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Die

KRANKHEITEN DES AUGES,

für praktische Ärzte

geschildert

Dr. Ferd. Arlt,

o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität 7.11 Prag.

I. Band. Die Krankheiten der Binde- und Hornhaut.

Mit einer lifhographirten Tafel.

Prag, 1851.

Verlag; der k. k. Hof-Buch- und Kunsthandlung

von

F. A. Credner & KJeinbub.

Die

Krankheiten der Binde- und Hornhaut,

für

praktische Ärzte

geschildert

l>r. Ferd. Arlt,

o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität zu Prat

Mit einer lithographirten Tafel.

Prag, 1851.

Verlag der k, k. Hof- Buch- und Kunsthandlung

von

F. A. Credner & Klcinbub.

Drnek der k. k. Hotbuchdruckerei von Gottlieb Haase Sühne.

Vorrede

über den Zweck und die Anlage dieses Werkes.

Ich schrieb für praktische Ärzte, zum ersten Unterrichte, zum Nachschlagen am Krankenbette.

Der praktische Arzt hat die Aufgabe, die krankhaften Verän- derungen und Verrichtungen der einzelnen Organe zu erkennen, mit möglichster Wahrscheinlichkeit oder Gewissheit die nach dem jeweiligen Befunde zu erwartenden weitern Veränderungen voraus zu bestimmen, und die Verhältnisse oder die Mittel anzugeben, welche, wo möglich, einen günstigen Ausgang herbeizuführen vermögen.

Der sicherste Weg zur Erlangung der hiezu nöthigen Kennt- nisse ist, bei gehöriger Vorbildung in den physicalischen Wissen- schaften, die eigene Beobachtung am Krankenbette. Doch würde

VI Vorrede.

die Summe der eigenen Erfahrungen allein viel zu gering- aus- fallen, wollte man nicht zur Belehrung, zur Aneignung fremder Erfahrungen greifen.

Die Mittheilung bringt aber den Übelsland mit sich, dass wir gewisse Reihen krankhafter Erscheinungen (dem Räume und der Zeit nach) unter gemeinschaftliche Namen zusammenfassen, dass wir uns durch Abstraction gewisse Begriffe bilden müssen, welche demjenigen, der sie nicht durch eigene sorgfältige und vielfache Beobachtung erworben, oder doch geläutert hat, mehr weniger unklar, unrichtig und irreleitend bleiben. So sprechen wir von Krankheit überhaupt, von Fieber, Entzündung, Typhus u. dgl.; wir sind nicht im Stande, jemandem durch Worte allein genaue Begriffe davon beizubringen ; nur wer möglichst viele und gute Beobachtungen am Krankenbette gemacht hat, wird den möglichst richtigen und klaren Begriff von dem besitzen, was mit diesen Worten bezeichnet sein sollt. Ein weiterer Nachtheil, der mit der Belehrung durch Andere selbst am Krankenbette verbunden ist, ist der, dass, indem der Lehrer dem Schüler gewisse Gruppen und Reihen abnormer Erscheinungen als Krankheiten und Krankheitsprocesse vorführen muss, Lehrer und Schüler nur zu leicht sich gewöhnen, von dieser oder jener Krankheit so zu sprechen, als ob diese etwas Selbstständiges wäre, indess man doch jederzeit dessen eingedenk bleiben sollte, dass man es immer und überall nur mit krankhaften Verän- derungen und Erscheinungen eines oder mehrerer Organe zu thun

Vorrede. VII

hat. Wir werden der Onlologie, wie man diese Art, in der Medicin vorzugehen, zu benennen beliebte, nie ganz entgehen, so lange Lehrer und Lernende sich der Sprache als Mittels zur Mittheilung bedienen werden. Die Schriften jener, welche gegen die verpönte Onlologie zu Felde ziehen, liefern die besten Beweise dafür. Im günstigsten Falle zergliedert man die gang- baren Begriire, indem man die einzelnen Veränderungen und Erscheinungen einer genauem Betrachtung unterwirft, und so an das Concrete des Abstracten erinnert ; am Ende aber bildet man doch wieder allgemeine Begriffe, und schafft allenfalls dafür neue Namen. Man spricht heute noch so gut von Pneumonie, wie vor 50 Jahren; nur der Begriff ist ein anderer geworden, und der Name ist hier zufällig derselbe geblieben. Wenn ich aber von Pneumonie, deren Behandlung, deren Ausgängen. Arten etc. spreche, so bin ich nicht weniger Ontolog, als der Auetor, der vor 50 Jahren darüber geschrieben, und meine On- totogie ist nur in so fern eine bessere, als ich mir bei dem Worte Pneumonie genauer und richtiger alle jene krankhaften Veränderungen und Erscheinungen (neben und nacheinander) ge- genwärtig halte, welche das als pneumonisch bezeichnete Organ darbietet und darbieten kann.

Indem ich nun daran ging, das, was mir über die krank- haften Veränderungen und Erscheinungen des Auges bekannt ist, behufs der Belehrung niederzuschreiben, suchte ich die nölhige Übersicht zunächst durch Einhaitang der anatomischen Ordnung

VIII Vorrede.

zu erzielen, und die Nomenclatur vorzüglich nach dem Sitze der Krankheit festzustellen. So entstand die Haupteintheilung in Krankheiten der Binde-, Hörn-, Regenbogenhaut, Linse u. s w. - Da jedoch in sehr vielen Fällen nicht ein anatomisch gegebenes Gebilde allein, sondern mehrere zugleich leidend befunden werden, so musste sofort unterschieden werden, ob in solchen Fällen mehrere Gebilde schon von vorn hinein gleichzeitig erkrankt seien., oder ob die Totalaffection nur durch consecutives Erkranken eines zweiten und dritten Gebildes zu Stande gekommen sei. In letz- terem Fälle galt der Grundsatz : a potiori fit denominatio ; in er- sterem mussten Doppel- oder allgemeine Bezeichnungen (z. B. Keratoiritis, Mikrophthalmus, Scorbut, Krebs des Auges u. dgj.) gewählt, und zur Besprechung allgemeiner Zustände eigene Ca- pitel ofTen gelassen werden. Man kann den bisherigen Lehr- und Handbüchern vor allen den Vorwurf machen, dass sie, irgend einem künstlichen Systeme folgend, sehr oft das Zusammenge- hörende unnatürlich trennten, dagegen die heterogensten Zustände und Processe zusammenstellten. Ich will zum Belege für diesen Ausspruch nur an die Lehre von den sogenannten Nachkrank- heiten der Entzündungen, an die Capitel Adiaphanosen, Hydro- psien, Atrophien, u. dgl. erinnern. Durch solche Systeme wird dem Lernenden das Verständniss der Krankheiten erschwert, und er wird unvermerkt angeleitet, jede Krankheit als etwas Selbst- ständiges zu betrachten, in jedem Organe gleichsam Repräsen- tanten für die eine oder die andere Krankheitsfamilie zu rekru- tiren. Auf diesem Wege entstand mancher Name und Begriff

Vorrede. IX

•lein System zu lieb, wurde mancher Zustand isolirt als Krankheit hingestellt, dessen Verständniss dem Leser entgeht, so lange er ihn nicht seihst am Krankenbette in seiner Entstehung- und Ent- wicklung beobachtet und erfassl hat. Man denke nur an die Lehre vom Staphyloma corneae, von Xerophthalmus u. dgl.

Von den Beobachtungen, die mir zu Gebote stehen, aus- gehend, ordnete ich dieselben sodann nach gewissen constanten Charakteren, die natürlich nicht in dem örtlichen Befunde allein sondern in dem umsichtigen Auffassen aller abnormen Erschei- nungen im Gesammtorganismus gegeben und zu suchen waren. Dabei stellte sich vor allem heraus, dass gewisse Gruppen und Reihen abnormer Erscheinungen, welche vermög ihres constanten Neben- und Nacheinanderseins als in innigem Nexus stehend be- trachtet werden müssen, an dem Auge oder dessen Nebenorganen einzig und allein vorkommen, in andern Fällen dagegen zugleich in andern Organen oder im Gesammtorganismus beobachtet werden, mit andern Worten: es ergab sich, dass gewisse Krankeiten des Auges als rein örtliche, andere dagegen als allgemeine (Theilerschei- nung oder Folge allgemeiner Krankheiten) zu betrachten seien. Dieses in die Aufgabe des Arztes (Prognosis und Therapie) so tief eingreifende Verhältniss musste nächst, dem Sitze der A/fection vor allem berücksichtigt, in den Begriff der Krankheit mit auf- genommen, und wo möglich auch durch den Namen angedeutet werden. Nächst den Amaurosen stellte sich dieses Bedürfniss vorzüglich bei jenen Fällen heraus, welche mit vorwaltend ent-

X Vorrede.

zilndlichen Erscheinungen verlaufen. Hier genügte es nicht, sie einfach dem Sitze nach als Conjunctivitis, Keratitis, Iritis u. s. w. vorzuführen ; hier machte sich vor allen das causale Moment (äussere oder innere Krankheitsursache) geltend, und drängte zur Sonderung und Gruppirung der Formen, wenigstens in so weit, als aus den örtlichen Erscheinungen seihst (dem Raum und der Zeit nach aufgefasst) mit mehr weniger Sicherheit auf das causale Moment zurück geschlossen werden kann, die Form der Entzündung:, ihr Entslehen, ihr Verlauf und ihr Vorkommen., wenn nicht positiv, so doch negativ (durch Ausschliessung) Schlüsse auf das causale Moment erlaubt. Es konnte hier, wenn dem prak- tischen Arzte mit der Diagnosis auch schon die Hauplmomente zur Prognosis und Therapie geboten sein sollten, wenn die Termi- nologie nicht ihren Hauptzweck verfehlen, und wenn nicht we- sentlich verschiedene Zustände unter Einem Namen zusammengefasst werden sollten, durchaus nicht genügen, nach Velpeaiis Vorgange etwa bloss von Conjunctivitis im Allgemeinen oder von Iritis als stets einer und derselben Krankheit zu sprechen. Waltlter hat zu diesem Vorschlage treffend bemerkt, dass man dann consequenter Weise gegen jede Conjunctivitis nichts anzuwenden hätte, als etwa eine Lösung von Nitras argenti oder eine Salbe mit rolhem Präcipitat, und bezüglich der Iritis wurde, was das Einseitige dieses Vorganges am besten zeigt, geratheiu alle Mittel als unnütz zu betrachten, nur Belladonna gleichsam als Specificum zu geben, die Iritis möge nun durch eine Verletzung, oder durch Syphilis oder irgendwie bedingt sein. Die Beschaffenheit des Exsudales

Vorrede. XI

allein, so wichtig' auch deren Beachtung", konnte ebenso wie irgend ein anderes Merkmal der Entzündung schon aus dem Grunde nicht als Eintheilungsmoment für die entzündlichen Krankheiten ange- nommen werden, weil dieselbe sogar in einem und demselben Krankheitsfalle nicht constant ist, und wir die chemische Be- schaffenheit desselben nicht eruiren können, um die Bedingungen zu dessen Metamorphosen näher angeben zu können.

Vermög dieser Grundsätze gruppirten sich somit die sämmt li- ehen Beobachtungen nach dem ausschliesslich oder vorwaltend und primär ergriffenen Gebilde in Krankheiten der Binde-, Hörn-. Regen- bogen-, Aderhaut u. s. w., die Krankheiten der einzelnen Gebilde in solche, welche mit mehr oder weniger oder gar keinen entzünd- lichen Zufällen auftreten und verlaufen (ein strenger Unterschied zwischen entzündlich und nicht entzündlich lässt sich am Ende nicht durchführen), und in solche, die als rein örtliche Leiden oder als Theilerscheinung allgemeinen Erkranktseins zu betrachten sind. In der Anwendung am Krankenbette wird auch dieses System, wie jedes andere, seine Mängel und Schwierigkeiten zeigen ; man wird gar oft nicht im Stande sein zu bestimmen, welches Gebilde in vorliegendem Falle das primär und vorwaltend leidende sei; man wird gar oft sich begnügen müssen, irgend eine Krankheit bloss als Entzündung der Iris, als Congestion der Chorioidea, als Leiden der Netzhaut u. s. w. im allgemeinen zu bezeichnen, ohne die nächste oder die entferntem Ursachen andeuten zu können; dem kann überhaupt durch kein System, durch keine Art von

Xll Vorrede.

Terminologie abgeholfen werden, und die grössten Fehler sind na- mentlich auf Kliniken dadurch begangen worden, dass man glaubte, jeder specielle Fall müsse in eine oder die andere Rubrik des Syslemes, dem man eben huldigte, eingepasst werden. In jedem Systeme müssen ferner die einzelnen Zustände oder Erschei- nungen weit mehr differenzirt angegeben werden, als diess in der Wirklichkeit im Allgemeinen vorkommt, d. h. es kann die Schil- derung der einzelnen Krankheiten nur nach den exquisiteren Fällen entworfen werden. So theilen wir z. B. die Entzündungen der Bindehaut ab : in Katarrh, Blennorrhoe, Trachom, scrofulöse Binde- hautentzündung u. s. w. Geben wir uns nun nicht einer cruden Ontologie hin. betrachten wir diese Krankheiten nicht als Para- siten, sondern gleichsam als verschiedene Richtungen, nach denen hin der normale Zustand zum abnormen wird : so werden wir nicht übersehen, dass diese Richtungen bald mehr, bald weniger deutlich ausgesprochen sein, und dass wir Fälle zu Gesicht be- kommen können, bei denen sich in dem Momente der Beobach- tung noch nicht bestimmen lässt, ob diese Art des Erkranktseins die eine oder die andere Richtung einschlagen werde. Die Be- rücksichtigung der ätiologischen Momente kann, wo der Befund am Auge zweideutig oder ganz unbestimmt ist, wohl mehr we- niger Wahrscheinlichkeit für das eine oder das andere, niemals aber für sich allein den Ausschlag geben.

Die Überzeugung, dass ein richtiges Verständniss der Krank- heiten eines Organes nur bei möglichst genauer Kenntniss der Anatomie

Vorrede. XIII

Hiid Physiologie derselben möglich ist, bestimmte mich, jedem Capitel eine kurze Übersicht unserer anatomischen und physio- logischen Kenntnisse des betreffenden Organes vorauszuschicken. Diese Trennung der Anatomie schien einerseits durch das heft- weise Erscheinen des Ganzen geboten zu sein, und dürfte andrer- seits dem praktischen Arzte manchen Vortheil gewähren, den ihm die systematischen Abhandlungen über Anatomie und Physio- logie des Auges in verschiedenen Lehr- und Handbüchern nicht darbieten. Meine erster Versuch dieser Art*) scheint wenigstens Beifall gefunden zu haben, da seitdem mehrere ähnliche Bearbei- tungen, zum Theil auch Copien dieses Gegenstandes erschienen sind.

Rücksichtlich der Terminologie habe ich keinen Ruhm darin gesucht, neue Namen einzuführen; ich wollte meinen Lesern das Verständniss anderer, namentlich älterer Auetoren nicht erschweren, noch die Zahl der auf Hypothesen gestützten Namen vermehren. Nur wo mir eine oder die andere bisher übliche Bezeichnung irrige Nebenbegriffe anzudeuten schien, erlaubte ich mir eine Än- derung. So wählte ich z. B. den Ausdruck Keratoektasie für den Namen Staphyloma pellucidum, da dieser Zustand der Cornea mit jenem, den man ursprünglich Staphyloma genannt hat, nicht die entfernteste Analogie und, ausser der Bildung einer Vorragung, nicht ein einziges Merkmal gemein hat. Andere Namen, wie:

*) Physiologische und pathologisch - anatomische Bemerkungen über die Bindehaut, Prager medicinische Vierteljahrschrift. 12. Band. S. 70.

XIV Vorrede.

Taraxis, Chemosis. Ophthalmia interna, Panophthalmilis u. dgl. nmssten nach dem obersten Grundsätze (Basirung auf Anatomie) theils aufgegeben, llieils auf ihre eigentliche Bedeutung zurück- geführt werden.

Von der numerischen Methode habe ich absichtlich keinen Gebrauch gemacht. Die bisher gelieferten Proben erschienen mir eben nicht sehr aufmunternd. Soll diese in der Idee allerdings vortreffliche Methode für die Wissenschaft von Nutzen sein, so müsste entweder ein Arzt in einem gewissen grössern Bezirke alle Fälle von Augenkrankheiten, welche daselbst vorkommen, zu beobachten Gelegenheit haben, oder es müssten mehrere Ärzte, welche auf gleicher Bildungsstufe stehen, und eine durchaus gleiche Termino- logie in Anwendung bringen, sich zur Verzeichnung sämmtlicher Fälle vereinen, und selbst dann würden die Resultate eben nur für diese Gegend und für diesen Zeitraum gelten, wo die Beob- achtungen angestellt wurden. Zahlenverhältnisse, in einem Spitale aufgenommen, müssen aus leicht begreiflichen Gründen sehr we- sentlich von jenen differiren, welche sich dem Privatarzte er- geben, und auch dieser bekommt eine Menge Augenleiden, die unter dem Volke vorkommen, nicht zu Gesichte. Es darf uns demnach nicht Wunder nehmen, wenn z. B. hier ein Arzt, der seine Angaben auf Beobachtungen im Spitale stützte, behauptet, der Augenkatarrh sei eine viel seltenere Erscheinung, als gewöhn- lich angenommen werde, und dort wieder ein anderer sagt, dieses Leiden sei so häufig, dass man nicht viele Menschen finden werde, welche nicht ein oder mehrere Male daran gelitten haben.

Vorrede. XV

Dagegen habe ich keinen Anstand genommen, so oft es nöthig schien, einzelne Beobachtungen und Krankengeschichten in den Coutext aufzunehmen. Ich halle sie für das beste Mittel zur Erläuterung des im Allgemeinen Gesagten, und zur Controlle der Theorie ; sie bieten die Thatsachen, welche der Auetor zur Bildung seiner Ansichten benutzte, und machen es noch dem späten Leser möglich, die Wahrhaftigkeit einzelner Angaben sowohl als des Auetors überhaupt zu beurtheilen; sie vor allem haben bleibenden Werth, denn die Theorie unterliegt einem sielen Wechsel. J. N. Fischers „klinischer Unterricht" und W. Maken- zie's „praktische Abhandlung über die Krankheiten des Auges" waren mir beim Eintritte in das praktische ärztliche Leben durch ihre instruetiven Krankengeschichten gleichsam lebendige Consu- lenten, bei denen ich mich über analoge Fälle am leichtesten Ralhes erholen konnte. Desshalb wird man mir wohl auch keinen Vorwurf daraus machen, dass ich hie und da sellene und gute Beobachtungen von Andern entlehnte.

Endlich glaubte ich da und dort in die Erörterung von Streit- fragen näher eingehen zu müssen, als es vielleicht in ein Lehr- buch gehört, wie z. B. bei den Krankheiten der Bindehaut über die Contagiosität der Blennorrhoe, bei den Krankheiten der Horn- haut über Staphylom u. dgl. m. Ich hielt es nicht für genügend, dem Leser meine Ansichten einfach als Theoreme hinzustellen ; er sollte zum Nachdenken und Selbstforschen angeregt, er sollte in Stand gesetzt werden, mich zu controlliren, wie ich zu dieser

XVI Vorrede.

oder jener Ansicht über die eine und die andere Krankheit oder Krankheitserscheinung gekommen bin, und ob ich mir dabei nicht etwa Fehler im Beobachten oder Fehler im Folgern der Schlüsse zu Schulden kommen Hess. Wenn ich mir dabei mitunter kri- tische Bemerkungen über andere Ansichten erlaubte, und dabei die Namen einzelner Vertreter nannte, so wolle der Leser in letzterem nicht persönliche Angriffe erkennen, und nicht übersehen, dass ich mir's im Allgemeinen zum Grundsatze gemacht habe, so viel als möglich und nöthig überall die Quellen anzuführen, auf welche meine Angaben und Behauptungen gestützt sind. Tritt Jemand meinen Ansichten entgegen, so ist es mir lieber, er nennt mich als Vertreter derselben, und gibt somit dem Leser Gelegenheit, das Original nachzuschlagen, als er fertigt diese Ansichten, aus dem Zusamenhange herausgerissen und mannigfach entstellt, mit ein paar vornehm verachtenden Worten ab.

Prag, im December 1850.

Dr. Arlt.

I. II II C ll

Die Bindehaut, Tunica conjunctiva.

A Anatomische und physiologische Bemerkungen.

Bindehaut nennen wir jene Membran, welche, als Fortsetzung der allgemeinen Bedeckung, die innere Fläche der Lider und den freien Theil des Augapfels überzieht, und in dieser Ausbreitung die Eigenschaften der Schleimhäute vollständig oder theilweise darbietet.

In früherer Zeit wurde auch die Scheidenhaut des Augapfels, Tunica vaginalis bulbi, als mit dem Stroma conjunctivae innigst zusammenhängend, darunter mit inbe- griffen, und noch jetzt nimmt man hiiulig den vordersten Theil der Tunica vaginalis zur Conjunctiva. Dieser geht zwar mit der Bindehaut eine immer engere Verbindung ein, je näher beide der Cornea kommen, und verschmilzt endlich mit derselben am Bande der Cornea gänzlich; dessen ungeachtet aber ist es naturgemässer, beide Membranen als verschieden zu betrachten, so weit sie sich mit dem Messer ungezwungen tren- nen lassen.

Der Flächenraum, den die Bindehaut einnimmt, ist grösser, als man gemeinhin dafürhält. Der Durchmesser vom Rande der Cornea bis zum freien Lidrande nach oben und nach unten beträgt beim Erwachsenen etwas über, der nach den beiden Winkeln hin etwas unter 1 Zoll. Man begreift dieses Verhältniss bei der geringen Breite der Lidknorpel nur dann, wenn man bedenkt, dass die Bindehaut in jenem Theile, welcher den Übergang von den Lidern auf den Augapfel vermittelt, mehr weniger

I. 1

2 Bindehaut.

beträchtliche Falten bildet. Am stärksten tritt diese Faltung- im innern Winkel hervor, bekannt als halbmondförmige Falte; diese verliert sich, immer schmäler werdend, allmälig gegen den äusseren Winkel hin, wo die Bindehaut hinter der äussern Commissur statt der Faltung buchtige oder blindsackige Erweiterungen bildet, welche sich selbst im Cadaver nicht leicht ausbreiten lassen. An flachliegenden Augen stülpen sich die- selben hisweilen bei stärkerem Abziehen des obern Augenlides nach aussen hervor, und können freilich nur auf kurze Zeit dein An- fänger leicht für etwas Abnormes imponiren.

Au dem untern Lide hält es in der Regel nicht schwer, die Bindehaut in ihrer ganzen Aushreitung zu Gesichte zu bekommen, bei flach liegenden Augen, indem man das untere Lid stark abzieht und dann gegen den Orbitalrand andrückt, bei tief liegen- den, indem man das Lid abzieht, und dann den Bulbus stark nach unten rollen lässt. An dem obern Lide hingegen bekommt man den Übergangstheil der Bindehaut sehr selten zu Gesichte, am wenigsten, indem man, wie gewöhnlich gerathen wird, das obere Lid einfach umstülpt, eher noch, wenn man das Lid stark gegen den Augen- brauenbogen hebt und abzieht, und die Pupille abwärts richten lässt.

In dieser Ausdehnung bietet die Bindehaut mehrere Verschieden- heiten der Structur dar, nach welchen wir folgende Partien unterscheiden:

1. Der Tarsaltheil, vom freien oder Cilienrande des Knorpels an bis etwa \l" über den Orbitalrand des Knorpels hinaus, zeigt alle Elemente der Schleimhäute: «. eine dünne Lage von Epithelium aus cylindrischen Zellen: ß. darunter Papillarkörper, bestehend aus grösstenteils reihen- weise angeordneten fadenförmigen Papillen, welche der Bindehaut ihr ganz feinkörniges oder sammetartiges Aussehen geben *), welches unter der Loupe so erscheint, als ob die Bindehaut mit einer unzähligen Masse glatter, glänzender Hügel besäet wäre, zwischen welchen feine Gefässchen verlaufen ; y. endlich als Grundlage vielfach durchschlungene Bindegewebsfasern, mittelst welcher diese Partie aufs innigste mit dem Knorpel verbunden ist.

Diese Partie wird von äusserst zahlreichen Gefässchen und Nerven durchzogen. Erstere geben ihr, so weit die Meibom'schen Drüsen rei- chen, welche deutlich durch dieselbe durchscheinen, ein blassrothes Aussehen*'*); letztere sind Zweige des N. trigeminus, und bedingen die grosse Empfindlichkeit dieser Partie.

*) Die Papillen fangen erst ', Linie hinter der innern Lefze des Lidrandes an, und erstrecken sich am untern Lide etwa "2"', am obern etwas üher 1'" üher den Orbitalrand des Tarsus hinaus, und sind in letzterer Gegend am mächtigsten, **) Geffen die Winkel hin, besonders am obern Lide, erscheinen die feinen Warzchen der Bindehaut immer nicht nur etwiis grösser, starker entwickelt, sondern auch roiher. selbst bläulich roth.

Anatomie Physiologie. 3

2. Im Übergangstheile treffen wir keinen Papillarkörper mehr, wohl aber (nach Krause) gehäufte Schleimdrüschen, theils einfach, theils traubig verbunden *). Das zellige Stroma der Conjunctiva ist weit lockerer, und hängt mit der Fascia tarso-orbitalis. welche vom Orbitalrande des Knor- pels zu der Fascia vaginalis bulbi übergeht, durch grobmaschiges, zu serö- sem und blutigem Ergüsse sehr geneigtes Bindegewebe zusammen. Diese Partie erscheint im normalen Zustande durchaus blass, nur von einzelnen stärkeren Gefässen durchzogen. Die Schleimfollikel sieht man entweder gar nicht, oder als senfkorngrosse , krystallhelle oder mattgelbliche Bläs- chen. Sie treten bei congestiven und entzündlichen Zuständen der Binde- haut deutlicher hervor. Die Übergangsfalte, als deutliche Fortsetzung der halbmondförmigen Falte, erscheint bei älteren Individuen als ein etwas gelblicher und gelockerter, bandähnlicher Streifen.

Der Übergangstheil ist wenig empfindlich, wenigstens können fremde Körper sehr lange in demselben haften, ohne dass der Kranke von ihrer Gegenwart weiss. Beim Katarrh und bei der Blennorrhoe wird dieser Theil jedesmal und gleich von Anfang an ergriffen.

Es geschieht hei Hervortreibung des Bulbus aus der Orbita (Exophthalmus) z. B. durch Markschwammablagerung, dass die Lider unistülpt und die Bindehaut in ihrer ganzen Ausdehnung bloss gelegt wird. Solche Falle sind es, welche den Unter- schied zwischen dem Tarsal- und llbergangstheil recht deutlich hervortreten lassen. Jener zeigt stets ein fein warziges, sammetartiges und starker gerölhetes Aussehen, während dieser bei der enormen Ausdehnung und Spannung der ganzen Bindehaut eben so glatt erscheint, als der Sclerallheil.

Ich besitze ein Präparat, an welchem in Folge syphilitischer Geschwüre und Narben fast rings um die Orbita die Cutis so von den Lidern abgezogen ist, dass die ganze Conjunctiva vollständig auswärts gewendet und ausgeglättet erscheint. Die Grenze zwischen Cutis und Conjunctiva ist nur durch eiuen leichten Wulst und einige Cilien angedeutet ; der Tarsaltheil ist samnit den Tarsis auf einen sehr schmalen Streifen re- ducirt ; der ganz ausgeglättete Übergangstheil zeigt eine Menge kleiner Grübchen, von denen ich nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob sie durch Verlust der Follikel ent- standen, oder ob sie als enorm erweiterte Mündungen der Follikel zu betrachten sind.

3. Der Sclerallheil unterscheidet sich vom Übergangstheile nur durch die Abwesenheit der Schleimfollikel, und durch den Mangel sicht- barer Gefässe (im normalen Zustande).

a) „lu fast allen Schleimhäuten finHet man Bläschen oder Zellen von 0,012 0,03'" Durchmesse-, welche bald wasserhell, bald mit einem körnigen Inhalt erfüllt sind. Schleimhäute, welche man für ganz drüsenlos hält, sind stellenweise mit solchen Bläschen besetzt, aber sowohl ihr Sitz als ihre Zahl sind unbeständig; sie sind hald einzeln zerstreut, bald haufenweise zusammengeordnet, und scheinen zu verschiedenen Zeiten und an verschiede- nen Orten zu entstehen und wieder zu vergehen. Sie sind rund oder oval, vollkommen geschlossen, aus einer structurlosen Haut gebildet, und so in der Dicke der Schleimhaut vergraben, dass sie diese weder hilgel- förmig erheben, noch in der Tunica nervea merkliche Eindrucke zurücklassen.* Henle, allgemeine Anatomie, Leipzig, 1841. S. 891.

1*

4 Bindehaut.

Die Äderchen, welche man an jedem Auge von den Insertionsstellen der geraden Augenmuskeln her gegen die Cornea verlaufen sieht, gehören nicht der Bindehaut, sondern der Tunica vaginalis bulbi, oder vielmehr, sie verlaufen unter dieser Tunica zum vordersten Theile der Sclera, wo sie sich spalten, und theils die Sclera durch- bohren, theils in den vordersten Theil der Conjunctiva bulbi (Limbus) und in die Cornea treten. Sie erscheinen, je weiter gegen die Peripherie hin, desto mehr bläulich, weil die Tunica vaginalis dorthin immer mächtiger wird ; sie lassen sich nicht verschieben, wenn man die Bindehaut allein oder diese sammt der Tunica vaginalis (was nur gegen die Peripherie hin möglich ist) über der Sclera verschiebt. Es sind diess die vordem Ciliararterien und die sie begleitenden Venen. Bei etwas glotzenden Augen kann man durch momentanen Druck mittelst des Fingers auf den Lidrand den Blutstrom in ihnen unterbrechen, worauf sie sich, je nachdem sie Arterien oder Venen sind, von der Pe- ripherie her oder umgekehrt füllen. Die Venen zeigen einen mehr geraden, die Arterien einen geschlängelten Verlauf.

Die der Cunjunctiva sclerae angehörenden Gefässe werden nur bei Reizung- der Bindehaut durch fremde Körper und bei Entzündung* dersel- ben, am deutlichsten bei heftigeren Augenkatarrhen und Blennorrhöen niedern Grades sichtbar; man kann sie genau aus der Übergangsfalte bis gegen die Cornea hin und umgekehrt verfolgen; sie zeigen immer eine scharlachrothe Färbung, und einen stark geschlängelten, zickzack- artigen Verlauf.

Das Epithelium erweist sich im Sclerallheile unzweifelhaft als Pflaster- epithel; das Stroma der Bindehaut ist sehr locker, daher zu serösen und blutigen Infiltrationen sehr geneigt, über der Tunica vaginalis (gegen die Peripherie hin) leicht verschiebbar, sehr dünn und beinahe vollkommen durchsichtig. .Ie näher gegen die Cornea, desto minder locker wird der Zusammenhang der Bindehaut mit der Tunica vaginalis und sclcrotica. Am Rande der Cornea selbst hängt die Bindehaut fest mit dieser zusammen, bis endlich bloss ein in mehrern Schichten aufliegendes Pflasterepithel' gleichsam als Fortsetzung der Bindehaut über die Hornhaut, übrig bleibt. 4. Der Epithelialüberzug der Cornea besteht aus regelmässig ge- kernten Pflasterepithelien, welche in den obersten Schichten platt und sechseckig, in den tiefern kleiner und polyedrisch sind, und zunächst den Hornhautfasern eigentlich nur den Umriss des Kernes unterscheiden lassen. Dieser vollkommen durchsichtige Überzug wird bald nach dem Tode trüb, und lässt sich in Form einer dünnen, leicht zerreiblichen membranartigen Schicht ablösen ; die Cornea erscheint sodann wieder spiegelglatt, wie im Leben.

Die oberste Lage dieser Epithelialschicht löst sich (nach Martini *) wahrscheinlich

*) Von dem Einflüsse der Secretiunsflüssigkeiten auf den menschlichen Körner etc. 2. Theil I. Hälfte, Bellr-Vue bei Cousbiu 1843.

Anatomie Physiologie. 5

in der Thränenfeuchtigkeit auf und wird abgespült, wodurch die Cornea fortwährend ihren Glanz, ihre Glätte bewahrt. In manchen Krankheiten seheinen einzelne Zellen verloren zu gehen, auszufallen, wodurch die Cornea das Aussehen erhält, als wäre sie mit Nadeln gestochen worden ; in andern geht das Epitheliom in grösserer Ausdehnung und Tiefe verloren, und zwar in Folge mechanischer oder chemischer Zerstörung, oder in Folge flüssiger Ergüsse unter dasselbe ; in andern erscheint dasselbe übermässig angehäuft und in den Thränen unlöslich.

Bindehautstroma, als Grundlage dieses Epitheliums, lässt sich auf dein mittlem Theile der Cornea durchaus nicht nachweisen, wohl aber noch auf dem Rande dieses durchsichtigen Gebildes, besonders von oben und von unten her.

Wird die Bindehaut etwa in der Gegend der Augenmuskelsebnen ringsum durch- schnitten, und sodann vorsichtig gegen die Cornea bin lospräparirt, so kann man sie als Membran bei den meisten Augen am obem Rande 2/3 %"'i am untern '/3 %'", zn beiden Seiten '/, '//" weit von der Hornhaut loslösen, so dass der blos von Epithel bedeckte Theil der Cornea nicht rund, sondern eiförmig erscheint.

Wir nennen diesen Theil der Bindehaut Limbus conjunctivae corneae, Binde'.iautsaum; er ist von den Anatomen als Conjunctivahvulst der Cornea, Annulus conjunctivae, jedoch nicht ganz naturgetreu, beschrieben worden. Er spielt in der Lehre v< n den Krankheiten der Binde- und Hornhaut eine sehr wichtige Rolle. Bei älteren Individuen findet man diesen von wahrer Bindehaut gebildeten Saum der Hornhaut, welcher oben einen breiteren, unten einen schmäleren Meniscus darstellt, durchaus mächtiger, breiter, deutlicher ausgesprochen, in viel geringerem Grade durchscheinend, bisweilen ganz undurchsichtig, weisslichgrau ; ebenso bei Augen, die viel an congestiven oder entzündlichen Zuständen (zumal der Bindehaut) ge- litten haben; er ist, wie wir sehen werden, von dem, was man Arcus senilis nennt, wohl zu unterscheiden.

Bei normaler Spannung der einhüllenden Membranen des Bulbus gibt sich die Demarcationslinie zwischen dem von Epithelium und dem von Conjunctiva bedeckten Cornealfelde durch eine leichte Erhabenheit kund, welche um so deutlicher in die Erscheinung tritt, je mehr der von der Bindehaut bedeckte Rand theil deprimirt erscheint. Schabt man von einem Auge erst die Epithelialschichte der Cornea sorgfältig ab, und präparirt man dann auf die oben angegebene Weise die Bindehaut so u eil als möglich von dem Rande der Cornea weg, so tritt diese Depression des von der Bindehaut ein- gesäumten Randtheiles der Cornea erst recht deutlich hervor.

Dieser Bindehautsaum ist sehr gefässreich ; in ihm sfossen die fein- sten Endigungen der Bindehautgefässe mit den zahlreichen Ästchen zu- sammen, welche die vordem Ciliararterien zu diesem Gebilde liefern. Unter ihm und durch ihn hindurch treten die feinsten Ästchen der Ciliar- arterien in die Cornea, Gefässe, welche im normalen Zustande kein rothes Blut führen, daher nicht sichtbar sind.

6 Bindehaut.

Wenn irgendwo, so sieht man an dieser und der nächst angrenzenden Partie der Bindehaut und dem unterliegenden Bindegewebe, dass es sogenannte Vasa serosa geben muss ; denn kaum hat ein fremder Körper die Cornea verletzt, kaum ist ein Staubkörnchen zwischen das obere Lid und die Cornea gelangt : und schon sieht man eine Unzahl der feinsten Aderchen rings um die Cornea von Blut strotzen, von denen man wenig Minuten vorher keine Spur bemerkte. Dieser Bindehautsaum ist einer beträchtlichen Anschwellung fähig, nicht nur durch Blutüberfüllung, sondern auch durch Ergusa von serösem oder faserstoffigem Exsudate (in umschriebener oder diffuser Form). Er ist es, auf welchem nicht nur vesiculöse und pustulöse Eruptionen, analog denen auf der Haut, am häufigsten vorkommen, sondern auch die angeborenen Warzen der Bindehaut, welche an die Bedeutung der Bindehaut Einstülpung der allgemeinen Bedeckungen mehr als alles andere erinnern.

Die Function der Bindehaut besteht in der Befeuchtung- und in der Vermittlung- der Beweglichkeit des Augapfels. Sie liefert ohne Zweifel einen grossen Theil jener Flüssigkeit, welche das Auge feucht erhalt. Wenn man eine Partie des umstülpten obern Lides sorgfältig abtrocknet, wird sie doch fast augenblicklich wieder feucht. Degeneration oder Ex- stirpalion der Thränendrüse führt weder beim Menschen noch bei Thieren zur Vertrocknung der Bindehaut ; diese liefert dann nach Martini noch immer eine kochsalzhaltige Flüssigkeit. Die obersten Schichten ihres Epilhcliums lösen sich fortwährend in der Thränenflüssigkeit auf. Diese Auflösung scheint unerläßliche Bedingung zur Erhaltung der Durchsich- tigkeit des Hornhautüberzuges zu sein. "-)

Ihr Blut erhält die Bindehaut grösstenteils aus Zweigen der Art. ophthalmica von der Carotis interna, zum Theil jedoch, besonders im Tarsaltheile, auch aus der Carotis externa durch die Art. angularis, tem- poralis und infraorbitalis. Die Art. tarsea superior et inferior und die Art. lacrymalis bilden das Gefässnetz, welches man bei katarrhalischen Augenen Mündungen von der Peripherie gegen die Cornea hin immer schütterer und feiner werden sieht; die Art. musculares und ciliares an- ticae, welche unter der Scheidehaut des Augapfels liegen, und daher bläulich erscheinen, anastomosiren mit jenem oberflächlichen Netze in der Nähe der Cornea.

Die Venen führen vom innern Theile aus in die Vena facialis anterior (profunda et superficialis), vom äussern Theile in die Venae temporales. Die Saugadern laufen an den Venen gegen den Unterkiefer herab, und

*) Die Flüssigkeit, welche die freie Oberfläche des Augapfels feucht und glänzend erhält, ist ein Gemisch aus dem Secrete der Thränendrüse und der Bindehaut, und nach Martini aus dem Attritus dieser letztern, den auf- gelösten Epilhelien. Sie besteht nach Vauquelm aus ohngefähr 99 Procent Wasser und 1 Procent fester Substanz: letztere enthält Schleim, Kochsalz, kaustisches Natron und Kalk- und Natronphosphat. Der Schleim und die phosphörsauren Salze durften dem aurgelösten Epithelium, das Kochsalz und das kaustische Natron der eigent- lichen l'hränenfliidsigkeil zukommen. Sie zeigt demnaih eine schwache alkalische Reaclioo.

Krankheiten. 7

treten in die obern Halsdrüsen. Auf einen hohen Grad von Resorptions- kraft deutet der Umstand, dass Extr. belladonnae oder hyosciami, auf die Conjunctiva gebracht, sehr bald seine Wirkung auf die Iris äussert.

Die Nerven, welche im Tarsaltheile äusserst zahlreich ausgebreitet sind, und in der ganzen Bindehaut der Empfindung, Absonderung und Ernährung vorstehen, sind Zweige vom N. trigeminus, und zwar vom Raums ophthalmicus : Zweigchen des N. supraorbitalis, supra- et infra- trochlearis und lacrymalis, und vom Ramus maxillaris superior: Zweigchen des N. subcutaneus malae und infraorbitalis. Die Exstirpation des Ganglion cervicale supremum oder die Durchschneidung des N. trigeminus diesseits des Ganglion Gassen, und die darauf folgende Entzündung und Vcr- schwäriing der Binde- und Hornhaut haben den Einfluss dieser Nerven auf die Ernährung und Absonderung der Bindehaut zur Evidenz nachge- wiesen. Die Lichtscheue, der Thränenfluss und die häufige oder selbst anhaltende Contraction des vom N. facialis versorgten Muse, orbikularis palpebrarum, welche durch Reize auf die Bindehaut oder Entzündung der- selben hervorgerufen werden, zeugen von der nahen Beziehung, in welcher die Nerven der Bindehaut zu den Ciliarnerven, zum Thränendrüsen- und Antlitznerven stehen, worauf wir später zu sprechen kommen werden.

B. Krankheiten der Bindehaut.

Die Bindehaut finden wir sehr häufig in krankem Zustande, und zwar meistens unter Erscheinungen, welche im Allgemeinen mit dem Namen Entzündung bezeichnet werden. Nennen wir die hieher gehörigen Zustände überhaupt Conjunctivitis, und berücksichtigen wir die bedeutenden Verschiedenheiten, welche die hieher gehöriffen Fälle in Bezuo- auf das Ensemble der Erscheinungen, Sitz und Ausdehnung der Affection, Verlauf und Ausgänge, Vorkommen und ursächliche Momente darbieten, so können wir sie am natürlichsten etwa in folgende Gruppen absondern: Conjuncti- vitis catarrhalis, hlennorrhoica, membranacea, scrophulosa, tracliomatosa und Exantheme der Bindehaut (im engeren Sinne des Wortes), denen sich jene entzündlichen Zustände anschliessen, welche durch mechanisch- chemische Verletzungen der Bindehaut bedingt werden. Es soll jed >ch mit dieser, die Übersicht im Allgemeinen und die Orientirung in speciellen Fällen bezweckenden Eintheilung weder eine haarscharfe Absonderung, noch eine gegenseitige Ausschliessung der einzelnen Formen unter ein- ander aufgestellt, noch endlich das gemeint sein, dass jeder specielle Fall

8 Bindehaut.

gerade in eine oder die andere dieser Rubriken, wenn man so sagen darf, eingereiht werden müsse. Die Schilderung der einzelnen Gruppen und die Beobachtung am Krankenbette wird diess am besten erläutern.

I. Bindehautkatarrh, Conjunctivitis catarrhalis.

Als Augenkatarrh bezeichnen wir jene Entzündung, welche mit ver- mehrter Gefässinjection. mit leichter Schwellung und Lockerung des Ge- webes der Bindehaut, und mit Ausscheidung eines veränderten eiweiss- oder schleimähnlichen Secretes an die freie Oberfläche verläuft. Die Röthe, Lockerung und Schwellung ergreift stets die Bindehaut vom Lidrande bis in die Übergangsfalte in ihrer ganzen Ausdehnung, und zwar am obern und untern Lide zu gleicher Zeit und in gleichem Grade, bei höheren Graden auch die Conjunct. bulbi.

Symptome. A. Die Röthe erscheint in frischen Fällen hell, Schar- lach- oder gelblichroth, im Tarsaltheile dicht, im Übergangstheile schütter netzförmig, an der geschwellten halbmondförmigen Falte gleichmässig (fleischroth), in der Übergangsfalte bisweilen ecchymotisch. Später wird die Röthe dunkler, mehr gleichförmig, mehr auf den Tarsaltheil, nament- lich gegen die Winkel hin concentrirt (daher Ophthalmia angularis bei älteren Alictoren), die Übergangsfalte schmutzig- oder röthlichgelb.

Die Schwellung des Übergangstheiles sieht man am deutlichsten an der halbmondförmigen und an der Übergangsfalte, welche letztere in Form eines dunkel- oder gelblichrothen lockeren Bandes den Bulbus umgibt. Die Schwellung der Schleimfollikel in Form äusserst feiner, krystallheller oder blassgelblich-durchsichliger Bläschen im Tarsal-, vorzüglich aber im Übergangstheile ist ein minder constantes Symptom; sie sitzen im Paren- chym, ragen nur wenig über die Oberfläche empor, und verschwinden im Tarsaltheile sehr bald. Sie kommt dem Katarrh nicht ausschliesslich zu.*) Die Schwellung des Papillarkörpers ist nie beträchtlich; nur nach längerer Dauer gibt sie dieser Partie ein feinkörniges oder filziges Aussehen mit gleichmässiger dunkler Röthe. Erst dann geht das Durchscheinen der Meibom sehen Drüsen verloren. Nach motiate-, jahrelanger Dauer kann die Bindehaut des Lides stellenweise oder durchaus ein leicht sehnen- artiges Aussehen bekommen, so als ob sie mit einer dünnen Lage Milch überzogen wäre.

•) Verschwörung dieser Follikel knnnte ich trotz «Her Aufmerksamkeil auf diese Erscheinung niemals wahrnehmen. Ähnliche slnubkörnchengrosse Erhebungen auf der Conjuiicliva palp. sind vielleicht durch Erguss von Serum unter das Epithelium bedingt, da sie sehr bald wieder verschwinden.

Katarrh Symptome. 9

Das Secret, anfangs sparsamer, später reichlicher, erscheint in Form lichtgrauer oder graugelber Flocken oder eiweissähnlicher Fäden, welche sich gern in den Übergangsfalten verbergen, oder in wasserklarer Flüs- sigkeit schwimmen. Die consistenteren Bestandteile legen sich gern an die Winkel, besonders an die Karunkel und an die Cilien an, und ver- trocknen an der Luft zu gelblichen, spröden Krusten, besonders während des Schlafes daher das Verklebtsein der Cilien und Lider beim Er- wachen. Reichlicher ausgeschieden, und die Lidspalte überströmend, er- weicht es die Epidermis der Lidränder Excoriationen nicht sowohl durch eine gewisse Schärfe, wie allgemein angegeben wird, als vielmehr durch die beständige Benetzung. Es reagirt nicht stärker alkalisch, als die Thränenflüssigkeit im normalen Zustande, und enthält nur mehr Epi- thelien, theils aufgelöst, Iheits unzerstört (einfach abgestossen), Schleim- und Fettkugeln (letztere wohl von den stärker absondernden Meibom'schen Drüsen). Auf eine gesunde Bindehaut übertragen, ruft es nicht eine gleiche Reihe von Krankheitserscheinungen hervor, ist also nicht ansteckend. So fand ich es wenigstens in einigen, freilich nicht genug zahlreichen Fällen, welche ich zu Impfversuchen benützte. Andere, später anzufüh- rende Th;itsachen machen es jedoch sehr wahrscheinlich, dass auch ganz einfache Katarrhe durch Überpflanzung vervielfältigt werden können, wenig- stens unter gewissen besonderen Verhältnissen.

Die Bindehaut des Augapfels kann auf doppelte Weise in Mitleiden- schaft gezogen werden, theilweise nämlich, oder durchaus. Im erstem Falle bildet sich unweit der Cornea gegen den äussern Winkel hin eine partielle starke Gefässeinspritzung sowohl in als unter der Bindehaut, und an der Spitze derselben eine Pustel mit consecutiver Geschwürsbildung, mit Auflockerung und Anschwellung der umgebenden Bindchautpartie. Diese Form hat man desswegen Ophthalmia catarrhalis pustularis ge- nannt. Wird hingegen die Bindehaut des Augapfels durchgängig ergriffen, so sieht man mehr weniger zahlreiche Gefässe aus dem Übergangstheile gegen die Cornea hin verlaufen, und bei höheren Graden zu einem grob- maschigen Netze sich ausbreiten. Diese Gefässe erscheinen auffallend hochrolh, erweitert, zickzackähnlich verlaufend, gegen die Cornea hin nicht selten mit kleinen Ecchyinosen umgeben, und in dem Maasse, als die Bindehaut serös geschwellt ist, leicht verschiebbar. Hiedurch sowohl, als durch ihre Farbe unterscheiden sie sich sogleich von den unter der Tunica vaginalis bulbi verlaufenden vorderen Ciliargefässen , welche bei derlei heftigen Augenkatarrhen gleichfalls stärker injicirt erscheinen, und bisweilen selbst einen rosenrothen Saum um die Cornea herum bilden

10 Bindehaut.

(da sie mit den Conjunctivagefässen nahe an der Cornea anastomosiren). Solche Formen hat man Ophthalmia catarrhalis genannt, zum Unterschiede von der auf den Tarsal- und Übergangstheil beschrankten, dem einfachen Augenkatarrh. Fälle dieser Art, wenn sie mit Ecchymosen und starker seröser Schwellung auftreten, wurden wohl auch als rothlauf artige Bin- dehautentzündung beschrieben.

Die seröse Schwellung des Übergangs- und des Scleraltheiles und submukösen Zellstoffes erreicht bisweilen, namentlich bei älteren Indivi- duen und nach plötzlicher Verkältung (scharfem Wind, kalten Umschlägen), einen so hohen Grad, dass die Conjunctiva bulbi schlaffe, gelbliche Wülste oder einen förmlichen Wall um die Cornea herum bildet. {Oedema calidum auct.^ In solchen Fällen ist dann auch ödematöse Schwellung der Cutis an den Lidern, mindestens längs der Ränder, vorhanden.

Mit dieser Schwellung der Conjunctiva bulbi kommt in seltenen Fäl- len partielle Erweichung der Bindehaut vor. Es bilden sich nahe an der Cornea birse- bis hanf korngrosse weisse Stellen, an denen das Epithelium abgestossen zu sein scheint; die Umgebung derselben ist etwas stärker geröthet und geschwellt ; zur Eiterbildung auf denselben kommt es nicht ; sie verzögern die Heilung, ohne anderweitige nachtheilige Folgen zu haben.

Die Hornhaut wird beim Augenkatarrh in der Regel nicht betheiligt; nur bei altern Leuten erfolgt gern Verlust des Epitheliums derselben, und zwar nächst dem Limbus conjunctivae, und in Folge dessen oberflächliche Verschwärung der Hornhautfasern, welche dann wohl auch den centralen Theil in Form einer Sichel oder eines Reifens umkreist. Durchbohrung sämmtlicher Faserlagen sah ich niemals eintreten.

B. Unter den subjectiven Erscheinungen des Augenkatarrhs steht das Gefühl von Druck, als ob Staub oder Sand unter dem obern Lide läge, obenan. Es kommt besonders in der ersten Zeit, bei noch nicht chronisch gewordenem Leiden vor. Da fremde Körper übrigens alle Er- scheinungen des Katarrhs hervorrufen können, nehme der Arzt in allen Fällen, wo der Kranke dieses Gefühl angibt, eine genaue Besichtigung der Bindehaut vor, und halte diese Erscheinung erst dann für ein Symp- tom eines einfachen Katarrhes, wenn er sich von dem Nichtvorhandensein einer solchen mechanischen Ursache überzeugt hat. (Vergl. über fremde Körper.) Nach längerer Dauer pflegt mehr das Gefühl von Jucken, Beissen, Brennen u. dgl. vorhanden zu sein. Es kommen auch Fälle vor, wo der Kranke über gar keinen Schmerz oder lästiges Gefühl klagt, oder bloss über Trockenheit der Augen und Schwere der Lider (Abends oder Morgens beim Erwachen).

Katarrh Aetiologie. 11

Ohngefähr dasselbe Verhältniss findet statt in Bezug auf Lichtscheue und Thränenfluss ; künstliches Licht belästiget derlei Augen weit mehr, als das Tageslicht (wegen der freien, strahlenden Wärme).

Alle diese Sensationsanomalien treten in den Abendstunden stärker hervor, häufig auch schon Nachmittags. *) Sie können auch fehlen.

Der farbige Dunstkreis, welchen derlei Kranke gewöhnlich um die Kerzenflamme sehen, scheint so wie das zeitweilige Trübsehen durch dünne Schleimschichten auf der Hornhaut bedingt zu sein, wenn nicht durch Störung in dem Epithelialleben des Hornhautüberzuges.

Vorkommen und Ursachen. Der Augenkatarrh kommt bald als substantives, bald als consecutives Leiden vor; in andern Fällen stellt er gleichsam nur eine Theilerscheinung, nur die Theilnahme der Schleim- haut des Auges an gleicher Erkrankung der Schleimhäute der Respirations- organe etc. dar.

In letzterer Eigenschaft erscheint er bei vielen Blutkrankheiten, Typhus, Masern, Scharlach, beim acuten Luftröhren- und Nasenkatarrh in Folge von Verkältung, bei Entzündung der Tonsillen, während des Zahnens, bei Hydrocephalus acutus etc. Nach Professor Fischers Beob- achtung wird der Augenkatarrh wenn auch nicht geradezu erzeugt, so doch begünstigt und unterhalten durch abnormen Zustand der Verdau- ungsorgane; er macht insbesondere aufmerksam auf den Genuss von Branntwein, von sehr fetten oder stark gesalzenen Nahrungsmitteln.

Als consecutwe Erscheinung finden wir den Augenkatarrh bei behin- derter Durchgängigkeit des Thränennasenkanales , bei Entzündung der Augenliderdrüsen (sowohl der im Tarsus eingeschlossenen, als der um die Haarzwiebeln gelagerten), bei mechanischer Reizung der Bindehaut durch fremde Körper*"-), beim Trachoma zur Zeit frischer Infiltration, bei Hornhautentzündungen mit, Ges< hwürsbildung , bei congestiven und entzündlichen Zuständen der Chorioidea. Bei Greisen finden wir sehr oft einen dem katarrhalischen sehr nahe oder gleichkommenden Zustand von Röthe, Lockerung und abnormer Secretion der Bindehaut. Er kommt mit einem gewissen Grade von Erschlaffung der Haut und der Muskeln vor, am Auge namentlich mit starker Runzelung der Haut und verminderter Energie des Augenlidschliessers, daher sich der Rand des untern Lides

•) Beer meinte, diese Verschlimmerung hänge mit der erhöhten Turgescenz aller Schleimhaute während der Verdauung zusammen. Dass eine solche Verschlimmerung eintritt, und zwar auch dann, wenn der Kranke sich keinem künst- lichen Lichte aussetzt, ist Thatsache der Beobachtung. **) Ein katarrhalischer Zustand der Bindehaut wird oft begünstigt und unterhalten durch Chalazien, besonders wenn sie nach innen aufgebrochen sind ; bei altern Leuten sind häufig kalkige Concremente, gelbliche, harte Korner in den Meibom'sohcn Drusen die Ursache langwieriger katarrhalischer Zufäll».

12 Bindehaut.

gern senkt, oder auch mehr oder weniger auswärts umstülpt. Er scheint auf Atonie der Bindehaut und ihrer Gefässe zu beruhen; die Hyperämie ist eine passive. (Ophthalmia senilis autorum.^

Als substantw es Leiden erscheint der Augenkatarrh theils allein, theils neben andern entzündlichen Affectionen des Auges bei Individuen jeden Allers und jeder Constitution in Folge unreiner, zumal mit anima- lischen Ausdünstungen überfüllter Luft, und in Folge -plötzlich unter- drückter Transpiration. Zu gewissen Zeiten, die jedoch nicht an den Stand der Erde zur Sonne gebunden sind, wie Manche glauben, erscheint er epidemisch; es erkranken dann Individuen unter dm verschiedensten Verhältnissen. Der Umstand, dass dann in manchen Familien die meisten oder sämmtliche Mitglieder ergriffen werden, erregt mindestens gegrün- deten Verdacht auf Contagiosität, wenn auch diese bisher nicht direkt (durch Impfungen) nachgewiesen werden konnte. Die Veränderungen der Atmosphäre, welche das Entstehen der Katarrhe überhaupt begünstigen,

kennen wir nicht.

Den Katarrh mit Pustelbildung auf der Sclera, gegen den äussern Winkel hin, sah ich beinahe nur bei jungen Leuten (am häufigsten zwi- schen dem 15. und 25. Jahre) vorkommen. Ich kenne Leute, welche durch mehrere Jahre hindurch jeden Frühling oder Herbst von dieser Form befallen wurden, bald auf dem einen, bald auf dem andern Auge. Bei den meisten waren anderweitige Manifestationen von Scrophulosis zugegen oder früher da gewesen.

Vorhersage. Der Augenkatarrh setzt weniger Exsudat ins Paren- chym, als vielmehr an die freie Oberfläche. Daher erleidet die Bindehaut nur bei längerer Dauer eine bleibende Veränderung, die oben erwähnte oberflächliche Schrumpfung, welche aber weiter keinen Nachtheil bringt. Die wichtigste Veränderung ist eine gewisse Erschlaffung des Gewebes und Erweiterung der Blutgefässe ; sie begünstigen das Fortbestehen der lästigen Secretion. Katarrhalisch afficirte Augen sind aber für äussere Schädlichkeiten weit empfänglicher, und so kommt es, dass sie leicht einerseits von acuter Bindehautblennorrhöe (siehe diese) befallen werden, dass der Katarrh, wie man gewöhnlich sagt, unter ungünsligen Verhältnissen in acute Bindehautblennorrhöe übergeht, und dass zum Ka- tarrh andererseits gern Entzündung der Hörn- oder Regenbogenhaut, oder beider zugleich hinzutritt. Letzteres erfolgt insbesondere häufig, wenn Verkältung durch scharfen Wind, Zugluft, kalte Umschläge, unzeitig oder

Katarrh Prognose. 13

unzweckmässig angewendete Augenwässer auf ein solches Auge ein- wirken *).

Durch die Excoriationen kann der langwierige Katarrh zu Blepharo- phimösis, durch die Hornhautgeschwüre bei alten Leuten zu peripherischen Trübungen führen. Professor Fischer behauptet, in Folge langwieriger Katarrhe wahre Gesichtsschwäche Amblyopia beobachtet zu haben.

Der Substantive Augenkatarrh ist leicht zu heilen, in 6 10 Tagen, wenn nur die erregenden und ähnlich wirkenden Schädlichkeiten beseitigt werden können; er schwindet dann auch wohl von selbst.

Als Theilausdruck allgemeinen Schleimhautleidens hat er eine sehr untergeordnete Bedeutung, und wird an sich wohl nicht leicht ärztliche Obsorge erheischen.

Beim consecutiven hängt die Prognose von der Möglichkeit ab, das Grundübel zu heilen. Er nimmt hier gewöhnlich einen chronischen Ver- lauf an, oder kehrt doch, wenn auch für eine Zeit beseitigt, über kurz oder lang wieder zurück.

Doch hinterlässt auch der ganz einfache Augenkatarrh längere Zeit

#) Diese Behauptung folgt auj einer Menge verlässlicher Beobachtungen. Ich will in aller Kürze nur einige erwäh- nen. Ein Bäcker erkrankte im Sommer 1846 ru welcher Zeit mir ungewöhnlich viele Augenkatarrhe vorka- men — zuerst auf dem linken, und nach einigen Tagen auf dem rechten Auge. Seiner Angabe nach war die Krankheit beiderseits eine Ophthalmia catarrhalis mäsigen Grades genesen, wie ich sie auch noch auf dem linken Auge vorfand. Er liess mich wegen des rechten Auges rufen, an welchem ich die Zeichen einer Keratoiritis fand. Er hatte sich auf dieses Auge durch 2 Tage kalte Umschläge gegeben, nicht weil es heftiger erkrankt war, sondern weil er diese nicht zugleich auf beide Augen geben konnte, ohne in seiner Beschäftigung unterbro- chen zu werden. Fast zu derselben Zeit rief mich ein Beamter, der, wie mir sein Ordinarius sagte, schon früher an einem Augenkatarrh gelitten hatte und jetzt ganz auf dieselbe Weise erkrankt zu sein angab. Es waren beide Augen zugleich und in gleichem Grade ergrilfen worden. Er hatte sich auf das rächte ein Stückchen rohes Fleisch über die Lider gebunden auf den Rath eines Laien und mit dem andern fortgearbeitel. Am andern Tage wurde er durch Trübsehen und heftige Schmerzen auf diestm Auge erschreckt. Ich fand Keratitis (die Cornea durchaus leicht getrübt und gelockert, wie mit Nadeln gestochen, ringsherum eine starke Rosenröthe, heftige Lichtscheue, keine schleimige Secretion, wie auf dem andern Auge). Im November 1849, wo mir sowohl im Spitale als in meiner Privatpraxis das häufigere Vorkommen von Augenkalarrhen auffiel, war «in Müllergesell an einer Entzündung des rechten Auges erkrankt, welche, seinen Angaben zufolge, höchst wahrscheinlich nichts an- deres war, als eine Ophthalmia catarrhalis. Er war in das Spital der Barmherzigen Brüder gegangen, wo man ihm anfangs einfache, später eiskalte Umschläge gegeben hatte. Nach Hlägiger energischer Anwendung von diesen Umschlägen und von Abführmitteln wurde er auf die Augenklinik gebracht. Die Hornhaut war in ihrer untern Hälfte eitrig infiltrirt, nach unten und aussen mit einem hanfkorngrossen Geschwüre versehen, mehr als die Hälfte der vordem Kammer mit einem eiterähnlichen Exsudate angefüllt, die Iris entfärbt und aufgelockert. Ich, nach meinen Erfahrungen, begreife nicht, wie Ruele die Anwendung kaller Umschläge bei Augenkatarrhen so unbedingt empfehlen konnte. Dr. von Hasner meint, „das häufige (?) Entstehen der Iritis beim Katarrh in den meisten (!) Fällen durch die Fortpflanzung der Hyperämie auf die Hornhaut, den Ciharkörper und die Iris" erklären zu können, weil er in keinem Falle die geringste Spur von Rheumatismus nachweisen konnte. Aber wie diese Fortpflanznng geschehe, das zu beantworten bleibt er natürlich schuldig. Er will „die Fortwanderung des Pro- cessen auf die Iris deutlich genug beobachtet haben".

14 Bindehaut.

eine gewisse Empfindlichkeit gegen grelles Lichl, scharfe Luft, Anstren- gung bei Kerzenlicht, und eben desshalb zu Recidiven. *) ^ Behandlung. Diese ist verschieden, je nachdem wir die Binde-

haut im Zustande der Reizung (active Hyperämie, Congestion) oder der Erschlaffung (passiven Hyperämie) finden. Der erstere Zustand pflegt nur einige Tage (3 6) vorhanden zu sein, und gibt sich durch lebhafte Röthe, Thränenfluss und Lichtscheue und drückenden Schmerz unter dem obern Lide kund. In diesem Stadium wende man keine örtlichen Mittel an, nur bei starker ödematöser Schwellung der Lider oder der Con- junctiva bulbi trockene warme Tücher. Allgemeine Blutentziehungen sind nie, örtliche wohl nur selten angezeigt.

Ist gleichzeitig Nasen- oder Luftröhrenkatarrh da, so halte man den Kranken in gleichmässiger Temperatur, gebe reichlich Wasser oder Thee zu trinken, und wirke bei trockener Haut durch kleine Gaben Brechwein- stein oder Brechwurzel auf die Transspiration.

Wo keine Anzeige vorhanden, auf die Haut zu wirken, hingegen Stuhlverstopfung mit oder ohne erhöhten Blutandrang zum Kopfe besteht, reiche man kühlende Abführmittel, namentlich Mittelsalze.

Die Augen schütze man vor Rauch, Staub, scharfer Luft, Anstren- gung bei Kerzenlicht, welche sich übrigens gewöhnlich von selbst ver- bietet, überhaupt vor reizenden Einflüssen. Selten wird es nöthig sein, den Kranken das Zimmer oder selbst das Bett hüten zu lassen; selten wird eine Beschränkung in den Nahrungsmitteln, etwa mit Ausnahme vou Bier- oder Weingenuss erforderlich sein.

Sind Lichtscheue und Thränenfluss sehr heftig, wie dies gewöhnlich bei scrophulösen Individuen der Fall ist, so müssen erst diese Zufälle ge- mildert werden, was nebst dem bereits Angegebenen in der Regel durch Einreibungen von Unguentum cinereum mit Extr. belladonnae bald erreicht wird. Man gibt 5—10 Gran Extr. bellad. auf 1 Drachme und lässt die Salbe alle 3 4 Stunden bohnengross an die Stirn und Schläfe aufstrei- chen, so dass die Stirn immer fett bleibt. Darüber kommt ein einfacher Papierschirm. **)

Ist das Stadium der Erschlaffung eingetreten, dann sind adstrin-

*) Von einer besonderen Modifikation das Katarrhes , welche sich durch Bildun? eijenthümlicher , fischroggen- oder froschlaichähnlicher Exsudate unter dem F.pithelium der Bindehaut auszeichnet, und »eiche ich bisher nur in geschlossenen Körperschaften unter dem Einflüsse unreiner, gesperrter, durch Überfüllung mit Menschen verderbter Luft beobachtet habe, kann füglich erst im V. Abschnitte, bei der Lehre von Trachoma, die Bede sein. **) Ein Viertelbogen Papier wird so zusammengelegt, dass er etwas länger und breiter als die Stirn ist, um mittelst eines durchgezogenen Bindfadens so befestigt zu werden, dass er die Stirn und die Schläfen bedeckt, und etw» 1 Zoll über die Augenbrauen hernbreicht.

Katarrh Therapie. 15

girende Augenwässer angezeigt. Für einfache frische Fälle sind am wirk- samsten Lösungen von Silbersalpeter oder von Sublimat. Argenti nitrici gr. I IV in aq. dest. uncia, D. in vitro charta nigra obducto, S. Täg- lich 1 2mal einige Tropfen in's Auge zu träufeln.*) Die Sublimatlösung nach Conradi enthält J/4 Gran Atzsublimat in 2 Unzen Aq. destill, mit */2 Drachme Quittensch'eim und 6 8 Tropfen Laudan. liquid. Sydenh. Eine kleine Dosis davon wird erwärmt (ungefähr wie frisch gemolkene Milch), und damit werden die Lidränder 2 3mal des Tages gehörig be- netzt, mittelst der Finger oder mittelst eines Leinwandfleckchens. Zu bemerken ist, dass in Fällen, wo deutliche abendliche Verschlimmerung auftritt, die Anwendung von Collyrien zu dieser Zeit sehr oft nicht gut veri ragen wird, die Zufälle steigert. Andere Ärzte empfehlen eine Lösung von 4 8 Gran Alumen crudum, andere die von 6 10 Gran Sulfas zinci in 4 Unzen deslillirten Wassers mit oder ohne Opiumtinctur.

Hat der Katarrh über die Zeit gedauert, in welcher er von selbst zu heilen pflegt, ist die Schleimhaut mehr gelockert und dunkler geröthet, die Secretion reichlicher und consistenter, Excoriationen veranlassend: dann sind stärkere Collyrien nöthig. Für solche Fälle können insbeson- dere empfohlen werden: Lapid. divini gr. XVI Aq. dest. unc. IV Tinct. anodyn. dr. I, aceti litharg. gutt. IV**) ; oder Collyrii adstr. lutei, aquae dest. aa unc. H***) M. D. S. wie die Aqua Conradi zu gebrauchen, oder eine stärkere Lösung von Argent. nitricum. Solche Kranke mögen wohl scharfen Wind und Regenwetter vermeiden, übrigens aber sehr fleissig sich in freier reiner Luft bewegen. Das Verweilen in Räumen, wo viele Menschen beisammen sind, wirkt auf katarrhalisch afficirte Augen in der Regel auffallend nachtheilig.

Manche Individuen vertragen durchaus keine Augenwässer, hingegen recht gut Augensalben. Abgesehen von jenen acuten Fällen, wo heftige Lichtscheue und starker Thränenfluss oder Ödem der Lider und der Conjunctiva bulbi noch jede Art von Collyrium verbieten, sind es insbe- sondere jene chronischen Formen, welche von einem krankhaften Zustande der Augenliderdrüsen unterhalten werden, welche den Gebrauch von

*) Diess geschieht am besten mittelst eines Federkieles : dieser wird oben und unten eben abgeschnitten, mit dem dicUern Ende in die Flüssigkeit eingetaucht, dann das dünnere mit dem Zeigefinger bedeckt, und letzterer, so wie die Flüssigkeit abtropfen soll, entfernt. (Heber.) **■) Lapis divinus St. Yvesii cupri sulfurici, kali nitrici, aliiniin. crudi a~a uncia mit */, Drachme Camphora rasa ; Beer's Präparat enthält Aerugo statt Cuprum sulfur. *>0*) Collyr. adstr. luteum (Aqua Horsti) : Salis ammon. gr. XV, Sulfat, zinci dr. dimid., solutis in aq. dest. comm. uneiis V adde Camphorae in uncia una alkoholis grav. speeif. 0,850 solutae gr. IX, Croci auslr. gr. duo. Blixta diger. in calore Reaum. 30° 35° ad perfeetam croci extrac-t. Refrigr. filtr. el exhib. usui.

J6 Bindehaut.

Augensalben erheischen. Hier können empfohlen werden: Eine Salbe aus 7a 2 ^ran weissem und die aus eben so viel rothein Präcipitat auf i Drachme Fett, abends an die Lidränder, später an die innere Fläche der Lider erbsengross eingestrichen; ist das Auge noch zu empfindlich dagegen, so streiche man sie, aus 2—4 Gran auf 1 Drachme bereitet, an die äussere Fläche der Lider. Bei stärkerer Erschlaffung und reich- licher Secretion fand ich folgende Mischung sehr vortheilhaft : Hydr. praec. rubri gr. II IV, Lapid. divini alkoholis. gr. IV VIII, Laud. liq. Syd. gtt. X XV auf 1 Drachme Fett, bei Ophthalmia senilis noch mit 72 Gran Kampher versetzt, den man übrigens auch der einfachen rothen Präcipitat- salbe beimischen kann.

Der Katarrh mit Pustelbildung an der Conjunctiva bulbi erfordert keine abweichende Behandlungsart, ausser dass man, da man es gewöhn- lich mit sogenannten vollsaftigen, torpiden Individuen zu thun hat, die Cur mit etwas stärkeren Abführmitteln, Senna oder Jalappa, beginnt, und sobald die Pustel geborsten, täglich 1 2mal reines Laudan. Sydenh. auf- träufelt. In einigen Fällen musste das Geschwür mit Cuprum sulfuricum oder mit Lapis infernalis touchii t werden, um die Heilung zu beschleunigen.

Gegen die grosse Empfindlichkeit der Augen, welche bisweilen noch längere Zeit zurückbleibt, sind zu empfehlen: die Aqua opii*) oder ver- dünnte Aqua laurocerasi zur mehrmaligen lauwarmen Bähung der Lider, die Tinctura Galbani, mittelst eines mehrfach zusammengelegten Leinwand- fleckes lauwarm auf die geschlossenen Lider zu legen.

Gegen das zurückbleibende lästige Gefühl von Trockenheit und Schwere, namentlich früh beim Erwachen: Bestreichen der Lidränder mit Speichel, oder abends vorher mit Mandelöl, mit einer schwachen weissen Präcipitatsalbe. Fischer hehauptet in einigen Fällen gegen dieses lästige Übel nur die Quellen von Teplitz wirksam gefunden zu haben.

Ich habe vorzüglich nur solche Mittel aufgeführt, deren Wirksamkeit ich durch vielfache Anwendung zu erproben Gelegenheit hatte. Erst vor Kurzem behandelte ich eine Schauspielerin an einem Katarrh des rechten Auges, mit dunkelrother, sammetar- tiger Bindehaut der Lider, reichlichem, gelblich grauen und ziemlich dicken Sekrete, starken Excoriationen, und äusserst lästigem Jucken und Beissen. Zugleich war die Schleimhaut der rechten Seite der Nase stark aufgelockert und dunkelroth, und sonderte eine sehr consistente, eiterähnliche, zu harten Krusten vertrocknende Flüssigkeit reich- lich ab. Der Zustand der Nasenschleimhaut besserte sich und heilte endlich ganz nach Anwendung einer starken weissen Präcipitatsalbe. Das Augenleiden besserte sich auf eines und das andere der oben angeführten Mittel, kehrte aber immer von Zeit zu Zeit wieder. Auch Touchirungen der Bindehaut mit Cuprum sulfuricum hatten keinen blei-

*) Opii puri unc. jj, aq. comm. libr. j, abilrahantur illico in rclorta vilrea lege artis unc. vjjj.

Katarrh Therapie. J7

bendeu Erfolg. Ich löste nun einen Skrupel Borax in einer Unze Aqua opii und Aqua destill, comm., zu lauwarmen Bähungen der Lider, und in Zeit von 14 Tagen war das Übel bleibend behoben, das uns über 3/4 Jahre gequält hatte. Es waren eben keine Veränderungen in den Gesundheits- oder äussern Verhältnissen der Kranken eingetreten, denen ich die Heilung hätte zuschreiben können.

Ich will demnach nicht gesagt haben, dass man, auch hei richtig gestellter Dia- gnosis, immer mit diesen Mitteln ausreichen werde. Noch weniger aber mag ich jenen beipflichten, welche aus dem Umstände, dass man von den verschiedenen Auetoren so verschiedene und so viele Mittel empfohlen findet, schliessen dürfe, sie nützen alle nichts, die Krankheit heile am Ende von selbst. Ich habe absichtlich hierüber control- lirende Beobachtungen angestellt, unter möglichst gleichen Verhältnissen, auch bei demselben Individuum nur an Einem der gleich erkrankten Augen, und habe die Über- zeugung gewonnen, dass eines und das andere Mittel, gehörig angewandt, die Krank- heit schneller behebt, ja auch dass die Krankheit Monate lang forbesteht, trotz Entfer- nung äusserer Schädlichkeiten, wenn man auf das erkrankte Gebilde nicht die geeig- neten Mittel anwendet. Ehe man aber über die Wirksamkeit eines Mittels sich ein Urtheil erlaubt, muss man überzeugt sein : a) dass man dasselbe wirklich für den Zu- stand verordnet, für den es empfohlen wurde, b) dass nicht äussere oder innere (im Organismus oder am Auge selbst vorhandene) Verhältnisse die Wirksamkeit des Mittels vereiteln *), und c) dass der Kranke das Mittel auch wirklich so anwendet, wie es an- gewandt werden soll ; gar oft findet man, dass es der Patient mit der ärztlichen An- ordnung eben nicht so genau genommen.

Makenzie**) bemerkt über die Behandlung der katarrhalischen Ophthalmie S. 325: „Die katarrhalische Ophthalmie weicht leicht einer sehr einfachen Behandlung, die hauptsächlich örtlicher und stimulirender Art ist Ich erstaunte zuerst über die Wahr- heit dieser Thatsache, als ich im Jahre 1817 zu Wien Zeuge war, mit welchem glück- lichen Erfolge Prof. Beer diese Krankheit behandelte. Die Besultate meiner eigenen Praxis haben in mir die Überzeugung befestigt dass eine örtliche stimulirende Be- handlung die zuverlässigste sei." „Die Empfindim?. als ob Sand im Auge sei, wird durch Anwendung des salpetersauren Silbers (2 4 Gran auf eine Unze, täglich einmal einen grossen Tropfen einzuträufeln) jederzeit gemildert und die Entzündung gedämpft. Ich habe manchmal andere Ärzte in bedenkliche Unruhe versetzt, wenn ich vorschlug, auf die Oberfläche eines so äusserst vasculösen Auges eine Auflösung von Höllenstein zu träufeln, und es hat mir nicht wenig Vergnügen gewährt, sie in Erstaunen zu finden, wenn den folgenden Tag nach Anwendung dieses Mittels alle Symptome sich sehr ge- bessert hatten. Ich habe viele hundert Fälle nach dem oben auseinander gesetzten Plane und immer mit demselben Erfolge behandelt." Makenzie erklärt sich gegen die Anwendung des essigsauren Bleies und des schwefelsauren Zinkes. Mit Makenzie und Beer stimmen so ziemlich die meisten Auetoren überein. Dagegen entlehne ich

*) Ein Apothekergehilfe litt seit mehreren Monaten an Zufallen des linken Auges, wie sie ein Katarrh zu erregen pflegt. Er hatte verschiedene Mittel gebraucht, und war endlich auf die Vermuthung gekommen, ein etwa hirse- korngrosses, hartes Wärzchen im innern Drittel des obern Lides, zwischen der äussern und innern Lefze des Randes, möge die Ursache sein ; ich möchte dieses entfernen. Ich widersprach dem, fand aber bald, dass er Recht hatte ; nach Abtragung dieses Wärzchens wichen jene Zufälle von selbst. Seitdem sind mir noch zwei Falle dieser Krankheit vorgekommen, worauf ich bei den Krankheiten der Lider zu sprechen kommen werde. a*>) Praktische Abhandlung über die Krankheiten des Auge.-., Weimar 1832.

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aus Dr. Hasner' s Buche*) folgende Stelle, Seite 37: „Wir warnen vor der Anwendung reizender, adstringirender Collyrien, welche so gern die Hyperämie der Scleralconjun- ctiva steigern und zur Iritis Veranlassung geben. Zur Heilung dieser Krankheit genügte uns fast in allen Fällen die Entfernung der schädlichen Potenzen , ein geregeltes augendiätetisches Verhalten, Vermeidung von übermässigem Lichtreitz, von Anstrengung der Augen. Bei stärkerer Hyperämie haben wir nebstdem ein leichtes antiphlogistisches Salz als Purgirmittel angewendet." Die Erfahrung wird dem Leser am besten zeigen, wer viel und gut beobachtet, wer die Wahrheit gesprochen.

IL Blennorrhoische Bindehautentzündung, Conjunctivitis blen- norrhoica, Bindehautblennorrhöe.

So nennen wir jene Entzündung der Bindehaut, welche nicht nur mit reichlicherer Ausscheidung schleimig-eitrigen Secretes an die freie Oberfläche, wovon sie ihren Namen erhielt, sondern auch mit Erguss serös-plastischen Exsudates in das Parenchym der Bindehaut, nament- lich in den Tarsal- und Übergangstheil verläuft.

Sie befällt jederzeit die Bindehaut in ihrer ganzen Ausdehnung, und zwar am obern und untern Lide zugleich und in demselben Grade; nur die Conjunctiva bulbi kann, bei niedern Graden, sehr wenig betheiligt sein. Das überall gleichmässige und gleichzeitige Erkranken des Papillar- körpers und die Ausscheidung schleimig-eitrigen Secretes an die Ober- fläche charakterisiren eigentlich diese Krankheit, und bald ist die eine, bald die andere dieser Erscheinungen die vorwaltende. Das Secret ist ansteckend.

Symptome. Die Erscheinungen, von denen diese tiefere Erkran- kung des Bindehautgewebes begleitet wird, sind verschieden je nach dem rascheren oder langsameren Verlaufe des Processes, und je nach dem Grade von Heftigkeit, den sie erreicht hat oder zu erreichen droht. **)

1. Reihe. Fassen wir zunächst jene Fälle in ein Schema zusammen, welche gleich von Anfang einen sehr raschen Verlauf und die Tendenz, den höchsten Grad zu erreichen, darbieten.

A. Im /. Grade lässt sich die- Krankheit vom Katarrh, als dessen Potenzirung sie in vielen Beziehungen betrachtet werden kann, nur dann unterscheiden, wenn abgesehen von ätiologischen Momenten (con-tatirter Impfung, massenweisem Vorkommen) folgende Erscheinungen ausge- prägt sind:

*) Entwurf einer analom. Besrrhndune der Augenkrankheiten, Pra» 1847. naJ Dit Umstände, welche auf den Verlauf und die Steigerung der Krankheit Einfluss nehmen, künnen füglich erst in dein ALsalze über Verkommen und Visachin erörtert werden.

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a) wenn die Bindehaut der Lider nicht bloss gelockert und ge- schwellt (im Tarsaltheile feinkörnig', im Übergangstheile wulstig), son- dern auch (wenigstens über dem Tarsus) gleichmässig geröthet (hoch- oder dunkelroth) ist , so dass die Meiborn'schen Drüsen nicht mehr durchscheinen. Ist dabei auch die Augapfelbindehaut von mehr weniger zahlreichen , hochrothen , aus der Übergangsfalte gegen die Cornea hin verlaufenden und sich allmälig verlierenden , leicht ver- schiebbaren Gefässen durchzogen, oder selbst serös infiltrirt, ergibt sich aus dem Befunde selbst oder aus anamnestischen Momenten, dass dieser Zustand erst seit kurzem besteht, so hat man Ursache, denselben als Beginn einer Blennorrhoe zu betrachten.

6) Sollte aber die Secretion nicht bloss vermehrt und verändert sein, nicht bloss in reichlicher wasserklarer Flüssigkeit mit gelblichen Flocken bestehen, sondern trüb, molken- oder ßeischwasserähnlich sein (mit consistenteren gelblichen Flocken oder Fäden), so kann man sicher sein , dass man es mit einer Blennorrhoe zu thun haben wird, welche um so gewisser bald in den 2. Grad übergeht, wenn bereits auch die Lider über dem Tarsus angelaufen, wärmer oder selbst geröthet sind (acutes Ödem).

Bei der Mehrzahl der sporadisch auftretenden Blennorrhöen ist dieser Zustand von so kurzer Dauer (12 36 Stunden), dass der Arzt im All- gemeinen ihn selten zu Gesichte bekommt.

Im 2. Grade ist die Schwellung der hoch- oder dunkelroth ge- tünchten Bindehaut vom Lidrande bis in die halbmondförmige und Über- gangsfalte schon beträchtlich, so dass nicht nur die Meiborn'schen Drüsen nicht mehr durchscheinen, sondern auch die innere Lidkante nicht mehr scharf erscheint, und die Aufsaugung der Thränen wegen Wegdrängung der Thränenpunkte und Schwellung der halbmondförmigen Falte behindert ist. Die Schwellung ist besonders im Übergangstheile auffallend. Derselbe erscheint glatt, hell- oder dunkelroth, wulstig, weich und sulzartig, oder derb und prall*-); die hell- oder dunkelrothe halbmondförmige Falte ragt bisweilen zwischen den Lidern hervor, und die ziegel-, fleisch- oder bläulichrolhe Übergangsfalte läuft wie ein Gürtel um den untern Umfang des Bulbus. Die Bindehaut der Sclera erscheint schon deutlich se;ös infdtrirt, von zahlreichen, ziegel- oder scharlachrothen, mehr weniger dicht verzweigten und leicht verschiebbaren Gefässen (wenigstens an der

*) Die Wülste oder" Falten, welche der Übergangstheil bildet, werden bei etwas langsamerem Verlaufe manchmal uneben angetroffen, durch etwas erhabene, etwas lichtere , fast durchscheinend aussehende Hügel, welche vielleicht geschwellte Follikel, vielleicht auch partielle Erhebungen des Epithcliuras durch serösen Erguss sind.

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Peripherie) durchzogen, oft auch stellenweise ecchymotisch. Das Secret ist bereits trüb, anfangs dünn, licht graulich, molkenähnlich oder gelb— lich-rölhlich, mit consistenteren gelben Flocken, später dicker, weissgelb, in manchen Fällen als zäher Schleim den Bulbus überziehend, in andern als rahmähnliche Flüssigkeit aus der Lidspalte vorquellend, die Haut ex- coriirend. Die Geschwulst der Lider ist in der Regel schon so stark, dass die Lidspalte wenig oder gar nicht geöffnet werden kann, und selbst die Falte der Haut des obern Lides bisweilen verstrichen ist, rosen- oder violeltroth (die Röthe nimmt gegen die Peripherie hin ab), weich, nur bei tieferem Drucke empfindlich, wärmer anzufühlen.

NB. In manchen Fällen ist die innere Fläche der Lider mit einer dünnen Schichte croupösen, sehr bald zerfliessenden Exsudates bedeckt, welches gewöhnlich nur bei Blennorrhöen des 3. Grades, doch auch da nicht constant beobachtet wird. Ich sah in einigen solchen Fällen Rück- bildung und Genesung eintreten, ohne dass es zu den Zufällen des 3. Grades kam. Ebenso zeigt die Hornhaut bisweilen auch schon beim 2. Grade der Krankheit einen erhöhten Glanz.

Ist die Blennorrhoe zum 3. Grade gestiegen, so sind alle Erschei- nungen des 2. Grades, nur gesteigert, vorhanden, und dazu kommt noch Geschwulst der Conjunctwa bulbi. Die Lider können wegen der Ge- schwulst seilen mehr umstülpt, oder auch nur so weit abgezogen werden, dass man ihre Bindehaut ganz zu Gesichte bekäme. Die Geschwulst pflegt die Höhe des Augenbraunbogens zu übersteigen und über das Wangen- bein herabzureii hen ; sie ist vom innern bis zum äussern Winkel gleich- massig (weil secundär zur Entzündung der Bindehaut), und unterscheidet sich schon hiedurch von der durch andere Affectionen bedingten. Das Serret, durchaus trüh und mehr gleichmässig, eiterähnlich oder jauchig, bald dicker, bald dünner, ist reichlich, häufig so, dass es stromweise über die Wange herabfliesst. Die Geschwulst der Conjunctwa bulbi ist ent- weder gleichmässig, und umgibt die Hornhaut als ein gespannter, derber, ziegel- oder blaurother Wall, oder ungleichmässig, in Form von schlaffen, blasenähnlichen Wülsten, welche bisweilen die Cornea theilweise, selten gänzlich bedecken. Sie schreitet von der Übergangsfalte gegen die Cornea hin vor, und ist durch seröse Infiltration des submucösen Bindegewebes bedingt *)•

*) In manchen Fällen steht man beim Beginn des 3. Grades, seilen früher, nahe an der Cornea, und zwar fa-st immer gegen einen oder gegen beide Winkel bin dreieckige weisse Stellen entstehen, welche gegen die intensivere Hüthe ringsherum abstechen. Sie haben weder diagnostische noch prognostische Bedeutung, indem sie allmalig spurlos verschwinden. Form und Lage deuten darauf hin, dass der Druck der Lider zu ihrer Bildung beilragt. Wir haben bei der Ophthalmia catanhalis von einer ähnlichen Erscheinung gesprochen.

Blennorrhoe Symptome. 21

Die Cornea zeigt bei diesem Grade meistens einen erhöhten Glanz und wird später sehr häufig gefährdet, entweder durch Entzündung und Verschwörung (in Folge des Druckes durch die Geschwulst der Lider und des Bindehautwalles) , oder durch partiellen Epilhelialverlust und seichle Geschwüre (Resorplionsgeschwüre) ; seltener geschieht es, dass sich Pannus auf derselben entwickelt. Tritt Entzündung der Cornea ein , so bekommt dieselbe durchaus oder theilweise ein mattes, licht- graues oder graulichweisses Aussehen, wird endlich in dieser Partie weissgelb und zerfliesst (verschwärt), oder schwillt an und berstet in wenig Stunden oder Tagen. Die Zerstörung reicht nie bis in die Sclera hinein. Die Entwicklung des Pannus (Ausscheidung von Exsudat und Gefässentwicklung unter dem Epithelium der Cornea) erfolgt ebenfalls sehr rasch, bisweilen selbst binnen 12 Stunden, indem sich gleichsam der gelockerte, geschwellte und gefässreiche Linibus conjunctivae cor- neae von oben her ausbreitet, und einen mehr weniger weit herab- reichenden Überzug der Cornea bildet.

Das croupöse Exsudat auf der Bindehaut der Lider, dessen wir schon beim 2. Grade erwähnten, fehlt bei heftigen Fällen des 3. Grades selten. Wo es vorhanden ist, hat man Grund, Entzündung und Verschwä- rung der Cornea zu befürchten. Entfernt man dasselbe durch Aufspritzen von Wasser oder durch Abstreifen mit einem Tuche, Spatel u. dgl., so blutet die Bindehaut, eine Erscheinung, die bisweilen auch spontan und ohne deutlich croupöses Exsudat eintritt, und an und für sich ohne Be- deutung für die Prognosis ist.

Die Blennorrhüe des 3. Grades gehört vermög ihrer Heftigkeit unter jene Augenkrankheiten, welche Fieber erregen, ausgenommen bei sehr torpiden Individuen und minder stürmischem Verlaufe der Krankheit.

B. Die subjeefiven Erscheinungen sind beim 1. Grade im Ganzen dieselben, wie beim Katarrh, von welchem sich, wie gesagt, die Krankheit so zu sagen nur durch das tiefere Erkranktsein des Bindehantparenchyms unterscheidet.

Beim 2. Grade fehlen heftige Lichtscheue und starke, reissende, drückende (der stechende Schmerzen nur bei etwas langsamerem Verlaufe oder bei sehr torpiden Individuen, bei welchen diese Erscheinungen auch im 3. Grade und unter ganz acutem Verlaufe häufig in auffallend niedrigem Grade auftreten, wohl auch fehlen.

Bei praller, hochrother und heisser Geschwulst der Lider und des Bindehautwalles um die Cornea haben die Kranken in der Regel fürch- terliche Schmerzen zu ertragen, zu welchen noch, wenn die Geschwulst

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den Bulbus drückt, lästige Lichterscheinungen kommen, die Qual des Übels zu vollenden.

Ich habe diese Krankheit, welche von den mildesten bis zu den heftigsten For- men so verschiedene Erscheinungen darbietet, und doch, wie die allmäligen Übergänge zeigen, immer einen und denselben Process darstellt, nach Graden geschildert, nicht etwa, um hiedurch strenge Grenzen zwischen den einzelnen Formen zu ziehen, welche in der Natur nicht vorkommen, sondern nur, um es mir bei der Beschreibung möglich zu machen, die Aufmerksamkeit auf die relative Heftigkeit der einzelnen Erscheinungen zu lenken. Nicht die Gegenwart des einen oder des andern Symptoms an und für sich entscheidet, wenn man fragt, ob die Krankheit eine Blennorrhoe und wie heftig diese sei, sondern ein gewisses Verhältniss mehrerer Symptome neben und nach einander.

Würde dieser Salz immer fest im Auge behalten, die acute Bindehautblennorrhöe, diese so gefährliche Krankheit des Auges, würde nicht so oft mit andern ähnlichen Entzündungsformen verwechselt werden. Es wird nicht überflüssig sein, durch einige Beispiele anschaulich zu machen, wie wichtig die Festhaltung obigen Satzes für die Diagnosis, und mithin auch für die Prognosis und Therapie ist.

Ein junger Mann wird von einem Arzte in's Spital angewiesen „mit acuter Bin- dehautblennorrhöe". Das obere Lid des linken Auges ist so stark geschwollen, dass die Geschwulst die Höhe des Augenbrauenbogens überragt, und die Falte des obern Lides verstrichen ist; das untere Lid ist wenig geschwollen, im, innern Winkel ist eine massige Menge Schleim angesammelt, die Cilien sind in Büschel verklebt ; der Kranke klagt über heftige Schmerzen und Lichtscheue; beim Offnen der Lidspalte entleert sich eine wasserklare Flüssigkeit. Es ist der 3. Tag der Krankheit. Bei so starker Ge- schwulst der Lider und am 3. Tage noch kein gleichmässig schleimig-eitriges, minde- stens trübes Secret : das kann keine Blennorrhoe sein. Die Lider werden auseinander gezogen, der Kranke jammert dabei vor Schmerz; die Bindehaut im Tarsaltheile injicirt, im Übergangs- und in der äussern Hälfte des Scleraltheiles stark ödematös. Letztere Erscheinung fordert zur Betastung des obern Lides gegen den äussern Winkel hin auf; nahe der äussern Commissur fühlt man eine erbsengrosse Stelle hart, äusserst empfind- lich, die Haut darüber etwas mehr geröthet. Wir verordnen warme Umschläge ; nach einigen Tagen bricht der Abscess nach aussen auf, der Kranke ist in kurzer Zeit von einem Gerstenkorn geheilt.

Ein Doctor der Medicin ruft mich zu seinem 4jährigen Knaben, der schon eini- gemale an scrofulöser Augenentzündung gelitten hatte. Seit 5 Tagen klagt der Knabe wieder über das linke Auge, ist lichtscheu und hält es verdeckt. Heute, nach besonders heftigen Schinerzen, sieht der Vater das Auge an, findet die Geschwulst des obern Lides so stark, dass es über das untere herabragt, und zu seinem grössten Schrecken die Lidspaltc voll eitriger Flüssigkeit. Auf den ersten Anblick glaube ich ebenfalls eine Blennorrhoe vor mir zu haben; ich öffne die Lidspalte, um die Hornhaut zu sehen, der Knabe schreit vor Schmerz. Es entleert sich Eiter und etwas blutige Flüssigkeit, aber die Hornhaut ist rein, und die Conjunctiva bildet keinen Wall um die Cornea, sie ist nur etwas stärker injicirt; die Bindehaut des untern Lides ausser netzförmiger Röthe normal, die Meibom'schen Drüsen deutlich durchscheinend. Das ist also bestimmt keine Bindehautblennorrhöe. Beim Betasten des obern Lides fühlt man in der Gegend des obern Randes des Knorpels eine etwa erbsengrosse. härtere und sehr empfindliche

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Stelle. Ich ziehe das Lid etwas vom Bulbus ab, und sehe nun die Stelle, wo ein Gerstenkorn sich nach innen entleert hat.

Eine Dienstmagd wird von einem Augenarzte wegen Bindehautblennorrhöe des linken Auges auf die Augenklinik angewiesen. Die Geschwulst der Lider ist so, wie bei einer Blennorrhoe 3. Grades. Es ist der 3. Tag der Krankheit. Beim Offnen der Lider kein Schmerz: die Conjunciiva bulbi bildet rings um die Cornea einen blassrothcn Wall, welcher aber in der innern Hälfte des Bulbus stärker ist, und die Cornea nicht ganz erreicht ; heftige Kopfschmerzen, massige Lichtscheu, reichlicher Thräneniluss ; im innern Winkel und an den Cilien zäher gelblicher Schleim; die Bindehaut des untern Lides über dem Tarsus gleichmässig hellroth, der Übergangstheil kann der Geschwulst wegen nicht besichtigt werden. So heftige Erscheinungen und noch wasserklares Secret (trotz der ziemlich reichlichen Schleimflocken) am 3. Tage man betastet genau die Gegend des Thränensaches und überzeugt sich:^ die Aflection der Lider und des Bulbus ist consecutiv zu einer Tkränensachentzündung.

Und so können Rothlauf der Lider, Verletzungen der Bindehaut, Entzündung der Chorioidea u. s. w. mehr weniger leicht für Blennorrhoe imponiren,

Schubert Jobanna, 27 Jahre alt, kam am 10- October 1848 in die Anstalt. Die Lider des linken Auges massig geschwollen (die Falte des obern Lides nicht verstri- chen), leicht geröthet, die Cilien durch Schleim zu Büscheln verklebt, die Conjnncliva bulbi zu einem gleichförmigen, 3/4 V4"' hohen, blassrothen Walle rings um die Cornea erhoben, auf dieser nach unten und aussen ein leichtes Resorptionsgeschwür ; die Binde- haut im Tarsal- und Übergangstheile dicht netzförmig und hoch geröthet, wenig ge- lockert, nicht mit Schleimflocken besetzt, nur über der Karunkel etwas gelblicher Schleim; brennende und drückende Schmerzen im Auge und in der entsprechenden Kopfhälfte. Die Anamnesis gab über diesen sonderbaren Befund Aufschluss. Die Kranke hatte vor 5 Tagen einen drückenden Schmerz im linken Auge bekommen (sie handelt mit Holzkohlen), und den Tag darauf das Auge mit Seifenwasser ausgewaschen ; nun wurde das Auge röther, die Lider schwollen an, und die entsprechende Kopfhälfte schmerzte heftig. Sofort wendete die Kranke ein Collyrium aus Cuprum sulfuricum und nachher kalte Umschläge an, und da das Leiden ärger wurde, brachte man sie auf die Augenkrankenabtheilung. Wir hatten es offenbar mit einer durch chemisch wirkende Schädlichkeiten bedingten oder doch gesteigerten Bindehautentzündung zu thun. Der Verlauf bestätigte diese Ansicht.

Auf die Ähnlichkeit mit Fällen von Traehoma acutum können wir erst später zu sprechen kommen.

2. Reihe. In einer zweiten Reihe von Fällen, welche wir gleichfalls als Blennorrhöen bezeichnen müssen, finden wir mehr einen schleppenden (chronischen) Verlauf, und nicht die Tendenz zur Ophthalmoblennorrhoe von vorn herein, insofern als die Krankheit hauptsächlich auf die Binde- haut der Lider beschränkt bleibt (Blepharoblennorrhöe~), und eine Steige- rung nur durch die Einwirkung neuer Schädlichkeiten nach bereits er- folgtem Ausbruche der Krankheit eintritt. Während in der ersten Reihe die Ausscheidung schleimig-eitriger Flüssigkeit an die Oberfläche vorwallet,

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und die Infiltration der Gewebe im Allgemeinen mehr eine seröse ist, finden wir in der zweiten Reihe die Schleim- oder Eitersecretion spär- licher, relativ zur Schwellung der Bindehaut, diese hingegen mehr von plastischem (faserstoffigem) Exsudat durchsetzt und desshalb wuchernd, die sogenannten Granulationen bildend "::").

Der /. Grad, oder wenn man will, das 1. Stadium, lässt sioh we- sentlich von einer Ophthalmia catarrhalis nicht unterscheiden, wenn nicht anamnestische Momente (vorzüglich das massenweise Auftreten der Krank- heit) oder das Missverhältniss zwischen den objectiven und subjectiven Symptomen, das rasch eingetretene sammetartige, hoch- oder dunkelrothe Aussehen des Tarsaltheiles und die stärkere Schivellung und intensi- vere Röthe der halbmondförmigen und der Übergangsfalte gegründeten Verdacht erregen, dass man es mit einer beginnenden Blennorrhoe dieser Art zu thun haben werde. Dieser Zustand kann mehrere Tage andauern, ohne dass sich das befallene Individuum für krank hält, zumal wenn es das Verklebtsein der Augen nach dem Schlafe wenig beachtet.

Aufmerksame Kranke klagen beim Beginn der Krankheit über das Gefühl von Trockenheit oder Rauhigkeit, später über Drücken oder Bren- nen, das Auge sieht wie verweint aus, und geht, wie man zu sagen pflegt, leicht über, nöthigt zum öftern Auswischen.

Untersucht man so eine Bindehaut, gut abgetrocknet, mit der Loupe, so sieht man in der ersten Zeit wohl noch eine dicht netzförmig», bald aber mehr eine gleich- massige oder vielmehr aus lauter Punkten oder Gruppen von Punkten bestehende Röthe. Die Anordnung dieser Punkte erinnert auf den ersten Blick an den warzigen Bau der Bindehaut unter dem Mikroskope betrachtet, wie ihn unter Andern Eble (Über den Bau der Bindehaut, Wien 1828) auf der 1. Tafel Figur 4 unübertrefflich abgebildet hat. In manchen Fallen sieht man einzelne glänzende, bläschenahnliche Hügel, deren Deutung ob Erhebungen durch Serum, ob geschwellte Follikel mir noch proble- matisch ist. Sie sind jedenfalls nichts Charakteristisches, da sie auch bei einfachen acuten Katarrhen beobachtet werden.

Im 2. Grade (Stadium) ist die Krankheit schon deutlich charakteri- sirt. Die auffallendsten und constantesten Symptome sind : die Schwel- lung, Infiltration der Bindehaut in ihrer ganzen Ausdehnung, vom Lid- rande bis in die halbmondförmige und Übergangsfalte, ihre gleichmässige, ziegel-, fleisch- oder dunkelrothe Färbung, so dass vom Durchscheinen der Meibom'schen Drüsen ausser etwa in einem linearen Streifen längs

*) Je nachdem man bald das eine, bald das andere dieser 3 Momente mehr in's Auge fasste, hat man die hieher gehörigen Fälle im Gegensatze zu der 1. Reihe, der aeuten Bindehautblennorrhöe bald als chronische Bin- dehautblennorrhöe, bald als Blepharoblennorrhüe, bald auch als granulöse Bindehautentzündung bezeichnet. Von andern Standpunkten aus hat man für die hieher gehörigen Fälle den Namen Ophthalmia militarls, aegyptiac» u. dgl. gebraucht.

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des Lidrandes keine Spur vorhanden ist, und das gleichmässige oder doch nur sehr wenig verschiedene (in anatomischen Verhältnissen be- gründete) Auftreten dieser Veränderung auf dem obern und untern Lide zugleich ; mehr variabel ist schon die Alienation der Secrelion.

So weit im gesunden Zustande der Papillarkörper reicht, also am untern etwa 1/2///, am obern gegen i'" über den Orbitalrand des Tarsus hinaus erscheint die deutlich infiltrirte, geschwellte, verdickte Bindehaut mit dicht aneinander gedrängten, ziemlich gleich hohen und gleich gros-^ sen Wärzchen besetzt, welche je nach der verschiedenen Dauer bald feiner (staubähnlich) und weicher, bald gröber und derber sind, mit der Zeit jedoch an Grösse mehr ungleich werden. Sind sie sehr weich, ziegel-, fleisch- oder bläulichroth, so bluten sie leicht bei Berührung (nachdrücklicherem Abtrocknen, Bestreichen mit Cuprum sulfuricum); nach monatelangem Bestehen werden sie, falls keine Rückbildung (Heilung) eintritt, an der Oberfläche blässer, durch den gegenseitigen Druck fast palissadenähnlich aneinander gedrängt, wohl auch an der anfangs glatten und rundlichen Oberfläche durch den Druck des Bulbus etwas abgeplattet, eeivig, hahnenkammähnlich und knorpelhart. Nie kann man eine deutliche Basis solcher Wärzchen unterscheiden, und beim starken Abziehen des untern oder beim Umstülpen des obern Lides erscheinen sie wie durch Einrisse oder Schrunden getrennt. Die stärkste Tendenz zur Wucherung zeigt sich immer gegen den Orbitalrand hin und etwas hinter demselben, besonders am obern Lide, wo die mit Exsudat durchsetzten und über- deckten Papillen in späterer Zeit manchmal zu einer oder zu zwei darm- ähnlichen (erst rothen, dann grauen) Wülsten verschmolzen sind.

Indem man sich gewöhnte, so zu sagen jede Unebenheit, jede Erhöhung auf der Bindehaut mit dein übrigens sehr schlecht gewählten Worte Granulation zu bezeichnen, und sofort es nicht der Mühe werth fand, die Bedeutung dieses Wortes zu erfassen, d. h. in jedem speciellen Falle sich Rechenschaft zu geben, wodurch denn eigentlich solche Erhöhungen bedingt seien, warf mau die verschiedensten Zustände zusammen und brachte, je mehr man sich an die einseilig aufgefasste Erscheinung hielt, desto mehr Verwirrung in die Lehre von den Bindehauterkrankungen. Vier verschiedene Zu- stände sind es vorzüglich, welche uns als einander mehr weniger ähnliche Erhöhungen auf der Bindehaut des Tarsal- und Übergangstheiles erscheinen, und wovon 2 als Ver- giösserung normaler Elemente der Bindehaut, 2 als Neubildungen (katexoehen) zu be- trachten sind. Zu den ersteren gehören : a) die vergrösserten, geschwellten Follikel, welche vorzugsweise im Übergangstheile vorkommen, nie eine bedeutende Grösse zei- gen, stets mehr durchscheinend und nur wenig emporragend sind, und bei den ver- schiedensten Zuständen der Bindehaut (mit Hyperämie und seröser Schwellung) auftreten können. Wir haben ihrer bereits mehrmal Erwähnung gethan, und werden ihnen auch bei der Conjunctivitis scrofulosa wieder begegnen, b) Die vergrösserten Pupillen des

£6 Bindehaut.

Tarsaltheiles der Bindehaut, die wir so eben als der Bindehautblennorrhöe vorzüglich zukommend bezeichneten und beschrieben. Sie kommen aber auch, wenn gleich mehr sammetartig, feinzottig oder feinkörnig, bei länger dauernden (chronischen) katarrhali- schen Zuständen der Bindehaut, und mehr als secundäre, keineswegs constante oder wesentliche Erscheinung bei jener Krankheit vor, die wir weiterhin als Trachoma be- schreiben werden.

Als reine Neubildungen beobachtet man c) ganz kleine, höchstens mohnkorn- grosse, fast krystallhelle Bläschen, bedingt durch serösen Erguss unter das Epithelium bei acuten Processen, und desshalb niemals lange (mehrere Tage) bestehend, theils über dem Tarsus, theils im Übergangstheile, wohl auch nächst dem Limbus conjunctivae corneae und auf der Cornea selbst vorkommend, d) Erguss von eiiceiss-faserstoffigem Blastem in Form rundlicher Körner, theils unter das Epithelium, theils in das Parenchym der Bindehaut oder selbst in die tiefern Gebilde. Wir können diese Erscheinung erst bei der Lehre von Trachoma, bei welcher Krankheit diese Neubildung das primäre, constante und maassgebende Phänomen ist, einer genauen Besprechung in Bezug auf sein Auftreten, Vorkommen und Umwandeln unterziehen, und erwähnen hier nur, dass solche Bildungen, wenn auch nur als sehr untergeordnete und secundäre Erscheinung, nicht nur bei unserer zweiten Beine von Blennorrhöen, sondern auch, wie uns zuverläs- sige Beobachtungen belehrten, bei Fällen der ersten Beihe, bei acuten (selbst bei durch Impfung mit Trippersecret entstandenen) Schleimflüssen der Bindehaut beobachtet wer- den können.

Bisweilen schon bald nach dem Eintritte, in der Begel aber erst nach längerem (Wochen Monate) Bestehen des 2. Grades dieser Blennorrhoe, aber auch nach un- vollständiger Lösung von höchst acut aufgetretenen (sogenannten Tripper-) Blennor- rhöen findet man ein lichtgraues, beinahe durchscheinendes Exsudat in Form von rund- lichen, glatten Hügelchen theils auf den Papillen, theils unter dem Epithelium des Übergangstheiles abgelagert, bald mehr bald weniger von Gefässchen überschlängelt. Oft, wo ich bloss einfache Vergrösserung der Papillen vor mir zu haben glaubte, zeigte mir die Loupe, dass hie und da auf den etwas stärker vorragenden Papillen diese Neubildung begann. Eben dieses genauere Betrachten mit einer möglichst scharfen Loupe überzeugte mich, dass die Bildung von lichteren, fischrogen- oder froschlaich- ähnlichen Bläschen oder Hügelchen an und für sich nicht, wie ich früher glaubte, dem Trachoma eigentümlich sei, sondern dass man bei der Frage, ob man eine blennorrho- ische oder eine trachomatöse Conjunctiva vor sich habe, noch auf andere Momente Bücksicht nehmen müsse. Von diesen wurden einige bereits angedeutet ; die vollstän- dige Diagnostik kann erst bei der Lehre vom Trachoma gegeben werden.

An der halbmondförmigen und Übergangsfalte erscheint die Wul- stung oder Verdickung der Bindehaut nicht warzig, sondern gleichmässig, beinahe glatt, nur nach längerem Bestehen bisweilen etwas uneben (durch stellenweise etwas mehr gehäuftes grauliches Exsudat), übrigens ebenfalls durchaus fleisch- oder dunkelroth ; die Übergangsfalte läuft wie ein wul- stiges Band um den untern Umfang des Bulbus. Man kann in ihr nicht leicht einzelne Gefässe unterscheiden; nur in der Scleralbindehaul sind gewöhnlich sehr zahlreiche Gefässe, in der ersten Zeit wohl auch Ec-

Blennorrhoe Symptome. 27

chymosen oder ein rosenrother Saum um die Cornea herum vorhanden. In minder heftigen Fällen oder nach längerer Dauer reicht die Gefäss- einspritzung der Scleralbindchaut nicht bis in denLimbus conjunctivae hinein.

In der ersten Zeit schwimmt das Auge in Thränen man sieht oft deutlich, dass der Lidrand wegen Schwellung des Papillarkörpers sich nicht an den Bullms anschmiegen kann und in dem klaren Seerete schwimmen mehr weniger zahlreiche gelbliche Flocken. In andern Fällen ist das Secret durchaus trüb, molkenähnlich, mit dickeren Flocken. Nach längerem Bestände findet man mehr ein dickes , schleimig-eitrig aus- sehendes, oder auch in Fäden gewalztes Secret, welches oft erst nach künstlicher Entfaltung des Wülste bildenden Übergangstheiles sichtbar wird, oder sich in den Schrunden und Furchen, zwischen den hypertrophischen Papillen verbirgt. Die Secretion wird in dem Maasse sparsamer, als die Wucherungen des Papillarkörpers blässer und derber werden. Bei trocke- nem, heiterem Wetter ist die Secretion geringer, der Kranke fühlt sich wohler, durch Secret, Lichtscheu und verschiedene Sensationsanomalien weniger belästigt, als in feuchter, namentlich aber in gesperrter, durch Zusammenwohnen Vieler verunreinigter Luft.

Die ödematöse Schwellung und blasse Röthe der Lider (nur über dem Tarsus), welche hier nie einen sehr hohen Grad erreicht, besteht nur die ersten 6 10 Tage, falls die Krankheit sich nicht (unter ungün- stigen äussern Verhältnissen) zum 3. Grade steigert. Die Lidspalte er- scheint dann auch nicht sowohl in Folge der Lichtscheu etwas weniger geöffnet, als viel in ehr durch eine gewisse Schwere (vermög der Binde- hautwucherung) des obern Lides.

In welcher Weise endlich auch die Cornea betheiligt werden könne, ohne dass die Krankheit sich zur eigentlichen Ophthalmoblennorhöe ge- steigert haben muss, werden wir bei den „Ausgängen" dieser Krankheit anführen.

Die Steigerung zum 3. Grade ist bei diesen Fällen, die gleich von vorn hinein sich mehr durch Infiltration der Bindehaut als durch reich- liche Secretion und Ödem der Lider auszeichnen, im Allgemeinen selten, und erfolgt in der Begel nur dann, wenn nach erfolgtem Ausbruche der Krankheit noch namhafte schädliche Einflüsse auf das Auge einwirken. Ist aber die Krankheit zur Ophthalmoblennorrhoe gestiegen, so stimmen solche Fälle der 2. Reihe ganz mit denen der 1. Reihe überein, es lässt sich kein einziges erhebliches Unterscheidungsmerkmal mehr angeben. *)

*>) In die Erörtcruug der Frage, ob die in die 2. Reihe gestellten Fälle von denen der 1. Reihe nicht etwa wesent- lich verschieden seien, können wir erst später eingehen.

28 Bindehaut.

Auf die Gefahr hin, weitschweifig zu erscheinen, will ich, um nur meinen Lesern ein möglichst klares Bild von dem Ensemble der Erscheinungen vorzuführen, die Schil- derung einiger Fälle, so viel als möglich naturgetreu wieder gegeben, aus meinem Tagebuche hier einschalten. Sie können in so fern als Repräsentanten von mehr als 500 Fällen, welche ich beobachtete, betrachtet werden, als sie keine absichtlich aus- gewählten, sondern mehr zufällig herausgegriffen sind.

L. Andriolli, Gemeiner des Infanterieregiments Haugwitz , gross, von kräfti- gem und gesundem Aussehen, schwarzem Haar, lichtgrauer Iris, mit ziemlich flach- liegenden Augen , angeblich seit 2 Monaten krank , kam am 20. September 1850 (als sogenannt recidiv aus dem Filialspitale) in das Artilleriespital am Hradschin. Sehr wenig Lichtscheue, sehr wenig Thränenfluss, keine Schmerzen, kein Odem der Lider , keine Ansammlung von Schleim im innern Augenwinkel , nur zwischen den Falten des Übergangstheiles gelbliche Flocken und Fäden. Beide Augen in glei- chem Grade erkrankt, die Veränderungen am obern und untern Lide nicht mehr von einander verschieden, als es eben in der Verschiedenheit der anatomischen Verhältnisse bedingt ist. Die Lidbindehaut ist bis in den Übergangstheil gleichmässig hochroth und geschwollen, über dem Tarsus feinkörnig, Körnchen an Körnchen gedrängt. Wird das obere Lid umstülpt und sorgfältig und wiederholt abgewischt, so erscheint die Binde- haut dennoch fortwährend glänzend, glatt, mit einer Unzahl glatter Hügelchen besetzt. Vermeidet man bei Anwendung einer Loupe das Spiegeln der eben zu betrachtenden Partie, so sieht man ein lichtgraues Gitterwerk, ähnlich den feinsten Blattrippen eines Eichenblattes (getrocknet und durch Nadelstiche des Parenchyms beraubt), mit dazwi- schen eingelagerten, etwas hervorragenden Gruppen von rothen Pünktchen und Fleck- chen. Kur gegen den Lidrand hin sieht man senkrecht auf denselben auslaufende rothe Streifchen. Bei Betrachtung des Übergangstheiles am untern Lide sieht man die 2 Wülste nächst dem Tarsus uneben durch minder dicht an einander gedrängte, ganz flache, unter der Loupe graue und etwas durchscheinende, körnchenähnliche Erhaben- heiten; die Übergangsfalte selbst ist gleich der halbmondförmigen glatt und eben, ohne einzelne Exsudatkörner, ohne einzelne Gefässe, bläulichroth. Die Conjunctiva bulbi ist durchaus netzförmig geröthet, die Äderchen scharlachroth, sehr leicht verschiebbar, bis in den limbus conjunctivae corneae hinein eingespritzt, die Bindehaut dazwischen gelb- lich; die vordem Ciliararterien sind wenig injicirt, bilden wenigstens keinen rosenrothen Saum um die Cornea. Die Hornhaut normal.

ML Slabe, Gemeiner vom Dom Miguel Infanterie-Regimente, von gesundem Aus- sehen, bereits Ende Juni erkrankt, dann in das Spital für Reconvalescenten transferirt, wurde vor 4 Tagen, wie man sagte, recidiv, und bot am 20. September 1850 fol- gende Erscheinungen dar. Heftige Lichtscheu, starke, drückende Schmerzen, leichtes Ödem der Lider (die Lidspalte wird geschlossen gehalten, obwohl die Falte des obern Lides nicht verstrichen ist), die Cilien durch Schleim in Büschel verklebt, reichliche Absonderung wasserklarer Flüssigkeit mit einzelnen gelblichen Flocken, die Ränder der Lider etwa.-, geröthet mit Spuren von Excoriationen. Die Bindehaut am obern und untern Lide beider Augen gleichmässig ergriffen, durchaus hellroth, geschwellt, dicker, grob sammetartig oder feinkörnig, von Thränen überfluthet, auch nach mehrmaligem Abwi- schen (am obern Lide) stets feucht und glänzend, hie und da nebstdem mit feinen, staubähnlichen, glatten Erhebungen besetzt. Unter der Loupe sieht die Bindehaut licht- grau aus mit dazwischen eingesprengten hochrothen Punkten und Gruppen von solchen

Blennorrhoe Symptome. 29

Punkten ; nur gegen den Lidrand hin kann man mit der Loupo noch einzelne Gefäss- reiserchen unterscheiden; gegen den Orbitalrand des Tarsus hin ist die Wucherung der Bindehaut etwas stärker. Der Übergangstheil des untern Lides bildet 4 Wülste, davon die erstem 3 mit einzelnen leichten, flachen, nur ein wenig lichteren Erhöhungen durchsetzt, die halbmondförmige und Übcrgangsfalte hochroth und eben. Die Conjun- ctiva bulbi massig serös infillrirt, von einzelnen Gefässen durchzogen ; um die Cornea ein schmaler, rosenrother Gefässsaum, Cornea und Iris normal, die Pupille enger. Vom 20. Juli, also aus der Zeit der ersten Invasion, finde ich folgende Beschreibung in meinen Notizen. Der Mann, 24 Jahre alt, von gesundem Aussehen, bietet bloss solche Erscheinungen dar, wie man sie bei gewöhnlichen Augenkatarrhen findet. Keine Licht- scheue, in den innern Winkeln etwas gelblicher Schleim, zwischen den Falten des Übergangstheiles einige Schleimfäden. Die Bindehaut des obern und untern Lides beider Augen blassroth, wenig gelockert, über dem Tarsus fein sammetartig, die Meibom'schen Drüsen sichtbar, die Übergangs- und halbmondförmige Falte leicht geschwellt. Dieser Fall wurde damals unter die Katarrhe gerechnet; er wäre, gleich beiläufig 20 andern, gar nicht in's Spilal gekommen, wenn nicht angeordnet gewesen wäre, jeden der so- genannten Ophthalmia militaris Verdächtigen sogleich unter besondere Obhut zu stellen.

Johann Hofmann, von Prinz Emil Infanterie, kam am 24. Juli 1850 in's Spital, nachdem er bereits im Mai erkrankt war. Aufnahme des Befundes am 20. September: Der Mann ist gross, hat eine kräftige Muskulatur, gesundes Aussehen, und fühlte sich weder vor noch nach dem Ausbruche der Augenkrankheit irgendwie unwohl. Er hat blonde Haare, blaue Iris, die Augen weder flach noch tief liegend. Keine Lichtscheue; beim Anblick der Augen fällt nur die Vergrösserung der halbmondförmigen Falte auf; auf der Karunkel ein wenig Schleim. Das obere und untere Lid beider Augen in glei- chem Grade erkrankt ; die Bindehaut vom Lidrande bis in den Übergangstheil ge- schwellt und hochroth, über dem Tarsus feinwarzig (durchaus gleich grosse Wärzchen), unter der Loupe (die etwa 4 '/„mal vergrössert) sieht man lauter feine Wärzchen, die bei schief auffallendem Lichte glänzen, bei gerader Ansicht als aus rolhen Punkten be- stehend erscheinen, und durch gelblichgraue, lichte Streifen getrennt sind. Am untern Übergangstheile sieht man grössere Erhabenheiten, graulich, etwas durchscheinend, hie und da von Gefässchen überschlängelt, welche erst unter der Loupe deutlich werden, mit ziemlich deutlich umschriebener Basis; über dem Tarsus fehlen dieselben. Zwischen den Falten des Übergangstheiles consistentere, gelbe Flocken.

Ich benützte diesen Mann, der in seiner Muttersprache mit mir reden konnte und Bildung genug zu haben schien, seinen Angaben Glauben zu schenken, zur Erhebung anamnestischer Momente. Er war bereits Ende Mai erkrankt, und zwar binnen 2 Tagen auf beiden Augen, in einem Dorfe (mehrere Meilen von Prag), wo 72 Mann lagen. Hievon sollen 7 8 augenkrank geworden sein. Er war mit noch 8 Andern in einem Hause einquartirt, wovon nebst ihm noch 2 erkrankten, und beschuldigte als Ursache den Umstand, dass sie bei grosser Hitze auf einem 1 Stunde entfernten Ackerfelde excrciren mussten, und starkem Staube ausgesetzt waren. Sie schliefen übrigens alle 9 auf einem Boden unmittelbar unter einem Ziegeldache, wo die Hitze sehr gross und kein Luftzug war. Von den Dorfbewohnern war ihm nicht bekannt, dass Jemand er- krankt wäre; auch soll Niemand mit einem ähnlichen Augenleiden behaftet unter sie gekommen sein. Ein Kamerad von ihm, ebenfalls noch im Spitale, bestätigte diese Angaben.

30 Bindehaut.

Johann Muntian, von Dom Miguel Infanterie, klein, schwarzes Haar, lichtbraune Iris, nicht sehr muskulös, ziemlich blass aussehend, doch seiner Aussage nach sonst gesund. Die Lidspalte etwas weniger geöffnet, wässriges Aussehen der Augen, ganz leichtes Ödem der Lider, Abstehen der Lidränder vom Bulbus (wegen Schwellung der Bindehaut), Schleim im innern und äussern Winkel und zwischen den Cilien. Beide Augen am obern und untern Lide in gleichem Grade ergriffen. Das Secret, welches beim Abziehen der untern Lider zwischen denselben und den Bulbis erscheint, ist mol- kenartig trüb mit einzelnen zäheren gelbgrauen Flocken, welche sich bisweilen auch auf die Cornea legen. Die Bindehaut von der innern Lefze des Lidrandes bis in die Übergangsfalte hochroth, über dem Tarsus feinkörnig, wie bestaubt, unter der Loupe glatt, glänzend, Hchtgrau mit Gruppen rother Punkte dazwischen ; auch gegen die innere Lefze des Lidrandes hin kann man keine Gefässchen unterscheiden. Nach län- gerer Umstülpung des obern Lides und wiederholtem Abtrocknen (durch 8 10 Minuten) blieb die Bindehaut immer gleich feucht, und bildeten sich feine, zähe, eiweissähnliche, nur sehr schwer mit dem Nagel abstreifbare Fäden. Der Mann, im Juni erkrankt, war mehrere Wochen im Filialspitale gewesen, und nach erneuerter Heftigkeit des Übels den 19. September wieder in's Garnisonsspital am Hradschin gekommen.

Johann Ferensuk, von Dom Miguel Infanterie, mit lichtbraunem Haar und blauer Iris und sonst von gesundem Aussehen kam Anfang Juli in's Spital ; am 16. Juli notirte ich folgenden Befund. Die Lider von aussen normal ; fast gar keine Lichtscheue ; die Bindehaut vom Lidrande bis in die halbmondförmige und Übergangsfalte blassroth, ge- schwellt, feinwarzig; zahlreiche Wärzchen bieten an der Spitze ein gelbliches Aussehen dar, und verleihen der Bindehaut (des obern Lides) ein gelblich punktirtes Aussehen; die Meibom'schen Drüsen nicht mehr durchscheinend, die halbmondförmige Falte massig gelockert und geschwellt, und gleich der Übergangsfalte glatt und eben; die Conjun- ctiva bulbi fast gar nicht geröthet; die Secretion besteht in wenig seröser Flüssigkeit mit gelblichen Flocken im innern Winkel. Dieser Zustand wurde als 1. Grad des fraglichen Übels bezeichnet. Befund am 21. Juli. Die Krankheit hat allmälig zuge- nommen, und zwar auf beiden Augen gleich. Die Cutis der obern Lider ist bis zu den Augenbrauen, die der untern bis über die Wangen herab geschwollen, blassroth, weich, wärmer, die Falte des obern Lides ist jedoch nicht verstrichen; die Lidspalte wird besonders wegen der heftigen Lichtscheue nur von Zeit zu Zeit ein wenig ge- öffnet ; am innern und äussern Winkel und längs des untern Lidrandes sind ziemlich starke Excoriationen vorhanden. Die Bindehaut stark geschwellt, vom Lidrande an bis in die Übergangsfalte hellroth, im Tarsaltheile sammetartig, mit einer ganz dünnen Schichte graulichen Exsudates belegt, welches sich nur theilweise abstreifen lässt; der flüssige Theil des Secretes eiterähnlich, ziemlich reichlich ; die halbmondförmige Falte sehr stark geschwollen, besonders am linken Auge. Die Conjunctiva bulbi sehr stark injicirt und gelockert, auf dem linken Auge einen flachen Wall um die Cornea bil- dend. Am 24. Juli fand ich bereits in der linken Cornea einen hanfkorngrossen Durch- bruch, die Iris vorgefallen, die vordere Kammer aufgehoben. Blennorrhoe 3. Grades.

Johann Benne, von derselben Compagnie, war einer der wenigen, die nur auf Einem Auge erkrankten. Das rechte obere Lid war am 16. Juli massig geschwollen, die Lidränder etwas exeoriirt, die Lichtscheu massig; die Conjunctiva durchaus er- krankt, blassroth, über den Tarsis nur wenig sammetartig, die Meibom'schen Drüsen nicht durchscheinend, der Übergangstheil nicht stark gewulstet. so wie auch die massig

Blennorrhoe Verlauf Ausgänge. 31

stark injicirte Conjunctiva bulbi. Massig reichliches wässriges Secret mit einzelnen gelben Flocken. Bis zum 21. Juli war die Krankheit (unter Anwendung örtlicher Blutentziehungen, Eisumschlägen, Einspritzungen von Nitras argenti, nebst sehr fleis- siger Reinigung der Augen und Anwendung von Purganzen) so weit gestiegen, dass ich die Cornea bereits erweicht und eitrig infiltrirt fand. Die Geschwulst des obern Lides war bereits wieder geringer, als die 2 Tage vorher. Diess war eigentlich der einzige Fall, der mit totaler Zerstörung der Hornhaut verlief, unter etwa 120 Soldaten, die ich im Artilleriespitale am Hradschin zu sehen Gelegenheit hatte. Das linke Auge blieb gesund.

Verlauf und Ausgänge. Die Blennorrhoe durchläuft, wie zum Theil aus dem Vorhergehenden erhellt, nicht immer alle 3 Grade ; sie kann mit dem zweiten eben so gut rückgängig werden , wie nach dem ersten. Wovon diess abhänge, welche Umstände hierauf Einfluss nehmen, wird aus dem weitern Verfolge dieser Abhandlung ersichtlich werden. Ist der Grund der Steigerung zum 3. Grade schon gleichsam mit dem Entstehen der Krankheit selbst gegeben (z. B. durch Übertragung von eiterähnlichem Secrete eines blennorrhoischen Auges), so durchläuft sie den 2. und vorzüglich den 1. Grad so schnell, dass der Arzt selbst schon 24 Stunden nach dem Beginn der Krankheit den 3. Grad völlig ausgebildet finden, und das Auge in 36 48 Stunden (vom Beginn) un- rettbar verloren sein kann, durch Zerstörung der Hornhaut.

Bleibt die Krankheil auf den 1. Grad beschränkt, so nimmt sie einen langsamen Verlauf (sich selbst überlassen), wird häufig für Katarrh angesehen und behandelt, häufiger gar keiner ärztlichen Behandlung un- terworfen. Als solche kommt sie wohl häufig bei Neugeborenen vor, doch auch bei Erwachsenen, wo sie nicht selten eine Menge von Individuen befallen hat *-), ehe der Arzt eines (etwa wegen grösserer Hartnäckigkeit oder wegen Steigerung zu höhern Graden) zur Behandlung bekommt. Sie kann unter günstigen Verhältnissen von selbst heilen, unter minder gün- stigen zu leichter Hypertrophie des Papillarkörpers , Erschlaffung des Übergangstheiles und massiger Schleimsecretion führen, und durch Ein- wirkung äusserer Schädlichkeiten (unreiner Luft, Verkältung) zur Blen- norrhoe 2. oder 3. Grades gesteigert werden.

Erreicht die Blennorrhoe den 2. Grad, so geschieht diess in der Begel schon unter so heftigen objeetiven und subjeetiven Erscheinungen, dass die Kranken bestimmt werden, ärztliche Hilfe zu suchen. Diese Steigerung entsteht entweder in Folge von Misshandlung des 1. Grades,

*) Die Herren Militärärzte, welche beim Ausbruche dieser Krankheit unter den Truppen ranze Bataillons visierten, wissen diess wühl am besten.

32 Bindehaut.

oder in Folge heftigerer äusserer (innerer ?) Schädlichkeiten gleich von vornhinein.

Gerade in den milderen, nicht gleich zum Übergange in den 3. Grad strebenden Fällen zeigt die Krankheit wenig Neigung zur spontanen Hei- lung, im Gegentheile entschiedene Tendenz zur Wucherung des Papillär- körpers, und zu bald sparsamerer, bald reichlicherer Secretion schleimig- eitriger Flüssigkeit, so wie zu hartnäckiger, Monate, Jahre langer Dauer, nachdem an die Stelle der ödematösen Geschwulst der Lider eine mehr weniger beträchtliche Verdickung und selbst Vergrösserung der Lider getreten ist.

Solche wahrhaft chronische Blennorrhoe», können durch Einwirkung äusserer Schädlichkeiten jeden Augenblick zum 3. Grade gesteigert wer- den, ausserdem aber zu mannigfaltigen Structurveränderungen der Binde- haut und der benachbarten Gebilde führen.

