1) Bgl. Zorn ©. 61f. Anders bei Burgunben f. biefe und Weftgoten Kö» nige VL?, wo der alte Metropolitanverband eingehalten wird (abgejehen von ben Reihsconcilien).

2) Hinfhius TIL ©. 693.

3) ©. die Acten bei Maassen p. 2.

4) L c. praefatio.

5) v. St. Melanii, Biſchof von Rennes, geftorben nad 530, c. I. p. 328.

6) . c. Cum auctore Deo ex evocatione gloriosissimi regis Chlotho- vechi in Aurelianensi urbe fuisset concilium summorum antistitum congre- gatum, nur auf „Rath“ des Remigius, v. Bouquet III. p. 378, ebenfo v. St. Melanii 1. c.; vgl. das V. Concil von Parts von 674 (Reihsconcil), Maassen p. 185.

7) Ce. DO. Aurel. p. 62.

8) Beifpiele bei Greg. Tur. Ohne ſolche Verſtattung durfte fein Bifchof eines Theilreichs das Concil in einem andern befuchen Löning II. ©. 132; Zorn ©. 55; über Sigiberts III. Verbot unten und Rettberg I. S. 302.

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beruft ver König zum Concil!), ober es warb doch ber eingeholten Erlaubniß des Königs gebacht?) oder beffen Vorfchlags >).

Ganz unbeſchränkt war das Necht ver Theilkönige, Theilconcilien zu berufen, infofern nicht, als die Biſchöfe vorgängige Mittheilung ver Tagesordnung verlangen und bei deren Berfagung ben Befuch ver- weigern Tonnten: fo wiberftrebt Gregor von Tours eine Zeit lang einem Reichsconcil zu ungelegner Zeit —, weil er Provincialfynoben für die angegebnen Zwede genügend erachtet‘). Biſchof Mappinius von Rheims weigerte fich, dem Rufe König Theudiberts zum Concil nah Toul (1. Juni c. 550) zu folgen, weil vie Urfache, vie Be⸗ rathungsgegenftände nicht angegeben waren).

Thatjächlich hatten fich die Biſchöfe wohl zumal in ten Zeiten ber Wirren unter ven Theilreichen und der Schwäche der Meropingen über jene Erforberungen binweggefegt, Provincial»®) oder Theilreich- Synoden ohne Tönigliche Verftattung anberaumt, ja wohl auch ſolche in einem andern Theilreich befucht: was nahe an »infidelitas« jtreifte! Uber e8 war doch nur Geltendmachung tes alten Rechts,

1) Ce. V. Aurel. a. 549; Childib. II. congregare, invitare Cc. II. Paris. a. 556—573; 1. c. ex evocatione Ce. I. Matisc., Cc. V. Paris. ex ev. vel or- dinatione Ce. Cabillon. a. 583. Valentin. a. 585. 1. c. juxta imperium regis; cum dispositione regis, Cc. II. Matisc. a. 585 per jussionem prineipis, Cc. Burdigal. a. 663—675. Pardessus II. p. 129. Greg. Tur. V. 20, Urgeſch. III. ©. 197—99. Guntdhramm „befichit" (jussit) den Zufammentritt des Eoncils zu yon 576, ebenfo 579 zu EhAlons Greg. Tur. V. 27, Urgeſch. III. ©. 203f., ebenfo 549 Childibert I. (jubente) den des Eonciles zu Orleans; 1. c. vitae patrum emanante regali auctoritate multi Burgundiae episcopi in suburbano Ma- tisconengis urbis conveniunt Jonas v. St. Eustasii c. 10; Audoen, v. St. Eligii L 35 ex jussu principis (apud urbem Aurelianensem); ebenſo befiehlt (jussemus) Theuderich III. die Bischöfe von Neufter und Burgund zum Concil von Maslay (15. Sept. 679) D. 40.

2) Cc. Arvern. a. 535 consentiente rege II. Turon. a. 576 juxta conni- ventiam Chariberti, Maassen p. 65. 121.

3) Cc. Clipp. 626/27. Theudiberto suggerente, Maassen p. 196, fowie Sy: noben p. 61.

4) Greg. Tur. IX. 20, Urgeſch. IH. ©. 432.

5) Epistola ad Nicetium Trevirens. episc. p. 126.

6) Bol. Hinſchius III S. 477; Löning II. ©. 205: das II. Eoncil von Tours 567. can. 1 verlangt den Beſuch (menigftens einmal) bes jährlichen Pro» vincialeoncils, aber Doch nicht trog Löniglichen Verbotes, ſondern fagt nur, ein Tönigliches Gebot, das dem Biſchof einen amderweitigen Auftrag ertheilt, folle leine excusatio, lein impedimentum fein, [was fonft allgemein anerlannt war): fo ift wohl richtig auszulegen.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 2

322

wenn Sigibert III. (638— 650) oter vielmehr wohl Grimoald!) in fehr fraftvoller Sprache erklärte, ohne feine vorher einzuholenve DVerftattung bürfe in feinem Reiche Teine Synode alfo auch nicht der Biſchöfe Eines Metropolitans gehalten, feine folche von irgend einem feiner Biſchöfe bejucht werben?).

Wahrfcheinlich Haffte Hier ein alter Widerftreit zwiſchen Kirchen— recht, das, ohne Rüdficht auf die Gränzen der Theilreiche®), ven Be- juch folcher Eoncilten den Suffraganen der Metropoliten befahl, unt‘) bem merovingiſchen Statsrecht, das ihn ohne Königsverftattung ver- bot5). Letzteres war bie herrichente Regel geworten, da ja fehon ein» fahe Reifen aus einem Theilreich in ta® andere für weltliche und geiftliche Große ber Königsverftattung bedurften: es ift feltne Aus- nahme, wird das im Vertrag zu Andelot aufgehoben‘). Vermuthlich genügte aber auch für Bilchöfe zum Concilienbefuch die einmal im Allgemeinen ertheilte Erlaubniß eines Xheilfönigs 7).

Es fteht dahin, ob und in welchem Umfang in ven nächften num folgenden Zeiten der Schwäche des Königthums, ta nicht nur welt- lihe Große als Hausmeier, da auch Biſchöfe wie Leodigar thatſächlich bie Theilveiche beherrfchten, dieſe Anfprüche der Krone auf vie Dauer aufrecht erhalten werben konnten ®).

Zweifelbaft ift auch, inwiefern Fönigliche Beftätigung der gefaßten Beſchlüſſe erforderlich blieb. Gewiß wird folche oft von ven Bifchöfen

1) Urgeſch. III. ©. 657.

2) Urgeſch. II. S. 659, D. ©. Ib. S. 202. Die Echtheit iſt mir nicht ganz zweifelfrei: die Sprache tft fo verbädtig rein und die Gebantenfolge fo auffallend ſcharf gegliebert: sic nobis cum nostris proceribus convenit, ut sine nostra scientia synodale coneilium in regno nostro non agatur neo ad dictas ka- lendas Septembres nulla conjunctio sacerdotum ex his qui ad nostram ditionem pertinere noscuntur non fiatur. postea vero opportuno tempore, si nobis antea denuntiatur utrum pro statu ecclesiastico an pro regni utili- tate sive etiam pro qualibet rationali conditione conventio esse decreverit, non abnuimus; sic tamen, ut diximus, ut in nostram prius deferatur cogni- tionem. Allein die Echtheit wirb allgemein angenommen.

3) S. oben Didcefen.

4) Nur für Theilreiche und Provinzen, nicht für Gefammt-Reichsconciiien, dieſe regelte ber Stat.

5) Es ift alfo nicht an dem, daß jeber fräntifche Bifchof ohne Weiteres „das Recht hatte, ein fränkiſches Reichsconcil zu befuchen“ Löning II. ©. 35.

6) Greg. Tur. IX. 20, Urgeſch. III. ©. 424; Löning I. ©. 148.

7) Anders Löning II. ©. 136.

8) Bol. Löning II. ©. 204; Zorn ©. 61.

323

eingeholt: fchon nach dem I. Eoncil von Orleans a. 511 und zivar ohne Unterfcheidung Tirchlicher und ftatsrechtlicher Giltigkeit: ja, einmal erflären fie, beichloffen zu haben, wie ver König befohlen!) (prae- cepit), wobei beftritten ift, ob der König nur den Gegenftand ober auch die Art der Entjcheivung befohlen: aber gewiß nur erſteres, und das »hoc enim specialiter ad religionem nostram pertinet« bilvet nicht?) einen Gegenſatz zu andrem nicht Ueberlieferten, denn er hatte nur bes fohlen, „fie follten im Allgemeinen »stabilire und conservaree, was früher die fünf Hauptſynoden befchloffen Hatten“ 1. c.3). Ganz ebenfo hatte Chlodovech dem Concil zu Orleans nur die Gegenftände, nicht bie Art der Entſcheidung vorgeichrieben ®).

In der That ift das Andere mit der im Frankenreiche der Kirche gewährten Freiheit und Würde unvereinbar.

Es bebürfen reine Glaubensfachen), bei denen weltliche Rechtskraft nicht in Frage kommt, folcher Genehmigung nicht.

Wenn baber wiederholt Könige Concilienfchlüffe ganz over theil- weile, unverändert oder verändert, veröffentlicht haben, fo hat dies nur den Sinn, die Befchlüffe, die als ſolche nur Kirchliche Geltung hatten, zum Statsgefeß zu erheben‘): nun erſt wurden fie vom Stat erzwingbar, aber freilich nur fo, wie der König fie veröffentlicht hatte”). So jagt Guntchramn geradezu, man folle dies fein Edict über bie Sonntagsfeier (hujus edicti tenori) befolgen: alfo al8 weltliches Recht, und er fügt nur als beſondere Verſchärfung ver Gehorſams⸗ pflicht und zur Beruhigung ver Gewiſſen bei, „weil wir ja auch in ber Synode, wie ihr wiflet, alle dieſe Dinge feftzuhalten veranlaßt Baben, welche wir in biefer Verordnung veröffentlichen.” Aber nicht alle Beichlüffe des Concils wieberholt er im Edict: und die nicht wiederholten werden nicht weltlich Recht?)

1) Ce. Latun. (Saint Jean-de-Losne 670—673) ed. Maassen, zwei Synoben ©. 20 in Gegenwart König Childerichs.

2) Wie Watt IIb. S. 209 meint.

3) Richtig Löning IL ©. 149.

4) Maassen |. c. secundum voluntatis vestrae consultationem et titulos (f. DuCange d. h. Abſchnitt) quos gegietie, ea quae nobis visum est defini- tione respondimus.

5) Hinſchius III. ©. 701.

6) So ift der richtige Ausprud: Brunner II. S. 313 ſpricht von Sanction, in andern Fällen vou Beto bes Königs.

7) So richtig gegen Wait IIb. &. 203 Löning II. ©. 151.

8, Sehr mit Unrecht bezweifelt Waitz IIb. ©. 202 dieſe Unterfeheidung.

21*

324

Daß die Anerkennung von Concilienfchlüffen als weltlichen Rechtes auch ſtillſchweigend gejchehen konnte, indem der König feinen Beamten bie Ausführung, 3. B. gegen Heiten und Keker, auftrug, warb be« reits gezeigt?).

Als das V. Concil von Paris bei der Orbnung ver Biſchofswahl ber königlichen Beſtätigung gefchweigt, hebt der König in feiner ge- nehmigenten Veröffentlichung dieſer canones das Erforverniß ber könig⸗ (ihen Beftätigung fcharf hervor?).

So fette die Kirche doch nicht immer all’ ihre Anfprüche und in ihrem ganzen Umfange durch: 3. B. bezüglich der Rechte ver Kirche an Freigelaffnen over bezüglich der weltlichen Gerichtsbarkeit über Geijtliche 3).

Danach wären alſo Wiberftreite zwifchen Kirchen- und weltlichen Recht gut möglich gewefen im Merovingenreich: z. B. Kirchenftrafen gegen einen Freilafjer, der nur die vom König anerkannten, nicht die von ber Kirche verlangten Rechte an den Freigelafinen biejer einräumen wollte: hier wäre Ercommuntcation ftatthaft gewejen; bätte aber bie Kirche in folhem Fall den weltlichen Arın auch zur Vollftredung welt- licher Strafen angerufen, fo wäre dieſer auch troß ber »advocatura ecclesiae« (f. oben ©. 193) verfagt worden.

Andrerfeits war doch auch die Stellung des Stats zur Kirche nicht jo günftig wie man fie wohl binftellt: zwar warb ein Concilsbeſchluß auch über geiftliche (wie über gemifchte und weltliche) Dinge ftat- liches Recht erſt purch Veröffentlichung durch den König‘), die auch hätte verweigert werben können, und bei Abweichungen galt der Eoncils- beichluß als ftatliches Recht nur fo, wie der König ihn veröffentlichte. Allein es beichloffen werer König allein noch Reichstag und König über rein geiftliche Dinge, und es ftimmten König und Palatine nicht mit in ven Goncilien.

1) Oben ©. 273.

2) Edict. Chloth. Il. e. 1. p. 21; f. oben ©. 239.

3) Bol. das Concil zu Paris und das Ediet Chlothachars. Nur foweit bie Beſchlüſſe des Concils vom König firmata find, d. h. als Statsgefe veröffentlicht, gelten fie für den Stat: Co. I. Clipp. c. 4. ed. Maassen p. 197 quod Parisiis in... illa synodo constitutum est et a . . Chlothario rege firmatum; ebenſo Ce. incerti loci post a. 614. ec. 1. ed. Maassen p. 193.

4) Das zuerft bargemwiejen zu haben, bleibt das Verdienſt Sohms, Zeitichrift für Kirchenrecht IX. ©. 194. 233. 272; über das Geſetzgebungs⸗ und Verorbnungs- recht des Königs im Allgemeinen und der Kirche gegenüber im Befondern vgl. Löning IL ©. 17f.

325

Die Ungleichheit der Stellung trat zumal barin hervor, daß auch bloße Concilsbeſchlüſſe ohne königliche Veröffentlichung, alſo rein Tirch- liches Recht, auf Anrufen der Kirche durch den weltlichen Arm oft polfftrecdt wurden, weil nun einmal ber König Schirmvogt ber Kirche und tas Chriftentbum Zwangsglaube geworben, 3. B. gegen Ketzer und Heiden Verbannung, Zwangstaufe, Zerjtörung ter Heiligthümer. Der Stat erlannte wenigftens im Grundſatz biefe feine Verpflich— tung an, ber er fich kaum entziehen konnte, wollte ex nicht die für ihn fo wichtige, auch an Rechten fo reiche vadvocatura ecclesiae« auf. geben: auf das allgemeine Kirchenhoheitsrecht allein fich zu ſtützen, dieſer Gedanke lag den Königen jener Tage fern.

Den Anlaß zu Berufung von Concilien geben den Königen oft Anklagen gegen Bifchöfe!), das Concil Heißt dann als Gericht auch placitum wie das Königsgericht?).

Chilvibert I. beruft 549 ein Concil nach Orleans über den an- geflagten Bifchof Marcus), Gunthramn eines nach Lyon (567 ober 576), über die Biſchöfe Salonius und Sagittarins zu richten‘), dann Chilperich über Gregor von Tours und Praetertatus von Rouend) ein Concil nach Ehälons 579 über „verfchiepne Dinge“), zumal aber um über jene beiven Bifchöfe zu richten, die dann nicht nur wegen kirch⸗ (icher Vergehen, auch wegen Tödtung und Hochverraths verurtbeilt werben; ober ven Anlaß geben ber Zuftand der Kirche im Allgemeinen”), aber auch außerkicchliche „öffentliche ftatliche" Urfachen 3. B. auch bie wirthichaftliche Noth der Armen 8), jehr begreiflich bei ver Verquidung von FTirchlichen und ftatlichen Dingen und bem ftarlen Einfluß ver Biſchöfe auch auf dieſe: war doch z. B. Armenpflege ihre kirchliche Pflicht.

1) Greg. Tur. V. 18. 20. 49. VI. 1. VIII 20, Urgeſch. II. ©. 188. 197. 231. 232. 366.

2) VIII. 20 dies placiti advenit et episcopi ex jusso regis Guntchramni apud Matiscensim urbem collecti sunt 23. Oct. 582: es entfet zwei Bifchöfe wegen Hochverraths.

3) Greg. Tur. v. Patr. c. 6.

4) V. 20, Urgeſch. III. ©. 197.

5) Greg. Tur. V. 48, Urgeſch. III. ©. 225.

6) Er läßt angeblich durch ein Concil die Gränzen bes Bisthums feftftellen; aber bie v. St. Tygriae 25. Inni V. p. 75 ift keine verwendbare Duelle.

7) Ce. Aurel. V. pro... statu religionis.

8) Cc. Matisc. I. tam pro causis publieis quam pro necessitatibus pau- perum; ebenfo Valent. pro diversis pauperum querimoniie.

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Aber auch andere nur weltliche Fragen werben den zum Concil verfammelten Bilchöfen nom König zur Begutachtung, auch wohl zur Entſcheidung!) vorgelegt.

Daher können Biſchöfe auch berufen werten, fchlimme Verhält⸗ nifje zu einem andern Theilreich zu berathen?). Freilich handelt es fih bier darum, eine angeblich geplante Eheſchließung (Brunichilvens mit dem Sohne Gundovalds) zu verhindern; aber auch um ven Streit mit Sigibert I. zu fchlichten, beruft Guntchramn alle Biſchöfe feines Reiches nach Parisd): galt doch Verföhnung von Streitenven, zumal Brüdern, als bifchöfliche Pflicht, auch abgefehen von dem Wohl des States, für ven zu forgen fie fich auch nicht nehmen ließen: daher auch geradezu ber Vortheil des Königs und bie Wohlfahrt tes Volkes *) oter beide verbunden werben: „für ben Zuſtand ber Kirche und bie Teftigung des Neiches*®) oder: „wir befahlen ven Bifchöfen unferer Reiche, ſowohl von Neufter als Burgund in unfern Palaſt zu Maslaeus Billa (Maslay) zu kommen, über ven Zuftand ver Kirche und vie Fefti- gung bes Friedens zu berathen“®).

Eigibert III. verfpricht, er werbe, bei gehöriger Einholung feiner Erlaubniß, gern Concilien verftatten „über ben Zuftand ver Kirche ober für des Reiches Nuten ober für irgend einen vernünftigen Zweck“).

Gab es nun aljo auch feine concilia mixta®) in weftgotifcheın?) Sinne!), d. h. ftimmten in rein geiftlichen Dingen Laien nicht mit, jo nahmen doch an ven Über rein Kirchliches berathenden Synoden außer dem König noch andere Laien Theil, Vornehme, die der König anslasi!), jedoch freilich ohne Stimmrecht.

1) Greg. Tur. VIII. 2, Urgeſch. III. S. 350 Guntchramn zu Orleans.

2) Greg. Tur. IX. 32, Urgeſch. III. ©. 445.

3) Greg. Tur. IV. 47, Urgeſch. III. ©. 155.

4) Ce. V. Paris. Maassen p. 185 tractantis quid prineipi (Friedrich p. 9 commodo prineipis) quid saluti populi utilius competeret.

5) Cc. Burdig. Pardessus II. p. 129.

6) Theuderich IIL. 15. Sept. 677. D. N. 48 pro statu ecclesiae vel con- firmatione pacis.

7) Epistol. ed. Arndt I. 17. p. 212.

8) Treffenb Löning II. ©. 138, der verbienftlich gegenüber älteren Anfichten Concilien und weltliche Hoftage mit geiftlichen Gliedern fcheibet.

9) Könige VL? ©. 421f.

10) Könige VI? ©. 490.

11) Und in merovingifcher Zeit nicht eben haufig: fo auf dem Concil von Borbeaur unter Childerich II. 660—673.

327

In fpät merovingifcher Zeit aber gelegentlich auch ſchon früher und in karolingifcher wird bei ber innigen Verquidung von Stat und Kirche und dem ftarken, oft entjcheiventen Einfluß ver - Biſchöfe auch in weltlichen Dingen zugleih an Einem Ort zuerft ein Concil der Geiftlichen allein, wenigftens mit ausfchließendem Stimm- recht gleich darauf ein Hofe oder Neichs-Tag von Geiftlichen und weltlichen Großen mit beider Stimmrecht und unter VBorfig des Königs oder Hausmeiers gehalten.

Davon ift Scharf zu feheiden die nachträgliche Verkündung von Concilsbeſchlüſſen auch in rein kirchlichen Dingen durch den König allein ober mit Zuftimmung ber Weltgroßen ober des ganzen Hoftags (auch von Geiftlichen), um ven Kanon zu weltlichen, durch Statszwang vollſtreckbarem Recht zu erbeben?!).

Wieder anders liegt die Sache, wenn ber König kraft feiner Statsgewalt (Kirchenhoheit) Dinge regelt, welche die Kirche anderwärts ſelbſt und allein orbnet: 3. B. die Feftitellung von Sprengelgränzen: wenn ber König bier ein Concil mitwirken läßt, Tann er freilich auch fein palatium befragen: Tönnte er bier doch, ohne Concil nur von feinem palatium berathen, hanveln?).

Der König kann dem Concil beiwohnen. So Chlodovech in Or⸗ (&ans 511, Guntchramn in Lyon 583°), Chlothachar II. in Baris 614, mit beliebig von ihm gewählten Laien: regelmäßig feit 650 (ober er beftellt einen Vertreter); aber ber König führt nicht wie ber byzan⸗ tinifche Kaifer und Karl ver Große den Vorfigt), vielmehr einer ver Metropoliten, wahrſcheinlich nah Wahl der verfammelten Bifchöfe: benn das Orbinationsalter ober ein anderer Vorrang (abgejeben von dem kurzlebigen PVicariat von Arles) entſchied biefür nicht).

Der König hat das Recht des Vorſchlags: er legt der Synode vor, was fie auf feinen Befehl zu berathen hat, (vorbehaltlich ihres Rechts, auch über Anderes zu berathen und zu bejchließen): bies

1) S. oben ©. 270 und Sohm a. a. O.

2) v. St. Tygriae l. c. p. 75 cum consensu sanctae synodi et consultu sacri palatii: bie Spätzeitigleit der Quelle ſteht infofern nicht im Wege, als fie fpiegelt, was [bamals, zur Zeit ihrer Entſtehung] als möglich galt.

3) Greg. Tur. VI. 1, Urgeſch. W. ©. 231; ob aud 585 in Mäcon?

4) Sohm, 3. f. KR. IX. ©. 250; Löning II. ©. 32; Urgeſch. W. ©. 1027. 1040; D. G. Ib. ©. 349. 350. 742.

5) Löning II. ©. 143.

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find vie »titulic, welche Chlodovech zu Orleans zu beratben „be- faht*?).

Die rechtlich einzig richtige fcharfe Scheibung zwifchen geiftlichen Concilien mit nur berathenven Laien über Kirchliche und weltlichen Reichstagen mit ftimmenten Biſchöfen (und Aebten) über Weltliches darf man durchaus nicht?) „im Leben ineinander fließen laffen“: auch im Edict Chlothachars ?) ift nur gejagt, daß die Bifchöfe und die welt- lichen großen Optimaten und Getreuen gemeinfam eine Derathung (deliberationem) in tem Concil hielten, nicht, baß bie Laien über bie geiftlichen Dinge mit abgejtimmt Hätten. Dagegen bei ber Trage, cb und mit welchen Aenderungen etwa ber König Eoncils- befchlüffe als weltlich Recht verkünden folle, wurten gewiß bie Welt- lien um ihren Rath befragt.

Mit Recht ward) darauf hingewiefen, daß dieſes feltfame Neben- einander won geiftlichen Concilien mit Laien ohne Stimmrecht und von weltlichen Hoftagen mit ftimmenden Biſchöfen ſich nur erklärt aus dem Mangel fowohl einer altgermanifhen Bollsverfammlung als einer parlamentarifhen VBollsvertretung als auch fehr lange Zeit! eines wahren Reichstags der Geiftlihen und weltlichen Großen, ter fih erft in arnulfingifcher Zeit entwidelte und auch da leider! nicht mit beftimmter Regelung des Standſchaftsrecht und ber Zu⸗ ſtändigkeit 5).

9. Die Klöfter.

Die früh und häufig entftandenen Klöfter am Rhein führt man®) auf das Weilen des großen Athanafius zu Trier zurüd, wo in ber That (Sanct Eucharius, Sanct Marimin, Prüm) wie in ben Bogejen und Ardennen zahlreihe Klöfter erwuchien.

Schon Chlodovech gründete dann bald nach feiner Belehrung ein Klofter zwifchen Loire und Loiret auf dem Hofgut Miciacum (Micy)

1) S. über bie weſtgotiſchen »tomi« Könige VL? S. 426. 452. 463. 471. 481. 490.

2) Mit Watt IIb. S. 204.

3) c. 24.

4) Bon Waitz IIb. ©. 204.

5) ©. unten Gefamniteigenart, Schranlen des Königthums, Berfammlungen.

6) Rettberg I. S. 302; Friedrich IL. S. 126; Niedermayer, das Mönchthum in Bajuvarien 1859, j. aber dagegen Dahn, Münchener Krit. Bierteljahrsichrift 1859.

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für Sanct Eufpicius und deſſen Neffen Marimin!) und andere mehr?), feine Schwefter Alboflebis ftarb im Schleier der Religiojen?). Chil- bibert I. und feine Gemahlin Ultrogotha gründeten unter andern Saint Germain«des-Pres bei Paris!) und ein SKlofter zu Arleg>), Chlothachar I. das Medarduskloſter zu Soiffons, feine Gattin Sancta Radegundis das Nonnenklofter zu Poitierd‘), Guntchramn das Mar: cellusflofter zu Chälon-fur-Saone: dieſes und andre fuchte er durch Beichlüffe des Concils von Valence von a. 585 (23. Juni) 7) gegen Eingriffe gerade ver Biſchöfe zu fchügen®), ebenſo das Sanct Sym⸗ phorians und die Zuwendungen feiner Gattin Auftrichilvis und feiner beiten Gott geweihten b. h. religiofen Töchter Chlodiberga und Chlo- dihildis), ferner fchenkte er dem Sanct Benignusklojter zu Dijon bie villa Elariacum (Larey) 10).

Brunichildis und Chilvibert II. gründeten und befchentten vie Mönchsklöſter Sanct Martin und Sanct Andochius, das Nonnenklofter zu Autun!!). Zahlreiche andere Kloftergrünnungen ober doch DBe- ſchenkungen find anderwärts erörtert 12), jo die von Dagobert I. (St. Denis, eingerichtet nach der Regel von Agaunum, St. Maurice), Sigibert III. (Stavelot und Malmeby), Chlodovech II. (St. Denis, Moutier⸗la⸗Celle, Moutier⸗St.⸗Jean [?])), St. Balthilvis (Corbie, Chelles, Jouarre bei Meaur, Jumieèges, Curbio, Lureuil, ara, St. Bandrille, St. Peter zu Rom, St. Denis, St. Germain, St. Me- barbe), Chlothachar III. (Bkze), Childerich II. und Königin Chinichilvie (Kirche zu Laon, St. Gregor in ven Vogeſen ſd. h. Münfter in Georgen- tbal], St. Maria zu Speier, Moutier-en-Ders, Pouiſeaux), Dago- bert II. (Stablo), Theuderich IH. (St. Calais, St. Vandrille, St.

1) D.N. 1.

2) Vita St. Melanii I. 6. Jan. I. p. 328. c. 6.

3) Remig. epistol. ad Chlod. reg. Epist. ed. Gundlach p. 112.

4) Greg. Tur. IV. 20, lirgefd. III. ©. 120.

5) ©. unten ben Brief des Pabſtes Bigilius von 550.

6) Greg. Tur. IV. 19. IX. 42, Urgeſch. III. ©. 119. 462.

7), Richt 589, wie Löning II. ©. 366.

8) Maassen p. 162.

9) ©. oben ©. 269.

10) D. N. 41: nicht Chariacum wie Löning a. a. O.

11) Dagegen ift dag Mönchskloſter v. Sanct Vincenz zu Laon Löning II. S. 367 nur auf Aimoin, alfo gar nicht geftüßt.

12) Urgefd. III. ©. 644. 659. 664— 70. 674. 676—679. 724. 730f. 733. 740. 748—752. 760. 778. 780. 790. 800.

330

Denis [wiederholt], Corbie, Stablo, Montmedy, St. Bertin, Moutier- en⸗Ders [wiederholt], Chlodovech III. (St. Denis, St. Calais, Groffenu, Moutiersen-Der), Pippin ver Mittlere (St. Troud, St. Vandrille, Fleury), Dagobert III. (St. Denis, St. Marcel, in Tuſſonval, Ar- genteuil, St. Maure-des-Foffes, Limours, St. Germain, St. Medarde zu Angers, St. Denis, St. Calais, Weißenburg), Pippin und Pled- trudis (Meg, Verdun, Echternach, Süfteren, Kaiſerswerth), Chil- perich II. (St. Denis [wiederholt], Corbie, St. Vandrille, St. Maur- des⸗Foſſes, St. Arnulf zu Meg, St. Bertin), Karl Martell (St. Willibrord, Utrecht) und ber lette Meroving Childerich III. (St. Ber- tin, Stablo, Malmedy).

Die Aebte [und Aebtiffinnen]), von und in ber Negel aus ben Mönchen [und Nonnen] des Kloſters geloren, müfjen von König und Biſchof beftätigt und feit c. a. 530 auch vom Biſchof geweiht „be- nebicirt” werben: fie ftehen grundjäglich unter dem Bifchof der Didcefe, in ber das Klofter liegt). Mit Unrecht fpricht man?) von einer Feindſchaft der Biſchöfe in Gallien gegen bie Klöſter: haben fie doch jelbft viele gegründet®): der Streit zwifchen beiden auf dem rechten Rheinufer hatte befondere Gründe t).

Die Eoncilien des VI. Jahrhunderts fuchen nur auch ten Klöjtern gegenüber ven geſunden Gedanken vurchzuführen, daß ver Biſchof der Träger ber Kirchengewalt in feiner ‘Didcefe tft. Die Errichtung von Klöftern oder der damit verbundnen DOratoriend) betarf ter Zuftim- mung bes Bifchofsd), ebenjo die Entfernung bes Abtes aus dem Klofter”): der Abt kann vom Biſchof abgejegt werben wegen Unge- borfams oder andrer Pflichtverlegung, denn er ſchuldet dem Biſchof Gehorfam®), auch wenn er Laie war, was zuweilen vorfam. Meiſt war er ©eiftlicher, anfangs oft nur Diacon.

Der Biſchof verfammelt einmal jährlich die Aebte feiner Didcefe?).

1) Zorn ©. 62.

2) v. Roth, Ben. ©. 263. |

3) Sp richtig gegen v. Roth, Löning II. ©. 370; vgl. Guette, histoire de leglise de France II. 1847.

4) S. unten.

5) Diefe genligt dann aud für das Klofter; Löning a. a. O.

6) Ce. Epao c. 10.

7) Ce. v. Arel. c. 3.

8) Schon I. Ce. v. Orleans c. 19, dann 11. ce. 21. III. c. 19.

9) Ce. I. Aurel. c. 19.

331

Die Mönche find meift Laien: der Bifchof darf feinen Mönch ohne Zuftimmung des Abtes weihen, auch zu Prieftern geweihte Mönche ſchulden dem Abt Gehorſam.

Ausnahmen von biefer Regel können nur durch befondere Freiung, bie dann auch das Maß ber verliehenen Selbſtſtändigkeit feitftellt, be: gründet werben.

Allerdings werben ſolche Breiungen früh!) und fpäter immer häufiger?) ertheilt.

Die von Chilvibert I. (geft. 558) dem von ihm zu Arles er richteten Mönchs-Klofter „ver Apoftel* (ſ. unten Pabſt) von Pabſt Vigilins (a. 537—555) und von Gregor I. (Juli 599)3) beftätigten Privilegien bezogen fich auch auf die Abtwahl, die VBermögensverwaltung und den Unterhalt ter Mönche. Webrigens bat man fehr wahrjchein- lich gemacht, daß jene beiven Rechte ohnehin regelmäßig ven Klöftern zuſtanden, der Biſchof nur ben frei von den Mönchen gewählten Akt zu orbiniven gehabt habet), jo daß die „Privilegien“ ver Könige und Päbſte nur eingejchlichne Mißbräuche ab und das urſprünglich normale Necht wieder berftellen wollen.

Anders geftaltete fich gefchichtlich vied Verhältniß häufig rechts vom ‚Rhein, wo ja vie Klöfter, dieſe für pie geiftliche Eroberung, d. h. bie Verchriſtenung, ver Landſchaft errichteten Vor⸗Burgen, oft Älter waren als die Bisthümer, denen fie dann erft fpäter eingegliedert wurben>). Dazu kam, daß die brittaniihen Bekehrer in Deutſchland ausgingen von ber brittiſchen Kirchenregierung, vie nicht burch Biſchöfe, ſondern burch Klöfter geübt wurde. Daher die zahlreichen Kämpfe, in bie bier vie Klöfter mit den erft fpäter gegrünveten Bifchoffigen gerietben: Sanct Gallen und Reichenau mit Conftanz, Sanct Emmeramn mit Regensburg, Fulda mit Mainz, auch ver Ire Columba gerieth ja in Streit mit dem in Burgund altbefeftigten Episcopat®).

1) „Niemand wähne und table, daß wir hierin neue Erfindungen verorbnen (nova decernere carmina), da ſolche Freiungen ſeit uralter Zelt (ab antiquitus) im ganzen Reiche vorlommen”, jagt bie Form. Marc. L. 1.

2) ©. die Beläge bei Waitz IIb. S. 66 aus Pardessus II. p. 234. 319. 408; befonders aber Sidel Beiträge IV. ©. 6f.; Form. Marc. I. 1 fpridt von „unzähligen Über das ganze Reich der Franken bin“.

3) Reg. IX. 219.

4) Bol. Wisbaum a. a. O. ©. 35 zu Registr. V. 47, vgl. TU. 23. VI. 44. IX. 165.

5) Rettberg I. ©. 305; Waitz IIb. ©. 67.

6) S. Nettberg I. &. 304.

332

Lints vom Rheine verlautet faft nichts ber Art: Vorfälle wie ver Streit des Biſchofs von Poitiers mit dem Heiligen Krenzllofter (Ra⸗ degundens) !) find fehr felten.

Die wichtigften, häufigſt begehrten Rechte folcher gefreiter Klöſter find alfo vie freie Wahl von Abt?) [oder Aebtiffin), ftatt der Ge⸗ nehmigung durch ven Bifchof.

Auch die Regel Sanct Benedicts von Nurfia?) fett die freie Wahl voraus: nur ausnahmsweiſe foll der Biſchof mit ven benachbarten Aebten und Gemeinden gegenüber einem Unwürdigen ven Würbigeren, von ber Minderheit gewählten einfeßen, aber freilich auch bei ein- ftimmiger Wahl eines Unwürbigen einen Würdigen‘). Allein tiefe Entfcheitung ftreitiger Wahlen durch den Bifchof bedrohte die Wahl. freiheit: dazu kam, daß, da allmälig nur Geiftliche Aebte fein follten, ber Bifchof den bisherigen Laien zum Diakon oder Priefter weihen follte oter einem bisherigen BPriefter die Annahme der Amtswürbe verftatten mußte), was er beides verweigern konnte: daher fichern fich bie Klöfter immer eifriger die volle Wahlfreibeit durch Privilegien.

Uebrigens bewerben fich um folche Vorrechte ſowohl felbftftänbige Klöfter (als jnriftifche Perfonen) wie im Privateigenthum des Königs, eines andern Laien, des Bifchofs ftehende.

Wahre Mufter für folche Privilegien wurben bie für Lerins (Le- rinum), St. Maurice in Wallis (Agaunum), Lurenil (Luxovium) und Sanct Marcell zu Chaͤlon⸗ſur⸗Saone: als folche führen fie an zahl- reihe Formeln, führt fie an Dagoberts Privileg für Klofter NResbair (Resbach) von a. 635°), dann Nesbair felbft ſchon a. 6597). Weiter ward dann angeftrebt vie felbftftändige Verwaltung des Klofter-Ver- mögen®®).

1) Greg. Tur. IX. 33. 40, Urgeſch. IH. ©. 446. 458.

2) Form. Marc. I. 1. So für Lerins (Arnold, Caeſarius S. 42), Lureuil; andere Fälle Urgeſch. III. S. 668.

3) S. unten Klofterregeln.

4) Regula Benedicti ed. Holsten co. 64.

5) Löning IL. ©. 379.

6) D. N. 15. p. 16.

7) Pardessus II. p. 5. Id folge bier v. Sidel Beitr. IV. ©. 5f. Krusch Form. I. p. 39.

8) Form, Marc. I. 1. Der Bifchof fol keine Gewalt üben in ben Ber: mögen&Angelegenheiten des Kloſters ober bei Beftellung ber Perfonen oder bei ben bereits befefienen ober fpäter vom König oder von Privaten geſcheulten Land⸗ gütern (villae), oder im (fonftigen) Vermögen des Kloftere.

333

Ferner die Uebertragung ber Föniglichen Gerichtsbarkeit an ven Abt, auszuüben durch den Dingvogt!) des Klofters, in verjchiedenem Umfang über Unfreie, Halbfreie, Hinterſaſſen, zulegt auch über freie Bauern auf eigner Scholle innerhalb des fo gefreiten Gebietes: dieſe zweite (pofitive) Seite der Immunität, das Vorrecht, verband fich erft fpäter mit ber älteren (negativen) der Sreiung von munera?).

Sodann wird jede Einmifchung des Biſchofs in die innere Ver: waltung, in das Leben ber Genoffenfchaft, ansgefchloffen. Im Zus fammenbang biemit und zur Sicherung dieſer Unabhängigkeit wird zumal auch dem Bifchof unterfagt, das Klofter, deffen geheime Näume, ja auch nur das Gebiet zu betreten, ausgenommen behufs (unentgelt- licher!) Vornahme ver geiftlichen Amtsverrichtungen®), vie genau auf- gezählt werten: (Weihung des Altars, jährliche Spendung bes heiligen chrisma [jedoch nur auf Verlangen des Klofters!), Betätigung des frei [aber „einftimmig“?) gewählten Abtes) oder auf Verlangen des Abtes oder ber Mönche felbft, 3. B. um zu prebigen‘). Nach dieſer Verrichtung und einer „einfachen und nüchternen“ Malzeit 5) foll er, „ohne irgend ein Geſchenk zu verlangen, eifrig trachten, daß er heimkehre, auf daß bie Mönche, die ja „Einſiedler“ (uovaxol) beißen, auch wirklich in Ruhe und unverftört ihren frommen Pflichten leben mögen".

Sa, auch Verfehlungen ver Mönche foll zunächft nicht ver Bifchof, ſondern ver Abt, gemäß ver Klofterregel, ahnden: nur falls er nicht burchbringt, foll er ten Bifchof ter Stadt (de ipsa civitate, d. h. ben zuftändigen) anrufen. Verlegung biefer Freiung durch den Biſchof wird mit breijährigem Ausfchluß aus der Kirchengemeinfchaft geahndet ®).

Weiter dürfen einzelne Klöfter 7) fich ſogar ftatt des zuftändigen Biſchofs ihrer Diödcefe einen andern wählen, der bie bifchöflichen Ver- richtungen in oter gegenüber der Anjtalt vorzunehmen bat.

Später laſſen fi die Klöfter gern bie freie Wahl auch ihrer Vögte einräumen®).

1) S. oben ©. 268. 291. 2) S. unten „Immumitäten”.

3) v. Sidel IV. ©. 11. Form. Marc. I. 1.

4) 1. c. pro oratione lucranda.

5) l. c. simplicem ac sobriam benedictionem = coenam (f. Du Cange Il. p. 628 = caritas) perceptam.

6) Form. Mare. 1. 1.

7) So Resbair |. oben ©. 332, [aber nicht blos iriſch⸗ſchottiſche. So v. Sidel a. a. O. ©. 9—11 Übergeugend gegen Rettberg II. &. 675]; Murbad a. 727/8. D.N. 95.

8, Schon früh wirb dies erlangt für denjenigen, ber im Kloſter sancta debet

334

Solche Privilegien werten ven Klöftern von den Bifchöfen ſelbſt!), zumal wenn dieſe tie Gründer find, ertheilt oder vom König als Gründer von biefen over auch auf Bitten bes Gründers ober ber Mönde. Oder man erwirkt vom König wenigftens tie Beftätigung bes vom Biſchof verliehenen?) oder fonft erworbenen Rechtes 3).

Vermuthlich) war ſchon in merovingifcher Zeit wie zweifel- [08 in karolingiſcher die Verlegung eines folchen vom König be- ftätigten Nechtes mit dem Königsbann bebroßt.

Dieje Rechte zumal werben verftanven unter dem Ausdruck »liber- tatis privilegium« für bie fränkiſchen Klöfter, obzwar bei Ueberein- ftimmung im Wefentlihen manchfaltige Verfchiebenheiten im Einzelnen nicht fehlen®). Sorgfältig wird ganz regelmäßige) hervorgehoben, daß der Biſchof für feine Verrichtungen im Klofter und für Beftätigung ber Klofterwahlen feinerlei spraemium« zu fordern und feine Gefchente zu hoffen Hat: man fieht, welche Ausfaugung bei ſolchem Anlaß war geübt worden! ftreng wird ihm und feinen Vertretern (Archi- biacon oder anderen ordinatores) verboten, aus bem Klofter oder deſſen Befigungen irgend etwas davon zu tragen (auferre), auch nicht votiva, d. b. was von frommen Spenvern dem Altar bargebracht worden, 3. DB. heilige Bücher oter was zum Schmud bes Gottes- bienfte® gehört.

Was nun die Verleihung biefer Freiungen angeht, fo tft zu unter: icheiden zwifchen den vom König, vom Bifchof, von einer Kirche oder auch von Laien auf ihrem Eigenthum errichteten Klöftern einerfeits (oben ©. 267) und ſolchen, die als felbitftändige juriftiiche Perfonen errichtet wurden, andrerſeits.

bajulare (= exercere Du Cange I. p. 525) offieia: es ift nicht Der Abt, denn der ſchlägt ihn vor und nicht ein Vogt ober oeconomus, denn er wirb vom Biſchof geweiht: == praepositus ?

1) Auch wohl zugleich von ven benachbarten, die dadurch eine Art Bürgichaft übernehmen v. Side ©. 15.

2) 3. B. St. Denis Chlodovech II. 653. D. N. 19. Theuderih IV. a. 723.

3) Theuberih IV. a. 727, für Murbach D. N. 95.

4) Löning II. ©. 386 hält es für gewiß: die Urkunden ſchweigen davon, aber Strafanprohungen enthalten die merovingiſchen Königsurkunden Überhaupt nicht.

5) Marc. Form. I. 1. p. 39 ab antiquitus ... monasterio L. A. L. vel modo nummerabilia . . per omne regnum Francorum sub libertatis privi- legium videntur consistere.

6) Form. Mare. I. 1.

335

Dei jenen fie bilteten weitaus die Mehrzahl!) nahm ver Errichter Eigenthum an dem Klofter und an diefem zugewiefenen Grunp- jtüden in Anfpruch (f. oben ©. 267): ein folcher Vermögenstheil ward nur thatſächlich, wie ein römifches peculium?) nicht rechtlich und alſo ftets wiberruflih ans feinem fonftigen Eigenthum geläft.

Alsdann behielt fich der König oder der fonftige Laie auch das Recht vor, den Abt, vie Aebtiffin?) zu ernennen: oder verlieh dies Necht ſowie bie drei andern oben angeführten gleich bei ver Errichtung dem Klofter: ob Hierfür Zuftimmung bes Bifchofs erforderlich war, ift zweifelhaft. Bei folchen königlichen Klöftern verfteht ſich auch von felbft ver Königsſchutz, ven er fonft befonders verleihen‘) muß, foll er dem Kloſter zuftehenS): dabei beftellt der König wohl eine zweifache Vertretung: an des Königs ftatt foll ber major domus ten Schuß gewähren: aber ver major domus weilt Loch nicht (ftets) in dem Gau bes Klofters, dieſes bebarf eines Schutzes ganz in der Nähe: daher bezeichnet der König weiter einen offenbar benachbarten welt. lichen Großen (inluster vir ille), welcher vie Klagen und Anfprüche des Kloſters vor Gericht zu verfolgen hat.

Die Wirkungen find die allgemeinen des Königsjchutese): fie werben aber auch bier wie fonft befonters aufgezählt, allerdings nicht immer gleichlautend.

Ein wichtiger Vortheil des Königsfchuges für das Kloſter pflegt barin zu beftehen, daß belangreiche Fälle, die „vraußen im Gau nicht ohne ſchweren Schaden bes Klofters entjchieden find“, vor das Königs: gericht zur Entſcheidung einzujenden find. Der Schuß erſtreckt fich nicht nur auf das Klofter felbft, fein Vermögen und die Mönche,

1) öning II. ©. 375.

2) Oben ©. 267.

3) So ernennt Rabegundis die erfte Aebtiffin des bi. Kreuzklofters zur Poitiers, überweiſt die Wahl der Nacfolgerinuen aber den Nonnen Greg. Tur. IX. 42, Urgeſch. IIL S. 462, fpäter ernennt fie der König Form. Bitur. 18; andere Bei: fpiele von Ernennung dur die Eigenthümer oder doch Stifter, mit ober ohne Beftätigung durch den König, |. D. N. 22 Remaclus, Stavelot und Malmedy durch Sigibert III. a. 644. Willibrord für Echternad 1. c. D. Arnulf N. 4. a. 706, Urgeſch. III. ©. 751.

4) 3. B. auf Bitten des Gründers. So St. Radegundis Greg. Tur. IX. 40, Urgeſch. III. ©. 460; f. unten.

5) Form. Marc. I. 24.

6) Wait II. ©. 259, oben VII. 1. S. 206.

336

auch auf alle Schüglinge vefjelben, die das Kloſter vor Gericht zu vertreten bat?).

Man nimmt allgemein?) an, PVerbreifahung des Wergelves fei wie für jeden Königsſchützling auch bier ſtillſchweigend erfolgt.

Die ältefte uns erhaltene Schutgewährung ift die von Chilperich für St. Calais von 5623) (denn bie von Childibert I. für daſſelbe von a. 546 ift?) als interpolixt nachgewiefen) 5), die jpäteren find jener erften ganz Ähnlich, gewiß oft nachgebilvet.

Etwas fpäter Gregor) gewährt feinen andern Anhalt für bie Zeitbeftimmung als ven Tod Sigiberts a. 575 übernahm Sigi- bert I. ven Schuß von Radegundens Klofter zu Poitiers und ließ fo- gar einen fremden Bifchof, Eufronius von Tours, in ber Didcefe des Biſchofs Marovech von Poitiers die Beiſetzung von heiligen Ueber⸗ bleibjeln vornehmen, bie dieſer verweigerte”): ja er zog das Klofter völlig aus der Gewalt von Poitiers, die erft Chilvibert I. nach Sigi⸗ bert® und Radegundens Tod auf Bitten der Aebtiffin und des Biſchofs Marovech wieter Heritellte®).

Auch vom Pabſt ließen fich vie Klöfter ihre Privilegien beftätigen, zumal burch deſſen Vicar zu Arles%); aber daß ver Pabft ein Klofter völlig von feinem Diöcefanbifchof Löft und unter einen andern oder unmittelbar unter ben römifchen Stuhl ftellt, gefchieht im Franken⸗ reich 1%) erft unter den Karolingern.

1) »Mithio et sperantes«, f. VII. 1. ©. 247.

2) v. Roth, Ben. S. 124; v. Sidel II. S. 90f.; Löning U. ©. 388.

3) D.N. 9.

4) Dur v. Sidel, Beitr. III. ©. 13f.

5) Mit Unrecht flellte fie K. Pertz zu den echten D. 4.

6) IX. 40, Urgeſch. II. &. 459.

7) Aehnliches wahrt dem Kloſter Murbach für folhen Fall Theuderich IV. 727, f. oben ©. 334.

8) Urgeſch. III. S.459. Andere meroningifche Veifptele bei Löning II. S. 390, ber aus dem Briefe Rabegunbens Greg. Tur. IX. 42, Urgeſch. III. ©. 462 gegen v. Side IV. S. 39 und Waitz II. S. 259 beweifen will, daß das Verhältniß nicht an das Leben bes Königs gebunden war: allein fie bittet ja nur die Nachfolger, ebenfalls zu fehlten, was eher gegen bie Vererbung ſpräche. Dagegen beweift für die Vererbung D. N. 95 für Murbad von 727, wo Theuderich die tuitio (p. 85) Dei et nostra stirpe regia per succedentia tempora verheißt: daß bier nur ber allgemeine Rechtsſchutz gemeint jet, Löning a. a. D., ift freilich möglich.

9 ©. unten Verhbältniß zum Pabſt; Arnold, Caeſarius 514—523.

10) Löning II. ©. 389. S. unten (Pabſt) die Privilegien ber Päbſte Vigilius und Gregor I. für Klöfter zu Arles, Marfeille und (3 der Brunichildis) zu Autun

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Dei den im Eigenthum von Privaten ftehenven Klöſtern (oben ©. 267) verbielt es fich entſprechend, nur daß ſelbſtverſtändlich an Stelle des Königsjchuges (dev aber auch für ſolche befonvers erbeten werben fonnte) die mundiburdis bes Eigenthümers für vie Klofter- feute und deren Abhängige trat.

Auf die Verhältniffe diefer Privatklöfter ift nun näher einzugehen.

Während die Parochialliechen erft im Laufe des VI. Jahrhunderts bie Anerkennung als juriftifche Perfonen erlangten!) und das Eigen- thum an dem für fie beftimmten, bisher ter Biſchofskirche eignenden Bermögen, hatten die Klöfter fchon im römischer Zeit dieſe Necht- ftellung eingenommen und behaupteten fie in ber fränkischen.

Die zahlreichen im Privateigenthum ftehenvden Kirchen und Klöfter bereiteten nun aber den berechtigten Anſprüchen ber Kirche manche Schwierigkeiten, da Anfangs alle Folgerungen aus dem Privateigenthum gezogen wurben: zumal falls der Eigenthümer ein Laie, nicht, was auch oft vorkam, eine andere Kirche, ein andres Klofter war: ein folcher Laie konnte 3. B. die ihm gehörige Kirche, auch nachdem fie vom Biſchof geweiht war), zerftören oder weltlichen Zweden zuwenden, und auch das Vermögen, das er etwa nad dem IV. Concil von Orleans (a. 541) follte e8 in Land bejtehen?) für den Unterhalt ver Kirche und bes Geiftlichen beftimmt hatte, bfieb in feinem Eigenthum und fonnte zurüdgezogen, anders verwendet werben.

Die oft in den Stiftungen gegen folche Verfügung angebrohten (himmliſchen oder) kirchenrechtlichen Strafen konnten vor dem Nichter nicht geltend gemacht werben: fogar ein Verbot Karls!) ſcheint nicht burchgebrungen zu fein).

(a. 602); dagegen bie 3 Urkunden Gregors halte ich gegen Jaffé und Mabillon mit Launoy, v. Sidel S. 4 und Löning II. S. 393 für falſch und vermuthlich von Hinkmar von Aheims geſchmiedet: ſchon wegen der damals noch unerhörten An- Drohung der Abjegung bes Königs dur den Pabſt; über die Fälſchungen päbſt⸗ licher Privilegien von 654—716, f. Urgeſch. IL. ©. 716, über die fehr zweifel⸗ bafte Urkunde Adeodats 672—676 für St. Martin von Tours ©. 717; Löning U. S. 394 bezweifelt fie nicht. 1) &. oben S. 267. 2) ©. Hinfhius, zur Gefchichte der Imcorporation und bes Patronatrechts; Feſtgaben für Heffter 1873. ©. 7. 3) can. 33. ed. Maassen p. 95. 4) Des Widerrufs der Kirchenftiftung. Cap. von 802 co. 15. 5) ©. Karolinger B. VIIL Dahn, Könige der Bermanen. VII. 3. 92

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Selbft wenn ein Klofter einem andern oder einer Kirche geſchenkt war, bob das beſchenkte Klofter zuweilen das Gefchentte auf ober wandte es fammt feinem Vermögen weltlichen Zweden zu: auch falls das Klofter dem König gefchenft ward, gewann bies zwar den Schuß alles Königsgutes gegenüber Dritten, aber nicht Sicherheit vor Auf- hebung u. |. w. durch den König felbft: es war nur ein thatfächlich, nicht rechtlich felbitjtändiges Vermögen, ganz bem römifchen peculium gleiht); nimmt das befchenkte Klofter mit dem geſchenkten alfo feinem Eigentbum dann boch zuweilen „Zaufchgefchäfte” über Höfe, Unfreie vor, fo ift das rechtlich fein Zaufh, denn es fehlt an einem zweiten DVertragenden fondern eine Verwaltungs: maßregel des allein handelnden Eigenthümers, ver thbatfächlich aus feinem übrigen Vermögen etwas jenem peculium zuwendet und bafür umgelehrt eine Peculiarfache feinem übrigen Vermögen einfügt.

Diefe unfichern und unwürdigen Verbältniffe zu vermeiden, war bie Kirche mit beftem Recht befliffen: fie trachtete baher die Errichtung ſelbſtſtändiger Klöfter d. h. juriftifcher Perfonen zu begünftigen oder den bisherigen Cigenthümer zum Verzicht auf fein Eigenthum, zur Selbftftändigmachung des Kloſters, zu einer Umwandlung bes- jelben aus einer Sade in eine Perfon zu bewegen, was zumal in legtwilligen Verfügungen häufig gejchab.

Um das geftiftete felbftftändige Klofter vor der Anfechtung durch bie Erben ober durch ten Biſchof zu ſchützen, fuchten die Stifter bie DBeftätigung ihrer Stiftungs- und Schentungs-Urkunde durch ven König nach: dadurch wurde zwar das Klofter felbftverftändlich weder Königs⸗ gut e8 follte ja al8 Perſon, nicht als Sache gelten und gefchügt werden noch erlangte e8 baburch allein ſchon den Königsſchutz, ber allerdings in ſolchen Fällen dann Häufig daneben noch ausdrücklich verliehen warb: allein die VBeftätigungs- Urkunde des Königs konnte nicht wie bie Stiftung oder Schenkung des Privaten angefochten werben bei Todesſtrafe oder Löfung?) von verfelben mit vem eignen Wergelb 3).

1) So treffend Löning II. ©. 645.

2) Lex Rib. 60,6; Sohm ©. 62.

3) Bgl. die Urkunden D. N. 9 von Chilperid a. 562; N. 65 von Chlobo- ve III. a. 692; N. 92 von Theuderich IV. von 727; (ih nehme mit Löning I. S. 648 an, baß bier das Kloſter nicht dem König geſchenkt wird: nostrum ift wohl verſchrieben), Urgeſch. IH. ©. 729.

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Mit Unrecht behauptet man), jedes Kloſter (jede Kirche) habe einen Eigenthümer, einen Herrn haben müfjen: bem „Heiligen“ ſeien nur einzelne Dinge: Geräth, Unfreie gefchentt worden, „vie dann Zubehör der Kirche bildeten“. Das ift juriftifch unmöglich: die Zubehör kann nicht zugleich der Kirche (einer bloßen Sache) und dem Heiligen db. h. der Genofienichaft gehört haben, abgefehen davon, daß zahl« reiche Beifpiele2) fich finden, in denen das Klofter, bie Kirche ſelbſt Gott oder einem Heiligen ober einer Kirche oder einem Kloſter ge- ſchenkt wird: gemeint ift die juriftifhe Perfon, die Genoffen- Schaft, die mandhmal neben Gott genannt wird: z. B. sanctae ecclesiae cedo agrum ober manchmal allein: ad locum sanctum vel (= et) praedictam congregationem, ad monasterium do- namus, Deo et ecclesiae?); einer Sache fann man nicht fchenken: bas mit Land, Unfreien, einem andern Kloſter beſchenkte Kloſter ift als Perſon gebadht.

Armen- und Kranlen-Häufer waren nah römiſchem Recht nicht jelbftändige Perfonen Stiftungen geweſen (ander8 fcheint e8 die im Oftgoten-Reich aus der Kaiferzeit fortbeftehenvne Stif- tung für gefangene vAfrie®), wo aber nicht von einem Haufe, nur von Geld die Rede ift): fie wurden es auch nicht nach kanoniſchem Recht in Merovingerzeit®): fie ſtanden im Eigentum einer Kirche, eines Klofters, auch wohl von Privaten: Vermögen, der Kirche zugewenbet unter der Auflage der Verwendung zur Armenpflege, vermehren ein- fach unter dieſer Verpflichtung das Kirchenvermögen, nur etwa tbatfächlich wie ein peculium ausgeſchieden ®).

Im Privateigenthum ſtehenden Klöftern oder Kirchen zugewendet, vermehrten fie ebenjo nur das Privatvermögen des Grundeigners und fonnten wie die Privat⸗Kirchen und »Klöfter felbft aufgehoben u. |. w. werben: ber Grundeigner verwaltet fie allein; nicht einmal ein Auffichtsrecht bat damals der Biſchof, das er erft in karolingifcher

1) Slider a.a.D. ©. 21.

2) Löning IL ©. 646 von 631—795.

3) ©. Löning a. a. O.

4) Cassiodor. Var. XII. 9; Baufteine II. ©. 275—289.

5) Segen Baul v. Roth f. unten; auch das Cc. IV. von 549. can. 15 Maassen erwähnte xenodochion Childiberts I. gehörte einem Kloſter. So richtig Löning II. ©. 652.

6) Löning II. ©. 649.

22*

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Zeit erhält!). Anders, wenn das jelbftftänpige Klofter jelbft als Armen- Anftalt errichtet war?): bier galten die obigen (S. 331.) allgemeinen Grundfäge über die Verwaltung bes Vermögens felbftftänpiger Klöfter, bier hatte alfo ber Biſchof wenigftens die Aufficht über die Verwaltung.

Aus jenem rein privatrechtlichen Eigenthum von Privaten au Klöftern flofien (wie wir ſahen S. 337) Solgerungen, bie das kano⸗ nifche Recht mit Fug nicht dulden wollte und baher allmälig nach Kräften abſchwächte: in dieſem Kampfe mußte zum wahren Frommen ber Kirche der kirchliche, vom Bifchof vertretene Stanppunft gegenüber dem bloßen Privatrecht des Eigners zum Siege gelangen, wie e8 denn auch mit der Zeit geichah?).

So warb dem Grunbeigenthümer allmälig das Recht entzogen, ben Priefter (oder Abt) feines Klofters allein zu ernennen: man beftritt in der Folge das Eigenthum bes Errichters auch des Könige an Kirche und Klofter: dieſe wurden nun felbft iuriftiiche Perſonen, Awedvermögen oder die Klöfter und Diöceſankirchen wurden Corporationen, die nun vielmehr felbjt Eigenthum am Boden, ben Gebäuden wie an dem Kirchengeräth ober dem Gelde ver Kirchen hatten.

Bereits beftebenden, dem Biſchof bisher unterftellten Klöſtern fonnte der König nicht allein bie Sreiung gewähren: ber Bifchof mußte zuftimmen und ber König beftätigen. Dies als das Gewöhnliche fegßt die Bormel voraus‘). Der Biſchof ift es, der bier die Freiung verleiht.

Der Eintritt in das Klofter ift an mindeſtens einjährige Probe- zeit und an bie Erfordernifie 5) vorjchriftmäßigen Alters (bei Mäpchen genügen meiſt 15 Jahre) und (nur?) bei Männern Zöniglicher oder gräflicher Genehmigung ®) geknüpft.

Noch fehlte es an einer allgemeinen Ordensregel. Wichtig wur⸗ ben bie von Caefarius für die von ihm gegründeten Mönchs⸗ und

1) So richtig gegen Paul v. Roth, Stiftungen in v. Gerbers Jahrblihern I. &.193; Löning a. a. O.

2) Marc. Form. I. 1; ein Beiſpiel von 636 (Klofter Longuion) bei Lö⸗ ning a. a. O.

3) Richtig Zorn S. 60 gegen Löning II. S. 358.

4) Bei Marc. L 1 juxta constitutionem pontificum (nit ber „Päbfte“! pontifex if bier flet8 == episcopus) per regale sanctionem.

5) Reg. St. Bened. o. 58. c. 59.

6) Form. Marc. I. 19; f. oben ©. 265; die Schwankungen hierin bei Loͤning II. ©. 396;. (infantes Deo oblati).

341

Nonnen-Klöfter verfaßten Regeln: Sancta Rabegundis übertrug fie auf ihr Klofter zu Poitlers!). Nur Armuth2) verlangt das Gelübde, Keufchheit und Gehorfam nicht einmal die Regel Benebicts.

Den Austritt aus dem Klofter verbot die Kirche Mönchen und Nonnen mit immer ftrengeren Strafen: auch der Nichter, ber die Ehe eines entfprungenen Mönches nicht trennt, und jeder, der ihn ſchützt, verfällt ver Ercommuntcation, ja ſchon das Entipringen felbft warb jo geahndet). Aber das Edict Ehlothachars t) beftraft nur bie Nonne (oder auch bloße religiosa) 5), die heirathet und ihren Gatten: bie Ehe gilt auch dem Stat als nichtig); jedoch der Austritt ver Mönche und Nonnen wird nicht weltlich beftraft.

Gegen den argen Verfall ber geiftigen und fittlihen Zucht in ben Merovingen-Klöftern trat Sanct Columba mit der ganzen lodern⸗ ben Gluth feines Teuergeiftes auf”), Hier gewiß mit beftem Necht, bat er auch fonft Streit und Kampf!) mit König und Pabſt mehr als nöthig gefucht. |

Die Regel der Benebictiner, 529 von St. Benedict zu Nurfia errichtet ®), warb im Frankenreich erft im VII. Jahrhundert allgemein verbreitet, num auch von ben iriſchen Klöftern St. Columba's 10) ange nommen und von ten Arnulfingen durch Statsgejeß angeordnet 1).

Die Klöfter!?) waren damals! wie hoch verbiente Pfleger ber Bildung, auch Förderer der Vollswirthichaft, zugleich aber auch bie Site feineren und oft geradezu üppigen, übertriebenen Lebens»

1) Arnold, Caeſarius &. 181. 418f. Greg. Tur. IX. 40, Urgeſch. III. ©. 458.

2) Aber die Kirche konnte ihre Forderung völliger Befislofigleit der Mönche nicht zu weltlichen Recht erheben Löning II. ©. 398.

3) Ce. V. Paris. c. 14. Maassen p. 189.

4) 0. 18.

5) S. Könige VI? ©. 408.

6) Aus dem römischen Recht herübergenommen, Löning II. ©. 402.

7) Urgeſch. III. ©. 353.

8) Löning II. S. 418; Friedrich II. ©. 135.

9) Ueber fein Berhältnig zu Totila Könige I. ©. 245f.; „Totila* in ber Allgemeinen Deutihen Biographie.

10) v. Safe II. 1. S. 24.

11) S. Karolinger; gegen die Uebertreiöung ber fogenannten „eoangelifchen” (b. h. irifch-fchottifchen) Kirche, die St. Eolumba im Frankenreich im Gegenfak zu Rom gegründet haben ſoll (Ehrarb), entſcheidend Löning II. ©. 414; vgl. Zorn ©. 64.

12) Zöning II. ©. 364; Zorn ©. 62; Amold, Caeſarius ©. 30f.

342

genuffes. Die Verleihung an Eorbie von 7161) läßt einen lehr- reichen Blick in die Küche der frommen Herren werfen?): ver Keller wird nicht karger beftellt gewefen fein. Dean begreift, weßbalb tie Gefandten und andern Beamten am fiebften in Slöftern Herberge juchten !

V. Derhältniß zum Pabſt.

Die Beziehungen der fräntifchen Kirche zum Babit?) waren in ber Merovingen- Zeit fo felten und fo ſchwach, daß man fie übrigens zu Unrecht fuft ganz geleugnet bat®).

Treffen hat man bemerkt), daß in den Reichen der Arianer in Stalien, Gallien, Spanien vie Tatholifchen Bifchöfe viel mehr als bei ven Tatholifchen Franken auf Anſchluß an Rom‘) angewiefen waren. Nachdem die Wejtgoten katholiſch geworben, entſteht ſogar bald Auf⸗ lehnung gegen den Pabſt').

Die merovingiſche Kirche war „unabhängige, Landeskirche“s). Der Pabft fchreibt ſich aber Pflicht und Necht der Fürſorge über alle Kirchen?) zu. Zwar ift der Pabſt summus episcopus: mit höchfter Ehrfurcht fpricht von ihm Gregor von Tours, der (auch) nach der Drbination der Päbfte rechnet, wie nach dem Negierungsantritt feiner Könige 1%). Der Bifchof von Arles gilt als fein »vicariuse, aber nur felten werden vie päbjtlichen und Wicariatsrechte geübt.

1) Dipl. N. 86. 2) ©. oben ©. 122. ) Bgl. Weyl in Gierke's Unterſuchungen XL. 1892.

4) Die frühere firenge Unterorbnung der galliihen Kirdhe unter Rom war gerade durch Chlodovech aufgehoben worden. Aber zu weit geht doch Löning II ©. 199: „nach der Berfaffung der fränkiſchen Kirche ſtand dieſelbe fo menig unter dem Biſchof von Rom wie unter ven Patriarchen von Eonftantinopel ober SZerufalem”; f. dagegen unten ©. 346. 347; Rettberg I. ©. 241; Zom ©. 51. 61; v. Safe II. 1. ©. 40.

5) Löning II. ©. 62.

6) Pabſt Hilarius nennt freilich auch den ariauiſchen weftgotiihen Königsſohn Frieverih (Könige V. S. 81) feinen filius, Epistol. Gundl. p. 23. (a. 462).

7) Könige VIL? ©. 403—405.

8) Löning II. ©. 34; Brunner II. ©. 312.

9) Vigilius a. 545 Epist. Gundlach p. 59 de universarum ecclesiarum dispositione et paoe sollieiti, ebenfo p. 64.

10) &o treffend Löning II. ©. 71, der auch hervorhebt, wie die zahlreichen Pilgerfahrten aus dem Frankenreich nach Rom, Weberbleibfel zu holen ober doch

343

Zu Anfang des V. Jahrhunderts fchon (417) hatte nämlich ver Biſchof von Arles den päbftlichen Vicariat, den primatus Galliarum, erlangt und ihn unerachtet mehrfacher Schwankungen behauptet !).

Als primas hielt er Synoden zu Arles mit Bifchöfen mehrerer Provinzen ab (fo a. 455) und übte die DOberanfficht, ſowie das Hecht, bie Bifchöfe der Viennensis und der beiden Narbonnenses zu weihen: auf Wunfch Chilviberts I. ertheilte Pabft Vigilius Biſchof Auranius 545 das Ballium, wobei deſſen Primat über da8 ganze Neich Chil- bibert8 erweitert warb2): die gleichen Rechte wurden ven Nachfolgern verliehen, zulett von Gregor dem Großen a. 595 Biſchof Virgilius?). Bon da ab erlofch diefer Vicariat und tauchte nur viel fpäter a. 878, a. 1066 vorübergehend wieder auft).

Sanct Petrus d. h. die römifche Kirche eignete noch aus der Römerzeit Grundſtücke in Südgallien, zumal im Gebiet von Arles und Marſeilles), ein »patrimoniolum«e Die Könige der Burgunden, Weſt⸗ und eine Zeit lang auch der Oft-Goten hatten, obwohl Arianer, nicht daran gerührt, noch weniger felbjtverftändlich vie Fatholifchen Merovingen feit a. 507, 532, 536. Gregor I.) erkennt an, daß bie Könige der (Barbaren-)Völfer diefen Beſitz gewahrt, ven fpäter Bifchöfe geraubt haben”).

an dem Grabe der Apoftelfürften zu beten, die Verehrung des Pabſtes in Gallien erhöhen mußten.

1) Thomassin c. 30; Hinſchius I. &. 588; Gundlach, der Streit ber Bis⸗ thümer Arles und Vienne um ben primatus Galliarum, Neues Archiv XIV. XV.; (f. jet die päpftlichen Schreiben bei Gundlach, epistol. p. 5—40); Schmit, der Bicariat von Arles, Hiftor. Jahrbuch der Görresgeſellſch. 1891. &. 2. 246) Hinſchius J. ©. 590; Löning II. ©. 76f., der zeigt, daß wichtige dem Bicar vom Pabſt beigelegte Rechte von den Franlenkönigen nicht anerkaunt wurden: der Bicar follte den erfien Rang unter ven galliſchen Biſchöfen einnehmen, nicht der Disctplinargewalt eines Brovincialconcils unterftehen: dieſe Vorrechte wurden nicht durchgeſetzt. Wohl aber haben die Vicare wiederholt über Kirchenfragen nad Rom berichtet und des Pabſtes Entſcheidung eingeholt.

2) Gundlach V. p. 59.

3) Registrum V. 59. Epistola Gregorii ad Virgilium Arelatensem, uni- versos regni Childiberti episcopos et Childibertum regem.

4) Hinſchius I. S. 590. Ueber päpftliche Legaten Entwidelung feit Ofius Hinſchius J. ©. 498; über die vicarii apostoliei, das Eingreiſen von Legaten in Gallien, a. 599 gegen die Simonie S. 504.

5) Griſar, Rundgang burd das patrimonium ©. 353.

6) Registr. VI. 31. p. 427.

7) Valde execrabile est, ut quod a regidus gentium servatum est, ab

344

Die Verwaltung dieſes päbftlicden Grundeigens in Süpgallien war [wir wiffen nicht wodurch? vermuthlich, durch Auftrag des Pabftes und Genehmigung des Königs (welches ? wohl erft eines merovingiſchen nach 536)] dem patricius Provinciae!) als »rector patrimonii« über- wiefen: die Grundſtücke waren nach ber Sitte ber Zeit, zumal ber Kirche, verpachtet: aber die PBachtzinje gingen nicht ein, ver Pabft mahnte die Pächter (conductores) zum „Sehorfam“, d. 5. Bezablen an ben patricius Arigius?).

Außer dem patricius von Provence, 3. B. Placivus, dem Vater bes Biſchofs Sapaudius von Arles, fcheinen fpäter auch die Biſchöfe von Arles die im Patriciat von Arles belegnen Güter verwaltet zu haben).

Allein Schon Babft Pelagius I. hatte a. 556 und 557 Klagen über bie Vorentbaltung der Pachtgelder zu führen. Rector war ber patricius von Arles, Placivus, für das dortige Vermögen *), für das bei Marfeille ber borfige patricius rector provinciae Massiliensis, Dynamius >). Dagegen Verwalter bes arelatifchen Batrimontums war fpäter Bifchof Licerius von Arles, des Virgilius Vorgänger, gewefen; in ver Folge be- ftellte ®regor biezu den aus Rom entjandten Priefter Candidus ®), um bie Verwaltung des ganzen Patrimoniums Sanct Peters zu über- nehmen, da zumal der Biſchof von Arles die Pachtgelver für fich einbehalten hatte: Candidus foll einerfeitS die Pächter gegen Gewalt ſchützen, andrerſeits ven Biſchof von Arles bei etwaigem Wiberjtreben zur Herausgabe der Gelder anhalten und zwar nöthigenfalls burch das Zeugniß bes ehemaligen oeconomus ber Kirche von Arles, bes nunmehrigen Bifchofs von Air. Zugleich forberte er Chilbibert IL,

episcopis dieatur ablatum: bie gentes find in ber Kirchenſprache die Nicht: Chriſten (alfo auch Ketzer), Barbaren, Helden im Unterfchieb von ben Katholiten = Römern und Griechen, der rechtgläubigen Ehriftenheit wie im alten Teſtament im Gegenfat zu dem auserwählten Boll. Auch die Frauken zählen als Bar- baren zu den gentes ]. c. VI. 6.

1) VII 1. &. 72f. |

2) Reg. 1. c. V. 31. a. 595. 15. April p. 311.

3) Doch ift Dies zweifelig, f. gegen Löning II. S. 97 Hartmann p. 311.

4) Oben Jaffe N. 943. 947.

5) Reg. III. 33. VI. 6; Greg. Tur. VI. 7. 11; Urgeſch. III. S. 238. 243; Venant. Fort. Cann. VI. 910.

6) Reg. VI. 51. Juli 596.

345

fpäter deſſen Söhne und Brunichildis auf, in jeder Weile Candidus in Erfüllung feiner Aufgaben zu unterftügen.

Die Könige erbitten ober verftatten bie Verleihung des Palliums an die fränkiſchen Bilchäfe!).

Betrachten wir, dies vorausgefchidt, bie Briefe ver Pähfte von Beginn der merovingifchen Herrſchaft in Gallien an die Könige, Biſchöfe und an andere Große, fo gliebert ſich vie Gefchichte biefes Verkehrs und folcher Eingriffe von felbft in drei Abfchnitte: die Zeit por Gregor tem Großen (a. 545—590), unter Gregor (a. 590—604) umd nach Gregor (a. 604—670).

as Fälſchung ift nunmehr nachgewiefen?) ber angebliche Brief von Anaftafins II. (496498) von 497 an Chlodovech über befjen Zaufe.

Daß Chlodovech dann Pabſt Hormispas (514—523) auf Maf- nung von Sanct Remigius eine goldne Krone mit Edelſteinen, „vie man »regnume SKönigsgewalt zu nennen pflegte”, geſandt babe, ift eine Babel: weber um fie zu tragen, noch auch nur?) um fie als Weihgefchent am Grabe des heiligen Petrus aufzuhängen: jener Dericht fteht erjt bei Sigibert von Gemblaur*), geftorben 1112 (N), und biefer bei dem fogenannten Aimoin5). Man) hat es völlig über- ſehen, daß Chlodovech, geft. 511, drei Sabre im Grabe lag, bevor Hormisdas den päbjtlichen Stuhl beftieg (20. Juli 514)!

Die häufigen Briefe der Pähfte in dem Streit zwilchen Arles und Vienne”?) werden bier übergangen, da beide Stäbte damals noch nicht zum Frankenreiche gehörten (erft a. 537).

1) ©. oben ©. 343; Löning II. ©. 89.

2) Bon Havet, questions m&rovingiennes IV. 1885—90. Damit geht auch ber wichtigfte Anhalt für bie Zeit der Alamanuenſchlacht und ver Taufe verloren, . ©. ©. Ib. ©. 88f.

3) Wie Philipps Kichenreht V. S. 612 noch annimmt.

4) Ser. VI. p. 314.

5) Gesta Francorum I. 24. c. a. 1000! Bouquet III. p. 21 seq. „In ge ſchichtlichen Unterfuchungen darf man fih anf Aimoin ebenfo wenig, als auf... Rorico berufen”. Wattenbah I. S.5. „Selbfifländigen Werth hat (die Franken⸗ Geſchichte Aimoine) . . durchaus nicht“ II. ©. 387.

6) Philipps a. a. O.

7) Bgl. Arnold, Eaefarius a. a. D., GOundlach, Neues Archiv XIV. XV.

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In den Gebieten der doch arianischen Weft- und Oft-Goten und ber großen Theils arianifhen Burgunden hatte Pabſt Johannes II. (532—535) kirchliche Zuchtgewalt geübt, intem er (a. 534) Bifchof Contumeliofus von Riez wegen vieler Vergehen in ein Klofter ein- bannte, abfegte und an feiner Stelle Caeſarius von Arles zum Vifitator beftellte!): Pabſt Agapet verweift dann (535) Caefarius, daß er auf bie Berufung bes Verurtheilten an ben Pabſt nicht gebührend Rückſicht genommen babe?). Wieterholt haben dann vie Päbfte, wie in dem Streit zwifchen Arles und Vienne, fo in Anmaßungen von Bifchöfen, bie andern gehörige Pfarreien an ſich zogen, eingegriffen®) und Johann II. machte feine Entfcheivung über Contumeliofus allen Biſchöfen Galliens, alfo auch denen bes Frankenreiches, wenigftens tund®).

In das Jahr 538 verlegte man bisher ſtets ben erften Fall, ba ein Pabſt einen Germanenkönig feiner Zucht unterworfen habe: allein, wie fich zeigen wird, mit Unrecht und ohne Grunt.

Im Jahre 538 fchreibt Pabſt Vigilius (537—555) an Caefarius von Arles, die Stabt war 537 Chilvibert I. (511—558) zugefallen König Theudibert von Auftrafien (534—548) habe fich durch feinen Gefandten Moberich, ven vir illuster es fällt auf, daß ein Ger- mane in ſolchem Auftrag nach Nom geichicdt wird, bei dem Pabſt erfuntigt, welche Kirchenbuße benjenigen treffe, ter feines Bruders Wittwe geheirathet habe? Man nimmt allgemein an), Theubibert ſelbſt jet ver Schuldige gewefen. Allein bies ift in dem Schreiben mit feinem Worte gejagt, es heißt nur: cujusmodi paenitentia possit illius (vesjenigen) purgari delictum, qui etc., und der Pabft fpricht vielmehr in einer Weiſe, die vorausfegt, daß der König in Sachen eines Andern angefragt habe. Denn er fchreibt an Eaefarius, das könne nur ein dort Anweſender entfcheiden, ver tie Einzelheiten bes Falles, die Aufrichtigfeit ver Reue, die Dauer der verbotenen Ver⸗ bindung genau kenne: Caejarius alfo folle unterfuchen und nach Befund bie Kicchenbuße feitftellen, den König unterrichten (ninstruere«)

1) Epistol. Gundlach p. 45—50. . 2) p. 56. Bei den größtentheils arianifhen Burgunben war a. 463 Pabft Hilarus gegen Biſchof Mamertus von Bienne eingefchritten 1. c. p. 28. 30. 3) l. ce. p. 20. 4) 7. April 534; 1. c. p. 46. 5) So auch Gundlach p. 57: suum delietum,

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nicht etwa „ftrafen“ und ben NRüdfall des Schuldigen verhüten ?), vielmehr follen die Schuldigen fortab getrennt wohnen. Iſt aljo bier feineswegs ber König felbft als ter Schulpige bezeichnet, fo tritt hin- zu, daß wir wiffen, Theudiberts Gemahlinnen waren Deuteria von Cabriere, dann Wifigarbis, die Tochter des Langobardenkönigs Wacho, und nach deren Tod „nahm er ein andres Weib’ jagt Gregor?), mit feinem Wort andeutend, daß biefe dritte feine Schwägerin gewefen. Dazu fommt nun aber das ift doch entſcheidend und gleichwohl noch gar nicht beachtet! daß Theudibert J. überhaupt gar feinen Bruder hatte, deſſen Wittwe er hätte heirathen können! Keim andrer Sohn Theuderichs I. als Theudibert ift bezeugt.

Vielleicht ift eine Vermuthung über die Perfon bes Schuldigen nicht zu kühn. Theudiberts Oheim Chlothachar I. hatte Guntheuka, bie Wittwe ſeines Bruders Chlobomer geheirathet (a. 524). Theudibert warb gleich zu Anfang feiner Herrichaft (a. 534) von Chlothachar be» broht und ftand auch fpäter noch (a. 542) feinplich gegen ihn: es wäre benfbar, daß er die Kirche gegen ven blutjchänverifchen Oheim aufrufen wollte?).

Bedeutſam aber bleibt der Vorgang, weil bier zuerft der Pabſt als Entfcheider einer Tirchenrechtlichen Trage von einem Frankenkönig angerufen wird, und zweitens, weil ber PBabft durch Beſtellung des Metropolitans von Arles zum Urtheiler an feiner Statt deſſen PVica- riatsrecht auch für Auftrafien zur Geltung bringt, obwohl Arles nicht zum Neiche Theudiberts I., fondern Childiberts I. gehörte.

Es folgen nun Briefe tes Pabftes Vigilius (537—555) an bie Biſchöfe Auxanius und deffen Nachfolger Aurelian von Arles, fowie an alle Bifchöfe des Neiches Chilviberts, über tas unter Zuftimmung bes Raifers zu verleibende Pallium‘). Am 22. V. 545 überträgt er in einem Schreiben an jene Bifchöfe Auranius ven Vicariat: geringere Streitigkeiten ſoll er felbft mit den dortigen Biſchöfen entjcheiten, wichtigere und alle bie Lehre betreffenden aber dem Pabjt zur Ent- Scheidung mittheilen; alle Bifchöfe haben des Vicars Ladung zum Concil zu folgen oder, wenn fie mit genügenber Entſchuldigung ausbleiben,

1) ut neo ipse qui hoc nosoitur admisisse . . revertatur; das beweift durchaus nicht, Daß der König gemeint ifl.

2) III. 27, Urgeſch. III. ©. 86.

3) Urgefh. TU. S. 74—98.

4) 18. X. 543. p. 58.

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ſich durch einen Geiftlichen vertreten zu laſſen; endlich foll fein Biſchof längere Reifen unternehmen ohne bes Bicars fchriftliche Erlaubniß (»formatae«) 1),

Aus dem Briefe vom gleichen Tag an Auxanius, der auch tas Pallium verleiht, erhellt, daß auf Antrag (»mandata« heißt es fogar) Childiberts I. (?) der Bicariat beftellt worden fei, und hier geht ver Pabſt auch zuerft in die merovingifchen Statsdinge ein, indem er den Biſchof auffordert, nicht nur für Yuftinian, Theodora und Beliſar zu beten, auch bei König Ehilvibert auf Erhaltung des guten Vernehmens mit Byzanz binzuarbeiten 2).

Am gleichen Zage beauftragt er Auranius noch beſonders, als fein Bicar, unter Zuziehung einer ausreichenden Zahl von Biſchöfen zu richten über Bifchof Praetertatus), ver, wie es fcheint, ohne Einhaltung der fanonifch vorgefchriebenen Stufen aus dem Laienftand auf den Bifchofftuhl erhoben worten war: aljo wieder ein Beifpiel bisciplinaren Eingreifens eines Pabftes in die meroningifche Landes⸗ firche, da6 man mit Unrecht leugnet. Nach dem Tode des Auranius übertrug Vigilius dem Nachfolger Aurelian ganz vie gleiche Stellung und das PBallium, von König Chilpibert wirb aber bier nicht ein „Auf- trag”, nur ein gutes Zeugniß über tes Biſchofs chriftlichen Willen an⸗ geführt*).

Auch die Mahnung wird wieberholt, mit „bilchöflichem Eifer" das Bünbnig Childiberts mit Juftinian zu pflegen, offenbar nicht um ver Friedfertigkeit willen, fonbern gerade umgefehrt, da es gegen bie ketze⸗ rifhen Goten in Italien gerichtet war. Beliſar folle der Biſchof banken für Beförderung eines Schreibens an Juſtinian: man fieht, wie die Tatholifchen Bifchdfe Vigilius war ein Geſchöpf der Kai- jerin Theodora in Italien wie in Gallien mit den Feinden ver Keter eifrigen Verkehr bielten®). Sehr mit Recht war Vigilius, der die päpft- liche Ziara durch üble Verjprechungen an die Kaiferin erfauft Hatte 8 handelte fi um den Dreilapitelftreit) in Gallien in ben

1) 1. c. p. 59. 60.

2) 1. c. p. 62.

3) Von Cavaillon p. 50; Jaffe p. 119; fo Gundlach |. ce.

4) In zwei Schreiben nom 23. VIII. 546 an bie Bifchöfe Childiberts und an Aurellan, bie zum Theil wörtlich bie früheren wieberholen, f. oben Anm. 2.

5) 1. c. p. 63—66. Bgl. Könige II. S. 236.

6) S. Harnad, Dogmengeſchichte II. 378. 401f.; v. ante, Weltgeichichte IV. 2; Müller, Kirchengefchichte I. S. 2745. und unten.

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Verdacht der monophufitiichen Ketzerei gerathen: ver viel Schwankende betheuert Aurelian feine Nechtgläubigfeit und fordert ihn auf, dieſe Erklärung allen Biſchöfen mitzutheilen. Er fchreibt von Byzanz aus: bie Erfolge der gotifchen Waffen unter Zotila, damals (549/550)1) auf glänzendfter Höhe, verhinderten feine Rückkehr nach Italien; und nun begegnen wir bier dem frühften Verfuch eines Pabſtes, vie katholiſche Frankenmacht zur Hilfe gegen andre Germanen in Italien aufzurufen: mas im VIII. Jahrhundert fo Häufig gegenüber den Langobarben gefchehen und fchließlich zur Einverleibung ihres Reiches und Aufrich- tung des karolingiſchen Kaiſerthums führen ſollte. Diesmal tft es bie arianifche Kekerei der Goten, bie dem Pabit den Boden für feine Schritte gewährt. Aurelian joll Childibert bewegen, „in chriſt⸗ (icher Ergebenbeit bei folcher Noth ver Kirche feine Sorge für fie zu bewähren“.

Die Goten find mit ihrem König (Totila) in die Stadt Rom eingebrungen !

Childibert möge dieſem fchreiben, Totila, einem andern Glaubens- gefeß angehörig, folle fich nicht ſchädlich in unfere Kirche einmifchen und etwas thun ober irgend etwas zu thun verftatten, woburch bie tatholifche Kirche verwirrt werben könnte: das war nicht zu be- forgen: der erfte Gang bes Arianers Totila nach ver Einnahme Roms hatte ber Peterskirche gegolten, an bem Grabe ver Apoftelfürften zu beten).

Dezeichnend ift die Begründung, mit ber bamals fchon der Pabſt ben Meroving wie fo oft fpäter feine Nachfolger, die Arnulfingen, zur Einmifchung auffordert: „venn es ift würdig und einem katho⸗ (ifchen König zukommend, den Glauben und bie Kirche, darin Gott ihn hat taufen laſſen wollen, mit aller Macht zu vertheidigen”?). Dieſer Verſuch, Chilvibert gegen Totila in Hantlung zu bringen, blieb unfers Wiffens erfolglos.

Verloren ift ein ungefähr gleichzeitiger Brief an Aurelian, in welchem ber Pabft die durch Childibert einem von ihm zu Arles errichteten Mönchs⸗Kloſter verliehenen Ausnahmsrechte beftätigt: Gregor ber Große*) beftätigt dieſe Privilegien in einem Briefe an Biſchof Vir⸗ gilius von Arles>).

1) Könige II. ©. 232f. 2) Proc. b. G. IT. 20. 3)1. co. p. 68. 4) Rad) Sammarthanus Gallia ohristiana L p. 539 das Apoftel-Klofter. 5) Som Juli 599, Reg. IX. 216; f. oben Kloſterweſen.

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Der nun folgente Pabſt Pelagins I. (555—560) 1) fchreibt an Aurelians Nachfolger Sapaudus am 4. VII. und am 10. IX. 556, letzteren Brief wahrfcheinlich auch wegen ver Anmaßung des Vicariats burch ten Biſchof von Vienne?), dann an Chilvibert. Es handelte fich um bie Beichlüffe des V. Concils von Eonftantinopel (553), die gewiffe Lehren von den Naturen in Chrifto verurtheilt hatten; der Pabſt hatte biefe Beſchlüſſe anerkannt, aber ein Theil ter fränkiſchen Biſchöfe beharrte auf ihrer Verwerfung und brobte, dem Pabit vie kirchliche Gemeinſchaft aufzufagen, wie bereits italifche Bifchöfe gethan. Da griff Childibert J. ein, dies womöglich zu verhüten: er forderte Pelagius durch einen Gefandten Rufinus (vir magnificus) auf, feine Lehre als rechtgläubig darzuweiſen. Der Pabſt rechtfertigt ſich nun gegen den auch wider ihn wie gegen feinen Vorgänger erhobenen Vorwurf ver Ketzerei in bem Dreicapitelftreit. Seit dem Tode der Raiferin Theodora, fagt er, fei feine Furcht vor Kegerei im byzantiniſchen Reiche mehr begrün- det. Der Wahrheit gemäß bezeichnet bier alfo ter Pabſt vie Im- peratrix Theodora als die Führerin der ketzeriſchen Richtung, wäh. rend Yuftinian, den er des Königs Vater (pater vester clementissimus imperator) nennt, von aller Irrlehre frei geblieben fei (?). Er be- kennt fich unbedingt zu den Beſchlüſſen bes Concils von Chalcedon und ber Lehre des Pabſtes Leo in dem Streit über die Naturen in Chriſtus. Zugleich berichtet er, die vom König erbetenen Ueberbleibfel von Apofteln und Blutzeugen durch Mönche des Klofters Yerins und ten homo Bo- nus?) für den König an Sapaubus von Arles gefandt zu haben. [Das Mittelftüd des Briefes ift gefälfcht]®).

Drei Tage darauf5) fchreibt der Babft an Sapaudus, dem er jene Ueberbleibjel fehiet und die Rückſendung eines Boten zu Waffer over zu Land in ficherer Geſellſchaft empfiehlt. Die Beftätigung des Vicariats und Primats wird veriprochen, aber von ausprüdlicher Erbittung abhängig gemacht.

Zugleih wird zum erſten Mal in biefer Zeit ber Befigungen ber römischen Kirche in Gallien Erwähnung gethban. Die Noth ber

1) Ueber die Ermahnungen von Pelagius I. a. 556 und von Gregor bem Großen an bie Könige zur Bekämpfung der Keßerei in Gallien |. oben Zwangs⸗ glaube ©. 195. 203.

2) 1. c. p. 69. 70.

3) Ober Homobonus, fo Jafle p. 126.

4) ©. Jafle 1. ce. 5) (14. XD. 556) p. 73. 1. e.

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römischen Kirche in Italien war durch ten zwanzigjährigen Krieg fo geftiegen, daß fie ihre Verpflichtungen, die Armen zu befleiven, nicht mehr erfüllen, auch ihre Lantgüter nicht wieter aufbefjern konnte. Der Bater des Biſchofs, der vir magnificentissimus patricius von Arles, Placivus, möge alfo bie Pachtgelder (pensiones) der Landgüter der römischen Kirche an ten Pabſt ſchicken!).

Tür einen Theil ver solidi ſoll der Biſchof gleich felbft in Gallien Kleidungsſtücke, geeignet, fie den Armen zu fpenden, anlaufen und mit Schiffsgelegenheit nach Rom fchiden: grobwollene Mäntel ?), weiße Tuniken, Kapuzen⸗Mäntel (cucullas) und Mäntel ohne Aermel oder mit ganz kurzen Aermeln?., Am 3. Februar verleiht ver Pabjt Sapaudus, wie frühere Päbſte früheren Biſchöfen von Arles, den päbjtlichen Vicariat, ven Primat über die ganze galliiche Kirche mit tem Pallium, wobei auch die vornehme Herkunft des Bifchofs hervor- gehoben wird. In ber gleichzeitigen‘) Meittheilung hievon an König Childibert I. wird dieſer gemahnt, die Vorrechte des päbftlichen Vicars um fo eifriger zu fchügen, als fie wie das pallium auf des Königs Wunſch und Bitten ihm ertheilt werben feien.

Aber bald hatte fich der Pabft über Verlegung dieſes Vorrechts burch den König felbit zu beflagen und er erhebt die erjte uns befannt gewordene päbjtliche Beſchwerde wider einen katholiſchen Germanen- König.

Zwiſchen Februar und April 5575) macht der Pabſt Childibert I. bemerflich, das ihm vom Himmel verliehene Glück feiner Regierung fei leviglich die Belohnung feines Eifers für die Kirche; eine Ein- prägung, die feither noch gar vielen Herrſchern recht deutlich verabfolgt worden ift! Er wirft ihm dann vor, daß er fich habe abliften laffen, Sapaudus auf Klage eines feiner Suffragane vor das Gericht eines zweiten feiner abhängigen Biſchöfe (b. h. wohl auf ein Provincialconcil) durch Töniglichen Befehl zu laden, was mit vem Primat und päbftlichen Bicariat durchaus unvereinbar fei, während vielmehr auf Klage des Vicars jener Anmaßer (db. b. ver Vorfitente bes Provincialconcils) in Anklage zu verfegen war. Der Pabſt verlangt raſche Abftellung und

1) ©. oben ©. 344.

2) saga fumentacia: Du Cange VIII. p. 207 gewährt nur fumentum, rauh⸗ barige, im Gewebe anjchwellende Fäden.

3) colobia Du Cange p. 419.

4) 3. II. 557. p. 75.

5) 1. c. p. 76; 557—558 nad Jafle.

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gebührende Genugthuung, um fein verwirrentes Beiſpiel auflommen zu laffen: „denn nur verjenige König dient Gott in rechter Weife, ver bie kirchlichen Ordnungen einhält“. Wir wiflen nicht, welchen Erfolg biefe Beſchwerde gehabt hat.

Am 13. April 557 frägt der Pabſt Sapaudus, welchen Einprud denn auf König Chilvibert, ihn felbft und bie anderen Biſchöfe feine Slaubens-Erklärung gemacht habe? Gemeint ift wohl nicht bie frühere vom 11. December 556 (oben ©. 350), fondern wahrfjcheinlicher bie fo- eben im April 557 an ben König gefanbte, ausführlichere; fo jehr brannte Pelagius darauf, den Erfolg biejes Schritte zu erfahren. Zugleich wiederholt er feine Wünfche bezüglich der Kleider für bie Armen in Rom und empfiehlt ihm und feinem Vater, dem Patricius, bie aus ber fünfundzwanzigjährigen argen Kriegenoth mit Verarmung aus Rom nach Arles Geflohenen!). Solche Armuth und Nadtheit walte in ver Stadt, daß er nur mit Schmerzen diefe Männer anfchauen könne, die er als vornehmen Stand entiproffen kenne. Chilvibert I. und mande gallifche Bilchöfe waren offenbar burch tie frühere Er- Härung des Pabſtes (oben S. 350) nicht voll befriebigt: jener Ge⸗ fandte Rufinus Hatte ihm die Wahl geftellt, fich zu der Schrift (tomus) des Pabſtes Leo über die Naturen in Chriftus zu befennen ober fein Glaubensbekenntniß eigenhändig nieder zu fchreiben und ein- zujenden. Das Eritere hatte Pelagius damals fofort gethan und folche Erklärung an Chilvibert geſandt: „um aber Teinen Anlaß zu Verdacht übrig zu laſſen“ folcher beitand alfo noch immer, was bei ben Schwankungen bes Pabftes fich wohl begreift! thut er nun auch noch bas Zweite, dem König willfährig, „vem zu gehorjamen ja,auch uns bie heiligen Schriften?) befehlen“: eine in den Briefen ver Päbfte an bie Obrigkeit nur felten erjcheinenve Erinnerung! Offenbar waren wie einzelne Bifchöfe in Italien?), Dalmatien, Iſtrien auch gallifche noch

1) 1. o. p. 77; ein Kaufmann Petrus Üüberbringt bes Pabftes Brief.

