KUNST ^. UNSERER ZEIT

EINE CHRONIK DES W - ./A°DERNEN KUNSTLEBENS

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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY

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CANADA COUNCIL SPECIAL GRANT FOR

Hl STORY OF ART

DIE

KUNST UNSERER ZEIT.

DIE

KUNST UNSERER ZEIT.

EINE CHRONIK

DES

MODERNEN KUNSTLEBENS.

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MÜNCHEN. FRANZ HANFSTAENGL.

ALLE RECHTE VORBEHALTEN.

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E. MÜHLTHALER'S KCL. HOF-BUCH- UND KUNSTDRUCKEREI.

INHALTS-ANGABE.

1894. I. HALBBAND.

Literarischer Theil.

Bernstein, Max, Allerhand Sprüchlein .

Bisch off, D,, Ein Jubiläum

Kirchbach, Wolfg., Das Malermärchen Meissner, Franz Herrn., Arnold Böcklin

R a u p p , Karl, Die Akademie

Riehl, Berthold, Sterzing an der Brennerstrasse als Studienort für Künstler und Kunstfreunde

Seite

74 37

62 21

39 45

Seite

Rosmer, Ernst, Die Sünde 34

Unsere Bilder 43 71

Walter, Fred., Die englische Malerei im Mün- chener Glaspalast 1893 i

Eine Jubiläumsstudic 7G

Vollbilder.

Seite

Alma-Tadema, Laura, In's Garn gegangen 64

Bodenhausen, Cuno von, Frühlingstraum , . 40

Boecklin, Arnold, Todteninsel 24

Villa am Meere 28

Im Spiel der Wellen 28

Flora 32

Frühlingstag 36

Canal, Gilbert von, Landschaft 44

Co Hin, R., Der Schlaf 52

Corel li, Augusto, Italienische Hochzeitsfeier . 40

DairOcca Bianca, Ang., Auf der Brücke . 48

Dicksee, Frank, R. A., Leila 68

Dicksee, M. J., Besuch bei Angelica Kauffmann 56

Gillard Glindoni, H., A Rebukc 61

Kaulbach, Hermann, Gedenkblatt 37

Lenbach, F. von, Wilhelm Busch 102

A. Oberländer 106

Seite

Oberländer, A., Titelblatt der «Flieg. Blätter»

No. 2000 110

R ei nicke, Rene, Picknick im Walde 116

Scanneil, Edith, Die kleine Eva 44

Schneider, H., Kaspar Braun 86

Friedrich Schneider 86

Skipworth, F. M., Er kommt nicht .... 70

Solomon, S. J., Orpheus 73

Stuck, Franz, Die Sünde 36

Vogel, Hermann, Stossseufzer eines deutschen

Malers 114

Watts, G. F., Marchioness of Granby .... 4

- Hoffnung 8

Verlockung (Mischief) 12

Leben und Liebe 16

Der Tod krönt die Unschuld 18

Sic transit . ... 20

Textbilder.

Seite

Böcklin, Arnold, Selbstbildniss 22

Der Ritt des Todes 23

Ueberfall von Seeräubern 25

Tritonenfamilie 27

Sieh', es lacht die Au 29

Gang zum Bacchustempel 31

Furse, Charles W., Mr. Justice Henn Collins 10

Hamilton, John M'Lure, Lesestunde 18

Hardy, Dudley, M21- Sarah Bernhardt .... 19

Hood, G. P. Jacomb, Hexentanz 13

Hunt, Thomas, Nur wenige Worte 11

Pirie, George, Spielende Terrier 11

Spence, Harry, An der normannischen Küste . 15

Steer, P. Wilson, Jonquille 14

Stott of Oldham, William, Portrait des Herrn

Tom Millie Dowe 7

Seite

Stott of Oldham, William, Am Kamin ... 9

Stuck, Franz, Vignette 36

Textillustrationen zu Berthold K i e h 1 , Sterzing an der Brennerstrasse 46 47 48 49 51 52 53

54 55 57 59 60 61

Textillustrationen aus «Fliegende Blätter» "jQ jy

78 79 80 81 82 83 S4 85 87 88 89 90 91

92 93 94 95 96 97 98 99 100 loi 102 103

104 105 106 107 108 109 110 II t 112 113

1 14 115 1 16 117 118 Watts, G. F., Ophelia 2

Der glückliche Krieger 3

Lady Lifford ... 5

Klytia 6

Cardinal Manning 17

DIE ENGLISCHE MALEREI IM MÜNCHENER GLASPALASTE 1893.

VON

FRED. WALTER.

G. F. Watts. Ophelia.

Wir Deutschen, oder, um gerecht zu sein, wir Continentler , sind lächerlich lange in Un- kenntnis über englische Kunst verblieben, deren Werke auf festländischen Ausstellungen nur ver- einzelt auftraten. Das reiche Alt-England ist in der

Lage, die Schöpfungen seiner Meister selbst aufzubrauchen und von den Perlen dieser Schöpfungen haben heute noch Jene , die England nicht selbst besuchen konnten , nur aus Reproduktionen Kenntnis.

Reynold und Gainsborough, Hogarth, der Maler Hogarth, Turner, Constable, Lawrence, Landseer, sind in den Museen des Festlandes fast nicht vertreten. Der stark entwickelte englische Nationalstolz liess die Werke dieser grossen Meister nicht über den Kanal und Vereinzeltes, was doch den Weg herüber gefunden, wird und wurde nach Mög- lichkeit zurückgekauft. So behielten sie bis in die neueste Zeit alles Grosse, was drüben gemalt wurde, für sich selbst und nur hin und wieder gelangten etliche englische Bilder zu Pariser und anderen Ausstellungen und gaben der Menge Kunde von einer Kunst- blüthe, die sie nicht geahnt. Aber im All- gemeinen hatte man eine sehr dunkle Vor- stellung von englischer Malerei.

Wer dann zum ersten Male über den Kanal kam und die Wunder der Londoner Nationalgalerie, des Kensingtonmuseums oder gar die köstlichen Juwele in den Privatsamm- lungen reicher Mäcene zu sehen bekam, war zumeist nicht wenig verwundert , mit einem Male eine so vornehme, so vielseitig und eigenartig producirende Kunst zu entdecken. Ueberhaupt wird jeder England- fahrer, der das Aermelmeer zum ersten Male passirt, in vielen Dingen wunderbar enttäuscht sein , ent-

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

täuscht bis zum Entzücken. Das ist nicht das unwirth- hchc Nebetheim, das er sich geträumt. Die grosse Stadt, die er sich grau, unfreundlich, kalt und nüchtern vorgestellt hat, ist gros.sartig schön, abwechslungsreich^ malerisch, wie kaum eine andere Stadt der Welt. Die Menschen, die er sich steif, eckig und zugeknöpft dachte, sind elegant, liebenswürdig und gefällig. Und die Frauen, die er ledern, prüde, extravagant und un- gelenk vermeinte, sind die schönsten Frauen, die es gibt, rassig, anmuthig, vornehm. Er sieht die schönsten Haare, die lebendigsten Augen, die stolzesten Gestalten, Gestalten von jener mit Kraft gepaarten Geschmeidigkeit, die so massvolle und edle Bewegungen veranlasst.

Und wie die Frau in jedem Lande ist die Kunst.

Das regere Ausstellungsleben im letzten Jahrzehnt hat uns nun auch nach und nach die Bekanntschaft der englischen Maler vermittelt. Zumal seit dem Jahre 1888, der Zeit, da München seine alljährlichen inter- nationalen Bilderschauen hat, - fürder deren sogar zwei, haben wir sie in allen ihren Richtungen kennen gelernt und erfahren, dass sie reich ist wie das Land, in dem sie blüht. Wir haben die vornehmsten Bildnismaler, die kühnsten Koloristen, die zartsinnigsten Romantiker und die feinsten Stilisten gesehen, die Schule von Glasgow mit ihren gewaltigen Häuptern Guthrie, Lavery und Walton, die Praeraphaeliten Walker und seine Epigonen, die kühl vornehmen Akademiker u. s. vv. Wir haben mancherlei gelernt von diesen englischen Malern und Viele , die nicht höher schworen, als auf Paris, finden nun, dass das Wesen der Engländer dem unsrigen beträchtlich näher stehe. Bei den Franzosen war es im Grunde das enorme Können fast allein, was uns imponirt hat, ein Können, das der deutschen Malerei gewaltig zu rathen gab nach der nachlässigen Genialität, die sie in ihren Flegeljahren seit ihrer Wiedergeburt im zweiten Halb- hundert dieses Säculums entwickelte. Da sah man an den Franzosen, was Alles zu lernen war und wie man lernen kann. Aber was aus den Werken der englischen Künstler mit jedem Jahre eindringlicher zu uns spricht, ist mehr als die Vollkommenheit im handwerksmässigen Theil der Kunst. Da ist Gemüth und Poesie, da ist Sinn für Märchenzauber und Frauenanmuth , die im Schatten der «moulins rouges» und der «closeries de lilas> nicht gedeiht, da ist Melancholie und Romantik,

Mitleid und naive F"reude, Verständnis für die Kinder- seele, — da ist ein Geist, dem deutschen Geist ver- wandt. Eine Kun.st, die nicht nöthig hatte, das Auf- fallen um des Aufifallens willen zu suchen, die nicht den Stempel des verzweifelten Ringens nach Erfolg trägt, welcher den «clous» der Pariser Salons doch immer aufgeprägt ist. Die Seele der englischen Kunst ist immer Harmonie, die Seele der französischen Kunst ist fast immer Effekt, wenn auch nicht ein Effekt, der auf besonders niedrige Geschmacksinstinkte rechnet. Aber doch zu zwei Dritteln eine Kunst «pour cpater les bourgeois». In jüngster Zeit erst zeigt auch die französische Malerei grösseres Streben nach intimen Reizen; ihre Stärke aber liegt im dekorativen Element und wird immer darin liegen.

Drüben über'm Kanal ist die Kunst aristokratisch durch und durch , sie ist weder auf den hoffähigen noch auf den kleinbürgerlichen süssen Pöbel berechnet. Ein Watts, ein Waterhouse, ein Holman Hunt, ein Stott of Oldham, ein Roche, Henry oder Hornel, ein Brangwyn, Paterson oder Hamilton hatten der Menge nie etwas zu sagen und haben ihr nie etwas gesagt. Sie ist an ihren Bildern in den Ausstellungen vorbeigefluthet und kennt ihre Namen kaum. Dafür haben Jene eine be- grenzte aber zuverlässige Gemeinde wahrhaft Gebildeter. Ein solcher ist stolz, dem Fremden, der ihn besucht,, ein Bild von Burne Jones oder ein Portrait von Sir John Millais zeigen zu können. Wenn eine besonders schöne Gravüre entstanden ist, ziehen sie ein paar Dutzend Blätter ab und schneiden dann die Platte in Stücke und man bezahlt vielleicht dann für einen Abzug das zwanzigfache von dem , was man bei uns bezahlen würde. In einem einigermassen anständigen englischen Privathaus sieht man keinen Schund an der Wand; sehr oft aber ist jede Tafel , welche die Wände schmückt, ein Kunstwerk von Rang. Künstlern ersten Grades wurden die höchsten Würden im Lande er- schlossen, wie Millais und Leighton. Das Alles schafft einen Boden, wo Kunst gesund gedeihen kann. Und dazu kommt noch Eins: wenn mich flüchtige Beob- achtung nicht trog, so fühlen sich dort die Künstler von Bedeutung, auch wenn sie in ihren Richtungen weit auseinandergehen , mehr wie bei uns als Glieder eines Standes, als echte Aristokraten, deren Rang etwas Höheres bestimmt als Zufälligkeit der Geburt. Ich hörte aus dem Munde eines ausgesprochenen und in

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

seiner Kunst leidlich steifen Akade- mikers das begeisterte Lob mo- derner, impressionistisch veranlagter Kollegen, und Bilder von ihrer Hand schmückten die Wände seiner fürst- lichen Gemächer. Und wenn auch Cliquewesen und Bonzenthum für den Kundigen dort wie hier zu entdecken sein werden, die bösen Dinge liegen jedenfalls weniger stö- rend am Tage als anderswo. Alles in Allem : Die Vorbedingungen für ein gedeihliches und freies Kunst- schaffen sind dem englischen Maler in ausreichendem Masse gegeben und seine Schöpfungen zeugen davon.

Spezielle Berührungspunkte hatten, seit sie hier verkehren, die englischen Maler mit dem Geschmacke ihrer Münchener Kollegen und deren ver- ständnisvollen Freunde.

Die Schotten errangen hier ihren ersten glänzenden Sieg und veran- lassten, dass mancher seine Farben- skala auf vollere, kräftigere Akorde stimmte, ohne dass sie, wie man an- fangs befürchtet hat, thörichte Nach- ahmungen hervorriefen. Die englische Landschaft, das englische Bildnis hat Schule gemacht. Vor Ouless und Orchardson haben Leute ihre Achtung bezeugt, die sonst gewohnheitsmässig alles Neue und Nichtdahiesige verachten, eine ganz traurige Spezialität einzelner deutscher Grössen in der Malerwelt. Englische Bilder sind in unverhältnismässiger Anzahl hier verkauft worden, viele wurden mit Medaillen ausgezeichnet, während im Ausland, namentlich in Frankreich, das Verständnis für englische Malerei sich immer noch langsam Bahn bricht.

Speziell für die vollen , weichen Farbenklänge der schottischen Koloristen hat man an der Seine noch wenig Sinn und ich sah im « alten Salon d ein prächtiges Amazonenbildnis Lavery's in einem Nebensaal hoch unter der Decke hängen, im «alten Salon», - die Herren auf dem Marsfelde sehen sich ihre fremden Gäste schon genauer an.

G. F. Watts. Der glückliche Krieger.

Die Münchener Ausstellungen beherbergen auch im heurigen Jahre eine stattliche Anzahl englischer Bilder und speziell im Glaspalast treffen wir eine eng- lische Abtheilung an, welche die Bildergruppen der übrigen Nationalitäten, was geschlossene, einheitliche Wirkung und durchschnittlichen Werth betrifft , weit, weit hinter sich lässt.

Italien , Spanien , Holland und Belgien haben neben vielem Guten auch Vieles von dem geschickt, was der Maler mit dem angenehmen Titel «Kitsch» bezeichnet. Bei den Engländern ist kaum ein Bild zu entdecken, das schlechterdings blos um's Geld ge- malt wäre. Nicht lauter Galeriestücke first rate. Aber durchaus Aeusserungen künstlerischer Individualitäten.

Zwei Säle von « Gemälden >.

Kunstwerken in einem Ozean von

1*

DIK KUNST UNSERER ZEIT.

Der interessanteste unter den ausländischen Gästen des Glaspalastes ist George Frederick Watts, den man bisher bei uns fast nur vom Hörensagen kannte , ein Maler, der sehr wenig «im Handel» ist. Seine 23 Bilder vergelten den Besuch dieser Ausstellung schon für sich allein. Wenn sie auch nicht lauter allererste Arbeiten des englischen Böcklin bedeuten, sie geben doch ein erschöpfendes Bild dieser hocheigenartigen Künstler- natur. Iki wenigen Anderen spricht der seelische, nicht der anekdotische, Inhalt eines Bildes so ein- dringlich zu uns wie bei Watts. Das ist kein poetisch veranlagter Maler, das ist ein Dichter von Gottes Gnaden, der nur zufällig statt mit Papier und Tinte, mit Farben und Leinwand hantirt. Und dazu ist er auf der anderen Seite ein Maler, der die Ausdrucks- mittel seines Handwerks bis zum Erreichen ihrer feinsten Reize beherrscht. Seine viel stärkere Nervosität, sein trockenes Kolorit und seine manchmal etwas zu auf- fällige Verwandtschaft zum Herrn « Deutobold Alle- goriewitsch Mystificinsky j scheiden ihn wohl von dem in Allem gesunden Vollblutmenschen Arnold Böcklin. In seiner künstlerischen Reinheit , in der unbegrenzten Mannigfaltigkeit seiner Begabung aber reicht er bis zur Höhe dieses Giganten hinan. Auch Watts hat nie vor seinem Schaffen die Genehmigung eines hohen Adels und verehrten Publici eingeholt und auch nicht das Urtheil massgebender und hochmögender Kollegen. Da war der Gedanke, da war die Leinwand, da war das Bild. Nun hat er's vielleicht mit den Kollegen dadurch verdorben, dass er die Hauptfigur in ein saftiges Chokoladebraun tauchte, mit dem Publikum dadurch, dass er zu viel hineingeheimnisste , was gilt's ihm. Sein Bild hat er sich von der Seele herunter gemalt! Und alle Kunstwerke der Welt, welche diesen Namen in vollem Maasse verdienen, sind von der Seele ihres Schöpfers heruntergemalt, gemeisselt, geschrieben und gesungen. Das Werden hoher Kunstwerke ist Schicksal, sie müssen ent.stehen , sie sind keine zufälligen Er- .scheinungen, sie sind sozusagen die Consequenzen langer Reihen von Entwicklungsmomenten der Cultur. «Die Venus von Melos», «Die Sixtinische Madonna», «Der Dom von Sankt Peter», «Die neunte Symphonie», « Die Todteninsel » , « Der Nibelungenring » , « Faust » und « Das Lied von der Glocke » , das sind lauter Etappen in der Bildung des Menschengeschlechtes, sie mussten kommen und so werden wie sie sind. Doch

das führt zu weit. Es sollte nur gesagt werden, dass Watts' Werke so entstehen, wie die Werke eines echten Künstlers entstehen müssen, aus dem Bedürfnis eines Temperaments heraus.

Manches von diesen Werken ist ein abgerundetes, vollendetes Gedicht.

«Die Hoffnung»: Eine edle Gestalt, die auf der Erdkugel ruht, mit verbundenen Augen, das Ohr herab- geneigt zu ihrer Harfe, auf deren letzter Saite ihre Finger .spielen. Ueber ihr leuchtet ein Stern! Die Hoffnung ! Sie thront über der Welt, die kein Jammer- thal mehr ist, sondern ein Paradies , sobald der Klang ihrer Harfe über sie hinrauscht. Nur eine goldene Saite hat diese Harfe mehr, die letzte. Aber blind für Alles, was um sie ist, beugt sich die Hoffnung über ihr Saitenspiel und lauscht dem einen Ton und alles Weh und Elend und alle Sorge und Noth sind ver- gessen. Um diesen Klang allein ist das Leben des Lebens werth, «Denn wer ertrüg' der Zeiten Spott und Geissei, des Mächtigen Druck, der Stolzen Miss- handlungen , den Uebermuth der Aemter und die Schmach , die Unwerth schweigendem Verdien.st er- weist», wenn nicht die Hoffnung bliebe auf Besserung. Sie hält uns mächtiger als die Furcht am Leben fest. Der helle Klang ihrer letzten Saite trifft unser Herz und es geht ein Stern auf in tiefer Nacht. Sie ist schon etwas vom Glück, sie ist für unendlich Viele das Glück selber.

«Sic transit! » Stumm und starr, starr und stumm! Die mächtigen Glieder, die so stolze Kraft einst geschwellt, liegen kalt und hart wie Marmor da, und steif und regungslos und hässlich. Gut, dass das Leichentuch die ersten Spuren schaurigen Verfalls bedeckt. Starr und stumm, stumm und starr! Was will der gleissende Kram nun zu seinen Füssen? Die blinkenden Waffen, vor deren Schein die Feinde gezittert? Totes Erz! Leer die goldene Schale, aus der er Jubel getrunken und glänzende Siege ge- feiert in doppeltem Rausch. Welk die Blumen der Liebe, welk der Lorbeer des Ruhms! Verstummt die Saiten der Cither, über die seine Finger hingespielt in zärtlicher Schäferstunde! Werthlos Papier für ihn die Seiten des Buches, in dem er Wahrheit suchte in Stunden stiller Selbsteinkehr 1 Vorbei , vorbei ! Der Schlummernde braucht Euch fürder nicht 1 Werdet Moder wie er! So geht der Glanz der Welt dahin!

F- Watts pinx

Chfit. F. H.infalnengl, Miinclifti.

Marehioness of Granby.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

«Der glückliche Krieger! > Ein sterbender junger Held, von dessen Haupt der Helm sinkt und von dessen Lippen der Kuss eines schemenhaften Weibes das letzte Leben trinkt: Gesiegt, gesiegt! Donnernder Jubel rollt über das Brachfeld hin . über erkaltete Leichen und über Sterbende , deren Seele auf diesem Strom von Triumphtönen hinüberschwimmt, und über Lebendige , Sieger und Besiegte. Ge- siegt, Gesiegt! Noch eben hat der junge Held sein Schwert geschwungen, von dessen spiegelndem Stahl pur- purne Tropfen hinabrannen. Nun fährt seine Hand nach der Halsberge ! Was ist das .'' Heiss und roth strömt es her- aus! Und wie es brennt auf einmal ! Erst hat er Nichts gefühlt , jetzt glüht es wie Feuer! Heiss rinnt es unterm Har- nisch herab aus der Wunde, die er im Kampfes - Taumel und Sieges - Rausch nicht wahrnahm. Wie der Helm drückt, Gottlob, da fällt er hinten über. Sein Antlitz wird bleich, vor seinen Augen kreisen immer mehr im Nebel verschwimmend die Gestalten, vor seinen Ohren braust es und rauscht und saust und klingt. Ein Wirbel fasst ihn , Alles verwischt sich , nur Eins bleibt fest in seinem Empfinden, das dahinjagt in wahnsinniger Hast. Er sieht es deutlich, ein süsses, holdes Gesicht. Das ist der Engel des Sieges , der sich nun über ihn beugt. Ob er sie kennt, diese Lippen! Sie haben ihm den ersten Kuss gegeben, sie gaben ihm den letzten. Jetzt brennen keine Wunden mehr. Aus dem Rauschen und Brausen lösen sich helle, liebliche Klänge, schimmernde Weiten thun sich auf, heitere Gestalten winken, alles Em- pfinden löst sich in einen Strom von Licht Glück- licher Krieger!

G. F. Watts. Lady Lilford.

«Verlockung». Mit Rosenketten zieht er den Jüngling in's Verderben, der geflügelte Gott. Eine Welt von Wonne hat er ihm versprochen und schon beim ersten Schritt ins erträumte Paradies umschlingt ihm stachliges Brombeergerank die prangende Pracht seiner Glieder! Nur immer weiter herein! Das ist die Liebe. Und wenn Du zuletzt verblutest unter den Dornen, Rosen umblühen Dich dochl Was thut's, Du hast geliebt. Ver- blutend wirst Du noch mitleidig lächeln über die Armen, welche die Rosen nicht gepflückt und nicht geblutet haben.

«Der Tod krönt \ die Unschuld».

Schlafe mein Kind- lein, schlafe und er- wache nie mehr! Lasse Dich's ja nicht gereuen , dass Du von dem Treiben die- ser Welt nicht mehr hattest als einen flüch- tigen Blick durch die Thürritzen in den glänzenden Saal. Es ist kein Schreckbild, das Dich in die Arme nimmt ich bin der Friede, ich kröne Dich mit der Krone der Unschuld. Ich bin die Mutter, an deren Busen Alle entschlummern, die Wilden und die Stillen, die Guten und die Bösen. Du schlummerst hinüber, bevor Du Dir noch Narben geholt im Kampfe, der Keinem ausbleibt. Du bist lächelnd ein- genickt, ohne Furcht und rein wie der neugeborne Schnee! Und wie der Kampf bleibt auch die Sünde Keinem aus, Du gingst, bevor sie kam. Es ist gut ruh'n im Schatten meiner dunklen Riesenflügel, gut ruh'n für Dich, der das Sehnen und Bangen, das Streben und Verzagen des Lebens nie erfuhr!

«Leben und Liebe >. Dünkt sie Dir eng die Klippe, über die ich Dich führe, schwindelig, jäh ab- fallend zur Tiefe, steinig und steil.-' Getrost, das Ziel lohnt der Wanderung, wenn ich Dein Geleiter bin!

DIE KUNST UNSERER ZEIT,

Traue mir und halte Dich an mich! Wen ich führe, der ist gut geführt und wenn der Weg durch Nacht und Grausen geht. Ich bin die Liebe, Du bist das Leben, ich bin die Liebe, ich bin das Leben, wir Beide sind eins! Lasse Dein Bangen! Zehn Schritte noch und es sprossen Blumen aus dem Gestein und Du bist im Garten Eden!

«Ophelia». Ihr Kinderköpfchen hielt diesen An- sturm von Weh nicht aus! Zuerst fing sie an wirre Lieder zu singen, böse Lieder, von denen ihr jung- fräuliches Herz nichts wusste. Dann ging sie fort. «Es neigt ein Weidenbauni sich über'n Bach, Und zeigt im klaren Strom sein grünes Laub, Mit welchem sie phantastisch Kränze wand Von Hahnfuss, Nesseln, Masslieb, Purpurblumen: Dort, als sie aufklomm um ihr Laubgewinde An den gesenkten Aesten aufzuhängen, Zerbrach ein falscher Zweig, und niederfielen Die rankenden Trophäen und sie selbst In's weinende Gewässer. Ihre Kleider Verbreiteten sich weit und trugen sie Sirenengleich ein Weilchen noch empor, Indess sie Stellen alter Weisen sang. Als ob sie nicht die eigne Noth begriffe, Wie ein Geschöpf, geboren und begabt Für dieses Element. Doch lange währt' es nicht, Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken, Das arme Kind von ihren Melodien Hinunterzogen in den schlamm'gen Tod».

So starb Ophelia! Wie das unglückliche Mädchen aufklimmend zum alten Weidenbaum in's Wasser hinab sah, hat sie der Maler uns gezeigt.

Es hätte grossen Reiz, so Bild um Bild von Watt's gemalten Versen in Worte umzusetzen. Oft freilich wird seine Allegorie zu gewaltsam, sein Mysticismus zu mystisch. Bilder, wie «Zeit, Tod und Gericht», das er durch die Unterschrift, «Wer den Sturm sieht, soll nicht sähen, wess Blick den Wolken folgt, soll nicht ernten», noch räthselhafter gemacht hat, wie «Fata Morgana», «Der Bewohner des Allerinnersten», brauchen schon ein Kommentar, sie sprechen nicht mehr für sich selbst. Doch das sind Launen, wie man sie Künstlern von seinem Range verzeiht. Sehr ähnlich darin ist ihm von deutschen Malern einer, Max Klinger. Aber seine radirten Bildercyclen

C. F. Watts. Klytia.

poetischen und philosophischen Inhalts liegen be- quemer in der Hand für den , der sich in ihre Räthsel vertiefen mag.

Von klassischer Grösse ist Watts als Bildnissmaler und aus diesem Gebiete seiner Kunst sind in der Münchener Ausstellung ganz besonders köstliche Perlen zu sehen. Sein wuchtiges Portrait des Lord Lawrence, sein Bildnis des Cardinais Manning, das an die grössten Cinquecentisten mahnt, sein Conterfei Rossetti's, des be- rühmten Praeraphaeliten, das sind Meisterwerke ersten Ranges. Das Portrait der Countess Somers beweist, was Watts bei den alten Venetianern gelernt hat und reicht, was Grösse der Auffassung und Einfachheit des Vortrages betrifft, an Leonardo's «Mona Lisa» heran. Ganz anderer Art wiederum ist das Bildnis der Marchioness of Granby , das wir umstehend als Voll- bild wiedergeben. Ein bestrickender Liebreiz , nicht ganz frei von einer gewissen Schwermuth , liegt über diesem Frauenhaupt ausgebreitet, das ebenso gut als das Abbild einer lyrischen Muse gelten könnte. Wunderschön und doch keine Schönmalerci, gibt uns das Bildnis den edelsten Reiz englischer Frauenanmuth wieder. Nicht minder schön aber als das von gött-

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

lieber Hoheit gekrönte Haupt ist der originelle Hinter- In England und in Frankreich ist es , nebenbei

grund gemalt, eine wundervoll duftige Berglandschaft, gesagt, viel häufiger als bei uns, dass Bildhauer als Dieser Hintergrund macht mit der Figur zusammen Maler und Maler als Bildhauer arbeiten. Von Eng- ein Ganzes aus, das viel zu rathen gibt. Er erzählt ländern nennen wir für ersteren Fall John Swan, für jedenfalls eine Geschichte zusammen mit der ver- letzteren eben G. F. Watts, von Franzosen für erstere schieierten Wehmuth im Blick der schönen Frau und Kombination Falguieres, für letztere Gerome, alle ich meine beinahe, die Lösung des Räthsels heisse: Vier auf der Münchener Jahresausstellung von 1893 Heimweh. brillant vertreten. Leighton verdankt die tadellose

Als Landschafter von vielen Graden offenbart sich Reinheit seiner Zeichnung nicht zum wenigsten dem Watts auch mit seiner unbeschreiblich duftigen Ansicht Umstand, dass er seine Modelle auch plastisch aus- von Corsica von der See aus und nicht minder mit arbeitet.

seinem Blick auf den «Ararat», der die enorme Höhe George Frederick Watts ist nicht der einzige

des riesigen Berges in merkwürdig überzeugender wahrhaft grosse englische Maler, der uns in dieser Wirkung zum Ausdruck bringt. «Die Liebe und der Ausstellung entgegentritt. Vortrefflich, wenn auch nur Tod» ist wieder eine Farbendiclitung: Der geflügelte durch Handzeichnungen vertreten, ist der Praeraphaelit Liebesgott scheucht die in weisse Falten gehüllte Burne Jones. Er gehört zur strengen Observanz Gestalt des Todes von einer Schwelle, die er be- seiner Schule uiid gerade die hier ausgestellten schützt. Schwächer, besonders schwächer in der Mache ist «Kain und Abel», beinahe an Leighton's akademische, leidenschaftslose Art erinnert das lebensgrosse Bild eines eben zur jungfräulichen Reife gelangten Weibes, das sich zum Bade rüstet. Lady Lilford's Bildnis ist wohl der Anregung der grossen englischen Portraitisten vom Anfange des Jahrhunderts zuzuschreiben. Man sieht, der Künstler ist den manigfachsten Anregungen zugänglich gewesen; aber nie ist er ein Nach- ahmer, immer spricht aus dem Werke seine eigene Empfindung lauter als das Vorbild.

Auch als Plastiker stellt er sich uns vor mit einer Büste der «Klytia», womit er die auf der ganzen Welt in Nachbildungen ver- breitete Klytiabüste des britischen Museums in London, die übrigens in Wahrheit eine Portraitbüste römischer Provenienz ist, glücklich variirt. Watts stellt den Moment, da Appolo's Geliebte in eine Blume ver- wandelt wird, in viel leidenschaftlicherer Be- wegung des üppigen Körpers dar, als das bekannte Original.

Jedenfalls hat das Werk nicht im Min- desten den Charakter eines dilettantischen Versuchs in fremdem Fache, sondern es sieht vollkommen aus wie das künstlerische Er- zeugnis eines Bildhauers von Beruf. miliam Statt of Oldham. Portrait des Herrn Tom Millie Dow.

IHK KUNST UNSKRER ZEIT.

Studien zeigen ihn in der stilistischen Fonnenstrenge, die direkt auf die grossen Vorbilder wie Sandrov Botticelli und Masaccio zurückgreift. Walter Crane, Ro.ssetti, Holman Hunt, blieben wie er bei dieser Richtung, Miliais, W. B. Richmond und andere An- gehörige der Gruppe gaben es allgemach auf, den Stil einer Zeit wieder zu beleben, in deren naivem Sinn ein moderner Mensch in Wahrheit nicht mehr denken und empfinden kann. Die Praeraphaeliten von reinem Wasser sind eben doch Maniristen, geniale Maniristen freilich, welche die Unpersönlichkeit ihrer Ausdrucksform durch starken persönlichen Geist zu beleben wussten, ganz im Gegensatze z. B. zu der Mehrzahl der deutschen «Nazarener» der dreissiger und vierziger Jahre. Die Epoche der Praeraphaeliten wird in der Geschichte der englischen Kunst ihren Platz behaupten , obwohl sonst die Kunstgeschichte wenig Pietät kennt gegen die Anempfinder. Es handelt sich aber hier doch um sehr individuell ent- wickelte Geister und ein Adel beherrscht diese Schule, der wohlthätig auch auf viele zeitgenössische Maler des Landes wirkte , die zu dem Dogma der Prae- raphaeliten keine Beziehungen hatten. Einige der hier ausgestellten Studien von Burne Jones zeigen eine so holde Reinheit der Form , so überirdisch edlen Ausdruck, dass sie hierin von den schönsten Beispielen des Quatrocento sicherlich nicht übertroffen werden.

Von W. B. Richmond, der ganz zu der An- schauung unserer Zeit zurückgekehrt ist, enthält der Glaspalast ein Mädchenportrait, das Conterfei einer Miss Mackail, so liebenswürdig fraulich, so keusch und zart, dass man den Mangel an Temperament, der für den Maler immer schon bezeichnend war, gerne ver- gessen mag.

Ein ganzes Temperament ist dafür Mouat Loudan, den wir zum ersten Male und zwar gleich als ganz ausserordentlichen Bildnismaler kennen lernen. Sein Bildnis, eine Dame in grellgrünem Kleid mit korallen- rothem Fächer, ist von verblüffender Keckheit der Farbe, aber gewiss nicht unharmonischer Wirkung. Es beweist, dass man die stärksten Kontraste, die in der Wirklichkeit vorkommen, getrost malen darf, nur mu-ss man die Schneid und die Kraft haben, sicher und frisch genug zuzugreifen. Auch ein originelles Landschaftsbild .stellt Loudan aus: «Eine Wolke», eine Landschaft, an der der Himmel mit einer eigenartig

gebildeten Wolke die Hauptsache ist. Ein feines, poesiereiches Stück Arbeit! Aber Mouat Loudan's drei Kinderbildnisse sind doch das Schönste und An- sprechendste, was wir hier von ihm sehen. Wie lieb und hold , wie entzückend drollig sind diese gross- äugigen Babies , denen man die schüchterne Ver- wunderung über den Vorgang des Gemaltwerdens ankennt; wie bekannt und vertraut sieht uns diese « Kytti » und diese « Isa » und diese « Mary » an , als hätten wir sie schon einmal auf dem Knie geschaukelt und sie wollten sagen: «Denk' nur nach, wir kennen uns schon. Du weisst nur nimmer woher.?» Ich meine, es ist eine der höchsten Aufgaben des Portraits, dem Wesen, das es darstellt, Freunde zu erwerben und die, welche jenem Wesen schon freundschaftlich ge- sinnt waren , mit jedem Anblick freundlich zu grüssen. Es gibt denn auch Menschen , die vor einem schön gemalten Kinderbildnis solcher Art immer was wie Rührung ankommt, immer was von der Stimmung: «Mir ist, als ob ich die Hände auf's Haupt Dir legen sollt». Mouat Loudan's Kinderbilder muthen ähnlich an. Und werthvoU sind sie nicht nur ihrem Inhalt nach , auch als Malereien in ihrer vollen reichen Farbenharmonie verdienen sie Bewunderung.

In England ist heute noch das Dorado der Por traitmalerei , das es schon seit des jüngeren Holbein Zeiten war, und vor Allem ist das Bildnis im künst- lerischsten Sinne dort zu Hause. Man « lässt sich dort noch malen» und freut sich dann, wenn das Bild nicht nur ein recht « ähnliches Portrait » , sondern auch ein recht gutes Bild ist. Dort wirkt Sargent, der viel- leicht von den Lebenden allein in einem Athem mit Velasquez genannt zu werden verdient. Whistler mit der genialen Grösse und Einfachheit seiner Bildnisse, der eminent malerische Shannon , der aristokratische Orchardson, die schon oben genannten Schotten Guthrie und Lavery und noch viele Andere. Hier sind Stott of Oldham , Greiffenhagen , Charles W. Furse , P. Wilson Steer ausser den bereits Erwähnten glänzend vertreten. Stott, der geistreiche Farben- zauberer, dem kein Gebiet der Malerei fremd ist, hat ein Portrait des Mr. Tom Millie Dow beigesteuert, so ein richtiges Atelierbildnis unter Kameraden, woran jede Pose und Schönmacherei schon von vorneherein ausgeschlossen ist. Der gutmüthige, athletische, etwas breitspurige, blonde, enghsche «Boy», wie er im

(!. F. Watt.- iiinx

IMiot. F. Hanfstaengl, Mnn«hen.

Hoffnung.

ÜIK KUNST UNSERER ZEIT.

iVilliain Slolt of Oldham. Am Kamin.

Buche steht, in einer bequemen, gestrickten Hausjacke im Lehnstuhl sitzend, den unentbehrlichen Pfeifen- stummel in der Hand. Einer von den brittischen Riesen , nach deren Händedruck man die eigene Hand in Schindeln tragen muss und die beim Football oder ähnlichen Vergnügungen für die Knochen ihrer Neben- menschen als sehr gefährlich gelten, die aber die besten Freunde der Erde und Kameraden von kind- licher Treuherzigkeit sind. Wahrhaftig, gemalt ist das Bildnis des Herrn Tom Millie Dow wunderschön, aber als Menschenschilderung, als Charakterzeichnung, steht es noch höher und wenn ein späteres Jahrhundert wissen will, wie der prächtigste Typus angelsächsischer Männlichkeit um das Jahr 1893 herum ausgesehen hat, betrachtet er sich dieses Conterfei, so sah er aus.

Seltsam melancholisch muthet Stott's grosses Dünen- bild «Zwei Schwestern» an. Hart am Meere in einer Einsattelung der Dünen sitzen etliche Kinder im Sand. Zweie, zwei Schwestern, gehen eben aus der kleinen Gesellschaft fort und die Eine blickt noch einmal zu den verlassenen Kameraden zurück , sie wäre wohl gerne noch etwas geblieben. Der Vorwurf an sich ist nicht sehr interessant. Aber wundersam fesselnd ist die über dem Ganzen lagernde kühle, graue, weh- müthige Stimmung. Kein hohes Licht, kein tiefer Schatten , melancholische Stille auch in der Be- leuchtung. Das Meer, das im Sonnenglanz so herrlich schön ist, so sieghaft schön, dass man aufjauchzen

möchte in seinem Anblick, ist unter trübem Himmel oft schrecklich öde und dann stimmt es traurig, wie nichts Anderes. Und aus dieser Schwermuth heraus macht sich der Beschauer über die durch den Sand hinwandelnden beiden Schwestern seine eigenen weh- muthsvoUen Gedanken. In die Stimmung der Land- schaft ist ihr Schicksal hineingemalt. Auch ein wunder- bares Mondnachtsbild ist von Stott of Oldham's Hand, eine Mondnacht im Sommer über einer Meeresbucht. Es ist eine schwüle Nacht und der Spiegel des Nacht- gestirns blitzt nicht grell auf aus schwarzbraunen Huthen. Mild und gedämpft erscheint das Mondlicht bei der dunstigen Atmosphäre , unsäglich weich und träumerisch ist sein Schein. Es ist nordisches Meer, in das dieser Mond niederblickt und nordischer Himmel, auf dem er glänzt.

Neben diesen feinen Leistungen ist auch von Stott of Oldham's technischer Geschicklichkeit eine frappirende Probe zu sehen, ein Pastell, «Auf der Feuerseite». Eine Interieurstudie, darstellend, wie eine dunkel gekleidete Dame am Kaminfeuer träumerisch im Sessel lehnt. Virtuos sind die Holzmöbel gemalt, die dunkel gegen helle Wände stehen, virtuos die Gestalt der träumenden Frau in der eigenthümlichcn Zwitterbeleuchtung, die sich der Maler ausgewählt. Stott ist ein grosser Könner und ein grosser Künstler dazu. Hier in München hat man seinen Werth bald erkannt , den Werth von Ausländern erkennt man ja immer schneller, und

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UIE KUNST UNSERER ZEIT.

eines seiner schönsten Bilder, «Badende Knaben», schmückt die Sammlun;,' unserer «Neuen Pinakothek. Eine ebenso hervorragende als charakteristische Leistung englischer Hildnismalerei ist das Portrait des Richters «Mr. Henn Collins» von Charles W. Furse. Das ist nicht das Abbild eines englischen Richters, des englischen Richters muss es heissen. Alles Würde und Steifheit! Nicht ohne eine leise Beimischung von Humor hat der Maler die Grandezza des würdigen Dieners der Themis festgehalten, dem man einen enorm entwickelten Berufsstolz wohl ankennt. Kein Fürst trägt seinen Purpur mit mehr Selbstbewusstsein , als er das blutrothe Ge- wand des Standes, der über Leben und Freiheit der gewöhnlichen Menschenkinder entscheidet, kein Fürst trägt seine Krone mit mehr Berechtigung als er seine Perücke, die ein höchst bezeichnendes Atribut seines Wesens ist. Ja wahrhaftig, es liegt Humor darin, wie das moderne, vergnügt-röthliche Portweingesicht unter grauen Lockencascaden der Allongeperücke hervorsieht. Merkwürdig gut ist hier der ganze malerische Vortrag dem Vorwurf angepasst. Alles kühl, nüchtern, korrekt, nicht die kleinste malerische Extravaganz hat sich an den Mann des Rechtes herangewagt. Wer den Maler nur aus diesem Bilde kennte, müsste ihn für einen leidlich prosaischen Akademiker halten. Dann gehe man ein paar Säle weiter und sehe Furse's «Lesende Dame» an, die im Watts-Saal placirt ist. Wie weich und duftig, wie dämmerig träumerisch ist der Ton dieses Bildes, einer jungen Frau, die im sicheren Heim behaglich einem Buche nachhängt, und den Gedanken, die es in ihr weckt. Wie vom Bildnis des Herrn Richters alle Weich- heit und Poesie, so ist von dieser Tafel jede Härte und Nüchternheit verbannt. Es sind freilich nur ganz hervorragende Könner, die ihre Ausdrucksmittel so mit dem Stoff zu wechseln vermögen, aber die Sache selbst ist so richtig. Es gibt sehr berühmte Portraiti-sten, die ein holdseliges Frauengesicht genau nach demselben Rezept heruntermalen, wie das falten- reiche Antlitz eines 70jährigen Staatsmannes, und die vor lauter Geist und Charakter dann das übersehen, was ein weibliches Gesicht vor allem Anderen malerisch macht, den Duft der Jugend und die zarte Blüthe des Kolorits, mit einem Worte, den Reiz der Frau. Da

trifft mancher Stümper oft besser als mancher Meister, weil der Stümper in kindlicher Einfalt ein korallen- rothes Lippenpaar so auf die Leinwand setzt, wie er es sieht und wie ihm es begeh renswerth erscheint, und nicht, wie es heute aussehen würde, wenn's vor 300 Jahren der oder jener berühmte Mann gemalt hätte. Gerade im weiblichen Bildnis hat die englische

Charles W. Fürst. Mr. Justice Henn Collins.

Kunst seit hundert und mehr Jahren ihre unerreichte Grösse, gerade in dem Vermögen, in ein solches Conterfei das ganze Milieu mit hineinzumalen, in dem das Original lebt. Unterschiedliche, kleine Landschaften von Charles W. Furse bekunden , dass er auch auf diesem Gebiete mehr als zu Hause ist. Jedes der kleinen Bilder muthet an wie ein kräftiger Griff in die Saiten einer klangschönen Harfe, so voll, so tief sind die angeschlagenen Töne. Mit wenigen Worten so viel sagen, das will Kunst.

DIE KUNST UNSF:RER ZEIT.

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Thomas Hunt. Nur wenige Worte.

Die oben erwähnte Leistung Maurice Greiffen- hagens im Bildnisfache ist ein Portrait der Frau des Künstlers , ein Muster von Eleganz und Breite der malerischen Vortragsweise. Die Dame ist in ganzer Figur dargestellt, in grauem Mantel. Keine Effektchen, keine Details. Greiffenhagen gehört zur Schule der Shannon und Sargent und Arthur Hacker, die, was malerische Technik betrifft, wohl von den Fran- zosen gelernt haben, deren edle Auffassung aber sicher im brittischen Wesen ruht.

P. Wilson Steer «Narcissen»: Es ist Nacht. Im Innern eines Zimmers steht ein Weib mit unverfälscht englischem Lockenwald hart am Fenster und betrachtet ein Sträusschen gelber Narcissen , das sie aus einer Vase genommen. Im Haar und am Busen hat sie die gleichen Blumen. Starkes , künstliches Licht beleuchtet sie und wirft die Silhouette ihres interessanten, etwas sinnlichen Gesichtchens in scharfer Zeich- nung auf das Fenster. Welche Weichheit und Wärme der Farbe, welche Schönheit der Model- lirung in diesem eigenthümlichen Licht. Steer ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen aus der neueren englischen Malerschule. Bald kommt

er mit Verkürzungen , die selbst Boldini's kühnste Ein- fälle überbieten , er malt eine umherwirbelnde Solo- tänzerin aus der Vogelperspektive oder ein paar sitzende Menschen von unten; und je schwieriger ein Beleuchtungsproblem zu bewältigen ist, desto mehr reizt es ihn. Dann sucht er wieder so schlichte und ein- fache Wirkung auf, wie in seinem hier ausgestellten, beinahe etwas altmodisch gehaltenen Damenportrait.

Seltsam , dass sich die Proteusnatur gerade unter Künstlern dieses Landes in so mannigfachen Variationen vertreten findet. Da ist auch Frank Brangwyn (London), als Kolorist bald geistreich und phantastisch, bald bizarr bis zur Grenze gelinder Verrücktheit und bald nüchtern ernst. Alle drei Phasen koloristischen Strebens berührt dieser Maler mit den drei Bildern, die er in den Glas- palast geschickt hat: Die erste mit seiner «Eva», die zweite mit « Blake vor Santa Cruz » , die dritte mit dem «Seemannsbegräbnis». Die vielgeschmähte und vielgemalte Apfelliebhaberin Eva schildert er im Para- diesesdickicht unter lockenden Früchten und zauberisch leuchtendem Pflanzenwerk. Mit magisch heissem Farben- schein ist ihr anmuthiger Körper übergössen , dringt doch das Licht , bevor es ihn berührt , durch so viel Blätter und Blumen. Die böse Schlange mit dem Apfel ist auch ein wunderschönes Stück Paradies mit ihren herrlichen, stahlblauschillernden Farben. Die ganze sündhaft schöne, verlockende Umgebung von Edens Garten bittet um Verzeihung für die arme, erste Frau, die hier der ersten Versuchung unterlag. Das ist emi-

George Pirie. .Spielende Terrier.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

nent dichterisch empfunden. Das zahme, brave Weib, das mit der Etiquette «Eva» gewöhnlich unter einen normalen, mitteleuropäischen Apfelbaum gestellt wird, das unterläge in Wahrheit der Versuchung gar nicht. Aber diese sinnenwarme Frau hier, die inmitten einer unerschöpflich treibenden und üppigen Natur sich auf- hält, selbst die köstlichste Frucht im weiten Garten, umrankt, umsprosst, umblüht und umduftet von solcher Pracht, die ist allerdings in Gefahr, einige Para- graphen des ersten Strafgesetzbuches im Rausche der allgemeinen Werdelust zu vergessen. Wie eine Mosaik aus farbenschillernden Steinen , aus Lapis und Jaspis, sieht sich das «Seegefecht des Generals Blake vor Santa Cruz» an, ein Bild, das sicherlich nur um eines kräftig klingenden Farbenakkords willen gemalt ist. Das « Seemannsbegräbnis » ist wie von einer an- deren Hand geschaffen. Traurig und düster. Eine Trauer ohne Pathos , eine Düsternis ohne Wildheit. So trauern Menschen, welche die Todesgefahr kennen aus stündlichem Verkehr mit ihr, Menschen, die Tag um Tag die Sichel klingen hören, mit welcher der unerbittliche Schnitter grüne und welke Halme mäht.

An den zwei Pfeilern, welche den englischen Saal der Ausstellung von dem vornehm schönen Raum für Plastik trennen, hängen zwei Bilder von Lourens Alma- Tadema, dem feinsinnigen und immer liebenswürdigen Friesländer, der nun seit 23 Jahren in London weilt und den darum die englische Kunst mit Recht und mit Stolz den ihrigen nennt. Das eine seiner Bilder ist ein Portrait des Herrn E. A. Waterlow, den wir auch als tüchtigen Landschafter und Genremaler im Glaspalast kennen lernen; wunderbar korrekt gezeichnet und gemalt , wunderbar nobel aufgefasst , aber ein Bischen temperamentarm gegeben, wie die meisten, im Uebrigen immer vorzüglichen Bildnisse, die wir von Alma-Tadema's Hand kennen. Das zweite Bild stammt aus seiner eigentlichsten Domäne, der Genremalerei mit antiken Stoffen und reichen stilllebenden Details, an denen er seine weitberühmte technische Virtuosität zeigen kann. In einem antiken Gemache ein Mädchen in schillerndem Gewand, das den Duft eines Rosen- strauches einsaugt. Nicht eben neu, das Thema, aber das Ganze ist doch ein gar feines Stück, eines von den Bildern, die man «haben möchte». Kein Quadrat- zoll auf dieser Tafel, der nicht mit Liebe, Sorgfalt und seltener Kunst gemalt wäre, Alles ist schön und an-

sprechend , die Stimmung in dem geschmackvoll aus- gestatteten Raum, die schmiegsame, zarte Gestalt der Frau, das Gewand, die Rosen, der Tischteppich, alles Einzelne ein Kunststück und das Ganze doch ein Kunstwerk. Es muss auch Klein- und Feinkunst geben in der Malerei und so gerne wir in Ausstellungen das flott und gross Behandelte betrachten, auf solchen mit Behagen geschaffenen Bildern ruht unser Blick nicht minder gerne aus, wenn die Mache so viel künstlerischen Geist athmet, wie die Tadema's. Jene Kleinmalerei freilich, die heute sehr verbreitet, viel bewundert ist und deren wichtigster Apparat in Wahrheit aus einer Loupe, einer Photographiecamera und recht spitzigen Pinseln besteht, würde am Besten aus unseren Aus- stellungen verbannt. Der Laie glaubt gar nicht, wie wenig man zu solchen «Meisterstücken» Talent braucht, wenn man nur Geduld hat, recht lange auf einem P^leck zu sitzen. Alma Tadema's Gattin, Laura, ist be- kanntlich ebenfalls eine mehr als geschickte Malerin und gleichfalls im Glaspalast vertreten. «Tout en causant» heisst das charmante kleine Genrebild, das sie ausstellt, zwei Mädchen beim Garnwickeln, und das sie durch die feine , tonige Behandlung des Ganzen, wie besonders auch durch die delikate Aus- arbeitung der Fleischparthien als Schülerin ihres Gatten erkennen lässt.

Dudley Hardy hat sich seinen weitgekannten Namen durch die grosse , wilddramatische Schilderung der « Obdachlosen auf Trafalgar Square » gemacht. Mit einem Realismus, der das Herz manches zahlungsfähigen Moralisten aus der City erzittern machte , malte er die Aermsten von den Armen, die Ausgestossenen , die Nichts hatten in kalter Nacht, wo sie ihr Haupt hin- legten, Nichts, als die harten, regennassen Steinstufen des stolzen Nelson-Denkmals. Das Bild hat vielleicht packender gewirkt , als lärmende Meetings und anar- chistische Brandreden, und hat wohl manches Herz zu thatkräftigem Mitleid erschüttert. Heuer tritt uns der Künstler in wesentlich harmloserer und bescheidener Gestalt entgegen und bringt nur etliche charmant ge- malte Kleinigkeiten, deren reizendste vielleicht und interessanteste sicher das Bildnischen der Sarah Bern- hardt sein mag, der schlanken Tragödin mit der Gold- stimme, der Frau, die, trotzdem sie an Reklamewuth einem Barnum gleichkommt, trotz ihres demonstrativen Chauvinismus und tausend Abgeschmacktheiten ihres

DIK KUNST UNSERER ZEIT.

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Lebens, doch eine grosse Künstlerin ist. Hardy bat sie so extravagant und pikant wie möglich aufgefasst und dabei eminent bezeichnend: eine helmartige Coiffüre, welche die Stirn bis über die Augen herein beschattet; ein Schleppgewand, ohne Schnitt, sozusagen, das aus- sieht, als sei es um den Körper gegossen und ihrer biegsamen Gestalt fast einen schlangenhaften Ausdruck leiht; eine riesenhafte Tüllschleife unter dem Kinne, die bekannten langen Hand- schuhe, — alles was an äusserer Ausstattung zur Sarah gehört.

Und das Wenige, was diese Ausstattung von dem geistreichen ner- vösen , reizbaren und reizvollen Gesicht übrig lässt, ist vorzüglich ge- troffen.

Neben fünf oder sechs kleinen Oelbildern hat Dudley Hardy eine Un- zahl von Handzeich- nungen für Illustrations- zwecke nach München geschickt, darunter eben- falls ein Bildnis der fran- zösischen Tragödin.

Dieses Dutzend von Illustrationen und Karri- katuren , die ein bedeu- tender englischer Malei für Zeitschriften fertigte, ist sehr charakteristisch für englische Kunst. Viele von den allerersten Kräften

G, P. yacomb Ilood. Hexentanz.

der Hand liegenden, vortheilhaften Einfluss auf die Kunst selbst. Auf welchem Niveau steht z. B. dem «Graphic» oder der «Illustrated London News» oder dem «Punch» gegenüber in künstlerischer Beziehung die Mehrzahl der illustrirten deutschen Familienjournale.? Das ganze Ausland, das die deutsche Kunst sonst

durchweg achtet, spottet über diese künstlerische Tageskost des deutschen Publikums.

Und die Leute, Bes- seres zu machen, hätten wir wahrhaftig, wie die Künstlerarmee der «Flie- genden » und der arti- stische Generalstab eini- ger weniger anderen Zeit- schriften beweist.

Seltener , aber dann meist mit glücklichem Griff behandeln die Eng- länder das eigentliche « Genre » , ein herr- liches , deutsches Wort für einen Begriff, der nirgend mehr zu Hause ist, als gerade bei uns. Eine von diesen Aus- nahmen und einer von diesen glücklichen Griffen ist Thomas Hunt's köst- liches Bildchen «Nur we- nige Worte». Ein weiss- haariger Tischredner ist bei einer Tafel aufge- standen, um «wenige Worte » an die verehrten

Festgäste zu richten. Es ist sicher was Liebes, was arbeiten dort für illustrirte Journale, die sie brillant der Alte sagt, denn ein Ausdruck rührenden väter- bezahlen, und ihnen damit die Möglichkeit schaffen, hohen Wohlwollens leuchtet aus seinem Gesicht. «Nur im Uebrigen freier und unbehinderter ihren reinen wenige Worte, aber von Herzen», so geht wohl

künstlerischen Idealen nachzugehen. Das hat einen hervorragend günstigen Einfluss auf die Entwicklung des öffentlichen Kunstgeschmacks, der sich nicht zum kleineren Theile an den um wenige Pence käuflichen bildergeschmückten Zeitschriften bildet und einen auf

seine Rede an. Ob er Wort hält.? Mich dünkt, er sei in der Stimmung, doch etwas breiter zu werden.

Und welch ein freundliches herzgewinnendes Bild- chen ist auch John Mac Lurc Hamiltons « Lesestunde y Ein blondlockiger Bube erhält von seiner Mutter oder

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DIE KUNST UNSERER ZEIT,

älteren Schwester Lesestunde aber nicht in dumpfer Schulstube, sondern im Freien unter einem grünen Baum auf der Gartenbank. Die Genrebilder, die, wie dies. keine lange Erklärung geben oder brauchen, sprechen am Meisten an. Ein Werk des gleichen Malers «Beim Getreide» führt uns einen Alten vor, der Maiskolben von ihren langen Schäften löst. Eine interessante Greisen- gestalt — einer von den alten Männern, von denen man sich gerne Geschichten erzählen lässt. Hamilton's drittes Bild stellt einen be.sondern alten Herrn dar es ähnelt dem Konterfei W. E. Gladstones, das Hamilton 1891 in der Royal Academy au.sgestellt hat

G. P. Jacomb Hood's «Hexentanz» athmet eine Wildheit der Phantasie, die eigentlich gar nicht mehr recht englisch ist. Auf irgend einem steinigen Plateau, aus dessen Bodenspalten glühende Dünste aufsteigen, steht eine nakte Hekate, den Mantel von sich schwingend, einen Stab in der Hand, um den eine Schlange sich ringelt. Und um sie in gespenstischem Ringelreihen tanzen die Hexen, luftig gewandet. Phantastische Schlag- schatten fallen in den Kreis herein und künden von jenen am Ringelreihen betheiligten Damen, die im Rahmen nicht mehr Platz gefunden haben. Grelles Mondlicht, oder irgend ein Schein aus magischer Lichtquelle beleuchtet den Hexensabbath, der übrigens mehr an eine classische Walpurgisnacht, als an eine germanische Blocksbergredoute erinnert.

«Blau und Gold» heis,st ein kleines, allerliebstes Bildchen des gleichen Malers, womit, der Manier der Whistlerschule folgend, statt des eigentlichen Vorwurfs die beiden Grundtöne bezeichnet sind, auf welche der Kolorist das Bild gestimmt hat. Manier, wie angedeutet ist's freilich, und bedeutet noch dazu Etwas, was eher abstösst als anzieht. Die Maler werden sich kein Publikum ziehen können, welches sich für den Farbenklang als solchen früher interessirte, als für das Dargestellte. Auch der Komponist schreibt nicht X-moll oder Y-dur über seine Kompositionen, sondern er setzt ■einen Titel davor, der wenigstens sagt, in welche Kategorie der Tondichtung sie gehören. Die « Stimmungen in Rosa und Silber» und die «Symphonie in Apfelgrün» sind Modethorheiten wie viele Thorlieiten , auf- gebracht von einem überlegenen Geist, der sich solche Absurditäten gestatten durfte und ihnen Reiz lieh durch seine Persönlichkeit. Aber die Nachahmung lässt das abgeschmackt erscheinen, was vordem nur bizarr war.