Das in die Bindehaut, namentlich in und auf die Papillen abgelagerte Exsudat organisirt sich, wenn es nicht resorbirt und somit die Bindehaut wieder normal geworden ist, allmälig mehr und mehr, nachdem das nor- male Gewebe durch den Druck des Infiltrates mehr weniger verdrängt worden, und so tritt an die Stelle des normalen Bindegewebes in grös- serer oder geringerer Ausdehnung und Tiefe ein Narbengewebe. Dieses erscheint glatt, sehnenartig, glänzend, silber- oder bläulichweiss, flächen- oder streifenartig ausgebreitet. Bedeutende Schrumpfung der Bindehaut in Folge dieses Processes tritt jedoch nicht ein, auch nicht nach mehr- jährigem Bestehen dieser Infiltration des Papillarkörpers (ich kenne Falle von mehr als 5j ähriger Dauer), ausser nach unzweckmässiger Anwendung von Ätzmitteln behufs der Zerstörung dieser sogenannten Granulationen. *)

Die Exsudatablagerung findet nur in der Bindehaut, besonders im Papillarkörper statt, ebenso die consecutive Schrumpfung. Verschrumpfung des Knorpels erfolgt daher niemals, eher eine leichte Vergrösserung, und die Krankheit führt demg-emäss nie zur Einwärtswenduno- des Lidrandes (Trichiasis und Entropium), hingegen durch starke Wucherung der Binde- haut leicht zur Auswartsstülpung des Lides, Ectropium, bald des obern, bald des untern, nicht leicht beider zugleich, und dann besonders werden die Wucherungen gern hart und trocken. Bei Kindern scheint diese Art Ectropium, nach meinen Erfahrungen, leichter zu entstehen.

*) Schon aus diesem Grunde allein sollte man diesen unpassenden Namen aufgeben, da derselbe immer zu dem gewohnten Schlendrian Veranlassuug geben wird, den hypertrophischen Papillarkörper so wie wuchernde Ge- schw rsgraiiulationen zu behandeln.

Blennorrhoe Verlauf Ausgänge. 33

In andern Fällen wird das Lid nicht nur dicker, sondern auch breiter (von oben nach unten), besonders das obere, und hängt dann vermög seiner Schwere tiefer herab, stellt den sogenannten Vorfall des obern Lides, Ptosis palp. superioris dar.

In Folge der lang andauernden vermehrten Secretion kann sich, wie beim Katarrh, durch Excoriationen Blepharophimosis bilden.

In seltenen Fällen entsteht consecutiv ein chronisch verlaufender blennorrhoi scher Zustand des Thränenschlauches ; häufiger kommt aber das umgekehrte Verhällniss vor, nämlich dass nach lange bestehendem blennorrhoischem Zustande des Thränenschlauches sich ein chronisch- blennorrhoischer Zustand der Bindehaut entwickelt.

Die Hornhaut wird in jenen Fällen, wo die Zufälle des 3. Grades nicht auftreten, nur wenig gefährdet, in der ersten Zeit durch kleine und mehr oberflächliche Geschwüre, nach monatelanger Dauer und öfteren Ver- schlimmerungen der entzündlichen Zufälle durch Pannus, obwohl dieser unter die seltenern Nachkrankheiten der Blennorrhoe überhaupt gehört.

Aus den vielen Fällen von Blennorrhoe, welche uns im Jahre 1848 das Findel- haus lieferte, und wovon viele der ersten, die meisten aher der zweiten Eingangs ge- schilderten Reihe angehörten, will ich, bevor ich diese Endemie ausführlicher bespreche (siehe weiter unten), wenigstens einen Fall herausheben.

Jos. Spotterbach. 8 Jahre alt. Findling, erkrankte einige Tage vor seiner Auf- nahme auf die Augenkrankenabtheilung des allgemeinen Krankenhauses am 9. April 1848 auf dem rechten Auge. Der Knabe, für sein Alter gehörig entwickelt, von ge- sundem Aussehen, gut genährt, mit schwarzbraunem Haar und blatigrauer Iris, weiss über das Frühere nichts Verlässliches anzugeben. Die Lider des rechten Auges stark geschwollen, blassroth, wärmer; die Cilien durch wässrige Flüssigkeit zu Büscheln verklebt, der Lidrand etwas stärker geröthet. Die Bindehaut, etwa 3/i Linien hinter der innern Lefze des Lidrandes angefangen , über dem Tarsus und im Übergangstheile gleichmässig hochgeröthet, mit vielen einzelnen bläschenartigen Erhabenheiten besetzt, welche auf der Übergangs- und halbmondförmigen Falte fehlen; die Meibom'schen Drüsen nicht sichtbar, ausser längs des Lidrandes in der oben angegebenen Breite von l/ä 3/4 Linien. Die Conjunctiva sclerae von einzelnen hochrothen, leicht verschieb- baren Gefässen durchzogen, doch nicht geschwollen, die Cornea rein, die Secretion massig, das Secret serös mit einzelnen Schleimflocken. Am linken Auge die Lider nicht geschwollen, bloss die Lidränder etwas angelaufen und geröthet, die Cilien durch Schleim in Büschel verklebt, die Conjunctiva im Tarsal- und Übergangstheile massig injicirt, nur wenig gelockert, die Conjunctiva sclerae und die übrigen Gebilde normal. Brennende Schmerzen im rechten Auge, massige Lichtscheu. *) Am 16. April war

*) Ich behandelte damals absichtlich bloss mit kalten Umschlägen und leichten Abführmitteln bei grosster Sorge für Reinigung der Augen. Da diess einer der ersten Fälle war, so machten mich die blaschenarligen Erhabenheiten auf der Conjunctiva stutzig, ob ich es nicht etwa mit Trachomen zu thun habe, um su mein, da fast nur seröse Secretion der Bindehaut vorhanden war. Ich warde indess bald durch diesen Fall und noch mehr durch das

I. 3

34 Bindehaut.

die Geschwulst der Lider fast verschwunden , die Cilien durch vertrockneten Schleim verklebt, die' Secretion unbedeutend, schleimig, die Bindehaut dagegen noch stark inültrirt , und besonders gegen den Überg-mgstheil hin mit stärkeren Wärzchen Itcsetzt. Am 19. waren plötzlich wieder die Lider stark geschwollen, die Geschwulst bellrotb, die Conjunctiva zeigte eine stärkere Entwicklung des Papillarkör- pers, das Secret war nicht nur reichlicher, sondern auch molkig trüb. Dasselbe Krank- heitsbibl entwickelte sich nun auch auf dem linken Auge. Am 25. April war die linke Cornea noch rein, die rechte aber nach unten etwa 1'" oberhalb des Randes im Um- fange eines H-tnfkomes getrübt, eitrig infiltrirt. Es entstand ein Geschwürchen, w lches am 29. bereits ganz reine Ränder zeigte, trotzdem aber doch zum Durchbreche der Cornea führte Der Knabe musste, nachdem die Secretion längst wi der serös gewor- den und d r Irisvorfall fest überhäutet war, dennoch wegen der Infiltration des Papil- Iarkörpers bis Mitte Juni im Spital behalten werden.

Hud. Limbek, 21 Jahr alt, Korporal von Dom MigU'l Infanterie, stark blond, von gesundem, blühendem Aussehen, erkrankte bereits den 1. Mai 1850. Am 15. Juli no- tirte ich folgenden Befund. Ausdruck massiger Lichtscheu, ziemlich reichlicher Thrä- nenfluss, sparsame Schleiraflocken; die Bindehaut in ihrer ganzen Ausdehnung ergriffen, und zwar auf beiden Augen, vom Lidrande bis in die Über^angsfalte gleichmässig hell— roth und stark geschwellt, üb r den Tarsis feinkörnig, feinwarzig, im Übrrgangstheile wulstig, uneben (mit einzelnen, gleichsam eingesprengten, lichteren, graulichen Er- höhungen deren Basis nicht deutlich begrenzt erscheint), die halbmondförmigen Falten stark geschwollen und dunkelroth ; die Conjunctiva bulbi von zahlreichen Gefässen durchzogen, die vordem Ciliargefässe stark injicirt, rings um die Cornea einen rosen- rothen Saum bildend. Der Limbus conjunctivae deutlich geschwellt, mit kleinen, staub- ähnlichen, lichten Körnchen besetzt und von zahlreichen (»fassen durchzogen, oben gegen 3/4'", unten sjeeren V2'" breit. Der durchsichtige Theil der Cornea theils mit kleinen, halbdurchsichtigen, bläschenähnlichen Erhabenheiten besetzt, theils mit kleinen Grübchen versehen, und desshnlb das Sehen etwas getrübt; auf der rechten Cornea ist der durchsichtige Theil der Cornea ganz normal. Am 24. Juli war (nach Einreibungen von weissem Präcipitat mit Extr. bellad. an die Stirn und Schläfe) die Besseruiiir der Zufälle am Bulbus auffallend, die Lichtscheu schon sehr gering, der Thränenfluss massig, die Infiltration der Conjunctiva palpebr. fast gleich. Als ich - nach meiner Itückkehr von Wien am 20. September das Spital wieder besuchte, war der Mann bereits geheilt entlassen.

Falle, welche die Zeichen des 3. Grades darbieten, was, wie gesagt, bald in sehr kurzer Zeit, bald nach längerem Bestände des 1. oder 2. Grades geschieht, nehmen durchgehends einen acuten und in der Regel äusserst gefahrlichen Verlauf.

Die Gefahr liegt in dem Ergriffenwerden der Cornea ; auf diese ist also vor allem die Aufmerksamkeit zu richten. Die Hornhaut wird nicht leicht ergriffen, bevor nicht die übrigen Krankheitserscheinungen ihren

rasche Nachfolgen von nahe an 50 Fällen (lauter restituirten Firn Hingen aus einem und demselben Gebäude) voll- kommen überzeugt, dass ich es mit Blennorrhoe, nicht mit Trachom iu thun hatte ; eiuige spätere Fälle zeigten sehr reichliches, schleimig-eitriges, selbst croupöses Exsudat

Blennorrhoe Verlauf Ausgänge. 35

Höhepunkt erreicht haben. Wenn die Geschwulst des obcrn Lides bereits zu sinken beginnt, die Haut leichte Runzeln bekommt, und die Schmerzen anfangen nachzulassen : dann wird man durch die Affeclion der Hornhaut aus dem Wahne, das Ärgste glücklich überstanden zu haben, aufo-e- schreckt. Vor dem Ablaufe dieses Zeitpunktes und vor genauer Besich- tigung der Cornea stelle man also nie eine günstige Prognose. Binnen wenig Stunden kann man die Hornhaut ganz rein und getrübt oder seh n in Verschwärung begriffen finden. Die Erweichung, eitrige Infil- tration und Zerstörung der Cornea betrifft gewöhnlich einen sehr grossen Theil, oft die ganze C rnea, bei Neugeborenen am häufigsten die Mitte. Die Zerstörung trifft die obern Faserschichten der Cornea in grösserer Ausdehnung als die liefern, führt jedoch nur in äusserst seltenen Fällen nicht zur Durchbohrung der lelztern und zur Berstung der Descemel'schen Haut, mithin zum Ausflüsse des Humor aqueus, Prolapsus iridis u. s. w.

Aus dem Umstände, dass im Verlaufe heftiger Bindeliautblennorrhöen so häufig Hornhautgeschwürc und Excoriationen an der Cutis der Lider entstehen, hat man ge- schlossen, dass die Schürfe des Secretes die Ursache dieser Erscheinungen sei, ja man hat sogar die Behauptung aufgestellt, dass die Blennorrhoe aufhören würde gefährlich zu sein, wenn man ein .Mittel hätte, die Hornhaut vor der Berührung mit jener Flüs- sigkeit zu schützen.

Zuvorderst muss bemerkt werden, dass Jene, welche diese Behauptung aufge- stellt halten, es unterlassen hatten, diese Flüssigkeit auf ihre chemische Beaction zu untersuchen. Sie halten sich wohl vorzüglich auf das gleichzeitige Vorkommen der Excoriationen an den Lidrändern gestützt. Allein zu diesen möchte wohl die beständige Benetzung der Haut weit mehr beitragen, als die Schärfe des Secretes. Anhaltende Benetzung der Epidermis mit einer indifferenten Flüssigkeit reicht am Ende auch hin, diese zu erweichen. Höhere Temperatur und wenn auch nur schwach alkalische Beaction, oder die Gegenwart von Neutralsalzen wird natürlich diese Wirkung beför- dern. Daher kommen auch bei einfachen katarrhalischen und scrofulösen Bindehaut- entzündungen solche und oft noch ausgedehntere Excoriationen vor. und doch hat Niemand behauptet, dass bei diesen das Secret die Cornea ätze. Vor Kurzem kam ein übrigens ganz gesunder Mann auf die Augenklinik: es war ihm vor 3 Wochen ein Steinsplitter in's rechte Auge geflogen und hatte die Hornhaut durchbohrt. Ein kleiner Theil der Iris war vorgelagert, die übrige Iris grünlich, die Pupille eng und verzogen, rings um die Hornhaut dunkle Rosenröthe, die Bindehaut über dein Tarsus dicht-, im Überganifstheile schütter-netzförmig geröthet, reichliche Absonderung einer ganz was- serklaren, die gewöhnliche Beaction der Thränen zeigenden Flüssigkeit und doch war des untere Lid in seiner ganzen Länge und auf 3'" breit, gerade so weit als die benetzten Wimpern des obern Lides über das untere herabreichten, sehr stark exeoriirt. Auch bei Blennorrhöen des 2. Grades kommen eben so in- und extensive Exco- riationen vor, und dennoch bleibt die Cornea unversehrt. Diese wird erst dann er- griffen, wennn die Entzündung von den Lidern auf den Bulbus übergegangen, wenn die Blennorrhoe, wie mau sagt, zur Ophthalmoblennorrhoe geworden ist.

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36 Bindehaut.

Der Trübung und Verschwörung der Cornea geht ein erhöhter Glanz derselben voraus. Auch nachdem sie trüb geworden, sieht man ihre Oberfläche noch eben und glatt, mindestens ohne Grübchen. In manchen Fällen sieht man die Trübung wieder verschwindsn, ohne dass es zu einem Substanzverinste der Cornea, ja auch nur ihres Epitheliums kommt. In einigen Fällen, wo das von acuter Blennorrhoe ergriffene Auge an einer Hornliautnarbe (aus früherer Zeit) litt, sah ich (beim Eintritte des 3. Grades) mehrere Gefässchen in der Hornhaut sichtbar werden, welche zu der Narbe verliefen. Ganz anders verhält sich die Cornea, wenn wirklich ätzende Substanzen, Mineral- säuren, flüssige Alkalien u. dgl. mit ihr in Berührung gekommen sind. In den gelin- desten Fällen wird wenigstens das Epithelium zerstört und abgeslossen.

Man nehme das Secret von einem blennoniioischen Auge, dessen Hornhaut eben in Verschwärung begriffen ist. und bringe es auf die Hornhaut eines Kaninchens: es wird sich keine Spur von Atzung zeigen. Piringer hat blennorrhoisch.es Secret in die Augen von Amaurotischen gebracht; es erfolgte wohl später eine Blennorrhoe, keines- wegs aber augenblicklich oder in einigen Stunden eine Veränderung der Cornea. Tripperkranke bringen das Secret von den Genitalien an die Augen; es entsteht eine Blennorrhoe der Bindehaut, welche zur Verschwörung der Cornea führt, aber nur, nachdem die Blennorrhoe den 3. Grad erreicht hat; es ist nicht ein einziger Fall be- kannt, wo die Hornhaut gleich von vorn herein angegriffen worden wäre. Wir kennen keine scharfe Flüssigkeit, kein Ätzmittel, welches, mit einem organischen Gebilde in Berührung gebracht, dasselbe mehrere Tage unversehrt liesse, und erst dann zerstörte.

Ferner müsste man annehmen, dass das blennorrhoische Secret seine ätzende Eigenschaft plötzlich verliere, während es alle seine physikalischen Eigenschaften, die Ansteckungskraft nicht ausgenommen, beibehält. Wäre die Zerstörung der Hornhaut Folge der Atzung durch das Secret, dann wäre nicht einzusehen, warum nicht in allen Fällen die ganze Cornea zerstört wird, warum sich das Secret sehr oft gerade nur eine kleine Stelle zur Zerstörung aussucht, und zwar bis auf die Descemet'sche Haut, indess doch die ganze Oberfläche der Hornhaut demselben ausgesetzt ist. Nun diese eine Stelle einmal durchbrochen ist, bleibt die übrige Cornea unversehrt ; nicht einmal von den Geschwürsrändern aus, wo doch das schützende Epithelium fehlt, sieht man bisweilen weiter eine Zerstörung eintreten, trotzdem, dass das Secret noch eben so reichlich, noch eben so gefärbt, eben so dick- oder dünnflüssig ist. wie zu Anfang jener Zerstörung, und trotzdem, dass das Secret aus dieser Periode durch Übertragung auf ein gesundes Auge eine ebenso heftige Blennorrhoe hervorzurufen vermag, wie das vom Beginne der Verschwörung.

Wir können demnach die Verschwärung der Cornea nicht als Folge der ätzenden Eigenschaft des Secretes betrachten: sie ist vielmehr durch das Übergreifen der Ent- zündung auf die Hornhaut bedingt. Offenbar wird jene rapide Zerstörung der Cornea, welche die Ophthalmoblennorrhoe zu den traurigsten Augenübeln stempelt, durch ge- hemmten Bückfluss des Blutes von derselben verursacht. Die Cornea erhält einen grossen, wenn nicht den grössten Theil ihres Blutes aus jenen Zweigen der vordem Ciliararterien, welche durch und unter dem Limbus conjunctivae corneae verlaufen. Hält man sich die anatomischen Verhältnisse gegenwärtig, und bedenkt man, wie gross der Druck sein muss, den nicht nur die Lider, namentlich das untere (welches ge- wöhnlich von dem obern bedeckt wird), sondern insbesondere der Bindehautwall (die bis zur innersten Grenze des Limbus conjunctivae infiltrirte Conjunctiva bulbi) auf die

Blennorrhoe Verlauf Ausgänge. 37

Tunica vaginalis btilbi (die darin und darunter verlaufenden Ciliargefässe) ausüben, so müsste man sich sogar wundern, wenn unter solchen Umständen in der Cornea sich keine Stasis entwickeln sollte. Wir können demnach den Vergleich dieser Art von Hornhautzerstörung niil dem brandigen Absterben anderer Organe nur für einen tref- fenden, bezeichnenden erklären. Die untere Partie der Cornea wird häufiger von dieser Verschwörung ergriffen: die ihr entsprechenden Gelasse haben aber auch häufiger einen grössern Druck zu erleiden, als die am übrigen Umfange der Cornea befindlichen. Mit dem Durchbruche der Cornea und dem Ausflüsse des Humor aqueus kann die Span- nung bedeutend gemindert oder ganz behoben, die Circulation in der Cornea bedeu- tend freier werden, mithin die Entzündung und Verschwärung der Cornea auf eine kleine Partie beschränkt werden. Hierauf können natürlich noch andere Umstände Einfluss nehmen, wie wir bei der Lehre von den Hornhautgeschwüren sehen werden. Ich habe zwar die von mehreren Praktikern vorgeschlagene Punction der Cornea hier noch nicht geübt ; sie dürfte aber, zu rechter Zeit vorgenommen, von grossem Nutzen sein. Aus diesem Grunde erweisen sich auch meines Erachtens Excisionen aus dem Bindehaut walle so nützlich, wenn sie nur zu rechter Zeit und gehörig vorgenom- men werden.

Hiemit soll keineswegs gesagt sein, die Cornea werde einzig und allein nur auf diese Weise gefährdet. In minder acut verlaufenden Fällen sieht man nicht selten Hornhautgeschwüre noch auf ganz andere Art entstehen, entweder halbmondförmig längs des Randes, innerhalb des Limbus conjunctivae, oder rundlich und gleichfalls mehr im peripherischen Theile. Diese entstehen, indem an irgend einer hirse- bis linsengrossen Stelle die Cornea trüb, graulich-gelb und undurchsichtig, sofort erweicht und in Eiter verwandelt wird. Die auf diese Weise entstandenen Geschwüre nehmen keinen so zerstörenden Charakter an , greifen namentlich nicht so weit und so rasch in die Breite, eher noch in die Tiefe, und führen demnach wohl oft zu Horn- hautnarben, seltener zu Irisvorfällen, und noch seltener zu wesentlicher Beeinträchtigung des Sehvermögens.

Eben so soll mit obigem Nachweise keineswegs gerathen sein, die fleissige Rei- nigung der Augen von dem blennorrhoischen Secrete zu vernachlässigen, so wenig man ralhen könnte, irgend eine andere, dem Auge framde Substanz zwischen den Lidern zurückzulassen. Aber ich sorge für die Abspülung dieses Secretes, nicht weil ich diess für hinreichend halte, der Zerstörung der Hornhaut vorzubeugen, sondern weil ich ein blennorrhoisches Auge auch vor grellem Liehte, vor Rauch, Staub, unreiner Luft 11. dgl. zu schützen Ursache habe.

Diese Hornhautgeschwüre haben das Eigenthümliche, dass nie eine Eitersenkung zwischen den Faserschichten der Cornea, ein Unguis, dabei auftritt. (Vergl. Krankheiten der Cornea.)

Hingegen gesellt sich, wenn die Verschwärung bis auf die tiefern Schichten gedrungen, nicht selten - Iritis dazu, gleichviel, ob bereits Durchbruch erfolgt ist, oder nicht. *)

*) Der Grund hievun liegt vielleicht ilarin, dass die tieferen, nächst der Descemel'schen Haut liegenden Gefässchen der Cornea von jenen Zweigchen der vordem Ciliarartenen kommen-, welche durch die Sclera zur Iris treten.

38 Bindehaut.

Diese kündigt sich durch das Auftauchen heftiger Schmerzen nach dem Verlaufe der sensitiven Zweige des N. trigeminus, stärkere Licht- scheue und reichlicheren Thränenfluss an. Wird ein grosser oder der grösste Theil der Hornhaut erhalten und mit der Zeit wieder durchsich- tig, so findet man die Pupille verengert und mehr oder weniger voll- ständig durch Exsudat verdeckt, wenn nicht etwa der ganze Pupillarrand in die Hörnhautnarbe hineingezogen erscheint.

Die üiü-igen Gebilde des Bulbus nehmen selbst bei der heftigsten Bindehautblennorrhöe nicht an der Entzündung Theil.

Hornhautgeschwüre Können endlich im Verlaufe der Blennorrhoe, und zwar nicht bloss im 3., sondern auch beim 2. Grade entstehen durch partiellen Verlust des Epitheliums und consecutive Zerstörung (Erwei- chung ?) der Hornhautfasern; es sind diess die sogenannten Resorptions- geschwüre. Sie zeigen weder einen grauen Grund, noch eitrig infdtrirte Ränder, können daher der Beobachtung leicht entgehen, wenn man das Auge nicht spiegeln lässt. Sie sind in der Regel klein, 1/„ 1 Linie im Durchmesser, und führen äusserst selten zur Durchbohrung der Hornhaut. Die weitern Veränderungen und Folgen der Homhaufgeschwüre werden füglich erst bei der Lehre von den Krankheiten der Hornhaut besprochen werden können, da sie dieselben sein können, wie nach an- derweitig entstandenen Hornhautgeschwüren.

So wie die Blennorrhoe gradatim bis zur grössten Höhe steigt, so erfolgt auch die Rückbildung in Abstufungen, die Hornhaut mag nun be- schädigt worden sein, oder nicht; Blieb diese unversehrt, so kann auch eine sehr heftige Form in 4 Wochen ganz beendigt sein, da die Blen- norrhoe 3. Grades lange nicht die Neigung zum Übergange in die chro- nische Form, zur Wucherung des Papillarkörpers zeigt, wie insbesondere die des 2. Grades. Relativ selten findet man an Augen, welche solche Veränderungen der Hornhaut darbieten, wie sie nur in Folge des 3. Grades vorkommen können, jene Nachkrankheiten, welche wir beim 2. Grade beschrieben haben. Doch ist die Behauptung, dass die eigentlichen Blennorrhöen, z. B. die durch Übertragung mit Tripperschleim entstan- denen, keine sogenannten Granulationen hinterlassen, ganz gewiss irrig. Ich habe in constatirten Fällen dieser Art nicht nur Hypertrophie des Papillarkörpers, sondern auch sogenannte graue Granulationen selbst im Übergangstheile beobachtet.

Häufiger hingegen kommen hier einige andere vor, welche nur als Folgen des 3. Grades beobachtet werden, a) Wucherung der Scleral- bindehaut, derart, dass diese in Form schlaffer, fleischrother Wülste die

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen. 39

Cornea zum Tlieil oder gänzlich verdeckt, und die Lider aus einander drängt, oder umstülpt (als exophthalmia fungosa [abschrieben). Es ist vorgekommen, dass man solche Fälle mit Carcinoma bulbi verwechselte, und die Ausrottung des ganz gesunden Augapfels vornahm, weil man unterlassen hatie, sich mittelst einer Sonde von dem Zustande der Cornea zu überzeugen, b) Wucherung der Bindehaut in Form eines Flügelfelles. (Siehe die Abhandlung über dieses.) c) Wucherung der halbmondför- migen Falte oder lappenartige Verlängerung der Übergangsfalle.

Manche Alictoren führen unter den Nachkrankheiten der acuten Bindehautblennorrhöe 3. Grades noch vermehrte Ansammlung des Humor aqneus (Hydrops camerae) und Verflüssigung und Vermehrung des Glas- körpers (Hydrops corporis vitrei, hydrops oculi posterior) oder beides zugleich (Hydro phthalmus mixtus , Buphthalmus) , so wie andererseits Schwund des Augapfels ohne vorausgegangene Verschwörung der Cornea (Atrophia bulbi) an; aus eigener Beobachtung kenne ich diese Zustände als unmittelbare Folgen der Bindehautblennorrhöe nicht.

Vorkommen und Ursachen. Die Bindehautblennorrhöe kommt am häufigsten vor bei Neugeborenen und bei Erwachsenen des Jünglings- und Mannesalters, besonders bei Soldaten und Finde Ihausammeu. Der Grund hievon liegt nicht in einer besondern Disposition, sondern in den Verhältnissen, unter denen diese Individuen leben, wie wir weiter unten sehen werden.

Die Blennorrhoe, als eine durch äussere Einflüsse hervorgerufene Krankheit, verschont, wo diese einwirken, kein Alter, kein Geschlecht, keine Constitution u. s. w. Sie wird nur selten siehe weiter unten als Ausdruck eines Allgemeinleidens zu betrachten sein, und nur insofern könnte man von einer gewissen Disposition dazu sprechen, als uns die Erfahrung zeigt, dass äussere Einflüsse bei gewissen Individualitäten zur Blennorrhoe führen, die bei andern nur Katarrh erregen. Einen solchen Einfluss der Individualität sehen wir zwar bei Neugeborenen, bei scro- fulösen Kindern, bei schlecht genährten, durch langwierige Schleimflüsse und profuse Eiterungen herabgekouunenen Individuen, bei alten Leuten mit Erschlaffung der Haut und der Schleimhäute sich geltend machen; wir sind jedoch nicht im Staude, die besondern Merkmale solcher Indi- vidualitäten, das Eigenthiünliche dieser Disposition, näher zu bezeichnen.

Die Blennorrhoe erscheint theils sporadisch, bei einzelnen Indivi- duen und zu unbestimmten -Zeiten, theils massenweise, zu gewissen Zeiten häufiger, besonders aber in geschlossenen Körperschaften in rascher Auf-

40 Bindehaut.

einanderfolge. Den nähern Erörterungen hierüber müssen wir eine genauere Betrachtung- des blennorrhoischen Secretes vorausschicken.

Das Secret einer blennorrhoischen Bindehaut ist in Bezug auf seine Menge und sonstigen Eigenschaften nicht immer eines und dasselbe. Bei den Fällen der 1. Reihe ist es nur relativ kurze Zeit nach dem Beginn wasserklar mit consistenteren, gelblich grauen Flocken ; so wie die ühri- gen Erscheinungen heftiger werden, erscheint das Secret durchaus trüb, graulich-gelblich,, röthlich, dünn, mit consistenteren Flocken, mulken- fleischwasser-ähnlich oder gleichmässig dicker, rahmähnlich, grünlich gelb. Letztere Eigenschaft zeigt es in der Regel dann, wenn auch die übrigen Erscheinungen für den höchsten Grad der Entzündung sprechen. Doch finden in dieser Beziehung sehr viele Ausnahmen statt, und es wäre durchaus gefehlt, die Consistenz und überhaupt das Aussehen des Se- cretes allein als Maassstab für die Heftigkeit der Entzündung aufzustellen. Bei Neugeborenen ist das Secret im Allgemeinen reichlicher und consi- stenter, als bei Erwachsenen ; es quillt da, auch wenn der Bulbus nicht ergriffen und die Geschwulst der Lider nicht gerade sehr gross ist, sehr oft als eine dicke, eiterähnliche Masse hervor, sobald man die Lidspalte öffnet, und kann wegen seiner Consistenz gewöhnlich nur durch Auf- träufeln oder Einspritzen lauen Wassers vollständig entfernt werden. Auch bei Erwachsenen steht seine Menge und Consistenz nicht immer in geradem Verhältnisse zur Heftigkeit und Gefährlichkeit der Krankheit.

So wie die übrigen Krankheitserscheinungen ihren höchsten Grad erreicht haben, ist in jedem einzelnen Falle auch das Secret am reich- lichsten und dicksten ; von da an bleibt es mehrere Tage unverändert, wenn auch die übrigen Zufälle, namentlich die subjeetiven, und die Ge- schwulst der Lider schon bedeutend nachgelassen haben. Sodann wird es wieder sparsamer und dünner, wie gewöhnlich bei Blennorrhöen des 2. Grades, endlich scheidet es sich wieder in einen wasserklaren Theü und mehr weniger dicke Flocken.

So lange das Secret trüb ist, zeigt es stets eine Menge von Eiter- kugeln unb Eiterkörperchen *) ; rolhes Lakmuspapier färbt es schneller

*) „Die nähere Untersuchung des Entzündungsproductes stellt dasselbe in die Classe der croupösen Exsudate als blassgelbes oder weissgraues, opakes, auf der Oberfläche der Bindehaut erstarrendes Product, welches in Eiter zerfällt, und dadurch die Gewebe in einen Schmelzungsprocess zu versetzen (?) im Stande ist. Mikroskopiseho Untersuchung: bei dem zu einer Membran erstarrten, der Bindehaut fest anklebenden Exsudate, auf welches noch kein Wasser eingewirkt halte geronnener Faserstoff als Stroma, in welchem die Eiterzellen sitzen; bei der Exsu- datschichte, welche nach der Einwirkung der Douche abgezogen wurde Faserstoffstroma, Kernzellen mit 1 3 Kernen, nackte grosse Kerne und Epilhelialzellen ; nach der Einwirkung einer Hüllensteinlösung von 2 Gran auf 1 Unze eine verschieden gefaltete, aus Faserstoff und Exsudatkernen bestehende Membran : bei dem zerflossenen

Blennorrhoe Vorkommen - Ursachen Secrel Impfung. 41

und stärker blau, als das wasserklare Secret. Auf die Cutis gebracht, bringt es gar keine Veränderung hervor. Auf eine gesunde Bindehaut übertragen, bewirkt es zwar Anfangs keine Veränderung, aber nach Ver- lauf von '/„. bis 4 Tagen dieselben krankhaften Erscheinungon, welche das Auge darbot, von dem der Impfstoff genommen wurde. Das blen- norrhoische Secret ist also ansteckend, und zwar durch unmittelbare Übertrag iiiti], durch Belastung.

Diesen Satz, der sich im Allgemeinen schon aus einer Menge von Beobachtun- gen ergeben hatte, hat Piringer durch eine Reihe von sinnreichen Versuchen zur Evi- denz nachgewiesen. Nach ihm bewirkt das rein seröse, wasserklare Secret von Blen- norrhoe des 1. Grades, so wie die wasserklare Flüssigkeit chronisch 'gewordener Blen- norrhöen gar keine Ansteckung. Das molkige oder fleischwasserähnliche Secret des 1., so wie auch des schwach ausgebildeten 2. Grades, welches nur wenig Spuren eines wahren Schleimes (wenig Eilerkugeln) zeigt, bewirkt nur eine Blennorrhoe des 1. Grades, und diese bleibt in der Regel bei diesem Grade stehen, wenn sie nicht durch äussere Einflüsse gesteigert wird. Dasselbe gilt von dem dünnen Secrete chronischer Blennorrhöen. Hingegen bewirkt das schleimige Secret einer Blennorrhoe des 2. Grades so gut stets eine Blennorrhoe, die zum 3. Grade steigt, wie das dicke, eiter- ähnliche Secret des 2. oder 3. Grades. Eine solche Blennorrhoe verläuft immer sehr acut, erreicht den 2. und den 3. Grad sehr schnell.

Die Anstevkungsh reift kann gemindert, selbst aufgehoben werden durch starke Verdünnung mit Wasser, durch Vertrocknung und lange Aufbewahrung. Der Schleim einer acuten Blennorrhoe 3 Grades verliert seine Kraft selbst durch 50 lOOmalige Verdünnung nicht. Ein Leinwandläppchen, mit Schleim besudelt, und an der Luft getrocknet, kann ohne Anstand von nicht blennorrhoischen Augenkranken zum Abwi- schen der Augen verwendet werden, wenn der getrocknete Schleim bereits über 36 Stunden alt ist. So wie Impfstoff aufbewahrt, steckt er nach 60 Stunden noch an, nach längerer Zeit nicht mehr. Hieraus ergibt sich, wie und wann Waschweiber durch die Wäsche, Leute durch den gemeinsamen Gebrauch von Schwämmen, Wasch- schüsseln und Handtüchern angesteckt werden können, und warum bei der Unrein- lichkeit der armem Leute und bei der grossen Zahl von Tripperkranken das blen- norrhoische Secret der Genitalien verhält sich auf gleiche Weise dennoch die Blen- norrhoe des Auges nicht noch häufiger vorkommt, als diess der Fall ist. Hieraus ergibt sich auch die Nutzlosigkeit mancher Maassregeln, welche man behufs der Ver- hütung der Weiterverbreitung des Übels vorgeschlagen und wirklich ausgeführt hat, das Verbrennen der Kleider, Aufreissen des Fussbodens, Ausweissen der Zimmer u. dgl.

Je höher der Grad der den Impfstoff liefernden Blennorrhoe ist, je acuter sie verläuft, desto schneller folgt auf die Impfung der Ausbruch der Blennorrhoe, von Blennorrhoe des 3. Grades schon in 6 12 Stunden, von Blennorrhoe des 2. Grades in 12 24, längstens 36 Stunden. Das frische molkige Secret einer Blennorrhoe des 1. Grades wirkt meistens erst nach 60—70 Stunden, das frische schleimige Secret einer

Exsudate Eilerzellen; in dem 1 2 Minuten alten Exsudate findet man längliche, spindelförmige Kerne, welche sogar in einigen Fällen zu sehr kurzen, dünnen, scharf contourirten Fasern ausgezogen erscheinen." Dr. Bednar aber die Blennorrhoea neonatorum in der Zeitschrift der Gesellschaft der Wiener Ärzte, 5. Jahrg. 2. Heft, S. 138"

42 Bindehaut.

chronischen Blennorrhoe in 72 96 Stunden. Schneller wirkt übrigens das Serret aus dem Stadium der Zunahme, des Stcigens der Blennorrhoe, langsamer das von einer bereits in der Abnahme oder Bückbildung begriffenen. Später erfolgt der Ausbruch, wenn das Secret einige Zeit der Luft ausgesetzt, noch später, wenn es bereits einge- trocknet war.

Bei reizbaren Individuen erfolgt der Ausbruch früher. Ganz gesunde oder bloss katarrhalisch erkrankte Bindehäute erkranken viel schneller, leichter, und zum Theil auch viel heftiger, als solche, welche durch chronische Entzündung bereits organische Veränderungen erlitten haben. Gesteigert wird die Empfänglichkeit der Augen für das Contagium durch den Aufenthalt in gesperrter, unreiner, mit animalischen Dünsten geschwängerter Luft.

So gut als ein Handtuch, das Waschwasscr u. dgh kann auch die Luft zum Träger des Contagiums werden. Das blennorrhoische Secret irnprägnirt die Luft durch Verdunstung, durch Suspension feiner Parli- k eichen desselben in der Luft. So wie aber starke Verdünnung dieses Secretes mit Wasser hinreicht, die Ansteckungskraft desselben zu mildern oder ganz aufzuheben, so wirkt auch nur eine stark imprägnirte Luft ansteckend, und eine minder imprägnirte Luft nur dann, wenn sie bereits katarrhalisch afßcirte Augen trifft, oder auf gesunde Augen längere Zeit einwirkt. Die Ansteckung durch die Luft, welche durch eine Menge Beobachtungen nicht nur wahrscheinlich gemacht, sondern bestimmt nach- gewiesen ist, geschieht also hier keineswegs so, wie hei jenen Krank- heiten, welche ein sogenanntes flüchtiges Contagium entwickeln, wie die Blattern, die Masern, der Scharlach, der Typhus u. dgl. Die Festhaltung dieses Unterschiedes ist natürlich von grösster Wichtigkeit in Bezug auf die Prophylaxis, in Bezug auf inedicinisch polizeiliche Maassregeln.

Soll die Luft hinreichend irnprägnirt werden, so ist nothwendig, dass in einem relativ engen Räume viele an Bindehautblennorrhöe Er- krankte sich befinden, dass die Luft wenig erneuert wird, und dass die Temperatur derselben einen gewissen Grad von Höhe erreicht. Feuch- tigkeit der Luft begünstigt diese Weiterverbreitung wesentlich, und es dürfte nach den Thatsachen, die zu diesem Postulate drangen, nicht mehr als Hypothese zu betrachten sein, wenn die Wasserdünste, die feinen Bläschen, w eiche bekanntlich unsere Atmosphäre durchtränken, für die Träger des Contagiums durch die Luft erklärt werden.

Gegen die Annahme eines flüchtigen Contagiums (im gewöhnlichen und eigentli- chen Sinne des Wortes) hat bereits Piringer schlagende Beweise angeführt, a) In Spitälern wurde von einem hochgradig blennorrhoischen, und daher im Bette liegenden Kranken noch nie ein anderer Kranker angesteckt ; wenn ja einmal ein Kranker neben einem Blennorrhoischen diese Krankheit bekam, so Hess sich wenigstens die NichtÜber- tragung niemals nachweisen, war im Gegenlheil die Übertragung nachweisbar oder

Blennorrhoe Vorkommen Ursnolien Contag. in distans. 43

doch sehr wahrscheinlich. So im Spitaie zu (Iratz. wo Piringer zur Zeit der Epidemie 1S3S unter 17 Augen kranken stets 8 11 meistens hochgradige Blennorrhö'en liegen hatte; so im Jahre 1841 und 1848 zu Prag, wo auf der Klinik und Abtheilung für für Augenkranke ein ähnliches Verhältnis stattfand, als das Findelhaus eine Menge Ammen mit acuter Bindehautblennorrhöe in die Anstalt lieferte. Im Jahre 1842 ent- stand bei einem Kranken, dem der Assistent Dr. Seikora ein Flügelfell abgetragen hatte, 3 Tage nach der Operation eine acute Bindehautblennorrhöe. Durch 3 Betten getrennt von diesem lag ein Kranker mit acuter Bindehautblennorrhöe. Es entstand eine kleine Debatte zwischen uns. welche damit endete, dass ich nachwies, die Wär- terin habe aus Bequemlichkeit denselben hölzernen Napf, der für den Blennor- rhoischen zu den Eisumschlägen verwendet worden war, nachher für den Operirten gebraucht. l>) Pirinffer fand, dass ein zum Einstreichen von Laudanum in ein blen- norrhoisches Auge gebrauchter Pinsel die Krankheit nicht überpflanzte, wenn er nur einfach mit Löschpapier abgewischt wurde, während er häufig Ansteckung bewirkte, wenn man diese Abstreifung des Schleimes unterlassen hatte. e) Es ist auffallend, dass in Spitälern und Findelhäusern Ärzte und Wärterinen frei bleiben, wenn nicht 'unmittelbare Übertragung oder sehr langes Verweilen in den überfüllten Zimmern statt findet. Eben so bleiben bekanntlich unter dem Militär die Officiere, Ärzte und Kran- kenwärter frei, ausser sie stecken sich durch nachweisbare Unvorsichtigkeit oder über- mässig langes Verweilen in inficirter Luft an. d) Die Krankheit wird nie durch Gesunde in fremde Wohnungen verschleppt, was bei den flüchtig-contagiösen Krank- heiten nachgewiesen ist. e) Bloss an die Haut, selbst an die Lider (und das reich- lich) gebracht, bewirkt auch das eiterähnliche Secret keine Ansteckung, was bei nur einiger Flüchtigkeit des Contagiums der Fall sein müsste. f) Endlich verlaufen alle Krankheiten, welche ein flüchtiges Contagium erzeugen, stets mit heftigem Fieber, welches der Entwicklung der charakteristischen Zufälle vorausgeht. Die Blennorrhoe erregt erst nachträglich, und nur dann Fieber, wenn sie sehr heftig und das Individuum sehr reitzbar ist. Was man zur Verteidigung der Lehre von einem flüchtigen Conta- gium dieser Krankheit angeführt hat, ist theils unwahr, z. B. dass man beim Eintritte zu solchen Kranken ein eigenthüniliches Jucken in den Augen verspüre, theils falsch gedeutet, wie z. B. dass die Blennorrhöen sich verschlimmern, wenn mehrere solche Kranke in Ein Zimmer gelegt werden, oder dass auch andere Bindehautkrankheiten bei längerem Verweilen unter Blennorrhoischen gern den blennorrhoischen Charakter annehmen.

In Bezug auf die materielle Übertragung verhält sich das blennor- rhoische Secret von den Genitalien ganz so, wie das einer blennorrhoi- schen Bindehaut. Trippersehleim auf die Bindehaut gebracht, ruft ganz dieselben Erscheinungen hervor. Dicss ist durch directe Versuche, na- mentlich von Piringer, nachgewiesen worden, abgesehen von zahlreichen (zufälligen) Beobachtungen.

Die acute Bindehautblennorrhöe kommt (abgesehen von Neugebore- nen und vom sogenannten epidemischen Auftreten wovon später ) beinahe nur bei Leuten vor, welche bereits mannbar sind; bei Leuten, die über 50 Jahre alt sind, ist die sporadische Blennorrhoe eine Selten-

44 Bindehaut.

heit. Es konnte ferner selbst dem oberflächlichsten Beobachter kaum entgehen, dass diese Art blennorrhoisch Erkrankter fast durchgehend^ an Blennorrhoe der Genitalien eben gelitten hatten oder noch litten. Diese Thatsachen waren so auffallend, dass sie die Ärzte auf einen ursäch- lichen Zusammenhang dieser Umstände aufmerksam machen mussten. Aber nur wenige gingen auf den Gegenstand tiefer ein, und vie'e be- gnügten sich gar bald mit der Annahme eines Consensus zwischen der Schleimhaut der Genitalien und der Bindehaut. Andere machten sich die Erklärung dadurch leicht, dass sie, eben so willkührlich, von einer Über- tragung des Tripperstoffes mittelst des Blutes, von sogenannter Metastasis sprachen. Hingegen gingen auch manche von jenen, welche in der ma- teriellen Übertragung, in der Verunreinigung der Augen mit dem Secrete der Genitalien das richtige Verhältniss beider Aft'ectionen zu einander erkannt hatten, in so fern zu weit, als sie jede Bihdeliautblennorrhöe, welche sie kurz nach oder während eines Trippers beobachteten, schon ohneweiters in ursächlichen Zusammenhang mit diesem brachten, nicht bedenkend, dass ja Tripperhranke so gut wie Nichttripperkranke durch andere äussere Einflüsse eine Bindehautblennorrhöe bekommen können, weil man sonst annehmen müsste, dass der Genitatienschleimfluss vor dem Bindehautschleimflusse schütze.

Unter mehr als 200. Fälleu von acuter Bindehautblennorrhöe (bei Erwachsenen, jedoch ohne Einschluss des Militärs *), worunter 30 spo- radische, konnte ich keinen für consensuell oder metastatisch erklären. Die Beweise, welche die Auetoren für dieses ursächliche Verhältniss an- führen, sind durchaus nicht genügend.

Feldmann (Walther und Amnions Journal für Chirurgie und Augenheilkunde, N. F. 3. J.) beruft sich gegen Riccord auf die Behauptung Trousseau's, dass Individuen, bei denen Hautwunden früher sehr leicht heilten, nachdem sie an Wunden gelitten, deren Heiluug nothwendig an langwierige Eiterung gebunden war, hiedurch eine solche Vulnerabilität der Haut erhalten, dass von nun an selbst kleinere Verletzungen nicht mehr ohne Eiterung heilen. Auf analoge Weise könne es auch geschehen, dass in Folge eines Trippers eine solche Umwandlung des Blutes eintrete, dass, wenn durch irgend eine Ursache ein Augenkatarrh hervorgerufen wird, dieser sodann als Blen- norrhoe verläuft.

Hecker (Erfahrungen im Gebiete der Chirurgie und Augenheilkunde, Erlangen 1845) nimmt sowohl die metastatische als die consensuelle Form an. Beide sollen sich rücksichtlich der Heftigkeit und schnellen Entwicklung von einander wenig unterschei- den. Er meint, wenn bei einem Tripperkranken z. B. durch Verkältung ein Augen- katarrh entstehe, so nehme dieser eine eigenthümliche, speeifische Richtung, ohngefähr

*) Die beim Militär beobachteten Fälle werden 9päler besonders besprochen.

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Tripper. 45

so, wie bei einem scrofulösen Individuum ein gewöhnlicher Augenkatarrh auch einen eigentümlichen Charakter annehme. Es sei durch zahlreiche Beobachtungen erwiesen, dass nicht in allen Fällen von Augentripper unmittelbare Übertragung des Secretes von den Genitalien auf die Augen statt finde, sondern in vielen Fällen müsse diese (con- sensuclle) Entstcliungsweise angenommen werden. Immer seien hier beide Augen ergriffen, einzelne Subjecte bekommen erfahrungsgemäss bei jedem Tripper die Augen- entzündung und können diess selbst mit Sicherheit voraussagen, und nicht selten ent- stehe gleichzeitig mit der Augenentzündung eine (gleichfalls consensuelle) Gelenksent- zündung, welche beide in unverkennbarer Wechselwirkung stehen und bei gehöriger Berücksichtigung des Harnröhrenleidens schnell und sicher gehoben werden können. Ich gestehe, dass ich den Behauptungen Hecker's Glauben schenken würde, wenn er nicht offenbar Falsches als Thatsachen angeführt hätte, namentlich : „durch Besudlung des Menschenauges mit Tripperschleim entsteht gewöhnlich nur eine unbedeutende, mehr auf die Schleimhaut der Lider beschränkte Entzündung." Diese, von Beer und Walther aufgestellte Behauptung ist längst durch verlässliche Beobachtungen, und, was mehr sagen will, durch directe Versuche widerlegt. Das gleichzeitige Auftreten der Entzündung an beiden Augen nimmt Hecker ebenfalls nicht so genau, denn er sagt später : „nicht selten wandert der Krankheitsprocess von einem Auge zu dem andern in 12—24 Stunden.«

In derselben Lage sind wir zu Walther (System der Chirurgie, 1848, 3. Band, S. 190). „Die Übertragung des Trippersecretes pflege nur eine geringe, schnell vor- übergehende Entzündung der Conjunctiva bulbi (Taraxis) zu erzeugen; der Augentripper (jede durch Suppression, Consensus oder Metastasis erzeugte Bindehautblennorrhöe) sei sogleich in seinem ersten Entstehungsmomente Ophthalmopyorrhöe, ohne voraus- gegangenes blepharopyorrhoisches Stadium." Man trete unbefangen zum Krankenbette, oder, wenn das nicht genügend erscheint, man impfe mit Tripperschleim (in pannöse oder amaurotische Augen), und man wird sehen, was man von solchen Angaben zu halten hat. Man versuche nur, ob man im Stande sei, aus der Blennorrhoe eines Neu- geborenen jederzeit und mit Sicherheit anzugeben, ob die 31utter an einem Scheiden- tripper (syphilitisch) leide, oder nicht ; denn das müsste man, wenn Walthers Behaup- tung wahr wäre, offenbar im Stande sein.

Hingegen sind folgende Thatsachen wohl zu berücksichtigen : a) Gar oft besteht noch ein leichter Ausfluss aus den Genitalien, wo man denselben schon für beendigt hält, und gerade wenn der Ausfluss nicht mehr reichlich ist, vernachlässigt der Kranke die Reinigung der Finger leichter als vordem, b) Man beobachtet den Augentripper (nach Piringer u. A.) häufiger bei Männern, eben weil hier die Reinigung umständlicher ist, und weil hier öfter Veranlassung zur Besudlung der Finger gegeben wird. Freu- denmädchen werden viel seltener von acuter Bindehautblennorrhöe ergriffen, als mit der Gefahr eines Scheidenschleimflusses Unbekannte, c) Meistens wird zuerst das rechte Auge ergriffen, und, wird der Kranke vor Übertragung gewarnt, so bleibt die Blennorrhoe auf Ein Auge beschränkt, was bei der Annahme von Consensus oder Metastasis nicht wohl begreiflich wäre.

Man würde sehr irren, wenn man nur bei jenen, die selbst an Blennorrhoe der Genitalien leiden, diese als Ursache der Augenblennor- rhöe ansehen wollte. Nicht selten geschieht die Übertragung von den

46 Bindehaut.

Genitalien des einen Individuums auf die Augen eines zweiten mittelst des Wasehwassers, des gemeinschaftlichen Gebrauches eines Handtuches, desselben Bettes u. dgT.

Eine Dienstmagd wusch sich mit dem Wasser, mit welchem hlennorrhoische Augen gereinigt worden waren. (Piringcr.) Ammen im Findelhause thun diess bisweilen absichtlich, um wegen „böser Augen" aus der Anstalt entlassen zu werden. , Diess ge- standen mir mehrere nachträglich ein. Ein Kanonier kam mit einem Tripper in seine Heimat; sein Bruder schlief mit ihm, und bekam eine Bindehautblennorrhöe, dann der 2. Bruder, endlich auch die Mutter. (Piringer.)

Eben so braucht wohl nicht erst hervorgehoben zu werden, dass bei Frauen nicht jede Vaginalblcnnorrhöe eine Ansteckung voraussetzt, dass bei manchen kurz vor und nach der Periode ein sch'eimiger Aus- fluss besteht u. s. w. Durch Verunreinigung mit diesem Ausflusse Kann eine Bindehauthlennorrhöe hervorgerufen werden wie ich in zwei Fällen bestimmt erfahren habe ohne dass zur Zeit, wo die Augen- krankheit ausbricht, 2 4 Tage später, ein Ausfluss aus den Genitalien mehr besteht, ohne dass die betreffende Person die darauf gestellte Frage bejahet, im Gegentheile sie vielleicht entschieden zurückweist.

Fälle dieser Art müssen wohl jeden Arzt zur grössten Vor- und Umsicht bestimmen, wenn es sich um Erforschung der Ursache einer sporadischen Bindehautblennorrhöe handelt. Zum Glück liegt hier rück- sichtlich der Prognosis und Therapie weniger an der Constatirung der Ursache, die man gar oft nicht erfährt, als an den örtlichen Erschei- nungen, was allerdings nicht der Fall sein würde, wenn die Lehre von der Metastasis des Trippers wahr wäre; denn dann hätte man, wie auch ihre Anhänger ratheti, nichts Eiligeres zu thun, als den Genitalientripper wieder in Fluss zu bringen. Dann würde man aber auch meistens sagen können : Deliberante Roma Sagunthus perit.

Mitunter, wenn auch selten, kommen Fälle acuter Blennorrhoe vor, wo man durchaus nicht im Stande ist, eine Ansteckung von andern Augen oder von den Genitalien nachzuweisen, wo nicht der mindeste Anlass zu einem Verdachte hierauf vorhanden ist, im Gegen heile, wo man anneh- men muss, dass sich die Blennorrhoe spontan und primär entwickelt habe. Dieselben Umstände, welche die katarrhalische Bindehäuten (Zündung erregen, scheinen auch die blennorrhoische Entzündung hervorrufen zu können, sobald sie heftiger einwirken, und das Individuum hiezu disponirt ist Zwischen heftigem Katarrh und gelinder Blennorrhoe, Blennorrhoe des 1. Grades, kann ohnehin erst dann streng unlerschieden werden, wenn das Secret trüb geworden ist, oder der Papillarkörper deutlich

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Atmosphäre. 47

infiltrirt erscheint. Das trübe Aussehen des Secretes fehlt aber auch wieder zu Ende der Blennorrhoe, selbst der heftigsten. Es liegt demnach nichts Widersinniges in der Behauptung, dass Katarrhe durch äussere Einflüsse zu Blennorrhöen gesteigert werden können , dass zwischen Katarrh und Blennorrhoe unter gewissen Umständen nur ein Gradunter- schied vorhanden sei.

Es ist Thatsache der Beobachtung, dass die Bindehautblennorrhöcn zu gewissen Zeiten häufiger vorkommen und gefährlicher verlaufen, und dass man weder für die eine noch für die andere Erscheinung irgend einen hinreichenden Grund auffinden kann. Man sucht diesen in atmo- sphärischen, jedoch nicht näher gekannten Veränderungen. Mehr als alles andere, mehr weniger Hypothetische dürfle der hygroinetrische Zustand der Atmosphäre zu beachten sein. Wenigstens deuten eine Menge Er- scheinungen darauf hin, dass ein grosser Wassergehalt der Atmosphäre die Weiterverbreitung des Übels begünstigt.

„In Ägypten, wenigstens zu Cairo, herrscht das Leiden immer fort, im Juli und August häufiger, aher in manchen Jahren nur wenig und mehr unter der ärmern Gasse, in manchen Jahren dagegen so, dass arm und reich, jung und alt ergriffen wird. In solchen Zeitperioden bemerkt man, dass die meisten Erkrankungen an jenen Individuen vorkommen, die einen geschlossenen Verein bilden, zahlreich beisammen wohnen, na- mentlich unter Soldaten." Pirin'ger. (S. 30.) Derselbe bemerkt hierüber ferner: „In den Wintermonaten 183* kamen zu Gratz sowohl unter den Erwachsenen, als unter den Neugeborenen fast gar keine Blennorrhöen vor, obgleich das Findelhaus sehr mit Kindern und Ammen angefüllt war, und wegen strenger Kälte nicht so gut gelüftet werden konnte. Die einzelnen wenigen Blennorrhöen zeigten sich nur an den Kindern blennorrhuischer Mütter. Kaum trat im März Thauwetter, unstäte Witterung, viele Winde, häufiges Schwanken in der Quecksilbersäule ein, so wurde das für die blcn- norrhoischen Kinder bestimmte Zimmer bald überfüllt, obwohl die Zahl der Gebärenden jetzt viel geringer war, und die Zimmer fleissig gelüftet werden konnten. Gleichzeitig gab es in der Privatpraxis sehr viele blennorrhoische Neugeborene, und unter den Kindern bis zum 10. Jahre herrschten ungewöhnlich viele Blennorrhöen des 1. und 2. Grades, die sich bei einigen auch zum 3. Grade steigerten." Guillie (Bibliothcque ophthalm. Paris 1820. Tom. I. *), welcher sich durch Einimpfung blcnnorrhoischen Secretes bei 4 amaurotischen Kindern (mit gesunder Bindehaut) von der Ansteckungs- kraft desselben überzeugt hat, erzählt folgende Thatsache : „Das französische Sklaven- schiff Rödeur verliess Hävre am 24. Jäner 1819, um nach der Küste von Afrika zu segeln, erreichte seine Bestimmung den 14. März, und warf Bonny gegenüber die Anker aus. Die Schiffsmannschaft, aus 22 Köpfen bestehend, war die ganze Heise über und während ihres Aufenthaltes zu Bonny bis zum 6. April gesund. Keine Spur von Oph- thalmie war unter den Bewohnern der Küste zu bemerken gewesen, und erst nachdem der Rödeur 15 Tage lang unter Segel war und beinahe den Äquator erreicht hatte,

*) Makemie I. c. S. 311.

48 Bindehaut.

brachen die ersten Symptome dieser fürchterlichen Krankheit aus. Man machte zuerst die Bemerkung, dass die Neger, 160 an der Zahl, und zusammengedrängt im Schiffs- räume (Schiff von 200 Tonnen) und zwischen den Verdecken, von einer beträchtlichen Röthe in den Augen befallen seien, welche sich rasch von einem Auge auf's andere verbreitete. Anfangs schenkte die Schiffsmannschaft dieser Erscheinung geringe Auf- merksamkeit, in der Meinung, dass der Mangel an frischer Luft im Schiffsräume und die spärlichen Wasserrationen daran schuld seien ; denn bereits war die Ration für den Tag auf 8 Unzen beschränkt, und etwas später kam auf den Mann täglich nur ein halbes Glas. Man hielt es für hinlänglich, ein Augenwasser aus einem Aufgusse von Fliederblüthen auzuwenden, und nach dem Rathe eines Mannes, der den Schiffsarzt machte, die Neger der Reihe nach auf's Verdeck zu bringen. Diese heilsame Maass- regel musste aber bald aufgegeben werden, denn die unglücklichen Afrikaner stürzten sich aus Herzensangst über das Schreckliche ihrer Lage und aus Schmerz über ihre verlorene Freiheit, einander umarmend, über Bord. Die Krankheit, welche sich unter den Negern ebenso fürchterlich als rasch verbreitet hatte, fing jelz-l an, selbst die Schiffsmannschaft zu bedrohen. Der erste von der Mannschaft, den die Krankheit er- griff, war ein Matrose, welcher unter dem Verdeck, dicht an der vergitterten Abtheilung schlief, welche mit dem Schiffsräume in Verbindung stand. Den folgenden Tag ergriff die Ophthalmie einen jungen Burschen, und von hier an innerhalb 3 Tagen war der Kapitän und fast die ganze Schiffsmannschaft afficirt. Des Morgens beim Erwachen empfanden die Patienten ein schwaches Prickeln und Jucken in den Lidrändern, welche roth und geschwollen wurden. Den folgenden Tag hatte die Geschwulst der Augen- lider zugenommen und war mit starkem Schmerz verbunden. Um denselben zu mindern, wurden Breiumschläge von Reis so heiss aufgelegt, als man dieselben vertragen konnte. Am 3. Tage der Krankheit stellte sich ein Ausfluss von gelblichem Eiter ein, welcher anfangs ziemlich dünn war, aber nachher zähe und grünlich wurde. Er war dabei so reichlich, dass die Patienten ihre Augen nur alle Viertelstunden öffnen konnten, wo er sich in Tropfen ergoss. Vom Beginn dieser Krankheit an fand beträchtliche Empfind- lichkeit gegen das Licht und Thränenfluss statt. Als endlich der Reis verbraucht war, wurden gekochte Nudeln zu Breiumschlägen benutzt. Den 5. Tag bekamen einige Patienten Blasenpflaster auf den Nacken ; da aber die Kanthariden bald erschöpft wa- ren, so versuchte man sie damit zu ersetzen, dass man mit Senf verschärfte Fussbäder anwendete, und die geschwollenen Augenlider heissen Wasserdämpfen aussetzte. Der Schmerz nahm von Tag zu Tag zu, wie auch die Zahl derjenigen, welche ihr Gesicht verloren, so dass die Schiffsmannschaft, ausser der Furcht eines Aufstandes unter den Negern, noch die schreckliche Anwartschaft hatte, nicht im Stande zu sein, das Schiff bis zu den Caraibischen Inseln zu führen. Ein einziger Matrose war der Contagion entgangen, und auf ihm beruhte die Hoffnung Aller. Der Rödeur war bereits mit einem spanischen Schiffe, dem Leon, zusammengetroffen, dessen ganze Mannschaft so sehr an derselben Krankheit litt, dass sie das Schill' nicht mehr zu führen vermochte, sondern die Hilfe des Rödeur ansprach. Die Matrosen des Rödeur konnten indessen wegen der Neger ihr eigenes Schiff nicht verlassen, und hatten auch keinen Raum, die Mannschaft des Leon aufzunehmen. Die Schwierigkeit, so viele Patienten in einem so engen Räume zu verpflegen, und der Mangel an Proviant wie an Medicamenten Hess die Überlebenden diejenigen beneiden, welche starben. Einige Slatrosen tröpfelten Branntwein zwischen ihre Augenlider und spürten davon einige Erleichterung. Den

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Atmosphäre. 49

12. Tag kamen die Matrosen, die sich etwas erleichtert fühlten, auf das Verdeck, um den andern beizustehen. Manche waren dreimal von der Krankheit befallen worden. Als das Schilf Quadeloupe am 21. Juni erreichte, befand sich die Schiffsmannschaft in einem traurigen Zustande ; aber bald nachher wurde sie durch den Geuuss frischer Lebensmittel und durch ein einfaches Waschmittel von süssem Wasser und Citronensaft, was eine Negerin angerathen hatte, auffallend besser. Nachdem sie 3 Tage gestanden waren, wurde der einzige Mann, welcher unterwegs frei geblieben war, nun auch von denselben Symptomen befallen, und die Ophthalmie halte denselben Verlauf, wie am Bord des Schilfes. Von den Negern blieben 39 gänzlich blind, 12 von ihnen hatten jeder ein Auge verloren, und 14 hatten mehr oder weniger beträchtliche Flecken auf der Cornea. Von der Schiffsmannschaft verloren 12 ihr Gesicht, von 5 verlor jeder ein Auge ; 4 derselben hatten beträchtliche Flecken und Adhäsionen der Cornea mit der Iris."

Eine Epidemie in der Erziehungsanstalt für Soldatenkinder zu Chelsea im Jahre 1804 beschreibt Patrick Macgregor.*) „Zu Anfang April wurden 2 Brüder mit entzün- deten Augen in die Krankenanstalt gebracht; die Entzündung war aber so unbedeutend, dass ihre Aufnahme nicht nothig war. Sie wurden desshalb ausser der Anstalt behandelt, und durch die gewöhnlichen Mittel binnen 8 10 Tagen hergestellt. Zu Ende dieses Monats wurden 6 Knaben zu mir gebracht ; drei derselben hatten die Krankheit in einem heftigen Grade, und wurden in die Anstalt aufgenommen, die 3 andern erhielten die Anweisung, täglich zu erscheinen, um ärztliche Hilfe zu erhalten. Im Mai wurden nicht weniger als 44 Knaben und 5 Mädchen, mit Ophthalmia behaftet, in die Anstalt gebracht. Die schlimmsten wurden aufgenommen, aber für alle war nicht Raum, uad selbst einige von den aufgenommenen mussten unter andern Patienten unterbracht werden. Am Morgen des 4. Tages nach ihrer Aufnahme wurden 2 Knaben in dem- selben Krankensaale, die an andern Krankheiten litten, von Entzündung der Augen ergriffen, und im Verlaufe dieser Woche bekam auch die Wärterin die Krankheit, und. zwar in einem so heftigen Grade, dass sie mehrere Tage lang des Gesichtes beraubt und 3 Wochen lang unfähig war, die Geschäfte ihrer Stelle zu besorgen. Etwa um dieselbe Zeit bekam ihr Sohn, ein 12jähriger Knabe, welcher die Wartung der Kranken besorgt hatte, und einige Tage nachher ihre beiden Jüngern Kinder, wie auch mehrere andere Patienten in demselben Krankensaale die erwähnte Augenkrankheit. Im Juni wurden 58 Knaben und 32 Mädchen ergriffen. Es wurde im Allgemeinen die Bemer- kung gemacht, dass bei ihnen die Krankheit heftiger sei, als bei jenen, welche im Mai erkrankt gewesen waren. Im Verlaufe dieses iMonats bekam auch die Wärterin des Mädchenspitals die Krankheit, und ihr Ehemann, ein pensionirter Bewohner des Chel- sea-Hospitals, der täglich seine Frau besuchte, wurde auch, nebst 2 zuweilen dienst- thuenden Wärterinen von der Krankheit ergriiren. Bei näherer Untersuchung fand sich, dass der eben erwähnte Pensionär um diese Zeit im Chelsea-Hospital die einzige an Ophthalmie leidende Person gewesen sei. Die Frau eines Feldofficiers war um diese Zeit im Military-Asylum zum Besuche. Sie hatte einen Sohn von 5 6 Jahren, welcher mit den andern Knaben zu spielen pflegte. Er zog sich die Ophthalmie zu, und 4 oder 5 Tage nach dem Ausbruche derselben wurde auch seine Schwester, ein 2jähriges Kind, ja einige Tage später sogar die Mutler selbst davon ergriffen. Diese Umstände

») Makenzie 1. e. S. 343.

I. 4

50 Bindehaut.

erregten Aufsehen, und es wurden jetzt mit besonderer Aufmerksamkeit diejenigen, welche einige Symptome der Krankheit hatten, sogleich von den andern Patienten ge- trennt, und auch die andern Mittel benützt, welche gewöhnlich angewendet werden, nm den Fortschritt einer Contagion zu hemmen. Im Juli verbreitete sich die Oph- thalmie noch immer, und mehrere derjenigen Kinder, welche die Krankheit gehabt hatten und genesen waren, bekamen sie zum 2. Male. 65 Knaben und 30 Madchen wurden diesen Monat von der Krankheit befallen. Sie schienen die Krankheit heftiger zu haben, und wurden auch nicht so leicht hergestellt, als jene, welche in den vorherge- henden Monaten afficirt gewesen waren, obschon die Behandlung bei allen dieselbe blieb. Die Witterung war jetzt weit warmer, als im Juni. Im August bekamen 69 Knaben und 21 Mädchen die Krankheit; ein Knabe nnd ein Mädchen, von ihrer eigenen Mutter aus Schottland gebracht, langten eines Abends zu Ende dieses Monats im Asyluni an, und wurden sogleich aufgenommen. Die Kinder wurden von der Wärterin ohne mein Vorwissen in einen Saal gebracht, in welchem sich Patienten befanden, die an Oph- thalmie litten. Als ich die Krankenanstalt am nächsten Vormitag besuchte, Hess ich die Kinder sogleich in einen andern Saal bringen, und dennoch hatten beide Kinder am 3. Morgen nach ihrer Ankunft Symptome der Ophthalmie, die in keiner Hinsicht von jenen verschieden waren, welche bei den andern Patienten beobachtet wurden. Alle Knaben von 5 6'/2 Jahren bilden eine einzige Gesellschaft. Es wurde die Bemerkung gemacht, dass im vergangenen und gegenwärtigen Monate fast die ganze Gesellschaft die Ophthalmie bekam. Der Fortschritt der Krankheit konnte in den Schlafsälen dieser Knaben in der Ordnung der Betten, von einem zum andern, nachgewiesen werden, bis endlich fast alle afficirt waren. Die 2 Wärterinen dieser Gesellschaft schliefen immer in ihren Sälen, und waren die einzigen der Anstalt (diejenigen im Krankenhaus ausgenommen), welche an der Krankheit litten. Gegen die Mitte dieses Monats bekam auch ich die Ophthalmie, und, obgleich die entzündlichen Symptome in 10 Tagen sich gaben, so erholte ich mich von ihren Wirkungen doch erst nach 5 6 Wochen. Im September bekamen 16 Knaben und 4 Mädchen die Krankheit; im Octoher 16 Knaben und 7 Mädchen ; im November 9 Knaben und 6 Mädchen, und vom 22. November bis Ende Deeember sind nur 2 Fälle vorgekommen, und zwar bei 2 Brüdern, die zusam- men geschlafen, und im Monat August die Krankheit in einem heftigen Grade gehabt hatten." P. Macgregor hebt zum Schlüsse noch hervor, dass die Krankheit ziemlich einen Monat unter den Knaben geherrscht hatte, ehe die Mädchen von ihr afficirt wurden, dass alle Erwachsenen, die sich nicht mit den Patienten vermischten, von der Krankheit frei blieben, während diejenigen, welche mit den Patienten in Verbindung standen, sämmtlich von der Ophthalmie ergriffen wurden, mit alleiniger Ausnahme des Assistenzwundarztes. „Es schien auch, als ob eine innigere Verbindung mit der affi- cirten Person als bei den meisten andern contagiösen Krankheiten zur Mittheilung er- forderlich sei. Diess lässt sich von den Dienstboten des Krankenhauses und von den beiden Wärterinen folgern, welche die kleinen Knaben warteten, und die Sache zu leichtsinnig nahmen, wogegen die andern Dienstboten der Anstalt verschont blieben." „Die Krankheit war weit heftiger in ihren Anfällen und von längerer Dauer bei heisser und schwüler, als bei kalter oder gemässigter Witterung." „Man hat Grund, anzuneh- men, dass sie am meisten contagiös im Anfangsstadiuni gewesen sei, wo nicht nur eine active Entzündung, sondern auch ein beträchtlicher, purulenter Ausfluss vor- handen war."

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Neugeborene. 51

Was die Blennorrhoe bei Neugeborenen betrifft, so müssen die Fälle, welche in der Privafpraxis vorkommen, getrennt betrachtet wer- den von jenen in Findelhäusern.

Man hat im Allgemeinen eine Menge Umstände als Ursache der Blennorrhoea neonatorum angeführt. a) Grelles Licht. Es ist schwer zu begreifen, warum hier das Licht gerade nur auf die Bindehaut, und nicht auf die Netzhaut schädlich einwirken soll, da es bekannt ist, dass die Sehkraft in Folge solcher Blennorrhöen niemals leidet, wenn nicht durch Hornhaut- oder Kapseltrübungen. *J b) Verkältung wird nur zu häufig als Ursache angegeben, wenn man es unterlässt, nach andern zu forschen, oder wenn man solche nicht sogleich auffindet. Man hat sogar das Tragen der Kinder zur Taufe beschuldigen wollen, und doch ist die Krankheit in Ländern, wo diess nicht geschieht, erwiesenermassen nicht seltener. Wir wollen nicht in Abrede stellen, dass hie und da ein Kind aus dieser Ursache eine mehr weniger heftige Bindehautentzündung be- komme; nur sei man mit dieser Ursache nicht so allgemein bei der Hand, wie es manche thun. cl Unreine Luft mag wohl mitunter Ur- sache sein, doch gewiss nicht so allgemein, als man ghiubt. Die Krank- heit müsste sonst bei armen Leuten weit häufiger vorkommen, als bei wohlhabenden, was eben nicht der Fall ist. So viel aber ist gewiss, dass unreine Luft die einmal ausgebrochene Krankheit steigert und bösartiger macht. d) Jener Einfluss der Luff, den wir den epidemischen nennen, kann nicht geläugnet werden. Es ist Thatsache, dass zu gewissen Zeiten sowohl in als ausser den Findelhäusern häufiger solche Blennorrhöen vor- kommen. Dieser Einfluss dürfte sich jed ich weniger in der ursprüngli- chen Erzeugung als vorzüglich durch Verschlimmerung der leichteren Grade dieser Krankheit geltend machen, welche als solche selten zur Kenntniss der Ärzte gelangen. e) Sichergestellt ist die Ansteckung durch blennorrhoischen Schleim beim Durchgange des Kopfes durch die Geburtswege, wobei man denn natürlich nicht immer gleich an Syphilis denken wird. Die Constatirung dieser Ursache ist nicht immer wollt zu- lässig, und erheischt grosse Vorsicht von Seite des Arztes. Man hat Grund, diese Ursache zu vermuthen, wenn die Blennorrhoe des Auges in Bezug auf die Zeit des Ausbruches sich so verhält, wie der nach einem unreinen Beischlafe entstandene Tripper, wenn die Bindehautb!ennorrhöe zwischen dem 2. und 5. Tage nach der Geburt auftritt. Doch ist zu

*) Chelius, Augenheilkunde I. B. S. 121 meint, dass auch hei Erwachsenen durch starke Einwirkung des Lichtes nicht selten „Blepharophthalmie" erregt werde. Dieser Ausdruck ist so vag, dass es unmöglich ist, sich auf eine Widerlegung dieser Behauptung einzulassen. Er beweist mindestens für die in Rede stehen. 1c Frage gar nichts.

4*

52 Bindehaut.

bemerken, dass der erste Beginn leicht übersehen wird, zumal wenn das ansteckende Secret sehr mild war, und dass solche Fälle oft erst spater durch obgenannte fa—dj ungünstige Einflüsse einen die Aufmerksamkeit oder Besorgniss der Umgebung erregenden Grad von Heftigkeil erlangen, daher sehr leicht dafür imponiren, als wären sie durch slarkes Licht, Zugluft u. dgl. hervorgerufen worden, erst am 10., 14. Tage oder noch später entstanden. Bei Schwangern mit Blennorrboea vaginae kann man mit grösster Wahrscheinlichkeit voraussagen, das Kind werde an Binde- haulblennorrhöe erkranken; wie es komme, dass dennoch manche Kinder von solchen Mültern ganz gesund bleiben, ist schwer zu erklären. Viel- leicht hat die schnellere oder langsamere Geburt hierauf den meisten Einfluss. Wir bemerken übrigens dasselbe Verhältniss, wenn mehrere Männer kurz nach einander den Coilus mit einer an Blennorrboea vaginae leidenden Person pflegen. f) Dr. Em. Mildner (im 13. Bd. der Präger medicinischen Vierlcljahrsschrift) hat meines Wissens zuerst darauf auf- merksam gemacht, dass bisher gewöhnlich unter dem Namen Blennorrboea neonatorum eine Menge von Augenentzündungen zusammengefasst wur- den, die davon ganz verschieden sind, und, was nicht minder wichtig ist, dass diese Entzündung der Bindehaut gar oft nur als Reflex gewisser Allgemeinleiden aufs Auge, oder als Thcilnahme der Bindehaut an all- gemeinen katarrhalischen und croupösen Entzündungen anderer Schleim- hautpartien zu betrachten sei.

Dr. Mildner fand im hiesigen Findelhause unter 300 augenkranken Neugeborenen 112 mit Katarrh der Luftwege oder des Darmkanales, 94 mit croupösen Affectionen der Mund- und Rachenschleimhaut, 6 mit Odem der Unterextremitäten, 5 mit Zellgewebs- sclerosis, 9 mit wanderndem Rothlauf, 3 mit Nabelgefässentzündung, 7 mit Entwicklung acuter Abscesse in verschiedenen Gegenden. Von diesen 300 Augenkranken sind 37 gestorben. Er betrachtet die Bindehautblennorrhöe bei Neugeborenen mit überwie- gender Wahrscheinlichkeit als Localkvankheil, wenn die Mutter gesund ist, und das Kind lebenskräftig und gesund aussieht, wenn eine der obgenannten schädlichen Po- tenzen local einwirkte, die Ophthalmie nur an Einem Auge auftrat oder doch viel früher begann, besonders aber keine Symptome einer Allgemeinkrankheit, namentlich keine katarrhalischen oder croupösen Processe auf andern Schleimhäuten vorhanden sind. Eine solche Blennorrhoe beginnt immer (primär) in der Bindehaut, erzeugt selten Ulcerationen der Hornhaut, und das gewöhnlich nur partielle, und nur unter fortwährender Einwirkung ungünstiger Einflüsse bedeutendere Zerstörungen ; sie v\ird nur bei grosser Heftigkeit von fieberhaften Allgemeinsyinplomen begleitet; ihre Dauer ist (relativ) kurz ; die Heilung kann mit rein örtlichen Mitteln, und zwar oft binnen wenig Tagen erzielt werden. Stammt dagegen das Kind von einer kranken Mutter, ist es schlecht genährt, leidet es bereits an katarrhalischen oder croupösen Processen anderer Schleimhäute, ist kein local einwirkendes Moment nachweisbar, beginnt die Ophthalmie an beiden Augen gleichzeitig und mit gleicher Intensität, und ist gleich

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Findelhäuser. 53

anfangs Fieber vorhanden oder selbst voraus gegangen : so wird man selten einen Fehlschluss machen, wenn man die Blennorrhoe für den Ausdruck eines Allgemeinlei- dens hält. Verlauf, Dauer und Prognosis dieser Art unterliegen so vielen Verschie- denheiten, dass sieb keine allgemeinen Anhaltspunkte angeben lassen. Die zu Grunde liegende fehlerhafte Blutmischung bezeichnet Dr. Mildner tbeils als Albuminosis, krank- haftes Überwiegen des Eiweissstoffes, welches besonders durch das Einalhmen sauer- stoffarmer Luft, daher durch Zusammenhäufen vieler Menschen in Einem Loeale begün- stigt werde, theils als Pijämie, welche bei Neugeborenen häufig durch Entzüngung der Nabelgefässe eingeleitet wird. Diese wären demnach beim Auftreten der Blennor- rhoea neonatorum vor allem als letzte Ursachen scharf in's Auge zu fassen, und zwar auch dann, wenn die Blennorrhoe als ein örtliches Leiden begonnen, im weitem Ver- laufe einen schlimmen Charakter annimmt.

In Findelhäusern kommt die Krankheit ungleich hanfiger vor, als bei einer gleich grossen Anzahl ausserhalb solcher Anstalten Geborener, und sie verläuft hier im Allgemeinen bei weitem heftiger und bösartiger. Wenn man auch annimmt, was Piringer behauptet, dass die Kinder der Erstgebärenden im Allgemeinen häufiger an Blennorrhöen erkranken, und dass die Kinder syphilitischer Mütter selten von der Blennorrhoe verschont bleiben, so muss es doch gewiss ausser diesen, allerdings in Gebärhäu- sern öfters vorkommenden Umständen, und ausser den oben erwähnten äussern und innern Ursachen der Bindehautblennorrhöe noch andere Ver- hältnisse geben, welche die Erkrankung su häufig und so bösartig mathen. Hieher sind zu rechnen : vor allem das Zusammengedrüiigtsein vieler In- dividuen in Einem Hiuse, in Einem Zimmer, welches sich in solchen An- stalten oft nicht vermeiden lässt, oft genug aber mehr als nöthig erhöht wird. Man denke sich nur Ein Zimmer, wenn auch sehr geräumig, mit 10 - 12 Ammen, jede mit einem, viele auch mit zwei Kindern. Wenn auch keines der Kinder bereits blennorrhoisch erkrankt wäre : schon die er- höhte Ausdünstung der Wöchnerinen, der Loehialfluss, die Excremente der Kinder müssen die Luft verunreinigen ; nehmen wir nun noch hinzu die geringe Reinlichkeitsliebe solrher Leute von Haus aus, und die Un- lust, mit welcher viele die Kleinen, grossentheils nicht ihre eigenen, pfle- gen: und man wird es begreiflich finden, wie schwer es für das Wart- personale und für die inspiciienden Ärzte wird, den gehörigen Grad von Reinlichkeit zu erhalten. Alle diese Umstände müssen um so nachthei- liger wirken, wenn unter diesen Kindern sich auch nur einige blennor- rhoische befinden ; wie aber erst dann, wenn man alle blennorrhoischen Kinder in ein sogenanntes „Augenkrankenziinmer" legt !

Die Zahl der Individuen mit acuter Bindehantblennorrhöe, welche ich theils im allgemeinen Krankenhause ("vom \pril 1840 bis * ril 1842, und von Anfang October

54 Bindehaut.

1846 bis Ende 1849), theils in der Stadt genauer zu beobachten Gelegenheit hatte, beträgt 281.

Hierunter waren 107 Ammen, 4 Wärterinen und 52 fünf- bis eilfjährige Kinder aus der Findelanstalt, 70 sporadische Fälle bei Erwachsenen, 45 Neugeborene (aus der Stadt und Umgebung) und 3 scrofulöse Kinder von 2 5 Jahren.

Diese Krankheit, welche im hiesigen Findelhause so zu sagen nie ausgeht, kam besonders im Jahre 1841 und 1846 unter den Ammen, im Jahre 1848 unter den grös- sern Kindern in der Findelanstalt auffallend häufig vor.

A. Vom October 1838 bis Juli 1839 waren 11 Ammen auf die Augenklinik ge- bracht worden. 4 mit Blennorrhoe, welche rasch den 3. Grad erreichte, 7 mit Blen- norrhoe des 1. Grades, von Prof. Fischer gewöhnlich Ophthalmia catarrhalis in puer- peris genannt, und in seinem Lehrbuche *) Seite 92 beschrieben. Die Frage, ob sie nicht etwa mit dem Secrete von den Augen der Kinder an ihre Augen gekommen wären, verneinten Alle. Eine beschuldigte starke Zugluft als Ursache ; diese fieberte gleich zu Anfang der Krankheit, und litt auch an Nasenkatarrh. Die meisten und hef- tigsten Fälle kamen Ende Februar, im März und Anfang April vor.

Vom October 1839 bis Juli 1840 kamen 19 leichter und 2 schwerer erkrankte Ammen in's Spital. Davon hatten 14 in eigens dazu bestimmten Zimmern augenkranke Kinder gesäugt. 7 behaupteten, nicht in die Nähe solcher Kinder gekommen zu sein ; einige hievon beschuldigten Zugluft (auf den Gängen) als Ursache. Der Ausbruch der Krankheit war 14 Tage bis 3 Monate nach der Entbindung erfolgt. Nur 1 erkrankte Ende November, 1 im December, 6 im Jäner, 4 im Februar, 1 im März, 2 im April, 5 im Mai und 1 im Juni.

Im Schuljahre 1841 stieg die Zahl rasch auf 55, bei 30 in der mildern, bei 25 in der heftigem oder heftigsten Form. Im October erkrankten 2 (mit sogenanntem Puerperalkatarrh), im November 9 (davon 7 an Blennorrhoe höheren Grades), im De- cember 8 (davon 5 heftiger), im Jäner 8 (davon 3 heftiger), im Februar 7 (davon 2 heftiger), im März 5 (davon 1 heftiger), im April 5 (davon 1 heftiger), im Juni 2 (1 heftiger), im Juli 1 (heftiger), im August 4 (3 heftiger), im September 4 (1 heftiger), nnd von da an bis Ende April 1842 Niemand. Die heftigsten Formen traten im No- vember auf, zu welcher Zeit auch 4 anderweitig entstandene Blennorrhöen in die An- stalt kamen. Mehr als 30 waren in den für blennorrhoische Kinder bestimmten Zimmern der Findelanstalt als Ammen verwendet, einige in wenig Tagen, andere 2—6 Wochen nach ihrem Aufenthalte daselbst ergriffen worden. Drei gestanden, sich absichtlich mit dem Wasser gewaschen zu haben, mit welchem die Augen der Kinder gereinigt worden waren, um „böse Augen" zu bekommen, und desshalb aus der Anstalt entlassen zu werden; sie büssten leider mit dem Verluste eines, die eine auch mit dem Verluste beider Augen. Andere hatten sich ihre Augen mit dem Leinwandflecke gerieben, der zum Abwischen der blennorrhoischen Augen des Kindes benützt worden war. .Mehrere hatten den Ausbruch des Übels bemerkt, kurz nachdem sie heftig geweint, einige, nachdem es (bei stürmischem Wetter) in den Zimmern geraucht, mehrere, nachdem sie sich (auf den Gängen) heftiger Zugluft ausgesetzt hatten. Vier meinten sich dadurch angesteckt zu haben, dass sie das augenkranke Kind des Nachts zu sich in's Bett ge-

*) Lehrbuch der Entzündungen und organischen Krankheiten des menschlichen Auges, Prag 1S46, bei Borro»ch und Andre.

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Findelhäuser. 55

nommen hatten. Die Mehrzahl wusste keine Veranlassung anzugeben, und diess war auch bei vielen der Fall, welche weder in dem Augenkrankenzimmer verwendet wor- den waren, noch in andern Zimmern blennorrhoische Kinder zu saugen gehabt hatten. Die Zahl der blennorrhoischen Kinder war nämlich so gross, dass fast in jedem Zimmer der Anstalt einige belassen werden mussten.

Die Findelanstalt, im 2. Stocke des Gebärhauses auf dem sogenannten „Wind- berge" gelegen, bot damals mehrere Übelstände (in Bezug auf die Blennorrhoe) dar, welche im Frühlinge 1841 von einer Commission erhoben wurden, und hier nicht un- erwähnt bleiben dürfen. Bei der alljährlich wachsenden Zahl der daselbst Aufzuneh- menden war zunächst nicht genug Raum vorhanden, so dass die Zimmer mit Ammen und Kindern überfüllt werden mussten. Die Augenkranken wurden in 3 Zimmern un- terbracht, wovon 2 untereinander, und das 3. mit einem für Syphilitische bestimmten communicirten. Zu je zweien führte nur Ein Zugang vom Corridor. In dem 1. Zimmer waren 9 Kinder mit 6 Ammen, in dem zweiten 8 Kinder mit 6 Ammen, in dem dritten 11 Kinder mit 6 Ammen, in dem vierten 2 Kinder mit 1 Amme und 4 grössere (re- stituirte) Findlinge. Zur Zeit des grössten Andranges stieg die Zahl der blennorrhoi- schen Kinder in den beiden ersten, eigentlich nur Einen Raum bildenden Zimmern auf 24, in dem 3. auf 16 Kinder, nebst den erforderlichen Ammen. Die Verdunkelung wurde mittelst Fensterläden und Vorhängen, die Lüftung mittelst Offnen der Fenster (im Winter nur der kleinern Flügel) vorgenommen. Die Aminen bedienten sich eines Waschbeckens und Handtuches gemeinschaftlich. Für sämmtliche blennorrhoische Kinder war nur Eine Wärterin bestimmt, und ausser dem Primarärzte und dem Haus Chirurgen, welcher nebstdem andere, viel Zeit raubende Geschäfte zu besorgen hatte, kein Arzt vorhanden.

Diesen Übelständen wurde sofort möglichst abgeholfen , und namentlich ein eigener Arzt dem Primarius zur Aushilfe beigegeben. Seitdem ist die Blennorrhoe unter den Ammen wohl zu verschiedenen Zeiten wieder häufiger und heftiger aufge- treten, aber nie mehr in dem Grade, wie 1841. Man ersieht diess aus der nachfol- genden Tabelle, welche ich nach den Protokollen der Klinik und Abtheilung für Au- genkranke und nach den Monatsberichten der Findelanstalt entworfen habe, nachdem mir der Herr Primarius Dr. Böhm und der Herr Direktor Dr. Riedl die Einsicht in die- selben bereitwilligst gestatteten.

56

Bindehaut.

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1840

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135112» 152 140 170 154 179 175 156* 139 1CG 161

IM,

156 166 137

161

156 147 127 117 142

182 102| 25

19 9 14 15 17 19 17 13 15 21 2t 23

38

1841

Jäner

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

October

November

December

72 60 71 42 39 48 41 36 31 32 25 33

188

173

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173

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188

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31

165

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22

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185

175

17

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139

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153

150

8

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127

12

152

152

7

150

138

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162

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17 18 24 18 19 14 14 10 9

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1842

1843

Janer

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

October

November

December

34 55 68 53 31 26 31 29 37 32 25 30

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18

15

2

20

15

18

Jäner

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

October

November

December

20 31 30 42 58 41 42 33 33 39 39 33

223 203 217 204 200 165 229 194 189 182 194 182 154 146 148 143 162 150 157 148 147 * 43 157 143

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1844

Jäner

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

October

November

December

26 26 34 39 48 49 53 42 47 54 41 46

159

152 174 197 199

200 159 171

149 134 153

167 179 181

183 157

179 164

175

184 199

181 109 168

10 10 10 13 17 20 21 23 22 24 16 17

1 1

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Findelhäuser. 57

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Monat

Zahl (1. Kinder überhaupt

Zahl d. blenn. Kind.

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1845

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Februar

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April

Mai

Juni

Juli

August

September

October

November

December

48 53 54 69 52 G4 G8 59 54 GO 54 47

219 209 223 214 230 200 223 179 185 225 184 188

18G 178 170 200 184 163 207 109 157 207 174 150

28 30 38 31 34 33 25 15 22 24 17 30

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28 27 24 22 12 24 2G 25 18 19 21

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1 1

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1846

Jiiner

Februar

Miirz

April

Mai

Juni

Juli

August

September

October

November

December

55 45 58 G3 77 GO G4 77 5G Gl 71 70

189 214 255 235 238 207 222 195 170 195 215 209

1G5 159 '211 183 21G 17S 187 199 155 171 20G 183

34 42 39 34 39 25 22 17 10 14 10 14

20 22 19 18 21 18 23 2G 23 15 17 19

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1

26

1847

Jiiner

Februar

Miirz

April

Mai

Juni

Juli

August

September

October

November

December

72

64

83

54

81

83

85

103

108

108

112

211 241 210 240 250 218 207 183 190 21 G 22G

202 202 204 174 210 18G 157 1G0 1G8 183 202

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1848

Jiiner

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

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November

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1849

Jiiner

Februar

Miirz

April

Mai

Juni

Juli

August

September

October

November

December

70 71 70 GG 73 58 74 59 51 52 52

238 215 222 205 232 222 213 1G2 184 203 230

210 19G 193 1G7 208 174 202 154 1GG 173 188

27

20 32 31 39 32 2G IG 17 30 33

12 IG 21 19 19 11 11 13 14 12 16

27 34 32 29 32 24 23 19 18 21 20

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1

58 Bindehaut.

Dieses Vorkommen der Bindehautblennorrhöe unter den Ammen der Findelan- stalt gibt in mehrfacher Beziehung Aufschluss über diese Krankheit.

1. Eine Quelle derselben liegt in der unmittelbaren Übertragimg des Secretes durch Betastung, mittelst der Finger, eines Tuches, des hinreichend gesättigten Wasch- wassers u. .dgl. Diese Verbreitungsweise Hess sich bei einigen constatiren, bei vielen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit supponiren (bei jenen, welche die Krankheit vom Weinen, vom Rauche, vom Schlafen mit dem Kinde herleiteten) ; allein sie war bei einer sehr grossen Zahl ganz gewiss nicht vorhanden.

2. Das ErgrifTenwerden so vieler Individuen in Einem Räume, ohne dass eine Übertragung durch Betastung statt gefunden hatte , führt natürlich zu der Annahme einer Ansteckung durch die Luft. Ein flüchtiges Contagium entwickelt diese Krankheit ganz gewiss nicht, wenigstens nicht so wie Masern, Scharlach, Blattern u. dgl. Die Annahme einer besondern Verderbniss der Luft als Folge des Zusammenwohnens Vieler in Einem Locale genügt auch nicht. Hingegen deuten alle Umstände darauf hin, dass die Suspension des eitrigen Secretes in der Luft es ist, welche die Ansteckung in distans bewirkt. Nur wo die Luft wenig erneuert, zugleich in eine höhere Temperatur versetzt, und wo viel Secret zur Verdunstung vorhanden ist, kann die Luft so mit demselben imprägnirt werden, dass sie zum Träger des Contagiums wird. So erklärt sich das häufigere Vorkommen bei strenger Kälte und in den heissen windstillen Som- mertagen; so erklärt sich, warum erst längeres Verweilen in derart imprägnirter Luft ansteckt ; so erklärt sich, warum die Ammen nicht mehr erkranken, seitdem die Blen- norrhoe der Neugeborenen durch Anwendung der ektrotischen Methode minder lang- wierig und minder ergiebig an Secret geworden ist; "') so erklärt sich endlich, warum dem Umsichgreifen der Krankheit am sichersten ein Ziel gesetzt wird, wenn man die Blennorrhoischen unter andere Augenkranke oder Gesunde vertheilt. Wo nicht viel Secret zur Verdunstung vorhanden ist, da kann die Luft nicht leicht bis zu jenem Grade gesättigt werden, dass sie dein gesunden Auge ein gehörig concentrirtes Con- tagium zuführen könnte. Starke Verdünnung mit Wasser reicht ja auch hin, die An- steckungskraft des eitrigen Secretes aufzuheben, oder doeh so zu schwächen, dass es nur eine ganz gelinde, dein Katarrh mehr weniger nahe stehende Entzündung zu er- zeugen vermag. Hier drängt sich natürlich die Frage auf, ob bloss das blennor- rhoische Secret der Bindehaut geeignet sei, durch Suspension in der Luft gesunden Augen gefährlich zu werden, oder ob auch ähnliche Secrete von andern Schleimhäuten, namentlich von den weiblichen Genitalien nach dem Puerperium, eine gleiche Wirkung hervorzubringen vermögen. Scheint auch das häufigere Vorkommen der Bindehaut- blennorrhöe zu Zeiten, wo Puerperalfieber herrschen, zur Bejahung dieser Frage ein- zuladen, so ist man doch bei den gegenwärtig vorliegenden Prämissen noch nicht zu einem solchen Schlüsse berechtigt.

3. Die Ansteckung in distans, welche unbedingt zugegeben werden muss, und nnr durch Sättigung der Luft mit dem verdünsteten Secrete erklärt werden kann, reicht' aber noch keineswegs hin, über das Vorkommen aller, nicht durch Betastung entstan- dener Fälle während jener Zeit Aufschluss zu geben. Wir bekamen viele Ammen aus

*) Ich bin überzeugt, dass die seit 1848 auf meine Empfehlung eingeführte Abortivmethode nach Chassaisrnac und Bednar die Ursache ist, dass 1819 so wenig Ammen erkrankten. Vergl. Dr. Grün in der Prager medicinischen Vierteljahrsehrift B. XXII. S. 25, nnd B. XXIII, S. 141, und Dr. Olar B. XXV. S. 112.

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Findelhäuser. 59

der Findelanstalt, welche nicht im Augenkrankenzimmer gewesen, viele, welche nicht einmal in die Nähe blennorrhoischer Kinder gekommen waren, noch an Blennorrhoea vaginae gelitten hatten. Wir sind genöthigt, noch eine besondere Disposition in der Luft oder tellurische Einßüsse anzunehmen, wenn gleich wir dieselben näher zu bezeichnen nicht im Stande sind. Alle Welt gibt zu, dass Entzündungen gewisser Schleimhautpartien zu gewissen Zeiten auffallend häufig und heftig vorkommen, und man war noch nicht im Stande, die atmosphärisch-tellurischen Veränderungen, auf die man zuletzt hingewiesen wird, näher zu bezeichnen. Ich will nur auf die Influenza hindeuten, deren Verhältniss zum gewöhnlichen Katarrh der Luftwege vor allen an das Verhältniss zwischen der Bindehautblennorrhöe und dem Augenkatarrh erinnert. Dass aber

4. die Bindehautblennorrhöe in Beziehung auf atmosphärisch-tellurische Einflüsse mit dem Augenkatarrh ganz gleiche Bedeutung habe, nur heftigere Formen darbiete : das sahen wir eben an den Ammen, welche aus der Findelanstalt in's Spital gebracht wurden. Bei den sogenannten Puerperalkatarrhen konnte gar oft nicht bestimmt wer- den, ob die Krankheit auf dieser Stufe stehen bleiben, oder aber zur Blennorrhoe des 3. oder mindestens des 2. Grades steigen werde. Oft von ganz gleichen Formen war die eine binnen wenig (5 12) Tagen geheilt, die einfache Versetzung aus der Findel- in die Augenheilanstalt (wo in Einem Saale auch 15 18 Personen, aber mit verschie- denen Augenkrankheiten, zusammen wohnten) hatte zur Heilung der Krankheit hinge- reicht, indess bei andern (auch wenn kein Verdacht auf Ansteckung durch Betastung vorhanden war) das Übel unaufhaltsam bis zum 3. Grade stieg, oder doch in einiger Zeit die bekannte Wucherung des Papillarkörpers und schleimig-eitriges (zur Impfung geeignetes) Secret zeigte. Man hatte die Nützlichkeit dieser einfachen Entfernung aus der Findelanstalt sehr bald erkannt, und desshalb auch einige leichtere Fälle geradezu in ihre Heimat entlassen. Von diesen nun kam eine Amme, welche bereits 8 Tage zu Hause gewesen war, und in dieser Zeit nur an den Erscheinungen eines einfachen Augenkatarrhs gelitten hatte, mit einer heftigen Bindehautblennorrhöe auf die Augen- klinik, nachdem sie 2 Tage vorher bei stürmischem Wetter eine Fussreise gemacht hatte (Mai 1841).

B. Noch mehr bestärkt in diesen Ansichten wurden wir durch die Bindehaut- blennorrhöe, welche im Jahre 1848 unter den restituirten Findlingen herrschte. (Vergl. obige Tabelle.)

Findlinge, welche verschiedenen Parteien auf dem Lande zur Verpflegung über- lassen worden waren, werden aus verschiedenen Ursachen der Findelanstalt zurückge- geben, namentlich in jenem Alter, wo die Anstalt die geringste Vergütung für dieselben leistet, also besonders zwischen dem 5. und 10. Jahre, und zwar mehr Knaben als Mädchen, welche letztere man in Haushaltungen eher verwenden, nutzbar machen kann. Die Zahl dieser restituirten Kinder in der Findelanstalt kann demnach leicht auf 20 30 männliche und 10 20 weibliche Individuen steigen. Von diesen Findlingen nun, wel- chen in der Anstalt eigene Zimmer zugewiesen sind, kamen im Jahre 1848 allein 46 mit acuter Bindehautblennorrhöe in die Augenheilanstalt. Die Zahl der Erkrankten war aber weit grösser, wie ich mich bei der im Sommer 1848 abgehaltenen Commission überzeugte ; denn nur die heftiger Erkrankten waren in's Spital übersetzt worden.

Die Blennorrhoe unter den restituirten Findlingen verlief im Allgemeinen viel milder als bei den Ammen. Nur bei 3 von jenen 46 Erkrankten entstand Hornhaut- Entzündung mit Verschwärung, und nur 1 Auge hievon erblindete. Die Krankheit blieb bei

60 Bindehaut.

den meisten auf den 2., bei sehr vielen auf den 1. Grad beschränkt, und die Steige- rung zum 3. Grade erfolgte meistens erst nach längerem Bestehen des 1. und 2. Grades. Sie charakterisirte sich mehr durch Schwellung der Lidbindehaut, als durch reichliche Secretion, und führte desshalb in einigen Fällen zu Ectropium. Der Verlauf war dem- nach minder gefährlich als hartnäckig ; nur wenige der Kranken konnten schon nach einigen Tagen entlassen werden, wie diess bei den leichterkrankten Ammen sehr häufig der Fall gewesen war ; viele mussten bloss wegen Hartnäckigkeit der Wucherungen des Papillarkörpers und der schleimig-eitrigen Secretion 4—5 Monate im Spitale zu- rückbehalten werden.

Wenn man auch annimmt, der Keim zu diesen zahlreichen Erkrankungen sei durch einen oder einige Findlinge in die Anstalt gebracht worden, welche von der in der ersten Kindheit überstandenen Blennorrhoe vielleicht niemals völlig befreit, oder später zufällig daran erkrankt gewesen waren ; wenn man auch annimmt, dass das Übel sich von einem Kinde auf das andere verbreitet habe, sei es durch Betastung oder durch die imprägnirte Luft (die Kinder schliefen zu 6 8 10 in kleinen Zimmern eines wegen Platzmangel gemietheten Privatgebäudes), so bleibt es doch noch immer un- erklärt, warum die Krankheit gerade in diesem Jahre eine solche Ausbreitung gewann, wie nie zuvor, niemals nachher. Wie viel aber die Ansteckung durch tastbare Gegen- stände und noch mehr durch die Luft in den Wohn- und Schlafzimmern zur Verbrei- tung der Krankheit beigetragen hatte, das zeigte der Erfolg der Maasregeln, welche die Commission in dieser Beziehung anordnete, und welche vorzüglich die Sonderung der Gesunden von den Kranken, fortwährende Sorge für Erneuerung der Luft und eine gehörige Dislocation und ärztliche Pflege auch jener bezweckten, deren Übersetzung in's Spital nicht für nothwendig befunden wurde. (Anwendung von Cuprum sulfur. in Substanz, von Argent. nitricum in mehr weniger concentrirter Lösung.)

C. Sporadische Fälle bei Erwachsenen kamen mir theils im Spitale, theils in der Privatpraxis 70 vor, 29 bei männlichen, 41 bei weiblichen Individuen. (Ich zähle nur die acuten Fälle, und nur jene, welche wegen der Blennorrhoe selbst, nicht wegen der einen oder der andesn Nachkrankheit, z. B. Staphyloma corneae, Cataracta centralis u. dgl. zur Behandlung kommen.) *)

a) Von den 29 Männern litten 16, von den 41 Weibern 14 zur Zeit der Ent- stehung der Augenblennorrhöe an Blennorrhoe der Genitalien in verschiedenen Stadien. Das Übel befiel in den meisten Fällen nur Ein Auge, wenn der Kranke gleich in den ersten Tagen in ärztliche Behandlung gekommen war; es trat 20mal zuerst am rechten, lOmal zuerst am linken Auge auf; nur in 6 Fällen wurde auch das 2. Auge ergriffen. IVur wenige wussten sich zu erinnern, dass sie bei dieser oder jener Gelegenheit mit dem Secrete der Genitalien an die Augen gekommen sein könnten. Viele, von den weiblichen Individuen di^ meisten, läugneten ganz dreist jede Affection der Genitalien ; wo sich die Untersuchung der Genitalien nicht wohl vornehmen Hess, wurde die Wäsche

*) Dr. von Hasner, welcher seine Beobachtungen ebenfalls grösstentheils im hiesigen Spitale niachle, vom Juli 1S44 bis October 1846, bezeichnet das Verhällniss der weiblichen Individuen mit Bindehautblennorrhöe zu den männ- lichen mit den Zahlen 6:1 (98:15), ohne hervorzuheben, dass dieses Verhällniss in unserer Anstalt durch be- sondere Umstände bestimmt werde, nämlich dadurch, dass das Spital die meisten Blennorrhoischen aus dem Findelhause erhält (in jenem Zeiträume, laut obiger Tabelle, mindestens 30), und dass übrigens von den Hand- werkern, welche Zünfte bilden, fast nur die Schlosser und Tischler in's Spital, die übrigen aber zu den „Barm- herzigen" gebracht werden.

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Sporadisch. 61

besichtigt, und diese gab uns oft ganz unzweideutige Beweise, dass eine Blennorrhoe der Genitalien vorhanden war. Aus dem Status praesens jedoch, und auch aus dem Verlaufe liess sich niemals bestimmen, ob die Bindehautblennorrhöe durch Übertragung von den Genitalien oder auf irgend eine andere Art entstanden war.

b) Bei 6 Individuen ( 2 männlichen, 4 weihlichen) halte Ansteckung von andern Kranken bestimmt oder höchst wahrscheinlich statt gefunden. Ein Knabe von 8 Jahren kam mit seinem Vater, welchem beide Hornhäute in Folge von Blennorrhoe (aus nicht ermittelbarer Ursache) zerstört waren, 1840 (Juni) in's Spital, und ein Knabe von 14 Jahren, dessen älterer Bruder an einem Tripper litt, bekam im Juni 1849 eine Blen- norrhoe 3. Grades, nachdem auch mehrere Geschwister an Blennorrhoe 1. Grades er- krankt gewesen waren. Die Frau eines Schlossers, welche ein an Blennorrhoe er- kranktes Kind säugte, erkrankte kurz nach einander auf dem rechten und linken Auge, und 3 Dienstmädchen waren in Verkehr mit Personen gestanden, welche, der Beschrei- bung nach, an chronischer Bindehautblennorrhöe litten. So war z. B. die eine auf Besuch zu ihren Verwandten nach Hause gegangen, welche sämmtlich schon länger an Böthe und vermehrter Absonderung der Augen litten, und war schon den 2. Tag, nachdem sie mit ihnen gemeinschaftlich ein Handtuch gebraucht hatte, von Drücken und Schneiden und häufigem Thränen der Augen, und den 4. Tag von allen Symptomen einer Blennorrhoe befallen worden, welche jedoch im Ganzen einen milden und kurzen Verlauf (3 Wochen) inachte.

c) Bei 10 Individuen. 4 männlichen und 6 weiblichen, musste Verhältung als alleinige oder doch wesentlich beitragende Ursache angenommen werden. Ich will 2 Fälle dieser Art etwas genauer anführen. S. E., 34 Jahre alt, verheirathet, kam am 11. October 1847 auf die Augenkrankenabtheilung. Die Lider beider Augen geschwollen, doch die Falte des obern Lides nicht verstrichen, die Lidränder gleichmässig gerölhet, die Cilien durch Scleim in Büschel verklebt. Die Bindehaut der untern Lider gleich- massig hochroth, leicht geschwollen, feinkörnig, im Übergangstheile wulstig ; auch der Baum zwischen der äussern und innern Lefze (Kante) des Lidrandes hochroth und fein granulirt ; die Bindehaut über dem Tarsus überdiess mit einer dünnen, florähnlichen Lage weisslich grauen Exsudates bedeckt ; die Bindehaut des obern Lides, so weit man sie untersuchen kann, von derselben Beschaffenheit. Die Coujunctiva bulbi zu einem schlaffen, blassrothen Walle rings um die Hornhaut erhoben. Die Hornhaut des linken Auges nach innen von einem Hanfkorn grossen Geschwüre eingenommen, dessen Mitte weissgrau und etwas hervorgetrieben erscheint; die vordere Kammer aufgehoben. Die rechte Hornhaut nach innen und unten, '/2'" vom Bande entfernt, gleichfalls ein durchbohrendes Geschwür darbietend, die Öffnung durch die Iris verlegt, die vordere Kammer nur etwas kleiner. Massig reichliches molkenariiges Secret mit dicken gelben Flecken. Die Kranke hat vor 2 Jahren einen Rheumatismus im Kniegelenk über- standen; die Fragen nach verschiedenen Affectionen, welche auf das Augenleiden Bezug haben konnten, beantwortete sie verneinend; man überzeugte sich, dass keine Blen- norhöe der Genitalien vorhanden war ; sie war mit keinem Augenkranken in Berührung gekommen. Sie war als Wäscherin häufig dem Einflüsse der feuchten und ziehenden Luft ausgesetzt. Vor 10 Tagen trat ohne Veranlassung ein Gefühl von Druck im äussern Winkel des rechten Auges ein, dann Empfindlichkeit gegen das Licht und etwas Böthe; früh war dasselbe durch Schleim verklebt. Da auch Kopfschmergen hin- zutraten, räucherte sie Tücher mit Flussrauch und band sie über die leidende Seite.

62 Bindehaut.

Die Zufälle wurden ärger; dessenungeachtet beschäftigte sich die Kranke den 3. Tag mit Wäsche- und Fussboden-Waschen, wobei sie starker Zugluft ausgesetzt war. Die Menstruen, welche sonst immer regelmässig durch 8 Tage flössen, und jetzt ungefähr um dieselbe Zeit eingetreten waren, wo das Auge zu leiden anfing, wurden von diesem Tage an sparsamer, und hörten schon den 5. Tag ganz auf. Am 4. Tage hatten sich die Zufälle am rechten Auge verschlimmert, und am 5. erkrankte auch das linke Auge, auf beiden gesellte sich alsbald starke Geschwulst der Lider, Ausfluss einer eiterähnlichen Flüssigkeit und zuletzt Unmöglichkeit, Gegenstände warzunehmen, hinzu. Wir fanden beiderseits eine Blennorhöe 3. Grades. Z. J., Kellner, 24 Jahre alt, erkrankte am 26. Jäner 1842 auf dem linken Auge ; er empfand leichte drückende Schmerzen, und be- merkte, dass es thränte. Denselben Tag Abends musste er sehr häufig bald in einen mit Menschen überfüllten und hell beleuchteten Saal, bald ins Freie. In der Nacht schwoll das Auge an, die Schmerzen wurden heftiger, das Thränen reichlicher. Am 27. über- schlug er kaltes Wasser, jedoch nur kurze Zeit, da Geschwulst und Schmerzen dabei ärger wurden. Abends gesellte sich Fieber dazu. Am 28. verordnete ein Arzt ein gelbes Augenwasser ; das Übel wurde ärger, der Ausfluss aus dem Auge reichlich, weisslich. Am 29. fanden wir die Lider gleichmässig ödematös bis zur Höhe des Augen- brauenbogens geschwollen, etwas empfindlich, wärmer, gegen den Rand violett; die Lidspalte konnte spontan nicht geöffnet werden, die Cilien waren in Büschel verklebt; die Conjunctiva palpebr. bläulichroth, geschwollen, die Übergangsfalte wulstig; die Conjuctiva bulbi bildete einen 1'" hohen Wall rings um die Cornea ; diese rein und glänzend ; auf der Bindehaut zahlreiche Flocken, zum Theil in einer molkenähnlichen Flüssigkeit schwimmend. Brennende Schmerzen im Auge, Lichtscheue, abendliche Exacerbation, massiges Fieber. Der Kranke ist von zarter Constitution ; er soll im 18. und 19. Jahre an Lungenentzündung, im 21. an Bluthusten gelitten haben. Nebstdem litt er zu verschiedenen Zeiten an reissenden Schmerzen in verschiedenen Partien, zur Zeit, als das Auge erkrankte, in der Gegend des rechten Musculus sternocleidoma- stoideus, so dass er den Kopf schief halten musste. Er gestand offen, wohl in früherer Zeit an Tripper gelitten zu haben, jetzt aber, seit mehr als einem Jahre, sei er ganz gesund, auch mit Niemandem, von dem er sich hätte anstecken können, in Berührung gekommen; er sei bloss in Folge der Verkältung erkrankt, und zwar so bedeutend, weil er sich, bereits erkrankt, nicht habe schonen können. Da wir keine Ursache hatten, gegen die Angaben des Kranken Zweifel zu hegen, auch keine Spur von Tripper fanden, setzten wir 10 Blutegel an die Schläfe und gaben 4 Gran Tart stibiatus in 3 Unzen Aq. dest., alle 10 Minuten 1 Esslöffel, fleissige Reinigung des Auges mit lauem Wasser, strenge Diät, gleichmässige Temperatur. Es erfolgte 4mal Erbrechen und eini- gemal Stuhl. Am 30. war die Geschwulst der Lider um die Hälfte kleiner, das Secret weniger reichlich, der Puls normal. Unter Fortsetzung des Tart. stib. r. d. bis zum 2. Februar gingen alle Symptome gleichmässig zurück, nur die Schwellung der Conjunctiva, namentlich des Papillarkörpers blieb bis gegen Ende Februar. Am 4. Februar Abends traten, ohne dass man eine Veranlassung eruiren konnte, heftige Schmerzen, vom Auge sich über den Kopf verbreitend, ein, verloren sich jedoch nach Anwendung eines Blasen- pflasters auf den Nacken und eines Abführmittels, und am 22. Februar stellte sich, gleich- falls ohne bekannt gewordene Ursache, eine heftige Angina tonsillaris mit Fieberbewe- gungen ein, wesshalb der Kranke erst am 2. März als völlig gesund erklärt werden konnte.

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Militär. 63

d) Von den 24 Fällen, wo durchaus nichts über die Ursache ermittelt werden konnte, kommen die meisten auf die Jahre 1847 und 1848. Von den 7 Männern hievon war der jüngste 20, der älteste 40 Jahre alt, jener ein Schullehrergehilfe, dieser ein Bauer (Vater des eben erwähnten 8jährigen Knaben). Unter den andern 5 waren 4 Tagelöhner und ein Pferdeknecht, von 24 30 Jahren. Unter den 17 weiblichen Indi- viduen mit gänzlich zweifelhafter oder unbekannter Ursache war ein lljähriges Jlädchen mit Blennorhöe mildern Verlaufes (seit 6 Wochen) auf beiden Augen, und eine 12jährige Taglöhnerstochter mit hochgradiger Blennorrhoe des rechten Auges, dann eine ledige Tagelöhnerin von 46 Jahren mit hochgradiger Blennorrhoe (seit 14 Tagen), und eine 36jährige ledige Person, welche bereits mehrere Wochen lang wegen eines Vitium org. cerebri auf den Internabtheilung behandelt und daselbst auf dem linken Auge an einer Blennorhöe höhern Grades erkrankt war. Unter den übrigen 13 waren 7 ledige diensllose Mädchen, 2 Nähterinnen, 1 Nadelstechers-, 1 Schmiedstochter und eine Fa- briksarbeiterin, alle im Alter von 18 27 Jahren, endlich ein Ziegeldeckerseheweib, letztere zur Zeit der Aufnahme bereits 14 Tage krank.

Dreimal wurde ich zu Kindern (Mädchen von 2 5 Jahren) gerufen, welche an acuter Bindehautblennorrhöe erkrankt waren, ohne dass man eine äussere Ursache, am wenigsten Ansteckung, supponiren konnte. Es waren blonde Kinder mit dünnem Kno- chenbau, zarter Haut, leicht gerötheten Wangen, lebhaftem Wesen. Das Leiden war mehr eine heftige Blepharoblennorrhöe, und zwar beider Augen; in allen diesen Fällen war die Conjunct. palp. mit einer mächtigen croupösen Exsudatschichte belegt, welche sich bei zweien erst nach einigen Tagen durch Erweichung und Zerfliessung ablöste. Trotzdem die Geschwulst der Lider gross und das Secret dann reichlich und dickflüssig war, blieb doch in allen Fällen die Conjuctiva bulbi von Geschwulst und somit auch die Cornea von Entzündung frei ; die Kranken genasen bei fleissiger Reinigung der Augen unter Anwendung gelinder Abführmittel und Einreibungen von Unguentum cine- reum mit etwas Extr. belladonae an die Stirn und Schläfe.

Unstreitig- in der grössten Ausbreitung und Heftigkeit ist die Binde- hautblennorrhöe unter dem Militär in den stehenden Heeren des jetzigen Jahrhunderts vorgekommen.

Nach dem Berichte Larrey 's, *) obersten Militärarztes des französischen Heeres, entwickelte sich diese Augenentzündung, welche in Ägypten einheimisch ist, bald nach der Landung der Truppen daselbst (2. Juli 1798), und verbreitete sich so schnell unter denselben, dass schon in den letzten Monaten dieses und in den ersten des folgenden Jahres fast alle Soldaten (das ganze Heer bestand aus etwa 32000 Mann) davon ergriffen waren. Nach Assalini, einem der ausgezeichnetsten Ärzte bei dieser Expedition, wurden jedoch diejenigen Truppen, welche längs den Ufern des Nils aufgestellt waren, ferner jene, die im Delta verblieben, dann die Division Desaix, welche den Nil in Oberägypten besetzt hielt, und besonders die Sappeurs, welche man bei dem Bau der fliegenden Brücke zwischen Gizeh und der Insel Raoudah verwendete, vorzüglich mitgenommen. Larrey leitet die ungeheuer schnelle Ausbreitung dieser Entzündung, oder, besser ge- sagt, das schnelle Er£;rilfenwerden fast aller Soldaten, von den beschwerlichen Märschen

*) Die geschichtlichen Bemerkungen sind entlehnt aus B. Eble's Monographie über die sogenannte eontagiüse oder ägyptische Augenentzündung, Stuttgart 1839, bei Imle und Liesching.

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her, welche die Truppen in jener Zeit mitten durch dürre, wasserleere Sandwüsten machen, und sich hier nun auf einmal erst der glühenden Taffeshitze, dann der feuchten Kälte in der Aacht Preis geben mussten. ohne sich dagegen schützen zu können. In dem folgenden Feldzuge, 1800. hatten Ruhe, die nöthige Vorsicht auf den Märschen und die Acclimatisirung das Übel fast unmerklich gemacht. Als aber die Armee im Anfang des Jahres 1801 gegen die bei Abukir gelandeten Engländer marschiren musste, und am 21. März die Schlacht bei Alexandrien geliefert hatte, bewirkten diese Um- stände, dann die Hitze, die beschwerlichen Schanzarbeiten und die kalten dächte den abermaligen Ausbruch des Übels, welches jetzt die schwächsten Individuen, z. B. Blessirte und solche, die schon einmal daran gelitten hatten, befiel. Ein grosser Theil der Truppen, welche in den feuchten Gegenden campiren mussten. wurde augenkrank, und in 2", Monaten wurden mehr als 3000 Mann in's Spital geschickt. Die Krankheit wurde von Larrey . Assalini und den andern Ärzten als katarrhalische Ophthalmie (Fluxion catarrhale) behandelt, und scheint nur in sehr wenig Fällen schlimme Folgen hinterlassen zu haben. Aachdem der Rest der Armee (13000 Mann) nach Frankreich zurückgekehrt war. nahm diese Augenentzündung bedeutend ab. und es ist seitdem in den verschiedenen Armeen Frankreichs nie mehr eine solche Augenentzündungsepi- demie vorgekommen.

Dagegen wurde die italie?üsche Armee, welche einen Theil des grossen franzö- sischen Heeres bildete, seit dem Jahre 1805 bis zu ihrer Auflösung 1815 von diesem furchtbaren Übel in verschiedenen Garnisonen häufig, und zwar jederzeit epidemisch heimgesucht. Zuerst trat die Krankheit bei der italienischen Legion, dem nachmaligen 6. Infanterieregiment, welche 1803 die Insel Elba gemeinschaftlich mit dem früher in Syrien gestandenen 6. französischen Regimente besetzte, auf. Weil nun. wie Laverini berichtet, unter dem letztern Regimente, welches schon in Syrien Augenkranke dieser Art gehabt haben soll, auch während seines Aufenthaltes auf Elba immer solche Au- genkranke vorkamen, und seitdem die Augenkrankheit auch unter dem 6. ital. Regi- mente um sich griff, so behaupteten Omodei u. A., die Krankheit sei aus dem Orient, aus Ägypten eingeschleppt worden. Omodei und die Anhänger seiner Ansicht behaupten, dass diese Krankheit durch 3 Bataillons des 6. italienischen Regiments, welche 1808 nach Spanien geschickt wurden, nach Spanien, durch die übrigen Bataillons aber von Elba aus 1810 nach Mantua und 1811 nach Ancona verpflanzt, und so auch den übri- gen hier befindlichen Truppenabtheilungen mitgetheilt worden. Indessen herrschte nach Assalini die Krankheit schon im Mai 1792 unter einigen Bataillons modenesischer Truppen, welche nach Reggio geschickt wurden, und beschränkte sich auch später keineswegs auf das 6. italienische Regiment und die mit ihm in Berührung gekommenen andern Regimenter, sondern es befiel 1808 auch das 1. leichte italienische Infanterie- regiment zu Vicenza so stark, dass. nach Assalini. 600 Mann erkrankten, nach Cimba 1809 die italienischen Garde-Grenadiere auf ihrem Marsche nach Ungarn, nachdem sie schon 2 Jahre früher in Mailand viele derlei Augenkranke hatten, und 1809 die Zög- linge der Militärschule zu Mailand, welche Assalini speciell untersuchen musste. Am heftigsten wüthete die Krankheit in Ancona. Zuerst brach die Epidemie 1811 in dem 6. Regimente aus. und erreichte 1812 eine solche Stärke und Bösartigkeit, dass von 1500 Soldaten 97 auf einem und 49 auf beiden Augen erblindeten. Auch 1813 dauerte das Übel noch fort, so dass in diesem Jahre noch 65 Mann das Augenlicht verloren. In allen diesen Epidemien unter den italienischen Truppen zeigte sich übrigens sehr

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auffallend, dass die Infanterie vorzugsweise vor der Cavallerie, und dass die Rekruten am häufigsten ergriffen wurden Bis 1817 kam in Oberitalien unter dem Militär weiter keine Epidemie vor; Ende dieses und Anfangs des folgenden Jahres erschien die Krankheit in dem Militärspitale zu Livorno, und von da bis 1824 hörte sie daselbst nie ganz auf, doch nahm ihre Verbreitung von Zeit zu Zeit ab.

Die englische Armee, welche 1800 bei Abukir landete, wurde, nach Larreys Angabe, gleichzeitig mit den Franzosen und auch eben so häufig von dieser Augen- krankheit befallen. Auch ergriff das Übel die Bemannung einzelner vor Anker liegender Kriegsschiffe in Masse, und brach nach der 1803 erfolgten Räumung Ägyptens durch die nach Malta, Sicilien. Gibraltar und England zurückkehrenden Truppen unter der Garnison dieser Orte wieder aus. In Gibraltar, dessen Garnison eine Zeit lang fast ganz aus Regimentern bestand, welche in Ägypten gewesen waren, und mehr oder weniger an der Augenentzündung gelitten hatten, herrschte dieselbe sehr häufig, und ergriff später nicht nur die übrigen Regimenter, welche den ägyptischen Feldzug nicht mitgemacht hatten, sondern auch die Civilbewohner von Gibraltar. Nach J. Vetch stimmten alle englischen Militärärzte darin iiberein, dass alle Regimenter der englischen Armee, welche mit jenen in Garnison zu liegen kamen, die an dieser Krankheit in Ägypten oder auf dem mittelländischen Meere gelitten hatten, von denselben heimge- sucht wurden; doch gesteht er selbst ein, dass jene Soldaten seines (52. Infanterie-) Regimentes, bei welchen die Krankheit zuerst erschien, früher an derselben in Irland bereits gelitten, und sie von da unter die Freiwilligen der irländischen Miliz, welche zu diesem Regiment gestossen waren, verpflanzt hatten. Vom 2. Bataillon dieses Regi- mentes, welches aus mehr als 700 Mann bestand, sind vom August 1805 bis August 1806 allein 663 mit dieser Krankheit ins Spital aufgenommen worden, und hievon 40 auf einem, 50 auf beiden Augen erblindet. Nach Adams hat diese Augenkrankheit seit der Zeit, als die brittische Armee in Ägypten war, in England unter den Regimentern die schrecklichsten Verheerungen angerichtet. In dem 52. Regimente sollen vom Juli 1805 bis Mai 1807 im Ganzen 1341 Mann augenkrank geworden sein, und das Übel bis zum December desselben Jahres mit gleicher Heftigkeit fortgedauert haben, ja das Regiment noch in den Jahren 1809 und 1810 nicht ganz davon befreit gewesen sein. In Malta erlosch die Krankheit erst 1805, und in Sicilien, wo sie 1806 nach der Lan- dung der Engländer ausgebrochen war, dauerte sie fast stationär fort bis zum Abzug der Truppen. Später hat sich die Krankheit vorzüglich unter den in Frankreich stehenden Truppen häufig gezeigt. Im Jahre 1815 wurden 300 400 Mann von einem Garde-Re- giment bei Waterloo augenkrank ; in andern Regimentern herrschte das Übel nur etwas gelinder; aber zu Cambray, wo die Engländer ein Spital errichtet hatten, belief sich die Zahl solcher Augenkranken täglich auf 150—250 Mann, so dass kein Mann- der in dieser Stadt einquartirten Goldstream-Garden verschont blieb. Unter dem Civile jedoch verbreitete sich die Krankheit nicht. In dem Militär-Asyl, einer Anstalt für Soldaten- waisen, welche gewöhnlich 1200 1400 Kinder enthält, kamen vom Jahre 1804, wo die Krankheit zum ersten Male beobachtet wurde, bis zum Jahre 1811 beinahe 1500 Krankheitsfälle, die Recidiven mitgerechnet, vor. Doch war das Übel nicht so bös- artig, als unter den Soldaten. Im Jahre 1818 gab es mehr als 5000 blinde Invaliden in England.

Was das österreichische Militär betrifft, so liegt, nach Eble, bis zum Jahre 1822 nicht eine einzige Thatsache vor, woraus man auf eine unter demselben epidemisch

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herrschende Aiigeirlidblennorrhöe schliessen könnte. Im Jahre 1822—1823 trat dieselhe zu Klagenfurt im 13. Infanterieregimente auf, welches 1814 aus den Überresten der ehemaligen französisch-italienischen 1.. 2., 4. und 6. leichten Infanterieregimenter ge- bildet worden war. und in welchem sich bei seiner Zusammensetzung mehrere Indivi- duen befanden, die theils wirklich unter der Armee in Ägypten gedient hatten und daselbst sogar augenkrank gewesen waren, theils die Epidemie zu Ancona mitgemacht, oder auf Elba, Talma nuova. in Spanien, Sicilien. Mantua und zu Vicenza dieselbe oder eine ähnliche Augenkrankheit überstanden hatten: es sollen sogar einige derselben noch augenkrank zum Regiment gekommen sein. Diese Umstände zusammen genommen gaben Veranlassung zu der Behauptung, die im Jahre 1822 epidemisch ausgebrochene Augen- krankheit stamme aus Ägypten. Diese Behauptung erhielt neue Stärke durch den Umstand, dass dieses Regiment schon 1815 zu Brunn und 1816 zu Klagenfurt viele Auofenkranke hatte, worunter selbst 3 Fnterärzte, und dass überhaupt dieses Übel bis zum Jahre 1822 niemals ganz getilgt wurde. Das Regiment verlor vom Jahre 1815 bis 1822 im Ganzen 52 Mann durch theilweise oder gänzliche Erblindung. Im Frühjahr

1822 steigerte sich die Krankheit, begünstigt durch die strengen Waffenübungen, die ausserordentlich heisse und sehr oft plötzlich wechselnde Witterung, so wie durch die häufigen Orkane. Im April erkrankten plötzlich 12 Mann, und nun nahm die Zahl bis Ende August immer mehr zu, dann bis Ende December wieder ab, so dass von 402 Augenkranken nur noch 27 Mann verblieben. Als man aber auf Veranlassung des hiezu eigens nach Klagenfurt abgeschickten Dr. Wemek im Jäner 1823 das ganze Regiment in seinen verschiedenen Nationen so wie auch die Knaben des dortigen Militärerzie- hungshauses einer genauen Untersuchung unterzog, erwies sich die Zahl der Kranken als 492, wozu im Februar weitere 131, im März 30, im April 1U2. im Mai 113, im Juni 59, im Juli 19. im August 5 und im September 10 kamen, so dass seit Anfang

1823 zusammen 961, und während der ganzen Epidemie 1300 Individuen, worunter über 200 mit acuter Blennorrhoe, erkrankt waren. Demnach war der Ausgang über- haupt günstig zu nennen, besonders vou dem Augenblicke an. als man die Krankheit zweckmässiger behandelte und für ansteckend betrachtete. Die Zahl der ganz und theilweise Erblindeten war 76, und davon fallen 72 ganz allein in die Zeit vor dem Jäner 1823. Nach einer 10jährigen Pause, während welcher die ganze österreichi- sche Armee von jeder epidemischen Augenentzündung frei blieb, brach an demselben Orte und fast unter gleichen atniospharisch-tellurisehen und Militardienstes-Verhältnissen (1833J eine der eben beschriebenen an Stärke nicht viel nachstehende, aber doch nicht so bösartige Epidemie aus. Diessmal waren es nicht Italiener, sondern das 2. Bataillon vom Peterwardeiner und das 1. und 2. Bataillon vom Gradiscaner Grenzregi- ment und 1 Bataillon des 7. Infanterieregimentes, welche in und um Klagenfurt kaser- nirten. Die Erziehungsknaben blieben diessmal verschont. Man war durchaus nicht im Stande, einen ursächlichen Zusammenhang der jetzigen mit der früheren Epidemie nachzuweisen. Diessmal, wo man die früheren Erfahrungen verstandig benützte, er- blindete von 946 Augenkranken, worunter gegen 100 acute Blennorrhüen, kein einziger ganz. 2 nur einerseits, und 5 wurden wegen unheilbarer Nachkrankheiten für dienst- untauglich erklärt. Vom 2. Bataillon des Petervvardeiner Grenzregimentes, also von 123S Mann, erkrankten 920. vom Gradiscaner Regiment nur 13, vom Bataillon des 7. Infanterieregiments ebenfalls nur 13 Mann. Die Epidemie dauerte vom Juli bis De- cember. und erreichte ihre grösste Höhe am 3. October. Das hauptsächlich ergriffene

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Militär. 07

Bataillon lag in der Waisenhauskaserne, und die Epidemie begann, nachdem kurz vor- her die Kaserne gereinigt und geweisst worden war, was bei sehr ungünstiger Witte- rung geschah. Im Juli und August überschritt die Krankheit nie den niedern Grad, wurde daher auch für eine gewöhnliche katarrhalische gehalten und als solche be- handelt. Erst im September erreichte das Übel mit steigender Extensität auch eine immer grössere Intensität, nämlich den 2. und in ein paar Fällen den 3. Grad.