2) Römerbrief 13, 1.

3) Schon ein Jahr früher 16. IV. 556 (nach Jafle N. 939. 15. II.) ſchilt Pelagius fieben Biihöfe in Tuscia annonaria, darunter wohl die von KBola- terra, Luna und Florenz, baß fie feines Namens im Kirchengebet gefchwiegen, wieberholt feine Lebereinftimmung mit Babft Leo unb ben vier Concilien und fordert fie auf, fi nicht von ihm zu trennen, ba ja, wie ſchon Sanct Auguftin gelehrt, wer vom Pabſte, von ber ganzen katholiſchen Kirche fi) Iöfe L c. p. 80; ob das Schreiben 1. c. p. 81 Jafle N. 938 mit jenem in bas Jahr 559 ober in das Jahr 555 zu ftellen, ift ſehr zweifelhaft.

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immer nicht von ber Rechtgläubigkeit des Pelagius überzeugt, wie aus bem Schluffe des Schreibens hervorgeht, das den König zur Unterbrüdung folcher Keger auffordert. Sein nun folgendes Glaubensbekenntniß ift übrigens lediglich abgejchrieben aus dem erjten Theil ver Erklärung bes Pabſtes Virgilius (vom Jahre 538 2)1). Aber auch auf diefe Rechtfertigung ſcheinen fich die bisher noch wiberftrebenden Biſchöfe Galliens keineswegs beruhigt zu haben. Denn noch ein bis zwei Jahre ipäter 558 (September) bi8 560 beflagt fich ver Pabft bei Sapaudus, daß noch immer in Gallien feine Rechtgläubigfeit an- gezweifelt werde, und zwar wegen jenes Briefes, ven er noch als Diacon über die Naturen Chriſti gefchrieben. Er befennt, daß er bamals in ber Blindheit der Unwiffenbeit dem Lichte der Wahrheit wiberjtrebt habe: er babe aber doch Tängft ihnen auf Bitten des Königs feine nunmehrige NRechtgläubigfeit ausgefprochen. Nun tehrt er aber ven Spieß um: er fei bereit, ſtets Rechenfchaft zu geben: „aber wer unter euch vermag Rechenſchaft zu geben über die Dinge, die bei euch vor- fommen ? oder in welchen canones finbet fich verftattet, daß ein Laie an Einem Tage zum Geiftlichen, zum Akolyt, zum Subbiacon, zum Priefter und zum Bifchof gemacht wird, der vor einer Stunde mit ben Laien feines Haufe, ja mit feiner Ehefrau vielleicht zufammengelebt bat?“ Das war in ber That ein in ber fräntifchen Kirche ſtark ver- breiteter Unfug (f. oben ©. 256). Dagegen berührt einen uns fonft kaum bezeugten altheidnifchen Gebrauch ver falgende Vorwurf: „ober wer wird den Frevel rechtfertigen, daß bei euch dem gläubigen Volt von einem Götzenbild gleichjam jedem nach feinem Verdienſt bie Ohren, die Augen, die Hände und andere lieber zugetheilt werben ?“ Offenbar bei einem Götterfeft: vielleicht von einem Gebildbrod, das einen Gott varftellte2). Mit diefen fehroffen Vorwürfen gegen Sapaudus bricht der Briefwechſel ab, ver fo freundlich begonnen hatte.

Bon des Pelagius Nachfolger Johannes III., genannt Catellinus, (560—573) wird jene Entfcheivung über die Wiedereinſetzung gallifcher Biſchöfe berichtet). Dagegen find Fälfchungen die ihm zugejchriebenen Urkunden vom 11. III. 562, in denen er das St. Mebarbus- Klofter zu Soiffons zum Haupt aller Klöfter Galliens beftellt, auf Wunfch Chlothachars I. (ver damals ſchon wenigftens 9 Monate tobt war),

1) Jaffe N. 908. p. 118. 2) Römifch-Keltifch oder Germaniſch? Keiner, disquisitiones eriticae p. 202. 3) Greg. Tur. V. 21, Urgeſch. III. ©. 199; unten ©. 354.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 23

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beffen Beſitzungen beftätigt und ihnen Ehrenrechte verleiht, und vom 19. VII. 560573 in Pſeudo⸗Iſidor!), die allen Bifchöfen Galliens und Germaniens verlünbet, daß den chor-episcopi bie Hanbauflegung und andere nur den echten Biſchöfen (pontifices) zuftehende Verrich⸗ tungen nicht verftattet feien. Der c. 850 geführte Kampf gegen bie Weihbifchöfe?) wird bier als ſchon c. 560 entſchieden bingeftelit).

Keine Einwirkung des Pabſtes auf die Landeskirche wird zwar verftattet in der Geſetzgebung regelmäßig auch nicht in der Surie- bietion. Jedoch von letterer Regel bejteht eine Ausnahme, bie man nicht*) Hinweg deuten darf und bie genügt, bie Anerkennung ves Grundfages darzuthun. Die Biſchöfe Salonins und Sagittarius waren von dem Concil zu Thon (zwifchen 567 und 570) wegen zahlreicher Verbrechen des Amtes entjegt: aber fie Ilagten bei dem König, ben fie fich geneigt wußten, über tie Ungerechtigkeit biefes Urtheil® und baten, ihnen zu verjtatten „zum Pabft der Stabt Rom zu geben, bei ihm Berufung einzulegen“.

Ohne folche Verftattung wäre fhon das Verlaſſen tes Theilreichs verboten gewefen: aber auch briefliche Berufung an eine fremde geifiliche Behörde hätte noch der Föniglichen Zuftimmung beburft. Die Erlaubniß wird ertheilt, ſogar Briefe an ven Pabſt giebt ihnen Gunt⸗ hramn mit. Der Pabſt prüft ihre Befchwerben gegen bie ungerechte Entfegung und richtet an den König Schreiben, worin er „befiehlt“ fie wieder einzufegend). Das darf man nicht juriftifch dahin ab- ſchwächen, daß die Zuftimmung bes Königs (wie allerdings zu ber Reiſe nach Rom) auch zur Wiebereinfeßung erforderlich gewejen wäre: er erfüllt, was ver Pabſt „befiehlt“. Thatfächlich freilich ift richtig, baß die Gunft des Königs erheblich mitwirkte; feine Briefe waren wohl Bürfprachen, und der Pabſt wußte, daß fein Enticheid dem Wunfche bes Königs entſprach; daher verſuchten die beiden Bifchöfe, als fie fpäter von einem zweiten Concil nochmals abgefett wurden, gar nicht eine zweite Berufung nach Rom, weil fie einftweilen bie Gunft bes Königs verwirkt hatten, ver fie nicht mehr empfohlen und wohl gar

1) Hiuſchius, Pseudo-Isid. I. p. 715.

2) Hinſchius U. 1. ©. 161.

3) Jaffe N. 1039. 1042.

4) Mit Löning II. ©. 62. 85.

5) Greg. Tur. V. 20, jubet locis suis eosdem restitui quod rex sine mora implevit, Urgeſch. III. ©. 197.

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nicht würde wieder nach Rom haben reifen laſſen; allein dies rein Thatfächliche kann ven Rechtsgrundſatz nicht abichwächen, daß Berufung von einem fräntifchen Concil an den Pabſt ftatthaft war und ber König den „Befehl” des Pabſtes vollzog‘).

In einem früheren Valle fam vie Frage, ob der Pabft zur Ent- ſcheidung über einen Königsbefehl von einem Bifchof angerufen werben Fire, nicht zum Austrag, da der König feinen Beichluß zurüdnahm. Childibert I. hatte in Melun, das zum Bisthum Sens gehörte, ein neues Bisthum errichten wollen. Biſchof Leo von Sens brohte, alle bei der Orbination biefed neuen Biſchofs mitwirkenden Biſchöfe zu excommuniciven bis zur Entſcheidung des Pabftes (oder eines Concils). Der König gab nach?).

Bon feinem Nachfolger Benevict I. (574—578) find Briefe in das Frankenreich nicht erhalten.

Pelagius II. (578—590) ift ter erfte römiſche Biſchof, ber wie feine Vorgänger wider bie Dftgoten fo num gegen die Lango— barben die Macht der rechtgläubigen Frankenherrſcher anzurufen unternimmt, was fich fpäter immer häufiger und heftiger bis zur Einverleibung des langobarbifchen Reiches in das fräntifche wieder⸗ holen und fteigern ſollte. Er ſchreibt (am 5. X. 580)3) nicht an ben päbftlichen Vicar zu Arles, fonvdern an Biſchof Aunacharius von Aurerre in gejchicdter Wendung, wenn ihn der Kriegslärm ber Langobarden abgehalten habe von der geplanten Reife nah Rom und wenn er die römische Kirche als Haupt aller andern fo Hoch verebre, dann wäre es feine Pflicht gewejen, mit allen Kräften für pie Abwehr folcher Bedrängniſſe diefer Kirche zu arbeiten. Denn e8 fei nicht „müßig“ (otiosum), d. h. unbebdeutfam (zufällig), ſondern bewunderungswürbig von ber göttlichen Vorſehung fo eingerichtet, daß die Franken— Könige mit dem römifhen Imperium im gleihen Glauben ftehen: fo babe bie Vorfehung fie der Stadt Rom, von der das Imperium ausging, und ganz Italien zu Nachbarn und Helfern beftellt. „Hütet euch alfo, daß eure Xiebe zu uns als zu ſchwach beſchuldigt werbe, nachdem euren Königen (Chilvibert II. und Guntchramn) von

1) Anders v. Gieſebrecht, Gregor, Ueberſetzung; vgl. aber auch Guadet et Taranne zu diefer Stelle. 2) Epistolae Gundlach p. 437 (c. a. 540). 3) Childibert IL, nicht Guntchramn, wie Löntng II. S. 64 meint; wohl auch ber Brief vom 5. X. 580 bei Gundlach p. 448, 23°

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Gott die Macht, uns zu helfen, verliehen ift, ihr aber unterlaßt oder zögert, fie mit bifchöflichem Rath zur Gewährung folder Hilfe zu be wegen.” Er fendet die vom Biſchof und dem König!) erbeterren Ueber⸗ bleibfel mit dem zugehörigen Segen?). Er mahnt aber den König, bie Tempel ver Heiligen, deren Wunderkraft er fucht, von ver Befleckung burch (Barbaren, Heiden-)Völfer?) zu befreien; „eilet, euren Königen auf das Dringendfte zu rathen, ſich von Freundichaft‘) und DOünenig unferes höchjt unausfprechlichen Feindes, ber Langobarden, in rettender Vorſicht zu trennen, auf daß nicht, wann die Zeit der Vergeltung für biefe nabt, was, wie wir von Gottes Erbarmen hoffen, geichwind geichehen wird, auch jene Könige, als deren Genoffen erfunden wer- ben, weil ja gejchrieben fteht: „nicht nur, die ſolches thun, auch bie jolches billigen, find zu ftrafen“5). Hier®) werben ſchon zweihundert Jahre vor Karl Martell, König Pippin und Karl dem Großen bie gleichen Mittel der Lodung, Warnung, Drohung angewendet, bie dieſe gegen die Langobarden unter die Waffen bringen follten.

Ein fpäterer Brief an Aunachar”?) wünjcht nur in ganz allgemeinen Worten Bemühung zur Abwehr ver Bedrängniſſe des Pabſtes. Der Pabſt freut fich über die berichtete ftarfe Vermehrung ver Kirchen in Gallien®).

Sein Nachfolger Gregor I., ver mit Necht ven Namen des Großen führt, wandte feine gewaltige, alle Angelegenheiten ver Kirche im Abend- und im Morgen-Land umfaſſende Wirkſamkeit und Thätigfeit®) auch der fränkifchen Kirche mit folchem Eifer zu, daß er in 11 Iahren (von 591 bis 602) nicht weniger al8 59 Briefe nach Gallien gefenvet

1) Der Name bes gloriosissimus filius noster ift nicht genannt: alfo ift e3 wohl Guntchramn, zu befien Reich Aurerre gehörte.

2) (sanctificatione) cum quoherenti (sic) sibi.

3) gentium: die Langobarden waren damals noch zum Theil Helden, zum Theil Arianer.

4) amicitiis muß gelefen werben, wie eine Hanbfchrift gewährt: nicht inimi- eitiis, wie in den Zert gejeßt warb.

5) Römerbrief I. 32.

6) Epistol. 1. e. p. 448.

7) Bom 31. X. 586 (ober 587); 1. c. p. 450.

8 Falſch ift der ihm zugefchriebene Brief an alle Biſchöfe Germaniens und &alliens in Ivonis decretum II. c. 77.

9) Wißbaum, bie Sauptrichtungen und Ziele ber Thätigkeit Gregors bes Großen 1884.

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bat!). Die zahlreichen Briefe Gregors an Brunichilbis, ihren Sohn und ihre Enfel die Antworten find verloren zeigen in lehr- reicher Weife, wie fo mannichfach und tief eingreifend damals die Ein- wirkungen des Pabſtthums auf das anftrafiiche Neich waren. Gleich ber erjte Brief an die Bifchöfe Virgilius von Arles (588—610) und Theodor von Marfeille (575—594) vom Juni 591 übt das Necht des Pabftes, auch in die Bekehrungsarbeit der gallifchen Biſchöfe ein- zugreifen; er verbietet die gewaltfame, empfiehlt bie belehrende DBe- fehrung der dortigen Inden?).

Im April 593 dankt er Dynamius, dem patricius von Gallien, b. h. tem dux von Maffilia, für die durch Hilarius®) überfendeten 400 gallifchen solidi®) aus ven Einkünften bes gallifchen patrimonium St. Petrid). Er ſchickt Heilige Weberbleibfel: Stüde von ber Kette St. Petri und von ber Hürde des 5. Laurentins: geiftwolle Bezie⸗ hungen, finnige Worte verbindet der Pabſt auch mit diefen fonft meift gedankenlos überſchickten Spenden.

Pelagius Hatte als Gegenleiſtung für feine Rechtfertigung) von Ehilvibert I. die Ausrottung aller Kegerei und Kirchenfpaltung verlangt. Diefe feheint jedoch nicht oder doch nicht erfchöpfend durchgeführt zu fein, denn noch 591 drohen iftrifche Bifchöfe, bie jenes Concil nicht anerkannten, dem Kaifer Mauricius, falls er Gewalt brauche, mit dem Anfchluß an einen fränkifchen Metropoliten, wonach alfo in Frankreich Zwang in biefer Frage nicht zu beforgen war”).

Daher kann fich Gregor der Große noch®) beffagen bei Bruni- childis, daß fogar der von ihr an ihn abgefandte Biſchof Syagrius von Autun, ver das Pallium abholen follte, ein Schismatiker war?).

1) Die Zahl feiner Briefe Überhaupt überfleigt 800. Selbſtverſtändlich kaun bier nur politiſcher und ſtatsrechtlicher Inhalt biefer reich fließenden Quellen bar- geftellt werben, ber noch viel bebeutfamere fittlihe, veligiöfe, culturgeſchichtliche bleibt den „fräntifhen Forſchungen“ vorbehalten.

2) Reg. I. 45. p. 71.

3) Dem Notar? I. 73—75.

4) Ueber deren Minderwerth im Berhältniß zu ben byzantiniſchen ſ. Mommfen in der Zeitfchrift v. Beder und Muther III. ©. 455: der fränlifhe wog um !/s leichter; vgl. Soetbeer, Forſch. I. S. 287.

5) ©. dieſes unten. 6) Oben ©. 350. 352.

7) So überzengend Löning II. ©. 47.

8) a. 597.

9) Registrum II. p. 6. VIII. 4 (September 597, nicht 598, vgl. Hartmann in der Ausgabe).

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Er warnt feine Freundin Brunichilvis in feinen Briefen!) vor Simonie, wie er denn überhaupt als berechtigter Wächter?) der Tirchlichen Orbnung und Disciplin auch in Gallien auftritt. Dagegen find die Briefe und Klofterfreiungen, in denen er Könige für ben Fall des Wort- bruchs mit Abſetzung bebroht, als Fälſchungen bargewiefen?).

Ferner verlangte Gregor von Brunichildis, fie folle nad juftinianifhem Recht nicht dulden, daß Juden chriſtliche Knechte hielten ®).

Nach Gregor dem Großen>) tritt auf lange Zeit Unterbrechung bes Verkehrs zwilshen ven Päbjten und ven Frankenherrſchern ein: nur Bonifatius IV. (608—615) ſchreibt am 23. Auguft 610 an König Theuderich II. und Bifchof Florian von Arles, dem er das Pallium hit auf Wunſch des Königs, deſſen Sorge für die Armen er rühmt und fürder für die Kirche und die Armen des h. Petrus in Anfpruch nimmt: dem Bifchof empfiehlt er das Gut ver römiſchen Kirche in Gallien und Belämpfung ver felbftverjtändlich keineswegs ausgerotteten Simonies). Die angeblichen Schreiben von Johannes IV. (a. 640—642) an Chlothachar IL. (der ſchon a. 628 geftorben !) fowie an Chlodovech II. (a. 638—656) find falfch oder gefälfcht?).

Nun aber erfolgte ein benfwürbiger erfter Verfuch des römifchen Stuhls, die Macht der Franken zu feinem Dienft heranzuziehen wie ein Jahrhundert fpäter mit wmeltgefchichtlichem Erfolge gefchah. Pabſt Martin I. wollte durch feinen Freund Sanct Amand Kirche und Statsgewalt der Franken gewinnen zur Belämpfung ber byzan⸗ tinifchen Ketzerei des Monotheletismus®). Diefer Kampf war fchwer genug und wurbe mit bezeichnenden Mitteln gefkärt. Kurz vorher (a. 646) hatte Pabſt Theodor I. (a. 642—649) ven fegerifchen Patri⸗ archen Pyrrhus von Byzanz verbammt und in die Dinte, mit ber

1) Reg. VII. 4.

2) So ſelbſt Löning II. ©. 35. 62, der fonft das Eingreifen bes Pabftes faft völlig ausſchließt.

3) Pardessus I. ©. 165. 188£.—190. Brequigny, preface p. 204; ſ. die reiche Literatur bei Löning II. ©. 392 und deſſen eigne Übergeugende Ausführung. Weyl S. 11. 12. 78 bringt nichts Neues bei.

4) Regist. IX. 109. a. 599?

5) ©. oben ©. 206.

6) Jaffe, Reg. p. 221.

7) ©. den Nachweis Urgeſch. III. ©. 657.

8) Oben ©. 357.

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er eigenhändig die Verfluchung fchrieb, aus der koſtbarſten Reliquie Chrifti eignes Blut geträufelt: fchwerlic im Sinne Chrifti! Und jüngjt erſt hatte Martin I. (a. 649—653) (auf dem römifchen Concil vom 5.—31. X. 649) das Anathern auf diefe Keter gefchleuvert. Gleich darauf fchreibt er an Sanct Amand!), er möge fein Pathlind Sigibert III. bewegen, fräntifhe Bifchöfe nach Rom zu fchiden, bie mit anderen bes Abenplandes zufammen im Auftrag des Pabftes das Anathem wider die Irrlehre dem Kaifer nach Byzanz bringen follten: ber Pabſt wollte aljo dem Kaifer mit Hilfe ver fränkiſchen Kirche und Statsgewalt als das Haupt ter ganzen abendländiſchen Chriften- heit entgegen treten. Gleichzeitig und in gleihem Sinne fchrieb Martinus auch an König Chlodovech II. von Neuftrien (a. 649—653) und beifen Bifchöfe?), aber ohne Erfolg. Es waren wohl vor Allem bie inneren Wirren in beiten merovingifchen Reichen, bie beren Ein⸗ ſchreiten hinderten. An die echten Schreiben des Pabftes?) knüpft fih wieder eine Reihe von Fälfchungen, die, wie die ber Briefe von Johannes IV.*), höchſt bezeichnend find für die Zwecke ber Fälicher: Freiungen für Klöfter, vie zum Theil unmittelbar unter Rom geftelit werben follen).

Bon da ab erlifcht der Verkehr ver Päbfte mit den Merovingen: wenigftens find uns feine Urkunden ober andere Zeugniffe von folchem erhalten ; erjt mit den Arnulfingen werben vie Beziehungen angelnüpft, bie dann von weltgefchichtlicher Wichtigkeit werben follten. (S. Karo⸗ linger).

Die erſten Belehrer in dem rechtörheinifchen Germanien waren Iren und Schotten gewefen, die, ohne Unterordnung unter Rom, ohne Einrichtung von Bisthümern, alles Gewicht auf die Kloftergründungen legten, deren Aebte an ber Bilchöfe Statt walteten, bifchöfliche Ver⸗ richtungen übten.

Dagegen die Angeljachfen, vie nach manchfachen Unterbrechungen zu Enbe des VII. und zu Anfang bes VIII. Sahrhunderts die Be⸗ fehrungsarbeit wieder aufnahmen, arbeiteten in ftrenger Fügung unter

1) Vita St. Amandi Mabillon II. p. 721.

2) Vita St. Eligii e. 33. p. 88,

3) Jaffe N. 20582061.

4) Oben ©. 358.

5) N. 2073—77; vgl. 2044—2047 über das Recht des Pabſtes, Klöftern im Srantenreich ſolche Borrechte und VBefreiungen zu verleihen, f. oben ©. 336; liber bie Urkunde bes Pabſtes Adeodat (672—676) ſ. oben ©. 337.

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Rom und mit Einrichtung von Bisthümern: wir werben fehen (Rarolinger), daß es proteftantifche Vorftellungen und folche unfres Jahrhunderts widergefchichtlich in jene Zeiten tragen beißt, baraus einen Vorwurf zu ſchmieden gegen dieſes „Romanifiren”: eine ger- maniſche ober gar „deutſche“ Nationallirche war damals undenkbar: bie fchwachen Anfänge des Chriftenthbums wären ohne den Schuß ver römiſch-katholiſchen Arnulfingen, ohne vie Lehnung an Rom dem Heidenthum nicht gewakhſen gewefen und in zahllofe wüfte Teßerifche Berirrungen und Spaltungen entartet, die auch trog Rom und Boni- fatins eine arge Gefahr bilveten!).

VIII. Gebietshoheit.

Gebietshoheit konnte es ſelbſtverſtändlich im germaniſchen Stat erſt geben, ſeitdem ein feſtes Gebiet von dem Gauſtat oder dem der Völkerſchaft eingenommen, ſeitdem Seßhaftigkeit eingetreten war, mit der Abſicht, dauernd ein gewiſſes Land zu behaupten.

Ein ſolcher Beſchluß warb aber nicht plötzlich gefaßt: bie Un- möglichkeit des Umherziehens in alter Weile, bie Nöthigung, zu bleiben, trat nur allmälig in das Bewußtſein.

Daher war eine Zeit lang noch auch nach dem thatfächlichen Uebergang zur Seßhaftigfeit nicht das Land, lediglich der Verband ber Menfchen die Grundlage und der Träger des States, wie in ber Borzeit, da noch gar fein andrer Verband als jener perjönliche Zu- fammenbang ber Geſchlechter möglich, ein „Statsgebiet“ noch gar nicht vorhanden war.

Demgemäß ift ver Gau (pagus) ein Inbegriff von Menſchen, ber alfo 3. B. auswandern kann fo bie vier pagi wie der (feltifchen) Helvetier, fo der Sueben bei Caefar?).

1) ©. Karolinger. Weber das Recht der Synoden, der weftrömifchen und ber oftrömifchen Imperatoren, dann der Franlenkönige, ven Pabſt zu richten und ab⸗ zuſetzen, f. für die Oftgoten Könige III. ©. 210f., für das IV. und V. Jabr- hundert und bie Franken Hinſchius I. S. 297f.; f. aber andrerfelts bie Beläge für das hohe Anſehen ver päbftlihen Decrete auf ben fränkiſchen Eoncilien in ben fränkiſchen Forſchungen.

2) Bellum Gallicum I. 12; Könige I. ©. 41.

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Weiter aber darf man nicht gehen, nicht ver franzöfifchen Schule bas’Zugeftänpniß machen, daß auch noch zur Zeit Chlodovechs eine ®ebietöhoheit völlig gefehlt, die Gewalt des Königs ſich nur auf bie Menſchen bezogen habe, die unter ihm ftanden und mit benen er auch ausziehen, die Wohnfige ändern konnte, nicht auf ein beftimmtes Zerritorium!). Freilich konnte er mit ihnen ausziehen im Krieg und bie Wohnfige erweitern: burch Eroberung, auch wohl „ändern“, indem man, von Dften gebrängt, nah Weften auswich: allein im Wefentlichen behielt man bie alten Sige, auch wenn man fich über nene ausbreitete: als die Ahnen Chlodovechs von Difpargım aus Zournai und Cambrai gewannen, gaben fie Dijpargum nicht auf.

Nicht erſt aus dem römilchen Stat haben bie Germanen ben Begriff ver Gebietshoheit gelernt: fchon vie feierlichen, auch götter- bienftlichen Handlungen, welche die Landnahme begleiten, das Um⸗ fahren, Umreiten, Umgehen mit Opfern für die Gränz- und Landes- Götter2), ver erhöhte Friede der Gränzmale) bezeugen ven Nachdruck, ben auch das Rechts bewußtſein auf das Statögebiet legte.

Auch bei Nordgermanen und Angelfachfen, wo von Entlehnung aus Rom keine Rebe fein Tann, wird ter Gedanke ver GebietShobeit von Volk oder König kraftvoll burchgeführt.

So ift e8 nur Zufall‘), daß in Gregors Worten?) bie Alamannen nur fih, dagegen in den Worten der Gefta®) bie Franken Theubiberts II. fi) 614 und ihr Land Theuderich II. ergeben.

Kein Gegenſatz ift hierauf zu bauen: Chlodovech erwarb die Ge- bietshoheit über da8 Land wie Heer⸗ und Gerichts-Bann über das Volt der Alamannen, ebenfo über vie Gaue ber von ihm audge- morbeten Könige. Auch ſchon vor Chlodovech ftand der König nicht nur an ver Spibe eines Volles, er hatte auch ein Gebiet unter fich, das freilich buch Wanderung verlaffen, auch wie heute durch Eroberung erweitert oder burch Niederlage verkleinert werben konnte: den Gedanken des Statsgebiets, ber ftatlichen Gewalt von Volk oder König darf man dem altgermanifchen Stat nicht abfprechen, auch nicht erft mit dem „Reich“ Chlodovechs entftehen Laffen”): wir brauchen das

1) Wie Waitz ©. 136. 2) 3. Grimm, R.⸗A. ©. 259. 3) Ebenda ©. 260. 4) Dies gegen Wait ©. 136. 5) II..30, Urgeſch. III. ©. 49. 6) c. 33.

7) Wie Waitz S. 137 und, wie es feinen will, auch Sohm G.⸗V. ©. 37 und v. Sybel ©. 305.

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fehr verfchieven verwendete Wort Reich von einem folden Stat, ber Angehörige mehr als Einer Volkesart umfaßt: auch Chlodovechs Vor- fahren beherrichten bereits Römer, daher wir auch von Childirichs und Chlogio’8 „Reich“ fprechen Fünnten. Auf ven Umfang bes Landes allein Tann e8 nicht anlommen: ein „Sachfenreich“ fagen wir nicht, obwohl das Land der Sachen vom Rhein bis zur Eiber reichte.

Die Gebietshoheit wird gelegentlich wohl ganz privatrechtlich als dominium. bezeichnet, wie das Eigenthum über irgend ein Privat grunpftüdt): doch ift völlig ausgeichlofien, daß die Franken, die andern Germanen und die Römer im Reich Privateigenthum: des Königs am ganzen Reichsboden anerkannt hätten; nicht einmal bei Karl auf ver Höhe feines theofratifchen Wahnes nach 800 findet fich eine folche Andeutung.

Der König verfügt allein handelnd kraft feiner Gebietshoheit, Militärhobeit, Polizeihobeit, Vertretungshobeit über das Gebiet: er legt Befeftigungen an, er fperrt und überwacht die Gränzen, bie Straßen und Brüden, er tritt Lanbestbeile ab und erwirbt neue durch Eroberung oder Verträge, ohne Volfsheer oder palatium zu bes fragen: 3. B. bei ven Landabtretungen Chlothachars IL, dann den Ver- trägen zwifchen Theuderich. II. und Theudibert IL; anders, wenn ein Vater dem Sohn einen Theil des Reichs als Sonderreich überweift: jo Chlothachar II. Dagobert I., dieſer Sigibert III.: denn dies ges ſchah auf Betreiben des aujtrafifchen Adels, während ebenfo a. 589 Childibert das Gebiet von Soiffons feinem Sohn Theudibert auf Wunfch der Großen überwies 2).

Bei den Weftgoten wird einmal das Recht des „Gotenvolkes“ an dem Neichögebiet betont ?).

Daß die fat ununterbrochene Gliederung in Theilreiche von 510 —690 (ausgenommen nur 558—561 und 613—621) die Auffaſſung bes ganzen Frankenreichs als Eines States, Eines Gebietes gegenüber bem Ausland unerachtet der häufigen inneren Kriege nicht aus» Ihloß, ift in diefem Werke ftärker als von feinen Vorgängern hervor: gehoben worben.

1) Ce. Arvern. Biſchofe, andere Geiftliche, Weltliche ad domnorum regum patrum vestrorum dominium pertinentes.

2) Greg. Tur. IX. 36, Urgeſch. III. ©. 452,

3) Könige VL2 ©. 505.

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IX. SBertretungshoßeit.

Thatjächlich üben die Merovingen tie Vertretungshoheit jo gut wie völlig unbeſchränkt, während anbrerfeits Fälle nicht felten find, in welchen. das Heer ben König wider deſſen Willen zum Trieben, häufiger zu Beute verbeißendem Kriege zwingt.

Unfere Quellen, fagen leider nie, was hiebei ftatsrechtlich Nechtens

war, fie berichten: „ver König fragte das Heer“, ober „das Heer zwang ben König“; daß er zu fragen verpflichtet, daß der Zwang ein be- rechtigter war, fagen fie aber nicht; fo kann man nur die einzelnen Bälle unterfuchen. Das Recht, über Krieg, Frieden und Bündniß zu entjcheiben, batte in altgermanifcher Zeit nicht der König, fondern die Volksver⸗ fammlung gehabt, wenn auch felbjtwerftändlich thatfächlich gerade auf biefem Gebiet eine gewaltige und Huge Beldengeftalt ihren Willen häufig ſchon früh durchſetzte.

Eine Vollsverfammlung im alten Sinne gab e8 unter den Mero⸗ bingen nun nicht mehr, einen Reichstag im karolingiſchen Sinne noch nicht. Sp war dieſe dem König entgegenftehende Schranke nicht mehr und noch nicht vorhanden: e8 gab nur eine Verfammlung bes Heeres t); biefe allein Tam alfo in Betracht bei Beſchränkung ver Vertretungs- hoheit des Königs. Und da fanden wir denn freilich wieverholt, daß das Heer, gefragt oder ungefragt, mitjpricht, ja entjcheibet.

Denn einerfeits thaten felbftverftändlich die Könige ſehr klug baran, vor einer Kriegserklärung die Zuftimmung und ben Eifer ihres Volfsheeres einzuholen und zu weden: fo Chlodovech 5062), allein nirgends, wie bemerkt, ift gejagt, daß fie?) vechtlich werpflichtet waren, ſolche Zuftimmung einzuholen.

Chlodovech befchließt, allein handelnd, ven Krieg gegen Syagrius, Thoringe, Alamannen, feine Mitkönige, nur thatfächlich fucht er ven campus Martius zum Glaubenskrieg witer bie Weftgoten zu bes geiftern 4); daß dieſer das Recht hatte, die Heerfolge zu weigern, wird

1) VII 2. ©. 256.

2) Greg. Tur. II. 37, Urgeſch. III. &. 62. 3) Greg. Tur. III. 7, Urgeſch. IH. ©. 75. 4) Greg. Tur. II. 37, Urgeſch. IIL ©. 62.

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nirgend gejagt (f. oben Kriegsweſen). Ebenfo fteht es, als Theuberich I. gegen die Thüringe zieht?).

Anbrerfeits drohen bie Franken freilich Theuberich I., ver den Zug feiner Brüber gegen Burgund nicht mitmachen will, ihn zu verlaffen und biefen zu folgen, und nur burch Bitten, nicht durch Heerbann oder Entfcheibungsrecht über Krieg und Frieden, kann er fie bewegen, fih ftatt deffen mit einem antern Beutezug zu begnügen?)

Dagegen ift e8 offenbar nicht Ausübung des Rechts des Volks⸗ heeres, ift Aufruhr, wenn das Heer Chlothachar I. mit Anwendung leibliher Gewalt zwingt, die Sachfen anzugreifen, deren Friebens- bedingungen er annehmen wild. Das ift fagenhafte Spiegelung nicht eines echtes des Volkes, fondern der zügellofen Beutegier des Heeres; nur etwa Erinnerung an ein ehemaliges Recht des Volls⸗ heers, den Krieg zu befchließen, mag befchönigenp nachgewirkt haben. Ebenso ift e8 offenbarer Nechtsbruch, wenn die wilden Weberrheiner Sigiberts I. trog der Abmahnung ihres Königs in beffen eignen Ge- bieten auf Gewalt und Plünverung in Gallien beftehen: er Tann ihnen nicht wehren: erft fpäter wie Chlodovech‘) ftraft und rächt er jogar mit gefchärfter Todesitrafe ſolch offne Verlegung nicht nur feines Entſcheidungsrechts über Krieg und Frieden, fogar feines deer- bannrechts >).

Bei den häufigen Bruberfriegen feit 511 brauchen tie Mero- vingen das Volksheer um fo weniger zu fragen, als biejelben nur jelten mit Aufgebot der ganzen Waffenmacht des Theilreichs, meift nur durch das einzelner Gaue, dann durch das Waffengefolge ber Könige geführt werven. Schwerfte Verlegungen ver Mannszucht kom⸗ men freilich fpäter auch unter Guntchramm und Chilperich ganz regel- mäßig vor®), aber nicht mehr begegnet, daß das Volksheer den König zwingen will, Krieg zu führen ober Frieden zu halten. Wenn einmal in einem biefer Kriege bie Heerbannleute Chilviberts IL. fi gegen

1). ec. IH. 7, Urgeſch. III. ©. 75.

2) Greg. Tur. III. 11, Urgeſch. III. ©. 86.

3) Greg. Tur. IV. 14, Urgef. III. ©. 113. Daß dies fagenbaft e8 wird anderwärts ganz ebenjo erzählt ſteht nicht im West: man ſieht, was Gregor für möglich hielt.

4) Urgeſch. III. S. 47.

5) Greg. Tur. IV. 50, Urgeſch. III. ©. 159.

6) Greg. Tur. III. 31, Urgeſch. III. ©. 91.

365

beffen Leiter erheben !), fo ift dies ein Rager-Aufftand gegen mißliebige Bornehme, nicht Uebung eines Nechts gegenüber dem König.

Ebenſo ift es nicht Uebung, fondern Bruch des Rechts, wenn im Jahre 605 das Volksheer Thuiderichs, von dem unzufriebenen Dienftabel verhett, den Hausmeier Protadius ermorbend, den König zwingt, ben Feldzug gegen feinen Bruder aufzugeben und Triebe zu fchließen?). Man darf bei dem fonftigen Verhalten dieſes Adels nicht einmal an- nehmen, ber Abfchen vor Bruderkrieg und die Wohlfahrt des Reiche jet fein Beweggrund geweſen: er wollte nur das ftraffe Herrichen Brunichildens durch Protadius brechen.

Desgleichen ift e8 nicht Uebung eines Rechts, ſondern Hochverrath, wenn ber Aufregiche und burguntifche Adel 613 durch feinen Abfall zu Chlothachar Brunichtidis und die jungen Könige zwingt, ven Kampf aufzugeben. Eine Pflicht der Könige (und Hausmeier), tie Zuftim- mung von Reichstag oder Vollsheer zu einer Kriegserklärung einzit- holen, ift auch fpäter weber für Merovingen noch für Karolingen bezeugt, wenn auch König Pippin und fogar Karl auf ver Höhe feiner Macht bei beſonders wichtigen Feldzügen ven Reichstag förmlich ten Krieg beichließen ließen: das war Hug und rathſam, nicht rechtsnoth⸗ wendig.

In ter Natur ver Sache lag e8 begründet, daß die Könige in ber. Mebung des Gejanbtfchaftsrechts durch das Volksheer gar nicht beſchränkt wurden, auch nicht in vem Abſchluß von Waffenbünpniffen: nur bei deren Erfüllung fträubt fich etwa das Heer?).

Der König, allein hanvelnd, ernennt, Traft feiner Amtshoheit, jeine Gefandten an fremde Höfe; Fraft feiner Vertretungshoheit er- theilt er ihnen ihre Weifungen, empfängt und verabjchievet er frembe Gefandte, fchließt er Verträge meift Waffenbünpniffe gegen Gelb- zahlungen ) mit Byzanz gegen Oftgoten®) und Langobarden ®), aber auch allein Frieden mit jenen, mit Avaren”), Sachen, Weftgoten, Slaven.

Die vom König bevollmächtigten Gefandten unterfchrieben, ihn vertretend, die Verträge mit andern Reichen.

1) Greg. Tur. VI. 31, Urgef. IH. S. 268.

2) Urgeſch. III. ©. 126. 543.

3) So Greg. Tur. VI. 31 bei dem dem Bolte verhaßten Bünbnig Childiberts I1. mit Chilperich gegen Guntchramn, Urgeich. III. ©. 267.

4) Urgeſch. U. ©. 127. 5) Urgeſch. III. ©. 91.

6) Ebenda II. ©. 468. 7) Ebenda III. ©. 126.

366

Die Gefandten !) find infofern ven im Innern des Reiches ver- wenbeten Königsboten meist ähnlich, als beide außerorventfiche Beamte find: ftändige Geſandtſchaften wurden erjt im fpäten Mittelalter ein- gerichtet.

Als Geſandte werben abgeſchickt hohe Neichs-, zumal Hof-Beamte, häufig ein weltlicher Großer und ein Biſchof?).

Empfahlen fih Biſchöfe und andere Geiftliche zu folcher Ver» richtung burch höhere Bildung und an Tatholifchen Höfen, wie Byzanz, ipäter auch in Toledo und Pavia, durch höheres Anfehen, Römer durch überlegene Gefchäftsfenntniß, fo finden fich doch früh auch fchor Franken als merovingifche Geſandte: ihrer Treue, Thatkraft «aD ans geborenen Begabung ftand alfo doch auch ſchon früy «ehr als gewöhn- liche Bildung zur Seite.

Schon a. 538 wirh foger nah Rom an ven Pabſt ein Germane Moderich als Gejandter geſchickt von Theubibert I. (oben ©. 346).

Die Bifhöfe machte ferner zu folcher Verwendung die Kenntniß mehrerer Sprachen, dann zumal die Beherrfchung ver gefchäftlichen Rechtsformen, die Uebung im Sprechen, im Schreiben, im Urkunven- wejen, endlich die berufsmäßig anerzogene Klugheit viel mehr als die zu Ungeftüäm und Gewaltthat neigenden Weltgroßen gefchidt.

So Häufig wurden zu Geſandten Bilchöfe gewählt, daß eine Vormel?) einen folchen (neben einem vornehmen Laien) vorausſetzt.

Wohl noch aus heibnifcher Zeit beibehalten find bie geweihten Stäbe, die der Anmaßer Gunbovald, „gemäß dem Gebrauch ver Franken“ feinen Geſandten an Ountchramm mitgiebt, ihre Unverleßbar- teit zu fihern: Guntchramn läßt fie geißeln, weil er ben Abſender nicht als König anerkennt‘). Gefandte wurden durch höhere Friedens- buße geichügt5): aber Guntchramn erkannte diefe Boten nicht als Ge⸗ jandte an. Anziehend ift die Vermuthung®), der Weihefpruch beftand in einer VBorverfluchung jedes Verleger des Stabträgers.

1) legati, legatarii; Greg. Tur. V. 36. VI. 18, Urgeſch. III. ©. 211. 254; Fredig. IV. 68; Form. Mare. I. 11; L. Rib. 63, 3.

2) Form. Marc. I. 11 apostolico viro illo necnon et inluster viro (flatt vero) illo partibus illis legationis causa direximus. Beifpiele bei Gregor VI. 18. 31. IX. 18, Urgef. III. ©. 254. 267. 421.

3) Marc. I. 11; es tft wohl an karolingiſche Königsboten gedacht.

4) Greg. Tur. VII. 32, Urgef. III. S. 327 legatos .. cum virgis con- secratis juxta ritum Francorum ut scilicet non contingerentur ab ullo.

5) v. Roth, Ben. S. 126. 6) Brunners IL ©. 190.

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C. Gejammteigenart des mernvingifchen Stats- und Königthnms.

I. Einleitung. Allgemeines. Ueberſicht.

1. Segenfäge und Wiberfprüce.

Es iſt nicht Schuld Gregors und der übrigen Quellen bes VI. Jahrhunderts bis zur Mitte des VII, wenn fie ein witer- fprehendes Bild liefern: Ohnmacht und Vergewaltigung des Königs durch den Dienftabel, Willfür des Königs und Verunrechtung von Adel und Gemeinfreien durch die Krone: der Wiperfpruch war gegen- ftändlich, war in ben Dingen und fpiegelte fich nothwendig in ben Quellen.

Dabei ift allerdings richtig, daß der König den Romanen viel zu bieten wagt, auch ben Franken in Gallien mehr als rechts vom Rhein, allein nicht deßhalb, weil die Franken in Gallien mehr ver- einzelt waren als in ven „beutichen“ Landen). Vielmehr ift zu er- wägen, was bie Romanen angeht, daß biefe Bevölkerung feit einem halben Iahrtaufend gewöhnt war, mit unbefchränkter Statögewalt Eines Mannes beberricht und meist bebrüdt zu werben. Ferner, baß ihnen gegenüber der König im Gebiet der Finanz, ber DVer- waltungd-, der Amts-Hobeit ala Nachfolger der Kaifer von Anfang an weitgehende echte überfommen hatte und übte, deren Auspehnung auf die Germanen gerade ten Gegenſtand bald gewaltfamer Uebergriffe der Krone, bald gewaltthätigen Widerſtands der Germanen bilbete. Die Franken in Gallien unterlagen hiebei ſelbſtverſtändlich viel früher als die rechtsrheinifchen Stämme: aber nicht wegen ihrer „DBerein- zelung“ in dichten Maſſen faßen fie vom Rhein bis an die Marne, ja bis gegen vie Loire hin nicht „vereinzelt“, foudern aus zwei an« bern Gründen.

Einmal waren im ganzen römijchen Lande Gallien bie Yinanz- (3. B. Steuer: und Zoll.) und die Verwaltungseinrichtungen, auch das

1) Waitz L ©. 194.

368

Aemterwefen, durchgeführt gewejen und zu großem Theil auch in Norvoftgallien (wenn auch nicht fo völlig wie in Südgallien) erhalten geblieben: e8 machte alfo keine Schwierigkeit und verjtand ſich vom Standpunkt der Krone aus von felbit, fie ohne Weiteres auch auf jene Franken anzuwenden, bie in biefen Landen an Stelle römifcher possessores getreten waren: follte 3. B. ter Fiscus die bisher er- hobene Grumtfteuer von einer villa einbüßen, weil ein Franke fie dem bisherigen römischen Eigenthümer abgelauft hatte?

Auf rem rechten Rheinufer tagegen waren jene römijchen Ein» richtungen zum Theil gar nicht, jevesfalles nur innerhalb bes limes eingeführt gemwefen und auch wo fie die Römer aufrecht erhalten, feit beren Abzug längft verjchwunten.

Sie wieder oder gar öſtlich und nördlich vom limes zum erſten Mal einführen, war ganz unmöglich.

Zweitens aber übten bei ten nicht fränkiſchen Germanen auf vem rechten Rheinufer die Merovingen nur kurze Zeit unmittelbare und ſtark eingreifente Herrihaft: die Herzoge der Alamannen u. f. w. waren bier meift thatjächlich die Machthaber: für viefe zu beren Vortheil jene römifchen Einrichtungen einzuführen, hatten vie Könige nicht den Wunjch, und ebenfo wenig bejaßen jene Herzoge hiefür aus- reichende Macht und Verſtändniß römischer Dinge.

Gewiß ift e8 alſo richtig, daß ſolche und andre Gegenfäte im Merovingenreich wider einander ftießen, daß bie unbefchräntte Ges walt des Königthums, die junterhafte Statswibrigfeit des Dienftabels, bie Weberbleibfel altgermanifcher Volfsfreiheit, ebenfo die ungleich ver- theilte römiſche Bildung und altgermanifche Rauhheit, die bald rein privatrechtliche, bald doch auch Öffentlichrechtliche Auffaffung der Stats» gewalt mit einander rangen; wir baben!) biefe und noch andere wiberftreitende Strömungen fcharf hervorgehoben. Allein das fchließt boch anbrerfeits „fefte Verhältniffe* in dieſem Neiche nicht aus, fcharf beftimmte Rechtsformen eben für die Dauer ihres freilich wielfach be- ftürmten Beſtandes, und neben ver gefchichtlichen Würdigung des freien Fluſſes der Entwidelungen darf doch die Anerkennung jener Rechts: begriffe, barf eine juriftifche Denkweiſe nicht fehlen 2).

1) Urgeſch. IH. ©.4; D. ©. Ib.; hierin Guizot, Waitz, v. Maurer, Gierfe beiftimmenb.

2) Diefe wieder (nah Eichhorn) kraftvoll vertreten zu haben ift das bleibende Verdienſt von Roths, während Waitz gar oft e8 an fcharfer juriftifcher Begriffs⸗ ſcheidung mangeln Tief.

369

2. Römiſches und Germanifches.

Wie in diefem ganzen Stat!) und feinen Einrichtungen geht auch in feinem Königthum eine der wichtigften Fragen tahın, wie fich in ihm das Germanifche zu dem romanifchen Beſtandtheil verhalte. Die bisherigen Auffafiungen jcheinen bald das Eine?), bald das Andre?) zu überjchäßen.

Die Gefchichte ftellt uns deutlich nor Augen, wie ein ſaliſcher Gaukonig) Chilvirih ein par Städte (civitates, Gaue) zu feinen ur-

1) Ueber das Berhältnif des Römiſchen und Germaniſchen in ber Verfaffung Brunner U. ©. 2. Den römifhen Urjprung des Kanzelei⸗ Zoll. und Münz- weſens, ber Sonderſtellung der Domänen, mancher öffentlicher Frohnden, bes crimen laesae majestatis, der königlichen Billigkeitsjuftiz nimmt auch Brunner II.©.9 an. Die allgemeine Huldigung ber Untertbanen? Und ber königliche Ehebefehl? Er muß dann S. 8 doch Machtzuwachs bes Königthums durch Uebernahme von Römiſchem einräumen: in allen biefen Miſchreichen verbält es fih ebenfo; man kann alfo nicht mit Brunner a. a. DO. bei Chlodovech höhere Machtſteigerung als etiwa bei Theoderich dem Großen annehmen. Gleichgewicht beider behanptet Arnold, Fränkiſche Zeit S. 115; völlige Neugeftaltung ohne jebe geihichtliche Borftufe erfindet wider alle Gejchichte Fahlbeck, la royaute et le droit royal des Francs (1883).

2) Sagt man (Waitz ©. 81. 82. 204 gegen v. Sybel S. 245. 340): „in Wahrheit gelingt es nicht, wirklich römische Snftitutionen im fränkiſchen eich aufzuweiſen“, fo gebt Dies zu weit. Richtiger berfelbe S. 425: „ber Hof und Das Königthum find fränkiſch mit Aufnahme einzelner romanijcher Elemente; vgl. Löbell S. 167. In Finanz, Münze, Steuer-, Zoll-Wejen und in der Verwaltung find römiſche Ueberbleibfel vorhanden und in biefen Dingen aber aud nur in biejen, dies gegen Amolb II. S. 113 hat ber Frankenksnig Die vorge fundnen Rechte des Imperators gegenüber ben Romanen zunächſt fortfegend e8 werben ja 3. B. die alten römifchen Stenerliften zu Grunde gelegt ausgelibt, fpäter aber auch über die Germanen. Aehnlich wie Wait Brunner a. a. O.

3) Bon den Ausführungen v. Sybels ©. 390 (ähnlich Tardif p. 100) ift nur fo viel richtig, Daß 1) Die Könige bie von ben Imperatoren überlommenen Hoheits⸗ rechte Über bie Romanen vorher nicht über ihre Germanen gelibt hatten, nun aber auch auf biefe auszudehnen tradhteten,; 2) baß die neu erworbene Kirchen⸗ boheit, die Annahme des Chriftentbums als Zmangsglaube, der Kirche als Stats⸗ fire und Die grabe bei Chlodovechs Taufe in leifen Anfängen bervortretenben theofratifchen Borftellungen von ben Pflichten des Könige ale Schirmvogt ber Kirche auf die Übrige Färbung des alten Königthums einmirkten.

4) Bon einem altfaliihen „Theilkönigthum“ fpricht auch Brunner I. ©. 188.- 189, aber ohne Erklärung der Erfopeinung. Auf das Weſen bes falifchen „Klein- königthums“, wie er einmal fagt, geht Brunner leider! nicht ein: er fagt

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 24

370

iprünglichen Hinzuerwirbt, wie fein Sohn Chlodovech allmälig alle Gaue der ſaliſchen und ber Uferfranten unter feine Berrichaft ver- einigt, während dieſe Gaufönige von Anfang an über die Römer in ihren Gauen bie früher tem Imperator zuftehenden echte üben.

Alfo ift Das fränkiſche Königthum entftanten aus ver Entwidlung tes Gaukönigthums zum Stammeskönigthum einerfeitS und andrerfeits aus der Erwerbung imperatorifcher Rechte, die dieſe Könige zunächft nur über bie Römer geübt, jedoch alsbald auf die Germanen aus- zudehnen, zwar nicht ohne Widerſtand zu finden, aber doch zulett er» folgreich, getrachtet haben. Diefe Sätze find durchaus unbeftreitbar. Es ift dabei hervorzuheben, daß, mag Herrichgier und zumal Habgier, 3.2. bei einem Chilperich, biebei mitgewirkt haben, doch das König. thum babei von dem richtigen Gedanken ausging, wie bie viel zahl: veicheren Zwede, tie der Stat nunmehr verfolgte, im Vergleich mit ber Urzeit, da die meiften dieſer Pflichten von ber Sippe erfüllt worden waren, nur durch Vermehrung ter Statsmittel und State» werkzeuge erreicht werten Tonnten und daß tie Befreiung ber Ger- manen von dem Mittragen der neuen Statslaften einmal höchft un- gerecht war, da fie ja ganz wie die Römer vie Vortheile der neuen Statsleiftungen genoffen, und daß zweitens die Römer allein nicht das Erforderliche aufbringen konnten, nachdem ihnen bie Germanen einen erheblichen Theil des Volksvermögens der wirtbichaftlichen Capi⸗ talien abgenommen hatten.

Dean Tann auch!) nicht zugeben, daß zwar „das Königthum?) un-

blos II. ©. 24: „Die Salter flanden vor ber Reichsgründung unter einer Mehrzahl von Königen, bie aus bem Geſchlecht ber Merowinger gewählt wurden“. Cr bat fih Über die von mir bargeftellte Entwidlung aus dem Gau- zum Völlerſchafts⸗ und Volles oder Stammes-Königthum nicht geäußert. Leider bebient fi Wait wie für bie Urzeit fo auch bier des unklaren, rechtlich Inhaltlofen Ausdrucks „Fürſten“: der merovingiſche König ift ihm „an die Stelle der alten Fürſten ge: treten“. Es gab aber gar keine alten Fürften: biefer nebelhaft unbeftimmte Begriff bat fhon genug Schaden angerichtet: e8 gab 1) Grafen und 2) Könige (Gau: und auch ſchon einzelne Völkerſchafts-Könige), ein Drittes neben beiden gab es nicht (abgefehen von dem 3) für je einen Feldzug gelorenen Oberfeldherrn dux). Dur das Inhaltlofe Wort „Fürft“ verfperrt man ſich den Weg zu ber allein rich⸗ tigen Ableitung bes merovingifchen Völlkerſchafts- dann Stammes- und [chließlich Neichs-Königthums aus dem falifhen Gau-Königthum: Childirich war wohl ein „alter Fürft” im Sinne von Waik: d. h. juriftifch gedacht: er war eben Gaukönig.

1) Arnold U. ©. 113.

2) Gegen v. Sybel.

u

371

zweifelhaft germanifch ift feiner Duelle und Wurzel nach”, das ſtat s⸗ rechtliche Element, was ihm feinen Inhalt gab, ihm aber doch erſt durch die kaiſerlichen Rechte zugekommen fei, die es auf römifchen Boden und über Nömer erwarb. Dies gilt, wie gefagt!), nur von ber Finanzboheit und manchen den meiften Gebieten ver Ver- waltungshoheit: aber fchon in der Urzeit hatte das Königthum ſtats⸗ rechtliche Elemente: Heerbann, Gerichtsbann, Mitwirkung bei ver Gefet- gebung und BVertretungshoheit, ja auch Anfänge von Amtshoheit und fogar von Verwaltungshoheit gehabt. Allerdings wurden manche dieſer Hoheitsrechte, ver Ausübung nach, nun römifch gefärbt: allein ber Gruntirrthum 2) ift der, daß e8 eine germanifche Statsauffaflung, eine germanifche ftatsrechtliche Seftaltung von Heer, Gericht, Amt, Vertretung nach Außen, ja auch der Anfänge ver Verwaltung und ber Volfswirthichaftspflege (Allmännde) überhaupt garnicht gegeben habe, daß Alles, was überhaupt ftatsrechtlich bei ven Franken, noth- wendig römiſch fei.

Im Gegentbeill Es ift doch daran zu erinnern, daß, fo unver- gleichlich reicher entfaltet das römifche Statsleben Jahrhunderte hin⸗ durch gewejen war als das germanifche, feit geraumer Zeit der Ab- folutisınus der Imperatoren das ganze römische Staterecht dem Grundfag nah auf den einfachen Gedanken ver Allgewalt des Imperators zufammengebrüdt hatte: »ut quodcunque principi placuisset, legis habeat vigorem« —, daß die Romanen in Gallien jftatsrechtlich dem Imperator gegenüber fo gut wie rechtlo8 waren und erft von den Franken wieder wichtige ftatsbürgerliche Nechte Antheil an der Rechtspflege, Verfammlungs- und Vereins⸗ßRecht empfingen, wermöge ihrer Gleichjtellung mit den Germanen). Wenn man num zugeben muß*), „wichtige Einrichtungen des Gemeinwejens, wie bie Gerichts- und Heerverfafjung, bleiben entweder rein germanifch oder erfahren höchſtens eine neue Fortbildung, bei welcher römiſch⸗ chriſtliche Gedanken (im Heer- und Gerichts⸗Weſen?!) nur einen erften allgemeinen Antrieb geben“, daß die Könige alle Rechte, auch die von Rom überlommenen in Formen und nach Grundſätzen übten (Könige- ſchutz, Königsfriede, Genofjengericht, Gefolgfchaft, Heerbann), die nichts

1) Oben ©. 96. 2) Welchen Arnold und v. Sybel S. 390 befonders theift. 3) Das hat Waitz S. 85 treffend geltend gemacht. 4) Wie aud v. Sybel S. 245 thut. 24*

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Römiſches an fich haben, fo bleibt von ber römiſchen Eigenart biejes Königtfums Finanz und Verwaltung abgerechnet einfach nichte übrig als unbeftimmte „Antriebe und Vorftellungen“.

Auch die ſtark privatrechtliche Auffaffung des Königthums (f. unten), zumal die Thronfolge mit Erbichaftstheilung, ift doch alles eher als römiſch!). |

Wo find denn nun die „römifch- chriftlichen Antriebe” und Ge- banfen in ver Lex Salıca? 2)

Keine Spur von Chriftenthum enthält das ganze Gefek. Das Sof vermieden fein, um bie Franken nicht den anvern noch heibnifchen Gauksönigen in die Arme zu treiben! 3)

Selbftverftänplich fehlen aber troß des Schweigens der Lex Salica chriftliche Einflüffe auf die Färbung des Königthums nicht?). Hatte auch der heidniſche Germanenkönig gewiffe Zufammenhänge mit bem Götterglauben und dem Götterbienft: er opferte für das Volk, er hatte ven Hain- und Tempel-Trieden zu wahren, er vertrat das Volf in gewiffen Sinne gegen die Götter 5), er hatte wahrſcheinlich auch vie Opferbeiträge nöthigenfalls zwangsweife einzutreiben ®), wie übrigens auch in königloſen Stämmen der Richter oder Bauermeiter, die „Kirchenhoheit“ hat erjt von den Imperatoren ber ge: taufte Chlopovech überfommen. Allein e8 warb gezeigt”), daß auch das Verhältniß zur Kirche in wichtigften Dingen von ben Merovingen ganz anders als im Römerreich geordnet wurde.

Zuzugeben ift nur, daß bie getauften Merovingen, nicht aus Heuchelei, obzwar fie die Vortheile ihres Bündniſſes mit ven Biſchöfen

1) So ridtig Waitz ©. 84; wenn dieſer aber auch ben Mangel der Unter- ſcheidung von Statsvermögen und Privatvermögen des Königs bier vorführt, ift zu erinnern, daß auch im römijchen Kaiferreich fchon lange fiscus Caesaris und aerarium publicum Eins waren.

2) Gegen v. Sybels Erflärung dieſes Geſetzes, daß es („mie er genau weiß!” Waitz), nach 508, nach der Taufe und der Unterwerfung ber Alamannen, aber vor Ausmorbung der Gaukönige allein nad Havets Entbedungen werben all’ dieſe Zeitangaben wankend verfaßt ift, f. die vernichtende Beurtheilung bei Wait ©. 83: „v. Sybel hält fich berechtigt, zu ſchreiben“ n. f. w.

3) v. Sybel ©. 314.

4) S. unten Theofratifches.

5) D. ©. Ia. 223.

6) Oben ©. 165.

7) Schon von Löning I. ©. 16. 23. 30. 157; Vgl. D. ©. Ib. ©. 720; Zorn, Kirchen⸗Recht 1888. S. dann oben ©. 215.

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fehr wohl zu mwürbigen wußten, fehr bald ihre Pflicht, für ven Glauben zu forgen, mit gewaltigem Eifer ergriffen und, fo fcheußlich fie oft in Mordluſt, Wolluft, Goldluft alle Gebote des Chriftentbums unter bie Füße traten, ihren Untertbanen gegenüber fofort nach ver Taufe als Schirmpögte der Kirche und Eiferer für „Gottesfurcht und fromme Sitte” fcharf eingreifend und befehlerifch einfchritten!): fie hielten fich nach germanifch-heibnifcher Auffaffung biezu wie burch einen Treueid verpflichtet, hofften auch wohl, durch folche Strenge gegen Andere bie Heiligen für Vergebung ihrer bimmelfchreienden eignen Sünden, ebenfo wie burch die unabläfligen Schenkungen zu verjöhnen.

Schon die erften Erlaffe Chlodovechs (und feiner Söhne und Enkel) athmen dieſen Geiſt: aber jene Vorftellungen, die nur Beweg- gründe für die Handlungsweife der Könige, für die Weife, Richtung und Wortverbrämung ver Ausübung ihrer Gewalten und Rechte find, haben dieſe Gewalten und Rechte, haben die Einrichtungen bes fränkiſchen Stats in Heer- und Gerichte, Amts- und DVerwaltungs- Weſen und Vertretung nach Außen doch wahrlih nicht gefchaffen und geftaltet, und am Wenigiten haben das „veutjche” (ſoll heißen germanifche) Königthum und ver „beutfche" Stat ihre Wurzeln im römischen Caeſarenthum und in dem jüdischen Königthum (!), „deſſen Borftellungen die Kirche?) auf die germanifchen Könige zu übertragen liebte”... Dagegen ift zu fagen: „wer bier nur äußere Antriebe, entlehnte Vorftellungen, fremte Gedanken thätig ſehen will, verſchließt feine Augen vor ven lebendigen Kräften, die in dem („veutichen“) Wolfe lagen, und vor der Macht der Ereigniffe, burch welche biefelben zu neuen Schöpfungen entwidelt wurben“?).

Bezeichnend für das Merovingenreich im Unterfchied von andern gleichzeitigen Germanenreichen war nicht die Vereinung von Romanen und Germanen unter Einem König: das war bei Vandalen, Oſt⸗ und Weftgoten, Burgunden, Langobarden ebenfo; fonbern vie Vereinung ausfchließenp germanifcher Lande, völlig unromanifirter Germanen mit (überwiegend) römiſchen Landſchaften und DBevölferungen‘): vies (und die Annahme des Katholicismus) be- ſtimmte vie Eigenart des Merovingenreiches.

1) &. oben ©. 1931.

2) Aber nicht der König felbft, anders als In gottſeligen Rebensarten.

3) Wai ©. 84. 85.

4) Richtig hebt gegenüber den Verfhiebenheiten nah Stamm und Stand bie

374

Daß das Nömifche fich fpäter ftärker ale im Anfang geltent ge- macht habe, ift doch) nicht richtig: Zunahme des Römiſchen würbe tie Macht tes Königthums gefteigert haben: aber fchon nach Ehilperich® und Gunthramns Tode ſinkt diefe, und was teren Schwächung und zuletzt Auflöſung berbeiführte, war weber römifch noch altgermanifch, fonvern eine Neubildung: das Beneficial- und Immunitätswejen, das Auftommen einer Art von Adel, bie weder altrömiſch noch alt» germaniſch war.

3. Statsrechtlihes und Privatrechtlich-Perſönliches.

Eine andere wichtige Unterfuchung fordert die Abgränzung des fubjectio perfönflichen und des objectiv ftatsrechtlichen Elementes in dem fräntifchen Statsverband: merfwürbige Wandelungen bat tiefe Abwägung durchgemacht. Aeltere deutſche Forſcher und die geſammte ältere franzöfiiche Schule |prachen nicht nur den Germanen ber Urzeit, auch noch den Franken ftatliched Zuſammenleben überhaupt ab, fie tonnten daher nur einen privatrechtlichen perjönlichen Verband zwiſchen König und Volt anerkennen).

Dem gegenüber erwarben fich fchon vor vierzig Jahren beutfche Forfcher®) das Verbienft, einen wirklichen Stat der Germanen und der Merovingen nachzuweifen: und auch außerbeutfche Arbeiten, auch franzöfiiche nahmen tiefe Wahrheit an?): in unferer Zeit aber find auch teutfche Auffaffungen in beflagenswerther Weife in jenen Irr⸗ thum zurüdgefallen, ven man für überwunden erachten burfte®).

Einheit in dem Frankenreich hervor Wait ©. 426: „(e8) tritt diefer Gegeuſatz zurüd vor der gleigmäßigen Orbnung der Gaue (und Hunberten?;, Die fich mit wenigen Ausnahmen Über den ganzen Umfang des fränlifchen Reiches erfireden und von weicher das politifche Leben beftimmt wird, ſowohl bie Einwirkung des Königs anf bas Volt als tie Thätigkeit, welche dieſem eigenthiimlich verblieben ift.“ 4) So vortrefflih im Ganzen bie Ausführungen von Waitz IIb. ©. 349f.

über ven Entwidiungsgang der Verfafjung find, bier Liegt ein Irrthum.

5) So Rogge, den 3. Grimm ſtark überſchätzt bat.

6) Männer wie Wilda und Waitz.

7) Am kräftigſten bat dann v. Roth jenen Gedanken burdhgeführt.

8) Beſonders leider Gierke I. 89. 100. 110. 138, der auch Waitz zır weit gebt, welcher boch felbft durch ben Streit mit von Roth von feiner früheren richtigeren Auffaffung fi abbrängen lieh.

375

Denn es iſt willkürlich, den Statsbegriff!) nur deßhalb einer Zeit abzuſprechen, weil ſie dem Stat für ſeine wenig zahlreichen Zwecke wenig zahlreiche und wenig einſchneidende Mittel gewährt. Nicht hierauf kommt es an, ſondern darauf, ob der Volks⸗Verband ver Einzelnen mit ſeinen Pflichten und Rechten gegenüber dem Träger der Geſammtgewalt privatrechtlich, familienrechtlich, vertragsmäßig, (höchſtens gemeindlich), oder ob er öffentlich rechtlich, eben ſtatlich gedacht iſt.

Wir haben nun aber dargewieſen, daß ſchon der altgermaniſche, um ſo mehr der merovingiſche Verband, an dieſem Maßſtab gemeſſen, viel mehr echt ſtatlich iſt, als der Lehenſtat des Mittelalters?).

Das Richtige iſt für das Merovingenreich, als Regel das Stat⸗ liche zu behaupten, daneben nur in einzelnen Ausnahmen ganz oder überwiegend ben perſönlichen Verband als entſcheidend anzuerkennen).

Und zu weit geht mant), behauptet man ganz allgemein bie Un- fähigfeit jener Zeit, zwijchen der Statögewalt und deren Träger zu unterfcheiden; wohl dachte man fich oft oder meift den König als „Eigen- thümer“ der Gerichtshoheit wie etwa eines Töniglichen Waldes: aber baß der König auf feinen Gütern eine „abgejonderte* perfönliche Gerichtsbarkeit gehabt, dieſe bei ter Immunitätsverleihung verjchenft und fo eine patrimoniale ®erichtöbarfeit begründet babe, ift grund⸗ falſch. Die vom König dem Immunitätsheren verliehene Gerichts-

1) Wie Gierle I. S. 29. 35. 46. 110. 150. Hier fiimme ich mit Sohm (p. XV) überein gegen Gierfe.

2) Gierke wird irregeleitet Durch den unzutreffenden Unterſchied von „Benofien- haft" und „Herrſchaft“: auch die Genoffenichaft kann ftatlich gebachte Herrichaft üben, und bei ber Herrichaft frägt fich eben, ob fie privatrechtlich (wie bie feudale) oder ftatlich gedacht iſt. v. Sybel S. 340 findet den Mangel alles Statlichen aus» gebrädt in dem Mangel einer Thronfolgeorbnung: aber fehr richtig erwibert Waitz &. 205, daß eine folhe Orbnung dem Römer-Keich von Auguftus bis Auguftulus, ein halbes Jahrtauſend, noch mehr fehlte.

3) Dies iſt ber quellenmäßige Thatbeftand, wie ihn biefe Arbeit darzuweiſen verfucht einerfeits gegen Wait ©. 214: „Ueberhaupt ift das perfönliche Element das Borwiegende in allen Berhältnifien auch bes öffentlichen Lebens”, noch mehr gegen Gierke und die Franzoſen, andrerſeits aber auch gegen von Roth, ber diefes Perſönliche ganz Üüberficht ober beftreitet. Gierke muß dann (wie v. Sybel!) eine unüberbrüdbare Kluft zwiſchen dem altgermanifhen unb bem fpäteren Königthum Haffen laſſen. Aber die umunterbrochene Stätigkeit ber Entwidiung liegt ja vor Augen.

4) v. Sybel ©. 491.

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barkeit ift burchaus nicht eine abgefonterte, perfünliche, domanial⸗patri⸗ moniale, fondern die allgemein-ftatliche: dieſe ftatliche übt der Beſchenkte fortab aus, aber zu eignem Vortheil, wenn auch nicht kraft eignen, nur kraft übertragnen Rechte.

Wenn!) „auf der Berfon des Königs die ftatliche Verbindung beruht“, fo ift dies nur der naive, jener Zeit gemäße Ausprud für ven Gedanken aller Geblütsmonardhie, ven wir heute fo faflen, daß wir ten König ven „Träger der Statsgewalt“ nennen. Daber ift e8 auch nicht verwunderlich, daß, „was er beberricht durch Eroberung oder Vertrag, fein Weich bildet”, teffen Umfang deßhalb fortwährend wachſen kann und fich erſt allmälich mehr conjolidirt: das war unter Yubwig XIV. oder Frieprih dem Großen gar nicht anders: fo kann freilich einem König (übrigens einem burgundijchen) gejagt werben: „Du bift das Haupt des Volkes, nicht das Voll Dein Haupt” 2).

Allzufehr alſo betont man?) die „nur perfönliche, privatrechtliche” Art der Herrfchaft, und wenn man?) fagt: „ver volle Begriff des States, namentlich ein Verhältniß der Angehörigen des Rei— ches zu dem Stat als foldem war nicht vorhanden oder ward gleich wieder zurückgedrängt, wenn es einmal hervortreten wollte“, fo warb baturch der Nachweis herausgefortert, taß der „Unterthanen- Verband" in Wahrheit beftand: fo ift der Wehrbienft nicht dem König als Lehensherrn, ſondern als Haupt des States, ohme jebe privat- rechtliche Verpflichtung gejchulbet5).

Ia, man muß immer wieberholen: näher als der mittelalterliche Lehen⸗ und Batrimonialftat ftand der merovingifche (allerdings noch näher ber altgermanifche) unferer heutigen rein öffentlich-vechtlichen Auffaffung vom Stat: denn nicht ein privatrechtliches Vertragsband, das Lehen —, eben die bloße Statsangehörigkeit des Freien begründete befjen Pflichten und Rechte gegenüber dem Stat®), wenn man auch dem beipflichten mag, daß das öffentliche und das private Necht des Königs an jeder

1) Wait ©. 214.

2) Greg. Tur. II. 34, Avitus ad Gundob.

3) Waitz auch noch in dritter Auflage: 1882.

4) Wie Waitz S. 129,

5) v. Roth, Feubalität und Untertbanenverband. Waitz konute alfo nicht be- haupten, er habe von Anfang einen foldhen anerlannt: er beftritt ihn bis zuletzt.

6) S. Dahn, der Werbegang bes Statsgebantens bei ven Germanen In Hirths Annalen 1891.

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Stelle faft ineinanderliefen und er über das eine wie das andere in gleicher Weife zu Gunften Einzelner verfügte, auch die obrigkeitlichen Befugniffe fich gar zu leicht in Privatrechte der Inhaber verwandelten: legtere8 trat aber abgefehen von den Immunitäten in biefer Zeit noch nicht ein.

Und nicht zugeben Tann man, daß durch die Herrichaft des major domus bieje privatrechtliche und perfünliche Auffaffung noch gefteigert wurbe: allerdings Hatte er gerade dieſe Berechtigungen des Königs zu vertreten gehabt, jo lang er leriglich Hofbeamter geweſen: allein feit er den Stat beherrichte, vertrat er auch bie üffentlichsrechtliche Seite bes Königthums: er war Vertreter und gerabe beſonders ber Statsgewalt: ja zu voller Widerlegung jener Meinung war ein Hausmeier vier Jahre Beherrfcher des States, ohne daß er als Ver— treter jener perjönlichen und privatrechtlichen Xreuepflicht gegen den König erjcheinen konnte: denn das ift doch fchlagenn! es gab gar keinen König, und Karl Martell tonnte nicht die perfönliche und private Treue gegen den fehlenden Meroving, . auch nicht gegen fich er hatte fein Königsreht nur die Untertihanenpflicht gegen das regnum Francorum fordern.

Diefe Betonung des Perfönlihen im Königsregiment fchließt auch jener Zeit die Erfenntniß nicht ganz aus, daß ber Stat nicht Privatjache des Königs, ſondern das Reich- und Stats⸗Weſen bes Frankenvolkes find: daher Heißt der Palaft nicht blos wie oft aula regis, auch palatium ber Franten?).

Ja, gerade wegen jener Zufammenfaffung von König und Stat gehört was dem König auch den Franken: jo muß er aus feinen Privatmitteln auch Statsausgaben beftreiten eben weil es feinen Unterfchied von Statsgut und königlichem Privatgut giebt —, fo feine Hausbeamten als Reichsbeamte verwenden.

Denn es ift doch micht gleichgiltig, daß nicht nur von einem regnum Chlothacharii oder Chilperici, auch von einem »regnum Francorum« nicht Merovingorum, das fommt gar nicht vor gefprochen wird?).

1) v. St. Desid. Caturc. c. 1 post . . palatii Francorum ministeria. v. St. Sigiramni ec. 1 Francorum in palatio; c. 10 Flaucadius (Flaochat) Francorum palatio florebat prae omnibus. v. St. Leodig. c. 1 Balthildis.. cum Chlothario Francorum regebat palatium; ähnlich Gothorum bei Weft- goten 8. VL? ©. 536.

2) Ebenfo bei den Goten, vgl. Könige VL? a. a. O.

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Allerdings wird die Statsgewalt 3. B. durch den Grafen als beren eigentliches, allgemeines und regelmäßiges Werkzeug geübt gemäß Töniglicher Beauftragung und zum Vortheil des Königs als berechtigten Hern!): allein darin unterfcheidet ſich unfere Auffafjung von jener allzu ſtark die privatrechtlihe und perjünliche Färbung ber Könige» gewalt hervorhebenven, daß wir auch Königsgewalt zwar kraft eignen Rechts des Könige, deßhalb war er Monarch und zwar im heu⸗ tigen Sinne „von Gottes Gnaden“ aber nicht lediglich zum Vor— theil des Könige geübt denken: nicht nur war fachlich der Vortheil bes Königs mit ter Wohlfahrt ter Gefammtheit Eins, eben des ganzen Vollkes (f. unten) gegenüber dem felbftiichen Dienftabel und gegenüber äußeren Feinden, auch im Bewußtfein ter Zeit lag es und zwar ſchon vor den chriftlichen Lehren dieſer Rich» tung: in der Grundauffaffung germanifchen Königthums ber Heiden⸗ zeit, daß ter König feine Gewalt zum Vortheil, d. h. zu Schuß und Trommen tes Volkes zu brauchen babe: „Volks könig“ Ppiudans) heißt er nicht umfonft. An biefer Königspflicht wird dadurch nichts ge« ändert, daß feit Chlopovech vie Macht des Königs im Stat gewaltig über das Maß altgermanifchen Gaulönigthums hinaus gewachjen ift: durch die Wirkungen ver Eroberung thatfächlich, durch Uebernahme imperatorifeher Befugniffe rechtlich.

Diefe bereits altgermanifche?) Auffaffung der Herricherpflicht ward nun geftügt und theifweife neu und anders gefärbt einmal burch bie römische Statsitee von ver salus publica, anbrerfeit8 durch bie biblifche, alte und neusteftamentliche Lehre von den Aufgaben bes Könige.

Dft ftügt fi nun die Krone auf die Kirche?): die Biſchöfe pre- bigen bie Gehorfamspflicht, und der Baiernherzog wird für den Fall bes Ungehorfams nicht nur mit Abfegung, auch mit ewiger Ver⸗ tammmiß bebroht‘‘).

Das Theokratifche Liegt fchon darin, daß die Könige für Aufrecht- haltung des Friedens „im Namen Gottes" Gebote aufftellen >).

1) Watt Ib. ©. 27.

2) Brunner II. 8 nennt das bie „Sacrale Bedeutung“ des Köntgsgefchlechts, die durch die alt(?teftamentliche Heiligleit Des von Gott eingefeßten Königthums erfetzt worden fei.

3) ©. oben ©. 189.

4) L. Baj. add. 2. Leg. III. p. 336.

5) Pact. Child. et Chloth. c. 18. Ed. Chilp. e. 1.

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Die privatrechtlichen Beziehungen des Königs verdrängen erft jpäter allmälig immer mehr die dffentlich-vechtlichen: das ift doch gewiß nicht Zunahme des römifchen Einfluffes, aber auch nicht alt- germanifch !): beneficia, homines u. ſ. w. waren dem altgermanifchen State fremd: der altgermanifche Stat war fehr einfach, auf wenige Zwede und Mittel beſchränkt, aber rein ftatsrechtlich gebacht; jene ipät-merovingifchen und arnulfingiſchen privat-rechtlichen Auffaffungen find Folgen des wirtbichaftlichen Niedergangs und Verſchwindens ber Heinen Freien: nur als private beſondere Schüßlinge und Landentleiher ber Krone fonnten fie fich noch halten.

Nicht nur Rechtspflege, auch Wohlfahrtspflege ift Zweck tes States und Aufgabe ver Statsbeamten?).

Verglichen mit ben im V. Jahrhundert vorgefundenen Schäden bes römifchen Heer» und Beamtenwejens) leiftete freilich die fränkische Grafenverwaltung und umentgeltlihe ‘Dienftpflicht der Unterthanen „reichlich eben fo gutes”.

Aber das ſtarke Lob des hohen ftatenbildenden und ftatenerhaltenven Geiftes ter Franken und ihrer Könige (auch. im VII. Jahrhundert!)) ift unverbient: bie Kleinfreien konnten gar nichts mehr biefür thun, bie Königsknaben thaten nichts, und bie Weltgroßen thaten Alles, auf Koften des States ihre Macht zu heben).

Wie bemerkt®), fiel in dieſem Stat das „Intereſſe“, der Vortheil bes Königs (utilitas regis) mit der Wohlfahrt der Geſammtheit tem

1) Darin Tiegt ein Hauptirrthum von Waitz IIb. ©. 373f. und gar oft.

2) Marc. Form. I. 8. Ut populi bene viventes sub tuo regimine gau- dentes debeant consistere quiete.

3) Brunner II. ©. 6.

4) Bei Löning II. ©. 23.

5) Meifterhbaft Waitz IIb. S. 69: „Die Fäden ber Regierung über Die ver ſchiedenen Provinzen liefen tt (bes Königs Hand) zufammen, und ließ er aud einmal einen fallen, fo lange nur überhaupt das Königthum kräftig war, fonnte das ohne Störung des Ganzen geichehen. Im Allgemeinen fehlte e8 auch nit an Wechſelwirkung zwifhen dem König und ben Landen ober ihren Bor- ftehern, und wenn man ein Bild jener Zeiten entwirft, wo ber König faft ifolirt und ohne Einwirkung auf die einzelnen Provinzen erfcheint ober höchſtens ganz willkürlich ohne Plan und Ordnung einmal in ben Gang der Dinge eingreift, fo entfernt man ſich weit von der Wahrbeit oder bat Zeiten im Auge, ba bas Regiment der merovingifhen Könige verfallen, das Reich in Auflöfung be griffen war.“

6) ©. unten.

380

Grundſatz nach immer und troß mancher Mißregierung im Einzelnen boch auch in der Wirklichkeit in Eins zufammen: nach dem Berjchwin- den der Vollsverfammlung war ter König ver Einzige, ber die Wohl« fahrt der Gefammtheit vertrat, gerade auch gegen jenen Abel, ver bie Reichstage füllte, aber größtentheils nur ſelbſtiſche Zwecke verfolgte zum Schaden der mittleren und Heinen Freien wie ter Krone. Daher gelobt der König, für die Wohlfahrt des Landes und Volles zu wirlen und für die Feftigung feiner Herrfchaft: beides war in ber That Einst); daher ift e8 auch nicht blos felbftifch oder deſpotiſch gedacht, wird bie Treuepflicht der Unterthanen, zumal ver Beamten darin gefunden, bie utilitas des Herrn Königs zu fördern ?).

Wenn Gregor und Frebigar die Krone der Habfucht, der Güter: einziehung in ungerechten Hochverrathsverfahren zeihen, darf man doch nicht außer Acht laffen, daß diefe Briefter in jeder Belaftung ver Kirche einen Frevel erblicten und auch bei dem fchweren Kampfe ter Krone gegen ven ‘Dienftabel keineswegs dem Statsbedürfniß genügend Nech- nung trugen, 3. B. gegenüber Brunichilvis, bie ven patricius Aegila hinrichten ließ „lebiglih aus Trieb der Habgier, auf daß ter Fiscus fein Vermögen an fich nehme“, oder gegen Dagobert 1.3): gewiß geichah (auch abgeſehen von einem Chilperich) in tiefer Richtung Unrecht und Gewalt: aber dieſe dienten doch nicht blos felbftifchen, auch Stats- Zweden. Man fehlt alfo varin, daß man für jene Zeiten ven Königen den Statsgevanten und das Ziel des Gemeinwohls ganz abipricht, weil biefe Zwecke fo ſtark verperfönlicht auftreten: bei aller Willkür und Laune waren doch diefe Könige fogar ein Chilperih! mehr als andere Gewalten ber Zeit, ja auch mehr als vie theild nur auf ben Himmel, theil® auf ihre fehr irdiſchen Sonderzwecke gerichtete Kirche die Vertreter der irdiſchen Wohlfahrt der Gejammtheit.

1) So Guntchramn. Edict. p. 11 pro regni . .. nostri stabilitate et sal- vatione regionis vel populi sollicitudine pervigili attentius (pertractrare); Childib. I. p. 4 credimus ... hoc ad salutem populi pertinere; Exhortatio ad Francorum regem ed. Digot III. p. 350 pro stabilitate patriae „fei ein Schirmer der Guten, ein ftarfer Strafer der Böfen“.

2) Greg. Tur. V. 18. IX. 8. X. 9. 19, Urgeſch. III. ©. 189. 408. 479. 498. ©. oben Treue.

3) Fredigar. IV. c. 21, Urgeſch. III. ©. 625. 552.

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I. Das Königthun im Einzelnen.

1. Abfolutismus Willkür. Milderungen.

a) Allgemeines.

Der auf allen Gebieten des Lebens und des Rechts zuweilen zu Tage tretente Abſolutismus der Könige ift theils aus dem Im⸗ peratorifchen übernommen, theils Mißbrauch altgermaniicher Königs- vechte, ſehr oft aber auch, ohne folhe Berechtigung oder doch An- fehnung an ältere Rechte, in den neuen Berbältniffen neu ent- ftandene Willfür. Nicht immer jeboch ift es möglich, die einzelnen Handlungen mit Sicherheit unter eine der drei angeführten Arten zu jtellen: ja, häufig ift es zweifelhaft, ob das Eingreifen des Könige noch Recht oder ſchon Gewalt und Unrecht iſt!).

Denn eine Feitftellung der Rechte und Verrichtungen bes Königs im Sinne eines heutigen „Statsrechts*, einer „Verfaffungs- Urkunde“ ift jenen Jahrhunderten völlig fremd: weber Leges noch Capitularien enthalten dergleichen.

Die Quellen fagen von einer That der Könige faft ausnahmslos nur, daß fie gefcheben, nicht aber, ob fie zu Recht oder zu Unrecht gefchehen fei: deßhalb können wir fo felten Willkür von vechtmäßiger Gewaltübung ficher unterjcheiben.

Keineswege nur aus dem Imperatorifchen ftammt aber Recht und Rechtsmißbrauch des Königs und keineswegs auf die „Provincialen“2) bfieben beide bejchräntt.

Wenn man?) die Rechte des falifchen Vollskönigs ausfchließenn ableitet aus den römischen Befehlshabern abgeborgten Befugniffen, fo muß man doch fragen, welchen „römifchen Befehlshabern“ denn bie Könige ver Angelfachfen ihre ganz entiprechenden Rechte abgeborgt haben, ver Nordgermanen, der Langobarden zu gejchweigen ?

1) S. unten: „Schranten des Königthums“. Gegen die Lehre von ber ſchranken⸗ Iofen Königsgewalt 3. ®. bei Bahlbed f. auh Brunner II. ©. 9.

2) Die provinciales in Chloth. praec. c. 1 und 13 follen nad Löning II. S. 287 nicht Römer fein; fo früher auch Waitz: anders berfelbe jet IIb. ©. 423; ſ. oben VII 1. ©. 103f.

3) v. Sybel a. a. O.

382

Des Königs Gewalt ift jeßt nicht mehr eine vom Volke gegebene, fondern ohne Wahl durch das Bolt ihm vermöge des könig— lichen Geblütes zuftehende.

Daß der Stat durch einen fiegreichen König war begrüntet worden, ift nicht feine Eigenart!): das gilt auch von Geiſerich, Theo- verich, Alboin. Aber vie Stärke des Königthums unter Chlobonech und feinen nächften Nachfolgern beruht allervings zum Theil hierauf, zum größeren Theil aber auf der Herübernahme imperatorifcher Rechte?), im Einzelnen im Finanz- und Polizei» und noch mehr in dem Ge— fammt-Wefen der unbeſchränkten Herrfchaft: nach Wegfall ver Volks⸗ verfammlung ftand dem König kein vechtlich georbnetes Werkzeug ver Volksfreiheit mehr gegenüber®): dieſe entbehrte jedes rechtlichen Schutes gegen Eingriffe des Königs: ja, in vielen wichtigen Dingen ift ver König geratezu felbft an Stelle ver Vollsverfammlung getreten, fo in ber Bertretungs- und ber Gerichts⸗Hoheit.

Im Merovingenreih ift die Untreue gegen das Volt Untreue gegen den König geworben: auch biefe ift mit dem Tode bedroht!).

Nicht bedeutungslofe Redensart war es in jener Zeit, fonvern bitterer Ernft, wenn e8 hieß, „das Volk „dient“ dem König”).

Das Unterthanenverhältniß galt zwar nicht als Freiheitsminderung.

Die Unterthanen heißen freilich »servia (auch servientes) nur felten und nur in höfiſcher oder in Cancelei-Sprache meift ift ser- vus regis Unfreier bes Königs®) —; doch auch die römiſche laesio majestatis”) ward nicht nur dem Namen nach mit herangezogen).

1) Anders Wait IIb. ©. 350. 351.

2) Dies zu verlennen ift der Fehler in ber Auffaffung von Wait a. a. O.

3) ©. unten Schranten.

4) Lex Rib. 69, 1 si quis regi infidelis extiterit, de vita componat et omnes res guas fisco censeantur.

5) Greg. Tur. VII. 33, Urgeſch. III. ©. 328 deservire debetis (regi) IX. 36 ut serviamus (regi) Urgeſch. IH. ©. 451f. Fort. VI. 2. p. 134 plebs famulans. S. Waitz 200, ber mit Recht gegen 2. v. Maurer Fronhöfe Greg. Tur. III. 15, Urgefh. III. ©. 85f. auf Knechtſchaft deutet.

6) Form. Marc. 1. 7. 34 epistola Floriani ad Nicetium episcop. Bouquet IV. p. 57 (67?) Romanis servis (regis). Bei Greg. Tur. V. 20 (nicht 21, wie Waitz S. 200 fteht), Urgefh. III. S. 200 nennen fich die familiares des Königs servi nur in höfifcher Sprache.

7) crimen laesae majestatis et (in „ibealer Comcurrenz“) proditio patriae Greg. Tur. V. 27, Urgeſch. III. ©. 202.

8 ©. unten: anders Waitz IIb. a. a. O.

383

Abwefenheit von Statswegen war wohl von jeher „echte Noth“, 3. B. Entjchuldigung des Ausbleibens auf eine Ladung hin (Lex Salica), Verhinderung des Sich-Verfchweigens, alfo Unterbrechung ver Ber; jäbrung: das ift nicht neu und nicht Abfolutismus: nur daß jegt an Stelle des States, des Volles die Perſon des Königs, aber eben als Träger ver Statsgewalt getreten ift.

Wohl von jeher ſchützte Gefandte, Boten, Beamte in Ausrichtung königlicher Befehle erhößter Friede: jet macht aber allerdings könig⸗ licher Befehl ftraffret: zumal auch Rache dürfen z. B. die Gefippen bes Betroffenen oder er felbjt nicht an dem Beamten nehmen).

Vermöge dieſes Abfolutismus wird bei Franken wie bei Oft- goten?) jchwerftes Gewicht gelegt auf die Hulp und Gnade des Königs: Verwirkung biefer Gnade ift zwar an fich nicht eine Strafart, aber fchweres Unheil: jo kann fie Zurüdnahme ber widerruflich verliehenen Güter, Tortweifung vom Hof, Entziehung der Aemter zur Folge haben, wie andrerſeits bei Wiederaufnahme zu Gnaden eingezogene Güter zurücgegeben werden). Wie einen Verpefteten meiden fogar Biſchöfe einen Amtsbruder, der des Königs (Chilperihs und Fredi⸗ gundens!) Gnade verwirkt bat?).

Für Anwachfen des königlichen Anfehens fpricht auch fehr be- beutfam, daß die Buße für Königsgut, 3. B. Kronknechte, in ver Lex Salica nur verboppelt, ſpäter aber verdreifacht wird’).

b) Der Abfolutismus anf den einzelnen Gebieten.

a. Berordnung.

Die Könige bevrohen durch bloße Verordnung die Ver— legung einer folchen bloßen Verordnung durch Beamte (aber freilich nicht durch andre Unterthanen) mit dem Tove®).

1) Form. Marc. I. 32 qui regiam obtemperant jussionem experire ma- lum in posterum a quemlibet non debent. Dagegen ber bier noch von Waitz S. 213 angeführte Sat neque enim nocendi sunt quos regalis affecius prosequitur gehört nicht in biefen Zufammenbang.

2) Könige III. ©. 280—282.

3) Greg. Tur. VII. 6, Urgeid. IL S. 351.

4) 1. c. 19, Urgeſch. III. ©. 365; vgl. IX. 1, Urgeſch. III. ©. 399.

5) Lex Sal. 25, 4, 2; Extrav. A. VI. 4; Hessels p. 420.

6) Pact. Child. et Chloth. c. 18.

384

ß. Strafredt und Strafverfahren.

Aus tem römischen Stats- und Straf-Recht warb das crimen laesae majestatis herübergenommen!!).

Ein Wergelb für ven König (wie ein ſolches zwar für die Her- zoge der Alamannen und Baiern bejtand, obwohl auch hier Tödtung und Mordverſuch mit dem Tode bedroht wird)?), war eben dadurch ausgefchloffen, daß wegen Tödtung besjelben bie römifche Strafe ver laesa majestas Xobesftrafe?) und Gütereinziebung eintrat, aber nicht nur wegen Tödtung, auch ſchon wegen viel geringerer Fälle von »infidelitas«®).

So bebroht das Uferfrantenrecht jeve infidelitas mit dem eignen Wergeld des Ungetreuen und Einziehung al’ feines Gutes), ja ihon das unverftattete Verlaſſen bes Theil- oter Gejammt Reichs (auch aus einem Theilreich in ein anbres im Frieden zwifchen beiben) wird mit Tobesftrafe und Gütereinziehung geahnvet®).

Der Königsbann von 60 sol. bedroht daher auch die Weigerung, Graf oder Centenar Hilfe wider Meiffethäter zu leiften: denn das ift Ungehorfam gegen tes Königs Gebot”).

Widerſtand eines Beamten, ber verhaftet und vor ben König geführt werben fol, wird nöthigenfalls mit der Tödtung gebrochen).

Es wird aber auch fchen al8 Hochverrath mit vem Tode bevroht, eine Königsurkunde ohne urktundlichen Beweis für falſch zu erflären?).

Und die (im Baiernrecht 3. B. auf Hochverrath beſchränkte) Tobes- ſtrafe wird fogar auf fchwere Fälle des Todtſchlages 1%), auch auf Dieb-

1) Bgl. Rein, Wilde, v. Bar, Waitz ©. 196, v. Roth, Ben. ©. 131. Mit Unrecht beftreitet das Löbell S. 166, Gregor babe nur romanifirend den Ausdruck auf andere Strafen angewendet: allein offenbar braucht er denjelben technifch, wie die nachfolgenden Stellen beweifen V. 25.27. VI.37. IX.13. 14. X.19, Ur. geſch. TIL. ©. 200. 203. 280. 417. 418. 498.

2) Lex Alam. 24; Bajuv. II. 1.2; Waitz, Nachrichten v. d. G. U. Univerf. 1869. N. 8.

3) Berg. Greg. Tur. II. 42, Urgefd. ID. ©. 65f.

4) ©. oben die Stellen.

5) Lex. Rip. 69, 1.

6) Form. Marc. I. 32.

7) Decr. Child. c. 4.

8) Greg. Tur. X. 5, Urgeſch. III. ©. 470.

9) L. R. 60,2. 0)

10) Childib. decr. c. 5.

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ſtahl gefegt. Ueber den freien vornehmen Franken kann nur ber König, über ven Heinen, ärmeren Freien aber auch der Graf vie Todesſtrafe oder Prügelftrafe (wie im Weftgotenrecht, aber nicht fo oft) ausfprechen!). ‘Dem Diebe droht der Galgen, die regelmäßige Art der Todesftrafe 2).

Ob Unterfuchungshaft over Strafhaft gemeint, ift zweifelhaft, oft auch fogar in Gefegen; fo?), wo nur ver Graf den criminosum latronem in feinem Haufe binden, den Franken vor den König fchiden, ben geringeren Dann fofort benten fol: es fcheint babei vorgängige Verurtheilung vorausgeſetzt: aljo nur Verhaftung behufs der Boll ftredung ?

Der König kann durch einfache Verordnung Verhaftung ver- fügen: Unterfuchungshaft, auch Sicherungshaft, zuvorkommende gegen Ausführung vermutheter Anjchläge ®).

Auch der freie Franke unterliegt, wird er verhaftet, ver Seflelung®).

Ueber ven Hausfrieven fett ſich ver König einfach hinweg: ver Räuber, auch wenn freier Franke, wird in feinem eignen Haufe vom Grafen gebunden: doch wird babei wohl vorausgefegt®), der Mann ift durch rechtsfräftiges Urtheil wegen Raubes verurtheilt, war flüchtig und ijt nun in fein Haus zurückgekehrt.

Die Verhaftung, Einbannung an einen beftimmten Ort, oft ein Klofter, ift in Wahrheit in vielen Fällen gemeint, wo die Quellen ungenau von exilium ſprechen; ſolche Verhaftete werben dann auch wohl ohne Weiteres der Folter unterworfen: 3. DB. auf Betreiben Fredigundens ber Präfect von Paris.

Das wirkliche exilium, d. 5. die Austreibung aus tem (Theil-) Reich, kam zwar gelegentlich auch vor: z. B. der Keßer”) (durch Be⸗

1) Childib. deer. c. 8; L. Rib. 73. 79.