P. Wilson Slcer. Jonquille.

Neben ausserordentlich vielen Namen dieser Gruppe finden wir im Ausstellungskatalog als Heimathort Glas- gow angegeben, und es sind wahrhaftig nicht die schlechtesten Maler, die dorther stammen. Nur einige wenige davon allerdings gehören direkt der bekannten Gruppe von zehn oder zwölf kraftvollen Koloristen an, die sich, stolz und bescheiden zugleich die « Boys » nennen. Viele aber stehen indirekt unter dem Einflilss dieser Schule , deren bezeichnende Eigenschaften sich gerade bei einigen Nachahmern bis zur Uebertreibung auswuchsen, wie z. B. bei J. R. Murray, der an koloristischen Knalleffekten in der Thät das Menschen- mögliche leistet aus aller Extravaganz spricht aller- dings doch immer ein seltenes Farbentalent. Massvoller und edler finden wir die Einflüsse der neuen Glasgower Schule bei den Schotten Harry Spence und William Macbride verarbeitet. Von herzerhebender Frische ist des Ersteren normannisches Küstenbild mit den plaudern- den Kindern, von idyllischer Lieblichkeit sein « Pastorale » ; auch Macbride hat ein solches Hirtenidyll gemalt, welches demjenigen Harry Spence's an Auffassung und Farbe, sogar an Format sehr ähnlich sieht. Eine mächtige Handschrift schreibt Grosvenor Thomas, von dem wir ebenfalls ein «Pastorale», eine wirkungsvolle Landschaft und ein entzückendes Blumenstillleben sehen ; mit einem vierten « Pastorale » und einem lyrisch zart empfundenen «Mondaufgang» ist Macaulay Stevenson angerückt, viel- leicht die reinste Dichternatur unter den Schotten ; an

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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ihm lässt sich übrigens der starke Einfluss noch am Klarsten erlcenncn, welchen die Meister von Rarbizon auf die merkwürdige schottische Künstlergruppe geübt haben. Ein Tlicil von ihnen scheint sich aus der Ge- gend von Fontaineble.'ui auch jetzt noch seine Motive zu holen, so stellt E. Shervvood Calvert eine aller- liebste duftige kleine Stimmungslandschaft «Ebene von Barbizon» aus und einen poetischen «Mondaufgang» mit jenen charakteristischen Heuschobern, die Mille und seine Genossen so gerne auf ihre Bilder brachten.

Ranges offenbart sich der Edinburgher Mason Huntcr in einem fabelhaft Hott bewegten Regattabild von Loch Tyne und eine Sommer-Zwielichtstimmung bei Tarbert Castle von geradezu magischem Reiz. Bilder wie das Letztere sind fast für eine Ausstellung zu gut, d. h. ihre intime Schönheit kommt dort nie voll zur Geltung.

Archibald Kay , J. Kerr Lawson , Stuart Park ebenfalls drei schöne Farbentalente , auf deren Vorzüge im Einzelnen einzugehen der Raum hier leider nicht gestattet.

Harry Spence. An der nonnaniiischeu Küste.

Fast unheimlich grandios wirkt J. Denovan Adam's «Heimkehr vor dem Sturm», eine Viehherde, die vor dem Ausbruche eines Gewitters nach Hause getrieben wird. Die flüchtige, fast hastige Art der Malerei passt vortrefflich zu dieser unruhigen Stimmung in der Natur, der verderbenschwangere Wetterhimmel könnte nicht besser dargestellt sein. Gleich unbändige Kraft spricht aus den Arbeiten von Alexander Frew, von dem eine tiefblaue grosse Marine und eine schottische Weide- landschaft mit blühenden Ginsterbüschen zu sehen sind. Frew liebt starke Farben, aber nicht so starke Kontraste wie viele seiner Landsleute. Als Wassermalcr ersten

Macgregor Wilson (Glasgow) gehört zu jenen britti- schen Malern , die uns Abendländern gelegentlich von den Herrhchkeiten des fernsten Ostens erzählen. Das rosenberühmte, sagenumwobene Schiras in Persien und eine « armenische Prozession in Julfa » , im gleichen Lande hat er mit südlicher Gluth der Farbe gemalt. Vom Gleichen ist auch ein geschmackvolles Damen- portrait in ganzer Figur. Aus dem Portraitfache sind ferner noch rühmlichst zu erwähnen: Theodor Roussel's (London) Bildnis des geistreichen Marinemalers B. Sickert und ein anziehender weiblicher Studienkopf im Profil; Prinz Pierre Troubetzkoy's lebendiges, wenn auch bei-

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nahe bis zur Scherzhaftigkeit charakterisirtes Konterfei des Sir John Day, und Joseph Henderson's fleissig ge- maltes, aber etwas nüchternes Portrait eines brittischen Grossmeisters der Freimaurer. Noch zwei andere « Henderson » kennt der Katalog der Ausstellung. Von dem einen, Joseph, ist ein farbenreiches Chrysanthemum- stillleben zu sehen, von dem andern, Morris, ein grosses Heuerntebild von guter dekorativer Wirkung, wenn auch nicht von grosser Intimität.

Schottland zählt übrigens eine grosse Zahl eminenter Landschafter, welche nicht zur Palette der Boys ge- schworen haben. Der Ersten einer ist B. Docharty, ein Naturtalent vornehmsten Ranges, der scharf sieht und das Gesehene wiedergibt ohne Phrase, ohne tech- nische Bravourstücke, aber unendlich wahr und darum immer poetisch. Denn die Natur ist immer schön, so unsäglich schön, dass einer, wenn er ein Stück ununter- brochene Sandwüste und wolkenlosen blauen Himmel darüber malen könnte, wie es sich wirklich seinen Blicken zeigt, allen übrigen Landschaftern der Erde an Poesie noch weit voraus wäre. Wer, was die Landschaft betrifft, davon spricht, dass das unbedingte Abschreiben der Natur der Kunst nicht würdig sei, der kennt die Natur nicht und hat sie nicht lieb. Aber mit heissem Bemühen muss sie der Abschreiber in ihre intimsten Reize ver- folgen und was die Schönredner idealisiren heissen , ist eben nichts Anderes als verstehen. Die Natur idealisiren! Das Meer färben, die Veilchen parfümiren, und die Bäume « malerisch » zustutzen I Die neuzeitliche Land- schaftsmalerei aller Länder hat mit dieser Katheder- phrase gründlich gebrochen und jeder Stümper weiss, dass das, was der Beste nie erreichen kann, auch nie Einer verbessern werde.

Docharty steht unserer deutschen Landschaftsmalerei merkwürdig nahe. Da hat er einen «Abend am Fluss» gemalt, ein Bild von satten, tiefen, reichen Farben, von wundersamer Ruhe und Ernsthaftigkeit, ein Bild, unter dem eben so gut der Name irgend eines recht tüchtigen Münchners stehen könnte. Oder der « Herbstabend » mit der goldbelaubten grossen Eiche im Vordergrunde, ist das nicht wie eine deutsche Landschaft? Oder der Hagedorn», dessen blüthenübcrschncite Aeste aus der Dämmerung leuchten ? Als wäre er von gleicher Hand gemalt , .sieht uns des Edinburghers William Milne «Obstgarten in derHlüthe» an. Ein wahres Feuerwerk von weissen und rosenfarbigen Blüthen, eine Frühlings-

symphonie — ohne Worte, hätt' ich bald gesagt, weil in dem Bild nichts anderes wirkt, als der Frühling selbst, kein episodisches Beiwerk irgend welcher Art. Eine Führerrolle unter den schottischen Malern älterer Richtung hat A. K. Brown in Glasgow inne, ein eleganter und hochstrebender Landschafter, der vielleicht etwas zu viel braune Töne und etwas zu wenig reine Farben auf der Palette hat, aber erstens ein Landschafts- zeichner von ungewöhnlichem Können ist und ferner in der Wahl seiner Vorwürfe und Stimmungen einen selten feinen, geläuterten Geschmack entwickelt. Seine Ansicht des Gare lock in Schottland in dunstiger grauer Stimmung und herbstlicher Oede hat die Münchener Pinakothek erworben. In jedem seiner Bilder sagt er Anderes und jedes Mal sagt er es schön. Wie gut, dass es in unserer kampflustigen Kunstepoche, wo sich die Gegensätze so scharf ausprägen, solche Erscheinungen gibt, die beweisen, wie wenig im Grunde Richtungen und Strömungen, Schlagworte und Parteien, wie wenig die Frage, ob alt oder jung. Jene angeht, deren Kunst echt ist. Unrecht haben nur zwei Gruppen: auf der einen Seite Die, welche als laudatores temporis acti, unlustig und unfähig weiter zu streben, mit gieriger Leidenschaft sich gegen alles Neue wehren, aus Todesangst, sie könnte ihre warmen, bequem und billig erworbenen Stühle an Bessere abgeben müssen ; auf der anderen Seite Jene, welche im Kiel- wasser mächtig vordringender Fortschrittsbewegungen unfrei und nachahmend, genialthuerisch und reklame- süchtig mitschwimmen, um vielleicht nach kurzem, erborgten Glanz rettungslos unterzutauchen in der Fluth der Zeit. Es ist oft schwer, die Ersteren von den berufenen Hütern des Erworbenen und die Letzteren von überschäumenden, bahnbrechenden Talenten zu scheiden schwer, wenn man nicht Zeit hat, ein paar Jahre zuzusehen. Dann freilich verschwinden die Einen wie die Andfcrn und nur der Bleibende hat Recht. Wie oft mag der Kampf, der heute die Gemüther erhitzt, im Laufe der Kunstgeschichte ausgefochten worden sein r Die Namen waren anders blos, doch waren es dieselben Helden lobebraven ! Von Buonaroti bis Adolf Menzel ist wohl jeder grosse Maler, als er auftrat, als Ketzer verschrieen worden und von Adolf Menzel bis auf Buonaroti zurück hat sicher auch jeder grosse Maler, wenn er den Zenith seiner Schaffenskraft erreicht hatte, die vor ihm auftauchenden neuen Erscheinungen mit Misstrauen und oft mit Groll betrachtet und gelegentlich

K- Watts piux.

Phot. F, Hanfslaengl, Müiirtu'

Leben und Liebe,

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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G. /■'. IVatts. Cardinal Manning.

auch bekämpft. Gewiss aus edlen Motiven, was die wahrhaft Guten angeht aber keiner von den Alten hat bei Beurtheilung der Jungen sich voll daran erinnert, dass er auch einmal ein verketzerter Junge war. Und keiner von den Jungen erinnert sich hinreichend daran, dass auch er einmal ein Alter sein und sich gegen die Zumuthung wehren wird, er möge so freundlich sein, sich ins alte Eisen zu begeben.

In die gleiche Gruppe wie A. K. Brown gehört Robert M. Coventry mit seiner schönen Ansicht des Loch Ard und David Fulton, der zwei farbenreiche Herbststimmungen gemalt hat mit kühler, feuchter Nebel- luft, die alle Formen weich erscheinen und keine Farbe zu vollem Glänze kommen lässt. Ein hervorragender Landschaftsmaler ohne Frage, ein feines, sympathisches Talent, das von jeder gröberen Wirkung absieht. Die

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Neigung zu einer wehmüthigen Stimmung, zu einer gewissen Empfindsamkeit ist vielen englischen Land- schaftern gemeinsam und charakteristisch ist dafür, dass Zahlreiche von ihnen jede belebende Staffage ver- schmähen und die Natur allein sprechen lassen. Solche ernste, man möchte sagen, thränenfeuchte Stimmung athmet W. J. Laidlay's grosse Marschenlandschaft im dämmerigen Lichte eines Mondaufgangs und Arnesby Browns herbstliches Sumpfbild mit einem Föhrenwäldchen stimmt ähnlich zu stiller, ernster Selbsteinkehr. Des- gleichen beseelt diese Poesie der Verlassenheit William Dickson's Strandbild, so hell und freundlich dessen Farben sind Einsames Wasser macht uns immer ge- dankenvoll, heranrollende und zerstobende und wieder zurückrollende Wellen sind zu sehr ein Bild unseres Seins, als dass sie nicht von Jedem schmerzlich als solches empfunden werden sollten, der ein Ohr hat für die Sprache und Weisheit der Schöpfung. Alfred East mit seinem «Land zwischen den Seen» gehört auch in diese Katesforie der Melancholiker. Er malt den

Jolin Mc/.ure Hamilton. Lesestunde.

Herbst, der an's Sterben mahnt, er malt die Ein- samkeit, die Sehnsucht nach Menschen wachruft, nicht die Einsamkeit , die erfri.scht. Eine unverhältnismässig grosse Zahl von englischen Malern scheint die Lyrik der fallenden Blätter zu fes.seln. Das ist hoffentlich kein Zeichen vom Altern ihrer Kunst, sondern nur eine Folge davon, dass der trüben Tage im Inselreich mehr sind, als der hellen und farbenfreudigen.

Immer freundlich ist Alfred Parsons. Er liebt grüne Wiesen und blühende Bäume, er liebt das ge- sunde Element der farbenfrischen , englischen Land- schaft, die eine Dürre kaum kennt, er ist der Maler der Gärten, ergötzt sich an den pittoresken Formen der Obstbäume und ist einer der geschicktesten Tech- niker, die man sich denken kann. Zwei in ihrem Charakter einander sehr verwandte Landschäftchen Parsons' hängen in der Glaspalast-Ausstellung neben- einander, ein Aquarell und ein Oelbild. Wer's nicht zufällig weiss, kommt auch wohl nicht darauf, dass er hier zweierlei Techniken vor sich hat. In einem etwas grösseren Bilde zeigt er uns den Garten eines reichen englischen Hauses mit Apfelbäumen im vollen Blust und einem blühenden Tulpenbeet. Die Kunst von Alfred Parsons hat etwas merkwürdig zurückhaltend- vornehmes, so was vom F"lirt, bei dem man schöne Dinge sagt, aber nicht laut.

Ein paar höchst lebendige Genrebilder, «Der neueste Skandal» und «Ein Span vom alten Klotz», stellt Miss Flora Reid aus, eine Schwester von John Robertson Reid , einem Schotten , der ein leidenschaft- licher Kolorist wie die meisten seiner Landsleute, im Gegensatz zu diesen seine Palette auf Dur, nicht auf Moll gestimmt hat. Starke , oft brennende Farben, aber wie gesagt, meist hart, nicht weich. Flora Reid hat sich die Farbenskala und den Vortrag ihres Bruders so sehr angeeignet und kann so viel, dass ihre Bilder von den seinigen nur schwer, oder nicht zu unterscheiden sind. Wellwood Rattray entstammt augenfällig der gleichen Schule. Es sieht sich das schon stark aus seiner ganz auf blaue Töne gestimmten Küstenlandschaft «Abend auf der Insel Arran», unver- kennbar wird es in seinem anderen Uferbild, «Proviant für die Cabine».

Nur ein Thiermaler von Bedeutung hat ausgestellt, George Pirie aus Glasgow, und zwar zwei Hundebilder,

Q. r, Watts ptnx.

Phot. F. aanr»taen|[I, Mttnchen.

Der Tod krönt die Unschuld.

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die nicht nur ausserordentliche malerische Kunst, sondern auch das liebevollste Studium der .Thierseele voraussetzen lassen. Wie köstlich sind seine «spiel- enden Terriers» beobachtet, wie wundervoll echt seine «jungen Hunde » mit ihrem dummscheuen Wesen und ihrer ungelenken Figur !

Henry Herbert La Thangue hat ein Mädchen gemalt, das an heissem Sommertag einse- schlafen auf dem Felde liegt und von Schnittern so gefunden wird. Die schwüle Stimmung, die Gestalt des jungen Weibes, jedes übrige Detail des Bildes ist seiner malerischen Qualität nach über jedes Lob erhaben, ja in dieser Hinsicht kann man das Bild den Perlen der eng- lischen Abtheilung beizählen.

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Dudley Ifanly. Mme- Sarah Bernhardt.

einem Tümpel, die Schnauze in die trübe Fluth getaucht. Eine kleine Tragödie für arme Leute. Das Ganze spielt bei einbrech- ender Dämmerung , hinter den Föhren steigt eben der Mond herauf Der Tritt des Mädchens im knisternden Röh- richt hat Raben aufgescheucht, welche den Kadaver des ver- endeten Thieres als gute Beute aufgesucht hatten. Ein einge- gangenes Schaf, nichts weiter! Und doch eine ganze Geschichte von Noth und Ver- schmachten, von Vereinsamung und Trauer. Recht harmlos, aber ganz hübsch ist Otto Scholderer's «Junger Wilddieb», ein Verbrecher, dem man nur um seiner treuherzigen Augen willen zu wenig böse sein kann.

Morley Fletcher's « Die Liebe höret nimmer auf» , ein Nachtstück von anscheinend hochpoetischem Inhalt ist leider nicht recht wohl verständlich: eine gekrönte Frau beugt sich über eine Wiege, eine zweite Gestalt aus dem Bilde allein ist nicht gut

Und doch stört etwas daran: das Pathos des Vortrages steht in einem ge- wissen Missverhältnis zum Inhalt. Tant de bruit pour une Omelette! Ein eingeschlafenes Bauernmädchen, und darum lebensgrosse Figuren? Wir beobachten an der kauert davor, Wirkung dieses Hildes, was uns im Leben oft vor- klug werden.

kommt, was wir auch im Theater häufig genug be- Die englischen Graphiker sind auch in diesem

obachten können: dass irgend eine gleichgültige, unbe- Jahre im Glaspalaste, wie schon früher, die weitaus strittene oder bekannte Sache mit gehobener Stimme besten ihrer Sparte, wenn wir uns auch leider ver- pathetisch vorgetragen, alles Interesse verliert, ja bei- sagen müssen, im Einzelnen auf ihre Leistungen ein- nahe komisch wirken kann, während wir sie im ruhigen Geschäftston ganz gerne anhören würden. Der Aus- erwählte freilich kann dafür auch einmal eine schlichte alltägliche Geschichte so erzählen, dass sie rührend zum Herzen spricht. So i.st es mit E. W. Grier's schönem Hirtenbilde « Verloren » , das 1 890 in Paris eine Medaille errang. Es ist Abend. In einer mit

zugehen. Plastiker sind weniger zahlreich vertreten : Ausser Watts' schöner «Klytia» ist namentlich E. 0ns- low Ford 's berühmtes Shelley-Monument zu nennen. Ein herrliches Meisterwerk ist die Gestalt des toten Jünglings, realistisch wahr und dabei vom edelsten Fluss der Linien. Ziemlich conventioneil ist dafür die trauernde Muse ausgefallen , welche den unglücklichen Dichter beweint. Etliche süperbe Kleinigkeiten steuerte Mädchen, ein halbverwildertes, halbreifes Ding, seine der Maler- Bildhauer John Swan (London) bei, die Lämmer zur Weide getrieben. Sie trägt ein wenige Statuetten eines Tigers und eines Panthers, in Charak- Tage altes Lämmchen im Arm und ist auf der Suche tcristik und Bewegung eben so ausgezeichnet gesehen nach der Mutter des zierlichen kleinen Thieres. Sie als gegeben. Ein Thierbildhauer, den man getrost mit sucht und findet: verendet liegt das Mutterthier an Fremiet und Cain in eine Reihe stellen darf Ver-

hohem Riedgras bewachsenen Moorgegend hat ein

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

schiedene Handzeichnungen Swan's verrathen, dass der Künstler seine Modelle nicht blos im Runden, sondern auch fleissig und verständnisvoll der Linie nach studirt. Schliesslich sei noch der Auszeichnungen gedacht, welche an englische Künstler gelegentlich der heurigen Jahresausstellung im Glaspalast ertheilt wurden: Die grosse goldene Medaille erhielten: G. F. Watts in London und J. Denovan-Adam in Stirling; die kleine goldene Medaille: A. K. Brown (Glasgow), Macaulay Stevenson (Glasgow), Alfred Parsons (London); für

Plastik : Onslow Ford die erste Medaille ; für Graphic : H. W. Batley (London) und C. O. Murray (London) die zweite Medaille.

Wenn Kollektivauszeichnungen für ganze Gruppen vertheilt würden, so hätte die Abtheilung der Eng- länder heuer im Münchener Glaspalast, deren Zu- standekommen der umsichtigen und von rein künstler- ischem Standpunkte ausgehenden Thätigkeit des Malers Max Nonnenbruch zu danken ist, sicher die erste An- wartschaft darauf gehabt.

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Arnold Böcklin.

EINE STUDIE

VON

FRANZ HERMANN MEISSNER.

ür die psychologi- sche wie historische Betrachtung der Kunstgeschichte gibt es kein interessanteres Phä- nomen als diejenige Künst- lerpersönlichkeit, welche inmitten einer ruhigen, in kleinen Differenzen gehen- denEntwicklung sich plötz- lich als ein neues und vollkommen ausgestaltetes Prinzip erhebt: denn in jener Hinsicht bildet sie wohl die glänzendste Illu- stration für die mensch- liche Schöpferkraft, welche in vereinzelten Individuen deren geheimnisvolles In- nenleben zu einem ganzen Weltgefüge gleichsam aus- zugestalten vermag, voll Gesetzmässigkeit nach der Analogie der sichtbaren

Erscheinungen, hier aber im Zusammenhang mit Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft gibt sie gewichtige Aufschlüsse über das Nervensystem des Werdegesetzes, weil in ihr als einem festen Kern inmitten der Ideen- welt einer Zeit alle Fäden zu einem neuen Gebilde zu- sammen laufen.

Arnold Böcklin. Selbstbildniss.

Alle Bahnbrecher und Häupter innerlich ausge- reifter Zeitabschnitte sind Persönlichkeiten dieser Art: mit einer abgeschlos- senen Reihe von Vor- stellungen und Formen erheben sie sich plötzlich, in wachsender Reife durch- dringen sie ihre sich lang- sam zu ihnen bekehrende Zeit und bestimmen damit in einer Art von Tyrannis den Weg der Weiter- bildung. Phidias, Michel Angelo, Giorgione, Rem- brandt , Rubens , Millet, Menzel stehen als Riesen- denkinale menschlicher Freiheit in Vergangenheit und Gegenwart, als Quel- len gewaltiger Entwick- lungen über Jahrhunderte hinweg, indess bei den von der eigenen Zeit fast regelmässig höher geschätzten grossen Talenten die übernommenen Richtungen zu Ende geführt werden und absterben.

Vielfach verzweigt sind die Ströme und stark , in welchen der künstlerische Wellenschlag unseres Jahr-

NB. Die Text-Illustrationen sind mit Genehmigung der Photographischen Union in München aus dem < Böcklin -Werk > entnommen.

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hunderts im ahnungsvollen Vorwärtsringen, im Besinnen und Haften, in sehnsüchtigem Rückerinnern fluthet, der reinste und lieblichste Laut dieses Wellenschlags ist um die Mitte des Jahrhunderts jene nationale Reaktion gegen den Classicismus eines Cornelius hier und David in Frankreich, welche man unter dem Namen Romantik zusammenfasst. Das Rassenideal sucht diese Romantik in seiner Reinheit wiederzugewinnen , sie ist darum auch etwas Anderes in Frankreich, wo ihr Haupt, der glänzende Rhethoriker Delacroix, diese Schule zu einem meteorhaften Aufleuchten bringt, sie ist etwas An- deres in Deutschland, wo Schwind Führer wird, wo sie durch einen unglücklichen Mittelalterkultus verführt, schnell erstarrt, denn in ihrer poetisch-idealen Auf- fassung, deren Schwerpunkt ausschliesslich im phan- tastischen Einfall liegt, hört sie auf Malerei zu sein und verliert sich in die Illustration, in der sie heute noch eine gewisse Rolle spielt.

Über eine theoretische, ästhetisirende Schule kommt die Romantik beider Völker jedoch zu Beginn nicht hinaus , trotzdem gerade in Deutschland eine unge- wöhnlich reiche Anzahl origineller Geister ihr Gefolge bilden. Erst als «Romantik» aufhörte, ein Schlagwort des Tages zu sein, entfaltet sie in zwei gewaltigen Persönlichkeiten plötzlich eine wunderbar prächtige und starke Nachblüthe, deren Samen das Ende des Jahr- hunderts befruchtet hat. Aus der jungfräulichen Waldes- stille von Fontainebleau nämlich klingt plötzlich ein berückendes Lied: Millet, der Prophet des mystisch- romantischen Naturkultus predigt mit weltvergessener Begeisterung ein Evangelium, in dem Romantik und Naturalismus eine glühende Liebesgemeinschaft ein- gehen und eine Grundformel für die grosse Sehnsucht des modernen Menschen nach Regeneration erzeugen. Nur wenig später aber quellen aus einer strotzend reichen , urdeutschen Phantasie , die auf rauhen Bergen der Alpenwelt gewachsen ist, ganz seltsame Gebilde: weltfremdes, tiefinneres Gemüthsleben und weltüber- .legener, jauchzender Humor der germanischen Rasse spiegeln sich in hellenischer Antike, die noch einmal vor ihrem Erblassen in glühendem Abendroth auf- flammt. Diese gewaltige Persönlichkeit, in der die Kunstideale zweier Rassen in unerhörter, einziger Har- monie zur Vereinigung gekommen sind, die als ein grosses Fragezeichen mitten in einer andersartigen Zeit

steht, ist der Schweizer Arnold Böcklin, gleich seinen Geistesverwandten Giorgione und Rembrandt menschlich wie künstlerisch eine der abenteuerlichsten Künstler- physiognomien der Geschichte.

Ein Sohn des freien Schweizervolks , ist Arnold Böcklin ein Landsmann von Jean Jaques Rousseau und dem Dichter Gottfried Keller, und gleich ihnen ver- leugnet er die Heimath in keinem Zuge, weder in der starken, trotzigen, grossartigen Menschennatur noch in dem phantastischen Temperament. Riesenhafte Berg- massen mit abenteuerlichen, gigantischen F'ormen thürmen sich um die Städte der Alpen; schroffes Ge- klipp stürzt sich in grünliche, tiefe, unheimlich blinkende Seen und wölbt sich über schaurigen Wasserschlüfteii ; liebliche Auen und Halden lagern zwischen den schweig- samen Wasserkesseln, dem Geklipp und der grenzen- losen Einsamkeit leuchtender Schneefelder, welche im Duft der Ferne und im phantastischen Spiel des Licht- wechsels von der Thaldämmerung her wie unnahbare Zauberreiche erscheinen, wie Grenzen gegen eine jen- seitige wunderbare Herrlichkeit. Ein starker, schroffer, geistig primitiver Menschenschlag lebt dort zu Lande, seine Tugend ist sein reines, tiefes, klingendes Ge- müthsleben, und dies bestimmt den Charakter seiner Kunstbildung, die stark, fest und doch goldiger Em- pfindung voll ist; gleich der landschaftlichen Szenerie, welche unter starren Gegensätzen auf engem , am Horizont begrenzten Raum einen rasch wechselnden Reichthum von idyllischen , Phantasie und Empfindung berauschenden Reizen bietet.

Um Böcklin's Jugend lebt das geschäftige Treiben eines Kaufmannshauses in der uralten Handelsstadt Basel. Die Leute, welche das Elternhaus zu geschäftlichen Ver- abredungen und in Sachen der Geselligkeit betreten, die durch Würde oder Sympathie der Erscheinung- als Beispiel und Muster in der jugendlichen Phantasie haften bleiben, sind vorwiegend nüchterner Natur. Und Nüch- ternheit ist überall, das Museum und ein paar Orte aus- genommen, in denen der Genius Holbein leuchtende Spuren eines einstmaligen Gewesenseins hinterlassen hat. Zwischen der stillen und vornehmen Majestät dieser Holbein'schen Gestalten, sowie den barocken Kompositionen desselben Künstlers zum « Todtentanz » und dem Knaben Böcklin spinnt sich ein heimliches

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Arnold Böcklin. Der Ritt des Todes.

Verhältnis an, ein gegenseitiges Annähern und An- schmiegen, und auch die Welt der griechisch-römischen Dichtung, die den Knaben wie heute noch den Greis besonders fesselt, mischt ihre Zaubereien in dies abge- schlossene, tiefträumerische Seelenleben. Ungewöhnlich stark an Kraft ist der Knabe, trotziges Schweizer- blut, — ein scharfer Verstand macht sein Geistesleben früh reich, das aus der grossartigen Natur der Heimath ursprüngliche Offenbarungen empfängt und in Verschwie- genheit ausreifen lässt, bis aus Charakter- und Geistes- anlagen und Widerstand gegen eine andersartige Um- gebung eine abnorme, aber in sich feste Individualität sich ausgebildet hat. Damit überwindet Böcklin auch die Abneigung des Elternhauses gegen einen Künstler- beruf, selbst als die plötzliche Verarmung der reichen Häuslichkeit diesem unüberwindlich scheinende Schwier- igkeiten aufbürdet, Naturen solcher Art versinn- bildlichen die Selbstbestimmung , die Reibungen des Schicksals und der Zufälligkeiten gleiten in harmon- ischen Lauten und Tönen an ihrer inneren Sicherheit wirkungslos ab wie fluthende Wellen am Fels. Auf diesem Boden ist Arnold Böcklin, der ganz in sich ver-

sunkene Träumer, der glühende Dichter, dessen Farben- harfe den süssesten Wohlklang schmeichelnder Melodie so sicher beherrscht wie die düster gedämpfte Tragik und die schrille Dissonanz, in der die Kreatur von Seelenqual gefoltert aufschreit, gewachsen, gleich Beethoven und Richard Wagner ein Produkt seltenster Kräfte und stärksten Widerstandes. ...

Man muss Schirmer's diskrete Farbenweise und sein Stilgefühl würdigen, um die Zuneigung zu ver- stehen, mit der der 19jährige Schweizer 1846 sich der Landschaftsschule des Meisters zuwandte , sobald er nach Düsseldorf gekommen war. Man muss aber auch den sentimentalen Zug der Düsseldorfer Romantik jener Tage, ihre auf handwerklichen Fleiss, bürgerliche Ehr- barkeit und konventionelle Beschränkung der Vor- stellungswelt gerichtete Neigung, neben der DeH- katesse-Malerei jene Räuber-, Ritter-, und Gräber- Romantik im Auge haben, um die Kluft zu begreifen, die zwischen diesen Leuten der offiziellen Malerei und dem robusten , jungen Schweizer gähnte , dessen Romantik instinktives Bedürfnis grosser subjektiver

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Kraft war. Der dämonischen Vergrösserung aller Farbenerscheinung in der Netzhaut seines Auges, der Eigenthümlichkeit seines Nervenapparats, der nur auf gewaltige oder seltsame Gebilde reagirte, wie sie ihm auf seinen einsamen, träumerischen Streifereien die Natur in ihren grossen, feierlichen, ungewöhnlichen, fast selbstvergessenen Zuständen des Augenblicks ver- rieth, ward er sich unter diesen fleissigen und streb- samen Leuten bewusst. Es ist von Anfang an in ihm jener scheinbar so unthätige Freiheitsdrang, der mit der echten, auf weiten Wegen des Durchdenkens und Durchempfindens zu ganz originellen Resultaten kommenden Erfindungskraft eng verbunden ist; diesem spekulativen Geist, der zu begreifen suchte und dem das Ausdrucksmittel sich schliesslich zur Idee ganz von selbst fügte, schien alles mühsam Probirte, Erlernte oder der Natur in ihrer Alltagskoketterie Abgelauschte als geringwerthige Handwerksarbeit. Darum hielt es ihn in Düsseldorf auch nicht lange; er hatte ohnehin in Schirmer's Kunst die brennende Bedeutung des französischen Kolorismus gewittert; er geht nach Brüssel, wo er hauptsächlich in der Gallerie kopirt, um den Alten das Geheimnis ihrer malerischen Kunst abzulauschen und vielleicht eine seiner schönsten Tugenden von ihnen zu lernen: die strenge Selbst- zucht, die ihn im höchsten Farbenrausch beim Schaffen nie die ursprüngliche Absicht vergessen lässt. Sein Wunsch aber drängte ihn bald nach Paris.

In der Entwicklung Böcklin's sicher eine der folgen- schwersten Zufälligkeiten ist der Zeitpunkt, zu welchem unser Künstler in Paris eintrifft, 1848. Denn das Aufstandsjahr bietet dem leiblichen Auge des für das Seltsame und Ungewöhnliche ohnehin mehr als empfäng- lichen Jünglings eine wilde, jede Vorstellung und Schil- derung an Wucht weitaus überbietende Dramatik. In jenen Stunden eines bangen, aber für diese grosse Natur von schaurig süssen Afiekten gewiss auch er- füllten Harrens am Fenster, unter dem sich wüste Kampf- szenen abspielen, und eines verstohlenen Huschens auf die Strasse hinaus liegt der Keim mancher bizarren, künstlerischen Eingebung späterhin nicht minder als eine Art von Befreiung , der wir das Originale und Monumentale aus dieser Hand zu verdanken haben: ein natürlicher Hang zur Konvention des Philisters, der bei Jedem innerhalb des sozialen Staats und der

Familie stehenden Menschen anerzogen ist, stirbt unter diesen furchtbaren Eindrücken von Tod und Blut.

Der auf Verdienst angewiesene Künstler kann sich bei der Schwere der Zeiten nicht lange in Paris halten, er geht in die Heimath, um seiner Militärpflicht zu ge- nügen, und dann wandert er 1850 nach Rom, das letzte Glied im Ring der Vorbedingungen für dieses Künstlerschaffien schliesst sich damit.

Unter dem scharfen Aetzwasser der Pariser Er- eignisse war das Wesen Böcklin's geläutert, unter dem italienischen Himmel geht er mit Bewusstsein an die Bildung jener Kunstanschauung, um die der greise Goethe am Abend seiner Tage im II.Theil des « Faust > vergeblich rang: der Verschmelzung von Romantik und Antike.

Gleich Michel Angelo von einer Körperstärke, die fast bis in's Greisenalter hinein sich athletenhafte Fest- igkeit der Muskeln bewahrt, von einer fast jungfräulichen Frische des Gemüths, von einer Schärfe aller Sinne, die ein künstlerisches Arbeiten von der Natur über- flüssig machte , da sein Gedächtnis von einer wunder- baren Kraft ist, fällt Böcklin auch schon darin aus dem normalen Künstlertypus heraus, dass er den sogenannten mathematischen Verstand besitzt. Hat er doch das Problem der Flugmaschine in mehr als einem die Teckniker verblüffenden Versuch, der Lösung zu sein schien, behandelt; und wie er Erfinder einer eigenen Freskotechnik ist, hat er auch seine Oeltechnik mit ihrer ausgezeichneten Leuchtkraft nach Art der Alten aus Temperauntermalung und Firnisdeckung selbst komponirt.

Widerspruchsvoll wie die Fähigkeiten Böcklin's ist sein Temperament. Mitunter von hinreissender Fröh- lichkeit, von jonischer Heiterkeit des geflügelten Geistes und schweizerisch treuer Offenheit zugleich, mit- unter von einem skeptischen Misstrauen gegen seine besten Freunde, immer unberechenbar und plötzlich, und immer nach dieser oder jener Seite auf die Spitze getrieben. Ein Grundzug aber steht bestimmend über all' diesen Einzelheiten eines merkwürdig kom- plizirten Wesens: das Träumen eines grossen Kindes, das rastlose Grübeln in Phantasieen und der fatalistische Glaube an diese Gebilde, der durch keine Schwierigkeit. und bedrohte sie die Existenz, an der Aus- führung gehindert wird. Willensstärke und Selbstver- trauen ist auch ein charakteristischer Zug des Menschen :

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als Böcklin Anfang der fünfziger Jahre nach Rom ge- kommen, arm und auf den Ertrag aus seinen ob ihres seltsamen Charakters schwer verkäuflichen Bilder an- gewiesen, heirathet er eine bildschöne, aber ebenso arme, junge Römerin, ein Schritt, der gleichsam sein Kunstprinzip symbolisirt und von reinen Instinkten zeugt. Ueberaus glücklich wurde die Ehe, sie

nachweisbar; doch so gering, wie bei fast Keinem der Kunstgeschichte. Poussin thront über seiner Jugend und mit dem frühen Corot hat diese mitunter frappante Verwandtschaft, wie der Künstler auch , aber mehr als Mensch, mit Genelli Aehnlichkeiten besitzt. Im Kolorit und der Räthselhaftigkeit seines Wesens steht er Giorgione am nächsten. denn wie dieser und

Arnold Böcklin. Ueberfall von Seeräubern.

festigte in gemeinsam getragener Noth des Lebens bei Böcklin die tiefe, quellende Innerlichkeit des Wesens.

Umfassende Künstlerschaft ist ausser dem Genie beinahe ausschliesslich Ergebnis reicher Erfahrung auf fremden Bahnen der Kunst und Widerspruch gegen das Vorhandene. Merkwürdig schnell entwickelt Böcklin seine Eigenart, in lauter selbständigen Experi- menten, und nur vorübergehend sind Einflüsse bei ihm

Rembrandt lebt er einsam in seiner selbstherrlichen Anschauungswelt, durch sphärisches Farbenklingen der Alltagswelt völlig entrückt.

Unnahbar und undurchdringlich, wie seine dar- gestellten Geschöpfe von unirdischer Lebenskraft und Heiligkeit der Natur ist fast jedes Werk von dieser Hand, grossartig fremd erscheint es, in geheimnis- volle Farbigkeit gehüllt, in der es Töne von unendlich zartem Ineinanderklingen und wiederum grellste uner-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

hörteste Kontraste von schmetternder, schönheitge- bändigter Wucht der Wirkung gibt. Grösse des Auf- baues ist immer und meist ein rhythmisch beseelter Schwung der Linie und eine Charakteristik in ihr von unfehlbarer Sicherheit. Mitten im Zauber des be- rauschendsten Farbengesangs aber steht bei ihm in voller Plastik des Leibes das menschliche Geschöpf als robuster, vollsaftiger, gottheiterfüllter Organismus, frei von Gebrechen des Erdenpilgers, in übermenschlicher Vollkommenheit der Naturexistenz, unbändig, sinnen- gewaltig; mit allen Fibern ist er an den Augenblick hingegeben und vollführt ohne kokette Nebengedanken und Pose das als Naturtrieb, was der seinem Geschöpf so verwandte Künstler in mächtigem Schwung der Be- geisterung gewollt, königliche Naivetät in jedem Pulsschlag von der wildesten Dramatik bis zum bizarrsten Humor offenbarend.

Böcklin ist Romantiker aus innerster Natur, die Aufschlüsse der Wissenschaft und Geschichte kümmern ihn nicht, mit urfrischer Phantasie erfabelt er sich aus den Resten der Antike eine mythische Vorwelt, in der Nymphen, Faune, Meerungeheuer ein titanisches Dasein führen; er schildert die Antike seiner Auf- fassung hier in einer Unbändigkeit des Humors und dort mit einem sentimentalischen oder düsteren Zug der Trauer, welcher alten und modernen Germanen näher liegt, als dem Griechenvolk, selbst in der diony- sischen Zeit lange vor der Blüthe hellenischer Kultur und nach derselben. Er ist ganz unhistorisch; er personifizirt Phantasie. Sein Stil hat darum auch Ge- setze nur für den besonderen Fall: ein anderer ist Böcklin als der grösste lebende Stimmungslandschafter in der monumentalen «Todteninsel» und verwandten Werken, ein anderer als Figurenmaler, dort pathetisch, hier ins Dionysische jauchzender und lachender Lust oder entfesselter Triebe sich verlierend, und ein beissender Satiriker namentlich in einigen Werken der Bildhauerei, eine vollkommene Proteus- natur.

Bei jenen Geistern, welche in ruhloser Arbeit die Erscheinungen der Welt um den Pol ihrer eigenen Geisteswelt zu gruppiren suchen, ist das Heimaths- gefühl freier entwickelt als bei den anderen, die am Gegenständlichen hängen bleiben. Seitdem Böcklin Basel

verlassen, um der Kunst nachzugehen, ist er ein rastloser Wanderer. 1850 finden wir ihn in Rom in einem Kreise später gefeierter Künstler wie Feuerbach, R. Begas, Oswald Achenbach ; auch der Alemannen-Dichter Scheffel und Paul Heyse, der elegante Novellist, gehörten dazu. Der Letztere ist bestimmt, in Böcklins Leben eine wichtige Rolle dadurch zu spielen, dass er die Auf- merksamkeit des berühmten Kunstmäcens Grafen Schack in München auf diesen seltsamen Kopf lenkt. Ohne Schack, der Jahre lang in Böcklins frühester Periode fast jedes Stück ankauft, welche Schätze allein den europäischen Ruf seiner Gallerie rechtfertigen würden, ist der heutige Böcklin nicht denkbar, weil er ziem- lich sicher bei seiner schroff behaupteten Eigenart und der Stumpfheit des Publikums dagegen zu Grunde gegangen wäre. In Rom kann sich Böcklin nicht halten, er geht nach Basel in der Hoffnung auf Auf- träge und führt dann für einen Konsul in Hannover in Leimfarben auf Leinwand fünf Wandgemälde aus, welche die Beziehungen des Menschen zum Feuer ver- sinnbildlichen. Nach einem Prozess wegen der Ab- nahme, — da die Gemälde dem Besteller zu bizarr er- schienen, — kommt Böcklin 1856 mit seiner Familie mittellos in München an. Er stellt im Kunstverein ein Bild aus: den grossen Pan, der um die Mittagsstunde im Schilfe die Flöte spielt, ein Bild, so modern^ in der Malerei, dass es in der Gegenwart hätte gemalt sein können, ein revolutionäres Manifest für jene Zeit , welches aber das einzige von dieser Hand ge- blieben ist. Die Pinakothek kauft es an und errettet damit den inzwischen mit zweien seiner Kinder vom

Typhus befallenen Künstler aus äusserster Noth,

was aber schwerwiegender ist: es gibt seit jener Zeit eine Böcklingemeinde, denn vor der Gewalt der in diesem Werke geoffenbarten Phantasie und der ebenso scharfen Beobachtungskraft des Auges erstarb der kritische Eigenwille der Künstler von Begabung, und aller Augen bleiben von jetzt ab erwartungsvoll ge- richtet auf diesen Einen, der wie ein grosses Räthsel unter sie getreten war. Heyse und Schack aber sorgten auch weiter für ihren Schützling. Der Gross- herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach hatte eine Kunst- schule gegründet, um die Traditionen künstlerischer Pflege in seinem Lande, das Goethe, Schiller, Herder, Wieland geschützt, aufrecht zu erhalten; mit einer

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rühmenswerthen Sicherheit des Auges rief er damals noch junge Künstler von kommendem Weltruf in den Lehrkörper. Neben Lenbach und Reinhold Begas wirkte in Weimar der geniale Preller, später noch Genelli. Auf Anregung seiner Freunde erhielt Böcklin 1858 einen gleichen Ruf Hielt es nun diesen unruhigen Feuerkopf, so wenig wie Lenbach und Begas, auf die Dauer auch nicht fest in dem kleinen reizenden Hauptstädtchen von Thüringen mit der tötenden Ehr- barkeit der Hofgesellschaft, so bot es ihm doch eine Weile Unterschlupf gegen die Noth des Broderwerbs. Doch mit der seltsamen Neigung vieler genialen Köpfe für ihre minder bedeutenden Liebhabereien beschäftigle er sich hier in völliger Hingabe mit dem Problem seines Luftschiffs, aber er malte auch, eine der reizvollsten Schöpfungen seiner Jugendzeit, voll barocken, wild- genialen, böcklinischen Humors. Den Pan, der um die brütende Mittagseinsamkeit unsichtbar auf dem Fels- geklüft sitzt und durch sein «panisches Gelächter» einen Hirten mit seinen Ziegen in wilde Flucht treibt. Die Unheimlichkeit, welche ein fallender Stein im Ge- birge oder ein ungewöhnlicher Laut, dessen Ursache nicht zu entdecken ist, auf einen ahnungslosen Träumer auszuüben vermag, wenn die Welt um ihn in Mittags- schlaf liegt, kann nicht drastischer und drolliger ver- sinnbildlicht werden als dies hier geschah.

Noch eine Jagd der Diana malte der Künstler in Weimar.

Dann aber trieb diesen Fremdling auf Erden sein unstäter Sinn und der in dem hellen, nordischen Weimar so wenig gestillte Durst nach Farbenpracht fort, er geht 1861 nach Rom, von wo er nach Neapel, Pompeji, Capri kommt; und jetzt, bei diesem Aufenthalt in der Gräberstadt, in Unteritalien, dem Gross-Griechenland der Alten, welche in dieser wunderbar lieblichen Uep- pigkeit, der Farbenfreude der Landschaft und ihrer Bergsilhouette nicht minder als in ihrer lebensfreudigen, griechischen und griechisch beeinflussten Kultur die Züge ihres genialen Nachbarvolks erblickten, vollzog sich mit reifem Bewusstsein der letzte grosse Entwick- lungspunkt in dieser Persönlichkeit: das heilige Frühlings- fest der Hochzeit zwischen deutscher Romantik und antiker Romantik ; denn nicht oft hat Böcklin von jetzt ab andere Motive gewählt als diese grandiose Natur ihm bot, inniger wird die vorher nur kosende Neigung

zwischen seinem Naturell und dem stilvoll Bunten, Glänzenden antiker Malerei, die wir ahnend in Pompejis Resten geniessen und sie in diesem Künstler wieder- erstehen sehen , und bei ihm steht jetzt auch über allen Eigenschaften in den folgenden Werken eine innere reife Geschlossenheit, eine grossartige Per- sönlichkeit. —

Die «Villa am Meer» (Schackgallerie) ist das erste grosse Werk dieser Zeit, in ihrem stimmungs- vollen Pathos eine der herrlichsten Blüthen Böcklin- ischer Kunst, von der er für Schack später eine zweite Auffassung schuf.

Man sieht das Meer; gross stilisirte, flächige, schaumumsäumte Wellen rollen feierlich heran, Wasser von jener wunderbaren Durchsichtigkeit und beweglichem Spiegelglanz, wie Böcklin allein es zu malen vermag. Ein durchklüfteter, aus Plattengeschiebe aufgebauter Fels springt spitz in die Fluth hinaus, von Busch und Baum halb verborgen erhebt sich eine antike Villa mit Säulengang, Balustraden, Fontainen, Statuen auf ihr, eine prachtvolle Cypressengruppe aber am äussersten Vorsprung wiegt sich unter dem wehenden Meerwind und dem rosig düsteren Gewölk. Abendliches Sonnenlicht ruht auf den einsamen Ge- bäuden, und in Harmonie mit der melancholischen Stimmung lehnt gedankenvoll eine schwarz und weiss- gekleidete Frauengestalt am Fels, die Wellen zu Füssen, und blickt auf das Meer hinaus, in dessen Wogenschlag es weint und zittert, es ist wie ein Symbol der sterbenden Antike, wie eine grosse Trauer, die sich noch einmal der ganzen Herrlichkeit vergangener Blüthe bewusst wird.

Der Künstler, welcher in diesem Werk den Charakter reiner, in feierlichen Akkorden getragener Monumentalität getroffen hat, so genrehaft das Motiv an sich auch sein mag, tritt uns in einem anderen Bild als ein heiterer, von reizvoller Stillseligkeit er- füllter Idyllendichter entgegen, als ein Geistesver- wandter von Theokrit und Vergil, wenn er in zwei jungen Menschengestalten: dem am rosenüberhangenen Fels gelehnten und auf der Syrinx um die Geliebte klagenden Hirten und der Nymphe, die hinter ihm im Laub versteckt halb beseeligt, halb schalkhaft selbiger Klage lauscht, die von Liebesempfindung durchrosigte Jugendblüthe schildert und dabei das

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Arnold Böcklin. « Sieh', es lacht die Au !

antike Liebesleben in seiner Naivität entzückend erfasst hat. «Klage des Hirten» lautet der schlichte Titel des Bildes, das koloristisch zu Böcklin's Bestem gehört.

Den gleichen idyllischen, von sonnigstem Humor durchleuchteten Charakter bezeugt die «Altrömische Weinschenke», aus der ein betrunkener und liebe- voll vom Freund gestützter Soldat herauswankt und das unter einer Dionysosstatue am Gartenthor Blumen feilhal- tende Mädchen zärtlich ansingt; mit trinkerbesetzten Veranden und auf dem Rasen lagernder Gesellschaft eine köstliche Darstellung hellenischer Daseinsfreudigkeit.

Nach einem Quinquiennium, das für Böcklin's Auf- enthaltswechsel späterhin zur Regel wird , kehrt er nach Basel zurück, indem er endlich Anerkennung vom nüchternen Sinn seiner Landsleute erhofft, i866. Drei monumentale Fresken führt er dort im Rathhause aus, deren Genialität und Schönheit man rühmt, vermittels der von ihm selbst erfundenen Technik ge- malt. Er treibt auch Bildhauerei, in grotesken Masken an einem öffentlichen Gebäude, welche mit um so grösserer satyrischer Bosheit einige schlecht beleumdete Mitbürger karrikiren, als die Portraitähnlichkeit der-

selben sehr gut sein soll ; was dies Alles aber über- wiegt, sind wiederum vier kleine Farbenjuwele (Schack- Gallerie): der «Gang nach Emmaus», der «Tod, durch eine Landschaft reitend», die «Furien, einen Mörder verfolgend», und die «Drachen- schlucht», Schönheit und Grausen von einem lyrischen Schwung und einer Farbengluth, die nur noch ein späteres kleines Werk dieser Art wieder erreicht, die « Herbstgedanken » .

Nach dieser Pause in Basel fährt er seit seinem Münchner Aufenthalt 1871 fort, jene grosse Reihe monumentaler Werke zu schaffen, deren erstes die «Villa am Meer» war, deren folgende bis in die Gegenwart hinein einen immer grösseren Nimbus um seinen Namen legten : Giorgione's zauberhafte Tief- äugigkeit, Rubens Majestät, beider berauschendes Kolorit und Böcklin's grossartige Selbstverständlichkeit wachsen darin aufs Innigste zusammen. In organischer Natürlichkeit und von vollstem Lebensdrang erfüllt entsteht in seiner Phantasie nunmehr auch jener be- kannte Typus der antiken Romantik: das Fabelwesen aus Mensch , Thier- und Fischleib, das die Kunst lange

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vor Böcklin kennt, dessen lebendige Bildung aber erst dem modernen, im Besitz einer genialen Technik be- findlichen Künstler gelang, weil seine Phantasie wunder- bar tiefsichtig und seine Nerven von der feinsten Em- pfindung gegen das athmende Leben und dessen Be- dingungen sind.

Ein voller Wurf darin ist der «Centaurenkampf, die Furie reiner, unberührter Naturkraft. Fünf wild entfesselte Kerle bearbeiten einander in grotesker Be- wegung mit Fäusten, Zähnen, Hufen paarweis, indess der Strohmann sich eben anschickt, seinen lieben Mit- centauren mit einem starken Felsstück den Schädel zu zerschmettern , Mord glüht in jeder Miene. Unbe- schreiblich ist die Wirkung dieses in einander Ver- knäult- und Umschlungenseins und ihre Suggestion auf den Zuschauer, nur bei Rubens, aber nur bei diesem, findet man etwa ein Gegenstück. Die Grösse jedoch, mit der Böcklin, der phantastische Künstler, die be- seelte Natur aufzufassen vermag, offenbart sich fast überwältigend in einem weiteren Werk dieser Art, das von machtvoller Geschlossenheit im meisterhaften Auf- bau und dem Farbenrausch aus lauter zusammen- gehenden Kontrasten, in der Poesie der Stimmung dagegen und dem entzückend frischen, in goldenen Rythmen wie ein Bergwasser im Sonnenlicht spielenden Naturgefühl von bethörendem Zauber ist, es ist das mehrfach wiederholte Werk der Schackgallerie: «Meeresidylle»: Auf flachem , wogenumbrandetem Fels unter weitem, abenddämmernden Himmel liegt ein nacktes, kraftvolles, üppiges Weib in seliger, glieder- entfesselter, nervenloser und doch der feinsten Regung der Sinnlichkeit unterthaner Ruhe, schwellende, be- rückend weiche Formen und jene Dämonie des ver- zehrenden, schmachtvoll-düsteren Auges, hinter dem schrankenlose Leidenschaften einer fremden Welt zu flammen scheinen. Auf dem Rücken liegend stützt sie mit der Rechten das Haupt, von dem lange, schwarz- braune Haare auf den weissen Körper herunterrieseln, und streichelt mit der Linken den dicht über dem Wasser unheimlich auftauchenden, behaarten Kopf der See- schlange, welche in grossen Volten des dicken Leibes heranschwimmt. Rückwärtsig dazu aber sitzt ein köst- licher, rothbraun behaarter Kerl von Triton und bläst, und bläst auf einer Muschel sein an Gehirn so fabelhaft kleines, an Empfindung vorwelthaft mächtiges Liebes-

glück hinaus auf das widerdröhnende , in einsamer Herrlichkeit Welle an Welle herankosende Meer.

Vorwiegend landschaftlichen Charakters ist ein drittes Bild der Münchner Zeit: die heroische Land- schaft, die ich im Original nicht kenne, aber in den bedeutenderen Wiederholungen als Burgbrand, der von Seeräubern angelegt ist. In weiter, prächtig ge- malter Meeröde erhebt sich auf starrem, zerklüfteten Fels eine prächtige Schlossanlage , die durch eine Brücke mit dem Festland verbunden ist. Das Schloss brennt, Rauchwolken bedecken den Zenith des am Horizont freundlich lichten Himmels ; Piraten schleppen Weiber und Kinder hinab in die Boote. Von den beiden Auffassungen dieses Vorwurfs ist die mit dem Segelschiff im Hintergrund und der Gliederung der Brücke durch Marmorstandbilder und eine zwischen ihnen zum Wasser hinabführende Felstreppe die reiz- vollere, während die neuere mit der mathematisch nüchternen « Stadtbahnbogenbrücke » in Aufbau und Tongebung die monumentalere scheint.

Auch in München hält es auf die Dauer den un- stäten Künstler nicht fest, zum dritten Male siedelt er 1876 nach der Heimath seiner Seele über, wo er diesmal Florenz als Wohnsitz wählt und durch neue gewaltige Werke, die unter dem Eindruck der grossen italienischen Meister der Renaissance sich zur höchsten_ Schönheit und Vollendung der Form erheben, mehr und mehr die Anerkennung seiner Zeitgenossen er- zwingt, nachdem er ein Menschenalter lang mit Bor- nirtheit und Niedertracht einen durch eigenen Starrsinn sehr erschwerten Krieg geführt.

Das Hauptwerk, das er hier schafft, ist nicht nur sein grösstes, was Originalität der Erfindung , wun- dersam gedämpfte Farbenpracht und Monumentalität anbetrifft, steht dasselbe als ein gewaltiger Markstein in der Geschichte der modernen Kunst, deren Land- schaftsmalerei mit Ausnahme des einzigen Millet Gleiches nicht geschaffen hat. Das Meer, das wunderbar zauber- ische Meer in einer phantastischen Symbolik von er- greifender Grossartigkeit schildert der Künstler, dessen Genius dieses Element als Abbild seiner eigenen Un- ergründlichkeit liebt und in unerreichter Weise darzu- stellen nicht müde wird, in einer Komposition, die er in den achtziger Jahren mehrfach wiederholt hat. Das Original befindet sich im Museum zu Leipzig, eine

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zeichnerisch sclüirfer zugespitzte, für meinen Geschmack glücklichere zweite Aufifassung birgt die Privatgallerie eines Kunstsammlers in Worms.

«Die Todteninseb: Ein kleiner vulkanischer Krater im Meer ist zur Hälfte abgestürzt, vielleicht während des letzten Ausbruchs in vorhistorischer Zeit. Ein Felshalbkreis von mächtiger, kühn profilirter Bildung ist stehen geblieben und umschliesst einen von hohen düsteren Cypressen eng bestandenen Hof, der nach dem Meer hin von stärkeren Steinblöcken flankirt und durch eine niedrige Mauer mit Pforte ab- gegrenzt wird. Auf dieses düstere Eiland des Todes- friedens zu, dessen Fenster- und Gallerieöffnungen in den Felswänden die Urnen- und Sargstätte kennzeichnen, lenkt ein Nachen mit einem Sarge und einer aufrecht stehenden Grabfigur. Ein tiefblaugefärbter Himmel, nur zart über dem Eiland angeflammt, umwölbt in feier- lichem Akkord diesen gewaltigen Mollton und spiegelt sich still neben den scharfen, im Reflex leuchtend ge- milderten Felskonturen in den seltsam glatten, nur im Kielwasser des Nachens lautlos, ganz lautlos gekräuselten Fluthen. Kein Ruf eines Vogels und kein menschlicher Laut mischt sich in die feierliche Grabesstille ringsum. Es ist ein Wunder in diesem Werk, in dem die Dämonie des Genius , die ruhlos zwischen Tragik und Heiterkeit gezerrte, unendlich milde und doch mannhaft sich auflöst zu ihrer individuellen Selbstbefreiung im höchsten , klassischen Ausdruck , in welchem die Er- habenheit der Antike und die Todessehnsucht des ideal gesonnenen Menschen der Gegenwart sich über Zeit und Raum die Hände reichen.

In derselben Zeit jedoch , in welcher der Künstler den höchsten Ausdruck von tragischem Pathos in seinem Schaffen gefunden, gelingt es ihm, sehr charakteristisch für seine Schwungfähigkeit, ein gleich vollendetes Werk von unbändiger Heiterkeit zu schaffen. Das Dionysische, Natur- und Genuss- kräftige des griechischen Volkswesens, das in der Blüthezcit allein gegen den Classicismus zurücktritt, die romantische Periode von Hellas liegt so plastisch in dieser Schöpfung, dass uns die Empfindung über- schleicht, als sei hier ein lebender Zeuge jener myth- ischen Dämmerung.

«Im Spiel der Wellen» ist das Bild genannt und jetzt ein kostbarer Schatz der Münchner Pinakothek.