Die grösste Ausbreitung erlangte die Krankheit unrer den preussischen Truppen vom Jahre 1813 bis 1820. Unter dem Armeecorps, mit welchem General Yorik die aus Russland fliehenden Franzosen verfolgte, nahm die früher herrschende Nervenfieber- Epidemie im Frühjahre 1813 bedeutend ab; dagegen zeigten sich die ersten Spuren einer Augenentzündung in den verschiedenen Truppenabtheilungen, vorzüglich bei der Infanterie des 3. Armeecorps, welches die Franzosen bis Magdeburg verfolgt hatte. Dr. Krauts zählte bei dem 1. ostpreussischen Infanterieregiment von seinem Marsche aus Königsberg bis zur Schlacht bei Leipzig an 700 Augenkranke (katarrhalische !), welche sämmtlich ohne üble Folgen wiederhergestellt wurden. Vom Infanterieregiment Kolberg, welches ebenfalls bei mancherlei Mängeln und Noth den grössten Mühselig- keiten ausgesetzt war, wurden 1813 im Mai 250 Mann von einer (katarrhalischen) Augenentzündung befallen, und auch diese sollen alle beim Regimente glücklich be- handelt und geheilt worden sein. Nicht minder erfreuliche Berichte erhielt man vom 2. ostpreussischen Grenadierbataillon, welches vom 1. Mai bis Ende August desselben Jahres 185, vom 13. Infanterieregimente, welches in diesem Jahre 267, dann vom 1. Landwehr-Infanterieregiment, welches binnen Jahresfrist 1500, und vom 1. ostpreussi- schen Infanterieregiment, welches während der Belagerung von Torgau an 200 derlei Augenkranke hatte. Fast auf gleiche Art lauten die Berichte von den übrigen Infan- terieabtheilungen ; nur bei dem 6. Reserve-Infanterieregimente, welches bei den Bela- gerungen von Stettin, Torgau und Wittenberg verwendet und ebenfalls von dieser Krankheit epidemisch heimgesucht wurde, steigerte sich dieselbe öfters bis zur Oph- thalinoconjunctivitis (Chemosis und Phlegmone), wurde aber doch, bis auf sehr wenige Fälle, eben so leicht und vollständig wie bei den andern Regimentern bezwungen. Die sämmtlichen Cavallerieregimenter blieben fortan von der Epidemie verschont, und die katarrhalische Augenentzündung kam bei ihnen höchstens sporadisch, und da ver- hältnissmässig selten vor. Die preussischen Militärärzte dieser Zeit machen auf ein gewisses Wechselverhältniss der Augenepidemie mit der Typhusepidemie unter den Truppen aufmerksam. Mit dem Herbste 1813 zeigte sich diese Augenkrankheit bald bei einzelnen Individuen, bald bei mehreren zugleich, und vorzugsweise bei einer beträchtlichen Anzahl von Individuen bestimmter Truppengattungen in sehr heftigem Grade und mit nicht selten sehr unglücklichen Ausgängen, daher man sie dann auch Ophthalmia maligna vel perniciosa nannte. Als solche trat dieselbe vorzüglich auf, nachdem die Armee während des Waffenstillstandes die Gegenden von Dresden, Torgau, Wittenberg und Magdeburg eingenommen hatte. In den Jahren 1814 und 1815 mehrte sich die Zahl der pernieiösen Augenentzündungen am stärksten bei den Infanterie- abtheilungen, namentlich bei dem 1. und 3. Bataillon des 5. ostpreussischen Landwehr- regiments, beim 16. Infanterieregiment, welche beide früher immer verschont geblieben, ferner in dem Füselirbataillon des 1. westpreussischen Infanterieregiments zu Kosel. Als die preussische Armee in Eilmärschen nach Frankreich rücken musste, Hess sie in Munster, Mainz, Koblenz, Düsseldorf, Wesel, Aachen, Lüttich, Namur und Mastlicht

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viele Blennorrhoische zurück, welche in die Behandlung von Gräfe kamen. Nach der Schlacht von Waterloo schien die Krankheit als Seuche unter der preussischen Armee ihre grösste Höhe erreicht zu haben. Mit dem eintretenden 2. Frieden und der kalten Jahreszeit nahm das Übel bedeutend ab, zeigte sich jedoch unter einzelnen Trupp^en- körpern noch imer vorherrschend, und wüihete namentlich 1818 am vorherrschendsten im 2. Garderegiment zu Berlin selbst. Ungeachtet sich die Anzahl der von 1813 1817 von dieser Augenentzündung Befallenen nicht genau bestimmen lässt, lässt sich doch annehmen, dass sie 20,000 bis 25,000 betrug. Hievon sind ohngefähr 150 ganz und 250 halb blind geworden. Merkwürdig ist, dass die fliehenden Franzosen nur vom Typhus, nicht aber von der Augenentzündung heimgesucht wurden, und ferner dass, nach Dr. Ball:-, die Krankheit unter den Soldaten zuerst in den östlichen Gegenden, namentlich in Königsberg, Danzig und Breslau, welche zu Sammelplätzen des Heeres dienten, zum Vorschein kam. Auch wurden vorzüglich die Bekruten, besonders jene der Landwehr- und der Beserveregimenter und die Reservelazarethe in Pommern und Brandenburg davon heimgesucht. So wie die Sammel- und EinÜbungsplätze nach dem Innern des Landes hin sich mehrten, und wie die schon formirten Truppentheile von Ostprcussen und Schlesien sich der Oder und Elbe näherten, so vermehrte sich auch unter ihnen die Zahl der Augenkranken, welche übrigens bei den Belagerungstruppen am grössten war, wogegen die Artillerie meist verschont blieb. Im Jahre 1818 erschien das Übel mit seiner alten Bösartigkeit unter den preussischen Besatzungstruppen von Mainz, während die Österreicher gänzlich davon frei blieben. Es ergriff zuerst das 34. Infanterieregiment, welches aus Schlesien nach Mainz gekommen war, dann auch die andern preussischen Regimenter daselbst. Die Augenkrankheit entwickelte sich im Juni und Juli, wurde im August und September höchst bösartig, zeigte diesen Charakter im October und November nicht mehr so allgemein, legte ihn im December, Jäner und Februar 1819 gänzlich ab, und gab so Hoffnung, den gelindesten Grad anzunehmen. Aber bald stieg sie wieder zum 2. und 3. Grade, und übte ihre ganze Bösartigkeit vorzüglich an den während des AVinters eingetroffenen Rekruten, welche sie fast ohne Ausnahme ergriff. Als im März und April 1819 das Übel immer mehr wuchs, wurde Rust nach Mainz geschickt. Damals war bereits der 3. Theil von dem preussischen Anthcil der Besatzung ergriffen, also 1146 Mann: am letzten April belief sich die ganze Zahl der Augenkranken auf 329, am 9. Mai auf 529. Bust ordnete sehr gut combinirte, sowohl auf Zerstörung des Contagiums, als auf Verhinderung seiner Wiedererzeugugg, Fortpflanzung und Übertragung abzvveckende, mediciniseh-polizeiliche 31aassregeln an, und regelle die Behandlung durch eine eigene ärztliche Instruction. Im Juni wuchsen 201, im Juli 63, im August 54, im September noch 53 Augenkranke zu. Mit der Zehl des Zuwachses verminderte sich auch die Intensität, so dass die letzten Zuwächse schon binnen einigen Tagen das Spital wieder verbissen konnten. Im October war die Epidemie als beendigt anzusehen. Die Gesammtznhl aller von dieser Epidemie ergriffen gewesenen Soldaten belief sich sonach auf 1798 Mann, worunter jedoch 250 Becidive. Überdiess waren 1 Begimentsarzt, 2 Lazarethchirurgen und 12 Krankenwärter erkrankt. Zu den 11 gänzlich Erblindeten und 38 mit mehr weniger Störung des Gesichtes davon Gekommenen waren seit der Ankunft Rust's nur 8 unglücklich endende Fälle, worunter 2 mit bedeutenden Fehlern auf beiden Augen, hinzugekommen. Nach Baltz hat man die Gesammtzähl der vom Jahre 1813 1821 von dieser Aucrenentzündun<j ergriffenen

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p «russischen Soldaten auf 30,000 und die der Erblindeten auf 1100 gesetzt; erslere scheint ihm zu hoch, letztere zu niedrig Angesetzt zu sein.

Die Schilderung des Auftretens dieser Krankheit unter den schwedischen, neapolitanischen, russischen und heifrischen Truppen etc. kann füglich übergangen werden, da sie zur Erörterung der hier in Rede stehenden Fragen kaum neue Beiego liefein dürfte.

Die Schilderung der Atigenentzündung unter dem Militär, wie sie uns die verschiedenen Auetoren überliefert und zum Thcil durch Abbil- dungen *) dargestellt haben, beweist, dass diese Entzündung theils als Katarrh, theils als Blennorrhoe niedern und höhern Grades angesprochen werden muss, und mit der katarrhalischen und blennorrhoischen Entzün- dung, wie wir sie in Findelhäusern beobachten, in allen wesentlichen Zufällen übereinstimmt. "-"") Der Name Ophthalmia militaris ist demnach ganz zu verwerfen. Dasselbe gilt von dem Ausdrucke Opthalmia aegy- ptiaca, welcher seit Omodei gang und gäbe geworden ist. Abgesehen davon, dass sich ein objeetiver Unterschied zwischen einer durch Impfung von Blennorrhoea neonatorum oder Tripperschleim erzeugten Blennorrhoca conjunctivae und einer sogenannten Ophthalmia aegyptiaca durchaus nicht nachweisen lässt. konnte auch der vermeintliche ägyptische Ursprung bei verschiedenen Epidemien gar nicht nachgewiesen werden, es waren im Gegentheile Momente genug vorhanden, welche die spontane Entwicklung der Krankheit als Ophthalmia catarrhalis und deren Steigerung zur Blen- norrhoea leicht begreiflich machen, und diess rasche Umsichgreifen der- selben einzig und allein erklären. Epidemien von Augenentzündungen und epidemisch können nur Bindehautentzündungen auftreten wurden übrigens schon im 17. und 18. Jahrhunderte beobachtet und beschrieben Cz. B. 1565 in Holland, 1699 und 1701 in Schlesien, 1703 zu Rom, 1712 zu Ferrara, 1761 unter den Soldaten in Westphalen, 1777 in Wien), wenn auch zu unvollständig, als dass sich aus der Beschreibung selbst der Idenditätsbeweis herstellen Hesse ; Epidemien einfach katarrhalischer Augenentzündung kommen auch heut zu Tage an verschiedenen Orten vor: die Steigerung solcher Fälle zu Blennorrhöen möglich zu finden, braucht man in der That nicht die Zuflucht zu einem aus Ägypten stam- menden Stoffe zu nehmen, man sieht sie oft genug erfolgen auch bei

*) J. B. Müller, „Erfahrunüssälze über die contagiüse Augenentzündung, Mainz 1821" und „Die neuesten Resultate über die ansteckende Augenliderkrankheit am Niederrhein, Leipzig 1823" ; Eble, „Bau und Krankheiten der Binde- haut, Wien 1828" und „Die contagiöse oder ägyptische Augenentzündung, Stuttgart 1839" ; Gräfe, „Die epi- demische contagiöse Augenbleunorrhöe Ägyptens, Berlin 1S23" u. A. m. *"') In wie fern auch Fälle, welche als Trachoma anzusprechen sind, mit in jene Schilderungen einbezogen wurden, soll spater, wo vom Trachoma die Rede sein wird, erörtert werden.

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sporadischen Fällen, sobald nur einzelne der Übelstände einwirken, denen das Militär, namentlich die Infanterie, in dem ersten Viertel dieses Jahr- hunderts so reichlich ausgesetzt war.

Mit meiner Arbeit über die Krankheiten der Bindehaut beinahe zum Abschlus gekommen, erhielt ich endlich auch Gelegenheit, die sogenannte Ophthalmia militaris contagiosa seil aegyptiaca selbst in grossen Massen zu beobachten. Nachdem mir An- fang Juni 1850 auffallend viele Leute aus der Stadt mit Ophthalmia catarrhalis zuge- kommen waren, so dass ich auch meine Schüler auf diesen Umstand aufmerksam zu machen veranlasst war, sagte mir Anfang Juli der Stabsarzt Dr. Metzler von Andelberg, dass nun seit einigen Wochen auch in der Prager Garnison die bereits seit mehreren Monaten in Galizien herrschende Augenkrankheit sich zu zeigen anfange, und zwar bei dem ungarischen Regimente Dom Miguel, welches in der Karolinenthaler Kaserne auf einem Dachboden einquartirt war. Durch die Güte des Regimentsarztes Dr. Bleyle erhielt ich Gelegenheit, die im Artilleriespital am Hradschin unterbrachten Augenkranken so oft und so viel ich wollte zu untersuchen und zu beobachten. Eine Menge Um- stände jedoch worunter Mangel an der nöthigen Zeit und Unkenntniss der ungari- schen, walachischen etc. Sprache nicht die geringsten machten es mir unmöglich, die Krankheit in ihrem ganzen Auftreten und in allen ihren Beziehungen zu den äussern Verhältnissen so zu beobachten, dass ich eine streng wissenschaftliche und umfassen- dere Schilderung dieser Epidemie wenn man so sagen darf zu liefern im Stande . äre. Es möge hier vorläufig genügen, dass ich hier in Prag im Ganzen etwa 130 fälle von verschiedener Heftigkeit und Dauer zu sehen bekam, in Salzburg 15. und in Wien beiläufig 370 (228 in der Rennwegkaserne durch die Güte der Herren Doctoren Opitz und Löte, 140 im Josephinum durch die Güte des Herrn Stabsarztes Dr. Brum. und die Herren Doctoren Kolarschik und Gernath). Nebsldem sah ich Leute, grössten- teils Invaliden, welche in den letzten 3 Jahren in Italien (Florenz), in Ungarn (Te- mesvar), in Galizien (Cernowic. Leinberg, Krakau), in Mähren (Olmütz) oder in Böh- men (Königgrätz) erkrankt waren.

Ich gewann zunächst die Überzeugung, dass an diesen Orten ganz dieselbe Ophthalmie herrscht oder herrschte, welche nebst vielen Andern Müller in Mainz, Eble in Wien, Wernek und von Rosas in Klagenflirt beobachtet und beschrieben haben, und dass diese Ophthalmie von jener, welche ich 1848 unter den restituirten Findlingen gesehen, in keinem wesentlichen Punkte differirt.

1. Es kamen, wenigstens zu Anfang hier in Prag, zahlreiche Fälle vor. welche man, hätte man sie isolirt im Chile gesehen, ganz gewiss nur für Ophthalmia catar- rhalis erklärt haben würde. Mehrere davon blieben als solche stehen, und konnten nach mehreren Tagen für geheilt erklärt werden.

2. In der Mehrzahl der Fälle waren die Erscheinungen vorhanden, welche ich oben als den 1. oder den zweiten Grad der Blennorrhöen minder schnellen Verlaufes (Blepharobk-nnorrhöen) bezeichnend, angeführt habe. Im Allgemeinen war die Infil- tration der Augenlidbindehaut vor der Production schleimig-eitriger Flüssigkeit an der freien Oberfläche vorherrschend; doch fehlte es nicht an Fällen, .wo das Secret nicht nur sehr reichlich, sondern auch durchaus trüb, molken- oder fleischwasserähnlich erschien.

3. Die Infiltration der Bindehaut gab sich in solchen Fällen nicht nur durch

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Militär. 67

gleichroässige hohe oder dunkle Riilhe und Undurchsichtigkeit der Bindehaut sondern auch durch deutliche Schwellung derselben kund. Bald sah man den Tarsaltheil sam- metartig, wie mit dicht an einander gedrängten Staubkörnchen besäet, bald fein-, bald grobkörnig, die einzelnen Erhabenheiten dicht an einander gedrängt, hoch- oder dun- kelroth, von ziemlich gleicher Grösse. Der Ühergangstheil erschien entweder einfach wulstig und glatt (ohne körnige Erhabenheiten) , oder er war durch Einsprengung lichtgrauer Körner zugleich etwas uneben.

4. Das Vorkommen lichtgrauer oder gelblicher bläschen- oder körnchenähnlicher Exsudate, sogenannter grauer Granulationen, welche nicht als einfach vergrüsserte Pa- pillen, sondern als selbständige Ablagerungen auf oder neben die Papillen betrachtet werden mussten, war, ohne Zuziehung einer Loupe, nur als relativ seltene Erscheinung zu betrachten. In der Rennwegkaserne, wo ich in Bezug auf dieses Symptom eine Zählung vornahm, fand ich dasselbe nur bei 25 von 228 Kranken. Unter der Loupe betrachtet, zeigten die etwas mehr vergrösserten Papillen gleichsam die Anfänge sol- cher Neubildungen, massenhaft auf die Papillen aufgelagertes Exsudat. Oft schienen mehrere Papillen durch solche Exsudate in Eins verschmolzen zu sein. Eine solche Verschmelzung war oft schon mit freiem Auge über dem Orbitalrande des Knorpels zu erkennen, wodurch 1 2 graue Wülste entstanden. (Man erinnere sich der S. 28 mitgetheilten Krankheitsgeschichten.

5. Viele Fälle, welche heute noch als Ophthalmia catarrhalis gelten konnten, zeigten nach 2 3 oder mehr Tagen die Erscheinungen, welche das tiefere Erkrankt- sein der Bindehaut nicht mehr verkennen Hessen. In einem solchen Falle entwickelten sich unter unsern Augen in 5 6 Tagen die Erscheinungen einer exquisiten Blennorrhoe (3. Grades) auf beiden Augen.

6. Die Steigerung zum 3. Grade war im Allgemeinen sehr selten; ich sah in Prag nur 3, in Wien nur 5 heftigere Fälle. Unter den Invaliden, die ich in Prag sah, waren 8, welche, nach den Veränderungen der Cornea und nach ihren Beschrei- bungen zu schliessen, die Krankheit im 3. Grade überstanden haben mussten.

7. Auf 100 Kranke kamen nur 2 3, welche zur Zeit, wo ich sie sah, bloss auf Einem Auge erkrankt waren ; bei den übrigen waren beide Augen zugleich oder binnen wenig Tagen ergriffen worden.

8. Alle boten daher nicht nur an dem obern und untern Lide, sondern auch auf beiden Augen im Ganzen dieselben Erscheinungen (bis auf die Hornhaut) und in demselben Grade dar.

9. In keinem einzigen Falle, auch nicht bei den Invaliden, wovon einige bereits vor 2 '/2 Jahren erkrankt waren, sah ich Verschrumpfung der Bindehaut ausser nach intensiven Ätzungen mit lapis infernalis , niemals eine Spur von Verschrumpfung oder Verbildung des Knorpels, oder eine Einwärtswendung der Wimpern oder des ganzen Lidrandes. Ich sah hier aber auch kein Ectropium, wie ich es unter den re- stituirten Findlingen doch 2mal zu Gesicht bekommen hatte. Von den Invaliden litten 3 an Pannus.

10. Der Grund, dass ich unter den 500 Fällen in Prag und Wien so selten die Erscheinungen der Ophthalmoblennorrhoe, und im Ganzen darunter nur 4 Augen un- rettbar (durch Verschwärung der Cornea) verloren zu sehen bekam, liegt wohl nicht so sehr in dem mildern Auftreten der Krankheit an und für sich, als vielmehr in den zeitig genug eingeleiteten entsprechenden Saniläls-Maasregeln, im Verein mit einer im

72 Bindehaut.

Allgemeinen sehr zweckmässigen Behandlung. Man Hess es, wenn ich so sagen darf, gar nicht zur höhern Potenzirung des Contagiums kommen. Die weitern Sätze werden diesen Ausspruch rechtfertigen, wenn wir uns gegenwärtig halten, dass wir uns unter Krank- heit überhaupt nicht etwas zu denken haben, das gleichsam als etwas Selbstständiges seinen Sitz da oder dort im Organismus aufschlägt, sondern nur eine Reihe zusammen- hängender abnormer Erscheinungen, deren Auftreten entweder in der ursprünglichen Form und Mischung der organischen Materie selbst, oder in der Einwirkung abnormer äusserer Verhältnisse, oJer in beiden zugleich gegeben ist, und deren Weiterentwick- lung nebst diesen ursächlichen Momenten iiberdiess noch von den bereits hiedurch eingeleiteten Veränderungen eines oder mehrerer Organe abhängt.

11. Diese Augenkrankheit unter den Soldaten musste als durch äussere Momente bedingt und zwar als bloss auf das Auge beschränkt, als ein rein örtliches Leiden be- zeichnet werden. Ich sah Leute von allen Nationen, von den verschiedensten Körper- constitutionen u. s. w. ergriffen. Ich konnte keinen Unterschied finden in Bezug auf die Farbe des Haares oder der Iris, in Bezug auf die Beschaffenheit der Haut ; auch Individuen mit deutlichen Attributen der Scrofulosis litten nicht an heftigeren Zufällen, als andere, kerngesund aussehende. Die Leute, wenn nicht von heftigen Schmerzen oder von der Furcht vor Erblindung gequält, befanden sich körperlich ganz wohl ; diejenigen, welche ich genauer um ihr gegenwärtiges und früheres Befinden befragen konnte, sprachen nie von Störungen der Gesundheit im Allgemeinen, welche mit dem Augenleiden auch nur im Entferntesten hätten in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden können. Auch von katarrhalischen Affectionen anderer Schleimhautpartien, namentlich des Tractus respiratorius, war im Allgemeinen keine Rede. Ein gleiches Verhältniss hatte ich auch 1848 unter den reslituirten Findlingen beobachtet. *J

12. Eine besondere Beschaffenheit der Atmosphäre als begünstigendes Moment zur Hervorrufung dieser Krankheit ist möglich, selbst wahrscheinlich, jedoch nicht nachweisbar. Wir dürfen sie daher bei dem gegenwärtigen Standpunkte unseres Wis- sens weder negiren, noch in den Vordergrund stellen. Vor allem darf der Umstand nicht übersehen werden, dass die Krankheit mitten in dichtbevölkerten Städten unter den Soldaten auftrat, ohne dass das Civile in einer auch nur proportionirten Anzahl erkrankte. Man kann diese Krankheit daher keineswegs eine epidemische, streng ge-

*) Wenn Dr. Gutz, der uns in seiner Monographie über die sogenannte ägyptische Augenentiündung, Wien 1850 (Keck & Sohn), eine so treffliche Abhandlung über diese Krankheil geliefert, dass, wenigstens was die beiden eisten Abschnitte (Katarrh und Blennorrhoe) betrifft, ihm wohl jeder Sachverstandige darüber die vollste Anerken- nung zollen wird, sich veranlasst sieht, eine besondere Dyskrasie, eine allgemeine Krankheit als Ursache des massenweisen Auftretens der Ophthalmie unter dem Militär aniunehmen, und somit diese Ophthalmie in 3 Formen zu scheiden, wovon die im 3. Abschnitte besprochene, das Trachoms von den beiden erstem Katarrh und Blennorrhoe keineswegs graduell, sondern wesentlich verschieden sein soll, so kann ich ihm in dieser Hinsicht durchaus nicht beistimmen. Meines Erachtens sind wir nicht berechtigt, eine Dyskrasie anzunehmen, welche sich einzig und allein an der Bindehaut und sonst nirgends im ganzen Körper offenbart. Wir sind nicht berechtigt anzunehmen, dass Jemand, der sich ein paar Stunden in einer mit „Trachomalosen" angefüllten, schlecht gelüfteten I.ocalität aufhalt, und nun eine Ophthalmie bekommt, die sich von der bei den bereits Erkrankten nicht unter- scheiden lässl, plötzlich auch die Dyskrasie eingeimpft erhalten habe. Oder soll man in allen solchen Fallen und deren sind eine Masse constatirt annehmen, sie haben jene Dyskrasie latent in sich getragen ? Freilich sibl es da einen Ausweg, man sagt : derart entstandene Fälle seien nur Katarrh oder Blennorrhoe. Dann möchte ich aber lieber sagen : die Fälle, welche den Stoff' hiezu lieferten, waren wohl auch nur Katarrhe und Blen- norrhö'en mit dem vorwaltenden Symptome der sogenannten Granulation.

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Militär, 73

noinmen mich nicht eine endemische nennen. Zwar ist es Thatsache, dass entzünd- liche Affectionen der Schleimhäute und katarrhalische Erscheinungen der Bindehaut insbesondere zu gewissen Zeiten auffallend häufig vorkommen, so dass man am Ende auf atmosphärische Abnormitäten als bedingende Momente nothwendig hingewiesen wird, doch würde man gewiss sehr fehlen, wenn man diesem unbekannten Etwas alles in die Schuhe schieben, es als den allgemeinen Sündenbock hinstellen wollte. Wir müssen das epidemische Auftreten von Bindehantkatarrhen zugeben, weil es Thal- sache der unmittelbaren Beobachtung ist; die Steigerung katarrhalischer Bindehaut- entzündungen zu Blennorrhöen und deren massenhaftes Auftreten jedoch ist zunächst durch das Hinzukommen anderer Momente bedingt.

13. Der Soldat lebt unter mancherlei Einflüssen, welche seine Augen, in speeifl die Bindehaut um so mehr zu reizen im Stande sind, je weniger er daran gewöhnt ist. Es dürfte vielleicht nicht so viel Gewicht auf ungewohnte, den Rückfluss des Blutes vom Kopfe behindernde Kleidung, nicht so viel Gewicht auf den Einfluss grellen Lich- tes, als vielmehr auf den Staub, den Rauch und die verschiedenen scharfen Dünste, so wie auf den oft (freuen Temperaturwechsel zu legen sein, welchem der Soldat theils beim Exerciren, theils beim Kasernenleben, theils beim Beziehen mancher Wachtposten ausgesetzt ist. Diese Umstände vermögen schon an und für sich, wie factisch erwie- sen, Bindehautkatarrhe zu erregen, sie vermögen, wie nicht minder constatirt, das einmal ausgebrochene Leiden zu steigern. Bindehaulkatarrhe, auf diese Weise entstan- den, kommen unter dem Militär wohl eben so häufig, wenn nicht öfter vor, wie unter dem Ciyile. Sie imponiren aber nicht als Epi- oder Endemie, so lange sie vereinzelt dastehen, so lange nicht noch Umstände hinzugekommen sind, welche das massenweise Auftreten bedingen.

14. Die Bedingungen zum massenweisen Auftreten sind aber gegeben, wenn, vorläufig abgesehen von dem Einflüsse, welchen vielleicht eine specielle Luftconsti- tution gibt, die Soldaten ungewöhnlich «ahlreich zusammengedrängt werden, und das Übel sich durch Übertragung weiter verbreitet. Mit der Zusainmendrängung ist schon die stärkere und leichtere Einwirkung der unter 12 angeführten Schädlichkeiten im Allgemeinen gegeben; für sich allein würde dieser Umstand das so häufige Erkranken nicht erklären, wenn wir nicht, durch andere Umstände belehrt, die Überzeugung ge- wonnen hätten, dass das Übel unter bestimmten Verhältnissen ein contagiöses sei.

15. Ich war zwar nicht in der Lage, beim Militär mich direct von der Conta- giosität dieses Leidens zu überzeugen, bin aber von dieser vollkommen überzeugt durch folgende Thatsachen : a) Dass nicht nur die y.aTt^o-/>iv sogenannte acute ßinde- hatUblennorrhöe, sondern auch das Secret der chronischen, wie sie unter dem Chile mitunter vorkommt , ansteckend sei, darüber kann nach den Versuchen von Jäger, 1'iringer u. A. kein Zweifel mehr obwalten ; ich habe mich selbst durch Impfungen überzeugt. b) Die unter den Findlingen 1848 herrschende Bindehautkrankheit, welche ich anfangs für TracJioma zu halten geneigt war, später aber nothwendig als Blennorrhoe mildern, im Allgemeinen mehr durch Infiltration der Lidbindehaut als durch reichliches Secret charakterisirten Verlaufes anerkennen musste, war offenbar anstek- kend, und sie war, nach allen Erscheinungen zu schliessen, in keinem wesentlichen Punkte von dieser Ophthalmia militaris verschieden. c) Unter den Leuten, welche sich im Juni 1850 in auffallender Zahl mit Ophthalmia catarrhalis bei mir Ilathes er- holten, war auch ein Einnehmer von der Kettenbrücke. Die Zufälle waren so heilig,

74 Bindehaut.

dass ich ihm rieth, zunächst einige Tage zu Hause zu bleiben, fleissig Bitlerwasser zu trinken, und ein entsprechendes Verhalten zu beobachten; nach Besänftigung der Zu- fälle — in 4—5 Tagen gab ich ihm ein Collyrium aus 1 2 Gran Kitras ar^enti auf 1 Unze. Der Zustaod besserte sich mehr und mehr, und nach 10 12 Tagen erschien er nicht mehr bei der Ordination. Ich hielt ihn für geheilt. Nach ohngefähr 14 Tagen kam er wieder, mit dem Bilde einer Blennorrhoe 2. Grades. Die Bindehaut war durch- aus hochroth, stark geschwellt, grobsammetartig, im Übergangstheile wulstig, die Se- cretion reichlich, etwas trüb mit zahlreichen gelben Flocken, am linken Auge auch die Conjunctiva bulbi deutlich serös geschwellt. Er schrieb diese Verschlimmerung dem Umstände zu, dass er, noch nicht völlig geheilt, seinem Amte wieder vorgestanden, und dass ihm der Wind vielleicht den Kalkstaub (von einem Baue in der Nähe) in die Augen getrieben habe. Ich stellte ihm nun die Gefahr vor, und besuchte ihn in seiner Wohnung. Dort fand ich seine Frau bereits an demselben Übel erkrankt, und ebenso sein 3- 4jähriges Kind, nur dass bei diesen beiden das Secret bloss wässrig mit gelben Flocken und die Conjunctiva bulbi bloss leicht injicirt war. Sie wussten nicht, wie sie zu diesem, seit einigen Tagen allmälig entstandenen Übel gekommen waren, und genasen unter derselben Behandlung, wie der Mann, ohne dass die Erscheinungen früher ärger wurden. d) Im Winter 1850 herrschte dasselbe Übel unter den Militär- Erziehungsknaben am Slup (in dem Thale, welches den Wysehrad von Prag trennt). Kunde davon erhielt ich durch 2 Knaben, welche des Augenleidens wegen von ihren Angehörigen nach Hause genommen und zu mir gebracht worden waren. Die Er- scheinungen waren dieselben, wie ich sie später so oft unter dem Militär sah, als 2. Grad des Übels mit trübem Secrete. Es sollen damals über 20 Knaben solche „böse Augen" gehabt haben. Bevor ich mir Gelegenheit verschafft, die Anstalt selbst zu be- suchen, waren leider die Kinder schon zu den Faschingsferien nach Hause entlassen worden, und, wie man mir sagte, das Übel bereits grösstenteils behoben. Nur 2 Zu- rückgebliebene zeigten noch die bekannte feinkörnige und wulstige Beschaffenheit der Bindehaut. Von den oben genannten beiden Knaben nun machte ich die Angehörigen auf die Gefahr der Ansteckung aufmerksam. In dem einen Hause wurde alles befolgt, in dem andern Hess man einen Bruder in demselben Zimmer schlafen, und nach wenig Tagen kam dieser, und etwas später auch die Schwester mit demselben Übel behaftet zu mir. - e) Unter den Invaliden, welche mich wegen verschiedenen Nachkrankheiten an der Cornea consultirten, waren mehrere, welche wegen Blessuren, Wechselfieber u. dgl. in's Spital gekommen, in sogenannte Augenkrankenzimmer gelegt worden, und nach kürzerem oder längerem Aufenthalte daselbst von demselben Übel wie ihre Ka- meraden ergriffen worden waren, ohne über das Wie und Warum irgend Bechenschaft geben zu können. Von einem Artilleriekorporal, welcher mit einem partiellen Horn- hautstaphylome des rechten und völliger Genesung des linken Auges (nach 3monatli- cher Dauer) davon gekommen war, erhielt ich folgende Angaben. Seine Compagnie, aus 180 Mann bestehend, war am 29. September 1849 zusammengesetzt, und mit einer Division von Bainer-Infanterie (über 500 Mann) in einer Kasamattenkaserne einquartirt worden. Dieses Lokale war zwar geräumig, aber sehr feucht und kalt, und konnten bei der später eintretenden strengen Kälte die Fenster sehr wenig geöffnet werden. Die ganze Compagnie hatte nur Einen Ausgang aus den Zimmern. Nach und nach erkrankte wenigstens die halbe Compagnie an den Augen, aber nur 20—30 3iann so stark, dass sie in's Spital gebracht werden mussteii. Von der Infanterie sollen nur

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Militär. 75

wenige erkrankt sein. Dieser Korporal selbst hatte das Übel in einem sehr hohen Grade, die Lider zwar nicht gar stark geschwollen, aber sehr roth, beständiger Aus- lluss von wässriger Flüssigkeit und Eiter, fürchterliche Schmerzen, besonders Brennen, so dass er durch 5 6 Wochen Tag und Nacht nicht geschlafen zu haben versichert. Um die «Ursachen des Augenleidens befragt, wusste er ausser den oben erwähnten Umständen nichts anzugeben, und bemerkte, es sei möglich, dass dasselbe durch einen eben auf diese Art an den Augen leidenden Kanonier eingeschleppt worden sei, wel- cher mit Transport aus Galizien angekommen und unter sie eingereiht worden sei ; wenigstens seien in der nächsten Umgebung dieses Mannes die ersten Erkrankungen vorgekommen. f) Alle Thatsachen, welche sowohl bei dem gegenwärtig als bei dem seit Anfang dieses Jahrhunderts an verschiedenen Orten massenweise aufge- tretenen Augenübel in Bezug auf Contagiosilät und Nichtcontagiosität angeführt worden sind, finden ihre einfachste Erklärung in dem, dass man zugibt, auch dieses Übel sei ansteckend, und zwar nicht bloss durch Contact, sondern auch in distans, letzteres jedoch nur dann, wenn gewisse Bedingungen hiezu vorhanden sind. Ich muss hier, um unnöthige Wiederholung zu vermeiden, auf das zurückweisen, was ich S. 40 über das blennorrhoische Secret überhaupt, und S. 54 über meine Beobachtungen im hiesigen Gebär- und Findelhause bereits angeführt habe, und hebe nur noch hervor, dass man, um die graduelle Verschiedenheit der einzelnen Fälle sowohl als der einzelnen Epide- mien (ich bediene mich dieses Wortes nur der Kürze wegen) zu begreifen, aller jener Umstände eingedenk bleiben muss, welche, wenn ich so sagen darf, auf die Potenzi- rung des Contagiums erfahrungsgemäss Einfluss nehmen. Ich sehe in Bezug auf die Weiterverbreitung dieser Bindehautentzündung unter dem Militär die grösste Analogie dieses Processes mit dem Hospitalbrande und mit dem Puerperalfieber. Diese Au- genkrankheit kommt unter der Infanterie nur desshalb ungleich häufiger vor, weil bei dieser die Momente theils zur Entstehung, tlieils zur Verbreitung in distans am häufig- sten gegeben sind, vor allem in der massenhaften Zusammenhäufung. Lassen wir an- dere Truppenkörper in gleiche Verhältnisse treten, und sie sind weder durch ihre Kleidung noch durch ihre Nahrung u. dgl. geschützt. - Anfüllung der Luft mit Was- serdünsten, sei sie nun allgemein in dem Zustande der Atmosphäre, oder durch Bezie- hen feuchterer Gegenden und Wohnnngen, oder endlich durch Zusammenleben in re- lativ engen und wenig gelüfteten Localitäten gegeben, begünstigt die Verbreitung in distans mehr als alles Andere. So sehen wir die Franzosen in Ägypten an den Nie- derungen des Nils, im Delta, die Sapeurs (beim Brückenschlagen) vorzüglich leiden, so die Engländer in ihren Schiffräumen, so die Preussen am meisten an der Elbe, am Niederrhein u. s. w. So sehen wir die Krankheit in- und extensiver sich entfalten, wenn die Atmosphäre schwül ist, wenn Gewitter im Anzüge sind. So sehen wir strenge Kälte der Krankheit Einhalt legen, falls die Truppen nicht in enge, wenig gelüftete Räume zusammengedrängt werden. Je mehr die Luft, die den Mann umgibt, mit Wasserdünsten gefüllt ist, welche in Form der feinsten Bläschen in derselben schweben, je mehr Partikelchen des Secretes von der erkrankten Bindehaut mit diesen Bläschen in der Luft suspendirt sind, eine desto kürzere Zeit des Verweilens in solcher Luft reicht hin, die Krankheit an gesunden, und um so leichter an gereizten Augen hervorzurufen. Je heftiger die Blennorrhoe, deren Secret zur Imprägnirung der Luft dient, desto leichter die Infection und desto heftiger die dadurch hervorgerufene Krankheit. gj Und so begreifen wir endlich auch, wie alle saniläts-polizeilichen Maasreggin, welche sich bei

76 Uiaidehaut.

den verschiedenen Epidemien (sit venia verbo") heilsam erwiesen, endlich darauf hin- auslaufen, dass sie, nebst der unmittelbaren Übertragung durch tastbare Gegenstände, die Imprägnirung der Luft mit dem Secrete solcher Augen möglichst verhindern. Man hebe, sobald sich die ersten Erkrankungen in einem Truppenkdrper zeigen, alle Leute, die auch nur katarrhalische Erscheinungen darbieten, aus den gesunden heraus ; man prüfe die Quartiere, in welchen die ersten Erkrankungen vorkamen, in Bezug auf die hier wichtigen Momente, und dringe auf die gehörige Abstellung der Übelstände ; man sondere die leichter Erkrankten von den schwerern Fällen, und sorge in dem Maasse, als das Secret reichlicher und mehr eiterähnlich ist, um so mehr für relativ grosse Localitäten zur Unterbringung derselben ; und endlich, man lasse in den Krankenzim- mern lieber Licht und frische Luft, als Finsterniss und allerhand Dünste herrschen : und ich zweifle nicht, dass man auch künftighin dasselbe günstige Resultat überall erreichen wird, welches diessmal hier in Prag und in Wien erreicht wurde.

16. Schliesslich will ich noch bemerken, dass ich mich mit der in neuester Zeit geltend gemachten Ansicht, diese Krankheit sei „Trachoma oder granulöse Oph- thalmie" zu nennen, durchaus nicht einverstanden erklären kann, einmal, weil ich zwi- schen dieser Krankheit und dem, was man allgemein Blennorrhoe zu nennen überein- gekommen ist, durchaus keinen wesentlichen Unterschied finden konnte, und dann, weil ich, auf den Sprachgebrauch, wenigstens auf Celsns und Rosas gestützt, *) den Namen Trachoma für eine ganz andere Reihe krankhafter Veränderungen und Erschei- nungen gewählt habe. Sorgfältige Beobachtung und Vergleichung jener Bindehaut- kranklieiten, welche mit sogenannten Granulationen verlaufen, und von meinem Lehrer Professor Fischer und Andern im Allgemeinen nur als Blennorrhöen (acuten oder chro- nischen Verlaufes) bezeichnet wurden, hatte mich bereits im Jahre 1 844 zu der Über- zeugung gebracht, dass hier zwei ganz verschiedene Krankheiten zusammen geworfen wurden, verschieden in Bezug auf die ätiologischen Momente, verschieden in Betracht des jeweiligen Ensemble und der Reihenfolge der Erscheinungen, verschieden endlich in Bezug auf die Folgen für die der Bindehaut benachbarten Gebilde, und somit auch verschieden in Bezug auf Prognosis und Therapie im weitesten Sinne des Wortes. Professor Fischer nahm in sein zu Ende 1845 erschienenes Lehrbuch wohl die beiden Kamen Trachoma und Blennorrhoe auf, ohne jedoch die Unterscheidungsmerkmale ge- nauer anzugeben. Nun schrieb Dr. Hasner von Artha, welcher mich jene Unterschei- dung am Krankenbette (während meiner Supplirung als Primararzt im Herbste 1844) praktisch durchführen gesehen hatte, 1846 seinen „Entwurf zur anatomischen Begrün- dung der Augenkrankheiten", und stellte darin die Behauptung auf, die sogenannte Opthalmia militaris seu aegyptiaca sei nichts Anderes, als Trachoma. Da ich bis dahin ebensowenig wie er Gelegenheit gehabt hatte, das fragliche Übel unter dem Militär s-elbst zu betrachten, so begnügte ich mich, jenen Aufsatz über Trachoma zu veröffent- lichen, es der Zukunft überlassend, ob mir Gelegenheit würde, mich mit eigenen Augen zu überzeugen. Diese hatte ich nun, und ich würde über diesen Punkt weiter kein Wort verloren haben, wenn nicht, wie ich aus den in Wien erschienenen Schriften ersehe, Hasner's Ansicht**) obwohl stark modificirt adoptirt worden, und somit

#) Siehe meinen Aufsatz über Trachoma in der Prager medicinischen Vierleljahrschrifl, ISIS, 18. Band, S. 41 elc. **) Hasner hat uns nicht gesagt, was er unter Granulationen verstehe. V.r lässt dieselben auch aus andern pathologi- schem Processen entstellen, erklärt sie aber doch für ein substantives Erkranken, soll wohl heisseii : fm eine

Blennorrhoe Vorkommen Ursachen Militär. 77

wieder die alte Begriffsverwirrung in dieses Feld gezogen worden wäre. Nach meinen Ansichten über Terminologie Unit man sehr unrecht, wenn man diese Krankheil unter dem Militär „granulöse Ophthalmie oder Trachoma" nennt. Mir ist der Name für irgend eine Krankheit das Mittel, eine gewisse Reihe krankhafter Veränderungen und Erschei- nungen zu bezeichnen, welche neben und nach einander vorkommen und in einem gewissen Verhältnisse zum Organismiis und zu den Aussendingen stehen, und deren notwendiger (sich gegenseitig bedingender) Zusammenhang entweder bereits als sol- cher erkannt und in einzelnen Fällen nachweisbar ist, oder doch aus dem mehr we- niger constanten Vorkommen neben und nach einander postulirt werden muss. Soll der Ausdruck „granulöse Ophthalmie, Trachoma" bloss anzeigen, dass bei der in Hede siehenden Ophthalmie die Bildung sogenannter Granulationen ein hervorragendes denn constant ist es offenbar nicht Symptom sei, will man jeden Complex von Er- scheinungen, bei welchen dieses zweideutige Symptom auftreten kann, Granulalions- process oder Trachoma nennen, so habe ich nichts einzuwenden, als dass man eben nur ein Symptom, nicht aber eine Krankheit damit bezeichnet. Man stellt sich dann auf denselben Standpunkt, wie jene, welche den Ausdruck „Diarrhöe, Erbrechen, Hornhautfleck" u. dgl. als Krankheitsnamen gelten lassen wollen. Man wende nicht ein, dass ich in denselben Fehler verfalle, wenn ich diese Krankheit „Blennorrhoe" nenne. Uns ist der Ausdruck „Blennorrhoe", wenn gleich in Ermanglung eines bes- sern , das Wesen vielleicht näher bezeichnenden , nur von einer Erscheinung ent- lehnt, gleich vielen andern, durch den Sprachgebrauch sanetionirten, z. B. Typhus, Scharlach, Brechruhr u. dgl. nicht mehr die blosse Bezeichnung eines Symptomes, son- dern einer Reihe von neben und nach einander bestehenden Erscheinungen, geknüpft an bestimmte, nur nach dem Grade und der raschern oder langsamem Aufeinanderfolge verschiedenen Veränderungen der Bindehaut und ihrer Nachbarorgane, welche, einmal vorhanden, nur auf eine bestimmte Reihe ätiologischer Momente zurück-, und auf eine bestimmte Reihe nachfolgender Veränderungen und Erscheinungen weiter schliessen lassen. Und das ist ja am Ende die Aufgabe der Terminologie. Bedient man sich aber des Ausdruckes „Trachoma" zur Bezeichnung der unter dem Militär herrschenden Ophthalmie, so gebe man entweder zu, dass man damit nur ein Symptom bezeichnen will, welches bei dieser Krankheit nebst andern auch vorkommt, aber auch bei andern, vermög des Vorkommens, der Ursachen, der consecutiven Veränderungen etc. als von dieser ganz verschiedenen Krankheiten vorkommen kann, oder man wähle dann für diese, und zwar für jene Krankheit einen andern Namen, welche ich, nach Cehns und Rosas, als selbständig und von der Blennorrhoe verschieden nachgewiesen habe, und auf welche ich im Verlaufe dieser Abhandlung noch ausführlich zu sprechen kommen werde. Wenn man, wie diess in Wien geschehen, sagt, diese Krankheit unter dem Militär erscheine iheils als Katarrh, theils als Trachoma, theils als Blennorrhoe, so sin- ken diese Namen zur blossen Symptomenbezeichnung herab. Es kommt mir gerade so vor, als wenn man zur Zeit einer Epidemie die leichtern und schwerern Fälle als ver-

eigenlhümliche, selbständige Krankheit. Ihm ist es üher jeden Zweifel erhaben, dass die Krankheit epidemisch, endemisch und sporadisch auftreten koune vvas versteht er wohl unter Epidemie? Über die Contagiosität dagegen konnte er zu keinem bestimmten Resultate kommen, gibt dieselbe jedoch, um nicht in Widerspruch zu gerathen, halb und halb zu, und erwähnt dann noch einer besoudern Körperbeschaffenhcil, selbst einer besonderen Blutbeschalfenheit als disponirender Ursache. Diejenigen, welche dies fragliche Übel jetzt beim Militär beobach- teten, werden am besten beurlheiien. was von diesen Antraben zn haiten sei.

78 Bindehaut.

schiedene Krankheiten aufstellen, z. B. bei einer Ruhrepidemie von Diarrhöen nnd Dy- senterien sprechen wollte. Eine solche Auffassung kann nicht ohne 'wichtige Conse- quenzen bleiben, weder für die Wissenschaft, noch für die Praxis. Hier sehe ich ein Individuum mit den sogenannten Granulationen der Bindehaut Monate, Jahre lang unter den Mitgliedern einer zahlreichen Familie leben, entweder ohne Ahnung von demsel- ben, oder mit bald mehr bald weniger entzündeten Augen, am Ende wohl auch (durch Pannus u. dgl.) erblinden, und keines der im nächsten Verkehr mit ihm stehenden Individuen erkrankt an denselben Zufällen; dort trägt auch ein oder das andere Indi- viduum die sogenannten Granulationen mit bald mehr bald weniger entzündlichen Zu- fällen der Bindehaut an sich, und kaum ist es in einen Verein von Individuen einge- treten, so bekommen schon mehrere derselben die nämlichen Erscheinungen. Was nützt mir's, den granulösen Zustand der Bindehaut zu kennen, wenn ich mir n.cht Rechenschaft zu geben weiss, warum in dem einen Falle Ansteckung erfolgt, in dem andern nicht, und warum auch Augen, die keine Granulationen darbieten, anstecken können ?

Die Prognosis ist verschieden, je nach dem Grade und Stadium, so wie nach dem rascheren oder langsameren Auftreten der Krankheit, und nach deren sporadischem oder massenweisem Vorkommen; bei Kin- dern ist vor allem darauf Rücksicht zu nehmen, ob das Leiden local oder als Ausdruck eines Allgemeinleidens zu betrachten ist. Dass äussere Verhältnisse, insbesondere die Möglichkeit, für reine Luft zu sorgen, und die Kranken zu dislociren, sehr wohl zu berücksichtigen sind, ergibt sich aus dem über die Ätiologie Bemerkten. Kennt man die Quelle der durch Betastung entstandenen Blennorrhoe, dann kann man sich bei der Prognosis zum Theil auch nach der Qualität des Impfstoffes richten.

Wo die Kranheit nur den 2. Grad erreicht, bloss als Blepharoblen- norrhöe verläuft, ist für das Sehvermögen wenig oder nichts zu fürchten; solche Fälle sind eher harinäckig, als gefährlich. Croupöses Exsudat auf der Bindehaut der Lider deutet beim 3. Grade der Krankheit immer auf grosse Gefahr für die Hornhaut. Spontane Blutungen an und für sich haben weder eine günstige noch eine ungünstige Bedeutung. Starkes Überragen des Bindehautwalles über die Cornea oder grosse Derbheit desselben lässt Zerstörung derselben durch Druck befürchten.

Die verschiedenen Ausgänge Italien wir bereits bei der Schilderung der einzelnen Grade kennen gelernt, theils werden wir sie bei der Lehre von den Krankheiten der Hornhaut noch näher besprechen. Wo die Hornhaut nicht ergriffen wird, wo keine Geschwüre auf derselben ent- stehen, gefährdet die Krankheit das Sehvermögen nicht.

Die Dauer der Krankheit ist sehr verschieden; Fälle des 1. Grades können in 5 8 Tagen geheilt sein ; Fälle des 2. Grades können in 2 3 Wochen verschwinden, aber auch eben so viele Monate Jahre dauern:

Blennorrhoe Prognosis Behandlung. 79

Fälle des 3. Grades werden in der Regel nur durch Krankheiten der Cornea langwierig-, seltener durch Wucherung des Papillarkörpers. Die Behandlung erfordert :

1. Berücksichtigung der ätiologischen Momente.

a) Im Allgemeinen sind schädliche Einflüsse möglichst zu besei- tigen ; grelles Licht, Zugluft, Rauch, Staub, Verunreinigung der Luft durch Zusammenhäufen vieler Kranken, Trocknen der Wäsche im Zimmer u. dgl., damit die Krankheit nicht gesteigert werde. Neugeborene sollen gar nicht, oder nicht viel gebadet werden. Die schwer Erkrankten sind von den leicht Erkrankten und Reconvalescenten zu sondern. Die Augen sind fleissig von dem Secrete zu reinigen, alle V4 ys Stunden, je nach der Reichlichkeit und Consistenz desselben. Bleibt es zwischen den Lidern zurück, so wirkt es reizend, steigernd auf die Krankheit der Bindehaut. Das Reinigen geschieht durch Einträufeln oder Einspritzeu lauen Wassers ; letzteres muss sehr vorsichtig geschehen, am besten mit der Mildner'- schen Glasspritze, welche einen vorn abgerundeten und am Halse leicht gekrümmten Schnabel hat.

b) Die Weiterverbreitung ist möglichst zu verhüten, sowohl die durch Betastung, als die durch die Luft. Es ist weit mehr Gewicht zu legen auf die fleissige Erneuerung der Luft, als wie man gewöhnlich thut auf die Verdunklung des Zimmers ; die Temperatur ist eher etwas nied- riger, als höher zu halten. Der Kranke und die Wärtersleute müssen auf die ansteckende Beschaffenheit aufmerksam gemacht werden, welche so lange fortdauert, als das Secret noch trüb, schleim- oder eiterähnlich ist. Bei reichlichem Secret kann es geschehen, dass dasselbe unver- merkt über den Nasenrücken fliesst, zumal während des Schlafes.

c) Dem zu besorgenden Ausbruche der Krankheit ist möglichst vor- zubeugen, bei Kindern Llennorrhoischer Mütter durch augenblickliche Aus- spülung der Augen mit lauem Wasser, nach zufälliger Impfung durch energische Anwendung eiskalter Umschläge. Nach Piringers Versuchen kann der Ausbruch der Blennorhöe hiedurch sicher verhindert werden, auch wenn zur Impfung das Secret einer höchstgradigen Blennorrhoe verwendet wurde, sobald nur bald nach der Impfung energisch kalte Umschläge angewendet werden.

2. Berücksichtigung des Grades der Krankheit, ihres mehr acuten oder mehr chronischen Verlaufes und des Stadiums, so wie einzelner besonderer Zufälle und Ausgänge (symptomatische Behandlung).

a) Mittel, um die Entzündung zu dämpfen :

a. Ein Aderlass kann nölhig werden nur bei erwachsenen und

80 Bindehaut.

kräftigen Individuen, wenn die Entzündung- rasch zunimmt, oder bereits den 3. Grad erreicht hat, und Fieber erregt, mit intensiver Röthe, hoher Temperatur, Prallheit und Empfindlichkeit der Lidgeschwulst und des Binde- hautwalles, und mit heftigen anhaltenden Kopfschmerzen verläuft (sy- nochöser Charakter). Die Menge des Blutes: 8 12 Unzen; zu wieder- holen : wenn diese Erscheinungen zwar nachgelassen, aber bald wieder- kehren. Der Aderlass hat nur symptomatischen Werth; nie glaube man, durch die Reichlichkeit oder Häufigkeit desselben der Blennorrhoe Meister werden zu können. Mann bedenke stets, dass, wenn die Krankheit trotz des Aderlasses zu Hornhautgeschwüren führt, die Versehwärung um so rascher und ausgedehnter, und die Heilung um so langsamer erfolgt, je mehr man den Kranken durch zu reichliche Anthiphlogose herunter gebracht hat.

ß. Unter den örtlichen Blutentziehungen ersetzen Blutegel bei Neu- geborenen die Stelle des Aderlasses, sind also nur bei kräftigen Kindern anzulegen, zu 1 höchstens 2 Stück, ohngefähr 1 Zoll vom Auge entfernt, über dem Jochbogen. Auch bei Erwachsenen sind sie an die Schläfe- gegend und so weit als möglich vom Auge entfernt anzulegen, und zwar mindestens 6 Stück, sonst nülzen sie nichts. Sie passen nach voraus- geschicktem Aderlass, oder, wo dieser nicht nothwendig erschien, wenn die entzündlichen Zufälle rasch zuzunehmen drohen, oder wenn bei schon ausgebildeter Blennorrhoe des 2. oder 3. Grades die Geschwulst der Lider derb, heiss, hellroth, empfindlich, das Auge sehr lichtscheu, die Schmerzen im Auge und Kopfe heftig sind. Ihre Wirkung fand ich in vielen Fällen auffallend, nicht nur in Bezug auf Erleichterung des Kranken, sondern auch in Bezug auf die Verminderung der Augenlidgcschwulst. Keinen Nutzen sah ich in dieser Beziehung von Scarificationen der Bin- dehaut, öfters dagegen eclatanten Erfolg vom Ausschneiden kleiner Stückchen aus dem Bindehautwalle, wenn sich's darum handelte, die Cornea von dem Drucke zu befreien, welchen der Bindehautwall auf diese und deren Rand ausübt.

Martini*) hat dieses Mittel verworfen, weil er seiner Theorie zufolge befürchtete, das scharfe Secret der Bindehaut könne dann um so leichter auf die tiefern Gewebe zersetzend einwirken. Ich fand, dass die dadurch gesetzten Wunden im Gegentlieile sehr rasch heilen, in 24—48 Stunden. Auch die Furcht vor nachfolgender Verkürzung der Bindehaut wird durch die Erfahrung widerlegt ; ohnehin ist ja die zu einem Wall erhobene Bindehaut so ausgedehnt, dass ein 2 Linien breiter Streifen, aus der gedehnten Bindehaut ausgeschnitten, gewiss nicht l/a Linie der normalen Bindehaut beträgt.

*l Über Jen Einflusl der Secrelionsfliissigkeiten.

Blennorrhoe Behandlung. 81

y. Knappe Diät ist bei den Blennorrhöen der 1. Reihe nothwcndig, so lange die entzündlichen Zufälle noch steigen und in hohem Grade anhalten; doch hüte man sich, die Reproduction zu weit herabzudrücken, aus demselben Grunde, der unter a. angegeben wurde. Bei nicht stür- mischem Auftreten der Krankheit ist eine merkliche Beschränkung in der Nahrung ganz überflüssig.

d. Derselbe Gesichtspunkt gilt für den Gebrauch von Abführmitteln. Ein wohlthätiger Einfluss derselben auf das entzündete Auge überhaupt kann nicht in Abrede gestellt werden. Es liegen zahlreiche und un- zweifelhafte Beobachtungen hierüber vor. Doch wird man nie eine Binde- hautblennorhöe durch Purgirmittel allein heilen.

s. Brechmittel und schweisstreibende Mittel werden insbesondere in solchen Fällen, wo Verhüllung zur Entstehung beigetragen hat, von Anfang zu versuchen sein, ohne dass man indess darüber die rechte Zeit zu wirksameren Mitteln zu versäumen hat. Von allgemeinen Bädern sah ich keinen Nutzen, sie können leicht schaden, besonders bei Neu- geborenen. Professor Fischer *) sah guten Erfolg von Spiritusbädern nach Dzondi.

£. Die energische Anwendung eiskalter Umschläge, so lange die entzündlichen Zufälle der Bindehaut und der Lider zunehmen, gehört zu den wichtigsten, wirksamsten Mitteln. Wo die Anzeige zu Blutentzie- hungen vorhanden ist, müssen diese voraus geschickt werden.

Man nimmt 4 6fach zusammengelegte Leinwandflecke, so gross, dass sie ein wenig über den Augenhöhlenrand hinausragen ; vom Eise genommen, müssen sie so weit ausgedrückt werden, dass sie nicht triefen. Sie sollen das Auge nicht drücken, aber überall gut anliegen. Sie müssen, je nach der Wärmeentwicklung, selbst alle 3—5 Minuten gewechselt werden, und zwar Tag und Nacht. Wo man sie nicht gehörig geben kann, fange man lieber gar nicht damit an. Wo die Cutis gegen die fortwährende Benetzung sehr empfindlich ist, schütze man sie durch ein Stückchen Wachstaffel. Mit dem Nachlass der Wärmeentwicklung werden diese Umschläge dem Kranken gewöhnlich lästig, wenigstens nicht mehr angenehm ; dann sind sie wegzulassen. Bei Neugeborenen genügt kaltes Wasser ; doch dürfte auch dieses, nach meinen Erfahrungen zu schliessen, bei Kindern in der Regel entbehrt werden können. Hat man kein Eis, so setze man zu 1 Pfund Wasser l/i Drachme Bleizucker oder '/2 Unze Bleiessig, oder gebe Aqua Goulardi. Lerche bat eine Mischung aus 1 Theil Branntwein, 1 Theil Essig und 12 Theilen Wasser empfohlen, besonders für jene Kranken, welche Eis- oder einfache Wasserumschläge nicht gut vertragen.

rj. Hautreize sind unnütze Plagen für den Kranken, sowohl beim acuten, als beim chronischen Verlaufe.

*) Lehrbuch der Entzündungen und organischen Krankheiten, Seile 130. I.

82 tiiiirieliniit.

Es ist unbegreiflich, wie Ärzte bei dieser Krankheit noch Vesicantien an den Nacken oder hinter die Ohren legen können ; sie nehmen auf die Blennorrhoe nicht den geringsten Einfluss. Ebenso weiss man nicht, was man zu dem Ralhe jener sajen soll, welche auf die äussere Flüche der Lider ein Vesicans legen, oder durch Anwendung des Höllensteines daselbst einen Brandschorf erzeugen. Nützen etwa solche Mittel beim Harnrohren- oder Scheidentripper ?

&. Einreibungen von Unguentum cinereum an die Stirn und Schlafe erweisen sieh in gelinderen Fällen bei Neugeborenen sowohl als bei Er- wachsenen sehr wohllhätig, allein oder mit Opium oder Extr. belladonnae, je nachdem Lichtscheu und erhöhte Empfindlichkeit oder Schmerzen ner- vöser Art da sind. Im 2. Stadium und bei mehr torpidem Auftreten nimmt man lieber eine Salbe aus 3 6 Gran weissem Präcipitat auf 1 Drachme Fett, Diese Salbe, etwas schwächer, wird auch mit gutem Erfolg au die Lider äusserlich 2 omal täglich aufgestrichen, wenn die Krank- heit mit starker Wucherung der Bindehaut und reichlicher dicker Se- cretion mehr chronisch verläuft.'-)

b) Mittel gegen die nervösen Schmerzen. Die heftigen Schmerzen, welche die acute Bindehautblennorrhöe begleiten, sind nicht immer durch die Entzündung der Bindehaut oder bei liefer dringenden Horuhaut- geschwüren der Iris bedingt. Bei reizbaren Individuen treten nicht selten äusserst heftige Sehmerzen im Auge und der entsprechenden Kopf- hälfte ein: sie sind nicht anhaltend, kommen mehr anfallsweise, besonders in der Nacht; sie dauern fort, auch nachdem die Heftigkeit der Entzün- dung gebrochen ist, werden durch Anlegung von Blutegeln und Eis- umschlägen nicht gemildert, oft im Gegentheile gesteigert. Am hilfreichsten erwies sich mir das von Fischer, Gobee und A. empfohlenen Pulver aus 2 Gran Sulfas chinini mit xi„ Gran Opium, nächst dem : Pulvis Doveri oder Einreibungen von Ung. cinereum mit Opium (6 10 Gran auf 1 Drachme) oder Mandelöl mit Morphium aceticura (4 6 Gran auf 1 Drachme) ; bis- weiler sind trockene warme Tücher an die entsprechende Kopfhälfte von guter Wirkung. Rust und Müller haben die China in Pulverform, alle 2 Stunden 1/<, Drachme, als das wirksamste Mittel empfohlen.

c) Mittel gegen die Wucherung des Papillarkörpers, der Übergangs- falte und der Scleralbindehaut, welche nach gebrochener Heftigkeit der

•) Das Aufslreichen von Unguenl. cinereum mit 2 i Gran extract. hyosciami an die Stirn und Schläfe, alle 2 3 Stunden wiederholt, schien mir bei den Fällen von Blennorrhoea neonatorum, welche ich in der Privalpraxis zu behandeln hatte, nächst dem fleissigen Reinigen der Augen mit lauem Wasser und der Sorge für reine Luft das wirksamste Mittel zu sein. Erst dann, wenn die Geschwulst der Lider zu sinken begann, habe ich eine Lösung von '/, 2 Gran Argent. nitricum in 1 Unze Wasser oder stark verdünnte Opiumlincliir eingeträufelt, innerlich nichts, ausser ein leichtes Abführmittel verordnet, und ich habe m der Thal nicht Ursache, mit den Resultaten unzufrieden zu sein. Ich werde bei den Hornhaulltrankheilen auf diesen Gegenstand zurückkommen.

Blennorrhoe Behandlung. 83

Entzündung gern zurückbleiben. Oben an steht die Tinctura opii crocata, welche schon sehr bald nach dem Eintritte des 2. Stadiums angewandt werden kann, anfangs verdünnt, später rein. Ihr zunächst stehen Einrei- bungen der Salbe aus weissem Präcipität (3 6 Gran auf 1 Drachme) an die äussere Fläche der Lider, oder, halb so stark, an die innere Fläche. Sind einzelne Wucherungen so gross, dass man sie mit der Scheere abtragen kann, so zögere man nicht, es zu thun, zumal wenn sie nicht bald dem Bestreichen mit Laudanum weichen. Sind sie nicht so gross, locker, leicht blutend, so touchire man sie mit Cuprum sulfu- ricum oder mit einer Pasta aus Lapis infernalis und Gummi arabicum (z. B. 1 Scrupel Argent. nitricum und 2 Scrupel Gummi mit Aq. dest. angemacht und in Stängelform gebracht); oder nach Demarres Vorschlag Argentum nitricum mit Kali nitricum (in verschiedenen Proportionen) zu- sammengeschmolzen ; sind sie härter, so nehme man Lapis infernalis in Substanz, doch ohne zu tief einzuwirken.

d) Die Behandlung der verschiedenen Hornhautgeschioürc und ihrer Folgen, so wie auch des Pannus folgt bei der Lehre von den Krankheiten der Cornea.

3. Nebst dieser, im Allgemeinen den Symptomen angepassten Be- handlung sind noch mehrere sogenannte speeißsche Methoden vorge- schlagen worden. Hieher gehören:

a) Die Touchirung mit Lapis infernalis in Substanz, zuerst von englischen Ärzten, dann aber besonders von den Niederländern Kerst und Gobee empfohlen, und zwar nicht nur bei chronischen, sondern auch bei ganz acuten und bei den heftigsten Fällen. Selten wird ein Aderlass vorausgeschickt,' noch seltener Blutegel. Beim 2. Grade touchirt man bloss die Bindehaut der Lider, beim 3. auch die des Bulbus, bis ein weisser Brandschorf entsteht ; dann wird Milch eingetränfelt, bei heftiger Geschwulst ein Aderlass gemacht, bei heftigen Schmerzen Chinin mit Opium verabreicht. Der Schorf löst sich in 1 2 Tagen, und die Tou- chirung wird dann wiederholt, wenn nicht die Geschwulst der Bindehaut und die Secretion merklich abgenommen haben. Selten ist eine dritte Tou- chirung nothwendig. Nach gebrochener Heftigkeit der Entzündung wird die Goutriesche Salbe eingestrichen, aus 2 6 Gran Argent. nitricum auf 1 Drachme Fett.

Ich habe diese Methode in 6 Fallen 3. Grades angewandt; hei 4 Individuen war der Erfolg überraschend, namentlich in Bezug auf das schnelle Sinken der Lid- geschwulst und Kachlassen der Kopfschmerzen ; bei 2 traten aber so gut wie bei der symptomatischen Behandlung Hornbautgeschwüre ein. Für die Privatpraxis dürfte diese

84 Bindehaut.

Methode am wenigsten passen, da sie einen so energischen Eingriff erheischt, ohne völlige Sicherheit zu gewähren.

bj Auflösungen von Lapis infernalis in verschiedener Stärke wurden von verschiedenen Auetoren, namentlich von Engländern als speeifisch empfohlen. In neuester Zeit legte Chassaignac *) besonders Gewicht darauf, dass vor der Anwendung der Silberlösung das croupöse Exsudat, welches die Bindehaut in allen Fällen überziehen soll, durch kräftiges Aufspritzen kalten Wassers mittelst eines Douche- Apparates zu entfernen sei. Bednar**^ in Wien überzeugte sich, dass warmes Wasser dieselben Dienste leiste, ja zu diesem Zwecke noch besser sei, und Grün **"*} in Prag führte statt des Doucheapparates die Mildner'sche Glasspritze ein. Je heftiger der Fall, desto stärker muss die Silberlösnng sein, 5 10 Gran Argent. nitricum auf 1 Unze Aquae dest. ; Primarius Böhm lässt selbst 15 Gran auf 1 Unze zu diesen Einspritzungen nehmen, und zwar bei Neugeborenen. Wesentlich nothwendig ist, dass die Bindehaut vor der Anwendung der Silberlösung genau gereinigt werde, und dass, wenn die Bindehaut nach der Anwendung der Silberlösung abermals einen grauen Überzug zeigt, dieser neuerdings mittelst eines kräftigen Wasser- strahles oder selbst mittelst einer Pincette entfernt werde. Dieses Manöver wird 2 3mal in 24 Stunden wiederholt.

Die Resultate, welche Bednar im Wiener und Grün im Prager Findelhause mit dieser Methode erzielten, lauten überraschend günstig. Nach den wenigen Fällen, welche ich bisher auf diese Weise zu behandeln Gelegenheit hatte, muss ich annehmen, dass man bei Erwachsenen mit dieser Methode auch kein günstigeres Verhältniss erzielen werde, als bei der sogenannten symptomatischen Behandlung.

c) Varlezs Metohe f), eine filtrirte Losung von 1 Scrupel bis 1 Drachme Chlor- kalk auf 1 Unze Aq. destill, zwei- bis dreimal des Tages einzuträufeln, scheint wenig Aufnahme gefunden zu haben. Ammon empfahl '/a Drachme Chlorkalk auf 6 Unzen Wasser, später Chlorwasser mit Belladonnaextract in destillirtem Wasser vorzüglich bei Blennorrhoea neonatorum ff).

d) Hanke ff f ) rühmt vorzüglich das Jod als gegen die Wucherung und Secretion der Bindehaut wirksam. Er wendet verschiedene Jodpräparate theils zu Fomentationen der Lider, theils zu Injectionen zwischen die Lider, theils auch innerlich an. Ich habe diese Methode so genau als möglich nach Hanke s Angabe in 4 Fällen angewen- det, bin jedoch eben nicht zu weitern Versuchen aufgemuntert worden. Bloss die von Hanke empfohlenen Einspritzungen von 1 2 Gran Zincum muriat. in einem Infusum

*) Gazelle medic. 1847 N. 35. P'rag. Vjsclir. 18. B. Analekten. «*) Zeitschrift der Gesellschaft der Arzte in Wien, 5. Jahrg. 2. Heft. S. 138. Prag. Vjschr. 21. Bd., Analekten, S. 88. «**) Die Aborlivniethüde bei Ophlh. neonat., Piager Vjschr. 22. Band, Originalaufs. S. 25, und 23. Bd. Orig. S. 141.

i-) Gerson und Julius Magazin, 1828. S. 132. ff) v. Wallher'i und v. Ammon's Journal. I. B. 1. St. fff) Die contagiOise Augenhlennorrhöe. Leipzig. 1840.

Blennorrhoe Behandlung. 85

herbae hyosciami schienen mir eine wohlthätige Wirkung durch Beschränkung der Sc- cretion zu üben.

e) Vom Einblasen fein gepulverten Calomels nach Dupuytrens und Fricke's Vor- gang, so wie von dem von Mayor in Lausanne (wohl mehr für chronische Fälle) em- pfohlenen Einführen eines mit Calomelpulver gepuderten Baumwollbäuschchens zwi- schen den Bulbus und die Lider erhielt ich nicht den gerühmten Erfolg, von ersterem in zwei Fällen sogar entschiedenen Nachtheil, starke partielle Entzündung der Conjun- ctiva bulbi da, wo sich zufällig etwas Pulver angehäuft hatte.

f) Nicht glücklicher war ich mit dem Einstreuen von 1 2 Gran feingepulverten Plumbum aceticum neutrum, welches Dr. Buys in Bruges und Cunier in neuester Zeit so bewährt gefunden haben wollen. Ich habe es gleichfalls nur bei chronischen Fällen (eigentlich bei Trachoma) gegen die sogenannten Bindehautgranulationen versucht. Ich sah bei einem Soldaten, dem dieses Pulver in Mainz aufgestreut worden war, dasselbe nach 4 Monaten noch an der Bindehaut des obern Lides haften, ohne dass desshalb die Granulationen beseitigt waren.

Eine für alle Fälle und für jeden Zeitraum passende speeifische Methode haben wir bisher, trotz den Lobpreisungen so Vieler, nicht er- halten, und wir werden sie auch nie erhalten. Das schlendrianmässige Handhaben der einen oder der andern Methode, wie sich ein solches namentlich da gern einschleicht, wo Kranke in grossen Massen zu be- handeln sind, wird immer möglichst zu vermeiden sein. Vergessen wir nie, dass wir es nicht mit einem Parasiten, mit der personificirten Krank- heit, zu thun haben, den wir gleichsam ausrotten müssen, sondern mit einem Organe, dessen Structur und Function in Folge abnormer äusserer vielleicht auch innerer Einflüsse verändert sind, und dass auf das hiedurch veränderte Sein dieses Organes nicht bloss äussere, sondern auch innere, im Organismus selbst gelegene Momente einen sehr wich- tigen Einfluss nehmen können, welche bei der Prognosis und Therapie der Aufgabe des Arztes sehr zu berücksichtigen sind.

III. Conjunctivitis membranacea.

Diese Form von Entzündung der Bindehaut steht morphologisch betrachtet der Conjunctivitis blennorrhoica seu pyorrhoica in so fern sehr nahe, als sie gleichfalls faserstoffiges Exsudat nicht nur ins Paren- chym, sondern vorwaltend an die freie Oberfläche setzt, unterscheidet sich jedoch von dieser dadurch, dass dieses Exsudat an der Oberfläche nicht bald in Eiter übergeht, sondern in' [Form einer ^Membran gerinnt, und selbst Verwachsung der Conjuctiva bulbi mit der Conjuctiva palpe- brarum herbeiführen kann. Ich hatte noch nicht Gelegenheit diese wenig-

86 Bindehaut.

stens in ihrer exquisiten, durch den höchsten Grad von Plasticität des Exsudates ausgezeichneten Form deutlich von der Blennorrhoe verschie- dene Krankheit hinreichend oft zu beobachten, um selbständig eine Schil- derung derselben entwerfen zu können. Bei Kindern, sowohl bei neu- geborenen, als bei mehrjährigen habe ich Fälle beobachtet, welche man zwar noch als Blennorrhoe gelten lassen konnte, welche aber doch vor- waltend durch die Bildung eines sehr plastischen Exsudates an der freien Oberfläche der Bindehaut ausgezeichnet waren. Ich möchte auch hier, wie bei allen andern Entzündungsformen der Bindehaut, welche wir gleichsam als verschiedene Species hinstellen, in Erinnernng gebracht wissen, dass nur extreme Fälle sich auf den ersten Blick als der einen oder der andern Beihe (Species) angehörend kundgeben, dagegen überall Fälle vorkommen, bei denen man nur unter Berücksichtigung aller Mo- mente (auch der anamnestischen) mit mehr weniger Wahrscheinlichkeit, oft aber auch gar nicht, sich für das eine oder für das andere ent- scheiden kann. Folgender Fall, den uns Dr. Bouisson in Cunier's Annales d'oculist. T. XVII. S. 100 mitgetheilt hat, möge als Repräsentant exquisiter Fälle von Conjüctivitis membranacea dienen. Ein Mann von 46 Jahren kam Ende November 1845 ins Spital zu Montpellier. Man fand nicht nur die Conjnctiva palpebr. et bulbi heftig entzündet, sondern auch das den Bulbus umgebende Zellgewebe der Orbita, indem der Bulbus etwas nach vorn gedrängt erschien, "und das obere Lid stark anspannte. Zugleich war die chemotisch angeschwollene Conjuctiva bulbi in Form hochrother Wülste zwischen den Lidern vorgetrieben, und ergoss sich eine reichliche Menge eitrigschleimiger Flüssigkeit aus der Lidspalte ; von der Cornea konnte man wegen der Grösse der Geschwulst nichts wahr- nehmen: Dabei heftiger Schmerz und Gefühl von Pulsation im Auge, Kopfschmerzen, Fieber, gänzliche Schlaflosigkeit. Dieses Übel war in Folge von Yerkältung entstanden, und scheint Anfangs für eine acute Bindehautblennorrhöe gehalten worden zu sein. Trotz einem reichlichen Aderlässe, 20 Blutegeln an die Schläfe, nud Einreibungen von Ung. cinercum mit Beilad. an die Umgebung des Auges stieg die Entzündung noch immer. Den 30. wurden die Blutegel wiederholt, Pillen aus Kalomel mit Opium verordnet und, da die Conjunct. bulbi sehr stark geschwollen war, eine Partie derselben ausgeschnitten. Hierauf wurde die Absonderung etwas spar- samer, aber eine graue Exsudatschichte überzog nun die Bindehaut, und wurde immer dicker. Den 31. wurde wegen der beträchtlichen Spannung der Lider die Lidspalte erweitert, was dem Kranken Erleichterung ver- schaffte. Allmälig verdickte sich jene grauliche Membran so, dass sie B.

Conjunctivitis membranacea. 87

für abgestorbene Biudehaut hielt , und dieselbe mit einer Pinceltc anzog, um sie zu entfernen. Sie folgte dem Zuge leicht, und bot zur nicht geringen Überraschung des Arztes die Merkmale einer mit Eiter infillrirten Pseudo- membran dar; die Bindehaut darunter erschien roth, sehr gefässreich und empfindlich. Tags darauf, den 3. December, hatte sich wieder eine ähnliche Membran gebildet, welche am 4. abermals abgezogen wurde. Sie bot das Aussehen einer fest gewordenen Fibrin dar, und war in den Maschen der untern Flache mit Eiter infiltrirt; nach ihrer Entfernung, welche sich ohne Schmerz und leicht bewerkstelligen Hess, blutete die Bindehaut ein wenig. Ins Wasser gelegt, um den Eiter abzuspülen, nahm sie ein filziges und gefranzies Aussehen an. Am Auge bildete sich als- bald wieder eine Pseudoinenbran, so wie auch die Stelle am Nacken, welche einige Tage vorher mittelst eines Vesicators entblösst worden war, mit sehr dicken plastischen Gerinnseln bedeckt erschien. Am 5. December drohte auch das rechte Auge von demselben Processe ergriffen zu werden, A\as jedoch durch ein Collyriuin aus Nitras argenli verhindert wurde ; als man vom linken Auge die Pseudomembran zum 3. Male ab- löste, zeigte sich die Cornea theiiweise durch Eiterung zerstört. Das Ca- lomel musste ausgesetzt werden, da bereits Salivation eingetreten war. Es bildete sich nun keine Pseudomembran mehr, und der Bulbus schrumpfte unter reichlicher sehleimigeitriger Absonderung mehr und mehr zusammen, nachdem sich ein grosser Theil seines Inhaltes entleert hatte. Die Binde- haut der Lider war verdickt, stark gewulstet, und veranlasste ein Ektropium, das nach ungefähr 1 Monate von selbst zurückging. Ende Jäner verliest der Mann das Spital. Später sah B. denselben zu Avieder- holten Malen. Die Bindehaut war nun trocken, gleichsam in Cutis um- gewandelt, und mit einer leichten Schichte kleienartiger Schüppchen be- deckt. (Xeropthlhalmus). Dr. Guersant fils veröffentlichte in der Gaz. des höpit. 1845 N. 41 eine Beobachtung, Avelche wenn auch unvoll- ständig, doch in mehrfacher Beziehung höchst interessant, und über die Bildung faserstoffigen Exsudates auf der Conjunctiva Aufschluss gebend erscheint. Ein Mädchen von 3 Jahren wurde in das Kinderspital zu Paris aufgenommen. Sie bot eine in ihren äussern Erscheinungen nur Avenig heftige Opthalmie dar. ObAvohl die Lider nur wenig gescIiAvollen, und nur ein leichter Ausfluss eiterförmjgen Secretes vorhanden Avar, nahm man doch eine zweimalige Cauterisation der Palpebralbindehaut Aror. Während dein, den 2. oder 3. Tag nach der Aufnahme des Kindes, zeigten sich die Prodrome von Scarlalina, und das Kind erlag nach einigen Tagen dieser Affection in einein Zustande von Schwäche und äusserster Nieder-

88 Bindehaut.

geschlagenheit. Die Untersuchung des Rachens hatte keine Zeichen von Angina niembranacea geboten; die Sprache war etwas behindert gewesen; das einzige beunruhigende Zeichen war der Zustand allgemeiner Schwäche gewesen. Die Autopsie aber zeigle auf den Tons llen eine Lage eines graulichen Breies, welche auch die ganze hintere Partie des Gaumen- segels bedeckte, und von da in die Choannen, vielleicht auch noch weiter vorwärts, was man nicht untersuchen konnte, sich erstreckte. Eine Pseudo- membran bedeckte die Bindehaut sowohl an den Lidern als auch auf dem ganzen Bulbus. Dieselbe war sehr dick , wenigstens Vj„ Millimeter, und konnte mit einer Pincette fast in ihrer ganzen Ausdehnung, ohne einzureissen, abgezogen werden. G. behauptet, dass diese Membran nicht als Product der Cauterisation betrachtet werden könne ; dass sich diese, nach seinen Erfahrungen, ganz anders verhalten, lange nicht eine so hohe Consistenz und Cohäsion darbieten. Guersant der Vater versicherte, dass er während seiner langjährigen Praxis in mehrern (5 6) Fällen die Bil- dung solcher Pseudomembranen auf der Conjunctiva bei Kindern auch ohne jene Affection der Rachenschleimhaut beobachtet habe. Jene Pseudomem- bran, in Weingeist aufbewahrt, zeigt ohngefähr 1 Millim. Dicke, eine gelb- lichweisse Farbe, und die Form eines eingestülpten Blindsackes, welche gegeben ist, wen man sich denkt, dass die Membran nicht nur die Binde- haut in ihrer ganzen Ausdehnung, sondern auch die Cornea als ein dunkler und dichter Schleier überzog.

Die Conjunctivitis niembranacea scheint zuerst von Prof. Fr. Jäger als eine be- sondere Form der Bindehautentzündung unterschieden worden zu sein (Babor. disser- tatio inaug. de conjunetivitide niembranacea, Viennae 1835). Einzelne Beobachtungen finden sich bei : Joann. Seikora, dissertatio inaiiffiiralis niedica de Xerophthalmo, Pragae 1842 ; Ri(jlei\ Augenkrankheiten des Orients, in der Zeitschrift der Gesellschaft der Wiener Ärzte, 1849, Märzheft S. 726 ; D. PiV;, Präger medicinische Vierteljahrschrift, 1850, 27. Band, S. 14; D. Gvh, die sogenannte ägyptische Augenentzündung, Wien 1850, S. 34 u. m. A.

IV. Conjunctivitis scrofulosa.

Die scrofulöse Bindehautentzündung charakterisirt sich im Allgemeinen durch umschriebene Exsudation unter das Epithelium der Conjunctiva sclerae oder der Cornea in Form von Bläschen, Pusteln oder Knötchen, und durch Ge fasse ntwicklung in der Conjunctiva bulbi, welche dieser Exsudation in Bezug auf Sitz und Ausdehnung entspricht, also eigentlich partiell ist und nur bei zahlreicher Eruption ausgebreitet, selbst allge- mein wird.

Coiijiiunctivitis scrofulosa Symptome. 89

Sie kommt vorzüglich im Kindes- und Knabenalter, ziemlich häufig im Jünglingsalter, seltener in spätem Jahren vor. Sie zeigt entschiedene Tendenz zur Eiter- und Geschwürbildung. Die Reactionserscheinungen (Röthe, Schmerz, Lichtscheu) stehen in keinem Verhältnisse zur Product- bildung, sind bald ungemein heftig, bald auffallend gering und in ersterem Falle offenbar des Morgens heftiger, als Abends.

Sie zeigt überdiess die Charaktere scrofulöser Entzündungen überhaupt: ein von äussern (unmittelbar auf's Auge wirkenden) Schädlichkeiten mehr weniger unabhängiges Auftreten und häufiges Recidiviren, hartnäckige Dauer der einzelnen Anfälle, Übersprin- gen von einem Auge zum andern, und 'Wechseln mit andern servfulösen Affectionen.

Symptome. Sitz der Entzündung ist die Bindehaut des Augapfels, und zwar vorzüglich der Bindehautsaum der Hornhaut; selten erfolgt die Exsudation diesseits, in der Scleralbindehaut, häufig dagegen jenseits, im Bereiche der durchsichtigen Hornhaut, deren Epithelium, wie man hier deutlich sieht, als Fortsetzung der Bindehaut auf die Hornhaut zu be- trachten ist *). Gewöhnlich erscheint die Exsudation nur an Einer Stelle ; seltener erscheinen mehrere Bläschen oder Pusteln zugleich, und nur ausnahmsweise geschieht die Exsudation so, dass der ganze Binde- hautsaum infiltrirt oder der ganze Epithelialüberzug der Cornea dadurch emporgehoben und uneben (hügelig) erscheint.

Das Exsudat ist niemals wasserklar, und bildet entweder grauliche, halbdurchsichtige Bläschen auf der Cornea, welche allmälig verschwinden, oder in kurzer Zeit bersten, und seichte Geschwürchen mit graulichem oder fast reinem Grunde hinterlassen, oder es bildet gelbliche, oft sehr wenig erhabene Pusteln, welche bisweilen nicht aufbrechen, ge- wöhnlich aber früher oder später tiefere Geschwüre mit eitrig infiltrirtem Grunde und Rande zur Folge haben, und welche im Bereiche der Sclera so gut, wie in dem der Cornea vorzukommen pflegen, oder endlich das Exsudat ist consistenter, und erscheint in Form von Knötchen auf der Cornea, von wulstigen Erhabenheiten auf dem Rande derselben, oder in Form eines staubähnlichen, graulichen, von zahlreichen Gefässen durch- setzten Überzuges der ganzen Hornhaut, als sogenannter Pannus scrofulosus.

*) Man hat die Krankheil, wenn die Eruption über der Sclera erfolgt: Conjunctivitis, wenn über der Cornea: Keratitis genaunt, und beide getrennt abgehandelt. Die Exsudation findet indess so oft zu gleicher Zeil oder kurz nach einander auf der Cornea und über der Sclera statt, dass eine solche Trennung ganz unnatürlich er- scheint. Der Krankheitsprocess erscheint als ein der Conjunctiva angehöriger, und die Alfection der Cornea als eine seeundäre ; diese als eine „superfizielle" zu bezeichnen, und demgemäss der „parenchymatösen" gevvisser- massen entgegen zu setzen, ist unrichtig, weil der Process oft sehr tief eingrgift, selbst das ganze Pareiichyra der t'ernea zerstören kann.

90 Bindehaut.

Die Gefässeinspritzung ist partiell, bündeiförmig, wenn die Exsuda- tion partiell ist; sie verbreitet sich mehr weniger auf die ganze Con- junctiva bulbi, wenn mehr weniger ausgebreitete Bläschen-, Pustel- oder Knötchen-Eruption statt findet. Zur Zeit und kurz vor der ersten Ex- sudation erscheinen gewöhnlich nur die entsprechenden vordem Ciliar— arterien stärker injicirt, und man sieht desshalb nicht selten eine hiedurch bedingte Rosenröthe rings oder zum Theil um den Rand der Cornea herum; die Gefässe der Bindehaut, die eigentlich das bilden, was die Alictoren als charakteristisch (bündeiförmig) beschrieben haben, erscheinen gewöhnlich erst einige Zeit nach schon erfolgter Exsudation. Sie laufen wie Besenrülhchen aus der Übergangsfalte gegen die Exsudate hin, seihst wenn diese auf der Hornhaut sitzen. Auf der Cornea verlaufen sie bis- weilen in Form eines Bändchens, vom Limbus conjunctivae aus gegen die Mitte, indem sie ein grauliches oder gelbliches Exsudathügelchen gleich- sam vor sich her drängen, und eine gerade Linie oder einen Bogen, wie ein Hufeisen, beshreiben, Formen, welche Prof. Fischer als scrofulöses Gefässbändchen und Pseudogefässbändchen zu bezeichnen pflegte. Ihre Bahn bleibt noch lange, nachdem dieses Exsudatknötchen verschwunden ist, als linearer graulich weisser Streifen auf der Cornea zurück.

Die Bindehaut der Lider kann bei der Conjunctivitis scrofulosa sich ganz normal verhalten; in der Regel findet mau sie jedoch im Tarsal- theile netz- oder selbst gleichförmig geröthet, wohl auch serös ge- schwellt, und mit äusserst feinen, krystallhellen Bläschen (serösem Erguss? geschwellten Follikeln ?) durchsetzt, letzeres besonders im Übergangs- theile. Nach lange dauernden oder nach wiederholten Anfällen kann die Bindehaut, wenigstens über den Tarsis, ganz dieselbe Beschaffenheit, zeigen, welche wir beim chronischen Katarrh geschildert haben.

Veränderung der Secretion der Bindehaut kommt der Conjunctivitis scrofulosa als solcher nicht zu; hingegen findet vermehrte Thränenabson- derung und hiemit parallel gehende Lichtscheu sehr häufig statt. Ist die Lichtscheu heftig, dann pflegen auch die Lider krampfhaft geschlossen zu werden, dann klagen die Kranken auch gewöhnlich über heftige, die Augen von Zeit zu Zeit durchzuckende, flüchtige Stiche, selbst in der Nacht.

Diese Zufälle (Thränen, Lichtscheu, Augenlidkrampf und Schmerzen) stehen nicht in geradem Verhältnisse zur In- und Extensität der Affe- ction des Bulbus, fehlen oft, wo letztere einen hohen Grad erreicht hat, sind oft unglaublich gross, wo man die partielle Entzündung am Bulbus kaum auffinden kann, und unterscheiden sich von den gleichnamigen

Conjunctivitis scrofulosa Vorkommen Ursachen. 91

Erscheinungen bei andern Bindehautentzündungen durch ihre morgendliche Excerbation und abendliche Re- oder Intermission.

Neben den Symptomen der Conjunctivitis scrof. können zugleich die des Augenkatarrhes vorhanden sein. Dann ist letzterer gewöhnlich das zuerst auftretende Übel, seltener das hinzutretende ; letzteres geschieht besonders dann, wenn am Bulbus Geschwürbildung entstanden ist.

Vorkommen und Ursachen. Diese Form von Entzündung kommt so häufig mit anderweitigen Erscheinungen von Scrofulosis (Tubercu- losis) vor, dass man alle Ursache hat, dieselbe als Theilerscheinung dieses Allgemeinlcidens zu betrachten. Bisweilen bildet sie das erste Glied in der Reihe jener Erscheinungen, deren Grund man allgemein in jener, leider nicht näher gekannten Blutmischung sucht, welche die scro- fulöse genannt wird.

Die Scrofulosis ist entweder als Anlage ererbt oder angeboren, oder sie ist erworben, durch mancherlei schädliche Einflüsse nach der Geburt hervorgebracht *'). Verschiedene äussere Einflüsse sind im Stande, die fehlerhafte Blutmischung früher und stärker, als es unter andern Verhält- nissen geschehen würde, durch mancherlei krankhafte Processe in die Erscheinung treten zu machen. Dieselben Schädlichkeiten sind im Stande, die fehlerhafte Blutmischung bei ganz gesunden Kindern zu erzeugen, so wie wir täglich unter Vermeidung dieser Schädlichkeiten die bereits er- worbene, ja selbst die bestimmt ererbte oder angeborene krankhafte Dia- thesis auf Jahre oder für immer zurücktreten und verschwinden sehen.

Zu diesen Schädlichkeiten gehören laut Erfahrung vor allen: 1.

*) Diese Anschauungsweise hat besonders in neuerer Zeit manchen Widerspruch gefunden. Einige meinen, man solle überhaupt gar nicht von Scrofulosis und scrofulusen Krankheitsformen als Ergebniss einer besondern Blut- mischung sprechen, weil wir nicht wissen, worin diese bestehe. Wir werden dieser Meinung beipflichten, sobald man überhaupt nicht mehr von fehlerhafter Beimischung als Grundursache gewisser Krankheiten, z. B. des Typhus, des Scorbutes, der Tuberculosis u. dgl. sprechen wird. Eine gewisse Reihe von krankhhaften Erscheinungen, als deren Grund wir bei dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft eine fehlerhafte Mischung des Blutes m bezeichnen angewiesen sind, nennen wir Scrofulosis, Tuberculosis, Syphilis, Krebs u. s. w., gleichwie wir eine gewisse Reihe von Erscheinungen als elektrische, magnelische u. s. w. bezeichnen, ohne am Ende den letzten Grund dieser Erscheinungen anders als mit dem Namen Elektricität, Galvanismus u. s. w. angeben zu können. Andere erklaren sich dagegen, dass man sagt, gewisse Krankheiten oder Anlagen hiezu seien erblich. Die Erscheinungen, welche zur Annahme dieser Erblichkeit geführt haben, liessen sich ganz einfach und einzig und allein aus der Einwirkung der Aussendinge auf den menschlichen Organismus erklären. Diess heisst ohnge- fähr so viel, als sagen : Jedes Ding ist das, was es ist, nur durch das, was ausser ihm ist, was auf dasselbe einwirkt. Es wird hiebei Wirkung ohne Gegenwirkung als möglich supponirt. Gibt man aber zu, dass die Materie, welche bei der Zeugung den Stoff zur Weiterbildung, zum künftigen Organismus gibt, nicht stets eine und die- selbe sei, dann muss man auch zugeben, dass sie gegen das, was ausser ihr ist, verschieden reagiren werde, und dass ihr späteres Sein, ihre materielle Beschaffenheit (ihre Anlagen, ihre Kräfte) als Product aus 2 Factoren, dem Ursloffe nnd den äussern Einflüssen, zu betrachten sei. Zeigt dieses Product krankhafte Erscheinungen, so kann die Ursache in dem einen Factor sg gut wie in dem andern zu suchen sein.

92 Biudehaut.

Ungesunde, insbesondere feuchte und dumpfige Luft in den Wohnzimmern, wenn die Wände feucht sind, wie so häufig in neugebauten, zu früh be- zogenen Häusern, oder in den gegen Norden gelegenen, oft halb unter- irdischen Stuben armer Stadtbewohner, oder in Zimmern, welche mit Menschen überfüllt sind und wenig gelüftet werden, zumal wenn zugleich darin gekocht, gewaschen und Wäsche getrocknet wird, und wenn die Kinder wenig Gelegenheit haben, sich im Freien zu bewegen. 2. Schlechte Nahrung und Unordnung im Essen. Nicht so sehr an und für sich, als vielmehr in Verbindung mit Mangel an frischer Luft und freier Bewegung wirken schwer verdauliche Speisen nachtheilig auf die Blut- bereitung, und auch die besten Nahrungsmittel führen zu schlechter Blut- bildung, wenn die Kinder überfüttert werden, und so oft, als es ihnen eben einfällt, Ess- oder Naschwaren bekommen. 3. Harte Behandlung, so wie vorzeitige und übermässige Anstrengung der Geisteskräfte schei- nen nicht ohne begünstigenden Einfluss auf die Entwicklung der Scro- fulosis zu sein. 4. Nach schweren Krankheiten, namentlich nach Blat- tern, Masern, Scharlach u. dgl. bemerkt man häufig die Zeichen der Scro- fulosis bei früher anscheinend ganz gesunden Kindern.

Das scrofulöse Allgemeinleiden gibt sich durch verschiedene Er- scheinungen kund. Man unterscheidet gewöhnlich den sogenannten tor- piden und den erethischen scrofulösen Habitus. In der Wirklichkeit kommt der eine wie der andere selten so rein ausgeprägt vor, wie sie die ab- stracte Schilderung darstellt; von einem Extrem zum andern gibt es all— mälige Übergänge. Als Attribute des erethischen bezeichnet man: schlanken Körperbau, dünne Knochen, langen Hals, schmalen Brustkorb, dünne zarte Haut mit leicht gerötheten Wangen, lebhaftes Temperament, frühe Entwicklung der geistigen Anlagen. Den torpiden charakterisiren : ein mehr schwerfälliger Körperbau mit kuzem Halse und grossem Unter- leibe, blasse, mehr aufgedunsene als gut genährte Haut und Muskulatur, dicke, wulstige, häufig excoriirte Nasenflügel und Oberlippe, Anschwellung der Halsdrüsen, verschiedene chronische Hautausschläge, schwerfälliger Gang, träges Temperament, geringe oder verspätete Entwicklung der geistigen Anlagen.

Bei solchen Individuen nun entwickeln sich, theils auf äussere Ver- anlassungen, theils ohne solche, Bindehautentzündungen mit den oben be- schriebenen Merkmalen, und zwar bei den erethischscrofulösen gewöhnlich mit Bläschenbildung, heftiger Lichtscheue und starkem Thränenflusse, selbst mit Augenliderkrampfe, bei den torpiden hingegen mehr mit Pu-

Conjunctivitis scrofulosn Vorkommen Ursachen. 93

stelbildung und relativ geringen oder gar keinem der oben genannten Zufälle.

Den Anstoss zu solchen Entzündungen pflegen zu geben : 1. acute oder chronische Hautausschläge, Masern, Scharlach, Milchschorf u. dgl. 2. katarrhalische Augenentzündungen, oder vielmehr die Veranlassungen zu diesen; bei scrofulösen Individuen verläuft der Katarrh gewöhnlich nicht wie bei andern, sondern combinirt sich meistens mit der als Con- junctivitis scrofulosa geschilderten Form. 3. Verletzungen der Augen; ein Staubkorn, das in's Auge geräth, ein leichter Stoss mit dem Finger u. dgl. reicht oft hin, diese Form hervorzurufen. 4. Starke Anstrengung der Augen, zumal bei künstlichem Lichte, bewirkt oft dasselbe. 5. Sehr häufig entsteht sie ohne äussere Veranlassung, vorzüglich zur Zeit des Zahnens, zur Zeit der Pubertät. 6. Unverkennbar ist der Einfluss der Jahreszeiten ; am häufigsten kommt diese Form im Spätherbste und zeitig im Frühlinge vor, besonders wenn die Witterung feucht und stürmisch ist.

Sie befällt selten beide Augen zugleich, gewöhnlich eines nach dem andern, wechselt oft, indem sie auf dem schon für genesen gehaltenen Auge mit erneuerter Heftigkeit ausbricht, und kehrt oft durch viele Jahre um dieselbe Zeit wieder. Sie wechselt bisweilen mit andern scrofulösen Affectionen, namentlich mit Ohrenflüssen, Beinhautentzündung und Hautausschlägen, am Auge selbst mit Augenliderdrüsenentzündung und sogenannten Gerstenkörnern, kommt übrigens auch mit diesen und andern acuten Eruptionen, namentlich mit Schwellung der Oberlippe und Nasen- katarrh zugleich vor. Den Ausbruch der Augenkrankheit kündigen, namentlich bei reizbaren, schlecht genährten Kindern, nicht selten Fie- bererscheinungen an, und diese dauern dann mehr oder weniger lange fort. Die Kinder sind besonders in der Nacht unruhig, schreien oft aus dem Schlafe auf, zeigen verminderte Esslust, vermehrten Durst, erhöhte Temperatur, sehr frequenten Puls, Stuhlverstopfung, trüben Urin, u. dgl. Sie erscheint am häufigsten in der Zeit zwischen dem 1. und 2. Zah- nen (inclusive), häufig um die Zeit der Pubertät, und da ist sie gewöhn- lich am hartnäckigsten und gefährlichsten, seltener im Mannes- und hö- hern Alter. Sie ist überhaupt eine der häufigsten Augenkrankheiten.

Verlauf und Ausgänge. Beim ersten Beginn, bevor man noch deutliche Exsudate an der Conjunctiva bulbi wahrzunehmen vermag, be- merkt man stärkere Turgescenz und lebhafte Röthe der Bindehaut über den Meibom'schen Drüsen. Gehört das Individuum zu den reizbaren, oder tritt die Conjunctivitis zugleich mit Hautausschlägen (chronischen

94 Bindehaut.

oder acuten) auf, so kündigt die Krankheil ihren Ausbrach zugleich durch heftige Lichtscheue und reichlichen Thränenfluss, häufig auch durch mehr weniger anhaltenden Augenliderkrampf und flüchtige Stiche im Auge an. Diese Erscheinungen stehen, wie schon bemerkt wurde, in keinem geraden Verhältnisse zur Heftigkeit der AfFection des Bulbus, im Gegentheile : gerade bei dem heftigsten Blepharospasmus pflegt der Bulbus sehr wenig zu leiden. Sie sind nichts anderes, als Folgen des Reflexes, welchen die Reizung der im Tarsaltheile verzweigten sensitiven Äste des Trigeminus auf die Ciliar- und den Thränendrüsennerven und auf den Nervus facialis ausüben. Man hat diese Erscheinungen bald von Mitleidenschaft der Sclera und Retina, bald von gleichzeitiger Entzündung des Corpus ciliare herzu- leiten versucht. Die beste Widerlegung finden diese Hypothesen darin, dass ein Staub- körnchen, an die innere Fläche der Lidknorpel gerathen, dieselben Erscheinungen au- genblicklich hervorruft, und, bald entfernt, eben so schnell wieder verschwinden lässt, so wie ferner darin, dass die Conjunctivitis scrofulosa, auch wenn diese Erscheinungen im höchsten Grade und selbst 3Ionate lang vorhanden waren, dem Sehvermögen nie- mals Gefahr bringt, ausser durch Trübungen der Hornhaut in Folge von Exsudation auf derselben. Wenn wir aber bei Ophthalmia catarrhalis und noch mehr, wenn wir bei Blennorrhoea acuta, wo doch die Bindehaut des Tarsaltheiles noch mehr leidet, diese Erscheinungen lange nicht in so hohem, nicht in entsprechendem Grade auftreten sehen, so dürfen wir nicht übersehen, dass wir hier Individuen vor uns haben, bei denen das Nervensystem, namentlich im Bereiche des Sympathicus, auch auf andere Reize krank- haft erhöht reagirt. Unter den vielen Erscheinungen, welche auf diese krankhafte Reizbarkeit hindeuten, will ich nur an die bei scrofulösen Kindern so häufig vorkom- mende Erweiterung der Pupille erinnern , welche man gewöhnlich dem Wurmreize zuschreibt, wenn auch Jahre lang keine Spur von Enthclminthen in den Excrementen bemerkbar wird. Schon das Typische in dem Auftreten die ?anz gewiss nicht von der Dämpfung des Lichtes allein abhängige abendliche Remission hätte den Finger- zeig geben sollen, dass man es hier nicht mit einer rein durch Entzündung, sondern durch Affection des vegetativen Nervensystems bedingten Erscheinung zu thun habe, abgesehen von der Wirkung der Heilmittel auf welche wir weiter unten zu spre- chen kommen werden.

Es geschieht , dass man Tage- ja Wochen - lang die Augen nicht zu sehen bekommt, wenn man nicht zum gewaltsamen Öffnen der Lider sich entschliessen will. Man vermeide dieses, wo man nicht Ur- sache hat, zu vermuthen, es möchte dem Kinde ein fremder Körper zwischen die Lider gerathen sein. So lange der Rand des obern Lides nicht geschwollen und geröthet erscheint, und in der Lidspalte sich nicht ein schleimigeitriges Secret ansammelt, kann man sicher sein, dass sich keine grössere Hornhautgeschwüre entwickelt haben, mithin dem Sehver- mögen noch kein Nachlheil erwachsen ist. Wo aber diese Erschei- nungen eingetreten sind, ist die Untersuchung des Auges, selbst wenn sie einige Gewalt erforderte, dringend nothwendig, nicht nur wegen der Prognosis, sondern auch, um sich vor Verwechslung mit andern Zu-

Conjunctivitis scroftalosa Verlauf Ausgänge. 95

ständen, namentlich mit acuter Bindchautblennorrhöe oder einem nach innen aufgebrochenen Gerstenkorn zu sichern.

Die passendste Zeit zur Untersuchung sehr lichtscheuer Augen ist gegen die Abenddämmerung. Solche Kinder fürchten sich in der Regel sehr vor der Berührung, ja schon vor der Besichtigung ihrer Augen. Man thue gar nicht, als oh man ihr Auge untersuchen wolle, unterrede sich anscheinend mit der Mutter oder einem der Geschwi- ster, nehme eine der Spielsachen in die Hand u. dgl. So bekommt man bei Benützung eines günstigen Augenblickes am ehesten Gelegenheit, das Auge des Kindes zu sehen. Zureden nützt nichts ; gulmüthige Kinder bemühen sich oft auf eine Mitleid erregende Art vergebens, sich absichtlich in's Auge sehen zu lassen ; furchtsame oder verwöhnte gerathen in den Zustand der grössten Aufregung, wenn man gleich brevi manu über sie herfällt, auch nachher noch, so oft man nur in's Zimmer tritt, so oft sie nur vom Arzte hören. Ich hin zu Kindern gerufen worden, deren Altern mich gleich in voraus baten, ich möchte nur nichts merken lassen, dass ich der Doctor sei. Hat man sich das Zu- trauen des Kindes auf obige oder ähnliche Weise gewonnen, dann ist die genauere Untersuchung selten schwierig. Wo nicht Gefahr im Verzuge, warte man lieber einige Ta^e zu. Später, wenn im Verlaufe der Behandlung grössere, durchbohrende Horn- hautgeschwüre entstehen, kommt es dem Arzte gar sehr zu Gute, das Kind ohne ge- waltsames Sträuben untersuchen zu können. Schreitet man hiezu, so thue man es in einer solchen Lage des Kindes, dass man wo möglich gleich beim ersten Emporziehen des obern Lides die Hornhaut mit Einem Blicke übersehen könne. Nie ziehe man beide Augenlider gleichzeitig ah, aus einander, am wenigsten dann, wenn im äussern Winkel Excoriationen vorhanden sind. Dass man bei kleineren Kindern auf unvermu- thete Wendungen des Kopfes, bei grösseren auf unwillkürliches Abwehren mit den Händen, und dadurch mögliches Anstossen des Auges an die Finger gefasst sein müsse, braucht wohl nur fär den Anfänger in der Praxis bemerkt zu werden.

Die Conjunctivitis scrofnlosa ist bald ganz ohne, bald wieder von der grössten Gefahr für das Sehvermögen. Diess hängt ab: von dem Sitze des Esudates, von dessen Beschaffenheit und von den hindurch be- dingten Folgezuständen ; nebstdem sind die Körperbeschaffenheit des Kranken und die Verhältnisse, unter denen er lebte oder leben muss, jederzeit mit in Anschlag zu bringen. Erfolgt die Exsudatablagerung bloss über der Sclera oder knapp am Rande der Cornea, im Limbus con- junet. corneae, so ist das Sehvermögen niemals gefährdet, das Exsudat mag wie immer beschaffen sein. Geschah die Exsudatabi gerung im cen- tralen Theile der Cornea, gegenüber der Pupille oder nahe daran, dann sind temporäre oder stationäre Störungen des Gesichtes, in argen Fällen selbst gänzlicher Verlust des Sehorganes zu fürchten. Erscheint das Exsudat auf der Cornealoberfläahe diffus, in Form zahlreicher Körnchen, von Gefässen durchsetzt, als Pannus scrofulosus, so ist die Krankheit nicht so sehr gefährlich, als langwierig. Eine stationäre Beeinträchtigung des Gesichtes ist hiebei nur nach längerer Dauer zu besorgen, und zwar,

96 Bindehaut.

wenn entweder die Cornea an Elasticität und Resistenz verloren und dess- halb eine stärkere Wölbung angenommen hat, was (fälschlich) als Hydrops camerae bezeichnet wurde, oder wenn das zwischen die Cornea und deren Epithelialüberzug abgelagerte Exsudat bereits so fest (organisirt) ge- worden ist, dass es nicht mehr durch Resorption eliminirt werden kann. (Vergl. Lehre von den Hornhautkrankheiten.) Erscheint die Conjun- ctivitis als sogenanntes scrofulöses Gefässbändchen, so bringt sie dem Gesichte nur in so fern Gefahr, als sie eine bandartige Trübung zurück- lässt, welche in der Regel sehr hartnäckig ist, viele Monate, selbst Jahre lang fortbesteht. Völlig stationär ist jedoch eine solche Trübung nicht. Erscheint die Conjunctivitis mit Bläschen- oder Pustelbildung, so hängt die Bedeutsamkeit derselben von dem Umstände ab, ob sie zur Ge- schwürsbildung auf der Cornea führt, oder nicht. Je deutlicher das Exsudat über die Umgebung sich erhebt, desto sicherer kommt es zur Schmelzung, zur Geschwürsbildung. Je saturirter, je mehr gelb (eiter- ähnlich) das Exsudat aussieht, desto leichter führt es zu tiefer und aus- gebreiteter Zerstörung der Hornhautfasern. Daher wird die Conjunctivitis mit Bläschenbildung im Allgemeinen für weniger gefährlich geschildert, als die mit Pustelbildung. Bisweilen findet man bloss einen kleinen, grau- oder weissgelben Punkt auf der mittlem Partie der Cornea, vielleicht in einer Zeit, wo die partielle Gefässeinspritzung, die bei seinem Entstehen vorhanden war, bereits wieder verschwunden ist; derselbe führt weder zu tieferem, noch zu ausgebreitetem Substanzverluste, und doch hinter- lässt er eine Trübung, welche Monate Jahrelang fortbestehen kann. Die Trübungen, welche zurückbleiben, nachdem die Bläschen oder Pusteln, ohne zu bersten, resorbirt worden sind, pflegen nur transitorisch zu sein. Wenn das Exsudat zur Geschwürsbildung Veranlassung gegeben hat, dann können die Folgen sehr verschieden sein. War das Exsudat wenig saturirt (Bläschenform), so führt es in der Regel nur zu seichtem und we- nig ausgebreitetem Substanzverluste. Solche Geschwürchen können leicht übersehen werden, weil ihr Grund wenig oder gar nicht getrübt er- scheint. Erst mit der Zeit, wenn die zum Ersätze ausgeschwitzte Substanz fester zu werden beginnt, pflegen solche Stellen trüb zu werden ; es entwickelt sich eine Narbe, halbdurchsichtig, graulich (»der milchblau, mit verwaschenen Rändern. Es sind mir Kinder vorgeführt worden, bei denen die vorausgegangene Entzündung, Bläschen- und Geschwürsbildung nicht beachtet, oder fast vergessen worden war, und wo die auf diese Weise sich kundgebende Heilung für eine besondere neue Krankheit, für das AVachsen eines Fleckes auf dem Auge gehalten wurde. Selten

Conjunctivitis scrofulosn Folgen Prognosis. 97

führen solche Geschwüre (nach Bläschenbildung) zu tieferem Substanz- verlusfc oder gar zur Durchbohrung der Hornhaut. Die Folgen der tiefern Hornhautgeschwüre werden wir Lei den Krankheiten der Hornhaut näher angeben.

Hornhautgeschwüre mit deutlich grauem oder gelbem Grunde, in der Regel die Folge von Pustflbildung bei dieser Ophthalmie, zeigen weit mehr Tendenz, sowohl sich auszubreiten, als auch die Hornhaut zu durch- bohren. Die Zerstörung der Hornhaut gewinnt aber hier nicht bloss durch eitrige Infiltration der Ränder an Ausdehnung, sondern bisweilen auch dadurch, dass der Eiter sich zwischen den Faserschichten der Hornhaut senkt, und in Gestalt der Lunula am Nagel in der untersten Partie der Cornea ansammelt, was man Unguis genannt hat. In glücklichen Fällen wird ein solcher Congestionsabscess durch Resorption entfernt ; in andern erfolgt Erweichung und Zerstörung der untern Hornhautpartic. Bei grösseren und tieferen Eiterherden in der Cornea tritt bisweilen Iritis mit Exsudatbildung in der vordem Kammer (Hypopium) hinzu. Wenn die Symptome der Iritis, wie gewöhnlich, nicht deutlich ausgesprochen sind, oder wenn der Zustand der Iris wegen Trübung der Cornea nicht sicher beurtheilt werden kann, ist es schwer, Hypopium von Unguis zu unterscheiden. Die Anhaltspunkte für die Diagnosis können erst später angegeben werden. Auf welche Weise derlei Geschwüre die Veranlassung zu grossen Hornhautnarben, Hornhautfisteln, Slaphylomen u. s. w., so wie zu Ent- zündung und Zerstörung des ganzen Augapfels führen können, lässt sich ebenfalls erst später erörtern. Eben so kann auf andere, mehr in- direkt bedingte Nachübel vorläufig nur nominel hingedeutet werden. Hiebet- gehören : Einwärtsstülpung des Lidrandes in Folge anhaltenden Augen- lidkrampfes (sehr selten), Verwachsung der Cutis des obern Lides mit der des untern vom äussern Winkel her (Blepharophimosis) in Folge anhaltender Benetzung durch die Thränen (Excoria!i;»nen), Schielen, Kurzsichtigkeit, Schwäche der Retina (in Folge dessen, dass der Kranke sich gewöhnt, nnr Eines Auges sich zu bedienen), Verkrümmung der Wirbelsäule (in Folge der wegen Lichtscheue fehlerhaften Haltung des Kopfes) u. dgl.

Bei der Stellung der Prognosis sind überdicss sowohl die äussern als die Innern Verhältnisse des Kranken, und die Möglichkeit oder Un- möglichkeit, hierauf günstig einzuwirken, wohl in Anschlag zu bringen. Wo das scrofulöse Allgemeinleiden ererbt oder angeboren, oder wo es durch unabänderliche Schädlichkeiten erworben ist und fort genährt wird, da sind nicht nur die einzelnen Anfälle der Conjunctivitis hartnäckig,

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58 Bindehaut.

sondern kehren auch bänfig bald auf dem einen, bald auf dem andern Auge zurück, namentlich im Frühlinge und Herbste. Durchaus hartnäckiger und gewöhnlich auch gefährlicher sind jene Anfälle, welche um die Zeit eintreten, wo das Individuum mannbar werden soll, oder einige Jahre später. Weibliche Individuen derart bekommen ihre Menstruation ge- wöhnlich sehr spät, um's 17. 20. Jahr herum, und sehr unregel- mässig. Je mehr die Attribute des sogenannten torpiden Habitus ausge- prägt sind, desto langwieriger pflegt der Verlauf, desto schwieriger die Cur zu sein; den günstigsten Einfluss pflegt auf das Ausbleiben der Re- cidive der Eintritt gewisser Lebensepochen zu nehmen, der Zahnwechsel um's 7. Jahr, der Eintritt der Pubertät, die erste Schwangerschaft. Auf gleiche Weise überraschend wirkt oft der gänzliche Wechsel der Le- bensweise und Lebensverhältnisse, die Übersiedlung in eine andere Ge- gend, der Besuch eines Badeortes, längerer Aufenthalt auf dem Lande u. dgl.

Die Behandlung; muss eben so gut auf das allgemeine als auf das örtliche Leiden gerichtet werden, sonst würde gar oft nicht nur eine Recidive nach der andern erscheinen, sondern auch der einzelne Anfall sehr in die Länge gezogen und gesteigert werden. Sie erfordert zunächst :

A) Besondere Rücksicht auf die oben erwähnten disponirenden und excitirenden Momente, die Krankheit mag nun erblich, angeboreu oder rworben sein.

1. Sorge für gesunde Luft. In feuchten, dumpfigen, überfüllten, zumal gegen Norden gelegenen, Jahr aus Jahr ein den Sonnenstrahlen entzogenen Zimmern wird man nicht leicht einen Anfall scrofulöser Augen- entzündung schnell und sicher beheben, geschweige denn das Übel von Grund aus heilen. Wo es die Umstände nicht erlauben, eine bessere Wohnung zu beziehen, oder einige Monate auf dem Lande zuzubringen, lasse man so viel als möglich die Zimmer lüften, und die Kinder in's Freie bringen, wenn nicht gerade nasskaltes oder stürmisches Wetter ist. Einem Kinde wegen einfacher Conjunctivitis scrofulosa den Genuss der frischen Luft zu versagen, ist mindestens unnöthig,

2. Sorge für zweckmässige Nahrung. Diese bestehe, im Allgemeinen gesagt, in einfachen und leicht verdaulichen Speisen.

Sauere, sehr fette, sehr gewürzte Speisen und Zuckerwerk müssen vermieden werden, ebenso Hülsenfrüchte ; Gemüse (ausgenommen die gelben Rüben und die grü- nen Erbsen, gekocht oder gedünstet, Spinat und Spargel so wie Erdäpfel und Brod dürfen nur in geringer Menge <je2ebcn werden, besonders wenn das Kind wenig Be-

Conjunctivitis scröftilö&a Therapie. 99

wegung im Freien machen kann. Obst reiche man nur in ganz ausgereiftem Zustande, sauere Apfel, Johannes- und Stachelbeeren, Birnen, Nüsse, Kastanien, Mandeln u. dgl. lieber gar nicht. Die Entzündung am Auge ist keineswegs der Art, dass man Ursache halle, den Genuss von Fleischspeisen zu untersagen. Den sogenannten Erclhischen sagt im Allgemeinen eine reizlose, kühlende, mehr aus Yegetabilien bestehende Kost zu, während Torpide mehr animalische Kost, selbst mit Zusatz von etwas Gewürz, bessei vertragen. Zum Getränke in der Regel Wasser, für schlecht genährte, jedoch nicht zu reizbare Kinder etwas Bier, wenn sonst keine Gegenanzeige vorhanden ist.

Eine Hauptsache ist strenge Ordnung. Nichts stört die Verdauung- und Chylusbildung mehr, als das fortwährende Vollstopfen mit Ess- und Nasch- waaren. Lieber lasse man die verwöhnten Kinder durch einige Tage trolz der Augenentzündung weinen; diess schadet ihnen lange nicht so sehr, als die alte Unart ; in wenig Tagen sind sie anders gewöhnt, wenn man sich's nur angelegen sein lä^st.

3. Wohl zu berücksichtigen sind ferner der Einfluss des Lichtes, der Wärme und der Reinlichkeit. In Bezug auf das Licht, dessen wohlthä- tigen Einfluss auf die Vegetation wohl Niemand verkennt, soll hier nur bemerkt werden, dass man dem Streben solcher Kranken« sich dem Lichte zu entziehen, nur bis zu einem gewissen Grade nachgehen darf; sonst wird die Lichtscheue nur um so heftiger und hartnäckiger. Insbesondere schadet es, derart entzündete Augen zu verbinden. Das Auge wird unter dem von Thränen durchfeuchteten Verbände förmlich gebrüht und dem Lichte noch mehr entwöhnt; eine häufige Folge des Verbindens ist das Schielen, oder auch die Gewohnheit, sich nur eines Auges zum genaueren Sehen zu bedienen. In Bezug auf die Pflege der Reinlichkeit muss bemerkt werden, dass Bäder nicht gut vertragen werden, so lange die Augen noch lichtscheu sind; später können sie, nach allgemeinen Regeln, bald mit Malz, bald mit Steinsalz oder andern Mitteln versetzt, bald auch einfach und zwar warm oder kalt verordnet, von entschiedenem Nutzen gegen das Allgemeinleiden sein.

4. Geistige Anstrengung und moralische Behandlung sind nicht ausser Acht zu lassen. Kinder mit solchen Augenentzündungen werden, weil man ihnen des Augenleidens wegen alles gewährt, gern so verzogen, dass sie die Tyrannen ihrer Umgebung spielen. Anererseits ist man oft hart gegen sie, indem man sie zum Lernen anhält, ehe noch die über- mässige Empfindlichkeit gegen das Licht ganz beseitigt, und ehe heilbare Hornhautflecke geheilt sind. Die Folgen davon sind Kurzsichtigkeit, Schielen, baldige Recidive der Entzündung.

5. Dass äussere Schädlichkeiten, welche im Allgemeinen zu katar- rhalischen Bindehautentzündungen Anlass geben, bei Kindern mit scrofulöser

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100 Bindehaut.

Augenentzündung oder besonderer Neigung hiezu insbesondere zu meiden sind, braucht wohl kaum er.4 erörtert zu wer.Ien.

B) Würdigung der Erscheinungen am Auge selbst.

1. Ist Lichtscheu und Thränenfluss in hohem Grade vorhanden, oder sogar Augenliderkrampf, so müssen diese Zufälle vor allem gemildert werden. Ist dabei das Kind ohne Fieber, und keine Diarrhöe, im Ge- gentheile, wie gewöhnlich, Stuhlverslopfung vorhanden, so beginne man die Cur mit einem Abführmittel, bei reizbaren Individuen mit einem eeco- proticum, bei torpiden mit einem drasticum, bei letzteren wohl auch mit einem Brechmittel Diese Mittel sind auch, falls keine Gegenanzeige vor- handen, im weitem Verlaufe der Behandlung von Zeit zu Zeit zu wieder- holen. Blulentziehungen, selbst örtliche, sind mindestens überflüssig, bei Kindern geradezu schädlich.

Als die wirksamsten Mittel gegen Lichtscheue und Augenlidkrampf kann ich nach vielfältiger Erfahrung empfehlen:

a) Einreiben oder vielmehr Aufstreichen einer Salbe aus 4 6 Gran Präcipitatus albus und 6-12 Gran Extraktum belladonnae mit 1 Drachme Fett gut verrieben, an die Stirn und Schläfe, von den Augen- brauen bis zum Kopfhaar, alle 2 4 Stunden erneuert, so dass die Haut immer gehörig fett bleibt. Das Abwischen verhindert man durch einen einfachen Papierschirm *). Ist das Präparat gut, und wird es fleissig aufge- strichen, so bewirkt es binnen wenig Tagen einen pustulösen Ausschlag auf der Stirn; dann ist es wegzulassen, ingleichen, wenn die Pupille anfängt, weiter zu werden. Hieinit ist auch die Lichtscheu, sehr oft auch grösstentheils die Entzündung behoben. Wirkt es nach 8 lOtägigem Gebrauche nicht, so bestehe man nicht länger darauf, und wähle an- dere Mittel.

b) Nächstdem erwiesen sich mir besonders wirksam Einreibungen der Autenrielh' sehen Salbe zwischen die Schulterblätter, */„ Drachme Tartarus stibiatus auf 2 Drachmen Fett, und, um den Schmerz zu mildern und minder grosse Pusteln hervorzurufen, mit 1 Scrupel Pulv. corticis mezerei versetzt. Bei fieberhafter Aufregung dürfen sie gar nicht, bei reizbaren Individuen müssen sie sehr vorsichtig angewendet werden; bei Kindern unter 5 6 Jahren werden sie nicht leicht nothwendig. Man setze sie nicht zu lange fort, damit keine zu tiefen Geschwüre oder Intoxi-

W) Augenschirme aus Kartenpapier oder aus Taflet über Draht gespannt werden von den Kindern nicht wohl vertra- gen. Ich lasse ein Blatt weisses oder wenn man will grünes Papier so zusammenlegen, dass es etwas breiler wird, als die Stirn, und etwa so lang, als der Abstand von einem Ohr zum andern. Dieses wird mittels eintf oben durchlaufenden Fadens so um den Kopf befestigt, dass es etwas über die Augen harabragl.

Conjunctivitis scroftilosa Therapie. 101

cationserscheinungen eintreten. Ich würde einem so unliebsamen Mittel nicht das Wort führen, wenn ich nicht durch bestimmte Thatsachen von seiner Wirksamkeit überzeugt worden wäre.

c) Ein vorzügliches Mittel besitzen wir in dem Conium maculatum (Cicuta mrosa). Dasselbe wird innerlich verabreicht, als Pulvis herbae zu 2 5 Gran, oder als Extractum zu y2 1 Gran, oder als Alkaloid, Coniin zu !/10 y8 Gran täglich 2 3mal, bei anhaltendem Augenlidkrampfe am besten in allmälig gesteigerler Gabe. Man beginnt z. B. mit 1 Gran Extr. conii, gibt den 2. Tag 2, den 3. Tag 3mal 1 solches Pulver, den 4. Tag nichts, den 5. Tag 3, den 6. Tag 4, den 7. Tag 5 Stück, den 8. Tag nichts, den 9. Tag 5. u. s. w. Man wird nicht leicht nöthig haben, und es wäre auch nicht gerathen, auf mehr als 8 Gran in 24 Stunden zu steigen. Bei Säurebildung in den ersten Wegen verbindet man es zweck- mässig mit Magnesia carbonica oder mit Baryta muriatica. Die Anwen- dung dieses letztem Mittels erheischt jedoch, wie bekannt, grosse Vorsicht. Eine zweckmässige Formel ist z. B. Barytae muriaticae, Extracti conii ma- culati a"a scrupulum, solve in aquae desl. vel aquae cinnunomi et Syr. cort. aurant. a"a uncia dimidia, täglich 2 3mal 20 30 Tropfen, allmälig steigend zu nehmen. Ein verlässlicheres Präparat ist das Coniin. Coniini grana duo, solve in Spiritus vini scrupulo et aquae dest. unc. quatuor, täglich 2— 3mal 20—40 Tropfen, allmälig steigend; oder: Coniini y,0 Gran mit Eleosacch. cort. aurant., in Charta cerala, täglich 1 2mal.

d) Man wird nicht leicht nöthig haben, nach andern Mitteln sich umzusehen; dennoch wird es gut sein, deren mehrere zu kennen. Fomente mit einer Lösung aus ',— 1 Drachme Borax und ebenso viel Aqua laurocerasi in 6 Unzen dest Wassers, täglich 2 3mal durch '/,, Stunde lauwarm angewandt, leisteten mir in den paar Fällen, wo ich sie verordnete, ganz gute Dienste. Prof. Fischer (klin. Unterr. S. 273 und Lehrbuch S. 213) sah gute Wirkung von der Tinctura bignoniae, mit 2 3 Theilen Wasser verdünnt, täglich 2 3mal lau in's Auge geträufelt. Derselbe empfiehlt auch die Tinctura Galbani, mittelst eines Leinwandbäuschchens einige Male des Tages durch einige Minuten lauwarm über die Lider zu legen, oder innerlich einige Tropfen der Tinctura Fabae Ignalii oder der Tinctura Hhois toxicodendri in Zuckerwasser zu ver- abreichen. Cunier (Annales d'Ocul. T. 10 p. 62) rühmt die Blausäure, namentlich ein Collyrium aus 3 Unzen Aqua belladonnae dest. mit '/, Drachme Acidum hydrocian. medicin. (Acidi prussici puri pars 1 in aq. part. 8) zu Einträufiungen oder zu Wa- schungen und Bähungen der Lider, letztere alle 20 30 Minuten vorzunehmen, oder 6 Gran Cyanuretum potassae in 2 Unzen Aq. belladonnae. Deval (Ann. d'Oc. T. 13. p. 71) lässt nach Demours das Kerbelkraut (Chaerophyllum sativum Lam.) durch 10 Mi- nuten kochen und die Nacht hindurch in Form von Kataplasmen auf die Lider anwen- den, sodann das Auge oft mit einer concentrirten Abkochung desselben waschen. Vom Einblasen oder Einstreuen des Kalomelpulvers nach Fricke u. A. bin ich durch einige

102 Bindehaut.

Falle, wo es sich über der Conjunctiva bulbi in Kliimpchen angesammelt und partielle Entzündung erregt hatte, abgeschreckt worden. Zu Jüngkeris Methode, die licht- scheuen Kinder gewaltsam starkem Tageslichte auszusetzen, oder mit dem Kopfe mo- mentan in ein Gefäss voll kalten Wasser einzutauchen, konnte ich mich bisher eben so wenig entschliessen, wie zu Ruete's Verfahren, kalte Umschlage anzuwenden ; am wenigsten scheinen mir diese Behandlungsweisen für die Privatpraxis zu passen. Kalte Umschläge ordiniren sich hierorts die Laien von selbst, und man kann so zu sagen täglich beobachten, wie viel damit Unheil gestiftet wird, auch in Fällen, wo sie nach Ruele angezeigt wäre.

