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DIE

KUNST UNSERER ZEIT.

EINE CHRONIK

DES

MODERNEN KUNSTLEBENS.

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MÜNCHEN

FRANZ HANFSTAENGL

ALLE RECEITE VORBEHALTEN

Inhalts -Angabe

1900. I. HALBBAND.

Literarischer Theil.

Seite

H eilmeyer, Alexander. Raffael Schuster-Woldan i M eurer, Prof. Dr. Carl. Die neue Pieta von

Joseph Reiss . 29

Seite

Soissons, Graf S. C. von. Giovanni Segantini 45 Spier, Frau Dr. Anna. Hans Thoma ... 61

Vollbilder.

Seite

Benlliure, J. Musikalische Matinee .... .4© Blaas, E. v. Abgeblitzt ........ j6

Brandt, J. Reiterkampf . . . -3-e

Her ge r, Edm. Wotanszug . . ^

Lenbach, Franz von. Bildniss des Nordpolfahrers

Fridtjof Nansen . 3^

Oesterley, C. Heimkehrende Fischer . .

Schuster AVoldan, Raffael. Selbstbildniss . . ^

Sonnet .

-- Porträtstudie . . "§"

Madonna . . fC

Mädchen im Freien . -f?

Bildnis der Frau von d. G . a-^

An den Pforten der Dämmerung . . . -i-6-

Diana . -so

Abendgang . e©-

Im Wehen des Mittags . -S4-

Mädchen im Grünen . 54

Legende . .

Bildniss der Frau Klärchen R., Jena . .

Seite

Segantini, (jiovanni. Frühlingsnacht .... -Aß'

Kindsmörderinnen . . 48

Der Glaube tröstet den Schmerz . . ., 4.2

Der Lebensengel .

Evocation der Musik .^5^

Mittag . .

Thoma, Hans. Wächter vor dem Liebesgarten

Die Gerbermühle . -68

Im Wiesengrund . --76

Dämmerung im Buchenwalde .

Hans Thoma . .

Frau Cella Thoma . ,84'

Felsenthal .

Christus und Nicodemus . ^92'

Flussufer . .

Die Händlerin . JOO

Knabe am Bach . ,4©o

Die Lautenschlägerin . .108

Parkansicht aus einem Fenster .... 108

Textbilder.

Achtermann, Wilhelm. Pieta . .36

Dupre, Giovanni. Pieta . 35

Hof mann, Karl. Pieta . . 37, 38

Kopf, Josef von. Pieta . 33

Michelangelo. Pieta . 31

Reiss, Josef. Pieta . 30,40,41,42,43

Rietschl, Ernst. Pieta . 32

Schuster AVoldan , RaFael.

Studien . . . . i, 7, ii, 12, 20, 21, 22

Porträt einer Dame . 3

Schuster-Woldan, Raffael. Kinderstudie . . 4

Römische Frau . 5

--Akt .... . . 7

Adorgen und Nacht . 9

Lukretia . 13

Aktstudie . 15

Porträtstudie . 16

Bildnisse . ^9

Studienkopf zur Legende . 20

Bildniss d. M. v. R . 21

Seite

Seite

Schuster-\Volcian , Raflael. Studienkopf . 23, 27

Die Malerin (Studie) . 24

ßildniss einer jungen Dame . 25

ßildniss der J. J . 26

Daphne . 28

Segantini, Giovanni. Selbstbildniss .... 45

An der Stange . 47

Schafherde im Mondschein . 48

Ave Maria bei der Ueber fahrt .... 49

Ein Opfer . 50

Rückkehr nach der Heimath . 51

Wiegenlied . 52

Die letzte ^Arbeit . 52

Frühlingsfutter

5 3

ßergbewohnerin aus Graubünden

Meine Modelle .

Zwei Mütter .

An der Tränke .

Zwei Mütter .

Rückkehr in den Stall ....

Gewandstudie .

Fragment zu dem Gemälde „Ave Mittagszeit .

Thoma, Hans. Religionsunterricht .

Raufende Knaben .

ßlick in’s Thal .

Feierabend .

ßernau .

Zwischen den Mauern von Sorrent

... 54

. . . 55

... 55

... 56 ... 57

... 57

. . .

Maria“ 59 60

... 63

... 65 ... 66

68

69

Thoma, Hans. Die Quelle . 70

Ruhe auf der Flucht . 71

\'ater Faun . 73

Sirenen . 73

Oberursel . . 75

Kastanien . 75

Der Feind sät ßöses . 77

ßauernkind . 79

Stressa . 8r

Waldshut (1S69) . 81

Hexentanz . 83

Hühnersiesta . 85

Meine Mutter, 88 Jahre alt . 87

jung-es Mädchen . 89

Marie Faroc'he . 91

Otto Scholderer . 91

Siegfried . 93

Das Paradies . 95

Das Meerwunder . 97

I larpye . 99

Die Faunfamilie . 10 1

Schwarzw'aldthal . 103

Mamolshain im Taunus . 103

Alonte ßaldo . 105

Schw'arzwald . 107

ßernau-Oberlehen . 109

Die ßriefschreiberin . iio

Porträt . n I

Raffael Schuster-Woldan

VON

ALEXANDER HEIEMEYER

Raffael Schuster-Woldan. Studie.

Die jüngste Bewegung in den bildenden Künsten, welche vorzugsweise der Malerei als Selbstzweck kräftigen Vorschub geleistet hat, die das Recht des individuellen Empfindens betonte, hat trotz des vielen Guten, das hiemit zu Tage gefördert wurde, dem ideellen Bedürfnisse unserer Zeit nicht Genüge gethan.

Die Darstellungen des nackten Naturalismus in Leben und Empfindung haben den Mangel einer

harmonischen Ausgestaltung des ideellen Gehaltes unserer Kultur fühlbar gemacht. Die vornehmsten

Geister und Gemüther fliehen unbefriedigt aus dieser Erscheinungswelt in jene fernen Zeiten zurück,

wo Kunst und Leben in der künstlerischen Darstellunof einen mehr harmonischen Ausdruck gefunden

haben. So ist es zu verstehen, dass eine so ausgebildete, abgeschlossene Welt, wie sie die Renaissance

in Italien gezeitigt hat, uns heute noch viel näher steht als bei oberflächlicher Betrachtung erscheinen mag.

Unter den wenigen Erscheinungen, die nach klarer xVusgestaltung des modernen Empfindens

ringen, und doch den höheren, idealen Anforderungen an die Kunst gerecht werden wollen, tritt uns

Raffael Schuster-Woldan als eine sympathische entgegen. In seinen Bildern webt und lebt eine

eigene Welt, eine Welt der Schönheit. Eine Schönheit, die duftig und thaufrisch wie eine Blume im

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

o'oldioen Morgensonnenglanz erstrahlt, spiegelt sie sich im leuchtenden Gewölke der Landschaft, erfasst uns in der Gestalt eines jungen Mädchens voll Anmuth und keuschen Liebreizes, im «Wehen des MittasS’', in der «Dämmeruno; des Abends» und auf lultiger «freier Höhe». In diesen grösseren Darstellungen schwingt sich des Künstlers Genius in die Sphären treier, malerischer Dichtung empor, in welcher die ideellen Werthe unserer Zeit in vollendete Formen gefasst werden.

So sensible, feinlühlige Naturen wie Raffael Schuster-Woldan können sich wohl nur unter dem Einfluss wahrer Bildung entwickeln; sie sind Blüthen einer reifen Kultur.

Als der Sohn des preussischen Amtsgerichtsrathes Heinrich .Schuster wurde Raffael am 7. Januar 1870 zu .Striegau in Schlesien geboren. Er besuchte zuerst das Gymnasium zu Liegnitz, später das Ludwigsgymnasium zu München. Jenen hellen Drang, in Bildern zu offenbaren, was die .Seele bewegt, hat der Sohn wohl vom Vater geerbt, der unter dem Namen Heinrich vVoldan auch als Schriftsteller engeren Kreisen bekannt war.") Sein inneres Anschauen und Empfinden hat ihn daher wohl von Anfang an zu künstlerischer Bethätigung gedrängt, und so mochte es kommen, dass bei seinen späteren Besuchen in den Werkstätten von Münchener Künstlern, wo er die individuell verschiedene Art der Naturauffassung beobachtete, in ihm die Erkenntniss reifte, dass er nur im schaftenden Berufe des Künstlers seinen höchsten Wunsch, sich seine eigene, ruhig vornehme Welt, die er noch unklar und verschwommen in seinem Innersten träumte, auszubauen, der Erfüllung näher bringen könne. So begann er 1887 mit siebenzehn Jahren seine Studien als Maler und erhielt zuerst \on Münchener Meistern im Zeichneji nach der Natur Privatunterricht. Daneben wandte er sein Hauptinteresse den alten Meistern zu, vorzugsweise waren es in dieser Zeit die Rembrand’schen Raclirungen im Münchener Kupferstichkabinet, die ihn anzogen.

krank K irchbach hielt damals in München eine Malschule. Bei ihm trat Raffael Schuster Woldan später ein, und als sein Lehrer, einem Rufe folgend, an das Städeksche Kunstinstitut nach Erankfurt übersiedelte, zog er ihm mit einigen Kollegen nach, ln den Herbst 1889 fällt ein kurzer Aufenthalt in Paris, das damals als Mekka der Maler galt. Unserm Künstler Jedoch missfiel die Art an der .Seine, es war keine Atmosphäre, die ihm behagen konnte. Er äusserte sich darüber einmal selber, es sei damals geradezu Mode gewesen, nach Paris zu gehen, und man sei ausgelacht und nicht verstanden worden, wenn man sich nach Italien hingezogen fühlte. Erankfurt hat der Maler dann bald verlassen. Es entwickelte sich mehr und mehr der Sinn für’s Koloristische, wobei ihm aber sein noch mangelhaftes Können in der Formengebung nicht entging. In strenger .Selbstzucht unterdrückte er vorläufig diesen Hang, um nur Zeichenstudien obzuliegen. Er zog sich in das damals bei Malern noch wenig bekannte Dinkelsbühl zurück und trieb hier längere Zeit streng figürliches Zeichnen. Diesem Aufenthalt folgte ein solcher in Rothenburg an der Tauber, wo er dann schon nebenher die ersten Naturstudien im Freien malte. Im Sommer 1890 besuchte er die Nordseeküste und Helgoland und widmete sich dort ganz dem Studium der Landschaft, was ihn Jedoch nicht abhielt, noch im Herbst desselben Jahres an der königlichen Akademie zu München bei Professor Hackl wiederum fleissig zu

Eine Sammlung seiner Gedichte «Aus sonnigen und rauhen Stunden» in der J. ß. Metzler’chen Buchhandlung, Stuttgart 1883 erschienen.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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zeichnen. 1891 im Spätjahr machte Schuster-Woldan seine erste italienische Reise, auf welcher er zunächst von der italischen Landschaft einen nachhaltig-en und nachwirkenden Kindruck empfing-, den man in seinen ersten Skizzen und Bildern deutlich erkennen kann. Abermals kehrte er zur Akademie zurück, geweckter, unruhiger, sich selber suchend, jedoch nur, um ihr Ostern 1892 ganz den Rücken zu kehren.

Er war der Schule entwachsen. Von dieser Zeit an schreitet er, die eigene xArt entwickelnd vorwärts, kostet zum ersten Mal das Hochgefühl befreiten Schaffens, beginnt als Maler den Kampf des Individuums oegen die Gattung. Er malt sein erstes Bildniss mit individuellen Zügen. Es stellt eine junge Dame dar, welche auf einem Felle kniet. Hier tritt schon der besondere Zug, das Dar¬

gestellte für sich selber sprechen zu lassen, das Vermögen einer inner¬ lichen Auffass¬ ung deutlich hervor. Die junge Dame kniet auf einem Fell und stützt sich mit beiden Händen darauf. Man sieht , sie gibt sich gern

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in dieser Weise, sie hat offenbar die Gewohn¬ heit, diese Halt-

Maler fand im Suchen nach der Seele glücklich ihren Ausdruck in Augen und Mund. Es spricht aus dieser Wieder¬ gabe von Farbe und Formen schon ein ge¬ reiftes Ver- ständniss und grosse male¬ rische Fertig¬ keit. Wie ist das ganze Bild zusammenge¬ halten ! Die braunen und

Raffael Schuster-Woldan. Porträt einer Dame.

nehmen. Der grauen Töne als

warmer Hintergrund für die frische Erscheinung des Mädchens, die aus der grossen hellen Masse des Felles klar und weich herausgebildet ist wie in Thon modellirt. Mit echt malerischer Freude am Vorwurf, mit Liebe und Fleiss hat er auch das Einzelne durchgebildet, die Hände beobachtet und in ihrer charakteristischen Haltung und Eorm wiedergegeben, die Bewegung ebenso lebenswahr wie anmuthig festgehalten. Wenn man berücksichtigt, dass das Jahr 1893, das eigentliche Geburtsjahr der Secession, eine Zeit tollster malerischer Umtriebe war, so muss man über die selbständige Haltung des Bildes staunen, und es überrascht uns des jungen Malers vornehme Zurückhaltung von der Mode des Tages. Dieses Bild, zusammen mit dem gleichzeitig entstandenen Porträt einer alten Dame, fand Aufnahme in der vierten Jahresausstellung im Glaspalast.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Neben solchen Porträtstuclien beschäitigte sich der Immerthätige im Sommer viel mit dem Studium der Landschaft. Das Verständniss für dieselbe in ihrem verschiedenen Charakter eignete er sich schon frühe an. Mit gutem Aug’ und fertiger Hand hat er die eigenthümlichen Züge haupt¬ sächlich der Voralpen und des deutschen Mittelgebirges festgehalten. Die reizvollen Berge und Thäler des Thüringerlandes mit den blauen magischen kernen, die sattgrünen Triften des bayerischen Alpen¬ vorlandes mit den scharfbegrenzten Bergkonturen im Hintergründe sind in den ersten Bildern oft wiederkehrende landschaftliche Züge. Später bringt er in seinen Bildern auch Motive aus der italienischen Landschaft, deren malerischen Gehalt er schon auf seiner ersten Reise erkannt hat. Aber auch hier schildert er vorzugsweise Gegenden, welche einen ähnlichen Charakter aufweisen, wie

ihn dämpfen. Das eifrige vorhergehende Studium und spätere Herein¬ ziehen der Landschaft in

sitionen zeigt, wie des Malers Streben von An¬ fang an auf das ganze umlangreiche , stoffliche Gebiet seiner Kunst q-q- richtet war und wie er sich der dadurch er¬ reichten höheren har¬ monischen Bildwirkung und Stimmuno- wohl be-

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wusst ist.

Erstaunlich reif und fertig bringt seine Kunst dies alles zur Darstell¬ ung in dem Bilde «An

den Plorten der Dämmerung». Kühle des Frühabends, krystallhelle Luit in blauen und gelben Tönen, die eigenthümliche Llelle, die dem Nahen der Nacht vorangeht. Gross, rauinerlüllend ragen zwei Gestalten hervor; die eine breit mit dem Rücken im Vordergrund, den Kopf im Profil zeigend, scharf Umrissen in prachtvoller Kontur hält auf der linken Hand einen Falter. Leise schwirren seine Flügel im Weben der Dämmerung. Llinter ihr sieht ein Kind hervor, lieb und kindlich hält es eine reife Frucht in der Hand, schattenspendendes Kastanienlaub als Hintergrund. Sind hier dunkle Massen zusammengehalten, so öffnet sich rechts hinaus ein weiter Ausblick in die lichte Landschaft mit ihren welligen, bewegten Bergrücken und saftig grünen Wiesen im Thale. Davor erhebt sich die andere Frauengestalt in kühles Weiss gekleidet. Dunkeläugig, fast schwermüthig schaut sie in’s Weite, ein

seine grösseren Kompo-

grünumkleidete, wellige Höhenrücken mit Aus¬ sichten auf weite Ebenen, auf ferne duftige Berg¬ spitzen oder aut einen schmalen silbergrauen Streifen am Horizont, das Meer. Oft werden beider Züge in die Ge- sammtstimmung des Bildes getaucht und darin verwoben, indem sie als idyllische Durchsichten und als landschaftlicher Hintergrund gebraucht werden. .Sie helfen das Gleichgewicht bei der Vertheilung der Massen herstellen, den Accord der Farben erhöhen oder

Raffael Sclntster -Wol(lat2. Kinderstudie.

RaffHel Schu8ter*Woldan pinx.

Phot. F. IlanfstaeDgl, MOnolieo

Selbstbildniss

Raflael ^cbuater-Woldan piux.

Pboc. F. HeofstaeDgl, MbDcbeo.

Sonnet

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Raffael Schuster -Woldan. Römische Frau.

edelgeschnittenes, plastisch geformtes Antlitz, dunkle Flechten iimschliessen es, und Herbstzeitlosen sind zum Kranze um ihr Haupt gewunden. Ahnen der Nacht, geheimnissvolle Dämmerung, webendes Leben. Das schwache Licht umspielt sie mit fahlem Scheine.

Der Maler gibt hier zum ersten Mal in einem Bilde einer tiefen poetischen Stimmung Ausdruck, und im weiteren Laufe seiner Entwickelung stehen solche Bilder als Merkzeichen seines Empfindens und Strebens bedeutsam am Wege. Die erste reife Frucht junger Jahre, die erste seelisch durch¬ gearbeitete, empfundene Komposition! Ein gewichtiger Ernst, echte, ehrliche Vertiefung in den .Stoff und darin niedergelegtes, laut sprechendes Zeugniss für erworbenes und sicher beherrschtes Können! Der Sinn des Malers ist hier ganz auf die Form gerichtet als auf das Wesentlichste der Erscheinungen, und in der Form, weniger in der Farbe, drückt er die innere Stimmung aus. Das Bild hat desshalb im Kolorit etwas ungemein Klares, kräftig Frisches gegen andere der Folgezeit. Dieses W^erk ist bei seinem ersten Auftreten vollständig übersehen worden, man hat es nicht nachempfinden können. Jetzt, wo Reflexe weiter zurückliegender Epochen hereinspielen, wo man wieder mehr von solchen Erscheinungen hält, wo man ein Bild nicht allein des malerischen, reizvollen Kolorits wegen schätzt,

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DIE KUNST UNSERER ZKIT.

jetzt wird man dieses Bild vielleicht besser verstehen. Merkwürdig und als Beweis innerer Haltung und Fertigkeit ist es anzusehen, wie gegenüber den malerischen Bestrebungen der Zeit hier der Künstler an sich festgehalten hat. Nur eine solche Stärke und .Selbständigkeit konnte ihn gegen den tosenden Strudel der Ihnsturzbewegung, der Viele kopflos machte und mit sich riss, schützen. Ganz ging zwar diese Bewegung auch an ihm nicht vorüber, dazu ist er eine zu aulnahmslähige Natur, das zeigen die späteren, stark koloristischen Neigungen.

In dieser Epoche, als deren künstlerischen Höhepunkt wir das eben besprochene Bild annehmen können, sind noch eine «Madonna» und der «Abendgang», ferner das Bildniss der J. J. entstanden. Die Madonna hat er in menschlichen Zügen wiedergegeben. Das Gemälde erscheint in der Kompo¬ sition etwas zusammengedrängt gegen die grosse freie Luft des Hintergrundes und erinnert darin an die spitzwinkeligen frühen Kompositionen der italienischen Meister vor Ralfael’s Zeit, der solche in freie plastische Gruppirungen aullöste. Im Einzelnen sind schöne Stellen darin, wie die Hände des Mädchens, das links am Rande hereinschaut, die seelische Schwingungen auszudrücken scheinen. Die Madonna sieht in die Höhe, träumerisch im reinsten Unbewusstsein. Ueber ihr ringsum blaut sich wolkenlos heiterer Himmel. Den Hintergrund bildet eine idyllische Landschalt mit einer Burg auf einem Hügel und im Thale zwischen grünen Matten wie ein silberner Faden dahinziehend ein Flüsschen.

Das Bildniss der J. J. ist ein sehr bemerkenswerihes, weil hier des Malers Neigung zur b'orm durch die dargestelite Persönlichkeit gleichsam bedingt wird. Oft hört man, es gäbe kein zu grosser Darstellung geeignetes Geschlecht mehr, sieht man aber dieses Porträt, so erscheinen die P'ormen des Objektes antiker Plastik verwandt. Phne solche Erscheinung füllt jeden Raum aus und ist hier über die Lebensgrösse hinausgewachsen. Das Gefühl des Künstlers hatte das Bedürfniss, das Imposante einer solchen Erscheinung möglichst vollständig und gross zum Ausdruck zu bringen, als leide ein so grosses Gebilde der Natur keine Verkleinerung in der Wiedergabe. Wie ist in diesem Bilde alles sogenannte malerisch Zutällige vermieden! Wie alles in Ruhe versetzt und plastisch geworden! Die Form beherrscht hier die Farbe. Die P'arben geben in ihrer Mässigung wirklich das Gefühl kühler Schönheit und Grösse wieder.

Ein Bild, in dem ebenfalls des Malers seelische Stimmung durchklingt, ähnlich wie in dem «An den Pforten der Dämmerung», nur nicht so tief und mit solcher Anschaulichkeit, ist der «Abendgang», der während eines Sommeraufenthaltes 1894 in Sanct Ulrich im Grödener Thal entstand und 1895 im Glaspalast ausgestellt war. Zwei Mädchen ergehen sich am Abend im Ereien. In purpurnem Licht erstrahlt die /\bendluft, schwer melancholisch, in dunkler Gewandung schreitet die vordere Gestalt, Hals und Kopf vorwärts geneigt. Die Hände an die Brust gezogen scheint es, als ob ein unbestimmbares Sehnen sie durchziehe, als ob alb ihre Sinne davon erfasst und erdenflüchtig geworden wären. Der Blick ist nach innen gerichtet. Leise umspielt die Abendluft das lose, offene Haar. Die andere, über deren Schultern das goldio-e Licht hereinfluthet, geht sorglos und unbelangen nebenher. In ihrer ganzen Bewegung wird sie zum Gegensatz gegen die ernstere Genossin. Spielend hat sie die linke Hand in’s Korallenhalsband geschlungen. Auch malerisch wirkt sie als lichter Kontrast

DIK KUNST UNSERER ZEUl'.

die Gefährtin. lfntj>e!^en der Streni^e in der h'onn, die in den ersten Hildern vor¬ herrscht, ist hier schon mehr malerischer An¬ schauung- Raum o'eoeben, drino't hier schon mehr die h'arbe vor. Diese Neiguny;' kann man auch in den zu dieser Zeit entstandenen Porträts beobachten, so in dem Bildniss der Gräfin B. und in dem der P'rau Dr. B.

Das Bedürfniss des Malers zu gewissen¬ haftem Beobachten und Studiren seiner Ob¬ jekte verlässt ihn niemals. Allen diesen Bildern geht eine Reihe von Studien voraus , alle weisen sie schon eine ungremein exakte Zeich- nung auf, und in diesen Skizzen begegnen wir unmittelbarer noch als dort den freien flüssigen Zügen seiner Hand. Schon unter Hackl’s Schulung betrieb er mit y-rossem Ernst das Studium der PMrmen in ihrer malerischen Wirkung, wofür die auf Seite i 5 stehende Akt¬ zeichnung eines Mädchens, vom Rücken nach der Seite hin gesehen, als Beispiel gelten mag.

Im Ph-ühjahr 1895 zog unser Künstler wieder nach Italien. Diese italienischen Reisen greifen immer bedeutsam in seinen Werdeyan^ ein. Es scheint, als ob er unter dieser Sonne an innerer

Reife zunehme und eine Eülle künstlerischer Anregung mit heim brinye. Vornehmlich ist es der seelisch verwandte Zuy, der ihn immer wieder zu den yrossen Alten hinzieht, die Harmonie, die Abgeklärtheit und Abgeschlossenheit in ihren Schöpfungen. Schwer können sich auch unsere modernen Künstler dem Einflüsse derselben ganz entziehen, wenn sie ihre Werke geschaut haben und ihnen die Verwandtschaft mit dem eigenen Empfinden bewusst geworden ist. Dies zeigt sich vor Allem bei den Präraffaeliten, welche in innigere, idealere Beziehungen zu den Alten getreten sind, wobei nur für unser hochentwickeltes , modernes Earbenempfinden ihr Kolorit manchmal befremdet. Wenn Raffael Schuster- Wold an in die Welt der xVlten flüchtet, die ihm durch das seiner Natur nach von vornherein gegebene Streben Raffael Schuster -Woidan. Akt. iiacli Ausreifuiig uiicl Wllenduiig innerlich nahe stehen, und

Raffael Schuster -Woldau . Studie.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

in ihren Werken Nahrung und Anregung findet, so tritt er doch auch als Moderner in ein Verhältniss zu ihnen und setzt rechtzeitig seine eigene Individualität ein. In ihm hat die Kunst unserer läge einen Koloristen mit einer Seele gefunden, der die Dinge von aller Erdenschwere loslöst; seine weiblichen Gestalten umschwebt jener zarte Schleier, der wie ein Duft über der Frauenseele liegt. Seine Bilder besitzen auch eine im edelsten Sinne dekorative Schönheit in jener Eigenschaft, wie sie den besten Schöpfungen der Alten eigen ist.

Bei diesem italienischen Aufenthalt wurden zwei bestellte Bildnisse gefertigt, das des Senators Professor L. C. und das seiner Gattin. Beide sind in Rom entstanden, ln demselben Jahre begann er noch zu Corpo di Cava das Bild «Im Wehen des Mittags«, vollendet wurde es später in Rom. Es ist eine Schöpfung, die grösstentheils im P'reien entstanden ist. Aul halb runder Steinbank sitzen zwei Mädchen, die eine mit dem Rücken gegen den Beschauer in kleidsamer '1 rächt. Ein Eiederbuch,

aus dem sie zu singen scheint, liegt aufgeschlagen auf ihrem Schooss und mit dem rechten, über¬

geschlagenen Bein scheint sie den Takt der Melodie nach zu schwippen. Gegenüber sitzt die Freundin, etwas jünger, mädchenhaft scheuer sieht sie aus, als lürchte sie, jeden Augenblick in ihrem Frieden oestört zu werden. Hinten am Rande der Steinbank lieo;t ein Ziegenbock hingestreckt in grosser Gelassenheit , als gehöre er mit zur italienischen Eandschalt. Weiter hinten hinaus die Gegend um Corpo di Cava in der Mittagssonne. Mit diesem Bilde hat Raffael Schuster-Woldan auch der

P'reilichtmalerei gehuldigt, aber trotz Licht und Sonne hat sein Auge die feinsten Reize der PArben wahrgenommen. P'risch und ungebrochen leuchten sie aus dem Ifilde ; als ströme es südliche Gluthen aus, so leuchtet das Blau, scheint das Rosa in den Kleidern der Mädchen. Welch herrlichen Nacken zeigt die vordere! P'est in der Modellirung und sonnendurchleuchtet wie Marmor, durch den rothe Lebenswellen fluthen. Warmes Leben, helle Daseinsfreudigkeit, idyllische Stimmung spricht aus diesem Bilde. In einer Kritik, die in P'orm eines römischen Briefes die Ausstellung des deutschen Künstlervereins in Rom bespricht, werden zuerst die beiden Pfiguren des Bildes beschrieben, was

sie iür Kleider und Schuhe tragen, dann iährt der Berichterstatter wörtlich lort: «Die andere, in blauem, tief ausgeschnittenem ärmellosen Kleide blickt uns dafür mit grossen tragenden Augen aus einem von langem , wallendem Plaare umrahmten , an Musen und Heilige des Quattrocento erinnernden Antlitz an . . . Soweit die Hälfte des vielfach verschlungenen Satzes. Wenn ein Paar Mädchen ordentlich dasitzen und sich ruhig auf ihre Art unterhalten, müssen sie gleich an Musen und Heilige des Quattrocento gemahnen ! Nur nie das Naheliegende , die reizvolle Natür¬ lichkeit darin merken, nur nicht die malerischen Werthe, welche in dem Bilde stecken, würdigen. Eine so verständliche, malerisch reizvolle Schöpfung spricht an und für sich deutlich genug zum Beschauer; durch einen so allgemeinen Vergleich, wie er hier gewählt ist, werden allzu leicht nur oberflächliche Anschauungen unterstützt. Eine Neigung, die ia ohnehin immer genügend beim Publikum vorhanden ist.

Nach Vollendung dieses Gemäldes führte er noch verschiedene Porträts aus, die sich in Rom in Privatbesitz befinden, so ein Bildniss der Frau Beatrice K. und eine Skizze nach derselben Dame. Dann ein Hundebildniss von Trolla des Senators L. C., ferner eine Studie 'in hellen grünen Tönen

Raffael Sohusier’Woldan piox.

Phot. F. üanfstaengl, lIQnohen

Portraitstudie

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Raffael Schuster -Woldan. Morgen und Nacht.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

gehalten, ein frischer Mädchenkopf, übermüthig- lächelnd zurückgebogen , Blumen und Blüthen im reichen, vollen Haar. Anniuth und Leben!

Als ein Ereigniss dieser Periode , als eine Wendung zu kühnerem Geschmacke , als eine in ihrem seelischen Gehalte noch vertieftere Kunst kann das Bildniss «Dame mit Hund» in grosser Landschaft bezeichnet werden. In diesem Werke hat sich des Malers Auffassung von aller etwa noch anhaftenden Tradition befreit. Hier hat er frei aus dem malerischen Empfinden heraus ein Bild geschahen, das die Persönlichkeit im Freien, in einer Landschaft, darstellt und doch kein Freilichtbild im gewöhnlichen Sinne genannt werden kann. Die Landschaft wirkt hier so in ihrer Zugehörigkeit zum Ganzen, wie wir sie ähnlich bei den Bildern der Alten auch empfinden. Sie ist Stimmungsträger. Das Bild befindet sich in }ena in Privatbesitz. Aber schon die gute Reproduktion ergibt anschaulich seine feine Wirkung wieder. In bewölkter , freier Luft , in weiter Landschaft sitzt im Vordergrund eine Dame, neben ihr ruht ein Hund. Das helle seidene Kleid, das dunkle Haar, das dieses feine, nervöse Gesicht umrahmt, die weich getönte Luft, der gefleckte Hund sind zu stimmungsvoller Bild¬ wirkung vereinigte Kontraste. In diesen dunklen Augen spiegelt sich wie im Widerschein ein reich bewegtes Leben der Seele , ein durch dunkle Schleier gesehenes sensitives verborgenes Weben. Durch die ganze Gestalt scheint ein nervöser Strom niederzurieseln und aus den Fingerspitzen aus¬ zustrahlen. Bewegt ist die Luft, stimmungsmächtig die Landschaft. Das Bild war 1897 im Glas¬ palast. Alle gleichzeitigen Berichte sind über seinen Gehalt und den malerischen Werth des Bildes einig, sie vergleichen den Maler mit Gainsborough. In späteren Bildern habe ich ähnliche und doch andere Züge entdeckt, und ich glaube, der Maler bringt vor Allem sein eigenes Empfinden zum Ausdruck. Es sind zumeist die Objekte, die ihn in Stimmung versetzen, von denen eine grössere, nachhaltige Wirkung ausgeht, als von irgend einem altmeisterlichen Vorbild. Das Beste in diesen Bildnissen wird wohl direkt aus der Anschauung der Natur gesogen und durch das harmonische Empfinden des Malers unbewusst in vornehme Bildwirkung umgeschaffen. Wie das Objekt auf ihn ein- und nachwirkt , ersieht man aus noch zwei Pastellstudien nach derselben Dame , die diese in anderer malerischer Art wiederzugeben suchen und das Bestreben zeigen, das Objekt nach jeder Seite hin möglichst vollständig zu erschöpfen.

Im P'rühjahr 1897 begann er zu Rom das Bild «Auf freier Höhe». Zwischen hinein malte er eine Frau, vom Rücken gesehen, mit rothem Haare Lucretia genannt, dann eine «Römische Frau». In einer gleichzeitigen Kritik der VII. internationalen Kunstausstellung in den Münchener Neuesten hiess es darüber; Das Madonna-Motiv hat rein menschlich, aber in der edelsten und würdigsten Porm Raffael Schuster-Woldan in dem Bilde einer «Römischen Frau» aufgenommen, die mit mütterlicher Zärtlichkeit auf das an ihrer Brust trinkende Kind herabblickt. Fein ist der Kontrast des bräunlichen Teints der Frau zu dem blaugrünen Hintergrund, und wenn der Maler auch nur mit diesem einen Werke vertreten wäre, würde er auch denen, die nichts von seinen früheren xVrbeiten wussten , als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Gruppe (Luitpoldgruppe) erscheinen .

Schon in dem Bilde «Der Abendgang», stärker dann im «Wehen des Mittags» und den folgenden beginnt in der Entwicklung Raffael Schuster-Woldan’s eine neue Wandlung sich geltend

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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zu machen. E.s kommt die Anfangs unterdrückte koloristische Neigung nun doch zum Durchbruche. Die Form in ihrer starren Strenge wird jetzt von der Farbe schmeichelnd bezwungen. Die Farbe gewinnt mehr Recht, mehr Antheil an der Wirkung des Ganzen als früher.

Doch sind ihr auch schon gleich bestimmte Grenzen gezogen, inner¬ halb deren sie sich bewegen darf, und so tritt jene wohlthuende Misch- uno^ von duftigem Reiz und Weich- heit der Farbe und Bestimmtheit der Form zum ersten Male wirksam in Frscheinung. Man kann diese Zeit und diese Wandlung des Malers als Uebergangsperiode zu seinem eigenen Stil auffassen. Jetzt geht er daran, solche Bilder zu schaffen, die seine Phantasie erfüllen. Fr denkt sie sich am liebsten in vor¬ nehmen ruhigen Räumen als wür¬ digen und festlichen Schmuck. Wenn er auch hierin zunächst nur seinen dekorativen Neigungen Zugeständnisse zu machen scheint, so zeigt sich doch dabei ein ernsteres Bestreben, als das, bloss einen gegebenen Rahmen stilgerecht und geschmackvoll auszuschmücken. Fs kommt hier das Bedürfniss des Künstlers zum Durchbruch, Kunst und Feben in einen harmonischen Einklang zu bringen, Stimmungen des Gemüths Rechnung zu tragen, sie zu vertiefen und in verwandten Seelen einen Widerhall zu wecken ein Streben, wie es die grossen Geister der Renaissance beseelte, und wie ihn auch bei der Ausführung seines Bildes «Auf freier Höhe» geleitet hat.

Es ist ein zweithüriger, verschliessbarer Schrein, dessen Aussenseite uns eine südliche Abend¬ landschaft zeigt. Putten schweben mit Blumengewinden hernieder, Kindergestalten, wie sie auf vielen seiner Bilder wiederkehren. Mit welch’ malerischem Fiebreiz weiss er sie zu geben! Ist es Feiertag im Ciemüthe und hat man Einkehr bei sich selbst gehalten, so öffnet man den Schrein, und eine die Seele erhebende Stimmung, eine das Auge erleuchtende Welt der Farbe und des Lichtes liegt aufgeschlossen vor uns. Es offenbart sich auch darin ein tiefinnerliches, ich möchte sagen religiöses Bedürfniss des Malers, das ihn veranlasst hat, für dieses Bild eine solche Form zu wählen, die wie

Raffael Schuster -Woldan. Studie.

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DIE KUNST UNSERER ZEFF.

Raffael Schuster - Wohlan. Studie.

eine schlichte Schaale den Kern der Innerlichkeit vor jeder profanen Entweihung bewahre, ln diesem Bilde knüpft der Maler wieder an die Poesie seines Erstlings an. 1897 erschien es im Glaspalast und erregte sowohl durch die glänzende malerische Ge¬ staltung als auch durch seinen Inhalt viel Aufsehen. Auf freier Höh’, im Vordererrund auf errünem Rasen sitzt ein Weib in unverhüllter göttlicher Schöne, fast mit dem Rücken t^e^en den Beschauer g-e- wendet, angeschmiegt an sie in gewohnter Kleidung ein Mann. Keusches, unmittelbares Naturempfinden spricht aus dem broncefarbenen Gesichte, das auf ihrem Nacken ruht. Der rechte Arm des Mannes, durch den die tiefe Bewegung der Seele nach¬ zuzittern scheint, ist vorgestreckt. Seine Hand vereinigt sich in leiser, zaghafter Berührung mit der ihrigen. Die andere Hand ist abgewendet auf

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den Rasen gestützt. Ein Gefühl kommt hierin zum Ausdruck, das den Mann tiefer berührt hat als sonst die Natur in ihrer gewohnten Umgebung, das ihn erschauern lässt, scheu und befangen macht. Die Landschaft in den weichen Tönen des südlichen Erühabends, der zarte Erauenkörper , der aus leuchtendem Hintergründe heraustaucht, und die dunklen, gesättigten Töne in des iMannes Kleidung sind zu stimmungsvoller harmonischer Wirkung vereinigte, fein abgewogene Kontraste. Diese malerische Wirkung' wird durch die eingeschalteten Brokatvorhänge und die beiden P'üllungen mit Rosen in

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südlicher Earbenpracht noch erhöht. Das Bild erregte berechtigtes Aufsehen, wurde aber vielfach missverstanden. Ein denkendes Zeitalter wie das unsrige , das durch das Zuvieldenkenwollen die Menschen zum naiven, künstlerischen Empfinden ungeschickt macht, ist für jeden Künstler ein dornen- reiches. Wer bei einem solchen Bilde immer warum frägt, wer hier nicht die künstlerische Einheit fühlt, ist einfach empfindungslos.

Raffael Schuster- Woldan hat nach dieser letzten malerischen Wendung seinen eigenen Stil gefunden. Der unbesiegbare Zauber seines Kolorits, die erstaunliche Ereiheit in der Beherrschung poetischer Stoffe, worin er für die klippenreichsten Aufgaben seiner Kunst eine geschickte Lösung findet, hat dieser zuerst einen Kreis mitempfindender Verehrer erworben und sie ist jetzt auch dem Verständniss weiterer Schichten näher gekommen. Kurz, an diese Periode seines Schaffens heftete sich der Erfolg. Worin ist nun dieser Erfolg begründet? Seine Kunst ist eine aristokratische, allgemeinem Kunstgeschmacke nicht entgegenkommend. Es ist eine Kunst für auserwählte, feinfühlige Gemüther, eine Kunst für Wenige, und doch ist sie allgemeinem Verständniss nahe gekommen durch eine Sprache , die selbst dem einfachen natürlichen Gemüthe immer verständlich bleibt , durch die Sprache der Allbezwingerin Schönheit. Vornehmste und feinste Blüthen werden freilich wieder nur

Raffael Scbuster>'W’oldan piox. Phot. F. HanfstaeDgl, Münolien

Mädchen im Freien

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RutTaol Sobustor'M'oIdtiO plux. Phot. P. UanfstteDgl, Uiluchen

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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von dem Einzelnen wahrgenommen. Noch etwas kommt hinzu, was seine Kunst dem Herzen näher brin»"!, etwas nach dem wir huinjrio’ geblieben sind in der neuen Kunst, Liebe. In seinen Bildern waltet eine liebevolle, klare Seele, Licht und Wärme, Grazie und Reinheit.

Vornehmlich klingt darin des Sohnes Kunst mit des Vaters poetischem Empfinden zusammen; wofür nachstehende Dichtung ein Beispiel geben mag.

Raffael Schuster -Woldan. Lukretia.

IN EINER SOMMERNACHT.

Ich kam zum weissen Mohn auf späten Wegen.

Kein Hauch berührte diese schwüle Nacht.

Die Blumen neigten sich zum Abendsegen,

Entschlummernd still. Ich hab’ an Dich gedacht.

«Wo weilst Du?» rief ich und die Wange glühte.

Der Vollmond hat mich höhnisch angelacht.

Ein Lüftchen zitterte: die weisse Blüthe

Zerfiel und starb. Ich hab’ an Dich gedacht.

In der Münchener Jahresausstellung im Glaspalast 1898 erschien ein Bild <^Legende». Der Titel erregte manche Frage. Der Titel ist ja lediglich eine Signatur, ein Kennzeichen statt der blossen Nummer. Der Künstler selber würde am liebsten den Titel umgehen, denn damit tritt eine Anforderung an ihn heran, der er nicht vollständig genügen kann. So wie die Sache jetzt liegt, ist es eben noch eine feststehende Sitte, die nicht zu umgehen ist, und die Wahl eines Titels ist gerade

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

für solche, deren W'erke ohne Titel bestehen, eine lästige und sogar oft schwierige Angelegenheit. Denn es ist nicht dasselbe, einem Buch und einem Bild einen Titel zu geben. Der Titel eines Buches braucht den Inhalt nicht erschöpfend darstellen und wird doch genügen, hingegen beim Bilde vnrkt ein Titel, der nicht Alles umfasst und erklärt, oft nur verwirrend auf den Beschauer und lässt ihn nicht zum ruhigen Geniessen des Kunstwerks kommen, da der grübelnde Verstand sich meist gleich des Titels bemächtigt und ihn zum Dargestellten in Beziehungen zu bringen sucht. Nun gibt es aber Bilder, in die der Maler soviel Stimmung und Gelühl gelegt hat, dass er sie wie der Musiker eigentlich nur mit einem ganz allgemeinen Namen wie Symphonie bezeichnen könnte. Ein Ausspruch unseres Künstlers: «Ein Bild, das ohne Titel nicht bestehen kann, ist schon gerichtet», enthält daher sehr viel Wahres, und er beweist dies treffend in seiner sogenannten «Legende». In der Eluth der Stimmung, die es erregte, tauchten Alle willig unter und erfreuten sich an seinen malerischen Genüssen. Das Bild hatte mächtige Konkurrenten, so Klinger’s «Christus im Olymp», Marr’s «Madonna», Löfftz’s «Orpheus und Eurydike», und ungeachtet dieser konnte man seinem bestrickenden Zauber, seiner poetischen Nachwirkung nicht entgehen. Worin lag nun die fesselnde Kraft, der man sich nimmer zu entziehen vermochte.^ An der reizvoll malerischen Wirkung, dem Töne webenden Zauber der Earbe, der poesiedurchtränkten feierlichen Stimmung, als lägen tausend Geheimnisse in der Euft.^ Ein Erühabend in südlicher Landschaft mit bäum- und gestrüppreichem Hintergrund in den Earben des Herbstes. Im Vordergrund kniet auf blumigem Rasen eine Mutter mit ihrem schlafenden Kinde, das sie in des Mantels Ealten gehüllt hat. Da schwebt eine Erscheinung hernieder, die nicht von dieser Welt, und zeigt sich halb entschleiert in strahlender Schönheit dem staunenden, bewundernden Blick der Erau. Eine Göttin, die von aller Erdenschwere losgelöst, sich in menschliche Gestalt gehüllt hat, berührt sie kaum den Boden. Es kann ihres Bleibens nicht lange sein, nur im Vorübergehen ruht ihr Blick auf Mutter und Kind. Am Rand aussen schweben Putten mit Gewinden von Rosen. Das Bild war unter untjünstis^en Lichtverhältnissen aufo^estellt und doch beherrschte es seine granze Umgebung. Ein anderes seiner Gemälde auf dieser Ausstellung, ein reizendes Idyll, befindet sich jetzt im Besitz des Grossherzogs von Hessen. Das Bild zeigt in zarten graugrünen, bläulichen Tönen, wie sie im Erühjahr die Landschaft so häufig aufweist, wo die Luft noch weich und flockig ist, wo das erste zarte Grün sprosst, an einem Hügel sitzend ein «Mädchen im Grünen». Sie hat den Arm aufgestützt und weich ruht in der Hand das liebliche Haupt, sinnend schaut sie in die Lerne, vor ihr liegt aufgeschlagen ein Buch. Jene wohlthuende Müdigkeit, die uns gerade im Erühling so oft überkommt, ist in dieser ruhenden, sinnenden Haltung ausdrucksvoll wiedergegeben. Licht, Luft und Wonne der ersten Erühlingsmonde umschmeicheln buhlend das schöne Mädchen. Es hiesse den Duft und die Stimmung, die wie zarte Schleier über dem Ganzen schweben, zerreissen, die Schönheit zerpflücken, wollte man am Einzelnen nachweisen, wie schön es gestaltet sei. Ein anderes Bild in der Reihe der ausgestellten Werke heisst «Die Malerin». In grosser, bewölkter Luft, in jenen feinen graublauen, violetten Tönen, wie sie seiner Palette eigen sind, schliesst ein schwerer, rother Vorhang mit dunklen Schatten das Bild nach der linken Seite hin ab. Eine angefangene Malerei ist sichtbar. Ruhend hält die Malerin einen Augenblick inne, wie beobachtend sieht sie nach ihrem Objekte in

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der Richtung' gegen den Beschauer. Wie lebendig ist dieser Ausdruck, wie gut das nervös thätige Leben in der Hand geschildert! Wie leicht und flüssig ist die ganze Gestalt in die Töne des Hinter- grundes gewoben.

Mit diesem Cyklus, in den sich noch das Selbst- bildniss einreiht, war Raffael Schuster-Woldan 1898 auf der Münchener Ausstellung vertreten. Gewiss sind den Meisten im Chaos dieser Bilder¬ ansammlung diese Feinheiten entgangen oder man konnte sie wenigstens nicht ordentlich geniessen. Es kommt mir hiebei Anselm Feuerbach’s An¬ leitung zur Betrachtung eines Kunstwerkes in den Sinn, er sagt: «Wer ein Kunstwerk verstehen und geniessen will, der gehe wo möglich ohne Begleit¬ ung und kaufe sich einen Stuhl, wenn solcher zu haben ist, setze sich in richtiger Distance und suche , in Schweigen verharrend , wenigstens für eine Viertelstunde sein verehrliches Ich zu ver¬ gessen. Geht ihm nichts auf, dann komme er wieder, und ist ihm nach acht Tagen nichts auf¬ gegangen, dann beruhige er sich mit dem Bewusstsein, das Seinige gethan zu haben. Fängt aber innerhalb dieser Frist der magnetische Rapport an zu wirken, wird es ihm warm um das Herz, und fühlt er, dass seine Seele anfängt, sich über gewisse Alltagsvorstellungen und gewohnte Gedanken¬ reihen zu erheben, dann ist er auf gutem Wege begreifen zu lernen, was die Kunst ist und was sie vermag. Es versteht sich von selbst , dass hier nur von Galerien , Kirchen oder stillen , würdigen Privaträumen die Rede sein kann. In Ausstellungen kann man keine Bilder betrachten ; man sieht nur, dass sie da sind. Für die Mehrzahl der Besucher ist dies allerdings genügend; für den Künstler freilich auch; da er in einer Minute mehr sieht und ermisst, als der Laie in Stunden und Tagen.»

In diesem Jahre schuf der Maler auch das Bildniss der Frau von der G . . ., eine aristokratische Erscheinung, würdig in allen Farben und Tönen gepriesen zu werden. Breit, in gestrecktem Rechteck, raumerfüllend und repräsentirend, tritt die malerische Erscheinung vor das Auge, frisch, satt, leuchtend in Farben. Alabasterne, schneeige Weisse des Nackens, angeglüht von der Sonne des Herbstes, von dunklen Haaren das edel geformte Gesicht umrahmt, die Augen tiefschwarz wie Waldkirschen. Weit draussen in der Landschaft Stimmung des Herbstes, es leuchten die Farben, es leuchtet die Luft. Dieses lebensholde Bild scheint der Maler in ein anderes übertragen zu haben, das eine weib¬ liche Büste darstellt, und derselben Zeit angehört. Wirkt die erste Erscheinung frisch und klar wie

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ein sonniger Tag, so zeigt sich die andere wie ideal aufgelöste Körperlichkeit, die Luft und Wolken als charakteristischer Hintergrund umgeben. Es ist ein Halleluja auf die weibliche Schönheit.

In diesem fruchtbaren Jahre entstanden auch noch die Bildnisse der Fräulein H. A., Frau D.,

Herrn von der G . . . , zwei Pastelle nach Frau von der G . . . , ein weibliches Brustbild in Land¬ schaft, Marga von R. darstellend, und das gleiche Modell als Bildniss mit der Büste.

Ein Maler wie Raffael Schuster-Woldan , der gerade für die feinen und leinsten Nüancen der malerischen Erscheinungen so viel Empfindung hat, muss auch als Ausdrucksmittel sich des Pastells bedienen. Die Mühe und Arbeit, die es kostet, mit der Oelfarbe jene leichten und dultigen Töne wiederzugeben , lässt die Handhabung dieser Technik um so verlockender erscheinen. Wohl heute noch experimentirt er mit jeder Maltechnik, er erprobt jedes Mittel, kombinirt wohl selber solche, nur um so ganz und vollständig als möglich seine Art und malerische Auffassung zum Ausdruck zu bringen. Er ersetzt eine mangelhafte Technik immer wieder durch eine vollendetere. Falsche Auflassung und manorelhafter Ueberblick über seine Entwickelung haben ihm darum den Vorwurf gemacht, er hasche nach malerischen Effekten. Wer aber genauer zuzusehen in der Lage ist und seinen ganzen Werdegang verfolgt hat, wird zwar zugeben müssen, dass hie und da ein Missgriff mit unterlaufen kann, dass aber eine Vervollkommnung des malerischen Könnens damit erreicht worden ist. Nur übelwollende Absicht kann in diesem Vor¬ gehen oberflächlich eitle Beweggründe finden. Wie ehrlich er strebt, in stiller Arbeit unablässig thätig ist, davon erzählen uns die vielen Studien und Zeichnungen, die teils als Vorarbeiten zu seinen grossen Bildern entstanden sind und so harmonisch durchgebildet sind, dass sie für sich als abgeschlossene Werke bestehen können. Sein Streben ist ehrlich im Vergleich mit dem jetzt so vielfach eingerissenen Virtuosenthum unserer Tage, das selbst die ernsthaftesten Meister angesteckt hat. Dafür sprechen mehrere hier beigegebene Porträtstudien. Wie dringt hier sichtbar in der Vereinfachung die Wiedergabe der Formen und das Verständniss derselben durch! Wie richtig beschränkt ist des Malers Sinn nur auf das Wesentliche gferichtet! Gleiche Eio^enschaften weist das Pastellbild «Mädchen im Grünen» auf, das hinsichtlich der Auffassung und Ausgestaltung keinerlei Verwandtschaft mit den anderen zeigt. Die Gestalt des Mädchens entzückt sogleich durch die prachtvolle Haltung im Raume. Es steht so edel, frei und ungebunden da in dieser grossen Luft und Landschaft als ein reines Gebilde der Natur.

Unflite! Schu«tcr-Woldan piox.

Phot. F. Haofsiaeugl, MOucheu,

Diana

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Darüber liegt wieder jener zarte Duft und Hauch, der durch alle seine Darstellungen geht, der sie von allem Staube befreit und in eine höhere , reine Atmosphäre zieht. Das liegt wie Thau des Himmels auf der Landschaft, in der Luft und über der liebreizenden keuschen Gestalt. Auch hier ist die Art der Zeichnung so vereinfacht , wie nur ein Meister in seinem Fache es vermag. Wie stofflich ist alles orefühlt und unterschieden, das Haar charakterisirt und auf seine Art eincrecrantren,

Raffael Schuster- Woldan. Bildniss.

bei aller Vorliebe für Linien doch plastisch zusammengehalten. Bestimmt und richtig in der Zeichnung, klar und weich in der Modellirung, sind die Formen des jugendlichen Körpers gegeben, so dass ein Bildhauer darnach arbeiten könnte. Bei Betrachtung seiner Studien fällt noch der gemalte Studienkopf aus dem Jahre 1896 auf. Er zeigt ein Mädchen als Brustbild mit zur Seite geneigtem Kopfe von unten gesehen. Ein Kopf mit Ueberschneidungen gilt nicht mit Unrecht als Prüfstein zeichnerischer Tüchtigkeit. Es scheint, als ob mit solcher Probe der Maler von sich selber immer Zeugniss verlangte,

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

\Yie es mit seinem Verständniss und Können stehe. Die Zeichnung' ist gross, die Formen so bestimmt wie geschnitten. Dies macht sich aber nicht unangenehm bemerkbar, sondern wird durch die Art der Darstellung gleichsam bedingt. In Weichheit und lockerem 'hone löst das Maar sich auf und zerlliesst mit den Farben des Hintergrundes. Alles an richtiger Stelle anzuwenden ist Kunst. Unsere bage sind geneigt, so etwas zu vergessen, Dinge, welche dem alten Arzt Hippokrates selb.st- verständlich zu sein schienen, wenn er sagt: «Wo das Richtige sowohl wie das Unrichtige seine Grenzen hat, wie sollte das nicht eine Kunst sein? Denn das ist, behaupte ich, keine Kunst, wenn es irgenchvo weder Richtiges noch Unrichtiges gibt. Wohingegen beides vorhanden ist, kann unmöglich die Kunst fehlen.» Immer wieder ist es das Studium, woraus die malerischen Frei¬ heiten erwachsen. Diese Strenge des Studiums, welches das Verhältniss von Farbe und Form durch eine immer wachsame Selbstzucht regelt, so dass keines von beiden auf Kosten des andern sich vordrängt, gibt wohl den soliden Untergrund, aut dem sich das freie Spiel der Phantasie aul bauen kann.

Als beredte Zeugen innigen Verhältnisses zur Familie, vornehmlich zum Vater, mögen jene Bildnisse und Studien gelten, die sich mit ihm beschäftigen. Die Liebe zu diesem verehruno^swürdiofen Haupt hat die Hand dabei geführt. Fling doch der Künstler mit glühender Verehrung an ihm, dass er den Verlust des Vaters so tief schmerzlich empfand, als wäre die Sonne, die Licht und Wärme spendend über seiner Kunst und seinem Leben gestanden, untergegangen. Der Vater war ihm innerlich nahestehend, er gehörte seiner Natur nach zu den seltenen Menschen, welche auch im Alter jung sind und sich eine Irische Empfindung für alles Gute und Schöne bewahrt haben. Er fühlte sich im Märchenwald, welcher in den Bildern seines Sohnes Georg zum Ausdruck kam, so gut zu Hause wie in der schönheitstrunkenen Phantasiewelt Raffael s. Mit welch’ innerer Antheilnahme er das Wachsthum Ralfael’s verfolgte, ergibt sich am besten aus einem Gedicht, das er während dessen Schulzeit an ihn gerichtet hat. Darin sind es besonders die Schlussstrophen, worin des Mannes Bild sich zeigt:

Du fliehst zu der Natur! Dort ist es still,

Dort prahlen nicht der Lüge Virtuosen,

Dort tändelt nicht tyrannisches Ich will»

Zum Zeitvertreib mit fremden Schicksalslosen.

Du schaust erstaunt das hehre Angesicht,

Worein die Gottheit ihre Spur geschrieben;

Doch diesen Gott, der Wahrheit ew’ges Licht, Dein Herz ist ja zu klein, um ihn zu lieben.

Und doch verzweifle nicht! Vertraue nur:

Es wölben sich zwei wunderbare Brücken Ob jenen Klüften Menschheit und Natur,

Das bangende Gemüth Dir zu beglücken;

Verwirf sie nie als lächerlichen Dunst,

Dem Auge nur von Gauklern vorgelogen:

Die eiire dieser Brücken ist die Kunst;

Religion, so heisst der and’re Bogen.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Ein Bild aus dem Jahre 1893 zeigt die stattliche Persönlichkeit im P'reien sitzend, im Hinter¬ gründe Wald, durch den die Abendsonne scheint. Pdn menschlich sympathisches Haupt krönt die kräftige, ruhende Erscheinung. Natürlich und einfach, denkend und klar, eines echt deutschen Mannes Bild. In einer Röthelzeichnung, einer Studie aus den letzten Lebenstagen, sehen wir dieses Haupt milder, mit einem Schimmer edler Resignation darüber. Ebenfalls ein Bild aus der P'amilie stellt des

Raffael Schuster -Woldan. Bildniss.

Malers einzige Schwester dar. Nur in grossen, strengen Linien wirkt die Zeichnung im gegebenen

Raume monumental. Es scheint, als ob Raffael Schuster-Woldan von Jedem, den er im Bilde

darstellen soll, vorerst sein Bild mit der Seele aufnehme und das so Geschaute wiedergebe. Gewiss

gibt das immer gute Porträts, welche sozusagen erlebt werden. Wer diese Gabe besitzt, wird

sie zuerst im Kreise Nahestehender üben, mit deren Erscheinune und Charakter er schon vertraut ist.

Dann wird sich ihm auch das Fremde erschliessen und die Auffassung richtig sein, welche sich

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

von der richtigen Er- kenntniss der dar- zustellenden Persön¬ lichkeit herleitet. Manche seiner weib¬ lichen Bildnisse , in denen zumeist eine weiche, träumerische Stimmung zum Aus¬ druck ufelano't, er- wecken den An¬ schein, als gäbe er damit mehr sein Eigenes , als den wirk¬ lichen Ausdruck der dargestellten Per¬ sönlichkeit wieder. Auch macr es wohl

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Vorkommen, dass die Musik der P'arben, die er über Alles liebt, die charakte¬ ristische Schärfe der Objekte verwischt. Anderseits versteht er es wieder treff¬ lich, gewisse Eigen- thümlichkeiten des Charakters , wie sie auch oft in der Be¬ wegung der Hände zum x‘\usdruck kommen , herauszu¬ lesen. ln dem Por¬ trät der M. V. R. in der heurigen Jahres¬ ausstellung im Glas¬ palaste kommt diese

Raffael Schuster -Woldaii. Studie.

Raffael Schuster -Wolda?t. Studienkopf zur Legende.

Pligenschaft des Malers zur Geltuno". Es ist die feine Schil¬ derung der weib¬ lichen Psyche, die aus der 1 laltung und Geberde und aus dem Ausdrucke von Augen und Mund spricht. Püne vollen- deteWiedergabe der ranzen Plrscheinun^-.

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Die malerische Aus- lührunt£ bekundet

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einen feinen und ije- <_>

läuterten Ge¬ schmack. Pis war kein P'rauenbildniss mehr auf der Aus¬ stellung, das ähnliche Vorzüo-e besass. ln

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der glücklichen Ver¬ einimme dieser Eigenschaften liegt die beste Gewähr für des Künstlers eigent¬ lichste Domäne, das P'rauenp orträt.

In diesen Bildern tritt uns der Maler als der leinfühlige I )arsteller der modernen P'rauen- seele entgegen. Wie Eenbach als unser bedeutendster Meister in der Dar¬ stellung geistig her-

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RafTapi J'Chiister-W’oUInn j)inx.

Phot. K- Haofsfaengl, MhDChen.

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Mil ' icnehmigung ilcr PliolDgiapluM-hen l iiion iMüiu-lu'ii

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Raffael Schtester -Woldan. Studie.

vorrag-encler Männlichkeit jetzt nicht seines Gleichen hat, so kann Raffael Schuster-Woldan als der berufenste Schilderer edler und vornehmer Weib¬ lichkeit gelten.

In der heurigen Frühjahrsausstellung der Luitpoldgruppe hing ein Bild, die sogenannte «Diana». Unter einem Baume hingelagert in gliederlösender Ruhe sehen wir die Göttin , das Gewand i.st herabgefallen, von ihrem Schoosse wallt und fluthet es nieder in rythmischem Linienfluss. Wie harmonisch in diese Bewegung greifen die Hände ein, oben dem Kopfe zu ist Alles Ruhe, liebliche, sinnende Ruhe. Die ganze Reife seines Könnens liegt wie ausgegossen über dem Bilde. Herrlich bei dieser Gliederpracht die leuchtende F'rische und Reinheit des Fleisches, über das g^oldDe Lichtwellen hinfluthen.

Wie kontrastirt dagegen die Kühle im Hintergrund der Bäume und wie sie aus dem dunklen Haar aufsteigt. In den Ausstell¬ ungen sehen wir oft schmutziges Fleisch in schmutziger Wäsche, man liebt heut zu Tage solche Darbietungen, welche durch einen gewissen Haut-goüt sowohl als durch das Raffinement der Mache sich auffallend bemerkbar machen.

Eine solche Anschauung erhebt die Kunst nicht zu freier mensch¬ licher Höhe, sondern zieht sie in den Dunstkreis der Nieder¬ ungen. Wer hingegen die Kunst in eine reinere Atmosphäre zu erheben sucht, wer in ihr edlere Ideale verkörpern will, wird er

sich darum gleich zu nebelhaft

Raffael-Schuster- Woldan. Bildniss der M. v. R.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

ungesunder Wolkenhöhe versteigen müssen? Gerade Schuster-Woldan’s Kunst zeigt, wie man in der Erde wurzeln und sein Haupt doch sinnend im blauen Aether wiegen kann.

Die beiden Rundbilder Nacht und Morgen, die erst kürzlich entstanden sind, sind zu reizenden malerischen Gegenüberstellungen ausgebildet worden.

«Luna». Empfindung der Nacht! Silbermatter Schein des Mondes spiegelt magische Lichter über das von dunklen Schatten umhüllte Antlitz, geheimnissvoll, dunkles Leben.

«Morgen». Licht, strahlend wie der junge Tag auf Bergeshöh’ blickt kühle Schönheit uns an.

Rosenfingerige Los, Liebling der Götter und Menschen, bringe einen guten Fag, verkünde, was haben die Ewigen im unerforschlichen Rathschluss lür heute uns Sterblichen bestimmt, du schweigst, fliehest lächelnd vorüber wie die Wolken, die du mit Purpur umsäumt hast.

Raffael Schuster -Woldan. Studie.

Gerne umgibt sich der Maler mit einem Kreis vornehm denkender Menschen, in deren Verkehr sich seine Gedankenwelt erschliesst; bei denen er ähnliche Gesinnungen voraussetzen kann und deren Empfindungen auf seine künstlerischen Absichten einzugehen vermögen. Es ist wohl ein tief in seiner Natur begründetes Verlangen und Bedürfniss, aus seiner Innenwelt heraus zum Leben eine Brücke zu finden, die gleichsam in eine ähnliche harmonische Umgebung hinüberleitet. Daher der Hang zu feiner Geselligkeit; die Liebe zur Dichtkunst und Musik. Und auch der in seinen Bildern so sprechend zum Ausdruck gebrachte Sinn für die Pormen, in denen feinster Gehalt des Denkens und PTihlens sich ausprägt, der aus dem Umgang mit edlen brauen erwächst. Die intimen Züge und zarten Regungen der Lrauenseele, die in manchen seiner Porträts sich zeigen, mögen durch jenen feinen Sinn und Empfindung wahrgenommen sein. Man wird auch an diese Empfindungen denken müssen bei der so dezenten Darstellung des nackten Lrauenleibes «auf freier Höhe» und Legende. Diese

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DIE KUNST ITNSERER ZEIT

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Schöpfung’en zusammen mit seinen weiblichen Ihklnissen o-ehören ihrem künstlerischen (iehalte nach zu dem Besten, was seine Kunst hervorgebracht hat. Ks scheint auch dieses Oebiet mit seinem unerschöpflichen Reichthum des Stoffes Schuster-Woldan’s Arbeitsfeld zu bleiben. Die hülle der Erscheinungen, die hierin dem Auge des Malers wahrnehmbar werden, veranlassen eine so produktive Natur, wie die seinige, zu beständiger Arbeit. Thatsächlich arbeitet er von früh bis spät. Jeder in der Stille verarbeitete Eindruck der Aussenwelt kommt in malerischer I'orm zur Darstellung. Nahe¬ stehendes und Weites aus dem Kreis alltäglicher Umgebung und aus der freien Natur draussen

gewährt ihm Anregung, bietet ihm malerische Objekte und Aussichten. So ist es auch das Landleben, das unserem Künstler in seinem Be¬ dürfnisse nach ruhiger, vornehmer Umgebung entgegen kommt, und wo er eine Menge frischer Ein¬ drücke empfängt. Die Möglichkeit, so zurückgezogen von dem Ge¬ triebe der Gressstadt, mit ihren stets wechselnden Meinungen und hastendem Vorwärt-sjagen, schaffen zu können, muss man als eine besondere Gunst des Schicksals preisen. So kann in der Stille Manches ausreifen und ohne Hemm- niss grossgezogen werden. Hieher dringt nicht der Streit der Mein- ungen und das oft wüste Geschrei der Tageskritik. Hier kann er ruhig die Eindrücke der Aussenwelt verarbeiten. Und hier in solcher

Raffael Schuster -Woldan. Studienkopf. Muse deS Landlebens ist aucll

«das Sonnet» entstanden. In den

schönen Stunden des Frühabends klarer Septembertage war um den Maler oft eine lebhafte Gesell¬ schaft versammelt, und da mag ihm die Anregung dazu geworden sein. Stimmung und Zeit entspricht den abendlichen Stunden, wo über das Thal sich kühle Schatten breiten und oben die Bergspitzen flammen im Abendsonnengold, wenn da und dort noch ein lichter Abglanz auf den Gegenständen im Thal blinkt und sich spiegelt. So ist das bunte Spiel der Lichter auf dem herrlich geformten Hals und Rücken der vorderen Figur zu verstehen. Wie fein und zart gefühlt ist sie in ihrer anmuthigen Bewegung, wie sympathisch das Bronzegesicht der anderen weiblichen Gestalt, und so ernst und

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

o-eracllinio- der lesende Mann, wie ein Stück Architektur in lieblicher Landschaft. Zu einem anderen Bilde entnahm er den Stoff dem o-riechischen Sagenkreis und verarbeitet auch hier wieder das Motiv auf seine eigene WMise. Die Mythe erzählt, dass «Daphne, die Tochter des Flussgottes Peneus, von Apollo, der in Liebe zu ihr entbrannt ist, verfolgt worden sei, da bat sie ihren Vater um Hilfe, der verwandelte sie in einen Lorbeerbaum». Das Bild als ein längliches Viereck stellt die Scene so dar, dass Daphne den Mittelpunkt bildet, wie sie in unbeschreiblicher Grazie abgewendet von ihrem Verfolger dahin eilt und doch im letzten Augenblicke zärtlich gestimmt zu dem Liebewerbenden

Raffael ScJiuster-Woldan . Die Malerin.

zurückblickt. Doch schon erfüllt sich, um was sie zum Vater gefleht, sie vor dem Gotte zu schützen, die Finger der ausgestreckten Hand verwandeln sich in Lorbeerzweige. Das Bild ist als Füllung in einen architektonischen Rahmen gefügt. Wieder ein Beispiel, wie der Maler seine Bilder als schöne Aussichten in passende Rahmen und Räume denkt; wie er damit eine tiefere, als nur eine dekorative Wirkung beabsichtigt, haben wir bei der Besprechung des Bildes auf «freier Höhe» hervorgehoben. Und gerade so wie manche seiner tiefsten Absichten oft missverstanden werden, so geheimnisst man und denkt oft in die Bilder gerade dort am meisten hinein , wo ihrer malerischen

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DIK KUNST UNSERER ZEIT

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Krscheinuno- nach am weniosten Anlass hiezu i^eireben wird. .So feinnervig- und sensibel auch seine Kunst ist, so zeigt sich doch in seinen Werken allenthalben Anschluss an’s Leben, an ein allerdings feinempfindendes geistiges Leben. Das aber vom verrückten Symbolismus, wie dem vielfach nüchternen Naturalismus neuerer Zeit weit entfernt ist. Welche Probleme des Malers Kunst noch lösen wii'd, wie er seine Eigenart, die sich in den bisherigen Schöpfungen so glänzend zeigte, noch weiter

Raffael Schtister -Woldan. Bildniss einer jungen Dame.

entwickelt und vertieft, das wird erst des Malers Lebenswerk darstellen. Es scheint daher zum mindesten verfrüht, seine Werke unter einem Kollektivnamen wie Romantiker einzureihen.

Ueberall in allen seinen Bildern gibt der Maler seinen Empfindungea und Stimmungen vollen Ausdruck, und da diese, seiner Natur nach, von dem Wesen mancher Ultramodemer ziemlich verschieden sind, so fehlt es von jener Seite her nicht an Angriffen, besonders in letzter Zeit aus der Reichs¬ metropole, wo die secessionistische Richtung noch jung ist. Gar oft wird in den Berichten davon geredet, dass des Malers Werke wie Reminiszenzen an Bilder alter Meister erschienen.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

W enn inan die malerische Lauf- 1 bahn unseres Künstlers aufmerksam verfolgt hat, mag es öfter den An¬ schein erweckt haben, als wäre Raffael Schuster-W^oldan bei den Alten in die Schule gegangen, denen er allerdings seinem har¬ monischen WTsen nach näher steht als mancher modernen Richtung und die ihm auch eine stete Quelle der Anregung geworden sind. Doch lässt sich mit viel mehr Bestimmt¬ heit und Klarheit aus seinen Schöpf¬ ungen ersehen , wie er mit ächt malerischer Freude immer neuen Problemen seiner Kunst, sowohl hinsichtlich des Inhaltes als auch der Technik nachspürt, und aus dem Reichthum seiner Empfindungen und Erfahruno'en immer wieder Neues

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zu Tag^e fördert: Nicht um der Neuheit willen, sondern im Ring-en und Streben nach Vollkommenheit.

Raffael Sc]n($te7' -^'olda)i. Bildniss der J. J. , ^ i i i i

W enn bei solchen Bestrebungen

manchmal der malerische Ausdruck über das gewöhnliche Mass der Dinge gesteigert erscheint, ist wohl der nüchterne Verstand berechtigt, einen Massstab daran zu legen, hingegen hat Gefühl und Empfindung in der Kunst mehr Recht zu entscheiden und zu urtheilen, und dieses wird einem Koloristen mit einer so feinfühligen Seele immer sympathisch gegenüber stehen.

Als Schlussstein sei des Mannes Selbstbildniss hieher gesetzt, es erschien im Verein mit den anderen Bildern auf der Münchener lahresausstellung im Glaspalast 1898. Aufschauend von der Arbeit blickt er nach dem eigenen Bild im Spiegel; oft haben wir ihn so gesehen, wenn sein Auge beobachtend auf irgend einem Gegenstände, auf seinem Modell oder einer Land¬ schaft ruhte.

Das Bild ist auch eine .Selbstschilderung und dabei gibt es richtig das Ciefühl eigenen Werthes wieder. So scharf auch der Blick seiner Augen in dem Bilde auf die Gegenstände der umgebenden WMlt sich richtet, man merkt, sie sehen doch nicht nüchtern das Wdrklichkeitsbild , ein Hauch, der sie leicht umschleiert, verräth uns, dass in diesem Haupte das Gesehene von einer poetischen Seele verarbeitet wird.

Mil l ienehiiiigui\fi ilt'f l’liotuf'iiipltischen l

DIK KUNSl' UXSKRKR ZEIT

Raffael Srjnister -Woldan . Studienkopf.

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DIK KUNST UNSP:RKR ZEIT

2S

Raffael Schuster -M'oldan. Daphne.

Der Vor- und Rückschauende, der Raflael Schuster-W oldan s bisherig'es Schaffen theil- nehmend bedeitet hat, sieht in ihm den Seelenmaler edler, vornehmer Weiblichkeit, den Koloristen, dessen glänzende malerische Gestaltung'skralt ihm ermöglicht, seine schon in Irühester Jug'end erträumte eigene Welt grösser und vollständiger noch auszubauen.

Mit ( icnelnninimg der l’hotoi^iaptiisclien ( Icscllsidiatt Hcrliii

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DIE NEUE PIETA von JOSEPH REISS

IN DER ST. GEREONSKIRCHE ZU KÖLN

MIT BERÜCKSICHTIGUNG DER VORZÜGLICHSTEN PIETA’S DES NEUNZEHNTEN

JAHRHUNDERTS

VON

PROFESSOR DR KARL MEURER

Das heilige Köln hat vor allen Städten der Rheinlande und vielleicht ganz Deutschlands den Vorzug, dem Kunstfreunde den genussreichen Anblick vier prächtiger Pieta’ s zu bieten. Zu einem vortrefflichen Gipsabguss der Pieta von Michelangelo im Wallraf-Richartz-Museum, der sehr wohl eine Vertiefung in den künstlerischen Werth dieses weltberühmten Skulpturwerkes und unvergleichlichen Meisterstücks aller Pietädarstellungen gestattet, und einer vor Kurzem im Dom aufgestellten, vom Bildhauer Mengelberg zu Utrecht in Sandstein ausgeführten Pieta mit sechs Figuren treten noch zwei Marmorwerke von gleich hoher Vollendung in Pfarrkirchen hinzu. Die eine dieser Pietä’s, die von Karl Hoffmann in Rom geschaffen wurde, bildet seit der Mitte der sechziger Jahre den schönsten Schmuck der Mauritiuskirche; die andere, das Hauptwerk des Bildhauers Joseph Re iss in Düsseldorf, hat vor einiger Zeit ihre Aufstellung in der altehrwürdigen Gereonskirche, einem der grossartigsten Gotteshäuser der Stadt, gefunden. Das bedeutsame Kunstwerk steht in einer eigens für dasselbe an der Vorhalle der architektonisch so merkwürdigen Kirche erbauten, stilvoll ausgestatteten Kapelle, an der nur das eine auszusetzen ist, dass sie wegen ihres viel zu kleinen Umfanges, der bloss die Besichtigung ihrer Vorderseite und dies auch nur auf weitere Entfernung zulässt, als ein günstiger Standort für die Pieta nicht bezeichnet werden kann. Doch lassen wir zunächst die unvortheilhafte Aufstellung des neuen Werkes ausser Betracht.