Mitten auf den wunderbar leuchtenden blaugrünen Meereswogen , die in Kadenzen sich hoch aufthürmen und senken und auf deren kristallener Durchsichtigkeit Schaumfäden entlang schiessen , ist eine ausgelassene Gesellschaft beisammen: ganz vorn ein jugendschönes Meerweib mit Flossenfüssen , die angstvoll davon- schwimmt; ein faunisch lachender, meerrosenbekränztcr, brauner Triton mit kupfernem Bacchusgesicht begleitet die Holde und streichelt lüstern und beruhigend ihren weissen Nacken. Indess taucht hinter diesem Paar eine Art Froschmensch mit Schuppenkamm auf dem Kopf in die Tiefe, hoch aber auf der Spitze einer Welle tolpatscht der Urheber dieses humorvollen Schreckens, ein prächtiges, echt böcklinisches Gebilde heran, ein Seecentaur. Hastig arbeiten die ausgreifenden Schwimm- füsse um den schwerfälligen Körper vorwärts zu bringen, und der hochaufgerichtete dicke Trinkerleib, die krampf- haft gespreizten Arme, der struppig gehaarte Kopf mit lüstern entflammten Augen spiegeln übereinstimmend in angespannter Erregtheit das glühende Liebesver- langen nach einer Nymphe , die sich dicht vor ihm durch Niedertauchen in die schimmernde Tiefe der verhassten Umarmung entzieht. Eine Genossin der Schönen lässt sich mit höhnischem Lachen nahebei auf dem Rücken treiben , bereit auch ihrerseits durch Niedergehen zur traulichen Wasserheimath den' verliebten Trottel zu foppen. Ein entzückender Zauber elementarer Jugendlichkeit durchströmt das Thun dieser naiv gewaltthätigen Fabelwesen, deren Empfindungskraft und Befriedigungsdrang in diesem Hymnus des phantastischen Künstlers glorios aufgefasst und dargestellt ist.

Verwandt in der Art, aber von vielleicht noch ausgeprägterer Sinnlichkeit ist die «Meerfamilie», die auf einem Riff mitten im Meergewoge beisammen ist. Das nackte Menschenweib mit dem strampelnden Säugling lang ausgestreckt, hinter ihr kletternd mit kühn vorgebogenem Hals ein zweites Kind , und alle mit dem ungebrochenen, gieren Blick fesselloser Natur den Vater und Mann anblickend, der mit haarigem Leib und hängendem blonden Haupthaar, mit halb lüsternem und halb wildem Auge auf die Gruppe her- absieht, neben der er eben auftaucht, um ihr eine ge- fangene, am Halsfell gepackte Robbe zu bringen.

Von noch grösserem, germanisch -gemüthvollem

Arnold BOcklin pinx.

riiot. ¥. lUnfeUenKl, Müiu-hfii

Flora.

Phologravure im Verlag von Kran? Ilanfslaengl in München.

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Zauber in der Darstellung naturmythischen Familien- glücks ist eine ähnliche ältere Schöpfung : «Tritonen- familic», deren flossenfüssige junge Mutter sich be- haglich, wie träumend, auf einem Felsen reckt, während der dunkelbärtige Triton, an sie gelehnt, den jubelnden Sprössling auf seinem Knie nach Art der Menschen- väter reiten lässt. Nicht geringer in der Malerei ist dann eine packende Personifikation der «Meeres- stille» durch eine dämonisch schöne, auf einem Riff über dunstigen Wassern gelagerte Nixe.

Ein neueres, die Antike behandelndes Werk ist dann auch der sehr poetisch coucipirte und prächtig aufgebaute «Gang zum Bacchustempel», der farbig etwas grell ist. Nach den antiken Vorwürfen noch einige romantische, die zum Theil wahre Farbenjuwele sind, wie «Die anbetenden Krieger im heil- igen Hain», der «Drachentödter», während die religiösen Bilder aus dieser Hand , deren Blutlauf heidnisch empfindet , nicht die volle sieghafte Gewalt tragen. So eine zwar grossartig aufgefasste «Pietä»: über, den naturalistisch gemalten Heiland, der auf einer Steinplatte liegt, ist die ganz verhüllte Madonna weh- klagend zusammengebrochen, und aus rosiger Wolke schauen Engel mit mitleidiger Geberde herab. Selt- samer Weise sind es bei diesem Werke stilistische Mängel, welche den herrlichen Farbengesang dieser gewiss grossartig aufgefassten Darstellung wie in der Ferne verhallen lassen.

Und abermals volle Kunstwerke bietet Böcklin in der kleinen Reihe von modernen Themen. Da sind die an Einklang schwermüthiger Poesie einzig schönen «Herbstgedanken», welchen ein reifes junges Weib am bäum- und buschumkränzten Bachufer unter fallenden Blättern im Wandeln nachhängt, da ist das von melancholischer Stimmung erfüllte Werk «Burg am Meer»; unter zwei köstlichen, holbeinisch abge- klärten «Selbstbildnissen» ist jenes de 1885 her- vorzuheben, das die markige Gestalt des Künstlers, ein Glas Wein in der rechten Hand haltend, zeigt, mit kühnem, selbstbewussten Blicke. Eine im Gewand der Empirezeit durch eine entzückend schöne, blüthen- übersäete, bachdurchrauschle Wiesenlandschaft her- schreitende «Flora» und jenes köstliche Gedicht, «Sieh', es lacht die Au», in dem singende, träu- mende, blumenpflückende Mädchengestalten durch eine

herrliche Frühlingslandschaft wandeln, gehören hierher; über alledem jedoch steht neben Böcklin's grössten Thaten der «Eremit» (Berliner Nationalgallerie), an schwungvoller Grösse der Stimmung von anderen Werken des Künstlers vielleicht übertroffen, unerreicht an Innigkeit und Tiefe echt deutscher Empfindung. Ein uralter, hochbekutteter Mönch steht in der hölzernen Vorhalle einer Klause, vor dem abendsonnenschein- umflimmerten Madonnenbild an der getünchten Thür- wand, und geigt; von der Inbrunst der Versenkung in die Gottheit durch den jubelnden Ton haben sich die Abendwolken aufgethan, ein flammender Licht- strahl schiesst durch die seitliche Lichtöffnung der Vor- halle auf den weltvergessenen Alten, Engel sind her- untergeflattert; kindlich lächelnd sitzt der eine auf dem Fensterbrett und lauscht, der andere aber lugt auf den Spitzen stehend durch das Fenster der Hinter- seite auf den Greis, der in seiner klingenden Gott- seligkeit nichts ahnt von dem Wunder um ihn. Rührend humoristisch, so ganz altdeutsch, dürerhaft naiv wirkt die Silhouette des Alten , die kindliche Hingegebenheit der Bewegung beim Geigenstrich; blüthenhaft zart und reizvoll ist die Farbe; ich habe Jahre lang als junger Kunstnovize vor diesem Bilde meinen sonn- tägigen Künstlergottesdienst abgehalten und seitdem die Gallerie nie betreten, ohne durch ein Weilchen weltentrückter Schau meine Seele rein gebadet zu haben vom Staub wirrer Eindrücke.

Dann ist noch der «Frühlingstag»: ein italienischer Vorwurf, nordisch-phantastisch versetzt mit gespenstisch weissen Birkenstämmen auf der blumigen, von Quellen durchrieselten Wiese. Eine italienische Villa, mit kleinem, dunklem Hain und breiter Wasserfläche dahinter, alles unter wolkigem, regenschwangerem Himmel. Ein alter Mann steht sinnend am Fluss, ein Liebespaar tändelt im Vordergrund beim Spiel der Laute, an der Villa umscherzen Kinder ein Mädchen: ein ganzer, lenzhaft ahnungsvoll und werdefrisch durchhauchter Lebenslauf ist in der knospenhaft herben Darstellung angedeutet, in der man, wie bei allen Werken dieses Künstlers, in's grosse Herz der Natur blickt und seinen feierlichen Schlägen als einer urheiligen Offenbarung gebannt lauscht.

Seit Anfang der achtziger Jahre hat Böcklin sich zur Rast von seinen Fahrten in Hottingen bei Zürich

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DIE KUNST UNSERER ZEIT,

ein stilles Heim errichtet, ein Schritt, der seine Spur im « Eremiten ■» und vielen neueren Werken des Künstlers unverkennbar durch die germanische Heimathlichkeit in Auffassung und Empfindung er- kennen lässt.

Überaus reich ist die Zahl der Werke aus dieser Hand, jedes hat eine scharf ausgeprägte Eigenart und ist gleichsam ohne typische Voraussetzungen aus ungetrübten Quellen der Eingebung geflossen. Der 66jährige Künstler kann auf ein Leben, selten reich an Kampf, doch auch selten reich an Erfolg, zurück- blicken. Die Ideale einer todten, in ihrem Einfluss abendroth verglühenden Kultur und die Ideale einer der grössten lebenden Rassen, der er angehört, zwang sein Gedanke zu innigster Vereinigung zusammen, ganz unbekümmert um alle andere Forderung als die des Eigenwesens. Mitten in dem grossen Zuge nach

Regeneration, der durch die europäische Kunst geht, scheint der Weg hinter Böcklin abgebrochen, und doch hebt hinter ihm eine grosse und .starke Schule der deutschen Neuromantik an, die seines Geistes voll in die Gegenwart eingezogen ist. Davon einer der Künstler, der Radirer Max Klinger, mit seinen frei erfundenen Cyklen bereits in seinem 35. Jahr an Um- fang und Bedeutsamkeit auf den höchsten Höhen der deutschen Kunstgeschichte steht, mit verschwend- erischem Reichthum an Offenbarungen Hans Thoma, ein gereifter Mann , das spezifisch historische Ger- manenthum vertritt, in dem Jüngsten, Franz Stuck, aber der griechische Geist des Meisters als Erbschaft zum Vorschein kommt. Jeder eine originelle, um- fassende Persönlichkeit, Jeder auf anderem Wege nach Verbindung von Romantik und Gegenwart ringend, Alle veredelt und befruchtet von dem Einen. Das ist Arnold Böcklin.

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Die Sünde.

EIN MÄRCHEN.

(ZU DEM BILDE VON FRANZ STUCK.)

VON

ERNST ROSMER.

Die Sünde war die schwarze Königin der Welt geworden. Herrscher pilgerten zu ihrem ein- samen Bergtempel und opferten ihre Kronen auf die Stufen. Die Sünde küsste die Könige und zertrat die Kronen. Barhaupt zogen sie heim und krank. Den Schwachen stürzte der Schwindel von der Felsensteile. Den Stärkeren, der sich müde in sein Reich fand, er- schlug das Volk, denn er hatte die Krone verloren. Der Stärkste erkämpfte sich eine neue Krone , aber lebenslang war ihm ein Geheimnis in den Augen und die Menschen stiessen sich an und flüsterten: «Er hat die Sünde gesehen. »

«Ich will die Sünde auch sehen», sagte ein blonder Betteljunge und machte sich auf den Weg. Er pfiff ein Lied in den blauen Sommer hinaus und brach sich einen grünen Haselstecken. Den schnitt er zurecht, nur ganz oben Hess er ein paar grüne Blattfälmchen stehen. «Das ist lustiger», sagte er, schwenkte ihn rundum, « und zum Nüsseherunterschlagen ist er auch gut » . Er that sich keine grosse Eile den Berg hinauf « Herunter geht es schneller und lang bleib' ich nicht. Aber fest will ich sie anschauen, dass mir's in den Augen steht: ich habe sie gesehen». Und er nickte und schwatzte mit allen Bergblumen und Berggräsern , so dass es

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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feuriger Mittag war , als ihm der Tempel entgegen- goldete. Er nahm sich einen Lauf und rannte in Einem bis an das Thor und wie das offen war, sprang er mitten hinein in die Halle. Da lachte er sich wieder zu Athem und fasste seine rothen lustigen Wangen : «O wie heiss! Gut, dass es kühl ist hier. Aber was ist es so dunkel ? i>

Als sein Auge sich in die Dämmerung gewöhnt hatte, sah er die Sünde inmitten ihres Thrones aus thaufeuchten Rosen. Schön, ernst und heilig, das weisse Ruheangesicht aus dem Schweigen des Haares gehoben, das Haar über die Wangen herab die perlenbleiche Brust beschleichend. Seitwärts dunkelten ihn die tiefen Augen an, die Könige zittern, beten und sterben ge- macht hatten.

Der Betteljunge fürchtete sich nicht, denn er hatte ein unschuldig keckes Herz und war gut.

Neugierig ging er dicht an den Thron und freute sich.

« Du bist sehr schön. So lange Haare. Und die feinen Wangen. Und dein Mund . . . . »

Er wurde nachdenklich.

« Dein Mund gefällt mir nicht. Was hast du ihn so fest? Kannst du nicht lachen.^»

Die Sünde löste die ruhenden Lippen von einander, und eine goldene Stimme webte sich zu Worten :

« Ich kann nicht lachen. »

Der Junge schlenkerte bedauernd den Haselstecken und wiegte sich vor auf die Zehen:

«Und weinen? So recht tüchtig weinen?»

« Ich kann auch nicht weinen. »

Der Junge kraute sich hinter'm Ohr.

«Wie langweilig! Du arme Sünde.»

Er ging nochmals an sie heran und betrachtete sie aufmerksam.

«Du bist sehr schön. Aber meine Mutter ist schöner. »

Die Sünde erblasste und fühlte einen warmen Schmerz in der kalten ewigen Brust. Frei, ungefangen stand der frohe Betteljunge vor ihr, und sie sah, dass er holder war als die Mächtigsten , die ihr gekniet hatten.

Er fasste eine Rose und wollte sie abreissen.

« Ich geh' jetzt wieder. Aber schau mich fest an. Schau mich doch gerade an! Kannst du einen nicht gerade anschauen ? Ich will dich in den Augen haben. »

Die Sünde kehrte bange den Blick von ihm und ihre Wimpern schwiegen herunter.

«Du wirst mich nie in den Augen haben, denn gesehen hat mich nur, wer mich gefühlt hat. »

Der Junge zerrte noch immer an den Rosen.

«Wer dich gefühlt hat? Wie macht man das? Wer hat dich gefühlt?»

Die Sünde richtete sich mit tiefem Athem empor und ihr Leib leuchtete.

«Wer mich küsste. »

«Dann geh' ich wieder heim», sagte der Junge. « Küssen mag ich nicht. »

Und ärgerlich über den Widerstand riss er eine ganze Ranke aus dem Rosengeflecht. Da sah er eine Schlange darunter liegen. Eine kalte, bunte, riesige Schlange mit kleinem scharfen Giftrachen. Er schaute sie an und war böse.

«Pfui!» sagte er und schüttelte sein helles Gelock zurück. « So ein hässliches Thier liegt unter deinem Thron? Und das sagst du nicht? Und Rosen sind darüber gedeckt? Du lügst ja! Schäme dich!»

Die Sünde zürnte. « Und du fürchtest dich ! Nur Könige haben den Muth zu mir. Bettler sind feig. »

Sie neigte sich der Schlange. Die wand sich zwischen den Rosen hindurch, bäumte sich hoch empor und Hess den Kopf auf die Schulter der Sünde fallen. Sie gürtete sich um den weichen Frauenleib, umkettete ihn noch einmal , eingewachsen in den Schlangenring stand die Sünde vor dem Knaben. Da däuchte sie ihm herrlicher als zuvor und sein Herz strahlte aus seinen morgenlachenden Worten.

« Ich bin nicht feig. Ich habe Muth, einen grossen Riesen umzubringen. Ich werde mit meinem Haselstecken die grüne Schlange erschlagen. Aber erst werde ich dich küssen 1 »

Er ersprang die Rosenstufen und heftete über die Schlange hinweg die jungen Arme um ihren Nacken. Er streifte über ihre Lippen hin und her und suchte ihren Athem in sich zu haschen. Aber sie wehrte sich und wehrte ihm, sie wollte ihn nicht küssen, sie schauerte in Menschenmitleid und Menschenangst, und das Mitleid wurde wieder zur Sehnsucht und die Angst zum Begehren und Verlangen und sie stürzte ihren heissesten Todeskuss auf seinen bittenden Mund.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Zwischen ihren eng aneinander gedrängten Leibern presste sich wie ein rinnender Wassertropfen der Schlangenrachen hinab und biss den Knaben in's Herz. Er schrie nicht, aber er wurde bleich in den rothen Wangen. «O», sagte er, «du hast mir weh gethan. » Und mit seinen beiden sterbenden Händen erwürgte er die Schlange, dass ihre feuchten Ringe von den Schultern der Sünde herabfielen. Dann stürzte er zurück, hinunter, auf den Perlmutterboden der Halle. Er schaute noch einmal empor in ihre Nachtaugen :

« Ich liebe dich. »

Er lächelte und war todt.

Da hüllte die Sünde ihr langes Haar über die Brust und weinte.

Die letzte Sonne ging aus dem Tempel. Der Himmel erblindete in graufarbigen Schleiern. Späte Abendpilger kamen in die mondlichte Halle. Sie fanden den todten Betteljungen mit dem Haselstecken in der Faust, mit zwei kleinen Blutstropfen auf der Brust, und sahen in seine gebrochenen Augen und suchten das Geheimnis darin. Aber sie fanden es nicht.

Er hat die Sünde nicht gesehen, sagten sie.

Auf dem verwelkten Thron lag die erschlagene Schlange. Die schwarze Königin war verschwunden.

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Die Sünde.

Ein Jubiläum.

Am 12. November 1893 feierte Hofrath Edgar Hanfstaengl 6.3ß, 25 jährige Inhaberjubiläum der ^ Kgl. Bayer. Hofkunstanstalt Franz Hanfstaengl zu München.

An diesem, für den Jubilar wie für das Institut, hochbedeutenden Gedenktage ziemt es unserer Kunst- Chronik, dass sie einen kurzen Rückblick auf die grosse Entwickelung eines Unternehmens werfe, welches nament- lich während der Inhaberschaft Edgar Hanfstaengr s in hervorragender Weise sich entfaltet hat.

Die Firma Franz Hanfstaengl wurde im Jahre 1833 von Franz Hanfstaengl, einem hochbegabten Künstler, dem Vater des Jubilars, begründet. Franz Hanfstaengl's erste Arbeiten erstreckten sich auf lithographirte Portraits und grössere in gleicher Manier hergestellte Kunstblätter für Kunstvereine etc. Diese Arbeiten haben den Namen Hanfstaengl schon damals in weiteren Kreisen bekannt gemacht und sind heute noch als Musterleistungen auf dem Gebiete der lithographischen Kunst hochgeschätzt. Aber die eminente Schaffenskraft des Begründers des Hauses wagte sich bald an eine für jene Zeit, in der es noch an allen die Zeichnung erleichternden Hilfsmitteln gebrach, über welche der reproducirende Künstler heute zu verfügen vermag, riesenhaft erscheinende Aufgabe, näm- lich die Vervielfältigung der Dresdener Galerie auf litho- graphischem Wege. In verhältnissmässig kurzer Zeit, im Zenith seiner Schaffenskraft stehend, bezwang Hanfstaengl dieses aus 190 auf Stein gezeichneten Bildern bestehende Riesenwerk und dokumentirte damit ein künstlerisches Können, welches die Bewunderung und Anerkennung seiner Zeitgenossen erringen musste. Nicht zum ge- ringsten Theile hat diese vortreffliche Publikation, welcher die beste Lebenszeit eines ganzen Mannes geweiht war,

dazu beigetragen, das Renommee dieser Gemäldesamm- lung weiter auszubreiten und überhaupt den Sinn und das Verständniss für die Werke der Alten mehr und mehr zu entwickeln. Daneben fand Franz Hanfstaengl noch Zeit, sich sowohl fortgesetzt der Zeichnung von Portraits auf Stein wie galvanographischen Arbeiten, wozu das bekannte meisterhafte Blatt Flüggen : t die Prozessentscheidung» zu zählen ist, zu widmen.

Nachdem in den fünfziger Jahren die Photographie immer mehr Einfluss auf die Portraitherstellung gewann, wandte Franz Hanfstaengl dieser neuen Sonne der ver- vielfältigenden Kunst seine volle Aufmerksamkeit zu, in richtiger Erkenntniss der grossen Tragweite, welche diese geniale Erfindung auf die vervielfältigende Kunst für alle Zukunft gewinnen möchte. In seinem Sohne Edgar, der sich inzwischen in der Welt umgesehen hatte und von weiten Reisen, die sich bis China erstreckten und als deren Frucht u. A. ein für die Ethnographie und Länderkunde damals werthvolles photographisches Werk < China und der Osten » entstand, zurückkam, fand er einen eifrigen, von neuem universellen Standpunkte aus die Entwickelung des Institutes anstrebenden Mitarbeiter. Es gelang Beider Bemühen, auch auf photographi- schem Wege dem Atelier Hanfstaengl den Ruf eines ersten Portraitateliers zu erringen, so dass es für den München besuchenden Fremden programmgemäss wurde, sich aus demselben sein Portrait mitzunehmen.

Am 12. November 1868 übergab Franz Hanfstaengl seinem Sohne Edgar das Institut, um den Abend seines an Arbeit und an Ehren reichen Lebens mehr künst- lerischen Liebhabereien widmen zu können ; er konnte nur wenige Jahre er starb 18. April 1877 dieser Ruhe sich erfreuen.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Mit diesem Wechsel trat eine neue Aera für das Haus ein, welche Hand in Hand ging mit der grossen Entwickelung der bildenden Künste in Deutschland und besonders in München. Hatte die Photographie bis da- hin ganz Hervorragendes geleistet in ihrer Anwendung auf Portrait und Landschaft, deren Resultate grös- seren oder geringeren künstlerischen Werthes noch mehr von der individuellen Begabung des Photographen abhingen wie heutzutage, wo es die Trockenplatte und das Rufungsrezept fast Jedem möglich macht, ganz leid- liche Erfolge zu erreichen, so lag doch die photo- graphische Technik in ihrer Anwendung auf weitere Gebiete, so namentlich in Anwendung auf die Repro- duktion von Oelgemälden etc. in Deutschland in den Anfangsstadien. Edgar Hanfstaengl betrachtete es als hauptsächliche Aufgabe seiner Anstalt, die Photographie der Reproduktion von Gemälden immer dienstbarer zu machen; er konnte sich der Durchführung dieser Pläne umsomehr widmen, als er für das Porträtfach in seinem Bruder Ernst eine künstlerisch veranlagte Kraft zur Seite hatte. Manch' technische Schwierigkeit in Bezug auf Beleuchtung und Farbenbeherrschung stellte sich ent- gegen und war zu überwinden ; aber schon nach kurzer Zeit hatten die Hanfstaengl'schen Reproduktionen die allgemeine Schätzung des Künstlers und Kunstfreundes, trotz der namentlich aus Frankreich stark herüberwehen- den Luft, sich zu erwerben vermocht und in dieser Ver- vollkommnung ist es immer weiter vorwärts gegangen.

Mit der Entwickelung der deutschen Kunst, be- sonders der Münchener Piloty-Schule , hatte sich, wie schon erwähnt, dem Hanfstaengl'schen Verlage eine Fülle von Thätigkeit und Vielseitigkeit erschlossen. Die vortrefflichsten Schöpfungen dieser Periode wie der späteren Kunstbewegungen haben ihre Vervielfältigung daselbst gefunden , so dass die « Galerie moderner Meister » , unter welcher Flagge die Werke der zeit- genössischen Malerei veröffentlicht wurden, zu der im- posanten Ziffer 8000 angewachsen ist. Berücksichtigt man, dass ungefähr jedes dieser 8000 Sujets in durch- schnittlich drei verschiedenen Formaten und diese wieder in verschiedenen Reserven vorgesehen wurden, so er- giebt sich leichtlich die respektable Summe von 30000 Negativplatten. Diese umfangreiche Kollektion bildet denn auch für alle Zukunft das getreueste Spiegelbild des künstlerischen Schaffens der letzten 25 Jahre in Deutschland; die publizirten Werke, auch nur nach

deren Autorennamen, zu nennen, würde zu weit führen und kann nur konstatirt werden, dass viele der hervor- ragendsten Künstler der Gegenwart mit der Summe ihres Schaffens im Hanfstaengl'schen Verlage vertreten sind.

Wie auf dem Gebiete der modernen Kunstrepro- duktion die Firma Hanfstaengl eine dominirende Stellung sich errang, so hat sie sich auch bezüglich der Ver- vielfältigung von Werken alter Meister direkt nach den Originalen in die erste Reihe zu stellen gewusst. Die umfassenden Publikationen der Gemäldegalerien zu München, Berlin, Dresden, Cassel, Amsterdam, Haag, Brüssel, Haarlem, die Schätze in Buckingham Palace und Windsor Castle in London, wie der Liechtenstein- Galerie zu Wien, legen das beste Zeugniss hierfür ab. Die Hanfstaengl'schen Reproduktionen der modernen wie alten Schulen sind fast sämmtlich in unveränder- lichem Kohledruck, welcher unter Anwendung eines dem Institute eigenthümlichen isochromatischen Aufnahme- verfahrens hergestellt wird, ausgegeben und als Bestes ihrer Art allgemein geschätzt.

Um das Kohledruckverfahren, welches zu den empfindsamsten aber auch edelsten Vervielfältigungs- mitteln gezählt werden darf, der höchsten Entwickelung zuzuführen, war die Einführung eines grossen maschinellen Fabrikationsbetriebes nothwendig geworden. Die in grossem Stile geschaffene Anlage, deren spezielle Ueber- wachung Hofrath Edgar Hanfstaengl sich besonders an- gelegen sein lässt, kann als eine Mustereinrichtung be- zeichnet werden, welche ihresgleichen an Ausdehnung und Präzision nicht hat.

Neben dem Kohledruckprozesse werden alle übrigen bekannten technischen Vervielfältigungsmethoden, soweit sie sich für Anwendung in grossem Stile eignen, in zu- meist dem Institute eigenthümlichen Manipulationen, aus- geübt. So die einen Ersatz für Stich oder Radirung bildende Photogravure (Kupferätzung) in anerkannt künst- lerischer Vollkommenheit man betrachte neben den zahlreichen Blättern der modernen Kunst die neuesten Kupferätzungen nach Dürer-, Rembrandt-, Hals -Origi- nalen und das, in seiner frappirenden Originalwirkung alles nach diesem Kunstwerke Vorhandene in den Schatten stellende, grosse Blatt der Sixtinischen Ma- donna. — Dann die Aquarellgravure, welche in ge- treuester Uebersetzung den Farbenzauber des Originals wiederzugeben sich zur Aufgabe macht und sowohl in ihrer Anwendung bei Herstellung von grossen Einzel-

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blättern wie in Bezug auf Prachtwerkpublikationen die vervielfältigende Kunst auf weitere neue Bahnen geleitet hat. Auch die rascheren und allgemeinerer Anwendung gewidmeten Reproduktionsmittel als da sind Lichtdmck, Autotypie und Zinkographie (Buchdruckverfahren), werden in ausgedehnter Weise zur Ausführung gebracht.

In dieser stetigen Entwickelung ist die Firma Franz Hanfstaengl, welcher im Jahre 1891 die Ehre zutheil wurde, zur Kgl. Bayer. Photogr. Hofkunstanstalt ernannt zu werden, in dem Zeiträume eines Vierteljahrhunderts zu einem Welthause vornehmster Bedeutung und zum vielseitigsten Kunstinstitute der Welt überhaupt heran- gereift. Die in London und New -York bestehenden

Filialen sorgen neben dem Münchener Stammhause mit kräftigem Flügelschlage dafür, dass die Schöpfungen deutscher Kunst und deutschen Geistes in alle Welt getragen werden.

Hofrath Edgar Hanfstaengl aber, dem gelegentlich dieses Jubiläums die wärmsten Glückwünsche von Nah und Fern entgegengebracht wurden, durfte an diesem Ehrentage mit Stolz und freudiger Genugthuung auf ein Vierteljahrhundert erspriesslichsten Wirkens zurück- blicken, beseelt von dem Bewusstsein, einer der vor- nehmsten kulturellen Aufgaben der Gegenwart seine ganze Kraft und seine Talente gewidmet zu haben.

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Die Akademie

VON

KARL RAUPP.

Bei den revolutionären Tendenzen der modernsten Kunstrichtung, bei der Verneinung alles dessen, was seither in den Zielen der bildenden Kunst als erstrebenswerth gegolten, wird gar häufig auch der vornehmsten Bildungsanstalt für den angehenden Künstler, der Akademie, das Urtheil gesprochen. Eine der ver- nichtendsten Bezeichnungen unserer Kritik ist der Aus- druck « akademisch » , das heisst mit anderen Worten «herkömmlich, veraltet, zopfig, langweilig, schablonen- haft !s Alle diese liebenswürdigen Begriffe lassen sich in dem Worte « akademisch 1^ vereinigen.

Solche, meist recht gedankenlos ausgesprochene, proklamirte Schädlichkeit der akademischen Ausbildung erzeugt dann von selbst den Wunsch, die Ursache all' dieses Uebels aus der Welt zu schaffen, die künstlerische Individualität durch Aufhebung jeder staatlichen För-

derung oder Bevormundung frei von allen Fesseln sich entwickeln zu lassen.

Wohin dies führt oder führen kann, sieht jeder, dem die Verhältnisse den Einblick gestatten, nur allzu deutlich.

Von diesen lockenden Lehren angezogen, verlässt der Kunstjünger jetzt vielfach vor vollendetem Studien- gang die Akademie und beginnt in einem freien Atelier nach eigener Fagon die künstlerische Zukunft sich zu erobern.

Ohne selbständiges Urtheil, mit unzureichendem, un- fertigem Können ausgerüstet, auf die unsichern, sich wider- sprechenden Urtheile der gleichaltrigen Freunde nur an- gewiesen und besonders unter den verwirrenden Ein- drücken der sich drängenden Ausstellungen, in welchen dem Anfänger nur die Extravaganz imponirt , geht so manches anfänglich schöne Talent hoffnungslos zu Grunde.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Jeder bedeutende Künstler, es gehört dies fast immer zu dessen Biographie, ist von irgend einer Akademie als talentlos bezeichnet worden. Manchesmal trifft dies auch zu und man sollte glauben, dass eben doch die schon erwähnte Pedanterie und eingerostete Schablone solcher Behörden die Schuld an solchem Ausspruch trage. Allein der Studirende, der sich in eine bestimmte Schule zur Vor- bereitung aufnehmen lässt, darin recht herzlich schlechte, nehmen wir an, figürliche Studien verbricht, kann den- noch eine bedeutende Begabung für die Landschaft oder das Thierfach besitzen; es ist begreiflich, dass seine der Akademie nur bekannten Leistungen dies nicht ver- rathen haben.

Als Nachfolger Professor Strähuber's war mir eine Zeitlang der Antikensaal der Münchener Akademie über- tragen worden. Einer meiner Schüler, ein junger Pole, stümperte jammervoll an den armen Antiken herum, mir und ihm zur Qual. Es war gut, dass er häufig fehlte und endlich ganz ausblieb. Bald darauf sah ich hinter den Scheiben einer bekannten Kunsthandlung ein Bild in blitzendem Goldrahmen, das den Namen des unglück- seligen Antikenschülers trug. Ich traute meinen Augen kaum, die bekannte polnische Winterlandschaft mit schmutziger Landstrasse, ein aus dem Bilde heraus- jagender bespannter Schlitten in möglichst grasser photo- graphischer Verkürzung, das polnische Bilderrezept nach bekannten guten Mustern! Allerdings, das fachmännische Auge durchschaute sofort das Geheimnis der Herstellung, aber in seiner Erscheinung war das Bild entschieden dem Kunsthändler eine brauchbare Waare. Fand das Bild alsdann vielleicht Aufnahme in einem photographischen Kunstverlage, so hatte sich der Antikenschüler mit einem Male unter die «modernen Meister» geschwungen und das Recht, auf die Akademie, deren Schädlichkeit und Unterdrückung der Künstlerindividualität zu schimpfen.

Es ist nicht zu leugnen, der Akademie des vorigen Jahrhunderts und der Zeit der klassischen Periode unter Cornelius sind die Vorwürfe der Einseitigkeit und des künstlerischen Zwanges nicht zu ersparen. Die ganze Kunstanschauung des 1 8. Jahrhunderts erklärt die manier- istische, schablonenhafte Art, welche den Kunstunterricht dieser Zeit kennzeichnet. Unter Cornelius herrschte der Stil, die Kontur, unter Aufgabe aller rein malerischen Bestrebungen.

Die Antike, der Akt und die Draperie füllten das Programm der damaligen Lehre aus. Eine Ausbildung

in der Farbe erschien unnöthig. Hatte man ausstudirt, war der Künstler fertig, so gewöhnte man sich damals noch ein wenig das Malen an!

So kam es denn, dass, als der Drang nach maler- ischer Ausbildung die strebende Jugend mehr und mehr ergriff, diese nach Antwerpen zu wandern gezwungen war, an dessen Akademie unter Wappers besonders Dykman's Schule die Maltechnik zu einer in Deutschland noch völlig unbekannten Vollkommenheit ausgebildet hatte.

Die einstmalige Akademie war eben auch nur der Ausdruck ihrer Zeit und genügte den Ansprüchen, welche die herrschende Kunstanschauung an dieselbe stellte. Deren Bestrebungen sind selbstverständlich nicht minder von bestimmenden Einfluss auf den Unterricht gewesen, als es die heutige malerische Anschauung auf die gänzlich veränderte Lehrweise der modernen Kunstschule jetzt ist. Wenigstens da, wo sich, wie in München, ein viel- gestaltiges Kunstleben dominirend geltend macht.

Aber ist es billig und vernünftig, die staatlichen Kunstbildungsanstalten als überflüssig zu verdammen, weil einzelne Künstler ohne deren stützende Hilfe Be- deutendes geleistet haben.? Oder weil bei führenden, hervorragenden Geistern in der späteren Eigenart ihres Schaffens nichts an deren einstigen Studiengang erinnert? Ein solcher Eiferer z. B. verdammt in der « Zukunft » frisch und fröhlich allen akademischen Unterricht. « Fort, mit Perspektive, Anatomie, Kunstgeschichte und An- tike ! » ruft der Kenner unserer Akademien dann weiter, «überflüssiger Kram, der den naiv studirenden Kunst- eleven fortan nicht mehr belästigen soll». Der Autor ist wohl kein Künstler und nimmt vielleicht das rabul- istische Raisonement seiner modernen Freunde für baare Münze! Es scheint ihm nicht völlig klar zu sein, dass Perspektive und Anatomie das künstlerische Studium vor der Natur erleichtern und eine Unkenntnis dieser Hilfsfächer die Ausführung gar mannigfacher malerischer Aufgaben scheitern lassen würde.

Kein wirklicher Künstler wird die Zwecklosigkeit dieser Lehrfächer bejahen. Allerdings, eine allzu breit angelegte Perspektive und Projektionslehre wie eine wissenschaftliche , medizinische Anatomie ist darunter nicht zu verstehen. Für letztere vor allem genügt ein durch zeichnerisches Studium erlangtes anatomisches Verständnis des Knochen- und Muskelbaus. Und warum soll dem jungen Maler der Blick in die Entwicklung vergangener Perioden seiner Kunst verwehrt sein?

Cuno von Godenhauaen pinx.

t^opyriglit 189.J by F. HaiifstaeiHfl, München.

Frühlingstraum.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Doch wohl nur desshalb , damit sein Glaube an die allein seligmachende Grösse der modernen Götter nicht alterirt werde?

Ich vermöchte sonst wahrhaftig keinen Grund ein- zusehen 1

Allgemeine Bildung müsste nach dieser Theorie der Kunstausübung schädlich und das Wort, das die Kunst als die feinste Blüthe der Kultur bezeichnet, alsdann kaum zu begründen sein. Die Akademie bietet in ihren Ein- richtungen und Sammlungen, in ihrer Bibliothek und ihren sonstigen Lehrmitteln den Studirenden, welche sich ja aus allen Lebenskreisen zusammen finden, Gelegenheit zur Weiterbildung, d. h. für den, der sich weiter bilden will; als Hochschule kennt sie keinerlei Zwang und allen zur Fahne der eben gehörten An- schauung Schwörenden ist es unbenommen, die schäd- lichen Einrichtungen zu fliehen. Sicher aber ist es die Aufgabe einer richtigen Kunstlehranstalt, dem werdenden Künstler alle jene Bildungsmittel zu bieten, die ein höher strebendes Talent zur Erreichung der gesteckten Ziele unbedingt bedarf und welche ihm der frühere Lebensgang mehr oder weniger versagte.

Das figürliche , künstlerische Studium benöthigt in erster Linie der staatlichen Hilfsmittel zur Ausbildung. Ein gründliches Studiren nach dem lebenden Modell und was damit zusammenhängt, ist für den unbemittelten Kunstjünger unter den heutigen Verhältnissen fast aus- geschlossen. Die umfassenden, hierzu nöthigen Einricht- ungen vermag der Einzelne sich nicht zu beschaffen. Privatschulen dagegen , grösstentheils der Vorbereitung für die Akademie dienend, werden immer, ganz abge- sehen von dem damit verbundenen, weit höheren Geld- aufwand für den Schüler, in den nothwendigsten Ein- richtungen weit hinter der Akademie zurückstehen müssen.

Einen Haupttheil des Lehrprogramms der Aka- demie ergeben die technischen Schulen, das Zeichnen nach der Natur, der Akt und das Malen nach der Natur. Auf der Münchener Akademie wird in der so- genannten «Naturklasse», eine merkwürdige Bezeichnung allerdings, der Studienkopf und der lebensgrosse Akt zeichnerisch studirt. Die genaue Kenntnis der Form, das Verständnis in der zeichnerischen Wiedergabe wird hier in erster Linie betont, die malerische Erscheinung im Ganzen, in Licht, Schatten und Tonwirkung aber nicht minder vollständig dabei zum Ausdruck gelangen müssen. Das darin geübte Auge geht beim Malen

leichter und sicherer der farbigen Wirkung nach. Der Abendakt hat die Aufgabe, den menschlichen Körper in seinen Verhältnissen und Bewegungen rasch und sicher kennen und auffassen zu lernen. Es wird dies erreicht durch möglichst einfache zeichnerische Behand- lung, bei welcher eine lebendige Kontur mit einfacher Angabe des Formverständnisses wie der Hauptmassen in Licht und Schatten einer hier unnöthig weitge- triebenen plastischen Wirkung in Schwarz und Weiss vorzuziehen ist. Der Individualität des Schülers sollte die Behandlungsart der Ausführung schonend über- lassen, dessen Handschrift immer sichtbar sein.

Gleichmässigkeit der Arbeiten einer Schule darf in der Erscheinung sich nur bis zu einem gewissen Grade geltend machen. Jedenfalls nicht mehr als das gleiche Modell und dieselben Beleuchtungsbedingungen dies er- klärlich erscheinen lassen. Eine darüber hinausgehende Gleichartigkeit dokumentirt stets eine über das erlaubte Mass geübte Beeinflussung des Lehrers. Die Münchener Akademie löste vor mehreren Jahren schon den Antiken- saal als Lehrmittel für den Anfänger auf Die Er- fahrung zeigte das geringe Verständnis des Studirenden gegenüber der Formvollendung dieser classischen Vor- bilder; ein Verständnis, das ja nach vorangegangenem Naturstudium in Wirklichkeit erst zu erwarten ist. Der Schüler begreift vor diesem Studium nur das äusser- liche der stilisirten, übersetzten Form der Antike, welches ihm dann eher hinderlich als förderlich vor der lebend- igen Natur wird.

Zudem ist der naturalistische Zug unserer Zeit, beim jüngsten Anfänger fühlbar, einem Festhalten bei der Antike nicht günstig. Wird auch vielleicht des Schülers Blick geschärft für die Verhältnisse des mensch- lichen Körpers durch vorheriges Zeichnen nach antiken Figuren, so darf man doch fragen, ob dieser Vortheil, der ja auch vor der Natur erreicht wird, den Zeitverlust aufwiegt, den der Antikensaal dem Studirenden seither gekostet.

Eine weit wichtigere Stelle fiir die Ausbildung des Künstlers gebührt der sogenannten «Komponirschule», richtiger « Meisterschule » genannt.

Die Pariser Akademie kennt diese Einrichtung nicht. Dieselbe wird daher auch in München vielfach ange- griffen. Aber gerade dieser Erweiterung unserer Aka- demie verdankt die Münchener Kunststadt einen sehr wesentlichen Theil ihrer Entwicklung. Man erinnere sich

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

nur an Piloty's Schule, aus welcher Münchens klang- vollste Namen hervorgingen. Und heute wie damals ist's der Boden, aus dem die junge Kraft der Münchener Schule herauswächst. Die endgiltige praktische Bethät- igung des erlangten Könnens zeitigt die Komponirschule.

In den Vordergrund wird hier die Individualität des jungen Künstlers gestellt, er hat dann auszugeben, was in ihm liegt und was er aus dem seither Gelernten zu machen versteht. Eine eigenartige, kraftvolle, künst- lerische Anlage tritt hier bereits in ihren ersten Schöpf- ungen unverkennbar zu Tage, sie nützt des Lehrers stützende Leitung begreiflicher Weise weit selbständiger aus , als es einem , noch mit sich unklaren , noch schwankenden Wollen, das sicherer Anlehnung dringend bedarf, gelingt. Bei Letzterem ist denn auch der so viel geschmähte überwiegende Einfluss des Lehrers sichtbarer und das Schulbild fertig. Ist dies denn aber ein Unglück? Doch nur dann, wenn der unverkenn- bare Stempel des Meisters allen Schöpfungen seiner Schüler dauernd und gleichmässig aufgedrückt erscheint.

Da aber, wo die eigene Schaffenskraft nur noch nicht geweckt ist, wird sie mit dem ersten, unter thät- igster Mitarbeit des Lehrers vollendetem Bilde erwachen, von Werk zu Werk die Individualität schärfer hervor- treten, der Schüler sich klar werden, was zum Bilde gehört und was sein künstlerisches Ziel und Ideal ein- mal sein wird.

Mag dann später des Schülers Schaffen diametral dem seines einstigen Meisters entgegenstehen, die Hilfe, die der Emporklimmende bei den ersten Schwierig- keiten seiner selbständigen Schöpfungen in den Unter- weisungen seines Lehrers fand, hat ihm über sonst un- übersteigliche Schwierigkeiten hinübergeholfen, ihm den Weg abgekürzt und geebnet, mehr als derselbe viel- leicht selbst ahnt und mit Dank anzuerkennen sich ver- pflichtet fühlt.*

Die modernen Anschauungen in der Kunst, jeder Autorität den Krieg erklärend , lassen denn auch des betreffenden Verfassers gewagte Behauptung verstehen, « der junge Künstler lernt nur durch die Ausstellungen ! »

Die äusseren Einwirkungen eines grösseren Kunst- lebens .sind gewiss von anregender Förderung auf die Entwicklung eines angehenden Künstlers und vieles was von aussen kommt, gibt bei seinem Studium ihm den

Anstoss zu fortschreitender Erkenntnis. Die alljähr- lichen Ausstellungen jedoch, wie wir sie jetzt in München haben, verwirren nur das unreife Verständnis, bringen mehr Aufregung als Anregung unter die studirende Jugend. « Den Kraftvollen unter den Künstlern fällt heute die Erziehung zu». Gut, wer garantirt uns dann aber, da.ss es nur die wirklich innerlich tüchtigen Leistungen auf den Ausstellungen sind, welchen die Jugend nachzustreben sucht und nicht meist die Augen- blick.sblender ohne nachhaltige Kraft mit ihren Extra- vaganzen und Modethorheiten, die heute glänzen in erborgtem Schimmer und morgen, übertrumpft von Anderem, vergessen sind. Wir sehen die Mode in der Kunst in unseren Ausstellungen wechseln wie in einem Damenkleidermagazin. Kein Wunder, wenn die Verwirrung steigt und das Kaleidoskop so verschieden- artiger Eindrücke gar manches hoffnungsvolle Talent auf sonderbare Wege führt, aus denen nimmer ein Ausweg zu finden.

Klar ist, dass die Akademie als künstlerische Hoch- schule des Staates ein gewisses konservatives Element in dem Wirrsal streitender Richtungen und Meinungen in der Kunst bildet, ohne dass die nothwendige Folge pedantische , veraltete und einengende Lehrprinzipien sein müssen. Die Münchener Akademie weiss sich auch von Letzterem vollständig frei, der scharfe Wind, der von aussen stets hereinweht, schützt davor und ein objektiver Beurtheiler der alljährlichen Ausstellungen der Arbeiten der verschiedenen Schulen wird schwer- lich einen solchen Vorwurf daraus zu begründen ver- mögen. Die Einwirkung des Staates auf die künstler- ische Bildung durch seine Anstalten gibt der Entwick- lung des ganzen Kunstlebens die sichere Basis, die ihr die Zukunft verbürgt.

Die verbreiterte zeichnerische Fähigkeit hebt die Leistungsfähigkeit des ganzen Volkes auf jedem Gebiet der Kunst und des künstlerischen Gewerbes. Frank- reich zehrt heute noch an den wohlthätigen Folgen der weitsichtigen Kulturpolitik seines Colbert, welcher in den staatlichen Kunstanstalten und Schulen den Grund zu der Jahrhunderte dauernden Herrschaft Frankreichs im Reiche des Geschmacks gelegt, damit die Welt der französischen Industrie dienstbar und sein Land reich gemacht hat.

Unsere Bilder.

Bilder schauen es heisst durch die Welt fliegen; es heisst Märchen lauschen, wie sie Schehere- sahde nicht buntfarbiger zu erzählen vermöchte. Es heisst, sich tragen lassen, rascher als der schnellste Blitzzug fährt, von dem Zaubermantel der Kunst, von Norden nach Süden , aus abendlichem Frieden in Strassen-Gewirr, aus elegantem Salon in niedere Senn- hütte, von ernsten Schauern zu muthwilligem Lachen, vom Krankenbett in den Wald; zurück in's Mittelalter, in die Römerzeit , vom Sagenreich in die modernste Wirklichkeit. Eine Fluth von Eindrücken, die da an uns heranströmen in heftigem Wechsel; einjagen vonEmpfind- ungen, von Erinnerungen, von Fragen und Gedanken!

„Cuno von Bodenhausen: Friihlingstraum.'^

Ein holdes Mädchengesicht von jenem Künstler, der so zart empfindet in unserer herbgearteten Zeit und der zum Liebling des Publikums geworden, nicht blos in Europa, auch über dem Ocean, in zwei Welten, weil er eine weichere, schönere Welt dichtet, weil er dem hungernden Gemüthe Märchen-Gestalten vorzaubert.

Ein zartblauer Himmel, eine schüchterne Sonne. Leises Zwitschern , leises Rieseln. Weisse Wölkchen schweben wie kleine beflügelte Engelsköpfchen , zart und rosig und silbergefiedert. Zuweilen unterbricht ein Mövenschrei die traumhafte Stille. Wie ein Pfeil zuckt die Frühlingsbotin durch die Luft; dann wieder Ruhe; nur das feine kosende Locken der Vögel.

Und in diesen erwachenden Keimen, in dieser von Lebensdrang durchzitterten Landschaft, in dieser März- schwüle — eine junge Seele. Gleich einer Liebkosung streicht die weiche, milde Luft um die Wangen. Eine süsse Mattigkeit breitet sich über die Glieder. Unwill- kürlich schliessen sich die jungen Augen: Wie dieser warme Frühlingshauch bestrickt und berauscht; wie er glühen und schaudern macht; wie er, mit Schöpfer- gewalt auch in der Mädchenbrust ein Neues weckt, ein geheimnissvolles, nicht in Worte zu fassendes Taumel- Gefühl selige Wehmuth, hoffnungsvolle Sehnsucht.

Märzveilchen duften. Auf den Wiesen thaut die Sonne das letzte Winter -Eis im Schattenwinkel. Es pocht, es regt sich, es keimt und sprudelt ringsum in Lebensfülle.

Von der jungen Stirne aber fächelt der warme Hauch den Kindertraum.

So weit, so weit wird das Herz; aus all den leise flüsternden Stimmchen, selbst aus dem schrillen Möven- schrei klingt's wie eine beklemmende, bestürmende Frage « Erwach auch Du ! Komm ! O komm 1 »

Sie weiss nicht, wohin es sie ziehen will mit diesem mächtigen Drängen. Es lockt in die Ferne, fort, fort, mit den Wolken, mit den Vögeln, in ein weites Wunder- land. Zugleich aber taucht doch auch aus naher Er- innerung ein junges Gesicht empor, ein Männerkopf mit warmen Augen, wohlbekannt und doch fremd, in wunder- samer Verklärung; ein jähes Erschrecken, ein banges Glück pocht durch das Herz. Es ist, als spräche dieser Mund, bestrickender, glühender als das heimliche Flüstern : « Erwach auch du ! Komm ! O komm ! »

Aus dem knospenden deutschen Frühling fort auf dem Zaubermantel in heisses südliches Leben.

„Augusto Corelli: Italienische Hochseitsfeier." Es liegt Wärme, Leidenschaft, Farbe und Gluth schon in den zwei Worten.

Man fühlt ordentlich die Schwüle in dem menschen- erfüllten Raum, in den ein Stückchen tiefblauen Himmels hereinleuchtet. Man meint den Lärm zu hören aus all diesen Kehlen, die so gewohnt sind zu singen und zu schreien, in den lebhaften offenen Lauten ihrer Sprache. Die Rosen auf dem Tische welken. Aber die Lippen glühen und die dunklen Augen brennen unter dem schwarzen Locken-Gewirr. Der Bräutigam flüstert seinem jungen Weib verliebte Worte in's Ohr. Aber er ist nicht der Einzige, der liebt und schmeichelt und bittet und einem heissen Blicke begegnen möchte. Die Schönste jedoch, mit den tollsten Augen trinkt einem fernen Glücke zu und winkt es heran mit lachenden Lippen. Der Brautvater gibt sich mit dem Behagen des Alters dem Genuss einer köstlichen Birne hin und kümmert sich nicht um das lose junge Volk, dessen Flüstern und Kichern und Lachen die Stimme des Festredners ver- schlingt, der das feierliche Hochzeits-Carmen vorträgt. Am Ende der Tafel sinnt ein Anderer, nachdenklich und mühevoll, auf seinen Trinkspruch. Gravitätisch, ernst und strafend schaut eine verblühte Schöne neben ihm unter ihrem weissen Kopftuch hervor auf die über- müthigen jungen Gesichter in ihrer Reihe. Glühende Lebensfreude, sorgloses Augenblicks -Glück strömt in feurigen Wellen über die Festtafel hin; aus den Chianti-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Flaschen, aus den Gläsern steigt ein leiser Taumel empor

und fliegt durch den lauten, heissen Raum, als wäre

Dyonisos, der alte Gott wieder mächtig geworden in

seinem schönen Bereich.

Hinaus in's Freie 1 Wir wandern rasch. Stille Bäume ;

eine einsame, ernste Landschaft.

„Gilbert von Canal: Landschaft.'^

Durch weisse Wolken flimmert die Sonne. In einem

Tümpel spiegelt sich Gestein, ein morscher Baumstamm,

das Ufergestrüpp, von Lichtfunken durchsprüht. Sonst

nur Grün, Grün in allen seinen Tönen und Abstufungen,

herrliches Blättergewoge und der Duft der Einsamkeit.

Das grosse beredte Schweigen der Natur liegt über den

Wipfeln.

«Und aus Fels, aus Baum, aus Fernen

Lesen wir die alte Keilschrift,

Die der Haufe nie versteh'n mag,

Das Gesetz des ewig Schönen. >

Eine Bewegung der Hand und wir sind aus der grossen Weltabgeschiedenheit in einen gepflegten Park versetzt vor eine winzige blonde Engländerin.

„Edith Scanneil: Die kleine Ezm.^^

Der Apfel! Der Apfel!

Wie rosig er da oben hängt, wie lockend, wie nah ! Aber die Aermchen reichen doch nicht hinauf. Sonst könnte sie wohl dem reizvollen Anblick nicht wider- stehen. Sie müsste ihn holen, trotz des strengen Ver- botes. Der Apfel, den sie nicht haben soll, nicht haben kann, er schmeckte gewiss so süss, viel süsser als jeder andere. Sie vermag die Aeuglein nicht abzuwenden von der verbotenen, verführerischen Frucht. Die schöne Puppe hängt ganz vergessen in der Hand, sträubt ihre Flachshaare und wird im nächsten Moment zu Boden gleiten. Die Puppe ist langweilig. Ungeduldiges Ver- langen, nutzlose Sehnsucht erfüllt das Herzchen. So geht's an. Und wenn dann die Kleine grösser wird, wenn die Arme ein bischen weiter reichen und immer noch das Versagte, das Verbotene lockt dann gibt es böse, böse Geschichten. Ja, Ja, der Apfel ! der Apfel !

Ein neuer Flug. Wir sind wieder im Süden.

Angelo DairOcca Bianca : Auf der Brücke."^

Das Strassenleben, das ewige Wechseln und Wan- dern auf einer Brücke, es ist das perpetuum mobile einer Stadt; es ist die Fluth und Ebbe in einem Menschen- meer. Tausende laufen da hin und her, geputzt und zerlumpt, hungrig und übersatt, mit keckem Augenschlag oder mit [fromm gesenktem Blick; der eine geht zu

einem Taufschmaus, der andere auf den Friedhof; der eine zu einem Liebchen, das ihm lachend in die Arme fliegt, der andere zu einem stirnrunzelnden Vorgesetzten. Und nun gar im Süden, wo man nicht hastig durch den grauen Nebel hineilt, wie bei uns, wo man lebt auf der Strasse ! Welche Fülle von Bildern, welches Kaleidoskop von wechselnder Farbe! Wenn auch die Damen die Hände in den Muff" stecken, die Mädchen sich in ihre Tücher wickeln, wenn auch im Wind die Röcke fliegen, es wird hier dennoch stillgestanden und geplauscht. Die Frauen, die vom Einkaufen kommen, müssen sich die Stadtneuigkeiten erzählen, und es wird ihnen warm vor Neugier und vor Entsetzen über ihre bösen Neben- menschen. Auch den Jungen wird es warm, wenn sie gleich mehr mit den Augen reden als mit den Lippen. Ein Geistlicher geht seines Weges und schaut nicht rechts und nicht links, damit er nicht sehen muss, was für Liebesthorheiten da wieder angezettelt werden ; die elegante Dame mit der Zofe schreitet vorüber, ein dralles Kind auf dem Arm der hübschen Mutter lutscht vergnügt an seinem Brod ; dahinter kommen ernster und würdiger ein paar Alte aus der Kirche. Die Sonne lugt ein wenig hervor, blitzt auf dem Wasser und umfluthet das bewegte Bild, die bunten Gestalten mit reizvollem Lichtzauber.

Ein neues Blatt!

„R. C ollin: Der Schlaf"

Die Kunst, die grosse Hexenmeisterin, hat einen Schleier emporgehoben und zeigt uns das Holdeste, das Berückendste, was die Erde kennt: einen zarten, rosigen Mädchenkörper, unverhüllte, jungfräuliche Schönheit.

Wie ein Feenkind liegt das schlanke, junge Geschöpf im Grün : die langen Haare strömen wie leuchtende Wellen um die süssen Glieder; das Händchen greift in die Luft, als wollte es haschen nach einem Traumglück, das vorüber fliegt.

Man meint zu sehen, wie die junge Brust athmet, wie Schmetterlinge über sie hingaukeln, in welchem Frieden sie da ruht, mitten in der Natur, selber nur Natur, ihr schönstes Werk, eine grosse, herrliche Blume.

Es ist Frau Venus, die uralte, ewig junge, das Ideal der Schönheit, nach dem alle Künstler trachten, von dem alle Dichter singen: ein weisser Frauenleib in seiner schlanken Fülle, mit seinen weichen Wellenlinien.

Und Poesie webt um das hüllenlose Weib ihren Duft. Mit ihren geschlossenen Augen schlummert sie wie in Paradieses-Unschuld.

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Edith Scannen pinx.

Copyright 1803 by V. Hanfstacngl, München.

Die kleine Eva.

Sterzing an der Brennerstrasse als Studienort FÜR Künstler und Kunstforscher

VON

BERTHOLD RIEHL.

I s hat einen eigenen Reiz, an einem rauhen April- tage, die uns am Nordhange der Alpen ja zahl- reich genug bescheeit werden, München zu verlassen , um den nächsten Morgen in Italien , wenn uns das Glück wohl will, bei lichtem, warmen Sonnen- schein zu erwachen, in blumenreichen Gatten unter den herrlich blühenden Bäumen spazieren zu gehen. Die grossen Gegensätze von diesseit und jenseit der Alpen treten uns da in voller Schärfe entgegen, sofort wird sich das Verständniss dafür öffnen, dass in dem anders gearteten Land ein anderes Volk und durch dieses eine andere Kunst erwachsen musste, die durch den mächtigen Grenzwall der Alpen geschieden werden.

Aber auch die alte Art zu reisen, sich in Tag- märschen Italien zu nähern, hatte und hat ihre grossen Vorzüge, denn bei dem langsamen Zurücklegen des Weges sieht der aufmerksame Beobachter nicht nur die grossen Gegensätze, sondern er findet auch feine Ueber- gänge, er erfährt, dass, soweit die deutsche Zunge reicht, auch die deutsche Kunst geht, ja mitunter noch ein gutes Stück weiter, dass aber ihr eigenartiger Charakter in diesen Thälern, welche den Norden und Süden seit so alter Zeit verbinden , vielfach durch die Einflüsse italienischer Kunst bedingt wird, wie wir andererseits auf acht italienischem Boden zuerst, wie etwa in Trient, noch manche Nachklänge deutscher Kunst finden, die wir weiter südlich vergeblich suchen würden.

Die erste Stadt, die wir auf unserer Wanderung nach dem Ueberschreiten des Brennerpasses betreten, ist Ster- zing. Aber noch kurz ehe wir den interessanten Ort er- blicken, fesselt unsere Aufmerksamkeit ein Bauernhaus rechts der Strasse, das zum Dorfe Ried gehört. Es ist ein

einfaches, altes Haus, das aussen sehr schlicht und innen nur durch die niedrigen Thüren und Wölbungen von seinem Alter, durch den erheblichen Schmutz in den fast höhlenartigen Räumen von der Annäherung an Italien erzählt, und doch birgt das unscheinbare Haus ein beachtenswerthes Kunstwerk, das namentlich hier von Interesse, weil es uns sagt, dass wir auf der Wan- derung nach Italien in eine neue Kunstsphäre eintreten. Am Südende der der Strasse zugekehrten Seite des Hauses nämlich sehen wir ein gutes Wandgemälde aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, es stellt St. Christoph dar, wie er das Christuskind durch das Wasser trägt, und den heiligen Jakobus , der unter einem gothischen Baldachin steht. Die Bilder, die als malerische Zier eines Bauernhauses schon wegen ihres hohen Alters auffallen, sind keine gewöhnliche Bauernarbeit, wie sie ja die Häuser in Tirol und Bayern so massenhaft zeigen, sondern von einem geübten Maler, wohl aus der Schule von Brixen, ausgeführt. Sie weisen auf die zahlreichen Wandmalereien besonders des 15. Jahrhunderts hin, welche die Kirchen und Schlösser Südtirols innen und aussen bis zu den abgelegensten Kapellen schmücken und die sowohl durch die Volksthümlichkeit als auch durch die im Grossen und Ganzen weit höhere künst- lerische Bedeutung der Wandmalerei dieser Gegenden gegenüber der des übrigen Deutschlands bereits italienische Einflüsse erkennen lassen.