2. Ist die Heftigkeit der Lichtscheue gebrochen, dann kommt es auf den Zustand der Cornea an, welche Behandlung- einzuleiten ist.

a) Bei dem sogenannten scrofulösen Gefdssbändchen, welche Form nur mit sehr geringer oder gar keiner Lichtscheu verläuft, besteht die örtliche Behandlung in der Einreibung einer Salbe aus 3 6 Gran weissem Präcipitat auf 1 Drachme Fett, 3 4mal in 24 Stunden an die äussere Fläche der Lider. Ist das Kind nicht verständig genug, nachher mit ge- schlossenen Augen y„ 1 Stunde liegen zu bleiben, so wähle man die Zeit des Schlafes hiezu.

b) Beim Pannus scrofulosus sind Einträuflungen von lauwarmer Aqua Conradi, von Laudanum liq. Sydenh., in hartnäckigen Fällen von Collyrium adstr. luteum die wirksamsten der örtlichen Mittel.

c) Jene seltene Form, welche mit der Bildung eines gelblich— oder graulich - sulzigen Exsudates in Form von Knötchen oder Wülsten im Limbus conjunet. corneae auftritt (Vergl. Prager Vjschr. 12. Band, Seite 73), und sehr langsam verläuft, erfordert das Bestreichen mit Lau- danum Syd., Cuprurn sulfur. oder gummirtem Lapis.

d) Bei der Bildung kleiner Bläschen oder Pusteln ist oft schon das leichte Abführmittel oder die Mercurialsalbe an die Stirn und Schläfe hin- reichend, die Bückbüdung einzuleiten ; nach gemilderter Lichtscheue mag man eine schwache Lösung von Sublimat, von Nilras argenti oder Lau- danum einträufeln ; in der Begel aber ist dann der rothe Präcipitat, 1 2 Gran auf 1 Drachme, vor dem Einschlafen an die Lidränder eingerieben, das beste Mittel, die Besorption zu beschleunigen. Sind die Bläschen oder Pusteln etwas grösser, namentlich erhabener, so erfolgt die Abstos- sung des überkleidenden Epitheliums, und somit die Umwandlung in ein Geschwür bald früher, bald später von selbst. Ich habe das Betupfen solcher Pusteln mit einem zugespitzten Lapis inf. in zahlreichen Fällen angewendet, kann ihm aber nicht das günstige Zeugniss geben, das ihm gegeben worden ist. Einreibungen von Unguenium cinereum oder von einer etwas stärkern weissen Präcipitatsalbe an die Stirn und Schläfe

Conjunctivitis serofulosa Therapie. 103

und A^erabreichung gelinderer oder stärkerer Abführmittel, je nachdem die einen oder die andern sonst zulässig oder angezeigt waren, schienen mir noch am ehesten geeignet, der Vergrösserung solcher E.xsudationen Schranken zu setzen. Auch den Einträuflungen von verschieden starken Lösungen des Argentum ni tri cum, des Sublimates, des Cadmium sulfuricum u. s. w. kann ich in dieser Beziehung durchaus nicht das Wort reden.

e) Seichte Geschwürchen mit reinem oder nur wenig trübem Grunde erfordern in der Regel keine andere Behandlung, als die eben angege- bene. Greifen sie aber weit um sich oder in die Tiefe, oder bleiben sie Tage- Wochen - lang stationär, dann ist zu unterscheiden, ob diess unter Forlbestehen oder Steigerung der Gefässeinspritzung, des Thränenflusses und der Lichtscheu, oder aber unter Nachlass oder völliger Abwesenheit, dieser Erscheinungen geschieht, mit andern Worten, ob ihre Zunahme, ihr Bestand mit entzündlichen Zufällen, oder mit einem sogenannten tor- piden Zustande des Auges und Gesammtorganismus einhergeht. Im erstem Falle sind Abführmittel zu reichen, die Nahrung einzuschränken, Mercurialeinreibungen an die Umgebung der Augen vorzunehmen ; im letzteren Falle ist durch örtliche Reizmittel, durch kräftige Kost, durch tonische und erregende Arzneimittel der zur Narbenbildung nöthige Grad von Reaction anzustreben. Unter die örtlichen Reizmittel gehören a) trockene warme Tücher oder Kräutersäckchen (Flor, chamomillae, flor. sambuci a~a unc. dimid., farin. fabarum vel secalin. unciam, in doppelte feine Leinwand eingenäht und gut durchsteppt), wenn bei eitriger Infil- tration ödematöse Schwellung der Bindehaut oder der Lider auftritt ; /?) Einlräuflungen von verdünntem oder selbst reinem Laudanum liq. Syd., 1 2mal in 24 Stunden, oder von einer Lösung aus 1 5 Gran Nitras argenti in i Unze Wasser, oder von 2—4 Gran Lapis divinus mit */,, 1 Scrupel Tinctura opii simpl. in 1 Unze Wasser; y) selten wird man in die Lage kommen, ein Geschwür wegen Mangel an Reaction mit Tinctura jodinae oder mit Lapis infernalis in Substanz betupfen zu müssen; mit letzterem sei man, besonders in der Privatpraxis, namentlich als Anfänger, nicht zu schnell bei der Hand.

f) Sind die Hornhautfasern bis auf die tiefsten oder bis auf die Descemet'sche Haut zerstört, und diese in Form eines durchsichtigen Bläschens vorgetrieben, Keraiokele, oder ist bereits völliger Durchbruch der Cornea, einfach oder mit Vorlreibung der Iris erfolgt, dann ist nebst dem unter e) auseinandergesetzten Verfahren noch ruhige Lage des Kranken, mindestens Vermeidung jeder stärkern Muskelanstrengung und heftigem Bewegung nothvvendig, um so strenger, jemehr dadurch Gefah

104 Bindehaut.

zur Verziehung oder gar Schliessung der Pupille gesetzt ist, und sich Staphyloma partiale oder totale zu entwickeln droht. Die Begründung dieser Vorsichtsmassnjgel, so wie die weitere Behandlung des Irisvor- falles und der Folgezustände können füglich erst hei der Lehre von den Hornhautkrankheiten gegeben werden.

(7) Auswahl der Arzneimittel, welche theils zur Beseitigung des einzelnen Anfalles von Conjunctivitis, theils zur Verbesserung des con- stitutionellen Übels innerlich zu geben sind.

Der ansehende Praktiker findet eine Menge Mittel gegen die Scrofulosis em- pfohlen. Es würde voreilig sein, daraus den Schluss zu ziehen, dass eigentlich keines •twas tauge. Allerdings besitzen wir kein Mittel, das in allen Fallen hilft, aber es gibt Mittel von ausgezeichnetem , erprobtem Nutzen. Die Kunst des Arztes besteht hier im Individualismen und in der gehörisren Beharrlichkeit. Eigene sorgfältige Beob- achtung am Krankenbette muss hier das Meiste thun; die Erfahrung Anderer kann nur die allgemeinsten Anhaltspunkte geben. Wenn irgendwo, so scheint es hier nothwendig, vor dem Schlendrian so mancher Arzte zu warnen, welche, so oft ihnen ein Kind mit scrofulöser Ausrenentzündung vorkommt, nach gewohnter Weise das Mittel verschreiben, das in ihrer Feder steckt, ohne Wahl, selbst ohne Rücksicht auf die Dosis. Kinder, zum Skelett abgemagert , werden ohne weiters mit Abführmitteln oder Vesicantien hinter den Ohren tractirt, während Andere nichts zu kennen scheinen, als irgend ein Colljrium, dessen Formel ihnen noch von der Schule her geläufig ist.

1. Salzige Abführmittel bekommen den scrofulösen Kindern im Allgemeinen nicht gut; man sei also damit eben so vorsichtig, wie mit Blutentziehungen. Für Reizbare passen: ein leichter Aufguss von Senna *), Aqua laxativa Yiennensis, für kleiner Kinder Hydromel infantum, Syrup. cichorei cum rheo, für Torpide ein stärkeres Infusum sennae oder Ele- ctuarium lenitivum, Kalomel mit Jalappa in Zwischenräumen von einigen Tagen. Abführmittel sind besonders bei torpiden Individuen, namentlich wenn chronische Hautausschläge im Gesichte oder am Kopfe vorhanden sind, von Zeit zu Zeit etwas stärker anzuwenden. Bei Crusta lactea habe ich den Thee aus Herba jacea mit Milch, und damit es die Kinder leichter nehmen, mit ein wenig Caffee, oder, wo ich zugleich purgiren wollte, mit Sennesblättern, oft mit augenscheinlich gutem Erfolge ange- wandt. — Bei Zeichen von Magensäure verbinde man mit dem Abführ- tränkchen Bicarbonas sodae, Lapis cancrorum, oder Magnesia, oder reiche diese Mittel, falls die Kinder sie nehmen, in Pulverform, allein oder mit Rheum.

*) Um das Leibschneiden, welches sie verursachen, zu vermeiden, asse man die mittelst Alkohol entharzten Blätter nehmen. Sehr gut genommen und vertragen werden sie auch, wenn man sie. nach Beseitigung der Stiele, mit dem Kaffee infuadirt. den man zum Frühstück gibt.

Conjunctivitis scrofulosa Therapie. 105

2. Brechmittel zu Anfang der Cur, wohl auch später immer nach einigen Tagen wiederholt, fand ich oft von entschieden guter Wirkung bei torpiden Individuen, namentlich wenn grosse Hornhautpusteln oder Geschwüre mit gelben, wulstigen, oder von zahlreichen Gefässen über- zogenen Rändern jedoch ohne Durchbruch oder Gefahr hiezu oder wenn Eiter zwischen den Hornhautfasern oder in der vordem Augenkammer angesammelt war. Tartarus stibiatus r. d. passt besonders, sobald es die Verdauungsorgane zulassen, bei frequentem Pulse und leicht erreg- barem Blutandrange zum Kopfe. Den Aetkiops antimonialis habe ich (nach von Walthers Rath bei schlecht genährten torpiden Individuen, besonders wenn gleichzeitig chronische Hautausschläge vorhanden sind) theils allein, theils mit Conium, Magnesia oder Rheum verabreicht; ich sah zwar niemals eine eclatante Wirkung, glaube jedoch die Beobach- tungen noch weiter fortsetzen zu müssen. Aethiops mineralis, Pulvis Plummeri, so wie überhaupt stärkere Mercurialpräparate bei Scrofulösen durch längere Zeit anzuwenden, halte ich wenigstens bei Conjunctivitis scrof. nicht für angezeigt.

3. Die Hauptrolle bei der arzneilichen Behandlung spielen die tonischen Mittel, deren viele als Specißca empfohlen wurden. Hieher ge- hören der Eichelkaffee, die grünen Schalen und Blätter von Nux juglans regia, der Calamus aromaticus u. dgl. Die China, welche von Kindern am besten als Infusum oder Extractum frigide paratum vertragen wird; das Chinin, bei Kindern zu 1, bei Erwachsenen zu 2 Gran 2 3mal des Tages verabreicht, hat Makenzie als ein vorzügliches Mittel empfohlen, wenn nach Vorausschickung eines Abführ- oder Brechmittels Lichtscheu und Thränenfluss noch heftig sind, der Puls jedoch nicht sehr rasch ist, in welchem Falle kleine Gaben von Brechweinstein angewendet werden sollen. Das Eisen, am besten als Ferrum carbonicum saccharatum allein oder, wenn es gelind eröffnend wirken soll, mit Rheum ; letztere Eigenschaft hat auch die Verbindung von weinsteinsaurem Eisen und Kali (Ferri tartrici, Kali tartrici et Elaeosacch. aurant. a"a Drachmam D. in dos. aeq. XII, täglich 2 3 Stück). Das Jod, Jodkali, Jodeisen, bei möglichster Vermeidung stärkmehlhaltiger Nahrungsmittel in entsprechender Gabe angewandt, ist unstreitig eines der wirksamsten Mittel gegen Scro- fulosis in Allgemeinen. Es eignet sich mehr für torpide Individuen, und kann meistens erst nach behobenem Anfalle, oder bei sehr schleppendem Verlaufe der Conjunctivitis angewendet werden. Dasselbe gilt von der Adelhaidsquelle und dem Haller Wasser. Ein unschätzbares Mittel bei erethischen (atrophischen) scrofulösen Individuen ist der Leber thran. Er

106 Bindehaut.

kann ohnevveiters schon während des Anfalles der entzündlichen Zufälle am Auge in Anwendung gezogen werden. Man gibt ihn täglich zweimal zu 1 Kaffee - Kinder - Esslöffel , zur Milderung des unangenehmen Geschmackes mit etwas Syrupus emulsivus oder mit etwas Citronensaft. Kinder, welche ihn nicht nehmen wollten, Kinder, welche bei äusserster Abmagerung zugleich an erschöpfendem Durchfalle litten, liess ich vor dem Schlafengehen am ganzen Körper damit einreiben und in ein Leintuch einwickeln ; es gibt wenig Mittel, von denen ich so entschieden gute Wirkung gesehen, wie von diesen Einreibungen. Ob die Baryta muria- tica wirklich die Heilkräfte habe, die man ihr gegen die Scrofulosis zu- geschrieben, muss ich nach meinen Erfahrungen noch dahin gestellt sein lassen. Ich reichte sie selten allein, meistens in Verbindung" mit der Cicuta, deren bereits oben Erwähnung geschah, oder mit Eisen. (Terrae ponderosae salit. et ferri muriat. a~a dr. semis, Aq. desl. com. et Syr. aurant. a"a unciam, M. D. S. Täglich 2 3mal '/2 1 Kaffeelöffel voll zu nehmen).

4. Zum Schlüsse erwähnen wir noch der Gegenreize, Vesicantien, Fontanelle , Haarseile. Erstere fand ich meist unnütz , letztere beide geradezu schädlich. Wann Gegenreize anzuwenden sind, und dass hiezu die Autenrieth'sche Salbe wohl das beste Mittel, wurde bereits erörtert.

V. Conjunctivitis trachomatosa, Trachoma s. asperitudo

conjunctivae.

Die trachomatüse Bindehautentzündung charakterisirt sich durch Ablagerung eines suhigen Exsudates in Form isolirter, selbstständiger Körner oder Hügel, nicht bloss unier das Epithelium der Binde/taut der Lider, und (bei höhern Graden) selbst des Bulbus, sondern auch in das Parenchym der Bindehaut und in die tiefem Gebilde (Knorpel und Zell- stoff), und durch Einleitung von Schrumpfung der inßltrirten Gewebe.

Sie besteht nicht in primärer Erkrankung des Papillarkörpers, geht nicht nothwendig und nicht gleich von Anfang mit Schwellung der ganzen Bindehaut und Ausscheidung flüssigen Exsudates an die freie Oberfläche einher, und ist nicht ansteckend, wie die Blennorhöe, mit der sie bisher so häufig verwechselt oder für gleichbedeutend gehalten wurde. Die Ursache der Ablagerung jener umschriebenen, gelblichen, sulzigen Exsudate unter das unversehrte Epithelium und in die tiefern Gebilde muss zulezt in einem Allgemeinleiden, in Krankheit des ganzen Organismus gesucht

Tracfaoina Symptome. 107

werden. Das Vorhandensein vermehrter und veränderter Secretion ist liier nicht wesentlich, und findet nur unter besondern Verhältnissen stall.

Eine gewisse Rauhigkeit oder vielmehr Unebenheit der Lidbindehaul, welche eben durch den Namen angedeutet wird, bleibt immer eine her- vorstechende Erscheinung dieser Krankheit in allen ihren Formen und Stadien, wenn sie auch derselben nicht ausschliesslich zukommt. Diesp Rauhigkeit ist bedingt durch die Exsudate, welche in Bezug auf ihre Form {Kugelform) und ihren Sitz (unabhängig von einem bestimmten Elemente der Bindehaut, Papillarkörper oder Schleimfollikel) eine gewisse Selbstständigkeit darbieten, uud durch die Veränderungen, welche die davon infiltrirten Gebilde durch diese Exsudate und deren Metamorphosen erleiden.

Die Ausscheidung der Exsudate kann ohne merkliche Röthe, Schioellung und Secretionsveränderung der Bindehaut vor sich gehen ; sie beginnt in der Regel am untern Lide, und kann von da auf das obere, zuletzt auch auf die Conjunctiva bulbi und auf die Cornea übergehen. Die Krankheit ist an keinen bestimmten Serlauf gebunden, kann Jahre lang dauern, von Zeit zu Zeit frische Nachschübe bildend. Sie combinirt sich häufig mit den Zufällen der Conjunctivitis scrofulosa, häufiger noch mit denen der Conjunctivitis catarrhalis, und schliesst die Erscheinungen der Blennorrhoe nur in so fern aus, als diese durch rasche Entwicklung und Heftigkeit des entzündlichen Processes Resorption der das Trachom charakterisirenden E^udate herbeiführen.

Die Symptome sind verschieden, je nachdem die Exsudate bloss an der Oberfläche der Bindehaut, unter dem Epithelium aufgelagert oder auch zugleich im Parenchym inßltrirt erscheinen, ferner je nachdem die Exsudate rasch, unter heftigen Reactionser scheinungen oder allmälig und unvermerkt abgelagert werden, endlich je nach den Meta- morphosen, welche die Exsudate selbst und die davon infiltrirten Gewebe bereits erlitten haben.

1. Grad. Auflagerung. Auf der Bindehaut im Tarsal- und im Über- gangstheile, bisweilen auch an der Peripherie des Scleraltheiles sieht man mohn- bis hirsekorngrosse , grauliche oder gelbliche , glatte , etwas durchsichtige, hügeiartige oder halbkugliche Erhabenheiten mit deutlich begrenzter rundlicher Basis emporragen. Diese Exsudathügel erscheinen zuerst im Tarsaltheile der Bindehaut, mit Ausnahme eines ohngefähr 1 Linie breiten Streifens längs der innern Lefze des Lidrandes, welcher nur selten, und zwar erst nach Monate langer Dauer hie und da von einem solchen Korne eingenommen erscheint. Alsbald treten sie im

108 Bindehaut.

Übergangstheile auf, dessen lockeres Bindegewehe ihrer Ausbreitung viel günstiger zu sein scheint. Oft, wo die über dem Tarsus sitzenden sehr klein und flach, oder auch bereits wieder verschwunden sind, ist der Übergangstheil bis zur Sclera hin mit zahlreichen, weit grössern, aber auch in der Regel blasseren und etwas tiefer eingesenkten Körnern besetzt. Doch gibt es auch Fälle, wo der Übergangstheil beinahe oder ganz verschont bleibt, selbst nach langer Dauer (bei der Infiltration) ; worauf wir später zu sprechen kommen werden. Niemals, sie mögen nocli so gedrängt an einander sitzen, verlieren sie die rundliche Form des Scheitels ; sie werden nie eckig, nie palissaden- oder hahnenkamm- ähnlich angeordnet; im Übergangstheile jedoch verschmelzen sie durch Aneinanderstossen gern zu 2 3 Wülsten mit transversalen Einschnü- rungen, nachdem sie oft lange reihenweise an einander gestellt, gleich Perlenschnüren bestanden haben. Solche Ablagerungen können nicht nur an der halbmondförmigen Falte und an der Thränenkarunkel, sondern auch an der Scleralbindchaut vorkommen, und zwar in letzterer anfangs einzeln und fast krystallhell, später confluent, drüsenartig und gelblich - sulzig, wie gekochter Sago *).

Geschieht der Erguss des dieselben bildenden Blastems unter das Epithelium allmälig, so erscheint die Bindehaut zwischen diesen isolirt stehenden Hügeln selbst über dem Tarsus nur wenig injicirt und noch so durchscheinend, wie im normalen Zustande, ^iur gleichsam etwas schlaffer und mehr gelblich, oder blass gelblichrolh, und von veränderter oder vermehrter Secretion ist dann gewöhnlich keine Spur vorhanden. Sehr oft wissen die Kranken gar nicht, dass sie ein Augenleiden an sich tragen ; man bekommt daher die Krankheit in dieser Form nur selten zu Gesichte.

Zu 2 Mädchen von 8 und 10 Jahren (beide aus wohlhabenden Familien) wurde ich gerufen, weil sie, wie die Altern sagten, sich ein häufiges Zwinkern angewöhnt hatten, und selbes nicht lassen wollten; ein Mädchen von 9 Jahren kam mit ihrer au- genkranken Pflegemutter zu mir, und ich wurde nur nebenbei befragt, wie es komme, dass die Augen des Mädchens, wenn sie weine, immer längere Zeit roth blieben ; von 3 im Jünglingsalter stehenden Individuen consultirten mich 2 wegen Kurzsichtigkeit, und 1 befragte mich wegen Drücken in den Augen nach längerem Lesen oder Schrei-

") Diese auf- oder oberflächlich ein-gelagerten, sulzigen Exsudate müssen unterschieden werden nicht uur von jenen winzigen, fast nur slaubkorngrossen, durchsichtigen Erhebungen des Euilheliums im Tarsaltheile, welche nach 2 3 Tagen wieder verschwinden, sondern auch von den ebenfalls krystallhellen oder mattgrauen, höchstens mohnsamengrossen Erhabenheiten im Übergangstheile, welche durch Schwellung der Follikel beding siud. Wir haben von beiden bereits in den früheren Abschnitten gesprochen.

Trachoma Symptome. 901

ben. Alle, bis auf das 9jährige Mildchen, boten diese Erscheinung nur an den untern Lidern dar.

In andern Fällen bietet die Bindehaut der Lider nebst diesen Ex- sudaten noch die Zeichen der katarrhalischen Entzündung dar, namentlich die Schleimsecretion und Hyperämie, und der Kranke klagt über das Ge- fühl eines fremden Körpers unter dem obern Lide, auch wenn dieses sowohl im Tarsal- als im Übergangstheile von solchen Auflagerungen noch ganz frei ist. Die Zufälle, welche wir dem Katarrh (sensu stricto) zuschreiben, können beseitigt werden, sobald der Kranke aus der ge- sperrten unreinen Luft entfernt wird, und etwa noch ein adstringirendes Collyrium anwendet ; jene Exsudate aber bestehen fort (wochenlang)» und geben der Bindehaut ein lockeres, unebenes, gelblichrothes Aus- sehen. — Von Aussen erscheinen die Lider ein wenig angelaufen, die Lidspalte wird nicht gehörig geöffnet, das Auge ist empfindlicher gegen grelles Licht, gegen scharfe Luft, Staub, Rauch, Anstrengung der Seh- kraft u. dgl., die Lider können nach dem Schlafe schwerer geöffnet wer- den, auch wenn sie nicht gerade verklebt sind, und ermüden besonders bei künstlicher Beleuchtung so, als ob man nicht ausgeschlafen hätte.

Geschieht hingegen die Ausscheidung rasch, so erscheint die Binde- haut durchaus serös geschwellt und mehr weniger hyperämisch, mit den genannten Körnern besetzt, und von Thränen überfluthet, in welchen hie und da Schleimflocken schwimmen. Die seröse Schwellung ist natürlich im Übergangstheile am stärksten ; in heftigeren Fällen schwillt auch die Conjunctiva bulbi und die Cutis der Lider stärker an (ödematös). Dabei ist der Kranke sehr lichtscheu, und wird gewöhnlich von heftigen, drückenden oder reissenden und stechenden Schmerzen gequält. Ist das umgebende Gewebe stark hyperämisch, dann sieht man ganz feine Gefässreiserchen von demselben auf diese Exsudathügel emporsteigen, und ihnen eine röthlich- gelbe Farbe verleihen ; der Scheitel derselben bleibt jedoch immer noch durchscheinend, opalartig glänzend; mittelst der Loupe sieht man um die noch immer deutliche Basis herum nicht selten kleine Ecchymosen. Diese Hyperämie tritt von Zeit zu Zeit, wenn frische Nachschübe erfol- gen oder die Bindehaut sonst gereizt wird, stärker auf; man bemerkt sie aber auch oft, wenn Resorption jener Exsudate statt findet. Bei län- gerer Dauer macht sie den Papillarkörper über dem Tarsus intensiv roth, fein zottig oder fein warzig, selbst deutlich hypertrophisch, ein Zustand, der noch fortbestehen kann, nachdem jene Exsudatkörner grösstentheils oder ganz verschwunden sind, oder bloss noch im Übergangstheile oder am obern Lide aufgefunden werden können. Mit diesem Zustande der

1 10 Bindehaut.

Hyperämie und der Schwellung des Papillarkörpers ist dann auch Ver- mehrung- und Veränderung der Secretion, wie beim Katarrh, vorhanden.

Ich war lange der Ansicht, dass der bisher geschilderte Befund stets nur als erster Grad des Trachome zu betrachten sei, indem ich oft genug darauf die weitern Veränderungen der Bindehaut und INachbargebilde eintreten sali, welche mit jenen zu- sammengenommen uns eben den Begriff dieser Krankheit geben, und indem ich auch in zahlreichen Fällen auf jene ursächlichen Momente zurückgeführt wurde, welche das weiter vorgeschrittene Übel voraussetzt. Allein unbefangen und sorgfältig fortgesetzte Beobachtungen überzeugten mich, dass man auch hier, wie überall, sich nicht an eine Erscheinung allein halten dürfe, dass es kein an und für sich pathognomonisches Symptom gebe, kurz, dass diese sulzigen, rundlichen Exsudate nicht bloss bei der in Bede ste- henden Krankheit (Trachoma) vorkommen, sondern auch als Theilerscheinung, wenn gleich ungleich seltener und nur unter gewissen Verhältnissen, bei Katarrh und bei der Blennorrhoe niedern Grades und langsameren Verlaufes. Hatten mich früher einzelne Fälle auf die Vennuthung geführt, es können wohl auch bei rein örtlichen Krankheiten, beim Katarrh und bei der Blennorrhoe unter gewissen Verhältnissen ganz gleiche Exsudate auftreten, so wurde ich endlich durch die Beobachtung der sogenannten Ophthalmia mili- taris (vergl. S. 70 und durch nachfolgende Beobachtung über dieses Verhältniss aufgeklärt.

Aus dem hiesigen Waisenhause zu Set. Johann, welches ohngefähr 80 Knaben im Alter von 6 13 Jahren versorgt, wurden mir vom Med. Ordinarius des Hauses, Dr. Jungk, seit dem Sommer 1849 mehrere Zöglinge zugeschickt, welche auf beiden Augen jenen Zustand darboten, den ich oben als Trachoma 1. Grades mit katarrhali- schen Zufällen beschrieben habe. Der Umstand, dass bis Mitte Jäner 1850 bereits 5 derart erkrankte Knaben mich besuchten, bestimmte mich, das ganze Institut zu unter- suchen. Ich fand Anfang Februar unter 78 Zöglingen, welche eben zu Hause waren, nur 39 ganz gesund ; von den erkrankten zeigten 9 bloss eine mehr weniger dicht netzförmige Injection und Lockernng oder leichte Schwellung der Bindehaut über dem Tarsus und im Übergangstheile, und nur geringe, eiweiss- oder schleiinähnliche Se- cretion (in Form eines halbdurchsichtigen Fadens oder einer blassgelblichen Flocke), ohne dass sie übrigens von Lichtscheu, Thränenfluss, Druck unter dem obern Lide u. dgl. merklich belästigt wurden. Bei den übrigen (30) sassen theils über dem Tarsus (mit Ausschluss eines etwa 1 Linie breiten Saumes längs der innern Lefze), theils im Übergangstheile und besonders in der Übergangsfalte, bei vielen aber auch in der Conjunctiva bulbi (nächst der Concavität der halbmondförmigen Falte und im oberen Umfange der Scleralbindehaut) gelbliche, sulzige, halbdurchsichtige, glatte Körnchen oder Hügel, welche in der Übergangsfalte häufig zu länglichen, darmähnlichen Wülsten verschmolzen waren. Diese Hügel konnten weder für hypertrophische Papillen, noch für geschwellte Follikel gehalten werden, weil sie auch an der Conjunctiva bulbi be- obachtet wurden. Sie erschienen in allen Fällen über dem Tarsus viel kleiner, als im Übergangstheile. Die Bindehaut selbst war in mehreren Fällen auffallend blass (bei schwächlicheren, schlechter aussehenden Kindern), in andern dicht netzförmig und hell gerüthet, in den meisten gelblich roth, und im Allgemeinen etwas schlaffer und locke- rer aussehend, wenigstens im Übergangstheile ; rücksichtlich der Secretion und der Sensationsanomalien verhielten sich diese Fälle im Allgemeinen nicht anders, als die, welche den Zustand eines einfachen Katarrhes darboten. Nur eine geringe Zahl der

Trachoma Symptome Diagnosis. 111

Kinder war für augenkrank gehalten worden; man war daher nicht wenig überrascht, dass ich so viele für krank erklärte. Es konnten mir daher auch über die Dauer, Entstehung und Ausbreitung des Übels keine Aufschlüsse gegeben werden. Die Kinder wohnen seit dem Herbste 1849 im Piaristenkloster, nachdem das für sie be- stimmte, viel gesünder gelegene, mit einem grossen Hofraume und Garten versehene und geräumige Zimmer enthaltende Waisenhaus anfangs zu einem Choleraspital, später zu einer Militärkäserne bestimmt worden ist. Die im Piaristenkloster ihnen zugewie- senen Zimmer sind niedrig, relativ klein, für Licht und frische Luft wenig zugänglich ; auch bei offenen Fenstern (in den Frühlings- und Sommermonaten) kam mir die Luft darin noch immer dunstig und dumpfig vor.

Zunächst drang sich die Frage auf, ob das Übel ansteckend sei, oder ob so viele Individuen zugleich (oder doch kurz nach einander) nur desshalb ergriffen wor- den waren, weil sie alle denselben schädlichen Einflüssen ausgesetzt waren. Stellte sich das Übel als ansteckend heraus, so war zu ermitteln, ob das Contagium von aussen eingeschleppt oder in der Anstalt selbst sich entwickelt hatte. Leider war ich nicht in der Lage , alle notwendigen Erhebungen zur Beantwortung dieser Fragen pflegen zu können. So viel aber kann ich in Bezug auf die Contagiosität mit Be- stimmtheit versichern, dass von dem Lehr- und Dienstpersonale des Institutes Niemand erkrankte (und die Lehrer waren doch viele Stunden des Tages, 4 5, in den gedrängt vollen Lehrsälen), dass auch von Verschleppung der Krankheit durch die Kinder zu ihren Altern oder Geschwistern trotz der öfter stattfindenden Besuche kein Fall aus- findig gemacht werden konnte, dass trotz der Einführung von Vorsichtsmaassregeln, welche geeignet waren, die Ansteckung durch Übertragung (Betastung) zu verhüten, dennoch in den nächsten 6 Wochen noch viele Knaben i zusammen über 50) erkrank- ten, und dass mehrere Impfungen, welche ich mit dem schleimigen Secrete vornahm, keinen Ausbruch der Kranheit bewirkten. Musste nun der Grund des Übels mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht in Ansteckung, sondern in der Einwirkung schädlicher Einflüsse gesucht werden, welchen diese Kinder sämmtlich ausgesetzt waren, und welchen nur die geringere Zahl widerstand, so frug sich's, ob diese Einflüsse sich nur bei jenen geltend machen konnten, welche schon eine krankhafte Disposition in sich trugen, oder auch bei ganz gesunden Kindern, und ob diese Einflüsse auf die ganze Constitution einwirkten, oder aber ob sie bloss die Augen, die Bindehaut trafen. *) Eine genaue Untersuchung sämmtlicher (78) Zöglinge nach den Ferien (am 12 Octo- ber) ergab folgenden Befund. Von 23 Neuaufgenommenen hatten nur 15 noch ganz gesunde Augen ; bei 1 zeigte bloss das linke, bei 2 das rechte und linke Auge netz- förmige Röthe und Lockerung der Bindehaut mit sparsamer Schleimsecretion, und bei 5 waren nebstdem an den untern Lidern staub- bis mohnkorngrosse, gelbliche Hügel- chen vorhanden, welche sich bei dem einen auch bereits an den obern Lidern zeigten. Von diesen 8 Knaben war nur der eine (und zwar der, welcher bereits oben und unten solche Exsudate darbot) erst 8 Tage, die andern aber 2 bis 8 Wochen in der

*) Zwischen Luft und Bindehaut findet ohne Zweifel eine Wechselwirkung statt, welche für die Vegetation der Binde- haut von grossem Einflüsse ist. Die Qualität der Luft dürfte für die Function der stets feuchten Bindehaut eben so wenig gleichgillig sein, als für die Schleimhaut der Respi;ationsorgaue. Übermässig langes Wachen führt zu stärkerer Injection der Bindehautgefässe ; aber auch nach dem Schlafe sind diebelben mehr injicirt; werden viele Personen längere Zeit iu einem engen Räume eingeschlossen, so wird die Bindehaut des Augapfels gleichfalls röther und schlaffer.

112 Bindehaut.

Anstalt; von den 13 Gesunden war nur Einer 14 Tage, die andern alle eine kürzere Zeit daselbst, Von den übrigen (55) Kindern, welche bereits länger (1 5 Jahre) in der Anstalt waren, konnten nur 5 für ganz gesund erklärt werden ; 2 zeigten bloss netzförmige Injection. Lockerung und sparsame Sckleimsecretion der Bindehaut; 48 boten nebstdem die Bildung jener Exsudate in den mannigfachsten Abstufungen (nach Grösse, Zahl und Ausbreitung) dar. Als ich nun am 22. December d. J. wieder alle Kinder durchmusterte, und den Befund mit der Beschreibung vom 12. October verglich, ergab sich, dass von jenen 23 Neulingen seitdem wieder 5 erkrankt waren, 1 mit ein- fach katarrhalischen Erscheinungen, 4 überdiess mit jenen kleinen solitären Exsudaten; dagegen waren von den fiüher Kranken 2 genesen, und 1 zeigte nun auch an den obern Lidern solche Körnchen. Der Zustand der altern 55 Zöglinge war im December im Allgemeinen besser, als im October. wobei übrigens nicht unbemerkt bleiben darf, dass man in der Zwischenzeit alle mögliche Sorgfalt angewandt hatte, die Luft in den Zimmern rein zu erhalten, und die Kinder in"s Freie zu schicken. Wir fanden nament- lich bei allen die Injection und die Schleimproduction der Bindehaut viel geringer, bei vielen Fällen mit Granulationen letztere ganz fehlend; die 5 im October gesund Be- fundenen waren es noch, die 2 mit einfach katarrhalischen Erscheinungen waren jetzt ganz genesen, 7 mit leichter Exsudatbildung waren nun auch von dieser befreit, und bei 5 waren die Granulationen sparsamer und flacher (selbst nur als gelbe Flecke wahrnehmbar) geworden : nur bei 3 erschienen die Exsudate grösser, und bei 1 hatten sie sich auch an den obern Lidern stark entwickelt.

Zur Erläuterung möge die specielle Beschreibung einiger Fälle dienen. Kallas A., 1 Jahr in der Anstalt, von gesundem Aussehen, leidet seit unbestimmt langer Zeit an beiden Augen. Befund am 12. October. Die Bindehaut der Lider gelblich roth, gelockert, die Meibom'schen Drüsen deutlich durchscheinend; etwa 1'" hinter der innern Lefze des Lidraudes beginnen zahlreiche, kaum mohnkorngrosse. fischrogenähnlirhe Körnchen; der Tarsaltheil des obern Lides zeigt denselben Zustand, nur sind diese Körnchen gegen die Winkel und gegen den Orbitalrand des Tarsus hin gedrängter und grösser; der Übergangstheil frei von solchen Körnern, nur leicht geschwellt; keine Sckleimsecretion (wenigstens nicht im Momente der Untersuchung), keine Klage über Drücken, Lichtscheu u. dgl. Unter der Loupe erschien die für das freie Auge gelblich röthliche Bindehaut massig dicht injicirt, hie und da rüthlich punktirt. und darauf opal- artig glänzende, halbdurchsichtige, ganz glatte Hügelchen. Am 22. December war der Befund im Ganzen derselbe, nur der Übergangstheil bereits auch mit solchen Körnchen besetzt. Hepncr, 2 Jahre in der Anstalt, hatte im Herbste 1849 dasselbe Leiden mit exquisit grossen Körnern gehabt, und mich desshalb durch einige Monate besucht, um mit Cuprum sulfuricum touchirt zu werden. IVachdem die Exsudate grösstentheils resorbirt waren, war er nicht mehr bei mir erschienen. Wir fanden am 12. October 1850 die Exsudate bis auf kleine lichte Stellen verschwunden, nur oben im Übergangstheile noch zahlreiche, hirsekomgrosse Körner, nnd am 22. December waren auch diese völlig verschwunden, die Bindehaut durchaus normal, nur etwas mehr gelblich und schlaffer, als gewöhnlich. Marlinorsky, 4 Jahre in der An.-tnlt. Am 12. October : Die Binde- haut schütter netzförmig injicirt, über dem Tarsus zerstreute und kleine, im Übergangs- theile etwas grössere und mehr gedrängt stehende Körnchen; der Befund an den obern Lidern beinahe derselbe, nur die Exsudate kleiner und sparsamer; im obern Umfange der Conjunctiva bulbi zahlreiche, halbdurchsichtige, gelbliche Hügel; zwischen den

Trarhoma Symptome Diagnosis. i!3

Cilien einige Schleimkrusten. Am 22. December konnte «1er Knabe unter die Gesunden gezahlt werden. Seidf, 1 Jahr in der Anstalt, von blühend gesundem Aussehen. Am 12. October gleichfalls beide Augen ergriffen; zwischen den Cilien ein wenig Schleim, alle 4 Lider leidend, die obern jedoch relativ wenig; die Bindehaut überall vollkom- men durchscheinend, schütter netzförmig geröthet, an den untern Lidern über dem Tarsus kleine und solitäre, im Übergangstheile und an der halbmondförmigen Falte hirsekorngrosse, gelbliche, sulzige, rosenkranzähnlich an einander gereihte Körner; an dem linken Auge auch auf der Conjunctiva bulbi einige solche Exsudate. Am 22. December waren auch an den obern Lidern namentlich gegen die Winkel hin ziemlich grosse Körner zu bemerken.

Alle Thatsachen, welche ich an den Zöglingen des Waisenhauses im Verlauf von fast 1 '/., Jahren wahrgenommen, bringen mich zu dem Schlüsse, bei diesen Kin- dern habe sich in Folge der Verhältnisse, unter denen sie leben, namentlich in Folge der gesperrten Luft eine eigentümliche Vegetationsanomalie der Bindehaut erzeugt, welche jenem Zustande, den wir Katarrh nennen, noch am nächsten steht. Ich sah mehrmals in Fällen, wo anfangs nur rein katarrhalische Zufälle an der Bindehaut wahr- genommen worden waren, jene eigenthümlichen Exsudate auftreten, und dabei die übrigen Zufälle fortbestehen oder auch mehr weniger zurücktreten. Ich möchte diesen Zustand nicht zu den Blennorrhöen rechnen ; es fehlte das primäre Schwellen des Pa- pillarkörpers, es fehlte die Production schleimig-eitrigen Secretes, oder dieses war doch auffallend spärlich, es fehlte endlich die Contagiosität, oder musste wenigstens sehr in Zweifel gezogen werden. Ich kann diese Krankheit aber auch nicht als Tra- choma bezeichnen, weil, ausser der Bildung jener eigenthümlichen Exsudate die übri- gen Erscheinungen, welche zusammen genommen uns eben den Begriff des Trachoma geben, nicht vorhanden waren, und namentlich die consecutiven Zufälle in keinem Falle beobachtet wurden. Ich habe bei einigen Knaben hirse-, ja beinahe hanfkorn- grosse Auflagerungen durch mehr als 6 Monate beobachtet, und dennoch weder eine Infiltration des Knorpels, noch auch nur eine nachträgliche Schrumpfung der Bindehaut eintreten sehen. Ich habe in keinem einzigen der mitunter sehr heftigen Fälle den Bulbus auf andere Weise mitleiden sehen, als dass in der Scleralbindehaut sich ein- zelne derlei Exsudate zeigten. Ich fand durchaus keinen wesentlichen Unterschied am Auge, ob nun das Kind ganz gesund oder schwächlich oder manifest scrofulös aussah. Ja gerade zwei Kinder, die lange an Conjunctivitis scrofulosa litten, zeigten auch nach mehrmonatlichein Aufenthalte unter den übrigen Kindern keine Spur jener sogenannten Granulationen.

Ich betrachte demnach die Bildung dieser eigenthümlichen Exsudate als etwas Accessorisches, um so mehr, nac dem ich mich überzeugt habe, dass solche graue Granulationen, wie man sie auch genannt hat, auch bei Blennorrhoe auftreten können, und zwar nicht bloss bei Blennorrhöen, welche unter dem Militär und andern geschlos- senen Körperschaften massenweise auftreten, sondern auch bei isolirt vorkommenden, z. B. durch Impfung mit Tripperschieini erzeugten Blennorrhöen. Nur durch diese Anschauungsweise glaube ich der Anforderung genügen zu können, dass man jede Krankheit und jedes Glied derselben nach allen Beziehungen auffasse, nicht aber eine Erscheinung allein aus der ganzen Beihe herausgreife, und sodnnn als Krankheit hin-, stelle Wer aber jede Krankbeil der Bindehaut, welche jene „grauen Granulationen"

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114 Bindehaut.

darbietet, ohnevveiters Trachoma nennt, der hat eiuen andern Standpunkt gewählt ; er nennt mit diesem Worte ein Symptom, nicht eine Krankheit.

Um in jedem speziellen Falle zu bestimmen, ob dieser Befund die Bedeutung- eines rein örtlichen, bloss durch äussere Verhältnisse bedingten Leidens habe, oder aber als Ergebniss eines Allgemeinleidens, als erste Reihe jener Erscheinungen zu betrachten sei, welche wir als dem Tra- choma zukommend noch weiterhin angeben werden, hat man jedesmal nebst dem örtlichen Befunde nach alle die Momente zu berücksichtigen, welche auf die Herbeiführung dieses Zustandes Einfluss genommen haben konnten, und welche wir theils im I. und II. Abschnitte angeführt haben, theils in diesem Abschnitte (über Verlauf-Ursachen und Vorkommen des Trachoms) noch anführen werden. Wir werden auch hier gar oft nicht im Stande sein, eine bestimmte Diagnosis zu stellen, wie wir bei Blen- norrhöen minder heftigen Verlaufes gleichfalls oft nicht sogleich zu ent- scheiden vermögen, ob wir einen Katarrh oder eine Blennorhöe vor uns haben (nach dem momentanen Befunde).

Anders verhält sich's, wenn die Krankheit bereits den 2. Grad erreicht hat. Im Stadium der Infiltration der Exsudate in das Pa- renchym der Bindehant und der unterliegenden Gebilde sind die Er- scheinungen am Auge selbst schon so charakteristisch, dass gewöhnlich schon aus ihnen allein die Diagnosis „Trachoma" gestellt werden kann.

Nebst den Auflagerungen, welche wohl auch schon grösstentheils resorbirt sein können, sieht man entweder im Tarsal- oder im Über- gangstheile, in der Regel aber in beiden zugleich ganz dieselben gelb- lichen, sulzigen, etwas durchsichtigen Körner tief eingebettet, und zwar stellenweise, einzeln oder gruppenweise (Aggregate von gelatinähnüchen Kugeln), oder durchaus als mehr gleichmässige, nur durch flache Erhe- bungen unebene sulzige Infiltration der ganzen Bindehaut, und dabei auch die Lidknorpel dicker, minder geschmeidig, derb und prall.

Untersucht man die Bindehaut zur Zeit der eben staltfindenden Abla- gerung oder zur Zeit eines frischen Nachschubes von Exsudaten, was bei etwas acuterem Vorgange des Processes unter starker Hyperämie, Lichtscheu, Thränenfluss und heftigen Schmerzen geschieht, so erscheint der zwischen den Infitlraten befindliche Papillarkörper blulreich (hell- oder dunkelroth) und stark geschwellt, der Übergangslheil licht- oder schmulzig-roth, von den ge- nannten Körnein durchsetzt, und in dem reichlichen wasserklaren Secrete schwimmen hie und da gelbliche Flocken. Tritt nun auch noch seröse Schwel- lung der Bindehaut des Augapfels und Ödem der Lider dazu, so könnte die Krankheit wohl mit einer Blennorrhoe des 2. oder 3. Grades verwechselt

Trnchoina Symptome üiagnosis. 115

werden; doch steht die Menge des consistenlen Sccrelcs hier in keinem Verhältnisse zur Schwellung der Bindehaut und der Lider, und die Be- achtung der Entwicklung, des Verlaufes und des eigenthühmlichen Ver- haltens jener selbstständigen Exsudate vermag die Diagnosis zu sichern. Das eigentümliche Verhalten der Exsudate liegt eben darin, dass sie auch im Tarsaltheile tief eingebettet, wenn nicht als gleichmässigc liefere Infiltration, und nicht, wie bei Blennorrhöen langsamem Verlaufes, als mächtiger aufgelagertes Exsudat auf den vergrösserten Papillen erscheinen.

Erfolgte diese Ablagerung allmälig, oder ist die damit auftretende Blutüberfüllung und seröse Schwellung bereits zurückgegangen, so findet man weiter keine oder nur sehr wenig Absonderung schleim- oder eiweiss-ähnlicher Materie, und die Bindehaut erlangt allmälig nicht nur ein zur Schwellung (Verdickung) auffallend blasses (gelblichrothes), son- dern auch ein relativ mehr trockenes Aussehen. Die den Tarsus über- ziehende Partie erscheint gewöhnlich durchaus graugelblich, aufgewulstet, wie sulzig, doch derb, anämisch, und auf dieser ziemlich gleichmässig verbreiteten Wulstung sieht man hie und da noch sagoähnliche Erhö- hungen. In andern Fällen erscheinen nur einzelne Partien so verändert, und zwischen denselben sieht man Papillarkörper in hyperlophischem, hy- perämiscliem und geschwelltem, oder auch in ziemlich normalem Zustande. Die Üiiergangsfalte ist blassroth oder gelblichroth, von sulzigen Körnern wie von gekochtem Sago durchsetzt, nach längerem Bestände des Übels ofi in eine Art Wulst erhoben, welche bei starkem Abziehen des untern Lides frei emporragt, und auch durch die stärkste Ausdehnung sich nicht verschwinden machen (ausglätten) lässt. In solchen Fällen ist auch die Veränderung der Lidknorpel bereits deutlich ausgesprochen. Besonders ist es das obere Lid, welches dicker, minder geschmeidig und schwerer umstülpbar wird.

Mit dieser Infiltration der Bindehaut, des Knorpels und des sub- mucösen Bindegewebes (im Übergangstheile) tritt nun in der Begel auch Exsudation an der Conjunctiva bulbi, namentlich am Limbus conjunctivae und von da auf der Cornea ein. Letztere ist unter dem Namen Pannus beschrieben worden. Die Bildung des Pannus erfolgt gleichfalls entweder allmälig, unvermerkt, oder stürmisch, unter heftigen Zufällen. Sie hat die grösste Ähnlichkeit mit dem Vorgange bei Conjunctivitis scrofulosa, welche in vielen Fällen auch schon früher, gleichsam als Vorläufer, inlercurrirt. Es wird nämlich das Bindehautblättchen (die Epithelialschicht) der Cornea gewöhnlich vom obern Rande her trüb, mattgrau, succulent, und allmälig von Gefässen durchzogen, welche deutlich als Fortsetzungen der

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116 Bindehaut.

Gefässe der Conjuncliva bulbi, zum Theil auch der vordem Ciliargefässe erscheinen ; weiterliin wird das Epithelium hie und da durch grauliche Exsudate in Form kleiner Hügelchen emporgehoben, die Oberfläche der Cornea deutlich uneben, wie mit Staub oder Gries bestreut. Dabei kann die Gefässentwicklung so reichlich sein, dass die Cornea, ja der ganze Bulbus wie mit einem rothen Tuche belegt aussieht (Pannus vasculosus s. tenuis). In andern Fällen wird die Cornea mit einer dicken Schichte graulichgelben Exsudates stellenweise oder durchaus und von mehr weniger zahlreichen Gefässen überzogen, so dass die tiefern Ge- bilde gar nicht mehr durchscheinen (Pannus carnosus s. crassus), und bleibt Wochen- Monate - lang in diesem Zustande. Diese Exsudale durchlaufen dann ähnliche Metamorphosen, wie die an den Lidern ab- gesetzten, worauf wir später zu sprechen kommen werden. Es geschieht aber auch, dass solche umschriebene Exsudate auf der Cornea sich ganz so verhalten, wie jene bei der Conjunctivitis scrofulosa, zur oberfläch- lichen oder tieferen Geschwürsbildung führen. Das Nähere hierüber kann erst bei der Schilderung des Verlaufes und der Ausgänge dieser Krank- heit gegeben werden.

Der folgende Fall mag zur Erläuterung des acuten Auftretens tieferer Infiltration dienen. F. E., 20 Jahre alt, Ladendienerin in einer Schnittwaarenliandhmg, schlief in einer engen, finstern, mit Menschen überfüllten Wohnung der Judenstadt, war aber stets gesund und seit 3 Jahren regelmässig menstruirt. Sie ist kräftig gebaut, üppig genährt, mit lebhaft gerölheten Wangen. Vor 3 Monaten erkrankte sie an den Augen, ohne bekannte Ursache, ohne in die Nähe eines Augenkranken (mit Verdacht auf An- steckung) gekommen zu sein, unter drückenden Schmerzen in beiden Augen, mit Lichtscheu, Thränenfluss und starker Röthe des Weissen im Auge; die erstem Erschei- nungen waren constant am Morgen intensiver, und Hessen von circa 3 Uhr Nachmittags in der Regel nach. Das Übel wechselte unter der Behandlung mit Blutegeln, Augen- salben, Vesicantien und Purgirniitteln, wurde bald geringer, bald heftiger. Am 30. September kam die Kranke in's Spital. Ausdruck heftiger Lichtscheu, so dass die genauere Untersuchung erst den 3. Tag vorgenommen werden konnte. Die Lidränder etwas angelaufen und geröthet, reichlicher Thränenfluss, keine Schleiinansammhmg. Die Bindehaut im Tarsal- und Übergangstheile des rechten Auges gleichmässig gerö- thet, in letzterem geschwellt, die Meibom'schen Drüsen nur gegen den Lidrand her etwas durchschimmernd ; ohngefähr 1'" hinter dem Lidrande und weiterhin bis in die Übergangsfalte sieht man in der stark gelockerten Bindehaut zahlreiche, mohn-, hirse- korngrosse, sulzige, froschlaichähnliche, durchscheinende, hügelartige Auflagerungen, die Conjuncliva sclerae von der Peripherie her von zahlreichen Gefässen durchzogen (wovon einzelne wie Besenrüthchen zur Cornea streichen), aufgelockert, hie und da mit ähnlichen Exsudaten durchsetzt; der Limbus conjunctivae von oben und von innen her stark injieirt, inliltrirt, wie bestaubt; im Bereiche der durchsichtigen Hornhaut "inige punktförmige, gelblichgraue, ganz wenig erhabene Exsudate, zu welchen sich

Trarlioiiia Symptome Diagnosis. 117

einige Gefässchen vom benachbarten Limbus conjunctivae erstrecken. Brennende und reissende Schmerzen in den Augen. Massige Verdunklung, Infus, sennae c. sale amaro, 6 Gran weissen Präcipitates mit 10 Gran Extr. beilud, auf 1 Drachme Fett alle 3 Stunden an die Stirn und Schlafe aufzuslreichen, die Nahrung anf Suppe und Obst- speise beschränkt. Bis zum 6. Oclober war die Lichtscheu grösstenteils behoben, am 10. konnten die Auflagerungen der Bindehaut bereits mit Cuprum sulfuricum tou- chirt werden, nachdem die Schwellung des Limbus conjunctivae zurückgegangen und die Exsudate auf der Cornea grösstenteils resorbirt waren. Am 21. waren auch die Exsudate im Tarsal- und Übergangslheile schon bedeutend kleiner, und am 26. befand sich die Kranke bereits so wohl, dass wir keinen Anstand nahmen, sie zu entlassen. Das linke Auge hatte ausser Hyperämie der Bindehaut keine merklichen krankhaften Erscheinungen dargeboten. Am 20. November kam die Kranke wieder in die An- stalt. Angeblich nach Verkühlung hatten sich brennende und stechende Schmerzen in den Augen und heftige Lichtscheu eingestellt; diese Symptome waren auch diessmal des Morgens viel heftiger gewesen Wir fanden das obere Lid des rechten Auges stark geschwollen, den Augenbrauenbogen etwas überragend, blassroth, weich, nicht besonders empfindlich, noch wärmer; das untere Lid minder stark geschwollen; Aus- druck der heftigsten Lichtscheue, beim gewaltsamen Offnen der Lidspalte entleert sich ein Strom heisser, wasserklarer Flüssigkeit. Die Bindehaut über dem Tarsus des untern Lides dicht netzförmig geröthet, gelockert und geschwellt ; hie und da sieht man gegen den Rand her die 31eibom'schen Drüsen durchschimmern ; weiterhin sieht man hirse- korngrosse, gelbe, von Gefässchen überschlängelte Körnchen auf der Bindehaut sitzen, am zahlreichsten in dem stark geschwellten Übergangstheile. Die Bindehaut des obern Lides, so weit sie besichtigt werden konnte, ebenso beschaffen. Die Conjunctiva bulbi grobmaschig injicirt, in einzelnen Maschen mit mohnkorngrossen, blassgelblichen, halb- durchsichtigen Bläschen versehen, besonders nach oben und innen. Der Limbus con- junctivae von oben her stärker injicirt; im Bereiche der durchsichtigen Cornea mehrere gelbliehweisse, hirsekorngrosse, ein wenig erhabene Flecken (flache Pusteln). Am linken Auge die Cornea und Conjunctiva bulbi frei, die Bindehaut der Lider fast eben so beschaffen, wie auf dem rechten Auge. Dumpfer Kopfschmerz, glühend heisse und rothe Wangen, beschleunigter Puls, zeitweise Schwindel. Behandlung wie beim 1. Anfalle ; gar keine Linderung. Am 25. Eintritt der Menstruation, hitrauf L nderung der Kopf- und Augenschmerzen und der qualvollen Lichtscheue. Vom 29. an wurde % Gran Coniin täglich 2mal verabreicht, musste jedoch bald mit einem kühlenden Abführmittel vertauscht werden. Die Exsudate auf der Cornea erweichten, und es entstanden kleine Geschwürchen mit zahlreicher Gefässentwicklung ; die Lichtscheu dauerte in gleichem Grade fort, mit unbedeutenden Schwankungen. Am 12. December setzten wir 8 blutige Schröpfköpfe in die Kreuz- und Lendengegend, und rieben die Brechweinsteinsalbe mit Seidelbast zwischen die Schulterblätter ein, während innerlich Decoct. graninis mit Kali tartaricum forlgesetzt wurde. Vom 16. an besserte sich der Zustand täglich mehr und mehr ; nicht nur Lichtscheu und Schmerzen wurden geringer, sondern auch die Exsudate in der Conjunctiva nahmen merklich ab. Jetzt erst konnten wir die Binde- haut in ihrer ganzen Ausbreitung untersuchen. Die beinahe farblosen Exsudatkörnchen in der Conjunctiva bulbi waren grossentheils verschwunden; wurde das obere Lid stark aufwärts gezogen, und zugleich der Bulbus abwärts gerollt, so bemerkte man eine gegen 2 Linien breite und an J/, Linien dicke Wulst, die geschwellte und von zahl-

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reichen, hirsekorngrossen, gelblichen, sulzigen Exsudatkugeln durchsetzte Übergangs- falte, welche den Bulbus oben gürtelförmig unifasste. Unter Fortsetzung der Medicin wurde durch mehrere Tage die Salbe aus weissem Präzipitat und Extr. bellad. an die Stirn eingerieben, und täglich ein Tropfen laudanum liq. iti's Auge geträufelt. Dabe; verlor sich die Lichtscheu gänzlich, die Lockerung und der Gcfässreichlhum der Binde- haut nahmen zusehends ab, die seichten Hornhautgeschwüre wurden reiner. Vom 3. Jäner an konnten bereits die Touchirungen der Lidbindehaut und jenes wulstigen Gür- tels am obern Umfange der Sclera vorgenommen werden. Die Verabreichung von Medicamenten erschien weiter nicht nothwendig, die Kranke wurde so viel als möglich in's Freie geschickt; am 5. Februar konnte sie entlassen werden. Die rechte Hornhaut bot nun an der Stelle der frühem Exsudate und Geschwürchen leichte Trübungen, die Conjunctiva palpebr. nur im Ubergangstheile leichte Schwellung mit kleinen Besten der körnigen Exsudate dar. Das linke Auge hatte keine örtliche Behandlung erfordert. Die Exsudatkörner im Tarsal- und Ubergangstheile waren hier allmälig verschwunden, die Conjunctiva bulbi und die Cornea nie afficirt worden. Von Schleimsecretion war während der ganzen Krankheit äusserst wenig zu bemerken, nur Verklebung der Cilien in Büschel war durch längere Zeit vorhanden gewesen.

In wie fern der jeweilige Symptomencomplex durch die Metamorphosen, welche die Exsudate selbst und die davon infiltrirten Gebilde erleiden, und welche oft an dem einen Lide oder auch nur an einem Theile eines Lides bereits eingetreten sind, während an andern Partien noch frische Infiltration statt findet, mit der Zeit verändert wird, kann erst im nächsten Absätze auseinander gesetzt werden.

Verlauf und Ausgange. Die Krankheit zeigt im Allgemeinen einen chronischen Verlauf, selbst wenn sie unter acuten Zufällen aufge- treten ist ; sie dauert Monate-, in der Regel Jahre- lang, und setzt auch der rationellsten Behandlung nicht selten die grösste Hartnäckigkeit entgegen, sei es nun dadurch, dass von Zeit zu Zeit wieder frische Ex- sudate nachkommen, oder dadurch, dass die Resorption der vorhandenen nicht vor sich gehen will. Sie führt sehr häufig zu mehr weniger be- trächtlicher Beeinträchligung des Sehvermögens, selten jedoch zu gänz- lichem (und unheilbarem) Verluste desselben.

Die Krankheit entwickelt sich oft, nachdem die Erscheinungen der Conjunctivitis scrofulosa längere Zeit oder zu wiederholten Malen vor- ausgegangen sind, seltener nach Blepharadenitis. Die entzündlichen Zufälle, welche die raschere und namentlich die tiefere Infillration begleiten, zeichnen sich häufig durch enorme Lichtscheu und Thränenabsonderung, durch morgendliche Exacerbation, nicht selten mit Bläschen- oder Pusiel- eruption auf der Cornea oder deren Limbus aus. Diese Erscheinungen treten oft ohne äussere Veranlassung auf, machen bei der sorgfältigsten Pflege und Behandlung bald auf dem einen, bald auf dem andern Auge

Trnt'huiua Verlauf Ausgänge. 119

Recidive, am häufigsten im Späterherhsle oder zeitig- im Frühlinge, und dauern mit einer Hartnäckigkeit an, die den Kranken, wie den Arzt mulhslos machen kann. Solchen Anfallen geht manchmal ohne alle andere Ursache Fieber voraus. Der 1. Grad lässt vollständige Heilung zu, von selbst oder durch Unterstützung von Seite der Kunst Die Exsudate werden allmälig resorbirt. Die Körner werden flacher, und es erscheint dnn an der Stelle des gelben Hügels (über dem Tarsus) bloss ein gelb- licher lichter Fleck, bisweilen selbst eine lichte Vertiefung, welche allmälig kleiner wird, wohl auch ein schiefergraues Pünktchen (durch einige Zeit) hinterlässt. Allmälig wird dann auch die umgebende Bindehaut wieder blässer und durchscheinend, endlich durchaus normal. Piringer *), welcher diesen Zustand der Bindehaut ganz naturgetreu beschrieben hat, sah denselben durch 5 Jahre an einein 15jährigen scrufulösen Militär— erziehungsknaben unverändert fortbestehen. Vereiterung oder Ver- jauchung dieser Exsudathügel sah ich nie eintreten; nur in einem Falle erfolgte eine Art Zerfallen des Exsudates, jedoch ohne consecutive Ge- schwürsbildung in der Bindehaut.

J. B ., 36 Jahre alt, Schneider, früher Soldat, kam am' 5. November 1849 wegen Entzündung des rechten Auges auf die Augenklinik. Beide Augenlider geschwollen, die Geschwulst blassroth, wenig empfindlich, wenig wärmer, höher als der Augen- brauenbogen. Die Lidspalte kann kaum auf 1 Linie weit geöffnet werden ; die Cilien durch etwas gelblich-schleimiges Secret und Thränen in Büschel verklebt ; in dem reichlichen, wasserklaren Secrete der Bindehaut (Thränen ?) schwimmen einzelne gelb- liche Flocken. Die Bindehaut über dem Tarsus leicht geschwellt, netzförmig injicirt, durchscheinend (die'Meibom'sehen Drüsen sichtbar), dagegen im Übergangstheile stark ges< hwollen, wulstig, gleichmässig geröthet, hie und da ecehymotisch, mit zahlreichen Erhabenheiten besetzt, welche sich zum Theil in den Tarsaltheil herein erstrecken. Diese Erhabenheiten oder Körner sind mohn-, hirsekorngross, durchscheinend, gelblich grau, einige davon gelblich weiss und matt, wie erweichte Tuberkel ; die meisten dieser Körner sitzen gleichsam im Parenchym, ragen wenig über die Oberfläche der gelockerten und gewulsteten Bindehaut empor. Die Conjunctiva bulbi stark geschwol- len, einen gegen 1 Linie hohen schlaffen Wall um die Cornea bildend, gelblich blass- roth (serös infiltrirt und von zahlreichen Gefässen durchzogen), auf dem Rande der Cornea (limbus conjunctivae) als weisslicher Reifen noch fest anliegend. Die Cornea und die übrigen Gebilde des Auges normal. Älässige Lichtscheu, Gefühl von Druck unter den Lidern, zeitweise Stechen im Auge, über Tag fehlend oder nur gering, Abends und in der Nacht ziemlich stark vorhanden. Das linke Auge wird als ge- sund bezeichnet, doch findet man seine Bindehaut etwas mehr injicirt, den Übergangs- theil mit zahlreichen, mohnkorngrossen, graugelben, glatten, etwas durchscheinenden Körnchen besetzt, am untern Lide zahlreicher und mächtiger, als am obern, übrigens

*) Die Blennorrhoe im Menschenauge, Grali 1841, S. 278.

120 Bindehaut.

durchaus keine Abnormität an diesem Auge. Der Kranke gibt an, er sei vor 8 Jah- ren an Tuberculosis pulmonum erkrankt, und nach 3\vochentlicher Behandlung ziemlich gesund aus dem Militärspitale entlassen worden. Vor 3 Jahren erkrankte er an Hämoptoe, und in der letzten Zeit wurde er in der Stadt an Husten und Brustschmerzen ärztlich behandelt. Er ist schlecht genährt, die Haut blass, die Muskulatur schlalV. in der Spitze der rechten Lunge etwas gedämpfter Percussionsschall. Vor 3 Jahren nun traten zum ersten Male Zeichen eines Augenleidens auf. wie bei einem Augenkatarrh, verlo- ren sich jedoch bald wieder von selbst, und der Mann hielt seitdem seine Augen nicht für krank, obwohl er zu verschiedenen Zeiten ein leichtes Drücken unter dem obern Lide und manchmal etwas Verklebtsein der Cilien beim Erwachen bemerkte. Als Ur- sache der gegenwärtigen Entzündung des rechten Auges, welche vor 6 Tagen begann, bezeichnet der Kranke eine Reise bei starkem Winde, welche er vor 8 Tagen zu Fuss gemacht hatte. Den Befund des rechten und linken Auges zusammen haltend, und die sonstigen positiven und negativen Angaben des Kranken und seinen allgemeinen Zustand berücksichtigend, konnten wir diese AfTection als Trachoma bezeichnen, wenn gleich wir keine völlige Sicherheit hatten, ob die auf beiden Augen bestehenden Ex- sudate nicht etwa bloss als Folge von äusseren Schädlichkeiten, das ganze Leiden mithin als ein rein örtliches (katarrhalisches, mit dieser eigentümlichen iModification) zu betrachten seien. Die heftigen Zufälle am rechten Auge konnten sofort als Folge der Verkältung, aber auch als Zeichen frischer Infiltration zu betrachten sein. Wir ent- schieden uns für letzteres, weil diese Zufälle bloss auf dem rechten Auge auftraten, und weil relativ zu ihnen die Production schleimigen Secretes sehr gering war. Durch die Aufnahme in's Spital war mehreren Anzeigen entsprochen ; wir legten 8 Blutegel an die rechte Schläfe, reichten ein Purganz aus Senna und Glaubersalz, und machten Einreibungen von Ung. einer, an die Stirn und Schläfe. Die meisten Exsudatkörner wurden weiss, erweichten und zerfielen in eine schmierige Majsse, wie Tuberkel, ohne Geschwürsbildung, die übrigen schwanden durch allmälige Resorption. Nachdem die Geschwulst der Lider und der Conjunctiva bulbi binnen 4 Tagen zurückgetreten war, wurde Laudan. liq. Syd. eingeträufelt, und vom 8. Tage der Behandlung an die Binde- baut der Lider, und diess auch auf dem linken Auge, mit Cuprum sulfuricum touchirt. Diese Touchirungen wurden nach dem 15. Tage, an welchem der Mann die Anstalt verliess, in Zwischenräumen von einigen Tagen fortgesetzt, und in Zeit von 6 Wochen war die Bindehaut zum normalen Zustande zurückgeführt. Es muss noch bemerkt werden, dass nachträglich auch die Frau dieses Mannes unsere Hilfe in Anspruch nahm. Sie hatte in der letzten Zeit beim Nähen öfters ein lästiges Drücken in ihren Augen empfunden, jedoch niemals entzündliche Zufälle an denselben bemerkt. Das Leiden auf dem linken Auge ihres Mannes hatte sie auf die Vermuthung geführt, ob sie nicht ebenfalls an ihren Augen denselben Zustand habe. Sie bot auf beiden Augen den- selben Befund dar, wie der Mann auf dem linken, und wurde durch Touchirungen mit Cuprum sulfur. in Zeit von 7 Wochen geheilt. Es liess sich auch bei ihr das Leiden nicht mit Gewissheit als Trachoma erklären; wenn Jemand behauptet hätte, das gleiche Vorkommen bei beiden deute auf Ansteckung oder auf gemeinschaftliche Einwirkung äusserer Schädlichkeiten, etwa feuchter, gesperrter Luft u. dgl., so hätten wir ihn nicht widerlegen können ; das aber muss auf der andern Seite auch angeführt werden, dass sie an deutlich nachweisbarer Tuberculosis pulmonum litt und sehr schlecht aussah, obwohl die Leute gerade nicht in den schlechtesten Verhältnissen lebten. Sei dem

I 'rachoma Verlauf Ausgänge Schrumpfung. 121

nun, wie iinnier, ich wollte hier nur auf eine eigentümliche Metamorphose jener Ex- sudate aufmerksam gemacht haben.

Unter dem fortwährenden Einflüsse ungünstiger Umstände allmälig, oder nach Einwirkung heftig excitirender Momente auch plötzlich geht die Krankheit in den 2. Grad über. Dann ist völlige Heilung in dem Maasse weniger möglich, als die Infiltration tiefer eingedrungen ist, und weiter um sich gegriffen hat, oder als sie länger forlbestanden und ver- schiedene conseeufwe Zustände eingeleitet hat.

Die tiefere Ablagerung dieser körnigen Exsudate scheint gar nicht erfolgen zu können, ohne dass die davon infiltrirten Gewebe blutreicher, und namentlich von Serum durchfeuchtet und erweicht werden. Mehrere Erscheinungen deuten darauf hin, dass durch diese infiltrirteii Exsudate des Gewebe nicht nur der Bindehaut, sondern auch des submueösen Zell- stoffes und der Lidknorpel sanunt den Meibomsehen Drüsen allmälig ver- drängt werde, und dass die Exsudate endlich selbst zum Theil resorbirt, zum Theil in Fasergewebe umgewandelt werden, welches nach und nach bis zu einem gewissen Grade schrumpft, und der verkürzten Bindehaut durchaus oder stellenweise ein sehnenartiges Aussehen gibt.

Waren die Ablagerungen im Tarsallheile sehr mächtig, dazwischen jedoch noch immer Papillarkörper frei geblieben, so erhalt die Bindehaut nach dieser Umwandlung ein unebenes und geflecktes Aussehen, durch sehnenartige Streifen und dazwischen befindliche erhabene oder vertiefte dunkelrothe Stellen. Die erhabenen sind entweder hypertrophischer oder hyperämischer, massig geschwellter Papillarkörper, welcher all- mälig zur Normalität zurückkehren kann, oder aber es sind Reste der auf und in die Bindehaut abgelagerten Exsudate, welche durch Abstossung des übermässig angehäuf- ten Epitheliums, durch Aufsaugung der flüssigen Theile und Umwandlung derselben in Fasergewebe (Exsudalfaser, Bindegewebsfaser) ihre Form eingebüsst haben, unregel- mässig zackig, blass, grau oder gelblich, hie und da ecehymotisch gesprenkelt ausse- hen (im Bereiche des Knorpels), und nach unsanfter Bsrührung oder nach Umstülpung des Lides wohl auch ein wenig Blut ergiessen. Die Vertiefungen zwischen den ge- nannten sehnigen Streifen scheinen dadurch bedingt zu sein, dass einzelne der tiefer eingebetteten Körner abgestossen oder resorbirt wurden. Niemals sah ich an denselben eine Blutung, niemals eine Secretion wie bei Geschwüren. Solche Grübchen erschei- nen fein punktirt, fein warzig, und werden allmälig von einer feinen, glatten Membran ausgekleidet, die noch lange Zeit etwas deprimirt bleibt. Da sehr häufig an einer Stelle noch frische Exsudation geschieht, während an andern bereits Abstossung, Re- sorption und Schrumpfung eingetreten ist, so bemerkt man oft dunkelrothe, erhabene oder vertiefte Stellen wie Inseln zwischen sehnenartig glänzenden Streifen oder Flek- ken, und daneben noch hie und da fischrogen- oder froschlaichähnliche Körner zu- gleich auf demselben Lide. Die Bildung solcher sehniger Streifen oder Flecke ist keine Erscheinung, welche in allen Fällen eintreten muss. Auch nach ziemlich reich- licher Durchsetzung der Bindehaut und der tiefern Gebilde mit solchen Exsudaten kann der Process ohne bedeutende bleibende Structurveränderung rückgängig werden. Die

122 Bindehaut.

Bindehaut bleibt dann während und oft noch lange nach der Beseitigung jener Exsu- date in einem Zustande von Wulstung, dunkler Röthe und Absonderung mehr weniger reichlichen und consistenten Schleimes, und nur die Vergleichung des Zustandes beider Lider vermag in der Regel da, wo die eigentümlichen Exsudate bereits verschwunden und nicht durch sehnige Streifen vertreten sind, die Diagnosis zu sichern, da der Pro- cess, wie wir weiterhin sehen werden, wenigstens beim chronischen Verlaufe, niemals beide Lider zugleich und im gleichen Grade ergreift.

Dichte sehnige Streifen entstehen nur im Bereiche des Knorpels, viel häufiger und mächtiger am obern als am untern Lide. Der mäch- tigste läuft gewöhnlich ohngefähr 1 Linie hinter der innern Lefze des Lides, und ist von dieser durch einen dunkelrothen, feinwarzigen Saum getrennt. Diese Erscheinung fällt zusammen mit der oben angeführten Thatsache, dass die Infiltration der genannten Körner den Lidrand fast niemals erreicht, sondern erst ohngefähr 1 Linie hinter demselben be- merkt wird. Von diesem Streifen rückwärts, gegen den Übergangstheil hin, erscheint dann, nachdem die Exsudate in Fasergewebe umgewandelt sind, die Bindehaut entweder von einzelnen, netzartig angeordneten sehnigen Streifen durchsetzt, oder durchaus glatt, blutarm, nur von ein- zelnen, tiefer gelegenen Gefässen durchzogen, bläulichweiss glänzend (wie mit einer dünnen Schichte Milch überzogen), ohne Spur von Pa- pillarkörpern, ohne Spur von Schleimfollikeln, und in ihrer Flächenaus- breitung mehr weniger verkleinert. Auch die Meibom'schen Drüsen gehen nach und nach verloren.

Im Jahre 1848 starb J. S., welchen wir auf der Augenkrankenabtheilung in den Jahren 1846 und 1847 zu wiederholten Malen mit Trachoma cum panno behandelt hatten, endlich im allgemeinen Krankenhause an Tuberculosis pulmonum. Auf dem rechten Auge war die Cornea und die angrenzende Partie der Scleralbindehaut xero- tisch ; aus Rücksicht auf die Glaubensgenossen des Todten konnte ich bloss die Tarsi der obern Lider exstirpiren. Die Conjunctivalfläche der Tarsi erschien glatt, glänzend, hie und da mit kleinen Grübchen besetzt. Die hintere Hälfte der Tarsi war dünner, während die vordere fast die normale Dicke hatte; in jener war die Bindehaut sanimt dem Tarsus in ein festes, glänzendes, weisses Narbengewebe umgewandelt, welches auf der dem Bulbus zugekehrten Fläche deutlich einige strahlige und unregelmässig verzweigte ästige Ausläufer besass, und ein Netz bildete, welches zwischen sich die obbemerkten Grübchen erkennen liess. Hier war von einer Meibom'schen Drüse keine Spur zu sehen. Die vordere (untere) Hälfte zeigte bis zum Rande noch deutlich das Fasergewebe der Augenlidknorpel; die in ihm sitzenden Meibom'schen Drüsen fehlten an zahlreichen Stellen, nur hie und da waren noch einige erhalten, welche heim Drucke eine spiralförmig gewundene, weissliche Schmeermasse austreten Hessen. Keine reichte über die 3Iitte des Knorpels hinaus. Die innere Kante des Lidrandes war we- niger scharf, hie und da ganz verwischt.

Dieser Ausgang an und für sich, wenn nicht zugleich oiner eder

Traclioma Verlauf Ausgänge Schrumpfung. 123

der andere von den übrigen Folgezuständen (die wir eben anführen wollen) mit vorhanden ist, kann als ein relativ günstiger betrachtet werden. Die also veränderte Bindehaut scheint die Fähigkeit zu Reci- diven verloren zu haben, und dennoch die wesentlichen Eigenschaften zu ihrer Function wieder zu besitzen. Der folgende Fall scheint mir vor vielen andern diess insbesondere darzuthun.

B. Z. kam in ihrem 18. Jahre, den 10. Jäner 1839, auf die Augenklinik mit chronischer Bindehautblennorrhöe, wie wir damals, unter Prof. Fischer, die Krankheit nannten. (Ich will zunächst einen getreuen Auszug aus der damals abgefassten Kran- kengeschichte liefern, und erst dann den weitern Verlauf und Befund angeben.) Sie hatte in Gemeinschaft mit vielen Andern ein feuchtes, in einer sumpfigen Gegend ge- legenes Zimmer bewohnt, und als Kind lange an Kopfgrind und Anschwellungen der Lymphdrüsen des Halses gelitten. Die Katamenien traten im 16. Jahre ein, flössen aber unregelmässig, setzten mehrmals durch viele Monate aus; dabei hatte sie häufig an Kopfschmerzen, Herzklopfen und stechenden Schmerzen in den Waden gelitten, war bei jeder körperlichen Anstrengung sehr leicht ermüdet, und hatte, so wie auch itzt in der Begel blass ausgesehen. Das Augenleiden begann in ihrem 14. Jahre auf dem rechten Auge mit Thränenfluss und Lichtscheu; dazu kam das Gefühl von Druck unter dem obern Lide, Verklebtsein der Lider beim Erwachen, und abendliche Verschlimme- rung. Dieser Zustand dauerte durch etwa ein halbes Jahr, bald mit Verschlimmerung, bald mit Nachlass der genannten Zufälle, wobei jedoch das Weisse des Auges beständig, obgleich nicht in gleichem Grade, roth gewesen sein, und das Sehvermögen nach und nach abgenommen haben soll, so dass endlich die Kranke nur noch grössere Gegenstände, und zwar wie durch einen dichten Nebel wahrnehmen , weder lesen noch nähen konnte. Nach l/t Jahre wurde das linke Auge auf dieselbe Weise ergriffen. Es inter- currirten häufige Nasenkatarrhe. Als das Übel unter Anwendung verschiedener Mittel über 1 Jahr gedauert hatte, wurde sie im Jahre 1838 auf die Augenklinik aufgenom- men, wo man wegen Einwärtswendung der Cilien zuerst am rechten, bald aber auch am linken obern Lide die Abtragung des Lidrandes nach Heister vornahm, und sodann eine Salbe aus weissem Präcipitat an die innere Fläche der Lider einstrich. Nach 20wöchentlicher Behandlung wurde sie entlassen. Nachdem sie sich längere Zeit für geheilt gehalten hatte, wurde sie, ihrer Beschreibung nach, wieder häufig von Katar- rhen der Augen und der Nase befallen. Während der jedesmaligen Dauer solcher Entzündungen soll jedoch das Weisse des Auges immer roth, in der Zwischenzeit nur von einzelnen Gefässen durchzogen gewesen sein. Nach der mehrmaligen Wiederkehr solcher Entzündungen bemerkte sie abermals am rechten Auge allmälige Abnahme des Gesichtes, welche sich Anfang December 1838 auch auf dem linken Auge einstellte ; auch sah sie jetzt manche Gegenstände doppelt. Anfang Jäner setzte sie sich bei schwitzendem Körper starker Zugluft aus; bald darauf wurden die entzündlichen Er- scheinungen an den Augen heftiger ; dazu kamen stechende, aussetzende Schmerzen in der Umgebung des rechten Auges und heftige Lichtscheu. Befund am 10. Jäner 1839. An beiden obern Lidern fehlt der Band in Folge der Operation; an beiden untern ist die innere Kante abgerundet. Die Bindehaut des rechten untern Lides gleich- förmig dunkelroth, geschwellt, über dem Tarsus sammetartig, die des linken untern

124 Bindehaut.

Lides gleichförmig blassroth; der Übergangstheil beiderseits eingeschrumpft; die Binde- haut der obern Lider dunkelroth, sammetartig, gegen den obern Rand des Tarsus und im Übergangstheile mit zahlreichen körnigen Exsudaten besetzt, der Knorpel schmäler (von oben nach unten) und dicker, wulstig. Die rechte Hornhaut von aussen her ge- trübt, wie mit Staub bestreut und von einzelnen Gefässchen durchzogen; die angren- zende Partie der Scleralbindehaut aufgelockert, von zahlreichen Gefässen durchsetzt, welche einzelne Astchen auf die Cornea abgeben, und deutliche Falten bilden, wenn die Kranke dieses Auge nach aussen wendet ; nach innen sitzt in der Hornhaut am Rande ein rundlicher, undurchsichtiger Fleck (Narbe). Die linke Hornhaut in der Mitte leicht getrübt in Folge oberflächlicher Geschwürchen ; am innern Rande derselben ein sehnenartig glänzender, undurchsichtiger Fleck, zu welchem einige erweiterte Gefässe aus der Scleralbindehaut verlaufen; mit diesem Auge allein werden einzelne Gegen- stände doppelt gesehen. Im Verlaufe der Behandlung intercurrirten mehrmals Ver- schlimmerungen der entzündlichen Zufalle am Auge, einige Male mit der Eruption eines Bläschens am Rande der Cornea und partieller Gefässentwicklung, so dass das Einstreichen der weissen Präcipitatsalbe zeitweise ausgesetzt werden musste. Ferner inussten mehrmals aus den untern Lidern einzelne Cilien, welche sich gegen den Bul- bus gekehrt hatten, ausgezogen werden. Nach und nach wurde die Bindehaut blässer; man sah aber, dass sie einschrumpfte und stellenweise ein glattes, sehnenartig glän- zendes Aussehen bekam. Am 16. Juni 1839 glaubte man die Kranke als geheilt ent- lassen zu können. Allein schon am 25. August kehrte sie in die Antalt zurück unter der Diagnosis: ßlennorrhoea chronica oc. utr. cum panno oc. sin. et intercurrente ca- tarrho. Ihr Zustand scheint diessmal nicht nur sehr hartnäckig, sondern auch mit der Zeit schlimmer geworden zu sein ; denn ab ich Anfang April 1840 als Assistent in die Anstalt kam, war auf beiden Augen ein sehr dicker Pannus vorhanden, wie ich ihn seither nie mehr in solcher Ausdehnung zu sehen bekam. Auf der einen wie auf der andern Cornea lag eine dicke, gegen 1 Linie hohe Exsudatschichte, von sehr zahl- reichen Gefässen durchzogen, hie und da gleichsam speckig. Das Exsudat erstreckte sich nach oben noch über die Cornea hinaus, unten jedoch blieb ein kleiner Theil Cornea noch sichtbar, obgleich auch getrübt und von Gefässen überzogen. Die Fruchtlosigkeit der bisherigen Behandlung Einstreichen einer weissen Präcipitatsalbe und Einträufeln von Laudanum liq. Sydenh. bald einsehend, entschloss ich mich, diesen Überzug der Hornhäute mit Lapis infernalis in Substanz zu entfernen. Das Mittel wurde in Zwischenräumen von 2 3 Tagen sehr gut vertragen ; Exsudate und Gefässe schwanden bis auf eine leichte Trübung, gegen welche Laudanum eingeträufelt wurde. Aber nach einigen Wochen erfolgte eine Recidive der Art. dass jene Entar- tung noch ärger war. Nach fruchtlosen Einträuflungen von Solutio sulfatis zinci wurde der Lapis infernalis abermals angewandt, bis die Hornhaut sichtbar wurde, dann aber Solutio argenti nitrici 2—4 Gran auf 1 Unze durch mehrere Wochen fortgesetzt. Bei einem ziemlich guten Zustande der Augen musste die Kranke am 10. August we- gen einer Intermiltens zu den Internisten transferirt werden ; nach ihrer Genesung hie- von, am 18. August, wurden Tonica angewendet und die Kranke fleissig ins Freie geschickt. Den 4. October konnte sie als geheilt entlassen werden. An den Lidern zeigte sich keine Spur von Granulationen, auch nicht im Übergangstheile ; die Binde- haut war im Ganzen massig geschrumpft, überall glatt, stellenweise sehnenartig glän- zend. Wegen Neigung des untern Lidrandes zur Einwärtswenduug war beiderseits die

Trachoma Verlauf Ausgänge Symblepharon poster. 125

Ausschneidung einer Hautfatte gemacht worden. Am 23. November 1840 kam die Kranke abermals in die Anstalt. An der Bindehaut war nichts Abnormes, ausser einer eigentümlich schwärzlichen (bleigrauen) Farbe über der Sclera, welche dieselbe in Folge der langen Anwendung der Lapislösung angenommen hatte. Aber die Kranke konnte das rechte Auge nicht schliessen. Es war Lagophthalmus eingetreten, theils in Folge der Abtragung des Lidrandes, theils in Folge der Schrumpfung des Knorpels und der Bindehaut ; in einem geringen Grade war dieses Übel auch auf dem linken Auge vorhanden. Die Augen wurden durch Licht, scharfe Luft, Staub u. dgl. sehr belästigt, so dass sie ihrer Arbeit als Dienstmädchen bei einem Bauer nicht wohl vorstehen konnte. Der Versuch, am linken obern Lide Cilien durch Transplantation einzuheilen, blieb ohne Erfolg. Ich schob nun eine Hornplatte unter das rechte obere Lid, und führte parallel dem Lidrande und 2 Linien von demselben entfernt einen Schnitt durch die Cutis und alle Gebilde darunter, die Conjunctiva mit begriffen. Der Schnitt begann am äussern Orbitalrande über dem Knochen, und endete am innern Ende des Tarsus ; in diese horizontale Spalte pflanzte ich ein entsprechendes Hautstiick, welches aus der Wangenhaut gebildet und an der Basis umgebogen wurde, miteist der umschlungenen Naht. Die Einheilung desselben gelang, nur an der Spitze (nach innen) starb ein kleiner Theil ab. Der Lagophthalmus war dadurch gehoben und blieb es, obwohl in der Folge (nach einigen Jahren) das eingepflanzte Hautstiick in Form einer dicken Wulst etwas vorsprang. Die Kranke ist nun seit ihrer Entlassung am 24. März 1841 ganz gesund geblieben. Erst im Jahre 1850 kam sie wieder in die Anstalt, wegen Einvvärtsvvendung einiger Cilien der untern Lider, welche die Atzung mit Schwefelsäure erheischte. Beide Hornhäute sind fast ganz rein, die Kranke kann wieder nähen, lesen u. dgl. Ihre Bindehäute sehen wie gegerbt aus, glatt, feucht, glänzend, blass ; die Übergangsfalten fehlen; die Conjunctiva bulbi bildet bei stärkern Bewegungen des Bulbus leicht Falten.

Der Übergangstheil wird in Folge des Processes eigentümlich glatt, minder durchsichtig, in ein dichtfasriges, fibroides Gewebe verwandelt. Zunächst sieht man die Übergangsfalte verstrichen ; weiterhin entstehen, wenn man das untere Lid abwärts zieht, während man den Kranken auf- wärts blicken lässt, senkrecht (von oben nach unten) verlaufende Fältchen ; in einem noch höhern Grade der Schrumpfung fehlt der ganze Über- gangs-, und im höchsten Grade auch der Scleraltheil der Bindehaut. Auf diese Weise führt die Krankheit zu dem Zustande, welchen von Amnion Symblepharon posterius genannt hat, und, wenn wegen gänzlicher Ver- schrumpfnng (gleichsam Verzehrung) der Bindehaut der Lidrand mit dem Cornealrande unmittelbar verbunden erscheint, und desshalb der Augapfel von den Lidern nicht mehr bedeckt werden kann, zu dem Zustande, den man Lagophtahlmus nennt.

Es gibt Fälle, in welchen die Infiltration und consecutive Schrumpfung mehr oder ganz allein im Tarsaltheile und Tarsus mit den Meibom'schen Drüsen, und andere, in welchen sie vorzugsweise im Übergangstheile der Bindehaut in die Erscheinung

126 Bindehaut.

tritt; in der Regel tritt die Schrumpfung in beiden Theilen zugleich oder kurz nach einander und in ziemlich gleichem Grade auf.

Dieses Verdränglwerden des normalen Bindegewebes durch das infiltrirte Exsudat, und das nothwendig darauf folgende Umgewandelt- werden der Bindehaut in eine einfache Zellenmenibran, welche mit der Zeit mehr und mehr in sich zusammenschrumpft, kann endlich auch zur Stö- rung- der Thränenabsonderung führen. Abgesehen davon, dass die Aus- führungsgänge der Thränendrüse verengert und endlich verschlossen werden müssen, wenn dieser Process die betreffende Partie der Bindehaut des obern Lides ergreift, kann auch die grossentheils oder durchaus in ihrer Structur veränderte Bindehaut ihren Beitrag zur Thränenflüssigkeit nicht mehr liefern, und das gleichfalls veränderte Epithel an ihrer Ober- fläche löst sich nicht mehr in der allenfalls noch vorhandenen Thränen- flüssigkeit auf. sondern erscheint trocken, anfangs fettglänzend, später ganz matt, rauh, und mit trockenen Schüppchen belegt. Mit einem Worte: es entwickelt sich partieller oder totaler Xerophihalmus. Während der partielle Xerophihalmus auch in Folge anderer Krankheitsprocesse be- obachtet wird, namentlich bei Hornhautstaphylomen, sah ich den totalen mit Ausnahme einiger seltenen Fälle, wo wahrscheinlich Conjunctivitis membrannaea vorangegangen war, nur in Folge von Trachoma mit allge- meiner Schrumfung der Bindehaut, also mit Symblepharon totale und Lagop thalmus.

J. P., 19 Jahre alt. Schlossergesell, klein und schwächlich gebaut, von einem tuberculüsen Vater abstammend, und selbst die Attribute der Scrofulosis darbietend, leidet seit drei Jahren an den Augen. Als Ursache bezeichnet er Sand, der ihm vom Winde in's rechte Auge getrieben worden sei. Als besonders hervorstechende Erscheinungen werden Lichtscheu und Thränenfluss und heftig stechende Schmerzen, welche besonders in den Morgenstunden stark auftraten, bezeichnet. Das Übel war bald besser, bald schlimmer gewesen ; nach ohngefähr 1 '/2 Jahren fand sich ein Arzt bestimmt, am rechten untern Lide einen Theil des Haarzwiebelbodens abzutragen. Aber auch nachher war er von seinem Übel nicht befreit, bis es ihn, Anlang Jäner 1845, zwang, in's allgemeine Krankenhaus zu gehen. Ich notirte damals folgenden Status praesens *) : „An seinen Augen sieht man den Process der Schrumpfung der Conjun- ctiva ganz so, und zwar in verschiedenen Stufen, wie ich ihn in dem Aufsatze über Trichiasis und Entropium (7. Band S. 46) geschildert habe. Das linke Auge scheint dem Ansehen nach ganz gesund zu sein, aber die innere Fläche des untern Lides er- scheint glatt, michweiss. serös glänzend, gegen den Lidrand und gegen den äussern Winkel hin noch wie eine Mucosa aussehend, fein warzig, dunkelroth und aufgelockert; die Übergangsfalle und die halbmondförmige Falte geschwunden; am obern Lide sieht man (innen) einige sehnige Streifen, ziemlich parallel dem Lidrande, durch einige

°) Siehe meinen Aufsatz über das Flügelfell, in der Prager Vierteljahrschrift, 8. Band, S. 90.

Trnchoma Verlauf Ausgänge Xerophthalmus- 127

Zwischenstreifen unregelmässig verbunden, und dazwischen, wie Inseln, einige dunkel- rotlie Stellen, davon 3 deutlich vertieft, im Grunde glatt; der Knorpel von oben nach unten höchstens 2'/3'" breit, minder geschmeidig als im normali n Zustande. Am rech- ten Auge wurde wegen partieller Trichiasis bereits ein Theil des untern Lidrandes ab- getragen. Die Bindehaut ist hier so stark geschrumpft, dass sie als glatte, sehnenar- tige Membran beinahe unmittelbar von der Narbe am Lidrande auf den Bulbus über- gehl, besonders in der Mitte des Lides ; auch am obern Lide ist die Schrumpfung so bedeutend, dass gegen den innern Winkel hin eine vom Lide auf den Bulbus gehende Falle entsteht, sobald man das Lid ein wenig aufwärts zieht ; der Knorpel ist sehr schmal und muldenförmig gerollt, von dichten, glänzenden, weissen Streifen an der Innenfläche durchzogen, am Rande wulstig; die mittlere Partie des Lidrandes einwärts gewendet, so dass die Wimpern den Bulbus berühren. Im innern Winkel ist die Scle- ralbindehaut ganz so beschaffen, wie bei einem gewöhnlichen Flügelfelle, und zwar von der Hornhaut an bis zu der ganz verstrichenen halbmondförmigen Falte (oder vielmehr bis zur Karunkel hin), nämlich etwas verdickt und sehnenartig glänzend. Auf der Hornhaut sieht man gegen den innern Winkel hin eine flache IVarbe, rundlich, von etwa 1 V2'" im Durchmesser, ziemlich tief in die Hornhautsubstanz hineinragend. Die genannte Entartung der Bindehaut erstreckt sich noch auf einen Theil dieser Narbe; Iässt man den Kranken nach innen oder schief nach unten und innen, oder aber schief nach oben und innen sehen, so sieht man, dass die verdickte, sehnenartige Bindehaut auf dem innern Theile der Narbe nicht fest aufsitzt, indem sie Falten bildet. Der Streifen, an welchem die entartete Bindehaut so locker auf der Cornea sitzt, ist etwas über '/j'" breit. Auf ähnliche Art ist die verdickte und sehnenartige Bindehaut, welche sich von der Mitte des untern Lides auf den Bulbus fortsetzt, von dem untern Theile des Hornhautrandes losgelöst (darüber in Falten verschiebbar), nur bemerkt man hier keine Narbe in der Bindehaut. Der übrige Umfang der Cornea, mit einem leichten Pannus überzogen, wurde ganz rein, nachdem die einwärts gewendeten Wimpern wa- ren abgetragen worden." Der Kranke wurde am 13. März 1845 in einem leidlichen Zustande seiner Augen entlassen, und betrieb wieder seine Profession. Am 21. No- vember 1848 starb derselbe auf der Abtheilung für Brustkranke an Tuberculosis (acute Infiltration in den Lungen mit Cavernenbildung und im Darmkanale mit Geschwürebil- dung). Das rechte Auge, welches ich sammt der Thränendrüse und dem Thränensacke aufbewahre, bietet nun die Erscheinungen eines vollständig ausgebildeten Xerophthal- mus dar. An dem untern Lide fehlen die Cilien im mittlem Theile da wo früher ein Arzt den Haarzwiebelboden abgetragen hatte; am obern Lide fehlen sie in den äussern 2 Dritteln da, wo auf der Klinik dieselbe Operation gemacht worden war. Die noch übrigen Cilien stehen äusserst verworren, nach den verschiedensten Rich- tungen hin. Am obern Lide ist der Knorpel kaum noch 2 Linien breit, am untern ist er bis auf einen etwa '/2'" breiten Saum geschwunden. Die Bindehaut geht am untern Lide fast unmittelbar vom Rande des Lides auf den Bulbus über, am obern überzieht sie den Knorpel in einem etwas über 1 Linie breiten Streifen (rückwärts vom Lid- rande), und hängt dann ebenfalls mit dem Bulbus zusammen Von der halbmondför- migen Falte ist keine Spur vorhanden, auch die Thränenpunkte und die Thränen- karunkel lassen sich nicht mehr auffinden. Die Bindehaut selbst erscheint ganz trocken, grau, nur wenig durchscheinend, fein runzlich und mit kleinen Schüppchen bedeckt. Sie lässt sich von der Sclera und selbst von der Cornea bis zum Umfange der obge-

128 Bimlelimit.

nannten Narbe als eine zähe Membran losprapariren. Die Peripherie der Cornea dar- unter erscheint fast normal, nur etwas weniger durchsichtig. Der Thränensack ist zu einem erbsengrossen durchscheinenden Säckchen ausgedehnt, mit Flüssigkeit gefüllt, seine Mündung in den Thränennasenkanal obliterirt. Die Thränendrüse ist kaum als solche zu erkennen, hat nur '/3 der normalen Grösse, und ist in eine fettähnliche Masse umgewandelt. (Weiler wurde das Präparat, um es für weitere Demonstrationen zu erhalten, nicht untersucht.) An dem linken Auge kann man an der nur wenig klei- nern Thränendrüse deutlich die einzelnen Acini unterscheiden. Der Tarsus des obern Lides ist 3"' breit, innen ganz glatt, sehnig glänzend ; nach aussen hin sieht man einige vertiefte Pünktchen, welche mir die Mündungen der Thränengänge zu sein schienen ; ven den Meibom'schen Drüsen sieht man nur am Rande kurze Spuren. Der Knorpel ist in eine fibroide Platte umgewandelt.

Die Infiltration und nachträgliche Schrumpfung des Knorpels, deren wir bereits mehrmals erwähnt haben, führt sehr häufig zur Einwärtswen- dung der Cilien als Distichiasis oder als Trichiasis, oder des ganzen Lidrandes, als Entropium. *)

In Folge der Infiltration allein schon, oft ehe es noch zu merk- licher Schrumpfung der Bindehaut und des Knorpels gekommen ist, bemerkt man, dass mehr weniger Wimpern den Lidrand in abnormer Richtung durchbohren, mehr gegen die innere Kante hin hervorsprossen, und so gleichsam eine 2 Reihe von Cilien Distichiasis bilden. Diese, in abnormer Richtung und an abnormer Stelle wachsenden Cilien sind ge- wöhnlich dünner und blässer, als die in der äussern Kante sitzenden, und deuten hiedurch sowohl als durch ihre Verkrümmung auf Erkrankung des Haarzwiebelbodens hin.

Zur Einwärtswendung der an normaler Stelle hervorsprossenden Cilien Trichiasis oder endlich selbst der Cutis des Lidrandes Entropium tragen mehrere Umstände bei. Wir haben bemerkt, dass die Bindehaut längs des Lidrandes, ohngefähr i'" breit, von den ge- nannten sulzigen Exsudaten frei zu bleiben pflegt. Hat aber die Krank- heit den 2. Grad erreicht, so erscheint dieser Saum geschwellt, fein warzig, dunkelroth, daher die innere Kante des Lidrandes minder scharf, gleichsam abgerundet ; so wie aber diese Hypertrophie des Papillarkörpes endlich zurückgeht, schrumpft auch diese Partie zusammen, und die innere Lidkante geht verloren, erscheint wie abgeschliffen. Die Folge davon ist, dass die äussere Kante mit den Cilien ilire Lage zum Bulbus ändert, und dass letztere allmällig dem Bulbus zugewendet werden, längs des ganzen Lidrandes oder an einem grössern Theile desselben. Hat der Knorpel bedeutend gelitten, so schrumpft er von oben nach unten,

*) Vergl. meinen Aufsalz hierüber in der Prager Vierteljahrsohrift. 1S4i, 3 Heft

Trachoma Verlauf Ausgänge Entropium Pannus. 129

wird schmäler, und zugleich muldenförmig gekrümmt. Diess begün- stigt nun die Einwärtswendung des Lidrandes noch mehr. Dazu kommt noch, dass an solchen Augen die innere Portion des Musculus orbicularis palp. (Muse. Albini) in Folge der häufigen, selbst krampfhaften Schliessung der Lidspalte bei den von Zeit zu Zeit heftiger auftretenden entzündlichen Zufällen in einen Zustand habitueller Contraclion geräth, und den Lidrand, auch wenn die innere Kante nicht abgerundet wäre, einwärts drängt, so wie endlich die Blepharophimosis, welche als Folge der Excoriationen bei den einzelnen entzündlichen Anfällen sehr häufig zu diesen Übeln hinzutritt, und schon an und für sich geeignet ist, Entropium zu bewirken, bei inveterirten Trachomen selten fehlt.

Die gegen den Bulbus gerichteten Cilien reizen denselben fort- während, unterhalten und steigern die Entzündung der Bindehaut und gefährden das Gesicht durch ihre Wirkung auf die Cornea. Sie erregen oder steigern den schon vorhandenen Pannus ; noch mehr aber schaden sie dadurch, dass sie Verschwärung der Cornea, theilweis oder durchaus, und deren weitere Folgen einleiten; in seltenen Fällen bildet sich, gleichsam zum Schutze der Cornea, eine Art Schwiele oder Verdickung des Epithelialüberzuges, welche so aussieht, als ob man ein Stückchen Papier oder ein dünnes, fettglänzendes oder trockenes Häutchen auf einen Theil der Cornea aufgeklebt hätte, ein wenig erhaben ist, und scharf begrenzte Ränder zeigt. Solche schwielige Partien können auch im Be- reiche der Seleralbindehaut entstehen, wenn diese lange einen solchen mechanischen Reiz, Druck oder Reibung zu ertragen hat. Sie werden mit der Zeit ganz trocken (partieller Xeropthalmus), auch wenn sonst der ganze Bulbus gehörig feucht und glänzend erscheint.

Jene Form des Pannus, welche einzig und allein Folge der mechanischen Rei- zung ist, und eigentlich als Keratitis traumatica bezeichnet werden lnuss, liisst sich in der Regel leicht von dem eigentlichen Pannus, welcher die Bedeutung der Conjuncti- vitis scrofulosa oder des Trachoma hat, unterscheiden. Der Pannus (als Theilerschei- nuug des Trachoma) entwickelt sich immer vom Limbus conjunctivae aus, und charak- terisirt sich durch Auflagerung von Exsudaten auf die Cornea ; er ist nie auf die Cornea allein beschränkt, sondern «rscheint nur als Fortsetzung der Entzündung von der Conjunctiva bulbi auf das Bindehautblättchen der Cornea, welches physiologisch sowohl als pathologisch nur als Fortsetzung der Seleralbindehaut auf die Cornea zu betrachten ist. Jene Keratitis hingegen, welche einzig und allein durch einwärts ge- wendete Wimpern erregt wird, zeigt nicht Auflagerung, sondern Infiltration des Exsu- dates in das Cornealgewebe selbst; die Gelasse, welche man dabei bemerkt, kommen gleichsam unter dem Limbus conjunctivae hervor, oder gehen unter demselben weg zu den Zweigen der vordem Ciliargefässe. Haben solche Trübungen längere Zeit bestan- den, so widerstehen sie lange oder für immer jeder Behandlung.

I. 9

130 Bimlvliaut.

Der Pannus ist, wie bereits erwähnt wurde, nur als Fortseslzung des Krankheitsprocesses von den Lidern auf den Bulbus, in specie auf die Cornea, zu betrachten. Dieselbe Affection, wie auf der Cornea, kann immer auch in der Conjunctiva sclerae nachgewiesen werden, namentlich unter dem obern Lide, wo die Bindehaut dann gelblich, uneben und von zahlreichen Gefässen durshzogen erscheint. Geschieht die Exsudatabla- gerung rascher, und unter zahlreicher Gefässentwicklung, so wird die Substanz der Cornea serös durchfeuchtet und erweicht; sie verliert ihre Elasticität, gibt dem Drange des Humor aqueus nach, und wölbt sich stärker nach vorn. So entsteht jener Folgezustand, welchen man, wie von selbst einleuchtet, ganz unrichtig Wassersucht der Augenkammer genannt hat (Hydrops anterior oder Hydrops camerae). Der Name Kerat- ektasia ex panno dürfte die Natur dieses Übels besser bezeichnen. Der- selbe entsteht häufiger bei Pannus vasculosus als bei Pannus crassus.

Der Pannus erscheint sehr häufig im Gefolge des Trachoma. Er entwickelt sich beinahe immer von oben her. Es lag demnach sehr nahe« die Ursache desselben in den sogenannten Granulationen, in der Reizung der Hornhaut durch dieselben zu su- chen, und ihn desshalb als traumatisch zu bezeichnen. Das mechanische Moment mag vielleicht einigen Einfluss auf die Entstehung, wenigstens auf die Unterhaltung dieses Zusandes üben, gewiss aber einen sehr untergeordneten. Er kommt nicht bloss da vor, wo solche Granulationen, einwärts gewendete Cilien u. dgl. vorhanden sind, sondern auch hei bereits glatt gewordener Bindehaut ; er steht in keinem geraden Verhältnisse zu der Grösse, Härte und Dauer der sogenannten Granulationen; er tritt bald ganz allmä- lig, bald aber auch rasch, gleichzeitig mit andern entzündlichen Erscheinungen auf, welche jede frische, durch äussere oder innere Ursachen erregte Infiltration begleiten, und welche die Auetoren als scrofulöse, katarrhalische oder katarrhalisch-rheumatische Ophthalmien bezeichnet haben. "") Ich sah dieselben mehrmals ohne alle äussere Ver- anlassung in der grössten Heftigkeit, selbst mit fieberhafter Aufregung des Gesammt- organismus auftreten, **) und dabei den Pannus selbst in 24 Stunden über die Hälfte, über die ganze Cornea sich ausbreiten. Vom Linibus conjunctivae corneae, welcher bekanntlich oben an */,'" breit ist, geschieht an der Spitze der allmälig vorrückenden Gefässe Ablagerung organisationsfähigen Blastems unter das Epithelium der Cornea. Sehr häufig sieht man die Cornea mit ähnlichen Bläschen oder vielmehr Körnern be- deckt, wie die trachomatöse Conjunctiva palpebrarum ; in andern Fällen, namentlich bei stürmischer Ausscheidung, berstet das Epithelium, und es kommt zur oberflächli- chen Geschwürsbildung.' Bei Trichiasis uhd Entropium, wo erwiesener Massen die

8) Piringer 1. c. S. 161. „Auf unserer Abtheilung war mehrmals ein Schustergeselle mit einer katarrhalisch-rheuma- tischen Augenentzündung, bei deren Abnahme sich jederzeit ein leichter, bald wieder schwindender Pannus einge- stellt hatte. Diessjahrig sahen wir bei demselben im Verlaufe eines solchen Entzündungsanfalles in der Tiefe der nur wenig katarrhös ergriffenen, blassrothen und kaum aufgelockerten Bindehaut des linken Auges drei solche Bläschen" wie beim Trachom „entstehen und verschwinden. Es folgte aber keine Blennorrhoe, wohl aber kam wieder ein Pannus nach." »#) Vergl. Fischer klin. Unterricht, S. 60.

Trachoma Verlauf Ausgänge Pannus Cornealgeschw. 131

Cilien und der Lidrand die Cornea anhaltend reiben und drücken, sehen wir endlich ganz andere Folgen auf der Cornea auftreten, wie bereits S. 129 angegeben wurde. Wäre der Pannus Folge des Druckes, der Reibung der Cornea durch die Granulatio- nen, dann Hesse sich in der That das Auftreten des sogenannten Hydrops camerae nicht begreifen.

Wenn der Pannus nicht zur Ausdehnung der Cornea führt, so lässt er eine Restitutio ad integrum zu, vorausgesetzt, dass er einerseits nicht zu tieferer Geschwürsbildung, anderseits nicht zur Umwandlung des Ex- sudates in stationäres Narben- oder Fasergewebe geführt hat. Nach längerem Bestände organisirt sich nämlich des Exsudat, und schrumpft zu einem dünnen, halbdurchsichtigen, sehnenartig glänzenden, unveränder- lichen Überzuge, welchen schon Piringer als unheilbar erkannt, und Pannus siecus genannt hat. Zum Glück reicht derselbe selten bis vor die Pupille herab.

Dieselbe Form, welche wir als Conjunctivitis scrofulosa beschrieben haben, pflegt nicht selten dem Auftreten des Trachoma vorauszugehen, und noch häufiger während der verschiedenen Grade und Stadien des- selben zu intercurriren. Oft lange, nachdem der grösste Theil des Ex- sudates und der Gefässe von der Oberfläche der Cornea verschwunden sind, sieht man seichte Abschliffe, sogenannte Resorptionsgeschwüre fort- bestehen, welche oft nur beim Spiegeln der Cornea wahrnehmbar werden, sich äusserst langsam ausfüllen, und oberflächliche Trübungen für lange oder für immer zurücklassen. In andern Fällen führt die rasche Schmel- zung dieser umschriebenen Exsudate ganz auf dieselbe Weise, wie bei der Conjunctivitis scrofulosa, zu tieferen, selbst durchbohrenden Ge- schwüren und deren Folgezuständen.

Auf andere, als die bisher besprochene Weise, bringt das Trachoma an und für sich dem Auge keine Gefahr.

Zerstörung der Cornea durch Malacie oder eitrige Infiltration wie bei der acuten Bindehautblennorrhöe habe ich auch bei den heftigsten Fällen nicht beobachtet. Schwä- chung der Sehkraft durch Beeinträchtigung der Ernährung des Auges, veränderte Pi- gmentablagerung u. s. w., wie Dr. Hasner angibt, ist weder durch untrügliche Zeichen an Lebenden, noch durch Sectionen nachgewiesen.

Die Krankheit beginnt im untern Lide. Man trifft sehr oft Kranke, bei denen bloss das untere Lid leidet, das obere (bis etwa auf leichte Hyperämie und Schwellung der Bindehaut) ganz gesund befunden wird, hingegen wohl nie einen Fall, wo bei Auflagerung oder Infiltration an dem obern Lide das untere normal gefunden würde. Die Krankheit geht aber auch am untern Lide früher zurück, und scheint überhaupt, nach den consecutiven Veränderungen zu schlössen, hier öfters sich mehr in

9*

132 Bindehaut.

oberflächlicher Exsudation zu erschöpfen, als in die Tiefe zu greifen. In der Mehrzahl inveterirter Fälle, die dem Arzte zu Gesichte kommen, sind die Körner am untern Lide bereits geschwunden, die Bindehaut er- scheint dann über dem schmalen Knorpel entweder gleichmässig dunkel- roth und sammtartig aufgelockert, allenfalls gegen die Winkel hin noch mit einem oder dem andern blassen Korne versehen, oder stellenweise wie mit Milch überzogen, und der Übergangslheil ist verstrichen, wenn nicht schon Symblepharon posterius beginnt. In solchen Fällen kann man leicht glauben, man habe einen chronischen Katarrh vor sich, wenn man das obere Lid nicht umstülpt, und auch hier seine Aufmerksamkeit vor- züglich auf den Übergangstheil richtet, denn auch hier können die ge- nannten Körner über dem Tarsus bereits geschwunden sein, während sie im Übergangstheile noch fortbestehen.

Nur in Fällen, welche mehr acut aufgetreten zu sein scheinen, findet man die genannten Körner und die dadurch eingeleiteten Ver- änderungen am obern und untern Lide so ziemlich auf gleicher Entwick- lungsstufe.

Niemals, die Körner mögen noch so gross und zahlreich sein, ent- steht in Folge dieser Krankheit Entropium, sehr leicht dagegen, wenn spontane Schrumpfung eintritt, Trichiasis oder Entropium, häufig Symble- pharon posterius, in seltenen Fällen selbst Xerophthalmus.

Dieses verschiedene Verhallen in Bezug auf Verlauf und Ausgänge bietet eines der wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale dieser Krankheit von der Blennorrhoe, mit welcher sie so häufig zusammen geworfen wurde.

Vorkommen und Ursaehen. Das Vorkommen des Trachoma, dieser zusammenhängenden Reihe krankhafter Erscheinungen, welche wir in den vorhergehenden beiden Absätzen beschrieben haben, steht in einem so auffallenden Verhältnisse zu dem Vorkommen der Scrofulosis und Tu- berculosis, dass eine innigere Beziehung zu diesem Allgemeinleiden nicht in Abrede gestellt werden kann.

Es soll hiemit nicht gesagt sein, dass solche Exsudate, wie wir sie so eben kennen gelernt, unmittelbar das Ergebniss einer fehlerhaften Blutmischung seien ; es soll nicht gesagt sein, dass diese Exsudate selbst vielleicht scrofulöse oder tuberculöse Ablagerungen in der Bindehaut seien, denn sie kommen erwiesener Maassen auch bei solchen Individuen vor, bei denen sich nie, weder zur Zeit, noch vor, noch nach dem Auftreten des Augenleidens eine solche Dyskrasie anderweitig nachweisen lasst, und wir sind weder mijt freiem Auge, noch mit der Loupe oder mit dem Mikroskope im Stande, in der Form, Structur, oder den Metamorphosen einen namhaften Unterschied dieser sogenannten Granulationen anzugeben, gleichviel ob sie bei innerlich gesunden Individuen (bei Katarrh und Blennorrhoe) oder bei ausgesprochenem Allgemeinleiden

Trachoma Vorkommen Ursachen. 133

vorkommen. Aber der Grund, dass diese anfänglich so wie heim Katarrh und der Blennorrhoe nur oberflächlich abgelagerten Exsudate endlich auch das Parenchyni der Bindehaut, den Knorpel, den submukösen Zellstoll' und die Cornea einnehmen, liegt eben in dem Umstände, dass die Augenentzündung zuletzt durch ein Allgeineinleidcn bedingt ist. Und eben das auf diese Weise zu Stande gekommene entzündliche Binde- hautleiden mit diesen körnigen Exsudaten und seinem immer eigentümlicher gestalte- ten Verlaufe, je weiter es gediehen ist, haben wir, um es als von andern ähnlichen wesentlich verschieden zu bezeichnen, Trachoma genannt. Will man aber den Aus- druck Trachoma überall in Anwendung bringen, wo man die in Rede stehenden Ex- sudate vorfindet, dann unterscheide man nur, ob das Übel bloss durch äussere Momente (unreine Luft, Contagium etc.) allein, oder durch innere Ursachen vorwaltend bedingt sei; man bediene sich dann etwa, um diesen für den Arzt gewiss wichtigsten Unter- schied anzudeuten, allenfalls der Ausdrücke : Trachoma catarrhale , blennorrhoicum, scrofulosum, und füge noch hinzu, dass die erstem beiden erfahrungsgemäss jene Me- tamorphosen nicht herbeiführen, welche das letztere bei langer Dauer fast constanl nach sich zieht.

Das Trachoma entwickelt sich beim Vorhandensein dieser Anlage spontan, in Folge des Allgemeinleidens allein, oder auf verschiedene äussere Veranlassungen, welche theils auf das Auge, theils auf den Ge- sammtorganismus nachlheilig einwirken.

Bisweilen geben traumatische Eingriffe den Anstoss zur Entwick- lung desselben, häufiger Verkältung, am häufigsten unreine Luft, der Aufenthalt in feuchten, dumpfigen, wenig gelüfteten, mit Menschen über- füllten Localitäten, dürftige und schlechte Nahrung, kümmerliche Lebens- verhältnisse überhaupt. Die Krankheit kommt unverkennbar unter Leuten, die in dürftigen Umständen leben, bei weitem häufiger, vor, als bei wohl- habenden, obwohl auch diese nicht davon verschont bleiben, sobald sie Einflüssen ausgesetzt werden, welche die Constitution des Körpers her- unterbringen.

Rücksichtlich des Alters fällt die Zeit der Entstehung am häufigsten mit den Jahren des Mannbarwerdens zusammen, und zwar vor dem Zu- standekommen desselben. Bei Kindern unter 5 Jahren kommt es nach meinen bisherigen Beobachtungen gar nicht, und von da bis zum 12. Jahre auch nur ausnahmsweise vor. Jm Mannes- und Greisenalter ent- wickelt es sich sehr selten ; bei Individuen dieses Alters datirt es meistens aus einer frühern Periode ; doch kommen mitunter Fälle vor, wo das erste Auftreten in die Zeit der Involution (der klimakterischen Jahre) fällt. Es liegen mir mehrere Beobachtungen vor, aus denen ich, theils nach den consecutiven Veränderungen am Auge, theils nach den An- gaben der betreffenden Kranken annehmen muss, dass diese in den Jünglingsjahren an Trachoma litten, dann durch 15 20 Jahre von dem-

134 Bindehaut.

selben wenigstens scheinbar geheilt, i. e. von entzündlichen Zufallen ver- schont blieben, und erst zur Zeit der Involution neuerdings von solchen Zufällen, namentlich von Ablagerung auf der Cornea (Pannus) befallen wurden. Es kehrten Leute, welche in der hiesigen Klinik vor 15 20 Jahren an sogenannter chron. Blennorrhoe Tischer) behandelt und nach Abtragung des Haarzwiebelbodens (wegen Trichiasis oder Entropium) ge- heilt entlassen worden Maren, und sich Jahre lang wohl befunden hatten, in ihrem spätem Alter mit Trachoma cum panno in die Anstalt zurück.

Es erscheint entweder auf beiden Augen zugleich, und schreitet auch auf beiden in ziemlich gleichem Grade vorwärts, oder es befällt das 2. Auo-e erst nach längerer Dauer auf dem erst ergriffenen. Nur selten bleibt es Monate lang; auf ein Auge beschränkt, und niemals noch kam mir ein Fall von ueit gediehenem Trachom (mit Schrumpfang) des einen Auges bei noch ganz frei gebliebener Bindehaut des andern Auges vor.

Bei mehr als zwei Dritteln der Kranken, welche ich an Trachoma zu behandeln hatte und von denen mir genaue Erhebungen vorliegen, bot entweder der Status praesens oder die Anamnesis unzweideutige Merkmale der Scrofulosis dar. Bei vielen der Erwachsenen Hess sich Tu- berculosis pulmonum mit grösster Wahrscheinliebkeit, bei mehreren mit Bestimmtheit nachweisen. Aber auch die Übrigen zeio-ten fast durchge- hends eine blasse und aufo-edunsene, oder erdfahle und welke Haut, ge- ringe und schlaffe Muskulatur, Trägheit in den Bewegungen des Körpers, Trägheit in den Verrichtungen des Unterleibes. Bei der Mehrzahl der weiblichen Individuen war die Menstruation ungewöhnlich spät, meistens erst nach dem 17. Jahre, eingetreten, und erfolgte sofort sparsam oder unreuelniässio-. Nur eine sehr geringe Zahl konnte für relativ gesund erklärt werden.

Es findet bei dieser Krankheit, wenigstens ini Stadium der Infiltration und noch mehr in dem der Schrumpfung, ein gleiches Verhältniss statt, wie bei der Conjuncti- vitis scrofulosa, bei der Iritis syphilitica u. s. w. Es gibt Formen, welche so charak- teristisch sind, das» man nur das Auge zu sehen braucht, um zu wissen, was für einem Individuum es angehört, dass man aus den Producten am Auge mit Sicherheit auf das bedingende Ailgemeinleiden zurückschliessen kann Ist aber umgekehrt das Augenleiden weder in Bezug auf den Befund, noch in Bezug auf den bisherigen Ver- lauf und die Entstehuujsweise so charakterisirt, dass man Grund hat. auf das fragliche Allgemeinleiden als bedingendes Moment zurückzuschliessen, dann können gleichzeitig vorhandene oder vorhergegangene sonstige Merkmale der Scrofulosis oder Tuberculosis wohl mehr weniger Verdacht auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem örtlichen und diesem allgemeinen Leiden erregen, nie aber für sich allein den Aus- schlag geben.

Bisher habe ich zw,ir nur fünfmal Gelegenheit gehabt, Individuen

Trachoiua Vorkommen Ursachen. 135

zu seciren, an denen ich im Leben Trachoma diagnosticirt hatte, aber alle zeigten Tuberculosis pulmonum, oder waren gradezu in Folge dieses Leidens gestorben.

Zu diesen gehören der oben erwähnte J. Peter (S. 126) und J. S. (S. 122). Aus dein Jahre 1844 bewahre ich ein Präparat von Xerophthalmus als Ausgang von Tra- choma ; es stammt von einem Manne, bei w.elchem nebst andern auch obsolete Lungen- tuberculosis gefunden worden war. A. Jelinek, 45 Jahre alt, Taglöhnerin aus Kosir, starb am 15. Mai 1846 an Tuberculosis pulm. Ich hatte sie nur einige Tage vor dem Tode gesehen, und aus den consecutiven Veränderungen am linken Auge geschlossen, dass der partielle Xerophthalmus des rechten Auges nichts anderes, als das Ergebniss von Trachoma sein könne. An Tuberculosis starb auch der Buchbinderssohn Dworsky (in der Stadt), bei welchem ich im Jahre 1842 wegen Pannus als Folge mehrjährigen Trachomas die Einimpfung der acuten BindehautbLennorrhöe unternommen, jedoch nur vorübergehende Besserung erzielt hatte. Seine Mutter und seine Schwester litten gleich- falls an Trachoma; bei ersterer waren, als ich sie in Behandlung nahm, Bindehaut und Lidknorpel bereits so weit geschrumpft, dass nach und nach an sämmtlichen Lidern der Haarzwiebelboden hatte abgetragen werden müssen (theils von Herrn Dr. Ryba, theils von mir), letztere genas unter Touchirungen mit Cuprum sulfuricum und ent- sprechender Allgemeinbehandlung (welch letztere namentlich Eisen- und Chinapräparate erforderte) in Zeit von 4 5 Jahren, und befindet sich jetzt im Allgemeinen so wohl, dass, wer ihr jahrelanges Kranksein nicht selbst beobachtet, kaum glauben würde, sie sei früher scrofulös (tuberculös) gewesen, und nur die sehnigen Streifen der verkürzten Bindehaut und die Yerschinälerung der Lidknorpel verräth dem Sachkundigen das vor- ausgegangene örtliche Übel.

Hat man Gelegenheit, Leute mit Trachoma zu Hause, als Familien- mitglieder zu beobachten, so wird man nicht selten überrascht durch die Bemerkung, dass mehrere Mitglieder der Familie an Trachoma leiden, oft ohne es zu wissen, und es kommen Fälle vor, welche man weder durch Supponnirung eines Contagiums, noch durch die Annahme, dass dieses Übel durch gemeinschaftliche äussere Schädlichkeiten erzeugt oder unterhalten worden sei, erklären kann, im Gegentheile, man wird zur Annahme einer innern Dispositon gedrängt, welche selbst als ererbt oder angeboren betrachtet werden muss.

So litt in der Familie Dworsky auch der Vater, ein Buchbinder, an den Augen, aber das Übel gab sich hier nur als chronischer Katarrh kund, und obwohl ich den Mann durch mehr als 6 Jahre beobachtete, konnte ich doch nie solche Exsudate, wie beim Trachoma, und noch weniger die consecutiven Erscheinungen wahrnehmen. Eine Frau von 30 und etlichen Jahren, welche seit beiläufig 20 Jahren zu verschiede- nen Malen durch Zufälle belästigt wurde, wie sie die Leute gewöhnlich bei katarrha- lischer Bindehautentzündung angeben , consultirte mich vor 4 Jahren wegen dieses Übels. Ich fand Trachoma, die Bindehaut bereits merklich geschrumpft. Nach einiger Zeit brachte sie mir ihre 11 '/Jährige Tochter, welche öfters an Conjunctivitis scrofn- losa leidet. Diese bot an den untern Lidern das Stadium der liefern, an den obern

136 Bii^deSiant.

das der oberflächlichen und solitären Exsudatablagerung dar. Mit den Entzündungs- zufällen am Auge, welche sich deutlich als Conjunctivitis scrofulosa erwiesen, und oft von sehr heftiger und hartnackiger Lichtscheu begleitet waren, traten gewöhnlich starke Anschwellung der Oberlippe, Excoriationen an den Nasenlöchern und stärkere Anschwellung der Lymphdrüsen am Halse ein. Die 2. Tochter dieser Frau kam in späterer Zeit einmal mit der altern Schwester zu mir. „weil ihre Augen auch etwas roth wären", mit oberflächlichen Exsudaten an den untern Lidern ; weiterhin wurde mir die 3. Tochter wegen einer Struma vorgeführt, und endlich auch die jüngste, 6 Jahre alte, beide mit geringer oberflächlicher Ablagerung. Die Mutter war erstaunt, dass ich auch diese beiden für augenkrank erklärte. Der Vater ist gesund, ebenso der Dienstbote, welchem die Kinder, da die Mutter wenig zu Hause ist, den ganzen Tag überlassen sind. In andern Fällen leidet ein und das andere Glied der Familie an Trachoma. andere dagegen an andern krankhaften Erscheinungen, welche wir als Aus- druck der Scrofulosis zu betrachten berechtigt sind. Eine Jüdin vom Lande litt seit einer langen Reihe von Jahren an ihren Augen : beim Herannahen der klimakterischen Jahre wurde sie häufiger von entzündlichen Zufällen belästigt. Allmälig war Schrum- pfung der Bindehaut und der Knorpel eingetreten, und mussten die Cilien von Zeit zu Zeit ausgezogen, endlich sammt den Zwiebeln entfernt werden. Vor 3 Jahren brachte sie ihre 17jährige Tochter wegen hartnäckiger Elepharadenitis und theilweiser Madarosis zu mir, und nach einiger Zeit ihren 15jährigen Sohn, welcher bereits seit 2 Jahren bei einem Kaufmann in der Lehre stand, und nun wegen beginnendem Pannus (Trachoma im Stadium der tiefern Infiltration und theilweise Schrumpfung) sich gleichfalls längerer Behandlung unterziehen musste. Von 3 Schwestern aus der Gegend von Pilsen kam die eine vor 2, die andere vor 1 Jahre mit Trachoma und consecutiver Trichiasis in's allgemeine Krankenhaus. Die Eltern sind längst todt; die jüngste Schwester, 20 Jahre alt, diente bereits seit ihrem 14. Jahre in Marienbad : erst dort erkrankten ihre Augen, und zwar fand ich bei ihr dasselbe Leiden, wie bei ihren beiden altern, ihr übrigens so ähnlichen Schwestern, dass ich sie anfangs mit der einen verwechselte. Sie war seit ihrem 14. Jahre mit ihrer Schwester nicht in Berührung gekommen, und versi- cherte, auch in Marienbad mit Niemandem zusammen gekommen zu sein, von dem sie sich etwa hätte anstecken können.

Bei Leuten aus der armem Classe, wo das Trachoma ungleich häu- figer beobachtet wird, kann man leicht auf die Vermuthung kommen, ob nicht Unreinlichkeit, dürftige Nahrung, Kummer und Elend die Ursachen seien, dass diese Kranken im Allgemeinen so schlecht aussehen. Ich habe indessen die Krankheit auch oft bei wohlhabenden Leuten gefunden, die in durchaus günstigen Verhältnissen lebten, und diese insbesondere waren es, welche mich aufmerksam machten, dass ein von äussern Ver- hältnissen mehr weniger unabhängiges, ein constitutionelles Leiden als letzte Ursache dieser Augenkrankheit angenommen werden müsse. Die ungünstigen äussern Verhältnisse, welche die Armuth mit sich bringt, wirken theils direct auf die Bindehaut (unreine Luft u. dgl.), theils indi- rect, durch ihren Einfluss auf die tranze Constitution.

Trachoma Vorkommen Ursachen. 137

Den Anlheil, welchen das innere, constitutionelle Leiden an der Er- zeugung- dieses Augenübels hat, finden wir bereits von sehr vielen Be- obachtern anerkannt, und mehr weniger deutlich bezeichnet. So finden wir bei Celsus^ folgende denkwürdige Stelle: „Haec autem (asperitudo) inflammationera oculorum fere sequitur, interdum major, interdum levior; nonnunquam etiam ex asperitudine lippitudo fit ; deinde asperitudinem ipsam äuget, fitque ea in aliis brevis, in aliis longa, et quae vix unquam iiniatur. In hoc genere valetudinis quidam crassas durasque palpebras et ßculneo folio et asperato specillo, et interdum scalpello eradunt, ver- sasque quotidie medicamentis suffricant. Quae neque nisi in magna ve- tustaque asperitudine, neque saepe facienda sunt. Nain melius eodem ratione victus et idoneis medicamentis pervenitur." Diese Stelle enthält unsere Lehre vom Trachoma gleichsam in nuce. Wer nur einige Übersicht über die Krankheiten hat, weche am Auge vorkommen, kann nicht verkennen, dass die Palpebrae durae, crassae et intus asperae nichts anders bedeuten können, als Trachom im Stadium der tiefern Infiltration. Auch das Ver- halten der Krankheit in Bezug auf die entzündlichen Zufälle ist in dieser Stelle genau so angedeutet, wie wir es heute bei den Fällen finden, die wir als Trachoma bezeichnen. Und bei dieser Krankheit wird nun ge- warnt, sich zu viel auf örtliche Mittel zu stützen ; es wird die Diät (im weitern Sinne des Wortes) und die Verabreichung passender Arznei- mittel als wichtiger, zweckmässiger erklärt, der Einfluss, den ein Allge- meinleiden auf das örtliche Übel übt, bestimmt anerkannt. Kann man nicht läugnen, dass Celsus die Krankheit in Bezug- auf ihre Erscheinungen und auf ihren Verlauf der Hauptsache nach richtig, ich möchte sagen classisch gezeichnet habe, so darf man wohl auch annehmen, dass seine Worte über die Therapie auf richtige Beobachtungen gestützt seien ; und könnte man auch die Worte „ratione victus" anderweitig deuten, die Worte „idoneis medicamentis" können nur auf ein inneres Leiden als Ursache dieses Augenübels bezogen werden. Rosas **) unterscheidet das secundäre Trachom von dem primären, und bezeichnet letzteres als ein kachektisches Leiden, welches, sobald es bei kachektischen Individuen vorkomme, leicht wiederkehre, so lange, als der allgemeine krankhafte Zustand fortbestehe.

Wer durch eine Beihe von Jahren Gelegenheit hatte, verschiedene Augenkrankheiten zu beobachten, der wird finden, dass das, was die

*) De re medica, L. VI. «») Handbuch der Augenheilkunde. Wien 1830, II. S. 300.

138 Bindehaut.

Auetoren Pannus genannt haben, im Allgemeinen am häufigsten als Symptom, als Theilerscheinung des Trachoma vorkommt, und dass somit, wenn dieselben von Allgemeinleiden als Ursache des Pannus sprechen, diese Behauptung vorzugsweise auf das Trachom zu beziehen ist. *)

Bei der Prognosis kommen jederzeit alle die Momente zur Be- rücksichtigung und Combination, welche wir in Bezug auf den Grad, den Verlauf und die Ausgänge, so wie auf die disponirenden, excitirenden und unterhaltenden Verhältnisse besprochen haben. Bei keiner andern Krankheit der Bindehaut wird es in der Regel so schwer sein, sich über die wahr- scheinliche Dauer auszusprechen, wie hier, wo man gar oft, wenn die Beseitigung der entzündlichen Zufälle und der Exsudate an den Lidern, auf der Cornea, nach Wochen- Monate-langer Behandlung gelungen ist, trotz der sorgfältigsten Regelung und Überwachung der diätetischen Ver- hältnisse plötzlich durch einen frischen Nachschub (an den Lidern, auf der Cornea) auf den alten Standpunkt zurückgeworfen wird. Ist man nun selbst unter den günstigsten äussern Verhältnissen vor Rückfällen nicht sicher, so ist man es im Allgemeinen um so weniger, wenn, wie das am häu- figsten der Fall ist, es absolut unmöglich ist, die Diät im weitern Sinne des Wortes gehörig zu reguliren. Leute, die mit ganz glatter Binde- und Hornhaut aus der Behandlung entlassen wurden, kehren nicht selten über kurz oder lang mit dem frühern Zustande, oder, wenn die geschrumpfte und verkürzte (grösstentheils oder ganz in Narbengewebe verwandelte) Bindehaut zu neuen Ablagerungen gleichsam unfähig ge- worden ist, mit einem mehr weniger ausgebreiteten und mächtigen Pannus zurück. Nur mit dem Eintreten eines bessern Aussehens des Kranken, mit den Zeichen der Besserung oder Behebung des Allgemeinleidens kann man auf dauernde oder bleibende Beseitigung des örtlichen Übels rechnen. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass der einmal eingeleitete örtliche Process, auch wenn die äussern und innern Verhältnisse des Kranken sich günstiger gestaltet haben, an und für sich von der Art ist, dass er Wochen, Monate zur Rückbildung erfordert, und dass sich diese Rückbildung nur gleichsam reguliren und befördern, keineswegs erzwingen, präeipitiren lässt. Bei der Stellung der Prognose, bei der Belehrung, dass diese Krankheit einer sorgfältigen Pflege und ärztlichen Behandlung be- dürfe, wenn sie ohne Gefahr für das Auge ablaufen soll, vergesse der

*) Vergl. Wallher Lehre von den Augenkrankheiten, 1819, II. S. 312, Andreae Augenheilkunde, 1846, II. S. 444. Fischer klin. Unterricht, 1832 S. 68, Piringer 1. c. S. 124. Beer Lehre von den Augenkrankheiten, 1817 S. 631 u. in. A.