Pietä’s sind seit Jahrhunderten ein sehr beliebter Gegenstand der künstlerischen Darstellung gewesen, und nicht bloss Bildhauer, sondern auch Maler haben sich mit der Lösung dieser ebenso schwierigen wie lohnenden Aufgabe befasst. Was letztere angeht, so sei nur auf die in der Brera zu Mailand befindlichen Pietä’s von Giovanni Bellini (1426 1516) und Tintoretto (1512 1594), auf die Pietä von Guido Reni (1575 1642) in der Pinakothek zu Bologna, auf die Beweinung des Leichnams Christi von Rubens (1614) in der kaiserlichen Gallerie zu Wien, die Beweinungen Christi von van Dyck in der Pinakothek zu München, in Berlin, Antwerpen, Stuttgart, Nürnberg und auf die

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Pieta von Joseph Reiss

von Friedrich Overbeck für die Marienkirche seiner Vaterstadt Lübeck 1837 gemalte Pieta hingewiesen. In der Skulptur hat, wie schon erwähnt, kein Geringerer als Michelangelo bereits als ganz junger Künstler (1499) jene berühmte Pieta in der Peterskirche zu Rom geschaffen, die in klarster Weise die erhabene Höhe erkennen liess, welche er zu ersteigen im Begriffe war, und in ihrem unvergänglichen Werthe mit dazu beitrug, seinem Namen Unsterblichkeit zu verleihen. Besonders reich aber erscheint das neunzehnte Jahrhundert an solchen Schöpfungen. Ja, man möchte fast glauben, dass die grössten Bildhauer dieser Zeit gerade in der Bearbeitung von Pietä’s mit einer gewissen Vorliebe einen Stoff für ihre höchsten Kunstleistungen erblickt hätten. Nicht bloss ist die Pieta von Ernst Rietschel (1804 1861) das vollendetste religiöse Werk dieses berühmten Meisters, sondern auch so hervorragende und bedeutende Künstler wie Wilhelm Achtermann (1799 1884), Max Widnmann (1812 1895), Giovanni Dupre (1817- 1882), Joseph von Kopf (geb. 1827), Karl Holfmann (1815 i886j und Joseph Reiss (geb. 1835) haben in ihren Pietä’s Werke geschahen, welche für alle Zukunft der Skulptur des neunzehnten lahrhunderts ein glänzendes Zeugniss ausstellen.

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R e L e k a rn '

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Freilich, die (jrlinde, welche so manchen Bildhauer veranlasst haben, auf dem (jelhete der christlichen Kunst sein bestes Können und sein tiefstes Denken und Empfinden der Darstelluncr der Ciottesmutter mit dem Leichnam Christi auf dem Schooss zu widmen, sind recht einleuchtend. Zunächst verlautet die Pietäoruppe einen wahrhaft symmetrischen Aufbau, der aber zug-leich dem Künstler in der Behandluno- der Flaltung- der Madonna wie in der Lage der Christusgestalt grosse b'reiheit lässt. Sodann gestattet gerade die Pieta eine Steigerung des seelischen Ausdrucks selbst bis zur Leiden-

Pietä von Michelangelo

schaftlichkeit, und, wie wir sehen werden, ist Giovanni Dupre thatsächlich bis zu dieser äussersten Grenze gegangen: der tiefste Schmerz, die höchste Trauer in unendlichem Leid, die innigste Liebe, die vollste Ergebung in den schwersten Verlust bieten dem Künstler reichen Stoff, in der \"erkörperung der Gottesmutter diese Affekte, deren Nachempfinden ihn aufs Mächtigste beseelt, zum Ausdruck zu bringen. Und der Leichnam Christi! Welche göttliche Hoheit und Würde, welche sittliche Reinheit, welche geistige Kraft und Bedeutung wird der wahrhafte Künstler bestrebt sein, dem entseelten Leibe

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

aufzuprägen, der nun nach so mannigfaltigen Oualen ausgelitten und für das Menschengeschlecht das Höchste vollbracht hat! Hierzu tritt noch, was die Idgur des Erlösers angeht, die die grösste Kunst¬ fertigkeit erfordernde Behandlung des nackten Körpers auf Grundlage eingehender anatomischer Studien und bezüglich der Gottesmutter die Gestaltung der Gewandung. Wie aber, um noch ein Moment von nicht geringer Bedeutung anzuführen, der Künstler in der Darstellung der Madonna und des Christuskörpers einerseits den Geboten der Schönheit zu entsprechen hat, so sieht er sich anderseits, gerade um diesen zu genügen, in die Nothwendigkeit versetzt, strenge Maass zu halten in dem, was er von seinem Empfinden aul sein Kunstwerk überträgt, irei zu bleiben von jeder Uebertreibung, selbst im Ausdruck des grössten Schmerzes und überstandener schwerster Leiden nur Edeles zu

schäften. Bietet so die Pieta dem Bildhauer einen weiten Kreis künstlerischer Offenbarung, welcher ihm nach manchen Seiten hin die reichste Entfaltung seiner geistigen Auffassung und seines Empfindens nicht nur, sondern auch seines technischen Könnens ermöglicht, so ist es leicht verständlich, dass Manche sich an einer solchen, den echten Künstlergeist mächtig reizenden Aufgabe versucht haben. Allerdings, Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt! Wenn irgendwo, so gilt dieses Wort in der Kunst.

Vergleicht man die Pieta’ s der genannten Meister des neunzehnten Jahrhunderts mit Michelangelo’s Schöpfung dem Aufbau nach, so ersieht man sofort, dass letztere insofern einzig dasteht, als die sitzende Gottesmutter den Leichnam Christi bis zu den Knieen des¬ selben in ihrem Schoosse hält. Keiner jener neueren Meister ist hierin dem grossen italienischen Vorbilde gefolgt, und in der Lage der Christus- gestalt weichen sie hiervon zum Theil bedeutend ab. Nur Hoffmann stellt wie Michelangelo die Madonna sitzend dar, aber dennoch verschieden von diesem. Während bei Michelangelo die Maria dem Beschauer gegenüber sitzt, ist sie bei Hoffmann schief nach der Seite gewandt und hält nur den Oberkörper des Erlösers auf dem Schoosse; von den Hüften bis zu den Knieen liegt der Leichnam auf den flachen Eelsstücken, die auch der Gottesmutter als Sitz dienen, und die Beine hängen von diesem halb schräg zum Boden hinab. Alle übrigen Bildhauer stellen die Madonna auf ein Knie niedergesunken dar, und bei Allen, ausser Rietschel, dessen Pieta sich in der Gruppirung am weitesten von denen der anderen Meister entfernt, ist die Lage des Leichnams so, dass der Ober¬ körper desselben auf einem Oberschenkel der Madonna ruht und der Unterleib , sich von diesem

Pieta von Ernst Rietschel

Bildniss des N o rd p o 1 fa li re rs Fridtjof Nausen

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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herabsenkend , mit den Reinen auf dem Boden lie^t. Die Pieta des Müncheners Widnmann zehrt den Oberkörper der Christusfigur sogar über das niedergebeugte linke Knie der Maria ausgestreckt, das weit tiefer steht als ihr rechtes. Nicht bloss der Wunsch, etwas Neues zu schaffen, sondern vielleicht auch der Umstand, dass die Künstler es für nicht recht angemessen erachteten, den Leichnam Christi fast vollständig in den Schooss der Gottesmutter zu legen, also eine gewisse Achtung vor dem natürlichen Gefühl, mag dieselben bewogen haben, in dieser Beziehung von dem Vorbilde M i c h e 1 a n g e 1 o s abzugehen .

Wie eben

gesagt, thut Rietschel dies im weitesten Maasse. In seiner herr¬ lichen, seit einigen Jahren im Mausoleum des Kaisers Friedrich III. befindlichen Marmorpietä, die er in den vierziger Jahren im Aufträge KönigFriedrich Wilhelm’ s IV. für die

Friedenskirche zu Potsdam schuf, deren Vorhof sie mit Rauch’s

Pieta von Joseph v. Kopf

Mosesgruppe und einer Nach¬ bildung des auferstandenen Christus von Thorwaldsen lange Zeit schmückte, kniet Maria mit gefalteten, nieder- o^esenkten

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Händen an der Leiche des auf dem Boden aus¬ gestreckten, mit dem Haupte auf einer Er¬ höhung liegen¬ den Sohnes. Die beiden P'igruren der Gruppe sind von Rietschel

völlig von einander losgelöst dargestellt, wie bei keinem anderen der hier in Betracht kommenden Werke. Ganz ohne Beispiel ist diese Loslösung allerdings nicht; schon in der sehr interessanten Pieta eines alten Nürnberger Meisters (abgebildet in den Denkmälern der Kunst von Lübke und Lützow, Klassikerausgabe, Tafel XXIV, Bl. 85, Nr. 5) ist sie angewandt. Auch hier kniet die Madonna an dem. Christuskörper, der zum grössten Theil, ähnlich wie bei Rietschel, wenn auch nicht so straff ausgestreckt, am Boden liegt, während der kräftig gewölbte Oberleib und das Haupt mit der Dornenkrone auf einer Erhöhung ruhen. Rietschel hatte einen besonderen, schwer wiegenden

DIP: KUNST UNSERER ZEIT

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Grund, der ihn zur Trennuno- der beiden Figuren besdinmte. Hei der ausserordentlich hohen X’erehrung-, welche die katholische Kirche der Gottesmutter zollt, erscheint es sehr natürlich, dass die katholischen Bildhauer Mutter und Sohn zusammen als eine Kinheit auffassen und daher mit mehr oder minder starken Al^weichungen die Christusg'estalt im Schoosse der Madonna zur Darstellung- bringen, [a, man möchte fast sagen, dass in den katholischen Pieta’s die Maria an Bedeutung sogar über den Erlöser gestellt wird, dass dieselben fast mehr noch die schmerzhafte Gottesmutter als Letzteren zur Anschauung bringen wollen, was auch aus den Inschriften klar hervorgeht, mit welchen die Bildwerke oft versehen sind. So trägt das Postament der Idetä von II offmann die Worte: «O, ihr alle, die ihr vorübergehet, sehet zu, ob ein Schmerz ist gleich meinem Schmerze!» Unter der Pieta von Reiss steht die Inschrift: «Gross wie das Meer ist dein Schmerz«, und eine an einer Strassenecke zu Köln in einer Mauernische stehende ältere Pieta, eine gewöhnliche Steinmetzarbeit, hat als Ueberschrift: Mater dolorosa und als Unterschrift: Pro cultu perpetuo matris dolorosae. PTir Riet sch el jedoch lag die Sache anders. Pfr hat seine Pieta aus der Tiefe seines protestantischen Bewusstseins geschaffen, und als Protestant lag ihm die Loslösung der beiden Gestalten von einander sehr nahe: einer Verherrlichung der Gottesmutter konnte er nicht das Wort reden. P'ür ihn war die Darstellung des entseelten Christus die Hauptsache, Maria erschien ihm von geringerer Bedeutung. Desshalb zeigt uns Rietscheks Bildwerk die Madonna frei knieend an der völlig erstarrten und daher im Unterkörper ganz gerade ausgestreckten Gestalt des Erlösers, in tiefstem Leid trauernd um den d'od des Sohnes. Sie ist weniger betend dargestellt, wie in dem Nürnberger Meisterwerk; viel mehr ist der tiefe Schmerz betont, der sie durchdrino;t, und in diesem rinot sie die trefalteten, abwärts gerichteten Hände. Wenn aber Rietschel seinen protestantischen Empfindungen folgend, die Gottes¬ mutter in ihrem Verhältniss zu Christus als von untergeordneter Bedeutung ansah, so hat er dieselbe für die bildnerische Behandlung- doch keineswegs als nebensächlich betrachtet. Die orleiche künstlerische Vollendung, mit welcher er den Leichnam Christi in der so beseelten Gruppe zur Darstellung brachte, zeichnet auch die Gestalt der Madonna aus: ihre edle Haltung, der reiche P'luss ihrer Gewandung, der ertjreifende Ausdruck ihres Antlitzes, die schön geformten Arme mit den orefalteten Händen sind an hoher Auffassung und meisterhafter Durchführung dem herrlichen Christuskörper ebenbürtig, an dessen Seite sie kniet.

Entfernt sich so Rietschel als Protestant mit orösster Entschiedenheit von der Darstellungs- weise der übrigen Künstler, so hat der seit fast fünf fahrzehnten in Rom ansässige Professor Joseph von Kopf, einer der bedeutendsten Bildhauer der Jetztzeit, der die Mitwelt noch vor Kurzem durch die Veröffentlichung seiner hochinteressanten Lebenserinnerungen erfreute, mit seiner in der katholischen Kirche zu Stuttrart befindlichen Pieta doch auch eig-ene Wetre eineeschlagren. Dieselbe stellt die knieende Gottesmutter dar, wie sie den Leichnam des Sohnes, dessen Unterleib auf dem Boden ruht, zu sich emporhebt. Das Eigenartige und auf den ersten Blick etwas befremdend Wirkende der Darstellung des Meisters liegt darin, dass derselbe im Gegensatz zu allen übrigen Pietä’s das stark zur Seite geneigte Haupt der tief in sich zusammengesunkenen Christusgestalt mit dem Antlitz von dem der Maria abgewendet, also nicht allein die Gesichtszüge der Letzteren, sondern auch die des

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Erlösers dem Reschauer ziioekehrt zei^t. Drinu-t man aber bei genauerer Retrachtunj^ in die (iedanken des Künstlers, die auch dahin gerichtet gewesen zu sein scheinen, die Bedeutung Christi stärker hervorzuheben, ein, versenkt man sich in seine Auffassungsweise, so erscheint Kopfs Kunstwerk als eine ebenso tief empfundene wie edel gedachte Schöpfung von bedeutendem Werthe. ln höchst einfachem Aufbau soll die Pieta veranschaulichen, wie die Madonna den noch nicht erstarrten, man könnte sagen, noch lebenswarmen Leichnam Christi auf ihren Schooss emporhebt und das ihr nicht sichtbare Antlitz desselben mit der Rechten mehr aufwärts wenden will, um es zum letzten Abschiede noch einmal zu sehen. Und mit welch’ packender Lebendigkeit, welcher Kraft der Empfindung, welch’ künstlerischer Selbständigkeit ist die Gruppe dargestellt! So eigenartig sie auch ist, so ergreifend

Pieta von Giovanni Dtipre

wirken bei längerem Betrachten sowohl die erhabene Figur der Maria wie die prächtige Gestaltung des nackten, nur an der linken Seite mit dem Lendentuch bedeckten Christuskörpers. Ganz abgesehen von der künstlerischen Vollendung ist Kopf’s Pieta gerade wegen der Besonderheit ihrer x^uffassung zu den interessantesten Werken dieser Art zu zählen.

In der Eigenart der Darstellung wird Kopf’s Pieta von derjenigen des Italieners Giovanni Dupre, des Schöpfers des grossen mit zehn allegorischen Kolossalfiguren geschmückten Cavour- denkmals zu Turin, an dem der Künstler von 1866 1873 arbeitete, noch überragt. Dupre’s Pieta, welche im Aufträge des Marchese Ruspoli 1863 1865 ausgeführt wurde, stellt die Madonna mit weit ausgebreiteten Armen und den bereits erstarrten Leichnam Christi mit erhöhtem Oberleib auf ihrem

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

rechten Knie ruhend dar; die Beine liegen, wie in der Pieta von Rietschel, gerade ausgestreckt auf dem Boden. Die Gottesmutter blickt in das niedergesenkte Antlitz des Sohnes, und man meint ihren in höchster Leidenschaft ausgestossenen, entsetzten Aufschrei zu vernehmen: «Todt, todt! Mein Sohn, der grösste Wohlthäter der Menschheit, todt!» So ruhig und erhaben Michelangelo’s Pieta ist, so leidenschaftlich bewegt, freilich ohne unruhig zu wirken, ist die von Dupre, an der die ungemein schön ausgeführte Christusgestalt mit dem ausdrucksvollen Kopfe ganz besonders zu rühmen ist. Dieses Grabdenkmal auf dem Kirchhof der Misericordia zu Siena, der Vaterstadt des Künstlers, gehört zu den edelsten Werken Dupre ’s und zeigt seine Kunst feiner naturalistischer Darstellung auf ihrem Höhepunkte: die leidenschaftliche Lebendigkeit der Madonna und die wunderbar schöne Christus¬ figur «zeigen in letzterer den vollendeten Ausdruck erhabener Ruhe und in ersterer den äussersten Grenzpunkt des Realismus.

Die Pieta xA. chtermann’s im Dome zu Münster, eine der herrlichsten, welche in unserem Jahrhundert entstanden sind, leitet zur Gruppe der Nazarener über. In der Weise, wie Friedrich Overbeck, der Stifter der Malerschule der Nazarener, und die übrigen Vertreter derselben, Steinle, Führich und die Düsseldorfer Ittenbach, Deger und die beiden Brüder Karl und Andreas Müller, ihre religiösen Gemälde auslührten, haben Achtermann, Hoff¬ man n und Re iss mit dem Meissei gewirkt. Was sie in ihren Pietä’s geschaffen, ist von bleibendem künstlerischem Werth, sowohl mit Rücksicht auf die schöne Komposition der Gruppen, wie auch bezüg¬ lich des geistigen Gehalts, der zarten, weichen Linien¬ führung und der technisch vollendeten Darstellung. Während Rietschel von seinem protestantischen Standpunkt aus neue Wege geht, auch Kopf’s Pieta volle Eigenart bekundet und Dupre in seinem Friedhofdenkmal den Schmerzen des Mutterherzens den leidenschaftlichsten Ausdruck gibt, ist der Charakter der Bildwerke der drei Nazarener edele, vornehme Ruhe und feierliche, andächtige Stimmung.

Die vorzüglichste der Pietä’s dieser Künstler ist ohne Zweifel die in Marmor ausgeführte von Wilhel m Achtermann, welche auch in verkleinerten Nachbildungen als Hauspietä eine grosse Verbreitung gefunden hat. Hätte Achtermann weiter nichts geschaffen als diese Pieta, sie würde ihm einen Platz unter den bedeutendsten Bildhauern des Jahrhunderts gesichert haben. Schon der Aufbau des Kunstwerks ist von hervorragender Schönheit. Die knieende Madonna, von deren Haupt und Schultern das Kopftuch in leichtem, natürlichem P'lusse niedersinkt, hält den Christuskörper so in

W o l a Q s z u g

•riginal im Besitze des Kunsthändlers 1> lleinemann in München

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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ihrem Schooss, dass seine obere, aufge¬ richtete Hälfte an diesen angelehnt ist, während die untere von den Hüften an am Boden liegt.

Uas ein wenig

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rückwärts und zugleich nach dem Beschauer hin etwas seit¬ wärts geneigte

geschlossen. Meisterhaft und in jeder Beziehung vollendet sind die Gestalten der Maria und des Christus dargestellt. Die Gewandung der Gottesmutter ist in den Einzelheiten mit derselben peinlichen Sorgfalt ausgeführt, wie die anatomische Durchbildung des Leichnams in allen seinen Theilen, dem herrlichen Kopfe, der gewölbten Brust, den Armen und Händen, den Beinen, Knieen und Füssen. Dem Werthe der schönen Komposition aber und der künstlerischen Darstellung entspricht der geistige Gehalt der Gruppe, der in dem Antlitz der Madonna und des Erlösers in ergreifender Weise sich offenbart.

Achtermann’s Pieta wurde in Rom 1850 vollendet, wo der Künstler seit Anfang der vierziger Jahre seinen Wohnsitz hatte und 1884 hochbetagt starb. Nachdem er bis zum dreissigsten Lebens¬ jahre einfacher Bauer gewesen, hatte er sich dem Tischlerhandwerk zugewandt und machte dann, durch ausgezeichnete Holzschnitzarbeiten empfohlen, in den Ateliers von Rauch und Tieck in Berlin seine Lehrjahre als Bildhauer durch. Von hier siedelte er zu dauerndem Aufenthalte nach der ewigen Stadt über, um sich daselbst weiter auszubilden. In Rom schlug er die Richtung der Nazarener ein und stellte, wie er auch früher als Holzschnitzer nur Heiligenbilder, Kruzifixe und Madonnen geschaffen hatte, seine Kunst ganz in den Dienst der katholischen Kirche. Der Dom zu Prag besitzt, um nur einige seiner hervorragendsten Arbeiten zu nennen, von seiner Meisterhand ein grosses Altarwerk und der Dom zu Münster ausser seiner Pieta noch eine prachtvolle, in bedeutenden Grössen¬ verhältnissen ausgeführte Darstellung der Kreuzabnahme in Marmor. Im Aufbau sehr verschieden von Achtermann’s Werk ist die Pieta von Hoffmann in der Mauritiuskirche zu Köln. Nach der katholischen Weise legt auch dieser den Leichnam Christi in den Schooss der Maria, aber nur mit dem Oberkörper; während in den Pietä’s von Achtermann, Widnmann, Kopf und Reiss der Unterleib der Christusgestalt auf dem Boden ruht, gewinnt Hoffmann dadurch, dass er die

Pieta von Karl Hoffmann (Vorderansicht)

Haupt des Er¬ lösers ruht auf ihrem rechten Arm ; mit der Linken hat sie die Linke des Sohnes empor¬ gehoben. Leicht und ungezwungen baut sich die Gruppe auf, in schönstem Ebenmaass und in sich vollkommen

DIE KUNST UNSERER ZEEf

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Gottesmutter auf einem flachen Felsenaul bau sitzend nach einer Seite gerichtet darstellt, was bei keiner anderen der erwähnten Pietä’s der Fall ist, den Vortheil, den Ihiterleib des Erlösers in leichter Senkung- bis zu den Knieen ebenfalls noch auf dieser Steinlage ruhen lassen zu können, von welcher die Unterschenkel sich dann in schräger Richtung abwärts wenden. So entsteht eine mehr breit als hoch gehaltene, sehr s)'mmetrische Gruppe, die auf den Beschauer ihre Wirkung- nicht verfehlt. Die ebenso gelällige wie harmonische Komposition der Pieta, der schön geljildete, schmerzbewegte Ko[.)f der Maria, der wie bei allen Pietä’s von einem tief über die Schultern und Arme herabfliessenden l'uche bedeckt ist, die faltenreiche, bis zu ihren küssen niedersinkende Gewandung, die zwar nach

der Seite ge¬ richtete, aber sehr natürliche Art, wie die Gottesmutter dasitzt, die schöne Bein¬ stellung, die Haltung ihrer Arme und Hände, von denen die rechte das flaupt des Heilandes vor dem Sinken schützt, und, was die herr¬ liche Gestalt

Uietä von Karl lloffinaini (Seitenansiclit)

des Letzteren angeht, die bis in die kleinsten Einzelheiten anatomisch aufs Sorg¬ fältigste aus- geführte Dar¬ stellung des Leichnams, das ausserordent¬ lich ausdrucks¬ volle , von der geistigen Be¬ deutung des Gekreuzigten zeugende Ant¬ litz, die genaue Modellirung

der Brust, der Arme, Hände, Beine und Füsse , dies Alles macht Hoffmann’s Pieta zu einer der schönsten und werthvollsten des neunzehnten Jahrhunderts.

Professor Karl floltmann, über dessen Leben und Wirken fast gar keine gedruckten Nach¬ richten vorliegen, wurde nach Angaben, welche mir seine Hinterbliebenen machten, am 23. März 1815 zu Wiesbaden geboren, nicht zu Köln, wie einige Künstlerlexika in den paar Zeilen ihrer Mittheilungen fälschlich berichten. Von dem unwiderstehlichen Drange beseelt, sich der Künstlerlaufbahn zu widmen, verliess er die Heimath und schlug sich darbend bis München durch, wo er 1833 anlangte und unter -Schwanthaler sich als Bildhauer ausbilclete. 1837 wandte er sich nach Paris und nachdem er von 1839 an wieder zwei Jahre in seiner Vaterstadt zugebracht hatte, Hess er sich 1841, sechsundzwanzig Jahre alt, in Rom nieder, wo er, abgesehen von einem zweijährigen Aufenthalte in Köln (von 1848 bis Juli 18501 bis 1866 ansässig war. Dann ging er nach Wüesbaden zurück und bewohnte, eUva

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von 1869 an, mehrere Jahre lano- die ihm vom Herzog von Nassau zur Verfügung- gestellte Moosburg im Schlossgarten zu Biebrich bis zur Fertigstellung seines Landhauses Villa Clermania an der Ihebricher Chaussee. Von hier siedelte er 1880, in Folge rheumatischer Leiden nicht mehr arbeitsfähig, nach Rocca di Papa im Albanergeldrge , nicht weit von Rom, über; 1884 verkaufte er seinen dortigen Landsitz und zog nach dem tiefer gelegenen Frascati, wo er am 8. Juli 1886 starb.

Während seines langjährigen Aufenthaltes in Rom stand H offmann in den engsten h'reund- schaftsbeziehungen zu Friedrich Overbeck, die sich so innig gestalteten, dass dieser floffmann’s erste h'rau, Karoline von Reinagel aus l>amberg, die 1872 starb, im Jahre 1854 zu seiner Adoptiv¬ tochter machte. Wie Overbeck, so trat auch H offmann in Rom zur katholischen Kirche über. Hier erhielt Letzterer im Jahre 1859 durch den jetzigen hochbetagten Stadtdechanten, Ehrendomherrn und Pfarrer von St. Mauritius zu Köln, Adolf Thomas, der damals sechs Wochen lang in der o-emeinsamen VVohnunor der beiden Künstler gastliche Aufnahme genoss, die erste Anregung zur Ausführung der Pieta. Nach vielfachen Besprechungen mit dem Maler und dem Theologen entwarf dann H offmann eine Skizze, die beider Beifall land und nun in carrarischem Marmor amsgeführt wurde. Anfangs September 1868 langte die Gruppe in Köln an und wurde am 15. desselben Monats feierlich eingeweiht.

Von den vielen WTrken, die H offmann geschaffen hat, sind manche in’s Ausland, namentlich nach England gekommen. Mehrere, darunter eine hl. Cäcilia und ein hl. Joseph, befinden sich in Rom. Ein Guter Hirte wurde von einer Eürstin Leuchtenberg, eine Madonna von dem früheren Bischof Müller zu Münster erworben. Düsseldorf besitzt von seiner Hand das Denkmal des Garten¬ direktors WTihe, die Apollinariskirche bei Remagen einige Statuen, seine Vaterstadt Wiesbaden die Marmorgruppe der Hygiea auf dem Kranzplatz und Heiligenbilder am Hochaltar der katholischen Kirche, Biebrich am Rhein das Denkmal der Germania. Als FTiedrich Overbeck 1869 gestorben war, begab sich H offmann nach Rom und schuf den Entwurf des Grabdenkmals, welches seinem berühmten Ereunde in der Kirche San Bernardo errichtet wurde. Eine Büste des Malers schenkte er den Verwandten desselben in Lübeck. Ausser der Pieta besitzt Köln von dem Künstler in der alten, prächtigen Kirche Gross-St. Martin noch sechs grosse Statuen, von denen je drei die beiden Seitenaltäre neben dem Chor schmücken; unter denselben ist namentlich die Himmelskönigin durch Anmuth und Schönheit ausgezeichnet.

Gleiche Anerkennung und gleiches Lob wie Hoffmann’s Pieta verdient auch die im September 1898 in der St. Gereonskirche aufgestellte Pieta von Joseph Reiss. In der Komposition bietet diese zwar nichts Neues, da sie im Aufbau wie in der Richtuno- und Stellung der Eiguren eine auffallende Aehnlichkeit mit der Achtermann’schen hat. In Einzelheiten freilich sind die beiden Werke von einander verschieden. Während bei Achtermann das Haupt des Gekreuzigten etwas nach der vSeite geneigt dargestellt ist, erscheint es in der Pieta von Reiss mehr emporgehoben und zugleich mehr der Richtung des Oberkörpers folgend. Bei Achtermann liegt die Hand des Armes, mit welchem Maria das Haupt stützt, oben auf dem Oberarm des Eeichnams, bei Reiss über der

Schulter weg nach der Brust hin. Auch ist der Kopf der Madonna bei diesem weit stärker nach

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dem Anditz Christi vorgebeiigt als bei jenem, bei Achtermann hält ferner die Gottesmutter die Linke des Sohnes höher erhoben, als bei Reiss; der rechte Arm des Leichnams hängt bei Beiden straff herab, indessen mit verschiedener I landstelhmg. Hierzu kommt noch die Verschiedenheit in der Gestaltung der Gewandung der Madonna und der anatomischen Ausführung des Christuskörpers in den zahlreichen Einzelheiten.

Sieht man von einer Vergleichung der Pieta von Reiss mit der von Achtermann ab und betrachtet man jene Ihr sich allein, so kann man nicht umhin, dem tiefen Eindrücke entsprechend, den sie auf jeden Beschauer macht, sie sowohl der Auflassung wie der Ausführung nach für ein sehr

der hohe Werth seiner

bedeutsames Kunstwerk zu erklären. Nicht im Aufbau, der keinen neuen d'\-pus darstellt, sondern in der meister¬ haften \ Allendung, mit welcher die Gestalten der Madonna und des C h r i s t u s k ö r p e r s durch- gearbeitet sind, in dem Ausdruck der beiden Köple , in der vorzüg¬ lichen Modellirung der einzelnen Theile des Leichnams und vor Allem in dem tielen geistigen Inhalt des Gesammt- bildes, den Reiss mit dem feinsten Verständ- niss für die Behandlung der Eorm verbindet, liegt

Pieta von yoseplt Reis^ (Vorderansicht)

Pieta.

Wie aber hat sich Reiss die Darstellung des Christuskörpers mit Bezug auf den geistigen Inhalt gedacht? Nach der menschlichen Seite hin folgte er der Aut- fassung, an welcher jeder Christ am liebsten hängt : er dachte sich den Er¬ löser dem Körper nach, wie auch Rietschel, Dupre, Holtmann u. A., als einen Mann von höchst edeler, weit eher zarter, als derb kräftiger Gestalt, die, verbunden mit Reich¬ thum und Kraft des

Geistes, auf die Menschheit einen ebenso tiefgehenden wie weit reichenden Einfluss auszuüben vermag. Der Auffassung der katholischen Kirche entsprechend, stellt er zugleich Christus als Gottmenschen dar, als göttliches Wesen in Menschengestalt. Daher die so sehr durchgeistigten Gesichtszüge des Hauptes Christi, daher der feine, gegen Schmerzen, Eeiden und Qualen körperlicher wie seelischer Art so empfindliche Leib des Erlösers. Man sieht demselben an, welche geistige Grösse und Hoheit einst in ihm wohnte, welch’ unendlich erhabener Gedankenkreis, der es vermochte, der Welt ein neues Gepräge zu geben, sein edeles Haupt erfüllte; man fühlt mit, wie auf diesen vornehmen, empfind¬ samen Leib die Schmerzen der Leidenszeit und die Qualen des Todes am Kreuze wirken mussten: die geistige Majestät und die grosse göttliche That des Weltbefreiers sind in bewunderungswürdiger

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DIE KDXS^r UXSERER ZEIT

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Weise darin zur Darstellung- g-ebracht. Hierzu gesellt sich, was die Gestalt der Madonna angeht, der ungemein beseelte Ausdruck ihres Antlitzes. Reiss hat nicht die Absicht, ihre jungfräuliche Schönheit zu betonen, er stellt sie als schmerzhafte Gottesmutter dar. Ihr Antlitz bietet die Züge einer l'rau in vorgerückteren Jahren und zwar einer b'rau, der als Mutter das schwerste Leid, das über sie kommen kann, nicht erspart geblieben ist, die das Bitterste und Härteste hat durchkosten müssen. Hs ist indessen nicht bloss ein augenblicklicher, die Seele in ihrer innersten Tiefe durchbohrender Schmerz, der dieses gramvolle und doch so hochedele Antlitz durchzieht, auch die Qualen, welche das Herz der Gottesmutter in den Tagen der ganzen Leidenszeit zerrissen, spiegeln sich darin wieder. WHhrlich, gross wie das Meer ist dein Schmerz! Und doch sind die ergreifende Kraft und die rührende Innigkeit, mit welcher der Schmerz zur 1 )arstellung gebracht ist, weit entfernt von maass- loser Leidenschaft. Aber dies nicht allein. Welche unsägliche Mutterliebe spricht zugleich aus den leiderfüllten Gesichtszügen I Mit welcher Zärtlich- keit beugt Maria sich nieder, um noch einmal, zum letzten Male das schöne, edele, durchgeistigte Antlitz des geliebten Sohnes zu sehen, dessen Leichnam sie zum Abschied zu sich emporgehoben hat! Mit dem Mutterschmerz und der Mutterliebe aber verbindet sich als Drittes der Ausdruck der vollen Ergebung in das herbste Geschick, der Ergebung in den Tod des Erlösers, der Ergebung in das schwerste Leid um des LIeiles der ganzen Menschheit willen.

Der Schöpfer dieser Pieta wurde am 2 5 . Oktober 1835 Düsseldorf geboren. Nachdem er sich an der Akademie seiner Vaterstadt ausgebildet hatte, bereiste er zu Studienzwecken Deutschland, Belgien und Holland. Ein für die prächtige, romanische Pfarrkirche zu Andernach am Rhein in Holz geschnitztes Muttergottesbild, der Hochaltar und der mit Eigurengruppen ausgestattete Marienaltar in der Kirche zu Grefrath bei Krefeld, die Joseph Reiss Anfangs der sechziger Jahre ausführte, das für den Eürsten Anton von Hohenzollern 1864 gearbeitete grosse Relief «Die Kunst», zwei Altäre mit Gruppen im Dome zu Neuss, die ihn von 1868 1872 beschäftigten, das Mitte der siebenziger Jahre geschaffene Kriegerdenkmal zu Duisburg, das eben¬ daselbst befindliche Mercatordenkmal, die Mariensäule mit den Standbildern der vier grossen Propheten zu Düsseldorf, der grosse Hochaltar mit den beiden Nebenaltären in der Kirche zu Hüls bei Krefeld, die mit zu seinen besten Arbeiten gehören, -die grosse Kalvarienberggruppe an der St. Lambertus- kirche zu Düsseldorf, ein auferstandener Heiland auf dem Kirchhof daselbst, verschiedene in Bonn

Pieta von Joseph Reiss (Seitenansicht)

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

und in Holland befindliche Eietäreliefs, mehrere grosse in Sandstein ausgeführte Pieta’s, die für Styrum, Nymu’egen und Schiedam angefertigt wurden, einige Kalvarienl)erggruppen , die nach Styrum und Groningen kamen, die vier grossen allegorischen Figuren an der Fassade des Rathhauses zu Düsseldorf und manche andere hervorragende Werke, insbesondere kirchlicher Richtung, machten ihm einen sehr geschätzten Namen als Bildhauer. Grosse Anmuth und vornehme Schönheit, verbunden mit bedeutender Gestaltungskraft und tiefer, religiöser Empfindung, zeichnen seine Schöpfungen auf dem Gebiete der christlichen Kunst aus. Eine von Joseph Reiss geschaftene Madonna in Holz in der Art des Florentiners Luca della Robbia (1399 <-lie Anfangs der achtziger Jahre auf einer Ausstellung

in Iferlin Aufsehen erregte, veranlasste den damaligen preussischen Kultusminister von Gossler, sich für tlen Künstler zu interessiren und Schritte zu thun, dass demselben von Seiten des preussischen Staates die Bearbeitung eines grösseren Skulpturwerkes übertragen wurde. Dasselbe sollte in einer geschicht¬ lich und architektonisch hervorragenden Kirche Auf- Stellung finden. So erhielt Reiss 1884 den /\uftrag zur Anfertigung des Entwurls einer Pieta, und nachdem dieser in Berlin genehmigt worden war, hatte er ein Modell des Kunstwerks in Ausführungs¬ grösse herzustellen. Fünl Jahre verwandte er hierauf und nach weiteren Verhandlungen über die Wahl des Materials stand die Pieta, an deren Vollendung der Künstler mehrfach durch längere Krankheit gehemmt wurde, im fahre 1897 zur Lieberführung nach der St. CTeronskirche zu Köln bereit. Der Block, aus dem das Werk geschaffen wurde, carrarischer Marmor von untadelhafter Reinheit, wog unbehauen 160 Centner und kostete fast 8000 Mark. Die Gesammtherstellungskosten der Pieta belaufen sich auf 33,000 Mark, wovon die preussische Staatskasse 30,000 Mark übernahm und der Rest von der Kirchengemeinde getragen wurde.

Reiss’ Pieta wurde, als sie nach Vollendung der für sie an der Gereonskirche angebauten Kapelle im Flerbst 1898 aufgestellt war, allgemein als eine neue Hauptsehenswürdigkeit der Stadt Köln gepriesen. Und sie ist dies auch wirklich. Ist aber die Aufstellung eine für die Besichtigung des Kunstwerks günstige zu nennen .1 Die Frage ist leider zu verneinen. Zwar ist die Stätte, an der die Pieta steht, eine seit altersgrauer Zeit her geweihte; die St. Gereonskirche ist eine der gross¬ artigsten und eigenartigsten mittelalterlichen Kirchenbauten, deren ältesten Theil der Sage nach die Kaiserin Helena, die Mutter Konstantin’s des Grossen, ausführen Hess. Auch ist die in romanischem Stil angebaute Pietäkapelle mit ihrer vorzüglich wirkenden hohen Wandbekleidung in dunkelrothem

Pietä von Joseph Reiss (Seitenansicht)

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Marmor, der stilvollen malerischen Ausschmückuni^ der oberen Wandtlieile und insbesondere der Kui^pel, sowie dem aus italienischem Marmor bestehenden Rodenbela»' dem Werthe des Kunstwerks entsprechend würdio- ausgestattet und macht einen erhebenden, zur Andacht stimmenden Eindruck. Allein, die Kapelle ist viel zu klein. Aus der grossen Vorhalle der Kirche, an deren Südseite sie errichtet wurde, tritt man zunächst in einen sehr beschränkten Yorraum, in welchem vier Hetbänke aufgestellt sind, an denen etwa ein Dutzend Personen Platz finden können, und hat von hier aus den etwas erhöhten Raum vor sich, in dessen Hintergründe an der abgerundeten Wand die Pieta steht. Dieser der Pieta geweihte Raum, der ungefähr 15 PTiss tief und 12 Fuss breit ist, ist abgesperrt und darf also ohne Erlaubniss nicht betreten werden. Man kann demnach vom nächsten Standpunkte aus die Pieta nur auf eine Entfernung von neun bis zehn Fuss sehen und zwar nur ihre \"orderseite ; mit der Rückseite steht sie dicht an der Wand, die auch eine Betrachtung der Schmalseiten nicht ermöglicht. Dass unter solchen Umständen die Aufstellung als eine ungünstige zu bezeichnen ist, unterliegt keinem Zweifel. Aller Fleiss, alle Arbeit, alle Kunst, die der Bildhauer auf die vollendete Gestaltung ihrer nicht sichtbaren Rückseite verwandte, sind sozusagen vergebens gewesen. Ja, auch von den Schmalseiten kommt nur wenig zur Geltung und manche Schönheiten derselben lassen sich gar nicht oder nur ungenügend würdigen. So ist von dem am meisten zurückliegenden P'usse des Christuskörpers bloss bei einem gut gewählten Standpunkte Einiges zu erblicken. Es darf daher noch als ein sehr glücklicher Umstand bezeichnet werden, dass der Aufbau der Pieta es mit sich brachte.

dass wenigstens die Hände der Madonna und des Leichnams den Blicken nicht entzogen

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sind. Doch hiermit nicht genug. Da das Betreten des Raumes, in welchem die Pieta steht, nicht ohne Weiteres gestattet ist, so geht auf die Ent¬ fernung von etwa zehn P'uss , aus welcher das Kunstwerk genossen werden kann, selbst für die Betrachtung der Vorderseite die volle WTirdigung der Einzel¬ heiten verloren. Die Züge des nieder¬

gebeugten Antlitzes der

Pieta von yoseph Reiss (Seitenansicht)

jMadonna entziehen sich, zumal sie bei dem ge¬ dämpften Licht der Kapelle stark beschattet sind, auf jene Entfern¬ ung überhaupt jeder Be- urtheilung. Kurz, bei der Besichtigung der Pieta erkennt man zwar sofort, dass man ein bedeutendes Kunstwerk vor sich hat, empfindet zugleich aber das Gefühl tiefen Bedauerns, die Einzelheiten, die doch den Bildhauer so viel Studium und Arbeit gekostet haben, nicht nach Wunsch sehen zu können. Wie sehr

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

kommt es aber dem Kunstkenner gerade auf diese an! Sie l}ilden einen wesentlichen Bestandtheil dessen, woran er sich mit besonderem Genüsse ergötzt. Und Reiss’ Pieta bietet in der vollendeten künstlerischen Durchführung des herrlichen Hauptes Christi und der so ausserordentlich ausdrucksvollen Gesichtszüge der Madonna, der nackten Brust, der Arme und Beine, der Hände und P'üsse des Leichnams thatsächlich so viel Schönes, dass ihre ungünstige Aufstellung in hohem Grade zu beklagen ist. Die Pieta von H offmann in der Mauritiuskirche steht ebenfalls in einer nicht eben eeräumiü-en Kapelle am Chor, aber doch so, dass man sich vollkommen an ihren vielen Schönheiten erfreuen und auch um sie herum gehen kann. Achtermann’s Pieta steht im Dome zu Münster nach allen Seiten hin vollständig frei, und um noch ein Protanwerk zu erwähnen, sei an die mustergültige Aufstellung erinnert, welche Dannecker’s berühmte Ariadne in v. Bethmann’s Museum zu Frankfurt am Main oefunden hat. Auch für die Pieta von Reiss stand in der St. Gereonskirche ein o-eeiometer Raum

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zur XTrfügung, nämlich die grosse Vorhalle, an welcher das Pietakapellchen angebaut ist. Während der abgesperrte Raum desselben höchstens achtzehn Ouadratmeter Pdäche hat, bietet die Vorhalle, die so geräumig und hell ist, wie man sie selten an einer Kirche findet, einen P'lächenraum von stark hundert Ouadratmeter. Hier musste die Pieta stehen, und die 12,000 iMark, welche ein Mitglied der ITarrgemeinde für die würdige Aulstellung derselben geschenkt hat, wären, nicht nach meinem Urtheil allein, statt aui den Bau und die Ausschmückung der Kapelle besser auf die Herrichtung und Aus¬ stattung der Vorhalle zur Aulnahme des prächtigen \Wrkes verwandt worden, welches zahlreiche P'remde und Einheimische besichtigen, wirkliche Kunstkenner aber nur zum Theil befriedigt verlassen werden. Die vielleicht gehegte Befürchtung, dass, da die Vorhalle den Haupteingang zur eigentlichen Kirche bildet, diejenigen Andächtigen, welche an der Pieta zum Gebete niederknieen , in ihrer frommen Verrichtung gestört werden möchten, war grundlos. Das Wrk konnte an dieser geräumigen Stätte leicht so aufgestellt werden, dass auch den Zwecken religiöser PVbauung völlig Rechnung getragen wurde. Oder aber, wenn es durchaus in einer abgeschiedenen besonderen Kapelle seinen Standort haben sollte, so hätte man diese in weit grösserem Maassstabe ausführen sollen, selbst wenn die P)eschaffung der fehlenden Geldmittel den Bau noch einige Zeit verzögert haben würde. Kurz, volles Wrständniss dafür, wie ein werthvolles Skulpturwerk religiöser Art stehen muss, um nicht nur die Bedürfnisse der Andächtigen zu erlüllen, sondern auch den berechtigten Ansprüchen der Kunstfreunde zu genügen, haben die Organe, in deren Hand die Autstellnng der neuen Pieta von Joseph Reiss gelegt war, nicht bewiesen.

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lOVANNl SEGANTINI

VON

GRAF S. C. VON SOISSONS

Immer, wenn ein Mann, welcher der Ruhm seines Landes und seiner Zeit gewesen, dahingeschieden, wenn das letzte Wort der d'odtenpredigt verklungen, wenn selbst die Sonne hinter den Wolken des dunklen Himmels zu trauern scheint, wenn die Blätter der Todtenrosen fallen eines nach dem andern, gleich den Körnern einer Sanduhr, dann beginnt auch die Erinner¬ ung an ihn ihren Todeskampf.

Es gibt Unsterbliche aber wie Wenige! Man muss ein Werk der Nachwelt zum Vermächtniss hinter¬ lassen , muss einen Gedanken in fruchtbaren Boden gepflanzt haben, damit der Nachruhm wachse, gedeihe und Blüthen trage.

Wer nicht geschaffen, wer nur mit dem Verlust seines Leibes gezahlt, ohne etwas Sichtbares hinter¬ lassen zu haben , Etwas , das sich von Epoche zu Epoche vererbte , muss sich mit wenigen Ausnahmen dabei bescheiden, vergessen zu werden. Sprich! Wo ist das Grab eines Garrick, des genialen Schauspielers, der die Masse jauchzen und beben zu machen verstand? Und was bliebe vom Schlachtenruhm übrig, der unter Rauch und Krachen geboren fast ebenso lärmend und kurzlebig ist wie der Donner der Kanonen, wenn nicht ein Künstler die Thaten seines Heros wieder heraulzauberte, einem weniger heroischen Zeitalter zum Vorbild?

In der Welt der Kunst aber genüort ein Stück sfemalter Leinwand, ein oemeisselter Marmorblock oder der Wohllaut rythmischer Verse, den Söhnen von den Vätern überkommen, dazu, die Welt einen Homer, einen Pheidias, einen Goethe, einen Rubens schätzen zu lehren. Und hätten diese nicht gesungen, hätten diese nicht eine kurze Apotheose in dauernde Schöpfungen geschlossen, was würde von den Eürsten und Helden ihrer Zeit heute noch leben?

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])IE KUNST UNSP:RER ZEIT

Die Kunst, nur die Kunst allein macht unsterblich, nur die Kunst kann ihren Auserwählten das ewio-e Leben o-eben. Aber selbst ein Künstler muss eine neue Idee in die Kunst zu Indno-en

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verstehen, um unsterblich zu werden.

Dies hat Giovanni Seg'antini gethan. Wenn auch einige Kritiker sagen, dass seine I.and- schaften denen Normann’s, seine Bauern denen Millet’s gleichen, dass seine Engel wie von Burne |ones empfunden erscheinen, dass ferner seine l'echnik, die in dem Uebereinanderlegen, nicht Mischen der vier Grundfarben besteht, bereits von Monet versucht worden, so kann man dennoch leichtlich erkennen, dass Segantini’s Verdienst hauptsächlich b'olgendes ist:

Er war der Erste, der die klassische Linie und korrekte Zeichnuny; mit der Wieder<mbe von Licht- und Lufteffekten vereinigte. Erst in zweiter Linie zeigen seine Sujets ein tiefes Gefühl für das Leben, grosse unsterbliche d'hemen, das Leiden und Streben des Menschen und seine Schwäche im Wrgleich zu der Natur. Er hat den alternden Grundsätzen der Kunst durch Verbindung mit eben entstandenen frisches Leben gegeben.

Wie jene grossartige Umwälzung der Kunst des 15. Jahrhunderts in Italien von dem bescheidenen Cimabue, welcher die Anregung zu dem Aufstand gegen die Sklaverei des byzantinischen Stiles gab, hervorgerufen wurde, so begann im 19. Jahrhundert die Renaissance der modernen italienischen Kunst auch damit, dass ein Hirte, zwar nicht Iromme ästhetische Schafe, wohl aber verachtete unästhetische Schweine zu malen anfing.

Welch’ ein seltsamer Kontrast zwischen dem Idealsten im Leben der Kunst, und dem, das stets mit den niedrigsten Gelüsten verbunden gedacht ist dem vSchwein. Es ist nun aber eine bhatsache, dass Segantini, einer der grössten Maler des modernen Italiens, einmal Schweinehirt war; doch hindert dieser triviale Umstand nicht, dass er einer der merkwürdigsten und seltensten Persönlich¬ keiten war, dessen Leben und l'haten der Welt zum Muster gesetzt werden könnten.

Einen hübschen Zug berichtet der Künstler selbst über den Anfang seiner Künstlerlaufbahn, rührender als die bekannte Anekdote von dem Griechen Apelles:

«Idas erste Mal, als ich einen Bleistift zum Zeichnen in die Hand nahm sagt der Künstler in seiner Autobiographie war, als ich eine arme Bäuerin über ihr schönes todtes Töchterchen weinen sah. Oh hätte ich nur ein Bild von ihr!«

So begann er seine Kunst in Gegenwart des Dunkelsten und Traurigsten im Menschendasein, vom Mitleid nach dem Grafen v. Mirabeau unserer besten Eigenschaft inspirirt.

Er wurde am 15. Januar 1858 zu Arco in Tyrol als Sohn eines einfachen Bürgers geboren, doch stammte er, durch seine Mutter, aus adeligem Blute und war in seiner Kunst ein Ehrst.

Als Kind soll er so auffallend schön gewesen sein, dass eine Bauersfrau sich einmal nicht enthalten konnte niederzuknieen und auszurufen: »Oh Gott! Wie schön ist er«, und eine Andere fügte hinzu: »Er sieht aus wie ein Sohn des Königs von Erankreich!»

Segantini’s Vater muss sehr arm gewesen sein. Jedenfalls übergab er seinen Sohn seiner Halbschwester in Mailand und verliess Italien, vermuthlich um nach Amerika zu gehen, auf die Jagd nach dem Glücke ob er dies je gefunden oder nicht er ist niemehr zurückgekehrt.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Seine 'Tante schloss den kleinen Se^antini, mit etwas i^erins^er Nahrung- für den ganzen d'a*^ versehen, in ihrem Dachstübchen ein und t^'ino' dann fort, um für den Unterhalt beider zu sor<^en. Welch’ eine Oual für ein Kind, einen Knaben, der Raum und bewei^uno- braucht, und besonders für einen, der einst der Maler der ^rossen pulsirenden Natur, der weiten Morizonte, der sei^elnden Wolken, des _<rlitzernden Schnees sein sollte! Er hielt es auch nicht aus, und angeregt durch die 'That eines jungen Helden, von dem er gehört, dass er nach b'rankreich gegangen und dort sein Glück gemacht habe, beschloss er über die Alpen auf Napoleon’ s Weg nach Frankreich zu wandern.

b'rüher pflegten deutsche und französische Maler nach dem sonnigen Italien zu ziehen , um dort die Kunst zu studiren; in unseren Tagen gehen die Italiener zu demselben Zweck nach I'rankreich.

G. Segantini. An der Stange

Der Knabe kam aber nicht weit. Uebermüdet schlief er am Wegrande ein und wurde von zwei gutmüthigen Bauern aufgehoben, die ihn überredeten, den Gedanken nach Frankreich zu wandern aufzugeben und bei ihnen auf dem Bauernhof zu bleiben. Segantini war damals erst sieben Jahre alt.

Was that er bis zu seinem fünfzehnten Jahre? Dachte er? Nein aber er fühlte stark, er litt, aber er kannte den Grund seines Feidens nicht, wie er selber sagt.

Die Sehnsucht nach dem Dachstübchen, von dessen Fenster er nur ein einziges Stück des italienischen Türkisenhimmels sehen konnte, trieb ihn wieder nach der Stadt des Leonardo zurück.

Unter dem Tage arbeitete er für seinen Lebensunterhalt, .'\bends studirte er die Zeichnungen des Kirchenbannermalers Teltamangi, der, sich selbst für einen grossen Künstler haltend, seinen Schüler einmal fragte: «Was thätest Du, Amico, wenn Du ein solcher Künstler wärest, wie ich?«

«Ich? Ich würde mich aufhängen», erwiderte Segantini, der wohl seinen wahren Künstlerberuf in sich fühlte.

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DIE KDXST UNSERER ZEIT

Das Avar seine letzte Lektion.

Später finden Avir den jungen Schüler in der Erera zn Mailand. Anf AA^elche Weise er sich seinen Lebensunterhalt ei'AA^arb, A^ennag ich nicht zu berichten. Er AA^ar so arm, dass er nicht einmal die Mittel zum ErAA^erb eines Malkastens besass und thatsächlich erst nach dem zAA^eiten Jahre seines Studiums in den glücklichen Besitz eines solchen kam. Einer der Professoren nämlich, seine aus¬ gesprochene Begabung für I'arbe und seine originelle Interpretirung der Eorm erkennend, schenkte ihm dies Geräth. Dieser h'arbenkasten machte ihm soAdel Bürende, dass er beschloss, Maler nicht Zeichner zu Averden. Es gelang ihm auf irgend eine Weise eine Anstellung als Zeichenlehrer zu finden, als AA^elcher er wöchentlich drei Stunden zu geben hatte, AA^olür er im Ganzen drei Lire erhielt.

Von diesen drei Lire bestritt er seinen Linterhalt und lernte in einer Kunstschule Eigurenzeichnen und Per- spektiA'e. Bald aber fand er heraus, dass die Meisten nicht von den Meistern, sondern direkt von der Natur gelernt, dass sie die Erscheinung der Eorm und die Beziehung der Dinge zu verstehen suchten.

Segantini hat zAvar stets die anerkannten Vor¬ bilder aller Zeiten vor Augen gehabt, doch hat er sich andrerseits auch klar gemacht, dass Avahre Kunst nur aus fleissigem Studium, aus eingehender Beob¬ achtung der Natur und aus individueller Plrfahrung entstehen kann.

Warum soll man das Aviederholen , Avas bereits erreicht ist; Avarum soll man die Kunst Gn-iechenlands,

Italiens, Plollands und Deutschlands kopiren, Avarum soll man sich müde arbeiten, um die Komposition eines hleisters oder die vollendete Modellirung eines Andern nachzuahmen.' Dadurch lernt man die Sprache

(t. Segantini. Schafheerde im Mondenschein

der alten Meister und die Lehren, die uns die Museen .

geben, nicht verstehen; diese predigen Avahrlich nicht, dass Assimilation Alles sei. Cjanz im Gegen- theil! Sie beAveisen uns vielmehr den ständigen Zusammenhang der Künstler mit der Natur und die Wichtigkeit der persönlichen Beobachtung.

Diese seine Auffassung hatte zur P'olge, dass seine Studienzeichnungen bereits die Hand des Neuerers zeigten, und dass daher seine Lehrer in ihrer akademisch-steifen Manirirtheit in Segantini den Rebellen sahen und ihn schliesslich zwangen, die Akademie zu verlassen, um fürder nur mehr die Natur als Lehrmeisterin anzuerkennen.

Ganz ohne P'reunde AA^ar er jedoch nicht. Ein Metzgermeister schade, dass sein Name nicht überliefert ist, kaufte dem jungen Künstler die ersten Oelfarben, aber nicht die dazu gehörige

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Gr Seganttni. Ave Maria bei der Ueberfahrt

Leinewand. So musste er sich selljer eine machen, und zwar tränkte er eine Sackleinewand mit ( )el und spannte sie in einen Rahmen.

Hierauf malte er sein erstes Oelbild; «Der Chor der Kirche von San Antonio», welches end¬ lose Diskussionen über die neue von Segantini einoreführte Technik her-

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vorrief. Um dieses Bild hat sich eine Legende gewoben, nicht unähnlich der Erzählunu- Vasari’s über das Geheimniss der glanzvollen Oelfarben, welches Giovanni Bellini von einem Maler erfuhr, der diese L'arbe von Holland nach Venedig brachte. Segantini soll nämlich Schwierigkeiten in der Wiedergabe von durch ein Fenster ein¬ fallendem Licht gehabt

. haben und dadurch auf

die Idee gekommen sein, die Farben nicht zu mischen, sondern nach einander aufzutragen. Wieweit diese Geschichte der Wahrheit entspricht, vermag ich nicht zu sagen; ich erinnere mich weder darüber etwas von Segantini selbst gehört zu haben, noch steht davon etwas in seiner in «II Focolari» erschienenen Selbstbiographie. Freilich war schon damals viel die Rede von der Theilung der Farben, doch hat Segantini wenigstens trotz der Kritiker .. ^ nie die Idee gehabt mit kleinen Strichen oder Punkten zu malen. «Gott schütze mich, schrieb er mir einmal, vor wissenschaltlichen Systemen in der Kunst, ich hasse nichts mehr. . Ich will damit nicht sagen, dass die Kunst die P^ortschritte der Wissenschaft verachten soll, doch - sollen diese nur dazu dienen, die Geheimnisse der Natur aufzudecken, und mit- ihrer Hilfe -soll- man die Natur, in Kunst umwandeln. Auf rein wissenschaftlichen

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DIP: KUNST UNSERER ZEIT

Prinzipien aufgebaut, ist das Resultat kein Kunstwerk, sondern im besten F'alle nur eine Errungenschaft der Wissenschaft.»

ln seinem ersten Atelier in der Via San Marco malte .Segantini in den Jahren 1880 8j eine Reihe \on Bildern, die er aber grossentheils selber später zerstörte, da sie seinen Ansprüchen nicht genügten. Er hng an sein Ziel klarer zu sehen und verliess daher Mailand, um ein Maus in Brianza zu miethen, wo er sich auf dem Eande und nunmehr mit seiner Erau, der Schwester seines besten Ereundes Carlo Bugatti, niederliess. Dieser Periode gehört sein prachtvolles Bild «Ave Maria» an, das erste einer .Serie, welche er «Mütter» nannte.

.\chtzehn Monate blieb er in Prioiano, um tlann in Carlo Caltaneo’s alte Villa in Castaonola unweit von Luzone zu ziehen. Mit dem Ende des P'rühjahrs fand er jedoch, dass die Gegend seinen

Erwartungen nicht entsprach. 1 )a war zu viel bebautes Eand, zu viel Cirün, zu viele Häuser und vor Allem zu viele kleine Widerwärtigkeiten.

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.So lud er denn seine Habe in einen Wagen und zog damit zw'ei Tage lang umher, um einen geeigneten Platz zu finden. Carella wählte er zuletzt, und hier wohnte er zw^ei jahre. ln dieser Zeit entstand; «Ge¬ wittersturm am Berge», «Die Mütter», «Die leere Wiege», «Des Tages letzte Arbeit».

G. Seifautini. Ein Opfer

zur Ausstellung nach Mai¬ land, Wien, Antwerpen und München. Aber er wurde zuerst abgewiesen , ebenso wie der grosse französische Maler Monet, denn seine Kunst war neu, erschien roh, und der Künstler selbst war unbekannt.

Der internationalen Aus¬ stellung von r886 in Ant- werpen übersandte er das letzte seiner in der Schweiz gemalten Bilder, das grosse Gemälde «An der Hürde» be¬ titelt. Auf einer späteren Aus¬ stellung in Bologna gewann

Von hier aus sandte er Bilder ^ ^ ^

dies Bild die goldene Medaille, und nach fünfzehnjähriger harter Arbeit lächelte ihm hier zum ersten Male das Glück, indem der italienische .Staat das Werk um 20,000 Eire für die Galleria Nazionale erwarb.

Dies war die Wende. Aber Cilück und Geld diente ihm hauptsächlich dazu, seinen Eieblings- wunsch zu realisiren, sich in den Alpen niederzulassen, inmitten der hohen Berge, der weiten einsamen Thäler, unter den wenigen einfachen Hirten und ihren Rinder- und Schaf heerden. Majola im Engadin war das Eand seiner Träume, denn hier konnte er, wie er selber sagte, muthiger in die Sonne blicken , ihre .Strahlen mehr lieben und die Seele der Natur in ihren intensivsten und lichtvollsten Earben besser kennen lernen.

Hier inmitten der einsamen Berge, 2000 Meter über dem Meer, wo allein die Post eine Erinnerung an den Trubel des Eebens hervorrufen konnte, hier gab er sich ganz seiner Kunst hin und arbeitete, wie ihn Herz und Geist arbeiten hiess. Er lebte unter den Bauern, mischte sich unter

Der L e b e n s e n g e 1

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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G. Segantini. Rückkehr nach der Heimat

sie, ihm waren sie nicht oreleo-entliche Modelle, nur während der kurzen Sommerferien beobachtet. Er malte sie und ihre Schafe, Hunde und Rinder in der Wahrheit und Poesie ihres einfachen Daseins und der unbewussten Anmuth ihrer Bewegungen. Er malte ihre Hütten und Weiden, umgeben von dem weissen Horizonte des ewigfen Schnees, er malte den Himmel, der sie mit Sonne und Reg-en segnet und ihnen mit Sturm und Unwetter flucht.

Während des Frühjahrs, Sommers und eines Theils des Herbstes arbeitete er täglich im P'reien an drei oder vier Bildern zugleich, indem er von Bild zu Bild ging', seiner eigenen Stimmung und der der Natur folgend. Der Winter war seine Ferienzeit, die er still im Kreise seiner Frau und Kinder verbrachte, lesend oder einfachen Vergnügungen nachgehend.

Sein P'leiss und sein Genius haben die Welt erobert; er ist als Haupt der Kunst des modernen Italiens angesehen, dem Michetti, Ciarclo, P'ragiacomo, Rossi, Sartorio, Faureti und Bell oni folo'en.

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In Segantini’s Kunst ist nichts von der o-ewöhnlichen Effekthascherei oder banaler Sentimentalität zu finden, nichts Gezwungenes, nichts Theatralisches, nichts Kleinliches; sie gibt vielmehr die Realität der Natur und der bescheidenen Existenz mit gleichem Respekt vor der Wahrheit, mit weiter und mittheilsamer Sympathie, mit wunderbarer Kraft wieder. Segantini war ein gemässigter Realist, den die ersten Jahre an Entbehrungen und Einsamkeit vor Enttäuschungen schützten, und der vermöge seiner Lebensweise sich die Reinheit seiner Ideale wahrte.

Eine merkwürdige Erscheinung ist in Segantini’s Kunst wahrzunehmen. Er war ein Sohn des sonnigen Italiens, wo die Poesie der PArbe und die Harmonie der Verhältnisse die prinzipiellen und dominirenden waren. Aber während in seinen Bildern die Natur, der Liebling der Sonne, in

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Dffi KUNST UNSERER ZEIT

all' ihrem Reiz, ihrer Grösse und Poesie dargestellt ist, kann man doch auch den Einfluss des Nordens, des Landes der 'rräumer, darin erkennen. Der Künstler des Nordens, auf die Sonne wartend, die sich ihm so selten nur zeigt, kann nicht so schaffen wie sein Biaider im Süden, unter der ewigen Sonne, die hier die Seelen wie Knospen öft'net. Jener denkt mehr als er beob¬ achtet; bald mischt er die Welt seiner Phantasie mit der Whrklichkeit, er malt psychologische Dramen, ver¬ sucht die Beantwortung schwieriger oder gar nie zu beantwortender F ragen .

So findet man in Segantini’s Kunst zwei ver- schiedene Strömungen. Die eine erweckt Gelühle,

Gedanken in dem Beobachter und ist der beredteste Ausdruck des Verstandes des Künstlers, die andere

birgt das fundamentale Element ästhetischen Genusses in sich, welches darin besteht, dass es einem die hlöglichkeit gewährt, mit verhältnissmässig' g'eringer Anstreng'ung' des Gehirns und der Nerven die grössten Emotionen wachzurufen. Zu der ersten Kategorie gehören folgende Bilder: «Der Glaube

G. Seo-auti/ii. Wiegenlied

tröstet den Kummeio^, «Der Engel der Liebe», «Die schlechten Mütter», «Evocation der Musil

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P'rucht der Liebe ', «Die Heimkehio^, Der Engel des Lebens». Aber selbst in diesen Bildern rettete ihn sein romanisches Blut davor, um Philosoph, Prediger oder Moralist zu werden, sondern machte ihn zum Maler der Vereinigung von Wahrheit und Gefühl, von dem, was das Auge schaut, mit dem, was das Eierz fühlt. Die ganze Seele des Künstlers vibrirt in seinen Bildern; er besass die tiefe Einsicht, welche ihm gestattete, auf Leinewand die Freude seiner Seele an realen Dingen auszudrücken. In seinen Bildern werden Licht, l'arbe und Bonn Faktoren, welche Ideen wachrufen, ihren Ursprung wiedergeben

zeugend, wenn

und schliesslich die Seele des Beschauers mit der Stimmung des Bildes in Harmonie bringen.

In Bildern solcher Art sind Künstler nur dann über-

G. Scp-antini. Die letzte Arbeit

sie entweder sehr offen, voll Gefühl und selber Beob¬ achter sind, oder wenn sie die Mittel der Malkunst und ihre Beziehung zu dem Ver¬ stände des Beschauers zu

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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berechnen verstehen. Wenn der Künstler nicht seliger von den verschiedenen psy chologischen braoen beunruhiut ist, die er in seinem bilde auszudrücken strebt, so muss er ein ausg-ezeichneter Psy chologe sein und auf den Saiten der Menschenseele zu spielen wissen.

Segantini gehörte zu der ersterwähnten Klasse von Künstlern, wenigstens in den eben genannten Bildern; denn während er versuchte seinen (iedanken Ausdruck zu geben, war er sich doch gleichzeitig bewusst, dass alle 'Pheorien über Zweck und Ziel der Kunst zu begrenzt sind und nicht ihr ganzes Reich umfassen. Er wusste, dass es nicht ihr Zweck sein könne, gewisse hakten und Phänomene noch unverständlicher zu machen, den menschlichen Geist in hieroglyphische Räthsel zu verwirren.

G. Seg-antini. Frühlingsfiitter

In seinen Gemälden sind alle Lokalfarben in glänzende l öne translormirt, welche in vollendeter Haimonie Luft, .Sonne, Himmel und Objekte mit einander verschmelzen. Trotz des Unterschiedes, welchei naturgemäss zwischen seinen Gemälden und der wirklichen Welt existirt, ist die Illusion der Wahrheit vollständio-.

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Wenn auch Segantini nicht ausschliesslich mit den z\ugen der Seele das Leben ansieht, so hat er doch versucht, das goldene Ihor des Unsichtbaren und Unendlichen zu öffnen, und lächelt dabei über diese vergängliche Welt, der unsterblichen W^elt ungeachtet. Er hat des Lebens Blumen gepflückt, in dessen Kelchen er die Phräne des Himmels glänzen sah.

«Die Preude des Lebens, schrieb er mir einmal, ist das Wissen wie zu lieben. Auf dem Grunde eines jeden guten Werkes ist die Liebe. Die Liebe ist die Quelle der Schönheit.» Daher

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

malte er Serien von Bildern, welche die verschiedenen Manipulationen der Liebe zum Gegenstand haben; «Glück¬ liche Mütter», «Unglückliche Mütter», «Schlechte Mütter».

Einer alten budhistischen Sao-e folo-end, dachte er sich schlechte Mütter seltsamen Strafen unterworfen. .Sie waren gezwungen, in einsamen Wünternächten umherzuwandern, bis sie in den eisigen Regionen des Morteratsch von den Aesten unheimlicher knorriger Bäume, die aus der Schnee¬ decke hervorwuchsen, gefasst wurden und im Kampfe mit den wilden Winden, ihre todten Kinder am Busen, eines lano-en o-rausamen Bodes starben.

Diese Bilder sind die einzigen, welche eine Geschichte erzählen; aber selbst in diesen genügt er den strengsten Anforderungen der Malkunst, nämlich der Perspektive und der Harmonie von Barbe und Licht. Insbesondere basirt seine B'arbengebung auf dem soliden und unveränderlichen Grundsatz von der harmonischen Beziehung der B'arben zu einander in der Natur, welcher jeden wahren Maler bindet.

Alle Objekte, die wir in seinen Bildern sehen, haben eine besondere B'ärbung, welche die Maler Lokaltonlrage nennen.

Alle seine Bilder sind gut gemalt, und das ist die conditio sine qua non! Was auch immer die Liebhaber der «schönen Linie» sagen mögen: Kein Gemälde kann ein Meisterwerk genannt werden, wenn es schlecht gemalt ist. V^om Künstlerstandpunkt aus ist das Wdchtigste im Gemälde die Barbe , die Yertheiluno- der B'arbflecken und die Beziehuno- derselben zu Form und Licht.

Die Aufgabe des Malers ist, das Bild, welches sein Gehirn reflektirt, auf die Malfläche zu übertragen, und somit wirklichen Raum, den wirklichen Connex von Farbe, Licht und Form in scheinbaren Raum, Licht und Form so umzuwancleln, dass sie den Eindruck cler Wirklichkeit machen.

Segantini’s grosse Qualitäten zeigen sich besonders in folgenden Werken; «An der Hürde», «Pflüger», «Die Tränke», «Heimkehr vom Walde», «Alpenweide», «Das Ende des Tages»-, «IMittag», «Weide im Frühlinor», «Heimkehr zum Stall», «Traurio-e Stunde». In diesen Bildern muss man das harmonische warme .Sonnenlicht, die Gradationen reiner Linien, das Behlen von Ocker und Bitumen bewundern.

Manet ’s Prinzip, das mit der konstitutionellen Malerei brach und statt deren natürliche Komposition und strikte Beobachtung der Natur einsetzte, ist entscheidend und grundlegend. Segantini sah ein, dass der Reiz der Natur in geeigneter Weise auf die Leinewand übertragen, mehr Abwechselung bietet und künstlerischer wirkt, als irgendwelches künstliches Arrangement eines Malers.

G. Segantini. Bergbewohnerin aus Graubünden

G. S^gan(h)l pinx.

Phot. F )1flDcbeD

Der Glaube tröstet deri Schmerz

DIP: KUNST UNSERER ZEEl

G. Segantini. Meine Modelle

G. Segantini. Zwei Mütter

8*

DIE IvLINST UNSERER ZEIT

5()

Segantini’s grosses Verdienst, ^\'ie das Millet’s, Liebermann’s und Anderer, liegt in seiner Naturtreue. Seine Bilder sind nicht ini Atelier- «komponirt» , sondern aus der Wirklichkeit heraus- g-eg'rlft'en und mit höchstem künstlerischen Geschmack auf das denkbar höchste Niveau o-ebracht.

In seinen letzten Werken ist Segantini kein Metaphysiker, kein Dichter, dessen Gedanken sich allmählich zum Lichte ringen oder fortschreitende Gleichnisse suchen. Nein, Segantini’s Gedankenarbeit beginnt erst mit dem Kontakt mit den Dingen selbst. Nur solche Landschaften, die er gesehen, solche Linien, die ihm gefallen, solche Licht- und .Schatten-Effekte, die Eindruck auf ihn machten, erwecken die d'räume seiner Phantasie. .Seuantini ’s Konzeption kommt direkt von der Natur. Einmal war er auf einem Eelde , wo das Vieh in Hürden eingeschlossen rastete, die .Sonne war im Niedergehen

und tränkte A lies mit ihren Zauber¬ strahlen; das gab .Segantini die Anregung zu einem seiner besten .Sujets. Pdn andermal ging er im PTlde spazieren und sah zwei Bauern pflügen; wieder gab ihm dieser einfache Vorgang die Idee zu einem Bilde. Pir schloss sich nicht im Atelier mit «Nordlicht- ein, sondern strich auf der .Suche nach Motiven mit Papier und Bleistift durch die freie Natur.

ln seinen Bildern, wie in der Natur, schliesst eine gewisse Traurigkeit alle Gegenstände harmonisch ein. Mensch und

G. Segautini. An der Tränke

Thier sind Segantini zunächst

nichts weiter als Objekte in lokaler P'ärbung. Aber wenn er einmal diese Objekte in sein Bild aufgenommen, so bringt er alle ihre Pdgenthümlichkeiten , Ausdruck und Bewegung, soweit eben von solchen Manifestationen des Lebens in gewissen Scenen die Rede sein kann, heraus. In der Mehrzahl seiner Bilder gibt Segantini Scenen wieder, die vom psychologischen .Standpunkt aus nicht in Präge kommen. Schon allein ihre Grösse d. h. die Kleinheit der P'iguren im tout-ensemble, verbietet jeden Vergleich mit Motiven, die psychologisch sentimentales Interesse haben.