Der Charakter dieser Wandgemälde auf deutschem

Boden ist acht deutsch und bleibt dies im Wesentlichen

bis zur Sprachgrenze, gleichwohl lässt aber doch manches

' an ihnen die Anregungen italienischer Kunst erkennen,

so schon an diesen Bildern in Ried der einfach grosse

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Wandgemälde aus dem Kreuzgang in Brixen.

Stil und das Ornament des Rahmens, je weiter südlich wir kommen, desto klarer zeigt sich gerade in der Wandmalerei der Zusammenhang mit der italienischen Kunst. In Brixen und Umgebung ist derselbe schon nicht mehr zu übersehen und die grossen Folgen von Wandgemälden aus dem Anfang des 1 5. Jahrhunderts in Bozen, Campill und Terlan deuten schon direkt auf Giotto's berühmte Fresken der capella dell'arena in Padua.

Ein Wandgemälde sagt uns zuerst und noch hoch am Brenner, dass wir auf dem Wege nach Italien einen bedeutenden Schritt vorwärts gekommen und in der Wandmalerei sehen wir auch beim weiteren Vordringen nach Süden am deutlichsten die wachsende Zunahme des Einflusses der italienischen Kunst. Dass gerade auf diesem Gebiete die Kunst Oberitaliens besonders nach- haltig auf die des Nachbarlandes wirkte, ist natürlich, denn auf ihm entfaltet sich ja in Italien, für diese Gegenden vor Allem in Padua, eine so hohe und eigenartige Kunstblüthe, die auf die Nachbarn, sobald sie diese imposanten Werke sahen, denen ihre heimathliche Kunst nichts Aehnliches an die Seite stellen konnte, einen mächtigen Eindruck machen mussten.

Wie acht deutsch aber sonst die gesammte Kunst an der Südseite des Brenners war, dafür bietet gerade Sterzing ein höchst interessantes Beispiel. Sterzing war, woran heute noch seine zahlreichen, stattlichen Wirths-

häuser erinnern, die mehrfach noch hübsche alte Schilder zieren, ein beachtenswerther Sammelpunkt für das reiche Verkehrsleben an der Brennerstrasse. Das Eisackthal erweitert sich hier und nimmt eine Reihe kleiner Seiten- thäler auf und mit der grossen Strasse, die über Bozen und Brixen heraufkommt , trifft hier der Saumweg zu- sammen, der von Meran über den Jaufenpass geht. Diese Lage begründet auch mit die grossen landschaft- lichen Vorzüge Sterzings ; das Thal in dem von waldigen Bergen umgeben das Städtchen so freundlich liegt, birgt durch die Einblicke in die nahen Seitenthäler, vor Allem durch den schönen Blick nach Westen auf die prächtige Gletschergruppe des Riednaün, eine ausserordentliche Mannigfaltigkeit in seinen landschaftlichen Bildern, und Jeder wird es leicht begreiflich finden, dass jetzt häufig Künstler das Städtchen zum Studienaufenthalt wählen. Aber nicht nur die Landschaft fesselt hier den Künstler, sondern vor Allem auch die alte Stadt mit ihren maler- ischen Motiven, sowie die beiden Burgen Sprechenstein und Reifenstein, und auch manches der hoch an den Bergen hinaufliegenden Dörfer wird ihn zu einem Besuche und zu Studien locken. Wer aber diese Denkmale alter Kunst poetisch und künstlerisch erfasst, in dem wird auch der Wunsch geweckt werden, etwas von ihrer Geschichte zu hören. Der Kunsthistoriker wird so naturgemäss zum Führer des Künstlers werden und dieser ihn dafür wieder zu seiner schönsten Aufgabe anregen, die Vergangenheit im lebensvollen, künstlerisch gerundeten Bilde zu sehen.

Kunstwerke ersten Ranges bietet Sterzing wenig, wie es ja auch nie eine Stadt von hervorragender Be- deutung war; was der Stadt aber für den Künstler, wie für den Historiker ein besonderes Interesse, einen eigen- artigen Reiz verleiht, ist, dass die ganze Stadt mit ihrer Umgebung selten vollständig sich aus ihrer Blüthezeit im Ende des 15. und im 16. Jahrhundert erhalten hat. Nicht nur die Kirchen, sondern auch das Rathhaus und das Schloss, das Bürger- und Bauernhaus, nicht nur das Aeussere, sondern auch das Innere und gar manches Stück der alten Ausstattung dieser Gebäude ist aus jenen Tagen auf uns gekommen. Das Bild der alten, längst verflossenen Zeit wird dadurch ein selten leben- diges, in das wir uns in dem jetzt so friedlichen, stillen Thal gemüthlich hineinträumen können.

Sterzing ist keine alte Stadt, erst im Beginn des 14. Jahrhunderts wird es als «Städtlein» erwähnt und nahm

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erst einen bedeutenderen Aufschwung, als Rudolph IV. Steinfigur der Maria in St. Peter zu nennen. Die eben 1363 die Verfügung traf, dass die Landstrasse durch erst aufkeimende Stadt hatte zunächst für das Nöthige die Stadt geführt werden dürfte, i) Die von Nord nach zu sorgen, erst nachdem sie eine gewisse Bedeutung cr- Süd ziehende Strasse bedingt denn auch die ganze langt, konnte sich im 15. und 16. Jahrhundert ein re- Anlage der Stadt und weist dadurch auf den Grund geres Kunstleben entwickeln und dieser Zeit gehören ihrer Bedeutung, auf die Hauptquelle ihres Wohlstandes daher auch die meisten und die interessantesten Kunst- hin. Eine ordentliche Befestigung hat Sterzing offen- werke der Stadt an. Die Hauptimpulse für sein künst- bar auch im Mittelalter nicht besessen, es war keine lerisches Leben wird Sterzing wohl von Brixen em- Stadt, die, wie sie in Deutschland so zahlreich, oft er- pfangen haben, aber auch Einflüsse nordtirolischer heblich kleiner als Sterzing, stolz auf ihr selbständiges Kunst machen sich geltend, worauf schon der Maler Gemeinwesen, sich zur Vertheidigung eingerichtet hatten, des ehemaligen Hochaltars der Pfarrkirche, Hans sondern es war ein friedlicher Ruheplatz an der grossen Mueltscher aus Innsbruck hinweist.

Handelsstrasse. Im i 5. und Beginn des 16. Jahrhunderts aber er- hielt es vor Allem auch durch den Bergbau im Pflersch- und Ried- naunthal , sowie am Schneeberg erhöhte Bedeutung ; der Berg- mannshammer an den Thorbogen mancher Häuser oder die wie auch im nahen Gossen- sass über derThüre eingemauerten Erz- stufen erinnern heute noch an diese einst so ergiebige Erwerbs- quelle, die seit dem

Ende des 16. Jahrhunderts stark zurückging und im Ende des 18. völlig aufhörte, wodurch der Wohlstand der Stadt M'esentlich litt.

Diese allgemeinen Grundzüge der Geschichte Ster-

Bänke der Pfarrkirche in Sterzing.

Da dieHauptblüthe Sterzings, deren Bau- ten im Wesentlichen auch noch den Cha- rakter des heutigen Städtebildesbedingen, in das 15. und 16. Jahr- hundert fällt, so ist der eigentlich dominirende Stil die Spätgothik. Man sollte erwarten, dass mit der Annäher- ung an Italien die Re- naissance früher Ein- gang gefunden und konsequenter aufge- griffen worden sei, es ist dies aber durchaus nicht der Fall, sondern acht deutsch hält man hier und ebenso auch weiter südlich auf deutschem Gebiete noch tief in das 16. Jahrhundert hinein an der mittelalterlichen Weise fest und die italien- ische Frührenaissance findet hier keinen Boden. Erst in

zings sind auch für die Kenntniss seiner Kunstdenkmale Trient treffen wir mit S. Maria maggiore (1520) eine be-

wichtig. Aus dem frühen Mittelalter haben sich weder hier noch in der Umgegend Kunstwerke erhalten, auch aus dem 14. Jahrhundert weiss ich nur die interessante

') Siehe den guten Führer: «Sterzing am Eisack », von Conrad Fischnaler. 3. Aufl. Sterzing 1892. W. Lubke gebührt das Verdienst, auf Sterzings Kunstschätze zuerst hingewiesen zu haben, durch seine Artikel in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1S83 No. 208 u. 20g, sowie durch wiederholte Erwähnungen in seinen Handbüchern; in ver- schiedenen Punkten, besonders in der Datirung und ästhetischen Wür- digung der Sterzinger Holzplastik, sowie in der Annahme, dass einige der Grabsteine italienische Arbeiten seien, bedauere ich den Ansichten des von mir hochverehrten Gelehrten nicht beipflichten zu können.

deutende Frührenaissancekirche und in den Palästen der via larga und der via del teatro acht italienische Profan- bauten des 16. Jahrhunderts. Auf dem deutschen Sprach- gebiet Tirols dagegen greift die Gothik in der Kirche wie im Rathhaus und im bürgerlichen Wohnhaus noch weit in das 16. Jahrhundert über, die Renaissance dringt langsam ein, zunächst in den dekorativen Formen und verbindet sich mit der Gothik zu jenem eigenartigen Mischstil, den wir die deutsche Renaissance nennen und der hier im Grossen und Ganzen genau denselben Cha-

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1007. Plafond der Kirohe In Wüten MutlrGündlrr 17 5 4)1

Deckengemälde der Kirche in Wüten.

rakter trägt, wie etwa in Franken und Schwaben und auch zeitlich jenen gegenüber durchaus nicht vorauseilt. So baute man an der Kirche St. Paul in Eppan nach der Inschrift an einer der Fialen 1519 noch rein gothisch; die Bauzeit der unteren, spätgothischen Kirche in Kaltem ist gleichzeitig anzusetzen, da der Schlussstein des Chores die Jahreszahl 1517 zeigt; die Kirche St. Nikolaus in Kaltem aber mit ihren interessanten, spätgothischen Ge- wölbmalereien wurde laut Inschrift erst 1536 vollendet und die Gegend von Neumarkt an der Etsch weist noch eine stattliche Reihe gothischer Kirchen aus dem 16. Jahr- hundert auf. Unter diesen Verhältnissen ist es leicht begreiflich, dass man in Sterzing 1524, wie die Jahres- zahl an dem hübschen Erker des Rathhauses berichtet, noch gothisch baute.

So acht deutsch in all* diesem die Kunst Sterzings ist, so merken wir andererseits doch an ihr, dass wir

auf dem Wege nach Italien sind, denn auch die Archi- tektur der Kirche und des Wohnhauses zeigen mehrfach italienische Einflüsse; aber diese Anregungen werden hier ebenso gründlich verarbeitet wie nördlich des Bren- ners, und die Stadt unterscheidet sich daher auf den ersten Blick nicht erheblich von den Innstädten Tirols und Bayerns, die uns heute noch bis hinunter nach Passau durch manche Reminiscenzen an italienische Art und Kunst so lebendig an dem Verkehr an der alten Strasse zwischen Deutschland und Italien erzählen. Schon als ein besonders anziehendes Beispiel dieser Gattung, noch mehr aber durch manche künstlerische und kunst- geschichtliche Besonderheiten gewinnt Sterzing ein wei- teres Interesse.

Der bedeutendste Bau Sterzings, zugleich der, welcher den Beginn eines regeren Kunstlebens anzeigt und für dieses auch weiterhin einen gewissen Mittel-

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punkt bot, ist natürlich die Pfarrkirche, die auffallender Weise nicht in der Stadt, sondern gut fünf Minuten südlich derselben liegt, seitab der grossen Strasse an dem Weg nach dem Jaufen.

Die Pfarrkirche von Sterzing, deren niedriger Chor in den Jahren 141 7 -1450 gebaut, während das Schiff 1497 bis 1533 ausgeführt wurde, ist eine spätgothische, dreischiffige Hallenkirche. Der stattliche Bau gewinnt namentlich dadurch, dass die sehr schlanken Rund- pfeiler weit auseinander gestellt sind, den Eindruck im- posanter Leichtigkeit und Weiträumigkeit, den in ver- wandter Weise die Kirchen von Meran, die Hofkirche in Innsbruck, die Kirche zu Hall und als die bedeutendste dieser Gruppe die Pfarrkirche in Schwaz zeigen. Das Streben, möglichst weite, freie Räume zu gestalten, namentlich aber auch die weite Stellung der Pfeiler, weist auf italienische Einflüsse, die auch für die Bevor- zugung der Rundpfeiler und der Hallenanlage mass- gebend waren. Dagegen ist das Streben, namentlich auch durch die bedeutende Höhe der Kirche zu im- poniren, acht deutsch, und diese Kirchen erhalten dadurch manchmal einen etwas widerspruchsvollen Charakter, der sich besonders in der übertriebenen Höhe der allzu- schlanken Pfeiler ausspricht, wie z. B. in der Franzis- kanerkirche in Schwaz, und der offenbar auch auf einen Bau wie die Martinskirche in Landshut mit ihren über- trieben schlanken Pfeilern massgebend einwirkte, während die Frauenkirchen von München und Ingolstadt diese Gedanken selbständiger verarbeiten und in ruhigeren, kräftigeren Formen aussprechen.

Yon gothischen Details hat sich an der Sterzinger Pfarrkirche wenig erhalten. Das Maasswerk zeigt sehr einfache, spätgothische Formen, die Rippen des Gewölbes wurden 1753 herabgeschlagen, als Adam Moelckh, der « academicus vienensis » , die Decke mit schlechten Fresken versah. Die Rokokoumgestaltung der Kirche, von der auch die Kirchenbänke mit ihren originellen Löwen her- rühren, ist, abgesehen von der eleganten Stukkverkleidung der Pfeilerkapitäle, nicht sehr gelungen, aber jedenfalls wirkte sie, wie gewöhnlich, doch weit besser als die äusserst schwache Neu-Gothisirung, die seit 1869 aus- geführt wurde.

Die Veränderungen , welche die Pfarrkirche im 18. Jahrhundert erfahren, weisen uns hinüber zur besten Leistung des Rokoko in Sterzing, nämlich zur nahe gelegenen Elisabethkirche im deutschen Haus, die ein

ganz gutes Deckengemälde der Glorifikation der hl. Elisabeth besitzt, das Matthäus Günther malte. Matthäus Günther, der in Peissenberg in Oberbayern geboren wurde, hatte in München bei den Asam gelernt und lebte später in Augsburg, wo er auch als Akademie- direktor starb Günther's Name begegnet uns wiederholt auf dieser Strasse nach Italien; in Rott am Inn (1763) und in VVilten bei Innsbruck (1764) treffen wir zwei seiner brillantesten Leistungen in der Freskomalerei ; ein bedeutendes frühes Werk des Künstlers ist die Aus- malung der Klosterkirche von Neustift bei Brixen (1736), während sein Deckengemälde in der Pfarrkirche zu Gossensass (1751) und sein Kuppelbild in der Elisabeth- kirche in Sterzing zwar keineswegs zu seinen besten Arbeiten gehören, aber doch immerhin den gefälligen, flotten Rokokokünstler erkennen lassen, der entschieden weit über den einheimischen Malern dieser Zeit steht. Die Kunst des Rokoko hat in Tirol, abgesehen von diesen Werken Günther's und der Jakobskirche in Innsbruck, welche die Gebrüder Asam aus München dekorirten , wenig Bedeutendes geschaffen ; den Grund hiefür zeigt ein Vergleich des Domes zu Brixen, der ja

Hochaltar im Dom zu Brixen.

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ein sehr stattliches Werk der Mitte des i8. Jahrhunderts ist und auf seine Umgebung entschieden Einfluss übte, mit der Kirche des Klosters Neustift.

Der Einfluss der schweren Formen des späten, entarteten Barocks Italiens war in diesen Gegenden und zwar bis hinüber nach Innsbruck zu mächtig, um die elegante Kunst des Rokoko aufkommen zu lassen. Sehr charakteristisch ist hiefür z. B. der Hoch- altar des Domes zu Brixen, den Theodor Benedetti aus Mori ausführte und der eben so gut in S. Maria maggiore in Trient stehen könnte, wo wir eine Reihe verwandter Altäre treffen. Wie frisch und lebensvoll ist doch gegen- über dieser nüchternen, alternden Kunst im Dom zu Brixen, deren Fresken von Troger höchst unbedeutend und deren Ornamentmalereien durch Hieronymus Con- stantini aus Roveredo geradezu roh genannt werden müssen, die Dekoration der Kirche in Neustift, deren Fresken und Stukkaturen achtes, feines Rokoko zeigen, wenngleich die letzteren da und dort den Einfluss der damals schwerfälligen italienischen Art erkennen lassen. Haben wir in dem italienischen Spätbarock, der den Charakter des Brixer Domes so wesentlich bedingt, eine absterbende Kunst, so sind dagegen jene Kirchen wie Neustift, bedeutender noch Wüten und in bescheidenerem Masse allerdings auch die Kirche des deutschen Hauses in Sterzing, so viel man auch an ihnen aussetzen mag, doch die Zeugen einer originalen Kunstj die eine eigen- artige Schattirung des Stils ausspricht, die Zeugniss gibt von einem frischen , reichen Kunstleben , wie es sich damals an der Mündung der Brennerstrasse , in München abspielte, die daran erinnert, wie sich die nordische Kunst im 17. und 18. Jahrhundert kräftiger und frischer als die italienische entwickelte.

Aber kehren wir zurück zur Sterzinger Pfarrkirche, die uns noch so manches von der Kunstgeschichte der Stadt und der Brennerstrasse zu erzählen hat. Beachtens- werth erscheint an dem Bau vor Allem die sehr zierliche plastische Dekoration des Südportals. Auf dem Thür- balken, neben dem das Sterzinger Stadtwappen und das Gerichtswappen von Freundsberg angebracht sind, meldet eine Inschrift, dass König Maximilian 1497 den Grund- stein zu diesem Gebäude legte; im Bogenfeld über der Thür ist das Reichs-, das Tiroler- und Habsburger- Wappen angebracht und darüber sitzt Maria, die dem Kinde auf ihrem Schooss einen Apfel reicht.

Das zierliche Portal an der sonst doch nüchternen

und massigen Kirche hat etwas überraschendes , aber solche Widersprüche finden sich mehrfach an den gothischen Kirchen Tirols. Gleich die Kirche des nahen Trenz, die, wie die meisten in weitem Umkreis, dem Ende des 15. Jahrhunderts, der eigentlichen Blüthezeit der Tiroler Kunst , angehört , besitzt am Portal eine ähnliche Marienfigur, und auch in Nordtirol finden sich verwandte Portale, z. B. in Landeck, und auch das der Kirche zu Seefeld mit seinen Reliefs aus der Geschichte des hl. Oswald mag in diesem Zusammenhang genannt werden. Im Allgemeinen ist der Charakter der Tiroler Gothik äusserst schlicht, nicht selten etwas nüchtern, was schon damit zusammenhängt, dass wir es hier ziemlich aus- schliesslich mit spätgothischen Bauten und zwar meist mit solchen zu thun haben, die nur über bescheidene Mittel verfügen konnten. Aber selbst bei sehr unscheinbaren Dorf kirchen , oft noch in den abgelegensten , stillsten Thälern, welche damals gar keinen Verkehr hatten und die auch heute nur der rasch durchziehende Touristcn- schwarm besucht, zeigen die Kirchen zuweilen sehr fein profilirte Rippen, schöne Schlusssteine oder ein elegantes Portal, trotz aller Einfachheit des Ganzen, die hier Jeder sehr begreiflich finden wird, namentlich wenn er Wochen lang solchen Kirchen nachgeht und dabei gar manches Paar Schuhe seinen kunstgeschichtlichen Studien opfern muss. Tirol ist eben , was ja schon der ganze Charakter des Landes erklärt, nicht ein Land, das ge- eignet gewesen wäre, eine reiche, glänzende Kunst zu entwickeln, aber es ist ein Land, dessen schöne Natur in dem frischen Volk, das es bewohnt, ein offenes Auge für die Natur, ein warmes Herz für die Kunst erziehen musste. Grosse , glänzende Kirchen gothischen Stils, wie etwa am Rhein oder in Franken, wird man hier vergebens suchen , ebenso auch die zierliche Eleganz der schwäbischen Gothik; wer aber die ächte Volks- thümlichkeit der deutschen Gothik studiren will, der wende sich nach Tirol, und gerade jene abgelegensten Kirchen, die, wenn sie nicht die Mittel zum künstlerischen Schmuck der ganzen Kirche hatten, wenigstens einen Theil liebevoll dekorirten , sie werden ihm am poesie- vollsten davon erzählen.

Das zierliche Südportal der Sterzinger Pfarrkirche hat durch einen Blick auf die in den benachbarten Thälern und auf den nahen Höhen liegenden Kirchen unsere Gedanken etwas seitab geführt, aber kehren wir zurück zu ihm und damit zur Steinplastik Sterzings.

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Die Vermuthung liegt nah, dass Tirol im Mittelalter eine bedeutende Steinplastik besessen habe und wer die prächtigen Grabsteine der bayerischen Inngegend studirt, wird unwillkürlich auf den Gedanken kommen, dass diese Kunst wesentliche Anregungen aus Tirol em- pfangen habe. Es ist dies aber durchaus nicht der F"all, denn die ganze Brennerstrasse zeigt mit einziger Aus- nahme der Brixner Grabsteine nur wenig und meist nur geringwerthige Steinplastik. Dieselbe fordert eben zu namhafter Entwickelung bedeutende Mittelpunkte, wie Regensburg, vielleicht auch Salzburg, die damals wich- tigen Innstädte oder seit dem Ende des 15. Jahr- hunderts auch München, ebenso wie südlich Trient und dann noch mehr Verona uns hierin als wichtige Punkte begegnen. An der Brennerstrasse selbst aber sind es nur das wohlhabende Bozen durch seine Skulpturen an und in der Pfarrkirche und die Bischofstadt Brixen mit ihrer tüchtigen Grabplastik im Anfang des 15. Jahr- hunderts, die auf diesem Gebiete Beachtung verdienen. Mit ihnen kann sich Sterzing allerdings nicht messen, aber es zeigt sich doch auch hier als Mittelpunkt eines selbständigen Schaffens, denn in Folge des Marmors, den die Sterzinger besitzen, und der ja auch in der Gegenwart wieder das bedeutendste industrielle Unter= nehmen der Stadt ins Leben rief, finden wir hier im 16. Jahrhundert ganz hübsche Grabsteine, die sich die Mitglieder der wohlhabenderen Familien an der Pfarr- kirche setzen Hessen. Weitaus das Beste an diesen Grabsteinen sind einfache Wappen oder die Rahmen mit schlichten Renaissanceornament, während die Ver- suche figürlicher Darstellung hier meist wenig glücklich ausgefallen sind, woran ja emige Schuld auch die Art des Marmors haben mag, der für feinere Arbeiten we- niger geeignet ist.

Gothisches Ornament hat noch der Grabstein des 1 505 gestorbenen Bürgers Hans Koechl und seines im gleichen Jahre gestorbenen Sohnes, während schon der des in dem folgenden Jahre gestorbenen Steffan Selauer einfachen Renaissancerahmen zeigt, bei dem Wappen dagegen noch an den gothischen Formen festhält; auf dem besten Wappensteine der ersten Hälfte des 16. Jahr- hunderts ging die einer Bronzetafel eingelassene Inschrift verloren. Von weiteren Grabsteinen des 16. Jahrhunderts sind noch zu erwähnen der des 1536 gestorbenen An- dreas Flamm, dessen Haus in der Hauptstrasse erhalten ist, wo er an dem Erker sein Wappen hübsch mit gothi-

Klosterkirche in Neustift.

sehen Ornamenten verziert und die Jahreszahl 1533 anbrachte, ferner der Grabstein des 1550 gestorbenen Stadt- und Landrichters zu Sterzing Joseph Grebmer. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigt der Grabstein des Postmeisters Hans Prugger einen hübschen, einfachen Renaissancerahmen, dagegen ein recht schwaches Relief das den Postmeister und seine Gattin an dem Kreuz betend darstellt (i 565), auch das Relief der Er- weckung des Lazarus auf dem Grabstein des An- dreas Rauch und seiner Gattin Rosina, das 1578 ge- fertigt wurde, ist eine schwache Leistung; einfachen Renaissancerahmen und zwei Wappen zeigt der Grab- stein des 1582 gestorbenen Stadtrichters Christoph Grebmer und seiner Frau Christina. Auch aus dem 17. und 18. Jahrhundert finden sich hier und auch in der Nachbarschaft noch mehrfach solche Grabsteine, so von 161 5 der des Abraham Geizkofler und mit einem guten Wappen ist noch der Grabstein geschmückt des Joseph Leitner, der 1732 im Alter von 84 Jahren starb, während seine Frau Elisabeth ^6 Jahre alt 1739 gestorben ist. Wenn wir hier auch keine irgend bedeutenderen Kunstwerke finden, so lassen diese Grabsteine doch

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DIK KUNST UNSERER ZEIT.

Stldportal der Pfarrkirche in Sterzing.

immerhin durch ge- raume Zeit eine ziem- lich rege Thätigkeit des Städtchens auch auf die- sem Gebiete erkennen. Von anderartigen Wer- ken der Steinplastik da- gegen, von denen sich in Tirol überhaupt nur wenig findet, ist ausser den schon erwähnten hübschen Portalen an der Pfarrkirche und an der zu Trenz, nur noch etwa die kleine Oelberggruppe aus dem Ende des 15. Jahrhunderts zu erwähnen, die sich über der Sakristei- thüre der Pfarrkirche befindet und die sehr interessante Madonna in der Peterskirche.

Die Peters- und Paulskirche , die zu dem Schlöss- chen Joechelsthurm gehört, ist eine wohlerhaltene, ein- schiffige, gewölbte Kirche spätgothischen Stils, nach der Inschrift an der Decke wurde sie 1474 vollendet und 1744 wurde ihre Ausstattung verändert. Das in- teressanteste Kunstwerk der Kirche ist die erwähnte Madonna, die in einem Glaskasten links neben dem Hochaltar steht und dem Beginn des 14. Jahrhunderts angehört. Die fast dreiviertellebensgrosse , stehende Maria hält in der Rechten das Scepter, in der Linken das Christuskind, welches nach seinem linken Füsschen greift. Schon dieses Motiv verräth lebensvolle, originelle Auffassung, die natürlich bei einem solchen Werk ganz besonders erfreut, bei dem wir den Künstler noch müh- sam nach den Grundlagen seiner Kunst ringen sehen, denn sowohl die wenig verstandenen Körperformen zeigen eine noch sehr primitive Entwickelung, als auch die starren , geschlitzten Augen und jenes eigenthümliche Lächeln, das als ein erster Versuch, das Gesicht durch das Mienenspiel freundlich zu beleben, sich in der frühen Plastik aller Völker findet.

Weit reicher als die Steinplastik ist die Holzplastik in Sterzing und auf den benachbarten Dörfern vertreten ; manche Werke derselben besitzen wirklich erheblichen Kunstwerth , nicht minder aber erfreuen andere, die, wenn auch bescheidener, doch fesseln, zumal in abge- legenen Landkirchen und Kapellen, als Zeugnisse dafür, wie das ganze Volk theilgenommen an dieser Kunst.

Die Schnitzkunst ge- stattete eben in den Alpen, wo so Mancher, wenn er auch kein Künstler vom Fach war, das Schnitzmesser zu handhaben verstand und in vielen Gegenden heute noch versteht, auch dem einfachen Manne, angeregt durch die schönen Kunst- werke, die er in der Pfarrkirche sah, sich in dieser Kunst zu ver-

Hoclialtar der l'farrkirche in Sterzing.

suchen und das Beste, was er leisten konnte, stellte er dann in seiner Kapelle auf, als eine Gabe zwar klein aber wirklich von Herzen, und diese Stimmung, aus der sie geschaffen wurden, verleiht diesen Kunstwerken einen persönlichen Reiz , von dem die aus unseren modernen Fabriken für Kirchenausstattung herrührenden Arbeiten keine Ahnung haben.

Das grossartigste Schnitzwerk des I 5. Jahrhunderts in Sterzing war wohl der stattliche Hochaltar der Pfarr- kirche, der 1456 bis 1458 ausgeführt wurde. Die Mittel- figur desselben ging in den sehr geschmacklosen, modern gothischen Hochaltar über, es ist eine Maria, die auf dem Halbmond steht, eine treffliche, auch historisch sehr interessante Figur. Der Stil ist einfach gross, der Faltenwurf zügig, jedoch nimmt er im Einzelnen wenig Rücksicht auf den Körper, der sich unter dem Gewand befindet. Um sich klar zu machen, was die Kunst in den letzten anderthalb hundert Jahren gelernt hat, ver- gleiche man diese Figur mit der soeben besprochenen Maria in St. Peter. Die Madonna in der Pfarrkirche von ungefähr 1456 ist ein Kunstwerk, das unmittelbar fesselt, das durch seine schlichte Schönheit erfreut und erhebt und bei dem wir erst bei genauerem Studium erkennen, dass dem Meister noch Manches zu einer vollkommen naturwahren Kunst fehlt. Die Maria aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts in St. Peter dagegen wird auf den unbe- fangenen Beschauer mit ihrem alterthümlichen Lächeln zuerst fast komisch wirken, und nur eingehendes Studium kann uns die historisch interessante Figur würdigen lehren, zeigt uns, welch' tüchtiges Streben in der Arbeit liegt, und dass sie eine für ihre Zeit treffliche Leistung ist.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Altar der Barbarakapelle in Gossensass.

Die Flügelbilder des Hochaltars, die Hans Mueltscher aus Inns- bruck malte, befinden sich jetzt im Rathhaus. Wegen ihrer frühen Entstehungszeit, bald nach Mitte des i 5 Jahr- hunderts , sind diese Gemälde beachtens- werth, obgleich sie viel- fach recht handwerk- liche Arbeiten sind, namentlich die mit Passionsdarstellungen bemalten Aussensei- ten ; etwas besser sind auf den Innenseiten die Bilder aus dem Marienleben. An diesen spricht namentlich eine gewisse einfache Grösse des Stils an, die in erster Linie dadurch bedingt ist, dass dieser Kunst noch jener Blick für das Detail fehlt, der dann im späteren 15. Jahrhundert sich besonders charakteristisch in den überreichen kleinknitterigen Falten zeigt, andererseits wird sie in diesen Gemälden, wie ja auch in gleichzeitigen und älteren in Bayern namentlich auch durch den Einfluss der hier vielgeübten Wand- malerei auf das Tafelgemälde gefördert.

Die Madonna auf dem Hochaltar der Pfarrkirche charakterisirt trefflich den Stil der ersten Hälfte und Mitte des 15. Jahrhunderts, die Heiligen Barbara und Katharina, Ursula und Apollonia an dem Hochaltar der Magdalenenkirche sind dagegen interessante Belege für die Wandlungen der künstlerischen Anschauung gegen den Schluss des Jahrhunderts. Die vorzüglichen Figuren zeichnen sich durch einen wirklich bedeutenden Schön- heitssinn aus, dagegen ist ihre Haltung etwas manierirt, der Körperbau wenig verstanden und die Falten sind mitunter aus allzugrosser Vorliebe für das Detail gar zu gehäuft. Als die Figuren, von denen, wie von jenen in der Spitalkirche irrthümlich behauptet wird, dass sie vom Hochaltar der Pfarrkirche stammen, im 18. Jahr- hundert auf diesen Platz gestellt wurden, wurden sie leider weiss überstrichen.

Zwei vortreffliche Figuren vom Ende des 15. Jahr- hunderts sind die ritterlichen Heiligen Georg und noch gelungener St. Florian in der Spitalkirche, sie sind elegant

fast etwas affektirt bewegt, was man in dieser Zeit offen- bar wegen des Gegensatzes zu den steifen, älteren Figuren für besonders schön hielt. Auch das kleine Kreuz- kirchlein besitzt eine nicht uninteressante Holzgruppe aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, eine halblebens- grosse, leider roh überschmierte Pietä, bei der die scharf- brüchigen Falten, die damals Mode waren, allerdings stark übertrieben und furchtbar gehäuft sind.

In den umliegenden Dörfern hat sich gleichfalls noch manche hübsche Holzfigur vom Ende des 1 5. Jahr- hunderts erhalten, so in Mareit eine ganz reizende kleine Holzstatuette des hl. Florian mit sehr hübsch gearbeiteter Rüstung, etwa 75 cm hoch, und ihr Pendant, eine gute Figur des hl. Bernhard, die auf einem Altar aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stehen in der südlich an den Chor der Kirche angebauten Kapelle. Geringe Arbeiten der Zeit finden sich in der Todtenkapelle in Trenz, nämlich eine kleine Pietä, sowie Johannes und Maria.

Eine dieser Dorfkirchen aber, nämlich die Magda- lenenkirche am Eingang des Riednaunthales bietet für die Holzplastik um 1500 ein reicheres Bild als die

Schloss Taufers.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

IJas grüne Zimmer in Schloss Reifenstein.

Kirchen der Stadt, ein Fall, der ja durchaus nicht selten ist, weildieseLand- kirchen, wenn

auch durch reiche Gönner

ursprünglich glänzend aus- gestattet, wei- terhin gewöhn- lich doch nur über beschei- dene Mittel zu verfügen hatten und dadurch häufig vor späteren Veränderungen verschont blieben. Auch die moderne Restauration, gewöhnlich die grösste Gefahr solcher Kunstschätze, ist in' der Magdalenen- kirche mit den alten Kunstwerken noch verhältniss- mässig gut umgegangen.

Die Magdalenenkirche in Riednaun, etwa drei Stun- den westlich von Sterzing in herrlicher Gegend gelegen, ist eine jener in Südtirol so zahlreichen, spätgothischen Kirchen, die einschiffig angelegt, innen Wandpfeiler haben, die das gut profilirte Steingewölbe tragen, die Wandpfeiler und Rippen sind hier aus Sterzinger Mar- mor gefertigt, die Erbauungszeit der Kirche wird durch die Jahreszahl 1481 I) am Triumphbogen näher bestimmt. An der Nordseite im Chor dieser Kirche steht ein kleiner Flügelaltar, eine tüchtige Arbeit vom Ende des 15. Jahrhunderts. In dem Schrein unter spätgothischer Architektur sehen wir die Statuette der Maria Magdalena, eine anmuthige, modisch gekleidete und frisirte Dame, die mit feiner Naturbeobachtung geschaffen ist, was namentlich der hübsche Kopf zeigt, die aber in Folge des für diese Zeit so charakteristischen Strebens nach eleganter Bewegung, ein wenig geziert in der Haltung, vor Allem der Finger wurde. Auf die Flügel des Altars sind aussen die Verkündigung, innen Scenen aus dem Leben der Maria Magdalena gemalt; ein Urtheil über die Persönlichkeit des Meisters scheint mir bei solchen

') In der CentralkommUsion 1857 p. 327 wird die Jahreszahl irr- thUmlich als 1281 gelesen.

handwerklichen Arbeiten nicht möglich, besonders, wenn sie so überschmiert sind, wie diese Bilderi).

Im Jahre 1 509 wurde dieser Altar, der früher offen- bar Hochaltar war, beseitigt und an seine Stelle trat das glänzende Werk, das heute noch daselbst steht und dessen Meister die Inschrift nennt : « Das werch hat gemacht maister matheis stöberl. 1509.»

Dass Aufbau und Ornament eines solchen Altares noch rein gothisch sind, ist bis in die Gegend von Bozen noch ebenso selbstverständlich, wie etwa in Bayern oder Franken. Die Flügel des Altars sind auf beiden Seiten mit tüchtigen Gemälden geschmückt, aussen die Passionsbilder, innen Scenen aus dem Leben der Maria Magdalena. Wie gewöhnlich bei den grossen Altar- werken in Tirol und Bayern, so ist auch hier die Plastik der Malerei an künstlerischem Werth überlegen, ent- schieden das Bedeutsamste an dem Altar sind doch die dreiviertel lebensgrossen Figuren im Schrein. In der Mitte steht hier Maria Magdalena, die Engel zum Himmel emportragen, in dem Fels, auf dem sie steht, arbeiten zwei Bergleute, was den Beitrag der Bergleute zu der Errichtung des Altars andeutet, neben Maria stehen Georg und Laurentius. Die Figuren zeigen, besonders in den Köpfen, einen entwickelten Schönheitssinn, in den männlichen Gestalten aber zugleich eine feste, energische Haltung und durchweg einen freien, grossen Zug besonders in den Falten.

Man kann gewiss nicht behaupten, dass diese Plastik aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts gegenüber der vom Ende des 1 5. einen neuen Stil im höheren Sinne des Wortes zeige; sie arbeitet vielmehr wesentlich auf derselben Grundlage, mit denselben Gedanken, aber durch das entwickeltere Naturgefühl, mit dem namentlich auch die volleren, runderen Formen, die weicheren Falten zusammenhängen, spricht sie leichter an, vermag sie uns besser zu überzeugen. Eine Reihe von Schwächen und Formmängeln , von denen wir selbst bei Meister- werken, wie bei Michael Pachers Altarschrein von 1471 in der Pfarrkirche zu Gries bei Bozen, abstrahiren müssen, kommt durch diese höhere Entwickelung in Wegfall und steigert die unmittelbare Wirkung des ganzen Werkes. Ein direkter Gegensatz zwischen Renaissance und Mittel- alter besteht in der Plastik und Architektur grössten- theils auch in der Malerei in Tirol und Bayern durchaus

') Anders urtheilt H. Semper: Die Brixner Malerschiile.

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nicht. Der Anfang des i6. Jahrhunderts ist hier über- haupt weniger der Beginn einer neuen Zeit als der harmonisch geklärte Abschluss der vorausgehenden Periode. Schon dies deutet darauf hin , dass in der Folge die Kunst dieser Gegenden wesentlich an Be- deutung verliert, obgleich namentlich in der Profankunst noch recht viel Tüchtiges geleistet wurde ; in ihrer höchsten Blüthe charakterisirt sich eben die Kunst dieser Gegenden doch als die des späten Mittelalters.

Ist der Hochaltar der Magdalenenkirche ein glän- zendes Beispiel der Prachtaltäre, die am Ende des 15. und namentlich im Anfang des 16. Jahrhunderts so zahl- reich in Südtirol entstanden, so zeigt dagegen ein etwa gleichzeitiges kleines Altärchen in der Schlosskapelle 1) der Burg Sprechenstein die liebenswürdige Seite dieser spätgothischen Kunst, die sich gerade in solch' be- scheidenen Werken am anziehendsten ausspricht. Die Gemälde der Aussenseiten der Flügel: St. Ruppert und Hieronymus, sind unbedeutend, noch dazu später roh übergangen. Weit feiner sind die Figuren im Schrein : Christoph, Erasmus und Georg, sowie die Schnitzereien auf den Innenseiten der Flügel : Maria und Anna selb- dritt; besonders gefällig ist aber die anmuthig spielende Ornamentik der reichen spätgothischen Architektur des Schreines und an den beiden Wappenhelmen, die unten an den Flügeln angebracht sind.

Auch einige einzelne Figuren der Zeit haben sich in der Kapelle und dem Schloss Sprechenstein erhalten, so fünf weibliche Heilige, von denen namentlich die kleine Figur mit dem Buch in der Linken, die jetzt unter der Kanzel steht , beachtenswerth ist , und zwei sehr nette, ungefähr 50 cm hohe Engel, die Leuchter halten, welche auf dem Hochaltar aus dem 18. Jahr- hundert stehen, an dem einige gut geschnitzte Rokoko- ornamente erfreuen.

Die Reihe dieser Altäre beschliesst der nach 15 10 gefertigte der Barbarakapelle in dem benachbarten Gossen- sass; auch bei ihm finden sich nur schüchterne Versuche von Renaissanceformen, nämlich zweimal in der Archi- tektur der Hintergründe; dagegen ist die Anlage und der Aufbau des Altares ebenso wie das Ornament und die Auffassung der Figuren noch gothisch. Aber wie in der Bekrönung des Altars mit den gothischen Ornament- formen das willkürlichste Spiel getrieben wird, so zeigt

auch der Stil der halblebensgrossen Figuren des Schreines: Laurentius, Barbara und Sebastian und der der Reliefs auf den Innenseiten der Flügel : Tempelgang und Vermählung Maria und die hl. Sippe, trotz des wachsenden Naturalis- mus, doch vor Allem deutlich das Ausleben der mittelalter- lichen Kunst. Der Naturalismus, der in den Zeitkostümen, die hier sogar bei Joseph und Maria angewendet werden, ebenso wie in den Trauben und Rebenblättern des Orna- mentes sich zeigt, spricht sich am bedeutendsten in den höchst individuellen, geradezu portraitartigen Köpfen aus; aber er ist doch nur eine Steigerung jenes rein äusser- lichen Naturalismus, der sich durch das ganze Mittelalter verfolgen lässt, nicht das Ergebniss eines tieferen Natur- studiums, des wirklichen Erforschens und Erkennens der Natur, wie es im Norden Dürer am bedeutendsten ver- tritt. Die Figuren des Mittelschreines sind daher nicht besser verstanden als die auf den Altären vom Ende des 15. Jahrhunderts, und die Falten zeigen zwar jenen weicheren, runderen Wurf des 16. Jahrhunderts, aber nicht indem aus ihm besseres Verständniss der Bewegung spräche, sondern nur indem sie ihn mit geknäultem Detail allzusehr bereichern und äusserlich virtuosenhaft mit den Formen spielen, wie das gothische Ornament in der Be- krönung des Schreins. Die Gemälde der Aussenseiten der Flügel, deren Farbe nicht übel gewesen zu sein scheint, haben sehr gelitten; ein bestimmtes, persönliches

fea^jyr"-' --> ;

*) Nach Fischnaler: Sterzing etc. ist der Altar 1505 durch Hans Meuchwez gefertigt.

Aus der Hauptstrasse Sterzings.

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DIE KUNS'l' UNSERER ZEIT.

Gepräge zeigen diese im Ganzen übrigens doch ziemlich handwerksmässigen Gemälde , welche die Kindheits- geschichte Christi darstellen, nicht. Viel besser sind an der Predella die auf Goldgrund gemalten Brustbilder von Barbara und Katharina, die offenbar von anderer Hand herrühren und wohl schon vor 1500 gemalt wurden.

In der nach dem Wappen durch die Knappschaft und zwar 1510 erbauten Barbarakapelle, die durch die Anlage von zwei Kapellen übereinander, sowie durch die Freitreppe an der Westseite, welche den Zugang zur oberen Kapelle bildet, unwillkürlich an die eleganter ausgeführte Michaelskapelle in Schwaz erinnert, die 1506 ebenfalls von der Knappschaft erbaut wurde, ist auch ein, allerdings wenig bedeutendes Wandgemälde des Todes der Maria vorhanden. Die Unterschrift dieses Bildes berichtet, dass es Lienhart pharkircher diser kappein pawmeister 1515 malen Hess, der auch mit fünf Buben und seine Frau mit vier Mädchen unter dem Bilde portraitirt ist. Im gleichen Jahr stiftete Leonhard Pfarrkircher zwei Glasgemälde in die Kirche zu Wiesen bei Sterzing, die sich erhalten haben und von denen das eine den betenden Stifter, das andere die hl. Helena darstellt.

Als spätgothische Schnitzereien aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts sind noch zu nennen die Gruppe der Kreuztragung in der Sterzinger Pfarrkirche und der sehr schwache Kreuzaltar daselbst, dann in der Wall- fahrtskirche zu Trenz ein Altarschrein mit den Figuren von Anna selbdritt, Agnes und einer weiteren weiblichen Heiligen; auch in der kleinen Feldkapelle am Eingange von Tuins ist eine recht gute Figur dieser Zeit erhalten, die nur leider roh übermalt wurde, eine Maria (i Meter hoch), die mit beiden Händen das Kind hält. Für grosse künstlerische Leistungen darf man diese Holz- figuren nicht ausgeben, sie sind auch nicht die Werke eigentlicher Künstler, sondern nur die Arbeiten geschickter Schnitzer. Für die Kunstgeschichte grossen Stils sind sie wenig belangreich, wer aber die Kunst des Landes im Zusammenhang mit dem Volksleben .studiren, wer ein farbenreiches Bild von dem Kunstleben dieser Gegenden gewinnen will, für den haben sie ihren eigenen hohen Reiz, da ja gerade sie von dem acht volks- thümlichen künstlerischen Schaffen jener Periode erzählen, und es doch mit zu dem erfreulichsten beim Studium einer Gegend gehört, in jedem Dorfe irgend ein, wenn auch noch so bescheidenes, Denkmal künstlerischer Thätigkeit zu finden. .

Die ächte Volksthümlichkeit der Schnitzkunst be- zeugen namentlich auch die kunstgewerblichen Arbeiten, sowohl in der Kirche als auch, und sogar noch mehr die in der Dekoration des Hauses. Beachtenswerth sind hiefür z. B. die schönen Prozessionsstangen in der Pfarrkirche aus dem 16. und 17. Jahrhundert, deren manchmal sehr geschickt geschnitztes Ornament zeigt, wie lange bei solchen Arbeiten die gothische Formen- welt in Geltung bleibt, oder die spätgothischen Thüren, von denen die in St. Peter aus der Zeit von 1474 zwar derb ausgeführt ist, aber doch durch das originell erfundene Ornament erfreut, wie auch das mit spät- gothischem Flachornament gezierte Chorgestühl der Magdalenenkirche in Riednaun.

Für das Studium des spätgothischen Hauses bietet Tirol bekanntlich ein ganz einzig reiches Material und gerade das Thal der Brennerstrasse mit den anstossenden Seitenthälern ist reich an historisch interessanten, wie malerisch anziehenden Burgen und Herrenhäusern.

Tirol besitzt in diesen Gegenden zwar auch einige ältere Schlösser, die sich verhältnissmässig gut erhalten haben ; an ihnen, besonders an den Bauten des früheren Mittelalters sind jedoch kunstgeschichtlich nur einige architektonische Details von Interesse. Als besonders reiches Beispiel erscheint hier das Schloss Tirol aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts, dessen Hauptsaal reich mit romanischen Skulpturen geschmückte Thüren und originelle Ornamente an den Theilungssäulchen der Fenster besitzt. Gewöhnlich aber finden sich, wie z. B. in Hohen-Eppan oder Taufers allein in der Schloss- kapelle Reste alter Kunst. Die profane Kunst spielte eben damals noch keine selbständige Rolle, erst mit dem Schluss des Mittelalters gewinnt sie höhere Be- deutung, selbst der Schlossbau wurde daher zunächst fast ausschliesslich durch die praktischen Bedürfnisse bedingt. Von der Ausstattung dieser alten Schlösser hat sich natürlich fast gar nichts erhalten; dass sie zu Grunde gegangen ist, ist leicht begreiflich, bei dem langen Zeitraum von mehr als sechshundert Jahren, der zwischen dem Bau jener spätromanischen Burgen und der Gegenwart liegt, dass aber auch ursprünglich nicht viel vorhanden war, ist ebenfalls sicher; wie in der Architektur, so beschränkte man sich eben auch in der Ausstattung auf das Nothwendige.

Die moderne Kunst entwickelt sich anfangs unter dem Schutz, in der Pflege der Kirche ; erst verhältniss-

M. J. Dicfesee pins

Coi>yright 189^ by V. Hanfstaengl, München,

Besuch bei Angeliea Kauffmann.

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massig spät, nämlich im 15. Jahrhundert, regte sich bei uns das Bedürfniss, nach reicherem, künstlerischem Schmuck des Hauses, zunächst natürlich des vornehmen. Das 15. Jahrhundert, in dem sich die neue Zeit so vielfach vorbereitet, ist es vor allem, wo unter An- lehnung an die ältere Kunst der Kirche, ,die Kunst des Hauses sich zu entwickeln beginnt, wo sie aus der Schlosskapelle auch in die Wohnräume des Schlosses tritt, die ja meist direkt mit ihr in Verbindung stehen, in Tirol häufig durch eine elegante Gitterthür von ihr getrennt werden, die entweder aus Eisen geschmiedet ') oder aus Holz geschnitzt sind, wie letzteres bei der mit spätest gothischen Maasswerkformen dekorirten Kapellen- thüre in Schloss Reifenstein bei Sterzing der Fall ist.

Schloss Reifenstein ist entschieden, wie für den Maler eines der anziehendsten, so für den Kunsthistoriker eines der interessantesten Schlösser der Spätzeit des 15. Jahrhunderts; schon weil es keine wesentlichen Veränderungen, vor allem keine moderne Restauration durchgemacht hat und dadurch heute noch vor uns steht, als ein von der Zeit verhältnissmässig wenig berührtes Denkmal des 15. Jahrhunderts.

Die Burg liegt auf einem nach allen Seiten steil abfallenden Felsen, der nördlich durch einen schmalen Rücken mit der Anhöhe zusammenhängt, auf der das Zenokirchlein liegt, ein bescheidener Bau aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, neben dem man eine prächtige Aussicht auf die Gletscher des Riednaunthals hat. Nur ein schmaler, steiler Weg führt zu dem Schloss, an dessen einst starke Befestigung schon das Aussenthor mahnt, in dem sich noch das alte Fallgitter mit seinen mächtigen Eisenspitzen erhalten hat. Durch dieses Thor treten wir in den Vorhof, dessen Gebäude ganz in Trümmer liegen, in dem wir aber zwischen dem alten Gemäuer reizende Ausblicke in das Thal und auf das nahe Dorf Elzenbaum haben, lieber die morsche Zugbrücke kommen wir zum Hauptthor, in dem sich nur das alte, kleine Schlupfthürchen öffnet, durch das wir in die eigentliche Burg treten. Das innere der Burg ist, abgesehen von ein paar kleinen Zimmern, die sich der Besitzer als Absteigquartier eingerichtet, fast ganz verlassen, ein äusserst malerisches Gerumpel, in dem in einer grossen, rauchgeschwärzten Stube eine arme Familie wohnt; gut erhalten aber haben sich zwei

') Ein prächtiges Stück dieser Art aus dem 15. Jahrhundert hat kürzlich das bayerische National-Museum erworben.

Hauptstrasse Sterlings mit dem Zwölferthurm.

Zimmer, deren interessante Dekoration aus dem Ende des 15. Jahrhunderts stammt, zu welcher Zeit das Schloss im Besitz des deutschen Ordens war, der es 1470 durch Herzog Sigismund erhalten hatte.

Das eine dieser Zimmer im Erdgeschoss hat prächtige Schnitzereien an den Balken der Decke und einen hübschen Schrank aus dem i 5. Jahrhundert, deren elegantes spät- gothisches Ornament darauf hinweist, wie sich die Kunst des Hauses jetzt reicher entfaltet ; wie sie aber aus der Kunst der Kirche hervorwächst, das zeigt der darüber gelegene Saal , zu dem wir auf einer engen , dunklen Wendeltreppe emporsteigen. Die Wände sowie die Decke desselben sind mit grünen gothischen Ranken bemalt, durch die zierliche Aeste gezogen sind, auf denen und zwischen denen sich allerlei Figuren bewegen. Diese phantasievollen, recht charakteristisch deutschen Malereien wurden 1498 ausgeführt, sind also wohl nur wenig jünger als jene oben erwähnten Wandgemälde an dem Bauern- hause in Ried, die unter italienischem Einfluss stehen, wodurch wir sehen, wie hier im Grenzlande die ver- schiedenen Richtungen unbekümmert neben einander arbeiten. Die gleiche Ornamentmalerei wie in diesem Zimmer findet sich an der Rückseite und den Seiten- thcilen zahlreicher Tiroler Altäre der Zeit , auch die

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DIE KUNST UNSERER ZEIT,

kleine Hauskapelle , die als Erker an dieses Zimmer stösst, ist in gleicherweise dekorirt; aber an der Altar- wand sehen wir hier Reste eines hübschen Wandgemäldes der Madonna mit dem Kinde, die sofort die andersartige Bestimmung dieses Raumes erkennen lassen. Dass diese Kunst in der Schule der Kirche lernte, daran erinnern unter den Figuren in den Ranken des Zimmers schon die Gestalten des hl. Nikolaus und Christophorus; aber andererseits klettern hier auch muntre Bursche auf den Aesten, Kinder, die mit Vögeln spielen, und eine fröh- liche Jagdgesellschaft tummelt sich da herum, und an der Thüre, die in das nächste Zimmer führt, ist der Niemand als Urheber alles Unglücks abgemalt, wie er zwischen zer- brochenen Töpfen und ähnlichen vom häuslichen Jammer erzählenden Dingen dahinschreitet , welches Bild der Vers erklärt : « niemanz heiss ich , was man thut das ziet (zeihet) man mich. » Dadurch zeigen diese Bilder so recht frisch und munter, wie die Kunst damit, dass sie aus der Kirche in's Haus kommt, eine andere wird, wie sich ihr hier eine neue Stoffwelt bietet , wie sie weltlich wird und in's volle Leben in der Natur und im Hause greift und so die moderne Kunst und ihr, für Deutschland besonders bedeutsam , die Kunst des Hauses begründet.

Aeltere, noch befangenere, aber gerade unter diesem Gesichtspunkt hochbedeutsame Wandgemälde der Art besitzt aus dem Ende des 14. Jahrhunderts bekanntlich Schloss Runkelstein bei Bozen, einen sehr reichhaltigen Cyklus verwandter Art, wie der in Reifenstein, gleich- falls aus dem Ende des 15. Jahrhunderts die landes- fürstliche Burg in Meran.

Auch einige Möbel, wie der schöne Schrank in dem Zimmer des Erdgeschosses, und eine alte Bettstatt haben sich in Reifenstein noch aus dem Ende des 15. Jahrhunderts erhalten, und zusammen mit der reichen Sammlung spätgothischer Möbel, die auf dem nahen Schloss Sprechenstein aufgestellt wurde, geben sie ein klares Bild von der ursprünglichen Einrichtung dieser Räume. Die Kästen und Truhen, wie die Tische, oder vollends gar die Betten sind wahrlich noch schwerfällig genug, aber man sucht sie durch das zierlich geschnitzte Ornament zu erleichtern, zu beleben und wie die Stühle im Gegensatz zu den früheren Bänken an der Wand, so weisen auch die Kästen und Truhen durch den Ver- gleich mit den Wandschränken auf den beweglichen Hausrath der neueren Zeit hin.

Sterzing besitzt aber auch selbst noch interessante Werke profaner Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts. Aus ersterer Zeit befindet sich in dem sogenannten Joechelsthurm, dem jetzigen Amtsgebäude , einem Haus des 15. Jahrhunderts, das die Familie Joechel erbaute, so- gar ein Prachtstück ersten Ranges, nämlich die laut Inschrift 1469 geschnitzte Decke in der grossen Stube des zweiten Stockes. Sowohl die Balken der Decke, als auch die Rauten, in welche die Felder zwischen denselben getheilt sind, weiden durch das feinste, ge- schnitzte Ornament geziert, dessen Formen in jedem Felde und auf jedem Balken wechseln und das dadurch, wie neben den zierlich verschlungenen, spätgothischen Ranken, Distel und Weinlaub oder Eichenblätter die Ornamentmotive bieten, auf das anmuthigste zeigt, wie man jetzt allenthalben Anregungen und Vorbilder für die Kunst in der Natur sucht. In diese Stube mögen sich zu einer kleinen Meditation die setzen, welche glauben, dass der Realismus in der deutschen Kunst vor allem in der Malerei des 1 5. Jahrhunderts aus- schliesslich durch die Niederländer hervorgerufen worden sei ; da und dort, besonders am Rhein mag ja die über- legene Malerei der Niederlande die Deutschen etwas gefördert haben, aber der massgebende Faktor des Um- schwungs in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts war sie gewiss nicht. Wer die Kunst des deutschen Mittelalters nicht nur in den Gallerien, sondern vor allem im deutschen Land und zwar in all ihren Lebens- äusserungen studirt, der weiss, wie die gesammte deut- sche Kunst allenthalben nach einer naturwahren Kunst strebt, ja dass dieses Streben sogar der bedingende Faktor ihrer Entwickelung durch das ganze Mittelalter ist, was sich am deutlichsten in der Geschichte der Plastik verfolgen lässt. Wer die Entwickelung des deut- schen Realismus im Mittelalter studiren, wer im Zu- sammenhang damit die Frage über die Beziehung der deutschen und niederländischen Malerei beantworten will, für den ist meines Erachtens der Schmuck des deutschen Hauses, von dem sich in Tirol noch so vieles erhalten hat, und die Plastik, besonders die volksthüm- liche Holzplastik, ein wichtigeres Studienobjekt als manche lange Reihe mittelmässiger namenloser oder willkürlich benannter Tafelgemälde; erst der Blick auf das Ganze führt uns in das künstlerische Leben und Streben einer Periode ein , wodurch allein wir dann auch die Ent- wickelung der einzelnen Gattung richtig verstehen können.

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Hauptstrasse Sterlings mit dem Rathhaus.

Für den Anfang des i6. Jahrhunderts, aus dessen weiterem Verlauf manche der Sterzinger Bürgerhäuser stammen und in dem sich im Wesentlichen der so charakteristische Typus des bürgerlichen Wohnhauses Tirols ausbildet, bietet das Rathhaus, Sterzings statt- lichster Profanbau , ein ansprechendes und lehrreiches Beispiel. Das Sterzinger Rathhaus wurde noch im 15. Jahrhundert begonnen, 1468 wurde der Grund zu demselben erworben, also in demselben Jahr, in dem laut Inschrift Erzherzog Siegmund den Grundstein zu dem stattlichen Wahrzeichen der Stadt, nämlich zu dem hohen Zwölferthurm legte. Die charakteristischsten Bau- theile des Rathhauses aber gehören erst dem 16. Jahr- hundert an, der schöne Erker mit seinen Wappen wurde laut Inschrift 1 524, der Lichthof mit seinen Gallerien in den dreissiger Jahren des 16. Jahrhunderts errichtet,

zu gleicher Zeit erfolgte wohl auch die Vertäfelung der grossen Rathsstube und wurde auch das prächtige Lüsterweibchen eine Lukretia geschnitzt, das in mächtige Steinbockhörner ausläuft. Charakteristisch für die deutsche Baukunst dieser Zeit trägt das Rathhaus trotz alledem den einheitlichen Charakter mittelalterlicher Kunst. Die Zinnenbekrönung des Hauses, die Formen der Fenster, der Erker mit seiner Maasswerkdekoration u. s. w., das alles gehört noch der Spätgothik an, die Vertäfelung der Stube zeigt zwar Renaissancecharakter, aber das schöne Thürbeschläg hält wieder an gothischen Formen fest. Wie in der kirchHchen Baukunst und in der Plastik, so tritt vor allem auch in der Kunst des Hauses die deutsche Renaissance nicht in einen be- wussten Gegensatz zum Mittelalter, sondern es werden zunächst mit den mittelalterlichen Grundformen ganz

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einfach die Details der Renaissance verknüpft, die sicli meist auf das Ornamentale beschränken.