Trachoma Prognosis Therapie. 139

Arzt nie, dass es mitunter Fälle gibt, wo selbst der 2. Grad der Krank- heit am Ende von selbst und ohne wesentliche bleibende Nachtheile verschwindet.

Behandlung. So wie man einen Kranken mit Trachoma in Be- handlung- nimmt, lenke man sein Augenmerk vor allen auf die Verhält- nisse, unter deren Einflüsse derselbe lebt. Welche Momente hier vorzüglich zu berücksichtigen seien, bedarf nach dem bisher Gesagten wohl keiner weitern Auseinandersetzung, und es möge hierüber nur noch das reca- pitulirt werden, was bei der Behandlung der Conjunctivitis scrofulosa in dieser Beziehung bemerkt wurde. Insbesondere aber will ich noch darauf aufmerksam machen, dass nächst der Regulirung der Diät im weitesten Sinne des Wortes, so weit sie nur zulässig ist, die Aufheiterung des Ge- müthes eine Hauptsache für die Behandlung bildet. Diese Kranken, welche gewöhnlich erst nach Monate-, Jahre-langer Dauer zum Arzte kommen, und zwar erst dann, wenn sie durch wiederholte entzündliche Anfälle oder durch pannöse Trübung der Hornhaut in ihren Verrichtungen gehindert werden, oder wenn sie bereits nicht mehr ohne Führer herumgehen können, sind in der Regel theils äusserst kleinmüthig, theils in Folge von allerhand fruchtlosen Heilversuchen höchst unschlüssig und unbeständig. Man mache also einem solchen Kranken vor allem andern begreiflich, wie das Eine nicht minder als das Andere jeden Heilversuch paralysire, man fordere Zutrauen und Ausdauer auch für den Fall, dass die Cur länger dauern, die Heilung durch unverschuldete Rückfälle verzögert werden sollte.

Das zweite Moment der Behandlung bildet die genaue Berücksich- tigung des Allgemeinbefindens des Kranken, welches dann theils für die Diät, theils für die zu verabreichenden Medicamente maassgebend sein wird, wenn irgend Abnormitäten vorhanden sind, welche auf das örtliche Leiden einen Einfluss nehmen können. Die allgemeine Behandlung wird sich nach dem, was über die Beziehung des Trachoma zum Gesammt- organismus und zu den Schädlichkeiten, welche diesen treffen, gesagt wurde, im Allgemeinen und im Besondern dem praktischen Arzte von selbst ergeben. Bald wird Entfernung aus ungünstigen Verhältnissen das Wirksamste sein, bald werden Purgantia oder Solventia speciellen Indi- cationen entsprechen, bald endlich die sogenannten Emenagoga oder Ro- borantia, namentlich Tonica am ehesten den Zustand des Gesammtorga- nismus zu verbessern die meiste Aussicht geben. (Vergl. das über die Behandlung der Scrofulosis S. 98 106 Gesagte).

In Bezug auf die örtlichen Erscheinungen ist zu unterscheiden, ob entzündliche Zufälle als Begleiter frischer Infiltration oder als zufällige

140 Bindehaut.

Complicationen vorhanden sind. Erstere vertragen durchaus keine Ört- lichen Mittel, namentlich keinerlei Augenwässer. Am besten werden sie durch Darreichuno- entsprechender Abführmittel und durch Einreibungen von Mercurialsalben an die Stirne und Schläfe, der Lichtscheu entspre- chend mit Extr. hyosciam oder bellad. versetzt, beschwichtigt. Örtliche Blutentziehungen werden selten. allgemeine niemals nothwendig; kalte Umschläge habe ich nie versucht, wohl aber von Laien oft fruchtlos an- wenden sehen. Diese Erscheinungen, namentlich Lichtscheu, Thränenfluss und Schmerzen im Auge und in ganzen Kopfe, sind bisweilen nicht nur äusserst heftig, sondern auch so hartnäckig-, dass am Ende kein Mittel anschlägt, wie z. B. in dem Falle, den Professor Fischer in seinem Lehr- buche, Prag 1846 S. 141, beschrieben hat, oder der, den Eble (1. c. 1828) S. 82 anführt. Man hüte sich in solchen Fällen, das constituti- onelle Leiden über dem örtlichen ausser Acht zu lassen, dieses auf Kosten des Gesammtorganismus durch stark eingreifende Mittel brechen zu wollen. Man überzeuge sich überdiess jedesmal, ob solche heftige Zufälle nicht etwa durch die Einwärtswendnng von Cilien, oder durch einen fremden Körper erregt und unterhalten werden, oder ob etwa eine Coni- plication, z. B. Iritis vorhanden sei. Sind diese heftigen Zufällle so weit gemildert, dass es möglich wird, das obere Lid zu umstülpen, so nehme man, wenn nicht etwa Bonmaatgeschwüre mit heftig entzündlichem Charakter, oder frischer Durchbruch der Hornhaut und Irisvorfall vor- handen sind, keinen Anstand, die Körner mit einem Stück Lapis oder Cu- prum sulfuricum zu touchiren, da die Erfahrung gezeigt hat, dass man dadurch den Rest jener Zufalle oft schnell beseitigt.

Beim Bestreichen der Exsudathügel auf und in der Bindehaut mit Lapis infernalis oder mit Cuprum sulfuricum darf man nie ausser Acht lassen, dass man nicht so sehr durch Ätzung zerstören, als vielmehr durch einen gewissen Grad! von Reizung schnellere Resorption einleiten will. Ob man tätlich touchiren soll, und wie stark, das kann immer nur nach der Wirkung der letzten Application des Mittels bestimmt werden. Das Auge muss sich von der jeweiligen Reizung stets wieder erholt haben, und es müssen während des Zeitraumes, wo die Touhirungen vor- genommen werden, die entzündliehen Zufälle, namentlich die Röthe, Licht- scheu u. dgl. von Zeit zu Zeit merklich abnehmen, sonst hat man Grund zu vermuthen, dass man zu stark oder zu oft touchirt. Nicht immer ist es nothwendig, die ganze LidHächc zu touchiren; oft wird es gerathen sein, nur das eine Lul zu bestreichen. Es gibt Fälle, in welchen das Touchiren. weder mit Lapis* noch mit Cuprum. vertragen wird, und in

Trachom» Therapie. 141

andern Fällen kann der Arzt nicht hinreichend oft zum Kranken kommen, um die Touchirungen vorzunehmen. In solchen Fällen lasse man eine Salbe aus 3 6 Gran weissem Präcipitat (auf 1 Drachme) an die äussere Fläche der Lider, oder eine aus 1 4 Gran (allmälig steigend) an deren innere Fläehe einstreichen, was am besten mittelst des Fingers geschieht. Dieses Mittel führt jedoch im Allgemeinen langsamer zum Ziele, nützt wohl auch gar nichts, selbst bei gehöriger Anwendung. Etwa vorhan- dener Pannus contraindicirt diese Salbe keineswegs, wie man behauptet hat. Ich habe namentlich auf Professor Fischer's Klinik unläugbare Wir- kung davon gesehen, bediene mich jedoch im Allgemeinen am liebsten des Cuprum, oder des mit Gummi arab. vermischten Lapis.

Der Nutzen dieser Behandlung der mit Exsudaten durchsetzten Binde- haut besteht darin, dass so rasch als möglich Resorption derselben (theilweise auch Zerstörung) eingeleitet, mithin (abgesehen von der Ab- wendung der Gefahren, welche der Cornea aus dem langen Bestehen der Krankheit erwachsen) die Verdrängung, die Atrophirung der Elemente der Bindehaut durch diese Neugebilde so viel und so zeitig als möglich ver- hütet, und hiermit die traurigen Folgen dieser Yerschrumpfung der Binde- haut und des Knorpels (Trichiasis, Entropium, Xeropthalmus) möglichst abgehalten oder beschränkt werden.

Der Pannus, in der Regel das Übel, das den Kranken trieb, ärzt- liche Hilfe zu suchen, weicht im Allgemeinen mit den Exsudaten in der Lidbindehaut gleichen Schrittes zurück, besteht indess manchmal hart- näckig fort, oder entwickelt (verschlimmert) sich von neuem, auch wenn die Lider bereits glatt geworden sind. Ich habe bereits einen Fall an- geführt, wo ich keinen Anstand nahm, die Exsudate auf der Cornea selbst mit dem Lapis zu ätzen und nachträglich Nitras argenti einzuträufeln. In der Regel reichen die Touchirungen der Lider hin, auch den Pannus schwinden zu machen. Einträuflungen von Laudanum liq. Sydenh., z. B. Abends, wenn man Morgens touchirt hat, pflegen die Heilung des Pannus sehr vortheilhaft zu unterstützen. Scariücationen der zur Cornea lan- fenden Gefässe hielt ich a priori für unnütz, und Circumcisionen der Cornea für zu wenig gleichgültig, als dass ich mich dazu hätte ent- schliessen können, ohne vorher alles Andere versucht zu haben. Die Bindehaut schrumpft ohnehin leider nur zu oft; wie könnte man sich da ohne die grösste Noth entschliessen, Stücke aus der Bindehaut auszu- schneiden oder durch Umkreisen der Cornea mit Lapis zu zerstören? Dagegen habe ich, auf Fr. Jägers und besonders auf Piringer's Versuche und genaue Angaben gestützt, mich nicht gescheut, die Heilung ver-

142 Bindehaut.

zweifelter Fälle von Pannus durch Impfung blennorrhoischen Secretes zu versuchen, und in den 3 Fällen, wo ich sie vorgenommen, nicht Ursache gehabt, dieses Mittel als zu riscant zu verwerfen. Man sei nur vorsichtig in Bezug auf die Wahl des« Impfstoffes. (Vergl. S. 41, über die Eigen- schaften des blenn. Secreies.) Die Impfung nützt nichts, wenn nicht eine Blennorhöe höhern Grades hervorgerufen wird, doch würde es auch ge- fehlt sein, den Impstoff von einer Blennnorrhöe zu nehmen, die eben znm 3. Grade steigt, oder bereits mit Zerstörung der Cornea verläuft.

Nachdem der Pannus der Hauptsache nach verschwunden ist, bleiben oft durch längere Zeit leichte Trübungen oder kleine Facetten zurück, welche das Gesicht mehr weniger beeinträchtigen. Man lasse die Kranken so viel als möglich sich im Freien bewegen, wie überhaupt während der ganzen Cur, und setze entweder die zeitweiligen Einträufiuno-en von Laudanum liquid. Sydenh. oder Lapis inf. fort, oder lasse eine massig starke weisse Präcipilatsalbe an die äussere Fläche der Lider einstreichen. Entstehen im Verlaufe des Trachoma mit Pannusbildung tiefere oder selbst durchbohrende Gesehicüre der Hornhaut, so ist der Fall nach den (S. 103) cregebenen Momenten zu beurtheilen und zu behandeln.

Der sogenannte Pannus siccus widersieht selbst der Impfung. Die callöse Verdickung des Epiiheliums nach anhaltender Reibuno- der Cornea habe ich in 2 Fällen durch Abtragung mit dem Staarmesser unschädlich zu machen gesucht; doch blieb die Stelle nachher trüb; hingegen hellte sich in einem Falle (der Zustand kommt eben nur sehr selten vor) eine derartige Trübuno- bedeutend auf, und dürfte vielleicht mit der Zeit ganz geschwunden sein unter dem fortgesetzten Gebrauche der weissen Prä- cipitatsalhe an die Lidränder.

Unheilbar ist die consecutive Ausdehnung der Cornea, sobald sie einigermassen beträchtlich geworden ist. In zwei solchen Fällen trat beim Einreiben von Veratrinsalbe (2 3 Gran auf 1 Drachme) an die Stirn und Schläfe, in einigen andern beim Gebrauche der Jodkalisalbe (4 6 Gran) an derselben Stelle, und in einem Falle unter Anwenduno- der Ma- gnetelektricität merkliche Abnahme der Cornealwölbung ein; doch sind meine diessfälligen Beobachtungen noch zu wenig zahlreich, als dass ich diese Veränderuno- geradezu jenen Mitteln zuschreiben dürfte, um so mehr, da diese mich in einigen andern Fällen im Stiche Hessen. Fruchtlos dagegen erwies sich die Punction der Cornea, auch wenn ich sie mehrmal und in kurzen Zwischenräumen (2 3 Taoen) nach einander vornahm.

Die Blepharophimosis, weiche in Folge von Excoriationen der Cutis vom äussern Augenwinkel her entsteht, unterhält durch den häufigem Augen-

Trachoma Therapie Blepharophiraosis Trichiasis. 143

lidschlag eine beständige Reiznno- der Bindehaut, macht das so noth- vvendige Umstülpen des obern Lides *) sehr schwierig oder unmöglich, und kann endlich, auch wenn Bindehaut und Knorpel nicht merklich oder gar nicht geschrumpft sind, zur Einwärtswendung der Wimpern, wenig- stens im äussern Winkel führen. Sie lässt sich durch ein sehr einfaches operatives Verfahren beheben. Es handelt sich darum, die abnorme Ver- wachsung zu trennen und die Wiedervereinigung zu verhüten. Das Erstere erreicht man durch Einführen eines gekrümmten Spitzbistouri's zwischen den Bulbus und die äussere Commissur bis zum Orbitalrande hin (bei sehr unruhigen Kranken auf einer als Leiter vorgeschobenen Hohlsonde), Ausstechen in der Gegend des Orbitalrandes und Trennen der Verwach- sung sammt der äussern Commissur beim Vorschieben des Messers. Ist nun auf diese Weise sowohl am obern als am untern Lide eine

b

förmige Wunde gebildet, deren Spitze a nach innen, und

deren Schenkellenden b und c nach aussen gerichtet sind, so dass die

Wundfläche bei stark auseinander gezogenen Lidern etwa folgende Figur

c e \

beschreibt ^£f?J/ und die Blutung gestillt, so erreicht man den 2.

Zweck durch Anlegung der blutigen Nath, derart, dass man, wo möglich, zuerst die Bindehuut in dem Punkte a fast und mit 6 zusammen zu heften sucht, oder, wo diess nicht möglich, sich begnügt, bloss c mit d, e mit f, i mit k und g mit h durch Hefte zu vereinen. Die Punkte f und g sind gewöhnlich so gelegen, dass man die Nadel durch die Bindehaut führen, mithin die Conjunctiva an die Cutis heften muss, was bekanntlich die Vereinigung per primam intentionem nicht hindert. Sollte diese auch nur an Einem Schenkel, z. B. in i k und g h gelingen, so ist dem Wieder- eintritte der Blepharoplümosis hinlänglich vorgebeugt, wie ich nach zahl- reichen Beobachtungen versichern kann.

Bei Distichiasis, Trichiasis oder Entropium hat die Ausdehnung

*) Wenn ich mich von dem Zustande der Bindehaut am obern Lide einmal überzeugt, und Touchirungen mit Cuprum sulf. für nothwendig erkannt habe, so umstülpe ich das obere Lid nicht zu jeder Touchirung, sondern nur von Zeit zu Zeit, um mich von dem Fortschritte der Heilung zu überzeugen. Ich ziehe nämlich, um zu touchiren, das obere Lid stark vom Bulbus ab, die Cutis über den Orbitalrand aufwärts rollend, und bringe das etwa 1 Zoll lange, 3 4 Linien breite und beiläufig 2 Linien dicke, vorn wohl abgerundete und geglättete Stücke Kupfervitriol zwischen Bulbus und Cornea so bis zum Übergangstheile hinauf, dass ich es beim langsamen Hin- und Herbe- wegen immer gegen das Lid angedrückt hatte. Auf diese Weise werden immer auch die Exsudate im Übergangs- theile berührt. Will man sich dieses, allerdings einige Fertigkeit erfordernden Manövers nicht bedienen, und dennoch auch den Übergangstheil des obern Lides touchiren, so fahre man, wie im 12. Bande der Piager medic. Vjschr. angegeben, mit dem Ätzmittel zwischen dem Orbitalrande des umstülpten Lides und dem Bulbus 2 3m«l von eiuem Winkel zum andern hin und her.

144 Bindehaut.

und der Grad des Übels, sein Vorkommen an dem obern oder untern Lide, und die Bereitwilligkeil des Kranken, sich dem einen oder dem andern Verfahren zu unterziehen, einen wichtigen Einfluss auf die Wahl dieses letztern; nicht minder ist auch der jeweilige Zustand der Bindehaut zu berücksichtigen. Erscheint die Distichiasis oder Trichiasis partiell, nur auf wenige Cilien beschränkt, so ist wohl im Allgemeinen das öftere Ausziehen derselben mit der Beer'schen Cilien- pincette das Beste, ausser der Kranke kann dasselbe nicht oft genug vor- nehmen lassen oder selbst vornehmen, oder will ein für alle Male davon befreit sein. Dieses Ausziehen kann übrigens auch bei ausgedehnter ab- normer Richtung der Cilien (aus was immer für Ursache) vorge- nommen werden, sobald die Radicalhilfe verschmäht wird, oder noch nicht räthlich erscheint ; man kann 20 und mehr Cilien in Einer Sitzung ausziehen, ohne dass man sich vor zu heftiger Reizung zn fürchten braucht. Nach Monate- Jahre-lang wiederholtem Ausziehen werden die nachwachsenden Cilien immer dünner und sparsamer, bleiben wohl auch ganz aus. Das Abhalten der Cilien mittelst eines gut klebenden Gold- schlägerhäutchens oder mittelst Collodium nützt bei dieser Art von Tri- chiasis und Entropium nichts. Wir werden später darauf zurückkommen. Radicale Hilfe gewähren nur einige operative Eingriffe. Bevor man sich bei Distichiasis, Trichiasis oder Entropium, durch Trachoma bedingt, zu irgend einer Operation entschliesst, muss man den Zustand der Bindehaut und des Knorpels in Bezug auf die bereits eingetretene oder mit Grund noch zu fürchtende Schrumpfung und Verkürzung sehr genau prüfen. Hievon hängt zum Theil die Wahl der Methode, zum Theil auch die Art der Ausführung jeder einzelnen Methode ab. Die hier anwendbaren Operationen haben den Zweck, entweder die Cilien sammt dem Haar- zwiebelboden zu entfernen, oder ihnen sammt dem Lidrande eine andere Stellung zum Bulbus zu gehen.

Die älteste Methode, schon von Bartisch und Heister geübt, besteht in der Ab- tragung des Haarzwiebelbodens sammt dem ganzen Lidrande, vom Thränenpunkte bis zur äussern Commissur. Sie setzt somit noch stärkere Verschmälerung des ohnehin geschrumpften Augenlides, führt nachträglich leicht zu Lagophthalmus, und befreit den Bulbus, auch wenn dieser Nachtheil nicht eintritt, von einem Reize, um ihn in der Regel einem andern, nicht minder gefährlichen auszusetzen Diesen übt theils die scharfe Kante, welche die Narbe bildet, theils die Cutis, welche, relativ zur Bindehaut viel zu läng, sich gern über den Lidrand gegen den Bulbus überschlägt, und überdiess noch in Folge der beständigen Befeuchtung excpriirt und sehr schmerzhaft wird. Beer und Fr. Jäger '"") verschonten den Knorpel und die Conjunctiva bei der Abtragung

*) Bosp diss. de diagnosi et cura radic. Trich., Distich. et Eotropii, Viennae 1818.

Trachoma Therapie Trichiasis. 145

des Haarzwiebelbodens, indem sie, den Bulbus gleichfalls durch eine linier das Lid gescho- bene Hornplatte schützend, einen etwa 1 1/2 2 Linien breiten Hautstreifen vom Thränen- punkte bis zur iiussersten Commissur mit einem Bauchscalpell umschrieben, und denselben, an dem einen Ende mit einer Pincette gcfasst, summt den Haarzwiebeln in rasch auf ein- ander folgenden Messerzügen vom Knorpel lospräparirten. Hiedurch wurde zwar die Verschmälerung des Augenlides und die nachfolgende Einwärtswendung der Narbe vermieden, doch der untere Wnndrand oft sehr ungleichmässig, leicht zackig, und die exacte Entfernung aller Haarzwiebeln äusserst schwierig. Flarer in Pavia *) half diesen Übelsländen dadurch ab, dass er, nach eingeführter Hornplatte, ein Spitz- bislouri in den Lidrand einstach (nahe am Thränenpunkte) und, den Mündungen der Meiboin'schen Drüsen folgend, das etwa 1 '/2 Linien tief eingesenkte Messer bis zum äussern Ende des Lidrandes führte. Er spaltete durch diesen Schnitt den Lidrand auf 1 '/2 Linien tief in 2 Platten, deren innere die Conjunctiva und den Lidknorpcl mit den Meiboin'schen Drüsen, deren äussere die Cutis, die Fasern des Muse. Albini und die Cilien sanimt ihren Zwiebeln in sich fasste. Nun führte er, gleich Jäger, einen Schnitt durch die äussere Platte, zu Anfang und zu Ende in den Lidrand ausmündend, fasste den Lappen an dem einen Ende mit der Pincette, und hob ihn einfach ab, oder trennte, was wohl fast immer nülhig war, die noch gebliebenen Verbindungen mit dem Messer oder mit der Schere. Ich habe dieses Verfahren, seit es mir bekunnt geworden, immer dem Beer'schen unbedingt vorgezogen. Bisweilen wird es nothwendig, in Bezug auf die eine oder andere Cilie nach gestillter Blutung noch eine Nachlese zu halten ; die allenfalls zurückgebliebenen Bulbi verralhen sich auch schon dem sanft über die Wunde hinstreifenden Finger. Fröhelius in Petersburg*"*) verfuhr im Wesentlichen auf dieselbe Weise, nur führte er den ersten Schnitt weiter rückwärts, schon in der Conjunctiva, und den zweiten halbmondförmigen in der Mitte mehr aufwärts, so dass er ein 2 3 Linien breites Hautstück umschrieb, welches er dann vom Muse, orbicularis mittelst Pincette und Scalpell löste, worauf er dann, gegen den ersten Schnitt vor- rückend, die Exstirpation der Bulbi nach Jägers Manier vollendete. Sofort heftete er die Conjunctiva an die Cutis, und versichert, auf diese Weise dem Übelstande des Jägcr'- schen Verfahrens, nämlich der bisweilen doch folgenden Einwärtswendung der schar- fen Narbe, sicher vorgebeugt zu haben. Vacca Berlinghieri führte vom Thränen- punkte bis zum äussern Ende des Knorpels einen Schnitt durch die Cutis, parallel dem Lidrande und etwa 2 Linien von demselben entfernt, und führte sodann vom innern und äussern Ende dieses Schnittes je einen senkrechten, also etwa 2 Linien langen Schnitt bis zum Lidrande; sodann drang er, diesen Lappen zurückschlagend, bis auf die Bulbi ein, exstirpirte jeden derselben, und brachte die Cutis wieder in ihre Lage zurück. Die ihrer Zwiebeln beraubten Cilien wurden nach geschehener Verkeilung ausgezogen, wenn sie nicht von selbst ausfielen. Wie sinnreich auch dieses Verfahren, so scheint es doch eben eine nur guf, ausgedachte, wohl aber schwerlich ausführ- bare Methode zu sein.

Alle diese Methoden haben leider den Nachiheil, dass sie das Auge des Schutzes und der Zierde berauben, welchen die Cilien demselben bieten.

Das schon von Celsiis geübte Ausschneiden einer Falle aus der Haut der Lider,

*) Zanerini, ilisscrt sopra Trfrhiasi, Pavia 1629. **) Caspers Wurhenshiift für die aes Heilkde. 184ä N. 4.

146 Bindehaut.

so wie das Zerstören einer Partie derselben durch Schwefelsäure (nach Callisen, Hel- ling u. A.) kann bei der durch Schrumpfung der Bindehaut und des Knorpels beding- ten Einwärtswendung der Cilien im Allgemeinen nur einen sehr geringen und unbe- ständigen Nutzen gewähren, wenigstens an den obern Lidern, wo selbst der breiteste Substanzverlust in der Cutis den vermeintlichen Zweck , das Gleichgewicht in der Spannung zwischen Cutis und Conjunctiva wieder herzustellen, nicht verwirklichen winde. An den untern Lidern sah ich, wenn der Knorpel nicht bedeutend verbildet war, mehrmals guten und bleibenden Erfolg von dem einen wie von dem andern. Bei starker Verbildung des Knorpels (am obern Lide) hat Adams dem Cramptonschen Verfahren, "-') bei welchem der Augenlidrand nächst dem Thränenpunkte und nächst der äussern Commissur auf 2 Linien hoch senkrecht gespalten, das Mittelstück nach Aussen gebogen, und durch Heftpflaster bis zur Heilung jener Wunden in der gehörigen Lage erhalten werden soll, dadurch mehr Sicherheit des Erfolges zu geben gesucht, dass er jene senkrecht durch alle Schichten des Lides geführten Schnitte mit- telst eines Querschnittes durch die Augenlidbindehaut bis tief in den Tarsus vereinigt, und so fort, um die Auswärtsrollung zu bewirken und zu erhalten, eine mehr weniger breite Falte aus der Haut des obern Lides ausschneidet. Ich kann aus eigener Erfah- rung kein Urtheil über die Wirksamkeit dieses Verfahrens abgeben, da ich mich seit dem Jahre 1844 eines eigenen Verfahrens bediene, und noch nicht Ursache hatte, von demselben wieder abzugehen. Ich habe dasselbe als eine Modification der von Jäsche angegebenen Methode **) bereits in der Prager Medicinischen Vierteljahrschrift, 1845, im 7. Bande beschrieben; es besteht in Folgendem. Nachdem man eine Hornplatte unter das obere Lid gebracht, und selbe einem Gehilfen übergeben hat, rollt man das obere Lid auf derselben aufwärts, so dass der Lidrand so weit als nöthig von der Platte absteht, sticht ein Spitzbistouri nächst dem Thränenpunkte mit auswärts gerich- teter Schneide mitten zwischen der äussern und innern Lefze des Lidrandes (da, wo die Mündungen der Meibom'schen Drüsen erscheinen) auf 1 '^ Linien Tiefe ein, und spaltet durch Fortführen des Messers auf die Art in eine untere und obere Lefze, wie oben bei der Flarer'schen Methode angegeben wurde. Alsdann fährt man, die Haut des Lides über der Platte gehörig spannend, parallel dem Lidrande und etwa 1 Y2, höchstens 2 Linien über demselben, einen Schnitt durch die obere Platte, welcher so- wohl nach innen als nach aussen um wenigstens 1 Linie länger sein soll, als der am Lidrande geführte. Indem die zweite Wunde senkrecht auf die erste geführt wird, soll, wie bei Flarer's Verfahren, die obere Platte, welche die Cutis, die Fasern des Orbicularis und die Cilien sammt ihren Zwiebeln zu enthalten hat, falls die Schnitte gehörig geführt sind, in eine förmliche Brücke verwandelt sein, welche nur zu beiden Seiten mit dem Lide noch verbunden ist. Wäre diess nicht der Fall, die Brücke, we- nigstens in der Mitte nicht verschiebbar, so führe man das Spitzbistouri durch die obere Wunde so ein, dass die Spitze in der untern zum Vorschein kommt, und be- werkstellige durch Fortschieben des Messers die Communication beider Wunden. Ist diess erreicht, so schreitet man zur Ausschneidung eines halbmondförmigen Hautstückes, dessen Breite verschieden gross zu sein hat, je nach dem Grade der Einwärtswendung des Lidrandes und je nach dem die Haut mehr weniger schlaff und ausgedehnt, gleich-

*) Essay of the Entropien, London 1S05. **) Medic. Zeitung Russlands, 1844 N. 9.

Trarhoiiia Therapie Trichiasis. 147

sam überschüssig ist. Die Serante des Halbmonds bildet der obengenannte zweite Schnitt; die Bogenlinie beschreibt man als 3. Schnitt mit dem Messer, vom Anfange des 2. Schnittes ausgehend und am Ende desselben endend. Hierauf fasst man die Cutis an einem Ende mit der Pincette, und präparirt sie mit einer krummen Scheere oder mit dem Messer vom M. orbicularis los. Sollte letzterer muthmasslicher Weise in Folge der habituellen Contraction zur Unterhaltung des Entropiums beitragen, stärker entwickelt sein, so durchschneide man die innern (gegen den Lidrand hin liegenden) Fasern desselben senkrecht, und schreite dann zur Anlegung der blutigen Naht, wobei dann das mittelste Heft zuerst anzulegen ist. Bei Ausschneidung einer Falte aus der ganzen Länge des Lides ist die Anlegung von 5 Heften nothwendig und hinreichend. So wie die Naht vollendet ist, klafft die erste Schnittwunde stark, und man sieht die Meibom'schen Drüsen im Knorpel bloss liegen, indem die äussere (obere) Platte des Lidrandes höher hinaufgerückt und so gestellt ist, dass die Cilien wagrecht oder selbst etwas aufwärts gerichtet stehen. Überschläge von kaltem Wasser werden mehr zur Linderung des brennenden Schmerzes als wegen zu besorgender heftigerer Reaction gegeben. Nach 30 36 Stunden müssen und können die Hefte entfernt werden. Die Wunde am Lid- rande bedeckt sich mit einer sehr plastischen, röthlichgelblichen Substanz, und heilt in 3 6 Tagen ohne Eiterung. Der schlimmste Zufall ist, dass, wenn man nicht sehr vorsichtig operirl, manchmal die Hautbrücke an einer oder der andern Stelle durch Eiterung zerstört wird; vielleicht auch dass manchmal die Ursache der Eiterung auch im Individuum selbst liegt. Es gehen dann die Cilien verloren, oder man muss nach- träglich die Abtragung des Haarzwiebelbodens vornehmen. Wenn man die Narkoti- sirung durch Schwefeläther oder Chloroform vornimmt, ist die Operation einerseits leichter und genauer ausführbar, andererseits nicht so abschreckend für die Kranken, wie sie es sonst sein müsste. Ausser der Eiterung kann kein schlimmer Zufall ein- treten, es müssten denn einige Cilien wieder in nachtheiliger Richtung nachwachsen, was indess fast immer durch die sich bildende Narbe später verhindert wird, oder es wendet sich der Lidrand wieder einwärts, und erfordert dann die Abtragung. Diejeni- gen, welche im Verlaufe der letzten 4 Jahre meine Klinik besuchten, werden mir be- zeugen, dass ich genug befriedigende Resultate erhielt, um diese 31ethode auch ferner vor allen andern zu versuchen und zu üben.

Ich hatte erwähnt, dass man, bevor man zu einer oder der andern Operation schreitet, den Zustand der Bindehaut genau prüfen und bedeutende Exsudate so gut als möglich früher zur Resorption zu bringen trachten solle, weil, wenn die Operation dem gegenwärtigen Zustande angepasst wird, später, wenn beträchtliche Schrumpfung nachfolgt, auch der günstigste Erfolg vereitelt werden kann. Ich hatte diese Warnung bereits in meinem oben citirten Aufsatze über Trichiasis und Entropium ausgesprochen, besonders für jene Fälle, wo man die Abtragung des Haarzwiebelbodens vornimmt, schon auch aus dem Grunde, weil sich dann das Lid schwer oder gar nicht umstülpen, mithin die Krankheit sich nicht in ihrem Heerde angreifen lässt. Dr. von Hasner hat darüber bemerkt, er habe auch nach abgetragenen Cilien die Lider sehr leicht um- stülpt. Trotzdem kann ich nicht umhin, meinen Rath zu wiederholen, und gestehe offen, dass ich wenigstens nicht in allen Fällen im Stande war, derlei verstümmelte Lider zu umstülpen.

10

148 Bindehaut.

VI. Exantheme der Bindehaut.

Wenn schon die in den beiden vorhergehenden Abschnitten bespro- chenen Krankheiten mehr weniger Analogie mit jenen Erkrankungen der allgemeinen Bedeckungen, die wie exanthematische Processe nennen, dar- bieten, so ist diess noch viel mehr der Fall bei jenen, welche wir in diesem Abschnitte erörtern wollen, und bei denen wir keinen Anstand nehmen, sie gradezu als Exantheme der Bindehaut zu bezeichnen. Sie stellen, wenn man die Bindehaut als Fortsetzung, als Einstülpung der Cutis betrachten will, nur eine Theilerscheinung der allgemeinen Haut- krankheit dar. Es muss jedoch in Bezug auf die acuten Exantheme gleich in vorhinein bemerkt werden, dass nur jene Eruptionen auf der Binde- oder Hornhaut als Exantheme, als Theilerscheinung der Hautkrankheit betrachtet werden können, welche mit der Efflorescenz der Hautkrankheit zugleich auftreten, jene Eruptionen dagegen, welche z. B. bei Blattern im Stadium der Abtrocknung oder nach gänzlich vollendetem Krankheits- process der Cutis auf dem Auge vorkommen, eine ganz andere Bedeu- tung, namentlich die Conjunctivitis scrofulosa haben, da es bekannt ist, dass nach Scharlach. Masern. Blattern u. dgl. gar oft in verschiedenen Organen Manifestationen der Scrofulosis auftauchen, von denen man vor jenen Kranheiten keine Ahnung hatte.

Die Blattern (Variola, Yariolois) schlagen ihren Sitz nicht nur an der Cutis der Lider, nicht nur in dem Zwischenräume zwischen der äussern und innern Lefze des Lidrandes, besonders des untern, sondern auch an der Conjunctiva, und zwar nächst der innern Lefze des Lidrandes (etwa 1 Linie weit), oder nächst dem Limbus conjunctivae corneae oder auf der Cornea selbst auf. An dem Lidrande werden sie leicht den Haarzwiebeln und den Meibomschen Drüsen gefährlich, hinterlassen Ma- darosis (bleibenden Verlust einzelner Cilien), Distichiasis, partielle Tri- chiasis, Verwachsung einer oder der andern Mündung der Meibomschen Drüsen, Stockung des Secretes in den letzteren, Bildung von harten, kalk- artigen, die Bindehaut mehr weniger reizenden Concrementen, kleine röth- liche Vertiefungen und Einkerbungen des Lidrandes (Narben), und somit gewöhnlich auf die eine oder die andere Weise einen gereizten Zustand des Auges, welcher dasselbe zu grösserer Anstrengung unfähig und über- haupt für äussere Schädlichkeiten empfänglicher macht. Bl Itern in der Gegend des Linibus conjunctivae werden nur in dem Maasse gefährlich, als sie weiter in die Cornea hineingreifen. Ich sah sie in mehrern Fällen sehr zeitig bersten, durch baldigen Durchbruch des Epithelioms gleichsam

Exantheme Blattern Masern Scharlach. II!)

abortiv zu Grunde gehen. Blattern auf der Cornea selbst sollen, wenn sie, ohne zu bersten grösser werden, mit einer Staarnadel oder mit einem fein zugespitzten Lapis infern, geöffnet werden, um der tiefern und weitern Infiltration der Cornea vorzubeugen. Die nach denselben entste- henden Geschwüre sind nach den bei der Lehre von den Krankheiten der Cornea gegebenen Momenten zu beurtheilen und zu behandeln.

Da mir nicht hinreichende Erfahrungen zu Gehote stehen, so nehme ich keinen Anstand, der Vollständigkeit wegen einige mir wahr und wichtig scheinende That- sachen aus Beer 1. c. II. S. 517 etc. zu entlehnen. „So lange bloss vermehrter Thrä- nenfluss, aber keine merkliche Lichtscheu mit der variolösen Augenlidentzündiing ver- bunden ist, darf man versichert sein, dass die Bindehaut des Augapfels von dem Reflexe der Entzündung noch völlig unangetastet ist; findet der Arzt aber Trockenheit des Auges und Lichtscheue, eine Empfindung, als ob Sand oder ein fremder Körper im Auge wäre, so muss er, so gut es sich thun lässt, mit möglichster Schonung die Augenlidspalte öffnen, um sich von dein Zustande des Bulbus zu überzeugen." „Die Pocken der Augenlider müssen, sobald sie vollgefüllt sind, mit einer Staarnadel ge- öffnet werden ; die Lidränder müssen von dem Eiter und später von den Borken ge- reinigt und jedesmal gut abgetrocknet werden; dem Lichte und der trockenen, wo möglich warmen Luft, muss (während der Eiterung und Abtrocknung) freier Zutritt gestattet weiden." Beer hat beobachtet, dass vorzüglich bei scrofnlösen Kindern mit der Blatterneruption sich nicht selten eine Blepharo-, selbst Ophthalmoblennorrhoe entwickelt, welche fast immer mit Zerstörung der Cornea verläuft. Auf das Mit- leiden des Thränenschlauches bei der Blatlernkrankheit werden wir später zu sprechen kommen. Droht Blatterneruption auf dem Bulbus, namentlich auf der Cornea, so empfiehlt Beer kalte Umschläge auf das Auge. Trifft der Arzt bereits gefüllte Pusleln, so räth Beer sie mit einer Staarnadel oder Lanzette zu öffnen. Dieselben Mittel, welche man zur Verhütung von Blatternarben im Gesichte empfohlen hat, können auch an den Lidern versucht werden, als: Bestreichen derselben mit einer Mischung von gelbem Wachs und Baumöl; Auflegen eines Goldblättchens mittelst Gummiwassers, früh und Abends erneuert, vom 1. Tage der Eruption bis zum Eintritt des Eiterungsfiebers; Be- streichen mit Ung. hydr. cinereum ; Auflegen des Emplastr. de Vigo (empl. ammon. cum hydrarg.) beim ersten Erscheinen des Exanthemes, wodurch alle damit bedeckten Pusteln in kleine Tuberkel verwandelt werden sollen, die durch Abschuppung schwinden. Alle (Ost. Wochenschr. 1842, N. 50) hat eine Mischung aus 10 Gran Kampher mit 2 Drachmen Schwefeläther, mittelst Compresschen auf die Lider gelegt, bewährt gefunden.

Bei Masern und Scharlach partieipirt die Bindehaut an dem Leiden des Haut- und Schleimhautsystemes bald in Form von Hyperämie, bald in Form von Katarrh, seltener in Form von Katarrh mit unge- wöhnlich starker Lichtscheu, starker Injection der vordem Ciliararterien (rosenrothem Gefasssaum um die Cornea), erhöhtem Glanz und nach- folgender Bläschenruption der Cornea. (Acutes Ödem der Cornea, Kera- titis serosa?). Dieses Augcnleiilen verdient daher im Allgemeinen keine besondere Berücksichtigung, ausser der nölhigen Temperirung des Lichtes

150 Bindehaut.

und Entfernung des Secretes mit lauem Wasser. Bei zu heftiger Licht- scheu werden Einreibungen von Unguent. cinereum mit Extr. bellad. an die Stirn und Schläfe Linderung verschaffen. Sind in Folge der kleinen, bald berstenden Wasserbläschen auf der Cornea Geschwürchen entstanden, so hat man sich nach den Regeln zu benehmen, welche weiter unten bei den Krankheiten der Cornea gegeben werden. Treten andere, als die ge- nannten Erscheinungen auf, so sind sie gewiss nicht in dem exanthema- tischen Processe als solchem allein, sondern durch andere Verhältnisse bedingt. Diese müssen eruirt, und darnach Prognosis und Therapie ein- gerichtet werden. Auf die Malacia corneae, welche sich bisweilen nach solchen Ophthalmien entwickelt, werden wir bei den Krankheiten der Cornea zu sprechen kommen.

Bei Leuten, die an chronischen Hautausschlägen litten, habe ich einige Male Bindehautentzündungen beobachtet, welche in Bezug auf die Form grosse Ähnlichkeit mit der Conjunctivitis scrofulosa darboten, jedoch rücksichtlich des Verlaufes und des Vorkommens durchaus nicht für solche gehalten werden konnten, im Gegentheil als gleichbedeutend mit der Hautkrankheit betrachtet werden mussten. Leider ist die Zahl meiner Beobachtungen zu gering, und da einige in die erste Zeit meines ärztlichen Wirkens fallen, zum Theil auch zu wenig exact, als dass ich hierüber eine selbständige Schilderung zu entwerfen vermöchte. Ich er- wähne dieser Affection keineswegs, um die mit Recht aufgegebene Lehre von der Psorophthalmie, von den Augenentzündungen nach unterdrückten Hautausschlägen u. dgl. wieder aufzunehmen, sondern nur um anzudeuten, dass über das Vorkommen von Bläschen, Pusteln u. dgl. an der Conjun- ctiva bulbi, als in ursächlichem Zusammenhange mit Hautkrankheiten stehend, die Acten noch lange nicht als geschlossen betrachtet werden können.

Im Jahre 1840 kam ein 20jähriges Mädchen auf die Augenklinik, welche in ihrem 12. Jahre an einem Kopfausschlage gelitten hatte, übrigens aber gesund gewesen war, obwohl sie unter sehr ärmlichen Verhältnissen gelebt hatte. Im 16. Jahre, einige Monate nach ihrer ersten Entbindung, hatte sie sich durch Ansteckung die Krätze zuge- zogen, von welcher sie sich in einigen Tagen durch eine Salbe befreite und geheilt blieb. Im 20. Jahre erkrankte das rechte Auge ; es zeigten sich einzelne Pusteln an den Augenlidern und deren Umgebung, welche allmälig in Krusten übergingen; dazu gesellte sich Druck unter dem obern Lide, reichlicher Thränenfluss, Verklebung der Lider beim Erwachen und starkes Jucken an den mit Pusteln besetzten Partien. Sie wurde, wie ich nachträglich aus dem Protokoll ersah, damals mit Ophthalmia impetigi- nosa auf die Klinik genommen, und erst nach einer halbjährigen Behandlung mit Sub- limatwaschungen und Schwefelpulvern geheilt entlassen. In ihrem 23. Jahre kam sie wieder auf die Augenklinik. Wir fanden die Lidränder des rechten Auges etwas an- gelaufen, stellenweise exeoriirt, gegen den innern Winkel hin der Cilien verlustig, die

Verletzungen Zufalle. 151

vorhandenen Cilien an der Basis mit kleinen, harten Krusten umgehen, die Haut des untern Lides verkürzt (ohne sichtbare Narbe), daher der Lidrand etwas auswärts ge- wendet (leichtes Ectropium), die Bindehaut gleichförmig geröthet, aufgelockert, sam- metartig; die Conjunctiva im äussern Drittheil netzförmig injicirt, die Sclera darunter rosenroth, in der Bindehaut etwa 1 Linie nach aussen vom Hornhautrande eine gelbe, hirsekorngrosse Pustel, welche durch viele Tage unverändert fortbestand ; nächst dem Augenbrauenbogen in der Schläfe zwei gelbliche, zugespitzte, mit einem rothen Hof umgebene, stark juckende Pusteln ; eine solche auch am rechten Oberarme. Gefühl, als läge Sand unter dem obern Lide, massige Lichtscheu, häufiges Thränen, festes Verkleben der Lider am Morgen. Es wurde ein Purgans und sodann täglich 2mal 5 Gran flor. sulfuris gegeben, örtlich Waschungen mit 1 Gran Sublimat und 1 Skrupel Laudan. liq. in 4 Unzen Wasser; die Kranke verliess nach 14 Tagen die Anstalt ganz gesund.

VII. Verletzungen der Bindehaut.

Die Bindehaut kann durch fremde Körper mechanisch oder chemisch verletzt werden. Mechanisch wirkende Körper erregen entweder bloss die Zufälle der Reizung, Schmerz, Thränenfluss, Lichtscheue und Gefäss- injection, oder Entzündung, also überdiess Lockerung des Gewebes und Exsudation mit oder ohne conseculive Wucherung oder Verschwärung der Bindehaut, oder endlich Trennung des Zusammenhanges, Blutung, Ecchymosen, Verschwärung oder abnorme Verwachsung. Die chemisch wirkenden haben j<> nach dem Grade ihrer Einwirkung bald oberfläch- lichen, bald tiefern Substanzverlust, weiterhin Verschwärung, Schrumpfung und gegenseitige Verwachsung der sich berührenden Bindehautplattten zur Folge.

Die gewöhnlichsten fremden Körper, welche in's Auge zu gerathen pflegen* sind : kleine Stückchen von Steinen, Glas, Kohlen, Eisen, Stroh, Federn, Nägel, Holz oder Knochen, ferner Insekten (oder Theile davon) Wimper- oder Kopfhaare, Grannen, Samenhülsen, Tabak, Pfeffer, Schiess- pulver, endlich Asche, Kalk oder Mörtel, Ätzkali, Lapis infernalis, sie- dendes Wasser, Mineralsäuren, glühende oder geschmolzene Metalle.

Die Zufälle nach der Einwirkung einer solchen Schädlichkeit sind in der Regel so heftig, dass der Kranke bald ärztliche Hilfe sucht, und die Ursache ausdrücklich bezeichnet. Dann ist nichts nöthig, als dass der Arzt weiss, wie er den fremden Körper aufzusuchen, zu entfernen, und die Folgen desselben zu behandeln hat. Es geschieht aber auch, dass diese heftigen Zufälle erregt werden, und der Kranke sich der Ver- anlassung dazu nicht im mindesten bewusst ist, oder dass der fremde Körper erst in sehr später Zeit Zufälle erregt, welche den Kranken be-

152 Bindehaut.

stimmen, ärztliche Hilfe zu suchen, nachdem er auf das Eindringen eines fremden Körpers ganz vergessen hat, oder gar nicht meint, dass zwischen diesem und seinem gegenwärtigen Augenleiden ein ursächlicher Zusam- menhang statt finden könne. Dieser letztere Fall kommt besonders dann vor, wenn der fremde Körper in den faltigen Übergangstheil gerathen ist. Er gibt dann entweder zu hartnäckiger Lichtscheu mit Augenlidkrampf, oder zu partieller Wucherung der Bindehaut und Einkapselung, oder bloss zu den Erscheinungen eines chronischen Augenkatarrhes Veranlassung. In allen diesen Fällen muss man oft die Gegenwart eines fremden Körpers als möglich voraussetzen, und genau untersuchen; und anderseits muss wieder in Erwägung gezogen werden, dass diese Zufälle oft noch fort- dauern können, nachdem der fremde Körper längst durch Zufall entfernt wurde, und dass eine mechanische Verletzung nicht selten den ersten Anstoss zu einer Augenentzündung gibt, welche in ihrem weitern Be- stehen durch ein Allgemeinleiden bedingt wird, wie z. B. Conjuncti- vitis scrofulusa, Trachoma, Iritis syphilitica.

Weun man Verdacht auf die Gegenwart eines fremden Körpers hat, so untersuche man die Bindehaut in ihrer ganzen Ausdehnung. Augen- lidkrampf oder sehr heftige Lichtscheu können vorher die Anwendung eiskalter Umschläge oder lauwarmer Fomente aus Infusum herbae hyos- ciami und Temperirung des Lichtes nothwendig machen. Nie setze man den Kranken gerade dem Licht gegenüber, sondern so, dass dieses von der Seite her einfällt. Man weiss ferner aus Erfahrung, dass der Kranke das eine Auge viel leichter offen halten und beliebig dirigiren kann, wenn er das andere mit der Hand oder mittelst einer Binde geschlossen hält. Zuerst ziehe man das untere Lid abwärts, und mache den Über- gangstheil dadurch vortreten, dass man das abgezogene Lid ein» wenig gegen den untern Orbitalrand rückwärts drückt, und den Kranken nach oben sehen lässt. Bei etwas tiefer liegenden Augen wird der Übergangs- theil leichter sichtbar, wenn man den Kranken bei fixirtem Lide das Auge stark abwärts rollen lässt. Indem man sofort den Kranken nach aussen blicken heisst, sei man zugleich auf die halbmondförmige Falte aufmerksam, hinter welcher sich bisweilen der fremde Körper verbirgt. Am häufigsten jedoch sitzen kleine fremde Körper, die durch den Wind oder auf Eisenbahnen in die Augen getrieben werden, an der innern Fläche des obern Lides, etwa 1 Linie hinter der innern Lefze desselben. Man umstülpe daher das Lid, und benütze, um auch durch- sichtige Theilchen, Kiesel- oder Glassplitterchen zu entdecken, das Spie- geln der Conjunctivu bei seillich einfallendem Lichte, oder man fahre

Verletzungen Fremde Körper. 153

sanft mit dem Finger über diese Stelle hin. Ist die Umslülpung nicht möglich, so kann man versuchen, den fremden Körper dadurch zu besei- tigen, dass man das obere Lid über das untere herabzieht und schnell auslässt ; nicht selten streifen die Cilien des untern Lides denselben ab. Um fremde Körper im Übergangstheile des obern Lides zu erkennen, ziehe man dessen Haut stark gegen den Orbitalrand an, und lasse den Bulbus abwärts rollen, oder man fasse die Cilien des obern Lides mit Daumen und Zeigefinger, und ziehe sie ein wenig abwärts an und vom Augapfel ab, indem man den auf einem Stuhle sitzenden Kranken den Kopf stark zurückbeugen lässt. In manchen Fällen kann noch das Ein- gehen mit einer Knopfsonde oder mit einem Davielschen Löffel nöthig werden. Häufig fällt der fremde Körper bei diesen Manövern von selbst heraus, und man merkt diess wohl auch aus dem plötzlichen Ver- schwinden des Druckes, Stechens u. dgl.

Bleiben fremde Körper tätigere Zeit im Tarsaltheile sitzen, so werden sie gewöhnlich durch Eiterung flott gemacht, und durch das reichlichere Secret der Bindehaut fortgespült. Bisweilen geschieht es jedoch auch, dass die Entzündung ringsum zur Wucherung der Bindehaut oder zu förmlicher Einkapselung des fremden Körpers führt. Letztere beiden Folgen treten weit häufiger in dem lockeren und weniger em- pfindlichen Übergangstheile ein.

Makemie*) S. 186 erzählt Fälle von Montealh, einen, wo ein Strohhalm von '/„ Zoll Länge im Übergangstheile einen sogenannten Schwamm der Bindehaut von der Grösse einer Haselnuss hervorgerufen hatte, und erst nach wiederholter Exstirpation entdeckt wurde, und einen zweiten, wo ein Baumzweig von 3/i Zoll Länge und der Dicke eines Rabenfederkieles durch 5 Monate eine Entzündung unterhielt, die mit den verschiedensten Mitteln behandelt worden war. Der Kranke war beim Herabgehen von einem steilen Berge in ein Gesträuch gefallen; in dem Augenblicke hatte er die Em- pfindung gehabt, als ob irgend ein Theil seines Auges verletzt worden sei; das Auge war seitdem immer empfindlich geblieben. Monteath umstülpte endlich das obere Lid, und fand hoch oben im Übergangstheile einen schwammigen Zustand der Bindehaut; durch Untersuchung mit einer Sonde gewann er die Überzeugung von der Gegenwart des fremden Körpers. Prof. Fischer*'-') zog einer Frau ein langes, zusammenge- rolltes Haupthaar aus, welches in der Gegend des äussern Augenwinkels nur mit der Spitze aus der partiell angewulsteten Bindehaut hervorragte, und von welchem früher Niemand eine Ahnung gehabt hatte. Derselbe erzählt S. 10 folgenden Fall. Ein Forst- mann kam auf die Klinik, weil er das rechte Auge, an dem er sonst keine Schmerzen hatte, nicht öffnen konnte; er stemmte sich gegen jeden Versuch, es zu öffnen, wegen heftiger Schmerzen. Es hatte ihn 3 Wochen vorher ein Zweig in's Auge geschlagen,

*) Prakt. Abhandlung; über die Krankheiten des Auges, Weimar 1822. **) Lehrbuch der Entrundungen elc. Prag 1846 S.S).

154 Bindehaut.

als er durch's Gestripp eilte. Als nun die Lider mit Gewalt geöffnet wurden, fiel ein '/4 Zoll langes, dürres Stück eines Fichtenzweiges, grösstentheils in Schleim gehüllt, aus dem sonst ganz gesunden (?) Auge. Zweier Fälle, wo Krebsaugen unter das obere Lid geschoben und längst vergessen (oder vielmehr für wieder herausgefallen erachtet) worden waren, habe ich in der Prager Vierteljahrschrift im 12. Bande Seite 76 erwähnt.

Ist der fremde Körper vermög seiner spitzigen Oberfläche oder vermög der Gewalt, mit welcher er namentlich die Conjunct. bulbi traf, in die Substanz der Bindehaut oder noch tiefer eingedrungen, so erregt er entweder Eiterung und Ausstossung, oder auch Einkapselung und Ein- heilung. Makenzie 1. c. S. 187 erzählt, dass Wardrop ein Stückchen Ba- salt in einer Zellenmembran dicht an der Sclera eingeschlossen fand, welches bereits vor 10 Jahren eingedrungen war.

Sitzen fremde Körper derart, dass sie die Cornea reiben oder drücken, so führen sie entweder eine Art Hornhautschwiele herbei, . oder eine pannöse Trübung (Keratitis superficialis), gewöhnlich aber Verschwä- rung und die traurigen Folgen der Hornhautgeschwüre. Diese treten ins- besondere häufig ein, wenn Grannen oder die Spelzen von gewissen Ge- treidearten ins Auge gerathen, und gar nicht oder nur unvollständig entfernt werden. (Vergl. den Artikel Hornhautentzündung.)

Im Jahre 1845 wurde ich zu einem Mädchen von 4 Jahren gerufen. Niemand hatte eine Ahnung, dem Kinde könne Etwas in's Auge gefallen sein. Das Kind litt seit 3 Tagen an heftigem Blepharospasmus, und konnte nicht wohl näher untersucht wer- den ; da es in der linken Achselgrube einige geschwollene Drüsen hatte, glaubte ich ein scrofulöses Augenleiden vor mir zu haben, und leitete demgemäss die Behandlung ein. Nach 3 Tagen nahm man einen andern Arzt, weil das Kind noch immer nicht besser werden wollte. Etwa '/2 Jahr später bekam ich das Kind zufällig zu sehen, und bemerkte ein Staphylom, welches die untere Hälfte der Cornea einnahm. Jetzt erfuhr ich, dass ohngefähr 14 Tage nach meinem Ausbleiben ein Stückchen Stroh aus dem Auge gekommen, welches dem Kinde wahrscheinlich in der Nacht in's Auge ge- rathen war.

Die Beschaffenheit der fremden Körper und ihr Sitz gibt im Allge- meinen an, wie man sie zu entfernen habe. Bei oberflächlich sitzenden reicht das Abstreifen mit dem Zipfel eines leinenen Tücheis oder mit einem Daviel'schen Löffel u. dgl. hin; in andern Fällen, namentlich bei Tabak oder Pfeffer ist das Einspritzen lauer Milch oder lauen Wassers das zweckmässigste. Feine Glassplitterchen bleiben am leichtesten an einem mit Leinwand umhüllten Griffel haften. Tiefer sitzende und längere Körper müssen oft mit einer Pincette gefasst werden. Pulverkörner, Glas- splitter u. dgl., wenn sie in die Conjunctiva bulbi eingedrungen, fasst man sammt einem möglichst kleinen Theile der Bindehaut mit der Pin-

Verletzungen Fremde Körper Ätzung. 155

cette und entfernt sie mittelst der Scheere. So kleine Substanzverluste werden von der nachgiebigen, durch Beiziehung der Wundränder verheilenden Bindehaut ohne Nachlheil ertragen; die Narbe wird unsichtbar, während z. B. eingeheilte Pulverkörner sehr entstellen.

Mit der Entfernung des fremden Körpers schwinden in der Regel auch die Folgen, die Zufälle der Reizung und Entzündung zum Verwun- dern schnell, und man hat im Allgemeinen dem Kranken nichts zu sagen, als dass er sich bis zur völligen Erholung des Auges vor Anstrengung desselben, Staub, Rauch, Zugluft u. dgl. hüte. War die Verletzung in- und extensiver, so bilden kalte Umschläge in frischen Fällen das sou- veraine Mittel, neben welchem nur ausnahmsweise die Vorausschickung einer örtlichen Blutentziehung und kühlender Abführmittel bei Ruhe des Körpers und beschränkter Kost nothwendig werden dürfte. Fand zugleich beträchtliche Quetschung statt, so setze man zu den kalten Umschlägen bald etwas Weingeist oder spir. roris marini, spir. serpylli u. dgl. zu, und bei grössern Blutaustretungen Tinctura arnicae. Ist aber das Stadium der Reizung und Ausschwitzung vorüber, ist bereits Eiterung, schleimig- eitrige Secretion, dunklere Röthe und mehr Erschlaffung der Bindehaut ein- getreten, dann passen kalte Umschläge nicht mehr, und man hat den Fall nach den bei der Ophthalmia catarrhalis gegebenen Grundsätzen zu behandeln. Partielle Wucherungen der Bindehaut werden mit der Scheere abgetragen, oder mit Lapis geätzt, wenn ihre Heilung mittelst Laudanumaufträuflungen nicht zu erreichen sein sollte.

Die Einwirkung ätzender Stoffe pflegt den Kranken in der Regel sogleich zur ärztlichen Hilfe zu treiben. Man überzeuge sich zunächst, ob nicht noch etwas davon zurückgeblieben sei und noch fortwirke. Kalk, Mörtel, Asche, Lapis u. dgl. müssen sogleich durch Einspritzen, Einträu- feln oder Einpinseln von Flüssigkeiten entfernt werden, welche sie nicht chemisch lösen, sondern wo möglich zersetzen oder mindestens einhüllen, wie Öl, zerlassene Butter, Rahm, Milch ; ist nichts dergleichen bei der Hand, so suche man sie durch einen starken Wasserstrahl rasch abzu- spülen, ehe sie sich noch auflösen können.

Die darauf folgende Entzündung pflegt in der Regel sehr heftig zu sein, und erheischt strenge Antiphlogose. Nebstdem aber ist wohl zu be- rücksichtigen, ob nicht in Folge der Anätzupg Verwachsung der Lider untereinander, Anchyloblepharon, oder der Lider mit dem Bulbus, Sym- blepharon (anterius), oder, beides zugleich zu besorgen sei. Diess ist beinahe immer der Fall, wenn Mineralsäuren oder geschmolzene Metalle in's Auge gespritzt sind. Nebst der energischen Anwendung eiskalter

156 Bindehaut.

Urnschläge ist dann das wiederholte Einträufeln schleimiger oder öliger Mittel und häufiges Abziehen der sich berührenden Flächen von einander nothwendig, leider aber oft genug erfolglos. Jeder Fall will hier invi- duell aufgefasst sein. Bisweilen kann die Unterhaltung eines künstlichen Ectropiunis mittelst Heftpflasterstreifcn oder mittelst auf die Haut ge- strichenen Collodiums von Nutzen sein, bisweilen das Einlegen einer dünnen Schale von Wachs, wie ein künstliches Auge geformt. Jede Linie Raum, die man der um sich greifenden Verwachsung abtrotzt, ist Gewinn für die nachträglich vorzunehmenden Operationsweisen des Ankylo- und Symblepharon.

Ist bei Verwachsung des Bulbus mit der inner n Lidfläche die Cor- nea ganz oder grossentheils (wenigstens so weit, dass noch nötigenfalls eine künstliche Pupille gebildet werden könnte) frei geblieben, und nimmt die Verwachsung nicht mehr als höchstens die Hälfte des obern oder des untern Lides ein, so kann man noch mit Aussicht auf günstigen Erfolg ein operatives Verfahren zur Behebung dieses Zustandes in Anwendung bringen. Das Schwierige der Aufgabe liegt nicht so sehr in der Trennung der Verwachsung als vielmehr in der Verhütung der Wiederverwachsung.

Dr. Guh hat meines Wissens zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass es auch hier, wie bei ähnlichen chirurgischen Fällen, z. B. bei ver- wachsenen Fingern, vor allem darauf ankomme, die Wiederverwachsung von der Stelle aus, wo die beiden Wundflächen in einem Winkel zusam- samenstossen, dadurch zu verhindern, dass man jener Stelle früher einen Epithelialüberzug zu verschaffen sucht. Wenn demnach die Verwachsung bis zur Übergangsfalte rückwärts reicht, und nicht mit einer Sonde um- gangen werden kann, so führe ich einen dünnen Bleidraht mittelst einer krummen Nadel so durch die Basis (den hintersten oder tiefsten Theil) der Verwachsung zwischen Lid und Bulbus durch, dass derselbe ohn- gefähr in der Gegend und in der Richtung der Übergangsfalte verläuft. Die beiden Enden des Bleifadens werden dann entweder auf die äussere Fläche des Lides geführt und angeklebt, oder auch früher einmal ge- kreuzt, so als ob man die Verwachsung abbinden wollte. Nun bleibt der Faden so lange (8 14 Tage) liegen, bis er sich sehr leicht hin und her be- wegen und auch vor- und rückwärts schieben lässt, kurz bis man an- nehmen kann, dass der Kanal, in welchem er verläuft, callös, mit Epi- thelium überkleidet, in eine Art Fistelgang verwandelt sei. Man kann den Bleidraht so anfertigen lassen, dass ein Theil dünner, der andere allmälig dicker wird, und dass man durch Weiterziehen desselben jenen Kanal allmälia- weiter und weiter macht. Erst dann darf man zur Treu-

Verletzungen Symblepharon Ankyloblepharon. 157

iiuno- (jer Verwachsung schreiten, und von der Anwendung der oben angegebenen Mittel Erfolg erwarten. Ist die Verwachsung brei- ter (in der Richtung von einem Winkel zum andern) , so dass die Durchführung des Fadens durch die ganze Länge der Basis unmöglich wird, so fasse man nur einen Theil derselben in die Ligatur, nnd nehme bei der 2. oder 3. Partie dasselbe Manöver vor. Ich habe in drei Fallen durch dieses Verfahren den günstigsten Erfolg erreicht, und würde das- selbe allen andern vorziehen.

Angedeutet, wenn man will, findet man dieses Verfahren in der Idee schon bei Fabric von Hilden (Observal. chirurg. Centur. VI. p. 503, Franeofurti ad Moenum 1646), welcher bei Verwachsung der Augenlider unter einander einen seidenen Faden Ton einem Augenwinkel zum andern unter der Verwachsung durchführte, die Enden des Fadens sodann zusammen knüpfte, ein Gewicht daran hing, und binnen 8 Tagen die Verwachsung gehoben sah. -— Nach Ruete*) hat bereits Himly die Einführung eines Bleidrahtes oft mit dem günstigsten Erfolge angewendet; er drehte den Bleidraht täglich enger zusammen (die Schlinge verkleinernd), und liess denselben bis zur Durchschnei- dung der Adhäsionen liegen. - Ammon verfuhr bei kleineren Verwachsungen in dem mittlem Theile des Lides derart, dass er mittelst einer Scheere an jeder Seite der Ver- wachsung einen Schnitt führte, welcher den andern so traf, wie die beiden Schenkel eines V, und sodann die Wunde wie bei einem Coloboma oder wie bei einer Hasen- scharte vereinigte, wobei das aus dem Lide excidirte Vförmige Stück auf dem Bulbus sitzen blieb. Nach geschehener Vereinigung der Wundränder unter einander soll das am Bulbus zurückgelassene Stück abgetragen werden. Dieffenbach verfuhr derart, dass er zuerst die Verwachsung trennte, dann den der Cilien beraubten Lidrand (mittelst einer durch das Augenlid bis auf desen Cutis gegen den Orbitalrand durchgeführten Schlinge) nach innen umklappte, und auf diese Art der Wundfläche am Bulbus die Cutis gegenüber zu stehen brachte, bis die Wundränder der Conjunctiva bulbi mit ein- ander verwachsen waren. Cunier **) will einen Fall von Symblepharon, wo das obere Lid nach Verbrennung mit einem glühenden Eisen in grosser Ausdehnung mit dein Bulbus, zum Theil auch mit der Cornea verwachsen war, dadurch geheilt haben, dass er, nachdem er die Verwachsung mit dem Messer getrennt halte, die Wundfläche des Lides und des Bulbus mit Lapis infernalis in Substanz, und die folgenden Tage abwechselnd, bald die erstere, bald die letztere, mit einer Lösung von 10 Gran Argent. nitricum in 1 Drachme Wasser bestrich.

Die Beseitigung des Ankyloblepharon ist wohl nur dann anzu- streben, wenn der Bulbus noch zum Sehen geeignet ist oder doch ge- macht werden kann (was durch umsichtige Untersuchung mit der Sonde und mittelst Sehversuchen nicht minder als durch genaue Erhebung der Anamnesis möglichst sicher zu stellen ist), oder wenn der Kranke die Einlegung eines künstlichen Auges wünscht, und Hoffnung ist, die Be-

*) Lehrbuch der Ophthalmologie, Braunschweig 1846, S. 395. »«) Auuales d'ueulist. B. XI. S. 270.

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dingungen hiezu zu erreichen. Es versteht sich übrigens hier wie überall, dass die allgemeinen Bedingungen zu operativen Eingriffen gegeben sein müssen. Ist mit dem Ankyloblepharon nicht zugleich Symblepharon vor- handen, so wird die Trennung auf einer untergeschobenen Hohlsonde oder mittelst eines Knopfbistouris nicht so schwierig sein, und die Wieder- verwachsung dadurch am besten verhindert werden können, dass man an dem obern oder an dem untern, wo möglich an beiden Lidern zugleich .die Conjunctiva an die Cutis durch feine Nähte anheftet, wenigstens gegen den äussern Winkel hin, und die Lider möglichst von einander entfernt zu halten sucht.

Nach diesen Regeln mag man beurtheilen, ob etwas, und was bei Fällen von Complication des Ankylo- und Symblepharon noch mit Wahr- scheinlichkeit auf günstigen Erfolg zu thun sei.

VIQ. Flügelfell, Pterygium.

So nennt man eine, durch Entzündung bedingte, partielle, dem Flügel einer Fliege nicht unähnliche Entartung der Conjunctiva bulbi, deren Basis gegen die Peripherie des Bulbus gerichtet ist, deren Spitze über den Limbus conjunctivae in die Cornea hineinreicht, und deren Ränder, wenigstens nahe an der Hornhaut, nicht nur scharf begrenzt, sondern auch deutlich umstülpt erscheinen. Es fällt in der Regel sogleich durch seinen Reichthum an erweiterten Blutgefässen auf, welche von der Peri- pherie convergirend gegen die Cornea verlaufen, und erst nach dem Er- löschen aller entzündlichen Thätigkeit in dieser Partie verschwinden. Je nach dem Blutreichthume und der Menge des in diesem Theile abgela- gerten Exsudates hat man ein Pt. tenue und crassum s. carnosum unterschieden.

Sein Sitz, entspricht im Allgemeinen der Richtung eines der geraden Augenmuskeln; am häufigsten kommt es im innern, seltener im äussern Winkel, noch seltener nach oben oder unten vor. Die Basis des Flügelfelles liegt vom Rande der Hornhaut mehr weniger entfernt, je nach der Dauer und Ausbildung der Krankheit. Sie verliert sich bis- weilen kaum iy„ Linien von der Cornea entfernt allmälig in gesunde Bindehaut. Bei weiterer Entwicklung reicht es bis an die halbmondför- mige oder Übergangsfalte, bei noch höherem Grade sieht man namentlich die erstere ganz verstrichen, selbst die Drüschen der Karunkel auf den

Fliigelfell Diagnosis Entwicklung. 159

Bulbus herübcrgezerrt, und zuletzt wohl auch die ganze betreffende Partie des Übergangstheilcs so geschrumpft, dass der Lidknorpel an den Bulbus angeheftet erscheint (Symblepharon posterius wie bei Trachoma). Die Ränder des auf der Sclera befindlichen Theiles (Rumpfes) sind ge- wöhnlich ein wenig über die Umgebung erhaben, doch nicht immer scharf markirt; beide Erscheinungen treten gegen die Cornea hin immer deutlicher hervor, und in der Gegend des Limbus conj. erscheinen die Ränder in der Regel, wenigstens der eine, so stark umstülpt, dass man mit einer Sonde oder Borste % 1 Linie, selbst noch tiefer darunter eindringen kann. Der Hals des Flügelfelles (über dem Hornhautrande), dessen Breite von der Breite der Entartung auf der Cornea abhängt, lässt sich in der Regel mit einer Blömerschen Pincette leicht von seiner Un- terlage emporheben, und nach Abtragung desselben erscheint in der sonst unveränderten Cornea eine Art Furche oder Eindrückung. Er ist anfangs graulich und weich, bei älteren Pterygien weisslich, sehnenartig, glänzend und derb, nicht selten von knorpelähnlicher Beschaffenheit. Er zeigt, wenn er etwas breiter ist, centripetale Vertiefungen und Erhö- hungen, Riefen, Avelche fächerartig gegen die Basis hin verlaufen und sich allmälig verflachen. Die Spitze des Flügelfelles ist in der Regel nicht spitzig wie man sie gewöhnlieh abgebildet findet, sondern rundlich, oder vieleckig, zackig, und stellt mehr einen unregelmässigen, etwas er- habenen Fleck, bisweilen selbst von 2 Quadratlinien Umfang dar. Sie ist im Allgemeinen graulichweiss, bisweilen stellenweise mehr gesättigt und undurchsichtig, nächst dem Hornhautrande deutlich erhaben und begrenzt, im übrigen Umfange allmälig abgeflacht und in gesunde Substanz über- gehend. — So lange das Flügelfell lebhaft geröthet erscheint, findet man auf der Cornea nächst der Spitze der Trübung oder auf derselben ein oder einige kleine, ziemlich reine Geschwiirchen ; sie werden oft erst dann sichtbar, wenn man das Spiegeln der Cornea benützt, und können Wochen-, Monate-lang in derselben Form und Lage beobachtet werden. Sind sie geheilt, so sieht man an ihrer Stelle entweder eine flache Narbe, oder eine seichte Vertiefung mit glatter Oberfläche.

Die Entwicklung des Flügelfelles erfolgt vom Limbus conjunctivae aus ; es vergrössert sich von hier allmälig gegen die Peripherie hin, und andererseits rückt die Spitze allmälig gegen das Centrum der Cornea vor. Mit Ausnahme der nach acuter Bindehautblennorhöe entstandenen, immer sehr rasch entwickelten Flügelfelle findet man allgemein, dass nur lange bestehende Pterygien weit in die Cornea hineinragen. Der Process kann nicht nur die Mitte der Cornea erreichen, sondern auch dieselbe über-

160 Bindehaut.

schreiten. *) Das Flüsrelfell ist als eine Herbeiziehung oder Herein- zerrung der Bindehaut auf die Cornea zu betrachten, seine Entstehung setzt zunächst seichte Geschwürchen auf dem Rande der Cornea und Herbei- ziehung des Linibus conjunctivae zur Vernarbung, weiterhin eine gestei- gerte Nachgiebigkeit der Bindehaut (Erschlaffung), anhaltende und doch nie über einen gewissen Grad gesteigerte Reizung; derselben, und dadurch bedingte Durchtränkung der Bindehaut mit Exsudat, Verdränguno; ihres Gewebes und endliche Schrumpfung der also erkrankten Partie voraus.

Das Flügelfell kommt fast nur bei Leuten vor, welche bereits ein höheres Alter erreicht haben und vermög ihrer Beschäftigung häufig mechanisch-chemisch wirkenden Schädlichkeiten ausgesetzt sind. Aus dem Umstände, dass Flügelfelle meistens im innern Winkel, welcher solchen Einflüssen besonders zugängig ist, und grösstentheils nur bei Leuten vor- kommen, welche dem Einfallen von Kalktheilehen, Steinsplitterchen, Staub u. dgl. ausgesetzt sind, zog bereits Beer den Schluss, dass die Entste- hung des Flügelfelles hauptsächlich durch dieselben bedingt werde, ohne übrigens anzugeben, wie diess geschehen möge. Benedict (Abhandlungen aus dem Gebiete der Augenheilkunde) beschuldigt nebstdem hauptsächlich scharfe, ammoniakalische Ausdünstugen, weil er dieses Leiden besonders bei Leuten, die sich viel mit der Pferdezucht abgeben, häufig beobachtet habe. Wenn Jüngken (Lehre von den Augenkrankheiten, Berlin 1832) katarrhalische Augenentzündungen mit abdomineller Complication als Ur- sache ansieht, und meint, das Flügelfell müsse eigentlich im Unterleibe curirt werden, so scheint diese Ansicht einzig und allein auf das vor- zugsweise Vorkommen bei altern Leuten und auf das Vorhandensein er- weiterter Gefässe basirt zu sein. Ich habe zu den allgemein bekannten (oben genannten) Ursachen, welche auch mir ein sorgfältiges Examen in mehr als 50 Fällen nachwies, nur noch die Explosion und den Dampf von Schiesspulver, so wie das Einspritzen verdünnter Mineralsäuren ins Auge hinzuzufügen.

Unter 36 genauer aufgezeichneten Fallen war die Krankheit nur bei 3 Weibern und 2 Männern unmittelbare Folge von acuter Bindehautblennorrhöe mit Homhaut- geschwüren ; von den übrigen 25 Männern und 6 Weibern war das jüngste Indi- dimm 36, die meisten über 50 Jahre alt. Der Beschäftigung nach befanden sich darunter : 3 Maurer, 1 Töpfer, 1 bei einer Kalkbrennerei Beschäftigter, 1 Müller, 1 Strassenmeister, 1 Schneider, 1 Seiler. 3 auf Schüttböden mit Getreide Beschäftigte, 1 Bräuergeseil. 1 Bürstenbinder, 2 Viehhirten, 1 Kutscher, 1 Jäger, 1 Bergmann und 12 Taslöhner. Die Entartung kam bei allen im innern Winkel vor, bei 10 Individuen

*) Vergl. meinen Aufsatz über Plerygium in der Prager mediciniseben Yierleljahrschrifl, 1S45 .VIII. B. S. "3.

Flügelfell Ätiologie. 101

bloss am rechten, bei 6 bloss am linken, bei 15 an beiden Augen; nur bei einem Taglöhner war zugleich am äussern Winkel des rechten Auges ein Flügelfell, während in jedem innern Winkel ein stärker entwickeltes sass. Von gleichzeitigen Krankheiten am Auge kamen vor: 12mal chronischer Katarrh oder Trachom (darunter 3mal mit Trichiasis oder Distichiasis an demselben oder an dem andern Auge), 7mal Cataracta (darunter 3inal mit hintern Synechien), 3mal mit Hornhautflecken ausser dem Bereiche des Flügelfells, 1 mal Glaucom, lmal Amblyopia congest. Bei Vielen waren Augen- entzündungen (nach ihrer Aussage) vorausgegangen, ohne dass die Patienten sie mit der in Rede stehenden Folgekrankheit in unmittelbaren Zusammenhang zu stellen wussten, da diese sich unbemerkt, ohne viel Schmerz und Röthe, entwickelt hatte.

Als Folge acuter Bindehaublennorrhöe sieht man das Flügelfell nur dann, wenn Hornhautgeschwüre entstanden waren. Hier, wo die Ausbildung der äussern Umrisse viel rascher zu Stande gekommen ist, sieht man oft geradezu einen Theil der sonst nicht sehr veränderten Bindehaut in die Hornhautnarbe hineingezogen. Wenn ich recht beobachtet, so trägt zu dieser Herüberziehung der Bindehaut über den unzerstörten Hornhautrand vor allem der Umstand bei, dass die Bindehaut, nachdem sie früher wallartig geschwellt war, nun bei beginnender Hornhautvernarbung schlapp sich über den Cornealrand hereinschlägt und mit dem zur Deckung des Cornealsubstanzvcrlustes abgesetzten Exsudate wahrscheinlich desshalb verwächst, weil sie selbst noch an einer oder der andern Stelle des Epithels verlustig, exeoriirt ist. Desshalb entstehen auch in Folge von Ophthalmoblennorrhoe relativ zu andern Stellen Flügelfellc am häufigsten nach oben, und ich habe einen Fall gesehen, wo die Conjunctiva bulbi mit einer Stelle des Orbitalrandes des obern Knorpels (nach Touchirungen) verwachsen und gegen diese Stelle so hingezogen war, wie sonst gegen den Cornealrand.

Fragen wir uns, wie es komme, dass mechanisch-chemisch wirkende Schädlich- keiten es sind, welche als veranlassende Momente zur Bildung des Flügelfelles be- trachtet werden müssen, so liegt die Annahme sehr nahe, dass oberflächliche Verlez- zung, Zerstörung des Epitheliums, seichte Geschwürsbildung die nächste Folge dersel- ben sei, und dass auf diese Weise, wenn die Bindehaut etwas schlaffer ist, wenn sie, nächst dem Limbus conjunctivae exeoriirt, sich über den angrenzenden, gleichfalls ex- coriirten Cornealtheil hereinlegt, Verwachsung der Bindehaut mit der Hornhaut einge- leitet werde. Diess zugegeben, erklären sich die weitern Folgen sehr einfach. Die wenn auch geringe Hereinzerrung der Bindehaut zur Cornea setzt an und für sich schon Reizung der betreffenden Partie ; wirken nun, wie in der Regel, noch fortwäh- rend äussere Reize auf diese Partie ein, so geräth diese in Entzündung, wird gefäss- reieher, lockerer, von Exsudat durchtränkt. Das also veränderte Gewebe unterliegt nach Resorption der flüssigen Theile des Exsudates einer um so stärkern Schrumpfung, je mehr es durch die Entzündung in ein Neugebilde verwandelt ist, je mehr das nor- male Gewebe verdrängt, durch Exsudat ersetzt worden ist. Ist auf diese Art nur die dem Hornhautrande nächste Partie verändert worden, so reicht diess hin, die entfern- tem Partien nach und nach in denselben Process zu ziehen, indem durch die Schrum- pfung der zuerst ergriffenen Stelle die nächst angrenzende von ihrer Unterlage gegen die früher erkrankte Stelle herübergezogen wird. Andererseits kann die Heilung der oberflächlichen Geschwürchen an der Cornea nicht leicht zu Stande kommen, theils weil die Reaction zu unbedeutend ist, theils weil wohl in den meisten Fällen immer wieder ähnliche schädliche Einflüsse einwirken, ohne heftigere Zufälle zu erregen.

I. 11

162 Bindehaut.

Untersucht man abgetragene Flügelfelle mikroskopisch, so findet man, je nach dem Alter und der Consistenz derselben, nebst mehr weniger Bindegewebsfasern Ex- sudat auf verschiedenen Stufen der Organisation, bis zum förmlichen Faser- oder Nar- bengewebe, als welches sich übrigens wenigstens der Halstheil schon mit freiem Auge an seinem sehnigen Glänze und seiner Knorpelhärte oft deutlich erkennen lässt. Hält man bei Flügelfellen, welche bereits Ausglältung der halbmondförmigen Falte herbei- geführt haben, den Augenlidschlag einige Zeit ab, so werden die sehnenartigen Partien desselben mehr weniger trocken. Breitet man ein Taschentuch über ein Bett oder Canape, fasst es an einer Seite mit 2 Fingern, und zieht es dann in der Richtung der Ebene, in der es liegt, an. so entsteht eine fächerähnliche Faltung, welche die Form des Flügelfelles vollkommen repräscntirt.

Wenn bei vielen Entzündungen, namentlich bei der Conjunctivitis scrofulosa. Geschwürchen auf dem Hornhautrande vorkommen, und dennoch keine Flü^elfelle ent- stehen, so darf man nicht vergessen, dass hier auch die übrigen Bedingungen nicht vorkommen, nämiich : dass der Substanzverlust nur oberflächlich und daher keine ge- hörige Reaction vorhanden ist, und dass die Scleralbindehaut theils wegen höhern Alters, theils wegen wiederholter Reizungszustände (in Folge der chemisch-mechanischen Schäd- lichkeiten, denen solche Leute in der Regel Jahre lang ausgesetzt waren) in einen Zu- stand von Erschlaffung (Faltung beim Einwärtswenden des Bulbus) und theilweiser Excoriation nächst dem Limbus conjunctivae gerathen ist. Stärkere Anätzungen, oder tiefere Geschwüre geben aber desshalb keinen Anlass zur Bildung eines Flügelfelles, weil sie tiefer eindringen, mit heftigerer Reaction in der Umgebung verlaufen, und zur festen Verwachsung mit der Sclera oder mit dem Rande der Cornea führen, wodurch dem Verzerren der Bindehaut vorgebeugt wird. Die glaubwürdigsten Auetoren ver- sichern, dass das Flügelfell, wenn es noch nicht zu weit gediehen, in der ferneren Entwicklung gehemmt (geheilt) werden könne, bald durch Scarificationen, bald durch Einträufeln von Laudanum, bald durch stark adstringirende oder ätzende Mittel: Die Wirkung kann wohl keine andere sein, als dass durch Erregung eines gehörigen Gra- des von Reaction rasche Vernarbung des Cornealgeschwüres herbeigeführt wird.

Das Flügelfell gehört mehr tinter die entstellenden als unter die gefährlichen Krankheiten des Auges ; doch ist es eben nicht ohne Gefahr für die Functionen desselben. Bisweilen heilt es von selbst, wahrscheinlich, wenn das Auge weiterhin den erregenden schädlichen Potenzen nicht mehr ausgesetzt wird. Das Geschwürchen auf der Hornhaut vernarbt, die flügelähnliche und mehr weniger entartete Falte der Bindehaut wird blass, gefässarm. Hat das Flügelfell eine beträchtliche Grösse erreicht und ist es sehr dick und blutreich, dann bietet auch die übrige Binde- haut die Zeichen der (katarrhalischen) Entzündung dar. Ist es bereits zur Verzerrung der halbmondförmigen Falte gekommen, dann wird auch die Aufsaugung der Thränen, und weiterhin selbst die freie Beweglichkeit des Bulbus mehr weniger behindert. Dass das Flügelfell (mittelst der Geschwürchen) bis zur Mitte der Hornhaut und selbst darüber hinaus vorrücken kann, wurde bereiis früher erwähnt. Hiemit droht es auch

Fliigell'ell Prognosis Therapie. 163

dem Gesichte nachtheilig zu werden. Es versichern aber glaubwürdige Aucloren (Prof. Fischer in seinen Vorlesungen, und Chelius*), dass bei Flügelfellen, welche noch nicht bis in die Gegend der Pupille reichen, das Gesicht oft merklich beeinträchtigt sei. Es lässt sich diese Beobach- tung auf zweierlei Weise erklären : d) entweder haben diese Beobachter kleine Facetten an der Spitze des Flügelfelles übersehen, oder 6) was mir wahrscheinlicher ist, das Flügelfell wirkt mittelst Druck auf die Cornea störend auf deren Wölbung ein. Wenn man nämlich Flügelfelle mit etwas härterem Halse abträgt, so kann man sie auf der Cornea nächst dem Rande förmlich wie aus einer Grube herausheben; sie hängen nur am Umfange der Spitze fest mit der Cornea zusammen.

Die Behandlung des Flügelfelles richtet sich, abgesehen von der Abhaltung äusserer Schädlichkeiten, sofern solche möglich ist, vorzüglich nach dem Grade der Entartung. Sie ist nicht bloss aus kosmetischen, sondern auch aus prophylaktischen Rücksichten einzuleiten, wenn gleich in der Regel nur erstere es sind, die den Kranken zur ärztlichen Hilfe drängen. Bei noch wenig grossen und frischen Flügelfellen versuche man, durch Betupfen der Spitze mit laudanum liquidum, mit Cuprum sulfur. oder mit Lapis infernalis einen hinreichenden Grad von Reaction, Vernarbung einzu- leiten. Wo diess erfolglos bleibt, wegen Verhältnissen des Kranken nicht anwendbar erscheint, oder, wegen längeren Bestandes und grösserer Aus- dehnung der Entartung nicht den gehörigen Erfolg (wenigstens in Bezug auf die Entstellung) verspricht, schreite man zur Abtragung.

Indem der Gehilfe das obere und das untere Lid gehörig fixirt, und der Kranke das Auge nach der entgegengesetzten Seite wendet, fasse man das Flügelfell über dem Rande der Cornea mit einer anatomischen, oder, was viel zweckmässiger, mit einer etwas stärkeren Blömer'schen Pincette, und ziehe den gefassten Theil etwas gegen sich an. Hierauf stosse man ein feines Spitzbistouri oder ein Staarmesser zwischen den Hals des Flügelfelles und die Cornea, und präparire, gegen das Centrum der Cornea hin, die Spitze (den Kopf) des Flügelfelles so rein als möglich von der Corner) los, was bisweilen in 1 2 Zügen gelingt. Sodann ziehe man den auf einer Seite frei gewordenen Hals etwas stärker gegen sich an, und trenne den entarleten Theil, den Rändern folgend, mit einer geraden oder nach der Fläche gekrümmten Scheere auf 1 2 Linien über den Hornhautrand hinaus (gegen die Peripherie hin) so knapp als möglich von der Sclera los, und vereine die beiden divergirenden Schnitte sodann

* Handbuch der Augenheilkunde, Stuttgart 1839, S. 410.

11*

164 Bindehaut.

durch 2 convergirende derart, dass die ganze Wundfläche ein Rhomhoid darstellt, von welchem der eine spitzigere Winkel gegen die Mitte, der andere gegen die Peripherie des Bulbus gerichtet ist. Für die Errei- chung des Zweckes ist es nicht nothwendig, und in anderer Beziehung sogar nachtheilig, sehr grosse Flügelfelle bis zur Peripherie, z. B. bis zur halbmondförmigen Falte oder Karunkel hin abzutragen; nur von dem Rande der Cornea und von dem angrenzenden Theile der Sclera (bis auf wenigstens 1 Linie weit von der Cornea weg) muss alles Krankhafte sorgfältig entfernt werden, und wo diess nicht sogleich gelungen, muss man entweder noch mit Scheere oder Messer nachhelfen, oder nachträg- lich mit Lapis infernalis ätzen. Ist es gelungen, in der Gegend, wo der Limbus conjunctivae sein sollte, eine feste Verwachsung der Wundränder unter sich und mit der Sclera und Cornea zu bewirken, so hat man auch keine Recidive zu fürchten. Die Weisung, die Wunde nicht drei- eckig, sondern rhomboidal zu formen, beruht auf der Beobachtung, dass Substanzverluste der Scleralbindehaut durch Beiziehung von der Seite her gedeckt werden. Nach 2 3 Tagen erscheint die Wunde mit weissem plastischen Exsudate bedeckt, die angrenzende Bindehaut lebhaft injicirt und geschwellt. Allmälig zieht sich jene Exsudatmasse gleichsam auf das Centrum zurück, und die angrenzende Bindehaut rückt über die lebhaft gerötheten (fein granulirenden) Ränder gegen dasselbe vor; es entsteht eine strahlige Narbe, welche, wenn der Substanzverlust nicht zu gross war, immer weniger und weniger bemerkbar wird, doch nie ganz ver- schwindet. Hat man, nach obiger Angabe, die Sclera gehörig bloss gelegt, so erscheint die Narbe etwas vertieft, i. e. die Bindehaut an die Sclera angeheftet, und eine fernere Verzerrung der Bindehaut an dieser Stelle unmöglich. Hat man aber auch diese Vorsicht beobachtet, wie gewöhnlich gerathen wird, der Wunde eine dreieckige Form gegeben, so ist nicht nur der Substanzverlust unnöthig grösser, sondern es bildet sich die Narbe auch derart, dass gleichsam ein zweites, wenn auch kür- zeres, die Cornea nicht erreichendes Flügelfell (Pterygium secundarium) entsteht. Nachstehende Figuren werden die Sache besser erläutern, als

Worte. Fig. 1. <Qj J Fig. 2. ej^h J Wenn bei Fig-. \, Heilung

eintritt, so wird a mit b und c und d vereint, die Narbe mehr linear; wenn bei Fig. 2. Heilung eintritt, so wird zwar a mit b vereint, bei c und d aber entstehen stpitze Winkel, indem die Linien ac, bd, cd mit ihrem mittlem Theile gegen das Centrum der Wundfläche vorrücken, und namentlich der Punkt c stark gegen die Cornea hingedrängt wird.

Flügelfell Therapie. 165

Die Figur bekommt vor noch erfolgter Vernarbung ohngefähr folgende

c

(Jestalt (^r>*, und nach derselben liegt e als Spitze eines einem Flügel-

feile nicht unähnlichen Dreiecks nahe am Hornhautrande.

Sinnreich ist Szokalsky's Verfahren. *) Er nimmt einen seidenen Faden, und führt jedes Ende in eine besondere, krumme Nadel, sticht die eine im innern Winkel am obern Rande des Fliigelfelles ein, führt sie zwischen dem Flügelfelle und der Selera abwärts, und unter dem untern Rande desselben aus. Die Spitze der Nadel wird mit der Pincelte gefasst und aus der Wunde gezogen, so dass der doppelte Faden ungefähr 4 Zoll lang zum Vorschein kommt. Die 2. Nadel wird auf dieselbe Weise nächst dem Hornhautrande durchgeführt, und der hier ebenfalls doppelte Faden eben so lang durchgezogen. Durch Abschneiden der Nadeln zerfällt der Faden in 3 Theile. Mittelst des ersten wird durch Verknüpfung des obern und untern Endes die Rasis, mittelst des 3 die Spitze zusammen geschnürt ; der mittlere, welcher nach oben eine Schlinge bildet, wird langsam angezogen, und am untern Rande des Flügelfelles zugebunden, so dass durch diese Ligatur der zwischen der 1. und 3. Ligatur befindli- che Theil des Flügelfellfes von der Selera abgeschnürt wird, und die gesunde Conjun- ctiva oberhalb des Flügelfelles mit der unterhalb desselben in Berührung kommt. Die Fäden dieser 3 Ligaturen werden unter dem Augenlide mit Heftpflaster befestigt, die Lider verklebt und kalte Umschläge gegeben. Nach 4 Tagen wird der Verband abge- nommen, der zwischen den Ligaturen eingeschnürte Theil mit der Pincette gefasst und aus dem Auge entfernt. Die Vernarbung soll in kurzer Zeit, und niemals sollen Re- eidiven erfolgen. Hasner 1. c. S. 78, die Thatsachen, welche für das Weiterschreiten des Flügelfelles und die endliche Gefährdung des Gesichtes sprechen, ignorirend, und dazu noch die ganz irrige Behauptung aufstellend, bei jeder Operalio pterygii „müsse ein beträchtliches Stück der gesunden Bindehaut entfernt werden", hat den originellen Rathschlag gegeben, jedes Pterygium ohne Unterschied sich selbst zu überlassen. Über den Werth solcher Vorschläge können nicht Worte, nur unparteiische Beobachtungen und Versuche am Krankenbette entscheiden. Ein einziger Fall von Heilung durch die Operation beweist mehr, als die sogenannte „tägliche Erfahrung* misslungener Fälle, sobald diese nicht umständlich angerührt werden.

Mit dem Flügelfelle nicht zu verwechseln ist der sogenannte Fettfleck, Pingue- cula, Pterygium pingue. Man findet diese Erscheinung sehr häufig bei Leuten mittlem und höhern Alters ohne alle Beschwerden, ohne alle krankhafte Erscheinungen weder am Auge, noch sonst wo im Körper, ohne nachweisbare Veranlassung. Sie besteht in einem gelblichen, gewöhnlich dreieckigen, mit der Basis zur Cornea, mit der Spitze gegen den innern oder äussern Winkel hin gerichteten Flecke, welcher gerade so aussieht, als ob die Bindehaut hier mit Fett unterpolstert wäre, und kommt stets nur in der Richtung der Lidspalte, gerade zu einer oder zu beiden Seiten der Hornhaut vor. Ausser der partiellen Entfärbung des Weissen des Auges bringt der Fettfleck niemals einen Nachtheil. Nach Weilers chemischer Untersuchung soll dieses Gebilde kein Fett, sondern Eiweissstoff und Gallerte enthalten. Es wird wohl kaum je ein Mensch so eitel sein, dass er sich zur Exstirpation dieses Fleckes entschlösse, und von andern Mitteln dürfte gar nichts zu erwarten sein.

* ') Archiv für physiologische HcilKun lt, von fioser und Wunderlich, 1315., N. -.

166 Bindehaut.

IX. Partielle Wucherung der Bindehaut.

a. Partielle Wucherungen, analog den Wundgranulationen, bemerkt man am häufigsten im Tarsaltheile der Bindehaut, und zwar in Folge von Abscessen (Gerstenkörnern), welche sich nach innen (durch die Binde- haut) entleert haben. Oft findet man zwischen den warzen- oder poly- penähnlichen dunkelrolhen Auswüchsen mittelst einer Sonde noch den Eingang in die Abscesshöle. An den Bestand dieser Granulationen (im eigentlichen Sinne des Wortes) knüpft sich in der Regel ein Zustand der Bindehaut, welcher dem als Katarrh beschriebenen mehr weniger nahe oder gleich kommt; diesen letzteren gründlich zu beseitigen, müssen jene Karunkeln abgetragen oder abgeätzt, und etwaige Reste des Hagel- oder Gerstenkorns nach den (weiter unten anzugebenden) Regeln beseitigt werden. Von ähnlichen Wucherungen als Hüllen fremder Körper in oder unter der Bindehaut haben wir bereits Seite 153 gesprochen.

b) In dem innern Augenwinkel habe ich bei 3 Individuen, einem Goldarbeiter von 42, einem Lederlakirer von 45, und einem Dienst- mädchen von 20 und etlichen Jahren eine eigenthümliche Form schwam- miger Excrescenz der Bindehaut gesehen. Bei dem Mädchen, welches ein Jahr vorher an einem äusserst heftigen (acuten) Gelenksrheumatismus gelitten hatte, übrigens aber stets gesund gewesen war, hatte sich im innern Winkel eine erbsengrosse Warze gebildet, welche mit einem sehr dünnen Stiele zwischen der Thränenkarunkel und der halbmondförmigen Falte fest sass, und sehr oft reichlich blutete. Nachdem ich den Stiel knapp an seinem Ursprünge mit einer Scheere durchschnitten hatte, musste ich den Stumpf wiederholt mit Lapis infernalis betupfen, um die Blutung zu stillen. Bei den zwei Männern war die ebenfalls auf einem dünnen, aber sehr kurzen Stiele sitzende Wucherung der Form nach blumenkohl- ähnlich, blassroth und feinwarzig, wie eine Walderdbeere, weder blutend, noch schmerzend; nur nach der Abtragung erfolgte auffallend reichliche Blutung, so dass ich jedesmal Lapis oder Cuprum sulfur. anwenden musste. Überdiess hatten diese Fälle das Eigenthümliche, dass bei dem einem durch 1 Y2, bei dem andern durch 2 Jahre die Abtragung und die Ätzung der Basis von Zeit zu Zeit wiederholt werden musste, da immer wieder an irgend einer andern Stelle ein neuer Schwamm emporschoss und wucherte, bis endlich die ganze Partie vom Thränenpunkte bis zur halbmondförmigen Falte und Thränenkarunkel in Folge der wiederholten

Polypöse und schwammige Excrescenzen Krebs. 167

Touehirung ein glattes, gleichsam gegerbtes Aussehen bekam. Der Gold- arbeiter ist jetzt gegen 2, der Lakirer über 4 Jahre geheilt geblieben.

c. Der Markschwamm der Bindehaut (den ich nach eigenen Be- obachtungen wenig kenne) entsteht nach Chelius *Ji entweder unter der Form von blass- oder gelblichrothen, den gewöhnlichen Sciileimpolypen ähnlichen Geschwülsten, welche einzeln oder zu mehreren von der Con- junetiva bulbi, vorzüglich an der untern Übergangsfalte sich entwickeln, verschiebbar und schmerzlos sind, und bei ihrer Vergrösserung sich über die ganze Bindehaut ausbreiten; oder es bildet sich ein rother oder bläulicher Fleck in der Conjunctiva, welcher sich zu einem Knötchen erhebt, und in kürzerer oder längerer Zeit sich zu einer weichen schwam- migen Masse vergrössert ; oder es entsteht in dem wuchernden Knötchen ein Geschwür, aus dem sich die fungöse Masse erhebt. In dem einen wie in dem andern Falle vergrössert sich die Masse oft sehr rasch, und treten dann die Charaktere solcher Geschwülste und Geschwüre deut- licher hervor, während zu Anfang eine Unterscheidung von den soge- nannten gutartigen Geschwülsten und Wucherungen oft nicht möglich ist.

Chelius erzählt S. 488 folgenden Fall. „Bei einem 50 Jahre alten, dem Anscheine nach völlig gesunden Manne entstanden auf beiden Augen bohnengrosse, in ihrer Be- schaffenheit den Schleimpolypen vollkommen ähnliche, schmerzlose und bewegliche Geschwülste in der Conjunctiva sclerae, welche ausser einer höchst unbedeutenden Beschwerde bei den Bewegungen der Augenlider und des Augapfels mit gar keiner weitern Veränderung des Auges verbunden waren. Die Geschwülste wurden mittelst Pincette und Scheere vollständig exstirpirt, und die Wunden heilten schnell ohne irgend einen Zufall. Nach einiger Zeit entstanden wieder ähnliche Geschwülste in der Conjunctiva, zugleich aber auch eine Anschwellung der linken Mandel und Beschwerde beim Schlingen. Nachdem diese wieder abgetragen waren, wurde der Kranke, da jetzt der bösartige Charakter des Übels sich offenbar zeigte, der Schmier- und Hungerkur unterworfen, welche kräftig einwirkte, den Kranken in den höchsten Grad von Abma- gerung versetzte, und die Anschwellung der Mandel völlig entfernte. Der Kranke er- holte sich bald und gewann ein gutes Aussehen; es wurde ihm ein Ifaarseil in den Nacken gesetzt. Da das Wohlbefinden lange Zeit ganz ungestört blieb und keine Spur der früheren Geschwülste sich zeigte, so Iiess der Kranke das Haarseil eingehen und nun dauerte es nicht lange, so stellten sich ähnliche Auswüchse in beiden Nasen- höhlen ein, welche sich schnell vergrösserten, so dass ich eine Masse derselben mit der Polypenzange auszog, welche eine ganze hohle Hand füllte. Nach einiger Zeit entstand Auftreibung der Nasenwurzel, die Knochen wurden durchbrochen, und es ent- wickelte sich ein Schwammgewächs, welches die Grösse einer Faust erreichte, häufig blutete, und plötzlich unter den heftigsten Schmerzen sich abstiess. Der Kranke erholte sich wieder, und es hatte den Anschein, als wenn die eiternde Stelle sich vernarben

*) Handbuch der Augenheilkunde Stuttgart 1839 II. B. S. ISü.

168 Bindehaut.

wollte. Allein die Wucherung des Schwammgewächses begann wieder, und führte spater den Tod durch Hirnaffe ction herbei."

X. Ergüsse unter der Bindehaut.

i. Blutergüsse (Apoplexie) unter die Conjunctiva, namentlich am Bulbus, kommen dem praktischen Arzte ziemlich häufig zu Gesichte wegen des Schreckens, in welchen sie den Betroffenen zu versetzen pflegen. Sie haben indessen in der Regel sehr wenig zu bedeuten, und erfordern an und für sich kaum jemals eine ärztliche Behandlung. Sie entstehen theils nach Schlägen auf die Augen und deren Umgebung, theils nach forcirtem Blutandrange und gehemmtem Rückflüsse, wie z. B. beim Heben schwerer Lasten, beim Erbrechen, schwerer Stuhlentleerung, Niesen, Husten, besonders Keuchhusten u. dgl., theils auch ohne äussere Veran- lassung, namentlich bei altern Personen, und in Folge allgemeiner Blut- erkrankung, beim Scorbut. Will man ihre Aufsaugung beschleunigen, oder den etwa misstrauischcn Kranken von andern Mitteln abhalten, so gebe man Einreibungen von Tinct. arnicae mit Spir. roris marini an die äussere Fläche der Lider. Dem massenhaft angehäuften Blute durch einen Ein- schnitt in die Bindehaut einen Ausweg bahnen zu müssen, wird wohl selten angezeigt sein. Der Ecchymosen bei Entzündungen der Bindehaut wurde bereits oben erwähnt.

Lufterguss (Emphysem) unter der Bindehaut soll, als äusserst seltene Erscheinung, bei Knochenbrüchen, namentlich des sinus front, vor- kommen. Sollte derselbe grosse Spannung verursachen, so mache man einen feinen Einstich, und lasse den Kranken das Schneuzen vermeiden.

Serunierguss (Ödem) kommt als selbständige Krankheit wohl selten vor, meistens symptomatisch, und zwar bei Hydrops anasarca, mit Odem der Lider zugleich, bei Ophthalmia catarrhalis, namenllich bei altern Leuten, wo das Ödema conjunctivae bulbi bisweilen auffallend in den Vor- dergrund der Erscheinungen tritt, bei Erisipelas faciei et palpebr., bei rheumatischer Hörn- und Regenbogenhautentzündung, insbesondere aber bei Entzündungen mit Eiterbildung, diese mag nun in den Lidern, im Thränen- sacke, in den Gebilden des Bulbus oder in den demselben benachbarten lie- fern Organen ihren Sitz haben. Das Ödem der Conjunctiva bulbi erscheint in Form glcichmässiger, weicher, mehr weniger hoher, durchscheinender und blasser Schwellung und Lockerung der Bindehaut, oder in Form blassgelber oder blassrother (von feinen Gefässchen überschläiiffcller)

Ödem Abscess Einfaclie Cysten. 169

Wülste zuerst an der Peripherie, dann auch nächst der Cornea dem Sitze des Abscesses, wenn es durch einen solchen bedingt ist, im Allge- meinen immer zunächst, oder daselbst doch früher und stärker ent- wickelt. Es ist bisweilen das erste Symptom, welches den Arzt auf einen benachbarten Entzündungs- oder Eiterherd aufmerksam macht. Nach dem Schwinden desselben bleiben gern ecehymotische Stellen zurück. jTEs er- fordert an und für sich keine Behandlung, nur verbietet es, es mag was immer für eine Bedeutung haben, jederzeit die Anwendung kalter Um- schläge, und ebenso alle Arten von Augenwässern, Tropfen, Salben u. dgl. aufs Auge. Trockene warme Tücher, leicht über das Auge herabhängend, ohne es ganz zu verdecken oder zu drücken, sind im Allgemeinen das Mittel, welches die Gegenwart dieses Zufalles erheischt.

Eine Art chronischer seröser Infiltration der Bindehaut rings um die Hornhaut, als ein iy2 2 Linien breiter flacher Wulst kommt bisweilen in Eolge von Entzündung der vordem Partie der Sclera vor, welche bald mit Keratitis, bald mit Iritis combinirt auftritt, und später besonders be- sprochen werden soll. Die Kunst scheint nichts beitragen zu können, diesen Zustand rückgängig zu machen.

Eitererguss (Abscesse) unter der Bindehaut habe ich einige Male bei scrofulösen Kindern gegen den äussern Augenwinkel hin gesehen, ohne ermitteln zu können, welche Erscheinungen vorausgegangen waren. Ich halte die Bildung solcher umschriebener Eiterherde für analog der Bildnng von Gerstenkörnern in den Lidern, und glaube, dass Mackenzie 1. c. S. 189 solche Fälle vor sich gehabt habe, als er die Schilderung der „phlegmonösen Entzündung unter der Bindehaut" entwarf. Ich füge nur noch hinzu, dass der Eiter in einigen Tagen verschwand, ohne dass es zu irgend einem Durchbruche der Bindehaut kam, welche überhaupt wenig (nur durch Hyperämie) an dem Processe Antheil zu nehmen schien.

Cysteiibilching unter der Conjunctiva bulbi gehört unter die sel- tensten Erscheinungen. Die Bildung einfacher seröser Cysten unter der Bindehaut habe ich in Folge von Stössen auf den Bulbus beobachtet.*) Einen Fall dieser Art, den ich im Jahre 1841 auf der Klinik beobachtete, hat Prof. Fischer in seinem Lehrbuche S. 23 beschrieben.

Eine Frau von 43 Jahren stiess sich mit einem Baumnste an das rechte Auge (3/4 Jahre vor ihrer Aufnahme), worauf sich Verlust des Gesichtes und heftige ent- zündliche Zufälle einstellten. Nach Verlauf einiger Tage sah sie wieder, jedoch doppelt. ^Das linke Auge war von Jugend auf phthitisch.) Wir fanden unterhalb der Cornea

*) Vergl. Schon, pathologische Anatomie des Auges, Hamburg IS->8. S. I6(i

170 Bindehaut.

eine zuckererbsengrosse, weisslichgraue, elastische, verschiebbare, unschmerzhafte, von den Lidern nicht ganz bedeckbare, mit einer klaren, eiweissähnlichen Flüssigkeit ge- füllte Blase, welche zwischen der Conjunctiva und der Sclera sass, und nach Auf- schlitzung der erstem leicht ausgeschält werden konnte. Die Iris war nach oben und innen vom Ciliarbande in mehr als % ihres Umfanges losgetrennt, und dieser Streifen so gelagert, dass neben der in einen schmalen Streifen verwandelten natürlichen Pu- pille noch eine grosse, dreieckige, künstliche Pupille (nach innen und oben) bestand, und nur durch letztere das Sehen vermittelt wurde. Theils nach diesem Befunde, theils nach den Angaben der Kranken musste man annehmen, dass der Stoss das untere Lid und durch dasselbe den Bulbus gerade da getroffen hatte, wo sich spater jene Cyste ent- wickelte. — Auf welche Weise solche Cysten von der durch einen Riss der Sclera unter die Conjunctiva bulbi vorgefallenen Krystalllinse unterschieden werden können, kann erst bei den Krankheiten der Krystalllinse angegeben werden.

Spontan entwickelt sich unter der Conjunctiva bulbi der Cysticercus cellulosae (Finnenwurm). Ich fand in den zwei Fallen, die ich beobach- tete, eine erbsengrosse Blase mit fast durchsichtigen Wandungen und fast wasserklarem Inhalte; an der Basis erschien die Hervorragung etwas eingeschnürt; die Cyste liess sich auf der Sclera hin und her schieben, und die sie bedeckende Bindehaut war von einzelnen Gefässen überzogen. Sicher stellen liess sich die Diagnosis erst nach dem Ausschalen der Cyste, aus dem Auffinden der eigenen Hülle, der Saugnapfe und des Hakenkranzes. Die Cyste hatte sich ohne bekannte Veranlassung unter geringen entzündlichen Zufällen entwickelt, und in Zeit von einigen Mo- naten die genannte Grösse erreicht. Eine besondere Disposition liess sich nicht nachweisen, die Individuen waren jugendlich, das eine 32, das andere 26 Jahre alt. Sichel (Gaz. d'Hop. 1845 N. 55) beobachtete einen Cysticercus subconjunctivalis bei einem 71/,, Jahre allen Knaben mit scro- fulöser Anlage. Baum (Amnions Monatschr. 1838 H. 1) und Höring (ibid. 1839 H. 5) haben ähnliche Beobachtungen veröffentlicht.

In den Tropenländern hat man nicht selten Gelegenheit, Augenentzündungen zu beobachten, welche durch die Gegenwart von Filaria medinensis unter der Conjunctira lim Übergangs- und Scleraltheile / erregt und unterhalten werden. ^Vergl. Mongin in Richter' s Chir. Bibl. \. B. S. 90, Brtjon über Krankh. anf der Insel Cayenne 1781, Gärtner in Schon's pathol. Anat. 1828, S. 226, Larrey, der die Filaria mehrmals in Ägypten beobachtete, u. m. A.)

XI. Warzen der Bindehaut.

Die hier zu besprechende, meines Erachtens stes angeborene Ab- normität ist unter den verschiedensten Namen beschrieben worden, von

Verruca. 171

flimly *) als Chondrome conjunctivae, auch als Lipoma crinösum, von Gräfe **) als Trichosis bulbi, von Mackenzie (Wardrop) einfach als Ge- schwülste oder Sarkome der Conjunctiva, von !%&a***) als behaarte, Muttennäler u. dgl. in. f) Man findet an der Conjunctiva bulbi dieselbe Missbildung, welche an der Cutis unter dem Namen Warze, Verruca be- kannt ist. Ihr Sitz ist zum Theil auf der Cornea, zum Theil auf der Sclera, also eigentlich in der Gegend des Limbus conjunctivae, da, wo wir auch die an die Analogie der Conjunctiva mit der Cutis erinnernde Bläschen- und Pustelbildung am häufigsten bemerken. Unter 5 Fällen, wozu noch 2 an Thieraugen kommen, war der Sitz des Gewächses nur ein einziges Mal nicht gegen den äussern Winkel hin, sondern nach innen und unten. Die Haarbildung auf demselben wird entweder gleich in der ersten Jugend oder erst zur Zeit der Mannbarkeit bemerkt.

Anna Hrba, 24 Jahre alt, trägt am rechten Auge eine Warze, genau so beschaf- fen, wie die gewohnlichen angeborenen Warzen z. B. in der Gesichtshaut vorkommen. Dieses Gebilde sitzt zum grössern Theile über der Sclera, zum Theil über der Cornea, gegen den äussern Winkel hin. Es ist von aussen nach innen etwa 5'" lang, von oben nach unten fast 3'" breit, an der erhabensten Stelle etwas über 2"' hoch, von der Farbe der allgemeinen Bedeckung, mit vielen kurzen, braunen Härchen besetzt, gegen die Spitze hin trocken, beim Anfühlen derb, elastisch, nicht schmerzhaft, ein wenig verschiebbar. Auf der Cornea steiler, gegen den äussern Winkel hin sich all— niälig abflachend, geht es unmerklich in die Cornea und in die Conjunctiva bulbi über; ans letzterer sieht man, besonders vom äussern Winkel her, viele erweiterte Gefässe zu demselben hinstreichen. Beim Schliessen der Lider wird es nicht völlig bedeckt. Von der Hornhaut sind etwa 3/4 frei, vollkommen durchsichtig und normal gewölbt ; sonst sind alle Theile des Auges gesund, das Sehvermögen etwas schwächer. Das Gewächs besteht von Geburt an, und soll in den letzten 6 7 Jahren merklich an Grösse zugenommen haben. Ich nahm die Abtragung mittelst Pincette, Scalpell und Scheere vor; Blutung und Schmerz waren ziemlich stark; Sclera und Cornea zeigten sich darunter unversehrt; mit ersterer hing die Geschwulst durch kurzes und derbes Zellgewebe so fest zusammen , dass ich Mühe hatte , diese Membran rein zu präpariren ; auf der letzteren war die Verbindung bloss an der Peripherie der Ge- schwulst inniger, sonst liess sich diese hier leicht ablösen, und die Cornea erschien darunter rein, durchsichtig, weder merklich vertieft, noch erhaben, und an der Trcn- nungsfläche von der Warze mit zahlreichen Blutpunkten besetzt. Unter Anwendung von kalten Umschlägen bedeckte sich die Wundfläche mit einer weisslichen, dicken,

*) Die Kranliheite» und Missbildungen des menschlichen Auges, Berlin 1832, B. II. S. 15 u. 19. **) Gräfe und Walther's Journal, 3. u. 4. Band. •**) Hyba in Ammorf s Jlonalschrift, I. B. 6. H.

f) Vergl. meinen Aufsalz in der Prager Yierteljahrschrift, 1816, B. 12, S. 78 ; ferner Dusensy Dissertation über die Krankheiten der Hornhaut, Prag 1833 : Fronmüller in Walter und AmmorTs Journal, N. F. II. B. S. 180, und Küchler ibid. III. B. S. 58; Pluskai österreichische medicinische Wochenschrift, 1813, S. 4S, und Fischer Lehrbuch, 184G, S. 303.

172 Bindehaut.

eiterähnlichen Masse, und nach einigen Tagen mit lebhaft rothen Granulationen; nach etwa 6 Tagen rückte die Conjunctiva bulbi von den Rändern her allmälig gegen das Centruin der Wunde, und umschnürte den 14. Tag die indess hoch emporvvuchernden Granulationen, welche sofort mit Lapis infernalis touchirt werden mussten. Die ent- blösste Stelle der Cornea wurde allmälig weisslich, sehnig glänzend, doch nicht klei- ner. Die Kranke ging Ende der 4. Woche, noch vor gänzlicher Vernarbung, nach Hause. Die abgetragene Warze, einer genauen Untersuchung unterworfen , zeigt alle 3 Schichten der allgemeinen Bedeckung, Epidermis, Corium und Panniculus adi- posus, und ist zahlreich mit Haaren besetzt. Die Grösse dieser Warze war besonders durch reiche Fettablagerung in das grobmaschige Zellgewebe ihrer untersten Lagen gegen den äussern Augenwinkel hin bedingt. Ich bewahre dieselbe nebst einem von Dr. Ryba dem pathologisch-anatomischen Cabinete übergebenen Auge von einein Rinde mit einer ähnlichen Bildung auf.

A n li a ii g.

XII. Krankheiten der Thränenkarnnkel.

Die Thränenkarunkel erscheint als ein röthlichgelbes feinkörniges Hügelchen auf dem innern Rande der halbmondförmigen Falte, umgeben von dem hufeisenförmigen Wall, welchen die Cutis bei ihrem Übergange in die Bindehaut zwischen den Thräncnpunkten und dem Ligamentum palpehr. internum bildet. Sie besteht aus Talgdrüsen , welche durch lockeres Bindegewebe verbunden sind, und trägt an der Oberfläche feine, oft kaum bemerkbare Härchen. Die ziemlich regelmässig geordneten Drüsen sind (nach Hnschke) kegelförmige, überall mit Acinis besetzte Körper, die an der Seite jedes Haares zu 2—4, mit ihrem acinösen Aus- führungsgange allmälig zugespitzt nach der Oberfläche laufen, und sich in der Haarscheide öffnen. Das Secret ist talgartig, und bestimmt, das Überfliessen der Thränen über die umgebende Cutis zu verhindern.

Die Entzündung der Karunkel findet man unter dem Namen En- hanthis inflani. beschrieben. Ich habe nur Einen Fall beobachtet, den ich nac1; den Angaben der Auetoren für dieses Leiden halten konnte und musste. Ein ganz gesund aussehendes, jedoch von einer in hohem Grade scrofulösen Mutter geborenes Kind von % Jahren bekam binnen 24 Stunden nach einem Spaziergange Uöthe im innern Augenwinkel, Licht- scheu und Thränenfluss, und äusserte starken Schmerz. Den 3. Tag war das Auge (d.is linke)__s!ark nach aussen gedrängt ; im innern Winkel sah

Caruncula lacrymalis Enkanthis inflammata. 173

man eine hellrothe, höhnen-, später haselnuss-grosse Anschwellung statt der halbmondförmigen Falte und Thränenkarunkel. Da ich an die Lehre von der Enkanthis nicht recht glaubte, weil ich in der Zeit von mehr als 6 Jahren nie etwas dergleichen gesehen hatte, so dachte ich an die Ablagerung von Krebsmaterie in dieser Gegend, und ordinirte nichts, ausser entsprechender Diät. Nach 5 Tagen ging die Geschwulst zurück; es schien an einer Stelle sich etwas Eiter entleert zu haben; der Augapfel kehrte in seine gehörige Lage zurück, und es blieb zuletzt keine Spur der Kranhheit übrig.

Beer 1. c. I. B. S. 377 sah diese Entzündung nach dem Eindringen fremder Körper, Monteath (bei Makenzie I. c. S. 198) in Folge einwärts gewendeter Wimpern, Makenzie -nach Verkältung entstehen; Benedikt (Handb. Tbl. I. S. 266) und Weller (Augenkrankh. 1830. S. 169) sahen sie überdiess in Folge griesartiger Concreniente der Karunkel selbst entstehen.

Als Ausgänge dieser Entzündung führen die Auetoren an : a) eitrigen Schwund, Rhyas, und 6) bleibende Vergrösserung oder Wucherung, En- kanthis. Letztere soll dem Bestreichen mit Laudanum Sydenh. weichen, und ist wohl zu unterscheiden von der medullären und melano tischen Infiltration dieses Gebildes, welche nicht so selten vorkommen sollen.

Überdiess ist zu bemerken, dass sich auf der Thränenkarunkel bis- weilen stärkere und längere Wimperhaare entwickeln, welche die Binde- haut beständig reizen, und desshalb fleissig ausgezogen werden müssen, Trichiasis s. Trichosis caruneulae, und dass sich in derselben, so wie in den Meibomschen Drüsen, nicht selten kalkige Concreniente bilden, Uthiasis caruneulae, die man einfach auszuschälen hat. Auch Filaria medinensis und Cysticersus wurden in dieser Partie beobachtet.

II. B 11 c h.

Die Hornhaut, Tunica Cornea.

A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen. *)

Die Hornhaut bildet etwas mehr als den 6. Theil der häutigen Kapsel des Bulbus, und kann füglich mit einem Uhrglase verglichen werden. Ihre vordere Fläche ist sphärisch gewölbt (nach einem Radius von 3,495'" im Mittel), ihre hintere ausgehöhlt (nicht sphärisch, sondern para- bolisch, nach einem Parameter von 5 6'" Krause). Die Basis der vordem Fläche ist nicht kreisrund, sondern oval, und misst von einer Seite zur andern 5"', (42/3 ö1/^"), von oben nach unten 41/2/", (4'/5 44/5"9; die Basis der hintern Fläche ist kreisrund, und misst 5 575'" im Durchmesser. Die Dicke der Hornhaut, zwischen 0,3 0,7'", also im Mittel 1/i'"i ist in der Mitte nicht dieselbe, wie gegen die Peri- pherie hin, und zwar bei Erwachsenen in der Mitte relativ geringer, beim Kinde dagegen relativ grösser als am Rande (Rosas), wo sie stets we- nigstens ya'" beträgt.

Die Wichtigkeit der Kenntniss dieser Grössenverhältnisse kann erst bei der Lehre von den Krankheiten der Linse, insbesondere bei der Lehre von der Operation des grauen Staares gehörig gewürdigt werden. Rücksichtlich der regelmässig sphärischen Wölbung der

*) Hiezu wurden vorzüglich benülzt Rosas Augenheilkunde, 1830, B. I ., Hyrll Anatomie, Huschke in Sömmeiing''» Anatomie, Leipzig 1844, Pappenheim Gewebelehre des Auges Breslau 1842 und E. Brücke Anatomische Beschrei- bung des menschlichen Augapfels, Berlin 1847.

Anatomie Physiologie. 175

Cornea «ollliier nur in vorhinein bemerkt werden, dass uns die spiegelglatte Ober- fläche der Cornea ein Mittel an die Hand sfibt, jene zu beurtheilen. Die Cornea stellt nämlich einen Convexspiegel dar, welcher uns die vorgehaltenen Gegenstände in ver- kleinertem Maassstabe zeigt, Die Grösse des Spiegelbildes auf der Cornea wird bei gleicher Grosse und gleicher Entfernung des leuchtenden Objectes, wozu man am be- sten die Rahmen eines Fensters wählt, offenbar von der grössern oder geringern Wöl- bung der vonlern Fläche der Cornea abhängen, und zwar wird eine stärker gewölbte Cornea (eeteris paribus) ein kleineres Bild geben. Wir werden auf dieses diagnostische Hilfsmittel bei der Lehre von der Accommodation des Auges, von der Kurz- und Weit- sichtigkeit zurückkommen, und erwähnen nur noch, dass uns die Abspiegelung der Fen- sterrahmen auf der Cornea zugleich das sicherste und bequemste Mittel bietet, die Regelmässigkeit der Cornealoberfläche, die Gegenwart kleiner Erhöhungen oder Ver- tiefungen zu erkennen und zu beurtheilen. Ich weiss, dass Fälle mit leichten Vertie- fungen (Resorptionsgeschwürchen), oder mit leichter Erhebung des Centrums der Cor- nea (Keratokonus im ersten Beginn) für Schwäche der Sehkraft selbst, für Amblyopia amaurotica gehalten und behandelt wurden, welche mich das Prüfen des Spiegelbildes der Cornea sogleich als Cornealleiden erkennen Hess*

Um sich von dem Rande der Cornea und seiner Vereinigung mit der Sclera eine richtige Vorstellung zu machen, denke man sich den- selben beinahe parallel zur Sehachse abgeschnitten. (Vergl.Fig. 7 u. 8 der beigegeb. Tafel). Indem sich die etwas dünnere Sclera an diesen schiefen Rand anschmiegt, oder vielmehr, indem die Cornealfasern in dieser Gegend plötzlich ihre Natur ändern, in Scleralfasern übergehen, reichen die ober- flächlichen Faserlagen der Sclera weiter nach vorn, als die tiefern. Dieses Übergreifen der Sclera über den Rand der Cornea hat im obern und im untern Umfange der Cornea eine grössere Ausdehnung, als zu beiden Seiten, gegen welche hin es allmälig geringer wird. Und hiemit erklärt sich die obige Angabe, dass nur die hintere Fläche der Cornea durch eine Kreislinie, die vordere dagegen durch eine (ziemlich) ovale Linie begrenzt sei. Denkt man sich die Scheibe oder Ebene, welche die Iris bildet, vergrössert, so würde sie von dem vordersten Theile der Sclera einen Reifen abschneiden, dessen äussere Fläche zu beiden Seiten mindestens eine halbe, oben nahezu eine ganze, unten etwa % Linie breit sein würde. Bei Kindern tritt das Übergreifen der Sclera über die Cornea weniger (im horizontalen Durchmesser fast gar nicht), bei Greisen dagegen stärker hervor ; bei Kindern erscheint daher auch die vordere Fläche der durchsichtigen Hornhaut beinahe kreisrund, bei Greisen stets eiförmig (das stumpfere Ende nach innen, das minder stumpfe nach aussen).

Die Hornhaut besteht aus 2 Membranen, der eigentlichen Hornhaut- substanz und der Descemet' sehen Haut, und hat sowohl an ihrer vordem als an ihrer hintern Fläche einen Epithelialüberzug. Den der vordem

176 Hornhaut.

Fläche haben wir gleichsam als Fortsetzung- der Binde- iiher die Horn- haut bereits kennen gelernt ; der der hintern Fläche besteht aus einer einfachen Lage dünnwandiger sechseckiger Pflasterzellen mit runden Kernen, und geht nach dem Tode sehr bald verloren.

Die eigentliche Hornhautsubstanz liegt zwischen dem sogenannten Bindehautblätlchen und zwischen der Descemetschen Haut. Sie besteht aus Bindegewebsfasern, welche sich netzförmig kreuzen, und mehr in die Breite als in die Tiefe verflechten, so dass man die Cornea leicht in Fa- serschichten oder Blätter zerlegen kann, welche deren Fläche parallel ver- laufen. Die Primitivfasern (von 0,005 Millim. Breite und 0,003 Millim. Dicke) sind glatt, farblos und durchsichtig, und liegen in den einzelnen Bündeln regelmässig neben einander. In Wasser werden sie opalartig getrübt, und schwellen rosenkranzähnlich an. Sie schliessen viel farblose, durchsichtige, wässrige Flüssigkeit zwischen sich ein, nach deren gewalt- samer Auspressung die Cornea welk, matt und undurchsichtig erscheint; sie wird aber wieder hell, wenn man sie in Wasser legt. Durch längeres Kochen löst sich das Hornhautgewebe in Chondrin (Knorpelleim), also nicht wie die Sclera und anderes Bindegewebe in Leim (Tischlerleim) auf; durch Mittel, welche Eiweiss und Gallerte gerinnen machen (Wein- geist, Wineralsäuren, siedendes Wasser), verliert sie ihre Durchsichtigkeit. Das Gewebe der Hornhaut muss daher als ein eigenlhümliches, von dem der Sclera in vielen Beziehungen verschiedenes bezeichnet werden. Das Gewebe der Hornhaut geht unvermerkt in das der Sclera über. Die Faserbündel schieben sich gleichsam in einander. Die Verbindung der Sclera mit der Cornea ist eine unzertrennlich feste, und die Grenzlinie ist an der vordem Fläche nur durch die Durchsichtigkeit und Undurch- sichtigkeit der Fasern angegeben. An der hintern Fläche dagegen be- findet sich eine Furche, welche, indem sie durch die Descemet'sche Haut gedeckt wird, ein Kanälchen, den Canalis Schlemmii*~) darstellt, bei Er- henkten oft mit Blut gefüllt, und ohngefähr so geräumig sein soll, um eine dünne Borsle aufzunehmen (Brücke). (?)

An die Hornhautsubstanz hinten angelagert, und mit ihr fest, wenn auch nicht unzertrennlich vereinigt, ist die Descemet' sehe Haut, schon 1729 von Buddel zu London, später (1758) von Descemet und Demours beschrieben. Nach Henle hat sie mit der Linsenkapsel ganz gleiche phy- sikalische Eigenschaften und wird als „Glashaut-' beschrieben, weil sie

* Der Canalis Schlemmii scheint eine Art Sinus yenosus für die Cornea zu sein; Brücke gelang es, von demsel- ben aus die Venen zu injiciren, welche die vordem Ciliararterien begleiten. I. c. S. 50.

Anatomie Physiologie. 177

farblos und so gleichförmig- durchsichtig ist, wie Glas. Sie lässt durchaus keine Faserung, höchstens eine leichte Streifung wahrnehmen *), kann vermög ihrer Bruchigkeit, und festen Vereinigung mit der eigentlichen Cornea von dieser nur in kleinen Partien gelöst werden, und rollt sich sogleich wie Papier, welches lange zusammen gerollt war. Nur nach längerer Maceration der Cornea in Wasser wird ihre Verbindung mit dieser so gelockert, dass man sie in ihrer ganzen Ausdehnung ablösen kann. **) Sic selbst wird weder durch diese Maceralion, noch durch Aufbewahrung in Weingeist oder in Säuren getrübt. Sie reicht etwas weiter rückwärts, als die Cornea, endet ringsum QHenle) mit einem zu- geschärften Rande zwischen Cornea und Ligamentum ciliare da, wo von diesem die Iris nach dem Centrum hin abgeht, hängt mit jenem Liga- mentum fest zusammen, und bedeckt somit den Canalis Schlemmii von innen her. Gefässe und Nerven sind in ihr ebenso wenig nachgewiesen, als deutliche Faserung. Sie ist, wie wir sehen werden, einer bedeu- tenden Ausdehnung fähig, wenn diese allmälig erfolgt.

Huschke betrachtet diese Membran, welche nach Heule l/li3'", nach Krause V250'" dick ist, als Fortsetzung der Lamina fusca, etwa in der Art, wie man die Cornea als Fortsetzung der Sclera betrachten kann. „Untersucht man die Haut kurz vorher, ehe sie sich mit dem Ciliarband verbindet, so wird man sehen, dass sie die glasartige Be- schaffenheit verliert, und die beginnende zellfaserige Textur nicht verkennen. Sic wird zugleich hier locker, dicker, und zieht man sie an, und hebt das Ligamentum pecti- natum iridis mit ab, so kann man sie über den Boden der Sclerotikalfurche weg ver- folgen, und es werden Stücke von der innern Hautschicht der Scleroiica (Lamina fusca) mit abgelöst."