2) Greg. Tur. VI. 8, Urgeid. III. ©. 239, Mirac. St. Martini I. 21. III. 53 und gar oft in ben vitae Sanet.: denn die Heiligen find unermüdlich an ber Arbeit in Wiederbelebung gehängter Diebe und Befreiung von Schuldgefangnen.

3) Deer. Child. c. 4.

4) Zahlreiche Beifpiele bei Greg. Tur. IX. 9, Urgefh. IT. ©. 411. 509; Waitz ©. 194 führt aus Fortun. v. St. Albini oc. 12 eine illustris femina Etherica an, bie auf Befehl des Königs im villa Dullacense von Kriegern eingejchlofien gehalten wir.

5) Decr. Child. ce. 4.

6) Geſagt ift das freilich nicht: Deecr. Child. c. 4 seriminosum« latronem.

7) Oben ©. 199. 200.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 25

386

ſchluß zunächft der Biſchöfe, denen aber ver weltliche Arm nicht würbe verfagt haben): jeboch fehr felten: die Maßregel war zu gefährlich: bie Ausgewiejenen wurden im andern feindlichen Theilreich oder außer- halb der fräntifchen Gränzen gefährliche Feinde, nicht blos Näuber, auh „Emigranten*, die Zurüdführung durch fremde Waffen be- trieben !).

Wegen infidelitas, aber auch wegen geringerer Vergehen, werten bie weltlichen Großen oft mit Einbannung und Vermögenseinziehung beftraft: leßteres, um fie unfchäblich zu machen, venn in ihrem Neich- thum an Grundeigen und abhängigen Leuten beruhte ihre Gefähr- (ichkeit 2), und um das unaufhörlich in Anfpruch genommene Krongut zu mehren.

Aber der König ertheilt wohl auch gleich ten Befehl, einen Ans geſchuldigten oder auch nur Verdächtigen ohne Weiteres, db. h. ohne vorgängige Unterfuchung, Ueberführung und Verurtheilung?) zu töbten: eine empörende Mifchung von Mord und Uebung ver Strafgerichts« boheit, eine „zuborfommende Strafrechtspflege, die beſonders geübt wurbe gegen folche des Hochverraths Verbächtige, von venen als Ant- wort auf gerichtliche Ladung gewaffnete Erhebung oder Flucht in's Ausland mit Racheplänen zu erwarten ftand. Ungezählte Beifpiele bringen die Quellen ohne bie leifefte Anbentung, daß ſolche Thaten als Mord, als Unrecht angejehen wurben®).

Der vom Grafen auf Königsgebot zur Hinrichtung Gebrachte liegt ungefühnt®).

So ſcheußlich uns dieſe als Recht geübte Entweihung des Straf- vechts durch Mord anmuthet, man muß einräumen, die Könige waren burch tie unabläffigen Mord- und Empörungs-Anfchläge bes Dienftabels in eine Art Notbftand verjekt.

Daher war es nicht befondere Graufamleit, ſondern Straf:

1) Höchſt bebrohlich bei den Weftgoten, Könige V. ©. 195.

2) Ebenfo bei den Weftgoten, Könige VL? ©. 155f.

3) Allerdings fehlte wohl nicht in allen Fällen ein gerichtliches Urtheil, in welchen die Quellen eines folhen gejchweigen. So treffenn von Roth, Ben. ©. 130.

4) Bergl. Greg. Tur. V. 26. VI. 17. VIII 11.26. X. 22; Fred. c. 29. 52; Lib. hist. Fr. c. 45; v. St. Desiderii Cadurec. c. 5, Urgeſch. III. ©. 202. 253. 354. 371f. 411f. 503. 509; vgl. L. Rib. 60, 2.

5) jaceat forbatutus Childib. deer. c. 4 = absque compositione L.Rib. 77; Form. Marc. appendix 29; vgl. das Altnorbifche.

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milderungt), wenn Chilperich fih mit Blendung begnügte, bie obenein bilfiger als vie Todesſtrafe abzulöfen war.

Das Augenausreißen für einfache Nichterfüllung irgend eines Töniglichen Befehls bei Chilperich ift aber Willkür, nicht rechtgemäße Strafart 2).

y. Berwaltung.

Vermöge feiner Verwaltungs: und zumal Gerichts⸗Hoheit Tann ber König einen Fremden ebenfo irgendwo einweifen (einbannen), als von gewiffen Gebieten ausweifen (verbannen): jo Theudibert II. Sanct Columba 3); man überfieht hiebei jedoch, daß der Ire als Fremder nur jo viel Recht im Lande hat, als ihm ber König gewähren will.

Freizügigkeit beftand mit nichten: der Graf kann auf bloßen Ver- dacht hin einen Fremen verhaften und jagen: „ou follft nicht frei überall umberfchweifen“ 4).

Und wieder in anderem wurzelt e8°), wenn ver Graf nicht wider Königsbefehl einen Neuanſiedler auf Antrag der Märker austreiben barf: Dies ift nicht fo faft Ausflug der Gebiets-Hoheit, die, vom privat- rechtlichen Dbereigenthbum fcharf verſchieden, allerdings dem König zu- fommt®), als feines Nechtes des Fremdenſchutzes denn eigenmächtig darf die Gemeinde nicht handeln und der „Eulturpolizei” wie wir heute jagen würden zum Zwed einer dem König erwünfchten Landrodung und Anfievelung: dieſem Necht und dem Vortheil bes Reiches muß die fonft ven Markgenofjen zuftehende Einfpruchbefugniß, bie nicht aus dem Cigenthum bes Einzelnen, nur aus ver Gemeinte- Berfaffung des Dorfes, folgt, nachftehen. Und dann verfteht fich,

1) So Brunner II. S. 78 ſehr richtig gegen Greg. Tur. VI. 46, vgl. Urs geih. III. ©. 287), der binzuflgt: „in ber Sache wie in ber Form noch immer minder barbarifch als das römiſche: publice vivus coneremetur” Cod. Just. IH. 26, 9 (von Balentinian und Valens a. 365).

2) So meint das offenbar Greg. Tur. VI. 46, Urgeſch. III. ©. 287.

3) Fred. ce. IV. 36, Urgeſch. III. ©. 581.

4) Greg. Tur. V. 46f., Urgeſch. III. ©. 221. Freilich war das Amtsmißbrauch des ſchlimmen Grafen Leubafl.

5) Aber freilich nicht in Schröbers (Franken S. 62) königlichem Obereigen- thbum, dagegen aud von Iuama-Sternegg I. ©. 93; v. Sybel S. 435; Walt II. ©. 104.

6) ©. oben S. 360.

25*

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daß der Graf recht eigentlich das Willenswerkzeug bes Könige felhft nicht wollen darf wiber des Königs ausgefprochnen Willen).

d. Brivatredt.

a. Bermögensredt.

Bon gewaltfamen Eingriffen böjer Könige in das Vermögens⸗ recht von Einzelnen, auch von Kirchen und Klöftern (ſ. oben ©. 301) erzählen Gregor und Fredigar nur allzu oft?). Aber auch die fippen- rechtlichen Befugniffe des Muntwalts riffen fie an fich.

b. Familienredt.

Wie in allen viefen Weichen?) verfügen vie Könige willfürlich über die Hand‘) von Jungfrauen und Wittwen>), (auch über Gott geweihte) ©), und zwar offenbar nicht nur, falls biefe eines andern Muntwalts tarben ).

Solche weiblihe Schüglinge ohne Muntwalt beburften von Rechts⸗ wegen des Königs Zuftimmung zur Verheiratbung®). Dieſe Befugniß gewiß nicht altgermanifches Königsrecht! wird mit zweifelhaften Recht auf römifchen Imperatoren⸗Mißbrauch zurückgeführt.

Diefe Verheirathungen dienten auch Vermögenszweden bes Königs: er belohnte Getreue durch reiche Mitgift und [parte jo deren Belohnung aus eignen Mitteln.

1) Anders Wait, Götting. gel. Anz. 1851. &.965; Bethbmann-Hollweg, Eivil- proceß I. ©. 470.

2) S. Urgeſch. II.: Chlothachar I., Ehilperih, Dagobert I.

3) Könige VL? ©. 499.

4) Brunner II. ©. 56; Cod. Theodos. III. 6, 1. 10, 1. 11,1. Merovingiſche Beiſpiele ſolches Ehezwanges häufig bei Greg. Tur.; 3. Grimm, R.⸗A. ©. 436; Waitz II. 1. ©. 213; Löniug ©. 604.

5) Aber Greg. Tur. VI. 32, Urgeſch. III. ©. 269f. cum praecepto regis ut uxorem reciperet et ibi commoretur hätte ®ai S. 213 nicht als Belag an- führen follen: es beißt dort nur, Leudaſt fol feine Gemahlin wieder (zurück⸗ gegeben) erhalten, nicht „eine Frau erhalten“; vgl. V. 49, Urgefch. III. ©. 231; auch fonft beſteht wohlbegründet in dieſem Kalle nicht abjolutiftifcher Ein- griff in das Recht: e8 warb Leudaſt verftattet, nicht befohlen, wieber frei im Tours zu leben.

6) Praec. Chloth. II. c. 8; Edict. c. 18.

7) Praec. c. 7.

8) ©. unten Köonigsſchutz; L. Rib. 35, 3. 58, 12.

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Schon unter Chilvibert I. und Chlothachar I. war der Ehezwang verboten worben!).

Chlothachar II. mußte 614 ausbrüdlich Verzicht leiften auf dies Recht oder diefen Mißbrauch 2); ſchon das Concil von Tours von 5673) enthält das Verbot‘). Fortdauer des Mißbrauchs noch in Tarolin- gifcher Zeit bezeugt die Lex Romana Curiensis?).

c. Erbredt.

Auch in Erbtheilungen mifchte fich der König willkürlich und zur Dereicherung bes Fiscns®), offenbar nicht nur in tem vom Geſetz vor- behaltenen Falle, da er für die Erbtheilung durch einen Beamten einen Theil des Nachlafles bezog’).

e. Bertretungshoheit.

Die Entſcheidung über Krieg und Frieden, auf die man fich beruft, bie Vertretungshohett mußte wohl fehr früh in ven Wirren ter Kämpfe von 230—486, nach Auflöfung der alten einfachen Gauzuftände, auf ben König binübergleiten, da ein germanifches Gauding herzlich un⸗ geeignet für die Künfte der Statsleitung gegenüber Rom war.

c) Milderungen der Wilkür.

Dean würte nun aber doch zu einfeitiger, irriger Beurtheilung bieje8 States und Königthums gelangen, wollte man von ben eben geſchilderten Erfcheinungen harten Rechts und fchlimmer Gewalt allein ausgehen.

Das Königthum zeigt Teineswegs blos jenes Bild der Will für und der Härte: die Geſchichtſchreiber freilich heben das Auffallende, das Grelle, das Gewaltſame in den Handlungen ber Herrfcher hervor: allein die Rechtsquellen zeigen ung biejelben als

1) Ce. Turon. von 567 ed. Maassen p. 127. can. 20; vgl. Weyl, Stats: firchenrecht zur Zeit der Merovingen 1888 (Gierke's Unterfuhungen XX VII) ©. 72. 2) Praec. Chloth. c. 7. Cap. I. p. 19; Ed. Chloth. c. 18. 1. c. p. 23.

3) can. 20. 1. o.

4) Weyl, Statskichenrecht zur Zeit ber Merovinger 1888. ©. 70. 5) L. 3,1.

6) Praec. Chloth. II. c. 2; Edict. e. 6.

7) ©. oben Finanzen.

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bie Schirmer und Schützer des Bolles, eben der Schugbebürftigen, und es fehlt doch auch in ven Gefchichtfchreibern nicht an zahlreichen Delägen, bie und dieſe feltener beſonders erwähnte, weil ſtillſchwei⸗ gend als das Selbftverftändliche vorausgeſetzte Thätigleit der Fürften vor Augen führen.

Wir haben bereits anderwärts als eine unjerer Grundauf—⸗ faffungen dargewieſen, wie das Königthum, trog allen Mißbrauchs feiner Macht, doch von Anfang bis zum Ende des Frankenreiches bie wahre Wohlfahrt, das Heil der Gejammtheit vertrat, wie es gegen- über dem junkerhaften ftatsverderberifchen Adel der Muntwalt des viel geplagten, Hilflo8 gewortnen Standes ber &emeinfreien, des Volkes im Ganzen war.

Dabin gehört der „Königsfhug”t), ver erft in biefer Zeit möglih und nöthig ward: in der altgermanijchen hatte die Sippe ben Schub gewährt, ven der Einzelne fich nicht felbft gewähren Eonnte: das Königthum wäre viel zu fchwach geweien für eine Aufgabe, bie e8 damals übrigens noch gar nicht zu löfen hatte.

Diefe Pflicht des Königs, für das Volk zu forgen, ift daher nicht altgermanifch 2): fie ift auch aus chriftlichen, aus antilen (römiſch⸗im⸗ peratorifchen) Anſchauungen nicht entftanden: biefe find nur von ben meift geiftlichen Dichtern, Formelfchreibern, Gelehrten überhaupt zur Verbrämung und religiöſen, fittlichen Begründung heran gezogen werben. Hervorgegangen ift fie offenbar aus mehr thatjäch- lichen, zwingenden Gründen: aus der Noth der Zeit, in welcher ber einzelne Gemeinfreie fich felbft zu berathen und zu helfen nicht mehr vermochte, feit die Wanterung aus den alten Siten Sippe und Gemeindeverband vielfach zerriffen und die Anfieblung neben Römern ben Eintritt in ein ganz neues wirtbichaftliches und Bildungsleben auferlegt hatte.

In dem auf die Dauer fieglofen Kampf gegen bie Uebermacht bes

1) ©. unten ©. 402.

2) Dies ift, fo weit ich fehe, noch gar nicht beachtet, auch nicht von Waitz ©. 202; was dieſer aus Dichtern und Formeln beibringt, ift nicht urgermanifch, ift der hriftlich- (d. h. vielfach auch altsteftamentlich-)rhetorifche oder römiſch⸗rhetoriſche Ausbrud für das Damals bereits aus dem neuen Verhältuiſſen thatſächlich Er⸗ wachfene: 3. ®. Form. Marc. I. 25 cui Dominus regendi curam committit, cunctorum jurgia diligenti examinatione rimari oportit. ®Der » Dominusa«a ift Doch nicht germanisch und früher hatte man bie »jurgia« meift im Fehdegang ausgefochten.

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Großkapitals, der Bildung bes weltlichen und geiftlichen Adels und Großgrundbeſitzes und beffen Trachten, die Heinen Freien fammt deren Aderland fich zu unterwerfen, war das Königthum ben Kleinen ber einzige Helfer: König und Sleinfreie waren natürliche Verbündete wider ben gemeinjamen Feind, ben Dienftabel, der fchließlich vie Krone zweimal überwältigt, die Kleinfreien verknechtet und in echt junferhafter Selbſtſucht die Auflöfung des States c. 670 fehr nahe heran, c. 880 aber völlig herbeigeführt hat.

So foll der König aller Gewalt im Reiche wehren!), das folgt aus feiner Pflicht, ven (Königs-)Frieven zu ſchützen.

Beſonders Chilperich übt freilich gar oft nicht Königsrecht, fon- bern Rönigsgewalt: fo wenn er feine theologiihen Meinungen bei Strafe als Geſetz verkündet), auch Freie zwingt, feiner Tochter nach Spanien zu folgen?); dagegen die auf dieſer Reife verübten Be⸗ trüdungen find von dem Gefolge, nicht vom König, ausgehende Miß- bräuche tes Einquartierungs- und Verpflegungs⸗Rechts der im Tönig- lichen Auftrag Neifenden®).

Une nicht Recht, fondern Willkür dieſes „Nero feiner Zeit" war es, wenn er Nichtbefolgung auch feiner ungerechten Befehle mit Aus- reißen der Augen bebrohted).

Durchaus nicht war der Freie im Nechtsverfahren ven Mero- vingen hilflos preisgegeben:: ihn ſchützte das altgermanifche Bollwerk ber Freiheit: das Genoſſenrecht und Genofjengericht.

Ganz grundlos behauptet mans) alfo, bis auf Chlothachar II. babe Cabinetsjuftiz beftanden, d. h. ver König perjönlich habe allein in dem Pfalzgericht entſchieden. Wir finden überall die Spaltung ber Rechtspflege in Bann und Urtheil: Gregor beweift ſchlagend das Gegen⸗ theil?); ebenfo irrig wird dies von Karl und Ludwig I. behauptet®).

1) Form. Marc. I. 36.

2) Greg. Tur. V. 44, Urgeſch. III. ©. 217.

3) L. c. III.

4) VL 45, Urgeich. III. S. 285. Dies gegen Wait ©. 199.

5) Man leſe die allerdings von einem Feinde gefchriebne Beurtheilung bes ebenfo bösartigen wie geiftreihen Tyraunen bei Greg. Tur. VI. 46, Urgeſch. III. ©. 281).

6) Bardewig, Königegeriht S. 30 f.

7) VO. 23. VII. 12. IX. 19, Urgeſch. III. ©. 316. 354. 421. Vgl. das Ber- fahren in dem Königsgericht gegen Imjuriofus, Biſchof Theodor vou Marfeille, Chramm.

8) ©. Karolinger.

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2. Treue⸗Pflicht. Treue⸗Eid des Volkes.

a) Die Treut ˖ Pit.

Die Untertbanen ſchulden dem König Treue!) (ides). Daher wird biefe Treu-Gefinnung vor Allem von dem Grafen verlangt, biefem recht eigentlichen allgemeinen und regelmäßigen Werkzeug ber Statsgewalt und ber Königfchaft: fo fagt die Beftallungsformel des Grafen?) : „viele Würde foll nicht Leichthin einem verliehen werben, veflen Treue und Wackerheit (fides seo strenuitas) nicht vorher erprobt ift. Weil wir nun Deine Treue und Tüchtigkeit erprobt haben (fidem et utili- tatem), fo verleihen wir Dir das Grafenamt.“

Ein ftändiger fefter Begriff im Inhalt der Treue ift die Wahrung ber »utilitas regise, nicht blos Heil und Wohlfahrt, auch Vortbeil, Intereffe des Königs: oft fteht für »rexe felbft »utilitas regis«®).

Der Anforderung nach follte nun die utilitas regis und bie utilitas regni, populi, ber Geſammtheit in Eins zufammenfallen und unferer Grunvdauffaffung nah war dies im Wefentlichen und in ber Regel der Fall: ver wahre Vortheil der Gefammtbeit, ber großen Menge des Volles, lag in der Erftarkung bes Königthums. Bewaltthätigfeiten einzelner Könige bedrohten biefe nicht an der Wurzel, d. h. an der wirtbichaftlicden Selbitändigkeit, an dem unmittelbaren Zufammenhang mit der Statögewalt, ja an ber perjönlichen Freiheit, wie das ber planmäßige Drud des Adels auf die Kleinfreien in theils leidenſchaftlicher, theils in Lühlberechnender Gewalt that. Nicht bie politiſche auch die Rechtsgeſchichte nicht —, die Wirthfchaftsgefchichte ift die Ausfchlag gebende Bewegung in biefen Germanenreichen vom V. bis ins IX. Jahrhundert. Obigem entfprechend bezeugt denn ein folcher Rebell nach feiner Bändigung felbft, die Befehle, der Wille bes Königs Guntchramm feien zugleich bie öffentliche Wohlfahrt‘).

1) S. oben VII 1. ©. 191.

2) Marc. ]. 8.

3) Gar häufig in den Duellen: Greg. Tur. X. 19, Urgeſch. III. ©. 501 me reum esse mortis, qui semper contra utilitatem hujus regis . . abii.

4) Greg. Tur. IX. 8, Urgeich. III. ©. 408 non obediendo praeceptionibus vestris, . . agendo contra voluntatem vestram atque utilitatem publicam.

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In vielen Stellen wird benn auch gerabezu bie utilitas regni!) ober patrie?) genannt: ebenfo gut konnte bier regis ftehen.

Schon das altgermanifche Recht ftrafte Hochverrath, Landes⸗ verratb, Heerverrath mit dem Tode und zwar war biefe wie ur- fprünglich jede Todesſtrafe Opfer des Verbrechers: Verbrechen gegen das Boll und Land find zugleich Verbrechen gegen die Volks⸗ und Landes. Götter und umgekehrt: denn Frevel gegen bie Götter ziehen, bis fie gejühnt find, deren Zorn auf Volt und Land herab).

Das Aeußerfte von infidelitas ift, wenn der Untertban zu ben Kriegsfeinden feines Volkes übergeht und feinen König bekämpft‘); aber ver Begriff der infidelitas fonnte von einem Chilperich fehr weit gebehnt werben.

Die Treue-Pflicht enthält das Gebot, vem Bann des Königs zu gehorſamen, fich jeder Schädigung des Könige feiner Ehre, feines Lebens, feiner Freiheit, feines Vermögens, feiner Macht zu enthalten und vielmehr feinen Vortheil nach Kräften zu fürbern.

b) Der Erene-Eid des volkes.

Den Merovingen wird bei Thronwechfel (und Neichstheilung) von ben Untertbanen ein Eid ber Treue geſchworen, das juramentum fidelitatis, der leudesamio 5).

Der Inhalt dieſes Schwures tft nicht erhalten. ‘Doch wirb man

1) Epist. Sigiberti Gundlach p. 212; v. St. Ansberti o. 22.

2) Fred. co. 90.

3) Dahn, D. Geſch. Ia. ©. 231.

4) Diplom. N. 46. a. 677. Adalricus dux . . nobis infidelis apparuit et se Austrasiis consociavit, ut adversum nos et nostros fideles scelera sua.. exercuisset.

5) I. Grimm, D. G. 11. ©. 573; Waitz ©. 206; v. Roth, Ben. a. a. O.; da⸗ gegen mit Unrecht v. Daniels I. ©. 246. 424 leode (== »promittere«), samio (== zufammen), alfo Gefammt-Eid, wider dieſen Braumann de leudibus p. 33. 38; vgl. Sohm ©. 19. 3. Grimm bei Merkel p. XI fand in samio ben Grafen als „Sammler“ des Bolles, der leudes, und aud Waitz neigt hiezu, weil iu ber Glofſe zu Lex Sal. 54, 1 leodo samitem ben Grafen als Sammler bes Wergelbes (leodo) bedeute. Weber leudes homines und Untertanen == fideles and Brunner I. ©. 121. 150. IL. S. 11; L. Visig. nur einmal IV. 5, 5: wohl aus dem Franken⸗ reich entlehnt, deun die Form tft nicht gotiſch; (vgl. angelſächfiſch ledd Schmid, Geſetze der Angelſachſen S. 623), Könige VL? ©. 141.

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den in der Markulfilchen Formel!) gebrauchten Ausprud: »fidelitatem et leudesamio« als altmerovingifch anfegen bürfen.

Gewiß war die Wortfafjung nicht bie gleiche, wie wenn ein Gefangener oder Beſiegter vor feiner Freigebung ſchwören mußte, fortab nichts wider den Nuten feines Begnadigers zu unternehmen. So Chilperichs Sohn Theudibert gegenüber Sigibert?), ver Kelte Waroch gegenüber Guntchramn?;, wenn freilich auch dieſer Schwur ein Treueſchwur beißen mag‘). ‘Darf man von ber Faſſung anderer freilich jüngerer Eide Rüdichlüffe machen, z. B. dem Eid von Andelot 5), von Straßburg, ven fpäteren Lehens-Eiten, fo ift auch in dem Unter⸗ thanen-Eid neben dem bejahenden Treue⸗Verſprechen die Verneinung von feindfeligen Handlungen zu vermutben ®).

Schon Chlodovechs Söhne ließen ihn fich leiften.

Die Leute von Tours fchwören nach Chlothachars I. Tod Charibert bem Erften?).

Der Eid ward geleiftet bei dem Wegierungsantritt: am Hofe von den Großen, bie fich gerate in dem palatium befanden, bie übrigen Untertbanen wurben von den Grafen aufgeboten, ben Tönig- lichen Sendlingen zu fehwören®). Höhere Beamte fchwören wohl bem König felbft, wenn dieſer feine Umfahrt hält.

Auch wenn ein Meroving ein Xheilreich ganz over theilweife erbt, läßt er fich von den neuen Untertbanen eiden ®).

Ebenſo wird bei jever andern Neuerwerbung von Land und Leuten von den neuen Unterthanen ber Treu⸗Eid verlangt: wenn ein Mero- ping dem Andern Gebiete entreißt, wie bies der Anmaßer Gundovald

1) 1. 40; Ende des VII. Jahrhunderts: »ut leudesamio promittantur regi« vgl. Wait II. ©. 159.

2) Greg. Tur. IV. 23, Urgeſch. III. ©. 125.

3) X. 9, Urgeſch. III. ©. 481.

4) IV. 47. V. 27, Urgeſch. III. ©. 155. 203.

6) Greg. Tur. IX. 20, Urgefd. III. ©. 423.

6) S. oben S. 393 und die Aufzählung von folden, die als infidelitas galten bei v. Roth a. a. D., aber lang war die Formel wohl nicht.

7) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 444.

8) ©. oben „Örafen“; Form. Marc. I. 40.

9) Fälle, in welchen nach dem Tod eines Merovingen andere ale befien Erben den Treueid von deſſen bisherigen Untertbanen fordern: nach dem Tode Chlo⸗ thachars I. Greg. Tur. VII. 7, Chilperihe IX. 30, Urgefd. IH. ©. 298. 441. Ebenſo Hatte Biſchof Berthramn nah Guntchramus Tod Chlothachar II. zu ihwören Testam. Bertchr. ed. Pardessus Dipl. I. p. 201.

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wirklich getban!), fo droht es zu thun (a. 532) der Anmaßer Mun- berich 2), fo thun die Feldherrn Sigiberts, die Arles und Tours er- obern für ihren König); vie Unterfcheidung) zwifchen dauernder und nicht dauernder Vereinigung hat keinen Sinn, ta bie Einverleibung auch in ben Fällen 3. B. in Septimanien®), in Italien‘) als bauernte beabfichtigt war, in welchen fie fpäter aufgegeben werden mußte.

Dagegen wird von einem Eibe der Alamannen, Thüringe, Bur- gunden, Baiern, Weftgoten bei beren Unterwerfung wenigftens nichts berichtet.

Auch wenn bei Lebzeiten des Vaters ein Sohn ein Theilreich erhält, werden alle Gauleute durch den Grafen gebannt, fich an ge- eigneten Stellen der Stäbte, Dörfer, Burgen zu verfammeln und hier por dem vornehmen Boten, den der König von feiner Seite entjenbet, dem König- Sohn und dem König⸗Vater „Treue und leudesamio” zu veriprechen und zu fchwören?),. Die Verbindung beider Eide dem König- Vater wird der Eid wiederholt zeigt deutlich, daß durch Ausfonverung eines ſolchen Reiches die Unterthanenpfliht gegen ben Vater nicht erjegt, nicht verbrängt werben follte durch die gegen ben Sohn: beiden ſchulden die Untertbanen fortab Treue: und bie Er- fahrung®) lehrte, e8 war nicht überflüffig, daß fich der Vater nochmal ſchwören ließ.

Nah Dagobert I. wird die allgemeine Vereidigung ber Unter- thanen in merovingifcher Zeit nicht mehr erwähnt.

Der Urfprung des allgemeinen Treu⸗Eides in biefen Germanen- reichen ift beftritten. Er begegnet auch bei ®oten ?) und Langobarben 19), ber angeljächfifche im X. Sahrhundert '1) ift wohl dem franzöfifchen nach- gebildet. Mani?) nimmt römiſchen Urfprung an. Diefer ift jedoch

1) Greg. Tur. VI. 24, Urgeſch. III. ©. 261.

2) Greg. Tur. III. 14, Urgeid. III. ©. 78.

3) IV. 30. 46, Urgeſch. III. ©. 134. 153.

4) Bei Walk ©. 207.

6) IX. 31, Urgeich. III. ©. 443.

6) X. 3, Urgeſch. III. ©. 467.

7) Form. Marc. I. 40.

8) Ehramn Greg. Tur. IV. 14, Urgeid. III. ©.-111.

9) Könige III. VL? S. 527 »ut moris este: aber erft unter Egila.

10) Band X.

11) Schmid a. a. O.

12) Früher Waitz IL S. 117; (anders P. von Roth, Ben. S. 111 folgend II. 1. S. 208), jet au Brunner IL ©. 61. Weber die Rorbgermanen fchreibt

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ſehr zweifelig, Nur Senat und Heer fchwören dem Imperator. Man behauptet: „Beamten und fänmtlichen Bürgern und Untertbanen warb der Eid . . . regelmäßig abgeforbert"'), kann aber nur zwei Falle: unter Trojan?) und Pertinar?), anführen.

Der Oftgote Athalarich ließ wie die Boten bie Römer fich ſchwören: allein bie als Beweis für ven römifhen Eid aller Unterthanen anführen), ift petitio principii: nicht der römifche Eid von Senat und Heer, der aller Unterthanen ift nicht genug be= zeugt, der germanifche Eid ber Gefolgen, fpäter dann der Dienft- leute (homines) und Vaſallen war, wie e& ſcheint, der Ausgang: es entfpricht völlig der Auffaffung der Untertbanenpflicht al® einer per- fönlichen Zreuepflicht gegenüber tem König, daß man nun den gleichen Eid, die gleiche Treue wie früher gegenüber dem Gefolgs- und dem privaten Dienft-Herrn gegenüber dem König verlangte.

Daß die Gefolgen ſchon zur Zeit bes Tacitus dem Gefolgs-Herrn einen Eid leifteten, wird zu wenig beachtet5): daher ver Name bes Unterthanen-Eides: »leudesamio«, d. h. Mannichaft, hominium, baber der Inhalt (Cap. von 802): „Treue wie der »Aomo« = Dienft- mann feinem Dienftherrn (domsno) ſchuldet“, daher bie wört- liche Uebereinftimmung biefes Unterthanen-Eides mit dem (farolingifchen) Bafallen-Eid.

mir gütig Amtegenoffe Oslar Brunner, jet in Würzburg, am 30. X. 89: Weber den Huldigungseid findet fih Einiges in R. Kayfers „Norges Stats- og Rets⸗ forfatning i Middelalderen“ S. 57 ff. Aber doch nur für die biftorifche Zeit. Die Quellen über die vorhiftorifhen Könige find äußerſt pürftig, fo daß man nicht einmal fieht, ob zur Zeit ver Sagenbildung ber Huldigungseid für etwas Noth- wenbiges galt. Die Geſetze wie Gulapingslog fegen ihn voraus. Die balb- biftorifchen Berichte Über die erfte Zeit der Alleinherrfchaft brauchen für die Unter- werfung unter die Lönigliche Gewalt denſelben Ausprud (fubfl. konungstekja, verb. taka til konungs) wie die fpäteren, Die von damit verbundener Eidesleiſtung ausdrücklich Sprechen. In Schweben ift bie eibliche Hulbigung, eriksgata, in den Geſetzen gleichfalls von Anfang an vorausgefeßt. Die älteften ſchwediſchen Rechts⸗ aufzeihnungen geben aber bis Anfang bes XIII. Jahrhunderts zuräd. Für Dänemark weiß ich nichts anzugeben.“

1) Mommfen, Statsreht II. ©. 768.

2) Mommfen a.a.D., auch der Anmaßer Tiberius ließ fih ſchwören Liber Pontificalis ed. Du Chesne I. p. 408.

3) Brunner II. S. 61; Herodian II. 9, 5.

4) Wie Brunner a. a. O.

5) Germania c. 13; D. ©. Ia. ©. 225f.

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Für den germanifhhen Urjprung db. h. für Nachbildung des Anfangs nur von den Gefolgen und [[päter] Dienftmannen (homines) geleifteten Eides fpricht doch der Inhalt des Eides in fpäterer Zeit: „pas Gelöbniß folcher Treue, wie fie ter homo feinem dominus ſchuldet“. Diefe Begriffe find doch gewiß nicht römifch!

Durh den Eid wurde nun aber boch nicht Mannſchaft“ be- gründet!) und nicht ein befonveres Verhältniß Einzelner zum König ?), jondern nur das ohnehin beftehende allgemeine Unterthanenverhältniß religiös befräftigt?). Nicht einmal das ift anzunehmen, daß durch ven Eid alle Schwörer in basfelbe Verhältniß eintraten, das fonft nur bie »leudese« d. 5. die Gefolgen des Königs ergriffen habet). Diefe irrige Auffaffung ift fcharf abzuweiſen auch in ver abgefhwächten Baffung), wenn auch ter Eid ber Unterthanen dem alten Eid ber Gefolgen (leudes) nachgebildet worden war.

Denn jenes führt zu dem burchaus fern zu haltenden alten Grund- irrthum zurüd, der ganze Frankenſtat fei aus dem privaten Ver: bältniß der Gefolgen zu dem König als Gefolg-Herrn hervorge— gangen: das Unterthanenverhältniß, d. h. die Statszugehörigkeit jedes Sreien und feine hieraus fließenden Pflichten und Rechte find aber eben fo alt wie bie Gefolgichaft, find von Anfang ftatsrechtlich, nicht, wie im fpäteren Lehenftat, privatrechtlich gevacht gewefen. Und niemals haben bie Gefolgen des Franlen- Königs leudes, antrustiones haben fie geheißen und find bald nach Annahme des Chriftenthums verſchwunden, d. 5. in andere Formen bes befonderen Treuverhältniſſes zum König übergegangen‘). Zwar eibeten bie Gefolgen”?), aber biefer Eid der leudes ift nicht der von Gefolgen, wenn auch ihm nad geahmt®). . |

1) Wie Zöpfl, Ewa Chamavorum ©. 89.

2) Wie Zöpfl Rechtsgeihhichte IL. S. 59 u. Daniels I. ©. 427.

3) So richtig v. Roth, Ben. S. 113. 278.

4) Wie Eichhorn I. (8 26).

5) Bel Waitz und Gierle I. ©. 111.

6) VII. 1. ©. 151—165.

7) Tacitus Germania c. 14.

8 I. Grimm R.⸗A. ©. 252 fagt: „In der Älteften Zeit wurben weber Eide noch Gelübde (bei Antritt eines neuen Königs) abgelegt: in ber Schilverhebung oder dem lauten Beifall der Umfichenden durch Zuruf und gen Himmel geftredte Arme war Alles begriffen... Seitvem aber das Lönigliche Gefolge ſchwur, fich das Lehenrecht ausgebildet batte, forderten fie von ben eigenen Untertbanen

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Ganz in der Luft fchwebt bie Behauptung, der Eid fei urfprüng- ih nur!) Heer-Eid geweſen und babe ten Bann bes Königs be- gründet.

Das wahrſcheinlichſte alfo mehr foll nicht behauptet werden ift: ber allgemeine Unterthanen⸗Eid ift nicht römischen Urfprungs, aber auch nicht altgermanifh, ſondern ift feit ver Umwandlung bes alt» germaniſchen Königthums, dem Hervortreten des perfönlichen Schuß: und Treu:Verbandes durch Nachbildung bes uralten Gefolgen-Eives entftanven: jedoch durchaus nicht fo, daß num alle Untertbanen Ge- folgen des Königs geworden wären: e8 warb nur die ohnehin be- ftehente Treupflicht religiös bekräftigt und ftrengere Treue wie fie früher nur vie Gefolgen band ber Perfon des Königs nicht dem „abftracten” Stat gegenüber veriprochen 2).

Man ging?) zu weit wohl darin, daß man neben dem Unter- thanen-Verband beftehende befondere Verbindungen mit dem König Gefolgfchaft, befonderen Königsſchutz für die ältere Zeit ganz beftritt: aber mit Recht läßt man bie Abhängigkeit durch Landleihe des Königs erft fpät den Untertbanen» Verband zurüdbrängen, nie (im Frankenreich) völlig erfegen. Man kann auch‘) nicht zugeben, das Unterthanen-Verhältniß babe felbft (nur) einen perfönlichen Charakter getragen: wenigftens nur mit ſehr ftarlen Einfchränkungend). An biefer ftatlihen, nicht gefolgemäßigen Grundlage des Neiches ward

Sandgelübbe, von betrauteren Dienern Eide” Alſo auch er faßt ben Bolkseid als Nachahmung des Gefolgeneides. Allein da von jeher die Gefolgen ſchwnren, (Tac. Germ. c. 14: id praecıbuum sacramentum), eibeten gewiß auch die bes Königs von jeher, die Nachahmung aber bat nicht von jeher flattgehabt. Andrerfeits erfolgt fie und lange bevor von Lehenrecht die Hebe fein fann: zu Anfang des VI. Jahrhunderts bereits fordern die Söhne Chlodovechs Eide nicht blos Handgelübde und zwar von den Untertbanen, nicht blos von den „betrauteren Dienern“. Gegen altgermanifchen Urjprung auch Bierle I. ©. 111; Sidel, Statsverfaffung ©. 69.

1) Semeiners, Centenen S. 137. 188,

2) Nichteprivate Beziehungen zur Berfon des Königs als Grundlage des Frankenreiches dargewieſen zu haben, iſt das dauernde Berbienft von Rothe.

3) Derſelbe.

4) Waitz ©. 209.

5) No mehr denn Waitz betont, den Yranzofen ähnlich, Teiver dies Rein⸗ perfönliche, Uneftatliche des Berbandes von König nnd Bolt im Frankenſtat Gierke I. S. 110f.

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auch durch Nachahmung des Gefolgen-Eites in dem allgemeinen Eide nicht geändert.

Der Eid kann immer nur religiös befräftigen, was al8 rechtliche ober fittliche Verpflichtung bereits befteht oder jetzt anerkannt wird.

Sp wird denn auch durch dieſen Eid nur das bereits burch Ge⸗ burt oder Einwanderung und Aufnahme ober Unterwerfung begründete Unterthanenverhältniß von Germanen, Kelten, Römern bekräftigt.

Es fchwören alle zur Zeit bes Thronwechfels ſchwurmündigen Männer: Weiber und eidunreife Knaben nicht: auch wurden, wie es ſcheint, in merovingifcher Zeit die Knaben nicht vereibigt, wenn fie nachträglich unter dem gleichen König ſchwurreif geworben: anders unter Karl tem Großen, ber auf ftatliche Eide nur allzufchweres Ge- wicht legtet).

Alle Gauleute (paginses) werten vereidigt: Nömer wie Franken oder Reichs⸗Angehörige andren Abftammes?).

Werben ausnahmsweife einmal nur bie »sentores Francie, »Fran- corum sublimes« als bie vom König vereibigten erwähnt es ift Theuderich I. zu Köln 612%), fo erflärt fih das wohl aus der Beſchränktheit des Raumes. Die Handlung geſchah in ber Baſilika St. Gereond, die das ganze Volt nicht Hätte aufnehmen fönnen. Auch kam damals lange fchon auf bie Zuftimmung ver Großen Alles, die des Volles wenig an: dieſes mochte dann fpäter von Beamten des fiegreichen Eroberers nach deſſen Abzug vereibigt werben ®).

Die Vereibigung erfolgte bei dem feierlichen Umritt, in welchem ber König Beſitz von feinem Reiche nahm, falls ein folcher ftattfanp: andernfalls verfammelte der Graf oder ein außerorventlich abgeſandter Beamter die Gauleute und nahm ihnen ben Eib ab: oter auch beide wirkten zufammen, ter orbentliche Beamte rief tie Leute zufammen, bamit fie in Gegenwart des außerorbentlich zu biefem Behuf abge- fandten Beamten (missus) ten Eid leifteten.

1) Urgeſch. III. ©. 1033. 1092.

2) Form. Marc. I. 40 jubemus ut omnes paginses vestros tam Francos, Romanos vel reliqua natione degentibus.

3) Lib. hist. Fr. o. 38.

4) Dies vermeidet die Einwände von Watt ©. 209 gegen v. Roth, Ben. S. 114: denn allerbings nahm der missus (damals wohl nod regelmäßig ber Graf) die Eide wohl wur in Abweſenheit des Königs ab.

400

Der Drt ver Vereibigung wirb von dem Grafen beftimmt; er wählte gewiß meift die alten Dingftätten, over anbrerfeits die Baſiliken in den Stäpten, Dörfern und Burgen !).

Geſchworen wurde „an den Stätten der Heiligen“ und zugleich „bei den Weberbleibjeln ber Heiligen“, die, handelt es fih um all- gemeine Bereibigung, alſo auh an Orten, wo lettere fehlen, fo an ten alten Dingftätten im Freien, der König feinem Sendboten (missus ex latere) mitgiebt?).

c) Kein Eid des Königs.

Ein entfprecdenp allgemein von dem König dem Volle gefchworener Eid, wie er bei ven Weftgoten vorkommt?), begegnet bei ben Franken nicht), wenn auch ber »sermo regis«, das Wort, in welchem ber neue König Alle feines Schutes verficherte, (f. unten Treuewort) feierlich ausgefprochen ward. Welcher sermo, welches verbum regis hiebei gemeint ift, zeigt ber bei Verleihung des befonderen Königs- fhuges ausprüdlich ebenfo genannte sermo tuitionis nostrae®). Allein von einem Königs «Eid dieſes Inhalts als allgemeiner Sitte ift uns nichts überliefert.

Denn offenbar hat e8 mit folch allgemeinem Königs -Eid nichts zu thun, wenn einmal ober zweimal König Eharibert I. und Theu⸗ dibald I. (a. 548—555) bei Erwerb der Zouraine den Bewohnern ſchwören, ihre Steuerlaft nicht über pas bisherige gefeßliche ober ge- wohnbeitsrechtlihe Maß hinaus zu erfchweren.

Es ift das ausnahmsweiſe eine eibliche Bekräftigung einer De- freiung, eines Verzichts auf Mehrbefteuerung $).

1) Locis congruis per civitates, vicos et castella Marc. Form. I. 40.

2) Marc. I. 40 per loca sanctorum vel pignora, quas illuc per eodem direximus.

3) Könige VL? ©. 526.

4) Waitz ©. 210 fagt: „überhaupt befland wohl bei den Deutſchen (foll heißen: „Bermanen“) eine gegenfeitige Verpflichtung zwiſchen König und Bolt" (— das gewiß! —) „bie eidlich ausgefprochen und anerfannt warb” dies „eibliche“ ift eben fehr zweifelhaft.

5) Pippin, Urkunde von 760; Mühlbacher N. 89; ebenfo Form. Marc. L 24. p. 58 sub sermonem tuitionis nostrae visi fuimus recepisse.

6) Greg. Tur. IX. 30, Urgeſch. III. ©. 444; Löbell ©. 160 hat wahrſcheinlich

gemacht ihm folgen Waitz S. 209 und Sidel S. 66 —, daß es fi dabei auch

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Der weitergehende Ausdruck fcheint zwar einen Verzicht auf jede Aenderung bes beſtehenden Rechtszuſtandes zu entbalten!): allein im Weſentlichen find doch nur Steuerverfhärfungen gemeint.

Und wieber von ganz andrer Art ift es und lehnt fich gewiß . nicht?) an ältere Verhältniffe an, wenn in ber Zeit tieffter Ohnmacht bes merovingifchen Königthums Leodigar und feine Anhänger dem ganz von ihnen abhängigen König Ehilverich II. gewiffe Verſprechungen abnöthigen, die allerdings nicht blos des Adels Vortheil, auch bie Selbftändigleit von Neuftrien und Burgund gegenüber Auftrafien be zwedten >).

Geſchworen wird übrigens hiebei von dem König überhaupt nicht. Meancherlei, ebenfalls ohne Schwur, muß Chlothachar IL. dem auftra- ſiſchen Abel als Preis für veffen Abfall von Brunichildis veriprechen *).

Auch ver Beweis für einen vom König zu leiftenden Eid aus den Vorgängen bei Gaileſvinthens Vermählung 5) ift hinfällig: man‘) meint, daß auch fie Eide leiftete (nicht nur empfing) laſſe fi nur erklären, wenn die Sitte von dem König basfelbe forderte. Allein ein Treueid ber Unterthanen gegenüber ver Königin (db. h. nicht etwa Regentin) ift nirgends bezeugt und hat feinen Sinn: die Königin hatte doch nicht als Trägerin der Statsgewalt Gehorfam zu fordern: einen „Bann ber Königin“ giebt es nicht. Mit dem Eide, der ausnahmsweiſe Gaileſvintha gejchworen wurde, hat e8, wie wir aus andern Quellen wiffen, eine befonvere Bewandtniß). Dan begte am Hofe zu Toledo das äußerſte Mißtrauen gegen Ehilperich: nur nach heftigftem, größtem MWiderftreben entſchloß man fich, feiner Tücke, Habgier und böfen Luft bie Königstochter anzuvertrauen: fogar in ven Verſen des Fortunatus

bei Gregor wie zweifellos in der epist. Floriani ad ep. Nicetium Trevirensem (528—568) Gundlach IV. p. 116 um die Romanen handelt: beren Furcht vor dem germanifchen Herrſcher follte befchwichtet werben.

1) Ut leges consuetudinesque novas populo non infligeret . . neque ullam novam ordinationem se inflieturum super eos, quod pertineret ad spolium,

2) Wie Waitz S. 210 will.

3) v. St. Leodigarii ce. 4, Urgeid. II. ©. 686.

4) Fredig. c. 46, Urgeſch. U. ©. 606.

5) Greg. Tür. IV. 27, Urgeſch. II. ©. 132.

6) Waitz ©. 210. -

7) Was Wal S. 210 überſieht: Es ift nicht zu fagen, was im biefem be fonderen Falle dazu Anlaß gegeben hätte“.

Dahn, Könige der Bermanen. VD. 8. 26

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kann dieſe Furcht nicht ganz vertufcht werben: man verlangte daher von Chilperich beſondere Eibe, vie Gemahlin, fo Lange fie lebe, nicht zu verftoßen: trefflich Hielt er den Eid: benn er ließ fie erbroffeln —. Es ift num fehr wohl denkbar, daß zwar nicht alle feine Unterthanen, wohl aber eine Auswahl verfelben aus feinen Vornehmen!) gewiffermaßen ale Bürgen dieſen Eid ihres Königs befräftigten, ganz ähnlich wie dies bei Karls Vermählung mit ver Tochter des Defiberius durch eine Anzahl vornehmer Franken geſchah?). Will man nun den Redensarten bes höchſt unverläffigen Sortunatus fo viel Glauben ichenten, fo wäre etwa anzunehmen, baß überhaupt bei Entgegennahme biefes ganz außergewöhnlichen der Königin geleifteten Eides auch dieſe ihrerfeits Huld den Schwörern gelobt habe.

Daß zunächft von der großen Menge (plebs) die Rebe ift, welche bie Königin gewinnt, fteht obiger Deutung faum im Wege: vielleicht ift dad Volt von Rouen gemeint ?). |

Gailefpinthen wird auf die Waffen gefchworen, der Treueid dem König nirgends auf.die Waffen), nur auf bie Heiligen.

3. Königsſchutz und Königsfriede.

8) Allgemeines.

Der allgemeinen Zreuepflicht des Unterthanen entipricht die all- gemeine Schußpflicht des Königs (oben S. 28). Von dem König als dem allgemeinen Schirmer erwartet und verlangt man baber bie Zugend der Huld, ber Güte (clementia), dies ift nicht die mittelhoch-

1) Das ift die gens. armata be8 Fortunatus. 2) ©. Urgeſch. III. &. 959. 3) Ven. Fort. VI. 5. v. 235:

pervenit (Gailesvintha) qua se piscoso Sequana fluotu in mare fert juncto Rotomagense sinu jungitur ergo toro regali culmine virgo et magno meruit plebis amore coli hos quoque muneribus permulcens, vocibus illos et licet ignotos sic facit esse suos, utque fidelis ei sit gens armalta, per arma jurat jure suo se quoque lege ligat.

4) Der zwifchen Karl und den Dänen auf die Waffen geſchworene Eid (a. 811) ift fein Treueid, ein Waffenftillftands- und Friebenseid, Urgeſch. III. ©. 1148.

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beutjche „Milte“ d. h. Freigebigkeit. So wirb bie clementia, regalis in der Auswahl tüchtiger Männer zu ven Aemtern erprobt und gelobt!).

Daher wird der Schug ber Wittwen und Waiſen an eriter Stelle als Pflicht des Königs-Grafen erflärt?), dann bie Unter- brüdung der Räuber und Mifjethäter®).

Der Schuß bes Friedens ift Hauptzwed des States und Haupt: pflicht des Königs: ber Friede aber ift ber Inbegriff ber durch bie Rechtsordnung anerkannten und gefchügten Verhältniſſe: „auf baß Friede und Zucht in unferm Reiche walte“*), „behufs Feſtigung des Friedens“ wird die Neichsverfammlung berufen >).

„Im Volle lebt das Recht: aber daß es aufrecht erhalten und gefchügt wird, ift die Aufgabe der Königlichen Gewalt“).

Diefer Schub des Königs für das ziemlich Hilflos gewordene ge- ringe Bolt ift ebenfo nothwendig und ebenfo Pflicht, wie für bie wehrunfähigen Neffen. . „Ich beichwöre euch“, fpricht Guntchramn (584) zu dem Volle, „ihr Männer und Frauen, die ihr zugegen feib, wollet mir unverjehrte Treue balten und mich nicht, wie ihr jüngft meinen Brüdern gethban, umbringen. Es fei mir verftattet, nur noch rei Jahre meine Neffen, die meine Wahljöhne geworben, zu fchüßen, anf daß es nicht gefchehe, was ber ewige Gott verhüten möge, daß ihr nach meinem Tode mit jenen Kleinen zugleich zu Grunde geht, wenn bon unferer Sippe Tein Wehrfähiger (robustus) mehr vorhanden wäre, (fie und euch) zu fchügen“?).

Schon Chlodovech Tann die durch Ermorbung ihrer Könige ver- waiften Uferfranten auffordern, fih ihm zuzumenden, „auf daß ihr unter meinem Schuße fteht“°); das hätte in altgermanifcher Zeit feinen Sinn gehabt: damals hatten fi Voll, Sippe, Einzelner felbft ge- ſchützt.

1) Form. Mare. IL 8.

2) Form. Mare. L 8.

3) Bgl. das Rob eines Grafen, dem kaum je ein malefactor entgeht, bei Greg. Tur. v. patr. ce. 7.

4) Chloth. II. Edict. ce. 11.

R D. N. 48 von 677.

6) So ſehr ſchön Waitz S.101, nur daß auch der König Sei Verordnungs⸗ recht ſchuf, bas aber auch dies gegen Sohm, Schröder und Gefolgihaft für die Volksgerichte verbindlich war.

7) Greg. Tur. VII 8, Urgeid. III. &. 299. 8) Greg. Tur. II. 40, Urgeſch. III. S. 66.

26*

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Daß ſchon in der Urzeit der König als ver gemeine Schüßer galt, ift nicht!) anzunehmen: urfprünglich war ber König nur Beamter und nicht mächtig genug zu fehligen wie Ding oder Sippe. Daß er bei ven Angelfachien (c. 830) die Macht über alle Statsangehörigen bat und im Heliand mundboro heißt, diefe Auffafjungen bes IX. Jahrhunderts können für bie Urzeit nichts beweifen.

Der König ift der allgemeine Muntwalt aller, vie eines Deunt- walts barben, aljo ver Frauen und anderer Wehrunfähigen (f. unten) ohne wehrfähige Schwertmagen, auch des Entfippten?).

b) Friedloſigkeit.

An Stelle der alten Friedloſigkeit ift die neue, bie Entziehung bes Königsichuges getreten ?), man darf ven Aechter nicht haufen und hofen t) bei Meidung des Königsbannes won 60 sol. . ‘Der Uebelthäter, ver bie Buße nicht zahlen Tann, foll bei vem König verklagt werben, ver ihn außerhalb feines Schugmwortes ftellen wird, fo daß, wer ihn findet, ihn wie einen dem Tode Verfallnen töbten mag).

Der Vollsfriebe ift jet Königsfrieve geworben: daher fteht bie Berhängung der Frieblofigkeit wie früher ver Vollsverfammlung jet dem König zu: wer ten Königsſchutz verliert, wird friedlos )). Aber irrig leitet man”) baher die Zahlung des Friedensgeldes an den König ab: ſchon zur Zeit des Tacitus warb in Staten mit Königen bie Wette dem König bezahlt »pars mulctae regi aut civitati«.

Daß ver König, nicht mehr das Voll den Frieden fchügt, tritt auch in ver Ausgejtaltung der Acht und ter Todesſtrafen hervor: ber

1) Mit Brunner II. ©. 48.

2) Oben L. Sal. 60, 1.

3) L. R. 87, forbannitus.

4) Deutlich wird die Friedloſigkeit geſchildert Pertz D. N. 8 von Chilperich L (possessionem legibus amittat et insuper) exul et profugus a potestate totius regni nostri fugiens recedat; daß die Urkunde gefälicht, ſteht folcher Ver⸗ werthung bier nicht im Wege. |

6) Chilp. Ed. o. 11 nobiscum adcusent (den malus homo) ... et ipsum mittemus foras nostro sermone, ut quicumque eum invenerit quomodo sic ante pavido interfitiat; e8 darf wohl bei pavidus nit an altnorbifh feigr gedacht werben?

6) D. ©. Ib. S. 530.

7) Waitz ©. 101.

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König bat das Volt abgelöſt z. B. auch in der Pflicht den Verbrecher zum Tode zu bringen nach banbhafter That: nur noch zu verfolgen, zu binden, vor den Föniglichen Nichter zu ftellen haben fie ihn: bie Hin» richtung ift Sache des Königs durch feinen Benmten!), Aber vie Abſchwächung der Folgen ver Friedloſigkeit durch den König gründet doch wohl nicht nur darin, daß ber Friebe Königsfriede ift?), ſondern in einem allgemeinen dem König nun als Ausflug ber Gerichtshoheit zuftehenden Begnabigungsrecht: denn ber König bat ein folches Be⸗ gnabigungsrecht auch in zahlreichen anderen Verhältniffen. Dagegen wird aus obigem runde die echte Brieblofigkeit nur noch vom König felbft ausgefprochen. Auch das Necht des Königs, gewiffe Claffen von Perfonen oder von Verbrechern feinem eignen ‚Gericht vorzubehalten, ift nicht?) aus dem Königsfrieben, ſondern aus feiner Gejeßgebungs- . und Gericht8hoheit im Allgemeinen abzuleiten: denn e8 war nicht auf Fälle des Friedbruchs befchräntt: konnte er boch 3. B. Kirchen das Vorrecht gefreiten Gerichtsftandes, Palatinen auch für ‚das bürgerliche Recht einräumen.

c) Sermo, verbum regis.

Gewiß ift die Auffaffung des gemeinen Friedens als Konigsfriede jo alt als vie Lex Salica, bie friedlos legen bezeichnet mit extra sermonem regis ponere: doch hat es wohl auch bei den fpäter zu Franken zufammen gewachjenen Völferfchaften eine Zeit gegeben, ba noch nicht der Königsfriede, fondern ber Vollsfrieve galt, vielleicht fogar auch bei Völkerfchaften mit Königen: denn ber Friedensſchutz ging in der Urzeit doch wohl nicht von dem wenig mächtigen König, fonvdern vom Volksding und von ber Sippe aus. Erſt jett ift der Volksfriede Königsfriede geworden: daher wird ver Friedloſe aus bem Königs-Frieden geftoßen, daher bezieht der König (wie übrigens ſchon nach Tacitus) das Friedensgeld und zieht das ſchutzlos geworbne Gut bes Friedloſen ein. Bei ven von Anbeginn königloſen Sachſen bezieht fogar noch nach der Unterwerfung ‚nicht Karl das Friedensgeld, ſondern bas Ding: ebenſo vollftredt das Sachſending auch jegt noch gegen ven Ding-Ungehorfamen das Branbrecht ohne vorgängige Friedloslegung

1) Richtig fo Brunner 3.2 |. R.G. XL ©. 76. 2) Drummer IL ©. 43. 3) Mit Brunner IL ©. 44.

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durch den König!) (f. oben ©. 404): der forbannitus?) foras nostro sermone mittitur).

Die Bebeutung von sermo hiebeit) ift beftritten. Mit Recht bat man®) die Erklärung®), sermo ſei nur Weberfegung bes (fpäteren) far-zalan, „verrufen“, verworfen; nicht nur?) weil der Zuſatz (sermo) »noster, dominicus, suuse nicht auf den Triebebrecher gehen Tann: vor Allem weil diefer ja nicht sine sermonem (in Verruf) fonbern sextra sermonem« gefegt wird: alfo kann sermo nicht Verruf fein. Aber es genügt auch nicht, sermo pax zu fegen®), denn nirgend fonft begegnet diefe Gleichung. Vielmehr ift sermo verbum = os, wie es in den angeljächjiichen Quellen beißt ore suo utlagabit eum rex, verbo oris sui?). ‘Dabei ift aber sermo nicht das Wechtungs- wort des Königs denn nicht in biefen sermo, aus diefem hinaus wird er ja geſetzt fondern das Schuß-wort, das TFriebensfchug- verfprechen, das der König bei dem Wegierungsantritt allen Unter⸗ thanen verheißt.

Bewiejen wirb jene Bebeutung von sermo Schutzwort baburch, baß auch bei dem befonders verliehenen Königsichug das Wort in verbo (sermone offenbar) regis esse wieberfehrt 1%).

Sprachlich a-spellis, ex-spellis doch wohl von spell, fprechen, nicht!) = aus Dorf, aus Gemeinde 12); die Emendata1?) vexpulsus de eo pago« giebt nur eime Wirkungsbefchreibung, feine Wort- Erklärung.

) Cap. I. p. 72. 1. c. 8 von 797.

2) L. R. 87.

3) Ed. Chilp. e. 11.

4) L. Sal. 56, 5. 78, 9. 106, 9.

5) Brunner II. ©. 42.

6) Frensdorffs, Hecht und Rebe, biflorifche Aufſätze für Waitz S. 478. 7) Wie Brunner a. a. O.

8 Wie Brunner a. a. O.

9) Leges Edwardi Confessoris c. 6 8 1 ed. Schmid: p. 493£.

10) L. Sal. 13,6. Cod. 4 si puella . . in verbo regis est 72 in verbum (= Schuß) regis mittat 76, 7 mulier in verbo regis missa; L. Sal. I. c. 7. c. 11. $ 7 verbum = bannus; L. Rib. 35, 3 mulier qui in vefbo regis est. Index Cod. A. 7 = quae in verbo regis bannitae sunt. ©. unten ©.’414.

11) ®ie Wuig II. 6.

12) ®egen Lex Sal. III. 6 »taurus trespilliuse.

13) Merkel p. 88,

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d) Sefonderer KRönigsſchutz. a. Allgemeines. Die Perſonen biefes Schutzes..

Gleichwie die allgemeine Treupflicht der Untertbanen durch ein befonveres Verhältniß (Gefolgſchaft, Amt, fpäter beneficium) verftärtt wird, fo kann auch ein befonderer Königsſchutz erbeten und verliehen werben).

Den befonderen Königsſchutz führt man?) auf fpätrömifche An- Hänge zurüd; aber weßhalb unterjcheivet man die oftgotifche tuitio von der germanifchen? foll die oftgotifche?) nur römiſch fein? Es erklärt fich die Entwidelung ohne römifche Beimifchung völlig aus ber eritarkten Königemacht und aus dem Bebürfniß ber Heinen Freien, bie durch bie verfchwundene Vollsverfammlung und die geloderte und verftreute Sippe nicht mehr wie früher ausreichend gefchügt wurden.

Wie ehebem ber gemeine Volks friede für gewiffe befonvers heilige oder beſonders fchugbebürftige Perſonen, Sachen, Räume, Zeiten, Ver⸗ bältniffe (Haine, Tempel, Herde, Frauen, überhaupt Wehrunfähige, Haus, Dingſtätte, Heerbannzeit) zu einem erhöhten Frieden war ge fteigert worben, fo jeßt der gemeine Königs friede, Königsſchutz: ver König mußte oder konnte gewiflen Berjonen aus Pflicht oder Gnade befonderen Schu zuwenden).

Der neben tuitio, defensio, mundeburdis gebrauchte Ausdruck verbum, sermo regis geht auf das „Schutiwort" des Königs d. h. deſſen feierliche Schußgelobung?).

Der leitende Gedanke tft biebei zunächſt: der befondere Königs⸗ ſchutz erfegt den beburften und fehlenden eines Muntwalts: alſo fuchen vorab alle Waffenunfähigen ohne Muntwalt folden Schuß ®). So Weiber”).

1) Waitz ©. 330, vgl. Ehrenberg, Commendation und dannigune (1877); Stdel, Beiträge DL ©. 16. 32. 40. 71; Löning ©. 390. -

2) Brunner II. ©. 49. 3) Könige III. ©. 116.

4) Das flieht nicht wie von Roth, Ben. a. a. D. meint, in Wiberfprudh mit jenem allgemeinen Konigsſchutz.

5) &. oben ©. 405. Mare. L 35 in nostro . . sermene; auch gehäuft: sub sermonem tuitionis nostrae.

6) Uber auch bie rechtloſen Fremden ſ. oben.

7) L. Sal. 22, 6 puella ... in verbum regis Rib. 35, 3 mulierem ... in verbo regis.

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Ein fchönes Beifpiel gewährt Gregor: der König verleiht der Jungfrau, die in Nothwehr ihren DVergewaltiger, Herzog Amalo, ge- töbtet, unerbeten feinen Schug: zunächft gegen bie Erben bes Ge» tödteten!). Eine Wittwe, bie wieder heirathen will und ber Gefippen barbt, fie zu verloben, läßt fich durch den Grafen in verbum regis aufnehmen?) Frauen im Königsgsfchug bedürfen feiner Einwilligung zur Verheirathung, (nicht nur, weil der Ehemann vie Ehemunt babei erwirbt): benn er vertritt ihren Geſchlechts- oder Sippe⸗Muntwalt), vielleicht auch des privaten Schügere. Wenigftens bei ven Weftgoten bie Tochter des buccellarius®).

Ferner Geiftliche, denen bie Führung der Waffen verboten iftS): fo nahm Karl Martell Bonifatius in feine mundeburd und defensio®). Aber ſchon vor mehr als zweihunvert Jahren, gleich nach ver Be⸗ fehrung), gewährte Chlodovech im Weftgotenkrieg folchen Sonderſchutz ven katholiſchen Geiftlichen, Kirchen und deren Eigenthum; es ‚werben ünterfchieden bie in pace nostra und die extra pace Stehenden: werben jene gefangen, müffen fie nach Zeugniß des Biſchofs über ihre Befriedung fofort freigegeben werben: für dieſe mag ber Biſchof fich verwenden, aber ohne Zwang bes Erfolges”).

Dann (meift als juriftiiche und jedesfalles als Fromme Perſonen —) Kirchen und Klöfter: vom König gejtiftete oder ihm gejchenkte oder ausdrücklich in feinen Schuß aufgenommene. So ftellte Sancta Rade⸗ gunbis ihre Klofterftiftung zu Poitiers unter ven Schug bes Königs®).

Der Königsſchutz für kirchliche Immunitäten beruht auf dem Königsfrieden für Kirchen, verftärkt im Einzelfall durch Bedrohung ber Verlegung Löniglicher Nechtsverleihfung mit dem Banne.

Die Kirche fuchte die Vorzüge des Königsfchuges wegen ver damit verbundenen Vortheile, aber die Unterorbnung unter die Krone follte

1) Greg. Tur. IX. 27, Urgeſch. II. ©. 439.

2) Cap. addit. Behrend p. 90.

3) Anders Brunner IL ©. 49 wegen L. Rib. 35, 3.

4) L. W. V. 3,1. Könige VL? ©. 133.

5) Oben ©. 257.

6) Pardessus II. p. 344; vgl. Ce. Latun. ed. Maassen c. 12. p. 22.

7) Treffend Tieft Deumer bei Brummer IL ©. 37 si veraciter agnoscitis, vestrae epistolae . . ad nos dirigantur flatt agnoscitis vestras epistolas.

8) Greg. Tur. IX. 42, Urgefch. III. &. 462; |. oben ©. 341; ob auf Grund eines Vertrages ober einfeitiger Berleihungshanblung, wie Ehrenberg S. 76 unter- ſcheidet, iſt ohme Unterſchied der Rechtswirkung. Die Echtheit von ahlothachare L Dipl. p. 125 bezweifelt Waitz ©. 331.

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vermieden werben; daher verlangte fie alle Vorrechte des Kronguts für die Kirchengüter als folche, ohne das doch nach allen Richtungen durchſetzen zu können: aber fie verlangte 3. B., daß alle Kirchengüter als folche ebenjo wie Krongüter den Königsichug genießen follten. Bezeugt ift dies allerdings erft 847, 8521). Aber vie Kirche fekte ſchon im Uferfrantenrecht?) den dreifachen Schutz von Kirchengut gegen Raub und Diebftahl purh?). Bezeichnend ift ver Widerſtand, ben bie Kirche gegen den Eintritt von Klöftern oder einzelnen Geiftlichen in den Königsfchug erhob: bie hierarchifche Unterordnung jchien da⸗ burch gefährdet: fchon das Auffuchen des Königs oder eines Welt. abeligen in folcher Abficht war bei Ausftoßung verboten‘). Chlotha- har II. mußte auch dieſe Forderung bewilligen: doch fegte er durch, baß ein Geiftlicher, der mit dem Schußbrief des Königs zu feinem Biſchof zurückkehrte, als excusatus nicht geftraft werben follte>). Diie Schutzurkunden für Klöfter gehören erjt der Tarolingifchen Zeit an): denn die brei meropingifchen für das Klofter Anijola find falſch)). Aber ver König mag feinen befonderen Schuß jeder ihm beliebigen natürlichen over juriftifchen Perſon gewähren, auch freien wehrbaften Männern: die Waffenunfäbigkeit ift alfo keineswegs ber einzige Grund der Schutbevürftigkeit.

8) Die Wirkungen des befonderen Königsſchutzes.

Die Wirkungen des beſonderen Königsfchußes find nicht in allen Fällen bie gleichen: außer ven auch zwilchen privaten Schüßern und Schützlingen begegnenven bat ver Königsſchutz noch eigenartige®).

1) Ce. Magont. c. 6. c. 4. Cap. II. p. 177/186.

2) Ebenfo L. Al. 7. .

. 3) L. Rib. 60, 8.

4) S. Kirchenhoheit. ..

5) Chloth. Ed. ce. 3. Cap. I. p. 21.

6) von Pippin für Anifola 752; Mühlbacher N. 64.

7) Dies fcheint mir Havet, questions meroving. IV. gegen Pertz D. 4.9. 50 bewiefen zu haben.

8) BVortrefflich hierüber Brunner II. ©. 52: die Bann⸗Clauſel und bie Reclamations-Elaufel, d. 5. Das gefreite Gericht vor dem König; die Be⸗ zeugung ber erfolgten Aufnahme in den Schuß möchte ich aber nicht als „Schut- Elaufel” den beiden andern zur Seite ftellen: fie ift nur 1) Zeugniß und 2) Grund⸗ lage der. beiden Einzelwirkungen; zahlreiche Formeln für Schutz⸗Urkunden bei Zeumer (p. 58. Form. Marc. unb Yolge).

410

Bei Verleihung dieſes Schutes im Einzelfall wurde daher in ber Urkunde (carta de mundeburde) beſonders gejagt, worin ter Schuß in dieſem Falle beftehen folle: mögen die Wirkungen in vielen Yällen, ihon wegen der Sormelbaftigkeit der Urkunden !), fo ziemlich dieſelben gewefen fein, es ijt nicht möglich, nothwen dige ftet8 eintretenve Wirkungen ſolchen befonveren Königsſchutzes aufzuzählen, weil eben folche nicht vorhanden waren).

So kann der Königsſchutz für eine in verbo regis posita barin beftehen, daß ihr Sicherung gegen eine beftimmte einzelne Gefahr gewährt wird).

Daß Saden des Schüßlings ſtets unmittelbar d. h. in erſtem Rechtsgang vor das Königsgericht gezogen werben konnten, tft als all gemeine Wirkung des Schuges nicht anzunehmen. Diet) biefür angeführten Stellen®) find richtiger von Berufung zu verftehen. Der König aber entjcheivet im erften oder fpäteren Rechtsgange nicht als Vertreter, fondern als Richter. Gewiß burfte ſtets gegen deu Ent- icheid des Erftrichters der Oberentſcheid des Königs angerufen werben).

Der König gewährt vem Schüßling ferner erhöhten Frieden durch be- jonderen Bann: auch das Vermögen und die Schüßlinge des Schütz⸗ lings, für welche dieſer vertretungspflichtig ift (3. B. die in feinem mithio ſtehenden), umfaßt dieſer Schugbann, d. h. der König droht, verſchieden abgeftuft, Bann und Buße für veffen Verlegung”).

1) Freilich fett Diefe umgekehrt auch häufige Gewährung berfelben Rechte voraus.

2) Greg. Tur. IX. 27, Urgeſch. DU. ©. 439; oben S. 408 Schut vor Blut- rache und Rechtsgang.

3) Oben ©. 408.

4) Bon Waitz ©. 331.

5) Form. Mare. I. 24 causas .. quas in pago absque ejus grave dispen- dio defenitas non fuerint, in nostri praesentia reserventur. ‘Diplom. N, 9 causas . . adversum . . monasterium ortas . . quas a vobis (judicibus) aut junioribus vestris absque eorum iniquo dispendio terminatas non fuerint, usque in praesentia nostra . . servetur et ibidem Mnitivam sententiam de- beant accipere: alfo geht wohl eine non finitiva (cum dispendio) vorher; auch Brunner II. S. 50 erklärt diefen gefreiten Gerichtsftand ſchon im erſten Rechts⸗ gang als rechtswefentlih; aber warum wirb er dann ausprüdlich zugeſprochen?

6) Das Hauptoortheil biefes reclamare ad regis sententiam findet Brunner a. a. O. in der „Billigleitsjuftig”, die im Königsgericht im Unterfchieb vom Volls⸗ gericht gewaltet haben foll; |. aber oben ©. 53.

7) Es giebt Köntgebanne von 60, 120, 180, 300, 600, 1000 sol. Greg. Tur. IV. 26, Urgef. II. ©. 129; Sohm S. 171; &öning IL. ©. 20.

411

Daß der bejontere Königsſchutz als fjolcher, auch ohne ausdrück⸗ liche Verleihung, das Wergeld verbreifacht habe, ift eine unbegründete Behauptung).

Eine wichtigfte Pflicht des Schügers gegenüber dem Schügling war die Vertretung vor den Gerichten, aber auch gegen Steueran- ſprüche des Fiscus: das ift das defendere, die defensio, die 5.2. gewiſſen Freigelaffenen bie Kirche fchulvet, wenn nicht der König dieſe defensio gewährt); beſonders biefür zahlte der Schüßling eine Ab- gabe, auch wenn er nicht auf des Schübers Scholle ſaß.

Der Königsſchutz ift an Stelle des Sippefchutes getreten: daher nimmt der König (wie auch der private Schutzherr) das Wergeld oder die Magenfühne des fippelofen oder magenlofen Erfchlagenen?), ven reipus ber fippelofen wieder heirathenden Wittwet): aber bei dem finverlofen cartularius) tritt der König an Stelle des Freilaffers, bie Seitenverwandten und Vorfahren ausfchließend, nicht an Stelle ber Sippe®).

Der Schügling fehuldet oft, aber nicht immer, dem Könige vertragsmäßige Zinje”)., Man nimmt für bie Kaufleute und Juden nach objectivem Recht feftjtehende Abgaben an: aber pie (ſpät⸗karo⸗ lingiſchen) Stellen ®) ſprechen nur von verhältnifmäßigen und ftänbigen (Mai-) Abgaben‘). Das ift eher eine Steuer: Juden follen einen Zehnt, chriftliche Kaufleute ein Elftel entrichten. Eine befonvere Dienftverpflichtung des Schüßlings entftand durch die commendatio in den Schuß des Königs ober eines Andern urfprünglich nicht 10). Während fonft der Schügling durch den privaten Schüßer felbft vor Gericht vertreten wird, pflegt der König einen Vornehmen oder Bes

1) von Sidel ©. 91; Löning ©. 388; dagegen richtig Waig S. 339,

2) Cc. Paris. II. c. 9. a.

3) Lex Sal.

4) Lex Sal.

5) L. Rib. 61.

6) Anders Brunner II. ©. 48.

7) Brunner U. ©. 49.

8) Cap. von 877. Legg. I. p. 540 unb Formulae Imperiales (828—840) ed. Zeumer p. 315.

9) ad cameram . . unusquisque fideliter ex suo negotio ac nostro de- servire studeat.

10) Wie Ehrenberg wähnt ©. 77.

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amten!) für die Dauer?), auch wohl einen außerorbentlichen Send⸗ ling (missus)?) nur für den Einzelfall an feiner Statt zum Vertreter bes Schüglings zu beftellen: ber König felbft tritt nie als Ver⸗ treter auf.

Gewiß mit Grund nimmt man!) an, daß urfprünglich der König immer einen Vertreter ale Muntwalt für die Gewährung des Schutzes nach allen feinen Wirkungen beftellte, wovon, als dies ablam, (feit König Pippin ober vielmehr Karl)®), nur noch bie Vertretung vor Gericht übrig blieb.

Ob die Schußpflicht auf die Perfon des Verleihers beſchränkt fein oder auf die Nachfolger übergehen follte, ebenfo bei Kirchen und Klöftern auf die nachfolgenden Aebte das Recht auf ven Schuß hing von den Vertragenden ab®): bie Beſchränkung auf bie Berfon iſt häufig, darf aber nicht daraus allein gefolgert werden, daß ber Nach⸗ folger um Erneuerung, Beftätigung des Schutzes angegangen wird: bas gefchah damals bei allen Verleihungen.

Zumal auch die Knaben ver Eveln, die ganz regelmaͤßig behufs ihrer Ausbildung an ven Hof gebracht wurben?), werben dem König „commendiert“ oder dem Hausmeier®) oder einem andern Großen am Hof; es ift hiebei nicht immer zu erkennen, ob nur in Vertretung bes Königs?) oder zu eignem Schub: viele Beifpiele gewähren bie Heiligen-

1) So dem major domus Marc. I. 24. Aber nicht dieſem allein, wie Waitz S. 331 zu meinen ſcheint, Übertragen: auch äußeren Beamten in ber Provinz, wo 3. B. das Klofter Liegt.

2) So Form. Marc. I. 24 aud urkundlich: von Ludwig IL. Cap. I. 302: im Notbfall der befondere Vertreter, fonft der Vogt, für ein Nonnenklofter.

3) Form. Bitur. 14. Zeumer p. 174 (aber erſt farolingifh) ut missum habuissem, in locum defensionis vestrae d. b. des Königs.

4) Brunner II. ©. 51.

5) Denn Brunner führt ſelbſt noch die Markulfiſche Formel I. 24 und eine Urkunde Pippins von 760 (Mühlbacher N. 89) an; liber bie ofigotifche regia tuitio per sajonem ſ. Könige III. ©. 119, dieſe berührt ſich aber mit den byzantinifchen eionvopviaxes unb ben buccellarii, welche durch Die Weftgoten erft aus dem Oſt⸗ und Weft-römifchen heriibergenommen wurben, |. Könige VL? ©. 133.

6) Anders Ehrenberg ©. 77.

7) D. ©. Ib. ©. 624. ©. unten Hof.

8) Greg. Tur. V. 46, Urgeſch. III. S. 219.

9 Wie oben Anm. 1—3.

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lfeben!). Auch bei der Vaffalität fand ein se commendare in bie Hände des Königs ftatt?).

Aber au in den Schuß eines Andern als des Königs Tonnte man fich empfehlen, und auch dies hieß commendatio, se commen- dare®), in verbo ponere: fo 3. B. von ber Königin Brunichildis !).

In der Zeit zwifchen Chlothachar II. und König Pippin muß bie commendatio in vassaticum offenbar, wie bie Anwendung auf bie mächtigften Stammesherzoge Taſſilo, Waifard Söhne darweiſt, reichſte und wichtigfte Ausbildung erfahren haben), aber gerade von biefer Zwiſchenſtufe gebrechen Berichte. Merovingiſch ift fie erft ganz fpät bezeugt®), und andererſeits kommt fie nach Karl auch nicht mehr vor; an biefe Form, die carta de mundeburdi regis »et princi- pes« (sic) war ber König wohl auch 751 bis 814 nicht gerade ge- bunden.

Es ift aber doch wohl nur Zufall, daß uns Urkunden mit biefem Ausprud erſt aus arnulfingifcher Zeit erhalten find”). Gerade in jenen Sahren muß nun auch vassaticum und Landleihe, bie an fich gar nichts untereinander zu fjchaffen hatten, immer häufiger allerbings auch jet noch rein thatjächlid verbunden worben fein, wie gerade bie ftatsrechtliche Anwendung auf Baiern und Aquitanien zeigte. Im farolingifher Zeit bildet jene Verbindung die Regel, in altmero- vingifcher fehlt fie: alſo ift fie in arnulfingifcher entſtanden 8).

1) ©. Urgeſch. ILL; Waitz S. 333, Aredius, Licinius, Fidibert, Hermeland; ob freilich hier commendare ſtets als Rechtsbegriff ſteht, tft zweifelig.

2) Gegen bie (f. unten Karolinger) Unterfuchungen v. Roths, Feud. S. 272 biebei (in manus, in manu, in manibus mit Recht Wait S. 333, biftorifche Zeitfchrift XIII. S. 102, Ehrenberg ©. 84, anders manchmal bei bem commen- dare per manus).

3) S. Könige VL? &. 129f. Form. Turon. 43 ut me in vestrum mundebur- dum tradere vel commendare deberem.

4) Greg. IX. 19, Urgeſch. M. ©. 211.

5) Richtig Waitz ©. 334.

6) Die Form. Marc. I. 24, die Brunner II. ©. 51 anführt, gehört der Zeit ber Aufzeihnung nach erfi dem Ende bes VIL Jahrhunderts au (Brunner I. &. 405), Barum foll fie nur dem vertretenden major domus gegenüber vor- gelommen fein?

7) 748 Pippin Dipl. p. 105 ad nos se cum omni re monasterii sui commendavit et nos ipsum . . sub nostrum mundeburdi plenum recipemus (sic!) Form. Addit. ad Marc. 2. p. 111 gleichzeitig ?

8) Private vasalli als Benefictenträger, |. Alamannen und Walk S. 305.

414

y. Erhöhter Friede für den König.

Verſchieden von dieſen Gedankengängen ift es, wird ben bie Perfon des Königs umgebenden Räumen und feinem Eigenthum er- böhter Friede gewährt ?).

Tür die merovingifche Zeit ift Pfalzfrieve des Königshauſes nicht bezeugt. Aber auch für die Farolingifche find die Beweiſe ſpät und für fräntifchen Urfprung nicht eben zwingen. Die Beſtimmungen im Sachfenrecht?) Könnten alten fächftichen Ding-Weg⸗Frieden auf ten Weg zum König übertragen haben und ein Capitular Karlmanns von 8849) das baterifche oder alamannifche Stammesrecht nachbilden. Will man aber auch) fchon merovingiſchen Pfalzfrieven annehmen (Fried⸗ (ofigfeit für Tödtung, Bann und Buße für leichteren Friedbruch?), fo ift doch ber Kirchenfriede5) ficher nicht?) auf Nachbildung folchen Pfalzfrievens zurüdzuführen: vielmehr bat hier ber Stat nach dem Vorgang ber Imperatoren kanoniſche Anſchauungen in feinen weltlichen Nechtsfchug genommen: ähnlich wie, übrigens auch in Weftgotenrecht, bie kanoniſchen Vorfchriften über Verwaltung des Kirchenvermögens; auh an Nachwirkung des heibnijchen Hain- und Tempelfrievens?) ift durchaus nicht zu denken.

Fahrhabe des Königs (Magd, Hengit, Stier) wird geſchützt zuerft durch Verdoppelung der gemeinen Bußes), fpäter durch Verdrei⸗ fahung?). Diefe Verbreifachung ward dann auf Kirchengut übertragen 19), vielleicht auch auf alamannifches Herzogsguti!).

4. Königsbann.

Da der Bann das allgemeine Negierungsmittel ift und ber Friedensihug, der Königsfrievre an Stelle des alten Volksfriedens Hauptzwed des States und Hauptaufgabe des Königthums und feiner

1) S. D. ©. Ia. ©. 251. 2) L. 8. 37. Capit. v. 779. I. p. 51.

3) Leg. L p. 551. 4) Mit Brunner II. ©. 47. 5) Cap. leg. add. v. 818/9. I. p. 281.

6) Mit Brunner a. a. 0. 7) D. ©. Ia. ©. 250f. 8) L. Sal 25,4. 38,2. 3, 5. =

9) L. Sal. Herold. 9. Rib. 11,3.

10) 1. o. 60, 8. 11) L. Al. 7. 31.

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Negierungt), ſo ift ganz folgeftreng das Hauptmittel zum Zweck des Königsfriedens der Königsbann?). Daher fchließen vie Könige Chil- bibert und GChlothachar einen Vertrag „zur Wahrung des Friedens“ (pactus pro tenore pacis), nicht des wölferrechtlichen zwifchen beiden Reichen, fondern der Friedensordnung innerhalb des Einzelreiches.

Scharffinnig bob man?) hervor, ta Gregor jehr jelten „‚deutſche“ Worte gebraucht, beweije das Vorkommen veffelben Wortes bei ihm‘) (allerdings nur dies Eine Mal), daß es damals ſchon weit verbreitet war: entſcheidend aber wirkte, daß es, ficher ur- und gemein-germanifch®), längft in ber Nechtsiprache als ein unentbehrliches eingewurzelt war und blieb.

Ausgebrädt in den Begriffen neuzeitlichen Statsrechts ift das Necht, zu bannen®), einmal das Recht, kraft der Kriegshoheit „Diilitair- befehle” zu erlaffen 3. B. in der Schlacht den Angriff zu beginnen ober abzubrehen —: tann das Verordnungsrecht d. h. die Befugniß, Vorſchriften des objectiven Nechts allgemeiner Natur, umfaffenven Inhalts zu erlaffen von dem „Gejeß“ (wir wollen viefe heutige Unterſcheidung ziemlich ähnlich auf jene Verhältniſſe anwenden) dann nur darin unterfchieven, daß das Geſetz Zuftimmung des Reichs⸗ tages over Volksheeres oder doch bes betheiligten Stammes erheifcht: aber e8 Tann ber Bann, die Verordnung, auch ein ganz einzelner Vollzugsbefehl fein. So ift es Ausübung des Bannrechts, wenn der König das ganze Heer zur Muſterung entbietet, ebenjo, wenn er zum Schuß des Friedens ein umfangreiches Capitulare erläßt, ebenfo, wenn er einem Grafen befieblt, einen verbächtigen Vornehmen zu tödten, einen Flüchtling zu verfolgen, eine Gränz-Brüde zu jperren; enplich übt der König auch die Amtshoheit, Gerichtshoheit, Verwaltungshoheit,

1) Oben &. 403.

2) Schon Lex Salica oben.

3) Waitz ©. 211.

4) V. 27.

5) Zu gotiſch bandvjan, altnord. benda, mit dem Finger zeigen?

6) Ueber den Baun, ſprachlich und rechtlich, vergleiche 3. Grimm RA, Deut- ſches Wörterbud I. Sp. 1115 (zurückgehend auf gotiih bindan, bandi, daun aber bandvjan, bandvö, Binden, Band, dann aber Zeichen (?)). Kern in Heflel S. 538 gelangt von biefer Berbindung zu ber Grumbbebeutung „Iprechen“, feierlich ver⸗ füuben (??), vgl. die ofigotifhen Bandalaren d. h. Banumer- d. h. Zeichen-Träger. Außer Gregor bringen das Wort zu früheſt die Lex Ripuar. 65, 1 »bannituse, dann Childib. deer. c. 8 »bannirimus«, Form. Marc. I. 40 »bannire« (et... congregare) (bie Ausführung bei Waitz S. 211 iſt unrichtig); dann Fredig. c. 73.

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Finanzhoheit, Kirchenhobeit durch ſeine Banne d. h. Gebote und Verbote aus.

Eine Unterſcheidung etwa von allgemeinen Verordnungen und einzelnen Vollzugsverordnungen durch die lateiniſchen Ausdrücke fand nicht ftatt!): in Einem Athem nennt Chlothachar II. feine prae- ceptio?) (= praeceptum) eine generalis auctoritas, ebenfo ift der Lex Salica?) die ordinatio praeceptum regis (die Einzel- verftattung der Anſiedlungſ. Uebrigens heißen auch bie „Gefege“ (f. oben) Teineswegs immer leges; auch was ver König nach vor- gängiger Zuftimmung ber Großen (auf einem placitum) verorbnet, beißt »praeceptio«*) und bie Verfündung »banniree®).

Es war eine unbegreiflihe Verirrung, daß man®) bem König eine auch durch Geſetz und Gewohnheitsrecht nicht befchräntte DVer- orbrungsgewalt unter dem Namen dieſer Banngewalt zugefprochen hat. Danach könnte .man fih die Mühe fparen, fränkifches VBerfaffungsrecht zu erforfchen: der Stat der freien Franken wäre hienach eine orien- taliiche Despotie oder boch ein römiſch⸗byzantiniſcher Abfolutismus, in welchem quodcumque principi placuisset legis habet vigorem; (. oben ©. 371). "

Danach hätte alfo der König durch feinen Bann alle auf Gefeg oder Gewohnheitsrecht beruhenden öffentlichen und privaten Rechte ber freien Franken aufheben können!

Dem aber fteht entgegen nichts weniger als Alles, was wir von- Necht und zumal Gefchichte ver Franken wiffen, zumal aus den rein gefhichtlihen Quellen, vie neben den wenigen und bürftigen Rechts⸗ quellen allzuhäufig auf das Schlimmite vernachläffigt werben.

Die mufterbilpliche Stelle über das Bannrecht des Königs jagt: ‚wenn jemand gemäß pen Gefegen innerhalb des Rahmens ber Geſetze in Sachen bes Königs, fei e8 zum Heere, ſei e& zu

1) Sp ridtig Th. v. Sidel, Acta Carol. I. ©. 4. 185.

2) p. 18.

3) XIV. 4.

4) Fred. c. 44.

5) Childib. decr. 28 »convenit . . et ita bannivimus« 8 bannire ein- fach befeblen: ita bannivimus ut judex etc.

6) Sohm S. 106 „vie Banngewalt iſt in ihrer Ausübung an Geſetze und Herkommen nicht gebunden”; fpäter hat er fie aber erfreulichermaßen zuräd-. genommen (Ienaer Literaturzeitung).

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fonftigen Sachen, ven Bannbefehl erhalten und nicht erfüllt bat, foll er, falls nicht Krankheit ihn abhielt, um 60 solidi gebüßt werben‘).

Lex ift bier fowohl Geſetz als Gewohnheitsrecht der Stämme: auch letzteres konnte nicht durch Königsbann allein, nur unter Zu- ftimmung des Stammes oder (fpäter) durch Reichsgeſetz aufgehoben werben.

Wie foll diejes Bannrecht des fo fehr beſchränkten germanischen Königs, der Lediglich ver Vorſtand eines Freiftats, durchaus nicht ver Träger ber Statsgewalt war, urſprünglich unbejchränkt, erſt ſpäter eingeengt worden fein? Das Gegentheil ift das Richtige. Urfprüng- lih waren ſowohl die Zwecke und Vorausſetzungen des Bannes als bie Höhe des Bannbetrages (in Vieh) auf das Genauefte durch Ger wohnheitsrecht, ſpäter durch Geſetz feftgeftellt, und gerade darin liegt bie Entwidelung, gerade darin drückt ſich das allmälige Vorjchreiten des Königthumes zu immer veicherer Machtfülle aus formell —, daß nach beiden Richtungen jene Schranken immer weiter gebehnt werben, bis endlich ganz folgeftreng unter Karl dem Großen auf ber Scheitelhöhe der Königsmacht ausprüdlich durch Geſetz ausgefprochen wird, der König darf in allen Fällen, „vie feine Weisheit geeignet hält“, und zwar beliebig hoch bannen. Aber das ift das Ende, nicht ber Anfang der Entwidlung: und nur wenige Jahre die lebten ber Raiferfchaft Karla Hat dieſe Gewaltfülle angedauert.

Wäre das Bannrecht des Königs in ſolchem Sinn unbeſchränkt gewefen, würben fich nicht die plößlich bewilligten Befchräntungen durch Chlothachar II. erklären: viefelben enthalten vielmehr offenbar vie Zu- lage, es folle bisher geübter Mißbrauch des Rechtes abgejtellt werben.

War alfo das Königliche Bannrecht ein unbefchränttes durchaus nicht, fo erkennt doch das Geſetz ſelbſt ein jehr weit gehendes Be⸗ fehlörecht des Königs an, wohl zu unterfcheiven von ben zahl reichen und ſtarken Weberfchreitungen dieſer gejeglichen Schranken, bie ſich Naturen wie Ehilperich I. und Andere verftatteten.

Sp war es nicht Hebung des Bannrechts, fondern Gewalt, wenn ein Chilperich den Bruch feines Bannes mit Blendung bebrohte?). Dagegen ift es nur Drobrede für die Zukunft und nie verwirklicht,

1) Lex Rip. 56, 1 si quis legibus in utilitatem regis, sive in hoste seu in reliquam utilitatem, bannitus fuerit et minime adimpleverit, si egritudo eum non detinuerit, 60 sol. multetur.

2) Greg. Tur. VI. 46, Urgeſch. W. ©. 287.

Dahn, Könige der Germanen. VOL. 3. 97

418

wenn Guntchramn im Zorne meint: „der foll verberben, der das Ge⸗ jeß ober unferen Bann nicht achtet*!).

Königsbefehl fteht aber echter Noth z. B. Krankheit, Gefangenfchaft infofern gleich, als er von der Dingpflicht, zumal der Pflicht, orbent- licher Ladung zu folgen, befreit, fogar den Bifchof von dem Concils- bejuch (ſ. oben ©. 321).

Anderem Nechtszufammenhang doch gehört e8 an?), wenn ver Graf durch Königsbefehl von ver Verpflichtung entbunden wird, feine Amtshülfe zu leiften; da ber ganze Inhalt ver Amtspflichten vem Grafen von dem König vorgezeichnet und die Zwangsgewalt feiner Amtsrechte von dem König ihm übertragen wird, kann ver König im Einzelfall die Erfüllung einer Pflicht ausnehmen, für einen Einzelzwed die Anwendung der Zwangsgewalt unterfagen.

Irrig leitet man?) das Recht der „Geſetzgebung“ des Königs aus ber chriftlichen Lehre von dem der von Gott gejegten Obrigfeit ge- fchuldeten Gehorfam ab. Der Antheil, ven die Könige an ver „Ge feßgebung* hatten, fam ihnen jchon in ver heibnifchen Zeit zu, beſonders das Verordnungsrecht, das in ihrem Banne lag.

Ganz bovenlos ift die Behauptung®), ver König babe urfprüng- ih nur den Heerbann gehabt... Wer hatte denn dann damals ven Gerichtsbann ?5) Dies beruht auf Verlennung des ganzen Wefens ger- manifchen Königthums und tft ein Rückfall in ven längft überwundenen Irrthum, das Königthum habe fich aus dem Herzogthum entwidelt®).

5. Thronfolge.

a) Allgemeines”). Chronfolgeorduung. Thronfähigkeit.

Die Mifhung von Wahl und Erbgang in ter germanifchen Königsfolges) fehlt auch im merovingiſchen Königthum nicht ganz,

1) Greg. Tur. VIII 30, Urgeſch. III. ©. 376. Ä

2) Dies gegen Wait ©. 103. 3) Gengler, Einfluß ©. 14.

4) Ehrenbergs, Commenbation ©. 118.

5) Daß Fredigars bannire, was Ehrenberg entgangen, Die Gesta Dagoberti übertragen mit exercitum jure proelii convocare beweift nidhts: denn bier handelt es fich eben nur um den Heerbaun.

6) dux, wie Armin, VII. 2. ©. 154.

7) Bgl. die vortrefflihe Abhandlung von Hubrich, fränkiſches Wahl- und Erb- Königthum zur Merovingen Zeit 1889, dazu W. Sidel in ben Nachrichten ber Göttinger gel. Geſellſchaft 1890. ©. 945.

8 I. Grimm, RU. ©. 233; Könige I. S. 31; D. ©. Ib. ©. 215f.

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beide Grundſätze kommen, aber mit Webergewicht meift des Erbgangs, zur Geltung.

Nicht der mindefte Grund befteht, zu bezweifeln, daß es fich bei ven Völkerichaften, vie fpäter als Franken zufammtengefchloffen erfcheinen, urfprünglich mit ver Thronfolge ebenjo verhalten hatte, wie bei allen andern Germanen: d. h. unter den mehreren erbberechtigten Gliedern bes Königshaufes entfchied die Wahl des Volles: ja auch, wenn nur Einer in Frage kam, z. B. der einzige Sohn bes lekten Königs ohne jeden Schwertmagen, verftand fich deſſen Thronfolge doch Feines: wegs von felbft, jondern beburfte ver Zuftimmung, Anerkennung bes Volles. Warum fich dies bei Batavern, Sugambrern geändert haben jollte, feitvem fie zufammen Salier over Franken hießen, tft nicht ab- zuſehen. Gewiß werben alfo auch jeit 230 und 330 die Gaulönige ber Salier aus einem Töniglichen Geſchlecht durch das Volt gewählt. Damit ftimmt auch das Zeugniß von Sage und Gejchichte 1): „die Franken follen für Gaue over Stabtgebiete langharige Könige über fich beftelit haben durch Wahl aus ihrer erften und fo zu fagen ebelften Sippe“ gemäß alt» und gemein-germanifcher Sitte?). Mit Necht bat man?) hervorgehoben, daß fich dies nicht auf die erfte Einführung bes Königthums bezieht, fondern auf jeve Thronerlebigung in jener Zeit vor Ehilpirich‘).