Das Sterzinger Rathhaus ist zugleich ein treffliches Beispiel der Anlage und äusseren Erscheinung des bürgerlichen Hauses an der Brennerstrasse und im Inn- und Salzachgebiet, die vor allem das Bild dieser Städte bestimmt und uns schon bei ihrem ersten Anblick an die Bedeutung des Zusammenhanges mit Italien für die künstlerische Entwickelung dieser Gegenden erinnert. Es ist ein merkwürdiges Gemisch deutscher und italieni- scher Hausanlage, der Grundcharakter ist ja unleugbar deutsch, aber die spezielle Eigenart erklärt sich fast durch- gehends aus dem Einfluss des italienischen Palastbaues. Natürlich musste dieser schon in Folge der grossen Unter- schiede des Klimas, das ja hier mehr als im Kirchenbau Berücksichtigung fordert, selbständig verarbeitet werden, aber es erhalten sich doch auch Zuge, wie die scheinbar flachen Dächer und die offenen Hallen, die für unser Klima unbestreitbar höchst unpraktisch sind, sich aber gleichwohl hier so fest einwurzelten, dass sie trotz aller Nachtheile, die sie zumal in strengen, schneereichen Win- tern haben, doch bis zur Gegenwart festgehalten wurden.

Charakteristisch für diese Häuser ist vor allem die Halle im Erdgeschosse, die in Sterzing nur auf der östlichen Seite der Strasse, wo auch das Rathhaus steht, sich findet, gewöhnlich dagegen auf beiden Seiten die Strasse begleitet. Diese Halle, in der Verkaufsläden und kleine Werkstätten untergebracht werden, führt bis Bozen und Meran den Namen « Laube » und erinnert dadurch an eine den deutschen Städten des Mittelalters eigenthümliche Anlage, für die Behandlung dieser Hallen in den in Rede stehenden Städten, von denen sie z. B. besonders vollständig Mühldorf am Inn erhalten hat, waren aber offenbar die Säulenhallen Oberitaliens, die «portici>, das massgebende Vorbild, wie sie sich z. B. deutscher Art am verwandtesten in Padua, künstlerisch am bedeutendsten verwerthet in Bologna finden.

Das Sterzinger Rathhaus schmücken zwei stattliche Erker, der eine am Eck des Hauses, der andere in der Mitte der Strassenseite. Der Erker entwickelt sich aus dem Chor der Hauskapelle, und Tirol besitzt noch eine Reihe solcher Erker, so z. B. aus romanischer Zeit in Taufers, aus gothischer dagegen gleich in dem benach- barten Reifenstein. Der ursprüngliche Zweck des Erkers wurde später völlig vergessen, aber der Name « Chörle » hat sich für grössere Erker auch in hiesiger Gegend

Hof des Schlosses Kampann bei Kaltem.

bis zum heutigen Tage erhalten. Der Erker hat in Tirol eine ganz besondere Verbreitung gefunden^ das Bürger-, ja in der Regel auch das Bauernhaus erfreut sich oft bis zu den allerbescheidensten herab dieses Schmuckes und grosse Häuser zeigen häufig drei, ja noch mehr Erker, die dann freilich manchmal sehr bescheiden sind, ja im 17. und 18. Jahrhundert oft nur als Fenstererweiterungen erscheinen, die aber doch wie z. B. in der Hauptstrasse Sterzings viel dazu beitragen, der Stadt ein buntbelebtes Ansehen zu geben.

Besonders eigenthümlich ist der obere Abschluss dieser Häuser durch eine hohe Brüstungsmauer, die häufig mit einem Zinnenkranz bekrönt wird ; durch diese Mauer werden die Speicherräume und das niedrige Dach verdeckt, so dass das Haus ein flaches Dach zu haben scheint und hiedurch, wie durch den Umstand, dass es häufig nach italienischer Art der Strasse die Langseite zukehrt, wird das Bild der Strasse ein wesentlich anderes, wie bei den übrigen deutschen Städten mit ihren steilen Giebeldächern, ein Gegenstand, der jedem sofort auf- fallen wird, wenn er beispielsweise Landshut und Mühl- dorf rasch nacheinander besucht.

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Aber auch das Innere des Hauses lässt, wie in Sterzing nicht nur das Rathhaus, sondern auch mehrere Privathäuser zeigen, wiederholt die Einwirkung italienischer Anlage erkennen. Das Haus gruppirt sich nämlich um den viereckigen Lichthof, der südlich des Brenners meist durch ein hohes Seitenlicht erhellt wird, das durch ein grosses, das Dach überragendes Fenster, einfällt; nicht selten aber besitzt dieser Mittelraum eine flache Decke und dann gewöhnliche Fenster an den Seiten , wo das Haus freisteht und keine Zimmer angeordnet sind; hiefür bietet der Winkelhof bei Brixen ein schönes Beispiel ; häufig findet sich diese Anlage nördlich des Brenners, wie recht charakteristisch in dem schönen, alten Haus der Kaiserkrone in Matrei. In jedem Stockwerk läuft um diesen Raum eine Gallerie und von dieser aus gehen die Thüren in die einzelnen Zimmer. Es ist dies, abge- sehen von der durch das rauhere Klima gebotenen Be- deckung des Raumes , eigentlich dieselbe Anlage wie beim italienischen Palasthof mit seinen Gallerien, die ja auch in den Schlössern Südtirols besonders seit der Renaissance häufig nachgebildet wird, wie z. B. in Schloss Kampann bei Kaltem.

Diese Lichthöfe und Treppenhäuser, die schon durch ihre Grossräumigkeit auf Italien weisen und an warmen Tagen einen äusserst kühlen und angenehmen Aufent- haltsort gewähren, sind häufig mit allerlei künstlerischer Zier ausgestattet und oft von ganz ausserordentlich an- ziehender malerischer Wirkung.

Den Einfluss des italienischen Palastes zeigen bei diesen Häusern ferner die offenen Hallen an der Rückseite. Das Sterzinger Rathhaus besitzt nur eine solche Halle im ersten Stock ; sehr häufig aber wieder- holen sich dieselben in den verschiedenen Stock- werken, wie beispielsweise beim Fuggerhaus in Schwaz, wo sowohl das Erdgeschoss als auch die drei darüber befindlichen Stockwerke sich in solchen Loggien öfihen.

Air diese Eigenthümlichkeiten der Anlage des Bürgerhauses und des Rath- hauses finden sich, natürlich mit den mannigfaltigsten Veränderungen, von Süd- tirol über den Brenner bis hinunter nach Passau, und begründen in erster Linie den einheitlichen, so bestimmt aus- geprägten Charakter dieser Städtegruppe.

Aus dieser Gruppe der Städte an der alten Strasse nach Italien griff ich mit Sterzing keineswegs die be- deutendste heraus , denn von den deutschen Städten südlich des Brenners beansprucht Brixen als Bischof- stadt, Bozen als die wichtigste Handelsstadt, ja auch Meran eine entschieden höhere Bedeutung als Sterzing, und nördlich des Brenners sind Innsbruck und Schwaz, aber auch einige der bayerischen Städte kunstgeschicht- lich wichtiger. Aber Sterzing, das schon als erste grössere Station auf der Südseite des Brenners ein eigen- artiges Interesse beansprucht, hat dadurch einen hohen Reiz, dass die Stadt heute noch ein selten vielseitiges, vollständiges und dadurch lebensvolles Bild aus ihrer Blüthezeit im Ende des 15. und im 16. Jahrhundert bietet. Sterzing ist eine kleine Stadt, um so lockender erschien es mir , darauf hinzuweisen , wie viel des In- teressanten doch auch solch' kleine Städte besitzen, an denen Deutschland so reich ist, die dem Künstler so viel Anziehendes bieten und in denen er daher gern mit dem Historiker zusammenarbeiten wird, der hier gerade die intimsten Züge deutschen Kunstlebens, ihre ächte Volksthümlichkeit studirt. Der Künstler und der Kunsthistoriker werden daher hier , glaube ich , gerne zu gemeinsamer Studienwanderung ausziehen, und sie werden sich dabei bald besser verstehen als in lang- athmigen, theoretischen Auseinandersetzungen; ihre Wege werden sich manchmal theilen, denn gar Vieles, was historisch interessant, ja sogar bedeutend ist, ist dess- halb noch nicht für unsere Zeit künstlerisch ansprechend, und an gar mancher Ruine , manchem Kunstwerk , das den Maler begeistert, wird der Historiker kühl vorüber- gehen. Gerade diese Gegensätze der Auffassung, die verschiedene Art, zu beobachten und zu arbeiten, hat sehr viel Anregendes , und die Beiden wünschen sich wohl noch einen Dritten, nämlich einen Dichter, der mit warmen Worten das ausspräche, was bei dem fröhlichen Wandern ihr Herz erfüllt; die Freude an dem schönen Lande, an seinen Leuten und seiner Kunst, die, je näher wir sie kennen lernen, je feiner wir sie beobachten, wir desto wärmer fühlen, und die schliesslich doch der gemeinsame Trieb unserer Studien und unseres künstlerischen Schaffens ist.

Lüsterweibchen in der Rathsstube zu Sterzing.

Das Malermärchen

VON

WOLFGANG KIRCHBACH.

Ich sass eines Tages in dem grossen Rubenssaale der altberühmten Dresdner Gemäldegallerie auf dem - rothen Plüschsopha behaglich zurückgelehnt und betrachtete nachsinnend das gewaltige Gemälde des Rubens, wo Neptun aus dem Meere auftaucht, den Dreizack schwingend , und den Stürmen mit seinem < Quos ego ! » Ruhe gebietet. Blonde, üppige Nymphen umschwimmen seinen Muschelwagen , den weisse See- rosse mit nassen Mähnen und gewaltigen Schwimmfüssen ziehen. Die überwältigende Naturkraft, die strotzende Lebensfülle dieses Riesenbildes erfüllte mich mit einem gesteigerten Kraftgenuss der Seele; ich hätte mich am liebsten selbst als ein solches blondes Seeweib oder als ein Triton um den Muschelwagen des Meergottes durch die Wellen gewälzt.

Die Gallerie war gänzlich menschenleer. Rechts und links konnte ich in die lange Flucht der Bilder- säle hinabschauen ; kein einziger Besucher war dort zu spüren. Nur die Bildnisse an den Wänden, die alten bärtigen Niederländer von Rembrandt's Hand, die viel- fach aufgeregten Gestalten der Rubens'schen Kunst brachten eine stumme menschliche Gesellschaft um mich hervor. Ganz hinten im letzten Saale am Fenster sah ich einen Galleriediener in sich zusammengesunken auf einem Stuhle sitzen und schlafen. Er mochte von der Hitze eingenickt sein, denn es war ein heisser Sommer- tag um Mittag, wo Niemand die Gallerie gern besucht. Aber ich liebte diese Einsamkeit, um in der lautlosen Wärme meinen wundersamen Träumen nachzuhängen. Eine innere Verwandlung ging mit mir vor. Die Hitze und die allgemeine Stille begann mich einzu- schläfern. Wiederholt wachte ich auf und besann mich, wo ich war. Dann aber kam ein neues Träumen über mich, abgerissene Bilder aus der Vergangenheit tauchten vor mir auf, umgaukelten mich und verschwanden.

Einmal glaubte ich eine Vision zu haben, als rege der Neptunus da oben wirklich seinen Dreizack. Doch das verging wieder.

Ich mochte zehn Minuten lang so vor mich hin- gedämmert haben, als ich im Nebensaale ein Geräusch von langsamen Schritten vernahm. Irgend Jemand schien draussen zu gehen, stehen zu bleiben, und wieder weiter zu wandeln.

Ich blickte auf. Zu meiner Verwunderung, nicht ohne einen leisen Schauder zu empfinden, sah ich draussen, den Rücken mir zugekehrt, einen Mann in fremdartiger Tracht stehen. Er hatte einen grossen, breitgeränderten Hut auf, über dessen Krampe eine röthliche Feder herabhing. Er trug mit Schleifen besetzte Kniehosen, ein wammsartiges Oberkleid, einen kurzen Mantel über den Schultern, einen Degen an der Seite und grosse lederne Stulpenhandschuhe an den Händen.

Ich sah, wie der Mann sinnend vor dem Bilde stand, seine Hand rückwärts an die Hüfte legend, so, dass der Mantel durch den Ellenbogen etwas herauf- gebauscht wurde. Er war von mittlerer Grösse, seine Haltung vornehm und gemessen.

Nach einer Weile drehte er sich herum und kam, die Hand auf den Degenknauf legend, ruhig vor sich schauend auf den Eingang meines Saales zu. Ich konnte sein Gesicht erkennen, ohne dass er mich noch zu bemerken schien. Die Züge kamen mir bekannt vor. Ich sann, wo ich sie unterbringen sollte. Ich rieth, welchem oft gesehenen Antlitz sie so merkwürdig ähn- lich erschienen. Auf einmal fiel mir ein Bild ein, das hinten in dem letzten Saale hängt, aus dem er her- gekommen sein musste. Dort befindet sich das berühmte Bild, welches unter dem Namen des «Liebesgartens» bekannt ist und von Peter Paul Rubens stammt. In einem alten Parke um eine Grotte lagern reichgekleidete

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Damen mit Kavalieren jener Zeit, geflügelte Liebesgötter umflattern sie. und liegen den leidenschaftlich bewegten Damen im Schooss. Links vorn in der Ecke steht ein Herr in heisser Umarmung mit einer blonden Nieder- länderin und schaut liebestrunken aus dem Bilde heraus. Das Antlitz dieses Herrn ist das Selbstbildnis des Künstlers, des Malers Peter Paul Rubens.

Als jetzt der Fremde in den Eingang meines Saales trat und mit dem Ausdrucke eines grossen Erstaunens stehen bUeb, fiel mir die ausserordentliche Aehnlichkeit seiner ganzen Gestalt und seiner Züge mit jenem Selbst- bildnis beklemmend auf's Herz. Es war dasselbe breite Gesicht mit dem kurzen Schnurrbart.

Der Fremde warf einen scharfen, klaren Blick auf die Bilder des Rubenssaales und begann dann, augen- scheinlich sehr erstaunt, sich einzelne Bilder näher zu beschauen. Er stand eine Weile vor dem büssenden heiligen Hieronymus mit dem Löwen und schüttelte den Kopf; dann trat er vor den grossen Dianazug, wo Faune und betrunkene Nymphen in sattem, strotzendem Leben einherziehen, er schaute hinauf nach dem Riesen- bilde des betrunkenen Herkules, den ein Faun und ein bocksfüssiges Weib stützt, sein Auge schweifte auf das Bildnis der Söhne des Rubens und endlich blickte er lange hinauf nach dem grossen Gemälde des Neptuns, der den Meeresstürmen Schweigen gebietet. Ich glaubte zu bemerken, dass eine tiefe Andacht auf seinem Antlitz lag, als er diese Bilder eines schwellend reichen I .ebens und einer Ubermüthigen Einbildungskraft musterte. Mehrmals sah ich ihn beifällig nicken, all diese Sachen schienen ihm ausserordentlich zu gefallen.

Er schien mich bis dahin gar nicht beachtet zu haben; auf einmal aber machte er eine Wendung zu mir herum, nahm seinen Krämpenhut mit einer sehr vor- nehmen Gebärde ab, verneigte sich, indem er den Degenknauf etwas niederdrückte und sagte in klarem Deutsch mit etwas kölnischem Tonfall:

« Sie verzeihen, mein Herr können Sie mir viel- leicht Auskunft geben darüber, wer diese fabelhaften Bilder hier gemalt hat». Ich erhob mich, einigermassen verwun- dert, dass dieser Herr mich so ohne Weiteres ansprach, ohne mir die mindeste Aufklärung zu geben, wie er in einemsolchen Kostüm sich hierher gefunden haben mochte.

« Mein Herr, sagte ich , diese Bilder sind von der Hand des Peter Paul Rubens, des grössten flämischen Malers seiner Zeit. Er starb im Jahre 1640».

«Merkwürdig», entgegnete der Fremde, indem er sinnend vor sich hinblickte. «Merkwürdig. Rubens! Dieser Name ist mir doch schon einmal vorgekommen irgendwo. Er kommt mir bekannt vor». Ich sah mir den Sprecher näher an. Kein Zweifel, er war dem Antlitz des Rubens auf jenem Bilde zum Verwechseln ähnlich. Aber der Ton seiner Stimme glich der eines Nachtwandlers, und es berührte mich unheimlich, dass er jenen Namen schon irgendwo gehört haben wollte. Er wendete sich wieder zu den Bildern und betrachtete sie lange, schweigend und nachdenklich.

«Ein grosser Künstler! Ein grosser Künstler ! » wieder- holte er im Anblick der Rubens'schen Sachen. « Es ist, als habe er Blut in seine Farben gemischt, so saftig und lebenswahr ist das Fleisch all dieser Gestalten! Von welcher wunderbaren Feinheit ist der Ton auf der Haut dieses heiligen Hieronymus! Das ist vornehm, das ist zugleich natürlich. Es ist grosser Stil, nicht nur in diesen Kompositionen, auch der Vortrag der Malerei, die Art, das Farbige in der Natur zu sehen, ist von einem gewissen kraftvollen und mächtigen Stil. Ah sehen Sie doch, mein Herr, welche Naturwahrheit das Fleisch' dieser Nixen um den Neptun hat, wie richtig es durch den Charakter des umspülenden Wassers bestimmt ist, wie gut dieser Maler die wechselseitige farbige Bestimmung der Gegenstände beobachtet und wie er trotzdem seine Malereien zu grossen Schöpfungen zu erheben vermag, die nicht wegen ihrer malerischen Beobachtungen da zu sein scheinen, sondern hinreissen durch die innere Belebtheit der Vorgänge selbst ! Ah mein Herr, ich bitte Sie! War je ein Mensch so grossartig betrunken wie dieser Herkules da oben.?! Haben jemals Faune, Nymphen und Satyre gelebt, die so gegenwärtig waren wie hier dieses Gesindel , im Gefolge der Jagdgöttin, der edlen Diana? Diese Nymphen könnte man ja in ihre feisten Wangen kneifen, als lebten sie wirklich, diese bocksfüssigen Gestalten scheinen ana- tomisch geradezu nothwendig und haben gar nichts Fabelhaftes, sondern treten so fest auf, wie bürgerlich wirkliche Menschen, die einen Taufschein besitzen und polizeilich angemeldet sind. Ah und, mein Herr, diese Löwen, dieser Eber auf den beiden Jagdbildern ! Die Bestien scheinen ja gerade in den Saal herabspringen zu wollen, als wäre der Rahmen nur das Gitter ihres Käfigs! Mein Herr, glauben Sie mir, dieser Künstler hatte Fleisch und Blut, er malte nicht, er lebte alle

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seine Gestalten, er lebte sie mit so viel Naturgefühl, Lebensgefühl und mit solchem Reichthum seiner Seele, dass sie Alle hier noch leben, während er selbst wie Sie sagen, schon seit zwei und einem halben Jahrhundert todt ist!»

«Ja, sagte ich, es ist wunderbar. Peter Paul Rubens, der grosse Staatsmann und Maler, ist längst verwest und in Nichts verschrumpft; seine Farben und seine Leinwand sind viel dauerhafter, als der Mann selber war und die Figuren seiner Phantasie athmen Alle noch das Leben, welches sie ihm aus seiner Seele gesogen haben, während er nur noch ein Namen ist » .

Ich sagte dieses Letztere ziemlich betont mit der heimlichen Absicht, den Fremden herauszulocken und ihm einen gewissen Nadelstich zu versetzen. Dieser aber schaute nur etwas trübe vor sich hin und sagte leise nickend :

«Ja, ja, so wird es wohl sein. Einen eingeschlagenen Herkules kann man wohl wieder herausfirnissen und er lebt wieder auf zu Folge der Solidität des Malverfahrens, welches dieser Rubens befolgt hat, mein Herr. Schlagen aber bei einem wirklichen Menschen die Farben ein und verlieren sie ihren Glanz und ihre Transparenz, dann hilft kein Firnis, um ihn wieder herauszureiben. Es ist darum weit besser ein gemalter Mensch, als ein wirklicher Mensch zu sein».

Der Fremde begann von Neuem sich in harmloser Bewunderung der Rubens'schen Bilder zu ergehen und ihre strotzende Kraft und Fülle, ihr dramatisches Leben, die glaubhafte Realisirung all jener Wesen der Fabel- welt zu rühmen und zu versichern, dass er hier endlich die wahre Kunst gefunden habe, die seinem Geschmack zusage, dass hier das eigentliche Wesen der Kunst sei, das er lange vergeblich gesucht und daran er sich nun gar nicht satt sehen könne.

Ich entgegnete ziemlich scharf: « Ich verkenne nicht, mein Herr, dass dieser Meister Grossartiges und in seiner Art Unübertreffliches geleistet hat, ich selbst habe eine ganz persönliche Vorliebe für ihn, aber es wäre doch schlimm , wenn die Kunst hierbei stehen geblieben wäre. Die Welt hat weiter gelebt. Kein Mensch trägt mehr diese altmodische Tracht z. B., in welcher Sie, mein Herr, hier noch verkehren und sich der Gefahr aussetzen, wegen «groben Unfugs» polizei- lich belangt zu werden. All Ihre Nymphen und Faune, Ihre Meerweiber, Tritone und Seerosse, all Ihre Löwen

wie auch die nackte Schönheit dieser Frauengestalten hat eine spätere Zeit mit gleichem Leben durchdrungen und Sie brauchen sich nur eine Treppe höher zu be- mühen, so werden sie Manches sehen, was Meister Rubens denn doch wohl nicht gekonnt hätte ! »

Er trat einen Schritt zurück und sah mich sehr erstaunt, ja, sogar etwas furchtsam an. «Es i.st noch weitergegangen?» frug er mit einer heimlichen, aber nicht ganz verborgenen Bestürzung. «Man hat noch weiter gemalt? Und ich glaubte, mit diesem Saale sei auch die Kunstgeschichte zu Ende ! »

« Durchaus nicht. Eine Treppe höher geht die Kunstgeschichte weiter und fängt vielfach sogar ganz von Neuem wieder an. Aber damit wollen wir uns nicht weiter aufhalten; ich will Ihnen nur das zeigen, was Sie besonders interessiren wird, mein Herr, wenn Sie sich meiner Führung anvertrauen wollen. »

Er lüftete mit einer sehr zuvorkommenden Ge- bärde den Hut und lud mich mit einer Handbewegung ein, voranzugehen. Ich verneigte mich sehr höflich und wunderte mich nur, dass er mir auch jetzt noch nicht seine Visitenkarte übergab, auch seinen Namen nicht nannte. Er ging voran, durchschritt den Saal, wo die Bilder des Murillo, des Ribera und anderer Spanier sich befinden, warf einen Blick darauf, als sähe er nur alte Bekannte und stieg dann die schöne, breite Frei- treppe zur Mittelkuppel hinan, wo die Raffael'schen Teppiche hängen. Wir schritten in das obere Stock- werk mit der modernen Abtheilung hinauf und ich führte ihn, ohne Aufenthalt, zunächst in den hintersten Saal, wo Makarts grosses Gemälde des Sommers hängt. Dieses Bild schildert ein Frauenbad. Auf einem üppigen Pfühle in einer Grotte ruht in der Mitte eine nackte Dame, die eben noch das Wohlgefühl des genossenen Bades auf ihren Lippen spielen lässt, links am Becken sind andere stolze Schönheiten zum Bade bereit, rechts stehen hohe Frauen im Bademantel und prächtigen Roben und spielen eine Parthie Schach. Auch halb- wüchsige Mädchen und Kinder sind dabei und werden gebadet. Der ganze Glanz der Makart'schen Farben- fülle ist über dieses grosse Bild ausgegossen.

Der unbekannte Kunstkenner denn für einen solchen musste ich ihn ja wohl halten betrachtete lange das glänzende Bild des Wienerischen Meisters. Ich glaubte zu bemerken, dass die Sache ihm denn doch imponirte und , indem ich den ganzen Stolz

Laura Alma-Tadema pinx

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Ins Garn gegangen.

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empfand, am Ausgange des neunzehnten Jahrhunderts zu leben, Hess ich nach einer Weile nur die Frage fallen: « Nun, mein Herr ? ! »

Ein liebenswürdiges, aber ironisches Lächeln ging über sein Antlitz ; er zwinkerte mir mit den Augen zu und sagte schelmisch: «Ich bedauere die Männer Ihrer Zeit, mein Herr, wenn dieses die Frauen sind, welche in schönen Stunden in Ihren Armen liegen. Sie ver- stehen ja wohl [i> Ich verstand zunächst ganz und gar nicht und blickte ihn überrascht an. «Nun, ich will deutlicher seins, sagte er noch schelmischer. « Dieses Bild frappirt allerdings auf den ersten Anblick. Es ist in dieser Farbe etwas von der morbidezza der italienischen Meister, welche wir Niederländer ja auch in Italien studierten. Aber was ist Farbe, was ist Eleganz der Linien ! Elegant ist diese Farbe, elegant dieser Vortrag, elegant die Farbenharmonie! Ich sehe das recht wohl. Aber diese Eleganz ist keine Schön- heit und , mein Herr , die Hauptsache ist , dass diese Frauen so leicht wie die Luft sind. Dieses Fleisch hat keine Schwerkraft. » «Wie so.?»

«Ei, mein Herr», sagte der Unbekannte. «Wissen Sie nicht, dass das Fleisch des Menschen ebenso gut auf eine Waage gelegt werden kann wie ein Pfund Ochsenfleisch oder Schweinefleisch.?! Wissen Sie nicht, dass es dann sein ordentliches Gewicht hat und dass ein Mensch in diesem Falle zumeist einhundert bis zwei- hundert Pfund wiegt? Haben Sie nicht sogleich an den Gestalten des Rubens gesehen, dass diese Wesen auch ein wirkliches Gewicht haben und dass die Farbe selbst dieses materielle Gewicht ausdrückt ? Sie müssen wissen, mein Herr, dass ein nackter Mensch, mag er stehn oder gehn oder fliegen, durch die Anziehungskraft der Erde auch angezogen wird, dass seine Muskeln, Schenkel und Waden, Bauch und Brüste, soweit sie nicht im Zu- stande der Anspannung sind, nach dem Mittelpunkt der Erde gravitiren, wie das sich ja ganz von selbst aus den Gesetzen ergeben würde, welche ein gewisser Galiläi vor nicht zu langer Zeit neu erörtert hat, wenn es nicht der Augenschein selbst lehrte. Sehen Sie doch einen nackten Menschen einhergehen, wie sein Fleisch da nach der Erde hängt, denn das Fleisch will wieder zur Erde zurück, aus der es ward und in der es auch wieder zur Erde wird. Nun, mein Herr, dieses Gravitationsgesetz des Fleisches haben Männer, wie Michel Angelo, Raffael

und vor Allem der grosse Rubens stets beobachtet, darum ergiebt sich auch ein ganz anderer anatomischer Zustand der Rubens'schen Wesen, als dieser luftigen Frauengestalten hier. Sie können nicht gehn und stehn und kein Mann kann sie umarmen. Mein Herr, es ist nur eine kleine Nuance, es ist ein Grad in der Zeichnung und in der Lage des Lokaltones zum Schattenton, es ist nur ein Grad in der Bestimmung der Reflexe und des Selbstreflexes, den das Fleisch in sich selbst hat nur ein Grad, welcher zugleich das Schwergewicht des Fleisches malt und sein Hängen zur Erde in der Natur ausdrückt. Dieser Maler hier aber hat nur die Häute der Menschen studiert und gemalt, wo sie als Häute wirken ; er hat durch seine Farbenkombinationen, durch die Reflexe, welche er durch prächtige Stoffe auf das Nackte fallen lässt, das innere Fleisch abgetödtet und die Häute isolirt. Er hat eine Hautschönheit gemalt und parfümirte Häute ausgehangen. Mein Herr, ich fühle geradezu einen Schauder; hier ist kein Knochen, keine Sehne, kein Muskel, kein Fett verräth, dass es unter diesen Häuten ist und die Anatomie o, mein Herr, diese schönen Häute hier sind ja über die zu Grunde liegende Anatomie hinweggezogen, wie ein Frauenstrumpf über eine Männerwade; das Strumpf- band ist verloren und der Strumpf ist gerutscht.»

«Aber, mein Herr», sagte ich, unwillig, dass dieses Bild, welches ich bewundert, eine so abfällige Beurtheilung bei diesem Flamländer fand. «Haben Sie denn keine Empfindung für die Sinnlichkeit und Ueppigkeit dieser Farben, für das Bouquet, für den Geschmack, mit wel- chem die Stoffe gewählt sind und den Ton dieser zarten Frauenhaut bestimmen, keinen Sinn für die Lebensfülle, welche aus der Auffassung des Gegenstandes selbst spricht ? ! »

«Ich habe Hunderte von nackten Weibern gesehen», sagte der Fremde, «aber niemals solche Gestalten. Es schaudert mich vor ihnen. Diese Köpfe, bei allem Schmelz des Incarnates, kann man sich vorstellen, dass ein Schädel darunter ist?! Diese aufgerissenen Augen- lider — was drücken Sie denn aus? Sprechen sie von Frische der Sinne, von zweckmässiger Sinnlichkeit r Nein, zwecklose Ueppigkeit athmen diese Lippen und dieses Kind hier unten, dieser aufgeschwammte Knabe, welch' eine Missgeburt geheimer Sünden ist denn das?! All diese Weiber haben sich geschminkt und damit ihre Haut verderbt es muss eine schreckliche Zeit, eine

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Zeit voll innerem Wahnsinn der Sinne gewesen sein, da man solche Bilder, solche Frauengestalten bewun- derte. Dieser Maler hat von der weiblichen Natur nur das gesehen, was als Phosphorenz des Fleisches im Zu- stande üppiger Erregung und üppiger Erschöpfung durch die Haut läuft und es ist schrecklich, diese Beobach- tungen zu isoliren, ohne sie auf anatomisch wirkliche Gebilde und Wesen von irdischer Schwerkraft zu be- ziehen, dadurch zu mildern und den heiligen Zwecken der Natur entsprechend darzustellen Und noch Eines, mein Herr! Dieser Maler malte, um zu malen, kolorirte, um zu koloriren ! Nicht Tizian und Giorgione, nicht Veronese hat das gethan! Dieser Maler will schön sein durch Farbenwerthe, Tizian aber wollte die Schönheit der Gestalt, wie sie sich durch die Materie als farbige Erscheinung verwirklicht! Dieser Maler hier will eine schön arrangirte Palette, in welcher auch der Mensch nur ein Schmuck, eine farbige Zierde ist, Tizian und Rubens aber malten, weil die Schönheit und Kraft der gesunden Natur und ihrer Materie durch die Farbe zu einer Gestalt wird. Dieser Maler malt nur im Gegen- satz zu denen, die, statt des Pinsels den Zeichenstift brauchen und er betont diesen Gegensatz; Rubens hat gemalt, weil die Natur selbst nur durch Farbe zur Form wird und ihr lebendiges Leben, ihr Lebendigsein im Lichte und in der Wärme der Sonne, durch farbiges Dasein beweist.»

Der Fremde endete und wendete sich ab, als ob er im Anblick der schönen Makart'schen Frauen einen körperlichen Schmerz empfände. Auch ich wagte nur noch verstohlen auf das Bild zu schauen, denn, merk- würdig! während seiner Rede vermisste auch ich all das, was er vermisste.

Er wendete sich herum und sein Auge fiel auf das grosse Bild der beiden Löwen von Richard Friese, welche in der ganzen Naturtreue ihres Katzencharakters anatomisch und in jeder anderen Hinsicht vollendet beobachtet und gemalt, auf einem Felsgerölle lauernd heranschleichen und unten in der Tiefebene eine Kara- wane beobachten.

Hier sehen sie eine Leistung des 19. Jahrhunderts, die Ihnen besser gefallen wird, mein Herr ■» , sagte ich. « Vergleichen Sie die Thiermalereien des Rubens damit, so werden Sie den Fortschritt der Zeit nicht verkennen ; denn das geben Sie wohl zu, dass Rubens noch manchen Löwen malte, der mehr heraldisch als naturalistisch aussieht. >

Der Unbekannte betrachtete sich eine Weile das Bild. «Das ist schon besser», sagte er. «Ein guter Thierbeobachter ! Er hat die Natur des Löwen fast so gut beobachtet wie Homer vor 2700 Jahren. »

Ich stutzte. Ich sagte mir, ich müsse mit einem hochgebildeten Manne sprechen, und mein Verdacht, ich hätte es doch mit Rubens selbst zu thun, regte sich von Neuem. Der Fremde lächelte wieder mit verbind- licher Ironie und sagte: «Sie wissen ja, wie Homers Vergleiche, die er vom Löwen und anderen Thieren nimmt, überall beweisen, dass er diesen mit einem ausser- ordentlichen Naturalismus beobachtet und charakterisirt. Warum sollte ein Maler wie Rubens, der doch erst seit 250 Jahren tot ist, weniger gut beobachten?! Dieses Bild hier ist sehr gut, aber vergleichen Sie doch einmal die säugende Tigerin des Rubens mit diesen Ihren « modernen » Löwen I »

Ich musste sogleich zugeben, dass Rubens allerdings die Lage , welche jene Bestie beim Säugen annimmt, ausserordentlich richtig charakterisirt habe, dass die Pranken, der Kopf des Thieres vollständig naturalistisch und in voller Schwere ihrer ruhenden Gewalt daliegen, und dass der Charakter des Felles ganz naturalistisch sei.

«Also», sagte der Fremde. «Das geben Sie zu! Dieser geistreiche Maler hier würde beinahe eines Rubens würdig sein, wenn er nicht drei Fehler gemacht hätte, welches die Fehler seiner Zeit sind. Der erste Fehler ist, dass er dieses Kalkgerölle hier viel zu sehr ausgeführt hat. Diese Kalkfelsen sind ja von einer landschaftlichen Wahrheit, dass man sie gleich wegnehmen und damit nach den Löwen werfen könnte. Mein Herr, das ist ein grosser Fehler! Würden Si5, falls Sie in die Lage kämen, zwei wirklichen Löwen auf diese Distanz im Freien zu begegnen und sie zu beobachten Zeit und Laune haben, auch die geologische Natur des Bodens, auf dem sie sich bewegen, so genau studiren?! Nein, Sie würden so sehr hingerissen sein durch den Anblick der Thiere selbst, dass Sie den Vordergrund der Felsen nur unbewusst in einem allgemeineren Charakter sehen würden. Und hätte der Maler diesen allgemeineren Charakter nur gegeben, so würden die Thiere selbst noch weit grandioser wirken. Dieser Maler hat den weiteren Fehler begangen, dass er das Fell der Thiere so naturwahr geschildert hat, als hätte er ein Löwenfell vor sich gehabt, welches ihm zu einem Stillleben als Modell diente. Aber bringen Sie sich, auch wenn Sie

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nur m Käfig den lebenden Löwen in Bewegung sehen, die Beschaffenheit seines Pelzes dermassen zum Bewusst- seinPl Nein, in diesem Falle ist auch das Haar des Pelzes kein Detail für den Kürschner, sondern es sieht gerade so aus wie die Tigerin des Rubens, es ist das charakteristische Kleid des Wüstenkönigs und erscheint Ihnen in einer grössern Ansicht. Aus beiden Fehlern ergibt sich aber der Dritte, nämlich, dass diese Löwen gleichfalls zu leicht sind und zu dünne Knochen haben. Die geologische Materie und ihre Schwere ist im Missverhältnis zur Schwere des Fleisches und der Knochen. Sie glauben natürlicher zu sein als Rubens; in Wirklichkeit aber balanziren Sie die Be- deutung Ihrer Naturbeobachtungen nur falsch; Sie legen ein Schwergewicht auf das , was ein nebensächliches Gesetz der Natur ist, und die grossen Hauptgesetze, welche sozusagen das Gerippe für den Zusammenhalt der Erscheinungen ausmachen, vergessen Sie darüber. Diese Löwen mögen für den Geschmack eines Kürschners passen, aber auf gewisse Entfernungen sieht selbst ein Kürschner nicht mehr das Fell, sondern den Löwen nur noch als eine moralische Erscheinung ! »

Nach diesen Worten ging der Fremde aus dem Saale und sagte : « Uebrigens ein schönes Bild ! Schade, dass es in Ihrer Zeit gemalt ist!» Er trat in den Neben- saal und blieb sofort überrascht vor einem der vorzüg- lichsten Plein-air- und Freilichtbilder unserer Zeit stehen, Harrisons «Studie». Man sieht einen Waldweiher und sein Ufer bei Abendsonnenschein, dessen Lichter sich im Wasser spiegeln. Im Vordergrunde kommt eine nackte Nymphe an, eine andere nackte Frau sieht man auf dem Wasser selbst sich auf einem Kahne herüber- stossen. Ich sagte mir, ich müsste den Fremden etwas in das Verständnis des Bildes einführen, da er voraussicht- lich hiefür gar nicht die Augen haben würde, und sprach :

« Bitte , sehen Sie richtig hin ! Haben Sie jemals ein Bild gesehen , wo das Wasser feuchter schien , wo die Art der Lichtreflexe und der Lichtspiegelungen so zart beobachtet ist, wo Luft und Dämmerung selber sich so spiegeln ? Haben Sie gesehen , wie wahr der graugrüne Ton des Fleisches dieser Nymphe ist, bestimmt durch die feuchte Abenddämmerluft, und empfinden Sie den Stimmungszauber, der in dieser wahren Beobachtung der meteorologischen Natur liegt? Hier ist das Licht, die Luft selbst gemalt, und das konnte keine frühere Zeit, das ist ein wirklicher Fortschritt 1 y>

Der Unbekannte sah lange auf das Bild ; er schien trübsinnig zu werden. Der Impressionismus schien ihm neu ; ich war gespannt, ob sein Auge sich überhaupt auf die Sammlung der diffusen Farben zu einem bestimmten Bilde einstellen würde. Nach einer Weile sagte er:

« Es ist mir wahrhaftig gerade so, als ob ich an einer Strassenlache stände, in welcher sich ein Kirchthurm spiegelt und ich mich selbst auf dem Kopfe stehen sähe ; es schwindelt meinem Auge vor diesem Chaos von Farben, die doch ein bestimmtes Nebelbild der Landschaft ergeben! Aber, mein Herr, welch ein Auf- wand von Mitteln, um einen Eindruck z»i erzeugen, den Rembrandt oder Rubens mit drei Pinselstrichen erzielt hätte! Glauben Sie denn, ich sähe nicht auch, dass die Körper und die Dinge von Luft und Aether, von Licht und Feuchtigkeit umgeben sind.?! Glauben Sie, ich wüsste nicht auch, dass wir die Dinge durch einen Farbeneindruck zunächst vermittelt erhalten? Aber löst unser Gehirn diese Impressionen in ein gestaltloses Chaos von Farben auf? Thut es nicht das Gegentheil? Verarbeitet es nicht diese Farbenflecke sofort in eine plastische, festumschriebene Gestalt, selbst da, wo es Dämmerungen und Nebelbilder sieht? Ist die Welt nur eine Erscheinung in Ihrem körperlichen Auge?! Ist sie nicht vielmehr eine Erscheinung in Ihrem Gehirn? Und trägt dieses Gehirn nicht in jedem Augenblicke Ihres Sehens auch seine Erinnerungen an die Form und die Gestalt der Wesen in die farbigen Erscheinungen Ihres Auges hinein ? Ordnet nicht diese Erinnerung gerade die farbigen Impressionen fortwährend zu be- stimmten plastischen und organisirten Erscheinungen?! O mein Herr, ich werde im Anblick dieses Bildes und der Richtung desselben tieftraurig ! Dies Bild scheint nicht von einem Menschen, auch nicht von einem Gotte gemalt zu sein; dies Bild hat eine Meeresqualle oder eine grosse Fliege gemalt ! Denn im Netzauge einer Fliege da mögen wohl die Farben der Dinge und die meteorologischen Erscheinungen von Luft und Licht diese diffuse Gestalt annehmen; bei Fliegen und Schmetter- lingen, bei den unvollkommen organisirten Augen der gehirnlosen und gehirnschwachen Wesen da mag die Natur ein solcher Schemen bleiben, wo die Materie des Wassers und die Materie der Luft und alle anderen Materien nur als ein solcher Eindruck, eine solche Im- pression wirken ; eine Fliege mag einen Menschen als einen grossen Haufen von farbigen Flächen und diffusen

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Lichtern und Schatten, Reflexen und Spiegelungen sehen der Mensch aber benutzt jeden Reflex, um ihn als einen Ausdeuter und Verräther der Form zu empfinden I O, über die herrlichen Reflexe des grossen Rubens! Mein Herr, kennen Sie diese purpurrothen , blutigen Reflexe im Fleische dieses Rubens, wo Fleisch sich im Fleische spiegelt in einer Armkehle, in einer Falte der Brüste und wissen sie, was diese Reflexe ver- rathen? Form verrathen sie, organisirtes Leben! O, mein Herr, sind denn die grossen Meister Ihrer Zeit zu Fliegen und Insekten, zu Haifischen und Walfischen geworden, dass sie mit den Augen dieser Wesen sehen?! Dieses Bild hat eine Menschenhand und Meisterhand gemalt, aber ein Haifisch hat es gesehen ! »

Er schwieg. Ich war tief erschüttert. Ich fühlte- das unheimliche Gespenst aus der Vergangenheit, das zu mir sprach, hatte in einem gewissen Sinne Recht. Es sprach die bilderstarke, kräftige Sprache seiner Zeit ; was er aber damit ausdrücken wollte, schien mir doch sehr bedenkenswerth. Nichtsdestoweniger sagte ich :

« Die Menschen unserer Zeit sehen hierin gerade einen Fortschritt. Sie meinen , dass in dieser feinen Beobachtung der Stimmungen von Luft und Licht, in welchen die festen organischen Formen der Dinge zer- fliessen, der höchste malerische Reiz liege, indem diese Stimmungen auch ein Ausdruck ihrer Gemüthsstimmungen sind! Desshalb geben sie nur jene farbigen Eindrücke der Erscheinungen wieder und lassen den inneren Organismus nur errathen. »

t Was sind das für Stimmungen ^ ! » frug er.

«Naturstimmungen, Empfindungen idyllischer und sonstiger Art, wie sie uns überkommen, wenn wir in jenen Landschaften sind und uns von Luft und Licht selber seelisch bestimmt sehen, religiöse Stimmungen und dergleichen. Viele malen auch so blos aus dem wissenschaftlichen Grunde, dass sie behaupten, die Ge- stalten der Fischer und Fischerinnen, der Bettler und Arbeiter, sei's im hellen Sonnenlicht, sei's im Zwielicht, erschienen so auf ihrer Netzhaut. »

« Schrecklich ! » entgegnete der Fremde. « Welch eine falsche Wissenschaft muss das sein, die das Netz- hautbild ablösen will vom Gehirnbild und seiner Er- innerung. Malte nicht Rubens auch im hellsten Licht? Leuchtet nicht sein Fleisch so, dass alles Fleisch, was ich hier sehe auf allen Bildern, nur der Schatten des Fleisches erscheint? Und dieses malten eure Maler im

hellen Sonnenlicht, dieses graue, braune, blaue, dieses kalkige Fleisch , welches ich auf allen Wänden sehe ? ! Das ist Eure Sonne, Euer Licht ? ! O, mein Herr, Sie stellen die Körper in die Sonne und malen dann die Impressionen des Lichts ? Aber Rubens hatte die Sonne in seinem eigenen Auge, und darum strahlt all' sein Fleisch vom inneren Licht, während Ihr nur das äussere Licht malt, das Eure Farben nie erreichen werden. In Eurem Auge müsst Ihr die Sonne haben; wenn Ihr aber diese innere Sonne tödten lässt durch das materielle Licht des fürchterlichen Sonnenballs am Himmel, wie wollt ihr dann noch malen? Gott hat euch Menschen so gross gemacht, dass ihr die Sonne und das innere Licht sammt dem Organismus und der Anatomie aller Körper und Erscheinungen in eurem Gehirn aufspeichern könnt warum was braucht ihr da noch das materielle Licht? Nicht das materielle Licht, das geistige Licht soll der Mensch malen , denn er ist ein Geist ! Und weil er das innere, geistige Licht besass, darum glüht auch das Fleisch des Rubens vom inneren Feuer und seines Pinsels Werk leuchtet, dass alles Fleisch, was ihr in der Sonne maltet, zu Kalk und Erde wird! Ach, ihr Armen ! »

Er war selbst feurig geworden, sein Auge funkelte, und ich sah, wie die Erregung seines Blutes einen helleren Glanz in diesem Auge erzeugte. Ich fühlte eine neue Wahrheit, die mir selbst Haugks wunderschönes « Morgen- roth » mit seinem leuchtenden Morgenlicht erdig und kalkig erscheinen Hess, indem ich an das geistige Plein- air dachte, in welchem alles Fleisch des Rubens strahlt. . Ich fühlte, dass er der grösste Plein-air-Maler aller Zeiten noch immer ist, ohne dass er zum Impressionismus zu greifen nöthig hatte. Sein Ange war hell und gesund, weil sein Geist gesund war.

Ich wies nunmehr im Weiterschreiten stumm auf Lenbachs Meisterbildnis des italienischen Ministers Ming- hetti; ich hoffte, nach Allem, was der Fremde ge- äussert, er müsste gerade an Lenbachs grosser Künstler- schaft Gefallen finden, die seinen Anschauungen ent- schieden näher stand. In der That verklärte sich sein Antlitz, als er dieses höchst charakteristische Bildnis eine Weile studirt hatte. Er fasste seinen Krämpenhut und lüftete ihn respektvoll; dann meinte er: «Ein Künstler, ein Könner! Schade, dass er nicht die Farbentöpfe des Tizian oder des Rubens zu haben scheint. Schade, dass er nicht den Farbenreiber des Rubens besitzt, der

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ihm seine Töpfe mischt und ihm das Material verschafft, mit dem man damals malte. Dieser Meister kann in vieler Hinsicht neben den Bildern des Rembrandt und Rubens, des Tizian und neben Bildnissen des Raffael Sanzio gelten. Aber Eines ist mir auffällig, mein Herr. Sind denn in Ihrer Zeit die Menschen, wie dieser Minister hier, zu Charakteristikern ihres eigenen Selbstes geworden und verrathen sie gleich allen Andern, bei der ersten Bekanntschaft, wess Geistes Kind sie sind? Haben sie alle Heuchelei verlernt und hüten sie nicht mehr das Geheimnis ihrer Seele.'' Schauen sie doch die Bildnisse des van Dyk und Rubens an, auch des Rembrandt und Tizian sind diese Köpfe und Gestalten nicht Alle die Bewahrer eines grossen Geheimnisses ? Wie die Welt das Geheimnis Gottes ist, so ist die eigene Seele das Geheimnis des Menschen. Nur wie eine ferne Ahnung schaut aus dem Antlitz eines jeden Menschen seine Seele und der Charakter dieser Seele heraus. Diese Seele hütet die Natur selbst und verbirgt sie hinter Fleisch und Blut, denn es ist ein grosses Geheimnis um den inneren Menschen. Und die Maler meiner Zeit, da man noch in Kniehosen und Federhüten ging und nicht in diesen langen Schläuchen, welche Sie an den Beinen schlottern haben, die Maler meiner Zeit hüteten auch in ihren Bildnissen das Geheimnis der Seele ihrer Mit- menschen. Sagt man sich denn in Ihrer Welt sogleich, was man von einander hält? Denunzirt man sich denn wechselseitig die Charaktere? Dieses Bildnis, ich gestehe es, wirkt fast auf mich wie eine leise Denunziation ! Und wie wenn nun Ihr grosser Meister sich geirrt haben sollte in dem Urtheil, welches er mit seinen Farben über diesen Minister zu fällen scheint? O mein Herr, ich möchte nicht in Ihrer Zeit leben, wo man das Geheimnis meiner Seele, die doch Gottes Geheimnis ist, ausplaudern will ohne mich darnach zu fragen. Welche schönen Gottes-Geheimnisse sind die Frauen Tizians, welche dunklen Geheimnisse des Schöpfers die Männer, welche Rubens und van Dyk malten ! »

Ich nickte, aber ich konnte mich doch nicht ent- halten zu sagen: «Nun, mein Herr, ich hoffe, dass auch die Bildnisse dieses neueren Meisters einer kommenden Zeit doch auch wieder als solche Geheimnisse erscheinen werden ! »

«Hoffen wir es und hoffen wir, dass die Menschen Ihrer Zeit selbst noch zu der Erkenntnis kommen, dass sie vieles wissen, aber Weniges verstanden haben, j

Nun schritten wir rasch nach der anderen Abtheilung, wo Uhde, Böcklin und Munkacsy hängen. Bei v. Uhde blieb er stehen und sagte:

«Aha! Da ist wieder das Haifischauge Euerer Zeit! Aber nicht mit Haifischaugen, mit den Augen der Menschen sollt ihr malen, und wenn Ihr könnt, mit Götteraugen! O wer mit Götteraugen sehen könnte! Wie organisch würde ihm sogar die Luft und das Licht erscheinen, welche die Menschen nur als unorganische Materie schauen ! Aber warum verflüchtigt dieser Meister hier sogar die organisirte Menschengestalt und das Fleisch in seine unorganischen Elemente? Und warum stellt er die heilige Nacht, wo die göttliche Mutter das eben geborene Kindlein im Schoosse trägt, so dar, als sei sein Bild für die Betrachtung von Kindern bestimmt?! Denn ein Kindlein mag sich wohl daran ergötzen, wie hier die Engelein in den Dachboden gestiegen sind und da- sitzen, um zu singen. Und warum liegt diese Gottes- mutter auf ihrem Lager, wie eine wirkliche Gebärerin, ein Menschenweib, das geboren hat, wenn dieser Maler doch noch an die Engel glaubt? Wo Engel sind und Engelsglaube herrscht, da gebärt die Mutter Gottes nicht wie ein irdisch Weib, sondern in anderem Sinne. Ihr aber mischt Alles durcheinander; Ihr vergöttlicht nicht das Menschliche und vermenschlicht nicht das Göttliche, wie es die Griechen thaten und in anderer Art die Gläubigen Christi Ihr werft vielmehr Mensch- liches und Göttliches durcheinander und wo einst in Rembrandt eine fromme Naivität war, da macht Ihr fromme Witze und glaubt, Ihr seiet noch fromm. Ihr seid ohne eine Spur des wahren Heiles ! Möge es über Euch kommen und möge Gottes Genie in Euch zu Fleisch und Blut werden!»

Aeusserst gespannt war ich, was er zu Böcklins Schöpfungen sagen würde. Wir treten vor den «Frühlings- reigen» dieses Meisters. Eine Quellennymphe in blauem Schleier sitzt an einem Felsenquell und hält ein singendes Vögelchen auf ihrem Finger. Zwei Faune, ein alter Dicker und ein Junger steigen am Felsen zum Quell herab, der Jüngere schöpft bereits Wasser mit der Hand, um zu trinken. Oben auf dem Felsen blühen Frühlings- blumen und weisse Wölkchen ziehen am Himmel. Gleich weissen Wölkchen aber schweben im Ringelreihen amorettenartige Kindergestalten über die Krone des Felsens. Es ist ein sinnreiches Bild, wo die Stimmung der Natur mythische Gestalt angenommen hat und dadurch in

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einen höheren Kunstcharakter verklärt ist, als die Land- schaftsstlmmung vieler anderer moderner Landschafter. Ich erzählte meinem Begleiter Vieles von Genelli, von Böcklin und von Max Klinger, von Stuck u. A., und dass wir in ihnen, wie zur Zeit des Rubens, Künstler besässen, welche die gestaltlosen Landschaftsstimmungen zu mythologischen Gestalten verdichteten und damit das rein Romantische zu einer organischen Gestalt erhöben. Hier sei ja seine Forderung erfüllt, dass man die un- organischen Stimmungen der landschaftlichen Materie, die Seelenstimmungen, die Sensationen und Impressionen, die landschaftlichen Stimmungsempfindungen in die Sphäre des Organischen versetze und sie damit zu einer wirklichen Kunstgestalt emporhebe, statt das Auge zu einer Fliegen- optik herabzusetzen. Die mythische Gestaltung sei in diesen Künstlern, mitten in einer ganz wissenschaftlichen Zeit, mit voller Kraft neu erwacht aus dem Grunde, die poetischen Naturstimmungen durch objektive Gestaltung zu einer wirklich malerischen und plastischen Erscheinung zu verdichten. Darin liege die eigentliche Poesie der Malerei als einer bildenden Kunst.

Der Fremde nickte beifällig. «Was sie sagen, ist die wirkliche Wahrheit der Kunst und ich freue mich, wenn solche Künstler auch in ihrer Zeit wieder auf- leben. Nur Eines ist mir an Ihrem Meister hier ver- wunderlich. Warum malt er diesen alten dicken Faun in einem Fleischtone, der aussieht, als hätte er sich nicht nur die Hände und Finger, sondern die ganze Haut erfroren? Warum gibt er diesen Faunen solche Ziegen- füsse, auf denen diese Halbmenschen unmöglich aufrecht gehen können.? Sehen Sie doch die Faune des Rubens an und beobachten Sie, wie diese durch den Einsatz des Schenkels in das Bocksbein und zwar das Hinter- bein des Bockes, sich in einem Gleichgewicht zu halten vermögen, als sässen sie auf der Feder eines guten zweiräderigen Wagens ! Diese Faune Ihres neuen Meisters aber müssen auf ihren Ziegenbeinen wie auf Stelzen gehen. Auch sonst vermisse ich auf diesem Bilde vieles Organische. Seine Gestalten gleichen mehr einem Märchen, Märchengestalten einer träumenden Phantasia sehe ich hier und diese Nymphe im blauen Schleier ist vollends gestaltlos und embryonenhaft. Die Faune des Rubens, sein trunkener Herkules, seine Diana, seine Nymphen das sind keine Märchengestalten, es sind wirkliche, leibhaftige Wesen, die aussehen, als habe zu ihnen ein solcher alter Faun in seiner ganzen ana-

tomischen Natürlichkeit selbst Modell gesessen. Unter- nimmt die Kunst einmal so Etwas, so muss sie es auch zur vollen Wirklichkeit bringen; sie darf nicht Märchen, sie darf auch nicht Stimmungen versuchen wie die Musik, denn sie verliert darüber den Zusammenhang mit der Wahrheit des menschlichen Sehens; sie macht aus dem Auge ein Ohr und hebt die grossen construktiven Grund- gesetze der Natur auf, um eine partielle Kultur gewisser Sinnesempfindungen und ihres fälschlich isolirten Gesetzes zugeben. Soseid Ihr dazu gekommen, lauter Sinnes- täuschungen zu malen und die Sinnestäuschung für das Wirkliche zu erklären; an Euren mythischen Ge- stalten sehe ich es am deutlichsten wie auch an Euren Plein-air-Bildern : überall balanzirt Ihr die Werthe, aus denen sich das körperliche Bild der Erscheinungen zu- sammensetzt, auf eine falsche Weise. Bald malt Ihr nur die Erinnerungsbilder, ohne sie am Sinnenschein zu prüfen, bald malt Ihr nur den Sinnenschein ohne ihn am organischen Bewusstsein der Erinnerung zu mustern. Ihr könnt auf der Strasse nicht drei Schritte gehen ohne Eure aufrechte Haltung richtig auszubalanciren ; Ihr könnt nicht einen Blick die Strasse hinunter thun, ohne die Gehirnwerthe und die Sehwerthe gegenseitig in Einklang zu bringen, denn sonst würdet Ihr wie in einem Gras wandeln und fortwährend auf der Nase liegen in Euren Bildern aber benehmt ihr Euch, als wäre die Wirklichkeit und das Dasein stets nur ein bestimmter Sinnenschein, ein einseitiger Augenschein ohne Tast- erinnerung — Ihr malt, als wärt Ihr schlechter von der Natur organisirt, als die Polypen und die Quallen! Aber sehet meinen Rubens an! Da ist das Gleichge- wicht zwischen Sinnenschein und Geistesschein, da ist Alles, was Ihr auf falschen Wegen wollt und sucht da ist ein Maler, dem Gott nicht, wie Euch Allen, nur ein Polyphemsauge, sondern zwei Augen gab, die richtig im Kopfe sitzen Ihr armen, einäugigen Polypheme!» Er schwieg. Er warf noch einen Blick des Er- schauderns auf die umhängenden modernen Bilder. « Flüchten wir uns wieder zu unserm Rubens hinunter ! » sagte er, indem er eilig wieder nach abwärts strebte. Wir waren beide voll von der Herrlichkeit der Rubens'- schen Bilder, die uns im Geiste Alles hier oben Ge- schaute zu überragen schienen. Als wir den Rubens- saal betraten, prallten wir beide gleichmässig zurück. Der Fremde wurde bleich. Mit heimlich entsetztem Blick betrachtete er alle die Bilder des Rubens.

P. M. Skipworth pinx.

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Er kommt nicht.

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Was war denn geschehen?! Merkwürdig! Diese grossen Bilder schienen uns auf einmal so leer, so un- vermittelt gemalt, so übertrieben, so allgemein zugleich! Wo waren denn all' jene gerühmten Vorzüge?! War unser Auge da oben stumpf geworden? War es ver- wöhnt, war es falsch eingestellt?! Nur eine riesige Leere schien uns aus all diesen riesigen Leibern an- zuschauen. —

«Merkwürdig!» sagte der Fremde, indem er immer mehr erbleichte. Dann sah ich, wie er mit dem Aus- drucke tiefer Enttäuschung nach dem letzten Saale schritt, wo der « Liebesgarten » hängt. Ich ging ihm beklommen nach.