Die Hornhaut ist farblos, vollkommen durchsichtig, sehr fest und dicht, biegsam und elastisch. Nach Rosas ist sie in spätem Jahren dichler. als bei Kindern, wo sie dafür, wenigstens in der Mitte, relativ dicker ist. Sie ist einer sehr starken momentanen Abplattung fähig, ohne zu bersten; diess beweisen jene Fälle, wo die Iris theilw eise oder ringsum vom Ciliar— bände losreisst, wenn ein Stoss die Hornhaut trifft. Eher berstet die Sclera an irgend einer Stelle ihres vordem Umfanges und lässt die Con- tenta des Bulbus, namentlich die Iris oder die Linse unter die Bindehaut austreten; Rupturen der Cornea gehören zu den grössten Seltenheiten.

*) Dr. ron Hessling in Jena (Froriep's Notizen, 1848, N. 111) will in der Descemerschen Haut des Ochsenauges deutliche Faserung gesehen haben, was auch Pappenheim und Valentin behaupten. **) An einem Kaninchenauge, an welchem ich 10 Tage vorher die Discissio capsulae lentis per corneam gemacht hatte, und massige Entzündung der Iris eingetreten war, blieb, als Prof. Bochdalek die Sclera in der Gegend der Insertionstellen der M. reeli durchschnitten hatte, und diese sammt der Cornea nun vorsichtig abzog, die ganze Descemet'sche Haut in ihrer Verbindung mit dem Ligamentum ciliare zurück, offenbar weil ihre Verbindung mi der Cornea locker geworden war. Ich bewahre das Präparat in Weingeist.

I. 12

i?s Hornhaut.

Ein Fall dieser Art soll von St. Yres beschrieben worden sein : Dr. Mildner

schildert einen Fall in der Prager Vierteljahrschrift, 13. B. S. 65. Der Riss ging in

beiden Fällen von der Descemet'schen Membran aus, und betraf jedenfalls nur die iefern Schichten, wenn nicht vielleicht die Wasserhaut allein.

In den ersten Monaten des Fötuslebens ist die Hornhaut undurch- sichtig, opalartig: eine solche Trübung bleibt bisweilen nach der Geburt tfonafce- Jahre-lang zurück. Andrerseits tritt im höhern Alter, aus- lahmsweise schon ums 40. Jahr herum, eine Trübung der Hornhaut ein, welche von eigentlich krankhaften Zuständen wohl unterschieden werden muss. Es ist diess der unter dem Namen Greisbogen (Gerontoxon, Arcus senilis) bekannte graue Streifen, welcher den Rand der Hornhaut in Form

Ines Regenbögens ganz oder zum Theil einnimmt, und worauf wir später

Tückkommen werden.

Die Hornhaut besitzt bei ihrer bekannten geringen Empfindlichkeit dennoch nicht nur Nerven, welche Bochdalek. Schlemm, Pappenheim u. A. als Zweige der Ciliarnerven ziemlich weit über den Rand hinein ver- folgt haben, sondern auch Gefässe, und zwar Yasa serosa, welche für (•wohnlich nur Blutplasma, bei congestiven und entzündlichen Zuständen aber auch Blutkügelchen führen. Römer, Schröter van der Kolk, Hijrll md J. Müller haben Blutgefässe der Cornea injicirt, und Huschke glaubt, enigstens beim Pferdeauge, durch vordere Ciliararterien Leimmasse in die Hornhautgefässe getrieben zu haben. Beobachtungen am Kran- jnbette haben mich überzeugt, dass es eine doppelte Lage von Blut- ■,' i issen in der Cornea gibt, nämlich eine oberflächliche, nahe unter dem Epithelium der Cornea, und eine tiefere, nächst der Wasserhaut. Die oberflächlichen Gefässe kommen ganz gewiss von den vordem Ciliar— und den Muskelästen der Arteria ophthalmica. Diese werden bekanntlich li r Gegend der Sehnen der geraden Augenmuskeln als bläulich rothe lerchen auf der Sclera sichtbar, laufen geschlängelt gegen die Cornea in. und spalten sich hier in oberflächliche und tiefere Zweige. Die tiefern jen 1 2'" hinter der vordem Grenzlinie der Sclera, durch diese in die :'iefe zur Iris und zum Corpus ciliare. Sie sind nicht an allen Augen li mächtig und zahlreich, und werden manchmal, auch nachdem sie ere Zeit sehr stark ausgedehnt gewesen waren, wieder ansichtbar; »tfarbige oder schiefergraue Punkte, wie Stecknadelstiche bleiben n als Spuren an den Durchbohrungsstellen der Sclera zurück. Die tberflächlichen lösen sich in jenes feine Gefässnetz auf, welches im vor- erslen Theile der Tunica vaginalis bulbi mit jenem Gefässnetze anaslo- tnosirt, welches die von der Arteria tarsea superior et inferior und Art.

Anatomie Physiologie. 179

lacrymalis kommenden Gelässchen der Conjunctiva bulbi bilden. Dieses Gefässnetz der vordem Ciliararterien ist im normalen Zustande nicht sichtbar, tritt aber oft wie mit einem Schlage, nach Einwirkung- eines heftigem Reizes auf den Augapfel, noch deutlicher bei acuten Entzün- dungen der Cornea, Iris oder Chorioidea als die feinste Injection, als rosenrother Saum rings um die Cornea in die Erscheinung. Aus diesem Netze nun entwickeln sich ringsum zahlreiche Gefässreiserchen, welche Iheils in den Limbus conjunctivae corneae eintreten, theils unter demselben wie unter einem Gürtel in die Substanz der Cornea oberflächlich ein- dringen, und dort centripetal verlaufen. (Nach Römer theilt sich jedes solches Gefässreiserchen in der Cornea in 2 3 sehr feine Ästchen, deren Ende sich in der Mitte der Cornea deutlich in die Tiefe senken, und in deren Substanz verlieren.) Die tiefere Gefässlage der Cornea erhält ihre Zweigchen wahrscheinlich aus dem Circulus arteriosus iridis major, also von den hintern langen Ciliararterien, und wohl zugleich auch viele von jenen Zweigchen der vordem Ciliargefässe, welche die Sclera nahe an der Cornea durchbohren ; erstere dürften die Ciliarnerven, welche vom Ligamentum ciliare zur Cornea treten, in ihrem Laufe begleiten.

Man sieht häufig Zweigchen der vordem Ciliararterien so nahe am Rande der Cornea, kaum '/2'" weit von der Grenzlinie der vordem Cornealfläche entfernt, sich durch die Sclera in die Tiefe senken, dass sie, ohne unter einem spitzigen Winkel rückwärts zu gehen was jeder Wahrscheinlichkeit entbehrt gar nicht zur Iris gelangen könnten. Man kann die Gefässe, welche man am Krankenbette in der Cornea beobachtet, und deren mehr weniger tiefe Lage sich am besten nach ihrem Abstände vom Limbus conjunctivae schätzen lässt, keineswegs sammt und sonders für neugebildete halten ; man wird sich bald überzeugen, dass sich in sehr vielen Fällen das Dasein von blutführenden Gefässen nicht als Neubildung, wohl aber als Erweite- rung schon bestehender Kanälchen deuten und begreifen lässt ; man wird diese Deu- tung einzig und allein zulassen müssen, wenn man findet, dass der Verlauf solcher Gefässe ein bestimmter, centripetaler ist, wenn man sie in ganz durchsichtiger Substanz und zwar sehr bald 2 bis 3 Tage nach dem Beginn der Entzündung verlaufen sieht, wenn man sie an Augen findet, welche die Zeichen von Iritis oder Chorioiditis keineswegs aber deutliche (plastische) Exsudation in der Cornea darbieten. Ich sah mehrere Male nach Beendigung des noch ganz im Bereiche des durchsichtigen Theiles der Cornea geführten Hornhautschnittes (behufs der Extractio cataractae) eine leichte Blutung eintreten, welche, da auch die Iris nicht im mindesten verletzt worden war, sich nur dann begreifen liess, wenn man annahm, es seien mit dem Durchschneiden der Cornea zugleich Gefässchen durchschnitten worden, welche etwas Blut austreten lassen konnten. *) Mit der Breite des für den Eintritt der Ciliararterien in die Cornea

*) Dr. Pilz, welcher zu der Zeit, wo ich diesem Gegenstande speciell meine Aufmerksamkeit widmete, mein Assisten war, und gemeinschaftlich mit mir Beobachtungen und Untersuchungen darüber anstellte, hat bereits im Jahr 1S48 im 20. Bande der Prager Vierteljahrschnfl einen grossen Theil derselben veröffentlicht.

12*

180 Hornhaut.

bestimmten Saumes der Sclera und Conjunctiva stimmt auch die Zahl und Mächtigkeil der vordem Ciliararterien überein. Die stärksten und zahlreichsten Ästchen derselben kommen von oben, wo jener Saum bekanntlich am breitesten ist ; von der Sehne des M, rectus externus her kommt nur eine vordere Ciliararterie, und dem entsprechend ist auch jener Saum gegen den äussern Winkel hin am schmälsten. Wie die Iris ihre mächtigsten Blutgefässe (die hintern langen Ciliararterien) im horizontalen, so erhält die Cornea ihren Nahrungsstoff vorwaltend im verticalen Durchmesser ihrer Basis.

Was den Einfluss der Nerven auf das Leben der Cornea betrifft, so ist derselhe bekanntlich durch Fodera. Mayo, Magendie u. A. hinreichend nachgewiesen worden, und ich erlaube mir, die Resultate der Versuche, welche Szokalsky *) mit Longet und Pappenheim hierüber angestellt haben, in Kürze mitzutheilen. Nach Durchschneidung des Trigeminus diesseits des Ganglion Gasseri geht zunächst das Tastgefühl im Bereiche der durchschnittenen Nerven verloren, und es wird somit auch die Bindehaut un- empfindlich. Die Pupille verengert sich stark, ohne ihre Veränderlichkeit bei verschiede- nen Lichteindrücken einzubüssen. Einige Stunden nachher fängt die Pupille an, weiter zu werden, ohne ihre Beweglichkeit zu verlieren. Um dieselbe Zeit den 2. Tag fängt die Hornhaut an, undurchsichtig zu werden, und zwar zuerst in ihrer Mitte, ohne ihre Glätte an der Oberfläche zu verlieren. Die Cornea erscheint, wenn man sie jetzt ana- tomisch untersucht, an der Stelle der Trübung dicker, ohne dass man in derselben Spuren einer Neubildung nachweisen kann. Lässt man das Thier länger leben, so merkt man, dass die Hornhauttrübung sich gleichmässig von der Mitte nach der Peri- pherie verbreitet Am 8. oder 10. Tage ist sie milchweiss, und sieht wie angeschwollen (erhaben) aus. Anatomisch untersucht erscheint die Hornhaut jetzt noch mehr verdickt, und zwar nicht bloss wie früher durch wässrigen Erguss, sondern auch durch ein organisationsfähiges, körniges Exsudat. Bleibt das Thier noch länger am Leben, so fängt die Cornea an, sich in der Mitte zu erweichen, das Bindehautblättchen fällt ab, und die Cornealsubstanz löst sich schichtenweise auf. Durchlöcherung der Cornea und Entleerung der Contenta des Bulbus sind die weitern Folgen. Wenn man den Krankheilsprocess, welcher in der Hornhaut nach der Durchschneidung des N. tri- geminus statt findet, in nähere Erwägung bringt, so sieht man, dass er sich wesentlich von dem Entzündungsprocesse unterscheidet. „In den zahlreichen Untersuchungen, welche ich mit Dr. Pappenheim gemacht habe, hat keiner von uns in der entarteten Hornhaut weder Entzündungskugeln noch Eiterkörperchen gefunden ; der aus der Ver- wesung der Cornea hervorgegangene Detritus bestand aus dem körnigen Exsudat und den in kleinere Theilchen zerfallenen Hornhautfasern." Es muss übrigens noch bemerkt werden, dass, wenn die Durchschneidung zwischen dem Ganglion Gasseri und dem Gehirn vorgenommen wird, wohl das Tastgefühl verloren geht, die Hornhaut aber ihre Durchsichtigkeit behält, mithin die Trübun* und Zerstörung der Cornea eigentlich von der Zerstörung des Ganglion Gasseri und des grossen sympathischen Nerven abhängt, welcher mit diesem Ganglion und mit dem Ranus ophthalmicus trigemini in nähere Verbindung tritt. Welchen Einfluss die Durchschucidung des Halbtheiles des Sympath. magnus auf die Ernährung des Auges , in specie der Cornea nehme, hat bereits Pourfour du Petit 1712 durch Experimente an Hunden gezeigt.

•) Roser un.l Wmiilerlich's Archiv. 5. Jahrg. S. 214.

Anatomie Physiologie. 181

Der Stoffwechsel in der Cornea muss ein sehr lebhafter sein, weil beträchtliche Wunden derselben in kurzer Zeit per primam intentionem heilen, weil selbst bedeutende Substanzverluste vollkommen (ohne blei- bende Narben) gedeckt werden können, und weil ausgebreitete Exsudate in derselben von selbst (oder unter Anwendung reizender Mittel) zur Resorption gebracht werden. Diejenigen, welche der Cornea Blutgefässe (Vasa serosa) absprechen, suchen die Quelle ihrer Ernährung im Humor aqueus. Dieser kann aber zu diesem Zwecke nicht bestimmt sein, weil die Cornea von ihrer Durchsichtigkeit nichts verliert, wenn der Humor aqueus durch irgend eine Öffnung (Fistel) der Cornea Tage- Wochen-lang aussickert, oder wenn die Iris und die Cornea durch fasserstoffiges Exsudat so mit einander verklebt sind, dass die Durchtränkung der Cornea mit Humor aqueus nichts weniger als wahrscheinlich ist.

Die Function der Cornea besteht vorzüglich in der Aufnahme und Brechung der Lichtstrahlen, welche unter einem kleineren Winkel als 48° auf ihre Oberfläche gelangen. Sie wirft jedoch nicht nur die unter einem grössern Winkel, sondern auch einen Theil der unter einem kleinern Winkel auffallenden Strahlen zurück, da sie gleich andern durchsichligen Medien nicht absolut für alles Licht permeabel ist ; hierauf beruht das Phänomen der Spiegelung der Cornea. Wenn wir auch nicht im Stande sind, die Strahlenbrechung durch die Cornea und den Humor aqueus mathematisch nachzuweisen, da uns hiezu nicht nur mathematisch scharfe Angaben über die Krümmungshalbmesser der Cornealoberflächen und über die Dicke der Cornea , sondern auch über die Brechungs- exponenten (Dichtigkeitsverhältnisse) dieser durchsichtigen Medien fehlen : so sind wir doch im Besitze positiver Thatsachen, welche beweisen, dass Cornea und Humor aqueus vereint die Lichtstrahlen convergent zum Achsenstrahle brechen, und dass namentlich die Krümmung (Wölbung) der Cornea für den Refractionszustand des Auges nichts weniger als gleichgiltig ist. Vorläufig möge es genügen, zu bemerken, dass Leute, denen die Krystalllinse mangelt (nach Staaroperationen wo, wie wir nachweisen werden, von einer Regeneratio lentis keine Rede sein kann), mit freiem Auge noch so feine Gegenstände in verschiedenen Distanzen zu unterscheiden vermögen, dass eine Vereinigung der Lichtstrahlen auf der Netzhaut nothwendig vorausgesetzt werden muss.

Dr. Meyer *) fand an Ochsenaugen die Brennweite länger, wenn er Cornea und Humor aqueus entfernt hatte, und vindicirt der Cornea im Verein mit dem Humor

*) Plage nedicinische Vieileljahischrifl, 28. Band, ausserordentliche Beilage, S. 1.

182 Hornhaut.

aqueus als einem Sammelmeniscus einen wesentlichen Antheil an der Strahlenbrechung. Wenn dagegen Professor Engel'") die Linse als das einzige lichtbrechende Medium angesehen wissen will, so kann seinen Angaben schon darum kein Vertrauen geschenkt werden, weil er einen der wichtigsten Umstände ganz übersehen hat, nämlich, dass die Linse im Auge nicht wie bei seinen Experimenten von Luft, sondern von Medien umgeben ist, welche die Brechung der Lichtstrahlen beim Ein- und Austritte aus der Linse wesentlich modificiren müssen. „Es beruht auf einem Irrthume, wenn man glaubt, die Krystalllinse müsse die stärkste Brechung einleiten, weil sie den höchsten absoluten Brechungscoefficienten (~ 1,47) hat. Sie wirkt vielmehr schwächer, als die Hornhaut, weil diese ihren absoluten (z: 1,33), jene dagegen nur ihren verhältniss- mässigen Brechungscoefficienten (— 1,102) in Rechnung bringen kann." Valentin*'*)

Wenn aber die Cornea als ein zur Strahlenbrechung- wesentliches Organ des Auges erklärt, und ihr somit ein entschiedener Einfluss auf den Refractionszustand des Auges (Kurz- oder Weitsichtigkeit) vindicirt wird, so soll damit keineswegs behauptet sein, dass die momentanen Ver- änderungen, welche man mit dem Worte Accommodation des Auges an- zudeuten pflegt, irgendwie in der Cornea zu suchen seien, im Gegentheil wir werden bei der Lehre von der Accommodation beweisen, dass die Cornea an dieser Function sich durchaus nicht betheilige, nicht betheiligen könne. Nicht nur die Durchsichtigkeit, sondern auch die Glätte und der Glanz der Cornea setzen zunächst die normale Erzeugung des Epitheliums auf der Cornea und dessen beständige Auflösung in der Thränenflüssigkeit voraus. Hiezu ist vor allem die öftere Wiederholung des Augenlidschlages nothwendig, und das Mattwerden der Cornea bei Sterbenden ist gewiss vor allem dem längern Offenstehen der Augen zuzuschreiben. Die Annahme, dass die Cornea durch das Durchdringen des Humor aqueus feucht erhalten werde, lässt sich nicht rechtfertigen, am wenigsten durch die Erschei- nungen, die man an todten Augen hiefür angeführt hat. Somit kann man auch nicht behaupten, dass die Cornea ihren Antheil zur Thränenfeuch- tigkeit liefere. Hiemit soll übrigens nicht gesagt sein, dass die Cornea, wenn sie nicht von den Thränen befeuchtet würde, schon an und für sich trocken erscheinen müsste.

*) Präger medicinische Vierteljahrschrift, 25. Band, S. 107 u. f. *») Lehrbuch der Physiologie, Braunschweig ISIS, B. II. S. 105.

Entzündung scrofulöse Symptome. 183

B. Krankheiten der Cornea.

I. Entzündung der Hornhaut. Keratitis.

Die Entzündung- der Hornhaut kommt entweder selbstsländig und für sich allein, oder in Folge von Entzündungen anderer Gebilde und ge- meinschaftlich neben diesen vor.

Sie gibt sich im Allgemeinen kund : durch Trübung und Lockerung des Gewebes der Hornhaut, und durch stärkere Injection der vordem Ciliar arlerien (Bildung eines mehr weniger breiten und intensiven rothen Saumes um die Cornea).

Symptome, Verlauf, Ausgänge und Verhalten gegen die Therapie sind auch bei den selbstständigen Formen sehr verschieden, je nach den ursächlichen Momenten. Daher unterscheiden wir eine Keratitis scrofu- losa, rheumatica und traumatica. Von dem Antheile, welchen die Substanz der Cornea an den Entzündungen der Bindehaut nehmen kann, haben \a ir bereits im I. Buche gesprochen; ihre Mitleidenschaft bei Ent- zündung der tiefern Gebilde des Alices werden wir bei diesen kennen lernen.

1. Scrofulöse Hornhautentzündung^ Keratitis scrofulosa.

Die scrofulöse Hornhautentzündung charakterisirtj'sich im Allge- meinen durch die Ablagerung plastischen, nie zu Eiterung führenden Exsudates in die Substanz der Cornea, mit mehr weniger deutlicher Ge- fässcntwicklung in derselben, durch ihr von äussern Schädlichkeiten zunächst unabhängiges Auftreten, hartnäckiges Fortbestehen und Wiederkehren (Bedingtsein im Allgemeinleiden), und durch die Notwendigkeit einer allgemeinen Behandlung. Sie ist vorzugsweise eine Krankheit des Jüng- lings- und Knabenalters.

Symptome. Die Trübung der Hornhaut erscheint gefleckt (wenig- stens stellenweise gesättigter), wolkig (mit verwaschenen Rändern), weisslich- oder gelblichgrau und matt; nur selten und da nur auf kurze Zeit wird die Cornea durchaus und fast gleichförmig getrübt, gelblich weiss oder grau und undurchsichtig. Die Lockerung des Ge- webes gibt sich dadurch kund, dass die Cornea minder glatt und glänzend, wie mit äusserst zahlreichen und feinen Nadelstichen getupft erscheint, ohne jedoch irgend beträchtliche Erhabenheiten oder Vertiefungen (Ge- schwüre) zu zeigen; nur bei höheren Graden und nach längerer Dauer

184 Hornhaut.

wird der mittlere Theil der Cornea etwas prominenter. Die Gefäss- einspritzung betrifft nicht nur das capiilare Netz rings um die Cornea und die Stämmchen der Ciliararterien, sondern auch die Gefässe im Be- reiche der Cornea selbst, und zwar die in und unter dem Limbus con- junctivae verlaufenden, oft auch die liefern (nächst der Descemet'schen Membran).

In manchen Fällen tritt die Exsudatablagerung, in andern die Gefasseinspritzung mehr in den Vordergrund des Eindruckes, den der erste Blick auf den Beobachter macht; aber nie fehlt die eine oder die andere dieser Erscheinungen gänzlich, wenn man die Krankheit in ihrem ganzen Verlaufe zu beobachten Gelegenheit hat. Es scheint demnach weder nothwendig, noch zweckmässig, diese Form mit Fischer, Schindler u. A. in Keratitis vasculosa und lyniphatica zu trennen. So lange noch Lockerung der Cornea besteht, wird man auch die Gefasseinspritzung in derselben (oberflächlich oder tief) kaum jemals vermissen. Die Trübung (das Exsudat) besteht aber oft noch sehr lange (Monate Jahre) fort, wenn der exsudative Process längst erloschen ist. Solche Fälle können aber, wenigstens vom prognostischen und therapeutischen Standpunkte aus, nicht mehr als Entzündungen betrachtet werden. Man wird die Eigentümlich- keit in den Erscheinungen dieser Form von Keratitis leicht begreifen, wenn man be- denkt, dass die Exsudation ursprünglich nicht diffus, sondern circumscripta in lauter kleinen Herden neben einander geschieht, daher nur bei grösserer Menge confluent wird, und dass bei einem exsudativen Processe, welcher Tage-, Monate-lang dauert, ohne das Gewebe der Cornea total zu verändern, die Erweiterung und Überfüllung der Gefässe kaum fehlen kann.

Diese Form kann mit bedeutender Exsudation auftreten, ohne erheb- liche nervöse Zufälle, Schmerzen, Lichtscheu und Thränenfluss zu erregen. Trübung des Gesichtes ist nicht selten die erste Erscheinung, die den Kranken zum Arzte treibt. Die Schmerzen bestehen meistens nur in leichtem Drücken oder Stechen. Wenn aber die Exsudation unter stär- kerer Gefasseinspritzung rascher erfolgt, dann sind auch diese Zufälle ausserordentlich heftig, und der Kranke jammert vor Schmerzen nicht nur im Auge, sondern auch in der entsprechenden Kopfhälfte, und hält die (bisweilen leicht üdematösen und durch die beständige wässrige Secretion excoriirten) Lider wegen enormer Lichtscheu krampfhaft geschlossen. In der Mehrzahl solcher Fälle ist eine Verschlimmerung dieser Zufälle in den Morgenstunden manifest.

Verlauf und Ausgänge. Der Yerlauf ist, auch wenn die Krank- heit mit heftigen Reactionserscheinungen auftritt, immer ein äusserst, lang- samer, Wochen, ja viele Monate lang andauernd, continuirlich oder mit wechselnder Besserung und Verschlimmerung.

Zunächst zeigt sich bei erhöhtem Glänze der Cornea (Congestion ?) eine mehr weniger intensive und ausgebreitete Röthe auf dem vordersten

Entzündung scrofulöse Verlauf Ausgänge. 185

Theile der Sclera (manchmal nur in der obern oder untern Hälfte) ; sofort erscheinen die unter dem Limb US conjunctivae zur Cornea tre- tenden Gefässchen injieirt, in der Regel bloss im obern Umfange der Hornhaut, selten bloss im untern, öfter an beiden zugleich. Man sieht an der ergriffenen Partie einen von äusserst dicht neben einander liegenden Gefässchen gebildeten Meniscus von % 3/4'" Breite, und darüber auch den Limbus conjunctivae selbst injicirt und etwas geschwellt. Die con- cave Seite jenes Meniscus erscheint, indem die centripetal verlaufenden Gefässchen alle in der Bogenlinie wie abgeschnitten endigen, scharf be- grenzt, die convexe stösst unmittellbaar an das capillare Netz über der Sclera. Alsbald sieht man an den Spitzen der Gefässe ein lockeres grau- liches Exsudat in Form kleiner Körnchen oder Fleckchen in die Substanz der Cornea abgelagert werden. Dieses wird allmälig oder plötzlich (über eine Nacht) mächtiger, und breitet sich, bald mit, bald ohne gleichzei- tiges Vorrücken jener Gefässchen, bis in oder über das Centrum der Cornea aus. Zugleich entwickeln sich nun auch in der Tiefe der Cornea Gefässchen, g'eichfalls centripetal verlaufend, und manchmal so dicht an einander gedrängt, dass man glauben könnte, der dadurch bedingte tiefere Meniscus sei durch Blutaustritt in der Cornea nächst der Descemetschen Haut bedingt. Bisweilen sieht man ein oder das andere tiefere Gefäss in noch ganz durchsichtiger Substanz verlaufen. Ihre tiefe Lage kann man am besten nächst oberflächlichen Gefässchen oder nächst dem Horn- hautrande nach ihrem Abstände von jenen oder vom Limbus conjunctivae, besonders mit Hilfe einer scharfen Loupe, bemessen. In Fällen , die mit heftigen subjectiven Zufällen und stürmischer Gefässinjection ver- laufen, rücken endlich die oberflächlichen und die tiefen Cornealgefässe von allen Seiten her, am weitesten jedoch von oben und von unten her gegen das Centrum der Cornea vor, und drängen, der Cornea das Aus- sehen eines rothen Tuches gebend, das Exsudat gleichsam vor sich her. Haben die Gefässe den centralen Theil der Cornea noch frei gelassen, und ist dieser stark von Exsudat durchsetzt und daher gelblichweiss und mehr weniger prominirend : so glaubt man jeden Augenblick, es müsse zur Verschwärung dieser Partie kommen, was ich indessen bei mehr als 100 Fällen (von Keratitis scrofulosa überhaupt) nur zwei Mal, und zwar bei sehr vernachlässigten und äusserst herabgekommenen Kranken ein- treten sah.

Anfang October 1848 wurde ein 9jähriges, äusserst blass und abgemagert aus- sehendes Mädchen (mit dünnen Knochen und sehr aufgetriebenem Unterleibe) zu mir gebracht. Beide Augen boten das Bild einer Keratitis scrofulosa dar, so ausgepräg,

186 Hornhaut.

wie ich es bis dahin noch nie beobachtet hatte. Nebst der Rosenröthe auf dem vor- dem Theile der Sclera war die Cornea rings um von äusserst zahlreichen Gefässen durchzogen, rothlich aussehend, in der Mitte dagegen graulich weiss und stärker vor- ragend, übrigens durchaus gelockert, wie mit Nadeln gestochen, matt und glanzlos. Ich ordinirte Einreibungen von weissem Präcipitat mit Extr. belladonnae an die Stirn und Schläfe (wie bei Conjunctivitis scrofulosa mit starker Lichtscheu), innerlich 31a- gnesia mit Conium maculatum, entsprechende Diät. Am 12. October war der Zustand des rechten Auges besser, der des linken schlimmer. Die Cornea sah hier einem ab- gestutzten Kegel ähnlich. Die Abstutzungsfläche, i. e. der centrale Theil der Cornea, von ohngefähr 1 '/2'" Durchmesser, war seicht gewölbt, gelblich weiss, stark aufge- lockert, wie zum Verschwären angeschickt ; der Mantel (der peripherische Theil) stieg vom Rande ziemlich steil empor (der mittelste Theil der Cornea konnte gute 2'" über die Basis der Cornea emporgehoben sein), war ziemlich glatt, von zahlreichen Gefässen durchzogen, beinahe blutroth aussehend. Nebst obigen Mitteln Einreibungen des gan- zen Körpers mit Oleum jecoris aselli. Am 16. October. Der Zustand des rechten Auges viel besser, die Hornhaut gegen die Peripherie hin schon stellenweise durchsichtig ; am linken Auge fast derselbe Zustand. Am 20. October. Rechts nur noch wenige Ge- fässe im Bereiche der Cornea, und das Exsudat viel sparsamer ; links fast keine Än- derung des Zustandes, nur weniger Gefässe. Die Salbe musste wegen Ekzem der Stirnhaut ausgesetzt werden ; die Einreibungen von Oleum jecoris werden fortgesetzt, innerlich : Decoct. taraxaci ex unc. dimid. unc. quatuor, Melag. graninis et syr. eich. c. rheo a~a unciam, extracti conü scrupulum, bicarb. sodae scr. duos. M. D. Alle 2 Stun- den 1 Esslöffel. Am 28. October. Rechts auffallende Besserung; keine Lichtscheue; die Kranke erkennt einen kleinen Schlüssel, Kupfer- und Silbermünzen selbst am Ge- präge ; links ist der weisse Pfropf aus dem Centrum der Cornea gleichsam heraus- gefallen, die Öffnung durch die Iris verstopft, die Iris an die bereits halb durchsichtige Peripherie der Cornea angelegt. Am 7. November war die rechte Hornhaut beinahe ganz rein, links dagegen eine centrale Grube, von etwa V" im Durchmesser, die Iris noch nicht ganz überhäutet, wesshalb Einträuflungen verdünnter Opiumtinctur ordinirt wurden. Weiterhin wurde die Kranke nicht mehr zu mir gebracht. *) Erst im Jahre 1850 kam der Vater mit diesem Kinde wieder zu mir. Ich erkannte dasselbe anfangs nicht, denn es hatte ein viel gesünderes Aussehen gewonnen, und, was mich am mei- sten überraschte, das linke Auge zeigte bloss eine kleine, halbdurchsichtige Narbe ohne Spur einer vordem Synechie. Hätte ich mir den Befund vom November 1848 nicht genau aufgeschrieben und aufgezeichnet gehabt, ich würde jetzt es für unmöglich hal- ten, dass an dieser Stelle die Cornea durchbohrt und die Iris bloss gelegt gewesen war. Die Ursache, wesshalb das Kind neuerdings zu mir gebracht wurde, war eine Recidive an dem rechten Auge.

So wie der eigentlich exsudative Process aufhört, sieht man die Besserung damit eintreten, dass zunächst die oberflächlichen der Corneal- gefässe sparsamer werden, und hiemit auch der peripherische Theil der Cornea sich aufhellt ; im mittlem Theile dagegen bleibt die Cornea in der Regel am längsten getrübt. Das Zerfallen gleichmässig trüber Flecke in

*) JCsrda, <U Keratilid« scrofulcsa, Ticini regii 1824. erwähnt ähnlicher Beobachtungen.

Entzündung scrofulöse Verlauf Ätiologie. 1*7

einzelne kleinere ist immer ein günstiges Zeichen. Mit dem Beginn dieser Resorption scheinen bisweilen in der Tiefe neue Gefässe aufzutauchen.

In andern Fällen findet nur geringe, bisweilen kaum merkliche Ge- lassentwicklung- bei relativ reichlicher Exsudalion statt; dann pflegen auch die übrigen Zufälle sehr gelind, der Verlauf aber um so hartnäckiger zu sein. Stets wird man auch hier die Injection in der Gegend des Limbus conjunctivae und ein oder das andere tiefere Gcfässchen mittelst der Loupe auffinden können, und die stärkere Injection der Ciliararterien über der Sclera, selbst ein rosenrother Gefässsaum, wird wenigstens nach etwas längerer Besichtigung des Auges bemerkbar werden. Die voraus- gegangene Erweiterung der Ciliargefässe lässt sich oft lange nach dem Erlöschen des exsudativen Processes noch an rostfarbigen oder schiefer- grauen Punkten in dem vordem Theile der Sclera erkennen. Die Trü- bung wird, wenn sie auch einige Zeit beinahe gleichmässig gesättigt aussah, bald wieder wolkig und fleckig, '"') und in manchen Fällen zeigen sich dann kreideähnliche Stellen, offenbar durch Verkalkung des Exsudates entstanden; diese widerstehen zwar der Resorption sehr lange, doch selten für immer. Nur dann, wenn solche Exsudate überhaupt sehr lange (viele Monate- Jahre-lang) fortbestanden, und die Hornhautfasern durch Druck in grösserer Ausdehnung zum Schwinden gebracht haben, bleibt die Hornhaut daselbst unheilbar getrübt. Sonst aber hellen sich derart getrübte Hornhäute zum Verwundern vollständig auf, und die Krankheil gehört somit im Allgemeinen unter die wenig gefährlichen. Auch stärkere Wölbung der Cornea sieht man höchst selten, und bei weitem nicht so oft, wie nach Pannus zurückbleiben. Nur der Limbus conjun- ctivae bleibt oft zeitlebens als ein mehr weniger breiter und langer trüber Bogen oder vollständiger Kreis zurück, und in Fällen, wo diese Keratitis mit Iritis oder Scleritis zugleich verlief worauf wir später zurück- kommen werden sehen wir eine mehr weniger breite, weiter gegen das Centrum der Cornea hineinragende Trübung (die sogenannte Sclero- sirung der Cornea) zurückbleiben, jedoch an und für sieh das Sehver- mögen nicht beeinträchtigen.

Vorkommen und Ursachen. Diese Krankheit kommt im Allge- meinen eben nicht häufig vor. In der Art, wie sie eben geschildert wurde, erscheint sie nur bei scrofulösen (tuberculösen) Individuen.

') Fr. Jäger (in Rohm s Disserlatio de scrofuloscos ail ociituni ormis, Vindobonae 1838) erinnert an die Ähnlichkeit der Trübungen, welche der Randlhei! der Cornea nach Rückgang der (iefasseinspritzung zeig!, mit dem aus Fi- brillen zusammengesetzten Bari« einer Schicibfeder ; man sieht, wie das Exsudat längs der Wandungen der r,e- hsschen abgelagert wurde.

1 89 Hornhaut.

Sie erscheint am häufigsten um die Jahre der Pubertät, selten vor dem 12., selten nach dem 25. Jahre ; niemals sah ich sie vor dem 6. Jahre auftreten; bei Weibern sah ich sie bei Annäherung- der klimakte- rischen Jahre wiederkehren, wo sie um die Zeit der Pubertät schon vor- handen gewesen war.

Die davon befallenen Individuen, wenn sie nicht, wie in der Regel, deutliche Zeichen der Scrofulosis an sich tragen, sind im Allgemeinen schlecht genährt, haben eine schlaffe Muskulatur, blasse, spröde und trockene Haut, und leiden an habitueller Trägheit der Leibesöffnung. Bei weiblichen Individuen sind gewöhnlich Störungen der Menstruration vor- handen. Zur Section habe ich bisher nur ein Individuum bekommen, welches unzweifelhaft diese Form gehabt hatte ; die Untersuchung der Lungen wies Tuberculosis nach.

Diese Krankheit befällt ihre Individuen bald ohne wahrnehmbare äussere Veranlassung, bald nach dieser oder nach jener Schädlichkeit, wofür u. A. in Fischer 's klin. Unterrichte S. 307 321 die lehrreichsten Beispiele ange- führt sind. Beinahe oder völlig schon beseitigt, kehrt sie bald auf dem- selben, bald auf dem andern Auge wieder. Meistens befällt sie beide Augen kurz nach einander, selten eins im Knaben- das andere erst im Manns- alter u. s. w. Unter den sogenannten äussern Veranlassungen nehmen jene den ersten Platz ein, welche das Auge mehr indirect treffen; wir müssten in dieser Beziehung nur die beim Trachom erörterten Momente wiederholen.

Prognosis. Diese ergibt sich im Allgemeinen aus der Würdi- gung der örtlichen Erscheinungen, mit Berücksichtigung dessen, was über den Verlauf, die Ausgänge und die ätiologischen Momente gesagt [wurde. Fälle mit vorwaltender Gefässeinsprilzung nehmen im Allgemeinen einen minder schleppenden Verlauf. Fälle, die um die Zeit der Pu- bertät oder später auftreten, sind im Allgemeinen hartnäckiger, als die im Knabenalter. Nach eingetretener Schwangerschaft sah ich das Leiden von selbst zurückgehen, nachdem es Monate-lang der arzneilichen und diä- tetischen Behandlung widerstanden hatte. Gleichzeitige Affection der Iris oder Sclera lässt rücksichtlich der Cornea unheilbare Trübung befürchten.

Behandlung. Das Leiden ist in zweifacher Beziehung aufzufassen, als Entzündung mit mehr weniger heftigen Reactionsersch einungen, und als Ausdruck eines im ganzen Organismus haftenden Übels.

Bei starkem Blutandrange zum Auge, Schmerzen, Lichtscheu und Thränenfluss beginne man die Behandlung mit einer örtlichen Blutent- ziehung an der Schläfe oder hinter dem Ohre, und mit einem kühlenden

Entzündung scrofulösc Therapie. 188

Abführmittel. Den bereits von Makcnzie empfohlenen Tart. stibiatus, be- sonders in Verbindung mit Glaubersalz fand ich unter solchen Umständen auch hier besonders nützlich. Die antiphlogistische Behandlung ist zu wiederholen, so oft die Zeichen stärkeren Blutandranges neuerdings auf- treten; nur vergesse man nicht, dass derlei Individuen die schwächende Behandlung nicht in dem Grade, wie Andere vertragen, und die mehr chronische Affeclion vehement eingreifende Mittel gar nicht erfordert. Nur bei reichlichem Exsudate, wo Gefahr bleibender Trübung oder ab- normer Wölbung der Cornea droht, mag man Calomel oder Sublimat mit Opium bis zu den Vorboten der Affeclion des Zahnfleisches reichen ; je schlechter das Individuum aussieht, und insbesondere bei Frauenzimmern mit Mensruationsanomalien, hüte man sich vor innerlichem Mercurialge- brauch. Diese erfordern im Gegentheile Mittel aus der Reihe der sogenannten Solventia und Tonica. Die Präparate von China, namentlich Extractum frig. par., und Sulfas chinini, von Ferrum, besonders Carbonas, Tartras und Malas ferri mit Rheum, Extractum conii macul., bei Menstrutionsanomalien mit Aloe, Myrrha, Frond. sabinae u. dgl. verbunden, können in dieser Be- ziehung als wahre Antiphlogistica betrachtet werden. Bei altern Individuen sind vorzüglich Solventia angezeigt, namentlich Mineralwässer : Kreuz- brunnen, Ragozi, Salzquelle, die kühlem Quellen von Karlsbad u. dgl. In Bezug auf die allgemeine Behandlung muss überhaupt auf das bei den Abschnitten über Conjunctivitis scrofulosa und Trachoma Gesagte zurück- gewiesen werden. Örtlich werden, sobald der eigentlich exsudative Process nachlässt, sehr bald Stimulantia vertragen, Einträuflungen von Lau- danum liquidum, von Aqua Conradi, Cadmium sulfuricum; weiterhin der rothe Präcipitat, das Jodkali in Salbenform (letzteres besonders an die Stirn und Schläfe), die Elektricität.

Der Leser wird aus dieser Darstellung entnehmen, dass meine Angaben, auf sorgfältige und vielfache Beobachtungen gestützt , im Wesentlichen mit denen von Flarer (in Zarda's oben citirter Dissertation, welche die erste Abhandlung über diese Form bildet), Chelius (1. c. I. B. S. 187), Rosas (S. 435), Mahenzie (S. 407) und Fischer (klin. Unterr. S. 307) übereinstimmen. Ammon (bei Wendler) hat die Formen, welche zu kalkartigen Trübungen führen, Keratitis phosphatica, Walther jene, welche bei weiblichen Individuen mit iMenstruationsanomalien auftritt, Keratitis amenorrhoica genannt. Andere haben jene Fälle, welche mit stärkerer Gefässeinspritzung verlaufen, als Pannus beschrieben, mithin ganz verschiedene Processe unter einem Namen zusam- mengefasst. Zur Erläuterung des Ganzen mögen hier noch einige meiner Beobachtun- gen einen Platz finden,.

Ein Lehrergehilfe von 30 Jahren wurde im Schuljahre 1847 auf die Augenklinik aufgenommen wegen einer Entzündung auf dem rechten Auge. Wir fanden rings um die Cornea einen gegen V" breiten Gefässsaum, die Stämmchen der Ciliararterien etwas

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erweitert, die Cornea im obern Drittel leicht getrübt, graulich, wolkig, an der Ober- fläche fein gestichelt, nebstdem noch 2 grössere graue Fleckchen mit verwaschenen Randern beinahe der Pupille gegenüber; das Sehvermögen getrübt, so dass er Buch- staben von s/4'" Höhe nur mühsam, von 3/4"' Höhe gar nicht erkannte; Lichtscheu und Thränenfluss gering; die übrigen Gebilde des Auges normal. Der Kranke sah schlecht aus, hatte eine luride Gesichtsfarbe, trockene, spröde Haut, geringe Muskulatur. Er hatte das Sehvermögen des linken Auges das weiter unten beschrieben werden soll bereits durch eine Entzündung in seinem 8. Jahre verloren, lebte in dürftigen Ver- hältnissen, musste z. ß. durch Abschreiben (in den Abendstunden bei Kerzenlicht) sich einen Theil seiner Lebensbedürfnisse decken, und wohnte seit einem Jahre in einer feuchten und kalten Stube. Schon im vorigen Winter hatte sich mehrere Male eine Entzündung beider Augen eingestellt, welche mit partieller Röthe und Pustelbildung nächst dem Cornealrande verlaufen war. Endlich -war er durch eine mehrtägige Hä- moptoe sehr herabgekommen, und bald nachher hatte das jetzige Übel begonnen, mit lebhaftem Brennen im innern Winkel des rechten Auges, mit zeitweiligen, flüchtigen Stichen, und mit Lichtscheue, welche ihn besonders in den Morgenstunden belästigte ; in der 3. Woche dieser Krankheit begann auch das Gesicht trüb zu werden, und in der 6. Woche kam er zu uns mit obigem Zustande. Obwohl nun das Übel dem Grade nach unbedeutend erschien, so zeigte es sich äusserst hartnäckig, und fing erst dann an, den örtlichen Mitteln (Einträuflungen von Aqua Conradi, rother Präcipitatsalbe, endlich Jodkalisalbe an Stirn und Schläfe) zu weichen, als der Kranke beim Gebrauche des Oleum jecoris aselli, bei einer nahrhaften Kost und fleissiger Bewegung im Freien ein auffallend besseres Aussehen bekam. Er konnte nach 10 Wochen entlassen wer- den, jedoch noch mit merklichen Trübungen im obern Segmente der Cornea. Im Jahre 1850 besuchte mich derselbe wieder, sich zu zeigen, wie gut er aussehe, und wie ungestört er nun sein Auge brauchen könne. Die damals auch durch Percussion nach- weisbare Tuberculosis pulmonum scheint seitdem rückgängig geworden zu sein. Das linke Auge befindet sich noch wie damals in folgendem Zustande. Es ist grösser, als das rechte (in der Achse), birnförmig, härter anzufühlen ; die Cornea ist rings um verdunkelt, von oben und von unten auf beinahe 2'" Breite, in der Mitte durchsichtig (der durchsichtige Theil 4'" lang, 1 '/2'" breit) ; der verdunkelte Theil der Cornea ist bläulich weiss, porzellainartig ; durch den durchsichtigen Theil erkennt man die etwa 1 '/2'" hinter der Cornea gelegene gelbbräunliche Iris, in deren Pupille eine dünne Membran ausgespannt erscheint. Die birnförmige Gestalt des Bulbus ist dadurch be- dingt, dass die Basis der Cornea nach vorn gerückt ist, durch Ausdehnung des vor- dersten Theiles der Sclera, was man nach den Einmündungssteilen der erweiterten vordem Ciliararterien in der Sclera beurtheilen kann. Aus diesem Befunde ergibt sich, dass dieser Kranke in seinem 8. Jahre dieselbe Krankheit, Keratitis scrofulosa, jedoch im Verein mit Scleritis und Iritis gehabt habe was übrigens in der Abhand- lung über die Krankheiten der Sclera seine volle Begründung erhalten wird dass derselbe sodann von Augenentzündungen frei blieb, bis endlich missliche Verhältnisse neuerdings die Manifestation des Allgemeinleidens am Auge hervorriefen, erst als Con- junctivitis, dann als Keratitis scrofulosa. B. Th., 26 Jahre alt, in früher Jugend scrofulös, später jedoch meistens gesund, kam Ende December 1847 auf die Klinik. Auf beiden Augen waren die Augenlidränder leicht geröthet und geschwellt, die untern gegen den äussern Winkel exeoriirt. Die Conjunctiva im Tarsaltheile netzförmig injicirt.

Einiziindiiiig scrofulöse Therapie. 191

im Uhergangstheile etwas gelockert, im Scleraltheile normal. Unter letzterem sieht man am linken Auge die stark injicirten, dunkelrothen, vordem Ciliargefiisse gegen die Cornea hin verlaufen, und rings um diese dann einen l'/2'" breiten rosenrothen Saum bilden. Oben und unten an der Cornea erscheint der Linibus conjunctivae stark injicirt, etwas geschwellt und gelockert, grauroth (durch Exsudat und äusserst zahlreiche Ge- fässchen); die unter dem Linibus verlaufenden (oberflächlichen) Gefässe der Cornea sind nach oben und aussen so gedrängt, dass sie dem freien Auge als ein blutrother Meniscus erscheinen ; einzelne Gefässchen ziehen in der Oberfläche der Cornea gegen deren Mitte hin. Die Cornea ist (mit Ausnahme des 4. Theiles nach innen und unten) durchaus wolkig getrübt, lichtgrau, aufgelockert, fein punktirt, nach oben und aussen auch etwas prominent (geschwellt?); durch den nach innen und unten befindlichen durchsichtigen Theil der Cornea kann man sich überzeugen, dass die Iris nicht mit- leidet. Geringe Schmerzen, geringe Lichtscheu, massiger Thränenfluss, bedeutende Störung des Sehens. Die Kranke schreibt dieses Übel, welches vor 4 Wochen be- gonnen, dem Umstände zu, dass sie vor 8 Wochen eine feuchte Wohnung bezogen, in welcher sie sich auch sonst unwohl, wenn auch nicht gerade krank befand. Sie sieht blass und etwas gedunsen aus, zeigt eine dicke Oberlippe, breite Nasenflügel, schlaffe Muskulatur. Das Augenleiden begann mit drückenden Schmerzen im linken Auge, wozu sich später Röthe des Weissen und Thränen gesellten ; nachdem diese Erscheinungen, welche immer des Morgens bis gegen die 9. Stunde heftiger gewesen, allmälig zuge- nommen hatten, bemerkte die Kranke zu Ende der 3. Woche, dass sie wenig sah, und suchte desshalb ärztliche Hilfe. Wir legten 8 Blutegel an die linke Schläfe, Hessen alle 3 Stunden Ung. cinereum an die Stirn und Schläfe aufstreichen, verabreichten ein Decoct. graminis mit kali tartr., tinet. rhei und melago gram., und erlaubten eine leichte Fleischkost. Nach einigen Tagen mussten abermals Blutegel gesetzt und ein infus, sennae gegeben werden. Hierauf ordinirten wir Pulver aus '/3 Gran Calomel, '/4 Gran Digitalis (pulv. fol.) und 2/a Gran Extr. conii macul. mit Magnesia, und entliessen die Kranke über dringendes Verlangen in bedeutend gebessertem Zustande, jedoch mit noch ziemlich starken Hornhauttrübungen. Ein Zufall Hess mich dieselbe etwa l/2 Jahr später wieder sehen; ich erkannte sie nicht sogleich; sie hatte, da sie nun in bessern Verhältnissen lebte, ein blühend gesundes Aussehen erlangt, und sah ganz gut; nur eine ganz kleine maculöse Trübung der Cornea nach oben und aussen, und einige schiefergraue Punkte in der Sclera (etwa 1 '/,"' von der Cornea weg) Hessen mich das vorangegangene Leiden noch erkennen. - Kr. F., 8 Jahre alt, kam am 17. Jäner 1848 auf die Klinik. Links die Conjunctiva im Tarsaltheile netzförmig injicirt, sonst normal ; die Cornea in ihrer ganzen Ausdehnung durch weisslich graue, wolkige Flecke ge- trübt, normal glänzend, normal gewölbt; man sieht die Pupille durchscheinen; die Ciliargefässe sind noch etwas ausgedehnt. Rechts sind die Lidränder leicht ödematös, die Conjunctiva tarsi netzförmig injicirt; die Conjunctiva bulbi zeigt nach innen und oben 3, nach unten und aussen 2 stärker injicirte, scharlachrolbe, verschiebbare Ge- fässe; unter derselben sieht man eine Menge bläulich rother Gefässe, von den Muse, rectis aus der Tiefe kommend, die sich gegen die Cornea hin verzweigen, und einen etwa 1 '/a'M breiten rosenrothen Saum bilden. In der Milte der Cornea ein gelblich weisser, unregelmässiger und nicht scharf begrenzter Fleck, gegen 2'" im Durchmesser, die Cornea daselbst undurchsichtig, matt, gelockert, etwas prominirend (bei der Seiten- ansicht deutlich erkennbar) ; der peripherische Tlieil der Cornea, mit Ausnahme einer

102 Hornhaut.

Stelle nach innen und oben blutroth, wie von ausgetretenem Blute durchsetzt; die genauere Besichtigung zeigt, dass diese Färbung durch eine Menge feiner, dicht neben einander liegender Gefässchen bedingt ist, welche vom Rande der Cornea sich in deren Substanz gegen die 3Iitte hin verzweigen. Die Schmerzen nicht bedeutend, Morgens und Abends stärker; die Lichtscheu heftig, das Sehvermögen besonders auf dem rech- ten Auge sehr getrübt. Der Knabe ist körperlich wenig entwickelt, schlecht genährt, von torpid-scrofulösem Habitus. Das Augenleiden begann vor 10 Wochen (Anfang November 1847) links mit Schmerzen, Lichtscheu, Thränenfluss und allmäligem Trüb- sehen ; 14 Tage später erkrankte das rechte Auge unter denselben Zufällen. Ein Arzt hatte ein Vesicans an die Schläfe, später an den Nacken, und ein Augenwasser ver- ordnet; nach Anwendung des letzteren soll sich das Leiden auffallend verschlimmert haben. Wir ordinirten Einreibungen von Ung. cinereum an die Stirn und Schläfen, Pulver wie im vorigen Falle, leichte Fleischkost. Nach einigen Tagen minderte sich die Röthe der Sclera, das Exsudat in der Cornea wurde jedoch mehr von Gefässen eingeengt ; statt jener Pulver gaben wir tart. stib. d. refr., und gingen Anfang Februar zu einem Decoct. graminis mit Syr. eich. c. rheo, Ende Februar zum Jodkali (1 Dr. in 6 Gran täglich, 2 Esslöffel) über. Allmälig begann die Aufhellung der Cornea unter Abnahme der Gefässe daselbst von der Peripherie her, was wir (vom 26. Februar an) durch Einreibungen einer Jodkalisalbe an die Stirn und Schläfe (5—7 Gran auf 1 Dr.) zu befördern suchten. Mitte März war die Peripherie der Hornhäute fast ganz rein, die Centra zeigten jedoch weissliche, kalkige Trübungen. Auch diese nahmen allmälig ab, und waren zur Zeit der Entlassung, welche den 18. Mai geschehen musste, bis auf ganz kleine, das Gesicht wenig störende Fleckchen geschwunden.

2. Rheutnatische Hornhautentzündung , Keratitis rheumatica.

Soll Verhüttung am Auge eine Entzündung der Hornhaut erregen denn nur diess wollen wir durch den Beisatz „rheumatica" bezeichnet wissen so muss sie schon heftiger eingewirkt haben, und eben desshalb erscheint die Cornea selten ganz allein ergriffen. Es leidet fast immer die Conjunctiva, insbesondere aber die Tunica vaginalis bulbi, bei höheren Graden auch der vorderste Theil der Sclera, und noch häufiger die Iris mit.

Diess gibt uns Aufschluss, warum die Beschreibung dieser Form bei den ver- schiedenen Auetoren unter verschiedenen Namen (rheumatische, rheumatisch-katarrha- lische oder katarrhalisch-rheumatische) Ophthalmie zu suchen ist, und warum dieselben von der Affection der Cornea oder der Iris nur nebenbei und als von etwas Accesso- rischem Erwähnung thun. Häufig sind wohl auch Fälle von acutem Auftreten des Tra- choma und von Keratitis scrofulosa, wenn sie gerade mit Lichtscheu, Thränenfluss und reissenden oder stechenden Schmerzen hohem Grades verliefen, für Keratitis rheuma- tica oder Ophthalmia catarrhalis-rheumatica genommen worden, wie sich diess z. B. in denS chriften von Fischer, Sichel u. A nachweisen lägst. Ich behielt aber den Aus- druck „rheumatisch" bei, weil man ihn einmal für Krankheiten, die durch Verkältung entstehen, angenommen hat, und weil diese Ophthalmie mit jenen Affectionen anderer

Entzündung rheumatische Symptome. 193

Organe, die man rheumatische nennt, in Bezug auf Symptome, Verlauf, Ausgänge und Therapie die grösste Ähnlichkeit zeigt.

Die hieher gehörigen Fälle zerfallen ohne Zwang in zwei Reihen oder Formen, die sich zu einander ohngefähr so verhalten, wie Katarrh und Blennorhöe ; eine strenge Sonderung ist nicht möglich. Zum An- haltspunkte dient das Exsudat, welches bei der einen Form vorwaltend serös oder serös-albuminös, bei der andern vorwaltend fasserstoffig ist und zur Eiterung führt.

Allgem. Charakter. Die durch Verkältung herbeigeführte und hie- durch einzig und allein (nicht gleichzeitig durch Allgemeinleiden) be- dingte Hornhautentzündung tritt im gelinderen Grade mit gleich massig verbreiteter graulicher Trübung der Hornhaut, im höhern Grade mit Abscessbildung in derselben auf. Gefässentwicklung in der Cornea zeigt sich nie, ausser bei längerem Bestände oder nach bereits erfolgtem Aufbruche des Abscesses. Sie ist immer von einiger seröser Schwellung der Scleralbindehaut begleitet, so wie auch von heftigen subjectiven Er- scheinungen, Schmerz und Lichtscheu. Der mindere Grad gehört zu den leichtesten, in kurzer Zeit vollständig heilbaren Formen, da bloss vor- waltend seröses Exsudat ins Parenchym gesetzt wird ; der höhere, mit eitrigem Exsudate auftretende Grad gehört zu den gefährlichsten, theils wegen Zerstörung der eitrig infiltrirten Hornhautpartie, Iheils wegen Eiter- senkung, theils endlich wegen der fast constant hinzu tretenden Iritis mit reichlichem Exsudaterguss in die vordere Kammer und in die Pupille. Der Verlauf ist im Allgemeinen sehr acut (wenn man die Folgen der Eiterung nicht mit einrechnet). *)

Symptome, a) Bei der rheumafischen Hornhautentzündung mit vorwaltend serösem Exsudate erscheint die Trübung über die ganze Horn- haut oder doch über den grössten Theil derselben ausgebreifet, fast durchaus gleich gesättigt, lichtgrau, halbdurchsichtig, wie ein ange- hauchtes Glas, die Cornea an der Oberfläche matt und eben, oder hie und da mit kleinen Wasserbläschen oder nach deren Berstung mit kleinen Facetten versehen; der Limbus conjunctivae von zahlreichen, hellrothen fast parallelen Gefässchen injicirt, welche sich meistens über den Cor-

*) Die hieher gehörigen Fälle in dieser Art aulfassend, werden wir nicht genöthigt sein, zur Erklärung der Eigen- Ihümlichkeiten in Bezug auf Symptome und Verlauf irgend etwas Specifisches, etwa eine besondere Blutmischung u. dgl. zu supponiren. Die besondere Veranlassung macht, dass mit der Cornea zugleich die Conjunctiva und die Tunica vaginalis bulbi mit erkrankt, dass serös albuminoses oder eitriges Exsudat und zwar sehr rasch aus- geschieden wird, und eben hieraus resultireu Erscheinungen, welche in exquisiten Fällen so einzig in ihrer Art sind, dass man aus ihnen wieder auf die Ursache zurück, und auf den weitem Verlauf vorwärts schliessen kann, wahrend sie in andern Fällen dagegen sehr wenig Charakteristische» zeigen

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nealrand hinaus verfolgen lassen, die Cornea selbst von jeder Gefässein- sprilzung frei, dagegen von einem blass-rosenrothen Gefässsaume rings über dem vordem Theile der Sclera (gewöhnlich über V" breit) umgeben, die Conjunctiva bulbi, wenn nicht von scharlachrothen Gelassenen durch- zogen, so doch ödematös gelockert oder geschwellt. Bei «lieser an- scheinend geringen Afl'ection klagt der Kranke über heftige Schnurzen in der Umgebung des Auges, in der ganzen Kopfliälfte ; er bezeichnet dieselben in der Regel von seihst als ziehend, reissend , aussetzend, Abends und in der Nacht gesteigert; ebenso pflegen Lichtscheu und Thränntßuss in auffallend hohem Grade vorhanden zu sein, und bei schneller auftretenden Fallen werden häufig auch febrile Erscheinungen wahrgenommen, namentlich in den ersten Tagen. Vermehrte Schleim- secrelion der Bindehaut kommt dieser Form an und für sich nicht zu.

b) Der rheum. Hornhautentzündung mit eitrigem Exsudate gehen entweder die eben genannten Erscheinungen durch einige Zeit voraus, oder die Entzündung tritt sehr bald mit der Bildung eines Abscesses in der Substanz der Hornhaut auf. Man sieht dann im mittlem Theile der Cornea im Umfange eines Hanf\ornes und darüber einen Eiterherd, diese Partie weissgelb, undurchsichtig, wohl auch prominirend, oder die vordem Blätter schon zerstört, den Ahscess in ein Geschwür mit eitrig infil- triilem Grunde und eben solchen Rändern verwandelt, oder endlich die Stelle des Abszesses grau, eingesunken, und den Eiter zwischen den Fasersehichten der Cornea gesenkt, an der untersten Stelle in Form eines Meniscus oder unregelmässig begrenzten Klumpens angesammelt, CoiKjesl/onsabscess (Unguis, Onyx). So lange nicht bereits Resorption (Reinigung des Geschwüres) und Wiederersatz des Substanzverlustes be- gonnen hat. sieht man keine Ge fasse im Bereiche der Cornea; rings um die Cornea sieht man eine doppelte Gefässlage, eine tiefere, welche als violett rother Saum um die Cornea erscheint (Injection der Ciliaraiterien) und eine oberflächliche, schar/ach- oder blufrothe, welche der Conjun- ctiva angehört und bis zum coneaven Rande des Limbus conjunctivae reicht; die Conjunctiva ist überhaupt in ihrer ganzen Ausdehnung ge- lockert, geschwellt, von hoch- oder dunkelrothen Gefässen durchzogen, an den Lidern gleichmäßig roth und eine schleimig-eifrige Flüssigkeit absondernd. Fast immer erscheint auch die Cutis längs des Lidrandes serös geschwellt und blass- oder bläulichroth. Schmerzen, wie die bei a) beschriebenen, Lichtscheu und Thränenfluss sind von Anfang, zur Zeit der Exsudation, in sein hohem, später oft in auffallend niedrigem Grade

Entzündung rheumat. Verlauf Ausgänge Prognosis. 195

vorhanden. Dasselbe gilt von der Beschleunigung des Pulses, der er- höhten Temperatur der Cutis, und den übrigen febrilen Erscheinungen.

Verlauf, Ausgänge. Prognose. Der Verlauf ist im Gan/.en ge- nommen ein sehr rascher; die Krankheit hat in wenig Tagen ihren Höhe- punkt erreicht, und es hangt sodann von äussern Verhältnissen des (iibri- gens gesunden) Individuums ab, ob das Auge früher oder später der Genesung zugeführt wird. Hat man Gelegenheit, die Krankheit im Beginn zu beobachten, so kann man sie noch nicht mit Bestimmtheit als Keratitis diagnoslieiren. Durch kürzere oder längere Zeit, seihst 5 6 Tage, sieht man nämlich noch keine Trübung, im Gegentheile bisweilen sogar einen erhöhten Glanz der Cornea, wohl aber jene lebhafte Rosenröthe über dem vordersten Theile der Sclera und jene fein in den Limbus con- junctivae hereinspiizenden Gefässchen, dabei Lichtscheu, ThränenfluSs und Schmerzen im Auge und der entsprechenden Kopfhälfte in auffallend hohem Grade. Da nun nach diesem Befunde eben so gut Iritis als Kera- titis oder beides zugleich auftreten kann und aufzutreten pflegt, so be- greift man leicht, warum ältere Auetoren denselben eigens als Oph- thalmia rheumatica abhandelten, deren Sitz in die Sclera verlegten, und von Keratitis oder Iritis als etwas zufällig Hinzutretendem sprachen. Möglich, dass sie Fälle beobachteten, wo es nicht zur deutlichen Trübung der Cornea oder zu deutlichen Zeichen der Iritis kam. {Ich sah jeder- zeit das eine oder das andere nachkommen.)

Die Keratitis rheumatica mit lymphatisch-serösem Exsudate gehört, für sich allein, nicht unter die gefährlichen Krankheiten; sie bewirkt nur eine leichte Trübung, welche in der Regel von selbst verschwindet, oder mehr weiger zahlreiche und grosse Facetten, welche gleichfalls, freilich oft erst nach Wochen, von selbst heilen.

Die Hornhautentzündung mit Abscessbildung hingegen gehört zu den gefährlichsten Augenübeln. Sie zerstört die Faserschichten der Hornhaut in verschiedener Ausdehnung und Tiefe. Im günstigsten Falle bilden sich oberflächliche Narben, welche jedoch nur bei jugendlichen und sonst ge- sunden Individuen, und da nur so lange, als sie noch nicht zu fest ge- worden sind, eine Aufhellung durch Ersatz normaler Hornhautsubstanz zulassen. Der Hornhautübscess hat aber gewöhnlich auch Eitersenkung zwischen den Faserschichten zur Folge, und führt hiedurch nicht selten zu weit ausgedehnterer Zerstörung, als man befürchtet hatte. Es ist ferner bekannt, dass er, wenn er in ein Geschwür übergegangen, gern tiefer dringt, und endlich Blosslegung und Berstung der Descemet sehen Haut und deren Folgen einleitet. Aber auch schon vor einem solchen

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Durchbruche, und selbst wenn es nicht zu diesem kommt, pflegt zugleich die Iris in Entzündung versetzt zu werden, sobald ein tieferer Eiterherd in der Hornhaut zu Stande kommt, und es erscheint dann in Folge dieser Iritis in der vordem Augenkammer ein gelbliches eiterähnliches Ex- sudat angesammelt eine Erscheinung, welche man Hypopium spurium genannt hat. weil man glaubte, diese Flüssigkeit sei Eiter, welcher in die vordere Kammer gelange, wenn so ein Abscess nicht nach vorn, sondern rückwärts in das Kammerwasser sich entleere.

Ich konnte mich von dieser Enlstehungsweise des sogenannten Hypopium nie- mals überzeugen, eben so wenig als davon, dass der Eiter die Descemet'sche Haut rückwärts drängen, und also nur scheinbar in der vordem Kammer gelagert sein sollte (wie Dr. Pilz meint) ; wohl aber weiss ich aus genauen Beobachtungen, dass in Fällen, die sich auf diese Weise hätten erklären lassen, diese Annahme durch kein Zeichen begründet werden konnte, hingegen anderweitige Zeichen offenbar auf Iritis hinwiesen. Eben so wenig konnte ich mich jemals von der sogenannten Eintrocknung eines Corneahibscesses überzeugen, und glaube, man habe hievon dann gesprochen, wenn der Eiter allmälig resorbirt worden war. und einer dichten, gelblichen IVarbe Platz ge- macht hatte. Ich betrachte diese Iritis als Folge der Keratitis, weil ich sie auch bei Blennorrhoe mit tieferer Hornhauteiterung, und was noch klarer für diese Ansicht spricht, weil ich sie in Fällen beobachtete, wo die Hornhaut z. B. durch ein Stückchen Atzkalk in Eiterung versetzt, die Iris ganz gewiss nicht verletzt worden war.

Als erstes Zeichen der Resorption und der beginnenden Vernarbung sieht man gewöhnlich zahlreiche oberflächlich, und einzelne tief in der Cornealsubstanz verlaufende Blutgefässe auftreten, welche häufig noch lange fortbestehen, nachdem rings um die Cornea alle abnorme Gefäss- injeetion verschwunden ist. Die weitern Folgen dieser Hornhautabscesse werden wir in dem Abschnitte über die Hornhautgeschwüre näher erörtern.

Vorkommen und Ursachen. Diese Krankheit kommt eben nicht häufig vor, wenigstens ungleich seltener, als die durch atmosphärische Einflüsse bedingte Conjunctivitis. Sie setzt keine besondere Disposition voraus, wenn man auch zugeben muss, dass Individuen, die einmal daran gelitten, leichter als andere wieder davon befallen werden. Wenn sie im Kindesalter nie, im Knabenalter selten beobachtet wird, so liegt der Grund wohl darin, dass Individuen dieses Alters nie oder selten den be- treffenden Gelegenheitsursachen ausgesetzt werden. Als Veranlassung bezeichnen die davon Befallenen in der Mehrzahl der Fälle Verkältung, namentlich schnelle Abkühlung, scharfen Wind oder Zugluft bei schwiz- zendem Kopfe. Insbesondere pflegen diese Schädlichkeiten dann zu jenem Zustande zu führen, wenn sie auf bereits katarrhalisch afficirte Augen

Entzündung rheumatische Behandlung. 197

einwirken. Ingleichen entsteht diese Form gern, wenn auf derlei Augen kalte Umschläge, Augenwässer u. dgl. anzeitig und unzweckmässig an- gewendet werden (Vergl. S. 13.) Bei alten Leuten bedarf es im Allge- meinen eines weit geringeren Grades von Verkältung, diese Krankheit zu erregen, und bei diesen vor allen kommt es gern zur Abscessbildung. Die Krankheit ergreift selten beide Augen zugleich, und wenn auch beide Augen ergriffen sind, so findet man das Leiden doch selten auf beiden Augen in gleichem Grade ausgesprochen. Die Behandlung erfordert :

1. Strenge Abhaltung der Gelegenheitsursache und ähnlich wirkender Potenzen, so wie alles dessen, was bei acuten AugenenUündungen über- haupt zu meiden ist, wie : grelles Licht, Anstrengung des andern Auges, erhitzende Getränke u. dgl. Der Kranke muss das Zimmer, wenn nicht selbst das Bett hüten.

2. Antiphlogose. Ein Aderlass ist bei einfacher Keratitis nicht not- wendig; Blutegel hingegen werden bei einigermassen starken Reactions- erscheinungen nicht leicht umgangen werden können; dasselbe gilt von kühlenden, salzigen Abführmitteln.

3. Die nach hinreichender Blutentziehung noch vorhandenen Schmerzen werden am besten durch trockene wanne Tücher (6 8fach zusammen- gelegte Leinenservietten) um die entsprechende Kopfhälfte (etwas über das Auge herabhängend), und reichliche Einreibungen von Unguent. einer, mit Opium (5 8 Gran auf 1 Dr.) an die Stirn und Schläfe gemildert. Das Aufstreichen dieser Salbe soll vor dem Eintritte der abendlichen Exacer- bation geschehen.

4. Nach gebrochener Heftigkeit der entzündlichen Zufälle Diaphore- tica : tart. stibialus r. d., Pulv. Doveri, infusum ipecac, spir. Minderen, roob sambuci. Hautreize (Kren- oder Senfteige, Kantharidenpflaster am Nacken) können sodann viel zur Linderung der Kopfschmerzen beitrügen, und letztere zeigen sich namentlich zur Abstumpfung der durch längere Zeit zurückbleibenden Empfindlichkeit der Augen gegen Licht und scharfe Luft sehr erspriesslich. Bäder sind erst beim Eintreten der Reconvales- cenz zulässig, und besonders bei etwas mehr prolrahirtem Verlaufe der gelindern Form (a) oder bei entschiedener Neigung zu Recidiven sehr wohlthätig.

5. Ist viel Eiter zwischen den Faserschichten der Hornhaut, oder viel Fxsudat in der Augenkammer angesammelt, so sind Brechmittel am geeignetsten, die Resorption zu bethätigen, fa'Is nicht die Entzündung noch so heftig ist, dass fortwährend noch reichliche Exsudation erfolgt.

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Wo jedoch die Cornea nahe daran ist zu bersten, sind Brechmittel wegen der dadurch herbeigeführten Anstrengung gegenangezeigt. Von Dr. Schmäh wurde die Polygala senega (Decoct. ex dr. jj dr. jjj) vorge- schlagen ; sie wirkt jedenfalls nur sehr langsam. Mit Abführmitteln muss man in solchen Fällen, namentlich bei minder jugendlichen und kräftigen Individuen, vorsichtig sein.

6. Die künstliche Entleerung des in der Augenkammer reichlicher angesammelten Exsudates durch einen gegen 3"' langen Einstich am untern Rande der Cornea, ist bisweilen das einzige Mitlei, das Sehvermögen ganz oder doch zum Theile zu retten, oder doch den Kranken wenigstens von den wülhenden Kopfschmerzen zu befreien.

So sehr ich früher gegen diesen Eingriff war, so haben mich einige eclatante Erfolge nun von der Vortrefl'lichkeit desselben überzeugt ; nur darf man, sobald das Exsudat mehr als '/3 der vordem Augenkammer ausfüllt, und den unter 5) angeführten Mitteln nicht in 2 3 Tagen zu ^weichen beginnt, nicht lange damit zögern, und muss die völlige Entleerung dadurch vermittelt werden, dass man entweder beim Herausziehen des lanzenförmigen Messers oder nachträglich die Wunde gehörig klaffen macht.

7. Mercurialmittel sind behufs der Resorption innerlich ni ht anzu- wenden, bei a nicht nothwendig, bei b leicht schädlich. Örtlich dagegen, an die Stirn und Schläfe erweisen sich Einreibungen von Ung. cinereum allein, oder mit Opium oder Hyosciamus selbst während des exsudativen Processes als sehr willkommene Mittel zur Unterstützung der Cur.

8. Die fernere Behandlung des Absces^es oder Geschwüres der Hornhaut folgt in dem Abschnitte über „Hornhautgeschwüre und Horn- hauttrübungen."

9. Alle Mittel aufs Auge selbst sind schädlich, so lange noch ent- zündliche Reizung besteht und frische Exsudation geschieht, den Über- gang zu der unter 8 angedeuteten Behandlung macht man am besten mit Einträuilungen von verdünnter Tinctura opii crocata, oder von Lapislösung.

Postmeister W., circa 50 Jahre alt, von sehr gesundem und kräftigem Aussehen, kam Ende Juni zu mir mit einer Entzündung des linken Auges. Der Rand des obern Lides war etwas ödematös angelaufen, die Conjunctiva palpebr. dicht netzförmig inji- cirt, die Conjunctiva hulbi von ziemlich zahlreichen, leicht verschiebbaren, hochrolhen Gefässchen durchzogen, die vordem Ciliararterien stark injicirt, rings um die Cornea einen gegen 2 Linien breiten, bläulichrothen Saum bildend, die Cornea und Iris voll- kommen normal, das Sehen ungetrübt, der Kranke nur durch Lichtscheu und Thränen, vorzüglich aber durch heftige, reissende Schmerzen in der Umgebung des Auges be- lästigt ; im innern Winkel war ein Klümpchen gelblichen Secretes angelagert. Der Mann war sehr ängstlich, weil er bereits vor 2 Jahren auch eine Augenentzündung mit ähnlichen Erscheinungen gehabt, lange damit zugebracht, und doch noch einen bedeutenden Fleck (eine etwa linsengrosse, halhdurchsichtige Narbe) fast mitten auf

Entzündung rheumatische Behandlaug. 199

der Cornea davongetragen hatte ; er war um so mehr besorgt, weil er schon zu ver- schiedenen Malen an Gichtanfällen gelitten hatte. Dieses letztere Leiden hatte ihn be- stimmt, nach Karlsbad zu gehen, und dort hatte ihn eben, als er mit der Cur ziemlich zu Ende war, die Augenentzündung befallen. Wenn ich nun auch seine Furcht in Bezug auf eine gichtische Affection des Auges nicht theilte, so könnte ich mich bei mir selbst doch nicht ganz beruhigen, weil ich nicht recht wusste, was jene starke Rosenröthe und die heftigen Schmerzen eigentlich bedeuten sollten. Hatte gleich die Krankheit mit den gewöhnlichen Erscheinungen einer Conjunctivitis catarrhalis begonnen, so war sie diess gegenwärtig offenbar nicht mehr. Ich hielt daher den Kranken streng im Zimmer, bei temperirtem Lichte, etwas restringirter Kost und völliger Ruhe, und ordi- nirte ein trockenes, gewärmtes Leintüchel über die entsprechende Kopfhälfte, und ein leichtes, kühlendes Abführmittel, nach 2 Tagen Einreibungen von Ung cinereum mit Opium an die Schläfegegend, und den 3. Tag Kren (Meerrettig) mit Mehl und warmem Essig gemischt, handtellergross zwischen die Schulterblätter. Nachdem hierauf jene Zufälle merklich abgenommen, stellte sich den 6. Tag eine leichte Trübung der Cornea ein. wie wenn man ein Glas angehaucht hätte, und hiemit leichtes Trübsehen. Beides verlor sich nach 4 Tagen, und der Kranke war somit den 10. Tag der Behandlung reconvalescent. Jetzt verdiente wohl auch die Angabe des Kranken, dass er sich sein Übel durch die nächtliche Reise von Karlsbad hieher verschlimmert habe, mehr Berück- sichtigung, als ich ihr Anfangs zu schenken geneigt gewesen war.

Ein Bäckergesell von 46 Jahren und gesundem Aussehen kam am 12. Mai 1850 auf die Klinik. Beide Augen werden wegen Empfindlichkeit gegen das Licht nur halb geöffnet ; gegen den äussern Winkel hin leichte Excoriationen, im innern Winkel etwas Schleim. Am rechten Auge die Conjunctiva palp. netzförmig blass geröthet. leicht geschwellt, die Meibom'schen Drüsen undeutlich durchscheinend ; der Übergangstheil blassTOth, wulstig, mit einigen Schleimfäden belegt: die Conjunctiva bulbi von sehr sparsamen und wenig ausgedehnten Gefässen durchzogen, serös infiltrirt. leicht in Falten verschiebbar Die Cornea zeigt beinahe in der Mitte zwei etwa hirsekorngrosse, an der Oberfläche platte und glänzende Flecke (Narben nach einer Entzündung im 5. Lebensjahre). Des Morgens sind die Lider verklebt: sonst ist dieses Auge normal. (Conjunctivitis catarrhalis maculae corneae.) Auf dem linken Auge bietet die Conjunctiva palp. dieselben Erscheinungen dar; die Conjunctiva bulbi ist von zahlrei- chen hochrothen Gefässen durchsetzt, bedeutend serös geschwellt; die Cornea beinahe durchaus leicht getrübt, graulich, matt, minder glänzend, etwa 2'" vom äussern Hände einwärts mit einem seichten, graulichen Grübchen versehen ; der Limbus conjunctivae ringsum fein injicirt, auf dem vordersten Theile der Sclera ein rosenrother Gürtel. Das Sehvermögen bedeutend getrübt; Lichtscheu und Thränenfluss heftiger, als rechts, nebstdem drückende und reissende Schmerzen im Au<re und dessen Umgebung. Der Kranke soll in seinem 5. Jahre eine Augenentzündung mit heftiger Liehtscheu über- standen, und nach mehrinonatlicher Dauer einen Fleck auf dem rechten Auge behalten haben. Vor 10 Tagen bekam er drückende und brennende Schmerzen in beiden Au- gen, welche roth wurden, das Licht nicht gut vertrugen, und des Morgens verklebt waren. Zur Linderung wandte er kalte Umschläge an, wobei sieh das Übel jedoch steigerte, und Trübung des Gesichtes (auf dem linken Auge) auftrat. Wir setzten 8 Blutegel vor das linke Ohr und verabreichten '/„ Gran Tart. stib. in 6 Unzen Eibisch- decoct bei übrigens gehörigem Verhalten. Es erfolgte keine Erleichterung ; wir setzten

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zu derselben Medicin eine halbe Unze Glaubersalz, und Hessen Ung. einer, mit Opium (6 Gran auf 1 Drachme) an die Umgebung aufstreichen. Schon den 5. Tag der Be- handlung war die Gefässinjection sehr gering, das Comealgeschwürchen ganz rein, die katarrhalischen Symptome ganz gewichen, und der Kranke genas binnen 12 Tagen bis auf eine leichte Facette der Cornea, deren Heilung der Kranke nicht abwartete.

Ein 38 Jahre alter, rüstig gebauter und gut genährter Müllerbursch, welcher früher nie krank gewesen zu sein versichert, erkrankte den 20. November 1849 auf dem rechten Auge, angeblich in Folge von Zugluft bei schwitzendem Körper. Er bemerkte des Morgens leichten Schmerz und bedeutende Röthe dieses Auges; da der Schmerz bald sehr heftig wurde, ging er in's Spital der Barmherzigen, wo man ihm bloss eiskaltes Wasser überschlug. Da er nebst Steigerung der übrigen Zufälle endlich auch Abnahme des Gesichtes bemerkte, kam er den 2. December auf die Klinik. Hier fanden wir: die Lider normal, nur rechts die Hautvenen etwas ausgedehnt, die Conjunctiva im Tarsal- und Übergangstheile netzförmig injicirt, stark gelockert (die Meibom'schen Drüsen wenig durchscheinend), die Conjunctiva bulbi besonders in der untern Hälfte stark injicirt, serös infiltrirt, den Limbus conjunctivae ringsum von zahl- reichen Gefässen eingespritzt und etwas geschwellt, den vordem Theil der Sclera violettroth. die Cornea getrübt und gelockert, wie mit Nadeln gestochen. Unterhalb der Mitte der Cornea sieht man einen hanfkorngrossen Substanzverlust, an welchem nach oben und aussen eine etwas seichtere, jedoch breitere Vertiefung der Cornea stösst. Während man durch die obere Hälfte der Cornea noch die Iris und die Pupille wahrnehmen kann, erscheint die untere Hälfte überdies« durch ein gelblich graues Ex- sudat getrübt. Die Iris ist entfärbt, gelblich röthlich, von der Pupille nur die Hälfte sichtbar, die untere Hälfte der Augenkahimer mit einer eiterähnlichen Materie angefüllt. Die Lichtempfinduiiij undeutlich, kein Schmerz, geringe Lichtscheu, massige Thränen- secretion mit etwas Schleim. Wir stellten die Prognosis zweifelhaft und ordinirten ein Emeticum und Ung. cinereum an die Stirn und Schläfe. Da sich keine Besserung zeigte, öffnete ich am 4. December die .vordere Kammer durch einen gegen 3'" langen Einslich knapp am untern Rande der Cornea. Gleich nach der Operation entleerte sich nur wenig von der Flüssigkeit, und, w*ie* es schien, grösstenteils nur der zwischen den Faserschichten der Cornea angesammelte Theil, denn die Cornea wurde daselbst sogleich durchscheinend, und das Exsudat in der vordem Kammer verlor nicht seine convexe Oberfläche. Am 5 December jedoch war beinahe alles Exsudat bis auf eine geringe Spur aus der vordem Kammer verschwunden, und nur eine Art Pfropf in der Pupille zurück, welcher diese ausfüllte. Die Cornea war auffallend reiner, bis auf die Stelle des tiefern Geschwüres, dessen Grund und Ränder noch getrübt erschienen. Der heftige Schmerz, der bisher jede Nacht eingetreten war, war die letzte Nacht ausge- blieben, die Lichtempfindung deutlicher geworden. Den 6. December. Der obere und äussere Theil des Pupillenrandes hat sich von dem geschrumpften und weniger gelb aussehenden Exsudate zurückgezogen; der Kranke kann die Zahl der vorgehaltenen Finger richtig angeben. Die Injection der Ciliargefässe ist noch bedeutend, von neuer Exsudation jedoch nirgends eine Spur vorhanden. Einreibungen von Ung. einer, wie früher, trockene, wanne Tücher über das Auge leicht herabhängend, innerlich Decoct. graminis mit '/, Unze Kali tart. und Melago graminis. Den 7. December. Die obere Hälfte der Cornea normal ; man sieht die untere Hälfte der Iris mit einem leichten Grau belegt, den kleinen Kreis dunkler gefärbt. Vom 8. December an wurde folgende

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Mixtur verordnet: Decocti rad. polyg. senegae ex dr. jj une. V, Kali lart., mucil. gunimi arah. et inelag. graniin. a~a unc. ß. Alle 3 Stunden 2 Esslöffel. Von nun an nahm die Injection allmälig so ab, dass wir am 17. December bereits Land. liq. Sydenh. einträu- feln konnten. Wir Hessen nun den Kranken ohne Medicin, verabreichten ihm nahr- haftere Kost, und Hessen ihn herumgehen. Den 29. December. Die Injection der Con- junctivae und Ciliargefässe sehr gering, das Hornhaulgeschwür flach, ohne Gefässe, leicht getrübt, die übrige Cornea rein, die Iris der Farbe nach der andern gleich. Der Pupillarrand nach innen und unten durch hintere Synechien fixirt, nach oben und aussen auf Einträuflungeu von Belladonna stark zurückweichend. Einträuflungen einer schwachen Lösung von Lapis infernalis. Zustand bei der Entlassung am 11. Jäner Der Kranke erkennt mit diesem Auge nicht nur grössere Gegenstände, sondern auch die Zeiger einer kleinen Taschenuhr, er kann selbst Druckschrift von 1'" Höhe lesen, wenn die Pupille durch Belladonna erweitert wird. Die Iris ist nämlich in 2/5 ihres- Umfanges (nach innen und unten) fixirt, durch graubraune Fäden, welche von ihr zu einem mohnkorngrossen Exsudate auf der Kapsel verlaufen. Die Cornea zeigt an der Stelle des Geschwüres eine seichte, durchscheinende, noch nicht ausgeglättete Vertie- fung, welche ringsum von einer sich allmälig verwischenden, bläulich grauen Trübung umgeben wird. Die Stelle des Einstiches ist nur , undeutlich erkennbar. Man sieht nirgends Gefässe in der Cornea ; der Zustand des Bulbus ist im Allgemeinen durchaus nicht gereizt.

Ein Fiakre von 54 Jahren, dem Branntweintrunke ergeben, früher angeblich nie- mals krank, bemerkte den vorletzten December 1848 drückende Schmerzen in den Augen und etwas Böthe derselben. Am Sylvesterabend musste er bei heftig entgegen wehendem kalten Nordostwinde vor die Sludt fahren (nach Karolinenthal) Der Wind traf vorzüglich das linke Auge, er konnte dasselbe vor Schmerz nicht offen halten; von Zeit zu Zeit entleerte sich ein Strom von Thränen. Als er spät in der Nacht nach Hause kam, bemerkte er, dass ihm zwar nicht, Wie er geglaubt hatte, etwas in's Auge gefallen, dasselbe jedoch geröthet sei. Er bancL es daher mit einem Tuche zu und legte sich nieder, konnte jedoch vor heftigen Schmerzen nicht schlafen. Trotzdem sass er am Neujahrstage wieder auf dem Bocke, muSste jedoch, da die Schmerzen und die Lichtscheu unerträglich wurden, die folgenden 3,' Tage zu Hause, theils im Stalle, theils in der Stube zubringen, und am 4. Jäner Abendsj in's Spital gehen. Wir fand en am 5 Jäner das linke obere Augenlid leicht ödematös' geschwollen, an den Cilien und im äussern Winkel einen weisslichen Schaum, ziemlich reichlichen Thränenfluss, starke Lichtscheu. Die Conjunctiva bulbi stark netzförmig injicirt, leicht verschiebbar; dar- unter die Ciliargefässe blauroth, rings um die Cornea einen violettrothen Gürtel bil- dend, bis in den Limbus conjunctivae eingespritzt. Die Cornea nur in der Mitte deut- lich getrübt, mitten in der trüben Stelle des Epitheliums verlustig (wie abgeschliffen). Die Iris leicht entfärbt, minder lebhaft beweglich, die Pupille enger, doch ohne Ex- sudat. Umflortes Sehen, Lichtscheu, Thränenfluss, über Tag zeitweilig-, in der Nacht anhaltend-stcchende Schmerzen, welche sich über die entsprechende Kopfhälfte aus- breiten. Der Puls etwas beschleunigt, die Temperatur der Haut erhöht, die übrigen Functionen ungestört. Nebst entsprechender Regulirung der Diät und des Lichtes : Ruhe im Bett, 10 Blutegel an die linke Schläfe, Einreibungen von Ung. einer, mit extr. opii aquos., darüber trockene, warme Tücher, und infus, sennae cum sale Glaub. Den 6. Jäner. Das Geschwür auf der Cornea grösser, die Iris mehr beweglich, die

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Pupille gleich contrnhirt : die übrigen Erscheinungen unveriindert. Den 7. Jäner. Die Schmerzen in der Nacht geringer, ebenso die Injection der Scleralbindehaut. Das Ab- führmittel bleibt weg. Vom 8. bis 14. Jäner keine merkliche Veränderung am Auge ; Abnahme des Appetites Den 15. Jäner. In der Nacht geringere Schmerzen, wenig Schlaf, über Tag nur Gefühl von Druck im Auge; die Conjunctiva bulbi gegen den äussern Winkel hin stärker serös infiltrirt, das Comealgeschwür tiefer, breiter und trüber, die Iris in ihrer Bewegung freier. Infus, sennae c. sale Glaub.. Ung. einer, c. opio. Den 17 Jäner. Diarrhoe. Ein lauwarmes Bad. Den 18. Jäner. Im untern Umfange der Cornea erscheint eine Eitersenkung, mit horizontaler Begrenzung nach oben: wie der Kranke seine Lage wechselt, ändert sich bald auch die Lage dieser Flüssigkeit. Fortdauer der Diarrhöe. Ein warmes Bad. Den 19. Jäner. Im Bade war der Kranke ohnmächtig geworden, hierauf ein reichlicher Schweiss am ganzen Körper ausgebrochen. Der Kranke versichert, die erste Nacht gut geschlafen zu haben. Als er des Morgens aufstehen wollte, empfand er einen stechenden Schmerz im linken Kniegelenke, so dass er nicht gehen konnte. Das Auge fanden wir bedeutend besser, die Röthe der Conjunctiva und Sclera geringer, das Geschwür reiner, den Onyx jedoch unverändert. Das Kniegelenk war leicht geschwollen, besonders über dem untern Ende des innern Con- dylus femoris, bei Berührung schmerzhaft. Die Diarrhöe hat aufgehört Blutegel an diese schmerzhafte Stelle. Einreibungen von Ung. cinereum. Umhüllung mit Compressen. Den 20. Jäner. Die Geschwulst am Knie grösser, jede Bewegung unmöglich. Abermals 8 Blutegel an die äussere Seite, und Einwicklung in Werg. Den 22. Jäner. Der Onyx ist breiter geworden, das Geschwür länger und tiefer, sein Grund ziemlich rein. Der Eiter zwischen den Hornhautfasern stellt eim-n Halbmond dar, und nimmt die innere Partie ein, da der Kranke nur auf der rechten Seite liegen kann : dass aber der Eiter wirklich nur in der Cornea sich befinde, lässt sich bei Besichtigung der vordem Kam- mer von oben und aussen her erkennen. Das Exsudat in der Kniegelenkskapsel ver- mindert, aber der ganze Unterschenkel bis zum Fussrücken geschwollen, an letzterem ödematös. an der Wade geröthet und derb anzufühlen. Der Puls beschleunigt, voll, die Zunge trocken, belegt, der Durst erhöht: Aufstossen, nach reichlicherem Trinken selbst Erbrechen. Meteorismus, Diarrhöe mit vielen nässigen .Stühlen ohne Blut, ohne Schleim- flocken. Mixt, gummosa mit extract. opii aquos. Den 24. Jäner. Des Nachts Deliriren, häufige Entleerungen, oft ohne dass es der Kranke meldet, dunkler, sparsamer Irin ; früh ein starker Schüttelfrost, und im Allgemeinen ein Krankheitsbild von Pyämie. mit Metastase auf die Lunge, zwei Tage später auch mit Bildung von Eiterpusteln über die ganze Cutis. Im Auge füllte sich die vordere Kammer mehr als zur Hälfte mit Eiter, die Iris wurde entfärbt, die Cornea aufgelockert und getrübt, die Conjunctiva bulbi stark ödematös. Der Kranke starb auf der Internabtheilung, wohin wir ihn am 28. Järier transferirt hatten. Sectionsbefund. Auf der Cornea fehlt das Epitheliom in der nächsten Umgehung des Geschwüres ; dieses ist etwa 2'" lang. 1 '/2'" breit, und reicht in der Mitte bis nahe an die Descemet'sehe Haut ; diese selbst ist unversehrt, nirgends durchbrochen. In der vordem Kammer theils flüssiges, theils festes Exsudat, letzteres sowohl an der Iris als an der Cornea locker haftend, und unter dein Mikroskope Eiter- kugeln zeigend. Eine grauliche Exsudatschichte soll auch auf der Zonula Zinnii gelegen haben. '-") Die Kniegelenkskapsel mit Eiter gefüllt, in der Scheide des 31. gastroknemius

*) Ich war rur Zeil dieser Section erkrankt, und kann demnach nur das millheilen, was mir mein Assislenl adnelirl hat.

Entzündung traumatische Verletzungen. 203

namhafte Eiterablagerungen ; im rechten Pleurasäcke salziges Exsudat, entsprechend dem untern Lungenlappen, der sich im Zustande schlaffer Hepatisation befand.

3. Traumatische Entzündung der Hornhaut, Keratitis traumatica.

Von einem Zusammenfassen der hieher gehörigen Fälle unter eine gemeinschaftliche Schilderung kann keine Rede sein, nachdem die Ver- letzung der Art und dem Grade nach unendliche Verschiedenheiten dar- bieten kann, und somit auch die Reaction als Folge derselben schon bei ein und derselben Individualität sehr variiren müsste. Dennoch lassen sich diese Fälle ohngefähr in zwei Reihen ordnen, je nachdem die Ein- wirkung des fremden Körpers blosse Ausschwitzung- plastischen Exsudates zur Wiedervereinigung der Wunde oder zum Wiederersatz der Hornhaut- substanz herbeiführt, oder aber Vereiterung der betroffenen und angren- zenden Partie. Bloss objeetiv aufgefasst, werden sich die hieher gehö- rigen Fälle von der Keratitis rheumatica nicht durchgehends unterscheiden hissen, wenn nicht etwa die Einwirkung eines fremden Körpers an be- sondern Merkmalen, z. B. linearem Verlaufe der Trennung des Zusam- menhanges u. dgl. zu erkennen ist. Im Allgemeinen müssen demnach die anamnestischen Momente genau erhoben, und wo diese unglaubwürdig erseheinen (z. B. bei Simulanten, in gerichtlichen Fällen) der weitere Verlauf abgewartet werden. Die nähere Belehrung hierüber lässt sich erst in dem folgenden Abschnitte geben.

II. Verletzungen der Hornhaut.

1. Durch mechanisch wirkende Schädlichkeiten.

a) Quetschung der Hornhaut verursacht in der Regel eine heftige Entzündung derselben mit Abscessbildung und deren Folgen, der fremde Körper mag nun in die Substanz eingedrungen (gequetschte Wunde), oder sogleich abgeprallt sein.

b) Kleinere fremde Körper haften bisweilen oberflächlich an der Cornea, und erregen gewöhnlich so heftige Zufälle, dass der Betroffene so bald als möglich Hilfe sucht. Dennoch geschieht es, dass der fremde Körper Tage-, Wochen-lang sitzen bleibt, und erst später heftige Ent- zündung der Hornhaut, gewöhnlich mit Eiterbildung erregt.

So wird ein Fall von Morgagni erzählt, wo der Flügel eines kleinen Insectes in der Cornea zurückgeblieben war, und ein Geschwür erzeugte, welches augenblicklich besser wurde, als man die Ursache erkannt und entfernt hatte. Nach Wcnzl blieb die

204 Hornhaut.

Hülse eines Samenkorns 4 Monate lang auf der Cornea eines Kindes sitzen, und wurde für eine Pustel gehalten. Es waren aber rings um die Cornea eine Menge varicöser Gefässe vorhanden, die wie die Radien eines Kreises nach allen Seiten verliefen. Wenzl überzeugte sich, dass die vermeintliche Pustel nichts anderes war, als die harte Schale eines Hirsekorns, welche auf der Cornea dergestalt sass, dass ihr scharfer Rand sich an die Cornea angelegt, ihre glatte, convexe Oberfläche wie eine Pustel ausge- sehen hatte. *) Salomon **) beschreibt einen Fall, wo ein feines Hautchen von Hafer- stroh beinahe 1 Jahr auf der Cornea haftete, bis er es erkannte und entfernte.

c. Andere fremde Körper dringen in die Substanz mehr weniger tief ein, z. B. Funken glühenden Eisens, Stein- oder Glassplitterchen, Pulverkörner u. dgl. Dieselben erregen augenblicklich stärkere Injection der vordem Ciliararterien, Thränenfluss, Lichtscheu, Schmerz, selbst Augen- lidkrampf. Eben dieses plötzliche Auftreten der Zufälle muss den Arzt auf die Vermuthung eines fremden Körpers führen, wenn nicht schon die Aussage des Kranken ihn darauf leiten sollte. Wird die Ursache nicht bald erkannt und entfernt, so dauern nicht nur jene Zufälle fort, sondern es kommt auch zur Ausschwitzung plastischen und noch häufiger eitrigen Exsudates in die angrenzende Partie oder in die ganze Hornhaut. Die Eiterung führt entweder einfach zur Flottmachung' und Abstossung des fremden Körpers, oder zur Senkung des Eiters zwischen die Faser- schichten der Cornea, und falls sie tiefer greift, auch gern zu Iritis mit eitrigem Exsudat in der Augenkammer. Solche Fälle verhalten sich dann im Allgemeinen so wie die von Keratitis rheumat. mit Abscessbildung. Seltener geschieht es, dass der fremde Körper in eine Schicht plastischen Exsudates eingehüllt wird, fortan keine enztzündlichen Zufälle erregt, und für immer sitzen bleibt, oder erst nach langer Zeit, wenn neuerdings Schädlichkeiten auf die Hornhaut einwirken, zur Entzündung mit Eiterung führt. Pulverkörner wachsen noch am ehesten ohne weitere Zufälle ein. Wenn der fremde Körper bereits von selbst oder durch Eiterung ent- fernt, wenn er sehr klein oder durchsichtig, oder endlich, wenn er durch Exsudat und Gefässentwicklung verdeckt ist, dann kann die Diagnosis in Ermanglung verlässlicher Angaben von Seite des Kranken sehr schwierig, und oft nur mittelst Ausschliessung auf überwiegende Wahrscheinlichkeit gestellt werden. Hiebei ist nicht zu übersehen, dass eine Verletzung des Auges z. B. bei scrofulösen Individuen nicht selten den ersten Anstoss zur Localisirung eines Allgemeinleidens abgibt, und dass bei ganz gesunden in Folge verkehrten Verhaltens nach einer Verletzung eine Hornhautent-

*) »lakenzic I. c. S. 294. **) AmmoiTs Zeitschrift, II. S. 332.

Verletzungen Fremde Körper. 205

Zündung entstehen kann, welche nicht Folge der Verletzung, sondern von Verkühlung oder von Misshandlung mit allerhand widersinnigen Mitteln ist.

Kleine Körper, die nicht zu tief eingedrungen sind, lassen sich meistens mit dem Spatel des Daviel'schen Löffels oder mit der convexen Seite einer Rosas'schen Sichelnadel abstreifen; selten wird es nölhig, sie mit einer Staarnadel herauszugraben. Man hüte sich, die Reizung und Verletzung der Cornea unnöthig zu vermehren. Man setze, wenn man keinen geeigneten Gehilfen zur Hand hat, den Kranken so, dass dessen Kopf eine feste Lehne finde, und das Licht so einfalle, dass es den Kranken möglichst wenig blendet, und das Spiegeln der Cornea die ge- naue Einsicht auf den betroffenen Fleck nicht hindert. Der Kranke schliesse mit der einen Hand das andere Auge, und werde angewiesen, mit der andern nicht nach der des Operateurs zu greifen. Je nachdem es be- quemer ist, bald mit der rechten, bald mit der linken Hand fasst nun der Operateur das Instrument, und versucht die Entfernung des fremden Körpers, indem er mittelst des Daumens einer- und mittelst des Zeige- fingers andrerseits die Lider auseinander zieht und leicht an den Bulbus andrückt. (Zieht man die Lider stark vom Bulbus ab, so wird derselbe sehr unruhig). Hat man ein spitziges Instrument, so sei man auf un- vermuthete Bewegungen des Bulbus um so mehr gefasst, als die Gefahr der Verwundung der Cornea grösser ist. Der braune Beschlag, welcher nach dem Eindringen von Eisenfunken zurückbleibt, soll abgekratzt werden, wenn es ohne Gefahr übermässiger Reizung geschehen kann. Leichter füllt sich das dadurch bewirkte Grübchen wieder aus, als ein solcher Be- schlag verschwindet. Es versteht sich, dass man dabei auf die geringe Dicke der Hornhaut nicht zu vergessen hat. Den Vorschlag, Eisen- splitter mittelst eines starken Magnetes anzuziehen, oder mittelst gehörig verdünnter Essigsäure aufzulösen, wird man wohl selten in Anwendung zu bringen nöthig haben.

Ist der fremde Körper tiefer eingedrungen, oder läuft er schief zwischen den Hornhautfasern fort, wie z. B. Holz- oder Glassptitter, dann hat man zu berücksichtigen, ob man ihn noch fassen kann, oder nicht. Darnach wird man ihn entweder mit einer Pincette fassen, oder den Wundkanal mit einem Staarmesser erweitern. Man hat sich weniger zu scheuen, eine etwas grössere Schnittwunde zu machen, als durch ver- gebliche Versuche den spröden Körper abzubrechen oder noch tiefer hineinzutreiben, oder durch Zerrung und Zerreissung die Wunde zu ver- grössern. Nicht gar fest sitzende Glassplitter lassen sich oft mittelst eines mit Leinwand umhüllten Griffels abstreifen.

206 Hornhaut.

d. Wunden der Cornea, ohne Gegenwart fremder Körper, erregen verschiedene Zufälle, je nachdem sie rein geschnitten, oder zugleich gequetscht sind, wie die meisten Stich- und die Risswunden, und je nach- dem sie durchbohrend sind, oder nicht, ersteres mit oder ohne Verlust des Humor aqueus, mit oder ohne Vorfall der Iris. Wunden mit Quetschung der Ränder oder Erschütterung der ganzen Cornea führen sehr leicht zu mehr weniger ausgebreiteter Entzündung und Vereiterung.

Reine Schnittwunden bedingen diese Folgen nur dann, wenn sie kleine Lappen bilden, oder wenn die Vereinigung per primain intentionem durch schlechtes Verhalten gehindert wird, oder wenn das Individuum sonst krank ist, insbesondere, wenn es stark herabgekommen, an Lues gelitten und viel Mercur gebraucht öftere Anfälle von Rothlauf gehabt hat, über- haupt zu Eiterung einfacher Hautwunden disponirt ist. Es versteht sich übrigens von selbst, dass auch die Grösse der Wunde und das unge- störte Anliegen der Wundränder an einander von grossem Einflüsse ist.

Durchdringende HornhautiDunden setzen theilweisen oder gänzlichen Verlust des Kammerwassers, häufig auch Vorfall der Iris und dessen wei- tere Folgen. Wir werden darauf in dem Abschnitte über _HornhHiitge- schwüre" zurückkommen, und erwähnen nur in voraus, dass in Fällen durchdringender Hornhautwunden überhaupt ruhige Lage des Kranken die erste Bedingung zur Heilung ist. Entsteht die Frage, was mit der vorgefallenen Iris zu geschehen habe, so muss man wissen, dass die Entfernung derselben aus der Hornhautöffnung nur dann wünschenswert« und zulässig erscheint, wenn sich letztere nachher durch Berührung der Wundränder völlig schliessen kann. Das Zurückgehen der Iris wird begünstigt : durch Abhaltung aller Muskelanstrengung, dnrch sanftes Hin- und Herstreichen mit dem Daumen über die geschlossenen Lider und dann rasches Öffnen der Lidspalte, durch Anwendung des Galvanismus nach Schindler (mittelst einer Pincette, deren einer Arm, von Silber, an den prolapsus, der andere, von Kupfer, an die Sclera angehalten wird), oder, bei mehr centralen Vorfällen durch Einträuflung von Belladonna. Wollte man die prolabirte Iris mit dem DaviePschen Löffel zurück- schieben, so müsste man wenigstens sehr vorsichtig zu Werke gehen. Wäre ein Theil der Iris fest eingeklemmt, und nur sehr schwer oder gar nicht zurückschiebbar, so würde ich ihn lieber mit einer Scheere ab- schneiden, als reponiren oder mit Lapis infernalis ätzen.

Verletzungen Chemische Substanzen. 207

2. Durch chemisch wirkende Substanzen.

Verbrühung der Hornhaut mit siedendem Wasser bewirkt, bei leich- terem Grade, nur Trübung- und Abstossung des Epillieliums, welches sich unter gelinden Zufällen bald wieder ersetzt. Verbrühung mit Mineral- sauren oder geschmolzenen Metallen führt in der Regel nicht nur zu Verwachsungen des Bulbus mit den Lidern fvergl. S 155), sondern auch zu unheilbarer Trübung der etwa frei gebliebenen Cornea, und zwar mitielst Suppuration oder Sphacelus. Gerieth ungelöschter Kalk oder Mörtel auf die Cornea, so kann man sicher sein, dass eine heftige sup- purative Entzündung nachfolgt, und dass, auch wenn es nur zu ober- flächlicher Verschwörung kommt, eine niemals völlig aufhellbare Narbe zurückbleibt. Greift aber die Verschwörung etwas tiefer, so tritt Iritis und Hypopium hinzu. Das Anschlagenden Feuerflammen an die offenen Augen versetzt nicht nur die Hornhaut, sondern gewöhnlich den ganzen Bulbus in suppurative Entzündung.

Rücksichtlich der Folgezustände nach den verschiedenen mechanisch^ oder chemisch-wirkenden Schädlichkeiten ist noch zu bemerken, dass, wenn fremde Körper nicht bei Zeiten entfernt werden, wenn die Ver- letzung mit einer gewissen Erschütterung erfolgte, die Wunde gerissen oder stark gequetscht -ist, wenn nachher nicht bald entsprechende Hilfe geleistet wird, oder das Individuum überhaupt sehr vulnerabel ist: die Entzündung nicht nur die Cornea, sondern mehrere Gebilde, namentlich die Conjunctivä bulbi und die Iris, ja selbst die Chorioidea, den ganzen Bulbus ergreifen, tfie sogenannte Chemosis oder PanOphthalmitis trauma- tica vorstellen kann.

Chemosis nannte man jede Entzündung am Augapfel, welche mit starker Infiltra- tion der Conjunctivä bulbi, so dass dieselbe einen förmlichen Wall um die Cornea bil- dete, und mit hinzutretender Entzündung der Cornea häufig auch der Iris verlief, und entschiedene Tendenz zur Vereiterung der Cornea zeigte. Nach dieser Anschauungs- weise war die Bindehajitblennorrhöe 3. Grades so gut eine Chemosis, wie die Keratitis rheumatica oder traumatica mit Eiterung. PanOphthalmitis nannte man die Augen- entzündung dann, wenn nebst Entzündung der Cornea und Iris und der wallähnlichen Geschwulst der Conjunctivä auch heftigere Entzündung der Chorioidea mit plastischem oder eitrigem Exsudate auftrat, und wegen der damit verbundenen serösen Infiltration der Tunica vaginalis bulbi im hinlern Umfange des Bulbus (analog der Schwellung der Conjunctivä im vordem Bereiche) der Augapfel unter heftigen Schmerzen und feurigen Erscheinungen aus der Orbita vorwärts gedrängt wurde.

Behandlung der consecutiven Zufälle. Ist der fremde Körper ent- fernt, oder war ein solcher gar nicht zurückgeblieben, dann hängt es

208 Hornhaut.

von den bereits eingetretenen oder mit Wahrscheinlichkeit zu erwar- tenden Zufällen ab, welche Behandlung- einzuleiten sei. Dauern Licht- scheu, Thränenfluss und Schmerzen nach Entfernung des fremden Körpers noch fort, so gebe man kalte Umschläge; steigen sie noch, so sind über- diess örtliche Blutentziehungen und starke salzige Abführmittel angezeigt ; fängt die Conjunctiva bulbi noch vor dem Eintritte der Eiterung an zu schwellen, womit gewöhnlich auch Anschwellung und stärkere Wärme des obern Lides und heftige Schmerzen im Auge und der Umgebung ver- bunden sind, so kann bei kräftigen Individuen und raschem Steigen der Zufälle selbst ein Aderlass nöthig werden. So wie aber Eiterung ein- getreten ist, was gewöhnlich unter dunklerer Röthe und schleimig eitriger Absonderung der Bindehaut, so wie unter zeitweiligen Nachlasse der Schmerzen geschieht, dann sind weder allgemeine Blutentziehungen noch starke Purganzen, am wenigsten aber kalte Umschläge angezeigt; im Ge- gentheile, der Kranke fühlt sich nach vorausgeschickter örtlicher Blut- entziehung, wo diese wegen starker Congestion nöthig erschien, bei Anwendung trockener warmer Tücher und Einreibungen von Ung. cinereum mit Opium an die Stirn und Schläfe wohler. Dass übrigens Ru e des Körpers und Gemüthes, restringirte Diät, so wie Abhaltung aller reizenden Einflüsse um so strenger zu beachten sind, je grösser die In- und Exten- sität der Verletzung, braucht wohl kaum erst näher erörtert zu werden.

Zur leichtern Orientirung mögen folgende Beispiele dienen. Einem jungen Manne war, als er seinen Zögling mit einer dürren Ruthe züchtigte, ein Stückchen derselben in's rechte Auge gesprungen. Er empfand sogleich lebhaften Schmerz, als ob etwas im Auge läge. Lichtscheu und Thränenfluss, und kam 3 Stunden darauf zu mir. Ich fand keinen fremden Körper, nur die Cornea oberflächlich verletzt, das Epi- thelium an einer hanfkorngrossen Stelle unterhalb der Pupille abgestreift, rings um die Hornhaut einen sehr stark injicirten Gefässsaum, die Pupille ausserordentlich eng. Unter Anwendung von kalten Umschlägen, Ruhe und etwas Bitterwasser war der Kranke den 4. Tag vollkommen genesen. Eine Frau von 50 Jahren hatte sich, 4 Stunden hevor ich sie sah, an ein heisses Ofenthürl gestossen, derart, dass die Kante desselben mitten über den Nasenrücken und die rechte Cornea (bei offenem Auge) gegangen war. Ich fand auf dem Nasenrücken einen röthlichen Streifen (1. Grad von Verbrennung), auf der Cornea vom innern bis zum äussern Rande einen etwa V" breiten, weissgrauen, weder erhabenen noch vertieften Streifen, die übrige Cornea rein, die Bindehaut nir- gends verletzt, weder unter dem obern, noch unter dem untern Lide einen fremden Körper, dennoch das Auge ungemein lichtscheu, von Thränen überströmt, und anhal- tend heftig schmerzend, die Lider leicht angelaufen. Ruhe, Eisumschläge, Diät, ein Eccoproticum. Den 3. Tag war die Trübung der Cornea verschwunden, das mittler- weile abgestossene Epithelium vollständig ersetzt, die Iris frei, aber dennoch Lichtscheu und Thränenfluss heftig. Den 5. Tag konnte die Verletzte wieder ausgehen. Bei einem jungen Manne fanden wir 24 Stunden, nachdem ihm frisch angemachter Mauer-

Verletzungen Beispiele. 209

kalk in's linke Auge gespritzt war, die Lider massig geschwollen, die Conjunctiva palp. nächst dem Rande der Lider in einer Ausdehnung von 3'" Länge und V" Breite. mit graulich weissem, fest aufsitzendem Exsudate überzogen, in der Umgebung gleich- förmig hochroth und aufgelockert, die Conjunctiva hulbi dicht netzförmig, gegen den innern Winkel hin stellenweise ecehymotisch geröthet, und die Cornea in der untern Hälfte ihres Epithelialüberzuges beraubt. Der Fall wurde interessant dadurch, dass sich das Epithelium der Cornea binnen 24 Stunden bis auf eine hirsekorngrosse Stelle ersetzte. Schon den 6. Tag der Behandlung verlangte der Kranke entlassen zu werden, da die Trübung des Gesichtes schon den 4. Tag völlig verschwunden, und die Re- actionserscheinungen von der Anätzung der Conjunctiva palpebr. bis auf ein Minimum herabgesunken waren. Eine Dienstmagd, welche bereits mehrmals an Augenentzün- dungen und an Anschwellungen der Halsdrüsen gelitten hatte, wurde Anfang September 1846 von einer Kuh mit dem Schweife in das linke Auge geschlagen. Die nächsten Folgen waren brennender Schmerz, Röt'e des Weissen, später Gefühl von Druck unter dein obern Lide, Lichtscheu und Thränenfluss. Dennoch blieb die Kranke bei ihrer Beschäftigung, und kam erst 7 Wochen später, als nämlich auch auf dem rechten Auge Röthe, Schmerz und Lichtscheu auftraten, auf die Klinik. Das rechte Auge bot das gewöhnliche Bild einer Ophthalmia catarrhalis pustularis dar, nebst mehrern Horn- hautflecken als Folge vorausgegangener scrofulöser Bindehautentzündungen. Auf der linken Hornhaut bemerkte man nach unten und aussen einen erbsengrossen, schmutzig- gelblichen, undurchsichtigen Fleck. Auf den ersten Blick konnte man ihn für eine Pustel halten ; bei näherer Untersuchung ergab sich, dass er durch Eindringen eines fremden Körpers und die dadurch gesetzte Reaction bedingt war. Mit dem Spatel des Daviel'schen Löffels wurde ein gelbliches, sprödes, etwas knirschendes Klümpchen entfernt, worauf ein hanfkorngrosses Grübchen mit grauem Grunde sichtbar wurde. Man hätte nun erwarten sollen, dass die Reaction abnehmen, und das Geschwür ver- heilen würde. Im Gegentheile, trotz energischer Antiphlogose kam es zum Durchbru- che der Hornhaut an der verletzten Stelle. Leider entzog sich die Kranke der wettern Beobachtung, da indessen das rechte Auge, dessentwegen sie in's Spital gekommen war, vollkommen genesen war. Ein achtjähriger Knabe hatte sich mit der Spitze eines Messers in's rechte Auge gestochen. Man hatte einige Stunden kalte Umschläge gegeben, und, da der Kleine weiter über nichts klagte, ihm erlaubt, vor's Thor zu gehen, wo er sich tüchtig herumfummelte, so dass er ganz erhizt nach Hause kam. In der Nacht waren Schmerzen eingetreten. Als ich den 2. Tag Morgens gerufen wurde, fand ich eine etwa V" lange Stichwunde unterhalb der Pupille, wahrscheinlich nicht durchdringend, weil weder Humor aqueus fehlte, noch die Iris gegen jene Stelle verzogen war. Das Auge war nur massig lichtscheu, in der Umgebung der Wunde leicht geröthet. Ich verordnete Ruhe und -kalte Umschläge, alle 5 Minuten zu wech- seln, und stellte die Prognosis günstig. Der Knabe war zwar schwächlich und mager, hatte eine sogenannte Vogelbrust, sah jedoch übrigens gesund aus. Den 3. Tag fand ich die Cornea durchaus matt und trüb, in der Peripherie nur undeutlich durchschei- nend, die Ciliargefässe stark, die Conjunctivalgefässe massig injicirt, die Lider etwas angelaufen, Lichtscheu und Thränenfluss heftig. Ich Hess die kalten Umschläge aus- setzen, dafür Ung. einer, mit Opium an die Stirn und Schläfe aufstreichen, und gaD ein Infusum sennae mit syr. cichorei c. rheo. Am 4. Tage keine Änderung ; am 5. die Hornhaut in der Mitte heller, so dass der Kranke die Finger wieder zählen konnte;

I. 14

210 Hornhaut.

an der Slclle der Verletzung Klafft die Hornhaut, so dass man einen linearen Streifen der Iris bloss liegen sieht. Dieselbe Therapie. Am 6. Tage fand ich alles verändert, die Hornhaut in voller Eiterung, nach unten und aussen bereits erweicht, wie in Fetzen zwischen den Lidern vorragend, starkes Ödem der Conjunctiva bulbi und der Lider. Man hatte wider mein Gebot den lebhaften Knaben nicht nur aufstehen, sondern auch auf den Gang gehen lassen. Von nun an trat unaufhaltsam Vereiterung der Cornea, Blosslegung der Iris und Verlust der Linse ein, und durch etwa 14 Tage ragte selbst eine Flocke Glaskörper vor, die sich durch Vereiterung abstiess. Die Verletzung hatte Anfang September statt gefunden ; die Vernarbung mit massiger Verminderung der Grösse des Bulbus war erst Ende October vollendet. Prof. Fischer (Lehrbuch S. 45) beschreibt folgenden Fall als Chemosis. Ein 40jähriger Schnitter von starker Körper- constitution hatte sich zur Zeit der Ernte mit einer Kornähre das rechte Auge verletzt. Trotz Schmerz, Lichtscheu und Rötbe arbeitete er nicht nur denselben und den fol- genden, sondern, mit verbundenem Auge, auch den 3. Tag noch fort, Am 4. Tage musste er vor Schmerzen im Dorfe bleiben, wo man ihm ein Krebsauge unter das Augenlid schob, und mancherlei Hausmittel gebrauchen liess. Da die Zufälle täglich ärger wurden, ging der Kranke den 8. Tag nach Prag, wo das verletzte Auge den 2&. Juli in folgendem Zustande befunden wurde: die Lidränder stark angelaufen; unter der Mitte der Hornhaut ein Geschwür, dessen Umgebung, besonders nach unten, grau- lich weiss und aufgelockert; die übrige Hornhaut matt, grau getrübt, doch noch durch- sichtig, besonders nach oben, von wo man erkennt, dass in der vordem Kammer eine gelbe, eiterähnliche Flüssigkeit bis zum Pupillenrande herauf angesammelt ist; die Pupille selbst und die Regenbogenhaut bieten keine merklichen Veränderungen dar ; rings um die Hornhaut ist die Scleralbindehaut in einen hochrothen Wall erhoben, welcher in der untern Hälfte viel höher ist, als in der obern. Der Patient klagt nebst Blindheit des Auges über anhaltende, drückend-spannende, stechend-reissende Schmer- zen im Auge und im Kopfe, welche ihn schon mehrere Nächte nicht schlafen Hessen ; er hat kein Verlangen nach Speisen, erhöhten Durst, freqwenlen Pols, Stuhlverstopfung, Ordination: Ein Aderlass auf 12 Unzen, ein Purgans antiphlog., ruhige Lage, strenge Diät. Den 29. Juli. Nach dem Aderlass hat der Kranke fast die ganze Nacht geschla- fen ; es sind 2 Stühle erfolgt; der Eiter in der vordem Kammer hat auffallend abge- nommen ; übrigens keine Änderung. Mittags nahmen die Schmerzen im Auge und Kopfe wieder zu, und gegen Abend sah man w eder mehr Exsudat in der vordem Kammer; es wurde desshalb wieder ein Aderlass gemacht und das Purgans fortgesetzt. Darauf erfolgte eine ruhige Nacht, des Morgens 4 Stühle. Am 31. Juli. Das Niveau des Eiters wieder niedriger, als am 30., doch nicht so, wie am 29. Am 2. August wurde neuerdings zur Ader gelassen ; die darauf folgende Erleichterung der Schmer- zen war unbedeutend, und der Eiter erreichte gegen Abend schon den Pupillarrand, wesswegen wir die Hornhaut an ihrem untersten Ende öffneten ; der Eiter entleerte sich ganz, und der Schmerz im Auge und Kopfe verschwand augenblicklich. Am 3. August war der Kranke, der die Nacht sehr gut geschlafen hatte, ganz fieberlos. Am 5. August musste die Hornhaut neuerdings punktirt werden, um den wieder angesam- melten Eiter zu entleeren. Vom 6. August an erfolgte keine solche Ansammlung mehr und bedeutende Besserung, so dass vom 7. August an bereits eine schwache Lösung von Lapis divinus cum laud. Sydenh. eingeträufelt werden konnte, der Zustand des Kranken bei nahrhafter Kost von Tag zu Tag besser wurde, und derselbe Ende August

Malacie. 211

mit gerettetem Sehvermögen entlassen werden konnte, da die Hornhautnarbe nicht im Bereiche der Pupille lag.

III. Malacie der Hornhaut.

Auf diese seltene Aft'ection hat meines Wissens zuerst Prof. Fischer in seinem Lehrbuche S. 275 aufmerksam gemacht. Er bezeichnet sie als Folge unterdrückter Masern, und erinnert an die Ähnlichkeit mit der Verschwärung der Cornea, welche nach Durchschneidung des Ganglion cervicale supremum oder des Trigeminus diessseits des Ganglion Gasseri bei Thieren beobachtet wird. '*) Er beobachtete diese Form 3mal bei Kindern unter grosser Unruhe und Gehirnaffection nach einem heftigen Fieber, die Hornhaut wurde in Folge des gehemmten Nerveneinflusses auf die Ernährung ergriffen, bei normalen Augenlidern, auffallender Anästhesie der Augen und erweiterten Blutgefässen der Conjunct. bulbi trüb, vollkommen undurchsichtig, aufgelockert, weich, und in 24 48 Stunden durch Exulceration zerstört ; die Kinder starben in kurzer Zeit nach dem Ausbruche des Übels an den Augen.

Da meine diessfälligen Beobachtungen gleichfalls nicht zahlreich sind, so ziehe* ich es vor, statt einer »allgemeinen Schilderung, dieselben speciell anzuführen. Dr. K. liess mich in ein Haus rufen, in welchem im August 1847 drei Kinder an Scaiiatina erkrankt waren. Zwei derselben waren bereits reconvalescent, das dritte, ein Knabe von 4% Jahren, war vor 8 Tagen von Fieber« und darauf von sehr reichlichem Exanthem be- fallen wurden. Seit einigen Tagen hatte man ein leichtes Verklebtsein der . Augen, seit gestern eine leichte Trübung der rechten Hornhaut bemerkt. Ich fand (am 8. Tage der Krankheit) den Knaben sehr abgemagert (seit etwa 3 Tagen), die Haut durchaus auffallend blass, brennend heiss, die Lippen trocken, rissig, den Athem übelriechend, die Stimme heiser, das Athmen beschleunigt, den Unterleib eingesunken, den Stuhlabgang häufig und sehr dünnflüssig ; der Knabe lag wie betäubt, ohne Theilnahme, bei jeder Berührung ächzend, übrigens oft sich unruhig hin und her werfend. Die rechte Hornhaut war durchaus gleichmässig getrübt, undurch- sichtig, aufgelockert, erweicht; die linke Hornhaut malt, leicht getrübt, ohngefähr so wie bei einem Cadaver 36 Stunden nach dem Tode. Die Bindehaut war auf beiden Augen blass, nur im untern Theile über der Sclera von einigen Gefässchen mit einzelnen Ecchymosen versehen und

») Vergl. Stilling über Spinalirriinüon. I.ripzis 1840, und Szokalski in Rosor und Wnnderlich's Arrhiv, 1846, S. 183.

14 *

212 Hornhaut.

etwas aufgelockert. Wir verabreichten eine Medicin mit Exlr. chinae frig. par. Am 9. Tage erschien die linke Hornhaut ehen so verändert, wie am 8. die rechte; der Zustand dieser war im Ganzen derselbe. Wegen profuser Diarrhöe wurde nebstdem Plumb. acet. verordnet. 10. Tag: rechts die Cornea in eine Masse wie Schmierkäse erweicht, in der Mitte bereits abgestossen, daher die unverletzte Descemet'sche Haut als durchsichtige, krystallhelle Blase in der Grösse einer Linse (Ervum lens) sichtbar; links die Hornhaut undurchsichtig, aufgelockert, doch noch ganz vorhanden. Die Injection der Conjunctiva bulbi noch immer auffallend gering. 11. Tag: die Descemet'sche H.uit ist geborsten, etwas später die Linse abgegangen, eine klare durchsichtige Masse (Glaskörper) ragt aus der Öffnung hervor; das linke Auge heute so, wie gestern das rechte. Die Conjunctiva bulbi etwas mehr aufgelockert, doch nur sparsam von Gefässen durchzogen. Bis zum 14. Tage waren beide Hornhäute ganz abgestossen, die Conjunctiva bulbi zu einem flachen und leicht ge- röthelen Walle erhoben. Am 15. Tage zeigten sich Eiterablagerunoen an der rechlen Handwurzel, und am 17. Tage erfolgte nach einem mehr- tägigen gänzlich soporösen Zustande der Tod. Die Section wurde nicht gestattet. Am 18. October 1847 wurde ich zu einem Bäcker gerufen, dessen 7 Monate altes Kind vor 3 Wochen abgestillt, und wenige Tage darauf von Diarrhöe und Aphthen befallen worden war. Dasselbe schien von Natur aus stark zu sein, sah aber jetzt ganz anämisch aus, wie aus weissem Wachs geformt, war trotz der sorgfältigen Einhüllung am ganzen Körper kühl, machte nur selten eine geringe Bewegung mit den Extre- mitäten, hielt die tief eingefallenen Augen halb geöffnet, lag ganz apa- thisch da, und gab nur manchmal einen leisen, kreischenden Laut von sich. Der behandelnde Arzt hatte die Ursache in uniweckmässiger Er- nährung des Kindes erkannt, und bereits seit einigen Tagen geeignete

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Anordnung getroffen, um diesem Übelstande abzuhelfen. Seit 4 Tagen hatte man etwas Schleimabsonderung an den Augen, doch ohne erheb- liche Röthe derselben bemerkt; Tags vorher waren dem Arzte kleine Flecke auf den Hornhäuten aufgefallen. Ich fand auf jeder Hornhaut ein Hanfkorn-, beinahe Linsen- grosses Geschwür, oder vielmehr die Hornhaut war in der Mitte in eine eiterähnliche Masse verwandelt und durch- brochen, denn die Iris war an die Cornea angelagert, der Humor aqueus also ausgeflossen. Diese Stelle war auf dem rechten Auge etwas unter- halb des Centrums der Cornea, auf dem linken etwas auswärts davon ge- lagert, beinahe cirkelrund, und von der umgebenden, übrigens vollkommen durchsichtigen und glatten Hornhautsubstanz scharf abgegrenzt. Die

Geschwüre Vorkommen Ursachen. 213

Augen holen, indem der Lidschlag- sehr selten und langsam erfolgte, ein eigenthühmlieh befremdendes Aussehen dar. Die Conjunctiva bu'bi war nicht im mindesten von Gefässen durchzogen, die Ciliargefässehen nicht abnorm injicirt; die Lider weder geschwollen, noch gerölhet; keine Spur von Lichtscheu oder Schmerz; man konnte die Augen ganz bequem untersuchen. Wir verordneten nebst der sorgfaltigsten Pflege Kukuruz- wasser mit Milch zur Nahrung, und Extr. chinae frig. par. mit Acid. phos- phor. in einer M. gummosa. Schon den 20. ging es dem Kinde im Allge- meinen auffallend besser. Die Diarrhöe war gering, der Mund reinigte sich; die Haut wurde wänuer und besser gefärbt, die Extremitäten mehr bewegt. Die Hornhautgeschwüre waren nicht nur nicht grösser, sondern auch reiner, die kleine Öffnung in der Dcscemet'schen Haut durch die Iris verlegt, die Augenkammer wieder hergestellt. Am 22. sah man deutlich, dass das Kind nun bei zweckmässigerer Pflege und Nahrung gedieh ; die Hornhautgeschwüre fingen an kleiner zu werden. Von nun an schritt die Besserung sichtlich vorwärts, und das Kind kam mit leichten Horn- hautnarben davon. Anfang Jäner 1851 suchte ich dieses Kind auf; es sieht blühend gesund aus, und hat auf jedem Auge eine etwa hirsen- grosse Hornhautnarbe mit vorderer Synechie, welche das Gesicht nicht stört. Die Cornealwölbung ist weder an der Stelle der Narbe, noch in der Umgebung- verändert. *)

IV. Geschwüre der Hornhaut. **)

In Folge verschiedener, meistens entzündlicher Affectionen des Auges bemerkt man Verliefungen in der Hornhaut, durch mehr weniger bedeu- tenden Substanzverlust bedingt, und noch nicht mit Epilhelium überzogen. Diese Vertiefungen, im Allgemeinen Geschwüre genannt, zeigen entweder den Grund und die Ränder grau oder g-elblichweiss, eitrig infiltrirt, bald

*) Dieser Fall erinnert unwillkürlich an Magendie's bekannte Versuche an Hunden, bei welchen-, nachdem er sie bloss mit Zucker und destillirtem Wasser gefuttert hatte, vor dem Tode centrale durchbohrende Hornhaulgeschwure entstanden. Memoire sur les Proprietes nutritives des Snöstances, qui ne contiennent pas d'Azole, Paris 1816.

$*( Wenn ich, dem aufgestellten Systeme nicht streng folgend, der Besprechung der hieher gehörigen Zustände der Cornea einen eigenen Abschnitt widme, sumit dieselben gleichsam als selbständig, als Krankheilen hinstelle, so geschieht diess nur der Kurze und der Deutlichkeit wegen. Diese Zustünde stellen nur Mittelglieder dar, denen verschiedene andere vorausgehen und nachfolgen können. Sie bieten aber, gleichviel ob auf diese oder auf jene Weise entstanden, so viel gemeinschaftlich zu Besprechendes dar, dass ihnen ein eigener Abschnitt gewidmi- werden, und aus den einzelnen Capileln darauf hingewiesen werden musste, wenn nicht häufig dasselbe wiederholt »erden wollte, und eben durch diese Zusammenfassung kounle ihre Schilderung nur au Klarheit und Deutlichkeit gewinnen.

214 Hornhaut.

mit, bald ohne Blutgefässentwicklung in der Umgebung, und heissen dann Eitergeschwüre, oder sie erscheinen ganz rein, oft nur durch die Seiten- ansicht (beim Spiegeln der Cornea) erkennbar, stets ohne Gefässentwick- lung, als sogenannte Resorptionsgeschwüre. Letztere erscheinen entweder gleich von vornherein als solche, oder als Folgezustand der ersteren ; nicht leicht (ohne besondere Veranlassung) findet der umgekehrte Fall statt.