DIK KUNST UNSERER ZEIT

1 )ie Klassifiziruno- der Maler in Idealisten, «welche unsere (iefühle erregen , und Realisten, «welche sich ^'ür der Natur iin Schmutze wühlen», und die Unterabtheilun«;' der Rüder in «tiefe WTrke eines schöpferischen (iedankens» und «Genrescenen aus dem tätlichen Leben wurde auf Grund der

b'riedhöfe, Waisenkinder, brave d'haten, gute Menschen, schön drapirte b'rauen- ge staken, historische Scenen, waffen- Gflänzende,

o

poculirende und musi- zirende Ritter, traurige oder

dramatische Vorfälle auf die Leinewand bringen. Realisten andrerseits solche, die reo-nerische, schmutzige Strassen, gesunde und vergnügte Leute, Bettler, moderne elegante Frauen, Interieurs moderner Häuser, Landmädchen, Säufer, Scenen modernen Lebens ohne historische Bedeutung, Fracks, Lackschuhe und Baarfüsse ohne Unterschied zum Ge¬

wichtigkeit

vorgenommen, welche Stof! und I landlung der Bilder für die Beurtheiler hatte.

Idealisten sind darnach diejenigen, welche Ma¬ donnen, Engel, cypressen- beschattete

G. Se/ra/iii/ii. Zwei Mütter

meiner Entrüstung

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genstande wählen.

Eine nackte Bel¬ lona einen gerüste¬ ten Krieger krönend gilt als decent und shockirt die idealen Ansichten Nieman¬ des, aber ein nacktes Weib neben einem befrackten Mann ruft den Schrei allge-

G. Seganiini. Rückkehr in den Stall

hervor.

Diese auf der moralischen An¬ schauung basirende Beurtheilung der Kunst hat zu der denkbar verkehr¬ testen Klassifizirung der Künstler Anlass gegeben. Sogar die Grösse, die Art der Earbe ob Wasser¬ oder Oelfarbe ,

kurz alle möglichen nebensächlichen Eigenschaften hat die Unwissenheit der Kritiker als Maassstab angesetzt, nur die Hauptsache, den Charakter des Werkes, der in der Behandlung der Earbe, des Lichtes und der Eorm seinen Ausdruck findet, nicht. Das wunderlichste Resultat derartiger Kritik zeigt sich, wenn man sie auf das Theater anwendet. Da ist die handelnde Person eine wirkliche

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Schauspielerin (die man auch ausserhalb des Theaters sehen kannj, welche in die Kunst ihr ganz realistisches «Ich» mitbringt, und doch wird ihre Stimme, die Anmuth ihrer Bewegungen, ihre

Augen, ihre natürliche Schönheit nicht als realistische Manifestation, sondern als ideale Reproduktion angesehen, als wäre sie nicht eine wirkliche Person, sondern ein Geschöpf des Gehirnes, das Resultat idealer Aspirationen des Autors. ^

Dieser Art Kritik liegt ein bis auf die .S])itze getriebener .Skepticismus zu Grunde, der selbst durch eine lebende Person nicht gebrochen werden kann, und der verhindert, dass man an der Plxistenz wahrer und schöner Dinge und Erscheinungen in der Wirklichkeit zweifelt.

Wenn daher ein Künstler in solcher «moralischer Temperatur» erscheint, der historische oder psychologische Themen malt, wird er sofort als Idealist klassihzirt, man umgibt ihn mit einer Atmosphäre von Geschichte und Philosophie, bezaubert ihn durch den Haschisch «Mission», bis er zuletzt von dem WTge der Mmhrheit, auf dem er einst begonnen, abgelenkt ist.

Zum Glück für die Kunst blieb Segantini von diesem .Schicksal verschont, sei es durch seine eigene Kraft, sei es, weil er in einem einfachen geschichtslosen Lande lebte, dessen Bewohner er in der Ameisengeschäftigkeit ihres Alltagslebens schilderte, und aul welche er herabsah, wie ein Mann, der einen Ameisenhaulen beobachtet.

Plr war ein Maler, dem die Welt nur eine Kollektion glänzender P'lecken, heller Lichter und bestimmter Lormen bedeutete. Seine Bilder sind nicht der Ausdruck seiner Schmerzen, seiner Seele. Was er als Mensch litt, was ihn erfreute, verbarg er in sich und Hess es keinen Theil haben an seiner Arbeit als Maler.

bür einen Maler ist das Leben nicht die Oftenbarung von Kraft, Bewegung und Gefühl von Mensch und Thier allein, Leben ist auch der Sonnenstrahl, der Aveite Pdächen badet, die Mauern der Häuser in breite P'lecken auflöst, der zitternd sich auf Pduss oder See legt, der Sommerwolken glänzend umsäumt, Leben ist die Dämmerung des Abends, die sich im Herbst auf leere PTlder senkt, oder sich zwischen die Häuser des Dörfchens drängt, Leben ist das beständige, ruhelos wechselnde Spiel von P'arbe und Licht, das beständige SchAvanken des Gleich- geAvichts des Lichts, Leben ist die Harmonie der Natur.

Segantini AAmr ein Amllendeter Meister dieses Lebens. In seinen Bildern circulirt die Luft, vibrirt das Licht, beschauliche

G. Segantini. tjewandstudie

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DiK KLiNST uxserp:r zErr

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Rinder ordnen sich der Fracht der Natur als (ilieder der (iesammtheit harmonisch ein.

Seine Ihlder sind nicht romantische Inter- [)retationen oder y\uszlig'e aus Melodramen, sontlern aus sorgfältigster Naturbeobachtung künstlerisch geschaffen. Er malte mit dauern¬ den Farben, und seine klare Technik ist von Licht durchstrümt. Ferne Horizonte, über¬ zeugend und fein gemalt, waren seine Haupt¬ stärke. Fh' kannte den schonen violetten Ton, welcher die Fernen weiter macht und dem Bilde einen ganz besonderen Reiz ver¬ leiht. Sein Himmel ist bewegt, tief und glanzvoll, seine Erde die lebt und athmet wie wir Menschen frisch und crrün.

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Segantini’s Bilder sind, was Kompo¬ sition und Lichtvertheilung betrifft, mit bei¬ nahe mathematischer Genauigkeit aufgebaut, mit so ausserordentlich reichen koloristischen Mitteln hergestellt, mit solcher Mannigfaltig¬ keit in dei Kombination, mit solch unei- Q Seg-antiui. l'Vagment zu dem Gemälde Ave Maria

hörteni Gefühl für die subtilsten Nuancen

von Farbe und Licht, dass die Malfläche vollständio- verschwindet, der Hintergrund weit zurück tritt und die gemalten Objekte von vibrirender Luft und glänzendem Licht umflossen erscheinen.

Er brachte alle Kontraste von hellen und dunkeln Tönen und die reciproke Beziehung der komplicirtesten Farben auf das Ueberzeugendste zum Ausdruck. Die wechselnden, durch Harmonie im Gleichgewicht erhaltenen Farben und Lichteffekte bilden und füllen Seo^antini’s Gemälde.

Er war ein Maler, der wirklich und ausschliesslich Maler und nichts Anders war, frei von aller Manirirtheit; der in der Wiedergabe der Phänomene von Farbe, Licht und Form die Erfüllung seines Berufs sah. Seine Bilder drücken Emotionen, nicht seine subjektive Ansicht von der Bedeutung des Lebens aus, bezwecken nicht in dem Beschauer Sentimente zu erwecken, Lehren zu predigen, es sind einfach Wiedergaben von bestimmten Erscheinungsformen des Lebens.

Beim Anschauen eines Segantini’schen Bildes, wie bei der Betrachtung der freien Natur, mag sich der Beschauer denken was er will, der Künstler strebte nicht darnach zu überzeugen, zu bezaubern, zu bekehren. Sein Streben war, die von einem Rahmen umgebene Fläche in lebendige Natur umzuwandeln mit all’ der überzeugenden Logik bestimmter Erscheinungsformen und allen Zufälligkeiten, welche das Leben hervorbringt. Es ist ihm gelungen, und dies ist das grösste Lob, das man einem Maler zu Theil werden lassen kann.

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DIR KUNST UNSERER ZEIT

Noch einige wenige Worte über sein letztes grosses Werk, an dem er bis kurz vor seinem Tode mit Begeisterung arbeitete. Da ich es weder gesehen habe, noch eine Abl)ildung davon existirt ist der beste Weg eine klee davon zu geljen, Segantini’s eigene Worte anzuführen. Er schrieb mir kurz vor seinem Tode:

«.Vugenblicklich arbeite ich an einem grossen, für die Pariser Weltausstellung bestimmten Bilde. Dasselbe ist acht Meter lang und in drei Theile getheilt. Die Mitte stellt eine weite, von Piergen umgrenzte Weide dar. Hinter den Bergspitzen geht die Sonne unter und badet die Natur in leiden- schaltlichen, warmen P'arben. Im AhuMergrunde ist eine Herde heimkehrender Rinder. Dieser Theil soll die grandiose Strenge der Alpenwelt wiedergeben; die beiden Seitentheile bilden zwei P'iguren,

welche die Alpen¬ pflanzen Almen¬ rausch und ffdel- weis s)'mbolisiren.

Dies Bild beab¬ sichtige ich zur Pdn du siede nach l’aris zu senden, und hoffe, dass dies Werk Ihre Ph'wartungen \’on der Zukunlt meiner Kunst und Ihren aufrichtigen Enthusiasmus rechtfertigen wird.

Ich arbeite an diesem Bilde mit Kralt und Leiden¬ schaft, modellire

Cr'. Sefi-autini. Mittagszeit

den Rahmen für dasselbe und ent¬ werfe ein Muster für den Teppich, der den Hinter¬ grund bilden soll. Ich werde das Bild photographiren lassen und Ihnen eine Reproduk¬ tion baldmöglichst übersenden; Sie sollen der Erste sein, der eine genaue Idee von meinem letzten und wie, ich hoffe, meinem besten Werke haben wird. »

Leider hat der Tod ihn an der Vollendung seines Ihldes und der Pirfüllung seines Wrsprechens verhindert. PT starb am 29. September 1899 und liegt in demselben kleinen P'riedhof begraben, den er in seinem Pnlde '<Der Glaube tröstet den Kummer» verewigte. Seine Gattin hat mehr als einen guten Mann, seine Tochter und drei Söhne mehr als einen guten Wter verloren einen wahren Freund.

Hat auch die Kunst und durch sie die Menschheit einen grossen \ erlust erlitten.' Ich werde diese P'rage nicht zu beantworten versuchen. Aber ich meine, dass die Kunst vermöge seines grossen 'Palentes einen Schritt vorwärts gemacht hat, dass er der Menschheit ein unvergängliches Wrmächtniss hinterlassen hat, und dass sein Anrecht auf Ihisterblichkeit unbestreitbar ist.

London, November 1899.

Hans Thoma

VON

A. SPIER

Seine Kindheit

Vor zehn Jahren hiess über Hans Thoma schreiben für ihn kämpfen. Da musste man der Ueber- zeugung die stärksten Worte leihen und noch auf Glück und Glauben bei dem grossen Publikum rechnen, das neben der Mode herläuft und die Köpfe nur umdreht, wenn es «Feuer» schreien hört.

Viele Jahre hindurch haben wir für Hans Thoma Feuer geschrieen. Viele haben die Köpfe umgedreht und sind weiter gegangen. Einzelne haben sich in ihrem Gewohnheitsschritte stören lassen, sind näher getreten, und sie sahen, sie fühlten; «Ja, da brennt es, das heilige Feuer der wahren Kunst!»

Und sie fanden eine trauliche, vertraute Gesellschaft, die das schon lange wusste, die sich wärmte und sich freute.

Wie diese Wenigen seine Kunst und sein Leben kennen lernten, aus eigener Anschauung

und aus seinen Erzählungen, so soll es hier erzählt werden, nicht mehr im werbenden Ton,

welcher das Publikum interessiren, gewinnen soll, welcher der Wahrheit Schellen anhängen muss,

was ihrer Würde nicht entspricht; nein, im einfachen, gedämpften Tone, der ihr hoheitliches

Vorrecht ist, soll die Wahrheit zu Worte kommen.

Die Leberisgeschichte Hans Thoma’s erleidet gegenwärtig, da so viel über ihn geschrieben

wird, Entstellungen in allen Variationen. Was hier von ihm gesagt wird, darf als Widerlegung gelten,

denn es ist von ihm gehört, gekannt, bestätigt worden.

Der arme Junge aus dem Schwarzwald war nicht arm; objektiv vielleicht, subjektiv nicht.

Und auf die Subjektivität kommt es in diesem Falle für das verspätete Mitleid an.

Er ward am 2. Oktober 1839 geboren, in dem schönen Monat, in dem die Sonne oft noch

so warm scheint, als wollte sie einen zweiten Sommer eeben, und in dem schon die Ernte reif ist.

Er erblickte das Licht einer herrlichen Welt in Bernau im badischen Schwarzwald. Er ist wirklich

hochwohlgeboren, in einem Bergdorf von auserlesener Eigenart, von ernster Schönheit. Zwischen

schwarzen Wäldern in einem Wiesen-Garten liefen die zerstreuten Häuser. Wenn über diese Wiesen

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

der Frühling kommt, stehen sie in einer paradiesischen harbenpracht. Der Sommer färbt die Vogel¬ beeren glühend roth, die Waldbäche sind das Lauteste in dieser schweigsamen Welt. Im Winter ist sie so erhaben still, dass die Herzen die Religion und ihre Hoffnungen brauchen, um sich nicht zu fürchten.

In dieser grossen Natur wuchs Hans Thoma auf. Er ist guter Eltern Kind, gut waren sie im Wesen wie im Handeln; seine ganze nächste Umgebung war von ursprünglicher, kerniger, guter Art. Seinen Vater verlor er früh, doch lernte er ihn durch die Schilderungen seiner lebhaften Mutter als einen gescheiten, gefühlvollen Mann kennen. Die Brüder seiner Mutter waren Männer von starker Eigenart, Uhrenschildmaler von Beruf. Der Eine hatte sich aus seiner eigenen Denkkraft heraus eine philosophische Lebensanschauung erworben, die bis zu seinem Ende nicht erschüttert wurde. Er verschied mit der Uhr in der Hand, seine Auflösung beobachtend und liebevoll mit seiner Familie sprechend.

Ein zweiter Bruder beschäftiofte sich vorwieoend mit Relio-ion, war dabei von ausserordentlicher Geschicklichkeit und musikalischer Begabung, er baute Orgeln und Klaviere.

Eine Schwester der Mutter ward durch ihren moralischen Muth , sie stand einem Ver¬ unglückten, als Alle leig davon lielen , bei, vom Arzt veranlasst, Kranken[)flegerin zu werden. Sie war durch Jahrzehnte hindurch eine anerkannte Pflegerin, schrieb aus ihrem thätigen Leben lange Briefe an ihre Schwester in Bernau über religiöse Fragen und hinterliess Niederschriften ihrer Erfahr¬ ungen im Beruf.

Eine andere Tante Hans Thoma’s war ganz Samariterin. Sie nahm Jeden auf, der Hilfe und Brod suchte. Den Thoma’schen Kindern ist ein Webergeselle unvergesslich, der zur Winterszeit über die Schwarzwaldhöhe wanderte, bei dieser Tante Obdach suchte, und so lang die Kälte anhielt, als Gast bei ihr blieb. Am Abend las er mit ihr in der Bibel, erzählte ihr aus seinem Leben, und ehe er ging, vertraute er ihr an, dass er aus besseren Verhältnissen stamme und nur aus Demuth Webergeselle geworden sei.

Der Ton der Familie war keineswegs frömmelnd, bei christlichem Thun herrschte eine grosse Fröhlichkeit. Es wurde gesungen und gegeigt und getanzt. Ein Onkel, der eine temperamentvolle Erau hatte, pflegte ihren Redestrom zu unterbrechen, indem er die Geige in die Hand nahm und spielte, bis sie sich Genüge gethan hatte.

Die Streiflichter auf diese wirklich nicht alltäglichen Ahnenbilder sollen nur die Geistessphäre des Milieus bezeichnen, in welchem Hans Thoma aufwuchs, sie sollen beweisen, dass er von einer anregenden Umgebung geweckt wurde, dass er unter selbstsicheren Menschen gross wurde. Diese Menschen standen so fest und aufrecht im Leben, wie sie in den Thoma’schen Bildern stehen. Hans Thoma’s ganze Familie hatte und hat eine eigene Vornehmheit, welche in dem unabhängigen Gefühl der Selbstsicherheit, der Selbstberechtigung liegt.

Das waren keine Bauern, die müde und zerschlagen von harter körperlicher Arbeit heimkamen und stumpfe Ruhe wollten. Das waren heimliche Künstler, die ihr tägliches Brod und Gemüse bauten, die aber auch mit feinen Fingern und aufmerksamen Sinnen Uhren bauten, an langen Winterabenden schnitzten und malten und dabei Gedanken hatten und sie aussprachen.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Ob ein junges Kind seine ersten Eindrücke, und das sind meist die stärksten, in schön eingerichteten Zimmern und am reich gedeckten Tische erlebt oder in einer einfachen Stube, das macht sie nicht wirksamer, nur seltener, viel seltener sind ursprüngliche, individuelle Entwicklungen, eigenartige Lebensbethätigungen in der Sphäre des städtischen Wohlstands, des nivellirenden Kultur¬ lebens zu finden. Die ganze Erziehung und die ganze Gesellschaft arbeiten dagegen, sie geben dem Individuum Gesetze, ehe es sich

selbst entdeckt hat, und das Gesetz- mässige, das von Aussen eindringt, erstickt seine zarte Existenz, die in der Stille stark g-eworden wäre.

ln der Thoma-Hütte im Schwarz¬ wald war es still und gemüthlich.

Kein grosser Einrichtungsapparat beschäftigte und beunruhigte ihre Bewohner, sie hatten Zeit zum- be¬ schaulichen Lebensgenuss. Unter diesem Dache ward auch gut ge¬ kocht. Da stand eine tüchtige, kleine, energische Frau am Heerde, die einen eisernen Willen und ein weiches Herz hatte und ihre Familie wohl pflegte.

Als ihr Mann gestorben und sie mit den Kindern allein war,

Hess sie der Bürgermeister von Bernau rufen und bot ihr seine Hilfe an. Sie aber schlug sie aus.

Mit ihrer Hände Arbeit erhielt sie sich und ihre Kinder, und damit ihre Freiheit, ihren Stolz, ihren Humor. Mit der Ablehnung der Männer, welche ihr bei der Be¬ stellung ihres Feldes mit Pflug, Wagen und Pferd behilflich sein mussten, eilte es ihr alljährlich sehr, damit sie immer schnell und gut vor den Begüterten versorgt wurde.

Mit wachem Sinn sah sie ihren Johannes aufwachsen, kopfhell und handgeschickt werden. Sie unterstützte jede Regung durch ihr natürliches Interesse, das Ausschneiden, das Zeichnen, das Lesen und Lernen; sie fragte Pfarrer und Bischof um Rath, ob ihr Sohn geistlicher Herr werden solle, ihre

Hans Thoma. Religionsunterricht

EnerMe sorgte und handelte für ihn.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Die Schule belastete Hans Thoma nicht. Was sie ihm zumuthete, beherrschte er leicht bei seiner Begabung. Er konnte im Wald und auf den Wiesen seine b'reiheit geniessen, seine Eindrücke täglich in diesem unbewussten Geniessen befestigen, in sich einwachsen lassen.

Das war die Zeit der Gnade, in welcher ihm die Naturanschauung zu eigen wurde, die der unerschöpfliche Grund-Reichthum seiner Kunst ist.

Theater, Eektüre, ein geschwätziger Verkehr, Halbverstandenes und Beirrendes, Alles, was eine städtische Kultur dem Knaben gegeben hätte, wäre weniger, ja, wäre feindselig gewesen, im Vergleich zu diesem unmittelbaren Gewinne an Naturfreude, Naturfrieden, Naturanschauuno-.

Seine W a n d e r z e i t

So gut und reich mit inneren Schätzen ausgestattet, ging Hans Thoma im Jahre 1854 in die Fremde, nach Basel, in die grosse Stadt, von der seine Mutter ihren Kindern erzählte, da liefen die Millionäre mit den Geldsäcken auf dem Rücken in der Strasse herum.

Heute sind Hans Thoma’s Bilder hochgehaltene Schätze in den Häusern dieser Millionäre, damals wanderte dieser Hans dUioma bescheiden und weltfremd in die Eehre zu einem Litho¬ graphen. Er hielt nur die Probezeit aus, das Heimweh war es wohl, was ihm die Empfindung von Krankheit gab. Ein Jahr später ging er wieder nach Basel zu einem Anstreicher. Er war ungern dort und kehrte im Herbst nach Bernau zurück.

Aber Basel gab ihm etwas Neues, Wirksames mit auf den Weg, er hatte die Bilder der Baseler Gallerie gesehen, einen grossen Pdndruck von ihnen empfangen und den Wunsch, auch einmal solche Bilder zu malen.

Der Traum war in die Seele geflogen, der führende Traum.

Damals schrieb eine Tante der Mutter nach Bernau, sie habe den Hans in Basel gesehen, er beunruhige sie durch «seinen jenseitigen Blick».

In Bernau grift er von der inneren Natur oretrieben wieder zur künstlerischen Beschäftio-unof.

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Er hatte schon früher die Bilderbogen des Nachbars kopirt, das Blatt des Abel el cader ist ihm bis heute unvergesslich. Nun kolorirte er Bilder aus illustrirten Zeitungen, vergrösserte kleine Kupfer¬ stiche, zeichnete.

Das praktische Leben zwang ihn, diese Neigungs-Thätigkeit aufzugeben und eine neue Lehrstelle bei einem Uhrenschildmaler in Furtwangen anzunehmen. Die passte ihm eher, da gab es Farbe, Bilderaufgaben, das gefiel ihm. Aber die Mutter konnte die materiellen Bedingungen nicht leisten, und er musste abbrechen.

Einige technische Fertigkeiten brachte er nach Hause mit. Er zeichnete und begann nach der Natur zu malen. Das freudige Gefühl eines werdenden Könnens liess ihn die Enttäuschungen verschmerzen. Ganze Sonntage sass er im Wald, zeichnete Bäume, Landschaften, Figuren, und wie er selbst sagt: «aber warum und wozu, durfte ich nicht fragen, verdienen konnte ich Nichts damit.»

Er verdiente wohl schon etwas. Auf einer nahen Glashütte bemalte er Flaschen und Gläser mit grossem Vergnügen und Geschick. Aber einen Lebensberuf schien ihm das nicht zu versprechen.

H. Tlmnm piiix.

Phoi. F. Haui - ^ogi, UUQobeo

Wächter vor dem L, 'ebesgari er;

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Inzwischen suchte und fand die Enero-ie der

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Mutter neue Weo-e. Sie truo-

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die Proben seiner Berab-

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ung' zu den Honoratioren von St. Blasien, der Kunst¬ freundlichste und offenbar auch der Kunst¬ verständigste schickte sie zur Begutachtung nach Karlsruhe.

Voll Spann¬ ung erwartete die Familie den Bescheid. Mehr als einmal ging Hans Thoma

Hans Tho7na. Raufende Knaben

schöne Zukunft entgege, Sie werde selbst noch Direktor von der Kunstschul’ in Wahrsager seinen Triumph erlebt hat? Er könnte durch diesen Erfolg Zuspruch Schreiberamt aufgeben.

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in das Amts¬ haus den Schreiber fragen, ob noch keine Antwort eingetroffen sei. Und der Schreiber im Amtshaus blieb ihm unvergess¬ lich. Er war es, der ihm eines Tages im zuver¬ sichtlichsten, eigentlich im prophezeien¬ den Ton, ihm ernst dabei in die Augen schauend, sagte : «Warte Sie nur ruhig, junger Mann, Sie gehen einer Karlsruh ! » Ob der bekommen und sein

Der damalige Direktor der Kunstschule, Schirmer, fand die eingesandten Zeichnungen so vollgenügend, dass er den Eintritt Hans Thoma’s in die Kunstschule auf das entschiedenste befürwortete.

So zog Hans Thoma von Bernau nach Karlsruhe, wo er als Kunstschüler das Kunstschaffen der Meister zu sehen hoffte.

Schirmer nahm den Neuling in seinen Schutz, interessirte sich für ihn, erkannte alsbald eine Kraft ihn ihm. Als er damals dem Grossherzog und der Grossherzogin Hans Thoma vorstellte, sagte er vor der Thüre: «Das war der kleine Schwarzwälder, aus dem wird etwas Besonderes!»

In der Klasse warf man Hans Thoma merkwürdige Sünden vor, die Sünden der über¬ schüssigen Kraft. Er malte in einem halben Tag einen Kopf, an dem er acht Tage malen sollte, und wurde angezeigt, weil er noch neben den Köpfen heimlich Bilder male.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Hans Thoma. Ulick in’s Thal

Schirmer stellte ihn zur Rede und verlang-te solch ein heimlich gemaltes Bild zu sehen. Als er es zur Pmtrachtung auf die Staffelei stellte, meinte er;

<‘Ei, das ist ja ganz hübsch. Mach’ er’s nur fertig. Köpfe kann er noch genug malen.»

Das Bild. Eine Schwarzwaldhütte in der Winterlandschaft. Schnee auf dem Dach, Eiszapfen an der Dachrinne, die Thüre offen, Eeuer auf dem Heerd, eine Bäuerin trägt Holz zu ein Heimathsbild aus der Heimathssehnsucht entstanden.

Der Kunstverein kaufte das Bild, der Grossherzog gewann es.

Schirmer hat sich Hans Thoma gegenüber ganz als klarsehender Künstler bewährt. Das, was in der Komponirklasse zuerst belacht wurde, lobte Schirmer so, dass die Lacher die Köpfe zusammen steckten und künftighin die Arbeiten Hans Thoma’s ernster nahmen.

Es war zur Zeit, als Schleich ein Neuerer, ein bekämpfter Neuerer war. Als Schleich seine Heuernte in Karlsruhe ausstellte, die Thoma grossen Eindruck machte, hörte er zu seiner Ereude Schirmer sagen: «Ei, das ist ja eine ganze Welt.»

Thoma gefiel diese ganze Welt, und Schirmer konnte sie wohl gefallen, weil er eine Welt verstand, wenn es auch nicht seine war.

In dem hier beicresfebenen Bilde aus der ersten Karlsruher Zeit Thoma’s; «Blick in’s dhal»

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liegt der ganze Einfluss Schirmer’s, die .A.rt seiner Komposition, seine Earbengebung, nur der Ausblick, die leuchtende Lerne ist unmittelbare Thoma’sche Anschauungsweise.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Dieses Bild wurde damals nach Wien verkauft an einen «Mäcen». (So nennt man auch Leute, die mehr Geld im Portemonnaie haben als Andere und hie und da etwas für Bilder hergeben, besonders dann mit verstärkter Grossmuth, wenn man versichert, die betreffenden Bilder würden einmal viel mehr werth sein und wären in diesem Sinne auch ein Gewinn.)

Die Preissteigerung der Thoma’schen Bilder hat auch dieses Jugendwerk in die Maingegend zurückgebracht. Jetzt kostet es wohl so viel Mark als damals Pfennige. Das war nicht der einzige Verkauf des Kunstschülers Thoma, die Kunstvereine von Stuttgart und P’reiburg kauften ebenfalls Bilder von ihm, und er arbeitete im ermuthigenden Gefühl des Erfolges.

Der Tod Schirmer’s im Jahre 63 war ein grosser Verlust für Thoma. Die nachfolgenden Lehrer hatten weder menschliches noch künstlerisches Verständniss für ihn, denn er war unter keine Schablone zu zwingen. Die Akademie-Schablone und die Gesellschafts-Schablone nahm der Bescheidene, Zurückhaltende, sich selbst noch nicht Offenbarte aber seiner Natur Unterworfene nicht an.

Kanon war der Einzige unter den reifen Künstlern, zu dem er ein Verhältniss hatte. Sein Können zog ihn an, interessirte ihn, er hat Manches von ihm gelernt, wohl auch als Kanon ihn porträtirte. Aber Kanon durchfühlte Thoma nicht. Er sagte einmal, er möchte wohl wissen, was hinter seinen Bildern stecke, die thuen so als ob

Die damalige Karlsruher Zeit, in welcher Schirmer’s Einfluss nicht ersetzt wurde, könnte man wohl die mühsamste Konfliktszeit in Thoma’s Jugend nennen. Fern vom schützenden Heimaths- frieden, in der Fremde, erlebte er die erste Berührung mit der städtischen Gesellschaft, sah ihre kleinen und grossen Tücken und Gefahren, sah und erfuhr es schon an sich, wie sie Kunst und Künstler behandelte, erfuhr, dass es falsche Gönner und falsche Freunde gab, und so leicht ihn das auch lustige Kameraden zu lustiger Stunde vergessen machen konnten, in der Einsamkeit kämpfte er mit den Schmerzen des Zweifels, ob er ein Recht habe so zu malen, und wenn er kein Recht habe, er konnte doch nicht anders

Was half ihm alle Protektion. «Talentvoll»

Militärutensilien zu zeichnen, wie man ihm entgegen¬ kommend vorschlug, das widerstrebte ihm, dazu konnte er seine Kraft nicht verkleinern Niemand konnte ihm rathen , da er selbst nicht zur Klarheit durch¬ gedrungen war.

Wie er Künstler wurde

Da entdeckte er einen Freund, der ihm in diesem Kampfe beistand, der zur Klarheit führte und ihn nicht mehr verliess, einen Freund, der ihm antwortete:

Albrecht Dürer.

Hans Thoma. Feierabend

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Thonia schildert selbst in bewegten Worten den ersten Eindruck:

«Neues Leben zog in mich ein.»

«Auf einmal, ich weiss die Stunde noch, sah ich ihn, erkannte ihn in all seiner Herrlichkeit, und nun ging erst eine wonnige Ahnung in mir aul, was Kunst ist. Nun gingen mir nach vielen Seiten die Augen auf, nun ting ich an, die Farbenpracht der Bilder wie Frühlingszauber zu empfinden.

«Durch dieses geweckt, sah ich, dass jeder Stein, jeder Grashalm voll Ausdruck ist, und dass es für die Malerei nichts Unbedeutendes in der Natur gibt. Nur die Augen öffnen, und Alles ist schön!»

Bestimmt und klar sehen heisst die Schönheit jeder Natur-Frscheinung entdecken.

Thoma nennt Dürer den grossen B’eind aller Unbestimmtheit. Sein Einfluss war es, der d'homa zu sich, zu seiner eigenen Kraft gläubig zurückführte.

Für diese war an der Kunstschule kein Raum. Er ging nach Basel, von einem Freunde angeregt, und wollte sich da, so bescheiden war er, um eine Zeichenlehrerstelle bewerben, wohl in

dem Gedanken, neben dem sicheren Erwerb noch frei schaffen zu können. Er hatte immer das Bedürfniss nach bürgerlicher Unabhängigkeit und Ordnung, und kein Geniegebahren verrieth seine Sturm- und Drangzeit.

Zum Glück bekam er die Zeichenlehrerstelle in Basel nicht, fand da auch keinen rechten Boden für seine Kunst und zog nach Düsseldorf.

Erfüllt von grossen Naturanschauungen, mit Dürer’s Schöpfungen im Geist beschäftigt, nach Düsseldorf! im Jahre 1867! Zu dieser Kunst der Vautier’s, Jordan’s, Achenbach’s!

Er muss sich die Bilder jener Zeit mit sonderbaren Gefühlen betrachtet haben, auch die Herren, die sie malten, die wohl gar nicht lügen wollten, aber doch Alles ungefähr sahen, wie es nicht war und nicht sahen, wie es war, und sich so behaglich in ihrer flüchtigen Autorität lühlten.

Nicht missachtend und nicht grübelnd sah das Hans Thoma an, nur kopfschüttelnd ging er vorüber. In seinem «festen» Kopfe verursachte dieses leise Schütteln keine Revolution. Er malte in seiner Weise weiter, bald lustig, bald unlustig, aber doch überwiegend lustig. Er betrachtete sich die Düsseldorfer Welt, tanzte auf ihren Bällen, einmal sogar auf einem Maskenball als versiegeltes Paket, in Packtuch eingenäht, verehrte und verzehrte in jugendfroher Art, machte allerlei Tausch¬ geschäfte, gab Bilder für Rahmen, fand auch hie und da einen Käufer, er malte sich durch .

Ein Frankfurter, der bis vor wenigen Monaten in London lebte und jetzt nach Frankfurt zurückgekehrt ist, ein Porträt- und Stillleben-Maler feinster Art, Otto Scholderer, sah in Düsseldorf zwei Bilder von Hans Thoma, und noch heute schildert er mit Bewegung die Grösse, die Heftigkeit seines Eindrucks. Er, welcher aus einem Frankfurter Kreise kam, in welchem Kunst betrachtet und besprochen wurde, er, welcher eine feinsinnige Fühlung für echte Kunst besass, er war

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wie überwältio't von der Naturkraft der '1' ho ma’ sehen Kunst, er ulaubte an sie von dieser ersten Stunde an. Kr suchte ihn^ den Unbekannten, in seinem Atelier auf, dort verstärkte sich der Eindruck, der ihm wie eine Offenbarung schien, Solche Anerkennung und das eigene innere Leben und Arbeiten hoben den Muth. Hans Thoma’s. Mit unverdorbenem, von keinem Schulrecept beeinflussten Geschmack, nur dem Drang nach Anreounof, nach Gedankennahrung' und Gedanken- klärung folgend, nahm er aus den grossen Geistes- werken, aus der Bibel, aus Homer, aus der Edda, aus dem Heliand, aus Goethe, Schiller und Shakespeare, aus Hebel und Grimm, aus alten Kalendern und Mythologien seinen Theil, wie eine Saat, in sich auf.

Die Bibel, die Märchen, die Hebel’schen Gedichte,

sie hatten schon den Knaben gefesselt. Wie gut, wie

lebendig erzählte seine Mutter, wie schön sangen sie

zu Hause das Lied an den Morgenstern:

«Und was mei früeih um Vieri thut,

Das chunt eim z’Nacht um Nüni gut.»

Und wie lieb sagte seine Mutter:

«Ne freudig Stündli Ischs nit e Fündlir»

Hans Thoma. Zwischen den Mauern von Sorrent

Sein so reich gefülltes, bewegtes Geistesleben gab den Misshelligkeiten der äusseren Existenz nur so viel Bedeutung, als sie sich erzwingen konnten. Alles in ihm wehrte sich gegen ihre Geltend¬ machung. Keine Genusssucht, keine Streberei stachelte seinen Ehrgeiz nach materiellen, äusseren Erfolgen, er hatte mit dem Aufbau seiner inneren Welt zu thun und sah allmählich Geldmangel wie Unverständniss als Störungen an, die er um seines lieben Friedens willen möglichst zu beherrschen suchte.

Im Sommer ging er nach Bernau und erholte sich beim Malen vor der Natur für einen zweiten Düsseldorfer Winter.

Unvermuthet verkaufte er da alsbald eine Landschaft und entschloss sich, mit Otto Scholderer, von ihm zu dieser Reise angeregt, nach Paris zu fahren.

Da stand er im Louvre vor neuen, tiefen Eindrücken, vor Rembrandt, Millet, Delacroix, Rousseau, Corot, Troyon, Courbet! Wie eine neue Befreiung von drohender Zaghaftigkeit, wie eine Bestärkung des eigenen Wollens wirkten diese Künstler auf ihn. Es war, als ob sie ihm zuredeten, nur keine fremde Macht einzulassen. Courbet ’s Kunst war ihm wohl die verwandteste. Dessen Muth, so deutlich zu sein, begeisterte ihn, da stand es gemalt, dass man so malen durfte, wie man sieht, und das konnte er!

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Mit dem frohen Gefühle der künstlerischen Selbstberechtigung kehrte er nach Bernau zurück, spannte grosse Leinwände auf und malte zehn Bilder mit eigenem Wohlgefallen an der Arbeit und an dem Erreichten.

Diese Bilder packte er zur geplanten Rückkehr nach Düsseldorf ein. In Karlsruhe machte er Station und zeigte sie einzelnen Kollegen. Diese überredeten ihn, seine neuesten Arbeiten auszustellen, sich damit o-eltend zu machen und zum Vortheil der Kunstschule in Karlsruhe zu bleiben.

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Solch ein grosses «Talent dürfe nicht aus dem Lande gehen.

k'reudig folgte er diesem Vorschlag, und die Ausstellung erregte einen Sturm des Unwillens bei den damaligen Vorständen des Kunstvereins, Persönlichkeiten, die durch ihre Rente zur kunstrichterlichen Stellung kamen , die anscheinend ihr Geschäft aus¬ gezeichnet verstanden hatten, aber die Kunst hatte sich ihnen nie vorgestellt.

Dieser Misserfolg trieb damals, es war im Jahre 1869, Hans Thoma nicht von Karlsruhe weg, im Gegentheil, er hielt ihn fest. Seine Art, sich zu wehren, war keine direkte, keine kämpfende, sie drückte sich in einer Art Beharrungsvermögen aus, Be¬ harrungsvermögen bei seiner Arbeit. Er war kein Streiter, der laut und lauter schrie:

«Glaubt mir! Das bin ich! So bin ich!»

Er war ein Arbeiter, der sich sagte; «Das ist mein Pfund! So will es gestaltet sein. Immer weiter! Ich thue, was ich kann ! »

Aber die Philister, die damals gegen ihn waren, und ihn auch heute nicht begreilen, sie

lieben, wenn sie überhaupt etwas ausser sich selbst lieben, ihre Vorurtheile; sie haben

keine Urtheile an deren Stelle zu setzen. Darum bewahren sie diese treue Anhänglichkeit an ihre Geisteskinder.

Die Philister sahen in Hans Thoma, der auch nicht ein ihnen wohlgefälliges rührendes Genrebild für die unbewohnte gute Stube malte, einen Ketzer, der die Menschen ohne Cylinder und ohne Handschuhe, mit denen «man» doch nicht umgeht, in den Vordergrund stellte, der bei Courbet Socialismus gelernt hatte und mit der Farbe ein Revolutionär sei.

In sehr wechselnden Stimmungen blieb Hans Thoma kraft eben seines Beharrungsvermögens in Karlsruhe. Dann riss er sich aus der Residenzstadt los, holte sich erst den Heimathsegen im

Hans Thoma. Die Quelle

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Schwarzvvald und siedelte nach München über, in die echte und einzige Kunststadt Deutschlands, in die Stadt, in der das Philisteriuin auch gedeiht, dein geht es bekanntlich überall wohl auf Erden, - in der es aber keine Oberherrschaft hat.

Wo und wie er arbeitete

München 1869! war ein neuer König.

Die Herrschaft Wilhelm von Kaulbach’s war schon im Schwinden. Piloty Aber die Reihen der Getreuen um seinen farbigen Thron lichteten sich.

Hans Thoma. Ruhe auf der Flucht

Schwind genoss königliche Ehren. Junge neuere Kräfte regten sich und wollten auch Könige werden.

Das monarchische Prinzip hat in der Kunst keinen Bestand. Da gibt es nur ein Reich von Königen,

und König ist Jeder, wer sich als solcher bewährt und behauptet.

Hans Thoma fragte nach keinerlei Regierung; er wollte in München seine eigene Macht

probiren. Er stellte im Kunstverein aus und ward von Einzelnen geschätzt und ermuthigt. Ein

Engländer kaufte die meisten der sündhaften Bilder aus der Karlsruher Ausstellung. Viktor Müller,

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ein bedeutender Künstler und bedeutender Mensch, den Otto Scholderer auf Hans Thoma aufmerksam gemacht hatte, erkannte sofort den Werth dieser Künstlerschaft, näherte sich dem Künstler, trat für ihn ein und schlug als Jury-Mitglied der internationalen Ausstellung in München ihn schon im Jahre 1869 für die goldene Medaille vor.

Auch für die Münchener Kollegen war das zu früh.

So schnell wollten sie ihn doch nicht avanciren lassen , wenn auch Viele schon den General, die Excellenz, einen neuen König in spe in ihm sahen und ihn als «geheimen» Rath da und dort zu ihrem Nutzen auf sich wirken Hessen.

Oeffentlich und einstimmig sollte er noch nicht erhoben werden.

Auch bei diesen Kollegen regiert der Selbstschutz, dieser hartnäckige Gegner der Gerechtigkeit, er weicht nur der Cjewalt, auch nur der künstlerischen Gewalt.

Vor nun 25 Jahren entfernte man in der Münchener Ausstellung zwei schon aufgehängte Gemälde von Hans Thoma, weil sie «ein zu grosses Loch in die Wand schlugen», das heisst, weil sie alle anderen Bilder abschwächten.

Ein Zufall führte dazu, dass ein Kunsthändler «probeweise» ein Bild von Hans Thoma ankaufte. Er besuchte ihn, weil er gehört hatte, dass der junge, keineswegs wohlhabende Künstler im Kunst¬ verein ein Bild gewonnen hatte, das dem Mann seinen Preis bringt, einen Marktwerth. Dieser lockte ihn und bei der Gelegenheit sah er Thoma’s eigene Kunst. Die Wirkung war eine solche, dass er, dem Impulse folgend, ein Gemälde von Hans Thoma für 100 fl. erwarb. Dieser Erfolg war beachtenswerth, die Begeisterung, welche das Bild in ihm hervorrief, war stark genug die geschulte, kaufmännische Vorsicht zu überstimmen.

Aber nach kurzer Zeit brachte der Kunsthändler seinen Kauf zurück, das Gemälde sei als Handelsobjekt unmöglich und Thoma gab die 100 fl. wieder her. Dasselbe Bild wurde vor wenigen Jahren von der Dresdener Gallerie angekauft.

Im Allgemeinen fand Hans Thoma bei den Münchener Kollegen auch keine Eörderung. Wer den Verkehr der Künstler untereinander kennt, weiss, dass sie sich nur in den seltensten Fällen stützen. Jeder steckt zu tief in seiner eigenen Sache. Der Pfgoismus ist für die künstlerische Ent¬ wicklung fast eine Naturnothwendigkeit. Ohne ihn gelangt der Künstler kaum zu der Konzentration, die für sein Schaffen Bedingung ist. Die Geheimhaltung seiner Pläne ist oft eine praktische Nothwehr gegen fremdes Eingreifen. Zwei Künstler müssen als Persönlichkeiten gleich grossmüthig sein, um einen unbefangenen Austausch von künstlerischen und menschlichen Ideen zu pflegen und weder von Neid noch Misstrauen in diesem Austausch gestört zu werden.

Dieses seltene Verhältniss schloss Hans Thoma und Viktor Müller aneinander.

In Viktor Müller lernte Hans Thoma einen Menschen kennen, der trotz aller Kultur natürlich geblieben war, der mit einer vom akademischen Zopf ganz befreiten Kunstanschauung von Paris kam und von der französischen Technik, wie von dem französischen Geschmack weise Nutzen gezogen hatte. Seine Kraft in der Darstellung des Körperlichen, seine Farbengebung litten nicht unter dem französischen Einfluss, sie kamen nur in ihrer Eigenart geschmackvoller zum Ausdruck.

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Nicht die populär oeworclenen Ciemälde Viktor Müller’s, «Ophelia», «Hamlet», «Romeo und Julie», die er seiner Zeit als Bestellung des Hauses Bruckmann malte, sind die charakteristischen voll- werthioren Zeugen seiner Künstlerschaft. Eine lebensgrosse «Nymphe im Waldesgrün», die «Miserables», eine Scene im Freien, sie geben den Beweis für seine grosse und darum damals, heute und in der Zukunft «moderne» Künstlerschaft.

Bis jetzt haben sich für diese beiden Gemälde im deutschen Vaterlande noch keine Gallerie wände gefunden, nicht einmal in Frankfurt, der Vaterstadt Viktor Müller’s.

Wer diese Gemälde des als 43 Jähriger ver¬ storbenen Künstlers kennt, weiss durch sie, dass Viktor Müller die Bedeutung der Thoma’schen Kunst erkennen musste, dass es ihn wie eine Entdeckung berühren musste, so viel natürliches Anschauen und Können, frei von allen akademischen Mittelchen und Fückenbüssern, frei von Kon¬ zessionen an das Publikum zu finden.

An Viktor Müller hatte Thoma einen

Hans Thoma. Vater Faun

Kollegen und einen Freund, in der Gruppe der

Kollegen blieb er auch in München ein Fremdling. Kein Fremdling blieb er in der alten Pinakothek. Da war es, wo ihm Böcklin bei einer Begegnung sagte, er ginge mit Vorliebe in die alte Pinakothek,

da sähe man fast nie einen Münchener Maler. Hans Thoma sah da die Maler, die er suchte, da sah er seinen Intimen, Dürer, da sah er auch den Zauber der italienischen Kunst, und vor ihnen mag der Plan zu seiner ersten italienischen Reise gereift sein.

Im Jahre 1874 entschloss er sich zur Fahrt in’s Fand der Sonne und der Schönheit, und er schrieb von jener Zeit;

«Dort bei den Werken der alten Kunst war ich heimisch und fühlte mich in inniger Gemeinschaft mit allem Guten und Mensch¬ lichen in der Kunst. Dieser Aufenthalt war von bestimmendem Einfluss für mein Schaffen, ich brauchte es nicht zu ändern, sondern ich strebte nach Vollendunor und Klarheit. Was Andere thaten Hans Thoma. Sirenen und wie die Ausstellungen aussahen, war für mich gleichgiltiger

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als je. Der Gedanke einsam zu sein, drückte mich nicht mehr, ein hohes Freiheitsgefühl belebte mich und liess alle kleinlichen Sorgen, die sich massenweise nahten, nicht zum Siege kommen.»

In dieser gehobenen Stimmung, mit gelüllten Skizzenbüchern kam er zurück, arbeitete für sich -- und seine Arbeiten fanden Bewunderer und Freunde.

Unter ihnen war Finer, der ihn nach b'rankfurt rief; I)r. Otto Eiser. Er hatte Thoma’s WArke durch die Beziehung zu den Eranklurtern , Viktor Müller und Otto Sc hol derer, kennen u'elernt und g-laubte an den Künstler und an den Menschen mit jener Begeisterung, aus welcher eine freudige Thatkraft entspringt, durch die der Begeisterte ebenso beglückend empfängt als er gibt.

Die Begeisterung Dr. Otto Eiser’s war es, die Thoma immer wieder nach Erankfurt zog. Nachdem er einige Mal als Gast da gewohnt und verschiedene Bestellungen gemalt hatte, siedelte er im Jahre 1876 ganz nach Franklurt über, heirathete ein Jahr später und gründete sein eigenes 1 leim mit Erau, Mutter und Schwester, in der Handelsstadt, in der Goethestadt am Maine.

Er lernte diese Stadt mit dem Doppelgesicht gründlich von beiden Seiten und schliesslich vortheilhaft kennen, zuerst als Handelstadt für ihn im negativen Sinne, in der Niemand ungeprägte \Wrthe kauft.

bür ’bhoma’s Entwicklung war das von Segen. So blieb er für den Verkauf auf die Begeisterten, auf die Erkennenden angewiesen.

Hätte er ein Geschmacksmuster für die modeläuhgen Käufer gefunden, sie hätten dieses zu den Marktw^erthen geprägt, und ihm hätte es gelährlich werden können. Zu leichte Einnahmen sind grosse Versucher, zudem in einer Flandelsstadt, wo die Macht des Geldes so sichtbar ist, wo so viel für Geld «zu haben» ist. Diese Versucher blieben in den ersten Jahrzehnten fern von ihm.

Aber die, w'elche ihn in seiner Selbsttreue bestärkten, die Begeisterten und die Erkennenden, die mehrten sich.

Ein Kunstfreund aus Eiverpool lernte zu jener Zeit Thoma’s Kunst kennen und lieben und kaufte einige Jahre hindurch das Meiste, w^as er malte. Er stellte im Jahre 1882 62 Bilder von Hans bhoma in Eiverpool aus.

Die Ankäufe in Deutschland waren sehr mässig, sehr vereinzelt, aber die Einnahmen reichten tür ihn und die Seinen und auch für das Ueberflüssige, das seine grosszügige Natur brauchte.

Als ich vor nun 14 Jahren im Erankfurter Kunstverein das erste Gemälde von ihm sah, fragte ich den Portier, w'er dieser Hans Thoma sei.

«Ein kleiner, untersetzter Mann. Verkaufe dut er bei uns nix. Aber nobel ist er, Trinkgelder gibt er, feune, anders wde die Hiesige.»

Er w^ar nie kleinlich und wmsste sich einzurichten. Er hatte das vor sich gesehen. In der Schwarzwaldhütte herrschte Menschenfreundschaft, Gastfreundschaft, und so bescheiden es da zuging, seine Mutter hatte für den P'remden immer einen besonderen Bissen, einen erfrischenden Trunk.

Der Sohn seiner Mutter hatte immer für den Anderen etwas übrig.

Er verlor in der sehr stillen Erankfurter Zeit ganz selten seinen Humor, selbst der Spott brachte ihn nicht aus seiner Haltung. Ein guter, wirklich guter Ereund rieth ihm damals sogar

H. Thoma [liux.

Pbot. F. Haofsiaeogl, MQaoheo

Im Wieseng rund

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seinen Namen zu ändern, eine Zeitlano- in’s Ausland zu o-ehen, um alle Ausstellungs-Misslichkeiten, alles bei diesen Gelegenheiten Gesagte und in’s Lächerliche Gezogene von sich abzuschütteln, vergessen zu machen. Kv aber blieb auf dem freiwillig gewählten Ideck Erde und schuf sich ein Reich, auch ein einiges deutsches Reich, das kein Blut kostete und unter einer friedlichen Herrschaft stand.

In diesen Frankfurter Jahrzehnten, in welchen die Handelsstadt Nichts von ihm wissen wollte, ihre Tausend¬ markscheine für Grützner, Achenbach und Knaus ausgab und Grützner, Achenbach und Knaus für

Hans T/ioma. Oberursel

unverrückbare Werthe hielt, malte er nach seinem freien Willen und Ge¬ schmack. Die Notizen in seinem Skizzen¬ buch, die noch viel reicheren Notizen in seinem eminenten Gedächtniss wurden zu Bildern.

Aus dem Schwarzwald und aus Italien, aus der Wirklichkeit, aus der Legende, aus dem

Märchen, aus der Phantasie überströmten ihn die Stoffe er gab ihnen Gestalt, Farbe, Leben, _

bedauerte, dass er nicht längere Tageshelle, dass er nicht mehr Hände habe.

Die Schön¬

heiten in der Umgebung der Goethestadt stellte er dar. Die Wiesen¬ flächen, von denen sie um¬ geben ist, die Ufer der Nidda, die Ufer des Maines, so wie sie Goethe ge¬ sehen haben

mag. Er malte

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Hans Tlwma. Kastanien.

die Natur an sich , wie sie noch unberührt vom neuen Verkehre war, die Schienen¬ stränge, das Dampfboot, die Pferdebahnen, die Equipagen, die Telegra¬ phendrähte malte er nicht. Auf seinem Maine fahren

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altmodische Kähne mit weissen Segeln, sie fahren an der Gerbermühle vorbei, die so nah bei Frankfurt liegt, und doch so fern, dass ihre Baufälligkeit die rapidesten Fortschritte macht.

Und dieses alte Haus ist ein wirkliches Goethe-Denkmal, das wohl Goethe selbst gern erhalten sähe, oder eher in F'lammen aufgehen Hesse, damit nicht zur Spelunke werde, was für ihn eine Stätte tiefen poetischen Glückes war. Dort lebte er selige Zeiten als Gast der Suleika, der mit ihm der Unsterblichkeit theilhaftig gewordenen Marianne Willemer, der Dichterin des Liedes:

«Ach, um deine feuchten Scliwingen,

West, wie sehr ich Dich beneide ...»

die in den Vorplatz des alten Hauses die wehmüthigen Worte einschrieb :

«Neue Häuser, neuer Raum Mögen sich gestalten

Der Erinnerung schöner Traum Ruht doch auf dem alten.»

Dieses Haus, in welchem ein Traum Goethe’s Leben gewann, ihm hat Thoma auf seinen Gemälden von der Gerbermühle den Zauber der fast treheimnissvollen Weltabcreschlossenheit und

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Stille, die der grosse Gefühlsmensch Cfoethe da sah und genoss, im Bilde wiedergeben, die der, welcher sie empfinden kann, wieder durch die Fhoma’sche Darstellung geniesst.

Das Bild der Gerbermühle, das hier reproduzirt ist, mit seinem tiefblauen Himmel und dem Sonnenschein aut dem Wege mit den Spaziergängern, die nach Hause gehen, es trägt eine Art von besänftigender Poesie in sich:

«Ein stiller Weg im gold’nen Sonnenschein,

Der tröstet bis in’s tiefste Herz hinein ...»

Die weltliche Eleganz der Flandelsstadt, Hess d'homa’s Schaffen unberührt. Von all dem grossen Grund- und Villenbesitz malte er nur den Holzhausen-Park, dem er in den ersten Frankfurter Jahren gegenüber wohnte, von seinem F'enster aus gesehen. Auf dem F'enstergesimse Hegt ein grosses aufgeschlagenes Buch, die Bibel, neben ihr steht ein FOldblumenstrauss.

Ein anderes Mal, wohl nur einmal, brachte Thoma denselben Park auf einem Gemälde, nicht in dem Einsamkeitsfrieden, der Besitzer fährt eben durch den Park seinem Schlosse zu.

Man hatte dem Schlossherrn nahe trelept, das betreffende Bild zu kaufen, die Preise waren damals noch sehr niedrig. Ein Vertreter des Besitzers kam, um es für ihn anzusehen; er machte rasch entschlossen mit der Bemerkuntr Kehrt:

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«Nee, mir fahre solche Gäul net, des is net unser Gspann. Kein Spur von Aehnlichkeit. Gute Morge.»

Als man dies dem Mann erzählte, der von seinem Fenster in den Park sah und ihn sich durch seine Schöpferkraft als schönes Eigenthum im Bilde erschuf, lächelte er und malte weiter.

Er war vollauf beschäftigt, von Ideen bedräno^t. Das schützt vor Grübeleien und hält den Muth gesund. In dieser niuthioren Stimmunof schrieb er an einen Freund:

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«Ich muss Tag für Tag fleissig Bilder malen, denn ich habe einen ganz eifrigen Besteller, der immer neue Bilder will und nicht grenim bekommen kann, er heisst Hans Thoma.»

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ln den Jahren 1880 und 1887 war er wieder in Italien, schaute, zeichnete, malte, brachte neue Reichthümer nach Hause.

.Sein ganzes, unablässiges .Schaffen, nach der Natur, nach dem Modell, nach Gedächtniss und Phantasie, wie es diese siebziger und achtziger Jahre erfüllte, war ein frohes Pmnten.

Die Aktzeichnungen, die Skizzen, die Gemälde, Alles hat etwas ganz P'reies, Ungequältes, etwas Naturstarkes. So verschieden die Aeusserungen sind, so intim ist der Zusammenhang dieser Schöpfungen untereinander, sie können alle nur von Hans Thoma sein.

Selbstverständlich steht er als denkender, tiefschauender Künstler mit allem grossen Künst¬ lerischen, das er sieht, im Ideenverkehr. Die illustrirten Blätter der Bernauer Jahre, die Bauernkunst

vollen Prozess des künstlerischen Schaffens ward sein Eigenes, das Thoma- Eigfene, immer das .Stärkere, das Hervor¬ ragendste, das Lockende, das Leben- d i o; s t e !

Bei der Uebersicht seiner zahlreichen Werke findet man keine Imitation, kein Sichverleugnen.

Thoma wäre witzig, geistreich und geschickt genug gewesen, um Rieht er ’s Gefühlslyrik, Vautier’s Dorfsonntags¬ menschen, Knaus Genre-

scenen nachzuschreiben. Wenn man ihn kennt, kann man sagen, dass er es nicht einmal aus Prinzip unterlassen hätte, er war nie in der Nothlage, diesen Ausweg zu bedenken. Er hatte zu viel mit seiner Ernte zu thun. Heiterkeit und P'rohmuth, dieser Friedenssegen, lagen auf diesem Schaffen in der Stille.

Seine energische, intelligente Mutter, seine künstlerisch hochbegabte Frau, seine feingeartete tiefschauende Schwester, sie liebten seine Kunst und Maubten freudige an sie, sie mehrten und schützten sein Behagen.

Die Freunde, die Anhänger gingen bei ihm ein und aus, und bald konnte man von einer Th oma-Gemeinde sprechen. Es war keine Gemeinde, die mit irgend einem Aufgebot an Pathos oder Eitelkeitsspekulation gegründet wurde, es war eine echte Gemeinde, die durch eine Ueber- zeugung zusammengeschlossen wurde, ohne dass Einer den Anderen rief

in der Heimath, die Bilder in der Baseler Gallerie, Schirmer, Kanon, Schleich, Richter, Dürer, R e m b r a n d t , Mantegna, Bellini, Botticelli, Troyon, Delacroix, Rousseau, Courbet, Marees, sie Alle haben zu ihm gesprochen, dieser flüchtig, jener eindring¬ lich, ein Anderer dauernd und mächtig; in manchem Bilde könnte man er¬ gründen, wo und wie ein Einfluss geltend , wie er verarbeitet wurde. Aber

in dem geheimniss-

Hans Thoma. Der Feind sät Roses

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In dieser Gemeinde fanden sich Missionäre, welche der Welt diese Kunst nahe rücken wollten, sie dieser Freude theilhaftig machen wollten, die ihn beweisen wollten: «Da In-ennt ein heilioes warmes Feuer. Kommt doch her!»

1 )ie I landelsstadt glaubte das noch nicht.

Die Wenigen, welche es sahen und glaubten und kaufen konnten, die haben jetzt ihren Bilderlohn unter Dach.

Seine W e r k e

Die Leinwand -Vierecke genügten dem Künstler nicht, er wünschte sich grosse Flächen, grosse Wkinde. - Im Hause des F'rankfurter Architekten Ravenstein fand er eine erwünschte breite Mal-Gelegenheit. F> malte das Treppenhaus mit Scenen aus dem Wagner’schen Nibelungenring aus, mit F'resken von grosser Eigenart untl Schönheit.

Derselbe Architekt beauftragte Thoma mit der Ausmalung des Cafe Bauer. Die Wände sahen lustig, farbenherrlich aus, - - ein Gambrinuszug, ein Bacchuszug.

Die Decke mit der Darstellung des d'hierkreises und der Winde ist ein Meisterstück an sich.

Der Gambrinuszug und der Bacchuszug .sind nicht sichtbar. A. v. Werner’sche Bilder, aus Berlin bezogen, bedecken sie.

Um sie vor dem Rauch zu schonen? Um sie für ein kunstfroheres Publikum aufzuheben?

Die Handelsstadt weiss das nicht, sie bemerkt es nicht.

Hans Fhoma hat es nicht gestört. Fr arbeitete weiter.'^')

Dazwischen bildhauerte er auch. An einem Flckhaus an der Zeih und der grossen Eschen¬ heimergasse hat er sieben Riesenköpfe, die sieben Todsünden, modellirt, Masken voll Eeben und Bewegung. Das Haus heisst Karlseck, - aber aul das Volk machten die Köpfe einen so starken Eindruck, dass es ihm den nun lange schon eingebürgerten Namen «Fratzeneck» gab.

In diese Jahre fällt auch die Bekanntschaft mit Cosima Wagner und ihrer F'amilie. Sie war es, welche ihren Schwiegersohn, Prolessor Henry Thode, den warmen I'reund und xTiihänger Thoma’s, zuerst zur Thoma’ sehen Kunst lührte.

Im Flause Warner wurde Hans Thoma’s Kunst verstanden und gefeiert; bald entstand ein

freundschaftlicher Verkehr, ein Austausch der künstlerischen Interessen. Vor wenigen Jahren zeichnete

Fhoma Kostüme für die Darstellung des Nibelungenrings. Sie sind unter dem Titel «Hans Thoma,

Wagner’s Ring der Nibelungen» (Wrlag Breitkopl & Härtel, Leipzig) mit einer Einleitung von Henry

Thode erschienen; mein Exemplar schmückt ein Füpigramm, das zu reizvoll ist, um unterdrückt zu werden:

«Göttinnen, Göttern, Helden, Huldinnen Hab’ ich Kleider angemessen

Für Menschen könnt’ ich’s nicht.

Sie sind zu sehr auf guten Schnitt versessen.»

Zu dem bekannten Buche von Henry Thode, zum Ring des PTangipani, hat Hans Ihoma den Buchschmuck gezeichnet, und mit Henry Thode gemeinsam gab er die «F'ederspiele» (Verlag

Nach Fertigstellung dieses Heftes wurde das unkünstlerische «Verfahren» bemerkt und die Gemälde freigelegt 1

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Heinrich Keller, ITankfurt a. M.) heraus. Es ist ein Bilderbuch einzig-er Art. Henry Thocle schrieb den dichterischen l'ext zu den manni_ofaltig-en, aninuthio-en, orioinellen Zeichnuno-en. Ein verhältnissmässitr kleiner Kreis interessirte sich für das reiche, überreiche Bilderbuch. Wer aber Hans Thoina in seiner b'ülle von Einienspielen , in seiner Phantasie, in seinem Humor kennen lernen will, muss es sehen. Einige hier reproduzirte Blätter, von Ettore Cosomati (einer Mappe Cosomati’s entnommen, welche 26 Radirungen nach Hans Thoma’schen P'ederzeichnungen enthält), stammen aus dem Bilderbuche, das wohl jetzt eine grössere Verbreitung fände. Jetzt, das heisst, da der Ruhm Hans Thoma’s begründet ist!

Bis zum Jahre 1890 lebte, arbeitete Hans Thoma in dem Schutz seiner Gemeinde, also nicht einsam, aber das grosse Publikum sprach nicht von ihm, höchstens zeitweise von dem P^euerlärm, den Thörichte für ihn schlugen. Zu diesem Zeitpunkte schickte Thoma 37 Gemälde nach München, in die Kunststadt Deutschlands, in welcher er immer einio-e Kolleo-en hatte, die ihn ihre Schätzung merken Hessen, in welcher der Kunstgelehrte und Kunst- freund Fiedler Bilder von ihm kaufte, in welcher er nun einen Theil seiner Arbeits-Ernte zeigen wollte.

Vor mir liegt das Verzeichniss der 37 Bilder, wie es Hans Thoma niederschrieb, und da er selbst diese Gruppe als eine Art Ueberblick seines Schaffens zusammenstellte und mit einer Einfachheit, die den Inhalt des Bildes doch wiedergibt, jedes einzelne kennzeichnete, mag die Kopie nicht uninteressant sein:

1) «Pducht nach Egypten», ein grosses Bild mit schwebendem Engel.

2) «Ruhe auf der Flucht.» Die hl. Familie unter hohem Gebüsch, durch welches die Sonne durchscheint, vor einem braunen Bache.

3) «Rheinstrudel bei Eaufenburg», helles Temperabild.

4) «Meerweiber.» Blaugrünliche Mondscheinstimmung.

5) «Sturm.» Landschaft mit einem Pflug auf dem PTlde, regenschwere Wolken, nasses Grün.

6) «Sonntagsmorgen im Juni.» Weg an einem blumigen Hügel, auf dem ein Guitarre spielender Bursche geht.

7) «Aussicht vom Taunus über die Mainebene», über Kornfelder.

8) «Idylle» sonniges Plätzchen im Schatten ein schlafender Faun, neben dem eine Nymphe sitzt.

9) «Sonnenuntergang am Flussufer», rothes Licht durch graue Wolken, das sich im grauen Pdusse spiegelt.

Hans Thoma. Bauernkind (1863)

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10) «Dämmerung'szauljer>', - an einem Bache tanzen N)'inphen und Faune, ein Faun ist im Begrifte, den Bach zu ülierschreiten und eine am Ufer sitzende Nymphe aufzufordern.

11) «Buchen^Yald.» Dämmerung, ein h'aun Bläst Hirsche ruhen im Dunkeln - ausserdem Walde reitet ein Ritter vorbei.

12) «Schwarzwaldlandschaft.» Helle Wasserfarbenmalerei. Fin Mädchen sitzt am kleinen Bache und strickt. Ziegen weiden.

13) «Oelbäume.» Aus 'l'ivoli mit weiter Aussicht über die römische Campagna.

14) «Parkaussicht aus einem Fenster.» Maitag.

15) «Paradies.» hu \'Mrdergrund aut einem Baume ein Pfau. - Das Bild hat einen reich¬ bemalten Rahmen.

16) «Ouellennymphe. » Amoretten umschweben die P'rauenfigur der Wind weht in ihren Haaren, ein nackter Mann bückt sich zur Duelle.

17) «Landschaft mit einem Ritter.» Abendstimmung mit sclnveren Wolken - ein Gebirgsweo- mit Vogelbeerbäumen umpilanzt.

18) «Raufende Buben.»

19) «Stiller Bach.» Helle, sonnige Stimmung mit IMppeln und Weiden.

20) «Flussufer.» Abendstimmung.

21) «Der Liebesgarten», ein (Wharnischter steht WMche in einer Halle, die den Garten umgiebt - ein Löwe liegt neben ihm, im Hintergrund der sonnige Garten mit vielen P'iguren.

22) «Amor als Landschaftsmaler.»

23) «P'eierabendstunde» - in einem Grärtchen hält eine Grossmutter ein Kind im Schoosse.

24) «S. Miniato bei Pdorenz», tiefe Stimmung mit hoch aufgeballten Wolken.

25) «Kinderporträt.»

26) «Dopiielporträt», meine brau mit Pdla in einem .Sclmvarzwälder Gärtchen.

27) «Heranziehender Regen», im Wrdergrund ein noch grünes Kornfeld, eine Frau und ein Mann mit einer Sense gehen vorbei.

28) -‘Blühendes Thal aus dem Schw^arzwald.»

29) «Centaurenscene.»

30) «Aus einem Schwarzwaldgärtchen.»

31) «Studie nach der Natur», Bach mit Gräsern und Weiden.

32) «Amor und Tod.»

33) «Nomen in felsiger Gegend mit Nebelwolkenhimmel», Phdichtekranz als Rahmen.

34) «Ein Meergreis.» Der ruhende Proteus mit Robben.

35) «Mainlandschaft», hohe Bäume.

36) «Heilige Familie», Nacht der aufgehende Mond, eine Wolke musizirender Engelchen über der P'amilie.

37) «Taunusbild bei Eppstein.»

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Diese Ausstellung" bedeutete einen vollen lauten Sieg. So voll und laut war der Sieg, dass er alsbald über München hinausdrang und endlich den Namen Hans Thoma als den eines grossen Künstlers in die weitesten Kreise trug, sogar in die ihm damals so fern g-elet^ene Handels-

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Stadt Frankfurt am Main.

München hatte gesprochen, die Stadt, in welcher täglich Kunst geschaffen, ge¬ sehen, beurtheilt wird. Sachverständige im Publikum von Künstlern und Laien gaben das lauteste und lauterste Bravo, kein Gemeindezwang wirkte, in dieser unabhängigen Umgebung konnte nur der Ganz-Starke einen solchen Sieg gewinnen.

Hans Thoma selbst nahm diese Genugthuung mit besonnener, dankbarer PTeudigkeit hin. Er malte weiter!

Sein Wesen

Hans Thoma. Stressa

Die Besuche, die Käufe, die Preise steigerten sich mit jedem Jahre, er malte weiter.

Er meinte manchmal selbst, wie gut es war, dass er sich so lange in der Stille festigen konnte, sich gehorchen durfte, dass der lärmende Beifall und seine Vortheile auf sich warten Hessen, und dass er, da die Leute seine Bilder doch nicht begehrten, Jahrzehnte hindurch nur malte, was ihm gefiel.

In jüngeren Jahren hätte ihm der Erfolg leicht ein Nützlichkeitsprogramm aufdrängen können, die praktische Vernunft, eine gefährliche Bekanntschaft für Künstler, hätte sich an der Staffelei geltend gemacht. Das war nun un¬ möglich, seine Natur hatte ihm ihre unerschütterliche Gesetzes¬ stärke bewiesen und bewährt, sein Wille war eins mit ihm geworden; er stand unter der Herrschaft seiner Einheit!

Zwischen all’ dem fleissig-en Malen reifte in ihm der schon oft ausgesprochene Gedanke, auch die Schwarzweisskunst als Ausdrucksmittel zu gebrauchen.

Dieser Gedanke hatte seinen ersten Ursprung in dem Wunsche, dem Volke gute Kunst in billigen

Blättern zu geben, so, wie sie Thoma. waidshut (i869)

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zu Dürer’s Zeiten auf den Messen verkauft wurden. Im Jahre 1892 griff er zu dem Steindruck. Seine Kunst hatte die Einfachheit und die Kraft des Vortrags, welche dieser Technik die starke Wirkung verleiht. Er gab eine Serie Originaldrucke heraus, von welchen 30 Blätter bei Breitkopf & Härtel erschienen sind. Ausser diesen entstanden in einer Reihe von Jahren wohl 80 bis 90 Originaldrucke, von welchen heute einzelne Nummern, wie das hier re[)roduzirte Blatt «Kastanien» ganz vergriffen sind oder nur zu umgemein hohen Preisen im Handel Vorkommen.

Alle hervorragenden Kupierstichkabinete besitzen die Drucke, am vollständigsten wohl das Dresdener Kabinet, das vom ersten Blatte an Interesse zeigte; nach ihm hat das Kopenhagener am eifrigsten gesammelt.

Diese gesammte Schwarzweisskunst Hans Thoma’s diente der Wirkung und der Popularisirung seiner Kunst ausserordentlich, -- nur nicht in dem Kreis, lür den sie vorher bestimmt war. Eür diesen war sie noch zu theuer. Sie fand ihren Boden im Mittelstand, der auch kunstarm und kunst¬ bedürftig ist und in diesen Blättern eine reiche Auswahl für seine Anreguncr fand. Landschaftliche, religiöse und märchenhafte Darstellungen, Bilder für das Wohnzimmer, das Kinderzimmer, den Schulraum, Ruhepunkte! Das waren keine Bilder, wie der vom Blitz erschlagene Schäfer oder der Absturz und solche altmodische mehr, die an das Mitgefühl eine Anforderung^ stellen, die es unmöMich täMich erlüllen kann und dadurch das lebendige Verhältniss zum Inhalt des Bildes auf heben, wo die echte, künstlerische Wirkung lür das Auge und das Gelühl ausbleibt. Die Thoma’schen Blätter verbinden sich auf so einfache Weise, wie die Naturerscheinungen mit dem Tagesleben.

Wann wird man einmal anstatt kalte kostbare Denkmäler, die auf Niemand Eindruck machen, auf die Strasse zu stellen, au.sgewählte, eingerahmte Blätter an die Menschen vertheilen, die zwischen leeren Wänden sitzen und alle Pfennisj:e für das tägliche Brod brauchen.'

P'ür solch einen Zweck wäre die Schwarzweisskunst Hans Thoma’s, Avären Blätter, wie die

Märchenerzählerin, der Bauer, der Säemann und viele andere ein Gewinn. Aul einzelne Blätter

dürften zu diesem Zweck auch einige wenige Worte geschrieben werden, welche den Gedankengang

des noch Kunst-F'remden anregen und den Zusammenhang mit dem Bilde herstellen, ähnlich wie

Walter Grane unter ein Bild von Adam und Eva, das er dem vierten Stand widmete, schrieb:

«Als Adam pfldgte und Eva spann,

Wo war denn da der Edelmann?»

Während die Drucke Hans Thoma’s ihren Weg über Deutschland hinaus nahmen, steigerte sich die äussere Beweu-unof im Leben des Künstlers. Bilder, die lange gewandert waren oder durch Jahre ungestört im Atelier standen, wurden hervorgeholt, von Privaten und Gallerieen gekauft. Es genügt wohl zur Hebung der Kritik diejenigen Gallerieen zu nennen, welche Gemälde von Ihoma erworben haben; Dresden, Leipzig, München, Hamburg, Stuttgart, Basel, Karlsruhe, Mannheim, Magdeburg, Breslau, Stockholm, Zürich, Wiesbaden, sogar F'ranklurt am Main.

Die persönliche Ruhe, welche Hans Thoma bisher genossen hatte, wurde gestört, und zwar durch Ehren und Würden. Er wurde zum Präsidenten der Eranklurter Künstlergesellschaft erwählt, er wurde zum Professor ernannt.

Hans Thoma

Selbstportrait aus dem Jahn

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S.^

Ks waren nur äussere I'onnen und Stellun<ren für die Ehre und die Würde, mit welchen Hans Thonia sein Leben läno'st ohne die Hilfe von Titel und Aemtern geschmückt hatte.

Als Präsident der Künstler- «^esellschaft brachte er auch nicht Alle unter einen Hut, aber alle in eine Mappe, die unter dem Titel: «P'rankfurter Künstler» erschien, und der er selbst das Blatt «Schwarzwaldlandschaft» beifügte.