Es war mir, als fehle auf diesem Bilde die Gestalt des Rubens. Das war nur ein Augenblick. Da wo der Fremde ging, legte sich ein Nebel über den Liebes- garten. Der Fremde verschwand und schien im Nebel

zu zergehen. Als der Nebel verschwunden war, leuchtete mir mit mehr als Makart'scher Glut der & Liebes- garten » wieder entgegen, liebestrunken schaute Rubens hinter seiner Helena Forman mich an. Lange schwelgte ich im Anblick der Farbenharmonie, der inneren Glut dieses Bildes, welches die schönsten Farbensymphonien Makarts besiegt.

Und als ich zurück in den Rubenssaal trat, erwachte ich. Ich sass noch immer auf meinem Pfühle. Da leuchteten mir auf einmal auch alle anderen Bilder des Meisters wieder in voller gedrängter Farbenpracht entgegen. Je mehr ich aber dieses erhabene Gleich- gewicht der Eindrücke empfand, desto mehr hoffte ich auch, dass den Meistern meiner Zeit ein anderes Gleich- gewicht gelingen werde denn wer hatte eigentlich mit mir geredet? Der Schemen des Rubens oder gar ich selbst und meine Zeit?!

hil^^m-o

Unsere Bilder

Welchem Volke gehört Angelika Kauffmann an? Es ist schon der Mühe werth sich um sie zu streiten. Denn ihr Selbstbildniss in der Dresdener Gallerie ist doch ein Werk von wunder- barer Feinheit. Es «hält sich» nun schon seit hundert Jahren und gehört zu den meist reproducirten in der berühmten Sammlung. Malerisch meisterhaft, in der Zeichnung sicher, in der Haltung einfach und fein beobachtet ist es von so grosser innerer Ruhe und Gehaltenheit, dass man es unter die ersten Meisterwerke aller Zeiten rechnen kann. Ja, es genoss in Deutschland in einer Zeit Ehren , in welcher ein übermüthiges Geschlecht der «Jungen» Alles das, was ihre Vorgänger schufen, als Zopf verhöhnte. Denn wenn jetzt die Alten klagen,' dass man sie nicht mehr respektire, so vergessen sie ganz, wie sie mit den Malern umgingen, die vor ihnen schufen. Heute sagt man, Kaulbach sei über- wunden. Kaulbach aber sagte von seinen Vorgängern, es sei ein Gebot des guten Geschmackes, das zu ver- nichten, was jene schufen. Erst mit Kampf und Ringen hat man den Rococo vor der grausamen Verfolgungs- sucht der klassischen Idealisten retten müssen, die mit

dem flammenden Schwert der Besserwisserei gegen ihrer Väter Werk wütheten und nur das duldeten , was ihre Lehrmeister aus dem Mittelalter und der Renaissance geschaffen hatten, oder das, was sie selbst schufen.

Angelika Kauffmanns Blüthezeit fiel in die Zeit des Zopfes, den abzuschneiden Kaulbach und seine Genossen sich berufen glaubten. Heute sieht man freilich ganz deutlich, dass ihnen selbst noch ein Schwänzchen anhing, als sie in den grausamen Feldzug gingen. Man könnte jene Zeit des Hasses gegen den Zopf der Väter, gegen den leiblichen wie den geistigen, die Zeit der Vatermörder nennen. Der am Hemdbunde ansitzenden sowohl wie der geistigen. Denn jene Leute, die sich frei von allem Kleinlichen und kongenial mit Phydias und Rafael fühlten, trugen den Hals in so starker Verpanzerung von Leinen- kragen und Seidentüchern, als fürchteten sie noch das Fallbeil der Revolution : Ein Gewand wie die Paukbinde studentischer Duellanten , zum Ersticken , welches das Blut in den Kopf trieb und die Menschen beklommen und dabei hochfahrend machte.

Damals kümmerte man sich um Angelika Kauffmann nicht, die doch manches Bild malte, welches viele Kaul-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

bach'sche Werke ganz bedenklich in den Schatten stellt. Nur die Engländer, die jenen harten Bruch in ihrer Geschichte nicht kennen, der uns im Anfang des Jahr- hunderts von unserer alten Geschichte trennte, hielten sie hoch. Und so wurde sie zur Engländerin, kam sie in die Geschichte der englischen Malerei: Hatte man sie doch in London zum Mitglied der königlichen Akademie ernannt und ihr damit die höchste Ehre angethan, welche man jenseits der Nordsee einem Künstler zu verleihen hat.

Angelika war eine Deutsche, mehr als es Herkomer ist, mit dem ihre Herkunft zu vergleichen ist. Ihr Vater war ein Vorarlberger, stammte aus Schwarzenberg, einem Dorf im Bregenzer Wald. Aus dieser Gegend, welche während der zweiten Hälfte des 17. und des 18. Jahr- hunderts das südwestliche Deutschland mit Maurern und Zimmerleuten, aber auch mit Architekten und Malern versah, stammen auch die Herkomer, deren einer am Bau der berühmten Klosterkirche von Ottobeuren künst- lerisch betheiligt war. Angelikas Vater war Maler, arbeitete für die reichen Kirchenfürsten bald hier, bald da, und so wollte es denn der Zufall, dass sie 1741 in der Schweiz geboren wurde, in Chur. Ihre Mutter war Protestantin, ihr Vater Katholik. Doch siegte in der Familie die Religion des Vaters : Die schöne Frau Cleopha trat zum Bekenntniss ihres Gatten über.

Im Jahre 1752 siedelte Kauffmann mit seiner Tochter nach Como über, wo Angelika schon mit 11 Jahren zu malen anfing und bald als Wunderkind Aufträge von vornehmen Leuten erhielt. Mit 16 Jahren malte sie mit ihrem Vater in Fresko die Pfarrkirche ihres Heimaths- ortes aus. Zugleich entdeckte sie ihre Stimme. In Mailand suchte man sie für die Oper zu gewinnen. Aber ihr Schicksal als Malerin war entschieden, als sie 1763 nach Rom kam und dort, 21 Jahre alt, in den Winckel- mann'schen Kreis eintrat: Ein achtes Kind jener inter- nationalsten aller Zeiten, in welcher vor dem allgewaltigen Genius der Antike die Sonderart der Völker sich ver- flüchten zu wollen schien. Die junge, in der Schweiz geborene, in Italien erzogene Oesterreicherin blieb in ihrem Herzen eine Deutsche: Deutsch blieb die Sprache, welche sie mit ihrem Vater redete, in der sie ihre Briefe schrieb, auch noch als eine Lady Wentworth 1766 das vielbewunderte Mädchen mit sich nach London nahm.

London war zweifellos damals der Ort, wo die besten Bilder gemalt wurden , wenigstens die besten

Portraits. Reynolds und Gainsborough blühten ; nament- lich der erstere, Präsident der jungen Akademie, stand ihr nahe ; er besuchte sie oft , sie malten sich gegen- seitig und in Reynolds Briefen ist vielfach von « Miss Angel » die Rede. Die geschwätzige vornehme Gesell- schaft hatte sie beide gern mit einander verheirathet. Auch das Mädchen erwähnt den grossen Bildnissmaler in einem ihrer erhaltenen Briefe an ihren Vater:

«alle bekante», theilt sie diesem am 10. Oktober 1766 in ihrer frauenhaften Rechtschreibung mit, « grüssen euch. Habe einige portraits ferfertiget, welche von jedermann abrobirt werden, M. Reynolds gefallens über die massen. Habe sein Portrait gemalt, welches sehr glückhlich auss- gefallen und mir vihl Ehre macht, wird negsten ins Kupfer gestochen werden. Lady Spencer hat das stückh bezahlt 100 Zichin.»

Das etwa ist die Szene, welche uns eine englische Kunstschwester der Angelika, Margaret J. Dicksee, im Bilde vorführt: Der damals 43jährige Präsident der Akademie betrachtet das auf der Staffelei stehende Bild mit entschiedenem Gefallen: Lady Spencer erntet mit frohem Fächerwedeln den Ruhm der Protektorin des schönen Mädchens.

Angelika ist unter der Hand der Engländerin selbst Engländerin geworden. In Wirklichkeit war ihr Gesicht rundlicher, ihr Kinn minder spitz. Reynolds Bild, in dem sie als voll erblühtes Weib erscheint, stellt sie feuriger, entschiedener, in klassischeren Formen dar. Stand sie doch schon längst auf eigenen Füssen inmitten einer sie umwerbenden geistvollen Männerwelt. Sie klagt zwar ihrem Vater, dass « die Kosten hir seynd ausserordentlich». Aber sie berichtet weiter: «ich habe 4 Zimmer, einss wo ich mahle, dass andere wo ich meine ferfertigten Bilder stehen habe (wie es hir der brauch ist, die leute Kommen die arbeit zu sehen, ohne den Künstler zu verstören) die andre 2 Zimmer seynd sehr Klein, Kaum hat ein bet platz zu stehen ... für die Zimmer bezahle ich 2 gine die Woche, i gine für die Kost sambt dem bedinten, den ich kleiden muss». Sie musste also bei 62 Mark wöchentlicher Pension, wie wir jetzt sagen würden, und bei einem Preis von 670 Mark für ihr Reynolds-Bildniss tüchtig die Hände

regen, um ihre Stellung zu behaupten.

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H. Gillard Glindoni gehört zu den Feinmalern im Sinne des Franzosen Meissonier und des Schotten

S- J. Solomon p'inx

Copyright 1893 bjr F. Hunf-iaengl, M&ncheii.

Orpheus.

i

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Suchardson. Er ist seit einigen Jahren von der Royal Society of Painters in Water-Colours und seit 1 890 auch von der Royal Society of British Artists zum Mitglied ernannt worden. Diese englischen Gesellschaften, welche sich zwar « königliche » nennen, aber mit dem Staat und seiner Regierung so gut wie nichts zu thun haben, dienen dem Zweck der Hebung der Standesehre und dem Verkauf der Werke ihrer Mitglieder. Sie üben auf Anfänger eine grosse Anziehungskraft aus, halten auf strenge Jury, da sie meist beschränkte Ausstellungs- räume haben und können daher unter den Besten ihre Mitglieder wählen. Die Mitgliedschaft wird zur Ehre, die sich auch in dem höheren Kaufpreis für die Bilder äussert, welche von einem Manne stammen, der seinem Namen^ die Buchstaben R. W. S. und R. B. A. bei- fugen darf.

Auch Glindoni malt in Wasserfarben « incidents » Ereignisse, meist aus dem vorigen Jahrhundert oder der Biedermeierzeit. Kurz vor, der Zeit, wo Angelika Kaufif- mann nach London kam, war dort als Prinz von Wales der nachmalige König Georg IV. geboren, bekannt als einer der schönsten und leichtsinnigsten Männer, welche den Thron Englands einnahmen. Beau Brummeil war sein Freund. Mochte draussen die Politik noch so wilde Wogen schlagen , die beiden jungen Männer er- götzten sich daran , der Welt und ihren Sorgen ein Schnippchen zu schlagen. Spiel, Weiber und beider Genossen, Schulden, waren seine einzige Sorge. Er Hess zwar von der schönen Jugendfreundin Fitzherbert, um seine hochgeborene Kousine zu heirathen , aber nur gegen Zahlung von 13 Millionen Mark, sein ungezügeltes Leben gab er aber darum nicht auf, auch nicht als er 1841 , weil Geistesnacht die starren Sinne seines Vaters umgab, Prinz-Regent und nach dessen Tod 1820 König wurde.

Beau Brummell war sein Liebling, der Vertraute seiner Sünden, sein Partner beim Spiel. Und dieser fühlte sich als König der Mode seiner Zeit so dem

Prinz-Regenten gleich stehend, dass er einst diesem in Carlton House in übermüthiger Ueberhebung zurief: « Wales, läute einmal 1 » Der König läutete, befahl aber dem eintretenden Diener: «Mr. Brummells Wagen soll vorfahren » . Das ist der Vorgang im Bilde. Der Günstling rächte sich bald. Als der Prinz-Regent mit einem der Zeugen jenes Vorganges, Lord Moira, ihm begegnete, frug er diesen , als kenne er den sehr eitlen hohen Herrn nicht: «Wer ist Ihr fetter Freund?»

Hofgeschichten aber solche, welche einst die Welt in höchste Aufregung versetzten I

* *

*

Drei Bilder englischer Frauenschönheiten: Denn ob die Leiia von Dicksee als Orientalin oder das ihren Geliebten für unsere Begriffe etwas zu offenherzig er- wartende Mädchen von Skipworth in modischem Kleid dargestellt sind , ist uns in zweiter Linie von Interesse neben der Stärke des britischen Idealismus , der eben ein schönes Weib unter allen Umständen zum britischen Weib macht. Der geschwungene Mund , das starke Kinn, die gerade Nase, die Stellung der Augen da sind immer Anklänge an jenen Typus, den der Präraffaelit Dante Gabriele Rossetti schuf

Er klingt auch bei den Arbeiten von Laura Alma Tadema durch, obgleich es hier sich sichtlich um Bildnisse, nicht um Idealgestalten handelt. Am schla- gendsten aber bei dem Orpheus des S. J. Solomon, eines Schülers von Leighton, der schon seit einer Reihe von Jahren durch grosse Darstellungen aus der klassischen Mythologie und Geschichte die Auf- merksamkeit auf sich lenkte. Er gehört zu den jüngeren Malern , welche die Gedankentiefe und Herbheit Watts mit der Pariser Maltechnik versöhnen , inhaltreich, idea- listisch und wahrheitlich zugleich sein wollen. Wie weit dies ihm gelang, darüber mag das Bild selbst ent- scheiden, in dem durchgeistigte Schemen neben fleissig beobachtete Natur rücken. Ebby.

10*

Allerhand Sprüchlein.

VON

MAX BERNSTEIN.

„Charleys Tante" und „Die Weber". Das eine zu sehen ist bon ton, Das and're spielt man nicht. Wen wundert's? Das eine ist ein Erfolg der Saison, Das and're ist ein Erfolg des Jahrhunderts.

„Schule" und „Richtung".

Das Haus der Kunst hat der Thüren viele, Der Himmel der Kunst ist reich besternt. Gut ist jede Richtung, führt sie zum Ziele, Gut ist jede Schule, wo einer was lernt.

Nur Technik.

Gar Mancher, den ich bewundern muss,

Macht mir dennoch Schmerz. Denn was er schafft, hat Hand und Fuss,

Aber nicht Kopf und Herz.

Chauvinismus.

«Die Welt des Künstlers sei das Vaterland! Weh ihm, wenn er das Fremde sich gesellt ! » Mit allem, was da ist, fühlt er verwandt. Das Vaterland des Künstlers ist die Welt!

Drei Grabschriflen.

Hier ruht der berühmte Maler X.

Er war ein Liebling des Geschicks,

Genoss die Gunst des Augenblicks,

Verstand die Mode allzeit fix,

Verstand alle Kniffe, coups und tricks

Nur vom Zeichnen und Malen verstand er nix.

Hier ruht der süsse Maler Ypsilon. Er hinterliess dank sei's den Damen ! Der Kunstgeschichte keinen Namen, Doch seinen Erben eine Million.

z. Hier ruht der gefeierte Maler Z. Seine Bilder waren dumm und nett Und weil sie gar so nett und dumm. Gefielen sie dem Publikum.

Den Nietzscheanem.

Was redet ihr von « Uebermenschen » doch ? Damit hat's lange hin auf uns'rer Erden. Ach, Untermenschen sind die meisten noch Und Mühe kostet's, bis sie Menschen werden.

„Genossenschaft" und „Secession".

Wozu das heftige Reden und Schreiben?

Urtheilet milder! Von beiden Parteien wird eins nur bleiben :

Die guten Bilder.

Das beste Licht.

Natur zeigt sich im Freilicht, Im düstern und im Zwielicht, Im Januars und im Mailicht, Am besten im Genielicht.

Reiz der Partei.

«Was kann es nur für eine Lust sein, Partei zu bilden wild und blind ? » Es schmeichelt Jedem das Bewusstsein, Dass die Andern seiner Meinung sind.

Die Allerjüngsten.

Sie rücken aus mit Speer und Schild, Die Ungeheuer zu bekriegen. Und rasseln mit den Waffen wild Und töten an der Wand die Fliegen.

Religiöse Malerei.

«Wer darf, was seit Jahrtausenden besteht, In Tagsgewand zu kleiden wagen ? »

Er, der durch alle Zeit und alle Herzen geht Er kann auch alle Kleider tragen.

Akademie.

Warum scheltet ihr sie? Sie schafft kein Genie, Sie ist kein sicherer Weg zu den Sternen. Für das, was sie ist, nehmt die Akademie: Eine Gelegenheit, 'was zu lernen.

Nicht lange.

Falsches, durch Volksgunst anerkannt Das ist vorüber, eh' man's meint. Der Thau glänzt freilich wie Demant Doch nur so lang die Sonne scheint.

Verschiedenes Recht.

Dem Genius verzeihen nie

Die Leute von geringern Gaben.

Das Recht zum Unrecht haben sie

Er hat das Unrecht, Recht zu haben.

K. Braun.

EINE JUBILÄUMS-STUDIE

VON

FRED. WALTER.

In den letzten Tagen des verflossenen Jahres wurde in einer Münchener Redaktionsstube ein Fest - begangen , dessen wolil die ganze gebildete Welt gedachte : Mit einer prächtig ausgestatteten Jubiläums- Nummer wurde der looste Band der «Fliegenden Blätter » begonnen und damit fiel die Feier des fünfzig- jährigen Bestehens ihres Verlags zusammen. Das war kein kaltes, lärmendes, gemachtes Jubiläum, das war der Ehrentag von Jemand, den alle Welt lieb hat und in die Festfreude klang etwas von goldener Hochzeits- stimmung hinein. Die niederen, altvaterisch traulichen Arbeitszimmer der Herren Braun & Schneider hinter dem Schillermonument am Dultplatz zu München waren in einen Wintergarten verwandelt durch die Gaben der Gratulanten; mannshohe Aufbauten aus Blumen, Sträusse, Palmen schmückten die Räume, Adressen und schimmernde Pokale schmückten die Tische, Kunstwerke aller Art waren als Geburtstagsgaben in das Haus gesarldt worden, dem die deutsche Kunst für so viel Jahre und so vielen Dank schuldet, wie keinem Zweiten. Von ungezählten berühmten und grossen und vornehmen Menschen liefen Glückwünsche ein, der Regent von Bayern übersandte mit seiner Gratulation durch einen hohen Beamten Auszeichnungen an die Herren Julius Schneider und Kaspar I^raun. Die ganze deutsche Presse gedachte in fröhlicher Einmüthigkeit des Tages,

es regnete gute und schwache Huldigungsgedichte aus berufenen und unberufenen Leyern es war wirklich ein Familienfest des deutschen Volkes.

Und warum } Aus vielen Gründen. Zunächst gibt es wohl kaum etwas Deutscheres im periodischen Schriftthum als die «Fliegenden», etwas, was so trau- lich und heimathlich und heimelig anmuthet, wie der Geist, der sie beherrscht: goldechter Humor, das ureigenste Erbtheil der germanischen Rasse. Seit fünfzig Jahren sind sie die vornehmste Aeusserung des Begriffes Humor gewesen , die liebenswürdigste Incarnation des «heiligen Lachens», das die Herzen warm macht und frei. Witzblätter schiessen und schössen wie Pilze aus der Erde und vergingen und vergehen wieder rings umher. Die « Fliegenden Blätter » haben allgemach in des Wortes weitestem Sinn den Erdkreis erobert und trotzdem sind sie dem Geiste nach immer die Alten geblieben. Sie haben stets künstlerisch und sitten- geschichtlich ihre Zeit wiedergespiegelt, aber der Spiegel selbst blieb immer der Gleiche, das klare, helle Glas wie der Rahmen. Und dieser edle Konservatismus ist wohl das Hauptgeheimniss ihres Erfolges. Die «Fliegenden Blätter» thun nicht mit in dem Tollen und Hasten unserer Zeit, sie erzählen nur davon, mit einem Lächeln, das immer freundlich ist, mit einem Spott, der nie ver- letzt. Und dieser Ton thut uns abgejagten und vielver-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

letzten Neuzeitmenschen so wohl und ist uns so gesund. Wie manchen Un- fug, den die fulminantes- ten Polemiken der Tages- blätter nicht aus der Welt schaffen konnten, hat ein lustiger Pritschenschlag des Humors in den « Flie- genden» beseitigt! Und in den Offiziers- Kasinos, K. Braun, deren Frequentanten in jeder Nummer ob ihrer Eroberungslust und Schneidigkeit gehänselt sind, werden die Blätter an jedem Freitag gerade so viel umstritten wie in den Börsen-Cafe's, deren Stammgäste sie persifliren, in den Bierkneipen, deren Helden sie um ihre Schwerfälligkeit und ihren Durst so oft belachen. Auf dem Familientische lässt man sie ruhig liegen auch wenn vierzehnjährige Backfischchen im Zimmer sind in den « Fliegenden > steht nichts Unrechtes! Wie viel hunderttausend Kranken, die lang- dauerndes Siechthum um die Geduld gebracht, haben sie die schleichenden Stunden verkürzt, wie Manchem vom Lebensgetriebe weitab vom Vaterlande Verschlagenen haben sie die Heimath mit ihren heiteren und ernsten Dingen wieder vor's umflorte Auge gezaubert und waren ihm ein Gruss aus der Heimath gerade so, als hätte er ein deutsches Lied gehört, oder einen Trunk von deutschem Wein gethan.

Seltsamer Weise sind sie, die « Fliegenden Blätter » aber auch den Ausländern besonders lieb! Oft genug wurde eine französische Ausgabe derselben gewünscht

ein Ding der Unmög- lichkeit freilich, denn man kann schon den Witz schwer übersetzen und nun gar den Humor! Und noch dazu vom Deutschen in's Wälsche. Aber item, in den Pariser Boulevardcafe's sind die « Fliegenden » ein vielbegehrtes Ding, trotz der grossen französischen Meister der Karikatur, die sie dort haben, von den lustigen Pschüttisten des

ftitr« toa0 indglii^ ift.

«Journal amüsant». Stop und Mars, und wie sie heissen, bis zu den grimmig-satirischen Chronisten des Weltstadt- lasters, Forain und Genossen und zu dem graziösen Cheret und zu Willette und den Andern aus dem Bann- kreis des «Chat noir», um deren Art schon bedenklich der Verwesungshauch vom Ende des Jahrhunderts weht. Gesundheit ist das Hauptkennzeichen des Humors un- seres Jubilars und nie hat ihn ein Fremdes angekränkelt. Die anmuthige Leerheit, die eigentlich das Wort « Chic » im Allgemeinen in sich schliesst, hat auch die elegan- testen und modernsten Zeichner der « Fliegenden Blätter »

nie gekennzeichnet.

Da galt der malerische Moment

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immer zu viel. Und zum Beispiel Schlittgen, der ein überraschend scharfes Auge für das Charakteristische je- der Tagesmode hat, sieht dies Charakteristische immer als Maler und nie als Mode- mensch. Dieses Freihalten unserer Blätter von der Spe- kulation auf den Geschmack der Massen, der im Grunde doch immer ein Ungeschmack ist, imponirt wohl den Aus- ländern, welche Publikationen dieses Grades selbst nicht besitzen, ganz besonders. Dazu kommt die Qualität der typographischen Herstellung, welche ebenfalls im Auslande nicht ihres Gleichen findet. Speziell der gebildete Franzose versteht genug von graphischen Künsten, um Holzschnitte zu bewundern, wie sie die « Fliegenden Blätter » bringen an Stelle der billigen Zinkographien, welche der Mehrzahl ihrer Kon- kurrenten genügen.

Der künstlerische Liberalismus der «Fliegenden», der sich's zur Aufgabe gemacht hat, jede Kunstrichtung in diesen Spalten zu Worte kommen zu lassen, die sich als acht bewährt, begründete die grosse Bedeutung dieses Unternehmens für die deutsche Kunst überhaupt. Von jeher haben sich « Alte » und « Neue » hier einträchtig begegnet und auch heute schaffen Männer vom linken Flügel der Modernen ungestört neben den leidenschaft- lichsten Vertretern der alten Schule. Sonst vergessen

CVfiteirfic! Itaniis $ai]3 ^mnt, 3>nM in inh ifl gat JU llaifiiff) IJnb itt i>an« ift gav Ju Cumni

K. Braun.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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35 ic 9RaM§fanc.

die Alten so oft, dass sie einmal jung waren und die Jungen so leicht, dass sie voraussichtlich einmal alt sein werden. Hier sieht man so recht wie ein gemeinsames Ziel die auseinanderstrebenden Geister eint und mit wie verschiedenen Mitteln sich das gemeinsame Ziel erreichen lässt. In der Redaktionsstube der «Fliegenden» ist ein Zeichner nie nach seiner künstlerischen Konfession gefragt worden, sondern nur immer darnach, ob er was konnte. Und trifft dies zu, dann ist der nervöseste Findesieclemann , der ganz auf Ton , auf Valeurs ein- geschworen ist, gerade so willkommen, wie ein Anderer, der in derber Strichmanier derblustige Gestalten festhält. Wie viele tüchtige Kräfte, denen der Markt fehlte, sind so Jahre lang über Wasser gehalten worden, bis ein günstigerer Stern sie wieder zu freierer Ausübung der Malerei gelangen Hess, wie viele Kräfte, die sich hier erst an kleineren Aufgaben schüchtern versuchten, sind

durch die c Fliegenden Blätter» über- haupt erst der Kunst zugeführt worden ! Eine Fülle der glänzendsten Namen der Münchener Malerwelt strahlt in der Mitarbeiterreihe dieses Blattes seit es bestand. War doch einer der F.rsten, die fröhlich daran mitschufen, Moritz V. Schwind, den unsere Zeit erst wieder zu begreifen und zu bewundern anfängt, ein Mann, dessen Grösse und kindliche Reinheit heute , wo die naturgemässe Reaktion erfolgt auf die wilde Ueber- gangsepoche des dogmatischen Naturalis- mus, wie eine erlösende Offenbarung wirkt. Dieser Name bot feine Auspizien für das künstlerische Gedeihen der «Fliegenden». Und getreulich gaben sie seitdem einen Gradmesser für die jeweilige Höhe der heimischen Kunst ab. Sie hatten Zeiten einer gewissen Monotonie, Zeiten, wo es an Persönlich- keiten fehlte, und sie blühten wieder auf und heute ist der Kreis derer, die am Werke sind, weiter, bunter und glänzender als je.

Fünfzig Jahrgänge « Fliegender Blätter» fünfzig Jahre deutscher Kunst fünfzig Jahre deutschen Humors und darum fünfzig Jahre deutscherKultur- geschichte. Deutscher Kulturgeschichte denn die fremde berührt die «Fliegenden Blätter» nur soweit, als sie sich in der Deut- schen spiegelte. Es wäre nun hier ganz am Platze, auszuführen, dass es keine leben- digere, keine ehrlichere Illustration zur jewei- ligen Zeitgeschichte gibt, als Aeusserungen ihres Humors wie sie die « Fliegenden » all- wöchentlich bringen. Nichts ist hier durch eine Parteibrille ver- grössert oder verklei-

H. D\ck.

tei |d)ieBt "Bu nur immei ju, I)oä ift mit ganj unb gar partont, 3c() lieb ®i(^ nid)t, ic^ mng S)i(f| ni(^t, 3(f) t)maiV mijt, bleib Itbislic^t, 53cnn micf) gelüftttä gat nid^t (e^r, 3u ^eifien ÜJiabnin Si^roolangfi^ett.

A'. Braun.

11*

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DIR KUNST UNSERER ZEIT.

K. Braun.

nert, oder sonstwie verzerrt. Behaglich sehen wir zum Fenster hinaus und draussen treibt das Narrenschiff vorbei mit den Narren aller Stände, Geschlechter und Kategorien; sie treiben vorbei und wissen nicht, dass sie die Schellenkappe tragen und zeigen ihre Schwächen in naiver Harmlosigkeit und wir lachen über sie und erkennen sie als Kinder ihrer Zeit. Denn der wahre Humor spottet nicht kalt und fühllos, weil er versteht, sondern entschuldigt, weil das Mitleid und die Menschenliebe zusammen das beste Theil von seinem Wesen sindl Er lacht, aber er höhnt nicht, er deckt Schäden auf, aber nur solche, die heilbar sind, oder die im Grunde kein furchtbares Unheil bedeuten , er stellt uns wohl auch einmal einen recht schmierigen Kerl vor, aber er verachtet ihn nicht, weil er weiss, wie auf der Welt die schmierigen Kerle werden. Und selbst das Tragische, das wirklich Furchtbare weiss er zu mildern und mit freundlichem Lichte zu verklären. Er geht in den Schrecken des Krieges nicht zu Grunde, er verliert sein munteres Lachen nicht im Sturmbrausen der Revolution. Auch im Jahre 1848 und in den Jahren, die ihm vorhergingen und folgten, sind die « Fliegenden Blätter » immer gemüthlich geblieben, obwohl sie mitten in der Politik steckten und mit einer Offenheit über die Zustände im « lieben heiligen römischen Reich t> ihre Meinung sagten, mit einer Offenheit, welche auch die meistkonfiszirten politischen Witzblätter von heute kaum mehr vom Hörensagen kennen. Aber der Ton, den sie anschlugen, machte auch die wilden Weisen jener Sturm- jahre zu wohlklingender Musik. Und warme Vaterlands- liebe war ja von jeher der Grundton , auf den sie gestimmt waren.

Heute stehen die «Fliegenden» grundsätzlich dem politischen Leben ferne. Die Zeiten sind anders seit Langem, die Gegensätze sind schärfer, der Hass von Partei zu Partei i.st tiefer, die ganze Welt ist nervöser geworden. Ein politisch-satirisches Blatt ist fast nur mehr denkbar im Sinne irgend einer bestimmten oppo- sitionellen Partei. Und alle Welt weiss den c Fliegenden »

Dank , wenn sie die Leser in andere Gebiete führen, als die Tagesblätter, die nothgedrungen uns Parteigezänk zu Frühstück und Nachtmahl serviren müssen, die uns mit der leidigen Jagd nach Aktualität nicht mehr zu behaglichem Lebensgenuss und zu ruhigem Nachdenken kommen lassen Kein Vorwurf für die Presse denn die Ansprüche der Leserwelt haben sie ja zu dem gemacht, was sie ist.

Bei dem konservativen Wesen der «Fliegenden Blätter» ist naturgemäss ihr Inhalt auch ihre Geschichte. Von aussen ist ihnen nichts widerfahren, was sich nicht in ihren Spalten gespiegelt hätte. Sie sind nicht um einen Millimeter im Geviert gewachsen und haben mit wenigen Ausnahmen die alte Seitenzahl gewahrt. Ihre technische Herstellung hat sich in Wesentlichem nicht verändert, für die Herstellung ihres Bilderschmuckes kommt heute wie einst vornehmlich der edle Holzschnitt zur Anwendung.

Die Holzschneidekunst hat ja auch die «Fliegenden Blätter » gegründet. Im Anfang war die xylographische Anstalt von Dessauer & Braun in München. Dann assoziirte sich 1843 Kaspar Braun mit F'riedrich Schneider, zunächst wohl auch, um eine Anstalt für Holzschneidekunst zu betreiben. Das erste Verlagswerk, das bei ihnen erschien, war schon ein «fliegendes Blatt», «der erste Bock von Görres», «das Buch für fromme Kinder » folgt dann und damit war für eine weitere

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LicIittnhtU.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Spezialität des Verlags, die Jugend- schriften, der Grundstein gelegt. Im Oktober 1844 erschien dann die erste Nummer der « Fliegenden Blätter » , nachdem von den beiden Gründern natürlich der Plan zu dieser Zeitschrift gründlich erwogen worden war.

Ueber die Entstehung des Titels der & Fliegenden Blätter » hat man allerlei gefabelt. Da soll ein Windstoss einmal die Blätter der ersten Manuskripte vom Re- daktionstisch gefegt haben und dieser Zufall habe zur Wahl des Titels geführt. Eine ähnliche Ge- schichte erzählt man sich ja be- kanntlich auch von der Entstehung des Namens « Kladderadatsch » . In Wahrheit wurden die «Fliegenden Blätter» nach Publikationen, Flug- schriften ähnlicher Art getauft, die im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert, einer Epoche, da man die periodischen Zeitschriften noch nicht kannte, gang und gäbe waren. Auch unsere Blätter er- schienen zunächst nicht mit der Regelmässigkeit, die sie jetzt aus- zeichnet, sondern in ganz unge- bundener Folge. Sie haben sich

bis zum 25. Bande weder an Semester noch Quartal gebunden und erschienen in ihrer ersten Zeit nicht ein- mal regelmässig in jeder Woche.

Ein glücklicher Stern hat die beiden Gründer Kaspar Braun und Friedrich Schneider zusam- mengeführt zu diesem Werke und was die zwei ersten Besitzer charakterisirte, temperamentvoller, künstlerischer Humor und feiner, literarischer Takt, diese Vereinigung von zwei ganz verschiedenen Eigenschaften bestimmt heute noch die Signatur des Blattes. Ein Blick auf die Bildnisse jener Beiden klärt uns sofort über ihr Wesen auf: Kaspar Braun, der Mann, der kräftig zugreift, dem der Schalk aus jeder Miene spricht und der unver- kennbare Neigung zu fröhlichem Lebensgenüsse besitzt; Friedrich Schneider, dessen seelischer Schwerpunkt im

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(SotlfciunB folgt.)

A*. Braun.

Gemüthsleben liegt, eine freundliche Poetennatur, innig und kindlich, ein Charakter von wahrhaft kerndeutscher Prägung. Kaspar Braun ist die Seele des künstlerischen Theils und zunächst selbst sein bester Mitarbeiter auf diesem Felde. Friedrich Schneider bestimmt den litera- rischen Ton der Sache, jenen familiären, warmherzigen Ton, der anmuthet wie ein Gespräch aus Freundesmund. Zudem war Schneider zunächst die Seele des durchaus nicht auf Millionengrundlagen basirten Geschäftes und besorgte die redaktionelle Arbeit und Correspondenz. Schon in der ersten Nummer, mit der Geschichte vom «ewigen Juden» begann die Betheiligung der « F"l legenden » am politischen Leben, die lange Jahre ihr hervorstechendstes Merkmal bildete. Kaspar Braun's künstlerischer Humor erschuf zunächst eine Reihe

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

unsterblicher, köstlicher Typen, Gestalten, die das ganze politische und soziale Leben jener Zeit in ihrer Art kritisch begleiteten, Graf Franz v. Pocci, einer der liebenswürdigsten Menschen seiner Zeit, dessen Schöpf- ungen für die Kinderwelt in ihrer Art klassisch und unerreicht sind, ging mit ihm Hand in Hand. Seit der Geburt von Pocci 's Staatshämorrhidarius ist ein halbes Jahrhundert verflossen, aber Namen und Begriff sind heute noch sprichwörtlich. Der Aktenmensch, die brave Tintenseele, der Bureaukrat in der höchsten Potenz, dessen ganzes Leben und Streben in der Bureauarbeit aufgeht und der im Grunde doch für sein Vaterland und seine Zeit fühlt, heimlich, schüchtern, schamhaft, den sogar der Hauch des tollen Jahres 1848 anweht, eine prächtige Figur und so deutsch! Kaspar Braun's erste und berühmteste Erfindung sind « des Herrn Barons Beisele und seines Hofmeisters Dr. Ei sei e Kreuz- und Querzüge durch Deutschland». Die beiden Reisenden kommen durch München, Leipzig, Frankfurt a. M., Heidel- berg, Aschaffenburg, Wien, Graz nach Weimar, Berlin, Braunschweig, Darmstadt u. s. w. Sie erlebten auf Eisen- bahnen und Dampfschiffen allerhand kurioses Zeug, was das Verkehrswesen von anno dazumal illustrirt, sie ver- spotten die lokalen Schwächen und Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Orte und bekommen auch mit poli- tischen Dingen zu thun. Im Jahr 1848 treffen wir sie sogar bewaffnet an und sie sehnen sich manchmal trotz allem Patriotismus aus dem deutschen Vaterlande hinaus. Im Grunde sind's ein paar vortreffliche Verkörperungen germanischen Wesens und das Missgeschick, das sie erdulden, ist eben das Missgeschick des deutschen Michel, das er erdulden musste in jenen Tagen.

In ähnhcher Weise hat Kaspar Braun noch man- che gelungene Figur erfunden, deren Erlebnisse die Zeitgeschichte reflektirten, z. B. die ebenfalls sprüchwörtlich gewordenen Ge- nossen Barnabas Wühlhuberund Casimir Heul-

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M. V. Schwind.

m a i e r. Der eine verkörpert das phrasenreiche Demagogenthum mit einer Nuance von ungekämmter Urgermanenhaftigkeit, der andere die rückgrat- und thatenlose Unzufriedenheit, die wohl Alles besser haben wollte und nichts besser machen kann und sich vor der Tyrannei gerade so fürchtet, wie vor der Freiheit. Sie. wandern nach Amerika aus, in's Land der «Gleich- heitsflegel » , lassen dort ihre Wuth aus an riesigen Urwaldsbäumen, die sie mit der Axt angreifen, sehnen sich in der Unkultur nach dem erst so verachteten Vater- lande zurück und schliesslich treffen wir Freund Barnabas Wühlhuber gemüthlich wieder im alten Europa, wo er sich sogar um einen Orden bewirbt. Wie vieler Frei- heitsmänner Schicksal ist das gewesen ! Du lieber Gott, wir sind Menschen 1 Der Verführer Wühlhuber's schliess- lich, der ihn da- zu bringt , vor Serenissimus zu katzenbuckeln, ist Master Vor- wärts, der Ver- treter modernen Schwindelgeistes und Manchester-

Sa« UMin itntt <;*«Mal6<*.

M. V. Schwind.

H. Dyck.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Sa* fcff(ft< tSotttutrt.

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K. Braun.

thums, der die dummen Kerle auf der Welt belehrt, wie sie andere noch dümmere Kerle über's Ohr hauen könnten , der aus Allem etwas zu machen weiss und eigentlich der Vorläufer eines Typus ist, der erst später zur vollen Blüthe kam, des «Gründers:». Ein ander Mal behandelt Braun in den Wanderungen des aus dem Wappen gestiegenen « Münchener Kindeis » brennende Lokalfragen, oder «Meister Hans» der heute noch an jedes Bandes Schluss die Abonnements- einladungen überreicht, oder der « Laubober » oder eine andere Figur dient ihm als Medium für seine lokal- oder sozial- oder national-politischen Entdeckungsreisen. Zu den meisten und jedenfalls zu den besten dieser Cyklen hat Friedrich Schneider den humorvollen und liebens- würdigen Text geschrieben. Kaspar Braun's Karikaturen in ihrer prägnanten Einfachheit und Festigkeit der Linien stehen künstlerisch auf sehr hoher Stufe und eigneten sich für die Holzschnitttechnik in ihrer damaligen Ent- wicklung ganz vorzüglich. Einfacher und sicherer hat auch von den berühmtesten Neuen keiner charakterisirt als er und in allen seinen Zeichnungen war ein Zug von Naivität, der ihnen einen unvergänglichen Reiz gibt. Kaspar Braun schied am 29. Oktober 1879 aus diesem Leben, Friedrich Schneider ist ihm am 9. April 1864 schon vorangegangen. Die ältesten Söhne der Beiden sind heute, wie bekannt, Besitzer und Leiter des Verlages. Eines der ersten Mitarbeiter der « Fliegenden Blätter» nach Zeit und künstlerischem Range gerechnet haben wir bereits gedacht, des unvergleichlichen Moritz V. Schwind, in dem sich so rein und echt, wie viel- leicht in keinem zweiten Künstler nach ihm alle jene

Eigenschaften verkörpert haben , die wir mit Stolz als die edelsten Seiten der deutschen Volksseele 'rühmen. Vor seinen Werken erschliesst sich dem Verständigen so recht der Sinn der Worte : « Heiter ist die Kunst » . Seine Kunst ist von wahrhaft göttlicher Heiterkeit, nicht etwa darum nur, weil heitere Stoffe ihn, den Lebens- freudigen, am Meisten anzogen, sondern weil der lautere Jubel über das Schöne seine Seele erfüllt in allen ihren Tiefen. Und wie innerlich ist seine Kunst, welche reiche Gemüthswelt offenbart sich in ihr , welche Keuschheit der Auffassung adelt sie bei aller sinnlicher Wärme. Das Streben nach hoher Reinheit der Form hat Schwind mit den « Nazarenern » seiner Zeit gemeinsam gehabt ; aber wie himmelweit ist die starre, kalte, künstlerische Askese der Andern von seiner sprühenden Lebenslust entfernt gewesen. Er war ein fröhlicher Genussmensch, der auch die andern Menschen erfreuen wollte und der sie zu erfreuen verstand, weil das, was er bot, echt und ehrlich aus seinem reichen Herzen quoll. « Ich kann nichts anderes machen, als was mich freut ! » sagte er von sich und das kündet uns mehr als bändelange kritische Analysen, dass er ein Künstler war von Gottes Gnaden. Er war naiv im reinsten Sinne und vor der kindlichen Treuherzigkeit seiner Art hält fast nichts Stand, was uns die wieder in Mode gekommene Naivität der heutigen Kunst vorfabelt. Er glaubte an seine Märchen, an seine Recken und Ritterfräulein und Unholde, wie der wahre Poet immer glaubt an die Geschöpfe seiner Phantasie ; der nervenkranke , grübelnde Symbolismus von heute, der ja auch in Fabelländern lebt und Märchen erzählt, wie wenig glaubt der meist an sich und wie wenig glauben wir an ihn !

Schwind wurde am 21. Januar 1804 in Wien ge- boren. Früh verlor er seinen Vater und früh musste er sein Bildnertalent zum Brodverdienen nützen: er zeichnete humoristische Karten, Notentitel, Almanach-

A*. Stauber.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

•I f.l«< aümM »Mb Bl^.

bilder u. s. vv. Zum Jüngling gereift, trat er mit den glänzend- stenPersönliclikeiten der aufblühenden Romantik in Bezieh- ungen, mit Anasta- sius Grün, mitLenau,

Feuchtersieben, Castelli , mit Franz Lachner und Franz Schubert verband

ihn Freundschaft. Ein Romantiker ist K. Braun. Schwind denn auch sein Leben lang geblieben ; die Romantik sagte ja seiner reichen Phantasie, seinem feurigen Idealismus, seinem naiven Kindersinn so unendlich zu, dass er sie sich wohl erfunden haben würde, hätte sie nicht zuerst be-stimmend auf ihn eingewirkt. 1S27 kam er nach München, schwärmte für Cornelius und lernte an ihm. Ein kleiner Kreis von Künstlern und Kennern würdigte bald sein Talent, das der grossen Menge noch lange unverständlich blieb. Er erhielt Aufträge, malte das Bibliothekzimmer der Königin mit Bildern zu Tieck's « Phantasus » aus, schuf die prächtigen Entwürfe zu den Fresken in Hohenschwangau , die so viel schöner und werthvoller sind, als der ganze prunkvolle Schmuck der

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glänzenden «Königsphantasie» Neuschwanstein. Eines seiner Meisterwerke ist ferner der Kinderfries im Habs- burger Saal in der Münchener Residenz. Nach einem kürzeren Aufenthalt in Karlsruhe verzog er nach Frank- furt am Main, aber die Atmosphäre dieser Goldstadt par excellence hat ihm wenig zugesagt und er sah es wohl wie eine Erlösung an , als er 1 847 einen Ruf an Stelle Julius Schnorr's an der Münchener Akademie erhielt. Nun endlich wurde Schwind auch populär und zwar im höchsten Maasse. Es werden Nachbildungen weniger Werke so viel in deutschen Wohnstuben ge- sehen werden, wie die seines Märchens von den « sieben Raben». Auch seine Bilder, die er für die Wart- burg gemalt, sind weit bekannt, sein « Aschenbrödel >; , seine «Schöne Melusine». Zum Populärsten aber und zum Schönsten, was Moritz V. Schwind geschaffen , gehört das , was er für

den Verlag von Braun & Schneider gezeichnet, für die « Fliegenden Blät- ter» und für die « Bilderbogen», die zu den Ersteren in engen, man möchte beinahe sagen, ver- wandtschaftlichen i .<li,tknlh<ilir. Beziehungen stehen. Dazu gehört der köstliche Bilder- bogen «Der gestiefelte Kater», ein Blatt, das die Quint- essenz von Schwind's ganzem Wesen enthält , das « Märchen vom Machandelbaum» und die Geschichte vom «Herrn Winter». Man hört ein Spinnrad schnurren und Scheiter im Ofen knistern, sieht man solche Bilder an, und die wunderbare Märchenwelt steigt auf in ihrer alten Pracht. Aber nicht als Romantiker allein , auch als Satiriker lernen wir Schwind in den «Fliegenden » kennen, soweit natürlich seines Herzens unbegrenzte Liebens- würdigkeit die Satire zulicss. Oft gefiel er sich auch in harmlosen Formspielereien, wie in seiner wunder- lichen « contrapunktischen Soiree», worin er sich die Aufgabe setzte, auf i 5 gegebenen Punkten die Gestalten dreier Akrobaten in immer wieder neuen Varianten so zugruppiren, dass jeder dieser 15 Punkte durch eine Hand , einen Fuss oder einen Kopf gedeckt wurde.

C. Spitnvfg.

DIE KUNST UiNSERER ZEIT.

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Auch die Politik und soziale Fragen hat der Künstler mit seinem Griffel commentirt fällt doch seine Thätigkeit für den genannten Verlag in jene Epoche der «Fliegen- den», in der sie sich vor- wiegend mit Politik zu thun machten.

Seine Zeichnungen für Braun & Schneider sind in einem Schwind - Album in wunderschönenHolzschnitten vereinigt und es gewährt hohen Genuss, in dieser Mappe zu kramen. Tritt uns doch aus diesen Blättern sein Wesen am Reinsten entgegen. Als Maler war er oft bunt und hart obwohl übrigens einige seiner fast unbeholfen

gemalten kleinen Bildchen der Münchener Schackgalerie in ihrer Art geradezu entzückend sind als Zeichner kennt er keine Grenzen seiner Kunst, da entfaltet er den ganzen Reichthum seines Geistes und seines Herzens. Schwind starb am i. Februar 1871 ; er ist ohne Todes- kampf und Todesangst schnell und schmerzlos entschlafen. Und sein Erbe.? Mich dünkt, die deutsche Kunst fängt eben an, des Vermächtnisses eines ihrer herrlichsten Männer wieder eingedenk zu werden. In dem wilden und leidenschaftlichen Suchen nach höherem malerischen Ausdruck, welches das letzte Jahrzehnt dieser deutschen

Kunst charakteri- sirt, sind ihr an- dere Dinge abban- den gekommen, die nicht minder

werthvoll sind, und aus hundert neuen Erschein- ungen spricht wie- der die Sehnsucht

nach tieferem geistigem Gehalt, nach strengeren Linien, nach Inti-

Wiätittt-.IStll^ttt.

(6<tbit.)

K, Suwhcr

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„SSeinen (S'nitfet ') muj i ^abn, ge^tä «lie'ä moä clenbi^er jitjl im (B'niifer ^etlll"

mität und nicht zum Wenig- sten nach wahrhaft heimath- lichem , deutschem Wesen. Für die Form konnte uns die Fremde Lehrmeisterin sein, für den Gehalt braucht's Vorbilder aus dem eigenen Stamme. Moritz v. Schwind zeigt uns klarer und bestimm- ter als alles Andere, wie die grossen deutschen Meister der Renaissance als Erzieher unserer Künstler zu nutzen seien. Er steht auf ihren Schultern und ist doch er selbst geblieben. In diesem Sinne möge auch er zum Vorbild dienen. Nachahmen kann man ihn nicht , denn Naivität und Unmittelbarkeit kann man nicht stehlen. Aber als Lehrer soll er durch seine Werke wirken mit der ganzen überzeugenden Macht, die jeder grossen und reinen künstlerischen Persönlichkeit eigen ist. Freudigkeit soll er lehren, Schönheitsfreudigkeit und Lebenslust und Alles , was rückenmarkschwach und frühalt sein will, soll er hinweisen auf den heil- kräftigen Jungbrunnen heimathlicher Poesie.

Zwei Künstler, die zu Schwind in direkten Be- ziehungen standen, gehören zu der « Fliegenden » besten Kräften, sein Freund Karl S p i t z w e g und sein Schüler Eduard Ille. Der Letztere ist künst- lerisch und redak- tionell noch mit un- geschwächter Kraft am fröhlichen Werke thätig, den Ersteren haben wir im Jahre 1885 begraben und mit ihm verlor Mün- chen vielleicht seinen

$cr eifrige Sitgbfi^ü^.

Sitrnfatra! {((t \i tcr ©d^nupftobot a %in'J'

M. Haidtr.

12

,W. Haider.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

liebenswürdigsten Künstler. Spitzweg 1 808 zu München geboren ist so ziemlich seit Bestehen der «Fliegenden Blätter » für sie thätig gewesen. In seltsamer Weise wusste er die gutmüthige Drolerie mit scharfer Charakteristik zu verbinden und entwickelte in seiner Persiflage einen Humor von zwingender Wirkung. Unter den unge- zählten Bildern unserer Blätter, welche die disciplinlose «Gemüthlichkeit j, die spiess- bürgerliche Eitelkeit der alten Bürgerwehr geisselte, sind Spitzweg's Caricaturen zweifellos die köstlichsten. Wer über seine « Freicorps-Wachtstubenfliegen t> nicht lachen kann , der ist zum Lachen über- haupt verdorben. Mit welch' überwältigen- der Komik hält er in der Zeichnung zu - _- « Gessner's Idyllen » den Phantastereien der Schreibstubenpoesie die brutale Wirk- lichkeit entgegen. Vormärzliche Versunkenheit, ein- gerostetes Kleinstädterthum, wer hat es besser gekenn- zeichnet wie er? Seine schlafenden Schildwachen und behäbigen Nachtwächter, seine alten Junggesellen, seine geprellten Polizisten und seine frohlaunigen Gauner, seine grübelnden Gelehrten, die in Spinnweben verstauben, seine Bettelmusikanten, seine Satiren auf obrigkeitlichen Dünkel und Beamtenschwerfälligkeit , wie prächtig ist

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K. Braun.

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ItSttn 3)«utf(^tn fein." Stoo i«^äraorrI)oiboriu« (^injutretenb). .«eben Sie nie^t (0 ooteilig, junget HRomi,

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das Alles geschildert ! Dann kommt er aber auch wieder mit echter Romantik, die freilich immer mit einer guten Dosis Gemüthlichkeit versetzt ist. In reizend gemalte Phantasielandschaften setzt er Drachen und andere Fabel- wesen, belauscht Klausner in ihrer Einsamkeit, lässt auch einmal ein idyllisches Stückchen Landschaft für .sich allein wirken, ohne beziehungsreiche Staffage. Eine schmunzelnde, bescheidene Fröhlichkeit zeichnete ihn aus, eine Harmlosigkeit sonder Gleichen. Er sah die Welt zwischen einem Vogel- bauer und einem Epheustock durch aus einem Mansardenfenster mit der Ueberlegenheit des Wunschlosen ver- gnüglich an und malte seine Bildchen sich selbst zur Freude. Aber er war gross in seinem kleinen Reich und man wird jene Bildchen noch einmal freudig mit Gold aufwiegen. Wie kümmerlich und gequält sind die meisten « humorist- ischen Genrebilder» in Kunstvereinen und Auslagen der. Bilderhändler und illustrirten Wochenschriften neben seiner warmherzigen Lustigkeit ! Und wie viel Herzlichkeit liegt darin ! Spitzweg hat viel an den alten niederländischen Klein- malern gelernt , und unter Anderem auch das, die Marodeurs des Lebens,

K. ß.-aun.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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K. Brau II.

die Vagabunden und Kneipgenies und Strolche aller Art ohne Groll und spiessbürgerlichen Dünkel anzu- sehen, mit lachendem Mitleid und wohlwollendem Spott, Das ist aber die höchste Gabe, die dem Künstler dieser Art werden kann, dass er triftt, ohne weh zu thun; das ist das Spezifikum des Humors im Gegensatze zu so viel anderen Dingen, die auf der Welt unverschämter Weise oft für Humor ausgegeben werden.

Karl Spitzweg hat die Biedermaierzeit realistisch geschildert, Eduard Ille, wie gesagt, einer der ältesten lebenden Mitarbeiter der «Fliegenden», hat sie mit aus- gezeichnetem Geschmack stilisirt, ja er hat die bezeich- nendsten Typen für ihr Wesen erfunden, die es über- haupt gibt in seinen klassischen Zeichungen zu Ludwig Eich'rodt's « Gedichten an Weiland Gottlieb Biedermaier, Schulmeister in Schwaben». Wie putzig sind diese steifleinernen gravitätischen Gesellen , welche den Hals in ihren abenteuerlichen, riesenhaften Cravatten nicht drehen können, was für Urbilder des Begriffes Philister marschiren da vor uns auf! Im gleichen Stile hat Ille unendlich komisch Eichrodt's Lieder von der « sentimen- talen Jurisprudenz» mit Bildern erläutert und dabei die

leidige Trockenheit der Rechtswissenschaft und manche andere Schwäche dieses vielgewählten Berufes zum Besten gehalten. Ille war auch der Erste, der das heute in den « Fliegenden » von Oberländer , Grätz, Hengeler, E. Reinecke u. A. mit so vielem Glück, wenn auch in anderer Weise , gepflegte Genre der Thiercaricatur cultivirte und hat damit ganz Wunderbares erreicht in der Kunst, den Thierköpfen den Ausdruck menschlicher Empfindungen aufzuprägen. Auch in Kinderbüchern und Bilderbogen schuf er mancherlei Meisterstücke dieser Kunst es sei nur an den Bilderbogen vom Hausherrn und den Katzen erinnert: «Blinder Eifer schadet nur». Ein weiteres Spezialgeschick übte Ille mit der Nach- ahmung berühmter Muster, sei es, dass er ein gegebenes Thema in verschiedenen Stilarten variirte, sei es, dass er das gleiche Spiel mit den Manieren verschiedener zeitge- nössischer Maler, Cornelius, Genelli, Schwind, W. Kaul- bach, Ramberg u. s. w. trieb. In ähnlicher Weise hat Oberländer später bekanntlich seine berühmte Serie «; Der Kuss » geschaffen. Eduard Ille hat ausser seinen reichlichen Beiträgen als Maler und als Dichter für «Fliegende» und Bilderbogen auch sonst noch in beiden Kunstgattungen eine rege Thätigkeit entfaltet Er schuf Zeichnungen zur Nibelungensage, zur Sage von Parsival, Lohengrin , Tannhäuser, Hans Sachs, geschichtliche Bilder, gab 1874 drei schöne Blätter zu Grimm's Märchen heraus u. s. w. Er schrieb mehrere Dramen « Kaiser Joseph II», «Kunst und Leben», einen Operntext, gab einen Band Poesien heraus und hat eine ganze Reihe schwungvoller Prologe und Festspiele gedichtet. Im Jahre 1868 wurde Eduard Ille der Titel eines Professors der Münchener Akademie verliehen. Für die letzte Jubiläumsnummer der «Fliegenden» hat er eine Vig- nette gezeichnet, die den seligen Biedermaier aus dem

ttommiffioiL .Oett äRagl. Ihatltdt^, Sie »uiben beauftragt, einen neuen ©rannen ju bauen, iuubei mebr bie .SroetJmdBigfeil an bii- 54änbeit berüifft^ti^t fei; nun bei^mert fid) bie Oeneinbe;' buQ ber Sranuen.nii^t jmeifDtägig iü, inbem lein Ddfi batauS fau* itn fönue.t

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K. Staubtr.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Olymp herabgrüssend darstellt das Bildchen zeigt noch des nunmehr 71jährigen alte Kraft.

Auch Lichtenheld, der feinsinnige Land.schafts- poet, dessen « mondbeglänzte Zaubernächte» noch heute eine Zierde jeder Bildersammlung aus dieser Zeit sind, hat zu den friiheren Mitarbeitern der « Fliegenden » gehört. Aber es waren nicht nur merkwürdig fest und kräftig gezeichnete Landschaftsbilder von mit wenig Mitteln erreichter, grosser malerischer Wirkung, auch auf dem Gebiete flotter lustiger Caricaturen war Lichten- held thätig und namentlich allerlei curiose Menschen- früchtlein aus der neuen Welt, die er sehr genau gekannt zu haben scheint, hat er gar drollig vorgeführt. Immer ist Klarheit, Einfachheit und Energie die Signatur seiner künstlerischen Art. Zwei weitere vorzügliche Kräfte, die damals am Blatte mitwirkten, waren die liebenswürdigen Romantiker A. Muttenthaler und B. H. Schmölze. Die Beiden haben auch als Maler sehr geachtete Namen besessen und von Muttenthaler finden wir unter An- deren gediegene Freskomalereien im alten bayerischen Nationalmuseum.