Hornhautgeschwüre überhaupt kommen vor: 1. Bei Conjunctivitis catarrhalis ; diese sind peripherisch gelagert, gewöhnlich sichelförmig, innerhalb des Limbus conjunctivae verlaufend, haben meistens die Charak- tere der Resorptionsgeschwüre, und werden daher selten gefährlich. 2. Bei Conjunctivitis blennorrhoica. Hier entstehen entweder Resorptions- geschwüre (bei minder acutem Verlaufe), oder Eitergeschwüre durch partielle Entzündung mit Eiterbildung, oder durch Verschwörung, Nekrosirung eines mehr weniger grossen Theiles, selbst der ganzen Cornea. Die Eitergeschwüre haben hier das Eigentümliche, dass sie nie zur Eitersenkung zwichen den Faserschichten der Cornea führen, und dass sie, auch wenn sie weit um sich greifen, nie ganz bis zur Sclera hinreichen. 3. Vielleicht die häufigste Quelle von Hornhaut- geschwüren ist die Conjunctivitis scrofulosa mit Bläschen- oder Pustel- bildung auf der Cornea, so wie auch das ihr nahe stehende Trachom auf gleiche Weise, und Exantheme, namentlich die Blattern, durch Eruption auf der Cornea zu Geschwüren Anlass geben. Diese. Geschwüre sind im Allgemeinen rund, bald rein, mehr oberflächlich und daher ohne Gefahr (Resorptionsgeschwüre, besondes bei Conjunctivitis scrofulosa und Tra- choma mit Bläschenbildung), bald eitrig infiltrirt, Grund und Ränder grau oder gelblichweiss, tiefer dringend, und alle hiemit verbundenen Gefahren einleitend Diese Geschwüre sitzen, gleich den Pusteln, bisweilen halb auf der Cornea, halb auf der Sclera und zerstören bisweilen auch den Rand- theil der letzteren. 4. Der Resorptiongeschwürchen beim Pterygium wurde bereits Erwähnung gethan. 5. Die Keratitis rheumatica setzt bald ganz oberflächliche, reine und gefahrlose Geschwürchen, bald aus- gedehnte und in die Tiefe oder ganz durchdringende Geschwüre, welche fast immer, wenn nicht die Folgen des Durchbruches, so doch unheil- bare Trübungen zurücklassen. 6. Dasselbe gilt von Substanzverlusten, welche durch mechanisch- oder chemisch-wirhende Schädlichkeiten ein- geleitet werden. Eitergeschwüre, durch Conjunctivitis scrofulosa, Va- riola, Keratitis rheumatica oder traumatica eingeleitet, vergrössern die Zerstörung der Hornhaut sehr gern durch Senkung des Eiters zwischen den Faserschichten der Cornea. 7. Die spontane Verschwörung oder

Geschwüre Folgen Heilung. 215

Mal.icie der Cornea endlich gehört, wie wir gesehen haben, an und für sich in der Regel unter die gefährlichsten Zerstörungen der Hornhaul- substanz. 8. Nicht übergangen werden dürfen endlich jene Hornhaut- geschwüre, welche bei schwer erkrankten Individuen (an Typhus, Cholera, Puerperalfieber u. dgl.) in dem untern Segmente der Cornea entstehen, wahrscheinlich in Folge des mehr weniger aufgehobenen Augenlidschlages. Zuerst wird bei solchen Kranken die Bindehaut, namentlich in der untern Hälfte des Bulbus, stärker injicirt, und sondert eine sehr bald zu gelben Krusten vertrocknende Flüssigkeit ab; sofort sieht man eine solche gelb- liche Kruste längs des Randes des untern Lides über die Cornea streichen, und gleichsam an diese angetrocknet ; entfernt man dieselbe, so findet man die Cornea darunter bereits mehr weniger getrübt, selbst schon erweicht, und in ein Geschwür mit grauem Grunde verwandelt. Wenn der Kranke dem Allgemeinleiden nicht erliegt, so kann dieser Zustand der Cornea viele Tage lang unverändert bleiben, ohne Durchbruch der Cornea und mit Hinterlassung einer unbedeutenden Narbe heilen.

Sobald ein Hornhautgeschwür Gegenstand der Prognosis und The- rapie wird, genügt es nicht, bloss dessen Sitz, Ausdehnung und Tiefe, die Beschaffenheit seines Grundes, seiner Ränder und Umgebung, seiner Entstehungsweise aus diesem oder jenem Krankheitsprocesse u. s. w. möglichst genau zu eruiren man muss überhaupt wissen, auf welche Weise der Substrinzverlust wieder gedeckt werden kann, welche Folge- zustände durch Geschwüre eingeleitet werden können, und welche Um- stände auf dieses verschiedene Verhalten Einfluss zu nehmen pflegen.

Wo immer eine Vertiefung in der Cornea durch Subslanz-verlust. entstanden ist, da wird diese niemals durch Behichung der benachbarten Partien gedeckt, sondern durch plastisches Exsudat, welches jene Ver- tiefung mehr weniger vollständig ausfüllt, und welches die Eigenschaften jener Elemente, zu deren Ersatz es geliefert wurde (der Hornhaulfasern und Epithelien), in mehr weniger Zeit und in mehr weniger Vollkom- menheit oder aber niemals wieder erlangt.

Denken wir uns, um das Gesagte mehr in concreto zu betrachte», z. B. ein Hornhautgeschwür von etwa 1 '/./" Durchmesser, trichterförmig wie gewöhnlich, in der Mitte etwa '/3'" tief, Grund und Rander grau, letztere etwas geschwellt, weil von Ex- sudat inliltrirt. Soll ein solches Geschwür nicht weiter um sich greifen, so muss zu- nächst die Schmelzung der Ränder und des Grundes, die Eiterbildung aufhören, Grund und Ränder müssen ein reineres Aussehen annehmen. So wie diess geschehen ist, linden wir eine allmä'lige Abnahme sowohl der Tiefe als des Umfanges. Nach und nach, wie diess Grübchen kleiner geworden, erscheint die betroffene Stelle nicht mein so rein und hell, sondern mehr weniger getrübt, und diese Trübung kann in den*

216 Hornhaut.

Maasse zunehmen, wie die Vertiefung endlieh ausgefüllt wird. Diese Erscheinung ist selbst Laieu bekannt; sie bezeichnen sie oft als eine neu entstehende Krankheit, als das Wachsen eines Fleckes oder Felles auf dem Auge, indem sie die das Geschwür einleitende Krankheit bereits verschwunden wähnen. Sobald nun kein eigentliches Grübchen mehr vorhanden ist, sobald die afficirte Stelle wieder glatt, mit Epithelium überkleidet erscheint, findet man die mehr weniger trübe Stelle entweder vollkommen gewölbt, das Spieereibild z. B. von den Fensterrahmen regelmässig, wie auf gesunden Hornhautpartien, oder diese Stelle erscheint leicht abgeflacht, wie wenn man die Horn- haut daselbst abgeschliffen hätte. Diess hängt nämlich davon ab, ob das plastische Exsudat, welches zum Ersatz geliefert wurde, vor dem völligen Abschlüsse durch Epi- thelium in hinreichender oder in zu geringer Menge gesetzt wurde. Nur selten, unter weiter unten zu erörternden Umständen, geschieht es, dass der Callus, wenn man so sagen darf, in excessiver Menge abgelagert wird und eine Erhöhung an dieser Stelle bewirkt. In dem Falle, wo der Substanzverlust nicht vollkommen gedeckt wurde, bleibt dann in der Regel jener leichte Abschliff zurück. Wurde die Grube gänzlich und gehörig ausgefüllt, so hängt es zwar zunächst von der Beschaffenheit des Exsu- dates ab, ob dasselbe nach längerem Bestände trüb und undurchsichtig, als einfaches Faser- oder Narbenjewebe stehen bleibt, oder ob es allmälig in ein den Cornealfasera völlig analoges, homogenes Gewebe verwandelt werde oder nicht ; es haben aber auf die Möglichkeit dieser Umwandlung noch eine Menge Umstände Einfluss, welche wir zum Theil in diesem, zum Theil aber auch erst in dem folgenden Abschnitte (über Hornhauttrübungen) ausführlicher besprechen können.

Es ist Thafsache der Beobachtung, dass mehr weniger grosse Par- tien der Hornhaut, welche durch Eiterung zerstört und, gleichsam pro- visorisch, durch ein mehr weniger trübes Gewebe ersetzt worden waren, nach einiger Zeit wieder vollkommen durchsichtig, gewölbt und glatt werden können. Man sieht in den Fällen, wo diese Metamorphosen auf einander folgen, niemals weder eine Spur von Beziehung der Geschwürs- ränder, wie z. B. nach Substanzverlusten in der Cutis oder in einer Schleimhaut, daher auch niemals strahlige Narben, noch ein einfaches Nachwachsen gesunder Hornhautsubstanz vom Cornealrande her (als Ma- trix) , wie bei den Horngebilden (Nägeln oder Haaren). Man muss demnach obigen Vorgang als wirkliche Regeneration verloren gegangener Hornhautpartien betrachten, man muss zugeben, dass die Hornhaut, we- nigstens unter gewissen Bedingungen, regenerationsfähig sei.

Ich hatte diesen Satz, über dessen Richtigkeit man mit sich im Reinen sein muss. bevor man in die Lehre von den Cornealgeschwüren und deren Folgen weiter eingehen kann, zuerst in meinem Aufsatze über das Hornhautstaphylom (Prag. Vjschr. 1844, B. II.) und über Centralkapselstaar (Österr. medicin. YYochenschr. 1845. IV. 10 und 11) durch Beobachtungen nachzuweisen versucht. Dr. Hasner 1. c. S. 97 fertigt iiuine Behauptung, ohne auf jene Beobachtungen hinzuweisen, mit der einfachen Ver- dächtigung ab. „sie beruhe auf Täuschung". Er gibt dagegen Folgende Erklärung: „Wenn ein Theil des Hornhaatparenchyms durch Vereiterung zu Grunde gegangen ist, so enl-

Geschwüre Regeneration. 217

wickeln sich in der Tiefe des Geschwüres Gefässe, welche die Ansetzung eines pla- stischen Exsudates vermitteln, das in Fasern umgewandelt wird. Diese Fasern, an die Geschwürsränder geheftet, bringen bei ihrer Contraction Schrumpfung, eine Dehnung der Hornhaut (!) hervor. In eben dem Maasse, als demnach die Narbe kleiner wird, gewinnt der durchsichtige Theil der Hornhaut an Breite; wenn zudem noch das paren- chymatöse Exsudat in der Umgebung des Geschwüres resorbirt wird, so erscheint nach vollendeter Vernarbung ein grösserer Theil der Hornhaut durchsichtig, als bei der um- fangreichen Zerstörung hätte vermuthet werden können. Dass eine Dehnung der Horn- haut, besonders so lange sie infiltrirt ist, leicht möglich ist, beweist der oben ange- führte Fall (mit Ausdehnung der Cornea in Folge entzündlicher Infiltration) und die Ver- grösserung der Hornhaut bei der Kammerwassersucht. Aus denjenigen Fällen übrigens, welche zum Beweise der Regeneration der Hornhaut angeführt werden, ergibt sich leicht, dass keine andern, als die angeführten Umstände im Spiele waren." Die Dehnbarkeit der Cornea hat Niemand geläugnet. Hasner hat nur ignorirt oder übersehen, dass die Hornhaut 1. an Stellen, wo sie in beträchtlicher Ausdehnung und Tiefe (selbst mit Durchbruch) zerstört war, in manchen Fällen wieder vollkommen durchsichtig, und 2. auch wieder vollkommen gewölbt vorgefunden wird, und 3. dass man auch die unver- sehrt gebliebenen Partien in Bezug auf ihre Wölbung nicht im mindesten verändert fin- det, selbst wenn die Cornea z. B. in der Mitte eine sehr dichte und unheilbare Narbe darbietet. Ist auch Hasner s Angabe, dass sich in der Tiefe des Geschwüres Gefässe entwickeln, sehr ungenau, selbst unrichtig, weil nicht allgemein giltig, so ist doch so viel wahr, dass im Grunde des Geschwüres plastisches Exsudat abgelagert wird, sobald die Vernarbung beginnt. Man denke sich nun, nach Hasner's Angabe, es beginne die Organisirung dieses Exsudates , die Bildung von Fasern und sofort Schrumpfung derselben ; man denke sich eine solche Faser, mit beiden Enden an gegenüberstehende Punkte des Geschwürsrandes geheftet, allmälig sich contrahirend, mit solcher Kraft, dass die umgebende gesunde Partie nachgeben, sich ausdehnen muss. Die fixen Punkte sind die Anheftungsstellen an den Geschwürsrand. Könnte bei diesem Vorgange jene schrumpfende Faser wohl jemals in der Mitte vorwärts gewölbt werden ? müsste sie nicht vielmehr stets in gerader Linie verlaufen ? Und doch sehen wir in jenen Fällen, wo Hornhautnarben mit der Zeit spurlos verschwanden, die Wölbung der Cornea da- selbst nicht im mindesten verändert ! Hasner's Erklärung geräth aber auch in direk- ten Widerspruch mit der Erfahrung, dass man, und zwar eben nicht seilen, von offenbaren Cornealgeschwüren nach mehr weniger langer Zeit gar keine Spur mehr vorfindet. Hasner's Erklärung liesse sich noch annehmen bei Hornhautnarben, welche durch das ganze Leben hindurch bleiben, und nur allenfalls mit der Zeit kleiner wer- den. Was ist aber aus jener, die angebliche Dehnung der Cornea vermittelnden Ex- sudatfaser geworden, wenn endlich keine Spur des Geschwüres und der consecutiven Narbe mehr vorhanden ist ? Ist diese etwa spurlos verschwunden, oder endlich auch durchsichtig geworden? Und endlich, hat man denn je eine positive Erscheinung wahrgenommen, welche jene Dehnung der umgebenden Partie nachwiese? Hat man je beobachtet, dass die umgebende Cornealpartie eine Andeutung von Faltung darbiete, wie wir bei Narben der Cutis oder einer Schleimhaut bemerken? Faltung der Cornea wird allerdings beobachtet, aber nie bei einfachen Hornhautnarben; immer wird man finden, dass die Cornea dann gegen einen peripherischen fixen Punkt hingezogen ist, wie z. B. wenn die Hornhautwunde nach dem Schnitte behufs der Extraction durch

218 Hornhaut.

Eiterung heilt. Ich kann demnach heute noch nicht antlers, als vor mehreren Jah- ren mir die Thatsache des spurlosen Verschwindens von Hornhautgeschwüren und Narben erklären ; ich muss annehmen, dass das zur Deckung des Substanzverlustes gesetzte plastische Exsudat unter gewissen Bedingungen in ein den Cornealfasern völlig homogenes Gewebe umgewandelt werden könne, und diese Erklärung scheint mir auch richtiger, als die, zu welcher Demours durch jene überraschende Erscheinung des spurlosen Verschwindens von Hornhautnarben bestimmt wurde. Dieser Auetor meinte nämlich, die Cornea wachse vom Rande her nach, wie der Nagel von der Matrix, und auf diese Weise werden bisweilen Hornhautnarben völlig eliminirt. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass diese Erklärung mit unsern Kenntnissen über Anatomie und Physiologie der Cornea durchaus nicht in Einklang steht, und dass dann kleine peri- pherische Cornealtrübungen oder eingeheilte fremde Körper, z. B. Rostflecke, Pulver- körner, allmälig von der Peripherie gegen das Centrum vorrücken müssten. Wollte man jene Erscheinung des endlichen Verschwindens von Narben ja als Nachwachsen gesunder Cornea betrachten, so müsste wenigstens die von den tiefern Cornealgefässen durchzogene tiefste Schicht der Cornea als Matrix argenommen werden.

Die vorzüglichsten Bedingungen zur Regeneration zerstörter Horn- haufpartien sind:

1. Dass die Descernet'sche Haut unversehrt geblieben, nicht bleibend vorgewölbt nach eingerissen wurde; wenn letzteres statt gefunden, so darf der Riss nicht gross gewesen sein, und es müssen sich die Zipfel derselben, welche beim Einreissen entstanden, nachträglich wieder voll- kommen mit einander vereinigt haben. Wo immer die Descemelsche Membran in ihrer Continuität bleibend gestört ist, z. B. durch Einheilung eines Theiles der Iris in die Cornealöffnung, da kann von einer Wieder- aufhellung der Cornea an dieser Stelle keine Rede sein.

2. Jugendliches Alter des Kranken und günstiger Zusland der Er- nährung überhaupt. Die schlagendsten Fälle von Regeneration der Cornea findet man unstreitig bei Kindern, welchen in Folge von Blennorrhoe eine mehr weniger beträchtliche Partie der Cornea zerstört worden war. Bei herabgekommenen, namentlich bei alten Individuen hinterlassen relativ kleine Geschwürchen der Cornea bleibende Trübungen.

3. Ein gewisser Grad von Reaction (Vergl. S. 103). Nicht nur die Ausfüllung der Vertiefung mit plastischem Exsudate, sondern auch dessen Umwandlung in Fasern, welche der Cornea homogen sind, kann durch äussere Einflüsse bald befördert bald behindert und vereitelt werden. Der alte Erfahrungssatz, dass unter Anwendung von Bleisalzen Hornhaut- geschwüre zwar leichter vernarben, aber auch unheilbare Trübungen hin- terlassen, ist eben so wahr als bekannt. Die nähere Erörterung dieser und ähnlich wirkender Umstände kann erst später gegeben werden.

a) Blosse Erosionen oder Epithelialvcrluste, wie wir sie in Folge

Geschwüre Erosionen Resorptionsgeschwüre. 219

von katarrhalischen und rheumatischen Entzündungen, am reinsten aber nach leichten Verletzungen mit mechanisch- oder chemisch-wirkenden Substanzen beobachten, erselzen sich in jedem Alter ohne erliebliche Reaction vollständig, selbst wenn sie über einen grossen Theil der Cornea sich ausdehnen. Sie erfordern keine besondere örtliche Behandlung.

b) Sogenannte Facetten oder Resorptionsgeschwüre erstrecken sich nicht, wie man fälschlich angegeben, bloss auf das Epithelium, sondern stets auch auf die obersten Schichten der Cornealfasern. Hievon kann man sich überzeugen, wenn man eine derart facetlirte Cornea aus dem Caxlaver nimmt, und das Epithelium überall abstreift; an der Stelle der Facette bleibt ein mehr weniger tiefes Grübchen in der Hornhautsubstanz zurück. Diese Resorptionsgeschwüre, welche am häufigsten nach Con- junctivitis scrofulosa mit Bläschenbildung zurückbleiben, werden bei eini- germassen lebenskräftigen Individuen in kurzer Zeit unter den Erschei- nungen eines wenig oder gar nicht gereizten Zustandes des Auges von plastischem Exsudate ausgefüllt, welches in der Tiefe Hornhautfasern, an der Oberfläche Epilhelium bildet, und in relativ kurzer Zeit vollkommen durchsichtig wird. Sie können aber auch Monate lang ziemlich unver- ändert fortbestehen, bevor es zu dieser Umwandlung kommt. Findet hin- gegen übermässige Reizung statt, wird das Anschiessen plastischen Stoffes gleichsam präcipitirt, so bleibt derselbe längere Zeit trüb, es bildet sich eine grauliche, später bläuliche und halbdurehsichlige Nirbe, welche jedoch, wenn sie noch nicht Jahre lang bestanden hat, und das Indivi- duum nicht zu sehr herabgekommen ist, von selbst verschwinden oder durch örtliche Reizmittel zum Schwinden gebracht werden können. Sie erfordern nur dann die Anwendung leichter Reizmittel, wenn sie ohne Zeichen von Reizungen des Bulbus lange Zeit unverändert fortbestehen. Eine schwache Lösung von Nitras argenti oder das Betupfen mit anfangs verdünntem, später mit reinem Laudanum liq. Sydenh. schienen mir die zweckmässigsten örtlichen Mittel, den Ersatz des Substanzverlustes zu be- günstigen.

Itfi habe einige Male derlei kleine Trübungen im Cadaver zu untersuchen Gele- genheit gehabt und gefunden, dass, wenn ich die Cornea mit einem Scalpell abgeschabt hatte, um den Epithelialüberzug vollständig zu entfernen, an der Stelle der Trübung nur eine seichte Depression oder ein leichtes Grübchen zurückblieb, woraus ich schlies- scn möchte, dass daselbst wegen unzureichender Reaction die Cornealfasern nicht er- setzt, und die Vertiefung durch dicker aufgehäuftes Epithel ausgefüllt wurde; denn vor dem Abschaben hatte ich in mehrern Fällen, wo ich genau darnach forschte, daselbst nicht die mindeste Vertiefung wahrnehmen können. Solche Trübungen Hessen sich im Leben vielleicht dadurch beseitigen, dass man das Epithelium abschabte, und hiedurch

220 Hornhaut.

zugleich das Anschiessen plastischen Exsudates und die Bildung von Cornealfasern an jener Stelle einleitete. Es ist jedoch mehr als wahrscheinlich, dass man diesen Zweck auch durch andere Mittel erreichen kann, wie wir in dem Ahschnitte über Hornhaut- trübungen nachweisen werden.

c) Die Eitergeschwüre sind bald sehr klein, wie häufig bei Con- junctivitis scrofulosa, bald sehr gross, selbst üher die ganze Cornea aus- gedehnt, wie bei der Bindehauthlennorrhöe. Die Ränder sind entweder sehr steil, oder terrassenförmig ; sie sind nur dann unterminirt, wenn das Geschwür aus einem Abscess entstanden ist, oder wenn der Eiter sich zwischen den Faserschichten der Cornea senkt; sie erscheinen dann ein wenig eingesunken, während sie sonst gewöhnlich etwas erhaben oder aufgeworfen erscheinen (durch Erweichung und Infiltration). Das Wichtigste dabei ist, zu bestimmen, ob sie noch den entzündlichen Cha- rakter an sich tragen, oder mehr in einem torpiden Zustande verharren, oder aber zur Heilung sich anschicken. *) Im ersteren Falle erscheint die nächste Umgebung leicht getrübt und gelockert oder geschwellt, der Process von Thränenfluss, Lichtscheu, lebhafter Injection der entspre- chenden vordem Ciliar- und Bindeliautgefässe, wohl auch von mehr we- niger lebhaften Schmerzen im Auge und dessen Umgebung oder selbst von ödematöser Schwellung des obern Augenlides begleitet, und der Sub- stanzverlust greift sichtlich (in wenig Tagen) in die Tiefe oder Breite, allein oder zugleich, um sich. Im 2. Falle fehlen die genannten Re- actionserscheinungen ganz oder grösstenteils ; es können sich wohl auch, wie im I. Falle, eine Menge von erweiterten Gefässen entwickeln, welche vom Limbus conjunctivae zum Geschwüre laufen, aber die Grösse des Geschwüres und die Infiltration der Ränder nimmt sichtlich weder zu noch ab, der Zustand bleibt viele Tage, ja Wochen-lang ziemlich unver- ändert, bis endlich Durchbruch der Cornea jmd hiemit stärkere Reaction eintritt. Diesen Charakter zeigen die Geschwüre gern, wenn sie klein, aber tief sind, und etwas weiter vom Rande der Cornea entfernt sitzen. Tritt Heilung ein, so werden die Ränder und allmälig auch der Grund reiner, und es schiesst piastiche Lymphe an, welche die Vertiefung allmälig ausfüllt. Dieses Anschiessen plastischer Lymphe ist nicht selten von Gefässentwicklung in der Tiefe der Hornhautsubstanz begleitet, oder vielmehr diese geht demselben schon voraus. Bei grösseren Geschwüren, namentlich wenn sie nahe an den Hornhautrand reichen, entwickeln sich oft, als Zeichen der beginnenden Vernarbung, auch an der Oberfläche

*) Ich brauche «ohl kaum zu erinnern, dass mit dieser Unterscheidung nur einige Anhaltspunkte, keine haarscharfe Suudcnui" gegeben seiu soll.

Geschwüre -- Eitergeschwüre Heilung Narben. 221

eine Masse Gcfässe, vom Limbus conjunctivae und unter demselben hervor kommend, dicht an einander gedrängt und einen förmlichen Wulst bildend, oder einzeln; endlich nehmen diese Gefässe an Zahl und Umfang ab, und in demselben Maassc erscheint die ausgeschwitzte Lymphe minder klar, wird graulich, allmälig dichter und trüber, von einzelnen Gefässchen durchzogen, zuletzt auch eben, sich dem Niveau der unversehrten Um- gebung anschliessend, oder etwas deprimirt, selten darüber erhaben und höckerig. Jene Partien der Cornea, welche unter starker Gefässentwick- lung restituirt werden, erlangen weit seltener einen so hohen Grad von Durchsichtigkeit, wie die durch Anschiessen von Lymphe unter minder heftigen Erscheinungen ersetzten. Doch hat auf die Möglichkeit der nach- folgenden Aufhellung auch der Umstand Einfluss, ob die tiefern Hornhaut- schichten ihre normale Wölbung beibehalten oder nicht; wo diese stär- ker vorgetrieben wurden, erlangt das die oberflächlichen Schichten er- setzende Exsudat nie völlig die Eigenschaften normaler Hornhautsubstanz. In Bezug auf die Behandlung solcher Hornhautgeschwüre an und für sich kann füglich auf das bei Besprechung der Conjunctivitis scro- fulosa S. 103 lit. e Gesagte verwiesen werden. Prognosis und Therapie können jedoch durch mancherlei Folgezustände der Cornealgesehwüre wesentlich modificirt werden, und desshalb müssen wir diesen letzteren eine ausführlichere Betrachtung widmen.

1. Der Substanzverlust wird vollständig durch plastisches Exsudat gedeckt, welches früher oder später in vollkommen durchsichtige Horn- hautsubstanz mit normalem Epilhelium an der Oberfläche unmgewandelt werden kann, mithin, wenigstens mit der Zeit völlige Heilung zulässt. Das den Übergang bildende trübe Gewebe kann als eine Art von provi- sorischem Callus betrachtet werden. Unter welchen Bedingungen dieser Ausgang zu erwarten stehe, wurde bereits (S. 218) angegeben. Welche Mittel anzuwenden sind, um diese Aufhellung zu begünstigen, werden wir in dem nächsten Abschnitte (über Hornhauttrübungen) erörtern.

2. Ersatz des Substanzverlustes durch Exsudat, welches als Nar- bengewebe gleichsam auf einer niedrigeren Organisationsstufe stehen bleibt, und nie mehr eine Aufhellung zulässt. Dieses einfache Faser- oder Narbengewebe füllt entweder die Grube vollständig aus, oder un- vollständig, mit einer Depression oder Abplattung (ein sehr häufiger Fall), oder es ragt etwas über das Niveau der nicht zerstörten Umgebung empor, auch bei unveränderter Wölbung der tiefsten Schichten und der Wasserhaut. Der erste und zweite Zustand können zugleich vorkommen, dieser in der Mitte oder nach der einen Seite hin, jener in der Umge-

222 Hornhaut.

bung oder überhaupt da, wo die Zerstörung minder tief eingedrungen war; der lelzte Befund ist immer mit krankhafter Epithelialproduction vereint, und relativ selten. Solche unheilbare Trübungen stehen zu befürchten, wenn der Substanzverlust (auch ohne Durchbruch) sehr tief geht, namentlich bei sehr steilen Geschwürsrändern, wenn torpide Eiter- geschwüre sehr lange fortbestehen, wenn das Individuum älter oder sehr herabgekommen ist, wenn das Auge durch örtliche Mittel überreizt wird; namentlich sind es die bleihaltigen, nach Cunier auch die aus Kupfer- Zink- oder Cadmium-Salzen und Opiumtinctur bereiteten Augenwässer, welche in dieser Beziehung nachtheilig wirken.

3. Der Eitersenkung (Unguis, Onyx) zwischen den Faserschichten der Cornea wurde bereits mehrmal Erwähnung gethan. Beim Bestände eines Eitergeschwüres in der Cornea sieht man nicht selten einen gelben Streifen, ähnlich der Lunula am Nagel oder einein Halbmonde, an der tiefsten (abhängigsten) Stelle der Cornea, einen kleinen Congestions- abscess, welcher indess nach oben nicht immer durch eine gerade oder re- gelmässig gekrümmte Linie begrenzt ist.

4. Eiterbildung in der vordem Augenhammer (Hypopium), welche höchst wahrscheinlich das Ergebniss von Iritis ist. Wir haben bereits mehrmals erwähnt, dass bei grösseren, und namentlich bei tieferen Horn- hautgeschwüren und bei Hornhautabscessen (Yergl. S. 37, 196) die Zeichen von Iritis bemerkt werden. Diese Iritis tritt nur bisweilen mit der Bildung reichlichen eiterähnlichen Exsudates in der vordem Augenkammer auf, welches, indem es die unterste (abhängigste) Stelle einnimmt, zu oberst durch eine gerade oder Bogenlinie begrenzt erscheint, und in seltenen Fällen sogar mehr als die Hälfte der Augenkammer einnimmt.

Wenn die Eiteransammlung nicht sehr bedeutend ist, kann die Be- antwortung der Frage, ob man Unguis oder Hypopium vor sich habe, sehr schwierig, sellist unmöglich sein, wenigstens für den Augenblick. Der Eiter senkt sich, er mag zwischen den Faserschichten der Cornea oder zwischen Cornea und Iris eingeschlossen sein, stets nach der tiefsten Stelle, und wechselt somit seinen Ort je nach der Stellung oder Lage des Kranken. Auf die Zeit, binnen welcher diese Ortsveränderung er- folgt, darf man desshalb nicht viel Gewicht legen, weil ein dünner Eiter zwischen den Hornhaulfasern früher seine Lage ändern wird, als ein dicker Eiter in der Augenkammer, und weil wir eben ein anderweitiges Kennzeichen für die Consistenz des Eiters nicht besitzen. Zudem macht sich die Attraction der festen Wandungen der Augenkammer auf dieses Contentum um so mehr gegen das Gesetz der Schwere geltend, je ge-

Geschwüre Unguis Hypopium. 223

ringer dessen Menge ist. Ingleichen kann eine kleine Quantität jn (]er Cornea eingeschlossenen Eilers sich dem Auge des Bcobachlers, wenn er die Cornea gerade von vorn betrachtet, ebenso leicht entziehen, als Eiter in der Augenkammer, wenn er zwischen den hintersten Faser- schichten der Cornea gelagert ist, und somit durch die Scleralfalze ge- gedeckt wird. Eher noch kann eine scharfe Loupe Aufschluss geben. Sitzt nämlich der Eiter zwischen den Faserschichten, so erscheint er der Oberfläche der Cornea näher, und für die Oberfläche der Cornea gibt der Limbus conjunctivae einen Anhaltspunkt, wenn nicht oberflächliche Ge- fässchen, welche aus dem Limbus ins Bereich der Cornea hineinragen. Ganz sicher aber kann man über den Sitz der Eiteransammlung in der Cornea dann sein, wenn sich von dem Geschwüre bis zum Unguis ein trüber Streifen gleichsam als Bahn des Eiters zwischen den Faserlagen der Cornea verfolgen lässt, was indessen nur selten der Fall ist. Dennoch habe ich es beobachtet, und begreife desshalb nicht, wie man überhaupt an der Eitersenkung in der Cornea, an dem Vorkommen des Unguis über- haupt zweifeln konnte. Andrerseits kann bei geringer Eiteransamm- lung nur die Gegenwart von unzweifelhaften Symptomen der Iritis den Ausschlag für Hypopium geben. Die Verengerung der Pupille und die geringere Beweglichkeit der Iris können jedoch liier nichts entscheiden, da beide Symptome auch bei einfachen Hornhautgeschwüren (ohne Unguis oder Hypopium) vorzukommen pflegen. Ist aber mehr Eiter vorhanden, dann kann man sich hinreichende Gewissheit über dessen Sitz ver- schaffen, wenn noch eine Partie der Cornea so weit durchsichtig ge- blieben ist, dass man durch dieselbe zwischen der Iris und Cornea hin- einsehen kann, was in der Reg-el von oben her am ehesten möo-lich ist. Unguis und Hypopium bilden sich jederzeit nur bei jenem Zustande der Eitergeschwüre, welchen wir als den entzündlichen geschildert haben. Beide, insbesondere aber das Hypopium, bestehen aber bisweilen noch fort, wenn der Zustand des Cornealgeschwüres mehr ein torpider ge- worden ist. In Bezug auf die Behandlung müssen wir daher auf die S. 103 und 197 gegebenen Anhaltspunkte verweisen. Am schwierigsten ist es zu bestimmen, wann man von der antiphlogistischen zu der reizenden Behandlung zu übergehen habe. Es ist mir, zur grossen Belehrung meiner Kliniker widerfahren, dass der bereits verschwundene Unguis wieder er- schien, nachdem ich (vorzeitig) Laudan. liq. eingeträufelt, oder die Wu- cherungen der Bindehaut (bei Trachoma) mit Cuprinn sulfur. touchirt hatte, und zwar in demselben Falle 2 3mal. Sie konnten so am besten durch eigene Anschauung kennen lernen, wie vorsichtig man mit den gegen

224 Hornhaut.

Hornhautgeschwüre viel zu allgemein empfohlenen örtlichen und allge- meinen Reizmitteln sein müsse. Die Folge des Unguis ist, sobald man nicht vorsichtig zu Werke geht, Zerstörung der Cornea in grossem Um- fange. Die Folgen des Hypopium sind zunächst fürchterliche Schmerzen, wie bereits ausciandergesetzt wurde, weiterhin Zerstörung der Cornea, selbst des ganzen Bulbus, aber auch in günstigeren Fällen die Ausgänge der Iritis, wovon später.

5. Wenn die tiefsten Schichten in etwas grösserer Ausdehnung bloss gelegt sind, und, bevor sie noch durch Exsudat gedeckt wurden, dem Andränge des Kammerwassers nachgeben, oder, wenn diess mit der allein noch unversehrten Wasserhaut geschieht, so ensteht der Zustand, welchen man Keratokele genannt hat. Es erhebt sich aus dem Grunde des Geschwüres ein krystallhelles Bläschen, oder es wird der mehr we- niger umfangreiche und früher concave Grund des Geschwüres in Form einer kleinen Kuppel convex. Die weitern Folgen sind verschieden, je nachdem diese Keratokele berstet oder nicht.

Die Folgen des Durchbruches werden wir unter 6. betrachten. Ent- steht kein Durchbruch, was nur seilen geschieht, so wird das jene Vor- treibung allmälig überkleidende Exsudat in der Regel in eine undurch- sichtige und stationäre Narbensubstanz verwandelt. Als seltener Auso-ano- kommt hier das vor, dass die in grösserem Umfange (auf 1'" Durch- messer und darüber) bloss gelegten und kuppelartig über das Niveau der Umgebung vorgewölbten tiefem Faserlagen einen Überzug von Exsudat erhalten, welches stellenweise oder durchaus einen sehr hohen Grad von Durchsichtigkeit erlangt, nachdem es fest geworden und mit Epithel über- zogen ist ; nur rings herum bezeichnet constant ein permanent undurch- sichtiger Reifen die Stelle, wo die vorgewölbte Partie mit den oberfläch- lichen Faserlagen der Umgebung verwachsen ist. Dieser Zustand, der eigentlich nichts anders als eine stationär gewordene Keratokole ist, wurde bisher in seiner Bedeutung und Entstehung meistens verkannt. Einige Auetoren rechneten ihn zu den Staphylomen, und nannten ihn Staphyloma pellucidum, und zwar je nach der Form bald conicum, bald globosum; andere hielten ihn mit dem, was man Keratokonus oder Hy- perkeratosis genannt hat, für identisch, worauf wir später zurück kommen werden ; nur Professor Rosas (Lehrb. S. 738) hat denselben unter dem Namen Keratokele seu Uvalio corneae ziemlich getreu beschrieben. Die grösste stationäre Keratokele, welche ich gesehen, glich der Hälfte einer Zuckererbse; die hemisphärische Vortreibung war nicht central, mehr nach oben und aussen gelegen, ringsum von einem schmalen weissen

beschwüre Keratokele Durchbrach. 225

Reifen umgeben, an der Oberfläche vollkommen glatt und glänzend, stel- lenweise halb-, grösstentheils aber ganz durchsichtig, die vordere Kammer entsprechend vergrösserf, in der Pupille einige Exsudatfäden. Der Vor- schlag, dieser Vorwärtswölbung dadurch zuvorzukommen, dass man den Humor arqueus durch einen seitlich gemachten Einstich abzapft, verdient gewiss Beachtung. Nach eigener Erfahrung kann ich indess noch kein Urtheil darüber abgeben. Man wird in jedem speciellen Falle in Er- wägung ziehen müssen, ob ein solcher Einstich ohne Gefahr, starke Re- action zu erregen, geschehen könne oder nicht. Ist die Keratokele einmal fest geworden, dann nützt weder die Punction noch die Atzung derselben mit Lapis.

6. Wenn in Folge eines tiefer dringenden Geschwüres die Desce- met'sche Haut berstet, so fliest zunächst der Humor aqueus aus, und der Bulbus ändert seine Form. Zwischen den Wandungen und dem Inhalte des Bulbus findet nämlich, da beide elastisch sind, permanent ein ge- wisser Grad gegenseitigen Druckes statt. Wird dieser plötzlich an einer Stelle gehoben, so muss das Kammerwasser schon aus dieser Ursache allein nach dieser Stelle gedrängt werden und ausfliessen, selbst dann, wenn die Öffnung nach oben gerichtet ist. Das Gesetz der Schwere kommt hier gar nicht in Betracht. Wohl aber kann eine verstärkte Con- traciion der Augenmuskeln sowohl das Bersten der Wasserhaut als auch den Ausfluss des Kammerwassers begünstigen und beschleunigen.

Die Augenmuskeln sind im Stande, einen Einfluss auf die Hülle und den Inhalt des Bulbus zu üben, sobald erstere in ihrer Integrität (Continuität, Elasticität und Re- sistenz) gestört ist. Denken wir uns den Bulbus durch eine Kreislinie in eine vor- dere und hintere Halbkugel geschieden, und nennen wir jene Linie den Äquator, das Centrum der Cornea den vordem, das der Sclera den hintern Pol, so liegen die In- sertionsstellen der Muse, recti einige Linien diesseits, die der Muse, obliqui mehrere Linien jenseits des Äquators. Die fixen Punkte der M. recti liegen rings um das Fora- men opticum, die der M. obliqui am Orbitalrande (ohngefähr in gleicher Ebene mit der Basis corneae). Denken wir uns nun den Bulbus fix,- sein Centrum (den Drehpunkt) unverrückbar, so sind auch die Insertionsstellen jener Muskeln am Auge fixe Punkte (im Momente simultaner, gleichmässiger Contraction), und dieselben müssen, da sie offenbar krumme Linien beschreiben (mit der Concavität sich an den grössten Umfang des Bulbus am Äquator anschmiegen), bei jeder simultanen starkern Contraction einen erhöhten Druck auf die Sclera und hiemit auch auf den Glaskörper ausüben, sobald der Bulbus überhaupt compressibel ist. Compressibel ist er aber ganz gewiss, sobald seine Hülse (Cornea oder Sclera) ihre Resistenz und Elasticität verloren, und noch mehr, sobald die Cornea durchbrochen ist. Es ist klar, dass man über diese Frage im Reinen sein muss, wenn man die conseculiven Zustände tieferer oder durchboh- render Cornealgeschvvüre deuten will. Ich hatte desshalb in meinem oben citirten Aufsätze über das Hornhautslaphvlom diesen Einfluss der Muskeln auf die Contenta des

I. 15

226 Hornhaut.

Bulbus aus pathologischen Beobachtungen nachzuweisen versucht, und ihn kurzweg als Vis a tergo bezeichnet. Siokalski*) gebührt das Verdienst, denselben im Wege des Experimentes erwiesen zu haben. „Vor der Entdeckung der erschlaffenden Eigenschaft des Äthers und des Chloroforms gelang es mir in meinen ophthalmologischen Vorle- sungen nie, die Extraction der Cataracta an Kaninchen zu demonstriren ; unmittelbar nach dem Hornhautschnitte sprang die Linse aus dem Auge heraus." „Schneidet man an einem Kaninchen alle geraden Muskeln des einen Auges durch, und öffnet man dann die Hornhaut auf beiden Augen so, wie man es bei der Extraction der Cataracta zu machen pflegt, so stürzt die Linse aus dem Auge vor, dessen Muskel unberührt blieben, wahrend sie in dem vorher präparirten Auge ganz ruhig an ihrer Stelle bleibt. Dieser Umstand zeigt augenscheinlich, dass es die geraden Augenmuskeln sind, welche die Linse nach vorn drängen." Jener Einfluss der Augenmuskeln macht sich insbeson- dere geltend, so oft andere Muskelgruppen in erhöhter Thätigkeit sind; so beim Hu- sten, beim Erbrechen, bei stärkerer Wirkung des Prelum abdominale, beim Heben schwerer Lasten u. dgl. Sie erfolgt gegen unsern Willen, synergisch. Halten wir uns diese Thatsachen gegenwärtig, so werden wir leicht begreifen, warum Buhe des Körpers vor Allem nothwendig ist, wenn durchdringende Geschwüre oder Wunden der Hornhaut heilen sollen. Es ist eine bekannte Sache, dass man Leuten, denen die ver- dunkelte Linse extrahirt wurde, in den ersten Tagen nichts Hartes zum Kauen gibt, dass man ihnen verbietet, sich z. B. mit den Füssen anzustemmen, um sich auf ihrem Lager höher hinaufzuschieben u. s. w. ; es ist eine bekannte Sache, dass, wenn ein derart Operirter vom Niesen oder Husten befallen wird, die bereits verharschte Ilorn- hautwunde leicht wieder aufreisst, gleichviel ob der Schnitt nach oben oder nach unten geführt wurde.

So wie der Humor aqueus ausfliesst, erfolgt weder ein merkliches Einsinken der Cornea, noch Eintritt von Luft in die Kammer, sondern Iris und Linse rücken vorwärts, und somit auch der Glaskörper, was nicht gedacht werden kann, ohne dass die Sclera mit der Netz- und Ader- haut letzterem folgen ; mit andern Worten : der Bulbus wird in seinem Umfange kleiner, seine Durchmesser im Äquator werden relativ kürzer, indess die Achse von einem Pole zum andern dieselbe bleibt. Erfolgt der Abffuss des Kammerwassers mit einer gewissen Rapidität, was nur bei grössern Hornhautöffnungen und unter gesteigerter Contraction der Augenmuskeln zu geschehen pflegt, so kann in diesem Momente zugleich die Zonula Zinnii einreissen, und Glaskörper ausfliessen, oder, was sel- tener geschieht, die vordere Kapsel bersten, worauf wir später zurück- kommen. — Ob bei diesem Vorgange sogleich oder erst später auch ein Theil der Iris mit in die HornhaulölTnung hineingedrängt werde, hängt theils von der Lage und Grösse dieser letzteren ab, theils von der Ge- schwindigkeit des Stromes, mit welcher das Kammervvasser abfliesst, **)

*) Roscr und Wunderlich'» Archiv, 7. Jahrg. S. 695. **) Dem Vorfallen der Iris lieim H.irnhaut.srhnitle behufs der Extraction lüsst sich bekanntlich am besten vorbeugen,

(■esehwüre Durchbrach Fistel. 227

theils endlich von dem Einflusse, welchen die Augenmuskeln nachträglich ausüben.

Fragen wir uns nun, ob unter solchen Umständen noch Heilung möglich sei, unter welchen Bedingungen, und wie sie zu Stande kommen könne, überhaupt welche Folgezuslände zu erwarten stehen, so müssen wir vor allem unterscheiden : an welcher Stelle der Durchbruch erfolgte, wie gross die Öffnung in der Descemet' sehen Haut, wie weit die Zer- störung der Hornhautfasern in den oberflächlichen, wie weit in den tie- fern Schichten um sich gegriffen habe , ob eine weitere Zerstörung noch ferner zu besorgen sei, ob auf lebhaften Stoffwechsel und auf Buhe von Seite des Kranken zu rechnen sei, ferner ob die Iris bloss ange- lagert oder in die Öffnung mehr weniger stark hineingetrieben sei, ob ein solcher Vorfall seit kurzem oder schon lange bestehe, ob die vor- gefallene Iris entzündet sei, und endlich ob dem Abflüsse des Kammer- wassers Schranken gesetzt seien, oder nicht.

Jeder sieht ein, dass, wenn das Auge nicht zu Grunde gehen soll, dem Aussickern des Humor aqueus zuerst bleibende Schranken gesetzt werden müssen. Dieser Zweck wird zunächst durch mechanische Ver- legung oder Verstopfung der Ausflussöffnung, weiterhin aber durch or- ganische Schliessung, durch Verwachsung mittelst plastischen Exsudates vermittelt. Zur Verlegung oder Verstopfung der Öffnung dient in den meisten Fällen die Iris, selten die Kapsel allein, bisweilen beide zugleich. Dieser mechanische Abschluss der Augenhülse ist unerlässliche Bedin- gung zu dem nachfolgenden organischen. Würde das Kammerwasser fort- während aussickern können, so würde eine Vereinigung der Geschwürs- ränder durch plastisches Exsudat niemals zu Stande kommen. Das erste oünslio-e Zeichen nach erfolgtem Durchbruche der Cornea ist demnach das, dass sich zwischen der Iris und Cornea wieder Humor aqueus an- sammelt, und zwar nicht bloss auf einige Stunden, sondern bleibend. Letzleres findet nur dann statt, wenn von Seite der Geschwürsränder plaslisches Exsudat geliefert wird, und den Grund der Öffnung ausfüllt oder überzieht, oder wenn die Iris förmlich in die Öffnung eingeklemmt wird. Den Zustand permanenter oder häufig wiederkehrender Entleerung des Kammerwassers durch eine solche Hornhautöffnung nennt man Ilorn- hautßslel. Wenn er Wochen- Monate-lang besteht, so führt er endlich

wenn man den Schnitt nicht zu rasch beendigt, und umgekehrt hissl sich bei der Bcer'schcn Iridcktomie das liier erwünschte Vorfallen der Iris gewöhnlich dadurch erzielen, dass man das pyramidale Messer liefer cinstussl und sehr rasch zurückzieht.

15*

228 Hornhaut.

zu bleibender Lageveränderung der Linse und der Iris mit mehr weniger deutlicher Abplattung der Cornea, oder Verkleinerung des ganzen Bulbus, wenn nicht auf gewisse Veranlassungen zu heftiger, mit Eiterung verlaufender Entzündung sämmtlicher Gebilde (Panophthalmitis) und endlich zu Phthisis bulbi.

Von der grössten Wichtigkeit ist das Verhalten der Descemet'schen Haut. Dieselbe reisst im Momente der Berstung in Zipfel, und diese schlagen sich nach aussen um den Geschwürsrand um. Wird demnach die Iris nicht weit in die Öffnung hineingetrieben, so kommt sie mit den Geschwürsrändern gar nicht in Berührung. Das fernere Verhalten ge- staltet sich nun verschieden je nach der Grösse des Einrisses und der hiedurch gebildeten Zipfel der Wasserhaut.

Ist die Öffnung central gelagert, oder peripherisch aber so klein, dass die Iris gleichfalls nicht stark in dieselbe hineingedrängt werden kann, so können jene Zipfel allmälig wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückgedrängt werden, und zwar dadurch, dass von den Geschwürs- rändern plastisches Exsudat abgelagert wird. Während nun der Abfluss des Kammerwassers noch rein mechanisch abgehalten wird, werden jene Zipfel einfach wieder an einander gelegt und durch mehr weniger mächtig aufgelagertes Exsudat in ihrer Lage erhalten. Hiemit ist der organische Abschluss der Augenhülse gegeben, und zwar bleibend, wenn die zarte Exsudatschichte nicht durch wiederholten stärkern Andrang des Kammer- wassers durchbrochen wird. Ist aber dieser Abschluss geschehen, dann ist auch der physicalische Grund entfallen, durch welchen Iris oder Kapsel an die Cornea angedrängt wurden, der Humor aqueus sammelt sich zwi- schen Iris und Kapsel einerseits und zwischen der Cornea anderseits wieder an, und der weitere Verlauf ist von nun an derselbe, wie bei tiefern Hornhautgeschwüren überhaupt. Das Merkwürdige dabei aber ist das, dass es Fälle gibt, wo sowohl der Einriss der Descemet'schen Haut als die darüber gebildete provisorische Hornhautnarbe mit der Zeit spurlos verschwinden, dass somit nicht jeder Hornhautdurchbruch eine unheil- bare Trübung hinterlassen muss.

Diese Behauptung, so paradox sie auch erscheinen mag, besonders den Ansichten gegenüber, die wir in verschiedenen ophthalmologischen Schriften hierüber finden, ist nichts desto weniger wahr und auf unzweifelhafte Beobachtungen gestützt. Den Satz, dass die Descemet'sche Haut in Zipfel reisst, und sich gleichsam als schützender Überzug (gegen Berührung der Iris mit den Geschwürsrändern bis zu einem gewissen Grade) über die Geschwürsränder nach aussen umschlägt, hat zuerst mein verehrter

Geschwüre DurchbriiGh Heilung Prolapsus iridis. 229

Freund Dr. Mildner9) durch zahlreiche Untersuchungen an Leichen nachgewiesen, und ich hahe mich von der Richtigkeit seiner Angalten hierüber oflmal überzeugt. Ich habe ferner Fälle beobachtet, wo längere Zeit nach constatirtem Durchbruche der Hornhaut diese nicht die geringste Spur einer Trübung darbot; ich habe Fälle beobachtet, wo man die Stelle des Einschnittes, den man behufs der Extraction oder der künstlichen Pupillenbildung in der Cornea gemacht hatte, nach einiger Zeit nicht mehr aufzufinden vermag; ich habe überdiess Augen anatomisch untersucht, und ohne Spur einer Narbe in der Wasserhaut gefunden, obwohl aus anderweitigen Veränderungen (Trübung der Cornea gegenüber einem Centralkapselstaare) angenommen werden musste, dass die Cornea an dieser Stelle durchbrochen gewesen war. Da man jedoch diesen letzteren Schluss als einen Circulus vitiosus bezeichnen könnte, so will ich vorläufig nur anfüh- ren, dass auch in der Linsenkapsel, welche bekanntlich ganz gleiche Eigenschaften zeigt, wie die Descemet'sche Haut, kleinere Wunden spurlos vernarben können. Als Beleg für diese Behauptung führe ich einen von mir genau beobachteten Fall an, wel- chen Prof. Fischer in seinem Lehrbuche (S. 324) veröffentlicht hat. Ein junger Mann starb (1840) den 17. Tag, nachdem ich die Zerstücklung eines weichen Staares durch die Cornea vorgenommen hatte. Wir hatten deutlich einige Stückchen der Linse in die vordere Kammer treten und nach mehreren Tagen verschwinden gesehen ; die Kapseln waren also ganz gewiss eröffnet worden. Bei der Section, welche Prof. Bochdalek mit seiner bekannten Genauigkeit vornahm, und bei welcher insbesondere die Kapseln näher untersucht wurden, weil der Staar so ausgesehen hatte, wie ihn ältere Auetoren als Kapsellinsenstaar schildern, fand sich, dass die Kapseln wohl schlaff, etwas ein- gesunken, aber nirgends getrübt waren, ja es Hessen sich sogar die Stellen der Ein- schnitte nicht auffinden, die Kapseln waren ohne Spur einer Narbe wieder völlig ge- schlossen, und die scheinbare Trübung der Kapsel erwies sich als ein feiner, leicht abschabbarer Beschlag ihrer Innenfläche mit trüber Rindensubstanz.

Ist die Öffnung in der Wasserhaut etwas grösser, so wird, selbst wenn sie ziemlich central liegt, gewöhnlich ein mehr weniger grosser Theil der Iris in dieselbe hineingedrängt, sogleich oder nach einiger Zeit; es entsteht das, was man Vorfall der Iris nennt. Auch durch eine nicht gar grosse Öffnung kann ein relativ grosser Theil der Iris heraus- gedrängt werden ; die Grösse des Vorfalles ist also nicht nach der Basis allein zu beurtheilen. In der Regel spricht man von Prolapsus iridis nur da, wo noch mindestens V3 der Hornhaut nicht geöffnet ist ; diesem Theile entsprechend ist dann auch noch vordere Augenkammer und, we- nigstens nach einiger Zeit, wieder Humor aqueus vorhanden, wenn nicht dessen Ausfliessen neben der blossgeleglen Irispartie noch gestattet ist. Von der totalen Blosslegung der Iris werden wir erst später sprechen können. Kleinere und frische IrisDorfälle können wieder zurückgehen, ohne dass eine Verwachsung zwischen Iris und Cornea zurückbleibt, ja es kann selbst die Hornhaut an einer solchen Stelle wieder vollkommen

*) Prager medicinischs Vierleljahrsehnfl, 13. B. S. 5G.

230 Hornhaut.

durchsichtig werden, wenn sonst die Bedingungen hiezu vorhanden sind. Der grössle Prolapsus, welchen ich (ohne Synechie) heilen sah, war ohngefähr hanfkorngross. Es versteht sich von selbst, dass so ein Vorfall weder eingeklemmt noch entzündet sein darf. Die Iris muss durch die nach aussen umgeschlagenen Zipfel der Wasserhaut vor Verwachsung mit den Geschwürsrändern der Cornea geschützt sein, und sie muss, so wie von diesen plastisches Exsudat abgelagert wird, zurückgedrängt werden können. Ich kann, auf unzweifelhafte Beobachtungen gestützt, gegen Ructe, von Walther und A. ganz bestimmt behaupten, dass nicht jeder Prolapsus iridis eine vordere Synechie hinterlassen müsse.

Wenn hingegen die Iris eingeklemmt oder entzündet ist, so ist auf die Heilung ohne bleibende Merkmale der frühern Vereinigung nicht zu rechnen. Einklemmung erfolgt, wenn eine grössere Irispartie in eine relativ enge Öffnung der Wasserhaut hineingetrieben wurde ; Entzündung des vor- gefallenen Theiles erfolgt fast immer, wenn die Basis des Vorfalles grösser ist, mehr als l'/V" im Durchmesser beträgt; doch können auch kleinere Vorfälle sich entzünden, wenn sie stark eingeklemmt sind, oder wenn sie von aussen stark gereizt werden, durch Collyrien, Salben, Be- tupfen mit Lapis, durch Staub u. dgl. Dann schwillt die blossgelegte Iris- partie an, wird dunkler gefärbt, später blass- oder fleischroth, oft deut- lich granulös, und hie und da von Gefässchen durchzogen. Eine solche Entzündung bleibt in der Regel auf die blossgelegte Partie beschränkt, und geht nur unter besonders ungünsligcn Verhältnissen, bei neuerdings auf das Auge einwirkenden Schädlichkeiten, auf die ganze Iris über. Der entzündete Prolapsus bedeckt sich mit einer Schicht plastischen Exsudates, welches mit dem von der Cornea ausgeschwitzten in Eins verschmilzt, und nach erfolgter Organisation unzertrennliche Verbindung zwischen Iris und Cornea bedingt. Diesen Zustand hat man im Allgemeinen Synechia anterior genannt; man gebraucht jedoch diesen Namen gewöhnlich nur zur Bezeichnung kleinerer Verwachsungen. Wenn nämlich die Hornhaut- narbe endlich völlig eonsolidirt, und die Augenkammer wieder herge- stellt erscheint, so nimmt die nicht betheiligt gewesene Irispartie wieder ihre normale Lage ein, und nur der betroffene Theil streicht zur Horn- hautnarbe vorwärts. In seltenen Fällen sieht man die Iris durchaus wieder in ihrer normalen Lage, und nur ein Faden fest gewordenen Ex- sudates, welcher von der Hornhautnarbe zu dem gegenüber liegenden Punkte der Iris verläuft, deutet auf den vorausgegangenen Zustand; mit- unter trifft man auch einen Fall, wo auch diese fadenförmige Verbin- dung zerrissen ist (durch Schrumpfung des Exsudates?), und einige

Geschwüre -- Durchbrach Vord. Synechie. 231

Partikelchen vom Pigmente der Iris in die Hornhautnarbe eingeheilt sind, ein Befund, welcher nin so gewisser als Rest der ehemaligen Verbindung: zwischen Iris und Cornea gedeutet werden kann, wenn die gegenüber- liegende Partie der Iris noch in ihrer Farbe und Structur verändert er- scheint. Häufiger geschieht es, dass ein Theil der Iris ganz in die Horn- hautnarbe einheilt, und man denselben als einen bräunlich- oder bläu- lich-grauen oder schwarzen Fleck mitten in der Hornhautnarbe erkennt; Die altern Auetoren nannten diesen Zustand nach der Ähnlichkeit mit dem Kopfe eines in ein Brett geschlagenen Nagels Clavas. Je nach- dem nun solche Narben mit vorderer Synechie verschieden gelagert sind, oder verschieden grosse Stellen einnehmen, setzen sie mehr weniger Nachtheil für das Sehvermögen. Sitzen sie perpiherisch, so schaden sie nur dann, wenn sie grösser sind, und eine merkliche Verziehung der Pupille nach dieser Gegend hin' verursachen. Sehr hohe Vorfälle können, auch wenn sie keinen grossen Umfang an der Basis haben, selbst völlige Verschlies- sung der Pupille bedingen, indem ein zu grosser Theil der Iris in die Narbe eingelöthet wird. Die schlimmsten Fälle aber sind jene, wo das Cornealgeschwür mehr central sitzt, und der Pupillarrand theiiweise oder total mit der Hornhaut verwächst; bleibt auch noch ein Theil des Pupil- larrandes frei, so wird diese Öffnung doch gewöhnlich durch die Narbe verdeckt, welche sich eben nicht bloss auf die Stelle der Verwachsung selbst beschränken muss, sondern sich in der Regel noch darüber hinaus erstreckt. Narben, welche die Spuren von vorausgegangener oder noch bestehender Verwachsung der Iris mit der Cornea in sich tragen, sind absolut nie mehr aufhellbar, wenigstens so weit nicht, als die Ver- wachsung oder deren Spur sich erstreckt.

Den Vorgang, wo ein Vorfall spurlos zurücktritt, oder wo derselbe ohne blei- bende Vortreibung über das Niveau der Umgebung in die Wunde einheilt, bezeichnet man gewöhnlich mit dein Ausdrucke : „die vorgefallene Iris ziehe sich zurück". Diese Bezeichnung ist in so fern unrichtig, als dadurch der Iris eine gewisse Activilät bei- gelegt wird, indess sie sich dabei doch mehr passiv verhält, ihre Conlractionen auf den geschilderten Vorgang wenig oder gar keinen Einfluss nehmen. Die eingeklemmte oder entzündete Iris wird allmälig mit Exsudat überdeckt, welches, wenn nicht von der Iris zugleich, so doch von den Geschwürsrändern der Cornea geliefert wird. Dieses den Vorfall überkleidende Exsudat wird allmälig fester und dichter, und ver- wandelt sich in eine anfangs durchsichtige, später graue oder bläulich-weisse Mem- bran, welche mit dem Hornhautgewehe ein Conlinnuin bildet, und iu dem Maasse schrumpft, als sie fester und resistenter wird. Dieses Exsudat ist nicht immer gleich- massig verbreitet, indem es stellenweise mächtiger ist; besonders da, wo der Ge- schwürsrand vorspringende Winkel (Vorsprünge in die Hornhautgrube) bildet, entstehen einzelne balkenähnliche Verbindungen gegenüberstehender Tunkte des Geschwürsrandes,

232 Hornhaut.

welche den Prolapsus in zwei, drei und mehrere Abtheilungen theilen Hiedurch er- halten grössere Vorfälle einige Ähnlichkeit mit einer Brombeere oder mit einer Wein- traube. Wir werden diesen Zustand, welcher zu dem Vamen Staphyloma racemosum Veranlassung gegeben hat, weiterhin noch einmal besprechen. Nach dem Gesagten mag der Leser beurtheilen. was von dem allgemein aufgestellten Rathschlase zu halten sei, bei Irisvorfällen Mydriatica anzuwenden, den Vorfall mechanisch zurückzuschieben, ihn mit Lapis infernalis zu ätzen, mit der Scheere abzuschneiden u. dgl. "Wenn irgend wo, so gilt wohl hier der Satz : „Qui bene distinguit, bene medebitur-*.

7. L»1 das durchbohrende Geschwür mehr central gelegen, so wird es, je nach der Lage und Ausdehnung der Öffnung- in der Wasserhaut, entweder durch die Kapsel allein, oder durch diese und die Iris zugleich verlegt. Die Folge davon kann einfache Heilung mit oder ohne statio- näre Hornhautn;irbe sein, oder es entsteht nebstdem eine Art Cataracta capsulae centralis, oder permanente Verwachsung der vordem Kapsel mit der Hornhautnarbe (mit oder ohne gleichzeitige Synechia anterior), oder es kommt zur Berstung der Kapsel, und deren weiteren Folgen, die wir später erörtern werden. So wie der Humor aqueus abfliesst, und Iris und Linse an die Cornea rücken, wird auch die Pupille costant verengert, und bleibt eng, bis die Cornealöffnung wieder geschlossen ist. Diess erklärt uns, warum die Kapsel, wenn sie bei Hornhautgeschwüren, in Mitleidenschaft gezogen wird, stets nur in ihrem Centrum oder doch nicht weit davon erkrankt. Es ist übrigens eine interessante Erscheinung dass, wie früher die Wasserhaut, so nach erfolgtem Durchbruche auch die Kapsel ihre Integnität oft durch viel? Tao-e behauptet.*) Dieses Durch- sichtigbleiben der Kapsel setzt bekanntlich Kranke, deren Hornhaut durch Eiterung mehr weniger zerstört ist, für einige Zeit in den "Wahn, sie werden wieder sehen, weil sie, nachdem die Kapsel bloss gelegt ist, wieder Gegenstände wahrnehmen. Kehren wir indess zum eigent- lichen Gegenstande unsrer Betrachtung zurück. War die Durchbruchstelle sehr klein, und beginnt in der Cornea der Process der Heilung mit der Reinigung des Geschwüres und dem Ansätze plastischer Lymphe, so kann bei Verlegung der Öffnung- durch die Kapsel ganz dasselbe eitreten, was wir bei einfacher Verleguno- durch die Iris beobachten. Wir sehen aber auch, namentlich bei etwas grösserer Öffnung, bisweilen eine andere Folge eintreten. Es bleibt nämlich auf der Kapsel, in oder nahe am Centrum derselben, ein Klümpchen Exsudat zurück, welches nach und nach durch Abschluss der Öffnung in der Wasserhaut von dieser abgeschnürt

*) Wollte man die Zerstörung der Cornea bei der acuten EinJehautbleDoorrhöe der -ScMrfe des Secretes* zu- schreiben, so mösste man annehmen, dass Wasserhaut und Kapsel dieser ätzenden Potenz sehr lange widerstehen.

Geschwüre Durchbrach Centralkapselstaar. 233

wird, und nach Wiederherstellung der Augenkammer als ein mehr weniger erhabenes Hügelchen auf der Kapsel sitzen bleibt. Hellt sich dann die restiluirte Cornea wieder auf, so wird derjenige, welcher diese Krankheit nicht in mannigfaltigen Übergangsgliedern gesehen hat, an jede andere Ursache eher denken, als an die wahre, das durchbohrende Horn- hautgeschwür.

Diese Ansicht über das Entstehen dieser Form von Cataracta centralis capsulae anter. habe ich bereits 1845 in der österreichischen Wochenschrift Nr. 10 und 11 aus- gesprochen. Ich habe sie seitdem nicht nur durch zahlreiche Beobachtungen an Le- benden, sondern auch durch mehrere Sectionen ergänzt und bestätigt gefunden. Am häufigsten ist es die Blennorrhoe der Neugeborenen, welche zur Entstehung derselben Veranlassung gibt ; doch sah ich sie auch in Folge von Pustel- und Geschwürsbildung bei Blattern und bei Conjunctivitis scrofulosa. Sobald durch den oben geschilderten Vorgang die Hornhautöffnung völlig geschlossen ist. und das Auge durch den Wieder- ersatz des Humor aqueus seine normale Spannung erlangt, weicht auch die Kapsel mit der Linse wieder in ihre Lage zurück. In der Regel bleibt nun keine Spur von der Anlagerung der Kapsel an die Wasserhaut übrig, als ein Klümpchen jenes Exsudates, welches die Cornea lieferte, auf der Kapsel; ausnahmsweise sieht man jedoch diesen Klumpen noch durch einen Exsudatfaden mit der Hornhautnarbe in Verbindung bleiben, ja in einem Falle sah ich die Kapsel mittelst dieses Exsudates mit der Hornhautnarbe eng verwachsen, und dadurch das ganze Linsensystem vorwärts gezogen. Dieser Fall betraf einen 13jährigen Kaufmannslehrling. welchen ich auch meinen Zuhörern auf der Klinik vorführte. Die linke Hornhaut ist in Folge einer in der ersten Kindheit über- standenen Augenentzündung in der Mitte in eine undurchsichtige Narbe verwandelt, und diese steht mittelst eines weissen Pfropfes, welcher, ohne den ringsum freien Pu- pillenrand zu berühren, durch den Humor aqueus rückwärts verläuft, mit der Kapsel in Verbindung. Die Basis dieses Pfropfes auf der Kapsel hat 2/3— 3//" im Durchmesser; die Iris bewegt sich, wie gesagt, ganz frei ; die vordere Kammer ist natürlich sehr eng, der Pupillenrand von der hintern Wand der Cornea etwa ]/2'" weit entfernt. Wdler hat diesen Vorgang nach Blennorrhoea neonatorum ganz richtig aufgefasst und beschrieben; nur meinte er, das Exsudat auf der Kapsel werde durch Entzündung dieser letztern und von dieser selbst geliefert. Bei dieser Ansicht ist aber schwer zu begreifen, warum das Exsudat, welches nicht selten auf der Kapsel in Form einer Py- ramide aufgethürmt ist, sich auf einen so kleinen Punkt beschränkt, warum keine hin- tern, im Gegentheil häufiger vordere Synechien zugleich angetroffen werden, und warum die Stelle des Exsudates auf der Kapsel in Fällen, wo noch eine Hornhautnarbe sichtbar ist, auch immer genau dieser letztern entspricht. Haicranek (Österreichische Wochenschrift, 1847, Nr. 35) nimmt an, „dass das Exsudat auf der Kapsel von der entzündeten Hornhaut geliefert werde, aber ohne Durchbruch dieser letztern; er meint, das gelockerte und poröser gewordene Cornealgewebe lasse den Humor aqueus durch- treten, mithin Kapsel und Cornea in Berührung treten; wegen starker Verengerung der Pupille werde nur auf den centralen Theil der Kapsel Exsudat abgelagert; werden nun mit dem Nachlasse der Entzündung die exsudirten Massen resorbirt. erscheine mit dem Wiedereinlretcn der vitalen und physicalischen Eigenschaften der Humor aqueus in der

234 Hornhaut.

Augenkammer, lasse der Druck der Sclera in Folge des festeren Haltpunktes am Cor- nealrande nach, und nehme mit dem Umfange dieses auch der Raum des Bulbus zu : so trete die Kapsel, sich von der Innenfläche der Cornea ablösend, in ihrer Mitte mit einem Theile der anklebenden Exsudatmasse belegt, zurück, und stelle auf diese Weise die centrale Kapselcataracta dar." Diese Ansicht bedarf wohl kaum einer Widerlegung ; sie beruht auf einer Menge viel zu unwahrscheinlicher Voraussetzungen. Dr. von Hasner, 1. c. S. 185, findet es unbegreiflich, wie man Cornealgeschwüre zum Entstehen des centralen Kapselstaares für nöthig halten konnte ; er habe denselben sehr häufig im Verlaufe der Iritis vor seinen Augen entstehen sehen ; auch der angeborene Cen- tralstaar, wenn er überhaupt vorkomme, dürfte durch eine fötale Iritis entstehen." Man möchte nach diesen Worten fast zweifeln, ob Hasner wisse, was die Auetoren bisher Centralkapselstaar genannt haben. Er, der sonst die Angaben „sehr häufig, oft etc." tadelt, gibt uns hier keine numerischen Verhältnisse. Mit dieser allgemeinen Redensart sind die bestimmten Beobachtungen, welche ich in dem oben citirten Aufsatze um- ständlich angeführt, weder widerlegt, noch anders erklärt. Wenn aber Iritis die Ur- sache dieses Staares ist, warum entsteht derselbe, wie allgemein bekannt, beinahe nur im Kindesalter, und am häufigsten nach Blennorrhoea neonatorum? warum kommt der- selbe dann so oft mit Hornhauttrübungen und mit vordem Synechien, und warum nie mit hintern Synechien vor ? warum findet man so häufig an demselben oder an dein andern Auge anderweitige Folgen durchbohrender Hornhautgeschwüre, dagegen niemals die Folgen primärer und substantiver Iritis ? Gefährdet etwa die Blennorrhoe mehr die Iris als die Cornea? Die Iritis erzeugt, wie jedermann weiss, Exsudate am Pupillen- rande und In der Pupille; diese Exsudate werden wohl theilweise, nie aber ringsum von dem Pupillenrande frei. Die Wissenschaft würde übrigens dem Dr. Hasner Dank schulden, wenn er auch nur einen jener zahlreichen Fälle, von denen er spricht, ge- nau beschrieben und allenfalls abgebildet hätte. So lange diess nicht geschehen, müssen wir seine Angaben als unbegründet zurückweisen. Beck (Ammon's Zeitschrift, I. B. 1. H.) hat einen Fall beschrieben und abgebildet. Ein 20jähriger Mann gab das Leiden seines linken Auges als angeboren an ; genauere Nachforschung machte es wahr- scheinlich, dass er an Ophthalmia neonatorum gelitten hatte. Beck sah „in der Pupille eine Cataracta caps. centr. anterior, und dieser entsprechend eine Trübung der Desce- met'schen Haut, etwas unter der mittlem Höhe der Pupille ; weiter nach unten waren noch einige trübe Stellen in dem Descemet'schen Hornhauttheile. Von der obersten Hornhauttrübung, welche dem untern Pupillarrande (bei massig verengerter Pupille) gegenüber lag, ging ein Gefäss, welches unter der Loupe sehr deutlich wurde, durch den Humor aqueus nach oben und rückwärts zum obern Pupillarrande; dieses Gefäss spaltete sich auf der Mitte des Weges in 5 kleine Ästeben, welche sich in die vordere Fläche des kleinen Iriskreises inserirten und verloren; wurde die Pupille künstlich er- weitert, so bildete sie an dieser Gegend, wo die Gefässe in die Iris mündeten, einen Vorsprung." Ich halte diesen Fall nicht für angeboren , wie Beck , welcher die hier bemerkten Gefässe für Reste der Pupillarmembran hält ; mir ist es wahr- scheinlicher, dass in Folge von Blennorrhoe die Hornhaut durchbohrt war, und einer- seits Hornhautnarben zurückblieben, andererseits eine Auflagerung auf der Kapsel, und als Rest der frühern Synechie zwischen Iris und Cornea die genannte Gefässverbin- dung. Es würde mich zu weit führen, die von mir genau beobachteten Fälle an Lebenden hier zu beschreiben ; mehrere der instruclivsten sind in dem oben citirten

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Aufsatze angegeben. Seit jener Zeit habe ich übcrtliess 6mal Gelegenheit gehallt, vordere Centralkapselstaare im Cadaver zu untersuchen. Ich lasse hier die Beschrei- bung von zweien folgen. Am 20. März 1849 untersuchte ich das linke Auge einer auf der Fiauenabtheilung gestorbenen Wöchnerin. Das stark nach innen abgelenkte (schielende) Auge bot eine Hornhautnarbe in der innern Hälfte der Cornea dar; das Centrum dieser Narbe entsprach ohngefähr dem innern Pupillarrande bei mittlerer Weite der Pupille. Diese Narbe war mit der entsprechenden Partie der Iris verwach- sen, und dadurch die Pupille etwas nach innen verzogen; auf der vordem Kapsel sass , etwas einwärts vom Centrum , ein mohnkorngrosser , kreideweisser , scharf- begrenzter Hügel ; er Hess sich mit einem Scalpelle ablösen, ohne dass die Kapsel ein- riss. Diese erschien aber an dieser Stelle ein wenig eingedrückt, und die Rindensub- stanz der Linse war unter diesem Grübchen ein wenig getrübt. Jener Hügel verhielt sich unter dem Mikroskope ganz wie fibroides oder Narben-Gewebe. Am 1. 31ärz 1850 untersuchte ich das linke Auge eines auf der chirurgischen Abtheilung verstor- benen 16jährigen Jünglings. Die Cornea schien vollkommen durchsichtig und glatt zu sein ; bei genauerer Besichtigung bemerkte man vom Centrum nach innen eine leichte Trübung. Es wurde nun das Epithelium von der ganzen Cornea sorgfältig abgestreift, und nun sah man in der Mitte der Cornea eine leichte Depression, und da, wo man den Fleck bemerkt hatte, also etwas mehr nach innen, eine zweite, etwas grössere und tiefere Depression. Es schienen die obersten Faserschichten zu fehlen, und die Grübchen oder AbschlifTe durch mächtigeres Epithel ausgeglichen gewesen zu sein. Diese AbschlifTe waren übrigens vollkommen glatt, der grössere leicht getrübt. Die vordere Kammer normal, die Farbe der Iris matter, ihre Structur unverändert ; die Pupille vollkommen rund, etwas über 2'" im Durchmesser haltend ; mitten auf der Kapsel ein knorpelähnlicher Kegel mit einer warzenähnlichen Spitze, welche in die vordere Kammer hereinragt. Die Basis etwa 3/,"' im Durchmesser, scharf begrenzt, nicht regelmässig rund. Hinter diesem Kegel sieht man den Kern der Linse getrübt, mattgrau, etwa 2'" im Durchmesser. Nach Eröffnung des Bulbus fand man die hintere Wand der Cornea, die Wasserhaut vollkommen normal, auch da, wo man vorn die vertiefte Trübung bemerkt. Die vordere Kapsel durchaus durchsichtig, eben so die Zonula Zinnii. An der Linse Hessen sich 3 Regionen unterscheiden; die äusserste, l/3'" breit, war vollkommen durchsichtig, normal ; die zweite, '/2'" breit, war durch- scheinend, nur sehr wenig getrübt ; die dritte war eben der oben besprochene ganz trübe Kern von etwas über 2'" Durchmesser. Mitten auf der Kapsel sass jene pyra- midenförmige Erhabenheit Die warzenähnliche Spitze wurde mit einer Pincette ge- fasst ; sie löste sich los, doch riss die Kapsel dabei von einer Seite zur andern ein, und man konnte nicht unterscheiden, ob ein Stückchen von der Kapsel mit der Pyra- mide in Verbindung geblieben war, oder nicht. Nach Entfernung der Pyramide sah man eine Grube in der Linsensubstanz an dieser Stelle. In einem dritten Falle zeigte die Kapsel rings um diesen Hügel eine leichte Runzelung, in zweien konnte ich keine Depression der Kapsel bemerken; es waren Augen von Kindern, die erst kurz vorher an Blennorrhoe gelitten hatten. In keinem Falle war ich im Stande, Spuren der Pupillarmembran oder Spuren von Iritis aufzufinden, ausgenommen die Stelle, wo die Iris mit der Hornhaut verwachsen war. In jenen 2 Fällen von Kindern war das Exsudat auf der krystallhellen Kapsel noch ziemlich weich und auch nicht so gesättigt weiss, sondern an den Rändern etwas durchscheinend. In allen Fällen, die ich zur

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Section bekam, waren die Hornhäute in der mittlem Partie getrübt, und war die frü- here Durchbruchstelle der Descemet'schen Membran in 4 Fällen noch deutlich zu er- kennen. — Im Jahre 1849 kam ein 3Iann von 30 Jahren auf die Klinik. In Folge einer in den ersten Lebenstagen überstandenen Augenenlzündung war das linke Auge phthi- sisch, das rechte bot beim Bestände einer Cataracta capsularis centralis (pyramidalis) mit Nystagmus ein so unvollständiges Gesicht dar, dass der Mann genöthigt war, als herumziehender Musiker sich sein Brod zu suchen. In der letzten Zeit war ihm auch das Alleingehen beschwerlich geworden; ein Grund dieser Verschlimmerung konnte nicht aufgefunden werden. Ein Arzt, der diesen Mann von Jugend auf genau kannte, versicherte mich, diese Trübung im rechten Auge ganz gewiss schon von jeher bemerkt zu haben. Die Hornhaut erschien vollkommen normal, die Iris frei beweglich ; auf der Kapsel sass ein alabasterähnlicher Zapfen, an der Basis etwa 2/3"' im Durchmesser ; ob die Spitze bis an die Cornea reiche, Hess sich nicht bestimmen. Ich betäubte den Kranken durch Chloroform, um das beständige Hin- und Herrollen des Bulbus zu be- seitigen, machte am äussern Hornhautrande einen 3'" langen Einschnitt, und zog den nächst der Spitze mit einer feinen Pincette gefassten Zapfen leicht heraus. Die Wunde war bald geheilt ; aber es trübte sich die Linse, weil die Kapsel trotz aller Vorsicht geborsten war. Nachdem nun die Linse allmälig resorbirt worden und die Pupille voll- kommen schwarz geworden war, entdeckten wir, was unserer Forschung früher ent- gangen war, nämlich eine leichte diffuse Trübung des mittlem Theiles der Cornea, offenbar, weil jetzt der Grund hinter dieser Trübung schwarz war.

8. Eine nicht seltene Folge grösserer und zugleich durchbohrender Hornhautgeschwüre ist das sogenannte Hornhautstaphylom. Die Alten gebrauchten diesen Namen nur zur Bezeichnung jener krankhaften Zu- stände des Auges, namentlich der Cornea, welche eine gewisse Ähnlich- keit mit einer Weinbeere darbieten. Erst in späterer Zeit wurden auch andere Zustände so benannt, und die verschiedenartigsten Krankheiten unter einen Namen zusammengefasst. Wir können nur jene Krankheits- formen mit dem Namen Staphyloma belegen, welche folgende Merkmale darbieten: «) Hervorragung der Hornhaut über die natürliche Wölbung, so dass diese Erhabenheit mindestens dem Drittel (Segmente) einer mehr weniger grossen Beere gleicht; ß) Trübung und Structurveränderung der vorragenden Partie, wenn nicht durchaus, so doch im grössten Theile, und y) Verwachsung der getrübten Partie mit der Iris.

Beinahe alle spätem Auetoren sprechen auch von einem Staphyloma pellucidum, und setzen dann zur Bezeichnung der eigentlichen und ursprünglich so genannten Krank- heit das Beiwort opacum zu. Auf diese Weise wurden die heterogensten Zustände zusammengeworfen, so dass am Ende jede partielle Vorragung am Bulbus als Staphy- loma angesprochen werden müsste. So figurirt der sogenannte Hydrops camerae, auf den wir später noch zurückkommen, als Staphyloma pellucidum sphaericum ; so jene seltene Form, die man Keratokonus oder Hyperkeratosis nennt, als Staphyloma pellu- cidum conicum ; jene Keratoektasie endlich, welche wir als stationär gewordene Kera- tokele kennen gelernt haben, wird, je nach der rein zufälligen Form, bald als kugel-.

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bald als kegelförmiges durchsichtiges Staphylom aufgerührt, obgleich es manchmal eher ein opakes zu nennen wäre.

Das nach diesen Merkmalen charackterisirte, eigentliche Hornhaut- staphylom ist entweder ein totales, wenn die Vorbildung- die Hornhaut ganz oder beinahe ganz betrifft, oder ein partielles, wenn mindestens noch ein Drittel der Cornea normal ist: bei totalen wird sich zeigen, dass der Befund nicht nur äusserlich, sondern auch im Innern des Auges ein verschiedener ist, je nachdem es als globosum (sphaericum) oder conicum erscheint.

Dieses Staphylom nun ist eigentlich nichts anderes, als die theil- weise oder durchaus mit Narbengewebe überzogene und vorwärts ge- drängte Regenbogenhaut. Ein etwas grösserer (breiterer) Clavus z. B., zugleich stark nach aussen gewölbt, gibt ein partielles Staphylom ; die Veränderung, welche wir beim Clavus finden, über die ganze Hornhaut verbreitet, und dabei merklich ausgedehnt (kegel- oder kugelförmig vor- wärts getrieben), gibt das Bild eines totalen Staphyloms. In der That kommen am Krankenbette zwischen Clavus und Staphylom so verschie- dene Zwischenglieder vor, dass der eine Diagnostiker einen Fall noch als Clavus bezeichnen wird, den der andere schon Staphyloma nennt.

Das Staphylom entsteht niemals, ohne dass Entzündung der Cornea vorausgegangen, und zwar Entzündung mit Geschwürsbildung in der Cornea. Sämmlliche Angaben der Auetoren über die Ätiologie dieser Krankheit führen uns auf Entzündungen zurück, welche zu ausgedehnterer Verschwärung der Cornea zu führen pflegen. Soll aber ein Geschwür der Cornea zu Staphylombildung führen können, so müssen deren Faser- schichten nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Breite auf mindestens 2 Quadratlinien Umfang zerstört sein. Nach kleinern Zerstörungen der Hornhautfasern sah ich nie ein Staphylom sich entwickeln. Der physi- kalische Grund hievon soll später angegeben werden. Es muss ferner die Wasserhaut nicht nur eingerissen, und somit der Humor aqueus ab- geflossen sein, sondern es muss auch die Iris in einiger Ausdehnung bloss gelegt, und mit dem an die Stelle der Cornea tretenden Narben- gewebe verwachsen sein. Wo ein beständiges oder zeilweises Aussickern des Humor aqueus gestattet ist, bildet sich niemals ein Slaphylom. Mit andern Worten: nur bei grösseren und die Hülse des Bulbus völlig ab- schliessenden Irisvorfällen steht die Bildung eines Staphyloma überhaupt zu besorgen, und wo diese Bedingungen nicht vorhanden sind, kann alles andere, nur kein Staphylom entstehen. Die Gefahr der Staphylombildung

238 Hornhaut.

besteht aber auch unter diesen Verhältnissen nur so lange, als das die Iris bereits überkleidende Exsudat noch weich und dehnbar ist. Ein mit schon völlig organisirtem, dichtem, sehnenartig glänzend aussehendem Exsudate überzogener Irisvorfall, ein förmlich ausgebildeter Clavus, kann nie in ein Staphylom übergehen, er müsste denn abgetragen oder durch Ulceration zerstört werden. Die letzte Bedingung zur Staphylombildung ist endlich die, dass ein solcher Vorfall durch momentanen oder anhal- tenden Druck von hinten wirklich ausgedehnt werde, was in der Regel durch stärkere Contraction der Augenmuskeln eingeleitet wird.

Den ersten Anstoss zur Staphylombildung gibt unter den eben angegebenen Verhältnissen eine momentane Vorwärtsdrängung der flüssigen Contenta des Bulbus. Das noch nicht hinreichend resistent gewordene Exsudat über der Iris, welches den Bulbus im Verein mit dieser nach vorn abschliesst, gibt in diesem Momente dem An- dränge von hinten nach, und zieht sich, da es natürlich der gehörigen Elasticität ent- behrt, nicht wieder auf das frühere Volumen zusammen. Der leere Baum, welcher nun beim Nachlass der stärkeren Muskelcontraction in dem Auge entstehen müsste, wird allmälig durch Erguss seröser Flüssigkeit ausgefüllt. Dieser Erguss findet ent- weder bloss in der hintern Augenkammer, zwischen der vorgefallenen Iris, der Kapsel, der Zonula und dem Corpus ciliare statt, oder er erfolgt, wenn der Glaskörper bei jener Ausdehnung stark mit betheiligt wurde, in diesem. Wir werden darauf später zurückkommen, und wollen nur erst die Veränderungen in der Iris und Cornea be- trachten. Jenem Andränge wird nicht nur die von nachgiebigem Exsudate überzogene Iris, sondern auch die Cornea, so weit ihre Resistenz durch Vereiterung der oberfläch- lichen und Erweichung der allenfalls noch übrig gebliebenen tiefern Schichten ver- mindert ist, mehr weniger nachgeben, und wegen mangelnder Elasticität auch nicht mehr zu ihrem früheren Umfange znrückweichen. Die ganze Vortreibung wird durch den nachrückenden serösen Erguss allmälig wieder gespannt. Übersehen wird dabei nicht, dass jene momentane Einwirkung auf das ohnehin noch gereizte oder entzündete Auge wohl kaum ohne Einfluss auf gesteigerte Ausschwitzung in demselben bleiben kann : so werden wir begreifen, wie von nun an die einmal über das Niveau der Umgebung vorgetriebene Partie durch letzteren Vorgang allein allmälig mehr und mehr ausgedehnt werden kann, wie von nun an die Hervortreibung allmälig zu- nehmen kann. Bei dem anhaltenden Beizungszustande, in welchem der Vorfall und sein Überzug durch diese fortwährende Ausdehnung und durch den Druck von Seite der Lider, so wie durch den Beiz der Luft u. dgl. versetzt wird, ist es ferner begreif- lich, dass fortwährend nicht nur seröser Erguss im Innern des Auges erfolgt, sondern dass auch in den vorgetriebenen Geweben selbst Ausschwitzungen erfolgen. Diese verlaufen theils mit weiterer Lockerung und Erweichung der betroffenen Gewebe, theils mit Blutgefässentwicklung in der Umgebung und in der Pseudomembran selbst, theils endlich mit Verstärkung der letztern durch Ansatz von Faserstoff, welcher sich allmälig organisirt. Auf diese Weise geschieht es, dass Staphylome, welche in der ersten Zeit nach ihrem Entstehen durch enorme Ausdehnung der blossgelegten Iris und Barefici- rung ihrer Fasern förmlich durchsichtig waren (von der Seite her, bei durchfallendem Lichte angesehen), nach längerer Zeit völlig undurchsichtig werden. Trägt man in

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diesem Zeitpunkte so ein Staphylom ab, so findet man, dass es aus einem weichen, sueculenten, wenig elastischen, hie und da von erweiterten Gefässen durchzogenen, gegen den Rand und gegen die hinlere Fläche hin wohl auch noch ziemlich unver- änderte Hornhautfasern zwischen sich einschliessenden Faser- oder Karbengewebe besteht, bisweilen dünner, bisweilen aber auch 2— 3mal so dick, als die normale Hornhaut. An der vordem Fläche findet man eine mächtige Lage mehr weniger ver- änderter Epithelialzellen. Dieses Epilhelium, von einer abnormen Matrix geliefert, wird gewöhnlich stellenweise abgestossen, wodurch kleine Excoriationen entstehen, indess es an andern Stellen übermässig angehäuft wird, sich in den Thränen nicht mehr auflöst, und mehr weniger trocken erscheint. An der hintern Fläche sieht man stellenweise noch Reste der Wasserhaut und darüber Hornhautfasern. Diese Reste er- scheinen manchmal als Zipfel oder Ralken, an der Innenfläche und an den Seitenrän- dern (durch Umschlagen der Descemet'schen Haut über die unzerstörten Hornhaut- partien) glatt, und von den Rudimenten der enorm ausgedehnten Iris leicht (durch Abstreiten) zu befreien. Wo aber die Wasserhaut fehlt, da erscheint die hintere Fläche der Pseudocornea rauh, uneben, durch Querbalken und grubenähnliche Vertiefungen netzähnlich, mit den Irisfasern und Pigmentzellen innigst vereint. Mit diesem Befunde stimmt der Vorgang überein, welchen wir am Krankenbette bei der Überhäutung grös- serer Irisvorfälle beobachten, dass nämlich, wie bereits oben bemerkt wurde, von den Geschwürsrändern der Cornea durch Anschiessen plastischen Exsudates sich Vorsprünge bilden, welche, wenn zwei gegenüberstehende sich endlich erreichen, gleichsam Brük- ken oder Bänder darstellen, die den Vorfall einschnüren, in mehrere kleinere Vorfälle abtheilen, während die zwischenliegcnden Inseln erst später mit einer dünnern Mem- bran überzogen werden. Jene Bänder nun stellen beim ausgebildeten Staphylom die genannten balkenähnlichen Vorragungen der hintern Fläche vor. Wenn es geschieht, dass anfangs diese dickern Streifen der Vis a tergo widerstehen, die dazwischen be- findlichen Partien dagegen nachgeben, so bekommt das Ganze eine Ähnlichkeit mit einer Brombeere, und wurde, wie schon bemerkt, von den Altern Staphyloma race- inosuni genannt. Es liegt am Tage, dass dieser Zustand leicht in ein Staphyloma ve- rum übergehen kann. Die Pseudomembran, welche die Stelle der Cornea ganz oder theilweise vertritt, schrumpft wie alle derlei Neugebilde mit der Zeit etwas zusammen ; sie wird dichter und derber, und setzt dann dem Andränge der Contenta des Bulbus einen festen Widerstand entgegen. In ihr, wie in allen solchen Neugebilden, sieht man hie und da bisweilen fettige oder kalkige Ablagerungen. Die Abschilferung des krankhaften Epitheliums, vielleicht auch die übermässige Spannung, und hie und da wohl auch die mangelhafte Ernährung bewirken bisweilen kleine Verschwärungen ; in Folge derselben wird an dieser Stelle das Gewebe so dünn, dass es durchscheinend, ja beinahe durchsichtig wird, und der Kranke vermag dann, wenn sonst keine Hinder- nisse da sind, selbst Gegenstände grösseren Umfanges zu unterscheiden. In andern Fällen erfolgt Durchbruch, Ausfluss wässriger Flüssigkeit und Zusammensinken der Geschwulst bis zu einem gewissen Grade. Diese Öffnung schliesst sich dann wieder, bricht abermals auf, und so wiederholt sich der Process durch Monate, Jahre, bis bleibende Schliessung oder PanOphthalmitis (wovon später) eintritt. An den meisten alten Staphylomen lässt sich eine oder die andere dünne, durchscheinende, bläulich- schwarze Stelle auffinden. Wir haben bei der Schilderung der Entwicklung des Staphyloma von serösem Ergüsse im Innern des Auges gesprochen. Derselbe erfolgt

240 Hornhaut.

entweder unmittelbar hinter der Iris, oder in die Zellen des Glaskörpers, oder an bei- den Orten zugleich. Denken wir uns a) den Fall, dass eine mehrere Ouadratlinien grosse Partie der Hornhaut bis auf die tiefsten Schichten oder auch gänzlich zerstört, und dass nach Abfluss des Humor aqueus die Öffnung bloss durch die Iris und Exsudat verlegt sei. In einem solchen Falle besteht die hintere Augenkammer, und vielleicht theilweise auch die vordere. Der Umstand, ob beide noch communiciren (durch die mehr weniger beschränkte Pupille) oder nicht, hat auf die weitern Folgen keinen Ein- fluss, wohl aber der, ob unter diesen Verhältnissen die Linse momentan stärker vor- getrieben oder selbst die Zonula zerrissen wird, a) Wird die Linse einfach vorgetrie- ben, ohne dass ihr Aufhängeband (die Zonula) oder ihre Hülse (die Kapsel) berstet, so drängt sie einfach den Humor aqueus und durch diesen den nachgiebigen Theil der vordem Wand des Bulbus auswärts, und weicht beim Nachlass der stärkern Muskel- wirkung wieder in ihre Lage zurück. Geschieht diess plötzlich, so fällt der ausge- dehnte Prolapsus etwas zusammen, und wird erst in dem 3Iaasse wieder gespannt, als die den Humor aqueus separireuden Gebilde serösen Erguss liefern; erfolgt das Zu- rücktreten der Kapsel und Zonula in ihre normale Lage allmälig, so wird der Prola- psus durch den Humor aqueus in gleicher Spannung erhalten, ß) Riss wegen stärkeren Andranges des Corpus vitreum die Zonula ein, so tritt Glaskörper in die hintere Kammer, und es kann nun, je nachdem mehr seröses oder mehr faserstoffiges Exsudat geliefert wird, zu zellig-fibröser Verwachsung der Glashaut mit dem Prolapsus kommen, oder zu einfach serösem Ergüsse, bald in die hintere Augenkammer, bald in das Cor- pus vitreum. y) Riss endlich die Kapsel ein, so wird die Linse allmälig resorbirt, oder sie schrumpft sainnit der Kapsel zu einem Klumpen zusammen, welcher entweder mit der Zonula und Hyaloidea noch verbunden bleibt, oder von beiden mehr weniger iso- lirt wird. Diess ist nun der Befund partieller oder totaler Staphylome, bei welchen die Vergrösserung des Bulbus allein oder vorzugsweise durch serösen Erguss zwischen Prolapsus und Corpus vitreum gebildet ist. b) Wenn dagegen die Hornhautöffnung so gelagert oder so gross ist, dass zu ihrer Verlegung nothtrendig auch die vordere Kapsel beitragen muss, dann wird der Umstand, ob bloss das Centrum oder die ganze Kapsel mit der Iris und Pseudocornea verwächst, zunächst von Einfluss auf die weitem Metamorphosen sein. Dann wird relativ wenig oder gar kein seröser Erguss zwischen Iris, Kapsel und Zonula entstehen können, und wir finden die Vergrösserung des Bulbus ausschliesslich oder vorwaltend durch Vermehrung und Verflüssigung des Glaskörpers bedingt, offenbar desshalb, weil, wenn durch momentan stärkere Wirkung der Augen- muskeln die mit der Pseudocornea verwachsene Linse mit vorwärts gedrängt wurde, die Zellen des Glaskörpers einrissen und hiemit der Anstoss zur Erkrankung des Glas- körpers gegeben wurde. Wir haben oben der Thatsache erwähnt, dass nur grössere Irisvorfälle die Gefahr der Staphylombildung einschliessen, kleinere niemals. Nach meiner Ansicht liegt die Ursache in einem physikalischen Gesetze. Wenn bei stärkerem Andränge der Contenta des Bulbus (durch Muskeleinwirkung) der Druck auf eine klei- nere Partie gerichtet ist, so widersteht sie demselben nicht und reisst ein ; es kommt zur Berstung, nicht aber zur Ausdehnung jener Partie, welche nicht den entsprechen- den Widerstand zu leisten vermag. Wenn der Druck hingegen auf eine grössere nach- giebige Partie gerichtet ist, so kommt es nur zur Ausdehnung, und erst bei ungleich höherer Kraft des Druckes zur Berstung. Eben so wird, wenn das den Irisvorfall

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tiberkleidende Exsudat bereits fest geworden, in stationäres Fasergewebe umgewandelt ist, dasselbe eber bersten, als sich ausdehnen.

Hat der ausgedehnte Irisvorfall sammt seiner Bedeckung- einen ge- wissen Grad von Festigkeit erlangt, so dass er nicht weiter ausgedehni werden kann, und erfolgt ob der Fortdauer des Congestions- und Reizungs- zustandes der Ciliargcfasse vermehrte Ausscheidung von Humor aqueus : so wird auch der vorderste Theil der Sclera, da, wo ihn die Ciliar- gefässe zahlreich durchsetzen, in Mitleidenschaft gezogen. Nachdem die Cornea lange von einem violetten Saume in dieser Gegend umgeben war, bei strotzender Überfüllung der Ciliargefässe, erweicht dieser Theil der Sclera, gibt dem Drange des Humor aqueus nach, und wird in Form bläulicher Wülste, ähnlich den Hügeln varicöser Hautvenen, hervorge- trieben. Man hat solche Staphylome varicöse genannt, weil man diese Ausdehnung für Varices des Corpus ciliare hielt. Diese Wülste liegen aber, wie mich Sectionen gelehrt haben, immer noch diessseits, i. e. vor dem Corpus ciliare, und müssen wohl unterschieden werden von jenen, welche bei Erkrankung des Glaskörpers oder der Chorioidea beobachtet werden. Ihre Lage lässt sich am besten nach den Eintrittsstellen der vordem Ciliararterien in die Sclera beurtheilen. Bläuliche Wülste, welche diesseits jener Eintrittsstellen sich befinden, deuten jederzeit nur auf vermehrte Ansammlung des Humor aqueus, auf einen wahren Hydrops ca- merae posterioris. Wir sehen ihn bisweilen auch in Folge chronischer Iritis, worauf wir später zu sprechen kommen werden. Die Basis der Cornea oder Pseudocornea ist dann, wenn die Sclera ringsum jenem Drucke nachgegeben hat, vom hintern Pole des Augapfels weiter ent- fernt, als bei einem einfachen Staphylome. War die Muskelcontraction, welche den ersten Ansloss zur Vorwärtswölbung gab, heftiger, so kommt es nicht immer zur einfachen Ausdehnung des Vorfalles und zum Serum- erguss hinter demselben, sondern es kann auch geschehen, dass die Lin- senkapsel berstet, oder dass die Zonula Zinnii und die Zellen des Glas- körpers einreissen. Daher finden wir bei Totalstaphylomen nicht selten die Linse fehlen; sie wird, nachdem die vordere Kapsel geborsten, resorbirt, und der Raum durch seröse Flüssigkeit gefüllt; in seltenen Fällen schrumpft die blossgelegte Linse zu einem unförmlichen, mitunter auch Kalkconcremente, selbst Knochenbildung enthaltenden Klumpen sammt der Kapsel zusammen, oder man findet sie, in der Kapsel eingeschlossen und von der Zonula sowohl als von der Hyaloidea isolirt. frei in der Höhle des Staphylomes schwimmend. Doch kann die Linse auch schon vor dem Abschluss des Auges durch die Iris und die sie bedeckende Pseudo-

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membran abgegangen sein, wie schon oben bemerkt wurde, ein Zufall, der vor der Staphylombildung keineswegs sichert. Die Einreissung der Zonula und der Glashaut pflegt einen hydropischen Zustand des Glas- körpers, Verflüssigung und Vermehrung der Glasfeuchtigkeit, zur Folge zu haben. In Folge dessen wird der Augapfel in seinem hintern Um- fange vergfö&sert, die Sclera wird durchaus oder sf ellenweise verdünnt und ausgedehnt, die Netzhaut gelähmt ; es entstehen die sogenannten Varices chorioideae oder Staphyloma cum varicositate bulbi, wie sich die Ällern auszudrücken pflegen. Die Berstung der Kapsel oder der Zo- nula kann übrigens bei Totalstapliylomen noch durch einen Umstand be- günstigt werden, den wir besonders hervorheben müssen. Wenn bei aus- gedehnter Verschwärung der mittlere Theil der Cornea zerstört wurde, b wird die Öffnung nicht durch die Iris allein, sondern auch durch die vordere Kapsel verlegt, oder, wenn Iritis entstand, durch einen Exsudat- pfropf in der Pupille. Die Folge hievon ist Verwachsung der Kapsel mit der Iris und Pseudocornea. Tritt nun eine stärkere Muskelcontraction ein, bevor die Pseudocornea noch das hinreichende Widerstandsvermögen erlangt hat, so muss entweder die Kapsel bersten oder die Zonula, und hiemit sind dann die Bedingungen zu den genannten krankhaften Ver- änderungen solcher Augen gegeben.

Wir haben Eingangs erwähnt, dass wir ein allgemeines und ein theilweises Hornhautstaphylom unterscheiden. Beim partiellen ist noch mindestens '/3 der Cornea vollkommen gesund, und dem entsprechend auch vordere Augenkammer vorhanden. Nimmt das partielle Stuphylom weniger als <2/3 der Hornhaut ein, so ist in der Regel auch noch Pupille vorhanden, nur ein Theil des Pupillarrandes der Iris mit der Pseudo- cornea verwachsen. Doch pflegt beim partiellen Slaphylom auch der gesunde Theil der Cornea nicht die normale Wölbung zu besitzen, son- dern dachförmig zu der vorgetriebenen Pseudocornea aufzusteigen. Der Sitz des partiellen Staphyloms ist gewöhnlich in der untern Hälfte der Hornhaut, selten in der obern; der Grund liegt darin, dass Hornhaut- geschwüre an und für sich in der obern Partie nicht so häufig vorkom- men, und dass die im horizontalen Durchmesser sitzenden sich gern durch Eitersenkung nach untenzu vergrössern; vielleicht auch, dass das obere Augenlid der Vis a tergo einigen Widerstand entgegensetzt.

Treten die Bedingungen zur Staphylombildung bei centralen Horn- hautgeschwüren auf, so entwickelt sich gern Totalstaphylom, und zwar, wenn ringsum noch ein breiter Saum Hornhaut unversehrt ist. ein kegel- förmiges. Es verwächst dann die Pseudocornea gewöhnlich nicht nur mit

Geschwüre Diirdibruch Staphylom. 243

dem ganzen Pupillarrande, sondern auch mit dem Centrum der vordem Kapsel, und die Muskelcontraction, welche eben den ersten Anstoss zur Vorwärtstreibung der Pseudocornea gibt, bewirkt Zerreissung der Zellen des Glaskörpers und der Zonula durch Vorwärtszerrung der Kapsel und Linse, wenn nicht etwa die Kapsel selbst berstet. Das Staphylom muss aber in solchen Fallen, wo noch ringsum ein Saum von unversehrter Cornea besteht, und nur der centrale Theil derselben bis auf die Wasserhaut zer- stört ist, eine kegelförmige Gestalt annehmen, weil die Vis a tergo nur in der mittlem Partie nicht den gehörigen Widerstand findet. Ringsum, nächst der Basis corneae, erscheint dann die Iris einfach an die Cornea angelagert. Dass aber der Vorgang wirklich so ist, wie wir eben an- gegeben haben, beweist der übereinstimmend gleiche Befund bei allen kegelförmigen Totalstaphylomen. Bei allen diesen lindet man die Kapsel mit der Pseudocornea verwachsen, und, wo sie nicht geborsten ist, auch die Linse mit vorwärts gezogen ; bei allen findet man den Glaskörper verflüssigt und vermehrt. Daher ist es auch das kegelförmige Total- staphylom insbesondere, welches zu Ektasien der Sclera im hintern Um- fange des Bulbus führt.

Das partielle Staphylom an- und für sich stört das Sehvermögen nur in so fern, als es die Pupille verzieht oder aufhebt, oder als es den unversehrten Hornhauttheil in . eine schiefe Fläche verwandelt. Den Inhalt der kuppelähnlichen Vortreibung bildet seröse Flüssigkeit, Humor aqueus; in manchen Fällen mag wohl auch durch die an einer Stelle eingerissene Zonula etwas Glaskörper in diesen Raum eingedrungen sein; in solchen Fällen dürfte auch das Linsensystem eine mehr weniger schiefe Lage einnehmen. Beim totalen pflegt die Lichtempfindung nur dann aufgehoben zu sein, wenn der Glaskörper bedeutend verflüssigt und vermehrt, und die Sclera ektatisch ist.

Diese Ansichten über das Hornhautstaphylom, im Wesentlichen bereits in dein oben citirten Aufsätze enthalten, sind seitdem der Hauptsache nach angenommen wor- den, wie die Aufsätze von Sichel, Frerichs, Hasner, Hawranek u. A. zeigen. Die Lehre vom Staphylom ist somit heutzutage wesentlich verschieden von der, welche Beer und nach ihm Viele aufgestellt hatten. Nur von einem Punkte der ßeer'schen Theorie konnten sich mehrere, namentlich Chelius jun. und Hasner nicht trennen, nämlich da- von, dass Abschluss der vordem Augenkammer von der hintern (Pupillensperre} zur Staphylombildung nothwendig sei. Dr. Hasner, eine Vis a tergo nicht zugebend, er- klärt „die Vortreibung der Iris einfach durch die hebende Wirkung der im Auge an- gesammelten Flüssigkeit." „Die Regenbogenhaut, im normalen Zustande eine per- forirte Membran, kann leicht durch pathologische Zustände zur imperforirten weiden, wo sodann die hintere Augenkammer einen vollkommen geschlossenen Sack darstellt. Es ist leicht erklärlich, welchen wesentlichen Einfluss auf das Entstehen von Form-

16*

244 Hornhaut.

fehlem des Auges ein solcher Abschluss der mit Flüssigkeit gefällten Augenkainmer haben muss, besonders in solchen Fällen, wo die vordere Kammer durch Zerstörung der Hornhaut vernichtet wurde. Die dehnbare Iris muss sodann durch die Flüssigkeit, welche sie einschliesst und deren Secretion fortwährt, immer mehr hervorgedrängt, und auf diese Art die Höhle des Auges bedeutend vergrüssert werden." »Die den Vorfall von einigem Umfange überkleidende Pseudomembran vermag nur dann dem Drucke .des Humor aqueus zu widerstehen, wenn die Iris mit ihrer hintern Wand gleichzeitig an die Kapsel geheftet ist; ist eine solche Verwachsung nicht vollständig eingetreten, dann wird häufig nach einiger Zeit die Secretion des Humor aqueus wieder bedeutender, und es tritt eine neue Vorbauchung auf. Auch die Entfernung der Linse schützt nicht immer; nur dann, wenn die Verwachsung der Iris mit der vordem Kapsel fest geworden ist, sind wir vor Recidiven sicher." Nach diesen Angaben muss ich annehmen, dass Hasner wenig oder gar kein staphylomatöses Auge anaiomisch unter- sucht habe. Ich willl, um nicht ineitie Untersuchungen als massgebend aufzustellen, nur auf Frerichs*~) Angaben verweisen, welche sich auf 17 Objeete beziehen, und denen wohl Niemand Wahrhaftigkeit absprechen wird. „Unter 17 Fällen von Staphy- loma war lOmal die Linsenkapsel sammt der verdunkelten Linse durch Exsudat fest an die Iris angeklebt, die hinlere Augenkainmer also verschwunden, in 1 Falle fehlte die Linse ganz, in den 6 übrigen Fällen war sie in ihrer Stellung geblieben, und hier er- schien die hintere Augenkammer geräumiger, als gewöhnlich." „Der Glaskörper war in mehreren Fällen über das Corpus ciliare vorgefallen, und durch bandartige Ad- häsionen fest mit der hintern Fläche des Stapbyloms verwachsen " Mit Frerichs An- gaben stimmen auch die von Rosas u. A. überein, wenigstens in Bezug auf das kegel- förmige Staphylom, von welchem ausdrücklich gesagt wird, „dass nicht allein die verbildete Cornea mit der Iris ganz oder theilweise verwachsen, sondern auch die Iris mit dem Krystallkörper und dieser mit den Nebengebilden fest verbunden, somit die Secretion der wässrigen Feuchtigkeit unterdrückt, die hintere Augenkammer völlig aufgehoben, und der Glaskörper entmischt und angehäuft sei." Von Ämmons**") acht genaue Krankengeschichten dienen gleichfalls zur Bestätigung des Gesagten. Zum Schlüsse sei nur noch an die bekannte Thatsache erinnert, dass auch bei noch offener Pupille sich ziemlich grosse Staphylome entwickeln, und dass die Anlegung einer künstlichen Pupille, wo solche noch anwendbar, weder das Entwickeln noch das Weiterschreiten der staphylomatösen Verbildung zu hindern im Stande ist.

9) Als Folgen durchbohrender Hornhautgeschwüre sind endlich jene Zustände zu bezeichnen, welche im Allgemeinen unter den Namen : Phthisis corneae, applanatio corneae und phthisis bulbi bekannt sind. Mit dem Namen Phthisis corneae belegt man jenen Zustand der Hornhaut, wo dieselbe in Folge von Eiterung ganz oder grösstenteils zerstört und mehr weniger durch stationäres Naibengewebe ersetzt, letzteres jedoch nicht beträchtlich vorwärts gewölbt, sondern eher platt oder selbst vertieft erscheint. Abplattung der Cornea nennt man gewöhnlich jenen Zustand, wo die Cornea nur theilweise durch Eiterung zerstört, sonst aber normal,

») Hannov. Aunal. 1847, H. 4. «») Zfiluchr. für Ophthalm. 1. B. 8 80—102.

Geschwüre Phthisis corneae Phthisis bulbi. 245

nur platt oder selbst runzlich eingezogen erscheint. Hiebei können selbst noch % der Hornhaut durchsichtig- und durch eine geringe Menge Humor aqueus von der Iris geschieden sein ; aber es fehlt die Wölbung der Hornhaut, und die Pupille ist durch Verwachsung des Pupillarrandes mit der Hornhautnarbe aufgehoben. Die Iris hat in solchen Fällen immer ihre normale Structur und Farbe mehr weniger eingebüsst. Man kann leicht verleitet werden, in solchen Fallen auf Anlegung einer künstlichen Pupille anzutragen, weil dieser Befund an und für sich die sonstigen Be- dingungen zur Pupillenbildung nicht ausschliest. Es nützt jedoch die Operation nichts, weil (wie ich mich in einigen Fallen überzeugt habe) der Kranke auch durch die schönste Pupille nicht mehr sehen kann, als vordem. Der Grund davon liegt wahrscheinlich nicht so sehr in dem Verluste der Wölbung der Cornea, als vielmehr darin, dass ein solcher Zustand eigentlich dadurch zu Stande kommt, dass dem Humor aqueus vor der völligen Vernarbung durch längere Zeit das Aussickern gestattet war, und hiedurch die Ernährung des Auges zu stark beeinträchtigt wurde. Es muss übrigens bemerkt werden, dass Bulbi, welche äusserlich nur die Merkmale von Phthisis oder Applanatio corneae (ohne Verklei- nerung des hintern Umfangs des Bulbus) darbieten, bei der Eröffnung bisweilen dieselben Erscheinungen zeigen, wie phthisische Bulbi Die Phthisis bulbi, schon äusserlich durch mehr weniger beträchtliche Schrumpfung des ganzen Augapfels und in der Regel auch durch Ein- kerbung in der Gegend der Muse, recti (viereckige Gestalt) leicht erkenn- har, bietet bei der Section im Allgemeinen die Folgen von Chorioiditis und Schwund des Glaskörpers, oft auch Verlust der Linse dar, und wird demnach bei den Krankheiten der Chorioidea erst ausführlich besprochen werden. Hier kann zunächst nur angedeutet werden, auf welche Weise diese Folgen durch Hornhautgeschwüre eingeleitet werden. Ich glaube diess am füglichsten durch einige Krankengeschichten erörtern zu können. Eine Frau, 28 Jahre alt, welche in Folge von Hornhantgeschwüren auf der rechten Hornhaut mehrere übernarbte Irisvorfalle hatte, wovon der grüsste, etwas un- terhalb und vor der beinahe aufgehobenen Pupille, ein wenig (etwa '/, Linie) über das Niveau der Umgebung vorragte, fühlte beim Zerbrechen eines Holzastes (über's Knie) in ihrem Auge eine Veränderung; es thränte, wurde roth, schmerzte mehr und mehr, und wurde, da sie ihre häuslichen Geschäfte fort verrichtete, binnen wenig Tagen in einen Zustand versetzt, den ich, als ich gerufen wurde, als beginnende Pan- ophthalmitis erkannte. Jener Vorfall war geborsten, die Iris in die Öffnung einge- klemmt, die Conjunctiva bulbi ringsum in einen Wall erhoben, der Bulbus aus der Orbita vorgedrängt. Der Ausgang in Phthisis bulbi war nicht mehr zu verhüten. Ich trug ein nach acuter Blennorrhoe entstandenes, zuckererbsengrosses, nach unten und innen von der etwas verzogenen Pupille sitzendes Staphylom wegen Entstellung

24ß Hoi-iihaut.

und wegen Reibung am untern Lide bei einem 19jährigen Mädchen ab ; nach Abnahme des Verbandes (am 5. T<i<je) hatten sich die Wundränder nach Wunsche genähert, und das Übrige war durch eine durchscheinende Membran verschlossen, welche die näch- sten Tage dicker und fester zu werden schien, aber, nachdem wir der Kranken am 8. Tage erlaubt hatten, ein wenig aufzusitzen, sich vorwärts wölbte, wesshalb wir die Kranke abermals 5 Tage ruhig liegen Hessen, und eine Lösung von Lapis divinus ein- träufelten. Die Narbe schien nun hinlänglich fest zu sein, um die Kranke nicht nur sitzen, sondern auch herumgehen zu lassen Aber schon nach einigen Tagen, als die Kranke trotz unserer Warnung, nichts Schweres zu heben, sich selbst aufbettete und die Matratze hob, trat ßerstung und Ausfluss eines guten Theiles vom Glaskörper ein. Das- so glücklich wieder hergestellte Sehvermögen (die gegen das Staphylom schief aufsteigende Hornhaut vor der Pupille hatte wieder die gehörige Lage erhalten) wurde leider bei der darauf folgenden Vernarbung sehr beschränkt, sei es nun durch Verlust des Glaskörpers, oder, was mir wahrscheinlicher, durch Verrückung der Linse. Anfang Juni 1840 wurde ich zu einem 13jährigen Knaben gerufen, welcher seit 4 Wochen an einer Augenentzüngung litt. Ende Mai hatten mehrere Kinder der zahl- reichen Familie an Augenentzündung gelitten, welche der Beschreibung nach ein etwas heftigerer Katarrh gewesen zu sein scheint. Anfang Juni war auch dieser Knabe so erkrankt; bei ihm soll jedoch das Übel heftiger geworden sein, nachdem er an einem heissen Tage 1 Stunde Weges sehr schnell gegangen, und noch vom Schweisse trie- fend, den Rückweg in einem offenen Wagen gemacht hatte. Der Umstand, dass bei den übrigen Kindern das Übel unter der Behandlung eines Wundarztes mit Augenwäs- sern und kalten Umschlägen zurückgegangen war, hatte die Altern zu der Meinung gebracht, es werde auch hier nichts zu bedeuten haben, obwohl der Knabe bereits 4 Wochen krank, die Lider stark geschwollen, und der Ausfluss eiterähnlich war, bis ein bekannter Arzt zufällig in's Haus kam, und sie auf die Grösse der Gefahr auf- merksam machte. Ich fand die Lider bereits massig geschwollen, bläulich-roth, runzlich, die Lidbindehaut hochroth, stark geschwollen, die Scleralbindehaut nur einen flachen Wall bildend, das Secret eiterähnlich und ziemlich reichlich ; die rechte Horn- haut war unterhalb des Gentrums durchbrochen, das Geschwür etwa hanfkorngross mit gelblich-grau infiltrirten Rändern, die Iris an die Cornea angelagert, die Pupille von oben her sichtbar, hirsekorngross ; links war nur die untere Hälfte der Cornea erhalten, die obere Hälfte zerstört die Iris blossgele^t, die Pupille durch Verziehung der Iris geschlossen. Der Knabe war übrigens gesund, eine Vergrösserung der Geschwüre war nicht leicht zu besorgen, auf gehörige Pflege war zu rechnen ; ich stellte also die Prognosis bezüglich des rechten Auges günstig , bezüglich des linken zweifelhaft, ordinirte ruhi«je Lage, fleissige Reinigung der Augen mit lauem Wasser, Einträuflungen einer Lösung von Nitras argenti, Einreibungen von weissem Präcipitat mit Extr. bella- donnae an die Stirn und Schläfe, und eine leichte, nahrhafte Kost. Bald reinigten sich die Geschwüre, und der Humor aqueus sammelte sich wieder an; rechts heilte nur eine ganz kleine Partie der Iris in die Narbe ein, links wurde der Vorfall von Exsudat und allmälig von einer dünnen Membran überzogen Ende August war das rechte Auge so gut als möglich geheilt, nämlich mit einer etwa 1'" im Durchmesser haltenden Narbe, welche nur mit ihrem obern Rande einen kleinen Theil der Pupille deckte, und mit einer die Rundung und Beweglichkeit der Pupille kaum störenden vordem Syne- chie; an dem linken Auge war die untere Hälfte der Hornhaut vollkommen gewölbt

Geschwür« Phthisis bulbi. 247

und durchsichtig, die obere Hälfte durch eine bläulich-weisse Membran ersetzt, welche die Iris deckte und fast im Niveau der normalen Wölbung zurückhielt, die Pupille war jedoch aufgehoben, indem der PupiUarrand durchaus in jene Narbe hineingezogen, und die untere Hälfte der Iris sehr ausgedehnt erschien. Da der Knabe nun beinahe. 12 Wochen das Zimmer und grösstentheils auch das Bett gehütet hatte, Hess ich ihn an- fangs im Zimmer und nach 8 Tagen auch im Garten herumgehen. Ende September wurde ich plötzlich gerufen. Der muntere Knabe, den man schon für genesen hielt, war, trotzdem ich ihm wiederholt Vorsicht rücksichtlich stärkerer Muskelanstrengung dringend empfohlen hatte, auf einen Baum geklettert, und hatte darauf Schmerzen im linken Auge bekommen. Man hatte ihn in's Bett gelegt, und kalte Umschläge gegeben. Ich fand, den 3. Tag, den Vorfall so stark ausgedehnt, dass er schon von aussen an der Wölbung des obern Lides sichtbar war. Zugleich waren die Lider etwas ange- laufen, die Conjunctiva bulbi ödematös geschwellt, die Ciliargefässe stark injicirt. Nachdem diese consecutiven Erscheinungen unter Anwendung von Blutegeln und Eis- umschlägen bei ruhiger Lage zurückgegangen waren, blieb der Zustand des Vorfalles Staphyloms) unverändert, und ich nahm mir vor, dasselbe später abzutragen, weil die Familie in Kurzem in die Stadt übersiedeln sollte. Ehe es noch hiezu kam, überass sich der Knabe (am Kirchweihfeste) und bekam Erbrechen. Den 2. Tag gerufen, fand ich die rechte Cornea an der Stelle der Narbe geborsten, aus der Öffnung etwas Glas- körper heraushängend, die Lider und die Conjunctiva bulbi ziemlich stark ödematös geschwollen. Man kann sich meinen Schrecken denken ; der Knabe hatte mit diesem Auge bereits wieder gelesen und geschrieben, und nun musste ich es gleichfalls für verloren halten. Trotzdem that ich, was zu thun war, suchte der weitern Ausbildung von Entzündung des Glaskörpers und der Chorioidea mit dem Ausgange in Eiterung und Phthisis bulbi (denn dieser Gang war nach den vorhandenen Zufällen offenbar zu befürchten) durch örtliche Blutentziehungen, Eisumschläge, Diät u. s. w. vorzu- beugen, und war in der That so glücklich, das Auge mit unversehrtem Sehvermögen genesen zu sehen. Nachdem diess geschehen, der Riss wieder vernarbt und der Knabe in die Stadt gebracht worden war, nahm ich gegen Ende November die Abtragung des Staphyloms an dem linken Auge vor. So wie ich den Hornhautschnitt vollendet hatte, trat die krystallhelle Linse sammt der Kapsel heraus. Da ich den Kranken im Bette operirt halte, ging wenig Glaskörper verloren, und nach 14 Tagen war an die Stelle des Staphyloms eine ziemlich feste Narbe getreten, der Bulbus nur wenig kleiner als der andere. Von nun an sah ich den Knaben, der wieder anfing, seine Studien fort- zusetzen, selten, bis zwei Tage nach Weihnachten. Das rechte Auge war abermals an derselben Stelle geborsten ; die Veranlassung wurde mir, wahrscheinlich aus Furcht vor neuerlichen Vorwürfen, verborgen gehalten ; ein Mitschüler gab nachträglich an, der Knabe habe einen schweren Schubladkasten vorgezogen. Diessmal entwickelten sich unaufhaltsam die bekannten Symptome der sogenannten PanOphthalmitis, und endeten mit Phthisis bulbi, nachdem die Cornea vereitert und die Linse .abgegangen war. So gingen durch eine Reihe unvorhergesehener Zufälle beide Augen eines hoffnungsvollen Knaben zu Grunde ; denn der Hoffnung, durch Anlegung einer künstlichen Pupille im untern. Theile des linken Auges das Gesicht wenigstens theilweise herzustellen, gebe ich selbst fast keinen Raum.

Mit der Kenntniss der Folgen, welche Hornhautgeschwüre je nach ihrem Sitze, ihre Grösse und Tiefe haben können, und der Bedingungren-

24S Hornhaut.

unter denen Heilung oder doch Abhaltung schlimmerer Ausgänge möglich ist, haben wir auch die igsten Anhaltspunkte für die Prognosis und

Therapie gewonnen. Durchbohrende Geschwüre sind zunächst wie alle Hornhautgeschwüre nach ihrem Charakter zu behandeln, welcher bald ent- zündlich, bald torpid ist oder eben den zum Ersätze des Substanzverlustes hinreichenden Grad von Reizung zeigt. (Vergl. S. 96. 103 u. 220). So- dann ist alles zu vermeiden, was die Augenmuskeln primär oder synergisch zu stärkerer Contraction anregen, die bereits verlüthete Öffnung wieder sprengen oder die Iris vorwärts drängen und einklemmen könnte. Alle andern Mittel, die Iris zurückzubringen, sind fruchtlos oder geradezu schädlich. Das Ätzen mit Lapis infernalis ist nur dann zulässig, wenn eine Fistel besteht, und selbst da wird man es nicht selten umgehen können, wenn es gelingt, auf die Reproduction im Allgemeinen durch gute Kost, frische Luft, Aufheiterung des Gemüthes u. dgl. günstig ein- zuwirken, und örtlich den gehörigen Grad von Reizung durch Einträufeln einer etwas stärkern Lösung von Lapis infernalis, Lapis divinus, Alumen, besonders aber von Opiumtinctur zu erregen.

Bei frischen, nicht entzündeten oder eingeklemmten Vorfällen lasse man den Kranken nicht bloss strenge Rückenlage beobachten, sondern auch die Augen geschlossen halten, nöthigenfalls durch Verkleben der Lider. So lange der Irisvorfall die Zeichen von Entzündung darbietet, muss mehr weniger antiphlosristich, mindestens nicht reizend verfahren werden. Ist der Vorfall höher und breiter, so dass sich Staphylora zu entwickeln droht, so trage man den erhabensten Theil desselben mit einer nach der Fläche gekrümmten Scheere vorsichtig ab. Die hinter dem Prolapsus angesammelte wässrige Flüssigkeit entweicht, und ehe die Schnittwunde heilt, hat das den Vorfall überkleidende Exsudat in der Regel die gehörige Consistenz gewonnen um dem weitern Andränge der Flüssigkeit entsprechenden Widerstand zu leisten. Die blosse Function gewährt nicht diesen Erfolg, wenigstens nicht so sicher, und muss ge- wöhnlich oft wiederholt werden. Die Atzung mit Lapis infernalis oder mit Butyrum antimonii mittelst eines Pinsels erregt leicht zu starke Rei- zung: es kann heftige Entzündung darauf folgen, selbst eitrio-e Zerstö- rung der ganzen Cornea oder des Bulbus. Bei messerscheuen Indivi- duen begnüge man sich damit, dass man täglich 1 2mal einen Tropfen anfangs verdünnter, später reiner Tinct. opii crocata mittelst eines , Haar- pinsels auf den Prolapsus träufelt. Der Erfolg tritt langsamer, aber dennoch ziemlich sicher ein. Ist aber der Überzug eines grössern und starker vorgetriebenen Prolapsus bereits in eine dichte Pseudomembran

Geschwüre Behandlung nach erf. Durchbruche. 249

umgewandelt , dann nützt weder das Einträufeln von adstringirend- reizenden Mitteln, noch die Excision; man hat dann ein förmliches Sta- phylom vor sich, und muss unterscheiden, ob es partiell oder tolal ist.

Beim partiellen Staphylom fragt sich's, ob noch Pupille vorhanden ist, oder nicht, und ob dieselbe nicht etwa durch Verziehung bis zu einer für die Lichtstrahlen kaum durchgängigen Spalte, oder durch Verzieliung hinter die das Staphylom umgebende Hornhauttrübung, oder endlich durch dachförmiges Aufsteigen des gesunden Hornhauttheiles unbrauchbar gemacht ist. Wo keiner dieser Fälle statt findet, sei man mit jedem operativen Eingriffe sehr vorsichtig, wohl bedenkend, dass der Erfolg jeder Operation (auch unter den günstigsten Bedingungen unternommen) durch unvorhergesehene und unvermeidliche Zufälle vereitelt werden kann, und dass der Kranke hier nichts Geringeres riskirt, als die Function eines Auges. Ist das Sehen durch dachförmiges Aufsteigen der gesunden Hornhautpartie beeinträchtigt, so entferne man das Staphylom nach den weiter unten angegebenen Regeln. Ist die Pupille gesperrt, zu einer feinen Spalte verzogen, oder durch unheilbare Hornhauttrübung verdeckt, so ist die Bildung einer künstlichen Pupille allein oder zugleich mit der Abtragung des Staphyloms angezeigt, vorausgesetzt, dass die übrigen Be- dingungen hiezu vorhanden sind (Vergl. Krankheiten der Iris). Letztere ist dann nöthig, wenn das Staphylom das Auge in gereiztem Zustande erhält, sich an den Lidern reibt, Lichtscheu, Thränenfluss, Schmerzen u. dgl. unterhält, noch fortwährend zunimmt, oder von Zeit zu Zeit berstet. Ob nun die Abtragung des Staphylomes oder die Anlegung der Pupille früher zu geschehen habe, das muss der individuellen Beurtheilung jedes spe- ciellen Falles überlassen bleiben. Da, wo nur noch die Iridodialysis möglich ist, kann man vielleicht unmittelbar nach der Abtragung des Slaphyloms durch die Öffnung mit dem Häkchen eingehen, die Iris vom Ciliarbande lösen, hervorziehen und abschneiden.