Die Ernennunof zum Pro-

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fessor brachte ihm die Post nach Bernau, wo er sich mit seiner F'amilie zur Sommerszeit aufhielt. Er sass, als der Briefträger mit dem Dokument kam, gerade an seinem Lieblingsbach und zeichnete.

Zu lustiger Stunde gab ich ihm in jenem Sommer eine Schindel vom Dach seines Geburts¬ hauses und bat um ein Zeichen als Andenken an Bernau. Er bemalte das Avettergeprüfte alte Stückchen Holz lustig roth mit dem Vers:

«Diese Schindel kommt von einem Haus,

Das in Bernau steht,

Gedeckt mit vielen solchen Schindeln.

Dort kam ich armes Kind zur Welt,

Dort lag ich hilflos in den Windeln.

Es war im Jahr des Heiles neun und dreissig!

Nun bin ich gar Professor! Wie war ich fleissig!»

Ja, wie war er fleissig! Immer und überall hat er gearbeitet, auf den weiteren Reisen nach Italien, während eines längeren Aufenthalts in Gardone, zu Hause und in der Sommerfrische, in der Arbeitszeit und in den Pausen. Wenn er sich Abends ausruhen wollte, radirte er, zeichnete er, da entstanden die Eederspiele, die reizvollen Exlibris, die Zeichnungen zu Tellern, Leuchtern, Blumen¬ töpfen, da schnitzte und modellirte er. Wie er einmal lachend sagte: «Macht mich nicht bös, ich muss Jetzt einen groben Brief schreiben!» so könnte er auch sagen: «Lasst mich arbeiten, denn ich muss mich jetzt ausruhen!» Und wenn man ihn heute auf sein Gewissen fragte, ob er einen bitteren Nach¬ geschmack von Mühe und Pein habe, die da oder dort jede Arbeit mit sich bringt, so wird er «Nein!» sagen, er wird sagen: «Es ist Mühe und Arbeit gewesen, aber es ist köstlich gewesen. Es ist köstlich!»

Mitten in dieser köstlichen Arbeitsstimmung war er, als ihn, für ihn selbst, wie für Alle eine volle Ueberraschung, im Frühling 1899 der Wunsch des Grossherzogs nach Karlsruhe berief.

Haus Thoma. Hexentanz

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Das Fürstenpaar hatte immer Thoma’s Kunst geschätzt. Ihn hatten sie im vorhergehenden Sommer in St. Blasien länger gesprochen, und das nähere Kennenlernen seiner Persönlichkeit mag den Entschluss befestigt haben, den grossen Künstler in die Hauptstadt seines engeren Vaterlandes zurückzuholen.

Der Wunsch des Fürsten war mit solch persönlich herzlichem Nachdruck an Hans Thoma gelangt, dass sein Gemüth und sein Pflichtgefühl nicht widerstehen konnten trotz Allem, was ihn an Frankfurt fesselte, das jetzt an ihn glaubte, das ihn feierte, das jetzt seine Bilder wie geprägte Werthe schätzte und sich «last» wie eine Goethestadt gegen ihn benahm.

Gemüthliches und Materielles fesselte ihn an diese P’ast-Goethestadt, ein grosser, treu ergebener Freundeskreis, ein behagliches Stadthaus mit einem heimlichen Garten und mit einem Blick ins weite Feld, ein eben im Bau begriftenes Landhaus im nahen Kronberg im Taunus.

Die Stellung als Galleriedirektor in Karlsruhe lockte ihn nicht, die Freiheit in seinem einzigen deutschen Thoma-Reich aufzugeben, keine Stellung hätte ihn gelockt, die Gefühlspflicht allein gab den bestimmenden Ausschlag. Der Allemanne, der seine Heimath und seine P'amilie liebt, der seinem Land als weiterer Heimath und dem Grossherzon als Vater dieses Landes anhäno^t, er a-ewann in einem nicht leichten Kample das Stimm-Oberrecht.

Das Schöne, das Edle an diesem Entschlüsse war der freiwillige, der interesselose Gehorsam.

Weder Gehalt noch Stelluno' begehrte er, er wollte eine Pflicht erfüllen.

Selbst die Materiellen in der Handelsstadt mussten das glauben, denn sie wussten, dass Hans Thoma in der Goethestadt reich geworden war, dass ihm alle Ehren des Ruhms schon verbürgt waren und dass er eine «Stelluntr» nicht nöthig hatte.

P"ür seine Wesensart aber hatte er die Annahme des Rufes nöthig. Er konnte nie eine einmal gefühlte und erkannte Pflicht umgehen, er sagte Ja.

Der Sommer, der diesem entscheidenden Schritt folgte, war sehr bewegt; er brachte ihm eine volle Thätigkeit.

In P'rankfurt hatte er sich selbst eine grosse Mal- Aufgabe gestellt, zwei Selbstporträte. Er wohnte mit seiner P'amilie auf dem Eande und fuhr last täglich in die Stadt in sein stilles Atelier, ganz beschäftigt mit dem Gang seiner Arbeit, die ihn spannend interessirte. Das eine der damals vollendeten Selbstporträte ist in diesem Helte wiedergegeben.

In demselben Sommer vollendete er ein herrliches grosses Bild der Gralsburg, verbrachte einige Wochen in Bayreuth, wo er ein vorzügliches Porträt von Erau Cosima Wagner malte, wohnte kurze Zeit auf einem Landsitz in der Schweiz, von einem Baseler Patricier aulgefordert, dessen Schloss und Gut mit Bergen, Eeldern, Wiesen und Thieren, «eine ganze Welt», zu malen, und es ward eine ganze, schöne, strahlend helle Welt!

In dem Sommer solcher Arbeit leierte Thoma Goethe mit den Eranklurtern, ging an einem heissen Sommertage an der Spitze der Künstler im Huldigungszuge mit und bezeugte seine Dankbarkeit für Goethe , dessen Einfluss auf seine eigene Entwicklung er in einer vom Literarischen Echo veranstalteten Enquete in folgender Darlegung charakterisirt :

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«Goethe’s Werke wirkten alle, seit ich sie kenne, stark auf mich. Seine Lyrik umschwebt mich oft, besonders, wenn ich Landschaften male. Das Verhältniss der Seele des Deutschen zu seiner Landschaft ist wohl in Goethe am schönsten und stärksten zum Ausdruck g-ekommen. Goethe ist der Inbegriff aller Erhebung, deren die Seele beim Anblick der Natur fähig ist. «Seine Gedichte sind der intimste Ausdruck der Liebe und der Intensität des deutschen (Geistes, wenn sein Blick, sein Gemüth erhoben wird in die Sphäre dessen, was die Götter lieben, in das Geheimniss- volle. Mag der Deutsche nun malen oder singen, mag er welche Kunst, welche Form wählen, indem er seinem inneren Leben Ausdruck gibt, ein Hauch von Goethe wird ihn umschweben, denn Goethe ist deutscher Geist. Dieser Unsterbliche hat uns noch sehr viel zu offenbaren, denn er ist unerschöpflich wie alles geistig Lebendio-e.»

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Dieser Mann, der Leben und Dichtung des deutschen Dichter- Genies so empfinden kann, er beging jung an Gefühl und Geist, am 2. Oktober 1899 seinen sechzigsten Geburtstag.

Freunde und Verehrer ge¬ stalteten ihn zu einem frohen, dankerfüllten Festtag. Eine Reihe von Künstlern und Poeten über¬ reichten eine Mappe mit Skizzen und Gedichten, Lorbeer und Blumen, Briefe und Depeschen bekundeten, wie weit Hans Thoma’s Wirkung reicht.

Aus der Summe der Leistungen eines Sommers liest man, dass er in dem erfreulichsten Sinne hinter seinen Jahren zurück ist. Vermöge seiner ererbten und erhaltenen Kraft steht er jetzt erst auf der Mittagshöhe des Lebens. Sein Geschlecht rechnet mit neunzig Jahren, ein weiter Spielraum, ein weiter Schaffensraum.

Hans Thoma’s grosse kleine Mutter war bis zum 94. Lebensjahre im Vollbesitz ihres Temperaments, sah, hörte, fühlte und urtheilte fein, wusste noch lange Gedichte auswendig und sprach vom lieben Gott wie von einem bewährten Freunde , an dessen Güte zu zweifeln sie keinen Grund hatte. Nur an Gottes Gedächtniss zweifelte sie manchmal; in ihren letzten Lebensjahren meinte sie hie und da, «ob er sie nicht vielleicht doch vergessen habe».

Diese Mutter hat ihrem Sohne ihre Kräfte vererbt.

Im Besitze ihrer ruhigen Energie, die sich Zeit lässt, aber nicht vom Wege abgeht, so verfolgt er den seinen!

I 12

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In dieser ruhigen Energie übersiedelte er im Oktober nach Karlsruhe. Er trug sein Reich mit sich. Er fand dort ein grosses Atelier, in dem er weiterbauen kann. Er muss malen. Das blaue

Skizzenbuch, das er auf seinem Selbst|)orträt in der Hand hält, ist nur für heute geschlossen. Mit

der Ereude eines Ausruhenden, der nicht müde ist, hält er eine kurze Gartenrast in der Sonne. Er scheint das Erreichte, das Gebaute, den gewonnenen Grund und Hoden zu übersehen - und auf neue Arbeit zu sinnen. Hinter dem starken Räume, der sein Haus vor der Welt versteckt, aber

nicht verschliesst, blaut die Eerne, sein weiter Horizont!

Sein weiter Horizont! Der bleibt ihm auch im engeren Vaterland, dem er seine Kraft zur ATrfügung stellte, weil er ihm nützen will, wo und wie er kann. Er wird als Galleriedirektor jungen Talenten Rath, Vertrauen, Schätzung, Unterstützung gewähren, er wird der Schwarzwälder Industrie durch seine Zeichnungen neue Ideen, neue Anregung schenken, er will und wird von den Wohl- thaten, die er in Bernau von der Natur emphng, und die er durch ein gütiges Geschick zu einem Reichsschatz vermehrte, tlen Zehnten und mehr geben, er will und wird geben, was seine Eandsleute nehmen und nützen können.

•Seine Mal k u n s t

Die Illustrationen dieses Heltes bieten nur Proben aus dem Reichsschatze Hans Thoma’s, aus seinen verschiedensten, vielartigen Stofigebieten, sie bieten nur Andeutungen von dem Umfassenden seiner Leistungen.

Die Zeichnungen aus seiner Jugendzeit, aus den sechziger Jahren, bezeugen in hervorragender Weise, wie viel ihm angeboren war, wie ihn Auge und Hand befähigten, das Leben spielend wieder zu geben. Pfr sah die Bäume an, wie er die Menschen ansah, in die Erscheinung ganz, herzlich eindringend, ihr \\Tsen erlassend. Die Bauernkinder mit ihrem naiven, halbwachen Dreinschauen, die Städtchen mit ihren Mauern und d hürmen, die locken uns dasselbe Wohlgefallen ab, das der junge Künstler an ihnen hatte. Nirgends ist eine Lieblosio'keit zu fühlen, nirgfends lässt er sich zu einer Karrikatur verleiten, selbst der Hexentanz ist nicht fratzenhaft, wir glauben an den tanzlustigen Humor seiner Hexen. Warum denn nicht? Die Hexen bleiben ja unter sich, und als Bekanntschalten aus seiner Phantasie kann er sie ganz gut leiden.

Ihm gefiel die Welt ringsum und in sich. So, wie der frische, vor Ueberseligkeit aufjubelnde Knabe auf dem Bilde «Sommertag-», so stand er naturselig in seiner Welt.

Die ersten Zeichnungen bringen nur Modelle aus seiner nächsten Umgebung. Erst im Gange seiner Entwicklung ergreift seine Phantasie andere Stoffe und regt ihn zur freien «eigenmächtigen» Gestaltung an.

Die Grösse und die Poesie der Naturanschauung Thoma’s kommt auf allen seinen Landschaften zur Geltung. Er hat die Natur belauscht bei Wetter und bei Wund, im Sonnenschein und im Mond¬ schein, im Gewitter und im Regen und im Regenbogenglanz. Zu Wasser und zu Lande hat er ihr in die Seele gesehen.

Was seine Landschaften so reizvoll macht, was ihnen die Anziehungskraft, die Intimität gibt, das ist dieses seelische Etwas, was mit diesem Licht, diesem Earbenton zu uns spricht, dieses

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Heimische, Sanfte in der einfachen Wahrheit. Nichts l'remdes ist da, kein hergeholter Effekt, kein Statist steht auf dem Plane, Alles schliesst sich eng zusammen in einer von Natur vorhandenen Zusammengehörigkeit.

So heimisch wirkt Alles in seiner Schilderung, dieses Pernau, dieses .Säkkingen, dieses Mammolsheim, dieses Oberursel, der schattige Platz unter den Kastanien, sogar das Paradies hat

Die ( gestalten H ans

Thoma’s aus der Mytho¬

dieses behag¬ lich Irdische, man möchte eintreten auf die Gefahr hin, es auch zu ver¬ lieren und mit dem Vorsatz, die Gefahr zu vermeiden.

So kann man die Erde nur malen, wenn man sie liebt, mit der Liebe tieferVerwandt- schaft, innerer Zugehörigkeit, und dieses Liebesverhält- niss Hans Thoma’s zur Mutter Erde macht seine Landschaften

so lebendig, so

logie, der

Legende ,

der Religion und der Wirklich¬ keit , auch sie haben nichts Theatralisches, nichts Aufge¬ putztes , nichts Effektsuchen¬ des; sie stehen mit einer Be¬ stimmtheit vor uns, welche den Glauben an sie zu fordern scheint. Sie «sind» !

Wotan, Brün¬ hilde, Siegfried mit ihrer heid¬ nischen Naivi¬ tät, mit dem

schön.

unbewussten Idealismus, der etwas Visionäres, etwas «Jenseitiges» hat, das sind in die Erscheinung getretene Vorstellungen. Sie sind nicht theatralisch dargestellt, durch Maskerade, Beleuchtungseffekte, Rampen-Mimik zu künstlichem Leben hingestellt; durch die Gebundenheit der Kraft hat jede dargestellte Person ihr Gewicht, strahlt sie ein inneres Leben aus, dieses Perpetuum mobile echter Kunst.

Die Männer, welche das Meerwunder tragen , die glücklichen Vorweltler im Buchenwald , der Wächter am Liebesgarten , seine Götter und Helden, seine Hirten und Nymphen, seine Centauren

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und Putten, sie machen sich Alle geltend, durch die Selbstkraft ihrer Erscheinung, sie interessiren, selbst wenn sie nicht gefallen. Die dekorative oder die elegante Schönheit hat Thoma nie erstrebt, auch nicht die auf \Allkommenheit stilisirte Schönheit. Die schönheitsgekrönten Ausnahmsmenschen haben ihn nicht angezogen, sie haben ihm das Merz nicht gerührt, er sieht seine Schönheit in dem Menschlichen der Persönlichkeit; was die für ihn trägt an Werth und Wärme, das gefällt ihm, das sieht er durchleuchten, das stellt er dar.

Seine Maria auf dem Blatte «Idie Ruhe auf der Flucht», sie ist nicht madonnenschön, aber sie ist die einfache, gottbegnadete Mutter aus dem Volke, die von Glaubenswonne gestärkt ist, von der Glaubenswonne, von der jede Mutter ihren Theil erhält, so lange die schlummernde Kinderseele alle Hoffnungen erlaubt, weil noch keine sie täuschen kann.

Der Christus, der mit Nicodemus spricht, der ihm, dem Fragenden, das grosse, feurige Wort in die Seele legt; «Ihr müsset von neuem geboren werden!», wie spricht aus ihm das Ueberzeugte, das Ueberzeugende.

Mit derselben frommen Unmittelbarkeit schilderte Thoma die Wirklichkeit. Dabei malte er längst, ehe eine Partei das viel missbrauchte Wort Realismus auf ihre P'ahne schrieb, realistische Bilder in reinster Ausgabe, Plein-air-Bilder, so hell, wie sie das Parteirecept nur verlangen kann. Fr malte Dachkammern und Proletarierstuben, al^er keine Schauer erregende Armuth; er Hess rothe Geranien vor den Fenstern blühen und die goldene, gute Sonne in die Räume scheinen. Er malte auf der Gasse raufende .Schulbuben im grauen Ficht, einen Dorfjungen, der seine Aufgaben unter freiem Himmel, im grünen Grase sitzend, schreibt, im Sonnenlicht singende Kinder, sonnendurchleuchtete Baumwipfel, Kahnfahrer auf mondscheinflimmernden Wellen, die Nacht im Sternenlicht, den Feind, der im Dunkel der Nacht das Böse sät, Alles so realistisch wahr und deutlich, wie die Marktscene.

So wahr, wie diese Menschen gesehen und wiedergegeben sind, so wahr ist alles Beiwerk.

Ob Hans Thoma Gemüse malt, Geflügel, Katzen, Hunde, Hasen, Rehe, Pferde, Kühe, keinen Gegenstand behandelt er kalt, jeder hat für ihn ein inneres Feben, das aus seiner Erscheinung spricht, jeder Blume sieht er ins lebendige farbenschöne Gesicht; er gräbt seine Blumen -Modelle mit Vorliebe mit den Wurzeln aus, weil sie dann noch lebendiger in der Haltung bleiben.

Der orthodoxeste Pantheist, der in jeder Erscheinung eine Seele sieht, er kann nicht zärter, nicht intimer, ich möchte fast sagen, ehrfürchtiger mit der Erscheinung umgehen, als Hans Thoma.

Und diese Behandlung alles Geschaffenen ward ihm in seinem Schaffen belohnt.

Denn nur dadurch, dass er dem Natürlichen so nah, so vertraut, so verbunden blieb, hat er diese eindringende Anschauung, diese bestimmten Eindrücke, diesen Ueberreichthum an Stoff.

Ich schenkte ihm einmal eine bemalte Bauerntruhe, sie war reparaturbedürftig, und ich bat ihn, sie so wieder herzustellen, dass sie «Hans Thoma» wohlgefiele. Er aber antwortete;

«Von der Truhe kann ich sagen, dass sie ganz nach meinem Herzen ist. Sie muthet mich so innig an und trifft so ganz meinen Geschmack, sie ist mir einfach lieb, sie ist wirklich schön und darf sich o-etrost neben alle Renaissance und andere vornehme rein stilisirte Schränke und

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dergleichen stellen.»

H. Thoma plux.

Pboi. P. Haofataeogl, MQDobeo

Frau Cella Thoma

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H. Thoma plux.

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Felsenthal

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Hans Tkoma. Junges Mädchen

«Obgleich man mich jetzt einen Malermeister I nennt, oder vielleicht gerade desshalb werde ich es nicht wagen, an ihrer Malerei etwas verbessern zu wollen. Meine Arbeit an dieser soll die eines gewissen Restaurateurs sein, sie soll wieder neu und glänzend werden, aber so, dass, wenn der Bauernmaler wieder auferstände, er meinen würde, er hätte sie erst gestern aus den Händen gegeben.»

Mit dieser ehrfürchtigen Innigkeit, mit welcher Hans Thoma jede Erscheinung erfasst, betrachtet er natürlich in erster Reihe den Menschen. Er kann diese Innigkeit kaum steigern, sie ist das Klima seines Wesens, sie hat gar nichts Sentimentales an sich, sie sucht keine effektvollen Ausdrucksmittel, sie sucht nur die Wahrheit, weil nur diese da ist, lebendig ist, spricht. So ist dieser Künstler auch vor keinem Porträt von der Anschauung eines Anderen zu beeinflussen. Wie er den Menschen sieht, nur so kann er ihn malen. Er sagt selbst, der Porträtmaler sei gleichsam ein Spiegel. Der Spiegel Hans Thoma’s ist ruhig, klar, vom Tageslicht erhellt. Er schmeichelt nicht, er korrigirt nicht, er lügt nicht. Er will kein gedämpftes Licht und keinen Reflektor, er will wahr sein!

Als Hans Thoma im Sommer 1899 Cosima Wagner malte, deren Persönlichkeit er so genau kennt und so hoch schätzt, erlaubte er sich, der Grösse der Aufgabe bewusst, nicht die kleinste Abbiegung von der Wahrheit, sondern er meinte:

«Dieser Kopf, den ich nun male hier hilft eben auch nichts Anderes als die vollständige Naivität, die nichts Anderes malen will als was sie sieht man muss alles Vorurtheil fallen lassen, dann kommt vielleicht etwas hinein von der Grösse des Originals. Freilich, wenn ich immer wieder von meinem Malwerk aufsehe zur Natur, so könnte ich muthlos werden, wenn ich nicht aus Erfahrung schon wüsste, dass bei ehrlicher Arbeit doch immer etwas ins Bild hinein kommt, das Bestand hat.»

Dieses Porträt fiel vorzüglich aus, zur Freude ihrer Familie und Anhänger, zur Freude aller Künstler und Kunstverständigen, die es sehen durften.

Die Porträte seines Freundes Otto Scholderer, seiner Schülerin Marie Laroche aus Basel, die einen Theil der anmuthigen Rahmen für die Schwarzweissdrucke unter seiner Leitung entwarf und ausführte, so mancher jungen Mädchen und Frauen, sie geben die Persönlichkeiten in der einfachsten Weise wieder, ohne den Schmuck einer momentanen Anregung, einer hervortretenden Stimmung, welche den Ausdruck erhöht. Er lässt nur das zur Bildsprache kommen, was in die Form als schon stehende, physiognomische Sprache eingedrungen ist.

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Je ferner seine Modelle dem Salon und dem Wesen des Salons stehen, desto wirkungsvoller, desto stärker, desto ähnlicher werden ihre Porträte. Das Pikante, das Erregte, das Unruhige, das Sensible, all' das Komplizirte, was man modern zu nennen beliebt, das wird von der Thoma’schen Kunst nicht notirt.

Das geschlossene , intelligente , in die Züge eingewachsene Leben seiner Mutter, das hat er eanz o-esehen und fests^ehalten und ihrer Liebe in ihrem Bilde ein bleibendes Denkmal pfesetzt. Sie hat so ruhig vor ihrem Maus gesessen und so tief in seine Seele gesehen, wie er in die ihre.

Das Porträt seiner P'rau, einer nicht genug bekannten ausgezeichneten Blumenmalerin, wie sein Selbstporträt, sie zeigen beider Persönlichkeiten in der geschlossenen Haltung, in der Diskretion des Wesens, wie sie der Gesellschaft entgegen treten. Um keiner Steigerung der Aehnlichkeit willen möchte er auch hier, w^o er Alles weiss, mehr verrathen, als aus den Zügen in stiller, nachdenklicher Stunde herausleuchtet, die PMrm durchdringend und belebend.

So still Plans Thomas Empfindungsweise ist, die nur bei ganz besonderen Gelegenheiten Worte braucht, so still, so aller Scheinseligkeit abgewandt ist seine Menschenschilderung. Durch P'orm und P^arbe will er schlicht die Wahrheit sagen. Lür Lorm und PArbe hat er durch die Gunst seiner ursprünglichen Begabung und durch die Gunst seiner heimathlichen Verhältnisse eine grosse Auffassungsgabe, ein grosses Gedächtniss.

Als Kind, Knabe, Jüngling lebte er ohne jede Ablenkung in dieser Heimath Bernau. Die Persönlichkeiten seiner Lhngebung wurden ihm bis in die kleinsten Einzelheiten vertraut. Er schaute sie liebend an, er schaute sie zeichnend an, sie waren mild mit seiner Ereude und seinem Zorn, nichts P^remdes drängte sich dazwischen, kein städtisches Eindrucksgewimmel auf den Strassen, in Gallerien, Theatern, auf Spaziergängen.

Dieselbe Intimität verband ihn mit der Natur. Er erhaschte ihre Schönheiten nicht auf Ausflüßen, besuchsweise, er lebte mit ihr, wie er mit seiner Mutter lebte, in selbstverständlicher Nähe, in stündlichem Verkehr, in stetem Anschauen.

Wie er sie anschaute, das aber offenbaren seine Bilder, diese Bilder, welche bald als zu grün, bald als zu blau, bald als Wahngebilde, bald als P'arbentollheiten verschrieen wurden. Cornelius Gurlitt erzählt gern, welche Suada von Entrüstung Pecht seinerzeit über die Kunst Thoma’s entfaltete, wie kritisch die Dresdener Jury seine «P’lucht nach Egypten» beurtheilte , wie lebhaft das Widerstreben mehrerer Mitglieder gegen die Zulassung dieses Werkes zur Ausstellung war. Diese fanden, es sei ja wie ein ^debendes Bild».

Ja, es lebte, es lebt noch und es wird weiter leben, wenn die Leistungen jener Jury-Mitglieder wohl längst von den Wänden verschwunden sind.

Jetzt steht die Dresdener Gallerie an der Spitze der Gallerien, welche Thoma’s ankaufen. Sie ist im Besitze seines Selbstporträts aus dem Jahre 1S79, eines Bildes, an welchem sich die P'arben- schönheit der Thoma’schen Kunst Ungläubigen beweisen lässt. Eine sommerschöne Landschaft, fruchtbeladene Bäume, der Rahmen mit Blumengewinden bedeckt, von einer belebten, strahlenden Natur ist der vom Buch aufschauende Künstler umoreben.

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Hans Tkonia. Marie Laroche

Die vielbekrittelte Stärke seiner Farben und seiner Konturen, heute wird sie als Wahrheit gesehen.

Wer die Natur kennt, wie sie Hans 'l'homa kennt, muss ihm beistiinmen. So blau sehen wir den süddeutschen Himmel oft, so saftig grün sind die Schwarzwaldwälder, so schärft das Licht auf der Berges¬ höhe die Linien, so durch.sichtig ist die Luft, so nah rückt dem Blicke das ferne Land, so ballige schneeige Wolken ziehen über Berg und Thal.

Zu lano-e hatte das orössere Publikum nur die

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üblichen komponirten Landschaften gesehen, die wie zum Salonmöbel abgestimmt waren, als bessere Bilder¬ bogen für die Garnitur der Wände.

Die grosse Kunst war im Haus verhältnissmässig selten vertreten, deren Werke häng'en in den Gallerien und dem Publikum nicht nah genug, um geschmacks¬ erziehlich zu wirken. Die Salonbilder mit den Alm¬ hütten, mit den Schweizer Bergen, mit den als Naturburschen maskirten Modellen, sie waren von der echten Naturanschauung und künstlerischen Darstellung Hans Thoma’s so weit entfernt, wie eine Meissener Figur minderer Qualität von einer Donatello’ sehen Gestalt.

Hans Thoma führte dieses Publikum wieder zur Natur zurück; er zeigte ihm die Schönheit seines Vaterlands, die heimische, tröstliche, freudige Schönheit.

Er hatte diesen Zweck wahrlich nicht im Auge,

. denn er ist Nichts weniger als lehrhaft, er wollte

malen, nur malen, seine Träume und seine Wirklichkeit, mit sich selbst einig werden, einig bleiben, da er nicht aus sich hinaus konnte.

Die hundert Spielarten seiner Technik mit Worten zu schildern, wäre so zwecklos wie farblos. Sein tech¬ nisches Wie hat sich durch den Erfolg seine Lebens¬ berechtigung erworben und wird sich diese erhalten. Die unzähligen und unerschöpflichen Schönheitsarten der Naturerscheinungen, wie hielt sie Thoma in seinen Bildern fest: Das Weisse, Weiche, Flockige der Sommer¬ wolken, das Schwere, Graue der Regenwolken, die Regenstreifen in der Luft, das Bleierne, mit Schwefel¬ gelb untermischte der Gewitterwolken , \\ olken wie Hans Thoma. Otto Schoiderer Goldschleier , wie auf dem Bilde der Gralsburg; wie

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schildert er den g-rünlich weissen Kamm der Wellen, die Skala des Reg-enbogens, das Flimmern des Mondscheins, das leuchtende Gold der Sonne, das Gold des reifen Kornes, die Frische der Wiesen, das glühende Roth des Mohns, das Goldgelb der Butterblume, das zarte Gelbgrün des ersten Frühlingsblattes, das satte Grün des Sommerlaubes, wie die Ferne, diese weite, stundenweite Ferne, die Fläche des Meeres! Dies Alles und mehr nach der technischen Seite hin zu ergründen, wird wohl noch in manchen Cjenerationen manchen Maler beschäftigen.

WTr es aber geniessen will, der schaue!

Dass er es uns in solcher Vielseitigkeit und in solcher Vollendung gibt, das ist die festliche Thatsache !

Zum 6o. Geburtstag erschien im Verlag von Heinrich Keller, herausgegeben von Henry Thode, eine Mappe mit Reproduktionen von hundert und fünfzig Thoma’schen Gemälden, die sich alle in Frankfurter Privatbesitz befinden. Die Originale waren in drei aufeinander folgenden Abtheilungen im Schneider’ sehen Kunstsalon ausgestellt und für die Mehrzahl der P'rankfurter war diese Ausstellung eine Ueberraschung, die ihnen ffans d'homa zu seinem Geburtstag bereitet hatte, und die ein künstlerisches Ereimiiss in der Goethestadt wurde.

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Viele hatten einzelne d'homa’s gesehen, und je nach den zufälligen Bekanntschaften mit Proben seiner Kunst sprach man vom Nixenmaler, vom Puttenmaler, vom Schwarzwald-Landschaftler, ja vom Wagner-Maler. Ihid da sahen sie nun den ganzen Thoina mit seiner Wald und Meer, Berg und Thal und Alles, was da lebt, und Vieles, was da nicht lebt, umspannenden Phantasie. Sie sahen, dass er diesen Reichthum in zarten und starken Bildern ausgab, in Oelgemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Radirungen.

Allein die Uebersicht des Katalogs dieser Ausstellung gewährt einen Einblick in das überreiche Stoffgebiet Hans Thomas. Da sind die Heimathshütte in Bernau, das Hühner fütternde Mädchen, die Hühnersiesta, die Kinder mit den Rehen, die raufenden Buben, der Dorfgeiger, der Schwarzwald¬ garten, die Heuernte, das Ackerfeld, der blaue Tag; die ganze Fleimath spricht zu uns.

Da sind der Strand von Brighton, die englische Küste, der Strand von Sorrent, dann Siena, Eucia, Tivoli, die Via Appia, der Vesuv, Gardone, Bilder von seinen Reisen.

Aus dem Land der Sage, der Mythologie; der Walkürenritt, Wotan, Brünhilde, Alberich, die Rheintöchter, die Gralsburg, die Eaunfamilie, Venus und Proteus.

Aus der Bibel: Das Paradies, Christus und der Versucher, Christus und Nikodemus.

Wenn von seiner Darstelluno- des Relimösen die Rede ist, darf das orrosse Christusbild nicht unerwähnt bleiben, das er im Auftrag eines unofenannten Bestellers mit Hinyabe an diese Aufrabe malte, und das dann das Eigenthum des Vlannes war, der das Pdn-de-siecle-Unternehmen in Scene setzte, neun Bilder des Heilands auf diese treheimnissvolle Weise zu bestellen und sie zu einer Ausstelluno; mit g-eschäftlichem Zweck zu vereinigen.

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Er Hess sich von jedem der neun Herren, und jeder glaubte den geheimnissvollen Auftrag allein zu haben, einen Brief über dessen Auffassung seines Bildes schreiben und nahm die neun Briefe in den Katalog auf, der den Namen «Christus» trägt.

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Der Brief Hans Thoma’s ist so in¬ teressant wie charak¬ teristisch;

«Es war mir ein leitender Gedanke, dass, wie die religiöse Musik ihre Mittel in allem Reichthum ver¬ wendet, um dem inneren gemeinsamen religiösen Gefühl starken Ausdruck zu geben, diesem ähnlich auch die Malerei mit ihren Mitteln einem religiösen Gegen¬ stände entsprechend zu verfahren habe.»

«Die Malerei ver¬ fügt ja über mächtige Mittel zur Wirkung"

Hans Thoma. Siegfried

auf das Menschen¬ herz ist doch ihr eigenstes Element eine feierliche Stille, die in der Earben- harmonie liegt und die sich gar wohl eignet, einem religiösen Ge¬ fühl als Ausdruck zu dienen. Das Bild ist eine ruhige sanfte Harmonie in Blau, die ich durch den von mir gemalten und vom Bilde nicht zu trennen¬ den Rahmen noch stärker betonte , in¬ dem ich den Rahmen im lebhaftesten Roth hielt, auf welchem die Symbole der vier Evangelien , auf den

Seiten Aehren und Weinstock, unten der sich zur Krone windende Dornzweig sich abheben; der obere Theil des Rahmens ist wieder allerintensivstes dunkles Blau, auf welchem ein Kreuz mit Gold¬ strahlen steht.»

«Wie weit es mir gelungen ist, mit diesem Christusbilde nach solchen Zielen hinzuweisen, muss ich natürlich dem Urtheil antheilnehmender Mitmenschen überlassen für mich aber bedeutet dieses Bild etwas wie den Sammelpunkt für mein ganzes Schaffen.»

Vor einiger Zeit veröffentlichte die Neue Deutsche Rundschau (Herausgeber Dr. Oskar Bie) die Ergebnisse einer Enquete «Aus dem Jenseits des Künstlers», worin der Versuch gemacht wird, das Dunkel, das über dem künstlerischen Schaffen schwebt, zu lichten. Hans Thoma beantwortete im Wesentlichen den ihm zugeschickten Fragebogen durch Folgendes;

«Aeussere Umstände für meine Lust und Fähigkeit zum künstlerischen Schaffen braucht es keine anderen als die, unter denen der Mensch überhaupt arbeiten kann also Gesundheit ausgeruht sein und weil ich Maler bin, genügendes Licht. Schaffensunlust hängt bei mir fast immer von Uebermüdung ab, natürlich auch manchmal von irgend einer durch äussere Umstände hervorgerufenen Gemüthsverstimmung, aber sogar diese weicht meistens, sobald ich trotzdem zur Arbeit schreite.»

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

«Wie ich zu den Ideen für meine Bilder komme, kann ich nicht sao-en - sie scheinen

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mir in der Luft zu hängen und auf der Strasse zu liegen und ich brauche sie mir nur zu nehmen ~ ich habe über diese krage noch nie nachgedacht.«

«Lass viel von Einllüssen unbewusster Natur sich geltend macht, scheint mir der Fall zu sein aber desshalb wohl nennt man dies Schaffen ein künstlerisches bei dem immer zum Unterschied vom Handwerklichen etwas vom Geheimnissvollen übrig bleibt, umsomehr oft, je klarer das Denken über das technische I lervorbringen und je bewusster die Handhabung der Technik ist.»

«Ich träume viel von Bildern und sehe olt herrliche Dino-e im Traume, ich beweo-e mich dann unter ganz eigenartigen Raumverhältnissen, fast möchte ich sagen, ich sehe ringsum; - - ich habe es auch schon versucht, ein Bild nach der Erinnerung an einen solchen Traum zu malen; aber das Bild braucht immer ein optisches Gesetz, welches im Traum aufgehoben ist, so wird es etwas ganz Anderes, als der Traum war. (Jb ich solche Träume habe, weil ich Bilder male, oder ob ich Bilder male, weil ich solche l'räume habe, weiss ich nicht. Auch wenn ich Musik höre, sehe ich meistens schöne Bilder oder mache Pläne für solche.»

«Ich kann mich kaum erinnern, dass ich etwas mit Schafl'ensunhist hervorgebracht hätte nur bei Porträten ist mir schon öfters die .Schaffenslust durch das Hineinreden von V ettern und Basen verdorben worden. Sonst arbeitete ich nur bei vorhandener Schaffenslust; das war aber bei mir bisher crlücklicherweise Normalzustand.»

o

«Manchmal interessirt mich nur ein äusserlicher Vorgano- der Technik, ein neues Material so lebhaft, dass ich an nichts Anderes denke als die Bedingungen desselben zu erfüllen; da aber doch daraus meistens ein Bild sich gestaltet, so muss wohl noch eine unbewusste innerlich drängende Thätigkeit eingreifen.»

«Aeussere Zwecke haben Einfluss schon desshalb, weil ich vor allen Dingen den lebhaften WMnsch habe, mein Bild als Objekt vor mir zu sehen».

«Ich habe als fünfjähriges Kind mit der Scheere aus Papier Figuren ausgeschnitten und mich sehr gefreut, wenn dabei eine Gestaltung herauskam ich habe auch auf die Schiefertafel gezeichnet und meine Alutter musste mir sagen, was es sei wenn auch ohne Resultat nach aussen hin, war ich doch immer in einer Art schaffender Thätigkeit, obgleich ich erst mit zwanzig Jahren in eine Kunstschule kam. Von einem erstmaligen Erwachen und von den Lhnständen, unter denen dies stattgefunden hat, weiss ich Nichts zu sag-en.»

«Das, was ich hier mittheile, wird wohl ohne viel Interesse für die grosse Absicht, welche dem Vorhaben zu Grunde liegt, sein

Phot. F. HaDfiUioiigl, Slnucbcn.

\)\li KUXST UNSER KR ZEIT

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aber mehr sauen als man weiss, ist nicht aufrichtig-, und vielleicht habe ich hier schon mehr gesagt denn wie wenig weiss ich vom innersten Grunde, wie und warum ich schaffe!«

Das Merkwürdige bei der Eetrachtung der Thoma’schen Werke ist, dass man bei tieferem Hingehen vor fast jedem Bilde durch dessen Kraft in seinen Kreis gebannt wird und ihm niit einem von ihm erreuten Gefühl näher, liebend näher kommt.

Auf den Einen mag Hans Thoma als Landschaftsmaler die stärkste Anziehungskraft ausüben, auf den Anderen als der Maler guter, göttlicher und und irdischer Mütter, die ihr Kind am Herzen trauen, auf den Dritten als Märchen- und Träume -Maler, die (iebiete sind kaum zu trennen, auf

seines Stoffgebiets beweist auch , wie sich mit seinem Vor¬ stellungskreis seine Bildung Jahr lür Jahr organisch erweiterte

o

ohne die Wrarbeit der modernen Schule, welche mehr Ursprünglichkeit zerstört, als zuge¬ geben wird, welche oft den zarten Keim der Persönlichkeit durch das Zuviel an fremdem Stoff er¬ drückt und dabei dem fremden Stoff durch das schulhafte Zubereiten, Zerlegen und Einpauken den Reiz vorw-egnimmt.

Hans Thoma las seine Bücher aus freier W^ahl und unverschulten Geistes; er empfing sie als neue fruchtbare Geschenke. Ein glücklicher Autodidakt, grilT er nur nach dem, was ihn anzog, und dabei blieb er, wie er bei seiner Kunst blieb, beharrend, ergründend, das Wrstandene zum Eigen enumschafifend. Wie Vielen werden Homer und Goethe, die dem pedantischen Lehrer als Fund¬ grube für Aufsatzthemata dienen, in der Klasse verleidet, so dass sie nichts mehr von ihnen wissen wollen, wenn sie die Schule verlassen. Wie hat er Homer und Goethe genossen und verstanden!

Wie denkend und einsichtig er, der so gern als Naturbursche mit fragmentarischer Bildung

geschildert wird, auch der guten Tradition gegenüber steht und wie klug er sie taxirt, ergibt sich

13*

fast allen Bildern d'homa’s ist Land¬ schaft, ist Natur.

Er stellt verhält- nissmässig wenig im'

o o

geschlossenen Raume dar; er trennt die Menschen nicht gern von der Natur.

Er liebt die Sonne und die Wärme, die sie in’s Freie führen.

So hat er auch nur ganz vereinzelte Winterlandschaften gemalt, darunter wohl die erste heim¬ lich gemalte in Karls¬ ruhe, als er sich nach der Stube zu Hause sehnte. Das erstaun-

Hans Thoma. Das Paradies

lieh Umfassende

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

klar aus einem Briefe, den der Maler und Schriftsteller Berlepsch in seinem interessanten Buche «Gottfried Keller als Maler» veröftentlicht. Er ist ein so deutliches Dokument der Thoma’schen Denkart, dass er hier citirt sei:

«Keller steckte bei Manchem offenbar in einer oewissen herkömmlichen Handwerksmässio-keit

o

und war eine viel zu komplizirte Natur, um sich leicht davon frei zu machen. Das, was er äusserlich sah in seiner Zeit, konnte ihn nicht beiriedigen, und ich glaube, dass er so das Interesse an der Malerei verlor. Dass er aber aus dieser Verlorenheit heraus ein Bild machte, wie das runde ,,Bild vom Zürichberge“, das ein wahres Ideal von Landschaft ist, zeigt, wess’ Geistes Kind er war, und dass er seine Persönlichkeit nicht verloren hätte, wäre er bei der Malerei geblieben. Er hat es eben nach dieser Seite hin nicht zum Sprengen der Decke gebracht, die für Jeden vorhanden ist, der nach verschiedenen Seiten Veranlagungen hat.»

«W'as die verbohrte Handwerksmässigkeit aber betrifft, die Keil er ’s jugendzeit umlagerte, so ist sie gewiss nicht ärger gewesen, als die jetzige Modethorheit, die alles Dagewesene überwunden zu haben meint. Sie ist gewiss nicht unerlreulicher als Hunderte von modernen Bildern, welche die jetzigen Aus- stelluno'en beherrschen und durch ihr unljescheidenes Wesen

o

um nichts erfreulicher wirken. Man lacht wohl über den ehrlich spiessbürgerlichen ,, Baumschlag“ und sieht gar olt nicht, mit welch einlältigen Mätzchen die moderne Iland- werksmässigkeit arbeitet. »

«Wenn man behauptet, landschaltliche Kompositionen stünden mit dem Wesen der Eandschaltsmalerei im Wider¬ spruch, wenn man behauptet, der Pdnfluss der Antike auf die Malerei sei ,, stets“ ein grosses Unglück gewesen, dann

wird man freilich auch nicht zum inneren Kern der Keller’schen Arbeiten gelangen. Der Einfluss der Antike auf die Malerei ,, stets“ ein grosses Unglück! ! ! Das ist ein kapitaler Ausspruch! Wie wenn jemals das Hohe und Wrtrefflichste der Kunst derselben Schaden bringen könnte, wenn nian’s nur recht versteht. Gewiss dürfen wir dann auch den Homer nicht mehr lesen, den borghesischen Eechter nimmer anschauen, auch die griechischen Löwen vor dem Arsenal zu Venedig nimmer, auch das nicht und jenes nicht denn die Antike droht uns mit Unglück! Ach, was ist doch unsere Kunst für ein zartes Pllänzlein geworden.»

«Das Keller’sche Rundbild ist eine Mischung von Wdute und Komposition, aber wie anregend ist es und welche Perspektive eröffnet es einer vernünftigen Landschaftsmalerei. Veduten werden gewöhnlich halt nur dann öde, wenn ein öder Maler sie öde malt. Das hindert aber nicht, dass eine landschaftliche Komposition sich dennoch mit dem Wesen der Landschaftsmalerei decken kann. Ist’s denn nothwendig, dass Alles über einen Leisten eeschlaeen, über einen Kamm gekämmt werde. ^ VHre Keller bei der Malerei geblieben, so hätte er sich wahrscheinlich durch Nichts einengen lassen. Das thut überhaupt kein Künstler. Die Maler, die es thun, geben damit nur einen Beweis ihrer .Schwäche.»

DIE KUNST UNSERER ZEIT

07

Auch diese Aussprache Thonia’s dient der Vertiefung des Hinblicks in sein Verhältniss zur alten, zur neuen und zu seiner Kunst und bilde den Abschluss dieses schwierigen Versuchs, Thoma’s Malkunst, ihr Woher, ihr Wie, ihr Was, ihr Wieviel mit Worten zu charakterisiren.

Seine Persönlichkeit

zusammen- o-ehörig; auf- treten sollen, an diesen Gegen¬ satz dachte ich, als ich von der Einfachheit, der

Nun mochte ich von dem Menschen Hans Thoma sprechen, von dem inneren Menschen, der von seiner Kunst nicht zu trennen ist.

Als die Grundlage seiner Eigenschaften, als den guten fruchtbaren Boden seiner Natur möchte ich seine Einfachheit nennen und die mit ihr unzertrennlich zusammenpfehörigfe Natürlichkeit und Wahrhaftig-keit.

Es gibt eine reizende kleine Geschichte, die Turgeniew mit Vorliebe erzählte:

Die Tugenden alle, wer hat sie je gezählt, diese ungleichen Schwestern, waren zu einem Hofballe geladen. Alle kannten sich. Alle begrüssten sich, nur zw'ei standen sich fremd gegenüber. Die Eine, die weltkundigere, frug, wer die ihr Unbekannte denn sei. «Die kennst Du nicht»,

sagten die An- deren. «Das ist ja die Dank¬ barkeit!» Die Wohlthätigkeit konnte sich vor Erstaunen kaum be¬ ruhigen. Sie war der Dank¬ barkeit noch nie begegnet.

Die zwei Tugenden, die so selten Zu¬ sammentreffen und als

Hans Thoma. Das Meerwunder

Natürlichkeit, der Wahrhaftig¬ keit, diesen drei unzertrenn¬ lichen

Schwestern, sprach. Wenn sie auf einen Hofball ge¬ laden würden, träfen sie sehr wenig Be¬ kannte, aber sie verläugnen sich nie und nirgends. Sie gehen immer Hand in Hand und grämen sich nicht, wenn man sie nicht einlädt, denn, was man Gesell¬ schaft nennt.

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DIE KUNST UNSERER ZErr

missfällt ihnen, und sie bilden eine so gaite Gesellschaft untereinander. Der Mensch, dessen Natur unter ihrer Herrschaft steht, wird durch sie in seinem Selbst erhalten. Aus jedem Irrthum retten sie ihn zu sich selbst zurück, über jede Eitelkeit lachen sie ihn aus und zwingen ihn zu der Einkehr bei sich selbst. Sie erlauben nicht, dass er dem Effekt der Mode, dem Vortheil Opfer bringt, sie zwingen ihn, mit den eigenen Mitteln ehrlich auszukommen.

Diese drei unzertrennlichen Schwestern waren es, die Hans Thoma vor jeder Versuchung der Nachahmung, der Selbstverläugnung schützten, sie gaben ihm auf dem Wege wahrheitsgetreuer Arbeit die Gnade Derer, die warten müssen: ein fröhliches, unbeugsames und doch bescheidenes Selbstvertrauen. Sie versperrten der Eebenslüge, diesem Eeind der gesunden Persönlichkeits- Entwicklung, den Eingang.

WAr einfach, natürlich und wahrhaftig ist, muss ein unverfälschtes inneres Leben führen. Mit dieser Unverfälschtheit tritt er der ganzen Umgebung gegenüber, gibt und empfängt Sympathie und wird im Erieden stark.

iMit diesen Pdgenschaften liebte Hans Thoma die Natur; er trat ihr einfach, natürlich und wahrhaftig entgegen, und so wollte, so musste er sie in seiner Kunst wiederspiegeln. Dieses Wollen war ein Müssen, und dieses Müssen zwang ihn, geduldig und beharrlich nach einer Technik zu streben, d. h. nach all den verschiedenen Techniken zu streben, durch welche er in den Besitz der nothwendigen entsprechenden Ausdrucksmittel gelangte.

Keine Akademie, kein Professor konnte ihm helfen, er wollte keine fremde Sprache lernen, er musste seine eioene finden.

O

Er that das ohne Pathos, ohne Sentenzen, ohne Selbstvertheidigung, ohne Selbstverherrlichung, einfach, natürlich, wahrhaftig, in sich ruhend.

Seine Arbeit war und ist seine Welt. Aber diese Welt war und ist nicht von Mauern umg-eben, sie stand und steht frei, auf einem Hochplateau, wie sein Bernau. Keine kritischen und keine gefälligen Nachbarn stören seine Ruhe, keine Nachbarhäuser versperren den Blick. Das Gewühl und Gewimmel der Strassen, in denen man sich stösst und drängt, sieht er mit Vorliebe aus der Vogelperspektive, er sucht das chaotische Gedränsje nie.

Im eigenen Hause, im engeren PTeundeskreise findet er von jeher sein Behagen. Mutter, Erau, Schwester und Tochter, ihnen und intimen P'reunden gibt er gern seine freien Stunden, ohne sich von dem Salonverkehr abzuschliessen, dem er auch Reize abzugewinnen versteht.

Alle Pflichten waren ihm von Kind aul Ireiwillige Liebesthaten; er stand zu ihnen immer in dem gesunden, liebenden Naturverhältniss , das von <oTiodernen» Konflikten frei ist. Vor diesen schützte ihn seine ganze Wesensart, welche Ordnung braucht, Ruhe, Bestand. Hans Thoma hat gar nichts Bohemienhaftes, gar nichts von der den Künstlern gleichsam als obligatorisch angehängten Sensationssucht, gar nichts von der nervösen Hast nach dem «Erleben» von heut zu Tage.

Er bestellt, wie ein guter Landmann, seinen Grund und Boden, sät, pflügt, erntet und freut sich dankbar seiner Kraft. Bei schlechtem Wetter zieht er den Wettermantel der Vernunft an, meint; «auch das ist nicht schlimm», und wenn die Sonne scheint, sonnt er sich, der hellen Stunde froh..

H, Tljotiia pinx.

Phot. F. Hauf-siaeogl, ilüucheu

Flussufer

DIE KUNST UNSERER ZEFP

<)<)

Seine jj’anze starke Subjektivität ist zu seinen Ciunsten auf dem (debiete seines künstlerischen Schaffens in Thätig-keit gesetzt.

U)a wirkt und schafft sie geschäftig und lustig, dass es seine Freude ist. Da kommt sein ganzes inneres Leben, der Verstand, das Gefühl, die Phantasie in Bewegung, da ist er beredt, überströmend beredt, da entstehen seine Welten, freudig geschaffen, P'reude gebend!

Gesellschaftlich gilt er bei den Oberflächlichen als «schweigsamer Herr». Er scheint aber nur schweigsam, bis er interessirt ist. Im gemütlichen Zusammensein sagt er lustige und ernste Dinge, die man nicht vergisst, neckt und spielt mit Worten, lacht gern und verschmäht die irdischen Genüsse nicht. Er versteht ein gutes Glas Wein und weiss auch die essbaren Dinge zu schätzen, die es in der Handelsstadt Ph-ankfurt, wie Bismarck sagte, immer gibt, «wenn es sie nicht gibt». - Auch dieser Sinn ist bei Hans Thoma nicht zutück- geblieben. üeberhaupt, er ergreift das Städtische, das Moderne, das Bequeme, wo es ihm dient und crefällt. Es wäre granz verkehrt, sich Thoma in irgend einer Beziehung als bäuerlichen Menschen vorzustellen, oder als Einsiedler, wie er zu seiner Belustigung oft genannt wird. Er ist ein Eein- siedler mit dem ausg-ebildeten Geschmack eines Weltmannes, mit dem Maass und dem Tempo des Aristokraten, der von Ueberfluss wie von Ent¬ behrung nicht spricht, aber beides zu nehmen versteht.

Wird Hans Thoma im Salon von einem Ge¬ spräch interessirt, so führt er eine Unterhaltung, welche jene Vielzuvielen überrascht, welche immer noch meinen, man könne ein bedeutender Künstler sein, ohne eine bedeutende Persönlichkeit zu besitzen.

Auf eine gewisse Spanne Zeit kann es hie und da einem Künstler gelingen, durch ein Gemisch von Geschick und Nachahmung zu täuschen, ja zu blenden und die fest zu halten, welche nicht tiefer eindrin^en.

o

Aber auf die Dauer wird nur die Kunst lebendig und wirksam bleiben, die das individuelle Leben der Persönlichkeit in sich trärt, das heilig'e Eeuerl

O 5 o

Nicht nur, wenn der g-rosse Künstler Hans Thoma malt, auch wenn der nur wenn er will schweigsame Herr Professor, Herr Direktor Thoma spricht, fühlen die, welche fühlen, das heilige Teuer! selbst da, wo er seinen Verstand ins Vordertreffen schickt und sein feines Unterscheidungs- Vermögen wägen und urtheilen lässt.

Ein Beispiel. Gelegentlich einer Notiz, die er auf der Reise in Basel in der Erankfurter Zeitung las, schrieb er derselben;

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

«Ihr Blatt enthält eine Notiz über die Internationale Kunstausstellung- in Kopenhagen, worin mein Name genannt wird in einer Beziehung, derentwegen ich mich veranlasst sehe, Sie um folgende Berichtigung- zu bitten»;

<d )er Sachverhalt ist so: ln der letzten Zeit, als die Ein¬ ladungen und Anmeldungen für die Kopenhager Ausstellung schon beendet waren, erfolgte von dort her an mich die An¬ frage, ob ich einige Vorschläge machen wolle, welche deutsche Maler man einladen könne, die, weniger bekannt, vielleicht doch für die deutsche Kunst von Interesse sein könnten. Darauf hin bat ich um Einladungen für ein paar Maler, die noch nicht auf der Liste waren, so dass etwa acht Bilder hinkamen auf meine Empfehlung.»

«Sonst mischte ich mich nicht in die Angelegenheit, ich war ja auch nicht zu Weiterem aufgefordert, und es liegt nicht in meiner Art, etwas zu thun, wozu ich mich nicht berechtigt fühle.»

«Von einer Dame, deren Bilder von ,, wildester Extravaganz und dazu noch ziemlich unanständig“ wären, war keine Rede, und ich besinne mich jetzt noch vergeblich darauf, welchen Bildern einer malenden Dame ich das Prädikat ,, wildeste Extravaganz“ geben könnte das wäre ja ein Lob, mit dem gewiss mancher unserer malenden Herren zufrieden sein würde. Das Wort ,, unanständig“ brauche ich in Bezug auf die Kunst gar nicht, ich würde mit demselben etwas so ganz Anderes begreifen als das, was gemeinhin das kunstliebende Publikum damit verbindet, dass die grössten Missverständnisse statthnden würden. Der Schein, als ob ich Jemand geflissentlich hätte schaden wollen, ist zu hässlich, als dass ich ihn stillschweigend hinnehmen möchte, und da er so ganz unbegründet ist, so bitte ich angelegent¬ lichst diesen Zeilen in Ihrem Blatte Raum zu ore währen.»

o

So oft solch’ ein Schriftstück in der Presse erschien, staunten sogar die Spe¬ zialisten der Leder über einen Rivalen, der diese Ausdrucksstärke besitzt und doch für die Hauptsache, die er zu sagen hat, beim Pinsel bleibt.

Hans Thoma geht auf das Wesen der Dinee ein, und seine Erkenntniss hat ihn auf den Höhepunkt geführt, auf dem keine Vorurtheile mehr gedeihen. Er ist ein milder Richter, der so alles Menschliche in Betracht zieht, dass er von der Klarheit seines Urtheils die Schärfe ausschaltet.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Hans Tkoma. Die Faunfamilie

Er raisonnirt nie leise, nie kräftig mit, er wehrt ab, dämpft ab, nie im Predigerton, lächelnd behaglich. Eine Unterhaltung, ob eine Person gut oder bös sei, unterbrach er mit dem wohlwollenden Einwurf;

«Ach was, gut bös, bös gut. Jeder ist einmal so, einmal so, schon gut, wenn man öfters gut als bös ist.»

Als Hans Thoma nach Karlsruhe zurückkam und Unliebsames aus der Vergangenheit berührt wurde, meinte er:

«Das war nur ein Zufall, und dem Zufall bin ich nie gram. Wenn ein paar dumme Menschen im Vorstand waren, d. h. in der Kunst dumm, dafür mache ich doch nicht alle Karlsruher verantwortlich. Die haben sich halt nicht denken können, dass aus dem Schwarzwald ein Künstler käme. Der Kün.stler wird eben geboren, die Natur fragt nicht, ob es in einem Dorf oder in einer Residenzstadt geschehen solle.»

Ueberall dieses sanfte Urtheilen neben voller Verstandesschärfe und der Fähigkeit feiner Definition.

Als in der Frankfurter Zeitung die Frage über das Verhältniss von Dilettantismus und Kunst aufgeworfen wurde, schrieb Hans Thoma:

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DIE KliNST UNSERER ZEIT

«E)arf ich es wagen, auch meine Meinung auszusprechen, als Versuch etwas zur Klarheit über diese Sache beizutra<^en?» «Vor einigen Jahren schon formulirte ich folgenden Satz»; «Der Dilettant will mehr als er kann.»

«Das Talent will was es kann.»

«Das Genie kann mehr als es will.»

«Das Talent wäre hier der sich im Gleichp^ewicht befind-

o

liehe, sagen wir der normale Künstler. -- Dilettant und Genie berühren sich einiuermassen , da bei Heiden das (jleichtrewicht nicht vorhanden ist. Heim lOilettanten ist das Können beschränkt, aber das Wollen kann Ijei ihm recht o-ross sein freilich weiss man dies nicht oder nur er selber weiss es da er es nicht

o

manifestiren kann.»

«Heim Cfenie ist das Können im Uebergewicht es schafft sich selber die Mittel, in denen sein Wollen sich ausspricht. -- Hei ihm kann die Absicht, das Wollen ganz bescheiden sein, das Werk, welches daraus hervorgeht, wird Kraft seines schöpferischen Wesens mehr offenbaren als in diesem Wollen liegt.»

«Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Dilettant und Genie ist die, dass beide die Schranken der Kunstgesetze nicht sehr respektiren, aber der Dilettant kann sie nicht respektiren, und das Genie braucht sie nicht zu respektiren, weil ja nur das Genie es ist, welches die Gesetze schafft, immer neu schafft. Uebergänge verschiedener Grade vom Dilettantismus zum Genie sind nicht ausgeschlossen, die Kritik wenigstens, da sie meistens von irgend einem Normalen ausgehen will, hat schon öfters diese zwei Dinge verwechselt.»

«Scharf getrennt sind ja alle drei hier aufgestellten Normen der künstlerischen Thätigkeit nicht, und was sie alle zu vereinigen hat, Avenn sie in Hezug auf die Kunst genannt werden sollen, ist die Liebe, die Freude, die sie am Hervorbringen haben müssen, der Dilettant schon Kraft seines Namens, das Talent in k'olge seiner schönen Sicherheit, das Genie aus Freude an den Neuschöpfungen, die es hervorbrinort und die ihm selber zu Offenbarungen der Schönheit werden.»

«Wer ohne diese Liebe, ohne dieses eigene Vergnügen Kunstwerke hervorbringen will, ist weder Dilettant, noch Künstler, noch Genie zu nennen, und Avenn er nicht ehrlicher HandAverker ist, so ist er ein Fälscher.»

Immer, AA'enn Hans Ihoma das WTrt ergreift, kommt diese selbstverständliche tiefe Liebe zur Wahrhaftigkeit zum Ausdruck, die allem Gesagten den Avarmen glaubengeAvinnenden Ion dei innierkeit Mbt. Diese Innigkeit für den Einzelnen hat sich auch an der frühen herzlichen Pflichterfüllung für seine Nächsten ent- Avickelt. Er erfuhr, dass an Andere gedacht Avurde, und lernte an Andere denken, eine Schulung, mit der keine ethische Lehr¬ methode wetteifern kann. Und diese Innigkeit ist in erster Reihe zur Avohlthuenden Macht für ihn selbst geAvorden. Durch sie hat

DIE KIINST UXSERER ZEIT

103

nur in ehrlicher Arbeit Ausdruck zu treben, dieser Geistesstandpunkt, diese weise Selbst¬ verwaltung- geben d'honia die Aus- den

Frieden, die aus seinem Wesen, aus seiner Lebensführ¬ ung-, aus seinen Werken sprechen. Nicht an Sub-

geglichenheit,

ö o '

Hans Tkoma. Schvvarzvvaldthal

er sich vor egoistischer Maasslosigkeit bewahrt und eigenes Leid, eigene Lust, eigenes Begehren eingrenzen gelernt. - Den Zusammenhang mit dem grossen Ganzen fühlen, wie er ihn fühlt, nur um Das verlangen, was Natur und Geschick freiwillig entgegen zu tragen scheinen, und diesem Verlangen

Intimität fehlt es Hans Thoina. Seine Subjektivität hat aberden grossen Horizont, wie ihn seine Landschaften haben, sie hängt sich nicht an Einzel¬ heiten , an Nüancen der Nüancen, sie umfasst ohne Senti¬ mentalität das Lebendige mit that- und malkräftigem

jektivität, nicht an Gefühl.

«Gefühl ist Alles!» auch in der Kunst. Die Farbensymphonie allein thut’s nicht; das haben die sogenannten Neuerer an sich erfahren. Die haben überhaupt erfahren, welche schlechte Dienste ein Verstandes- oder Prinzip-Recept dem künstlerischen Schaffen erweist. Auch die Natur ist spröde und gibt den Menschen mit den Malprinzipien keine Gegenliebe. Ihre Schönheit will durch die Empfindung entdeckt, und mit Hilfe des Könnens für die Bild¬ grenze erobert sein.

Es hilft Nichts, ver- standesgemäss den Entschluss zu fassen zur Natur zurück zu kehren, es genügt nicht mit ihr auf dem Be-

Hans Thottia. Mamolshain im Taunus

suchsfuss zu Stehen, man muss ihr ver¬ trautes, hingebendes, begeistertes Kind sein, um ihr in’s Herz zu sehen.

Nur die innere Be¬ wegung gibt dem künst¬ lerischen Schaffen die Seele, macht es zu einem solchen.

Diese innere Be- weouno-, welche von

o O

den Erscheinuno;en in

ihm hervorgerufen wird, zählt zu den Glücksgütem Hans Thoma’s. Sie bringt ihm die Stimmungen, den Aufschwung, die jugendliche Schaffenskraft, welche leere Menschen in äusseren Ereignissen und Erregungen suchen, sie gibt ihm auch die Unabhängigkeit von den Menschen.

14*

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Es macht still und stark, einen Schatz zu eigen zu haben, den Niemand nehmen, den Niemand geben kann, der das Leben mit freudiger Arbeit, mit freudigem Gebenkönnen erfüllt, ein souveränes Bewusstsein, das vom Menschendienst befreit und durch diese Unabhängigkeit einen unbewussten Stolz gibt, der Nichts mit dem banalen Stolz der Beschränktheit zu thun hat.

Das geistig Lebendige, welches Thoma bei Goethe das «Unerschöpfliche» nennt, wie das in Thoma spielt, lacht, singt und erkennt, dafür mochte ich einige kleine Proben aus seinen Widmungen und Briefen anführen;

An die Engelswolke schrieb er als P'estgeschenk :

«Aller Weihnachtswünsche Ziel:

Kleine Gaben aber viel!»

Als Widmung in die Eederspiele:

< Es ist kein Widerspruch den Ernst des Lebens führen,

Die Kunst zum heit’ren Spiele führen!»

Einem jungen Maler in’s Album;

«Wer sein Bild recht fertig lernt denken,

Der mag mag sich viel Oelfarb’ und Pinselstrich’ schenken.

Doch schön auch, wenn im Suchen, im Chaos, im Wühlen Vorhergeschautes hindurch sich lässt fühlen.»

«Der Verstand ist es, der immer thätig zu sein hat beim Entwerfen, Aufbauen und Vollenden des Kunstwerks, er hat sogar so verständig zu sein, sich immerfort vom lebendigen Gefühl leiten zu lassen.»

*

Ohne Glauben kein geistiges Schaffen! Verlange aber nur nicht, dass der Schaffende gerade das glaubt, was du glaubst.»

* '

«Viel mehr als die Leichtsinnigen verderben die Schwersinnigen an der Kunst.

.•1; ü:

«Mit '1 heorien kann man jede Kunst lahm oder todt hetzen.»

-■Schlechte Kunsttheorien sind sündhaft, aber auch gute Theorien hemmen den schaffenden Geist.

:ä:

«Nur, wer die Kunst lieb hat, darf Kunstrichter sein.»

*

Aus einer Rede auf dem Kostümball der Künstlergesellschaft in PTankfurt a. M., im Wdnter 1898 gehalten;

«Die Kunst ist eines der Elemente im Menschenleben, welches Alle ohne Unterschied einladen darf, die Kunst kennt weder Parteien ncch Standesunterschiede, denn sie hat ihren Ursprung in denjenigen Tiefen der menschlichen Seele, vor welchen wir Alle gleich sind. Das bunte Kostüm, das der heutige Abend uns zeigt, soll uns ein Bild davon sein, wie die frei waltende Kunst sich ihre Liebhaber und Jünger erwählt, ganz, wie sie will, aus dem Palaste wie aus der Hütte, aus der Mansarde wie aus der Belletage, aus Stadt und Dorf und aus allen Völkern. Die Kunst ist ja so allgemein menschlich, wie es die Freude, der schöne Götterfunke, ist, ja, sie ist der Freude verwandt, und ihr Zauber vermag sogar manchen Schmerz zu versöhnen. Ihr hoher Sinn ist auf Versöhnung gelichtet. Sie vermag uns loszulösen von der schweren Wirklichkeit, sie versöhnt

Pjot. F. lUufsuengl, Mtluchen.

Tli«>iii;i iiiiiv.

Knabe am Bach

DIE KlINS^r unsp:rer zeit

105

uns damit, indem sie uns dieselbe geistig leicht in reinem Schauen darbietet. Heiligen Ernst irn Herzen und Fröhlichkeit in allen Sinnen, so ist das Wesen der Kunst, so hat Gott dem Menschen die Kunst geschenkt. -

*

M: ;i:

'Die Kunst ist eine Gabe, von den Göttern den Menschen geschenkt, darum mäkelt doch nicht so viel an ihr; habt sie lieb, so vrerdet ihr sie erkennen.»

Alle diese Aeusserungen Hans Thonia’s sind Geist von seinem Geist.

Hans Thoma. Monte Baldo

Am Abend seines 6o. Geburtstages, der in der Handels- und Goethestadt Frankfurt a. Main von einem grossen Kreise dankbar und begeistert gefeiert wurde, zu dessen Andenken Bildhauer J. Kowarczik die 1 homa-Medaille prägte, hielt Professor Dr. Henry Thode einen Festvortrag, in welchem er die künstlerische Bedeutung und Thätigkeit Hans Thoma’s mit WHrme und Ueberzeugung zu schildern suchte. Nach diesem Vortrag vereinigte sich der Freundeskreis zu einem gemüthlichen Zusammensein, die Ansprache Hans Thoma’s an diesem Abend ist eine solche Offenbarung seiner Einfachheit, Natürlichkeit und Wahrhaftigkeit, ein solch echtes Dokument seines Wesens, dass sie nicht in einer Festschrift versteckt bleiben darf.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Diese unmittelbare IMittheilung aus der hochgestimmten Stunde ist von einer reinen geistigen Schönheit, ihrer sollen möglichst Viele theilhaftig werden.

Sie lautet:

«In der Stunde, w.ährend mein Freund Tliode über meine Arbeiten sprach, sass ich zu Hause. Da kamen mir nun auch mancherlei Gedanken z. B. dachte ich, warum hat denn die Kunst so viel Bedeutung, warum macht man sich so viel daraus? sie ist doch eigentlich nur ein frohes geistiges Spiel, welches der Künstler zumeist für sich selber zu seiner eigenen Befriedigung ausführt. Dadurch hat er seinen Lohn schon

vorweg, und er soll der Welt nur dankbar sein, wenn sie ihn nicht stört in seinem kindlich egoistischen

Gebahren, ihn nicht von seinem Maltrieb ab- und wegzieht zu anderen Pflichten.»

«Aber die tVelt kümmert sich doch gleich darum, was er macht sie lacht wohl auch, dass er so seine

Zeit vertrödelt, dass er nichts macht, was sie brauchen kann, sie ärgert sich auch wohl über ihn, dass er sich nicht

in’s Joch spannen und es somit gleichsam besser haben will als viele andere. Aber sie sieht ihm doch zu und solche, in denen der Spieltrieb nicht ganz erloschen ist, finden, dass das, was der Künstler so für sich macht, ein ganz schönes Spiel ist, und sie sagen; „Ei seht einmal her, das, was der macht, ist etwas Schönes so würden wir es auch machen, wenn wir Geduld und Zeit zu solchem Thun hätten“ und indem sie es schön nennen, bezeugen sie, dass sie Antheil nehmen an seinem Schaffen, und es findet sich wohl endlich, dass das, was Unsinn schien, doch Sinn hat Manches, was Schein schien, doch auf eine Wahrheit hindeutete.»

«Das Spiel des Künstlers, so sehr dem Traumleben verwandt, scheint uns auf einmal einen Blick zu eröffnen in die geheimnissvollen Tiefen, in denen unser Dasein wurzelt. Wir ahnen dann vor den Werken der Kunst, dass hinter dem heiteren Kinderspiel ein tiefer Ernst steckt, und dass das, was Willkür schien, aus folgerichtiger Nothwendigkeit hervorgeht, und wir empfinden diese nothwendige Folge zumeist als Harmonie, als die Einheitlichkeit, die aller guten Kunst eigen ist. Wir fangen an zu glauben, dass da etwas von dem, was uns Allen gemeinsam ist, etwas aus dem dunklen Grunde unseres Seins offenbar werden könnte. Freilich werden wir

ja dadurch immer nur zum Ahnen kommen aber wir sollen dies Ahnen nicht verachten, ist es doch der liebliche

Vorbote des Glaubens, der ja ebenso aus der Gemeinsamkeit unseres Gefühlslebens seinen Ursprung hat.»

«Aus dieser Gemeinschaft des Gefühlslebens entsprungen, erhaben über alle egoistischen Bestrebungen,

die der Tag, das Leben nothwendig mit sich bringen, die entzweien und zum Kampfe führen, stellt die Kunst

einen schönen Frieden, eine Harmonie her. Wir können durch sie erhoben sein in eine Region über allem Lieben und Hassen. Ein Hauch der Versühnung begleitet sie, und was der Wille heftig fordert und erkämpft im Leben, das schweigt vor ihr, vor ihiem stillen Schauen, vor ihrem stillen Lauschen. Wir werden dem ähnlich, was mair sich unter Göttern denkt die Ruhe kommt, die alle Angst des klopfenden Herzens verscheucht die grosse Gelassenheit. Ja, wenn sich die Kunst so recht in ihrer Erhabenheit würde zeigen können, so wäre der Friede in der Welt hergestellt, aber sie ist ja auch nur menschlich, Schwächen mischen sich ein Verzeichnungen u. dgl. mehr. Aber auch mit der kleinen Abschlagszahlung, die die Kunst uns bietet zu einer Erhebung in reinere Höhen, in friedlichere Tiefen, dürfen wir zufrieden sein und so begrüssen wir sie gerne, wo sie uns nur etwas von ihrer Hoheit offenbart.»

«Die Kunst steht über den Gegensätzen, welche der Kampf um’s Dasein geschaffen hat ein friedliches Element und so lieben wir das kindliche Spiel, aus dem sie hervorwächst.»

«Indem ich denke, dass wir heute zusammen ein Fest feiern, welches der Kunst gilt, befreie ich mich

von dem Drucke, den das Gefühl in mir hervorbringt, man wolle mich meiner sechzig Jahre wegen, in denen

ich so im Ganzen mich bürgerlich anständig betragen habe und meist zu meinem eigenen Vergnügen gemalt habe, persönlich feiern. Es gelte der Kunst, dass wir heute froh beisammen sind - da schüttle ich allen Jubiläumsjammer ab und will gern der Fröhlichste unter Ihnen sein. Gerne vergesse ich da das De- und Weh- müthige, welches alles Persönliche empfindet, wenn es zu sehr an’s Tageslicht gezogen wird, gerne vergesse

ich, dass es wohl übertrieben ist, mich zu feiern, und dass ich dem Erbtheil gegenüber, welches mir vor sechzig

Jahren auf die Welt mitgegeben wurde, als ich im Bernauer Thal in der Wiege lag, lange nicht genug geleistet habe. Die Natur hat mir gute Augen zum Sehen und Schauen mitgegeben, von den Eltern erbte ich Ausdauer im Arbeiten und Geduld, das grosse Erbgut der Armen, wenn sie es richtig zu gebrauchen lernen; als besonderes Muttererbe wurde mir ein reicher Schatz von Phantasie und Poesie, in den einfachen Grundformen, wie sie noch im Volke leben meine künstlerische Erziehung war geradezu glänzend, die Dorfschüle mit ihren Anforderungen war mir leicht und Hess mir viel Zeit, all’ das Licht und die Farben zu sehen, welche der Wechsel der Tageszeiten

DIE KUNST UNSERER ZEIT

107

Hans T/io?na. Schwarzwald

hervorbringt. Was hatte ich für Zeit, in die Wolken zu schauen, von den Höhen in’s Thal hinunter und hinauf zu den Bergen, wo die Schatten mitzogen das Alles sah ich so deutlich, schon lange vorher, ehe ich daran denken konnte, solche Sachen zu malen. Diese Voischule des Sehens dauerte bis in mein zwanzigstes Jahr, dann erst kam ich in die Kunstakademie, und nachher quälte ich mich Jahie lang. Geschautes mit Erlerntem zu vereinigen »

«Dem mir gewordenen Erbe und der günstigen Erziehung nach müssten meine Bilder so sonnenklar gut sein, dass niemals ein Zweifel hätte auftauchen können, dass sie diess nicht seien und so stehe ich den Freunden, die so freundlich meinen 6o. Geburtstag feiern, etwas verlegen gegenüber.»