Sehr bald nach Gründung der «Fliegenden» ist ferner Carl Stauber in ihren Dienst getreten, wie Ille heute noch für sie thätig. Er hat eine unabsehbare Reihe von Illustrationen (so was wie 9000) gezeichnet und wenn man die 99 Bände durchblättert, kommt man wohl zu der Ver- muthung, dass er der Fruchtbarste von Allen gewesen sein muss. Und thätig auf allen Gebieten, in Scherz und Ernst. Zu seinem Besten gehören die unzähligen Bildchen zur « Pläsirreise des Herrn Blaumaier und seiner Frau Nanni», eine Reise, die ein paar Urmünchener durch allerlei Gross- und Kleinstädte und Klein- und Grossstaaten führt und die zu den amüsantesten Episoden der « Fliegenden Blätter» gehört. Wir treffen das umfangreiche Ehepaar in Nürnberg, Bamberg, Coburg, Dessau, Weimar, Gotha, Erfurt, Eisenach, Frankfurt, Heidelberg, Stuttgart u. s. w. Wie «Eisele und Beisele» geben uns die verschiedenen Phasen dieser Pläsirreise eine Charakteristik der berührten Städte, deren Eigenheiten sich in den Erlebnissen der beiden Münchner Pfahlbürger spiegeln. Einen ganz ähn- lichen Gedanken verfolgen die Reisebriefe des Herrn Rentier Graf aus Pirna , zu denen gleichfalls Stauber den amü.santen Bilderschmuck lieferte. Hier erzählt ein sächsischer Erzphilister von seinen Reisen , die er mit seinem Freund, dem Maler Kohle, unternimmt. Die bös- artigen Abenteuer des wackeren Paares sind schlechter-

dings zum Kranklachen oder besser zum Gesund- lachen, denn in Wahrheit ist vom Lachen noch keiner krank, wohl aber schon Mancher gesund geworden. Ver- fasst sind die Graf'schen Reisebriefe von A. Brendel. In der Sturmzeit von 1848 schwingt sich Carl Stauber oft zu ganz ergreifender, dramatischer Ausdrucksweise empor, sonst charakterisirt ihn vor Allem eine grosse Mannigfaltigkeit der Typen und Leichtigkeit im Erfassen der Erscheinungen. Ganz vortreffliche Charakterfiguren enthalten z. B. auch seine Skizzen aus verschiedenen deutschen Spielbädern , die einst der Tummelplatz von allerhand verdächtigem internationalem Gesindel waren. Unerreicht in ihrer Art sind die Jagdzeichnungen von Max Haider gewesen, der etwa mit dem fünften Lebensjahre unseres Blattes in diesem in Erscheinung tritt. Forstmann von Beruf, als Künstler mehr oder minder Autodidact von sehr bedeutendem Talent, hat er Wald , Wild und Waidwerk gekannt , wie vielleicht kein Künstler seines Faches mehr vor oder nach ihm. Er fand das Darstellenswerthe überall, im Kleinsten, und wie er es gab, war auch das Kleinste interessant. Er kannte die Gewohnheiten des Wildes so genau wie die Gewohnheiten und Eigenheiten der Jäger , er war immer Maler und Waidmann zugleich, bald das Thier- leben mit der Liebe und Aufmerksamkeit eines warm- herzigen Naturfreundes beobachtend , bald auf jagd- gerechte Charakteristik ausgehend , bald in drolligem Grimm die Raubjäger und Wildpretschiesser und die pomadisirten Sonntagsschützen , die Waidmänner in Gottes Zorn an den Pranger stellend. Da weht herb- kräftiger Harzduft aus jedem Blatt. Was für Missgeschick passirt den Jägern und Treibern und Hunden, welcher fabelhafte Einblick in die Thierpsychologie offenbart sich uns da, mit wie viel Gemüthlichkeit schildert uns Haider das Leben des zünftigen Waidmanns. In den Bildern der «Bauernjagd» wird uns von dem mordbrennerischen Gesindel erzählt, das um 1848 herum den deutschen Wildstand verwüstete , in Allem so unwaidgerecht wie denkbar vorgehend, mit den unmöglichsten Schiesseisen und anderen Mordgewaffen ausgerüstet, mit Fleischer- hunden losziehend statt der Jagdrüden. Natürlich geht's gar oft den lederbehosten Nimroden schlecht und mancherlei komische Erlebnisse weiss uns der Künstler zu erzählen. Auch in den vielen Blättern der «Jagd in Bildern » spielen solche eine grosse Rolle, sehr viel- fach aber bietet uns der Zeichner nur entzückende

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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kleine Moment- aufnahmen aus dem Leben des Wildes. Und dann ist er so fesselnd , so liebensvvürdisf,

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H. Dyck.

dass er stets neu, stets amüsant erscheint. So- gar die Bäume des Waldes belebt Haiders reiche Phantasie, aus dem knorrigen Stamm- und Astwerk lässt er abentheuerliche Spukgestalten ent- stehen und ein ander Mal wieder lustige Caricaturen. Max Haider's Ruf ist auch durch verschiedene Sonderpublikationen des « Braun & Schnei- der'schen Verlags » in weite Kreise ge- drungen und der Jägerhumor, dessen erster bester und echtester Vertreter er war, gehört noch heute zu dem Lustigsten , was die « Fliegenden » das Jahr über bieten, ja er bedeutet beinahe den dankbarsten, variations- fähigsten Stoff, den sie überhaupt haben. Denn Dank den unberufenen Flintenträgern , die ebenso wenig aussterben als die berufenen Jäger- lateiner, passirt alle Tage so viel Jagdkomik, dass man beinahe damit allein ein Witzblatt .füllen könnte.

Max Haider's Kunst ist heute so ziemlich ausgestorben. Von den Heutigen kennt keiner mehr den Stoff wie er und nach Momentphotographien kann man Wild und Wald eben doch nicht ganz unfragwürdig schildern. Der Wald hat seine Seele und das Waidwerk hat seine ver- schwiegenen Reize und das Alles lernt Einer so recht nur kennen in dem intimen Verkehr, den der Berufs- so wahr, zeigt Jäger mit den beiden schönen Dingen hat.

Schon weiter oben wurde gesagt, dass die « Fliegenden Blätter» im ersten Dezennium ihres Bestehens sich schneidig und energisch mit politischen Dingen beschäftigten und die Zeit war ja darnach angethan. Die politischen Fragen lagen ganz anders in der Luft als heute , trotz der tausendfach vermehrten Publizität unserer Zeit. Jedem ehrlichen Menschen , dem warmes rothes Blut in den seine Zeichnun- Adern floss, lag das Schicksal des deutschen Vaterlandes gen zu bringen, schwer auf dem Herzen, des armen, zerfahrenen, zer- fetzten, gedrückten und gedemüthigten Vater- landes, und dazu kam die Wetterschwüle, die

auch ausserhalb der

so viel Grazie in seinen klei- nen Vignetten und Randzeich- nungen , weiss so tiefe Mannig- faltigkeit in

H. Dyck.

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W. Dvi-t.

Grenzpfähle der 36 deutschen Vaterländ- chen auf den Men- schen und Staaten lastete. « Der ur- deutsche Michel», der Träumer und Philister mit dem Teutonenschopf auf dem Haupt , zahl- losen Wappenflicken auf dem Wamms, Tabakspfeife und Buch in den Händen war denn auch die Lieblingsfigur H. Dyck 's, des Bedeutendsten unter den Politikern der « Fliegenden » . Er hat den Michel und sein Land in hundert Situationen geschildert und jedes dieser Bilder ist wie ein Freiheits- lied, etwa wie einer von den leiden- schaftlichen Sturmgesängen Georg Herwegh's. Mit Herwegh's Liedern haben Dyck's Zeichnungen auch noch das Eine gemein, dass sie heute nur ein euter Kenner der

88

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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damaligen Verhältnisse ohne Commentar verstehen l<ann, so überreich an Beziehungen sind sie. Ganz besonders gern hat Dyck auch die Knebelung der Presse etc. und damit seines Handwerks zum Gegenstand seiner Satiren gemacht. Da lauern überall die gefrässigen Scheeren der Censur, da wimmelt es von moosbewach- senen Schlagbäumen, da taucht der Krebs des Rück- schritts aus allen Winkeln auf. Es war ein grosses

Rufen nach Luft und Licht in deutschen Landen. Auch das Verlangen nach dem Wiederbesitz verlo- rener Länder deut- schen Stammes fin- det in diesen Bildern oft seinen Ausdruck, um Elsass - Lothrin- gen wird geklagt, um Curland und Liev- land, sogar Flandern und Holland werden reklamirt und als er- reichbar «für guten Willen » in Aussicht gestellt. Im Sturm und Drang der Zeit gingen die Wünsche eben auch oft über das ver- nünftige Mass hinaus. Dann spiegeln sich wieder Bureaukratie , Hochmuth und Servi- lismus, Kanzleiblödsinn, Polizistenunfähigkeit, der Rückgang geistigen Lebens und zahllose andere bittere Dinge in den geistreichen Satiren Dyck's und Anderer. Gar seltsam muthet es uns an, wenn wir im sechsten Bande zwei kleine Bildchen finden, die in nuce die Quintessenz von Gerhard Haupt- manns vielberedetem Schauspiel «Die Weber 5> enthalten. « Hunger und Verzweiflung» steht unter dem Plinen, ein Leichenfeld stellt es dar mit Toten und verhungernden Menschen. Das zweite Bildchen erzählt von der «Offi- ziellen Abhülfe » : Pickelhauben und spitzige Bayonette. Auf der nächsten Seite finden wir in fürchterlichen Jammergestalten die acht Polizeisoldaten abconterfeit, durch welche der Militärstand des Fürstenthums Reuss- Greiz vermehrt wurde, um mit Energie die Ruhe

Tii VtM|<4Bl( *n VptMatratle

aufrecht zu erhalten und die tapferen fünf- zig Husaren, denen in Weimar die gleiche Aufgabe zufiel auf Steckenpferden reiten sie einher.

Dann tost der Sturmwind der März- tage über das er- wachende Land und wilde Begeisterung, frohesHoffen charak- terisirt jetzt den poli- tischen Zeichner. Jetzt endlich dringt Freund Michel mit wichtigen Schwert- schlägen auf Rückschritt und Schranzenwesen ein , der alte « deutsche Bund » fällt rücklings um und die Schlaf- mütze gleitet ihm vom kahlen Schädel. Der deutsche Adler wird zu Frankfurt a. M. nach langer Gefangenschaft aus einer Art von Hühnerstall befreit, aber vorsichtig, denn «Meine Herren aufgepasst! ich glaube, er beisst » ! Für die deutsche Kaiserkrone wird ein würdig' Haupt gesucht. Michel trägt jetzt das altgermanische

gönf Siebeölicbec in fünf SaArftunbei-ieii.

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K. Slauhrr.

E. Itlr.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

89

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/T. Stauber.

Bärenfell wieder statt der bun- ten Lappen um die Schultern, aus dem Träumer ist ein Riese geworden, der seiner Kraft bewusst ist. « Das Lichten des Hochwaldes » heisst eines von üyck's charakteristischsten Bil- dern aus den Märztagen 1848. Mit wuchtigen Axthieben haut hier der Repräsentant der deut- schen Kraft eine Bresche in einen Wald von morschen Schlagbäumen und Grenzpfählen, einen Wald, in dessen Schatten allerhand kleinstaatische Pilze in üppigster Fülle gedeihen. Dahinter hat er die Reichsfahne aufgepflanzt und eine Jakobinermütze als Sinnbild der Freiheit auf deren Spitze gesteckt.

Viele Träume aus jener Zeit hat die nächste Geschichtsepoche nicht erfüllt, auch dem Rausche folgte ein Katzenjammer. Sie hatten ihre Erwartungen ja auch allzu hoch gespannt so sah z. B. Dyck schon das befreite Russland mit zerbrochenen Ketten dem stolz und mächtig einher segelnden freien deutschen Reiche entgegenjubeln. Bekanntlich ist es etwas anders gekommen. Von Vielem hat unsere Generation erst Erfüllung erlebt. Schon im 13. Bande finden wir Dyck's Siegesjubel stark herabgestimmt. Er zeigt uns

da (im Januar 1851) Freund Michel wieder in recht schlechten Verhältnissen.

« Das neue I-ied, das neue Lied Von dem versoffenen Pfannenschmied, Und wer das neue Lied nicht kann, Der fange wieder von Vorne an » u. s. w.

ist die melancholische Unterschrift. Michel sitzt unthätig da und neben ihm liegt der zerbrochene Reichsapfel, den er wieder hätte zusammenschmieden sollen. Sehr ruinös und spinnenüberzogen hängt in der Ecke der Reichs- schild, die zerbrochenen Fenster der Hütte sind mit

ednt ^olbt Waib Urjulo flilrjc naHai fflugtS gum Ufer bi

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„Gardez! ©c^q<^ ber JRönigini"

^3(^o(^ bem fiöttig unb matt!"

C. H. Scfimo[:e.

UchUnheld.

allerlei denkwürdigen Protokollen verklebt. Es ist wieder einmal nichts gewesen, der «versoffene Pfannenschmied» hat nichts fertig gemacht und « Das neue Lied » ist in Wahrheit das Alte, nach der alten Melodie: «Und wer das alte Lied nicht kann, der fange wieder von vorne an ! » So wie aus diesem Bilde klingt ehrliche Wehmuth und verhaltener Groll aus un- zähligen Schildereien der « Fliegenden y, in den nächsten Jahren. Viel Noth und Elend und Krieg und Bitterniss war ringsum und das Amt des Humoristen mag anno dazumal auch nicht das Leichteste gewesen sein.

Auch die Censur scheint unserem Blatte noch schärfer auf die Finger ge- sehen zu haben als in vormärzlichen Tagen. Das hat übrigens Veranlassung zu einer der köstlichsten Episoden ge- geben, die es zu verzeichnen hat. Um die Mitte der Fünfziger Jahre sind die « Fliegenden Blätter » ein Mal « in die

90

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Frochltch.

Frochtich.

Türkei ausgewandert». Als ihnen die Confiscationcn gar zu liäufig wurden, erschien nämlich das Blatt eines schönen Tages in türkischem Gewand und an der Spitze stand folgende Erklärung:

«Da die «Fliegenden Blätter» in den letzten Monaten zu wiederholten Malen hier, an dem Orte ihres Erscheinens, confiscirt wurden und dadurch eine Störung in der regel- mässigen Versendung die nothwendige Folge war, wird die Verlegung des Schauplatzes der « Fliegenden Blätter » in das Ausland unseren Lesern hinlänglich motivirt erscheinen. »

Das erste Bild zeigte gleich Meister C. Braun mit schwarzlichem Gesicht beturbant im Bette liegend, und ein ebenfalls beturbanter Doktor reicht ihm eine Riesen- pille mit der Aufschrift « Pressgesetz §§§» . Keine einzige

Figur in den näch- *"'"i* sten Nummern er-

schien in anderem als türkischem Ge- wände, auch des Staats -Hämorrhi- darhius geheilig- ter Person wurde der Turban nicht erspart, ja so- gar die bekannten

^.$ QtnuV Qof, btr Hit, f«lt Acil ti uüini bn^ kUl ltia<n X<M (tmB, Bann 14 tesaurMic .Ciht lbi^\'

Stelil'.

Persönchen auf dem Titelkopf erfreuten sich der gleichen Kopfbedeckung.

Damit schloss übrigens so ziemlich die politische Epoche der «Fliegenden Blätter» ab und für ihre Ver- breitung war dies jedenfalls gut, denn so Prächtiges sie in Wort und Bild damals ihren Lesern boten, der Abonnentenrückgang zeigte, dass, vielleicht gerade wegen der trüben Zeiten, die Leute den Stoff zum Lachen aus anderen Gebieten geholt haben wollten. Desshalb freilich ging man an den grossen weltgeschichtlichen Ereignissen nicht blind vorüber. Der Bruderkrieg von i866 warf seine Schatten auch in diese Blätter, in den glorreichen Jahren 1870 und 1871 trat der Ernst der Zeit wieder stark in den Vordergrund. Ein treffliches Bild aus den Tagen der Kriegserklärung trägt die Aufschrift « L'empire c'est la paix » und zeigt uns Napoleon den III. als Tod, der den Frieden des Grabes gibt. Oskar von Redwitz hat flammende Strophen zu diesem Bild geschrieben. Neben den Schrecken des Krieges geschieht freilich auch dem Humor des Krieges sein Recht und wer in einem Feldzuge mitgewesen , weiss wohl davon zu erzählen , wie überaus reich dort neben den Schrecken sich humoristische Vorfälle häufen. Und als gar die ersten Siegesbotschaften kamen, als die Rothhosen das Laufen lernten, als die ersten gefangenen Turkos ein- trafen , als die unbesiegbare Eitelkeit der Besiegten noch in gefälschten Siegesbotschaften und thörichtem Phrasenschwall ihre Orgien feierte, was gab es da erst Stoff zum Lachen! Siegesjubel und Viktoriaschiessen, Truppen- einzug, ein einiges Deut.schland, ein Kaiser, erfüllt die, Träume von einst! Wie wunderbar hat A. Oberländer damals alle diese schönen Dinge in ein Bild zusammen- gefasst, das den alten Barbarossa im Kyffhäuser dar- stellt, wie er den Marmortisch, um den sein Bart gewachsen, unter den Arm nimmt, sich dehnt und reckt und sagt : « U u ah ! Meine Raben hör' ich schon lang nicht mehr die waffenschmie- denden Zwerge scheinen zu striken

der Birnbaum wird wohl auch seine Schuldigkeit thun Invasion

Siegeseinzug Festjungfrauen

und ein neuer Herr Collega ich glaub', ich kann zum Rasiren geh 'n. »

'lUrtttfllifilK Vitbt.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

91

Qün SicgciuS in Srimnt.

In den beiden Kriegsjahren hat sich als Zeichner der «Fliegenden» namentlich ein Künstler hervorgetban, der heute zwar noch immer einer der berühmtesten deutschen Maler ist, aber für dieses Blatt lange nicht mehr arbeitet Wilhelm Diez. Er hat Humor, sprühendes Leben und schärfste Charakteristik immer mit einer eminent künstlerischen, malerischen Darstellung zu verbinden gewusst und gehört besonders in letzterer Beziehung zu den glänzendsten Erscheinungen des Künstlerkreises , von dem wir sprechen. Jede seiner Illustrationen aus Kampfscenen alter und neuer Zeit ist als Illustration meisterlich und zugleich auch ein Kunstwerk für sich allein gesehen. Das ist das höchste,

was der Illustrator geben kann und also auch das , was er geben soll. Was er an Tem- perament besitzt, ofifenbart Diez in seinen mit unbeschreiblich leichtem, kräftigem Strich hin- gesetzten Zeichnungen beinahe noch mehr, denn als Maler, so kräftig auch hier seine Schilder- ung ist, so reizvoll das Bouquet seiner Farben.

Zwei der berühmtesten Mit- arbeiter der « Fliegenden » haben einen Weltruf und werden einen Platz in der deutschen Kunst- geschichte für alle Zeiten haben : Wilhelm Busch und Adolf K.Braun. Oberländer. Zwei urdeutsche Menschen , so spezifisch unser Eigen , dass wir auf sie viel stolzer sein dürfen als auf manchen berühmten Maler, der im Grunde doch ebenso gut in einem andern Lande hätte geboren sein können. Busch ist in seinem Wesen der Norddeutsche, Oberländer der Süddeutsche; Busch's Humor geht oft an die Grenzen beissender Satire , er ist ein Choleriker unter den Caricaturen- zeichnern und nur seine sprudelnde Lustigkeit , sein unvergleichlicher künstlerischer Uebermuth behüten ihn davor, dass er verletze Oberländer ist immer der lachende Philosoph ; Busch ist ein Geissler menschlicher Schwächen im Allgemeinen , Zeitfragen gehen ihn nur in grösseren Umrissen an Oberländer schreibt Cultur- geschichte in Einzeldarstellungen, man könnte mit seinen Zeichnungen eine ernsthafte Geschichte seiner Zeit scherz-

S8Ü kfd ^au^fraurriifrvixl^ Üahabärfttl au<lfi(^t.

E. Fmehäch.

haft illustriren und ich glaube, es würde kaum etwas Wesentliches davon unillustrirt bleiben ; Busch ist der Humor in Dur, Oberländer der Humor in Moll ; Busch erzählt uns mit einem Lachen , dem man nicht gram sein kann, einfach davon, wie curios die Kostgänger unseres Herrgotts auf der lieben Erde sind, und kümmert sich nicht weiter um Grund und Ursache Oberländer's Humor geht psychologisch tiefer und lehrt uns die Lächerlichkeiten der Leute verstehen; Wilhelm Busch's hauptsächlichste Stärke liegt in den Situationen Oberländers Ueberlegenheit in der Charakteristik ; Busch erfindet Oberländer erklärt ; Prachtmenschen, Künstler von Gottes Gnaden und Sonderlinge sind sie alle zwei ! Wilhelm Busch ist am 15. April 1832 zu Wieden- sahl in Hannover geboren. Ein Onkel, der in Hannover

13

K. Stauber.

92

DIK KUNST UNSERER ZEIT.

Landgeistliclierwar, er- zog ihn zunächst ; Busch sollte Ingenieur werden und besuchte volle vier Jahre die polytechni- sche Schule in Hanno- ver. Dann bekam ihn die Kunst in ihren Bann und er ging auf Aka- demien, nach Düssel- dorf, Antwerpen und München. Ende der fünfziger Jahre der frommen Helene darüber vergesssen muss. Ebenso trat er zu « Braun & Schneider » in Beziehungen und er geht es uns, wenn uns zuerst erzählt wird, wie Meister ist in der fröhlichen Zeitschrift, von der \\ir hier reden, Zwiehl schwer geladen nach Haus wandelt, vor der nicht nur als charmanter Illustrator fremder «Witze» Hausthür in's Regenfass fällt, dort einfriert und morgens

sondern er hat auch

A'. liiiiun.

man ihre Trümmer rauchen der Rest ist nicht mehr zu ge- brauchen ■» , so ist die Konstatirung der Un-

verwendbarkeit des Restes eben so über- wältigend komisch, dass man jedes peinliche Moment im Untergang

hin und wieder thätig gewesen eine ganze Reihe jener köst- lichen Bilderserien mit und ohne Verse geschaffen, die dann auch als selbständige Bilderbogen er- schienen und seinen Namen zu- nächst populär machten. Seine bezeichnendste Liebhaberei ist es von jeher gewesen , das bitterste und verwickeltstc Miss- geschick von Mensch und Thier mit wahrhaft raffinirter Grau- samkeit, aber so naiv und ergötzlich zu erzählen, dass auch nicht das leiseste peinliche Gefühl die Nerven des

Lesers und Beschauers durchbebt. Kein Bilder- bogen, auf dem nicht Je- mand gezwickt, geschnit- ten, geprügelt, gestochen, platt gewalzt oder ver-

S;if ftiUc Tleitr bed '})tänd)enrt ^ommtt<tbcnh4

Sickert.

tot von der zärtlichen Gattin gefunden wird : « Schau,

schau!» sprach sie in Schmerz versunken der gute Zwiehl hat ausgetrunken. » Ohne dies « Schau, schau ! » wäre die Ge- schichte eine Brutalität so ist's ein köstlicher Witz. Aber das ist eben Sache eines Meisters, die Kleinigkeiten zuerrathen, auf die's ankommt. Auf die grossen, breiten Hauptsachen stösst der Mittelmässige auch. Wilhelm Busch's Bildercyclen , die er für die « Fliegenden » geschaffen , « Der hohle Zahn » , « Die Fliege», «Die bösen Buben von Corinth», «Der Frosch und die Enten » , « Der Hahnenkampf» , « Das Rabennest » , . «Der Schnuller», «Die Rache des Elefanten», «Die ge- störte Nachtruhe», «Abenteuer in der Neujahrsnacht », «Die kluge Ratte», «Der zerstreute Rektor», «Müller und Schornsteinfeger» u. A. sind klassisch in ihrer Art, sengt wird, erfriert, ver- so oft später Andere sich im gleichen Genre versuchten, brennt, ertrinkt. Aber nie Er ist wahrhaft unerschöpflich in überraschenden Wend- thut er dem Beschauer ungen , im Ersinnen der complicirtestcn Verwicklungen

der wunderlichsten Verlegenheiten. Bei ihm kommt ein Unglück nie allein. Er hetzt seine Helden durch Dutzende der haarsträubendsten Fatalitäten und nicht selten finden wir sie am Schlüsse im Krankenbett mit ver- durch eine umgeworfene bundenen Köpfen und vcrpflaster- Lampe verkohlt und der ten Gesichtern. Und mit welch' Dichter beklagt das mit drolligem Pathos bringt er als den Worten: «Hier sieht Schlussmoral dann recht banale

weh. Die unübertroffenen Zwei- und Vierzeiler, die er dazu schrieb, thun na- türlich viel dazu. Wenn die « fromme Helene »

K. Slauber,

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

93

Sed (Si^webentSnig« iStit.

SBei ßüjni im gelte um (äräben unb SBoU SBaS jagt ifit, benjäl)vtc ©cftaaten?

IEJ08 1ct)it>eigt. (Sefc^üf- ans SJüc^jenfnall? Stuimlüirbel unb Saiiioren?

9Iiif Südens StroSc bur(5'l SomufgetoJ, Surd) y3üd)icn= uiib üanjengcnjimmel

Gie^t mou gaUppircn lebig unb loS "Sei Simti blutigen (Sc^immeU

Slufbvauft nie HieertäiticKenton : „Set Sönig ift tobt! bcr König !"

Bon SJQiaillon ju SBatoiUon: „auf! ouil unb rädiet ben Sbnig:"

Sodl ^ält fte beä SaUeä cntfejiitfi (Sewii^t SKo(f) feft gebonnt in ben ?ieif|en

So griebloiib unb SßiccDlomini fic^l Sonn blinbe äSut^ nic^t gebti^e»

Weisheit vor, wie kostbar markirt der Schalk in ihm den getreuen Eckart, der Jung und Alt warnt vor dem Abgehen vom Pfade der Tugend. Und was er für ein feiner Psychologe ist in seinen derbsten Bilder- possen ! Wer sein viel zu wenig verbreitetes Gedicht- bändchen « Kritik des Herzens » kennt, wird sich darüber freilich nicht wundern. In geistreicherer Form ist eine Kritik des Herzens auch noch kaum jemals geschrieben worden und er leiht ebenso den starken Leidenschaften mächtigen Ausdruck, als er die kleinen Schwächen und Unzulänglichkeiten, deren Summe das ausmacht, was wir so im Allgemeinen bei den Leuten ihren Charakter nennen, zu zeichnen weiss.

Was Busch ausserhalb des Rahmens der «Fliegenden» geschaffen , ist bekannt und wirkt heute noch mit un- verminderter Frische. Man kann die lustigen Büchlein

lesen, bis man sie auswendig weiss und auch dann noch weiter: «Die fromme Helene», «Die Knopptrilogie«, den «Pater Filuzius», den «Hl. Antonius von Padua», den «Geburtstag», den «Haarbeutel», «Max und Moritz», «Dideldum», « Balduin Bählamm, der verhinderte Dichter >: , « Maler Klecksel », « Schnurrdiburr » , «Fips, der Affe», « Plisch und Plum » , « Bilder zur Job- siade » u. s. w. Wie vieler Menschen gesellschaftlicher Humor zehrt von diesen Heften , wie Vieles daraus ist sprich- wörtlich geworden, zu wie viel drol- liger Anwendung hat das Alles Stoff gegeben. Auf Künstlerfesten und Mas- kenbällen haben wir seine Gestalten wiedergesehen , « Max und Moritz » ist ganz wundernett in Musik gesetzt worden und unzählbar sind die Buschimitationen ; im gelblichen Umschlag mit dem schwarz rothen Druck gleichen sie den Ur- bildern immer auf's Haar. Wer aber auf den Umschlag hereingefallen ist und weiter blättert, wird meistens bös ent- täuscht. Auch in fremde Sprachen ist unser Dichterhumorist übertragen wor- den — aber wer kann die ursprüng- liche Frische von Wilhelm Busch's Versen übersetzen ! Es wurde gesagt , Busch und Oberländer seien Sonderlinge, Sie sind es sicher insoferne, als der Humor, der aus ihren Werken spricht, ihrem persönlichen Wesen absolut fremd ist, als beide die frohe Kunst, mit der sie so viel Hunderttausende ergötzen , innerlich doch nicht als eine ganz würdige Beschäftigung ansehen, und im Grunde an dem unbefriedigten Sehnen nach Idealen kranken, die ihr Beruf nicht kennt. Dass Humoristen aller Branchen sehr, sehr oft recht ernsthafte, grämliche Menschen sein können, ist bekannt. So mancher Komiker der Bühne enttäuscht im Leben Jeden, der ihn kennen lernt, als missmuthiger und einsilbiger Mensch, der sich seinen Witz geizig für den Abend spart und das Lachen ist wie weggeblasen, sobald er aus dem Lampen- licht hinter die Coulisse tritt. Wilhelm Busch lebt heute und zwar schon seit Langem einsam in seinem Geburtsort

W. Dil

13*

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

UKaflrr SJprwürtd iiitb fein ^ciiiib 3i$ii(|li;ulier.

Sjaftlöu^rt; .0(1, lodrfjtr 3((iift;l)iim, ton* fnQ bo! oitielStlb!" 5Wr. >JJonoQrl4 : „(Sf^orl 31af* 5lf)iitn, mein Srfiinl) ; 31)r ÖJdoinn bfi brt WimefKiii'Spipfnljrimfr ibobii." aaüfjllfubtr : „gjitin ©eminii tti b€c «iKriflcm. i3*i^(ii^fiiit(r Soljn? Die trjl im "Droird iinb toofai i4 erft jmti Hnitel atfcftririitd !'— 3Jtr. gjocmärt«: .*B(i^, Sic lob n'nlhd) lübtfnb iinl^iilbig.' 5)i( Qklcniiftflfl bm €« füt ib« 3»"*« "ifloflitl iitibl wa^r* Si» HjiflEn bn«. JOt* lantt ab» Stmonb far ein ^atibnnl'^ntmflr I^ätig fiiii, tbrnn ti ni4l« babon bot, ba« Irrig bif &r\rill6ta\t a\i^. EfKO mnitt fte fäi 6i( tlluel lt)un. Q^a nun ab«[ bic Otjrlll^afl, tcfp bie Spi^n ber{(Ibfn, nirclibbi aui tigencn SRillfln Ibul, lo mug bn üonini unlaiti unb bo« ifl bie ^o\talaiiit brt fltiommun $ubli!um( bfll ibrigc tbun. Qkbfn @it nc^l ! Vii 3"<4n"ng bfr Utiitn mürben &it biiT4 bra Xirctlor SRqrrbcnbain mit {fbntnulenb 2bitlrnt b<lb<iliil.- fflJilbnbtc: .Od) ~ mit |ilitil«n|enb lljoUtn? itt, bet i4 niibl Ob« fünf ISoltt ju bilboniint iwtßl" OTr. SJotmärt«; .Cailfn Sie tiiitb OUSrtben ! dl ntnrbtn für 6i( ((bntouftnb I^ttl« afjeitliitet 3brt «EliW, loreie bie unfttei otibtreu Stfnnbt, trieben bie Hflien bnlb auf 110 unb ber bumme flroöe Raufen taufte ficft kuun. «un foniml ba« einfodjt flute ©rii^üit, luo« Sie gtmai^t Ijnben, mein Srfunb 3bre Hftien icurben ju 110 betfoiitl unb voll* bie «^rlidt uetbiente l)iHtreni con toufmb Iba'ren. St^en 6ie, lieber SJübl^uber, ta« ip eine luobnne «itrrttnnung für cttuitfene "Birnflf, bie brn uitbt etTÖt&en madjt. bet Sie annimml, unb beut ni(^tl foflet, itv |i( flibt.'

K. Brau IL

Wiedensahl bei seinen Angehörigen, züchtet Bienen eine alte Liebhaberei und soll Heiligenbilder malen. Ich habe keines davon gesehen. Was er im Dienste des « heiligen Lachens » geschaffen , genügt mir und wird auch genügen, seinen Namen spätem Geschlechtern lieb und werth zu machen.

Adolf Oberländer verkörpert in seiner Eigenart so recht auch die Eigenart des Blattes, für das er aus- schliesslich lebt, der «Fliegenden Blätter». Seit Langem hat er nur für sie gearbeitet und eine Nummer der- selben, die keinen Ober-

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Walor (fleifll vom Vicibe unb tritt itintft ben tn (!*elt*tlUi< Pfbtnben Süeutenonl) .30. ?wrr äteutenont, mo* UV tdt benn ba It««- ber iür oiit Sdjlamperei? Da» nifnn ber &ert Dberfl fie4l, *«S bei «noff Ott irfl angfn^^t «ft. bo paRru Sit aui. itia» 3^e je^dfte^l'

W. Die:.

länder bringt, gilt bei- nahe als keine ganze Nummer. Es müssen jetzt so an dreissig Jahre sein, dass er die erste Zeich- nung zu Caspar Braun ge- tragen, mit den ersten Ver- suchen schon seine Eigen- thümlichkeit bestimmt be- kündend. Er hat seine Art nie verändert , nur welter entwickelt und wer die Bände des « Oberlän- der - Albums » , das seine brillantesten Schöpfungen enthält, durchblättert, kann sich seinen ganzen künst-

lerischen Lebens- gang vor Augen stellen.

Oberländer ist ein Bayer, 1845 zu Re- gensburg geboren. Schon in seinem zweiten Jahre kam er mit den Eltern nach München , wurde zunächst dem kauf- männischen Stande bestimmt , wandte aber seine Neigung der Kunst zu. Auf der Münchener Akademie hat er unter Piloty studirt und man sagt, die Historienmalerei sei noch heute seine stille Liebe. Im Uebrigen hat er sich von der ernsten Kunst bald zu der heitern bekehrt, in deren Reich er ein Fürst geworden ist, ein Meister. Oberländer ist ein Carica- turenzeichner, der durch Wahrheit wirkt ; es ist natürlich eine relative Wahrheit, die sich nicht an das Gesehene halten kann, aber über das Maass des Denkbaren auch nicht leicht hinausgeht. Das ist seine grösste Kunst, die Charakteristik an die äusserste Grenze der Natur zu treiben, diese aber nur um so viel höchstens zu über- schreiten, als zu den Forderungen des Humors gehört. Er dreht die Menschen nicht zu Korkziehern zusammen, wie der übermüthige Busch, er lässt Löwen und Tiger

verdriessliche und ver- gnügte Gesichter schnei- den, ohne aus den Ungeheuern zoologische Ungeheuerlichkeiten zu machen. Seine Charakter- köpfe könnten fast durch- weg Porträts sein, er zeichnet Individuen und keine Typen. Darum ist er immer neu und darum unterscheidet er sich auch so himmelweit von an- deren humoristischen Illu- stratoren. Dass Ober- länder kein fruchtbarer Erfinder ist, thut seinem Werth keinen Abbruch,

^n nnrnfiTfe Vantv,

Vnttntanti ,Sbti, SRaifTbauer. ii^ bdtt' 34m mtbr V^lung eor b<m SttntU titgttratit, tli kt| Cr unnlirt

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VbHtt .Qun dlnabrn (err Hnttmann. f4au nl, tbit iA bon j ^sal tan bin. b«b' i4 "if tAbn bom 0ab<f teit Qart abnt^mfR lafltn oQiin. erlauben i bcttitfa'ti*. idi tann tnirfliib nij bafti aber idt 1)ab' liall \o lang b'rani tcaitrit müfjen. bi< tc^ bortomnitn bin. bag it mir uRIrrbelien tBiebrr g'tM(f)t(n ift!'

K. Braun,

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

95

E. nie (in der Manier des P. v. Cornelius'.

denn dafür ist er ein beispiellos geistreicher Conimen- tator seiner Zeit. Er ist das auch nicht zufällig, son- dern aus bewusstem Beruf, er hat diese Auffassung von seinem Metier und diese Auffassung offenbart sich in dem künstlerischen Ernste, mit dem er seine Arbeit thut. Ich weiss nicht, ob er schnell oder langsam arbeitet, jedenfalls aber geht er gewissenhaft zu Werke und strebt immer die denkbar höchste zeichnerische Correktheit an. Ein Abklatsch der Wirklichkeit kann eine Caricatur ja nie sein aber organisch ist eine Caricatur Oberländer's immer und das bestimmt eben die Grenze der in der Caricatur erreichbaren Wahrheit. Oberländer hat wohl seine künstlerischen Speziali- täten, das heisst Besonderheiten, in denen es ihm Keiner gleich thut, wie in der Thiercaricatur aber er ist nicht, wie die grosse Mehrzahl seiner Berufsgenossen

Specialist für irgend ein ausschliessliches Stoffgebiet. Im Gegentheil , er ist universell wie kaum ein Anderer. Keine Menschenclasse, deren Vertreter er nicht schon durchgehechelt hätte, solche von den Höhen und solche aus den Tiefen. Er schildert den Vagabunden, der die Strassen unsicher macht und auf Gottes weiter Welt nichts ist, als ein Zeitgenosse , den Gauner , der darüber philosophirt, wie zwecklos es von den Richtern war, ihm die « bürgerlichen Ehrenrechte » zuzusprechen, mit denen er doch nichts zu thun weiss. Er schildert mit ganz besonderer Passion die feisten Protzen mit ringgeschmückten Fingern und dicken Uhrketten, wie sie auf dem Maskenball sich langweilen und Champagner dazu trinken , damit sich « die armen Schlucker recht ärgern » , oder wie sie sonst das Sprüchwort von « Dummheit und Stolz » bethätigen. Studenten bei lustigen Streichen oder in bierduseliger VersumJDfung, Bureaukraten , Gigerln, Ellenreiter, die von Pomade glänzen , dumme , pfiffige und dummpfiffige Bauern, junge Hausfrauen, die hilflos vor den Bürden ihres neuen Amtes stehen. «Tragen Sie den Häring sofort wieder zurück zum Kaufmann ! Sehen Sie denn nicht, dass er schielt?» Höhere Töchter und Emancipirte, Hausknechte, Börsianer, Schulmeister, Juden und die Clerisei nichts Menschliches ist ihm fremd! Die Lieutenantsgestalten, die er geschaffen hat, sind gewiss die gelungensten , die jemals in den « Fliegenden » zu finden waren,

trotzdem An- dere vielleicht den Stoff mit mehr « Schnei- digkeit » und

Chic an- fassten. Adolf

Oberländer's Lieutenant, der sich zum er- sten Mal der

staunenden Erde im Inte- rimsrock zeigt

im wunder- schönen Monat

Mai ich glaube, im Mai

Sola SommetlicS 1866.

ficijn, Siblbuni juf)c! Jjcl) bengtc meine Senfe; ©d)«ict nic^t: „»(^ uiib SScf|!" S((ä inie bic ®än(c!

W. Dill.

96

UIE KUNST UNSERER ZEIT.

^cr fiirjfiditigc 3uf|*ehioii^offiji(r.

„SSoi^traeiflcr, loovum fttljt bet «Kann fo traurig ba ?"

/•'. Ixissow.

1886 wurden für die bayerischen Offiziere die Interims- röcke eingeführt , ist mehr als nur ein flotter Sol- datentypus, er ist eine ganze Analyse der Lieutenants- seelc, so voll beneidenswerther Selbstgefälligkeit und gutmüthiger Herablassung, dass er wohl auch solche zur Heiterkeit gezwungen hat , denen er vielleicht zu- fällig ähnlich sah. Und wie harmlos liebenswürdig ist dabei seine Persiflage, so gar nicht verletzend, während

JStXantllti ttt Kmittt ttt tii\)ttiHt» ieiU Ui itt NaAtt<6t ibr« W^leffmt» SSnt^tittta.

CSfKAld c»n 3fb 3aboii.(b. eAürn kt» M. 9ii fV» rntnwt.

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S3on butibrnntuniinbbtti^ig Wann.

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Andere, welche die klirrenden Gardehalbgötter karikiren, doch oft auch eine kleinere oder grössere Dosis Klassen- hass in ihre Arbeit mischen!

Die « heimlichen Randzeichnungen aus dem Schreib- hefte des kleinen Moritz » gehören nicht minder zu Oberländer'« berühmtesten Schöpfungen. Wie köstlich illustrirt der freche lustige Schlingel das Schul-, Schul- jungen- und Schulmeisterleben, wie weiss er mit seinen unbehilflichen , kindischen Strichen doch so unfehlbar scharf das Bezeichnende zu treffen ! Viel Talent hat er, der kleine Moritz wenn er so fortzeichnet, wird er einmal ein grosser Oberländer! Auch der grösseren « Compositionen » des Künstlers sei hier nicht vergessen, ganzseitiger Zeichnungen mit vielen Figuren , in denen

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er komische Situationen aller Art beschreibt mit ebenso grosser Mannigfaltigkeit der Charakteristik als über- raschend feinem Sinn für Bewegung. Es seien nur einige genannt : sein « Concerlbildhauer ■» , die entzückende Bilderserie vom «Viehmarkt in Timbuktu», «Das Volk steht auf, der Sturm bricht los», «Resultatlose Volks- versammlung», «Die erste Bildersendung in Kamerun», « Kritikers Traum » , « Der Riesenpatentventilator » , « Der Impfzwang in Kamerun » u. s. f. ! Und Oberländer's Thierzeichnungen ! Seine Löwen sind fabelhaft ! So der « Stossseufzer aus Afrika» eine hungrig lauernde Löwenfamilie mit der Unterschrift : «Herrgott noch ein-

Sickerl.

DIE KUNST UNSERER ZEIT,

97

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mal, schon bald halb zwölf Uhr und noch kein Neger!» Elefanten und Flusspferde, Giraffen, Vielhufer aller Art, Hunde, Schweine, Vögel, ja selbst prähistorisches Saurier- gesindel , das hat er Alles oft gezeichnet und mit so drolliger Mimik ausgestattet, dass sich jede «mensch- liche » Empfindung in ihren Mienen malt und doch ein verhältnissmässig sogar noch hoher Grad realistischer Schilderung des Thieres gewahrt bleibt. Sie lachen und weinen, sie sind übellaunig, sehnsüchtig, dumm, schlau , schläfrig oder boshaft und doch ist jeder Strich naturgeschichtlich möglich.

Damit ist Adolf Oberländer's künstlerisches Ver- mögen noch nicht erschöpft. Er zieht sogar die Land- schaft in den Bereich der Caricatur, er hat, wie erwähnt, «ine meisterliche Serie « Der Kuss » nach Manieren berühmter moderner Maler gefertigt, ein förmliches culturgeschichtliches Essay « Alt-Athen und Isar-Athen » gar geistreich gezeichnet und noch so Vieles Andere,

was hier nicht aufgezählt werden kann.

Oberländer's Ruf geht, nicht nur durch die Ver- breitung der « Fliegenden Blätter » allein, weit über die Grenzen des deutschen Vater- landes hinaus und namentlich die Franzosen schätzen ihn hoch ja unter der kleinen

Gruppe der deutschen Künstler, die 1889 gelegent- lich der Pariser Weltaus- stellung auf dem Marsfelde vertreten war, hat er mit seinen Zeichnungen erin- nere ich mich recht, so war der « Viehmarkt von Tim- buktu » darunter fast das meiste Aufsehen gemacht. Eine Medaille freilich trug's ihm nicht ein der stille, verschlossene Künstler war nicht der Mann, bei einer solchen Gelegenheit für sich etwas herauszuschlagen und in der Kunst gehört leider w. Busch. in solchen Dingen das Klap-

pern eben auch zum Hand- werk. Münchens Künstlerschaft schätzt ihn als einen ihrer Besten; der «Oberländer- Abend » der «Allotria», die seine 25jährige Thätigkeit bei den «Fliegenden» feierte, steht nicht

nur auf dem Ehrcnblatt in der Chronik dieses fröhlichsten aller K ünstler- Vereine, er wird auch wohl von dem stillen Adolf Oberländer selbst zu den schönsten Augen- blicken seines an glänzenden Erfol- gen reichen Le- bens gezählt.

Set ttngc Scöfo(fcrmeifter.

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F. SUub.

98

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

DoUera §örnertlaiig

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„Öercill mit SiCflCÖfailß!" bewegt sich auf dem Boden des

fcpgrli^ Dem Ijcimhtljrciiilcn boijtrifdjcii Kfutt- Alltagslebens, aus dem er eine

grosse Zahl sehr charakteristi- scher, lebensvoller Gestalten fest- gehalten hat. Am Geschätztes- ten sind seine grotesken Mode- bilder, meist seiner eigenen Idee entsprungen; er pflegt darin mit viel Humor und Phantasie das Mögliche und Unmögliche aus den entlegensten Gebieten zu Motiven für stilvolle Toiletten, Frisuren und Damenhüte zu ver- wenden und mancher seiner Ein- fälle mag schon zu fröhlichen Gelegenheiten in die Wirklich- keit umgesetzt worden sein.

Ausser Wilhelm Diez haben noch zwei andere hervorragende Pferde- und Soldatenmaler am Werke der « Fliegenden Blätter» Theil: in früheren Jahren Theo - Th. Horschtit. dor H o r s ch clt (geboren 1829, In früheren Jahren hat mit Bechstein und Stauber gestorben 1871) und nach ihm Ludwig v. Nagel, zu den fruchtbarsten Mitarbeitern unseres Blattes auch dem auch heute noch, was Charakteristik und Individua- Emanuel Spitzer gehört, der mit sehr bezeichnenden lisirung der Pferde betrifft, kein anderer deutsciier und malerisch gehaltenen Bildern zahllose Witze, Nove- Zeichner das Wasser reicht. Der früh verstorbene letten u. s. w. illustrirt hat. Spitzer ist weiteren Kreisen Horschelt war ein genial angelegter Künstler, schöpferisch auch als anziehender, an guten Einfällen reicher Genre- bis zum Unglaublichen, maier bekannt, der sich das Leben unserer Backfischchen ein Mann , der alle zeich- zur besonderen Domäne seiner Kunst gestaltete. Durch nerischen Schwierigkeiten Reproduktionen sehr verbreitet ist sein humorvolles spielend und mit unendlicher Familienbild « Mama hat's Tanzen erlaubt » ; das Gleiche Leichtigkeit des Striches gilt von seinen lustigen Scenen aus der Töchterschule und temperamentvollem Vor- und aus Mädchenpensionaten , wobei sich's stets um trag bewältigte. Er ist viel lustigen Schabernack handelt , den die Dämchen ihren im Osten gereist und hat gestrengen Lehrerinnen und Directricen anthun. In das Leben der Völker, die jüngster Zeit hat E. Spitzer für den Verlag der « Kunst ' auf dem Rücken der Pferde » unserer Zeits die amüsanten Zeichnungen zu dem Pracht

ein volles Dritttheil vom Glück der Erde suchen und finden, in ungezählten Zeich-

werke «Eva's Töchter» gefertigt. Auch Ludwig

Bechstein zählt zu den Veteranen der «Fliegenden

Blätter» und hat ungefähr die respektable Anzahl von nungengeschildert, war selbst

5000 Zeichnungen für sie fertig gestellt. Bechstein ein leidenschaftlicher Reiter

ist der Sohn des in der deutschen F"amilie so wohl und hat grosse Reisen im

gekannten Märchendichters, aber er selbst hat durch- Sattel ausgeführt, auch orien-

aus keine Neigung zur Romantik und seine Kunst talische Kriege mitgemacht.

A. Obtrländn.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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/•;. iiu. Von seinen Schilderungen dieses wilden Lebens schaute ; denn ein paar Monate, bevor die bayerischen ist in den «Fliegenden» mancherlei zu finden, was Truppen, den deutschen Kronprinzen, « unsern Fritz ;. sein Wesen trefflich illustrirt. Eines seiner präch- an der Spitze, durch's Münchener Siegesthor einmar- tigsten Bilder aber ist der Truppeneinzug in München, schirten, ist Horschelt (am 3. April 1871) in München den er freilich nur mit den Augen der Phantasie er- gestorben. Das Bild erschien, den Ereignissen vor-

14

100

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

auseilend, noch im gleichen Monate in den «Fliegen- den», es ist Theodor Horschelt's letzte Arbeit gewesen. Die kurze Dauer seiner Künstlerlauiliahn ist um so mehr zu beklagen, als die Pferdemalerei, das Ver- ständniss der Künstler für Pferde immer mehr nieder- geht — selbst in England, dem Mutterland des Pferde- sports, haben sie auf diesem Gebiete nur wenige her- vorragende Kräfte, und z. B. die Ehre, die ersten Pferde- grössen , Derbysieger u. s. w. im Bilde der Nachwelt zu erhalten, wird meist einem Deutschen, dem in München lebenden Emil Adam. Ein Pferdekenner, Pferdepsycholog und Pferdehumorist ohne Gleichen ist, wie gesagt, Ludwig v. Nagel. Er ist wie Horschelt, eine Ausnahme von der Regel, dass Leute, die reiten können , nicht zu zeichnen verstehen und Leute , die Letzteres thun können, das Erstere nicht los haben. Nagel war von jeher ein Reitersmann in jeder Faser seines Wesens, einer von Denen, die an keinem Pferde, und wäre es der abgetriebenste Sandführergaul, vorüber- gehen können , ohne auf irgend Etwas aufmerksam zu werden, ohne irgend Etwas zu lernen, und er hat darum auch ein Gedächtniss für hippologische Erscheinungen, das an's Fabelhafte grenzt. Dabei versteht er vom Reiter so viel als vom Pferde selbst und seine vielen Sport- und Reitercaricaturen wird wohl nur der voll zu würdigen wissen, der auf diesem Gebiete selbst etwas beschlagen ist. Es genügt ihm nicht, einen Mann leid- lich richtig auf das betreffende Pferd zu setzen, sondern der Mann kommt bestimmt so auf's Pferd, wie er seiner und des Pferdes besonderer Eigenart nach unter den besonderen Umständen, die vorausgesetzt sind, im Sattel sitzen muss. In gleicher Weise versteht der Künstler auch dem Verhältniss des Kutschers zum Wagenpferde Ausdruck zu geben , er kennt alle Fehler und alle Unarten, alle Launen und Charaktereigenschaften, Rassen- und Dressurunterschiede der Pferde, und weiss, ohne je zur übertreibenden Caricatur überzugehen , ihre Empfind- ungen meisterlich mit sicheren Strichen festzuhalten. Welche Liebe zur Sache, welches Studium, welches unaus- gesetzte Beobachten dazu gehört, um das zu erreichen, wird sich der gewöhnliche « Beobachter » , dem das Pferd eben nur ein vierbeiniges Thier mit Schweif und Mähne ist, schwerlich vorstellen können. Ludwig v. Nagel's zweite künstlerische Specialität ist das Soldatenleben. Er war ja selbst lange Jahre Soldat im bayerischen Heere, Kürassier und Chevauxleger und hat die beiden

letzten Feldzüge 1866 und 1870—71 mitgemacht. Gerade als Soldat erprobte er zuerst im Jahre 1861 sein grosses Talent für das Hippologische und gab «Skizzen für Reiter» heraus, welche die lehrreichste An- schaulichkeit mit der grössten kün.stlerischen Korrekt- heit verbanden und geradezu Epoche machten. Sie lenkten auch Ernest Meissonier's Aufmerksamkeit auf den künstlerisch angelegten Reitersmann, der damals in Landshut Kürassier war und der grosse Franzose hätte den bayerischen Lieutenant gern zum Schüler

F. Slmb.

genommen später ist der grosse Franzose be- kanntlich ein kleiner Chauvin geworden und hat wohl keinen deutschen Cavalleristen mehr in sein Atelier eingeladen.

Das Soldatenleben und insonderheit das bei denen von der Cavallerie hat Ludwig v. Nagel, der heute nicht mehr in aktivem Dienst ist, aber auch von militärischer Seite als Pferdeverständiger vielfach zu Rathe gezogen wird, zeichnerisch in allen seinen Details geschildert, mit köstlichem Realismus geschildert, der sogar manchen standesstolzen Mann hie und da verschnupft haben mag.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Aber Nagel sieht eben auch im Soldaten als echter Künstler nicht die Exerziermaschine, sondern das Indi- viduum, den Menschen und man sieht bekanntlich die Menschen , besonders wenn sie zu Pferde sitzen , oft recht menschlich, selbst wenn sie's bis zum Stabs- offiziersrang gebracht haben. Ob er nun Typen aus der Reitschule, aus den Manövern oder vom Exerzierplatz

nur Arbeiten Anderer dagegen zu halten und man wird sehen, wie sehr die meisten Anderen verallgemeinern und sich mit Schablonen helfen. Sein Humor ist von liebenswürdigster und fröhlichster Art, und wer Gelegen- heit hatte, an anderer Stelle Porträtcaricaturen und ähnliche Produkte seines Stifts aus frohen Stunden zu sehen, der weiss, wie vielseitig diese humoristische Be-

lEöiHliOuf

bringt, immer ist er gleich echt, gleich humoristisch und gleich exakt exakt bis auf die letzte Schnalle am Kopfzeug des Gauls. Sonntagsreiter , Pferdejuden, Pferdeschinder hat er natürlich mit gleicher Kunst in zahllosen Varianten abconterfeit wie die dreijährig unfrei- willigen und die einjährig freiwilligen Centauren Seiner Majestät. Um zu erkennen, wie originell und wie wahr Nagel in seinen Pferdezeichnungen ist, braucht man

gabung thätig ist. Ein bei Braun & Schneider erschienenes « Nagel- Album j bringt in i6i Bildern einen Theil der besten Beiträge des Künstlers für die Münchener Bilder- bogen und die « F"liegenden Blätter».

Wie auch auf manchem anderen Gebiete Missstände und Auswüchse am schnellsten dadurch zur Beseitigung kommen, dass der frische Luftzug der Oeffenthchkeit d'rüber hinstreicht, so hat auch in militärischen Dingen

14*

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Kenini:

Ittanim, wcini mij-'s flm da^ tjclang, '•^■^ Jl^il T>ir. nipi" tipb, in fcfcn, träum' id) oft gansc nä*to lang Don nldlls, als mißfii HojiMi ?

!ln^ ffll' i^^) irilbi- Jlolcn an, ITo idl am Cai}^ afbc, iPic romtnl CS, IHäM'cn, bai idl fann tie Xlaim im Craum T>id> Wie P

Nagel's satirischer Stift wohl schon manchen Unfug aus der Welt geschafft. Wenigstens sagte ihm einst ein hoher Militär, Nagel's Soldatenbilder in den «c Fliegenden t> hätten ihm in Sachen von

Modeextravaganzen schon oft ein Reskript gespart. Wenn irgend eine von jenen Thor- heiten , welche die Uniformschneider zum Besten ihrer Kasse er- finden, allzu bunt in's Kraut schiesse, dann bringe sie der Künstler schon in die « Fliegen- den » und eine solche

H. Schneider.

Fest-Nagelung verfehle ihre Wirkung nie.

Seit bald 30 Jahren hat auch Hermann Schneider, der jüngere Bruder des jetzigen Verlegers mitgezeichnet an den Illustrationen des Centralorgans für deutschen Humor, bald fröhlich Witze illustrirend, bald romantische Compositionen, zierliche Vignetten und Anderes beitragend. Schöne Frauengestalten, Mädchen mit dunklen schwärme- rischen Augen, stellt er besonders gerne dar, wie er auch als Maler der Frauenschönheit fast in jedem Bilde seine Huldigung zu bringen pflegt. Einige seiner schönsten Arbeiten hat Hermann Schneider als Begleitbilder zu romantischen Dichtungen geliefert, reizend und ausser- ordentlich charakteristisch ist eine Serie kleiner zeich- nerischer Momentaufnahmen: «Der Ball». Er hat als Historienmaler einen weithin geschätzten Namen und seine Bilder sind in den letzten Jahren meist auf der Staffelei schon Eigenthum verschiedener Kunstfreunde, ■die sich an seiner heiteren Schönheitsfreude, an der warmblütigen Lebendigkeit seiner Darstellungen aus dem klassischen Alterthum begeistern. Hermann Schneider ist 1846 zu München geboren, war von 1866 1867 bei Piloty und hielt sich dann lange in Italien auf. Zunächst schuf er nach seiner Rückkehr mehrere Historienbilder grossen Stils, Costümbilder schöner Frauen u. s. w. Im letzten Dezennium hat er sich mit besonderer Vorliebe

£0« Stiel.

althellenischem und römischem Leben zugewandt und aus diesem Felde sprossten wohl auch die feinsten und originellsten Blüthen seiner Kunst, «Tanzstunden im Bacchustempel», «Frühlingsfest», « Die Nachtigall » und vieles Andere. Die ausserordentlich künstlerische Weit- sichtigkeit, welche die Leitung der «Fliegenden Blätter» heute auszeichnet, welche das absolut Moderne neben dem behäbigen Alten frei sich entfalten lässt, sofern es nur gut ist, mag nicht zum geringen Theile sein Ver- dienst sein. Er steht und das ist heute in München eine Seltenheit allem künstlerischen Parteiwesen ferne und sucht und findet das Gute, wo es eben zu suchen und zu finden ist. In den allerletzten Jahren liegt eine so schwere redaktionelle Bürde auf Hermann Schneider's Schultern , dass er als Maler fast nur mehr in Musse- stunden zum Schaffen kommt in dem prächtigen Atelier, das ihm im Neu- bau hinter dem Schiller-Denkmal an der Brienner- strasse errichtet

ist. Hermann Schneider geht als Maler, weder von Traditionen, noch von moder- nen Schlagwör- tern beirrt, ruhig seine Wege , er hält auf Compo- sition und strenge Zeichnung, ohne ein Akademiker zu sein, er malt ja sogar mit besonderer Vor- liebe — hell, oft weiss auf weiss und ist nichts we- niger als ein dog- matischer Pleinai- rist. Jedes junge Talent, das sich mit Erstlingsar- beiten den « Flie- genden » naht, hat

>)!id)l unter ©leiiigtroörboi, bi« ©olltS 2i(f»( wrbtrgtn, "Rii^t in bt« ®omt4 flttujjang, umringt ooil Seii^cnjärgtn, Unb mo mit ^runtgtroänbtrn jui Si^au bit 5)ltng< jit^l, OuiUt auä btä ^trjtnä Sitftn Stau«, üti, 9tM. Dort, reo bur(^ Suditntrontn unb bur(^ bit 5<Uifl'n ßii^n (S)t6fimni6i!Dn bit Süftt mit lel|en aflügtln firtic^tn, fflo ouä ben SJIiitStnöfitn btr Sang btr S85gt( MaBt, Eorl i(l tä, 100 idj btit mtin Zmpti i(i in 2Salb. Do ^audjt'ä btr Siebtn 1Uf)t, ba tonn ii) 0ott fugrtifoi, ffltnn meint Itunt'ntn Slittt imi) (tine Serfe [Irtifen. 2)0 bot' \ii (eine ÜBorle, ba It(' ic^ (eint S*riftcn ■Jluj buntgefe^müdlet gibt unb in ben blouen üüften; Sa (le^t fein gto^et %tmpt\ auf unfii^tbartn SSultn, 3)0 borf ^n 61|rifl, btr ^eib, btr lürf unb 3ub< UKihn» 35a bütjtn aUe bettti, menn'» nur im Jietjtn flommt, 33tmi an« ÜKtnjöJen fflotec übt |elb|i boS ^>ii«(tetaiiit

.'. Waller.

l'iioi. V. Uuiif.taeugl, .Müntlien.