Der Römer Aegidius, mochte er wirklich zum König ober nur zum Herrſcher in Kaiſers Namen bejtellt werben, bedurfte felbftver- ſtändlich der Wahl, da er ja Teinerlei Recht hatte: deßhalb fagt auch Gregord) regem adserscunt und bafjelbe jagt er aus bemfelben Grunde von Chlodovech, da dieſer zum König der Uferfranten geloren

1) Bet Gregor II. 9, Urgeſch. IL ©. 201. III. ©. 42.

2) Könige I. ©. 32; D. G. Ia. ©. 216.

3) Waitz ©. 165. |

4) Daß die Hist, epit. c. 5 ben Ausprud »de prima« mißverftänblich auf die Zeit bezogen hat, wenn fie meint ex eadem stirpe qua prius, bemerkt Waitz a. a. O. mit Recht. Aber die Stelle c. 9: »Franci electum a se regi, sicut prius fuerat crinitum, inquirentes diligenter ex genere Priami (!), Fregi et Francionis super se creant, nomine Theudemarem, filium Richemaris« ift nicht nur „nicht alte Sage" Waitz S. 165, ſondern überhaupt nit Sage, viel- mehr falſche Kombination bes Chroniften, ber fi an jene Namen bei Gregor hielt, alfo auch nicht „Spiegel ber Anficht, bie fpäter herrihenb ward“. Das ift einfach Gelehrtenfabel, wie die ganze TrojaSage der Franken.

5) II. 12, Urgeſch. IL. ©. 416.

27*

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wird!). Dagegen bei Childirichs und bei Chlodovechs Thronbeſteigung iſt von Wahl keine Sprache, was freilich eine gewiſſe waffenlärmenbe Zuftimmung nicht ausfchließt?): Chlodovech hatte feinen Bruder, auch Childirich nicht unferes Willens, was alfo eigentliche „Wahl“ eriparte.

Bei all den Thronerledigungen und Neichstheilungen von 511 bis c. 650 findet fich von einer Mitwirkung des Volkes, auch Wahl oder Anerkennung, keine Spur?).

Ganz ein Anderes ift es, wenn fich Provinzen vom König bei deſſen Lebzeiten einen Sohn als „Vicelönig”, als königlichen Statthalter erbitten und erhalten. Sp zuerft von Childibert IL Soiffons und Menurt), dann in ver Folge wiederholt Auftrafien®). Freilich findet auch ba keine „Wahl" ftatt: wiverftrebend beftellt ver Water den Sohn beide Male zum auftrafifchen Sonver- König. Auch ift es nicht das Volk, nur . ber Abel von Auftrafien, der dieſe Dinge durchſetzt, feit ver Adel von Auftrafien und Burgund durch Rechtsbruch den Sigibertifchen Zweig befeitigt und Chlothachar II. erhoben hatte).

Ebenfo tft es ber geiftliche und weltliche Adel von Burgund und Neufter, nicht das Volt, fontern die Biſchöfe und der Dienftabel

1) H. 40, Urgef. IH. ©. 66.

2) Dies gegen Waitz S. 165 und gegen Phillips D. G. J. S. 240, ber für die ganze Zeit gleichmäßig ein Wahlrecht des Volles annimmt, während doch feine Beläge nur ber Zeit vor Childirich ober ber ganz fpäten bes Wahlrechts des Dienft- adels feit dem Tode Dagoberts angehören, und anbrerfeit® gegen Fustel de Coulanges IV. p. 20, der gar feine Wahl gelten laſſen will, ober Lehuéêrou p. 350 und Scäffner I. S. 151, welche die Gefolgſchaft (!) wählen laſſen, als ob die Million Franten im Gefolge gewejen wären. Auch Guizot essais p. 299 unterfcheidet nicht genug bie Zeiten.

3) Ueber die Schilderhebung, die nur bei Durchbrechung des DOrbentlichen erfolgt, |. unten; über das Eingreifen des Adels zum Schuß von Waiſen gegen thre Obeime unten ©. 428. 429. Auch von Hrothehildis fürchten bie Söhne, fie werde fich der Söhne Ehlodomers annehmen, Greg. Tur. III. 18, Urgeſch. T. ©. TA.

4) Greg. Tur. IX. 36, Urgeſch. W. ©. 452. a. 589: da nobis unum de filiis tuis ut seris annis ei soilicet ut de progenie tua pignus retenentes nobiscum facilius resistentes inimicis terminus urbis tuae defensare studeamus.

5) ©. Urgefh. III. ©. 607 und 637.

6) Urgeich. III. ©. 505; ber Adel, nicht das Boll: fo ganz genatt Fred. eont. c. 40. 41. Chl. factione Arnulfo et Pippino vel citeris proceribus Auster ingreditur . . . Burgundae faronis vero tam episcopi quam ceteri leudes . . tractabant . . ut Chl. regnum expetirent: bie leudes find zwar ſonſt alle gemeinfreien Untertbanen, aber die Gleichſtellung mit den Biſchöfen zeigt, daß bier thatfächlich die Weltgroßen banbeln und gemeint find.

421

Auftrafiens, die Chlothachar IL. a. 622 die Beſtellung feines Sohnes Dagobert I. und dieſem die Beſtellung feines Sohnes Sigibert III. zum Sonberlönig von Auftrafien zu Met abtrogen?).

Dean Hat ichon Lange bemerkt, daß die Quellen von Einfegung ber Könige feit 613 durch das Volk fprechen?). Dabei ift aber überfeben, baß dieſe Quellen meift dem Ende bes VII. Jahrhunderts und dem VOL angehören, da das Königthum erheblich weiter herab geiunten war; und auch fpäter ift es keineswegs das Volk ver Auftrafier, Nenftrier und Burgunden, fonbern der Abel viefer drei Weiche, ber feit 613 alſo eingreift).

Viel genauer drückt das Richtige bie Formel Mearkulfs‘) aus, wonach der Vater ten Sohn zum König macht unter „Zuftimmung un- ferer Großen“ und wenn e8 von Dagobert heißt: er erhob Sigibert ILL. 5) zum König in Aufter auf ven Rath der Biſchöfe und Vornehmen unter Zuftimmung aller Erften feines Reiches.

Was das Nechtsverhältnig diefer Söhne zu ihrem Vater betrifft, jo ift Theudibert II. völlig abhängig von Ehilvibert IL, nur Beauftragter, wie früher Ehramn®). .

Dagegen bei Dagobert I. und Sigibert III. darf man weber volle Abhängigkeit”) noch volle Unabhängigkeit behaupten.

Wie fchon die Einfegung Dagoberts nicht freiwillig erfolgte, fo bie Gewährung ber jünlichen Zubehörben®), dann die Auslieferung des Schag-Theiles nach Mes. Gegen Dagobert fucht der Agilolfing Chrodoald a. 624 Schub bei Chlothachar, „auf Befehl" (jussu) bes

1) Urgeſch. IIL a. a. O.

2 Hallam I. p. 156.

3) So der Liber hist. Fr. ſchon für 613 Burgundiones et Austrasii cum Francis (alfo = Neustrasii) pace facta Chlothacharium regem in totis tribus regnis in monarcham super se stabiliverunt; ebenſo a. 638: Chlodovium super se Franci (= Neustrasii) statuunt. Fred. cont. fagt no: Chi. D. filium suum consortem regni facit eumque super Austrasiue regem instituit; ba» gegen L. h. Fr. 1. c. Austrasii vero Franei superiores congregati in unum super se regem stabiliunt.

4) L 40.

5) Fred. cont. 0. 75 cum oonsilio pontiveeum seo et procerum omnesque primates regni sui oonsencientebus Bigybertum filium suum in Auster regem sublimavit.

6) Urgefch. III. S. 111 ber Titel rex hebt dem nicht entgegen; unten ©. 426.

7) Lezardidre III. p. 40. 330.

8) Urgeſch. IH. ©. 611.

422

Vaters erſcheint ter Sohn bei dieſem: aber freilich wird dann ber Schüsling des Vaters durch „Vertrag gewinnt der den Sohn gleichwohl getödtet, und umgelehrt flüchtet ebenfo a. 625 Godinus, ber Sohn des Hausmeiers Warnachar, vor Chlothachar II. zu dem Sohne Dagobert, ver durch Geſandte Fürfprache bei dem Vater einlegt!).

Der König, dem bie Unterthanen ſchon früher den Treueid ge- ihworen, läßt ihn jest feinem Sohne ſchwören, ven er zum König 3. B. von Auftrafien einfegt, aber fich ſelbſt läßt er ihn von ben Auftrafiern auch noch einmal ſchwören: dies drückt das Verbältniß am Deutlichiten aus: der Sohn wird König in Auftrafien, aber ber Vater hört nicht auf, es auch in Auftrafien zu fein: Empörung eines Auftrafiers gegen Chlothachar im Jahre 625 wäre nicht minder infidelitas geweſen al8 Empörung gegen Dagobert 2).

Das Wefentliche, Art-Bezeichnende an dem germanifchen Känig- thum ift eine eigenartige Erblichkeit?).

Dieſe allein richtige Auffaffung darf man nicht?) dadurch trüben, daß man neben dem Königthum und dem Nichter-(Grafen-)Stand noch andere herrichaftliche ober „fürftliche” Gewalt ftellt, „vie eben dadurch in eine Tönigliche übergehen kann, daß fie regelmäßig einem und dem⸗ jelben Gejchlecht verbleibt”. Wir müffen immer wieberholen: eine folche „fürftliche" Gewalt neben ver I. Töniglichen II. gräflich - richterlichen IH. ſtets nur für Einen Feldzug gelorenen oberfelcherrlichen („herzog- lichen“ pflegt man fie zu nennen: Armin, Brinno, Chnodomar) hat es nicht gegeben: das Wort „Fürſt“, „Fürſtenwürde“, das genug Unheil angerichtet bat in der Darftellung ter altgermanifchen Zeit, weil es die Unklarheit ber BVorftellungen, vie jeder rechtsbegrifflichen Be⸗ ftimmtheit ermangeln, mit einem unbeftimmten Ausbrud verfchleiert,

1) Urgeſch. III. ©. 609. 614.

2).Marc. Form. ed. Zeumer I. 40. p. 68. Ut leudesamio (f. oben S. 393 f.) promittantur. Rege ille rex ille oomis. Dum et nos una cum consensu pro- cerum nostrorum in regno nostro illo glorioso filio nostro illo. regnare praecipemus, adeo jubemus, ut omnes paginsis vestros tam Francos, Ro- manos vel reliqua natione degentibus bannire et locis congruis per civi- tates, vicos et castella congregare faciatis, quatenus praegente misso nostro, inlustris vero illo, quem ex nostro latere illuc pro hoc direximus, fideli- tatem praecelso filio nostro vel nobis et leudesamio per loea Sanctorum vel pignora quas illuc per eodem direximus dibeant promittere et conjurare.

3) Könige I. S. 31; D. ©. Ta. ©. 216.

4, Wie Watt I. ©. 316f,, II. S. 140f.

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follte aus der Wiffenfchaft verbannt fein: neben König, Graf d. h. Richter, Oberfeloherr, Gefolgsherr, Volksedeling bat es feinen Raum.

Die Wahl zum König überträgt wie dem Gewählten das König⸗ thum jo das Anrecht auf das Königthum dem ganzen Geſchlecht des Bewählten?): als die Uferfranten und die Gaue der ermordeten falifchen Gaufönige Chlodovech wählten (c. 500), ba wollten fie auch feinen Söhnen das Folgerecht übertragen; als die Franken Chilperichs, von biefem abfallend, Sigibert I. wählten (575), da wollten fie auch Chilperichs Söhne ausichließen und Sigiberts Sohn das Folgerecht zuwenben 2).

Daber veriteht fich, daß bie Eroberungen der Vorfahren Chlodovechs, Chlodovechs ſelbſt und feiner Nachfolger als nicht nur für den einzelnen er- obernven König, daß fie für alle feine Nachlommen gewonnen gelten®). Mit Recht hat man heroorgehoben, daß zwar Morbanichläge auf an- bere Glieder des Königshauſes früh und Häufig vorlommen aller: bings am Frübeften und Häufigften von andern Merovingen oder beren Weibern! *): daher hatte Gregor 5) wahrlich nicht Urfache, ven Weftgoten (allein) „die abfchenliche Gewohnheit vorzumerfen, ihre Könige mit dem Schwert anzufallen, wenn fie ihnen nicht gefielen‘: daß aber zwei Sahrhunderte lang (von 450656) kein Verfuch gemacht wird, das Königshaus zu ftürzen und ein anbres Königsgefchlecht zu erheben: und das war allerbings fchlimmte weftgotijche Unfitte: das befonders auch meint Gregor‘). Die zahlreichen Anmaßer, bie ſchon bald nach Chlodovech auftreten und ein Theilreich für fich erfämpfen wollen, find alle felhft Merovingen ober geben fih für ſolche: Munverich ”), ber Königsfohn Chramn®), Gunbovald?).

Ya, als der junkerhafte Dienftadel in den Reichen Childiberts II.

1) &o treffend Waitz S. 140.

2) Greg. Tur. IV. 51, Urgef. III. ©. 160.

3) Löbell, Gregor von Tours S. 183, Wait S. 141.

4) Bergl. die Ermorbung ber Söhne Chlodomers 524 durch bie eignen Oheime,

Urgeſch. III. ©. 76, die Morbe Fredigundens S. 163f., dann Chlothachars IL

S. 599 und Dagoberts I. S. 625.

5) DIL 30, Urgef$. IH. ©. 89.

6) 1. c. et qui libuisset animo, hunc sibi statuerint regem.

7) Greg. Tur. III. 14, Urgefd. II. ©. 110.

8) Greg. Tur. IV. 13, Urgefd. III. ©. 84.

9) Greg. Tur. VII. 27, Urgeſch. UW. ©. 319. Er jagt: ego regis Chlo- thacharii sum filius et partem regni de praesenti sum percepturus.

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und Guntchramus im gefährlichiter Verſchwörung bie thatfächliche Gewalt in beiden Reichen an fich zu reißen plant, da denken dieſe trogigen Königsmacher doch entfernt nicht baran, einen aus ihrer Mitte einen Urfio, einen Bertifreb!) auf den Thron zu heben: fie wollen nur bie erwachjenen Morovingen ermorden, um unmünbige Knaben zu Königen zu machen und in beren Namen zu berrichen.

Blos von Rauching, dem trokgewaltigften biefer Junker, wird gejagt, er habe nach dem >regnum Campaniae« getrachtet bei jenem Plan von 587: Soll dies wirklich heißen Königthum (nicht blos Herrſchgewalt?) bedeuten), fo beftätigt es auf das Willkommenſte unfere Aufftellung; denn während tie andern Verſchwornen fi mit ber Negentichaft begnügen, ift gerade Rauching ber einzige, ber ſich meropingifcher Abkunft wie jener Gundovald von Chlothachar L berühmt.

Es gilt als beſonders fluchwürbiger Frevel, das Königshans ent- thronen zu wollen: „Sein Fremdling ſoll es wagen, das Königthum ber Franken mit Gewalt an ſich zu reißen!“s) ruft man jenem Gundovald zu, der fich doch für den Sohn Chlothachars I. ausgiebt: „die Peſt eines Fremden“, ſchilt König Guntchramn ven Bifchof Berthramn von Bordeaux, „hätteft du nicht über bein Haus‘) bringen tollen”.

Sa, ale um die Mitte des VII. Jahrhunderts das Geſchlecht ver Merovingen dahin fiecht, fcheitert der erfte Verfuch der Arnulfingen, ben Thron zu befteigen, obwohl fie thatfächlich ſchon ein Menfchen- alter Auftrafien beberricht haben, und außer dem Neid des auftrafiichen Adels Hat doch wohl auch bie tief gewurzelte Scheu vor dem Koͤnigs⸗ recht der Merovingen dazu beigetragen, daß ver Anmaßer keinen An- bang findet. Hiebei ift befonvers zu beachten, daß bie Worte, vie in ſtärkſter Entrüftung und mit Freude den Anmaßer im graufamen Tode „büßen lafien, was er gegen feinen Herrn verübt”, erft im

1) Greg. Tur. IX. 9, Urgeſch. III. ©. 409.

2) Worauf der Sat: summa elatus potentiam et ut ita dicam ad ipsius regalis sceptri se jactans gloriam hinzubeuten ſcheint IX. 9.

3) Greg. Tur. VOI. 27, Urgeſch. IH. ©. 319.

4) Greg. Tur. VIII. 2, Urgeſch. III. S. 316 »gentem tuam« ift hier nicht Bolt, fondern Haus; ber König macht ihm befonvers zum Vorwurf, daß er, obwohl von ber Mutterfeite den Merovingen verwandt, jenen Gundovald an⸗ erfaunt babe.

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Sabre 728 gejchrieben ſind!): alſo nur 23 Jahre, bevor ein zweiter Verfuh der Arnulfingen gelingen follte und bie Merovingen in 62 Jahren noch viel tiefer gefunfen, die Arnulfingen gewaltig empor« geftiegen waren.

Ein ganzes Sahrhundert, von 650— 751, da die merovingiichen Königsknaben wie die Eintagsfliegen zu fterben pflegen und bie Haus- meier allein in ven drei Reichen fchalten, wagt doch feiner derſelben, nicht der gewaltige Ebroin, nicht Pippin, nicht Karl Martell jelbft bie Krone zu nehmen: fie jagen fich gegenfeitig ven Beſitz ver Perfon eines foldhen „Königs“ ab, um in feinem Namen berrichen zu können: fogar ohne König herricht eimmal Karl als Königsbeamter“ vier Jahre lang: lieber bürbet er fich dieſe Itatsrechtliche Unmöglichkeit auf, als baß er fich felbft zum König macht: der Beweggrund bleibt uns un- erforfhlih: Mangel an einem Merovingen war es boch ſchwerlich: 741 haben feine Söhne Ehilverich IIL (und deſſen Knaben) zur Ber: fügung: follte viefer 738 verborgen gewefen fein? Und fchwerlich doch auch wollte Karl dadurch den Franken die Entbehrlichleit eines mero- vingiſchen Schattenkönigs recht deutlich machen und fo feinem Hans ben Weg zum Throne bahnen: dann hätte er vor feinem Tode boch nit das Hansmeieramt und das Neich unter feine beiden Söhne gleichmäßig vertheilt?).

Der Anſpruch auf das Königthum haftet an dem merovingijchen Geblüt überhaupt ®): jeder Meroving kann unter gegebenen Um- ftänden König werben vorausgefett, daß er Anhang findet baher mag jener Anmaßer Munderich fprechen: „Was geht mich König Thenberih an? ‘Der Thron des Reiches gebührt mir wie ihm“t).

Gerade deßhalb war ja Chloboveh, um fich (und feinen Söhnen) den Alleinbefig der Krone zu fichern, fo eifrig bemüht, alle Merovingen ber andern Zweige er hatte feinen Bruber, zum Glüd für diefen!

1) Liber historiae Francorum ed. Krusch c. 43. p. 316. Franei . . hoc valde indignantes..cum..ad condempnandum rege Francorum Chlodoveo deferunt ut erat morte dignus, quod in domino suo exerouit. . ipsius mors valido oruciatu finivit.

2) Urgefhichte III. ©. 828.

3) Ueber die Bezeichnungen des Löniglichen Geſchlechtes gens, genus, gene- ratio, stirps ſ. Waig ©. 141.

4) Greg. Tur. III. 14 Mundericus . qui se parentem regi adserebat . ait: quid mihi et Theodorico regi? Sic enim mihi solium regni debetur ut ille, Urgeſch. UL ©. 85.

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aufzufpüren und auf das Säuberlichfte auszumorben!). Er fordert dann wehllagend bie etwa noch Lebenden auf, fi zu melden, aber nicht aus Schmerz, fondern um auch fie folgeftreng zu morben.

Hoͤchſt bezeichnenden Ausdruck finvet biefes Anrecht jedes mero- pingifchen Prinzen auf das Königthum barin, daß auch die nicht: regierenden Prinzen »reges« heißen?), die Prinzeffinnen »reginae«, 3. B. Rigunthis?), fie wurbe nie rvegierende Königin, auch nicht bie ber Goten. So wird e8 als Hochverrath gefaßt, daß die Aebtiffin Rufticola (Marcia) von St. Ekfaire zu Arles (+ 632) „heimlich einen König großziehe", d. h. einen folchen Knaben, ber, wenn heran- gewachfen), mit dem Anfpruch auf Königthum hervortreten mag.

Mit Unrecht beſchränkt mans) das Necht auf ſolche Prinzen, die „eine eigene, wenn auch nicht felbftftändige Herrfchaft” erhalten hatten. Theudibert I.) war von feinem Vater lediglich als Feldherr ausgefchidt 7) und Chramm®) und Theudibert II.?) wurben doch keineswegs bei Leb⸗ zeiten ihrer Väter Könige der Auvergne ober von Soiffons und Meaux: bei Aufticola’8 Zögling vollends ift von einer „jelbjtftänbigen Herr- ſchaft“ gar Teine Rede.

Daß fih die Könige auch dann untereinander Brüder (»fratres«, »germani«) nannten, wenn fie es nicht waren, ift zweifelig. Marculf bat freilich bie Anrede: domino glorioso atque praecellentissimo fratri illi regi in Dei nomen ille rex?%) und in dem Terte felbft fraternitas vestra zweimal. Ob vie germanitatis caritas, indis- ruptum vinculum in dem pactus pro tenore pacis!!) dies be- weit, hängt davon ab, ob man ihn Ehilvibert und Chlothachar ven

1) Greg. Tur. II. 42 interfectisque et aliis multis regibus vel parentibus suis primis de quibus zelum habebat, ne ei regnum auferrent. Urgeſch. III. ©. 62,

2) Brequigny, Pardessus I. p. 163. Nouveau Traite de diplomatie IV. p. 535.

3) Greg. Tur. VII. 27, Urgeſch. III. ©. 319.

4) quod occulte regem nutriret: v. St. Rusticolae von Florentius Gallus, Briefter zu St. Baul-trois-Ehätenur c. 650. A. S. ed. Bolland. 11. Aug. II. p. 657.

5) Waitz 161.

6) Nicht Theubibald, wie S. 161 bei Waig verbrudt ſteht.

7) Greg. Tur. IH. 22, Urgeſch. III. ©. 22.

8) Greg. Tur. IV. 13, Urgeſch. III. ©. 110.

9) Greg. Tur. IX. 36, Urgeſch. III. ©. 452.

10) I. 9. p. 48. ed. Zeumer.

11) c. 16.

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erften ober den zweiten biefer Namen zufchreiben will). Die Vor: gänger, auch wenn fie nicht Väter, beißen parentes nostri Ver⸗ wanbte (aber auch avus, genitor in genauer Bezeichnung) 2).

Es hatte alfo jever Meroving die Thronfolgefähigkeit (»in ab- stracto«): der Anfpruh auf die Krone kam an fi bem ganzen Mannesſtamm zu, ohne daß es auf eheliche Geburt der Knaben ankam (f. unten), wenn fie nur der Vater als jeine Söhne anerkannte: und es fehlte auch an einer Thronfolgeorbnung, die für jeden Fall befonders bie. Thronfolge (»in concreto«) beftimmt hätte: wie in all biefen Reichen, ausgenommen dem vanbalifchen?): allein im Ganzen und nach dem Recht entſchied doch, in Ermangelung einer Regelung fchon bei Lebzeiten bes Vaters oder Oheims bie Grabnähe ver VBerwandtichaft *).

Da die Thronfolge die gewöhnliche privatrechtliche Erbfolge ift, gefchieht fie nach dem Parentelenfyften mit Ausichluß ber Spindel- magen: „es rinnt das Gut wie das Blut“, d. h. abwärts: Abkömm⸗ (inge jeves Grades fchließen Seitenverwandte und Vorfahren aus: (das Necht des Schosfalles und der Vorzug des Vaters vor den Brüdern fand nie Gelegenheit zur Anwenbung): je bie nähere PBarentel jchließt je die fernere aus: innerhalb ber Parentel entfcheitet bie Gradnähe ber Verwanbtichaft mit tem Haupte der Parentel, und dem Grabe nach gleichftehende Erben theilen nach Köpfen, d. h. alfo zu gleichen Theilen. Ein Vorzugsrecht tes Erftgebornen befteht nicht. Man wird baber annehmen dürfen, daß bie Neichstheilungen, wenn fie die Erben felbit vornehmen, thunlichſt gleich große Theile brachten. Ausbrüdlich wird bies verfichert (aequa lance) von der Theilung von 511 und ber . von 5245). Allerdings kam babei nicht die Größe des Landes und bie Zahl der Einwohner allein, auch die Truchtbarkeit, vie Lage, die Wich- tigkeit der Städte in Betracht. Jedoch e8 fehlt viel daran, daß biefe Grundſätze in jedem alle wären ftreng eingehalten worden.

1) Grabe dieſes Ausdrucks halber fpricht ihn Boretius den wirklichen Brü⸗ bern Childibert und Chlothachar den erften zu und lieft im ber praeceptio Chl. c. 11. (flatt germani) genitoris, vgl. Dagegen Löning II. S. 270, Schröder, Monatsfchr. VI. ©. 480.

2) Marc. Form. I. 17, vgl. die Urkunden Urgeſch. III. ©. 860f.

3) Seit Gelferih, Könige I. S. 228.

4) Infofern, aber auch nur infofern, hat Phillips das Richtige herausgefühlt; anber8 Rospatt de legitima in regno Merovingorum succedendi ratione 1851. Waitz S. 159.

5) Greg. Tur. III. 1. 18, Urgeſch. III. ©. 70.

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Einmal. ordnete der Vater over Obeim oft fchon bei Lebzeiten bie künftige Theilung und alsdann keineswegs ftetS nach dem Grundſatz ver Gleichheit. Ob bei föhnelofem Tod eines Theiflönigs deſſen Brüder die Neffen (vb. h. die Söhne vorverftorbener Brüder) von Rechtswegen ausichliegen !), ift zweifelig: dafür fpricht ver allgemein germaniiche Grundſatz ber Verneinung bes Repräfentationsrechts und mancher wirkliche Vorgang. Letztere find aber freilich oft blutige Gewalt 2): ob Karl ver Große Karlmanns Söhne mit vollem Necht von ihres Vaters Reich ausfchloß, ift doch auch höchſt zweifelhaft.

Anbererjeitd warb zuweilen das Repräfentationsrecht in einem ge- willen, unbeftimmten Sinn anerlannt?), allerdings nur in ber Rechts⸗ form, daß einer ver Oheime ven Neffen zum Wahlſohn annahm und ihm ſchon bei Lebzeiten durch Vergabung auf ben Todesfall ein Folge⸗ recht ficherte*): fo ſchloß Buntchranm durch Annahme Chilviberts IL an Sohnes Statt feinen Bruder Chilperich von der Erbfolge aus). Childibert L Hatte jo Theubibert I. an Sohnes Statt angenommen, aber dieſer ſtarb vor jenem®).

Dur diefe Annahmen an Sohnes Statt und Bergabungen von Zobes wegen jewie durch Erbverträge (3. B. ben bon Anbelot) wurde bie Parentelenerbfolge alfo häufig ebenjo purchbrochen, wie wenn ber König durch XTeftament feinen Nachfolger bezeichnet hätte; allerdings wurben nie Ungefippen, immer nur Merovingen in jener Weiſe heran gezogen.

Enplich beftellte auch wohl ein König einen Sohn zum Unter- könig in einem Theil des Reichs und bamit zugleich zum Nachfolger in biefem als Allein-Sönig?).

Es weiß aber doch ver Byzantiner Agathias, ver viel Eifer für fräntifche Dinge hatte, daß der noch fehr junge Theudibald gleichwohl durch das. Stammesrecht zur Thronfolge berufen war®), und Bilchof Bertchramn von Le Mans ftügt ſich darauf, daß biefe Stabt »legitimo

1) Wie Brunner IL ©. 25.

2) ©. Urgeſch. TIL ©. 163.

3) Greg. Tur. V. 17. VL3. VII 33, urgeſch. II. ©. 186. 233. 328.

4) Mit Vorbehalt der Regierung auf Lebenszeit Greg. Tur. VL 3, Urgeſch. II ©. 233. » 5) Greg. Tur. V. 17. VII. 33, Urgeſch. III. ©. 186. 328.

6) Greg. Tur. III. 24, Urgeſch. III. ©. 87.

7) Greg. Tur. IX. 36, Urgeid. III. ©. 452; oben ©. 420.

8) I. 4 GAR Exaisı ya mbrov sis ıny Nysuoviar 6 nargios vouos.

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ordine« Chlothachar II. aus dem Erbe Ehilperich8 gebühre, troß ver vorübergehenden Beſitznahme durch Guntchramn!).

Leider darf man es nicht oder boch nicht ganz und nicht immer auf germanifhe Mannen⸗ und Helden-Treue zurüdführen, wenn fich in den Fällen, da wehrunfähige Neffen von deren Obeimen vom Thron ausgejchloffen werben follen, die Großen ber verwaiften Knaben an- nehmen, wie allerdings zu Bunften (des übrigens fchon wehrfähigen Theudibert?), dann) ber Kinder Chilviberts des II. und Chlothachars bes II. geſchehen ift3): denn dieſe Großen führten viel lieber für Kinder die Negentichaft, als daß fie deren Obeime über fich herrichen ließen.

Die Thronfolge ift alfo einfach die privatrechtliche Erbfolge des ſaliſchen Rechts in das Grunderbet). Daher werben, wie gejagt, Zöchter durch Söhne völlig ausgefchloffen: ver Fall, daß nur Töchter ben Vater überlebten, kam unferes Wiffens nur bei Guntchramn vor, beifen Töchter unvermählte religiosae waren: der Mannes: ſtamm der Merovingen ftarb (450—751) nicht aus, bis der legte abgefegt ward. Daher fchließt der Eine Sohn als Allein⸗Erbe alle ferneren Gefippen aus: deßhalb Tann Chlodovech, eine Zeit lang Chilperichs einziger Sohn, da die andern Theilkönige damals keine Söhne hatten, hoffen, das ganze Frankenreich zu erbens), und eben deßhalb erben mehrere Söhne oder fonft in derſelben PBarentel und in bemfelben Grabe ftehende Gefippen zu gleichen Theilen.

Daher ift der Neffe der Erbe des fühne- (und brüber-)lofen Oheims 6).

Und es iſt eben nicht Anwendung, ſondern Bruch?) des Rechts, es ift Gewalt und Anmaßung, wenn 524 bie Oheime eigenhändig bie Neffen, die Söhne Chlodomers, morben oder in's Klofter fcheuchen, um den verftorbenen Bruder Chlodomer zu beerben®), ober wenn

1) Testam. Bertchr. ep. Cenom. ed. Pardessus I. p. 201.

2) Greg. Tur. III. 23, Urgefch. III. S. 86.

3) Greg. Tur. III. 18.23. V. 1. VII. 7, Urgeſch. IH. ©. 86f. 165. 298.

4) Diefer Gedanke fehlt leider ganz bei Waig &. 143. 160.

5) Greg. Tur. V. 39, Urgeſch. III. ©. 213.

6) Vergl. Greg. Tur. VL 2, Urgefc. III. ©. 231 f., wo Chilperich offenbar nur an junge, ihn wahrſcheinlich Überlebende Erben dentt, wenn er nad dem Tode feiner Knaben nur Childibert II. feinen noch übrigen Erben neunt; Guntchramn wäre fein nädhfter Erbe geweien. Dann VII. 3, Urgefd. II. &. 295.

7 Das verlennt doch allzuſehr Waitz ©. 140—161.

8) Greg. Tur. III. 10, Urgeſch. III. ©. 74.

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ebenfo (534) die Oheime dem Neffen Theudibert I. das Erbe des Baters vorenthalten wollen !). j

Jener Grundſatz der Theilung des Reiches unter mehrere Söhne Eines Königs hat vermuthlicd bei den Franken von jeber beflanven, mochte auch in ber altgermaniſchen Zeit ein Wahlrecht des Volkes babei mit wirken.

In Streit über bie, Erbichaftstheilung konnten bei aller An- erfennung biefes Grundſatzes die Söhne eines fräntifchen Königs boch leicht gerathen: zur Zeit Attilas?) wie zur Zeit ver. Entel Chlodovechsꝰ) oder ver Söhne Karl Martells‘). Daß das Volt fich ber Zheilung 3. B. 511 ober 561 hätte „entgegenftellen* mögen®), ift gerade veßhalb undenkbar, weil ja genau bie vollsmäßige Erbtbeilung, wie fie jeder Salier kannte, angewandt wurbe: daher ift auch dieſe Erbtheilung durchaus nicht) „mehr auf die nen eroberten romanifchen Lande“ angewandt worben, vielmehr ganz ebenjo auf bie alten falifchen Stammlanve, d. b. eben auf die ganze „Erbichaft“.

Gegenüber andern Germanen-Reichen, in welchen nicht Ein Herrichergefchleht auf dem Throne fich behauptete, vielmehr häufiger Königsmord neue Häufer erhob und auch, falls ausnahmsweiſe ber Sohn dem Vater folgte, die Wahl des Volkes oder der Großen ſtark bervortrat fo feit ver Abfegung Theodahads bei Oftgoten, dann bei Wejtgoten und Langobarden —, heben fremde Beobachter gerade biefe Stäte ber Thronfolge bei ten Franken, die Dauer bes Mero- vingenthrones hervor”). | An ſtolzem Selbftgefühl läßt es das Königshaus denn auch nicht fehlen®): das drohende Ausſterben wirb als jchweres Unheil für das ganze Volt beklagt: nicht ohne Grund, denn für bie Ge⸗ fammtbeit waren auch noch Könige, wie Guntchramn und Chil- bibert II. eine Wohlthat und ein Schuß gegenüber dem wild felbftifchen Dienftabel?).

1) Greg. Tur. III. 23, Urgeſch. IH. ©. 87.

2) Priscus ed. Niebuhr c. 8. p. 152.

3) Urgeſch. III. ©. 123.

4) Urgeſch. III. ©. 833.

5) Waitz ©. 144.

6) Wie Wal ©. 143.

7) ©. die Stellen aus Agathias (536—589), Theophanes 589 (576), Gregor dem Großen c. 600 bei Waitz S. 142.

8) ©. die Stellen bei Waitz ©. 142. 9, S. oben ©. 102.

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Was das Ehe- und Familien-Recht der Merovingen anlangt, jo ift davon auszugehen, daß Abſtammung vom merovingifchen Mannes» ftamm, auch uneheliche, wenn vom Vater anerkannt, für die Thron⸗ folgefähigfeit genügt: Abftammung (auch eheliche) von einer mero- vingiſchen Mutter dagegen genügt nicht: alfo haftet nicht der Anſpruch auf die Krone „an dem Blut“, wie man das ausgebrüdt bat, ſondern das Blut muß durch einen Mann vererbt fein. Daß ein Meroping eine Merovingin zur Ehe gehabt, ift uns nicht überliefert: eheliche Kinder merovingiſcher Fürftinnen mit fränkifchen Untertbanen oder mit nicht-meropingifchen Fürften find nicht folgefähig: fo wäre e8 5.2. der Sohn Ingundens und Hermenigilvst) nicht gewejen.

Aus obigem Grundſatz folgt, daß es auf „ebenbürtige* Geburt ber Mutter, ja fogar auf Freiheit der Mutter nicht ankommt: auch ber Sohn eines Merovingen und einer der Ehe nach Volksrecht un⸗ fähigen Unfreien?), aljo der uneheliche Sohn, iſt folgefähig und folge berechtigt, falls fein Vater ihn anerkennt. &8 fehlt nicht an gefchicht- lichen Beifpielen biefer Art. |

Theuberich I., ver Sohn Chlodovechs von einer Buhle, erbt mit den Söhnen Hrothehildens. Gundovald wird nur ausgejchloffen, weil Chlothachar ihn auch als unehelihen Sohn nicht anerkannte. Die entgegengejegte Forderung Sanct Columba's?) taftete zmweifellofes Verfaſſungsrecht an.

Es muß daher auf Irrtum, auf Mißverftänpnig beruhen, wenn Gregor „für die frühere Zeit" das Gegentheil jenes Grundſatzes be- bauptet.

Wann fol denn dieſe „frühere Zeit” angefeßt werden? Wir faben, nicht unter Chlodovech: nicht fpäter: und doch gewiß, wenn nicht in chriftlicher Zeit, noch weniger in ben Zeiten, da die Mero- vingen noch Heiden waren.

Biſchof Sagittarius eifert wider König Guntchramn und ber bauptet, deſſen Söhne fünnten das Reich nicht erben, da ihre Mutter (Auftrichilvis) eine Unfreie (Magnachars) geweſen fei: „er wußte alfo nicht” fährt Gregor fort „daß dermalen auf die Abftammung

1) Könige V. ©. 1367.

2) Doch warb dabei pie Mutter wohl fpäter freigelafien unb nun galt fie als ehefähig „mit rückwirkender Kraft”.

3) Urgeſch. III. ©. 574.

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ber Mutter nichts anlommt, vielmehr alle, welche von Königen gezeugt find, Königslinver heißen“1).

Wil man Gregor in feiner Anventung, das habe ſich früher anders verhalten, nicht geradezu bes Irrthums zeihen, glauben barf man ihm, gegenüber den Thatfachen, nicht?), fo muß man das nunc nicht vom Gegenfat zu früherer fräntifcher Sitte verftehen, ſondern vom Gegenfag fränkiich-germanifcher zu römifcher: ver Sinn wäre bann „bermalen“ d. h. in den jest allein in Europa beſtehenden Ger⸗ manenreichen, anders früher, zu römifcher Zeit. Doch ift biefe Deutung nicht ohne Bedenken.

Was man) tawider anführt, beweift in alle Wege nicht eine entgegenftehenvde Rechtsnothwendigkeit (opinio necessitatis), fonbern nur das Selbftverftändliche, daß Ehen mit Königstöchtern in ber Meinung des Volles viel rühmlicher und glanzvoller waren als Ehen oder gar bloße Buhlſchaft mit unfreien ober niedrig gebornen Wei⸗ bern: auch die Könige felbft fuchten, aus nahe liegenden Gründen: ber Statstunft, ver Bündniffe, des Reichthums oft aber Teineswegs immer gern Königstöchter zur Ehe: daß aber nur fie „als recht- mäßige Frauen angefehen werben“, ift durchaus unrichtig®).

Mehr als jenes Thatſächliche und Selbſtverſtändliche befagt es boch nicht, wenn die Geſandten Chlodovechs an Hrothehild am Bur⸗ gunbenhof hervorheben, „fie ſei anmuthvoll, Hug, und fie erfuhren, fie jet von Töniglichem Gejchlecht” 5).

Daß die Franken Theudibert I. zwingen, ber zuerft ihm verlobten Braut Wiſigardis Wort zu halten und das inzwiichen beigelegte Weib zu entfernen‘), geſchah doch nicht blos deßhalb, weil Wifigarbis Tochter bes Langobarbenkönige Wacho von ber gepibifchen Königstochter Auftri- guja war”).

Freilich erhöht es Sigiberts J. Anfehen, daß er, „während die Brüder ihrer unwürdige Gattinnen fich gejellt und vermöge mangelnder Selbit-

1) V. 20 ignorans quod praetermissis nunc generibus feminarum regis voeitantur liberi qui de regibus fuerint procreati. Urgeſch. III. S. 197.

2) Wie dies irrig v. Göhrum, Ehenbürtigleit S. 23. 141. 147, Waitz ©. 184 und Andere thun.

3) Waitz ©. 184.

4) Waitz a. a. O.

5) Greg. Tur. II. 28, Urgeſch. III. S. 43.

6) Greg. Tur. III. 20. 21. 27, Urgeſch. III. ©. 86—89.

7) Paul. Diac. h. L. I. 21.

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achtung (per vilitatem suam) fogar unfreie Mägde zur Ehe nahmen“, fih die weſtgotiſche Königstochter vermählte), und aus biefer Er⸗ wägung trachtet dann auch Ehilperich, es ihm gleich zu thun: allein ausdrücklich fagt ja Gregor, auch jene „unwürbigen* und Mägde waren Ehefrauen (uxores) Chilperich bat fogar mehrere nicht Buhlinnen, fondern Ehefrauen gleichzeitig und gleich nach Gaileſpinthens Er- morbung macht er bie nievrig geborne Frebigundis (wieder?) zu feiner Ehefrau: und niemand auch Fredigundens bitterfter Feind nicht wagt fpäter zu behaupten, die Söhne der niedrig-gebornen ZTeufelin. feien nicht folgefähig?).. Ihr Sohn Chlothachar IL warb König bes Gefammtreiche.

Denn daß dieſer „Grundſatz“ mit allen Anſchauungen des „veut- ſchen“ (1) Volles zufammenhing, ift ein ftarter Irrthum®): „auch bie Könige anderer Stämme im V. und VI. Jahrhundert haben ihn be- folgt, vor allem die DOftgoten”: im Gegentheill Grave bei ben Ditgoten ift Theoderich der Sohn einer Buhle und deſſen erfte Gattin, icheint es, feine Königstochter *); auch Geiferich ift Baftarb5), ber Baftard Gefalih findet Anhang, wird gekrönt und nur von ben Ditgoten vernichtet. Und vie zahlreichen Königsſöhne, die, nicht von Königstöchtern, nicht von Ehefrauen, ja nicht einmal von Freien ge- boren, bei allen Germanen ihren Vätern im Weiche folgten, wider⸗ legen den Sat): „wie das Königsgefchlecht bejonderer Würde und Heiligfeit theilhaftig war, fo follte e8 auch nur durch Verbindungen mit Frauen gleichen Rechtes fortgepflanzt werden”. Es kam vielmehr (ediglich auf das Blut des Vaters an.

Durchaus nicht altgermanifch alfo war es, fondern im Gegenfat zu dem hergebrachten Volksrecht und dem merovingiſchen Hausrecht, als fpäter Sanct Columba den unehelichen Söhnen Theudiberts II. bie Folgefähigkeit beftritt: ba® war »infidelitas«, fo begreiflich ver Eifer des Heiligen vom firchlichen Standpunkt aus erfcheint: er befämpft bie außereheliche Gefchlechtsverbinbung, dann daneben auch bie mit niebrigen Weibern ”); aber die »honorabilis regina«, vie ihm

1) Greg. Tur. IV. 27, Urgeich. III. ©. 132.

2) Greg. Tur. IV. 28, Urgeſch. III. &. 133.

3) Bon Waitz 1. S. 185.

4) Könige IL ©. 63.

5) Könige J. ©. 143.

6) Waitz ©. 185. oo.

7) Jonas v. St. Columbani c. 32, hienach Fredig. c. 36, Urgeſch. ILL ©. 575. Dahn, Könige der Germanen. VII 3. 28

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vorſchwebt, ift nicht eine Königsochter, fonvern eine Ehefrau, bie allein eine „ehrenwürbige" Königin ift, im Gegenſatz zu Buhlinnen. Mebrigen® Hatte die Kirche ſelbſt weniger wohl dem xösnifchen echt ala ven verwilderten Sitten das AZugeftäutnig machen müſſen, auch unehelichen Kindern ein gewifies Folgerecht einzuräumen !), freilich nur privatrechtliches Erbrecht: aber als folches ward auch bie mero⸗ vingiiche Thronfolge gebacht.

Auch Balthilden, obwohl durch Kriegsgefangenfchaft (?) verknechtet, wird nie?) von ihren Gegnern vorgeworfen, daß um deßwillen ihr Sohn nicht König werden könne: führt fie doch für ihn fogar vie Regentichaft?).

Dei den Arnulfingen behauptet man), Uneheliche hatten des sollen Folgerechts gebarbt: allein abgeſehen von bem mehrfach zwei- feligen Falle Karl Martells (feine Diutter war wohl Ghefran und zudem warb feine Erhebung doch gegen des Baters Willen vurchge⸗ fänıpft, der ihm fogar ben Enkel vorgezogen)®) erhleit der Baftarı Pippins von Italien, Bernhard, volles Erbrecht.

») Formen. Besterungsantiiti.

Die Schilverbebung, Ausübung des alten Wahlrechts bes Volks (Volksheeres) ausprüdenn kam in merovingifcher Zeit nur dreimal vor, als Chlodovech von den Uferfranken gewählt wirb®) nach Ausmorbung des heimischen Königsgefchlechts, als ein Theil von Ehil- perich8 Reich von dieſem abfällt und Sigibert I. wählt?) und als ber Anmaßer Gundovald fi empört®).

Das elevare in regno ift bier nicht altgermanifche Schilv- erhebung®), ſondern Erhebung auf den Thron!) Das „Außerorbent- liche" des Vorgangs würde allerdings zutreffen: allein vergleichen Aus⸗ brüde werben gebraucht 768, 887, 892, wann an Schilverhebiing nicht

1) ©. die Beläge bei Wait ©. 185.

2) Unfrei geboren fagt Watt S. 186 ohne Beweis. 3) v. St. Balthildis c. 1, Urgef. III. ©. 663.

4) Brunner IL ©. 25.

5) Urgeſch. III. ©. 754.

6) Greg. Tur. OD. 40, Urgeſch. III. ©. 66.

7) Greg. Tur. IV, 51, Urgeſch. III. &. 160.

8) Greg. Tur. IV. 31, Urgefch. III. ©. 325.

9) Wie Zeumer 3.2 |. RG. IX ©. 50.

10) Richtig Waitz LT. 1. S. 166; Brunner II. ©. 29,

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mehr zu denken, und wird 751 von „Sitte der Franken“ gefprochen, fo ift dabei auch fchwerlih au bie in brei Sahrhunderten nur breimal vorgefommene Schilderhebung zu denken‘).

Wie der altgermanifche König umzog, umritt, umfuhr (auf rinder- befpanntem Wagen) auch ver merovingifche nach feinem Herrichafts- Antritt die Marken feines Gebietes, wohl um unter Beſitzergreifung bie Huldigung des Volles entgegen zu nehmen, in beibnifcher Zeit wohl auch um ben Landes⸗ und Gränz⸗Göttern an altgeweihten Stätten Dpfer darzubringen?). So thaten Chlothachar J., Chramn, Gundovald, Dagobert J.. Durch folches Umreiten und bie Entgegennahme des Eides (f. oben ©. 393) wird Beſitz ergriffen und eine gegenjeitige Verpflichtung von Schuß und Treue begründet. Daber Chramn fich weigert, das von ihm umrittne Land wieber aufzugeben: „ih Tann e8 nicht losgeben“, meint er. ,

Uebrigens ift diefer Umritt nur Anwenbung uraltgermanifcher Sitte des Erwerbes von Privateigenthum auf den Erwerb der ftatsrechtlichen Gebietshoeit.

Einharb bat die urjprüngliche Bebeutung des Umherfahrens ber Merovingen auf dem rinderbefpannten Wagen nicht mehr verftanven‘).

6) Wirkungen.

Der ftatsrechtliche Gedanke, daß der Nachfolger an die Regierungs⸗ handlungen des Vorgängers gebunden und aus ihnen berechtigt fet, fehlt: das rein Perjönliche, Private in der Auffaffung der Statsgewalt tritt einmal begeichnend hervor, als Charibert I. a. 562, ergrimmt über bie Nichtbefolgung des Willens ſeines Vaters Chlothachar J. bei Be⸗ fegung eines Bisthums ansruft: „Wähnft Du, es fei keiner mehr am Leben von den Söhnen Ehlotbachars, des Baters Handlungen auf- recht zu halten?“ Und nım rächt er den verletzten Willen bes Vaters wie irgend ein privater Erbe mit fehweren Geld⸗ und Verbannungs⸗ ftrafen 5).

1) So wit Recht Hubri ©. 59. 2) I. Grimm, RU. &. 254. 9) Greg. Tur. IV. 14. 16. VII. 10. Fred. c. 58, Urgeſch. III. &. 113. 115, 300. 622, 4) ©. Karolinger. 5) Greg. V. 26, Urgeſch. IH. ©. 202. 28”

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d) Regterungsfählgkelt.

Unmünbdigteit und Wehrunfähigfeit fchließen den Thronfolger nicht von dem Erwerb des Thrones aus: doch Tann er nicht felbit regieren, Teinesfall® vor dem vollendeten 12. Jahre, der Volljährigleitsftufe des ſaliſchen Rechts: wahrfcheinlich warb von Anfang außervem noch bie Schwertleite verlangt.

In altgermanifcher Zeit und fo auch noch bei den Oftgoten unter Theoderich!) Hatte es eine beftimmte Zahl von Jahren für bie Wehr- hafterflärung nicht gegeben, dieſe war in jebem einzelnen Fall vor» genommen worden, wann ber Knabe öffentlich Beweife ver Waffen- tüchtigfeit abgelegt hatte).

Ebenso feſt fteht aber, daß nach falifhem Recht tie Münpigfeit mit dem vollendeten 12. Iahre eintrat, was, wie die ähnliche Ber ftimmung anderer Stammesrechte 3. B. die 15 Jahre tes ufer- fräntifchen Rechts gewiß auf Nachahmung des ohne Zweifel hierin fachgemäßeren römifchen Rechts beruht.

Es ift aber beftritten, ob auch die Merovingen wie bie übrigen Salier mit 12 Jahren oder ob fie erft mit 15 Jahren mündig und regierungsfähig wurben?).

Dan!) behauptet nun, dieſe Fähigkeit fei fpäter gefetlich, aller- dings erjt nach vollenvetem 15. Jahre, ben Merovingen ertheilt wor: ben: allein das wird burch obige Stelle Gregors nicht bewielen, ebenfo wenig burch bie über vie Vergabungen Sigiberts IIL®).

1) Cassiodor. Var. I. 38; Könige IV. ©. 147.

2) Tac. Germ. c. 12 si civitas sufleeturum probaverit.

3) Nicht erſt mit 21, wie Br&quigny ed. Pardessus I. prolegomena p. 201: bawider Pardessus a.a.D. und Loi Salique p. 453. Aber Pardessus eigne Meinung, daß die Merovingen als falifche (neuftriiche) Könige nach ſaliſchem Recht mit 12, als auftraftifche nach uferfräntiihem Hecht mit 15 Jahren mündig ge= worden, ift deßhalb unmöglich, weil der Grundſatz der perſönlichen Rechte durch foihe äußere Stellung Damals noch nicht gebrochen warb: e8 wäre das ganz ohne Beifpiel: lebte doch auch der Priefter damals noch (im erftier Reihe nad ka⸗ noniſchem, im zweiter aber) nach feinem Stammesrecht. Sollte auch .ein voll. jähriger Meroving, fobald er König von Auftrafien warb, angefangen haben, fortab nach uferfräntifchen Recht zu leben? Doch gewiß nicht!

4) Brunner Il. ©. 32.

5) ©. unten ©. 438.

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Anbdrerjeits ift wohl weder anzunehmen‘), vaß gemäß dem ges gemeinsfalifchen Recht der Meroving mit 12 Iahren auch regierungs- fähig geworden das eben fteht nicht in ber Lex Salica! und Chilbibert II. wird erft mit 15 Jahren für regierungsfähig erklärt noch?), daß in allen Fällen bie privatrechtliche Mündigkeit mit 12, vie Regierungsfähigkeit mit 15 Jahren eingetreten, noch®) daß bie regel- mäßig mit 12 Jahren beginnende Negierungsfähigkeit in einzelnen Tällen hinausgeſchoben worben fei: vielmehr erklären fich die Ab- weichungen in leßteren wohl am Einfachften daraus, daß, während für das Privatrecht die nen in die Lex Salica aufgenommene fefte Zwölf. zahl auch auf die Merovingen angewandt wurde, für beren Wehr, fähigkeit und folgeweife NRegierungsfähigkeit [— denn der noch nicht Wehrfähige konnte 3. B. das Märzfeld nicht befuchen und ben Heerbann nicht führen —] das altgermanifche, hierbei fo ganz bejonters zwedmäßige Recht ver Prüfung im Einzelfall fich erhalten Hatte‘). Dem allein entfpricht auch Guntdhramns Rede bei Chilviberts II. Negierungsantritt: war eine feite Iahreszahl entſcheidend, fo genügte e8, zu jagen: „Ihr wiffet, daß mein Neffe nun das 12. oder das 15. Bahr vollendet hat“: aber Guntchramn jagt vielmehr, ganz als ob. e& fich um ein taciteifches »suffecturum probare« handelte: „Ihr jebet, o Männer, daß mein Sohn Childibert bereits ein ftattlicher Mann geworten iſt. Sehet hin und hütet euch, ihn noch für einen Knaben zu balten“>).

Mit dieſer Feſtſtellung der Wehrfähigkeit ftimmt e8 nun auch trefflich zufammen, wenn Guntchramm bei biefer Gelegenheit zugleich feierlich dem 15jährigen einen Speer in die Hand giebt und fpricht: „Das tft das Wahrzeichen, daß ich dir mein ganzes Neich (als Tünf- tige Erbe nämlich) Übergeben habe. Bon Stund an ziehe aus und laß dir alle meine Städte, wie beine eignen huldigen“ 6).

Allerdings war der Speer überhaupt das Wahrzeichen ver Königs- gewalt). |

1) Mit Kraut L. ©. 133, 2) Mit Waitz ©. 172. 3) Mit Schröber, Franlen ©. 42. . 4) Aehnlich Tardif p. 16. 5) Greg. Tur. VOL. 33, Urgeſch. III. ©. 328. 6) Greg. Tur. VII. 33. 7) ©. unten.

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Mit der Schwertleite, ber legitima aetas für das Statsrecht, ſoll feierliche Throubefteigung verbunden geweien fein!) Allein es be- gegmen nur zwei Bälle und es ift fehr fraglich, ob Hier das »ad regni solium pervenire«e wörtlich zu verfteben fei: follte nicht fchon ver unmündige Erbe oder ber vom Vater eingefete auf den Thron ge- hoben worben fein? Später war dies zweifellos ber Fall. Auch daß die im burgundiſchen und uferfränlifchen Recht auf das 15. Jahr geftelite privatrechtliche Mündigkeit das gleiche Jahr für vie ftats- vechtliche im ſaliſchen nahe gelegt habe?), ift zweifelhaft: für biefe ganze Annahme einer beſonderen fatsrechtlichen, von ber pribatrecht- lichen verſchiednen Mundigkeit ober Schwertleitezeit befteht nur ber Anhaltspunkt, daß eben Guntchramn Chilvibert im fünfzehuten Jahre für vegierungsfähig erklärte: das hatte aber damals gute praltifche Gründe und muß durchaus nicht auf Nechtsjag beraubt haben: bei ven Karolingen fallen privatrechtlihde Mundigkeit (nach Uferfranlenrecht pas vollendete 15. Jahr) und Regierungefähigleit zufammen: bie Thron⸗ folgeorbuung von 817 beftimmt, ber junge König und fein Reich ift unter Muntſchaft zu halten, bis er nach Uferfrantenrecht zu ſeinen Jahren gelommen?).

Rechtshandlungen, welche ein minderjähriger König allein, d. h. ohne Mitwirkung der Regentſchaft, vorgenommen, mußten ungültig ſein. Doch iſt ſchwerlich auf dieſen Fall ohne Weiteres zu beziehen die Ur⸗ kunde Sigiberts III.)y. Denn daß der Knabe ganz allein han- deind jene Urkunden ausgeftellt, jene Vergabungen aus dem Krongut vorgenommen hätte, ift doch fchwerlich anzunehmen. Bielmebr ftedt dahinter wohl ein Umschlag in der Herrichaft ver Machthaber am Hofe:

1) Brunner Il. ©. 32.

2) Brunner Il. ©. 32.

3) Capit. I. p. 273. c. 16 ad annos legitimos juxta Ribuariam legem nondum pervenisse.

4) Diplomata ed. Karl Perts N. 23. p. 24, Urgei&. II. ©. 660. ©. gegen W. Sidel, Odtting. gel. Anz. 1889. &. 969; Brunner II. ©. 32. Gigibert war geboren 629, warb König 632 alfo im vierten Lebensjahr er erreichte bie privatrechtliche »legitima aetase, das vollendete 12. Jahr, 642, das gewöhnliche Alter der Schwertleite (15 Jahr) im Iahre 645: feine Vergabungen follen aber gelten von feinem 14. Regierungsjahr an, aljo von 644 an. Brunner meint, ber 16. Geburtstag oder ber Tag ber Schwertleite wurde deßhalb nicht als Aufangs⸗ Mat gefeit, weil in ben Urkunden nur nah NRegierungsjahren geredet warb. Aber ift das ein ausreichender Grund?

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Die jet Sieger geworbuen Großen erllären bie von dem König unter Einfluß der nunmehr Geftürzten vorgesommenen Schenlungen für ungültig: nur bie von ihm, feit er volljährig geworben, gejpenbeten follen gelten: bie »plures fideles nostrie, mit denen dies vereinbart worden, find eben bie jetzt berrfchenden Großen, welche die von ihren geftürzten Vorgängern beren Günftlingen im Namen bes Kindes ge-

währten Schenkungen nicht gelten lafjen.

Mit erlangter Volljährigkeit übernahm ber junge König feierlich bie Regierung felbft?).

Daß das Boll, wo ber König burch Wahl erhoben wurde, einen aus Gründen Förperlicher Untangfichkeit zur Führung bes Heerbanns, zur Leitung bes Gerichts Unfähigen, alſo einen Lahmen, Krüppel, Blin- ben nicht zum König machte, verfteht ſich won felbft: ob aber nach merovingifchem Recht ein jolcher unbedingt ausgefchloffen gewejen wäre Erbe warb and ein folder fteht dahin. Der Tall kam nie zur Entſcheidung. Die Beitimmungen bes Baiernrechts über ben Herzog ohne Weitered auch auf den merovingifhen Erblönig zu übertragen ?), geht nicht an, da ber Herzog immerhin bei aller bedingten Selbftänbigleit Traft königlichen Auftrags als Beamter waltet, einen Amtsunfäbigen aber, wenn er auch dem zur Herzogs. würde berufnen Gejchlecht angehört, ver König nicht beauftragen wird, währen der Meroving Fraft eignen Rechts, ale Erbe, ohne Volks. wahl, König wird. Auch Handelt bie Stelle des Baiernrechts?) nicht davon, daß ein aljo Untauglicher nicht Herzog werden könne das hängt von der Einwilligung bes Königs ab nur davon, baß der Ver- fuh eines Sohnes bes Herzogs, ben Bater zu verbrängen, nur bann unter bie bier gebrohte Strafe fallen folle, wenn ver Vater noch regierungsfähig ift: nicht einmal das alfo ift bier gefagt, baß ber Herzog durch Alter, Blindheit u. f. w. aufhört, Herzog zu fein. Alsdann mag nur etwa ter Sohn einen Antrag ftellen, vie Entjchei- bung ber Baiern und des Könige barüber herbeiführen, ob er, re gierungsunfähig geworben, etwa den Sohn ale Mitherzog erhalten

1) Theuderich III. Diplom. N. 57. p. 51 dum et nobis divina pietas ad legitema etate fecit pervenire et in solium rigni parentum nostrorum succidire.

2) Wie Walk ©. 174.

3) IL. 9. ed. Merkel Mon. Germ. hist. Legg. III; f. bie Stelle unter „Balern“, .

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folle. Auch bezeichnet »utslise nur im Allgemeinen vie Tüchtigkeit, Waderheit, keineswegs befonderst) vie Negierungsfähigteit, wirb baber auch von Untertbanen gebraucht.

6. Regentſchaft. Muntſchaft über den König.

In der Merovingen⸗Zeit iſt zu ſcheiden bei dem wehrunfähigen (unmündigen) König die privatrechtliche Muntſchaft, die Pflege und Erziehung und die ſtatsrechtliche Reichsregentſchaft.

Die erſte ſtand dem nächſten Schwertmagen zu: Guntchramn übte nur Pflicht und Recht, als er die unmündigen Neffen, Childibert II. und Chlothachar II., ausdrücklich in feine Muntſchaft nahm: [jenem gegenüber ging er Chilperich vor, weil er fein VBolloheim, nicht, wie biefer, Halbohm?)]: dadurch warb feine Muntſchaft aber nicht erſt be- gründet, nur ſchutzverheißend feierlich befräftigt?).

Erziehung und Pflege beforgten die Mütter ober ein nutritor oter beide zuſammen ).

Sp 3. B. Brunichildis für Chilpibert II., deffen Söhne und Enkel: dann Nantichild für Chlodovech II.5), ferner Balthilvis als Mit- regentin®): fie urfundet neben tem unmünbigen König”).

Geſetzliche Regelung ver Regentfhaft für minverjährige Könige, jo daß etwa vie Negenten auch die Muntjchaft geübt hätten, fehlte.

Tolgerichtig wurben nach ber rein privatrechtlichen, fipperechtlichen Auffaſſung die allgemeinen fipperechtlichen Grundſätze ver Muntichaft

1) Wie Waitz ©. 174. 2) Chlothachar I.

Charibert I. Guntchtamu.' Stgibert J. Chilperich I.

Childibert II. Chlothachar IL

Greg. Tur. V. 17. VI. 24. VII 7. 8.13, Urgefd. III. ©. 186. 259. 298. 299. 301.

3) Anders Brunner II. ©. 33, der Geſammtvormundſchaft“ der Sippe an- nimmt: hätte aber Chilperich folches Recht gegenüber Chilbibert IL. gehabt, er bätte es gewiß geltend gemacht.

4) ©. unten.

5) Pertz, Dipl. N. 18, Urgeſch. m. e. 646. 651. Gesta abbatum Fonta- nellensium ed. Löwenfeld I. IV. 8,

6) Lib. hist. Fr. c. 44, Urgeſch. III. ©. 633. Chlotharium sibi regem statuunt cum ipsa regina matre regnaturum. Er

7) Pertz, Diplom. 33. 38—40, Urgeſch. IT. ©. 665.

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zur Anwendung gebracht: e8 find alfo zur Muntfchaft ver wehrunfähigen Söhne des verftorbenen Königs berufen deſſen Brüder als nädhite (mehrfähige) Schwertmagen!).

Diefe privatrechtliche Altersmuntichaft ſchloß nach ſaliſchem, über⸗ haupt germaniſchem Recht neben Pflicht und Recht des Schutzes Ver⸗ waltung, Beſitz und Fruchtmitgenuß des Mündelvermögens ein: daher heißt es von Guntchramn, daß er bei der Wehrhafterklärung Childi⸗ berts II. dieſem Alles heraus gegeben habe, was deſſen Vater Sigibert I. befefjen 2): das kann nur auf das Vermögen, nicht auf die Statsgewalt bezogen werben), denn Guntchramm hatte wie wir fehen werben bieje zwar an fich nehmen wollen, aber ohne Erfolg: e8 kann ſich nur um einzelne Städte und Gebiete handeln, die er wirklich ge- wonnen.

Diefe Wirkung des Sippeverbandes bie Alterömuntfchaft ver Vaterbrüder über. ven Neffen trat gegebenen Falles von Rechts⸗ wegen ein: fie enthielt bejonvers bie Verpflichtung zum Schuß, zur defensio, wie ®regor das überſetzt: „ich bin ver letzte wehrfähige unferer Sippe“ (robustus), fagt hier Guntchramn, „ver die beiden wehrunfähigen Neffen vertheidigen mag und dem ganzen Volt ven Königsſchutz ge- währen". Er fei nun Vater über bie beiden Knaben, die er als Wahlſöhne angenommen?).

Letzteres war gefchehen, (aber, fo viel wir wiffen, nur zu Gunften Chilviberts)®), das ohnehin beftehende Erbrecht gegenüber tem (ſöhne⸗ (ofen) Obeim zu befräftigen: nothwendig war es weber biefür noch für bie Begründung der Muntſchaft. Daher hatten auch die Oheime ber Knaben Chlodomers dem Volk und deren Großmutter glaubhaft heucheln

1) Bergl. Greg. Tur. VII. 8. 13. Urgefdh. III. ©. 299. 301. °

2) Greg. Tur. VIE. 39, Urgeſch. III. ©. 337.

3) Wie Waig S. 173. Anders, aber auch irrig Brequigny.

4) VII. 8 cum de genere nostro robustus non fuerit, qui defenset, Ur- geſch. IH. ©. 299.

5) L. c. 13.

6) Greg. Tur. V. 17, Urgeſch. IH. ©. 186. a. 577 evenit . . ut absque liberis (er meint aber Söhne, denn er hatte damals zwei Töchter, Ehloboberge und Chlothilde, Urgeſch. II. S. 187) remanerem et ideo peto, ut hio nepus meus mihi sit filius. Et inponens eum: super cathedram suam cunctum ei regnum tradedit (d. b. als Erbe) dicens: una nos parma protegat unaque asta defendat. Quod si filios habuero nihilominus tamquam unum ex his reputabo ut illa cum eis tecumque permaneat caretas quam tibi hodie ego pollicior, teste Deo.

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Zönnen, fie wollten jene in das Königthum ihres gefallenen Vaters er- heben, als Borwand, um fie ausgeliefert zu erhalten von ber Groß⸗ mutter).

Dei ber rein privatrechtlichen Auffaflung ber Statögewalt und ber Thronjolge verfteht fich nun, daß ber familienvechtliche Alteromuntwalt als ſolcher umgekehrt |. oben ©. 441 auch die ftatsrechtliche Regentichaft in Anfpruh nahm2): jo Guntchramm im Neiche feiner Neffen Ehilvibert und Chlothachar; und die Biſchöfe und das Moll, das jebesfalle® befier tabei fuhr als unter der Herrſchaft des Adels ftimmte, wo es ſich äußern Tonnte, geme Bei: in dieſem Sinn erklärt der Bilchof von Zoure?): „Buntchramm fei nun Water über die Söhne Sigiberts und Chilperiche, die er an Sohnes Statt angenommen, und führe nun ebenfo bie Herrſchaft über pas Reich (princi- patum regni) wie weiland Chlothachar“ d. h. alfo als Alleinherrſcher.

Allein diefe Auffaffung und Anforberung drang nicht burch: es war ber Dienftabel, der anf das Schärfſte zwiſchen privatrecht- licher Muntichaft und jtatsredhtlicher Regentſchaft ſchied: jene zur Rott dem Oheim überlaffend, dieſe für fich in Auſpruch nehmend, nicht wahrlich aus wahrhaft ftatsrechtlich gebachter Scheidung zwifchen beiden, fondern lediglich um das willlommene Namenklönigthum zweier Kinder zur jelbftifchen, willfürlichen Beherrſchung des geringeren Volkes unter dem Scheine ver Regentichaft zu mißbrauchen und auszubenten: fo werven bie Berfuche Guntchramms, in Auftrafien und in Neuftrien au feiner Neffen Statt die Statsgewalt zu üben, abgewiefen.

Im Meiche Ehlothachars ließ fih Guntchramn ſogar als Regent ten Treueeid leiſten“), forberte alſo Unterthanengehorſam wie fenft nur der König; aber wir erfahren nichts von feiner Ausübung ter Königsrechte. Und in Chilviberts Neich, wo er ſolchen Eid nicht verlangte, aber thatſächlich die Königsrechte 3. B. die Amtshoheit aus üben will, fcheitert er völlig: bie Großen vertreiben, erfchlagen bie von ihm eingefegten Beamten und erflären unter Anerfennung feiner privatrechtlihen Muntſchaft —, nichts habe er in Auftrafien als Herr- ſcher zu fagen: fie ſelbſt durch Vertreter aus ihrer Mitte wollten bie

1) Greg. Tur. UL 18, Urgefd. ILL ©. S6f.

2) Dauerte doch bie Verwechſelung beiber fogar in bes fintsrechtfichen Wiſſen⸗ ihaft noch unſerer Tage fort

3) Greg. VIL 13, Urgeſch. III. ©. 301.

4) Greg. Tur. VII. 7, Urgeſch. II. S. 298.

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Regentichaft führen: und fie führen fie, bis Chilvibert IL. 15. Jahre alt geworben ift.

Auf das Schrofffte tritt der Dienftabel nach Sigiberts Ermortung Brunichildis entgegen: nicht nur bie mütterliche Sorge für das Kuäblein Childibert wird ihr entriffen, biefer von Herzog Gundovald ihr geranbt, anch ihr bloßer Verjuch, Blutvergießen unter ven Adelsparteien zu verhäten, als Einmifchung in bie Leitung bes States mit den äußerſten Drohungen zurüdgeftoßen: „Weiche von uns, Weib“, ruft ihr der troßige Herzog Urfio zu. „E8 gemüge bir, unter beinem Manne bie Herrichaft geführt zu Haben: jegt aber ift dein Sohn König und fein Königthum wird nicht burch deinen, wird durch unſern Schuß geſchirmt. Weiche von uns, daß dich nicht bie Hefe unjerer Rofſe zeritampfen“').

Auch für ihre beiden Enkel übt fie nicht als Necht anerkannte Regentichaft im rechtlichen Sinne, fo ſtark thatſächlich ihr Einfluß auf Theuderich zeitweilig war?). [Die Urkunde, in welcher Pabſt Gregor Großmutter und Enkel Theuderich zufammen reges nennt), ift falfh]. Eher ift ihr dies für tie kurze Zeit gelungen, ba ihre Ur⸗ entel Könige hießen‘). .

Denn inzwifchen hatte die gewaltige Frau fich ſoviel Anſehen er- fämpft, daß fie folhe freilich nur wiberwillige Anerlennung burchjeßte, anfangs noch geftätt auf Lönigstveue Hausmeier und in Verbindung ter Regentichaft mit Pflege und Erziehung. Allein zuletzt findet fie gerade wegen Behauptung dieſes Negentichaftsrechts ben Untergang durch den verjchiworenen Abel ber drei Theilveiche.

Dies ift nun noch im Einzelnen zu betrachten.

Die Großen, welche die Regentſchaft führen, find uns in einzelnen Fällen genamnt, in andern nicht: fo fprechen die Bilchöfe (554) nach dem Tode Theudiberts I. (548): „König Theudobald ift noch, ein Heiner Suabe: wir werben verhanbeln mit ben »proceres« und »primi« feines Neiches“s), und bei dem Vertrag zu Pompierre von 577 ver⸗ ſprechen für ben noch wehrnnfähigen Childibert II. ebenfalls defſen sproceris« Frieden und Freundſchaft mit Guntchramm®).

1) VL 4, Urgefd. IIL. S. 238.

2) Fredig. e. 20f., Urgeſch. LI. &. 5527.

3) Jafle, Reg. pontif. N. 1239.

4) Fredig. c. 39f., Urgefh. III. ©. 593.

5) Greg. Tur. IV, 6. a. 554, Urgeſch. III. ©. 104.

6) 1. ec. V. 19 proceris Childeberthi similiter pro sodem polliciti sunt; Urgefh. II. ©. 186.

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Sogar bei der Anklage auf Hochverrath wegen Unterftügung des Anmaßers Guntovald beruft fih während Childiberts Minperjährig- feit der Biſchof von Marſeille darauf: „nichts habe ich von mir ans gethban, nur was mir von unferen Herren und seniores be- foblen war” (a. 582)1).

In welcher Weife damals ber Abel aus feiner Mitte biefe Re- genten beftellte, vernehmen wir ebenfalls nicht: fchwerlich gab es hiefür ein georonetes Verfahren: die durch Ehrgeiz, Macht, Geift Hervor- ragenden [— fo bie Bifchöfe Egidius?), Arnulf?), Kunibert‘), Leodi- gard), dann die Hausmeier Warnachare), Pippin der Xeltere?), Adalgifil?), Erchinoaldꝰ), Flaochat 1%), Aega!!), Ebroin 12), Wulfoald 13), Waratto 14), Gislemar 1), Berthar!®), Bippin 17) —] griffen zu, bemäch- tigten fich auch etiwa der Perfon bes Königsknaben und berrichten dann, geftügt auf den Anhang ihrer Partei, oft nicht ohne Widerſtand anderer Adels⸗Geſchlechter und Adels-Verbindungen und ber Hausmeier anbrer Theilveiche.

Nicht einmal die Perfon des jungen Königs und die Fürforge für deffen Erziehung warb dem durch das Sipperecht berufenen Alters- muntwalt oder der Mutter!s) überlaffen: vielmehr beftellte der Abel hiefür entweber bejondere Erzieher, nutritores, ober er überwies zwar biefe perfönliche Bürforge ver Mutter, Großmutter, Muhme des Königs- Inaben, aber ohne terfelben irgend bie Regentſchaft zu überlaffen. Manch⸗ mal freilich geſchah dies, wenn ber Adel fie ihr nicht entreißen konnte (Brunichildis über ihre Urenkel) over fie ihr verftattete, da er oder fein führend Haupt, der Hausmeier, fie und burch fie ven Königsknaben zu beherrichen vertraute. So ergeben fich bei minberjährigen Königen folgende Fälle: I. 1) fipperechtlicher Altergmuntwalt 19), 2) Regentichaft

1) Greg. Tur. VI. 24, Urgeſch. III. ©. 261 gegen von Gieſebrechts (Ueber⸗ fegung) Auslegung: gemeint find: unfere Machthaber und Die seniores in unferem Reiche, nicht seniores == Herrn bes Bifchofs als deren Bafall.

2) 575, Urgeſch. IIL ©. 196. 3) a. 622, Urgeih. III. ©. 597. 4) 632, Urgefch. III. ©. 619. 5) 622, Urgeſch. III. ©. 595. 6) 670, Urgeſch. II. ©. 686. 7) 613, Urgeſch. III. S. 597. 8) 638, Urgeih. IH. ©. 616. 9) 632, Urgeſch. III. ©. 648. 10) 640, Urgeſch. III. S. 652. 11) 641, Urgeſch. II. ©. 646. 12) 656, Urgeſch. III. S. 651. 13) 660, Urgeſch. III. &. 686. 14) 683, Urgeſch. W. ©. 712. 15) 683, Urgeſch. II. ©. 712. 16) 686, Urgeſch. IH. 5. 713. 17) 688, Urgeſch. III. ©. 715.

18) Greg. Tur. V. 1, Urgeſch. IH. ©. 164. 19) Oben ©. 441. 442. Urgeſch. III. ©. 185.

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durch ben Abel!). Kein nutritor, fein Einfluß der Mutter?): fo nad) Sigiberts I. und Chilperichs Tod. IL 1) Sippevormund, 2) Adels⸗ regentſchaft, 3) nutritor®), Mubme‘), Mutter). III. Großmutter (Urgroßmutter), Vormünterin und Negentin, fein nutritor: jo Bru- nichilde), aber daneben Hausmeier. IV. 1) Regentichaft, 2) nutritor?).

Dagegen fpätere Königinnen haben anerfanntermaßen bie Regent- Ihaft über ihre wehrunfähigen Knaben geführt, meift geftügt auf einen kraftvollen Hausmeier, der freilich häufig und je fpäter deſto häufiger felbft herrſcht. So geleitet oder geftügt durch den Hausmeier Aegas), als Negentin doch wohl, handelt Nantichilo, wenn fie mit Chlo- bovech II. zufammen urkundetꝰ). Zweifellos führt Baltbilde die Ne- gentichaft für ihren Sohn). Sie „leitet, beherrſcht den Palaft”: das will für jene Zeit fagen: das Reich (ebenfo fonft von ven Hausmeiern) 11). Daher urkundet auch fie mit dem Sohne?2).

Aehnlich urkundet Königin Chinechild Emnechild neben Chil- derich IL.13), Bilichildis und Emnechildis neben Childerich II.19 sgratia Dex reginae muß wegen dieſes Beiſatzes, wenn nicht unecht, ver⸗ unechtet ſein 16).

Oft ſteht alſo der Hausmeier (Grimoald) neben dem nutritor (Otto), wobei es dann an Kämpfen um bie Gewalt über ven Königs⸗ Inaben nicht fehlte (a. 642) 16): nachdem. aber die Stellung des Haus- meiers die allbeherrfchende geworden, duldet er feinen nutritor mehr neben fich.

1) Oben ©. 443. Urgeſch. IH. ©. 297..

2) Oben ©. 443. Urgeſch. IIL ©. 164. 288.

3) So Urgeſch. III. ©. 660.

4) D. ©. J. ©. 206. 5) Urgefch. III. ©. 665. 6) Urgeſch. II. ©. 557. 7) VII 2. ©. 243.

8) Fred. IV. c. 79, Urgeſch. III. ©. 645.

9) Diplom. N. 18, Urgeſch. II. S. 646f.

10) Lib. hist. Fr. c. 55 regem statuerunt cum ipsa regina regnaturum; v. St. Eligii IL 30 regina paucis annis regnum obtinens; v. St. Bertilae Baltehildis regina cum parvulo filio . . inreprehensibiliter regnum guber- nabat.

11) v. St. Leodigarii ec. 1 Balthildis, quae cum... filio Francorum regebat palatium; v. St. Bertilae l. c. cum magno . . vigore animi viriliter guber- nabat palatium; v. St. Balthildis c. 11 cum adhuc publicum regeret palatium, Urgeſch. III. ©. 663.

12) Diplom. 33. 38. 39. 40, Urgeſch. IU. ©. 6691.

13) Diplom. N. 25. 14) D. N. 29. 15) Bol. Wait ©. 187. 16) Urgeſch. II. ©. 649651.

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Wir fehen in anziebend burchfichtiger Weife in dieſer einzelnen Frage bie Entwidelung ſich wiederholen, die wir in ber gefammten Gefchichte ber Verfaffung diefes States verfolgt haben: das Recht des Königshaufes, über die Regentichaft zu verfügen, trachtet fehr bald ſchon nach Sigiberts Ton (a. 575) der Dienftabel (und ber Episkopat) an fi zu reißen und zwar gleich mit Erfolg: nach vergeblichem ober boch nur kurze Zeit erfolgreichem Widerſtand ber Krone (Guntchramm, Brunichilbie) übt der Adel dies Necht burch feinen Parteiführer, ven Hausmeier, und biefer verwandelt es, der allgemeimen Entwicklung biejes Amtes entfprechend, im fein zulekt ſogar vererbliches Recht mit Zurückdrängung bes Adels1): worfichtig fchließt er nun auch ben Einfluß von Pflegern, Erziehern, Königinnen aus, indem er auch die Pflege felbft übernimmt ober feinem Sohn oder ergebnem Vertrauten überweijt?).

Nah dem Sinten ter Königsmacht (c. 650) „erheben” ganz buchftäblich die Großen auch mündige Meropingen auf ven Thron: ed drückt fich in dem bloß leivenden Verhalten des Königs bezeichnend aus, daß es nunmehr Wahl und Wille der Großen ift, was ihm bie Krone verleiht ?).

Geiſtvoll Hat man?) gefagt, der Abichluß der Frage geichah fo, daß bie arnulfingifchen Hausmeier auch den münbigen König wie einen unmünbigen behandelten d. h. an feiner ftatt die Negentichaft führten, wie früher nur für Ummünbige gefchehen war.

7. Die Reichsſstheilungen und das Berhältniß ber Theilreiche unter einander und zum Geſammtreich.

a) Die meropingiſchen Reichstheilungen.

Beitimmte Grundſätze ver Vertheilung von Land und Lenten find bei den verjchiedenen Erbtheilungen®) von 511, 561 nicht nachweisbar:

t) Ober VII. 2. ©. 203. 210.

2) Bgl. Urgeſch. III. ©. 719.

3) &. die Beläge Urgefch. III. ©. 680. Fredig. Chiodovech IV. 79. Liber hist. Franeor. Chlothachar o. 44, Theuderioh 45, Childebert 49, Daniel 52, Theuderich 52.

4) Brunner IL ©. 34.

5) Ueber bie Erbtheilungen vergl. befonders Bonnell, Anfänge bes Tarolin- gifhen Haufes S. 197f.: ihm folgen Menke, (v. Spruner), Longnon p. 92f., Waitz S. 146.

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ichwerlich waltete eine andere Abſicht als bie der rein privatrechtlichen, vermögensrechtlichen Anffaffung entfprechenve !), jenem abgefehen von etivaigen befonderen Gründen ber Bevorzugung oder Zurüdiekung 2) möglihft gleich Viel an Werth zuzuwenden: daß jebem ver &e- theilen auch romaniſche, füdliche Gebiete zugeiprochen wurden auch Theuderich dem Erften und Stgibert dem Erften bezwedte wohl faum, 6086 Auseinanderbrecdhen bes Gejammtreichs in feine romaniichen und germantfchen Theile zu verhüten, [ein Ereigniß, das zuletzt boch nicht abgewendet werben Tonnte] ſondern nur, weil von viefen beſonders fruchtbaren und reichen Landfchaften jeder ein Stück befiben wollte. Wie 511 das Reich des Syagrius werben fpäter bie ben Goten ent- riffenen Landſchaften, auch etwa Burgund (Guntchtamn und Chilperich) feinem ber Erben allein zugewandt, ſondern unter alle brei oder vier vertheift, wohl nicht, weil fie durch deren vereinte Kräfte erobert worden was nicht ber Ball —, fondern aus dem obigen Grunde.

Dagegen die rechtsrheiniſchen Stämme ftehen ftets unter bem auſtraſiſchen Theilkönig, falls ein folder vorhanden, ja bei dem zus nehmenden Gegenſatz ber Auftrafier zu den romaniſirten Neuftriern und Burgunden?) ertrogen ſich pie Auftrafter von ven Geſammtkönigen Chlothachar IL. und Dagobert I. einen aufteafifchen Sonverkönig zu Met ').

Daß ſchon bei der Reichstheilung von 511 Tein Bruter [ebiglich auftraftfche Gebiete, auch ver Auftrafier Theuderich I. fünweftliche Lande erhielt, beruht aljo nicht auf ber Mugen Abficht, das Auseinander⸗ brechen des Reiches in germanifche und romaniſche Theile zu ver- hüten damals waren bie Franken auch in Neuftrien noch durchaus nicht romaniſch! fondern auf dem rein privatrechtlichen Orundſatz möglichfter Gleichſtellung jedes Erben nad jeder Richtung Bin.

Daß bei den Erbtheilungen nicht die möglichft gleiche Zahl von Franken berüdfichtigt ward), zeigt ein Blick auf die Karte: ſüdlich und weftlich der Loire faßen fehr wenige Franken, an Rhein, Mans und Moſel fehr viele: gleichwohl wurben lettere Gebiete nicht zerrifien. Theuderich I. erhielt eine viel größere Zahl von Franken als Chlodomer und Ghilpibert I.

1) Oben ©. 374.

2) S. unten ©. 4481.

3) Ausführlich dargeſtellt irgefch. IIL. S. 6001. 4) Urgeſch. III. &. 607. 637.

5) Wie Dubos V. 5. III. p. 72 wähnte.

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Gehen wir von bem zweifellos richtigen Gedanken ber privat- rechtlichen Erbichaftstheilung nach faliichem Recht aus, fo werben wir follte man meinen auch die Grundſätze ter einzelnen Theilungen auffinden können.

Zu welchen Theilen theilten bie falifchen Erben vie Erbichaft des Vaters? Antwort: zu gleihen Theilen, nach Köpfen!) Aljo werten auch die Königsfühne das Neich möglichft und nach allen Richtungen in gleiche Erbtheile gegliedert haben.

Infofern Hat ein nahezu Zeitgenoffe, der befonveren Eifer für Kenntniß der fräntifchen ‘Dinge zeigt, gewiß das Richtige erfahren und bezeugt. Es ift Agathias?) (c. 531—581), ber von ber Theilung von 511 fagt: „fie theilten das Königreich in vier heile, nad Städten und Völkerfchaften, und zwar, wie ich glaube, jo daß jeber gleichviel erhalten follte*?). So jagt auch Gregor von Zourst): „fie über- nahmen (accipiunt) des Vaters Reich und theilten es gleichheitlich (aequa lantia)«.

Die Rüdfiht auf Gleichmäßigkeit ter Theile führte dahin, bie verſchiedenen Gruppen von Eroberungen eigenartig zu behandeln >). Jeder der vier Söhne Chlodovechs follte einen Antheil erhalten an ber eriten großen Eroberung des Vaters, der reichögründenden, in welcher er das Gebiet des Syagrius gewonnen: alfo das Land zwifchen Somme und Loire: e8 war dies das Herz. und Kernland bes neuen States: bier lagen nahe bei einander bie brei wichtigen Städte Rheims, Soiffons, Paris, weiter ſüdlich ab Orleans. Dieſe vier Städte wurden nun bie Hauptfige der vier Brüder). Es erhielt Theuderich I. mit dem Hauptfite Rheims das linksrheiniſche Auſtraſien (Ripuarien), außerdem Alamannien, ferner das nordfaliiche Land bis an ben Kohlenwald, die Champagne um Rheims, Toul, Verdun, Chälons- jur-Marne, aber auch obigem Grundfage gemäß erhebliche

1) Oben ©. 447.

2) Oben ©. 428.

3) Ed. Niebuhr (Bonn 1828) I. 3: dısveiuarro rergapya Trv Bacılsler, xara re noAsıs xal 8997 dc 500v oluaı tür Iomv Ixacıy uszeivan.

4) II. 1.

5) Diefe Thatſache hat Fauriel II. p. 92 richtig anerfanut, aber nicht bie zu Grunde liegende Erwägung.

6) Welcher Zeit gehört au das von Guérard, Irmino, I. p. 939 abgebrudte Gedicht: Gallia Belgica dicta super ripas Sequanae

Ubi sunt villae regales et venusti principes?

Albofledis. Lantechildis.

g der Oſtgoten. 0 König Theuderi eric I eſt. SER; Hacar 1. Chlod DR dehildi —— ie irn Bihe Fplodomere. Amal der Behgoten.

18, aus nieberem Stande.

Kön eudibert I., geft. i8, Ingun 1) Deere, Im . erfe fe die, —X ——— Berthar,

ner 550 Nonne zu Boit 3) Eine Ungenannte. tchläferin. ıda, Witwe Theubobatbe, dann gefchieden

König Thend dald, ef. se Saribald vermählt. n eudo 1 Buldetrada, des‘ [U 2. 4 6.

eb. um —* Ghtabofinbe Köni ilperich, erm. Gundovald, von Ehlo- Chalda. —— em des ne en oin, ee sed. ©. Tafel IL) thachar nicht anerkannt, von Aquitanien, erm. Rangobarden. erm. 585. Eine Frau aus Stalien. Mehrere Töchter, erm. 560. Zwei Sohne.

3, 3. 3. Bertha ober. Aldib omer, geft. 577. Chlothachar geſt. 673. CEhlodechildis (Hrodehildis).

König Ethelbert von ent.

d die Schreibart ſteht nid,t ganz feft. 26 erzählt wırd.

König Sigibert, ermordet Brunidhildis, Tochter d abermals 576, mit M

Köni epilperid, ermordet 584. dovera, verlaflen um nn. de 380. Sal intba, vermählt und ermordet 384 undis vou n Abkunft, et Beifgtäferin (2)

ade, U., geb. v It um 567, geft

König The Eu ibent D., geb.

Theubibert, geaflen 578. 6577. Dagobert &. u. 580. eu Kön Iothadar IL, aobert, geb. u. gef ee ee

1) I den Tha ählung, die fabelhaft zu fein fcheint.

it ch II. 691—685. EHildibert IL 711. Tagobert III. 711— 715.

Theuderich IV. 720 - 737 Id. (741—751).

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Theile bes Südlandes: nämlich Aquitanien, die Rovergue, die Aus vergne, das Quercy, das Albigeois mit Cahors, Rhodez, Alby und Gevaudan!).

Chlothachar J. zu Soiſſons erhielt das ſüdliche und öſtliche Land der Salier: Hennegau, Artois, Flandern mit Cambrai, Arras, Tournai, das Gebiet zwiſchen Dife, Seine und Canal mit Beauvois, Rouen, Liſieux und Evreur?).

Chilvibert I. zu Paris erhielt das Land zwiſchen Seine, Loire und Meer, die Bretagne, das Uebrige der Normandie, Aremorica und bie Brie.

Chlopomer zu Orleans erhielt das den Goten abgenommene Gebiet ſüdlich der Loire: Aquitanien ſoweit e8 nicht Theuberich er- halten mit Tours und Boitiers.

Vergleicht man num aber dieſe Theile, fo ergiebt fih, baß nur vie Theile der beiden mittleren Söhne ungefähr gleich groß, dagegen ber Theuderichs weitaus ber größte, ber Chlothachars weitaus ber Heinfte war: alfo zu Gunften des Aelteften von einer andern Mutter und zu Nachtheil bes jüngften Sohnes eine erhebliche Ab- weichung: worauf dieſe berubte, wiffen wir nicht, Teinesfalls auf dem ſaliſchen Familienerbrecht: vielleicht hatte Chlodovech dieſe Anortnung getroffen, obwohl dies nirgend geſagt wird). Man kann auch nicht die Erklärung verfuchen, daß, weil bie norböftliden Lande fo viel ärmer waren als bie ſüdöſtlichen, Theuberich deßhalb mehr Land erhielt: benn was Theuderich in dem reichen Aquitanien empfing, iſt allein nabezu fo viel als Chlothachars gefammtes Reich.

Daß Chlodomer vor feinem Tode fein Reich unter feine brei Söhne Theobovald, Gunthari und Chlodovald getheilt habe, tft erſt

1) Ueber die Theilung des alten Salierlandes, auch Flanterns und Bra- bants zwifchen Chlothachar und Theuberich vergl. gegen von Roth, Ben. ©. 57. 78 und Bonnell a. a. D., Longuon S. 118 und Wai ©. 146; ber Kohlenwald, als Gränze in ber Lex Sal. 47 bezeichnet, bildete fpäter bie Gränze zwifchen Auftra- fin und Neuſtrien; Annal. Mettens. a. 690 Mon. Germ. hist. Ser. I. p. 318, vita St. Evermari, + 700 bei Tongern, Acta 8. ed. Bolland. 1. Mail. p. 122. 755; über den Umfang des Koblenwalbes Wait, d. alte R. ©. 60. Duvivier, la for&t Charbonnitre. Revue d’histoire et d’arch&ologie III. (1861), Maury, les forets de la Gaule.

2) Rah Longnon bildete ber Cauche feine Gränze gegen Childibert I.

3) Bielmehr jagt Greg. IH. 1 regnum ejus accepiunt et inter se aequa lantia dividunt.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 29

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von der fpäten Lebensbeichreibung Chlodovalds, alfo nur höchſt um«- glaubhaft bezeugt!): die ganz unwahrfcheinliche Theilung blieb jedesfalls unausgeführt, da bie Dheime es vorzogen, zwei ber Neffen eigenhändig abzufchlachten; der britte entlam und foll St. Cloud geftiftet haben: er warb der Schutheilige der Nagelſchmiede (»cloutiers«).

Die folgenden Erwerbungen im Süden Burgund und die von den Dftgoten abgetretene Provence wurben von den fpäteren Königen ebenfall® und zwar beſonders getbeilt: Tettere, meint Prokop, im Ver⸗ bäftniß des Umfangs je des einzelnen Theilreichs). Bon Burgund famen bie öftlichen Striche: die Bisthümer Windiſch, Avanche (fpäter Zaufanne) und Sion (Sitten) an Auftrafien, das auch durch alle Eroberungen auf dem rechten Rheinufer: Thüringen, das von ben Dftgoten aufgegebene alamanijche Nätien, dann Baiern und fpäter burch die wenigen fehagungspflichtigen Gaue der Sachfen (und Friſen?) erweitert warb.

Im Jahre 561 warb das unter Chlotbachar I. kurze Zeit (558 —561) vereinigte Gefammtreich abermals unter vier Erben getheilt: mit Unrecht bat man?) leßtwillige Verfügung Chlothachars angenommen.

Noch weniger ift an Verloſung zu denken. Gregors Ausprud*) kann nicht fo wörtlich gedeutet werten: fchon ber ungleich kleinere Theil, den abermals ber jüngfte Sohn (Chilperich, von anderer Mutter;

1) Vita St. Chlodovaldi + c. 560. A. Sanct. ed. Bolland, 7. September, III. p. 98 reliquit ... in regno conjugem (Guntheuca = Chunsina? Urgeſch. IIL ©.74)... cum tribus filiis . . ., quibus dispositis portionibus divisit monarchiam sui principatus; baß nicht die Wittwe die Theilerin fein fol, wie Digot I. p. 230, f. Waitz ©. 150.

2) Bell. Goth. I. 13: xara Aoyo» rüs Exacıov apyis.

3) Bonnell ©. 205, ihm folgt Wai ©. 148. 150. 160 wegen Greg. Tur. v. Patrum XVII. 3 ed. Krusch p. 730 advenit legatus Sigiberti regis (nad Trier) cum litteris, nuntians, regem Chlothacharium esse defunctum seque regnum debitum . . debere percipere: ob ihm das fragliche regnum burd An- ordnung bes Vaters ober bereits abgejchloffenen Erbtheilungsvertrag mit ben Brü- bern „gebühre”, iſt damit doch nicht entſchieden: und ba derſelbe Gregor IV. 22, Urgeſch. III. &. 123 in ber rautengefhichte das hat man bisher völlig über: feben eine von ben Brüdern vorgenommene Theilung uud (freilich irrig) Lofung berichtet, kann er unmöglich in dem andern Buch väterliche Bertheilung berichten.

4) IV. 22 divisionem legitimam faciunt deditque sors; sors iſt = pars, Urgefch. III. S. 123; daher auch Fredig. c. 16 von Theubibert: sortitus est, ohne Lofung.

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das ift doch nicht beides beivemal Zufall —) erhielt, jchließt tie Loſung aus.

Selbſtverſtändlich Tonnte die Viertheilung von 511 nicht 561 wieberbolt werben, ſchon deßhalb nicht, weil ja erheblicher Zuwachs eingetreten war: immerhin aber ging man von jener Theilung in ber Weiſe aus, daß zunächft jeder ver Erben eines der vier Reiche von 511, auch mit bem gleichen Herrfcherfig und ben um biefen her liegenden Gebieten, dann aber noch von dem Zuwachs feit 511 ober fpäter etwas empfingt).

So erhielt Sigibert I. das Reich Theuderichs I. mit Rheims; aljo ‚alles Land rechts vom Rhein, Auftrafien, Ripuarien, die Champagne von Rheims (aber nicht Troyes, Langres und Sens), in Aquitanien bie Auvergne, Rhodez, Gevaudan und Uzèes, dann ein Stüd ver (ebe- mals oftgotifehen) Provence mit Avignon und Stabt und Gebiet von Marfeille.