«Aber es ist ja doch die Liebe zur Kunst, die wir Alle gemeinsam haben, das Suchen nach ihrem reinen und vollen Ausdruck, das uns Allen angelegen ist, welche uns heute vereinigt, und welche mir Ihre so freundliche Theilnahme eingetragen hat, Ihre Theilnahme, für die ich Ihnen Allen herzlich danke.»

«Da wir Deutsche sind, freuen wir uns auch, wenn wir in der Kunst Spuren von dem finden, was wir als unser Eigenstes erkennen, und die Kunst kann sehr gut eine Antwort sein auf die Frage: Was ist deutsch? Sie kann ebenso gut, wie die Sprache, ein Band unserer Gemeinsamkeit sein, wenn auch nicht des Denkens, so doch unseres Fühlens.»

«Für uns Deutsche wird die Kunst nie lange Zeit bloss eine Prunk- und Luxussache sein können wir werden immer wieder suchen müssen, sie zu einer Herzenssache zu machen mag sie auch dadurch zeitweise kleinlich werden, wir brauchen keine Angst zu haben, dass sie dies auch bleiben wird.»

«Die deutschen Herzen können auch in der Kunst hoch schlagen, und aus ihnen kann erst recht der innerlich gegründete und gefestigte Prachtbau grosser Kunst hervorwachsen.»

«Die deutsche Kunst, sie blühe und wachse!»

lOS

DIE KDXST l'XSERER ZEIT

So sprach der deutsche iNIann, der echt deutsche Mann, von

dem man sagen kann:

«Der ist in tiefster Seele treu,

Der die Heimath so liebt, wie Du!

Er liebt sie, und er beschenkt sie; mit unvergänglichen C iahen schmückt er sein grosses Elternhaus, er gibt ihm unvergängliche Rüder friedlicher Stätten, friedlicher Menschen. Nicht menschenverwundende Kämpfe hat er geschildert, nicht Merzweilelte, nicht Schlachten, warum sollte er in der Kunst verewigen, was ihm im Eeben weh that? Seine Geschöpfe sind alle zulrieden, glücklich, im Wachen wie im Träumen.

Er hat auch keine Standesmenschen gemalt, welchen man ihre Stellung untl ihre Nerven ansieht, auch keine weltlichen Damen, welche der Eleganz des bages ihre Zeit geben, auch keine Heute-Schönheit, er hat nur Menschen aus dem Volke oder Menschen aus seinem Kreise gemalt, solche, die sich zum Volke gehörig fühlen im natürlichen Sinne, die thätig sind, solche, die das Gestern, das Heute und das Morgen ernstlich betrachten, eigentlich lauter thätige Menschen.

Die Müssigen lührte ihr Geschmack nicht zu ihm. Er hätte sie auch nie zu ihrem Wohl¬ gefallen gemalt, er hätte sie lieblos gemalt mit der leisen Satire, die er auch in dem Geheimschatz seiner Kräfte hat. Er nimmt sie nie muthwillig, nur im b'all der Nothwehr in Gebrauch, und würde ungern sehen, dass eine, noch so witzige, öffentlich bekannt würde.

So darf ich sie in diesem ehrlichen Porträt, das ich von dem Menschen Hans Thoma geben möchte, nur andeuten; sie diene seinem überwiegenden, immer obsiegenden Wohlwollen zur Folie. Er ist sein Leben lano- «viel mehr trat als bös» gewesen und hat das Bössein durch Mano-el an Uebung wohl verlernt. PN geht desswegen seiner Güte nicht an P^estigkeit ab, er ist ein weiser Beherrscher seines Charakters. Wenn er mit diesem Charakter auch kein grosser Maler wäre, er wäre ein grosser Mensch, auch dann, wenn es von der lauten Welt nicht bemerkt würde. Er hätte in der Stille gewirkt, wie seine Ahnen gewirkt haben. Das beruhigende Gesetz von der Erhaltung der Kraft innerhalb der Menschheit hätte schon irgendwann einen ganzen Mann, mit Allem ausgerüstet, was zum Grosswerden und zum Grosswirken nothwendig ist, von der Schwarzwaldhöhe in’s Thal geschickt.

fl ans Thoma kam zu einer Zeit in das Thal der lauten städtischen WTlt, in welcher die Kultur scharf formulirte Ansprüche an Jeden stellte, in welcher der Schulgang, die Zeugnisse, ja die Herkunft als massofebend oalten, in welcher man mit der Hilfe von Vettern und Basen, von Professoren und Direktoren einen Platz suchen und diesen mit Selbstverläugnung behaupten musste. Hans dhoma that Nichts dergleichen. Er wusste Nichts von Protektion, Publikum und Kritik. Er entdeckte sich vor diesen und blieb bei sich.

Er ist in dem Zeiträume von vierzig Jahren, den er bewusst in der Kulturwelt verbrachte, von seiner Zeit kaum beeinflusst worden.

DIE KIINST UNSERER ZEIT

109

^ Jn;. \rCy^ ^

Hans Tlioma. Bernau-Oberlehen

selbstthätig werden und wenn Geist und Herz nichts Eigenes zu pflegen und zu ernten haben. Es gibt ein kleines Buch von dem grossen Deutschen Karl Hillebrand, «Zwölf Briefe eines ästhetischen Ketzers». Da stehen foDende Sätze drin:

o

«Worum handelt es sich in der That für den Künstler der Zukunft? Durch vollkommene Durchbildung, seelische wie technische, der Mittel der Kunst so Meister, der Grenzen der Kunst so sicher zu werden, dass er dadurch wieder zur breiheit gelangt, die Natur unbefangen schauen und wiedergeben könne.»

o

Er fand zu wenig Verwandtschaft und war gezwungen, bis zu Dürer zurück zu gehen, wenn er die Hilfe der Ermuthigung brauchte. Nicht von der Kunst seiner Zeit ist Thoma Ijeeinllusst worden, sondern er wird die Kunst seiner Zeit beeinflussen. Wie Bierbaum von ihm sagt; «Er ist ein Glücksfall für diese altgewordene Zeit, die das Spielen leider verlernt hat. Er gehört zu den Vorbildern ihres Verjüngungstriebes.» Sein Dasein ist ein leuchtendes Zeugniss, was der Mensch aus der Natur und aus dem Ciefühl empfangen und im Leben wie in der Kunst ausgestalten kann.

An diesem Zeugniss seines Daseins Hesse sich erläutern , wie wahre Bildung sich entwickelt, wie wenig der Mensch erhält, ja, wie er verarmt, wenn seine Gedanken mit h'remdem beladen, nicht

I 15

HO

DIE KUNST UNSERER ZEIT

'<]Man wird nicht leugnen können, dass auch unsere Kunst eines Mannes bedarf, der, wie unsere Dichter, die Natur wirklich lieb habe und zugleich verstehe, der sie mit künstlerischem Blick erfasse und sein Handwerk so gelernt habe, dass er das Erfasste wieder bilden könne , oder Avie der Meister selber in seiner unnachahm¬ lichen Einfalt und Prücision sagt> :

„Der hütt’ ein Auge treu und klug Und war’ auch liebevoll genug,

Zu schauen Manches klar und rein Und wieder Alles zu machen fein,“

«Dass aber gerade unsere Zeit und unser Deutschland Iterulen und yfe- macht scheine, einen Künstler hervor¬ zubringen, der zugleich naiv und gebildet, ernst mit seiner Kunst und doch heiter, sicher und überzeugt, unabsichtlich, mächtig wäre, der er selbst zu sein wagte, das wird Avohl Jedem ein lieber Gedanke sein. Ein lieber, aber auch berechtigter? Mich wäll es dünken: ja, auch ein berechtigter.»

Ist es nicht, als hätte dieser feine Kunst- und Menschenkenner Hillebrand, der aus einer internationalen .Schulung heraus die Kulturwerthe und die Naturwerthe Avahr und Aveise zu schätzen A'erstand, in diesem Wunsche die Natur Hans Thoma’s A’orgefühlt?

Ein königlicher Reichthum Avard Hans Thoma als Mitgift der Natur zu Theil. Wie herzlich dankbar er ihr ist, spricht sich in seiner Geburtstagsrede aus. Er ist ihr so dankbar, Avie seiner Mutter.

Mit Avahrer Liebe spricht er A'on seinem Bernau, das er das Thal der tausend Ereuden nennt;

mit stiller stolzer h'reude schreibt er an sein Bild:

«ln diesem Thal, auf diesen Höh’n Hab’ ich zuerst die Welt geseh’n!»

.Schon A'or Jahren schenkte er dem Bernauer Liederkranz eine Lahne, auf die er, des Gesanges der Heimath gedenkend, die heilige Gäcilie malte und die er mit der Inschrift schmückte:

«ln treuer Erinnerung an die Heimath und an die Jugendzeit Avidmet dies Bild Hans Thoma.»

Die Bernauer feierten und feiern ihn als den Ihren. Als er im Jahre 1898 die Sommermonate dort verbrachte, zogen sie mit der A^on ihm geschenkten Lahne vor sein Haus und sangen ihm da die alten Lieder, die er als SchAvarzwaldjunge in der Märchenstille seiner Jugendzeit so gern gehört. Jetzt ist er ein Grosser im Vaterland, der diesem Vaterland unvergängliche Gaben bereitet hat! Jetzt ist er Einer vmn den Auserlesenen, die mit Avarmem Herzen und tielen Gedanken die Quelle ihrer Kraft, ihrer I'reiheit, ihres Glückes in ihrer Kunst besitzen! So sieht es in dem Galleriedirektor in Karlsruhe aus. Er ist nicht in die Stadt Karlsruhe eingeschlossen, er ragt um Meisterhöhe über sie

Hans Thoma. Die Briefschreiberin

H. Thoniii pitix.

Parkansicht ans einem Fensti

DIK KliNST UNSERER ZEIT

111

hinaus und o-ehört jenem grossen, unbegrenzten Vaterland, das so weit reicht, so weit man echte Kunst liebt. Und jenen, welche die echte Th oma- Kunst lieben, wollte ich die JVrsünlichkeit ihres Schöpfers näher rücken, Jenen, welche ihn gern persönlich kennen lernen möchten.

Er schrieb mir einmal über ein solches I^orträt seiner Persönlichkeit:

«Sehr freut

es mich , dass dieses Porträt dazu angethan ist , die Sage von dem bis zu seinem fünf¬ zigsten Jahre auf Erfolg wartenden, unglücklichen Manne zu zer¬ stören. Was müsste das für ein Tropf sein, der so lange wartet und nicht schon in der Jugend alle Blumen, die das Leben uns bietet, zu pflücken und zu geniessen ver¬ steht.»

«Ein Künstler kann ein solcher Mensch nicht sein , vielleicht

Hans Thoina. Porträt

ein Beamter, der sich durch endliche Beför¬ derung aus seinem Sklavenjoche heraussehnt.»

«Ich war meiner Lebtag eigentlich ein fröhlicher Mensch, wie es auch meine Mutter war, und dass ich mit dieser ange¬ borenen Fröh¬ lichkeit nicht renommirte, daran war eine gewisse Klug¬ heit und auch Bescheidenheit schuld, viel¬ leicht auch ein

wenig Scheu,

nenn’ ich es Aberglaube ,

die Götter nicht zu reizen. Es hat es ja Niemand gewusst, welch’ ein Jubelgefühl meine Seele erfüllte in den Tagen, in denen ich von Bernau nach Karlsruhe, von Karlsruhe nach Bernau mit erschrecklich wenig Geld m der Tasche wanderte jetzt ncch erinnere ich mich freudig an solche herrliche Stunden, in denen ich, erfüllt von seligem Schauen, von Freiburg aus über die Berge heimkehrte.»

15*

112

DIE KUNST I'NSERPIR ZEIT

«Es ist für mich ein beruhigendes Gefühl, von Jemand porträtirt zu sein, der mich gut kennt.» «Das Porträt ist warm im Pon, und wem thäte Wärme nicht wohl.»

«Ich glaube, dass auch Solche, die mir fremd gegenüber stehen, daraus sehen können, dass

doch ganz gern haben kann, wenn er auch so und so ist

man diesen

«Das soll man auch daraus lesen, nicht wahr.' und man soll es aus jedem Porträt lesen können.»

den, den man malen will, recht an , man lernt ihn kennen , und die Saiten der eigenen Brust tönen, es wird ein menschliches V'erhältniss daraus, wir sehen ein Stück von uns selber wieder, wir sehen den hlenschen.»

Das ist die richtige Schmeichelei , die künst¬ lerische Thätigkeit ist schon an und lür sich Schmeichelei. Man sieht

jMedaille zur l'eier des öO. Gel^urtstagcs tfans Tlioma’s von .1 Ko'^arczik

«Sogar, wenn das Porträt eine schiele Nase oder Augem'erzeichnung erhält, kann es doch gut sein.»

«Der Photograph hat in seinem Apparat kein Herz, der ist objektiv und macht Niemanden das Herz warm.»

«So danke ich dem IMaler seine Wärme und Liebe, die zwei Elemente, aus denen unser Leben besteht.»

Wärme und Liebe, es sind auch die zwei Pdemente, welche der Kunst Hans Thoma’s das Leben, das unvergängliche Leben geben.

Dieser Lebenssegen, den er ihr aus seinem Herzen mitgibt, ist wohlthuend, ist friedlich.

In dem gegenwärtigen Kamp! um’s Dasein und um’s Dagelten, welcher selbst in die Kunst¬ entwicklung bestimmend eingreilt, wirkt eine so einlache, natürliche, wahrhaftige Kunst, wie die Hans Thoma’s, wie eine P'riedensgabe.

Sie kommt aus der Seele eines Menschen, der die geheimnissvolle Tiefe, den unerbittlichen Ernst des Lebens weiss und mit «seinem farbigen Abglanz» spielt. Lächelnd sagt er:

Wer die Kunst von Hans Thoma lieb hat, dem erschliesst sie in diesem räthselvollen, kampf¬ reichen Diesseits eine neue, schöne, schmerzlose, friedliche also eine bessere W'elt.

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DIE

KUNST UNSERER ZEIT.

EINE CHRONIK

DES

MODERNEN KUNSTLEBENS.

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MÜNCHEN

FRANZ HANFSTAENGL

ALLE RECHTE VORBEHALTEN

Inhalts -Angabe.

1900, II. HALBBAND.

Literarischer Theil.

TIeilmeyer, Alexander. Ausstelluno-en 1900

o

Seite

Alünchener Jahres- . 113

.‘'eite

Heil mey er, Alexander. Ueber deutsche Plastik. 157

Vollbilder.

Seite

Münchener Jahres-Ausstellungen 1900.

Bredt, F. iM. Eva und Maria . T33-

Defregger, F. v. Tiroler .

Eisenhut, E". Theetrinker in Samarkand . . -13h

Firle, W. Unter blühenden Blumen .... 14-6

Ivanovits, P. Furor teutonicus . 1-&3

Kaulbach, E". A. v. Das Spielzeug .... 4^

Lenbach, E'. v. Fräulein Sch . 4^

Löwith, W. Im \^orzimmer des Alinisters . .

Müller-Kurzwelly, K. Fallende Blätter . . HF

Petersen, H. Auf hoher See . E48

Rau, E. Nach der Pürsch . E5T

Ritzberger, A. Abendklänge ...... F52"

Rupprecht, T. Frauenbiidniss . -E44-

Schmutzler, L. Quadrille . 444-

Schuster- Woidan, R. Odi profanum . T48-

Seifert, A. Der Hesperiden goldene Aepfel . E32—

Stuck, F. Dionysos . F54

Thoma, FI. Frühlingsmärchen . +48-

Ueber deutsche Plastik.

Seite

Begas, R. Venus und Amor . 208

ETossmann, J. Beethoven . 188

Hähnel, E. Aus dem Bacchuszuge .... -d-JH- Hildebrand, A. Der Kugelspieler .... 180

Kling er, M. Kauernde . 216'

Maison, R. Statue Otto 1 . 216

Rauch, Ch. \^iktoria . E64

Rietschel, E. Goethe und Schiller .... E72

Schadow, G. Grabmal des jungen Grafen

Alexander v. d. Mark ....... T64

Schilling, J. Der Morgen . 4/6

Die Nacht . 180

Schwanthaler, L. v. Brunnenfigur .... 260

Siemering, R. Germania-Denkmal in Leipzig 4-76-

Stuck, F. Die Amazone . 1-88

Thorwaldsen, B. Adonis . E60

Tag und Nacht . 160'

Wagmüller, M. Das Grabmal des Künstlers 20fE Widnmann, Al. v. Antikes Relief .... 200

Textbilder.

Münchener Jahres-Ausstellungen 1900.

Seite

Beggro w-Hartmann, O. Fische . 126

Black, Andrew. Im alten Schottland . . . . 140

Bios, Carl. Schwarzwälderin . 117

Burger, Anton. Tuchgadeii . 132

Diez, Julius. In arte libertas . 153

Eichler, R. M. Gewitter im E'rühling . . . 121

Heugeruch . 135

Erdtelt, M. Mädchenbildniss . 131

Erler, Fritz. Die Pest . 134

Exter, Julius. Eine Ueberraschung .... 127

Fink, August. Novemberabend . 125

Georgi, Walther. Kartoffelernte . 133

Seite

Hahn, Hermann. Christus . 154

Haider, Karl. Abendlandschaft mit heimkehr¬ endem Ritter . 147

Flerterich, Johann. Der Erlöser . 130

Heyden, Hubert von. Kampf . 146

Hoch, Franz. Landstrasse . 116

Hofner, J. B. Schafe . 120

Jank, Angelo. Heidi! . 145

Kaiser, Richard. Alter Steinbruch bei Kufstein 141 Kaulbach, F. A. v. Prinzregent Luitpold von

Bayern . 115

Keller, F. Bildniss des Grossherzogs von Baden 123

Seite

Kling-er, Max. Schlafende . 152

Tänzerinnen . 155

Kunz, Adam. Stillleben . 157

Laing, James. Hafen in Dordrecht . . . lob

Laurenti, Cesare. Hirtenleben . 129

Lucius, Sebastian. Römischer Fries . . . . 113

Marr, Carl. Dämmerung . 120

Messerschmitt, P. F. Vor dem goldenen

Löwen . 128

Münzer, Adolf. Arbeit und Luxus . . . . 124

Netzer, Hubert. Orpheus-Brunnen . . . . 150

Oppler, Alexander. Porträtbüste . 143

Palazios, E. Grabmal einer vornehmen Spanierin 156

Seite

Propheter, Otto. Bildniss der Frau Junker . 138

Samberger, L. Bildnisstudie . 148

Schaefer, Phil. O. Ständchen . 119

•Schmitzberger, J. ..Vus unseren Bergen . . 126 Schreuer, Wilhelm. Reconstruirte Stadtansicht 128

Schulz, Helene Damenbildniss . 124

Schuster- Wold an, Raffael, Porträt 1. Hoh.

der Herzogin von Mecklenburg. . . . 118

Spence, 11. Landschaft . 139

Taschner. Rauhbein . 149

Wirth, Anna Marie. In der Apotheke . . . 122 Zer ritsch, I'ritz. Bruckner- Denkmal . . . 151

Zumbusch, L v. Greis und Kind .... 146

lieber deutsehe Plastik.

Antike Plastiken: Grabmal (Doppelporträt). 157

Das Peristil eines pompejanischen Hauses 158

Zwei Grabmäler vom attischen Friedhof 1 6 1 163

Ansicht aus einem pompejanischen Hause

mit einer Porträt- Herme . 159

(jräberstrasse vom attischen Friedhofe vor

dem Tipylon in ^Vthen . 160

Römisches (jrabmal . 164 I

Begas. R. Merkur und Psyche . 208 j

Adolf Alenzel . 209 |

Schillerdenkmal in Berlin . 210

Brugger, F. Cheiron lehrt Achill das Saitenspiel 206 j Flossmann, |. Büste . 197 !

Zwei Reliefs vom Bismarck-Thurm am

Starnbergersee . 198

Eine Mutter . 199

Hautmann, K. Königin Elisabeth von Böhmen 205 !

Hähnel, E. Aus dem Bacchuszuge . . . . 176 |

Leukothea lehrt dem kleinen Bacchus das

Tanzen . 177

Entwurf zu einem Standbilde Raffaels . 178

Hildebrand, A. Hirtenknabe . 187

Der Flötenspieler . 188

Porträt . 190

Trinkender Knabe . 191

Kain und Abel . 192

Weibliche Figur . 193

Hudler, A. Der Schnitter . 219

Bildnissbüste . 217 218

Adam . 218

Kurz, E. Relief zum Geiger- Schauenburg-

Denkmal in Lahr . 194

Bildniss . 195

Porträt . 197

Maison,R. Herold v. Reichstagsgebäude in Berlin 211

Brunnen in Fürth . 212

Brunnen in Bremen . 213

Der Philosoph . 214

Netzer, H. Giebelfigur am Justizpalast . . . 220

Netzer, H. Brunnenfigur . 220

Entwurf für ein Denkmal . 220

Rauch, Christian. Max Joseph-Denkmal . . 169

Goethe im Hausrock . 17I

Standbild des Philosophen Immanuel Kant 172

Rietschel, E. Lessingstatue . 173

Das Standbild Luthers . 174

Büste des Bildhauers Rauch . 175

Seifner, K. Max Klinger . 214

Königin Carola von Sachsen . 215

Zwei Bildnissbüsten . 216

Schadow, Gottfried. Studie zu einem Relief

ani Zietendenkmal . 166

Entwurl zu einem Denkmal Friedrich des

Grossen . 167

Standbild des General Zieten . . . . 168

Schilling, y. Der Krieg. Statue am Nieder¬ wald-Denkmal . 183

Kriegerdenkmal in Hamburg (\"order- und

Rückansicht) . 184 185

Schwanenmädchen . I86

Relief vom Niederwald-Denkmal . . . 189

Schwanthaler, L. v. Melusine . 202

Drei (irazien . 203

Grabrelief . 203

Entwurf: Johann Wilhelm 1 . 204

Entwurf: Velasquez . 204

Sie m er in g, R. Krieg . 179

Relief zum Einzug der siegreichen Truppen

in Berlin . 180

Washington-Denkmal . 181

Relief zum Gräfe-Denkmal in Berlin . . 182

Stuck, Franz. V^erwundeter Centaur .... 200

Der Athlet. (Vor- und Rückansicht) . . 201

Thorwaldsen, Bertel. Aus dem Alexanderzuge 165 Wagmüller, M. Barmherzigkeit . 207

Selbstporträt, Oelgemälde . 208

Widnmann, M. v. Stein werfender Krieger . 206

Grabrelief . 206

OBER DIE

MONCHENER JaHRES-AUSSTELLUNGEN 1900

VON

ALEXANDER HEILMEYER

Eigentlich bieten Ausstellungen, wo ein Bild neben dem andern hängt und jedes eine andere Art

hat, keinen Genuss, und ein so feinfühliger Künstler, wie Anselm Feuerbach war, hatte ein

Recht zu sagen, Ausstellungen gleichen Jahrmärkten, worauf Dutzende von Drehorgeln spielen und

jede eine andere Melodie. Für Werke, die eine in sich ruhende eigene Welt darstellen, macht sich

dies besonders störend geltend. Man hat in neuerer Zeit angefangen, einen anderen Standpunkt

einzunehmen und auf eine einigermassen künstlerische Umgebung der Bilder Werth zu legen, womit

allerdings noch nicht jener ideale Zustand erreicht ist, dass Jeder eine gerade seiner Kunst angepasste

Umgebung bekommt, ein Verhältniss, wie es sich nur einige unabhängige Künstler Englands geschaffen

haben, indem sie im eigenen Hause ihre Werke ausstellten. Bei uns sind die Ausstellungen

nothwendige Veranstaltungen, deren Ausfall als Kunstmarkt für die Künstler ein empfindliches Manquo

bedeuten müsste. Sie gleichen, wie Einer treffend sagte, einer Börse, die Künstler und Kunstliebhaber

unterrichtet, wie die künstlerischen Strömungen und Werthe stehen.

Die Münchener Ausstellungen erfreuen sich eines besonderen Zuspruchs, sie weisen immer

eine Fülle künstlerischer Qualitäten auf und selbst im heurigen Jahre, wo die Ausstellung schlecht

vom Auslande beschickt wurde und viele Heimischen in Paris ausstellten, kommt dies zur Geltung.

München ist immer noch die künstlerische Centrale von Deutschland. Es müssen starke Quellen

der Anregung zum künstlerischen Schaffen im hiesigen Boden vorhanden sein und das gemüthliche

11 16

114

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Stillleben muss wohl auch dazu beitragen, dieses Schaffen zu begünstigen und die Künstler festzuhalten. Denn am Strande der Spree werden grosse Anstrengungen gemacht, die politische und wirthschaftliche Metropole des Reiches auch zum künstlerischen Mittelpunkt Deutschlands emporzubringen, indem man mit Aufwand o-länzender Mittel der modernen Kunst einen Nährboden bereiten will.

O

Eine besondere Eigenart künstlerisch individueller Auflassung äussert sich sowohl in alten wie modernen WArken. Noch sehr beliebt sind Darstellungen, wie sie sich aus dem Zusammenleben mit Land und Leuten ergeben. Von der einst so prunkenden I lohe des .Sittenbildes, an welche Namen wie Defregger, Dietz, Spitzweg und andere erinnern, ist nur noch ein matter Abglanz vorhanden, charakteristischer WAise hält sich die Neigung zu solchen Darstellungen hier bis heute. Auch die Neigung zu altmeisterlichen Reminiscenzen hält sich hier länger als anderswo, und als Correktiv stehen sie in unumschränkten Ansehen, was jedoch die Münchener Künstler nie gehindert hat, mit seltenem CAschick den modernen Rewegungen zu folgen und das entwickeltere, malerische Gefühl für Licht und Raum aui ihre eigene Kunst zu übertragen. .So lässt sich beobachten, wie sich des öfteren urbayerische Naturlaute mit verleinerten Symbolizismen mischen, und überhaupt begegnet man nicht selten eigenthümlichen Erscheinungen, die zum materiellen, schweren Charakter der Münchener Kunst eine ungemein vornehme geistige Note hinzufügen.

Die heurige Jahresausstellung birgt Kollektivausstellungen Glasgower Künstler, der Italiener, der Karlsruher Künstlergenossenschalt und des Künstlerbundes, ausserdem sind Werke von Mitgliedern der Stuttgarter Kunstgenossenschaft vorhanden.

Unter den einheimischen Gruppen fehlt die .Secession, die im eigenen Hause ausstellt, dagegen ist die Luitpoldgruppe und die «.Scholle» mit interessanten WArken beschickt.

Bei Betrachtung und Besprechung der einzelnen Kunstwerke wollen wir von dem beliebten, aber oft einseitio^ oeübten Einschachteluno-sverfahren nach Historien, Genre, Sittenbildern u. s, w. absehen, desto mehr aber der Bedeutung der künstlerischen Schöpfungen nach der Art und Weise ihrer besonderen Empfindung und ihrer besonderen künstlerischen Absichten gerecht zu werden versuchen.

Der Text musste rasch geschrieben werden, und es ist daher leicht möglich, dass Manches übersehen wurde, wie auf einer Fahrt mit dem Schnellzuge durch ein schönes Stück Land mancher schöne Punkt, manches idyllische Plätzchen übersehen wird, das den gemächlich einherwandernden Beschauer zum Verweilen einladet. Wer die Ausstellung selbst besucht, wird darum noch manche Entdeckerfreude uno-eschmälert eeniessen.

Die Luitpoldgruppe weist immer gute künstlerische Qualitäten auf, wenn sie auch heuer gegen das Vorjahr in ihrer Gesammterscheinung weniger hervortritt. Wir treften hier Werke an, welche die modernen ErrunQ;enschaften in der Malerei dem Publikum mundgerechter zu machen verstehen als die Secession, Maler, die das Plein-Air, den Impressionismus und Neuidealismus und den malerischen .Stil, wie er von England ausging, in allgemein gütige, schöne Lorm zu fassen suchen. Tüchtiges, geschultes Können und innige vertraute Naturanschauung zeigt sich in den meisten Bildern und macht sie für den Beschauer genussreich, lieb und werth. Malerische Experimente, Studien und Materialien des künstlerischen Schaffens sind thunlichst zurückgehalten, dagegen ist das Fertige, Abgeklärte,

DIE KUNST UNSERER ZEIT

1 15

Reife in den X'orderorund oerückt. Diesen Zug' hat überhaupt die ganze Ausstellung mit der Luitpold¬ gruppe gemeinsam. Und wie sich in Folge der vielfach verschiedenen Art der Maler ein weites, umfangreiches Stoffgebiet in der Darstellung erschliesst, so zeigt sich andrerseits gerade in den ersten Werken der Ausstellung eine Kunst, die auf das engste individuell begrenzt ist, und doch in ihrer idealen Tendenz den breiten und weiten Horizont unserer reifen geistioen Kultur umschliesst, die von der realen Welt wenig- mehr als die animalen Formen entlehnt und den seelischen, eigentlichen

o ' o

Gehalt der Dinge wiederzugeben

Wenn man von dem jetzt durch V orhänge so hübsch getheilten Wandelgang aus, der die linksseitige Hälfte der Aus¬ stellung durch- schneidet, durch die Thüröffnung in den Mittelsaal der Luitpold¬ gruppe blickt, in dem Raffael Schuster- Wol¬ da n’s Bild «Odi profanum volgus et arceo» Auf¬ stellung gefunden hat, so erscheint es wie eine licht¬ umflossene Apo¬ theose von hoher

Fritz Aiig. V. Kauibach : Prinzregent Luitpold von Bayern

malerischer. Schön heit.

Dieser Maler hat das Bedürfniss, sich seine eigene W eit zurecht zu machen , eine Welt, die ein Stockwerk über der realen sich aufbaut. Aus dieser Anschau¬ ung heraus muss man den Kreis vornehmer Men¬ schen , die auf dem Bilde ver¬ sammelt sind, zu verstehen suchen. Das Bild stellt eine Landschaft dar, in deren Hinter¬

grund man eine

o

Burg

brennende erblickt. Spricht sich hier drama¬ tisch bewegtes Leben aus, so öffnet sich nach der rechten Seite hin eine beruhigende Aussicht in s Grüne. Mitten im Bilde ragt ein Krieger in Wehr und WMffen über zwei Frauen. Lieblich sitzt die Eine in kleidsamer Tracht in der Landschaft und ruhig hingelagert in unverhüllter Schönheit die Andere, die eine Harte umfasst hält. Wir empfinden das Bild in dem Sinne: Der Krieger hält von dem zarten Geschlechte der Frauen des Lebens feindliche Gewalten ab. Es ist ein Kreis feinen Lebensgenusses und geselliger geistiger Kultur, in dem er ausruht, wenn er einhält im Thatensturm.

16*

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Die bekleidete Dame mit den sprechende Gebärden zeigt sich als eine Vertreterin solch feiner Kultur, während man die nackte Gestalt, die in plastischer Ruhe und Schönheit darg-estellt ist, als eine malerische Verklärunof des Ewiü-schönen in der Natur aulfassen kann.

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Natürlich wird es nicht an Stimmen fehlen, die, weil das Bild einen Hymnus auf die Schönheit darstellt, weil es schön ist in des Wortes eigentlichster Bedeutung, einen unverständigen Lärm erheben. Aber wer von Natur aus eine Emphndung für Rhythmus und Wohllaut, wer Geschmack an verfeinerten

Franz Hoch: Landstrasse

BArmen und Sitten, überhaupt an reifer abgeklärter Kultur mitbringt, der wird den persönlichen Stil, der daraus spricht, gewiss nachfühlen. Man muss sich doch allgemach wieder daran gewöhnen, die Kunst nicht nur in Eormen nüchterner Wiedergabe des gewöhnlichen Lebens, sondern als Schmuck für dies Leben zu betrachten. Das Schöne in der Natur liegt doch tief in ihrem ganzen Sein und Wesen begründet, wenn es sich auch nicht dem ersten Blicke zeigt, so dass es feine Geister und Gemüiher immer wieder reizen muss, es daraus hervorzuholen und in eigene Lassung zu bringen.

Walther Firle pinx.

Copyright 1900 br Fraox llaiirataCDgl

Unter blühenden Blumen

K. MUllcr-KurzwvlIy piiix.

Pbot. P. Uanfstaeogl, MQocbeu

Fallende Blätter

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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ein Anspruch, den die Naturalisten mit grosser Betonung immer für sich geltend machen, in anderer Form aber nicht gelten lassen wollen.

ITir Jenen, der die Aufgabe der Kunst darin sieht, Dincre aus dem Leben in eine ideale Form zu übersetzen, wer einen Kultus der Schönheit feiert, für den hat dieses Bild Zungen, die ihm viel saeen, der erlebt bei seinem Anblick innerlich eine grosse Freudigkeit und es ist ihm so, als wenn ihn ein Duft, ein Klang berührte aus einer vertrauten Welt. Dieses Bild ist wie Musik, die durch das Auge geht.

Was für eine siegbewusste, strahlende Schönheit geht von den Frauen im Bilde aus!

Es sind adelige Naturen , Aristokratinnen des Lebens. Aus jeder Haltung und Gebärde spricht eine schöne Seele. Was für ein herrlich Augen¬ paar schimmert unter dem lichtbeschatteten Hute der sitzenden Dame hervor! Gedämpfte, ver¬ haltene Lebenslust und sinnige Weltfreude, eine sensible Seele verrathen sie. Weiche schwellende Akkorde tönen durch das Bild, mit denen sich ernstere Klänge mischen. In dieser malerischen Vereinigung von Elementen der Natur und Kultur liegt die Poesie des Bildes, wie sie freier, eigenthümlicher und persönlicher nur noch auf B öcklin’ sehen und Klinger’schen Bildern vorkommt.

Ein solches Bild kann nur unter dem Einflüsse einer reifen Kultur gemalt werden. Es weist auf Urahnen wie Rubens und die grossen Italiener zurück, in deren Schöpfungen zum ersten Mal der ganze Gehalt der geistigen Kultur ihrer Zeit zum Ausdruck kommt. In der Weise einer freien malerischen Dichtung, die Kostümliches und Nacktes, Naheliegendes und Fernes mit einander verwebt, haben solche Darstellungen in Giorgone ihren Vorläufer. Schon bei ihm finden wir die gleiche malerische Ungezwungenheit der Anordnung, durchsättigt mit durchgeistigter malerischer Empfindung. Wer auch mit dem Problem und dem Inhalte, den der Maler auf seine eigene Weise in das Bild gelegt und in edlen Eormen gelöst hat, sich nicht auseinander zu setzen vermag, aber im Banne der grossen malerischen Schönheiten desselben steht, der widerstrebe ihnen nicht und freue sich an einer Schöpfung, die aus der Fülle inneren Lebens heraus geschaffen und gebildet worden ist.

Derselbe Maler, der die weibliche Psyche so zu deuten vermag, ist selbstverständlich ein guter Bildnissmaler der Frauen und Schilderer ihrer körperlichen und seelischen Schönheiten. Schon

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im vorig-en Jahre trat er hier mit einer Anzahl ausgezeichneter Bildnisse hervor. Heuer weist das Bildniss Ihrer Hoheit der Herzogin von Mecklenburg- wieder gleich vorzügliche malerische und psychologische Qualitäten aul. Solche von Natur aus vornehme Erscheinungen kommen der künst¬ lerischen Auffassung des Malers von selbst entgegen. Sie erleichtern und gestatten ihm eine charakteristische Wdedergabe ihrer Persönlichkeit. So gibt das Bild ein beseeltes Repräsentations- bildniss, beseelt durch die vornehme Erscheinung der 1 Jargestellten , die in der Lebendigkeit und Eio-enart ihres Wesens mit malerischer Noblesse und Ereiheit wiedercreo-eben ist

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Marr zeio-t sich in seinen

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Bildnissen und Studien als eine durchaus eigenartige und selbst¬ ständige Persönlichkeit. Er neht darin immer wieder neuen malerischen Problemen nach, und sucht sie in der Art und Weise der englischen Maler zu lösen. An Eülle, Kraft und Reinheit des malerischen Tones stehen seine Bilder hoch über der Mittellinie malerischer Leist¬ ungen. Welche Stimmung er- zeugt nicht das kleine Bildchen «Ihämmerung». Es ist ein rau- sehender, koloristischer Akkord von grell-gelben, grünen, sanften verdämmernden und verschwe- benden Tönen. Die so fein in den Raum komponirte Pigur ist der bildliche Ausdruck in diesem Earbenrhythmus und P'arb engedicht, sie klingt mit ihren fahlen grauen Tönen herr- lieh zu dem Dämmerschein in der Landschaft. Man muss über viel malerisches Wissen und Können unbeschränkt verfügen, um so viel Stimmung auf einen so engen Raum zusammen drängen zu können. Eine Studie, eine Porträt¬ zeichnung von Marr ist immer musterhaft, korrekt, richtig, lebendig in der Zeichnung und mit einem sicheren künstlerischen Gefühl für Raumgestaltung ausgeführt. Wie breitet die sitzende Mädchenfigur sich aus und wächst im Raume, höchst lebensvoll und völlig ungezwungen in ihrer natürlichen Harmonie! Mit ganz wenig Mitteln, nur mit den Hauptlinien ist das Organische des Körpers bezeichnet, ist das

Raff. Rcliuster-Wohlan: Porträt I. Holi. d. Herzogin von ^Mecklenburg

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Phil. Otto Schaefer: Ständchen

Bild auf grauer Pappe fixirt, ist diese wieder als Lokalton benützt, und mit Weiss und einigen Fleischtönen gehöht, so dass ein lebendiger, malerischer Eindruck entsteht.

Marr steht mit der Natur in fortwährendem innigen Verkehr und naht sich ihren Erscheinungen immer auf neuen Wegen. Nur in ihr Inneres ist er nicht gedrungen, ihre Psyche blieb ihm fremd. So leicht er den äusseren Eindruck eines Objektes aufs Feinste festzuhalten weiss, so schwer wird es ihm, dessen individuelles Leben in denselben Eindruck zu bannen. Er schafft von Aussen nach Innen, nicht von Innen nach Aussen. Seine Arbeiten nöthigen Jedem Achtung ab durch die Strenge und Reinheit ihres Strebens, durch ihre malerische Fülle. Er bleibt darin nirgends auf halbem Weg stehen, jeder Eindruck ist für ihn ein Problem, an dem er festhält, den er studirt, bis er ihn durch und durch kennt, so dass er künstlerisch g-elöst als fertiges Bild heraus kommt. Darum muss man seine Bilder verehren, um dieses Ernstes der Arbeit willen. Marr kennt und will nichts Halbes, was er uns gibt, ist eine volle, reife Frucht seines künstlerischen Schaffens, seiner reichen künstlerischen Erfahrung und Kenntnisse.

Knirr, der ihm im malerischen Streben verwandt ist, beherrscht das malerische Können nicht mit der unumschränkten Ereiheit und vor Allem nicht mit dem malerischen Geschmack, der Marr auszeichnet. Der unangenehme , abstossende Eindruck des Porträts eines Herrn mit Degen muss ganz auf Kosten des Malers gesetzt werden.

Im «Ständchen», einer Schöpfung von Philipp Otto Schäfer, kündigt sich ein Maler an, der abseits von den ausg-etretenen Wegen einen Gang in’s Grüne unternimmt, um dies in voll- kommen freier Weise mit den Gestalten seiner Phantasie zu bevölkern. Diese Selbstständigkeit

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Carl ]\Iarr: Däninieriing

verdient um so grössere Beachtung, als wir die originalen lalente immer schmerzlicher vermissen, die den Muth haben, abseits der grossen Heerde auf einem stillen Eilande sich häuslich einzurichten und sich selber zu genügen. Philipp Otto Schäfer gehört, wenn man von seinem modernen Farben¬ empfinden absieht, in die Aera Rottmann’s, Genelli ’s , er sympathisirt mit Carstens und Cornelius, liebt Schwind und Feuer¬ bach, ist seiner ganzen Art und Weise nach einer der Maler, die man als «Komponisten» zu bezeichnen pflegt und die die Generation von 1890 abzuthun sich vornahm. Seither ward man diesen Malern wieder gerechter, hat sogar schon da und dort wieder ange- tangen, sie liebevoll von einem künstlerischen Standpunkt aus betrachten und verstehen zu lernen; ein grosser Theil rückt natürlich nach wie vor von ihnen ab, wie der Hund von einem Glas Wein; es riecht und schmeckt nicht für ihn. Der Grund hiezu ist sehr natürlich und einleuchtend , diese Bilder übersetzen eben die realen Erscheinungen des Eebens in eine künstlerische Form. Sie zu geniessen, dazu gehören künstlerische Sinne, wie sie Hildebrand in seinem Problem der Porm herbei wünscht. Die PAeude an der sinnlichen Erscheinung der P'orm, die Zartheit und Energie der Lhnrisse spielt in Schäfer’s Bildern die Hauptrolle, oft ent¬ steht ihretwegen ein wogender.

schwebender, schwimmender, tanzender Rhythmus von Linien.

Wde bei oben genannten Meistern verbindet sich bei ihm mit dem Gefühl für schöne Linie und Form ein geistiges Element, eine übersetzende, künstlerische Anschauung des Lebens, wie jene Meister tummelt er sich mit Vorliebe im klassischen Alter¬ thum. Daran erinnern sein «Pro¬ metheus», sein «Kampf» U. S. W. y. b, Hofner: Schafe

DIK KUNST UNSKREk ZF.VV

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Er bevölkert seine Bilder mit Centauren und Lapithen, mit Göttern und Helden, mit Liebes- Sföttern und bacchantischem Gesinde. In der Farbe wirken seine Bilder ruhio- wie Gobelins. Der Maler liebt es, feine, silberne, grau-blaue und violette Töne anzuschlagen. In hohen Hallen, festlichen Sälen wären seine Bilder ein vornehmer Schmuck der Wände. In einer Zeit, die solchen Schmuck verschmäht, sieht ein Talent seiner Art sich o;enöthiort, Bilder orrossen Stiles in kleinem Format auszugeben, ein Missstand, für den es leider keine Fösung gibt, so lange der Ruf «gebt uns Wände!» ungehört verhallt. Auf poetischem Gebiete hat diese Kunst ein Analogon in Konrad Ferdinand Meyer’s Dichtungen, wie sie ungefähr in solchen Versen hervortritt:

«Aufsteigt der Strahl und fallend giesst Er voll der Marmorschale Rund,

Die, sich verschleiernd, überfliesst In einer zweiten Schale Grund;

Die zweite gibt, sie wird zu reich. Der dritten wallend ihre Fiuth, Und jede nimmt und gibt zugleich Und strömt und ruht. '

Fritz August v. Kaulbach’s «Frauenbildnisse» sind schön. Er versteht es, jenes reizende Lächeln, das einen rosigen Mund und eine schimmernde Reihe perlengleicher Zähne zeigt, im Bilde

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neu zu schaffen, und zwar auf malerisch vorzügliche Art, mit einem Können, wie es nur Wenigen für solch’ verenüCTliche Arbeit zur Verfügung steht. Er weiss seinen Mädchen und Frauen einen neckischen

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Zug in den Mundwinkel zu legen, bald übermüthig herausfordernd, bald süss schmollend, bald wieder voll trotzigen Ernstes. Endlich kann er feucht schimmernde Augen mit einem Anflug von Melancholie malen, der unwiderstehlich wirkt. Die ganze Skala von Ausdrücken verschiedener Empfindungen beherrscht er und bedient sich ihrer mit virtuoser Meisterschaft. Er weiss das Weib zu schildern,

dass es begehrlich wirkt, er gar- nirt es mit allem graziösen Tand, zeigt es in aller Nonchalance, deren eine Weltdame fähig ist und durch sie sich so anziehend macht. Er malt die Damen reizend, die Kinder als steckten Amoretten, von alten Meistern gemalt, in modernen Kostümen. Aber wenn seine brauen und Mädchen auch hübsch, graziös, geschmeidig und chic sind, überhaupt immer schön und begehrenswerth erscheinen, so wird ihr Eindruck doch manchmal abgeschwAcht durch allzu geringe Betonung des Charakters; alles konzentrirt sich auf ihre äussere Erscheinung, und so sind sie gewiss im Eeben nicht immer, vielleicht sind sie manchmal so in der Gesell¬ schaft oder in einem momentanen AfTekt.

Fritz August v. Kaulbach ist ein geistreicher Maler, er w^eiss die malerischen Effekte und Mittel genau seinem Objekte anzupassen. Aber diese Effekte und Mittel sehen aus, als wären sie von den alten Meistern auch schon gebraucht worden.

Wir sind verwöhnt darin, wir wmllen Mittel und Ausdruck mit jedem Objekt wechseln sehen. Vielleicht leitet sich diese Anschauung von der problematischen Art des künstlerischen Schaffens her, die die Secession so sehr in Schwung brachte. Aber man kann auf den Schultern der Alten stehen und die Tradition doch in freier Weise mit Geschick und Geschmack auf die Stoffe der Gegenwart anwenden, und erst so entsteht der grosse Künstler. «Der Regent» ist ein prächtiges Bildniss, die Dame in Weiss mit der rothen Schleife entzückend, der Adlerjäger ein Muster in Zeichnung und

Anna-Marte Wirtli: ln der Apotheke

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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l'on. Die o-anze Reihe älterer Sachen, die Kaulbach gebracht hat, um ein möglichst übersichtliches Ihkl seines Schaffens zu geben, zeigt durchwegs seinen feinen und gebildeten Geschmack und sein grosses Können. ja Manches, wie der Frauenkopf im runden Medaillon, vermag um seines stimmungsvollen Ausdrucks willen dauernd zu fesseln. Weniger entspricht es der künstlerischen Art Kaulbach’s, wenn er als Porträtist einem energischen Männercharakter gegenüber steht. Das Bildniss des Herrn Possart wird Niemand befriedigen, der das Original kennt, der in dessen lebendigen, energischen Zügen gelesen hat. Es nützt auch nichts, dass der Herr gerade in einer Rolle agirt, die ihm sanft zu Gesichte steht, der Eindruck bleibt trotzdem unge¬ nügend. Gross und geschmackvoll, raffinirt, kapriziös, lebendig und prickelnd ist Kaulbach in seinen Skizzen. Er hat davon zwei Proben o-esandt, wovon besonders die eine mit den tanzenden nackten Frauen¬ gestalten voll sprühenden Lebens und spielender Bewegung ist, sie steht in der farbigen Haltung und Komposition einem alten Meister wirklich nahe, ohne sich an einen bestimmten anzulehnen. In dieser Hinsicht in solchem Aus¬ druck ist Kaulbach ganz er selbst.

Hier können wir aufrichtig sein reiches Talent, seinen auserlesenen Geschmack, seine ausgezeichnete Geschicklichkeit bewundern. Leider wird auch dafür keine Geleg’enheit geboten, dass er diesen Theil

seiner Begabung im Dienste grös- Ferdinand Keiler: Bildniss des Grossherzogs von Baden

serer Aufträp'e bethätig-en könnte.

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Die Akten über Lenbach’s Kunst sind bereits geschlossen, sie ruhen wie die über einen alten Meister zum Theil schon in kunstgeschichtlichen Archiven. Aber der Maler lebt und schafft immer noch wie einer der Allerjüngsten, er besitzt in hohem Maasse die Fähigkeit, in seinen Schöpfungen sich jung zu erhalten, und stellt sich in vielen neuen Bildern immer neue malerische Probleme. Lenbach interessirt immer. Er gewinnt seinen Objekten stets einen lebendigen i\usdruck ab; die Psyche des Menschen ist ja so vielgestaltig und unerschöpflich an verschiedenen Erscheinungen. Die Kunst des Porträtirens ist die lebendigste, die allzeit von jedem Formalismus sich am freiesten

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Adolf jM/tnzi'f: Arl^cit und Luxus

hält, die beständig- von der Natur genährt, angeregt und fortgebildet wird. Die Darstellung neuer Menschen ergibt auch für den Maler jederzeit neue Probleme. Neuerdings versucht Lenbach Jedem in seiner eigenen Art gerecht zu werden; er stellt nicht nur dar, wie der Porträtirte die Welt anschaut, er sucht ihn auch in seiner ganzen charakteristischen flaltung festzuhalten.

ln dem köstlichen Bilde eines alten Herrn, der die Linke auf die Brust gelegt hält, fand dies Streben beredten Ausdruck, Auch in der P'arbe ist das Bild frisch, es oibt die cresunde rosicre Gesichtsfarbe treffend wieder; die Modellirung des Kopfes scheint kräftiger, als man sie sonst von dem Maler zu sehen gewohnt ist. Koloristisch wird er in seinen Bildern immer noch vornehmer

durch die eminente Kennt- niss der Alten allein kann diese Kunst erworben sein, sie wird zum g-uten Theil auch von der Beobachtung der Natur, des Wechsels ihrer Licht- und Farbener¬ scheinungen, der Kenntniss ihrer Werthe für die ma¬ lerische Darstellung her¬ rühren. Durch seine Art, die Augen in verschiedener Beleuchtung zu malen, so dass sie in P'arbe und Aus¬ druck e rän d e rt e rs ch e i n e n , weiss er einen ung-ewöhn- lieh lebendigen Effekt her-

vorzurufen, in lein beachteten Momenten das Spiegelbild der Seele hervor zu zaubern. Die Model¬ lirung von Augen und Mundpartien ist so lebendig, dass man meinen könnte, das Leben zucke darin.

An dem Porträt einer Dame mit reichem Schmuck im Kleid, mit Geschmeide um den Hals und in den Haaren mag der Maler selber seine Freude gehabt haben, diese bunten, schillernden.

und feinfühliger, und wenn er in ihnen die P'arbenskala altmeisterlicher Gallerie- töne spielen lässt, so wirken sie in ihrer har¬ monischen Abgeklärtheit

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immer gehaltener und stimmungsvoller als viele Versuche der Modernen, die durch Buntheit und Unruhe verletzen. Ein Kenner der Farl^e und ihrer positiven Wirkungen versteht er es wie Wenige, mit Wenigem dem Bilde eine farbige Flaltung zu geben. Und nicht nur

Helene Schulz: Damenbildniss

F. von DcIVcKger pinx.

Pboi. F. Haofitaencl, Mnuoheii

Ti roler

P. A. von Kaulbach pinx.

Copyright 1900 by Franz BaufstaeDgl

Das Spielzeug

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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flimmernden, glitzernden Dingerchen zu malen. Aber eine so vergnügliche Aufgabe dem Maler solche Schmuckstücke bieten müssen, er ordnet sie mit diskretem Geschmack dem malerischen Maupteindruck, dem Kopfe, unter. Die Dame mit dem dunklen weichen Haar, das sich so stimmungsvoll von dem trüben, neutralen Hintergrund abhebt, ist mit Liebe und einem Aufwand von grossem Können o-emalt, es berührt wie ein Gedicht des Malers auf diese schönen Haare. Auch das Gesicht ist schön, eine südliche, subtile Schönheit mit blassgelbem Teint zeigt sich darin. Die Augen sind wie die der Gazelle und von tiefschwarzeii, weichen, sannntenen Wimpern überschattet, ein feines Köpfchen baut

sich auf leichtem

eeschmeidio'en

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Halse auf wie eine köstliche Bekrön- uno- auf schlankem

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Schafte. Es o-elingt

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Lenbach nicht immer, das spezi¬ fisch Weibliche einer Erscheinung so zu treffen, dies¬ mal hat er es ver¬ mocht, ohne Härte, ohne Pose, ohne besonderen Ac¬ cent, sanft und weich, graziös und elegant wie die Erscheinung selbst sein muss. Sehr interessiren werden die Gemälde, durch die der Maler uns

Auff, Fink: Novemberabend

in seine Eamilie hineinsehen lässt. Eein und köstlich hat er sich selbst als Maler charakter- isirt auf dem Bilde mit dem Jüngsten auf dem Arm. Das eine Malerauge kneift er zu , wie um den allgemeinen Eindruck eines Ob¬ jektes zu erfassen, das andere bohrt sich scharf, spitz, stechend darin ein, deutlich ist da¬ mit der malerische Beobachter und der Psychologe ge¬ kennzeichnet.

Es ist nicht leicht, mit Bildnisarbeiten,

wenn sie auch noch so gute malerische Qualitäten aufweisen, direkt neben Lenbach zu stehen. Aber trotzdem thut sich noch Einiges hervor, das malerisch sehr anziehend und vor Allem in der Charakteristik interessant und erschöpfend ist. So ist ein Studienkopf «Tiroler» von Eranz V. Defregger unter die Porträts, die eine ganze Rasse kennzeichnen, zu rechnen. Wir haben in letzter Zeit selten eine an malerischen Feinheiten so vorzügliche Schöpfung des Meisters gesehen. Warm, satt, leuchtend in prächtiger Tonschönheit, auch in den Schattenpartien, lebendig in der Zeichnuno- und kraftvoll und weich in der Modellirung", stellt es ein individuell tirolerisches Stück

Leben dar. Liier ist Defregger ganz der grosse Defregger, der mit Liebe das Leben eines

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DIR KUNST UNSERER ZEIT

kernigen Volksthnms clarstellt und dessen Name damit verknüpft bleibt für immer.

Die Porträts, die der Karlsruher Otto Propheter ausgestellt hat, entbehren der eigenwüchsio^en Art in der Auffassuno- und P'arbengebung und stehen auch hinter den vorjährigen zurück. Ein Mädchenbildniss von d'ini Rupprecht, in freudigen, hellen, blonden Tönen, und das Bildniss des Malers R. Sch. W. von Helene Schulz sind malerisch anziehende Leistungen, besonders das Letztere ist auch in der Charakteristik sehr gut. Ein Doppelbildniss in eigenthüm- lichem Stil, aber von bewusster Originalität und Sinn für künstlerische Wirkung gibt Albert Welti. Er hat viel Empfindung für das Liebe und Kleine, und es hängen sich ihm bei einer ernsten Naturbetrachtung tausend kleine Dinge an , die alle einen eigenen Reiz auf sein poetisches Gemüth ausüben. Daran muss man sich erinnern, wenn man das Doppelbildniss in einer gemalten Lhnrahmung verstehen will, die ähnlich den Krügen und Geschirren der Biedermeierzeit mit allerlei schnurrigem Krimskrams verziert ist. Der Gedanke , die Porträts in einer Architektur mit lieblicher Aussicht auf ein Stück deutscher Landschaft zu geben, ist vortrefflich, und der Maler hat es verstanden, durch geschickte Anordnung der Earbenwerte das Nahe und Lerne darin zum Ausdruck zu bringen. Der Maler zeichnet eigentlich mit der Farbe und bringt durch eine

Art Technik, die an die Emailmalerei gemahnt, grosse und farbige Wirkungen zu Stande. Man

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Ireut sich in diesem Werke an der Liebe und Innigkeit der Naturbetrachtung, freilich äussert sich der Maler darin manchmal noch kleinlich und verschnörkelt. Die Art, ein Bildniss mit allen Details in einfacher Anschauung und strenger Sachlicheit wieder¬ zugeben, erinnert an Holbein, wie Welti auch in der Art und Weise der Komposition an alte Lieberlieferungen sich anschliesst.

O. Beg'ffro'v-Hartmaun: Fische

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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In der Art, Kunst aus dem Eigenen zu schöpfen, ist Welti wahlvervvandt mit den Kollegen der «Scholle».

Die ganze Reihe von Werken von Lenbach, Kaulbach bis Schuster-Woldan bilden für sich einen o-eschlossenen Rino-. Alle diese Werke zeichnet eine Reife in der künstlerischen Auffassung und Anschauuno- aus, diese Maler sehen in der Harmonie der Farben, Linien und Formen die künst- lerische Wirkung eines Bildes. Der in künstlerische Form gebrachte Wirklichkeitseindruck gilt ihnen als Aufo-abe, die sie Kraft ihrer individuellen Eigenart auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen

Jtdius Exter: Eine Ueberraschiing

Mitteln zu lösen suchen. Sie stützen sich auf die Tradition und achten sie, ohne jedoch in ihren Fesseln zu liegen. Man möchte ihre Werke, ähnlich denen der alten Meister, in einem prachtvollen Palaste untergebracht wissen, in einem Palaste mit Gärten, die die südliche Sonne liebkost und dunkle Cypressen umschatten, wo in lauschigen Gängen kühle, hoheitsvolle Marmorbilder schimmern. Und denkt man sich dazu einen Ausblick durch der Lauben hochgewölbte Bogen in’s Freie, in die belebte Landschaft, auf Landstrassen, auf der eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft sich tummelt, so sind wir damit unmittelbar in die Welt Exters eingeführt. In seinen Bildern fluthet das gewöhnliche Leben mit seinem tollen, ungeschlachten Humor, den Götter und Helden fliehen, und wenn Exter

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P. F. Mcsscrschmitt: Vor dem goldenen Löwen

versucht, ein Stück Romantik in diese Alltagswelt zu bringen, so geschieht das in absichtlich plumper WTise, wie das Bild «Eine Ueberraschung» zeigt, wo Nymphen vor Bauernlümmeln erschreckt fliehen. Auf einem andern Bilde, in dem Bauern mit übero-eschulterten Sensen vom Tagwerk heimziehen, erzeugen die Farben ein Concert, das wie Blechmusik wirkt. Es ist eine glühend sinnliche, kraftvolle Malerei voll derber Effekte. Das Malenkönnen versteht sich bei Exter von selbst, er ist immer vollsaftig in der Farbe, und manchmal hat sie einen Schmelz, um dessentwillen man die psychische Ungeschlachtheit in den Bildern hinnimmt.

Die «Scholle» nennt sich eine Vereinigung junger Künstler, deren hervorragende Kräfte als

Zeichner in der «Jugend» und im «Simplicissimus» bekannt sind. Sie streben eine Kunst aus dem Eigenen an. Gleich der erste Eintritt in den Saal, der erste Rundblick und die Musterung der ausgestellten Werke macht auf uns den Eindruck, sie stehen auf eigener Scholle. Die Ar- beiten sind auffällig und können ihre Herkunft von der dekora¬ tiven Illustrationskunst nicht ver- Wilh. ScJirener : Reconstruirte Stadtansicht leugnen. Wie ein VeigrÖSSertei

Lenbach piux.

Pboi. P. Haofstaeagl, Ubooheo

Fräulein Sch.

RtUluel Schuatcr-M'ohlHD piux.

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Oscar Lauretiti : Hirtenleben

Ausschnitt aus der «Jugend» sieht sich Walther Georgi’s «Kartoffelernte» an, wie eine zu einem Gobelin verarbeitete Illustration aus dem Simplicissinius wirkt Münzer’s dekorativer Fries «Arbeit und Luxus». Bemerkenswerth ist darin der künstlerische Sinn und das Streben nach Raumgestaltung. Dekorative Grösse hat Erler’s «Pest». Mit wenig Linien wird eine weite Räum¬ lichkeit geschaffen in der menschenleeren, öden Strasse, durch die ein Schwarm Aasvögel flattert und die Pest schreitet. Auch die beiden Flügelbilder entwickeln sich gut in architektonischem Rahmen. Das eine stellt den Karneval des Lebens dar, in der sich die exaltirte Lebenslust einer Zeit äussert, in der ein grosses Sterben herrscht, das andere gibt die Kehrseite dazu, die bis zum lueberparoxismus erhitzte religiöse Phantasie, die so erschreckenden Ausdruck in den Geisselbrüdern gefunden hat. Bei solchen Darstellungen verlangen wir nach der psychologischen Seite hin einen vertieften Ausdruck, diesen aber vermag das Bild nicht zu geben. So gut der Eindruck der verödeten Stadt erreicht ist, so viel Stimmung davon ausgeht, die Personifikation der Pest wirkt doch zu dekorativ, wächst in ihrer phantastischen Kostümirung über einen bizarren äusserlichen Effekt nicht hinaus, und schafft in uns Erinnerungen an die kindliche Vorstellung eines Indianerhäuptlings auf dem Kriegspfad. Wir sollen ein Bild dieser Gottesgeissei sehen, die ungeheures Grauen umschwebt, aber das Bild ist nicht stark

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genug', diese Einplindung in uns zu erzeugen. Eei den lUissern ist wieder die Stimmung vollkommen gegeben, in dem Idol, das vom Schimmer der Kerzen umllirrt ist, aber die büssenden nackten Kerle im Vordererund scheinen wieder zu wenig charakterisirt. So setzt auch in dem Karneval eine rauschende b'arbenouvertüre ein, und es stören den Uang des leidenschaftlich beflügelten Rhyth¬ mus’ plumpe Unfertigkelten, bis geht ein grosser Zug, ein Streben nach dekorativem Stil wie ein leidenschaltlich’ Stammeln durch das Ifild, aber es fehlt ein Theil jener geistigen Kraft, die den Stoff' durchdringt, der sich eben mit malerischen Mitteln allein nicht bewältigen lässt. Erler ist noch mit zwei Bildnissen vertreten, wovon das eines jüngeren Herrn mit schwarzem Hut und hellem Ueberzieher auf heller Wandfläche durch die nüchterne Whedergabe des wahr¬ genommenen Natureindruckes auffällt. Doch ist es in seiner monochromischen Earben- gebung wirkungsvoll . Es sind nur die charakteristischen Hauptlinien der Person festgehalten und durch sie die b'ormen gekennzeichnet und modellirt. Erler besitzt als Porträtist einen Sinn für das Charakteristische einer Persönlichkeit, aber er ist auch hier kein Psychologe. Seine Bildnisse haben sachlich malerische Werthe, aber durch die Empfindung gewinnt man keine Beziehungen zu ihnen.

Stimmungsmaler ist Eichler in seinen Bildern «Heugeruch» und «Gewitter im Erühling». Glücklich hat er den Stoff' seinem Temperamente angepasst, hat ein Stück Natur herausgesucht, mit dessen Bearbeitung sein Empfinden sich deckt. Mag im Erühling der Strand am Meere, der fellartig mit üppigem Pflanzenwuchs überzogen ist, von dem sonderbare blaue Blumen aufsprossen, den das Licht liebkost und den dunkle Wolkenschatten verdüstern, WMhrheit oder Dichtung sein, es ist einerlei, es wohnt diesem Bilde die Kraft inne, Stimmung zu erwecken, und das ist genug. Das schon erwähnte Bild von Georgi sollte mehr Erdgeruch haben, es ist zu lyrisch \veich und für eine Kartoffelernte in Arkadien sind die Bauern und Gäule darauf doch zu Dachauerisch. Ein Element von Segantini's Kunst würde es köstlich würzen wie eine flaue Suppe etwas Salz.

Nach diesen Malern, die Farben- und Formgedanken in eigenem grossen Stil auszusprechen suchen, kommen jene des Lebens, der umgebenden realen Welt. Sie suchen in ihren Sujets, die

yo//. Herterich : Der Erlö.ser

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sie der Geg'enwart oder Verg-angenheit entnehmen, die modernen Farbenprobleme in Anwendung zu bringen. Ihr Gebiet ist ein ungeheuer weites und umfangreiches. Einige, wie Eisenhut, stellen das Leben im Orient dar, als wären sie geborene Türken oder Araber, Andere bewegen sich in der Vergangenheit, als hätten sie sich lebenslänglich darin aufgehalten, und ziehen die artigsten und interessantesten Dinge hervor. Simm, Löwith und Seiler, unsere Meissonier’s, sind die Haupt¬ vertreter dieser Richtung. Wieder Andere, wie Schmutzler, suchen mit Vorliebe die eleganten Salons der Empire- und Rokokozeit auf und geben beispielsweise in einer Tanzprobe ein geistreiches, prickelndes Earbenkonzert. Wieder Andere schauen sich in der alltäglichen Umgebung, in Haus und Hof, in Garten, Küche und Keller, auf der Strasse, in der Kirche, im Wirthshause, in den Bibliotheken, Boudoirs, Arbeitszimmern- -und Werkstätten um und suchen die Menschen in ihrer gemüthlichen häus¬ lichen Ruhe, bei ihren Geschäften, in Freud und Leid, auf. Unter 'ihnen finden sich die Arbeiter des Pinsels, die minutiös und präzis ausgeführten Bildchen stellen Wunderwerke malerischen Fleisses dar. Unter ihnen finden sich auch die Poeten des Pinsels, Schilderet idyllischer Verhältnisse und Zustände und intimer Stimmungen, unter denen München einst an Spitz weg einen klassischen Vertreter hatte. Einige haben eine glückliche Hand, wenn sie alte Zeiten lebendig heraufbeschwören, wenn ihnen auch nicht die originelle Empfindung und das grosse malerische Können gegeben ist, das die Werke von Dietz auszeichnet und für alle Zeit schätzbar macht. Etwas vom Geiste dieser Maler ist in jeder Münchener Ausstellung vorhanden. In seiner eigenartigen Bedeutung geschwächt und heruntergekommen ist das Bauernbild, wie es einst in De free 2" er und Leibi seinen Höhepunkt erreichte.

Den vornehmen, künstlerischen Charakter, der dem Sittenbild, wie es aus dem Umgang mit Land und Leuten erwuchs, unter den Alt¬ münchener Meistern eigen war, hat es bei den schwächlichen Epigonen eingebüsst. Das Malen nur um des Malens willen, wie es die Secession einführte, hat diesen originellen Charakter zersetzt und Viele in das internationale Malvirtuosenthum hineino-edränet. Messer- Schmitt ’s Darstellungen aus dem klein- städtsischen Leben der Vergangenheit werden durch seine Art der malerischen Stimmune verweichlicht und verlieren dadurch die der Natur des Dargestellten eigenthümliche Würze.

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Kempff s Bild «Belauschimg-»^ anziehend durch sein Motiv und die Delikatesse der malerischen

M. Erdfelt: Mädchenbildniss

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Darstellung, ist doch nicht ganz frei von Itffekthascherei, und lediglich der malerische \Trtrag hält es über das Niveau ähnlicher Darstellungen. Anziehend durch ein fein o'estimmtes Interieur mit zwei hübschen Mädchen darin sind Ritzbercrer’s « Abendklänoe».

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An Lindenschmidt und seine Schule gemahnt Gebhardt mit seinem Bilde «Hämon ersticht sich an der Leiche der Antigone». Diese Gattung von Historienbildern ist jetzt nahezu ausgestorben, in der Modelle in Theaterkostümen antike Helden und Könige, l'eldherrn und Krieger, rauhe Lands¬ knechte und asketische Mönche je nach Bedarl der Historie mit mehr oder wmniger Geschick agirten. Hvanowitz’ Bild «Furor teutonicus» zeigt, dass trotzdem an eine Wiederbelebung dieses Genre’s gedacht werden kann, wenn nur wie hier mit Energie der Stoff durchempfunden und ausreichend malerisches Können vorhanden ist. Das Bild stellt einen der vielen Kämpfe zwischen Germanen und Römern dar. Beim I'rühroth, das durch den nebelumwogten Tannenwald scheint, wo auf feuchten sumpfigen Wegen eine römische Kohorte dahinzieht, brechen überraschend wfie ein Wetterstrahl die Waldessöhne hervor. Der unwiderstehliche Anprall gegen die festgestaute Masse der Römer ist klar cjestaltet. Die malerische Stimmuno- ist dem formalen Ausdruck untero-eordnet und doch vereinigen sich beide zu einer für solchen Stoff günstigen Wirkung. Nicht jeder hätte den Muth, auf einem so weit zurücklieofenden historischen Theater Schlachten orrossen Stiles in Scene zu setzen.

Bios, Llartmann und Firle bilden ein modernes Künstlertrio. Ihnen ist der Stoff, das Gegenständliche im Bilde, nur eine Unterlage für malerische Probleme. Liebensrvürdig wie Firle mit seinem Mädchen unter blühenden Blumen, feinfühlend wfie Hartmann in seiner krau Aventiure,

F. M. Bredi'pinx.

Fhot. F. Hanfäiaeogi, MODCheo

Eva und Maria

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Der Hesperiden goldene Aepfel

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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der kleinen Strickerin und Schafhirtin, ernst und volltönig iin Kolorit wie Elos mit seiner Schwarz- wälderin, bilden diese drei sehr anziehende Erscheinun<^en in selbständi«er malerischer 1 laltung-. Sie beschränken sich thunlichst auf den malerischen Eindruck, ohne die b'rische der Erscheinung, wie sie uns im Eeben entzückt, durch malerische Marotten zu entstellen, die uns Matiegzeck’s Eilder vielfach zei^jen.

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Eisenhut ist zuviel Maler, um im Stoff allein aufzugehen. Seine Orientbilder sind gluth- und stimmungsvolle Earbensymphonien. Die Wollust des Malens hat ihn zu diesem Stoffgebiet gedrängt, darin ihm die köstlichsten malerischen Offenbarungen wurden. Die koloristische Empfindung bestimmt den Inhalt seiner Bilder. Er greift seine Stoffe auf, wo er sie gerade findet, wo sein Malerauge o'ereizt wird, sie aufnimmt und sie gestaltet. «Die Theegesellschaft in Samarkand» und «Sindon, Gefängniss in Eochara» sind dafür charakteristisch.

Muther signalisirte 1892 die Schotten mit poetischen Eanfarenklängen , heute hätte er dies nicht mehr nöthig, sie sind Andere geworden. Ihre einst so kühnen und glühenden Earbenphantasien sind verblasst, ihre Stimmungsmalerei ist nüchterner geworden, die rauschenden Earbentöne von ihnen sind verklungen und nur einen schwachen Abglanz gibt Spence in seinem Bilde «Nach Sonnen¬ untergang». Was sie in hervorragendem Masse immer noch besitzen, ist die Eähigkeit, mit der sie Luft und Wasser malen. Nicht leicht liegt in andern Landschaften so viel Stimmung in der Luft, wogt eine solche Atmosphäre. Die Bilder geben in der That darin den Eindruck wieder, wie Muther die landschaftlichen Reize Schottlands schildert: «Der Himmel ist fast immer bewölkt, die Wolken

iValther Georgi: Kartoffelernte

134

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Friiz Erlcr: Die Pest

hängen niedrig an den Bergen, nnd was zwischen Erde und Aether wogt, erscheint wie von weichem Schleier umhüllt, der selbst die stärksten Farbenspiele durch eine Fülle zarter Tonübergänge verbindet. Während im Norden die klare durchsichtige Fuft in fast brutalem Realismus alle Einzelheiten in frischen Farben abzeichnet, liegt es hier wie ein grosses, tiefes Geheimniss über der ganzen Natur.» Alles ist Tonsymphonie, Alles Stimmung und Poesie in den Stunden der Dämmerung, wie es sich in dem Bilde von Downie «An der Furth» ausspricht. Alles ist helle, duftige Eleganz in der Frühjahrs¬ landschaft von hlacnee, aber «die schwellenden Farbenakkorde, voll, tief und rund wie Orgelklang, mächtig erregte lyrische Stimmungen in P'arben» finden wir bei ihnen nicht mehr, auf den gluthvollen sinnlichen hNrhenrausch ist grosse Ernüchterung gefolgt, nach den Sonntagsfreuden ist Werktags- Stimmung eingekehrt. Nirgends zeigt sich deutlicher der VTrfall als in Kav’s Bildern. Die Stimmung

O O O O J ö

darauf ist eine künstliche, die Malerei schwer und roh, die Zeichnung haltlos und lotterig.

In der Fuitpoldgruppe hängen ein Paar Fandschaften von Baer, der die früheren Bestrebungen der Schotten autgenommen zu haben und in seiner eigenen Weise fortzusetzen scheint. Seine grosse

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Fandschaft gibt eine Stimmung wieder, wie sie im Herbst öfter auf unserer Hochebene beobachtet werden kann, wenn Alles in Gluth und Farben getaucht ist, wenn Himmel und Erde im leurigen Wiederschein der untergehenden Sonne leuchten. Fs ist ein Bild von rauschendem, dekorativem Wohlklang, dem dieselbe malerische Emphndung zu Grunde liegt, die Kunz zum Maler von Stillleben prunkender Seide, glänzender Metallgefässe, überhaupt zum Schilderer aller glänzenden, schimmernden Gegenstände macht.