Wilhelm Busch.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

103

ll»fr«|f.

®cv crgebcn[t Uiilftieic^nele tvlüubl jid) au bie ifitbaction fcft Sücgenbcn SlalUr mit bet 2*i(te *ju loenben , i^m genau bie ©CQfnb bcjfirfjntu ju loollcn, wo fu^ bic tolD[(alen 5Säunic fctfinbcn, bic iu bet legten ^iummer ber Sliegcnbcn Slrttter (ju fcm ®tbi((|te : „S)aä ©ebel") nlijebilbel roartn.

^?etcr Sertrümmetlf, ^olj^Gnbler au^ ^11 b^oljingtn.

F. Simb.

in ihm einen wohlwol- lenden Förderer, und wenn es sich als echt erwies und die Erfolge kamen, einen offenen, neid- und rückhalts- losen Bewunderer ge- funden. Auf's Jahr so alt wie er ist Edmund Harburger und hat wohl ungefähr ebenso lange dem gleichen Werke seine Kraft ge- weiht. Er hatte sich zuerst dem Baufach ge- widmet und erst im 20. Jahre, zunächst unter der Leitung W. Lindenschmit's der Malerei. Die alten Niederländer Kleinmaler haben es ihm besonders ange- than; auch er malt in gleicher Art wie sie fast aus- schliesslich Kneipenscenen oder Darstellungen aus dem Leben kleiner Leute. Eine eminente Zartheit und Ge- schicklichkeit der Mache, welche den « Reiz der Tafel » jedem Geviertzoll seiner Bildchen wahrt, zeichnet ihn aus, zeichnerische Sicherheit und charakterisirende Kraft, die ihres Gleichen suchen. Diese nie fehlende Sicherheit und Kraft der Charakteristik sind in hervorragendem Masse den zahllosen Illustrationen eigen, die er für die «Fliegenden Blätter» beigesteuert hat. Auch von ihm kann man behaupten, was von den Arbeiten W. Diez' gesagt wurde, jede ist ein Kunstwerk, ein Bild für sich, auch ohne die beigedruckte lustige Erläuterung. Denn er hat uns über

pathisch ist dabei seine Bleistiftmanier, die von den Holzschneidern der «Fliegenden .Blätter» ganz über- raschend treu nachgebildet wird ! Heute, seit Diez nicht mehr mitthut, sind seine Beiträge fast die malerischsten in diesen Spalten, jedenfalls aber die, deren malerischer Werth von den meisten Beschau- ern voll verstan- den wird. Feucht- fröhlicheBacchus- knechte von jeden möglichen Schat- tirungen zeichnet er am Liebsten und an Stoff dazu hat es ihm auch nie gefehlt, denn im Banne des Al- kohols liefert der Mensch bekannt- lich die allermei- sten unfreiwilli- gen Beiträge für die « Fliegenden » und die Witz- blätter anderen Schlages. Für Einen, der seine

Modelle so scharf auf's Korn zu nehmen versteht, wie Edmund Harburger, ist dies Specialfach an Anregung ein- fach unerschöpf-

die Menschen, die er darstellt, soviel zu sagen, er trifft fast immer damit irgend ein be- denkliches Stück Menschlichkeit.so zum Sprechen ge- nau, dass uns das für sich allein hin- reichend unter- hält. Und wie ma- lerisch und sym-

Stltint Sliffertnj.

W^'

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■^Sittbtlionblet: „JßiHfl Tu ein ~iM«!> loufen, Bouet?" - Sauer: „3o, '' mä<tl>' iitii) o' ^ot (latl'ii." <D|<ibe4änblti: .Sit oiel luiUfl 3)u 'Eit'3 tofteu laffen?" Säauer: „ijünj I^aler füv'ä ©türt!" -- '(Jfetbe^oilblet: .30ei61 2)' looä, SBauii, leg' wcd) einen XfyAtr b'rnuj mäj^ia ttiegj S' iod) gleid) roaä otbfntli(^eä!"

lieh. Da stellt er uns den Lumpen vor, der behaup- tet, seinen Feind, den Alkohol, nur deshalb zu lieben, weil das Christen- thum die Liebe der Feinde nun einmal gebeut, da lässt er uns die Choleriker, die Phlegmatiker, die

104

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

3n tcc «BititoKe.

Sanguiniker und die Melancholiker des Fusels, des Weins,

oder des Bieres sehen ; der trunk-

feste Musensohn, dessen ganzes Tag- werkein prolongirter Frühschoppen ist, wird mit gewisser Vorliebe aufgezeigt. Auch ein famoser Bauernschilderer ist Harburger in seiner kostbaren, unerbitt- lichenCharakteristik. Er kennt den Bauern nicht als den Helden romantischer Volks- stücke, sondern als den verschmitzten, pfiffigen und oft beschränkten Bieder- mann , der sich mit merkwürdigem Ungeschick in alle Lagen des Lebens hineinbegibt und mit ebenso merk- würdiger Unverfrorenheit und Zähigkeit wieder heraus arbeitet, der heute mit der Spannung eines Entdeckungs- reisenden eine Stunde weit auf der Eisenbahn in die Stadt fährt und morgen mit nicht grösserem Herzklopfen, wenn es die Umstände verlangen, sich in seine Coupe- ecke drückt, um « auf Buffalo hinteri » zu reisen. Eine Menschengattung, die Harburger's Bleistift ganz speziell gehört, sind die Protzen. Die hat vor Allem die Münchener Exemplare der zarten Gattung noch keiner so naturtreu conterfeit wie er. Jedes dieser auf-

.Sttfe'Be 'niolbeäSillditbo'niner, »o „piano" brnfffle^tl'

F. Steub.

gedunsenen Biergesichter ist eine vollendete Satire auf Parvenuethum, Gelddünkel, Engherzigkeit, Dummheit, Gemüthsarmuth und brutale Genusssucht, aus welchen sechs hübschen Charaktereigenschaften sich der Begriff eines Protzen zusammensetzt. Bekanntlich bezeichnet der Bayer mit dem Worte « Protz j auch die Kröte, und der Name des plumpen , vielgehassten und ekelhaften Thieres als Spotttitel für jene auserlesenen Menschen- bilder ist wunderbar passend. Harburger hat freilich noch hunderterlei andere Meisterstücke der Schöpfung in den « Fliegenden Blättern » verewigt , groteske Vir- tuosen, überfeine Aristokratinnen, magere Diurnisten und fette Diener Gottes, eckige Gelehrte und runde Börsianer

(Slu? Dem Et^rnb^tfte i)tS tleintn aSorif.)

„6in leinet S^or, Surf) TOitltib reiiltnti."

die letzteren ganz exquisit fein Kahlköpfe und Langmähner, Kraft- und Erbadelige, Backfische, Dienst- mädeln, Handlungsreisende, Geizhälse und Bettler und wer weiss was sonst noch Alles I

Vor ein paar Jahren ist in seinem Gebu rtsort Partenkirchen Ferdinand Barth gestorben, dem die «Flie- genden » einige ihrer schönsten roman- tischen Bilder verdanken, Zeich- nungen zu Liedern Karl Stieler's, wie « Luftschlösser», « Minnefahrt » .

Barth (geb. ii. Nov. 1842) hat zu- nächst in Nürnberg bei Kreling ge- lernt, später kam er zu Piloty nach München und darf auch Kaspar ^p_^.,j>-, Braun's Schüler genannt werden.

-'"^^ Als Lehrer an der Akademie und

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

105

Professor an der Kunstgewerbeschule hat Barth viel wohlthätigen Einfluss geübt. Er ^hatte eine eminente Begabung für leicht stilisirende, edle dekorative Kunst. Manche Aehnlichkeit mit seiner Art hat Carl Gehrts, der gleichfalls zu romantischen, farbenreichen Dichtungen viel stilgemässen, sinnigen Bilderschmuck geliefert hat und noch liefert.

Ein Künstler , dessen Thätigkeit wir bedeutend weiter oben schon würdigen konnten, der aber auch unter den heutigen Mitarbeitern der « Fliegenden Blätter » mit ebensolchem Recht zu nennen ist, ist Fritz Steub, welcher der Zahl seiner Beiträge nach wohl nur von Stauber übertrofifen wird und zugleich zu den beliebtesten Kräften dieser auserlesenen Schaar zählen dürfte. Eine hervorragende vis comica eint er mit überaus scharfer

»in uiibeitiufttfr «((Httiftr.

ftitrtnbt Seiti^tn.

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I S', i' m

dufg'ljängt oii öer ©aiiö. '

. , , )'•«)« "rttuljun, - Bos ifl fliciigilttii wrboltnl- - SSouef ffiit.

F. Steub.

Naturbeobachtung und gehört gleichfalls zu jenen Cari- caturenzeichnern, die nie weit über das Mögliche über- treiben. Er zeichnet die Komiker aller Menschen- classen, aber mit ganz besonderem Glück und Geschick die Bauernwelt ; die tollste sinnverwirrende Lebendigkeit weiss er in Massenscenen zu legen und Kirchweih- prügeleien , Hinauswurfscenen hat kaum Einer mit so drastischem , lachenförderndem Humor geschildert, wie er. Wie köstlich ist jene Gruppe sich balgender Landbewohner, die über den Frieden stiftenden Wirth hergefallen sind, und ihn bedrängen, bis dieser geistes- gegenwärtig sich mit dem Rufe Luft schafft : « Feierabend, meine Herren!» Oder jene andere Bauerngesellschaft, die bei plötzlich entstandenem Glatteis dem Wirthe mit

Somit 3^c noc^ |o [pöt baä 'Itua' cnl.

jitlt, Sctt. 2enj im SBinlcr l)or bic Seele rüt!f, §at moti aus milbem Xieib^ouä @udj

genommen UnS lä^l Eu$ 5i" '" ©if)"« ""*i ®iS Ucrlomtnen.

0 aefit mit mir, ein !)iläj(ein gei iii)

?In Sefiäteil (luf Stben teinem gltii^, 3i^ bell' gu(S roarm imb rotiii6,.35t

Xiefbetriibten, 3m |)immel, Ott b(t Stuft bei: fy\\' geliebten. «. ».

den Köpfen die Freitreppe vor der Hausthür demolirt! Die schlichte , breite , malerische Stiftführung , wie sie Steub gewohnt ist , eignet sich vorzüglich für seine Specialitäten eine besonders scharf pointirte und von Weitem schon erkennbare Manier hat er sich nie ausgedacht, sondern er ist auch in der Technik immer einfach und natürlich gewesen. Die nur einiger-

massen eingehende Charakterisirung al- ler Künstler, welche

vordem für die «Fliegenden Blätter » thätig waren , ver- stattet der Raum leider nicht , kaum alle Namen werden wir aufzählen kön- nen. Aus der älte- ren Zeit sind noch nachzutragen ; R e i n-

matfefrl^aftc 3n|il)tift.

K. Staubtr.

106

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

hardt, K. Fröhlicli, F. M.Heil, Franz Seitz, Aug. Löffler, Feodor Dictz, F. Schröder, Fr. Los- sow, J. Watter, H. Schaumann, A. Adamo, Weigand, L. Sckell, Engel, Kleinmichei u. A. Vereinzelte Beiträge sind zu finden von G. Papperitz,

dem flotten Por- Gambrinns (Jan*) I). trätisten und Hi-

storienmaler, von dem jetzt so un- glaublich populär

gewordenen C. W. A 1 1 e r s , von der feinsinni- gen Blumenmale- rin Olga Weiss, die auch naiv- drollige Carica- turen gezeichnet

hat , allerhand hübsch erdachte, geschmackvolle Landschaften von Berlepsch, die schönen , heroi- schen Landschaf- ten von Ferd. K n a b , der na- mentlich zu Ge- dichten Hermann Lingg's melancholisch gestimmte, poesievolle Stimmungslandschäftlein entwarf. Wie geist- voll componirt,

(•fruiilt tti Sttlii.

von welch' zier- licher Filigran- arbeit waren K n o 11 ' s origi- nelle, wie endlos- hohe Tafelauf- sätze aufgebaute Compositionen, wie lustig und lebendig Ernst Retemeyer's

phantastische, figurenreiche Bil- der. Auch Con- rad Beckmann ,

Fritz G e h r t s , Alfr. Schmidt haben Verein- zeltes und zwar recht Gutes bei- gesteuert.

Eine Zeit lang gehörte auch

Franz Stuck dem Kreise an, ein junger Künst- ler, der heute zu

des malenden Jungdeutschlands ersten Sternen zählt, eine Reihe goldener Medail- len errang und, so wenig Rück- sicht er in seiner Kunst auf die grosse Menge nimmt, fast Alles verkauft, was er

malt das verdient nämlich bei einem jungen deut- schen Maler heutzutage ganz besonders erwähnt «u werden. Stuck's Talent hat sich aus dem Kunstgewerb- lichen entwickelt. Das erste Aufsehen erregte er durch zahlreiche ebenso geistvoll als wirksam concipirte Blätter für Gerlach s Werk < Allegorien und Embleme». Heute

übt er jede Kunst.

Verschiedene grössere Bilder, wie « Der Hüter des Paradieses »,

« Lucifer » , « Pieta » , « Kreu- zigung » und zahllose kleineGe- mälde aus einem ähnlichen Vorstel- lungskreis, wie ihn Meister Arnold Böcklin für seine

Schöpfungen liebt , haben in

,2Bit roartn ©U benn mif btr grllngtri Irftbjagb (ufrub<n, ^fat t>c^^ ültpft*' - ,9Iun..ft( loat jcatu ni* üUi, ob« ©tt (oQlen tin- mal bti un9 am jt^en ; Da lointnfn bu S;}a\tn o\\ jo mafj(nlK>f ah* Ittuinl. 6a6 fflon |ir trft Dom ^Itist^tlduf V^x'^rtoil'^'t ^^^^ «m itu[ )if(fn ju lonntn!"

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/.. »'. Nagel.

V voti Lciili.iclt i'iiix.

rhot. ¥ H;iiiSt;»eiij,'l, Mum-hcii-

Ad. Oberländer.

DIK KUNST UNSERER ZEIT,

107

aller Welt glänzende Erfolge errungen. Stuck ist ein Bildhauer von grossen, kraftvollen Formen, er liat mit der Radirnadel , wie mit dem Grabstichel vollendet schöne Blätter nach eigenen Bildern geschaffen, kunst- gewerbliche Entwürfe gefertigt für Keramik u. s. w. und nicht seine schwächste Seite ist die Caricatur; da arbeitete er

denn auch

natürlich in den

nur mehr selten mit. Früher waren seine Orientalia mit ihrer grotesken Phantastik und ihrem Märchenhumor, Eigenschaften, die ihn eigentlich so recht zum Illustrator von « looi Nacht» prädestinirten, oft in diesen Spalten zu sehen. Heute hat sich Simm auf einem ganz an- deren Gebiete einen Namen und Preise! im

Kunsthandel ge- macht, als Klein- und Feinmaler von Empiresce- nen , wobei er eine technische Geschicklichkeit entwickelt , die geradezu uner- gründlich istund zu deren voU- kommenenWür- digung man eigentlich mit derLoupeinder Hand anrücken muss.

Eine statt- liche Reihe von Künstlern ist an uns bereits vor- beigezogen und immer wieder tauchen andere Erscheinungen vor dem Auge des Chronisten auf, Künstlerge- stalten, über die allerdings hier nicht mehr all- zuviel zu sagen ist , weil ihre Schöpfungen all- er mit Vorliebe auch als Zeichner an und diese markige wöchentlich auf's Neue auch den Lesern dieser Hefte Art, die freilich der Ausfluss eines zeichnerischen vor Augen kommen. Da ist Erdmann Wagner , der Könnens ist, das nicht alle Tage vorkommt, lässt seine mit seiner ein wenig an's Rokoko gemahnenden Zier- Zeichnungen besonders interessant erscheinen. Seit lichkeit und Grazie das Familienleben schildert, da ist mehreren Jahren war Stuck in den « Fliegenden Blättern » der ebenfalls immer graziöse und in seiner Formen- nichtmehr vertreten. Desgleichen arbeitet Franz Simm gebung stets photographisch correcte Zopf, da ist

« Fliegenden » mit. Sein « Bauer in der Kunstaus- stellung», seine kostbaren Dar- stellungen des Studiosus Bum- mel, der infolge der Münchener Bierverhältnisse so sehr und so

schnell in's Runde geht , dass er sich für eine Ausstell- ungssaisonkarte viermal photo- graphiren lassen

muss , sein Cyclus « Amors Mission in den zwölf Monaten des Jahres »,sind prächtige Leist- ungen. Die

merkwürdige Plastik und Be- stimmtheit der Form, die Stuck als Maler charak- terisirt, wendet

liil) ift groii tiiiö 9}?ot)Qmob i[t fein ^roptjfl ! unb iDo öicfcr feine fie^ren fjintrug unter bie SBoltci, bo liefeen fie ab oon it)ren niten ©öttevn unb rocnbctcn fii) bem einen Solle ju. Wi ber <l!ropl)et ober aefornmeti rour nod) 91egl)pten. bo luoflle boä Solf ni(l)l untreu roerben feinem ollen ÖJIoubeu, unb in tjeili^eni i^orne uerflndlte ^lofiiiineb bir fteineruen Qiöjtenbitber, bod) nid]t. baß fie verfielen in Sanb unb Stoub nein, boij fie lebenbiii lüurben ,^ui: Strafe ber OTenfdfen. Unb bie ßiö^enbilbct mufjlen ronnbeln unter ben ÜKcnfdfcn iilö fd)i.ine grouen unb 3)iämicr, ober mit öerjcn Don Stein. 3brc Sd}ön()eil erregte löobufinntge Siebe, aber fie fetbfi blieben ijcfiilfllo^, unb bie fffilte itjre^ öer^cnS uerjcbrte bie ^erjen^giut^ it)rcl Opfer, bie elenb fterbcn uiußten an ben Gilülen uuertüieberter Siebe

Stber 9l(la() ift grofei 9ln bem Soge, bo fo ein armeä ä)!ciifd)en= finb elenb ftubt, fpringt ein Stürf ütin bem fteiiievnen perjcn beS lebendigen (äöfenbilbeS, unb bicic« felbfl inirb roieber ju etem, unb •JSinb niib 5Bctler nagen an bem inunben {yletfe be^ ^er^enö, Pon bciu bnö 3lüd gefprungen, uuft ba^ Steinbilb iiifjli ben tSdjiner.v 3n fliUer Wodit, o Sonberer, Ijärft bu fein leifeS .Blogcn.

So ttet)t einfom in bei ffiüfte, bis nod) fiunbert 3ol)rcn CC' toiebei .^u neuem Sebcu eriuodfl unb ein neued Cpfer unter ben OTenfcficn gefunben. (Srft nienii bo-S lejte gtild oom Sjcrjen bcä lebenblgcn Ü)56enbilbeä fid) loSgelöft. jeriäUt ber Stein in Stoub, unb aud) iijm mirb einige :))ul)e.

'JtUol) i|i groij unb ffiotjomeb Ifl fein liropf)« - gefegnel fei fein Warnet J. »

F. Simm.

15

108

ÜIK KUNST UNSP:RK1< ZEIT.

iiijiäc Sefotfltiit.

Sauet; „Sffieä, Seite*, memt'ö imt dcut' teilt' giifamiueii- iloü gibt'"

0 11 b u ( I e u r : „SBonim ^nben Sie beitti \o aiiflft?"

iäouev: „5a, roid'eii S'. i' f|ab' a' S'ivil oolt ISiev 6el miv!"

'€■:

A 1 b r e c h t , der mit elegan- tem Vortrag und kräftiger Stricliführung uns das mo- derne Leben in

hunderterlei lebendigen Si- tuationen vor- führt, nicht als besonders lau- niger Humo- rist , aber als genau zusehen- der Sittenschil- derer, der mit Vorliebe auch die Träger des « zweierlei /•. ivahii. Tuch » in's Auge fasst. Oft finden wir auch Flashar vertreten, einen von denen die meistens « auf Ton j arbeiten. Er hat viel Humor, nimmt seine Vorbilder gar kräftig her, bleibt aber fast immer noch so viel Realist, dass seine Schöpfungen als fröhliche Genremalereien gelten könnten. Die groteske Caricatur hat er fast nie gepflegt. Das gilt auch von A. Mandlick, der in sehr liebenswür- diger und natürlicher Art und Weise das moderne Leben behandelt , amüsante und glaubwürdige Momentbilder aus Salon und Wohnstube vorführt und mit grosser Sorgfalt die Tonwerthe abwägt. « Valeurs » leitet auch die Parole \on Fr. Wähle; er geht so weit, dass ihm die Valeurs die Hauptsache sind, eine weiche har- monische Abstufung und Gruppirung der Töne ihm oft näher geht, als die Charakteristik selbst. Er ist Maler durch und durch , sein Schwarz - Weiss ist von einer Farbigkeit, die ein Anderer oft mit der Polychromie kaum erreicht. Aber die Menschen , die Wähle auf- spazieren lässt, sind darum nicht weniger echt; er sieht gut und witzig und hat die Weisheit ergründet, dass die regste Phantasie des Caricaturistcn die Komik nicht erreichen kann, welche die Göttin Natur in launigen Stunden selbst zu entwickeln versteht.

Eine der elegantesten Erscheinungen in diesem Künstlerkreise istHermann Schiit t gen. Seine Domäne ist der Salon, oder richtiger, sind die Salonmenschen,

ob er sie nun im lioudoir einer schönen Frau, auf der Strasse, im Theater, auf dem Ball, auf dem Eise oder im Restaurant belauscht. Seine kecke , pikante und treffsichere Zeichenmanier ist weit bekannt und eine ganze Menge von Winkelillustratoren deutscher Bilder- blätter suchen sie nachzumachen, wobei sie freilich seine Figuren bis zur absoluten Copie oft «nachempfinden». Schlittgen kleidet seine Gestalten stets mit tadelloser Eleganz , er ist der unfehlbare Darsteller der Welt , in der man sich amüsirt, der ganzen und halben c Gesell- schaft s, der lions und lionnes, der Maler des Flirt und des Pschütt in allen Formen. Er generalisirt immer die Klasse, es ist die Weltdame, der Gardelieutenant, die reiche Erbin, derRoue, was er uns vorführt; nichteine unerschöpfliche Fülle einzelner Gestalten und Charaktere hält er nacheinander fest, er \erdichtet die Eigenheiten eines ganzen Standes zu wenigen, dann aber auch ausser- ordentlich kennzeichnenden Erscheinungen. Schaftt ein Oberländer eine lückenlose Culturgeschichte seiner Zeit in Bildern, so liefert Hermann Schlittgen eine Mono- graphie der t oberen Zehntausend». Darum freilich ist er durchaus noch nicht mo- noton, im Gegentheil, in der Gruppirung, in Bewegung und Costüm sind Schlittgen's Ge- stalten unendlich mannigfal- tig. Er ist auch ein Chronist der Mode und zwar bildet er ihre Bizarrien einfach ab, wie sie sind, ja er findet sogar ihren malerischen Reiz heraus, statt sie durch Uebertreibun- gen zu verhöhnen. In dieser Art hat Schlittgen manche Aehnlichkeit mit van Beers. In den letzten Jahren wandte er sich mit steigendem Erfolg auch der Farbe zu und seine Bilder zeigen gerade in colo- ristischem Sinn ganz hervor- ragende Werthe und grosse Schönheit des Tons. Die natürliche Eleganz seiner Zeichnungen ist auch seinen Oelbildern eigen ; in impres- sionistischen Pastellstudien hat er mit Glück und fröh-

Jjfc^'WcjT n. r^cröre)n.^^and3-»fn-

ÜIK KUNST UNSERER ZEIT.

109

licheni Wageiiiuth sich an die tollsten Experimente gemacht, namentlich in einigen flüchtigen Skizzen aus Pariser Schaubühnen und Tanzlokalen virtuose Augen- blicksbilder des Grossstadtlebens geschaffen. Von den oben genannten « Typen » Schlittgen's ist der Lieutenant wohl die gelungenste und bekannteste, der selbst- und siegesbewusstc, schneidige, etwas näselnde, gut gewach- sene, tadellos uniformirte , courschneidende Garde- Schwerenöther, der sein Leben zwischen Dienst und Sect verbringt und gelegentlich aus Mitgefühl für seine Gläu- biger noch eine reiche Erbin angelt. Glänzender hat Sclilittgen nie geoffenbart, was er kann, als in seinem Beitrag zur letzten Jubiläumsnummer der c Fliegenden j ; Drei Worte, Gei.st, Schönheit, Geld. Ein Ball: das junge Mädchen, das Nichts hat als Geist, hat einen einzigen Mann gefunden, der sich mit ihr unterhält, die < mit Schönheit > wird von einer Gruppe alter Herren umschwärmt und um eine nicht gerade hübsche junge Dame, die in Brillantenschrift die Weisung trägt: «Hier

ist eine reiche Er-

«m cAttn DpfttnUar.

3ln biojcm Slltar l)ier flimticiiloiiii, SBo eiiift ?Beil)enbc Jttöuäe blockten, ©iimeub ucrioeilcii in fti[(cm 33clra(l)tcn, £aii(cl)cii out einen fernen ©ejnng, SBav'ä niäjt ein Ijimmlijdjer 5)ifiifiganti? Sans im 5111 her ©ebanten »cvidjiDinbcn, 3Bäf)vcnb jum einjam niidjflic^cii £ciu| liebet ben Söottcn, ben ftoI)[bUiu bunteln, %aui)t bcr eifige Wonb l)erani, llnb bie Stttnc beginnen ju jnnteln.

Srnnnnn Tiiijü.

bin zu vergeben », schaaren sich die jungen Herren dicht , wie die Mücken an einem Sommerabend um eine Gartenlampe. Bitter, bitter, aber wahr!

Auch der lie- benswürdige und künstlerisch so überaus vornehme R e n e R e i n i c k e entnimmt seine Stoffe oft der vor- nehmen Gesell- schaft, wenn auch nicht so aus- schliesslich wie Schlittgen. Was Feinheit desTons,

Zartheit der Lichtvertheilung und malerische Duftigkeit der Technik betrifft.

Rb ^Lt^MMLI^J' VfKTR.vn*

U btn- l-tT^Tt t'NDMjO\.

.U5T.C,L UND TKAUR.CL ti.NPtüWlE

hat Reinicke nur in Einem einen Rivalen, in dem erst in den letzten Jahren auf- tauchenden H o r a - dam, der seine Zeichnungen , d. h

Wasserfarben- Grisaillen mit wahr- haft unendlicher Liebe durchbildet. Die beiden liefern wirklich fast nur in jeder Hinsicht vol- lendete Kunstwerke ab , sind bei aller Realistik immer an- muthig und gefällig,

und entzückende Frauenköpfchen lachen besonders oft aus Rene Reinicke's Bildern. Feintönig und manchmal ein wenig melancholisch sind G. Buchner's Bilder, der gerne Dorfgeschichten und poetische Dämmerstimmungen malt. P. Bauer hat in seiner correcten, scharfen Dar- stellungsart Manches mit Zopf gemein, neigt aber einer realistischeren, wenig sentimentalen Richtung zu.

Lange Zeit hat auch Lothar Meggendorfer (ein Münchener , geboren 1 847) zu den populärsten Mitarbeitern der « Fliegenden s gehört ; seine Verdienste lagen weniger auf dem Gebiete sonderlich malerischer, künstlerisch vertiefter Darstellung, als in seiner oft kind- lichen Naivität und seiner unerschöpflichen Erfindungs- gabe für drollige Vorfälle, verwickelte Zufallscomödien und drastische Mimik. In ungezählten Bilderbüchern, deren beste bei « Braun & Schneider » erschienen , hat Meggendorfer das Talent eigentlich noch zweckmässiger geübt und sein merkwürdiges Talent zum «Bosteln», wie wir familiär sagen, brachte ihn zur Erfindung ganz allerliebster beweglicher Caricaturen: c Ziehbilderbücher ». Seit Jahr und Tag ist Meggendorfer , der selbst jetzt t humoristische Blätter » herausgibt, aus den Reihen der Mitarbeiter der « Fliegenden » verschwunden.

Und die « Lustigen » von heute ! Da sind vor Allem die überaus fröhlichen, oft ausgelassenen Humoristen Emil Reinicke und A. Hengeler, zwei Künstler, die allen Dingen auf der Welt irgend eine ausgesucht komische Seite abzugewinnen wissen, die ihre Charakteri- sirung in übermüthigen Uebertreibungen äussern und mit

15*

110

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Muf kct 9}et«atc.

(Ein Seitbilti.)

Irompttenftof). BetannImaAuna : ,gin (Sljering rourtf qtfunben:"

unwiderstehlicher Heiterkeit den Beschauer anstecken. Beider Gebi^ ist umfangreich , sie « machen Alles > , Jeder freilich Etwas besonders gut. Emil Reinicke die Thiercaricaturen , in welchen er oft nahe an Oberländer's Meisterschaft herannaht, Hengeler romantische und intime Idyllen aus dem Thier- leben , worin Hummeln und Feldmäuse in Menschenrollen auftreten und das Kleinleben ^

des Waldes überhaupt mit ebensoviel Humor > als naiver Poesie in's Menschliche übersetzt wird. Hengeler hat auch viele kleine Juwele von Oel- bildern nach solchen Motiven geschaffen. Lustig und vielseitig wie die Beiden ist Th. Graetz, und auch er zieht die Thierwelt gern in den Bereich der Caricatur und lässt Löwen und Elefanten allerlei ergötzliche Gesichter schneiden. Eine flotte, kräftige Zeichennlanier ist ihm eigen. Der Wiener H. Schliessmann, der ver- blüffend sichere Contouren zeichnet, behandelt wie Meggendorfer mit besonderer Bevorzugung complicirte «Unglücksfälle» oder tolle Streiche in Bilderserien, meist in einfacher naturwahrer Darstellung , aber immer vergnügt und unter- haltend. Von den Jüngsten ist Th. Th. Heine zu nennen, ein sehr talentreicher junger Künstler, der sich vor der Hand viel von japanischem Stil beeinflusst zeigt, stark, aber auch geschmack- voll stilisirt, und recht groteske Einfälle hat.

Auch Eugen Kirchner ist einer der Jüngsten und in der Redaktion der t Fliegenden Blätter » verspricht man sich mit Recht viel von ihm. Eine charmante Fröhlichkeit beseelt seine breit gehaltenen, formsicheren Zeich- nungen und er hat noch nicht sehr viele in die Oeffentlichkeit gebracht, aber was er brachte, hat den unge- theilten Beifall aller Derer gefunden, die was von Kunst verstehen und gerne lachen.

Auch Professor Otto Seitz hat mancherlei famoses Bildwerk beige- steuert und seine drastisch-komischen Caricaturen von modernen Bildern zählen wohl dem Gelungensten bei, was hier in diesem von Anfang an mit Vor- hebe gepflegten Genre geboten wurde. Und nun noch last, not least Hermann Vop-el! Die t Fliegenden» nennen ihn mit Stolz und Freude den Ihrigen und in der That haben sie vielleicht

„Wut i 9'v 'flfl nfltit."

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Ad. Oherlfindcr pinx-

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Titelblatt der „Fliegende Blätter-' No. 2000.

DIE KUNST UNSKRER ZEIT.

111

seit langer Zeit keinen Mitarbeiter gehabt, dessen inneres Wesen dem Geiste, der diese Blätter leitet, so homogen ist, wie das seine. Er steht in seiner Kunst etwa zwischen Moritz V. Schwind und Adrian Ludwig Richter, die reiche, glänzende Phantasie, den edlen Formensinn des Ersten, mit der tiefen Gemüthsinnigkeit, den familiären anheimelnden Ton des Zweiten verbindend. Ein Ge- dankenmaler, ein Bilderpoet, ein fesselnder Fabulirer wie kein Zweiter. Er steht im intim- sten Verkehr mit den Naturgei- stern , er ver- steht , was die

Thiere reden und was der Wald rauscht und mit diesen Sonntagskinder- gaben ist er ein Märchenerzähler geworden , der Alt und Jung bezaubern muss. Seine Gnomen

und Elfengestalten , seine plaudernden und agirenden Thiere, seine niedlichen Kinder und gemüthlichen Alten, wie innig und sinnig spricht das uns an! Hermann Vogel hat neben feinem Gefühl für Stil ein grosses Com- positionstalent und arbeitet seine Compositionen so liebe- voll durch , dass auch die kleinsten landschaftlichen Details, die Pilze im Moos, die Blüthen an den Bäumen, die Farnkräuter im Waldschatten eine ganz bestimmte, wohl berechnete Rolle in seinen Bildern spielen. Auch Allegorisches weiss er mit viel Geist und Witz zu geben, wie das brillante, als Illustration dieser Chronik beige- gebene Blatt über die deutsche Kunst beweist. Meist aber ist Vogel's Humor harmlos und naiv und aus der Hälfte seiner Bilder klingt das lustige Lachen des Kobolds, der eben einen Schelmen.streich verübt.

Hermann Vogel steht heute im 39. Lebens- jahre. Er wurde als der Sohn eines Baumeisters in Plauen geboren, eines kunstbegabten Mannes, den ein freundlicheres Lebensschicksal vielleicht selbst zum be- deutenden Künstler gemacht hätte. So hiess es, den goldenen Boden des Handwerks bebauen. Hermann Vogel hat zuerst studirt und ward dem Beruf der Rechts-

gelehrsamkeit bestimmt. 1873 kam er nach Leipzig auf die Universität, hörte hier die kunstgeschichtlichen Collegien bei Overbeck, Springer und Jordan aber lieber als Pandekten , und setzte es denn schliesslich auch durch, dass er in Dresden sich an der Akademie, end- gültig einem lang gehegten Sehnen nachgebend, dem Kunststudium widmen durfte. Die Akademie gewährte ihm aber bald wenig Befriedigung ein Satz, den man

wohl in alle Bio- graphien wahrer Künstler einfü- gen kann, deren Talent jemals auf einer Aka- demie in spani- schen Stiefeln

einexercirt wurde. Vogel's reiche Phantasie drängte zu eige- nem Schaffen und der Einzige unter den aka- demischen Leh- rern Dresdens, zu dem den jungen Maler geistesverwandtes Streben zog, hatte ein Jahr vorher sein Lehramt niedergelegt Ludwig Richter.

In die reizlose Kälte des Antikensaals verbannt, wäre des jungen Malers Talent unter Vorurtheilen und Gypsfiguren verdorben da verschaffte ihm ein Freund von dem Leipziger Verleger Otto Spamer den Auftrag, W. Wägner's « Nordisch - germanische Heldensagen » , ein bekanntes Werk für die heranwachsende Jugend, mit zahlreichen

Illustrationen zu verschen. Vogel verliess die Akademie,

der junge Zeichner ward bekannt und begehrt , die Aufträge häuf- ten sich. Den feinen , inner- lichen Künstler

'1{ 11 ditdi i9Dcn.

I moBfl tag™, nia* ^' loiQfl - ft« »iSiiian! ij! unö bleibt 6n fl'fi^tlWflf Blonn in W]m

112

DIK KUNST UNSERER ZEIT.

3)it Cöfllein lofjen id)on im ISIjot ^^t 5rüt)Itn0§lifb ft^d)nllen, Tic (Sonne idjcint nod) rote jucor, S)od) mii roill nid)ls gejallcii.

fdj t)iiljt' feine :pciinfttl) meijr, Seil id| mein ^ieb uetloccn, ^temb itc' id) m bei Stobt urafjcr Unb eiiifnm <rol beii Hioien.

3)ie SBIumen, bie crft aufgeblüht; ©inb über gjadjt erfroren S9a« tümmert miii, rooä noif) geft^ie^t? 3d) l)ob' mein ijicb oeriorcn!

Uictat DdBütr.

von heute erkennt man freilich in den Illustrationen zur Nibelungensage und zu «Gudrun» noch nicht, aber Hermann Vogcl's ausserordentliches Compositionstalent ist in jenen Arbeiten schon deutlich er- kennbar. Frohnarbeit war's freilich, doch es folgte wenigstens ein Auftrag dem andern. 1876 machte Vogel, wie er selbst launig erzählt , in l^erlin bei A. V. Werner den schwachen Versuch, wieder einen Lehrer zu gewinnen, kehrte aber erleichterten Herzens um, als er den Künstler nicht zu Hause traf. 1877 sah er Italien. In der handwerksmäs- sigen Produktion, die Vogel um's Brod betrieb , fühlte er seine künstlerische

Energie nach und nach bedenklich sinken und sein Talent wäre wohl stark verflaut, wenn nicht wie durch einen Zufall namhafte Künstler, wie Thumann, Woldemar Friedrich, Einsicht in seine Mappen bekommen, und ihn zu neuem, fruchtbarerem Schaffen ermuthigt hätten. Er fing an wieder fleissig nach der Natur zu arbeiten, und so kam er schliesslich über alles Dilettantische hinaus und ward das, was er nun ist, ein echter Künstler. Hermann Vogel ist Junggeselle geblieben. In einem idyllisch gelegenen Häuschen, das er sich in Loschwitz bei Dresden gebaut, lebt er, den die «Fliegenden» erst seit einigen Jahren für sich gewonnen haben, eine Art von weltscheuem Einsiedlerleben und ist wohl der einzige Mitarbeiter des Blattes , welchen die Herren Braun & Schneider noch niemals von Angesicht zu Angesicht sahen. In Bälde wird ein Werk in der Oeffentlichkeit erscheinen, das Hermann Vogel's Namen in glänzender Weise der Nachwelt erhalten dürfte. Er hat eine Pracht- ausgabe der Gebrüder Grimm'schen Märchen für Braun & Schneider illustrirt . das vielleicht das überhaupt schönste und kostbarste Märchenbuch darstellen dürfte, das je gedruckt worden ist. Das von Gustav Dore ist dabei nicht vergessen. Vogels zahlreiche Zeichnungen zu diesen schönen Volksmären kann man nicht mehr Illustrationen nennen, es sind congeniale Nachdichtungen von einer Poesie und Anmuth, die noch kein Anderer in diesem Genre übertraf. Jede Vignette, jedes Bild spiegelt des Künstlers reiches Gemüth in wunderbarer Weise wieder und Hermann Vogel, den die Aufgabe, welche ihm geworden, ausserordentlich erfreut hat, wird wohl selbst das Buch als die Krönung seines Lebens- werkes betrachten. Damit sei freilich nicht gesagt, dass dieser begnadete Künstler, dessen Arbeiten von Blatt zu Blatt innerlicher und werthvoller werden, uns nicht noch manche freudige Ueberraschung sollte vorbehalten haben.

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DIK KUNST UNSKRKR ZEIT.

113

Wie die «Fliegenden in ihrem Bilderschmuci< die Entwicklung der deutschen Zeichenkunst seit einem halben Jahrhundert darstellen, so illustriren sie auch die Geschichte der Holzschneidekunst in dieser Epoche. Nur ein kleiner Theil des Publikums mag eine Ahnung haben, welchen enormen Aufwand von Kunst, von Zeit und Mitteln gerade dieser Theil des redaktionellen Be- triebes beansprucht, wie lange es dauert, bis der Drucker das fertig stellen kann, was der Zeichner entworfen hat. Und wie viel missglückt ! In den Schränken der Redaktion lagen zwischen drei- und viertausend Holzstöcke , die nie verwendet wurden das mag einen Begrift geben von der Zahl derer, die wirklich zur Verwendung kamen. Anfangs und noch lange , lange Jahre wurde in kräftiger Strichmanier gezeichnet und demgemäss in Holz geschnitten und gleich in den ersten Jahren des Bestehens des Braun & Schneider'schen Verlags kam

(Sine Santintetcet^Stcf ammlnitg

unter polijeitil^irt Uebetn>ad)un(i.

die xylographische Kunst zu Chi >i n«iipr.^ comme u faui.

hoher Blüthe. Die Facsimile-

schnitte nach Kaspar Braun, nach

Schwind, nach Lichtenheld's oft

sehr malerisch und stimmungs- voll gehaltenen Zeichnungen,

nach Busch und Anderen, legen

davon Zeugniss ab. Hervor- ragende Holzschneider waren :

Hans Rehle, Bernhard Götz,

Franz Kreuzer, Nikol. Knilling,

Christian Rucpprecht, Jos. Blanz,

Joh. Schwarz , August Meyer,

Max Diemer, Karl Hauer, Jakob

Gehrig, Theodor Knesing, Jos.

Knilling , Ludwig Ruepprecht,

Richard Klepsch, H. Scheidner,

Moritz Wittig, W. Hecht, Faul Theuerkorn, Wilhelm Maisch, Lindemann, Häusler, E. Schempp. Diese Künstler waren zum Theil im xylographischen Atelier von Braun & Des- sauer, dann in der Werkstatt von Braun & Schneider und zum kleinen Theil ausserhalb des Ateliers thätig. Heute betreibt meines Wissens die Firma keine eigentliche xylo- graphische Anstalt mehr.

Der ersten Blüthe der Holzschneidekunst, die selbstverständlich über den Rahmen der «Fliegenden», der «Bilderbogen? und ähn- licher Vcrlagswerke hinaus der deutschen Kunst ihre Früchte trug, folgte in den sech- ziger Jahren ein merklicher Verfall und wir sehen da manches Kunstwerk des Zeichners vom Xylographen bedenklich zugerichtet. Aber eine neue Blüthe erstand der edlen Kunst, die sich an immer schwereren Auf- gaben übte , die heute für diese ihre Auf- gaben kaum mehr eine Grenze ihres Ver- mögens kennt. Die Zeichner überbieten sich in immer subtileren , immer zarten , farbig getönten Vorbildern und die Xylographen halten Schritt. Die feine Holzschnittmianier. welcher der Künstler nicht mehr die Strich- stärken und Strichlagen, sondern in weich und breit gehaltenen Grisaillen nur mehr die Ton- werthe vorschreibt, hat sich zu einer Feinheit, einem Raffinement entwickelt, die für sich

114

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

allein schon des Kenners ganzes Entzücken bilden. Das ist nicht mehr in das kernige Buchsbaumhoiz geschnitten, das ist nur mehr geritzt und es gehört schon ein scharfes Auge, meist aber die Loupe dazu, um auf dem Holz- stock die feinsten Unterschiede von Erhöhungen und Ver- tiefungen noch zu

unterscheiden. DieZufälligkeiten, welche bei der Pinselführung des aquarellirten Vor- bilds entstanden, die Eigenart des Bleistiftstriches, das zarteste hin- gehauchte Tön- lein in Luft und Wolken werden von den Meistern des Tonschnitts heute wiedergege- ben, jeder Eigen- art des Künstlers

wird Rechnung getragen und doch bleibt der Vortrag des Xylographen fein und leicht. Das Beste, was in den «Fliegenden» an Holzschneidekunst zu sehen ist, darf man dem Besten, was französische und amerikanische Holzschneider leisten , heute mindestens ebenbürtig schätzen. Unter den ersten Künstlern des Tonschnitts sind gegenwärtig zu nennen die beiden Schlumprecht, Konr. Strobel, O. Kresse. Auch von den früher genannten Xylographen arbeiten viele auch zur Zeit noch für die «Fliegenden». Manches Bild braucht Wochen, bis es vollendet ist und die kostbarsten Holzschnitte werden mit 3 400 Mark bezahlt. In der Herstellung der Holzschnitte hat sich im Laufe der Zeit manche Veränderung ergeben. Früher mussten die Künstler

direkt auf den Holzstock zeichnen und zwar natürlich Alles « ver- kehrt » , so, dass « rechte Hand, linke Hand, Bei- des vertauscht » war seit geraumer Zeit hilft die Photographie über diese leidige Verpflich- H. SMi^mann. tung Weg. Früher wur-

den die Bilder der « Fliegenden » direkt vom Holzstock gedruckt, seit Mai 1885 werden allgemein Galvanos zum Drucke angewendet, eine Nothwendigkeit, die sich aus der ungeheuer wachsenden Auflage der « Fliegenden » ergab. Die Galvanos stellt die E. Mühlthaler'sche

k. Hof- Buch- und ^ J Kunstdruckerei in München her, die auch den Druck der « Fliegenden Blätter» wie der « Kunst unse- rer Zeit » seit Jahren besorgt. Nebenbei gesagt, beansprucht der Druck jederT^um - mer acht volle Tage, denn mit der Blitzzugge- schwindigkeit, mit welcher unsere Tageszeitungen durch die Presse fliegen, kann ein solches Blatt nicht gedruckt werden. In letzterer Zeit werden Autotypie und einfache Zinkographie für geeignete Vorbilder bei den « Fliegenden Blättern » häufig angewandt und die ausserordentlich vorgeschrittene Entwicklung der photo- chemischen Techniken lässt diese Verfahren auch die Wirkung künstlerischer Reproduktionsarten beinahe er- reichen. Aber das Hauptvervielfältigungsmittel unseres Blattes bleibt doch das edelste und schönste, das es für solche Zwecke überhaupt gibt, der Holzschnitt, des

.Ifltt iä) uia ütuii tilunf:"

Herrn. V'oycl iiin>.

Phot. V. HiinfsUengl, Mtlnchtii.

Stossseufzer eines deutsehen Malers.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

115

!&(t bejtditt ffvtti^ti.

alten Dürer's mar- kige urdeutsche Kunst, die charak- tervollste, ehrlich- ste von allen gra- phischen Techni- ken, die leider frei- lich heutzutage von den meisten illu- strirten Wochen- zeitungen der un- seligen. Alles über- stürzenden Aktua- lität zu Liebe oft schmählich miss- braucht wird. Holz- schneiden ist eine ernste , innerliche, beschauliche Kunst, ein Ding, das Liebe [braucht und Zeit. Was « bis vorgestern » fertig werden ] muss , für

das sind im Grunde die Buchsbaumplatten zu gut.

Wie jede Richtung deutscher Kunst unter den Zeichnern der « Fliegenden » vertreten war und ist , so waren die Blätter von jeher auch ein Tummelplatz für die deutschen Poeten und ihre [Bedeutung in diesem

Sinne darf wahr-

„Scufel, ©ie fahren jQfortitä^reiib im 3iä'3'"'' - .-2Öa9 min ma' raadieii, 8uer ®naben, roeim'ä Siiieii tolt) rtd)l5. bnl> linß reifet uiib ran' nir «um fliiballeii hai als bit :RiiafI.'"

Späte StftnntRifj.

■^Jroftttor her Söo((ini( (nortibenlenb): „SBinjen? ffu^. tlumen? Seigi^raeinnidit' Sollte ii) elmn in einen - Sumpf getctljen icin'!"

haftig nicht unter- schätzt werden. Von den Einsen- dern jener hundert- tausende von lau- nigen Einfällen, aus welchen sich die Nummern in der Hauptsache seit 50 Jahren zusammen- setzen, weiss die Chronik nichts zu berichten, als das, dass thatsächlich ganz Deutschland hier mitgearbeitet hat und dass das Lustigste von Er- dachtem und Er- lebtem stets seinen Weg zunächst nach

der Redaktion der « Fliegenden Blätter » findet. Sie haben ihre Mitarbeiter in jedem Stand, in jedem Alter und Gesclilecht; der beste Mitarbeiter freilich bleibt die Wirklichkeit und das Tollste und Lustigste, was die fröhliche Chronik verzeichnet, ist sicher in Wahr- heit vorgekommen. Zwischen diesen bunten Blüthen des Tageshumors finden wir aber auch zahllose Juwele von unvergänglichem literarischem Werth eingestreut und neben den namenlosen Mitarbeitern, die der Zufall brachte , haben die « Fliegenden Blätter » auch nicht wenige zu verzeichnen, deren Namen Sterne erster Grösse am deutschen Poetenhimmel darstellen. Wie viele viele frohe Lieder, die heute in aller frohen Burschen Munde

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sind, haben zuerst hier gestanden ! Das halbe Lahrer Commersbuch nebenbei gesagt , ein Prachtbuch, das jeder Deutsche in seine Bücherei stellen und zur Hand nehmen sollte, so oft ihm Alltagssorgen die Stirne kraus ziehen ist in den « Fliegenden Blättern » be- heimathet. Viktor v. Scheffel und der schon ge- nannte Ludwig Eichrodt haben ihr Bestes und Feuchtfröhlichstes hier zuerst niedergelegt. Von Scheffel sind da die Prähistorischen Balladen, die Rodensteiner Lieder und was sonst noch zu den Glanznummern des :< Gaudeamus » zählt ; Eichrodt hat ausser seinen köst- lichen Biedermaieriaden die originellen Strophen der «Wanderlust», den Bruder Straubinger, das Menschen- lied und noch so vieles Andere beigesteuert. In der

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ersten, stürmischen Zeit finden wir von leidenschaftlicher Freiheitsliebe durchbrauste Zeitgedichte von Joh. Bapt. V o g 1 , von Otto V. Reichert, von F r e i m u n d Raimar, (Rückerts bekanntes Pseudonym) und Anderen. Zu den alleredelsten Perlen novellistischer Art gehören Franz Traut mann's alterthümelnde Geschichten, die so traulich und heimelig sich lasen und so weit weg waren von der Butzenscheibenromantik späterer «stilvoller Erzähler». Wie hat Trautmann jeden Winkel des maleri- schen alten München mit behaglichen und drolligen, immer aber echten und warm- blütigen Figuren zu beleben gewusst, wie hat er uns die Ge- stalten lang ver- gangener Fürstenge- schlechter und gros- ser schlichter Men- schen aus alter Vor- zeit so seltsam nahe gebracht und mit uns vertraut werden lassen 1 Von einer prächtigen Publika- tion des Verlages,

« Hauschronik », deren bester Mit- arbeiter Trautmann war und die ganz von seinem Geiste getra- gen ist, existirt leider nur ein Band und der ist noch dazu im Buchhandel längst

vergriffen. Die Graf'schen Reisebriefe, die lange Jahre zu den begehrtesten Gaben der « Fliegenden Blätter » ge- hörten, wie auch eine Reihe gar köstlicher Judengeschich- ten, vom <: verhexten Hut », « Hosen und Tornister x u. A. haben Brendel zum Verfasser. Hier sei eingeschaltet, dass die zahlreichen und oft sehr guten jüdischen Witze und Anekdoten in den « Fliegenden Blättern » fast durch- gängig von Juden stammen, also nicht etwa vom Rassen- hass diktirt sind. Die Einsender denken sich wohl :

«Wer sich nicht selbst zum Besten halten kann, der ist gewiss nicht von den Besten».

Auch der geniale Erzähler Fr. Gerstäcker zählt den berühmtesten Prosa-Mitarbeitern der « Fliegenden Blätter bei, dann Emile Maria Vacano, der Kunstreiter und Dichter, Ludwig Steub hat die Fabel seines reizenden Lustspiels « Das Seefräulein » zuerst als Novelle hier erzählt, Hackländer eine seiner ergreifendsten

kürzeren Erzählun- gen « Zwei Nächte ebenfalls hier ver- öffentlicht. Ueber- haupt haben Nove- letten und Novellen in den « Fliegenden Blättern» früher eine grosse Rolle gespielt und sind sehr, sehr gern gelesen worden. Phantastische Mär- chen, lehrreiche Pa- rabeln in Erzählungs- form und meist in orientalischem Ge- wände kamen da- zwischen.

Und welche Menge an Namen hervor- ragender Lyriker fin- den wir vertreten ! Da ist Vieles auf Hochdeutsch , auf Oberbayerisch und Pfälzisch auch Prosa von F r a n z von Kobell, dem liebenswürdigen und kerngesunden Dich- ter - Gelehrten , der das edle Waidwerk , die Menschen, die Berge und den «Schampus» so lieb hatte, da sind Carl Stieler's schwungvolle Chiemseelieder und lau- nige Genrebildchen aus den Bergen. Fr. Th. Vi scher, der immer ein wahrer Freund der « Fliegenden » ge- wesen ist, und sie immer gern wieder auf's politische Gebiet hinüber gedrängt hätte, C. Schult es, der Dichter der « Landsknechtheder», Emanuel Geibel, Oskar v. Redwitz, L. Schücking. C. Herloss-

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Phot. f. Hanr^^taenKl, München.

Picknick im Walde.

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söhn, R. Rein ick, A. Kopiscli, H. Dewils, J. Kern er, Ludwig Pfau, Martin Schleicli, Fr. Hornfeclv, L. Kaiisch waren vertreten. Wir finden von Hermann Lingg edelschöne Poesien, von Martin Greif, von Wilh. Hertz, von Friedrich Bodenstedt und Felix Dahn; dann H. Seidel, Edwin Bormann, EmilPeschkau, der « harmlose Plauderer» von Völderndorff , Sacher Masoch, Dr. Märzroth, August Silberstein, Ludwig Hevesi, Ludwig Fulda, Theob. Gross, F. Bren- tano, M. Barak, Moritz Jokai, P. K. Rosegger, ErnstEckstein(« Der Besuch im Karzer»), Schmidt- Cabanis! Eine Specialität der «Fliegenden Blätter» ist die oft in prickelnd geistreicher Form gebotene Sprücheweisheit der « Gedankensplitter ; . C r a s s u s

(d. h. Krassb erger) und Rode rieh gehören zu den bedeutendsten Mitarbeitern dieser Sparte! Einer der Ailergetreuesten des Hauses, durch ungezählte Beiträge in den « Fliegenden » , durch liebenswürdige Kinder- schriften und eine Reihe von andern Büchern, durch seine Ausstellungsschnaderhüpfeln und seine Schnaderhüpfeln über die « Nibelungentrilogie » bekannt, ist Franz Bonn, der auch häufig unter dem Scherznamen v. Miris (von mir is') auftritt. Er zählt wie Ed. Ille zur Redaktion selbst. Vieles, was zuerst die « Fliegenden Blätter » brachten, hat der Verlag von « Braun & Schneider » wieder zu

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werthvollen Sonderausgaben vereinigt, so die militärischen Scherze in « General Rockschössel's Erinnerungen » und « Im Frieden x , die lustigen Balladen und Romanzen, bekanntlich auch eine Specialität der « Fliegenden > in «Hagebutten», Hai der 's Zeichnungen in « Die Jagd in Bildern», L. v. Nagel's Bilder im «Nagel-Album», das Juristische im « Vademecum für lustige und traurige Juristen », dann kamen « Lustige Jagd », « Lustiger Sport », « In der Sommerfrische » , « Novellen-Pastete » , « Unsere Frauen», « Jocusus hebricosus , ein medizinisches Vade- mecum und noch vieles Andere. Noch würden die

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loo Bände, von denen wir reden, für Dutzende von solchen Extraaus- gaben in Wort und Bild werthvollen Stoff bieten.

Der redaktio- nelle Betrieb der « Fliegenden Blät- ter » ist von über- raschender, wahr- haft patriarchali- scher Einfachheit. Die Post bringt einen riesenhaften Einlauf täglich, von Witzen und Erzählungen, von Gedichten und Anderem , was von den Verfertigern als der « Fliegenden » würdig er- achtet wurde. Manche schicken ganze Stösse von Witzen zugleich, Viele benützen auch in bewunderns- werther Unverfrorenheit die Blätter selbst wieder als Fundgrube für ihre «Einfälle». Ja es ist auch schon vorgekommen, dass besonders Schlaue als Zeichnungen Pausen von Bildern der « Fliegenden » anboten. Dass bei den Einsendungen das Schlechte zum Guten ungefähr in dem Verhältniss steht, wie im Krieg die Kugeln, welche treffen, zu denen, die in's Blaue fliegen, kann man sich denken. Der Schöpfungstrieb ist bei den Unberufenen von jeher am Stärksten gewesen, davon kann Jeder, der je auch nur in der kleinsten Redaktion gesessen, sein Liedchen singen. Der ganze Einlauf nun circulirt zunächst bei einer kleinen Zahl von Intimen des Hauses, die über tauglich und untauglich ihr Votum abgeben. Das so Gesichtete wird in der Redaktions- stube selbst, in der nur die Herren Kaspar Braun jun., Julius Schneider und dessen Bruder Hermann Schneider

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thätig sind, weiter verarbeitet, oder zu literarischer Ver- arbeitung an Mitarbeiter hinausgegeben. Die Illustratoren werden je nach der Art der Aufgabe aus dem künst- lerischen Generalstab der Blätter ausgewählt, und wenn diese ihre Arbeiten abgeliefert haben, wieder die Holz- schneider bestimmt. Das Zusam.menstellen jeder Nummer erfordert mehrtägige Arbeit und sorgsamste Ueberlegung, und ein paar Wochen , bevor sie erscheint , muss die Nummer auch schon gedruckt sein. Bekanntlich er- scheinen die « Fliegenden » an allen Plätzen Europa's an- nähernd gleichzeitig, in Amerika acht Tage später.

Im Gründungsjahr 1844 betrug die Abonnentenzahl der « Fliegenden » schon an 2000; 1846: 17,000; 1856 war die Zahl der Abonnenten wieder auf 7 8000 zurück- gegangen — die « politische Epoche » der <■. Fliegenden Blätter» 1873 auf 20,000 gekommen, 1882 auf 42,000, 1889 auf 80,000, 1893 zur Jubiläumszeit auf 95,000. Die Packete der Jubiläumsnummer, d'e nach Leipzig gingen für den Buchhandel, brachten zwei Pferde nicht aus dem Verlagsgebäude heraus , man musste zwei weitere dazuspannen.

So blüht denn heute das Werk, zu dem deutscher Geist, deutsches Geniüth und deutsche Kunst vor fünfzig Jahren den Grund gelegt haben , so frisch und reich wie kein ähnliches Unternehmen in weitem Umkreis, die Freundschaft der ganzen gebildeten Welt begleitet es, in Palast und Mansarden i.st es gekannt und will- kommen 1 Mögen die « Fliegenden Blätter « sich so weiter entwickeln bis zu ihrer Säkularfeier und darüber hinaus! So lange der gute Geist von 1844 in dem Hause wohnt hinter dem Schillerdenkmal am alten Dultplatz zu München, kann's nicht fehlen. Und der gute Geist von 1844 wird dort gar treu und wohl gepflegt und wird seine Ge- treuen auch weiter führen zu immer schöneren Siegen, und ihre Botschaft in immer fernere Winkel der Erde tragen, « denn der Humor ist wunder- thätig ! »

K. B/üun.

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Die Kunst unserer Zeit

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