Guntchramn erhielt das Reich Chlodomers mit Orleans, das einftweilen eroberte Königreich Burgund, (auch wieder Avanche und Sion zurüd, aber nicht Windiſch, das bei Auftrafien blieb), den Reſt ber Champagne. (Troyes, Langres, Sens), in Aquitanien das Land zwifchen Perigeur und Toulouſe, und in der Provence Stabt und Gebiet von Arles.

Charibert I. erhielt das Reich Chilviberts I. mit Paris, das Ge⸗ biet des Syagrius, den Weiten von Aremorica (die jpätere Bretagne), Beauvais und Senlis, den größten Theil von Aquitanien: Tours, Cahors, Poitiers, Bourges, die Saintonge, Angouleme, Bordeaux und ben Reſt ver Provence.

Chilperich erhielt das urjprüngliche Theilreich Chlotbachars: den Dften von Aremorica mit Rouen, Liſieur, Bayeux, Coutance und Maine (die fpätere Normandie und Maine), das Salierland fünlich vom Kohlenwald, Neuftrien mit Soiffons (und Tournai).

So hatte alſo jever ver Brüder eines ber alten Theilreiche und jeder dazu Theile von Aquitanien und von dem ehemaligen Gebiet bes Spagrius.

Als Charibert I. 507, ohne Söhne zu Binterlaffen, ftarb, theilten nach falschem Erbrecht nun die drei Brüder?) ſich in fein Erbe. Die

1) Bonnell, anders im Einzelnen Longnon p. 123. 2) Durch Vertrag Greg. Tur. IV. 26, Urgei. III. &. 131, beflätigt durch ben Erbvertrag zu Anbelot IX. 20, Urgeih. IL. ©. 424.

29*

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Städte im Gebiet des Shyagrius, vor allem Baris, auch Senlis, wurden zu idealen Theilen allen breien gemeinfam: dagegen räumlich getheilt wurden Chariberts andre Lande: Oftaquitanien erhielt Guntchramn ; Bordeaux, Cahors, Bearn und Bigorre fowie!) Weftaremorica Chil⸗ perih; Tours, Poitiers und Chariberts Antheil von der Provence Sigibert 2).

Wahrfcheinlich?) gab die Theilung in Ehariberts Erbe, da gewiſſe Städte wie Paris, Marfeille, keiner der Brüder tem Andern gönnte, Anlaß zu jener „gemeinfchaftlichen Herrſchaft“ wobei wohl nur bie Einkünfte gebrittelt wurden —, in jenen Stäbten, die, wie fo oft jpäter im Mittelalter der „Condominat” ober die „Geſammtehand“, nichts taugte, zu Streit und Wirrniß führte ).

Die „Itatsmännifche Weisheit und Begabung ver Franken und vorab der Merovingen“ bat man doch arg übertrieben: fie haben übrigens auch die Arnulfingen, einfchließlich des großen Karl, ebenfo in ber fie umgebenten Schule römifcher Einrichtungen in Jahrhunderten nicht den Gedanken ber Statseinheit gelernt, den der vielgefchmähte Seeräuberlönig Geiferich lange vor Chlodovechs Geburt fogar in Feft- itellung der Thronfolgeordnung ausgeprägt bat): ſie Haben die rein privatrechtliche Auffaffung der Thronfolge nie überwunden. Nur ber Zufall Hat e8 gefügt, nicht ftatsmännifche Weisheit es verhindert, baß biefer verberbliche Grundſatz das Weich nicht noch in mehr als vier Theilreiche auseinanberriß: vier Brüder überlebten den Vater fpäter nie mehr: nur brei ober zwei: aber unter biefe drei ober zwei wurde es dann auch faft jevesmal getheilt: nur felten wird eine Aus- nahme gemacht: zuexft aber ift e8 ein Weib, kein Mann und kein Franke,

1) Greg. Tur. IV. 50. IX. 20, Urgeſch. III. &. 159. 424. Wir faben früher (oben VII. 1. ©. 75): zuweilen wurben alte weite Gaue zertbeilt: ein Hauptgrund folder Zerihlagung großer Gaue im mehrere Heine lag im ber Zutheilung bes alten Gaues an verſchiedne Theilkönige: fo war das weite Gebiet von Chartres (561 Ehariberts), 567 zwifchen Sigibert und Ehilperich dergeftalt getbeilt worben, daß biefer Chartres, jener VBendbome und als eigenen San Ehateaubun (ſ. oben Kirchenhoheit) erhielt.

2) Die durch die Bruderkriege nur auf kurze Zeit eingetretenen Veränderungen (Urgeſch. III. S. 123f.) bleiben bier außer Betracht; vgl. die Karten Urgeſch. LIT. S. 70. 123.

3) So Bonnell S. 121; Longnon p. 126.

4) Greg. Tur. VII. 6. IX. 20 (Paris). VI. 33 (Marseille). IX. 20 (Senlis und Ressons-sur-le-Matz. Dep. Oise) Urgeſch. III. ©. 296. 424.

5) Könige I. ©. 229. 273. 424. .

453

bie Gotin Brunichildis, die jenen „Itatsmännifchen“ Gedanken erfaßt und im Jahre 613 von ihren mehreren Urenkeln nur den älteften zum König erhoben hat: eine einfichtuolle That, welche die Freundin des großen Gregor abermals ven Gegnern geiftig und fittlich hoch über- legen zeigt. Von 511 bis 678 ift aber das Reich nur felten einmal auf drei und einmal auf neun Iahre in Einer Hand vereint gewejen; dann vier Jahre unter Chlotbachar III. 656—660, drei Jahre unter Chilterich III. 670— 73, Theuderich III. fett 678: von da ab berricht in der Regel (ausgenommen 717—719) nur mehr Ein Meroving, allein nur deßhalb, weil Pippin ver Mittlere und deſſen Nachfolger, Haus: meier des ganzen Neiches, dies bequemer finven.

Rein privatrechtliche Verfügung ber Merovingen über Statögewalt und Statsgebiet unter Lebenden und auf den Todesfall enthielt ber am 28./29. November 587 zu Andelot) gefchloffene Vertrag: Gunt- chramn, alt und fühnelos, beftellte Chilvibert II. zum alleinigen Erben feines Reiches unter Ausschluß feines andern Neffen Chlothachar IL Allerdings ward auch Guntchramn ein Folgerecht in Ehilviberts Reich eingeräumt für ben unwahrfcheinlichen all, daß ver fo viel jüngere Vater zweier Söhne, nach diejen feinen Söhnen und vor Guntchramn fterben ſollte.

Ferner ward die Exbichaft Ehariberts J. über deren Vertheilung Streit beftand, jetzt durch Vertrag anders getheilt, fo daß 3. B. Gunt- chramn auch Sigibertd Drittel von Paris, Chilvibert dagegen auch Guntchramns Drittel von Senlis erhielt, alfo ganz Senlis, dafür trat Childibert fein Drittel von NRoffon ab. Chlodichildis, Guntchramns Tochter, ber ja nach ſaliſchem Recht ein Erbrecht auf des Vaters Grundeigen und als folches galt die Gebietshoheit und bie geſammte Statsgewalt (oben ©. 374, 452) nicht zulam, warb von Childibert beftätigt, was fie von ihrem Vater erhalten hatte oder noch unter Lebenden erhalten werde. ‘Das Gleiche fihert Ountchramn für ben Tall des Vorverfterbens Childiberts deſſen Spinteln, feiner Mutter Brunichildis, feiner Gattin Faileuba, feiner Tochter Chlodoſpinda zu. Childiberts Söhne erben felbjtverftändlich ihres Vaters und falls, wie e8 geſchah, Guntchramn vor dieſem fterben follte, auch beffen dem Bater angefallnes Neih. Wir erfahren aber ferner, daß die Mero- vingen ohne irgend welche Mitwirfung von Volt oter Adel auch in familienrechtlichen Gefchäften unter Lebenden über Hobeitsrechte

1) Greg. Tur. IX. 20, Urgeſch. III. S. 424—430; D. ©. Ib. ©. 155.

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und Statseinfünfte wenn auch nicht über bie Gebietshoheit und Statsgewalt ſelbſt fräntifcher Landſchaften verfügten: eine Reihe von Stäbten und Stadtgebieten: Borbeaur, Limoges, Cahors, Beéarn und Cientat!) Hatte Ehilperich ohne Mitwirkung der Franken Gaile- fointha zu Muntſchatz und Morgengabe gegeben: erft als nach beren Ermorbung Krieg zwiichen ihm und ihrem Schwager Sigibert droht und durch Qermittelung Guntchramns abgewenbet wird, werben zu dem Schiebfpruch, ber jene Lanbichaften als Wergeld und Sühne oder Erbe Brunichildis zufpricht, auch „vie Franken“ beigezogen.

Gerade dieſe Stelle aber zeigt, daß bei folhen Vergabungen an Frauen troß des Ausdrucks »dominatioa doch nur privatrechtliches Eigenthum (dominium) an ben bafelbft belegnen Krongütern und ber Anſpruch auf die Einkünfte (allerdings auch bie ftatlichen) übergehen follte, nicht Gebietshoheit und Statsgewalt: werer Gaileſvintha noch Brunichildis follte Königin, Sonverainin jener Städte werben: dieſe verblieben Theile von »Franciae, wie e8 zu Anbelot heißt, vom reg- num Francorum, wurden weder weitgotiich noch ein beſonderes Stats⸗ gebiet.

Gemäß tem Vertrag von Anbelot beerbte Childibert II. allein Guntchramn 593 unter Ausschluß des andern Neffen Chlothachar II.: ob Guntchramm feinen wider jenen Vertrag gefaßten Beſchluß, auch Chlothachar ein par Städte in irgend einem Theile feines Neiches zuzuwenden, „auf daß biefer nicht ganz enterbt erjcheine"2), ausgeführt bat, wiffen wir nicht.

Der fonft ohne Zweifel dieſem Neffen zuftehende Anfpruch auf bie halbe Erbſchaft Guntchramns eine leife Anerkennung biejes Rechts liegt in jener verheißenen Abfindung mit „ein par Stäbten“ war eben durch „Erbvertrag“ ausprüdlich ausgefchloffen worden —; das for- male Recht war baburch gewahrt, daß Guntchramn nach dem Tode feiner Söhne Chilbibert an Sohnesftatt angenommen hatte, wodurch nun freilich der Wahlfohn ven Neffen ausjchloß. Hatte aber Wahlſohnſchaft ftets ſolche erbrechtliche Wirkung) ?

Schon Childibert I. hatte, weil ſöhnelos, Theubibert I. als Sohn

1) Nicht Begora = Tarbes, Urgefd. III. ©. 426.

2) Urgeſch. III. ©. 433.

3) Vergl. Greg. Tur. V. 18. VII. 8. 13. 33. IX. 20, Urgeſch. III. ©. 193. 299. 301. 328. 424.

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halten wollen!): er befchenkte ihm reich mit Fahrhabe: aber die Exb- frage kam nicht zur Anwentung, ba Theudibert und befien Sohn Theudibald (ohne Söhne) noch vor Childibert L ftarben.

Chlothachar IL war num, nachdem Chilvibert IT. Sigibertg, Guntchramns Reich und zwei Drittel von Chariberts Neich vereinte, eine Zeit lang auf ein ſchmal Gebiet ganz im Weiten Chilperichs Reich und ein ‘Drittel von Chariberts befchräntt.

Dei Childiberts IL. Tod erhielt deſſen Sohn Theubibert LI. Auftrafien GSigiberts Reich mit Metz, Theuberich II. Burgund Guntchramns Reich mit Orleans dazu: aber als einen Voraus, gemäß befonverer Anordnung Chilbiberts, ven Elſaß?) (Alesaciones), wo er erzogen worden war.

Daß bei Lebzeiten des Vaters durch deſſen Willen ver Sohn ein Stüd Landes zur Leitung, aber unter ter Oberhoheit des Königs und nicht felbft als König erhält, ift nur felten gefchehen, da Chlothachar I. Chramn die Auvergne?), und ba Chilpibert II. Theudibert II. Stadt und Gebiet von Soiffons und Meaux auf Wunſch der Bevölkerung

zur Verwaltung übertrug®). - Es ift fchwer denkbar, daß auf biefen

Tall, der in drei Jahrhunderten nur zweimal vorkam, eine Formel follte NRücficht genommen haben: es ift daher die Formel Markulfss) wohl nicht) auf biefen Ball zu beziehen, ſondern auf die feit 622 häufig werdende Weberweifung eines Reiches durch ben Vater an einen Sohn als König (ſo 622, 632).

Markulf ſchrieb Ende des VII. Yahrhunderts”) und hat gewiß an bie zahlreichen Fälle des VII. Jahrhunderts, nicht aber an 555 und 589 gedachts). Die Beitellung des Sohnes zum Theilkdnig geſchah nicht durch den Vater allein, vielmehr unter Zuftimmung und oft auf Andringen der Großen (diefes Theilreichs); fo 622, jo 632.

1) Greg. Tur. III. 24, Urgeſch. III. ©. 87 dicens: »filios non habeo, te tamquam filium habere desidero«.

2) Nicht ganz Alamannien wie Stältn, wilrttembergifche Geſchichte I. S. 175, vergl. Longnon S. 137, Wait ©. 151.

3) Greg. Tur. III. 13. 16, Urgeſch. III. ©. 83. 85f.

4) Greg. Tur. IX. 36, Urgeſch. IH. ©. 4507.

5) I. 40.

6) Mit Waitz ©. 160.

7) Brunner I. S. 403; Zeumer, Neues Archiv X. S. 385. XI. S. 340.

8) Auch heißt es: filio nostro reynare praecipemus.

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Hiermit hört aber nun die alleinhanbelnde Verfügung ber Mero⸗ pingen über die Vertheilung der Statsgebiete unter ben Königserben auf: der jet immer fohroffer hervortretende Gegenfat bes germanifchen Auftraftens zu dem romaniftrten Neufter, Burgund, Aquitanien, das Widerjtreben der Auftrafier, fi von Paris oder Orleans aus be- berrihen zu laffen, und bie immer höher anfchwellenne Macht des Dienftabels unter den Hausmeiern macht fich jet bei Ordnung biefer Dinge entfcheivend auch gegen ven Willen des Königs und Vaters fühlbar, wefentlich durch den Abfall des auftrafifchen und des bur- gunbifchen Dienftadeld von dem allein rechtmäßigen Haufe Sigiberts L').

Nachdem Chlothachar IL. das ganze Frankenreich unter fich ver- eint batte (613), warb er von ben auftrafiichen Großen, denen er bie fampflofe Vernichtung Brunichildens und ihrer Urenkel zu danken hatte und die ihm auch fonft allerlei Zugeftänpnifie abnöthigten, fehr gegen feine Neigung, wie es fcheint?), dahin gebracht, feinen Sohn Dagobert I. zum Mitherrfcher im Weich und alleinigen König von Auftrafien?) mit dem Sig zu Met zu beftellen. Daß dies nicht mit Freuden gefchab, erhellt wohl daraus, daß Chlothachar damals dem Sohne wenigften® nicht das ganze Reich Sigiberts überwies, fondern bie im Süden gelegenen Theile davon abtrennte und für fich behieltt), und erft brei Jahre fpäter fetten ber Sohn und die auftrafiiche Regentſchaft es durch mittelft eines Schiedsſpruchs der Franken“ zwifchen Vater und Sohn gegen fehr ſtarkes Wiberftreiten Chlothachars! —, daß auch biefe reichen, alſo die Statslaften Auftrafiens erheblich erleichternven das war ja wohl ber Beweggrund für ben auftraflichen Abel, Gebiete im Süden ganz oder theilweife Dagobert und Auftraften über- laſſen wurben?).

Die auftrafifchen Großen hatten offenbar 613 vor Allem die Itraffe Herrichaft ber Adelsbändigerin, ter gewaltigen Brunichilbis,

1) Fredig. ec. 40. 41, Urgef. III. &. 597.

2) Urgeſch. III. ©. 607.

3) Greg. Tur. IX. 36, Urgeſch. III. ©. 450. Schon früher hatten einmal die Gaue von Soiffons und Meaur fih Theubibert als Herrſcher, aber unter Ueberordnung des Baters, erbeten.

4) Fred. IV. c. 47, Urgeſch. III. ©. 606 retinens sibi quod Ardinna et Vasacos versus Neuster et Burgundia excludebant.

5) 1.c.c. 53, Urgeſch. IH. ©. 610 reddensque ei soledatum quod aspexerat ad regnum Austrasiorum hoc tantum exinde quod ceitra Legerem vel Pro- vinciae partibus situm erat.

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abſchütteln wollen: nachdem dies gelungen, verfpürten fie aber wenig Luft, fich von Chlothachar kraftvoll beherrfchen zu laſſen: fie wollten einen minderjährigen Scheinlönig in Meg, für welchen fie felbit that⸗ ſächlich herrſchen mochten: auch der verrathene Urenkel Brunichildens war zwar ein Knäblein gewefen, aber Brunichilpis hätte Feine Adels⸗ regentfchaft geduldet: als Chlothachars Knabe herangewachſen war, traten fie mit ihrem Begehren hervor und zwangen es durch.

Daß der Ein-König Chlothachar volle Urfache gehabt, zu wiber- ftreben, follte fi bald zeigen: es kam alsbald zu Zerwürfniijen !) zwiichen Vater und Sohn oder vielmehr deſſen Negentichaft.

Ueberhaupt aber war dies Zugeſtändniß verhängnißvoll als An- erfennung der zwijchen Neufter und Aufter nun immer weiter gäb- nenten Kluft, bie zu fo erfolgreichen Losreißungsverſuchen Auſters führte, daß, nachdem auch Aquitanien fich von dem neufter-burgun- diſchen König getrennt hatte, das merovingiſche Meachtgebiet gar ſchwindſüchtig ſchmal ward 2)

Sehr merkwürdig und belehrfam find nun bie Vorgänge bei dem nächſten Thronwechſel. Chlothachar II. ftarb Ende 6293), ohne, wie es in ber Folge zu geſchehen pflegte, unter Zuftimmung ber Großen unter feinen beiden Söhnen (verfchievener Mütter) eine Erbtheilung im Voraus feftgeftellt zu haben. Nun fragte fich, ob Dagobert, bes reits König von Auftraften, feinen jüngeren Bruder, ven Knaben Charibert, ausschließen oder als Miterben zulaffen werde? Keins von beiten geſchah: weder warb ber ftatsrechtliche Gedanke ber ein- heitlichen Folge in tie untheilbare Statsgewalt durchgeführt noch nach dem bisher geltenden Recht ver Bruber als privatrechtlich gleich berechtigter Erbe zugelaffen: vielmehr griff ber machtgierige Entel Chilperih8 und Frebigundens, feine Webergewalt gebrauchent, einfach zu, das Erbrecht des Bruders mißachtend. Aber nicht ber

1) Fred. IV. c. 53 gravis horta fuit intencio Chlotharium{us) vehe- menter denegabat eidem ex hoc nihil velle ooncedere. elictis ab his duobus regibus duodicem Francis, ut eorum disceptatione haec finirit intentio inter quos et domnus Arnulfus .. cum reliquis episcopis elegitur et. . pro pacis loquebatur concordia tandem a pontificebus vel sapientissimis viris procerebus pater paceficatur cum filio. Urgeſch. III. ©. 611.

2) Nicht hierher gehört bie wechſelnde Zutheilung bes pagus Dentelinus (Fred. IV. 20. 76. Bonnell ©. 121), der wohl nicht mit Longnon p. 144 bei Sambrai und Tournat zu fuchen, vergl. barliber Urgeſch. IIL ©. 551.

3) Nicht 628, ſ. Kruſch, F. z. D. G. XXIL ©. 459; Fredigar p. 149.

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Gedanke ver Statseinheit leitete dabei: benn biefe warb Doch geopfert, indem Charibert II. als Abfindung für fein privatrechtlich"gebachtes Erb- recht ein Tleines Gebiet als „Königreich“ überlaffen warb, wobei bie Schiefheit und das Schwankende feiner Stellung König und doch nur Privatmann, Herricher und doch von Dagobert abhängig in ben ungefügen Worten des Chroniften bezeichnend zu Tage tritt. „Sowie Dagobert fah, daß fein Vater tobt war, bot er alle feine Getreuen (leudes) in Aufter zum Heerbann auf und forberte durch Geſandte Burgund und Neufter auf, feine Herrichaft zu wählen”!).

Diefe Aufforderung zur Wahl ift etwas ganz außergewöhnliches: bie Unterthanen ver Merovingen haben bei rehtmäßigem Thronwechſel durchaus Fein Wahlrecht: bie privatrechtliche Erbfolge jchließt das aus. Nur wo obne folche rechtmäßige Erbfolge eine Herrichaft be» gründet wird, muß ber neue Herr felbftverftändlich die Zuftimmung ver zu Beherrſchenden gewinnen (over nöthigenfall® erzwingen: daher das Aufgebot des Heerbanns!). Deßhalb verlangt Chlodovech die Zu- ftimmung, die „Wahl“ ver Uferfranten?) nach Ermordung ihrer Könige: er wird auf den Schild gehoben, was nur bei Erhebung eines Herrichers außerhalb ter orventlichen Erbfolge gefchieht?).

Deßhalb erfolgt auch Wahl und Schilverhebung, als Chilperichs leudes von diefem abfallen und Sigibert I. zu ihrem König wählen‘): der Anmaßer Munderich muß felbftverftändlich Wahl, d. 5. Anerkennung feines Anhangs fuchen 5): deßhalb wird auch ter Anmaßer Gundovald von feinem Anhang „gewählt“, d. 5. anerfannt und auf einen Schild erhoben 9).

Auch jetzt (a.629) müffen die Neuftier und Burgunden „wählen“, ſoll Dagobert ihr König werben: denn Charibert hätte tie Halbſcheid des ganzen Reiches nach ſaliſchem Privaterbreht merovingiſchem Kron⸗ folgerecht beanſpruchen können. Er beanſpruchte es auch wirklich: „er trachtete das Reich zu gewinnen, aber ſein Wille hatte vermöge ſeiner

. 1) Fred. ed. Krusch IV. o. 56 ut suum deberint regimen eligere. Kruſch Tief im folgenden Sat, wie ich Urgeſch. III. ©. 622 vorgeſchlagen, »Buessiones« ſtatt »suggestiones«.

2) Greg. Tur. U. 40, Urgeſch. III. ©. 66. >

3) Dagegen in fharffinniger und doch unrichtiger Ausführung Hubrich (1889).

4) Greg. Tur. IV. 51, Urgefd. IH. ©. 160.

5) Greg. Tur. III. 14, Urgeſch. II. ©. 84.

6) Das heißt recht eigentli in regno levari Greg. Tur. VII. 10, Urgeſch. Il. ©. 300.

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Einfalt wenig Erfolg“, d. h. „alle Biſchöfe und leudes bes Neiches Neufter ergaben fih Dagobert, als er über Rheims gen Soiſſons beranzog, als Unterthanen”.

Ebenſo thaten vie Biihöfe und Vornehmen von Burgund. Nicht ohne Wiberftand gelang dieſe Beugung des Rechts: für ben jugendlichen Charibert „begann deſſen Meutterbruber Brobulf, ber feinen Neffen in ver Herrſchaft feſtſetzen wollte, liftige Ränke zu ſpinnen: jeboch das Bodenloſe dieſer Pläne lehrte der Ausgang“, d. h. Dagobert hatte die Uebermacht und die geiſtlichen und weltlichen Großen von Burgund fielen ihm zu: der Dienſtadel entſchied nun über die Thronfolge, alsbald ſehr zum Schaden der Krone. Nachdem nun fo Dagobert das Reich Chlothachars ſowohl in Neuſter als in Burgund vorweg genommen hatte (— »praeoccupatum«: das war es recht eigentlich, wie Karl der Große that gegenüber feinen Neffen —) und auch die Schäße beiber Reiche in feine Gewalt gebracht hatte" (— immer noch wie zu Gelimers!), Vitigi's?), Alarichs II.?) Tagen werben dieſe als wichtigfte Zubehörden der Königsgewalt bei Eroberung und bei Bererbung genannt —), „ta räumte er endlich, von Mitleid beivogen“, alſo aus Gnade, nicht ein Recht anerfennend „und dem Rathe weifer Männer folgend“ (vorab gewiß feiner auftrafifchen Leiter, die ben andern Erben durch Abfindung von Krieg abhalten wollten) „feinem Bruder Charibert Gaue und Städte zwifchen der Xoire und ben Pyrenaeen (genauer dem weitgotifchen Septimanien) zur Verwaltung ein, foviel, daß deren Erträgniß ihm zum Unterhalt nah Maßgabe der Lebensführung eines Privaten genügen mochte: nämlich . bie Gaue von Toulouſe, Cahors, Agen, Perigeur und Saintes und was von bier weftlich gegen bie Phrenaeen (db. h. gegen MWeft- goten) fich erftredt”. Die Schiefheit, Halbheit und innere Unwahr- beit des fo gefchaffnen Verhältniſſes PVerfagung und zugleich (be- ſchränkte) Gewährung eines ererbten Königsrechts prüdt fih nun ſehr bezeichnend barin aus, daß bie gleiche Quelle, welche foeben von ber „Lebensführung eines Privaten“ gefprochen, fortfährt: „nur joviel räumte er Charibert zur Beherrfchung ein »ad regendum«, oben hatte es geheißen: zur Verwaltung: »ad transigendum«e und be- feftigte durch Bande bes Vertrags, daß Charibert zu feiner Zeit mehr

1) Könige I. ©. 179. 2) Könige II. ©. 225. 3) Könige V. ©. 111.

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von dem Neiche des Vaters in Anſpruch nehmen wollte: d. h. es wurde alſo doch ein Erbverzicht verlangt, folglich ein an fich zuftehendes Erbrecht tes bei Seite Gedrängten anerkannt. „Charibert wählte als Sit (ssedem«, wie fonjt von Königen) Zouloufe und herrſchte als König (regnat) in ber Provinz Aquitanien. Drei Iahre nach Beginn feiner Königsherrſchaft!) überwand er Waskonien und erweiterte fo ein wenig fein Königreich (regnum)“.

Dieſer Zwitterftellung eines „Privaten“, ter gleichwohl mehr als ein Stellvertreter- König in einer „Provinz“ war, machte Ehariberts bafldiger Tod ein Ende: ſehr bald folgte ihm in ven Tod fein Söhnlein (filius parvulus) Chilperich, angeblich durch Dagobert getötet, ber nun das von Charibert verwaltete Gebiet einfchließlih der Er- oberung Waskonien wieder allein für fich in Anſpruch nahm?).

Der kurze Zwifchenfall tft hoͤchſt bezeichnend für das Ningen zwifchen dem bisher allein anerkannten privatrechtlichen Erbfolgegrund⸗ ja und nicht dem Gedanken ver Statseinheit: denn dieſen verleng- nete Dagobert doch alsbald durch tie Erbtheilung zwilchen feinen eigenen Söhnen, ſondern ter meropingifchen Machtgier, bie ja auch früher fchon fogar durch Mord (oben S. 450) das Erbrecht Schwä- cherer vergewaltigt hatte. Zwar daß Dagobert fchon 632 feinem Söhnlein Sigibert IH. Auftrafien als eigenes Königreich überließ, darf ihm nicht angerechnet werten: bie auftrafifchen Großen, welche fich nicht mehr von Paris aus beberrichen ließen, haben ihm das abgerungen?).

Der nächfte Anlaß war, wie die Quelle beutlich erkennen läßt, bie Berrängniß Thüringens und anderer Gaue Auftrafiens durch bie Wenden Samo’s, die freilih pur ein Knäblein nicht, wohl aber . buch die für dieſes beftellte Negentichaft: Kunibert von Köln und Herzog Aalgifil Anfigifil‘), Arnulfs Sohn, von Miet aus abgewehrt werben konnte und follte: die Einfegung biefer Negentfchaft war ber gewollte Zwed, das Königsknäblein nur das Mittel.

Aber als Dagobert 633 von anderer Mutter ein Knabe geboren ward, Chlodovech II., beeilte er fich fofort, durch Vertrag mit Sigi- bert d. h. mit der auftrafiichen Negentichaft, jenem Kinde vie Folge

1) postquam regnare coepisset. 2) Fred. c. 67, Urgeſch. III. ©. 622. 630. 3) Ueber dieſe ſeit Childibert II. immer ſtärler hervortretende eeſung ſiche oben VII. S. 114f. und Urgeſch. III. ©. 607. 4) So doch wohl richtig Bonnell ©. 102, Urgeſch. II. ©. 629.

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in Neufter und Burgund zu fihern: wohl ift es glaubhaft, daß ties auf Rath und Ermahnung ver Neuftrier geſchah!), die ihrerfeits nicht wünfchten, von dem völlig von ben auftrafiihen Großen abhängigen König zu Metz beherricht zu werben: aber daß ter Vater, fofort nach⸗ gebend, auch für ven ihm foeben geborenen Säugling fogleich die Erb- folge fichert, beruht doch auf jener privatrechtlichen Auffafjung der Thron- folge, ter familienrechtliden Fürforge auch für pas Rind. Befremdend ift dabei für uns, daß nach der Werthſchätzung ver Zeitgenoffen Neufter und Burgund zufammen an Flächenraum und Volkszahl nur als gleichwerthig mit Aufter galten?): jene beiden waren doch wohl viel dichter bevölkert). Und jebesfalles waren Neuftrien und Burgund unter ihrem fo viel milveren Himmelsftricd und mit ihrer fiebenhundert- jährigen römischen Bildung und Vollswirtbfchaft ganz unvergleichlich reicher, ftenerkräftiger als Auftraften, deſſen größter rechtsrbeinifcher. Theil noch von Urwald und Urfumpf bevedt war. Vermuthlich um biefen Nachteil einigermaßen auszugleichen, drang bie auftrafifche Negentichaft, tie ja auch fo eifrig bie Meberführung des Auftrafien gebührenden Theils des Neich8-Schates betrieben hatte, auf vie Wieber- vereinung der fruchtbaren reichen Südlandſchaften mit Auftraften, tie unter Theuderich I., Thenbibert I. und Sigibert I. zu biefem Reich gehört hatten: dabei warb nur der erft in jüngerer Zeit Neuftrien ent- rißne pagus Dentelinus®) von Auftrafien zurüdgegeben.

Ausdrücklich wird übrigens hervorgehoben, bie Auftrafier fügten fih allen viefen Vereinbarungen (his pactionibus) alfo nicht nur der Wieberabtretung. jenes Gaues „lebiglich aus Furcht vor Dagobert und gezwungen“. Das begreift fich voöllig. Dagobert ftüßte fich bei feiner familienrechtlichen Sorge für ben Säugling auf das Verlangen der Neuftrier und Burgunden, wie beftimmt ver- fihert wird.

Diefe wollten fi nicht von Met aus beberrfchen laſſen, wollten ihren Sonderlönig in Paris haben, während die Auſtraſier, vie ſich ihrerfeitS von einem neuftro-burguntifchen König nicht leiten laffen

1) Fred. c. 67 consilio Neustrasiorum eorumque admonicione per pac- tiones vincolum cum Siggbertum . . et Austrasiorum omnes primati ponte- vecis eitirique leudes . . firmaverunt. Urgeſch. III. ©. 639.

2) Fred. IV. c. 76, Urgeſch. a. a. O.

3) Anders Waitz ©. 153.

4) Ueber Namen und Lage Urgeſch. III. ©. 551.

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wollten, felbftverftändfich gern ihren König zu Metz auch über bie reichen Steuern der Südlande wollten verfügen fehen: denn es ift auch baran zu erinnern, daß, während im Süben ter König tie römifchen Steuern zu erheben fortfuhr, ber auftrafifche Herricher rechts vom Rhein gar keine Steuern zu erheben hatte und auch auf dem linken Rheinufer wohl nur in feinen weftlichften Yanpfchaften.

Es wurten alfo, Sigibert III. und die Auftrafier einigermaßen zu befchwichtigen, jenem nunmehr zugetheilt alles, was Sigibert I. im Süden befeffen: d. 5. bie Provence von Marfeille, das Boitou, bie Auvergne: wahrfcheinlich auch die Touraine, das Bourbonnais, Velay, Gevaudan, Albigeois, die Rouergue und Ust; fowie Avignon, Air und Vence!).

Allein die Heranzwingung diefer weit entlegnen, durch Neuftrien und Burgund von Auftraften getrennten, nach Boden, Gefchichte und Bevölkerung nicht zu dem Oftland gehörigen Süplanpichaften war zu gewaltfam, als daß fie hätte dauern mögen.

Rechtlich betrachtet ftellen fich dieſe Ereigniffe tar als abermalige Beitätigung des alten Grundfages der privatredhtliden Erb- tbeilung des ganzen Reiches unter die zwei gleich nahen Erben: nur baß jet den Sonverungsgelüften ber germanifchen und ber romanijchen Bevölkerung und dem Trachten des Dienftabels in allen drei Reichen das Königthum bei der Art der Durchführung jenes alten Grund- fages ungleich mehr als früher Rechnung tragen und Willfährte leiften muß.

Bermöge des Zufammenwirlens bed Erbtbeilungsgrumpfates mit dem Streben des Dienftadel8 in dem germanifchen und dem ro- manifchen Theil bes Reiches und mit dem feit Chlothachar IL. immer ftärker hervortretenten Trennungstrachten dieſer Vollsthümlichkeiten geſchah es nun, daß die romanischen Lande einerjeits, Auftrafien anbrerfeits fortab je ein Theilreich bilveten?). Dabei kann man aber nicht?) das Ber- hältniß zwiſchen Neuftrien und Burgund als Berfonalunion bezeichnen: behielt auch Burgund ein eignes Heer und oft (nicht immer) feinen eignen Dausmeier, fo war doch der König von Neuftrien-Burgunbd, unerachtet mancher Verfchiebenheit in den inneren Einrichtungen beiber

1) Bgl. Bonnell S. 103. 222, Urgeſch. III. ©. 640.

2) So iſt der Streit zwifhen Walt S. 152 und v. Roth, Ben. ©. 57 zu entſcheiden.

3) Mit Letzterem.

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Gebiete, König eines Einheitöftates wie etwa vor 1866 ber Kaiſer von Defterreich al8 Herricher von Ungarn und Defterreich.

Allein bat der Gegenfat der Volkesart d. h. das verfchiebene Maß von Verrömerung bie Gliederung in bie drei Theilreiche nicht herbeigeführt!): war doch das alte Königreich Burgund gefchichtlich gegeben: war boch dieje Dreitheilung burch die Zahl der Erben, ba ber vierte zweimal bald wegfiel, beftimmt und zwar zu einer Zeit, ba jener volfsthümliche Gegenjat noch nicht bervortrat: endlich ward Neuftrien doch erft in ver Folge völlig verrömert.

Die bei Lebzeiten Dagoberts vorgejehne Erbtheilung warb bei feinem Tod ohne Schwierigkeit vollzogen?): bie auftrafiiche Regent: Ichaft ſetzte es durch, daß ter Geſammtſchatz der drei Neiche ihr zu Compiegne dargewieſen, dann je zur Hälfte getbeilt und die auf Auftrafien entfallenre Hälfte nach Met verbracht wurde: ganz wie bie zwei Söhne eines falifchen Bauers fich zunächft in bie Aeder, dann in bie Fahrhabe des väterlichen Nachlaffes zu gleichen Theilen würben getbeilt haben?).

An ten nächſten Thronmwechfel, ven Top Sigiberts III. (656), knüpft fih nun ver um ein Iahrhunbert verfrühte Verſuch ber Ar- nulfingen, ven Thron zu befteigen: er ſcheitert, Grimoald, der Sigiberts Knaben Dagobert IL, den zweifellos allein berechtigten Erben Auftra- fiens, gejchoren in ein fchottifches Klofter ſchickte und feinen eignen Sohn Chilvibert zum König von Auftrafien erheben wollte, ward von dem auftrafifchen Adel durch Liſt gefangen und dem nah Be— feitigung des Knaben Dagobert {warum biefer nicht fofort zurückgeholt ward, wiffen wir nicht) nun ebenfo zweifellos allein berechtigten Erben, bem Bruder SigibertS III., Chlodovech IL. zu Paris, ausgeliefert, der ven Ungetreuen Binrichten ließ): Grimoalds Sohn Chilvibert wird nicht mehr erwähnt.

Sehr bezeichnen? für das Unerbörte in dem Angriff auf bie rechtmäßige Thronfolge ift nun aber, daß angeblid Grimoald ven noch fühnelofen König bewogen haben follte, Grimoalds Sohn Childibert

1) Dies gegen v. Roth ©. 58 und Nädelin, bie erfte Periode der Entwidelungs- geichichte der Deutichen Centraigewalt (1865) ©. 12f.

2) Fred. IV. c. 79. Chl. sub tenera aetate regnum patris adscivit, omnes leudis de Neuster et Burgundia eumque Masolaco villa sublimant in regno. Urgeſch. III. ©. 645.

3) a. 640. Fred. ce. 85, Urgefd. III. &. 646.

4) Urgeſch. III. ©. 661.

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im Zeftament zum Erben einzujegen, fpäter ſei dann Dagobert II. geboren und befhalb von dem König das Teftament zurüdgenommen worden. Im biefer Faſſung verbient der Bericht Feine Beachtung. Sigibert von Gembloure (+ 1111), den man für jene Jahrhunderte boch nicht mehr als Quelle“ anführen follte, drückt nur bie Anfchauung feiner Zeit aus: durch Teſtament Tonnte ein Meroving über die Thron- folge nicht verfügen ohne Zuftimmung ber auftcaftichen Großen und feines allein erbberechtigten Bruders 1). Chlodovech II. vereinte nun alle trei Reiche, ftarb aber fchon bald barauf?).

So wart es ben Auftrafiern nicht lange zugemuthet, ſich von Paris aus und burch ven Hausmeier aller drei Reiche beberrichen zu laſſen. Da Chlodovech II. drei Söhne hinterließ, konnte alsbald das alte privatrechtliche Erbtheilen von Neuem beginnen: ben zweifellos nach jenen Grunbfägen allein rechtmäßigen König von Auftrafien, ven Mönch Dagobert, aus feinem Kloſter zu bolen, hatten weber fein Oheim Chlodovech IL oder deſſen beherrichenner Hausmeier Erchinoald Neigung, noch feine Bettern oder teren Negentichaft, tie Königin-Wittwe Balthild und der Hausmeier Ebroin: Dagobert ward ansgefchloffen wie weiland Ehlonovald!) und Eharibert IE.*). Zunächft aber ward, in Abweichung von bem privatrechtlichen Grundſatz, das Reich nicht unter bie drei Söhne Chlodovechs II. vertheilt, ſondern ter ältefte biefer Knaben, Chlothachar III, 656—670, führte allein ven Königsnamen für alle drei Reiche).

Die auffallenre Abweichung erklärt fich keineswegs nur daraus, baß bie beiden jüngeren Brüder noch ganz Heine Knaben waren: in andern Fällen haben ehrgeizige Mütter und Hausmeier, Chlodovech II., Nantihild und andre fich nicht abhalten laffen, das Recht folcher Kinder zu eignem Vortheil geltend zu machen: allein einerfeits war zunächit Erchinoald, der erfte Hausmeier Chlodovechs IL, allge- mein „wegen feiner Milve* beliebt, dann deſſen Folger, ver berrich- gewaltige Ebroin, nicht ver Mann, auf bie Beherrſchung des ganzen Reiches zu verzichten, wenn er nicht mußte, und anbrerjeits ift zu

1) v. St. Sigiberti IIf. A. S. ed. Bolland 1. Febr. I. p. 227. V. 8 15.

2) (657) Kruſch, Forſch. z. D. G. XXIL ©. 466.

3) Oben ©. 450.

4) Oben ©. 460.

5) Urgeich. III. S. 665. Das thaten tie »Franci« Lib. hist. Fr. e. 44, d. h. in biefer Quelle die Neuftrier: die Auſtraſier wurben gar nicht gefragt.

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erwägen, daß dem auftrafiichen Abel, der gewiß nicht gern fich von Paris aus im Namen eines Kindes von einem Weib und von dem gewaltigen, aber auch höchſt gewaltthätigen Ebroin beherrfchen ließ, durch ben jähen Sturz bes arnulfingifchen Haufes jede Führerichaft und Macht entriffen war: e8 dauerte eine Weile, bis er ein neued Haupt gefunden Hatte. Burgund aber fcheint feit Chlotbachar IL. in der engſten Verbindung mit Neuftrien feinen Vortheil gefunden zu haben: jeit dem Untergang Theuderichs II. (613) ift kein befonberer König von Burgund mehr aufgelommen: das Land gehorchte ftetS dem König von Nenftrien: ja fogar auf einen befonveren Hausmeier verzichten einmal die Burgunden ausbrüdlich 1): ein folcher kommt nicht mehr vor: da Übrigens auch mehr als zwei merovingifche Königsknaben feit den Söhnen Chlodovechs II. nicht mehr gleichzeitig leben, fam bie Dreitheilung nicht mehr in Trage: es handelte fih nur noch darum, ob bei zwei Erben der alte privatrechtliche Grundſatz und die Sonde: rungsluſt von Auftrien und Neuftro-Burgund over ob ber Drang eines - Hausmeierd, das ganze Reich zu beberrfchen, ftärker war; barüber entſchied nun fortab fast ſtets das Schwert.

Allein wahrjcheinlih hat ſich Sigibert von Gemblours nur eine alte Nachricht zurecht gelegt. In dem DVerzeichniß ber Könige?) heißt Chilvibert »adoptivus«: vielleicht Hatte Grimoald den König dahin gebracht gehabt etwa allerdings vor Dagoberts Geburt —, Chil- bibert an Sohnes Statt anzunehmen wie Chilvibert I. und Gunt- hramn freilich gegenüber ihren eignen Neffen gethan, und ihm fo ein Erbrecht zuzuwenden, das aber allerdings ohne Verzicht Chlodovechs nicht hätte entſtehen können. Jedesfalls ſpiegelt ſich darin das Beſtreben, ſei es in der That Grimoalds, fei es nur ber (ſpä⸗ teren) Zeitgenoſſen, den verſuchten Schritt Childiberts auf den Thron leichter zu erklären, zu entſchuldigen.

Die germanifche (gotifche) Sage Hatte das Gegentheil folcher Neidings⸗That verherrlicht, die Erklärung Genſimunds im IV/V. Jahrh. (v. 375—450), der als Muntwalt des noch wehrunfähigen Amalers Walamer bie angetragene Krone ausfchlägt und für feinen Münbel bis zu deſſen Schwertleite verwahrt).

Nicht länger doch als vier Jahre vermochte felbft ein Ebroin

1) Urgeſch. III. ©. 613.

2) Monum. Germ. hist. Ser. II. p. 308.

3) Könige II. ©. 60,

Dahn, Könige der Germanen. VI. 3. 30

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Auftrafien unter dem neuftro-burguntifchen König und Hausmeier feft- zuhalten: im Jahre 660 warb Chlothachars jüngerer Bruber Chilverich IL. (660673) zum König von Auftrafien erhoben „auf ven Rath ver Großen“!), d. 5. wohl auf Anbringen ber anftrafiihen Großen, dem Ebroin ohne Krieg nicht länger wehren mochte, ohne einen Krieg um ben alleinigen Majordomat, ven er damals noch fcheute: noch waltete auch die milde, frievenliebenve, nachgiebige Balthilde, bie ein wohlverbienter Heiligenichein umftrahlt: fpäter bat er jenen Krieg er- folgreich durchgekämpft, bis zu feiner Ermorbung unbeflegt. Die Frage, weßhalb fich bie auftrafiichen Großen nicht ſchon damals, wie fie wenige Sabre fpäter thaten, ihren rechtmäßigen König, ‘Dagobert II., aus dem Klofter holten, entzieht fich der Beantwortung: vielleicht war er verſchwunden ober galt für tobt: e& wird in ber Folge berichtet, feine Freunde hätten von Schiffern erfahren, „er lebe und blübe im voll⸗ reifem Alter*?2). Oder es war leichter von Chlodovech (d. h. Ebroin) zu erreichen, daß deſſen kindhafter Bruder, als daß der reifere dem andern Zweig angehörige Vetter Auftraſien erhalte: empfindlicher für die neuſtro-burgundiſche Regierung als der beſondere König war ber befonvere Hausmeier, ben bie Auftrafier in Herzog Wulfoald fich erzwangen.

Darin mögen ſchließlich die seniores auch von Neuſtrien und Burgund dem Beſchluß der Regentin und Ebroins zugeſtimmt haben, tie fordernden waren doch beftimmt bie auſtraſiſchen allein ge⸗ weſen wie Wulfoald doch ficher ein auftrafifcher, nicht ein neuftriſcher Herzog war?). Burgunden und Franci (Neuftrier) d. h. vie fpäteren Franzoſen werben bier fcharf den Auftriern entgegengeftefit.

Wie Ehlobovech II. ſtand auch Childerich II. unter Regentichaft eines Weibes, feiner Muhme Eimchilv (Chinechild), der Wittwe Sigi⸗ bert8 III., Mutter Dagoberts IL., des entthronten rechtmäßigen Königs von Auſtraſien“): ein feltfam Verhältniß, das fich auch wieter am Keichteften erklärt aus bem Glauben an Dagobertd Tod. Der

1) Urgeſch. III. ©. 675; D. G. Ib. &. 675.

2) Urgeſch. III. ©. 675. Heddius Stephanus (+ 720), v. St. Wilfridi (+ 708) ed. Mabillon IV. 2. p. 500. IV. 1. appendix p. 677.

3) Dafür fpriht außer der inneren Wahrſcheinlichkeit der Ausbrud bes Fred. cont. Ch. wird zum König erhöht apud W. ducem und nicht gerabe noth- wendig dagegen bie Hist. Ch. in Austria una cum V. duce regnum suscipere perrexit: der Auftrafier kann Ihn abgeholt haben. -

4) Urgef&. II. ©. 676; D. &. Ib. ©. 203.

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Thronmwechfel bei dem Tode Ehlothachars III. (a. 670) führte zu einem zweifellojen Rechtsbruch. |

Da Auftrafien feit 660 von Neuftro-Burgund geſchieden, Chil⸗ berich II. durch Aufter in feinem Erbrecht abgefunden und ver dritte Bruder Theuderich III. jedesfalls auch erbberechtigt war nach bem ganzen bisherigen merovingiſchen Thronfolgerecht, früher würde er Burgund als Königreich erhalten Haben war er fett zur Thron⸗ folge in Nenfter-Burgund berufen, wenn man nicht das ftrenge Necht anwenden, Dagobert II. nach Aufter zurückrufen, Neufter-Burgund Chil- berich II. zufprechen ober noch „legitimiftifcher" zwiſchen Ehilberich und Thenderich theilen wollte. Bei dem Verſuche, Theuderich III. zu feinem Rechte zu verhelfen, obzwar dies gewiß nicht ber Haupt⸗ beweggrund war! erlag Ebroin: er warb in das Klofter Luxeuil gebracht und die Gegenpartei unter Leodigar, Biſchof von Autumn, erhob Ehilverich II. von Auftrafien zum König auch von Neniter- Burgund!). Der junge Thenverich III. ward ebenfalls in ein Klofter geſteckt). Hiebei ift nicht Thronfolgerecht, fondern Thronfolgeunrecht gefcheben.

As nun Childerich IL. 673 erblos ermordet warb, entftanben neue Wirren. Der rechtmäßige Thronfolger für Nenfter und Burgund (fieht man von ‘Dagebert IL. ab, auch für Aufter) wäre nun gewejen der Sohn des ermorbeten Childerich IL, Namens Chilperich II. (715 720): aber der Haß gegen ben Vater war wohl ber Grund, daß man dies Knäblein in ein SKlofter ſteckte und ftntt feiner Childerichs Bruder Theuverich W. (a. 673—691) erhob. Er warb denn much von den Neuftroburgunden Leodigars aus dem Slofter gehelt und zum König ernannt.

Wie fich die fteigende Macht des Dienftabels feit 613 zumal auch in dem wachſenden Einfluß auf die Neichstheilmgen, vie Thronfolge, bie Einfegung des Sohnes zum König noch bei Lebzeiten des Vaters äußerte, ift hierdurch Mar gezeigt worben?).

Seit tiefer Zeit beruft ver Adel Verfammlungen, feinen Beſchluß zu beratben, zu faflen, auch wohl burdhzufegen: jo ber von Nenfter

1) Ursin. v. St. Leod. c. 3 cum Hebroinus Th. . . . eonvoeatis opti- matibus, ut mos est, sublimare debuisset in regnum superbiae spiritu 608 vn deinde convocare.

2) Urgeſch. III. ©. 684; D. G. Ib. S. 206. 3) ©. oben ©. 459f. Lesarditre III. p. 40. 305; Waitz ©. 109.

30*

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zu Soiffons !), der von Neufter und Burgund 639 zu Malaysle-Roi (Masolacus villa)2). Aehnlich 673 bei ver Wahl Theuderichs IIL., bei ver Chlodovechs III. (oder IV.) 6913).

Ja, nad Chlothachars Tod beruft fich die Ebroin feinpliche Partei tarauf, er hätte, wie e8 Gebrauch ift, »ut mos este, (3. B. 613, 629, 639) eine Verſammlung der optimates berufen müffen, Theuderich ILL. zum König zu erheben, ftatt veffen habe er fie in Hochfahrt feines Geiftes (superbiae spiritu) nicht zufammengerufen*), vielmehr Theuderich (nach bem unzweifelhaften merovingifchen Folgerecht) ohne Weiteres anerkannt: bas nehmen fie zum Vorwand, Theuderich III. auszufchließen’). rüber Battte der Adel die wirklich berechtigten Erben gegen veren Oheime ge⸗ ſchützt, jo Theuderich L.°), Chilbibert IL).

An Aufter®) zu rühren hatte vie neuftro-burgundiiche Gruppe zu- nächſt noch nicht gewagt. Hier war eine zwiefpältige Königswahl ein- getreten: der Hausmeier Wulfoald erinnerte ſich Dagoberts IL, holte ihn aus feinem fchottiichen Klofter und erhob ihm zum König von Aufter®): zweifellos war er ver rechtmäßige Thronerbe von Aufter fchon feit Sigiberts III. Tod.

Aber ſchon vorher hatte die Champagne, die Damals geraume Zeit den Verſuch machte, fih von dem ftreng gernfanifchen Auftrafien zu löfen und eine Mittelftellung zwifchen beiven Theilreichen einzunehmen, einen antern König erhoben, einen Knaben, den fie unter dem Namen Chlodovech III. für einen Sohn Chlothachars III. zweifelig ob mit Necht oder Unrecht ausgab 1).

Seltfam ift, daß feine ver Parteien in Neufter fich des Knaben Chilperich IL, des Sohnes Childerichs IL, bebiente: der war aber vielleicht in jeinem Klofter unerreichbar, vielleicht auch wirkte noch ver Haß gegen feinen Water nad).

Eine Zeit lang ſcheint Ebroin diefer Gruppe zugeneigt zu haben:

1) a. 629. Fred. IV. c. 56.

2) c. 79. Longnon, Atlas historique; Texte explic. I. p. 64. 3) L. h. Fr. e. 45; Fred. cont. e. 101.

4) Ursin, v. St. Leod. c. 3.

5) c. 4.

6) Greg. III. 23, Urgeſch. III. ©. 87.

7) Greg. V. 1, Urgeid. II. &. 164.

8) Urgeſch. IIL. ©. 691; D. ©. Ib. ©. 207.

9) Urgeſch. III. ©. 692; D. G. Ib. ©. 207.

10) Urgefd. III. ©. 692; D. &. Ib. ©. 207.

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mit den Kriegsmitteln berfelben wahrfcheinlich fchlug er feine Feinde unter Leubefins, dem Hausmeier König Theuderichs ILL: ſobald er aber biefen Königsknaben, ven er eifrig verfolgte, in feine Gewalt gebracht, beeilte ex fich, ihm als feinem König zu bulbigen!). Ehlopovech (III.) verfchwindet ſpurlos. Nun wandte fih Ebroin gegen Dagobert II. von Aufter, um feinem König Theuderich IIL., d. 5. fich felbft bie Alleinherrſchaft über alle Frantenreiche zu erlämpfen. Im Jahre 678 wurben Dagobert und bald darauf Wulfoald ermorbet, jebesfalles durch Anhänger Ebroind?). Sehr bezeichnend für das Widerftreben Aufters gegen ein Beherrichtwerben durch den neuftro-burgundifchen König und feinen Hausmeier ift, daß die Auftrafier, obwohl fie jetzt gar keinen merovingifchen König zur Verfügung haben, für deſſen Recht fie kämpfen zu wollen behaupten mögen alſo in unverhüllter !osreißung von dem merovingifchen Königthum, ba fie in dem Arnuffingen Pippin wieder ein Haupt gefunden haben, fich mit den Waffen Theuderich und Ebroin widerjegen. Ebroin fiegt bei Laon, wird aber ermordet), bevor er die Früchte feines Sieges in voller Unterwerfung Auftrafiens verwerthen Tann.

AU diefe Vorgänge befräftigen nur bie Anerkennung bes alten merovingifchen privatrechtlichen Exbfolgerechts, das thatfächlich (gegen Dagobert II. a. 656 und Theuderich III. a. 670) verlettt werben mag, aber jo ftark die Gedanken ver Zeitgenoffen beherricht, daß die Abneigung ber Auftrafler gegen einen neuftro-burgundifchen Alleinherricher zurück⸗ tritt hinter der Entrüftung über eine Antaftung jenes Erbrechts, jo daß, gewarnt durch Grimoalds Untergang, auch bie herrichgierigften Großen, felbft Ebroin, nach der Krone zu greifen nicht wagen, vielmehr nur fich gegenfeitig den Beſitz des Königsknaben abzujagen trachten und, falls fie einen folchen nicht zur Verfügung haben, ihn frei er- finden. Nur Pippin (und Martin) erwehren fich, ohne Vorfchütung eines folchen Scheinkönigs, des Verfuches Ehroins, auch über Auftra- fien zu berrichen, wobei übrigens recht gut denkbar ift, daß fie nur gegen Ebroins Hausmeierthum, nicht gegen Theuderichs III. Königthum ſich erheben zu wollen erflärten. Wenigftens nach feiner Nieberlage bei Laon (678) erkennt Pippin (höchſt wahrfcheinlich)

1) Urgeſch. U. ©. 694; D. ©. Ib. &. 208. 2) Urgeih. ID. ©. 703; D. G. Ib. ©. 208. 3) Urgeſch. UL. ©. 709f.; D. G. I. ©. 210.

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Theuberich als König auch Auftrafiens aut), wie er bald nad feinem Sieg bei Zertri 687 als Hausmeier eben biejes Königs alle brei Reiche beherrſcht.

Von jetzt ab bis zur Abſetzung des letzten Merovingen vollziehen ſich die Thronwechſel meiſt nach der privatrechtlichen Erbfolge. Jedoch mit einer merkwürdigen Aenderung: nämlich dem wiederholten Aus⸗ ſchluß der jüngeren Söhne durch den ältern. Nach dem Vorgang Brunichildens?) hatte man bei Chlodovechs II. Ton wenigſtens eine Zeit lang nur ben älteften Sohn Chlothachar III. (656—670) folgen offen?) und auch, als der zweite Chilverich II. (660—673) König von Auftrafien warbt), ben britten Theuderich IIL ausgejchloffen: weil Burgund nicht mehr von Neufter getrennt werben follte, alfo nur zwei Neiche zur Verfügung ftanden. Das zarte Alter diefer Kinder Bat hiebei wohl wie 613 fo 656 mitgewirft.

Sekt, ſeit Pippins Sieg, trat beffen Erwägung Hinzu, daß er einfacher als alleiniger Hausmeier über bie zwei (brei) Reiche walte, wenn er nur Einen König über fich babe: ein befonverer König im anderen Reiche legte, wie bie Erfahrung gelehrt hatte und bald wieder lehren follte, die Gefahr fehr nahe, daß auch wieder ein zweiter Haus⸗ meier verlangt ward. Als daher Theuderich III. (673—691) ftarb, ließ Pippin nur deſſen älteren Sohn Chlodovech III. (IV.?) (691—695) folgen als Ylleintönig®), ſchloß ben jüngeren Bruber, Childibert ILI., ans und ließ dieſen erſt nach Chlobonechs fühnelofem Tod wieder als Alleinlönig (695— 711) folgend). Nicht alfo der Gedanke der Statseinheit Bat danach bie alte privatrechtliche Erb- tbeilung verdrängt, ſondern Lediglich der Bortheil und bie Statstunft ver Hausmeier.

Auf Childibert III. folgt deſſen Sohn Dagobert II. (711-715) als Alleinkönig?), den, jo lang er lebt, die beiden fich befämpfenben Hausmeier, der neuftrifch-burgundifche Raginfred und ber auftrafiiche Theubovald, dann Karl ver Hammer anerfennen. Nach Dagoberts Tod (a. 715) buschbrechen die Neuftro - Burgunder aus uns unbelannten

1) Urgeſch. ULI &. 712; D. G. I. ©. 209. 2) Oben ©. 453. 3) Oben ©. 464. 4) Oben ©. 466. R Urgef&. III. ©. 729, ©. G. Ib. ©.

6) Urgeſch. III. S. 734; D. &. Ib. ©. 207. 7) Urgefd. II. ©. 736; D. G. Ib. ©.

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Gründen die fonft immer anerkannte Beerbung des Vaters durch ven Sohn: fie ſtecken Dagoberts Kuäblein (Theuderich IV.) in ein Klofter und holen aus einem anbern Slofter Chilperich II. (715— 720), ven Sohn bes 673 ermordeten Childerich II.!), alfo einen nur im V. Grad mit bem letzten Throninhaber verwanbten?)! Daß hiebei vie Abficht, das vor 42 Jahren an Chilperich IL zweifellos begangne Unrecht gut zu machen, biefen ränkereichen, berrichlüfternen Abel jollte geleitet haben, ift nicht anzunehmen: wir kennen die Beweggründe all’ dieſer Handlungen nicht: vieleicht Tam in Betracht, daß man dem kraftvollen Karl nicht das Knäblein Theuderich IV., fondern einen Erwachjenen entgegen ftellen wollte: Chilperick IL (715720), minveftens 42 Jahre (geboven vor 674) alt, war ber erjte Meroving feit 25 Jahren, ber nicht als Knabe over Kuabenjüngling ven Thron beitieg. Ob Karl Ehilperich II. (716—717) anerkannt Hatte, ift zweifelhaft, unwahrfcheinlich, obwohl es nicht undenkbar ift, daß er, etwa wie fein Vater Pippin 678, nur ben neuftro⸗burgundiſchen Hausmeter, nicht ven neuſtro⸗burgundiſchen König bekämpfte. Nachdem es ihm aber auch nach feinem Siege bei Vinch (717) nicht gelingt, Ehilperich in feine Gewalt zu bringen und er doch num einmal eines merovingifchen Könige bedarf, um auch zur in Anfter zu berrfchen, erkebt er einen Merovingen, Chlothachar IV. (717—719) zum König?) (zunächft wohl nur von Aufter), deſſen Ver- wandtſchaft mit Ehilperich II. oder Theuderich IV., ja überhaupt mit den übrigen Merovingen uns ebenfo unbelamnt ift wie fein Alter: ohne König zu herrſchen wie jpäter auf der Höhe feiner Macht

1) Uxgefd. II. ©. 760; D. ©. Ib. ©. 221.

2) Chlodovech I. 638—656. Chlothachar III. Childerich LI. Theuderich IL. 656- 670. 660—673. 673-691.

| | Gran Chitperich IL. Chlobowech III. Ehilbibert ILL. 715-720. 691—695. re 1. Dagpbert II. 711—715.

Theuberich IV. 720—7317.

Bgl. bierzn ben vollfländigen Stammbaum der Mersningen am Schluffe bes Bandes. 3) Urgefh. IH. ©. 771; D. G. Ib. ©. 223.

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darf Karl damals noch um fo weniger wagen, als er auch in Aufter erft noch feine Stiefmutter und feinen Stiefbruber zu überwinden bat.

Als aber Ehlothachar IV. ftirbt (719), verſtändigt ſich Karl nach feinem Siege bei Soiffons mit Eudo von Aquitanien bei dem Chilperih II. als Flüchtling (oder Gefangener) weilte und läßt fih ven Merovingen ausliefern, aber beileibe nicht, um ihm ein Leides anzuthun, nur, um ihn als König anzuerkennen und in feinem Namen Neufter-Burgund wie Aufter zu beherrjchen!) (719). Als verfelbe ſchon 720 ftarb, Holte fih Karl Theuberih IV. (720—737), ven Sobn Dagoberts III., der a. 715 war von den Neuftro-Burgunden zur Seite geichoben worden, und erfannte ihn als Alleinherricher der drei Reiche an?), um in feinem Namen die Herrfchaft fort zu führen: fein näheres Necht war gewiß nicht ver Beweggrund, ſonſt hätte er ſchon 719 vor» gezogen werben müſſen: damals aber wollte Karl venjenigen Mero⸗ pingen zum König, ber ohnehin jchon bisher in Neuftro-Burgund anerkannt gewefen war. Im biefen legten Zeiten, feit Childerichs II. Ermordung, ja ſchon feit Sigiberts III. Tod ward e8.mit dem näheren Erbrecht der einzelnen Merovingen nicht mehr genau genommen: es genügte ben Machthabern, nur im Namen eines Merovingen über- haupt den Franken gegenüber als thatjächlicher Herricher auftreten zu tönnen. Ja, als Theuderich IV. ftirbt (737), wagt Karl das Witer- ſpruchvolle, als Königsbeamter ohne König?) Bis am feinen Tod zu walten: den DBeweggrund Tennen wir nicht: wollte er ten Franken die Entbehrlichkeit einer folchen Königspuppe augenfcheinlich beweifen, um fo feinen Söhnen den Schritt auf ten Thron zu er- leichtern doch wohl allzukünſtlich! oder wußte er nicht, daß und wo ber legte Meroving Chilverich III. verborgen lebte oder war ihm biefer aus irgend einem Grunde nicht bequem? Gar zu zartes Alter Childerichs TIL ohnehin keine Behinderung, eher eine Empfehlung für jene Scheinkrone war gewiß nicht der Grund: benn Ehil- derich III. bat 751 bereits einen Sohn, war aljo 737 doch wenigftens 25 Jahre alt. Ebenfowenig wiljen wir, aus welchen Gründen Karls Söhne bald nach des Vaters Tod (743) dann doch wieber eben in jenem Chifterich, deſſen Verwanbtjchaftsverhältnig zu den früheren Merovingen ebenfo unbeftimmbar ift wie das Chlothachars IV., einen

1) Urgeſch. II. &. 776; D. G. Ib. ©. 224. 2) Urgei. III. ©. 777; >. G. Ib. ©. 225. @. Ib. ©. 235.

3) Urgefd. IIL ©. 807; D.

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Scheinkdnig aufftellten!): doch dürfen wir vermuthen, es geſchah, um ben zahlreichen Wiperjachern ver Brüder den allerdings ſchwerwiegenden Grund oder Vorwand ihres Widerſtandes aus den Händen zu winden, Meier des königlichen Hauſes ohne einen König feien ein ftatörecht- fiches Unding. Wenige Sabre darauf vollzog dann Pippin den Sprung auf ven Thron?), der zwar zweifellos ein Nechtsbruch, aber geſchicht⸗ lich, ftatsmännifch, fittlich fo berechtigt war wie kaum irgend eine andere Statsumwälzung, von der wir wiljen.

b) Das Yerhältnig der Theilreiche unter einander und zn dem Gefammtreic.

Das »Regnum Francorum« ift eine ftntsrechtliche Einheit?), unerachtet der Gliederung in vier, brei, zwei fich oft befämpfente Theilreiche: ift nicht ein Statenbund der Theilreiche, ift eine Einheit wie eine Exrbichaft, tie nur thatſächlich durch das Nebeneinander: vorhandenfein von vier ober drei oder zwei Erben in mehrere Theile Eines Ganzen gegliedert erjcheint. ‘Dem Ausland 3. B. Byzanz, der »res publica«, wie Oft-Rom immer noch heißt, den beibnifchen Slaven und Avaren im Often, den Langobarben und Weftgoten gegenüber wird das Gefammtreich als Einheit gebacht.

Die Theilveiche find eben nur Theile, partest), eines zuſammen⸗ gehörigen, nach Außen gefchloffenen, im Innern nur. geglieberten, nicht getrennten Ganzen.

Aber doch durchaus nicht blos die „Königliche Würde“ bildete ben Gegenftand ber Theilung, fo daß über das ganze Land alle brei ober vier Brüder ohne beftimmte Gebiete geherrfcht hätten5): das Gegentheil, ſcharf geſchiedne Gebietshoheit und beinahe ganz geſchiedne Ausübung ber Finanz, Amts, Kriegs⸗, Kirchen⸗Hoheit ift auf das Beſtimmteſte nachzuweifen®):. taher auch Allein eigenthum jedes Bruber an bem

1) Urgef. IT. ©. 843; ©. ©. Ib. ©. 249.

2) Urgefh. III. ©. 856; D. G. Ib. ©. 253.

3) Urgelb. II. ©. 71, IV, ©. 12; ©. ©. Ib. ©. 418. Stärker als bie Vorgänger (Waitz S. 159, v. Roth, Ben. S. 132) haben wir dieſe Einheit des ge⸗ ſammten Frankenreichs betont.

4) Das Theilreich heißt auch wohl sors: aber an Loſung iſt nie zu denken; sors iſt völlig == pars.

5) Sp Ruben III. &. 107; bagegen ſchon Cauer, de Carolo Martello p. 48; Waitz ©. 144.

6) Au Brunner II. S. 26 faßt fie nicht als Thellungen des Reichs, nur

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»fiscuse db. h. den SKrongütern feines Theilxeiches: das Wahre an jenem Gedanken ift nur, daß unerachtet der Gliederung in 3, 4 Theil- reiche das regnum Francorum nach Außen als Einheit gedacht wurde.

Wir faben, wie fharf der ‘Dienftabel jeden Verſuch Suntchramns, in ben Reichen feiner Neffen Childibert II. und Chlothachar II. auch nur ale Muntwalt und Negent Gerichtshoheit!) zu üben, zurüchweift: und zwar offenbar geftügt auf das formale Necht?).

Daher gilt die Sorge Guntchramms nicht nur feinem Theilveich, fie gilt dem ganzen „Volt und Reich ver Sranlen“®), ebenjo bie Klage Gregor um die Bürgerkriege, die „Volt und Reich der Franken“ aufreiben‘), daher betet Sanct Rabvegundis®), weil fie „alle Könige“ liebt, und fleht fie an, nicht Waffen mit Krieg wiber einander zu richten, jondern den Frieden zu feftigen, „auf daß nicht das Vaterland (patria) untergehe”: daher folten „Manche beten für meine Sünten und ber Könige und des ganzen Volles"®).

Daher erklären bie Kelten der Bretagne: „wir willen, daß jene Städte ben Söhnen Chlothachars gehören und wir biefen zur Unterthanenſchaft verpflichtet find“ ”).

Reifen aus einem Theilreich im das andere ſtanden jedoch "nicht ohne Weiteres frei, Gewährung folchen Verkehrs warb zu Anbelot ausbrüdlich vertragen), allerdings dann aber doch aus Mißtrauen verjagt?). ber Reihsverwaltung, fo baß eine Geſammtherrſchaft verblieb. Allein Dagegen jpricht, daß bie Gebietshoheit ohne Zweifel getheilt war und daß eim Unten than bes neuftrifchen Königs dem auftraſiſchen nicht fidelitas ſchuldete: es waren doch die Statsgewalt und ber Unterthanenverband felbft geteilt.

1) Zumellen warb eine Stabt unter mehrere Köırige zu gebachten Theilen getheikt, fo Marfeille, Greg. Tur. IV. 12, Urgeſch. DI. ©. 247, oder biteb in ge meinſamem ungetheilten: Beſtiz Mehrerer, fo Parts Greg. Tur. VII. 6. IX. 20, Urgeſch. III. ©. 296. 424; oben ©. 452.

2) Dies ſchon genügt zur Wibderlegung Thierrys, lettres sur l’histoire de France X., recits des temps Mörovingiens L p. 325, daß nur We Einkünfte und Bermögensrechte, nicht bie Statsgewalt fer getheilt worden.

3) S. Greg. Tur. VII 8, Urgeſch. HI. ©..299.

4) V. prol. Wenn die Kelten ber Bretagne zumädft auch wur Chlothachars LE. Reich Ichäbigen, fo fchäbigen fie dadurch „un fere Könige" EX. 24, Ungeſch. III.S.437.

5) Vita II. 11.

6) Pardessus diplom. II. p. 160.

7) Greg. Tur. IX. 18, Urgeſch. III. ©. 421.

8) IX. 20, Urgeſch. III. ©. 424.

9) 32, a. a. O. ©. 445.

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Vielmehr war ver Mebertritt aus einem Theilreich in den Unter- tbanenverbanb eines andern, ja bie Reife mit folcher Abficht und auch ſchon das bloße Verlaffen des Theilreichs ohne Verftattung des Königs verboten und konnte unter Umftänden als infidelitas beftraft werben).

Unter den erften Merovingen ergeht ein Beſchluß ver Kirchen⸗ verſammlung zu Orldans?), wonach für das Fernbleiben von einer Kirchen- verfammlung bie Zugehörigkeit zu einem andern Theilreich nicht ent- ſchuldigen fol. Die Stellung der Könige zu biefem Beſchluß ift aber zweifelhaft.

Später werben Rirchenverfammlungen je für ein Theilreich ge- balten?).

Und auf das Schärffte verbietet der fo fromme König Sigibert III. (d. 5. wohl Grimoald) einem Biſchof feine® Reichs, in dieſem Kirchen- verfammlungen anzuberaumen over folche in einen andern zu befuchen ohne des Königs Verftattung.

Verfammlungen von weltlichen Großen verſchiedener Theilreiche ohne Befragung des Königs kommen zwar vor, ftehen aber in oft begründetem Argwohn, infidelitas zu betreiben und zu ent- halten.

Ob bie Kirchenverfammlung, die Guntchramn‘) über Fredigundis zu richten zufammenruft, von Bifchdfen auch anderer Theilreiche bejucht werben follte, fteht doch dahin.

Grundftüde können Kirchen, dann GBeiftlihe wie Laien eine® Theilreichs in einem andern eignen und haben dann in legterem bie Grundſteuer und fonftigen Boben-Laften zu entrichten und zu tragen®).

Der Untertban bes auftrafifchen Reiches konnte 3. B. Eigenthum int burgunbifchen Reich Haben mit dem Anſpruch auf benfelben Rechtsſchutz wie der Unterthan des burgundifchen‘). Wird im Vertrag zu Anbelot

1) S.Urgefch. III. S.499f.; Waitz S. 166; Lobell S. 181; über das Beſnuchen von Kirchenverfammlungen In einem Theilreiche durch Biſchöfe eines andern f. oben &. 320.

2) von 538. Ce. III. Aurel. can 1. Maassen p. 199.

3) Longnon p. 103; Löning S. 134; Waitz ©. 157.

4) Greg. Tur. VIII. 32, Urgeſch. III. ©. 364.

5) Brief der Biſchöfe an Theubibert L Bouquet IV. p. 59: dum unius regis quisque potestati ac dominio subjacet, in alterius sorte positsm . . non amitteret facultatem ut securus quieumque proprietatem suam possidens debita tributa dissolvat domino, in eujus sortem possessio sua pervemit.

6) Ganz irrig beftreitet Dies P. v. Roth, Ben. ©. 315.

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bies beſonders zugefichert, bekräftigt das nur ohnehin beftehenbe, blos durch Mißbrauch verlegte Verpflichtung, und bie Hauptſache bilvet dabei bie Wiederherausgabe des mißbräuchlich Eingezogenen ').

Bei den oft unter Streit und Gewalt burchgeführten Reichs⸗ theilungen hatten Kirchen und weltliche Große, deren Voll» und Leih⸗ befig jo Häufig über mehrere Theilveiche verftrent war, zu beforgen, daß ihnen ver König bes Einen Theilreichs Eigentbum ober doch Fruchtgenuß der in einem anderen gelegenen Güter nicht verftattete ober daß den Unterthanen 3. B. des burgumbifchen Königs der neuftrifche Eigentbum ober Fruchtgenuß ihrer in Neuftrien gelegen Güter entzog oder daß ber neuftriiche König feinen Unterthanen verbot, dem burgun- biichen von ihren in Burgund gelegen bie Grundftener zu zahlen: gegen folche Gefahren aus ven Reichstheilungen wenbet ſich das Concil von Clermont von a. 535 an König XTheubibert 1.2.

Allerdings war alfo der Unterthan eines Theilreich& in dem andern Theilreich nicht ein Fremder (alfo niht ohne befonters gewährten Königsſchutz rechtlos): es lebte der Alamanne des auftraftichen Reiches, Tam er nach Paris oder Lyon, nach feinem alamannifchen Recht: jedoch Unterthan war er nur dem alamannijchen Herzog und bem auftrafiichen König.

Wenn aber Ehilvibert II. über wichtige Dinge ohne Guntchramns Befragung nicht entjcheiven zu wollen erklärt, fo beruht dies burchaus nicht blos „auf dem verwandtichaftlichen Band“ und „einem befonvers nahen Verhältniß”?), fondern auf bejonderem Statönertrag: »pro- missum habemuse®), wie er an ſich auch mit einem Ungefippen hätte gejchloffen werden mögen.

Die Praris diefer Theilreiche zeigte freilich faft nie die Zufammen- gehörigleit aller, beinahe immer ven Gegenfag, ſelbſtverſtändlich auch dann, wenn fich zwei gegen das britte verbinten: 3. B. wie fo oft Guntchramn mit Sigibert gegen Chilperich oder umgelehrt, Theuderich II. und Theudibert II. gegen Chlothachar u. f. w.

Daß alle drei Theilreiche folang e8 drei waren gemein- ſam einen auswärtigen Feind befämpft hätten, kam gar niemals)

1) Greg. Tur. IX. 20, Urgeſch. IH. ©. 424.

2) Maassen p. 71,

3) Waitz S. 157.

4) Greg. Tur. IX. 8, Urgeſch. II. ©. 408.

5) Denn es ift nicht richtig, daß, wie Waitz S. 158 fagt, alle drei noch febenten Söhne Chlodovechs c. 532 Greg. Tur. III. 31, Urgeſch. III. ©. 93)

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vor. Höchitens je zwei 3. B. Theuderich und Chlothachar gegen bie Zhüringe!), gegen bie Weftgoten?), Ehilbibert und Chlodomer gegen bie Burgunden?). Meiſt kämpft jenes Theilveich allein ([. unten). Wenn Childibert I., Chlothachar I. und Theudibert I. gemeinfchaftlih von Theodahad das Wergeld für die ermorbete Amalaſvintha heifchen und empfangen, jo beruht das auf dem germanifchen Sipperedht ®).

Ebenfo bedroht das Auftreten Gundovalds, ber als Meroving nicht anerkannt wird, das Recht aller Meroningen, zumal eben auch das bevingte Erbrecht jedes Theillönigs auf jedes Xheilreich®).

Der Meroving darf meiſt Überfroh fein, bett nicht Bruder oder Oheim ober Neffe. ihm ben äußeren Feind auf ven Hals.

Schon bie Lage ber Theilreiche brachte es mit fich, daß z. B. gegen Feinde auf dem rechten Rheinufer (3. B. Thüringe, Sachjen, Avaren, Wenden) nur Auftrafien, gegen Goten Guntchramn, gegen Langobarben Childibert, gegen Kelten Ehilperich zu fechten hatte.

Gemeinfame Unternehmungen gegen äußere Feinde beweifen eine Einheit des Neiches freilich nicht‘), denn fie ſetzen ftet6 befonvere DBünbnißverträge wie zwifchen völlig getrennten Staten voraus und wie getrennte Staten befriegen fich bie Theilreiche: boch wirb bies „Bürgerfrieg* genannt”).

Die NRechtsftellung aller Theillönige ift bie gleiche.

Feder Theiltönig hieß rex Francorum, nicht etwa rex Neustriae, Burgundiae, Aquitaniae: er batirt anno (primo) regni nostri®).

»Francia« bat wohl vielfach auch in Tarolingifcher Zeit andere Bedentung als in merovingifcher?): man ftellt jegt »Francia« »Ala- mannia« gegenüber.

Daneben werben freilich auch Neufter, Burgund, Auſtria, ſpäter unter Eharibert II. auch Aquitania als Ein regnum bezeichnet und

die Weftgoten bekämpft haben: vielmehr nur Theuberih und Chlothachar, und

nicht richtig, daß alle die Bnrgunden befämpft haben: Thenberich nicht.

1) Urgef. III. ©. 73. 2) Urgefh. III. &. 93. 3) L c. p. 74f.

4) Greg. Tur. III. 31, Urgeſch. I. ©. 90.

5) Greg. Tur. IV. 24. VO. 27, Urgeſch. III. S. 127. 319f.

6) Wie Brunner II. ©. 26.

7) Greg. Tur. V. prolog., Urgeſch. III. ©. 164. 8) Treffend bemerkt Havet, questions M£rov. III. p. 6: erwarb ein Theil⸗ könig das Theilreich eines andern, zählte er doch auch in dieſem nicht nach dem Jahr des Erwerbs, fondern der Thronbefleigung in bem urſprünglichen Theilreich.

9) v. St. Galli Ser. II. p. 19; oben VII. 1. ©. 69f.; Waitz ©. 138; oben S. VII. 1.

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erſcheint auch die Zufammenfaffung von Zweien dieſer Reihe als Ein regnum, ſo daß ein Meroving, der Neuſtrien und Burgund beherrſcht, ſowohl von feinem regnum (= beiden) als von feinen regna ſprechen fom!).

Selbftverftändlich bezeichnen die Zahlen ver Sabre, in benen bie Namen Francia, Neustria, Austrasia, Alisat?) zuerſt begegnen, nicht die Entftehungszeit, fondern bie frühefte uns zufällig überlommene Bezeugung der ohne Frage ſchon erheblich früher entftandenen Bezeich⸗ nungen biefer Länder und ihrer Bewohner.

Nur durch Vertrag ber Theillönige Tonnten für mehrere Theil- reiche gemeinjam verbindliche Satungen ergeben: namentlich auch, wenn Deamte des Einen Reiches and im dem andern thätig werben follen: fo bei ver Verfolgung der Diebe aus ber centena eines Reiches in bie Gränzen eines andern. hinein?. Gemeinſame Beratungen ber weltlichen und ver geiftlidden Großen mehrerer Theilreiche Tommen zuweilen vor: aber Neichsconcifien für das ganze Reich erſt (wieder) nad 6509.

Erweitert ein König fein Theilreich, fo erftredt er wohl bie Rechtsordnung, wie fie in feinen alten Landen galt, auf die neu er- worbenen 3).

8. Titel, Tracht und Abzeichen des Königs.

a) Titel.

Die Titel des Königs®) find urſprünglich amtlih und urkundlich nur rex Francorum: jeber Theilfönig Heißt jo: Urkunden mit rex Austrasiorum find falih?).

1) &. die Beläge Urgefh. III. ©. 631.

2) VII. 1. &, 74.

3) Paot. Child. ed. Chloth. c. 16.

4) Und vergl. Sigiberts III. Berbot.

5) Ed. Chilp. e. 1 quia fluvium Caronne (= Garonne) hereditas non transiebat, ubi et ubi in regione nostra hereditas detur siout et reliqua loca ut et Turrovaninsis hereditatem dame debuit et aceipere; body eher Törouenne (fo Per vgl. Urgeſch. III. &. 195) als Tours (fo Boretins).

6) Bergl. Waitz S. 137; D. G. Ib.; Brequigny, chartes et diplomes, pré- face ed. Pardessus I. p. 190. Ueber Titel, Ehrenzeichen und Regierungsantritt ber merovingiſchen Könige Brunner II. ©. 141.

7) 3. B. Dipl. p. 168; f. Waitz ©. 137.

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Erſt ſpät, nachdem fich der Gegenſatz von Aufter und Neufter- Burgund verfhärft!), nennen die Schriftfteller aber nicht bie Urkunden Dagobert I, Sigibert III. rex Austrasiorum ?).

Bon hervorragenden römiſchen Beamten herübergenommen warb die Bezeichnung des Frankenkönigs als vir inluster, nicht inluster vir: febteres verblieb andern vornehmen Franken, jenes aber wie man bisher annahm dem König fo ausfchließend, daß nicht einmal Karl Martell und Pipin, nachdem fie fich längft »dux et princeps Francorum« nannten, erjtere Bezeichnung ammahmen®). Für jich allein, obne vir, mag inluster ftehen, auch 3. B. bei einem missust).

Den Zuſatz vir inluster führten die Arnulfingen, bis Karl (776) ihn fort ließ. Die Formel »v. inl.« in merovingiſchen Urkunden wird aber jest von Vielen, wie es fcheinen will, mit Recht nicht mehr als »vir inluster« erflärt, fonvern als Anrede an die Beamten: »viris inlustribus« 5). Weber den Chlodovech von Byzanz verliehenen Ehren- titel »consul« ober »proconsul«®) f. oben; jedesfalls erlofch ver ohnehin bebeutungslofe Name mit Chlodovech, ging nicht auf feine Nachfolger über. Es ift höchſt wahrfeheinfich ein Irrtum Gregors7), daß Chlodovech wie >consul« fo »Augustus« betitelt worden fei; keinesfalls beweifen diess) die Siegesmünzen mit Viotoria Augusta, bie jedesfalls ven römifchen nachgeprägt find). Nirgends begegnet bis auf Karl ven Großen vie leifefte Andentung, daß irgendwer das fräntifche Königthum dem römiſchen Kaiſerthum gleichgeftellt over nur verglichen habe: und wenn eine einzige Quelfenftelle des VIII. Jahr⸗

1) S. 2.6. Ib. ©. 191.

2) Segen die Formel (Dagobert I.): »cuneto populo Galliarum finibus constituto Dipl. p. 15 aus vita St. Desiderii Onadurc. + 654 ed. Labbe, Bi- bliotheca nova I. p. 69 und Anhang ſ. Waitz ©. 137.

3) ©. Urgefch. III. ©. 719f.; D. ©. Ib. ©. 541; Br&quigny, bei Parbeffus I. S. 193; v. Sidel, Acta Carol. I. p. 175; Rex inluster einmal, in ber exhor- tatio ed. Mai, Nova collectio I. ed. 2. P. IV. p. VOL.

4) Form. Marc. I. 40.

5) &0 nach Havet, questions M£rov. I. Zenmer, Bötting. gel: Anz. 1887 ©. 363 und Brunner ID. ©. 14. Dagegen Pirenne, compte-rendu de la commission royale d’histeire XII. N. 2. Serie 4. 1966 und Breßlan, Neues Archiv XIL ©. 355.

6) Lex. Sal. Prol. Greg. Tur. U. 38; D. ©. Ib. & 104.

7) II. 38.

6) Wie Tardif I. p. 88 meint.

9) Soetbeer, Forſch. I. S. 606.

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hunderts einmal fagt »Childibertus augustus«, fo ift letteres fchwerlich als SKaifertitel gemeint.

Eben deßhalb heißen die Merovingen auch nicht »majestas« (die einzige Stelle ftebt im Leben Sanct Goars, dieſes aber gehört dem IX. Jahrhundert und Tarolingifcher Rebeweife an)!) und nicht »divus«?), Byzantiniſirend nennen kirchliche Quellen, mas mit der Berfon bes Herrichers zufammenhängt: sacrum, 3. B. sacrum palatium?).

Es ift daher doch nicht zweifellos, b war möglich, daß die Titel princeps®), principatus, principalitas, principalis aus dem Römiſchen geradezu entlehnt ſind: denn darin läge eine Gleichſtellung mit dem Kaiſer, bie ſonſt den Merovingen fremd und thatſächlich durchaus unbegründet ift>).

Wie anders als mit »princeps« follte das germanifche „Fürft“, alte bochbeutfch furisto, altfrif. forsta®), das gewiß auch dem Altfränkifchen nicht gebrach, überfegt werben? Schon. die Verbindang: princeps et rez?) und princeps dominus®) römifch ganz unmöglich, fpricht gegen römischen Urfprung. Den König als Stellvertreter bes Kaifers®) follte aber das Wort gewiß nicht bezeichnen: erſtens war bas ber Frankenkönig nicht, und zweitens hieß römiſch nicht der Stellvertreter bes Kaiſers princeps, fondern ver Kaifer felbft.

Zweifellos Tateinifche Ueberſetzung eines germanischen Wortes Doch wohl „Herr“ ift ber üblichſte, häufigfte Zitel bes Königs: »domsnus«: amtlich mit ben (römifchen) Zufägen piissimus ac prae- cellentissimus dominus (Chlothacharius etc.) rex!P), e8 ift das:

1) ®ergl. Bouquet III. p. 541; Pottbast p. 722, ber den Urheber nicht »subaequalis«e ben Heiligen des VI. Jahrhunderts neunen follte, daun die Schriften bei WattenbachKruſch I. ©. 427; regia majestas bei Flodoard II. 2.

2) Nur sub diva memoria Hilderici regis v. St. Praejecti, Bouquet III. p. er

3) Aber erft bie ganz fpäte v. St. Tygriae 1. c.p. 75.

r Sn königlichen Exlaffen Ediet. Chloth. DI. c. 1 und 3. 8. in ben Concils⸗ acten Conc. Paris. IIIa. Maassen VIII. c. 8.

5) Lex Rib. 73. 79; Chloth. praeceptio c. 5. 12; Form. Marc. [. 2.4.7; Diplom. N. 13. 15. 19. 27.

6) ©. die ſchöne Ausführung im „Deutfchen Wörterbuch“ IV. 2. a. Sp. 841.

7) Diplom. N. 27.

8) Wie Digot II. p. 180.

9) N. 41.

10) Form. Mare. I. 334; Ce. I. Arvern. tributa dissolvat domino . . do- minus Tex.

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„Herr König“. Obwohl nun auch Andere, zumal Biſchöfe, ober auch weltliche Große, mit dominus angerebet werben, ift doch dominus fo bezeichnend für den König, daß ganz allgemein »dominicus« für sregius« fteht: 3. B. silva, ordinacio dominica regia!). Auch) bie Königin z. B. Brumichilvis heißt domina?). Doch darf auf das Wort „Herr“ nicht?) die Auffaffung des Königthums als rein privat- rechtlicher hausherrlicher Gewalt begründet werben. Zwei verbündete Könige heißen domini: „ein Flüchtling biſt du vor ben Herren (Königen)“ fährt Graf Leudaſt ein arm blind Schneiberlein an, „nicht ſollft vu dich überall herum treiben!"* Sofort läßt er ihn binden und einfperren.

Andere Bezeichnungen in ber lateinifchen. Schriftfprache, daher aus römifchem Canzleiftil meift für hohe Beamte herübergenommen, gewiß nicht zuerft von Franken und in münblicher Anrede ge- braucht, erft fpäter wohl auch von den Königen in ihre eignen Ur- funden aufgenommen®), find excellentia vestra, virtus vestra.. So fchreibt der Dftgote Theoderich ®) excellentia tua”) an Chlodovech, serenitas tua Kaiſer Anaftafius an Theuderich ®), ähnlich nostra?). Sie felbft nennen fich celsitudo nostra1), c. regalis clementiae 11), cle- mentia regni nostri!2), gloria regni nostri'3). König und Königin heißen (nicht im Xitel) praecelsus, praecelsa. So fchon im Prolog zur Lex Salica!!), Auch der Sohn des Königs heißt gloriosus und praecelsus!). ine Königstochter, auch unvermählt ober feinem

1) Ebenfo publicus = regius: D. spur. N. 9: nec nos (b. h. der König) nec publici (b. h. regii) judices. 2) Vertrag von Anbelot Greg. Tur. IX. 20, Urgeſch. DIL. ©. 424. - 3) Wie Gierke I. ©. 110 thut. 4) Greg. Tur. St. Mir. Mart. II. 58 refuga es dominorum! nee tibi licebit per diversa vagari. 5) So richtig Waitz I. S. 1887. 6) Cassiod. Var. II. 41. III. 4; Könige IL ©. 147. 7) Exhortatio ed. Mai p. IV. 8) Bouquet IV. p. 50. 9) Form. Mare. I. 19; Dipl. N. 23; regia N. 24. 10) Form. Marc. I. 16. 11) Dipl. 31. 12) Form. Mare. 1. 4. 16. 17. 21. .13) Dipl. N. 42. 14) Ueber praecelsos (nicht proconsules) regis hier |. Mommſen Neues Archiv XV. ©. 185. 15) Form. Marc. I. 40 glorioso praecelso filio nostro. Dapn, Könige der Bermanen. VII. 3. 31

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König vermählt, heißt regina. So Theudichild, Tochter Theuderichs J. und der Suavegotho !), ebenfo Rigunthis, nur Braut Rekareds J., Tochter Chilperihs und Fredigundens?). Einmal heißen die Könige „die Königlichen Männer“: »nullus virorum regalium« 3).

Die Pähfte fo Gregor der Große reden in ihren Briefen bie Könige an: excellentia, excellentissimus, praecellentissimus, excellentissimus filius noster#), ebenfo bie byzantiniſchen patricii5), gloriosissimus filius (ChildibertusI.) rex Francorum®), wie übrigene auch ven patricius Belisarius”). Kaifer Yuftinian wird „ver Vater“ des Königs Chilpibert I. genannt von Pabſt Belagius?).

Die Bezeichnung des Königs als senior ift der meroningifchen Zeit noch fremt. Die dafür 10) angeführten Stellen von Gregor nennen Chilbi- bert I. »senior« nur im Sinne von „der Xeltere“ im Unterfchieb von Chilvibert IL.!!) und eine Formel bet Markulfi2), vie allerbings ben König meint!?), nennt ihn den „gemeinfchaftlichen senior“, d. h. Gebieter einer mehreren Königen gehörigen Stat wie Paris und Marſeille 14).

Um feiner Herrfchaft über tie Römer willen nimmt ver Franken⸗ Lönig feinen Zufag zu feinem Titel an: ganz vereinzelt und fonber Beifpiel fteht einmal in einem Hetligenleben (c. 590)15) »rex Francorum et populi Romani princeps«.

Auch nach Unterwerfung der Burgunden und der rechtsrheinifchen Stämme findet eine Erweiterung bes Titels rex Francorum nicht

1) Greg. Tur. gl. conf. c. 40.

2) Greg. Tur. VI. 45, Urgefch. III. S. 285.

3) v. St. Austrigiseli e. 3.

4) Registr. V. 60. p. 373.

5) Wie Hartmann a. a. O. bemerkt.

6) Epist. Gundlach p. 59. 61.

7) gl. et excellentissimus p. 62.

8) gloriosus 1. c. domino filio gloriosissimo atque praecellentissimo Childiberto regi Pelagius episcopus 1. c. p. 71. 72. 77.

9 Ebenda filio merito gloriosissimo atque praec. p. 75. Excellentia vestra p. 78.

10) Bon Gierle I. ©. 110.

11) Greg. Tur. VOL. 15, Urgefd. II. ©. 306.

12) 1. 7.

13) So richtig v. Roth, Ben. S. 371, zweifelnd Waitz ©. 188.

14) Urgeſch. II. ©. 130. 247; richtig Zeumer zu ber Stelle.

15) Miracula St. Martini Vertaviensis abbatis + 601 ed. Mabillon I. p. 376. Acta 8. ed. Bolland. 24. Oct. X. p. 811.

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ftatt: erft Pippin fügte ben »patricius Romanus« und Karl 774 ben Zufag »et Langobardorum« bei: fo ſchwerwiegend galt bie Erwerbung dieſes italifchen Reiches! War es doch bie unerläßliche Borftufe des allervings erft etwa 795 ins Auge gefaßten Kaiſer⸗ thums.

Vom König als dem Träger höchſter Ehre ſtrahlen alle Ehren im Stat aus!).

b) Tracht und Abzeichen.

Gregor erzählt 2): „Schon lange vor Chlodovech erhoben bie Franken aus ihrem ebelften Gefchlecht (lang) beharte Könige zu ihren Herrichern“. Und fort und fort bleibt bezeichnend für die Merovingen das lang wallende Har?), an welchem man fofort todte wie lebendige Glieder bes Königshaufes erkennt‘). Die Schwierigleit, die darin liegt, daß boch auch bei ben Franken nur bie Unfreien gejchoren gingen), löſt fih folgendermaßen: Unfreien warb das Har am ganzen Kopf kurz gefehoren, freie Branlen trugen das Bar vorn und an den Geiten wenig oder gar nicht gejchnitten, dagegen an dem Binterlopf völlig abgefchnitten, während bie Merovingen ganz unverfchoren gingen und gerade an dem Hinterkopf das Har in langen Wogen bis auf Schultern und Rüden fluthen ließen. Daher mag Claudian die Sugambrer im Gegenfag zu andern Germanen „vie gefchornen“ nennen®). Daß aber die Sugambrer Franken nicht am ganzen Kopfe kurz gefchoren gingen, wie bie Unfreien, verfteht fih einmal eben im Gegenjat zu biefen von felbft und wird außerdem in willfommenjter Weife

1) Treffend Ven. Fort. IX. 1. p. 205 summus honor regis, per quem donantur honores (b. h. die Ehren-Aemter).

2) II. 10, Urgeid. II. ©. 42; D. ©. Ib. ©. 536.

3) Bergl. die Beläge D. ©. Ib. ©. 536 und bei Waitz ©. 163—165 von Claudian bis Eiuhard.

4) Greg. Tur. VIII. 10, Urgeſch. III. ©. 353 a caesariae prolixa cognovi Chlodovium esse, f. unten &. 486; dann vergl. Liber Hist. Francor. c. 41, wo der Sachſenherzog, ſowie Ehlothachar II. den Helm abnimmt, ven König an dem Langhaar erfennt (crines .. .. obvolutos ... cum ... discopertus a galea apparuisset caput regis, cognovit Bertoaldus esse regem. Daß bies Sage, ſteht nicht im Wege. Hieraus gesta Dagoberti ed. Krusch c. 14. p. 405.

5) Vgl. Urgeſch. IH. a. a. O.; D. ©. Ib. ©. 536.

6) In Eutropium ed. Jeep I. v. 383 militet ut nostris detonsa Sioam- bria signis.