In der Gruppe der Venetianer gibt sich ein anderes Streben kund, Fragiacomo ist der Modernste unter ihnen, und mit grossem, einfachem Empfinden ausgestattet. Fr sucht nicht, wie die meisten seiner Fandsleute, den Deuten zu gefallen und aufzufallen, sondern malt nur, was er schlicht empfindet und künstlerisch zum Ausdruck bringen kann. Seine PTühlingslandschaft mit grünenden Wiesen, blauen, verschleierten Düften, die mit dem Duft junger blühender Pfirsichbäume sich verschmelzen, ist von einer süssen, zarten, bestrickenden Harmonie. Das Motiv ist so einfach

DIE KUNST UNSERER ZEFI'

1.35

wie nur denkbar, eine Wiese, die ein schnurgerader Bach durchschneidet und die mit jungen Stämmchen bei)fianzt ist.

Laurenti besingt in einem Bilde die Poesie des Hirtenlebens, sein «Gleichniss», das in duftenden, zarten Farben gemalt ist, lässt in dem grossen Format das starke persönliche Empfinden nicht ganz zur Geltung kommen. Die Poesie des Intimen verflüchtet sich in quadratmetergrossen Bildern zu sehr. Pictor ist ein echter Italiener mit all’ den P'ehlern und Verkehrtheiten und dem romantischen Schonheitsgefühl , das Talenten seiner Rasse so häufig eigen ist. Mit dem Bilde «Die verdorbene Quelle» zollt er der Sensationsmalerei seinen Tribut, wenngleich die .Stimmung darin von künstlerischem Empfinden zeugt. Er hat auch für die beiden anderen Bilder «Venedig bei Nacht»

und «orientalische Landschaft» . gleiche Stimmung, der Mondschein der ita¬ lienischen Nacht, in dem Venedior so

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romantisch aussieht. Der andere italien¬ ische Saal zeigt seine gewöhnliche Physio¬ gnomie, Bilder, wie sie als Verkaufs- waaren für die Frem¬ den, als Erinner¬ ungen an Italien, ge¬ malt werden, immer dieselben Motive, und man würde es nicht einmal merken,

R. il/. EicJiler: Heugeruch

wenn die Waaren ein¬ mal auch nicht aus¬ gewechselt würden.

Neuerdings hat sich Urban auf die italienische Land¬ schaft verleoft und ihr wieder etwas von ihrem grossen Stil und Charakter ab¬ gewonnen. Urban sollte etwas von Rottmann’s Kunst¬ charakter haben, um dem Stil der süd¬ lichen Landschaft grossen Ausdruck zu geben. Maler¬ isch vermao- er sie

stimmungsvoll zu interpretiren. In diesem Bestreben zeigt er sich in eigenthümlichem Gegensatz zu Fragiacomo, der, im Sinne der Modernen ein Realist, die Poesie öder, einfacher Gegenden malt, während hingegen der Deutsche in romantischem Sinne die schöne italienische Landschaft aufsucht und darstellt.

Ueber die Bestrebungen der Künstler der Landschaftsmalerei zu schreiben, ist nicht leicht. Es herrschen darin so vielerlei Standpunkte und spricht so Vielerlei auf unsere Sinne und Empfindungen, ohne dass wir uns beim ersten Eindruck klar darüber werden und nach den verschiedenen Wdrkuno^en zu unterscheiden vermögen, in welcher Weise eine Schöpfung zu uns spricht, ob ihr Eindruck ein nachhaltiger ist oder nur dem flüchtigen Beschauer zu genügen vermag, ohne eine dauernde Betrachtung auszuhalten und unser Empfinden zu nähren. Das Auge, die Sehstärke, die Empfindlichkeit für Ein-

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dip: KUNST unsp:rer zp:rr

drücke muss bei dem IMaler, besonders bei dem der Landschaften, wo es hauptsächlich auf Raum¬ gestaltung und Reiz der Farbe ankommt, eine grosse Rolle spielen und seine persönliche Auffassung ungemein beeinflussen. Es scheint nun doch zu weit gegangen, wenn man eine Erscheinung wie die des Impressionismus mit Kurzsichtigkeit zusammenbringt. Das Streben nach Verdichtung aller Einzel¬ heiten zu grossen Massen, die Neigung zur Silhouette, entspricht doch dem Bedürfniss, in die künst¬ lerische Darstellung der Eandschalt einen grossen Charakter, etwas Monumentales, Grosszügiges zu bringen, und dies Bedürfnis hängt mit dem wieder erwachten Sinn für dekorative Kunst zusammen. Andrerseits mag freilich eine Besonderheit des künstlerischen Sehens, wie das stereoskopische Sehen, dem Laien bei Betrachtung eines solchen Bildes gar nicht auffallen, wie er ja auch den Positivismus, durch den Alles wie im photographischen Apparat wiedergegeben erscheint, für wahr ansieht und solche Naturtreue ohne künstlerische Uebersetzung bewundert. Die Bilder von Müller-Kurzwelly sind so gemalt, auch b'ink undPalmie lassen sich von solchen Eindrücken leiten, die sie dann nur in eine dis¬ kretere, malerische Stimmung tauchen.

Als eine eigene Art Stimmungs¬ landschaft hat sich die frei kompo- nirte, wie sie in Böcklin ihren klassischen Vertreter hat, entwickelt.

Sie beruht aut künstlerischen Grund¬ prinzipien der Raumgestaltung, die aber durch das persönliche Pfmpflnden in freiester Weise erweitert und belebt werden. ln P'erdinand Keller ’s «Hain des Poseidon«, in Kanoldt’s «Diana«, Flollmann’s «Abschied« und «Jungbrunnen« spiegeln sich diese Bestrebungen wieder, nur mit einem theatralischen , pathetischen Ausdruck, der den Mangel vertieften Naturgefühls nicht zu ersetzen ver¬ mag. In der künstlerischen Gestalt¬ ung eines gewonnenen Naturein¬ druckes sehen die Landschafter, die dem Karlsruher Künstlerbund anee- hören, ihre Aufgabe. Die Erde, selbst das einfachste Stück Natur, ist für sie schön , wenn es Stimmunor

James G. Laing". Hafen in Dordrecht

T h e e t r i n k e r in Samarkand

W Lowich piux.

Phof. F. Hanfstaengl, Muacben

Im Vorzimmer des Ministers

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Ijeseelt, die das C7efühl des Weiten, Räumlichen erweckt. Kine Ebene, ein paar liäuine darauf, eine weiche, wogende Atmosphäre darüber, räumlich klar ausgedrückt, so dass mit wenig Orientirungslinien das Ge¬ fühl für’s Räumliche erweckt wird. Ein Waldsaum, mit grosser, massiger ^Silhouette der Bäume , weite Beider, die vom Horizont begrenzt werden, mbt ihnen Stoff zu ihren Bildern. Die Barbe hilft wie in der Natur das Räumliche ausdrücken, sie treibt zurück, sie nähert und modellirt die Gegenstände. Sie erscheint auf den Bildern von Volk mann «Vörfrühlihgs.tag>> und <‘Waidsäum» >virkliGh äls Aetherblaü,: saftiges Wdesengrün und in duftioreii Fernen .wie ein Hauch, der verschwebt. Diese Maler lieben keine Modellirung

Adam Kji7iz: Stillleben

durch starke Kontraste von Licht

und Schatten, ihre Bilder sind hell wie das Tageslicht, das draussen die Gegenstände nrnfluthet, verschärft und verschleiert, Licht und Luft bewirken die feinsten Unterschiede, heben, vertiefen, weiten, modelliren jede Bewegung der Landschaft. In dieser Hinsicht bietet Schönlebef’s «Hochwasser am Städtchen» zarte Effekte. Die üble Seite dieses Strebens zeigt sich in Kampmann 's Versuchen. Die obengenannten Künstler streben auch ein Relief der Landschaft an, in dem der Natureindruck gefasst ist, ebenso wie Strützel mit seinem «Abend am Bach» und «Im Hochmoor». Nur verleitet ihn dieses Streben zu stärkeren Uebertreibungen. Das Suchen nach Vereinfachung des Natureindruckes hat zu einer künstlerischen Auffassuno- oreführt, in der man die Landschaft nicht als etwas Räumliches fasste, sondern auf den B'lächeneindruck hinarbeitete und in der die B'arbe ähnlich wie bei Teppichen zur Whrkung kommt. Manche haben das Ornamentale der Landschaft in BTrbe und Linie so hervor¬ zuheben gesucht, dass die Feinheit des Natureindruckes, die Atmosphäre als Stimmungsträger in ihrer eigenen Weise nicht mehr zur Geltung kommt. Man hat mit einer gewissen Gesichtsrohheit farbige und ornamentale Eindrücke zu sehr auf dekorative Wirkung hin gesteigert. Die B'arbe wirkt

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DIE KUXSl^ UNSERER ZEIT

dann schwer und arbeitet nicht mehr an der Klärung- der räumlichen \Trhältnisse mit. Beispiele dafür g-ibt Franz Hoch in seinen heurig-en Landschaften. Poetischer Stimmunosausdruck beseelt Büro-el's «Abendlandschaft«. Die Werke der Stuttgarter decken sich in ihrem künstlerischen Bestreben mit dem des Karlsruher Künstlerbundes. Thoma, der mit drei Ijildern auftritt, ist auch in allen anderen der jungen Karlsruher Landschafter gegenwärtig, sein Einlluss ist unverkennbar. Stimmung erwecken durch schone Aussichten, durch räumliche Darstelluneen, Stimmung-

schäften durch ornamentale Flächenbilder, Stimmung überhaupt heisst die Signatur, unter der die moderne Landschaftsmalerei steht.

Wir haben hier noch Einig’es anzuführen, das sich nach Art und Charakter mit dem \ oraiLsgeschickten verknüpfen lässt. Von Petersen ein paar Seestücke mit trefflich beobachteter und gemalter Stimmung; von Olga Beggrow- Hart mann ein Stillleben und von Pirie- Glasgow ein prächtiges

Hühnerpaar mit Küchlein. P'erner müssen wir noch aul eine Pfrscheinung in der Stutt- garter Kunstgenossenschatt hinweisen , die ihr eine eigenartige künstlerische Note ver- leiht, es ist Kalckreuth’s Kunst; für

seine Pdgenart und grosse Auffassung der

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Natur spricht neben einer Landschaft am deutlichsten das Bild einer alten F'rau, die ausruhend und nachdenklich im P'reien sitzt. Mit den einfachsten Mitteln ist das Einfachste und Nothwendigste , der ganze innere und äussere Gehalt der Erscheinung in monu¬

Otto Propheten Rildniss der Frau Junker

mentalen Lhnrissen und PMrmengebung ge- geben. Man glaubt, eine plastische Figur von Meunier in ihrer charakteristischen Silhouette festgehalten zu sehen. Pfs ist an dem Bilde maltechnisch Nichts zu bewundern als seine grosse Einfachheit, die sich mit dem Empfindungsausdruck deckt. Das Bild erinnert an ein F'resco im Lapidarstil.

Kalckreuth hat sonst immer in der Secession ausgestellt, er würde auch heuer unter den lärmenden Farbensymphonikern durch seine herbe Grösse weit mehr wirken und auffallen.

Auch Keller gehört mit seinem Bilde «Arbeiter in einem Steinbruch» hieher. Es ist ein Freilichtbild im besten Sinne; Schwarze Schatten und grelle Lichter fehlen darin ganz und doch sind

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

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alle Gegenstände kräftig inodellirt. Es ist Licht, Luft und Raum darin, und Nahes und h'ernes durch malerische d'öne charakterisirt. Ein solches Werk setzt viel zielbewusstes, zeichnerisches und maler¬ isches Können voraus; man darf es nur mit andern Bildern, die in ähnlicher Weise einen Voryano- im h'reien darstellen, die aber durch das Streben nach Stimmung unwahr und manierirt erscheinen, vergleichen, um den treuen Wirklichkeitssinn und die feinen Grade malerischer Wahrnehmung, die Keil er ’s Bild aufweisen, schätzen und würdigen zu können.

H. Spence : Landschaft

Ein eigenartiges Schmuckstück ist der Ausstellung in Herkomers Prunkschild mit Email¬ malerei «Der Triumph der Stunde» einverleibt. Was das Menschenherz zu jeder Stunde bewegen mag, wird hier in einem Gleichniss malerisch ausgedrückt. Es wird erzählt, Herkomer habe diese Technik der Emailmalerei neu erfunden und o;estaltet. ATr sich mit dieser Art der Technik nicht befreunden kann, wird doch der künstlerischen Geschicklichkeit, die daraus spricht, seine Anerkennung nicht versagen können. Die Bilder sind von einer Klarheit in der Zeichnung und Schönheit der Farben, dass sie wirklich als Kleinodien, als Edelsteine im Bild erscheinen und einer kostbaren

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DIK KllNSl^ UNSERER ZEIT

Andrc-v Black: Im alten Schottland

Fassung auch würdig sind. Nur hat Flerkomer die h'assung nicht gleichwertig mit den Bildern gestaltet und das ornamentale Beiwerk nicht plastisch klar und zierlich genug gebildet. Es ist dies eine Forcierung, die schon durch die Art und das Wesen des Metalls bedingt wird. Wir Kultur¬ menschen können uns nicht mit der Naivität eines Neuseeländers an ungebildeten Massen blinkenden Metalles ergötzen.

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Die Secessionen sind aus der Vereinigung solcher Elemente der Künstlerschaft entstanden, die erfolgreich aus einem geistigen Rassenkampf hervorgingen und sich kräftig und selbständig genug zur Gründung neuer Künstlerrepubliken fühlten. Sie gewannen die Sympathie und Unterstützung aller künstlerisch Gebildeten durch die grossen und breit angelegten Prinzipien, auf denen sie hissten. Ihr Programm durfte nicht mit der Parole vom Malen um des Malens willen erledigt sein, sondern es musste darüber hinaus auf ein grösseres Ziel weisen, auf ein Ziel, das die Flebung und P'örderung allgemeiner künstlerischer Bildung in sich schloss. An die Stelle der begrifflichen und abstrakten Anschauungen, die früher alles beherrschten, sollen Anschauungen treten, die die natürliche Emphndung und Vorstellung des Menschen nähren und bilden. Es frägt sich nun, haben die Secessionen bis

TiDi Rupprecht piux.

Phot. F. Haolsiaeogl, MUacbeo

Frauenbildniss

Copyright 1000 by Franr Haufäln^ngl

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DIK KUNS^r UNSICRKR ZKRl'

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heute an diesen hohen Prinzipien festo-ehalten, und ist es ilinen o-elun_(>en, der PBe^'e der kiinstlerisclien Kultur mit P'rfolo- obzulieo-en, und wie haben sie diese Aufgal^e erfüllt?

Ihn die P'ahne der Secession schaarte sich anfangs Alles, was jun_<r und kräftig" war und künst¬ lerischem P'ortschritt huldiote. Ihre republikanische X'erfassuno- erlaubte Jedem, mit seiner ei<(enen Ansicht und mit seinem eigenen Kmpfinden hervorzutreten. Das Individuelle galt als der tiefe Horn, der unerschöpflich immer neue Lebenselemente der neuen Kunst zuführen sollte. Dabei zeigte sich aber, dass das Individuelle bei allen Menschen nur in aufgespeicherten Lindrücken und der PAfahrung von aussen, in der l'ähigkeit. Ererbtes und Ueberkommenes zu übernehmen, zu verarbeiten und weiterzubilden, bestehe, kurz, dass der moderne Mensch nur ein Summe des von Ahnen, Grossvätern und Vätern Ererbten sei. Er versucht nun mit seinem Empfinden den veränderten Anschauungen der Gegenwart nachzukommen, indem er es in ein neues Gewand kleidet. Aber nur wenige hervorragend organisirte, mit tiefer Empfindung und künstlerischer Bildung ausgestattete Naturen machten wirklich einen Schritt vorwärts , dem grossen Ziele zu , eine moderne Kunst zu schaffen , in der der ganze geistige Gehalt unserer Zeit zum Ausdruck kommt. Wenn man gesagt hat, diese Kunst erschlösse das Leben in viel weiterem und tieferem Umfang als jede frühere Periode es erschloss, so bezieht sich das nur auf die Werke derer, die ausserhalb aller Vereinigung auf einsamer, stolzer

Richard Kaiser: Alter Steinbriich bei Kufstein

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Höhe allein stehen. Denn das \Trhältniss der mittleren Kräfte zu den führenden Cfeistern kann erst \vieder in fruchtbringende Wechselbeziehung treten, wenn die moderne Kunst eine allgemeine Form für ihre Anschauung gefunden hat, in welcher die persönliche Kraft des Einzelnen ausmündet. Vorder¬ hand muss man das Individuelle eher als das Jflement betrachten, das die schwächeren Talente in die Aera des Malvirtuosenthums hineintrieb. Diese d'alente verfallen leicht dem Geiste der Nachahmuno-, sie sehen ihre Aulgabe darin, sich so auszudrücken, wie es anderswo gerade Mode ist und wie führende Meister sich äussern. Sie sollten nur nicht so überhandnehmen, dass sie die charakteristische Erscheinung einer Societät ausmachen, die sich die Pflege künstlerischer Reinkulturen zum Ziel gesetzt hat.

Die W ollust des Malens hat Vielen den Kopf genommen und das Rückgrat geschwächt, ihre P'arbenoffenbarum’-en sind diffuse Träume und ihre Zeichnuno- ist haltlos und schlotteriof. Talent und Genialität zeigt sich zwar in vielen Werken , aber verbunden mit einer künstlerischen Ehikultur und Geschmacklosigkeit, die olt brutal wirkt. Künstlerische Kultur und Geschmack sind eben Dinee, die sich nicht erwerben lassen, wenn man sie nicht von Haus aus hat. Find die secessionistische Erziehung, die auf künstlerische Rildung hinarbeiten sollte, ist nicht im Stande, auf diese Grund¬ elemente Werth und Nachdruck zu legen. Auch damit wird im Prinzip ihr ernstes Programm verletzt und geschädigt. Anschauliche, bildliche Vorstellungen, menschliche Empfindungen erweckt man nicht allein mit P'arbenkonzerten, P'arbensymphonieen, ohne dass nicht der Grund des Rhythmus, der WMhllaut der einzelnen d'öne tieferem Empfinden entspringt, einen Halt, eine Organisation hat, die nur rein geistiger Natur sein kann. Viele WArke aber erfüllen diese Eorderung nicht, sie haben kein Gefüge, keine Organisation, weder eine räumliche, noch eine geistige. Die malerische Epidermis einer Schöplung kann der Anschauung auf die Dauer nicht genügen, die dekorative Wlirkung allein thut es nicht, das P'lächenbild vermag nicht so anzuregen, wie eine schöne Aussicht, an die sich menschliche Phnpfindungen anspinnen.

Pfs will uns scheinen, dass die heurige Ausstellung nicht zu den inhaltsvollsten zählt, und dass das eigentliche, secessionistische Prinzip nicht voll darin zum Ausdruck kommt. Das mit Geschmack durchgeführte Milieu der Säle, in denen die Bilder mit Rücksicht auf ihre Färbung eingeordnet sind, so dass eine vornehme, geschlossene Gesammthaltung erzielt wird, verleiht dieser Ausstellung ein einnehmenderes Aussehen als der des Glaspalastes.

Für das P'igurenbild , wie es uns in der Secession entgegentritt, ist die malerische Gestaltung massgebend. Es kommt dabei nur aut eine Harmonie der Farben , selten auf die der linearen An¬ ordnung an. WAhl kann man einen malerischen Eindruck, das Zusammenstellen von Farbflecken zu einem Ganzen zum Ausgangspunkt für ein Bild machen und durch neue Motive, neue Akkorde aus der Natur beständig bereichern, aber diese Eindrücke sind nur malerische Notizen, Rohmaterialien, aus denen ein Bild erst bereitet werden muss. Es befriedigt beim F'igurenbild nicht und ebensov-enig bei der Eandschaft, wenn wir malerische Tonwerthe in harmonischer Skala heruntergemalt sehen. Es genügt nicht, wenn man lediglich einen malerischen Eindruck festhält, wir wollen vielmehr auch einen charakteristischen Ausdruck allgemein menschlicher Empfindungen darin ausgesprochen finden. Charakteristisch mit all’ seinen guten und schlechten Eigenschaften für diese Richtung ist Ribot’s Bild

DIK Kl'NST liXSKRKR ZKIT

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«l)ie Sänu'er». Nur ist dieses Bild mit einem Verständiiiss für B'orm oemalt, das keines der übrio-en annähernd erreicht. Ribot könnte darin auch Ribera heissen. Die o'leiche Saftio-keit und Tiefe des 'bones, die oleiche realistische Kraft wahrer Darstellung! Aber durch den Mangel einer klaren Komposition büsst das Ihld viel von seinen altmeisterlichen Vorzügen ein. Nicht in der feinen Ueber- einstimmung der 'Föne allein liegt der organische Zusammenhang, die künstlerische Gestaltung eines Bildes, sondern vornehmlich in der räumlichen Einteilung. Durch diese erhält ein Wirklichkeitseindruck für unser Auge erst seine eigentliche Fassung und Wirkung. Uhde’s grosses Bild «Ruhepause im Atelier» ist auf reine F'arbenkomposition angelegt. Die räumliche Anordnung bestimmen lediglich Farbenwerthe, je nachdem der Farbe die Eigenschaft innewohnt, nah oder ferne, klärend oder ver-

Arm, betrachtet neumericr die Feinwand, worauf sie gemalt ist. Während dessen baDen

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sich im Hintergründe ein paar weitere Kinder, die vorher noch als Engel agirten, wie die an den Kleidern befes¬ tigten Papierflügel zeigen. Als malerischer Vorwurf ist diese Scene immerhin reizvoll, wenn auch die Malerei diesmal keine befriedigende Fösung ergibt.

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Slevogt’s Bild vom ver- lorenen Sohn ist ein Werk, das man um seiner maler¬ ischen Vorzüge willen schätzen mag; aber die malerischen Qualitäten allein schaffen auch hier kein gutes Bild, besonders wenn ein Stoff gegeben ist, den menschliches und künstlerisches Empfinden einfach und gross zu gestalten vermag, wie ihn die alten Meister in so poetischer Weise gestaltet haben.

Hab ermann’s Bilder, in denen die gleiche Dame nun schon in einem Dutzend i\uflagen erschienen ist, bekommen, Avenn sie auch auf malerisch geistreiche Art immer neu pointirt sind, nun doch einen unangenehmen Beigeschmack. Es liegt in der ganzen Art des malerischen Wrtrags etwas, das dem natürlichen Geschmack widerstrebt.

Geschmack ist ja bekanntlich eine höchst persönliche Sache. Wir möchten hier eine kleine Geschichte erzählen, in welcher ein besonderes Geschmacksphänomen auftritt, das vielleicht mit vielen hypermodernen Erscheinungen identisch ist. Es liess sich einmal ein moderner Literat zur Wsperzeit Häring und Kaffee auftischen und behandelte den Fisch als Kaffeebrod, mischte ihn stückweise unter das Getränke und löffelte Beides aus einer Schale.

dichtend zu wirken. Jedoch dieses malerische Problem ist nicht einwandfrei gelöst. Die P'arben sind allzu grau und verstaubt, sie wirken und spielen nicht auf die ihm sonst eigene, feine Weise in- und durcheinander. Auch als Schilderung geht diese Modell¬ pause, wie es eigentlich heissen sollte, über ähnliche anekdo¬ tische Bilder nicht hinaus. Da steht ein alter Mann mit einem Ausdruck, der deutlich sagt: für heute habe ich genug

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Modell gestanden. Eine junge Frau, mit dem Kind auf dem

Alexander Oppler: Forträtbüste

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Wenn wir Bilder von Haberinann sehen, müssen wir uns immer dieser Geschichte erinnern. Und doch entwickelt Habermann einen so rathnirt vornehmen Geschmack, dass wir ihn am liebsten in Parallele mit Schuster-Woldan setzen mochten. Der Unterschied liegt nur darin, dass bei Letzterem natürliches b'eingefühl und feine Em[)fmdung vorwaltet, dagegen bei Ersterem meist nur Haut-goüt.

Als eine Mittellinie, die zwischen beiden hindurchlührt, lässt sich Klein’s Malerei annehmen. Er gibt in seinen Uamenporträts die reale Erscheinung. Ivs geht ein gesunder, sinnlicher Zug durch diese Malerei, der von Habermann’s Raftmement, wie von Schuster-Woldan’s Sensibilität gleich weit absteht.

Auf englische Art schildert Oj)pler in seinem Bilde «Musik» die vornehme Gesellschaft Englands. Eine Dame in Weiss und ein Kind in Weiss heben sich von einem nur in gedämpfterem Eichte scheinenden Hintergründe ab. Diese Malerei verräth deutlich englische Einflüsse, Aber Oppler ist dieser Art viel näher getreten als auf den Bildern in der Ausstellung 1898. Er ijelanete in dieser Manier zu einem sehr selbständicrem Ausdruck. Während sich damals die reale Erscheinung in seinen Bildern schemenhalt verflüchtigte , hält er sie in den jetzigen Darstellungen trotz aller Zartheit der Modellirung doch plastisch lest. Gerade in dem Kontrast körperlich bestimmt hervortretender Formen und der Gewandtheile, die in zarten malerischen Tönen diese überfliessen, liegt ein besonderer Reiz der Darstellung. Oppler ist noch mit einem Bilde vertreten, das ihn auf einem anderen Gebiete zei^^t. In einen alterthümlich , bürcrerlich behaMichen Raum mit altem, grünem Getälel, das in den Tielen warm auf leuchtet , scheint durch ein hohes, in viele kleine Scheiben getheiltes PTnster die Sonne und malt bunte Eiecken auf den Boden , streift auch eine Schüssel rothwangiger Aepfel, die eine alte würdige Matrone, am b’enster sitzend, abschält. Dabei steht ein junges Mädchen, von weichem Lichte umfangen und von ein paar Sonnenstrahlen geliebkost und ano-eglüht. Das Ganze ist so warm behaglich, zeigt eine so bürgerliche, anheimelnde Umgebung, dass man sich ordentlich wohl darin fühlen kann. Diese Scene gibt in ihrer Art ein Genrebildchen, wie Pieter de Hooch sie malte, der in die Sonnenstrahlen, die durch solche Scheiben flelen, verliebt war, und sie athmet die ruhige, glückliche Atmosphäre, die Chardin so meisterhaft wiederzugeben verstand. Ist er malerisch auch nicht auf der Höhe dieser Meister, so zeigt sich darin doch ein Talent, das auf eine selbständige freie Weise jene Wege in die köstlich stillen Winkel gefunden hat, die ein Malerauge immer entzücken werden. Ja durch die Kunst, die so Gegensätzliches umfasst, die die vornehme Sphäre des Salons in so diskreter Weise malt und zugleich in dem schlichten Still¬ leben aufzugehen weiss, unterscheidet sich dieser Maler von vielen modernen Kollegen auf beachtens- werthe Weise.

Da vorher von englischen Einflüssen die Rede war, möchten wir hier gleich eines Bildchens gedenken, das die englische Kunst, wenn auch nur im Kleinen, doch gut repräsentirt. Es ist dies «Die Wahrsagerin» von Robert Bell. Diese Maler haben nie die Schönheit aus den Augen verloren, immer ist sie ihnen als ein himmlisches Mädchen in Wald und Flur, im Haus und in der Gesellschaft begegnet. Wie auch in (dpplers Bilder etwas von jenem vornehmen Wesen über¬ gegangen ist, so zeigt es sich hier in einer übersetzteren romantischen Weise. Aber es ist dieselbe

H. Tltuum i'iiix

Hhot. . . HuDfsiaeii-l.

F r ü h 1 i n g s m ä r c h e n

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Pbot. K. HanfstAengl, Mduehcn

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Angela yank: Heidi!

Rasse, dieselbe Diskretion in der Haltung, dieselbe natürliche Feinheit in der Bewegung und im Ausdruck der Empfindungen von Gesicht und Händen. Stets das Schöne vor Augen, haben diese Meister immer die goldene Mittellinie eingehalten und in ihren grossen Schöpfungen sich in mystische Regionen erhoben, in die kein Staub der grauen Alltagswelt dringt. Es ist ein Bild von Höcker hier, das auch an Mystizismus streift, aber es ist keine tiefe Offenbarung einer verzückten Seele darin, sondern nur malerisch raffinirtes Empfinden.

Eine sinnliche Malerphantasie , die im Sehnen und Suchen nach neuer Schönheit sich verzehrt, kann in der Produktion leicht negativen Erfolg haben. Aber je mehr gesunde und natürliche Vorstellungskraft einem innewohnt, desto weniger wird er von diesem geistigen Prozesse angegriffen und erschüttert werden. Stuck hat keine Anlage zu solchem Zehrfieber, wenn seine Farben¬ symphonien auch manchmal diffus erscheinen und ein verschobenes Bild zeigen, wie die heurige Wiederholung des «bösen Gewissens». Auch unter seinen Porträts verräth nur das des Afrika¬ reisenden Eugen Wolff die feste Hand und den Earbensinn des Künstlers. Vielleicht lässt er sich doch durch den Beifall der Menge und unkritischer Schwarmgeister zu viel aus seinem Schöpferfrieden aufjagen und gibt Schöpfungen, die er noch nicht ausgereift hat, allzu leicht weg.

Hierl-Deronco’s Kostümbildniss ist von starker dekorativer Wirkung und schön gemalt.

Wenn wir von Porträtkunst sprechen, so bezeichnen wir damit im weitesten Sinne alle Werke,

in denen ein Wirklichkeitseindruck so gewahrt und wiedergegeben ist, dass wir darin jedes Objekt

nach seiner Herkunft und Rasse zu erkennen verniöo-en. Dieser Zusf der modernen Kunst erklärt

sich aus dem innigen Anschluss an die Natur. Es liegt bereits ein wissenschaftlicher Zug darin, die

Oberfläche eines Objekts aufs Getreueste in Earbe und Eorm wiederzugeben. Diese Richtung hat

einen Positivismus erzeugt, der auf einen sehr eno;en DarstellunCTskreis sich beschränkt. Wenn aller-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

clings diese Anschauung in liebevolle Be¬ trachtung aulgeht , wenn das Empfinden mit der Oberfläche zugleich das Lebens¬ gefühl des Ganzen übermittelt, dann wird daraus ein Sesfen für die künstlerische Produktion erwachsen. Dann kommt zu dem gewissenhaften, neissio^en Abschreiben der Natur ein Zug von menschlicher Grösse , die mit gleicher Liebe alles um¬ fasst. Lin solcher Zuo; der Naturbetracht-

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ung wohnte Segantini inne. Es ist rührend zu sehen, mit welcher Liebe er eine Ziege, die ihr Junges säugt, gemalt hat. Seine Kunst wächst aus der Erde und ragt in die reinen Lüfte wie die Berge auf seinen Bildern. Sie ist eine Phmcht, so goldeswerth wie das Korn, so nahrhaft wie das Brod, das daraus gebacken wird. Es ist eine Kunst der Empfindung, die Samen ausstreut, mögen herrliche Blumen und Blüthen oder erden¬ schwere Prüchte daraus hervorgehen. Solche Meister sollen wie Patriarchen und Heihije in den Secessionen verehrt werden.

Ein älteres bekanntes Bild von Lieb ermann versetzt uns mitten in ein Altmännerhaus, in einen Garten mit warmer sonniger Beleuchtung. Die alten Leute sonnen sich, und in jedem Antlitz steht seine Geschichte. Liebermann hat seitdem wenie solche Bilder g-emalt, das Suchen und Experimentiren mit malerischen Wirkungen hat diese treue Bildnisskunst in seinen späteren Werken verdrängt. Ein Doppelbildniss von Anetsberger stellt einen Pferdekopf mit seinem Wärter dar. Das Bild verräth allzusehr den photographischen Ausschnitt. Mit welch’ kühner und starker Empfindung griff einst Velasquez solche Stoffe in ihrer ganzen Erscheinung aul und übertrug sie auf die Bild¬ fläche, stellte Ross und Reiter ruhig in die bewölkte Landschaft oder lebendig; bewegt in eine stimmung-s- volle silbergraue Atmosphäre! Aber es wäre un¬ gerecht , vor einem solchen Bilde treuen Arbeits- fleisses und Vertiefung- in die Natur sich solchen Reminiscenzen zu sehr hinzugeben, es stecken nur künstlerische Qualitäten darin, die dazu verleiten, sich kühnerer und grösserer Züge zu erinnern. Man ver- muthet, Anetsberger hätte nach dieser Seite hin mehr auszugeben.

Haben wir uns durch diese Erscheinungen ver¬ leiten lassen, weiter abzuschweifen und die Bildniss¬ kunst als ein grosses allgemeines Gebiet aufzufassen, so führt uns Samberg er mit seinen Porträts auf ihr

Hubert V. Heyden: Kampf

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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vornehmstes Gebiet, die Einzeldarstellung- des Menschen, zurück. Man kann darin einerseits rein von malerischen Gesichtspunkten ausgehen und mit lebendiger Empfindung den momentanen Eindruck festhalten, und andererseits kann man von diesem bis zu einem gewissen Grade abstrahiren und durch das Medium der Empfindung in das Innere einer Erscheinung einzudringen versuchen, wie dies Lenbach thut. Erstere Art ist die Sambergers. Schnell, fast gewaltthätig reproducirt er den malerischen Eindruck auf die Bildfläche. Indem er sich müht, das flüchtige Erscheinungs¬ bild festzuhalten, mit malerischer Furie dieses auf die Leinwand zu bringen, kommen neben grossen malerischen Feinheiten, wie sie nur die Stimmung des Augenblickes ergibt, auch viel Unruhe und nervöse Unsicherheiten zum Ausdruck. Alles ist wie auf einen Hieb heruntergesäbelt, sei es getroffen oder gefehlt. Damit im Zusammenhang steht auch die Klarheit, Flüssigkeit und Leuchtkraft der malerischen Töne, der frische lebendige Eindruck, den wir empfinden, wenn wir auch ein plasti¬

scheres Gefüge, eine feste Orofanisation in der Gestaltung ent- behren müssen.

Bei den Land¬ schaften der Seces¬ sion treten dieselben Prinzipien , die wir schon oben bespro¬ chen haben, in Er- scheinung;Stimmung erwecken durch or¬ namentale Form und Farbe und Stimmung

Karl Haider: Abendlandschaft mit heimkehrendem Ritter

geben durch schöne Aussichten! Aus¬ schnitte aus der Natur, bei denen die Wirkung nur auf ein paar farbigen Ac¬ centen liegt , die nach Art eines Ta¬ peten -Musters an¬ regen, gibt es hier viele. Sie haben für den Maler viel sachliches Interesse, sie bieten malerische

Werthe, aber wir können sie nur als Stoffe und Materialien auffassen, denen die künstlerische Gestaltung, die Zubereitung für unsere Sinne fehlt. Wir lieben schöne Aussichten, schöne Punkte, idyllische Plätzchen, die menschliche Empfindungen anregen. Dem Deutschen erweckt die Landschaft Gefühl und Stimmung, er liebt landschaftliche Bilder, die seine Brust weiten, die ihn zu fröhlicher, andächtiger Betrachtung und feierlicher Erhebung stimmen. Er verbindet damit ein Stück Romantik, uralt sind die Vorstellungen, die Dichtung und Landschaft mit einander verweben und diese mit Gestalten und Fabelwesen bevölkern. Böcklin vertritt diesen Zugf auf’s Ureigenste. Die Landschaft als orna- mentales Flächenbild ist ein Ausdruck, der unserem Empfinden fern liegt, der uns nimmermehr genügen kann. Wir wollen Landschaften, an die poetische Betrachtung und Stimmung sich anknüpft, Land¬ schaften, die in stiller Beschaulichkeit genossen werden können, die unsern Schönheitssinn anregen und nähren. Haider’s Abendlandschaft besitzt eine Stimmune in diesem Sinne. Es ist eine echt deutsche, contemplative Naturbetrachtung, wie sie Uhland beseelte. Ein Abend ist es in den Vor- - feierlich ernst ragen dunkle Fichtenwälder in die lichte Atmosphäre, und der Horizont wird

bergen,

20*

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

vielzackio- besäumt von bläulich schimmernder Bersjkette. Die Luft ist sanft oreröthet und alle Gegenstände schimmern in hellem, goldigen Ton, sind von einer prächtigen Klarheit, Vornehmheit und Reinheit. Das Motiv ist ein ganz einfaches, ein Stück Wiese und Wald mit schöner Fernsicht, und um auf deutsche Art der Stimmung romantischeren Ausdruck zu geben, hat der Maler darin einen heimkehrenden Kreuzzugritter, dem von waldigen Höhen seine Burg entgegenschimmert, hineingenialt. Ein solches Bild mag sehr mühsam und nachdenklich geschaffen worden sein, mit fast Holbein’scher Schärfe und Sachlichkeit sind alle Gegenstände darin behandelt.

Die landschaftliche Stimmuno- aul eine reizende Art zu beleben, indem er an ein köstlich idyl¬ lisches Plätzchen ein naives Liebes- pärchen setzt, das thut Hengeler in seinem Bilde «Auslug».

Nach der dekorativen Seite hin wirken die Landschaften von Vinnen und Overbeck, man kann sie wohl in prächtige, vor¬ nehme Räume denken. Auch wären Besig’s Bild »Der Dorfbach» und Flad’s «Herbstabend» stimmungs- volle Schmuckstücke für die Wände eines Wohnraumes. Von präch¬ tiger, englischer Vornehmheit ist die Flusslandschaft von Cameron. Es sind Bilder, die eine beständige Anziehungskraft auf unsere Phan¬ tasie auszuüben vermögen, die man wie gute Hausmusik daheim immer um sich haben und ge¬ messen möchte. Feine landschal t- Samberger: Bildnissstudie liclie Zeichnungen Jfikt Meyei-

Basel und Angelo Jank in den

Ansichten von Rothenburg an der Tauber. Auf grauem Papier, das als Lokalton wirksam mit einigen Farben gehöht ist, hat er mit weichen, breiten Bleistrichen diesen Ansichten einen ungemein male¬ rischen Ausdruck zu geben gewusst. Mit merklicher Liebe und F'reude ist er in den Charakter des Ganzen eingedrungen, und das ist so goldechte Poesie und verklärt dies alte Nest wie die Sonne, die da und dort in einem Fenster spiegelt, die alte Ziegeldächer erglühen lässt und einen Thurmknopf festlich funkeln macht.

Alburt Itllibcrgcr iiliix. [,• Htturxoi.ngl, UQuuhen

Paul Jvauovlts uliix.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Einem plastischen Werke stehen die meisten Betrachter fremd gegenüber, es erweckt keine Empfindungen in ihnen. So sehr unser Auge empfänglich geworden ist für malerische Eindrücke, so sehr der Sinn für malerische Stimmung geweckt ist, so empfinden wir doch nicht die Reize der plastischen Eorm. Formgefühl und Eormempfindung scheint noch gering entwickelt. Allerdings fehlt es in der Plastik bei uns auch an Werken, welche beides wirksam anzuregen und zu nähren vermögen. Das plastische Werk, wie es bei uns im Allgemeinen auftritt, entbehrt nicht nur der künstlerischen Fassung des Natureindruckes, sondern ist auch im Ausdruck der Empfindungen gekünstelt. Sehr bezeichnend dafür sind die Plastiken, die in Stein, Holz oder Bronze gedacht, immer in der Manier der Stuck -Technik ausgeführt er¬ scheinen. Diese Manier gibt jede Form in barbarischer Weise als einen rohen Wirkung-s- eindruck wieder. Dass das Publikum diese Dinge immer noch als Plastik hinnimmt und bewundert, beweist ebenfalls seine Empfind¬ ungslosigkeit gegen edlere Erscheinungen.

Vielleicht ist die Plastik in solche Aus¬ drucksformen verfallen, weil sie so lange vom Leben isolirt war. Erst die Werke der Gegenwart verrathen wieder einen Anschluss an gegebene Situationen und bestimmte Ver¬ hältnisse und Oertlichkeiten. Die Plastik war immer eine Kunst, die sich im Zusammen¬ hang mit bedingten Verhältnissen, im An¬ schluss an architektonische Werke gross und vielseitig entwickelt hat. Nur ein Theil der Bildnerei, wie die Porträt- und Kleinplastik, ist an keine bestimmten Verhältnisse gebunden, dagegen ein Grabmal oder Denkmal erhält erst Werth und Bedeutung im Zusammenhang Taschner: Rauhbein

mit seiner Umgebung. So vermögen wir uns

kein bestimmtes Urtheil über eine Erscheinung zu bilden, wie das Bruckner- Denkmal von Zerritsch, indem hier die Hauptsache, die örtliche Umgebung, aus der das Ganze herauswachsen soll, fehlt. Wir wissen nicht, ist die Schöpfung darin lebensfähig und ihre Existenz begründet oder hat der Schöpfer unter Nichtachtung der gegebenen Situation nicht der räumlichen , sondern nur der künstlerischen Ausgestaltung des Stoffes Ausdruck gegeben, indem er das anmuthige Motiv eines den Gefeierten bekränzenden Genius’ zu einem effectvollen Dekorationsstück verar¬ beitet hat. Solche Schöpfungen lassen uns bedenken, dass sie in malerischer Gestaltung viel mehr Stimmung erregen und verbreiten könnten. In der Malerei ist es eben um vieles leichter.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Hubert Netzer: (.Orpheus-Brunnen

ein solches Motiv auszudrücken und wenn auch nicht tiefe, so doch angenehme Empfindungen zu erwecken.

Stimmung erweckt und übermittelt auf’s Beste eine andere plastische Schöpfung der Ausstellung, die man sich allerdings auch in bestimmten örtlichen Verhältnissen zu denken hat. Man dürfte den Orpheusbrunnen von Netzer nur in’s Freie stellen unter eine Gruppe alter Bäume in einem stillen, lauschigen Parke, in welcher Umgebung diese idyllische Welt für sich uns noch deutlicher fühlbar würde. In der architektonisch-bildnerischen Fassuno- eines Brunnens ist in freier, selbständiorer Weise dem Motiv des lyraspielenden Orpheus inmitten von Thieren des Waldes Ausdruck gegeben. Netzer entwickelt in solchen Darstellungen eine besonders reiche Produktion. Alle diese Gebilde sind ursprünglich empfunden, mit poetischer Phantasie und männlicher Schöpferkraft gezeugt. Dieser Brunnen ist schön und einnehmend durch seinen freien Pduss der Finien und stimmungsvoll durch den beseelten Ausdruck der P^ormen, wenn auch nicht so frei in dem Rhythmus der Form und Bewegung wie die Brunnenschöpfungen der Renaissance und des Barock.

Wenn man in neuerer Zeit versucht hat, wie in den alten Vorbildern das architektonische Element in der Gonception solcher Schöpfungen hervorzukehren, so darf darum die freie bildnerische Gestaltung nicht zurückgesetzt werden. Denn diese ist es, welche in jeder Situation nicht nur in dekorativer Hinsicht wirksam wird, sondern ihr erst einen tieferen poetischen Ausdruck verleiht. Dass beides ver¬ einigt so selten auftritt und so selten \Wrke hervmrgehen, die neben den alten bestehen können, hängt mit dem Missstand zusammen, dass Architekt und Bildhauer getrennt wirken. Es ist das eine Misere, die die deutsche Plastik schon das ganze Jahrhundert hindurch bei allen grösseren Unter- nehmunoren schwer und tief ofeschädioft hat. Immer scheiterten die Plastiker bei Fösung solcher Probleme an dieser Klippe. Keiner hat dies so richtig erkannt wie Hildebrand, der in seinem

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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«Problem der l'orm« eine Lösung' durch Anschluss an die Tradition vorschlägt und anstrebt. Ihre P'ormen, mit neuem Geiste gefüllt, d. h. mit unserem Empfinden durchdrungen, müsste das ProCTamm der künftio-en Plastik bilden.

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ln welcher Weise die Plastik als eine in’s räumlich Grosse gehende, frei schaffende und sich frei bewegende Kunst durch die Ungunst der jeweiligen Verhältnisse in’s Kleine beschränkt und gedrückt wird , zeigen die sogenannten Statuetten. Manchmal sind freilich solche Statuetten trotz ihrer räumlichen Beschränkung grosse Schöpfungen und lassen erkennen, dass ihr Schöpfer eine PTille des Lebens in diesen kleinen Figuren zu concentriren vermag. Sie gelten wie Umsatzwerthe eines grossen Kapitals, das in solcher Form mehr Zinsen trägt. Heuer finden wir zwar keine so über¬ raschende kleine Grössen, aber es fallen doch kleine, bescheidene Arbeiten durch die originelle Art der Erscheinung auf, wie z. B. Taschner’s «Rauhbein». Auch vieles andere ist so nett und ansprechend wie Kurzwaaren, die im Bazar dem Vorübergehenden so gefällig erscheinen.

Mit der Grabmalsplastik ist der modernen Bildnerei ein weites Arbeitsfeld gegeben, in dem eine Fülle künstlerisch neuer Momente der Gestaltung harrt. Man erinnere sich, in welch feiner Weise die Antike hierin schon die Wege und Ziele zu einer reichen künst¬ lerischen Bethätigung gewiesen hat. Die Aus¬ stellung weist nur ein paar Erscheinungen auf, die zeigen, dass diese Art nur hie und da von Liebhabern eine Pflege erfährt, so Christ’s Gruppe «Der Trost» und Eloy Palazios’

Grabmal einer vornehmen Spanierin; dieses zeichnet sich aus durch seinen freien selbst¬ ständigen Charakter in der Ausführung.

Wie das individuelle Empfinden, wenn es von keinen künstlerisch tieferen Absichten ge¬ läutert und durchdrungen ist, unharmonisch, bizarr, verschoben wirkt, zeigen Gasteiger’s Arbeiten. Künstlerische Erziehung und natür¬ licher Takt bringen geschmackvolle Schöpf¬ ungen hervor, und man wird sich ihnen nicht verschliessen können, wenn sie auch keine be‘ sonders tiefe Persönlichkeit verrathen , so ge- winnen uns die Werke von Nachahmern und

Kopisten, wie sie die Renaissancezeit viele her- FHtz ZerrHsch:

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

vorgebracht hat, durch künstlerische Durchschnittsqualität, Verständnis der Form und Beherrschung aller technischen Ausdrucksinittel Achtung ab. Ja selbst die Werke des Barock, wo die Willkür und Unnatur des Empfindens anfing Herr zu werden über edle Regungen und einfachen, massvollen grossen Ausdruck, zeichnen sich immer noch durch traditionelle künstlerische Fassung aus, welche selbst gröbere Ungezwungenheiten veredelt erscheinen lässt. Dadurch wirkt diese barocke Weise doch nie verletzend auf künstlerische Sinne wie in Gasteiger’s «Prometheus», bei dessen Anblick wir an eine kleine Bühne erinnert werden, auf der ein leidender Heros durch einen kleinlichen brutalen

Max Klinger: Schlafende

Charakter karrikirt wird. Das Erhabene schläqt in’s Lächerliche um. Durch Humor versucht Gasteiger zu wirken in seiner Brunnenfigur «Wasserscheu». Er betritt damit neuerdings einen Vergleichsweg, den er schon vor Jahren mit seinem Brunnenbuberl eingeschlagen hat, um damit die Gunst des Publikums zu gewinnen. Auch diese Absicht, durch Witz die Eernerstehenden und Gleichgiltigen für künstlerische Produktion zu interessiren , wäre im Prinzip nicht von der Hand zu weisen. Inwiefern ein plastisches Werk sich eignet, diese Rolle zu übernehmen, das kommt lediglich auf die Art der künstlerischen Gestaltung an. Künstlerischem Takt und Gefühl steht es allein zu.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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ytiKus Diez; ln arte libertas

das Mögliche und Unmögliche durch die Art der Gestaltung für unsere Vorstellung angenehm und wahrscheinlich zu machen.

Es kann einem gefallen, auf absonderliche Art alte Probleme durch ein neues Darstellungs¬ verfahren zu lösen zu versuchen. Kling-er thut dies in mehreren Werken und auf verschiedene. Weise.

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In seiner «Leda» und seinem Relief «Schlafend» folgt er alten Prinzipien der bildnerischen Gestaltung, wie sie uns auch durch Hildebrand wieder näher gerückt wurden, nämlich durch den Prozess des aus dem Steine Herausbildens, ein Bildwerk, auf die natürlichste Art wachsen und sich entwickeln zu sehen, bis der ursprüngliche Steinraum aufgehoben und sozusagen in lebendige Formen auf¬ gegangen ist. Dieses stufenweise Herausbilden zeigt sich deutlich in dem Relief der Schlafenden, und weiter vorgeschritten in dem der Leda. Im ersteren schlafen wirklich die Formen noch im Steine gebunden, im letzteren sind sie befreit und zu vollem Leben entwickelt. In den «Tänzerinnen» schafft der Künstler nach Art altrömischer kleiner Bronzen ein zierliches Schmuckstück fürs Haus. Die Büste «Assenjeff», die aus verschiedenfarbigem Marmor und kostbaren Steinen zusammengesetzt ist, ist ein Versuch, nach Art der Antike durch solche Zusammensetzung eine erhöhte dekorative Wirkung zu erreichen. Es kann durch solche Kontraste, wenn das Objekt an bestimmte Oertlich- keiten gebunden ist, eine harmonische Gesammtwirkung wohl erzielt werden, vermag aber in dieser Aufstellung, trotz einzelner Schönheiten, uns nicht anzusprechen. Bei der so eigenartigen persönlichen Auffassung des Künstlers, der in ganz freier Weise über das Gewöhnliche hinwegschreitet, überrascht es doch, wenn er die Fundamente der bildnerischen Gestaltung nicht in Acht nimmt, wo diese unbedingt beim ganzen Eindruck mitsprechen und von Bedeutung sind. Die Existenz der kauernden Marmorfigur beruht auf einem Fundament, das in einer bestimmten Form zum Ausdruck kommen muss, denn das Kauern und Niedergedrücktsein findet seinen festen Stand und Rückhalt auf der Erde. Diese muss darum in einer künstlerisch organischen Form, in einer Plinthe , gegeben sein, und als solche künstlerische Form sind die Messingkug-eln , die die FDur stützen und in ihrer Lage erhalten, nicht hinzunehmen. Die Schönheit einer Arbeit leitet sich von dem harmonischen Zusammen-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

klingen aller Theile her, und so gut in einem musikalischen Gefüge kein Misston den ganzen Eindruek stört, so schädigt eine Missform die Schönheit einer solchen Arbeit. Man muss annehmen, dass Klinger’s farbig gehaltene Werke in ein bestimmtes Milieu hineingedacht sind; dass sie in einer anderen Umgebung nur schwer zur Wirkung kommen , sieht man an der gegenwärtigen Aufstellung.

In gegebene Verhältnisse, in eine die bildnerische Auffassung bestimmende architektonische Umgebung sind die beiden Figuren von Kurz «Weberei» und «Spinnerei» gedacht. Erinnert auch die ganze Weise der Formengebung und Behandlung an antike Vorbilder, so ermangeln diese Figuren trptz dieser äusseren weitläufigen Verwandtschatt nicht des selbständigen eigenen Ausdruckes, der modernem

Schönheitsgefühl durchaus ent- spricht. Besonders spricht im Ausdruck der Köpfe so viel Zartes und Edles uns an, und verräth so viel Bildung und edle Herkunft , dass wir, um ähnliche Erscheinungen zu er¬ mitteln, weit zurück blicken müssen. Sie verrathen neben feinem künstlerischen Ge¬ schmack eine geschulte und geübte Hand in der Bear¬ beitung des Materials, wie sie sonst selten bei uns zu finden ist. Dieser Künstler empfing seine Ausbildung in Italien und ist auch sonst mit gross und einfach aufgefassten plastisch durchgebildeten Porträt - Re¬ liefs von deutschen Dichtern, Denkern und Künstlern her¬ vorgetreten.

Herrn. Hahn: Christus

Eine Arbeit, die durch gute, plastische Conceptton

auflällt, aber durch eine Ge-

1

schmacklosigkeit unästhetisch wirkt, ist «Der schweigende Mann» von Wildt. Der Künstler hat durch eine Ma¬ rotte, indem er die schöne Wirkung des Steines durch einen Ueberzug von Lack schädigte, den guten Eindruck seiner Arbeit abgeschwächt.

Mangelnde seelische Em- pfindung und Durchdringung des Stoßes schädigt auch die formal tüchtige Arbeit «Christus» von Hahn. Sie zeigt auch deutlich, dass die Anre gun g von D o n a t e 1 1 o

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herkommt, ohne dass jedoch Hahn wie jener durch eine innere Veranlassung zu solcher

Darstellung gedrängt wurde. Des Künstlers Stärke liegt auf einem ganz andern Schaffens gebiet, das auch seinem formalen Empfinden besser zusagt. Daraut weisen die Plaketten und Medaillen hin, die er brachte. Sie sind in Auffassung, feiner Durchbildung und verständnissvollem Eingehen auf den Bronzecharakter vorzüglich.

o

Als eine formal tüchtige Leistung ist hinzunehmen «Perseus», eine Brunnenfigur von Gosen. Auch Kiefer’s «Susanna» ist eine Figur von entschieden seltenen plastischen Qualitäten hinsichtlich der Conception und des Ausdruckes.

Wohl die künstlerisch anregendste und feinste Art der bildnerischen Thätigkeit, in der Kräfte

Nach der Pürsch

Fraoz Stuck piiix.

[*hoi. F. HaofKUien»;!, MQuabeo

Dyo nisos

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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der Beobachtung und Empfindung auf’s Beste entfaltet werden können, ist die Porträtplastik. Aller- dingrs steht sie noch weit hinter der Porträtmalerei zurück. Selten treffen wir in öffentlichen Anstalten

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oder gar Privaträumen gute Büsten an. Vielleicht geniesst diese Art der Bildnerei so geringe Aufmerk¬ samkeit und Pflege, weil nur durch die vielfach todte Art der Uebersetzung Lebendiger in Gyps- Köpfe kein Zutrauen zu dieser Darstellung gefasst wird. Hierin fehlt es aber nur an Darstellern, die die zuckende Lebendigkeit und Fülle des Lebens auszudrücken vermögen. Man denke nur an

Max Klinger: Tänzerinnen

die Porträts eines Donatello und man wird fühlen, welche Reize einem plastischen Bildniss inne wohnen können. Nur eine ähnliche Erscheinungr braucht aufzutreten, um auch diesen Zweig;- der plastischen Kunst wieder erblühen zu lassen. Und vielleicht ist eine solche schon bereit aufzutreten. Uns sind Bildnissbüsten im Albertinum zu Dresden bekannt, welche die Forderungen, die wir an das plastische Porträt stellen, hinsichtlich der lebendigen Auffassung und Durchbildung, vollständig erfüllen. Hier in beiden Ausstellungen vermögen wir ausser Hildebrand und Roemer keine Erscheinung

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

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aufzuzeichnen , die dem Zuge der Zeit hierin Folge zu leisten und ihren Forder¬ ungen gerecht zu werden Vermöchte.

Wenn wir auf beide Ausstelluncren

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zurückschauen und ihr Gesammtbild in’s Auge fassen, so ergibt sich eine Fülle von Erscheinunor-en , unter denen Einigre ganz bestimmte originale Züge aufweisen. Mit Stolz erfüllt es uns, auf die Höhe hinweisen zu können, die die Bildniss- malerei in Eenbach und Kau Ibach erreicht hat, auf die hervorragende malerische F)ichtung .Schuster-Woldans «Odi profanum . . .». Ferner bieten uns eine Anzahl von Werken künstlerische Werthe von fruchtbarer allcremeiner Bedeutuncr

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im Sinne einer künstlerischen Kultur. Wir haben in der Ausstelluno- der Secession in einem vornehm

o

abgerundeten Gesammtbild einzelne Schöpfungen bedeutender und starker Individualitäten, neben viel Licht aber auch viel Schatten.

Alles in Allem eine Eülle von Früchten künstlerischen Fleisses und Genies, eine hülle nahr¬ hafter Stoffe für unsere Phantasie, und als Gegeiujewicht sfCü'en das Eindrincren der abstrakten Geistesrichtuno- in unsere Vorstelluno-, als Gegengewicht gegen die so allseitig geübte Verstandes-

ö C:?' oooo oo

bildung bedarf es der Eülle an Werken der Form und der Empfindung. Wir möchten mit Konrad

Ferdinand Meyer s Worten schliessen;

„Das Herz, auch es bedarf des üeberfiusses,

Genug kann nie und nimmermehr genügen!“

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Ueber Deutsche Plastik

VON

ALEXANDER HEILMEYER

Woran mag es liegen, dass die plasdsche Kunst, der doch ein so glücklich beschränktes Schaffens¬ gebiet angewiesen ist, die so eingehend, wie keine andere, sich mit der Einzeldarstellung des Menschen und den vornehmen Geschöpfen der Natur sich befasst, dass eine solche Kunst in unserer Zeit so wenig Liebhaber findet und so wenig Theilnahme und Verständniss begegnet? Die Werke des Bildhauers erschliessen sich ungleich schwerer dem Auge des Beschauers, als die an einschmeichelnden Reizen reicheren Schöpfungen des Malers, weil sie ein viel umfassenderes, allseitiges Studium erfordern , bei dem allein dem noch ungeübten Blick erst das Mitempfinden und Verständniss für alle ihre Schönheiten aufgeht. Dazu kommt, dass wir Germanen im Allgemeinen auch keinen so stark ausgebildeten Formensinn besitzen, wie die heutigen Romanen und die Kultur¬ völker des Alterthums. Um so mehr sollten wir eben darnach streben, diesen Mangel auszugleichen, indem wir auch in unsere alltägliche Umgebung plastische Kunstwerke versetzen, die unser Empfinden anregen und unseren Geschmack bilden; das heisst eine innigere Verbindung von Kunst und Leben anstreben, wie solche in den feiten hoher Kultur im Alterthum und der Renaissance bestanden hat.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Welch’ herrliches Vorbild gibt uns da die geschmackvolle Ausschmückung eines alten pom- pejanischen Hauses. Vornehm¬ lich war es das Peristil des¬ selben, das je nach Neigung und Reichthum des Besitzers mit Werken der plastischen Kunst ausgeschmückt war. Zwischen den marmornen Säulen des Wandelganges und im Garten waren b'iguren, Hermen und Büsten aus Stein und Bronze aufgestellt. Zumeist waren diese Bronze¬ figuren Theile eines grossen Wasserwerkes; darauf weisen schon Darstellungen, wie die des Faunes mit dem Schlauche, dem Wasser entströmt, der Kinder mit allerlei Gefiügel, aus deren Schnabel ein Rohr hervorragt, hin. Es mag von der Säulenhalle aus ein ergötzlicher Anblick gewesen sein, dem Spiele der kühlenden Wasser zuzusehen, und prächtig mag im Scheine der italienischen Sonne der leuchtende Marmor der Säulen und Statuen , das Grün der Ziergewächse und die Gluth der bunten Blumen gewirkt haben.

Die Vorliebe für schmucke Höfe innerhalb des Hauses mit Garten und Blumen hat auch das späte Mittelalter, hauptsächlich dann die Renaissance und Barockzeit, übernommen. Auch die Neuzeit würde gut thun, anstatt mit langweiligen Monumenten, durch Anbringung solcher Anlagen von Brunnen und Statuen reizvolle Strassenbilder zu schaffen.

Ein anderer Zweig der plastischen Kunst, die Porträtbildnerei, erfuhr durch die Alten gleich grosse Pflege, indem sie Hermen mit dem Bildniss des bfausvaters im Atrium ihrer Häuser aufstellen Hessen. Eine beigegebene Abbildung zeigt eine solche Herme am Eingänge eines Gemaches. Diese schöne Sitte verdiente erneuert zu werden; denn eine Büste, in Marmor oder Bronze ausgeführt, bildet eine dauernde Erinnerung und einen vornehmen Schmuck des Raumes. Unsere Zeit jedoch versteht sich nur schwer dazu; das beklagte schon Goethe seiner Zeit, indem er schrieb: Nicht weniger haben selbst wohlhabende, ja reiche Personen Bedenken, hundert bis zweihundert Dukaten an eine Marmor¬ büste zu wenden, da es doch das Unschätzbarste ist, was sie ihrer Nachkommenschaft überliefern können. Und wenn er in dem Aufsatze, «Vorschläge, den Künstlern Arbeit zu verschaffen», den Punkt anführt, «Pflicht, die Bildhauerkunst zu erhalten, welches vorzüglich durch’s Porträt geschehen kann», so hat er damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn durch gute Porträts wird die Plastik auf die Höhe in ihrer Ausübung gebracht, und in den Zeiten, in welchen gute Porträts gebildet wurden, waren auch die anderen Leistungen dieser Kunst hervorragende.

Neben solchen Werken der hohen Kunst barg das pompejanische Haus auch sonst noch herrliche Schaustücke an Kleinplastiken, als Gefässe, Leuchter und Kandelaber. Alles, Möbel, Geräthe, Geschirre, Schmuck, das zum Gebrauche im täglichen Leben diente, veredelte die Kunst. Ein erhöhtes.

DIK KUNST UNSERER ZEIT

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vornehmes Lebens<^eluhl kommt hierin zum Ausdruck. Welche Beschränkung, selbst Nüchternheit, tritt in unserer täglichen Umgebung zu Tage. (Gegenwärtig macht man Anleihen bei allen Kultur¬ nationen des Alterthums und der Neuzeit, um einen neuen Stil in’s deutsche Haus zu bringen. Manchmal erwecken diese Gebilde wahre Stilbegriffsverwirrungen, eine Art paranoia aesthetica. Unter den vielen Erscheinungen, die diese Bewegung zu Tage fördert, tritt besonders eine hervor, in welcher das moderne Empfinden dem antiken sich wieder nähert, nämlich der Todtenkult: die Sitte, die (dräber der Abgeschiedenen mit aller Kunst zu schmücken. Vorläufig vollzieht sich dieses Streben, hierin die modernen Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, in imposanten architektonischen Entwürfen, die im unbeerenzten Raume der Gedanken ungehindert sich ausbreiten können, die aber in Wirklichkeit bei der Kostspieligkeit der Begräbnissstätten noch gute Weile zur Ausführung

mannigfaltigen und originalen Eormen einzelner Denkmale lässt den Mangel an künstlerischer Aus¬ gestaltung unserer Friedhöfe stark em¬ pfinden. In den bild¬ nerischen Darstell¬ ungen auf diesen Malen, es sind meist Scenen aus dem Leben darauf abge¬ bildet, zeigt sich wie¬ der das sinnige, dem Leben zugewandte

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künstlerische Em- pfindenderGriechen.

Es ist dagegen leicht zu bemerken, wie die christliche Symbolik grosse Langweiligkeit auf unseren Friedhöfen verbreitet hat. Wir sehen dies an der geistlosen Art, in der immer wieder Symbole als Anker, Kreuz und Herzen, Inschriften, Bücher und Palmenzweige wiederkehren. Auch in den allegorischen Figuren der trauernden, weinenden, verheissenden , tröstenden Genien und Kinder¬ gestalten offenbart sich ein so konventionelles Empfinden, dass es wirkliches Empfinden abstösst. Wie feinfühlig zeigt sich auch hierin der Grieche, der selbst in den einfachen Malen dieses schlicht und gross mit erhabener Würde gestaltet hat. Auch bieten sie in anderer Hinsicht starke Anregungen, sie zeigen nämlich, wie man mit den anspruchlosesten Mitteln doch monumentale Wirkungen erzielen kann. Mit wenigen Formen, aber mit grossem Formgefühl ist der Steinblock zu einem architektonischen und bildnerischen Denkmale zugerichtet. Gerade in dieser Einfachheit

haben werden. Um so mehr wird durch das Vorgehen der A rchitekten der Bild¬ hauer angeregt wer¬ den, seine schöpfer¬ ische Kraft einem Ge¬ biete zuzuwenden, auf dem seine Kunst so wie keine andere zu wirken im Stande ist. Eine hier bei¬ gegebene Abbildung zeigt die Gräber¬ strasse des attischen Friedhofes vor dem Dipylon in Athen. Der Reichthum an

Ansicht aus einem pompejanischen Hause mit einer Porträt-Herme

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

liegt ein bestrickender Reiz und nicht zum wenigsten das Geheimniss der grossen Wirkung. Bei uns wird zumeist der Natur des Materials wenig nachgegeben, mit Zwang und Künstlichkeit der Stein gegliedert, wodurch er immer mehr der Würde seiner Bestimmung entrückt wird. Wir begegnen oft wahren Orgien von Geschmackslosigkeit, die das Protzenthum auftiihren lässt und die die künstlerische Unfähigkeit nicht zu verdecken verstehen. Nach den vorhandenen Ansichten von Denkmalen des Alterthums muss man sich auch bei den Malen, die handwerksmässig wie unsere Grabsteine hergestellt wurden, den Geschmack des Publikums und der Künstler so geläutert und vollkommen denken, als man heut zu Tage überhaupt ahnt. Italien, das auf eine grosse Tradition sich stützen kann, hat in der künstlerischen Ausgestaltung seiner Friedhöfe manches Bedeutende aufzuweisen, ln

Gräberstrasse vom attischen Friedhofe vor dem Tysylon in Athen

der That müsste so die moderne Plastik ohne die hemmenden PTsseln und beschränkten Bestimmungen, die sie in ihrer Entfaltung auf dem Gebiete der Monumentalbildnerei hemmen, in diesen Aulgaben auf die freie Höhe der Kunst erhoben werden. Damit würde auch den sonst trost- und brodlosen Idealplastikern neue Ziele und ein ergiebiges Arbeitsfeld eröffnet. Ihre Kunst fände im Anschluss an die Gestalten des wirklichen Lebens eine Fülle von Beziehungen und könnte wahrhalt idealisiren, ohne in der bisher so beliebten Weise sich an schematische Abstraktionen zu halten. In der Dar¬ stellung des Menschen, den Gehalt des Menschen, die menschlichen Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, wo könnten diese herrlicher, inniger zur Geltung gebracht werden, als in den Denk¬ malen der Erinnerung an das Leben.

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Wenn wir uns jetzt auch wieder an die Antike anlehnen, so geschieht es doch mit einem

Bertel Thorwuldseu sculp.

Phot. y. Haofstaengl, Münchea

Adonis-Statue

Tag und Nacht

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Rückhalt an unser eigenes Empfinden, in der sachgemässen Erkenntniss und Nutzbarmachung der grossen plastischen Werthe, die in ihren Werken liegen. Das Studium der Antike hat in mancher Hinsicht gute Erüchte gezeitigt, aber ein lebensfähiges Geschlecht ist aus der Verbindung, die das deutsche Empfinden mit dem klassischen Geiste einging, noch nicht hervorgegangen. Die Darstellung des Menschen, als das vornehmste Objekt der antiken Kunst, ist in der klassizistischen Zeit rein formell nach antiken Schematas aufgefasst worden; nur Wenige versuchten den Gehalt des Menschen zu charakterisiren. Die Liebe zur blossen Form, zu äusserlicher , wohlgefälliger Schönheit, in der man das klassische Ideal erblickte, überwog das strenge Streben, in vollkommener Weise wahr zu

sein, Form und Charakter über¬ einstimmend zu bilden. Man hielt sich an eine Uebersetzung der Natur, indem man sie durch die griechische Brille anschaute , statt an die Natur selber. Geisttödtender Formalismus, unwahre Empfindung waren die Folgen.

Damals, da die deutschen Plastiker den ersten Einfluss dieser ewig jungen Kunst erfuhren, war es der Griechen -Geist, der sie daraus anwehte und dem sie willior sich selbst zum Opfer brachten. Der erste Priester, der ihm opferte, war der vom Geiste des Griechen¬ thums erfüllte Gelehrte Winkel¬ mann. Heutzutage wird er viel als Sündenbock für die Fehler seiner Nachahmer hinorestellt. Der

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von poetischer Begeisterung Er¬ füllte übersah, dass nicht auf dem

Grabmal vom attischen Friedhof

Wege der Anempfindung eines fremden Geistes, durch blosse Nachahmung seiner Werke, unter Hintansetzung des eigenen Em¬ pfindens und der Tradition eine neue Kunst erblühen könne; er war nicht allein diesem Irrthume unterworfen, die besten Geister der Nation haben ihn darin be¬ stärkt.

Manche Rezepte, die Goethe den bildenden Künstlern ver¬ schrieben hat, sind nicht minder schädlich gewesen; wenn man über¬ haupt in Hinsicht auf die damalige, nur auf blosse «Dekoration» be¬ schränkte Kunst von einer Schä¬ digung deutscher Plastik sprechen kann? Dortmals wie heute leisteten uns die Kenntniss der antiken W erke , die Erfahrungen , die wir aus ihrem plastischen Stil ziehen

können, gute Dienste. Und diese Lehren in die That umzusetzen und sie somit erst eigentlich aus¬ zudrücken, war einem Manne beschieden, der ausschliesslich durch eigene Empfindung auf die sinnliche Schönheit der Form «das klassische Ideal» hingewiesen wurde. Bertel Thorwaldsen war damit berufen, den unmittelbarsten Ausdruck für das künstlerische Streben seiner Zeit zu geben. Er lebte und schuf sozusagen zeitlos Bilder einer schönen Sinnenwelt, die seinen Zeitgenossen als Werke des Griechengeistes erschienen. Sein Einfluss war unermesslich. Dafür ist der Eindruck, den Rauch und Rietschel, ersterer noch in reiferen Jahren, empfingen, bezeichnend. In einem Briefe Rauch’s an Rietschel, wo von Thorwaldsen’s Schafien und von seinen Werken in Rom die Rede ist, kommen

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

die Worte vor; «Aus dieser kurzen Andeutung werden Sie sehen, wie es um den Muth des Künstlers steht, der in diesem grossen, vielseitig erleuchteten Spiegel (nämlich Thorwaldsenj , nur seine eigene Unzulänglichkeit vergleichend, sein Nichts erblickt.»

Die Antwort Rietschebs ist sowohl lür d'horwaldsen’s Charakteristik, als für Rietschel’s Empfindung so bezeichnend, dass wir nicht unterlassen können, sie umständlich hier wiederzugeben; sie lautet: «Es mag wohl ein belehrender, Bewunderung erregender Genuss sein, in Thorwaldsen’s Atelier herum zu wandern, und man mag nicht anders als mit hoher Verehrung für den Meister dasselbe verlassen. Doch wenn auch wie dieser mit spielender Eeichtigkeit und jugendlicher Erische die schönsten, manniglaltigsten Gestalten und Eormen hervor zaubert, welche die Sinne ergreifen, die Augen entzücken, wenn er allerdings auf die höchste geistige Weise ganz Herr in diesem Gebiete herrscht, mögen aber doch auch andere sein, die, wenn auch vielleicht weniger mit dieser glänzenden Eeichtigkeit begabt, wohl aber mit männlichem Ernst, gründlicher Tiefe und

beharrlichem Willen die höchste Meisterschaft erworben, welche viele Ereuden des Lebens hingeben, um Werke zu schaffen, die mit den schönen Eormen nicht bloss das Kennerauge ergötzen, sondern, was noch weit mehr ist, die vom Volke begriffen werden, es erheben, erfreuen, versittlichen, begeistern und nur dadurch erhält ein Kunstwerk die wahre Autorität! Diese, meine ich, mögen wohl würdig einem Talente wie Thorwaldsen zur Seite stehen, ja sie mögen fast ich behaupte es vom christlichen und sittlichen Standpunkte aus betrachtet, noch eine Stufe höher stehen. Möge meine Ansicht eine unzulängliche genannt werden, es schreckt mich nicht ab, ich behaupte dennoch, sie ist eine wahre.»

Dieses Bekenntniss enthält das ganze Programm Rietschebs

ö o

und bezeichnet einen Mangel in Thorwaldsen’s Kunst, nämlich den Mangel an Vertiefung der Empfindung und eigenthümlichem Charakter überhaupt. Pfine andere als die sinnliche Wahrnehmung, das Gefühl für Eorm lag in Thorwaldsen’s Kunst nicht, aber gerade damit hat er auch das Wesentlichste für seine Zeit geschaffen, denn mit der Empfindung konnte er das Prinzip eines plastischen Stiles nicht so konsequent durchlühren, als «er es mit eminentem P'ormensinn begabt, that. Man sieht in seinen Statuen, wie in dem Adonis in der Münchener Glyptothek, das Bestreben, nach Art der Antiken zu wirken, kein Glied zu individualisiren; so erscheint der Adonis als das LIrbild eines schönen, weichen Jünglingskörpers, bei dem der Kopf auch nur ein schöner Theil des Ganzen ist. Die Köpfe seiner Idealstatuen weisen alle den Ausdruck schöner Theil- Grabmai vom attischen Friedhof nahiiislosig'keit auf ; sie erfüllen in vollstem Maasse, was die Wissen-

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Schaft des Schönen jedem Kunstwerke zu Grunde gelebt wissen will, ein angenehmes Gefühl zu erwecken. Ein Reflex dieser Kunst ist noch in jenem vagen Schönheitsideal wahrzunehnien , das in den handwerksmässigen Kunstwaaren jedermann gefällig erscheint.