Beim Totalstaphylom hat man verschiedene Heilmethoden vorge- schlagen, die Compression, die wiederholte Punction, die Einziehung eines Seidenfadens durch die Basis (mit oder ohne Abbindung), die Atzung der erhabensten Partie mit Lapis infernalis oder mit Spiessglanz- butter, die Ausschneidung einer kleinen Partie an der grössten Wölbung, und die gänzliche Abtragung mit Messer und Scheere. Nur diese letzte, besonders von Beer gewählte und empfohlene Methode hat sich bewährt; die andere wendet heutzutage kaum noch Jemand an. Man unternimmt diese Operation, entweder weil man den Kranken von den lästigen Zu- fällen, welche das Wachsthum der Geschwulst und deren Reizung durch

250 ÜOI \. llHIlt.

die Lider, Staub u. dgl. mit sich bringt, befreien, oder weil man die dadurch gesetzte Entstellung beseitigen will. Von einer Wiederherstellung des Gesichtes kann natürlich keine Rede sein. Man bat wohl vorge- schlagen, in die durch die Abtragung entstandene Wunde die frisch aus- geschnittene Hornhaut eines Thieres einzuheilen; allein schon die Ver- suche der Einheilung bei Thieren selbst sind misslungen; die transplan- tiric Hornhaut verdunkelte sich und verschrumpfte, auch wenn sie wirk- lich eingeheilt war.*) Die Abtragung geschieht, indem man ein etwas stärkeres Stamnesser an einer Seite der Basis des Staphyloms ein- und an der entgegengesetzten aus-sticht, so dass man beim Fnrtschieben der Klinge die Hälfte oder zwei Drittel der Basis durchschneidet. Den hie- durch gebildeten Lappen fasst man mit einer gutgezähnten Pincette, zieht ihn etwas an, und führt dann eine hinlänglich starke, am besten eine etwas n;tch der Fläche gekrümmte Scheere so ein, dass man mit einem Schnitte die ganze Pseudomembran abtragen kann Es versteht sich von selbst, dass in diesem 2. Momente ein Gehilfe beide Lider fixiren muss, während im 1. der Operateur selbst das untere abziehen kann. Es ist besser, den Schnitt mit dem Messer nach unten zu führen ; man kann dann den Lappen leichter fassen uud den Bulbus fixiren, der sich gerne nach innen und oben unter das Lid verbirgt. Es ist wichtig, der Schnitt, wo möglich, genau an der Grenze zwischen dem etwa noch vorhandenen gesunden Gewebe an der Peripherie und der Pseudomembran zu führen, nicht tiefer, weil sonst unnölhig eine grössere Wunde gebildet wird, aber auch nicht im Bereiche der Pseudomembran, weil diese, besonders wenn sie bereits sehr fest geworden ist, weniger fähig ist, die zur Deckung des Substanzverlusles, zur Schliessung der Wunde nölhige plastische Lymphe auszuschwitzen, und sich gehörig zusammen zu ziehen. Aus diesem Grunde ist auch die blosse Excision gewöhnlich erfolglos, we- nigstens bei älteren Staphylomen. Man lasse den Kranken schon vor der Operation sich in's Bett legen, besonders wenn man Ursache hat, Aus- fluss des Glaskörpers zu befürchten. Wo nach Abtragung des Staphyloms die Linse vorwärts gedrängt erscheint (die vordere Kapsel soll mit den Ciliarfortsätzen beinahe in einer Ebene liegen), bewirke man deren Aus- treten sogleich durch einen Kreuzschnitt in die vordere Kapsel, sonst heilt die Wunde sehr schwer, und die dieselbe mit der Zeit deckende Pseudomembran kann neuerdings vorwärts gedrängt werden. Die Wunde heilt durch Anschiessen plastischer Lymphe, welche ringsum von

»J .Siehe den nächsten Muchuitl.

dtascliwüre ßehandluug nach erf. Durchbruche. 251

dem Stumpfe der Cornea und Iris geliefert wird. In dem Maasse, als dieses Exsudat sich organisirt, wird die Öffnung enger, nach Verlust der Linse bisweilen etwas vertieft. Nach Abtragung von Totalstaphylomen wird die Basis corneae durch Schrumpfung des Narben gewebes kleiner, wenigstens dann, wenn die Linse oder ein beträchtlicher Theil des Glas- körpers verloren gingen. Im Allgemeinen muss man den Kranken selbst nach der Abtragung eines partiellen Staphylomes durch 8 12 Tage ruhig und mit verklebten Augen auf dem Rücken liegen, und nur nach den ersten 4 6 Tagen etwa zum Essen sitzen lassen. So lange die vordere, oder, nach Abgang der Linse, die hintere Kapsel noch krystallliell zu Tage liegt, ja so lange dieselbe nicht von einer Pseudomembran über- zogen ist, welche graulich getrübt, und etwas derber aussieht, muss der Kranke jede die Muskeln mehr in Anspruch nehmende Bewegung unter- lassen. Wo immer die neugebildete Pseudomembran sich merklich über das Niveau der Umgebung erhebt, ist man nicht sicher, dass nicht Ber- stung oder neue slarke Hervurtreibung derselben eintritt.

Die Vorsichtsmassregeln, welche man bei Irisvorfällen überhaupt zu beobachten hat, sind in noch grösserer Strenge und Umsicht einzuhalten, wenn rasche totale Vereiterung der Cornea eintritt, weil hier um so leichter Berstung der Kapsel oder Zonula und hiemit Verlust der Linse und eines Theiles, ja des ganzen Glaskörpers erfolgt. In manchen Fällen, wenn der Druck, den die gespannten Wandungen des Bulbus auf den flüssigen Inhalt üben, plötzlich aufgehoben wird, wie diess unter andern auch nach Abtragung von Staphylomen geschieht, bersten die Gefässe der Chorioidea, und es erfolgt ein so starker Bluterguss entweder zwischen Sclera und Chorioidea, oder zwischen Chorioidea und Retina, dass die von dem apoplektischen Herde einwärts gelegenen Gebilde vorwärts und durch die Öffnung mehr weniger herausgedrängt werden. Diess ge- schieht gewöhnlich unter fürchterlichen Schmerzen und lästigen Licht- entwicklungen, oft mit Erbrechen, welche Zufälle oft durch nichts zu stillen sind, als dadurch, dass man die durch die Hornhautöffnung hervor- gepressten Gebilde mit einer Scheere abträgt, und den Kranken unter Anwendung kalter Umschläge ruhig liegen lässt. Die Erscheinungen, die darauf folgen, sind fast immer die der PanOphthalmitis und endlich die der Phthisis bulbi. Schliesslich wollen wir noch bemerken, dass in Fällen, wo die Cornea so gut als verloren ist, dennoch alles aufgeboten werden muss, die Bildung eines Staphylomes oder den Ausgang in Phthisis bulbi zu verhüten; für die Kranken wird es nicht gleichgiltig sein, ob sie sich nachträglich noch der Operation des Staphyloms zu unterwerfen haben

252 Hornhaut.

oder nicht, und für die meisten wird es auch als Gewinn zu betrachten sein, wenn der Stumpf des Bulbus wenigstens so gross bleibt, dass nach Einlegung eines künstlichen Auges dieses noch eine gewisse Beweglich- keit erhalten könne. Wir werden darauf noch zurückkommen.

V. Trübungen der Hornhaut. *)

Störung der Durchsichtigkeit der Cornea pflegt man nur dann mit diesem allgemeinen Namen zu bezeichnen, wenn dieselbe nicht als Theil- ersclieinung der noch bestehenden Entzündung wahrgenommen wird. Wenn demnach eine trübe Stelle der Cornea noch deutlich gelockert oder geschwellt erscheint, wenn die Injection der vordem Ciliargefässe noch auf Fortbestand des exsudativen Processes deutet, oder wenn noch die Merkmale eines Geschwüres oder einer Wunde vorhanden sind, spricht man nicht von Trübung, sondern von Entzündung, Geschwürs- bildung u. s. w.

Bei den hieher gehörigen Zuständen ist es nothwendig, nicht nur auf die physicalischen Merkmale, In- und Extensität, Farbe, Oberfläche u. s. w, sondern auch insbesondere auf den Sitz der Trübung und auf deren Entstehungsweise genauer einzugehen, wenn sich's um die Feststel- lung der Prognosis und der Therapie handelt. Rücksichtlich des Sitzes werden wir, um uns die übersichtliche Schilderung zu erleichtern, zu- nächst jene Trübungen besprechen, welche ausschliesslich oder vorwal- tend das Epithelium betreffen, daran die an der Wasserhaut haftenden reihen, und mit der Betrachtung jener enden, welche das Parenchym allein oder nebst diesem noch das eine oder beide der ebengenannten Gebilde zugleich betreffen. In Bezug auf die Entstehung werden wir auf Trübungen stossen, welche als Folgen von Entzündung, Geschwürs- bildung, Verletzung etc. zu betrachten sind, und auf solche, bei welchen abnorme Ernährung mit mehr weniger Wahrscheinlichkeit als Ursache angenommen werden kann. Beginnen wir unsere Betrachtungen so- gleich mit den letztgenannten.

1. Es gibt eine angeborene Trübung der Hornhaut. Bis jetzt lässt

') Es erschien mir zweckmässig, auch diesen Zustanden der Hornhaut, gleich den Geschwüren, einen eigenen Ab- schnitt zu widmen. Sind sie auch grössteutheils nur als Mittel- oder als Endglieder von Kraukcilsprocessen zu betruchten, welche in andern Abschnitten besprochen werden, und somit dorthin gehörig, so wird doch, wie ich mich beim Uoterrichle am Krankenbette überzeugte, ihr Studium durch eine gemeinschaftliche und übersichtliche Betrachtung wesentlich erleichtert.

Trübung angeborene Arcus senilis. 253

sich noch nicht entscheiden, ob die Ursache davon Entzündung- im Fötus, oder Hemmung in der Entwicklung- ist. In dem Falle, den ich als an- geboren constatiren konnte, waren die Hornhäute durchaus getrübt, stellen- weise etwas intensiver, besonders gegen die Mitte hin, an der Peripherie noch so weit durchscheinend, dass man sich von der Gegenwart der vordem Kammer und der Pupille überzeugen konnte. Die Hornhäute waren wie aus Milchglas gebildet, an. der Oberfläche ganz glatt und glänzend, doch matt, etwas weniger gewölbt, etwas kleiner, nicht rund, und zwar nicht oval, sondern an ihrer Basis eine Art von Trapezoid darstel- lend. Der Knabe war \0 Jahre alt, und hatte deutliche Lichlempfindung, ohne Gegenstände unterscheiden zu können. Er ist leider späterhin nicht mehr zu mir gekommen. Schön *) beschreibt einige vielleicht hieher ge- hörige Fälle, unier welchen besonders die von Farrar interessant sind, indem derselbe „bei neugeborenen Kindern, 3 Geschwistern, eine sonder- bare Undurchsichtigkeit der Hornhaut beobachtete, welche nach und nach vom äussern Winkel her von selbst verschwand." Der eben daselbst erzählte Fall von Kieser erinnert durch die rhomboidale Form der Horn- haut sehr an meine Beobachtung, und gewinnt dadurch an Bedeutung, dass „die Mutter des Kranken an einem ähnlichen Bildungsfehler, jedoch in viel geringerem Grade, auf beiden Augen gelitten haben soll." Leider ist die Beschreibung viel zu unvollständig, um eine nährere Deutung zu- zulassen. Maclagan **) beschreibt in der London medical Gazette fol- genden Fall bei einem Neugeborenen : Keine Spur von Entzündung oder eitrigem Ausflusse; die linke Hornhaut ganz undurchsichtig, die rechte bloss in den untern zwei Dritteln so beschaffen, indem die Trübung sich allmälig najeh oben verliert ; die Trübung veränderte ihre Lage nicht, war also nicht durch den Humor aqueus bedingt ; einige Wochen nach- her hellte sich die rechte, 3 Monate nach der ersten Untersuchung auch die linke Hornhaut von oben her auf, und zwar von selbst. Sechs Monate nach der Geburt war am rechten Auge nur noch ein sehr kleiner Fleck übrig, und die obere Partie der linken so durchsichtig, dass das Kind die Pupille den Objecten gerade gegenüber stellen konnte, um sie zu sehen. Später wurde das Kind der Beobachtung entzogen. Tavignot***~) hat einen Fall von angeborener Hornhauttrübung mit gleichzeitig man- gelhafter Entwicklung der Iris beschrieben.

2. Ganz gewiss ohne allen Zusammenhang mit vorausgegangenen

*1 Patholog. Anatomie des Auges, S. 67.

**) Prager medichiische Vierleljahrschrift, 17. B. Anal. S. 86. •«*) Gaz. med. 1847, N. 29.

254 Hornhaut.

congestiven oder entzündlichen Zuständen der Cornea entwickelt sich auf dem Randmeile der Cornea eine Trübung-, welche man wegen ihrer bogenförmigen Gestalt und wegen ihres Vorkommens im höhern Alter Greisbogen, Arcus senilis s. Gerontoxon genannt hat. Diese lichtgraue Trübung nimmt den peripherischen Theil der Cornea in Form eines Bogens oder eines Ringes ein. Sie ist nach aussen, gegen den Limbus conjunctivae hin, scharf begrenzt, und von diesem stets durch einen schmalen, vollkommen durchsichligen Streifen gelrennt; nach innen ver- liert sie sich allmälig gegen den mittlem Theil der Cornea, ohne deren Centrum jemals zu erreichen. Daher wirkt diese Trübung an und für sich auch niemals störend auf das Sehvermögen. Da der Limbus con- junctivae (zumal bei Altern) im obern und im untern Segmente der Cornea breiter ist, als zu beiden Seiten, so erscheint der Arcus senilis, wenn er rings herum geht, nicht kreisrund, sondern eiförmig. Im Ca- daver findet man sowohl das Epitheliüm als die Descemetsche Haut normal ; nur die Hornhautfasern erscheinen unter dem Mikroskope etwas breiter, zeigen schärfere und dunklere Contouren und einen mehr ge- schlängelten Verlauf. Der Greisbogen kommt nur im hönern Alter vor, ausnahmsweise schon um's 36. 40. Jahr; man trifft aber auch Leute von 70 80 Jahren, welche diese Erscheinung nicht darbieten. Ich kenne eine Dame, welche höchstens 40 Jahre alt ist. ihrem Aussehen nach jedoch auf 30 geschätzt werden könnte, und doch auf beiden Augen einen vollständig ausgebildeten Arcus senilis darbietet. Sie hat nie an den Augen gelitten, ist jedoch in hohem Grade weitsichtig. Auffallend ist, dass Leule mit Gerontoxon stets zugleich an Weitsichtigkeit leiden (nicht aber umgekehrt); ja ich habe Fälle beobachtet, wo das Gerontoxon bloss an einem Auge vorkam, und auch nur dieses eine Auge an Weit- sichtigkeit iitt. Worin aber der letzte Grund dieser Trübung endlich zu suchen sei, wissen wir nicht. Sie lässt sich, wenn man will, in Parallele setzen mit dem Ergrauen der Haare und mit dem Trübwerden der Linse (Cataracta senilis), mit welchen Erscheinungen sie häufig zugleich vor- kommt. Doch erscheint sie auch ganz für sich allein. (Vergl. den Ab- schnitt über Cataracta).

3. Punkt- oder fleckenartige Trübungen an der hintern Wand der Cornea sind als Exsudate zu betrachten, welche in Folge von Iritis durch Präcipitation aus dem Humor aqueus dorthin abgelagert werden. Ihren Sitz erkennt man nicht sowohl durch die Seitenansicht, wie gewöhnlich angegeben wird, als vielmehr aus der Art ihres Entstehens (anderwei- tigen Spuren vorausgegangener Iritis), und aus ihrem Abstände von der

Trübung der Wasserhaiit des Epitheliums. 255

vordem Fläche, namentlich wenn sie mehr gegen die Peripherie hin liegen, wo der Limbus conjunctivae einen guten Anhaltspunkt für die vordere Cornealfläche abgibt. Wir werden von diesen Trübungen erst bei der Besprechung der Iritis ausführlicher handeln können

4. Trübungen des Epithelialüberzuges der Cornea erschienen theils für sich allein, theils mit Trübungen des Parenchyms der Hornhaut. Die häufigste Veranlassung dazu gibt der Pannus (Vergl. Conjunctivitis scro- fulosa und Trachoma), sodann die Einwärtswendung von Cilien oder die Gegenwart kleiner fremder Körper; wenn nach Resorptionsgeschwüren Trübungen zurückbleiben, so ist, wie wir sehen werden, schon das Pa- renehym der Cornea selbst mehr weniger dabei betheiligt.

a) Wenn der Pannus lange fortbesteht, und endlich das unter das Epitlielium der Cornea abgelagerte Exsudat nach dem Verschwinden der sichtbaren Gefässe in ein fibroides Gewebe umgewandelt worden ist, so findet man die Cornea durchaus oder theilweise (besonders in der obern Hälfte) getrübt, durchscheinend oder halbdurchsichtig, eben und glatt, aber sehnenartig glänzend, wie mit einer dünnen Aponeurose überzogen. Pi- ringer scheint diesen Zustand unter Pannus siecus verstanden zu haben. Er ist unheilbar; nur in zwei Fällen sah ich einige Besserung nach be- harrlicher Anwendung der weissen Präcipitatsalbe (auf's Auge) ein- treten. — Hat man Gelegenheit, so ein Auge am Cadaver zu unter- suchen, so findet man, dass zwischen Cornea und Epitlielium eine Art von Bindegewebe eingeschoben ist, welches als Neugebilde, als organisirtes Exsudat betrachtet werden muss. Man kann dann eine dünne Membran als unmittelbare Fortsetzung der Bindehaut über den Limbus conjunctivae herein präpariren, unter welcher die Cornea mehr weniger unversehrt zum Verscheine kommt. Demnach könnte man diesen Zustand auch als Über- häutüng der Cornea bezeichnen. Ich besitze mehrere Präparate, welche diesen Befund sehr schön nachweisen.

b) In Folge partieller Reizung durch einwärts gekehrte Cilien findet man bisweilen eine, schwielenähnliche Verdickung des Epitheliums auf der Hornhaut. Es sieht so aus, als ob man ein Stück dünnes Häutchen auf die Hornhaut aufgelöthet hätte. Die mehr weniger unebene Ober- fläche solcher Plaques erscheint seidenartig oder fettglänzend, oder ganz trocken, wohl desshalb, weil sich das massenweise angehäufte und in seinen Zellen (welche mehr epidermisarlig sind} veränderte Epitlie- lium nicht mehr in der Thränenflüssigkeit auflöst. Eine ähnliche Epithe- lialwueherung kommt übrigens auch nicht selten bei tiefern und grössern Hörn) autnarben, insbesondere aber bei Staphylomen vor. Sie ist gleich-

256 Hornhaut.

falls unheilbar, und die dagegen vorgeschlagene Abtragung der Entartung erwies sich (mir wenigstens) erfolglos.

c) Ich habe mehrmals in Cadavern kleine, halbdurchsichtige, nebel- ähnliclie Trübungen, sogenannte Nebelflecke der Cornea untersucht. Nach- dem ich das Epithelium von der ganzen Oberfläche sorgfältig mit einem Scalpell abgeschabt hatte, zeigte sich die Cornea an jener Stelle voll- kommen rein und glänzend, aber deutlich vertieft oder wie abgeschliffen. Die Trübung war also in solchen Fällen ganz oder grösstentheils durch reichlicher angehäuftes (mehr weniger verändertes?) Epithelium bedingt, welches den Verlust der Hornhautsubstanz verdeckt hatte. Die Trübungen setzten mithin offenbar Substanzverlust der Cornea voraus, und gehören demnach füglich zu den in dem folgenden Absätze zu besprechenden.

5. Die Trübungen, welche in Folge von Entzündung der Corneal- substanz selbst (mit oder ohne Geschwürsbildung primär oder seeundär) zurückbleiben, sind bei weitem die häufigsten, und sie sind es vorzugs- weise, welche gewöhnlich unter dem allgemeinen Namen „Hornhaut- trübungen" aufgeführt werden.

Man hat diesen Trübungen von Alters her die verschiedensten Namen beigelegt, als: Macula, Nephelium, Nebula, Nubecula ; Achlis, Aegis seu Aegias seu Macula nu- bosa ; Leucoma, Margarita seu Perla, Albugo seu Paralampsis ; Cicatrix u. s. w. Beer suchte die Lehre von den Hornhauttrübungen besser zu begründen und zu ver- einfachen, indem er sie dem Grade nach in Maculae, Leucomata und Cicatrices unter- schied, und dabei zugleich auf die verschiedene Entstehungsweise und auf die ver- schiedenen anatomischen Veränderungen hindeutete. Maculae nannte er halbdurchsich- tige Trübungen mit verwaschenen Rändern; er bezeichnete sie als meistens nur ganz oberflächlich sitzend, und leitete sie von „der Gerinnung des zwischen den Lamellen der Hornhaut in dem äusserst zarten Bindungsgewebe befindlichen lymphatischen Dun- stes" her. Leucoma nannte er undurchsichtige Trübungen, die sich gegen die Peri- pherie hin allmälig verlieren ; er meinte, in solchen Fällen habe sich der lymphatische Dunst schon zu einer Pseudomembran umgebildet, daher erscheine die Trübung weiss, kreideweiss oder perlmutterartig glänzend, über das Niveau mehr weniger sanft auf- gewölbt, beim Berühren mit der Sonde hart, callös. Cicatrix s. Ottle hingegen nannte er undurchsichtige Trübungen mit scharf begrenzten Rändern ; sie erscheinen nach ihm immer perlenmutterartig glänzend und bei der Berührung mit der Sonde hart, abge- plattet oder deutlich vertieft, häufig mit vordem Synechien vereint; er leitete nur diese Trübungen von wirklicher Zerstörung der Hornhautfasern durch Eiterung und von un- mittelbarer Verwachsung der Hornhautfasern unter einander ab. Auf diese einfache Diagnostik nun stützte Beer seine prognostischen und therapeutischen Regeln. Er erklärte die Narben für absolut unheilbar, die Leucoma für begingt heilbar, die einfa- chen Flecke (Maculae) für in der Regel leicht und vollständig heilbar, und theilte seinen Ansichten über die pathologisch-anatomischen Veränderungen gemäss auch die von der Empirie gebotenen Heilmittel in 2 Hauptclassen, welche wir weiter unten aus- führlich besprechen werden.

Ti'ühiing Einlaches Exsudat Narben. 257

Diese Trübungen können bedingt sein: a) durch Ablagerung faser- stoffigen Exsudates zwischen die mehr weniger unversehrten Fasern der Cornealsubstanz ; b) durch Exsudat, welches an die Stelle der durch Ei- terung, Ätzung u. dgl. zu Grunde gegangenen Cornealfasern getreten ist, und entweder «) noch einer weitern Umwandlung (in wahre Corneal- fasern) fähig ist, oder ß) bereits unveränderliches Faser- oder Narben- gewebe darstellt; c) durch a und b zugleich und zwar, wie gewöhnlich, b in der Mitte, a in der Peripherie der getrübten Stelle.

Trübungen, einzig und allein durch Exsudat zwischen den Hornhaut- fasern bedingt, sind meistens die Folge jener Form von Keratitis, die wir als scrofulosa geschildert haben. Sie sind in der Regel heilbar, selbst wenn sie undurchsichtig sind, hie und da wohl auch ein kreideartiges Aussehen zeigen. Nur nach längerem Bestände reichlicher Exsudate ge- schieht es, dass die davon eingeschlossenen Hornhautfasern durch Druck zu Grunde gehen, und eine solche Stelle nie mehr völlig durchsichtig wird. Die genannte Hornhautentzündung combinirt sich ferner zuweilen mit Entzündung der Iris und des vordersten Theiles der Sclera, und nach dieser Combination bleibt nicht selten eine opalartige Trübung des peri- pherischen Theiles der Cornea (ringsum oder stellenweise) zurück, ein Zustand, den man Sclerosirung der Cornea genannt hat. Diese letzt- genannte Veränderung der Cornea ist jederzeit unheilbar; es scheint, dass sie mit Obliteration der unter dem Limbus conjunctivae zur Cornea tre- tenden Zweige der vordem Ciliararterien complicirt ist.

Die häufigste Quelle der Hornhauttrübungen im engern Sinne dieses Wortes sind Geschwüre oder Abscesse der Hornhaut. Man kann sich davon überzeugen, entweder indem man Kranke mit Hornhautgeschwüren oder Abscessen hinreichend lange beobachtet, oder wenn man sich die Mühe nimmt, bei den verschiedenen Hornhautrübungen auf die Art ihrer Entstehung genau zurückzugehen. Man wird sich so am besten über- zeugen, dass man es in den meisten Fällen mit Narben (im wahren Sinne des Wortes) zu thun habe, mit Trübungen, welche dadurch bedingt sind, dass an der betreffenden Partie Hornhautfasern verloren gegangen waren, und an ihre Stelle Exsudat getreten ist, welches den Subslanzverlust mehr weniger vollständig deckt, und welches die Wiedererzeugung nor- maler Hornhautfasern an dieser Stelle vermittelt (provisorischer Callus), oder förmlich unmöglich macht (Narbengewebe). In nicht gar lange be- stehenden Fällen findet man auch die umgebenden unversehrten Horn- hautfasern nach von Exsudat durchsezt.

Bevor wir nun zur nähern Betrachtung dieser Zustände übergehen,

I. 17

258 Hornhaut.

erscheint es nothwendig, auf die Functionsstörungen, welche dadurch be- dingt werden können, aufmerksam zu machen, damit die Wichtigkeit der nachfolgenden Erörterungen um so klarer hervortrete. Jede noch so geringe Hornhauttrübung setzt, sobald sie der Pupille gegenüber liegt, eine Störung des Gesichtes. Man hat gesagt, ganz kleine (punktförmige) Trü- bungen stören das Sehvermögen nicht. Als Beweis hat man angeführt, dass viele Augen mit derlei kleinen, ja selbst mit merklich grössern Trübungen ein vollkommenes Gesicht besitzen, und dass solche trübe Stellen auf die Klarheit des Netzhautbildes keinen Einfluss nehmen können, weil sie der Linse zu nahe liegen ; man solle nur ein Convexglas, z. B. von 1 Zoll Brennweite nehmen, es dem Fenster gegenüber vor eine weisse Wand halten, und man werde keinen Unterschied in dem Licht- kreise (focus) bemerken, ob man nun vor dem Glase einen Stecknadel- kopf vorhalte, oder nicht. Dieser Vergleich passt offenbar nicht hieher, denn am Auge ist die Linse nicht das einzige, ja sogar das untergeord- nete Organ für die Strahlenbrechung. Fleckchen auf der Cornea sind also vielmehr mit Fleckchen oder Schrammen auf Glaslinsen (Loupen oder Brillen) zu vergleichen. Wie nachtheilig aber selbst die feinsten Schrammen oder Flecke auf Augengläsern wirken, wissen die Brillenträger am besten. Es ist allerdings wahr, dass Viele von der Gegenwart einer kleinen Trübung au einem oder an beiden Augen gar nicht wissen, ja dass Viele trotz dem ganz gut sehen. Das zeigt aber nur, dass dem Auge Mittel zu Gebote stehen, jene Störung mehr weniger unschädlich zu machen. Diese Mittel liegen theils in unwillkürlicher (durch Beflex angeregter) Abänderung des Refractionszustandes, theils in psychischer Intention, welche gleichsam instinktmässig von gewissen störenden Eindrücken ab- strahiren lehrt.

Dass grössere und dichtere Hornhauttrübungen das Gesicht stören, und zwar um so ärger, je mehr sie den Lichtstrahlen den Zutritt zu der Pupille verwehren, ist all- gemein bekannt und anerkannt. Um den Eintluss kleiner und. unscheinbarer Trübungen kennen zu lernen, stehen uns zwei Wege zu Gebote : der des Experimentes, und der der Beobachtung an Kranken. Da die Cornea (im Verein mit dem Kammerwasser) eine Sammellinse darstellt, so können wir aus Experimenten mit Convexgläsern wohl auf das Verhalten der Cornea unter ähnlichen Verhällnissen zurückschliessen. Bringen wir Jemandem, der zu feinem Arbeiten Convexgläser nöthig hat, auf dem einen oder auf beiden Gläsern im mittlem Theile kleine Flecke oder Schrammen an, so sieht er nicht mehr so gut, wie durch das reine und unversehrte Glas. Muss er sich dennoch dieses Glases weiter bedienen, so reichen seine Augen zu jenen Arbeiten nicht so aus, wenigstens nicht so lange, als vordem, sie ermüden leicht, oder er muss die Brille etwas weiter vom Auge rücken, oder das Object etwas entfernter halten, oder aber stärkeres Licht suchen. Sein Auge wird also, wo nicht ganz unfähig, mit einem sol-

Trübung Knigen ■■— Gesichtsstörung. 259

ehen Glase zu arbeiten, entweder vorzeitig ermüdet, oder es ändert seinen Refractions- zustand, und wird nach länger fortgesetztem Gebrauche solcher Gläser weilsichtiger, d. h. es bedarf, wenn die beschädigten Gläser erst nach längerer Zeit mit reinen ver- tauscht werden, schon etwas mehr gewölbte Gläser, um wieder so klar und in der- selben Nähe, wie früher, zu sehen, während, wie man aus andern Fällen ersieht, wenn das beschädigte Glas bei Zeiten mit einem reinen von derselben Brennweite vertauscht wird, das Auge in gleichem Refractionszustande verbleibt. Wenn Jemand, der gewohnt ist, sich beider Augen zu bedienen, und der auf beiden Augen nicht nur die gleiche Energie, sondern auch denselben Refractionszustand besitzt, ein leicht ge- trübtes (z. B. blassblaues oder über einer Kerzenflamme leicht angerauchtes) Glas vor das eine Auge, z. B. vor das linke hält, und nun mit beiden Augen liest, so wird er bemerken, dass er das Lesen auf diese Art nicht so lange aushält, als wenn er mit beiden Augen frei oder mit dem rechten Auge allein (bei völlig verdecktem oder zu- gehaltenem linken) liest. Er wird finden, dass er bei diesem Experimente die Schrift nicht so rein erkennt, dass bei längerer Fortsetzung des Experimentes das freie Auge sich mehr anstrengen muss, dass endlich die Buchstaben anfangen, Farbensäume zu bekommen, zu schwanken, zu verschwimmen u. s. w. Woher diese Erscheinung? Wir sehen mit beiden Augen zugleich bekanntlich nur Ein Bild des Objectes, so lange die Lichtstrahlen identische Netzhautstellen treuen. Wie das eine Auge seitlich ab- gelenkt wird, somit die Lichtstrahlen von demselben Objecte nicht auf correspondirende Netzhautstellen fallen, erscheint ein Doppelbild jenes Objectes. Sollen wir aber scharf sehen, so muss das Bild, das dem einen Auge angehört, dem des andern auch an Deutlichkeit völlig oder nahezu gleich kommen, i. e. der Gesichtseindruck muss auf beiden Augen die gleiche Energie besitzen, die Bilder, welche durch Deckung in Einen Eindruck verschmelzen, müssen auch eine gleiche oder nahezu gleiche Deutlich- keit besitzen. Wenn demnach auf dem einen Auge das Netzhautbild minder deutlich ist, als auf dem andern, so entsteht die Wahrnehmung eines Doppelbildes, welches jedoch vermüg der Deckung nicht als ein getrenntes, sondern als Mischung aus einem deutlichen und undeutlichen wahrgenommen wird. Dieser Gesammteindruck hält dann das Mittel der Deutlichkeit, welches eben aus jener Mischung resultirt. Ich kenne einen Collegen, welcher ein sehr scharfes Gesicht beider Augen besitzt, mit der Eigen- thümlichkeit, dass ihm das rechte Auge allein die Gegenstände etwas röthlich, das linke allein etwas grünlich erscheinen lässt ; mit beiden Augen zugleich sieht er die Gegenstände in der natürlichen Farbe. Diesen Zustand, welcher die Deckung der Netzhautbilder, ihre Verschmelzung in Einen Gesammteindruck am besten zeigt, kann man künstlich nachmachen, wenn man vor das eine Auge ein rothliches, vor das an- dere Auge ein grünes Glas hält, oder auch andere complementäre Farben wählt ; man wird dann beim Gebrauche beider Augen das Object weder roth noch grün, sondern in der natürlichen Farbe erkennen. Während dieses Experiment die Qualität betrifft, zeigen uns andere Experimente mehr den Einfluss der Quantität oder Intensität. Man träufle Jemandem, der auf beiden Augen gleiche Sehkraft und gleiche Refraction be- sitzt, in das eine Auge einige Tropfen gelösten Belladonnaextractes ein. So wie sich die Pupille dieses einen Auges erweitert hat, mithin der Refractionszustand desselben geändert ist, sieht derselbe namentlich nahe Gegenstände undeutlich ; so wie man das veränderte Auge zuhält, sieht er wieder so gut, wie vorher. Die Schwäche des Ge- sammteindruckes ist offenbar das Resultat aus der Mischung des deutlichen und un-

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260 Ilernhaiit.

deutlichen Eindruckes. Dnsselbe Resultat erhält man. wenn man ein schwach con- caves oder ein schwach convexes Glas vor das eine Auge hält, und auf demselben physiologischen Gesetze beruht die oben angegebene Erscheinung bei dem Experimente mit einem vor das Auge gehaltenen schwach getrübten Glase. So wie man aber ein stark convexes oder ein stark coneaves oder ein sehr trübes Glas vor das eine Auge hält, also die Formirung eines die Netzhaut noch hinreichend anregenden Bildes ver- hindert, ist man in derselben Lage, wie wenn man dieses Auge ganz verdeckt. Wenden wir das Gesagte auf die Hornhauttrübungen an (in dem Abschnitte über die Trübungen der Linse werden wir ganz dasselbe wiederfinden), so finden wir, dass bei grössern und dichtem Hornhautflecken des einen Auges gar kein oder nur ein so undeutliches Bild erzeugt wird, dass es. falls das andere Auge gesund ist, ganz ver- nachlässigt wird, dass es die Netzhaut zu schwach anregt, um wahrgenommen und be- achtet zu werden. Geringere Trübungen der einen Hornhaut wirken aber gerade da- durch störend auf die Function des andern (gesunden) Auges ein, dass sie ein nicht genug deutliches Bild zulassen, welches mit dem des andern (gesunden) Auges ver- schmelzend, den Gesammteindruck schwächt. Wir finden in der That diese Erscheinung am Krankenbette so oft, dass sie wohl jedem aufmerksamen Beobachter bekannt sein dürfte. Insbesondere sind es Leute mit frisch entstandenen leichten Hornhauttrübungen (oder Resorptionsgeschwüren), und noch öfter Leute mit beginnender und langsam vorschreitender Linsenverdunklung des einen Auges, an welchen man diese Wahrneh- mung machen kann. Sie müssen, wenn sie mit dem gesunden Auge feinere Gegen- stände genauer betrachten wollen, das kranke Auge förmlich zuhalten; sie sagen: das kranke Auge blende sie; Cataractöse wünschen sich ordentlich die völlige Verdunklung desselben. Nicht selten berichten solche Cataractöse dann, wenn die Trübung des einen Auges hinreichend dicht geworden ist, dem Arzte mit einer gewissen Freude, dass sie nun mit dem andern Auge wieder besser sehen. Und auf gleiche Weise fand ich Patienten, welche in Folge überstandener Hornhautentzündung Flecke behielten, darüber in Bestürzung gerathen, dass sie durch den nach und nach dünner und kleiner gewordenen Fleck im Sehen mehr genirt waren, als früher durch die grössere Trü- bung, indem sie diese Erscheinung natürlich auf Rechnung des bisher gesund geblie- beneu Auges schreiben zu müssen glaubten.

Nicht minder interessant ist es. die Mittel kennen zu lernen, durch welche diese Störung ausgeglichen zu werden pflegt. Viele Erscheinungen, die nichts als Folgen leichter Hornhauttrübungen des einen oder beider Augen sind, werden nur dann ver- ständlich, wenn man das so eben erörterte Gesetz der Deckung eines vollkommen klaren und eines undeutlichen Bildes und der dadurch gesetzten Verschmelzung in einen minder deutlichen Gesichtseindruck kennt.

Kleinere Trübungen des mittlem Theiles der Cornea führen, zumal bei jugendlichen Individuen, zur Kurzsichtigkeit. Wird ein Gegenstand dem Auge näher gebracht, so gelangen relativ mehr Lichtstrahlen von demselben zum Auge, als dann, wenn er enifernter gehalten wird. Die Menge der Lichstrahlen, welche bei gleich gross gedachter Pupille von ein und demselben Gegenstande aus verschiedenen Entfernungen zur Netzhaut gelangt, verhalt sich bekanntlich umgekehrt, wie die Quadrate

Triihiiiig Folgen Kurzsictätigkeit Ermüdung. 2(51

dieser Entfernungen. Da ferner die Lichtstrahlen von einem nahen Ge- genstande mehr divergent zum Auge gelangen, als die von einem ent- fernten, so werden von einem nahen Gegenstande auch aus diesem Grunde mehr Lichtstrahlen neben einem kleinen Hornhautflecke zur Pu- pille gelangen, als von einem entfernten. Aus diesen Gründen nun ge- schieht es, dass ein Kranker mit solchen Trübungen sich gewöhnt, alle Gegenstande relativ näher zu bringen, als ein Gesunder, und diese Ge- wohnheit führt, wie wir in dem Abschnitte „über die Krankheiten des Accommodalionsvermögens" nachweisen werden, wenigstens in früheren Lebensjahren zu einer bleibenden Veränderung des Refractionszustandes, zur Kurzsichlig-keit, welche auch nach dem Verschwinden der Ursache (der Hornhauttrübung) fortzudauern pflegt. Der Veränderung des Re- fractionszustandes kommt noch der Umstand zu Gunsten, dass bei cen- tralen Hornhauttrübungen die Pupille caeteris paribus etwas grösser zu sein pflegt. Ob nun die Trübung auf beiden oder nur auf einem Auge vorhanden ist, das pflegt in Bezug auf dieses Endresultat gleich zu sein; dennoch kommen Fälle vor, wo bloss das eine Auge kurzsichtig wird und bleibt, das andere dagegen den normalen Refractionszustand nicht einbüsst. Diess hängt vorzüglich von der Art und Weise ab, wie der Kranke seine Augen zur Zeit der Dauer der Trübung verwendete. Wir müssten, um diesen Ausspruch schon hier vollständig zu rechtfertigen, das ganze Capitel über die Accomodation ausführlich besprechen, wess- halb wir lieber auf dasselbe verweisen. Entstehen leichte Hornhaut- trübungen in spätem Jahren, wo eine Abänderung des Refractions- zustandes in den Zustand der Kurzsichtigkeit nicht so leicht möglich ist, so pflegen andere Störungen einzutreten, welche wir so eben besprechen wollen. Die gewöhnlichste ist Mangel an Ausdauer beim Betrachten naher und kleiner Objecte, und Unfähigkeit, entferntere Gegenstände deutlich wahrzunehmen.

Der Zustand vorzeitiger Ermüdung der Augen, des Mangels an Ausdauer beim Lesen, Schreiben u. dgl. ist häufig die Folge kleiner und unscheinbarer Hornhaufßecke. Man sieht diesen Zustand nicht bloss dann eintreten, wenn Erwachsene, deren Beruf grössere Anforderungen an die Sehkraft stellt, von solchen Trübungen befallen werden, sondern er ent- wickelt sich auch bei Leuten, welche derlei Flecke vielleicht seit der ersten Jugend an sich tragen, sobald sie in die Lage kommen, ihre Augen mehr als früher zur anhaltenden Betrachtung winziger Gegen- stände verwenden zu müssen. Dieser Zustand entwickelt sich nicht etwa bloss bei beiderseitigen Trübungen, sondern auch, wenn die eine Cornea

262 Hornhaut.

allein betroffen ist; und die Kranken kommen dann gewöhnlieh den Arzt zu consultiren, nicht wegen des einen Auges, das sie ohnehin ge- wöhnlich als von lange her schwacher bezeichnen, sondern wegen des andern, bisher gesunden, nun aber die Dienste bei der Arbeit versagenden Auges. Man kann sich in den Zustand solcher Leute leicht versetzen, wenn man sich selbst vor das eine Auge ein leicht getrübtes Glas hält, und nun längere Zeit liest. Das unverdeckte Auge hält die Anstrengung nicht lange aus. Es sucht nämlich um figürlich zu sprechen gleichsam das an Deutlichkeit des Gesammteindruckes zu ersetzen, was demselben durch die Mischung mit dem undeutlichen Bilde des andern Auges ent- zogen wird, und die Retina und die Accommodationsorgane halten diesen Zustand nicht lange aus. Es kommt dabei häufig zu der bekannten Er- scheinung des Mückensehens auf die wir in dem Capitel über das Accom- modationsvermögen zurückkommen und zu den Erscheinungen der Ermüdung, welche unter den Namen Asthenopie. Hebetudo visus, Ambly- opia ex abusu visus u. dgl. beschrieben worden sind.

Bei bloss einseitiger Trübung, oder bei einerseits etwas stärkerer Trübung erfolgt in Fallen, wo die Trübung in der Jugend entsteht, die Gewohnheit zu schielen, in Fällen späterer Erkrankung die des zeitwei- ligen Zukneipens der Lider des schlechteren Auges. Es geschieht diess unwillkürlich, instinetmässig, durch Reflex auf einen der Musculi recti oder auf den Muse, orbicul. palpebrarum. So wie bei andern nicht allzu- bedeutenden Störungen des Gesichtes, geschieht es auch bei leichten Homhautlrübungen, dass der Kranke, der gewohnt ist, zur Betrachtung der gewöhnlichen Gegenstände sich beider Augen zu bedienen (weil bei diesen die Undeutliehkeit des einen Bildes nicht so sehr in Anschlag kommt), das schwächere Auge zukneipt, und zwar je nach dem Refra- ctionszustande dieses und des gesunden Auges entweder bei Betrachtung eines winzigen und nahen Gegenstandes, oder so oft er mit dem bessern Auge deutlich in die Feine sehen will. Leute, die es in diesem Zukneipen noch nicht zu einer gewissen Fertigkeit gebracht haben, pflegen das schwächere Auge geradezu mit der Hand zu verdecken. Die Ablen- kung des Auges durch einen der geraden Augenmuskel, das Schielen, erfolgt in der Rpgel nach innen, seltener nach aussen, ausnahmsweise nach oben oder nach unten. Ist das Individuum zur Zeit der eintreten- den Gesichtsstörung noch jung, werden seine Augen ausschliesslich oder vorwaltend für nahe Gegenstände in Anspruch genommen, so erfolo-t beinahe constant die Ablenkung" nach innen. Strabismus internus s. con- vergens. Tritt die Gesichtsstörung (aus was immer fiir einer Ursache,

I 'rübung Schielen Nystagmus Eins. Sehen. 203

also nicht bloss bei Hornhautflecken) erst in spätem Jahren ein, so kommt es fast ausschliesslich nur zur Ablenkung nach aussen Sirabismus externus s. divergens. Die Intention zu dieser Ablenkung geht eben von jener Störung des Gesammteindruckes durch das inideutliche Bild des schwächern Auges aus. Sie tritt anfangs nur vorübergehend, nur beim genauem Betrachten eines Gegenstandes ein, wird aber später gewöhn- lich permanent. Doch gibt es Leute, welche nur dann schielen, wenn sie etwas genauer betrachten wollen. Dieses Schielen hat demnach ganz denselben Zweck, wie das Zukneipen oder Zuhalten des schwächern Au- ges, nämlich den störenden Eindruck, das Nebelbild zu beseitigen, um dann mit Einem Auge allein und somit besser, deutlicher zu sehen. Es ist unbegreiflich, wie ein Walther u. A. behaupten konnten, das mit einem Hornhautflecke versehene Auge werde abgelenkt, damit neben dem Flecke vorbei die Lichtstrahlen zur Netzhaut gelangen können. Wenn man auch aller Kenntnisse über die Physiologie des Auges und namentlich über das Einfachsehen mit zwei Augen bar wäre : die einfache Beobachtung allein musste diesen Männern Fälle genug vorführen, wo das Auge ge- rade so abgelenkt wird, dass ein Wahrnehmen des Objectes dann um so weniger möglich wird. Da wir jedoch den Erörterungen über das Schie- len überhaupt in dem Abschnitte „über die Krankheiten der Augen- muskel" nicht unnöth-ig vorgreifen wollen, so genüge das Gesagte zum Nachweise, dass Hornhauttrübungen nicht selten zu Strabismus führen, und dass diese seeundäre Affection der Augenmuskel fortbestehen kann, auch wenn die Ursache, die Hornhauttrübung, längst verschwunden ist.

Bestehen bedeutendere centrale Hornhauttrübungen von der ersten Kindheit an, so werden sie Ursache des beständigen Oscillirens der Bulbi, des Nystagmus. Da hier nur von den geringeren Hornhauttrü- bungen die Rede sein soll, um die Wichtigkeit der folgenden Erörterun- gen (über die Behandlung derselben) hervorzuheben, so muss rücksicht- lich dieses Folgezustandes gleichfalls auf den Abschnitt „über die Krank- heiten der Augenmuskel" verwiesen werden.

Man kann diesen Ansichten über die genannten consecutiven Ge- sichtsfelder entgegenstellen, dass eine Ungleichheit der Sehkraft (mit oder ohne Hornhauttrübungen) und ein ungleicher Refractionszustand bei sehr vielen Menschen wahrgenommen wird, ohne dass jene Zustände, die wir als Folgen jener Ungleichheit bezeichneten, vorkommen. Wir kennen diese Thatsache, und sind weit entfernt, sie im mindesten in Abrede zu stellen. Aber sie zeigt uns eben nur, dass im Organismus, wo jederzeit so viele Momente zugleich in Anschlag zu bringen sind, wenn sich's

264 Hornhaut.

darum handelt, aus Wirkungen auf Ursachen zurückzuschliessen, eben ein Moment für sich allein nicht hinreicht, eine genügende Erklärung zu geben. So gut wir nicht wissen, warum es in dem einem Falle bloss zum zeitweiligen Schielen oder Zukneipen der Lider, in dem andern zur Kurzsichtigkeit, und in einem dritten zum Mangel an Ausdauer im Sehen kommt, können wir auch nicht bestimmen, warum in andern Fällen keine dieser Folgen eintritt. Mancher Mensch gewöhnt sicti, nur mit dem bessern Auge zu sehen, wenigstens zu genauerem Unterscheiden sich bloss des bessern zu bedienen, ohne dass es zu einer Ablenkung etc. des schwä- chern Auges kommt; ein anderer arbeitet mit dem einen Auge, ohne dass ihn das schwächere Bild, welches das andere liefert, nur im min- desten stört. Es darf uns bei Beurtheilung solcher Fälle nicht entgehen, dass man bald mit, bald ohne Bewusstsein oder Absicht von ge- wissen störenden Sinneseindrücken abstrahiren lernen kann. Wer sich mit dem Mikroskope beschäftigt, weiss, dass ihn der feinste Ritz des Glases, welches das Object trägt oder deckt, anfangs beträchtlich, allmälig aber gar nicht beirrte; er weiss, dass es ihn anfangs viele Mühe kostete, den Eindruck auf das linke (offen gehaltene) Auge zu vernachlässigen, während er mit dem rechten in das Instrument sah. Wenn man übri- gens Leute mit nur wenig differenter Sehkraft oder Sehweite beider Augen aufmerksam beobachtet und examinirt, so wird man finden, dass es doch gewisse feine Arbeiten oder gewisse Distanzen gibt, bei denen ihre Augen nicht jene gehörige Schärfe und Ausdauer zeigen, welche sie, nach dem bessern Auge allein zu schliessen, zeigen sollten. (Ich ver- weise in dieser Beziehung auf meine Abhandlung über Amblyopie im 4. Bande der Prager Vierteljahrschrift). Die meisten Leute mit ungleicher Sehkraft oder Sehweite bedienen sich zu dem gewöhnlichen Sehen beider Augen ; so wie sie aber eine feinere Arbeit verrichten oder in die Ferne sehen wollen, bedienen sie sich nur des einen, hiezu allein geeigneten Auges, und abstrahiren von dem schwächern Eindrucke des andern. Wo aber der Gesichtseindruck des einen Auges überhaupt ein sehr schwacher ist, da ist eine solche Abstraction gar nicht nothwendig. Diess ist z. B. der Fall bei Schielenden, und hierin liegt der Grund, dass sie in späterer Zeit nicht doppelt sehen.

Man wird, wenn ich mich klar ausgesprochen habe, aus dieser Dar- stellung ersehen, wie wichtig es ist, dass man der kleinsten Hornhaut- trübung, sobald sie im Bereiche der Pupille liegt, seine volle Aufmerk- samkeit schenke , dass man bei allen solchen Hornhauttrübungen jede grössere Anstrengung der Sehkraft untersage, so lange es nicht gelungen

Trübung Prognosis. 265

ist, die Aufhelluno- der Hornhaut zu bewerkstelligen, falls diess überhaupt möglieh ist, namentlich bei Kindern, und dass es gewissenlos ist, die Eltern nicht hierauf aufmerksam zu machen. Man nehme sich nur die Mühe, alle, die an Ermüdung der Augen (Asthenopie), an Schielen, an Kurzsichtigkeit leiden, genau zu examiniren und zu untersuchen, und man wird sich überzeugen, dass das, was so eben über Hornhauttrübungen gesagt wurde, eben so wahr als wichtig ist.

Es fragt sich nun : kann der Arzt bei Hornhauttrübungen etwas zum Besten des Kranken thun, oder hat er diesen ohneweiters seinem Schick- sale zu überlassen ? Schon Beer beklagte sich, dass viele, selbst be- rühmte Augenärzte dieser wichtigen Frage nicht die gehörige Aufmerk- samkeit schenken, daher es komme, dass nicht selten Quacksalber manchen als unheilbar erklärten Augenkranken heilen. Trotz den seither ge- machten Erfahrungen hat man in neuester Zeit wieder behauptet, die Hornhauttrübungen heilen entweder von selbst, oder gar nicht; es be- ruhe auf Täuschung, wenn man glaube, die Kunst vermöge etwas dagegen. Allein dadurch, dass man die Ansichten älterer Ärzte bespöttelt, ohne die von ihnen aufgestellten Behauptungen mit wissenschaftlichen Gründen zu widerlegen, wird der Wissenschaft und Kunst kein Dienst erwiesen. Wir haben gerade bei Hornhauttrübungen, wenn sie bei einem und demselben Individuum auf beiden Augen in ganz gleicher Weise vorkommen, was doch nicht selten der Fall ist, die schönste Gelegenheit, zu prüfen, ob die so- genannten „Hornhaut-aufheilenden Mittel" etwas zu leisten im Stande sind, oder nicht. Meine Versuche hierüber haben mich zu dem Resultate geführt, dass die von Beer u. A. aufgestellten Grundsätze der Hauptsache nach richtig sind.

Wir kennen nur zwei wesentlich verschiedene Formen von Trü- bungen des Hornhautparenchyms (in Folge von entzündlichen Zuständen), nämlich: Exsudate zwischen den noch bestehenden Hornhautfasern, und Exsudate an der Stelle der durch Eiterung oder mechanisch-chemisch wirkende Einflüsse zerstörten Hornhautfasern. Es braucht wohl kaum wiederholt zu werden, dass beide Formen neben einander zugleich vor- kommen können, ja dass die letztere fast nie ohne die erstere (in der Umgebung der Narbe) vorkommt. Man hat sich somit bei jeder Horn- hauttrübung zu fragen, ob zur Beseitigung derselben einfache Resorption des Exsudates oder wirkliche Regeneration der betroffenen Partie not- wendig sei, und weiterhin, ob auch die Bedingungen zu der einen oder zur andern vorhanden seien. Trübungen der ersten Art schwinden in der Regel von selbst, sobald der exsudative Process erloschen ist, und

266 Hornhaut.

mau luit sich hier sehr zu hüten, dass man nicht vorzeitig örtliche Reiz- mittel anwende. Sie schwinden um so leichter, je mehr das Exsudat ein seröses ist; doch gehen auch sehr faserstoffreiche, ein gelblichweisses Aus- sehen darbietende Trübungen nicht selten von selbst zurück. Wir sind jedoch durch bestimmte Beobachtungen zu der Einsicht gekommen, dass sich die Aufhellung solcher Hornhäute durch entsprechende Behandlung be- schleunigen lässt, und dass derlei Trübungen nach Jahre-langem Bestände oft in kurzer Zeit durch die Kunst beseitigt werden können. Eine Aus- nahme findet nur dann statt, wenn nach langem Fortbestehen reichlichen Faserstoffexsudates die eigentlichen Hornhautfasern atrophirt sind, was sich nach vorausgegangener merklicher Schwellung der Cornea dadurch kund gibt, dass die von dem allmälig schrumpfenden Exsudate durchsetzte Hornhautpartie etwas platter und flacher, sehnen- oder porzellainartig glän- zend aussieht oder bei Berührung mit einer Sonde derb und hart erscheint. Bei den durch Substanzverlust der Cornea und unvollständige Re- generation gesetzten Trübungen fragt sich's, abgesehen von der Compli- cation mit der durch einfache Exsudation gesetzten Trübung der Um- gebung, zunächst, wie tief die Zerstörung reichte. Eine oberflächliche Trübung dieser Art erscheint in der Regel halbdurchsichtig oder slark durchscheinend, ncbel- oder rauchähnlich mit verwaschenen Rändern. Solche Trübungen sind, wenn sonst die Bedingungen von Seite des Ge- sammtorganismus günstig sind, leicht heilbar. Doch lasse man sich nicht täuschen; bisweilen bietet eine solche Trübung durchaus ein solches Aus- sehen dar, und reicht doch sehr tief; diess ist der Fall, wenn die ge- trübte Stelle zugleich vertieft oder abgeschliffen erscheint, weil das zur Deckung des Substanzverlustes gesetzte Exsudat schon mit Epilhelium überzogen wurde , bevor es noch das Niveau der Umgebung erreichte. Solche vertiefte Hornhattrübungen sind schwer oder gar nicht heilbar. Tiefere Geschwüre lassen gerne das zurück, was Beer Leucoma nannte, nämlich eine in der Mitte undurchsichtige,weisse oder gelblichweisse Trübung von glattem dichtem Aussehen. Solche undurchsichtige Trübungen mit verwaschenen Rändern sind bald heilbar, bald unheilbar. Diess hängt hauptsächlich von dem Zustande des Ge- sammtorganismus und von der Dauer dieser Krankheit ab. Bei Kindern, welche in Folge von Blennorrhoea neonatorum sehr bedeutende Leu- come darboten, sah ich die Cornea allmälig maculös (halbdurchsiclitig) und endlich wohl auch vollkommen durchsichtig werden. Trübungen, welche nach durchbohrenden Hornhautgeschicüren oder Wunden mit vordem Synechien entstanden, sind wenigstens so weit, als die Verwach-

Trübung Prognosis. 267

sung mit der Iris reicht, absolut unheilbar. Derb aussehende undurch- sichtige Trübungen mit deutlicher Vertiefung oder Abflachung in der Mitte sind unheilbar. Trübungen mit vermehrter Wölbung des getrübten Theiles hellen sich niemals auf. Stellen sie eine geheilte Keratokele dar, so bleibt das Gesicht permanent gestört, auch wenn der centrale Theil einen ziemlich hohen Grad von Durchsichtigkeit erlangt. Trübungen, welche wegen abnorm angehäuften und veränderten Eptiheliums über die Wöl- bung der Cornea emporragen, lassen sich wahrscheinlich auch durch Abtragung desselben nicht beheben. Der Umfang der Trübung hat wohl einigen, aber lange nicht so viel Einfluss auf die Heilbarkeit, als man glauben sollte ; gerade ganz kleine aber tief reichende Trübungen sind oft weil hartnackiger, als ausgedehntere aber mehr oberflächliche.

Eine zweite Frage bei dieser Form von Hornhauttrübungen, den eigentlichen Hornhautnarben, ist die, wie lange die Trübung bereits be- stehe, und welchen Grad von Festigkeil oder Dichtheit sie bereits an- genommen habe. Das an die Stelle der verloren gegangenen Hornhaut- fasern getretene Exsudat wird, wenn es nicht in normale Hornhautfasern umgewandelt worden ist, mit der Zeit immer dichter und fester, und bekommt ein silber- oder sehnenartig glänzendes, mitunter auch kreiden- weisses oder fettartiges Aussehen. Der Grad seiner Consistenz lässt sich auf diese Art nicht bloss mit der Sonde, sondern auch schon durch den einigermassen geübten Blick beurtheilen. Bisweilen bilden sich selbst Kalkoncremente, nach einigen Beobachtern auch wahre Verknöcherungen in denselben. Je weiter nun diese Metamorphose gediehen ist, desto schwieriger wird die Elimination und der Ersatz durch neues Exsudat, welches in normale Hornhaut umgewandelt werden kann.

Die 3. Frage endlich betrifft den Zustand des Gesammtorganismus überhaupt, und den des Auges insbesondere. Je jünger, je gesünder, lebenskräftiger das Individuum überhaupt, desto mehr kann man auf Eli— minalion des Exsudates und auf Umwandlung des an seine Stelle tre- tenden frischen Ergusses in homogenes Hornhautgewebe rechnen. Bei Individuen, die das 40. Jahr überschritten, bei Individuen, die vor der Zeit gealtert, sehr herabgekommen sind, können auch kleine und un- scheinbare Hornhauttrübungen jedem Heilversuche widerstehen. Bei Kindern, deren Cornea ihr Wachsthum noch nicht vollendet hat, sieht man Narben, die bis in die tiefsten Schichten reichen, selbst solche, die nach durchbohrenden Geschwüren enstanden waren, wenn nur die Wölbung der Cornea nicht gelitten, und die Iris nicht mit der Cornea in Verbin- dung geblieben, in Zeit von einigen Monaten oder Jahren sogar von

268 Hornhaut.

selbst spurlos oder bis auf leichte unscheinbare Trübungen ver- schwinden.

Beer I. c. II. B. S. 91 erzählt folgenden Fall. „Ich hatte ein Sjähriges Mädchen, welches durch eine von Seite des Augenarztes vernachlässigte scrofulüse Augenentzün- dung des Gesichtes vollkommen berauht war, indem die rechte Hornhaut gänzlich leuco- niatös, in der Hornhaut des linken Auges aber ein ungeheuerer, vertrockneter, leuco- matöser Abscess *) zurückgeblieben war, durch volle 7 Jahre in der Cur; aber es wurde auch für seine unerschöpfliche Geduld so reichlich belohnt, dass das rechte Auge kaum eine merkliche Spur des Leucoms am untersten Rande der Hornhaut und das linke Auge eine kleine, dem Gesichte gar nicht hinderliche Narbe trägt." S. 93. „Es ist für denjenigen, der es nicht selbst erfahren hat, oder der wenigstens nie Augenzeuge davon war, wirklich unglaublich, wie viel Gutes der Arzt in derlei Fällen oft für die ganze Zukunft seines Kranken thvn kann, wenn er seinen mit ungetrühter Einsicht regulirten Heilplan auch mit ausharrender Geduld durchführt. Es stiessen mir in meiner Praxis mehrere Fälle auf, in welchen ich durch die völlige Beseitigung des maculösen oder leucomatösen Umfanges von Hornhautnarben dem Kranken das Gesicht an diesem Auge, das er schon seit seiner Kindheit für verloren hielt, vollkommen wieder gab, und somit den Unglücklichen von gänzlicher Blindheit rettete, welcher so eben durch Eiterung das andere Auge plötzlich verloren hatte, das er bis dahin allein gebrauchen konnte. In andern Fällen dieser Art, in welchen es nur auf Wiederher- stellung des Gesichtes in Einem Auge ankam, indem das andere verloren war, gelang es mir durch die völlige Beseitigung des maculösen oder leucomatösen Umfanges der Hornhautnarbe, in der Hornhaut einen so bedeutenden Terrain zu gewinnen, dass ich nachher mit dem glücklichsten Erfolge zunächst der Narbe eine künstliche Pupille an- legen konnte." Man mag allerhand gegen Beers Theorien einzuwenden haben ; aber Wahr- heitsliebe und die Gabe, gut zu beobachten, wird ihm gewiss Niemand absprechen können.

Welche Mittel man nun zu wählen habe, um derlei Trübungen zu beseitigen, dazu hat uns Beer folgende Anhaltspunkte gegeben: 1. Je mehr die Farbe der Verdunklung oder des Fleckes der Hornhaut ins Dunkelgraue fällt, 2. je mehr sich die verdunkelte Stelle an ihrem Um- fange verwäscht, folglich je weniger sichtbar ihre angeblichen Grenzen sind, 3. je matter die verdunkelte Stelle aussieht, je weniger sie irgend einen Glanz zeigt, und endlich 4. je mehr feine, kaum sichtbare Blut— gefässchen aus der zunächst angrenzenden Bindehaut der Sclera gegen die getrübte Stelle der Hornhaut hinlaufen, ohne diese wirklich zu er- reichen, und noch viel wenip;er zu überströmen: desto bestimmter sind

*) An eine Eintrocknung des Eilers im Sinne Beer's u. A. glaubt heut zu Tage natürlich Niemand mehr ; dass abe diesem schlecht gewählten Ausdrucke wirklich eine eigenthümliche Trübung der Hornhaut zu Grunde liegt, welche sich nach Abscessen entwickelt, ist nicht zu läugnen. Es durfte nicht ohne Interesse sein, zu hören, wie sich ein Mikroskopiker unserer Tage, nämlich Szokalski in Roser und Wunder lieh's Archiv, 1846, S 227, hierüber aus- spricht. „Der zwischen den Hornhautfasern gebildete Eiler kann sich im weitern Verlaufe entweder entleeren, oder er vertrocknet in der Hornhautsubstanz. Sein Eiterserum verschwinde! durch Resorption, die Eiterkörperchen ver- schmelzen zu einer gelblichen Masse, und verbinden sich organisch mit der Horuhautsubstanz, in deren Mitte sie einen äusserst schwer heilbaren Flecken bilden."

Trübung Therapie. 209

sogleich mischungsändcrnde Mittel angezeigt, welche nacli Maassgabe ihrer Wirksamkeit stufenweise verstärkt werden müssen. Hingegen : 1. je weisser, je undurchsichtiger die getrübte Stelle der Hornhaut ist, je mehr sich ihre Farbe dem Kreidenweiss nähert, je mehr der Fleck dabei glänzt, 3. je mehr sich die getrübte Stelle über die Oberfläche der Hornhaut aufwölbt, und 4. je reiner von Blutgefässen die zunächst an- grenzende Bindehaut der Sclera ist, desto weniger sind gleich anfangs mischungsändernde Mittel angezeigt, desto mehr muss man anfangs die schwächsten mischungsändernden Mittel mit den vorbereitenden (öligen, schleimigen, erweichenden) vermengen. Man mag von Beer's Theorie über das Wesen der Hornhauttrübungen und über die Wirkung der Mittel dagegen denken, was man will: praktisch bleiben die von dem- selben gegebenen Anhaltspunkte für die Wahl der Medikamente unter allem, was seine Nachfolger hierüber gesagt haben, noch immer die ver- lässlichsten und brauchbarsten.

Wollen wir nicht annehmen, dass alle die Männer, welche verschie- dene Mittel, ursprünglich meistens den sogenannten Volks- und Geheim- mitlein angehörig, als in der That heilsam und bewährt anempfohlen haben, sich selbst täuschten, oder Andere absichtlich täuschen wollten, so bleibt nichts übrig, als dieselben am Krankenbette selbst zu ver- suchen, und mit Hilfe unserer gegenwärtigen medicinischen Kenntnisse und Ansichten eine rationelle Anschauung über deren Wirkungsweise an- zustreben; denn nur das auf bestimmte Grundsätze gestützte Handeln kann den Arzt von dem einfachen Empiriker unterscheiden. Zunächst erscheint demnach die Kenntniss dieser Mittel und ihrer Anwendungsweise nothwendig. Alle diese Mittel zerfallen in solche, welche eine allmälige Umwandlung der trüben Stelle in eine durchsichtige anstreben, und in solche, welche die Trübung mehr weniger rasch (durch chemische oder mechanische Zerstörung) beseitigen. Die vorläufige Aufzählung der ge- rühmtesten dieser Mittel und ihrer Anwendungsweise wird dem Pharmako- dynamiker und Pathologen die Würdigung ihres Heilwerthes wesentlich erleichtern. Beginnen wir mit der ersten Reihe.

A) Zu den Mitteln, welche allmälige Umwandlung der getrübten in durchsichtige Hornhaut bewirken sollen, gehören :

l.Die Elektricitüt und die Acupunctur. Bei Anwendung der ersteren wird der Strom, so stark ihn der Kranke verträgt, durch das obere Augenlid und irgend eine andere Stelle des Körpers durch 5—10 Minuten geleitet, bis das Auge reichlich thränt und die Bindehaut sich stark injicirt; die letztere besteht in der schrägen Einführung einer feinen Acupunctumadel

270 Hornhaut.

mitten in die trübe Stelle und Belassung- in dieser, bis dieselben Zufälle eintreten.

2. Wasserdämpfe, mittelst eines engen und langen Trichters un- mittelbar auf den Augapfel geleitet, ingleichen warmer Malvenaufguss oder gewärmter Quittenschleim, 10 12mal des Tages in's Auge zu träu- feln. Beer, der diese Mittel empfiehlt, macht aufmerksam darauf, dass bei Anwendung dieser Mittel, besonders wenn letztere nicht gewärmt oder (relativ) zu häufig gebraucht werden, leicht bedeutende Auflocke- rung und Ödem der Conjunctiva bulbi, selbst Ödem der Lidränder ent- stehen. Die Hornhauttrübungen selbst sollen dadurch ein mehr lockeres und sulziges Aussehen bekommen.

3. Ölige Mittel, wie: Axungia viperina, Liquamen hepatis mustelae fluviatilis (Aalrutenleberöl), Oleum jecoris asselli, reine Ochsen- oder Fischgalle, Nussöl und ähnliche bekannte Volksmittel, täglich 2 4mal mittelst eines Pinsels wo möglich auf die Cornea selbst aufgetragen, und mittelst des obern Lides gut verrieben, haben nach Beer u. A. im frischen Zustande mehr ein erweichende, im ranzigen Zustande mehr eine rei- zende, die Resorption direct bethätigende Wirkung. Den ranzigen Ölen und dem (nur in geringer Dosis zur Fisch- oder Ochsengalle beizumen- genden) Honig anzureihen sind die brenzlichen Öle, z. B. Papieröl, und einige ätherische Öle, z. B. Wachholderöl, welche das Auge auch in kleiner Dosis stark reizen.

4. Verschiedene Substanzen in Wasser gelöst, täglich 1 2mal mittelst eines Pinsels einzuträufeln. Setzt man bei jenen, deren Vehikel nicht speciell genannt ist, eine Unze Aqua destill, als Suscipiens voraus, so können sie rücksichtlich der Intensität ihrer Wirkung ohn gefähr in nachstehende Reihenfolge gebracht werden :

a) Extr. cicutae {ein Scrupel in zwei Drachmen Wassers gelöst ;

b) Extr. chelidonii majoris oder Extr. aloes aquos. (zehn Gran auf zwei Drachmen), mittelst eines Pinsels einzuträufeln;

c) Laudanuni liquid. Sydenh., anfangs mit Wasser verdünnt, später unvermischt ;

d) Sublim, corros. ein Viertel Gran mit vier acht Trofen Lau- danuni liquid, oder: sublim, corros. gr. dimid. cum opii colati gr. quatuor;

e) Argenti nitrici gr. %— 2;*)

*) Die unter c, d und e genannten Mittel, namentlich das Landanum, sind besonders bei frisch entstandenen Trü- bungen, sobald nur der exsudative oder ulcerüse Process aufgehört hat, unschätzbare Mittel, die Resorption zu bethätigen. Vergl. über Hornhaulentzüudung und Hornhaulgescbvrüre.

Trübung Therapie. 271

f) Catlmii sulfurici gr. 1 2;

g) Salis ammon. et sacch. albi a~a scrup. in aquae menthac uncia ; h) Boracis venetae et sacch. albi a~a gr. quindecim cum exlract.

aloes aquos. et extr. opii aq. a~a gr. tribus ;

i) Aquae benedict. Rulandi (Vini stibiati) uncia cum essentiae aloes et liquam. myrrhae a~a drachma;

k) Barytae muriaticae gr. quinque in aquae laurocer. uncia, alle 2 Stunden zu 1 Tropfen;

l) Kali caustici oder Kali carbonici (Saus tartari) gr. duo ;

m) Salis volat. cornu cervi (Carbon, ammon. pyro-oleosi) dr. decem cum salis tartari dr. una et melis despum. dr. tribus, mittelst eines Pin- sels aufzutragen.

5. Mittel in Salbenform. Als Vehikel nimmt man frische unge- salzene Butter, frisches Schweinfett, Cacaobutter, eine Mischung von Wachs und Mandelöl, oder eine Älischung aus 4 Theilen Wallratli, 2 Theilen weissem Wachs, 16 Theilen Mandelöl und 12 Theilen Rosen- wasser (Ung. anglican. album nach Wendler *).

Da bei diesen Salben sehr viel darauf ankommt, dass die festen Bestandteile immer sehr gut vertheilt sind und bleiben, so wird man nicht nur den Apotheker hiezu durch den Beisatz „M. exactissime" oder „M. f. ung. ophthalm." anzuweisen, sondern auch bei der Wahl des Vehikels die Temperatur, die Jahreszeit zu berücksichtigen haben. Bei den folgenden Formeln wird eine Drachme Excipiens als Normale vorausgesetzt. Diese Salben werden am besten vor dem Schlafengehen, bei Kindern, welche sich dawider sträuben, während des ersten festen Schlafes linsen-, erbsen-gross zwischen die Lider gebracht, mittelst eines Pinsels oder mit der Spitze eines Fingers, und dann durch sanftes Reiben der geschlossenen Lider möglichst gut vertheilt.

a) Merc. praec. ruhri gr. unum quatuor;

Merc. praec. rubri gr. sex et tuliae praepar. (oxydi zinci) gr. tria ;

Praecip. rubri gr. sex, vitrioli cyprini pulveris. gr. quinque et cam- phorae oleo ovor. subact. gr. duo.

Praecip. ruhri, cerae flavae et butyri rec. a~a drachma una,

Praecip. rubri gr. octo, flor. zinci gr. tria, axung. et liquam. hepat. mustel. fluviat. a~a drachma una, nach Beer, wenn man die Wirkung noch steigern will, noch mit einigen Granen zum feinsten Staub gepulverten Glases (Vitrum alkoholisat.) vermischt ;

b) Unguentum citrinutn Ph. Lond. (Ware) ;

c) Kali hydrojodici gr. duo quatuor (Chelius) ; **)

*) Walther und Ammon's Zeitschrift für Augenheilkunde. 8. B. 4. St. **) Ich wende dieses Präparat lieber zu zehn fünfzehn Gran auf zwei Drachmeu Feit iu Einreibungen an die Stirne

272 Hornhaut.

d) Salis volat. cornu cervi gr. quinque, felis tauri inspiss. dr. und et extr. chelidonii dr. duas, M. exactiss. (bei Rosas) ;

e) Kali causlici gr. tria cum olei nucis jugland. drachma (be Rosas).

6. Pulver, theils aus löslichen, theils aus unlöslichen Bestandteilen, mittelst eines Pinsels auf die Hornhaut aufzustreuen (von Laien mittelst einer Federspule eingeblasen). Ihre Anwendung erheischt in Bezug ;iuf die gleichmässige Vertheilung grosse Vorsicht, wenigstens bei den wirk- sameren. Beispielsweise nur einige derselben , als : Fein gepulverter Zucker; fein gepulvertes Glas; eine Drachme Natrum muriat. mit einer halben Drachme Lapis cancrorum ; eine Drachme Weinstein und Zucker mit einer halben Drachme pulv. oss. sepiae ; eine Drachme Borax mit zehn Gran limmat. stanni alkoholis. und zwei Drachmen Zucker, allenfalls auch noch mit etwas Bimsstein gemischt u. s. w.

Die meisten, vielleicht alle diese Mittel wirken dadurch, dass sie einen gewissen Grad von Entzündung erregen So weit uns der Vorgang, den wir Entzündung nennen, überhaupt bekannt ist, wissen wir, dass mit dem Momente der Erweiterung der Gefässe und mit der Verlangsamung des Blutstromes darin, zugleich Durchschwitzung des Blutserums in das umgebende Parenchym, somit Lockerung und Durchfeuchtung desselben, und erst bei höheren Graden und längerer Dauer des Processes auch Austretung von Faserstoff statt findet. Wenn demnach die genannten Mittel wirklich einen gewissen Grad von Entzündung (nach Rosas „einen an Entzündung grenzenden Reizungszustand-' der Binde- und Hornhaut) erregen, so lässt es sich recht gut denken, dass sie, indem sie serösen Erguss bewirken, dadurch einerseits Erweichung, Auflösung und Resorp- tion fest gewordener Exsudate vermitteln, anderseits das Anschiessen plastischen Exsudates und Umwandlung desselben in normale Hornhaut- fasern möglich machen, falls sonst die Bedingungen hiezu vorhanden sind. Dass aber die meisten jener Mittel einen gewissen Grad von Entzündung erregen, wenn sie „lege artis" angewendet werden, sieht man nicht nur aus ihren pharmakodynamischen Eigenschaften, sondern auch aus den Vorschriften, wie sie angewendet werden sollen. Es wird ausdrücklich bemerkt, dass sie auch beim Vorhandensein aller sonstigen Bedingungen nichts nützen, wenn sie nach der jedesmaligen Anwendung nicht einen gewissen Grad von Reaclion hervorrufen, und dass sie geradezu schaden,

und Schläfe an, alle 3—4 Stunden hohnen-gross, und verstärke die Wirkung durch Zusntz von 1—2 Gran reiner Jodine. Auf diese Weise kann es scholl sehr bald nach beendigter Entzündung angewandt werden, und ist, wie ich oft beobachtete, von entschiedener Wirkung.

Trübung Therapie. 273

wenn diese Reaction zu bedeutend wird. .Wir werden auf diese Vor- schriften noch zurückkommen, und bemerken nur, dass es von wenig Consequenz zeugt, wenn man behauptet, fest gewordene Exsudate (Gra- nulationen) in der Bindehaut lassen sich durch Bestreichen mit Cuprum sulfuricum, durch Scarificationen, durch Einstreichen von Mercurialsalben u. dgl. zur Resorption bringen, dieselben oder ähnliche Mittel seien da- gegen unnütz bei fest gewordenen Exsudaten der Cornea. Diese solle man sich selbst überlassen, während jene mit allerhand Mitteln anzu- greifen seien. Auch gegen fest gewordene Bindeil autexsudate sind eine „Unzahl von Mitteln" empfohlen worden ; aber hier hat man Anstand ge- nommen, jene beliebte Beweisführung in Anwendung zu bringen. Die Hervorrufung eines acuten Processes durch Einimpfung bleimorrhoischen Secretes bei inveterirtem Pannus ist gewiss die klarste und bestimmteste Antwort, welche uns die Natur auf die Anfrage gibt, auf welche Weise bereits fest gewordene, mehr weniger organisirle Exsudate eliminirt werden.

Meduna Franziska, 24 Jahre alt, kam Ende Juli 1850 in's Krankenhaus. Das rechte Auge bot nebst Erweiterung der vordem Ciliargefässe eine allgemeine Trübung der Cornea dar; die Cornea war gehörig gewölbt, an der Oberfläche glatt, bläulich weiss, in der untern Hälfte undurchsichtig, in der obern etwas durchscheinend. Durch letztere konnte man noch wahrnehmen, dass die Iris wenigstens hier nicht mit der Cornea verwachsen sei und eine dunkle Farbe habe; auch deutete eine dunklere Stelle darauf hin, dass die Pupille, wenn auch eng, doch wahrscheinlich nicht völlig gesperrt sei. Die Kranke, auf dem linken Auge völlig und unheilbar erblindet, hatte auf dem rechten Auge noch deutliche Lichtempfindung, konnte jedoch nicht einmal die Zahl der vorgehaltenen Finger bestimmen, und musste geführt werden. Dieses Auge befand sich angeblich seit 10 Jahren in diesem Zustande, und zwar in Folge einer Entzün- dung, welche ohne manifeste Veranlassung entstanden war und allmälig zur Erblindung geführt hatte. Das linke Auge war 2 Jahre später (im 16. Lebensjahre) erkrankt, nach Angabe der Kranken auf dieselbe Weise, jedoch unter ärztlicher Hilfe wieder besser geworden, so dass sie wieder arbeiten konnte (als Taglöhnerin) ; heftiges und anhal- tendes Weinen soll vor 5 Jahren Verschlimmerung und Erblindung des (linken) Auges herbeigeführt haben, wahrscheinlich durch Keratoiritis. Im Jahre 1846 hatte der Assi- stent der Augenklinik zu wiederholten Malen die Anlegung einer künstlichen Pupille, jedoch ohne Erfolg, vorgenommen ; jetzt ist mit diesem Auge absolut nichts mehr an- zufangen.— Den Befund des rechten und linken Auges und die freilich sehr mangelhaften Angaben über dessen Zustandekommen mit dem Aussehen der Kranken und deren sonstigem Belinden zusammenhaltend, konnten wir mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, die Trübung der rechten Hornhaut sei einfach durch Ablagerung von Exsudat zwischen die Hornhautfasern (Keratitis scrofulosa) zu Stande gekommen, und versuchten es, dieselbe aufzuhellen. Wir begannen die Cur mit Einträuflungen von Oleum jecoris aselli, und mit einer Einreibung aus 5 Gran Jodkali an die Stirn und Schläfe. Diese Mittel hatten bis Mitte September keinen andern Erfolg, als dass die Kranke angab, sie nehme Licht und Schatten deutlicher wahr, und dass der obere Theil der Cornea mehr licht-

I. 18

274 Hornhaut.

grau wurde. Die Cur wurde nun auf einige Wochen dadurch unterbrochen, dass die Kranke einen Abortus erlitt; Anfang October setzten wir dieselbe damit fort, dass wir 2 Gran Jodkali, mit einer Drachme Fett verrieben, täglich 2mal zwischen die Lider einstrichen. Am 14. November fanden wir plötzlich bei der 3Iorgenvisite die Lider ödematös geschwollen, die Bindehaut der Lider dicht netzförmig injicirt und aufgelockert, die Conjunctiva bulhi zu einem blassrothen Wall rings um die Cornea erhoben, die Cornea durchaus stärker getrübt und sulzig aufgelockert, wie zur Verschwärung bereit, die Kranke von Lichtscheu, Thränenfluss und heftigen Schmerzen gequält. Ungewiss, woher diese Erscheinungen, ordinirten wir ein starkes Abführmittel, Blutegel an die Schläfe, Buhe, Diät. Bei genauerem Nachforschen zeigte sich's, dass die Jodkalisalbe durch Banzig- werden des Fettes zersetzt worden war, und das Auge zu heftig gereizt hatte, wie ich schon einige Male, wenn auch nicht in so hohem Grade, beobachtet habe. (Die Fett- säure verbindet sich mit dem Kali, und Jod wird frei.) Nachdem nun diese Zufälle bis zum 22. October wieder verschwunden waren, zeigte sich die obere Hälfte der Cornea so bedeutend aufgehellt, dass der Fall Alle, die ihn beobachteten, überraschte.

Ob die von Beer als vorbereitende, als einfach Erweichung- und Auflösung- der Exsudate bewirkende Mittel bezeichneten Arzneistoffe, wie z. ß. der Wasserdunst, die fetten Öle u. dgl. wirklich bloss diese Wir- kung haben, müssle erst durch vielfältige umsichtige Beobachtungen und Versuche noch weiter bestätigt werden. Vorläufig kann man bloss auf die analoge Wirkung1 dieser Mittel in andern Organen hindeuten.

Mit dem bisher Gesagten glauben wir im Allgemeinen den Weg, den man bei heilbaren Hornhauttrübungen einzuschlagen hat, so weit als möglich vorgezeichnet zu haben. Möglichst genaue Kenntniss des pathologisch-anatomischen Zustandes der Cornea und der Bedingungen, unter denen Aufhellung der getrübten Cornea zu er- warten steht, ist das erste Erforderniss, welches der Arzt zum Krankenbette mitbringen inuss. Dieselbe nützt ihm jedoch wenig, wenn er nicht durch die nöthige Ausdauer und durch die Kunst, gut zu beobachten, unterstützt wird. Man kann z. B. recht gut wissen, wann eine Operation vorzunehmen oder zu unterlassen sei ; man kann recht gut gelernt haben, welcher Vorgang bei einer Operation einzuhalten, welche Instru- mente, welche Gehilfen etc. nöthig, und welche Zufälle einen überraschen können, ohne desshalb schon, auch bei grosser manueller Fertigkeit, ein guter Operateur zu sein. Was der Anfänger oder der Stümper mit den gerühmtesten und künstlichsten Instrumenten nicht zu bewirken vermag, erreicht der Geübte, der Meister mit einer einfachen Klinge. So auch der Heilkünstler bei Hornhauttrübungen ; er braucht nicht viele der Mittel, aber er versteht es, die wenigen zu rechter Zeit und in rechter Form und Dosis anzuwenden, weil er weiss, welche Gegenwirkung er von Seite des Orga- nismus zu erwarten hat. Obwohl wir nun überzeugt sind, dass jeder Arzt sich hier seinen Weg selbst bahnt, und der denkende und beharrliche Beobachter der Natur die rechte Bahn am Ende von selbst findet, so mögen doch einige specielle Andeutungen hier noch ein Plätzchen finden.

1. Sich selbst und dem Kranken einen sichern Anhaltspunkt zur Beurtheilung des Erfolges der Cur zu verschaffen, stelle man nicht nur beim Beginn, sondern auch während der Dauer derselben von Zeit zu

Trübung Therapie. 275

Zeit genaue Sehversuche an, der Art, dass man den Kranken Gegen- stände von verschiedener Grösse bestimmen lässt. Gesetzt, er unter- scheide noch Buchstaben von 2'" Höhe und %"< Dicke, so zeigt man ihm auch kleinere Lettern, etwa von 1 lj„4" Höhe ; erkennt er auch diese noch, so gehe man zu noch kleineren über, so lange,- bis man zu solchen kommt, welche er nicht mehr zu unterscheiden vermag-. Werden dann nach einigen Wochen wieder Sehversuche gemacht, und erkennt der Kranke unter übrigens gleichen Verhältnissen den Gegenstand, den er früher nicht erkannte, so wird ihm das der beste Sporn zum Ausharren und zur gewissenhaften Befolgung des ärztlichen Rathes sein. Arzt und Kranker täuschen sich nur zu leicht mit dem, was sie hoffen, oder ver- lieren die Geduld, wenn nicht bald eclatante Veränderungen eintreten.

2. Wenn bei der Anwendung der sogenannten vorbereitenden oder erweichenden Mittel sich weder die Farbe noch die Consistenz des Fleckes ändert, so soll man nach Beers Rathe nicht nur mit den Mitteln wechseln, sondern selbst die trübe Stelle mit einer Staarnadel seicht sca- rißeiren, und nach neuerlichem Gebrauche jener Mittel diese Operation nach Umständen wiederholen, versteht sich, wenn man es nicht mit einem absolut unheilbaren Flecke zu thun hat.

3. Wenn das Auge nach einiger Zeit sich gleichsam an den Reiz des einen oder des andern Mittels gewöhnt hat, so soll man entweder vorerst mit den wirksamen Bestandtheilen in der Dosis steigen, oder zu stärkern Mitteln übergehen. Oft wird es gerathen sein, die Receptivität des Auges durch mehrtägige Pausen zu steigern. Mittel in Puverform wirken im Allgemeinen heftiger, als die Mittel in Salbcnform, und diese heftiger als Lösungen. Als Zeichen, aus denen man auf den gewünschten Grad von Reaction schliessen kann, gelten : massiger Thränenfluss, leichte Röthe und Schwellung der Lidränder oder wenigstens der Bindehaut, er- höhte Empfindlichkeit gegen das Licht, mehr weniger lebhafter Schmerz welche Zufälle jedoch nicht über eine Stunde anhalten sollen (Rosas). Je nach dem Grade und der Dauer dieser Zufälle mag man dann beur- theilen, ob man die Dosis vermindern, oder ein milderes Mittel wählen, oder dasselbe Miltel nur jeden 2. oder 3. Tag anwenden solle.

4. In wie fern das diätetische Verhalten, nahrhaftere Kost, Bewegung im Freien, Anregung des Auges zum Sehen u. s. w. die Cur unterstützen können, dürfte sich nach den früher gegebenen Andeutungen beurtheilen lassen. Durch innere Mittel direct auf Hornhauttrübungen wirken zu wollen, hat man theils als fruchtlos, theils als zu gewagt längst aufge- geben. Ein gleiches Loos dürfte auch der Rath verdienen, die Cur der

18*

2 70 Hornhaut.

Hornhauttrübungen durch Etablirung von künstlichen Geschwüren u. dgl. gu unterstützen. Beim Gebrauche der Karlsbader Mineral-Wässer hat man (Dr. Ryba, Wagner, Flekles) öfters zufällig die Wahrnehmung gemacht, dass Hornhautflecke abnahmen oder verschwanden.

B. Trübungen, welche auf die genannte Weise gar nicht oder nur sehr langsam behoben werden können, suchte man mehr direel, theils auf chemischem, theils auf mechanischem Wege, und in kürzerer Zeit zu beseitigen.

G. Crusell *) Hess den negativen Pol einer aus 4 6 vierzölligen Plat- tenpaaren bestehenden galvanischen Säule mittelst einer stumpfen Spitze oder eines metallenen Knöpfchens an die getrübte Stelle der Hornhaut halten.

Richter u. A. riethen, in der getrübten Stelle eine kleine Grube zu machen, und in diese etwas Butyrum antimonii oder Lapis infernalis zu bringen.

Das Ausschneiden oder Abtragen der verdunkelten Partie, schon zu (ralens Zeilen gekannt, später mit verschiedenen Modificationen von Mead, Larrey, Wardrop, Darwin u. A. wieder geübt, wurde in neuester Zeit über Dr. Guh's**} Anregung besonders von frazösischen Ärzten, na- mentlich von Malgaigne***) empfohlen.

Ick war nicht so glücklich, weder mit dem Galvanismus, noch mit der viel- besprochenen Ablatio corneae erfreuliche Resultate zu erzielen. Fast alle Auetoren, welche diese Methoden mit Glück geübt haben wollen, haben die Hauptsache, um die sich's hier handelt, übersehen oder nur nebenbei erwähnt. Die einfache Entfernung der getrübten Partie wird nichts nützen, wenn an die Stelle der entfernten Substanz nicht normales Hornhautgewebe erzeugt wird. Die Frage über die Regeneration der Hornhaut und d<jren Bedingungen hätte vor allem erörtert werden müssen. Nur Malgaigne spricht von Wiederersatz der Cornea, und darum trägt der von ihm ver- öffentlichte Fall noch am ehesten die Charaktere der Glaubwürdigkeit in sich. Er stellte der Akademie der Wissenschaften zu Paris ein 18jähriges Mädchen vor, welches er durch Abtragung der vordem Hornhautlamellen von einer anderweitig unheilbaren (?) Verdunklung gehellt hatte. Diese hatte in ihrem 13. Jahre wiederholt an Augenent- zündungen gelitten, und seitdem bestand auf dem rechten Auge ein Fleck, der das Gesicht bedeutend störte, und bis zum 16. Jahre stationär blieb. Diesen zu entfernen, wurde derselbe mit einem Kreisschnitle, etwa 23/4"' im Durchmesser, umschrieben, und die vordem Blätter der Cornea (bis zur Hälfte ihrer Dicke) abgetragen. Der Erfolg war nicht bloss bis zum Austritte aus dem Spitale befriedigend, sondern auch noch 2 Jahre später, iiu Mai 1845, obwohl das Auge bei unzweckmässiger Beschäftigung neuerdings mehrmal von Entzündungen heimgesucht worden war. Es hatte sich der Substanzverlust alhnälig wieder ersetzt, und die Kranke konnte nun ohne Anstand

*) Über den Galvanismus als chemisches Heilmittel gegen örtliche Krankheiten, Petersburg 184t. «») Österreichische Wochenschrift, 1842, N. 21. *»«) Cunier Ann. d'Ocul. T. XJ11., und Journal Je Chirurgie, par Malgaigtie, T V., 1845.

Abnormitäten der Wölbung. 277

nähen und lesen. Wenn Dieffenbach *) ein hervorragendes Centralleucom bei einem 2jährigen Kinde entfernt haben will, indem er dasselbe aus der ganzen Dicke der Horn- haut herausschnitt, und die Wunde durch einen Faden heftete, so ist ein Zweifel gegen das glückliche Resultat wohl erlaubt, um so mehr, da derselbe Auetor z. B. auch be- hauptet, Strabismus nach innen und oben durch die Durchschneidung des M. obliquus superior geheilt zu haben. In gleicher Lage sind wir zu Hasner s **) Vorschlag der Keratektomie. „Ich verrichte diese Operation, welche nur in Füllen hartnackiger, be- sonders verkalkter Exsudate an der Hornhauloberfläche, niemals aber bei Trübungen der Hornhautsubstanz angezeigt ist, mit dem Staarmesser, der Fischer'schen Pincette und Louis'schen Scheere. Vorerst wird das Messer zur Seite der Trübung in die Hornhaut eingestochen, unmittelbar zwischen dem Cornealüberz-uge und der Cornea selbst durch- geführt, und an der andern Seite der Trübung ausgestochen. Der durch Fortbewegung des Messers gegen die Nase hin gebildete oberflächliche Lappen wird nun mit der Pincette gefasst, und an seinem Grunde mit der Scheere scharf abgeschnitten. Sorgfältig mtiss hiebei die Verletzung der Hornhaut selbst vermieden werden, indem eine Abtragung ihrer Fasern selbst eine neue Verdunklung herbeiführen könnte.1'' Mehr kann man von der Kunst (oder von der Gläubigkeit des Lesers ?) nicht verlangen.

Reisinger, Himly, Stilling u. A. versuchten bei total und unheilbar getrübter Hornhaut diese rein abzutragen, und in die Öffnung die Horn- haut eines Thieres einzuheilen. Allem die transplantirte Hornhaut wurde, auch wenn die Einheilung erfolgte, in kurzer Zeit trüb und schrumpfte zusammen, f )

Autenrieths ff) Idee, bei unheilbarer Hornhaulverdunklung eine künstliche Pupille in der Sclerotica anzulegen, führte zwar zu zahlreichen Versuchen an Thieren, jedoch nie zu einem auch nur einigermassen ent- sprechenden Resultate.

Unter welchen Umständen bei theilweisen unheilbaren Hornhaut- verdunklungen dem Kranken durch Anlegung einer künstlichen Pupille noch zu einem mehr weniger guten Gesichte verhelfen werden könne, wird bei der Lehre von den Krankheiten der fris ano-ep-eben werden.

VI. Abnormitäten in der Wölbung der Cornea.

Die meisten der hieher gehörigen Zustände der Cornea sind als Folgen der bisher besprochenen Krankheiten der Binde- und Hornhaut

») Über Excision von Centralleucomen, in Ammon's Zeilschrift für Ophthalmie. 1S31. B. I. *«1 1. c. S. 1-23. -J-) Über Keratoplastik, siehe nebstden Thome dissert. de corneae transplant. Bonne !S3f. Strauch in Kasper'» Wo chenschrift, 1840, K. 23, Feldmann in Walther und ATimon's Journal für Chirurgie 1844 B. 111. oder Gaz. med de Paris, 1842, N. 45 und 51. T+) Ttibm»er Blalter füt Naturwissenschaft, B. I. S. 88. Amnion, die Sclcrehlomie in dessen Zeitschrift Tnr Augen- heilkunde, 1831, B. I.

278 Hornhaut.

zu betrachten, und wurden demnach gehörigen Ortes bereits erwähnt und erörtert. Bisweilen, wenn gleich selten, finden wir jedoch die ]Völbung der Cornea auch ohne vorausgegangene Entzündung verändert. Hieher gehören :

1. Die kegelförmige Verbildung der Hornhaut, Keratoconus, von Himly als Hyperkeratosis, von Andern als Staphyloma pellucidum conicum beschrieben.

Man sieht den mittlem Theil der Cornea kegelförmig erhaben ; der Randtheil hat, wenigstens so lange der Zustand noch nicht zu einem höheren Grade entwickelt ist, seine normale Wölbung; der Übergang in den Kegel ist kein plötzlicher, sondern ein allmäliger; die Spitze des Kegels ist mehr weniger abgerundet, wie ein Zuckerhut, und entspricht nicht immer streng dem Centrum der Hornhaut. Die Durchsichtigkeit der Hornhaut ist eben so wenig gestört, als ihre Glätte und ihr Glanz; man erkennt daher die Krankheit nur dann, wenn man die Cornea von der Seite her ansieht, oder wenn man das Bild betrachtet, welches die Cornea vermög ihrer spiegelnden Oberfläche von den gegenüber befindlichen Ob- jecten entwirft ; die queren und senkrechten Balken eines gegenüber be- findlichen Fensters erscheinen nicht mehr als regelmässig krumme Linien. Das eigenthümliche Funkeln und Opalisiren, welches man als charakteristisch angegeben hat, ist nicht immer vorhanden, mag nur bei höheren Graden und bei gewissen Wendungen des Auges gegen das Licht vorkommen. Dasselbe gilt von der Trübung an der Spitze des Kegels, welche nach Einigen, z. B. Sichel, constant vorkommen soll. Die subjectiven Er- scheinungen werden sehr verschieden beschrieben. Im Allgemeinen lässt man diese Kranken kurzsichtig sein, weil sie aufhören, ferne Gegenstände unterscheiden zu können. Diess gibt jedoch den Begriff dessen, was wir Kurzsichtigkeit nennen, durchaus nicht; es fehlt hier ein wesentliches Merkmal dieses abnormen Refractionszustandes, nämlich die Fähigkeit, nahe und kleine Gegenstände mit gehöriger Schärfe und Ausdauer be- trachten, und mit Hilfe entsprechend concaver Gläser auch entfernte Ob- jecte deutlich wahrnehmen zu können. Die Störung des Gesichtes ist ver- schieden, je nach dem Sitze und der Grösse jener kegelförmigen Vorra- gung. Einige sehen gewisse Gegenstände doppelt, oder mehrfach, Andere sehen die Objecte mit Farbenkreisen umgeben, Andere verworren, Andere endlich überhaupt undeutlich oder auch gar nicht. Die Erscheinung des Doppelt- oder Mehrfachsehens tritt insbesondere bei leuchtenden oder glänzenden Gegenständen hervor; eine Kerzcnflaininr. ein Metallknopf

Kcratoconus. 279

wird 10 20 und mehrfach bemerkt. Brewster *) erklärt diese Erschei- nung- durch feine Unebenheiten an der Oberfläche des Kegels ; er will dieselben an einer grossen Menge von Fällen constant beobachtet haben ; Andere konnten sich von deren Gegenwart nicht überzeugen.

Die übrigen Gebilde des Auges können dabei vollkommen normal sein und bleiben. Das Hornhautübel selbst entwickelt sich öfters nur ;mf einem, seltener auf beiden Augen zugleich oder bald nach einander. Die Entwicklung erfolgt in der Regel langsam und unvermerkt, ohne Schmerz, ohne Röthe, ohne Lichtscheu u. dgl. Es macht sich nur durch Störung- des Gesichtes bemerkbar. Zu einem gewissen Grade gediehen, bleibt es dann Jahre-lang, selbst zeitlebens unverändert; nur die Spitze pflegt mit der Zeit trüb zu werden. Spontane Berstung einer solchen Cornea ist bisher nie beobachtet worden.

Die Cornea scheint an der betroffenen Stelle verdünnt und * hervor- getrieben, nicht aber, wie Adams, Himly, Rosas u. A. meinten, verdickt zu sein. M. Jäger **) und Walker f ) fanden nach dem Tode den Kegel verdünnt. Die Vortreibung der Cornea ist wahrscheinlich durch partielle Erweichung des Gewebes derselben bedingt, deren Grund man mit Pickford ff) in mangelhaftem Nerveneinflusse auf g die Ernährung der Cornea suchen kann."

Es gibt wenig Krankheitsformen am Auge, über welche so verschiedene An- schien aufgestellt wurden, wie über diese. Wir werden der Erörterung derselben einige verlässliche Beobachtungen vorausschicken; dadurch dürften wir am ehesten in Stand gesetzt werden, jene verschiedenen Ansichten zu würdigen. Den 1. Fall von Keratokonus sah ich bei Prof. Fr. Jager in Wien an einem chlorotischen Mädchen von 15 16 Jahren. Genau beobachtet habe ich jedoch nur einen 2. Fall hier in Prag. Fräulein von Gr., 18 Jahre alt, wurde im Jahre 1846 von Dr. Friedr. Bach zu mir gebracht. Dieser Arzt, welcher seit Jahren fast täglich in das Haus dieses Mädchens kam, befürchtete die Entwicklung einer Amaurosis des linken Auges, indem das Mädchen seit heiläufig 8 Wochen über Abnahme des Sehvermögens auf diesem Auge und über Blendung des rechten Auges durch das linke klagte. Er hatte das Auge von Anfang an wiederholt und sorgfältig besichtigt, jedoch kein Zeichen von Entzündung des Auges oder von Trübung der durchsichtigen Medien wahrnehmen können. Als ich nun das Auge untersuchte, und namentlich die Cornea in Bezug] auf ihre physicalischen Eigenschaften prüfte, fanden wir zu nicht geringer Überraschung, dass das Bild der Fensterrahmen auf der linken Cornea sich nicht regelmässig abspiegelte, und die An- sicht von der Seite her verschaffte mir Gewissheit, was ich vor mir hatte. Die voll-

'•') Wakenzie 1. c. S. 512. 5») Schmidt, Dissertation über Hyperkeratosis, Erlangen 1830.

\) Principles of Ophthalmie »urgery, Luntion 1831, S. SO. ; | i Jamei Pickfoid, on the conical Cornea, Dublin 1811.

280 Hornhaut.

kommen durchsichtige und spiegelglatte Cornea ragte in ihrem Centrum (ein klein wenig nach aussen und oben vom mathemalischen Mittelpunkte) gegen '/a Linie mehr vor- wärts, und zeigte, von der Seite betrachtet, einige Ähnlichkeit mit einer Fenster- scheibe, die einen kleinen durchsichtigen Wirbel enthält. Von einer Trübung, von einem Substanzverluste oder von einer Lockerung des Gewebes der Cornea war eben so wenig eine Spur vorhanden, wie von Thränenfluss, Lichtscheu, Schmerz oder In- jcction der vordem Ciliargefässe. Die Kranke war einfach im Lesen, Nähen u. dgl. gehindert, und musste, um feinere Sachen länger gut auszunehmen, das linke Auge verdeckt halten. Nähere Gegenstände unterschied sie zwar (mit dem linken Auge) noch eher, als entfernte, aber doch auch nicht deutlich, und das Auge ging ihr bald über (fing an zu thränen). Das Mädchen hatte durch mehr als 3 Jahre an Chlorosis gelitten, und litt unzweifelhaft an Tuberculosis, welcher Krankheit auch bereits ihre 2 Brüder erlegen sind. Kurze Zeit vor dem Auftreten des Augenleidens war sie durch mehrere Wochen von einer äusserst heftigen Prosopalgie, angeblieh Folge von Ver- kältung, geplagt worden. Ich wendete örtlich keine vehementen Mittel an, nur Ein- träuflungen von Laudanum Syd., und später von einer schwachen Silberlösung, und leitete vielmehr eine gegen das Allgemeinleiden gerichtete diätetische und arzneiliche Behandlung ein, liess die Kranke namentlich längere Zeit und zu wiederholten Malen Eisenpräparate nehmen, und die bessere Jahreszeit beim Gebrauche des Giesshübler und des Liebwerder Wassers auf dem Lande zubringen. Ohngefähr 2 Jahre nach dem Beginn des Augenübels bildete sich an der Spitze des Kegels eine leichte Trübung (man könnte sie mit einem Fixsterne am Firmamente vergleichen, wenn man sich statt des Glanzes ein mattes oder bläuliches Weiss denkt), und zwar ohne Spur von Ent- zündung oder von Substanzverlust, und diese Trübung besteht nun beiläufig 3 Jahre unverändert fort. Sie ist jetzt durch das Leiden des linken Auges im Arbeiten mit dem rechten viel weniger behindert, jedoch noch immer nicht im Stande, feinere Gegenstände mit Ausdauer zu betrachten. Mit dem linken Auge allein kann sie den feinsten Druck lesen, wenn sie ihn auf 3 Zoll nähert; Personen kann sie bei einer Entfernung von mehr als 4 Schritten nicht mehr genau unterscheiden. Ihr Allgemeinbefinden ist seit einem Jahre ziemlich gut, wenigstens besser als in frühem Jahren.

Dr. lleyfelder *) hat folgenden Fall veröffentlicht. „Bei einem 32 Jahre alten Manne von scrofulösem Habitus und auffallend flacher Stirnbildung zeigte die Hornhaut beider Augen jene konische Hervortreibung, welche von Einigen Hyperkeratosis, von Andern Cornea conica, von noch Andern Staphyloma conicum genannt worden ist. Auf dem rechten Auge bildete die vorzugsweise stark ausgesprochene Hervortreihung eine zuckerhut-ähnliche Pyramide, deren Spitze dem Centrum der Pupille und der Hornhaut entsprach.auf dem linken Auge war die Hervorragung weniger scharf gezeichnet, und glich mehr einem Maul- wurfshügel, aber auch hier entsprach der höchste Punkt dem Centrum der Cornea. Auf beiden Augen war die Hornhaut vollkommen durchsichtig. Das Licht reagirte nur wenig auf die Regenbogenhaut ; die Pupille erweiterte sich jedoch auf Anvvendug von Belladonna. Von vorn beobachtet erschienen beide Augen, wie wenn sie der Pupille gegenüber Perlen trügen ; von der Seite betrachtet, hatte die konische Hornhaut einen krystallartigen, opalisirenden Schein. Das Sehvermögen des linken Auges war nicht

»i \iiiMiun'j Zeitschrift für Ophthalmie. IV. B. S. 1S9.

Keratoconus. 281

in dem Grade schwach als auf dem rechten ; dennoch konnte der Mann auf 6 Schritte nichts mehr unterscheiden. Genau erkannte er nur diejenigen Dinge, welche er nicht gerade den Augen gegenüber, sondern seitwärts oder unter die Nase hielt. Besser ging diess einige Minuten nach dem Eintröpfeln der Bilsenkrautauflüsung von statten. Der Kranke hatte dieses Augenübel seit seiner frühesten Kindheit. Nach den Ver- sicherungen seiner Mutter ist er nicht mit demselben auf die Welt gekommen, sondern hat es im 2. Lebensjahre während des Keuchhustens, an welchem er ungewöhnlich litt, unter einem heftigen Hustenanfalle bekommen. In wie fern diess richtig ist, muss dahin gestellt bleiben." Wallher *) fand einen „Keratoconus bei einem 21jährigen scrofulösen Manne nach einer heftigen Blepharophthalmie. Nach 2jährigem Bestehen des Übels sah man am rechten Auge eine halbkugliche Hervorragung der Cornea, welche im ganzen Umfange krystallhell und durchsichtig, an der Spitze aber weiss- grau getrübt war. Die Hervorragung hielt die Mitte zwischen der Kegel- und Kugel- form, und war an der höchsten Stelle etwa 1'" höher, als die Cornea im gewöhnlichen Zustande. Die Kegelspitze entsprach nicht dem Centrum der Cornea, sondern sass von diesem nach unten und innen. Das Verhalten der Iris in jeder Beziehung normal. Von dem Leuchten und Funkeln der Cornea konnte man bei keiner Stellung etwas be- merken. Der Kranke sah alle, auch entfernte Gegenstände deutlich (?), doch wie durch einen Nebel. Dreiecke, Vierecke und andere geometrische Figuren unterschied er als solche, aber mehrere etwas fein und in einander gezogene Linien flössen ihm gleichsam zusammen. Um die Kerzenflamme sah er prismatische Farben." Der Fall, den Schön**) beobachtete, „betraf einen 31jährigen Mann von kachektischem Äusseren, der schon von seiner frühesten Kindheit mit grosser Kurzsichtigkeit behaftet war, wel- cher später eine wirkliche Amblyopie folgte, die sich jetzt zur fast vollkommenen Amaurose ausgebildet hat, so dass der Mann nur noch sehr schwach sehen kann. Die ersten Spuren der kegelförmigen Hervortreibung der Hornhaut beider Augen zeigten sich vor ohngefähr 8 Jahren, und sie hat sich jetzt so weit ausgebildet, dass ihre Höhe auf dem rechten Auge l'/2'", auf dem linken fast 2'" beträgt. Der Mittelpunkt des durchsichtigen Hornhautkegels befindet sich etwas unterhalb des queren Durch- messers der Hornhaut, und ist an der äussersten Spitze am linken Auge etwas getrübt, während er am rechten noch vollkommen durchsichtig ist. Beide Hornhäute funkeln wie ein Krystall, so dass man die Pupille nicht sehen kann. Die blaue Iris ist noch etwas beweglich, die Pupille nicht verzogen und schwarz." Amnion ""'**) will das Übel, welches übrigens schon Taylor 1766 unter dem Namen Ochlodes beschrieben, als angeboren beobachtet haben. „Im Juli 1830 kam ein junger 21jähriger Mann zu mir, der auf beiden Augen eine Cornea conica hatte. Dieses Übel war, so viel ich erfahren konnte, angeboren. Der Mensch war blond, und ausser seinem Augenleiden gesund ; nur der Schädel war oben sehr schmal (Spitzkopf) ; er hatte im 16. Lebens- jahre die Schneiderei zu lernen angefangen, allein nach 5 Jahren hatte er, wegen bedeutender Kurzsichtigkeit, das Geschäft wieder verlassen müssen. Auf dem rechten Auge war das Übel am stärksten ; in der Ferne sah er mit demselben gar nicht, in der Nähe mit Mühe. Zu bemerken war hiebei, dass er leicht einen Gegenstand für

•) Journal für Chirurgie und Augenheilkunde von Wallher und Amnion, N. F. 5. Heft. •») Pathologische Analomie, Hamburg 18^8 S. 101. •<") Zeitschrift für Ophthalmologie. I. B. S. 12%

282 Hornhaut.

zwei, zwei für drei, und drei für 5 ansah, wenigstens war diess ziemlich conslant der Fall, wenn ich ihn die Zahl der vorgehaltenen Finger bestimmen Hess. In der Spitze der conischen Hornhaut war weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge eine Trübung wahrzunehmen, die viele Beobachter bei diesen Leiden beobachtet haben. Nichts desto weniger hat das Auge einen eigenthümlichen opalisirenden Schein, wenn man es aus einer nahern Entfernung beobachtet, und vorzüglich dann, wenn man es von der Seite betrachtet. Diess ist bei weitem weniger auf dem linken Auge der Fall, wo die sehr spitze Wölbung der Cornea aber auch gewiss 1 1/.1 2'" geringer ist. Ich kann nicht sagen, dass die kranke Wölbung der Cornea zuckerhulförmig sei ; es liegt jedoch ausser allem Zweifel, dass sie sehr hoch und sehr spitzig ist. Sieht man gerade auf das Auge, so bemerkt man über der Pupille gleichsam einen Glasring, der über jene hin weg geht, und von dem eigenthümlichen Lichtrefiex herkommt."

Adams und seine Nachfolger haben ihre Ansicht, dass dieses Übel in krankhafter Verdickung der Cornealsubstanz bestehe, nur mit sehr zweideutigen Gründen unter- stützt. Der veränderte Refractionszustand des Auges und das funkelnde Aussehen sind eben so wenig beweisend hiefiir, als das harte Anfühlen oder das schwierigere Ein- dringen der Nadel bei der Punction. Sichel "") hat offenbar Unrecht, wenn er be- hauptet, diese Krankheit setze Hornhautgeschwüre voraus und biete constant an der Spitze eine Trübung (wenigstens unter der Loupe) dar. Ich weiss wenigstens von dem einen Falle ganz bestimmt, dass weder Entzünduug vorausgegangen, noch Trü- bung vorhanden war, und viele der besten Beobachter versichern dasselbe. Auch Lhommeau **), der Sichers Angaben auf Berard,s Klinik an 2 Fällen prüfte, konnte in dem einen weder mit freiem noch mit bewaffnetem Auge etwas von jener narbigen Verdunklung auffinden. Chelius ***) und m. A. halten dafür, die Ausdehnung der Hornhaut sei durch den Druck übermässig abgesonderten Kammerwassers bedingt, die Krankheit also eine Art Hydrops, und somit die Kegelform ganz unwesentlich.

Nach meiner Ansicht ist aber die kegelförmige Vcrbildung der Hornhaut von der mit bleibender Yortreibung geheilten Keratokele nicht minder verschieden, als von der nach Pannus oder Keratitis zurückbleibenden Ausdehnung der Cornea, welche man unpassend genug als Hydrops camerae oder als Staphyloma pellucidnni sph. beschrieben findet. Allen 3 Zuständen kommt vermehrte Ansammlung von Kammervvasser als Folge verminderter Resistenz der Cornea zu, und der Name Hydrops ist desshalb ungenau, weil der Grund der Verwölbung der Cornea zunächst nicht in vermehrter Ausscheidung des Humor aqüeüs, sondern in der verminderten Resistenz der Cornea liegt. Die Ur- sache der verminderten Resistenz ist aber bei diesen Zuständen eine sehr verschiedene, bei dem einen Verschwärung der obern Faserschichten der Cornea, bei dem zweiten entzündliche Erweichung und Lockerung des Cornealgewebes, und bei dem dritten keines von beiden, sondern höchst wahrscheinlich mangelhafte Innervation. Erinnert man sich des Einflusses, welchen die Ciliarnerven auf den Zustand der Cornea aus- üben (Vergl. S. ISO), und übersieht man nicht, dass die Individuen, bei welchen diese Krankheit der Cornea beobachtet wird, im Allgemeinen die Zeichen allgemeiner Ge- sundheitsstörung mehr weniger deutlich ansgeprägl an sich tragen, so wird man sehr

cl ('unier Aimales d'OcuI. Suppl. II. p. 125: ; *) ibid. S. 179. --<=*! Handbuch dtr Augenheilkunde, II B. S. 314.

Keratocoiius. 283

versucht, diese Umstände mit einander in ursächlichen Zusammenhang zu bringen, we- nigstens die Disposition zu dein örtlichen Leiden in einem Allgemeinleiden zu suchen. Bei dem einen von mir beobachteten Individuum ist Tuberculosis bestimmt nachgewie- sen ; das andere war chlorotisch, beide jugendlich. M. Jägers Fall erlag derPhthisis. Rosas 1. c. S. 735 beobachtete das Leiden vorzugsweise bei „Mädchen unter 14 Jahren, die mit der Scrofeldiathese behaftet sind"; mehrere Fälle, die Andrea? vorkamen, ..betrafen sehr scrofulöse Frauen, die vorlängst syphilitisch gewesen waren".

Unter den bisher vorgeschlagenen Heilmethoden dürfte die von tivlifurd em- pfohlene noch am ehesten Hilfe leisten (wenigstens palliativ für das zweite Auge). Sie besteht in der Anwendung tonischer Mittel, denen in der Regel ein Brech- oder Ab- führmittel vorausgeschickt wird. Die von ihm angeführten Krankengeschichten sind in Kurze folgende. 1. Fall. Ein Frauenzimmer von 28 Jahren wurde am 1. Mai 1832 mit konischer Hornhaut des linken Auges aufgenommen. Ein Blasenpflaster auf die Schläfe, nachher mit Gerat, canthar. verbunden ; innerlich 8 Gran von den blauen Pillen alle Abende, und eine Mixtur aus Chinin und Magn. sulfur. 2mal täglich. 5. Mai : Jod in- nerlich, aus serlich als Collyrium, und jeden Abend in Salbenform in die Augenlider eingerieben. 7. Juni : neben dem Jod ein Brechmittel aus Zincum sulfur. 2mal wö- chentlich früh Morgens zu nehmen. 12. Juli: eine Disposition zu demselben Übel auf dem rechten Auge bedeutend vermindert ; es ist noch immer ein Kreis um die mit diesem Auge angeschauten Gegenstände, doch kann die Kranke mit demselben besser und in grösserer Entfernung lesen. 26. Juli : die Brechmittel werden nun alle Morgen gereicht, Jod innerlich und äusserüch fortgesetzt, von Zeit zu Zeit Blutegel an das Auge, und statt der Jodsalbe eine stärkere Mercurialsalbe. 25. October: bedeutend gebessert entlassen. 2. Fall. Anna H., 21 Jahre alt, hysterischen Krampfanfällen un- terworfen, aufgenommen am 12. März 1833 mit kegelförmiger Hornhaut nur des linken Auges. Zinc. sulfur. 1 Scr. mit Magn. sulfur. 4 Dr. alle Morgen zu nehmen. Nach 12 Monaten vollkommen geheilt entlassen. Ungefähr 13 Monate später wegen eines Rück- falles wieder aufgenommen. Dieselbe Behandlung wurde einige Monate hindurch mit gleich gutem Erfolge angewendet. 3. Fall. Maria B., 27 Jahre alt, Schneiderin, am 17. September 1839 wegen sehr bedeutend konischer Hornhaut des linken Auges auf- genommen. Tart. emet. granum mit Magn. sulfur. dr. 2 jeden Morgen zu nehmen. 13. December: entschieden besser, die Hornhaut flacher. 4. Februar 1840: die Horn- haut noch flacher, die Kranke sagt, sie könne besser sehen. 24. November: bedeutend gebessert, und nach eigenem Wunsche entlassen. Am 10. Mai 1842 wieder aufgenom- men mit konischer Hornhaut; dieselbe Behandlung. Am 2. Mai 1843 wurde die Kranke entlassen, hinlänglich hergestellt, ihr Geschäft wieder aufzunehmen, und mit gebesser- tem Allgemeinbefinden.

Chelius 1. c. S. 353 versichert, bei einem Mädchen von 20 Jahren durch ein Setaceum am Nacken, durch von Zeit zu Zeit gereichte Abführmittel, durch fortgesetz- ten Gebrauch \on Spongia tosta mit Digitalis und durch Einreibungen von Jodkalisalbe an die Umgegend des Auges bedeutende Besserung bewirkt zu haben. Sichel empfiehlt methodisch wiederholte Betupfung der Spitze des Kegels mit Lapis infernalis, während Andere die oftmalige Punction der Cornea empfehlen. Gibson will zwei Schwestern durch die Anwendung eines Chinadecoctes mit Alaun geheilt, und Ware vom täglich 3 4inaligen Einträufeln eines slarken Tabakaufgusses bessern Erfolg, als von vielen andern Mitteln gesehen haben.

284 Hornhaut.

2. Vergrösserung und vermehrte Wölbung der ganzen Hornhaut kommt bald als angeborener, bald als erworbener Zustand, wenn gleich höchst selten vor. Die Cornea variirt nicht nur in ihrer Dicke sondern auch in ihrer Grösse und in ihrer Wölbung- bei verschiedenen Individuen in hohem Grade. Ich kenne einen jungen Mann, der auf dem einen Auge eine merklich grössere und gewölbtere Cornea besitzt, als auf dem andern, und diesem Zustande entsprechend ist auch das eine Auge kurz-, das andere weitsichtig. Vor 2 Jahren kam mir ein Mann zur Operation des grauen Staars, welcher auffallend grosse Hornhäute halte (_übpr 6'" im Durchmesser); dieselben waren vollkommen rein und regelmässig gewölbt, und gaben vermög ihrer stärkern Convexität kleinere Spiegelbilder, als normale Hornhäute. Vom Vorausgehen irgend einer entzündlichen Affe- ction war bei diesem überhaupt zu genaueren Angaben über seinen Zu- stand nicht geeigneten Individuum nichts zu eruiren. Vergrösserung der Hornhaut mit allgemeiner Vergrösserung der Bulbi habe ich nur einmal bei einem Knaben von etwa 15 Jahren, angeblich als angeborenen Zustand beobachtet, jedoch damals nicht gehörig gewürdigt.

3. Abnorme Kleinheit und verminderte Wölbung. Wenn wir von unbeträchtlichen Schwankungen in der Grösse der Basis Corneae bei ver- schiedenen Individuen und Nationen absehen, so kommt hier nur jene regelwidrige Kleinheil der Cornea in Betracht, welche bei Mikrophthalmus congenitus vorkommt, und jene, welche seihst unbeschadet der übrigen physikalischen Eigenschaften bisweilen an atrophischen Bulbis beobachtet wird. Es ist in der That eine interessante Erscheinung, an einem Auge, welches in Folge von Chorioiditis oder in Folge von Glaskörperverlust, z. B. durch eine penetrirende Scleralwunde, auf % seines Volumens re- ducirt ist, die Cornea, gleichsam en miniature, ganz durchsichtig und glänzend zu finden. Dass bei jenem Refractionszustande, welcher unter dem Namen Weitsichtigkeit bekannt ist, nicht sowohl verminderte Wöl- bung der Cornea, als vielmehr andere Veränderungen des Auges im Spiele sind, um diesen Zustand zu bedingen, werden wir in dem Capitel über diesen Zustand erörtern, und errinern vorläufig bloss, dass man nur zu häufig von verminderter Wölbung der Cornea zu sprechen gewohnt ist, wo man eigentlich bloss von verminderter Grösse der Augenkammer sprechen sollte. Nicht geringere Wölbung der Cornea, sondern Vorwärtsgerücktsein der Iris und der Linse bildet (wenigstens zum Theil) den objectiv wahr- nehmbaren Befund jener Augen, welche die Fähigkeit verloren haben, nahe Gegenstände mit der gewöhnlichen Schärfe und Ausdauer zu erkennen.

Erklärung der Abbildungen.

Fig. 1, 2, 3 und 4 stellen Veränderungen dar, welche die Binde- und Hornhaut in Folge acuter Bindehautblennorhöe bei einem 22jährigen Mädchen (mit Blennorrhoea vaginae) in der 4. Woche darboten.

Fig. 1. Das Auge in natürlicher Grösse gezeichnet, das untere Lid möglichst stark abwärts gezogen. Die Cornea bis zum Rande zerstört, die Iris blossgelegt, durch einzelne balkenähnliche Streifen zurückgehalten und eingeschnürt, aber auch an den leicht vorgewölbten inselähnlichen Partien schon grösstenteils mit einer bläulichweissen, mehr weniger durchscheinenden Membran überzogen. Die Bindehaut zeigt über dem Tarsus eine Menge kleiner, dicht aneinander gedrängter, hochrother, warzenähnlicher Hügelchen (vergrösserte Papillen), welche den freien Rand des Lides nicht erreichen ; unmittelbar dahinter (darüber) erscheint der etwas weniger rothe, stark geschwellte, wulstig vortretende Ubergangstheil, mit 6 gelblichen, halbdurchsichligen, lichten und glatten Körnern besetzt, welche wie kleine Kügelchen von gekochtem Sago zur Hälfte über die Oberfläche der Umgebung emporragen; zwischen diesem wulstigen Theile und dem Bulbus läuft die stark geschwellte Übergangsfalte als unmittelbare Fortsetzung der halbmondförmigen Falte nach aussen, und zeigt gleichfalls mehrere derlei Körnchen.

Fig. 2 stellt dasselbe Auge vergrössert dar, wie dasselbe unter der Loupe erschien. Am Tarsaltheile erscheint längs des Lidrandes ein von zahlreichen feinen Ge- fässchen durchzogener, nicht merklich geschwellter Saum ; die rothen warzenähnlichen Hügelchen des Tarsaltheiles erscheinen, wie noch deutlicher aus der, einen noch mehr vergrösserten Theil der Bindehaut darstellenden

Fig. 3 ersichtlich wird, ziemlich regelmässig angeordnet, gleichsam aus Gruppen rother Punkte zusammengesetzt und durch lichtere Streifen geschieden ; Ubergangstheil und Falte zeigen einzelne Gefässchen und die genannten ovalen Exsudatkörner ver- grössert. Am Bulbus selbst erscheinen mehrere erweiterte Gefässe, von welchen einige

286 Erklärung; der Abbildungen.

gleichsam unter dein Limbns conjunctivae corneae zu dem Narbengewebe der Cornea

hindurch treten, und sich daselbst verzweigen.

Fig. 4 zeigt das obere Lid desselben Auges vergrössert : die beiden lichten Flecke nach innen und oben stellen solche lichte, saeoähnlirhe Exsudate dar, welche gleichsam auf die vergrösserten Papillen aufgelaffert sind, und sleich denen am untern Lide unter der stärksten Loupe. die uns zu Gebote stand, an und für sich durch Uein Merkmal von jenen Gebilden unterschieden werden konnten, von denen bei Fig. 5 und 6 die Rede sein wird.

Fig". 5 und 6 stellen die Veränderungen der Bindehaut dar, welche bei einem Weibe von 35 Jahren als Trachoma constatirt wurden.

Fig. 5 zeigt das umstülpte obere Lid des rechten Auges, etwas ver^rössert. Das Lid ist ungemein verdickt, prall, schwer zu umstülpen : die Bindehaut längs des Lid- randes fast normal, nur von feinen Gefässchen durchzogen, die feinern Rinffelchen stellen die vergrösserten Papillen vor, welche zwischen den zahlreich und massenhaft aufgelagerten und tief infiltrirten sulzisen Exsudathüseln noch sichtbar geblieben sind: an der Conjunctiva bulbi erscheinen zahlreiche Gefässe. welche sich bis auf die an ihrer Oberfläche leicht getrübte und unebene Cornea erstrecken (Pannus").

Fig. 6 zei?t das untere Lid des linken Auges in natürlicher Grösse. Auf dem Tarsaltheile sitzen ziemlich tief eingebettet einzelne sulzige Exsudate, nur wenis empor- ragend, fast parallel dem Lidrande angeordnet: der Über^anjstheil ist fast durchaus in eine sehnig glänzende, bläulichweisse. fast gefässlose Membran verwandelt, und so geschrumpft, dass die Übersangsfalle fehlt, und beim Aufwärtsblicken nahezu verticale Falten entstehen, deren grösste schräg nach innen und oben zur halbmondförmigen Falte hinzieht.

Fig. 10. Das untere Lid eines Knaben aus dem Waisenhanse (Siehe S. HO).

Längs des Lidrandes ist die Bindehaut normal, nur von einzelnen Gefässchen durchzogen: weiterhin sieht man die ganze Bindehaut mit dicht an einander gedrängten lichtaelben Hügeln besetzt, welche über dem Tarsus ohngefähr mohnkorngross und nicht confluent. auf dem Übergangstheile dagegen an s \'" hoch aufgethürmt und zu unreselmässi^en Wülsten verschmolzen sind. Das obere Lid desselben Auges, welches auf der andern Seite der Tafel abgebildet war. musste wesen einiger wesentlicher Fehler radirt, und konnte dann nicht mehr gezeichnet werden. Es zeigt die Bindehaut durchaus normal, nur etwas lockerer und ^elblichroth, und mit punktförmigen bis mohnkorngrossen, ganz insolirt stehenden lichtgelben Körnchen besetzt.

Diese Abbildungen haben den Zweck . zu zeigen, dass ich gana dieselben Exsudatbildungen, welche man wohl auch als -graue Granulationen- beschrieben hat. und welche bald der sogenannten Ophthalmia aegyptiaca. bald dem Trachoma als charak- teristisch zukommend bezeichnet wurden, bei verschiedenen Erkrankungsweisen der Bindehaut beobachtet habe. Sie können demnach nicht als palhognomonisches Zeichen

I-»JiiriBiiig iU'r Abbildungen. 287

für die eine oder die andere Art der Entzündung der Bindehaut betrachte! werden. INur im Verein mit säraintlichen übrigen Erscheinungen (dem Baum und der Zeit nach auf- gefasst) kann ihre Bedeutung verstanden werden. In den ersten 4 Figuren tritt offenbar die Schwellung des Papillarkörpers, die gleichmässige dunkle Böthe und die starke Schwel- lung der Bindehaut selbst in den Vordergrund der Erscheinungen, nachdem die reich- liche schleimig-eitrige Secretion, kurze Zeit vorher das auffallendste Symptom, beinahe ganz verschwunden ist. Die Bildung jener isolirten sulzigen Exsudate spielt sowohl an dem untern als an dem obern Lide eine sehr untergeordnete, accessorische Bolle. In Figur 5 dagegen fällt die Bildung dieser sulzigen Exsudate, ihre tiefe Infiltration und die dadurch bedingte Verdickung des Lidknorpels sogleich als die bedeutendste Er- scheinung auf, und Figur 6 zeigt nebst frischen Exsudaten bereits jene Metamorphosen, welche auf Grundlage anderweitiger Beobachtungen als Endglieder jener Reihe von Erscheinungen erkannt werden, welche wir mit dem Namen Trachoina belegen. Fig. 10 endlich zeigt jene Exsudatbildung als vorwaltende Erscheinung, aber ohne er- bebliche Veränderung der umgebenden Bindehaut (am obern Lide), ohne erhebliche Veränderungen der Secretion, ohne Verdickung des Lidknorpels. Die Bedeutung dieser Exsudate kann hier nur nach Wochen- Monate-langer Beobachtung, oder, wie es hier der Fall war, nach dem Vorkommen der niedrigsten Grade des Beginnens der Krank- heit bei massenweisem Auftreten mit Sicherheit bestimmt werden.

Die Figuren 7, 8 und 9 haben den Zweck, zunächst das Verhältniss der Cornea zur Sclera, und weiterhin überhaupt die Lage und Anordnung der einzelnen Gebilde des Bulbus in einem Durchschnitte zu zeigen.

Dieselben lassen zwar noch manches zu wünschen übrig, dürften indessen in der Hauptsache, Lage und Verhältniss der einzelnen Theile zu einander, noch immer rich- tiger sein, als die bisher erschienenen. Was indess in diesen Zeichnungen noch fehler- haft oder unklar dargestellt erscheinen sollte, kann sich der Leser sehr leicht corrigiren, dadurch, dass er sich die Durchschnitte führt, so wie ich sie geführt habe, und eine gute Loupe zur Hand nimmt.

Man nehme ein möglichst frisches Auge, s häle es aus der Tunica vaginalis und Conjunctiva bulbi gleichsam heraus, und stutze sowohl die Muskeln als den Nervus opticus nahe an der Sclera ab. Sodann messe man die Achsen vom vordem zum hintern Pol und im Äquator (vertical und horizontal), den Längen- und den Höhendurch- messer der Cornea innerhalb des Limbus conjunctivae, und die Entfernung der Inser- tionsstellen der M. recti vom Cornealrande, und lege dann den Bulbus mit dem hintern Pole auf ein Stückchen Holz ; indem man sofort mit den Fingern der linken Hand den Bulbus leicht fixirt, setzt man ein möglichst scharfes Messer (Basirmesser) senkrecht auf die Cornea, und dringt mit 3—4 ziehend-drückend geführten Schnitten ohngefähr bis zu den Insertionsstellen der Becti vor. Um die Luxation der Linse so viel als möglich zu vermeiden, wird nun der Schnitt durch die Sclera bis zum hintern Pole mittelst einer Scheere vollendet, und der über die Scleralränder überhängende Glaskörper abgeschnitten. Wenn man nun jede Hälfte des Bulbus sogleich in eine mit Wasser gefüllte Schale legt, so wird man mit dem Zirkel sich überzeugen, dass die Durchmesser genau dieselben geblieben sind, somit die festen Theile des Auges ihre frühere Form und Lage wieder

288 Erklärung der Abbildungen.

einnehmen. >Yer seihst nicht zeichnen kann, lege sich das Auge in ein Schälchen, welches gerade so tief ist, dass die Durchschnittsebene der auf die Convexität gelegten Augenheniisphäre gerade ins Niveau des Randes der Schale zu liegen kommt, und giesse so viel AYasser zu, dass dasselbe noch etwas über den Rand der Schale empor- ragt; darauf nun decke man ein möglichst dünnes Glas (Cylinderuhrglas), welches auf der einen Seite mittelst Bimsstein ein wenig matt geschlifTen ist, so dass man mit einem etwas härteren Bleistifte bequem darauf schreiben, und doch die Contouren des dar- unter liegenden Auges und seiner Theile genau sehen kann (bei Sonnenschein).

Fig. 7 stellt die untere Hälfte eines Auges (linken) von einer 30- jährigen Frau dar.

Fig. 8 zeigt einen solchen Durchschnitt (von der rechten Seite) vergrössert (Durchmesser = 2).

Fig. 9. Äussere Hälfte eines von oben nach unten durchschnittenen Bulbus einer 50jährigen Frau.

Eine Menge Durchschniite möglichst frischer Bulbi zeigte mir ein ganz anderes Verhältnis« der Iris und des Ligamentum ciliare zur Cornea und Sclera, als namentlich Prof. Brücke in seiner sonst so schätzenswerthen Abbildung des menschlichen Auges angegeben hat. Die Iris entspringt nämlich nicht, wie Brücke es dargestellt, am Rande der Cornea von dem Ligamentum ciliare, sondern sie tritt nächst den Ciliarfortsätzen aus jenem Gebilde hervor, so dass die vordere Augenkammer nicht von der Cornea und Iris allein, sondern zwischen diesen beiden auch noch von der vordem Fläche des im Durchschnitte 3eckig erscheinenden Ligamentum ciliare begrenzt wird. Übrigens liegen die Firsten der Processus ciliares stets noch vor dem Rande der Linse, und die Iris sah ich niemals in einer Ebene liegen , sondern jedesmal ein wenig nach vorn ausgebaucht. Das Nähere hierüber folgt bei der Lehre von den Krankheiten der Iris.

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Accession no. J C3 % Li

Author Arlt: Die Krankheiten des Auges. 1851-

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