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beftätigt durch Apollinaris Sidonins, welcher deren mehr als ihm irgend lieb war fehen mußte. Er fagt uns „am Hinterkopf ge- fchoren der greife Sicambrer“, während das Königshar gerate bier frei finthete?).

Das find fie, die „langgelodten Könige“, vie fchon bie alte Konigsſage der Salier?) nennt. Echte Sage und deßhalb voll. beweifend ift auch bie Meberlieferung von Faramunt, dem erften der Ianggelodten Könige der Franken®). Gerade den Hinterlopf vom Scheitel herab trugen die Meropingen lang behart: daher der Scheitel, vertex wieberholt »criniger« genannt wird‘) ober der Nadend). So heißt e8 bei Priscus (c. 433—474)6) von einem fränkiſchen Königsfohn: „blond fiel ihm fluthend das Har auf die Schultern“. Und Agathias (536—581)7) fagt: „Für bie Könige der Franten ift es Rechtsvorſchrift (Heuezov), niemals fich fcheeren zu laffen, vielmehr find fie vom Knaben am unverfchoren immerbar und gar ſchön hängen ihnen alle Loden auf bie Schultern herab, indem auch bie worveren aus ber Stirn hinweg, nach beiden Seiten geipalten, getragen werben: aber nicht wie bei Türken und Aoaren ungekämmt und ftruppig und ſchmutzig und unfchön ineinandvergeftedt und burch- einander gewirrt, ſondern mandhfaltige Reinigungsmittel gießen fie barauf und auf das Sorgfältigfte kämmen fie fie durch. Und dies tft ben Franken durch Geſetz vorgeichrieben, als ein Kennmal und aus» erlefenes Ehrenzeichen, dies dem Königegefchlecht allein zu belaflen: denn bie Unterthanen fcheeren fih rundum und das Bar gar lang wachſen zu laffen, tft ihmen micht verftattet”. Deßhalb“ fagt er „erlannten bie Burgunden fofort, daß fie den Führer der Feinde getöbtet hatten, als Chlodomer am Boden lag und fie fein Bar herab-

1) Epist. VIII. 9 ed. Lütjohann 1887 hic tonso ooeipiti senex Bicamber.

2) Bet Gregor. II. 10 reges crinitos super se creavisse.

3) In dem Leben des hl. Karo, Biichofs von Meaur + 672, aufgezeichnet freilich erft Ende des IX. Jahrhunderts, falls nämlich Biſchof Hildigar von Meaur (+ 875) wirklich ber Berfafler A. S. ed. Bolland. 28. Oct. XII. p. 610.

4) So c. 400 Claudian. de laud. Stilichonis v. 203 erinigero flaventes vertice reges.

5) Anberthalb Jahrhunderte fpäter das Leben des heiligen Eufictus, Abtes von Selles-fur-Cher, geft. 542 ed. Du Chesne Hist. Francorum Script. I. p. 533 crinigeram cervicem.

6) ed. Niebuhr, 1829, e. VIH. p. 152.

7) ed. Niebuhr, 1828, I. 3.

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wallend, Iangfluthend und bis anf den Rüden zwifchen ven Schultern herabwogend erjchauten 1). |

Daher erklärt es ſich, daß fränkiſch⸗lateiniſche Gloſſen Meroving“ geradezu mit »crinitus« übertragen, griechiſche mit »edrzAödxauoge, Ihönlodig, ohne daß doch babei irgenpwie?) an eine Meberfegung zu denken wäre, ſodaß etwa ein beutfches Nennwort meru, merov, meru Har in Meroving jtedte.

Und nachdem, wie wir fahen, gerade das Wogen bes Hares über ven Schultern zwilchen den Schultern (u&xoı voÜ uera- YoEvov) auf dem Rüden das Linterjcheidende war, begreift es ſich auch, wie die echte Sage entftehen mochte, bie ber Haß ber Byzantiner aus dem Gegebenen geftaltete, „baß bie Merovingen bie Borftigen (xguoraraı (cristati) und reıxogayaraı) hießen, weil allen Königen aus dieſem Geſchlecht Borften wie ven Schweinen mitten auf dem Rüden wüchjen?).

Dies hat zu gehäfflger Sagenbiltung, wie fie damals im Schwange ging unter fich befeindenden Völkern, wohl mehr Anlaß gegeben als‘) Mißverſtändniß, weil »häriht«e nicht nur »crinituse, auch »setosus«, borſtig bebeutet.

Dem entiprechend wird num bie® Langhar in ver That wie eine unentbehrliche Zierbe nicht nur, auch als VBorausfegung der Bekleidung ber Zöniglichen Würde behandelt. Als Chlodovech Ehararich und veffen Söhne des Königthums unfähig machen will, läßt er fie ſcheeren; als

1) ]. e. dnsıdn mv xounv (XKiwmSoungorv) ol Bovpyovrdiares zadaukrnr xai ügperov Edsacavıo xas uiyos Toü Merappsvov xexalacukyny, adıixa Eyywca» ıov nysuöva raw noAsuluw Aroxtavörrss. Hemırov yag rois Baoı- Asdcı ray Doayyav obrrwnors xeigscdas, KAA Axsıpsxouas TE elaıv ix naldur si, zai napnaenvıaı adbrois änarıss ed uala Eni ur auer ol mAoxauoı' Insi xal ot lungocdıos ix rov ustwmov ayılousvos, dp’ Exarepa pegorzaı' ob un» Gonso ol rar Tovoxwr re za) ABaper Antansoi za abyungoi zei dvnürzss, xal Evrkpası ingenüs avansraisyusvor, alla Öuuuara yag Enı- BaAlovaıw adrois noxlia, zai Es To dxoıßis diafaivoucı. Toüro dd Wonse Ti yrogıaua zei yboas dialgsrov 9 Baoslelp yErsı avsicdaı veroneras' Enei 10 ys Unnxoov nispltgoxa xelpovraı, xal xougv avrols nepgesow ob male Igyeitas.

2) Mit I. Grimm, RW. ©. 239.

3) Theophanes (+ 818) chronographia (a. 285—813) ed. Classen. I. II. 1839—1841. Dana (ber fogenannte) „Konrab von Urfperg” ed. Weiland Men. Germ. hist. Ser. XXIII. p. 386 seq.

4) Wie I. Grimm RU. ©. 239 meint.

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ber Sohn meint, die Hare werden wieder wachſen und bamit bie Hoff- nung auf Wiedererlangung des Königthums, beeilt fich Chlobovech gar ſehr, beide törten zu laffen!). Chlodomers Brüder beratben, ob fie deſſen Waifen töbten ober „fcheeren“, d. b. bes Königthums unfähig machen follen 2).

Vor vie Wahl geftellt, wählt deren Großmutter „statt ber Scheere das Meſſer“, d. h. ven Zop?).

Als Chlothachar I. den Knaben Gundovald nicht anerkennen will als feinen Sohn, ſpricht er: „biefen habe ich nicht gezeugt“ und läßt ihm das Langhar abjchneiden, „das er nach ber Sitte biefer Könige frei auf den Rüden hatte herabwallen laſſen“). Aber ver ließ es wieter wachlen unter dem Schutze Chariberts I. Nach deſſen Tod ließ ihn Sigibert I. vor ſich bringen, abermals fcheeren und zu Köln ein- bannen. Jedoch entfprungen, „läßt Gundovald das Har wieder wachfen” und beanfprucht fo ten Thron).

Die Leiche des Durch Frebigundis gemorbeten Königsfohnes Chlodo⸗ vech erkennt Guntchramm nach geraumer Zeit noch fofort an dem lang⸗ wallenvden Har®).

Als Theuderich III. entthront wird, fcheeren fie ihm das Bar ab, dann, als er wieder erhoben werben foll, wird er fo lange im Klofter verborgen, bis ihm das Har wieder gewachlen?).

ALS die Neuftrier ven Sohn Childerichs II., ber unter bem Namen Daniel Geiftlicher und alfo gefchoren worben war, unter dem Namen Chilperich II. zum König erheben, läßt er das Bar wieber wachjenS).

Und auch von den allerlegten Merovingen berichtet Einhard, wie fie „in bem lang wallenden Har mit herabhängendem Bart und bem Namen bes Königs auf dem Throne figen“9).

1) Greg. Tur. II. 41, Urgef. II. ©. 67.

2) Wohl zu Mönchen, nicht aber, wie I. Grimm RA. ©. 240 meint, „zu Unfreien machen“. In diefem Sinne fagt ſchon Apoll. Sid. II. 1: die Hare lafien oder bie Heimath; f. Könige V. ©. 94.

3) III. 18, Urgeſch. IH. ©. 75.

4) Greg. Tur. VI. 24, Urgeſch. III. S. 260; ©. ©. Ib. S. 44; 3. Grimm, D. M. 1 ©. 364.

5) VI. 24, Urgeſch. III. S. 260. 6) Greg. Tur. VIII. 10, oben ©. 353.

7) v. St. Leodigarii c. 3, Urgef&. III. S. 682.

8) Cesarie capitis crescente. Lib. hist. Fr. c. 52. p. 326, Urgefch. III. ©. 760. Hienach Chron. Moissiac. zu 715.

9) ed. Jaffe v. Caroli M. c. 1 ut regio tantum nomine contentus crine profuso barba sumissa solio resideret.

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Es ift ein Irrthum!), daß bei ven Weftgoten Aehnliches beftanden habe. Die capillati (rounzas) ber Goten find ganz einfach die Gemein- freien, die, wie bei Germanen regelmäßig im Unterſchied von den Un- freien, ungefchorenen Hauptes gingen: bie pileati, denen biefe capillati nachftehen follen, find überhaupt nicht gotiſch, ſondern getiſch uns germanifh 2) —. Wenn von dem Weftgotenlönig Theoderich II. (a. 453 —466) Sidonius Apollinaris?) fagt, „von ber Stirne Träufelt ſich zurüdfliehend nach dem Scheitel das Har und die Ohrläppchen beveden Strähne ver darüber liegenden Hare“, fo fügt er bei: „wie es biefes Bolles Sitte“: alfo ift e8 nicht Auszeichnung des Königs. Und wenn das fechitet) Reichsconcil von Toledo verbietet, daß nach dem Tote des Königs das Reich an fich nehme, der im Gewand eines religiosus tonſurirt oder zur Ehrenftrafe „decalvirt” fei®), jo hat bies mit befonderer Königstracht gar nichts zu thun, ſondern fchließt aus 1) den (auch etwa witer Willen) zum religiosus ®emachten, 2) den mit der befonveren weftgotiichen Chrenftrafe ter decalvatio Entebrten®).

Schon oben ward?) bemerkt: wie feltfam doch, daß das fränfifche Königthum, das eine Nachbildung und Ableitung vömifcher Gewalten fein fol, auch nicht Eine Spur der römifchen vinsignia et attributa«, jondern bie uralten und gemein-germanifchen Abzeichen und Wahrzeichen germanifchen Königthums hat: weber Purpurs) noch Krone noch Scepter. Sondern vor Allem ragt der Speer®): alſo ebenfo wie in vielen Darftellungen anderer (fpäter nach dem Aufkommen von Kronen)

1) 3. Grimme R.A. ©. 240.

2) Könige II. ©. 54.

3) ed. I. 2 capitis apex rotundus, in quo paululum a planiecie frontis in verticem caesaries refuga cerispatur ... aurium legulae, sicut mos gentis est, crinium superjacentium flagellis operiuntur.

4) Nicht das VII. wie I. Grimm fagt ©. 240.

5) can. 17 rege defuncto nullus regnum assumat sub religionis habitu detonsus aut turpiter decalvatus.

6) Vgl. die befonderen hier zu Grunde liegenden Urſachen Könige VL? ©. 447 über decalvatio Weftgotifche Studien 1874 ©. 191.

7) Segen v. Sybel S. 369.

8 Nur ale Conſul trägt Chlodovech Einmal bie chlamys blattea.

9), In dem Grab und auf dem Ringe Childerichs, auf einer Münze Theudi⸗ berts; S. Chiflet Anastasis p. 106; Cochet p. 141. 369, Urgefch. f. Die Abbildungen UI. ©. 42; Lindenſchmit S. 69. 162; 3. Grimm RW. I. ©. 163.

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Abzeichen germaniicher Königsgewalt: daher Speer und Krone zu- fammengeftellt werben:

»sö lieze ich sper und al die kröne« »sper, kriuz und kröne«!).

Der König von Asgardh, Obhin, führt den Speer, nicht einen Königsſtab. Guntchramm überträgt Childibert II. fein Reich, d. h. vie

Erbfolge darein nicht mit dem Scepter, mit dem Speer?). Ebenfo bei Langobarben?).

Erſt fpätt), in nach-fräntifcher Zeit, mehren fich bei franzöfiichen, beutfchen, burgundiſchen Königen als Tönigliche Abzeichen: Krone 5), Scepter, Fahne, Kreuz.

Da e8 feine Krone gab, gab es auch Feine Krönung. Das diadema, das Chlobovech ein einzig mal auffegte, nachdem ihm der Imperator Anaftafins aus Byzanz die confularifde Würbe verliehen (oben ©. 479, 487), war keine Krone, war nicht bes fräntifchen Königtbums, war des Conſulats Abzeichen ®).

Denn was man?) über merovingifhe Kronen aus Bilb-

1) Siehe die Beläge aus den Dichtern bei I. Grimm, D. R.A. ©. 163; über das Schwert als Abzeichen der Königshohelt, fpäter auch des Blutbauns, ſ. Wait III. ©. 252.

2) Greg. Tur. VII. 33, Urgefd. III. S. 329.

3) Paul. Diac. VI. 55: die Sage von Lamisso 1. c. I. 15 beziehen K. Leh⸗ mann und Brunner au hierauf; zunächſt aber bezeichnet das Ergreifen bes Scaftes durch den Einen Knaben, während die Brüber zu Grunde geben, bie Auserlefung zur Rettung bes Kräftigfien, Mutbigften durch die Götter.

4) So im Jahre 848 Karl der Kahle zu Orleans: 1) conseoravit (= chris- mate perunzit) 2) diademate atque regni 3) sceptro in regio 4) solio sublimavit me episcopus Wenilo v. Sens, Eoncil von Sevonnitres von 859. can. 3. M. G. Legg. I. p. 462; nad ber Salbuug reichte ein Biſchof dem König die Krone, Die er fich ſelbſt auffetste; oder der Bifchof krönte ihn.

5) Ueber bie weftgotifchen Weihekronen im Schatz zu Guarrazar Könige VL? S. 531; was man über ältere Kronen germanticher Könige beibringt, ift fehr un⸗ fiher: fo Die angeblidhe („auseinander gefallene”) Krone eines oftgotifchen Könige (?) Omharus, die am 12. Juli 1889 zu Apahida in Siebenbürgen gefunden fein fol: es kann auch ein audres Schmudftüd gewefen fein. Stebenbürger Tageblatt vom 15. VII. 89; Schleſiſche Zeitung vom 30. VII. 89.

6) S. oben Greg. II. 38, Urgefch. III. ©. 64f., was ſchon Hinkmar von Rheims, geft. c. 890, fälfchlich auf eine vom Kaifer gefanbte corona deutete: vita St. Remigii ed. Bouquet III. p. 379.

7) Zumal Montfaucon Monuments de la monarchie frangaise L. Intro- duction p. XXX. Tafel U. III.

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werten beibringt, ift jüngerer oder doch unbeftimmbarer Zeit), welchen Zweden ober Yürften oder Zeiten anbere Kronen in Gräbern in Nordgallien (Eupen bei Zülpich und Verbun) angehörten, nicht feſt⸗ zuftellen?).. Die Binden und Wülfte?) auf den Häuptern (vielleicht I) merobingifcher Könige und Königinnen auf alten Steinen find Teines- falles Kronen.

Auch eine Salbımg ift zuerft bei Pippins Thronbeſteigung vor⸗ gekommen: daß Chlodovech bei feiner Taufe als König geſalbt wirrbe ®), beruht auf Verwechslung mit ber Einreibung bes Chryfam, wie fie bei Taufen und auch an Sterbenven vorgenommen ward.

Auch das Scepter ift für jene Zeit nicht bezeugt. Sehr zu Un- recht erklärt mand) den Speer für ein Scepter.

Früher wohl als bas kurze Scepter, erfcheint in ber Hand bes Königs‘) der lange germanifche Gerichtsftab ?).

Der Ring, deſſen fich der König zur Sigelung von Urkunden bediente, war nichts dem König Vorbehaltnes: ven hiezu verwendeten Ring mit dem Bilde des Königs trug dieſer fchwerlih am Finger: er warb von einem hoben Palaftbeamten verwahrt ®).

Früher als Scepter und Krone kam ber Thron (solium, ca- thedra regni) in Gebrauch: der Hochſitz in der germanifchen Halle, ber NRichterftuhl in dem Pfalzgericht mochte frühe ſolch erhöhter be- jonderer ftändiger Sik bes Königs werden. Es ift zwar ſchwer zu fagen, von wann ab der Ausprud „Thron befteigen“, „Thron bes

1) ©. Walk a. a. O. ©. 176.

2) Jahrb. d. Vereins für Alterthiimer im Rheinland XXV. ©. 123, Schöpitin- Mufeum I ©. 143f.

3) stemma in ben gesta Dagoberti heißt nicht Krone, ſondern Binde, Kranz. Die Ausführungen bei Wait find nicht richtig.

4) Urkunde Ludwigs I. Ser. XIII. p. 469; ich halte fie mit von Roth, Feud. &. 93 und von Stdel, Acta Carolina II. p. 330 für echt, für zweifelhaft erflärt fie Waitz ©. 175.

5) Chifflet p. 106; gegen das Scepter unb ben Thron bei Montfaucon I. Tafel III gilt das oben gegen feine Kronen Geſagte. Unf bie vita St. Mauri (Abt von Glanfenil, geft. 584) aus bem Ende des IX. Jahrhunderts iſt doch für folde Dinge des VI. ſchon gar nichts zn geben!

6) Aber wann zuerft ſicher bezeugt?

7) Maskell, monumenta ritualia ecclesiae anglicanae II. 1882. p. 33.

8) Vgl. den Ring Childerichs I. bet Cochet p. 361. 369; Lindenſchmit ©. 69, Urgeſch. IH. ©. 42. „Die Merovingen führten Bortraitftegel, die Karolingen antike ober autiten Muſtern nachgebildete Gemmen“, Brunner II. ©. 114, vgl. Urgeſch. II. ©. 42f.

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Reiches“ mehr als bildliche Bedeutung hat!). Aber ſchon als Gunt- chramn Chilvibert in Vergabung auf den Todesfall fein Neich über- trägt, fett er ihn auf feinen Königsftuhl 2). Das ift nicht Entlehnung aus ber Antile, fondern entfpricht dem germanifchen Hochſitz“, d. B. auf Stufen erhöhten Sik in der Halle, ven ver Hausherr inne bat, ben ber Erbe feierlich befteigt.

So wird im Beomwulflien?) der Herrichaftsftuhl neben Hort und Reich genannt.

Sollte hier auch »brego« in brego-stöl keltiſch fein), fo ift doch das angelfächfifche cynestol, ſchwediſch könugs-stöll (bei Upfala) ge- fihert®). Kiffen, Polfter oder voch Deden (— Felle —) lagen wohl auch ſchon auf dem altgermanifchen Hochftuhl®).

Unmiünpige Könige werben von Andern auf ben Thron „erhoben“, feierlich darauf gefeßt: anfangs von ihren Muntwalten, b. h. alfo regelmäßig ben Oheimen, bald aber von ven Großen ber Theilreiche zum Echuß vor ben oft mörderiſchen Obeimen: fo 3. B. Chilpibert II). Der technifche Ausdruck ift sublimare, elevare®) in regnum, in regno: (sollemniter, publice) 9); ob ta® bloße statuere, instituere regem, stabilire regem ganz gleichbeveutend ift, fteht aber doch dahin.

Selbſtverſtändlich ſchmücken ven König koſtbare Waffen, Gewänder und Zierftüde: Childibert I. fchenkt feinem Neffen Theudibert I. „je brei Säge von Waffen, Gewanben und anderem Schmud, wie fie einem König zulommen, auch Roffe und Ketten“ 1%), einem gefangnen König !1)

1) Diplomata N. 4257. Die Gesta Dagoberti find erft zwifchen 800 und 835 entftanden; ſ. Krusch Ser. rer. Merov. II. p. 396.

2) Greg. Tur. V. 17, Urgeſch. III. ©. 187; vgl. W. Steel, Götting. gelehrte Anzeigeu 1889. ©. 965.

3) ed. Holder, $reiburg, II. Ausgabe 1889. N. 2369: hord ond rice beägas ond brego-stöl.

4) 3. Stimm, RA. ©. 242.

5) Olaf Saga c. 76: über fpätere Formen: Kuniges-stuol, Land-stuhl, Fürsten-stuhl, f. 3. Grimm R.A. ©. 242.

6) Anders 3. Grimm a. a. O. Seit warn iſt der Thronhimmel nachweisbar ?

7) Urgeſch. III. ©. 164.

8) Zahlreiche Beläge Urgeſch. III. von ©. 71 ab.

9) Greg. Tur. V. 1; Liber. histor. Francor. o. 44. 49. 52. 53.

10) Greg. Tur. III. 24, Urgeſch. IH. ©. 87.

11) Fredig. IV. 38 vestis regalibus exspoliatus; Wat folgt falſcher Inter⸗ punction.

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werben bie königlichen Gewande abgeriſſen!). Ein König wird in be- fonderen Gewändern begraben?); in dem Hort find koſtbare Steine, Halsbänder und fonftiger „Taiferlicher” (imperialia«) Schmud?).

In dem Grabe bei Eupen‘) fand fich neben ver Krone (?) eine goldene Brünne; auch die Roſſe des Königs hatten eine Tönigliche (t. 5. eben reiche, aber nicht dem König vorbehaltne) Aufzäumung 5).

Der in bem Grabe Childerichs verwefte Königsmantel fheint mit goldenen Bienen überſäet gewefen zu fein. Diefe Deutung der Funde ift doch noch die glaubwürdigſte 6).

Allein (mit Ausnahme vielleicht jener Bienen), all dieſe Toftbareren Gewande u. f. w. waren nicht dem König vorbehalten: wer fie zahlen fonnte, mochte fie tragen. Mit Recht Hat man”) darauf hingewiefen, baß die Könige ber Oftgoten fich durch Königstracht fchärfer von all ihren Unterthbanen unterſchieden: ber Grund lag in dem engeren Anſchluß an byzantiniſches Wejen®): feit Leovigild beginnt Aehnliches bei Weftgoten?). Gregor!9 fällt e8 auf, daß vie Amaler fich beim Abendmahl eines andern Bechers als die übrigen Gläubigen bebienen.

Dagegen bei den Franken war ber Verkehr des Königs mit dem Volle frei von biyzantinifcher Bormenftrenge: wie Germanen!) Tuben auch Römer?) zu Tours den König zu Saft und taufchten Gefchente mit ihm aus. |

Die Königinnen?) trugen an hohen Fefttagen befonderen Schmud: Purpur (blattas) und Ebelftein, Gold und Berlen!Y. Auch fie haben

1) Urgeſch. III. ©. 590.

2) Greg. IV. 51. VI. 46, Urgeſch. IH. ©. 162. 288.

3) Greg. Tur. V. 35, Urgeſch. III. ©. 209.

4) Oben ©. 489.

5) stratura regia Fred. IV. 38.

6) Chifflet 94. 164, Urgeſch. III. ©. 42; Cochet p. 173—182 (Linden- ihmitt &. 394). Belanntlihd nahm Napoleon biefen bienenbefäten Mantel als Abzeichen an.

7), Waitz a. a. O. ©. 176.

8) Vgl. Könige III. ©. 282.

9) Könige V. ©. 156f. VI2 ©. 529.

10) III. 31, Urgefd. IH. S. 90.

11) v. St. Vedasti + 540 Biſchof von Arras, A. 8. ed. Bolland 6. Febr. I. p. 793.

12) Greg. Tur. VIII. 1, Urgeſch. III. ©. 345.

13) ©. unten „Königin“.

14) Ven. Fort. v. St. Rad. c. 13; Audoen (+ 683) v. St. Eligii (+ 659665) II. 39 ed. d’Achery spicileg. V. p. 157.

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übrigens wie die Könige die Pflicht der Freigebigkeit gegen ihre Gäfte zu üben: bie fromme Radegundis fett auch als Nonne bie Königsſitte fort, bie geladenen Gäfte (v. 5. jet Prieſter) nur reich beſchenkt zu entlaffen !).

Zahlreiche Mißverſtäͤndniſſe und fchwere! Tnüpfen fih an das von Einhard bezeugte Umberfahren ver merovingifchen Könige auf einem von Rindern beipannten, von einem Rinberhirten geführten Wagen, „überalibin, auch zum Palaſt, zur Reichsverſammlung unb von ba zurüd nad Haus”2).

Schon Einhard und ohne Zweifel feine Zeitgenoffen ebenfo be- gingen ben Irrthum, bies Fahren auf einem rinderbefpannten Wagen ftatt zu reiten auf kriegeriſchem Roß lediglich als Ausprud ter Ent- artung und Schwäche der Merovingen anzufehen mit einem Stich in das Lächerliche —, weil fie des Neitens nicht mehr fähig gemwefen feien und ven Heerbann nicht mehr führten. Es beweiſt bies aber nur, daß die feit brei Jahrhunderten ben altheidnifchen Vorftellungen entfrembeten vornehmen, gebilbeten chriſtlich und römifch gebifpeten Kreife die urfprüngliche Bedeutung dieſes Umberfahrens nicht mehr verftanden und auch barin blos einen Ausprud des unkriegeriſch ge- wortnen entarteten Merovingenthums erblicten im Gegenfag zu ben arnulfingifchen Helven hoch zu Roß. In Wahrheit zeigt fich aber hier ferner, wie tief in altbeibnifchen Anfchauungen und Sitten dies mero- vingiſche Königthum wurzelte, das zwar gewiß ganz und gar und durchaus nicht?) ein „Oberprieftertfum” gewefen war, das aber dem Königthum Pflicht und Recht auferlegt Hatte, an ben feierlichen Aufzügen, in welchen bie Götter nach ber Winterfonnenwende wieder von Asgardh auf bie Erde und in ven Gau zurüdkehrten, Theil zu nehmen: der Rinderhirt Einhards war vermuthlich uriprünglich ber Briefter geweien, ver den Wagen gelentt hatte: ober einen der Wagen leitete, der bie Götterbilver oder Göttermahrzeichen trug, während ber König auf einem anderen mitfuhr®).

1) Ven. Fort. v. St. Rad. XVIII. 43; den geladenen Geiſtlichen eilt fie ent- gegen.

2) Einhard, v. Caroli M. ed. Jafle c. 1 quocumque eundum erat, car- pento ibat, quod bubus junctis et bubulco rustico more agente trahebatur; sic ad palatium, sic ad publicam populi sui conventum . . vel sie redire solebat. Annal. Lautiss. min. M.G.h. Ser. I. p. 116.

3) Wie nad Phillipo nud Walter I. leider wieder Schröber L

4) Ueber die heidniſche Sitte folder Umzüge |. Bavaria I. 1860. ©. 363f.;

493

Daß diefe uralte und auf das weitefte verbreitete germanifche Sitte der Götterverehrung, aber auch ver DBefit - Ergreifung von Königsgewalt!) wie non Eigenthum keltiſchen Urfprungs fei, weil was vecht begreiflih! auch Frauen (aber nicht Königinnen, Priefter oder Könige!) der Gallier auf rinderbefpannten Wagen gelegentlich fuhren?) das kommt in Ermangelung von Pferben heute noch in allen fünf Erbtheilen vor! hätte man?) nie behaupten ſollen. Durchaus nicht hatten etwa die Hausmeier „jene Sitte dem König zum Schimpf angeftellt”: es war altlönigliches Recht, das fie als höchſt ungefährlich dem beließen, ber ven königlichen Namen forte führte. Man kann nicht zweifeln, daß die Gewohnheit viel früher und fchon zu ber Zeit galt, ba bie Merovingen nicht blos dem Scheine nach berrichten®). Dagegen ift wohl nichtS) anzunehmen, daß bie auf 90 solidi erhöhte Erfagbuße für Tödtung eines Stieres des Könige (ntaurus regise) in ber Lex Salica®), während allerdings das ges wöhnliche Rind nur 35, das gewöhnliche Pferd nur 40—45 solidi Erjagbuße hat, daraus zu erklären ift, „baß bie Ochſen (es ift aber ber Stier, und fohwerlich doch ſpannte man Stiere ein!) d. b. eben biefe Zugthiere des Königs in befonderer Achtung fanden und zur Zeit des Heidenthums geheiligte Thiere waren. Denn auch ber Hengſt des Königs (warannio regis) hat anftatt 40—45 sol. eine Erſatzbuße von 60 sol.?): dieſem Schlachtroß Tann man doch folde götterbienftliche Bedeutung nicht) zufprechen, und fo ift e8 auch wohl bei dem taurus regis nur ber erhöhte Friebe, ver eben dies wie an« beres Eigenthum des Königs?) ſchützt.

Baufleine I. Berlin 1879. S. 93f.; D. ©. Ia. ©. 292f.; 3. Grimm, D. Mother. I. &. 630; R.⸗A. ©. 262.

1) Ueber Gefion, die ſich mit ochfenbefpanntem Wagen Land erpflägt I. Grimm, D.M. ©. 287. 820; Nerthus, die große Nähr- Mutter, zieht durch bie Gaue auf fühegezogenem Wagen Tac. Germ. c. 40.

2) So Deuteria’8 Tochter: fie war nicht Königstochter, wie I. Grimm RU. ©. 262; Greg. Tur. III. 26 bei Verdun, Urgeſch. III. ©. 87.

3) Roth, Münchener gelehrte Anzeigen 1848. N. 147.

4) So gewiß richtig und weile I. Grimm R.⸗A. &. 262.

5) Mit demſelben a. a. O.

6) IH. 10. 7) 41,4.

8 Was Waitz ©. 178 Über das „Lieblingsroß” des Königs mit Tüniglicher Aufzäumung (estratura) beibringt, ift gar nichts befonberes, weber nach Recht, noch Sitte, noch Götterdienſt: das konnte bei jedem Edeln ähnlich vorkommen.

9) Und bes Herzogs. Vgl. Lex Bajuvar.

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Wenn übrigens das Ninbergefpann der Könige auf götterbienft- liche Gebräuche zurüdging, Hatten boch felbftverftänplich auch Unter- tbanen das Recht, fich folcher zu bebienen: fo vermachte auch bie eble Ermentrud „ven Wagen, auf welchen fie zu fahren gepflegt, und bie Rinder, bie ihn zogen“.

Zumeilen fand feftliche Einholung des Königs ftatt, wann er eine Stabt feines Reiches beſuchte!): pfallivend zogen bie Biſchöfe und bie übrigen Geiftlichen, aber auch bie Laien, fingend, mit Bannern bem König entgegen, fo zu Tours (4. Juli 585), außer ben Franken und Römern auch Juden und fogar Shrer?).

Aber wenn auch höhere Beamte patricii, duces von ben Biſchöfen dieſen feterlich entgegenziehenden Empfang beifchten, drangen fie damit nicht durch 3): nur dem König alfo gebührte diefe Ehre.

9. Hof. PBalatium.

a) Die Kamen.

Der Hof, das palatium (VII. ©. 151 f.) heißt auch ſchon curia regis®); castra regalia für den Hof ift wohl nur redneriſche Sprache®).

b) Die Königsfike.

Es fehlte an einer dauernden Reſidenz, wie bie Oftgoten an Ra- venna, die Wejtgoten an Zouloufe, fpäter Toledo bejaßen®). | Wohl hatten die Könige gewiffe wichtige Site ihrer Macht in einer ſtets befeftigten Stadt: anfangs vor Chlodovech

1) occursus regis Greg. Tur. VOII. 1, Urgeſch. III. S. 344: glor. confess. c. 19. v. Patr. 17. e. 4; zu Rom gegenüber Päbften und Frankenkönigen in viel großartigerem Stil, aber doch ähnlich.

2) Greg. Tur. VIII. 1, Urgeſch. III. ©. 344.

3) ©. bie Fälle bei Löning IL. ©. 257.

4) Nicht erft Tarolingifch wie Brunner II. ©. 98, v. St. Desiderii Viennensis 0.9; A. 8. 23. Mai V. p. 256, geftorben als Bifchof von Vienne 608; (von einem Zeitgenofien).

5) v. Sulpiecii c. 2 castrisque regalibus altis.

6) Treffend Brunner II. ©. 95: „ein Dauernder ſtädtiſcher Mittelpunkt hätte dem ganzen Zufchnitt ber fränfifchen Reichsverwaltung widerſprochen“.

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ohnehin nur eine ober zwei größere Städte: Dispargum, Tournay, Cambrai. Chlodovech verlegte nach Vernichtung des Syagrius feinen Sig nah Soifjons!), fpäter nach Paris (a. 507). Seit 511 erhält jedes ber vier, dann brei Theilreiche einen folchen Hauptjig: Auftrafien Rheims, (fpäter Dies), Burgund Orleans, Neuftrien Paris (over Soifjons): find e8 vier Neiche (wie 511 und 561), fo werben Paris und Soiffons Hauptfite. Sigibert nahm Chilperich Soiffons, vollendete bie bier von Chlodovech begonnene Kirche und warb in berjelben be» ſtattet ?).

Paris hatte allerdings darin eine Bevorzugung, daß es bie Be⸗ gräbnißftätte vieler Meerovingen warb: Chlodovechs, Hrothehilvens, ber Söhne Chlodomers: in der Baſilika von Sanct Vincencius rubten Chilperich I., Chilperich IL., Chlothbadhar IL, in Saint Denis zuerft Dagobert 1.3).

Und Reichthum, Vollszahl, wichtige Rage verliehen ver Stabt hohe Bedeutung, fo daß 3. B. a. 521 Chilperich fie vorweg nehmen will®), baß fie dann feinem ausſchließend zugeiprochen, ſondern unter bie den Brüdern zugebachten Gleichtheile getheilt wird feiner foll ohne Ver⸗ ftattung der Andern fie betreten®): Gundovald droht, bier feinen Sig aufzujchlagen ®).

Allein als „Reichshauptitadt” galt Paris doch Teineswegs”): bem ftand ſchon die Theilung bes Neiches und das Nebeneinander ver Hauptfige ver andern Theilreihe: Orleans, Soiſſons, Rheims ober Meg entgegen. Guntchramn weilte häufiger als zu Orleans zu Chaͤlons⸗ſur⸗Saoͤne 8).

Ob Rheims oder Metz Hauptſtadt Auſtraſiens geweſen, iſt be—

1) Das iſt aber vielleicht nur (a. 485) eine Vermuthung von Hincmar v. Rem., Bouquet III. p. 277; jo Wait ©. 48; vgl. Greg. Tur. III. 27, Urgeſch. III. ©. sif.

2) Greg. Tur. IV. 19. 23. 51, Urgeſch. III. ©. 160.

3) ©. die Beläge Greg. Tur. II. 43. DI. 18. IV. 1. 20. VI. 46. Fred IV. 56. 79, Urgeſch. III. ©. 69. 74. 120. 288. 621. 644.

4) Greg. Tur. IV. 22, Urgeſch. III. ©. 123.

5) VI. 27. VII. 6. IX. 20, Urgeſch. DIL ©. 264. 296. 423.

6) Greg. Tur. VII. 27, Urgeſch. III. ©. 319.

7) Wal S. 180 überſchätzt Die VBebentung der Stadt.

8) Greg. Tur. VOL. 21. VIIL 1. 11. IX. 3. 13. 15, Urgefd. IH. ©. 315. 344. 354. 400. 417. 419.

496

ftritten: für die ältere Zeit ift Doch wohl Rheims anzunehmen‘), bier ftarb Thendibert, (ver übrigens auch oft in Trier wohnte?)?).

Später aber erfcheint ohne Zweifel Met als Hanptfik ®), jebesfalls als neben Rheims die beveutenpfte Stabt Auftrafiens; fhon Theubibalv I. hielt Hier eine Kicchenverfanmmlung®). Sigibert I. und Childibert IL weilen bier. Das palatium wird wieber- bolt genannt”). Für Theubibert II. und Sigibert TIL (632)°) bezeugt Tredigar?) Metz ale „Sig“ (sedes).

Häufiger als in den (Beitungs-) Städten weilten die Könige auf ihren über das ganze Reich verftreuten Landhäuſern (villae, f. oben „das Land“) 1%): mit Recht Hat man!!) hervorgehoben, wie wenige Urkunden ber Merovingen in Paris oder Soiffons gar keine zu Rheims oder Met, wie viele zu Compiegne und Clichy ausgeftellt find.

Größere villae nicht alle enthalten auch ein palatium 12): baber können ſolche Königshöfe bald als villae, bald als palatia bezeichnet werben!3).

In folche villae berief der König nicht nur einzelne Gäſte, ſolche Einladung und zumal dann die Zuziehung zur Tafel galt als hohe Ehrung!) auch Verfammlungen von Bifchöfen concilia ober weltlichen Großen oder von beiden haben wieberholt bier getagt.

1) So Greg. Tur. IV. 22, Urgef&. II. &. 123.

2) Longnon p. 99 zu Greg. Tur. v. Patr. VI. 2. XVD. 1. 2.

3) Fortun. v. St. Germani c. 8; v. St. Quinidii (Biſchof von Balfon, geft. 578/9); A. 8. ed. Bolland 15. Febr. II. p. 829 regna Gallorum, Remis de- nique cum suis Glermanscis populis.

4) Bergl. Digot I. p. 232.

5) Greg. Tur. IV. 17, Urgeſch. III. ©. 118.

6) IV. 35. VIII. 36, Urgeſch. III. &. 140. 390.

7) Fortun. IX. 20. X. 9. 19, Urgeſch. III. ©. 423. 498.

8) Urgeich. III. ©. 637.

9) Fredigar. c. 16. 75, Urgeſch. III. ©. 560f.

10) Dafelbft auch über villa im Verhältniß zu palatium; nicht jebe villa enthielt ein palatium, während ſelbſtverſtändlich auch in Stäbten palatia flanben.

11) Waltz ©. 182.

12) In der Aufzählung der auftrafifhen palatia hei Digot II. p. 338 fteht manches ungenügenb Bezeugte.

13) 3. ®.: Compiegne Diplom. p. 7 palatium = p. 60 villa, Carisiacum p. 41 villa, in palatio nostro = p. 64 villa; daher treffend Hist. Franc. c. 29 Compendium villa, quae est palatium regale.

14) Greg. Tur. VII. 16. VIII. 2. 3. 14. IX. 20, Urgefj. III. ©. 309. 346. 357. 359. 427.

497

c) KHofbeamte!). ce) Die Namen.

Alle Höflinge?) hießen fideles (nostri) und leudes (nostri).

Die Angejehenften darunter hießen proceres (pr. aulici)®), pro- ceres palatii?), principes palatii®), principes aulici®), nobiles in palatio’?), primi palatii, priores palatii, primarii®), seniores palatii ®), optimates (nostri) aulae, palatii10); satellites bebeutet in der Regel Leibwächter, gewaffnetes Gefolge. So oft bei Gregor und fonft; zuweilen aber beißen auch die Höflinge fo, 3. B. ein Re: ferenbari!).

Dagegen die aeditui (— ostiarii) palatinı, Thürhüter des PBalaftes, zählen nicht zu den Hofbeamten, ſondern zu dem nieverften Hofgefinve 12), fie find Unfreie wie die pueri aulici1), wie fie fonjt bei Gregor heißen; wenn einmal palatina eine Unfreie ift 1%), fo ift puella hinzu⸗ zubenfen.

Vornehme Höflinge dagegen heißen ministri palatii nostri!5),

1) ©. oben VII. 2. ©. 227f. 2) (aulici, palatini) aulici regis, regii aulici palatii, aulicolae; ſ. bie vielen Beläge bei Waitz S. 112. 3) Fred. IV. 36; andere Stellen bei Wait ©. 112. 4) ©. die Stellen bei Walt a. a. O. 5) lc. 6) Miracula St. Martini Vertaviensis, Abt von Bertou, gefl. 601, 24. Oct., X. p. 805810. 7) v. St. Romarici t. 1. 8) multi ex prioribus palatii primarii v. St. Rusticolae. 9) v. St. Rigomeri (Priefler in Souligne, gefl. c. 550 24. Aug.) IV. p. 787. 10) Diplom. 31. 70. 93; Audoen. v. St. Eligii I. 8. II. 34; v. St. Gaugerieci St. Agili c. 1; Godiscale. v. St. Landiberti c. 3 optimates viri et illustrissimi eo tempore rectores palatii. 11) inter ceterossatellites a rege valde credulus v. St. Audoeni; ebenjo v. St. Wandreg. Arndt p. 34. 12) v. St. Theodardi, Biſchof von Maftricht, geft. c. 668 10. Sept. III. p. 588. Anders Waitz ©. 113. 13) Greg. Tur. mir. St. Mart. IV. 37 pueri qui assistebant regi v. St. Consortiae, Jungfrau in der Provence, geft. c. 578 22. Juni IV. p. 250. 14) Waiß a.a.D. zu Greg. 1. c. DI. 14. 15) Dipl. N. 41. Dahn, Könige der Germanen. VIL 3. 32

498

regis minister'), Chramni ministri?), reginae minister). Denn man Sprach von einem Hofdienftminifterium t).

Ja, auch servitium und servire bezeichnete den Dienft°) wie das Unterthanenverhältnig. ‘Der Amtsdienſt außerhalb des Hofes heit ebenfo und fo denn auch famulatus®).

Aus dem vorgefuntnen Römifchen werten die Austrüde militia, militarı herübergenommen und offenbar doch nicht nur das Wort, auch Manches von den römischen Dingen”). ‘Der Hofbeamte heißt in biefem Sinne miles, nicht „Srieger“®).

Man Tann daher nicht?) tiefe Hofverhäftniffe auf die Grund⸗ lage“ altgermaniicher Gewohnheiten allein zurüdführen: ver refe- rendarius und der capellanus find boch nicht altgermanifch und von einer „Hofverfaffung“1%) kann man bei der ſchwankenden Zuftändigfeit ber meiften Hofämter faum reden.

Daß alle aulici, palatini in die Muntfchaft des Königs aufge- nommen wurten, ift Doch wohl nicht anzunehmen !!), die Hof⸗Knaben, bie in bie Muntſchaft eines andern Pflegers traten, ficher (ſ. unten) nicht, es

1) Greg. v. Patr. c. 10.

2) gL mart. I. 66.

3) Ven. Fort. v. St. Germani c. 21; menesterialis noster Dipl. 68.

4) ©. die Stellen aus den Heiligenleben und Königsurkunden bei Waitz S. 113, die ſich leicht vermehren ließen. Dipl. N. 41 comes palatii .. qui de ipso ministerio ad praesens nobis deservire videtur: ber von biefem Amt zur Zeit den Dienft bei uns bat; v. St. Hermenlandi, Abt von Indre, gefl. 720 25. Mart. III. p. 676; auch ministrare fommt vor.

5) Greg. Tur. IX. 36, Urgeſch. III. S. 451 qui ad servitium regale erant necessarii Pardess. II. p. 100 quod in regia aula &t in servitio prineipum elaboravi 1. c. p. 240 quae a ... Childiberto (rege) pro servitio nostro ad- quisivimus; aber bie vita St. Bigiberti v. Bigibert von Gemblours (+ 1111) ſollte Waitz nicht hier anführen.

6) S. die Stellen bei Waitz ©. 113 unb Form. Marc. I. 14.

7) Anders Waig ©. 113. 119. 121. 122; f. die Stellen: palatinam militiam administrare v. St. Valentini; ebenfo antlich in ben Eoncilien Rem. II. c. 10; Clippiac. c. 10; Friedrich p. 62.

8) perfectus miles v. St. Hermelandi c. 1; fogar militari per tramitem militiae... operi in aula regis aevum impendere Jonas (ce. 729); v.St. Wul- framni, Biſchof von Sens, geft. 720/721 20. Mart. III. p. 145 und boch nicht „Krieger“.

9) Mit Waitz ©. 129.

10) Waitz a. a. O.

11) Zweifelnd Waitz ©. 112.

499

fei denn, daß der König fie in feine Muntfchaft nahm und deren Aus- übung einem Andern übertrug.

8) Einzelne Aemter.

Seit Mitte des VII. Jahrhunderts brüden auch die Bezeichnungen des major domus befjen alle andern Aemter überragende Bedeutung, feine thatfächliche Beherrſchung des States aus!): ja fchon von Gun- bulf heißt es in der allerdings etwas jüngeren LXebensbefchreibung Sanct Arnulfs?) Gundulf, der Unterkönig oder Leiter des Palaſtes und Berather des Königs‘. Cr ift jett Alles: Erzieher des Unmün- digen, „Erfter beim König“, Regent, neben ver Negentin?) ober hinter ihr ftehend. Aega ift Erzieher und Neichsverweier Chlodoveche II. in Neuftrien‘), Pippin fchon vorher in Auftrafien al8 major domus bie Seele der Regierung, ja das Haupt des States gewejen, und fein Sohn

Grimoald hat den jungen Dagobert IT. jo völlig in feiner Gewalt ge-

habt, „vaß er ihn über das Meer in ein iriſches Klofter ſchicken konnte” >). Aber der Berfuch dieſes Hausmeiers, jet bereits an Stelle des Me- rodingen den eignen Sohn auf den Thron zu heben, kam um ein Jahrhundert zu früh: ex fcheitert, Vater und Sohn gehen unter und durch das Mißlingen wird das Gefchlecht ber Arnulfingen auf ein Menfchenalter fo tief herabgebrüdt, daß feine Geſchichte in dieſer Zeit völlig unbelannt ift®).

Das Saliſche Geſetz nennt unter ven ftärkftgefchügten, weil erften, werthvollſten unfreten Hausbienern neben dem major und scancio den infertor?), d. 5. ven Hereinträger der Schüffeln, dapifer, rapaderns: berjelbe ift urfprünglich weber seniskalk, wenn er auch fpäter einmal fo genannt wird, noch Truchjeß, wenn diefer auch ſpäter »dapifer« Heißt.

Bermöge des rein PBerfönlichen in der Herrichaft des Königs Tonnte

1) Oben VII. 2. ©. 203f.

2) c. 4 G. subregulo seu etiam rectori palatii vel consiliario regis.

3) Fred. IV. c. 79, Urgeſch. III. ©. 645. Chl sub tenera uetate regnum patris adscivit; Aega vero cum regina Nanthilde oondigne palatium gobernat et regnum.

4) v. St. Burgundofarae, Xebtiffin von Evreur, gefl. 657, ed. Mabillon. A.S. Ordin. s. Benedicti II. Saec. p. 439. c. 7. Ega-vir in seculo sublimis, cui Dagobertus moriens filium Chlodovium oum regno commendarerat.

5) Waitz IIb. &. 108.

6) Urgeſch. III. ©. 661f.

7) XL 6. ed. Behrend; fälſchlich infestor bei Herold.

32*

900

dieſer aber einem beliebigen Geiftlichen oder Weltlichen am Hof, obne Rückſicht auf das von ihm bekleidete Amt, fein Vertrauen am Meiften zuwenden, ibn zum „Exrften bei dem König” machen, zum „Leiter bes Palaſtes“. Das bildete fogar vor tem Emporlommen be8 major domus bie Regel: ein folder „Erfter beim König und Leiter bes Palaſtes“ war 3. DB. in Chilviberts IL. Anfängen Bifchof Aegivius von Rheims, ohne irgend ein Hofamt!).

Allein höchſt wahrfcheinlich ift e8 auch im VII. Jahrhundert noch zuweilen worgelommen, baß, nachdem für die Regel der major domus von Amtswegen allmächtiger Miniſter des Neiches und Leiter des Palaftes geworben, doch ausnahmsweife ein Anderer, zumal ein Biſchof, biefe Stellung einnahm, fei e8 neben einem (zurüdgebrängten) major domus, fei e8 an Stelle bes nicht befegten Majordomats: vie Gründe jolcher feltnen Ausnahmserfcheinungen kennen wir nicht: vielleicht daß auf kurze Zeit fei e8 ber König, fei es der Dienftavel den allzu mächtig geworbnen major domus noch einmal zurüdzubrängen ober ganz zu befeitigen verjuchten, wie ihn denn König Pippin wohlweislich nicht mehr bulbete.

Vielleicht aber auch nur deßhalb, weil von ben mehreren DBe- werbern zur Zeit noch feiner das Amt des major domus felbft er- ftritten batte.

So fcheint Arnulf von Mes zwar thatfächlid den primatus palatii gehabt zu haben, aber nicht das Amt des major domus: er war vielmehr domesticus, was mit nichten?) Oberdomefticus?) major domus ijt®).

Die Stellung eines folchen vertrauteften Rathes war felbitver- ſtändlich ohne beftimmte begränzte Zuftändigkeit und, wie ja auch jedes Amt, jeden Augenblid entziehbar. Die Ausprüde der Quellen fpiegeln das rein Thatſächliche des Verbältniffes®).

1) Urgefch. III. ©. 265.

2) Wie Waitz S. 94 meint.

3) Sohm ©. 583, den gab es gar nid.

4) v. St. Arnulfi c. 8 ut etiam domesticatus sollicitudinem atque.. pri- matum palatii teneret; c. 4 eflectus est omnium primus ... ita ut sex pro- vinciae, quas tunc et nunc totidem agunt domestici, sub illius administra- tione solius regerentur arbitrio. Urgeſch. III. ©. 597 f.

5) ©. die Beläge bei Waitz IIb. S.105; v. St. Geremari c. 6 Dagobertus praeficit eum consiliis suis; v. St. Austrig. c. 4 erat tunc in domo regis inter caeteros senatores praestantissimus Aethereus nomine . . cui rex omnia

501

Gregor Bat wiederholt den Ausdruck primus cum rege, apud regem: von Sigibert I.!), ſchon 532 von Theuderich I. Ein folcher kann zugleich (aber doch wohl nur vorübergehend) wie Florus, unter Theubibert I.2), vicecomes in einer ®raffchaft fein, ber »primus inter totius regni Francorum proceres«, ber gleichwohl „im Auftrag bes Königs alle Anordnungen im Palafte trifft”.

„Er ift dem König in allen Stüden fo vertraut und theuer, daß er, was er im ganzen Neich thun wollte, ohne Widerſpruch von irgend jemand vom König verftattet erhielt”): er hatte im ganzen Reich bie oberfte Gewalt und waltete zu jener Zeit als vicecomes in ber Stadt Angers t).

Sehr erflärlich finden wir beſonders Bifchdfe in dieſer nur that- ſächlichen Machtftellung, da ber dauernde Aufenthalt an dem wechfelnden Hoflager mit der Reſidenzpflicht in ihrer Bifchofsftant und dem Verbot weltlicher Aemter doch nicht immer ganz leicht zu vereinen war. Das war die Stellung Leodigars von Autund), des Aegidius von Rheims 8).

tractatus sui praecipua arcana pandebat; v. St. Walarici, Abt, Stifter von St. Baldry (Leuconaensis) geft. c. 622 1. Apr. I. p. 16 qui .. summus inter proceres palatii et dignitatem (l. es?) aulae regia . . cunctos suo ingenio praecellebat; v. St. Ebrulfi (von Beauvais, Abt v. St. Fuscien-an-VBois), geft. c. 600 25. Juli VI. p. 94 (ut) caeteris praelatus maximum in palatio obtineret loocum; v. St. Agili (quamquam Agnoaldi) industria universa palatii officia gererentur nee non totius regni quaerimoniae illius aequissima definitione terminarentur; Fredig. IV. 0. 62 Aega..a citeris Neptrasiis consilio Dago- berti erat adsiduos: fpäter wirb er bann major domus.

1) v. Patr. 5. glor. confess. c. 71.

2) vita St. Mauri von co. 39.

3) c. 40.

4) c. 44; aber major domus war er nicht: fo richtig gegen Per ©. 17 Watt IIb. ©. 105.

5) Der nicht major domus war; Zinleifen S. 32; Pitra, Hist. de St. Leger p. 274; Schöne ©. 88; Bonnell ©. 116; Löning ©. 267; Waitz &. 106; f. Urgeſch. III. ©. 685; jet aber über das Verhältniß ber beiben vitae Krusch N. A. (Bu. C) zu einander und zu einer älteren vita A; Ursinus c. 4 super omnem domum suam sublimavit et majorem domus »in omnibus« constituit: gerabe das in omnibus weift auf uneigentlihe Anmwenbung bes Ausbrude, fo richtig Watt a.a.D.; er heißt freilich andh rector palatii, aber die vita A fagt nur quod cognoverat (rex eum) prae omnibus sapientiae luce esse conspicuum secum assidue retinebat in palatio.

6) Oben ©. 468 und Urgeſch. III. ©. 265.

502

Arnulf von Meg!) war früher domesticus, warb dann Bifchof, behielt aber ben domesticatus uud war als domesticus (aber nicht ale major domus) „ver Erfte bei dem König“; auch Baulus Diaconus nennt ihn nur palatii moderator?).

Aehnlich fteht Kunibert von Köln ®).

Manchmal gelangte ver Erzieher des noch unmündigen Königs in folhe Stellung, die ihm freilich der major domus fpäter nicht mehr ohne Kampf überließ. ‘Der nutritor, nutritius ift nicht Munt⸗ walt: zur Muntfchaft*) ift berufen der nächfte waffenfähige Schwert- mag: fo trat Guntchramn ald Muntwalt Childiberts IL und Chlo- thachars II. auf>): oft freilich waren die merovingiſchen Oheime tie Mörder ihrer jungen Neffen ®).

So war Gogo nutricius Childiberts II.“). Dos tft keineswegs ein conviva regis®): auch die nutricıi, die Childibert II. mit Grafen, domestici, majores und allen, die zum Dienft tes jungen Königs erforberlid waren, mit Theudibert II. als Bicelönig nach Soiffons fchickt®), find nicht junge mit ihm erzogene10) Leute, fonvern eben Er- zieher. Nach Gogo's Tod trat in deſſen Stelle Wandelen 11), er erhielt feinen Nachfolger: „weil nach feinem Tode tie Königin⸗Mutter felbft bie Sorge für ihren Sohn übernehmen wolltel?*), d.h. Frau Brunichildis ſchloß fortab von diefer einflußverfprechenden Stellung Andere ans.

1) ©. oben ©. 460; die vita St. Arnulfi c. 4 fagt nur: diversis in palatio honoribus et ministerio primus floruit; c. 8 sic deinceps episcopales gestans infulas ut etiam domesticatus sollicitudinem atque primatum palatii acsi nolens teneret; zum Theil wörtlich übergegangen in v. St. Lieinii, Biſchof von Angers, geft. nach 600 19. Febr. II. p. 678.

2) Gesta ep. Mett. Ser. II. p. 264 („erft die v. St. Chlodulfi, gef. c. 695 als Biichof v. Met, Urgeſch. III. ©. 707, A. 8. 8. Juni II. p. 127) aus dem IX. Jahr- hundert major domus”, Watt, der ihn mit Recht gegen Perk S. 28 nicht als major domus faßt).

3) Urgefch. III. ©. 619.

4) ©. unten.

5) Urgeſch. III. ©. 185. 299.

6) Urgeih. III. ©. 75.

7) Greg. Tur. V. 46, Urgeid. III. ©. 2197.

8) Wie Guadet nnd Taranne h. 1. nad Ducange V. p. 6. 28.

9) 1. c. IX. 36.

10) Kruſch gewährt nicht nmutritis, fonbern nutriciis ohne Angabe andrer Lesart.

11) VI. 1, Urgeſch. III. ©. 232.

12) 1. c. VIII. 22, Urgeſch. III. S. 369.

03

Zur Unterftügung der (Amme) Pflegerin für bie Heinen Kinder Chil- bibert8 war Droktulf zur Pflege berfelben beftellt!)., Einmal warb gerabezu die Lenkung des Theilveiches (Auftrafien) und bie Erziehung des jungen Königsſohnes in Eine Hand gelegt: „Ehlothachar II. giebt, nachdem er Dagobert zum König von Auftraften erhoben, Arnulf das Reich zur Leitung und den Sohn zur Erziehung in die Hand?)*.

Dagoberts Sohn Sigibert II. (III.) Hatte von Kindheit an Otto, ben Sohn des domesticus Uro, zum Erzieher 3): dieſer war aber nicht Hausmeier, auch nicht „Erfter beim König“ geweien, dies waren Kunibert von Köln, Herzog Adalgiſil (oder Anſigiſil) und deſſen Nachfolger Pippin (I). Aber nad wippins Tob wollte beffen Sohn Grimoald ver Erzieher Otto die höchſte Macht nicht gönnen und warb in tiefem Witerftreben erichlagen?).

Der major domus nahm num felbft die Stellung bes Erziehers ein, allein over neben der Königin-Wittwe.

Die erwachjenen Prinzen erhalten einen eignen Hofſtaat mit major domus5) unb thesaurarius®).

d) Höflinge.

Das palatium füllten nun aber außer den?) angeführten Trägern beftimmter Hof- und Stats-Aemter zahlreiche andere geiftliche und weltliche Große: Biſchöfe 8), Herzoge?), Orafen!‘), Provincial-domes-

1) 1. o. IX. 38, Urgeſch. III. ©. 453; er wird zur Strafe für Hochverrath

verknechtet. 2) v. St. Arnulfi o. 16. 3) Basolus = nutritor f. Ducange I. p. 525, Urgefd. III. ©. 649; Fredig. IV. c. 86. 4) Fredig. V. 0. 86, Urgeſch. III. ©. 649.

5) gubernator palatii Fredig. IV. 55, Urgefd. III. ©. 619.

6) Greg. Tur. V. 40, Urgeſch. III. S. 213f.

7) ©. oben und VO. 2. ©. 2271.

8) Ganz regelmäßig und vor allen weltlichen Großen genannt: f. die Beläge bei Waitz ©. 102; auch Aebte, als dauernde Bewohner des Palaſtes von beren Biſchof erbeten praesules aulae regalis v. St. Galli Ser. II. p. 12. Leodigar und Arnulf „beherrſchen den Palaſt und das Reh“. S. oben ©. 456. 467. lieber bie Biſchöfe im Hofgericht ſ. Diefes. Form. Mare. 1. 25. D. 41. 44. 66. 70f.

9) Herzoge am Hofe; ſchon Greg. Tur. V. 40, Urgeſch. III. &. 213f. Rigun- this begleiten fie aber kraft befonberen Auftrags VI. 45, Urgeſch. ©. 285; Marc. Form. I. 25 jegt fie als Glieder des Hofgerichts voraus. Beläge zuerft (? bei Pippin IL (749 D. N. 106); Ven. Fort. VII. 14 rühmt von dux Mumm>- lenus, daß er den Palaſt des Königs durch hochweiſen Rath erhöht.

10) ©. die Beläge aus den Urkunden bei Waitz S. 100; der Graf bes Gaues,

904

tici!), vicarii, bie mit Urlaub von ihren Amtsfigen zeitweilig ab» wejenb oder in Geſchäften an ven Hof gereift ober gerufen worden.

Doch auch unbeamtete VBornehme: alle biefe werden mit ben Hof- beamten unter dem Ehren-Namen optimates nostri?) zufammengefaßt, die fo regelmäßig von den Urkunden als Beifiker des Hofgerichts, auch bes Nathes des Königs genannt werben, daß man biefe Verrichtung als Recht und Pflicht ihrer Stellung wird annehmen bürfen.

Ihre ehrenten Beinamen find inlustres viri, magni viri, pro- ceres?), manchmal heißen fie ausbrüdlich die obtimates des Hofes, aulae, des palatium ober palatini obtimates‘); die optimates viri et illustrissimi qui eo tempore rectores palatii videbantur>) find viefelben Palaft-Großen, nicht mehrere majores domus.

Ob fpäter austrüdliche Erhebung zu diefer Stellung vorkam, ift zweifelhaft‘), jebesfalles gefchah fie ſtillſchweigend durch Aufnahme in bie Gefolgfchaft oder Verleihung eines hohen Amtes oder durch DBe- rufung an ven over Duldung an dem Hof.

Gewiß mit Grund hat man?) die alten Gefolgen, die Antruftionen bes Königs in biefe optimates übergehen lafjen: hatten fie doch Pflicht und Recht, ven König in enger LXebensgemeinfchaft zu umgeben, auch wohl die wichtigften Hofämter wurden ihnen vorzugsweife verliehen ®) und viele wenigſtens ber obtimates wohnten in bem palatium?°):

in welchen das Hoflager ſich gerade befand, war wohl immer an bemfelben; emmal acht comites und acht grafiones neben einander D. 66. Dem jungen König als BVicelönig werben auch Grafen als unentbehrlich mitgegeben. Oben S. 455.

1) S. oben domestici.

2) ©. die Beläge aus ben Urkunden bei Waitz ©. 101; die obtimates werben meift nach den Biſchöfen genannt als nad ben geiftlihen bie weltlichen Großen episcoporum et optimatum nostrorum.

3) ©. die Stellen bei Vai ©. 101.

4) v. St. Gaugerici.

5) v. St. Landeberti (von Gobiflalf) ce. 3.

6) Dafür Waitz S. 101 wegen einiger Stellen, wo es heißt, regale gratia (obtimate) sublimatum Form. Bal. 18. 21, was allerdings auch von ber Er⸗ nennung zum Biſchof gebraucht wird. Form. Marc. II. 46. 50.

7) Waitz IIb. ©. 101.

8, Ebenda.

9, So D.N. 26 von 660-662; aber die v. St. Geremari, Abt von Pentale (Flaviac.) geft. c. 658 24. Sept. VI. 298, die Waitz S. 103 anführt, fagt nur, er „hatte“ viele Gefippen in dem Palafl omnium Francorum prudentium (== pro- cerum) palatium nostrum inhabitantium.

505

täglich verkehrt, tafelt der König mit feinen sapientes ministe- riales, wo auch Luftigmacher, Gaufler nicht fehlen?).

Allein doch nur einen Heinen Theil?) ter Höflinge bildeten vie Antruftionen, die niemals jehr zahlreich geweſen waren.

Daß fie in ten Urkunden und bei den Geſchichtsſchreibern und Dichtern nicht), nur in den alten Geſetzen genannt werben, erklärt fich eben gerade daraus, daß dieſe uraltgermanifche auf »bella und raptus« gebaute Einrichtung an dem Hof ber Merovingen, in ven fie wenig paßte, burch andere Formen ehrenvollen Dienftes und Treue⸗ verbandes erjeßt wurde, fo fpäter burch das vassaticum).

Wegen ber engen Lebensgemeinichaft mit dem König wird ber Hof ein contubernium genannt®).

Gewiß konnte der König aus all dieſen obtimates wie z. B. aus ben fremden Geſandten wechſelnd an feine Tafel ziehen, wen er wollte: jeboch fcheinen die germanischen Antruftionen und bie ihnen als con- vivae regis gleichgeftellten Römer fo lange die Einrichtung be- ftand immerhin ein Recht auf diefe alte Ehrung der Gefolgichaft befefjen zu haben, wie gerade ver Ehren-Name „Tiſchgaſt des Königs“ beweift 6).

Ständig lebt am Hof der Abt des oratorium palatinum, d. 5. ber königlichen Hauskapelle“); hier wurden die Eide im Verfahren vor dem Hofgericht gefchworen d); der Beichtvater des Königs (ftet8 Eins mit jenem Abt) wird nur in Farolingifcher Zeit genannt). In

1) Exhortatio Mai N. coll. I. ed. 2. P. IV. p. 5.

2) Richtig Wait und Delodhe II. ©. 112 gegen ältere Deutſche und Frau⸗ zofen, aber auch wider Brunner f. VII 1. ©. 151f.

3) Auch die cohors regia bei Ven. Fort. VI. 8. p. 149 meint unr bie Um⸗ gebung des Königs, nicht die Gefolgs- Schar.

4) Lex Salica, zulett noch im Edict Ehilperihs: $ 8 cum viris magni- ficentissimis obtimatibus vel (d. 5. =: fo ridtig Waitz S. 102 gegen Andere) antrustionibus.

5) ©. die Stellen bei Waitz ©. 114 familiaria contubernia regis v. St. Des. Cat. ce. 1.

6) Anders Wait IIb. S. 104.

7) ©. v. St. Desider. Cat. c. 2; ebenfo Audoen. v. St. Eligii I. 13 abba- tiam palatini oratorii quod regalis frequentatur ambitio (d. h. Beſuch) et archidiaconatus offieium gessit; ebenfo Dipl. N. 49 (a. 679) in oraturio nostro super cappella domni Martene.

8) Gegen Pitra, histoire de St. Leger p. 15; Waitz ©. 102.

9) Die v. Ansberti c. 22, Biſchof von Rouen (geft. 695), von Aigrad v. Ban- brille (geft. c. 700), welche Waitz anführt, tft auch erſt unter Pippiu LI. gefchrieben.

906

merovingifcher fpielt der Vorſteher ver Kapelle keinerlei bedeutende Rolle.

Wie das Hofgericht (f. biejes) bilden biefe »obtimates« die Rath⸗ geber des Königs!), aber nicht fo, daß fie ein Recht hierauf Hatten oder eine beftimmte Zahl oder Auswahl biefen Rath wie ein ge- ſchloſſnes „Minifterium” oder Cabinet?) ausmachte: tft doch zu erwägen, daß Entſendungen wie Berufungen und freiwillige Reifen an ben Hof den Beftand tiefer Hofgenoffen fortwährend änderten. Es find vie proceres überhaupt, die „ven Königen beilfamen Rath fpenvden zum Wohl von Boll und Baterland”?).

Daß diefe Räthe befonders ernannte gelehrte Juriſten geweſen!), ift ganz undenkbar ein Haudegen wie Mummolen ober ein Krieger wie Ebroin! auch die legis-»doctores«5) find nur rechtskundige Bei— figer des Hofgericht®, wie die vorher genannten proceres und Pfalz- grafen.

Seit dem Sinten ver Merovingen erſetzt auch im VBorfig in biefem Gericht ber Hausmeier ven König. Erhalten find 20 placita der Könige, 6 der Hausmeier®). Außer dem König (oder Hausmeier) muß anweſend jein wegen des testimoniare ber Pfalzgraf (over deſſen Vertreter: j. oben VOL. 2. ©. 227f). Die übrigen Urtheiler beruhen auf Zufall, auf Auswahl des Königs, Teinesfalles auf feititehendem Recht over feft- ſtehender Pflicht: die Hofbeamten, welche die Umgebung des Königs bilden, andere geiftliche oder weltliche Große, die ſich zufällig am Hof aufhalten oder vom König berufen werten: daher erfcheinen in ven merovingifchen Hofgerichten Bifchöfe, Herzoge, patricii, Grafen, ma- jores domus, referendarii, domestici, thesaurarii unt fonftige optimates und fideles.

1) consiliarii regis v. St. Mauri; consiliarios seniores diligas Exhort. l. c. p. IV. Ven. Fort. IV. 24 consiliis habilis regalique intimus aulae.

2) Das consistorium prineipis in ber v. St. Wandrigiseli ed. Arndt c. 7 it nur romanifirend gekünftelter Ausprud.

3) Ven. Fort. v. St. Radegundis II. 11. carm. VII. 14 celsa palatia regis altis consiliis crescere rite facit.

4) Richtig gegen Lezardiere III. ©. 16 Waitz IIb. ©. 104.

5) Bon 751. D. N. 23.

6) Dazu Form. Marc. I. 25. 37. 38 supplem. 2. Form. Tur. 33.

07

e) Hof-Ruaben.

An dem Hofe leben nun ferner in großer Zahl Knaben aus vor» nehmen!) Häufern, die von ihren Vätern?) oft ſchon in zartem Alter?) in das palatium gebracht werben, Hier von frühauf Höfifche Sitte, den Gang der Gefchäfte zu lernen und dem König, fpäter dem Hausmeier näher zu treten. ‘Der König will daher nicht dulden, daß Sanct Wandrigiſel, da er ihn in deſſen Jugend in feinem (Hof-)Dienft ?) gehabt, ohne feine Erlaubniß die Tonfur genommen und läßt ihn in ten Palaft entbieten. Sie werden von ihrem Vater oder auch vom König Häufig einem der geiftlichen ober weltlihen Großen befonvers zur Erziehung, Beauffichtigung, aber auch zur Beſchützung und Be— förderung empfohlen (commenbirt)5).

Zahlreiche Beiſpiele von folchen in zartem Alter oder doch „von ber Schule hinmweg“®) an den Hof gebrachten Söhnen von Vornehmen gewähren bie Beiligenleben: fie follen dort die eruditio palatina, bie höfiſche Ausbildung erhalten für den Hof- und Statsbienft, für das militarı.

Daß der major domus als folcher dieſer Befchüger war”), ift nicht nachweisbar, nur daß felbftverftäntlich wie alle Leute und Aemter am Hof, die aulici palatini®), die palatina officia auch diefe „Bagen“,

1) v. St. Aridii II. c. 3 ipsa tamen generosissimae nobilitas parentelae .. de domo illum parentum regiam transire coegit in aulam; »coegite: es war alfo faft zwingende Sitte, ſ. v. St. Ebrulfi unten Wandrig. II. c. 2.

2) v. St. Austrigiseli c. 1; aber auch ber König Sefiehlt das wohl, unten.

3) v. St. Leod. c. 1 a primae . . aetatis infantia.. So jehr war das Regel, daß e8 bie Formeln Marc. I. 14 vorausfegen ab adzsliscentia aetatis eorum (nobis famulantur); v. St. Valentini palatinam militiam in adolescentia pro dignitate parentum administravit. Dagegen St. Arnulf. 1. c. in reiferer Jugend cum jam bene edoctus ad roboratam pervenisset aetatem, ebenjo St. Austrigisil l. c. cum a minore ad robustiorem pervenisset aetatem.

4) in suo ministerio 1. o. c. 7. ed. Arndt p. 33.

5) ab scholis eum recipientes regiam introduxerunt in aulam atque regi Francorum eum magno cum honore militaturum commendaverunt v. St. Hermenlandi (+ 720 als Abt von Aindre) A. 8. ed. Bolland. Mart. III. P. 976.

6) v. St. Aridii (Aredii', Abt ven Sanct Yrieir, geft. 591 (micht von Gregor) 25. Aug. V. p. 182. Greg. Tur. X. 29, Urgeid. III. ©. 515.

7) Waitz IIb. ©. 108.

8) Greg. Tur. X. 29, Urgeſch. III. ©. 514.

508

wie man fie genannt bat, ver Oberleitung bes Hausmeiers unterftellt waren; dieſe fo in tie Gewalt bes Königs gegebenen Knaben waren zugleich Geiſeln für die Treue ihrer Väter. „Da ver König erfährt, von welch hohem Adel (der Knabe Sanct Ebrulf) fei, beftehlt er, fofort ihn an dem Hof vorzuftellen, ihn würdig erachtend, am Hofe zu bienen“!).

Außerorbentlich zahlreich find die ung zumal in ben Heiligen- leben überlieferten Fälle?), fie werden am Hofe „aufgenährt”?), in ber Schulbildung und im Glauben erzogen ®).

Auch diefe Pagenftellung heißt officium, ministerium, milıtia, (militare): fie werben auch in den Waffen®) wie fonft in weltlicher Zucht®) unterwiejen, fie heißen unter einander commilitones?). Sie bilden infofern eine Art Schule: aber schola heißt auch ein- fach „die Schaar“, fo bei Venantins Fortunatus: »cui schola con- grediens plaudit amore sequax«S).

So wurde Sanct Sigiramnıs?) Flavead, einem mächtigen Manne, zur Erziehung beigefellt, fam jo in ven Palaft „und warb von jenem in hoben Ehren zu höheren Stufen, wie ſich die Würben der Welt gliedern, erhoben“. So wird Sanct Filibert, „leuchtend vom Glanze bes Adels, vom König dem optimas Audoen, der unter dem golpnen

1) v. Ebrulfi Mab. I. c. 3: doch waltet biebet nicht feindliche Abſicht.

2) S. die Zufammenftellung bei Wait IIb. ©. 109; aber auch aus Greg. Tur. X. 29, Urgeſch. W. ©. 514f. aus Ven. Fort. IV. 4.

3) innutriti Abbonis epist. ed. Bouquet IV. p. 46 in nutriti (nutritii?) v. I. 5. Wandrig. c. 6. Hist. epitom. c. 59.

4) Iſt das der Sinn des von Wait angeführten scholastico atque dominico educatus est dogmate? dogma ift doch nicht wohl Herren-Dienft = Königsbienft.

5) militaribus gestis ac aulicis disciplinis quippe ut nobilissimus nobi- liter educatus v. II. Wandrig. co. 2; v. St. Aridii l. c. commendatur ut eum instrueret eruditione palatina; fo heißt e8 wie von Sanct Hermenland von Sanct Ficinins (geft. c. 605 als Bifchof von Angers) 1. c. 13. Febr. II. p. 678 cumque jam pleniter edoctus ad roboratam pervenisset aetatem pater ejus commendavit eum Chlotario regi von Sanct Filtbert, geft. 684 als Abt von Jumidèges, 1. c. 20. August IV. p. 75 eum regi Dagoberto commendare studuit.

6) sub saeculari diseiplina militare v. St. Austrigiseli 1. c.

7) v. St. Austrig. ]. c. erat regi gratissimus et universis commilitonibus amantissimus.

8) Gegen zu weit gehende Annahmen folcher Hofichulen bei Bitra und Digot II. treffend Waitz ©. 121 die schola des Bifchofs von Paris Greg. Tur. X. 26, Urgefch. III. ©. 507 fo den Inbegriff der niederen Geiftlichen.

9) Abt von Longoretum, Lonrey geft. c. 655 c. 1. Mabillon II. p. 432.

509

Wehrgehäng ſtarke Gottesliebe barg und unter ven Großen bes Neiches ſehr bervorleuchtenp war”, zur Seite gegeben).

So heißt e8 von Sanct Valentin?): „gemäß der Würbe feiner Ahnen (Aeltern) ftand er ſchon in früher Iugend im Hofdienſt“.

Aber auch wer geiftlihem Stande beftimmt war, warb am Hof erzogen und bier feinem Biſchof überwiefen ?).

Dem major domus befonbers zugetbeilt worden war Sanct Arnulf), „der den in vielen Verfuchen Bewährten alsdann für ben Dienft des Königs Theudibert II. geſchickt machte”.

Allmälig ftiegen biefe jungen Höflinge zu ven Hofäntern auf: zuerft zu ben niebrigeren tes Mundſchenk, (des Notare), dann des Neferendars (mit Domefticus) 5): „Wie es zu geben pflegt am Königs- hof, daß die edlem Gefchlecht Entftammten gemäß ver Würbe ber Welt- lichkeit zu verſchiednen Ehrenftellen erhöht und von manchfaltigem Glanz umgeben werben“®). Selbjiverftändlih erlangten fie dann auch (wie DBonitus) Aemter in ven Provinzen: fo warb Siagrius „nach langem Dienft im Palaft der Franken und vertrauter Gefellung mit König Chlotbachar II.” Graf von Albi und fpäter Richter (rector) zu Maffilia?).

f} Außerordentliche Beauftragte.

Aus diefen vertrauten Hofbeamten des Palaftes entjenvet nun ber König auch „von feiner Seite“ (a latere) jene außerordentlichen Beauf- tragten, die in bie regelmäßige Aemterglieverung in ben Provinzen, biefelhe durchbrechend, eingreifen, zu prüfen, zu unterfuchen, zu ftrafen, zu berichten an ben König und die Betheiligten an ihn zu fenben,

1) v. St. Filiberti c. 1; Waitz ©. 110 ertlärt als ſolche Jugendpflege auch, daß Jemand viele Biſchöfe, Herzoge und domestici unter ber Schwinge feines Schutes barg; v. St. Desider. Caturc. c. 3; ein ſolcher Pfleger heißt nutritor, tutor Ven. Fort. IX. 16 te tutorem alii nutritoremgue fatentur.

2) vita l. c.

3) divinis dogmatibus et monastieis disciplinis in aula regia erudiendus: fo Sanct Lantbert, Biſchof Theobarb Godiſtalk v. St. Lantberti Mab. III 1. o. 3.

4) v. St. A.1. c. c. 4. Gundolfo subregulo ... exercitandus in bonis artibus traditur; über Gogo und Chrodinus f. Hansmeier VIL2. ©. 187f.

5) Das Beifpiel des heiligen Bonitus, zulegt rector von Maffilia, führt an Waitz ©. 111.

6) v. St. Bigiramni c. 3.

7) v. St. Desid. Cat. c. 1.

510

aber auch die ortentlihen Beamten zu ergänzen, mit überlegnen Kräften Unruhen niederzufchlagen, äußere Feinde abzuwehren: jene missi, Sendboten, die vereinzelt fchon lange vor Karl dem Großen vorkommen.

Die am Hofe geiftlih Erzogenen werben ebenjo fpäter Aebte und Biſchöfe: der König ſchickt fie oft einfach ex palatio auf ten Biſchof⸗ ftuhl?), aber freilich gingen auch für ben Reichsdienſt Gebildete fpäter oft aus weltlichen Aemtern in geiftliche über?).

10. Die Königin.

Die Königin bezog felbjtverftändlih Einkünfte aus Gütern in ihrem Eigenthum: und bei ver Mifchung von öffentlicher und privat- rechtlicher Eigenart ſolcher Einkünfte waren darunter auch wohl Ab- gaben, bie wir heute als rein ftatliche, als Steuern bezeichnen würden: fo empfing 3. B. Brunichildis nad) dem Vertrage von Andelot das Eigentbum, d. h. tie Einkünfte von Cahors fofort, die aber von Bordeaux, Limoges, Bearn und Cieutat, die ihre Schwefter als Braut- (hat und Morgengabe erhalten hatte, erft nach vem Tode Guntchramns?). Dagegen erhielt die Königin nicht als folche Antheil an ven gewöhn- lihen dem Stat, dem König zufließenden Steuern.

Eine Stelle bei Venantius Fortunatust), die fo geveutet wer: ben Eönnte, ift doch nothwendig anders zu erklären: von befonveren der Königin von dem König überwiejenen Einnahmeantheilen.

Daher bedurfte die Königin auch befonverer Beamten zur Ber- waltung ihres Vermögens: fie hat, wie einen major domus®), fo mehrere domesticos®), agentes [Anberevus agens)?).

Die Königin trägt „nach barbarifcher Sitte” koſtbare Gewänder

1) Chloth. ediet. c. 1.

2) ©. Biſchöfe; Epist. 9 Bouquet IV. p. 39 sub seouli hahitu in oontu- bernio . . prineipie.

3) Greg. Tur. IX. 20, Urgeid. III. ©. 426.

4) v. St. Radegundis ed. Krusch (1885) III. 9. p. 39 se sua cum facul- tato eleemosynae dedicavit. Nam cum sibi aliquid de tributis accideret, ex omnibus quae venissent ante dedit decimas quam recepit.

5) Oben VIL 2. ©. 187f.

6) Ueber deren urfprüngliche Verrichtungen als Verwalter ber domus f. VII. 2. S. 172f., domesticus ift aber auch einmal Hausgenofle, d. h. Familienglied, Ehe gatte Ven. Fort. v. St. Rad. II. 6.

7) v. St. Rad. XXIV. 79.

511

ans innen mit Gold und Edelſteinen gefhmüdt!), die umftehenven Dienerinnen (puellae) der Königin loben es als wunderſchön, allein Königin Radegundis erachtet fi) unwürdig ſolches Linnens (linteolo), zieht es eilends aus und ſchickt es als Altardecke an bie nächfte Kirche. Radegundis ſchenkt bei ihrer Einfleivung als Nonne „das edle Gewant, das fie an höchften Fefttagen mit großem Gefolge bei öffentlichem Auf: zuge zu tragen pflegt”, dem Altar, ihren ſchweren Goldgürtel läßt fie zerbrechen den Armen zum Gefchent?).

Die Königin übrigens bezeichnet regina auch die Könige- tochter, bevor fie einem König vermählt ift: 3. B. Nabegundis?), d. 5. als Sproß des thüringiichen Königshaufes ift und Heißt Herrin des Palaftes, »domina palatii«®).

Selbitverftändfich ift es nur von thatfächlichem Einfluß gemeint, wenn Urfio Brunichilden zuruft: „es genüge dir, unter beinem Mann die Herrſchaft geführt zu haben, jegt aber tft dein Sohn König und nicht burch deinen, durch unſeren Schu wird fein Königthum gejchirmt”).

Ebenfo ift gemeint, was Venantius Bortunatus von ter „Mit: berrfchaft” Fredigundens neben Chilperich fingt: nur die Erſprießlichkeit, nicht die Mächtigkeit ihres Einfluffes lügt der arge Schmeichler $).

Wenn Gregor Königinnen, die nicht Negentinnen find, unmittel- bar Handlungen der Statsgewalt, 3. B. der Strafgerichtshoheit, aus⸗ üben läßt, zumal Fredigundis fo fette die ftatsrechtlich richtige Auf- faffung hiebei ftillfchweigende, im Voraus ertheilte Ermächtigung bes Königs voraus: die Königin als folhe hat die Statsgewalt nicht: thatfächlich freilich übte fie z. B. Fredigundis, zu Recht und zu Unrecht, auch ohne Ermächtigung im Einzelfall, ficher, ihr Ehilperich werde fie nicht verleugnen’).

1) Venant. Fort. v. St. Rad. IX. 21 quasi mavortem lineum savanum auro vel gemmis ornatum more . . de barbaro; hierüber Du Cange ed. Hendschel VI. p. 1. 2) XIIL 29. 3) Ven. Fort. v. St. Rad. IV. 12 nata et nupta regina. 4) L o. 5) Greg. Tur. VI. 4, Urgeſch. III. ©. 2331. 6) ed. IX. 1. p. 204: Principis et oulmen participata regit . . Regis magna nimis curarum pondere portans Qua pariter teeum moderante palatia crescunt Cujus ex auxilio floret honore (!} domus,

7) Bergl. Greg. Tur. V. 46. 48, Urgefch. III. &. 223 und oft.

512

III. Schranfen des Königthums.

1. Ueberbleibfel ver alten Volksfreiheit. Die Ver— fammlungen vom Dorfding bis zum Hofgericht und Reichstag.

a) Allgemeines. Aeberfidt.

Ueberbleibjel der alten Volksfreiheit haben ſich zumal dftlich vom Rhein und in Norboftgallien, wo Franken dichter fievelten er- halten auch in ber Zeit ver königlichen Machtfülle und in ver ver Adelsherrſchaft.

Zwar weggefallen iſt mit der Volksverſammlung das Recht bes Volkes, über Krieg und Frieden!) und als oberſtes Gericht?) zu entfcheiten: allein in den Landgemeinden leben bie Freien unter jelbft- gewählten Obrigfeiten und unter dem Schute des Genofjenrechts und Genoffengerichts ziemlich in der früheren Weife fort.

Meberhaupt ift, was von ber alten Freiheit übrig, vor Allem in ven Verfammlungen zu finden®), die wir, ausgehend von dem engiten Berbante, dem der Gemeinde, und empor fteigend bis zu den Hof- und Reichs⸗Tagen, nun zu betrachten haben.

So ift e8 wohl nod aus ver Zeit der Volksfreiheit ftehen ge- blieben, daß der Dingfrieve in folcher Verfammlung der Nechtsgenoffen dem Gemeinfreien das Wergeld ebenjo verbreifacht wie feit dem gewaltigen Auffteigen des Königthums Königsgefolgichaft und Königsamt.

Jene Verſammlungen find das Dorf-Ding*) oder bei Hof: Siedelung®) das Höfer- Ding, über beiden die der Hundertichaft, wo fie eben vorkommt. Die der Grafihaft, des Gaues erfcheint in biefer Zeit nicht ®) als orbentliche, mag auch ver Graf für beftimmte Zwede z. B. Aufgebot des Heerbanns”), Vereiden bei Thronwechjeld) bie Männer aller oder mehrerer Malberge feines Gaues zufammenrufen

1) Oben ©. 3621. 2) Oben ©. 38. .

3) Ueber die dem Königthum gegenüber felbfländige Stellung des Freien in Gemeinde und Sau Wait S. 383.

4) Oben ©. 38. 5) Oben VII. 2. ©. 1f.

6) S. unten. 7) Oben VOL. 2. S. 251.

8) Oben ©. 434. ®

513

an Einen Ort. Ebenfo beruft nur ganz ausnahmsweife der dux eine Berfammlung aus mehreren Gauen in bie Hauptftabt feiner provincia. Weggefallen ift alſo die Verfammlung des Gaues!) und der Völker fhaft?): alfo die eigentlihe VBollsverfammlung des alten Gau⸗States und des fpäteren States der Völkerſchaft: eine Verſammlung alfer freien Männer aller im Frankenreiche vereinten Stämme ober auch nur der Franken und Romanen in ganz Gallten kam nie vor, auch nicht unter Chlodovech, Ehlothachar I. oder Ehlothachar II., als fie das ganze Neich beherrfchen. Der Hof-Tag over Reichs⸗Tag auch nur Eines Theilreiches hat ganz andere Zufammenfegung als die alte Boltsverfammlung?). Das Dorf- und Höfer-Ding hatte nur gemeind- liche Bedeutung und Verrichtungen, das ber Hunbertfchaft baneben auch noch ſolche der Rechtspflege *).

b) Die Yerfamminngen im Einzelnen,

Dhne Zweifel gab e8 Dorfverfammlungen®): und biefen die Ge⸗ richtsbarkeit felbftverftänblich nur über Dorfgenoffen und Dorfſachen: 3. B. Allmänndenutzung, Verlegung des Flurzwangs, Beldfrevel auch Handlungen ber freiwilligen Gerichtsbarkeit: Schwertleite, Verlöbniß, gerichtliche Verträge im Wiberfpruch mit dem Grundfag bes Ge- noffengericht8®) abzufprechen, bejteht fein Recht”): dafür zeugt doch auch bie ganze Folgezeit®).

Ueber der Dorfverfannnlung fteht die Verfammlung ver Märter, wenn eine Mehrzahl von Dörfern oder von Höferfchaften eine gemein- ichaftlihe Mark eignet: in andern Fällen find die Dörfler oder Höfer zugleich die Märter.

1) (coneilium pagi) Könige I. S. 84; D. ©. Ia. ©. 185. 203.

2) (coneilium eivitatis) Tac. Germ. c. 6. 11—14. 18. 22. 40. Annal. I. 50. 51. Hist. IV. 14.

3) Oben VII. 2. ©. 34.

4) Oben VII. 1. ©. 84.

5) Und, wie aus den fpäter bezeugten, aber nicht erfi fpäter entflandenen Ver⸗ bältnifien erhellt, Höfer-Dinge.

6) Mit Waitz S. 137.

7) D. ©. Ia. ©. 200—203,

8 Richtig bier gegen Waitz Sohm, Proceß ©. 63, obzwar auf L. Rib. 73, Ed. Chilp. c. 8. p. 10 (marcas ftatt marias zu lefen?) allein nichte zu bauen: die »silva communis« ift wohl jeber Gemein-Wald, alfo auch der der Dorf⸗All⸗ männde: aber die Stelle fagt nicht, daß das Dorfgericht zuftänbig.

Dahn, Könige der Germanen. VII 3. 33

514

Ueber der Verfammlung der Markgenoffen fteht die der Hundert⸗ ihaft, wo fie vorlommt!): vor aller Gleichmacherei muß man fich aber auch hier hüten: oft?) fiel die Mark mehrerer Dörfer oder Höfer: [haften mit der Mark der Hundertfchaft zufammen.

Es foll nun nicht geleugnet werben, daß bei ben Franken tas Ding ber Hunbertichaft als das orventlihe manchenorts regelmäßig vorausgefegt wird: bei den Saliern ift der mallus in Ermangelung anderer Bezeichnung eben als der der Hunbertichaft zu verfteben: bei ben Uferfranten wird das aber nicht gejagt). Der mallus des Grafen ift das orbentliche Ding, wo immer dies gehalten wirt, allerdings ver- muthlich meift das der Hundertfchaft, aber wohl auch gelegentlich das ber Mark. ‘Der »mallus publicus« ift eben das orventliche zuftändige Gericht: welches dies ei, liegt nicht in dem Ausprud‘). Daber ift nichts aus dem Wort zu folgern; mallus:) ift 1) ®ericht, 2) Ber- handlung, 3) Ort = mallobergus = locus ubi mallus est®); gleich- bebeutend placitum: 1) Gericht, 2) Gerichtstag”), 3) Gerichtsort®), 4) auch wohl Vertrag.

In allen diefen Verbänden unt Verfammlungen nicht nur in bem ber Hunbertichaft) lebten nun vie altgermanifchen Wirth- ſchafts⸗ und Rechts⸗Zuſtände fort, zumal recht vom Rhein, dann aber auch in Gallien im Norden und Often, wo nicht der Eintritt in bie römischen Wirthichaftszuftände und eine dichte Provincialbevölkerung bie fränfifhen Anlömmlinge zu Aenberungen zwang.

1) Leider macht Waitz IIb. S. 138 die Hunbertfchaft (und deren Ding) zu dem orbentlichen überall vorauszuſetzenden Berband ber Bauerſchaft ftatt des Dorfes, ber Höferfchaft und der Mark: er muß aber zugeben, baß es bei ven Baiern z. B. feine „eigentlichen“ Hunberten gab: es gab aber auch feine „uneigentlichen“, über⸗ haupt nichts dergleichen: fondern nur Gaue, Marken, Dörfer und Höferfchaften.

2) Aber nicht immer, wie Sohm ©. 210; und ebenfo wenig nie, wie Wait ©. 137; Boretins zu Ed. Chilp. c. 8. p. 10.

3) L. Rib. 32,1. 33, 1. Fred. IV. ce. 83.

4) Anders Wait IIb. ©. 139.

5) Ueber mallus: Münzen eines befiimmten mallus Waitz ©. 306f.; Pact. Child. et Chloth. e. 5; Form. Andeg. 12—16; Senon. 22. 26. rec. 5; Bignon. 8. 13. 14; Sohm &. 63 (richtig gegen Waib).

6) L. Rib. 33, 1.

7) L. R. 52. 66,1 in die placito.

8) Greg. Tur. V. 5. 20. VII. 47, Urgeſch. II. 171. 197. 341.

9) Wie Watt IIb. ©. 138.

915

In diefe unterften und engſten LXebensfreife griff auch das König- thum felten ein: am Wenigften jelbftverftändlich in bie Heinften: alſo bes Dorfes, der Höferfchaft, nur etwa bei jener Spurfolge, dann jpäter bei Verfolgung bes Heidenthums und in Sübgallien!) durch bie Steuererhebung.

Nicht nur in den Verfammlungen ver Bunbertichaften?), auch jonft, wo größere Maſſen zufammen kamen, 3. B. im Heer⸗Lager, bei Meffen, oder außerorventlich zufammengerufen wurten, verfünbeten bie Beamten königliche Gefege und Verorbnnungen z. B. Steuern ?), nahmen auch den Treueid ab*). Widerſetzt fich hier das Volk mit Gewalt), fo ift das Rechtsbruch, nicht Ausübung ftatsbürgerlicher Rechte: daß es an gefeglichen Werkzeugen hiefür, an Verſammlungen mit foldher Be⸗ rechtigung völlig fehlte, ift ein Hauptmangel biefer Verfaſſung geweſen.

Insbeſondere giebt es bei den merovingiſchen Tranten®) ein Gauding nicht mehr und noch nicht: erft in arnulfingifcher Zeit?) ward ein ſolches wieder gejchaffen.

Daß in der Zeit vor Aufrichtung des Stammeskönigthbums vor Chlodopech Gaupinge beftanden, ift mit Nothwendigkeit anzu- nehmen: wo follten benn jene „langbaarigen Könige“®) gekoren worben jein? Der zweifellos nachgewiefene Gauftat Chilbirich8 und ver Vor⸗ gänger Childirichs ift ohne Gauding gar nicht zu denken: weßhalb follte auch nur den Franken gefehlt haben, was für alle Germanen ver Urzeit gleichmäßig bezeugt und im Gauftat fo unentbehrlich ift wie Saurichter oder Gaukönig? Iſt nun dies Gauding vor Chlodovech vorhanden und nach ihm nicht mehr, fo folgt, daß Chlodovech, nach Aufrihtung und Kräftigung feines Neichs - Königthums ®), kein Gaubing

1) Oben ©. 96 f.

2) Wie Sohm ©. 279, Marc. Form. I. 40 ganz beflimmt erflärt: dann fol e8 aber ein Stüd des Boltsheeres fein!

3) Chloth. Edict. oc. 8 ubioumque census novus addetus est et a populo reclamatus.

4) Form. Mare. I. 40 locis congruss (b. h. nah Wahl bes Grafen) per civi- tates, vicos et castella congregare faciatis; ſchwerlich doch lag ber mallus einer Bauerſchaft in einem Caſtell!

5) Greg. Tur. V. 4. 28, Urgeſch. III. S. 109. 203.

6) Anders bei Baiern und vielleicht auch bei Alamannen; f. beibe.

7) Was nur mit fhwerem Fehler der Methode ohne Weiteres auch für bie Merovingen angenommen wirb von Zöpfl II. S. 208 und von Daniels I. ©. 555.

8) Oben ©. 485. 9) Anders Waitz IIb. ©. 178.

33*

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mehr duldete aus guten Gründen! Die Berfammlungen der Heinen Hundertfchaften waren einerfeits ungefährlich und andrerfeits für das Wirthichafts- und Nechtsleben unentbehrlich !).