Es wäre dies im Sinne der künstlerischen Bildung allerdings eine Errungenschaft. Thorwaldsen’s

Grabmal vom attischen Friedhof

Rundbilder von Morgen und Nacht, in denen die plastische Strenge des Reliefs durch die Anmuth der Eormen gemildert erscheint, sind Gemeingut aller Nationen geworden. Als ein Meister der Plastik hat er die Form mit F'ülle vorgetragfen , aber eng begrenzt erscheint seine Kunst, sobald sie das Gebiet zeitloser, um nicht zu sagen charakterloser, Idealdarstellungen verlassen muss. Im Porträt

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

wie in den Denkmalen historischer Persönlichkeiten hat er wenig Gutes geleistet. Nicht einmal das Beste davon, die Reiterstatue' Maximilians I. in München, mag uns darüber täuschen. Wir können davor nicht warm werden, es bleiben immer nur Schematas, aus denen nichts herauszulesen ist. Der Jubel und Enthusiasmus, der jede Gabe aus seiner Hand begleitete, ist uns Nachlebenden kaum mehr begreiflich. Als das Grabmal des Herzogs von Leuchtenberg in der Michaelskirche zu München aufgestelit werden sollte, legte König Ludwig I. auf die Anwesenheit des Künstlers einen solchen Werth , dass sein Nichterscheinen mit Sooo Gulden Abzug am Honorar geahndet werden

sollte. Natürlich zog Thorwaldsen vor, selber zu erscheinen, die Reise von Rom nach München

war darum lohnend genug. Wie ein P’ürst wurde er empfangen und geehrt. Thorwaldsen’s Leben

war das eines glücklichen Künstlers, eine Schaar begeisterter Schüler umgab ihn und trug seinen

Ruhm durch alle Lande, Könige ehrten ihn, überhäuft war er mit Aufträgen, als ein Glück empfand man es, Werke aus seiner Hand zu erlangen, und glücklich war auch sein Ende; bei einer Vor¬ stellung im k. Hoftheater in Kopenhagen ereilte ihn der Tod am 24. März 1844.

GOTTLRIED SCHADOW 1764—1850

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Wie immer der einzelne, überlegene Mann in jedem PAche menschlicher Thätigkeit seiner Zeit seinen Stempel aulprägt, wie durch ihn angeregt ein Heer von Nachahmern entsteht und wie schwer

es da^eofen ist, mit einer anderen als der herr¬ schenden Ansicht hervor zu treten, das bringt uns Schadow’s Lebensgang in’s Bewusstsein. Er zeigt uns, wie ein Geist, der stark und original genug erscheint, wenn ihm erst aus clerEnge beschränkter Verhältnisse heraus eine völlig neue und überwäl¬ tigende Anschauung zu Theil wird, sich gänzlich dieser überlässt und erst später wieder dazu kommt, sein Selbst zu begründen. Schadow, der sich in den Jahren 1785, 86 und 87 in Ita¬ lien aufhielt, berichtet

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Römisches Grabmal

über die Eindrücke , die er dort empfangen, fol- gendermaassen : «Als ich in P'lorenz ankam und dort die kolossalen Werke von Michel Angelo und Giovanni di Bologna auf offenem Platze erblickte, überlief mich ein eiskalter Schauer. Dies war die erste und heftigste Er¬ schütterung, welche die Bevamderung über die Schönheiten der Kunst in mir erregte. Beim An- blick der vielen Antiken fühlte ich die Entfer¬ nung, in welcher ich da¬ von abstand, aber zu¬ gleich auch die reine Wollust, die mir der

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Weg dahin zu gelangen, darbieten müsse.» In der ersten Arbeit Schadow’s, die er, aus Italien zurückgekehrt, übernahm, in dem Denkmal des jung verstorbenen Grafen von der Mark, mischen sich Züge solch’ italienischen und antiken Einflusses mit der dem vorigen Jahrhundert eigenen Kunst¬ weise. Manches in der Anordnung verräth deutlich den Zeitgeschmack, der abgeklärt und gross durch eine bedeutendere Ansicht gehoben erscheint. Frei und selbständig hat er das klassische Motiv, die Parzen, darin verwertet, und nicht leicht wird uns in den Werken der Klassizisten eine lebhaftere Auffassung dieses Vorwurfes entgegentreten. In einem Vortrage, den er wahrscheinlich um 1792 nach seiner Reise gehalten hat, die er nach Stockholm und Petersburg unternahm, um die Herstellung grosser Bildwerke in Erz kennen zu lernen (ein Verfahren, das zu Schadow’s Zeiten in Deutschland verloren gegangen war), äussert er unter Anderem auch seine Kunstansicht und Auffassung über solche Denkmale (es handelte sich um die Herstellung des Denkmals für P'riedrich den Grossen) folgendermaassen: «Wenn Ehrfurcht und Bewunderung die Beweggründe sind, warum man ein Monument errichtet, wenn der Held selbst gross ist, so denkt sich ihn der Künstler auch gerade als ein simples Porträt. Es bedarf dann keiner fremden Hülle, um ihn gross und ehrwürdig scheinen zu machen, und das Gewand, welches er trug, mochte es sein wie es wollte, wird durch den Helden geheiligt.»

Bertel Thorivaldsen: Aus dem Alexanderzuge

Schadow gibt dieser Anschauung in der Figur des General Zieten Ausdruck. Er stellt ihn als Feldherrn dar, der ruhig überlegend an einem Baumstamm lehnt; das Kostüm ist naturgetreu und gewissenhaft ist auf alle Einzelheiten der Uniform und Bewaffnung eingegangen, ohne in dem Maasse unruhig zu wirken wie die realistischen Darstellungen unserer Tage. Aber am Schönsten zeigt sich Schadow’s grosszügiger Realismus, man wäre versucht zu sagen idealer Realismus, in den Reliefs, die Szenen aus dem Leben Zieten’s darstellen. In den Röthelzeichnungen, die er wohl als Studium der plastischen Arbeit zu Grunde legte, überrascht vor Allem die malerische Art des Vortrages, die Kühnheit der Wiedergabe des individuellen Lebens von Ross, Reiter und Landschaft. In seinen Zeichnungen, er hat deren viele (theils als Skizzen zu seinen Werken, theils als selbständige Aus¬ führungen) angefertigt, offenbart sich mehr als in den plastischen Arbeiten das reiche Talent Schadow’s. In der Art der Auffassung mancher Objekte, in der geläufigen malerischen Technik der Ausführung hängt er auf’s Engste noch mit der Kunst des vorigen Jahrhunderts zusammen , deren Anschauung und Empfindung auch lebhaft in nebenstehendem Entwurf zu einem Denkmal Friedrich des Grossen (1797 entstanden) zum Ausdruck gelangt. In auffallend grotesken Formen gehalten, veran-

II 23

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

schaulicht es deutlich den Geschmack jener Zeit an spektakulirenden Dekorationsstücken. In der stofflichen Behandlung erinnert auch die reizvolle Borträtgruppe der beiden lieb¬ reizenden Prinzessinen aus dem Hause Mecklen¬ burg (der späteren Königin Louise und ihrer Schwester) daran. Als eine der reifsten Arbeiten jener Zeit ist die aus dem Schlafe erwachende sogenannte «Nymphe .Salamacis» anzusehen. Seine Absicht war, damit das Bild einer Wollust athmenden, schön gebildeten Sterblichen zu geben. Trotz allem Naturalis¬ mus der Darstellung des Körpers ist der Kopf idealisirt und antiken Vorbildern nachorebildet.

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Dass er derartige Arbeiten als die dem Künstler förderlichsten auffasste, spricht er in der Bemerkung aus: «solche nicht bestellte, sondern aus innerem Behagen entsprungene Arbeiten sollten wohl immer den Umfang der P'ähigkeiten eines Künstlers zeigen, jedoch müssen hierzu manche Begünstigungen kommen; ,, Gesundheit, nicht Broderwerb, ein gutes Modell und häusliches Glück“.» Das ist die Kundgebung eines Künstlers, der nach freier Ausbildung strebte und seine Kräfte an dem Ideal aller plastischen Darstellung, am Nackten, messen wollte. Die Gelegenheit, dieses zu beobachten und darstellen zu können. Ist freilich in einem so behosten und dazu prüden Zeitalter wie das unsrige immer eine Seltenheit. Hören wir weiter, was er über Thorwaldsen bei der Gelegenheit sagt: «Durch die Natur verführt, wird man nicht, wie Thorwaldsen, in einer Imitation des Idealstils der Antike verbleiben, sondern seine Originalität darbieten.» PN war eine eigenthümliche Fügung, die oferade dem so eio^enwillio-en Schadow widerfuhr, der überall darauf bedacht war, in seinen Arbeiten seinen Charakter auszuprägen, ein Werk herzustellen, das Eigenart und Charakter ganz verleugnet. Auch Schadow verfiel in eine Art Imitation des Idealstils der Antike, und der ihn dazu verführte und hinleitete, war Goethe.

In jeder Phase der Entwicklung des Blücher-Denkmales lür Rostock sehen wir vor dem übermächtigen Einfluss dieses souveränen Beherrschers der Geister Schadow’s Ansichten zurück-

o

weichen, überall zeigt sich gegen besseres Wissen das ängstliche Bestreben, die diktirte dichterische Auffassung einzuhalten. So entstand der Fürst Blücher als Herakles, so steht der Marschall Vorwärts, mit der Löwenhaut und dem Chiton angethan, ausgestattet mit preussischem Peldherrnstab und Husaren¬ säbel in Mitten einer deutschen Stadt. Pdie idealen Neio^unoren Schadow’s im VTrein mit Goethe’schen Kunstansichten haben ein Werk geschaffen, in dem die klassizistischen Forderungen konsequent gelöst erschienen. Uns erscheint heut zu Tage dieses Werk nicht anders, als eine Verirrung, bei der wir uns nur ungern des Meisters, des Zieten und des alten Dessauers erinnern mögen.

Wie manche bedeutende Künstler schon vor ihm, wandte auch Schadow sein Augenmerk

Gottfried Schadow: Studie zu einem Relief am Zietendenkmal

(Röthelzeichnu ng)

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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auf die Verhältnisse, die Proportionen des menschlichen Körpers, deren Kenntniss dem Schaffen des Künstlers so dienlich ist. Er hat darüber ein Werk, «Polyclet», verfasst, das im Jahre 1835 in Berlin erschienen ist. Bei den Einsichten des Künstlers und Erfahrungen, die darin niedergelegt sind, bei der gründlichen Bearbeitung, die sie erfahren haben, ist es zu verwundern, dass das Buch in Künstlerwerkstätten so selten ist. Mit Zuhilfnahme neuerer Eorschungen und des modernen Maasses müsste es auch heute jederzeit dienlich und brauchbar sein. Schadow hat sein ganzes Leben lang Materialien dazu gesammelt, und es umfasst alle Altersstufen mit besonderer Rücksicht auf das Wachsthum des Schädels und die Nationalphysiognomien. Dieser Theil dürfte bei dem jetzigen Stande der Anthropologie allerdings überholt sein. In diesen schriftlichen Werken, zumal in seinen Vorträgen und Kunstansichten, lernen wir in ihm einen scharfen Beobachter, einen klaren gesunden Verstand, sein künstlerisches Empfinden kennen, wobei auch interessante Streiflichter auf Kunst und Zeitgenossen fallen. Diese Schriften mit ihrer scharfen, schlagenden Charakteristik bilden einen werthvollen, kunstg-eschichtlichen Bestand und einen Uebergang zu ganz modernen Kunstansichten.

Jo 000

CHRISTIAN DANIEL RAUCH 1777— 1857

Aus dem eigenartigen, tief in der Tradition noch wurzelnden Schadow vermochte der Klassizismus sich keinen Träger zu bilden. Dazu brauchte es einer empfindsameren, weicheren Natur, deren Konsistenz geeignet war, diese Vorstellung aufzunehmen und der Stammeseigenart angemessen zu verarbeiten. Wir haben schon Eingangs bei Thorwaldsen darauf hingewiesen, mit welchem Enthusiasmus Rauch diesen verehrte, man kann sagen bis zur Selbstentäusserung. Denn der Meister hatte zu jener Zeit, als er den erwähnten römischen Brief an Rietschel schrieb, in dem er sich gegen Thorwaldsen verkleinerte, schon in den Statuen der Feldherrn aus dem Befreiungskriege das Reifste und Eigenthümlichste geschaffen, was im Sinne klassizistischer Monumentalbildnerei damals hervorge- bracht wurde. Der Bildungsgang dieses Künstlers ist für die Elastizität und die Zähigkeit im Ausbilden künstlerischer Fähigkeiten ganz besonders bemerkens- werth. Früh in einer Bildhauerwerkstätte sich selbst überlassen, in der nach Art des vorigen Jahrhunderts handwerksmässig gearbeitet wurde, wurde er aus Familienrücksichten Kammerdiener, eine Periode und ein Stand, der manchen modernen Kunstschriftstellern zu taktlosen Aeusserungen Anlass gab. Während dieser Zeit benützte Rauch seine Musestunden eifrig zu seiner künstlerischen, wie allgemeinen Ausbildung; wir wissen, dass er dortmals die Propyläen hielt und las. Er hat also schon im Anfang seines künstlerischen

Gottfried Schado-jo: Entwurf zu einem Denkmal Friedrich des Grossen

23*

16S

DIE KUNST EINSERER ZEIT

Strebens mit den Kunstansichten Goethe’s sympathisirt. Geschadet hat ihm das nicht, seine künstlerischen Sinne wuchsen und g-ediehen vortrefflich bei der Nahrung mit klassischer Milch. Man vergleiche nur, wie er später in dichterisch allegorischer Weise die Relief bilder am Scharnhorst- und Bülow-Denkmal ausgestaltet hat. Nach Vollendung seines ersten Werkes, der Grabstatue der Königin Louise in Charlotten- buro-, in dem wir zwar heute nicht mehr das bedeutende Kunstwerk zu erkennen vermooren, als das es

den Zeitgenossen erschien, war seine künstlerische Zu¬ kunft entschieden und ge¬ sichert. Er wurde nach Berlin o'erufen und bei seinen ohne-

o

hin guten, durch das mit Bei¬ fall aufgenommene Werk be¬

stärkten

Beziehunoen

o

zum

Hofe gewann er bald für die

o

Entwickluno-

o

Berlin die

grossartige

Kunst in Be¬

deutung, in der er uns als der Beo;ründer der nord- deutschen Plastikerschule er¬ scheint, einer Schule, deren Eundamente so breit und sicher angelegt sind, dass ein stattlicher Bau, der noch nicht abgeschlossen ist, sich darauf begründen konnte. An Auf¬ trägen mangelte es damals nicht. Die Krieijszeiten waren vorüber und damit auch die den Künsten des Briedens feindliche Gewalten orebannt. Die grossen Heerführer jener Zeit sollten verherrlicht, ihr Geist und Bild der Nachwelt

Gottfy. ScJ/aciotv ; Standbild des General Ziethen

erhalten werden. Es begann für Rauch eine äusserst frucht¬ bare Periode des Schaffens mit der Ausführung" dieser Denkmäler. Bestrebt, vor Allem den Geist, den sinnen¬ den , Thaten vollbringenden, den energischen preussischen Soldatengeist in Scharnhorst, Bülow, Gneisenau, York und Blücher zum Ausdruck zu bringen, schuf er das äussere Bild von innen heraus; und wenn er dem Drange, der Intuition nachgebend, den Ge¬ stalten einen Pathos und patriotischen Schwung leiht, der vielleicht manchem dieser Männer im wirklichen nüch¬ ternen Leben fern gelegen ist, so sucht er damit dem gei¬ stigen Bild jener Helden einer beweg-ten Zeit gerecht zu werden, ln der Darstellung huldiot er mit Takt einem verfeinerten Realismus, der überall die tieferen Absichten des Künstlers hervorhebt. Mit

diesen Statuen hat er einen Denkmaltypus für unsere monumentale Bildnerei geschahen, der als gütiger Canon selbst für unsere Zeit noch wirksam besteht. Als eine Weiterbildung darüber hinaus sind die zahlreichen modernen Denkmäler nicht zu betrachten, sie lehnen sich in ihrer Konception vollständig an diese Vorbilder an, und ihr oft ungeläuterter, durch keine künstlerisch tiefere Emphndung beseelter Realismus ist nur von schlechterer plastischer Wirkung als Rauch’s klassischer. Ein ganz

Cbrii^tian Rauoh sculp.

Phot. F. Haofstaengl, SlOnchen

Victoria

i

-f :

I

Gottfried Schadow soulp.

Phot. F. Hanfstaengl, ilOnohen

Grabmal des jungen Grafen Alexander von der Mark

DIE KUNST UNSERE!^ ZEIT

169

vorzügliches Stilgefühl entwickelte Rauch ini Zusammengehen von h'igur und .Sockel, Indem er diesen bildnerisch gestaltete, die Erzflächen vielfach belebte, findet er nicht nur äusserlich den rechten Uebereane zu den architektonischen Formen, sondern setzt auch diese Formen zu den Daro-estellten in lebendiee Beziehung-en. Man hat nicht Unrecht, ihn mit Thorwaldsen als einen Meister des

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Reliefs zu verehren.

Bei der Flerstellung so vieler Erzdenkmale machte sich nun ein Uebelstand bemerkbar, der die deutschen Bildner der klassischen Periode oft und schwer geschädigt hat, der Mangel an tüchtigen, kenntnissvollen Frzgiessern. Schon mit der Ausführung des Max Joseph-Denkmales für München begann für Rauch eine Reihe ununterbrochener Sorgen, Aergernisse und Qualen, die

ihm oft alle Freude beim Anblick der arg zerschundenen und misshandelten Arbeit nahmen. Er

wandte all’ seinen Einfluss auf, bessere Erzgiesser heran zu ziehen. Auf seine Veranlassung entstanden die königliche Erzgiesserei und leidenschaftslos gegenüber der

modernen Kunst geblieben sind, dem wir viele vorzügliche An-

regungen verdanken , sagt am

Schlüsse seiner

die Ciseleurschule in Berlin. Auch des bekannten Erzgiessers Stigl- mayer, der durch Rauch haupt¬ sächlich zur Weiterbildung und Vervollkommnung dieser Technik veranlasst wurde und unter dessen Neffen Miller die Münchener Erz¬ giesserei grossen Aufschwung ge¬ nommen hat, ist hier zu gedenken. Rauch’s Biograph, Egger, der in fünf Bänden erschöpflich und ausführlich Rauch’s Persönlich¬ keit und Lebenswerk behandelte, dessen Darstellungen im letzten polemischen Theil leider nicht

Christ. Rauch: Max Joseph-Denkmal

Ausführungen

o

über diese Bemühungen des Meisters; «Die Geschichte des Erzgusses in Deutschland bleibt dauernd mit seinem Namen ver¬ bunden.»

Es dürfte bekannt sein, dass im Aufträge König Ludwigs I. von Bayern Leo von Klenze sich öfters bemühte, Rauch, dieses glanzvolle Gestirn am damaligen Kunsthimmel Deutschlands , für

München zu gewinnen. Aber Rauch war für den goldigen Käfig nicht zu haben; ausserdem war er Preusse und seine Werkstatt in Berlin seine Heimat. Schwer entschloss sich König Ludwig auf die Bedingung im Vertrage wegen Rauch’s Lieferungen von Statuen in die Walhalla, auf die für ihn härteste, einzugehen, die ausdrückte, dass Rauch diese Arbeiten auch in Berlin anfertigen könne. Die Munificenz des grossen Mäcenaten hat aber damit Rauch’s reifste und schönste Schöpfungen auf dem Gebiete der Idealplastik die Viktorien, ermöglicht. Diese Siegesgöttinnen, die antiken Niken, welche er auf Münzen eifrig und nicht ohne Nutzen studirt hat, sind in allen Phasen der Empfindungen, des Erwartens, des Begrüssens, des Entgegeneilens, der Bekrönung des Kämpfers und der nach¬ denkenden Ruhe des opfervollen Sieges, dargestellt. Wohl ist in diesen Gestalten eine Eleganz der Form, eine Freiheit und Anmuth in der Bewegung entfaltet, wie wir sie meist nur in den Werken unserer westlichen Nachbarn zu sehen gewohnt sind, aber vor Allem ist darin auch eine Feinheit der

170

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Empfindung, ein Formenadel, der sie uns als die reifste Frucht des Klassizismus erscheinen lassen, wahlverwandt mit den klassischen Schöpfungen Goethe’s. Wie sehr er übrigens, der Künstler, nach dem Herzen Goethe’s war, zeigt uns der ebenfalls sorgfältig und übersichtlich zusammengestellte Briefwechsel von Egger Rauch und Goethe. In einer kleinen Statuette «Goethe im Hausrock» besitzen wir von der Hand Rauch’s eines der kostbarsten Goethebildnisse. Ein eio-enthümliches Geschick waltete aber über allen seinen Projekten zur Ausführung einer monumentalen Statue; wir haben von seiner Hand kein Denkmal des Dichters, an dem er mit so viel Liebe und Verehrunp- hing. In klassischem Sinne hat Rauch die zahlreichen Grabdenkmale, die er zu allen Zeiten seines Schaffens ausführte, gestaltet. Als eine interessante Reminiscenz an die Denkmale vom attischen Friedhofe, vor dem Dipylon in Athen, könnte man das Grabmal der Gräfin Itzenplitz auffassen und das Relief vom Grabmal Niebuhr in Bonn.

Ganz besonders aber sei auf die Grabstatue Ph-iedrich Wilhelm’s III. in Charlottenbure hingewiesen, die sowohl in der Auffassung wie Ausführung einen bedeutenden Fortschritt gegenüber der Luisenstatue bezeichnet. Das ist überhaupt ein Merkwürdiges in Rauch’s Bildung, wie er immer aufwärts steigt, immer fertiger wird, um zuletzt als Greis mit der kraftvollsten That, dem P^riedrich- Monument, seine Lebensarbeit zu krönen. Und noch darüber hinaus in seinem Kant ein immer junges Werk zu schaffen, ein Werk, dessen geistvoller Realismus das Ziel der nächsten Generationen bildet.

Die Aufstellung eines Denkmales für Friedrich den Grossen bildet im Prooramm zweier preussischer Könige ein ständiges Projekt, bis es unter der Regierung P^riedrich Wilhelm’s IV. zur Ausführung gelangte. Schon Schadow’s Lehrmeister, Tassaert, machte einen Entwurf im Aufträge der Armee. Als Friedrich der Grosse davon erfuhr, war seine Ansicht: «Dass es eine schickliche Sitte sei, nicht während des Lebens, sondern nach dem Tode, dem Feldherrn ein Denkmal zu errichten.» Lhiter Friedrich II. wurde die Ano^elegenheit wieder aufo-e griffen ; der König- wollte das Denkmal seines grossen Ahnherrn »auf seine Kosten ausgeführt wissen» und Schadow die Angelegenheit überlassen. Der machte im Auftrag der Regierung zum Studium des Erzgusses die schon erwähnte Reise nach Stockholm und Petersburg, eine zweite nach Paris musste wegen der dort ausgebrochenen Unruhen unterbleiben. Dann kam wieder eine Stockung in die Sache; mittlerweile starb P^riedrich II., und erst unter Friedrich Wilhelm IIP nahm man das Projekt mit Eifer wieder auf, bis sich, wie Schadow erzählt, «Begebenheiten erreigneten, wo Kunstgegenstände Nebendinge wurden», die Freiheitskriege begannen. Im Jahre 1S30 erhielt dann der Architekt Schinkel den Auftrag, einen Entwurf für das P^riedrichsdenkmal einzureichen und an Rauch die Wisung ergehen zu lassen, Skizzen dafür anzufertigen. Bis 1839 war die Wahl des Königs noch nicht erlolgt, endlich fand ein Projekt seine Genehmigung, und am 8. Dezember 1839 bekam Rauch den definitiven Auftrag zur Ausführung, gewiss eine lange Vorgeschichte. Von da ab beginnt lür den 62jährigen eine Zeit voll Anstrengung und Arbeit, reich an Prüfungen und hlühseligkeiten aber auch an Erhebung und freudigem Bewusstsein. In seinem Briefwechsel mit Riet sch el spiegeln sich diese wechselnden Stimmungen. «Wie dem Geschäftsreisenden schreibt er an Rietschel am 23. Januar 1850 gerade die letzte Meile ihm das Ziel als unerreichbar vor die Seele bringt, so ist mir zu Muthe.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

171

ERNST RIETSCHEL 1804—1861

Grosse Hoffnungen setzte Rauch auf den begabten, selbständigen Rietschel. Jung, unver¬ dorben, weich und bildungsfähig kam dieses Talent in seine Hände. Er hoffte in ihm eine der stärksten Säulen seiner künstlerischen Tradition heranzubilden. Das Experiment gelang nicht vollständig

Ich zähle die Stunden, arbeite auch. Aber das Nichterreichte jedes Abends macht mir ung-lückliche Nächte.» ....

o

Aber er hat das Ziel erreicht. Am iii. Jahrestage der Thronbesteigung Friedrich des Grossen, am 31. Mai 1851 wurde das Denkmal enthüllt. «Ein Glanzpunkt wie Alexander Humboldt dem Künstler schreibt in dieser elenden , schlaffen , sumpfartigen , frivolen, charakterlosen Zeit, das Ihren Namen unsterb¬ lich macht.» Es haben in neuerer Zeit Rauch’s Werke von Seiten mancher modernen Kunst¬ schriftsteller manche ungerechte Beurtheilung erfahren. Doch wohl nur der oberflächliche Beobachter wird sich den das Streben Rauch’s verwerfenden Urtheilen anschliessen können. Im Sinne des Klassizismus hat er die Plastik auf die Höhe monumentaler Anschauung er¬ hoben. Erfüllt von dem klassizistischen Ideal «der Antike» vermochte er in der monu¬ mentalen Darstellung des modernen Menschen sich nicht davon zu emanzipiren. Gründlich verachtete er Hut, Rock und Stiefel als nicht zu solchen Darstellungen würdige Objekte. Für die plastische Auffassung der Persönlich¬ keit, wie sie im Leben geht und steht, hatte er Empfindung, aber er war nicht unbefangen genug, diese durchzudrücken. Wenn es Rauch gelang, für seine Empfindungen bündige For¬ meln zu schaffen, seine Kunst in ein gewisses Verhältniss, allerdings kühler Abstraktion, zur Natur zu bringen, so verloren sich seine Nach¬ ahmer gar bald in einen todten Formalismus.

Christian Rauch: Goethe im Hausrock

DIE KUNST UNSERER ZEIT

in Rietschel’s Natur sass tief ein spezifisch deutsches Element, das gemüthvolle Empfinden, dass sich in den klassizistischen Eormeln nur schwerfällio- beweoen lernte.

o o

Bedeutsam im Sinne moderner Empfindung und Kunstanschauung .sind seine schüchternen Versuche, vor Allem im Porträt eine intimere Naturanschauung und Auffassung anzustreben. Bei all’ dem gelangt doch Rietschel in seinen Hauptwerken, Eessing und Euther, über Rauch hinaus, wohl zu oTösserer künstlerischer Pd-eiheit der Anordnung- aber nicht vollends zu freier Entwickluno- seiner ganzen Individualität. Wenn nicht gerade die gevdsse Beschränkung, die in seinen Werken zu Tacre

Auffassung,

tritt, auch auf das Engste mit seiner künstlerischen Entwick¬ lung- zusammenhängt. Das Leben eines bedeutenden Künstlers ist ein Stück Kunst¬ geschichte. In Rietschel’s Kunst ist ein religiöser Zug, nicht im Sinne der modernen sondern in der Weise des romantischen Glau¬ bens- und Kunstideals. Daher seine Neigung zu biblischen

o o

und christlichen Motiven. Das hat er von den Nazarenern, die auf diesen Hang seines Gemüthes von demselben Ein¬ fluss waren, wie auf Luchvig Richter. Er hat überhaupt mit diesem Manches ge¬ mein, Beide entsprossen dem gleichen Boden, haben etwas Verwandtes in der Erziehung, den harten Erfahrungen der Jugendjahre, in Beiden auch

Christian Rauch:

Standbild des Philosophen Im. Kant

der Zug tiefer Religiosität, ein gewisses Zusammenziehen und Beschränken auf Ver¬ innerlichung. Bei Richter die göttliche Mitgift eines wunder¬ baren kindlichen Humors, der über seine Schöpfungen eine warme, behagliche Stimmung breitet, und dessen Ernst in sinniger Zartheit zum Aus-

o

druck kam. Rietschel, in mancher Hinsicht ähnlich ver¬ wählte die Bildnerei zum Lebenslauf, die damals noch keineswegs sich in Bahnen bewegte, die dem deutschen Empfinden ähnlichen Ausdruck zu verleihen im Stande waren. Rietschel’s Empfinden erfuhr darum auch zu allererst eine fast krampfhafte Umstülpung nach der klassischen Mode. Man weiss aus seinen Jugend¬ erinnerungen , dass ihm an-

anlagt ,

fänglich bei Rauch in Berlin gar nicht wohl war. Dass er viel besser nach der Natur und seiner eigenen

Eingebung zeichnete, als nach klassischem Muster modellirte. Auch dass er die Antike nicht so hoch schätzte, als sein Meister, dessen Bestreben war, durch diese Brille die Natur ansehen zu lernen. Rietschel musste entschieden erst einen langjährigen, oft gewaltsamen Umwandlungsprozess durch¬ machen, ehe er der formenstrenge Plastiker wurde, als den wir ihn in seinen späteren Werken kennen, und als welcher er den Stolz und die Hoffnung Rauch’s erweckte, in ihm den Wahrer und Mehrer seiner Schule, den stärksten Träger ihrer Tradition zu sehen.

Ernst Rletschel sculp.

Phot. F. Hanfstaengl, MDochen

Goethe- und Schiller-Denkmal in Weimar

DIE KUNST UNvSERER ZEIT

173

In der That ist die Freundschaft, Fürsorge und Anhänglichkeit, die er Rietschel jeder Zeit bezeugte, ausserordentlich. Rauch scheint an dem consequenten, richtig und tief empfindenden Rietschel eine starke Stütze und Anregung gehabt zu haben. Die öftere Verschiedenartigkeit ihrer künstlerischen Ansichten that dem guten Verhältnisse im Einvernehmen keinen Abbruch. Als Rietscheks erste bildnerische That wird das Standbild des Lessing in Braunschweig bezeichnet. «Ich will ihn ohne Mantel machen. Lessing suchte im Leben nie etwas zu bemänteln», mit diesen Worten ging Rietschel daran, ein unumoräng-liches Garderobestück der Rauch’schen Monumentalbildnerei abzuthun. Aesthetiker haben in dem Streite für und wider viele Federn stumpf ge¬ schrieben. Heutzutage sehen wir an vielen Standbildern, dass man

ganz gute Wirkungen mit und ohne Mantel erzielt hat. Auch die Lessingstatue von Rietschel kann man sich nimmer anders denken. Im Gegen- theil ist gerade das Kostüm, das er trägt, statuarisch sehr dank¬ bar und von bester Wirkung. In der Büste wie im Standbilde hat Rietschel des Mannes Geist glücklich ausge¬ prägt. Sein Lessing

ß. Rietschel: Lessingstatue

sind Leistungen , in denen einem mass- vollen Realismus die Wege gewiesen sind.

In einer anderen Aufgabe, die beide grosse Bildner beschäf¬ tigte, bei der Rauch zur Anwendunpf des Zeitkostümes sich nicht entschliessen konnte, wiewohl er es des öfteren glücklich beim Friedrichsdenkmal und so prächtig bei seiner Kant -Statue angewen¬ det hat, ist Rietschel erfolo-reich mit seinem

o

Prinzip durchgedrun¬ gen. Dieser Goethe und vor Allem Schiller, nach Rietschel’s Auf¬

fassung , wird Einem

und R a u c h s Kant

unter den zahlreichen Statuen der beiden Dichter immer sympathisch erscheinen. Beim ersten Anblick des Doppeldenkmales werden wir uns sofort der Gegensätze in der äusseren und inneren Erscheinung der Beiden bewusst. Die geistige Majestät Goethe’s in der imponirenden, würdevollen Haltung des Welt- und Hofmannes, in der schon ein Stück Geheimrath im ganzen Aeusseren zur Geltung kommt, und daneben die schlichte bürgerliche Erscheinung Schiller’s in einem Moment, in dem die Kraft künstlerischer Intuition, die ihm die Brust weitet und hebt, kommt hier plastisch zum Ausdruck. Auch der ominöse Westenknopf fehlt nicht, der schon manchen ästhetischen Polemiker beschäftigte.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Eine Schöplung, in welcher der ganze Rietschel mit all’ seiner Empfindung zum Durchbruch kam, ist auch seine letzte die Bekrönung seines Lebenswerkes gewesen! Das Lutherdenkmal in Worms. Ein Werk, das man an den Anfanof seines Schaftens gestellt sehen möchte , wenn man bedenkt, was bei Rietschel’s Neigung zu wahr¬ haftiger Charakterisirung für die Entwicklung deutscher Plastik hätte folgen müssen. Dass er sich nicht über Hals und Kopf in einen radikalen Naturalismus , der oft noch cha¬ rakterloser als die klassizistischen Schemen wirkt, hineingestürzt hätte, ist dieser Arbeiten nach anzunehmen. Das Wormser Denkmal fasst die Reformation in all’ ihren oreistio^en

o o

Träo^ern und wehrhaften Stützen zusammen. Gleichsam eine Symphonie in Erz und Steinen gedichtet, deren Grundmodus monu¬ mental in dem gewaltigen Träger des Refor¬ mationsgedankens, in der Gestalt des Luther, zum Ausdruck gelangt, der dasteht fest und unerschütterlich, die PAust auf der Bibel, als der Mann der Ueberzeugung und der That. VMn Rietschel selber rührt nur noch die Hauptfigur her; als sie im Gipsguss vollendet war, konnte man ihr zu PTissen den todten Meister aufbahren. Seine Schüler haben das Werk, in das Rietschel seine ganze Kraft zu setzen gewillt war, vollends

E. Rietschel : Da.s Standbild Luthers

ausgebaut.

o

ERNST JULIUS HÄHNEL 1811^1891.

Man könnte der Dresdener Schule ganz gut ein Janusgesicht zudenken, in dem die eine Seite Rietschel’s, die andere Hähnel’s Typus aufweist. In der That ist von vornherein eine gründliche Verschiedenheit beider Kunstcharaktere wahrzunehmen. In Hähnel’s erster grosser Arbeit kommt das gleich zum Ausdruck. Für die Attika des Dresdener Hoftheaters schul er einen Bacchuszug, eine Folge von Scenen, in denen alle Grade bacchischer Lust und Trunkenheit nicht mit ursprünglich genialer Gewalt (gleich Ruben’scher Naturanschauung), sondern in wohlkomponirten Reliefdarstell¬ ungen, in dekorativ wirksamen, rhythmisch bewegten Gruppen dargestellt sind. Oft liegt eine malerische Unruhe in der Häufung der Körper und in den lacht- und Schattenwirkungen, die dadurch hervor¬ gerufen werden; hingegen erreichen wieder andere Partien des umfangreichen Werkes die vornehme

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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plastische Wirkung des antiken Reliefstils. Man fühlt förmlich das Anwachsen, Ausbreiten und völlige Hineinleben des Künstlers in eine Aufgabe, die seinem Empfinden wohl am nächsten stand, und an der er am unmittelbarsten Theil genommen zu haben scheint. Für die charakteristische Darstellung bedeutender Persönlichkeiten, wie Michel Angelo in den biblischen Gestalten am Museum in Dresden, fehlt es ihm an Tiefe der Auffassung, an Durchdringung der geistigen Individualität. Nicht selten kokettirt er mit einem Anschein von Ernst und verfällt dabei in Affektion und leere Pose. Am Besten gelangen ihm Darstellungen von antiken Mythen und Stoffe, bei denen er mit seiner lebhaft sinnlichen Phantasie sich ganz der bildnerischen Freude an der körperlichen Erscheinung und dem Spiele der Linien hingeben konnte. So hat er, trotzdem er zahlreiche Schüler und Nachahmer gefunden hat, einen Ausdruck, einen Stil, in dem er seine eigenen Empfindungen charakteristisch ausgesprochen hätte, nicht geschaffen, in ihm zeigt sich deutlich die Misere der deutschen Plastik, die sich an die Stoff- und Formenwelt aller grossen Kunstepochen anlehnt und doch selten etwas Grosses, Eigenes schafft. Auch Hähnel erweist sich, ohne tiefere Eigenart, gewandt darin, Motive des christlich romantischen und des klassischen Kunstideals in einem gefälligen, sinnlichen und darum so allgemein verständlichen Schönheitsideal vorzutragen.

Rietschel und Rauch standen in engem Verhältniss zu ihren Schülern und übten hauptsächlich durch ihre Thätigkeit in der Werkstätte einen grossen und nachhaltigen Einfluss aus; sie erinnern hierin an die Meister des Mittelalters. Die guten Folgen für die künstlerische Bildung sind unverkennbar. Handwerkliche Geschicklichkeit und künstlerische Tradition bleibt so erhalten. Mehr wie durch akademischen Unterricht entwickelt sich ein inniges Verhältniss zwischen Meister und Schüler in der Werkstätte. Die unmittelbare Theilriahme an dessen Schaffen, die Uebernahrne eines Theils der Verantwortung für das Gelingen eines grossen Ganzen, die künstlerische Freude, einen Theil seines Selbst in dieser Arbeit nieder¬ gelegt zu haben, erweckt und fördert von Anfang an all’ die Erfahrungen , Kenntnisse und Geschicklichkeiten , die die Ausführung eines plastischen Kunstwerkes bedingen und die in der Schule nie erworben werden können. Dem Plastiker thut Praxis noth. Man kann dagegen einwenden,

Talent sei die Hauptsache und wer künstlerische Em¬ pfindung besässe, wird dieselbe unter allen Umständen durchdrücken, die Technik erlernen und sich ihrer nach der Art seiner Empfindung bedienen. Wer aber weiss, dass die Bildhauerei eine Kunst ist, die gerade wegen der handwerklichen Vorbereitungen, wie Rauch sagte, mit Aerger anfängt und mit Verdruss aufhört, dem sei wohl- gerathen, wenn er, eh’ er sich ihrer Bedient, vorher die noth-

wendigen Handfertigkeiten und Sinn für den praktischen e. Rietsckei: Büste des Bildhauers Rauch

24*

176

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Theil in einer Werkstätte erwirbt. Mancher Aufwand von Kraft und Geduld ist erforderlich, ehe der Plastiker zur Ausführuno- eines Werkes schreiten kann. Hat er sich zur Auftassuno- eines Gep'en-

^ o o

Standes durchg-erungen , so baut er gewöhnlich nach einer kleinen Skizze desselben das Objekt in beabsichtigter Grösse in nasser Erde auf, ein Material, das wegen der Eisengerüste, die zum Tragen der Thonmassen erforderlich sind, nicht erhalten werden kann. Es muss darum die Arbeit in Gips umgeformt werden, und in diesem zerbrechlichen Material, das zudem die Seele des Kunstwerkes todt und stumpf erscheinen lässt, bleibt es zumeist, wegen der Kostspieligkeit der Ausführung grösserer plastischer Werke in Stein und Bronze, ln unserer Zeit, wem nicht gerade ein monumentaler Auftrag zufällt, müsste eigentlich die erste Sorge des unbegüterten Künstlers sein, für die Ausführung

E. HäJinel: Aus dem Bacchuszuge

seiner Modelle einen Gönner zu suchen; im gewöhnlichen P'alle beginnt er seine Arbeit mit der Aussichtslosigkeit des Idealisten, der strebend hofft und hoffend strebt. Trotzdem produziren die Akademien fortwährend junge Künstler, ja unterstützen vielfach die pure Talentlosigkeit und schicken sie anspruchsvoll in’s Eeben hinaus. Was bietet ihnen dieses? Zwar will das Glück Manchem wohl, während es den Meisten bei dem durch die Schule verschuldeten Mangel an praktischer Geschicklichkeit kaum das bescheidenste Auskommen gewährt. Die auffallende Erscheinung, dass für die Ausführung künstlerischer Arbeiten in Stein, Holz und Bronze tüchtige Kräfte selten sind, wird wohl auch mit dieser akademischen Erziehuno^ zusammenhäno'en. Schon zu Schadow’s Zeiten war den einheimischen Bildhauern die Kunst, den Stein zu formen, abhanden gekommen. Rauch musste im Anfänge seiner Thätigkeit geeignete Eeute hiefür aus Italien mitbringen, wie auch heute noch zumeist Italiener als

Jolm. Scliiliiiig ticulp.

riiol. K. HuiirstacMigl, MiliichtMi

Der Morg en

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U. Siciucriug scuip.

Phot. F. Haofstaengl, .Muiichcu

Germania-Denkmal in Leipzig

DIE KUNST UNSERER ZEIT

177

am unterrichtetsten in diesem Fache «-eiten. Auch dem Kunsthandwerk gehen so viele Kräfte verloren. Die soziale Stellung solcher, die sich zur freien Entfaltung ihrer Kräfte nicht durchzuringen vermochten, ist meist eine unglückliche. Der eben erwähnte Schadow war als Akademiedirektor bekannt wegen der strengen Wahl in der Aufnahme von Schülern; für gegenwärtige Verhältnisse wäre eine solche wieder von Vortheil für das Ansehen dieser Kunst.

Neben Persönlichkeiten von allgemeiner und hoher künstlerischer Bildung fehlt es unter den Vertretern der Plastik nicht an Erscheinungen von ärmlicher Beschränktheit und Ignoranz allen anderen Gebieten geistigen Lebens gegenüber. Rohheit der künstlerischen Empfindung gilt vielfach als künstlerische Ereiheit. Wirklich bedeutende, selbständige Erscheinungen sind selten, tiefere Bedeutung, seelischen Ausdruck weisen nur wenige Werke auf. Der Tross der Nachahmer erfüllt zumeist mit

E. HäJinel: Leukothea lehrt dem kleinen Bacchus das Tanzen

ihrer Waare die plastische Abtheilung der Kunstausstellungen, ihnen das sattsam bekannte Gepräge

verleihend. Diese Erscheinungen haben es zumeist zu Wege gebracht, dass man der plastischen

Kunst von heute so wenig Achtung entgegenbringt.

Alt und Jung, Gross und Klein,

Grässliches Gelichter;

Niemand will ein Schuster sein.

Jedermann ein Dichter.

(Goethe)

Die unvergleichlichen Meisterwerke der Antike haben auf die Plastiker der klassizistischen Periode einen unerhörten Einfluss aus«eübt. Sie be«annen mit der mechanischen Nachahmung der antiken Eormen ohne nach der Ursache und den Bedingungen dieser Ausdrucksweise zu forschen und selbe in sachlicher Weise sich zurechtzulegen. Nicht weniger als die F'orm trug der gegen¬ ständliche Inhalt des Kunstwerkes und seine allgemeine Bedeutung, die es durch ihn für die klassisch

178

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Gebildeten erhielt, dazu bei, diese Bewegung zu einer so umgestaltenden zu machen. Gewiss verschuldete diese Auffassung auch, dass der Plastik ihre natürlichen allgemeinen Aufgaben, nämlich als eine monumentale Raumkunst zu wirken, aus dem Gesichtskreis schwand und man sie immer mehr in einsamen Rundbildern von abstrakter Idealität verlor. Die Antike wurde in dieser Hinsicht ganz missverstanden, indem man gerade ihre Bezugnahme auf das Allgemeine verkannte, ihre Ausdrucks¬ weise nicht als eine harmonische Kunstanschauung von tieferer Bedeutung ansah ; denn die Antike wollte doch nichts als eine künstlerische Auffassung der Natur mit den einfachsten Mitteln wieder- ü-eben. Die Klassizisten aber sahen in dieser Darstellung unkünstlerischer Weise nur Mittel zu dem Zweck , klassischen Motiven Ausdruck zu verleihen ; dass die P'orm Selbstzweck sei und als solche an sich Vorstellungen erwecke, das wurde nur Wenigen aus Anschauung der antiken Werke klar. Erst in unseren Tagen hat Hildebrand wieder ausgesprochen: mit der P'orm als Selbstzweck sei eine Einheit für die künstlerische Darstellung gegeben , in welcher auch das persönliche Empfinden ausmünden und so Allgemeingut werden kann; diese Bedeutung der antiken Kunst kam den Klassizisten nur unklar zum Bewusstsein.

Doch strebte in jener Zeit Rauch im Sinne des antiken Ideals die Verallgemeinerung indivi¬ dueller Züge in’s Grosse an ; er neigte daher weniger der beob- achtenden, empfindsamen Seite seiner Kunst zu als der nach schöpferischer Gestaltung strebenden , in der das persönliche Empfinden in monumentalen P'ormen aulgeht.

Weniger gross angelegte Talente, die als Nachfolger ängstlich beflissen waren, in des Meisters PTisstapfen zu gehen, ohne sein Schrittmass einhalten zu können , seine künstlerischen Ideen zu durchdringen und sie neuen Zielen zuzuführen , verfielen darum bald in geistloser Nachahmung einem schematischen Eormalismus. Besonders übel zeigt sich das in den Porträts jener Zeit, die wie todtgeboren erscheinen, und denen wir nicht das geringste Inter¬ esse mehr abzugewinnen vermögen. Man wendet sich als Künstler nicht ungestraft von der Natur ab. Diese vornehmste Seite der modernen plastischen Kunst wieder zu neuem Leben zu erwecken und darin sich wieder der Tradition anzuschliessen, war späteren Künstlern Vorbehalten, die allerdings dann auch durch eine mate- riell stoffliche, sogenannte «malerische» Behandlung unreine Ele-

Empfinden bethätigte auch Schadow, der hierin noch ganz in der Tradition wurzelte , in anregendem Verkehr mit der Natur stand und damit starkes Talent zur Charakteristik der Erschein¬ ungen entwickelte. In dieser Weise steht er Rauch s Kunst, die Entwurf zu einem Standbilde Raffaels vorzüglich 111 s Gi'ossc, Allgemeine gellt, gegeiiübei . Aucli durcli

mente in die plastische Darstellung brachten. Starkes individuelles

DIE KUNST UNSERER ^EIT

179

Rietschel und Hähnel wurde das Inhalt¬ liche in der Darstellung immer mehr her¬ ausgearbeitet, insbesondere durch ersteren, der mit starkem Gefühl für den seelischen Ausdruck , mit sozusagen religiösem Em¬ pfinden begabt war, während Hähnel sinn¬ lich stoffliches Empfinden leitete, jener also mehr im Ausdruck , dieser in der Eorm die plastische Kunst weiterzubilden sich be¬ strebte; beide aber gingen zu sehr in der inhaltlichen gegenständlichen Vorstellung auf, ohne für ihr eigenstes Empfinden vollkom¬ menen Ausdruck zu finden. So trug auch das starke Einzelempfinden bei, die plastische Kunst aus ihrem Zusammenhang mit der Tradition zu reissen, ohne sie im Sinne der Antike grossen allgemeinen Zielen zuzu¬ führen. Das Gefühl , dass die bildnerisch monumentalen Aufgaben darin ihre Lösung suchen müssten, wenn anders sie auf die Vorstellung gross und erhaben wirken sollen, leitete auch Rauch, indem er sich mühte, dafür einen bildnerischen Ausdruck zu suchen, den man doch nur mit Zuhilfenahme raum¬ gewaltiger wirksamer Darstellungsmittel, mit Hilfe der Architektur , zustande bringen kann. Wir bemerken von Anfang an das Hereindringen des architektonischen Elementes in die bildnerische Gestaltung, daraus erwuchs in unserer Zeit, da der Bildhauer ein schlechter Architekt und dieser ein oft mangelhafter Formverständiger ist, ein Kompromiss, der in den modernen Denk¬ malen so charakterlose Erüchte zeitio-t.

o

Auch die Werke der Nachfolger Rauch’s, Rietschel’s und Hähnel’s, als deren hervor¬ ragendste Vertreter in unserer Zeit Siemering und Schilling gelten, leiden unter diesem Missstand, für den es keine andere Lösung gibt, als dass man sich die universelle Bildung der alten Meister aneignet und die reinen plastischen Stilgesetze strikte befolgt. Wieder einmal, wie schon zu Rauch’s Zeiten, wurde der Genius der vaterländischen Künstler durch die Thaten der Nation beflügelt, das vornehmste Streben Siemering’s und Schilling’s ist darauf gerichtet, dem Geiste jener Thaten bildnerischen Ausdruck zu verleihen; ihre stärkste Triebfeder ist also die Empfindung, sie wollen -die idealen Strömungen der Zeit in Eormen kleiden.

Ä Siemerhiff : Krieg

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Indem sie sich der Träger der wirklichen wie idealen Stimmungen im bildnerischen Ausdruck bemächtigten, verliehen sie ihren Werken durch die Anziehungskraft der dargestellten Objekte eine Bedeutung, die ihnen im Avirklichen b'alle, als künstlerische Gestaltungen, nicht immer zukommen Avürde.

Diese Kraft der gegenständlichen Anregung ist es auch, die Siemering’s wie Schilling’s Darstellung der Germania uns so nahe bringt. Bei jenem ist es ein Heldenweib, das kühn mit dem über die Schulter gelegten Schwerte einherschreitet, voll Hoheit des Geistes und weiblicher Majestät. Bei Schillin g’s volksthümlicher Darstellung ist es das Hervorheben des echt Weiblichen im o-anzen Ausdrucke wie in jeglicher Bewegung, denn so wie sie mit freudigem Stolze die Krone, den köst¬ lichen Preis, erhebt, fraulich anmuthig und stolz zugleich, zeigt sich darin das Ideal der deutschen Frau, und so ist diese Erscheinung schnell volksthümlich geworden und hat in unzähligen Abbild- unoen ihren Weg" in’s deutsche Haus crefunden.

Der Volksstimmung in bewegten Zeiten beredten Ausdruck zu geben, ist auch Siemering in der Darstellung eines brieses, der den Sockel einer Germania umgab, die zu Ehren der einziehenden

den Reliefen zum Gräfe¬ denkmal in Berlin , die in der Art und Weise altitalienischer farbig Ma-

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sirter Terracotta hero;e- stellt wurden. Sie zeigen einen Zug von Kranken, die zu dem berühmten Augenarzt pilgern , und einen Zim Geheilter, die von ihm abziehen. Es liegt auch ein entschie¬ denes Verdienst Siemering’s darin, bei der Monotonie in der Ausführung unserer Denkmäler auf diese wirksame Technik hingewiesen zu haben.

Siemering bewegt sich vielfach in der plastisch unreinen Art der Nachklassizisten, die durch eine freiere, gegenständlich stoffliche Behandlung die klassizistische Trockenheit zu beleben suchten. Die Eigenschaften des weichen Thones, die beim Modelliren zu weicher lockerer Formbehandlung Anlass geben, werden in der plastischen Gestaltung oft in einer Weise zum Vortrag benützt, die, wie in der Darstellung eines Kriegers, direkt an die Formengebung des Barock erinnert. Pis liegt hierin eine Erscheinung vor, die durch die ganze Zeit geht und nicht zum Avenigsten durch die Elüchtigkeit der Auslührung in meist minderwerthigen Materialien, da die Werke vorübergehenden dekorativen Zwecken dienen sollen, bedingt wird. Vielleicht auch dadurch A^eranlasst, drängt das künstlerische Empfinden die Darstellung nach der stofflich gegenständlichen Behandlung hin, die für das Auge gewisse Reize bietet, oft aber eine Belebung des Gegenstandes auf Kosten der plastischen Erscheinungf ist.

O

Truppen 1871 in Berlin aufo-estellt wurde , oe- ImiQ^en. Bei Betrachtuno-

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solcher Werke, in denen die künstlerische Empfin- duno- unmittelbaren Aus-

o

druck findet, Avird man das Inhaltliche immer als einen bedeutenden Pak¬ tor zur Beseelung der bildnerischen Darstellung ansehen müssen, Avie bei

j?. Siemering :

Relief zum Einzug der siegreichen Truppen in Berlin

DIE KUNST UNSERER ZEIT

ISl

Auch in Schilling’s Werken wird uns das fühlbar. In vielen seiner Gruppen tritt die Technik des Modellirens so auf, dass wir annehmen könnten, sie wären Terracotten. Viel trägt zu dieser Behandlung- auch das persönliche Empfinden bei. Rhythmus in Form und Linie und ein weiches lyrisches Empfinden bilden die Grundzüge. Die Formen fliessen weich ineinander und die Linien runden sich anmuthig zum Ganzen. Voll und reif sind die Körperformen, in schöngeschwungenen Linien umwallt und begrenzt sie der Faltenwurf. Nirgends eine Härte, kein eherner Ausdruck, alles ist Anmuth, Hingebung, liebliches Empfinden. Ganz von selber ergibt sich daraus seine Kunst, die anmuthige, beseelte Weiblichkeit und holdselige Kindlichkeit zu gestalten. Gleich in seinen ersten Arbeiten, die durch das Studium klassischer Werke geläutert und herangereift sind, kommt seine Eigenart zum Ausdruck. Deutsch romantisches Fühlen einigt sich mit klassischer Form. In den

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R. Siemering : t\'ashington-Denkmal

Gruppen «Morgen Tag, Abend Nacht» ist der deutsche weltweite und innige Idealismus in verschiedenen Phasen wiedergegeben.

o o

Offenbar sind diese Gruppen unter starkem Einflüsse antiker und italienischer Werke entstanden. Und wenn man heutzutage so oft hört, eine Italienreise sei nur mehr ein unter¬ geordneter Abschnitt im Leben eines Künstlers, so beweisen diese Arbeiten, wenn auch schon um 1860 entstanden, das Gegentheil. Trotz der inneren Umkehr zum Germanismus wird der Einfluss dieser künstlerisch befruchtenden und belebenden Schönheitssonne immer fortwirken. Nach wie vor werden in des Nordländers Seele, die von ihren Strahlen getroffen wird, wundersame Regungen erwachen, werden Formen und Gestalten seine Phantasie bevölkern, wie sie vordem aus Eigenem nimmermehr ihm entgegentraten. Die ursprüngliche schaffende Kraft unserer Phantasie ergänzt sich

II 25

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DIE KlUVST UNSERER ZEIT

R. Sieuiering : Relief zum Gräfe-Denkmal in Herlin

aus dieser für uns idealen Gestaltenwelt. Der deutsche Bildner hat weniof Anlage und NeieunS", aus den antiken Werken k'orm und Stil sich nur zu Nutzen zu machen, vielmehr sind es innere Beziehung'en, die ihn mit dieser Welt der Schönheit verknüpfen. So sehr man auch von einer Seite darauf ausgeht, die Wirkung des Kunstwerkes auf unser Emphnden nur in der Harmonie der Raum¬ gestaltung anzunehmen, so liegt es doch zu sehr in unserer Eigenart, auch darin eine Seele zu suchen. Wir werden uns durch das Raumgebilde, es mag formal noch so einnehmend und wirkungsvoll sein, nicht ganz befriedigt fühlen, emphnden wir doch selbst beim Anblick der Antiken eine gewisse Kälte, die erst weicht, wenn wir ihre Eormen mit unserem Emphnden erfüllen.

Die plastischen , sachlichen WArthe , die in diesen Werken liegen , in ihrem ganzen Umfange und Bedeutung- darzuthun und sie neuerdings nach dieser Seite hin wieder aufzuschliessen, vollbrachte

o O J

Hildebrand. Bei einer Thätigkeit, wie die der Bildhauerkunst, die gleicherweise Kräfte der Wahr¬ nehmung wie Vorstellung erheischt, an welcher darum künstlerische Intuition und sachliche Ueber- legung gleichen Antheil haben, wird der denkende Künstler, geleitet durch Beobachtung und Erfahrung, erkennen, dass der künstlerischen Anschauung gewisse Gesetze zu Grunde liegen. Indem er diesen nachgeht , entdeckt er zugleich in den vorzüglichsten Werken alter und neuer Zeit dieselben Grundlagen und erkennt diese als die Ursachen ihrer wunderbaren Wirkung. Und wenn er auf die Alten zurückgeht, führt er uns nicht gleich den Klassizisten in den engen Kreis der gegenständlichen Vorstellung zurück, sondern zeigt uns, dass ihre künstlerischen Anschauungen immer Giltigkeit haben werden, dass durch sie die künstlerische Gabe für uns erst zubereitet und geniessbar wird.

Von einer Verwandtschaft seiner eigenen Werke mit den Antiken und den Schöpfungen der Renaissance kann nur insofern die Rede sein, als er jene in ähnlicher Art wie diese künstlerisch gestaltet hat. Gleich seinem Vorgänger Rauch ist ihm die Antike ein Korrektiv; er steht aber

DIE KUNST UNSERER ZEIT

183

in einem noch innigeren Verhältniss zur Natur als dieser und bereichert seine Kunst mit einer Fülle neuer Formen. Wenn jetzt wieder, angeregt durch diese Zeitströmung, Künstler, wie Hildebrand, sich mit erhöhtem künstlerischen Interesse den Werken der Antike und Renaissance zuwenden, so treten sie zu dieser Kunst in viel nähere und lebensvollere Beziehungen, als die Nachahmer zu Anfang dieses Jahrhunderts, Dieser Künstler bringt uns in einen engeren Zusammenhang mit jener Kunst als die Klassizisten , und entfernt uns davon wieder, indem er die Grundlagen aller Kunst zeigt, deren Besitz allein zu wahrer Selbständigkeit führt.

Hildebrand entwickelte seine Kunst und Kunstanschauungen, die ihn in bewussten Gegensatz zu den vielfach unklaren modernen Bestrebungen bringen, in Italien vorzugsweise durch das Studium der Antike und der italienischen Renaissance. Jedenfalls wurde er durch den grossen plastischen

Stil, der ihm in jenen Werken entgegentrat, an- o-eregt, sich in das Pro- blem der Form zu ver¬ tiefen, das Prinzip der künstlerischen Gestaltung jener Werke zu erfor¬ schen und sich selber über die Natur des künst¬ lerischen Sehens Rechen¬ schaft abzulegen. Aus diesen Studien heraus er¬ wuchs ihm die Anschau¬ ung, dass das künstler¬ ische Prinzip auf den Kopf gestellt worden sei, indem seine Existenz nicht in der künstlerischen Fass¬ ung vom Raume ange¬ nommen werde, sondern in einem persönlichen In¬ halte, den der Künstler selbst hineinlegt. Nicht durch formale Gestalt¬ ung, nicht durch künstler-

y.Sc/nlliug-; Der Krieg. Statue am Niederwald-Denkmal

ische Zubereitung sollen Empfindungen und Vor¬ stellungen im Beschauer hervorgerufen , sondern durch eine möglichst ge¬ treue Wiedergabe einer natürlichen Bewegung und Ausdruckgeste dieselben veranlasst werden.

Hildebrand bemerkt, dass die werthvollste Eigenschaft des Kunst-

ö

Werkes, seine eigentliche bildende , die Phantasie anregende Kraft, die ihm als Darstellung von Raum und Form inne wohnt, durch das Unterschieben persönlicher Vorstellun¬ gen im Ausdrucke un-

o

klar werde und den Be¬ schauer, der in der Bildung der eigenen Vorstellung beeinträch¬ tigt wird, nicht befriedigt.

Hildeb rand vertritt mit dieser Anschauung nachdrücklich den Standpunkt, den die Tradition und der natürliche Wirkungskreis den Künsten und besonders der Plastik anweisen, nämlich nach

Art der antiken Bildwerke möglichst einfache klare Wirkungen hervorzubringen und damit der

o o o

184

DIE KETNST UNSERER ZEIT

Bethätigmig- der Phantasie, dem Vorstellungsvermögen auch auf die einfachste Art und Weise zu genügen. Er fasst die Wirkung des Kunstwerkes als eine Folge seiner künstlerischen Fassung vom Raume auf und hält die Selbständigkeit der künstlerischen Schöpfung, als eines Gebildes, das nach organischen Gesetzen für sich besteht, gegenüber dem Inhalte, der ihm vom Künstler zugelegt wird, aufrecht. Nicht das Motiv oder die Handlung will er als Quelle der ästhetischen Anregung angesehen wissen, sondern die Form als künstlerische Gestaltung des Raumes. Daher bezeichnet er diese als Grundelement der bildnerischen Darstellung, und die Belebung der PArm durch das subjektive Empfinden als eine später daraus erwachsene Erweiterung des Darstellungsvermögens. Dass diese Prinzipien, die früher durch die Tradition von Werkstätte auf Werkstätte vererbt wurden, so gänzlich vernachlässigt und sogar theilweise verloren scheinen, beklagt er, indem er saot ; «Vero-leichen wir

nach all’ diesem die Irühere Zeit mit der unseligen, so ist es eine zweifellose Thatsache , dass die Logik der anschaulichen Vorstellungen weit höher entwickelt war, und dass darin das Uebergewicht der früheren Zeit in der bildenden Kunst be¬ gründet ist.»

Indem er in seinem Buche, «Das Problem der Form», sich bemüht, die Grundbegriffe des künstlerischen Sehens festzustellen , alle die ein¬ zelnen Faktoren anzulühren, die die künstlerischen Anschauungen und Vorstellungen hervorrufen, und indem er versucht, das Wesen derselben klarzu¬ legen, bleibt sein Blick doch immer auf das Grosse, das Ganze gerichtet, er dozirt nicht wie ein über¬ eifriger Gelehrter , der vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht, sondern wie ein Mann, der die Sachlage klar vor Augen hat und sie darum auch andern klarmachen will.

Der gedankenreiche Inhalt des Büchleins enthält auch ein Kapitel über die Form als Funktions¬ ausdruck, damit bezeichnet der Verfasser das Vermögen, durch die Form körperliche und seeliche Empfindungen auszudrücken, und da diese bei ihm erst in zweiter Linie in Betracht kommen, nämlich wenn die persönliche Empfindung des Künstlers nicht Selbstzweck ist und sich den Gesetzen der künstlerischen Gestaltung unterordnet, so wird er mit diesem Theil seiner Auslührungen unter den Künstlern , die von starkem persönlichen Empfinden beherrscht werden , Anstoss und Widerspruch erregen. Diese werden ein Kunstwerk nicht als die Folge logischer Vorstellungen sich denken können, indem man es nicht wie ein wissenschaftliches Werk mit dem Verstände untersucht und begreift, sondern als ein Ganzes, das aus innigem Naturempfinden heraus entstanden, mit empfin¬ dender Seele wahrzunehmen sei. Sie werden auf sein eigenes künstlerisches Schaffen hinweisen,

All. Hlldebramit aoulp. Phot. F. H.'iafitatngl, MQuobcu

■Tohs. Sclullidg sciilp.

I'lioL F. Uaufslacugl, Milnobeo

Die Nacht

W'UJfiN

DIE KUNST UNSERER ZEIT

185

auf alle jene Werke, in denen das freie künsderische Empfinden, ja selbst sensible Stimmungen die prächtigsten und ausdrucksvollsten b'ormen angenommen haben.

Hildebrand verkennt auch keineswegs die Berechtigung, den grossen Antheil, den die Em¬ pfindung am Entstehen des Kunstwerkes hat; er weiss wohl, dass sie es ist, die die Beziehungen zum Eeben und zur Natur vermittelt, das Kunstwerk mit reichem Lebensgefühle durchdringt und ihm erhöhten Ausdruck verleiht. Er erkennt aber auch klar in dem Vorherrschen persönlicher Empfindungen, in der subjektiven Willkür die Gefahr, welche der künstlerischen, vorwegs der plastischen Darstellung droht. Der Wahrheit, der nackten Wirklichkeit, stellt er die höhere Einheit des geläuterten Kunstwerkes , gegenüber. Er sucht, von objektiver Anschauung getragen, das Bleibende, das wahrhaft Bestehende aus der flüchtigen Erscheinung der Dinge loszulösen und es in idealer Darstellung zu befestigen. Je mehr es dem Künstler gelingt, solche Momente aus der zeitlichen Erscheinung herauszuarbeiten, desto grösseren Werth wird sein Werk besitzen, es sei nun aus der harmo¬ nischen Empfindung herausgeschaffen oder mit ziel¬ bewusstem starken Willen zur Darstellung gebracht.

Hilde brand hat versucht, sein Problem der künstlerischen Darstellung aus den natürlichen Ge¬ setzen der Wahrnehmung und Vorstellung abzuleiten und diesen Prozess mit der Darstellung selber, mit der bildnerischen Thätigkeit in Stein, aufs Engste zu verknüpfen. Sein Problem der Form muss als eine sehr werthvolle Kundgebung bezeichnet werden, die auf der Tradition fusst und durch eine unbe¬ dingte Sachlichkeit sich auszeichnet, wenngleich gerade die Gesetzmässigkeit des Aufbaues dem Künstler oft befremdlich scheint. Wie förderlich y. Schilling: Kriegerdenkmal in Hamburg

aber auch der künstlerischen Arbeit das logische

künstlerische Denken sein kann, und wie die feinste künstlerische Empfindung sich darum unge¬ hindert an der Arbeit betheiligt, zeigen viele vortreffliche Werke dieses Bildhauers, den die engere Künstlergemeinde für den Wolf in der Heerde hält.

Wir müssen uns Hildebrand’s Kunst als eine, die in der Gestaltung in’s räumlich Grosse geht, vorstellen, die monumentale Wirkungen hervorzubringen sucht, indem sie sich auf’s Innigste mit der Architektur verbindet, und als eine Kunst, die im begrenzten Raume, im plastischen Bildwerk, eine Fülle des Lebens entfaltet und die feinsten Empfindungen hervorzurufen weiss. Wenn wir von dieser zu jener fortschreiten, wird uns seine künstlerische Eigenart, die vielfachen Beziehungen seiner verschiedenen Kräfte zu einander vertrauter werden. Hildebrand, der Bildhauer, verfolgt in manchen seiner plastischen Arbeiten genau die Ziele, die er in seinem Problem der Form ausgesteckt

186

DIE KUNST UNSERER ZEIT

hat, so dass wir eine Darstellung- wie «Der Kug-elspieler» als ein Beispiel und Vorbild dafür annehmen können. Es zeigt sich hierin auch die Vorliebe des Plastikers für die Darstellung des nackten Körpers, und wie die antiken Bildner in solcher Darstellung sich nie genug thun konnten, so sehen wir auch die Plastiker späterer Zeiten sich begeistert der Darstellung des Nackten zuwenden, das als das erstrebenswertheste Ziel, als Prüfstein alles künstlerischen Könnens immer Geltune haben wird. Mao- hier in diesem Falle die Beobachtung eines kugelwerfenden Jünglings die Anregung zu der Schöpfung gegeben haben, oder das Motiv eine freie Idrfindung des Künstlers sein, das spielt hier weiters keine Rolle. Dem Künstler war es jedenfalls darum zu thun, uns die Schönheit eines nackten jugendlichen Körpers in einem für das Auge wohlgeordneten Bilde darzustellen. Sein Anblick gewährt dem Schauenden ähnliche P'reude, wie die klare ruhige Schönheit einer griechischen Statue. Mit plastischer Anschaulichkeit ist die Bewegung des Körpers festgehalten, die Figur bietet eine bestimmte Ansicht, wirkt seitwärts gesehen von der P'erne wie ein Hochrelief und erinnert darin im Prinzip an die

(griechischen Plastiken.

o

Deutlich hilft uns diese P'igur auch den Vorgang des freien Herausbildens

y. Schilling: Schwanenniädchen

die Steinfläche. Nachdem er diese Fläche bestimmt hat, und zwar so, dass der vorhandene Block nach jeder Richtung hin mög¬ lichst auso-enützt und für

o

die Anlao^e des Bildes ver- werthet werde, löst er das Bild Schichte um Schichte vom Steinraum los, dass alle Punkte, die in gleicher P'läche lieo-en, o-leichmässio-

aus dem Stein zu ver¬ gegenwärtigen, so w’ie ihn der Künstler oreschildert

o

hat. Er geht von einer Bildvorstellung aus (wie er auch behauptet, dass die Plastik aus der Zeich¬ nung entstanden wäre), er zeichnet eine klare be¬ stimmte Ansicht der b'igur, sagen wir, die als Haupt¬ ansicht zu gelten hat, aul

vom Stein auch beireit werden ; so rückt das Bild immer als ein einheitliches Plächenbild etappen¬ weise vor, und es ergibt sich so ein Darstellungsprozess, der der Vorstellung ungemein zusagt, diese schreitet sozusagen immer Meicherweise mit der Arbeit fort. Ein sehr anschaulich o-edachtes Bild davon entwirft Michel Angelo, er sagt; «Man müsse sich das Bild (ein plastisches natürlich) wie im Wasser liegend vorstellen, welches man allmählich immer mehr ablässt, so dass die Figur immer mehr an die Oberfläche tritt, bis sie ganz, freiliegt.»

Auch die historische Pmtwicklung der Plastik lässt auf den gleichen Entstehungsprozess schliessen, zeigen doch die ägyptischen Bildwerke, der Reliefanschauung gemäss, zuerst nur eine vertiefte Zeichnung und dann im weiteren Fortschreiten und Entwickeln des bildnerischen Sinnes alle Phasen des aus dem Steine Herausbildens, und bis zuletzt haftet ihnen noch sozusagen die letzte Vorstellungs¬ schichte hinten an, gleich einer Schale, in der das noch unentwickelte Leben der Form schlummert.

Nach Hildebrand’s Ansicht ist die Thätigkeit des freien Herausbilclens aus dem Stein eine wahrhaft bildnerische und zugleich auch die, welche der künstlerischen Vorstellung, weil ihr analog.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

187

am zusagendsten ist; die künstlerische Raumgestaltung wird hier in natürlichster Weise gleich vor ihre eigentliche Aufgabe gestellt, und das künstlerische Gebilde, das so aus dem gegebenen Raume, dem Stein, erwächst, wird uns im vollsten Masse auch als Ranmgebilde ästhetisch befriedigen.

Hildebrand wirft, indem er von den Vortheilen dieser Technik spricht, einen missbilligenden Seitenblick auf das Modelliren in Thon, wenn er auch zugibt, dass dasselbe für den Lernenden, «den Formensucher», das tauglichste Material bleibe. Er sagt unter Anderem; «Wenn wir bedenken, dass unsere Phantasie mit dem Darstellungsakt sich formt, so lässt sich leicht erkennen, wie verschieden das freie Aushauen aus dem Stein auf die Phantasie wirken muss, im Gegensatz zum Modelliren in Thon». Und hauptsächlich ist ihm dabei wichtig, dass beim Modelliren kein Anlass zur Raumvorstellung, wie es der Steinkörper biete, vorhanden ist. Indem man ein Eisengerüst mit Thon bekleidet und so nach und nach zu einem Bilde ent¬ wickelt, gehe man nicht von einer im allgemeinen gegebenen Raum¬ vorstellung aus, sondern von einer nur gegenständlichen, sagen wir, das echt bildnerische Prinzip der Raumgestaltung kommt dabei we¬ niger in Betracht, weil keine be¬ stimmende Anregung dazu ge¬ geben wird.

Man merkt dieses Eehlen der Raumvorstellung- am besten, wenn modellirte Gruppen in Stein über¬ tragen werden, der Unterschied gegen die, welche vom Künstler in Stein gedacht und gedichtet sind, ist in der That ein auffallender.

Die Hildebrand’schen Steinbilder erwecken das Gefühl, als hätten sie sich im Stein entwickelt, wären darin gewachsen und hätten sich im vorhandenen Raume ausg^ebreitet.

Es ist natürlich, dass es nur eines Hinweises und Vorbildes eines solchen Meisters bedurfte, um viele Irrende und Lernbegierige auf einen Weg zu führen, an dessen Ende als erstrebenswerthes Ziel die hohe Kunst der Alten einladend winkte. Mit Lust und Eifer stürzten sich \^iele in eine hastende Thätigkeit; den Stein zu bearbeiten, das harte Material zu bewältigen, es bildsam und

18S

DIE KUNST UNSERER ZEIT

gefügig- machen zu können, galt Vielen als eine Hauptsache , und es wurde anfänglich gar nicht darauf geachtet, dass auch hier nur die Hand am besten durch ein feines Gefühl für Form und Ausdruck zu o-uten Werken o-eleitet werde.

o o

Der Meister, der zu solchem Thun und Treiben Anlass gab, hätte allerdings auch hierin am besten zum Vorbilde crenommen werden können.

o

Ein Künstler, wie Hildebrand, der vorwiegend von objektiven künstlerischen Anschauungen geleitet wird, der mit Zielbewusstsein ein Bild aus der Natur künstlerisch zu gestalten weiss, der wird jeden Eindruck, den er daraus entnimmt, diesem künstlerischen Gestaltungsprozesse zuerst unter¬ werfen und in grossen Zügen das Geschaute wiedergeben, sein Objekt vor Allem auf die Werthe der plastischen Erscheinung hin prüfen und diese , ohne Rücksicht auf einen besonderen Ausdruck,

zur Darstellung bringen. Hilde- brand neiijt mehr nach der schöpferisch gestaltenden Seite seiner Kunst, als nach der beob¬ achtenden. Viele seiner Porträt¬ büsten sind ähnlich den Antiken aufgefasst, und die Auffassung gibt wenig Acht auf das Besondere des Persönlichen, gibt weniger eine Charakteristik des Wesens der Daro-estellten als nur eine getreue typische Wiedergabe seiner Züge.

Bei dieser streng sachlichen Weise, die vor Allem bestrebt ist, formal richtig und plastisch wirksam zu sein, werden aber wieder manche

A. Ilildebrand: De:

als pure P'orm nur wenig wirken, übergangen; in solchen liegt aber olt wiederum gerade das Leben¬ dige , Packende , Tiefcharakter¬ istische einer Erscheinunof. Viele von Hildebrand’s Büsten wirken darum auch völlig objektiv auf den Beschauer. Wir verstehen voll¬ kommen ihre Bedeutuno- wenn sie

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in der V erbinduno- mit architek-

o

tonischen Gliedern, als Hermen in einer monumentalen Gedächtniss- halle Aufstellunor finden würden.

O

Und doch ist diese Art wieder nur eine Spielart des künstlerischen Schaffens dieses merkwürdigen

Flötenspieler

Merkmale innerlichen Lebens , die Mannes ; wir beoreornen auch auf

diesem Gebiete verblüffenden Ausnahmen und sehen ihn in einem stets wechselnden Verhältnisse seiner Auffassung zur Natur stehen, je nachdem er’s für seinen bestimmten Zweck angemessen erachtet. So zeigt er uns in der Büste einer alten Dame eine Eeinheit der Naturauftassung, ein so lebendiges Empfinden und Durchbilden der plastischen Form, dass er auch hierin unter den modernen Werken nicht viele seinesgleichen hat und den Meistern der Renaissance direkt an die Seite gestellt werden darf. In den Bildnissbüsten jener Zeit strebte auch eine solche Feinheit der Beobachtung des Lebens und ein so inniges Eormengefühl nach Ausdruck. Die Büste der alten Dame, die ganz absichtslos, wie in eewohnter Beweo-i-ine die Hände über der Taille ineinanderoefaltet hält, könnte so wie sie sich zeio^t, auch o-anz orut von Donatello herrühren.

Mit ebensolcher Innigkeit des Ausdruckes konzentrirter Empfindung hat er auch die Bronce- figur eines den Saft der Traube aus einer Schale schlürfenden Knaben gebildet.

DIE KUNST UNSERER ZEl'l'

189

Hier zeigt er sich der letzten und höchsten Ausdrucksmittel seiner Kunst, einen Moment reiner Empfindungsthätigkeit darzustellen, vollkommen mächtig, er versteht es, die Form als hunktions- ausdruck, wie er es nennt, mit kräftigem Lebensgefühl zu durchdringen und plastisch vollkommen zu gestalten. Der Knabe, der aus einer .Schale den Saft der Traube schlürft, während er eine andere noch begierig an sich hält, gibt sich ganz der köstlichen Empfindung der .Stillung des Durstes hin; von dieser Empfindung wird die ganze Bewegung des jugendlichen Körpers beherrscht, der mit all’ seinen charakteristischen Merkmalen aus der Natur getreulich wahrgenommen und gebildet ist. In seiner Behandluno- als Broncebild ist er musterMltig-,

Mit ähnlichen künstlerischen Sinnen haben die Meister der Renaissance die Natur erfasst, hat

y. Schilling: Relief vom Niederwald-Denkmal

Donatello in verschiedenen Darstellungen des jugendlichen Johannes ähnlich ursprünglich empfundene Bildwerke, nur noch ursprünglicher und naiver zum Ausdruck gebracht.

Eine köstliche Idylle hat der Meister in dem Bilde eines schlafenden Hirtenknaben mit bildnerischer Energie aus einem Marmorblocke erstehen lassen. Auf seinem erhöhten Wächtersitze ist er eingeschlafen, und ungezwungen ruhen die jugendlichen Glieder aus. Es ist der tiefe, friedsame Schlaf, wie er die Jugend umfängt, und das Gesicht des Knaben spiegelt eine heitere, ruhige Seele wieder, ohne jeglichen Zwang oder Trübung.

Auch in diesem Bilde offenbart sich des Künstlers Vermögen, feine und feinste Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, und wir bemerken nicht ohne Ueberraschung, wie der Mann des strengen Willens und bildnerischer Energie , der nach den tiefsten Gesetzen der künstlerischen Gestaltung eifrig forscht, der künstlerische Disziplinen übt, der mit dem Senkblei und Richtscheit in der Hand

II 26

192

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Leben zuführt und sie immer freudig macht, ist die neue Situation. Die gegebene Natursituation zu einer künstlerischen Gestalt weiter zu formen , führt immer zu Neuem innerhalb der künstler¬ ischen Gesetze.»

In der klassizistischen Zeit sind da und dort schüchterne Versuche gemacht worden, die Schönheit des Reliefstiles an Hausfagaden, in Darstellungen des betreffenden Handels oder Gewerbes des Hausvaters , wieder zur Anwendung und Geltung zu bringen , allein die moderne Bauart der Häuser, die fortwährende Unterbrechung der Fagaden durch k'enster hat wohl diesen hoffnungsvollen Anfängen ein frühes Ende bereitet. Doch könnte, abgesehen von den Miethskasernen, in sonstigen privaten Bauten und vor Allem den öftentlichen Staats- und Industriebauten eine Nutzanwendung

daraus gezogen werden, zu¬ dem wohlfeiles, dauerhaftes und schönes Steinmaterial nicht er- mano-elt.

Damit sind wir auf dem Ge¬ biete der Architektur angelangt. Architektur und Plastik sind zwei Künste, die von Natur aus leicht ineinander übergehen, indem sie ähnlichen Prinzipien der Dar¬ stellung unterworfen sind , sich aufs Beste gegenseitig unter¬ stützen und eine der anderen Wirkung erhöht. Im Alterthum war das Verhältniss zwischen Architektur und Plastik ein durchaus harmonisches. In allen Kunstepochen bis an die Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts hat die Tradition als vornehmstes Gesetz auGestellt, die bildnerische Darstelluno; von der oreaebenen Situation, von der Raumgestaltung abhängig zu machen. Hiemit waren die Bedingungen gegeben, auf denen eine bisher unerreichte monumentale Plastik, eine Raumkunst grossen Stils, sich ent¬ wickeln konnte.

Hildebrand besitzt gleich den alten Meistern jenen architektonischen Sinn im hohen Masse, und als ein ausgezeichnetes Beispiel dafür ist seine reifste Schöpfung nach dieser Seite hin, der Wittelsbacher Brunnen in München. Plr ist der gegebenen Situation vorzüglich angepasst; durch diese Gestaltung erhält der Platz erst eine eigentliche Ansicht, wir empfinden ihn als ein Gesehenes, als Bildeindruck, durch seine Gestaltung wird in unserer Vorstellung erst die räumliche Beschaftenheit des Platzes erweckt und wir vermög-en uns darnach zu orientiren.

o

A. Ilildebrand: Kain und Abel

•I. I<'io.ssinaiin sculp.

rhot. P. Ilaufstaeiigi, .Mniioticii

Beethoven

Frani Stuck sculp.

Die Amazone

DIE KUNST UNSERER ZEIT

193

Es ist ein Werk, hinter dem das Persönliche ganz in der Grösse des monumentalen Aus¬ druckes aufgeht und so durch die Gestaltung doch machtvoll zum Bewusstsein dringt. Die bildnerische Ausführung erscheint dem architektonischen Prinzip der Raumgestaltung untergeordnet, die Glieder¬ ungen und Einschnitte sind darnach bedacht, das Terrain erscheint so modellirt. Und doch tritt uns im Einzelnen eine Fülle von P'ormen, ein Reichthum an dekorativem ornamentalem Beiwerk entgegen, die wirksam an der Hauptvorstellung mitarbeiten. So mannigfach und köstlich ist der vSchmuck der Wandung des oberen Bassins, die dasselbe mit dem unteren verbindet und mit allerhand schwim¬ mendem, kriechendem Gethier belebt wird; von unsagbarem Reize und Stimmungsgehalt sind die

herrlichen Masken am Schaft der ofi'ossen Brunnenschale , sie er- innern an Böcklinische Phantasie¬ schöpfungen; eine Fülle von Ener¬ gie und Kraft drängt sich in der

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Gruppe des Felsblock schleudern¬ den Reiters auf wildem Rosse, an antike Formenfülle und ruhige plastische Schönheit gemahnt die Gruppe des Stieres mit der Jung¬ frau. Vielfach wird diese künst¬ lerische Schöpfung in ihrer räum¬ lichen Anlage und Zusammenge¬ hörigkeit, die doch so deutlich ausgedrückt ist, missverstanden. Besonders die Massigkeit der beiden Gruppen, welche das Ganze mit Nachdruck abschliessen, geben zu allerlei Urtheil und verdrehten Meinungen Anlass. Da man sich den ganzen Organismus des Auf¬ baues nicht klar werden lässt, so

A. Hildebrand: Weibliche Figur

gelangt man auch nicht zum Ver- ständniss seiner einzelnen Glieder. Allerdings ist bei den »Vielzu¬ vielen» ästhetisches Gefühl und Denken nur mangelhaft entwickelt, und schlechte Vorbilder sorgen be- ständig dafür, dass dieses nach der falschen Seite hin verbildet wird; so kam der Schöpfer des Brunnens, indem er sein Werk von künstlerischen Gesichtspunkten aus gestaltete , in die seltsame Lage, sich in einer Weise auszu¬ drücken, die für die Vorstellung der Meisten ungewöhnlich ist. Und doch kommt Hildebrand’s Kunst dem natürlichen Bedürfniss des Menschen nach dem Schönen in der einfachsten Weise entgegen; gleich den alten, ewig jungen Werken der Griechen sucht er das Allgemeine, das Immergiltige

in jeder Erscheinung festzuhalten und ihm plastischen Ausdruck zu verleihen.

In Hildebrand erstand uns ein Künstler, dessen Schaffen von festem Willen zu bestimmten Zielen geleitet wird, der das bildnerische Gestalten dem Chaos der Empfindungen gegenüber als ein gesetzmässiges auffasst, als eine Form, in welche die Naturerscheinungen gefasst und für unser Auge und Vorstellung erst geniessbar gemacht werden. Sein «Problem der Form» ist in diesem Sinne eine reformatorische That, und wenn er darin Disziplinen aufstellt, die er als Grundelemente der künstlerischen Darstellung erkennt, so geschieht das mit klarer Einsicht in das Wesen seiner Kunst und auf der Grundlage der Tradition, die die künstlerischen Erfahrungen von Jahrtausenden in ihren

194

DIE KUNST UNSERER ZEIT

E. Kurz: Relief zum Geiger-Schauenburg-Denkmal in Lahr

Resultaten zusammentasst. Von einer Beschränkung- des subjektiven Vermögens innerhalb der künst¬ lerischen Gestaltung kann darum keine Rede sein; sein Vorwurf richtet sich gegen die Willkür der Gestaltung persönlicher Empfindungen, die im Ausdruck der künstlerischen Fassung entbehren. Darum dringt er darauf, die Darstellung nicht allein von dem gegenständlichen Inhalt des Objektes abhängiü- zu machen, sondern diese vor Allem als eine räumliche Erscheinung in bestimmten Formen zum Ausdruck zu bringen. Aehnlich wie man in der Malerei angefangen hat, eine Sache rein um des malerischen Ausdruckes willen darzustellen, so ist auch die Plastik um der rein plastischen Erscheinung willen zu betreiben. Die Wege und Ziele zu dieser Kunst hat er durch das Wort und die vorbildliche That gewiesen.

Einer, der wohl am Engsten in seiner Art und Weise sich an die künstlerischen Prinzipien Hildebrand’s ang'eschlossen hat, ist Erwin Kurz, ein stillschaffender thätigfer Künstler, der in vor- nehmer Zurückhaltung sich wenig um die jeweiligen künstlerischen Strömungen des Tages zu kümmern scheint. Die Porträtreliefs, die er von bedeutenden Männern geschaffen hat, haben aber den Beifall der Kenner in hohem Masse erworben. Auch dieser Künstler bildete sich zumeist in Italien, dort lernte er Hildebrand kennen, an dessen künstlerischer Thätigkeit er theilnahm und dessen Anschau¬ ungen er sich anschloss; gleich diesem empfing er von der Antike und der italienischen Renaissance starke Anregungen, gleich diesem unterwirft er sein persönliches Empfinden der Gesetzmässigkeit einer strengen künstlerischen Gestaltung und bewegt sich darin olt mit grosser Anmuth, wie ein reizender Fries mit Kindern zeiget.

Vorzugfsweise lieget aber die Stärke seiner künstlerischen Beg^abung auf dem Gebiete des Porträtreliefs; in ihrer Sachlichkeit und Treue in der grossen Formenwiedergabe mischen sich klassische Elemente mit solchen, die ihre Herkunft in Holbein’scher Naturanschauung finden könnten. Die plastische Strenge dieser Reliefs und ihr monumentaler Charakter eignen sie besonders für Grab¬ male, und als eines der gelungensten, die der Künstler ausführte, mag jenes auf einem Münchener

DIE KUNST UNSERER ZEIT

195

Friedhöfe gelten, das in der Form einer Stele vom attischen Friedhofe in Athen dem berühmten Archäologen Brunn errichtet wurde. Einen überaus vornehmen, von feinster Empfindung getragenen Eindruck hat der Künstler in dem herrlichen Relief der K. v. S. erreicht. Die Bildnisse des Dichters Paul Heyse, des Gelehrten Helmholtz, des Musikdirektors Levi, sie alle finden ihre Bedeutung in der Klarheit des plastischen Ausdruckes , in dem schlichten Eingehen auf die Charakteristik der Dar¬ gestellten, die in massvoller Weise objektiv begrenzt wird und sich darum in Verbindung mit der Architektur für öffentliche Denkmale so vorzüglich eignet. Wir möchten sie zusammen mit Hilde- brand’s Kunst als klassisch bezeichnen. Was sie jedoch von den klassizistischen Porträts bedeutend unterscheidet, ist die Grösse der Naturanschauung und der lebendige Sinn, der darin anspricht. Des Künstlers abgeklärte Anschauungen und reife Begabung zeigt sich auch in der Darstellung eines Werkes zu einem Grabmale für Geiger-Schauenburg in Lahr. Seine Meisterschaft in der Eührung des Meisseis, seine Erfahrung und Kenntnisse in der Behandlung des Marmors machen ihn zum geschätzten Theilnehmer an Hildebrand’s grösseren Arbeiten. Gegenwärtig kann der Künstler dieses bei uns immer noch sehr seltene Können im Dienste eines öffentlichen Auftrages zur besten Anwendung bringen.

Am Starnbergersee wurde dem Andenken des grossen deutschen Kanzlers Bismarck ein Thurm errichtet, und die, die dieses Mal errichteten und es mit prächtigem Bildwerk ausschmückten, stehen mit ihrer künstlerischen Gesinnung im Bereiche von Hildebrand’s Kunstanschauungen. Besonders Flossmann der Bildhauer hat in der Ausschmückung des Thurmes mit Reliefen diese im Sinne Hiidebrand’s gestaltet. Wir bemerken, wie diese vorbildliche Thätigkeit von einem sehr begabten Künstler erfasst und in seiner eigenen Art und Weise fortgebildet wurde, so wie es Verhältnisse und Umstände erheischten. In solcher Weise konzentrirt sich in diesen Reliefen, die ihrem Inhalte nach alle in sinnige Beziehungen zu dem Wahrzeichen treten, eine Fülle des Lebens, die in unge¬ bundener Weise als Gruppen oder Rundplastik gar nie so anschaulich hätte zur Wirkung und klarer Vorstellung gelangen können. Reichlich sprudelt wie aus langver¬ haltener Quelle eine Fülle von Gestalten und künstler¬ ischen Formen, die, wenn auch oft archaistisch gröblich die feinere Durchbildung und Ausführung vermissen lassen, doch im Prinzip als ein wertvoller Beitrag zu der im Auf¬ schwung begriffenen modernen Bildhauerei aufzufassen sind.

Ein Zweig echter deutscher plastischer Kunst setzt hier frische Knospen an. Die ornamentale Bildnerei, das werk- thätige Leben des freien Herausmeisseins, wie es die Situation gerade bietet, das ist seit dem Mittelalter in tiefem Schlaf gelegen, bis in der rührigen Gegenwart jetzt da und dort klingende Hammerschläge es wieder in’s

B. Kurz: Bildniss

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Leben rufen, um das Ehrenmal eines grossen Mannes schmücken zu helfen. Schon in der ersten Gruppe des jungen Bildhauers, die sich im Besitze des bayerischen Staates in der Glyptothek zu München befindet, zeigt dieses gestaltungskräftige Talent Neigung zu strengem, plastischem Stil, nicht in der Behandlung der Formen, die weich und flüssig ist, sondern in der Art der Komposition, wie sie Hildebrand liebt, auf möglichste Ausnützung des Steinraumes, zu drino-en. Der ErfoD, den diese Erstlingsarbeit einbrachte, gab dem Künstler Veranlassung, nach dieser Seite hin seinen plasrischen Sinn weiter auszubilden.

Er unternahm mehrere Reisen nach Italien und erwarb sich dort in dem eineehenden Studium

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der Antiken und Renaissance -Werke neue Kenntnisse vom Wesen der plastischen Form; diese Studien ergaben auch tür ihn die Veranlassung, sich weiter in I lildebrand ’s Probleme zu vertiefen und dessen künstlerische Anschauungen immer mehr seiner Individualität angemessen und zu eigen zu machen. Mit Zielbewusstsein strebt er nach immer grösserer Klarheit der P'orm, wofür besonders seine Porträtbüsten Zeugniss ablegen. Ganz besonders versteht er es, darin dem kindlichen Wesen beredten Ausdruck abzugewinnen. Der Einfluss der frühen Meister der Renaissance, besonders Donatello's, ist in seinen Arbeiten nach den italienischen Reisen unverkennbar. Wie sehr plastisch er empfindet und gestaltet, zeigt sich am Besten in der Büste Beethoven’s in der Nische, zugleich erweckt dieses Bild durch die Art der künstlerischen Gestaltung Stimmung und Empfindung im Beschauer. Aus einem Blocke herausgemeisselt , vertieft sich der Stein zu beiden Seiten des mächtigen Plauptes zu einer Nische. In einer P'läche ist das Bild festgehalten, die ganze Anordnung zwingt so den Beschauer, seinen Standpunkt vorne dem Gesicht gegenüber einzunehmen, unserer Vorstellung bemächtigt sich so der ergreifende Eindruck dieses im Tode mit erhabener Ruhe wirkenden Antlitzes. Denn ohne jegliches Dazuthun, als die ornamental bewegten Haare, hat der Künstler dieses Werk frei nach der bekannten Todtenmaske gestaltet und durch die künstlerische Gestaltung so tiefe Wirkungen erreicht.

o o

Die Bildhauer können jetzt zu ihrem Erstaunen oft die Wahrnehmung machen, dass die plastischen Werke, die aus den Händen der Maler hervorgehen, gerade um ihrer plastischen Eigen¬ schaften willen den schätzenswerthesten Erzeugnissen ihrer Kunst an die Seite zu stellen sind. Worin liegt dieses begründet.' Offenbar in dem grösseren Können der Maler, in der durch die Zeichnung erworbenen P'ormenkenntniss ! Während der Maler in jahrelangem Studium sein Verständniss der Formen beständig durch Zeichnen bereichert, gewährt der Studiengang, den der Bildhauer meist nimmt, selten in so reichem Masse jene Anregungen, die ihn in einem beständigen unmittelbaren Verhältniss zur Natur erhalten.

Das Erstaunen wächst, wenn wir die Maler nicht nur Reliefe, die ja der Art und Weise seiner künstlerischen Auffassung am nächsten liegen, formen sehen, sondern auch Rundplastik mit grösstem Verständiss der Form von ihnen durchgeführt werden.

Letztere, echt bildnerische Eigenschaften besitzt in hohem Grade P'ranz Stuck, der Maler. Klinger werden wir unter einem anderen Gesichtspunkte, gleichfalls später in der Reihe moderner Bildhauer auf eine eigene Art thätig sehen. Wer von Stuck je eine Zeichnung gesehen hat, weiss.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

197

wie er mit orossem Verstand-

ö

niss die r'orm beherrscht, wie er diese im Raum geschickt entfaltet und welche Fülle ro¬ busten Lebens sich darin konzen- trirt. Diese bildnerische Kraft in ihm hat jedenfalls durch das Studium der Antike, vielleicht nicht zum wenigsten durch pom- pejanische Kleinplastik, starke Anreofuno-en erhalten und bei seinem lebendigen Trieb der Nachahmung in seiner für alles Kräftige, Bewegte leicht erreg- baren Phantasie ähnliche Bilder und Vorstellungen wachgerufen.

Diese lebendige Empfind¬ ung für alles Bewegte , das

lHERMÄNN

B. Kurz: Porträt

sich in einer kräftigen Formen¬ sprache ausspricht , verbindet sich mit einem sicheren deko¬ rativem Raum- und Stilgefühl am schönsten in der Kompo¬ sition der Amazone. Ross und Reiterin sind gleichsam ver¬ wachsen in der wilden Lust der Bewegung, die ihr Lebens¬ element zu sein scheint. Die bildnerische Energie spielt so¬ zusagen darin ein graziöses Spiel, in dem wir aber alle Aeusserungen eines ungewöhn- liehen Talents vollauf zu be¬ wundern Gelegenheit haben. In dem sicher gelösten Problem des mit grossem Geschick aus¬

geführten horizontalen Aufbaues von Sockel und Gruppe, in der Behandlung als Broncebild , der strengen und doch rhythmisch bewegten Komposition darf man Anregungen von Hildebrand’s Kunst vermuthen. Als ein Werk von äusserlich ähnlicher Komposition, aber nicht in solcher Eleganz des

Aufbaues und weniger flüssig in dem Rhythmus der Linien ist «Der verwundete Centaur», welcher auch trotz des gegen¬ ständlichen, packenden Inhaltes nicht die gleiche Anregung auf unsere Vorstellung auszuüben vermag. Umsomehr hatStuck’s plastische Erstlingsarbeit, mit der er an die Oeffentlichkeit trat, «Der Athlet», allgemeinen Beifall bei Kennern und Kunst¬ freudigen hervorgerufen. In der Darstellung gewaltiger Kraft-

y. Flossmann: Büste

entfaltung liegt immer etwas Bestrickendes , die Stärke re- spektirt man, und das Kunst¬ werk, das für unsere Vorstell¬ ung einen solchen Vorgang wirksam verkörpert, wird da¬ rum anziehend; die Kunstleist- ungf wirkt auf naive Gemüther als ein ähnliches Meisterstück. Stuck der Maler vollbringt es, und bei seinem Formengefühl und Können wird er uns und die Plastiker noch öfter durch seine Arbeiten überraschen.

Ehe Hildebrand mit seinen Bestrebungen auftrat und unsere Plastik wieder auf den Weg der Tradition führte, war diese Kunst unter den Händen der Nachahmer Rauch, Rietschel und Hähnel im Absterben. Eine unendliche Oede und Langeweile geht von den Werken dieser Periode

II 27

198

DIE KUNST UNSEREN ZEIT

y. Flossman?i : Relief vom Rismarck-Tlmrm am Starnbergersee

des Anschlusses an die Andke beioefüot da er

o o '

eigentlich das Ziel, das den Bildhauern damals dunkel vorschwebte , erst klar erlasst und fest¬ gestellt hat. Es erscheint uns sein Streben als ein Ende, indem er als der letzte grosse Epigone der nachklassischen Zeit die Plastik wieder mit der Antike verknüpft, und als ein Anfang, da er uns wieder zur Tradition zurückführte, die nun ihre frucht¬ baren Wirkunoen fort und fort zu äussern bemnnt.

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Während die deutschen Bildhauer in den Jahren 1860 70 von den romantischen Höhen

aus, in der sich die Bildhauer abfjuälten, in abgelebten k'ormen etwas Neues zu sagen. Ursprünglich hatten auch diese Nachahmer nur die antike P'orm finden wollen, und erst später verloren sie sich darin, diese zum Ausdruck inhaltlicher V orstellungen zu machen , ein Streben, das auch wieder in unserer Zeit im Neu-klealismus sich bemerkbar macht.

Wir halfen Hildebrand und seine Richt¬ ung, ungeachtet der Entwicklungen, die die Plastik dazwischen durchmachte, jener Periode

y. Flossmann:

Relief vom Bismarck-Thurm am Starnbergersee

y. Flossmann: Eine Mutter

F. Stuck: Verwundeter Centaur

L. V. Schwatilhiilcr sciili).

Phot. F. Haur:»itteiigl, UUucbeo

Brunnenfigur

Haur»t«eui;l, Mfluohen

DIE KUNST UNSERER ZEI'r

201

F. Stuck: Der Athlet

Maler die Natur als Führerin und Leiterin, und folg-ten ihr auch die Begabteren unter den Bildhauern, Wag- müller in München, Tilgner in Wien und Begas in Berlin. Diese sahen die Natur mit den Au^en der Maler an, die lebendige Erscheinung, die strenge Form von Licht und Luft umflossen. Daher bildeten sie eine Form der Darstellung aus, die sozusagen eine malerische Wirkungsform ist. Sie achteten wenig

herunter den grossen Sprung mitten hinein in’s naturalistische Fahrwasser machten, durchlief die französische Plastik in natürlicher Folge nach der Nachahmung der Antike die Nachahmung der Renaissance. Bald machte sich dort ein leichtes Aufblühen der Plastik bemerkbar.

Nach der grossen Erkältung, die sich die deutsche Plastik bei der missverstandenen An¬ näherung an den antiken Pol geholt hatte, wen¬ dete man sich wieder mehr den Erscheinungen des Lebens zu. An der Hand der Schwester Malerei wurde die sieche Plastik zum Urquell des Lebendigschönen, zur Natur zurückgeführt. Mit der Liebe und dem Enthusiasmus poetischer Pantheisten verehrten und umschwärmten die

F. Stuck: Der Athlet

202

DIE KUNST UNSERER ZEIT

darauf, dass die Form als solche sozusagen räumliche Funktionen erfülle und dadurch für unsere Vorstellung vom Raume nahrhafte Anregungen biete. In ihrem Bestreben nach freierer lockerer Durchbildung der Form, nach malerischen Wirkungen hin wurden sie unterstützt in der retro¬

spektiven Richtung, die die Zeit nahm, in der bereits die Werke der Spätrenaissance, des Barock

anfino-en, die Künstler

L. V. Schtvanihciler : Melusine

anzureo'en.

o

Die

hrüchte dieser Entwicklung' können wir noch überall in dem plastischen dekorativen Schmuck an den Flausfagaden aus jener Zeit erkennen, die meist aus schlechtem billigen Material hergestellt sind.

Es ist dieser Schmuck eine Art Schau¬ gericht für den gewöhnlichen Geschmack, und unkünstlerische Spekulanten, die Stucka¬ teure, olTerirten ihn der künstlerischen Kultur aus der Volksküche, b'ür unsere Phan¬ tasie haben diese Gerichte keine Nährwerthe, und man beginnt jetzt wieder im Sinne der Alten statt dieser klotzigfen Dekorationen die Flächen in schönem glatten Verputz aus¬ zuführen und höchstens mit einem tapeten¬ artigen Muster, mit Flachornamenten zu schmücken.

In dieser naturalistischen Richtuno- lao-en

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von Anlang an die Keime zu extremen künstlerischen Anschauunoen und Bestreb-

ö

ungen ,

die die normalen Wirkungen der Form im Ausdrucke zu überbieten und steig-ern suchten. Diese Bestrebungen mussten nicht nur eine von der Tradition immer weiter abweichende Richtung er¬ geben, sondern auch sich in einem künst¬ lerischen Positivismus und in einer idea¬ listisch symbolischen Weise äussern. Bevor wir jedoch auf alle diese Richtungen eingehen und sie verfolgen, müssen wir noch in Betracht ziehen, wie sich die Plastik in München äusserte.

Man spricht im Allgemeinen von einer Münchener Schule auch ln der Plastik, obwohl das Wort Schule nur für die Malerei zutreffend ist, denn die Bildhauer dortselbst unterscheiden sich in

ihren Werken keineswegs von den übrigen der klassizistischen und romantischen Periode in

o o

DIE KUNST UNSERER ZEIT

203

Deutschland. Der bedeutendste ist hier Ludwig .Schwanthaler, 1802 1848, der in seinem ganzen Streben durchaus Romantiker war und dem Mittelalter zuneigte. Seine künstlerische .Schwungkraft erlahmte, je mehr er sich dem klassischen Ideal, der Antike, nähern und nach dieser Richtung

hin empfinden sollte.

Köni<^ Ludwio" I. liess seine Bauten mit reichem plasti¬ schen Schmuck ver¬ sehen und über¬ trugt Schwanthaler diese Arbeiten, die bei der Ueberhast- ungt und Flüchtige- keit der Ausführung;

O

arge Mängel in der Formengebung auf¬ weisen. Erscheinen solche Gruppen und

L. V. Schiuanthaler : Drei Grazien

Reliefe schon in der Komposition häufig schwülstig und un¬ ruhig, so wirken sie ausgeführt durch nur mangelhaft ge¬ schulte Arbeiter, die die Intentionen des Künstlers oft miss¬ verstanden, noch viel roher. Sie zeigen uns zugleich, dass den Bildhauern jener Zeit die Bedeutung der Antike als einer

raumgestaltenden Kunst, die monumentale Wirkungen ausübt, noch nicht zum Bewusstsein gekommen war, oder dass sie diese in ihren einfachen Grundprinzipien nicht erkannt und auch der Form nicht mächtig gewesen sind. In einer Jugendarbeit Schwanthalers, dem Herkulesschild, den er nach

einem Tafelaufsatz, den er für König Maximilian II. von Bayern anfertigte, hat er die Nibelungen¬ sage zum Gegenstand seiner Darstellung gemacht , und wir sehen darauf alle Helden des Liedes und manche Episode daraus plastisch verdichtet und gestaltet. In solchen Dingen schuf er Bilder in einer köst¬ lichen altdeutschen Art. Und mit diesen Arbeiten hat er sicher auf das einheimische Kunst¬ gewerbe einen wohlthätigen Ein¬ fluss auso^eübt und manchem

o

Meister darin starke Anregung

einer Beschreibunof Hesiods bil- dete, kommt sein schöpferisches Talent noch klar und ung-etrübt zum Ausdruck; wir können hier den Reichthum und die Gestalt¬ ungskraft seiner Phantasie auf¬ richtig bewundern und uns an der Schönheit der Ausführung, an der Liebe und Sorgfalt, mit der alle Gegenstände, Menschen, Thiere und Landschaft abge- bildet sind, ergötzen und er¬ freuen. Ganz aus dem Eigenen schöpfte er, wenn er einen Humpen formte und mit irgend einem Gebilde aus einer alten Mär und Sage schmückte. In

L. V. Schwanthaler ; Grabrelief

gegeben.

Bei seiner Vorliebe

204

DIE KITNST UNSERER ZEIT

für das Mittelalter und seinem Sammeleifer für mittelalterliche Gegen¬ stände hat er jedenfalls auch der antiquarischen Richtung und Neigung für das Altdeutsche ln München, die sich in der Ausstattung vieler Bierstuben dort spiegelt, V orschub geleistet.

In dem Münchener Schwanthaler- Museum befindet sich eine Figur, die der Katalog als «bdisabeth, die stolze und hochherzige Königin von Böhmen, Gemahlin Johanns von Luxemburg, Mutter Karls IV.» bezeichnet. Die Statue wurde in Erz für die böhmische Ruhmeshalle austteführt. Die Fio^ur stellt eine liebreizende Frauen- erscheinung dar und ist darin etwas von dem feinen poetischen Em¬ pfinden der Romantik verkörpert. Ob die Anregung oder der Entwurf hiezu von Schwanthaler herrührt, ist uns nicht bekannt, ausge¬ führt wurde sie von einem Schüler desselben, von Flautmann, der in Florenz lebte und starb. Es sollen gerade die besten Figuren, die sich in diesem Museum befinden, meist von talentvollen Schülern, wie Brugger und Widnmann, ausgeführt sein. Schwanthaler selbst lernen wir am besten in seinen Skizzen kennen, die alle Merk¬ male seiner reichen Phantasie und seines schöpferischen bildsamen Empfindens wiederspiegeln, während viele der ausgeführten grossen Arbeiten Phase um Phase diese Merkmale abstreiften und zu leeren schematischen Gestalten sich verflüchtioten.

O

Max Widnmann, 1812 1895, auch als ein Schüler

Schwanthaler’s bezeichnet, was wohl nur für die erste Periode seiner Entwicklung zutreffend ist, da er sich später in Rom weiter¬ bildete. Er zeigt uns in vielen seiner Gruppen meist mytho¬ logischen Inhalts mehr Formvollendung, aber auch falsches Pathos und gedrechselte Posen. So macht sich in der Gruppe «Flerakles reicht Psyche den Trank der Unsterblichkeit dar» die Vermischung von F'ormelementen der Antike und solchen, die aus der Anschauung der Natur gezogen sind , in unangenehmer Weise geltend. Es scheint damals bei allen, die antiker F^orm sich näherten, das Streben vorgeherrscht zu haben, durch reich¬ liche aufgequollene Muskulatur bei den Männern und durch die Eülle entsprechender Weichtheile bei den Erauen angenehme Empfindungen anzuregen und dabei den Eormensinn zu nähren und zu stärken. Es ist dieses Streben ein durchaus künstlerisches, nur sollten die Eormen feinfühliger durchgebildet und mit tieferer

^ ^ L,. V. Sch-Manthaler' s Entwurf:

Empfindung durchdrungen sein. Doch ragen auch aus dieser Johann Wilhelm i.

L. Scliu'aiititaler' s Entwurf:

Velasquez

DIE KUNST UNSERER ZEIT

205

Zeit einige (iestalten herüber, die von plastischem Empfinden eingegeben wurden und die jenen ge-, wissen steinernen Charakter aufweisen, als wären die Züo'e des Lebens unter dem Anhauch des

o

bildnerischen Geistes erstarrt und hätten feste Form ano-enommen. Wir erinnern dabei an die

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vier sitzenden Figuren auf der Freitreppe zur Staatsbibliothek.

Von einer ehrlichen und tiefen Begeisterung für das klassische Ideal scheint Friedrich Brugger, 1815 1870, erfüllt gewesen zu sein.

K. Haiitiuann:

Königin Elisabeth von Böhmen

M. V. Widnmann; Steinwerfender Krieger

Man möchte ihn wegen seiner Vorliebe für Motive sozusagen aus einer zeitlosen idealen Welt und seiner tüchtigen verständnissvollen Beherrschung des nackten Körpers den Gene 11 i unter den da¬ maligen Bildhauern nennen.

Seine grosse Gruppe «Dädalos unterweist Ikaros im Bliegen» fesselt auch neben der for¬ malen Durchbildung durch den Ausdruck inniger Empfindung.

Als ein echt plastisch gedachtes, anschauliches Bild erscheint die Gruppe «Cheiron lehrt x\chill das Saitenspiel».

II 28

206

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Johann Halbi 4 1882, genoss einst bei seinen Zeitgenossen einigen Ruhm als Thier¬

bildhauer, aber die nachkommende Generation hat ihn schon wieder unbarmherzig zerpflückt. Sein

bekanntestes Werk ist die Siegesgöttin mit dem Löwenge¬ spann auf dem soge¬ nannten Siegesthor in München. Seine Löwen, um derent- wällen er berühmt war, erscheinen uns heutzutage als sehr zahme hausbackene Pudel. Nur einem ungeschulten Auge kann der Mangel an Studium des thier- ischen Charakters, die Flüchtigkeit der

das mangelhafte V er- ständniss für den thierischen Oreanis- mus, das in einer rohen Formengeb- ung sich zeigt, ganz verborgen bleiben.

Die W erke der Münchener Plastiker leiden zumeist unter derselben Schwäche,

dem Mangel an bild-

Energie,

nerischer

feinem Formensfe- fühl und Gewissen¬ haftigkeit der Aus-

o

führung.

Konrad Knoll,

1829 1899, erfreut uns in seinem Fischbrunnen auf dem Marienplatze zu München durch eine volksthümliche Schöpfung, wie sie im Mittelalter häufig war, er hat, mit verwandtem Empfinden aus-

oestattet, das Problem frei und

,t/. \]’idiniiaitn: Grabrcliel

Beobachtunor sowie

O •'

selbständio-

zu lösen versucht.

Auch in der Durchbildung zeigt sich eine individuelle Formen¬ sprache , und ist bei der Behand¬ lung jeglichen Details auf die Aus¬ führung in Bronze Rücksicht ge¬ nommen.

Trotz der F'ülle von Anreg- uno-en, die das lebhafte Kunst- schäften in München zur Zeit Ludwig I. bot, erwiesen sich die Verhältnisse für einen bedeutenden Künstler, der nach freier Ausge¬ staltung seiner Kräfte strebte, als

F. Brugg-er: Cheiron lehrt Achill das Saitenspiel

uneünstio- ; es ist bekannt.

O <-5 '

dass

DIK KUNST UNSERER ZEIT

207

Rauch, der eine klare Einsicht in das dortige Treiben hatte, das Anerbieten König Ludwigs I., nach München überzusiedeln, ausschlug. Erst nach dieser Periode entwuchs diesem Boden ein Talent, das die Entwicklung der Plastik weiter förderte und in neue Bahnen leitete.

Michael Wagmüller, 1829 81, ein Schüler Widnmanns, leitete die naturalistische Beweo'uno' ein. Widnmann soll ihm in seiner Eigenschaft als Professor der Akademie der bildenden Künste die Befähigung zum Bildhauer abgesprochen haben, ein P'all, der uns bei der Betrachtung des Lebenslaufes einzelner bedeutender Künstler, die die Tradition durchbrachen und das Alte stürzen halfen, öfter entgegentritt.

Wao'müller hat übrigens während seiner akademischen Studienjahre die Antike eifrig studirt, was auch aus der Betrachtung seiner späteren Werke herauszulesen ist; doch stand er mit seinem eigenthümlichen Natur¬ empfinden mehr auf der Seite der naturali¬ stischen Richtung, wie sie den Malern bereits geläufig war. Makart, Lenbach, Seitz und Anderen stand er nahe, sie waren jeden¬ falls in ihrer Art nicht ohne Einfluss auf seine künstlerischen Anschauungen. Wag¬ müller soll auch mehrere Jahre für Kunst¬ händler Genrebildchen gemalt und kurz vor seinem Tode sich noch mit dem Gedanken, ein grosses Bild zu malen, beschäftigt haben.

Das hier beigegebene Bildniss ist ein Selbst¬ porträt und zeigt ihn in seinen thatkräftigsten Jahren. Es zeigt auch die Art wie er malte und weist denselben lebensvollen Zuo- in der

o

Darstellung auf, der seine plastischen Bild¬ nisse so schätzbar macht. Diese hat er durch seine Auffassung so wirksam umge- Staket, dass gleich seine ersten Arbeiten berechtigtes Aufsehen erregten. An Stelle der bisher üblichen ausdruckslosen Formengebung trat nun ein plastisches Bild, das durch eine malerische Auffassung anziehend erschien. Die weiche flotte Behandlung, wie sie der Thon beim Modelliren zulässt, begünstigte diesen Ausdruck, allerdings oft auch auf Kosten der Form. Da der Künstler von der malerischen Anschauung ausging, gab er mehr eine blosse Wirkungsform, die er durch lebhafte Geberden und Gesten noch zu steigern suchte , wenn auch diese Art der Darstellung mit der Natur des Objektes nicht immer übereinstimmte. Ebenso wurde durch dieses Hinarbeiten auf

einen Effekt die Form zu sehr zerpflückt und aufgelöst, eine Wahrnehmung, die wir sehr leicht

28*

208

DIE KUNST UNSERER ZErr

machen können, wenn solche Büsten im Freien aufgestellt sind, wo sie dem allgemeinen Raume gegenüber als Raumgebilde nicht zur Geltung gelangen, ln Innenräumen erweisen sie sich immer

sehr wirkungsvoll, und wir gerathen hier leicht in den Bann dieser subjektiven künstlerischen Schöpfungen.

Wagmüller hat zu jeder Zeit seines Schaflens, da er mit Leichtigkeit und grosser Geschicklichkeit zu arbeiten vermochte, viele dekorative Fig^uren creschaften, die alle den Stempel seines eigenthümlichen Empfindens tragen und eine ungemein kecke frische Art besonders in der stofflichen Behandlung von Gewändern und Haaren zeigen. Er muss bei dieser Gelegenheit Irüh die Werke der Zopf- und der Barockbildhauer wahrgenommen und studirt haben, wie er solche auch hier von dem kurfürstlichen Flofstatuarius Johann Anton Boos unter den Augen hatte. Für dessen Porträt- Büste , die sein Grabmal auf dem alten südlichen P'riedhof in München schmückt, legte er eine grosse Verehrung an den Tag. Gleich den Bildhauern dieses Stils hatte er auch eine besondere Vorliebe und Empfindung für die runden vollen Kindergestalten, eine Neigung, die in vielen bekannten Genre-Gruppen Ausdruck gefunden hat. Bei alb seiner reichen vielseitigen Thätigkeit reifte in der Stille ein Werk heran, eine Gruppe, die als Grabmal gedacht war. Es ist anzunehmen, dass er diese Arbeit frei für sich begonnen hat, um seiner Stimmung und Phnpfindung vollen Ausdruck zu geben und im vertrauten liebe¬ vollen Umgang mit der Natur seine Kräfte zu mehren und zu stärken. Uie Gruppe stellt eine sitzende mächtige Prauengestalt dar auf einem an den Picken von beflügelten Sphinxgestalten getragenen Sarkophag, der rechte Arm hält eine aufgestützte Schrifttafel und die Linke legt einen Palmenzweig auf die Deck¬ platte nieder. Wie eingenistet im faltigen Gewände unter dem Arm , der die Schrifttafel hält , zeigt sich ein liebliches Kind in der P'ülle der ersten Jugend, sorglos ruhend wie an der Brust der Mutter und spielend eine Rose entblätternd. Von tiefer Empfindung ist die weibliche Gestalt beseelt und mit feinem Gefühl für den Rhythmus der P'ormen dargestellt. Die Strenge der Form hat hingebende Anmuth bezwungen; es liegt etwas Weiches, sozusagen Melodisches, P'ühliges in allen P rauengestalten Wagmüllers, ganz besonders aber in dieser. Wagmüller hat, als er dieses Werk schuf, schon seine Reisen nach England unternommen, und es ist anzunehmen, dass er die herrlichen weiblichen lagernden Phguren

R. Ben-as: Merkur und Psyche

M. Wagmiiller: Selbstporträt

R. ßegas »culp.

Plioi. K. Haurstaeiigl, ilOucheu

Venus und Annor

Das Grabmal des Künstlers

DIE KUNST UNSERER ZEIT

209

vom Farthenonfries eingehend studirt hat. Denn dieses Werk setzt eine genaue Bekanntschaft mit jenen Werken voraus, seine Figur erinnert in der Art der Behandlung der Gewänder, in der grossen einfachen Formengebimg, die auf alle naturalistischen Effekte verzichtet, direkt daran. In seinem sonstigen Bestreben, den weichen Schmelz der Haut nachzubilden, zu dem den Künstler sein malerisches sinnliches Empfinden hinleitete und auch der weiche geschmeidige Modellirthon bei der Darstellung weicher Formen verführt, in diesem Streben kommt bereits ein Element in Wagmüller’s Kunst zum Vorschein, das später in den Werken des Franzosen Rodin so charakteristisch hervor¬ tritt. Am schärfsten zeigt sich unseres Künstlers Eigenart am Liebigdenkmal in München, es gibt ein getreues Bild seines Strebens und zeigt bei allen glänzenden Vorzügen auch die Mängel, die der ganzen Richtung anhaften.

Wagmüller war eine starke und lebhaft empfindende Künstlernatur, und in seinem jähen Drange, die Plastik nach seiner Art umzubilden und sich gegen Alles rückhaltslos zu äussern, was seinem Empfinden entgegenstrebte, durch dieses Streben mag sein Auftreten und Durch¬ brechen für ihn mit vielen Wehen verbunden gewesen sein. Die alte Thatsache vom Vorwärts¬ drängen der lebendigen Kraft und dem zähen Beharren der trägen Masse tritt uns öfter bei Betrachtung des Lebenslaufes eines genialen Mannes entgegen. Wird diese Masse aus ihrem Sumpfe aufgerüttelt und in ihren Interessen durch eine sachliche aber strenge Kritik ge¬ schädigt, so wird sie gefährlich wie ein Schwarm aufgejagter Wespen, die blindwüthig über den Gegner herfallen und ihn durch die Unzahl ihrer Stiche töten. Pecht erzählt in seiner Geschichte der Münchener Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, dass Wagmüller durch seine Thätigkeit als Jury-Mitglied der Münchener Jahres¬ ausstellung von 1879, welchem Amte er mit mehr Wahrhaftigkeit als Schonung und Klugheit Vorstand, sich den Grimm und Hass der Zurückgesetzten derart auf sich gezogen habe, dass ihm die gemeinsten und ehrenrührigsten Beschuldigungen nicht erspart blieben. Das nahm er sich so zu Herzen, dass ihn ein Leberleiden vor der Zeit dahinraffte.

Ein anderer Münchener Bildhauer, Lorenz Gedon, 1843 1883, dessen vielseitiges Schaffen uns deutlich in dem Palais und der Galerie des Grafen Schack entgegentritt, die er erbaut und mit Skulpturen geschmückt hat, gehört auch dieser Richtung an, die er besonders nach der Seite des Kunstgewerbes hin gepflogen und ausgebildet hat. Das Weiche, Schwammige der Form-

210

DIE KUNST UNSERER ZEIT

ein Kunstwerk ist, sondern auch Damengarclerobe, Rodelschlitten und Skier, Spirituosen, Malz¬ kaffee, Bretter, Stiefel, Halsbinden, Turngeräte, Sattlerwaren, Regenschirme, Molkereierzeugnisse, Hopfen, Getreide und weiss Gott was sonst noch ! ln sechs grossen Hallen enthält die Ausstellung etwa vierhundert Säle und Kabinette, für jeden Raum zeichnet ein anderer Münchener Maler, Architekt oder Bildhauer als Verantwortlicher und es ist fast keiner unter diesen Räumen, der nicht

originell und gefällig wäre ein paar hundert davon sind aber schön und wohl gelungen. Und nach vielen Richtungen wurden in Bezug auf räumliche Ausstat¬ tung und sinnreich¬ geschmackvolle Auf¬ stellung der Schau- gegenstände neue Wege gewiesen, neue Techniken angewen¬ det, neue künstlerische Möglichkeiten ent¬ deckt. Die ,, ange¬ wandte Kunst“ ist’s überhaupt, die den stärksten Anteil an dieser Ausstellung

(rebr. Rank. Eingangshalle am Haupteingang (Ornamentale Ausschmückung von Ph.'W’idiiici )

hat, den grössten Nutzen und diefrucht- barsten Erfahrungen aus ihr ziehen mag ! Hoffentlich nicht am wenigsten dadurch, dass die Münchener Kunstindustrie vom Jahre 1908 einen starken Aufschwung datieren wird ! Das Kapitel Industrie ist bisher ein ziemlich trauriges gewesen in der Münchener Stadt¬ chronik und man hat es hier seit langem schmerzlich empfun¬ den, dass wir zwar den meisten kunst¬ gewerblichen Unter¬

nehmungen Deutschlands die Kräfte liefern und dass Anregungen aller Art von München ausgehen, dass unsere Kunsthandwerker seit langem in Bezug auf Güte der Arbeit kaum irgendwo übertroffen werden und dass die Bedeutung der Münchener Kunstindustrie auf dem Weltmarkt dennoch in keinem Verhältnisse zu diesen Tatsachen steht. Wenn den Unternehmern, wie der Käuferwelt gegenüber diese Ausstellung nicht als starkes ,,Encouragement“ wirkt, dann ist München auf solchem Wege überhaupt nicht zu helfen und es muss sich dauernd mit der Rolle begnügen, für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen oder wenigstens sie für andere zu braten !

Die Ausstellung ist aber nicht nur bedeutsam für die Entwicklung unserer Innendekoration, unserer Kunsthandwerker usw., sondern auch für die moderne Architektur. Der ganze Ausstellungs¬ park mit seinen ständigen, wie seinen provisorischen Bauten ist neu und dadurch war es möglich, die neuesten Techniken, wie die ausgereiften ästhetischen Grundsätze unserer Zeit auch auf allen Gebieten anzuwenden und zu erproben. Es wird nicht jeder mit allem einverstanden sein, was

DIE KUNST UNSERER ZEIT

211

Julius Massel. Wandmalereien im Foyer des Künstlertheaters

geschaffen wurde, denn wir leben noch immer in einer Zeit des Kampfes um den Stil und noch nicht in einer Periode ruhiger Weiterentwicklung aber es wird jeder zugeben müssen, dass ungemein ernst, sachlich und ehrlich gearbeitet wurde, dass von der Originalität um jeden Preis, die den meisten Kunstgewerbeausstellungen seit einem Jahrzehnt den Stempel aufdrückt, nichts oder wenig mehr zu verspüren ist! ,, Einfachheit, Zweckmässigkeit und Materialechtheit“ hiess die Devise und sie galt bei den grossen , ganz schlicht und linear gehaltenen Ausstellungshallen genau so, wie bei den prunkvolleren Bauten, den verschiedenen Modellwohnhäusern usw. Nur bei den ephemeren Gebäuden des Vergnügungsparkes macht sich zum Teil eine gewisse Unsicherheit bemerkbar, die man sofort begreift, wenn man erwägt, wie kompliziert hier die Materialfrage und ebenso die Zweckmässigkeitsfrage ist. Hier ist mit dem Prinzip der Materialechtheit nicht weit zu kommen und das Zweckmässige über das Langweilige hinaus zu entwickeln, ist schwer. Und auch das Sinngemässe, das seinen Ausdruck in der Form und Dekoration finden sollte, hat ihn da verhältnismässig wenig gefunden: dem Vergnügungspark mit seinen vorwiegend weissen Holzbauten und seinem Unisono neuer roter Ziegeldächer fehlt die Lustigkeit. Das Provisorische hat eine andere Logik der Form, als das, was auf die Dauer bestimmt ist, es verlangt nur den Schein, nicht die Echtheit, und witzige Improvisation gilt hier mehr als weise Folgerichtigkeit. Der tolle, bunte Wirrwarr des Jahrmarkts ist, trotz der bizarrsten Geschmacklosigkeiten im einzelnen, als Ganzes von solchem ästhetischem Reiz, dass man wohl sagen kann, auch eine derartige Vergnügungsanlage muss sich aus dem Wesen des Jahrmarktes entwickeln. Nicht aus

Julius Massel. Wandmalerei im Foyer des Künstlertheaters

212

DIE KITNST ITNSERER ZEIT

Begas neigt mehr nach der beobachtenden als der schöpferisch gestaltenden Seite seiner Kunst hin, daher in Porträts eine gewisse Stärke liegt, aber offenbare Mängel und Schwächen zeio-t, sobald er räumlich grosse monumentale Wirkungen hervorzubringen bestrebt ist. Ein Werk, das Begas schon in seiner frühen Zeit geschaffen hat, zeigt den Charakter ernster Monumentalität und den Ausdruck glücklich nachempfundener innerer Grösse. Wir meinen die Schillerstatue, die 1872 in Berlin enthüllt wurde.

Begas hat zahlreiche Schüler herangezogen, geleitet und gefördert, welche dann später, nachdem sie selbstbewusst und selbständig geworden, meist ihre eigenen Wege gingen. Kraus, der lange bei Begas arbeitete, und P'elderhoff sind die hervorragendsten.

7?. Maison: Brunnen in Fürth

Merkwürdig erscheint es, wie die Anhänger der Be gas 'sehen Richtung in neuerer Zeit von dem entgegengesetzten Pole nämlich Hildebrand angezogen werden. Bei näherem Nachdenken

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wird man jedoch für diese Erscheinung die inneren Ursachen finden. Jene, die mit Vorliebe im Begas’schen Kunstcharakter sich bewegten, mausern sich jetzt und zeigen Hildebrand’sche Eorm- ansätze, sobald sie an grössere Aufgaben, die für das Ereie bestimmt sind, herantreten müssen. Denn für die ernste Wirkung im Ph'eien reicht die blosse Wirkungsform, wie sie bei künstlich venti- lirter Beleuchtung im Atelier entsteht, nicht aus. Diese Eorm stellt selbst schon eine vom realen Thatbestand stark abstrahirte Wirkungsform dar, die dem allgemeinen Raume gegenüber als ein

DIE KUNST UNSERER ZEIT

213

eioenes Raumbild nicht bestehen kann und so g^leichsam darin zerfliesst und auh^elöst wird. Das Geheimniss der Wirkung der antiken Plastik in jeder Situation beruht zum grössten Theil auf der P'ülle thatsächlichen I'ormenmaterials , das darin enthalten ist, und auf der rechten Würdiauntr der besonderen Umstände und Verhältnisse, denen ein Bildwerk im P'reien ausgesetzt ist.

In der Richtung Begas und Wagmüller lag auch der Anlass zu einem anderen Streben. Nämlich sie begünstigte die künstlerische Anschauung, die von der Photographie und dem Natur¬ abguss geleitet wird, indem sie gleich diesen, die Erscheinung jedes Objektes, die Struktur der Oberfläche genau nachzubilden bemüht ist. Es durfte nur ein Künstler auftreten, der die naturalistische Richtung konsequent bis zum Endziel verfolgte, wie Maison gethan hat.

gleich nur wenige sich

Neger

Dieser Künstler hat in seiner Art, sich der Natur anzuschliessen, etwas vom Geiste Menzel’s. Gleich diesem entwickelt er in seinen Arbeiten einen grossen Reichthum an Motiven und verfügt in seinem Fache über eine ähnliche bewunderungs¬ würdige Geschicklichkeit, die Natur in ihren schnell¬ sten Bewegungen zu ver-

o o

folgen und nachzubilden.

So hat er auch viele neue Bewegungsmotive daraus hervorgeholt, ob-

Szenen aus dem vielgestaltigen zuckenden Leben, ähnlich wie Menzel sie malerisch dargestellt hat, auch in der Plastik auszuführen. Ein Streben, das zum Unternehmen von plastischen Panoramas führen könnte. Gegenwärtig arbeitet der Künstler an einem Denkmal für Kaiser PTiedrich, das in Berlin aufgestellt wird. Er nähert sich darin einer einfacheren grösseren Naturanschauung, und das Modell lässt auf eine ernste, monumentale Wirkung schliessen. Vielleicht hat der Künstler bei seiner Neigung zum Naturalismus in positivistischer Form starke Anregungen von den modernen Franzosen und Belgiern und nicht zum wenigsten von dem Wiener Thierbildhauer Strass er erhalten, mit dem er auch die Neigung zur Polychromie gemein hat.

Ursprünglich kam die Polychromie sehr häufig bei Statuen für Innenräume zur Anwendung.

Die assyrischen und egyptischen Tempelbilder waren vielfach bunt bemalt, besonders die aus Holz

II 29

R. Maison: Brunnen in Bremen

für die plastische Dar¬ stellung unbedingt er-

o o

halten lassen. Wir ver¬ weisen damit auf seine bekanntesten Werke in dieser Art : auf den der von einem Tiger überfallen wird, und auf jene Gruppe im Münchener Kunstverein, die einen Neger darstellt, der auf einem Esel reitet, der ihn abzuwerfen sucht. Mit einer unge¬ mein scharfen Beobacht¬ ungsgabe ausgerüstet, in allen technischen Fertig¬ keiten gewandt, wäre dieser Bildner im Stande,

214

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Karl Ehhi uyhaus.

Winter aus den Jahreszeiten“

in den Parkanlagen

Erler, Adolf Münzer, R. M. Eichler, Paul Neuenborn, Richard Pietzsch, Eranz Hoch, H. B. Wieland, Koppen usw.!

Noch eine Aufgabe haben sich die Veranstalter der Ausstellung München 1908 gestellt und sie erfüllt, auf die hingewiesen sei, ehe wir das geleistete Werk im einzelnen betrachten : zu zeigen , wie man alle Gebiete unseres Lebens mit Schönheit durchtränken, jedem Ding, das der Einzelne oder das die Allgemeinheit gebraucht, einen ästhetischen Wert geben kann. Eine Glanznummer der ganzen Veranstaltung bildet das K ü n s 1 1 e r t h e a t e r , ein Mustertheater in seiner ganzen Anlage, für das unsere ersten Maler eine Reihe von acht Bühnenwerken bis auf das Kleinste sorgsam ausgestattet haben, um zu zeigen, wie die Anteilnahme des bildenden Künstlers mit relativ einfachen Mitteln das Bühnenbild gewaltig zu verbessern imstande ist, wenn mit dem alten Theaterschlendrian und einer falschen Auffassung des Begriffes Illusion gebrochen und das Prinzip der Einfachheit, Echtheit und Zweck¬ mässigkeit auch auf die Szene angewendet wird. Durch ein Experiment im grossen Stil

wurden hier unschätzbare Erfahrungen gewonnen, wenn auch sicher manche Theorie, die der Sache zugrunde lag, sich nicht als stichhaltig erwies. Und wir haben Aufführungen erlebt, die in hohem Grade und in reinem Sinne genussreich waren ! Wir sehen dann eine ganz auf die Basis echter Kunst gestellte Marionettenbühne in hübschem Bau, sogar das ganz gewöhnliche jahr- marktskasperltheater hat nach Möglichkeit künstlerische Gestalt gewonnen ; ein Schattentheater regt an zur Wiederbelebung einer vergessenen, anmutreichen Kunst, wenn auch hier noch etwas zu viel anspruchsvolles Ästhetentum mit unterläuft. Wir sehen aber auch daneben schlichte Arbeiterhäuser, die für die Lebens¬ kultur des kleinen Mannes sehr bedeutsame Aufschlüsse geben, einen Musterlandgasthof, ein Musterbahnwärter¬ häuschen usf. Wir sehen Dutzende von neuen Eormen geschmackvoller Beleuchtungsmasten, sehen Anschlag-

Tli. Georyii.

Bronzefigur in den Parkanlagen

DIh' KUNST UNSURUK ZKIT

215

Säulen und öffentliche Uhren, einfacheTrink-und Zierbrunnen, die hübsch und praktisch sind, sehen sogar die Gestalt des Warenautomaten, eines Dinges, das bisher sein Dasein aus¬ schliesslich im Gewände der höchsten erreichbaren Scheuss- lichkeit führte, gediegen moder¬ nisiert. Wir erfahren, dass die Blockhütte eines Jägers ein Kunstwerk sein kann, finden in dem prächtig gestimmten Winkel mit Kirche und Friedhof Grab¬ steine, schmiedeiserne Grab¬ kreuze und Urnen, die von

Knut Akerherg. Kindergruppe im Figurenhain

neuer und unaffektierter Schön¬ heit sind man kann sagen, nichts Menschliches ist den freudig arbeitenden Künstlern fremd geblieben. Man hat ferner die vortreffliche Idee gehabt, durch eine Konkurrenz reizvolle Modelle zu gewinnen zur Be¬ schaffung jener Andenken und „Mitbringsel“, die bisher bei solchen Ausstellungen Erzeug¬ nisse der lieblosesten Massen¬ industrie gewesen sind, und hat es verstanden, selbst Bleistifte und schwedische Streich¬ holzschachteln als billigste Aus¬

stellungskäufe mit Geschmack zu gestalten. Natürlich auch die unvermeidlichen Postkarten, die Kataloge, Wein- und Speisekarten und Programme, ebenso Tischzeuge, Service, Gläser, Aschen¬ schalen, Huiliers usw. im Restaurant. Dass jede Gattung menschlicher Wohn- und Betriebsräume in zahlreichen Musterzimmern und -Sälen bis herunter zum Einfachsten vertreten ist, versteht sich beinahe von selbst. Soll man aufzählen? Da sind Schlaf- und Wohn- und Herren- und Damen- und Warte- und Schreib- und Lese- und Studier- und Billard- und Speise- und Ankleide- und Musik- und Kinder- und Badezimmer ohne Zahl, Schulzimmer, Spital- und Krankensäle, Dielen und Gartensäle, da ist ein kleines Mustermuseum gedacht für eine Stadt mittlerer Grösse, sind die gediegen prunkhaften Räume für einen höheren Staatsbeamten, ist ein Richterzimmer, ist eine

Willi. Bertscli.

Laubgang mit Terrakotta-Figuren von Jos. Wackerle

216

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Stellung gezeitigt, bei der der Künstler weniger von dem Problem der künstler¬ ischen P'ormgestaltung aus¬ geht, als von seinem per¬ sönlichen Emphnden, von dem Eindruck, den ihm dieses übermittelt. Wie der Künstler der b'orm ein ent¬ stehendes Bildwerk aul die Anreo'unsj zur Eormvor- Stellung hin prült, so der Künstler der Empfmdung sein Werk auf den Gehalt zur seelischen Anregung hin. Die Eorm an und für sich ist ihm gleichgültig.

K. Seffner: Hildnissbüste

wenn sie nicht Emphnd- ungen hervorruft.

Die Eorm, als ein über¬ setztes Bild aus der Natur, will den Beschauer zu räum¬ lichen Vorstelluno-en an-

o

regen und durch diese Em¬ pfindungen erwecken, unser Künstler will in erster Einie nur durch die PTrin seel¬ ische Schwincruno-en über-

O ö

mittein. Er unterwirft das nüchterne Erscheinuno-sbild

O

den manniQ;fachsten Modu- lationen und Stimmunoren.

O

Wie die Sprache im Aus¬ druck sich dem Gefühl an¬

passt, so der Empfindung die Eorm. Es steht somit diese künstlerische Ausdrucksweise im Gegensätze zu dem Positivismus, wie er in Maison und Strasser seine Vertreter hat, und sie unter¬

scheidet sich von flildebrand’s Richtung wie Eorm und Em¬ pfindung unter sich. Dass dieses Problem der Empfind¬ ung immer Antheil an der künst¬ lerischen Gestaltung nimmt und diese stark beeinflusst, erkennen wir an der künstlerischen Ström- ungr der Gegenwart.

ln August Hudler’s Wer- ken äussert sich diese Richtung auf eine entschiedene und kräl- tige Weise. Er bildete sich auf der. Münchener Akademie, die aber wenig- Antheil an seiner

Entwicklung hat

o

Aus dieser Zeit erhielt sich nur eine aller-

K Seffner: Bildnissbüste

dings sehr merkwürdige Arbeit. Der Künstler nannte die Pigur «Ismael». Sein eigenthümliches tiefes Empfinden drückt sich hier bereits durch und äussert sich, wenn auch noch in unklarer Weise. Von dem Professor der Bildhauerschule wurde die Arbeit als nicht plastisch bezeichnet. Hudler trat zur Malerei über, nicht dieses Urtheils wegen, nicht auch, weil ihm das Selbst¬

vertrauen mangelte, auf dem einmal beschrittenen Wege weiter zu gehen, sondern in der Absicht, sein Können durch Zeichnen und Malen nach der Natur noch besser zu schulen. Einige Jahre später waren von ihm auf der Berliner grossen Kunstausstellung zwei Büsten von Münchener Malern zu

sehen, die durch ihre lebendige Wiedergabe des Persönlichen in der Bestimmtheit der Charak-

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M KUugcr souip.

l’hot. K iiaulstaeogl, MUncheu

K-auernde

R. Mflisou .^culp.

Phot. F. Haofntaengl, MQocbeo

Statue Ottol

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

217

terisirung- und durch ihre feine Durchbildung- berechtigtes Aufsehen erregten. Professor G. Treu hat sie für das kgl. Skulpturenmuseum in Dresden erworben. Indem der Künstler in die Büste

hineinlegt, was er aus dem Objekt herausfühlt, kommt ein gewisser realistischer Zug (wenn man

will idealistisch) in fesselndster Weise zur Wirkung. Die Behandlung und Auffassung ergibt eine

Art malerischer Wirkungsform, wie sie Wagmüller anstrebte und wie sie Rodin zum 'I'heil

eieenthümlich ist.

In der Bronzefigur «Adam» kommt des Künstlers Streben und Empfinden besonders gut zum Ausdruck. Er stellt Adam als einen Jüngling dar, der mit reger Wissbegierde eine Blume entfaltet.

A. Hudler: Bildnissbüste

Er zeigt sich in einem Zustande vollkommenen Unberührtseins von aller Bewusstheit, wie ein grosses Kind, das staunend in die Welt tritt und sie mit jedem neuen Schritte erst entdeckt, ln einer kindlich wissbegierigen Regung gewinnt er Eühlung mit dem Räthsel der ewig schaffenden schöpfer¬ ischen Natur, das ihm in der Gestalt einer Blume entgegentritt. Diese Eigur stellt gleichsam in rührendster Weise das Streben des Künstlers, das Suchen nach Ausdruck seiner tiefsten Gefühle dar. Gleich Adam steht er auf der Erde, in köstlicher Unbewusstheit, inmitten einer unkünstlerischen Welt löst sich all’ sein Sinnen, all’ sein Denken in Gefühl und Empfindungen auf.

Die objektive formale Richtung Hildebrand’s und diese ganz subjektive persönliche, die sich

21S

DIE KUNST UNSERER ZEIT

in Hudler’s Kunst äussert, werden immer die zwei Pole sein, nach denen das künstlerische Schaffen hinneigt und angezogen wird. Sie sind trotz ihrer Verschiedenheit doch unlöslich miteinander verknüpft

durch die k'olge von Elementen, welche die künstlerische Wahrnehmung und Empfindung, Anschauung und Vorstellung ausmachen. Nur in der Art der künstlerischen Gestaltung äussern sie sich verschieden, ihre Wirkung bleibt eine ähn¬ liche. In der Plastik der Gegenwart flutet die künstlerische Strömuny von einem Pol zum andern.

Wir müssen hier noch einer anderen Thätigkeit ge¬ denken, welche in bester Weise das Interesse und Verständniss für die plastische Kunst zu erwecken im Stande ist, weil sie überall einfach und liebenswürdig auf tritt, auf Strassen und Plätzen , an Bauten und Grabmalen. Sie kommt dem natürlichen vSchönheitsyefühl entyeyen, durch anmuthiye oder kräftige hülle der Form und durch den Rhythmus schön empfundener Pinien. Sie bildet jederzeit den Genuss- und Ausgangspunkt der Eiebe zu den schönen Künsten. Sie will im Grunde dasselbe, was Hildebrand gross und bedeutend in massvolle Strenye einkleidet und anstrebt, nur lässt die Art, in der sie Hubert Netzer vertritt, den individuellen Kräften mehr Spielraum.

Netzer’s phantasievolle Kunst zeigt sich am schönsten in seinen Brunnenschöpfungen, in der Gruppe aifl einem Münchener Platz, wo ein Triton mit einer Schlange spielt, die Wasser auf ihn herabspeit. Ferner in dem herrlichen Narziss-Brunnen, der vom bayerischen Staat erworben, im Hofe des neuen National¬ museums aufgestellt ist. Und weiterhin in dem Orpheus-Brunnen, der die heurige Jahresausstellung im Glaspalast schmückte. Diese Brunnenschöpfungen gemahnen in ihrer poetischen Erfindung und in den reizvollen P'ormen an köstliche Brunnenbilder, wie wir sie in alten prächtigen Städten noch überall finden. Dieser Künstler hat sich auch in dekorativen Gruppen zum Schmucke für Bauten hervorgethan. In dieser Hinsicht sind von Bedeutung die grosse Gruppe in Stein auf der Würzburger Universität «Prometheus als Lichtbrinyer» , ein Motiv, das zu yeistvollen Deutungen über die Reaktion Anlass gab und viel besprochen wurde. Von ausser¬ ordentlicher Schönheit sind die edlen Frauengestalten am Münchener Justizpalast. Netzer erweist sich in all’ diesen Schöpfungen als ein originaler Künstler; in der Fülle der Motive äussert sich der Reichthum seiner Phantasie und Gestaltungskraft, den er in kräftig

A. Hudler: Adam

A. Hudler: Bildnis.sbüste

DIE KUNST UNSERER ZEIT

219

anregenden Gebilden fort und fort kundgibt. Wir nähern uns bei der Betrachtung von Netzer’s Kunstcharakter wieder den am Eingang ausgesprochenen Wünschen und ausgesteckten Zielen, dass die deutsche Plastik wie die antike in’s Leben treten und als eine monumentale Raumkunst im Freien, wie als eine schmückende, im Hause zur Geltung kommen möge.

Wir haben ein Stück Pintwicklungsgeschichte unserer Plastik seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts vorgeführt und konnten bemerken, wie diese Kunst vom Stamme der Tradition abzweigte und ihr das rechte Gedeihen ermangelte; wie sie, ähnlich einer Treibhauspflanze, in den Ateliers der Bildhauer verkümmerte. Wie diese in kleinen Statuetten grosse bildnerische Vorstell¬ ungen und Empfindungen auszudrücken sich abmühten, da die natürlichen Bedingungen für die Plastik,

A. Hudler: Der Schnitter

im räumlich Grossen sich auszubreiten, fehlten. Wie aber trotzdem durch diese Arbeiten im Stillen ein Zug inniger Vertiefung und lebensvoller Empfindung in diese Kunst kam, der ihr bisher fremd gewesen, oder vielmehr seit der Frührenaissance abhanden gekommen war. Jetzt, da sie aus der Enge der Ateliers heraus wieder in’s Freie, aus kleinen beschränkten Darstellungen in’s räumlich Grosse gehen kann, von abstrakten Anschauungen zu lebendigen Vorstellungen fortgeschritten ist, jetzt kommt auch der künstlerischen Darstellung die Vertiefung des Empfindens, die Bereicherung der Form zu Gute. Wo könnten alle die Schätze herrlicher zur Anwendung kommen, als in den plastischen Schöpfungen im Hause, im Freien, auf Strassen und Plätzen und. unseren Friedhöfen, überhaupt im engen Anschluss an unsere tägliche Lhngebung, wie es im Alterthum der Fall war.^ Air die Kräfte , wie wir sie einzeln kennen gelernt , in Bewegung zu setzen , all' die tiefen

220

DIE KUNST UNSERER ZEIT

H Netzer:

(Tiebelfigur am Justizpalast

II. Netzer: Itrunnenfigur

Quellen, die vorhanden sind, in’s Leben hinüber zu leiten, dies bildet die Aultrabe der Kunstfreudio-en, der Förderer und Unterstützer der Künste. Ein Füllhorn schöner Gaben ist bereit, auszuströnien und unser Leben zu schmücken.

Unterstütze und fördere man die Künste auf die rechte Art, ent¬ locke man dem Künstler die edelsten und besten Früchte ohne 1 lebel und Schraubstöcke, ohne Pressen und Plutegel anzulegen, auf eine vornehme menschliche Weise, mit wahrer Antheilnahme und warmem Mitempfinden an seiner stillschaffenden, schöpferisch bildenden Thä- tigkeit.

Wir sind mit unseren Betrachtunoen bis mitten

o

in eine fröhlich schaffende Gegenwart hineingerathen, da am alten Stamme der Tradition manches frische Reis angeschoben hat; wir können nicht Allen zumal unsere Aufmerksamkeit zu¬ wenden und haben daher nur auf das Zunächstlie-

II. Netzer: Entwurf für ein Denkmal

gende , an dem sich der frische d'rieb zu äussern beginnt, aufmerksam ge¬ macht. Wir Bedenken

o

später in weiterer Folge aus der jungen Pflanz¬ schule deutscher Plastik noch mit manchem blüthen- vollen Zweig unsere Blätter zu schmücken.

Flüchtio- traten uns im

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künstlerischen Leben der Geofenwart Erscheinung'en

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entoreo^en , in denen wir

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manche Probleme , die uns

hier beschäftio-t, in harmonischer Weise eelöst sahen und die zu mancher Deutune Anlass greben

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können, welche Wege die deutsche Plastik noch gehen wird, ehe sie sich selbständig zu äussern beginnt.

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