Eine Tantesverfammlung je aller jaltfchen und je aller ripnarifchen Gaue hat es nie gegeben: unter und nach Chlobovech nicht jetes Zeugniß biefür feblt2): der »campus Martius« iſt Heeresverfamm- fung?) und vor Chlodovech nicht, da damals keine höhere Gewalt tiber den Ganlönigen ftand: etwaige gemdinfame Opferfefte mehrerer ober auch aller Gane kommen dabei ftatsrechtlich nicht in Betracht. Von den Landesverſammlungen der Alamannen und Baiernt) ift wohl nicht anzunehmen, daß biefelben ſchon vor der fränfifchen Herrſchaft beftanben, ober, daß die Merovingen dieſe gefährliche Einrichtung getroffen hätten: vielmehr daß fie erft aufgelommen, feit die Herzoge dieſer Stämme fich thatfächlih von den Merovingen unabhängig gemacht hatten c. 640—700: gerade als Ausprud der ftatlichen Selbitftändigleit: e8 waren bie „Reichstage“ diefer Heinen, werdenden, aber Kurzlebigen „Neiche*: und fie beftanden dann, von den Arnulfingen geduldet, fort; aber num ben fränkiſchen Ordnungen bienend.

Hätte es) zur Zeit der Entftehung ber Lex Salica eine gemein» falifche Vollsverfammlung gegeben, jo wäre doch wohl auf dieſer, nicht auf den mehreren einzelnen Mallbergen®), die Aufzeichnung und Gut⸗ heißung gemein-jalifchen Rechts erfolgt.

Kein Landes» oder Stammes-Ding, am Wenigften ein ungebotenes, ift e8, wenn einmal ein Königefendling”?) für einen beftimmten Zwed eine Verfammlung beruft, die unbeftimmte Gebiete umfapt®) und keinerlei Rechte auszuüben, nur Bnigliche Erlaſſe hin zu nehmen bat.

1) Auch Form. Andec. 31 fett nicht eine Grafihaftsverfemmiung in ber eivitas rteben ber Hundertfchaftsverfammlung woraus: der Verlierer der Urkunde läßt von Eentenar und Nachbarn ein Zeugniß ansfellen, das er dann »in cvi- tate« bei’m Grafen, aber nicht in einem Grafen ding verwertbet.

2) Es ift alfo nicht nothwendig anzunehmen, erſt die Merovingen hätten ſolche Landesverfammlung unterbrüdt, wie Waig IIb. ©. 182.

3) ©. unten und Heerbann.

4) ©. dieſe.

5) Wie Sohm meint.

6) Wie auch Sohm, Proceß der Lex Balica ©. 153, ©... S. 40 annimmt.

7) 3.8. Form. Marc. I. 40.

8) Mit der vita St. Tygriae (geft. im VI. Jahrhundert) einem ganz fpäten Machwerk A. S. 25. Juni p. 74 iſt gar nichts anzufangen.

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Der angebliche?) Gegenfaß von „Regierungs-Berfammlungen* und Gerichts-Verfammlungen bat weber in ver altgermanifchen noch in ber fräntifchen Zeit beſtanden: ſchon in dem altgermanifchen Ding wird Recht gefprochen, aber auch das Heer gemuſtert, ver Krieg beichloffen, ber Bündnißvertrag errichtet, das Frühlings oder Aerndte⸗Opfer, die Umlage für die Opfergaben dargebracht, die Aufnahme neuer Märker, die Rodung des Waldes, bie Vertbeilung der Deichlaft, bie Bewirtbichaftung ver Allmännde, ver Felderwechſel, die Auswanderung berathen und bejchloffen: find das nun entweder Negierungs- oder Ge- richts⸗Verſammlungen oder vielmehr beides? Ebenſo in den fräntifchen placita.

Auch die Sprache beweift das nach Zeugniß ber Zeitgenoffen: nicht nur eine Gerichtsverfammlung, jede Verſammlung (concio) der Stanfen?) unter dem Grafen beißt mallus.

Bor Chlodovech beftanden bei den Saliern aljo jevesfalles Ver⸗ ſammlungen ber Einzelgaue ober mehrerer Einzelgaue, die unter je einem König ftanden, aber nicht VBerfammlungen aller Salier.

Dei den Uferfranten bat eine ganz außerorpentliche Stammesver- fammlung Chlodoveh zum Stammeskönig gewählt: wahrfcheinlich ftanden aber auch hier wenigftens wor der Zeit des c. a. 500 ermorbeten Sigiberts mehrere Könige (und daher Verſammlungen) nebeneinander; wenigftens find im früherer Zeit mehrere gleichzeitige Franken⸗Könige in Gegenden erwähnt, in welchen Salier nicht lebten).

Diefe VBerfammlungen hatten aber nicht das Recht, ohne Berufung durch den König zufammen zu treten, wie bie alten ungebotnen Dinge‘).

c) Herresverfammiung. Märsfeld5).

Das zur Mufterung ober zum Kriegezug aufgebotne Vollsheer ber campus Martius und fpäter campus Madius bat bie alte

1) Bon Sohm 5. 293 behanptete.

2) v. St. Wandalrici Leucon. e. 11 eoncioni (praesidebat comes) quod rustici mallum vocant.

3) ©. oben VII. 1. ©. 30f.

4) Wie Brunner II. S. 126 treffend bemerkt, der auch richtig bie Bezeich⸗ nung einer folden Verſammlung als Meichs“⸗ oder „Stammes - Berfammlung” meiftens als Fiction erlennt; (auch das Heer warb ja keineswegs immer voll» zählig aufgeboten).

5) &. oben Heerbann VII. 2. S. 251f. Berfehlt iſt W. Sidels, Die merovingifche Bollsverfammlung, Mittheil. d. Inftituts f. öfterr. Geſchichtsforſch, 2. Ergänzungs-

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Bollsverfammlung zunächſt in Einer Nichtung eben als Heeres» verfammlung erfegt!). Die Treigebung bes litus vor dem König durch Schatwurf fett nicht die Heeresverſammlung voraus ?).

Wahrſcheinlich traf?) das Frühlingsbing und bie Heerichau zu» fammen mit dem großen Frühlingsopfer‘), das in den Mitte Bebruar bis Mitte März umfaffenden Tagen gefeiert zu werben pflegte.

Die altgermanifche Heeresverfammlung verlor ihre Eigenart ſchon unter Chlodovech durch Aufnahme der Romanen in das Heer?)

In Neuftrien und Burgund kam daher das Märzfeld, wie es ſcheint, ſchon bald nach Chlobovech außer Hebung ®).

Dagegen erhielt ſich bie Sitte in Auftrafien, wo alsdann das Volksheer wie fpäter der Reichstag auch Königliche Geſetzvorſchläge durch feine Annahme zum Recht erhob. Die decretio Childiberti II. von a. 596 faßt Beichlüffe zufammen und veröffentlicht fie als Geſetz,

band 1888 S. 300 (derfelbe: zur Geſchichte bes D. Reichstages, 1. Ergänzungsband 1885) Auffaffung bes Heeres als einer „Erwerbsgenoſſenſchaft“ (t), bie das Mit- eigenthum an ber Beute vertheilt.

1) Ueber die Frage, ob der König dieſe Heeresverfammlung um Zufimmung zu einem zu führenden Feldzug anging, angehen mußte, f. oben Vertretungs⸗ bobeit” ©. 2627.

2) Diefe Auslegung von L. Bal. 26, 1 G.⸗V. ©. 50 bat Sohm jet wohl jelbft aufgegeben. Die Erklärung ber Stoffe zu dieſer Stelle (nur Ein Zert hat bier überhaupt »in hoste«s) ana theata al8 „vor dem König” (theata = thiu- dans) mit Waitz I. ©. 326. IL. S. 104; Kern, Gloſſen S.36 ober die von 3. Grimm (Sohm S. 49 und v. Sybel ©. 171) „vor dem Boll und 46, 2: »ante theudaa: coram rege? oder coram populo? ift für unfere Frage gleichgiltig, ba jedesfalles 26 die Heeresverfammlung und 46 die Mallbergverfammlung an- zunehmen wäre, bie beibe nicht beftritten find. Ganz falih iſt Kern's neuere Deutung von theada als einem „weiteren bem bei Hessels p. 534 thunginus gleihftebenden Beamten” —: ein folder ift nirgend bezeugt.

3) Wie ich fchon früher vermuthet habe Bavaria I. 1860; Baufteine I. 1879 S. 370f.; D. G. Ia. ©. 298f.; fo jet auch Brunner II. 1892 ©. 130; Jahn, bie beutfchen Opfergebräuche bei Aderbau und Viehzucht.

4) ©. oben Ostar-stuofa ©. 161, 164.

5) Sp treffend Brunner I. ©. 126.

6) Brunner II. ©. 128 hält die Bemerlung in ben Gesta abbatum Fon- tanell. ed. Loewenfeld p. 17. c. 8 zu einer Urkunde aus Compiegne, baß bie Franken jedes Jahr „wie allbelannt” zum Märzfeld zufammengelommen ſeien, für eine Uebertragung aus ber Zeit der Aufzeichnung (c. 840) in bie mero- vingifche: wohl mit Recht.

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bie „früher unter Vorberathung mit den Großen und darauf folgender Zuftimmung aller unfrer vereinten leudes gefaßt worden waren auf ven Märzfelvern von Andernach, Maftricht und Köln!).“

Die in Auftrafien alſo nie erlojchenen Märzfelder alter Sitte wurden von ben Arnulfingen auf das ganze Reich (wieder) erftredt?).

Beichlüffe über den Krieg zu faffen hatte dies arnulfingifch- tarolingifche Märzfeld nur höchſt ausnahmsweife (Langobardenkrieg, aquitanifcher): auch die zuweilen eingeholte lärmhafte Zuftimmung zu andern Beichlüffen des Königs und ber Großen hatte nur bie Be— deutung des Jaſagens zu Vorentſchiedenem.

Zuſammenfaſſend können wir alſo ſagen: das zum März⸗ oder Mai⸗Feld verſammelte Volksheer bildete nicht mehr die alte Volksver⸗ ſammlung: aber es konnten ihm einzelne Verrichtungen derſelben vom König zugetheilt werden; oder richtiger: das Märzfeld übte ſolche Ver⸗ richtungen kraft ſeines unvergefinen alten Rechts: Zuſtimmung zu Geſetzen, welche Reichs- oder Stammes⸗Recht änderten, Entſcheidung außerordentlicher Thronfolge (z. B. Sigiberts J. Erhebung), Findung eines wichtigen Urtheils, z. B. um Hochverrath und dann auch gleich in altgermaniſcher Weiſe Vollſtreckung durch das geſammte Voll). Aber auch im bürgerlichen Verfahren kann das Märzfeld entſcheiden).

d) Hof- und Reihs-Enge.

Wir können zwar Hoftage und Reichstage unterfcheiden: auf jenen beräth fich ber König mit den bauernd ihn umgebenben, ven zufällig anwefenden over auch mit beſonders berufenen geiftlichen und weltlichen Großen, erläßt auch wohl Verortnungen: auf biefen find außer den Großen des Hofes Angehörige des ganzen Reiches ober doch mehrerer Stämme etwa auch das Volksheer anweſend: es werben Geſetze, Reichögejege oder Aenverungen des Stammesrechts, auch etwa Frieden wird befchloffen. Neichstage in biefem Sinne waren alfo bie Verfammlungen, in benen Chilperichs I. Edict (convenit, placuit et

1) Cap. I. p. 15 pertractare ... . convenit una cum leodos nostros om- nibus nostris adunatis: bier bilben bie leodi ben Gegenſatz ber optimates.

2) W. Sidel, Götting. gel. Anz. a. a. DO. bat bingewiefen auf den antiquus mog des campus Martius, bei dem Pippin der Mittlere in koftbarer Gewandung erſchien; er fchenkt fie St. Corbinian v. St. Corbin. c. 4.

3) ©. meine Erflärung von Greg. Tur. V. 25, Urgeſch. II. S. 202.

4) v. St. Salvii Bouquet III. p. 647.

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convenit) „unter Zuftinmung ber optimates, antrustiones und unferes gefammten Volles“ bejchloffen warb!), ebenjo wurde ber pactus pro tenore pacis zwiſchen Chilvibert I. und Chlothachar 1.2) nad ben Epilogen zur Lex Salica®) „mit von feinen Franken“, „mit von feinem Reiche” (cum rignum suum) vorverhandbelt‘). Allein da es an be- ftimmter Stanbfchaftsabgrängung gebricht, auch abgejehen von ber Aenverung des Stammesrechts an ber der Zuftänbigfeit, ſchwanken Hof- und Neichötage leicht ineinander, fo daß zuweilen nur bie Zahl ber Anwefenden den Unterfchied ausmacht: 3. B. ber Tag zu St. Duen- fur-Seine von 6275, auf dem die Biſchöfe und alle proceres von Neuftrien und Burgund erjcheinen »pro utilitate regia et salute patriae«, ift wohl mehr Reichs- denn Hof⸗Tag. Wurden zu einem Hoftag auch andere Freie der Umgegenb berufen oder in Auftrafien das Märzfeld, fo ging der Hoftag in einen Reichstag über.

Wie mit den März. (oder Mai-) Feldern bringen die Könige bie Reichs⸗ oder Hof-Tage auch gern mit den Kirchenverfammlungen in Zufammenhang, ohne daß doch hier wie im Weſtgotenreich das Concil zugleich Reichetag wäre: beide tagen gleichzeitig, aber getrennt, oder unmittelbar hintereinander: fo ſchloß fih an die Synode zu Lyon von 581°) eine Berathung ver Bifchöfe (und von weltlichen Großen) mit König Guntchramm über weltliche Händel. So, folgte 613/4 auf das V. Eoncil von Paris ein wichtiger Reichstag dafelbft.

Auf den merovingifchen Hoftagen erfcheinen bie den König dauernd umgebenden Hofbeamten (bie Hofpomeftici) und Antruftionen, dann Herzoge, Grafen, auch wohl Provincialdomeſtici, an Geiftlihen nur Biſchöfe. Im arnulfingifcher Zeit verfchwinden die »domestici« und bie Antenftionen, an ihre Stelle treten die Vaſſallen (des Hofftates und aud aus ben Provinzen Berufene oder in eignen Sachen Auf- tretende) und an bie Seite der Biſchöfe die Aebte ver bedeutenderen Klöſter.

1) Capit. L. p. 8. 2) L. c. p. 4. 3) Hessels Column. 423 (pertractavit) 4) Der Codex Lugdun. hat majores .. natus Francorum palacii pro- cerum. 5) Fredig. IV. 55, Urgeſch. III. ©. 619. 6) Ueber die Zeit f. Urgeſch. III. S. 233 (zu Greg. Tur. VL 1).

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Aber durchaus nicht Tann man!) in biefen merovingifchen Ver⸗ jammlungen ben vechtsgefchichtlichen Keim von ftändifchen und parla- mentarifchen Vertretungslörpern finden: gerade von „VBertretung” ift nicht die Rebe: bie Erfcheinenden wollen nicht Andre vertreten, bie Abweſenden betrachten fich nicht als vertreten durch zufällig in eignen Angelegenheiten Erfchienene oder vom König DBerufene, nie ald von ben Abwejenden gewählte oder entjenvete Anwefende (eher kämen vie galliichen Provincialtage unter Honorins in Vergleich): es find bie mittelalterlichen Stänveverfammlungen und die Barlamente, ohne jeden Zufammenhang mit den merovingifchen placita, aus neuen Bebürf- niffen heraus erwachſen?).

Daß im Süpen und Welten früher als in Auftraflen vie großen Derfammlungen burch Kleinere Hoftage verdrängt werten, beruht doch wohl einfach auf ber geringeren Dichte fränkifcher Bevölkerung). Die Zuftändigkeit diefer Verfammlungen wird bis das allgemeine Sinten ver Königsmacht eintritt etwa 638 vielfach bejchräntt.

So wird bie Gejeßgebung allmälig viel mehr als zur Zeit ber Aufeichnung ber Lex Salica von dem König in Anfpruch genommen: er hat jett das »dictare legem«, wenn er auch dabei Rechtskundigen den Auftrag der Ausführung ertheilt. So heißt es vom Baiernrecht: „König Theuderich wählte zu Chälons weile Männer in feinem Reich, die in den alten Rechten bewanvert waren. Nach feiner Angabe (ipso dictante) befahl er (ihnen) zufammenzufchreiben das Recht der Franken, Alamannen und Baiern und für jedes Volt unter feiner. Herrichaft nach deſſen Gewohnheitsrecht, Nicht-Umfichtiges und Ungeordnetes fhnitt er weg und was nach Sitte der Heiden war, änderte er gemäß bem Geſetz der Chriften ).“

Aber Chilperich erläßt doch fein Edict nur „nah Berathung mit ben obtimates, antrustiones und all unfrem Voll“: wieberhelt5) wird von Vereinbarung (»convenite, »placuit atque convenite) ge ſprochen. Childibert II. bat feine Erlaffe auf den Märzfeldern zu Andernach, Maftricht und Köln von dem Volksheer beſchließen laſſen ®).

1) Mit Brunner II. ©. 130.

2) Bol. Dahn, der Werdegang des beutichen Rönigthums Banfleine V. S. 348, der Werdegang bes Statsgedantens bei ben Wefgermanen Hirths Annalen 1891.

3) Anders Brunner II. ©. 126.

4) Prolog. Leg. III. p. 259. Oben &. 372.

5) e. 3. 5. 6) 0.1.2.3. 4. 8.

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Auch Zufäge zur Lex Salica find „vereinbart” worben zwilchen König und Volk!).

Freilih wird dann auch ter Zuftimmung (dev Großen und) bes übrigen Volles der Alamannen und Baiern gebadht?).

Wird alfo im Alamannen- und Baiern-Recht Manches unmittel- bar als Verfügung des Königs Hingeftellt, fo ift doch wohl bei wich» tigeren Dingen Zuftimmung des Stammes⸗Tages vorauszufegen ober bloße Anregung durch den König: minder Wichtiges, z. B. in Aus- führungsbeftimmungen, verfügte der König freilich allein durch Ver— ordnung.

Der Befehl zur Veröffentlichung (die „Promulgation‘) geht vom König auch bei Beichlüffen des Neichstages aus: damit verbindet er auch wohl das Gebot, dem Berkünteten zu gehorfamen bei Meidung ber Zahlung des Königsbannes: fo erklärt fich, daß nach der Erwäh- nung der Vereinbarung (convenit) doch noch der Bann beigefügt wird).

Diefer Zufag (vet ita bannivimus«) muß doch etwas beteuten und kann nicht als bloße Wieberholung des »convenit« gefaßt werden®): bie ausbrüdliche Nennung des allbelannten Betrages des Königsbannes war überflüffig. Allein Teineswegs kann andrerſeits dies »bannire« bazu gebraucht werden, das befonvere Amtsrecht, Königsrecht im Gegenfag zu Vollsgejeg und Reichsgeſetz zu beweiſens). Denn das bannire (gleichbedeutend: jubere, decernere, observare) wird nicht nur Verordnungen, wirb gerade auch Reichsgeſetzen, d. h. mit dem Reichs⸗ tag vereinbarten, angehängt.

Irrig aber wäre es, unſere heutige Unterſcheidung von Geſetz und Verordnung auch im Sprachgebrauch jener Zeit ausgedrückt finden zu wollen: zwar bie Stammesrechte heißen bier nur »lex«, (anders bei Langobarden), aber edictum, decretum, decretio, prae- ceptio, autoritas werden von Verordnungen nicht nur, auch von Be- ſchlüſſen bes Reichstags, die ber König fanctionirt hat und nun verfünbet, 1) Behrend p. 98 »convenit«; aber die gleiche Nachricht von Chlodovech p. 123 1. e. ift Doch zweifelig.

2) Ueberfchrift ver Lex B.: hoc decretum apud regem et principibus ejus et apud cuncto populo Christiano qui infra regnum Merovingorum con- sistunt: alfo nicht nur baierifhe Stammes-, fränkiſche Reiche-Verfammlung.

3) Childib. decr. c. 8 convenit et ita bannivimus; c. 5 dagegen blos: ita jussimus observare; c. 7 ita decrevimus observare.

4) Dies gegen Wait IIb. ©. 231.

5) Wie Sohm will a. a. O.

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alfo auch von „Sefegen“, gebraucht. Und unter jenen 5 Ausbrüden befteht kein Begriffsunterſchied)). Gunthramn nennt in Einem Athen feine Verkündung der Befchlüffe des Concils zu Mäcon?): decretum, definitio generalis, edictum, auctoritas.

_ Auctoritas und praeceptio bezeichnen aber auch eine einzelne Königsurkunde, zumal ven darin enthaltnen Befehl?).

Da es eine Vollsverfammlung der Gemeinfreien nicht mehr gab, nur „Reichstage*, auf denen thatſächlich faft nur die Großen erfchtenen (und feltene Stammestage, wo Vornehme und Volk die Aufzeichnung ber lex gut heißen), bat es kaum Boden, bamals zwifchen der Zuftimmung bes Adels und der des Volkes zu unter- ſcheiden). Daß regelmäßig nur die Einwilligung ber (geiftlichen und weltlichen) Großen angeführt wird, erklärt fich daher leicht5), zumal, wenn Concilienſchlüſſe als weltliches Recht verkündet wurden: denn auf dem Concil erfchienen nur vornehme Laien®). Der Vertrag von Anbelot a. 587 wird gefchloffen unter Vermittelung ver Biſchöfe und Großen’), Aber auh in dem Vertrag zwiichen Chilbibert und Chlothachar, der fonft der Zuftimmung der Großen gefchweigt, wird gelegentlich der Vereinbarung mit ven Biſchöfen gebacht®).

Nur einmal wird die Zuſtimmung nicht nur ber Großen (ob- timates und antrustiones), auch bed Volles (populus) erwähnt: von Chilperich?), weil!) Hier tief in das Familienrecht eingegriffen wart.

Antrerfeits giebt es Erlaſſe ohne jede Erwähnung der Mitwirkung

1) Ebenfo Decretio Childiberti = edsetus c. 4 qui ... edietum nostrum ausus fuerit contempnere; ebenfo »edictus« Chilperici; Chloth. Edict. p. 25 quam auctoritatem vel edictum. Praeceptio p. 18 per hanc generalem auctori- tatem praecipientes p. 19 praeceptionem hanc.

2) c. 11.

3) Form. Mare. I. 12—17. D. 3. 4. 9—12.

4) Wie Boretins Capitularienkritik S. 28.

5) Chloth. e. 24. p. 23 hano deliberationem . . cum 1) pontificibus vel tam 2) magnis viris optimatibus aut (= et?) 3) fidelibus nostris in synodale concilio instruemus; hier fönnten bie fideles das Volt fein follen: denn jeder Untertban heißt fidelis = leudes; daher bedeutet: »aut« bier wohl nicht: »et« fondern: »id este.

6) Daher Chloth. e. 24; oben Anm.

7) Greg. Tur. IX. 20, Urgeſch. III. ©. 424.

8) o. 14 sicut cum episcopis convenit.

9) Ed. c.1.p.8.

10) Wie Watt IIb. ©. 231 triftig bemerkt.

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Anderer !): fo wenn Childibert und Dagobert das Heidenthum be» kämpfen ober Guntchramn die Juden?). Allen keineswegs beweift das Schweigen über folche Mitwirkung jevesmal deren Nichtvorhanden⸗ fein, wie Chlothachars II. Beiſpiel zeigt, deſſen praeceptio ) auch nicht der Bifchöfe und Großen gedenkt, ohne deren Mitwirkung fie ficher nicht entftand®). Ebenſo ging bie Heibenverfolgung Chilbiberts boch - gewiß von Anregung purch die Biſchöfe ans.

Bei der faft ausnahmslos bezeugten Mitwirkung der Großen (oder des Volles) bei der Geſetzgebung kann man alfo durchaus nicht 5) „eine über jeden Zweifel erhabne gefeßgebenne Gewalt den Känigen allein auf allen Gebieten des Rechts“ zufprehen: am Recht irgend eines Stammes konnte ver Frankenkönig allem nichts ändern. Daß bie Zuftimmung nothwendig war, wirb freilich nicht gejagt: das liegt nicht im Geift der Zeit, nicht in ber Ausprudsart ver Quellen.

Beichräntt fi) Verordnung oder Geſetz nicht felbft auf Einen Stamm oder Ein Volt (Römer Germanen) oder Einen Stand (Geift- liche), fo gelten fie gleichmäßig für alle Angehörigen des Reiches ®).

Ohne Zweifel gab es aber fchon damals wie in ber karolingiſchen Zeit capitularia, die nur sin legem« eiues einzelnen Stammes »missa« waren, fehlte e8 auch zuweilen an ſolch' ausbrüdlicher Beſchränkung: fo die Zufäke zur Lex Salica. Dagegen das Edict Chilperichs7)) ift nicht auf Salier befchränft, denn es hanvelt von „alten unſern leudes“®).

Beichränkungen der Königsgewalt werben feit 614 ber Krone wieberbolt abgebrungen: wahrlich nicht ohne Gegenleiftung hatte ber verrätberifche geiftliche und weltliche Adel von Auftrafien und Bur- gund 613 unter Vernichtung der Junkerbändigerin Brunichildis Chlo- tbachar II. zum Ein-König ber drei Reiche gemacht: er mußte ſchwer bafür bezahlen (f. oben S. 456). Auf das V. Concil von Baris folgte ber Reichstag von Paris, die beide zuſammen dem König eine Magna charta abzwangen.

1) Irrig daher Stobbe I. ©. 215.

2) Rad Ce. Mäcon.

3) Anders das Edietum; f. oben ©. 523.

4) Anders Boretius, Capitularienkritik ©. 23.

5) Mit v. Sybel ©. 361.

6) So find Boretius S.64 und Wait Ib. ©. 234 zu vereinen. 7) Das Behrend p. 105 als eben foldhes behanbelt.

8) e. 2.

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Auch für Burgund mußte Chlothachar 616 auf dem Concil!) und darauf folgenden Reichstag zu Bonneuil?) dem burgundijchen Hausmeier Warnachar, dem Haupte der Verfchwörung gegen Bruni⸗ hildis, deffen DVerrath er am Meiften verbankte, ſodann ven Biſchöfen und Großen von Burgund (Burgundae faronis) alle ihre „gerechten“ Bitten bewilligen und das durch Verorpnungen (praeceptionibus) befräftigen®): wohl eben durch die praeceptio Chlothachariit).

Und wenn auch nicht von jedem der num folgenden Reichstage bezeugt ift, daß er königliche Bewilligungen durchſetzte, fo fpricht doch bie zunehmente Häufigkeit diefer Verfammlungen, die bis zu Gunt- chramns und Brunichildens Tod äußert felten gewejen, für bie num raſch wachfende Macht des geiftlichen und weltlichen Adels, an deſſen Zuftimmung die Krone in Gefetgebung und Verwaltung immer enger gebunden wird.

Schon gleich nach Brunichildens Untergang und dann nach Da- gobert wird immer häufiger bei ven Beichlüffen ver Könige in Fredigar wie in den Urkunden die vorherige Befragung, auch die Zuftimmung ber geiftlichen und weltlichen Großen angeführt); die Formeln fegen dies daher jeßt voraus‘). Zahl und Auswahl der zu Befragenven ſchwanken freilih: aus naheliegenden Gründen (f. oben VII. 2 major domus) find die Hofbeamten am Häufigften genannt”).

Auf einem burgundifchen Neichötag zu Troyes (626) erklären „alle proceres“ und „leudes” einftimmig, fie wünfchen nicht die Wieber- befegung des erledigten Majordomats 8).

1) So richtig Hefele, Conciliengeſchichte III. ©. 66; anders Waig IIb. ©. 236; aber es warb offenbar verfahren wie 614 zu Paris.

2) Urgeſch. DI. ©. 605.

3) Fred. IV. 44, Urgeich. III. ©. 605.

4) Capitular. I. 1. c.

5) ©. die zahlreihen Beläge aus Fredigar im Folgenden unb die Urkunden:

cum consilio apostolicorum ... vel inlustrium virorum . . . consensu fidelium nostrorum , . cum consilio pontificum vel procerum nostrorum: D. 21. 22. 26. 48.

6) Form. Marc. I. 56 una cum pontificibus vel proceribus nostris ... (primatus populi pertractantes).

7) D. 26 per consilium .. omnium Francoram prudentium palatium nostrum inhabitantium.

8) Fred. IV. 54 Chlotharius cum proceribus et leudibus Burgundiae Tricassis conjungitur .. omnes unanimiter denegantes se nequaquam velle majorem domus eligere, regis gratiam obnixe petentes cum rege transigere. Urgeid. III. ©. 613.

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Im Jahre 627 verhanvelt ein Reichstag der neuftrifchen und burgundifchen Bifchöfe und Großen zu Saint Duen-fur-Seine !) mit Chlothachar wieber „über ven Bortheil des Königs und das Wohl bes Vaterlandes“ 2).

Allein gerade hier zwingen bie auftrafifchen Großen dem auf das Aeußerſte widerſtrebenden König die Abtretung wichtiger Gebiete an Auftrafien ab): erft nach fchwerem Streit, er war über feinen „Vortheil“ alfo ganz anderer Meinung! durch Schiedſpruch von zwölf vornehmen Franken unter Bifchof Arnulf von Meß (und wahr: ſcheinlich Pippin): biefem Schiedfpruch eines Ausſchuſſes des Reiche- tage muß ſich aljo num vie Krone fügen! Höchft wahrjcheinlich war ihon 622 die Gewährung eines eigenen Königs für Auftrafien dem wiberftrebenven Ein⸗König auf einem Neichstag, jedesfalls aber burch den auftrafiichen Adel‘) abgerungen worden.

Im folgenden Jahre (628) bietet nach Chlothachars Tod Dagobert alle auftrafifchen leudes auf, zieht nah Soiffons und nimmt dort bie Huldigung aller Bifchöfe und leudes von Burgund entgegen, der fih bald ver größte Theil derer von Neuftrien anfchließt). Kleinere Hoftage, Gerichtstage, nicht eigentliche Neichdtage hier wird ber Unterjchied deutlich: es handelt fih nur um Rechtspflege hält er dann im nächjten Jahr in Burgund und Neufter umberziehend zu Langres, Dijon, St. Jean⸗de⸗Losne an der Saone, Chälons an ber Saone, Autun, Aurerre, Sen, Paris ®).

Später erholt fih Dagobert Rathes bei feinen „Franken“, wie er fich über die aufgenommenen Bulgaren entjcheiden folle (a. 630), aber doch wohl nicht auf offnem Reichstag warb deren fcheußliche Ermortung befchloffen”); 632 wird auf einem Neichstag zu Metz „unter Zuftimmung ber Biſchöfe, proceres und aller primates ber brei Reiche Dagoberts“ die Einfegung Sigiberts III. zum König von

1) Nicht Elihyla-Sarenne, wie Waitz IIb. S. 236, Richter I. S. 156 und Urgeſch. III. ©. 619.

2) 1. c. IV. 55, Urgeſch. III. ©. 619.

3) Urgeid. III. ©. 619.

4) Urgeſch. III. ©. 606f.

5) 1. c. IV. 56, Urgeſch. III. ©. 622.

6) 1. c., Urgefch. III. ©. 622.

7) Fred. IV. e. 72, Urgeſch. III. ©. 634, Wait, Götting. Nachrichten 1869 ©. 135.

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Auftraften befchloffen!). Und ein Zufanmenfein des Königs Dagobert mit allen primates, Biſchöfen und antern leudes Auftrafiens, aljo einen Reichstag der Ort wird nicht genannt ſetzt e8 voraus, daß bei der Erbtheilung zwiſchen Sigibert III. und Chlodovech II. 633/634 die Auftrafier, die Hände auf die Reliquien legend, das Be⸗ fchloffene bejchwören 2).

Solche Verfammlungen der Großen im Anfchluß an eine Synobe, auch wohl an ein Aufgebot des Heeres, oft aber ohne folche Ver⸗ bindung, kehren nun immer häufiger wieder; »generale placitum« aber, fpäter der amtliche Ausprud für den karolingiſchen Neichtag, findet fih damals nur in zwei falfehen Urkunden 3): zuerjt in ber vita St. Ansberti®) (c. a. 700), denn bie Gesta Dagoberti, bie freilich >( ihon im Jahre 636 (23. Mai) ein »placitum generale« zu Bigargium (Garges, Seine-et-Dife) oder Lusarca (Luſarches) kennen, find „eine unzuverläffige Compilation aus dem Ende des IX. Sahrhunderts“$). Diefe Verfammlungen, berufen vom König oder vom Hausmeier, entjchieden den Streit unter ven Königen (oben ©. 526), fie wählen bie Könige (oder beftätigen oder erzwingen beren Ernennung burch den Vater) und die Hausmeier: fie beſchränken vie Rechte ver Könige (614) oder der Hausmeier. So erheben nach Dagobert Tod (639) „alle leudes von Neufter und Burgund Chlodovech II. zu Masolacus villa (Mälaysle-Roi) zum König“ ”).

So theilt eine Verfammlung zu Compiegne, bejucht von ben Hansmeiern und einigen primates als Vertretern Neuftriens, Bur⸗ gunds und Auftrafiene, die Schätze Dagoberts unter ben beiden Reichen (630) 8).

So wird auf Betreiben der Regentin Nantichild auf einem bur- gunbifchen Reichstag zu Orleans (642) Flaochat zum Hausmeier von

1) le. IV. 75, Urgefh. II. ©. 637.

2) l.c.c. 76. Austrasiorum omnis primatis pontevecis coitirique leudes Sigyberti manus eorum ponentes insuper sacramentis firmaverunt. Urgeſch. III ©. 639.

3) So ridtig Waitz IIb. ©. 237.

4) Geſt. 695, von Aigrad gefl. c. 701, cap. 22.

5) c. 39 ed. Krusch.

6) Wattenbah I. ©. 105.

7) Fred. 1. c. IV. 79, Urgeid. II. ©. 645.

8) Fred. IV. 85, Urgeſch. III. ©. 646.

r-

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Durgund geloren „von allen Bifchöfen (seniores), allen Herzogen (docebus) und primates bes Reiches, nachtem die Königin jeden einzeln biefür gewonnen“: nachher verfichert Flaochat allen Berzogen und Biſchöfen von Burgund brieflich, ja auch eiblich, jeden in feinem Rang und feiner Würbe zu belaffen: eine erhebliche Einſchränkung alfo ver Macht der Krone und des Majorbomats!).

Noch im felben Jahre (642 Mai) hält Flaochat zu Chälons ein »placituma mit verjammelten Bifchöfen und Herzogen von Burgund, „über die Wohlfahrt des Landes zu verhandeln“: befgleichen im Sep- tember einen Hoftag zu Autun, an dem auch neuftriiche Große er- jcheinen: es follte ein Gerichtstag werben, zu welchem ber Führer ber Gegenpartei, ber patricius Willibad, vom König zur Verant- wortung (und Vernichtung!) geladen wird: ber Bedrohte läßt es lieber auf die Waffen anlommen?).

Gewiß geſchah e8 in ver Form eines (NeichE-)Hof- Tages, unter aus⸗ drücklicher Zuftimmung wie auf Antrag ver Großen wörtlich beißt es: „Alle* ftellen diefe Bitten! feiner fiegreichen Partei, daß Leobigar nah dem Sturz Ebroins (670) jene Beftimmungen (decreta) erließ, welche die Krone, ganz befonders aber den Majordomat in Höchft empfindlicher Weiſe zu Gunſten des Adels befchräntten: ein Wechſel, eine Reihenfolge im Majordomat je nach Beichluß ver Mehrzahl ber Großen und Zwang für den König, die Grafen und andern Be⸗ amten jedes ver Neiche nur aus ben Großen bes einzelnen Reiches zu wählen ?).

Nur ein Hof-(Gerichts-)Tag war e8 dagegen, vor ben (a. 673) Biſchof Sanct Praejectus von Arvern geladen warb*); und bie Ber- jammlung, vie Leodigar abſetzte (678) und verurtbeilte, war gar feine weltliche Tagung, fonvern ein Eoncild).

Damit haben wir diefe Verfammlungen bis auf den Beginn ber

1) 1. c. 89, Urgeſch. III. ©. 653.

2) 1. c. 90, Urgefh. II. ©. 655. Waitz nimmt auch für den 23. Juni 653 eine Reichsverſammlung zu Clichy (vielmehr St. Duen) unter Chlobovech II. an, weil bier 14 Biſchöfe, 2 Diacone und 30 weltliche Große unterfchrieben: aber wir wiffen nur von Beflätigung einer Verleihung für St. Denis D. 19.

3) Vita DI. St. Leod. c. 4 ne de una provincia rectores in aliam in- troirent .. ., mutua(lm) successione[m) culminis (b. h. des Majorbomats) habere contubernales. Urgeſch. III. ©. 686.

4) l. c., Urgeſch. III. ©. 687.

5) 1. c., Urgeſch. III. ©. 6877.

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arnulfingifchen Zeit herab begleitet!)., Treffend hat man?) herbor- gehoben, wie dieſer Biſchofs-2) und Adels⸗Tag in Feiner Weiſe bie verſchwundene Vollsverfammlung zu erfeten geeignet war: es fehlte an jeder feften rechtlichen Geftaltung: wie der König over Hausmeier fie nur nah Willkür berief fie hatten nicht da8 »jus collegüie: ftetS wird die beſondere Berufung hervorgehoben, Ebroin verbot fogar, ohne Berufung oder Erlaubniß in das palatium zu fommen!‘ jo fehlte jede Feftftellung der Standſchaft: jeder Gemeinfreie durfte erſcheinen °).

Allein thatfächlich erfchtenen wohl ähnlich wie bei ben Deut: fhen Neichstagen des X. und XI. Jahrhunderts nur folche Klein- freie, die ein Anliegen zu vertreten oder in ber Nähe bes Drtes ihren Wohnfig hatten ®): fie mußten längft erkannt haben, daß auf ihre Stimmen nichts mehr anlam: vie Hofbeamten begleiteten den König, die nächften Biſchöfe und Beamten der Umgegend kamen von felhft oder auf Entbietung: auch andere wurden wohl ausdrücklich bes rufen”), das Voll) nur, wo in Stammesverfammlungen oder Reichs⸗ verfammlungen?) das Stammesrecht geändert werben foll.

Und fo unbeftimmt wie die Standſchaft war die Zuftänbigkeit biefer Berfammlungen: es lag dem Rechte nah völlig in ber

‚Hand bes Königs oder des Hausmeiers, ob er bei Kriegserklärungen,

Königswahlen, Streitigkeiten der Theilreiche einen Reichstag oder eine

1) Denn die unter Chlodovech III. vom 28. Febr. 693 zu Balenciennes war

wohl nur ein Hoigericht; anders Walt IIb. S. 241: wir erfahren nur von einem

Berfäumnißurtheil.

2) Watt IIb. ©. 238.

3) Aebte erfcheinen erft in Larolingifcher Zeit regelmäßig, wohl aber ſchon damals Diacone als Vertreter von Biſchöfen (3. 8. 653, 23. Juni D. 19; f. Waitz IIb. ©. 239 und bie ältere Literatur daſelbſt.

4) Urgeſch. III. ©. 682.

5) Lezardiere I. p. 119. 564. 586. So richtig Waitz IIb. S. 238 gegen ältere Anfichten, wonach bie Reihsftanbichaft an bie Standſchaft auf den Sy- noben geknüpft war (Runde: aber bier erichienen faft nie Laien und flinmten desja les nie) ober an Aemter ober Immunitäten (Montag L) ober an bie galliihen () Ritter- und Druiden» VBorrechte (Unger, Landſtände I. ©. 50) oder an die „Rechte” der altgermanifchen Priefter (dagegen |. D. ©. Ia. 221f.) ober an bie Gefolgſchaft (Phillips I. S. 473).

6) Anders Lezardidre a. a. 0.

7) Anders Wait IIb. ©. 239.

8) populus Ed. Chilp. p. 8.

9) Prolog. Leg. Al. et Baj.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 34

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531

öftlich vom Nhein, fünlich von der Loire zu verlieren fürchten mußte und wirklich verlor, hielt diefe ftatSverberberifchen pflichtlofen Junker und fogar manche Priefter nicht im Mindeften zurüd.

Der ſchwankende Kampf der Krone mit dem ‘Dienftadel, in dem fie ſeit 614 und 638 befiegt wird, einerjeits, das wirthichaftliche Erliegen bes mittleren und Keinen Bauernitandes gegenüber dem geiftlichen und weltlichen Großgrundbeſitz andrerſeits, das find bie beiden wichtigften Entwidlungsreihen im Meerovingenftat nach der Reichsgründung durch Chlodovech bis zum Siege der Arnulfingen. Diefe, zumal Karl Martell, bänbigen ben ‘Dienftabel, ziehen die abgefallnen Oſt- und Süd⸗Lande wieder heran und Karl der Große trachtet in väterlicher Weisheit, bie Kleinen vor dem Berfchlungenwerden durch vie Großen zu fchügen: aber fchon gleich nach feinem Tode wächlt ver Dienft- (jet Vafallen-) Adel dem karolingiſchen wie früher dem merovingiſchen Königsthum abermals über die Krone, und die ohnehin ergebnißlofen, weil verfpäteten „ſocialen“ Beftrebungen zum Schuß der Mittel» und Kleinbauern werben alsbald von den ſtets unter einander hadernden Karolingen aufgegeben.

b) Die fdhädlichen Wirkungen des Dienfadels,

Nur gar felten tritt hervor, daß „das Volk“, der unabläffigen Bruderkriege mübe, ven Königen Einhalt auferlegt: die Großen, bie das Boll aus der Macht verbrängt hatten, fanden in biefen Kämpfen ihren beften Vortheil: daher find es nur bie „Heineren Leute”, vie fich einmal im Heere Chilbiberts gegen die räntereichen vornehmen, geift- lichen und weltlichen Führer der Kriegspartei erheben!). Einmal heißt es: die Brüder haben fich nicht nur untereinander, auch „ven Franken gegenüber“, wie Gregor fagt, verpflichtet, nicht eigenmächtig Paris zu betreten): bier find aber wohl wieder nur die vermittelnden Großen der Theilreiche gemeint. j

Und wenn fpäter einigemale „vie Franken" als handelnd genannt werben®), fo find thatfächlich doch die optimates babei die Ent- ſcheidenden.

Ein ſchweres Unglück traf das Merovingenreich durch den frühen Tod des kraftvollen Sigibert I.: er war nach Allen, was wir von ihm wiſſen, von ven Exblaftern feines Gefchlechts: Tüde, Mordgier, Wolluft

1) ©. oben ©. 365. 2) Fred. III. 90. p. 118. 3) Bel Fredig. 590—613. 34*

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Kleinere Berfammlung Bevorzugter befragen ober auch etwa allein entfcheiten wollte.

Und nad dem Sieg des Majordomats unter Ebroin, Leodigar, vollends Pippin (689) werben bie von 613—660 fo häufigen Ber- Sammlungen viel feltener, bis fie unter König Pippin und zumal feinen Söhnen nun als feiter geordnete Tarolingifche Reichstage wieter auftauchen.

Treffend bat man bemerkt!), wie bier auch das Unterbleiben ber Synoden feit c. 6602) einwirkte, an die fich früher unter Gunt⸗ chramn bis 622 häufig Reichstage gefchloffen Hatten.

Der Mangel an einer geregelten Mitwirkung des Volles an ber Leitung des States, zumal die ftatsrechtliche Entmündigung der Heinen und mittleren Freien war einer ber allerfolgenfchwerjten Fehler ber fränkiſchen Verfaffung: er hat zweimal gegen Merovingen feit 613 und gegen Karolingen feit 814 ven Sieg des ftatswibrigen, recht- brecherifchen, ftatsverderblichen Adels über die Recht, Einheit und Heil des States vertretende Krone beförbert?).

2. Der Abel.

a) Allgemeines. Aeberſicht.

Wieberholt fahen wir, in wie verderblichem Sinne ver Dienftabel eine Schranke des Königthums war: denn nicht wie etwa ber eng- liſche im XIII. und im XVII. Iahrhundert kämpfte ber merovingifche für Freiheit und Recht, für das Wohl des Ganzen wider Tyrannen⸗ willkür: die Gräuel Chilperichs und Fredigundens hat ihr Palaft-Adel nicht verhindert, fondern auszuführen geholfen! vielmehr Tediglich für feine felbftifchen zügellofen Leidenſchaften: Habgier, Herrſchgier, Nachgier, Mordgier, Völleret und Wolluft; taß unter biefen wilden Thaten das Reich aufs Schwerfte litt, ja zu zerfallen, feine Außenlande

1) Watt IIb. ©. 241.

2) Bonifatius epist. ed. Jaffe N. 42. p. 112.

3) Ih kann nicht mit Waitz IIb. S. 242 finden, daß das rechts vom Rhein fo viel beffer war: weber im ber fränkiſchen Zeit noch im Dentfchen Reich: auch hier machten bie Heinen Freien won ihren am fich beftebenden echten, 3. B. Reichsſtandſchaft, Königswahl, fehr bald Leinen Gebrauch mehr, weil fie that⸗ ſächlich nichts mehr zu fagen hatten und ausrichteten. Veraltet find aud bie anbern Aufichten über die Reichsverſammlungen bei Montag I. 2. ©. 55; Runde, Abhandlung vom Urjprung der Reichsſtandſchaft der Biſchöfe und Achte S. 527.

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öftlich vom Rhein, ſüdlich von der Loire zu verlieren fürchten mußte und wirklich verlor, hielt dieſe ſtatsverderberiſchen pflichtlofen Junker und fogar manche Priefter nicht im Mindeſten zurüd.

Der ſchwankende Kampf der Krone mit dem Dienftabel, in dem fie fett 614 und 638 befiegt wird, einerfeits, das wirthichaftliche Erliegen bes mittleren und Heinen Bauernftanves gegenüber dem geiftlichen und weltlichen Großgrundbefig andrerfeits, das find bie beiden wichtigften Entwidlungsreihen im Meerovingenftat nach der Reichsgründung durch Chlodovech bis zum Siege der Arnulfingen. Diefe, zumal Karl Martell, bändigen ven Dienftabel, ziehen vie abgefallnen Oft: und Süd⸗Lande wieder heran und Karl der Große trachtet in väterlicher Weisheit, bie Kleinen vor dem Verfchlungenwerden durch die Großen zu fchügen: aber ſchon gleich nach feinem Tode wächſt der Dienft- (jet Vaſallen⸗) Adel dem karolingiſchen wie früher dem merovingifchen Königsthum abermals über die Krone, und die ohnehin ergebnißlofen, weil verfpäteten „jocialen“ Beftrebungen zum Schuß ber Mittel- und Kleinbauern werben alsbald von den ſtets unter einander hadernden Karolingen aufgegeben.

b) Die ſchãdlichen Wirkungen des Dienfladels,

Nur gar felten tritt hervor, daß „das Volk“, der unabläffigen Bruderkriege müde, den Königen Einhalt auferlegt: vie Großen, bie das Volt aus der Macht verbrängt hatten, fanden tn biefen Kämpfen ihren beften Vortheil: baher find es nur die „Heineren Leute“, die fich einmal im Heere Childiberts gegen die ränlereichen vornehmen, geift- lichen und weltlichen Führer der Kriegspartei erheben). Einmal heißt es: die Brüder haben fich nicht nur untereinander, auch „ven Franken gegenüber“, wie Gregor fagt, verpflichtet, nicht eigenmächtig Paris zu betreten): bier find aber wohl wieder nur die vermittelnden Großen der Theilreiche gemeint.

Und wenn ſpäter einigemale „die Franken“ als handelnd genannt werden®), fo find thatfächlic” doch die optimates babei bie Ent- ſcheidenden.

Ein ſchweres Unglück traf das Merovingenreich durch den frühen Tod des kraftvollen Sigibert I.: er war nach Allem, was wir von ihm wiſſen, von den Erblaftern feines Gefchlechts: Tücke, Morbgier, Wolluft

1) ©. oben ©. 365. 2) Fred. III. 90. p. 118. 3) Bei Fredig. 590—613.

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frei. Gleich von da ab beginnt das erfolgreiche Ringen des auftra- ſiſchen Adels in dem verwaiften Reiche mit der Krone. Das Knäblein Chilpibert IL. wird von dem maßlos trogigen!) Adel der Mutter ent» riffen: kraftvoll und verbienftooll zwar tritt Brunichilbis für das König⸗ thum ein eine Zeit lang fiegreih —: (fie fegt es durch, daß fie nach dem Tode des Erziehers Wandelin bie Leitung des Knaben felbft übernehmen mag) 2) zumal feit Öuntchramm fie unterftügt —; eine höchſt gefährliche Adelsverſchwörung unter Rauching, ver felbft nach ber Herrichaft trachtet, wird blutig niebergefchlagen®), in dem Haus- meier Protabins findet fie einen ftarten Vorkämpfer des Königthums, zumal des Kronguts: allein Protadius wird von adeligen Verſchwörern ermordet, bald darauf Brunichildis aus dem Neich ihres einen Enkels vertrieben und endlich durch eine Verſchwörung bes verbünbeten Adels von Auftrafien und Burgund mit dem neuftrifchen zu Gunſten bes Sohnes Fredigundens verrathen und vernichtet. Jedoch Chlothachar II. follte ven Sieg, den ihm ver Dienftabel verſchafft, theuer bezahlen: mit Recht Hat man die Zugeftänpniffe, die er dem geiftlihen und weltlichen Adel machen mußte, eine magna charta im Sinne ber englifhen von 1215 genannt: nur daß die merovingtfche blos dem Adel auf Koften auch des Volkes wie ber Krone zu Statten fam®).

1) Greg. Tur. VI. 4, Urgeſch. III. ©. 233.

2) Greg. Tur. VIII. 22, Urgefd. III. &. 369.

3) Greg. Tur. IX. 9. 12. 14, Urgeich. III. &. 409. 415. 418.

4) Leider wird auh Walt IIb. S. 384 Brunichilden nicht gerecht, wenn auch er fie mit jemer Fredigundis auf Eine Stufe ftellt, die unabläffig zu nur ſelbſtiſchen Zweden morbete! Brunichildis Fämpfte mit echt ſtatsmänniſcher Weis- heit für das Wohl der Gefammtheit und die Krone gegen das reichönerberberifche Junkerthum. Bon ben ihr vorgeworfnen Bluttbaten mögen mande einfach mit Unrecht als »instigante Brunichilde« geſchehen bargeftellt fein, wie es ganz formelhaft fiebenmal bei Fredigar heißt: c. 18. 20. 21. 26. 28. 29. 32, der völlig im Geifte Sanet Eolumbans fehreibt: fie hatie e8 eben mit biefem fiatsgefähr- lichen und ungeborfamen Heiligen gründlich verborben und damit ihren geſchichtlichen Leumund. Einzelne jener Thaten erſcheinen mad der eignen Darftellung ihrer Aukläger als voll bereditigte Strafen. Im anderen waltet Die dem Hochverrath zuvorkommende Strafrechtspflege jener Zeit, bie fie aber ent. fernt nicht in ſolchem Maße wie ihre Feinde übte. Wait hätte nicht dem geradezu unfinnigen Vorwurf ihres Mörbers Chlothachar II. anführen follen, fie babe 10 Frankenkönige gemorbet, darunter den Träger ihres ganzen Lebens, ihren Gemahl Sigibert, das Opfer Frebigundens! Gerecht gegen Brunichild nur Luden III. ©. 540; vgl. Montesquieu XXI. 1, Perry p. 194, Huguenin, Austrasie

533

Der feit 590 und 613 mächtig empor fteigende Dienftadel war in boppelter Richtung dem Königthum gefährlih: einmal unmittelbar, indem der König in allen Beichlüffen an der Großen Zuftimmung ſich gebunden fahi), dann mittelbar, indem er Zahl und Stellung der mittleren und Heinen freien ber einzigen Kraft im Stat, auf bie fich die Krone im Wiberftande gegen ven Abel hätte ſtützen Tönnen, unabläffig verminderte und herab brüdte?).

Beides war viel gefährlicher als die vereinzelten Empörungen von galliichen Großen oder vollends von merovingiſchen Prinzen jelbft wirklichen oder angeblichen?) gegen bie Könige.

Bon entjcheidenvder Bebeutung für das Verhältniß der Krone zum geiftlichen und weltlichen Adel wurben zwei Erlaſſe Chlothachars II., das „Edict“ und die »praeceptios.

Alsbald nach feinem Siege, gleich nach den Beichlüffen bes V. Concils von Paris, (am 18. October 614) erließ Chlothachar fein „Edict“, zum Theil gleichen Inhalts, aber mit ftärkerer Herübernahme römifch-rechtlicher Sätze und deßhalb vielleicht nur für Neuftrien oder Burgund beftimmtt).

p. 317, Digot II. p. 156; Bonnell ©. 94 irrt, indem er Alles auf „KRachfucht“ zurüdführt und fle mit den Hausmeiern um bie Macht ringen läßt, während fie fih doch umgelehrt des Majorbomats als Waffe bebient hat. Beſonders fchroff findet fi die herkömmliche Verurtbeilung Brunichildens bei Löning II. ©. 67: er tabelt fogar Gregor den Großen für „bie volllommenfte Schmeichelei, die... . bie Tugenden ber radhebürftigen und im ihrer Herrſchſucht maßlofen und vor keinem Verbrechen zurüdichenenden (!) Fürſtin nicht lant genug zu preifen vermag“. Um gekehrt: man muß aus dem Lob und der Freunbfchaft eines fo ausgezeichneten Mannes er ftand der Königin der Zeit nah und der Kenntniß nach doch etwas näher als wir! folgern, daß die von jenem glaubenswüthigen Mönch und feinen Verehrern und Schülern, von dem Sohn ihrer Tobfeindin und von dem flegreihen Dienftadel nad ihrem Sturz zur Beſchönigung des eignen Ber raths erhobenen, zum Theil geradezu widerfinnigen Anklagen Berläumbungen ober doch arge Uebertreibungen find. Bgl. Urgefh. III. &. 599. Die Ahnen ber Arnulfingen waren unter jenen Verſchwörern und bie ganze Geſchichtsſchreibung jeit 687850 iſt arnulfingtich gefinnt!

1) S. oben S. 520—528.

2) S. oben S. 531.

3) Munderich Greg. Tur. III. 14, Urgeſch. II. ©. 84f.; Gundobald Greg. VI. 24. VII. 10, Urgeſch. III. &. 259. 300.

4) Waitz IIb. ©. 389 meint: „ohne Zweifel für einen Theil des Reiches, wo das römifche Recht Überwog”; |. oben VOL. 2. &. 40.

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Die praeceptio ift dann im Wefentlichen eine Anweifung an bie Deamten behufs Ausführung der Beftimmungen des Ebicts!).

Sie wiederholt einmal die Beichlüffe des V. Eoncils von Parts, die Weltliches enthalten, und fügt eine Reihe von Beftimmungen bei, bie offenbar die weltlichen Großen von ber Krone heifchten, zum Theil Bejeitigungen wirklicher Uebelftände, zum Theil Entfcheidungen unge- wiſſen Rechts, vor Allem aber Zugeftänbniffe an den geiftlichen und weltlichen Abel ?).

Die bejondere Rüdficht auf Römer und Anpaffung an römiſches Recht?) läßt annehmen, daß bie praeceptio für ein Land mit ftart

1) Nach langem Schwanken muß ich doch bie praeceptio Chlothacharii auf Chlothachar II. beziehen; entfcheibend ift für mich, daß ein Sohn Chlodovechs dem Dienftadel folhe Zugeſtändniſſe ſchwerlich ſchon machen wollte oder mußte, daß fein heidniſcher Großvater Childirich fchwerlich ſchon pofitine Immunität ben Kirchen (ec. 11) verlieh, daß die bier beflagten Mißbräuche fchwerlich ſchon unter Chlodovech eingeriffen waren; immerhin würbe die Erwähnung eines herrſchenden Bruders, den Chlothachar II. nicht Hatte, für Chlothachar I. enticheiben: doch die Worte »aut germanie« find wohl nur in ber (jüngeren?) Handſchrift beigefligt, bie irr⸗ thümlich an Chlothachar J. dachte: das möchte ich Boretius noch beifügen —. Dagegen Chlothachar und Childibert, die ben pactus fchloffen, waren wohl bie erfien Diefes Namens. So, wie Bouquet, Boretius; zweifelnd Wait IIb. ©. 387: »germanstatis« caritas fanıı doch nicht zwiſchen Bettern gejagt werben und das indisruptum vinculum paßt auf bie fi} von Anfang an töbtlich bekämpfeuden Söhne Brunichildens und Fredigundens durchaus nicht; f. VII. 2. ©. 33. Für Chlo⸗ thachar I. Baluze, Bert, Pardessus I. p. 221; v. Roth, Ben. ©. 224; für Chlo⸗ thachar II. Montesquieu 31, 2; Eichhorn I. S. 479 $ 123; Merkel bei Saviguy VD. 2. S. 48; Naudet p. 340; Guerard, bibl. de l’&cole des chartes I. p. 341; Qu?rard, Austrasie I. p. 324; Boretius L c.; Löning IL ©. 269; v. Sybel ©. 495; Waitz IIb. ©. 387. 683, der gegen Bethmann⸗Hollweg treffend ausführt, baß die decr. Childib. auf Auftraflen, die praeceptio (vor Allem) auf Burgund und Neuftrien gebt, bezüglich der Allgemeinheit ober Beſonderheit ber 30 jährigen oder 10jährigen Verjährung für Römer, Kirchen und Geiſtliche, dann befonbers für Grundeigen und Unfreie. Genauer befiimmbar als zwifchen 614 und 628 if ihre Entflehungszeit nicht.

2) Die Praeceptio und Edictum als magnae chartae ber Zugeftändnifie an den Abel faßt richtig Lehuerou p. 485, ebenfo Brunner II. S. 101; wenn auch nicht blos Neues darin eingeführt wird, iſt fie boch keineswegs nur eine Wieberherftellung alter Rechte des Abels, wie Lezardiere III. p. 358: ſolche echte hatte der Adel nie gehabt; auch ift nicht Lediglich burgundiſches Recht ober burgundifcher Einfluß bier anzunehmen mit Drapeyron, de Burgundiae historia p. 104. |

3) Lex Romana Visigotorum Boretius L. c. p. 18.

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römifher Bevölkerung erlaffen warb: vielleicht ift an Burgund zu denken, beffen Hausmeier Warnachar 616 alle Forderungen ver Bifchäfe und Bornehmen bet Chlothachar auf einer burgundiſchen VBerfammlung burchfegte und burch »praeceptiones« beftätigen ließ !), Die Haupt. bebentung biefer Geſetzgebung liegt aber in ben früher unerbörten Ein- räumungen an den Abel.

Schon Guntchramn verjpricht allerdings in feinem Edict allen Unterthanen ftrenge Rechtspflege, verbietet den Richtern, fich vertreten zu lafjen, fordert die Geiftlihen zur Mitwirkung mit den Beamten auf?), allein das hat durchaus nicht die Bedeutung von Zugeſtändniſſen föniglicher Gewalt an den Abel.

Auch den Vertrag von Andelot von 5873) Tann man mit ven Einräumungen von 614 nicht vergleichen: in jenem erwerben nur bie vertragenven Könige Rechte, bie einander Verfprechungen machen, nur gelegentlich wohl auch zu Gunſten ihrer Großen unb andern Unter⸗ thanen: 614 räumt die Krone den Großen unmittelbar Rechte ein: ber König und die Großen find bier die Unterhandelnven, ift auch das Ergebniß in die Form königlicher Verordnung gekleidet.

Selbftverftändlich verfolgen nicht alle Beftimmungen beider Ver⸗ orbnungen nur den Zwed, ben Adel zu heben und vie Krone zu bes ſchränken; es find auch wahrhaft gemeinnügige Ziele angeftrebt‘).

Die praeceptio verfpricht zunächft, daß jedem Einzelnen und jedem Stamm fein perfönliches Recht gewahrt werben folle Grundſatz bes angebornen Rechts, zumal auch den Römern?).

Ebenjo die Einhaltung des gefeglichen Nechts: ältere Concilien⸗ befchlüffe und die der jüngften Synode von Paris werben beftätigt, freie Wahl der Bifchöfe durch Geiftlihe und Volt wird zugefichert, dem König nur das Necht der Beftätigung bes Gewählten gewahrt und blos ausnahmsweiſe joll der König das fügt er aus eignem Recht hinzu aus feinem Balaft einen zum Biſchof beitellen, ver deſſen "durch

1) Fredig. c. 44, Urgefd. III. ©. 605f.; oben ©. 525.

2) c. 12.

3) Urgeſch. III. ©. 424.

4) 3. ®. Praec. c. 1. 3. 4. Ed. c. 11. 20 gegen bie Immunitätsbeamten; Ausſchluß der Juden ans Bffentlihen Aemtern 1. c.; gegen Mißbrauch und Er- jhleigung Löniglider Urkunden Praec. 5. 7. 9; gegen Frauentaub Ed. c. 18; gegen neue ungerechte Steuern Ed. c. 8; Schub ber Privatwälber gegen bie fiscalifden Hirten c. 21.

5) c. 4.

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Verdienſt und geiftliche Kenntniffe würdig!): Hier liegt ein einfchnei- benber Vorbehalt des Königthums.

Schwerwiegende Zugeftänpniffe werben ben Bilchöfen auf dem Gebiet ver geiftlichen Gerichtsbarkeit, auch in rein weltlichen Dingen, eingeräumt ?), zumal auch über Freigelaſſue und Grunpholden der Kirche), und beſonders bezeichnend für bie gemeinfamen Erfolge des geiftlichen und weltlichen Adels gegenüber ter Krone ift die weitgehende Anerkennung der Wirkungen ber fo verberblichen‘) Immunität fowohl der Kirchen als des Weltabelss).

Den Geiftlichen wird verboten, fich gegen ihren Biſchof an den König oder einen Mächtigen zu wenden; wer fie aufnimmt und troß ber Mahnung des Biſchofs behält, verfällt der Ausftoßung aus der Kirche. Deutlich tft Hier auch ver König felbft gemeint, ob zwar nicht genannt: doch foll Verwendung des Königs dem Geiftlichen Verzeihung feines Bifchofs erwirken (in allen Fällen? |. oben ©. 282).

Zumal zum Vortheil der Kirchen wird bie breißigjährige Ver⸗ jährung des römifchen Rechts zwar nicht nen eingeführt, aber befräftigt®). Alle früheren Schenkungen an Kirchen werben befräftigt”), zumal auch bie älterer Könige®). Weberhaupt werden gar oft die canones bes jüngjten Concils (V) von Paris, fowie die älterer Synoden beftätigt?).

Dem Weltadel wird das verhängnißvolle Recht eingeräumt, daß fortab die Grafen nur aus den reichen Grundeignern des Gaues ge- nommen werben follen, in Aufgebung bes früheren weifen ent- gegengefegten Verfahrens. Dabei follen freilich die Gründe 10) : beffere Rechtskenntniß und zumal Sicherung eines haftenden Vermögens für Schavenerfaß bei Amtsmißbraucht!) nicht als bloße Vorwände an- gefehen werben: allein troß dieſer nebeneinander treibenven auch guten

1) Edict. e. 1.

2) Praec. c. 4; f. oben „Kirchenhoheit” S. 276.

3) c. 14. Cc. Paris. can. 5; oben S. 274.

4) Unten ©. 537—570.

5) Ed. c. 14 salva emunitate . . ecolesise aut potentum. Praec. c. 11 ecclesiae vel clericis nullam requirant agentes publici functionem, qui... immunitatem meruerunt. Mißbräuche ber Beamten der Immunitäten Ed. c. 20.

6) Praec. c. 13.

7) Praee. c. 10.

8) Praee. c. 12. Ed. c. 16.

9) Ce. Rhem. c. 3; vgl. Ce. I. Clipp. c. 4; Maassen y. 194.

10) Denn Praec. c. 1. 4 und Edict. c. 20 gehören wohl auch hierher.

11) Ed. ce. 12.

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Deweggründe war doch die Wirkung des Zugeftänpniffes an ven Adel!) höchſt verberblich für die Krone und die Gefammtbeit.

Während man früher auch zu Amtslehen nur Güter außerhalb des Gaues gewählt und Gaufremde zu Grafen beftellt hatte, mußte jett mit dem erblichen Allod, bafd auch mit den thatfählid erblich gewordnen Amtslehen innerhalb des Gaues allmälig auch das Srafenamt thatfächlid erblich werben in dem num durch Allod, Amtslehen und Amt zufammen mächtigften Gefchlecht des Gaues. Hehnlich verhält es fih zum Theil mit dem Herzogthum.

Daß die berzoglihe Gewalt eine vom König übertragne war, ward in ben von Met over gar Paris entfernteren deutſchen Landen immer weniger empfunden, je tiefer von 613—687 tie Macht des Königthums ſank, je weniger es bier einzugreifen vermochte: auch das Herzogtum ward nun noch viel unantajtbarer als früher erblich bei Alamannen, Baiern, Thüringen, Aquitaniern.

Lebhaft erinnert an Zugeftänpniffe, wie fie etwa im Mittelalter ber fiegreiche Adel Englands ver Krone abrang nach Zeiten innerer Wirren, da die Treue gar oft gebrochen und das Leben daher verwirft war fo in den Kämpfen der Häufer York und Lancafter —, wenn auch bier (abgefehen von ver Beitätigung ver Schenkungen früherer Könige) 2) den Getreuen und leudes verfprochen wird, fie jollen die Güter wieder erhalten, die fie verloren, „weil fie ihren Herren treu geblieben waren": dies follte wohl vor Allem jene fchügen, benen Guntchramn, Childibert und Brunichilvis die Güter genommen, weil fie zu dem jeßigen Sieger Chlothachar gehalten, fchwerlich auch benjenigen Amneſtie gewähren, benen biefer Sieger wegen des Aus- barrens bei Brunichilvis ihre Güter entriffen Hatte3).

3. Die Immunttäten. a) Allgemeines.

Eine gewaltige, zwar ganz allmälig, aber auch ganz beſonders ein- engende Schranke haben fich die Merovingen felbft emporgezimmert in ven „Immunitäten“: freilich, erfunden haben fie die Einrichtung nicht, aber

1) Ebenſo follen die geiftliden und weltlichen Großen für ihre Güter nur Beamte je aus ber Provinz bes Gntes beftellen Ed. c. 19.

2) Praec. c. 12. Ed. e. 16.

3) Ed. ec. 17.

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bie vorgefundene römifche im Lauf der Jahrhunderte von 511 bis 751 fo unabläffig angewendet, theils aus übel empfuntner und übel an- gebrachter „Srömmigleit” »pro mercede animae« theil® aus Schwäche gegenüber geiftlichen und weltlichen unentbehrlich geworbnen Drängern, daß fie ſich nach und nach die Wurzeln ihrer Macht immer mehr ſelbſt abgruben und bie Mittel entzogen, zu belohnen, zu ge- winnen, an fich zu ziehen, d. h. zu berrichen über dies gutgierige Ges fchlecht von geiftlichen und Welt-Großen.

Die »immunitas« bebentete im vömijchen Weiche zunächit bie Defreiung von Laſten (munera onera: früher hatte man beibe unterſchieden und unter munera zumal bie ehrenden, obzwar auch belaftenden Aemter, unter onera vie nur belaftenden: Steuern, Abgaben jeder Art verftanden).

Den Ausgangspunkt bildete die Immunität ver fiscalifchen Güter von der Grundſteuer: dieſe Befreiung verftand fich von felbft, da ja fonft der Fiscus das Geld nur aus einer fiscalifcehen Caffe in eine andere geſteckt hätte.

Diefe Immunität ber fiscaliihen Güter beftand ſelbſtverſtändlich aus dem gleichen Grund im Frankenreiche fort: fie befchäftigt uns bier nicht: nur bie der privaten Güter: ver Kirchengüter und fpäter bie ber Weltgroßen.

Zu dem älteren negativen Theil der Immunität der Freiung trat dann in ber Folge der pofitive der Bevorrechtung: d.h. ber Immmunitätsherr war nun nicht mehr blos von der Steuer» u. f. w. Pflicht befreit, er durfte fortab von ven Infaffen feines immunen Gebietes die fonft vom Stat erhobenen Leiſtungen für fein eignes Bermögen erheben ').

Die Immunität wurbe entweber in einer nur hierauf gerichteten Urkunde (praeceptio immunitatis, emunitas regia?), baber heißt emunitas praecedentium dominorum bie von früheren Königen verliehene, nicht etwa biefen zuftehende Immunität) verliehen ober mit einer Schenkung over mit andern Bevorrechtungen zufammen. Aber

1) Dieſe ſcharfe rechtsbegrifflihe Scheibung fehlt Doch Der mehr nur das That» fächliche befchreibenven Darftellung bei Wait IIb. S. 38. Die von Brunner II. ©. 291 vorgeflagne Ueberſetzung von „Smmunität” mit „Zrelung” trifft nur bie negative Hälfte des Begriffe.

2) Bgl. Über andere Namen Brunner II. ©. 291; muszunga Cap. p. 381 laffe ich ungebeutet.

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bie Schenkung von Königsgut ohne ausdrückliche Verleihung ber Immunität gewährte biefe nicht !).

Faſſung und Inhalt der Immunitätsurkunden bat?) weder für ben negativen noch für ben pofitiven Theil eine Aenderung erfahren, jo lang das Frankenreich beftand: nur daß in ber Älteften Zeit?) ber pofitive Theil noch nicht (immer) binzugetreten war.

b) Entfkehung. Inhalt. Redtseigenart.

Die Immunität der Kirchengüter im römtfchen Reiche‘) rührt wohl urfprünglich in den meiften Fällen davon ber, daß bie Impera- toren feit Conftantin I. und Conftantius II. bei Schenfungen an bie Kirchen den bisher fiscalifchen Gütern die Steuerfreibeit beliefen.

Es erſchien unanftändig und unfromm, von bisher fteuerfreien Gütern nun, nachdem fie Gott, den Heiligen gehörten, plößlich Steuer zu erheben: freilich wirtbfchaftlich fehr unlogifh! Denn bis dahin hatten dieſe ®üter mit allen ihren Früchten dem State gebient, bie er jetzt verlor.

Später ward burch allgemeines Geſetz allen Kirchen Befreiung für alle Güter von munera sordida5) und superindictitia d. h. extraordinaria gewährt. (Negative Immunität Befreiung von ber Grundftener verlieh Theobofius II. a. 424 der Kirche von Theſſa⸗ lonich) e). Valentinian III. bob dies auf und nun begegnen wieber einzelnen Kirchen befonvers verliehene Steuerbefreiungen, auch wohl für alle, nicht blos für die vom Kaifer gefchenkten Güter”).

Im Srantenreich verhielt e8 fich vom Anfang bis zum Ende eben- jo: benn daß die von Chlothachar IL.®) den Kirchen erlaffenen

1) Mit Recht bemerkt Brunner II. ©. 292, es hätte ſonſt an dem Verbot für die Statsbeamten gefehlt, das nunmehr Privateigentyum gewordne Gebiet zu bes fchreiten.

2) S. die Ueberfiht von 511—814 bei Th. v. Sidel, Veitr. III. ©. 19. 42; bie von Chlodovech D. N. 1 iſt wohl falſch, dagegen bie von Perk für falfh er- Härte für St. Denis D. spur. N. 36 edit.

3) Chlodovech 511, Ce. Aurel. c. 5; oben ©. 319.

4) Zachariae von Lingenthal, Gefchichte bes griechiſch-⸗römiſchen Rechts 1877 S. 199f.

5) Bgl. Cod. Theod. XV. 3.6 von a. 423.

6) c. 33. Cod. Theod. XL 1.

7) Ueber Wiebereinführung durch Yuftinian ſ. Zachariage v. 2. a. a. O.

8) Cap. p. 19. 0. 11.

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Leiftungen nicht öffentliche Steuern, ſondern vertragene privatrechtliche Gegenleiftungen waren, ift gezeigt worden!) —; nur ward freilich Die Zahl der fo gefreiten Kirchen immer größer, fo daß Kirchengüter oft gerabezu simmunitates« genannt werben. Verlieh bie Kirche immunes Land zu DBeneflcien, fo verblieb es immun in ber Hand des Em- pfängere (aus vemfelben Grunde wie Kronbeneficien oben ©. 538), weil es ja im Eigenthum ber Kirche blieb. Chlothachar II. drangen bie Kirchen und die weltlichen potentes bie volle Anerkennung ver ihnen von feinen Vorgängern und von ihm felbft gewährten Immuni⸗ täten ab2).

Bon gewilfen munera sordida, auch von ben Municipalämtern waren fehon bie heidniſchen Priefter, ja fogar bie Vorſteher ber Synagogen befreit gewefen?).

Auch beibnifche Tempel hatten häufig Immunität, zumal für ihnen vom Imperator gefchenkte Güter, genoffen.

Wurden fiscaliihe Grundſtücke heibnifchen Tempeln (?), fpäter riftlichen Kirchen überwiefen, was fehr oft geſchah (f. oben ©. 304f.), beließ man e8 bei ver Abgabenfreiheit. Dieſer römifche Urfprung ber älteren, negativen Immunität wird anderwärts genau nachgewiefen werden). Ä

Ein bisher völlig Überjehener, aber entfcheidenter Beweis für biefe Entftehungsurfache der Immunität und ein Beweis auch für das Bewußtfein jener Zeit über diefe Urſache ift e8, wenn wieber- holt die Immunität geradezu bamit begründet wird, daß das Klofter, bie Kirche auf ehemals fiscalifhem, vom König geſchenktem Boden ftehed). Ja, in ziemlich gewaltthätiger Schlußfolgerung wird

1) Finanzhoheit“: ©. 103 f.

2) In dem nur ftüdhaft erhaltenen c. 14 feines Ebicts bezieht fi das visi sunt indulsisse auf praecedentium dominorum (im Vorderſatz) als Subject: d, 5. die „Vorgänger“ Ehlothachars.

3) Gieſeler, Kirchengejchichte I. 4. Aufl. S. 272; Über bie fpätere Geftaltung ber Immunität ſ. befonbers Löning II. ©. 724—731.

4) S. Fränkiſche Forſchungen gegen ben Zweifel von Waitz IIb. S. 338 „nielleicht”, aber auch gegen v. Sybel ©. 475. 492, der irrig das Römiſche num faft ohne Veränderung bei ben Franken wiederfinden will. Er folgt hierin franzöftichen Forſchern, die ebenfalls auf Römifches (Befreiungen) zurüdgingen, aber mit hellem Unrecht nun auch fpät-mittelalterlide Gerichtshoheit der Großen ohne Weiteres auf römiſche Anfänge zurüdführten.

5) D. N. 15. Dum super fiscum nostrum videtur esse constructum 97 (quia) in foresta nostra . . vel super fisco nostro videntur esse constructa.

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bie Immunität um beßwillen auch auf anderweitige Schenkungen an das Klofter ausgedehnt, die doch dem Fiscus nicht würden gefpenvet worben fein.

Auch die Immunitäten aljo, dieſe für die Gefchichte bes Franken⸗ reiches freilich befonvers für die Auflöfung der Königsmacht fo entſcheidende Einrichtung, gehen ohne jeden Zweifel auf vorgefundenes Römiſches zurüd: eben auf die Immunität der Fiscalgüter (und es giebt ſchon lange feinen Unterfchied mehr zwifchen Statsgut und Kaifergut, f. oben ©. 83 Finanzhoheit, alfo auch nicht Hiebei), auch ber ver- pachteten oder an Colonen vergebnen: eben beßhalb behielten fpäter auch als beneficia verliehene Krongüter Immunität, da fie ja im Eigenthum ver Krone verblieben (oben S. 540). Diefe Immunität warb beibehalten, ausbrüdlich bekräftigt von ben Imperatoren, wenn biefe Biscalgut an Tempel, fpäter an Kirchen, auch an Laien ver- ſchenkten. Aber auch umgekehrt erlangten Private Immunität, falls fie Güter dem Kaiſer gefchenkt und an biefen nunmehr fiscalifchen Gütern fih den Nießbrauch vorbehalten batten!). ES ift Lehrreich, in ben rein römischen Quellen fchon bes IV. und V. Jahrhunderts zu betrachten, wie tamals bereits ganz die gleichen Folgerungen aus ber Immunität gezogen werben für bie Gerichtsverhältniffe der In⸗ faffen des immunen Gebietes unter ſchwankender gefetlicher Regelung und wie ganz bie gleichen Mißbräuche einreißen, bie fpäter bie merovingiſchen Immunitäten aufweifen. ‘Der Do» mänenverwalter, der actor dominicus?), verbrängt den öffentlichen, orbentlichen Richter, freilich unter beffen Widerſtand, ven bie Kaiſer zuweilen unterftügen, immer mehr in allen Fällen des bürgerlichen und des Strafverfahrens 3), in denen ein Immunitäts- Zugehöriger als Kläger oder Bellagter, Verleger oder Angeſchuldigter betheiligt ift*).

Uebrigens war, wie bies für die Weftgoten nachgewiefen warb 5), biefe Aenderung für die freien (denn urfprünglich beſchränkte fich bie

1) Nov. Valent. 10. 8 1.

2) Cod. Theod. I. 11, 2 von a. 398.

3) Wie am Früheflen in Finanzgewalt, Sohm bei Wetel ©. 361.

4) Vgl. die ſchwankende Geſetzgebung in ben Conftitutionen und Novellen von Eonflantin L bis Balentinian III., ja bis Juſtinian im Codex Theodos. 1.11. IL.1. X.3.4. XL 1. 12. 15—18. XVI. 2. Nov. Valent. UL 10. Cod. Justin. I. 2. 5. 8. III. 2. 6. 7. 8. 11. X. 25.

5) Könige VI? ©. 342f.

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®ewalt tes actor, villicus auf bie Unfreien ber fiscalifchen villae) Immunitätsleute ein erwünſchter Vortheil, da andrerſeits auch vie Nechtshülfe und der polizeiliche Schuß nunmehr von dem ſtets naben actor, nicht von dem oft ſehr fernen Statsbeamten gewährt wurbe. Nur in gewifjen (ebenfalls wechjelnd bejtimmten) fchweren Fällen muß ber actor ben Immunitätsmann vor jenen ftellen (repraesentare) ober darf jener ven Angejchuldigten felbft verfolgen und auch in ver Im- munität ergreifen !), anders in leichteren Straffällen und im privat- rechtlichen Verfahren ?).

Wie fo ganz das vorgefundene Römiſche biebei auch im Einzelnen beibehalten wurde, erhellt baraus, daß 3. B. auch bie römifche Aus nahme ber Wege- und Brüden-Bau-Frohnden von ber Befreiung ®) aus dem Anfang des V. Jahrhunderts genau aufrecht erhalten wurbe bi8 Ente des VIIL®).

Nur dies Negative: die Befreiung von der Grunbftener und andern Abgaben, enthalten tie älteften fränkischen Beläge: fo gewährt Chlodovech bereitd Immunität der Grundſtücke und ber Geiftlichen, d. b. Freiheit von Grund» und von Kopf-Steuer®); fo ſchenkt ex®) ver Kirche von Orleans Land vabsque tributis naulo?) et exactione«; fo war die Kirche von Rheims feit den Tagen von Sanct Remigius und Chlodovech immer völlig frei (liberrima) von jedem Joch öffent⸗ licher Leiftungen®); fo erlangt Egivius von Rheims vom König eine Immunitätsurkunde (praeceptum), wonach feine Kirche von ber fis⸗ caliihen Leiftung oder Bebrüdung (eigentlich Verftümmelung, muti- latione) fortab „immun“ fein und bleiben fole?). In Chlothachars IL, praeceptum !0) wird dann zumal bejonderes Gewicht auf den Aus- ſchluß des Statsbeamten gelegt (f. unten ©. 545f.).

Die pofitive Immunität fam in römischer Zeit nur zu Gunften

1) Cod. Th. I. 11, 2 pro sua atrocitate; II. 1. 11. 2) C. Just. III. 26 (a. 349). 3) Cod. Theodos. XV. 3, 6. 4) ©. Langobarben: Cap. Pipp. ital. v. c. 785. c. 4. p. 192. 5) Ce. Aurel. oc. 5. Maassen p. 4. 6) D. N. 1 (aber wohl unecht). 7) ©. oben. ) Flodoard II. 11. ) II 2.

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von Stabtgemeinven vor: bie Kaifer Leo!) zugefchriebne Verleihung biefer Art für Lyon ift aber vielleicht Sage: daß zu Gregors Zeit Lyon folches Befteuerungsrecht hatte, beweift nichts für beffen Alter und Uriprung?).

Aber durchaus mißverftanden hat man?) einen Erlaß Theoderichs des Großen für Mearfeille von den Jahren 508—511%: Hier wird durchaus nicht der Stadt pofitive Immunität verliehn: vielmehr be- ftätigt der König nur eine gewiffe von den Kaifern gewährte, offenbar nur auf einzelne bejtimmte Abgaben befchränkte negative Immunität, und was er dem neu binzufügt, ift keineswegs Verleihung ber pofitiven, nur Erlaß der Grundſteuer dieſes Jahres, auf welche fich alfo jene Taiferlihe Immunität nicht erjtredt hatte: diefer Erlaß ift e8 von dem er fagt, fie hatten ihm nicht einmal erbeten [nicht pofitive Immunität, bon ber gar nicht bie Nebe]?).

Erklärt wird der Sachverhalt durch den ungefähr gleichzeitigen (a. 510) Steuer-Erlaß (für die IV. Inbiction) zu Gunſten von Marjeille, wo anstrüdlich die Kriegsnoth als Grund angeführt und beigefügt wird, künftig follen fie wieber das Gewohnte entrichten ®). Ä

Erit fpäter”) trat im Frankenreich das Poſitive Hinzu, daß ber

1) Bon Greg. Tur. gl. confess. 36.

2) Andere Löning II. ©. 723.

3) Löning IL. a. a. ©.

4) Cassiod. ed. Mommsen IV. 26.

5) 1. c. p. 124. Libenti animo antiqua circa vos beneficia custodimus cum nova utilitatibus vestris praestare cupiamus ... proinde immunitatem 'vobis, quam regionem (Stabt und Gebiet) vestram constat principum (Kaiſer) privilegio consecutam hac auctoritate largimur (b. h. beftätigen) neo vobis aliquid novae praesumptionis patiemur temporis quos ab omni volumus gravamine vindicari; censum praterea praesentis anni relaxat vobis muni- ficentia principalis (db. h. Theoderichs), ut et illa possitis accipere (b. h. dieſen Steuernachlaß eines Jahres) quae vos non contigit postulasse.

6) 1. e. III. 32. p. 96.

7) Nicht ſchon unter Childirich, Chlodovechs Bater! auch wenn wirklich bie praeceptio Chloth. c. 11 bereits den poſitiven Beſtandtheil unter ber immu- nitas verftehen follte: denn ber bier gemeinte avus ift Chlothachar I., bie prae- ceptio bat Chlothachar II., nicht Chlothachar I, zum Urbeber, f. oben ©. 534. Immerhin iſt der pofitive Theil der Immunität gewiß älter als bie früheſten uns erbaltuen Zengniffe, gewiß Älter als z. B. D. 15 von a. 635 (für Resbach, unten ©. 544): sub omni emunitate . . omnes fredos cancessos debeat possidere vel quiequid de eorum hominibus poterat sperare.. in stipendia servorum Dei .. debeant cuncta proficere.

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neue Eigenthümer die Forderungen auf Leiftungen jeder Art, bie bis dahin dem Fiscus gegen bie Eingefefjenen zuftanden, num zu eignem Vortheil übte!), alfo Friebensgelver und alle Gefälle des Fiscus, welche Freie, die auf eigener Scholle innerhalb des gefchenkten Landes lebten, oter Unfreie des Fiscus oder freie Hinterſaſſen auf fiscalifcher Scholle ſchuldeten.

Der pontifex und befien Nachfolger follen fortab bie Friedens⸗ gelver und andern Gefälle zu eignem Vortheil einheifchen?). Allerdinge liegt in tiefem pofitiven Beftandtheil ber Immunität eine Vermifchung von öffentlichem mit privaten Recht, allein dieſe Vermiſchung ift nicht Entftehungsurfache ber Immunitaͤt 9), nur allgemeine Vorausſetzung der Denkweiſe der Zeit. "

Man behauptet, auch das pofitive Recht allein, die Abgaben in einem Steuergebiet zu erheben, einem Privaten verliehen, warb „Im- munität” genannt: allein ohne zwingenden Beweis für folchen finn- verkehrenden Sprachgebrauch t).

Urfprünglich fchloß alfo tie Befreiung die Bevorrechtung Teines- wegs ein und in den allermeiften Fällen wirb leßtere ausprüdlich ber erfteren beigefügt: erft jpät, nachdem die Verbindung beider aus- nahmsloſe Negel geworden, wird die Bevorrechtung manchmal ftill- ſchweigend als mit ber Befreiung verbunden vorausgefekt d).

Dft wird der Zwed ter Schenkung der Immunitätsverleihung angegeben: pro luminaribus®), urfprünglich Beleuchtung, fpäter Armenpflege, ebenfoviel wie ad pauperes?) ober zum Unterhalt ber Geiſtlichen ®).

1) D. N. 15 (von 635) monasterium ... ... et omnes fredos con- cessos debeat possidere vel quicquid exinde fiscus forsitan de eorum homi- nibus aut de ingenuis aut de servientibus aut in eorum agrie Commanen- tibus vel undecumque poterat sperare ex indulgentia nostra in luminaribus (hierüber oben ©. 278) ipsius sanoti loci vel stipendia servorum Dei... debeant cunota proficere.

2) Form. Mare. 1. 3. 3) Wie Waitz IIb. ©. 340.

4) Waitz IIb. ©. 3413; er erfennt felbft Die Unechtheit der einen Beweis⸗ urkunde D. spur. p. 184; Pardessus Il. p. 320; kaun die Immunität für Tours doch auch bie Befreiung umfaffen und daß Chlodovech Rheims pofitive Immunität gewährt, ift unerweislich, nur bie Befreiung bezeugt; |. oben ©. 542. -

5) So ift in dem Streit zwifchen v. Maurer, Fronhöfe I. ©. 284 und v. Sidel V. ©. 35 und Waitz IIb. S. 344 anbrerfeits zu unterfcheiben umb zu entſcheiden.

6) Oben S. 78. D. N. 15. 7) D. p. 154. L 3.

8) D. N. 15 stipendia servorum Dei.

545

Der Graf und vie übrigen Königsbeamten haben in Ausübung ihres Amtes das Net, in ihrem Amtsbezirt alle Grundſtücke zu betreten (introitus), ®ericht zu halten an ben herkömmlichen Gerichtsftätten (malli), hier in ber Gerichtsverhandlung (audientia) die Rechtsfälle zur Entſcheidung zu bringen nach Gehör beider Streit- theile (causas audire), verwirkte Bann⸗, Friedens⸗, Wett-Gelver ein⸗ ‚utreiben (freda exigere), Bürgen zu nehmen für Stellung vor Gericht oder Zahlung obiger Gelder fowie auch freie Gerichtspflichtige unter eigner Verbürgung für fichere Ueberführung zur Begleitung von An- gefchuldigten vor dem König aufzubannen (beives heißt fidejussores tollere), entlih ganz allgemein Zwangsgewalt zu üben (districtio, distringere) zur Erfüllung ihrer gerichtlichen oder polizeilichen Amts» pflichten: Ladung, gewaltjame Vorführung, Pfändung, Androhung von Bannbußen, Erzwingung von Abgaben (exactio, redhibitio, auch functio) oder Fronten (munera, munera sordida, auch functio publica).

In den Immunitätsbriefen verbietet nun aber ber König feinen Deamten ten introitus in das gefreite Gebiet und die Bornahme all’ jener aufgezählten Handlungen.

Daher wird in den Verleihungsurkunden fehwerftes Gewicht gelegt auf das Verbot dieſes introitus, fo daß bie Statsbeamten das gefreite Gebiet gar nicht mehr betreten dürfen: bies ift aber nur Folge, nicht Wefen der Immunität!).

Weil das Nechts-Gebot und «Verbot fih an tie Statsbeamten richtet, wird das Immunitätsrecht vor Allem burch diefe verlegt, intem fie eben das gefveite Gebiet betreten, tarin Steuern eintreiben, Recht

1; D.N. 15 für Klofter Rebais, von Abo, Dado und Rado, im Gebiet von Meaur (Dagobert L.)v. 1.X. 635: nulla publica judiciaria potestas nec prae- sens nec succidua ad causas audiendum aut aliquid exactandum ibidem non praesumat ingredi. Dipl. p. 154 absque introitu judicum, ebenfo D. N. 40; bier ift wohl zu leſen de fredis aut de reliquis ftatt de reliquiis. Du Cange VIL p. 114 gewährt nichts bier einjchlägiges: denn r. = Nachlaß der Biſchöfe, regalia gehört viel fpäterer Zeit an. Deßgleichen die Formeln Marc. I. 3: ut in villas ecclesiae nullus judex publicus ad causas audiendas aut freta undique exigendum . . non praesumat ingredire ... neque vos (bie Stats beamten) neque juniores neque successores vestri nec ulla judiciaria publica potestas ... in villas ... ad audiendas altercationes ingredire aut freta de quaslibet causas exigere nec mansiones aut paratas vel fidejussores tollere non praesumatis I. 14 absque ullius introitus judicum; vgl. D. spur. N. 9. Ausschluß (des Königs und) der publiei judieis.

Dahn, Könige der Germanen. VII. 3. 35

546

fprechen u. |. w. Andere NRechtsverleßungen, vie fie darin verüben, 3. B. Todtſchlag, find nicht Verlegungen ver Immunität, fondern bes allgemeinen Rechtsfriedens.

Jedoch können auch Private die Immunität verlegen ober zu ver» letzen verfuchen !), indem fie z. B. einen Immunitätsmann vor das Grafengericht laden.

Die Befreiung erftredit fi auf jete Art von Thätigkeit der Statsbeamten?): fie bürfen feine Handlung ber Gerichtshoheit vor- nehmen, nicht causas audire, fidejussores tollere, freda exigere, homines distringere.

Gewährt der König zugleich Schuß, fo beftellt er meift einen Schutzherrn, ver dann ben Immunitätsbeamten nach hilft, wo diefe zu ſchwach erſcheinen.

Denn ſelbſtverſtändlich mußten nun folgeweiſe an Stelle der aus- gefchloffenen Statsbeamten Privatbeamte des Immunitätsherrn treten, beffen Gerichts-, Verwaltungs. und Finanz-Rechte auszuüben?) (f. unten).

Dies liegt doch ganz anders), als wenn ter König einem Bilchof bie Doppel-Immunität für feine Stabt 3. B. Tours und daneben das Recht verleiht, ven Grafen von Tours zu ernennen 5), weil unter ſolchen Umſtänden beſtes Einvernehmen beider unentbehrlich ift. Dabei wird aber dieſer Graf nicht Immunitätsbeamter, jondern bleibt Königs- graf: ein Immunitätsherr kann Beamte verfchierener Benennung haben, aber einen Grafen over Herzog nicht: e8 giebt nur König sgrafen, der vom Bifchof ernannte ift Königsgraf, ver König hat hier nur neben ber Immunität dem Bifchof die Ausübung feiner Amtshoheit übertragen, wie er auch wohl ver Bürgerfchaft (und dem Biſchof zu- fammen) in einem Einzelfall es überläßt, die Grafen zu ernennen ®). Oder ter Immunitätsherr bejtellt, belehnt jpäter einen Dritten nicht einen Privatbeamten zur Ausübung diefer Nechte und gänz- (ichen over theilweifen Einbehaltung ver dabei erhobnen Einnahmen ; und folche Beftellung und Ueberlaffung kann entgeltlih oder unent-

1) Dies gegen Brunner II. ©. 296.

2) v. Sidel V. ©. 32; Profit II. ©. 126.

3) Form. Marc. I. 2; an Stelle der Statsbeamten follen die Gerichts. und Finanz ⸗Rechte Üben ber Bifchof und deſſen Nachfolger durch die Hand ihrer vagentes«,

4) Dies gegen Waitz Ib. ©. 345.

5) Audoen. v. St. Eligii I. 32,

Ebenfalls für Tours Greg. Tur. V. 47, Urgeſch. IH. ©. 221.

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geltlih ſchenkungsweiſe gefchehen: nicht nothwendig in der Geftalt bes DBeneficiums. in folcher Vertreter ift vom König nur als frän, fiicher Untertban, nicht al8 Beamter abhängig: er handelt im Namen bes Immunitätsherrn: nur biefer leitet fein Recht vom König ab. Die Gerichtsbarkeit ift vor Allem um ihrer Erträgniffe willen vom König auf einen Privaten übergegangen und nur infofern private „patrimoniale*, d. h. vermögensrechtliche geworten.

Davon völlig verfchteden ift der Fall, daß ein Bifchof innerhalb feines immunen Gebietes ein Klofter gründet, dem er die ihm für bas ganze Gebiet zuftehende Immunität überträgt!).

Sleihe Wirkung wie diefe ausdrückliche Verleihung einer After- Immunität hat es, wenn ein Biſchof ganz ebenfo feinen Beamten ver: bietet, in bem von ihm mit Immunität gegründeten Klofter echte auszuüben, wie ber König den Königsbeamten folche Verbote für das immune Geſammigebiet des Biſchofs ertheilt Hatte: die ſtillſchweigende Folge ift, daß die Beamten bes Klofters an Stelle der Beamten des Biſchofs treten.

Indeſſen leidet dieſes Verbot des introitus drei Arten von Aus- nahmen.

Der König verzichtet nur auf die Ausübung ber orbentlichen Amtsgewalt feiner Beamten, nicht auf feine eigene Königsgemwalt?) in dem gefreiten Sand: er felbft kann alfo, falls er erfcheint, alle Hoheitsrechte des Königthums, zumal die GerichtShoheit, üben: ähnlich wie fpäter im Mittelalter dem König, wo er erichien, die ben Reichs» jtäbten oder Landesherrn verliehenen Negalien „ledig wurben“.

Damit hängt bie zweite Art der Ausnahmen zufammen. Schidt ber König einen Beamten in außerorventlihem Auftrag als feinen perfünlichen Vertreter, fo wirkt dies ebenfo, wie wenn der König felbft erfchiene. Dieſe Fälle find zwar erft farolingifch bezeugt®), aber wohl ſchon für die Merovingenzeit anzunehmen.

Und das Gleiche gilt von der britten Gruppe ver Ausnahmen, in welchen in allgemeinen Geſetzen allertings auch lauter Tarolingifchen

1) Pardessus II. p. 320; bier ift offenbar zu leſen: cedimus cessosque volumus ecclesiae census, servitutes, opera, mansiones, pastus, munera (f. Du Cange), freda, fisco (iscos?), episcopo, judicebus, missis et archi- diacono debita; fteht »fisco«, fo ift gemeint früber, vor Erwerbung ber Immunität.

2) Weber folden Verzicht als Kennmal ber Unechtheit Th. v. Sidel a. a. O.

3) Mühlbacher N. 95 (763) und Cap. de villis e. 27.

35*

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Capitularien ein für alle mal der Richter ermächtigt wird, in dem gefreiten Gebiet zu amtiren gegen gewijje Verbrecher 1) over zur Ver⸗ bütung der Schädigung des Fiscus?) oder wegen Verſchulden des Immunitätsherrn gegen Dritte?) oder gegen den Stat*): folche Aus- nahmen find ſchon römifch, alſo dem Begriff, wenn auch nicht ven einzelnen Fällen nach wohl auch merovingifch.

Und ganz wie mit ben gerichtlichen, fteht es mit den fiscalifchen, ben Finanz⸗Rechten: als „fiscalifche“ beftehen fie nicht fort, denn fie find nicht mehr Rechte des Fiscusd): der Privatbeamte übt fie ale Nechte feines Herrn zu deſſen oder abgeleitet auch zu eignem Nugen: immerhin aber befteht das Bewußtſein ihres Uriprungs und auch ihr Inhalt fort in der emunitas®). Die Pflichtigen zahlen bie ehemalige Statsftener nunmehr als Privatabgabe an ven Immunitäts- berrn oter beifen Vertreter. So wird tenn doch das immune Land und feine Bewohnerſchaft nicht völlig aus tem Statsverbant gelöft.

Bei unferer Auffaffung verfteht fich von felbft, daß ver Ausfchluß ver Statsbeamten nicht Wefen und Urfprung?), nur Folge und Wirkung der Immunität ift?).

Doch noch erheblich weiter gehend ift e89), veräußert ein weltlicher

1) 3. B. Nichtentrihtung der nicht-erlaffenen Abgaben, argliftige beneficia oblata.

2) 3. B. verweigerte Rechtöpflege.

3) 3. B. Nicht- Auslieferung.

4) 3. B. Münzverbrechen.

5) Infofern richtig Watt IIb. S. 343 gegen v. Maurer, Fronhöfe LS. 283.

6) So die regelmäßige Schreibung 3. B. von 539. D. sp. N.9. D.N. 89 von Chilperih II.; die zwei von Watt IIb. ©. 339 angeführten Urkunden be⸗ weifen auch dann nicht wieder obigen Grunbfag, wenn wirklich »fiscos« und nicht »fredos« (wie v. Sybel S. 490 und Wait wollen) zu lefen fein follte: fiscus beventet nicht nur dem Stat gehörige Güter, auch dem Stat geſchuldete Leiftungen: (Du Cange III. p. 511) beißt es daher hier, der Beſchenkte foll Das Land befiken sub emunitatis nomine »cum omnis fiscos« fo bebeutet e8: mit allen bisher dem Stat zulommenden Bermögensrecdten.

7) Wie Proft a. a. O.

8) So richtig mit Älteren Franzojen wie Naubet und Laboulaye Waitz IIb. ©. 343 und Löning ©. 730; daß in den Urkunden jener Ausihluß voranzuſtehen pflegt, beruht nur auf ftiliftifhen formelhaften Gründen und bat keinerlei logifhe Bedeutung.

9) Andrer Meinung Waitz IIb. ©. 346.

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Großer!) das ihm immun gefchenkte Gut unter Lebenden an einen Antern: bei der juriftiichen Perſon bes Bistums wird durch bie After- Immunität das Verhältniß des Königs zu dem Privilegirten, b. h. dem Bisthum nicht berührt, nur ein neues Verhältniß zwilchen Bisthum und Klofter gefchaffen: hier aber erhält ver König und zwar nicht durch die Noth des Erbgangs einen andern immunen Unterthban, mas ihm doch fehr unerwünjcht fein kann. Aber bier zeigt fich die völlig privatrechtlich geworbne Auffaffung ver Immunität als eines einem Dienftbarkeitsrecht gleich ftehenvden, mit dem Grundeigen untrennbar verknüpften Zubehörderechts.

Aus der Entftehungsgefhichte ver Immunität folgt, daß fie fich urjprünglich meift auf ein einzelnes geſchenktes Gut?) beſchränkte: erft päter wird das gleiche Recht in feinem negativen und pofitiven Beſtandtheil dem Begünftigten auch für mehrere over für alle?) feine Defigungen gewährt, auch für folche, die er nicht vom Fiscus gefchenkt erhalten hatte.

Oder zuerft wird nur für bie bei ber Grüntung geſchenkten, fpäter bei der Beftätigung für alle befeffnen Güter Immunität ver- liefen. So für Stavelot‘). Aber allgemeine Immunität für alle Güter eines Laien tft nicht überliefert (f. unten S. 550). Hervor- gehoben wird bei allgemeiner Firchlicher Immunität wohl zumal, daß fie gelten folle wie für vom König jo von den Gründern bes Klofters geſchenkten oter aus britter Hand irgendwie erworbnen Gütern 5).

Manchmal wird biefe allgemeine Immunität damit begründet, daß das Klofter auf fiscalifhem Boden errichtet fei®\, freilich mit wade- liger Logik: denn wäre das Grundſtück fiscalifch geblieben, wären ihm bie frommen Zuwendungen nicht geworben.

1) So Form. Marc. II. 1; daß hier ein weltlicher Vergaber bes Gütleins (»facultaticola«) worausgejettt wird, erhellt aus der Befreiung wie von bes Königs⸗ fo von der geiftlihen Beamten Gewalt: remota pontificum simulque ecclesiasti- corum omnium officialium seu publicorum.

2) D. N. 15 (»Spuria«): N. 36 von 8. Pers fehr mit Unrecht für falſch erflärt, ebenfo Form. Marc. I. 14.

3) Form. Marc. I. 3.

4) D. N. 21 von Sigibert III. 644 und N. 53 won Theuberich III. a. 681.

5) D. N. 15; tam quae ex nostra largitate quam ex delegatione (ber Stifter) vel quarumlibet fuerit devoluta possessio: gegenwärtiger Befig wie künftiger Erwerb; ebenfo N. 31, 81.

6) S. oben ©. 539. D.N. 15.

550

Alle andern Erklärungen ber Entftehung der Immunitäten find willfürlich und ohne Quellengrundlage. So die Ableitung aus uraltem Adelsvorrecht)) nicht der Abel, die Kirche erhält zuerft Immu⸗ nität?2) oder aus dem Haus- und Hof- Frieten®): dann müßten alle Freien Immunität genoffen haben. Sehr mit Unrecht auch leitet mar fie aus dem Aſylrecht der Kirchen‘) ab. Triftig hat mans) bemerkt, baß ja auch weltlihe Große Immunität hatten und daß dann allen Kirchen wie das Aſylrecht fo bie Immunität hätte zuftehen müſſen: fie ift aber ftets ein befonvers erworbene® Vorrecht einzelner Kirchen. Schlagend tabei tft, daß der ältefte Immunitätsherr, ver Fiscus, weder nach römischen noch nach fränkiſchem Recht Aſylrecht batte; die einzige Aehnlichkeit zwiſchen beiden Einrichtungen liegt im Ausfchluß der Königsbeamten, die aber in beiven Fällen ganz ver- ſchiedne Urfachen und Bedeutungen bat: im Afylrecht ift fie Hauptjache, in ber Immunität nebenfächliche Folge.

Ebenfo wenig ift fie Vorrecht des außerhalb ver Feldgemeinichaft ftehenden Landes): dann müßten alle Kirchen und alle Großgüter bes Adels als ſolche und ohne beſondere Verleihung immun gewejen fein. Wird einmal in einer fpäten Formel?) folches Land immun genannt, fo bezieht ſich das wohl auf die Gemeindelaften und ben Gemeinbe- verband überhaupt. Endlich Hat die Immunität nicht den gleichen Sinn wie etwa das legitimum mithium (f. dieſes VII. 1.), fo daß

1) So Montag I. &. 130. 180; Arnold, Worms I. 12; Lambert, Deutjche Städte Berfaffung L ©. 127.

2) Schon von Chlodovech: follte auch die jedesfalles ſtark interpolirte Urkunde Chlodovechs für Moutier-Saint-Jean D. spuria N. 1 falfch fein, fo bat doch Sidel, Beitr. II. S. 24 die Echtheit der fie beftätigenden von Chlothachar I. Lc.N. 9 von 539 dargewiefen und bamit die Immunität vor a. 511 ſelbſt; auch bie nächſtfolgenden Fälle von 542 und 564 (Ehilvibert I. und Ehilperich I.) gelten einem Klofter (St. Ealais): über die Echtheit diefer Urkunden f. unten. Daß bie kirchlichen Immunitäten, (nach ben fistalifchen) die erften, bäufigften, worbild- lichen waren, wird auch dadurch bekräftigt, daß Immunitäten für alle Güter von Laien gar nicht, wohl aber zahlreich für Kirchen überliefert find.

3) So nicht nur Zöpfl II. ©. 224, auch Heusler, Bafel S. 5 und ähnlich Gierfe, Genoff. L ©. 133.

4) So fpäter Heusler, Urfprung ©. 18.

5) Löning IL ©. 731.

6) So v. Maurer, Einleitung ©. 239; ähnlich Fronhöfe I. ©. 284.

7) Form. Salzb. 11; v. Rodinger ©. 14.

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der Immunitätsherr nur wie vor Gericht fo vor dem Fiscus feine Schütlinge zu vertreten hätte): vielmehr ift der Immunitätsherr felbft und fein eignes, nicht nur feiner Schirmlinge, Grund» eigen befreit und berechtigt?). Und gerade gegenüber ven Freien auf eigner Scholle wie auf feiner Scholle und gegenüber ven Unfreien wie jeinen freien Schüßlingen hat er das pofitive Immunitätsrecht.

Wie Kirchen und Klöfter zu früheft und zu häufigſt Immunität erhalten, wirb mit deren Verleihung oft, obzwar nicht immer, Auf- nahme in den Königsfchug verbunden. So in dem früheiten Fall (Chlodovech für Monmoutier)3) und fo in ben beiden nächſten von 542 und 564).

Jüngere Berleihungen für Kirchen enthalten die Elaufel des Königs- ſchutzes (defensio regia) für allen Beſitz, ältere Tennen ihn nur für curtis, villae®).

Bielleicht®) deßhalb, weil nur Firchliche Immunitäten den Königs» ſchutz erhielten, beſchränkte fich der Begriff „Immunität“ allmälig auf kirchliche Güter: jedoch ift nicht Har, wann zuerft dieſer Sprad- gebrauch auflommt: jebesfalles beftand die Immunität der Güter ber Krone und ber von weltlichen Großen auch nachher noch fort.

Es kommt aber auch kirchliche Immunität ohne Schug und Schuß ohne Immunität vor”), Schuß gehört durchaus nicht zum Wefen der Immunität, fo daß man diefe ohne jenen eine „beichränkte” befonvere Art der Immunität nennen bürfte®): allerdings Tann und muß man

1) So v. Daniels I. ©. 568.

2) D. sp. N. 9; nullas requisitiones .. ab ipso loco vel a dominis ejusdem monasterii requiramus Marc. Form. I. 3. 3) D. sp. N. 1. 9.

4) In den wahrſcheinlich doch echten Urkunden von Childibert I. und Chil⸗ perich I. für St. Calais: sub omni emunitate vel tuitionis nostrae sermone... sub sermone nostrae tuitionis vel sub emunitate nostra; Löning S. 725 be fireitet die Echtheit: meines Erachtens ohne ausreichenden Grund; vgl. auch Waitz IIb. ©. 341, ber nun zu feiner früheren richtigen Unficht (gegen v. Sidel IH. ©. 42, dem er Baffallität ©. 54 gefolgt) zurüdgefehrt if. Daß Form. Marc. I. 35 nur Schutz, nit Immunität gewährt, nicht gegen die Echtheit jener Urkunden ſpricht, wie Watts meint, darüber f. unten.

5) Ueber den Grund biefer Unterfheibung Brunner II. ©. 298; dazu fam wohl, daß Ludwig jenen gefhloffenen Räumen ohnehin allgemein Schuß gewährt batte. Form. imper. 15.

6) So Brunner II. S. 298.

7) So bie Formel des Schutes Marc. I. 14.

8) Wie v. Sidel und eine Zeit lang Waitz a. a. O.

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beide trennen: Immunität ohne Schuß ift fogar häufiger als mit Schutz.

Ganz ebenſo wird die Immunität, weil meiſt eine kirchliche, oft, aber nicht nothwendig, mit der Befreiung eines Kloſters von der biſchöflichen Gewalt verbunden, welche Befreiung »privilegiume in vorzugsweiſem Sinne heißt!): auch hier können beide Verleihungen verbunden?) ober getrennt werben: St. Denis erhält 653 von Chlo⸗ bovech II.3) nur das privilegium libertatis ohne Immunität, Sancta Maria und St. Stephan zu Speier von Chilverih II. 665 Im—⸗ munität ohne Befreiung vom Bifchof*), auch wohl erft Immunität5), dann erfolgt bei Bejtätigung ®) auch »privilegiume« für Stavelot und Malmedy.

Ebenſowenig beſteht ein nothwendiger Zuſammenhang zwiſchen Immunität und mithium?): nur zweimal werden beide zugleich ver- lieben: einmal, weil zugleih Schuß verliehen wird, alfo felbjtverftänd- lich um des Schuges willen®), und ein anvermal®), wo tie Mithiums- Leute nur neben ben antern homines Freien, Unfreien und Hinterfaffen aufgeführt werben: weder begrünvet das mithium pie Immunität!) noch die Immunität (als folhe ohne Schub) das mithium 11),

Die Immunität erjtredt ſich auf das ganze gefreite Gebiet, nicht nur auf die bewohnten Theile, die villae und curtes!2): wart ein Todtſchlag auf der Straße, im Walde der Immunität verübt, jo heifchte der Immunitätsherr nach durchgeführten Verfahren das fredum ebenjo wie bei Todtſchlag in einem Hof: die Urkunden nennen die

1) v. Sidel IV. ©. 23. 2) D.N. 15; für Rebats von 635 von Dagobert I. und in ben Formeln Marc. I. 2. 3) D. N. 19. 4) D. N. 28; andere Beifpiele bei Wait IIb. ©. 342. 5) D. spur. N. 77 von 681. 6) D. N. 97 von 744. 7) S. oben ©. 550. 8) D. N. 9. 9) N. 97. 10) Wie Bethmann-Hollmegs Civilproceß I. S. 440. 11) Wie Waig IIb. ©. 343. 12) Wie v. Sidel V. ©. 24: „bie gefchloffenen Höfe“.

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villae!), curtes?), casae®) nur deßhalb manchmal, keineswegs immer‘) weil jelbftverftäntlich die Bewohner, bie Steuern und Gerichtögelver zu entrichten hatten, der Gerichtsbarkeit unterjtanten u. ſ. w. ober die Abgaben nur in Städten, bei Märkten erhoben wurden, ſo 3. B. das rotaticumd); übrigens warb auch neben ben casae all gemein ber »agri«, »fines«, terrae« gebacdht®).

Aufgezählt werben al8 Gegenftand ver Befreiung und ber Weber» tragung: Friedensgelder, fredae, mansiones, paratae’”), inferendae?), pasti®), rotaticum 0), bie sthopha!!), Zinfe (census), Fronden (servitutes) ’2), opera!?), Zeiftungen (munera), ledere Gaftmähler und abgeliftete Gefchenklein !4), Pfervefutter, Vorſpann, Karrenfuhr !5).

Die »emunitas regis« befreit auch von ber allgemeinen Unter- thanenpflicht de8 hospicium gegenüber Königsbeamten 16).

Jedoch die jährlichen Ehren-Gaben 1?) werden durch die Immunität nicht erlaffen: beruhen fie doch nicht im ftrengften Sinn auf Rechts» pflichten: ferner werben fie tem König perfänlich, nicht vem „Fiscus“ bargebracht (was fonft freilich zufammenfällt) und endlich waren felbit- verftänblih in der urjprünglihd römischen Immunität diefe alt» germantjchen Leiftungen nicht einbegriffen.

Auch Zölle können erlaffen oder übertragen werten !>).

1) Form. Marc. 1. 3.

2) D. N. 31. 72. a. 673. a. 700.

3) indominicatae; f. bierliber Du Cange IV. p. 345: Güter, die der Eigen- thümer felbft bewirtbichaftet, nicht al8 beneficium und vergl. andern zur Bewirth- fhaftung gegeben hat. D. Arn. N. 21. a. 749 von Pippin.

4) 3.8. Form. Marc. I. 2, D. N. 15. a. 635.

5) D. Arn. 1. c.; fo Waitz IIb. ©. 344 mit Recht gegen v. Sidel a. a. O.

6) D. N. 31. a. 673 rotaticum infra urbes vel in mercatis.

7) ©. oben ©. 151.

8) Du Cange IV. p. 353: jede dem Fiscus fällige Abgabe; ſ. oben ©. 548. D. 4. a. 542; 9. a. 562; 50. a. 672.

9), D.N. 74. a. 705.

10) ©. oben ©. 127.

11) ©. oben S. 118.

12) Für Speier D. 28. a. c. 665.

13) Pardessus II. p. 320.

14) exquisita et lauda convivia, gratiosa vel insidiosa munuscola.

15) caballorum pastus . . paraverida vel carrarorum angaria aut quod- cunque functiones titulum diei potest. Marc. I. 1. .

16) L. Rib. 65, 3. ©. 151, 161. 17) &. oben ©. 161.

18) Worauf gründet der Widerfprud von Watt IIb. ©. 344?

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Selbſtverſtändlich befreit die Immunität nur von den ausbrüdlich unt einzeln angeführten Leiftungen: doch begegnet auch ein allgemeiner Erlaß aller »functionese!), ter aber Befreiung von Brüden- und Wege-Bau nicht einfchloß, tie auch nie einzeln angeführt wird 2), weil fie auch in römiſchen Immunitäten nicht einbegriffen war (oben ©. 542).

Einmal wird fogar der Heerbann übertragen?). Dies muß jo früh auffallen, und da fonft nicht einmal die andern Banne in jener Zeit in echten Urkunden dem Immunitätsheren verliehen werten, möchte man vermuthen, heribannus fteht bier für eine andere Leiftung. Jedoch nicht für hostilitium*®), das erft in arnulfingifcher Zeit vor- fommt5), dann aber freilich als öffentliche Leiftung®). Indeſſen wird ver heribannus neben der freda auch zwei Menſchenalter ſpäter (727) zur Immunität gezählt”).

Die Immunität ging nun ald Befreiung und als Bevorrechtung mit dem Grundeigenthum ganz wie eine Dienftbarfeit [eine verneinenve oder eine bejahende: wie ein Verbot des Höherbaus oder ein Recht des Wafferfchöpfene) unter Lebenden und auf ben Todesfall bei Beſitz⸗ wechieln auf den neuen Erwerber über®): dadurch warb bie Auffaffung öffentlicher Hoheitsrechte al nur privater Vermögensrechte erheblich gefördert wie umgekehrt eine jolche Auffaffung Vorausſetzung jolchen Uebergangs war. "

Die negative Seite der Immunität, bie Freiung, findet aljo ihren ſchärfſten Ausprud in dem Verbot bes »introituse®), d. h. des Be⸗ treten® bes gefreiten Grundſtücks, das ber König in ter Urkunde an alle feine Beamten richtet, wie wir ſehen, meift nur in ber Adreſſe, nicht in der folgenten Zaffung des Inhalts!9).

1) Beifpiele find häufig. 2) Bol. Waitz IV. ©. 35. 3) Wie die stopha für Speier D. 28. a. c. 665. 4) Wie v. Sidel V. ©. 50. 5) Du Cange IV. p. 252.

6) Andere Waig IIb. ©. 345.

7) Wie ich eben finde: D. N. 95 won Theuderich IV. für Murbach (fehlt bei Waitz a. a. O.).

8) Der Tod eines Biſchofs ober Abtes änderte ſelbſtverſtäudlich nichts an dem ber Kirche oder dem Kloſter als juriftifcher Perjon verliehenem Recht, das jener nur als Vertreter ausübte.

9) Form. Mare. I. 14 absque ullius introitus judicum de quaslibet causas freta exigendum; älter (ſchon 635) D. N. 51; jünger (wohl 681) D. N. 53.

10) ©. hierüber die Ausnahmen und die VBerbächtigfeit ber meiften Ausnahmen Th. v. Sidel, Beiträge V. S. 23.

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c) Verfciedenheit des Inhalts im Einzelnen. VBefchränktheit und Anbeſchränktheit der Immunitäten.

Schon Chlodovech ſchenkt c. a. 510 das Krongut Miciacum, alles Land zwifchen Loire und Loiret Sanct Eufpicius und deſſen Neffen Marimin frei von Abgaben, Schiffsgelv, naulum (f. oben ©. 126) und Einheifhung (exactio)!), und im folgenden Jahre (511) berichtet das I. Eoncil von Orleans?) von der Freiung, die Chlodovech für bie von ihm dem Kirchen gejchenkten Güter ſowohl von Grundſteuer wie von Berfonalftener der Geiftlichen bewilligt habe. Mit Unrecht finvet man?) bie pofitive Immunität der Kirchen ausgefprochen in ber Ver: ordnung Chlothachars: es heißt dort nur: die Öffentlichen Beamten jollen von jenen Kirchen, die von feinem Vater, Großvater oder Bruder Immunität erlangt haben, keine functio Abgabe‘) ver- langen: das ift nur negative Immunität.

In den älteren echten Urkunden wird den Kirchen nur für ein einzelnes, meift für das gerabe in biefer Urkunde geſchenkte Gut die Freiung gewährt, erft fpäter für al’ ihre Befigungen und all’ ihre freien und unfreien Hinterfaffen die negative und pofitive Immunität. So hatte ſchon Guntchramn Saint Calais Immunität verliehen, wie Chlodovech III. a. 692 bezeugt 5), wie es ſcheinen will für alle Güter: sub omni immunitate, wa® richtiger freilich beide Arten ver Im⸗ munität ausprüden würbe. In dem Schugbrief Theuderichs III. 673 —681°) ift, abgefehen von dem gefreiten Gerichtftand, nur für das Klofter jelbft von der Freiung die Nee: tie Königsbeamten follen nicht inquietare, condemnare, inferendas sumere: daß das Klofter bie inferendas felbft für fich erheben darf, wird nicht gejagt. Die beiden älteren Urkunden für das Klofter von Chilpibert I. von 5467) und von Ehilperich I. von 5623), deren Inhalt bie von a. 642 wört-⸗ lich wiederholt, find zweifellos interpolirt?): übrigens gewähren auch fie bie pofitive Immunität nicht.

1) D. N. 1; aber die Urkunde tft fehr verbächtig.

2) c. 5. Maassen p. 4.

3) Löning II. ©. 725.

4) ©. oben ©. 97, 542, 550.

5) D. 63, Urgefd. III. ©. 731.

6) D. Nro. 50, Urgefd. DIL ©. 725.

nD. 12. 8) D. Nro. 9.

9) Ebenfo v. Sidel, Beiträge III. S. 15 gegen Wait IL ©. 639.

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Auch vie freilich arg verftünmelte Urkunde Dagoberts L von 631/632 für Sanct Denis!) enthält in den lesbaren Zeilen bie pofitive Immunität nicht und es ift nach tem Umfang ber Lüden auch nicht anzunehmen, daß dieſe jolchen Inhalt Hatten: fie verleiht aber auch tie Freiung nur für die bier gefchenkte villa Iticinascoa (Etouen) im Gau von Paris. Dagegen verleiht feine Schenkung von 635 2) an Sanct Denis (für veffen Arme, matricularii, f. oben ©. 78, 544) austrüdlih, unter Verbot der Befchreitung durch die Königs- beamten, bie pofitive Immmunität?). Hier heißt e8: quicquid de fredis aut de reliquiis ([.: reliquis) exinde fiscus augmentare potuerat ad ipsos pauperis proficiat in augmentis.

Ebenjo jeine Urkunte vom gleichen Jahr für Klofter Rebais t) und zwar für alle Güter dieſes Kloſters, das von ven brei heiligen Drütern Dabo, Ado und Rado auf fiscalifchem. Boden bei Meaux gegründet worben war. Da begreift ſich, daß etwa 40 Jahre Ipäter Markulf für diefe nun immer häufiger alfo ausgevehnte Immunität eine Formel aufnahm>;.

Aber Dagobert Hatte Sanct Denis nur für jene villa Saclas bie Immunität gewährt: erſt Theuderich III. (673—681) vehnte fie auf alle auch auf die künftigen Befigungen ver Kirche aus: bie (uns verlorne) Urkunde bat dann Chilperich II. 716 beftätigt®).

1) D.N. 14.

2) Es ift die villa Sarelitae (Saclas) an der Yonne im Etampois, Urgeſch. III. ©. 641.

3; Sehr mit Unrecht hat Karl Per die Urkunde für falſch erflärt: »spuria«

N. 36. p. 154. 4) D.N. 15; omnes fredos concessos debeat possidere vel quicquid exinde fiscus forsitan de eorum hominibus aut de ingenuis aut de servien- tibus aut in eorum agris commanentibus vel undeoumque poterat sperare, in luminaribus (Armenpflege, f. oben ©. 78, 544) ipsum sancti loci vel stipen- dia (f. oben) servorum Dei . . debeant euncta proficere.

5) I. 3; im lehrreicher Darftelung zählte v. Sidel, Beiträge III. ©. 241. bie Urkunden auf, die nach diefer Formel verfaßt find: »emunitate regia«: auf bie Ausihließung ber Beamten und bie Freiung folgt: quiequid ezinde aut de ingenuis aut de servientibus ceterisque nationibus (!) qui sunt infra agros vel fines seo super terras predictae ecclesiae commanentes fiscus aut de freta aut undecumque poterat sperare ..... in luminaribus ipsius ecclesise per manu agentium eorum proficiat. Das ſoll weder regales sublimitas an- taften noch judicum seva cupiditas.

6) D. N. 81, Urgeſch. III. &. 779.

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Die Freiung kam ten im Privateigentbum tes Könige z. B. auf Fiscalboden errichteten ſtehenden Kirchen und Klöftern wie allen Krongütern !) felbftverftänblih zu: die pofitine Immunität aber mußte ihnen wie allen beſonders verliehen werben, follten fie das Recht erwerben, unter Ausichliegung ver Statsbeamten bie bisher dem Fiscus gefchufdeten Abgaben durch ihre eignen Anftaltsbeamten zu erheben und für fich zu verbrauchen. Solche Urkunven, welche die pofitive Immunität königlichen Klöftern verleihen, find die für Stavelot, Malmedy, Rebais 2).

Selbſtverſtändlich fonnte die Freiung auch eine bejchränkte fein: jogar wo bie Schlußformel austrüdlich alle beliebigen (quaslibet redi- butiones) ausjchließt, fönnen doch einzelne befonders ausgenommen werden. Das ift fogar tie Negel?).

Sa, es fcheint fogar, daß es Laften gab, von benen umgekehrt auch eine allgemein gebaltne Freiung nur entband, wenn dies ausprüd- (ih gefchah*). Klofter Saint Bertin ſchenkt Theuderich III. a. 682 das Krongut Attigny im Gau von Verdun: mit allgemeiner Immunität, ausgenommen Spanndienfted). Saint Serge d’Angers verleiht Chil- bibert III. a. 705% Immunität, ausgenommen bie Abgaben von ſechs Höfen: von den ſechs im Gebiet von Angers belegenen Marentius, Siviliacus, Taunucus, Gejtonnus, Novilianis, Senona find nur vie legten drei zu beftimmen: Genneteil, Neuilli, Senonnes: fie zahlen jährlich 12 solid. Sehr bezeichnend ijt ver hohe Werth, ver darauf gelegt wirt, daß der Abt ober fein missus dieſen Betrag jelbft an ten Fiscus (sacellum publicum) überbringen, durchaus nicht ein Beamter ihn auf den Höfen abholen darf.

Auf dieſe Ausfchließung der Königsbeamten von dem gefreiten Ge- biet legen bie Kirchen immer wieder das fchwerjte Gewicht: fie wiffen wohl warum: feharf und in allumfaffenten Ausprüden wird das Ver- bot jedesmal ausgejprochen: in den nicht gefreiten Kirchengütern trieben

1) ©. oben ©. 538. | |

2) Von Childerich III. a. 744. D. N. 97; von Dagobert I. a. 635. 1. c. 15. So ift zwiſchen Waitz IV. S. 245, v. Sidel V. 6 einerfeits, Löning S. 726 anbrer- ſeits zu entſcheiden.

3) 3.8. D. N. 31 von Childerich II. a. 673, Urgeſch. DIL ©. 690 für Kloſter Putiolus (Moutier-en-Ders, silva Dervensis).

4) So v. Stdel V. ©. 40.

5) D.N. 54; praeter illos mansus, unde carpenta exeunt.

6) D. N. 73, Urgeſch. III. &. 741.

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jene Beamten oft und ſtark beklagte Mißbräuche: das ILL. Eoncil von Chaͤlons von a. 639— 6541) droht dafür den Kirchenbann.

Klöfter werben von mansio und paratae?) gegenüber den De- amten, aber nicht gegenüber dem König und ten Königsföhnen befreit).

Zollfreiheit wird zunächſt nur für das Gebiet des Kloſters ges währt, d. 5. der König verfpricht, Hier Teine Zollftätte zu errichten oder beftehenve aufzuheben; in andern Zolljtätten bleibt es pflichtig, fofern es nicht ausbrüdlich auch Hiervon entbunden wird, fei es all⸗ gemein, fei es für gewiffe Häfen oder für eine beftimmte Zahl von Vahrzeugen zu Waffer und zu Land‘).

Wenn ferner fogar unter dem kirchenbefchügenvden Karl die Im⸗ munität die Klöfter wie nicht von ber Wehrpflicht der weltlichen Hinterfaffen fo auch nicht von den wactae (Wach- Dienften 3. B. gegen tie Norbleute) und Brückenbau-Fronden befreite, wird man basfelbe für die Meroningenzeit annehmen bürfen: erſchwert hat Karl bie Laſten der Kirchen gewiß nicht®).

Die Befreiung von der Heerbannpflicht mußte austrüdlich ger währt werben: bie Verwalter eines Gutes (domus) Sanct Martins von Tours bei Bourges berufen fich auf ein entgegenftehenves Gewohn- heitsrecht gegenüber dem Grafen, der. vie Heerbannbußen für nicht erfüllte Wehrpflicht einheifchen will®), werben damit aber abgewiefen und nur burch ein rechtzeitiges Mirakel thatfächlich verfchont. Die Hinter- faffen ver Kirche zu Vannes find ſteuer- und beerbannpflichtig ?).

Wie die Freiung konnte auch die pofitive Immunität unbejchränft oder mehr oder minder beſchränkt verliehen werben: wir fahen, bie Heer- bannpflicht der Kirchen - Hinterfafjen bildet die Regel: alsdann erhebt auch troß ver Immunität der Fiscus bie Heerbannbuße: denn dem König, nicht dem Biſchof oder Abt, wird bie Wehrpflicht ge- ihuldet: nur Einmal in fpäter Merovingenzeit in ber Immu> nität, die Chilverich II. (664— 666) Speier verleiht®), wirb aus⸗

1) can. 11. Maassen p. 210.

2) Oben ©. 151. |

3) Beifpiele bei v. Sidel V. ©. 40.

4) ©. oben ©. 121. filr St. Denis, für Klofter Honau; D. p. 105.

5) Ich folge hierin v. Sidel V. ©. 55.

6) Greg. Tur. VII. 42, Urgeſch. III. ©. 339. »Sancti Martini homines ii sunt: ..... non habuerunt consuitudinem in talibus causis abire«.

7) 1. c. V. 27, Urgeſch. II. ©. 203.

8) D. N. 27. Ä

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drücklich auch die Einziehung ber Heerbannbuße (herebannus) ver Kirche überwiefen. Ebenſo bei den weltlichen Immunitäten: erſt viel ipäter wird obige Ausnahme Regel, ein Kennzeichen dafür, daß nun⸗ mehr die Heerfahrt der Vaſallen und Hinterfaffen nicht mehr ber Krone, fondern dem senior gefchuldet wird (ſ. oben Heerbann VII. 2. am Ende). Bei ter Verleihung der Strafgelver und Wetten hat ber Smmunitätsherr auch das fonjt dem Grafen zuftehende Drittel zu er» heben!): es fcheint, ver Immumnitätsherr überließ bies Drittel zuweilen feinem ‘Dingvogt, wie ſonſt der König feinem Grafen.

d) Insbefondere die Gerichtsbarkeit in den Immnnitäten?;.

In Ermangelung der Statsbeamten mußten fchon von Anfang an bie Gerichtsbarkeit über Immunitätsleute Immunitätsbeamte üben; oben ©. 546.

Die Privatbeamten der weltlichen Großen, zumal ver Immunitäts- berrn, hießen anfangs noch nicht advocati, fondern judices, privatus judex, feltener ausdrücklich actores?), agentes®), praepositi®). Sie üben im Namen bes Herrn beffen Gerichts-, Finanz- und Bolizei- Rechte über die Immunitätsleute, haben aber auch die Pflicht, nicht nur das Recht fie bei Klagen Fremder vor dem Grafengericht zu vertreten, nicht vor dem des Centenars: denn deſſen Gerichtsbarkeit hat in ber Regel (wenigftens fpäter) der Herr jelbft zu üben‘). Weltliche Immumnitätsheren können auch alle viefe Rechte felbft ausüben: geift- liche müſſen fich der Vertreter bedienen, zuerjt nach Kirchen-, fpäter”) auch nach weltlichen Hecht.

Die Gerichtsbarkeit dieſer PBrivatbeamten ift in römifcher Zeit für fiscalifhe Güter bezeugt?) und für firchliche anzunehmen. In ber

1) &o richtig gegen Arnold I. 30 und Heusler Urfprung ©. 20, Löning ©. 729.

2) Ueber die Einwirkung der Freiung und ber pofitiven Immunität auf bie Gerichtsbarkeit ift bereitS anberwärts gehandelt mworven (D. ©. Ib.) und wird in ben fränkiſchen Forſchungen ausführlicher gehandelt werben. Siehe eiuftweilen bie verſchiednen Anfichten bei Löning II. S. 732.

3) Ed. Chloth. II. 5; dod nicht blos „Pröbfte*, wie Wait IIb. ©. 379, ift aud Dies Wort aus propositus, praepositus entflanden.

4) Ed. Chloth. II. v. 614. ce. 20.

5) Wie die der Klöſter Watt IV. ©. 467.

6) ©. Die »causae minores«; f. unten und Band VII.

7) ©. Karolinger. 8) ©. oben ©. 541.

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fräntifchen beftand der Grundſatz fort!), nur um bie Abgränzung ber Zuftänbigteit Tann es fich hanteln. Dieſe hat zwar vielfach geſchwankt?), allein im Ganzen neigt die Entwidlung zu ihrer Auspehnung fchon in merovingiſcher Zeit?). Zreffend hat man!) das Schweigen ber älteren Verleihungsbriefe über vie Gerichtsbarkeit der Kirchen taraus erflärt, daß dieſe fchon unter den Imperatoren ohnehin eine noch weiter gehente Gerichtsbarkeit über ihre Grundholden beſeſſen hatten. Das Gleiche gilt von ten actores ver Fiscalgüter. Die Erweiterung beftand vor Allem in ber Austehnung wie auf freie Hinterſaſſen, fo auf Einwohner in ter Immunität, die auf eigner Scholle faßen. Schon die Merovingen fprechen von der mithio (j. oben ©. 550) ter Immunitätsheren: dieſe bedeutet auch hier zunächſt die Pflicht, bie Schützlinge vor dem Statsgericht zu vertreten®), in den Fällen, in denen fie felbft nicht zuftändig find: ben casus majores. Daraus aber folgt eben anbrerfeits ihre Zuftänbigfeit für casus minores.. Daß bie aus diefer Zeit doch in Beftätigung älterer erhaltnen Ur- funven von Chlothachar®) und Theuderich III.“) Kirchen betreffen $), erklärt fi) auch ohne die Annahme ver Beichränfung auf geiftliche Immunitäten aus ver befferen Erhaltung ver Urkunden in ven Kirchen- archiven.

Dei Klagen gegen bie (kirchliche) Immunität als folche wirb bieje durch ten Bifchof, Abt oter vielmehr in deren Vertretung?) durch

1) So ridtig Wait a. a. D.; Brunner II. ©. 298; jet D. Lit. Zeit. 1882. S. 792 auch Sohm, (anders berfelbe früher) gegen Heusler, ©. Meyer, Löning U.; j. daſelbſt weitere Titeratur.

2) Daß fie immer nur fo weit reichte, als fie „finanziellen Charakter" hatte, fann man Brunner II. S. 300 nicht zugeben: ber Entftehungsgrund der Im- munität in römifcher Zeit war mweber bei Kirchen noch bei Biscalgütern nur ein financieller.

3) Ueber die Tarolingifche ſ. VILL.

4) Brunner II. ©. 208.

5) Anders Brunner II. ©. 298; aber diefe Vertretung wirb fpäter (a. 772) ausdrücklich eingeichärft.

6) Utrecht und Stablo; D. N. 69 u. 97 v. 744 unb 753.

7) e. 628.

8) c. a. 681, Urgeſch. III. ©. 726.

9) Im Uebrigen gab es im germanifchen Verfahren Vertretung nur, wo fie notbwendig war („nothwendige Vertretung“) 3.8. für Frauen und Unmünbige: freiwillig beftellte Vertreter nur für Nömer nach deren Hecht oder vermöge Aus- nahmsrechts; f. oben S. 278. 292.

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ben Dingvogt vertheidigt: nur wo dies thatjächlich nicht möglich !), jollen fie von ben Statsbeamten vertheibigt werden, zumal für ben Beſitzſchutz, aber nur vorläufig bis zur gerichtlichen Entſcheidung an dem Gerichtstag (audientia).

Klagen Dritter gegen Immunitätsleute werden bamals freilich noch vor den ordentlichen Richter, nur unter Verbeiftandung durch ben actor, verwiefen: allein gerade bie wieberholte Einjchärfung zeigt, daß die entgegengefegte Strömung, die dann ſpäter großentheils burch- drang, ſchon mächtig war?). Wichtig ift, daß im Frankenreich es zunächſt bie Erträgniffe der Wetten und freda gewejen waren, um deren Willen die Gerichtsbarkeit von den Immunitätsherrn angeftrebt wurde wie ja die ganze Einrichtung Vermögensvortheile, zunächft durch Befreiungen bezwedte, daß aber auch jpäter bie Gerichtsbarkeit nur ſoweit beansprucht ward und nicht auch um der Macht, um politiicher Gründe willen, tft?) doch nicht zuzugeben.

Der Immunitätsherr erhebt die Friedens-⸗Gelder und Wetten, auf bie der Fiscus zu feinen Gunften verzichtet hat, zu eignem Vortheil: er wird injofern Gerichtsherr an des Königs Statt, aber aus bes Königs, nicht aus eignem Necht.

Diefe Gerichtsbarkeit über die Immunitätsleute ift aber nicht®) abzuleiten aus einer auf den fränfifchen Krongütern ftetS geübten Ge- richtsbarkeit über bie Infaffen: denn über freie Infafjen ift folche urſprünglich „patrimoniale", „befonvere‘, dann von ben Königen ver- ſchenkte burchaus nicht anzunehmen: fie wiberjpricht dem Necht des Freien auch auf fremder Scholle, dem Genoffengeriht. Es ift auch zu erinnern, daß urfprünglich bie Königsgüter faft ausſchließend ehe⸗ malige faiferliche Güter waren, auf welchen nur über SHaven ber Stlavenaufjeher als Vertreter bes Herrn waltete, aber nicht über Freie oder Freigelaffne. Vielmehr ift e8 die Statsgerichtsbarteit, nicht eine „private‘, „patrimoniale*, bie der König fpäter in ber Im- munität zur Ausübung ftellvertretenvden, abgeleiteten Rechts überträgt: eben deßhalb and über Freie. Denn es ift irrig, bie Gerichtsbarkeit als eine „grunpherrliche" auf Abhängige wie Unfreie zu bejchränfen 5):

1) Ed. Chloth. c. 14 eoclesiae.... qui (I. quae) se defensare non possunt. 2) Bgl. ſchon eine Eonftitution von 442; Cod. Just. IIL 26, 11.

3) Brunner II. ©. 289.

4) Mit von Sybel ©. 487. 491.

5) So Eichhorn 1. c. v. Maurer, Fronhofe I. &. 489. 517f. Dahn, Könige der Germanen. VII. 8. 36

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es ift aljo zwar eine »justice seigneuriale !)«, aber nur ter Ausübung, nicht dem Urfprung nach. Cbenfowenig bilbeten nur bie Gerichtöge- bühren, Friedensgelder den Gegenſtand ber Verleihung ?), ſondern biefe eben nur als Ausflug ver Gerichtsgewalt. Und eine nur fchieps- richterliche YVermittelung$) ift wieder ausgejchloffen eben durch vie Zahlung ver Briebensgelver, tie richterliche Verurtheilung in jolche*) vorausfegt. Im Einzelnen hat dann wohl tie Verorbnung Chlothachars II. für die verſchiednen Fälle die Gerichtsbarkeit geregelt, jofern auch Fremde betheiligt waren: daß es aber vorher (von 500— 613) an aller Ordnung gefehlt Habe®), ift boch unmöglich anzunehmen: vielmehr war wohl auch jchon vorher für Fälle unter Immunitätsleuten allein die Immunität allein zuftändig, während in gemifchten Fällen ber Immunitätsbeamte feine Leute vor dem Grafen zu vertreten hatte: letzteres wurde nun aber genauer geregelt®).

Blieb aber auch der Zuſammenhang ver Immumnitätsleute und ber fonft von seniores Abhängigen mit dem Träger ter Statsgewalt be- ftehen, immerhin ſchieden fich ſolche Gebiete nicht nur thatfächlich und zumal vermöge der wirthichaftlichen Abhängigleit ver homines von ihren seniores, auch rechtlich in mancher Richtung von ven Gauen der Grafen; fo muß die Verfolgung von Verbrechern das Ge- biet der gewöhnlichen Lande von dem immunen »territorium« ber fideles unterjcheiten”) und immerhin gab es nun Beamte, vie ftatliche Hoheitsrechte, Gerichts-, Verwaltungs-, Finanz-Nechte übten, nicht als Beamte und nicht im Auftrag des States, fondern ihrer Immunitäts⸗ herrn: es ift wie wenn heute ein Privatförfter die ftatliche Forſthoheit üben bürfte im Auftrag eines vom Stat hiezu ermächtigten Wald⸗ eigenthümers und zwar auch in den Wäldern Dritter.

1) Anders Digot III. ©. 90.

2) Wie Championnitre p. 363.

3) Wie Löning ©. 743.

4) Alfo nicht bloße »privatae audientiae« im früheren Sinne Sohms, Gerichtsverfaſſ. S. 348f., der fpäter feinen Irrthum berichtigt hat; D. Liter.-Zeit. 1882. N. 22. j

5) Watt IIb. ©. 380.

6) cap. 5. Nicht flets war das Königsgericht allein zuftänbig in gemifchten Fällen: dies gegen v. Maurer, Fronhöfe I. ©. 512; Bethmann-Hollweg I. S. 440f. und nicht war es ſtets ausgefchloffen wie Lehuerou, Carol. p. 247; Köftlin, 3.f.DR XII. ©. 418.

7) Childib. deer. c. 12.

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Ganz irrig beſchränkt man die Immunität dieſer Zeit auf bie bloße Vertretung ver Infaffen vor den Königsbeamten!). Sehr mit Unrecht verwirft man?) zu dieſem Behuf die Immunitätsbriefe für Trier und Meg?), deren Echtheit‘) zweifellos iſt: und durchaus nicht find bamal85) gar »audientiae privatae« Privathändel: audientia be- beutet nie „Händel“, ſondern „Gerichtsabhaltung“®), erft im elften (!) Jahrhundert tritt ver erfte Belag für audientia lis auf. Die Ver- leihung tes mithium?) ift von ber der Immunität verſchieden und be» beutet damals nie Immunität: die Ausübung der Rechte an des Königs ftatt folgt nicht nur aus der allgemeinen Ausichließung der Königs» beamten in jenen Briefen, follten nun die Verbrecher hier ftraflos bleiben? ausdrücklich wird vielmehr die Immunität ber Kirche oder ber Großen vorbehalten (salva emunitate), wo bie Königsrichter Kirchen, Geiſtliche, arme Leute einjtweilen fehügen follen, aber nur bis zur gerihtlihen Verhandlung: d. h. Immunitätsleute find auch von diefem Eingreifen der Königsbeamten ausgenommen, fie find von den Immunitätsbeamten zu fchüßen®).

Weil die Immunitätsbeamten über ihre Leute zu richten haben, deßhalb müfjen die Königsbeamten ſich an jene Halten, wenn Immu⸗ nitätsleute Verbrechen gegen Auswärtige begehen, aber nur dann, wenn die Immunitätsbeamten nicht ſchon vorher jelbft gerichtet haben ®). Endlich über einen Streit zwiſchen Kirchenleuten mit Fremden fol ber Graf mit ten Immunitätsbeamten zufammen richten: baraus folgt,

1) Diefe Auffaffung Eichhorns, 3. f. geſch. RW. II. ©. 132, D. St. und R.G. 8 86 wird noch von Heusler, Stabtverfaflung S. 20 und Löning S. 730 feftgehalten. 2) Löning a. a. O. 3) Böhmer⸗Mühlbacher N. 142. 174.

4) Auch nah Sidel und Mühlbacher.

5) Mit Heusler Sauerland, Immunität von Metz, S. 20.

6) ©. Du Cange IV. p. 469.

7) Form. Marc. I. 24; L. Rib. 31, 2; gegen Bethmann-Hollweg I. ©. 41. vgl. oben ©. 550.

8) Ed. Chloth. II. c. 14 ecclesiarum res sacerdotum et pauperum qui se defensare non possunt a judicibus publicis (= regis) usque audientiam per justitiam defensentur salva emunitate praecidentium domnorum (=regum) quod ecclesiae aut potentum vel cuicumque visi sunt indulsisse pro pace atque disciplina facienda (audientia ift Gericht: publica c. 515 das bes Königs, aber auch das bes Biſchofs heißt c. 5 audientia).

9) So iſt wohl c. 6 zu verfiehben und zu ergänzen: si tamen ab ipsis agen- tibus antea non (fuerit judicatum? destrietum? Weit: datum).

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baß nur, wenn ein Fremder betheiligt, ver Graf zuzuziehen, bei Streit« fachen unter Immunitätsleuten ver Probft allein zuſtändig iſt ). Denn bas Immunitätsgericht ift für ben Fremden freilich nicht zuftänbig.

Vielleicht find auch jene Fälle jo zu erklären, in welchen Bifchof und Graf miteinander zu Gericht figen?).

So brauchen wir aljo nicht uns tarauf zu berufen, daß in ver arnulfingifchen Zeit bereits die Immunität zweifellos bie Uebertragung ber Gerichtsbarkeit enthält): und doch würde pas in biefem falle nicht gegen unjere Methode (Vorrede zu B. I. und VIL) verftoßen, ba bie arnulfingifchen Urkunden offenbar nicht erft das Necht neu ver- leihen, ſondern als ein lange beftehenves anerkennen und beftätigen.

Werfen wir nun einen Nüdblid auf bie Streitfragen über vie Gerichtsbarkeit in den Immunitäten.

Wir jahen, ganz irrig ift der Sagt), „bie Immunität gab immer Öffentliche Gerichtsbarkeit und ohne fie giebt e8 überhaupt Feine“: denn einmal hat es fehr lange Zeit nur Freiung, gar feine pofitive Im- munität, aljo auch keine öffentliche Gerichtsbarkeit des Immunitätsheren gegeben, und zweitens wird bei der Immunität ber Krongüter an ber gewöhnlichen Gerichtsbarkeit gar nichts geändert. Aber faljch ift auch die zwar fharffinnigd) durchgeführte Leugnung aller Gerichts. barleit des Immmunitätsheren überhaupt. Denn wenn auch bie Urkunden Karlse) für Trier und Meg von 772 und 7757) falich wären, [—

1) l.c. ce. 5 quod si causa inter personam publicam et hominibus ecclesiae steterit, pariter ab utraque partem praepositi ecelesiarum et judex publicus (== regis) in audientia publica (Grafengericht) positi eos debeant judicare.

2) Greg. Tur. VII. 1. VIII. 39, Urgeſch. III. ©. 293. 391; Form. Senon. rec. N. 3; bier Hagt der Abt gegen einen, ber ſich für frei erflärt bat, auf Aus lieferung ale Knecht. Form. Andegav. N. 32, wo zugleid die utilitas eoolesiae und das negotium principale (= regale) verbunden werben, aber noch viele andere geiftliche und weltliche Große verfammelt find. Biſchof und Graf richten Ed. Chl. o. 7 über Freigelaſſene im Schut ber Kirche, die als Knete in An⸗ fpruch genommen werben. Ausſchließende Firchliche Gerichtsbarkeit Hierbei verlangt Ce. V. Paris. v. 614.

3) Wie auch Löning a. a. D. anerleunen muß.

4) Bon Waitz II. &. 675.

5) Bon Löning II. ©. 738.

6) v. Sidel, Regesta Carol. N. 9. 36.

7) v. Sickel DIL ©. 52. V. S. 53 und Waig IV. S. 377. VL ©. 228 halten fie als echt aufrecht.

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bie Pippins für Wormst), wonach ſchon Dagobert I. dieſer Kirche bie gräflichen Nechte über ihre Grundholden gefchentt haben jollte, ift allerdings interpolixt], fo ift doch jene Beftreitung nicht überzeugend.

Man?) wilf die Unechtheit ver Urkunde für Trier dadurch er- weiſen, daß Karl ‚bier die Merovingen feine patres nennt, was in echten Urkunden nicht vorkomme: abgefehen davon, daß bie Unechtheit ber gleiches befagenven von 782 für St. Martin von Tours?) nicht voll bewieſen ift, wäre vielleicht zu lefen 1) praecessorum nostrorum anteriorum regum, 2) [nach Beiftrich], parentum nostrorum, d. h. dann: von Pippin dem I. bis Karl Martell, 3) endlich: genitore nostro quondam regis. (Die Urkunde für Meg foll aus dem gleichen Grunde faljch fein: wegen patribus nostris.) Wenn bie (faljchen) Ur- kunden von Le Mans von c. 860 für biefe Kirche vie Gerichtsbarkeit nicht ausprüdlich nennen, fo ſahen wir ja, daß biefe pofitinen Rechte auch fehlen over nur bejchräntt verliehen werben konnten: baher beweift dies fo wenig wie das gleiche Fehlen bei ver Kirche von Poitiers (Ur- funde von Ludwig I. von 822)4). Webrigens wird fich (unten ©. 566) zeigen, daß die ausdrückliche Verleihung nicht nothwendig war. Was bie Gerichtsbarkeit ver Immunitätsheren über ihre freien Hinterſaſſen anlangt, ift anderwärts bargewiejen worbenS), daß file ausging von ben Krongütern, auf welchen die Freien ſelbſt ven Schug ver Polizei und die Gerichtsbarkeit der villici, actores, majores über die Unfreien auf fi) ausgedehnt wünjchen mußten: ganz Ähnliches geichah num auch auf den Immunitäten ver Kirchen und ver Weltgroßen. Chlothachar II. bat dann den Sirchen 614 bei Streitigkeiten zwifchen ihren freien Hinterfaffen und Dritten die Zuziehung eines Sirchenvertreters ein- geräumt und zwar ohne hiebei Immunität vorauszufegen‘). Daß bas Verfahren vor dem Biſchof oder Abt nur ein Vermittlungs⸗Ver⸗ fahren gewejen jet”) es ift ganz dem vor dem Grafen nachgebilvet, wird doch ſchon dadurch vollftändig und zweifellos ausgefchloffen, daß ber ungehorſam Ausbleibende entgültig ſachfällig wirb®).

1) 1. c. Pippin. N. 35. a. 751—768. 2) 2öning II. ©. 734.

3) v. Sidel N. 90. 4) v. Sidel ©. 364 und Ludorv. N. 191.

5) Könige VL2 &. 342; weftgotifhe Studien a. a. DO. Dies hat Löning nicht beachtet.

6) c. 5; homines ecclesiae heißt es nur, vgl. Sohm, 3. |. RR. IX. ©. 223.

7) Löning II. ©. 744.

8) Form. Andegav. N. 46.

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Daß in verfelben Stadt Angers ver Graf und der Abt eines Klofters Gericht halten!), erklärt fich jehr einfach daraus, daß bie Immunität bes Klofters nicht die ganze Stabt und nicht alle Ein- wohner umfaßte: baß neben dem Grafen ver Biſchof an dem Volksding Theil nimmt, ift durchaus nichts Beſonderes (oben ©. 248f.. Und wenn noch 850 freie Hinterfaffen gegen rechtswidrige Mehrbelaſtung burch die agentes des Klofters fich au ven König wenden ?), fo beweift biefe Beſchwerde über Finanzdruck doch nicht, daß ber Abt feine Gerichtsgewalt gehabt habe. Die Beweisführung aus ſpät Tarolin- giichen (816, 831, 855) und italienifchen Urkunten ift für bie Mero- bingenzeit?) durchaus nicht ſchlußbündig.

Ganz entfcheidend aber fpricht für vie Gerichtsbarkeit des Im- munitätsherrn, daß faft alle Urkunven ihm wie Abgaben, Steuern, Zölle auch die Sriedensgelder, Wetten, Strafjummen zu- ſprechen und zwar auch ben Theil, den jonft der Graf erhält. Wo- für foll das bezahlt werden, wenn nicht für die Uebung ber Rechtspflege? Soll zwar ver Graf richten, ver Bifchof aber oder fein vicedominus erhalten, was dem Richter gebührt? Das ift doch heillicht unmöglih! Das Gerichtsgeld im weiteften Sinn tft nur dem Gerichtsheren alfo hier dem vom König mit ber Hebung ber Gerichtsbarkeit betrauten zu entrichten: deßhalb, weil er Gerichts⸗ herr ift, erhält ver Immunitätsherr, was fonft der König oder deſſen Graf.

Und nun erklärt es ſich uns auch vollſtändig, weßhalb die Urkunden nicht ausdrücklich dem Immunitätshern die Gerichtsbarkeit zuſprechen: fie glaubten vorausſetzen zu dürfen, daß bie ſtillſchwei— gende Verleihung fich von ſelbſt varaus ergibt, daß fie 1) immer bie Königsbeamten ausfchließen, und 2) immer ber Immunität bie Strafgelver u. ſ. w. zufprechen®).

Dagegen umgekehrt: follte die Immunitätsverleihfung troß dieſer beiden Beftimmungen nicht die Gerichtsbarkeit übertragen, fondern nur bie höchft vermwidelten Berechtigungen und Verpflichtungen zwifchen ber Immunität, deren unfreien und freien Hinterfaffen und dem Grafen erzeugen, die man dann annehmen muß: Stellung vor Gericht, Aus-

1) Löning ©. 744. 2) Löning I. ©. 742.

3) Löning IL ©. 744.

4) Genauer wirb auf Rönings fehr beftechende Ausführung eingegangen in ben fränkiſchen Forihungen; vgl. D. G. Ib. S. 481.

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Lieferung, Verbürgung, Bolgen der Nicht-Stellung, dann wäre das bloße Schweigen hierüber unbegreiffich und unmöglich gewejen. Uebrigens ift e8 einfeitig, nur die Kirchen-Immunitäten zu berüdfichtigen: bie der Krongüter beftanden wie in vömifcher Zeit fort in ihrer Freiung und der villicus, actor erfegte den Freien wie ben unfreien Hinter: faffen vielfach den Grafen; ganz ähnlich auf den Immunitäten ber Weltgroßen, die das Edict Chlothachars II. von 614 neben ben firch- lichen ganz allgemein vorausfegt (ecclesiis, potentum vel cujuslibet): nur haben fich aus nahe liegenden Gründen die Urkunden ber Welt« großen nicht jo lang und fo zahlreich erhalten: bei ben fiscaliichen kam keine Verleihung vor, fie beruhte auf objectivem Recht.

e) Die Immunität von Krongut und Gütern des Weltadels.

Die Immmität des meropingifchen Königsgutes ift durch mero- vingifche Urkunden nicht ausdrücklich bezeugt, allein fie ift zweifellos: nicht gerade, weil fie für die Farolingifche Zeit, wann fiscus und ıimmunitas al8 gleichbedeutend gebraucht werben, bezeugt ift!), vor Allem, weil fie für den größten Theil des Königsgutes ehemals kaiſerliches oder fiscalifches als einfach beibehalten angenommen werden muß; dann auch, weil?) die Formeln bei Landſchenkungen des Königs dem Beſchenkten zufichern, er folle fie befigen, „fo wie fie der König beſaß“: »sub integra emunitates scum emunitate nostra«, d. 5. mit derjelben Immunität, wie fie uns zufteht: auch Klöftern wird bie Immunität gewährt „jo wie fie den im Eigenthum des Königs Stehenden eignet”?).

Und wenn ſchon Chlodovech ber Kirche Srunpftüde ſchenkt: ipsorum agrorum immunitate concessa®), fo ſoll das ipsorum agrorum wohl andeuten, daß eben bie biefen fiscalifhen Gütern eigene Immunität fortbeftehen, auch der Kirche gewahrt fein foll.

Nicht eben viel jünger als Tirchliche werben bie weltlichen Im⸗

1) Wie Drummer II. ©. 290.

2) So treffend Brunner a. a. O.

3) Allerbings erfi a. 644. D. N. 21; dann 661 1. c. 25 villas . . sieut fiscus noster . . tenuit ac possedit, wobei das Recht auf bie freda, alfo Immunität, ausdrücklich genannt wird; Th. v. Sidel a. a. O. V. S. 6; vgl. um. gefähr gleichzeitig Mare. Form. I. 14 villa... sicut a fisoo nostro possessa fuit ... in integra emunitate.

4) Cc. Aurel. v. 511. c. 5.

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munitäten fein, ba bie Könige vielleicht ſchon vor Chlodovechs Taufe!) auch an Weltgroße fiscalifche, alfo immune Güter fchenkten, wohl unter Belaſſung ver bisherigen Immmität; jevesfalles find fie viel älter als die früheften auf uns gelommenen Beläge von 6142), von 635°) und aus dem Ende des VII. Iabrhunderts in ven Formeln Markulfs‘). Daß uns Urkunden folches Inhalts fpärlih und nicht aus älterer Zeit erhalten find, hat man) treffend erklärt aus [ver un- gleich fichereren Aufbewahrung ver Urkunden ter Kirchen und öfter in deren Archiven.

Nachdem einmal auch weltliche Immunitäten vorkamen, war beren Entwidelung ganz bie gleiche wie die ter geiftlichen: auch vie Miß- bräuche der Beamten beider; beide werben daher meift zufammen genannt ®).

Nahe lag in beiden bie Gefahr, tag, wie vie Großen felbft, auch beren PBrivatbeamte in ven Immunitäten ihre Macht mißbrauchten, Ge⸗ walt übten, insbefondere auch ihre Zuftändigkeit zwangsweiſe, 3. B. in Pfändung über ihnen nicht Unterftellte, auspehnten. Dies muß aus» trüdlich verboten werden ?).

f) Rückblick.

Dur die Immunitäten wurde ter Zufammenhang des Königs mit weiten Gebieten und zahlreichen Bewohnern feines Neiches abge- ſchnitten, wurben biefe in ihrem ganzen rechtlichen und wirtbichaftlichen Geſchick von Privaten abhängig gemacht.

Aber das Gefährlichfte war, daß num biefe Privaten bie Finanz⸗, BVolizeis, Gerichts und, wie es fcheint, auch bereits Kriegshoheit an bes Königs Statt über freie Franken übten: bei der ohnehin

1) Aber die angebliche von Chlodovech D. N. 1 tft wohl falih, oben ©. 555; die L. R. 65 tennt die Immunität von Berpflegung ber Königsboten: aber ungewiß, ob ſchon in ber älteften Faſſung.

2) Ed. Chloth. IL. c. 14. p. 22.

3) Dagobert I. für Resbach (Rebais) D. 15.

4) I. 14. 17; zumal II. 1.

5) Brunner II. ©. 292.

6) Ediet. c. 14 emunitate .. ecelesiae aut potentum; fo agentes episco- porum aut potentum.

7) Chloth. II. Edict. c. 20 agentes episcoporum aut potentum per potestatem nullius res collecta solatia nec auferant nec oujuscumque con- temtum per se facere non praesumant.

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fo bedenklichen Vermifchung von öffentlihem und privatem Recht in biefer Zeit ward hiedurch die Vorftellung groß gezogen, nicht nur ber König, auch Biſchöfe, Aebte, weltliche Große Hätten ftatliche Gewalten.

Allerdings gab es auch ohne Immunität Groß-Güter, in welchen ber Eigenthümer richtete und Zinfe erhob: aber nur über Unfreie oder auf feiner Scholle Sitzende: jenes war nicht Gerichtsbarkeit, fondern Ausfluß des Eigenthums Strafgewalt des Eigenthümers und bies nicht Beftenerungsrecht, fondern vertragsmäßige Forderung: erft in bem immunen Gebiet warb all’ das recht fchänlich, weil es als Ausübung ftatlicher Rechte durch Private erfchien!).

Schon Ehilperich Hagt?): „Siehe, unfer Fiscus ift verarmt, fiehe, unfere Schäße find auf die Kirchen übergegangen, niemand mehr ale ber Bischof herricht, unfrer Ehre Glanz ift zu Grunde und auf die Biſchöfe übergegangen“.

Die Verſuche ver Könige oder pflichttreuer Hausmeier, ver unab- läffigen Ausichöpfung des Kronguts durch den geiftlichen und welt- lichen Adel zu wehren, führten feit 590 und 614 zu Kämpfen, im welchen fie meift unterlagen.

Chlothachar II. muß 614 feierlich alle vorgefundenen Immu⸗ nitäten ber Kirchen und des Weltavels anerkennen).

Im Süden und Weften war feit 614 das Königthum zumal burch die Immunitäten bebroht in Loslöfung zahlreicher Heinerer, verſtreuter Landſtücklein aus ber unmittelbaren Statsgewalt: im Nord» often von Gallien und dftlih vom Rhein burch bie gleiche Löfung ganzer Provinzen als felbftändiger Herzogthümer: aber auch in Gallien bildeten fich jene Heinen „Tyrannen“ d. h. weltliche und fogar geift- liche Machthaber wie jener Biſchof Savarich, deren Niederwerfung und Zerfchmetterung nicht die Siege über den Islam Karl bei dem dankbaren Volle den Ehrenmann „ver Hammer“ eintrug.

„Die großen Gütercomplexe, welche Private oder geiftliche Stifter in Händen haben, erjcheinen als Herrichaften von ftatsrechtlicher Bes bentung.“‘)

1) Eine »jurisdietion domestique« fiber Freie gab es nicht: dies gegen Lehuerou, Institutions Carolingiennes p. 221; ausgenommen über vertrags- mäßige Hinterfaflen: dies gegen Waig IIb. ©. 346.

2) Greg. Tur. VL 46, Urgeſch. II. S. 287.

3) Ed. eo. 14.

4) So vortrefflih Waitz Ib. ©. 346.

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Sehr bezeichnend Heißt ein nicht zur Immunität Gehöriger (im Gegenfat zu bem homo ecclesiae) persona publica!): denn publicus ift regius, regis?), weil er nur bes Königs ift. Urfprünglich waren alle Freien nur personae publicae, nur des Königs gewefen !

Dean kann fagen: die wirkliche Macht des Frankenkoͤnigs, d. h. die Möglichkeit, feine germanifch beſchränkten, römiſch weit gehenden Rechte zu üben, 3. B. Heine Kriege zu führen, Aufſtände nieberzuwerfen obne jevesmal ben Heerbann aufzubieten, berubte auf feinem gewaltigen Krongut: die Immunitäten und Landſchenkungen und Beneficien, bie er dem geiftlichen und weltlichen Adel verlieh, bald verleihen mußte untergruben die Grundlage feiner Macht: an Verblutung bes Kron⸗ guts ftarb das merovingiſche Königthum.

4. Die Kirche.

Man pflegt als eine wohlthätige Beſchränkung ver Königsgewalt die Macht der Kirche anzuführen. ‘Deren Gegenwirkung kommt in zweifacher Art in Betracht: einmal äußerlich in den Rechten ber Kirche, in ter Kirchenverfaffung (oben ©. 221) fodann innerlich in dem ‚feelforgerifchen Einfluß ver Priefter auf den König und in ber Hin- weifung auf die nach chriftlicher Lehre dem König obliegenden Pflichten.

Es ſoll nun nicht beftritten werben, daß in ber That nach beiven Richtungen recht Erfprießliches gejchehen ift: zumal die Einfchärfung ber Königspflichten, die unabläffig fogar formelhaft wiederholt. ward, konnte nicht ganz ohne Frucht bleiben.

Hieher, nicht unter die altgermanifchen Züge dieſes Königthums®), unter den Einfluß von Chriſtenthum und Kirche auf dies Königthum ift zu ftellen, was Dichter‘), Sormelfchreiberd) , Urkundenjchreiber, Biſchöfe und andere Geiftliche unermüdlich hierüber einprägen.

1) Ed. Chloth. I. c. 5. 2) ©. oben ©. 80.

3) Vergl. Guizot essais p. 312; Löning S. 24; Waitz S. 202; Gengler, über den Einfluß des Ehriftentbums auf das altgermanifche Rechtsleben ©. 13, wo aber überall dieſer Gefichtspunft fehlt. -

4) Berg. Ven. Fort. VI. 1 von Sigibert:

cunctorum causas intra tua pectora condis

pro populi requie te pia cura tenet. „Auf die lobenden und ehrenden Worte bes Schmeichlers Chilperihe und Fredi⸗ gunbis if allerdings nicht viel zu geben“, Waitz ©. 202, aber fie zeigen, was ale Konigspflicht galt und Sigibert zählte jebesfalles zu den fehlerfreieften ber Mero- bingen. 5) Siehe Markulf I. 8. 14. 25. 33. 36.

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Chriftlich ift felbftverftändlich die Pflicht des Königs, vor allem Kirchen und Geiftliche zu fchügen: das folgt einerjeitd aus der bereits jest ſtark hervortretenden theokratiſchen Auffaffung des States, dann aus der Lehre, daß Bott dem König die Herrichaft übertragen, als eine Art Gegenleiftung. Mit dem Schuß heibnifcher Weihthümer und Briefter hat das gar nichts zu fchaffen: altgermanifch ift nichts daran ala etwa bie Verpflichtung, alle diejenigen zu fchügen, die fich felbft durch die Waffen nicht fchügen können (die Kirchen als juriftiiche Perfonen) oder bürfen (die Geiftlichen).

Die Kirche überträgt nun auch die biblifchen Lehren von ben Pflichten, aber auch von der göttlichen Einfegung der Obrigkeit auf bie Frankenkönige.

Und die Könige felbft bevienen fich eifrig dieſer Lehre, vie gewiffermaßen die heinnifche Weihe des altgermanifchen Königthums erſetzte, ja erheblich fteigerte. Denn damals hatte zwar die Abſtammung von den Göttern die Ehrfurcht vor dem Königshaus im Allgemeinen begründet oder erhöht, allein, daß ber einzelne König durch unmittel- bares Eingreifen eines Gottes zur Herrichaft berufen worden, das kam doch nur ganz vereinzelt in Helvenjagen ver Vorzeit zum Aus: brud, z. B. Beowulf, Steaf; dann etwa Geirrdör!).

So fagt die heilige Ravegumdis2): „die Fürften, die Gott, das Bolt zu beherrſchen, verorpnet hat“, fo fehreibt Guntchramn 9): „uns bat ber oberfte König die Herrfchgewalt übertragen”, Chlothachar III.): „ver Herr hat uns auf den Thron unferer Väter gefeht“.

Der König gilt fo als Beauftragter Gottes, des oberiten Königs), als „Diener Gottes". So fagt gerabezu bie „Ermahnung an einen Frankenkönig“, die ein ungenannter Geiſtlicher) an Chlobovech II. oder Sigibert III. gerichtet Hat).

1) Bergl. Dahn, Walhall 9. Aufl. Leipzig 1889 S. 109.

2) Greg. Tur. IX. 42, Urgeſch. II. ©. 461.

3) Edict. p. 11.

4) Dipl. N. 39.

5) Oben Ed. Guntchr. p. 11.

6) Exhortatio ed. Mai nova collectio I. ed. II. Pars IV. p. IIL; dazu Reifferſcheidt in d. Sitz.⸗Ber. d. Wiener Alab. 69. ©. 88; Digot III. p. 350; Ozanam I. p. 74 ber willfürfih einen Enkel Chlodovechs als ben Ermahnten annimmt, während doch Chlothachar I. ale Großvater bezeichnet wird. Die exhor- tatio fehlt bei Potthaſt und Ebert.

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‚Du follft wiffen‘, wird bier dem noch jungen!) König gefagt, „maß bu Gottes Diener und zu dem Zweck von ihm beftellt bift, daß alle Guten dich zum barmberzigen Helfer, die Böfen zum ftarlen Rächer baben, auf daß fie, bevor fie das Böfe thun, dich fcheuen. Bedenke ftets, dich im ganzen Leben von Gott leiten zu laffen, auf vaß du lang und glücklich Andere leiten mögft“. Und nun werben aus diefem Grund⸗ gedanken die Folgerungen ver königlichen Pflichten nach allen Seiten gezogen, felbftverftänplich auch hier mit jener unfittlichen Sittlichleit, wie fie dieſer ganzen Lehre eignet?), wonach das Gute nicht als ver⸗ nunftnothwendiger Selbftzwed geforbert, fondern lediglich als Mittel zum Zwed empfohlen wirb: „bamit bu lange lebeft auf Erben” wie im alten Teftament „dann wirb ber Herr beine Jahre zahlreich machen auf Erben, wie er es deinen königlichen Vorfahren gethan, bie da herrlich in dieſer Welt geherricht haben“. Diefe Ermahnung entwidelt nur grundbfäglich den Theokratismus und deſſen Folgen.

Aber leider muß man fagen, daß beide Schranken, die äußerliche und die innerliche, doch lange nicht fo wohlthätig gewirkt haben als zu wünfchen gewefen: die Habgier, Beftechlichkeit, überhaupt Welt- fichleit der Könige durchbrach jene äußeren Schranken ver Rechte der Kirche fortwährend; 3. B. in der Befegung ber Bisthümer.

Und die Moralpredigt der Geiftlichen hat fehr oft nichts ge- fruchtet; oder auch: bie Geiftlichen, eingefchüchtert, beftochen, felbft ver- weltlicht und verwilbert, erhoben ihre Stimme gar nicht, 3. B. nie gegen eine Fredigundis, um deren Zornes willen fogar ein fo wadrer Dann und Biſchof wie Gregor von Tours einen Ereommunicirten nicht wieber -aufnehmen will, bis fie nicht ber König! es ver- ftattet. Wie gingen doch Merovingen und Arnulfingen, felbft Heilige, wie Guntchramn und Karl, mit der &he um! Fälle fühner Pflichterfüllung ber Geiftlichen bierin find felten, aber deſto rühmlicher. Es will nicht viel jagen, macht ein Bifchof einmal ven Vorbehalt, den Befehlen bes Königs nur in guten Dingen gehorchen zu wollen).

1) arg. in ista juvenili aetate p. V. 2) Urgeſch. IH. ©. 523. 3) Oben ©. 225.

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IV. Rüdblid.

1. Volksfreiheit.

Dffenbar erjchten den Germanen verjchiedener Stämme im Mero⸗ pingenreich, nachdem fie mit der Volksverſammlung tas Wefentliche ber alten Volksfreiheit eingebüßt und bamit ber Königsgewalt gegen- über ben wirkfamften Schuß verloren hatten, als das werthoollfte Ueberbleibjel ber alten Vollsfreiheit die ftrenge Einhaltung des Stamm- rechts für jeden Stammesgenofjent): immer wieder verfprechen bie Könige die Unantaftbarteit des „alten Rechts“, der „alten Gewohnheit“, des „von den Vätern Ueberkommenen“; Urtbeile, die dawider verftoßen, ſollen ungültig fein?). Sichtlich handelt e8 fich hierbei nicht oder doch nur viel weniger um das Privatrecht, vor Allem um Strafredht und Strafverfahren der alten »lex«: es joll nicht im Wege ber Konigs⸗ oder Grafen-Verorbnung?) oder gar des rechtswidrigen NRichterfpruche ein freier Franke leichter überführt oder ſchwerer geftraft werden können als nad dem alten Stammesredht.

Der König übt den Bann nur im Rahmen des geltenden Rechte (legibus)*®): nur „verfaffungsmäßigen” würden wir heute fagen d. 5. dem geltenden Reichs⸗- und Stammes-Recht entiprechenten Ge- borjam fchulvet der Unterthan. Es galt in ber Lehre! da— mals ſchon ter Sag: »nihil aliud potest rex quam quod de jure poteste.

Setzt aber gelegentlich das in feinen Waffen verfanmelte Vollks⸗ beer feinen Willen gegen den König buch, 3. B. es zwingt ihn zum Kriege), fo ift das nicht Ausübung eines Rechts, fondern wie

1) 3.8. L. Baj. II. 14. 16.

2) Chloth. praec. c. 1.

3) Schon dies widerlegt bie Sohm’fche Lehre von einem gleichberechtigten, ja überlegnen Amts⸗ und Konigs⸗Recht gegenüber dem Volls⸗Recht; ſ. beſonders auch Boretius, Capitularienkritik S. 64; Beſeler, Geſetzeskraft der Eapitularien S. 20.

4) Lex Rib. 65, 1.

5) Treffend Wai S. 193: „fo war nun die Sache Überhaupt. Dem ganzen Boll, dem verfammelten Heer gegenüber vermochte ber König nicht viel (Greg. Tur. IV. 51, Urgeſch. III. &. 160f.: quod ne faceret a suis prohibetus (sic)) ; bei auberer Gelegenheit aber erholte er ſich auch einer Demütbigung, bie ihm zugefügt worben.“

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ſchon bie gewaltthätige Gebahrung zeigt Gebrauch ber thatfächlichen Uebergewalt.

Höchſt bezeichnend find Hierfür bie Unterfcheibungen, die Chlo⸗ bovech noch 507 machen muß: zwar kann er kraft feines Heer⸗ Bannes und Kirhen-Schugrechts, kraft feiner Verordnungsgewalt feinem Heervolk verbieten, 3. B. Tatholifche Priefter im Weftgotenreich und Kirchenktnechte als Kriegsgefangene fortzuführen und Tann die un- entgeltliche Freilaſſung folcher trog feinem Friedensſchutz (in pace nostra) Gefangenen befehlen: aber bezüglich der andern Kriege- gefangnen, die, nicht durch folchen "Frieden gefchügt (extra pace nostra), von feinem Heervolk (populus) kraft des Beuterechts ge- fangen und dadurch in das Eigenthum des freien Franken übergegangen find, kann er mit nichten unentgeltliche Freilaffung gebieten, nur ten Biſchöfen anheimftellen, ihnen Empfehlungsfchreiben (apostolia) aus» zuftellen?!). Und auch bei jenen muß er, ber „Bitte“ feines »populus« (= exercitus) nachgebend?), die Bifchöfe auffordern, in jedem Tall die Freizugebenden die Wahrheit ihrer Angaben beichwören zu laſſen.

An Stelle der eingebüßten Volksfreiheit und ihres ordentlichen Werkzeugs, der Vollsverfammlung, die nur fehr unvolllommen durch das Heer erjegt wird, tritt, herausgefordert freilich von bem Mip- brauch der Töniglichen Gewalt, oft eine Vollsfrechheit auch gegen gejek- liche Gebote des Königs hervor.

Dahin zählen die ganz ungeheuerlichen Verlegungen ber Kriegs⸗ zucht durch das Heer, das im eignen Lande fo furchtbar Hauft, daß e8 auf dem Wege feines Auszuges nicht heimlehren kann, weil Alles zerftört und verbrannt tft: ober, wagt e8 fich auf ber Flucht meiſt gefchlagen von Goten oder Kelten auf diefen Weg zurüd, wird e8 von ben rächenden Bauern vernichtet 3).

Dahin gehören auch die Fälle, in welchen vie Gauleute und zwar wie bie Germanen auch bie verwilberten Provincialen! mit

1) Ep. Chlodov. ad ep. Gall.

2) Was aber Wait ale Schranken der Königsgewalt Chlodovechs anführt I. ©. 191, daß er mur mit Zuſtimmung feines Volkes die Zaufe genommen, Greg. Tur. II. 31, oben ©. 183f., die Zuflimmung besfelben zır dem Weſt⸗ gotentrieg II. 37, oben S. 187f. wie Theuderich I. zu dem gegen die Thüringe eingeholt babe III. 7, Urgefch. III. ©. 75f., beweift nichts: denn nirgends ift gejagt, daß der König fo handeln mußte: er that fo aus Klugheit: jedesfalles hatte der König ebenfo wie jeber Franke das Recht, ſich taufen zu laſſen.

3) Viele Beifpiele in Urgefch. III.

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Gewalt die vom König gefandten Beamten garnicht einziehen laſſen ober die eingefeßten mit oder ohne Grund vertreiben ober er- ſchlagen.

Nicht einmal den Romanen gegenüber kann die Krone ſogar auf dem Höhepunkt der Macht Steuerpläne durchführen: die Unterthanen Römer wie Germanen erheben ſich mit Gewalt gegen die Steuerbeamten des Könige !).

Indeſſen meift gehen tiefe Gewaltthaten nicht. vom Voll aus, das von feiner alten Freiheit durch den Dienftadel längft und ſtark herabgedrückt ift, fondern es handelt angeftiftet oder als Werkzeug von ben dem König oder dem bebrohten Beamten feindlichen Abelsparteien: fo war es offenbar nicht das Voll, fondern ber Abel im Reiche Chilviberts II., der fich der muntfchaftlichen Regierung Guntchramns widerſetzte 2).

Gegen den bel erhebt fich nur einmal das geringe Heervolk Childiberts II., ver unabläffigen Bruderkriege jatt.

Sonft ift ed nur der Adel, nicht das gemeinfreie Voll, das dem Königthbum Schranken jegend entgegentritt: jo vor Allem im Jahre 614 Chlotbachar dem Zweiten (f. oben ©. 533f.). Nur fehr mittelbar und nebenbei kommen zuweilen des Adels Errungenfchaften auch ven Ge- meinfreien zu Gute.

So werben Rechte und Rechtsmißbräuche des Fiscus eingejchräntt, Steuern, die ungerecht neu eingeführt waren, werben aufgehoben, Zölle zurüdgeführt auf das unter Guntchramn, Chilvibert II., Sigibert (LII.?) übliche Maß?). Die Hirten des Fiscus follen die Wälder ver Pri⸗ paten (d. h. meift ber Großgrunteigner) nicht mit ihren Schweine» berben betreten und fih Maftungsrechte anmaßen®).

Daß das Statögebiet doch durchaus nicht letiglich dem König gehört, ſondern daß eben das Volt ter Franken auf viefem Lande feinen Stat aufgebaut Hat, bringen gleihwohl Bezeichnungen zum Ausbrud wie terra®) ober terrae®) oder regio Francorum’), wie

1) Greg. Tur. V. 28, Urgeſch. III. ©. 202f.

2) Greg. Tur. VIII. 18, Urgeſch. III. ©. 363.

3) Ed. o. 8. 9.

4) Ed. 21.

5) Fred. c. 12. p. 157; bazu gehört bier auch Baiern.

6) Ursin. v. St. Leodig. e. 8.

7) Greg. Tur. IX. 20, Urgeſch. III. ©. 424; Fred. cont. c. 20. p. 178 regio. sua (Caroli Martelli) .. terra Francorum .. solium principatus sui.

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ja auch das Neich, das Gejammtreich ftätig bei Gregor von Tours !) und von dem König felbft?) al$ regnum Francorum bezeichnet wird: »regnum Merovingorume begegnet nie: vereint ein König alle Theilreiche, jo hat er »omne« oder »totum regnum Francorum.?).

Fremde Völker erllären freilich auch wohl, daß fie den „Söhnen Chlothachars“ nicht dem „Reich ber Franken“ unterworfen find +), während ein andermal in folchem Fall verſprochen wird, „Unterwerfung unter die Könige und Waffenhilfe für bie SrantenS)”.

Daber Hagt Gregor‘), daß die inneren Kriege „ver Franken Volt und Reich“ aufreiben »Francorum gentem et regnume«e. Daher beißt es von Gundovald und beifen Anhängern, daß fie das „Reich ber Franken“ biyzantinifcher Herrichaft unterwerfen, ein Frembling „dns Reich der Franken" babe vergewaltigen wollen”).

2. Abjolutismus.

Aber auch die wenigen ihnen entgegenftehenden Schranten haben oft wieder die Könige nicht eingehalten; doch das war dann, wie anf Seite des Volles (oben S. 574) nicht Mebung, war Bruch des Rechte, war Mißbrauch der Königsmacht zu Gewalt. Sie befahlen Todtung, Verftümmelung, Vermögensberaubung, wo Teinerlei Rechts⸗ grund dafür beftand: das darf man nicht unter den Begriff auch bes mißbrauchten Bannes bringen: es war Verbrechen, nicht anders, wenn es Chilperich als wenn es Fredigundis befahl.

Solch Unrecht erfcheint auch wohl in ver Form von Schub des Unrechts durch ven König wider das Recht oder was basjelbe bie bereditigte Race).

Jedoch auch durch Geſetz und Verordnung werben bie Rechte bes Königthums bis an bie Gränze ber Tyrannei erweitert.

Auch freie Franken werben nun ber Folter unterworfen ?).

1) VL 24. VII. 27. VI. 37. IX. 9, Urgefh. II. ©. 259. 319. 389f.

2) Child. U. Dipl. 27. p. 27.

3) Fred. o. 42; Ursinus v. St. Leod. c. 4; Formulae Maroulfi I. 1 ed. Zeumer.

4) Greg. Tur. IX. 18, Urgef. TIL ©. 421 (bie Kelten).

5) Greg. Tur. IV. 42, Urgeſch. III. ©. 147 (die aus Stalien heimtehrenden Sadfen).

6) Im Borwort zu feinem Bud.

7) Lo. VL 24. VIL 27, Urgeſch. III. S. 259. 319.

8) Greg. Tur. VL 16, Urgeſch. IIL S. 252.

9) Biele VBeifpiele gewährt Greg. Tur.

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Auch die Bewachung von Verbrechern kann ven Unterthanen aufgetragen werden unter Bannftrafe!).

Defondere Fälle auch 3. B. wenn ein Franke mit Todesitrafe bebroht ift behält fich der König „zur Entſcheidung“ vor2).

Unfreie werben jegt ftatt der Folter dem Losordal unterworfen 3).

Die Strenge der Könige gegen die Verbrecher nicht nur, auch wider pflichtlofe Beamte, war dabei feineswegs etwa auf das durch⸗ faulte Neuftrien beſchränkt oder nur königliche Willfürt): für Auftrafien und unter Zuftimmung feiner Großen erläßt jolche Gebote Childibert ILS). Gewiß ift Hier der Geift und Wille der ftatsbewußten Brunichildis von Einfluß gewejen.

War auch das meropingifche Königthum im Wefentliden ab» gefehen von den angeführten römiſch-kaiſerlichen Einflüffen auf Form und Machterweiterung das altgermanifche und blieb es das bis an fein Erlöfchen, jo ift dadurch boch keineswegs ausgefchloffen eine ſchwankende Veränderung feiner Gewaltfülle innerhalb dieſes Rahmens. Eine ſchwankende: denn keineswegs war dieſe Bewegung eine ftäte Erſtarkung der Königsmacht.

Chlodovech und feine Söhne find noch wenig über bie alten Schranken des Königthums hinaus gefchritten: wie troßig macht ber gemein-freie Wehrmann noch Chlodovech gegenüber vie Gleich» berechtigung in der Beutevertheilung geltend, der König kann folchen Zrog nicht fofort ftrafen: der Trog war eben Wahrung, nicht Bruch bes Rechts erſt gelegentlich fich rächen in heimtüdiichem Mord mehr al8 in Mebung königlichen Nechts: das lehrt vie allbekannte Gefchichte bes Kruges von Soiffons®) und Sigiberts fpäte Nache an feinen unbotmäßigen Ueberrheinern ?).

Weit über jene Schranken hinaus haben dann Chlodovechs Entel bie Königemacht geübt: oft, wie gejagt, eben nicht als Königsrecht, als Königs⸗Unrecht: allein ſchon ihnen gegenüber fo Guntchramn tritt eine neue Macht im Stat auf und jenem Herricherthum entgegen: nicht die alte Volksfreiheit rafft fich zu ſolchem Widerſtand anf: ihre Zeit ift unmwieberbringbar vorüber fondern ber neue Dienftabel:

1) L. Rib. 73. 4) Sehr treffend Wait II. b. S. 31.

2) Deer. Child. c. 4. 5) 29. Febr. 596.

3) Betbmann-Hollmeg ©. 512. 6) Greg. Tur. II. 27, Urgeſch. IH. S. 47. Tl. c. IV. 49, Urgeid. III. ©. 158. j Dahn, Könige der Germanen. VL. 3. 37

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biefer aber belämpft gleih von Anfang!) nicht blos die königliche Willkür 3.8. eines Chilperich, auch das Königliche Recht 3. B. eines Guntchramnm ?).

Mit beſtem Grund klagt dieſer, daß ſeine Herzoge die Banne des Königs verachten und bedroht ſie dafür mit dem Beil. Nach Gregors ganzer Darſtellung der Zeit iſt es größtentheils lediglich Ausrede, wenn hiebei vie geſcholtenen Herzoge ſich darauf berufen: „das ganze Volk iſt verwildert und freut ſich an Uebelthaten; kein Menſch fürchtet den König, keiner ſcheut den Herzog, den Grafen: wenn man Ordnung ſchaffen will, entſteht ſofort Aufruhr und Empörung im Volk. So grimm toben ſie gegen den Vorgeſetzten, der endlich nicht mehr ſchweigen kann, daß er kaum mit dem Leben davonkommt“9).

Sofern dies richtig, wir kennen aber nur ſehr wenige Fälle von Empörung des Volles oder Vollsheeres, während bie Erhebungen der Großen niemals ausfegen! hat pas böſe Beifpiel ver Vornehmen das Vorbild des Troges und der Verwilderung gegeben und ihr maß⸗ (ofer Drud oder ihre Zuchtlofigkeit die Leute zur Verzweiflung getrieben.

Die nahezu vollendete Losreißung Auftrafiens und ber oftrhenifchen Lande vor Pippin und Karl Martell bevrohte ven Merovingenftat mit Zerftörung feiner eigenften Eigenart, bie gerade in der Verbindung rein germanifcher mit römischen Gebieten und Bevölkerungen beftanden hatte (j. VII. 1. unt oben ©. 369f.). Ebenfo hatte fi Aquitanien, das Land ſüdlich der Loire, von Dagoberts Tod bis auf König Pippin von dem Meroving zu Paris unabhängig gemacht.

Nur kurze Zwifchenzeit trennt die faft unbeſchränkte Königfchaft eines Chilperih und bie allgemeine Vorherrichaft des Dienftabels feit Bruni⸗ hildens Untergang (613), der ja ſchon jeit Sigiberts Top in beffen verwaiften eich fich erhob und nur noch eine Zeit lang durch Gunt⸗ hramn im Bunde mit dem berangereiften Chilvibert II. nievergehalten wurbe.

Bon Chlodovechs Söhnen an bis zum Ende der Merovingen- zeit ſehen wir in Haffendem Wiverfpruch Abfolutismus, ja Tyrannei und daneben Ohnmacht des Königthums, Herrichaft ober doch erfolg: reihen Einfluß, Trotz des Junkerthums.

Der Hauptmangel ver Verfaffung war, daß e8 gegenüber dem

1) Darin muß man Waitz ©. 190 widerfprecdhen. 2) So tn den Fällen Urgeſch. III. S. 297. 305. 307. 3) Greg. Tur. VIII. 30, Urgeſch. IL. &. 373. 379.

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Königthum an einer Vollsverfammlung und auch an einer Volls- vertretung fehlte: denn bie placita, Hof- und Neichötage waren eine folche durchaus nicht: ihmen gebrach die Feitftellung bes Stand» Ichaftsrechts und die der Zuftändigleit: nur mit ber einzigen Aus- nahme, daß Stammesrechte nur (auf einer Stammes» oder) auf ber Reichsverſammlung durch Reichsgeſetz, nicht durch königliche Verorbnung geändert werden konnten.

In dieſem Mangel verfaſſungsmäßiger Beſchränkung des König. thums, dann in der Vergeudung des Kronguts (Immunitäten) an ben immer mächtiger aufftrebenven geiftlichen und weltlichen Abel, in dem Mangel des Schuges für die mittleren und Heinen Freien, dieſen natürlichen Stüten des Thrones gegenüber dem Abel, lag viel empfind- licher „ver wunde Punkt des fräntifchen Statsrechte‘, als in dem „Mangel einer georpneten Finanzverfaffung"!).

Das auftrafiſche Heldengefchlecht der Arnulfingen bat das auf das ſchwerſte vom Zerfall bevrohte Frankenreich gerettet: Pippin ber Mittlere bat den Bruberkriegen unter ven Königen over vielmehr den Hansmeiern der drei Xheilreiche ein Ende gemacht und angefangen, bie Ueberrheiner wieder heranzuziehen. Karl der Hammer bat das vollendet, Bat die „Heinen Thrannen“ in den Immunitäten dem Stats» gedanken wieder unterworfen, hat Chriftentbum und romanifche wie germanifche Volld- Eigenart und Bildung vor dem Islam gerettet: König Pippin hat Südfrankreich wieder gewonnen und fo das Fran⸗ zoſenthum möglich gemacht: fein großer Sohn hat zwar bie verberben- reiche Theokratie Sanct Auguftins in Wirklichkeit geſetzt, aber auch burch Hereinzwingung ber Sachſen vie fpäteren „veutfchen"” Stämme vereint und gerade dadurch diefe „Deutfchen“ fo ftart gemacht, wahrlich ohne es zu ahnen: er würbe das auf das Beftigfte bekämpft haben! baß fie fich zwei Menfchenalter nach feinem Tode von dem romanifirten Neuftrien logreißen, das alte Sranlenreich auflöfen und, nad langen, bangen Iahrzehnten drohender Zerfplitterung durch äußere Feinde zur Einheit gezwungen, das deutſche Reich des Mittelalters errichten konnten.

Aus dem verzweiflungsuollen Zuſtand des feit 638 ver finfenden MerovingenthHums gewährt ven tröftenden Ausblid in eine helle, ja ſtrahlende, großartige, lebenquillende Zukunft das große Ge- Ichlecht der Arnulfingen.

1; Anders Brunner II. ©. 3.

Berichtigungen und Nachträge.

VII. 2. S. 67 Zeile 18 von oben muß es heißen ſtatt „in Unfreie ſogar höheren Aemtern“ vielmehr: „Umfreie ſogar im höheren Aemtern”.

VID. 2. &. 182 Anm. 4: „Xömwenfelb“ ftatt Löwenthal“.

Vo. 2. ©. 210 Anm. 12: flatt »Greg. Magn. Codex« vielmehr »G. M. IIL«

Dann find bie Briefe des Defiderius von Labors einigemale noch nach ben alten Ausgaben angeführt fteben geblieben, benen fie vor acht Jahren ent- nommen waren: ©. 138. 142. 144. 203. 209. 211 ftatt nach Mon. Germ. hist. Epistol. III. 207. 196. 214.

Außerdem fchreibt mir Herr W. Gundlach aus Charlottenburg unter bem 21. XII 94 gütig zu VII. 2: Die Srage: „Aus welcher Zeit ift ber Brief von Gallus (Bouquet IV. p. 48), der bittet: durch custodiae fol der Weg aus Cahors nach Rouen gefperrt werben ?* findet eine Antwort barin, Daß ber Empfänger Defiderius ift, welcher nach Arndt 630—655 (nit wie ©. 144 Aum. 7: 637— 654) Biſchof von Eahors war.

Ich bitte bei biefer Gelegenheit einen Irrthum meinerfeits geneigteft berichtigen zu wollen: in dem Regeft des Briefes II. 8 (Epp. TIL 207) Babe id denn die Regeften rühren von mir, nicht von Arndt ber in An- betracht der (in Cahors) nahen ſpaniſchen Grenze die weltlichen und geiftlichen Beamten, welchen der nach Spanten entfanbte Priefter Antedius empfohlen wird, als fpantfche bezeichnet; aber Sie haben unzweifelhaft Recht, fie für fraͤnkiſche anzuſehen.“

VII. 2. ©. 129: Trustis iſt überhaupt Schar, daher neben ber trustis regia, ber Antruftionen, bie trustis ber Centenare in ben Gemeinden, welde bie Spur- folge zu üben bat. Decr. Chloth. c.9. Pact. Childib. et Chloth. c. 116.

3u VID. 3. ©. 167 ſchreibt mir gütig mein Amtsgenoſſe Appel am 20. III. 95: Das neuefte, noch unvollendete, ſehr vorzügliche Dicetionnaire general de la Langue francaise von Ab. Habfeld, Arſ. Darmefteter und Ant. Thomas bleibt bei der von Diez vorgeichlagenen Etymologie *alibanum, auch Körtings Latein.sromanifches Wörterbuch, Paderborn 1891 bringt Teine andere. Die lautliden Bedenken, die Gaſpary geltend gemadt bat, find aber durchaus begründet.

VIL 3. S. 230: Ueber die Geſchichte der Errichtung ber Kirchenämter Hinſchius II. ©. 385.

VI. 3. ©. 259: Weber das Berbot der Mehrheit der Kirchenämter in Einer Perfon Sinfhius III. ©. 243.